Skip to main content

Full text of "Jahresbericht über die Fortschritte der klassischen Altertumswissenschaft"

See other formats


WM 

Jrt 

/      \fl 

' 

JAHRESBERICHT 


über 


die  Fortschritte  der  classischen 

Altertumswissenschaft 

begründet     . 

von 

Conrad  Bursian, 

herausgegeben 

von 

Iwan  Müller, 

orcl.  öffenll.  Prof.  der  classischen  Philologie  an  der  Universität  Erlangen. 

Fünfzigster   Band. 


Fünfzehnter  Jahrgang.    1887. 

Erste  Abtheilung. 

GRIECHISCHE   KLASSIKER» 


BERLIN    1889. 

VERLAG  VON  S.  CALVARY  &  CO. 
W.  Unter  den  Linden   17. 


3 
-73 <J.  &o-f/. 


G 


V-' h  '< 


Inhalts-  Verzeichnis  s 

des  fünfzigsten  Bandes. 


Die  Berichte  über  Homer  von  Rektor  Dr.  A.  Gern  oll  in 
Striegau  und  Dr.  F.  Weck  in  Metz,  sowie  der  Bericht 
über  Hesiod  und  nachhomeriscbe  Epiker  von  Professor 
Dr.  Rzach  in  Prag  folgen  im  nächsten  Jahrgang. 

Jahresbericht  über  Pindar  1885—1887.  Von  Dr.  L.  Borne- 
mann in  Hamburg 21 — 33 

1.  Leben  und  Weltanschauung  21.  —  II.  Dialekt,  Grammatik  25. 
—  III.  Chronologie  28.  —  IV.  Ausgaben  und  Beiträge  28. 

Die  Berichte  über  die  griechischen  Lyriker  von  Prof.  Dr.  Fül- 
ler in  Halle;  Tragiker  von  Studienrektor  Prof.  Dr.  Weck- 
lein in  München;  Komiker  von  Prof.  Dr.  H.  Zacher  in 
Breslau;  Herodot  von  Dr.  J.  Sitz ler  in  München;  Thuky- 
dides  von  Prof.  Dr.  L.  Cwiklinski  in  Lemberg  und  Dr. 
Fr.  Müller  in  Salzwedel;  Xenophon  von  Geh.  Rath  Prof. 
Dr.  K.  Schenkl  in  Wien;  spätere  griechische  Geschichts- 
schreiber von  Dr.  Kaerst  in  Gotha;  Plutarch  von  Dr.  Max 
Treu  in  Breslau;  älteste  griechische  Philosophen  von  Prof. 
Dr.  F.  Lortzing  in  Berlin  folgen  im  nächsten  Jahrgang. 

Bericht  über  die  Litteratur  zu  Plato  aus  den  Jahren  1880 
-1885.     Von  Prof.  Dr.  G.  Schneider  in  Gera     .     134-186 

Staatslehre  134.  —  Sokratos  138.  —  Protagoras  147.  —  Apologie 
und  Criton  152.  —  Ladies  161.  —  Phaedon  IGT. 

Der  Bericht  über  Textkritik  zu  Plato  von  Prof.  Dr.  M.  Schanz 

in  Würzburg  folgt  im  nächsten  Jahrgang. 
Bericht    über  Aristoteles   und   Theophrastos    für   1886. 

Von  Prof.  Dr.  Franz  Susemi  hl  in  Greifswald      .     .     1—20 

Hermenie  1.  —  Metaphysik  2.  —  Physica  G.  —  Ethik  9.   —  Po- 
litik 12.  —  Rhetorik   13.  —  Poetik  IG.  —  Theophrastus  19. 


IV  Inhalt  -  V  tz  icl 

Bericht  über  <ln:  in  den  Jahren  1881  —  1886  erschienenen 
au  l  die  Dacharistotelische  Philosophie  bezüglichen  Schriften. 

Von  Prof.  Dr.  M.  Heinze  in  Leipzig 34- 

Allgeme 34  Die  Stoa  :;i.         Zeno  52    —  Chrysipp  68. 

Panaetiut  55.        Posidonius  56.  —  Seneca  57.        Epictel  68 

—  Marcus  Antoninas  7o  -  Andronicus  73  —  Epicur  und  l'hi- 
lodem  7."».  —  Die  Skepsis  83.  -  Pyrrho  und  Sextna  Empi- 
ricus  87.  —  Apollonius  von  Tyana  90  Galen  92.  -  Die 
Alexandriner  94.   —  l'liilo  95.  —  Die  Nenplatoniker  96. 

—  Plotin  98.  —  Hypatia  103.  —  Janiblichus  104.  -  Letzte 
heidnischen  Philosophen,  Boethius  etc.  107.  Patristik 
110.  -  Nachtrag  133. 

Bericht  über  die  auf  die  attischen  Redner  bezüglichen  litte- 
rarischen Erscheinungen  der  Jahre  1882 — 1885.  Zweite 
Abtheilung.     Von  Dr.  Georg  Hüttner,   Studienlehrer  in 

Ansbach 187—224 

Demosthenes  187.  —  Textüberlieferung  und  Sprachgebrauch 
187.  —  Ausgaben  197.  —  Erläuterungsschriften  204.  —  Aeschi- 
nes234. — Lycurgus  240  — Hyperides  und  Dinarchus  244. 

—  Dem  ad  es  245. 

Die  Berichte  zur  Litteratur  über  die  griechischen  Rhetoren 
von  Studienlehrer  C.  H  am  in  er  in  München:  über  spätere 
griechische  Prosaiker  und  Byzantiner  von  Privatdocent  Dr. 
Krumbacher  in  München  und  Oberschulrat  Prof.  Dr. 
Eberhard  in  Braunschweig  und  über  die  griechischen 
Grammatiker  von  Prof.  Dr.  P.  Egenolff  in  Mannheim  er- 
scheinen später. 


Bericht  über  Aristoteles  und  Theophrastos 
für  1886. 

Von 

Professor  Dr.  Franz  Snsemihl 

in  Greifswald. 


Auf  dem  Gebiete  der  aristotelischen  Litteratur  ist  im  Jahre  1886 
nicht  gerade  Vieles  erschienen,  aber  doch  einiges  Erhebliche.  So  gleich 
Rose's  dritte  Bearbeitung  der  Fragmente: 

1)  Aristotelis  qui  ferebantur  librorum  fragmenta.  Collegit  Valen- 
tinus  Rose.    Leipzig,  Teubner.    1885.    I,  451  S.    8. 

Eine  eingehendere  Besprechung  derselben  scheint  mir  aber  au 
dieser  Stelle  überflüssig.  Wem  an  einem  raschen  Ueberblick  über  das 
Verhältniss  dieser  neuen  Bearbeitung  zu  der  zweiten  (Berlin  1870  in 
der  akademischen  Ausgabe  des  Aristoteles)  gelegen  ist,  findet  ihn  in 
meiner  Anzeige  in  der  Wochenschr.  f.  klass.  Phil.  IV.  1887.  Sp.  1354 
—  1360.  Ausserdem  siehe  die  von  Heitz  in  der  deutschen  Litt.-Ztg.  1887. 
Sp.  341-344. 

Die  Hermenie  ist  von  dem  inzwischen  verstorbenen  Michelis 
in  dem  Schriftchen 

2)  Aristotelis  rrsp}  ipfxrjvs:ag  librum  pro  restituendo  totius  philo- 
sophiae  fundamento  intefpretatus  est  Fr.  Michelis.  Heidelberg. 
Weiss.    1886.    84  S.    8. 

einer  erneuten  Erörterung  unterzogen  worden,  indem  der  Verfasser 
glaubte  erst  den  wahren  Schlüssel  zum  Verstäudniss  dieses  kleinen 
Werkes  gefunden  zu  haben  und  damit  auch  jeden  Zweifel  an  der  Aecht- 
heit  desselben  beseitigen  zu  können.  Das  Schriftchen  enthält  brauchbare 
Einzelheiten,  als  Ganzes  scheint  es  mir  nicht  gelungen,  worüber  ich  midi 
in  meiner  Anzeige  in  der  deutschen  Litt.-Ztg.  1886.  Sp.  1642 f  genauer 
ausgesprochen  habe.  Ausserdem  haben  aber  dasselbe  YYohlrab  im 
Litt.  Centralbl.  1886.  Sp.  1043  und  Wallies  in  der  Berliner  philol. 
Wochenschr.  VII.  1887.  Sp.  40—43  berichtet. 

lahresbericht  für  Altertliuniswissensch.ifi  L.  (1887.  !••  1 


2  Aristoti  let 

Sehr  verdienstlich  i-t  die  neue  Ausgabe  der  Metaphysik: 

:'.)  Aristotelis  Metaphysica.  Etecogoovil  W.  Chrisi  Leipzig, 
Teubner.    1886.    XX,  .".30  S.    8. 

Chrisi  hal  die  beiden  ältsten  Bandschriften  A'  and  E  neu  ver- 
glichen und  als  die  Trägerinnen  zweier  versebiedner  Ueberliefernngen 
dergestalt  erwiesen,  dass  zwar  die  in  Ab  vertretene  etwas  besser  ist, 
aber  doch  der  Text  abwechselnd  nach  beiden  gestaltet  werden  muss. 
Mit  grosser  Vereinfachung  des  Apparats  hält  er  sich  im  Wesentlichen 
tun  an  diese  beiden  Manuscripte,  indem  er  es  allem  Anscheine  nach  mit 
Recht  für  wahrscheinlich  erklärt,  dass  alle  jüngeren  aus  ihnen  abgeleitet 
sind.  Unter  seinen  Conjecturen  sind  viele  glückliche.  Was  ich  trotz- 
dem an  dieser  neuen  Ausgabe  auszusetzen  habe,  ist  in  meiner  Recension 
in  der  Wochenschr.  f.  klass.  Philol.  IV.  1887.  Sp.  5—12  angedeutet,  in 
welcher  ich  eine  Reihe  von  Stellen  aus  den  Büchern  A  und  B  besprochen 
habe.  Meine  eignen  dort  vorgetragenen  Vermuthungeu  brauche  ich  hier 
nicht  zu  wiederholen,  da  ich  sie  mit  anderen  Nachträgen  hinter  meiner 
Ausgabe  der  Oekonomik  zusammengestellt  habe.  Ausser  von  mir  ist 
diese  Arbeit  auch  von  Wohlrab  im  Litt.  Centralbl.  1886.  Sp.  1043 f. 
und  von  E.  Wellmann  in  der  deutschen  Litt.-Ztg.  1886.  Sp.  1559 f.  rüh- 
mend angezeigt  worden.  Der  Bericht  von  Bullinger  in  der  Neuen 
philol.  Ruudsch.  I.  1886.  Sp.  373  f.  ist  mir  nicht  zugänglich. 

Eine  Vorläuferin  dieser  Ausgabe  war  und  eine  wesentliche  Er- 
gänzung derselben  ist  die  Abhandlung 

4)  Kritische  Beiträge  zur  Metaphysik  des  Aristoteles.  Von 
W.  v.  Christ.  In  den  Sitzungsberichten  der  philos. -philol.  Klasse 
der  Münchener  Akademie  1885.  II.  (München  1886).  S.  406—423, 

indem  Christ  in  derselben  über  den  Codex  Ab  genauere  Mittheilungen 
giebt.  Die  Nachbleibsel  stichometrischer  Zählung,  welche  er  in  dieser 
Handschrift  entdeckt  zu  haben  glaubt,  beruhen  indessen  nach  der  Ver- 
sicherung, welche  mir  Bruno  Keil  auf  Grund  eigner  genauer  Einsicht 
gegeben  hat,  auf  Irrthum.  Und  was  dann  Christ  über  die  erste  Zu- 
sammenstellung unserer  heutigen  Metaphysik  aus  dem  Nachlasse  des 
Aristoteles  bemerkt,  ist  nicht  neu,  sondern  längst  besonders  von  Zell  er 
gesagt:  in  der  That,  ganz  gewiss  wollte  Aristoteles  selber  die  früher  ge- 
schriebenen Bücher  M  und  N  nicht  in  die  Metaphysik  aufnehmen,  bei 
der  Frage  aber,  warum  in  der  Polemik  gegen  die  platonische  Ideenlehre 
nunmehr  in  A  mit  der  dritten  Person  die  erste  des  Plurals  vertauscht 
wird,  war  doch,  da  wirklich  kein  Grund  dafür  ersichtlich  ist,  wesshalb 
erst  »die  Redactoren«  sie  hätten  vornehmen  sollen,  die  doppelte  Mög- 
lichkeit zu  unterscheiden,  worauf  Di  eis,  Ueb.  d.  exot.  Reden  b.  Arist. 
S.  482.  A.  1.  S.  487.  A.  1  (vgl.  Ber.  XLII.  S.  7)  aufmerksam  gemacht 
hat,  ob  dies  bloss  so  viel  als  unser  »man«  bedeuten  soll,  oder  ob  dem 


Fragmente.   Hermenie.   Metaphysik.  3 

Aristoteles  daran  liegt  sich  gerade  gegen  das  Ende  seiner  Wirksamkeit 
mitten  in  dieser  Polemik  doch  noch  selber  zu  den  Piatonikern  zu 
rechnen1).  Trotz  der  ausserordentlichen  stilistischen  Durcharbeitung 
dieses  ersten  Buchs  kann  ich  mir  dagegen  keine  Vorstellung  davon 
machen,  dass  er  die  Absicht  gehabt  haben  sollte  im  Unterschiede  von 
allen  seinen  andern  systematischen  Schriften  (und  selbst  der  Topik  und 
Rhetorik!)  gerade  die  Metaphysik  »zur  Herausgabe,  also  für  ein  grösse- 
res Publicum«  zu  bestimmen2)  und  desshalb  mit  dieser  ersten  Person 
»einen  gemüthlicheren  und  weniger  exclusiven  Ton  anzuschlagen«  (S.  420). 
Eben  so  ist  es  mir  durchaus  Dicht  so  wahrscheinlich  wie  Christ  (S.  410), 
dass  Andronikos,  der  doch  in  Athen  wirkte,  seine  Aristotelesausgabe  in 
Rom  bei  Atticus  hätte  erscheinen  lassen.  Dagegen  gebe  ich  unbedenk- 
lich zu,  dass  der  Fall  eigner  nachträglicher  Randbemerkungen  des  Aristo- 
teles in  der  Metaphysik  häufiger  ist  als  in  anderen  Schriften.  Ob  es  indessen 
H,  6.  1045  b  2  ff.  (s.  S.  420 f.)  nicht  genügt  8tb  xcu  ohx  k'veazcv  bis  ov  ~i  als 
Parenthese  zu  bezeichnen,  ist  eine  andere  Frage.  Aehnliche  Beispiele 
sind  ja  zahlreich  bei  Aristoteles;  ich  begnüge  mich  auf  das  Ber.  XXXIV. 
S.  43  besprochne  Polit.  I,  6.  1255  a  17  ff.  zu  verweisen.  Eben  dort  liess 
ich  I,  5.  1254 a  25 ff.  mich  einst  zu  einer  Umstellung  verleiten,  worauf 
Thurot  mich  eines  Bessern  belehrte. 

Die  im  Allgemeinen  in  gewandtem  Latein  geschriebene  Dissertation 

5)  Aristotelis  systema  causarum  ad  motum  circularem  refertur. 
Commentatio  philosophica,  quam  ...  ad  summos  in  philosophia  honores 
rite  impetrandos  scripsit  Konradus  Adrian.  Münster,  1886.  59  S.  8. 

ist  ein  erneuter  Versuch  den  aristotelischen  Deismus  unbeschadet  des 
ausdrücklich  anerkannten  Dualismus  von  Gott  und  Materie  im  Anschluss 
an  Brandis  in  eine  Art  von  dynamischem  Pantheismus  zu  verwandeln, 
vermöge  dessen  alle  in  der  Welt  wirkenden  Kräfte  in  dieselbe,  um  mit 

i)  Warum  ich  das  Letztere  für  wahrscheinlicher  halte,  habe  ich  in  den 
Jahrb.  t.  Piniol.  CXX1X.  1884.  S.  2G5.  A.  5  auseinandergesetzt. 

2)  Dass  man  eine  solche  Folgerung  nicht  ziehen  darf,  erhellt  meines 
Erachtens  aus  der  Analogie  anderer  Schrifter.,  wenn  auch  ähnliche  Erschei- 
nungen gerade  im  Anfang  derselben  in  gleicher  Ausdehnung  nicht  nachweis- 
lich sein  mögen.  Aber  wie  sehr  sticht  •/..  B.  die  flüssige,  im  hesteu  Sinne 
populär -wissenschaftliche  Darstellung  in  Pol.  VI  (IV),  li  von  den  meisten 
antlern  Partien  dieser  Schrift  al>!  Mi:  IV  (VII),  1  hat  es  freilich  dort  wohl 
eine  eigne  Bewandniss,  Ziemlich  hiatnsfrei  aber  schreib!  Aristoteles  Öfter, 
z.  B.  auch  im  Anfang  der  Politik  Und  die  Disposition  des  Stoffs  i-t  im 
Buch  A  der  Metaphysik  wahrlich  nicht  besonders  leicht  verstandlich  Wie 
sehr  sie  ■/,.  B,  gerade  in  der  Bekämpfung  der  platonischen  Ideenlehre  nicht 
allein  von  Christ,  sondern  sogar  von  Bonitz,  trotzdem  dieser  sehen  ani 
dem  richtigen  Wege  war,  verkannt  ist,  glaube  ich  in  meiner  angeführten  Re- 
cension  bei  aller  Kurze  doch  überzeugend  dargelegt  eu  haben 

1* 


4  Ari  '     B 

Brandis  zu  reden,  »eingesenkte  göttliche  Gedanken«  sein  sollen.  Der 
Verfasser  zeigl  eine  löbliche  Belesenheil  in  den  Schriften  des  Aristoteles, 
bal  es  aber  nicht  für  nöthig  gehalten  auf  Zeller  -  bereits  vorhandene 
Widerlegung  dieses  Standpunktes  auch  nur  mit  einer  Silbe  einzugehen, 

geschweige  denn,  dass  er  sie  zu  entkräften  versucht  hätte,  und  so  kann 
seine  Arbeit  tn>t/  alles  sonstigen  auf  sie  verwandten  Fleisses  im  Wesent- 
lichen Leider  nur  als  ein  wissenschaftlicher  Anachronismus  bezeichnet 
werden.  Gott  denk!  nach  der  ausdrücklichen  Erklärung  des  Aristoteles 
nur  sich  seihst,  also  nicht  die  Formen  anderer  Dinge.  Der  Grundge- 
danke des  Verfassers  aber,  dass  nach  der  Lehre  des  Stagiriten  an  die 
von  Gott  selbst  gewirkte  Kreisbewegung  des  Fixsternhimmels  die  ab- 
weichende der  Planeten  und  an  beide  wieder  der  Kreislauf  des  Werdens 
in  der  Erdenwclt  sich  anschliesst,  ist  nicht  neu,  und  die  Ausführung 
desselben  bei  Adrian  kann  nur  innerhalb  der  menschlichen  Sphäre  auf 
den  Ruhm  einer  gewissen  Eigenartigkeit  Anspruch  machen;  frei  von 
starken  Fehlern  ist  sie  freilich  auch  hier  nicht.  Aber  Adrian  selbst 
muss  ja  zugeben,  dass  die  abweichenden  Umläufe  der  Planetensph;'iren 
nicht  von  Gott,  sondern  von  andern,  gleich  ewigen  Principien  hergeleitet 
werden.  Aus  der  Neigung  der  Sonnenbahn  ferner  folgt  nur  der  Wechsel 
des  Entstehens  und  Vergehens  auf  Erden  im  Allgemeinen,  nicht  aber 
dass  es  gerade  diese  und  keine  anderen  Arten  vergänglicher  Dinge  giebt. 
Vergeblich  bestreitet  Adrian,  dass  Aristoteles  zur  Erklärung  hierfür 
noch  wieder  fernere  ewige  Urkräfte  angenommen  hat  und  annehmen 
musste.  Wie  es  endlich  mit  einander  stimmen  soll,  dass  Gott,  wie 
Adrian  ausdrücklich  zugiebt,  nach  Aristoteles  ausserweltlich  ist,  und 
der  Philosoph  ihn  dennoch  nach  der  Meinung  desselben  Adrian  für 
einerlei  mit  der  actuellen  Vernunft  im  Einzelraenschen  gehalten  haben 
soll,  ist  nicht  zu  begreifen.  Dass  der  Verfasser  aber  fälschlich  diese 
letztere  Meinung  auch  Zeller  unterschiebt,  ist  in  der  That  etwas  stark3). 
Offenbar  ist  vielmehr  diese  Art  von  Geistern  bei  Aristoteles  noch  eine 
vierte  Classe  solcher  ewiger  Substanzen. 

Wie  sehr  sich  vielmehr  ein  wirklicher  Fortschritt  in  der  Erkennt- 
niss  der  aristotelischen  Weltanschauung,  so  weit  er  überhaupt  noch  mög- 
lich ist,  lediglich  durch  eine  gründliche  Prüfung  von  Zell  er' s  Dar- 
stellung und  Kritik  derselben  vollziehen  kann,  dafür  giebt  die  scharf- 
sinnige und  methodisch  eindringende  Untersuchung 

6)  Ou  the  universal  and  particular  in  Aristotle's  theory  of  know- 

ledge.    A  dissertation  written  for  the  fellowships  at  Trinity  College, 

Cambridge,    by  H.  Mac  Leod  Inues,  B.  A.  Cambridge:   Deighton, 

Bell  and  Co.    1886.    31  S.    8. 

einen  werthvollen  Beleg.  Gegenüber  der  Ausführung  Zeller' s,  dass  die 


3)  S.  48.    Dabei  citirt  er  Zell  er  II.  S.  489 ff.,   d.  h.  er  hat  überhaupt 
nur  die  erste  Auflage  von  Zeller's  Werk  in  Händen  gehabt! 


Metaphysik.  5 

aristotelische  Metaphysik  durch  den  von  Aristoteles  selbst  sehr  wohl 
erkannten,  aber  nicht  gelösten  Grundwiderspruch,  nach  welchem  die  Er- 
kenntniss  auf  das  Allgemeine  gerichtet,  das  Einzelne  aber  das  wahrhaft 
Wirkliche  oder  Substanzielle  sei,  zerrissen  werde,  sucht  Inn es  zu  zeigen, 
dass  dieselbe,  wenn  auch  keineswegs  widerspruchslos,  doch  von  einem 
so  fundamentalen  Risse  frei  sei.  Es  sei  nämlich  nicht  das  letzte  Wort 
des  Aristoteles,  dass  das  Individuum  die  -ou'jzr,  ohaia  sei.  sondern  als 
Substanzen  im  strengen  Sinne  betrachte  er  in  Wahrheit  innerhalb  der 
Erdenwelt  jene  ewigen,  an  die  Stelle  der  platonischen  Ideen  tretenden 
Formen  der  verschiedenen  Classen  von  Dingen,  von  denen  eben  bereits 
die  Rede  war,  wie  sie  (um  es  hier  möglichst  kurz  und  daher  freilich 
nur  recht  ungenau  auszudrücken)  den  untersten  Arten  zu  Grunde  liegen. 
Irre  ich  nicht,  so  ist  diese  Lösung  in  der  That  die  richtige;  alle  Be- 
achtung verdient  sie  jedenfalls.  Aber  ich  fürchte,  sie  bringt  uns  von 
der  Skylla  in  die  Charybdis.  Es  kann  nach  den  unzweideutigsten  Er- 
klärungen des  Aristoteles  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  er  dagegen 
den  Gattungen  keine  solche  Formen  zuerkennt,  und  dass,  wie  Inn  es 
S.  24  richtig  bemerkt,  gerade  hierin  das  eigentliche  Ferment  seiner 
Polemik  gegen  die  platonische  Ideenlehre  zu  rinden  ist,  dass  er  sie  also 
nur  als  potenzielle  Realitäten  ansieht  und  als  eine  intelligible  Materie 
bezeichnet,  siehe  Inn  es  S.  25 f.  Aber  was  soll  man  sich  nach  seinen 
Voraussetzungen  unter  einer  intelligibleu  Materie  (ufy  votjrfj  Met.  H,  6- 
1045a  33)  eigentlich  denken,  so  bald  man  über  das  Gebiet  der  blossen 
Analogie  und  Metapher  hinausgeht ?  Der  Begriff  der  absoluten  Poteu- 
zialität  ist  ja  an  die  stoffliche  Materie,  die  rr/></>T>;  uXrj,  bereits  wegge- 
geben; die  relative  Potenzialität  der  intelligiblen  müsste  erst  aus  ihr 
hergeleitet  werden  und  sich  herleiten  lassen.  In  Wahrheit  ist  nuu  aber 
bei  Aristoteles  die  Form  der  Grund  alles  Intelligiblen,  Seelischen  und 
Geistigen  und  Gott  allein  eben  als  die  reine  Form  auch  der  reine  Geist, 
die  Materie  dagegen  der  Grund  alles  Sensiblen  und  Körperlichen.  Frei- 
lich, dass  die  menschliche  Vernunft  in  eine  actuelle  (von  aussen  in  den 
Fötus  eingetretene)  und  eine  potenzielle  zerfällt  und  folglich  die  mensch- 
liche Erkenntniss,  sowohl  die  unmittelbare  wie  die  mittelbare,  ebenso, 
lässt  sieh  genügend  aus  'lern  Einfluss  dieser  eigentlichen  Materie  be- 
greifen, so  fern  auch  der  Mensch  immerhin  noch  ein  organisches  Körper- 
wesen im  Bereich  der  vier  niederen  Elemente  ist.  Aber  für  die  Gattun- 
gen als  reale  Potenzialitäten  hört,  wie  mir  scheint,  dieses  Begreifen  auf, 
um  so  mehr  da  die  eigentliche  Materie  doch  vielmehr  die  Ursache  dos 
Einzeldaseins  sein  soll.  Gans  anders  steht  es  ja  mit  der  Form:  die 
Vielheit  gleich  ursprünglicher  und  ewiger  Formen  hebt  die  innere  Ein- 
heit des  Princips  nicht  auf,  denn  sie  bilden  ein  Stufenreich  aufzeigen- 
der Vollkommenheit  bis  zur  Gottheit,  der  absoluten  und  allein  stofffreien 
Form,  hinauf:  es  herrsch!  hier,  bo  zn  sagen,  dieselbe  prastabilirte  Har- 
monie wie   unter  den  Leibnizschen  .Monaden.     Abstractionen  und  Phan- 


6  Aristoteles. 

;.i  iegebilde     ind    sie  freilich  nicht  minder  als  Wie  platonischen   Ideen, 
atu  welchen  nnd  in  Gegensatz  gegen  welche  sie  hervorgewachsen  sind. 
in  der  verderbten  Stelle  X.  18.  10381'  28  (siehe  Öcnwegler  und 
Bon  it./  zu  derselben)  vermuthel  tnnes  8.  16  f.  A.  l  ouoa  für  obata. 

In  der  Schrift  vom  Entstehen  und  Vergehen  BChlägt  Apelt 
in  der  unter  No.  11  aufzufahrenden  Aldi.  (8.  765.  A.  34)  I,  10.  328»  5. 
out  für  ohx  \or  und  schützt  dann  durch  Herstellung  der  richtigen  In- 
terpunetion  cbendas.  7  ff.  drjXov  utg  oure  —  fte/JuyBat  {pvv&eatc  yhp  — 
fiöptov  (fajikv  d'  —    xpaBevrog'  dtv  8  ataByccv)   oute  rjj   Sioupeaet 

gegen  Prantl's  verunstaltende  Aenderung  von  15.  o5n  in  obdk. 

Innerhalb  der  Meteorologie  ist  die  zuletzt  von  Poske  (siehe 
Ber.  XXXIV.  S.  24 f.)  besprochne  Abhandlung  über  den  Regenbogen  in 
dem  Aufsatz 

7)  Aristote  Meteorologie,  livre  III.  eh.  V.  Von    Paul  Tannery. 
In  der  Revue  de  philologie.    N.  F.  X.  1886.  S.  38-46 

einer  erneuten  Prüfung  unterzogen,  welche  zu  ganz  anderen  Ergebnissen 
gelangt.  Der  rühmlich  bekannte  Verfasser  geht  von  der  Beobachtung 
von  Allman  und  Usener  aus,  dass  zwar  die  Mathematiker  seit  Eu- 
kleides  den  Punkt  mit  zb  A,  die  Linie  mit  jj  BT  zu  bezeichnen  pflegen, 
dass  sich  aber  bei  Aristoteles  und  Eudemos  eine  ältere  Bezeichnungs- 
weise zb  if  w  A,  rt  i<p'  jj  BT  findet,  und  wie  diese  Beobachtung  dazu 
gedient  hat  das  Bruchstück  des  Eudemos  bei  Simplikios  (Phys.  I.  S.  60  —  68 
Diels)  von  den  Zusätzen  des  letzteren  zu  scheiden,  so  kommt  er  mit 
Hülfe  dieses  übrigens,  wie  er  selbst  von  vorn  herein  hervorhebt,  nicht 
unbedingten  Kennzeichens  dazu  eine  massenhafte  Interpolation  im  Texte 
des  Aristoteles  anzunehmen,  mit  deren  Beseitigung  das  bisherige  gering- 
schätzige Urtheil  über  diese  geometrische  Construction  desselben  schwin- 
det und  sie  vielmehr  in  ein  neues  und  gar  nicht  unvorteilhaftes  Licht 
tritt.  Dass  freilich  nicht  alle  seine  Tilgungen  gleich  sicher  sind,  giebt 
Tannery  selber  zu;  am  Bedenklichsten  sind  seine  Herstellungsversuche 
377 a  3 ff.  Ueberhaupt  sind  es  folgende:  375 a  19.  [toö],  20.  [xsvzpou  ok 
zou  K\,  21  und  25.  xivzpoo  für  Ä,  22.  [rj],  23.  [änb  —  k-i'lvr/Hz^aa:  . 
30 f.  [xal  —  H],  31.  [iv  a>  tö  A],  32.  zä  statt  des  zweiten  zb,  ent- 
sprechend auch  376b  30.  32.  377 a  3.  5,  dann  375 b  34  (unter  Tilgung 
des  Kommas  vor  av)  [zä>v  -  h . )///],  376a  1.  [änb  tiöv  IIA],  3  —  5.  [htei 
—  Mh),  7— b7.  [npbg  —  M  K\,  b10.  xivzpoo  statt  MH  xuxXoo.  10  12. 
[sc  —  ädövazov].  14.  [änb  zoü  HK],  dann  16.  zijv  22.  öpc^ovrog  seien 
Worte,  die  der  Interpolator  an  die  Stelle  der  von  ihm  ausgemerzten 
ächten  gesetzt  habe;  die  Unächtheit  von  22.  zwv  —  28.  hepzwzv  steht 
schon  von  alter  Zeit  her  fest,  ferner  29.  [enavaTeTaAxerta  bk  zb  //], 
377a  3f.  [z/je  —  irtdvoj],  4.  [&v],  5.  ypap.prJQ  (boto))?,  6.  (rou)  ijptx'j- 
xXiou,  7 — 9.  [zoü  yäp  —  eeezat],  9.  [abzo ü\  ?  Endlich  22.  t^v  zb  II  sei 
verderbt. 


Metaph.   De  gen.  et  corr.  Meteor.   Erdkunde  des  Aristot.  7 

Namentlich  auf  die  Meteorologie  und  die  Thiergeschichte,  aber 
auch  auf  andere  aristotelische  Werke  bezieht  sich  die  vortreffliche 
Dissertation 

8)  De  Aristotelis  geographia  capita  duo.     Dissertatio  inauguralis, 
quam  .  .  .  scripsit  Gustavus  Sorof.     Halle  1886.    93  S.    8. 

Sie  ist  nur  Theil  einer  umfassenderen  Schrift  über  die  gesammte 
Erdkunde  des  Aristoteles,  und  man  kann  der  Veröffentlichung  dieses 
Ganzen  nur  mit  freudiger  Erwartung  entgegensehen.  Was  uns  hier  dar- 
geboten wird,  ist  nur  das  dritte  Capitel,  welches  die  Ansichten  des  Ari- 
stoteles über  die  bewohnte  Erde,  und  ein  Theil  des  vierten,  welches  die 
Frage  behandelt,  wie  weit  seine  Specialkenntniss  derselben  reichte.  In 
jenem  dritten  (S.  5—30)  wird  zunächst  nachgewiesen,  dass,  wie  Letronne 
mit  Recht  aus  de  coel.  II,  14.  298 a  9  ff  schloss,  dem  Aristoteles  die 
Ansicht,  nach  welcher  der  Ocean  ein  vou  der  bewohnten  Erde  einge- 
schlossener ungeheurer  See  sein  sollte,  schon  wohlbekannt  war4),  indem 
er  zugiebt,  sie  könne  gewisse  Gründe  mit  Recht  für  sich  anführen,  dass 
er  sich  aber  doch,  wenn  auch  mit  einer  gewissen  Reserve,  für  die  ent- 
gegengesetzte entschieden  hat,  welcher  die  ocxou/xsvrj  vielmehr  für  eine 
Insel  im  Ocean  galt5)  (S.  5  21).  Dieser  Abschnitt  ist  zugleich  ein 
guter  Commentar  für  Meteor.  II,  5  362b  13-  30,  eine  Stelle,  deren  Sinn 
und  Zusammenhang  bisher  durch  eine  unglaublich  verkehrte  Interpunk- 
tion völlig  verdunkelt  war6).  Sodann  wird  (S.  21  —  30)  die  Lehre  des 
Aristoteles  von  den  Erdtheilen  besprochen,  indem  gezeigt  wird,  dass  er 
zwar  gelegentlich  die  Theilung  in  Europa,  Asien  und  Libyen  beibehält, 
genauer  aber  sich  doch  für  die  in  Europa  und  Asien  aussprechen  will. 
Dabei  schliesst  Sorof  besonders  aus  Polit.  IV  (VII),  7.  1327 b  24f.  mit 
Recht,  dass  er  Nordasien  noch  mit  zu  Europa  rechnete,  und  führt  dies 
an  anderen  Aeusserungen  des  Philosophen  genauer  aus,  dergestalt,  dass 
also  der  von  Eratosthenes  übernommene  Gedanke  des  Dikäarchos  die 
bewohnte  Erde  durch  einen  Parallel  mit  dem  Aequator  in  eine  nördliche, 
kältere  und  eine  südliche,  wärmere  Hälfte   zu  theilen  schon   auf  dessen 


4)  Aber  noch  nicht  die,  nach  welcher  dieser  See  wieder  in  mehrere, 
durch  schmale  Landzungen  getrennte  Seen  zerfallen  sollte. 

5)  Beide  Ansichten  verbindet  Piaton  Tim  24Eff,  indem  er  meint,  d;i<> 
der  Ocean  selbst  noch  wieder  von  einem  grossen  Festlande  auf  der  westlichen 
Halbkugel  umgeben  sei. 

6)  Die  richtige  ist  folgende,  wie  Sorot'  zum  Theil  ausdrücklich  gesagt 
hat,  zum  Theil  sich  wenigstens  aus  seiner  Erörterung  ergiebt:  iti  —  k<>yo*. 
'd  re  ydp  kdyoq  deixvuoiv  dtd  ttjv  xpdm>  (m)  ydp  —  i-i  TtAdros),  <3<rr'  ;! 
—  nopeüoipov  ■  xai  xarä  rd  (famdpevuv  (nämlich  zaTiv  ddÜMarnv)  ?:£/>>  re  — 
rtopsiat  koXö  ydp  —  dxptßelat  xatxoi  —  olxouftevyjD  [tf&a  fiiv  yap  —  dkiav), 
rd  3k  —  üb  <paiverai  auvsipstv  tw  OUVtY&t  tlvat  r.dodv  olxouflivijv  (=  oinw 
ouvtipecs,  wäre   ouvay&i  ttvatj  üiehe  Sorot  S    9)« 


8  Aristoteles 

Lehrer  Aristoteles  zurückgeht.  Der  noch  Übrige,  umfänglichere  Thcil  der 
Dissertation  zerfällt  in  folgende  Abschnitte:  de  Europa  (8.  80  44),  wo 
besonders  über  das  Mittelmeer  und  Beine  Anhängsel  und  über  die  Namen 
seiner  Theile  bei  Aristoteles  gehandelt  wird,  de  Iberia  (8.  44-48),  de 
Celtis  (S.  48  56),  de  Scythis  (S.  57  68),  de  Liguria  (S.  68f.)f  de  Italia 
(S.  70—78),  de  Sicilia  (S.  78—82),  de  Illyria  (S.  82  92).  und  so  ist 
denn  das  Schriftchen  ein  werthvoller  Beitrag  ebensowohl  für  das  Studium 
des  Aristoteles  als  für  die  Geschichte  der  Erdkunde.  Zu  tadeln  isl  nur, 
dass  der  Verfasser,  der  doch  meine  erklärende  Ausgabe  der  Politik 
kennt7),  nicht  im  Geringsten  auf  meinen  Nachweis  Rücksicht  nimmt, 
dass  die  Abschnitte  in  der  Politik  IV  (VII),  2.  1324 a  14—4.  1325 '-  34 
und  10.  132911  40—  b39  Schulinterpolationen  sind  und  folglich  für  Ari- 
stoteles selbst  nur  sehr  bedingungsweise  verwandt  werden  dürfen.  Ausser- 
dem wäre  bei  der  Herausgabe  des  Ganzen  sehr  zu  wünschen,  dass  der- 
selbe nicht  nach  den  Capiteln  und  Paragraphen  der  Didotschen  Ausgabe, 
sondern  nach  Bekker  citirt  würde. 

Für  die  Psychologie  und  die  Schrift  de  sensu  sind  nur  zu 
erwähnen: 

9)  Zu  Aristoteles   Psychologie.     Von  Fr.   Susemihl.     Im  Philo- 
logus  XL  VI.    1886.    S.  86. 

10)  Zu  Aristoteles  nepl  alaBrjaeojg.  Von  Clemens  Bäumker.   In 
den  Jahrb.  f.  Philol.  CXXXIII.    1886.    S.  319 f. 

Susemihl  erklärt  sich  I,  3.  407 a  11  einverstanden  mit  der  we- 
sentlich nach  ihm  vorgenommenen  Textgestaltung  Biehl's  und  schreibt 
II,  3.  414b  8.  £wvtwv.  Bäumker  aber  vertheidigt  de  sensu  7.  448b  19 
npog  äXXrjla  gegen  Thurot,  billigt  ebendas.  21  richtig  mit  Thurot  die 
Lesart  von  Alex,  und  LSU  xa\  oüziog  dro/nw  wg  und  verbessert  in  der- 
selben Thurot's  Correctur  xal  <sv>  in  xav8),  vermuthet  wiederum  auf 
Grund  von  Thurot's  Anstoss  24.  ^c9),  endlich  449 a  3,  wo  Neuhäuser 
(siehe  Ber.  XVII.  S.  264)   </zjy>  kv   vorschlug,   erinnert  er   daran,   dass 


7)  Aus  derselben  hätte  er*  auch  lernen  sollen ,  dass  die  Verbesserung 
Sipirtv  IV  (Vll),  10.  1329b  21  nicht,  wie  er  S.  71.  A.  1  angiebt,  von  Bekker, 
sondern  von  Göttling  herrührt. 

8)  Darauf  freilich,  dass  man  jetzt  allgemein  Poet.  1.  1447 a  21  xäv  statt 
y.al  Ac  (xal  iv  eine  bestimmte  Classe  der  Apographa)  schreibe,  hätte  Bäumker 
sich  nicht  berufen  sollen,  denn  ich  wenigstens  habe  ausdrücklich  gegen  diese 
weder  Sinn  noch  Construction  herstellende,  wohl  aber  den  tiefer  liegenden 
Schaden  verhüllende  Aenderung  protestirt,  ebenso  vor  mir  Spengel. 

9)  Daraus,  dass  die  vetusta  translatio  hier  zu  que  noch  utique  hinzusetzt, 
erwächst  jedoch  dieser  leichten  Aenderung  schwerlich  eine  Stütze  (denn  ye 
pflegt  in  diesen  vetustae  translationes  weggelassen  und  nicht  durch  utique 
übersetzt  zu  werden),  aber  sie  bedarf  auch  einer  solchen  nicht. 


Psychol.   De  sens.  Thiergesch.   De  Melisso.  Ethik.  9 

schon  Alexandros  unter  T  hu  rot 's  Beifall  mit  Recht  </xiy)  odaBoverai 
vermuthet  hat,  und  rechtfertigt  dabei  das  y.a:.  im  Nachsatz  statt  ohot 
durch  den  Hinweis  auf  de  coel.  I,  11.  281 a  16  f. 

In  der  Thiergeschichte  III.  l.  510a  34  setzt  Tannery  a.  a.  0. 
S.  38  die  Worte  alSdiov  J,  xuareg  E  in  eckige  Parenthesen. 

Von  dem  pseudo  -  aristotelischen  Schriftchen  über  Melissos, 
Xenophanes,  Gorgias  ist  von  dem  künftigen  Herausgeber  desselbeu 
in  der  vorzüglichen  Abhandlung 

11)  Melissos  bei  Pseudo -Aristoteles.  Von  OttoApelt.  In  den 
Jahrb.  f.  Philol.  CXXXIII.    1886.    S.  729—766 

die  Gliederung  und  der  Gedankenzusammenhang  des  ersten  und  um- 
fänglichsten Theils  in  überzeugender  Weise  dargelegt  und  in  Verbindung 
damit  die  Gestaltung  des  Textes  besprochen,  welcher  bekanntlich  in 
furchtbar  zerrütteter  Form  überliefert  ist.  Einen  Auszug  aus  der  erste- 
ren  Untersuchung  zu  geben  ist  unthunlich,  und  nach  der  letzteren  Seite 
einen  solchen  geben  zu  wollen  würde  Raum-  und  Zeitverschwedung 
sein,  denn  den  besten  Auszug  wird  nach  dieser  Richtung  hin  eben  die 
Ausgabe  Apelt's  selber  darstellen,  welche  uns  endlich  einmal  eine  wirk- 
liche Textrecension  liefern  wird.  Jeder,  welcher  dieselbe  einst  mit  Nutzen 
gebrauchen  will ,  wird  auch  diese  erläuternde  Abhandlung  selber  zur 
Hand  nehmen  müssen.  Nur  kurz  sei  hier  also  auf  das  Ergebuiss  hin- 
gewiesen, dass  der  peripatetische  Urheber  durchweg  in  wohldurchdachter 
Weise  verfährt  und  trotz  der  starken  Blossen,  welche  er  sich  im  Uebri- 
gen  in  historischer  Beziehung  mehrfach  giebt,  doch  die  Lehre  de-  Me- 
lissos im  Wesentlichen  historisch  treu,  wie  auch  bisher  schon  Zell  er 
und  Andere  urtheilten,  aufgefasst  hat. 

P'ür  die  Ethik  begnüge  ich  mich  hier  kurz  zu  verzeichnen: 

12)  La  murale  d'Aristotele  (Ethica  Nicomachea).  Tradotta  sul  tosto 
del  Susemihl  da  L.  Moschettini.  Vol.  II:  üb.  VI  X  Cosenza,  1886. 
114  S.  8.  Vgl.  Ber.  XXXIV.  S.  35. 

13)  Aristote.  Morale  äNicomaiiue,  livre  lo.  Traduction  deThurot, 
revue  et  accompagnee  d'une  introduction  par  A.  Ilaunequin.  Paris, 
Hachette.    1886.  83  S.    16. 

14)  Aristote.  Morale  ä  Nicomaque,  Iure  X.  Nouvelle  äditioo  •  •  • 
par  Ludovic  Carrau.  Paris,  Alcan.  L886.  92  8.  L2.  Vgl.  dir  An- 
zeige von  Wallies  in  der  Berl.  philol.  Wochenschr.  \  1.   1886.  Sp.  L079i 

auch   Ber.  XXX.  S.  52f. 

ir>)  Aristote.  Morale  \  Nicomaque,  livre  Vlll  (de  l'amitie). 
Texte  grec  etc.  par   1-.  Ollö-Laprune.     Paris,   Belin.     1886.     IV, 

L52  8.     i-j. 


10  Aristotele  . 

Moschettini  bietet  uns  auch  in  diesem  zweiten  Theile  seiner 
Arbeit  einige  rechl  beachtenswerthe  Vermutbungen,  [ch  bedaore,  'la- 
ich dieselben  hinter  meiner  Ausgabe  der  Oekonomifc  nicht  mehr  mit- 
theilen konnte,  wo  versehentlich  auch  die  früheren  ausgelassen  jind. 
VI,  2.  1139*3.  TtpÖTepov  17.  olxetov  werden  in  eckige  Parenthesen 
gesetzt,  was  ich  nicht  hillige,  aber  als  eine  richtige  Consequenz  davon 
anerkennen  moss,  dass  Moschettini  im  Anschluss  an  Rassow  ebenso 
mit  5.  1140b  25.  Süotv  -  30.  SoTiv  und  13.  1144b  1.  <rxzr-i<,\>  —  1145 a 
11.  noXet  verfahrt.  ll.39a4.  äXoyov  <,  o>v  r/jr,  dtjjprfccu  eis  "'">  f*£py  ~<> 
äXoyovy.  4.  1140a  16-  insc  —  17.  stvai  vielleicht  nicht  zu  streichen,  son- 
dern vor  6.  inst  hinanfzurttcken  (mindestens  sehr  beachtenswert!))-  Nicht 
glücklich  scheint  mir  9.  ll42a  die  Vermuthang,  dass  auch  16.  imi  — 
20.  äor^ov  in  eckige  Parenthesen  zu  schliessen  und  Z.  17  yäuoer'  a\> 
oo(p6g,  (iffjovinog)  cT  zu  schreiben  sei.  Ferner  zweifelt  Moschettini 
an  der  Aechtheit  von  1142b  25.  dvTtxetTau  —  30.  eldog,  ebenso  an  der 
von  13.  1144a  9.  zou  —  11.  npdvceiv,  wo  er  von  seinen  Annahmen  aus 
sogar  folgerichtig  wieder  geradezu  die  eckige  Parenthese  hätte  anwenden 
müssen.  VII,  5.  1 147 a  32  (wo  od  in  den  beiden  Haupthandschriften 
fehlt).  Yj  (u~i  riäv  yXuxu  psuxzdov,  r^  od,  ort  näv  yXuxb  rjdü.  VIII,  13. 
1161a  35.  (pdetrat  für  wpeÄshat?  IX,  1  bis  1164a  22.  oujozt  vielleicht 
eine  andere  Recension  von  VIII,  4.  1157a  (schwerlich).  7.  1168a  7. 
aripyet  —  8.  (fooixov  hiuter  9.  prjwsc  zu  setzen  (ohne  Zweifel  richtig). 
Die  Vermuthung  12.  1171 b  34.  acpeacg  beruht  auf  Miss  verstand  (Sri  iaztv 
hängt  von  7)  al'c&rjoig  ab),  und  die  übrigen  Conjecturen  vollends  glaube 
ich  unberücksichtigt  lassen  zu  dürfen. 

In  der  sorgfältigen  und  scharfsinnigen  Untersuchung 

16)  Ueber  Aristoteles'  Eth.  Nie  I,  5.  I097h  16ff.  Von  Dr.  Emil 
Arleth.  In  der  Zeitschr.  für  Philol.  und  philos.  Krit.  XC  1886. 
S.  88-110, 
in  welcher  er  genau  mit  seineu  Vorgängern10)  abrechnet,  gelaugt  Arleth 
zu  dem  Ergebniss  denjenigen  von  ihnen  beizustimmen,  welche  auvapi- 
frpoupdvrjv  hier  im  Sinne  von  »als  Summe  zusammengezählt«  fassen. 
Mich  indessen  hat  diese  Auseinandersetzung  nicht  überzeugt11),  und 
ebenso  wenig  glaube  ich,  dass  in  den  Worten  8.  1098 b  8  f.  oxeirreov  de 
Tiepl  abrrjg  (1.  aurob)  od  povov  ix  vou  aupTTspäcparog  xai  iz  cov  6  Äoyog 
das  ix  tob  aopit.  auf  das  5.  und  das  ig-löyog  auf  das  6.  Capitel  zu- 
rückgehe, halte  vielmehr  nach  wie  vor  Beides  zusammen  für  Dasselbe, 
für  volleren  Ausdruck  des  deduetiven  Verfahrens  in  jenen  beiden  Capitelu. 


10)  Irrthümlich  macht  der  Verfasser  aus  »dem  Scholiasten«  und  Eustra- 
tios  zwei  verschiedne  Personen. 

11)  Denn  nicht  bloss  ist  die>e  Bedeutung  nicht  bei  Aristoteles  nach- 
weislich ,  sondern  auch  die  nächsiverwandte  »zu  einer  Summe  zusammenge- 
zahlt«, wie  es  scheint,  nur  an  einer  einzigen  Stelle  Pol.  VII  (VI),  3.  1318a  38, 


Ethik.    Politik.  11 

In  dem  mir  nicht  zugegaugnen  Schriftchen 

17)  Cruces  and  criticismes  von  W.  Mars  hall,  London,  Elliot 
Stock.  1886.  55  S.  8. 

werden  S.  3—12  Stellen  der  nik.  Ethik  behandelt. 
Es  bleiben  noch  die  Mittheilungen  von 

18)  G.  Heylbut  Scholien  zur  nikomachischen  Ethik.  Im  Rhein. 
Mus.  XLI.   1886.  S.  304-307. 

Meine  Behauptung  (Ausg.  der  nik.  Eth.  S.  VII),  dass  die  Scholien 
des  zweiten  Hauptcodex  Lb  noch  nicht  veröffentlicht  seien,  beruhte  auf 
Irrthum.  Denn  sie  finden  sich  bei  Cramer  Anecd.  Paris.  I.  S.  81  ff., 
dessen  sehr  ungenaue  Collation  aber  Heylbut  nunmehr  berichtigt. 

Für  die  Politik  sind  zunächt  zu  nennen: 

19)  De  Politicis  Aristoteleis  quaestiones  criticae.  Scripsit  Fran- 
cis cos  Susemi  hl.  Leipzig,  Teubner  1886.  8.  =  Jahrb.  f.  Philol. 
Suppl.  N.  F.  XV.  S.  329-450. 


an  welcher  ich  die  Unächtheit  des  ganzen  betreffenden  Capitels  nachgewiesen 
zu  haben  glaube.  Obendrein  aber  wird,  wie  mich  dünkt,  der  gewöhnliche 
Sinn  »mit  andern  Theilen  zu  einer  Gesammtsumme  gezählt«  oder  »als  Theil 
in  ein  Ganzes  mit  eingerechnet«,  vermöge  dessen  ouvapt&ßooߣvT)\>  den  Gegen- 
satz zu  dem  voraufgehenden  ßovoußsvov  bildet,  ßrt  oysapiftßoußivT^  also 
gleichbedeutend  mit  ßuvooßivtjv  ist,  hier  durch  den  Zusammenhang  geboten. 
Man  braucht  nur,  was  ich  nach  dem  Vorgang  von  Aretinus  gethau  habe 
und  Arleth  stillschweigend  billigt,  Z.  17  dk.  in  yäp  zu  ändern  uud  mit  mir 
Z.  16  vor  src  Komma  statt  des  Punkts  zu  setzen,  so  entsteht  folgender  tadel- 
freier Gedankengang:  »die  Glückseligkeit  bringt  Selbstgeuüge,  denn  Selbstge- 
nüge bringend  ist  dasjenige,  was  für  sich  allein  {ßovoüpevo:*)  das  Leben  wün- 
schenswert!] und  bedürfnisslos  macht,  so  beschaffen  ist  aber  die  Glückseligkeit, 
ja  sie  ist  ferner  eben  desshalb,  eben  weil  sie  nicht  ein  blosser  Theil  i-t  von 
der  Gesammtsumme  der  Güter,  üb  irdies  noch  das  Wünschenswertheste  von 
Allem;  denn  freilich,  wenn  sie  ein  solcher  blosser  Theil  (wenn  auch  der  oberste 
und  vorzüglichste  neben  anderen  Theilen  wäre,  so  würde  Bie  Wünschenswerther 
sein  mit  dem  geringsten  dieser  Theile  verbunden  als  für  sich  allein ;  eben  weil 
aber  das  p]rstere  nicht  von  ihr  gilt,  gilt  auch  das  Letztere  nicbt :  sie  i>t  keiner 
Steigerung  uud  keine-  Zuwachses  fähig.  Hoffentlich  wird  Arleth  bei  noch- 
maliger Erwägung  selbst  finden,  dass  die-'  Auffassung  von  seinen  Einwürfen 
S.  99  überhaupt  nicbt  getroffen  wird  Entbehrt  freilich  hätte  der  ganze  Zu- 
satz von   £T£  ßk  ab  werden    können,    aber  zum   klaren   Verständnis    de- 

ßsvov  ist  er  doch  aueb  niclii   gerade  uberflössig,  siehe  Etamsauer  /..  d.  st. 
Jedenfalls  läset  sich  Dicht,  was  ich  früher  für  möglich  hielt,  bloss  das  1. 
vom  zweiten  ouvapt&ßoufi&vTjv  oder  aueh   nur  von    mtpo^    (Z,    ls     ah    tilgen, 
vielmehr  hat  Aristoteles  lediglich  desshalb  ."> 
gesagt,  um  eben  diese  weitere  Ausführung  anzuknüpfen. 


I  '  Aristoteli 

20)  Dr.  Jowett'8   Politics  of  Arietotle.     Von  R.  V-  Tyrrell.     In: 
Bermatbena  No.  12.  iH8fJ.  S.  19    34. 

Die  erstere  Schrift  i-t  eine  tiberarbeitete  Sammlung  meiner  früher 
zerstreut,  meist  bereits  lateinisch,  zum  Theil  aber  anch  ursprünglich 
deutsch  veröffentlichten  kritischen  Bemerkungen  in  Form  eines  Supple- 
ments >.n  meiner  ersten  Ausgabe  Nur  die  längeren,  deutsch  geschriebnen 
Erörterungen  sind  nicht  mit  in  dieselbe  aufgenommen.  Zu  ihrer  Zu- 
sammenstellung, so  weit  eine  solche  noch  von  Werth  ist,  findet  sich 
hoffentlich  eine  andere  Gelegenheit. 

Die  letztere  Abhandlung  ist  ein  erfreuliches  Zeichen  dafür,  dass 
es  auch  in  England  Männer  giebt,  welche  die  Art,  wie  Jowett  (vgl. 
Her.  XLII.  S.  253 Ö.)  mit  der  aristotelischen  Politik  umgeht,  mit  Frei- 
muth  und  gesundem  Menschenverstand  zu  beurtheilen  sich  durch  die 
ausserordentliche  Anctorität  dieses  Mannes  in  seinem  und  ihrem  Vater- 
lande nicht  abhalten  iassen.  Auffallend  ist  nur,  dass  ein  so  verständig 
urtheilender  Gelehrter  wie  Tyrrell,  dennoch  meint,  es  sei  nicht  nöthig 
II,  9.  1271a  15.  zoözocg  mit  Susemihl  und  Welldon  in  zoüzw  noch 
II,  11  1279 b  2.  roug  in  tout  mit  Welldon  zu  ändern.  Als  ob  es  sich 
hierbei  um  ein  Aeudern  handelte  und  nicht  vielmehr  um  eine  Wahl 
zwischen  den  Ueberliet'erungen  der  beiden  Handschriftenklassen  II1  und 
//2!  Ist  es  denn  eine  so  schwer  begreifliche  Sache,  dass  wer  die  erstere 
Classe  für  die  im  Ganzen  bessere  hält,  da,  wo  ihm  die  Lesarten  beider  gleich 
passend  scheinen,  wenn  anders  er  methodisch  und  nicht  willkürlich  ver- 
fahren will,  jener  ersteren  zu  folgen  hat!  Dass  in  der  Lesart  zoüzoig 
dies  als  Masculinum  zu  verstehen  sei  und  darin  nicht  der  mindeste 
Austoss  liegt,  ist  ja  wahrlich  selbstverständlich.  —  I,  1.  1252a  14  schreibt 
Tyrrell  mit  Unrecht  abzog12).  IL  4.  1262 b  14  ist  er  nicht  abgeneigt 
ecg  für  rt  zu  vermuthen,  doch  sei  vielleicht  rt  im  Sinne  von  or  at  all 
events  haltbar.  Dabei  bringt  er  seine  frühere  Conjectur  (Hermath.  IV. 
S.  39)  VIII  (V),  9.  1310 a  1.  tpHipovreq  {ig}  touq  —  vdjioug  in  Erinne- 
rung, aber  sie  giebt  meines  Erachtens  keinen  brauchbaren,  sondern  das 
Ueberlieferte  allein  (siehe  meine  Uebersetzung)  giebt  den  erforderlichen 
Sinn,  und  zoug  —  vö/xoug  beruht  nur  auf  werthlosen  Quellen  (Ls  Ar.  Aid.). 
Richtig  dagegen  bemerkt  er  über  II,  8.  1268a9f.  iug  outm  zouzo  xop' 
äUotg  »avoixodezrjfj.dvov,  wenn  dies  heissen  sollte:  »als  wäre  dies  nicht 
schon  bei  andern  Leuten  gesetzlich  eingeführt  gewesen«,  so  erwarte  mau 
fxrjnuj,  allein  eben  so  richtig  hat  Spengel  andernfalls  töte  r,ap  "EXhjoi 
erwartet:  die  feinere  Unterscheidung  von  ou  und  jxyj  ist  bei  Aristoteles, 
wie  es  scheint,  schon  im  Schwinden  begriffen;  bis  zu  welchem  Grade, 
ist  freilich  noch  erst  zu  untersuchen. 


12)  abzog   bildet   den  unentbehrlichen   Gegensatz  zu  xazä  pipog  äp%u)v 
xai  dp-^öpe^og,  siehe  meine  Uebersetzung. 


Politik.    Rhetorik.  13 

Endlich  die  Schulschrift 

21)  Die  Kritik  der  Platonischen  Politie  bei  Aristoteles.  Vom  Gym- 
nasiallehrer Karasiewicz.  Im  Jahresbericht  des  Neisser  Gymnasiums 
für  1885/86.    Neisse  1886.    4.    S.  1—12 

zeigt  neben  guter  Verwerthung  der  einschlagenden  Litteratur  ein  ge- 
sundes Urtheil,  aber  besonders  Neues  bringt  sie  nicht,  und  es  lässt  sich 
solches  über  den  betreffenden  Gegenstand  auch  kaum  mehr  bringen13). 
Unbegreiflich  ist  mir  die  Conjectur  (S.  6.  A.  14)  II,  2.  1261b  38 /«&an>, 
dagegen  kann  1262a7.  i/jtbv  für  fikv  richtig  sein. 

Von  der  Rhetorik  ist  die  englische  Uebersetzung 

22)  The  Rhetorics  of  Aristotle  translated  with  an  analysis  and 
critical  notes  by  J.  E.  C.  Welldon.    Cambridge  1886.    8. 

mir  bisher  leider  nicht  zugegangen.  —  Von  besonderem  Interesse  aber 
ist  die  Untersuchung  über  die  Aechtheit  des  dritten  Buchs: 

23)  Ueber  das  dritte  Buch  der  aristotelischen  Rhetorik.  Von 
H.  Di  eis.  Aus  den  Abhandlungen  der  Berliner  Akad.  v.  Jahre  1886. 
Berlin,  1886.    37  S.    4. 

Gegen  dieselbe  sind  bekanntlich  neuerdings  von  verschiedeneu 
Seiten  erhebliche  Einwürfe  geltend  gemacht,  während  Anderen  diese 
zwar  nicht  stark  genug  erschienen,  um  den  Glauben  an  den  aristoteli- 
schen Ursprung  im  Ganzen  zu  erschüttern,  wohl  aber  ausreichend  zu  der 
vermittelnden  Annahme,  zu  welcher  ich  selbst  mich  bekannt  habe,  dass 
wir  einen  von  dem  Herausgeber  überarbeiteten  Entwurf  des  Aristoteles 
in  dieser  Schrift  zu  erkennen  hätten.  Diesen  Einwänden  tritt  nun  Di  eis 
mit  gewohnter  Meisterschaft,  und  zwar,  wenn  nicht  überall,  so  doch  fast 
überall  siegreich  entgegen.  Dass  die  Rhetorik  mit  den  beiden  ersten 
Büchern  zu  Ende  und  das  dritte  eine  besondere  Schrift,  vermutiilich  die 
in  den  Verzeichnissen  unter  dem  Titel  Ttepl  ke$e(oe  aufgeführte,  ist,  er- 
kennt natürlich  auch  er  an,  ja  er  zeigt,  wie  gerade  dadurch  ein  Theil 
der  Anstösse  schwindet  (S.  16-20). 

Vollständig  gelungen  ist  zunächst  der  Nachweis  (S.  5—8),  dass 
10.  1411 a  32.  üakafuvt  die  richtige  Lesart  und  Aajxiq.  (was  ja  übrigens 
auch  nur  bei  Wenigen  Beifall  gefunden  bat)  eine  verfehlte  Conjectur 
ist.  Die,  wie  Diels  richtig  artheilt,  einfachste  Lösung  der  Schwierig- 
keiten giebt  v.  Wilamowitz  in  einer  beigefügten  Miscelle:  De  Gorgiae 

13)  Das  grobe  Missverständniss  mit  dein  Verfasser  S  1 1  dem  Aristoteles 
unterzuschieben,  als  glaubte  er  5.  1264 b  6ff.,  Piaton  wolle  das  philosophische 
Herrschercollegium  erblich  machen,  dazu  sind  wir  nicht  im  Entferntesten  be- 
rechtigt, seihst  wenn  der  betreffende  Einwurf  wirklich  sonsl  nicht  treffend  Bein 

sollte,  wie  Karasiewicz  meint,  worüber  sich  aber  mindestens  auch  noch 
sehr  streiten  Hesse 


]  4  Aristoteles. 

Epitaphio  ab  Aristotele  citato  (8.  36—87)  durch  eine  Erklärung  der 
Worte,  durch  welche,  wenn  sie  richtig  ist,  Dobree's  Anstoss  beseitigt 
wird,  und  die  Annahme,  «lass  der  hier  citirte  'Encrdpioe  der  des  Gorgias 
sei.  Freilich  steht  ein  Bedenken  entgegen,  welches  sich  auf  I'hil'j-tr.  V. 
S.  I,  9  gründet  und  von  Diels  S.  35  A.  i  sehr  richtig  dargelegl  wird. 
Nicht  minder  gewiss  i-t  (8.  Inf.).  das!  die  Erwähnung  des  Kyni- 
kers  Diogenes  10.  1411 a  24,  selbst  wenn  dieser  wirklich  mit  Alexandros 
dem  Grossen  gleichzeitig  gestorben  wäre,  durchaus  nicht  die  eines  Todten 
zu  sein  braucht.  Ausserordentlich  glücklich  ist  ferner  die  Rechtfertigung 
der  Erwähnung  der  theodekteischen  Rhetorik  1410b  2f.M),  wobei  jedoch 
Rose's  Conjectur  dperat  mit  Billigung  behandelt  wird,  und  besonders 
lehrreich  die  angeknüpften  Erörterungen  über  dies  Werk  (S.  9  16). 
Dass  dies  die  frühere  eigne  Rhetorik  des  Aristoteles  war,  darüber 
herrschte  freilich  bereits  ziemliche  Uebereinstimmung,  aber  Diels  hat 
derjenigen  Auffassung,  nach  welcher  dieselbe  theodekteisch  hiess ,  weil 
Theodektes  sie  veröffentlicht  hatte,  entschieden  zu  überwiegenderer  Wahr- 
scheinlichkeit, als  es  bisher  gelungen  war15),  veiholfeu:  es  ist  sehr 
glaublich,  wenn  er  den  Theodektes  als  Fortsetzer  der  von  Aristoteles 
bei  seinem  früheren  Aufenthalt  in  Athen 16)  gegründeten  Rhetorenschule 
ansieht,  obsebon  die  Gründe,  welche  in  dieser  Hinsicht  vielmehr  für  Theo- 
phrastos  sprechen  (siehe  ßer.  XXX.  S.  9),  kaum  minder  stark  sind17). 
Sehr  begreiflich  aber  ist  es,  dass   später,    wie  Diels  hervorhebt,    die 

i*)  Bei  dieser  Gelegenheit  meint  Diels  S.  10.  A.  1,  man  habe  fälsch- 
lich nik.  Eth.  I,  4.  1096  a  34.  dnop-jaets  —  b5.  ifrjßipou  verdächtigt.  Allein 
so  lange  Nötel's  ausgezeichnete  Beweisführung  (siehe  Ber  XVII.  S.  272. 
279)  nicht  widerlegt  ist,  wird  es  schon  dabei  bleiben  müssen,  dass  hier  nicht 
das  Folgende  b5— 7,  wie  Diels  will,  ein  späterer  Zusatz  des  Aristoteles,  son- 
dern jene  eisteren  Worte  eine  nachträgliche  Randbemerkung  desselben  sind, 
und  zwar  zu  1096a  16 f.  —  Ansprechend  vermuthet  Diels  S.  11  (mit  A.  2), 
dass  die  nik.  Eth.  von  Nikomachos,  dem  Sohne  des  Aristoteles,  redigirt  sei, 
und  er  setzt  hauptsächlich  auf  Rechnung  dieses  Redactors  die  auffallenden 
Erscheinungen  namentlich  in  den  mittlem  Büchern  Aber  der  Zustand  des  6. 
kann  schwerlich  so  erklärt  werden,  und  wie  kommt  es  dann,  dass  diese  drei 
Bücher  der  nik.  und  der  eud.  Eth.  gemeinsam  sind  ? 

15)  Vgl.  Ber.  XLII.  S.  2.  Uebrigens  muss  ich  auch  zugeben,  dass  die 
Worte  in  dem  gefälschten  Briefe  Rhet.  ad  AI.  1.  1421 b  lf.  zal±  bx  ißoü 
Ti^vatc,  dsoSixrrj  ypa<pBiaaig  möglicherweise  nicht  so  zu  deuten  sind,  wie  ich 
dort  gethau  habe,  sondern  heisseu  sollen:  »die  ich  zum  Gebrauch  des  Theo- 
dektes geschrieben  habe«. 

16)  Ob  noch  bei  Piatons  Lebzeiten,  wie  die  gewöhnliche,  von  Diels 
festgehaltene  Annahme  ist,  oder  ob  bei  dem  von  Teichmüller  und  Bergk 
(siehe  Ber.  XXX.  S.  4fi.)  gemuthmassten  zweiten  dortigen  Aufenthalt  zwischen 
344  und  342,  darauf  kommt  für  diese  Frage  Nichts  an. 

17)  Vermuthlich  lehrten  Beide  friedlich  neben  einander  und  setzten  so 
Beide  das  von  Aristoteles  begonnene  Werk  fort. 


Rhetorik.  1 5 

Ausarbeitung  der  strengeren  philosophischen  Disciplinen  in  seiner  Ency- 
klopädie  den  Aristoteles  zu  der  systematischen  Neugestaltung  der  Rhe- 
torik erst  ziemlich  zuletzt,  nach  der  Poetik  gelangen  Hess,  er  sich  nun 
aber  auch  zum  Theil  zu  einer  Polemik  gegen  jene  ältere  Form  (siehe 
Diels  S.  12.  A.  3)  genöthigt  sah.  Diese  Neugestaltung  erstreckte  sich 
nun  aber  nicht  bloss  auf  die  eigentliche  Rhetorik,  unsere  zwei  ersten 
Bücher,  sondern  auch  über  die  in  dem  jetzigen  dritten  verarbeitete  Lehre, 
die  Aristoteles  also  jetzt  wenigstens  als  eine  blosse  Hülfswissenschaft 
von  jener  ansah18). 

Wesshalb  mich  die  Erörterungen  des  Verfassers  S.  20—23  über 
die  Aechtheit  des  angeblich  platonischen  Menexenos,  bei  denen  er  sogar 
seinen  Glauben  an  den  platonischen  Ursprung  des  Kleitophon  durchblicken 
lässt,  weniger  befriedigen,  kann  ich  hier  nicht  auseinandersetzen.  Könnte 
ich  mich  freilich  überhaupt  zur  Annahme  der  Aechtheit  entschliesseu, 
so  würde  ich  den  von  Diels  gezeigten  Weg  für  den  einzigen  noch 
allenfalls  gangbaren  ansehen;  aber  gerade  was  für  Diels  eine  Empfeh- 
lung ist,  die  Entstehung  nach  dem  antalkidischen  Frieden,  hindert  mich 
um  so  mehr  diesen  Weg  zu  betreten. 

Wohl  der  glänzendste  Theil  der  Abhandlung  von  Diels  ist  aber 
der  letzte  S.  23-34,  in  welchem  er  von  der  Vertheidigung  zum  positiven 
Nachweis  der  Aechtheit  unseres  jetzigen  dritten  Buchs  übergeht,  indem 
er  namentlich  darlegt,  wie  Theophrastos  in  voller  Anerkennung  der  ari- 
stotelischen Herkunft  dieser  Schrift  in  seiner  eignen  r,zp\  li^zu}^  sich 
eng  an  sie  angelehnt  und  dann  zu  ihrer  Ergänzung  auch  noch  seine 
eigne  nepl  unoxpccrewg  abgefasst  hat. 

Die  Beiträge  des  Verfassers  zur  Kritik  einzelner  Stellen  (beson- 
ders S.  7.  A.  1)  habe  ich  hinter  meiner  Ausgabe  der  Oekonomik  vor- 
zeichnet. Mit  Recht  missbilligt  er  (S.  20.  A.  1),  dass  Römer  2.  I404b 
28  Spengel's  Conjectur  noiqrcxrjt;  für  nocrjasaj^  aufgenommen  hat. 

Noch  sind  zwei  andere  Besprechungen  einzelner  Stellen  zu  er- 
wähnen : 


lö)  Dies  Letztere  sagt  Diels  zwar  oicht  ausdrücklich,  aber  ich  hoffe 
dies  eben  so  sehr  in  seinem  als  in  meinem  Sinne  zu  schreiben.  Freilich  passl 
dazu  nicht  ganz  die  Bemerkung  S.  17.  A.  6,  in  welcher  auch  nepl  HGewt 
und  nepl  TdSscug  als  »Theileo  der  rhetorischen  Disciplin  bezeichnet  und  Ana- 
logien herbeigezogen  werden,  die  Btreng  genommen  Bonsl  Dich!  ganz  zutreffen, 
Nach  der  Definition,  die  Aristoteles  1,  I.  1855*  25f  von  der  Rhetorik  giebt, 
ist  diese  mit  den  nlareti  (der  inventio)  abgeschlossen  Nichtsdestoweniger 
bleibt  auch  so  ooch  Dasjenige  vollständig  richtig,  was  Diels  durch  diese 
Analogie  erläutert,  dass  das  dritte  Buch  auch  als  selbständige  Sein 
doch  füglich  so,  wie  es  zu  Anfang  geschieht,  auf  das  Bauptwerh  zurQckbe- 
ziehen  kann,  indem  es  sich  gleichsam  aar  als  einen  Anbang  desselben  be- 
trachtet 


16  Aristoteles. 

24)  Zur  Rhetorik  des  Aristoteles  II,  2.  Von  A.  Römer.  In  den 
Blättern  f.  bayr.  Gymnw.  XXII.   1886.   S.  391. 

25)  Zu  Aristoteles  Rhetorik  I,  14.  1375"  LB.  Von  J.  Zahl  fleisch. 
In  den  Wiener  Studien  VIII.    1886.    S.  165. 

Zahlfleisch  zeigt,  dass  1375 a  15  mit  den  schlechten  Handschrif- 
ten ypapö/ieva  (natürlich  unter  Fcsthaltung  der  Correclur  Tuxpä)  zu 
schreiben  ist.  Römer  aber  bemerkt,  dass  137'.» :i  LS  das  von  Bekker* 
hinter  nevöfievot  eingesetzte  rM/.zjio~)V7c.j  von  unerwarteter  Seite  her  eine 
Bestätigung  erhält:  »nämlich  in  den  Autoritäten  Arütotelü  S.  XXXVII 
wird  die  Stelle  also  gegeben:  infirmi  coeuntes  bellantes  amanles  sitientex 
et  totaliter  desiderantes  aliquid  et  non  consequentes  illud  de  fucili  irascuntur. 
Was  ist  aber  coeuntes?«. 

Für  die  Poetik  kommen  in  Betracht: 

26)  Eine  vermeintliche  Tragödie  des  Euripides  und  ein  Papyrus 
der  Sammlung  Erzherzog  Rainer.  Von  Theodor  Gomperz.  Im 
Anzeiger  der  philos.-hist.  Classe  der  Wiener  Akad.  1886.  No.  5. 

27)  Skylla  in  der  aristotelischen  Poetik.  Von  Franz  Susemihl. 
In  den  Jahrb.  f.  Piniol.  CXXXIII.  1886.  S.  583  f. 

28)  Skylla  in  der  aristotelischen  Poetik  und  die  Kunstform  des 
Ditbyrambos.    Von  Theodor  Gomperz.    Ebendaselbst  S.  771  —  775. 

Vorgreifend  nenne  ich  ferner  schon  hier: 

29)  Skylla  in  der  aristotelischen  Poetik  und  der  jüngere  Dithy- 
rambus. Von  Franz  Susemihl.  Ebendaselbst  CXXXV.  1887. 
S.  219-223. 

30)  Skylla  in  der  aristotelischen  Poetik  uud  der  jüngere  Dithy- 
rambus.    Von  Theodor  Gomperz.     Ebendaselbst  S.  460 f. 

Die  »vermeintliche«  Tragödie  des  Euripides,  um  welche  es  sich 
hier  handelt,  ist  die  zweimal  in  der  Poetik,  im  15.  und  im  26.  Capitel 
(1454a30f.  und  1461 b  30  —  32)  erwähnte  Skylla.  Dass  nun  freilich  Euri- 
pides keine  Skylla  gedichtet  hat,  stand,  wie  hier  ergänzend  bemerkt 
sei,  schon  seit  den  Untersuchungen  von  Wilamovvitz  in  seinen  Ana- 
lecta  Euripidea  (1875)  fest.  Dass  ferner  die  Skylla  im  26.  Cap.  nicht 
eine  Tragödie,  sondern  ein  Dithyrambos  ist,  sieht  Gomperz  mit  Recht 
zum  Theil  als  festgestellt  an,  zum  Theil  vollendet  er  diese  Feststellung, 
indem  er  namentlich  auch  nachweist,  worüber  ich  in  meiner  zweiten 
Ausgabe  noch  geschwankt  hatte,  dass  bei  den  tp<m)<oi  abhjrat  hier  nur 
an  den  jedesmaligen  einzigen,  den  Dithyrambos  begleitenden  Flöten- 
spieler gedacht  werden  kann.  Damit  ist  nun  aber  die  Frage  noch  nicht 
entschieden,  ob  nicht  die  Skylla  im  15.  Cap.  eine  andere  und  doch  wirklich 
eine  Tragödie  ist.     Auch  durch  den  interessanten,   von  Gomperz  mit- 


Rhetorik.    Poetik.  17 

getheilten  Fund  eines  Papyrosfragments,  in  welchem  sich  unverkennbare 
Anklänge  an  aristotelische  Aesthetik  zeigen,  und  welches  mit  den  Worten 
wazep  xai  Tc/ioßsog  iv  to>  bprtvu>  röu  'Odvooiujg  ei  ftev  Teva  fufieezat  xcä 
vb  8fiocov  vivt  olosv,  oläX  0(0}  ra>  'Oouaazt  ist  zunächst  Nichts  weiter 
bewiesen,  als  dass  der  Verfasser  des  Papyros  den  von  Aristoteles  als 
Beispiel  gebrauchten  bprpOQ  'Od'jaazujg  iv  -fj  HxuUij  seinerseits  auf  die 
Skylla  des  Timotheos,  welche  wir  erst  durch  ihu  kennen  lernen,  bezog, 
und  dass  in  dieser  ein  Klaggesang  des  Odysseus  enthalten  war.  Es 
ist  möglich,  dass  er  mit  jener  Beziehung,  wie  Gomperz  annimmt,  Recht, 
es  ist  aber  auch  möglich,  dass  er  Unrecht  hat,  und  für  Letzteres  spricht 
der  von  Susemihl  hervorgehobne  Umstand,  dass  jedes  andere  Beispiel 
als  aus  einer  Tragödie  oder  einem  Epos  wider  die  Disposition  des  Aristoteles 
Verstössen  würde.  Weiter  lässt  sich  hier,  wie  es  scheint,  leidernicbtkommen. 
Selbst  aber  wenn  der  Anonymos  Recht  hat,  braucht  der  Dithyrambus  Skylla 
im  26  Cap.  noch  nicht  mit  der  gleichnamigen  Composition  des  Timotheos 
zusammenzufallen,  sondern  letztere  kann  füglich,  ob  nun  von  Aristoteles 
im  15.  Cap.  gemeint  oder  nicht,  vielmehr  ein  kitharodischer  Nomos  ge- 
wesen sein.  Nach  Plat.  Rep.  III.  394 C  sollte  man,  wie  Susemihl  be- 
merkt, sogar  glauben,  dass  im  Jüngern  Dithyrambos  überhaupt  keine 
Einzelgesänge  mehr  vorkamen;  da  nun  aber  doch,  wie  Gomperz  er- 
widert, nach  dem  Zeugniss  von  Plut.  de  mus.  30.  1142A  Aristophanes 
dem  Philoxenos  die  Einführung  von  //öV.jj19)  in  die  kyklischen  Chöre  zu- 
schrieb, so  muss  wenigstens,  um  mit  Piaton  in  Einklang  zu  bleiben,  an- 
genommen werden,  dass  es  zum  Mindesten  nur  selten  und  vermuthlich 
nur  von  Philoxenos  geschah.  Der  mimetische  Charakter  des  jüngeren 
Dithyrambos  muss  also  in  etwas  Anderem  gefunden  werden.  Und  auch 
der  sinnreiche  Versuch  von  Gomperz  aus  der  Stelle  im  26.  Cap.  zu 
zeigen,  dass  bei  der  Aufführung  dieser  Compositionen  Chorführer  und 
Flötenspieler  in  ein  nicht  unähnliches  Verhältniss  getreten  seien  wie  in 
der  ältsten  Tragödie  der  Chorführer  und  der  einzige  Schauspieler,  findet, 
wie  Susemihl  zu  zeigen  sucht,  an  den  Worten  des  Aristoteles  durch- 
aus nicht  den  nöthigen  Anhalt,  noch  weniger  an  Stellen  anderer  Schrift- 
steller. Aus  allen  diesen  Nachrichten  folgt  nur,  dass  allerdings  dem 
Flötenspieler  eine  besondere  mimetische  Rolle  gegenüber  dem  Chor  zu- 
kam; und  dabei  wird  man  sich  zu  beruhigen  haben.  Gomperz  hat  in 
seiner  letzten  Erwiderung  in  Bezug  hierauf  nichts  Sachliches  mehr  bei- 
gebracht, vielmehr  nur  ein  wirkliches  (allerdings  tadelnswerthes)  Miss- 
verständniss  von  mir,  welches  übrigens  mit  dieser  Frage  Nichts  zu 
thun  hat,  und  ein  zweites  vermeintliches90),  welches,   wenn   ich  es  auch 


19)  Allerdings  können,  wie  es  scheint,  nur  Eincelgesangfl  verstanden 
werden.  Aber  wie  in  aller  Welt  kommt  ßiko;  zu  dieser  Bedeutung?  Sollte 
ßoxwdtxii  ausgefallen  sein,  wie  Weatphal  vermuthet  hat? 

20)  Gomperz  bezeichnet  ohne  jede  Reserve  die  beiden  Bücher  der 
ürestie  des  Stesichoros  als  einen   Liederkranz.     Wilamowiti  vermuthet 

Jahresbericht  für  AlterthmuswiasenscUaft  L.     (1887.  1.)  2 


I  s  kristoti  les.    Poetik     Anhang 

wirklich  begangen  hätte,  doch  gar  nicht  zur  Sachi  hervorgehoben, 

dabei  behauptet,  dass  er  noch  mehrere  aufdecken  könnte,  und  daraus 
den  Schluss  gezogen,   dase   sich   eine  weitere  Discussion  mit  mir  nicht 
lohne.      Diese   Borte    von   Polemik    schlagt   lediglich  Denjenigen   selbst, 
welcher  ihre  Ausübung  für  Beiner  würdig  hält. 
In  dem  kleinen  Aufsatz  aber: 

31)  Die  Bedeutung  von  iptXäv&pumov  in  der  aristotelischen  Poetik. 
Von  Franz  Susemihi.    In   den  Jahrb.  rar  Piniol.  CXXXIII.     1886. 

S.   Ü8lf. 

führe  ich  die  nur  schon  von  Jerusalem  (-bdie  Ber.  XLII  S.  263)  vor- 
weggenommene Beobachtung  weiter  aus,   dass   nach    Rhet.  II,   9.   1386b 
25ff.    einzig    und  allein   die   Erklärung   Zeller's   von   yiXdv&pwnoM  13. 
1452b  36 ff.  und   18.   1456*  18ff.  möglich  ist. 
Endlich  rindet  sich  in  dem  Buche 

32)  Philologische    Streifzüge.      Von   Dr.    Michael    Gitlbauer, 
Professor  an  der  Uuiversität  in  Wien.  Freiburg  i.  B.,  Herder.  1886.  8. 

eine  Miscelle  »Zur  Erklärung  des  zwölften  Capitels  von  Aristoteles' 
Poetik«  S.  405-407,  in  welcher  von  den  Worten  1452b  24f.  xu/jl/xo;  ok 
&pijvos  xotvbs  %opöu  xai  datb  axyvrjQ  folgende  sonderbare  Erläuterung 
gegeben  wird:  Kommos  ist  ein  Klagelied,  welches  entweder  vom  Chore 
oder  auch  auf  der  Bühne  von  einem  Schauspieler  gesungen  werden  kann. 
Also  gerade  im  Wechselvortrag  von  Chorführer  und  Bühnenpersonen 
niemals?  Wer,  wie  Gitlbauer,  die  früheren  Worte  Z.  17 f.  y.o>.\>ä  psv 
and\>-u>\>  zauxa,  edea  dk  rä  ä~o  axr^g  xai  xo/ifiot  für  ursprünglich  hält,  den 
hätte  doch  schon  die  Erwägung*,  dass  hier  ausdrücklich  die  dnb  axr^q  von 
den  xojijiot  unterschieden  werden,  von  einem  solchen  Einfall  abhalten 
sollen.  Seltsam  ist  auch  die  Behauptung,  dass  hier  die  Auffassung  von 
ändvTwv  als  Masculinum  im  Sinne  von  %öpeuTä>v  bisher  wohl  den  meisten 
Anklang  gefunden  habe.  Gitlbauer  hat  nicht  einmal  meine  Bearbei- 
tung der  Poetik  angesehen,  daher  behauptet  er  denn  ferner  auch  schlank- 
weg, die  Verbesserung  Z.  23  von  oäou  in  ofoj  rühre  von  Westphal 
her,  während  sie  vielmehr  mir  angehört  und  nach  mir  Westphal  dann 


»mehr  aus  den  allgemeinen  Erwägungen  als  auf  positiven  An- 
halt hin«  nur,  dass  das  Verhältniss  beider  Bücher  zu  einander  ein  ähnliches 
war  wie  zwischen  der  1.  und  3.  olymp.  Ode  des  Pind.  oder  zwischen  der 
Helene  (B.  1)  und  der  Palinodie(-=  Helene  B.  2),  welche  er  ausdrücklich  als 
»zwei  Gedichte«  bezeichnet,  »von  denen  das  spätere  freilich  auf 
das  erste  Bezug  nahm«,  in  diesem  Falle  also  sogar  widerrufend.  Danach 
durfte  ich  vollkommen  so  schreiben,  wie  ich  geschrieben  habe.  Oder  möchte 
Gomperz  auch  Pind.  Ol  I.  III  einen  Liederkranz  nennen  oder  diesen  Aus- 
druck auf  zwei  Gedichte  anwenden,  von  denen  das  zweite  ein  Widerruf  des 
ersten  ist? 


Theophrastos.  19 

vielmehr  uatj  toü  verrauthet  hat.  Und  dabei  beklagt  sich  S.  160  ff.  der- 
selbe Gitlbauer  so  lebhaft  über  die  Nichtbeachtung  seiner  eignen  Ar- 
beiten! Wer  aber,  wie  ich  nach  Leop.  Schmidt  unter  Angabe  meiner 
Gründe  gethan  habe,  jene  früheren  Worte  für  interpolirt  erklärt,  für 
den  fällt  um  so  mehr  jeder  Anlass  fort  eine  besondere  Definition  der 
Bühnengesänge  zu  erwarten,  und  für  den  ist  um  so  mehr  die  des  Kom- 
mos  nach  der  gewöhnlichen  und  allein  möglichen  Auslegung  derselben 
eine  vollbefriedigende..  Dass  aber  auf  alle  Fälle  ändwojv  als  Neutrum 
(  =  zpaywocujv)  zu  fassen  ist,  scheint  mir  zweifellos:  Beispiele  für  diese 
griechische   Redeweise  werden  ja  wohl  hoffentlich  nicht  mehr  nöthig  sein. 

Receusirt  oder  angezeigt  wurden:  Aristot.  de  au.  ed.  Guil.  Biehl 
(Leipzig  1884)  von  Stapfer,  philol.  Anz.  XVI.  188G.  S.  108—113,  Ari- 
stote.  Traites  des  parties  des  animaux  etc.  trad.  par  J.  Barthelemy- 
Saint  Hilaire  (Par.  1885)  von  Bullinger,  Neue  philol.  Rundsch.  I. 
1886.  S.  117 — 119,  Aristophanishistoriaeaninialiumepitome,ed.Spyridion 
P.  Lambros  (Berlin  1886.  Supplem.  Aristot.  I,  l)  von  Schaar- 
schraidt,  philos.  Monatsb.  XXII.  1886.  S.  387 f.,  E.  Richter  De  Ari- 
stotelis  problematis  (Bonn  1885)  von  Stau  gl,  philol.  Anz.  XVI.  1886. 
S.  384—389,  The  Politics  of  Aristotle  .  .  .  translated  by  R.  Jowett 
(Oxf.  1885)  von  Braughton,  Academy  No.  717.  S.  79-81,  Aristot. 
Rhet.  ed.  A.  Roemer  (Leipz.  1885)  von  Cl.,  Bl.  f.  bayr.  Gymnw.  XXII. 
1886.  S.  224—226,  Aristot.  Poet,  tertium  ed.  Io.  Vahlen  (Leipz.  1885) 
von  Wallies,  Berliner  philol.  Wocheuschr.  VI.  1886.  Sp.  553  556, 
E.  Jerusalem  Ueber  die  aristotelischen  Einheiten  im  Drama  (Leipz. 
1885)  von  Bullinger,  Neue  philol.  Rundsch.  I.  1886.  No.  10,  Dehlen 
Die  Theorie  des  Aristoteles  und  die  Tragödie  (Göttingen  1885)  von 
Weck  lein,  Berl.  philol.  Wocheuschr.  VI.  1886.  S.  8371'.,  W.  Jerusa- 
lem, Zeitschr.  f.  d.  österr.  Gymn.  XXVII.  1886.  S.  416  —  420,  Bern- 
heim, Gott.  gel.  Anz.  1886.  S.  8 19  f.  und  von  einem  Ungenannten  im 
Litt.   Centralbl.   1886.  Sp.  1107. 

Zu  den  Charakteren  des  Theophrastos  hat 

33)  G.  F.  Unger  im   Philologus  XLV.     1886.     S.  244.  277.  368 
438.  448.  552f.  613.  641 

eine  Reihe  neuer  Verbesserungsversuche  mitgetheilt:  5.  S.  9,  7  Ussing 
(8,  23  Foss)  xoivög  <r^>  für  xuevug  eig  oder  xmvbg.  6.  S.  10,  13  (9,  7) 
wg  (statt  xai)  npoaa>-di>^  e%<ov.  S.  10,  25  (9,  29).  dtaxuuoat.  10.  S.  15, 
11  (13,  18).  S7zcTux!av  für  inl  r^v  ulxlav'i  S.  15,  15  (13,  22).  (mvco) 
ecvut-  xai.  16.  S.  21,  1  (18,  22).  &ß86fi(atg  £--'  ratg  elxyäa:.  19.  S.  23, 
15  (20,  31).  uurCuv  elg  tu  yevog.  20.  S.  24,  L2f.  (21,  9).  7)8y  und  -npoasX- 
{lovrog  (Letzteres  steht  schon  bei  Foss).  S.  24,  20  (21,  26).  utxsnuv. 
S.  24,  21  f.  (21,  28).  ebvyg  für  afreye  und  mit  Beibehaltung  von  u>e  %8u 
dort  sodann  rl/uf'  epiuro.  für  dfipörepa.  27.  S.  32,  20  (29,  26),  WO  nach 
Foss  xeXeosiv  hinter   abrdu   eingeschoben   zu  werden  ptlegt,   vielmehr 

2* 


20  Aristoteles  und    rheophra  tos.    Anhang. 

äUou  statt,  abroü.  80.  S.  36,  (83,  2).  nv'  für  r^v.  S.  36,  20f.  (88,  15). 
nap'  iiv)7(b  sei  beizubehalten,  dann  nop*  eaurou  nicht  mit  Ussing  zu 
streichen,  sondern  in  nap'  kxdarou  v.w  verbessern,  8.  36,  26  (33,  20f.) 
endlich  sei  bloss  au  dnodtSovrog  herzustellen,  aber  weder  mit  Ussing 
rv  hinter  dnatryaou  einzuschieben  noch  mit  demselben  äv  nc  hinter 
ra%etoG  zu  tilgen. 

Als  Anhang  tlieils  zu  Aristoteles,  theils  zu  Theophrastos  ist  end- 
lich noch  aufzuführen: 

34)  Kupplemcntum  Aristotelicum  editum  consilio  et  auetoritate 
academiae  litterarum  regiae  Borussicae.  Voluminis  I  pars  II.  Prisciani 
Lydi  quae  extant.  Metaphrasis  in  Theophrastum  et  solutionum  ad 
Chosroem  über.  Edidit  I.  By  water.  Berolini  typis  et  impensis 
Georgii  Reimer.    MDCCCLXXXVI.    XIV,  136  S.    Lex.  8. 

Priscianus  hatte  eine  Metaphrase  zu  den  acht  physischen  Büchern 
des  Theophrastos,  von  denen  das  4.  und  5.  von  der  Seele  handelte,  ge- 
schrieben, von  welcher  nur  der  zum  5.  gehörige  Theil,  und  zwar  auch 
nur  unvollständig,  erhalten  ist.  Allerdings  sind  hier  eingestandener- 
massen  die  Gedanken  des  Theophrastos  mit  Stücken  aus  Iamblichos  ver- 
setzt, indem  der  Interpret  sich  bemüht  sie  mit  Hülfe  dessen  ins  Neu- 
platonische im  Sinne  dieses  letzteren  Mannes  zu  verkehren,  doch  lassen 
sich  die  ächten  Reste  des  Theophrastos  unschwer  ausscheiden  und  aus 
diesen  zugleich  der  grosse  Gewinn  für  den  Text  der  aristotelischen 
Psychologie  ziehen,  dass  man  aus  ihnen  mehrfach  erkennt,  was  Theo- 
phrastos bei  Aristoteles  gelesen  hat.  Dieser  Nutzen  ist  bisher  leider 
nicht  aus  ihnen  gezogen,  und  es  wird  dies  begreiflich,  wenn  man  be- 
denkt, dass  bisher  nur  der  gänzlich  ungenügende  Druck  in  der  zweiten 
Basler  Ausgabe  des  Aristoteles  und  Theophrastos  (1541)  vorlag,  den 
Wimmer,  der  Einzige,  welcher  sich  ausser  Philippson  neuerdings  ein- 
gebender mit  dieser  Metaphrase  beschäftigte,  lediglich  durch  Conjectur 
zu  verbessern  bemüht  war.  Und  doch  bestätigt  Theophrastos  in  dieser 
jetzt  endlich  zu  Tage  getretenen  Textrecension  des  Priscianus  manche 
Vermuthungen  Tors  tri k 's,  während  er  ihn  von  andern  zurückgehalten 
haben  würde. 

Die  Solutiones  des  Priscianus  aber  existiren  nur  in  einer  lateini- 
schen Uebersefzung  aus  der  Karolingerzeit,  die  zuerst  von  Quicherat 
in  einem  sehr  unvollständigen  Codex  von  St.  Germain  wiederentdeckt, 
dann  aus  demselben  von  Dübner  hinter  Plotinos,  vollständiger  mit  Hülfe 
eines  Codex  des  brittischen  Museums  von  Rose  (Aristot.  pseudep.  u. 
Anecd.  Gr.  et  Graecolat.)  herausgegeben  ward,  vollständig  aber  erst  hier 
durch  Bywater  erscheint.  Nur  wenige  der  von  Priscianus  in  dieser 
Schrift  angeführten  griechischen  Auetoren,  wie  Aristoteles,  Theophrastos, 
Geminos,  Albinos,  Iamblichos,  Proklos,  scheint  er  unmittelbar  benutzt 
zu  haben. 


Jahresbericht  über  Pindar  1885 — 1887. 

Von 

Dr.  L.  Borne  mann, 

Direktor  einer  Privatschule  zu  Hamburg. 


Zu  meinem  vorigen  Berichte  (1885.  I.  52ff.)  habe  ich  folgende 
Nachträge  zu  machen: 

Zu  No-  2:  Von  Croiset,  La  poesie  de  Pindare  u.  s.  w.  ist  eine 
zweite  Auflage  erschienen.    Ich  habe  sie  nicht  gesehen. 

Zu  No.  40 f.:  Eingehende  Besprechungen  der  Arbeiten  von  Feine 
uud  Hörn  gab  Schoemanu  im  Philologischen  Anzeiger  XV.  568 ff.  und 
XVI.  8 5  ff. 

Tessing,  De  compositis  nominibus  Aechyleis  et  Pindaricis  (nach 
No.  28)  ist  lobend  besprochen  von  Wecklein  in  diesen  Berichten  Jahrg.  38. 

Zu  No.  39:    Abels  Scholienausgabe  ist  bisher  nicht  fortgesetzt. 

Andere  Nachträge  unten  No.  14  und  19  f. 

Ich  citiere  die  Oden  nach  Mommsen.  die  Fragmente  nach  Bergk's 
vierter  Ausgabe. 

I.   Leben.  Dichtung  und  Weltanschauung. 

1)  E.  Hill  er,   Die  antiken   Verzeichnisse  der  pindarischen  Dich- 
tungen.   Im  Hermes  XXL  357-371. 

Unsere  Anschauung  über  das  Verhältnis  der  beiden  (in  der  Bres- 
lauer Vita  und  bei  Suidas)  überlieferten  Verzeichnisse  der  pindarischen 
Dichtungen  hat  Hillcr,  wie  mir  scheint,  wesentlich  geklärt.  Indem  er 
die  Vermittlungsversuche  Boeckh's  und  Bergk's  ausführlich  widerlegt, 
macht  er  darauf  aufmerksam,  dal's  in  dem  bei  Suidas  befindlichen  Ver- 
zeichnisse der  Schriften  des  Orpheus  (schon  Boeckh  S.  555  verweist  darauf) 
Bpovta/iol  p^rpium  xal  ßaxyixä  erwähnt  werden;  so  verstellt  er  auch  in 
dem  von  Pindar  handelnden  Artikel  des  Suidas  unter  ivbpovKTjxol  rich- 
tiger BpovtfffioP  und  ßaxytxd  orphisehe  Lieder  und  nimmt  an.  dal's  von 
dem  Verfasser  dieses  Artikels  zur  Ergänzung  der  überlieferten  Zahl  von 
17  Büchern  jene  beiden  Titel  sowie  die  Titel  axoAcd,  ouifv^ifoiKxü  und 
Spdfiara  zf>aytx(/.  willkürlich  erdacht  und  eingeschoben  seien. 


22  Pindar:    Dichtung. 

Diese  letzte  Wendung  der  Hillerscben  Abhandlung  erscheint  mir 
allerdings  zu  gewaltsam;  höchstens  für  dir-  dpdfiara  rpay.xa  kann  ich  ihr 
zustimmen.  Vielmehr  glaube  ich  die  Ableitung  des  hei  Suidas  überlie- 
ferten Verzeichnisses  aus  dem  älteren,  mit  genauen  Zahlangaben  ver- 
sehenen Verzeichnisse  der  Vita  etwas  anders  ansehen  zu  müssen.  Ich 
unterscheide  in  letzterem  vier,  aus  je  4  bezw.  5  Büchern  bestehende 
Bände:  a)  1  Hymnen,  1  Päane,  2  Dithyramben;  b)  2  Prosodien.  2  bezw. 
3  Parthenien;  c)  2  Hyporcheme,  1  Enkomien,  l  Threnen;  d)  4  Epinikien. 
Bei  Suidas  finden  wir  diese  vier  Bände  in  der  Reihenfolge  d  b  a  c;  in  b 
wäre  dann  der  Anhang  {xe%<opiop.£va)  oder  das  dritte  Buch  der  Parthe- 
nien mit  den  Titeln  der  Unterabteilungen  [Hpovtoput,  ßax%cxd,  Say>V7]<poptxd) 
detailliert  bezeichnet,  wie  denn  in  der  That  die  Fragmente  95  und  96 
mit  der  Erwähnung  der  Kybele  in  den  Kreis  der  Mysterien  fallen;  in  c 
wäre  der  Nebentitel  oder  Untertitel  axohd  den  iyxutpia,  welche  sie  mit 
umfafsten,  vorausgeschickt.  Was  die  Reihenfolge  der  Baude  und  Bücher 
betrifft,  so  lag  die  Voranstellung  von  d  nahe;  die  Umstellung  der  Päane 
und  der  Hyporcheme  (sofort  hinter  die  Daphnephorika)  möchte  ich  aus 
der  Absicht  ableiten,  die  auf  Apollon  bezüglichen  Lieder  hinter  einander 
folgen  zu  lassen.  Jedenfalls  halte  auch  ich  mit  Hiller  das  Verzeichnis 
des  Suidas  für  das  sekundäre. 

Die  folgenden  Nummern  2)—  4)  beziehen  sich  wieder  auf  die  Frage 
nach  dem    Verhältnis  der  Pindarischen   Oden  zu  dem   Nomos    des   Terpander. 

2)  Ed.  Lübbert,  Commentatio  de  poesis  Pindaricae  in  archa  et 
sphragide  componendis  arte.  (Ind.  lect.  Winter  1885/86.)  Bonn,  Cohen 
und  Sohn.    XXVI  S.    4. 

Gliederung  der  achten  pythischen  Ode,  die  aus  den  letzten  Jahren 
von  Äginas  Selbständigkeit  stammen  soll,  nach  den  Grundsätzen  der 
Nomostheorie.  Grundgedanke  des  Liedes:  nulluni  est  proprium  homi- 
nutn  robur;  omne  robur  nostrum  deus  est.  Über  die  äginetischen  Zu- 
stände handeln  ausführlich  S.  X -XVIII;  sodann  wird  über  den  terpan- 
drischen  Nomos  Folgendes  ausgeführt.  Neben  der  bei  Pollux  überliefer- 
ten Reihenfolge  der  sieben  Teile  (Bergk  gr.  Literaturgeschichte  S.  211  ff.) 
habe  —  wahrscheinlich  schon  bald  nach  Terpander  —  eine  zweite  Form 
bestauden,  diejenige,  welche  Pindar  benutze,  in  welcher  uemlich  die  ps- 
■zaxaTaxpoTÄ  hinter  den  6p<paX6g  gestellt  sei.  Hexameter  habe  Terpan- 
der wohl  hauptsächlich  im  dp<paAog  gebraucht.  Vor  den  sieben  Teilen 
habe  bisweilen  noch  ein  Proömium  Platz  gefunden.  Dies  sei  die  in  der 
Polluxstelle  seltsamerweise  eingefügte  i-ap%d,  welche,  nachdem  mit  der 
Umstellung  der  peraxara-pond  auch  die  ptrap/d  ihre  volle  Berechtigung 
verloren  hatte,  einen  Platz  unter  den  sieben  Teilen  gefunden  habe.  Bei 
der  Benutzung  seiner  Quelle  (Juba)  habe  Pollux  die  erwähnten  beiden 
Formen  durcheinander  geworfen.  Man  sieht,  wie  verwickelt  bereits  die 
Grundlage  der  Nomostheorie  ist,  welche  zur  Gliederung  der  piudarischen 


Pindar:    Terpandriscüer  Nomos.  23 

Dichtungen  herbeigezogen  wird.  Auf  P  8  raufs  Referent  demnächst  aus- 
führlich eingehen;  vgl.  die  Anzeige  des  Lübbertschen  Programms  in  der 
Neuen  philol.  Rundschau  1887  S.  145  f. 

3)  Ed.  Lübbert,  Meletemata  de  Pindari  studiis  Terpandreis.  (Zum 
22.  März  1886.)     Bonn,  Cohen  und  Sohn.    XXIII  S.  4. 

Die  gröfsere  Hälfte  dieser  Arbeit  fällt,  weil  sie  die  Gliederung 
der  Poesie  des  Callimachus  nach  terpandrischem  Nomos  nachzuweisen 
sucht,  einem  anderen  Referenten  für  diese  Jahresberichte  zu.  Indessen 
selbst  wenn  die  Nomostheorie  für  Callimachus  zu  Recht  bestände,  so  wäre 
ein  Beweis  für  Pindar  nicht  erbracht.  Jedenfalls  die  Ode  N  8,  welche 
Lübbert  nunmehr  als  ein  luculentum  documentum  für  seine  Auffassung 
anführt  und  durchgeht,  zerlegt  sich  meines  Erachtens  für  eine  vorur- 
teilsfreie Exegese  nach  den  drei  Systemen  in  folgende  Teile:  1)  Der 
jugendschöue  Sieger,  2)  Der  fiat/xo^,  3)  Das  Lob  des  Dichters  und  Freun- 
des. Lübbert  allerdings  bezieht  auch  diese  Ode  auf  politische  Zwistig- 
keiten  und  läfst  den  Dichter  in  ihr  ein  Bild  der  vera  virtus  placida  et 
tranquilla,  arboris  instar  crescens  geben.  —  Der  Schlufs  des  Programms 
geht  wieder  auf  den  terpandrischen  Nomos  selbst  ein.  Die  Umstellung  der 
IxEraxazazpond  soll  nunmehr  bereits  von  Terpander  selbst  herrühren. 
Der  dreiteilige  Nomos  der  Klagelieder  im  24.  Buch  des  Ilias  (Pepp- 
müller,  Halle  1872)  war  durch  die  Katatropa  zu  einem  vierteiligen  er- 
weitert; dann  hat  Terpander  noch  drei  Teile  zugefügt,  ganz  wie  er  als 
begleitendes  Instrument  aufser  der  xc'ftapcg  die  Flöte  einführte.  Ähnlich 
benutzte  er  neben  dem  Hexameter  den  opBiog  (aus  4 zeitiger  Arsis  und 
8  zeitiger  Thesis)  und  den  Trochäus  Semantus.  Übrigens  müsse  man 
sorgsam  diesen  jambischen  zaüg  dp&cog  von  rb  Sp&eov  (sc.  pirpov)  unter- 
scheiden, wodurch  (nach  Engelbrecht,  de  scoliorum  poesi,  Wien  1882) 
heroische  Daktylen  im  Gegensatze  zum  Skolion  zu  verstehen  seien. 

4)  Ed.  Lübbert,  Commentatio  de  Pindaricorum  carminum  com- 
positione  ex  Nomorum  historia  illustranda.  (Zum  22.  März  1887.) 
Bonn,  Cohen  und  Sohn.    19  S.    4. 

Trotz  des  Titels  fällt  diese  Abhandlung  lediglich  in  das  Gebiet  der 
antiken  Musik.  Nur  beiläufig  tritt  die  Vermutung  auf.  data,  weil  Olympos 
ein  lmxri8c.iov  auf  den  Tod  des  Drachen  Pytho  für  Flöte  komponiert  hat, 
auch  die  Threnen  nomisch  gegliedert  seien.  Im  übrigen  behandelt  das 
Programm  die  Flötenmusik  der  Griechen,  speziell  jene  Kompositionen 
für  Flöte,  welche  in  fünf  bis  sieben  Sätzen  den  Kampf  Apollos  mit  dem 
Drachen  darstellten.  Die  überlieferten  Benennungen  dieser  fünf  bis  sieben 
Sätze  sind  (nach  Lübbert)  identisch  mit  den  angeblich  alteren  Namen 
{<)p<paXu>;,  äp%d  u.  s.  w.i  derjenigen  Teile,  welche  im  kitharödischen  v6 
SpBtog  des  Terpander  und  in  den  Dichtungen  Pindars  aufzufinden  seien. 
Kompositionen  für  Flöte  in  fünf  bis   sieben  Sätzen   zur    Darstellung 


24  Pindar:    Weltanschauung. 

bestimmter  Stadien  des  Kampfes  zwischen  Apollo  und  dem  Drachen  — 
das  ist  verständlich  und  durch  Überlieferung  bezeugt;  aber  eine  Brücke 
zwischen  dieser  Flötenmusik  und  der  logisch  -ästhetischen  Komposition 
pindarischer  Dichtungen  hat  trotz  aller  aufgewandten  Gelehrsamkeit  auch 
Lübbert  meines  Erachtens  nicht  hergestellt. 

5)  Travnicsek,  Pindaros  Ethikaja.    Leutschau  1884.    26  S.    8. 
ist  nach  Finäczy  in  Egyetemes  philologiai  koezlony  1885  S.  427  ff.  wertlos. 

6)  Ed.  Lübbert,  Commentatio  de  Pindaro  dogmatis  de  migratione 
animarum  cultore.    Ind.  schob  hib.    Bonn  1887/88.    XXI   S.  4. 

1.  Zu  fragm.  133:  nakubv  nivboQ  sei  cladis  illa  prisca  luctuosaque, 
quae  quondam  hujus  nostrae  in  terris  peregrinationis  origo  fuit,  nemlich 
ein  peccatum  primigenium,  quod  euphemismo  usus  poeta  n£\>Bog  vocat. 
Für  dieses  peccatum  hätten  die  meisten  Menschen  per  multas  genera- 
tiones  et  mortes  (also  fortgesetzte  Metempsychose)  zu  büfsen;  einige 
Auserwählte  dagegen  sähe  Persephone  früher  zu  Gnaden  an  {no'.väv  de- 
gsTat),  sie  werden  dann  Könige,  Helden,  Weise  u.  s.  w.  —  Diesen  Aus- 
führungen kann  ich  nicht  beistimmen.  Allerdings  die  Auslegung  des 
Wortes  r.ivdog  bei  Rumpel  (woher?):  »luctum  dicit  caede  alicujus  olim 
excitatum«  liegt  sowohl  dem  Wort  selber  als  dem  Sinn  der  ganzen  Stelle 
fern;  aber  Lübberts  »peccatum  primigenium«  ist  doch  nicht  viel  besser. 
Der  Begriff  der  Sünde  oder  des  Unrechts  läfst  sieb  meines  Erachtens 
aus  nev&og  nicht  gewinnen;  vielmehr  wird  die  einfache  Auffassung  »Leid 
dieses  Lebens«  durch  den  Zusatz  Tiowäv,  der  sich  ebenfalls  Nl,  70 
findet  (xafidrujv  fisydkuv  7iowä\>)  lediglich  bestätigt.  Es  kommt  hinzu, 
dafs  der  Dichter  in  0  2  von  keiner  Läuterung  der  ialoi  weifs,  ebenso- 
wenig aber  (wie  Mezger  S.  162  sagt)  von  einer  Metempsychose  der 
Übeltäter.  Die  multae  generationes  et  mortes  bei  Lübbert  sind  eben- 
falls aus  Pindar  nicht  zu  belegen,  vielmehr  kennt  der  Dichter  nur  vier 
Stücke:  auf  Erden,  in  der  Unterwelt,  nochmals  auf  Erden  (soweit  = 
earpig  0  2,  68),  endlich  auf  den  Inseln  der  Seligen.  Indessen  die  statu- 
ierte Metempsychose  wird  nach  fragm.  133  nur  denjenigen  zu  teil,  otai 
@£p<je<p6va  notvdv  naXatou  nivB-eog  oe^ezai.  Ist  meine  Deutung  der 
noiva  Ti.  n.  richtig,  so  läfst  sich  allerdings  das  Verbum  oe^ezat  nicht 
halten,  sondern  wäre  in  reu^erac  zu  ändern:  »wem  Persephone  Ersatz  für 
früheres  Erdenleid  bereitet,  den  sendet  sie  u.  s.  w.«  So  enthält  auch 
unser  fragm.  die  vier  erwähnten  Stufen. 

2.  Zu  0  2,  57 ff.:  Lübbert  hält  —  mit  Recht  —  die  aristarchische 
Erklärung  von  vs.  57  fest,  nach  welcher  es  sich  bei  &av6v-wv  jiiv  um 
in  der  Unterwelt  begangeue  Sünden  handelt;  doch  sollen  dieselben  nach 
Lübbert  darin  bestehen,  dafs  die  Abgeschiedenen  sich  bei  Gelegenheit 
der  Metempsychose  zu  einer  falschen,  unglückseligen  Wahl  ihrer  (zweiten) 
Lebensstellung   verleiten   lassen.     -    Das    ist    wiederum    nirgends    äuge- 


Pindar:    Dialekt.  25 

deutet,  vielmehr  lehren  vs.  68 ff.,  dafs  nach  Pindars  Anschauung  die  8a- 
\><j\>7zq  wirklich  in  äocxa  fallen  können. 

7)  Ed.  Lübbert,  Commentatio   de  Pindari   studiis   chronologicis. 
(Ind.  lect.  1887.)    Bonn,  Cohen  und  Sohn.    XXVIII  S.  4. 

Das  im  Scholion  zu  0  2,  16  erwähnte  pindarische  Enkomion  gab 
vermutlich  die  Zahl  der  zwischen  Kadmos  und  Theron  liegenden  ysvsai 
(siehe  Böckh  zum  schol.  zu  0  2,  14)  auf  27  an.  Rechnet  man  3  yeveai 
auf  ein  Jahrhundert  und  fixiert  man  den  Ausgangspunkt  der  delphischeu 
Chronologie  auf  582  (Ol.  49,  3),  so  erhält  man  die  Ansetzung  des 
Kadmos  auf  1382.  Auf  dieselbe  Zahl  kommt  man ,  wenn  man  P  4,  10 
zu  Grunde  legt:  Kyrenes  Gründung  623,  eine  yevaä  später  der  Ausgangs- 
punkt der  delphischen  Chronologie  582,  1-4-17  yeveou  früher  der  Argo- 
nautenzug (ferner  Herakles  uud  der  Zug  der  Sieben  gegen  Theben)  = 
1183—1216,  6  ysvsac  von  Polyneikes  bis  Kadmos,  also  Kadmos  1383. 

II.  Dialekt,  Grammatik,  Metrik,  Lexikographie. 

8)  Führer,  Die  Sprache  und  die    Entwicklung  der  griechischen 
Lyrik.    Münster  i.  W.  1885.    18  S.    4. 

Dies  Programm  bildet  die  Fortsetzung  des  im  letzten  Bericht  unter 
No.  27  erwähnten  Artikels  im  Philologus  XLIV.  In  letzterem  sucht  Ver- 
fasser die  dorischen,  hier  die  äolischen  Formen  aus  dem  Pindartext  zu 
verbannen,  weil  er  die  Theorie  von  der  Mischung  der  Dialekte  nicht 
anerkennt.  Aber  das  Vorgehen  des  Verfassers  in  beiden  Arbeiten  ist 
ganz  verschiedenartig.  Im  Philologus  XLIV  versucht  er  den  Nachweis,  dafs 
die  sogenannten  dorischen  Formen  Pindars  in  Wirklichkeit  böutisch 
seien  oder  sein  könnten;  nur  wäre  ou  wohl  in  tu  umzuschreiben,  des- 
gleichen die  Infinitivendung  -ev  in  -etv,  die  Akkusativendung  -oc 
in  -oug.  Diesmal  dagegen,  um  die  angeblich  äolischeu  Formen  zu 
eliminieren,  nimmt  er  fehlerhafte  Transscription  im  4.  Jahrhundert  v.  Chr. 
an.  Ja,  wenn  die  Sache  umgekehrt  läge,  wenn  z.  B.  statt  \tdiaa  die 
attische  Form  Moücra,  statt  (paewog  die  Form  paeivos  eingeschlichen 
wäre!  aber  Führer  verlangt  von  uns,  wir  sollen  an  den  Leichtsinn  will- 
kürlicher Dialektmischung  seitens  des  4.  Jahrhunderts  glauben,  ohne 
dafs  sich  ein  direkter  Beweis  dafür  fuhren  läfst.  Überdies  kommt  der 
Verfasser  doch  nicht  ganz  von  der  »Mischung«  der  Dialekte  frei,  da  er 
zugeben  mnfs,  dafs  neben  einem  epischen  Grundstock  der  böo tische  In- 
dividualismus vertreten  sei  Er  sucht  allerdings  dafür  einen  reinlichen 
Ausdruck,  indessen  eine  »Mischunga  in  etwelchem  Sinuc  bleibl  es  den- 
noch. Nur  soll  man  freilich  Mischung  nicht  so  verstehen,  als  hätte  sich 
Pindar  auf  seine  Studierstube  hingesetzt  und  mit  mehr  oder  weniger 
Konsequenz  bunte  Farben  geborgt;  aber  wie  heutzutage  von  einem  (um- 
bildeten die  möglichste  Überwindung  der  immerhin  geringeren  dialekti- 


20  Pindar:    Dialekt,  Metrik 

sehen  Eigenheiten  erwartet  wird,  so  mufste  (aber  in  höherem,  künst- 
lerischem Sinne)  dem  in  Griechenland  vielgereisten  Dichter  daran  ge- 
legen sein  eine  für  seine  Stoffe  und  Rhythmen  geeignete,  den  Hörern 
willkommene  »Tonart«  des  Dialektes  auszubilden,  eine  poetische  Kunst- 
sprache, »assez  moderne  pour  eouvenir  a  des  poenies  de  eirconstance, 
assez  parfume  d'antiquite  pour  t^pondre  dignement  k  la  grandeur  ordi- 
naire  de  son  inspiration;  une  langue  qui  exprime  dans  une  parfaite  me- 
sure  ce  qu'il  y  a  d'actuel  dans  l'occasion  necessaire  de  ses  chants  et 
ce  qu'il  y  a  de  general,  d'impersonnel  dans  la  libre  coneeption  de  ses 
sujets«  (Croiset,  la  poesie  de  Pindare  S.  388). 

9)  Aug.  Heimer,  Studia  Pindarica.    Lundae  1885.    150  S.    4. 

Die  fleifsige  Arbeit  ist  von  Bräuning  in  der  Neuen  philol.  Rund- 
schau I  S.  177f,  von  F.  Hanssen  im  Philol.  Anzeiger  XVI  S.  202  204, 
eingehend  vom  Referenten  in  der  Berliner  philologischen  Wochenschrift 
V  S.  1477-1482  besprochen  (daselbst  S.  1478  Z.  18  ist  vor  »Elision« 
ausgefallen  »nach  einem   Vokale« ;  Zeile  15  v.  u.  lies  Xa%tnoav.  \ 

Die  gröfsere  Hälfte  der  Dissertation  bebandelt  das  Digamma  bei 
Pindar;  S.  89—117  wird  die  Position  (speziell  vor  muta  cum  liquida) 
besprochen;  endlich  folgen  kürzere  Erörterungen:  über  Diphthougver- 
kürzung  im  Inlaut,  über  doppelzeitigen  Gebrauch  von  a  i  u,  über  a  pri- 
vativum,  über  äolische  Verkürzung,  über  die  Endungen  -a  und  -ag 
in  Wörtern  auf  -sog,  über  die  Dativendung  -t,  über  oxytonierte  Ad- 
verbien auf  -  c,  über  den  Schlufs  daktylischer  Reihen,  über  v  paragogi- 
cum.  Dafs  man  über  die  Deutung  mancher  Einzelheit  mit  dem  Ver- 
fasser streiten  kann,  habe  ich  a.  0.  näher  ausgeführt;  Heimer's  Unter- 
suchungen sind  aber  in  der  That  höchst  dankenswert  und  bieten  eine 
treffliche  Basis  für  weitere  Studien. 

10)  C  Ritter,  De  Pindari  studio  nomina  variandi.  In:  Disser- 
tationes  philologicae  Argentoratenses  selectae  vol.  IX.  Argentorati, 
apud  Truebner.    1885.    S.  239—292.    8. 

Als  einen  Beitrag  zur  Erklärung  des  auffallenden  Reichtums  an 
Beiwörtern  und  Umschreibungen,  die  wir  in  den  pindarischen  Gedichten 
findeu,  sieht  Verfasser  die  von  ihm  zuerst  formulierte  »certa  lex«  an, 
dafs  Pindar,  »cum  diligentissime  caveret,  ne  intra  idem  strophae  anti- 
strophae  epodi  systema  eadem  vox  vel  dictio  repeteretur,  circumlocu- 
tiouibus  vel  epithetis  pro  nominibus  ipsis  plerumque  uti  maluit.«  Aus- 
geschlossen sind  natürlich  Wörter  wie  dvfjp,  rjxrijp,  tjxIq,  olög  u.  s.  w. 
Aber  der  Ort  des  Sieges  (ausgenommen  N  6,  12  und  20),  die  Heimat 
des  Siegers,  Götter  und  Heroen  (ausgenommen  Zeus,  die  Musen  und 
Chariten),  allerlei  Appellativa  wie  Gesang,  Flöte,  Sieg  u.  a.  werden 
obigem  »Gesetz«  gemäfs  mit  allerlei  Variationen  benannt.  Auffällige 
Wiederholung  von  Wörtern  findet  Verfasser  0  2,  30  und  37.  64  und  73. 


Pindar:    Grammatik.  27 

3,  23  und  32.  5,  10  und  13.  13,  29  und  36.  72  und  79.  P  1,  44  und  48. 
84  und  90.  2,  27  und  35.  3,  55  und  57.  6,  47  und  51.  N  10,  77  und  83. 
J  3,  18  und  19  und  23.  5,  25  und  28.  —  Höchst  wunderlich  ist  Ritters 
Bemerkung  zu  N  3,  37:  »nondura  satis  expositum  est,  quamobrem  Pin- 
darus  hoc  loco  non  Herculem,  sed  Jolaum  nominaverit.  Quod  nescio  an, 
sie  expediri  possit,  ut  loXaog  cognomen  Herculis  fuerit,  nisi  potius  Pin- 
darus  repetitionem  Herculis  norainis  aspernatus,  cum  alia  circumlocutio 
generalis  Aeaci  et  Pelei  interea  mentione  facta  perspicua  non  fuisset, 
pro  Hercule  substituisse  videbitur  Jolaum,  quippe  qui  perpetuus  illi 
comes  esset  et  in  eadem  cum  Hercule  ara  coleretur.« 

11)  Fr.  Roever,  Die  Übertragung  des  Adjektivs  bei  Pindar. 
Wissenschaftliche  Beilage  für  das  Progamm  des  Gymnasiums  zu  Stolp 
1886.    24  S.    8. 

bebandelt  eine  für  Pindars  poetische  Plastik  wichtige  Frage  verständig 
wenn  auch  kurz.  Es  handelt  sich  für  den  Verfasser  hauptsächlich  um 
eine  logische  Verarbeitung  des  Stoffes,  auch  läfst  er  die  lehrreiche  Ver- 
wendung des  Adjektivs  bei  Zusammensetzungen  aul'ser  Acht.  1)  Über- 
tragung des  Adjektivs  von  der  Sache  auf  das  Bild  und  umgekehrt, 
a)  J  7,  63.  N  8,  15.  fragm.  194,  1  (was  Roever  vom  Schlagen  des  Vor- 
spiels verstehen  will).  N  9,  50.  P  8,  98.  0  9,  LI.  N  8,  46  (wo  Roever 
Xdßpov  als  »stürmisch«  fafst  und  auf  den  Hymnus  bezieht).  0  6,  82. 
(»Indem  die  Gedanken  des  Dichters  in  Stymphalus  und  Theben  weilen, 
strömt  der  Gesang  zum  Lobe  dieser  Städte,  dessen  liebliche  Klänge  er 
mit  seinem  innern  Ohre  vernimmt,  wie  von  oben  gesandt  auf  ihn  ein 
und  zwingt  seinen  Mund,  der  bereitwillig  gehorcht,  die  Offenbarung  kund 
zu  thun  «)  PI,  86.  2,  62.  0  9,  47.  N  7,  51.  Ol,  109.  fragm.  191.  J.  7, 
17.  N  1,  15.  P3,  80.  —  b)  0  9,  21.  fragm.  205.  fragm.  123,  2  5. 
(fxeXaQ  versteht  Roever  von  dem  nicht  glühenden  Eisen.)  Beide  Arten 
in  J  4,  44f.  vereinigt.  —  2)  Vom  umschriebenen  Substantiv  auf  das 
Hinschreibende:  N  7,  81.  0  7.  92.  J  7,  54.  fragm.  29,  !  P9,  86.  J  3,  53. 
N3,  38.  J  7.  47.  P  l,  72.  N  3,  60.  0  14,  12.  fragm  123,  9.  N  5,  20.  3, 
59.  P4,  194.  l,  10.  Ol,  48.  N  10,  36.  J.  3,  23.  N  3,  25  Vollendung 
des  Zuges«).  P  4,  206.  12,  3.  —  3)  Von  einer  Person  oder  Sache  auf 
einen  Zustand  oder  einen  Teil  derselben  oder  überhaupt  auf  etwas,  was 
zu  derselben  in  Daher  Beziehung  steht  ai  Epitheta  von  Personen  a)  auf 
Zustände  derselben  übertragen:  P  2,  55.  .1  :>.  15.  P 9,  92,  J  2,  13.  x 
29.  0  6,  60.  PK),  36.  ß)  auf  Körperteile:  <>;.  1.  I'  1.  11.  .17.  46. 
0  6.  66.  8.  IM,  98.  121.  fragm.  177.  1  P  4,  244  N  -  13  10,  17  PS, 
15.  y)  auf  Handlungen:  Nl,  IC  .17.  26  N5,  1'.'  J  5,  27.  0  12,  I 
P8,  26.  J  1,  20.  P  1 1,  49.  02,  18.  fragm.  19  013,  19.  5,  3.  1'  1.  18. 
202  fragm.  208,  2.  N3  56.  1".'.  18.  8,  37.  10,  20.  N  4,  57  8)  auf 
Werkzeuge:     P  4,  91.  NC,  52.   9,    1.   IM.   162.  0  LO,   E  ihofs  des 

Feuer8chwiDgers<     s)  auf  Örtlichkeiten:  \;    9<  .'7,  20.08,  20    P9,4. 


2g  Pimlar:    Chronologie  der  Gedichte. 

11,  9.  (0  6,  85.  fragm.  195,  ähnlich  J  6,  3.)  Ol,  10.  N  4,  24.  P  9, 
83.  N  1,  1.  fragm.  51.  P  11,  6.  3,  32.  C)  auf  die  Zeit:  N  8,  31.  0  13, 
37.  N6,  40.  —  b)  Epitheta  von  Sachen:  0  13,  39.  7,  90.  J  3,  36.  N  10, 
22.  0  6,  91.  —  4)  Adjektiva  pro  adverbio,  auf  einen  casus  obliquus 
übertragen,  a)  Ortsbestimmung  P  5,  63.  b)  Zeit:  P  9,  46.  fragm.  127,2. 
N3,  32  (»in  alter  Zeit«,  vor  Telamon  und  Achilles).  Nil,  8.  6,  6. 
c)  Art  und  Weise:  0  2,  66.  1,  82.  P  4,  186.  6,  48.  Ol,  12  (»regiert 
gerecht«).  2,  32.  Pl,  86.  0  6,  93.  N  4,  55.  0  10,  4.  N  6,  57.  5,  39. 
0  9,  91.  N3,  51.  N7,  72.  1,  42.  fragm.  162.  P  1,  83.  9,  114.  11,  47. 
6,  19.  1,  71.  N  10,  6.  fragm.  163.  —  5)  Von  Ursache  auf  Wirkung  und 
umgekehrt:  N  8,  40.  P  4,  81.  10,  48.  J  3,  48.  fragm.  122.  —Ol,  68. 
27.  P  4,  214.  Eine  dankenswerte  Sammlung,  die  zu  eingehenderen  Er- 
örterungen Anlafs  geben  kann;  nur  wird  dann  das  logisch-grammatische 
Moment  etwas  zurücktreten  müssen  vor  den  poetisch-ästhetischen  Motiven. 

12)  Blafs,   Kleine  Beiträge  zur  griechischen  Metrik    (Jahrb.  für 
kl.  Philol.  133  S.  451  ff.) 

geht  unter  IV  auf  die  Daktyloepitriteu  Pindars  ein.  Ich  kaun  ihm  nicht 
zustimmen,    überlasse  aber  das  Nähere   dem  Referenten  über  »Metrik.« 

III.  Handschriften,  Scholien,  Chronologie  der  Gedichte. 

13)  L.  Schmidt,  Quaestionis  de  Pindaricorum  carminum  chrono- 
logia  supplementum  alterum.   Ind.  lect.  aest.   Marburg.  1887.  X  S.   4. 

Der  Verfasser  greift  hauptsächlich  die  im  letzten  Jahresbericht 
No.  78  aufgestellten  Sätze  an.  Da  die  Frage  keineswegs  abgeschlossen 
ist  und  Referent  seinerseits  auf  eine  in  Vorbereitung  begriffene  ausführ- 
liche Behandlung  von  P8  und  11  im  Voraus  sich  bezogen  hat,  so  mag 
es  an  dieser  Stelle  ausreichen  auf  die  kurze  Inhaltsangabe  nebst  Gegen- 
bemerkungen zu  verweisen,  welche  Referent  im  Philolog.  Anzeiger  18, 
254  f.  gegeben  hat. 

IV.  Ausgaben  und  Beiträge. 

14)  Eclogae    poetarum    Graecorum,    scholarum    in    usum    comp. 
H.  Stadtmüller.    Ups.    1883.    8. 

enthält  S.  192—217  pindarische  Odeu.  Der  Herausgeber  schreibt  0  1, 
40  äpnaya.  Die  Priorität  kommt  ihm  zu  für  die  beiden  (im  vorigen  Be- 
richt erwähnten)  Vermutungen  0  1,  118  lotnuv  statt  rouzov  und  0  3,  25 
ns.pahz.iv  (oder  auch  ns.pa.aaC)  statt  nüpeuev.  Was  letztere  Stelle  betrifft, 
so  hätte  ich  deutlich  aussprechen  sollen,  dafs  gerade  hier  der  Begriff 
des  (transitiven!)  nopsuuj  durch  die  ähnlichen  Stellen  Ol,  77.  P  11,  21. 
N  7,  29  gesichert  erscheint;  das  erforderliche  Subjekt  bietet  die  hübsche 
Konjektur  von  M.  Schmidt  svttu/j.u;  öppd,  nur  dafs  wohl  der  Aorist  no- 


Pindar:    Ausgaben  und  Beiträge.  29 

fizua'  statt,  des  Imperfekts  zu  setzen  wäre  (vgl.  die  Varianten  zu  P  11, 
21).  Aus  der  von  Stadtmüller  angeführten  Stelle  P  10,  28  dagegen  läfst 
sich  der  intransitive  Gebrauch  von  nspatveev  nicht  beweisen.  —  P  l,  67 
versucht  Stadtmüller  ety  de  statt  aiel  öd,  wodurch  die  Schwierigkeit 
nicht  geringer  wird  als  wenn  man  Sog  ergänzt.  P  1,  77  ivsnwv  statt 
des  schwerlich  richtigen  ipecu  liegt  weit  ab  und  ist  meines  Erachtens 
ein  immerhin  recht  allgemeines  und  überflüssiges  Wort.  Ähnlich  Boeckh 
ipscuv.  P  7,  6  fügt  Stadtmüller  zu  den  vielen  Versuchen  den  eigenen: 
aaivujv.  Dann  sähe  ich  lieber  nauZatv.  N  1,  50  Bäaaov  für  thxxöw,  und 
J  5,  36  Setnvov  statt  der  Ergänzung  to'jtov  sind  beides  Vermutungen, 
denen  man  die  Verlegenheit  anmerkt.  J  5,  59  fiäxp'  iv  trotz  des  eben 
vorhergehenden  paxpov. 

15)  UivSdpoo  ~a  awZöpzva  perä  pzzacfpdazwv  a^/izcdxrzajv  xac 
m'vaxog  ru)V  tet-ztov  zig  röfioug  e'  bnb  h.  KXedvßo'jg.  Topog  a  .  'Ev 
Tepyia-r)  1886.    Xa    und  457  S.    8. 

Charakterisiert  von  Wäschke  in  der  Berliner  philol.  Wochenschrift 
1886,  28.  August.  Kann  in  Deutschland  füglich  unberücksichtigt  bleiben. 

16)  J.  H.  Heinrich  Schmidt,  Synonymik  der  griechischen 
Sprache.     Vierter  Band.    Leipzig  1886.    XIV  und  875  S.    8. 

Vorliegender  Schlufsband  des  verdienstlichen  Werkes  enthält  im 
Register  eine  geordnete  Übersicht  der  ca.  500  Pindarstellen,  welche  der 
Verfasser  in  den  vier  Bänden  erwähnt  oder  erörtert  hat,  ganz  abgesehen 
von  der  Behandlung  solcher  wichtiger  Synonyme,  die  zufällig  nicht  mit 
Pindarcitaten  belegt  sind.  Eingehender  behandelt  Schmidt  in  vorliegen- 
dem Bande  drei  Stellen.  0  5,  12  versteht  er  die  azpvol  ö^ztoc  nicht 
von  gegrabenen  Kanälen,  die  etwas  Selbständiges  für  sich  bilden,  son- 
dern von  den  vom  Flusse  selbst  gespendeten,  sich  ins  Land  ergiefsenden 
Wassermengen,  die  deshalb  sehr  wohl  den  Beinamen  azpWj;  verdienen. 
Ausführlicher  ist  die  Behandlung  von  0  6,  8.  Richtig  zeigt  Schmidt  die 
Unzulänglichkeit  der  bisherigen  Erklärungen;  aber  seiner  eigenen  Aus- 
legung kann  ich  nicht  zustimmen.  Schmidt  rindet  nemlioh  in  TteSiXov 
eine  Doppelbeziehung  (ganz  wie  zu  Ol,  12  im  vorigen  Jahresbericht 
S.  12),  Demiich  auf  das  musikalische  Gesetz  coli.  0  3,  5  und  auf  die 
Fittige  des  Gesanges.  Die  meines  Erachtens  vielmehr  naheliegende 
Deutung  »mit  der  Götter  Gunst  rüstest  du  dich  zu  deiner  Wanderschaft« 
wird,  wie  mir  scheint,  durchaus  bestätig!  durch  die  Gesamterklärung 
des  Gedichtes,  deren  Veröffentlichung  ich  bereits  angekündigt  habe. 
Endlich  N  7,  33  sucht  Schmidt  die  Deutung  »ein  äßpbg  /"'?«*%  der  den 
Toten  Genugthuung  verschafft«  durch  Verweisung  auf  einige  Stellen  in 
Rednern  zu  stützen,  erkennt  aber  selber  den  Unterschied  an.  Die  sup- 
ponierte  freie  Übertragung  des  ßoa&öog  ist  meines  Erachtens  nicht  er- 
weislich; mein   Versuch  ist   Piniol.  XLY   8.  604  vorgetragen. 


30  Pindar:    Beiträge.    Olympische  Oden. 

17)  Tyrrell,  Pindarica.     Im  Hermathena  XI  (1885)  S.  851     353. 
Der   Optativ  0  3,  45.  IM,  118.  10,  21    wird   wie  bei   Gildersleeve 

erklärt.  Ferner  N  9,  23  vöaxov  ipuacd/ievot  bei  Mezger,  zugleich  unter 
Bezugnahme  anf  Born.  IL  13,  859  neepap  inaXXd^avree  (?).  J  3,  54  wird 
statt  rajxu>v  vermutet  npa&atv  oder  ßaXutv  oder  nixujv  =  <fi/.(jy(v/(ij  dfupt' 
xoXtaats  N  8,  23.  Endlich  wird  J  5,  36  ergänzt  xüpyoeipl.)  [rerfitov] 
datvü/iswv  mit  epischer  Breite. 

18)  Ed.  Lübbert,  Commentatio  de  Pindari  poetae  et  Hieronis 
regis  aniicitiae  primordiis  et  progressu.  (Ind.  schol.  Sommer  1886.) 
Bonn,  Cohen  und  Sohn.    XXVII  S.    4. 

Des  Verfassers  Argumentation  in  der  ersten  Hälfte  dieser  Arbeit 
habe  ich  in  der  Neuen  philol.  Rundschau  1887  S.  146  etwa  folgender- 
mafsen  zusammeugefafst:  »Uafs  Pausanias  6,  9,  4  einen  Privatmann 
Gelon,  Deinomenes  Sohn,  sicli  ausgedacht  hat,  ist  allerdings  herzlich 
dumm;  grenzenlos  dumm  aber  wäre  dies,  wenn  er  in  seinen  litterarischen 
Hülfsmittelu  unter  derselben  Ol.  77  einen  Sieg  Hierons,  des  Sohns  des 
Deinomenes,  verzeichnet  gefunden  hätte:  also  hat  Hieron  nicht  Ol.  77  ge- 
siegt, vielmehr  ist  die  Ode  0  1  in  Ol.  76  zu  setzen.«  —  Die  zweite 
Hälfte  des  Programms  betrifft  die  Quellen  des  Pausanias  für  seine  An- 
gaben über  die  Sieger,  speziell  Kallimachos  und  Duris  nzfA  äya>va>v. 

19)  Ed.  Lübbert,  Originum  Eliacarum  capita  selecta.  (Index  lect. 
Sommer  1882.)    Bonn.    14  S.    4. 

Augias  ist  nach  dem  Verfasser  kein  heimischer  Heros  in  Elis; 
sondern  sein  Vater  Phorbas,  ein  Lapithe,  ist  aus  Thessalien  eingewan- 
dert. Ferner  die  Stadt  des  Augias  Oll,  38  ist  Ephyra,  identisch  mit 
Phyteon  oder  Phyteus,  dessen  Name  im  Scholion  z.  St.  herzustellen  ist. 
Die  Sage  vom  Kampf  des  Herkules  mit  Augias  stammt  aus  Ätolien, 
nemlich  vom  thesprotischen  Ephyra.  Den  Hyperboreermythus  in  0  3 
fafst  Lübbert  folgendermafsen  (siehe  auch  folgendes  Programm  S.  5): 
in  mediis  vitae  humanae  fiuctibus  et  procellis  nonnunquam  beatissima 
mirae  cujusdam  quietis  et  felicitatis  tempora  emicare,  quibus  Hyperbore- 
orum  beatitudiuem  pectus  nostrum  cum  summa  virium  ad  futura  certa- 
mina  recreatione  sentiat. 

20)  Ed.  Lübbert,  De  Pindari  carminum  quibus  Olympiae  origines 
canit  fontibus.     (Zum  22.  März  1882.)    Bonn.    19  S.    4. 

Eine  andere  Gestalt  der  Sage  als  die  im  vorigen  Programm  an- 
geführte stammt  vom  sikyonischen  Ephyra;  in  derselben  führt  Herkules 
von  Pheneos  aus  Tiryuthier  und  Kleonäer  ins  Feld.  Zu  Grunde  liegt 
nach  Lübbert  die  Thatsache  der  durch  den  Ladon  und  Alpheus  in  Elis 
angerichteten  Verheerungen.  -  Die  einschlägigen  Stellen  aus  Schrift- 
stellern werden  mit  sorgsamer  Gelehrsamkeit  beigebracht. 


Pindar.    Olympische  Oden.  31 

21)  Ed.  Lübbert,  Meletemata  in  Pindari  locos  de  Hieronis  regis 
sacerdotio  Cereali.  (Ind.  lect.  1886/87.)  Bonn,  Cohen  und  Sohn. 
XXIV  S.    4. 

Ausführliches  Referat  in  der  Wochenschr.  für  klass.  Philol.  III 
1415  von  Stengel,  der  »sich  nicht  entschliefsen  kann,  dem  kühnen, 
grofsenteils  auf  Hypothesen  gegründeten  Aufbau  des  Verfassers  Ver- 
trauen zu  schenken.« 

22)  Hegedüs  in  Egyetemes  phil.  közlöny  1886  N.  1  S.  57—63 
hat  eine  ungarische  Übersetzung  von  0  6  nebst  Einleitung  gegeben. 

23)  v.  Wilamowitz-Moellendorf,  'Idfiou  yovai  (4.  Excurs  zum 
neunten  Heft  der  philologischen  Untersuchungen  von  Kiefsling  und 
v.  Wilamowitz-Moellendorf.  Berlin  1886,  S.  162-185.) 

Nach  dem  Verfasser  hat  die  von  Pindar  in  0  6  verwertete  Jamos- 
sage  »exemplifikatorische  Bedeutung  für  die  Methode  richtiger  poetischer 
wie  historischer  Analyse.«  Sie  ist  für  ihn  ein  »Beispiel«  dafür,  dafs 
»die  Gcschlechtssage  noch  im  Jahrzehnt  nach  den  Perserkriegen  ein 
neues  Reis  hat  treiben  können,  und  dafs  nach  kaum  zehn  Jahren  ein 
Dichter  von  Pindars  Ernst  und  Pindars  Selbstgefühl  dieses  junge  Reis 
mit  derselben  Ehrfurcht  behandelt  hat  wie  die  urältesteu  Stammbäume.« 
Warum?  Es  finden  sich  allerlei  Anstöfse,  welche  nach  v.  Wilamowitz- 
Moellendorf  die  pindarische  Erzählung  als  Wiedererzähluug  charakteri- 
sieren: Die  Aao~p6<pog  rtfid,  die  Lage  von  Phaisana,  das  Hineinsteigen 
in  den  Alpheios,  die  Doublette  von  der  heimlichen  Geburt  bei  Mutter 
und  Tochter,  die  Unthätigkeit  Poseidons  für  seinen  Enkel,  das  Verhältnis 
der  Euadna  zum  Aipytos.  Da  ferner  der  Jamide  Teisameuos  erst  480 
das  spartanische  Bürgerrecht  erhielt,  so  ist  das  erste  Glied  der  pindari- 
schen  Genealogie  (Pitana -Euadna)  ein  »späterer  Flicken«,  eingeführt 
von  den  aufser spartanischen  Jamiden  in  Stymphalos,  um  ihr  Geschlecht 
mit  Sparta  zu  verknüpfen,  und  von  Pindar  468  in  0  6  verwertet,  um 
das  politische  Bekenntnis  einer  im  spartafeindlichen  Arkadien  vorhan- 
denen Gegenpartei  gutzuheifsen,  deren  Stamm  es  verwandter  Teisamenos 
das  spartanische  Heer  bei  Dipaia  zum  Siege  gegen  die  Arkader  gefühlt 
hatte.  Übrigens  von  politischen  Demonstrationen  in  Epinikien  halt  der 
Verfasser  selber  wenig,  und  über  die  Einsetzung  des  »Flickens«  ist 
unserseits  zu  bemerken,  dafs  die  Herleituug  des  Jamidengeschlechts  von 
Pitana  nicht  erst  mit  der  Bewerbung  um  das  spartani>che  Bürger- 
recht »erfunden«  zu  sein  braucht,  dafs  vielmehr  die  erste  Ansiedelung 
von  Jamiden  in  Sparta  jensei t  unserer  historischen  Überlieferung  liegt. 
Wir  können  also  diese  »poetisch- historische  Analyse«  nicht  billigen. 
Allerdings  hat  der  Verfasser  mit  Recht  auf  eine  Reihe  \on  auffallenden 
Wendungen  des  Ausdrucks  sowohl  als  der  Sagenerzählung  hingewiesen; 
(loch  glauben  wir  imstande  au  sein,  dieselben  durch  unsere  bereits  fertig- 


32  Pindar:    Pythische  Oden. 

gestellte  ausführliche  Behandlung  der  Ode  zu  erklären.  0.  Schröder 
freilich  (Wochenschrift  für  klass.  Philo!.  188G  8.  0(39)  ist  umgekehrt 
der  Meinung,    die  Analyse  des  Verl-  si   geeignet,    einer)    frischen 

Zug  in  «Im-  Pindarerklärung  zu  bringen.  -  Eine  poetische  Einheit  des 
Liedes  nachzuweisen  lag  nicht  in  des  Verfassers  Plan;  überhaupt  liegt 
für  ihn  »in  der  Situationsmalerei  vielmehr  als  in  dem  hochtönenden 
Schwalle  konventionellen  Redeschmuckes  das  Individuelle  der  pindari- 
schen  Poesie.« 

24)  Christ  im  Philologus  XLV  (1885)  S.   190f. 

will  0  13,  113  dttfiev  statt  ISejiev  setzen.  Das  ist  prosaischer  und 
schwächer:  die  vielen  Siege  sind  wie  ein  Meer,  über  welches  der  Blick 
nicht  reicht. 

25)  G.  Fraccaroli,  L'ode  Pitia  I.   di  Pindaro  dichiarata  e  tra- 
dotta.     Verona  1885.    56  S.    8. 

Über  die  Absicht  des  Verfassers  vgl.  vorigen  Jahresbericht  S.  109 
zu  P  10.  Ich  finde  die  berechtigten  Erwartungen  nicht  annähernd  be- 
friedigt. Fraccaroli  hält  nichts  von  dem  Bestreben,  jede  pindarische 
Ode  auf  eine  »allgemeine  Formel«  zurückzuführen.  Einverstanden;  aber 
eine  poetische  Einheit  verlangen  wir  dennoch,  und  die  weist  Fraccaroli 
nicht  nach.  Vielmehr  erhalten  wir  eine  Disposition  vom  Standpunkt  der 
Nomostheorie,  ähnlich  wie  bei  Mezger;  daneben  Bemerkungen  über  die 
Sprache  der  Ode  im  Vergleich  zu  Äschylus'  Ätneerinnen,  Erörterungen 
über  die  historischen  Verhältnisse,  aus  denen  die  Annahme  hervorzu- 
heben sein  dürfte,  dafs  Chromios  der  Vorgänger  des  Deinomeues  ge- 
wesen sei,  endlich  eine,  wie  mich  dünkt,  nicht  ungeschickte  freie  Über- 
setzung in  15  elfzeiligen  Strophen.  Ausführlich  ist  der  Verfasser  hin- 
sichtlich vs.  50 f.;  er  will  das  vov  ye  fidv  nicht  zeitlich,  sondern  anti- 
thetisch fassen.  Referent  denkt  bei  icrrpa—ufry  an  keinen  Krieg  des 
Hieron,  sondern  an  den  besungenen  pythischen  Wagenkampf.  —  Noch 
kürzer  ist  die  folgende  Abhandlung  desselben  Verfassers  No.  27. 

26)  Hegedüs  in  Erdelyi  Muzeum  sect.  philol.  I  Lief.  3 
giebt  eine  ungarische  Übersetzung  von  P  IV. 

27)  G.  ;Fraccaroli,   L'ode  Pitia  XI.  di  Pindaro.     Verona  1886. 
(Estratto  dal  Giornale  »La  Ronda«).    36  S.    8. 

Erörterungen  S.  5—29,  Übersetzung  S.  33 — 36.  Verfasser  meint 
aus  vs.  14  schliefsen  zu  sollen,  dafs  Thrasydäus  noch  im  väterlichen 
Hause  gelebt  habe,  und  sieht  vs.  49  den  Vater  als  pythischen  Sieger 
an.  Auch  Referent  vertritt  die  Datierung  in  die  28.  Pythiade,  uimmt 
aber  an,  dafs  der  Vater  des  Siegers  längst  tot  war,  und  findet  dessen 
beide  Siege  vs.  46 f.  angegeben,  wo  allerdings  die  Änderung  iv  "Apye'i 
statt  iv  äppaat  vorzunehmen   sein  dürfte,  während   das   handschriftliche 


Pindar:  Neraeische  und  isthmische  Oden.    Fragmente.  33 

'OXufim'q  r'  besteheu  bleibt.  Wieder  folgt  bei  Fraccaroli  die  Disposition 
wie  bei  Mezger  nacb  den  ferree  norme  deila  poetica  d.  h.  nach  der 
Nomostheorie.  Länger  verweilt  er  bei  vs.  29  f.,  ohne  zur  überzeugenden 
Klarheit  zu  kommen,  und  endlich  folgen  auch  liier  einzelne  sprachliche 
Parallelen  aus  Äschylus'  Agamemnon. 

28)  Bury,  Emendations.     Im  Hermathena  XI.   1885  S.  267 
will  N  6,   18  nach  npürog  ergänzen  zvorrazv. 

29)  Bornemanu,   Pindar'ö  siebente    nemeische   Ode    ein   Sieger- 
totenlied.    (Philologus  XLV  S.  596—613.) 

Dies  ist  die  im  vorigen  Bericht  in  Aussicht  gestellte  Auslegung, 
die  allerdings  von  der  traditionellen  Richtung  der  Exegese  völlig  ab- 
weicht. Supponiert  ist  folgende  Situation:  Sogenes,  Sieger  im  nemei- 
schen  Knabenfünfkampfe,  ist  vom  Sonnenstich  tötlich  getroffen  und  im 
Herakleion  seiner  Heimat  Ägina  beigesetzt.  Das  ganze  Lied  ist  ein 
imtxydseov  Auf  dieser  Grundlage  wird  das  Gedicht  analysiert,  eine 
grofse  Anzahl  von  Stellen  rinden  eine  neue  kritische  und  exegetische 
Behandlung.  Sic  hier  zu  wiederholen  halte  ich  nicht  für  angebracht: 
durch  ähnliche  Behandlung  von  0  6,  P8  und  P  11  hoffe  ich  weitere  Be- 
lege für  die  von  mir  vertretenen  Grundsätze  vorzuli 

30)  Herbst   in  der  Rezension   von    Breusing,   Nautik    der  Alten, 
Berl.  philol.  Wochenschrift  1886  8.  813. 

J  2,  40  ist  von  Breusing  erklärt:  »Lief-  nicht  den  Vorhang  eine 
Scheidewand  um  seinen  gastlichen  Tisch  fallen.«  Herbst,  der  den  Aus- 
druck des  Dichters  »etwas  schwülstig«!  nennt,  will  tibersetzen:  »Zog  nie- 
mals in  bezug  auf  seinen  gastlichen  Tisch  die  Segel  ein.« 

31)  0.  Keller,  Zu  Isthm.  4,  80  (3,  65). 

Da  selbst  die  beste  der  bisherigen  Erklärungen,  die  von  Thiersch, 
nicht  genügt,  schreibt  Keiler  dvaniTvajisvou.  Erwähnt  wird  eine  Notiz 
Tschudi'e  über  einen  Kampf  zwischen  Steinadler  und  Fuchs. 

32)  Ed.  Lübbert,  Zu  Pindars  Hypot-cheraa.    Rheinisches  Museum 

XLI,   468  f. 

liest  fr.  105,  3  orpoLTw  (mil  kleinem  Anfangsbuchstaben  und  absichtlich 
als    Paroxytonon) :  »er  isl  ausgeschlossen  von  den  Stammesabteilungen.« 

Nachtrag  zu  No.  2  und  3;  Beide  Arbeiten  Lübberts  bat 
0.  Crusius  einer  sehr  au  fuhrlichen,  leilv  mmeuden  Besprechung 

unterzogen  in  der  Wochen  chrifl  für  klass.  Philol.  IV.   1380  -1395. 


rieht  füi   Alterthumswissenschaft  L.  i'HS7    I  1 


Bericht   über    die    in   den   Jahren   1881  — 1886 

erschienenen    auf    die    nacharistotelische 

Philosophie  bezüglichen  Schriften. 

Von 

Prof.  Dr.  M.  Heinz e 

in  Leipzig. 


Von  allgemeineren  Werken,  welche  die  ganze  Geschichte  der 
griechischen  Philosophie  behandeln,  ist  hier  vor  allem  zu  erwähnen  die 
Philosophie  der  Griechen  in  ihrer  geschichtlichen  Entwicklung  von 
Ed.  Zeller,  3.  Th.,  1.  Abtheil.,  3.  Aufl.,  Leipzig  1880,  und  3.  Th., 
2.  Abtheil.,  3.  Aufl.,  Leipzig  1881,  welche  beiden  Abtheilungen  zusam- 
men die  nacharistotelische  Philosophie  umfasseu.  Dass  eine  neue  Auf- 
lage auch  dieser  Bände  verhältnissmässig  sehr  zeitig  nöthig  war,  spricht 
für  die  ohnedies  schon  allgemein  anerkannte  Vortref'flichkeit  des  Werkes, 
da  ohne  die  grossen  Vorzüge  desselben  das  Bedürfniss  gerade  nach  den 
beiden  letzten  Bänden  sich  nicht  so  fühlbar  gemacht  haben  würde.  Der 
Zusätze  und  Veränderungen  giebt  es  in  dieser  letzten  Auflage  viele  — 
jeder  der  beiden  Bände  hat  um  ungefähr  80  Seiten  zugenommen  —  ; 
dieselben  sind  namentlich  zu  bemerken  in  den  Abschnitten,  welche  die 
Epikureer,  die  spätere  Skepsis,  die  Vorgänger  des  Neuplatonismus  und 
die  jüngeren  Neuplatoniker  behandeln.  Dass  Zeller  bei  seiuer  überall 
bewährten  Genauigkeit  im  Arbeiten  alle  Monographien  und  Abhandlungen, 
die  Themata  aus  der  nacharistotelischen  Philosophie  zum  Gegenstände 
haben,  benutzt  und  durchweg  in  streitigen  Fragen  mit  sicherem  Blick 
und  ruhigem  Urtheil  die  Entscheidung  giebt,  braucht  kaum  erwähnt  zu 
werden.  Wesentlich  erleichtert  ist  der  Gebrauch  des  Werkes  durch  das 
im  Jahre  1882  erschienene  Register,  in  welchem  wir  zuerst  ein  alpha- 
betisches Verzeichniss  der  in  dem  Werke  benutzten  Quellenschriftsteller, 
hierauf  ein  Verzeichniss  der  Stellen  aller  Autoren  ,  die  von  Zeller  er- 
läutert oder  emendiert  werden,  und  dann  das  sehr  genau  gearbeitete 
Namen-  und  Sachregister  finden. 

Auch  bei  Ausländern  erfährt  das  Werk  die  vollste  Anerkennung, 
wie  die  Uebersetzungen  in  das  Englische  von  Costelloe  und  F.  Alleyne, 
in  das  Französische  von  E.  Boutroux  und  M.  Belot  zeigen. 


Ueberweg-Heiuze.  Grundr.  d.  Gesch.  d.  Philosophie.  35 

Eine  kürzere  Darstellung  der  griechischen  Philosophie  ist  von 
Ed.  Zeller  als  Grundriss  der  Geschichte  der  griechischen  Philosophie, 
Leipzig  1883  und  in  zweiter  Auflage  fast  ganz  unverändert  schon  1886 
erschienen.  Die  uacharistotelische  Philosophie  ist  darin  auf  S.  197  bis 
310  behandelt,  also  nicht  zu  kurz  gekommen.  Das  Buch  ist  namentlich 
für  Studierende  bestimmt,  um  diesen  die  Vorbereitung  für  die  Vor- 
lesungen zu  erleichtern  uud  das  Nachschreiben  zu  ersparen.  Es  erfüllt 
in  seiner  übersichtlichen  uud  musterhaft  klaren  Darstellung  seinen  Zweck 
in  vollem  Maasse  und  ist  auf  das  wärmste  zu  empfehlen.  Hier  uud  da 
giebt  es  für  Anfänger  zu  viel  Namen.  In  das  Englische  ist  es  schon 
übersetzt  von  Sarah  A Heyne  und  Eveline  Abbott,  in  das  Russische 
ist  es  ebenfalls  schou  übertragen. 

In  dritter  Auflage  ist  erschieneu  und  wie  die  zweite  vou  Karl 
Köstlin  herausgegeben  die  Geschichte  der  griechischen  Philosophie 
von  Albert  Schwegler,  Freiburg  i.  ßr.  u.  Tübingeu  1882.  Das  Buch 
ist  zum  Theil  vortrefflich,  namentlich  in  den  Partien  über  Platou  und  Ari- 
stoteles. Die  nacharistotelischc  Philosophie  ist  in  einigen  Tueilen  stief- 
mütterlich behandelt.  So  werden  schon  die  späteren  Stoiker  und  der 
Stoicismus  bei  deu  Römern  wenig  berücksichtigt,  und  noch  schlechter 
kommt  die  mittlere  und  die  neuere  Akademie  weg.  Gar  nicht  erwähnt 
habe  ich  gefunden  die  Reihe  der  eklektischen  Platoniker,  sogar  Philon 
ist  nur  einmal  genannt.  Für  eine  neue  Ausgabe  wäre  mehr  Gleichmäßig- 
keit, so  dass  auch  die  späteren  Philosophen  zur  Geltung  kämen,  sehr 
erwünscht.  Bedauerlich  ist  es,  dass  dem  verdienstlichen  Buche  ein 
Namenregister  fehlt. 

Friedr.  Ueberwegs  Grundriss  der  Geschichte  der  Philosophie, 
Bd.  1,  das  Alterthum,  habe  ich  Berlin  1886  in  siebenter,  und  Bd.  2,  die  mitt- 
lere oder  die  patristiscbe  und  seh  ilastische  Zeit.  Berlin  1881  in  sechster  und 
1886  in  siebenter  Aufl.  neu  bearbeitet  berausgegi  ben.  Zahlreiche  Verände- 
rungen und  Zusätze  unterscheiden  die  neuen  Auflagen  von  der  früheren, 
wenn  auch  die  Anlage  des  Ganzen  gewahrt  worden  ist.  Bei  der  pat ri- 
stischen Philosophie  habe  ich  es  mir  angelegen  sein  lassen,  den  Zusam- 
menhang mit  der  alten  Philosophie  noch  mehr,  als  dies  in  älteren  Aus- 
gaben geschehen  war,  hervorzuheben.  Die  objeelive,  möglichst  auf  den 
Quellen  ruhende,  alle  neuen  Forschungen,  soweit  es  angemessen  ist, 
benutzende  Darstellung,  verbunden  mit  der  Angabe  der  ganzen  neu  er- 
schienenen Litteratur,  sind  Eigenschaften  des  Werkes,  die  dasselbe  trotz 
mancher  Angriffe  und  trotz  der  Btarken  Goncurrenz,  die  dem  ersten  und 
dritten  Bande  gemacht  worden  ist,  in  der  Schätzung  und  Benutzung 
seitens  der  studierenden  Jugend  äowie  weiterer  Kreise  noch  nicht  haben 
sink«  n  lassen      Bemerkt  sei  hier,  dass  für  die  An!  lie  Litteratur- 

angaben  keineswegs  in  dem  Maasse   verwirrend  sind,    wi<    von  einigen 
Seiten  behauptet  worden   ist,    da   icl  ,  sverthesten    Werke 

durch  gesperrten  Druck  vor  den  übrigen  bemerkli«  ibe. 

• 


36  Benn,  The  Greeh  plulosopliera. 

Berichtet  sei  ferner,  dass  von  Alfred  Weber,  Histoire  de  la 
Philosophie  Europeenne,  die  dritte  Auflage,  Paria  1883,  ebenso  von 
Alfred  Fouillee,  Histoire  de  la  pbilosophie,  die  dritte  Auflage,  Paris 
1882  erschiene!]  ist,  sowie  dass  die  griechischen  Pbilosophinneo  eine 
besondere  Darstellung  und  Würdigung,  aber  in  einer  Form,  die  kaum 
auf  wissenschaftlichen  Werth  Anspruch  macht,  erfahren  haben  von  J.  C. 
Poestion,  Norden  1882. 

Ein  neues  ausführliches  Werk  über  griechische  Philosophie  ist 
erschienen : 

The  Greek  philosophers   by  AI  fr.   Will.   Benn  in    two   volumes, 
London  1882. 

Uns  geht  hier  der  zweite  Band  näher  an,  welcher  in  fünf  Capiteln 
auf  362  Seiten  behandelt  the  Stoics,  Epicurus  and  Lucretius,  the  Sceptics 
and  Eclectics:  Greek  philosophy  in  Rome,  the  religious  revival,  the 
spiritualisme  of  Plotinus.  Der  Zweck  bei  der  Abfassung  des  Buches 
war,  wie  der  Verfasser  sich  äussert:  to  exhibit  the  prineipal  ideas  of 
Greek  philosophy  in  the  dosest  possible  connexion  with  the  characters 
of  their  authors,  with  each  other,  with  their  developmeuts  in  modern 
speculation,  with  the  parallel  tendeucies  of  literature  and  art,  with  the 
history  of  religion,  of  physical  science  and  of  civilisation  as  a  whole. 
Es  geht  hieraus  schon  hervor,  dass  wir  es  hier  nicht  sowohl  mit  einer 
genaueren,  etwa  auf  neuer  Durchforschung  der  Quellen  beruhenden  Dar- 
stellung zu  thun  haben,  als  vielmehr  mit,  Reflexionen  über  die  Philo- 
sophen, die  allerdings  vielfach  zutreffend  und  geistvoll  sind,  so  dass 
kein  Liebhaber  der  griechischen  Philosophie  das  Buch  aus  der  Hand 
legen  wird,  ohne  Anregungen  empfangen  zu  haben. 

Besonders  bemerkenswert!!  ist  das  letzte  Capitel  des  zweiten  Bandes: 
Greek  philosophy  and  modern  thought,  das  in  der  philosophischen  Zeit- 
schrift Mind  schon  vorher  erschienen  war,  wie  auch  die  meisten  der 
übrigen  Capitel  schon  in  der  Westminster  Review'  veröffentlicht  worden 
waren.  Es  wird  ja  oft  genug,  freilich  meist,  von  Unwissenden,  die  antike 
Philosophie  missachtet,  als  sei  sie  vollständig  überwunden.  Nun  Benn 
macht  den  Versuch  und  nicht  ohne  Erfolg,  nachzuweisen,  wie  sehr  sich 
die  neuere  Philosophie  noch  von  der  alten  nährt;  wie  sich  in  den  neue- 
ren Systemen  nicht  nur  platonische  und  aristotelische  Gedanken  finden, 
sondern  auch  stoische  und  epikureische.  Er  zieht  sogar  eine  Parallele 
zwischen  der  neueren  Akademie  und  Locke.  Vielfach  hätte  er  noch 
nähere  Berührungen  hervorheben  können,  z.  B.  zwischen  den  Stoikern, 
Locke  und  Spinoza. 

Die  Schriften  von  R.  Bobba,  Saggio  sulla  filosofia  greco-romana, 
Torino  1881,  von  Jos.  B.  Mayor,  A  sketch  of  ancieut  philosophy  from 
Thaies  to  Cicero,  Cambridge  1881,  sind  nicht  iu  meine  Hände  ge- 
kommen. 


Mullach,  Fragmenta  philosophorum  Graecorum.  37 

Eine  Fortsetzung  hat  ein  trotz  seiner  sehr  grossen  Mängel  viel 
gebrauchtes  Werk  erfahren,  nämlich:  Fragmenta  philosophorum  Grae- 
corum collegit,  recensuit,  vertit  etc.  Fr.  Guil.  Aug.  Mullachius,  von 
dem  Paris  1881  Volumen  III  erschienen  ist,  Platonicos  et  Peripateticos 
continens.  Freilich  sagt  diese  Inhaltsangabe  viel  zu  viel,  da  nicht  alle 
Platoniker,  von  denen  wir  Fragmeute  oder  kleine  Schriften  besitzen, 
aufgenommen  sind,  noch  weniger  sämmtliche  Peripatetiker.  So  fehlt  von 
den  ersteren  Herakleides  Pontikos,  Eudoxos,  aus  späterer  Zeit  der  lüyog 
ScdaaxaÄcxog  tojv  TlXariuvog  öof/iärcov,  der  jetzt  nach  Freudenthals  Unter- 
suchungen mit  Sicherheit  dem  Albinos  an  Stelle  eines  unbekannten  Al- 
kinoos  zugeschrieben  wird,  während  die  elaaywyij  des  Albinos  abgedruckt 
ist.  Von  den  Peripatetikern  finden  sich  in  dem  Bande  überhaupt  nur 
Aristokles,  Eudemos  der  Rhodier,  Andronikos  der  Rhodier,  vermisst  wer- 
den Straton,  Hieronymos  u.  a. 

Etwas  wunderlich  ist  die  Reihenfolge,  in  der  Platoniker  und  Ari- 
stoteliker  aufgeführt  werden.  Der  Band  beginnt  mit  Eusebios  Myndios 
mit  Albinos  und  Sallustius,  von  denen  der  erste  und  der  letzte  schon 
den  späteren  Neuplatonikeru  angehören.  Hierauf  findet  sich  eine  Ab- 
handlung de  Piatone  eiusque  discipulis  et  successoribus;  dann  folgen 
nach  einander  die  Fragmente  des  Speusippos,  Xenokrates,  Krantor, 
Numenios,  Attikos  und  Severus  mit  Einleitungen,  unter  denen  als 
nicht  unbrauchbar  hervorzuheben  sind  die  zu  Speusippos  und  Xeno- 
krates. Von  den  Aristotelikern  wird  zuerst  Aristokles  gebracht,  und  das 
Ganze  schliesst  Andronikos  aus  Rhodos,  nachdem  eine  Abhandlung  de 
Aristotele  eiusque  discipulis  et  successoribus  noch  eingeschoben  ist. 
Ein  Princip  für  die  ganze  Anordnung  ist  nicht  zu  erkennen.  Vollstän- 
digkeit der  Fragmente  ist  ebensowenig  in  diesem  wie  in  den  früheren 
Bänden  erzielt,  und  die  kritische  Behandlung  des  Textes  lässt  nur  zu 
viel  zu  wünschen  übrig.  Zwar  sind  kritische  Anmerkungen  hinzugefügt, 
und  der  Text  ist  häufig  verändert,  aber  die  Conjecturen  können  sehr 
selten  als  Verbesserungen  gelten. 

Sicherlich  mehr  zur  Füllung  des  Bandes  als  aus  einem  gefühlten 
Bedürfniss  ist  die  dem  Andronikos  aus  Rhodos  von  Heinsius  zugeschrie- 
bene Paraphrase  der  Nikomachischen  Ethik  abgedruckt.  Sie  nimmt  bei- 
nahe die  Hälfte  de-,  Bandes  ein,  und  doch  ist  es  ziemlich  sicher,  d 
sie  den  Andronikos  uicht  /um  Verfasser  hat.  Wenigstens  schreibt  sie 
die  Pariser  Handschrift  dem  Heliodoros  von  Prusa  zu,  die  Wiener  bat 
keinen  Namen  des  Autors,  und  die  Bodleiana  nennt  als  Verfasser  Olym- 
piodoros.  Mullach  freilich  meint  betreffs  der  Autorschaft  des  Androni- 
kos: Unus  Salmasius  rem  in  controversiam  voeavit.  l  rwähnen  will 
ich  hier,  dass  diese  Paraphrase  zusammen  mit  der  aristotelischen  Ethik 
ins  Englische  von  Walter  M.  Hat  eh  übersetzt,  und  diese  Heber- 
tragung    London    l ö 7 1>    herausgegeben    worden    ist.  Zuletzt   ist   bei 

Mullach    noch  der  bekannte   libellus  nepl  ta&iuv.   der  auch  «Ich  Namen 


38  Siebeck,  Geschichte  der  Psychologie. 

des  Andronikoa  als  Verfasser  trägt,  zum  Abdruck  gekommen,  über  dessen 
Autor  sich  Mullach  nicht  ausspricht.  Kritische  Sorgfalt,  die  sehr  nöthig 
war,  ist  auch  diesem  Schriftchen  vom  dem  Herausgeber  nicht  zu  Theil 
geworden.  Ueber  eine  neue  Ausgabe  desselben  von  Kreuttner  und 
Schucbhardt,  siehe  weiter  unten. 

Nicht  unerwähnt  darf  hier  bleiben  die  vortreffliche  Ausgabe  der 
sogenannten  Eklogen  des  Joannes  Stobaios  von  Curt  Wachsmuth 
unter  dem  Titel  Ioannis  Stobaei  Anthologii  libri  duo  priores  qui  inscribi 
solent  eclogae  physicae  et  ethicae,  vol.  I  und  II,  Berolini  1884.  Es 
sticht  diese  Edition  auf  das  vorteilhafteste  gegen  die  früheren,  auch 
die  von  Meineke,  ab,  was  wesentlich  daher  rührt,  dass  Wachsmuth  erst 
festgestellt  hat,  welches  die  vorzüglichsten  Handschriften  sind.  Aucb 
hat  derselbe  sehr  viele  wirkliche  Verbesserungen,  theils  eigene,  theils 
fremde  in  den  Text  aufgenommen.  Auf  Einzelnes  hier  einzugehen,  ist 
nicht  meine  Aufgabe,  nur  hervorheben  will  ich  noch,  dass  sich  am 
Schlüsse  drei  sehr  werthvolle  Indices  finden,  durch  welche  die  Forschung 
auf  dem  Gebiete  der  alten  Philosophie  wesentlich  erleichtert  wird:  l  ein 
Index  auetorum,  2.  philosophorum,  quorum  placita  enanantur,  und  3.  re- 
rum  a  philosophis  traetatarum.  In  dem  letzten  sind  zugleich  die  ein- 
zelnen Philosophen  und  Schulen  angegeben,  von  welchen  die  Ausdrücke 
gebraucht  werden. 

Von  geschichtlichen  Darstellungen ,  die  einzelne  Disciplinen  der 
Philosophie  behandeln,  muss  hier  genannt  werden: 

Geschichte  der  Psychologie  von  Herrn.  Siebeck.  Prof.  d.  Philos. 
an  der  Univ.  Giessen,  I.  Theil,  1.  Abth.  die  Psychologie  vor  Aristoteles, 
2.  Abth.  die  Psychologie  von  Aristoteles  bis  zu  Thomas  von  Aquino, 
Gotha  1880,   1884.    284  und  531  S.    8. 

Uns  gehen  hier  von  der  zweiten  Abtheilung  die  Abschnitte  über 
die  monistisch-naturalistische  Psychologie  nach  Aristoteles,  über  die  spiri- 
tualistische  Reaction  gegen  den  Naturalismus  und  das  Capitel  über  die 
Patristik  an.  Es  theilen  diese  Partien  die  Vorzüge  des  ganzen  Werkes: 
Gründlichkeit  in  der  Forschung  und  Klarheit  der  Darstellung,  durch 
welche  letztere  auch  für  weitere  Kreise  das  Verständniss  des  Werkes 
möglich  wird.  Etwas  kurz  ist  die  Patristik  behandelt,  und  der  Ver- 
fasser zeigt  sich  hier  nicht  ebenso  zu  Hause  wie  auf  dem  Boden  der  alten 
Philosophie.  In  der  Geschichte  der  Psychologie  des  nacharistotelischen 
Zeitraums  sieht  Siebeck  als  einen  wesentlichen  Punkt  die  Wiederauf- 
nahme von  Versuchen ,  welche  durch  Piaton  und  Aristoteles  niederge- 
drückt worden  waren.  Sie  hätten  umso  eher,  meint  er,  wieder  aufkommen 
können,  als  sie  im  Stande  gewesen  seien,  auf  manche,  namentlich  durch 
Aristoteles  angeregte,  aber  noch  offene  Frage  Autwort  zu  geben.  Trotz 
des  bedeutenden  Einflusses  der  aristotelischen  Psychologie  trete  doch 
zu  Ausgang  der  griechischen  Cultur  der  Platonismus  mehr  iu  seiue 
Rechte,  indem  statt  des  empirisch -speculativen  Interesses   ein   ethisches 


Siebeck,  Geschichte  der  Psychologie.  39 

wieder  vorwalte,  und  statt  der  Frage  Dach  der  Erkenntniss  der  Seele 
die  nach  ihrer  Läuterung  die  Geister  beschäftige.  Die  exactere  psycho- 
logische Forschung  bleibe  in  der  späteren  Zeit  den  Medicinern  aus- 
schliesslicher überlassen,  wie  sich  schon  dadurch  kundgebe,  dass  die 
Lehre  vom  Pneuma  sich  in  der  Psychologie  mehr  entwickele.  Ohne 
Zweifel  spielt  die  Lehre  vom  Pneuma  eine  grosse  Rolle  in  diesem  Zeit- 
raum, aber  ob  dies  hauptsächlich  durch  die  Medieiner  bedingt  ist,  muss 
zweifelhaft  sein,  da  ?..  B.  in  der  Stoa  die  Lehre  vom  Pneuma  vom  all- 
gemein physischen  und  speciell  vom  psychologischen  Standpunkt  aus  in 
den  Vordergrund  tritt.  Uebrigens  ist  in  Siebecks  Werk  das  Capitel 
über  die  Lehre  vom  Lebensgeist  (Pneuma)  als  besonders  werthvoll  her- 
vorzuheben; der  Verf.  hatte  schon  vorher  einen  ausführlicheren  Aufsatz 
ȟber  die  Entwicklung  der  Lehre  vom  Geist  (Pneuma)  in  der  Wissenschaft 
des  Alterthums«  im  12.  Bande  der  Zeitschrift  für  Völkerpsychologie, 
1880,  S.  361 — 407  veröffentlicht.  Es  ist  von  grossem  Interesse  zu  ver- 
folgen, wie  sich  der  Begriff  des  Pneuma  mehr  und  mehr  vergeistigt,  bis 
schliesslich  alles  Materielle  ausgeschlossen  wird. 

In  dem  Abschnitt  über  die  spiritualistische  Reaction  gegen  den 
Naturalismus  ist  besonders  das  Capitel  »die  Herausbildung  des  Bewusst- 
seinsbegriffs«  von  Bedeutung,  das  in  weiterer  Ausführung  schon  im 
80.  Bande  der  Zeitschrift  für  Philosophie  und  philosophische  Kritik, 
1882,  S.  213-239  erschienen  war.  Es  wird  da  namentlich  betont,  wie 
der  Begriff  des  Bewusstseins  sich  bei  Plotin  mit  grosser  Schärfe  und 
Klarheit  herausgebildet  hat,  so  dass  nach  dieser  Seite  hin  den  Neu- 
platonikern  ein  wesentliches  Verdienst  zugesprochen  werden  muss,  wie 
überhaupt  diese  Philosophon  von  Siebeck  in  richtiger  Weise  gewürdigt 
werden.  Dass  derselbe  die  psychologischen  Ansichten  der  Mediciner, 
unter  denen  Galenos  hervortritt,  genauer  berücksichtigt  und  in  seine 
Darstellung  einflicht,  ist  ein  besonderer  Vorzug  seines  Werkes.  Ob  er 
Recht  gethan  hat,  die  Lehren  der  Stoiker  und  Epikureer  nebeneinander, 
untermischt  noch  mit  anderen  iu  behandeln,  ist  mir  zweifelhaft.  Es 
scheint  mir  dabei  die  ganze  stoische  Psychologie,  die  ja  einen  sehr 
breiten  Raum  einnahm,  nicht  recht  zu  selbständiger  Geltung  zu  kommen. 
Freilich  ist  bei  Siebecks  Behandlung  die  stoische  Lehre  besser  in  den 
grossen  Gang  der  Entwickelung  eingefügt.  Ausführliche  Beurtheilun- 
gen  dieses  Werkes  finden  sich  von  P.  Natorp  in  den  Philosophischen 
Monatsheften  1885,  S.  384— 396,  und  von  R.  Eueken  in  den  Göttinger 
gelehrten  Anzeigen   1884,  No.  5,  S.   172—182. 

An  die  besprochene  Arbeit  reiht  sich  würdig  an  die 
Geschichte  der  Ethik  von  Theob.  Ziegler.    i.  Abtli  :   Die  Ethik 
der  Griechen  und  Römer,  Bonn  1881;  2.  A.bth.:  Geschichte  der  christ- 
lichen Ethik,  Strassburg  1886.    342  und  593  S.    S. 

Der  erste  Band  ist  Ed.  Zeller  gewidmet  in  dankenswertster  Aner- 
kennung dessen,  dass  Huf  Zellers   Werk  diese   Darstellung  dej    antiken 


40  Zii  biebte  dei   Ethik. 

Ethik  vielfach  beruht.     Ich  habe  diese  Abtheilung  schon  in  der  Theo 
logiseben   Literatur  -  Ztg.   1882  No.  7  kurz  angezeigt,   und   ich  kann  das 
dort  ausgesprochene   ürtheil  hier  nur  wiederholen,    nämlich    dass    der  ^ 
Verfasser  das  Quellen material  gründlich  studiert  bat,  selbständig  in  der 
Auffassung  und  Beurtheilung  ist.  und  ich  seine  Darstellung  durch 

Klarheit  und  Knappheit  empfiehlt.  Gros  ere  Ausführlichkeit  wäre  in 
manchen  Partien  zu  wünschen  gewesen,  und  würde  dem  Autor  bei 
scinei'  Kenntnis«  der  Quellen  nicht  schwer  gefallen  sein,  aber  sie  war 
wohl  für  dvn  Zweck  des  Werkes  ausgeschlossen. 

Billigen  kann  ich  bei  der  Eintheilung  des  Stoffes  nicht,  dasa  erat 
hinter  Aristoteles  und  dem  Beilenismus  in  einem  Capitel  die  Kyrenaiker 
mit  den  Epikureern  zusammen  und  in  dem  nächsten  die  Kyniker  mit 
den  Stoikern  zusammen  behandelt  werden.  Hervorgehoben  sei  noch, 
dass  Ziegler  die  allgemeineren  Anschauungen  der  verschiedenen  Zeit- 
räume, die  ja  auf  die  Ausbildung  der  ethischen  Systeme  vielfach  stark 
eingewirkt  haben,  nicht  übergeht,  so  in  dem  Abschnitt  über  den  Helle- 
nismus und  in  dem  über  die  römische  Sitte  und  Sittenlehre.  Etwas  zu 
kurz  kommen  die  Neuplatoniker  weg,  die  ja  das  Ethische  häutig  in  den 
Mittelpunkt  ihrer  Betrachtung  treten  lassen  und  von  tiefem  und  nach- 
haltigem Einfiuss  auch  auf  gewisse  Richtungen  in  der  christlichen  Ethik 
gewesen  sind. 

Bei  der  Besprechung  der  eönd&stat  der  Stoiker  sieht  es  Ziegler 
als  Inconseqnenz  an,  dass  sie  deren  nur  drei  annahmen,  da  nicht  einzu- 
sehen sei,  warum  dem  Schmerz  nicht  auch  eine  vernünftige  Seelenstimmung 
zur  Seite  treten  solle,  was  Uebervveg-Heinze  bestreite.  Schon  Lac- 
tantius,  Div.  inst.  VI,  15  hatte  den  Stoikern  denselben  Vorwurf  gemacht. 
Nun  bei  Stobaios  heisst  es  Floril.  7,  21 :  dXyetv  jxkv  rbv  oo(fov,  jirj  ßouaa- 
vi&abai  de,  und  den  Grund,  warum  der  Weise  nicht  in  einen  dem 
Schmerz  entsprechenden  vernünftigen  Affekt  geratheu  kann,  giebt  meiner 
Ansicht  nach  schon  Augustinus,  de  civit.  Dei  XIV,  8  richtig  au:  Ac 
per  hoc  possunt  Stoici  pro  suis  partibus  respondere,  ad  hoc  videri  utilera 
esse  tristitiam,  ut  peccasse  poeniteat;  in  animo  autem  sapientis  ideo  esse 
non  posse,  quia  nee  peccatum  in  eum  cadit,  cuius  poenitentia  contri- 
stetur,  nee  ullum  aliud  malum,  quod  perpetiendo  et  sentiendo  sit  tristis. 
—  Stoici  autem  non  stultum  sed  sapientem  aiunt  tristem  esse  non  posse. 
-  Inwiefern  ein  der  Küxy  entsprechender  normaler  Gegensatz  schon  in 
der  ehXdßsta  inbegriffen  sein  soll,  wie  Siebeck,  Geschichte  der  Psycho- 
logie II,  232  will,  vermag  ich  nicht  einzusehen 

In  die  zweite  Abtheilung  hat  Ziegler  unter  der  Ueberschrift  »das 
Judenthum«  auch  die  alexandrinische  Philosophie  und  Philon  aufge- 
nommen, indem  er  die  Ansicht  vertritt,  dass  Philon  in  erster  Linie  Jude 
sei  und  so  auch  »wesentlich  zur  Geschichte  des  Judenthums  und  nicht 
zu  der  der  griechischen  Philosophie  gehöre  «  Dasselbe  führt  der  Ver- 
fasser aus  in  einem  Vortrage  ȟber  die  Entstehung  der  alexaudrinischen 


Ziegler,  Geschichte  der  Ethik.  41 

Philosophie«  in  Verhandlung,  der  36.  Versammlung  der  deutschen  Philo- 
logen und  Schulmänner  zu  Karlsruhe  1882,  Leipzig  1883,  S.  136—145. 
Wenngleich  natürlich  bei  Philon  eine  Vermischung  des  Hellenischen  mit 
dem  Jüdischen  anzuerkennen  ist,  so  kann  ich  mich  durch  die  Gründe 
Zieglers  für  das  Uebergewicht  des  Jüdischen  nicht  überzeugen  lassen. 
Um  hier  Einiges  in  aller  Kürze  wenigstens  zu  erwähnen:  Ziegler  führt 
namentlich  die  Transcendenz  Gottes  für  seine  Ansicht  an,  aber  diese 
kommt  doch  ähnlich  schon  bei  Piaton,  Aristoteles  vor,  und  die  Ver- 
mengung der  platonisch-aristotelischen  Elemente  mit  stoischen,  die  eigent- 
lich ihn  Wesen  der  phänischen  Aufstellungen  bildet,  zeigt  sich  bekannt- 
lich vielfach  schon  in  der  griechischen  Philosophie  vor  Philon.  So  lässt 
das  Buch  nep}  y.üap.üu,  das  wahrscheinlich  schon  vor  Philon  verfasst  ist, 
in  seinen  hauptsächlichsten  Lehren  unverkennbare  Aehnlichkeit  mit  dem 
jüdischen  Philosophen  erkennen,  und  dieses  Schriftchen  werden  wir  doch 
nicht  dem  Judenthum  zuschreiben  wollen  (über  den  Ursprung  desselben 
hat  sich  neuerdings  Ed.  Zell  er  wieder  ausgesprochen,  Sitzungsber.  der 
Akademie  der  Wissenschaften  zu  Perlin,  1885,  S.  399-415,  nachdem 
Theod.  Bergk  als  den  Verfasser  desselben  Nikolaos  von  Damaskos 
angesehen  hatte,  Rhein.  Mus.,  1882,  S.  50  53,  vgl.  auch  Herrn. 
Becker,  eine  neue  Ansicht  über  den  Verfasser  der  Schrift  -zpl  xua/iou, 
in  der  Zeitschrift  für  österr.  Gymn.  1882,  S.  50-53).  Ich  kann  auch  nicht 
finden,  dass  der  Begriff  der  allgemeinen  Sündhaftigkeit  bei  Philon  viel 
energischer  zum  Ausdruck  komme  als  bei  den  Stoikern,  sowohl  den 
früheren,  man  denke  an  Chrysippos,  als  auch  den  späteren,  wie  Ziegler 
will,  und  worin  er  ein  Zeichen  der  Abhängigkeit  Philons  vom  Alten 
Testamente  sieht;  ebensowenig  kann  ich  Ziegler  zugeben,  dass,  wo  Piaton 
Optimist  sei,  sich  Philon  als  Pessimist  zeige;  den  entschiedensten  pla- 
tonischen Ausdruck  für  den  allerdings  kosmologischen  —  Optimismus 
hat   Philon  beinahe   wörtlich  sich  angeeignet  de  Abrah.  II,  12. 

Von  dem  sonstigen  Inhalt  der  zweiten  Abtheilung  des  Zieglerschen 
Werkes  geht  uns  hier  an  Capitel  3:  die  Ethik  der  altkatholischen  Kirche. 
und  Capitel  4:  das  Möncbthum,  Augustin  und  Pelagianismus.  Mit  der 
Ueberschrifl  de,  ;;.  Capitels  wird  man  sich  nicht  ganz  zufrieden  er- 
klären können,  da  nicht  nur  die  Gnosis  nebst  Clemens  und  Origenes 
darin  vorkommen  sowie  die  Apologeten,  sondern  auch  der  Montanismus 
Tertullians.  -  Das  Wesentliche  herauszufinden  ist,  soweit  ich  gesehen, 
Ziegler  unter  Benutzung  der  ziemlich  reichen  neueren  Litteratur  ge- 
lungen, auch  hat  er  neben  der  Theorie  der  Ethik  die  Praxis  im  Leben 
und  in  '1er  Sitte  berücksichtigt.  So  nimmt  in  dem  L  Capitel  das  Mönch- 
tbuni  und  die  Opposition  gegen  dasselbe  einen  verhältnissmässig  breiten 
Raum  ein.  Gar  zu  kurz  ist  Lactantius  weggekommen,  dessen  Institu- 
tionen divinae  doch  einen  wesentlich  ethischen  Charakter  haben,  [rgend« 
welche  neue   Resultate  sind    mir  Mi    die-  i    Darstellung   der    Ethik    der 


42  Martha,  Etudes  murales  aur  l'autiquite 

ersten  christlichen  Jahrhunderte  nicht  entgegentreten.  Die  Abhängig- 
keit von  der  griechischen  Philosophie  ist  überall  richtig  hervorgehoben. 

Genannt  muss  hier  wenigstens  werden  das  Werk  \on  Leopold 
Schmidt,  die  Ethik  der  alten  Griechen,  2  Bände,  Berlin  1882,  400 
und  494  S.  8.  Da  es  aber  nicht  auf  die  Philosophen  Bpeciell  eingeht, 
sondern  die  ethischen  Ideale  und  das  ethische  Leben  des  griechischen 
Volkes  auf  Grund  der  ausgedehnten  Litteratur  sich  zum  Gegenstande 
nimmt,  so  darf  ich  davon  absehen,  es  hier  zu  besprechen. 

Auch  will  ich  hier  nur  erwähnen  und  nicht  ausführlicher  be- 
handeln die  beiden  Excurse  von  Wilamowitz  -  Moll  endo  rff  im 
4.  Hefte  der  Philol.  Untersuchung.  1881:  die  Philosophenschuleu  und  die 
Politik,  und  die  rechtliche  Stellung  der  Philosophenschulen,  ferner  die 
Abhandlung  von  H.  Usener  in  den  Prcussischen  Jahrbüchern,  53,  1884: 
Organisation  der  wissenschaftlichen  Arbeit  im  Alterthum,  und  den  Auf- 
satz von  E.  Heitz  in  der  Deutschen  Revue,  1884,  3.  Band:  die  Philo- 
sophenschulen Athens,  alles  sehr  lehrreiche  und  verdienstliche  Arbeiten, 
aus  denen  mau  Wesen  und  Bedeutung  der  Philosophenschulen  erkennt. 

Ein  Werk,  das  verschiedene  auf  die  alte  Philosophie  bezügliche 
Themata  behandelt,  bietet  sich  uns  in: 

Etudes  morales  sur  l'autiquite  par  Constant  Martha,  Membre 
de  l'Institut,  Professeur  ä  la  Faculte  des  lettres  ä  Paris,  Paris  1883. 
339  S.    8. 

Der  durch  seine  Arbeiten:  Les  moralistes  sous  lempire  Romain  und 
Le  poeme  de  Lucrece  bei  uns  vorteilhaft  bekannte  Verfasser  giebt  uns 
hier  sechs  Abhandlungen :  L'eloge  funebre  chez  les  Romains,  le  philo- 
sophe  Carneade  ä  Rome,  les  consolations  dans  l'autiquite,  l'examen  de 
conscience  chez  les  anciens,  un  Chretien  devenu  Pa'ien  und  un  Palen 
devenu  Chretien,  die  sich  weniger  durch  gründliche  Forschung  oder  gar 
irgendwie  erschöpfende  Bearbeitung  ihrer  Gegenstände,  als  durch  les- 
bare, gefällige  Form  und  grossen  Theils  geistreiche  Behandlung  des 
immerhin  reich  zu  Gebote  stehenden  Stoffs  auszeichnen.  Martha  meint 
selbst,  er. wolle  so  zu  sagen  historische  Psychologie  in  einer  Anzahl  aus- 
gewählter Capitel  treiben,  eindringen  in  die  antike  Seele  und  zwar  nicht 
in  der  Art,  dass  nur  Eingeweihte  ein  Verständniss  dafür  haben  könnten, 
sondern  vielmehr,  qu'elle  (l'autiquite)  füt  accessible  par  plus  d'un  cöte 
ä  tous  les  Esprits  eultives.  aux  jeunes  gens,  meine  aux  femmes.  Interesser 
tout  le  monde,  si  l'on  peut,  ä  l'histoire  des  idees  morales,  c'est  faire  un 
oeuvre  morale  soi  meine.  Der  Fachmann  wird  durch  die  Leetüre  nicht 
viel  Neues  lernen,  aber  namentlich  sich  durch  die  geschickte  Zusammen- 
fassung und  Beleuchtung  weitschichtiger  Materieu,  wie  in  dem  ersten, 
dritten  und  vierten  Aufsatz ,  angezogen  und  angeregt  fühlen.  So  wird 
in  dem  letzterwähnten  eine  Art  Geschichte  der  pythagoreischen  Vorschrift! 
jeden  Tag  Selbstprüfung  anzustellen,  gegeben  und  gezeigt,  wie  diese  Selbst- 


Martha,  Etudes  morales  sur  l'autiquite.  43 

prüfung  vielfach  als  eine  Uebung,  das  Gedächtniss  zu  stärken,  aufge- 
fasst  wurde,  bis  bei  den  Sextiern  und  Stoikern  der  tiefere  Sinn  und 
die  ethische  Bedeutung  wieder  in  das  Bewusstseiu  trat.  In  der  Ab- 
handlung über  die  Trostschriften  werden  nicht  sowohl  die  einzelnen 
Schriftstücke  dieser  Art,  die  wir  entweder  vollständig  oder  fragmen- 
tarisch noch  besitzen,  vorgefühlt  und  analysiert,  sondern  es  wird  allge- 
mein über  den  Zweck,  über  den  Werth  derselben  gesprochen,  und  es 
ist  sehr  richtig,  was  Martha  über  die  abnehmende  Wirksamkeit  der 
Trostgründe  sagt:  il  est  naturel,  qu'avec  le  temps  on  ait  peu  ä  peu 
demele  la  faiblesse  de  ces  raisons  consolatoires,  et  que  la  plupart  aient 
de  siecle  en  siecle  perdu  de  leur  credit  Autrefois,  leur  nouveaute 
plus  ou  moins  surprenante  pouvait  donner  ä  l'esprit  une  salutaire  se- 
cousse;  mais  quand  l'accoutumance  les  eut  emoussees,  elles  glisserent 
sur  les  ämes  saus  les  penetrer.  Sehr  lesenswerth  sind  auch  die  beiden 
letzten  Aufsätze,  der  eine  über  den  Kaiser  Julian,  anknüpfend  an  das 
Werk  von  Albert  de  Broglie,  L'eglise  et  i'empire  romain  au  qua- 
trieme  siecle,  1866,  und  der  andere  über  Synesios,  Bezug  nehmend  auf 
die  französische  Uebersetzung  des  Synesios  von  M.  K.  Druon,  welcher 
eine   biographische   und   litterarische   Einleitung   vorausgeht.  Einige 

Kleinigkeiten  sind  mir  bei  dem  Durchlesen  zweifelhaft  erschienen.  Um 
nur  das  Eine  zu  erwähnen,  so  weiss  ich  nichts  davon,  dass  Aristoteles 
gegen  Ende  seines  Lebens  geschwankt  habe,  ob  er  dem  Aristoxenos 
oder  dem  Theophrast  die  Leitung  der  Schule  anvertrauen  solle,  wenn- 
gleich berichtet  wird,  dass  Ersterer  seinem  Meister  wegen  Uebergehens 
seiner  Person  gezürnt  habe. 

In  Anknüpfung  an  den  einen  Aufsatz  Marthas  sei  hier  sogleich 
genannt : 

Consolationum  a  Graecis  Romanisque  scriptarum  historia  critica. 
Dissert.  inaug        scripsit  Carolus  Burescli,  Lipsiae  1886.   170  S.  8. 

Es  ist  dies  eine  gelehrte  und  scharfsinnige  Arbeit  die  ein  sehr 
ansprechendes  und  wichtiges  Thema  zum  Gegenstande  hat.  Sie  bandelt 
in  drei  Abschnitten  de  Graecorum  philosophorum  scriptis  consolatoriis, 
de  rbetorum  Graecomm  studiis  consolatoriis,  de  eonsolationibus  a  Ro- 
mains scriptis.  Im  ersten  nehmen  den  meisten  Kaum  ein  der  pseudo- 
platonische Axiochos,  welchen  Buresch  meiner  Meinung  nach  zu  hoch 
seb;it/,t  und  geneigl  ist  für  eine  Arbeit  des  Aesehines  zu  halten,  und 
Krantor,  in  der  dritten  Cicero  und  Seneca.  Einzelnes  kann  ich  hier 
nicht  besprechen,  zumal  Buresch  auf  den  philosophischen  Inhalt  der 
Schriften  weniger  Rücksicht  nimmt,  vielmehr  dieselben,  wie  es 
auf  dem  Titel  schon  heisst,  historisch  kritisch  behandelt.  Nur  das  Eine 
will  ich  noch  hervorheben,  daS8  ei  mit  Recht  die  Consolatio  ad  l'oi\- 
iiium  dem  Seneca  absprichl  Auf  ein   Epimetrum  der   Dissertation 

habe   ich  später  noch  zurückzukommen 


44  Weygolrit,  i)j(.  Philosophie  der  Stoa. 

Wenn  ich  nun  auf  einzelne  Schulen  und  einzelne  Philosophen  ein- 
gehe, so  muss  ich  vorausschicken,  dass  es  mir  hier  besonders  auf  das 
Philosophische,  weniger  auf  das  Philologische  und  Textkritische  ankom- 
men wird.  Ich  nius.s  darauf  verzichten,  alle  die  kleinen  und  kleinsten 
kritischen  Beiträge  zu  der  Menge  der  behandelten  Schriftsteller  auf- 
zuführen, und  ebensowenig  kann  ich  mich  darauf  einlassen,  aus  den 
grösseren  Arbeiten  etwa  eine  Reihe  von  Gonjecturen  aufzuzählen  und 
zu  beurtheilen  und  ausführliche  Becensionen  der  neuen  Ausgaben 
niederzuschreiben.  Bei  der  Ueberfülle  des  zu  bewältigenden  Stoffes  be- 
gnüge ich  mich  hierbei  meist  mit  allgemeineren  Charakteristiken.  Auch 
berücksichtige  ich  die  Arbeiten  nicht,  die  ausschliesslich  einen  Akade- 
miker oder  Peripatetiker  behandeln,  z.  B.  die  Dissertation  von  Rud. 
Hoyer,  de  Antiocho  Ascalonita,  die  von  Max.  Weber,  de  Clearchi  So- 
lensis  vita  et  opp.,  ebensowenig  die  Alexander  Aphrodisiensis  betreffen- 
den Schriften. 

Die  Philosophie  der  Stoa  nach  ihrem  Wesen  und  ihren  Schick- 
salen für  weitere  Kreise  dargestellt  von  Dr.  G.  P.  Weygoldt, 
Leipzig  1883.    218  S.    8. 

Aus  dem  Titel  geht  hervor,  dass  diese  Arbeit  populärerer  Art  ist, 
und  dass  man  darin  keine  tieferen  Forschungen  über  einzelne  Punkte 
der  stoischen  Lehre  und  keine  neuen  wissenschaftlichen  Resultate  zu 
suchen  hat.  Der  Verfasser  bemerkt  richtig,  dass  »unter  allen  philo- 
sophischen Systemen  der  alten  wie  neuen  Zeit  keines  so  reich  an  merk- 
würdigen Vertretein,  an  wechselvollen  Schicksalen,  an  tief  ins  Leben 
eingreifenden  Gedanken,  an  religious-  und  weltgeschichtlichen  Beziehun- 
gen als  das  stoischea  sei.  und  daher  sich  auch  kein  anderes  so  wie  das 
stoische  dazu  eigne,  über  den  Kreis  der  Gelehrten  hinaus  »Interesse  zu 
erwecken«.  Die  Lehre  der  Stoa  kommt  in  der  Arbeit  bisweilen  auch 
für  den  Zweck  des  Verfassers  etwas  zu  kurz  weg,  so  vermisse  ich  ein 
genaueres  Eingehen  auf  den  Vorsehungsglauben,  den  Indeterminismus  und 
die  Ansichten  über  die  Freiheit,  sowie  auf  den  Optimismus  und  den 
Pessimismus.  Dagegen  werden  ausführlicher  dargestellt  die  Gegner  der 
Stoa,  die  Einbürgerung  des  Stoicismus  in  Rom,  die  Märtyrer  des  Stoi- 
cismus,  Senecas  Leben  und  Lehre,  und  verhältnissmässig  viel  Raum  wird 
dem  Verhältniss  des  Stoicismus  zum  Christenthum  gegeben,  wobei  der 
theils  unmittelbare  theils  mittelbare  Einfluss  des  ersteren  auf  das  letz- 
tere mit  Recht  sehr  bestimmt  betont  wird.  Ob  es  richtig  ist,  dass 
Paulus  in  Tarsos  schon  mit  den  Lehren  der  stoischen  Schule  in  den 
Gruudzügen  bekannt  wurde,  mag  dahingestellt  bleiben,  aber  dass  in 
seinem  Gottesbegriffe  Anklänge  an  den  der  Stoa  sich  finden,  lässt  sich 
nicht  leugnen.  —  Im  ganzen  ist  das  Buch  geeignet  auch  der  Philosophie 
ferner  Stehende  für  die  Stoa  und  ihre  Bedeutung  zu  interessieren. 


Ogereau,  Essai  eur  le  Systeme  phiiosophique  des  Stoiciens.  45 

Wissenschaftlicher  ist  gehalten: 

Essai  sur  le  Systeme  phiiosophique  des  Stoiciens  par  F.  Ogereau, 
ouvrage  recompense  par  Facademie  des  sciences  morales  et  politiques, 
Paris  1885.  304  S.  8  (in  der  Collection  historique  des  grands  philo- 
sophes). 

Während  man  sich  neuerdings  vielfach  Mühe  gegeben  hat,  das 
den  einzelnen  Stoikern,  namentlich  den  ersten  derselben,  Eigenthümliche 
herauszufinden  und  so  eine  genaue  Darstellung  der  Entwicklung  in  der 
Stoa  zu  bieten,  betont  Ogereau  gerade  die  Einheit  der  stoischen  Lehre 
auch  zu  verschiedenen  Zeiten.  Das  erste  Capitel  handelt  sogleich  von 
der  Unite  de  doctrine  chez  les  premiers  Stoiciens,  und  nachdem  in  den 
acht  folgenden  Capiteln  1  etre,  le  monde,  l'homme,  le  criterium  de  verite, 
la  dialectique,  le  souverain  bien,  le  sage  et  la  cite,  theodicee  et  religion 
dargestellt  sind,  sucht  der  Verf.  im  letzten  la  couservation  de  la  doctrine 
piimitive  chez  les  derniers  Stoiciens  zu  beweisen.  Wenn  auch  Poseidouios 
mit  der  Erklärung  des  Zenon  und  Chrysippos  über  den  Ursprung  der 
Affecte  nicht  ganz  einverstanden  war,  so  theilt  er  doch  nach  Ogereaus 
Meinung  die  Ansicht  der  ersten  Stoiker  über  die  Affecte  selbst.  Der 
Kern  der  stoischen  Lehre  soll  bei  Panaitios  und  Poseidouios  derselbe 
geblieben  sein,  wie  in  der  früheren  Zeit,  oder  wenigstena  nur  ganz  ge- 
ringe Veränderungen  erfahren  haben.  Dagegen  sei  der  Stoicismus  bei 
seinem  Uebergange  aus  Athen  nach  Rom  uns  der  Schule  in  das  Leben 
eingetreten,  und  in  Folge  dessen  seien  die  früher  gepflegten  subtilen 
dialektischen  Untersuchungen  als  ganz  unpraktisch  in  vollen  Misscredit 
gekommen  und  allmählich  verschwunden.  An  dieser  Bemerkung  ist 
etwas  Richtiges,  aber  Ogereau  verkennt  offenbar  den  eklektischen  Charak- 
ter des  Panaitios,  wenn  er  meint,  derselbe  habe  Platou  und  Aristoteles 
den  unwissenden  und  halbbarbarisehcn  Römern  gegenüber  nicht  angreifen 
wollen,  sie  vielmehr  gelobt,  und  so  sei  die  Werthschätzung  dieser  Philo- 
sophen bei  ihm,  die  vielleicht  in  Griechenland  nicht  zum  Ausdruck  ge- 
kommen wäre,  geweckt  und  auch  wohl  vergrössert   worden. 

Ebenso  wie  diese  mittlere  Stoa  sollen  sich  Semca,  Epiktet  und 
Marc  Aurel  zu  den  Gründern  der  Schule  verhalten.  Von  Seneeas  Selb 
ständigkeit  die  allerdings  anerkannt  wird,  heisst  es,  dieselbe  beschränke 
sich  darauf  »ä  räclamer  le  droit,  dont  les  preeeptes  de  l'6cole  stoieienne 
lui  conseillenl  d'ailleurs  L'exercice,  de  n'aeeepter  le-  dogmes  qu'apres 
avoir  compris  la  force  des  prenves,  sur  lesquelles  les  dogmes  reposent«, 
und  weiter  unten  lesen  wir:  »l'attitude  observ6e  par  Seneque  est  aussi 
celle,  que  garde  Bpictete  en  face  de  l'enseignement  des  premiers  stoi- 
ciens«, und:  »Marc.  Aurele  n'a  poinl  sur  la  doctrine  des  anciens  Stoici 
nn  autre  sentiment.« 

Man  nmss  eine  Berechtigung  dafür  anerkennen,  dass  auf  die  Ein- 
heit der  stoischen  Lehre  wieder  einmal  ausdrücklich   hingewiesen   wird. 


46  D'Avenel,  Le  SloiciMiue  et  les  Stoicien» 

Sind  sich  die  Alten  bei  ihren  Referaten  über  die  Stoiker  doch  sicher 
vielmehr  dos  Gemeinsamen  in  der  Stoa  als  der  Verschiedenheiten  unter 
den  einzelnen  Stoikern  bewusst  gewesen,  und  haben  sich  doch  auch  die 
letzten  Stoiker  noch  in  Einheit  mit  den  früheren  gedacht,  und  was  die 
Hauptsätze  betrifft,  so  sind  sie  auch  hierbei  nicht  im  Irrthum  gewesen. 
So  kann  allerdings  Ogereau  auch  das  System  der  Stoiker  im  ganzen  be- 
handeln und  darstellen,  und  man  wird  durch  seine  Arbeit  gut  in  die 
stoische  Philosophie  eingeführt.  Trotz  seiner  eigentlichen  Tendenz  kann 
er  es  übrigens  doch  nicht  vermeiden,  hier  und  da  auf  Unterschiede  der 
einzelnen  Vertreter  hinzuweisen,  z.  B.  bei  der  Unsterbliclikeitslehre.  Hätte 
er  dies  öfter  gethan  und  dabei  Rücksicht  auf  die  einschlägigen  deutscheu 
Forschungen,  namentlich  auf  die  Hirzels  genommen,  so  würde  seine 
Schrift  beträchtlich  an  Werth  gewonnen  haben.  Verdienstlich  ist  es,  dass 
er  den  Begriff  des  Tovog,  den  schon  Ravaissou  nachdrücklich  betont 
hatte,  als  einen  für  die  stoische  Philosophie  sehr  bedeutsamen  hervor- 
hebt, wenn  er  ihn  auch  meiner  Ansicht  nach  nicht  ganz  richtig  fasst. 
Sehr  geringen  Werth  hat: 

J.  D'Avenel.    Le  Stoicisme  et  les  Stoiciens,   Paris  1886.  170  S.  8. 

In  sechs  verschiedenen  Abtheilungen  behandelt  der  Verfasser  ober- 
flächlich die  vorzüglichsten  Vertreter  der  Stoa,  dann  die  stoische  Physik, 
Logik,  Moral,  den  Einfluss  der  Stoa  auf  die  Gesetzgebung  und  übt  zu- 
letzt unter  dem  Titel  »Erreurs  et  Verite«  eine  Kritik  namentlich  an 
ethischen  Stücken  der  Stoiker.  Das  Ganze  beruht  nicht  auf  eigenen 
Quellenstudien,  ist  überhaupt  nicht  wissenschaftlich  gehalten.  Es  wer- 
den manche  alten  Schriftsteller  angeführt,  aber  häufig  ohne  geuauere  Be- 
zeichnung der  Stellen.  Die  griechischen  Citate  wimmeln  von  Druck- 
fehlern, so  dass  man  zweifelhaft  sein  muss,  ob  der  Verfasser  überhaupt 
Griechisch  versteht.  Nirgends  ist  er  gründlich  zu  Werke  gegangen;  in 
dem  Capitel:  Influence  sur  la  legislation,  wo  man  ein  tieferes  Eingeben 
erwartet,  wird  man  mit  allgemeinen  Redensarten  und  allerhand  wenig 
zur  Sache  gehörenden  Geschichten  abgespeist.  In  der  Beurtheilung 
Dimmt  der  Verfasser  einen  beschränkten  Standpunkt  ein :  die  Moral  der 
letzten  Stoiker  zeigt  nach  ihm  den  Einfluss  des  Christenthunis.  Von 
den  eingehenden  Arbeiten  Deutscher  gerade  über  Stoa  und  Stoiker 
weiss  J.  D'Avenel  nichts.  Wenn  die  Schrift  durchaus  populär  seiu  soll 
und  als  solche  ihren  Zweck,  im  allgemeinen  über  die  Stoa  aufzuklären, 
obenhin  erfüllen  mag,  warum  dann  der  Anschein  von  Gelehrsamkeit  in 
den  Anmerkungen? 

Sehr  genaue  Forschungen  über  Stoiker  und  die  Lehren  der  Ein- 
zelnen finden  wir  in: 

Untersuchungen  zu  Cicero*s  philosophischen  Schriften  von  Rudolf 
Hirzel.  II.  Theil:  De  finibus,  de  offieiis,  III.  Theil:  Academica  priuia. 
Tusculanae  disputationes,  Leipzig  1882,   188ü     9 13  und  576  S.    : 


Hirzel,  Untersuchungen  zu  Ciceros  philos.  Schrift.  47 

Den  ersten  Band  dieses  gelehrten  sowie  von  Scharfsinn  und  be- 
deutender Combinationsgabe  des  Verfassers  zeugenden  Werkes  habe  ich 
in  dem  letzten  Bericht  über  die  uacharistotelische  Philosophie  an  mehre- 
ren Stellen  erwähnen  müssen.  Von  grösserem  Werthe  noch  als  dieser 
erste  sind  für  die  Geschichte  der  alten  Philosophie  die  vorliegenden 
Bände,  mit  denen  das  Werk  seinen  Abschluss  gefunden  hat.  Zugleich 
ist  jetzt  der  Gebrauch  desselben  wesentlich  erleichtert  durch  ein  am 
Ende  des  dritten  Bandes  gegebenes  ausführliches  Inhaltsverzeichniss  und 
ebenso  genaues  Namen-  und  Sachregister,  während  vorher  die  beiden 
ersten  Bände  bei  dem  Mangel  aller  Unterabtheilungen  und  speciellen 
Ueberschriften  im  einzelnen  Falle,  wenn  man  etwas  Specielles  suchte, 
nur  schwer  zu  benutzen  waren.  Wie  Hirzel  nun  schon  im  ersten  Bande 
eine  Art  Geschichte  der  epikureischen  Philosophie  gegeben  hatte,  so 
finden  wir  in  der  ersten  Abtheilung  des  zweiten  Bandes  auf  566  Seiten 
»die  Entwickelung  der  stoischen  Philosophie«,  das  Ausführlichste,  was 
es  über  diesen  Gegenstand  bis  jetzt  giebt.  Freilich  wird  diese  Entwicke- 
lung nicht  bis  zu  dem  Ausgange  der  Stoa  in  Seneca,  Epiktet  und  Marc 
Aurel  fortgeführt,  und  ebensowenig  wird  die  stoische  Lehre  in  ihrem 
ganzen  Umfang  geschichtlich  behandelt.  Z.  B.  treten  die  für  die  Stoa 
sehr  wichtigen  Begriffe  des  -vs~j/ia,  des  lüyoq  ompiiaTixög  bei  Hirzel 
gar  nicht  hervor,  so  dass  der  Titel:  Entwickelung  der  stoischen  Philo 
sophie  etwas  zu  weit  gegriffen  scheint.  Im  dritten  Bande  werden  dann 
auf  251  Seiten  die  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus,  d.  h.  die 
pyrrhonische  und  die  akademische  Skepsis  in  ihrem  Ursprung  und  in 
ihrer  Entwickelung  dargestellt.  Die  übrigen  Abschnitte  der  Bände  be- 
handeln |die  Quellen  der  im  Titel  schon  genannten  Schriften  Ciceros. 
wobei  Hirzel  vielfach  zu  wesentlich  anderen  Resultaten  als  den  bisher 
angenommenen  gelangt.  Doch  habe  ich  auf  diese  Cicero  betreffenden 
Untersuchungen  nicht  einzugehen,  ich  beschränke  mich  darauf,  zunächst 
aus  der  Geschichte  der  Stoa  und  weiter  unten  aus  der  Geschichte  der 
Skepsis  Einiges  hervorzuheben. 

Der  Stifter  der  Stoa  geht  nach  Hirzel  besonders  auf  Antisthenes 
zurück,  indem  er  von  diesem  auch  den  dp&bg  Koyoi  herübernimmt ;  der  Xoyo 
ist  dann  die  Vermittelung  jtlir  ihn  zwischen  dem  Kynismus  und  der 
beraklitisierenden  Naturphilosophie.  Indem  Zenon  den  Xöyos  des  Anti- 
sthenes  zum  Prinzip  der  ganzen  Welt  erhöh,  hat  er  »denselben  Weg 
eingeschlagen  wie  Piaton,  als  er  die  sokratischeo  Begriffe  in  Ideen  ver- 
wandelte, die  auch  ausserhalb  des  menschlichen  Geistes  wirklieh  sind, 
und  die  Kriterien  des  Denken9  und  Handelns  zu  Ursachen  des  Seins 
und  Werdens  überhaupt  machte.  So  mit  aber  als  Piaton  deshalb  nicht 
aufhören  wollte,  Sokratiker  zu  sein,  so  gut  konnte  Zenon  die  erweiterte 
Lehre  vom  h'>yog  als  eine  Conseqoenz  betrachten,  die  im  Geiste  de--  an- 
tisthenea  selber  lag,  und  die  lieser  zu  anileren  Zeiten  auch  Lre/OL:>- i 
haben  würdet.    Wenn  man  auch  zugebpii  muss,  dass  Zenon  die  Fühlung 


48  Hirzel,  Untersuchungen  zu  Cieeroa  pfaitos.  Schrift 

mit  dem  Kynismus  Die  verloren  hat,  so  Bebeint  mir  doc.li  gerade  der 
h'tyix;  in  der  sein-  umfassenden  Bedeutung,  die  er  schon  bei  Zenon  bat, 
viel  eher  die  enge  Verbindung  niil  Beraklit  anzudeuten,  als  die  mit  den 
Kynikern,  und  mir  scheint  es  durch  Hirzel  nicht  voll  erwiesen,  dass  die 
Abweichung  des  Kleanthes  von  seinem  Meister  gerade  in  dem  weiter 
entwickelten  Heraklitismus  bestehe.  Die  Anlehnung  an  Heraklit  zeigt 
sich  bei  Zenon  so  gut  wie  bei  Kleanthes,  abei   da     ist   rieht  i  sich 

der  letztere,  sofern  er  die  Physik  weiter  ausbildete,  dies  in  der  von 
Zenon  eingeschlagenen  heraklitischen  Richtung  tbat,  und  darin  pflichte 
ich  Hirzel  bei,  dass  Kleanthes,  der  sich  nicht  sowohl  auf  dialektische 
Künste  verstand,  als  vielmehr  eine  anschauende,  ja  dichterische  Natur 
war,  eine  grosse  Verwandtschaft  mit  Heraklit  zeigt,  jedenfalls  eine 
grössere,  als  Chrysippos,  der  von  seinem  Lehrer  ja  nur  die  Dogmen 
haben  wollte,  um  diese  dann  selbstständig  zu  beweisen.  Den  Unterschied 
des  Kleanthes  von  Zenon  nimmt  Hirzel  als  zu  bedeutend  au,  die  Ver- 
dienste des  Chrysippos  um  Dialektik  und  Erkenntnisstheorie  dagegen 
charakterisirt  er  treffend  und  schreibt  demselben,  wohl  auch  mit  Recht, 
die  weitere  Ausbildung  des  Pantheismus  bis  zu  dem  Grade  zu,  dass 
»jeder  Theil  der  Welt  eine  unmittelbare  Offenbarung  der  Gottheit  nur 
in  anderer  Form«  sei.  Freilich  will  ich  im  Gegensatz  zu  Hirzel  be- 
merken, dass  der  Pantheismus  auch  schon  bei  Kleanthes  benimmt  aus- 
gesprochen ist. 

Verhältnissmässig  ausführlich  handelt  Hirzel  über  Panaitios  und 
Poseidonios;  bei  dem  Ersteren  hebt  er  als  charakteristisch  hervor  den 
Piatonismus,  sowie  den  Antheil,  den  er  an  philologisch-historischen  Stu- 
dien nahm.  Die  Abweichung  in  der  Güterlehre  beider,  namentlich  den 
Punkt,  dass  sie  die  npor^p.iva  als  dyadd  bezeichneten,  bringt  er  scharf- 
sinniger Weise  in  Verbindung  mit  der  Autfassung  des  Weisen  Ideals, 
indem  er  zugleich  eine  kurze  Geschichte  dieses  Ideals  giebt.  Die  ältere 
Stoa  leugnete  die  Realisierbarkeit  desselben  nicht,  während  sie  von  Po- 
seidonios bestimmt  in  Abrede  gestellt  wurde.  Hiermit  war  aber  eine 
Art  Moral  nötbig,  die  für  die  Nichtweiseu  galt  und  zugleich  eine  andere 
Fassung  der  Güterlehre.  Die  längere  Untersuchung  darüber,  ob  Panai- 
tios und  Poseidonios  nicht  auch  aus  feinerem  attischem  Sprachgefühl 
den  Terminus  7tporJy/j.dvov  gemieden  hätten,  scheint  mir  etwas  zu  subtil 
geführt  und  in  ihrem  bejahenden  Resultat  doch  ungewiss  Dagegen  hat 
Hirzel  sicher  wieder  Recht,  wenn  er  die  Schroffheit  der  altstoischen 
Moral  gemildert  sieht  in  Panaitios'  Auffassung  des  höchsten  Gutes.  - 
Geringe  Umbildungen  der  stoischen  Lehre  werden  weiterhin  von  dem 
Verfasser  noch  besprochen  bei  der  Angabe  des  Verhältnisses  zwischen 
aipsröv  und  alpszsov ,  ebdatpovea  und  eudaijxovetv ,  rsXog  und  oxonog. 
Von  einer  Anzahl  Excursen  im  zweiten  Baude  seien  hier  der  erwähnt, 
welcher  den  Nachweis  liefert,  dafs  die  TTpoyyoüpeva  nicht  mit  dem  xporj- 
psva  zu    verwechseln   sind,  ferner   der   über  die  npwra  xaxä   <fü<j'.v .   ein 


L.  Stein,  Die  Psychologie  der  Stoa.  49 

Ausdruck,  der  nach  Hirzel  in  die  Stoa  erst  durch  die  Akademiker  ge- 
kommen ist,  und  endlich  ein  ausführlicherer,  in  welchem  der  Verfasser 
nachweist,  dass  Polybios  als  Stoiker,  zunächst  als  Anhänger  des  Panai- 
tios,  zu  betrachten  ist. 

Von  Schriften,   die  auf  einzelne  Theile  der  stoischen  Philosophie 
gehen,  sei  hier  zuerst  erwähnt: 

Die  Psychologie  der  Stoa  von  Dr.  Ludw.  Stein,  1.  Band.  Meta- 
physisch-anthropologischer Theil,  Berlin  1886.  216  S.  8.  (Berliner  Stu- 
dien für  klassische  Philologie  und  Archäologie  3.  Band). 

Es  ist  dies  eine  sorgfältige  und  auf  gründlicher  Kenntniss  der 
Quellen  beruhende  Arbeit,  deren  baldige  Fortsetzung  nur  zu  wünschen 
ist1).  Nach  der  Wahl  des  Themas  kann  es  nicht  befremden,  dafs  der 
Verfasser  in  dem  ganzen  System  der  Stoa  die  Psychologie  für  ganz  be- 
sonders wichtig  hält.  Doch  geht  er  meines  Erachtens  zu  weit,  wenn  er 
meint,  die  leitenden  Motive  der  stoischen  Physik  und  Metaphysik  seien 
vorzugsweise  psychologisch,  den  Grundzug  ihrer  sensualistischen  Erkennt- 
nisslehre bilde  wiederum  die  Psychologie,  und  das  eigentliche  Wesen 
der  Ethik  ruhe  erst  recht  auf  psychologischer  Basis.  Sofern  die  Affecte 
in  der  stoischen  Ethik  eine  grosse  Rolle  spielen,  ist  das  Letzte  richtig; 
auch  für  die  Erkenntnisstheorie  muss  die  Seelenlehre  eine  der  Grund- 
lagen bilden,  aber  was  das  Erste  anlangt,  so  ist  bei  den  Stoikern  viel- 
mehr die  Psychologie  in  Physik  aufgegangen,  als  umgekehrt,  wenngleich 
bei  der  Construction  der  Welt,  wie  das  bei  jeder  ausgeführten  Welt- 
anschauung mehr  oder  weniger  der  Fall  sein  wird,  Analogien  aus  der 
Anthropologie  oder  Psychologie  angewandt  werden.  -  -  Jedenfalls  aber 
lohnte  es  die  Mühe,  die  Psychologie  der  Stoiker  einmal  ausführlich  dar- 
zustellen, und  der  Verfasser  zeigt  sich  seiner  Aufgabe  durchaus  ge- 
wachsen. 

Der  vorliegende  Band  zerfällt  in  zwei  Theile:  Metaphysik  (wäre 
doch  wohl  besser  als  Physik  bezeichnet  worden)  und  Anthropologie.  Der 
erste  Theil  war  nöthig,  weil  in  dem  überhaupt  festgeschlosseuen  stoischen 
System  ein  sehr  enger  Zusammenhang  zwischen  dem  Weltganzen  und 
dem  Menschen  besteht,  ein  Zusammenbang,  den  der  Verfasser  in  einem 
lesenswerten  Anhange:  Mikro-  und  Makrokosmos  der  Stoa,  ausführ- 
licher behandelt.  In  vier  Capiteln  giebt  er  eine  kurze  Darstellung  des 
Monismus  und  Materialismus  bei  den  Stoikern,  der  Lehre  vom  Orpneuma, 
der  Weltseele,  des  X6yos  ffnepfiartxög  und  ihres  Pantheismus,  und  in 
drei  weiteren  Capiteln  geht  er  auf  die  Verschiedenheiten  Xenons. 
Kleanthcs',  Chrysippos'  und  der  späteren  Stoa  ein.  Man  sieht  aus  den 
Ueberschriften,  dass  die  Physik  schon  in   Binblick    auf  die    Psychologie 


J)  Der  zweite  Band,  die   Erkenntnisstheorie  der  Stoa,   ist   nach   Ein- 
lieferung  des  Manuscriptes  dieses  Berichts  erschienen. 

.lahresbericlit  fllr  AUerthiiniHwi«sonKoliBft  \j.     (iss;.   I  )  4 


50  L.  Stein,  Dir  Psychologie  der  Stoa. 

von  Stein  behandelt  worden  ist;  z.  B.  tritt  die  npövoia  der  Stoiker,  ihr 
Indeterminismus  u.  a.  zurück.  Mit  Recht  ist  das  nveüfia  und  der  züvog 
besonders  betont;  nur  kann  ich  dem  nicht  zustimmen,  dass  die  vier 
Elemente  Abstufungen  des  ruvog  sein  sollen;  und  dass  Diog.  VII,  136 
den  vernünftigen  Keimkräften  bei  der  Weltbildung  eine  spätere  Rolle 
zugeschrieben  wird,  möchte  ich  trotz  der  Einwendungen  Steins  noch 
aufrecht  halten.  Ob  dies  im  allgemeinen  von  der  Stoa  gelehrt  wurde, 
oder  mit  ihren  sonstigen  Dogmen  übereinstimmte,  kann  freilich  zweifei 
haft  sein. 

Der  zweite  Theil  geht  ausführlich  ein  auf  das  Pneuma  in  seinen 
Abstufungen,  auf  den  göttlichen  Ursprung  der  Seele,  die  Substanz, 
Körperlichkeit,  Entstehung,  Theile,  die  einzelnen  Functionen,  den  Sitz 
derselben,  auf  Krankheit,  Schlaf,  Traum  und  Tod  und  auf  die  Unsterb- 
lichkeitslehre, und  zuletzt  werden  wiederum  die  einzelnen  Stoiker  in 
ihren  Unterschieden  von  einander  vorgeführt.  Der  Verfasser  sagt  mit 
Recht,  dass  nicht  Alles,  was  unter  dem  Namen  des  Zenon,  des  Chrysip- 
pos  u.  a.  vorkomme,  mit  Sicherheit  dem  Genannten  zugewiesen  werden 
dürfe,  und  er  stellt  dann  im  ganzen  zu  billigende  Normen  für  die  An- 
theilsbestimmung  der  Einzelnen  an  der  Gesammtlehre  der  Stoiker  auf. 
Ich  will  blos  daraus  hervorheben,  dass,  wenn  sich  ein  Bericht  mit  schwer- 
wiegenden Differenzpunkten  zwischen  einzelnen  Stoikern  einführt,  wir 
diesem  Glauben  schenken  dürfen,  dass  aber,  wenn  einem  Stoiker  in 
eklektischer  Weise  neben  einer  Anzahl  Philosophen  aus  andern  Schulen 
eine  Ansicht  zugewiesen  wird,  diese  Notiz  an  sich  nur  geringen  Werth 
hat.  Von  seinem  aufgestellten  Kanon  aus  gelangt  Stein  zu  dem  kaum 
anzuzweifelnden  Resultate,  dass  Zenon  an  den  interessantesten  und 
originellsten  psychologischen  Lehrsätzen  der  Stoa  Antheil  hat. 

Viele  Details,  die  nicht  nur  die  stoische  Lehre  angehen,  sind 
neben  den  genauen  Quellennachweisen  in  den  Anmerkungen  enthalten, 
die  theilweise  die  Form  von  Excursen  annehmen.  Ich  hebe  eine  der- 
selben hervor,  welche  die  wesentlichsten  Uebereinstimmungen  zwischen 
den  Stoikern  und  den  hippokratischen  Medicinern  aufführt.  Es  sind 
dies  folgende:  1)  das  hvzü/jlo,  (f^u^txöv  der  alten  Stoa  entspricht  dem 
&£pjj.b)/  i/jL^uTov  der  Mediciner;  2)  die  Bluternährung  der  Seele  lässt  sich 
mit  Wahrscheinlichkeit  auf  dieselben  zurückführen;  3)  die  Mediciner 
haben  die  Seele  für  körperlich  und  vergänglich  gehalten  —  freilich 
wurde  die  Vergänglichkeit  der  Seele  nur  von  einem  Theil  der  Stoiker 
bekannt,  und  sowohl  Körperlichkeit  als  auch  Vergänglichkeit  der  Seele 
kommt  in  früherer  Zeit  nicht  nur  bei  den  Medicinern  vor;  4)  die  stoische 
euxpaaca  findet  sich  schon  vollständig  bei  den  Medicinern;  5)  die  Unter- 
scheidung der  Venen  und  Arterien  ist  auf  medicinische  Vorgänger  zu- 
rückzuführen. —  Auf  eine  andere  Anmerkung  werde  ich  später  noch 
zurückkommen. 


Em.  Hannot,  Essai  de  la  morale  Stoicienne.  51 

Mit  der  Ethik  der  Stoiker  beschäftigt  sich: 

Essai  de  la  morale  Stoicienne  et  ses  consequences  au  point  de  vue 
de  la  civilisation  par  Emile  Hannot,  these  presentee  pour  l'obtention 
du  grade  du  docteur  —  ä  l'universite  libre  de  Bruxelles,  Bruxelles 
1880.    63  S.    8. 

Eine  gut  geschriebene  aber  keineswegs  gelehrte  Dissertation,  welche 
keine  neuen  Resultate  über  die  stoische  Ethik  zu  Tage  fördert,  aber 
die  Bedeutung  dieser  Ethik  für  die  sittliche  Cultur  und  besonders  für 
den  Fortschritt  derselben  in  der  Römerwelt  in  das  richtige  Licht  stellt, 
freilich  ohne  weitere  Ausführung  und  Beweise.  Es  ist  im  ganzen  zu- 
treffend, wenn  Hannot  sagt:  »Ce  fut  lui  (le  Sto'icisme)  qui  s'efforQa  de 
saper  les  barrieres  infranchissables,  qui  selevaient  entre  les  diverses 
classes,  de  niveler  les  conditions,  d'introduire  des  priucipes  de  charite 
et  de  bienfaisance  universelle,  de  nouer  des  liens  de  fraternite  entre 
tous  les  horames,  il  evoqua  dans  l'avenir  l'image  d'une  cite  nouvelle, 
toute  differente  de  la  vieille  cite  politique,  preparant  en  quelque  sorte 
la  fondation  de  cette  Jerusalem  nouvelle,  que  le  Christianisme  fait  sortir, 
pour  accueillir  tous  les  peuples  dans  son  sein.«  So  macht  sich  hier 
eine  angemessenere  Würdigung  der  Stoa  auch  in  ihrer  ganzen  Stellung 
zum  Christenthum  geltend,  und  es  ist  erfreulich  zu  sehen,  wie  man  von 
den  verschiedensten  Seiten  her  den  Werth  dieser  Schule  für  die  ganze 
Civilisation  und  für  die  Ausbreitung  des  ihr  in  so  vielen  Stücken  ver- 
wandten Christenthums  anerkennt.  —  Dass  die  stoische  Lehre  ebenso 
wie  das  Christenthum  von  dem  Orient  ausgegangen  sei,  kann  ich  dem 
Verfasser  nicht  zugeben,  ebensowenig,  dass  die  griechische  Welt  der 
Stoa  gegenüber  sich  beinahe  ganz  gleichgiltig  verhalten  habe,  nachdem 
diese  sich  der  Moral  besonders  zugewandt  und  unter  den  Römern  ihre 
Anhänger  gefunden. 

Auf  eine  besondere  Seite  der  stoischen  Ethik  bezieht  sich: 

Un  probleme  moral  dans  l'antiquite.  ßtude  sur  la  casuistique 
Stoicienne  pur  Raymond  Tb  am  in.  Ouvragc  couroune  par  l'aca- 
demie  des  sciences  morales  et  politiqucs,  Paris  1884.    350  S.    8. 

Thamin  bandeil  über  die  stoische  Moral  im  allgemeinen,  über  das 
Honestum  und  Utile,  über  moralische  Controversen ,  über  den  Einfluss 
der  stoischen  Casuistik,  über  die  stoische  Religion,  ober  die  Gasuistik 
vor  und  nach  der  Stoa,  ohne  in  diesem  letzten  Capitel  etwa  eine  ganze 
Geschichte  der  Casuistik  zu  geben.  Dem  Philosophen  Ariston,  der  in 
der  Moral  die  grösste  Einseitigkeil  vertrat,  widmet  er  mit  Recht  ein 
besonderes  Capitel.  Man  kann  sich  aus  der  Schrift  ober  die  immerhin 
wichtige  Partie  in  der  stoischen  Sittenlehre  gut  informieren;  nur  stimme 
ich  der  Herleitung  der* Gasuistik,  wie  sie  Thamin  giebt,  nicht  bei.  Kr 
meint,  sie  sei  entstanden   aus  den  Couflicten    swischen  dem   utile  und 

4* 


52  Fr.  .Striller,  I)p  Stoicorum  rhetoricis. 

dem  Honestum  und  aus  denen  zwischen  den  verschiedenen  Graden  des 
Honestum,  während  sie  meiner  Ansicht  nach  sich  gebildet  hat  durch  die 
Absicht,  sich  dem  gewöhnlichen,  nicht  philosophisch  geschulten  Bewusst- 
sein  möglichst  zu  nähern.  Vgl.  übrigens  meine  Anzeige  des  Werkes 
in:  Philolog.  Wochenschr.,  1885,  No.  31  und  32,  S.  987 f. 

Auch  die  Rhetorik  der  Stoiker  hat  ihren  Bearbeiter  gefunden: 

De  Stoicorum  rhetoricis  scrips.  Franc.  Striller  (Breslauer 
philol.  Abhandlung.  1.  Bd.  2.  Heft),  Breslau  1886.  61  S.    8. 

Dass  die  Stoiker,  die  sich  so  viel  mit  der  Grammatik  abgaben, 
auch  die  Rhetorik  nicht  vernachlässigten  und  manches  Neue,  wenigstens 
neue  Bezeichnungen  in  derselben  aufbrachten,  lässt  sich  von  vornherein 
annehmen,  und  es  ist  dankenswerth,  dass  der  Verfasser  in  seiner  sauber 
geschriebenen  Abhandlung  die  Verdienste  der  Stoiker  auf  diesem  Gebiet 
darzulegen  und  anzuerkennen  sucht,  indem  er  zunächst  über  die  rheto- 
rischen Studien  einzelner  Stoiker,  des  Zenon,  des  Kleanthes  und  Chry- 
sippos,  sowie  des  Poseidouios  handelt,  sodann  aber,  und  zwar  in  dem 
längeren  Capitel,  darlegt,  was  man  in  der  Rhetorik  den  Stoikern  zu- 
schreiben muss  oder  wenigstens  darf,  da  man  auch  vielfach  auf  Ver- 
muthungen  angewiesen  ist.  Er  meint  selbst  ferner,  in  den  Schriften  des 
Fortunatianus  und  Sulpicius  sei  vielleicht  noch  manches  Stoische,  das 
als  solches  festzustellen,  ihm  nur  noch  nicht  gelungen  sei.  Zugleich 
richtet  er  sein  Augenmerk  darauf,  in  welchen  Punkten  Hermagoras  sich 
an  die  Stoiker  angeschlossen,  in  welchen  er  von  ihnen  abgewichen  sei. 

Aus  der  besonnenen  und  umsichtigen  Ausführung  des  Verfassers 
erkennt  man  mit  Sicherheit,  dass  die  Stoiker  sich  viel  mit  der  Rhetorik 
beschäftigten  und  auch  nicht  nur  das  früher  schon  Gefundene  mit  neuen 
Namen  belegten.  —  Dass  Kleanthes  die  Dreitheiluug  der  Seele  gelehrt 
habe,  wie  der  Verfasser  annimmt,  kann  ich  nicht  zugeben,  ebensowenig 
möchte  ich  glauben,  dass  der  Begriff  der  pavraa'a,  wie  er  bei  dem  Ver- 
fasser der  Schrift  n.  u<poog  vorkommt,  als  ?b  önwaoöv  ivvöyfxa,  auf  die 
Stoiker  zurückzuführen  sei,  wiewohl  sonst  Manches  in  dieser  Schrift 
stoisch  sein  mag. 

Wenn  ich  nun  auf  die  einzelnen  Stoiker  übergehe,  so  ist  über 
Zenon  und  Kleanthes  abgesehen  von  den  gründlichen  schon  erwähnten 
Untersuchungen  Hirzels  nichts  Bedeutenderes  erschienen. 

Nicht  unerwähnt  darf  jedoch  bleiben  der  Aufsatz: 

Zenon  von  Kittion.  Zu  Laertius  Diogenes  VII,  1  —  12.  24— 29  von 
Franz  Susemihl,  in  den  Jahrbüchern  für  classische  Philologie, 
Bd.  125,  1882,  S.  737—746. 

Es  [kommt  in  [dieser  Abhandlung  namentlich  darauf  hinaus,  den 
Widerspruch  unter  den  nicht  aus  Persaios  stammenden  Nachrichten  über 
die   Chronologie  des   Zenon   bei    Diogenes    zu  erklären,  oder   auf  die 


Alfr.  Gercke,  Chrysippea.  53 

Quellen  zurückzuführen,  ohne  dass  dadurch  über  Zenon  etwas  Sichereres, 
als  man  jetzt  geneigt  ist  anzunehmen ,  gewonnen  würde.  Vgl.  übrigens 
E.  Rohde,  Zenon  von  Kittion,  a.  d.  a.  0.,  S.  831  f.  und  dann  wieder 
Franz  Susemihl,  Zenon  von  Kittiou  ebenda  Bd.  126,  1883,  S.  223.  Diese 
beiden  kurzen  Artikel  sind  für  die  Sache  selbst  von  keiner  Bedeutung. 
Ferner  hat  L.  Stein  in  seiner  Psychologie  der  Stoa  eine  längere  An- 
merkung S.  2—5  der  Frage  nach  der  Abstammung  Zenons  gewidmet 
und  neigt  sich  aus  äusseren  und  inneren  Gründen,  welche  letzteren  aber 
nicht  aus  der  stoischen  Lehre  genommen,  sondern  auch  mehr  äusserer 
Art  sind,  der  Ansicht  zu,  dass  Zenon  ein  Semit  sei.  Wenn  hierfür  u.  a. 
angeführt  wird,  dass  Zenon  seinen  gleichfalls  aus  Kittion  stammenden 
Schüler  Persaios,  dessen  Name  schon  deutlich  auf  den  semitischen  Ur- 
sprung hinweisen  soll  (?!),  allen  anderen  Schülern  vorzog,  so  ist  dies 
meiner  Ansicht  nach  sehr  wenig  beweisend.  Ich  möchte  wegen  des 
entschieden  griechischen  Charakters  der  zenonischen  Lehre  auch  an  der 
griechischen  Abstammung  Zenons  noch  festhalten.  Mit  der  Ansicht,  dass 
wir  aus  zweifelhaften  Büsten  weder  auf  den  hellenischen  noch  auf  den 
semitischen  Ursprung  Zenons  schliessen  dürfen,  hat  Stein  ganz  Recht. 

Eine  sehr  verdienstliche  Arbeit,  der  nur  bald  ähnliche  nachfolgen 
mögen,  ist  uns  gegeben  in : 

Chrysippea  scripsit  Alfredus  Gercke,  in  den  Jahrbüchern  für 
classische  Philologie,  14.  Supplementband,   1885,  S.  689  —  780. 

Der  Verfasser  bietet  uns  hier  die  kritisch  behandelten  Fragmente 
aus  Chrysipps  Schriften  nep\  npovotag  und  nepl  eipappivrjs ,  nachdem 
er  vorher  über  die  Quellen  und  über  die  betreffenden  Lehren  Chrysipps 
und  Anderer,  d.  h.  kurz  über  die  des  Antiochos  und  Alexander  und  die 
des  Diogenianos,  gehandelt  hat.  Die  Bruchstücke  des  zweiten  Buches 
der  Schrift  mp\  npovotag  stammen  sämmtlich  aus  der  herculanensischen 
Bibliothek;  von  ihnen  sagt  Gercke  selbst:  septem  columnae  adhuc 
editae  cum  supplementis  a  me  temptatis  —  etsi  pauca  tarnen  non  vilia 
docent  de  natura  Iovis  mundi  hominum.  Die  Fragmente  der  beiden 
Bücher  r.epl  eipappsv^g  sind  uns  erhalten  durch  Diogenianos  (bei  Euse- 
bios),  Cicero,  Alexander,  Plutarch,  Nemesios  u.  A.  Diogenianos  scbeint 
nach  Gercke  nicht  identisch  mit  dem  bei  Plutarch  als  Gesprächsperson 
vorkommenden  (so  Zeller),  der  ein  Freund  der  platonischen  Lehre  ist. 
sondern  vielmehr  ein  Epikureer  zu  sein.  Dass  die  Fragmente  Chrysipps 
viel  sorgfältiger  gesammelt  sind,  als  von  Baguet,  bedarf  kaum  der 
Erwähnung.  Doch  meint  Gercke:  me  ne  duorum  quidcm  librorum  reli- 
quias  contulisse  omnes  haud  nescio:  plurimas  iam  praestare  contido. 
Vielleicht  hätte  er  Boethius  noch  berücksichtigen  können,  bei  dem 
wenigstens  in  den  Büchern  de  interpretatione  verschiedentlich  die  sich 
scheinbar  widersprechende  Lehre  der  Stoiker  angeführt  und  behandelt 
wird.     Den    Chrysippos   selbst    beurtbeilt  der   Vertasser  wohl    etwas   zu 


54  v.  Wilamowitz-Möllendorff,  Der  kyn.  Prediger  Teles. 

ungünstig  trotz  der  offenbaren  Widersprüche  in  der  Lehre.  Zum  Schluss 
giebt  er  noch  die  Fragmente  des  Diogenianos  und  drei  Register:  1.  Sedes 
fragmentorum  Chrysippi,  2.  Judex  Dominum,  3.  Index  verborum ,  von 
denen  das  letzte  sehr  genau  angefertigt  und  sehr  brauchbar  ist. 

Mit  einer  besonderen  Seite  der  schriftstellerischen  Thätigkeit  des 
Chrysippos  beschäftigt  sich: 

Xpöamnog  ypcip/iazcxog.  Dissert.  philol.,  quam  scripsit  Christ os 
Aronis  Smyrnaeus,  Jenae  1885.    38  S.    8   (griechisch). 

Der  Verfasser  spricht  zuerst  etwas  ausführlich  über  das  Leben, 
dann  etwas  kürzer  über  die  Werke  des  Chrysippos  und  behandelt  dann 
die  grammatischen  Lehren  desselben  unter  einzelnen  Titeln:  neo;  fpa»njet 
7iepl  Xuyoo,  nspt  te£e<og,  OTOt%eia  loyau,  pr{p.a,  oüvoscr/iog,  ap&pov,  ir>jpo- 
Xuycat.  Wenn  auch  keineswegs  Vollständigkeit  erzielt  ist,  so  bekommt 
man  doch  durch  die  Zusammenstellung  ein  Bild  von  der  Bedeutung  des 
Chrysippos  für  die  Grammatik.  Zuletzt  bringt  Aronis  wenigstens  be- 
achtenswerte Gründe  dafür  vor,  dass  der  in  den  Scholien  zu  Pindar 
erwähnte  Chrysippos  nicht  der  Stoiker  sei. 

Den  Teles,  den  Zeller  als  einen  Zeitgenossen  des  Chrysippos 
unter  den  Stoikern  anführt  und  als  Verfasser  populär  moralischer  Betrach- 
tungen im  Sinne  des  Kynismus  und  Stoicismus,  behandelt  in  einem  be- 
sondern Excurs  v.  Wilamowitz-Möllendorff:  Der  kynische  Prediger 
Teles,  Philolog.  Untersuchungen,  IV,  1881,  S.  292-319.  Man  sieht 
schon  aus  der  Ueberschrift,  dass  er  diesen  Popularphilosophen,  von  dessen 
Schriften  oder  Vorträgen  uns  in  dem  Florilegium  des  Stobaios  ansehn- 
liche Stücke  erhalten  sind,  zu  den  Kynikern  rechnen  will.  Es  lässt 
sich  ja  nicht  leugnen,  dass  sich  eine  starke  Hinneiguug  zu  Krates  und 
seinen  Anhängern  in  den  Fragmenten  kund  giebt,  so  besonders  in  den 
Stücken,  die  bei  Stobaios  einfach  bezeichnet  sind  als  ex  twv  Tetyzog 
kmxoprj.  Andererseits  macht  das  Stück  nep\  eitnaBecag  den  Eindruck, 
als  rühre  es  eher  von  einem  stoisch  gefärbten  Philosophen  her.  Teles 
war,  wie  der  Verfasser  darlegt,  ein  Wanderprediger,  »der  älteste  kennt- 
liche Vorfahr  des  geistlichen  Redners  — ,  der  heute  durch  fromme 
Betrachtung  die  Herzen  seiner  Hörer  stärkt  und  erbaut«.  Musste  nun 
ein  solcher,  der  sich  von  den  Schätzen  Anderer  nährte,  sich  bestimmt 
zu  einer  Schule  bekennen?  Er  wollte  doch  keine  Schule  machen,  son- 
dern moralisch  wirken,  und  für  die  Kreise  der  Zuhörer,  namentlich  für 
die  jugendlichen  mochte  es  da  gleichgiltig  sein,  ob  die  gepredigte 
Moral  echt  stoisch  oder  echt  kynisch  war.  Als  Beispiele  wurden  Stoiker 
und  Kyniker  gebraucht,  die  letzteren  noch  mehr,  weil  sie  besser  wirkten. 
Was  der  Verfasser  über  diese  ganze  Litteraturgattuug,  die  wir  durch 
Teles  vertreten  finden,  und  die  er  als  Kreuzung  des  philosophischen 
Dialogs  mit  der  rhetorischen  Epideixis  bezeichnet,  sagt,  ist  der  Beach- 
tung sehr  werth. 


A.  Chiappelli,  Panezio  di  Rodi.  55 

Gern  wird  man  die  Sammlung  der  Fragmente  zweier  Stoiker  sehen  : 

Panaetii  et  Hecatonis  librorum  fragmenta  colleg.  praefationibus 
illustravit  —  Haroldus  N.  Fowler  Americanus  (Diss.  inaug.),  Bon- 
nae  1885.  63  S. 

Ueber  Panaitios  hat  von  Lynden  1802  eine  gelehrte  und  gründ- 
liche Disputatio  historico  -  critica  erscheinen  lassen,  deshalb  beschränkt 
sich  Fowler  in  der  Praefatio  darauf,  Panaitios,  soweit  er  Quelle  Ciceros 
ist,  zu  betrachten,  und  abgesehen  von  den  Büchern  de  officiis  kommt  er 
hier  zu  negativen  Resultaten,  die  ich  nur  billige.  Ueber  Hekaton  besitzen 
wir  meines  Wissens  nach  keine  Arbeit;  der  Verfasser  behandelt  da  in 
der  Praefatio  namentlich  das  Verhältniss  Hekatons  zu  seinem  Lehrer 
Panaitios  und  die  Abhängigkeit  Senecas  in  seinen  Büchern  de  beneficiis 
von  Hekaton  {mp)  xa^rjxovzug). 

Die  Sammlung  der  Fragmente  ist  sorgfältig  und  behutsam  ange- 
fertigt; auch  finden  sich  bei  den  einzelnen  die  nöthigen  kritischen  Ver- 
merke. 

Mit  Panaitios  beschäftigt  sich  ferner: 

A.  Chiappelli.  Panezio  di  Rodi  e  il  suo  giudizio  sulla  autenti- 
citä  del  Fedone,  Roma  1882.  22  S.  8  (Estratto  della  Filosofia  delle 
scuole  Italiane). 

Zeller  hatte  in  seinen  »Beiträgen  zur  Kenntniss  des  Stoikers  Pa- 
naetius«  (s.  Jahresber.  1876—80,  S.  11)  an  der  Richtigkeit  der  Angaben, 
dass  dieser  Philosoph  die  Echtheit  des  platonischen  Phaidou  bestritten 
habe,  gezweifelt,  zumal  Panaitios  gar  keineu  Grund  gehabt  habe,  dem 
Piaton  den  Phaidon  abzusprechen;  dass  nun  diese  Frage  mit  den  be- 
merkenswerthen  Bedenken  Zellers  nicht  zum  Abschluss  kommt,  dafür 
hat  der  Verfasser  des  vorliegenden  Aufsatzes  gesorgt,  indem  er  einmal 
die  Nachrichten  über  das  Verwerfungsurtheil  des  Panaitios  für  nicht  so 
spät  und  nicht  so  bedeutungslos  ansieht,  wie  dies  Zeller  thut,  und  so- 
dann nachzuweisen  sucht,  welche  Gründe  Panaitios  zu  seiner  Athetese 
gehabt  habe.  Derselbe  sei  überhaupt  kritisch  verfahren,  da  er  gegeu 
100  Dialoge  der  Sokratiker  für  unecht  erklärt  habe,  und  zwar  aus  inne- 
ren Gründen;  und  in  derselben  scharfen  Art  habe  er  natürlich  auch  die 
platonischen  Dialoge  betrachten  müssen.  Besonderen  Anstoss  habe  er 
nun  offenbar  an  der  Einheit  der  Seele,  wie  sie  im  Phaidou  gelehrt 
werde,  nehmen  müssen,  die  der  sonstigen  Lehre  Piatons  durchaus  wider- 
streite. Sodann  habe  er  Platou  nicht  einen  so  argeu  historischen  Ver- 
stoss zutrauen  können,  dass  er  dem  Sokrates.  der  selbst  in  Betreff  der 
Unsterblichkeit  stark  gezweifelt  hatte,  die  Fülle  und  die  Ausführlichkeit 
der  Argumente  für  eben  diese  Unsterblichkeit  in  den  Mund  gelegt  habe. 
—  Der  erstere  dieser  Gründe  scheint  mir  einige  Kraft  zu  haben,  weni- 
ger der  zweite.    — ■    Bestärken  will  Chiappelli  seine  Ansicht  noch  durch 


56  Poseidonioe. 

den  Hinweis  auf  die  beiden  Gründe  gegen  die  Unsterblichkeit  bei  Cicero 
Tusc.  I,  32,  79,  die  sich  gegen  keines  der  so  verhältnissmässig  sicher 
vorgetragenen  Argumente  im  Phaidon,  sondern  gegen  sonst  von  Piaton 
angeführte  richten,  daraus  gehe  hervor,  dass  Cicero  es  nicht  für  nöthig  ge- 
halten, den  platonischen  Phaidon  zu  bekämpfen,  offenbar,  weil  er  ihn 
als  unecht  angesehen  habe.  Jedenfalls  ist  dies  ein  Moment,  das  bei  der 
ganzen  Frage  mit  in  Erwägung  gezogen  werden  muss.  S.  übrigens 
R.  Hirzel,  Untersuch.  III.  S.  378  Anm.,  der  in  der  Stelle  Ciceros  gerade 
eine  Bekämpfung  des  Phaidon  findet,  im  übrigen  die  Ueberlieferung  des 
Verwerfungsurtheils  für  richtig  hält.  Entschieden  ist  die  Frage  immer 
noch  nicht,  besonders  da  das  Schweigen  der  Panaitios  nahestehenden 
Schriftsteller,  namentlich  des  Cicero,  wenigstens  Bedenken  au  der  Wahr- 
heit der  immerhin  späten  Nachrichten  aufrecht  erhalten  muss.  S.  übri- 
gens wiederum  A.  Chiappelli,  Ancora  sopra  Panezio  di  Rodi  e  il  suo 
dubbio  della  autenticitä  del  Fedone  Platonico,  in:  La  Filosofia  delle 
scuole  Italiane,  vol.  30,  disp.  3,  ein  Aufsatz,  den  ich  nicht  habe  erlan- 
gen können. 

Auf  Poseidon ios  hat  sich  die  Aufmerksamkeit  mehrfach  gelenkt. 
Friedrich  Blass  sucht  in  einem  Universitäts-Programm:  Dissertatio 
de  Gemino  et  Posidonio,  Kiliae  1883,  25  S.  8,  mit  Erfolg  nachzuweisen, 
dass  Geminos  in  seiner  ElaayujyTj  elg  rä  yxxtvofieva  nichts  als  einen  Aus- 
zug aus  der  bekannten  Schrift  des  Poseidonios  mpl  ptzsojpujv  habe 
geben  wollen,  und  dies  durch  den  Titel  schon  angezeigt  habe,  indem  er 
hinzugefügt:  ix  ~wv  floostocuvtoo  Mersujpo^oyixcijv,  und  Blass  meint  weiter, 
dass  schlechte  Ordnung,  Auslassungen,  Inconsequenzen,  Dunkelheiten 
dem  Excerptor  zur  Last  zu  legen  seien,  dagegen  die  Vorzüge  des 
Schriftchens  aus  dem  Werke  des  Poseidonios  stammen;  dafür,  dass  Ge- 
minos directer  Schüler  des  Poseidonios  sei,  wie  Manche  annehmen,  sei 
kein  Zeugniss  vorzubringen,  doch  stehe  durch  Alexander  Aphrodisiensis 
fest,  dass  er  vor  dem  Ausgang  des  zweiten  Jahrhunderts  gelebt  habe. 

Wenig  Anklang  kann  P.  H.  Poppelreuter  finden,  der  in  seiner 
Bonner  Doctordissertation:  Quae  ratio  intercedat  inter  Posidonii  nepl 
7ia$a>\>  iipaypazdaq  et  Tusculanas  disputationes  Ciceronis,  Bonnae  1883, 
zu  dem  Resultate  kommt,  dass  Cicero  alles  das,  was  er  über  die  Affecte 
vortrage,  aus  Poseidonios  geschöpft  habe.  Glücklicher  ist  in  seiner  Be- 
weisführung Paul  Rusch,  der  in  seiner  Greifswalder  Dissertation:  De 
Posidonio  Lucreti  Cari  auetore  iu  carmine  de  rerum  natura  VI  auf  Spu- 
ren der  Benutzung  des  Poseidonios  bei  Lucretius  hinweist.  Doch  habe 
ich  hier  auf  diese  beiden  Schriften  nicht  näher  einzugehen. 

Eine  scharfsinnige  Abhandlung  bezieht  sich  namentlich  auf  die 
Lehre  von  den  Affecten  bei  Poseidonios: 


Poseidonios  und  Seneca.  57 

Die  stoischen  Definitionen  der  Affecte  und  Poseidonios  von  Otto 
Apelt  (Weimar),  in:  Jahrbb.  für  class.  Philol.  1885,  H.  8,  S.  513 
bis  550. 

Der  Verfasser  wendet  sich  namentlich  auf  Grund  des  Galenos  da- 
gegen, dass,  wie  Poppelreuter  und  Kreuttner  (  s.  unten  S.  73  f.)  wollen, 
wir  die  Ansichten  des  Poseidonios  aus  Ciceros  Disp.  Tusc.  B.  III  und  IV 
kennen  lernen,  obwohl  er  zugiebt,  dass  Cicero  bei  der  Abfassung  der  Tuscu- 
lanen  das  Buch  seines  Lehrers  Poseidonios  -zp\  na&atv  benutzt  haben 
könne.  Und  es  ist  allerdings  die  in  den  Tusculanen  sich  findende  Erklärung 
der  Affecte  eine  wesentlich  andere,  als  die  des  Poseidonios,  wie  sich 
aus  der  Beweisführung  Apelts  ergiebt.  Auch  macht  es  derselbe  wahr- 
scheinlich, dafs  Nemesios  in  seiner  Schrift  mpl  <püazujQ  äv&ptonou  in 
maochen  Theilen,  besonders  auch  in  dem  über  die  Lust,  den  Poseido- 
nios als  Quelle  benutzt  hat.  Es  wird  dies  dadurch  zu  grösserer  Sicher- 
heit erhoben,  dass  Nemesios  trotz  der  im  Ganzen  dem  Aristoteles  fol- 
genden und  zustimmenden  Darstellung  doch  auch  die  stoischen  Lehren 
berücksichtigt,  indem  er  auf  die  stoische  yapd  im  Unterschiede  zu  der 
rßovTj  hinweist.  —  Zuletzt  übt  Apelt  noch  treffende  Kritik  an  der  Ueber- 
lieferung  einzelner  Definitionen.  So  conjiciert  er  in  der  Definition  der 
ßapu&ujjLi'a  bei  Andronikos  als  Xonrj  ßupüvouaa  xal  dvdveuacv  oh  oioouaa 
statt  dvdveuaiVi  das  unverständlich  ist:  äveatv,  ferner  in  der  Defini- 
tion des  nö&og  bei  Stobaios  als  em&u/ic'a  ruü  ifxon  änovros,  auf 
Grund  von  Plat.  Erat.  420a:  Imbo^ia  irepatde  nuu  ovzog.  Auch  die 
pseudoplatonischen  Definitiones  berücksichtigt  er  dabei. 

Die  Abhandlung  von  H.  Lauret,  De  perturbationibus  animi 
Stoici  quid  senserint,  Nancy  1885.  48  S.  8,  habe  ich  bis  jetzt  nicht 
erhalten. 

Die  Stoiker  der  römischen  Kaiserzeit  sind  in  den  letzten  Jahren 
vielfach  behandelt  worden,  vor  allen  Seneca.  Ein  Theil  der  Schriften 
desselben  ist  in  einer  kritischen  Ausgabe  erschienen: 

L.  Annaei  Senecae  Dialogorum  libros  XII  ad  codicem  praccipue 
Ambrosianum  recensuit  M.  C.  Gertz,  Dr.  phil.,  Professor  Hauniensis, 
Hauniae  1886.  443  S.  8. 

Der  Herausgeber  hatte  schon  in  seinen  Studia  critica  in  L.  Annaei 
Senecae  dialogos  (s.  meinen  Bericht  über  die  Jahre  1874  und  1875, 
S.  558  f.)  eine  genaue  Collation  de-  codes  Mediolanensis  primns  (A)  oder 
Ambrosianus  für  DÖthig  erklärt,  um  endlich  einen  sichern  Gmnd  tu r  die 
Kritik  der  Dialoge  zu  haben,  im  Jahre  1879  erschien  nun  die  Aasgabe 
der  Dialoge  von  Koch,  die  nach  dem  Tode  Kochs  Johannes  Vahlen  besorgt 
hatte  (s.  meinen  Bericht  über  die  Jahre  1876  bis  1880,  S.  im.  und 
man  musste  der  Ansicht  Bein,   der  Ambrosianus  sei  von  Koch  in  gentt- 


58  M.  C.  Gortz,  L.  A.  Senecae  dialog.  II.  XII. 

gender  Weise  verglichen  und  für  die  Ausgabe  benutzt,  und  man  sah  das 
Hauptverdieosi  derselben  gerade  hierin.  Nach  Gertz  ist  aber  die  Colla- 
lioii  Kochs  eine  sehr  ungenaue  gewesen.  Ich  will  das  Unheil  des  Erste- 
ren  der  Hauptsache  nach  mit  den  eigenen  Worten  desselheu  anführen : 
Multa  Kochius  non  recte  legit,  multa  plane  praetermisit,  multa  rasuris 
liturisque  obscurata  —  legere  aut  non  potuit  aut  non  curavit  — ,  non- 
nullis  locis  conlationi  suae  ea  immiscuit,  quae  fieri  non  potest  quin  non 
ipse  ex  codice  enotarit,  sed  ex  conlatione  Fickerti  mutua  sumpserit. 
Hiernach  war  allerdings  eine  neue  Ausgabe  am  Platze,  und  Gertz  hat 
das  von  Koch  Versäumte  und  Verfehlte,  soweit  ich  sehen  kann,  gründ- 
lich gut  gemacht,  indem  er  sich  der  grössten  Genauigkeit  beflissen  und 
besondere  Sorgfalt  auf  die  Unterscheidung  der  verschiedenen  Hände  in 
dem  Codex  verwendet  hat.  Lesarten  der  übrigen  schlechteren  Hand- 
schriften (P)  zieht  Gertz  in  der  Mehrzahl  der  Dialoge  nur  dann  heran, 
wenn  brauchbare  Correcturen  aus  ihnen  zu  entnehmen  waren.  Uebrigens 
führt  er  diese  neueren  nicht  mehr  sämmtlich  auf  den  codex  Ambrosianus 
zurück,  wie  er  es  in  seinen  Studia  critica,  Madvig  darin  folgend,  gethan 
hatte.  Für  die  drei  Bücher  de  ira  erwähnt  er  manche  Lesarten  aus 
einem  codex  Laurentianus  (L).  In  der  Consolatio  ad  Polybium,  von  der 
sich  nur  sehr  Weniges  im  Ambrosianus  findet,  geht  er  meist,  wie  dies 
Koch  schon  gethan  hatte,  auf  den  codex  Berolinensis  zurück,  muss  aber 
auch  hier  Ungenauigkeiten  Kochs  feststellen.  Der  kritische  Apparat 
lässt  bei  Gertz  nichts  zu  wünschen  übrig. 

Dass  Gertz  die  Bemühungen  der  früheren  Kritiker  und  Heraus- 
geber, bis  herunter  auf  Koch  und  Vahlen,  seiner  Edition  zu  Gute  kom- 
men lässt,  brauche  ich  kaum  zu  erwähnen.  Er  selbst  hat  an  vielen 
Stellen  emendierend  eingegriffen,  an  manchen  mit  entschiedenem  Ge- 
schick. Die  Ausgabe  ist  meines  Erachtens  eine  vortreffliche,  und  es 
wäre  nur  sehr  zu  wünschen,  dass  Gertz,  nachdem  die  Bücher  de  beue- 
ficiis  und  de  dementia  schon  1876  von  ihm  ediert  worden  sind,  die 
übrigen  Schriften  Senecas,  namentlich  die  Briefe,  bald  folgen  liesse. 
Leider  hat  er  dazu  keine  bestimmte  Aussicht  gemacht. 

Erwähnt  sei  hier,  dass  in  Reclams  Universalbibliothek,  wie  früher 
schon  eine  Uebersetzung  von  Marc  Aureis  Meditationes,  so  jetzt  eine 
von  ausgewählten  Schriften  und  eine  von  50  ausgewählten  Briefen  Senecas 
an  Lucilius  erschienen  sind. 

Ich  schliesse  hier  sogleich  einige  kritische  Arbeiten  an: 

Adnotationes  in  Senecae   dialogum  I  von  L.  C.  M.  Aubert,  im 
Rhein.  Mus.  XXXVI,  1881,  S.  178-195. 

Eine  Reihe  meist  wohl  begründeter  Bedenken  und  Verbesserungen. 
Ferner: 

Adnotationes  criticae  in  L.  Anuaei  Senecae  epistulas  morales  scr. 
Guilielmus  Gern  oll,  Kreuzburg  O.-S.  1886.  21  S.  4.  (Progr.) 


L.  Ann.  Seneca.  59 

Der  Verfasser  weist  zuerst  neueren  Lesarten  gegenüber  auf  ältere 
bessere  hin,  zeigt,  dass  manche  neuere  Conjecturen  von  früheren  Gelehr- 
ten anticipiert  sind,  und  bringt  in  dem  Haupttheile  seines  Programms 
selbst  eine  Reihe  zum  Theil  annehmbarer  Verbesserungen. 

Einiges  Beachtenswerthe  habe  ich  auch  gefunden  in  : 

Quaestiones  criticae  in  L.  Annaei  Senecae  epistulas  morales. 
Scripsit  S.  Linde,  Lundae  1885.    12  S.    4. 

Ep.  33,  7  heisst  es:  »Hoc  Zenon  dixit« :  tu  quid?  »hoc  Cleanthes«: 
tu  quid?  quousque  sub  alio  moveris?  impera  et  die  etc.  Glücklich 
scheint  mir  Linde  zu  corrigieren:  quousque  sub  aliorum  eris  imperio? 
die  etc.  Unnöthig  dagegen  ist  der  Zusatz  von  te  in  Ep.  35,  1  bei 
habere  amicum  volo. 

De  L.  Annaei  Senecae  quaestionibus  naturalibus.  Dissert.  philol. 
quam  —  defendet  scriptor  Georgius  Müller  Oldenburgensis,  ßonnae 

1886.    46  S.    8. 

Eine  mit  Fleiss  und  Sorgfalt  geschriebene  Dissertation,  welche 
handelt  I.  de  Pragensi  et  Bambergensi  codieibus,  IL  de  Berolinensi  et 
Wirceburgensi  codieibus,  III.  de  ordine  librorum  und  IV.  Analecta  cri- 
tica  (S.  27  —  46)  giebt.  Eine  Anzahl  von  Manuscripten  hat  der  Ver- 
fasser selbst  verglichen.  Die  Frage  nach  der  Ordnung  der  Bücher  ist 
schon  öfter  behandelt  worden ,  ohne  dass  man  zu  Einstimmigkeit  ge- 
kommen wäre.     Müller  hat  sie  selbständig  und  mit  Geschick  beantwortet. 

Zum  grössten  Theil  nicht  auf  die  philosophischen  Schriften,  son- 
dern auf  die  Gedichte  des  Seneca  geht: 

Disquisitionum  de  Senecae  filii  scriptis  criticarum  capita  II.  Dissert. 
philol.  quam  ad  summos  in  philos.  honores  —  in  Academia  Rosto- 
chiensi  rite  impetrandos  —  scripsit  Otto  Rossbach,  Vratißlaviae 
1882.    36  S.    8. 

In  dem  ersten  Capitel  sucht  der  Verfasser  mit  Geschick  und 
Kenntniss  des  Seneca  nachzuweisen,  dass  nicht  nur  die  gewöhnlich  dem 
Seneca  zugeschriebenen  nenn  Epigramme,  deren  Authenticität  mohrfach 
angezweifelt  worden  ist,  ihm  wirklich  als  Eigenthum  zuzusprechen  sind, 
sondern  dass  auch  eine  Reihe  anderer  Gedichte  des  Vossianus.  auch 
eines  des  Salmasianus  und  eines  des  Monacensis  ihm  gehören.  Im 
zweiten  Capitel  theilt  er  ein  Fragment  aus  dorn  verlorenen  Theil  der 
Bücher  de  dementia  mit,  das  er  in  einem  ungefähr  1101  geschriebenen 
Briefe  des  Hildebertus  Cenomanensis  gefunden  bat,  ohne  aber  der  An- 
sieht des  Fabricina  beizustimmen,  dass  dieser  Bischof  die  Bacher  de 
dementia  vollständig  vor  sich  gehabt  habe. 


fif)  Guil.  Allers,  De  L.  A.  Senecae  librorum  de  ira  fontibus. 

Eine  schätzbare  Quellenstudie  ist: 

De  L.  A.  Senecae  librorum  de  ira  fontibus.  Diss.  inaug.  quam 
—  tradidit  Guilelmus  Allers  Brunsvicensis,  Gottingae  1881.  77  S.  8. 

Seneca  hat  bei  Abfassung  seiner  Schriften  sicherlich  viel  frühere 
Autoren  benutzt,  ohne  sie  anzugeben,  wiewohl  er  bekanntlich  auch  oft 
Quellen  nennt  und  wörtlich  citiert.  Es  hat  daher  seine  Schwierigkeit, 
die  Autoren,  denen  er  hauptsächlich  gefolgt  ist,  zweifellos  festzustellen, 
und  so  ist  auch  Allers  meiner  Ansicht  nach  zu  absolut  feststehenden 
Resultaten  nicht  gekommen,  wohl  aber  hat  er  Manches  sehr  wahrschein- 
lich gemacht.  Vorzüglich  soll  Seneca,  wie  sich  aus  Cicero,  Tusc.  Disp., 
und  Galen  ergebe,  den  Chrysippos  benutzt  haben;  wenn  für  diese  An- 
sicht nun  auch  Galen  herangezogen  werden  kann,  so  doch  nicht  Cicero, 
ehe  feststeht,  dass  dieser  in  seinen  Tusculanen  sich  namentlich  an  Chry- 
sippos angeschlossen  hat.  Das  ist  aber  sehr  zweifelhaft.  Sodann  soll 
Seneca  aus  Theophrast  und  Hieronymos  geschöpft  haben,  und  die  Ueber- 
einstimmungen  zwischen  Seneca  und  Philodemos  mpt  drjyr^  führt  Allers 
auf  die  beiderseitige  Benutzung  der  chrysippischen  Schrift  mp">  naßwv 
zurück.  Schliesslich  verdankt  nach  dem  Verfasser  Seneca  auch  in  der 
Schrift  de  ira  Vieles  seinem  Lehrer  Sotion  und  für  einige  Stellen  ist 
dies  sicher  erwiesen,  vgl.  auch  dazu  den  Excursus  V  der  Dissertation 
von  Carl  Bure  seh,  Consolationum  a  Graecis  Romanisque  scriptarum 
historia  critica,  Lipsiae  1886.  Ich  vermuthe.  dass  Seneca  den  Sotion 
sehr  stark  ausgebeutet  hat,  freilich  würde  Sotion  dann  seinerseits  wie- 
derum auf  ältere  Quellen  zurückzuführen  sein. 

Eine  grössere  Arbeit  über  Seneca  ist  erschienen: 

Lo  Stoicismo  Romano  considerato  particolarmente  in  Seneca. 
Studio  di  Carlo  Corsi  con  una  lettera  del  Prof.  Augusto  Conti, 
Prato  1884.  IV.  331  S.  8  (vorher  veröffentlicht  in  Scienza  e  Lettere, 
Periodico  mensile  Toscano,  1883). 

Der  Einführungsbrief  Contis  giebt  nur  an,  dass  Corsi  auf  Anre- 
gung seines  Lehrers  Conti,  der  in  seinem  Cursus  die  stoische  Philoso- 
phie auch  behandelt  hatte,  sich  das  Thema  gewählt,  aber  bei  der  Aus- 
führung desselben  durchaus  selbständig  vorgegangen  sei.  Auf  ähnliche 
Weise,  aber  in  grösserer  Abhängigkeit  von  dem  Meister,  war  das  Buch 
Rossi's  über  den  Epikureismus  entstanden  (s.  u.  S.  78  f.). 

Nachdem  der  Verfasser  allgemeine  Betrachtungen  über  die  römi- 
sche Gesellschaft  in  den  ersten  Jahrhunderten  des  Kaiserreichs  und  über 
die  Philosophie  in  Rom  angestellt,  geht  er  in  sieben  Kapiteln  ausführ- 
lich auf  Seneca  ein,  zuerst  auf  sein  Leben  und  seinen  Charakter,  den 
er  vielleicht  etwas  zu  sehr  in  Schutz  nimmt,  dann  auf  seine  einzelnen 
Schriften,  hierauf  lässt  er  eine  kritische  Analyse  der  Lehre  des  Seneca 
folgen,  indem  er  erst  im  allgemeinen  die  ganze  Richtung  derselben  be- 


Carlo  Corsi,  Lo  Stoicismo  Romano  etc.  61 

spricht  und  dann  Einzelnes,  besonders  die  Lehre  von  Gott  und  die 
Ethik.     Ein  eigenes  Capitel  ist  den  Quaestiones  naturales  gewidmet. 

Habe  ich  auch  nicht  gerade  Neues  in  der  ganzen  Charakteristik 
und  Auffassung  des  Seneca  gefunden,  so  ist  doch  anzuerkennen,  dass 
der  Verfasser  fast  stets  das  Richtige  trifft  und  sagt,  wenn  er  z.  B.  das 
Vorherrschen  der  Parenese  bei  dem  Philosophen  betont,  wenn  er  aus- 
führt, wie  die  Strenge  der  alten  Stoa  durch  Seneca  als  römischen  Mo- 
ralisten wesentlich  gemildert  worden  sei.  Ich  stimme  ihm  auch  bei, 
wenn  er  bemerkt:  que  il  nostro  filosofo  non  e  un  retore  ne  un  decla- 
matore  di  professione,  und  ferner:  qu'egli  e  proprio  convinto  delle  dot- 
trine  que  va  predicando  agli  altri  e  que  egli  pure  ha  conosciuto  e  pro- 
fondamente  gustato  le  forti  consolazioni  della  verace  sapienza.  Dass  ein 
besonderes  Capitel  auch  das  sagenhafte  Verhältniss  des  Seneca  zu  Pau- 
lus und  hiermit  auch  zu  dem  Christenthum  behandelt,  ist  natürlich,  je- 
doch kommt  der  Verfasser  auch  hier  zu  annehmbaren  Resultaten,  indem 
er  z.  B.  den  directen  Einfluss  christlicher  Lehren  auf  die  Ansichten 
Senecas  abweist,  aber  eine  allgemeine  und  indirecte  Einwirkung  nicht 
gerade  ausschliessen  will.  Das  Schlusscapitel  des  ganzen  Werkes  hat 
die  Ueberschrift:  Efficacia  dello  Stoicismo  in  Roma,  und  handelt  in 
der  Kürze,  nur  etwas  zu  kurz  im  Verhältniss  zu  dem  Titel  des  ganzen 
Buches,  von  Persius,  Lucanus,  Juvenalis,  von  Musonios,  Epiktet,  Marc 
Aurel,  von  dem  Verfall  der  Stoa  und  dem  Uebergewicht  des  Christen- 
thums  über  die  alte  Philosophie.  Der  Verfasser  erkennt  hier  eine  indi- 
recte Vorbereitung  des  Christenthums  durch  die  Stoa  an,  una  prepara- 
zione  delle  anime  alle  dottrine  piü  pure,  proclamate  poi  dal  christi- 
anesimo  alla  piena  luce  del  giorno,  ohne  sich  auf  Einzelnes  einzulassen. 
Das  Buch  liest  sich  gut,  und  es  ist  anzuerkennen,  dass  sich  der  Ver- 
fasser mit  der  deutschen  und  mit  der  französischen  Litteratur  bekannt 
zeigt.     Namentlich  bezieht  er  sich  häufig  auf  Martha. 

Eine  Rettung  des  Seneca  bietet  uns  ein  Werk,  das  iu  doppelter 
Gestalt  vorliegt: 

S6neque  et  la  mort  d'Agrippine   par   H.  Dacbert,    Leiden  1884. 
264  S.  8. 

Etudes  sur  la  vie  de  S6neque  par  P.  Hochart.  Paris  1885.  VII, 
285  S.  8,  avec  Vignette. 

Herr  Hochart  hatte  zuerst  seine  Arbeit  Pseudonym  veröffentlicht, 
weil  er  nicht  das  nöthige  Vertrauen  in  seine  Kräfte  setzte  und  sich  vor 
dem  Fluch  der  Lächerlichkeit  fürchtete.  Er  will  dann  zur  Herausgabe 
unter  seinem  wirklichen  Namen  durch  die  Anerkennung  sachverständiger 
Gelehrter  bewogen  worden  sein.  Seneca  soll  nämlich  von  ihm  durchaus  rein 
gewaschen  werden,  in  welcher  Beziehung,  giebt  ja  der  Titel  der  eisten  Aus- 
gabe an.    Ein  Zwiespalt  zwischen  dem  Leben  des  Philosophou  und  der  von 


62         0-  H.  R,  Wetzstein,  L.  A.  Seneca  quid  de  nat.  hum.  senserit. 

ihm  auerkannten  Moral  soll  nicht  stattfinden.  Es  ist  dieses  Resultat 
nur  dadurch  zu  gewinnen,  dass  bedeutende  Textesentstellungen  hei  Ta- 
citus  angenommen  werden.  Der  Verfasser  verfährt  mit  grosser  Willkür 
und  hat  für  die  in  Rede  stehende  Sache  nichts  gethan.  Auch  seine 
Darstellung  des  Stoicismus  im  ersten  Capitel,  die  allerdings  nicht  übel 
geschrieben  ist,  bietet  nichts  Neues. 

Mehr  auf  Einzelnes  gehen  die  folgenden  Schriften: 

L.  Annaeus  Seneca  quid  de  natura  humana  censuerit,  dissert. 
inaug  ,  quam  —  proposuit  0.  H.  R.Wetzstein,  Carwitziensis,  Stre- 
litzae  novae  1881.    110  S.    8. 

In  fünf  Abschnitten  behandelt  der  Verfasser  sein  Thema:  1)  qua 
dignitate  geuus  humanuni  sit,  2)  de  natura  animi,  3)  de  corpore,  4)  de 
corruptione  naturae  humanae,  5)  de  morte  et  vita,  quae  post  mortem 
futura  sit.  Die  Eintheilung  ist  angemessen  und  bei  der  Darstellung 
selbst  ist  etwas  Wesentliches  nicht  übergangen,  auch  setzt  der  Verfasser 
Seneca  in  richtige  Beziehung  zu  der  stoischen  Schule,  zu  anderen  Phi- 
losophen und  zum  Christenthum,  ohne  dass  aber  der  Philosoph  durch 
die  Arbeit  geradezu  in  eine  neue  Beleuchtung  gebracht  würde.  Se- 
neca hält  sich  ja  selbst  populär,  so  sind  seine  Ansichten  leicht  zu  ver- 
stehen und  leicht  wiederzugeben  ;  es  kam  nur  darauf  an,  das  Zerstreute 
unter  richtigen  Gesichtspunkten  zu  sammeln  und  in  lesbarer  Form  dar- 
zustellen. Beides  ist  dem  Verfasser  gelungen.  In  den  Fehler  so  vieler 
Schriftsteller,  den  behandelten  Autor  zu  überschätzen,  ist  er  nicht  ver- 
fallen; er  erkennt  z.B.  an:  interiores  ac  reconditas  philosophiae  lite- 
ras  non  magis  illum  scrutatum  esse  quam  omnes  Romanorura  philoso- 
phos,  nur  hebt  er  das  Rhetorische  bei  Seneca  nicht  genug  hervor,  na- 
mentlich wenn  er  dessen  Tugendlehre  und  moralische  Ermahnungen  be- 
sonders hoch  stellt. 

Hier  will  ich  sogleich  anfügen: 

L.  Annaeus  Seneca  quid  senserit  de  rerum  natura  ac  de  vita  hu- 
mana. Von  Dr.  Binde.  Progr.  des  Kgl.  Evang.  Gymnasiums  zu  Gross- 
Glogau  1882  bis  1883,  Glogau  1883.  30  S.  4. 

Der  Verfasser  hat  sich  viel  vorgenommen  und  glaubt  es  ausge- 
führt zu  haben.  Von  seinem  ersten  Theil,  S.  3—11.  sagt  er:  quid  de 
rerum  natura  senserit,  collegi,  exposui,  cum  nostra  scientia  comparavi, 
comparata  interpretatus  sum.  Dass  er  hier  über  Allgemeines  nicht  hin- 
aus kommt,  braucht  kaum  besonders  erwähnt  zu  werden.  Man  lese  die 
Erklärung  dafür,  dass  Seneca  sich  überhaupt  mit  naturwissenschaftlichen 
Fragen  abgegeben  habe.  Vom  zweiten  Theil,  S.  12—20,  meint  er:  ea 
omnia  quae  Seneca  de  iis  rebus  iudieavit,  quibus  omnium  scientiarum 
summa  continetur,  de  natura  et  genere  humano  in  unum  congessi.  Zu- 
gleich will  er  hier  die  Anfänge  einer  Geschichtsphilosophie  bei  Seneca 


Ose.  Weissenfeis.  De  Seneca  Epicureo.  63 

aufgedeckt  haben  und  in  dieser  Beziehung  giebt  er  einiges  Gute.  Für 
den  dritten  Theil,  S.  20—30,  hat  er  sich  wiederum  eine  weite  Aufgabe 
gestellt:  de  Seneca  ipso  eiusque  doctrina  morali  quid  dictum  sit  et  a 
veteribus  et  a  recentioribus  audiamus  atque  examinemus,  aber  ausser- 
dem will  er  auch  hier  über  die  dem  Seneca  zur  Last  gelegten  Verbre- 
chen handeln,  und  giebt  sich  zuletzt  das  Zeugniss:  quod  volui  effecisse 
mihi  videor  vel  gravissima  quae  versa  sunt  in  mores  Senecae  crimina 
minime  esse  confirmata.  Neque  est  igitur  quod  dubitemus  quin  prae- 
cepta  moribus  eius  responderint.  -  Glücklich  der  Verfasser,  wenn  er 
mit  solcher  Zuversicht  seine  eigenen  Arbeiten  beurtheilt! 

Eine  ganz  besondere  Seite  bei  Seneca  wird  berücksichtigt  in: 

De  Seneca  Epicureo.     Scripsit  Oscar  Weissenfeis,  Berl.  1886. 
38  S.    4  (Programme  du  College  frangais). 

Dass  Seneca  im  allgemeinen  nicht  gegen  Epikur  eingenommen  ist, 
im  Gegentheil  denselben  sehr  hoch  stellt,  ist  bekannt.  Er  citiert  ihn 
häufig  und  läse  man  nur,  welches  Lob  der  Stoiker  dem  Epikur  spendet,  so 
könnte  man  geneigt  sein,  den  Seneca  geradezu  für  einen  Epikureer  zu 
halten.  Man  findet  das  Einzelne  in  dem  Index  von  Haase.  Der  Ver- 
fasser vorliegenden  Programms  lässt  es  sich  nun  angelegen  sein,  die 
offenbaren  Aehnlichkeiten  in  der  Lehre  hervorzuheben,  und  er  hat  in 
Wahrheit  da  auf  Mancherlei  hingewiesen,  was  der  Beachtung  werth  ist. 
Er  bemerkt  ganz  mit  Recht:  Utut  est,  profecto  ex  Senecae  libris  disci 
potest  in  magno  versari  errore,  qui  Zenonis  doctrinam  e  regione  cen- 
seant  Epicuri  oppositam  esse.  Es  ist  ja  auch  oft  schon  darauf  hinge- 
wiesen worden,  dass  in  den  praktischen  Lehren,  gewissermassen  in  den 
Enden  der  Theorie,  die  Stoiker  vielfach  mit  den  Epikureern  zu  harmo- 
nieren scheinen,  besonders  in  der  späteren  Zeit,  wo  die  Starrheit  der 
älteren  Stoa  schon  gebrochen  war,  und  wo  die  ganze  Philosophie  mehr 
noch  als  früher  praktische  Ziele  verfolgte.  Der  Unterschied  in  den 
Principien  bleibt  dabei  immer  als  ein  fundamentaler  besteheu,  und 
diesen  hält  auch  Seneca,  der  sich  ja  stets  offen  zur  Stoa  rechnet,  dem 
Epikur  gegenüber  aufrecht.  Man  darf  hier  auch  das  Scheidende  nicht 
verwischen,  wozu  Weissenfeis  bisweilen  in  erklärlicher  Weise  geneigt 
ist,  wenn  er  z.  B.  meint,  Seneca  habe  sich  von  der  stoischen  Lehre 
etwas  entfernt  und  sich  dem  Epikur  genähert,  quod  gaudium  concelebrat 
ut  sensum  vere  humanuni  ac  vel  sapiente  dignissimum.  Die  alteren 
Stoiker  nehmen  die  xaPri  an>  nur  *st  diese  etwas  ganz  Anderes  als  die 
epikureische  rfiovrr  —  Bei  den  Aussprüchen  über  Epikur  in  den  Briefen 
ist  übrigens  stets  zu  berücksichtigen,  dass  Lucilius  der  epikureischen 
Lehre  geneigt  war. 

Die  Schriften  von  Lövy-Brühl,  quid  Seneca  de  Deo  aenserit, 
These,  Paris  1884,  von  W.  T.  Jackson,  Seneca  and  Kant,  or  an  exposition 
of  stoie  and  rationalistic  ethics  with  a  comparison  and  criticism   of  the 


64       E.  Westerburg,  D.  Urspr.  der  Sage,  dass  Seneca  Christ  gew.  sei. 

two    Systems,    von    J.   A.  Heikel,    Senecas    Charakter    und    politische 
Thätigkeit  aus  seinen  Schriften  beleuchtet  (aus  den  Acta  scient.  fenuicae), 
Berlin  1886,  bedauere  ich,  nicht  erhalten  zu  haben. 
Eine  beachtenswerthe  Frage  betrifft: 

Der  Ursprung  der  Sage,  dass  Seneca  Christ  gewesen  sei.  Eine 
kritische  Untersuchung  nebst  einer  Recension  des  apokryphen  Brief- 
wechsels des  Apostels  Paulus  mit  Seneca,  von  Eugen  Westerburg, 
ordentlichem  Lehrer  an  dem  Gymnasium  zu  Barmen,  Berlin  1881. 
52  S.  8-  Vgl.  dazu  die  ausführliche  Recension  von  Ad.  Harnack  in 
der  Theol.  Literatur-Ztg.,  1881,  19,  S.  444-449. 

Am  frühesten  erwähnt  den  Briefwechsel  zwischen  Seneca  und 
Paulus,  der  sicherlich  Grund  zur  Bildung  der  Sage  vom  Cbristenthum 
des  Philosophen  mit  gewesen  ist,  Hieronymus,  de  viribus  illustr.  12, 
später  Augustinus  und  Pseudolinus,  dessen  Passio  Petri  et  Pauli  wenig- 
stens in  der  jetzigen  Fassung  nach  Hieronymus  niedergeschrieben  sein 
muss.  Westerburg  ist  nun  der  Ansicht,  dass  diese  Briefsammlung  aus 
zwei  verschiedenen  Schichten,  einer  älteren,  Br.  10-12,  und  einer 
jüngeren,  Br.  1  —  9  und  13  —  14,  besteht,  theils  wegen  der  abweichenden 
sprachlichen  Form,  theils  wegen  des  verschiedenen  Bildungsgrades  der 
beiden  Verfasser,  theils  und  zwar  namentlich  wegen  des  verschiedenen 
Verhältnisses  in  den  zwei  Gruppen  zwischen  Nero  einerseits  und  Paulus 
und  Seneca  andererseits.  Die  ältere  Sammlung  muss  vor  Hieronymus 
entstanden  sein,  da  dieser  aus  dem  11.  Briefe  citiert,  die  Abfassung 
der  jüngeren  setzt  Westerburg  aus  mir  freilich  zweifelhaft  scheinenden 
Gründen  in  die  karolingische  Zeit.  Es  ist  nicht  einmal  erwiesen,  dass 
der  Briefwechsel  wirklich  verschiedenen  Zeiten  und  verschiedenen  Ver- 
fassern angehört,  und  nicht  eine  frühere  Zeit  für  seine  Abfassung,  etwa 
die  Wende  des  zweiten  Jahrhunderts,  angenommen  werden  muss,  wie 
dies  z.  B.  von  Harnack  geschieht,  freilich  auf  Grund  der  diesem  als 
ganz  sicher  geltenden  Annahme,  dass  die  Briefe  zunächst  griechisch  ge- 
schrieben und  erst  sehr  viel  später  übertragen  worden  seien  von  einem 
des  Lateinischen  nicht  sehr  Kundigen.  Um  diese  Frage  nach  dem 
griechischen  Ursprung  zu  entscheiden,  bedürfte  es  aber  noch  einer 
genaueren  Untersuchung. 

Westerburg  sieht  nun  in  der  Uebereinstimmung  des  Pseudolinus 
mit  der  jüngeren  Gruppe  der  Briefe  Grund,  anzunehmen,  dass  sie  beide 
einen  dritten  ausgebeutet  haben,  dessen  Werk  verloren  gegangen 
sei,  aber  den  Paulus  in  Verbindung  bringe  mit  Poppaea  Sabina  und 
sogar  den  christenfeiudlichen  Nero  ziemlich  wohlwollend  gegen  den  Apo- 
stel erscheinen  lasse.  Diese  Angaben  könnten  aber  nur  auf  ebioniti- 
schen  Verdächtigungen  beruhen,  wenn  auch  die  Grundschrift  selbst  wie- 
der conciliatorischer  Tendenz  gewesen  sei,  und  so  werde  denn  auch 
Seneca  aus   Feindschaft  gegen   den  Paulus   mit  diesem   in  Verbindung 


Diels,  Seneca  und  Lucan.  65 

gebracht.  Diese  ganze  Sage,  aus  Gehässigkeit  entstanden,  habe  des- 
halb auch  erst  im  vierten  Jahrhundert  Gläubige  gefunden,  und  ein  sol- 
cher sei  auch  der  Verfasser  der  früheren  Briefgruppe  gewesen,  ohne 
aber  die  Nebenumstände  der  Sage  zu  kennen,  während  der  zweite  Fäl- 
scher auch  diese  in  seiner  Quelle  gefunden  und  benutzt  habe. 

Der  ganze  Aufbau  Westerburgs  ist  künstlich  und  setzt  Annahmen 
Baurs  und  seiner  Schüler  als  erwiesen  voraus,  mit  ihnen  fällt  auch  er 
zusammen.  Mir  scheint  neben  dem  Briefwechsel,  auf  Grund  dessen 
Hieronymus  allerdings  den  Seneca  in  dem  Catalogus  sanctorum  erwähnt, 
die  Annäherung  vieler  Sätze  des  Seneca  an  Lehren  des  Christenthums, 
in  Folge  deren  sogar  Tertullian  ihn  als  saepe  noster  bezeichnet,  die 
Entstehung  der  Sage  bewirkt  zu  haben;  der  letztere  Umstand  ist  wahr- 
scheinlich in  Berücksichtigung  von  Philipp.  4,  22  sogar  die  Ursache  für 
die  Fälschung  des  Briefwechsels  gewesen.  —  Verdieustlich  ist  die  Aus- 
gabe der  Briefe  bei  Westerburg,  die  er  mit  besonderer  Benutzung  der 
besten  Codices,  des  Mediolanensis  und  des  leider  1870  verbrannten 
Argentoratensis,  angefertigt  hat. 

Das  Werk  von  Joh.  Kreyher  über  L.  Ann.  Seneca  und  seine  Be- 
ziehungen zum  Christeuthum  ist  erst  1887  erschienen;  ich  habe  es  also 
hier  nicht  schon  zu  besprechen. 

Eine  vortreffliche  Arbeit,  die  das  Verhältniss  des  Seneca  zu  einem 
Dichter  betrifft,  sei  hier  nur  kurz  erwähnt,  da  sie  deu  letzteren  mehr 
angeht: 

Seneca  und  Lucan.  Von  Diels,  in  den  Abhandlungen  der  Kgl. 
Akad.  der  Wissenschaft  zu  Berlin  aus  dem  Jahre  1885,  Piniol,  bist. 
Abh.  II,  54  S. 

Dass  Lucanus,  der  Neffe  Senecas,  in  dem  Theile  seiner  Pharsalia, 
welcher  das  Geheimniss  des  Nils  zu  enthüllen  versucht,  nicht  unabhän- 
gig von  den  Naturales  quaestiones  seines  Oheims  sei,  war  schon  früher 
bekannt.  Diels  weist  in  vorliegender  Arbeit  nun  schlagend  nach,  dass 
die  Benutzung  eine  sehr  weitgehende  ist,  dass  sie  sich  sogar  nicht  sel- 
ten auf  Worte  erstreckt,  und  kommt  zu  dem  Resultate,  dass  Lucanus 
das  fertige  Buch  Senecas  vor  sich  gehabt  und  nicht  etwa  nach  Remi- 
niscenzen  gearbeitet  habe.  Die  Abfassungszeit  der  beiden  Schriften 
macht  dabei  keine  Schwierigkeit,  da  nach  Diels  im  J.  65  die  Naturales 
quaestiones  abgeschlossen  sein  konnten,  und  die  späteren  Bücher  der 
Pharsalia  kurze  Zeit  darauf  geschrieben  sein  müssen.  Nebenbei  berührt 
der  Verfasser,  dass  Seneca  dem  Poseidonios  viel  verdanke.  Als  Anhang 
giebt  Diels  die  betreffenden  Abschnitte  der  beiden  Schriftsteller,  Lucan. 
Pharsalia  X,  194—331,  und  Seneca  Natur,  quaest.  IV,  1.  2,  mit  genauem 
kritischem  Apparat. 

Hinweisen  will  ich  zum  Schluss  dieser  Besprechung  der  auf  Seneca 
bezüglichen   Schriften   noch   darauf,   dass   man   sich   in   Frankreich   viel 

Jahresbericht  für  Alterthumswissenschafr  L.   (1887.  I.)  5 


ßfi  (  onrati  Theol.  Graecao  Compeod.  rec    Lang. 

mit  diesem  Philosophen  beschäftigt,  wie,  abgesehen  von  den  schon  an- 
geftthrten  Schriften,  aus  einer  Anzahl  von  Ausgaben  und  Uebersetzungen. 
zum  Theil  mit  Anmerkungen  and  Einleitungen  versehen,  liervorgeht. 
Ich  nenne  hier:  De  vita  beata,  nouvelle  edition  annotee  et  precedee 
d'une  introduction  par  A.  Bertrand,  Paris  1883;  De  la  vie  heureuse, 
tradnction  de  J.  Baillard,  revue  et  augment£e  dune  introduction  par 
A.  Delaunay,  Paris  1885;  Ad  Lucilium  Epistolae  morales  I—  XVI, 
texte  latin,  publie  avec  une  notice  sur  la  vie  et  les  oeuvres  de  S6neque, 
et  des  notes  en  francais,  par  R.  Aube\  Paris  1885;  Lettres  ä  Lucilius 
I— XVI,  publiees  avec  une  introduction,  des  arguments  et  des  notes  par 
E.  Charles,  Paris  1886;  Ad  Lucilium  epistolae  sexdecim.  Nouvelle 
edition  avec  une  etude  sur  la  morale  stoicienne,  une  notice  biographique, 
des  notes  historiques  et  philosophiques  et  des  eclaircissements,  par  Lio- 
nel Dauriac,  Paris  1886,  siehe  zu  diesem  letzten  die  Recension  von 
M.  Ol.  Gertz  in  der  Berliner  philol.  Wochenschrift,  VI  1886,  S.  1603 
—  1605,  in  welcher  die  Einleitung  gelobt,  die  Herstellung  des  Textes 
aber  sehr  stark  getadelt  wird.  Auch  eine  spanische  Uebersetzung 
der  Tradatos  filosoficos  von  Fr.  Navarro  y  Calvo  ist  in  Madrid  er- 
schienen. 

Erfreulich  ist  es,  dass  die  Schrift  des  Kornutos  wieder  herausge- 
geben ist,  welche  seit  Osanns  editio  ex  schedis  d'Ausse  de  Villoison  von 
den  Philologen  nicht  viel  berücksichtigt  worden  ist: 

Cornuti  Theologiae  Graecae  Compendium  recens.  et  einend.  Ca- 
rol.  Lang,  Lipsiae  1881.  XIX.  125  S.  8.  (in  der  Bibliotheca  Teub- 
neriana). 

Die  Ausgabe  ist  mit  grosser  Sorgfalt  angefertigt  auf  Grund  des 
ziemlich  umfangreichen  handschriftlichen  Materials.  In  dem  Codicum 
recensus  sind  36  Handschriften,  nach  drei  Classeu  geordnet,  angeführt, 
eilf  davon  hat  Lang  selbst  vollständig,  darunter  fünf  von  Classe  a,  sechs 
zum  Theil  verglichen.  Der  Text  hat  nicht  unwesentlich  gewonnen,  in- 
dem die  Vermuthungen  Anderer  berücksichtigt  sind,  und  der  Heraus- 
geber mit  seinen  eigenen,  darunter  ganz  glücklichen,  nicht  zurück- 
hält; übrigens  meint  er,  dass  wohl  noch  mehr  Interpolationen  anzuneh- 
men seien,  als  er  angezeigt  habe.  Der  kritische  Apparat  findet  sich 
unter  dem  Text  in  grosser  Ausführlichkeit.  Man  kann  zweifelhaft  sein, 
ob  nicht  trotz  der  S.  XVIII  hervorgehobenen  Beschränkung  nicht  noch 
zu  viel  gegeben  ist. 

In  der  Praefatio  stellt  Lang  zunächst  den  Namen  des  Verfassers 
als  Kornutos  fest  gegenüber  dem  Phurnutus,  neigt  sich  dann  der  An- 
sicht mit  Entschiedenheit  zu,  dass  trotz  der  Trockenheit  des  Werkes 
doch  der  gefeierte  stoische  Philosoph,  der  Lehrer  des  Persius,  Verfasser 
desselben  sei.  Der  bestüberlieferte  Titel  ist:  izcdpo/irj  rcuv  xazä  ttjv 
EXKrjvixrjv   ftzukoycav   -aoad£öofidvw\>,  und  imdpo/iy  ist  nach  Praefatio  X 


P.  Wendland,  De  Musonio.  67 

nicht  zu  fassen  als  »impetus«,  sondern  als  »tumultuaria  et  compendiosa 

—  tractatio*,  wie  bei  Diog.  L.  VII,  48,  X.  11  imSpofii)  zivv  <pikoo6<puj)/. 

—  Woraus  Kornutos  sein  Werk   geschöpft  habe,   auf  diese  Frage  geht 
Lang  nicht  näher  ein. 

Das  Werk  von  Vinc  Papa:  Lo  Stoicismo  in  Persio,  Torino  1882, 
ist  mir  zu  meinem  Bedauern  nicht  zugekommen. 

Mit  einem  Stoiker,  der  bisher  wenig  behandelt  worden  ist,  be- 
schäftigt sich  eine  kleine  Schrift: 

Quaestiones  Musonianae.  De  Musonio  Stoico  Clementis  Alexan- 
drini aliorumque  auctore  scrips.  Paulus  Wendland,  ßeroliui  1886. 
66  S.  8. 

Dass  Clemens  in  seinen  Schriften  sich  viel  an  die  Stoiker  ange- 
lehnt hat,  ist  bekannt;  ich  habe  selbst  auf  Benutzung  der  Stoa  bei  ihm 
mehrfach  hingewiesen  In  einer  Reihe  von  Stellen  seines  Paedagogus 
stimmt  er  nun  im  Sinn,  aber  selbst  in  den  Worten,  mit  dem  was  wir 
bei  Stobaios  als  Auszüge  aus  Musonios  finden,  überein.  Das  Nächstlie- 
gende wäre  nun  anzunehmen,  dass  die  Schrift,  welche  Stobaios  excer- 
piert  hat,  auch  von  Clemens  benutzt  worden  sei,  aber  dies  weist  Wend- 
land mit  einleuchtenden  Gründen  als  unwahrscheinlich  zurück,  und  so 
bleibt  nur  übrig,  dass  beide  Autoren,  der,  welchen  Stobaios  vor  sich 
gehabt  hat,  und  Clemens,  aus  einer  und  derselben  Quelle  ge- 
schöpft haben.  Wendland  meint,  dass  dies  die  Aöyoi,  vielleicht  auch 
Aöyoi  (fuoooflaq  i%6ps\>oi  genannt,  des  Musonios  selbst  gewesen  seien, 
von  denen  Suidas  zu  berichten  weiss.  Nun  wird  allerdings  in  der  Regel 
daran  gezweifelt,  dass  Musonios  selbst  Schriften  hinterlassen  habe,  aber 
ein  vollgiltiges  Zeugniss  darüber  besitzen  wir  nicht,  im  Gegentheil  spricht 
noch  der  allerdings  unzuverlässige  Eunapios  von  ypdufiara  des  Muso- 
nios. Ich  halte  es  für  sehr  gut  möglich,  dass  die  'A-0/iv^jj.ove'jjj.aza 
Mouawvlou  to~j  (ptloGocpoo,  welche  Suidas  irrthümlich  dem  Asinius  Pollio 
zuschreibt,  Jonsius  richtiger  dem  Valerius  Pollio,  die  eigene  Schrift  des 
Musonios  zur  wesentlichen  Grundlage  hatte,  und  ich  möchte  demnach 
auch  den  Aufstellungen  Wendlands  betreffs  des  Verhältnisses  des  Cle- 
mens zu  Musonios  beipflichten.  Auf  übereinstimmende  Stellen  in  dem 
Paedagogus  des  Clemens  und  in  dem  pseudojustinischeu  Brief  an  Zena 
und  Serenus  sowie  in  Tertullians  Schriften  weist  Wendland  noch  hin  und 
macht  es  wahrscheinlich,  dass  in  den  letzteren  auch  Musonios  benutzt 
ist,  wie  er  auch  nachweist,  dass  Plutarch  und  manche  der  Neuplatoni- 
ker,  namentlich  Hierokles,  aus  Musonios  geschöpft  haben.  In  einem  Ex- 
curs  zum  Schluss  giebt  er  noch  ein  Beispiel  an  Clem.  Paedag.  III,  6, 
wie  man  mit  leichtester  Mühe  aus  Clemens  den  Wortlaut  des  Musonios 
herstellen  kann. 

Mit  Epiktet  hat  man  sich  mehrfach  beschäftigt.  In  Frankreich, 
wo  mau  eine  besondere  Vorliebe  für  diesen  Philosophen,  offenbar  wegen 

6« 


(1K  Schränke,    Her  Stoiker  KpiktH    11.  Beine  Philosophie. 

seiner  ins  Leben  eingreifenden  Moral,    hat,   ist   von  nincr  I  <  \><  -i  ■wtzung 
der  ätatptßai  eine  zweite  Auflage  erschienen: 

Les  Entretieos  d'Epictete  recueillia  par  Arrien.  Traduction 
nou volle  et  complete  par  V.  Courdaveaux,  deuxiome  ed.  revue  et 
corrigee,  Paria  1882.  XXX,  420  S.  8. 

Die  Uebersetzung  liest  sich  gut  und  ist,  soweit  ich  gesehen,  ziem- 
lich treu.  Das  Vorwort  zur  ersten  Aurlage,  die  vor  ungefähr  25  Jahren 
erschien,  ist  beinahe  ohne  Veränderung  wieder  abgedruckt.  In  der  kur- 
zen Vorrede  zur  vorliegenden  spricht  sich  der  Uebersetzer  mit  Wärme 
über  die  Ethik  Epiktets  aus,  bringt  sie  in  Vergleich  mit  der  Ethik  der 
Positivisten,  namentlich  der  französischen,  nur  fehle  der  letzteren  die 
Ansicht,  que  l'ideal  qui  rayonne  au  fond  de  nos  coeurs  —  soit  -  un  reflet 
de  l'ideal  d'en  haut«.  Dies  finde  man  aber  schon  bei  Epiktet.  —  So 
wohlgemeint  die  Absicht  des  Uebersetzers  bei  dieser  Nebeneinander- 
stellung ist,  so  scheint  mir  der  ganze  Versuch  doch  mehr  als  gewagt. 

Kaum  erwähnt  zu  werden  verdient: 

Der  Stoiker  Epiktet  und  seine  Philosophie.  Von  dem  philosoph. 
Doctor-Collegium  der  Universität  Prag  mit  dem  I.  Preise  gekrönte 
philos.  Monographie  von  Dr.  Eduard  Maria  Schranka,  Frankfurt 
a.  d.  0.   1885.   118  S.  8. 

Eine  höchst  oberflächliche  aber  mit  Ansprüchen  auftretende  Schrift. 
Man  sollte  nach  der  Anlage  und  Behandlung  des  Themas  meinen,  sie 
sei  auf  ein  grösseres  Publikum  berechnet,  vielleicht  um  ethisch  zu  wir- 
ken, würde  nicht  in  dem  litterar- historischen  Abschnitt  sowie  in  dem 
epiktetisch -terminologischen  Lexicou  ein  Aulauf  zur  Entwickeluug  einer 
gewissen  Gelehrsamkeit  genommen.  Freilich  kläglich  genug  fällt  der- 
selbe aus;  für  das  Lexicon  hat  der  Verf.  nur  das,  was  ihm  bei  der  Leetüre 
als  das  Wichtigste  erschien,  zusammengestellt  und  besprochen  und  wie 
besprochen!  Bei  ndpspya  heisst  es:  »Nebendinge,  die  nicht  wichtige 
Theile  sind.  Wir  wissen,  dass  viele  Schriftsteller  dieses  Wort  auch  als 
Titel  ihrer  kleinen  Schriften  gewählt  haben«.  Sogleich  darunter  bei 
■mptaTäatiq:  »Umstände.  Ich  möchte  es  am  besten  übersetzen  durch 
das  quis,  quid,  ubi«  etc.  Quis,  quid  sind  also  auch  nepurzdozig.  Verhält- 
nissmässig  erträglich  noch  ist  die  Darstellung  der  Lehre  Epiktets,  ob- 
wohl es  auch  hier  an  tieferem  Eindringen  und  Abruuduug.  die  freilich 
bei  Epiktet  nicht  leicht  zu  erzielen  ist,  fehlt.  Geradezu  lächerlich  da- 
gegen ist  der  erste  Abschnitt:  »Historiette  der  stoischen  Schule.«  Bios 
einen  Satz  daraus:  »Unter  den  Eleaten  stosseu  wir  bereits  auf  einen 
Namen  Zeno,  der  aber  noch  nicht  unser  Zeno,  Stifter  der  stoischen 
Schule  ist,  sondern  Zeno  von  Elea,  ein  Eleate.«  Iu  dieser  Art  oder 
noch  schlimmer  geht  es  weiter.  —  Zu  dem  mangelhaften  Inhalt  kom- 
men   noch    Ungeleukigkeit,    zugleich    aber    Gespreiztheit    der    Sprache, 


Epiktet.  69 

Wiederholungen,  sehr  viele  Druckfehler,  namentlich  in  dem  Griechischen, 
die  es  zweifelhaft  machen  können,  ob  der  Verfasser  überhaupt  Griechisch 
versteht  —  kurzum  das  Ganze  macht  einen  höchst  unerquicklichen 
Eindruck. 

Viel  gründlichere  Kenntniss  zeigt  sich  in  einem  Aufsatze: 

Epiktet  und  das  Christenthum.  Von  A.  Braune,  Stiftspfarrer  iu 
Altenburg,  in  der  Zeitschrift  für  kirchliche  Wissenschaft  und  kirch- 
liches Leben,  V,  1884,  S.  477—488. 

Den  specifischen  Unterschied  zwischen  der  christlichen  Lehre  und 
der  Epiktets,  bezw.  der  stoischen,  hebt  der  Verfasser  im  ganzen  richtig 
hervor.  Nur  behandelt  er  Anschauungen  als  specifisch  epiktetisch,  die 
in  der  stoischen  Lehre  tief  begründet  liegen.  Er  findet  Vortreffliches 
bei  Epiktet  und  würdigt  bei  ihm  die  Spuren  des  Xoyoq  anepixaztxog. 
Epiktet  kennt  nach  Braune  die  Nothwendigkeit  des  Umschwungs,  der 
Selbstbesserung,  aber  er  schreibt  dem  Menschen  die  Kraft  zu,  durch 
eigene  Anstrengung  die  fisTaßoÄrj  zou  yye/j.ovcxou  herbeizuführen;  er 
will  sich  durch  sich  selbst  retten:  der  Christ  wird  von  Ausserhalb  des 
Ich  gerettet.  Aber  der  Philosoph  ist  doch  keine  in  sich  befriedigte 
Persönlichkeit,  er  fühlt  den  Contrast  zwischen  Ideal  und  Wirklichkeit 
und  kann  das  erstere  trotz  alles  Bingens  nicht  erreichen.  So  hebt  der 
Idealismus  die  Philosophie  Epiktets  und  trägt  sie  —  es  hätte  nur 
heissen  müssen:  die  stoische  Philosophie  überhaupt.  —  Dieser  gegen- 
über ist  nun  der  wahre  Heiland,  der  wahre  Weise  Christus. 

Mit  der  Termiuologie  Epiktets  beschäftigt  sich: 

De  vocabulis  notionum  philosophicarum  in  Epicteti  libris  Disser- 
tationem  amplissimo  philos.  in  Academia  Ienensi  —  propos.  Joannes 
Stuhrmann,  typis  Brandenburgii  Neustadtensis  1885.    60  S.    8. 

Stuhrmann  behandelt  gemäss  der  stoischen  Eintheiluug  zuerst  die 
logischen  Begriffe,  d.  h.  die  aus  der  Erkenntnisslehre  und  aus  der  for- 
malen Logik,  dann  die  physischen  und  schliesslich  die  ethischen  und 
bringt  die  irgendwie  eingreifenden  zur  Sprache.  Besonders  viel  Baum 
widmet  er  der  (pavraoia,  und  auch  mit  Becht,  da  sie  eine  wichtige  Bolle 
in  der  stoischen  Lehre  und  besonders  bei  Epiktet  spielt.  Speciell  vou 
Epiktet  gebrauchte  Termini  giebt  es  nur  wenige,  dazu  gehören  die 
/isTanrnTovreg  Xuyoi,  die  mir  anderswoher  nicht  bekannt  sind.  Diese  er- 
klärt Stuhrmann  in  anderer  Weise  als  Schvveighäuser,  der  sie  bestimmt 
als  »argumentationes  sophisticae,  in  quibus  seuteutia  propositionum  vel 
terminorum,  cum  eadem  mauere  deberet,  callide  mutatur«.  Nach  dem 
Verfasser  sollen  sie  solche  Schlüsse  sein,  die  zur  propositio  maior  eiu  ä&w/jLa 
/xsTamnrov  haben,  wofür  Simplikios  als  Beispiel  gebraucht:  sc  Zfi  J-'W, 
Z^oe-cai  Aiu)v.  Der  Schluss  würde  dann  weiter  lauten:  Nun  lebt  Diou 
also      .  Es  könne  nun  leicht  vorkommen,  dass  später  die  Prämissen  nicht 


70  Epiktet,  Marc  Aurel. 

zugegeben  werden  dürfen,  und  deshalb  sei  der  h'jyog  ein  fitrancnrojv. 
Mir  scheint  diese  Auffassung  keineswegs  sicher,  besonders  deshalb  nicht, 
weil  Epiktet  die  Auflösung  dieser  iiezaruTt-zovTeg  nicht  für  ganz  leicht 
ansieht.  —  Neben  den  ftzraiUnrovres  werden  daa  truvrjjijievov,  das  otz^e>)y- 
/xivov,  das  trufinenXeyfievov ,  der  xopieuwv,  der  ipeuSöpevoe  erklärt,  ohne 
dass  eine  Verschiedenheit  dieser  logischen  Termini  gegen  den  sonstigen 
stoischen  Gebrauch  festzustellen  wäre.  Und  so  ist  es  weitaus  mit  den 
meisten  der  Begriffe.  Den  besonderen  Nutzen  der  Arbeit  vermag  ich 
deshalb  nicht  einzusehen,  zumal  wir  uns  aus  Schweighäusers  Index  Grae- 
citatis  in  Epicteti  Diss.,  Enchir.  et  Fragmenta  über  den  Sprachgebrauch 
Epiktets  schon  leidlich  orientieren  können.  Einigen  Werth  hat  die 
Dissertation  vielleicht  für  ein  etwaiges  Lexicon  der  stoischen  philoso- 
phischen Kunstausdrücke,  das  immerhin  eine  dankenswerthe  Gabe  wäre. 
—  Warum  es  nach  dem  Verfasser  lächerlich  sein  soll,  wenn  in  dem 
Passowschen  Wörterbuch  das  auvrjfj.jj.ivov  erklärt  wird  als  »ein  Satz,  in 
welchem,  das  Eine  zugegeben,  das  Andere  nothwendig  folgt«,  vermag  ich 
nicht  einzusehen. 

Kritische    Sorgfalt   ist   den    Commentarien    des    Kaisers    Marcus 
Antonin us  verschiedentlich  zu  Theil  geworden: 

Adnotationes  criticae  ad  Marcum  Antoninum  scripsit  Ioannes 
Stich,  Zweibrücken  1881,  Programm  des  Gymnasiums,  38  S.  8.  Siehe 
auch  von  demselben:  In  Marci  Autonini  commentarios,  im  Rhein. 
Mus.  36,  1881,  S.   175-  177. 

Kpi'txai  7iaparrjp7jaetg  ine  xujv  eig  kaozuv  12  ßtßliujv  Mäpxoo 
'Avtujvcvou  Auroxpäropog'  Pwprfi  und  llavay.  Sxa<pt8tü)zou,  iv  AByjv. 
1881.  16  S.    12. 

De  Marci  Antonini  commentariis.  Scripsit  A.  Nauck,  in  Melanges 
Greco- Romains  tires  du  bulletin  de  l'academie  imperiale  des  sciences 
de  St.  Petersbourg,  T.  V,  1,  St.  Petersburg  1884,  S.  1-21. 

Nauck  bringt  eine  Reihe  von  theils  angezeigten  theils  weniger 
notwendigen  Verbesserungen  durch  sämmtliche  zwölf  Bücher  hindurch, 
unter  denen  sich  sehr  Annehmbares  findet.  Von  Skaphidiotes,  dessen 
Schiiftchen  mir  nicht  vorliegt,  sagt  Stich:  Sunt  — maximam  partem  aliorurn 
repetitae  coniecturae.  Dieser  letzte  hat  nach  seinen  kritischen  Bemerkun- 
gen eine  Ausgabe  des  kaiserlichen  Philosophen  in  der  Bibliotheca  Teu- 
bneriana  veröffentlicht: 

Mdpxou  'Avtojv/vou  Auzoxpdropog  twv  eig  eauzbv  ßißtia  aß' .  D.  Im- 

peratoris   Marci    Antonini    Commentariorum    quos    sibi    ipse    scripsit 

libri  XII.  Recens.   Ioannes  Stich,    Lipsiae  1882.  XVIII,  211  S.   8. 

Seit  60  Jahren  ungefähr  war  das  Werk  nicht  ediert  worden,  und 

es  war  sehr  wünschenswert^  dass  eine  neue  Ausgabe  erschien,  und  wenn 


Marc  Aurel.  71 

durch  die  vorliegende  auch  weitaus  nicht  Alles  für  Marcus  Antoninus 
gethan  ist,  so  ist  doch  der  Text  jetzt  lesbarer  als  bei  Johannes  Matthias 
Schultz,  dessen  Verdienste  ich  übrigens  nicht  gering  schätze.  Stich  selbst 
spricht  sich  sehr  bescheiden  über  seine  Arbeit  aus:  Jam  emittiraus 
librum.  Quem  qui  leget,  ne  emendatum  ingenio  editoris  Antoniuum 
exspectet,  quaeso,  sed  retractatum  instructumque  eis  adminiculis,  quibus 
non  additis  emendari  Antonmus  non  potest.  Wir  finden  einen  aus- 
reichenden kritischen  Apparat  unter  dem  Text,  in  dem  zwar  nicht  sämmt- 
liche  Lesarten  omnia  menda,  wie  Stich  sagt  —  der  einzigen  vollständi- 
gen Handschrift,  des  codex  Palatinus  (A)  angegeben,  ebensowenig  wie 
die  aller  übrigen  Codices,  aber  namentlich  Emendationen  anderer  Ge- 
lehrter aufgeführt  sind.  Vorsichtig  ist  der  Herausgeber  gewesen  in  der 
Aufnahme  fremder,   noch  behutsamer  in  der  eigener  Conjecturen. 

In  der  Praefatio  spricht  sich  Stich  über  die  Handschriften  aus 
und  bringt  eine  erwähnenswerthe  Vermuthung  darüber,  warum  eine 
grössere  Anzahl  von  Handschriften  Fragmente  des  Marcus  Antoninus 
untermischt  mit  Fragmenten  aus  Aeliau -enthält.  Zum  Schluss  der 
Ausgabe  wird  uns  ein  ziemlich  reichhaltiger  Index  Graecus  geboten. 

Vor  dieser  Ausgabe  war  schon  erschienen: 

The  fourth  book  of  the  Meditations  of  Marcus  Aurelius  Antoninus. 
A  revised  text  with  translation  and  commentary  and  an  appendix  on 
the  relations  of  the  emperor  with  Cornelius  Fronto  by  Hastin gs 
Crossley,  M.  A.,  London  1881.    64  S.    8. 

Der  Herausgeber  hatte  die  Absicht  den  ganzen  Marcus  Antoninus 
im  Urtext  mit  englischer  Uebersetzung  und  Commentar  zu  veröffent- 
lichen. Da  er  aber  für  die  nächste  Zeit  dazu  nicht  kommen  würde, 
zieht  er  es  vor,  das,  was  er  fertig  hatte,  dem  Publicum  vorzulegen. 
Kritisch  ist  nicht  viel  geleistet,  in  der  sachlichen  Erklärung  findet  sich 
manches  Brauchbare,  die  Uebersetzung  ist  ganz  geschickt  gemacht.  Im 
Anhang  geht  er  auf  den  Briefwechsel  des  Kaisers  mit  seinem  Lehrer 
Fronto  ein  und  sucht  die  Bedeutung  desselben  für  die  Kenntuiss  der 
früheren  Lebensperiode  des  Kaisers  festzustellen. 

Wenn  wir  auf  die  Lehre  und  den  Charakter  Marc  Aureis  über- 
gehen, so  ist  hier  ein  Vortrag  zunächst  zu  nennen: 

Ein  Philosoph  auf  dem  Throne  (Marc  Aurel),  von  Dr.  Johann 
Münzer.  Beilage  No.  IV  zu  No.  6  der  Monatsblätter  des  wissen- 
schaftlichen Club  in  Wien  vom  15.  März  1884.    10  S.    4. 

Ohne  gerade  neue  Aufklärungen  oder  Auffassungen  zu  bringen, 
entwirft  der  Verfasser,  nachdem  er  im  Allgemeinen  über  die  stoische 
Philosophie  gesprochen,  ein  wahrheitsgetreues  Bild  Marc  Aureis,  wobei 
er  besonders  auf  die  Einheit  von  Lehre  uud  Leben  des  Kaisers  Nach- 
druck legt.     Das  rege  Pflichtgefühl,  die  Unterordnung  unter  das  Ganze, 


72  Marc  Aurel. 

die  Menschenliebe  werden  mit  Recht  betont  —  nebenbei  findet  der  Ver- 
fasser auch  den  Kampf  ums  Dasein  schon  bei  Marc  Aurel  in  demselben 
Sinne  wie  bei  Darwin,  nur  nach  verschiedener  Richtung  des  Individuums, 
bei  dem  ersteren  mehr  nach  der  sittlichen,  bei  dem  zweiten  mehr  nach 
der  vegetativen  Seite  des  Lebens  hin.  —  Auffällig  ist  es,  dass  der  Ver- 
fasser neben  Thrasea,  Helvidius  auch  Brutus  und  Cato  zu  den  Män- 
nern des  Jahrhunderts  Marc  Aureis  zahlt. 

Ein  ausgesprochener,  etwas  rhetorisch  gehaltener  Pauegyricus  auf 
Marc  Aurel  ist: 

Bassano  Gabba,  Di  Marco  Aurelio  Antonino  imperatore.  Con- 
ferenza  detta  nel  circolo  filologico  Milanese  il  18.  Maggio  1884,  Mi- 
lano  1884.  48  S.  8- 

Der  Verfasser  sieht  als  Norm  des  Kaisers  für  sein  ganzes  Ver- 
halten an:  dimenticare  di  essere  Cesare  per  ricordarsi  di  esser  uomo 
e  cittadino  soltanto,  giebt  aus  den  Selbstbetrachtungen  besonders  be- 
zeichnende Sentenzen  Marc  Aureis  in  Uebersetzung  und  verfolgt  dann, 
wie  weit  der  Kaiser  im  Regierungsberuf  seinen  eigenen  Lehren  ent- 
sprochen habe.  Die  grösste  Bewunderung,  die  grössten  Lobpreisungen 
werden  ausgesprochen;  der  ganze  Ton,  der  durch  den  Vortrag  geht, 
lässt  sich  in  dem  Satze  erkennen:  II  suo  governo  rimase  come  una  no- 
stalgia  ed  una  espirazione  nel  cuore  dell'  umanitä,  che  ha  sempre  invi- 
diato  quei  tempi  e  invocato  dei  futuri  che  li  eguagliassero.  Weniger 
prunkende  Worte  und  etwas  mehr  historische  Besonnenheit  wären  am 
Platze  gewesen,  um  den  selbst  so  einfach  auftretenden  Kaiser  und  Phi- 
losophen im  richtigen  Lichte  erscheinen  zu  lassen. 
Sehr  lesenswerth  ist  der  Aufsatz: 

Die  Moral  in  Marc  Aurel's  Meditationen.  Von  Dr.  Chr.  E  Lut- 
hardt,  in  der  Zeitschrift  für  kirchliche  Wissenschaft  und  kirchliches 
Leben  1881,  S.  324—335. 

Die  Sittenlehre  des  kaiserlichen  Stoikers  wird  hier  kurz  und 
treffend  dargestellt.  Zuletzt  ist  darauf  hingewiesen,  dass,  wie  im  Grie- 
chenthum  überhaupt,  so  auch  bei  Marc  Aurel  die  Erkenntniss  der  Weg 
zur  Sittlichkeit  sei,  dass  die  Erkenntniss  aber  nur  Sache  weniger,  und 
so  auch  in  den  Meditationen  trotz  aller  schönen  Worte  von  Menschen- 
liebe ein  Zug  von  Verachtung  der  Masse  zu  bemerken  sei.  Hiermit 
verbinde  sich  die  Verkennung  der  Bedeutung  des  Willens,  d.  h.  des 
eigentlichen  sittlichen  Charakters.  Wenn  Luthardt  zuletzt  meint,  die 
Moral  Marc  Aureis  gebe  dem  Leben  eine  durchgängige  Beziehung  zur 
Gottheit  und  sei  von  dem  im  Grunde  dem  Alterthum  fremden  Gedanken 
der  Allgemeinheit  beherrscht,  aber  diese  Allgemeinheit  der  stoischen 
Denkweise  sei  verhältnissmässig  inhaltsleer,  und  so  sei  denn  diese  Moral 
gross   in  Rhetorik  aber  schwach  in   Kraft,    so    möchte    ich    gegen    die 


Andronikos  von  Rhodos.  73 

letzte  Bemerkung  hervorheben,  dass  unter  den  Stoikern  eine  Reihe 
sittlich  grosser  Charaktere  zu  verzeichnen  ist,  und  also  von  einer  blossen 
rhetorischen  auf  das  Leben  wirkungslosen  Moral  nicht  wohl  gesprochen 
werden  kann. 

Auf  die  Philosophie  Marc  Aureis  scheint  das  grössere  Werk  von 
P.  B.  Watson,  the  life  of  Marcus  Aurelius  Antoninus,  London  1884, 
nicht  besonders  einzugehen.  Es  ist  mir  nicht  zu  Gesicht  gekommen, 
vergl.  darüber  Saturday  Review,  1884,  No.  1513,  S.  537.  Ebenso  wenig 
habe  ich  einsehen  können  A.  Huit,  le  stoicisme  de  Marc-Aurele,  in  den 
Annales  de  philos.  chretienne,  Octobre  1882. 

Vieles  Stoische  findet  sich  bekanntlich  in  der  Zusammenstellung 
IJepl  naBSiv,  die  uns  unter  dem  Namen  des  Andronikos  von  Rhodos 
überliefert  ist.  Eine  vortreffliche  neue  Ausgabe  dieser  seit  Höschel  ver- 
nachlässigten Schrift  besitzen  wir  nun: 

Andronici  qui  fertur  libelli  mp\  rraHwv.  Pars  prior  de  affectibus. 
Novis  codicibus  adhibitis  recens.  et  quaestiones  ad  Stoicorum  doctrinam 
de  affectibus  pertinentes  adiecit  Xaver.  Kreuttner,  Heidelbergae 
1884.  50  S.  8  (Doctor-Dissert.). 

Andronici  Rhodii  qui  fertur  libelli  nepl  tjiBojv.  Pars  altera  de 
virtutibus  et  vitiis.  Dissert.  philol.,  quam  —  scripsit  Carol.  Schuch- 
hardt,  Darrastadiae  1883.  84  S.  8  (Heidelb.  Doctor-Dissert.). 

Von  den  beiden  jungen  Gelehrten  ist  zur  Herstellung  des  Textes 
namentlich  der  Cod.  Coislinianus  120  aus  dem  X.  Jahrhundert,  weitaus 
der  beste  für  dieses  Schriftchen,  benutzt  worden,  und  der  Text  sieht 
nun  ganz  anders  aus,  als  z.  B.  noch  bei  Mullach  (s.  oben  S.  17).  In 
dem  zweiten  Theil  ist  bekanntlich  die  pseudo-aristotelische  Schrift  -tp\ 
äperwv  xat  xuxcwv  verwendet,  die  sich  auch  bei  Stobaios,  Floril  I,  18 
findet.  So  sind  auch  Handschriften  dieses  pseudo-aristotelischen  Werk- 
chens und  des  Stobaios  mit  herangezogen  worden.  An  sich  hat  die 
kurze  Compilation  wenig  Werth,  sie  gewinnt  einen  solchen  erst  durch 
Vergleichung  mit  den  uns  sonst  überlieferten  identischen  oder  ähnlichen 
Definitionen  der  Affecte,  der  Tugenden  und  Laster.  Die  beiden  Her- 
ausgeber haben  diese  Vergleichung  wesentlich  erleichtert,  Kreuttner,  in- 
dem er  die  Parallelstellen  unter  den  kritischen  Anmerkungen  mit  an- 
nähernder Vollständigkeit  angegeben  hat.  Schuchhardt,  indem  er  am 
Ende  seiner  Dissertation  eine  tabellarische  Uebersicht  der  stoischeu 
Definitionen  nach  Andronikos,  Stobaios.  Diogenes,  Plutarch,  Sextus  Em- 
piricus,  Clemens  Alexandrinas,  Cicero.  Galenos,  Seneca  u.  a.  anfügt. 
Von  wem  die  Zusammenstellung  herrührt,  isl  angewiss.  Dass  ihr  Ur- 
heber nicht  Audronicus  Callisti  (so  heissl  er  and  nicht  Gallistas,  8.  in 
der  oben  besprochenen  Abhandlung  von  0.  Apelt,  S.  516)  sein  kann, 
geht    schon   daraus  liervor.  dass  der  Coislinianus  Jahrhunderte   früher 


74  Andronikos  von  Rhodos. 

geschrieben  ist,  als  dieser  Andronicus  gelebt  hat.  Wie  Andronikos  der  Peri- 
patetiker  für  den  Verfasser  ausgegeben  wurde,  dafür  giebt  Apelt  (siehe 
oben)  nach  Richter  (Ueberlieferung  der  stoischen  Affecte  1873)  eine  an- 
sprechende Erklärung. 

Der  Werth  der  Ausgabe  ist  noch  bedeutend  erhöht  durch  die  in 
beiden  Dissertationen  angefügten  Untersuchungen.  Kreuttner  han- 
delt zunächst  von  der  Ueberlieferung  der  Definitionen  der  Affecte  bei 
Cicero,  Stobaios  und  Diogenes,  ohne  dabei  zu  sicheren  Ergebnissen  zu 
kommen.  Sehr  zweifelhaft  namentlich  ist  das  Resultat  betreffs  Ciceros:  quod 
Cicero  vertit  compendium  Antiochi  esse,  qui  maximam  partem  Posidonii  li- 
brum  compilans  suo  iure  nonnulla  addidit  et  immiseuit.  Der  Verf.  meint 
schliesslich  selbst:  cum  pateat  nos  adhuc  qualis  traditionis  condicio  sit  pa- 
runi  perspicere,  non  miramur,  quid  Stoici  de  perturbationibus  docuerint  ut 
distinete  et  fuse  exponatur  non  posse.  Doch  geht  er  auf  die  Entwicke- 
lung  der  Lehre  bei  Zenon,  Chrysippos  und  Poseidonios  ein.  Dass  Zeuon 
noch  die  platonische  Dreitheilung  der  Seele  angenommen  habe,  ist  mir 
sehr  zweifelhaft.  Den  Hauptunterschied  zwischen  Chrysippos  und  Po- 
seidonios in  der  Lehre  der  Affecte  sieht  Kreuttner  darin,  quod  ille 
iudicia  esse  voluit  perturbationes,  hie  in  iudieiis  posuit  causam  pertur- 
bationum.  Chrysippos  ist  damit  richtig  gekennzeichnet,  aber  Poseidonios 
gewiss  nicht.  Zuletzt  macht  der  Herausgeber  noch  werthvolle  Bemer- 
kungen über  die  einzelnen  Definitionen  und  deren  Herkunft,  und  ich 
stimme  ihm  vollkommen  darin  bei,  dass  bei  Pseudo-Andronikos  die  For- 
meln des  Chrysippos  recht  treu  erhalten  sind.  —  Verdienstlich  ist  es 
noch,  dass  er  aufmerksam  macht  auf  die  »Ethica  seeuudum  Stoicos 
composita  per  D.  Barlaamum«,  von  Heinr.  Canisius  in  Lectiouum  antiqu. 
t.  VI,  1604,  und  in  der  Biblioth.  scr.  eccles.  Leid,  tom  XXVI,  1675 
herausgegeben.   Er  findet  in  dieser  Abhandlnng  Spuren  des  Poseidonios. 

In  ähnlicher  Weise  stellt  Schuchhardt  Untersuchungen  über  die 
stoischen  Definitionen  der  Tugenden,  namentlich  über  deren  Ursprung 
an.  Wir  stossen  hier  besonders  auf  die  Spuren  von  Zenon  und  Chry- 
sippos; in  Betreff  des  letzteren  sagt  der  Verfasser  mit  Recht:  Chrysippi 
—  definitiones  ita  undique  recurrunt,  ut  non  dubium  sit,  quin  quae  ab 
illo  inventae  erant,  a  posterioribus  philosophis  fere  non  mutatae  reci- 
perentur.  Auf  Zenon  führt  er  die  allgemeinen  Definitionen  der  Tugen- 
den bei  Diogenes  zurück.  Und  so  ist  auch  anzunehmen,  dass  der  Grün- 
der der  Stoa  nicht  in  der  Weise  schon  die  Definitionen  bis  in  das 
Einzelnste  ausgebildet  hat,  wie  dies  dann  der  logisch  subtile  Chrysip- 
pos that. 

Wenden  wir  uns  zur  Epikureischen  Schule,  so  will  ich  zunächst 
das  auf  die  Schriften  Epikurs  und  Philodemos  Bezügliche  anführen. 

Schon  in  der  Rivista  filologica,  1879  (s.  meinen  Bericht  über  die 
in  den  Jahren  1876—1880  erschieueueu  Schriften,  S-  29)  hatte  Dome- 
nico Comparetti  Fragmente  einer  ethischen  Schrift  Epikurs  aus  einem 


Epikur.  75 

herculanensischen  Papyrus  veröffentlicht,  diese  Ausgabe  aber  nur  als 
eine  vorläufige  bezeichnet,  der  eine  edizione  definitiva,  criticamente 
illustrata  etc.  folgen  sollte.     Dies  Versprechen  hat  er  jetzt  erfüllt  in: 

Frammenti  delP  Etica  di  Epicuro  tratti  da  un  papiro  Ercolanese, 
in:  Museo  Italiano  di  anticbitä  classica  diretto  da  Domenico  Com- 
paretti,  Vol.  I,  Firenze  1885,  S.  67-88. 

Nach  der  beigegebenen  Phototypie  des  Papyrus  zu  ermessen,  war 
es  eine  saure  Arbeit,  eine  Zeichnung  der  Reste  anzufertigen,  die  auch 
auf  einer  zweiten  Tafel  beigefügt  ist,  und  dann  diese  Ueberbleibsel  noch 
in  verständlicher  Weise  zu  ergänzen.  Der  gelehrte  Philolog  sagt  selbst: 
Ho  posto  la  massima  diligenza  nel  determinare  il  testo  colla  maggior 
possibile  sicurezza,  ricercando  gli  errori  dell'  antico  amannense,  ritro- 
vando  i  sovrapposti  e  le  altre  cause  di  allucinazione,  e  supplendo  con 
critica  cautela,  evitando  ogni  fantastica  audacia.  Soweit  ich  verglichen 
habe,  hat  er  seine  Thätigkeit  richtig  geschildert.  In  dem  kritischen 
und  erklärenden  Commentar  hat  er  sich  auf  das  Nöthige  beschränkt, 
dies  aber  auch  wirklich  gegeben. 

Dass  die  Fragmente  von  Epikur  herrühren,  hatte  Comparetti  schon 
früher  mit  im  ganzen  überzeugenden  Gründen  dargethan,  er  wiederholt 
dieselben  jetzt  und  hält  auch  wohl  mit  Recht  daran  fest,  dass  die  Bruch- 
stücke der  Epikureischen  Schrift  mpl  alpsascov  xat  ipoyujv  entstammen. 
Wir  finden  so  in  diesen  Fragmenten  geradezu  den  Kernpunkt  der  Epi- 
kureischen Ethik  behandelt  und  festgestellt  im  Gegensatz  zu  der  kyre- 
naischen,  und  es  muss  uns  die  ganze  Entdeckung  Comparettis  um  so 
werthvoller  sein,  als  die  bisher  in  den  Papyri  gefundenen  Fragmente 
Epikurs  nur  aus  dessen  Physik  herrühren. 

Einen  Artikel  von  W.  Scott,  A  newly  identified  fragment  of  Epi- 
curus  nepi  <püaeojg  im  Journal  of  philology,  XIII,  1886,  S.  289  —  298, 
habe  ich  nicht  einsehen  können,  da  mir  das  betreffende  Journal  hier 
nicht  zur  Verfügung  steht. 

Die  Probe  einer  Ausgabe  der  uns  noch  überlieferten  Schriften 
und  Fragmente  Epikurs  mit  Ausschluss  der  aus  den  herculanensischen 
Rollen  genommenen  Fragmente  des  Werks  nepl  <püoews  liegt  vor  iu 
dem  Index  scholarum,  quae  —  in  Universitate  Fridericia  Guilelma  Rhe- 
nana  per  menses  hibernos  anni  1880  1881  habebuntur.  Inest  Epicuri 
ab  H.  Usenero   recogniti  specimen,  Bonnae.  VIII  S.  4. 

Usener  giebt  hier  den  Anfang  des  Briefes  an  Herodotos  nament- 
lich auf  Grund  der  besten  italischen  Handschriften,  die  Wachsmuth 
früher  verglichen  hatte,  zweier  Pariser  Handschriften  und  des  ältesten 
Laurentianus.  Von  der  projeetirten  Sammlung  der  Epikureischen  Schrit- 
ten und  Fragmente  waren,  wie  ich  aus  Natorp,  Forschungen  S.  209, 
Anm.  1,  ersehe,  schon  im  Jahre  1884  21  Bogen  gedruckt;  dioelbeu 
sind  auch   schon  von  Natorp  mehrfach  benutz!  und  citiert  worden.    Die 


76  Epikur,  Philodemos 

Ausgabe  ist  aber  bisher  nicht  im  Buchhandel  erschienen,  und  nun  sehe 
ich  zu  meiner  Freude  aus  den  Mittheilungen  der  Verlagsbuchhandlung 
von  B.  G.  Teubner,  1887,  No.  2,  dass  jetzt  sichere  Aussicht  auf  Ver- 
öffentlichung ist  unter  dem  Titel:  Epicurea  ed.  H ermann us  Usener1), 
und  dass  auch  ein  erschöpfendes  Glossarium  Epicureum  hinzukommen 
wird.  Alle  Freunde  der  alten  Philosophie  werden  die  längst  erwartete 
Arbeit  des  hochverdienten  Forschers  mit  grösster  Genugtuung  and 
Dankbarkeit  begrüssen.  Für  das  sachliche  Verständniss  der  erhaltenen 
Schriften  Epikurs  soll  eine  Beilage  dienen. 

Für  einen  Theil  eines  Briefes  haben  wir  einstweilen  von  anderer 
Seite  eine  Erläuterung  erhalten : 

Epikurs  Brief  an  Herodot,  68  83,  übersetzt  und  erläutert  von 
A.  Brieger,  Halle  a.  S.  1882.   28  S.   4.  Progr.  des  Stadtgymnas. 

Der  um  Lucrez  so  wohl  verdiente  Gelehrte  hat  uns  hier  eine  treff- 
liche Uebersetzung  geboten  und  den  Commentar,  in  dem  sich  sehr  Gutes 
findet,  namentlich  sachlich  gehalten,  worauf  es  ihm  besonders  ankam,  da 
er  damit  umgeht,  für  eine  geplante  grössere  Lucrez -Ausgabe  Epikur 
wesentlich  mit  zu  benutzen. 

Der  Theil  einer  Schrift  des  Philodemos  ist  neu  herausgegeben, 
nachdem  schon  Th.  Gomperz  in  Hermes,  Bd.  12,  1878,  S.  223  —  225 
die  Probe  einer  Bearbeitung  veröffentlicht  hatte: 

0tXüortiioQ  Tiepl  Saväroo  J.  Philodemos  Ueber  den  Tod,  viertes 
Buch.  Nach  der  Oxforder  und  Neapolitaner  Abschrift  herausgegeben 
von  Siegfried  Mekler,  Wien  1886.  52  S.  8. 

Das  von  der  Schrift  bis  jetzt  allein  aufgefundene  vierte  Buch  ist 
1848  nach  der  Neapolitaner  Abschrift  im  9.  Bande  der  Herculanensia 
Volumina,  Collectio  prior,  veröffentlicht  worden,  freilich  in  sehr  fragwür- 
diger Gestalt,  da  einmal  die  Copie  nicht  genau  angefertigt,  und  sodann  der 
Bearbeiter  Ottaviani  seiner  Aufgabe  nicht  gewachsen  war.  Mekler  wurde 
nun  dadurch,  dass  ihm  Gomperz  das  ihm  gehörende  Facsimile  der  in 
der  Bodleiana  sich  befindenden  Hayterschen  Copie,  die  treuer  ist  als 
die  Neapolitaner,  überliess,  in  den  Stand  gesetzt,  sich  der  Herausgabe 
zu  unterziehen,  bei  der  er  noch  »durch  zahlreiche  Ergänzungen  —  wie 
durch  werthvolle  Nachweise  im  sachlichen  und  sprachlichen  Gebiete« 
von  Gomperz  unterstützt  wurde,  und  hat  so  einen  namentlich  in  den 
letzten  besterhaltenen  Partien  verhältnissmässig  lesbaren  Text  geliefert. 
Mängel  an  demselben,  die  sich  besonders  auf  Nichtberücksichtigung  der 
Gesetze  des  Hiatus  und  der  Worttrennuug  am  Zeilenende  beziehen,  hat 
Herrn.  Di  eis  in  seiner  Recension,  Deutsche  Literatur -Zeitung  1886, 
S.  515 f.  mit  Recht  gerügt;  auch  hat  derselbe  a.  a.  0.  einige  Supple- 
mente gegeben.  —  Die  fast  durchaus  kritischen  Anmerkungen  Meklers 
sind  möglichst  knapp  gehalten. 


l)  Ende  des  Jahres  1887  erschienen. 


Walter,  Scott,  Fragmenta  Herculanensia.  77 

Der  Inhalt  des  Buches  erinnert  sehr  an  die  Trostschriften  des 
Alterthums,  indem  namentlich  das  bekannte  Epikureische  Argument, 
dass  der  Tod  die  Lebenden  nichts  angehe,  gebraucht  wird,  und  es  ist 
zu  bedauern,  dass  C.  Buresch  nicht  in  der  Lage  gewesen  ist,  in  seiner 
früher  (S.  43)  besprochenen  Schrift  das  Buch,  wenigstens  in  dieser  neuen 
Gestalt,  zu  berücksichtigen.  Er  giebt  aber  zum  Schluss  seiner  Abhand- 
lung S.  142  —  164  ein  Epimetrum  de  Philodemi  -spl  Bavdrou  libro,  in 
welchem  er  eine  Reihe  von  beachtenswerthen  Verbesserungen  bringt. 

Das  Programm  von  Georg  Schmidt,  Philoderaea,  Beilage  zum 
Jahresbericht  der  St.  Katharinenschule  in  St.  Petersburg,  1885,  ist  mir 
nicht  zu  Gesicht  gekommen.  Ich  kenne  dasselbe  nur  aus  der  Recension 
von  Hugo  Landwehr  in  der  Berliner  Philologischen  Wochenschrift, 
1886,  S.  1082 f.,  aus  welcher  ich  entnehme,  dass  darin  25  Stellen  der 
Schrift  mpc  zuaeßei'ag  in  zum  Theil  gelungener  Weise  behandelt  sind. 
—  Auf  die  Ausgabe  der  Epigramme  Philodems  von  Georg.  Kaibel, 
Universitätsprogramm  von  Greifswald,  sowie  auf  die  Edition  der  Bücher 
de  musica  desselben  Autors  von  J.  Kempke  habe  ich  hier  nicht  ein- 
zugehen. 

Von  grosser  Bedeutung  für  die  Kenntniss  der  in  Herculaneum  ge- 
fundenen Papyri  ist  das  Werk: 

Fragmenta  Herculanensia.  A  descriptive  catalogue  of  the 
Oxford  copies  of  the  Herculanean  rolls  together  with  the  texts  of 
several  papyn  accompanied  by  facsimiles  edit.  with  iutroduction  and 
notes  by  Walter  Scott,  Oxford,  1885.  VII,  325  S.  XLI.  8. 

In  der  sehr  instructiven  Einleitung  giebt  Scott  eine  Art  Geschichte 
der  Rollen  seit  ihrer  Auffindung.  Besonders  interessieren  uns  hier  die 
Mittheilungen,  dass  John  Hayter  auf  Veranlassung  des  damaligen  Prin- 
zen von  Wales,  später  Königs  Georg  IV,  von  1802  bis  1806  Leiter  des 
Aufrollens  und  Copierens  der  Papyri  war,  und  dass  er  nach  der  fran- 
zösischen Invasion  die  angefertigten  Bleistiftcopien  und  die  Stiche  von 
der  Schrift  r.spl  havä-wj  und  von  dem  Carmen  Latinum  de  hello  Actiaco 
mit  nach  England  nahm,  wo  sie  der  Universität  Oxford  eiuverleibt  wur- 
den. Hiernach  erfolgten  in  England  die  Veröffentlichungen,  zuerst  ein 
Stück  von  ns.p\  eijozßtiag,  später  die  beiden  Theile  der  Herculanensia 
Volumina  zu  Oxford,  in  denen  jedoch  von  den  etwa  hundert  Copien  uur 
sieben  herausgegeben  sind.  Auch  die  beiden  Neapolitaner  Collectiones 
bespricht  Scott  in  richtiger  Scheidung  ihrer  Werthes.  Was  die  aufge- 
fundene Bibliothek  selbst  betrifft,  so  huldigt  Scott  der  Ansicht,  dass 
diese  durch  Philodemos  selbst  angelegt  sei,  und  schliesst  sich  Comparetti 
ferner  an,  wenn  dieser  (siehe  La  villa  dei  Pisoni  e  la  sua  biblioteca  in 
der  Festschrift:  Pompei  e  la  regioue  sotterrata  de]  Vesnvio,  Napoli  1879» 
dagegen   Tb.  Mommseu,  Inschriftbüsten  in  der  Archäologischen  Zeitung 


78  Walter,  Scott,  Kragmenta  Herculanensia. 

1880,  S.  32 ff.)  vermuthet,  das  Haus  der  Bibliothek  sei  das  des  Calpurnius 
Piso   Caesoninus.    Beide  Meinungen  scheinen  mir  freilich  sehr  anfechtbar. 

Auf  die  Einleitung  folgt  S.  19-52  Katalog  und  Beschreibung  der 
Oxforder  Facsimiles,  womit  Scott  eine  Ergänzung  von  Comparettis  Be- 
schreibung der  Neapolitaner  Copien  geben  will,  siehe  Relazioue  sui 
papiri  Ercolanesi,  Roma  1880  von  Comparetti  und  Villa  Ercolanese  dei 
Pisoni  von  Comparetti  e  de  Petra,  Torino  1883,  welch  letzteres  Werk 
ich  leider  nicht  habe  einsehen  können.  Und  zwar  ist  dieser  Katalog 
Scotts  ein  doppelter:  in  dem  ersten  beschreibt  er  alle  die  Oxforder 
Facsimiles  in  der  Ordnung,  wie  sie  sich  in  sieben  Bänden  finden;  in 
dem  zweiten,  mit  dem  Titel  Groups  of  connected  rolls,  stellt  er  gewisse 
Papyri,  die  Theile  desselben  Werks  sind  oder  doch  einen  ähnlichen  In- 
halt haben,  in  fünf  "Gruppen  zusammen:  'Emxoupoo  nepl  (füaewg ,  Bio- 
graphical  rolls,  0tlobrtpoo  ns.pi  xaxtcuv  xai  rujv  dvTixztpzvujv  dperatv, 
nepi  no^pä-iüv,  nepl  ßqToptxijs,  und  giebt  zugleich  genau  an,  was  von 
diesem  Material  schon  veröffentlicht,  und  wo  dies  geschehen  ist.  Hier- 
auf folgt  der  Text  einer  Anzahl  Papyri  mit  kritischen  und  erklärenden 
Anmerkungen,  bei  l)  und  2)  unter  Zugabe  einer  Nachbildung  der  Ox- 
forder Copien,  nämlich:  1)  Pap.  157 — 152.  (Ddoorjtiou  mpl  Usw\>  ötayw- 
yrjg,  2)  Pap.  26.  0cXo8rjpou  nepl  Bewv  «',3)  Pap.  19  —  698  (nepl  alo&r)- 
aewg'i),  4)  Pap.  1013  {Trept  pawop.ei'ajv?),  5)  Pap  862  {xzp\  padyaeejs?), 
von  denen  die  drei  letzten  überhaupt  noch  nicht  veröffentlicht  waren. 
Um  die  Herstellung  des  Textes  hat  sich  Scott  entschiedene  Verdienste  er- 
worben und  auch  zum  Verständniss  des  Sachlichen  viel  beigetragen. 
Zum  Schluss  fügt  er  noch  die  Hayterschen  Stiche  von  Philodemos'  nepl 
&avd-ou  und  des  Carmen  Latinum  hinzu.  Uebrigens  bleiben  von  beiden 
Rollen  einige  Fragmente,  die  nicht  von  Hayter  mit  gestochen  waren, 
noch  unveröffentlicht.  —  Siehe  auch  die  anerkennende  Besprechung 
dieses  Werkes  von  Fried r.  Blass  in  den  Göttinger  Gelehrten  An- 
zeigen,  1886,  I,  S.  537-540. 

Gehen  wir  jetzt  auf  die  Schriften  über  Epikurs  Lehre  und  die 
Epikureische  Schule  ein,  so  habe  ich  einen  Nachtrag  für  den  Jahresbe- 
richt 1880  zu  liefern,  nämlich: 

A.  Conti  e  G.  Rossi,  Esame  della  Filosofia  Epicurea  nelle  sue 
fonti  e  nella  storia,  Firenze  1879.    264  S.    8. 

Aus  den  philosophischen  Vorlesungen  und  Uebungen  Contis  ist 
dies  Buch  entstanden;  deshalb  die  zwei  Namen  auf  dem  Titel;  das 
Hauptverdienst  bei  der  Abfassung  desselben  schreibt  aber  Conti  seinem 
Schüler  Rossi  zu.  Die  Arbeit  ist  zur  Einführung  in  die  Epikureische  Philo- 
sophie nicht  ungeeignet,  bringt  aber  in  keiner  Weise,  soweit  ich  ge- 
sehen habe,  neue  wissenschaftliche  Resultate,  stellt  auch  in  keinem 
Punkte  genauere  Untersuchungen  an.  Manches  für  das  Epikureische 
System   Charakteristische   wird  sogar    darin    übergangen.      Nach    allge- 


Epikureische  Philosophie.  79 

meiner  gehaltenen  Capiteln  über  die  Vorläufer  Epikurs,  über  Epikur 
selbst,  über  die  die  seiner  Philosophie  zu  Grunde  liegenden  Gedanken, 
über  die  historischen  Quellen  derselben,  wird  der  Inhalt  der  drei  uns 
bei  Diogenes  überlieferten  Briefe  Epikurs  angegeben,  dann  werden  die 
Fragmente  Epikurs  besprochen,  und  nachdem  wiederum  allgemeine  Be- 
merkungen über  Lucrez  vorausgeschickt  sind,  folgt  in  sechs  Capiteln  der 
Inhalt  der  sechs  Bücher  des  Lucrezischen  Gedichtes.  Die  besondern 
Capitel  über  den  Epikureismus  in  Griechenland  und  Rom  sind  dürftig, 
ebenso  der  Schluss,  der  auf  den  Epikureismus  zur  Zeit  der  Renaissance, 
bei  Gassendi  und  in  der  modernen  Wissenschaft  kurz  eingeht.  Die  ein- 
zelnen physicalischen  Lehre  sind  im  ganzen  richtig  gewürdigt;  wenn 
aber  zum  Schluss  das  Urtheil  über  Epikur  dahin  lautet,  dass  der  Physik, 
namentlich  dem  Atomismus  desselbeu  manche  Schulen  der  Gegenwart 
huldigen  könnten,  während  seine  Moral  von  keiner  modernen  Schule  an- 
genommen werden  würde,  so  kann  man  nur  dem  ersten  Theil  desselben 
zustimmen. 

Auf  das  Ganze  der  Epikureischen  Lehre  geht: 

De  philosophia  Epicuri.  Diss.  inaug.,  quam  —  scripsit  Herrn. 
Pachnicke,  Halle  1882.   48  S.   8. 

Der  Verfasser  greift  nicht  einzelne  Punkte  zur  besondere  Unter- 
suchung oder  Klarstellung  heraus,  sondern  behandelt  die  drei  Theile 
der  Epikureischen  Philosophie  nach  einander,  am  ausführlichsten  die 
Ethik,  und  giebt  sich  Mühe,  den  Epikur  in  vortheilhaftem  Lichte  er- 
scheinen zu  lassen,  ihn  von  manchen  scheinbaren  Widersprüchen  zu  be- 
freien und  seiner  Lehre  gemachte  Vorwürfe  zu  entkräften.  Dass  ihm 
dies  nicht  durchweg  gelungen  sein  kann,  erhellt  schon  aus  der  Kürze 
seiner  Arbeit.  —  Die  Abhandlung  liest  sich  gut;  doch  habe  ich  Neues 
in  ihr  nicht  gefunden. 

Ebensowenig  werden  wir  in  die  Tiefe  und  die  Bedeutung  der 
Epikureischeu  Lehre  eingeführt  durch  eine  audere  Arbeit: 

Ueber  griechischen  und  römischen  Epikureismus  von  B.  Schwen, 
Programm  der  Realschule  1.  Ordnung  zu  Tarnowitz,  1881.  20  S.  4. 

Der  Verfasser  will  den  Epikureismus  in  der  richtigen  Weise  wür- 
digen und  meint,  dass  die  abfällige  Beurtheilung  desselben  grössteu- 
theils  beruhe  auf  einem  mangelnden  Verständnis  der  Verhältnisse,  Hüter 
denen  sich  diese  Lehre  gebildet  und  ausgebreitet  habe.  Nun  diese 
könnten  immer  berücksichtigt  werden,  ohne  dass  man  der  Richtung,  ab- 
gesehen von  dem  Anerkennen  der  geschichtlichen  Berechtigung  /u  ihrer 
Zeit  irgend  welchen  Beifall  zollte.  —  Uebrigens  scheint  Schwen  selbst 
manches  sehr  Bedeutungsvolle  in  der  epikureischen  Lehre,  sowie  manche 
Hauptvertreter   derselben,   z.  B.   den  Philodemos,  gar  nicht   zu   kennen. 


80  Epikureische  Philosophie. 

oder  hält  sich  absichtlich  ihrer  Erwähnung    fern.   —    Eigentlich   wissen- 
schaftliche Forschung  finden  wir  in  dem  Programm  nicht. 

Nicht  eine  Darstellung,   vielmehr  eine  Kritik  der  bisherigen  Dar- 
stellungen der  Physik  Epikurs  sind: 

Einleitende  Bemerkungen  zu  einer  Untersuchung  über  den  Werth 
der  Naturphilosophie  des  Epikur  von  Dr.  Paul  von  Gizycki. 
Wissenschaftliche  Beilage  zum  Programm  des  städtisch.  Progymnasiums, 
Berlin   1884.  26  S.  4. 

Der  Verfasser  hat  aus  seiner  Vorliebe  für  Epikur  schon  in  seiner 
Dissertation  kein  Hehl  gemacht,  siehe  den  Jahresbericht  aus  dem  Jahre 
1880,  S.  25 f.  In  dem  vorliegenden  Programm  bringt  er  nun  einige  Be- 
merkungen über  die  Methode,  die  allein  eine  gerechte  Beurtheilung  der 
Epikureischen  Physik  ermögliche,  Bemerkungen,  die  natürlich  überhaupt 
für  geschichtliche  Darstellungen  der  Philosophie  gelten  sollen.  Er  spricht 
da  zuerst  über  die  subjeetive  Darstellung  der  Geschichte  der  Philoso- 
phie, die  darin  bestehe,  dass  der  Historiker  seinen  eigenen  metaphy- 
sischen Standpunkt  an  die  Arbeit  heranbringe  und  ihn  zur  Norm  bei 
der  Beurtheilung  mache.  Diese  Methode  verdeutlicht  Gizycki  nun  an 
der  Art,  wie  Hegel,  Ritter  und  Zeller  Epikur  behandeln,  und  es  lässt 
sich  nicht  leugnen,  dass  bei  diesen  dreien,  bei  Ritter  am  meisten,  bei 
Zeller  am  wenigsten,  der  eingenommene  Standpunkt  das  Urtheil  zu  stark 
beeinflusst  hat,  so  dass  es  kein  durchaus  gerechtes  genannt  werden 
kann.  Dieser  Methode  setzt  dann  der  Verfasser  die  objeetive  Darstellung 
der  Geschichte  der  Philosophie  als  die  zu  befolgende  gegenüber,  die  im 
wesentlichen  darauf  hinauslaufe,  dass  der  Inhalt  der  einzelnen  Schriften 
möglichst  in  dem  Zusammenhange,  wie  ihn  der  Autor  selbst  geboten 
habe,  wiedergegeben  werde.  Er  verhehlt  sich  aber  selbst  nicht,  dass 
sogar  bei  diesem  Verfahren  Zu-  oder  Abneigung  für  einen  bestimmten 
Philosophen  Subjectives  in  die  Darstellung  von  dessen  Lehre  hinein- 
bringen kann.  Auf  andere  Mängel  dieser  Methode  kann  ich  hier  nicht 
eingehen ;  ich  will  nur  noch  bemerken,  dass  Giiycki  mit  Recht  statt  der 
subjeetiven  Kritik  das  Urtheil  der  Geschichte  selbst  verlangt,  d.  h.  es 
soll  der  Darstellung  der  Lehre  des  Philosophen  eine  auf  Thatsächliches 
gegründete  Geschichte  der  Entwicklung  seiner  Gedanken  folgen.  Epikur 
würde  bei  dieser  Art  von  Kritik  mit  seiner  Naturphilosophie  sich  nicht 
schlecht  stehen. 

Einen  nicht  unwichtigen  Punkt  in  der  Epikureischen  Physik  betrifft : 

The  physical  Constitution  of  the  Epicurean  Gods  by  W.  Scott, 
in  The  Journal  of  Philology,  Vol.  12,  1883,  S.  212-247. 

Es  dreht  sich  hier  besonders  um  die  Auslegung  von  Cic  Nat. 
D.  I,  49,  in  welcher  der  Verfasser  sich  an  Bachelier  (siehe  Revue  de 
philol.  1877,  S.  264)   anschliesst.      Er  kommt   dabei   zu  folgenden   Re- 


Epikureer,  Philodemos.  81 

sultate:  Die  Götter  sind  zwar  materiell,  aber  von  einer  viel  feineren 
Textur  als  die  menschlichen  Körper  oder  sonstige  tastbare  Dinge.  Sie 
haben  keine  materielle  sondern  nur  formale  Identität,  d.  h.  der  Stoff, 
aus  dem  sie  gebildet  werden,  wechselt  fortwährend,  wird  immer  durch 
neuen  ersetzt,  während  die  Form  allein  unverändert  zurückbleibt.  Sie 
werden  zu  Stande  gebracht  durch  stetige  Aufeinanderfolge  von  Bildern 
»or  material  films«  von  sehr  ähnlicher  Form,  welche  aus  der  unend- 
lichen Masse  der  Atome  zuströmen  und  in  ihrem  Zusammentreffen  für 
einen  Moment  das  Sein  der  Götter  bilden;  dann  strömen  sie  wieder 
nach  allen  Richtungen  auseinander,  treten  in  die  Menschen  ein  und 
bringen  so  die  Vorstellungen  von  den  seligen  und  ewigen  Wesen  her- 
vor, deren  Körper  sie  für  einen  Moment  mit  gebildet  haben,  und  deren 
Form  sie  noch  tragen.  Siehe  auch  Fragmeuta  Hercul.  desselben  Ver- 
fassers S.  196 f.  Zur  Bestätigung  seiner  Autfassung  zieht  Scott  Stelleu 
aus  Philodemos  itepi  euaeßeeag  und  xe[A  Hsujv  Siayajy^g  heran,  an  deren 
Interpretation  er  sich  mit  Glück  versucht.  —  Schwierigkeiten  in  der 
Lehre  von  der  Materialität  der  Götter  bleiben  freilich  bei  der  Auffassung 
Scotts  noch  zurück,  so  sehr  wir  auch  seinen  Scharfsinn  anerkennen 
mögen. 

Eine  schätzbare  Arbeit  ist: 

De  Philodemi  libro  qui  est:  nepl  arjfieiatv  xa>  ayjfieuoaewv  et  Epi- 
cureorum  doctrina  logica.  Diss.  inaug.  quam  —  defendet  scriptor 
Robertus  Philippson,  Berol.  1881  (Druckfehler:  1831).  78  S.  8. 
Den  Gedankengang  der  betreffenden  Schrift  des  Philodemos  bat 
früher  schon  Bahnsch  in  klarer  Weise  dargelegt  (siehe  Jahresber.  1880, 
I,  S.  29  f.).  Der  Verfasser  vorliegender  Dissertation  hat  sich  seine  Ziele 
etwas  weiter  gesteckt,  indem  er  von  Philodemos  ausgehend  den  Zusam- 
menhang der  Lehre  Zenons,  die  bekanntlich  von  Philodemos  dem  Wesen 
nach  vorgetragen  wird,  mit  der  des  Meisters  Epikur  und  anderer  Schulen 
verfolgen  will.  Nachdem  er  zunächst  de  libri  forma  et  dispositione  ge- 
sprochen hat,  wobei  er  zu  dem  Resultate  kommt,  dass  der  uns  erhalte- 
nen Widerlegung  der  Stoiker  auch  noch  ein  positiver  Theil  vorausge- 
gangen sei,  und  dass  die  Schrift  Dicht  zum  Zwecke  der  Veröffentlichung, 
sondern  zum  Privatgebrauch  des  L.  Galpurnius  Piso  verfasst  worden  sei, 
nachdem  er  ferner  einige  Stellen,  namentlich  zwei  Fragmente  aus  dem 
ersten  Theile  nach  Möglichkeit  wieder  hergestellt  bat,  geht  er  auf  die 
Kanonik  Epikurs  ein,  und  er  führt  den  Beweis  dafür,  dass  Epikur  in 
seiner   »Kanon«    betitelten  Schrift  alle    Eindrücke  der  Seele  aia&yaste 

genannt,     nachher    aber,    nachdem    er    einen    eigenen    Theil    der    Seele, 

Stdvoca,  für  das  Zustandekommen    dieser   Eindrücke  angenommen,   die- 
selben als  tpoLvraaiat  bezeichnet  und  unterschieden  habe   «wischen  r   St1 
alo&yoeujG  (pavTaala  oder  aiodr]Oi$  und  ij  duAvoijTtxy  paveaofa  oder  .. 
raartx^  imßoty  rijedtavofas  (wie  Träume  und  Vorstellungen  Wahnsinniger) 

labreiberichl  fUi   Uterthom  bf   i.     iiss:    i  i  ii 


82  Epikureer,  Skeptiker. 

Durch  Annahme  dieser  Aenderung  j;i»iknis  selbst  heben  sich  die  Diffe- 
renzen, die  sich  Jon  '  in  seiner  Lehre  vom  Kriterium  zu  finden  scheinen. 
Wenn  Philippson  weiter  sagt,  die  Qualitäten  inhalierten  den  Körpern 
nicht,  sondern  seien  nur  Formen,  anter  denen  die  Dinge  von  den  Sinnen 
aufgefasst  winden  ,  so  isl  zu  vergleichen  die  bald  zu  erwähnende  Ab- 
handlung Natorps. 

In  dem  Capitel  de  Zenonis  doctrina  logica  schreibt  er  diesem  Epi- 
kureer al>  speeifisch  die  xa&'  Sfiotov  fierdßaoig  zu,  eine  transitio  a 
rebus  similibus  significantibus  de  rebus  abditis  et  quae  similitudinem  cum 
illis  possideant  Es  wird  dieser  Sehluss  ebenso  für  die  npoefievovra 
wie  für  die  wirklichen  ädtjXa  gebraucht.  Der  Unterschied  zwischen  der 
i-ayojyr,  und  diesem  modus  simililudinis  sei,  meint  der  Verfasser,  der, 
dass  die  erstere  von  Einzelnen  auf  Allgemeines,  der  letztere  von  Ein- 
zelnen durch  Allgemeines  auf  Einzelnes  wieder  schliesse.  So  sei  denn 
diese  neue  Art  bei  Zenon  das,  was  wir  jetzt  in  der  Logik  Analogie- 
schluss  zu  nennen  pflegen.  Mir  ist  es  freilich  nicht  sicher,  dass  es  nur 
auf  diesen  bei  Zenon  hinauskommt.  --  Die  Quellen  für  die  Neuerungen 
Zenons  findet  Philippson  namentlich  bei  den  Empirikern,  wobei  er  noch 
untersucht,  wie  die  Uebereinstimmuug  der  epikureischen  Kanonik  mit 
den  Empirikern  zu  erklären  sei;  er  führt  diese  auf  eine  gemeinsame 
Benutzung  des  Nausiphaues  zurück,  der  selbst  wieder  stark  auf  Aristo- 
teles hinweise.  —  Einen  interessanten  Gegenstand  behandelt  das  Capitel 
de  signorum  memoria.  Die  Lehre  von  den  Zeichen  spielte  eine  Rolle 
bei  den  Stoikern  wie  bei  den  Epikureern,  und  Skeptiker  kämpften  auf 
das  heftigste  gegen  sie.  Sextus  kennt  das  ayfiscov  Imoiivijazixo^  durch 
welches  ~b.  nobg  xaipbv  aorlo.,  und  das  ayfiecov  ivdsixzcxov,  durch  welches 
za  if'jGzi  ädyAa  erkannt  werden  sollten  Philippson  meint,  Erfinder  des 
ivdeixrtxöv  seien  die  logischen,  die  des  bno[iv7)<jTixa»  —  quum  praesertira 
id  Sexto  et  quod  veri  simile  est  aliis  Scepticis  probatum  esse  sciamus  — 
die  empirischen  Aerzte  gewesen.  (Siehe  übrigens  hierzu  den  Aufsatz 
Natorps  über  die  Erfahrungslehre  der  Skeptiker.)  Die  stoische  Lehre 
von  den  Zeichen  bringt  Philippson  mit  Recht  mehr  in  Verbindung  mit 
Aristoteles  und  den  Rhetoren. 

Sehr  beachtenswerthe  Beiträge  zur  Kenntniss  der  empirisch-skep- 
tischen Richtung  in  der  griechischen  Philosophie  bieten  die 

Forschungen  zur  Geschichte  des  Erkenutnissproblems  im  Alter- 
tbum.  Protagoras,  Demokrit,  Epikur  und  die  Skepsis  von  Dr.  Paul 
Natorp,  Privatdocent  an  der  Universität  Marburg,  Berlin  1884.  VII, 
315  S.    8. 

Der  gelehrte  Verfasser  hat  mit  grosser  Genauigkeit  und  auch 
Scharfsinn  gearbeitet,  und  wenn  manche  seiner  Resultate  auch  anfecht- 
bar sind,  so  ist  andererseits  sehr  anzuerkennen,  dass  er  betreffs  der 
Behandlung  der  erkenutnisstheoretischen  Probleme   im   Alterthum  nicht 


P.  Natorp,   Forschung,  z.  Gesch.  des  Erkenntnissproblems.  83 

unwichtige  Aufklärungen  gegeben  hat.  Die  sich  auf  die  Skepsis  bezie- 
henden Aufsätze  werde  ich  sehr  bald  zu  erwähnen  haben.  Epikur  und  die 
epikureische  Schule,  d.  h.  die  Erfahrungslehre  der  Epikureer,  bilden 
das  Thema  für  den  fünften  Aufsatz,  S.  209-255.  Epikur  wird  von  Na- 
torp mit  Recht  als  reiner  Sensualist  dargestellt.  Er  soll  zwar  auch  in 
der  Kanonik  von  Demokrit  ausgehen,  aber  die  Lehre  Demokrits  auf- 
geben, nach  der  »die  Sinne  keine  Wahrheit  haben,  blos  subjective  Er- 
scheinung, nichts  auch  objectiv  und  an  sich  Vorhandenes  darstellen«. 
Die  Wahrnehmung  ist  durchaus  wahr,  nimmt  das  Seiende  auf,  wie  es 
selbst  seiner  Natur  nach  ist.  Der  Unterschied  zwischen  primären  und 
secundären  Qualitäten  existiert  nicht;  »die  sinnlichen  Beschaffenheiten 
sind  wirkliche  Existenzen,  nicht  nur  Erscheinungen,  sie  sind  nicht  — 
Substanzen  wie  die  Körper,  aber  dennoch  —  wahre  Beschaffenheiten  an 
den  Körperu,  denen  sie  inhärieren«.  Dies  letztere  stellt  Natorp  auch 
gegen  die  Auffassung  Zellers  fest. 

Trotz  seines  Sensualismus  kann  Epikur  doch  auf  eine  rationale 
Grundlage  seines  Atomismus  nicht  ganz  verzichten,  so  dass  es  neben 
den  Sinnen  auch  einen  Äofia/xog  giebt.  Freilich  denkt  er  sich  diesen 
als  sinnliches  Vermögen ,  als  sublimierte  Wahrnehmung.  Von  die- 
ser Iuconsequenz  abgesehen,  konnte  das  System  im  Gebiete  der  Erfah- 
rung treffliche  Dienste  leisten  und  enthielt  auch  die  Grundlagen  zur 
Theorie  eines  Erfahrungsbeweises,  die  dann  in  der  Schule  weiter  be- 
nutzt wurden.  Freilich  zeigt  sich  nach  den  Ausführungen  Natorps  auch 
in  dieser  Weiterbildung  bei  Zenon  noch  der  Grundfehler:  Es  wird  mit 
der  unveränderlich  beharrenden  Wesenheit  der  Dinge,  mit  der  unver- 
änderlich beharrenden  Gesetzlichkeit  ihrer  Veränderung,  worauf  der 
Schluss  nach  der  Uebereinstimmung  der  Merkmale  beruht,  etwas  in 
die  Theorie  gebracht,  das  sie  nicht  aus  sich  begründen  konnte.  Gegen 
diese  Fundamente  richtete  sich  nun  nach  Natorp  vor  allen  anderen 
Ainesidemos. 

Den  Skeptikern  hat  man  in  den  letzten  Jahren  mehrfach  Auf- 
merksamkeit zugewandt.     Ich  nenne  zuerst  die  Arbeiten  von: 

Rud.  Hirzel,  Ursprung  der  Skepsis:  a)  Ursprung  der  pyrrhoni- 
schen  Skepsis,  b)  Ursprung  der  akademischen  Skepsis,  und  die  wei- 
tere Entwickelung  der  Skepsis:  a)  Die  Entwickelung  der  pyrrhoni- 
schen  Skepsis,  b)  die  Entwickelung  der  akademischen  Skepsis,  S.  1 
bis  251  des  dritten  Bandes  der  S.  46  ff.  schon  besprochenen  Untersu- 
chungen zu  Ciceros  philosophischen  Schriften. 

Ferner  will  ich  hier  sogleich  nennen  die  Abhandlungen  von 

Paul  Natorp,  Aenesidem,  Die  Erfahrungslehrc  der  Skeptiker 
und  ihr  Ursprung,  Die  Skepsis  Aenesidems  im  Verhältniss  zu  Demo- 
krit und  Epikur,  Kritischer  Anhang,  S.  1      02.   127       168,  256  — 2S">, 

6« 


84  R-  Hirzel,  Untersuchung,  zu  Ciceroa  pbil.  Schritten. 

286—306   in   den    soeben   besprochenen   Forschungen  zur  Geschichte 
<los  Erkenntnissproblems  im  Alterthum. 

Hierher  gehört  auch  das  Programm: 

Die  Tropen  der  griechischen  Skeptiker,  Cap.  I  — III  <j.  Von  Dr. 
Eugen  Pappenheim,  Berlin  1885.  24  S.  i.  Wissenschaftliche  Bei- 
lage zum  Programm  des  Kölnischen  Gymnasiums  1885. 

Pyrrhon  hat  nun  nach  Hirzel  wesentlich  an  Demokrit  angeknüpft, 
wie  dies  die  Ueberlieferung  schon  angebe  und  daraus  hervorgehe, 
diese  ältere  Skepsis  nicht  dialektischer  Art  sei,  unter  den  Zweifelsgrün  - 
den  die  Meinungsverschiedenheit  nicht  besonders  betone,  im  wesent- 
lichen nur  die  sinnliche  Wahrnehmung  bestreite,  und  dass  ihre  Ethik 
auch  auf  demselben  Grunde  wie  die  Demokrits  beruhe.  Gegen  diese 
Aufstellung  mit  Ausnahme  des  letzten  Punktes  wendet  sich  Natorp,  der 
zwar  auch  einen  bedeutenden  Einfluss  Demokrits  auf  die  pyrrhonische 
Skepsis  anerkennt,  aber  mit  Recht  betont,  dass  dialektische  Argumen- 
tationen, ähnlich  denen  des  Diodor,  sich  schon  bei  den  ältesten  Skeptikern 
finden,  und  dass  aus  einem  Nichtvorkommen  in  den  zehn  Tropen  keines- 
wegs auf  ein  Nichtvorkommen  bei  Pyrrhon  und  Timou  zu  schliessen  sei. 
Noch  entschiedener  ist  die  Herleitung  Hirzels  bestritten  von  Pappen- 
heim in  dem  ersten  Theil  seines  Programms,  der  vielmehr  den  Zusam- 
menhang der  skeptischen  Ansicht  mit  den  ävrdoyixo}  Xoyot  des  Zeit- 
alters der  Sophisten  (s.  schon  Plat.  Phaid.  90  C)  annimmt,  indem  er 
aus  den  »sich  widersprechenden  Reden«  die  ino%y,  das  Princip  der  skep- 
tischen Schule,  hervorgehen  lässt.  Pappenheim  legt  dabei  zu  wenig  Ge- 
wicht auf  den  geschichtlich  beglaubigten  Zusammenhang  des  Urhebers 
der  Skepsis  mit  dem  Demokritismus,  hat  aber  mit  Recht  hervorgehoben, 
dass  man  zu  Pyrrhons  Zeit  allgemein  das  Bewusstsein  von  einer  Fülle 
der  Widersprüche  gehabt  habe;  dass  dieses  Bewusstsein  nicht  ohne 
Einfluss  auf  Pyrrhon  geweseu  sei,  ist  glaubhaft,  ohne  dass  dadurch  eine 
Abhängigkeit  von  Demokrit  geleugnet  zu  werden  braucht. 

In  seiner  Darstellung  der  Entwickelung  der  pyrrhouischen  Skep- 
sis weist  Hirzel  darauf  hin,  dass  Timon,  hierin  noch  etwas  dogmatisch, 
eine  Wahrheit  anerkannte  und  diese  zum  Maassstab  der  unser  Handeln  be- 
stimmenden Vorstellungen  machte.  Bei  Ainesidemos  hebt  er  besonders 
hervor,  und  hierin  stimmt  ihm  Natorp  vollständig  bei,  dass  dieser  Skep- 
tiker eine  Verbindung  zwischen  der  pyrrhonischen  Skepsis  und  dem  He- 
raklitismus  herzustellen  suchte.  Und ,  wenn  man  den  Sextus  nicht  ge- 
radezu als  einen  Lügner  bezeichnen  will,  muss  man  nach  Hypot.  I,  210  ff. 
trotz  der  gegenteiligen  Ansicht  von  Zeller  und  Diels  den  beiden  Ge- 
lehrten Hirzel  und  Natorp  Recht  geben,  ohne  dass  freilich  die  Schwierig- 
keiten in  dieser  Frage  vollständig  gelöst  wären.  Denn  das  ist  mir  doch 
zweifelhaft,   ob,   wie  Hirzel   und  Natorp  wollen,   der  heraklitische  Dog- 


R    Hirzel,  Untersuchung,  zu  Ciceros  phil.  Schrifteu.  85 

matismus  nur  ein  scheinbarer  gewesen  sei,  indem  Ainesidemos  Sätzen 
des  Heraklit  nur  xazä  <po.cvujj.evo\>  zugestimmt  habe.  Natorp  selbst  will 
auf  die  etwaige  Frage,  ob  er  seine  Vermuthung  für  wahr  und  dem  wirk- 
lichen Sachverhalt  entsprechend  halte,  sich  bescheiden  und  mit  seinem 
Skeptiker  erwidern:  i-niyuj.  Immerhin  ist  es  doch  ein  Versuch,  das 
scheinbar  Unvereinbare  zu  vereinigen.  Nach  Hirzel  sollen  die  dogma- 
tischen Aeusserungen  nur  allgemein  angenommene  Phänomene  ausspre- 
chen, auf  die  nicht  nur  das  Wahre,  sondern  auch  das  Gute  zurückge- 
führt werde.  Sehr  unwahrscheinlich  ist  es  mir,  dass  Ainesidemos  auch 
einen  Ausgleich  des  Pyrrhouismus  mit  der  kyrenaischen  Lehre  in  Bezug 
auf  das  höchste  Gut  versucht  habe,  wie  Hirzel  meint.  Dagegen  ist  ohne 
Zweifel  richtig,  dass  Agrippa  seine  fünf  Tropen  nicht  an  die  Stelle  der 
zehn  des  Ainesidemos  setzte,  sondern  durch  die  ersteren,  die  einen  mehr 
dialektischen  Charakter  zeigen,  die  letzteren,  die  mehr  empirischer  Natur 
sind,  ergänzte.  In  späterer  Zeit  näherte  sich  die  pyrrhonische  Skepsis 
der  akademischen,  wie  sich  dies  nach  Hirzel  in  der  dialektischen  Rich- 
tung, namentlich  schon  bei  Ainesidemos  in  der  Benutzung  platonischer 
Argumente  zeigt. 

Was  den  Ursprung  der  akademischen  Skepsis  betrifft,  so 
ist  Hirzel  der  Ansicht,  Arkesilaos  habe  weniger  an  Pyrrbon  als  an  So- 
krates  in  der  Dialektik  ebenso  wie  in  der  Ethik  angeknüpft,  indem  er 
sich  hierbei  namentlich  auf  Cic.  de  fin.  II,  2  und  de  nat.  deor.  I,  11 
beruft.  Es  könnte  nun  aber  möglich  sein,  und  dies  ist  mir  sogar  das 
Wahrscheinlichste,  dass  Arkesilaos,  obgleich  Pyrrhoneer,  doch  geglaubt 
habe,  seine  skeptischen  Ansichten  schon  durch  Sokrates  vertreten  zu  finden. 

In  ihrer  weiteren  Entwickelung  nähert  sich  die  akademische 
Skepsis,  wie  Hirzel  durchaus  richtig  darlegt,  mehr  und  mehr  dem  Dog- 
matismus. Bei  Karneades  zeugt  für  diese  Hinneigung  zum  Dogmatismus 
deutlich  seine  Einführung  des  rafravov,  und  bei  Philon  weist  Hirzel  zu- 
treffend auf  die  stoisierende  Richtung  hin,  indem  er  die  Bemerkungen 
des  Ainesidemos  bei  Photios  Bibl.  cod.  212,  auf  Philon  bezieht.  Ich 
glaube  auch  mit  Hirzel,  dass  die  Worte:  ol  d'  drib  zrtg  'Axadyp/ag,  fidhara 
rrjs  vüv,  xai  UrwtxatQ  au/i^dpovrac  86£eue  xzX.  den  Philon  mit  charakte- 
risieren sollen  und  nicht,  wie  Natorp  meint  S.  67  ff.,  202  ff.,  den  Antio- 
chos.  Es  wird  fortgefahren :  oz>'>7z<>ov  rrey}  -oä/mv  doyfiar^oufftv  xrX. 
Hier  ist  sicher  Philon  mit  inbegriffen,  aber  eine  Unterscheidung  der  hier 
bezeichneten  Persönlichkeiten  von  denen,  welche  mit  den  Stoikern  über- 
einstimmen sollen,  ist  gar  nicht  zu  bemerken,  so  dass  man  den  Philon 
auch  zu  den  letzteren  zählen  muss. 

Um  auf  die  einzelnen  Abhandlungen  der  Schritt  von  Natorp,  so- 
weit sie  die  Skepsis  direel  betreffen,  etwas  einzugehen,  so  Bei  zunächst 
bemerkt,  dass  die  Arbeit  über  »Aenesidem«  eine  Umarbeitung  der  im 
Rhein.  Mus.  Bd.  38  S.  28 ff.  schon  gedruckten  ist.  Der  Verfasser  behan- 
deil zunächst  darin  die  Lehrzeil  des  Ainesidemos  und  bringt  die  Ansicht. 


86  P-  Natorp,  Forschung,  z.  Gesch.  des  Erkenntnissproblems. 

die  ich  auch  schon  vertreten  habe,  dass  derselbe  ein  jüngerer  Zeitge- 
nosse des  Antiochos  gewesen  sei  und  etwa  80  60  vor  Chr.  gelehrt 
habe,  zu  grösserer  Wahrscheinlichkeit.  Er  sucht  diese  Annahme  auch 
dadurch  zu  begründen,  dass  wir  den  Abschnitt  bei  Sextus,  der  zuletzt 
eine  Bemerkung  über  Antiochos  bringt  (Hypot.  I,  220-235),  dem  Aine- 
sidemos  mit  Sicherheit  zuschreiben  könnten.  Ueberhaupt  führt  Natorp 
die  Berichte  über  frühere  Philosophen  bei  Sextus  zum  grössten  Theil 
auf  Aincsidemos  zurück,  so  auch  den  Bericht  über  Heraklit,  während 
Hirzel  für  diesen,  wie  für  den  ganzen  Abschnitt,  der  sich  auf  die  Na- 
turphilosophen  bezieht,  adv.  dogm.  I,  89  -  141,  als  Quelle  einen  Dog- 
matiker,  nämlich  den  Antiochos  ansieht.  Natorp  hat  mit  grossem  Scharf- 
sinn diese  ganze  Quellenfrage  behandelt,  ohne  dass  freilich  seine  Re- 
sultate über  allen  Zweifel  erhaben  wären.  Ausführlich  wird  in  der 
Abhandlung  noch  das  Verhältnis  des  Ainesidemos  zu  Heraklit  bespro- 
chen, das  ich  vorhin  schon  berührt  habe,  sowie  seine  Skepsis  in  Grund- 
zügen und  sein  Wahrheitsbegrifl  entwickelt. 

In  dem  Aufsatze  über  die  Erfahrungslehre  der  Skeptiker  sucht  Na- 
torp gegen  Philippson  (s.  oben  S.  81  f.)  nachzuweisen,  dass  dieselbe  ihren 
Ursprung  nicht  in  den  Aufstellungen  der  empirischen  Aerzte  habe,  mit 
denen  sie  allerdings  übereinstimme,  sondern  vielmehr  schon  von  Piaton 
erwähnt  werde,  also  zu  dessen  Zeit  schon  ihre  Vertreter  gehabt  haben 
müsse,  unter  denen  Protagoras  sicher  der  vorzüglichste  gewesen  sei. 
Dass  Sext.  Hypot.  II,  101  der  Satz  von  üBev  bis  ixxaXuTzrixbv  ~o~j  lrr 
yovrog  interpoliert  sei,  wie  Natorp  annehmen  muss,  scheint  mir  aller- 
dings auch  das  Wahrscheinlichste  zu  sein. 

In  der  Abhandlung:  Die  Skepsis  Aenesidems  im  Verhältniss  zu 
Demokrit  und  Epikur,  weist  Natorp  zunächst  ziemlich  überzeugend  nach, 
dass  Ainesidemos  der  Urheber  der  Beurtheilung  der  epikureischen  Lehre 
bei  Sextus  ist.  Sodann  wird  auf  der  hergestellten  Grundlage  die  Skep- 
sis des  Ainesidemos  bestimmter  gezeichnet.  Und  zwar  soll  in  ihr  theils 
ein  skeptisches,  theils  ein  rationalistisches  Element  liegen,  und  das 
erstere  durch  das  letztere  eingeschränkt  sein.  Der  Xoyog  hängt  nicht  in 
seiner  Giltigkeit  von  den  Phänomenen  ab,  vielmehr  bestimmt  er  ihnen 
die  ihrige.  Eine  logische  Einsicht  in  das  Wesen  der  Dinge  soll  nicht 
möglich  sein,  aber  wir  können  uns  über  die  Wirklichkeit  der  Dinge 
doch  eine  Vorstellung  bilden  und  diese  praktisch  zu  Grunde  legen,  wenn 
wir  die  Phänomene  beurtheilen.  Wir  dürfen  diese  Wahrheit  blos  denken, 
ihr  nur  nachgeben  als  einem  r.dBog.  —  Ob  der  Verfasser  hiermit  die 
Skepsis  des  Ainesidemos  nicht  neueren  Theorien  etwas  zu  nahe  gerückt 
hat?  Immerhin  ist  der  Versuch,  die  Ansichten  des  Skeptikers  zu  recon- 
struieren,  sehr'' zu  schätzen  und  wird  gewiss  dazu  beitragen,  die  philo- 
sophische Gestalt  des  Ainesidemos  allmählich  genauer  festzustellen. 

In  dem  zweiten  Theil  seines  Programms  behandelt  Pappenheim 
namentlich  die  überlieferten  Gruppen  der  Tropen,  freilich   nur  vor  der 


Skeptiker.  87 

Hand  die  der  neun  und  der  zehn,  welche  letztere  nach  den  zutreffenden 
Ausführungen  des  Verfassers  in  der  skeptischen  Schule  sich  besonderer 
Achtung  erfreute  und  zugleich  für  uns  heutigen  Tags  die  lehrreichste 
ist.  Sonst  ist  noch  die  Ansicht  Pappenheims  bemerkenswert!},  dass  die 
Ueberlieferung  bei  Aristokles  von  den  neun  Tropen  des  Ainesidemos 
die  richtige  sei  gegenüber  den  Berichten  des  Sextus  und  Diogenes,  die 
ihm  zehn  zuschreiben.  Ich  möchte  allerdings  mit  Hirzel  a.  a.  0.  S.  113 
Anm.  den  beiden  letzteren  in  dieser  Frage  mehr  Glauben  schenken  als 
dem  Aristokles,  der  über  Ainesidemos  nur  einen  sehr  unvollständigen 
Bericht  bringt. 

Mit  Pyrrhon  ausschliesslich  beschäftigt  sich  ein  Aufsatz: 

Pyrrhon  et  le  scepticisme  positif  par  Victor  Brochard  in  der 
Revue  philosophique,  19,  1885,  S.  517—532. 

Der  Verfasser,  der  nicht  sehr  kritisch  verfährt,  hebt  besonders  die 
praktische  Seite  bei  Pyrrhon  hervor,  indem  er  sich  auf  Cicero  beruft. 
Nicht  die  ino%y,  sondern  die  uoia<pofna  sei  bei  Pyrrhon  Hauptsache  ge- 
wesen, seine  Nachfolger  hätten  umgekehrt  aus  dem  Zweifel  die  Haupt- 
sache, aus  der  Indifferenz  etwas  Nebensächliches  gemacht.  Wir  wissen 
bekanntlich  von  Pyrrhons  Lehre  sehr  wenig,  aber  der  Ansicht  bin  ich 
auch,  dass  der  praktische  Gesichtspunkt  für  ihn  der  entscheidende  war, 
wie  überhaupt  in  der  späteren  griechischen  Philosophie,  und  dass  der 
Zweifel  nur  als  Mittel  zum  Zweck  diente.  Und  wenn  Brochard  seine 
mit  besonderer  Vorliebe  für  Pyrrhon  geschriebene  Abhandlung  schliesst: 
il  fut  un  ascete  grec,  so  kann  er  auch  damit  Recht  haben,  aber  die 
Vorbilder  für  diese  Asketik  brauchte  Pyrrhon  nicht  in  Indien  bei  den 
Gymnosophisten  und  Magiern  zu  finden,  wie  Brochard  will,  sondern 
solche  Asketen,  wie  er  einer  war,  gab  es  auch  in  Griechenland. 

Auf  Sextus  Empirie us  gehen  zwei  Abhandlungen  eines  Gelehr- 
ten, der  sich  schon  früher  mit  den  Skeptikern  beschäftigt  hat: 

Leben  des  Sextus  Empiricus  von  Dr.  Lorenz  Haas.  Progr.  der 
Königl.  Stildienanstalt  Burghausen  für  das  Schuljahr  1881/82,  Burg- 
hausen. 27  S.  8. 

Die  Schriften  des  Sextus  Empirikus  \on  Dr.  Loren/  Haas.  Progr. 
der  Königl.  Studienaustalt  Burghausen  für  das  Schuljahr  1882/83, 
Freising  1883.  29  S.  8- 

Ueber  beide  Gegenstände  hatte  früher  E.  Pappenheim  Programme 
geschrieben  und  ich  habe  über  dieselben  berichtet.  Was  nun  die  Le- 
bensverhältnisse des  Sextus  anlangt,  so  sind  wir  darüber  bekanntlich 
sehr  im  Unklaren.  Dass  er  im  zweiten  Jahrhundert  höchstens  bis  in 
den  Anfang  des  dritten  hinein  gelebt,  dafür  hat  man  ziemlich  sichere 
Kriterien,  und  dies  nimmt  auch  Haas  an.     Dann  bringt   er  Gründe  da- 


ss  Scxtii     Bmpirii 

für,  dass  er  in  Libyen  geboren  Bei,  freilieb  kann  dies  nur  als  Vermu- 
thung  gelten.  8icher  scbeinl  es  mir  dagegen,  dass  Sextus  in  Alexandria  und 
in  Athen  sich  aufgebalten  hat;  dass  er  Kos  einmal  besucht,  stehl  mir  schon 
weniger  fest.    Zur  Wahrscheinlichkeit   hai  b  meiner  Ansicht   der 

Verfasser  erhoben,  dass  Sextus  seine  Schriften  in  Rom  ?erfassi  bat; 
einer  der  Hauptgründe  dafür  isl  der,  dass  man  »bei  uns«  als  identisch 
mit  »bei  den  Römern«  ansehen  muss  Qebei  das  Verhältniss 
tus  als  Arzt  zu  der  empirischen  Schule  urtheill  Baas,  dass  er  empiri- 
scher Arzt  gewesen  sei,  dass  er  aber  als  echter  Skeptiker  für  den  skep- 
tischen Arzt  die  Möglichkeil  festgehalten  habe,  Methodiker  zu  sein,  ja 
dies  unter  Umständen  für  das  Bessere  ange  ehen  habe.  In  diesem  Sinne 
werden  die  betreffenden  bekannten  Meilen  bei  Sextus  Hypotyp.  I,  236, 
II.  Log,  327  f.  und  II.  Log.  191,  gedeutet.  Ich  möchte  freilich  immer 
noch  der  Ansicht  sein,  dass  Sextus  zwar  ursprünglich  Empiriker  g 
sieb  aber  später  den  Methodikern  mehr  zugewendet  habe. 

In  dem  zweiten  Programme  gelangt  Haas  zu  folgenden,  soweit  ich 
sehe,  annehmbaren  Resultaten :  Zuerst  schrieb  Sextus  ein  medicinisches 
Werk  über  die  Empirie,  widmete  sich  aber  später  ganz  der  Darlegung 
der  Skepsis,  und  zwar  verfasste  er  zunächst  die  r TnoTUTzwozig,  dann  ein 
Werk  über  die  Seele.  Die ' Tixo-onibaciQ  »commentierte  er  ihrem  antirrhe- 
tischen  Theile  nach  in  den  Büchern  gegen  die  Dogmatiker  und  fügte 
als  Ergänzung  und  als  Abschluss  der  skeptischen  Antirrhesis  die  Bücher 
gegen  die  Mathematiker  hinzu.«  -  Zum  Schluss  berichtet  der  Verfasser 
noch  in  dankenswerther  Weise  über  die  Ausgaben,  Handschriften  und 
deutschen  Uebersetzungen  von  Schriften  des  Sextus,  macht  auch  mit 
Recht  auf  die  Schwierigkeit  der  Conjecturalkritik  gerade  bei  Sextus 
aufmerksam. 

Der  Uebersetzung  der  '  Ytlototiüjgziq  [lufjpwveioi  des  Sextus  siud 
gefolgt: 

Erläuterungen  zu  des  Sextus  Empiricus  Pyrrhoneischen  Grund- 
zügen von  Eugen  Pappen  heim,  Leipzig  1881.  290  S.  8.  (Philos. 
Biblioth.  Heft  296-300). 

Ich  halte  die  Schrift  des  Sextus  für  sehr  geeignet,  um  in  die  Phi- 
losophie, namentlich  die  Erkenntnisslehre  einzuführen,  und  sie  ist  dem- 
nach auch  Studierenden  warm  zu  empfehlen.  Das  Verständuiss  sowohl 
des  griechischen  als  des  deutschen  Textes  ist  durch  die  vorliegenden 
Erläuterungen  wesentlich  erleichtert.  So  weit  ich  gesehen ,  ist  in  den- 
selben nichts  Wichtiges  übergangen,  namentlich  finden  sich  überall  die 
gewünschten  historischen  Aufklärungen.  Auf  die  schwierige  Quellen- 
frage geht  der  Verfasser  weniger  ein,  dagegen  behandelt  er  in  einer 
langen  Erläuteruug  —  sie  ist  in  ihrem  Umfange  von  25  Seiten  eine 
selbständige  Abhandlung  —  die  zehn  Tropen  der  Skeptiker,  woraus 
ich    nur  die  ansprechende    weiter  ausgeführte  Vermuthang  hervorheben 


C.  Wachsmuth,  Sillograph.  Graecorum  Reliquiae.  89 

will,  dass  die  Skepsis  bei  Aufstellung  der  nicht  rein  subjectiven  Tropen 
den  aristotelischen  Kategorien  folgte,  ohne  dass  aber  die  Reihenfolge 
der  letzteren  die  der  ersteren  bestimmt  hätte.  Zur  freien  Benutzung 
war  Pappenheim  ein  Manuscript  des  verstorbenen  Dan.  Zimmermann 
überwiesen,  welches  vorbereitende  Arbeiten  zu  einer  textkritischen  mit 
lateinischer  Uebersetzung  und  Anmerkungen  versehenen  Ausgabe  der 
Grundzüge  enthielt.  Wo  der  Verfasser  dasselbe  verwerthet,  giebt  er  es 
stets  an. 

Ein  kurzer  Aufsatz  ist  hier  noch  zu  erwähnen: 

Die  Kritik  des  Götteiglaubens  hei  Sextus  Empiricus  von  K.  Hart- 
felder im  Rhein.  Mus.  XXXVI,   1881,  S.  227-234. 

Man  führt  die  Kritik  des  Götterglaubens  in  Buch  IX  advers.  math. 
in  der  Regel  auf  Karneades,  dessen  Ansichten  Kleitomachos  übermittelt 
habe,  zurück.  Der  Verfasser  bringt  nun  bestimmte  Gründe  vor,  welche 
diese  Abhängigkeit  des  Sextus  noch  sicherer  stellen. 

Beiträge  zur  Conjecturalkritik  für  Sextus  liefert  0.  Apelt  im 
Rhein.  Mus.,  XXXIX,  1884,  S.  27     33. 

Hier  ist  auch  der  Platz  einer  Ausgabe  der  Sillographen  zu  ge- 
denken, unter  denen  bekanntlich  Timon  der  vorzüglichste  ist: 

Sillographorum  Graecorum  Reliquiae.  Recogn.  et  enarrav.  Cur- 
tius  Wachsmuth.  Praecedit  commentatio  de  Timone  Phliasio  cete- 
risque  sillographis,  Lipsiae  1885.  214  S.  8. 

Bekanntlich  hat  Wachsmuth  im  Jahre  185H  als  Gratulationsschrift 
zu  Welckers  sojährigem  Professorenjubiläum  ode  Timone  Phliasio  cete- 
risque  sillographis  Graeeis«  veröffentlicht.  Fr  sagt  selbst  von  seiner 
jetzigen  Arbeit:  Nunc  ego  opusculum  quod  peradulescentulus  inchoa- 
bam  emendavi  ut  potui  et  auxi  ut  debui.  Ueber  Leben,  Schriften  und 
namentlich  die  Sillen  Timons  handelt  er  ausführlich,  dann  besprichl  er 
den  Xenophanes  als  Sillographen,  die  kynischen  Sillographen  und  die 
griechischen  Autoren  menippeischer  Satiren.  Bierauf  folgen  die  Frag- 
mente der  Sillographen,  des  Timon,  des  Kenopha  Krates  und 
des  Bion.  Neue  Fragmente  sind  nicht  hinzugekommen,  dagegen  sind 
die  kritisch  sein-  genau  behandelten  Bruchstücke,  «leren  Verständniss 
theilweise  Schwierigkeiten  bietet,  jetzt  von  duer  sachlichen,  ausse 
deutlich  verdienstlichen  Erklärung  begleitet,  die  ebenso  wie  die  einlei- 
tende Commentatio  von  gründlichster  Gelehrsamkeit  zeugt  und  eine 
grosse  Zahl  feiner  und  aufklärende!  Bemerkungen  bringt.  Dei 
brauch  des  Buchs  ist  wesentlich  erleichtert  durch  die  mit  grossei  i 
nauigkeit  angefertigten  Register,  einen  index  vocabulorum  &ita$  slprj/ie- 
\>o>\>,  einen  index  scriptorum  und  einen  index  rerum. 


90  J.  .Jensen,  Apollonius  von  Tyaii.i 

Unter  den  Ncupythagoreern  bewährt  Apollonios  immer  Doch  seine 
alte  Anziehungskraft: 

Apollonius   von  Tyana  und   sein    Biograph  Philostratus.     Von  Dr. 

Julius  Jessen.     Hamburg,   Progr.  der  Gelehrtenschule   des  Johan- 
neunis.  36  S.  4. 

Der  Verfasser  geht  auf  die  Biographie  des  Apollonius,  wie  sie 
uns  bei  Philostratos  vorliegt,  ein,  indem  er  meist  referiert  und  Bemer- 
kungen theils  erklärender,  theils  kritischer  Natur  dazu  macht.  Er 
meint,  dass  die  der  Kaiserin  Julia  Domna  übergebenen  Berichte  über 
Apollonios,  die  von  Philostratos  dem  sonst  unbekannten  Damis,  in  der 
Biographie  Begleiter  des  Philosophen,  zugeschrieben  werden,  auf  Grund 
der  Briefe  des  Apollonios  unter  Zuhilfenahme  eines  griechischen  Ro- 
mans —  daher  das  viele  Fabelhafte  und  Wunderbare  —  verfasst  seien, 
und  dass  Philostratos  sodann  entsprechend  dem  Auftrage  seiner  Kaise- 
rin die  Redaction  dieser  Papiere  übernommen,  dabei  aber  materiell 
nichts  hinzugesetzt,  wohl  aber  vielfach  durch  Anspielungen  und  Remi- 
niscenzen  ausgeschmückt  habe.  Ich  möchte  dem  Philostratos  auch  einen 
materiellen  Antheil  nicht  absprechen,  da  gar  Manches  in  der  Biogra- 
phie auf  Jemanden,  der  den  Apollonios  begleitet  haben  will,  kaum  zu- 
rückgeführt werdeu  kann.  Doch  lässt  sich  darüber  mit  Sicherheit  nichts 
ausmachen.  Eine  beabsichtigte  Parallele  zwischen  Christus  und  Apollo- 
nios nimmt  Jessen  nicht  an,  dagegen  eine  solche  zwischen  Pythagoras 
und  Apollonios,  die  schon  häufig  bemerkt  worden  ist  und  auch  sicher 
statuiert  werden  kann,  ohne  dass  man  die  Beziehung  zu  Christus  in  Ab- 
rede zu  stellen  braucht  —  der  Vergleichungspunkte  ergeben  sich  un- 
gezwungen gar  zu  viele  -  ,  und  ebenso  ist  entschieden  eine  Gegenüber- 
stellung des  Neupythagoreismus  und  Stoicismus  beabsichtigt.  Es  soll 
das  Ideal  des  alten  Pythagoreismus  im  Neupythagoreismus  wieder  er- 
reicht oder  noch  übertroffen  sein  und  nun  dieser  Neupythagoreismus 
selbst  als  das  Vorzüglichere  dem  Stoicismus  und  Christenthum  gegen- 
über sich  darstellen.  —  Jessen  nimmt  zu  viel  Historisches  in  dem  Ro- 
man an,  wie  er  auch  auf  die  Briefe,  die  unter  dem  Namen  des  Apol- 
lonios uns  überliefert  sind,  zu  grosses  Gewicht  legt,  und  lässt  die  Ten- 
denz zu  wenig  vorwalten.  In  Folge  dessen  malt  er  auch  in  dem  Schlüsse 
des  Programms  die  historische  Gestalt  des  Apollonios  mit  zu  unfreund- 
lichen Farben;  wir  wissen  viel  zu  wenig  Sicheres  über  die  Persönlich- 
keit, um  über  sie  abzusprechen. 

A.  Dumeril,  Apollonius  de  Tyaue  et  letat  du  paganisme  dans  leg 
Premiers  siecles  de  l'ere  chretienne.  In  Anuales  de  la  Faculte  des 
Lettres  de  Bordeaux,  Tome  V,  1883,  S.  133-167. 

In  Betreff  des  uns  überlieferten  Lebens  des  Apollonios  spricht  es 
der  Verfasser  als  wahrscheinlich  aus,  que  la  legende  d' Apollonius  a  ete 


A.  Dumeril,  Apollonius  de  Tyane.  91 

une  oeuvre  collective.  Apollonius  lui  meme  peuty  avoir  eu  part.  Non  qu'il 
ait  ete  un  charlatan  et  un  imposteur  habile  ä  faire  des  dupes.  Mais 
l'amour-propre  rend  credule.  A.,  eu  voyant  la  foule  s'empresser  autour 
de  lui  et  le  consulter  comme  un  oracle,  ne  fut-il  jamais  tente  de  se 
considerer  comme  un  etre  superieur  ä  l'humanite?  Seine  Schüler  fassten 
dann  das  Wunderbare  als  den  eigentlichen  Kern  aller  ihrer  Erzählun- 
gen über  ihn  auf;  dazu  kam,  dass  die  Orakel  deu  Ruhm  des  Philoso- 
pheu  bedeutend  vergrösserten,  und  ausserdem  vergass  Philostratos  die 
Gewohnheiten  seines  Metiers  als  Rhetor  nicht  und  wollte  auch  der  Kaiserin 
Julia  gefallen.  Endlich  war  Apollonios  Pythagoreer,  und  schon  seit  alter 
Zeit  waren  die  grossen  Pythagoreer  mit  Wundern  umkleidet  worden. 
Es  haben  diese  Momente,  abgesehen  von  den  Orakeln,  deren  Sprüche 
sich,  soviel  ich  weiss,  nur  auf  Philostratos  selbst  stützen,  gewiss  zur 
Gestaltung  des  Bildes  bei  Philostratos  beigetragen,  aber  sicherlich  haben 
noch  bestimmte  Tendenzen  mitgewirkt,  um  die  einzelnen  Züge  zu  geben. 
Diesen  trägt  Dumeril  auch  Rechnung,  wenn  er  meint,  zwei  Versuche, 
die  heidnische  Religion  wieder  zu  kräftigen,  seien  für  die  ersten  Jahr- 
hunderte nach  Chr.  zu  constatieren:  der  eine  habe  zu  Urhebern  die 
Kaiser  gehabt  und  bestehe  darin,  den  traditionellen  Cultus  zu  heben 
und  die,  welche  die  officielle  Religion  von  sich  wiesen  wie  Staatsver- 
brecher zu  verfolgen,  der  andere  Versuch  sei  geradezu  personificiert  in 
Apollonios  und  stütze  sich  auf  die  Philosophie,  auf  Einführung  einer 
reineren  Moral  und  auf  einen  Synkretismus,  aus  dem  das  Christenthum 
selbst  nicht  immer  ausgeschlossen  gewesen  sei.  Die  beiden  Richtungen 
hätten  sich  dann  vielfach  verbunden,  namentlich  unter  den  syrischen 
Kaisern,  und  hier  geht  nun  Dumeril  so  weit  zu  sagen,  Apollonios,  ob- 
gleich schon  über  ein  Jahrhundert  todt,  sei  der  eigentliche  Gesetzgeber 
für  den  römischen  Cultus  während  ihrer  Herrschaft  gewesen.  Er  über- 
schätzt hier  die  Verehrung,  die  dem  Apollonios  allerdings  von  manchen 
Seiten  zu  Theil  wurde,  weitaus  in  ihren  Wirkungen;  man  muss  beden- 
ken, dass  in  dem  Sanctuarium  des  Alexander  Severus  neben  Apollonios 
auch  z.  B.  Abraham  seinen  Platz  fand.  Richtig  ist  es,  dass  Apollonios 
als  sittlich-religiöser  Reformator  auftrat  oder  wenigstens  für  einen  sol- 
chen mit  der  Zeit  galt,  aber  dass  seine  allmählich  mythische  Persön- 
lichkeit einen  tieferen  und  weiter  greifenden  Einfluss  auf  das  religiöse 
Leben  ausgeübt  habe,  lässt  sich  durch  nichts  beweisen.  —  An  dem 
philostratischen  Leben  des  Apollonios  hätte  der  Verfasser  viel  stren- 
gere Kritik  üben  und  namentlich  dabei  die  deutsche  Litteratur,  so  vor 
allem  die  gründliche  und  scharfsinnige  Abhandlung  von  Baur  nicht  ver- 
nachlässigen sollen. 

Einen    warmen  Verehrer    hat  Apollonios   in  dem  neueston  Ueber- 
setzer   seiner  Biographie  gefunden: 


Apollonio    von   l  jran  i    Galt  u 

Apollonius  von  Tyana  aus  dem  Griechischen  des  Philostratus  über- 
Betzl  und  erläutert  von  Ed.  Baltzer  .Mit  einer  üebersichtskarte. 
Rudolst.    L883.    403  S.    8. 

Die  etwj  [ehaltene  Uebersetzang  liest    sich  gut  and  i  t,  so- 

weit ich  gesehen,  fast  frei  von  Fehlern.  Die  Erläuterungen  bieten  nicht 
gerade  viel,  erleichtern  <!<'in  Unkundigen  aber  doch  das  Verstände 
In  der  Einleitung  spricht  ßaltzer  über  das  Werk  und  seinen  Verfasser, 
den  er,  wie  «lies  ja  mehrfach  geschieht,  für  einen  Neupythagoreer  hält, 
ferner  über  das  Vaterland  und  die  Vaterstadl  des  Apollonios  In  dem 
»Nachwort  zu  Apollonius  von  Tyana«  giebt  er  eine  Würdigung  des 
Philosophen.  Es  ist  die  eigentliche  Tendenz  Baltzers,  den  Apollonios 
als  religiösen  und  sittlichen  Reformator  neben  Christus,  diesem  womög- 
lich gleich  zu  stellei  .  Beide  hätten  zu  derselben  Zeit  gelebt,  seien  von 
der  gleichen  göttlichen  Art,  auch  ihr  Ziel  sei  das  gleiche  gewesen, 
nämlich  Wiedergeburt  der  Menschen  durch  den  Geist,  der  da  heiligt, 
sogar  die  Mittel  zu  ihrem  Zweck  seien  vielfach  dieselben  gewesen.  Nun 
es  ist  dieser  Versuch,  der  bekanntlich  öfter  schon  gemacht  worden  ist, 
nur  ein  Zeichen  dafür,  wie  wenig  Baltzer  in  die  Tiefe  des  Christenthums 
eingedrungen  ist.  Seine  Vorliebe  für  den  Neupythagoreer  stützt  sich 
darauf,  dass  er  selbst  den  Vegetarianismus  lebhaft  vertritt,  wie  dies  aus 
seinen  sonstigen  Schriften  über  philosophische  Persönlichkeiten  des 
Altertbums  hervorgeht.  Er  erhebt  sich  sogar  zu  einem  Hymnus  auf 
seinen  Helden,  in  dem  er  ihn  »Stern  unter  Sternen«  anredet.  Recht 
hat  er  mit  der  Ansicht,  dass  Apollonios  nach  der  Darstellung  des  Damis 
eigentlich  ein  Spiritist  der  neueren  Art  gewesen  sei. 

Mehrfach  ist  dem  philosophischen  Arzte  Galen  Aufmerksamkeit 
zugewandt  worden.  Auf  kritische  Bemühungen  um  seine  Schriften  kann 
ich  mich  hier  freilich  nicht  näher  einlassen.  Es  sei  nur  erwähnt,  dass 
von  Iwan  Müller  erschienen  sind  Specimiua  I.  et  IL  novae  editionis 
libri  Galeniani  qui  inscribitur  8n  reug  zoö  acuparog  xpdaemv  al  rijg 
<p'->'/Ji?  dovdfiecg  1-ovzac,  Erlangen  1880  und  1885,  deren  Trefflichkeit 
nach  dem,  was  Iwan  Müller  schon  für  Galen  geleistet  hat,  nicht  noch 
besonders  dargethan  zu  werden  braucht;  ferner  dass  Georg  Helmreich 
die  Schrift  Galens  nepl  alpecrewv  rote  elaayop.£votg  (im  zweiten  Bande  der 
Acta  Seminarii  philologici  Erlangensis  ed.  Iwan  Müller  et  Wölfflin  1881), 
sowie  de  utilitate  partium  lib.  IV,  Pr.  Augsburg  1886,  herausgegeben 
hat;  sodann  dass  Galeni  scripta  minora,  Vol.  I  ex  rec.  J.  Marquardt, 
Leipzig  1884,  erschienen  ist. 

Näher  scheint  uns  hier  anzugehen: 

Galeni  qui  fertur  de  partibus  philosophiae  iibellus  primum  edid. 
Eduardus  Wellmann,  Berolini  1882.  36  S.  4  (Wissenschaftliche 
Beilage  zum  Progr.  des  Köuigstädt.  Gymnasiums.  Ostern  1882). 

Unter  den  Schriften  Galens  findet  sich  in  der  Laurentiana  eine 
mit  dem  Titel  nepl  cjocDv  <pdooo<piag.     Aus  dieser  Handschrift   ist   dann 


Galen.  93 

eine  andere  Pariser  abgeschrieben.  Die  kleine  Abhandlung,  deren  In- 
halt sich  der  Hauptsache  nach  auf  Mathematik  und  ihr  nahestehende 
Disciplineu  bezieht,  stimmt  merkwürdig  überein  mit  den  Prolegomenis 
des  David  (siehe  Scholia  in  Aristotelem  ed.  Brandis  12aff.,  freilich  hier 
unvollständig  abgedruckt)  und  mit  dem  Commentar  des  Ammonius  Her- 
miae  zu  den  Quinque  voces  des  Porphyrios.  Die  beiden  betreffenden 
Partien  giebt  Wellmaun  zugleich  hier  mit  heraus,  und  bei  allen  dreien 
hat  er,  soweit  ich  sehen  kann,  die  nöthige  kritische  Sorgfalt  angewandt. 
—  Was  er  bei  anderen  Schriftstellern  Aehuliches  gefunden  hat,  fügt  er 
verdienstlicher  Weise  in  der  Adnotatio  hinzu.  —  Dass  die  Abhandlung 
nicht  von  Galen  herrührt,  bedarf  keines  ausführlichen  Beweises;  die 
Gründe,  die  sicher  dagegen  sprechen,  hat  Wellmann  in  der  Praefatio 
kurz  augegeben.  Die  Urschrift,  die  also  auch  David  und  Ammonius  aus- 
geschrieben haben,  ist  von  einem  Neupythagoreer,  vielleicht  Xeuplatoni- 
ker  verfasst.  Dass  wir  durch  die  Veröffentlichung  dieses  pseudogaleni- 
schen  Machwerks  in  unserer  Kenntniss  der  alten  Philosophie  irgendwie 
bereichert  würden,  kann  man  nach  dem  Gesagten  nicht  erwarten.  Immer- 
hin war  aber  die  Herausgabe  der  Mühe  werth. 

Auf  eine  Abhandlung,  die  sich  unter  den  Schriften  Galens  findet, 
geht  ein  anziehender  Aufsatz: 

Ein  Lehrgedicht  des  Plutarch   (Echtheit    von  Galens  Protreptikos. 
-    Versspuren.  Galen  und  Plutarch.    -      Plutarch   und   Phaedrus) 

von  0.  Crusius  im  Rhein.  Museum  XXXIX,   1884,  S.  581-606. 

Die  Hauptsache  für  uns  ist  hier,  dass  der  Protreptikos  trotz  der 
bedeutenden  formellen  Unebenheiten  für  echt  erklärt  wird,  als  Theii 
einer  Cohortatio  ad  medicinam,  und  wohl  auch  mit  Recht.  Er  soll  ent- 
standen sein  aus  einem  Buche  des  Skeptikers  Menodotos,  und  ferner 
soll  der  Verfasser  in  den  iambischen  und  daktylischen  Partien,  die  sich 
bei  ihm  finden,  ein  Gedicht  des  Plutarch  benutzt  haben.  Diese  letzten 
beiden  Annahmen  bestreitet  entschieden  A.  Gercke  in  einem  kleinen 
Beitrage  de  Galeno  et  Plutarcho  im  Rhein.  Mus.  XLI.  1886,  S.  470     471. 

Mit  der  Philosophie  der  Mediciner,  also  namentlich  der  des  Galen, 
hat  sich  Emanuel  Chauvet  eingehender  beschäftigt: 

La    medcciue    Grecque    et    ses    rapports    ä    la    philosophie    par 
E.  Chauvet,  in  der  Revue  philosophique ,  XVI,    1888,    S.  233     263 

La  philosophie  des   medecins   Grecs.     Par   Emanuel  Chauvet. 
Paris   1886     LXXX1X.    604  S.    8. 

Derselbe  Verfasser  hat  eine  Reihe  von  kleineren  Schriften  ober 
die  Psychologie,  Theologie,  die  praktische  Moral  Galens  schon  früher 
veröffentlicht  (siehe  Jahresbericht  1875,  S.  568),  auch  die  Logik  Galens 
neuerdings  behandeil  in:    Seances  et    travaux   de    l'Academie   raorale  et 


94  B.  Chauvet,  La  medecine  Grecque. 

politique,  1882,  2  und  '6  (besonders  erschienen  Paris  1882.  51  S.j,  und  so 
seine  Vorliebe  für  die  Medicin  des  Alterthnms,  soweit  diese  philosophisch 
isl ,  zu  erkennen  gegeben.  In  der  zuerst  genannten  Abhandlung  der 
Revue  philos.  betont  der  Verfasser  mit  Recht,  wie,  abgesehen  von  der 
ausschliesslich  religiösen  Medicin  und  der  nur  praktischen  der  Gymna- 
sien, eine  fortwährende  enge  Verbindung  zwischen  Medicin  und  Philo- 
sophie wahrzunehmen  sei.  Dann  geht  er  nach  kurzer  Erwähnung  der 
früheren  medicinischen  Schulen,  namentlich  nach  zu  kurzer  des  Alkmaion, 
über  auf  Hippokrates,  von  dem  er  sagt:  l'Hippocrate  de  la  tradition 
nest  pas  l'Hippocrate  de  la  realite.  C'est  moins  un  individu  qu'une 
famille,  moins  une  famille  qu'une  6cole.  C'est  un  cycle.  Et  il  ne  faut 
pas  oublier  qu'en  lisant  Hippocrate,  c'est  l'ecole  de  Cos  qu'on  lit;  qu'en 
analysant  la  philosophie  d'Hippocrate,  c'est  la  philosophie  de  l'ecole  de 
Cos,  qu'on  analyse.  Dieser  Hippokrates  ist  Philosoph,  aber  ein  medizi- 
nischer Philosoph;  er  behandelt  nicht  die  Logik  im  Allgemeinen,  son- 
dern eine  medicinische  Logik  u.  s.  w.  Auf  die  asklepischen  Schulen 
folgen  dann  die  alexandrinischen:  die  dogmatische,  empirische,  metho- 
dische. Alle  diese  drei  haben  nach  Chauvet  ihren  Ursprung  in  Hippo- 
krates und  ihr  natürliches  Ziel  und  ihr  glorreiches  Ende  in  Galen.  In 
diesen  beiden  ist  die  ganze  griechische  Medicin  beschlossen.  Der  letztere 
ist  freilich  in  vorzüglichem  Sinne  der  medicinische  Philosoph  des  Alter- 
thums.  Obgleich  er  in  der  Philosophie  weitaus  nicht  so  ursprünglich 
ist  wie  in  der  Medicin  ,  so  herrscht  bei  ihm  doch  der  Philosoph  über 
den  Mediciner:  Er  macht  es  nicht  wie  die  sonstigen  Aerzte  des  Alter- 
tbums,  dass  er  von  der  Medicin  zur  Philosophie  vorschritte,  er  geht 
vielmehr  von  der  Philosophie  zur  Medicin  über,  sowohl  zeitlich  als 
logisch.  —  Gewinnt  man  auch  aus  der  Abhandlung  Chauvets  keinen  tiefern 
Einblick  in  die  gegenseitigen  Beziehungen,  und  ist  auch  Manches  dabei 
übergangen,  was  eine  Erwähnung  verdient  hätte,  so  bietet  dieselbe  doch 
einen  sehr  brauchbaren  Ueberblick,  und  ist  namentlich  bei  dem  Mangel 
an  Arbeiten  über  diesen  Gegenstand  um  so  schätzenswerther.  Chauvet 
meint  selbst  zu  Ende  seines  Aufsatzes:  das  philosophische  Element, 
welches  in  der  Medicin  der  Griechen  wie  ein  edler  Saft  kreise,  verdiene 
eine  besondere  Darstellung  in  unsere  Geschichte  der  Philosophie.  — 
Siebeck  hat  schon  in  seiner  Geschichte  der  Psychologie  diese  Lücke 
nach  Möglichkeit  ausgefüllt.  Chauvet  selbst  hat  dann  später  das 
grössere  Buch  darüber  erscheinen  lassen,  das  mir  leider  hier  nicht  zu- 
gänglich ist.  Ich  verweise  nur  auf  die  Recension  von  H.  Siebeck  in 
der  Berliner  Philologischen  Wochenschrift  VI,  1886,  S.  750-756, 
worin  Manches  anerkannt,  aber  namentlich  getadelt  wird,  dass  die  neue- 
ren Forschungen,  vor  allen  die  deutscheu  viel  zu  wenig  benutzt  seien, 
und  dass  es  dem  Buche  durchaus  an  philologischer  Genauigkeit  fehle. 
Den  Uebergang  zu  den  Neuplatonikern  mache  ich  mit  der  alexan- 
drinischen Philosophie.     Zu  erwähnen  ist  hier: 


Buch  der  Weisheit,  Philon.  95 

Senatore  Francesco  Perez,  Sopra  Filone  Alessandrino  e  il  suo 
libro  detto  la  Sapienza  di  Salomone.  Saggio  storico-critico,  seguito 
da  una  versione  poetica  del  libro  stesso  e  da  una  appendice,  Palermo 
1883.    200  S.    8. 

Der  Verfasser  sucht,  wie  aus  dem  Titel  hervorgeht,  die  schon  im 
Alterthum  ausgesprochene  Ansicht  zu  beweisen,  dass  Philon  der  Ver- 
fasser des  Buches  der  Weisheit  sei,  giebt  zu  dem  Zwecke  einige  No- 
tizen über  Ursprung  und  Charakter  des  alexandrinischen  Judaismus, 
namentlich  über  Aristobulos,  ferner  über  Jesus,  den  Sohn  Sirachs  und 
den  Ecclesiasticus,  bringt  dann  eine  Analyse  des  Buches  der  Weisheit, 
in  dem  er  zwei  Theile  unterscheidet,  einen  platonisch-griechischen  (besser 
vielleicht:  stoischen)  und  einen  jüdischen,  geht  dann  auf  Philon  über, 
dessen  Lehre  und  allegorische  Methode  er  in  der  Kürze  darlegt,  und 
bespricht  hierauf  die  Verfolgung  der  Juden  in  Alexandrien  unter  Caligula, 
als  dessen  Bild  in  den  Synagogen  aufgestellt  werden  sollte,  ferner  die 
jüdische  Gesandtschaft  an  Caligula  unter  Führung  Philons.  Im  Schluss- 
capitel  wird  dann  die  Uebereinstimmung  zwischen  den  Gedanken  im 
Buche  der  Weisheit  und  denen  in  den  Schriften  Philons  betont,  sowie 
die  eben  erwähnten  Ereignisse  benutzt  werden,  um  die  Stücke  im  Buche 
der  Weisheit,  die  sich  gegen  den  Götzendienst  wenden,  in  ihrer  Ent- 
stehung zu  erklären.  Die  Verschiedenheit  der  beiden  Hälften  ist  nach 
dem  Verfasser  dadurch  entstanden,  dass  Philon  zuerst  seine  Schrift  auf  die 
ersten  zehn  Capitel  beschränkt  und  später  nach  den  bittersten  Erfahrun- 
gen der  letzten  Jahre  seines  Lebens  dieselbe  wieder  aufgenommen  und 
vollendet  habe.  Allein  dies  ganze  Verfahren  entspricht  der  sonstigen 
Schreibseligkeit  Philons  keineswegs.  Ferner  sind  die  Aehnlichkeiten 
zwischen  den  Schriften  Philons  und  dem  Buche  der  Weisheit  aus  dem 
gleichen  Ideenkreise,  der  die  alexandrinischen  gebildeten  Juden  damals 
überhaupt  beherrschte,  sehr  leicht  zu  erklären;  ausserdem  tritt  bei 
Philon  die  Weisheit  nirgends  der  Art  in  den  Vordergrund  wie  im  Buche 
der  Weisheit;  und  dass  die  Auslassungen  gegen  Götzendienst  und  Ge- 
walttätigkeit in  dem  unmittelbaren  Schmerze  des  erlittenen  Unrechts 
niedergeschrieben  seien,  ist  deshalb  unwahrscheinlich,  weil  die  Ent- 
stehung des  Bilderdienstes  in  theoretischer  Weise  mit  Ruhe  geschildert 
wird,  siehe  auch  Zeller,  V,  274.  —  Die  Abfassuug  des  Buches  durch 
Philon  ist  mir  daher  nicht  einmal  wahrscheinlich,  geschweige  denn  ge- 
wiss geworden. 

Für  das  Buch  der  Weisheit  ist  von  Bedcutuug  die  Schrift  Edm. 
Pf  1  eider ers:  Die  Philosophie  des  Heraklit  von  Ephesus  im  Lichte 
der  Mysterienidee.  Nebst  einem  Anhange  über  heraklitische  Einflösse 
im  alttestamentlichen  Kohelet  und  besonders  im  Buche  der  Weisheit 
sowie  in  der  ersten  christlichen  Litteratur,  Berlin  1886.  Dass  sich  in 
dem  merkwürdigen  Buche  stoische  und  platonische  Elemente  linden,  ist 
schon  längst  bekannt;  ich  selbst  habe  mehrfach  Gelegenheit  genommen, 


;n;  Buch  der  Weisheit,  Pbilon. 

das  stoische  darin  zu  betonen.  Von  vornherein  konnte  man  nun  an- 
nehmen, dass  der  Verfasse]  de  Buches  ebenso  wie  Pbilon  aneb  mit  den 
herakli  tischen  Philosopbemen  bekannt  and  auch  ebenso  wieder 

Genannte  deutliche  Spuren  dieser  Bekanntschaft  zeige.  Das  ich  dies 
wirklich  so  verhält,  hat  Pfleiderer  meines  Erachten?  mil  Sicherheil  nach- 
gewiesen, wenn  Ich  ihm  auch  nicht  in  allen  Einzelheiten  beistimmen 
kann,  namentlich  da  nicht,  wo  bei  Erwähnung  der  Mysterien  das  Buch 
der  W  eisheil  Rücksicht  auf  Heraklit  nehmen  soll.  Gründe,  die  freilich  nicht 
voll  überzeugen  können,  hat  Pfleiderer  für  die  Ansicht  vorgebracht,  dass 
einige  der  pseudoheraklitischen  Briefe,  nämlicb  i     7.  von  dem  Verl 

der  Weisheil  herrühren;  sicher  ist  eine  grosse  Aehnlichkeit 
in  den  Gedanken  und  auch  in  der  zu  Grunde  liegenden  Stimmung  zu  finden. 
Nach  einem  Anisatz  Pfleiderers:  Die  pseudoheraklitischen  Briefe  und  ihr 
er,  im  Rheinischen  Museum,  Bd.  42,  1887,  8.  153-103,  sollen 
demselben  Verfasser  auch  die  Briefe  8  und  9  und  ebenso  »mit  be- 
achtenswerter Möglichkeit«  I  3  angehören.  Jac.  Bernays  hatl 
lieh  ein  ganz  anderes  Resultat  gewonnen:  Er  glauhte  für  die  neun 
Briefe  sechs  Autoren  annehmen  zu  müssen  und  setzte  ihre  Abi.' 
iu  das  erste  Jahrhundert  nach  Christi,  oder  theilweise  noch  später. 

In  seinem  erwähnten  Buche  geht  der  Verfasser  auch  auf  herak- 
litische  Anregungen  bei  den  ersten  christlichen  Schriftstellern  ein  und 
weist  mit  Recht  darauf  hin,  dass  die  Grundgedanken  Heraklits  eine 
zuerst  »anziehende,  später  wenigstens  für  die  Orthodoxen  abstosseude 
und  ärgerliche  Familienähnlichkeit  mit  den  tiefsten  Ideen  eines  specu- 
lativ  gefassten  Christenthums«  haben.  Bei  Einflüssen  denkt  er  nament- 
lich au  Justinus,  die  kleiuasiatisch -syrische  (jnosis  und  das  Evangelium 
Johannis.  Die  ersteren  sind  gewiss  hier  mit  Recht  zu  nennen,  ob  das 
letztere,   ist  mir  zweifelhaft. 

In  einem  Aufsätze:  Heraklitische  Spuren  auf  theologischem,  ins- 
besondere altchristlichem  Boden  inner-  und  ausserhalb  der  kanonischen 
Litteratur,  in  den  Jahrbb.  für  Protestant.  Theologie,  14,  1887,  S.  177  218, 
geht  Pfleiderer  noch  besonders  auf  die  Naassener  und  den  Brief  an  die 
Epheser  ein,  als  Beziehungen  zu  Heraklit  aufweisend.  Bei  den  Naasse- 
nern  ist  dies  wohl  sicher  anzunehmen,  hingegen  sind  in  dem  erwähnten 
Briefe  die  Hindeutungen  auf  den  ephesischen  Weisen  wenigstens  nur 
schwer  zu  erkennen. 

Mit  einer  pseudophilonischen  Schrift  beschäftigt  sich: 

Ueber  die  unter  Philons  Werken  stehende  Schrift:  Ueber  die 
Unzerstörbarkeit  des  Weltalls  von  J.  Bernays,  in  den  Abhandlungen 
der  Königlichen  Akademie  der  Wissenschaft  zu  Berlin  aus  dem  Jahre 
1882,  Philos.  bist.  Klasse,  Abhandlung  III,  Berlin  1883.    82  S. 

Zu  dieser  Schrift,  welche  Bernays  187G  in  den  Abhandlungen  der 
Akademie  hei  ausgegeben  und  übersetzt  hatte,   siehe  Jahresbericht    1S80 


Neuplatonismus.  97 

S.  39,  wollte  er  eine  erläuternde  Abhandlung  erscheinen  lassen.  Nach 
seinem  Tode  fanden  sich  einige  Hefte  vor,  worin  die  Erörterung  der 
für  die  Geschichte  der  Philosophie  werth vollen  Schrift  bis  zum  zweiten 
Haupttheil  derselben  druckfertig  vorlag,  und  diese  ist  hier  veröffentlicht. 
Ihr  folgen  noch  Anmerkungen  zum  Text  des  Pseudophilou,  die  uns  be- 
sonders von  Werth  sind,  soweit  sie  sich  auf  den  zweiten,  von  Bernays 
nicht  mehr  behandelten,  Theil  der  Schrift  bezieben.  Der  Verfasser  der- 
selben erscheint  uns  nach  Bernays  als  peripatetischer  Neupythagoreer, 
der  sich  mehrfach  mit  den  Piatonikern  berührt,  aber  nicht  als  Neupia- 
toniker  zu  bezeichnen  ist,  besonders  die  stoische  Lehre  von  der  i.x7iü- 
fxjjaiq  angreift  und  so  in  einer  Blüthezeit  des  stoischen  Einflusses  gelebt 
haben  muss.  Das  alte  Testament  kennt  er,  gehört  aber  nicht  zum 
Judenthum.  Da  die  Schrift  so  viel  auf  frühere  Lehren  Rücksicht 
nimmt,  hat  Bernays  Gelegenheit,  Allerlei  aus  dem  reichen  Schatze  seines 
Wissens  hervorzubringen,  wovon  ich  nur  auf  Eins  hinweisen  will,  auf 
die  Bemerkungen  über  die  dem  Lukaner  Okellos  zugeschriebene  Ab- 
handlung, die  zur  Zeit  der  Abfassung  der  pseudophilonischen  Schrift 
erst  »vor  Kurzem  aus  der  neupythagoreischen  Werkstatt  auf  den  Bücher- 
markt gebracht  worden«  sei. 

Ueber  den  Neuplatonismus   im  Allgemeinen   ist   eine   vortreff- 
liche Abhandlung  zu  rinden  iir  dem  Lehrbuch  der  Dogmengeschichte  von 
Ad.    Harnack    als  Beigabe  I,   S.  663  —  681,    die   zuerst    englisch    ver- 
öffentlicht war  in  der  Encyclopaedia  Britannica.     Der  Verfasser    betont 
hierin,  dass  in  dem  Neuplatonismus  die  »Sehnsucht  des  Menschen  nach 
einem    Höheren    zum   Alles    beherrschenden   Princip   der  Welterklärung 
erhoben  sei«,  dass  diese  letzte  der  griechischen  philosophischen  Lehren 
nicht  nur  die  absolute  Philosophie,  sondern  ebenso  die  absolute  Religion 
sein  wollte,  dass  aber  der  Neuplatonismus    weder  als   Philosophie   noch 
als  Religion   entscheidende  Bedeutung  in  der  Geschichte  gewonnen  habe 
sondern  vielmehr  als  Stimmung,  als  Gefühl  dafür,    »dass   es   ein   ewige: 
höchstes  Gut  giebt,  welches  jenseit   der   äusseren   Erfahrung  liegt   und 
auch    nicht    das    Intelligible    ist«.      Ich    will    nur    zu    dieser    treffenden 
Charakteristik  bemerken,   dass    wir  dasselbe   ungefähr  bei  Philon   schon 
finden. 

Wenig  kann  ich  den  nicht  sehr  klar  dargelegten  Ansichten  zu- 
stimmen, die  sich  finden  in   dein  Vortrag: 

Ueber  die  Bedeutung  des  Neuplatonismus  für  die  Entwickelung 
der  christlichen  Speculation  von  Prof.  Dr.  Mi  che  lis,  in  den  Philo- 
sophischen Vorträgen,  herausgegeben  von  der  Philos.  Gesellsch,  zu 
Berlin,  Neue  Eolge,  8.  Heft,  Halle  a.  d.  Saale   1885,  S.  51—  74. 

Michelis  ist  der  Meinung,  dass  die  christliche  Religion  an  der 
Entstehung  des  Neuplatonismus  ihren  Antheil  habe,  und  weist  dabei 
namentlich    auf   Ammonios    Sakkas    hin,    da    dieser    vom    Christeothom 

■Ifilirusbericht  fllr  Altertliuiiiswisseusclittft  L.     (1887.  1.)  ~ 


98  Neupiatonismus.     Plotin. 

wieder  zum  Heidcnthum  übergetreten  sei.  Wie  nun  für  Michelle  »der 
Gedanke  der  Trinität  als  der  formale  Ausdruck  für  den  Begriff  (iottes 
als  des  absoluten  Selbstbewnsstseins,  durch  dessen  schaffenden  Willens- 
akt  die  endliche  Realität  in  dem  Gegensatz  des  geistigen  und  des  stoff- 
lichen Sinns  mit  ihrer  Verbindung  im  Menschen  ihr  Dasein  und  ihren 
Bestand  hat,  einen  unendlichen  Inhalt  bekommt«,  so  sei  es  auch  bei 
Plotin  gewesen  mit  dem  Begriff  der  absoluten  Einheit,  die  er  als  das 
Gute  noch  über  den  Gegensatz  von  Geist  und  Stoff  setze,  und  zu  der 
sich  der  Mensch  erbeben  solle.  In  dem  Begriffe  Gottes  aber,  als  der 
absoluten  Einheit,  weiche  Plotin  von  dem  echten  Sinne  Piatons  ab,  wie 
er  auch  den  christlichen  Trinitätsgedanken  nicht  erfasse.  —  Eine  Be- 
reicherung unserer  Kenntniss  des  Neuplatonismus  oder  seiner  directen 
Einwirkung  auf  das  Christentum  hat  uns  Michelis  mit  seinem  sehr 
ßubjeetiven  Verfahren  nicht  geboten. 

Ein  Aufsatz,  der  im  Allgemeinen  den  Neuplatonismus  betrifft,  isi 
hier  noch  anzuführen: 

Eine  platonische  Quelle  des  Neuplatonismus  von  A.  Gercke  im 
Rhein.  Museum,  41,  1886,  S.  266—291. 

Der  Verfasser  weist  nach,  dass  der  Autor  von  der  unter  den 
Werken  Plutarchs  sich  findenden  Schrift  de  fato,  Chalcidius  und  Neme- 
sios  einen  und  denselben  platonischen  Schriftsteller  benutzt  haben,  der 
auch  auf  die  Neuplatoniker  entschiedenen  Einfluss  geübt  hat.  Es 
schrieb  dieser,  wie  Gercke  meint,  vor  Albinus  und  Apuleius,  welche  ihn 
kennen,  und  er  gehört  der  platonischen  Schule  zu  Beginn  des  zweiten 
Jahrhunderts  an.  In  der  Logik  ist  er  Aristoteliker,  sonst  vermischt  er 
platonische  und  stoische  Elemente,  wie  dies  ja  bei  den  eklektischen 
Piatonikern  üblich  war.  Wirksam  für  die  Folgezeit  sind  nach  Gercke 
fast  nur  seine  mystisch-platonischen  Speculationen   gewesen. 

Wenden  wir  uns  nun  zu  den  einzelnen  Neuplatouikern! 

Auf  die  Textesrecension  Plotins  von  H.  F.  Müller  aus  dem  Jahre 
1878  (siehe  Jahresbericht  über  die  Jahre  1876  —  1880,  S.  46 f.)  ist  eine 
neue  gefolgt: 

Plotini  Enneades  praemisso  Porphyrii  de  vita  Plotini  deque 
ordine  librorum  eius  libello  edidit  Ricardus  Volkmann,  Lipsiae 
1883  und  1884.     Vol.  I,  XXXIV,  350  S.    Vol.  II,  LVL  524  S.    8. 

Der  Herausgeber  bemerkt  selbst  in  der  Praefatio,  dass  er  sich 
zwar  seit  seinen  Jünglingsjahren  viel  mit  der  Erklärung  und  Verbesse- 
rung des  Plotin  beschäftigt  habe,  aber  nie  daran  gedacht  haben  würde, 
ihn  zu  edieren,  wenn  nicht  die  Teubnersche  Buchhandlung,  nachdem 
die  Kirchhoffsche  Ausgabe  vergriffen,  ihn  ersucht  hätte,  den  Plotin  in 
der  Bibliotheca  Teubneriana  wieder  erscheinen  zu  lassen.  Hauptsäch- 
lich aus  diesem  Grunde,  damit  Plotin  in  der  Sammlung  nicht  fehle,  kann 


Plotin.  99 

die  Ausgabe  gerechtfertigt  erscheinen.  Volkmann  erkennt  selbst  die 
Vorzüge  der  Ausgabe  Müllers  an  und  meint  nur,  derselbe  sei  in  der 
Ausmerzung  dessen,  was  er  für  Glosseme  und  Interpolationen  gehalten, 
etwas  zu  rasch  gewesen.  Er  selbst  hat  die  Handschriften  nicht  wieder 
verglichen  und  geht  namentlich  von  dem  codex  Mediceus  (A)  aus,  nimmt 
viele  Verbesserungen  anderer  Gelehrter  auf,  tilgt  die  offenbaren  Glosseme 
und  sucht  seinestheils  den  noch  übriggebliebenen  verderbten  Stellen  auf- 
zuhelfen, und  es  ist  allerdings  meines  Erachtens  ein  Fortschritt  gegen 
die  früheren  Ausgaben  zu  bemerken.  Der  sehr  kurze  kritische  Apparat 
findet  sich  in  der  Vorrede.  Mit  vollstem  Rechte  hat  Volkmann  ebenso 
wie  Müller  im  Gegensatz  zu  Kirchhoff  die  Eintheilung  des  Porphyrios 
beibehalten. 

Für  die  Kritik  des  Textes  der  Enneaden  ist  es  von  Werth,  den 
Sprachgebrauch  Plotins  zu  untersuchen.  Ein  tüchtiger  Anfang  ist  hier- 
zu gemacht  in: 

De  usu  praepositionum  Plotiniano  Quaestiones.  Diss.  iuaug.  philol- 
quam  scripsit  —  Eugenius  Seidel,  Nissae  1886.    77  S.    8. 

Nachdem  der  Verfasser  zunächst  die  Stellen  angegeben  hat,  in 
denen  er  von  der  Eecension  Volkmanns  abweichen  zu  müssen  glaubt, 
handelt  er  in  dem  ersten,  dem  allgemeinen  Theil,  de  praepositionum  et 
adverbialium  praepositionaliüm  vel  casualium  frequentia.  de  causis  poly- 
prothesis,  de  repetitione  et  commentatione,  de  cumulatione  praepositionum, 
de  coniuuctione  cum  aliis  particulis,  de  forma,  de  collocatione.  Im  zwei- 
ten, specielleren  aber  längeren  Theil  geht  er  auf  7tpog  genau  ein  und 
bt  handelt  Partikel  und  Präposition  nach  allen  Seiten  in  sehr  gründ- 
licher Weise.  Dass  hierbei  zur  Erklärung  und  Verbesserung  des  Textes 
vom  Verfasser  Manches  beigetragen  wird,  ist  kaum  nöthig  zu  erwähnen. 

Brauchbare  Vorschläge  zu  einigen  Stellen  in  den  Enneaden  finden 
sich  in  der  Abhandlung  aus  den  Christiania  Videnskabsselskabs  Forhand- 
linger  1884,  No.  5: 

De  locis  quibusdam  Plotinianis  commentatus  est  M.  J.  Monrad. 
Christiania  1884.    10  S.    8. 

Um  die  Kenntniss  und  das  leichtere  Verständniss  Plotins  haben  sich 
einige  Gelehrte,  zum  Theil  solche,  die  schon  früher  eitrig  und  erfolg- 
reich dafür  gearbeitet  haben,  verdient  gemacht: 

Plotins  Forschung  nach  der  Materie  im  Zusammenhang  dargestellt 
von  Herrn.  Frdr.  Müller,   Berl.  1882.    20  S.    4.    Progr.  von  llfeld. 

Dispositionen  zu  den  drei  ersten  Enneaden  des  Plotinos  von 
Herrn.  Frdr.  Müller,  Bremen  1884.    102  S.    8. 

Beides  sehr  verdienstliche  Arbeiten.  Nachdem  der  Verfasser  in 
der  ersten  einen  Rückblick  auf  die  griechischen  Philosophen  vor  Biotin 

7* 


]00  Herrn.  Knlr.  Malier  zu   l'lotin. 

gethan  hat,  bandelt  er  ober  Ursprung  und  Notwendigkeit,  ober  da« 
Wesen  and  die  Erkennbarkeit  der  Materie  bei  Plotin.  Und  höchst 
lesenswert!)  sind  diese  Erörterungen,  Belbsl  für  die  neuere  Philosophie 
beherzigenswert!).  Wir  sehen  hier,  wie  nahe  Plotin  dem  snbjectiven 
Idealismus  kommt,  wonach  die  sichtbaren  und  tastbaren  Gegenstände 
Erzeugnisse  des  inneren  Sinnes  sind,  wonach  Materie  auf  ansern  con- 
t'usen  Vorstellungen  beruht.  Obwohl  die  Dinge  aus  der  intelligibeln 
Welt  stammen,  ist  ihr  Erscheinen  doch  nur  ein  erlogenes,  weil  da-. 
worin  sie  erscheinen,  nicht  ist  Die  Materie  i-t  aber  nothwendig  als 
das  Substrat  und  ferner  aus  einem  ethischen  Gesichtspunkt,  weil  sie 
mit  dem  Bösen  geradezu  identifiziert  wird.  Hiermit  haben  wir  zugleich 
das  Wesen  der  Materie,  und  wenn  wir  fragen,  was  wir  weiter  von  ihr 
aussagen  können,  so  müssen  wir  uns  zumeist  an  Negationen  halten:  Sie 
hat  weder  Gestalt  noch  Form,  weder  Qualität  noch  Quantität;  nicht  zu- 
sammengesetzt, sondern  einlach  und  continuierlich  ist  sie  leer  von  Allein. 
Sie  ist  etwas  Anderes  als  alle  andern  Dinge,  ein  szsoou .  äneipov,  eine 
ariprjGiq.  Was  die  Erkennbarkeit  der  Materie  anlangt,  so  ist  aus  dem 
Angeführten  schon  zu  verstehen,  wie  die  oht  äyviooroQ  xaß'  aurrj/v  i-f. 
und  wie  der  Verfasser  seine  Erörterung  über  Plotin  damit  schlies&en 
kann,  dass  wir  von  der  Materie  nur  eine  undeutliche,  dunkle  und  un- 
echte Erkenntniss  erlangen.  —  Zuletzt  weist  Müller  mit  vollem  Recht 
darauf  hin,  dass  wir  im  Verständniss  der  Materie  nicht  wesentlich  über 
die  Alten  hinausgekommen  sind,  und  mit  das  Beste  unter  diesen  hat 
Plotin  gesagt. 

Vortrefflich  zur  Einführung  in  die  Leetüre  des  Plotin  ist  die 
zweite  Arbeit  Müllers,  für  die  er  sich  Leser  denkt,  die  zum  ersten  Mal 
an  Plotin  herankommen  und  nun  die  Leitung  eines  Kundigen  gebrauchen. 
Indem  er  sich  nicht  auf  Kritik  einlässt.  will  er  auch  keinen  Commentar 
geben,  bringt  aber  doch  in  den  Anmerkungen,  namentlich  in  der  Ab- 
handlung gegen  die  Gnostiker,  Mancherlei  zum  bessern  Verständniss 
bei.  Wesentlich  verhält  er  sich  referierend  ,  sucht  aber  die  Gedanken 
in  logische  Ordnung  zu  bringen.  Wie  schwierig  diese  Aufgabe  für  ihn 
gewesen  sein  muss,  weiss  jeder,  der  Plotin  einmal  studiert  hat.  — 
Möge  dem  treuen  und  ernsten  Plotinforscher  der  gewünschte  Erfolg, 
dass  durch  seine  Arbeit  auch  das  Studium  Plotins  zunehme,  nicht  aus- 
bleiben, so  dass  er  nicht  wieder  in  die  Worte  auszubrechen  Noth  hat 
(Philolog.  1887,  S.  370  in  seinem  Jahresbericht  über  Plotin):  »Wir 
haben  zwei  neue  Ausgaben,  Analysen  und  Dispositionen  einzelner  Bücher; 
es  fehlen  blos  noch  die  Leser.« 

Der  Gedankengang  in  Plotins  erster  Abhandlung  über  die  All- 
gegenwart der  intelligibeln  in  der  wahrnehmbaren  Welt  (Enn.  VI,  4). 
Von  Dr.  phil.  Hugo  von  Kleist,  Flensb.  1881.  28  S.  4.  Progr.  des 
Königl.  Gymn.  und  der  Realschule  1.  Ordn.  zu  Flensburg. 


Hugo  v.  Kleist,  zu  Plotin.  101 

Plotinische  Studien  von  Hugo  von  Kleist.  Erstes  Heft:  Studien 
zur  IV.  Enneade  (IV  1;  2;  3,1  —  17;  4,  14;  4,  18-29;  5;  6),  Heidel- 
berg 1883.    VIII,   152  S.    8. 

Zu  Plotins  zweiter  Abhandlung  über  die  Allgegenwart  der  intelli- 
gibelu  in  der  wahrnehmbaren  Welt,  Enn.  VI,  5,  von  demselben. 
Philologus,   42.    Bd.,   1884,  S.  54—71. 

Zu  Plotinos,  Enn.  III,  1,  von  demselben.  Philologus,  Bd.  45, 
1886,  S.  34-53. 

Diese  vier  Arbeiten  zeichnen  sich  in  gleicher  Weise  durch  Gründlich- 
keit der  Auffassung  und  Klarheit  der  Darstellung  aus,  so  dass  sie  das 
Verständniss  Plotins  in  den  betreffenden  Theileu  wesentlich  fördern  und  er- 
leichtern. Die  beiden  Abhandlungen  über  die  Allgegenwart  des  Intelligibeln 
in  dem  Wahrnehmbaren  gehören  zu  den  schwierigeren,  aber  sie  sind  von 
H.  von  Kleist  möglichst  lichtvoll  analysiert.  In  der  ersten  derselben  stellt 
sich  Plotin  eine  doppelte  Aufgabe.  Einmal  will  er  die  ungetheilte  Ge- 
genwart der  intelligibeln  Welt  beweisen,  sodann  dieselbe  auch  begreiflich 
machen.  Das  Erste  geschieht,  indem  alle  denkbaren  andern  Annahmen 
über  das  Verhältniss  des  Intelligibeln  zum  Wahrnehmbaren  als  unmög- 
lich dargethan  werden.  Das  Zweite  geschieht  durch  Beseitigung  aller 
der  Zweifel,  welche  sich  gegen  die  Thesis  an  sich  und  gegen  ihre  Ver- 
einbarkeit mit  allgemein  gültigen  oder  von  Plotin  gelehrten  Sätzen  er- 
heben. —  In  der  zweiten  Abhandlung  Plotins  handelt  es  sich  um  die 
ganz  abstracte  Frage:  Wie  kann  ein  existentiell  Identisches  als  Ganzes 
und  zugleich  überall  sein?  Plotin  geht,  wie  von  Kleist  darlegt,  bei  der 
Beantwortung  dieser  Frage  von  verschiedenen  zweifellosen  Sätzen  aus 
und  beweist  dann,  dass  jeder  dieser  Sätze  die  ungetheilte  Gegenwart 
eines  existentiell  Identischen  in  der  Vielheit  von  Dingen  in  sich  schliesst. 
Zum  Finden  des  Intelligibeln  kommt  mau  freilich  nur,  wenn  man  über 
alle  Getheiltheit  sich  erhebt  und  unmittelbar  das  Ganze  ergreift,  indem 
man  selbst  aus  einem  Theilwesen  von  gewisser  Grösse  andern  gegenüber 
ein  Ganzes  wird. 

Die  Theile  von  Enn.  IV,  welche  von  Kleist  iu  seinen  Ploliuischen 
Studien  behandelt,  beziehen  sich  theils  auf  Fragen  der  empirischen, 
theils  auf  solche  der  metaphysischen  Psychologie.  Der  Verfasser  hat 
sich  die  Aufgabe  gestellt,  genaue  Analysen  zu  geben,  nichts  als  die  Ge- 
danken Plotins,  aber  diese  in  ihrer  vollen  Entwickelang  vorzutragen; 
nur  führt  er  hie  und  da  einen  von  Plotin  bloa  angedeuteten  Gedanken 
weiter  aus  oder  ergänzt  einen  bei  Plotin  gar  nicht  ausgedrückten  aber 
notwendigen  Zwischengedanken.  Er  hofft  dann,  durch  >eine  Arbeit  er- 
reicht zu  haben,  dass  man  theils  der  Problemstellung,  theils  der  Lösung 
der  Probleme  bei  Plotin  Anerkennung  zollen  weide.  Das  Seinige  hat 
er  wenigstens  ehrlich  dazu  gethan,  die  Bedeutung  Plotins  auch  für  diese 
psychologischen  Fragen  in  das  richtige   Lieht   zu  stellen. 


102  Plotin.     Die  Theologie  des  Aristoteles. 

Eine  ähnliche  Analyse  bietet  uns  von  Kleist  in  der  vierten  Arbeit 
betreffs  der  Abhandlung  über  da 8  Schicksal,  indem  er  auch  hier  allen 
Gedankengangen  Plotins  bis  ins  Einzelnste  nachgeht  und  die  complicierte 
Disposition  nach  Möglichkeit  übersichtlich  macht.  In  dieser  Abhand- 
lung wie  in  den  Plotiniscben  Studien  hat  er  in  den  Anmerkungen  Vieles 
zur  Erklärung  des  Einzelnen  sowie  manches  Branchbare  für  die  Text- 
kritik beigetragen. 

In  derselben  Weise  wie  die  von  Kleistschen  Arbeiten  ist  hier 
rühmlich  zu  erwähnen: 

Plotins  Enn.  I,  Buch  l,  cap.   1  — G  exegetisch    und   kritisch  unter- 
sucht von  P.  Pabst,  Philol.  43,   1884,  S.  662  —  677. 

In  diesen  Capiteln  handelt  es  sich  um  die  Frage:  vi  rb  Zwn\>\  die 
Disposition  wird  von  Pabst  sehr  scharf  dargelegt,  und  ausführliche  An- 
merkungen werden  dazu  gegeben.  Die  Antwort  auf  die  P'rage  formuliert 
sich  schliesslich  so:  £wov  ist  ein  aus  einem  mit  Seele  als  mit  Form  be- 
hafteten Körper  und  einem  von  der  darüber  stehenden  Seele  ausge- 
strahlten (?),  von  letzterer  geschaffenes  selbständiges  Wesen,  welchem  die 
Wahrnehmung  und  die  andern  Affectionen  eigen  sind. 

Nicht  unerwähnt  darf  hier  bleiben:  Die  sogenannte  Theologie 
des  Aristoteles  aus  dem  Arabischen  übersetzt  und  mit  Anmerkungen 
versehen  von  Dr.  Fr.  Dieterici,  Leipzig  1883.  Im  Jahre  vorher  war 
dasselbe  Werk  aus  arabischen  Handschriften  von  demselben  Gelehrten 
zum  ersten  Male  herausgegeben  worden,  nachdem  eine  lateinische  Para- 
phrase der  Schrift  1519  zu  Rom  von  Franc,  de  Rosis  und  1572  zu  Paris 
von  Carpentarius  erschienen  war.  Dieterici  sieht  deutlich,  dass  diese 
Schrift  aus  neuplatonischer  Schule  stammt,  fragt  auch  schon  nach  dem 
Verhältniss  desselben  zu  den  Enneaden  Plotins ,  findet  einige  Ueberein- 
stimmungen,  namentlich  die  Versenkung  des  Ichs  in  die  intelligible 
Welt,  und  meint,  es  würden  gewiss  noch  mehr  Parallelen  zu  entdecken 
sein.  Valentin  Rose  ist  nun  diesem  Zusammenhange  weiter  nachge- 
gangen und  kommt  in  seiner  Anzeige  der  Dietericischen  Uebersetzung, 
Deutsche  Lit.-Ztg.  1883,  S.  843  —  846,  zu  dem  Resultate,  dass  wir  in 
dieser  Theologie  des  Aristoteles  nichts  als  Stücke  aus  Plotins  Enneaden, 
IV,  V  und  VI,  haben,  und  belegt  dies  durch  einen  Inhaltsnachweis  der 
Quellen  und  der  ihr  entnommenen  Theologie.  Freilich  war  die  griechische 
Vorlage  selbst  nur  eine  Paraphrase  der  plotinischen  Stücke,  wie  Rose 
meint,  von  Porphyrios  angefertigt.  H.  F.  Müller  zieht  dies  letztere  in 
dem  oben  S.  100  erwähnten  Jahresbericht  in  Zweifel,  und  ich  schliesse 
mich  ihm  hierin  an.  Schreibt  schon  Dieterici  dem  Neuplatonisraus 
einen  recht  bedeutenden  Einfluss  auf  die  arabische  Philosophie  zu, 
indem  er  meint,  plotinische  Philosopheme  seien  mit  am  frühesten  den 
Arabern  als  aristotelische  zugeführt  worden,  so  ist  nun  Rose  nach  seiner 


W.A.Meyer,  Hypatia  von  Alexandria.  103 

Entdeckung  zu  den  Aussprüchen  berechtigt:  »Plotin  ist  die  Quelle 
der  Besonderheit  des  arabisch  aristotelischen  Scholasticismus:  Plotin 
und  Aristoteles,  das  ist  die  gaDze  arabische  Philosophie.«  —  Uebrigeus 
behandelt  auch  R.  Volkmann  in  dem  zweiten  Band  seiner  Ausgabe 
auf  den  ersten  Seiten  der  Praefatio  das  Verhältniss  des  Plotin  zu  der 
Theologie  des  Aristoteles  und  kommt  zu  einem  sehr  absprechenden 
Urtheil  über  den  Autor  der  letzteren.  Mag  man  auch  dem  zustimmen, 
so  bleibt  nichtsdestoweniger  die  Bedeutung  des  Plotin  für  die  arabische 
Philosophie  bestehen. 

Auch  die  neuplatonische  Philosophin  hat  ihren  Bearbeiter  gefunden: 

Hypatia  von  Alexandria.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  Neu- 
platonismus  von  Wolfg.  Alex.  Meyer,  Heidelberg  1886.  52  S.  8. 
Der  Verfasser  hebt  mit  der  Behauptung  an,  wahrscheinlich  zur 
Rechtfertigung  seiner  Schrift,  dass  alle  bisherigen  Darstellungen  des 
Lebens  und  Todes  Hypatias  mit  einander  eine  völlig  kritiklose  Benutzung 
des  Quellenmaterials  gemein  hätten;  auch  die  Arbeit  Hoches  sei  von 
diesem  Vorwurfe  nicht  frei  zu  sprechen.  Man  müsste  hiernach  denken, 
Meyer  sei  zu  neuen  sichereu  Resultaten,  vielleicht  auch  nur  nach  der  nega- 
tiven Seite  hin,  gekommen.  Das  ist  aber  keineswegs  der  Fall.  Im  Ge- 
gentheil:  Er  stimmt  mit  Hoche  vielfach  überein,  und  wenn  er  von  diesem 
abweicht,  so  sind  das  eigene  Phantasien,  die  sich  beinahe  auf  nichts 
stützen,  z.  B.  wenn  er  behauptet:  Hypatia  habe  sich  viel  auf  der  Strasse 
bewegt  und,  wenn  sie  angesprochen  und  um  Auskunft  gebeten  worden 
sei,  diese  ertheilt,  ja  sie  möge  wohl  hie  und  da  selbst  ein  Gespräch 
angefangen  und  daran  ihre  Belehrungen  geknüpft  haben.  Und  dies  wird 
geschlossen  aus  den  Worten  des  Suidas:  ntptßaXXoiiivrj  8k  rpißtuvo 
E^rjyeT-co  orj/iotTig.  roig  äxpoaoHai  ßo'jÄußSvucg  rj  rä  to~j  IlXdr<oVog  r/  rou 
' ApLOToriXouQ  x-L  Ferner  wenn  er  meint,  Hypatia  sei  das  Opfer  einer 
politischen  oder  persönlichen  Rache  gewesen,  die  gar  nicht  sie  treffen 
sollte,  sondern  durch  sie  eine  dritte  Person,  nämlich  den  Statthalter 
Orestes,  vielleicht  auch  den  Bischof  Synesios,  so  kann  man  dies  keines- 
wegs eine  kritische,  wohl  aber  sehr  willkürliche  Benutzung  des  Sokrates 
nennen.  Und  wenn  ferner  Meyer  der  Ansicht  ist,  Hypatia  habe  weit 
mehr  Werke  verfasst,  als  die,  von  denen  uns  berichtet  wird,  und  unter 
ihren  Werken  seien  höchst  wahrscheinlich  solche  philosophischen  Inhalts 
gewesen,  so  weiss  ich  nicht,  welche  Quellen  er  kritisch  gebraucht  hat 
für  diese  Aufstellungen.  Was  er  vollends  über  die  Lehre  der  Hypatia. 
sagt,  dass  sie  in  allem,  was  echt  hellenisch  bei  Plotin  sei,  mit  diesem 
übereingestimmt  habe,  dass  man  auch  in  der  Politik  eine  Herührung 
zwischen  dem  System  Plotins  und  der  Lehre  Hypatias  annehmen  dttrfe, 
dass  sie  endlich  dieselbe  philosophische  Richtung  vertreten  habe,  wie 
Hierokles,  und  als  Schöpferin  derselben  eine  weit  originellere  und 
genialere  Vertreterin  derselben  gewesen  sei  ah  Qierokles  —  das   Alles 


104  Iamblichos,  Proklos. 

sind  nur  vago  Vermuthungen  und  haben  nicht,  einmal  die  Wahrscheinlich- 
keit für  sich.  —  Die  PhÜOSOphia  von  Alexandria  bal  den  Verfasser  mehr 
als  ein  Jahr  unausgesetzt  beschäftigt,  wie  er  am  Bchluss  Beiner  Schrift 

bemerkt,         das  Jahr  hat  wenig  Gutes  zu  Tage  gefördert. 

Die  werthvollste  Schrift  des  Iamblichos  ist  in  einer  neuen  Aus- 
gabe erschienen: 

[amblicbi  de  vita  Pythagorioa  über.  Ad  fidem  codicis  Florentini 
recensuit  Augustus  Nauck.  Accedit  Epimetrum  de  Pythagorae 
aureo  carmine,  Petropoli   1884.    LXXXV,  309  S.    8. 

Die  Schrift  bedurfte  einer  neuen  Recension.  und  dieser  musste, 
wie  es  von  Nauck  nun  geschehen  ist,  der  Laurentianus  (plutei  LXXXVI 
cod.  3)  zu  Grunde  gelegt  werden,  den  der  Herausgeber  Florentinus 
(F)  nennt.  Mit  der  sorgfältigen  Benutzung  der  Handschrift  war  aber 
weitaus  nicht  Alles  geschehen:  Sehr  viele  Verbesserungen  waren  nötliig, 
um  den  Text  lesbarer  zu  machen;  vielleicht  ist  hie  und  da  von  Nauck 
zu  viel  geschehen.  Jedenfalls  erscheint  das  Buch  des  Iamblichos  in  viel 
annehmbarerer  Gestalt  als  früher;  der  nöthige  kritische  Apparat  findet 
sich  unter  dem  Texte.  In  den  Prolegomenis  giebt  Nauck  ausführlich 
Rechenschaft  über  sein  Verfahren. 

Das  Epimetrum,  S.  196-  242,  wiederholt  wesentlich  das,  was  Nauck 
in  einer  Abhandlung  aus  dem  Jahre  1873:  Sur  les  sentences  morales 
de  Pythagore  im  Bulletin  de  l'acad.  imper.  des  sciences  de  St.  Petersb., 
XVIII,  S.  472-501  vorgetragen  hatte,  und  in  Betreff  deren  er  sich 
beklagt,  dass  sie  von  Tycho  Mommsen,  Zeller,  Cobet  ignoriert  worden 
sei.  Nun  bei  Uebervveg  ist  sie  wenigstens  citiert,  wenn  ich  auch  keine 
Veranlassung  haben  konnte,  auf  sie  einzugehen.  Es  kommt  in  ihr  darauf 
hinaus,  dass  die  ipuoä  inrj  eine  späte  Compilation,  aus  dem  4.  Jahr- 
hundert, seien. 

Reichhaltige  Indices  hat  Nauck  der  Ausgabe  beigefügt:  1)  I.  scrip- 
torum,  2)  I.  vocabulorum,  S.  247  355  (beinahe  etwas  zu  reichlich  aus- 
gefallen), 3)  I.  potiorum  rerum  ab  lamblicho  commemoratarum,  4)  I. 
locorum  temptatorum  (d.  h.  aus  andern  Schriftstellern).  Zwei  Proben 
aus  dem  cod.  Laurentianus  sind  am  Ende  auf  Tafeln  gegeben. 

Eine  Reihe  von  Verbesserungsvorschlägeu  findet  sich  in  der  Arbeit: 

Ad  Iamblichi  de  vita  Pythagorica  librum  scr.  H.  van  Herwerden 
im  Rhein.  Museum  40,   1885,  S.  444—452. 

Höchst  erfreulich  ist  es,  dass  unsere  Keuutuiss  des  Proklos  durch 
Herausgabe  bis  dahin  unbekannter  Theile  einer  seiner  Schrifteu  be- 
reichert ist: 

Prodi  commentariorum  in  rempublicam  Piatonis.  Partes  ineditae. 
Edid.  Rudolfus  Schoell,  Berolini  1886.  238  S.  gr.  8  (Vol.  II  Der 
Varia  inedita  Graeca  et  Latina  edid.  Rud.  Schoell  et  Guil.  Studemuund). 


Proklos.  105 

Der  Codex  Mediceus  der  Abhandlungen  des  Proklos  zur  Republik 
-des  Piaton,  von  dem  der  Oxoniensis  stammt,  welcher  dem  Grynaeus 
zu  seiner  Ausgabe  diente,  ist  unvollständig.  Ein  Codex  Vaticauus,  der 
früher  im  Besitz  der  Salviati  war,  enthält  die  fehlenden  Abschnitte, 
nicht  wie  man  mehrfach  meinte,  das  Ganze.  Nachdem  Aug.  Mai  ver- 
schiedene Stücke  daraus  veröffentlicht  hat,  ist  er  keinem  Gelehrten  wieder 
zu  Gesicht  gekommen;  man  weiss  nicht,  wo  er  in  der  Vaticana  liegt. 
Schoell  sagt  über  ihn:  eiusdem  codicis  Graeci  antiqui,  qui  in  Laurentiana 
servatur,  olim  dum  integer  esset  particulam  extremam  effecerat  Salvia- 
torum  über:  quae  jam  ante  quam  liber  ad  Mediceos  perlatus  est  e  volu- 
minis  compage  avulsa  videtur  latuisse  inter  Codices  Mediceos.  Von 
diesem  Codex  findet  sich  nun  eine  theils  durch  Lucas  Holstenius  selbst, 
theils  unter  dessen  Aufsicht  besorgte  genaue  Abschrift  in  der  Bibliotheca 
Barberina,  welche  der  Herausgeber  copiert  hat.  Bei  der  Herstellung 
des  immerhin  sehr  verderbten  Textes  ist  keine  Mühe  gescheut  worden. 
Es  galt,  sehr  viel  zu  verbessern  und  manche  Lücken  waren  auszufüllen. 

Der  Text  bietet  die  fünf  letzten  Abhandlungen,  9-13:  Mikiaaa 
£i;  zbv  kv  üohtBiq.  Xoyov  zwv  Mouautv,  Ilepl  ~w\>  deixvovziov  vpiwv  Xöyujv 
an  siJdat//.ov£(Trepov  roo  ddc'xou  vo  dixcuov,  fiept  rtov  iv  tüj  osxdzco  tt^ 
IloXcrstag  xe<pa\auuv,  Elg  rbv  ev  llnh~eiq  pd&ov  und  Entaxetfug  tujv  im' 
'ApiOToriXoug  kv  oeorepcu  zu>u  floXiTixatv  rtpo^  -yv  IIXdTUJvog  UoXizeiav 
dvtetp7jpev(uv.  Auf  den  Text  mit  kritischem  Apparat  folgen  S.  135-139 
einige  Scholieu  aus  dem  Codex  Laurentianus,  dann  S.  140  —  148  eine 
deutsche  Abhandlung  von  Frieder.  Hultsch  über  die  platonische  Zahl  bei 
Proklos,  und  endlich  249  —  338  ein  Index  auctorum  und  ein  sehr  aus- 
führlicher Index  verborum. 

Auf  Proklos  bezieht  sich  noch  eine  Abhandlung: 

Zu  Proklus  und  dem  Jüngern  Olympiodorus  von  J.  Freudenthal, 
im  Hermes,  XVI,  1881,  S.  201-224. 

Der  Verfasser  hatte  in  seinen  Hellenistischen  Studien  3.  Heft,  S.  316 
auf  eine  Stelle  in  den  Prolegom.  des  Olympiodor  hingewiesen,  nach  der 
Proklos  nicht  nur  die  Epinomis  und  die  Briefe,  sondern  auch  die  Politie 
und  die  Gesetze  für  nicht  platonisch  erklärt  habe.  Ed.  Zeller  wandte 
sich  hiergegen  in  einem  Aufsatze:  Zur  Geschichte  der  platonischen  und 
aristotelischen  Schriften  im  Hermes,  XV,  1880,  S.  1880ff.  Im  vorliegen- 
den Aufsatze  hält  nun  Freudenthal  an  seiner  Auffassung  der  Stelle  und 
an  der  Möglichkeit  fest,  dass  Proklos,  wenn  er  auch  sonst  in  den  uns  er- 
haltenen Schriften  die  Echtheit  durchaus  anerkenne,  einmal  den  nicht 
platonischen  Ursprung  dieser  Dialoge  behauptet  habe,  und  macht  dafür 
geltend,  dass  sich  Proklos  in  äeinen  ans  noch  vorliegenden  Schriften  oft 
genug  widersprochen  habe,  /,.  B.  in  der  Werthschätzung  platonischer 
Schriften.  Zeller  bleibt  in  der  3.  Aufl.  des  5  Bandes  seiner  Phil,  der 
Griechen  S.  777,  l   bei  seinem  Widerspruche  stehen,   und  ich  schlie 


106  Neuplatonikcr.     Damaskios. 

mich  ihm  bierin  an  and  glaube,  dass  die  Angabe  bei  Olympiodor,  die 
allerdings  in  der  Weise  Freuden!  hals  zu  interpretieren  ist,  auf  einem 
MissYerständniss  Seitens  Olympiodors  oder  dessen,  der  die  Prolegomena 
herausgegeben  hat,  beruht. 

S.  214ff.  giebt  Freudenthal  auch  eine  sehr  dankenswerthe  Ueber- 
sicht  der  noch  vorhandenen  philosophischen  Schriften  di  s  Proklos  in  der 
Reihe,  wie  sie  zeitlich  auf  einander  folgen.  Siehe  übrigens  dazu  Rud. 
Schoell  in  der  Praefatio  zu  dem  Commentar  des   Proklos,  S.  5,  Anm. 

Eine  lehrreiche  Abhandlung,  die  freilich  mehr  die  Theologie  als 
Philosophie  angeht,  beantwortet  die  Frage: 

Haben  die  späteren  neuplatonischen  Polemiker  gegen  das  Christen- 
thum  das  Werk  des  Celsus  benutzt?  Von  Georg  Loesche,  in  der 
Zeitschr.  für  wissensch.  Theol.,  27,   1883,  S.  257  —  302. 

Der  Verfasser  untersucht  in  gründlicher  Weise,  wie  sich  zu  Kelsos 
seine  Nachfolger  verhalten,  aber  ferner  auch,  welche  Berührung  diese 
mit  einander  haben,  und  welche  Vorwürfe  sich  bei  allen  wieder  finden. 
Die  Antwort,  die  mir  gesichert  scheint,  auf  die  Hauptfrage  lautet,  dass 
Hierokles  und  der  Anonymus  des  Lactanz  das  Meiste  dem  Kelsos  ent- 
nommen, dass  höchst  wahrscheinlich  Porphyrios,  Julianus,  der  Anonymus 
des  Makarios  Magnes  unmittelbar  oder  mittelbar,  letzteres  vielleicht 
durch  mündliche  Ueberlieferung  und  Auszüge,  den  Kelsos  benutzt  haben, 
dass  Proklos  aber  unbeeintlusst  von  ihm  gewesen  ist. 

Hier  wäre  auch  der  Platz  der  meist  von  Neuplatonikern  geschrie- 
benen Commentare  zu  Aristoteles  zu  erwähnen,  die  seit  1882  »consilio 
et  auetoritate  Academiae  litterarum  regiae  Borussicae«  herausgegeben 
werden.  Es  mag  genügen  darauf  hinzuweisen,  dass  Simplicii  in  Aristot. 
Phys.  11.  quatuor  priores  von  Herrn.  Di  eis,  Simplicii  in  11.  Arist.  de 
anima  von  Michael  Hayduck,  Themistii  quae  fertur  in  Arist.  Anal, 
pr.  1.  1  paraphras.  von  Max  Wallies  u.  a.  bereits  erschienen  sind. 
Freuen  wir  uns,  dass  ein  solches  Unternehmen  begonnen  hat  und  den 
besten,  sichersten  Händen  anvertraut  ist! 

Mit  dem  letzten  Leiter  der  Akademie  in  Athen  beschäftigt  sich 
ein  besonderer  Aufsatz: 

Der  Philosoph  Damascius.  Von  E.  Heitz,  in  den  Strassburger 
Abhandlungen  zur  Philos.  Ed.  Zeller  zu  seinem  siebenzigsten  Ge- 
burtstage, Freib.  i.  B.  und  Tübingen  1884,  S.  1-24. 

Nach  allgemeineren  Bemerkungen  über  die  Neuplatoniker,  über 
Damaskios  und  die  unter  dem  Namen  des  Erennius  bekannte  Schrift 
ecg  rä  fierä  rä  <puoixä,  geht  der  Verfasser  zn  seinen  eigentlichen  Fragen 
über,  nämlich  ob  uns  in  dem  codex  Marcianus  zwei  Werke  des  Damas- 
kios überliefert  sind,  oder  nur  eines,  und  entscheidet  sich  mit  Recht  auf 
Grund  äusserer  Merkmale  der   Handschrift    und  auf  Grund   der  inhalt- 


Neuplatonikef.     Boethius.  107 

liehen  Verschiedenheit  der  beiden  Theile  für  Bejahung  der  ersten  Frage 
im  Gegensatz  zu  der  üblichen  Ansicht.  Während  die  erste  Schrift: 
Aapaoxtou  otaooyoo  dnopcai  xai  Auoscg  nepl  tojv  npujzujv  doywv,  mit  fol. 
210 r  abbricht,  fängt  die  zweite:  dapaaxeou  dtadöyou  sie  rov  DXdraiVog 
[lapptvior^v  dnopiat  xcä  intXOoeiQ  dvriTtaparscvöpsvat  roTg  elg  aurov 
bnop.vrip.aot  roh  <pilooö<pov  (nämlich  Upoxloo)  auf  216r  allerdings  in  ver- 
stümmelter Weise  an.  Die  erste  Schritt  bildet  ein  ununterbrochenes 
Ganzes,  bei  der  zweiten  findet  sich  im  Gegensatz  dazu  eine  Eintheilung, 
und  in  dieser  letzteren  hat  Damaskios  mit  dem  Proklos  in  einen  Wett- 
streit eingehen  und  diesen  noch  überbieten  wollen. 

Auf  das  Ende  der  Philosophenschulen  in  Athen  geht  die  Abhandlung: 

Die  letzten  heidnischen  Philosophen  unter  Justinian  von  Schuck, 
in  den  Jahrbb.  für  Philologie  und  Pädag.,  2.  Abth.,  XXVIII,  1882, 
S.  426  -  440. 

Der  Verfasser  handelt  in  dem  gut  geschriebeneu  Aufsatze  über 
die  letzten  Edicte  gegen  die  Heiden,  über  das  Ende  der  neuplatonischeu 
Schule  in  Athen,  und  über  die  Auswanderung  der  heidnischen  Philo- 
sophen uach  Persien  (Agathias.  Uranios.  Simplicius),  ohne  dass  er  dabei 
aber  besonders  Neues  zu  Tage  gefördert  hätte.  Er  weist  zuletzt  hin 
auf  den  früher  geschätzten,  jetzt  etwas  in  Vergessenheit  geratheneu 
Commentar  des  Simplikios  zu  dem  Encheiridiou  Epiktets,  indem  er 
meint,  dem  Simplikios  habe  in  seiner  unfreiwilligen  Müsse  das  stoisch- 
moralische Handbüchlein  zum  Tröste  gedient.  Hierfür  spricht  allerdings 
die  Bemerkung  des  Commentators:  Er  müsse  dafür  dankbar  sein,  Ver- 
anlassung gehabt  zu  haben,  sich  mit  dem  trefflichen  Buche  zu  beschäf- 
tigen, umsomehr  als  diese  Veranlassung  gekommen  sei  zu  einer  Zeit, 
wo  Tyrannei  ihn  bedrängte. 

Hier  sei  noch  darauf  hingewiesen,  dass  die  seit  1881  in  St.  Louis 
erscheinende  Zeitschrift  the  Piatonist  es  sich  zu  einer  ihrer  Haupt- 
aufgaben gestellt  hat,  Uebersetzungen  platonischer,  besonders  neuplato- 
nischer  Schriften  zu  liefern  and  dass  auch  schon  beträchtliche  Stücke 
aus  Plotin  und  Proklos  in  englischer  Sprache  daselbst  gebracht  wor- 
den sind. 

Zu  Boethius  —  denn  so  müssen  wir  nach  Usener  doch  wieder 
schreiben  —  ist  wiederum  Einiges  erschienen.     Ich  nenne  zuerst : 

Handschriftliche  Studien  zu  Boethius  de  consolatione  philosophiae. 
Progr.  der  Königl.  Studien-Anstalt  Würzt),  f.  die  Studienjahre  1880/81 
von  Dr.  Georg  Schepss,  Würzburg  1881.    47  S.    8. 

Wir  finden  hier  eine  genaue  Beschreibung  einer  noch  nicht  genug 
gewürdigten  Handschrift  der  Fürstl.  Oettingen-Walleratein'schen  Biblio- 
thek zu  Maihingen  aus  dem  10.  oder  11.  Jahrhundert,  deren  Haupt- 
inhalt bilden:      Boethius  de   cons.   phil.   nebst    vielen   Scholien    und   ein 


108  Boetbius. 

geschlossener  Commentar  zur  CoDsolatio.  Im  Oapitel  2  giebt  Scbepss 
eine  dankenswerthe  Collation  nach  Peipers'  Text,  aus  der  man  sieht, 
dass  die  Handschrift  bei  einer  künftigen  Ausgabe  Beachtung  verdient, 
und  in  Capitei  3  handelt   er  über  die  Scholieo   und   verbreitet   einiges 

Licht  üher  die  Frage  nach  denselben,  die  bisher  so  gut  wie  noch  nicht 
beleuchtet  worden  ist.  Namentlich  kommt  er  zu  dem  Resultat,  da^-, 
wohl  schon  vor  dem  L0.  Jahrhundert  zwei  Redactionen  von  Erklärungen 
oder  vielmehr  zwei  wesentlich  verschiedene  Oommentare  zu  den  Schoben 

entstanden  seien. 

Sodann  sei  genannt: 

Boethiana  vel  ßoethii  commentariorum  in  Ciceronis  Topica  emeu- 
dationes,  ex  octo  codicibus  haustas  et  auctas  observationibus  gramma- 
ticis  composuit  Th.  Stau  gl,  Gotha  1882,  IV,  104  S.   8. 

Doch  ist  nur  diese  Schrift  nicht  zugekommen,  so  dass  es  mir  nicht 
möglich  ist  über  sie  zu  berichten. 

Eine  andere  Abhandlung  desselben  Verfassers: 

Pseudoboethiana  in  den  Jahrbb.  für  Piniol.,  127,  1883,  S.  193-208 
und  285—301, 
weist  meines  Erachten s  schlagend  nach,  dass  eine  Fortsetzung  zu  Boe- 
thius  Comment.  iu  Cicer.  Topica,  die  sich  allein  in  der  Pariser  Hand- 
schrift 7711  findet,  eine  Fälschung  ist.  Form  und  Inhalt  sprechen  gegen 
Boetbius  als  Verfasser.  Uebrigens  hält  Stangl  an  der  Ansicht  fest,  dass 
Boetbius,  wenigstens  als  Schriftsteller,  dem  Christenthum  gegenüber  zu- 
rückhaltend gewesen  sei,  also  die  theologischen  Schriften  nicht  ver- 
fasst  habe. 

Mit  Boetbius  als  Christen  beschäftigt  sich: 

Ueber  die  theologischen  Schriften  des  Boetbius,  Vortrag  gehalten 
bei  Gelegenheit  der  9.  Generalversammlung  der  Görresgesellschaft 
1884,  von  C.  Krieg,  im  Jahresber.  der  Görresgesellsch.  für  1884, 
Köln   1885,  S.   23-52. 

Die  sogenannten  theologischen  Schriften  des  Philosophen  hält  der 
Verfasser  für  echt,  auch  die  von  Usener  (siehe  Jahresber.  1880,  S.  50  f) 
für  untergeschoben  erklärte  Abhandlung,  ohne  doch  irgendwie  Neues 
für  seine  Annahmen  beigebracht  zu  haben,  so  dass  ich  an  meinen  Zwei- 
feln festzuhalten  immer  noch  geneigt  bin.  In  einer  Beilage  zählt  der 
Verfasser  die  Handschriften  der  theologischen  Werke  des  Boetbius  auf. 
Wie  unvollständig  dieser  Katalog  ist,  sehen  wir  aus  einer  Besprechung 
der  Arbeit  Kriegs  von  G.  Scbepss  in  der  Berliner  Philolog.  Wochen- 
schrift, VI,  1886,  S.  559  f.  Der  letztere  kündigt  hierbei  zugleich  Vor- 
arbeiten zu  einer  Ausgabe  des  Boethius  an,  die  nächstens  in  den  Wiener 
Sitzungsberichten  erscheinen  sollen. 


Boethius.     Kahnis,  Ueb.  d.  Verb.  d.  alt.  Phil.  z.  Cbristenth  109 

Dasselbe  Thema,  nur  ausführlicher,  ist  behandelt  in: 

Boethius  und  seine  Stellung  zum  Christenthum  von  A.  Hilde- 
brand, Regensburg  1885.  VII,  314  S.  8. 

Der  Verfasser  kommt  zu  dem  Ergebnis?,  dass  wir  keinen  entschei 
denden  Grund  haben,  dem  Boethius  das  Christenthum  abzusprechen, 
wenngleich  die  Consolatio  höchstens  einige  Berührungen  mit  dem  christ- 
lichen Gedankenkreis  habe.  Hiermit  steht  in  Verbindung,  dass  Hilde- 
brand die  theologischen  Schriften  mit  Ausnahme  des  Glaubensbekennt- 
nisses für  echt  hält. 

Auch  Johannes  Draeseke  kommt  in  seinem  Aufsatze:  Ueber 
die  theologischen  Schriften  des  Boethius  in  den  Jahrbüchern  für  Protest. 
Theol..  XII,  1886,  S.  312—333,  in  welchem  er  namentlich  eine  prüfende 
Uebersicht  über  den  gegenwärtigen  Stand  der  p'rage  zu  geben  beab- 
sichtigt, zu  dem  Resultate,  dass  der  Streit  im  Sinne  Useners  entschie- 
den sei.  Mir  bleibt  es  freilich  immer  noch  unverständlich,  wie  Boethius 
als  Verfasser  specifisch  christlicher  Schriften,  in  welcher  Eigenschaft  er 
doch  in  das  Wesen  des  Christenthums  eingedrungen  sein  musste,  sich 
in  der  Noth  des  Lebens  nur  den  Trost  von  der  heidnischen  Philosophie 
holte  und  dabei  an  die  Glaubenswahrheiten  des  Christenthums  gar  nicht 
dachte.  Sollte  er  nur  so  äusserlich  gehaltene  Schriften,  wie  etwa  den 
Octavius  des  Minucius,  verfasst  haben,  so  wäre  mir  diese  Erscheinung  er- 
klärlich. Aber  wie  die  Sachen  liegen,  scheint  mir  Boethius.  wenn  er 
überhaupt  Christ  war,  blos  dem  Namen  nach  ein  solcher  gewesen  zu  sein, 
so  dass  ihm  wenigstens  nicht  die  theologischen  Schriften  zugesprochen 
werden  dürften. 

Den  Uebergang  zu  den  christlichen  Schriftstellern  will  ich  machen 
mit  Berührung  der  Schrift: 

Ueber  das  Verhältniss  der  alten  Philosophie  zum  Christenthum 
von  Karl  Friedr.  Aug.  Kahnis,  Leipzig  1884.  IV,  84  S.  8  (vor- 
her schon  erschienen  in  zwei  Universitätsprogrammen  der  Universität 
Leipzig,  1875  und  1883). 

Es  kommt  Kahnis  nicht  darauf  an,  darzulegen,  welchen  Einfluss 
die  alte  Philosophie  auf  die  patristische  oder  scholastische  Lehre  ge- 
habt hat,  sondern  seine  Frage  lautet  vielmehr:  Welche  Stelle  nimmt 
die  alte  Philosophie  in  der  Heilsvorbereitung  der  alten  Welt  ein? 
Aehnlich,  wie  wir  sie  schon  hei  Clemens,  bei  Eusebios  finden.  Die  Ant- 
wort bei  Kahnis  lautet,  dass  die  Philosophie  in  die  Vorbereitung  der 
alten  Welt  auf  Christum  eingegriffen  habe,  sofern  sie  negativ  dem  alten 
GOtterglauben  den  Untergang  bringe,  positiv  aber  mit  dem  Ileilsbedürf- 
niss  einen  auf  Wahrheit  gerichteten  Glauben  fördere.  Auf  einzelne 
Aussprüche  der  alten  Philosophen,  die  christlichen  Charakter  zu  baben 
scheinen,   giebt  deshalb    Kahnis     nicht   viel:    es    kommt    ihm    immer    auf 


110  Theod.  Keim,  Rom  und  das  Christenthum. 

das  Grund  verbal  tniss  an.  So  erkennt  er  drei  Punkte  an,  in  welchen 
die  Stoa  dem  Christenthum  sich  nähere:  l)  der  dogmatische  Charakter 
der  Stoa  verbunden  mit  der  Logosidee  und  dem  Ideal  des  Weisen, 
2)  das  letzte  Ziel  des  Seelenlebens,  das  Verhältniss  des  Einzelnen  zu 
Gott  auf  sittlicher  Grundlage,  3)  der  Universalismus.  Zugleich  setzt 
aber  der  Verfasser  in  doch  wohl  nicht  streng  geschichtlicher  Auflassung 
hinzu:  es  sei  eine  Verkennung  des  Unterschieds  zwischen  Christenthum 
und  Stoa,  wenn  man  diese  Momente  der  Aehnlichkeit  von  dem  Einflüsse 
des  Stoicismus  auf  das  Christenthum  ableiten  wolle.  Andererseits  ge- 
steht er  aber  ein,  dass  Johannes,  Paulus,  der  Verfasser  des  Hebräer- 
briefs die  Lehre  von  dem  Sohn  Gottes  an  die  Logoslehre  angeknüpft 
hätten,  ohne  freilich  Philons  Philosophie  sich  in  allen  Stücken  anzu- 
eignen. Was  uns  in  den  griechischen  Philosophemen  vereinzelt  ent- 
gegentrete, das  fasse  sich  im  Neuplatonismus  zusammen:  das  Motiv  nach 
göttlicher  Offenbarung  durch  auserwählte  Menschen,  die  drei  Potenzen: 
das  absolut  Eine,  der  Verstand  mit  den  Ideen  und  die  Weltseele,  end- 
lich die  Auflösung  des  Menschen  in  Gott;  alles  das  weise  aber  auf  das 
Christenthum  hin.  Die  Arbeit,  die  sich  nirgends  auf  Specielles  ein- 
lässt,  sondern  nur  den  Gang  der  griechischen  Philosophie  in  grossen 
Zügen  giebt,  zeugt  von  Verständniss  aber  auch  Achtung  derselben.  Sie 
giebt  manche  Anregung,  wenn  sie  auch  in  einigen  Punkten  zum  Wider- 
spruche reizt. 

Die,  dem  Titel  nach  zu  urtheilen,  interessante  Abhandlung: 

Les  origines  du  christianisme  et  la  philosopbie  stoicienne  par 
A.  Talamo,  in  Annales  de  philosopbie  Chretienne,  1885,  mars,  avril, 
habe  ich  zu  meinem  Bedauern  nicht  erhalten. 

Mehrfach  auf  Philosophie  und  philosophische  Schriftsteller  muss 
Rücksicht  nehmen :  Rom  und  das  Christenthum.  Eine  Darstellung  des 
Kampfes  zwischen  dem  alten  und  dem  neuen  Glauben  im  römischen 
Reiche  während  der  beiden  ersten  Jahrhunderte  unsrer  Zeitrechnung 
von  Dr.  Theodor  Keim,  weiland  Prof.  der  Theologie  an  der  Univ. 
Giessen.  Aus  Tb.  Keims  handschriftlichem  Nachlass  herausgegeben  von 
H.  Ziegler,  Berlin  1881. 

In  der  ersten  Abtheilung:  die  alte  Religion  und  der  neue  Gegner, 
wird  unter  den  Motiven  der  Erhaltung  des  alten  Glaubens  als  erstes 
hervorgehoben  und  ausgeführt  neben  dem  staatsmänuischen  und  religiösen 
der  philosophische  Aufbau,  und  der  Verfasser  weist  hier  besonders  auf 
die  Stoiker  und  unter  ihnen  vor  allen  anderen  auf  Seneca  mit  Recht 
hin.  Keine  philosophische  Schule  näherte  sich  nach  Keim  mehr  dem 
ethischen  christlichen  Gottesbegriff  als  der  um  seines  Naturalismus  und 
seines  Pantheismus  willen  verschriene  Stoicismus.  »Energisch  suchte 
namentlich  Seneca  die  Schule  von  dem  bis  jetzt  wohlverdienten  Vor- 
wurf,   Götter   ohne  Herz  und  Kopf  zu  besitzen,   zu  befreien.«     Ob  der 


Th.  Keim,  Rom  u.  d.  Christenthum.     Patristik.  1 1 1 

Vorwurf  wirklich  so  begründet  war?  Es  scheint  kaum,  wenn  wir  z.  B. 
den  Hymnus  des  Kleanthes  auf  den  Zeus  lesen. 

In  der  zweiten  Abtheilung,  welche  das  zweite  Jahrhundert  behan- 
delt, findet  sich  in  dem  ersten  Abschnitt:  der  sich  auflösende  und  rege- 
nerierende alte  Glaube,  ein  Capitel:  die  gläubige  Philosophie,  in  welchem 
Keim  darauf  hinweist,  wie  die  Philosophie  des  zweiten  Jahrhunderts 
noch  mehr  als  früher  eine  praktische  Richtung  einschlug,  bei  der  es 
nicht  darauf  ankam,  Sätze  des  Chrysippos  zu  erklären,  sondern  in  Er- 
kenntniss  des  Willens  der  Natur  das  Richtige  im  Thun  und  Lassen 
zu  finden.  Zugleich  war  hiermit  eine  Annäherung  an  die  Religion  ge- 
geben; je  mehr  die  Philosophie  an  ihrem  eigenen  Denken  verzweifelte, 
um  so  zugänglicher  wurde  sie  in  Demuth  dem  Gedanken  einer  gött- 
lichen Offenbarung,  dem  Glauben  an  Vorsehung  und  Vergeltung.  Plutarch 
ebenso  wie  Maximus  von  Tyrus,  Kelsos  wie  Numenios,  sie  haben  den 
Unglauben  verworfen  und  das  ewige  Recht  der  Religion  aufgezeigt. 
Freilich  beruhte  die  ganze  Kraft  dieser  Restauration  nach  Keim  in  der 
neuen  Dämonenlehre,  die  wir  bei  allen  den  eben  Genannten  finden,  und 
so  blieb  der  Aberglaube  bestehen ,  ohne  dass  der  Unglaube  verdrängt 
worden  wäre,  und  der  Zug  der  Zeit  ging  deshalb  über  die  alten  Götter 
hinaus  zu  den  neuen  Göttern.  Der  zweite  Abschnitt:  das  Christenthum 
unter  den  Völkern,  umfasst  in  seinem  dritten  Stück  die  Apologie  des 
Christeuthums  und  giebt  hier  auch  eine  kurze  Charakteristik  der  Apo- 
logeten und  eine  Inhaltsangabe  ihrer  Schriften,  ohne  dass  ich  hierin 
etwas  Erwähnenswerthes  gefunden  hätte.  Unter  den  Kaisern  des  zweiten 
Jahrhunderts  nimmt  Marc  Aurel  selbstverständlich  den  grössten  Raum 
ein,  ohne  dass  aber  über  ihn  als  Philosophen  etwas  Neues  vorgebracht  wäre. 

Ueber  die  patristische  Philosophie  als  solche  ist  kein  besonderes 
grösseres  Werk  erschienen.  Berühren  will  ich  hier  nur  den  sehr  in- 
structiven  Aufsatz  von  Frz.  Overbeck:  »Ueber  die  Aufäuge  der  patri- 
stischen  Literatur«  in  der  Historischen  Zeitschrift,  Neue  Folge,  12.  Bd., 
1882,  S.  417-472,  der  namentlich  den  Begriff  der  patristischen  Littera- 
tur  zu  bestimmen  versucht  und  zwar  als  griechisch-römische  Litteratur 
christlichen  Bekenntnisses  und  christlichen  Interesses,  so  dass  die  Ent- 
stehung dieser  Litteratur  zusammenfallen  würde  mit  dem  Auftreten  und 
Sichgeltendmachen  des  Christenthums  in  der  bestehenden  und  allgemein 
gelesenen  Litteratur  des  römischen  Reiches,  und  hiermit  zugleich  die 
neutestamen tlichen  Schriften  sowie  die  der  apostolischen  Väter  als  Reste 
einer  christlichen  Urlitteratur,  die  sich  nicht  mehr  fortsetzte,  ausgeschieden 
wären.  Die  Anfänge  der  Patristik  gehen  nach  Overbeck  hervor  aus  den 
Beziehungen  der  Kirche  zur  Aussenwelt  des  Nichtchristlichen  oder  des 
Häretischen,  und  erst  mit  Clemens  ist  die  christliche  Litteratur  dahin 
gekommen,  sich  auf  die  inneren  und  bleibenden  Bedürfnisse  der  Kirche 
selbst  zu  gründen.  Sodann  geht  Overbeck  auf  das  Werk  des  Clemens 
ausführlicher  ein  und  stellt  die  Form  desselben   in    ein  neues  Licht.  — 


]  1 '2  Marnack,  Lehrbuch  der  Dogmengeschichte. 

Alle  die,  welche  sich  mit  der  patriotischen  Philosophie  and  namentlich 
mit  Clemens  beschäftigen,  werden  die  Abhandlung  Overbecks  berück- 
Bichtigen  müssen. 

Von  grosser  Bedeutung  ist  das  Lehrbuch  der  Dogmengeschichte 
von  Dr.  Adolf  Harnack,  1.  Bd.:  die  Entstehung  des  kirchlichen 
Dogmas,  Freib.  im  Hr.  18861).  Es  i^t  in  diesem  Werke,  das  seil  seinem 
Erscheinen  sehr  viel  Anerkennung,  aber  auch  mannigfachen  Widerspruch 
erfahren  hat,  auf  das  Verhältniss  des  Cbristenthums  zur  griechischen 
Philosophie  im  Ganzen  viel  Rücksicht  genommen,  und  deshalb  musa  ich 
es  hier  erwähnen,  ohne  mich  auf  seinen  Werth  für  die  theolog 
Wissenschaft  irgendwie  einzulassen.  Schon  in  den  einleitenden  Voraus- 
setzungen der  Üogmengeschichte  wird  über  Philon  und  die  griechisch- 
römische  Religionspbilosophie  kurz  gesprochen,  sodann  aber  handelt 
beinahe  die  Hälfte  des  ganzen  Bandes  von  der  Fixierung  und  allmäh- 
lichen Helleni-derung  des  Cbristenthums  als  Glaubenslehre,  und  i 
dienen  hier  von  Seiten  der  Geschichte  der  Philosophie  namentlich  Be- 
achtung das  Capitel  über  das  kirchliche  Christenthum  und  die  Philo- 
sophie (die  Apologeten)  und  das  über  die  Umbildung  der  kirchlichen 
Ueberlieferung  zu  einer  Religionsphilosophie  (Clemens  und  Origenes). 
sowie  das  letzte  über  die  Präcisierung  der  kirchlichen  Lehrnorm  durch 
die  Aufnahme  der  Logoschristologie  (Monarehianismus  und  Ausscheidung 
desselben).  Die  Stellung  der  Apologeten,  auch  unter  Vorbehalt  die  der 
Alexandriner  zu  der  Philosophie,  bezeichnet  Harnack  im  Ganzen  zu- 
treffend, indem  er  sagt:  das  Christenthum  ist  ihnen  Philosophie,  weil 
es  einen  rationalen  Inhalt  hat,  weil  es  über  die  Fragen  befriedigend 
Aufschluss  giebt,  um  welche  sich  alle  wahrhaften  Philosophen  bemüht 
liabeu;  aber  es  ist  keine  Philosophie,  ja  eigentlich  der  conträre  Gegen- 
satz zu  derselben,  sofern  es  aus  Offenbarung  stammt,  auf  welcher 
schliesslich  allein  die  Wahrheit  seiner  Lehre  beruht.  In  Betreff  des 
zweiten  Theiles  dieser  Formulierung  möchten  sich  für  manche  Apologeten 
gewiss  Modifikationen  empfehlen.  Vortrefflich  ist  nach  meiner  Ansicht 
das  System  des  Origenes  dargestellt,  wobei  auch  die  Stellung  des  christ- 
lichen Alexandriners  zu  der  griechischen  Philosophie  beleuchtet  wird. 
Origenes  hat  nach  Harnack  als  idealistischer  Philosoph  den  ganzen  In- 
halt des  christlichen  Glaubens  in  Ideen  umgesetzt,  sich  dabei  nicht  an 
ein  bestimmtes  philosophisches  System  gehalten,  sondern  wie  Clemens 
und  die  Neuplatoniker  den  ganzen  Ertrag  der  Arbeit  der  idealistischen 
griechischen  Moralisten  seit  Sokrates  aufgenommen  und  bearbeitet  und 
als  Mittel  zur  stufenmässigen  Verwirklichung  seines  sittlichen  Ideals  die 
stoische  und  platonische  Ethik  herbeigezogen.  —  Ueber  die  kurze  Dar- 
stellung der  neuplatonischen  Philosophie  in  dem  vorliegenden  Werke 
habe  ich  schon  S.  97  berichtet. 


i)  Der  2.  Band:  die  Entwickeluug  des  kirchlichen  Dogmas,  I,  ist  inzwischen 
1887  erschienen. 


Hirt  des  Hermas.  113 

So  gut  wie  nichts  für  die  Geschichte  der  Philosophie  ist  aus  dem 
Lehrbuch  der  Patrologie  und  Patristik  von  Joseph  Nirschl,  drei  Bände, 
Mainz  1881—1885,  zu  entnehmen,  in  welchem  besonderer  Werth  darauf 
gelegt  ist,  wichtige  patriotische  Texte  für  die  Hauptpunkte  der  christ- 
lichen Lehre  anzufügen.  So  ist  es  verständlich,  wie  der  Verfasser  die 
Verbindung  der  Patristik  mit  der  Philosophie  beinahe  vollständig  igno- 
riert. Bei  Augustin  heisst  es  nur,  dass  er  die  Grundlage  der  christ- 
lichen Philosophie  legte,  seine  Abhängigkeit  von  den  Neuplatonikern 
scheint  dem  Verfasser  unbekannt.  Und  wo  ein  enger  Zusammenhang 
zugestanden  werden  muss,  wird  dieser  doch  in  ineonsequenter  Weise 
abgeschwächt,  so  bei  dem  Werke  des  Ambrosius  de  officiis  mini- 
strorum. 

Auf  den  Hirten  des  Hermas  gehen  einige  Arbeiten,  deren  Ge- 
genstand auch  philosophisches  Interesse  bietet: 

Sittliche  Grundanschauungen  im  »Hirten«  des  Hermas  von  Licent. 
F.  J.  Winter,  Pfarrer  in  Röhrsdorf  in  Sachsen,  in  der  Zeitschr.  für 
kirchl.  Wissensch.  und  kirchl.  Leben,  V,  1884,  S.  33—46. 

Nach  dem  Verfasser,  der  in  klarer  Weise  sein  Thema  entwickelt, 
ohne  auf  das  Einzelne  bei  Hermas  eingehen  zu  wollen,  ist  das  Leben 
für  Gott  der  grundlegende  sittliche  Begriff  bei  Hermas;  in  diesem  Leben 
der  Gemeinschaft  mit  Gott  ist  auch  Harmonie  und  Seligkeit  der  Seele 
gegeben  und  die  wieder  hergestellte  Befähigung  zum  Guten.  Es  giebt 
aber  hier  auf  Erden  schon  ein  Leben  der  Seele,  welches  mit  dem  in 
der  Ewigkeit  zu  erhoffenden  ganz  gleich  ist,  ein  göttliches  Leben,  das 
seiner  Natur  nach  ewig  und  durch  keinen  Tod  unterbrochen  werden 
kann.  Es  ist  dies  ein  Begriff,  der  in  der  christlichen  Ethik  überhaupt 
eine  grosse  Rolle  spielt.  Dieses  Leben  soil  wieder  erworben  weiden. 
und  hierin  liegt  es  begründet,  dass  der  »Hirt«  weniger  auf  die  objeetive 
Vermittlung  des  Heils  als  auf  den  subjeetiven  Heilsprozess  gerichtet  ist. 

Mit  demselben  Thema  beschäftigt  sich: 

Zum  ethischen  Lehrbegriff  des  Hirten  des  Hermas  von  Dr.  Rieh. 
Schenk,  Realgymnasiallehrer.  Wissenschaftl.  Beilage  zum  Jahres- 
bericht des  Realgymn.  zu  Aschersleben,   1886.    35  S.    4. 

Derselbe  hatte  vorher  schon  einen  auf  die  Ethik  des  Ilermas  be- 
züglichen Aufsatz:  Zur  angeblichen  Lehre  des  Hirten  des  Hermas  vom 
überschüssigen  Verdienst,  in  der  Zeitschr.  für  kirchl.  Wissenschaft  und 
kirchl.  Leben,  VI,  1885,  S.  407-413,  veröffentlicht.  In  seinem  Programm 
handelt  er  zuerst  von  dem  Menschenwesen,  von  der  Sünde,  von  der 
Erneuerung,  von  der  Rechtfertigung  und  dem  christlichen  Leben  in  seiner 
empirischen  Gestaltung.  Obgleich  Schenk  vou  vornherein  als  den  Grund- 
gedanken in  der  Ethik  des  Hermas  ansieht,  dass  der  Vollbesita  der 
itioTiQ  identisch  mit  der  religiös  sittlichen   V  ollkommenheit,  ihr    Schwill* 

Jahresbericht   für  Alterthumswissenichaft  L.  (1887.  I)  g 


])4  Eni.  Renan,  Marc-Aurel«' 

den  dagegen  gleichbedeutend  mit  der  Sünde  sei,  so  legt  er  doch  auch 
wie  Winter  Nachdruck  auf  die  %cur/  atu'jvcoc,  scheint  dies  aber  als  Selig- 
keitszustand in  dem  Jenseit  anzusehen.  Für  den  normativen  Gang  der 
subjectiven  Erneuerung  nimmt  er  bei  Hermas  zwei  Stadien  an;  das  erste, 
negativen  Charakters,  besteht  wesentlich  in  einem  Refreiungsakt,  in  der 
Abkehr  vom  Bösen,  das  zweite  zeigt  die  neugewonnene  sittliche  Energie 
und  besteht  im  reichlichen  Thun  des  Guten.  -  Wünschenswerth  wäre 
es  gewesen,  dass  der  Verfasser  auf  das  Verhältniss  des  Uermas  zu  der 
ueutestamentlichen,  vielleicht  auch  zu  der  griechischcu  Ethik  Rücksicht 
geuommen  hätte. 

Ehe  ich  zu  Apologeten  übergehe,  will  ich  ein  Werk  nennen,  das 
seinem  Titel  nach  schon  früher  hätte  behandelt  werden  müssen,  seiner 
ganzen  Tendenz  nach  aber  erst  hierher  gehört,  nämlich: 

Marc-Aurele  et  la  fin  du  monde  antique  par  Ernest  Renan, 
Paris  1882.  VI,  640  S.  8  (Histoire  des  origines  du  Christianisme, 
livre  septieme). 

Mit  diesem  Bande  ist  das  grosse  Werk  Renans  beendigt,  in  wel- 
chem er  die  aufeinander  folgenden  Veränderungen  darstellen  wollte,  die 
der  von  Jesu  in  die  Menscheu  gepflanzte  Keim  durchmachen  musste,  um 
ein  dauerhafter  kirchlicher  Organismus  zu  werden.  Das  Embryonen- 
thum  des  Christenthums  endigt  nach  Renan  mit  dem  Tode  Marc-Aurels, 
der  zugleich  die  antike  Civilisation  beschliesst.  Der  Verfasser  geht 
aber  zu  weit,  wenn  er  sagt:  Ce  qui  se  fait  de  bien  apres  cela  ne  se 
fait  plus  par  le  principe  hellenico-romain;  le  principe  judeo-syrien 
remporte,  et  quoique  plus  de  cent  ans  doivent  s'6couler  avant  son  plein 
triomphe,  on  voit  bien  dejä,  que  l'avenir  est  ä  lui.  Le  Ille  siecle  est 
l'agonie  d'un  monde,  qui  au  II e  siecle  est  plein  encore  de  vie  et  de  force. 
Man  kann  nicht  zugeben,  dass  im  zweiten  Jahrhundert  die  heidnische 
Philosophie  kräftiger  gewesen  sei  als  im  dritten,  und  der  Neuplatonis- 
mus  ist  nicht  jüdisch -syrisch.  So  ist  auch  der  ganze  Nebentitel  des 
Bandes:    La  fin  du  monde  antique,  mehr  wirksam  als  wahr. 

Von  den  einzelnen  Capiteln  geht  uns  hier  an  III:  Le  regne  des 
philosophes,  in  welchem  sowohl  die  Lichtseiten  als  die  Schattenseiten 
der  Erfüllung  des  platonischen  Ideals  an  dem  Beispiel  Marc-Aurels  auf- 
gezeigt werden.  Sodann  XVI:  Marc-Aurele  chez  les  Quades.  Le  livre 
des  Pensees,  in  welchem  das  Buch  des  philosophischen  Kaisers  ausser- 
ordentlich hoch  gestellt  wird.  So  heisst  es:  Le  livre  —  n'ayant  aucune 
base  dogmatique  couservera  eternellement  sa  fraicheur.  Tout  depuis 
l'athee  ou  celui  qui  se  croit  tel,  jusqu'ä  l'homme  le  plus  eugage  dans 
les  croyances  particulieres  de  chaque  culte,  peuvent  y  trouver  des  fruits 
d'edification.  C'est  le  livre  le  plus  purement  humain  qu'il  y  ait.  Renan 
berücksichtigt  bei  der  ganzen  Besprechung  und  Beurtheilung  dieses 
Werkes  zu  wenig,  dass  der  Kaiser  stoischer  Philosoph  ist  und  dass  auch 


Schubring,  Die  Philosophie  des  Athenagoras.  115 

die  dogmatische  Unterlage,  die  er  ganz  und  gar  leugnet,  als  eine  stoische 
leicht  erkannt  wird.  Im  ganzen  berührt  aber  die  warme  Vorliebe  für 
die  Meditationes  in  angenehmer  Weise. 

In  einem  eigenen  Capitel,  VI,  wird  Tatian  behandelt  und  das 
doppelte  System  der  Apologien,  das  sich  schon  in  Justin  und  Tatian 
deutlich  zeigen  soll:  Les  uns  au  fönd  Hellenes,  tout  en  reprochant  ä  la 
sociöte  paienne  le  relächement  de  ses  moeurs,  admettront  ses  arts,  sa 
culture  generale,  sa  philosophie.  Les  autres,  Syriens  ou  Africains,  ne 
verront  dans  l'hellenisme  qu'un  amas  d'infamies,  d'absurdite.  Es  wird 
schwer  halten,  diese  Sonderung  durchzuführen.  Capitel  XXI  hat  zum 
Inhalt  Kelsos  und  Lucian,  und  das  folgende  die  Apologien  von  Athena- 
goras, Theophilos  und  Miuucius  Felix.  Es  finden  sich  in  diesen  Partien 
sehr  gut  geschriebene,  wenigstens  zum  Theil  treffende  Charakteristiken. 
An  einzelnen  Punkten  derselben  kann  man  Ausstellungen  machen,  be- 
sonders wenn  Antithesen  vorkommen,  wie  die  bei  Minucius  Felix:  pour 
inculquer  le  christianisme  on  evite  de  prononcer  le  nom  de  Christ. 

Auf  einen  philosophisch  denkenden  Apologeten  bezieht  sich: 

Die  Philosophie  des  Athenagoras  von  Friedrich  Schubring, 
Berlin  1882.  26  S.  4  (Wissensch.  Beilage  zum  Progr.  des  Kölluisch. 
Gymnasiums  Ostern  1882). 

Athenagoras  nimmt  unter  den  Apologeten  eine  hervorragende 
Stellung  ein  durch  seine  yerhältnissmässig  reine  Sprache  und  sodann 
durch  seine  philosophische  Bildung.  Der  Verfasser  vorliegender  Abhand- 
lung geht  nun  nicht  sowohl  auf  den  Inhalt  der  philosophischen  Gedanken 
des  Athenagoras  ein,  als  vielmehr  blos  auf  dessen  Verhältniss  zu  der  Philo- 
sophie und  dem  philosophischen  Erkennen.  Er  weist  treffend  nach,  dass 
der  christliche  Apologet  im  Ganzen  zu  der  eklektischen  Richtung  der  Philo- 
sophie, wie  sie  in  den  ersten  Jahrhunderten  v.  Chr.  herrschte,  gehört, 
d.  h.  zu  den  Philosophen,  welche  die  Philosophie  mehr  zu  praktischen 
Zwecken  trieben,  jedoch  in  enger  Verbindung  mit  der  Religion,  mit  dem 
Glauben  an  göttliche  Offenbarung,  vermittelt  durch  Dämonen  und  son- 
stige Mittelwesen,  sodann  unter  Berufung  auf  die  alten  Lehrer,  deren 
Gedanken,  freilich  ohne  dass  man  sich  dessen  bewusst  gewesen  wäre, 
willkürlich  erklärt  wurden.  Schubring  geht  nun  mehr  auf  diese  ganze 
Art  des  damaligen  Philosophierens  als  auf  Athenagoras  selbst  ein,  und 
zeigt  dann  nur  im  Speziellen,  wie  der  christliche  Apologet  im  Ganzen 
diese  Weise  des  Philosophierens  auch  in  sich  zur  Darstellung  bringt 
und  dabei  wenig  specifisch  Christliches  zeigt.  —  Die  Arbeit  ist  gut  ge- 
schrieben, und  der  Verfasser  hat  sich  in  die  Eigentümlichkeiten  des  da- 
maligen Philosophierens  gut  eingearbeitet.  —  Die  weitere  Untersuchung, 
wie  das  Wissen  uuu  bei  Athenagoras  wirklich  zu  Stande  kommt,  hat 
Schubriug  leider  wegen  Maugels  au  Raum  nicht  geben  köuueu. 

8* 


1 16  Minucius  Felix. 

Mit  dieser  Frage  beschäftigt  sich  eingehender: 

//oay/iaTsca  m[>\  Trtg  nap'  xAßrjVay6pq.  (ftÄoorxpix^g  yvojaew;.  Dissert. 
philos.  quam  scripsit  —  Anthimus  Ioannidcs,  Peloponnesins, 
Ienae  1883.    44  S.    8. 

Nachdem  der  Verfasser  über  die  Stellung  des  wissenschaftlichen 
Denkens,  sodann  über  die  Grenzen  des  wissenschaftlichen  Erkennens 
bei  Athenagoras  gesprochen  hat,  geht  er  auf  den  Ursprung  desselben 
ein,  und  er  weist  besonders  darauf  hin,  dass  Athenagoras  hierbei  beinahe 
Alles,  oau  jxrj  FIXarujvixä  Ädyet,  von  den  Stoikern  übernommen  habe,  in 
der  Art,  dass  sogar  vielfach  wörtliche  Uebereinstimmungen  vorkämen. 
—  Offenbar  findet  sich  vieles  Stoische  bei  Athenagoras,  nur  betont  der 
Verfasser  zu  wenig,  dass  die  Lehrsätze  dieser  Schule  allgemeines  Eigen- 
thum  der  gebildeten  Welt  im  Römerreiche  geworden  wareu. 

Der  Octavius  des  Minucius  Felix  ist  in  den  letzten  Jahren 
verschiedene  Male  ediert  worden,  zunächst  im  Urtext  und  in  deutscher 
Uebersetzung  daneben  von  Beruh.  Dom  hart,  2.  Ausg.,  Erlangen  1881. 
XV,  142  S.  8.  Die  Uebersetzung  war  schon  in  den  Jahren  1875  und 
1876  in  Programmen  des  Erlanger  Gymnasiums  veröffentlicht  worden. 
Nachdem  die  Exemplare  derselben  vergriffen,  fügt  der  Uebersetzer  einem 
neuen  Abdruck  seiner  Arbeit  auf  Wunsch  des  Verlegers  auch  den  latei- 
nischen Text  bei  und  zwar  in  der  Form,  wie  ihn  Halm  hergestellt  hat 
unter  ausdrücklicher  Zustimmung  desselben,  mit  nur  geringen  Abände- 
rungen. Die  Varianten  der  Halmsehen  Ausgabe  stehen  unter  dem  Text, 
die  Angabe  der  benutzten  Stelleu  aus  profaneu  und  auch  etwaigen 
biblischen  Autoren  wird  in  den  Anmerkungen  zu  der  Uebersetzung  ge- 
macht, die  Belege  für  die  Abweichungen  von  Halms  Text  finden  sich  im 
Anhange,  wie  auch  manche  werthvolle  sonstige  Bemerkungen.  Nament- 
lich ist  hier  auch  die  Benutzung  des  Seneca  durch  Minucius  sicher  er- 
wiesen, indem  Dombart  eine  Anzahl  Stellen  der  beiden  Autoren  neben 
einander  zum  Abdruck  bringt.  In  der  Aufnahme  von  Conjecturen,  auch 
eigener,  ist  Dombart  mit  Recht  vorsichtig  gewesen,  da  bei  genauerem 
Zusehen  ein  vielfaches  Abweichen  vom  classischen  Sprachgebrauch  bei 
Minucius  zu  constatieren  ist.  —  Die  Uebersetzung  liest  sich  gut  und 
giebt  das  Original  in  ziemlich  treuer  Weise  wieder.  Etwas  durchaus 
Verfehltes  habe  ich  in  ihr  nicht  gefunden. 

Weitaus  nicht  mit  der  besonnenen  Zurückhaltung  hat  der  zweite 
Herausgeber  J.  J.  Cornelissen  den  Text  behandelt:  M.  Minucii 
Felicis  Octavius,  Lugduni  Batavorum  1882.  XX,  74  S  8.  Sowohl  Con- 
jecturen Anderer  als  auch  eigene  hat  Cornelissen  in  reicher  Anzahl  auf- 
genommen, dabei  aber  deu  Sprachgebrauch  und  die  Eigenart  des  Minucius 
häufig  genug  übersehen.  Das  Verfehlte  in  seinem  Verfahren  ist  in  einer 
längeren  Recension  von  Ernst  Klussmauu  in  der  Philologischen  Rund- 


Minucius  Felix.  117 

schau  1885,  S.  1489-  1494  schlagend  nachgewiesen.  Mit  Klussmann 
möchte  ich  die  Ausgabe  als  einen  Rückschritt  hinter  Dombart  bezeichnen. 

Die  Ausgabe  von  J.  Leonard,  die  sich  eine  edition  classique  avec 
une  iutroduction  litteraire,  des  notes  pbilologiques  et  un  appendice  cri- 
tique  nennt  und  in  Namur  1885,  175  S-,  4,  erschienen  ist,  habe  ich  nicht 
in  die  Hände   bekommen. 

Zuletzt  ist  Octavius  noch  in  der  Bibliotheca  Teubneriana  erschienen: 
M.  Minucii  Felicis  Octavius.  Emendav.  et  praefatus  est  Aemilius  Baeh- 
rens,  Lipsiae  1886,  XXXV,  64  S.  8.  Der  Herausgeber  hatte  sich  schon 
früher  mit  Minucius  beschäftigt  und  spricht  in  seiner  Praefatio  zunächst 
über  den  Verfasser,  die  Sprache  und  die  Abfassungszeit  des  Dialogs. 
Er  kommt,  was  die  letzte  verlangt,  namentlich  auf  Grund  von  cap.  7,4: 
et  ut  Parthos  siqua  repetamus,  dirarum  imprecationes  Crassus  et  meruit 
et  inrisit,  zu  dem  mir  zweifelhaften  Resultat,  dass  der  Dialog  zwischen 
162  und  163  entweder  zu  Ostia  gehalten,  oder  veröffentlicht  sei.  Auch 
das  Verhältniss  des  Minucius  zum  Cbristenthum  berührt  Baehrens  und 
spricht  sich  darüber  folgeiidermassen  aus:  ea  usum  mentis  acie  eaque 
iudicii  sobrietate,  qua  optimum  quemque  iurisperitorum  Romanorum  ex- 
celluisse  videmus,  aliquateuus  praecessisse  Straussios  nostros  Renanosque: 
reliquit  Felix  sectae  conditoris  tamquam  dei  adorationem  impeiitis  rudi- 
busque  et  improvide  credulis;  eoque  maiore  iure  hanc  vulgi  idololatriam 
a  se  procul  arcuit,  quo  accuratiorem  instituerat  indagationem  de  persona 
Christi  etc.  Stand  es  so  mit  Minucius,  so  ist  mir  sein  Uebertritt  zum 
Christenthum  unverständlich.  Die  Textausgabe  ist  bandlich  und  brauch- 
bar. In  den  Verbesserungen,  deren  hauptsächlichsten  er  in  der  Prae- 
fatio begründet,  geht  Baehrens  öfter  zu  weit,  z.  B.  cap.  21,  2,  wo 
er  die  Worte:  errando  inventis  novis  frugibus,  für  eine  Randbemerkung 
ansieht. 

Nach  Ad.  Eberts  Untersuchung  über  Tertullians  Verhältniss  zu  Mi- 
nucius Felix  entschied  man  sich  mehr  und  mehr  für  Annahme  der  Prio- 
rität des  Octavius  vor  dem  Apologeticum  Tertullians  und  die  Abfassung 
des  ersteren  in  dem  Anfang  oder  der  Mitte  der  achtziger  Jahre  des 
zweiten  Jahrhunderts.  Gegen  dieses  Resultat  ist  nun  Victor  Schnitze, 
die  Abfassungszeit  der  Apologie  Octavius  des  Minucius  Felix,  in  den 
Jahrbb.  f.  protest.  Theol.  1881,  S.  485  506,  aufgetreten,  und  setzt  auf 
eine  sehr  willkürliche  und  sogar  falsche  Interpretation  einer  Stelle  des 
Octavius  hin  die  Abfassung  der  Apologie  zwischen  300  und  den  28.  Fe- 
bruar 303,  indem  er  unter  reges  und  principe«  Octav.  29,  5  versteht  Dio- 
cletianus  und  Maximianus  als  Augusti  und  Galerius  und  Constaotias  als 
Caesares,  während  reges  und  priueipes  sicher  ganz  allgemein  Macht- 
haber bezeichnen.  Die  Schrift  Cyprians  de  idoloram  vanitate,  welche 
den  Octavius  benutzt,  erklärt  Schnitze  leichthin  für  unecht  Biergegen 
vgl.  W.  Möller:  Zu  Minucius  Felix  in  den  Jahrbuch,  f.  protest.  Theol. 
1881,  S.  757  f.    Sehr  gründlich  hat  die  Frage  nun  erörtert  P  Schwenke: 


1 18  Minucius  Felix. 

Ueber  die  Zeit  des  Minucius  Felix  in  den  Jahrbb.  f.  protest.  Theol.  1883, 
S.  263  294.  Er  bält  hier  namentlich  auf  Grund  der  Benutzung  der- 
selben Stellen  aus  Cicero  und  auch  aus  Seneca  seitens  des  Minucius  und 
Tertullian  an  der  Priorität  des  Ersteren  fest,  weist  dann  die  Abhängig- 
keit des  Minucius  von  Athenagoras  namentlich  gegen  Lösche  zurück, 
der  sie  in  den  Jahrbb.  f.  protest.  Theol.  1882,  S.  168—178  zu  beweisen 
versucht  hatte,  ebenso  die  Abhängigkeit  von  anderen  griechischen  Apo- 
logeten ausser  von  Justin,  und  kommt  unter  Benutzung  der  chronolo- 
gischen Anspielungen  im  Octavius  selbst  zu  dem  Resultat,  dass  der- 
selbe in  den  letzten  Jahren  des  Antoninus  Pius  abgefasst  sei.  Mit 
voller  Sicherheit  ist  dies  nicht  erwiesen;  ich  möchte  noch  immer  an  den 
ersten  Jahren  des  Commodus  festhalten.  —  Zu  dem  Ergebniss,  dass  Mi- 
nucius vor  Tertullian  zu  setzen  sei,  gelangt  auch  Reck:  Minucius  Felix  und 
Tertullian,  eine  litterarhistorisch-kritische  Untersuchung  in  der  Theolog. 
Quartalschrift,  1886,  S.  64—114.  Vor  Schultze  hatte  schon  H.  Dessau: 
Ueber  einige  Inschriften  aus  Cirta  in  Hermes  XV,  1880,  S.  471-474 
den  Octavius  in  das  dritte  Jahrhundert  gerückt,  da  ein  auf  Inschriften 
vorkommender  unter  Septimius  Severus  und  Caracalla  lebender  Triumvir 
von  Cirta  identisch  sein  müsse  mit  dem  im  Octavius  vorkommenden  Cae- 
cilius.  Allein  diese  Identität  beruht  auf  einem  sehr  schwachen  Grunde. 
S.  dagegen  und  auch  gegen  Schultzes  Aufstellung  K.  J.  Neumanns  Re- 
cension  eines  sogleich  zu  nennenden  Werkes  von  Feiice  in  der  Theolog. 
Literaturzeit.  1881,  S.  421-424. 

Mit  dem  Inhalte  des  Octavius  vornehmlich  beschäftigen  sich: 

Etüde- sur  1' Octavius  de  Minucius  Felix  par  Paul  de  Feiice. 
These  pour  la  licence  prösentee  ä  la  faculte  de  theologie  de  Mon- 
tauban,  Blois  1880.     147  S.     8.     und 

Der  Octavius  des  Minucius  Felix  eine  heidnisch-philosophische  Auf- 
fassung vom  Christentum.  Inaug.-Dissert.  von  Richard  Kühn,  Leipz. 
1882.    VIII,  69  S.     8. 

Was  der  erste  dieser  beiden  zunächst  über  die  Abfassungszeit  des 
Octavius  sagt,  dass  dieselbe  vor  das  Jahr  177,  ja  sogar  vor  die  zweite 
Apologie  Justins  zu  setzen  sei,  ist  von  K.  J.  Neumann  in  der  erwähnten 
Recension  kurz  aber  treffend  widerlegt.  Feiice  giebt  weiter  eine  aus- 
führliche Inhaltsangabe  des  Octavius,  schildert  dann  die  Eigenthümlich- 
keiten  der  heidnischen  und  der  christlichen  Reden  und  erklärt  nament- 
lich den  Mangel  an  positiv  christlichem  Inhalt  in  der  Apologie  daraus, 
dass  diese  blos  eine  Art  Einleitung  zu  einer  Anzahl  speciell  christlicher, 
für  uns  aber  verlorener  Abhandlungen  von  Minucius  sei.  Er  weist  mit 
Recht  namentlich  hin  auf  das  Fehlen  biblischer  Citate,  auf  das  beinahe 
absolute  Schweigen  über  Person  und  Werk  Christi  und  über  die  speci- 
fisch  christliche  Heilslehre.  Es  sind  diese  Lücken  in  einer  Verteidi- 
gungsschrift  des  Christenthums  sicherlich  höchst  auffallend.     Aber   die 


Minucius  Felix.     Tertulliau.  119 

Erklärung  Felices  stützt  sich  nur  auf  zwei  Stelleu  36,  2  und  40,  2,  au 
deren  erster  Minucius  allerdings  davon  spricht,  über  das  fatum  später 
einmal  ausführlicher  sich  verbreiten  zu  wollen  -■  ob  er  es  gethan,  ist 
ganz  ungewiss  - ,  während  die  zweite  nur  eine  Nachahmung  Ciceros  ist. 
Aehnlich,  nur  nicht  mit  dem  Hinweis  auf  spätere  Schriften  des  Minucius, 
hat  auch  Dombart  in  der  Einleitung  zu  seiner  Ausgabe  und  Ueber- 
setzung  es  als  Zweck  des  Octavius  angesehen,  eine  feste  Grundlage  für 
die  Heiden  zu  schaffen,  auf  der  dann  weiter  gebaut  werden  könnte, 
namentlich  die  Existenz  Gottes  und  die  Regierung  der  Welt  durch  dessen 
allwaltende  Fürsorge  festzuhalten. 

Ganz  anders  fasst  Kühn,  wie  schon  aus  dem  Titel  seiner  Schrift 
hervorgeht,  das  Verhältniss  des  Minucius  zu  dem  positiven  Christeuthum 
auf:  der  Apologet  ist  ein  philosophischer  Eklektiker  von  überwiegend 
stoischer  Färbung,  der  mit  seinen  Anschauungen  nicht  zu  weit  über  die 
Popularphilosophie  sich  erhebt,  in  dem  Christenthum  die  Zusammen- 
fassung aller  Wahrheitsmomente,  die  im  Heideuthum  nur  zerstreut  vor- 
lagen, findet  und  dem  ersteren  den  Vorzug  vor  dem  letzteren  einräumt, 
nicht  nur  weil  es  allein  im  Besitz  der  vollen  Wahrheit  ist,  sondern  sich 
auch  durch  lebendige  Sittlichkeit  auszeichnet.  In  das  eigentliche  Cen- 
trum des  Christenthums,  die  Offenbarung  des  Heils,  ist  er  überhaupt 
nicht  eingedrungen,  konnte  deshalb  den  Octavius  auch  nicht  davon 
sprechen  lassen.  Es  ist  also  die  Schrift  nur  ein  »Ausdruck  der  persön- 
lichen Auflassung  ihres  heidnisch  gebildeten  Verfassers. a  —  Es  ist  diese 
Thesis  auf  Grund  genauen  Eingehens  in  den  Gedankenkreis  des  Minu- 
cius mit  Scharfsinn  von  Kühn  zu  beweisen  versucht  worden,  sie  hat  sehr 
Vieles  für  sich,  namentlich  wenn  man  noch  wie  Kühn,  der  darin  Keim 
folgt,  in  Minucius  einen  Neubekehrten  sieht,  der  im  ersten  Eifer  für  die 
ergriffene  Lehre  nach  seiner  Fassung  dieselbe  in  der  Form  eines  moral- 
philosophischeu  Monotheismus  vertheidigt.  Trotzdem  kann  ich  nicht 
umhin,  bei  Minucius  ebensowie  bei  Athenagoras  ein  absichtliches  Zurück- 
halten der  tieferen  christlichen  Erkenntniss  anzunehmen. 

Gegen  Kühn  polemisiert  Boissier:  l'Octavius  de  Minucius  Felix 
in  dem  Journal  des  Savants,  1883,  S.  436  453,  und  sucht  die  Ansicht 
zu  begründen,  dass  Minucius  mit  seinem  Verschweigen  es  uur  darauf 
abgesehen  habe,  Heiden  zu  gewinnen.  -  Die  Schrift  von  Fr.  Wilhelm 
über  den  Octavius  des  Minucius  und  das  Apologeticum  Tertulliaus  ist 
erst  1887  erschienen. 

Von  den  auf  Tertullian  bezüglichen  Arbeiten  habe  ich  hier  zu 
erwähnen: 

Tertullians   Ethik.     Inaug.  -  Dissertation    vorgelegt    von   Güuther 
Ludwig,  Cand.  theol.,  Leipzig  1885.    206  S.    8. 

Der  Verfasser  hat  grossen  Fleiss  zur  Bewältigung  seiner  schwieri- 
gen Aufgabe  aufgewandt,  sich  mit  Tertullian  genauer   bekannt    gemacht 


120  G-  Ludwig,  Tertullians  Ethik. 

und,  so  weit  ich  gesehen,  alles  Wichtigere  herangezogen.  Er  will  eine 
dm chaus  objective  Darstellung  seines  Gegenstandes  geben  und  führt 
deshalb  die  Gedanken  Tertullians  meist  in  wörtlicher  Uebersetzung  aus 
dessen  Schriften  an.  Die  Eintheiliing  des  ganzen  Stoffes  nimmt  er  nach 
dem  System,  welches  Luthardt  in  seinen  Vorlesungen  giebt,  und  so  be- 
denklich dies  von  vornherein  scheint,  so  kann  ich  es  doch  nicht  als  ganz 
verfehlt  ansehen,  da  wenigstens  alles  Wesentliche  auf  diese  Weise  unter- 
gebracht wird.  Neben  der  heiligen  Schrift  als  Haupjtgrundlage  für  die 
ethischen  Lehren  Tertullians  und  neben  den  Offenbarungen  der  neuen 
Prophetie  in  der  montanistischen  Periode  stützt  sich,  wie  Ludwig  mit 
Recht  betont,  Tertullian  in  seinen  ethischen  Ansichten  vielfach  auf  die 
Stoa,  besonders  auf  das  ojioXoyoufievüjg  zfj  pveree  derselben,  und  der  Ver- 
fasser weist  im  Verlaufe  seiner  Darstellung,  freilich  öfter  in  etwas  zu 
äusserlicher  Weise,  auf  diesen  Zusammenhang  hin.  Siehe  übrigens  oben 
S.  67  Wendlands  Versuch  des  Nachweises,  dass  Musonios  von  Tertullian 
benutzt  worden  sei,  während  Ernst  Nö ldechen,  Tertullians  Verhält- 
niss  zu  Clemens  von  Alexandrien,  in  den  Jahrbüchern  für  protest.  Theol. 
XII,  1886,  S.  279  —  301,  nur  die  Benutzung  des  Clemens  seitens  Ter- 
tullians festhalten  will. 

Den  Haupttheil  in  der  Ludwigschen  Darstellung  nimmt  »die 
christliche  Sittlichkeit  in  ihrer  Erweisung  im  Handeln«  ein  und  hierin 
wieder  die  sittliche  Bethätigung  des  Christen  innerhalb  der  ehelichen 
Gemeinschaft.  Dass  der  Verfasser  hierbei  und  auch  sonst  scheidet 
zwischen  einer  vormontanistischen  und  einer  montanistischen  Periode  bei 
Tertullian,  scheint  mir  nicht  unangebracht.  —  Fehlt  es  auch  an  einer 
vollen  Bewältigung  und  Durchdringung  des  Stoffes  insofern,  als  Ludwig 
sich  denselben  nicht  in  der  Art  angeeignet  hat,  dass  er  ihn  selbständig 
aus  sich  reproducierte,  so  ist  doch  für  dieses  höhere  Ziel  die  vorliegende 
Dissertation  eine  brauchbare  Vorarbeit. 

Bios  auf  die  Sprache  bei  Tertullian  geht  dem  Titel  nach: 

Die  Grundsätze  und  Mittel  der  Wortbildung  bei  Tertullian.  Zwei- 
ter Beitrag  von  G.  R.  Hauschild,  Progr.  des  Städtischen  Gymnas. 
in  Frankf.  a.  M.,  Leipzig  1881.    56  S.    4. 

Obwohl  sich  diese  Arbeit,  in  Anlehnung  an  eine  frühere  desselben 
Verfassers,  nur  auf  griechische  Wörter  in  griechischer  Schrift  mit  grie- 
chischer Flexion,  angewendet  zur  Erklärung  eines  vorausgehenden  latei- 
nischen Ausdrucks,  welcher  eine  Neubildung  sein  kann,  und  Aehnliches 
bezieht,  also  einen  sehr  engen  Umfang  zu  haben  scheint,  so  wird  man 
doch  durch  dieselbe  zum  Theil  mitten  in  die  Lehre  Tertullians  einge- 
führt, so  bei  auzz^oücrcov,  ^ys/j-ovexav,  tu  Auycxuv,  tu  &ufj.cxuv  und  iTuBufiij- 
Ttxöv,  und  jeder,  der  sich  inhaltlich  mit  Tertullian  beschäftigt,  wird  gut 
thun,  sich  mit  den  Erörterungen  Hauschilds  bekannt  zu  macheu. 


Frdr  J.  Winter,  Die  Ethik  des  Clemens  v.  Alex.  121 

Die  alexandrinisch  -christlichen  Philosophen  werden  be- 
handelt in: 

The  Christian  Platonists  of  Alexandria.  Eight  lectures  preached 
before  the  university  of  Oxford  in  the  year  1886  —  by  Charles 
Bigg,  London  1886.     XXVI,  304  S.     8. 

Ich  kenne  dies  Werk  nur  aus  der  sehr  beifälligen  Recension  von 
Ad.  Harnack  in  der  Theolog  Literaturzeittmg  1887,  Seite  105-  112, 
nach  der  ich  wenigstens  Folgendes  bemerken  will:  Für  acht  Vorlesungen 
scheint  der  Verfasser  das  Mögliche  geleistet  zu  haben.  Die  beiden  Dar- 
stellungen von  der  Lehre  des  Clemens  und  der  des  Origenes  müssen 
sehr  lesenswerth  sein;  bei  Origenes  bat  Bigg  den  Einfluss  der  griechi- 
schen Philosophie   wohl  zu  gering  geschätzt. 

Eine  wesentliche  Bereicherung  hat  unsere  Kenntniss  des  Clemens 
Alexandrinus  erfahren  durch: 

Forschungen  zur  Geschichte  des  neutestamentlichen  Kanons  und 
der  altkirchlichen  Litteratur  von  Th.  Zahn,  3.  Theil:  Supplemen- 
tum  Clementinum,  Erlangen  1884.     IV,  329  S.     8. 

Abgesehen  davon,  dass  Zahn  hier  auf  das  Leben  des  Clemens  ein- 
geht, bringt  er  sehr  dankenswerthe  Untersuchungen  über  die  Schriften. 
so  besonders  über  das  achte  Buch  der  UrptopLaTeig ,  ferner  über  eine 
Sammlung  der  Fragmente  aus  sämmtlichen  verlorenen  Werken  des 
Clemens,  die  nichts  zu  wünschen  übrig  lässt,  und  eine  sehr  dankens- 
werthe, mit  ausserordentlichem  Fleiss  angefertigte  Aufzählung  der  Stellen, 
in  welchen  sich  Citate  aus  den  noch  vorhandenen  Schriften  des  Alexan- 
driners finden.  Welchen  Werth  diese  ganze  Arbeit  für  die  richtige 
Würdigung  des  Clemens  hat,  brauche  ich  nicht  darzulegen. 

Auf  einen  Theil  der  Lehre  des  Clemens  bezieht  sich  eine  ausführ- 
lichere Schrift: 

Studien  zur  Geschichte  der  christlichen  Ethik  von  Frdr.  Julius 
Winter.  Erster  Band:  Die"  Ethik  des  Clemens  von  Alexandrien. 
Leipzig  1882.     233  S.     8. 

Nachdem  Winter  schon  in  der  Zeitschrift  für  kirchliche  Wissen- 
schaft und  kirchliches  Leben  I,  1880,  S.  130—144,  einen  Aufsatz  zur 
Ethik  des  Clemens  von  Alexandrien,  dann  in  den  Gratulationsschriften 
zum  Jubiläum  E.  Luthardts,  1881,  eine  Abhandlung  über  die  Leine  des 
alexandrinischen  Clemens  von  den  Quellen  der  sittlichen  Erkenntniss 
veröffentlicht  hatte,  giebt  er  uns  hier  nun  eine  umfassende  Darstellung, 
indem  er  nach  der  Einleitung  bandelt  von  den  Quellen  der  sittlichen 
Erkenntniss,  von  dein  Menschen,  der  Idee  des  (inten,  von  der  Tugend 
und  der  Sünde,  von  dem  Gang  der  sittlichen  Entwicklung  und  von  be- 
sonderen  sittlichen  Vorschriften  (hier  am  ausführlichsten  von  der  Ehe). 


122  Frdr.  J.  Winter,  Die  Ethik  des  Clemens  v.  Alex. 

Uns  geht  hier  zumeist  das  Verhältniss  des  Clemens  zu  der  griechischen 
Philosophie  an  und  zwar  nimmt  Winter  hier  eine  im  ganzen  wohlbegrün- 
dete Mittelstellung  ein  zwischen  Cognat,  der  den  Clemens  zu  sehr  als 
vollen  Christen,  und  Merk,  der  ihm  materiell  durchaus  von  der  griechi- 
schen Philosophie  abhängig  sein  lässt. 

Für  die  Verschiedenheit  dieser  Auflassungen  ist  zum  grossen  Theil 
Clemens  selbst  mit  seinen  Inconsequenzen  und  Widersprüchen,  aufweiche 
auch  Winter  bestimmt  hinweist,  verantwortlich  zu  machen.  Der  Ver- 
fasser hebt  daun  hervor,  dass  Clemens  nicht  nur  Aussprüche  heidnischer 
Philosophen  häufig  angeführt  habe,  um  seine  Ausführungen  zu  belegen, 
sondern  dass  er  auch  sachlich  in  seiner  gesammten  sittlichen  Anschauung 
eine  weitgehende  Abhängigkeit  von  der  Philosophie  verrathe.  »Er  ent- 
lehnt ihr  theilweise  wörtlich  ihre  Definitionen,  zeichnet  sein  sittliches 
Ideal  nach  ihrem  Schema  und  ihren  Farben  und  führt  geradezu  das 
Christlich-Sittliche  auf  ihre  Formeln  zurück.«  Vor  allen  übrigen  sieht 
Winter  Piaton  und  die  Stoiker  als  die  an,  welchen  Clemens  gefolgt  sei, 
Piaton,  der  selbst  die  christliche  Heilsordnung  beinahe  geweissagt  habe, 
die  Stoiker,  die  Clemens  zwar  häufig  bekämpfe,  die  aber  trotzdem  unter 
der  Vermittlung  Philons  den  grössten  Einfluss  auf  seine  Denkweise  aus- 
geübt hätten.  Gerade  die  Einseitigkeiten  und  Verirrungen  dieser  Schule 
hätten  die  Auffassung  und  die  Darstellung  des  christlichen  Ethos  bei 
Clemens  am  meisten  erschwert  und  getrübt.  Es  ist  in  dieser  letzteren 
Bemerkung  etwas  Richtiges,  aber  es  hätte  hinzugefügt  werden  müssen, 
dass  die  stoische  Ethik  auch  der  christlichen  am  nächsten  kommt,  und 
dass  Clemens  eben  der  Meinung  ist,  mit  seinen  der  stoischen  Lehre  sehr 
ähnlichen  Sätzen  stehe  er  mitten  im  Christenthum.  Winter  bezeichnet 
treffend  die  eigene  Richtung  des  Clemens  als  einen  Eklekticismus,  da 
er  gemeint  habe,  der  Besitz  der  Wahrheit  gehöre  nicht  einem  der  nach- 
einander aufgetretenen  Systeme  an,  sondern  sei  unter  sie  vertheilt.  Nur 
sei  dieser  Eklekticismus  nicht  der  damals  gewöhnliche,  weit  verbreitete. 
Meiner  Ansicht  nach  steht  er  freilich  diesem  sehr  nahe,  und  Clemens 
wird  denselben  in  dem  gewöhnlichen  Bildungsgange  aufgenommen  haben. 
Daraus  erklärt  sich  auch  das  Vorwalten-  der  stoischen  Lehren,  die,  ähn- 
lich wie  bei  Clemens,  von  manchem  Eklektiker,  z.  B.  von  Plutarch, 
stark  angefochten  werden  und  dennoch  zu  den  Ansichten  dieser  Philo- 
sophen Wesentliches,  bisweilen  das  Wesentlichste  beigetragen  haben. 
Wie  sehr  Clemens  namentlich  die  Stoiker  benutzt  hat,  sehen  wir  beson- 
ders an  seinen  wörtlichen  Entlehnungen  im  Paidagogos  (s.  oben  S.  67). 
Auch  in  der  ganzen  Clementinischen  Logoslehre  steht  Stoisches  wenig- 
stens unmittelbar  neben  Christlichem  und  ist  mit  diesem  in  engste  sach- 
liche Verbindung  gebracht,  wie  Winter  auch  anerkennt,  dessen  Erörte- 
rungen über  diesen  Punkt  (S.  95  ff.)  gerade  sehr  lesenswerth  und  für 
die  ganze  Auffassung  und  Beurtheiluug  des  Clemens  lehrreich  sind. 


M.  J.  Denis,  De  la  philosophie  d'Origene.  123 

Die  Schrift  von  R.  Taverni  sopra  il  nacoayujyog  di  Tito  Flavio 
demente  Ällessandrino,  Roma  1886,  36  S.,  4,  ist  mir  nur  dem  Titel 
nach  bekannt. 

Ein  kurzer  Aufsatz  ist  hier  noch  anzuführen: 

Zur  Quellenkritik  des  Clemens  Alexandrinus  von  E.  Hill  er  im 
Hermes  21,  1886,  S.  126  —  133. 

Einige  Notizen  bei  Clemens  scheinen  aus  den  sogenannten  Parallela 
miuora  Pseudoplutarchs  geflossen  zu  seiu;  Hiller  sucht,  wie  ich  meine, 
mit  Erfolg,  darzuthun,  dass  zwischen  den  Parallela  minora  und  Clemens 
noch  ein  anderer  Autor  das  Mittelglied  bilde,  welcher  Notizeu  über  sa- 
crale  Antiquitäten  sammelte  und  sich  willkürliche  Veränderungen  er- 
laubte, die  mau  dem  Clemens  nicht  zuschreiben  darf. 

Auf  Origenes  bezieht  sich  ein  grösseres  Werk: 

De  la  philosophie  d'Origene  par  M.  J.  Denis,  Professeur  ä  la 
Faculte  des  Lettres  de  Caen.  Memoire  couronne  par  1'Iustitut,  Paris 
1884.-    VII,  730  S.     8. 

Die  Akademie  hatte  als  Thema  für  eine  Preisarbeit  die  Philosophie 
des  Origenes  gestellt  und  bestimmt,  dass  bei  der  Bearbeitung  derselben 
auch  die  Quellen  dieser  Philosophie,  sowie  ihre  Wirkung  auf  die  philo- 
sophischen und  religiösen  Lehren  der  folgenden  Jahrhunderte  dargelegt 
würden,  und  ferner  dass  die  Frage  behandelt  würde,  ob  die  Philosophu- 
mena  dem  Origenes  zugeschrieben  werden  dürften.  Es  war  also  eine  weite 
Aufgabe  gestellt,  aber  abgesehen  davon,  dass  diese  letzte  Frage  in  nicht 
annehmbarer  Weise  positiv  dahin  beantwortet  wird,  dass  der  Verfasser 
der  Philosophumena  Gaius  sei,  und  davon,  dass  Denis  die  deutsche 
Wissenschaft  in  unverantwortlicher  Weise  vernachlässigt,  wie  es  scheint 
aus  Hass  gegen  die  Deutschen,  abgesehen  von  diesen  beiden  Mängeln, 
hat  der  Verfasser  die  Aufgabe  mit  leidlicher  Kenntniss  und  einigem  Ge- 
schick gelöst. 

Bei  der  Darstellung  der  Lehre  des  Origenes  kann  Denis  nicht  mir 
das    eigentlich  Philosophische   berücksichtigen;    er   behandelt  nach   der 
Einleitung  die  Methode  des  Origenes,   die  Theologie,   Kosmologie,  An- 
thropologie und  Teleologie,  die  letzte  in  zwei  Abtheilungen:  r6surrection 
und   öpreuves   successives,   salut  universel.     Was   die  Abhängigkeit  des 
Origenes    von    der    griechischen   Philosophie   betrifft,    bo   schlägt    D 
diese  zu  gering  an  und  widerspricht  sich  auch    wenn  er  meint,  Origi 
verdanke  zwar  Vieles  den  Stoikern  und  Piaton,  aber  die  Frage  sei  nicht 
die,   ob  er  ihnen  diesen  oder  jenen  Zug  entlehnt  habe,   vielmehr  dju 
ob   die  entlehnten  Gedanken  lebendige  Kräfte  in  seiner  Lehre  gewesen 
seien.     Keines   seiner   wichtigeren    Principieu   habe    er   aus  der  griechi- 
schen Wissenschaft  geschöpft.     Was  er  gedacht,    das  würde  er  gedacht 
haben,    ohne   die  Stoiker   und  Platon   selbst  zu  kennen;   aber  wahr  Bei, 


124  H  J.  Bestmann,  Origenes  und  Plotinos 

dass  er  ihnen  öfter  die  Form  entlehnt  habe  für  seine  Gedanken,  seine 
eigentlichen  Lehren  stammten  jedoch  von  ihm  und  seiner  Zeit.  Nun 
das  Letzte  kann  man  bereitwilligst  zugeben;  dann  stammen  sie  aber 
wenigstens  zum  Theil  von  der  damals  in  Alexandria  herrschenden  grie- 
chischen Philosophie,  welche  wesentlich  platonische  und  Btoische  Ele- 
mente in  sich  trug,  und  eben  durch  diese  zeitgenössische  Philosophie, 
die  sich  freilich  mit  aus  Philon  entwickelt  hatte,  ist  Origenes  ersl  in 
seinem  Grunde  zu  verstehen.  Dem  französischen  Verfasser  möchte  ich 
das  bekannte  Urtheil  des  Porphyrios  über  Origenes  entgegenhalten, 
das  uns  Eusebios,  H.  eccl.  VI,  19  aufbewahrt  hat,  und  hinweisen  will 
ich  wenigstens  darauf,  dass  Harnack  in  dem  Abschnitt  seiner  Dog- 
mengeschichte über  Origenes  zu  dem  Resultat  kommt,  dass  nicht 
nur  die  griechische  Ethik  in  ihrer  verschiedenartigen  Ausprägung  von 
Origenes  verwendet  sei,  sondern  dass  auch  die  griechische  kosmologische 
Speculation  den  complicierten  Unterbau  seiner  religiösen  Ethik  bilde. 
Die  Gnosis  sei  formell  Offenbarungsphilosophie,  materiell  kosmologische 
Speculation.  Es  ist  dies  meines  Erachtens  auch  zu  weit  gegangen,  steht 
aber  der  Wahrheit  näher,  als  das  was  Denis  behauptet.  Dagegen  muss 
ich  letzterem  dies  zugeben,  dass  Origenes  weniger  primäre  als  seeun- 
däre  Quellen  für  seine  Bekanntschaft  mit  der  griechischen  Philosophie 
benutzt  habe,  ferner  auch  dies,  dass  Origenes,  obwohl  Schüler  des  Cle- 
mens, doch  manche  Frage  behandelt  habe,  die  der  Lehrer  nicht  berührte. 

Die  der  Darstellung  folgenden  vier  Abschnitte  sind  der  Einwir- 
kung des  Origenes  auf  spätere  Zeiten  gewidmet,  wobei  die  origenistischen 
Gedanken  bis  in  die  neuere  Zeit,  bis  auf  Leibniz  und  Reymond  verfolgt 
werden.  Ob  aber  Alles,  was  origenistisch  in  späteren  Zeiten  klingt,  auch 
wirklich,  wenn  auch  durch  so  und  so  viel  Mittelglieder,  von  dem  alexan- 
drinischen  Kirchenvater  herrührt,  muss  ja  sehr  zweifelhaft  sein. 

Einen  bemerkenswerthen  Vergleich  des  Origenes  mit  einem  heid- 
nischen Philosophen  bringt: 

H.  J.  Best  mann.  Licent. :  Origenes  und  Plotinos  in  Zeitschr.  f. 
kirchliche  Wissenschaft,  und  kirchliches  Leben  1883,  S.  169-187. 

Der  Verfasser  erkennt  vorurteilsfrei  an,  dass  in  den  antiken  Völ- 
kern das  Christentbum  nur  dann  zu  siegen  vermochte,  wenn  es  sich 
mit  den  Interessen  derselben  verband,  dass  die  christliche  Kirche  eben- 
sowohl deshalb  siegte,  weil  sie  sich  zu  opfern,  als  auch  deshalb,  weil 
sie  sich  mit  dem  Gegner  zu  verständigen  wusste,  und  dass  der  Ort  dieser 
Verständigung  Alexandrien,  der  Mann,  der  sie  herbeiführte,  Origenes 
gewesen  sei.  Ganz  anders  als  in  dem  vorhin  erwähnten  Werke  heisst  es 
bei  Bestmann:  es  sei  schwer  zu  sagen,  was  bei  Origenes  überwiege,  der 
platonische  oder  der  christliche  Ideengehalt.  Voraus  sollen  die  christ- 
lichen Philosophen  vor  den  antiken  und  so  namentlich  vor  Plotin  haben 
die  realistische  Richtung,  und  diese  zeige  sich  auf  dem  Gebiete  der  Re- 


Dionysios  der  Areopagite.  125 

ligion  in  der  Lebendigkeit  der  Gottesidee,  auf  dem  Gebiete  der  theo- 
retischen Erkenntniss  in  dem  Interesse  au  der  Causalitätsidee.  Hierbei 
schätzt  Bestmann  die  griechische  Philosophie  und  zunächst  Plutin  zu  ge- 
ring, wie  er  überhaupt  in  die  antike  Philosophie,  sogar  in  die  Lehre 
Plotins  nicht  tief  eingedrungen  ist.  Wenn  er  den  Fortschritt  des  Christen- 
thums  betreffs  der  Lehre  vom  Logos  darin  sieht,  dass  dieser  als  die 
lebendige  Ursache  der  Wirklichkeit  der  Dinge,  nicht  nur  als  die  Summe 
von  Möglichkeiten  der  Dinge,  gelte,  so  kennt  er  weder  Heraklit  noch 
die  Stoiker,  um  Plotin  nicht  zu  erwähnen,  der  ja  schon  vom  Christen- 
tum abhängig  sein  könnte. 

Auf  eine  mit  dem  Neuplatonismus  eng  zusammenhängende  Erschei- 
nung geht  eine  Dissertation: 

Dionysius  der  Areopagite  nach  seinem  Charakter  als  Philosoph 
dargestellt.  Inaug.-Dissert.  eingereicht  von  Ilarion  Kanakis,  Leip- 
zig 1881.     35  S.     8. 

Die  Schriften,  die  uns  unter  dem  Namen  des  Dionysios  des  Areopa- 
giten  überliefert  sind,  verdienen  auch  nach  den  Bemühungen  früherer  Ge- 
lehrter, namentlich  Engelhardts  noch  neuer  Untersuchungen  Mao  kaun 
nun  nicht  sagen,  dass  durch  vorliegende  Schrift  die  Fragen  nach  Ur- 
sprung und  Abfassung.-zeit  derselben  wesentlich  gefördert  seien.  Das 
Verdienst  der  Dissertation  liegt  in  einer  verbältnissmässig  klaren  und, 
so  weit  ich  gesehen,  auch  treuen  Darstellung  der  philosophischen  An- 
sichten des  Pseudo-Dionysios.  Aus  derselben  soll  sich  ergeben,  wie  der 
Verfasser  zum  Schluss  mehr  an-  als  ausführt,  dass  Pseudo-Dionysios  ein 
Eklektiker  sei,  der  besonders  platonische,  aristotelische  und  platonische 
Elemente  aufgenommen  habe,  unter  den  letzten  die  Mystik  und  die  alle- 
gorische Deutung  biblischer  Texte,  dass  er  in  der  Reihe  der  platonischen 
Eklektiker  stehe  und  ungefähr  gleichzeitig  mit  Plutarch,  etwas  nach 
Philon  seine  Werke  verfasst  habe.  Um  dieses  Resultat  fester  zu  be- 
gründen, bedürfte  es  viel  genauerer  Untersuchungen,  als  der  Verfasser 
anstellt. 

Noch  weniger  Werth  als  diese  Schrift  hat  folgende: 

Areopagitica.  Die  Schriften  des  h.  Dionysius  vom  Areopag.  Eine 
Vertheidigung  ihrer  Echtheit  von  Ceslaus  Schneider,  Regensbarg 
1884.     283  S.     8. 

Der  Zweck  der  Schrift  ist  auf  dem  Titel  angegeben.  Es  braucht 
kaum  hinzugefügt  zu  werden,  dass  derselbe  auch  nicht  annähernd  er- 
reicht ist,  zumal  der  Verfasser  nicht  blos  kritiklos  verfährt,  sondern  auch 
Mangel  an  den  nöthigen  Kenntnissen  zeigt. 

Mit  Pseudo-Dionysios  steht  in  enger  Verbindung  Johannes  Eri- 
gena,  und  deshalb  erwähne  ich  hier  kurz  eine  verdienstliche  auf  diesen 
letzteren  bezügliche  Dissertation: 


126         P-  Ewald,  Einfluss  d<>r  atoisch-ciceron    Moral  auf  Ambrosius. 

Der  Logosbegriff  des  Johannes  Scotus  Erigena.  Inaug.-Dissert. 
vorgelegt  von  Cand.  theol.  Georg  Buchwald,  Oberlehrer  am  Gym- 
nasium zu  Zwickau,  Leipzig  1884.     72  S.     8. 

Der  Verfasser  stellt  in  verständlicher  und  wohlgeordneter  Weise 
die  betreffende  Lehre  des  Erigena  dar  und  kommt  zu  dem  Gesammt- 
ergebniss,  dass  der  Logos  bildet  1.  die  Brücke  von  der  Einheit  Gottes 
zu  der  Vielheit  der  Welt  und  2.  die  Brücke  von  der  in  Folge  der  Sünde 
der  Zerstreuung  verfallenen  Vielheit  der  Welt  zur  Einheit  in  Gott.  Von 
Wichtigkeit  ist  es,  dass  Buchwald  auf  den  Zusammenhang  des  Erigena 
mit  der  alten  Philosophie,  namentlich  mit  Philon,  hinweist,  sodann  aber 
noch  deutlicher  auf  den  mit  den  griechischen  Mustern  wie  Origenes, 
Gregor  von  Nyssa  und  vor  allen  mit  Dionysios  dem  Areopagiten,  woraus 
auch  hervorgeht,  dass  der  specifisch  christliche  Glaube  bei  Erigena 
keine  Rolle  spielt. 

Eine  ganz   verdienstliche  Schrift  bezieht  sich  auf  Ambrosius: 

Der  Einfluss  der  stoisch -ciceronianischen  Moral  auf  die  Darstel- 
lung der  Ethik  bei  Ambrosius  von  Paul  Ewald  (Doctor-Dissertation), 
Leipzig  1881.     88  S.    8. 

Im  Jahre  1874  war  eine  Abhandlung  von  Jac.  Reeb  über  die 
Grundlagen  des  Sittlichen  nach  Cicero  und  Ambrosius  erschienen,  in 
welcher  die  Verbindung  der  Ethik  mit  der  Religion  bei  Ambrosius  be- 
tont wird,  während  Cicero  auf  den  für  seine  Lehre  unsichern  Grund  der 
Religion  die  Moral  nicht  aufbauen  wollte  (siehe  Jahresber.  von  1876 — 80 
S.  59  f.),  ohne  dass  aber  die  enge  Anlehnung  des  Ambrosius  an  Cicero 
geleugnet  wurde.  Ewald  lässt  nun  das  religiöse,  namentlich  das  christ- 
liche Element  bei  Ambrosius  mehr  zurücktreten  und  führt  den  Beweis, 
dass  Ambrosius  nicht  nur  stoische  Formen,  sondern  ganze  stoische  Ge- 
dankengänge in  seine  Schriften,  besonders  in  die  de  officiis  ministrorum 
herübergenommen  hat,  indem  er  die  einzelnen  Abschnitte  der  ambro- 
sianischen  Ethik  durchgeht:  das  Entstehen  des  sittlichen  Handelns,  das 
höchste  Gut  und  die  Güter,  die  Tugend  und  die  Tugenden,  die  Pflicht 
und  die  Pflichten.-  Er  weist  darauf  hin,  dass  allerdings  Ambrosius  das 
ewige  Leben  zu  den  Gütern  rechnet,  aber  zeigt  zugleich,  dass  dieses 
»ganz  äusserlich  an  die  von  der  Stoa  herübergenommene  Bestimmung 
des  höchsten  Gutes  als  der  mit  der  Tugend  gegebenen  Glückseligkeit 
angeschweisst  ist«.  Es  ist  von  Werth,  dass  dieser  Sachverhalt  klar  ge- 
stellt worden,  besonders  deshalb,  weil  die  Bücher  des  Ambrosius  über 
die  Pflichten  als  einer  der  Versuche,  die  christliche  Moral  wissenschaft- 
lich darzustellen,  in  der  katholischen  Kirche  sich  lange  Zeit  des  höchsten 
Ansehens  erfreuten,  und  man  so  deutlich  sieht,  wie  die  griechische  Philo- 
sophie auch  für  die  christliche  Ethik  auf  lange  Zeit  hinaus  von  der 
grössten  Bedeutung  gewesen  ist. 


J.  Storz,  Die  Philosophie  des  h.  Augustinus.  127 

Eine  umfassende  Schrift  über  Ambrosius  ist  erschienen: 

Ambrosius,  Bischof  von  Mailand.    Eine  Darstellung  seines  Lebens 
und  Wirkens  von  Dr.  Th.  Förster,  Halle  a.  S.  1884.    334  S.    4. 

Das  erste  Buch  dieses  Werkes  behandelt  den  Ambrosius  als 
Bischof,  das  zweite  als  Kirchenlehrer,  das  dritte  als  Prediger  Und  Dichter. 
Uns  können  hier  nur  einige  Capitel  aus  dem  zweiten  Buche  angehen, 
namentlich  die  Darstellung  seines  Verhältnisses  zu  Philon  und  Origenes 
und  seine  Ethik.  Wenn  Förster  meint,  es  sei  nicht  ein  positiver  Lehr- 
gehalt, der  aus  Philon  in  die  christlichen  Lehrsysteme  übergegangen  sei, 
am  allerwenigsten  seine  Logosidee,  so  ist  diese  Ansicht  im  allgemeinen 
ausgesprochen  unrichtig,  ich  glaube  auch  in  Beziehung  auf  Ambrosius. 
Wie  eng  sich  vielfach  dieser  Kirchenlehrer  in  der  allegorisierenden  Aus- 
legung des  Alten  Testaments  an  den  jüdischen  Alexandriner  angeschlossen 
hat,  ist  hinlänglich  bekannt;  Förster  giebt  dafür  eine  Reihe  von  be- 
zeichnenden Beispielen.  Die  mehr  als  formale  Anlehnung  an  Origenes 
erkennt  Förster  mit  Recht  besonders  in  den  eschatologischen  Ideen. 
Für  die  Ethik  des  Ambrosius  sucht  er  nachzuweisen,  dass  dieselbe  nicht 
zusammenhangslos,  sondern  von  dem  dogmatischen  Staudpunkte  beherrscht, 
als  Ausfluss  der  religiösen  Ueberzeugungen  zu  verstehen  sei,  indem 
nur  die  mannigfachen  Einflüsse,  die  man  sonst  in  dem  Lehrsystem  des 
Ambrosius  bemerke,  auch  hier  zur  Geltung  kämen.  Meiner  Ansicht 
nach  ist  aber  dieser  Versuch  nicht  gelungen:  Ambrosius  hat  vielmehr 
die  verschiedenen  Gedankenreihen,  die  er  in  seine  Ethik  aufgenommen 
hat,  nicht  in  vollen  Einklang  mit  einander  bringen  können.  Siehe  auch 
die  Recension  des  Försterschen  Buches  von  Paul  Ewald  in  den  Theo- 
logischen Studien  und  Kritiken  1885,  S.  786-795. 

Philosophische  Ansichten  Au gusti ns  werden  mehrfach  behandelt. 
Ich  nenne  hier  zuerst: 

Die  Philosophie  des  heil.  Augustinus.  Von  Dr.  J.  Storz,  Frei- 
burg i.  Br.     1882.     VI,  260  S.     8. 

Es  ist  keine  leichte  Aufgabe,  die  sich  der  Verfasser  gestellt  hat. 
aber  im  Ganzen  hat  er  dieselbe  nicht  schlecht  gelöst,  namentlich  in 
richtiger  Erkenntniss  der  ganzen  Persönlichkeit  Augustins,  in  der  sich 
Schärfe  des  Denkens  mit  besonderer  Gemüthstiefe  verband.  Die  letztere 
bewahrte  Augustin,  wie  Storz  richtig  hervorhebt,  davor,  sich  in  falsche 
Spitzfindigkeit  und  in  abstracten  Formalismus  zu  verlieren,  liess  ihn  die 
Dinge  weit  inniger  als  mit  dem  Auge  des  Verstands  erfassen  und  setzte 
ihn  in  eine  Lebensverbindung,  in  ein  persönliches  Verhältniss  zu  Allem, 
auch  zum  absoluten  Wesen.  Andererseits  schützte  ihn  sein  Verstand  da- 
vor, in  eine  unklare,  verschwommene  Mystik  zu  verfallen.  So  erklärt  es 
sich  aber,  wie  sich  ebenso  die  Scholastik  als  die  Mystik  auf  ihn  beriefen, 
vor  allen  aber  solche  Denker,  die  das  scholastische  und  mystische  Ele- 


128  J  8torz,  Die  Philosophie  dea  h.  Augustinus. 

ment  in  sich  vereinigten,  z.  B.  Nicolaus  von  Cues.  Es  wäre  sehr  dankens- 
wert gewesen,  wenn  der  Verfasser  hie  und  da  auf  die  Spuren  Augusti- 
ni  eher  Gedanken  in  der  weiteren  Entwickelung  der  Philosophie  mehr 
hingewiesen  hätte,  als  er  es  thut.  Auch  bei  Leibniz  würden  solche  ge- 
funden werden. 

Richtig  schätzt  der  Verfasser  den  Einfluss  der  neuplatonischen 
Lehren  auf  Augustin  in  dem  ersten  Theil  seiner  Arbeit,  worin  das  Prin- 
cip  der  Augustinischen  Philosophie  erörtert  und  der  intellectuelle  Eut- 
wickelungsgang  Augustins  kurz  dargestellt  wird.  Es  heisst  da,  dass  der 
Neuplatonismus  ihm  den  Begriff  des  Immateriellen,  die  Vorstellung  des 
Unsichtbaren  und  Uebersinnlichen  gegeben,  das  ßedürfniss  für  das  Ideale 
geweckt,  sein  Aufstreben  zu  geistiger  Anschauung  gefördert  und  ihn  zu 
einer  optimistischen  Weltanschauung  erhoben  habe.  Es  hätte  hinzugefügt 
werden  können,  dass  der  ganze  religiöse  Zug  bei  Augustin  ähnlich  war 
dem  der  Neuplatoniker;  wie  man  ja  sogar  den  Versuch  gemacht  hat, 
Augustin  als  einen  Neuplatoniker  aufzufassen  und  zu  verstehen.  —  Ver- 
misst  habe  ich  ein  Eingehen  des  Verfassers  auf  die  Urtheile  Augustins 
über  die  vorchristliche  Philosophie,  wie  sich  diese  namentlich  in  de  civi- 
tate  Dei  finden. 

Wenn  Storz  der  Forschung  Augustins  einen  durchaus  theologischen 
Charakter  zuschreibt  und  dessen  Philosophie  als  eine  religiös -philoso- 
phische Weltanschauung  bezeichnet,  weshalb  er  sich  auch  gegen  die  Er- 
forschung der  Naturdinge  gleichgiltiger  verhalten  und  die  Psychologie 
nur  im  theologischen  Sinne  wissenschaftlich  betrieben  habe,  so  ist  dies 
richtig,  freilich  mit  dem  Zusätze,  den  wir  bei  Storz  später  finden,  dass 
die  Erkenntniss  Gottes  nicht  eigentlich  Selbstzweck  bei  Augustin  sei, 
sondern  dass  wir  Gott  erkennen  sollen,  um  ihn  zu  lieben  und  im  Ge- 
nüsse dieser  Liebe  unsere  Glückseligkeit  zu  finden;  wie  nach  Augustin 
der  Besitz  der  Wahrheit  für  uns  Bedürfuiss  ist,  da  ohne  dieselben  keine 
Glückseligkeit  denkbar  sei.  So  hat  auch  bei  Augustin  die  praktische 
Vernunft  durchaus  den  Primat  vor  der  theoretischen.  Wenn  nun  die 
Gotteserkenntniss  das  Endziel  der  philosophischen  Forschung  ist,  so 
bildet  die  Selbsterkenntniss  den  Weg  zu  diesem.  Nur  in  dem  Innern 
der  Seele  kann  der  Mensch  den  wahren  Gott,  das  Urbild  aller  endlichen 
Geister  erkennen.  So  ist  es  zu  verstehen,  wie  die  ganze  philosophische 
Forschung  durch  Augustin  eine  psychologische  Richtung  erhielt. 

Im  zweiten  Theil  behandelt  Storz  die  Erkenntnisslehre  ausgehend 
von  der  Gewissheit  des  Selbstbewusstseins.  Es  ist  dies  bekanntlich  der- 
selbe Anfang  der  Erkenntniss  oder  der  Philosophie  wie  bei  Descartes. 
Ueberhaupt  habe  ich  bei  dem  Lesen  der  vorliegenden  Arbeit  noch  mehr 
als  früher  den  Eindruck  gewonnen,  dass  Descartes  in  mehr  Punkten, 
als  man  in  der  Regel  annimmt,  mit  Augustin  übereinstimmt.  Ich  will 
hier  nur  noch  auf  die  Unbegreiflichkeit  der  Verbindung  von  Seele  und 
Leib,   wie  sie  von  beiden   ausgesprochen   wird,  hinweisen.     Im  dritten 


Augustinas.  129 

Theil,  der  Psychologie  Augustins,  legt  Storz  besonderen  Werth  auf  die 
Immaterialität  der  Seele,  die  es  allerdings  in  den  Zeiten  Augustins  zu 
vertheidigen  galt.  Was  die  Frage  nach  der  Dichotomie  oder  Trichotomie 
bei  Augustin  betrifft,  so  muss  ich  mich  der  Ansicht  Böhringers  im  Theo- 
logischen Jahresbericht  über  das  Jahr  1882,  S.  122,  anschliessen,  dass 
Augustin,  wo  er  streng  wissenschaftlich  verfuhr  und  nicht  durch  Polemik 
gegen  die  Manichäer  geleitet  wurde,  die  Eintheilung  in  Leib,  Seele  und 
Geist,  also  die  Trichotomie  lehrte,  während  Storz  für  die  Dichotomie 
bei  Augustin  eintritt.  Im  vierten  Theil  folgt  die  speculative  Theologie 
Augustins.  von  der  besonders  der  Abschnitt  über  die  Ideen  und  deren 
Verhältniss  zum  endlichen  Sein  lesenswerth  ist.  -  Aufgefallen  ist  mir, 
dass  der  Verfasser  das  Problem  der  Willensfreiheit  sehr  kurz  behandelt, 
sowie  dass  der  geschichts- philosophische  Gedanke  der  Civitas  Dei  bei 
ihm  nicht  zur  Geltung  kommt,  ein  Gedanke,  mit  dem  Augustin  sich 
offenbar  in  Gegensatz  stellt  zu  dem  begrifflichen,  geschichtslosen  Welt- 
prozess  der  Neuplatoniker. 

Ein  specielleres  Thema  finden  wir  behandelt  in: 

Des  Aurelius  Augustinus  Metaphysik  im  Rahmen  seiner  Lehre 
vom  Uebel  dargestellt  von  Dr.  Konr.  Scipio,  Leipzig  1886.  V,  113  S.  8. 

Der  Titel  ist,  wie  Ad.  Harnack  in  seiner  Anzeige,  Theologische 
Literatur-Zeitung  1886,  S.  592,  richtig  hervorhebt,  nicht  gut  gewählt,  da 
der  Verfasser  nicht  sowohl  die  Metaphysik  im  Rahmen  der  Lehre  vom 
Uebel,  als  vielmehr  im  Rahmen  der  Metaphysik  die  Lehre  vom  Uebel  mit 
darstellt,  diese  letztere  allerdings  hervortreten  lässt,  da  Augustins  Lehre 
vom  Uebel  zugleich  eine  Verteidigung  Gottes  sei.  Die  Arbeit  ist  meist 
gut  geschrieben,  hier  und  da  etwas  unklar  gehalten;  auch  werden  Be- 
ziehungen Augustins  zu  den  früheren  Philosophen  ,  namentlich  zu  dem 
Piatonismus  berührt  Der  Verfasser  handelt  vom  Wesen  Gottes  und  der 
Schöpfung,  dann  von  der  Welt  als  Kosmos,  in  welcher  sich  die  Vernunft 
documentiert;  das  Uebel  ist  nur  eine  Beraubung,  nichts  Substantielles. 
Zuletzt  folgt  ein  ethischer  Abschnitt:  die  Persönlichkeit  und  der  Kosmos. 

Ein  noch  engeres  Gebiet  bei  Augustin  betrifft  die  Abhandlung: 

Die  Lehre  vom  Primat  des  Willens  bei  Augustinus,  Duns  Scotus 
und  Descartes,  dargestellt  von  Dr.  Wilh.  Kahl,  Strassburg  1886. 
IX,  126  S.     8. 

In  dem  Theil  dieser  Arbeit,  welcher  auf  Augustin  geht,  hebt  der 
Verfasser  hervor,  dass  sich  dessen  Psychologie  des  Willens  gründet 
auf  eine  sorgfältige  Beobachtung  des  psychologischen  Thatbestandes  and 
durchaus  originell  ist  im  Vergleich  zu  den  froheren  Ansätzen  in  der 
griechischen  oder  christlichen  Philosophie.  Das  Eigenthumliche  Augustins 
liege  eben  darin,  dass  dieser  den  Willen  an  die  Spitze  der  seelischen 
Thätigkeiten  setze,  indem  der  iutellectuelle  Determinismus  vou  ihm  über 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft  L.  (1887.  [.)  9 


]  MO  G  Loesche,  Plotin  und  Augustin 

wunden  worden  sei.  Um  dies  zu  beweisen,  sucht  der  Verfasser  zu  zeigen, 
dass  bei  Augustin  der  Wille  frei  von  allen  äusseren  und  inneren  Mo- 
tiven sei,  und  dann,  dass  bei  ihm  das  theoretische  Vermögen  sich  ab- 
hängig von  dem  praktischen  zeige.  —  Man  wird  den  genauen  im  ganzen 
besonnenen  Ausführungen  Heifall  nicht  versagen,  und  die  Erstlingsschrift 
verdient  auch  sonst,  abgesehen  von  den  auf  Augustin  bezüglichen  Partien, 
alle  Anerkennung.  Freilich  muss  der  Verfasser  selbst  zugeben,  dass  ge- 
rade auf  der  letzten  Stufe  des  Erkennens  der  neuplatonische  Intellec- 
tualismus  die  Consequenzen  des  augustinischen  Standpunktes  mehrfach 
durchbrochen  habe,  indem  einmal  in  der  Auffassung  der  Vernunfterkennt- 
niss  die  Spontaneität  des  Menschen  bedeutend  hinter  der  Receptivität 
zurücktrete,  und  dann  auch  in  der  Eudämonologie  der  Primat  des  Wil- 
lens nicht  voll  gewahrt  sei.  Diese  Concessionen  hätten  den  Verfasser 
bei  der  Aufstellung  seiner  Thesis  etwas  vorsichtiger  sein  lassen  sollen. 

Eine  kurze  aber  sehr  lesenswerthe  Abhandlung  ist: 

Plotin  und  Augustin,  von  Lic.  Dr.  G.  Loesche  in  Berlin,  in  der 
Zeitschrift  für  kirchliche  Wissenschaft  und  kirchliches  Leben,  5.  Jahr- 
gang, 1884,  S.  337  —  346. 

Es  wird  hier  nicht  in  dem  ganzen  Umfange  der  augustinischen 
Lehre  Alles,  was  auf  Plotin  zurückzuführen  ist,  berührt,  sondern  nur  in 
einigen  Punkten  soll  das  Abhängigkeitsverhältniss  festgestellt  werden, 
zunächst  in  der  Lehre  von  Gott  als  dem  unbegreiflichen,  aber  doch  ein- 
fachen und  unveränderlichen  Wesen.  Gott  soll  bei  beiden  qualitätslos 
sein,  zugleich  aber  doch  Princip  alles  Seins  und  erfüllt  mit  dem  höchsten 
Inhalte,  so  dass  bei  dem  heidnischen  Philosophen  wie  bei  dem  christ- 
lichen Kirchenvater  ein  Widerspruch  zu  bemerken  ist  in  der  Verbin- 
dung der  verneinenden  und  der  bejahenden  Theologie  —  freilich,  wie 
bekannt,  nicht  nur  bei  ihnen.  Sodann  weist  Loesche  auf  die  Ueberein- 
stimmung  der  beiden  in  der  Lehre  vom  Schönen  und  in  dem  Schöpfungs- 
begriff hin,  der  an  einen  »akosmistisch- dynamischen  Pantheismus«  er- 
innere, freilich  nicht  bei  Plotin  und  noch  weniger  bei  Augustin  durch- 
gebildet sei. 

Weniger  Augustins  Philosophie  als  vielmehr  specifisch  seine  theo- 
logischen Ansichten  betreffen  die  Augustinischen  Studien  von  Hermann 
Reuter,  die  in  einer  Reihe  von  fünf  Artikeln  der  Zeitschrift  für  Kircheu- 
geschichte  erschienen  sind.  Ich  will  nur  aus  No.  IV,  Band  6,  1884, 
Seite  155  —  192  das  Eine  hervorheben,  dass  nach  Reuter  Augustin  das 
Griechische  soweit  verstand,  dass  er  griechische  Schriften  selbständig, 
wenn  auch  nicht  ohne  Mühe,  zu  übersetzen  und  zu  erklären  vermochte. 
Er  selbst  hat  in  dieser  Beziehung  seine  Leistungsfähigkeit  unterschätzt. 
Es  lässt  sich  demnach  annehmen,  dass  er  auch  manches  Neuplatonische 
im  griechischen  Urtext  gelesen  hat.     In  das  Jahr  1887  vorgreifend,  er- 


M.  Evangelides,  Ueber  Neroesius  und  seine  Quellen.  131 

wähne  ich  noch,  dass  diese  fünf  Aufsätze,  um  zwei  weitere  vermehrt,  als 
selbständiges  Buch  erschienen  sind  unter  dem  Titel:  Augustinische  Stu- 
dien, Gotha  1887.  VIII,  576  S.  8.  Aus  der  sechsten  will  ich  darauf 
hinweisen,  dass  nach  Reuter  bei  Augustin  sich  die  absolute  Seligkeit 
und  die  Existenz  im  Diesseits  ausschliessen ,  dass  der  Gedanke  einer 
Vergottung  sich  allerdings  Augustin  aufgedrängt  hat,  aber  von  ihm 
nicht  im  Dienste  einer  systematischen  Mystik  verwendet  worden  ist, 
dass  die  ethische  Weltbetrachtung  im  Ganzen  pessimistisch  ist,  daneben 
aber  doch  aus  metaphysischen  und  ästhetischen  Interessen  eine  opti- 
mistische Tendenz  zu  Tage  tritt. 

Mit  Nemesios  beschäftigt  sich  theilweise  Apelt  in  der  oben  be- 
sprochenen Abhandlung  (siehe  S.  57).  Auch  eine  besondere  Schrift  ist 
ihm  gewidmet : 

Zwei  Kapitel  aus  einer  Monographie  über  Nemesius  und  seine 
Quellen.  Inaug. -Dissert.  von  Margarites  Evangelides  aus  Ky- 
zikos,  Berlin  1882.     59  S.     8. 

Der  Verfasser  urtheilt  über  die  schriftstellerische  Thätigkeit  des 
Nemesios  im  allgemeinen  richtig,  wenn  er  meint,  derselbe  habe  ein  Werk 
liefern  wollen,  das  geeignet  sein  sollte,  die  Interessen  der  christlichen 
Lehre  wissenschaftlich  zu  begründen.  Daher  rühre  sein  eigentümlicher 
Eklekticismus,  die  Art,  immer  dasjenige  von  dem  früheren  auszuwählen, 
was  sich  den  christlichen  Lehren  und  Anschauungen  seiner  Zeit  anpasste, 
daher  der  Verzicht  auf  tiefere  philosophische  Erörterungen ,  wie  sie  in 
der  früheren  Zeit  üblich  gewesen  seien.  Evangelides  behandelt  zuerst 
die  Lehre  des  Nemesios  von  der  Lust,  die  verhältnissmässig  ausführ- 
lich besprochen  wird  und  sehr  an  Aristoteles  erinnert,  aber  höchstwahr- 
scheinlich von  Poseidonios  genommen  ist  (siehe  0.  Apelt,  oben  S.  57). 
Dann  geht  der  Verfasser  auf  den  unvernünftigen,  der  Vernunft  nicht  ge- 
horchenden Theil  der  Seele  über,  d.  h.  auf  das  Physiologische,  und  stellt 
hier  die  physiologischen  und  anatomischen  Ansichten  Galens  in  Kürze 
voran,  um  so  die  Abhängigkeit  des  Nemesios  von  Galenos  auf  diesen 
Gebieten  klarer  zu  machen.  Zuletzt  legt  er  die  inneren  Vorgänge  des 
Thierorganismus  und  die  Stellung  des  Menschen  in  der  gesammten  Na- 
tur nach  Nemesios  dar.  Offenbar  ist  hier  die  Uebereinstimmung  mit 
Galenos  gross,  der  aristotelische  Gedanken  von  der  Zweckmässigkeit 
in  dem  Natürlichen  dazu  braucht,  um  die  Weisheit  und  Allmacht  des 
Demiurgen  darzuthun.  —  Ob  Nemesios  nicht  noch  in  manchem  Andern 
ausser  in  der  Lehre  von  den  Affecten,  besonders  in  der  von  der  Lust, 
den  Poseidonios  stark  benutzt  hat,  ist  hier  nicht  der  Ort  zu  untersuchen. 
—  Die  vorliegende  Arbeit  liest  sich  übrigens  gut,  und  es  wäre  nur  zu 
wünschen,  dass  die  Fortsetzung  bald  erschiene. 

9* 


132  Claudianus  Mamertus. 

Ein    wenig   genannter  kirchlicher  Schriftsteller  wird  behandelt  in: 

Die  Schrift  des  Claudianus  Mamertus,  Presbyters  zu  Vienne  über 
das  Wesen  der  Seele  (de  statu  animae).  Inaug.-Dissert.  vorgelegt 
(Leipzig)  von  Martin  Schulze,  cand.  theol.  Dresden  1883.    85  S.   8. 

Eine  Monographie  über  diese  Schrift  war  am  Platze,  und  der  Ver- 
fasser hat  die  Aufgabe,  die  er  sich  gestellt  hatte,  nicht  übel  gelöst. 
Zwar  kommt  in  den  ersten  Paragraphen  über  Lebensverhältnisse  und 
Schriften  des  Claudianus  Mamertus,  über  den  Anlass  der  Schrift  de  statu 
animae,  über  Zweck,  Empfänger,  Zeit  und  Ort  der  Abfassung,  nichts  be- 
sonders Neues  heraus,  aber  sehr  brauchbar  ist  schon  die  Inhaltsangabe 
der  Schrift  des  materialistisch  gesinnten  Faustus,  welche  Claudianus  be- 
kämpfte, sowie  der  dann  folgende  ausführliche  Auszug  aus  der  Schrift 
de  statu  animae,  durch  den  wir  in  den  Stand  gesetzt  werden,  den  Clau- 
dianus als  philosophischen  Schriftsteller  zu  beurtheilen.  Der  Darstellung 
von  Faustus'  und  Claudianus'  Lehren  reiht  sich  eine  besonnene  Beur- 
theilung  der  letzteren  an,  sowie  schliesslich  nachgewiesen  wird,  wieweit 
Claudianus  sich  abhängig  zeigt  von  der  alten  und  patristischeu  Philo- 
sophie. Unter  den  griechischen  Philosophen  ist  es  Piaton,  dem  er  am 
meisten  verdankt,  unter  den  Kirchenvätern  Augustin,  dem  er  sich  in 
vielen  Stücken  anschliesst.  Der  Verfasser  bemerkt  mit  Recht,  Claudianus 
habe  von  Augustin  den  theologischen  Charakter  seiner  philosophischen 
Forschung,  das  vorwiegende  Interesse  für  das  Geistige  und  die  Gleich- 
gültigkeit gegen  das  Körperliche  überkommen.  Werth  der  Untersuchung 
wäre  es  noch  gewesen,  inwieweit  Claudianus  durch  die  Vermittelung 
Augustins  sich  neuplatonische  Sätze  angeeignet  hat.  Dass  sich  Manches 
davon   bei  ihm  findet,  lässt  sich  von  vornherein  annehmen. 

Sehr  nöthig  war  eine  Ausgabe  des  Claudianus,  die  endlich  er- 
schienen ist: 

Claudiani  Mamerti  opera.     Rec.   et   commentario   critico   instruxit 
Aug.  Engelbrecht,  Vindobonae  1885.    XLIX,  262  S.    8.    (Vol.  XI 
des  Corpus  scriptorum   ecclesiasticorum   latinorum   ed.  consilio  et  im 
pensis  Academiae  litterar.  Caesar.  Vindobon.) 

Auf  Grund  der  besten  Handschriften,  unter  welchen  ein  cod.  Lip- 
siensis  M.  den  Vorzug  verdient,  hat  Engelbrecht  den  Text  in  besonnener 
Weise  hergestellt,  sieht  sich  freilich'  durch  Bedenken,  die  ihm  gegen 
cod.  M.  während  des  Druckes  aufgestiegen  sind,  veranlasst,  eine  grössere 
Anzahl  von  Stellen  in  der  Vorrede  zu  ändern.  Aus  einem  cod.  Sangal- 
iens, hat  er  den  vollständigen  Brief  des  Faustus,  ebenso  einen  Brief  des 
Claudianus  an  Sidonius,  sowie  dessen  Antwort,  und  einen  Brief  an  den 
Rhetor  Sapaudus  aufgenommen,  dagegen  die  dem  Claudianus  früher 
fälschlich  zugesprochenen  Gedichte  ausgeschlossen.  —  Werthvoll  sind 
die  Iudices,  namentlich  der  dritte:   Verborum  et  locutionum,  der  allein 


Nachträge.  133 

fünfzig  Seiten  einnimmt.  —  Vergleiche  dazu  die  längere  Recension  von 
Paul  Mohr  in  der  Philologischen  Rundschau,  1885,  S.  1417-1424.  - 
Die  von  Engelbrecht  versprochenen  »Untersuchungen  über  die  Sprache 
des  Claudianus  Mamertus«  sind  veröffentlicht  in  den  Sitzungsberichten 
der  Wiener  Akademie  der  Wissenschaften  Band  110,  1885,  S.  423  —  542, 
und  auch  separat  erschienen. 

Zum  Schluss  meines  Berichtes  habe  ich  Folgendes  iu  der  Kürze 
nachzutragen: 

Porpbyrii  Philosopbi  Platonici  Opuscula  selecta  rec.  Aug.  Nauck 
sind  in  zweiter  Auflage  Leipzig  1886  erschienen.  Auf  dem  Titel  der 
ersten  Auflage  hiess  es:  Opuscula  tria;  in  der  zweiten  ist  die  Schrift 
De  antro  nympharum  hinzugekommen.  Eine  wesentliche  Verbesserung 
ist  die,  dass  sich  die  kritischen  Anmerkungen  jetzt  unter  dem  Text  und 
nicht  in  der  Praefatio,  wie  früher,  finden.  Dass  Nauck  sich  wieder  um 
den  Text  auf  Grund  der  Codices  und  mit  Hülfe  eigener  und  fremder 
Verbesserungen  verdient  gemacht  hat,  bedarf  kaum  der  Erwähnung. 

Ein  anziehendes  Thema  behandelt: 

Die  Schrift  des  alexandrinischen  Bischofs  Dionysius  des  Grossen 
»Ueber  die  Natur«,  eine  altchristliche  Widerlegung  der  Atomistik  De- 
mokrits  und  Epikurs.  Von  Geo.  Roch,  Inaug.-Dissert.,  Leipzig  1872. 
60  S.     8. 

Der  Verfasser  stellt  die  Auffassung  des  Dionysios  von  der  Ato- 
mistik und  dessen  Widerlegung  dieser  Lehre  in  klarer,  verständiger 
Weise  dar,  und  es  ist  ein  Verdienst,  überhaupt  auf  die  uns  leider  nur 
fragmentarisch  erhaltene  Schrift  wieder  hingewiesen  zu  haben.  Zu  weit 
geht  Roch,  wenn  er  meint,  das  Werk  habe  seine  Veranlassung  in  der 
Herrschaft  des  Epikureismus  zu  der  damaligen  Zeit,  wenn  auch  nicht 
anzunehmen  ist,  dass  der  alexandrinische  Bischof  in  seiner  praktischen 
Richtung  ohne  allen  äusseren  Grund,  der  iu  damals  sich  zeigenden  epi- 
kureischen Tendenzen  zu  finden  wäre,  die  Atomistik  so  heftig  bekämpft 
habe.  Dass  seine  gegen  Demokrit  und  Epikur  gerichteten  Argumente 
specifisch  christlich  waren,  wie  die  Ansicht  Rochs  nach  dem  Titel  der 
Dissertation  gedeutet  werden  könnte,  wird  Niemand  behaupten  wollen, 
der  wie  Roch  weiss,  wie  gründlich  gebildet  Dionysios  in  der  griechi- 
schen Philosophie  war.  Zu  bedauern  ist  es,  dass  der  Verfasser  nicht 
untersucht  hat,  wie  weit  Dionysios  in  seiner  Polemik  den  PlaUmikern 
und  Stoikern  gefolgt  ist.  Vergleiche  meine  Anzeige  in  dem  Literari- 
schen Centralblatt,  1883,  B.  395  f. 


Bericht  über  die  Litteratur   zu  Plato  aus  den 
Jahren  1880—1885. 

Erste  Abteilung. 

Von 

Professor  Dr.  G.  Schneider 

in  Gera. 


Die  Staatslehre  Piatos  in  ihrer  geschichtlichen  Entwicklung. 
Ein  Beitrag  zur  Erklärung  des  Idealstaats  der  Politeia  von  Carl 
Nohle,  Dr.  phil.     Jena  1880.     8.    XX  und  169  S. 

In  der  Einleitung  giebt  der  Verfasser  den  Zweck  der  Untersuchung, 
die  philologischen  Voraussetzungen,  den  Gang  der  Untersuchung  und 
ihre  Resultate  in  bestimmter  und  übersichtlicher  Form  an,  so  dafs  wir 
zur  Orientierung  über  die  vorliegende  Schrift  nichts  Besseres  thun  können, 
als  die  wichtigsten  Stellen  einfach  herauszuheben. 

»Die  nachfolgende  Untersuchung  beabsichtigt,  vermittelst  einer  Be- 
trachtung des  Entwicklungsganges  der  Staatslehre  Piatos  von  derjenigen 
des  Sokrates  an  bis  zum  Idealstaate  den  letzteren  aus  seineu  Gründen 
und  Prinzipien  zu  erklären.«     (S.  1.) 

»Die  philologischen  Voraussetzungen,  auf  welche  dieselbe  sich 
stützt,  sind  diese:  In  Beziehung  auf  die  Echtheit  und  Unechtheit  der 
platonischen  Dialoge  ist  die  Ansicht  Zellers  (Ph.  d.  Gr.  II,  413  f.)  zu 
Grunde  gelegt  worden.  Es  sind  danach  aufser  dem  Staat  und  abgesehen 
von  einigen  gelegentlich  erwähnten  Dialogen  als  Material  zur  Verwen- 
dung gekommen :  die  Apologie,  Kriton,  Charmides,  Laches,  Euthydemos, 
Protagoras,  Menon,  Gorgias  und  der  Staatsmann.  Die  Reihenfolge,  welche 
hinsichtlich  ihrer  Abfassungszeit  unter  ihnen  angenommen  wird ,  ist  die 
in  dieser  Aufzählung  befolgte  Ordnung,  nur  dafs  einerseits  Protagoras, 
Menon  und  Gorgias  als  gleichzeitige  Dokumente  derselben  Enwickelungs- 
periode  betrachtet  werden  und  andererseits  es  unbenommen  bleibt,  den 
Euthydem  einer  beliebigen  Stelle  zwischen  Laches  und  dem  Staatsmann 
zuzuweisen.  Es  wird  daraus  ersichtlich,  dafs  auch  diese  Anordnung  von 
derjenigen  Zellers  (a.  a.  0.  S.  447  f.)  im  wesentlichen  nicht  abweicht. 
Als  Material  für  die  Darstellung  der  sokratischen  Politik  haben  wir  nur 
Xenophons  Denkwürdigkeiten  gelten  lassen,  indem  wir  uns  der  Meinung 


C.  Nohle,  Die  Staatslehre  Piatos.  135 

anschliessen,  dafs  die  platonische  Apologie  keine  Wiedergabe  der  histo- 
rischen Verteidigungsrede  des  Sokrates  ist.«  —  —  —  »Den  Memora- 
bilien  dagegen  haben  wir  durchweg  Glauben  geschenkt  und  sie  in  ihrem 
vollen  überlieferten  Umfange  für  echt  gehalten.  Endlich  ist  der  Staat 
als  ein  einheitliches  Werk  und  als  nach  den  genannten  Dialogen  ver- 
fafst  angesehen  worden.«     (S.  1  f.) 

Der  Gang  der  Untersuchung  ist  folgender:  »1.  In  der  Politik  ist  wie 
in  den  übrigen  Teilen  seiner  Philosophie  der  Ausgangspunkt  Piatos  das 
sokratische  Denken,  und  zwar  giebt  ihm  dasselbe  auf  diesem  speziellen 
Gebiete  sowohl  die  allgemeinen  ethischen  Voraussetzungen  als  auch  im 
besonderen  eine  Reihe  von  politischen  Überzeugungen.  2.  Schon  die 
Hinrichtung  des  Sokrates  veranlafst  eine  teilweise  Fortbildung  derselben 
im  Geiste  des  Schülers;  die  Zeugnisse  dafür  sind  die  Apologie  und  der 
Kriton.  3.  Sodann  rindet  in  den  kleineren  Dialogen  Charmides,  Laches 
und  Euthydemos  die  erste  Grundlegung  eines  neuen  Staates  nach  den 
neuen  Ideen  statt,  wohingegen  4.  letztere  in  den  folgenden  Dialogen 
Protagoras,  Menon  und  Gorgias  nicht  selbst  weiter  entwickelt  werden, 
sondern  sich  mit  den  entgegenstehenden  Prinzipien  der  politischen  Praxis 
jener  Zeit  auseinandersetzen.  5.  Einen  zweiten  ausführlicheren  Entwurf 
bietet  der  Staatsmann,  auf  welchen  schiiefslich,  nachdem  6.  die  im 
»Staate«  niedergelegte  Kritik  der  historischen  Politik  eine  weitere  Aus- 
bildung der  Grundsätze  veranlafst  hat,  7.  der  endgültige  Ausbau  des 
Ideals  noch  in  dem  genannten  Dialoge  selbst  folgt.«     (S.  3.) 

Die  Auffassung,  die  sich  auf  Grund  dieser  Betrachtung  ergiebt, 
ist  folgende:  »Der  platonische  Staat  hat  zum  Zweck  das  Glück  aller  In- 
dividuen, welche  er  in  sich  vereinigt,  und  demgemäfs  jedes  einzelnen 
derselben  bis  zu  dem  Grade,  welcher  bei  dem  Bestände  des  Ganzen  und 
bei  einer  gleichen  Befriedigung  der  Ansprüche  aller  anderen  auf  Eudä- 
monie  möglich  ist.  Die  Glückseligkeit  eines  Menschen  ist  nach  Piatos 
Anschauung  nur  möglich,  wenn  alle  seine  Handlungen  durch  die  Ver- 
nunft bestimmt  werden.  Am  vollkommensten  geschieht  dies,  wenn  er 
selbst  die  Gebote  der  Vernunft  findet;  doch  sind  nur  wenige  hierzu  im 
Stande.  Andere  können  sich  dieselben  nur  so  zu  eigen  machen,  dafs 
sie  ihnen  von  andern  als  fertige  Normen  zugebracht  werden.  Ein  dritter 
Teil  der  Menschen  endlich  kann  die  Erkenntnis  des  Guten  weder  aus 
sich  selbst  hervorbringen  noch  von  aufsen  her  in  sich  aufnehmen;  diese 
müssen  durch  Zwang  geleitet  werden,  wenn  sie  vernunftgemäfs  leben 
sollen.  Der  Staat  verschafft  in  Erfüllung  seines  Zwecks  den  ersten  die 
Mittel  zur  Ausbildung  ihres  Denkens,  d.  h.  die  Philosophie,  den  andern 
die  Ethik,  welche  das  Resultat  der  Philosophie  ist,  d.  h.  die  Religion, 
den  dritten  die  Regierung  mit  Hülfe  von  Gesetzen  und  obrigkeitlichen 
Anordnungen.!     (S.  3  f.) 

»Der  platonische  Staat  giebt  demnach  seinen  Bürgern  eine  Philo- 
sophie,   eine  Religion    und    ein  Begieiung:>.systein    and   zwar,    da   er  der 


136  C.  Noble,  Die  Staatslehre  Piatos. 

bestmögliche  zu  sein  beansprucht,  dieselben  in  ihrer  Vollkommenheit  ge- 
dacht. Von  diesen  drei  Stücken  gehören  die  beiden  ersten  einem  an- 
dern Gebiete  der  Betrachtung  und  Beurteilung  an;  wir  haben  es  im 
einzelnen  nur  mit  dem  dritten  zu  thun.  Was  Plato  in  dieser  Richtung 
geben  will,  ist  eine  Antwort  auf  die  Frage:  welche  Regierung  ist  die 
beste?«     (S.  4.) 

1.  »Der  Zweck  der  Regierung  ist,  wie  aus  dem  Gesagten  unmittel- 
bar folgt,  das  Wohl  der  Regierten.  2.  Dies  zu  erreichen  ist  unmög- 
lich ,  wenn  nicht  die  Regierenden  das  Wissen  sowohl  von  der  Bestim- 
mung des  Ganzen  wie  von  der  Natur  der  staatlichen  Dinge,  welche 
dieser  Bestimmung  gemäfs  geordnet  werden  sollen,  besitzen.  Sie  sind 
daher  Männer  der  Wissenschaft.  3.  Das  bezeichnete  Wissen  kann  nur 
von  wenigen  erworben  werden.  Es  ist  also  die  Anzahl  derselben  eine 
beschränkte.  4.  Das  Wissen  dieser  Wenigen  hat  nur  dann  vollkomme- 
nen Einflufs  auf  die  Regierung,  wenn  sie  unbeschränkte  Macht  haben, 
ihre  Beschlüsse  zur  Ausführung  zu  bringen;  sie  müssen  im  alleinigen 
Besitz  aller  Gewalt  im  Staate  sein.  Dies  ist  der  Fall,  indem  die  Füh- 
rung der  Waffen  der  Masse  der  Regierten  entzogen  und  einem  beson- 
deren Teile  der  Staatsangehörigen  gegeben  ist,  welcher  unter  dem  un- 
bedingten Gebote  der  Regierenden  steht.  Der  platonische  Staat  ist 
demnach  eine  absolutistisch  herrschende  Aristokratie  von 
Wissenschaftlichen.  5.  Da  die  eigentlichen  Regenten  und  das  ihnen 
ergebene  Heer,  welche  beide  als  Regierende  im  weiteren  Sinne  bezeichnet 
werden  können,  alle  Macht  in  Händen  haben,  so  mufs  verhindert  wer- 
den, dafs  sie  dieselbe  zur  Befriedigung  solcher  persönlichen  Interessen 
mifsbrauchen ,  welche  der  Sorge  um  das  Wohl  der  Beherrschten  wider- 
streiten; sie  müssen  incorruptibel  sein.  Dies  wird  erreicht  einmal 
durch  ihre  Erziehung  vermittelst  Wissenschaft  und  Religion  und  sodann 
durch  die  Aufhebung  des  Eigentums  und  der  Familie.  6.  Da  aber  andrer- 
seits die  Regierenden  menschliche  Wesen  sind,  welche  nur  ihre  eigene 
Glückseligkeit  wollen,  so  mufs  der  Vorteil  der  Regierten  mittelbar  auch 
den  ihrigen  zur  Folge  haben,  sie  müssen  für  eine  gute  Regierung  inter- 
essiert sein.  Dies  ist  der  Fall,  da  ihre  Wissenschaft  und  Religion  nur 
bei  einer  vernunftgemäfsen  Beherrschung  der  Regierten  möglich  sind. 
7.  Endlich  kann  nur  diejenige  Regierung  eine  gute  genannt  werden,  in 
welcher  das  Vorhandensein  befähigter  Regenten  nicht  vom  Zufall  ab- 
hängt, sondern  ein  notwendiges  Resultat  der  bleibenden  Institutionen 
des  Staates  ist.  Dies  wird  hier  durch  die  gesicherte  Fortpflanzung  der 
Wissenschaft  und  der  Religion  bewirkt.«     (S.  4  f.) 

Was  nun  die  Verschiedenheit  der  in  der  vorliegenden  Untersuchung 
gewonnenen  Auffassung  von  den  bisherigen  Anschauungen  anlangt,  so 
wollen  wir  hier  hervorheben,  was  der  Verfasser  auf  Seite  X  des  Vor- 
wortes sagt:  »Hier  nun  ist  einer  der  Punkte,  auf  welchen  eine  durch- 
greifende Verschiedenheit  zwischen  den  bisherigen  Auffassungen  und  der- 


Ch.  Waddington,  Criton.  137 

jenigen  eintritt,  welche  die  nachfolgende  Untersuchung  begründen  will. 
Wir  sind  der  Meinung,  dafs  im  platonischen  Staate  der  Egoismus  der 
Individuen  in  keiner  Weise  eine  Schädigung  erleidet,  dafs  jeder  Teil 
des  Ganzen  allein  durch  das  Motiv  der  Selbstsucht  dazu  getrieben  wird, 
diejenige  Funktion  möglichst  vortrefflich  und  mit  Erfüllung  aller  dabei 
notwendigen  Bedingungen  auszuüben,  welche  ihm  in  dem  Mechanismus 
des  Ganzen  zufällt.  Nicht  das  Allgemeine  ist  im  letzten  Grunde  gesetz- 
gebend, sondern  der  Wille  des  Einzelnen.  Wenigstens  für  Plato  existiert 
jener  Unterschied  zwischen  Altertum  und  Neuzeit  nicht.  Seine  Menschen 
werden  so  ausschliefslich  von  ihrem  persönlichen  Interesse  bewegt  wie 
nur  irgend  ein  Bürger  eines  modernen  Staates  der  Theorie  oder  der 
Wirklichkeit.«  Wir  sind  überzeugt,  dafs  dem  ein  richtiger  Gedanke  zu 
gründe  liegt;  wir  halten  Plato  für  einen  viel  zu  guten  Menschenkenner 
als  dafs  wir  annehmen  sollten,  er  habe  nicht  eingesehen,  dafs  ein  Staat 
nur  dann  Bestand  und  zwar  einen  guten  Bestand  haben  kann,  wenn  den 
berechtigten  Interessen  der  einzelnen  Teile  oder  Stände  Genüge  ge- 
schieht. Andererseits  scheint  uns  doch  hier  eine  Übertreibung  vorzu- 
liegen; Plato  wird  doch  wohl  zu  seiner  Erziehung  des  bevorzugten  Stan- 
des das  Vertrauen  gehabt  haben,  dafs  sie  im  stände  ist  eine  Gesinnung 
zu  erwecken,  bei  der  das  Motiv  der  Selbstsucht  nicht  das  alleinige  ist. 
Im  folgenden  (Seite  11  des  Vorwortes)  sagt  der  Verfasser:  »Man  kann 
noch  weiter  gehen  und  fragen,  ob  es  denn  eine  solche  Staatsidee,  wie 
sie  die  antike  angeblich  sein  soll,  überhaupt  gegeben  habe.«  Wir  halten 
diese  Frage  für  sehr  berechtigt  und  stimmen  auch  der  folgenden  Aus- 
führung im  wesentlichen  zu:  »Soviel  kann  behauptet  werden,  dafs  der 
platonische  Staat,  welcher  häufig  als  Beispiel  für  das  sogenannte  antike 
Staatsprinzip  angeführt  wird  und  vielleicht  am  meisten  Veranlassung  zur 
Annahme  eines  solchen  gegeben  hat,  in  Wirklichkeit  nichts  euthält,  was 
die  Existenz  desselben  beweisen  könnte.« 

Die  ganze  Untersuchung  ist  mit  Gründlichkeit  und  Besonnenheit 
geführt,  und  ich  glaube  trotz  mancher  Abweichungen  von  einzelneu  Aus- 
führungen des  Verfassers,  dafs  man  den  gewonnenen  Resultaten  im  we- 
sentlichen zustimmen  mufs. 

Criton  ou  le  devoir  du  citoyen.  Text  grec  accompagn^  d'une 
introduction  d'un  argument  analytique  et  de  notes  en  francais  par 
Ch.  Waddington.     Paris  1880.     8.     56  S. 

Die  ansprechend  geschriebene  Einleitung  giebt  namentlich  eine 
Darstellung  von  dem  Wesen  des  Sokrates,  soweit  eine  solche  durch  das 
Wesen  der  vorliegenden  Ausgabe  gefordert  wird.  Bei  der  Anlage  des 
Ganzen  konnte  es  allerdings  eicht  die  Aufgabe  der  Einleitung  sein,  dieses 
Wesen  seiner  eigentlichen  Tiefe  nach  in  innerem  Zusammenhange  dar- 
zustellen. Der  Zweck  des  Dialogs  wird  auf  Seite  16  folgeudermafsen 
angegeben:  »U  ine  semble  qu'on  entre  mieux  dans  l'intention  de  I'auteor 


138  G.  d'Eichthal,  Socrate  et  notre  temps. 

en  disant  que  ce  dialogue  a  6te  ecrit  en  l'honneur  de  Socrate  lui-möme 
et  pour  completer  son  apologie:  car  plus  Socrate  se  moutre  bon  citoyen, 
plus  la  condamnation  portee  contre  lui  doit  paraltre  injuste.«  Die  Haupt- 
punkte des  Dialogs  werden  geschickt  herausgehoben.  Der  Kommentar 
bat  wesentlich  den  Zweck,  das  Verständnis  des  Textes  zu  erleichtern 
und  will  offenbar  auch  dem  wenig  Geübten  zu  Hülfe  kommen.  Auch 
hier  zeigt  der  Herausgeber  Geschick,  doch  wird  man  nicht  überall  bei- 
stimmen, namentlich  wird  nicht  selten  ein  sous-entendu  gesetzt,  wo  nichts 
zu  supplieren  ist,  und  ein  equivaut  ä,  wo  die  Begriffe  genau  genommen 
doch  verschieden  sind.  Jedoch  ist  es  möglich,  dafs  dies  nicht  durch 
eine  Ungenauigkeit  in  der  Erfassung  des  griechischen  Sprachgebrauchs 
herbeigeführt  ist,  sondern  durch  das  Streben,  dem  Leser  das  Verständnis 
möglichst  zu  erleichtern.  Der  Text  ruht  auf  der  Stallbaum -Wohlrab- 
schen  Ausgabe  Piatonis  Apologia  et  Crito,  Lipsiae  1877. 

Socrate  et  notre  temps.  Theologie  de  Socrate-Dogme  de  la 
providence  par  Gustave  d'Eichthal.  (Extract  de  l'Annuaire  de 
l'Association  pour  l'encouragement  des  Etudes  grecques  en  Frauce.  — 
Annee  1880.)     Paris  1881.     8.     VIII  und  96  S. 

Die  interessante  und  lehrreiche  Schrift  hat  nach  den  Angaben  der 
Vorrede  den  Zweck,  die  tiefgehende  Analogie  zwischen  der  religiösen 
Krisis  zur  Zeit  des  Sokrates  und  der  unserer  Zeit  nachzuweisen  und 
sodann  das  schliefsliche  Vorherrschen  des  Dogmas  von  der  Vorsehung 
in  das  rechte  Licht  zu  setzen,  welches  Sokrates  zugleich  dem  wissen- 
schaftlichen Skepticismus  und  dem  Aberglauben  des  Volkes  entgegen- 
stellte. Ausgebreitet  durch  den  Stoicismus,  angenommen  von  dem  Christen- 
tum auf  grund  der  griechischen  Philosophie  ebensowohl  als  auf  grund 
der  hebräischen  Prophetie,  ist  das  Dogma  von  der  Vorsehung,  nachdem 
es  im  Mittelalter  einigermafsen  zurückgetreten,  im  Laufe  des  17.  Jahr- 
hunderts plötzlich  wieder  hervorgetreten  und  ist  von  da  an  mehr  und 
mehr  das  besondere  Kennzeichen  des  modernen  religiösen  Gefühls  ge- 
worden. 

Wenn  ich  nunmehr  die  Hauptgedanken  der  vorliegenden  Schrift 
hervorhebe  und  kurz  bespreche,  so  mufs  ich  mich  dem  Zwecke  der 
Jahresberichte  entsprechend  im  wesentlichen  auf  das  beschränken,  was 
der  Verfasser  über  Sokrates  und  seine  Lehre  sagt. 

Gegenüber  dem  sittlichen  Verfalle  seiner  Zeit  war  Sokrates  be- 
müht, seinen  Landsleuten  den  Grund  jeglicher  Tugend  zurückzugeben: 
den  religiösen  Glauben.  »Socrate,  a  dit  excellement  M.  Grote,  a  ete  un 
missionnaire  religieux  faisant  ceuvre  de  philosophe«  (Seite  3).  Das  ist 
dem  Verfasser  das  wahrste  Urteil,  welches  über  Sokrates  gefällt  worden 
ist,  und  welches  nicht  nur  seine  Lehre  charakterisiert,  sondern  zugleich 
die  Heiligkeit  seines  Lebens  und  den  Heroismus  seines  Sterbens  erklärt. 
Dieser  Gedanke  ist  nach  der  Ansicht  des  Verfassers  bisher  längst  nicht 


G.  d'Eichthal,  Socrate  et  notre  temps.  139 

hinreichend  zur  Geltung  gebracht,  auch  von  Grote  nicht,  und  so  will  er 
dieses  Moment  zum  Gegenstande  einer  besonderen  Untersuchung  machen. 

Die  religiöse  Reform  des  Sokrates  stand  in  engem  Zusammen- 
hange mit  dem  wissenschaftlichen  Fortschritte  seiner  Zeit.  Das  war  aber 
seine  erhabene  Auffassung  von  der  Wissenschaft,  dafs  er  in  ihr  nicht 
nur  die  Quelle  unserer  physikalischen  und  mathematischen  Kenntnisse 
sah,  sondern  selbst  den  Grund  aller  moralischen  und  politischen  Tugenden. 

Der  Verfasser  stützt  sich  bei  seinen  Untersuchungen  vorzugsweise 
auf  Xenophon.  Plato  kann  nach  seiner  Überzeugung  nur  ausnahmsweise 
herangezogen  werden,  und  zwar  nur  so  weit,  als  seine  Angaben  sich  mit 
denen  Xenophons  nicht  im  Widerspruche  befinden. 

In  dem  zweiten,   die  Theologie  des  Sokrates  überschriebenen  Ab- 
schnitte prüft  der  Verfasser  die  verschiedenen  Beweise,  welche  Sokrates 
für  das  Dasein  der  Gottheit  in   den  Gesprächen  mit  Aristodemus   und 
Euthydemus   in   den  Memorabilien  vorbringt.     Von  diesen  allen  erkennt 
der  Verfasser  nur   ein  Argument  als  stichhaltig  an,   dieses  ist  ihm  das 
unumstöfsliche  Fundament   der  rationellen  Theologie.     Er  nennt  es  »le 
principe   de   l'analogie   anthropomorphique« ,   d.  h.  den  Schlufs  von  dem 
Organismus  des  Menschen,    des  Mikrokosmos,   auf  den  Organismus  des 
Alls,  des  Makrokosmos,    von  der  menschlichen  Vernunft   auf  die   gött- 
liche.   Die  Gottheit  ist  Sokrates  nicht  allein  Geist,  sie  ist  Weisheit,  die 
die  Welt  regiert,   sie  ist  Vorsehung.     Sie  ist  der  Welt  immanent,    und 
so  läfst  sich  die  Thätigkeit,  die  sie  auf  die  Welt  ausübt,  nur  begreifen 
als    analog    der   Thätigkeit,    welche  die  menschliche    Vernunft  auf  den 
menschlichen   Körper  ausübt,  als  eine  fortgesetzte  und  schützende  Ver- 
mittelung,  als  ein  umsichtiger  Einflufs  zu  dem  Zwecke,  die  Ordnung  und 
das  Leben   in  jedem  Teile   und   in   dem  All  zugleich  zu  erhalten.     Das 
rechte    Wort    für    diese   Thätigkeit  der  Sokratischen   Gottheit  ist   Vor- 
sehung,   providence.     Zu  dieser  ihrer  Thätigkeit  gehört  nun  auch,  dafs 
sie  den  Menschen  über  das  Zukünftige  Zeichen  sendet,  und  zwar  geben 
die   Götter  den   Menschen  ihre  Benachrichtigungen   durch   den  Anblick 
ihrer  Werke.    (Seite  34:  c'est  par  le  spectacle  de  leurs  ceuvres  que  les 
dieux  donnent  leurs   avertissements   aux   hommes.)     Er  beruft   sich   für 
diese  Annahme   auf  Memor.  IV,  3.  13:  "Ott   dt   ys  dkqBy   Xiyio  xa\  a:> 
yvwar],  av  jirj  dvafiivrjQ,  icog  av  rag  /io^yr«;-  tüjv  ftsivv  i'Srjg,  dW  i£apxfl 
aoi  rä  epya  auzwv  öptuvrt  aeßecrHat  xa\  rt/iriv  :««;  Beous,  Worte, 
die  auf  Seite  33  folgendermafsen  übersetzt  werden:  Tu  reconnaitras  que 
je  dis  vrais,  lui  r£pond  Socrate,  si  tu  n'attends  pas  de  voir  apparaltre 
les  formes  des   dieux;  mais  qu'il   te  suffise  de  voir  leura  oeuvres.     I1 
sind    die   gesperrt   gedruckten  Worte   nicht   mit   übersetz!   und  nicht  mit 
berücksichtigt.     Aber  mit  diesen  hat   die  Stelle   einen  Andern  Sinn  als 
den  vom  Verfasser  gewollten.    Der  Sinn  kann  doch  nur  sein:  Der  Mensch 
soll   nicht   warten,   bis   die  Götter   in   leiblicher  Gestalt  ihm  gegonüber- 
treten,    um   |au   sie   zu  glauben]  und  sie  zu  verehren,   sondern  die  Be- 


140  G.  d'Eichtha),  Socrate  et  notre  temps. 

trachtung  ihrer  Werke  mufs  ihn  zu  ihrer  Verehrung  hinführen  ,  wie  es 
auch  im  folgenden  Paragraphen  wiederum  heifst:  "A  %p%  xaravooüvra ;j.rt 
xarappoveTv  tujv  dopartuv,  dXX'  ix  rwi/  ytfyopdvtov  rtjv  Suvatuv  abruft 
xaTa/iavBdvovra  vifiav  tö  Sai/ioveov.  Diese  fromme  Gesinnung  aber  ist 
die  Bedingung  dafür,  dafs  die  Gottheit  sich  dem  Menschen  mitteilt  und 
ihm  Zeichen  gieht,  was  er  thun  soll  und  was  nicht.  Es  kann  also  aus 
dieser  Stelle  nicht  gefolgert  werden,  dafs  nach  sokratischer  Auffassung 
die  Götter  den  Menschen  Zeichen  über  das  Zukünftige  durch  den  An- 
blick ihrer  Werke  geben.  Doch  fahren  wir  nunmehr  in  der  Darlegung 
des  Gedankenganges  der  Schrift  fort. 

Die  Mantik  hat  zu  ihrem  Gebiete  die  zukünftigen  Dinge,  die  der 
Mensch  aus  eigener  Kraft  nicht  vorhersehen  oder  berechnen  kann.  Über 
diese  lassen  die  Götter  denen  ihre  Benachrichtigungen  zukommen,  denen 
sie  günstig  sind.  Diese  Regel  bleibt  richtig  gefafst  für  den  religiösen 
Menschen  ewig  wahr.  Die  Mantik  des  Sokrates  hat  nichts  Abergläu- 
bisches, nichts  Mystisches;  sie  ist  ein  vernünftiges  Verfahren  geeint  mit 
einem  Gefühle  des  Glaubens  an  die  Gerechtigkeit  und  das  Wohlwollen 
der  Gottheit,  ein  Vorhersehen  der  Zukunft  und  eine  Bestimmung  der 
Handlungen,   gegründet   auf  eine  religiöse  Betrachtung  der  Thatsachen. 

Es  folgt  ein  Überblick  über  die  Lehre  von  der  Providenz  von  der 
Zeit  des  Sokrates  bis  auf  unsere  Tage.  Der  Abschnitt  dient  dem  Nach- 
weise des  Satzes:  »Le  vrai  dogme  du  mönde  moderne  est  en  effet  celui 
qui,  inaugure  par  Socrate  comme  le  complement  nßcessaire  du  mono- 
theisme,  consacre  par  le  christianisme,  a  ete  repris,  revivifie,  compl^te 
par  la  philosophie  moderne;  c'est  le  dogme  de  la  Providence.«    (S.  57  f.) 

In  dem  siebenten,  »Vraie  piete,  vertu  civile«  überschriebenen  Ab- 
schnitte sucht  der  Verfasser  nachzuweisen,  dafs  dem  Sokrates  die  Fröm- 
migkeit mit  der  Bürgertugend  zusammenfiel.  (Seite  62:  pratiquer  la 
loi  de  la  cite  c'est  pratiquer  la  piete.)  Trotz  der  eingehenden  Dar- 
legung des  Verfassers  und  trotz  der  Vermittelung,  die  in  der  »Sancti- 
fication  de  l'Etat«  gegeben  ist,  wird  man  es  ihm  schwerlich  zugeben, 
dafs  dem  Sokrates  die  Frömmigkeit  in  der  bürgerlichen  Tugend  ganz 
aufging. 

In  dem  achten  von  dem  Daimonion  handelnden  Abschnitte  weist 
der  Verfasser  nach,  dafs  für  Sokrates  und  für  Xeuophon  das  Wort  rb 
öui/xovcov  dieselbe  Bedeutung  hat  wie  Beög,  6  Seog,  ol  &eoe,  ru  &e7ov. 
Das  Wort  bezeichnet  also  die  Gottheit  im  Sinne  des  Sokrates:  »la  Divi- 
nite  providente,  omnisciente,  omnipresente.«  Die  Beziehungen,  welche 
Sokrates  zu  dem  oatp.6vtov  unterhält,  sind  keine  andern  als  die,  welche 
jeder  vernünftig  religiöse  Mensch  zu  der  Vorsehung  unterhält.  Aufser 
Xenophon  haben  die  eigenen  Schüler  des  Sokrates  ihren  Meister  in 
dieser  Beziehung  mifsverstanden,  in  erster  Linie  Piaton.  —  Ich  kann  einen 
so  tiefgehenden  Unterschied  zwischen  den  xenophontischen  und  plato- 
nischen Angaben  über  das  Daimonion  keineswegs  finden  und  kann  auch 


H.Jackson,  Plato's  Republic  VI.  141 

das  ungünstige  Urteil  des  Verfassers  über  Plat.  Apolog.  Cap.  15  nicht 
teilen.  Aber  trotz  dieser  und  der  oben  angegebenen  Abweichungen  in 
der  Auffassung  geht  mein  Urteil  dahin,  daTs  der  Verfasser  das  religiöse 
Moment  in  Sokrates  in  verdienstlicher  Weise  zur  Darstellung  gebracht 
und  als  das  ihn  beherrschende  überzeugend  nachgewiesen  hat. 

Henry  Jackson,   On  Plato's  Republic  VI  509  D  sqq.     From  the 
Journal  of  Philology,  Vol.  X  S.  132—150. 

In  scharfsinniger  und  umsichtiger  Erörterung  gewinnt  der  Ver- 
fasser in  §  1  der  Abhandlung  (The  Line)  zunächst  das  Resultat,  dafs 
die  durch  die  viergeteilte  Linie  bezeichnete  Proportion  folgende  Bedeu- 
tung hat:  Wie  sich  die  Abbilder  (die  Schattenbilder,  Spiegelbilder  im 
Wasser  etc.)  der  Sinnendinge  zu  den  Sinnendingen  verhalten,  so  ver- 
halten sich  die  Abbilder  der  Ideen  zu  den  Ideen.  Unter  den  Abbildern 
der  Ideen  aber  versteht  Jackson  die  allgemeinen  Begriffe.  Den  Unter- 
schied zwischen  beiden  stellt  er  folgendermafsen  fest:  die  Idee  ist  »the 
whole  completed  connotation  of  the  name,  as  it  would  be  understood  by 
omniscience,  hypostasized«,  während  der  allgemeine  Begriff  (the  general 
notion)  »is  the  connotation  of  the  name,  as  we  imperfectly  understand  it, 
not  hypostasized«.     (S.  136-) 

In  dem  zweiten,  »The  Cave«  überschriebenen  Paragraphen  deutet 
Jackson  die  Schatten  der  Statuen,  welche  die  Gefangenen  in  der  Höhle 
erblicken,  als  die  Einzeldinge,  wie  sie  von  den  Sinnen  wahrgenommen 
werden,  die  Statuen  der  Dinge  als  die  Einzeldinge,  wie  sie  an  sich  sind 
oder  werden.  Beide  Arten  zusammen  machen  das  Gebiet  des  do^aaröv 
aus.  Die  Spiegelbilder  der  Dinge  aufserhalb  der  Höhle  sind  ihm  die 
Objekte  der  niederen  intellektuellen  Methode,  d.  h.  die  Xuyoi,  und  die 
Dinge  selbst,  die  Objekte  der  höheren  intellektuellen  Methode,  d.  h.  die 
Ideen.  Auf  grund  dieser  Deutung  wird  dann  folgende  Proportion  ge- 
wonnen: »Einzeldinge,  wie  sie  von  den  Sinnen  aufgefafst  werden,  ver- 
halten sich  zu  Einzeldingen,  wie  sie  an  sich  sind  (oder  vielmehr  wer- 
den), wie  die  Objekte  der  niederen  intellektuellen  Methode,  d.h.  die 
lüyoi,  die  allgemeinen  Begriffe,  zu  den  Objekten  der  höheren  intellek- 
tuellen Methode,  d.  h.  den  Ideen  «  So  ist  die  ursprüngliche  Proportion, 
wie  sie  der  Schlufs  des  sechsten  Buches  der  Republik  enthält,  in  voll- 
kommenem Einklänge  mit  der  Allegorie  im  Anfange  des  siebenten  Buches. 

Aus  dem  Gesagten  erhellt,  dafs  es  nach  platonischer  Anschauung 
zwei  Methoden  der  wissenschaftlichen  Forschung  giebt.  Diese  legt  der 
Verfasser  in  §  3   »The  Two  Methodse  in  folgender  Weise  dar: 

Der  Arithmetiker  und  der  Geometer  gehen  von  Hypothesen  ans. 
welche,  da  ihre  Berechtigung  nicht  durch  Aufsteigen  zu  einem  Prinzipe 
nachgewiesen  wird,  ihren  hypothetischen  Charakter  bis  zuletzt  behalten. 
und  von  diesen  Hypothesen  aus  steigen  sie  zu  den  verlangten  Schlafe- 
folgerungen    herab,    und    zwar   bedienen   sie   sich   dabei   der   Hülfe   von 


142  H   Bertram,  Piatons  Verteidigungsrede. 

sichtbaren  Dingen  (der  Modelle  und  Zeichnungen).  Der  Dialektiker  geht 
wie  die  Mathematiker  von  Hypothesen  aus,  begnügt  sich  aber  nicht  mit 
ihnen,  sondern  benutzt  sie  nur  als  Stufen,  um  zu  dem  Prinzip  aller 
Dinge,  der  dp^  toü  navrog,  aufzusteigen;  von  hier  aus  steigt  er,  ohne 
auf  die  Sinnendiuge  zurückzukommen,  von  Idee  zu  Idee  und  so  zu  der 
gesuchten  Schlufsfolgerung. 

Das  wesentlich  Neue  an  diesen  feinsinnigen  Erörterungen  ist,  dafs 
Jackson  als  das  dritte  Glied  jener  durch  die  viergeteilte  Linie  bezeich- 
neten Proportion  die  Aoyoi,  d.  h.  allgemeinen  Begriffe  annimmt.  Wir  er- 
kennen gern  an,  dafs  Jackson  hierfür  sehr  beachtenswerte  Gründe  vor- 
bringt. Anderseits  ist  nicht  zu  verkennen,  dafs  bei  der  so  gewonnenen 
Proportion  das  Verhältnis  zwischen  den  zwei  ersten  Gliedern  und  das 
zwischen  dem  dritten  und  vierten  an  einer  wesentlichen  Ungleichheit 
leidet,  insofern  als  die  Schatten-  und  Spiegelbilder  der  Sinnendinge 
diesen  niemals  adäquat  werden,  während  die  Xuyot.  den  Ideen  entsprechen 
können.  Vergleiche  S.  144:  »Whenever  a  Xoyog  can  be  shown  to  be  a 
correct  and  complete  account  of  the  appropriate  idea,  it  will  be  no 
longer  an  bno&eaig,  it  will  become  an  äpyjj-«  Für  die  herrschende  Auf- 
fassung, die  in  dem  dritten  Gliede  jener  Proportion  bekanntlich  das 
Mathematische  sieht,  spricht,  abgesehen  von  der  aristotelischen  Angabe 
in  Metaph.  I  6,  987  b  14,  die  auf  Seite  134  erwähnt  wird,  einmal,  dafs 
Plato  in  dem  folgenden  den  Unterricht  in  der  Mathematik  als  propä- 
deutisch für  den  Unterricht  in  der  Dialektik  hinstellt,  und  zweitens  die 
Stelle,  die  Plato  dem  nipag  den  Ideen  gegenüber  anweist. 

Piatons  Verteidigungsrede  des  Sokrates  und  Kriton.  Für  den 
Schulgebrauch  erklärt  von  Dr.  H.  Bertram,  Professor  an  der  Landes- 
schule Pforta.     Gotha  (Perthes)  1882.     8.     IV  und  90  S. 

Der  Verfasser  erklärt  in  dem  Vorworte:  »Das  Gegebene  beruht 
auf  den  Arbeiten  der  Vorgänger.«  Die  Einleitung  umfafst  acht  Seiten. 
Dieselbe  »soll  dem  jugendlichen  Leser  Ziel  und  Ergebnis  der  alten  Phi- 
losophie vorführen«.  Meines  Erachtens  kann  das  nicht  die  Aufgabe 
einer  Einleitung  zu  der  Apologie  und  dem  Kriton  sein.  Eine  solche 
hat  vielmehr  lediglich  den  Charakter  des  Sokrates  und  das  Wesen  seiner 
philosophischen  Thätigkeit  in  möglichst  einfacher  Weise  zu  klarer  Dar- 
stellung zu  bringen.  Die  Einleitung  müfste  ganz  anders  angelegt  sein, 
wenn  der  Schüler  davon  für  das  Verständnis  der  beiden  platonischen 
Schriften  etwas  Ordentliches  haben  soll.  —  Zugrunde  gelegt  ist  die 
Textrezension  von  M.  Schanz,  nur  sind  die  von  diesem  Gelehrten  durch 
Klammern  als  kritisch  verdächtig  bezeichneten  Stellen  entweder  ausge- 
schieden, oder,  in  wenigen  Fällen,  ohne  das  Zeichen  der  Athetese  auf- 
genommen worden.  Andere  Abweichungen  sind  ganz  vereinzelt.  Frei- 
lich sind  der  Ausscheidungen  auf  diese  Weise  ziemlich  viele  geworden, 
aber  dem  Sinne  ist  nicht  leicht  irgendwo  geschadet.    Bedenken  habe 


H.  Bertram,  Piatons  Verteidigungsrede.  143 

ich  in  dieser  Beziehung  nur  rücksichtlich  der  Ausscheidung  des  'Ava£a- 
yöpou  in  26  D.  Von  den  Stellen,  wo  Bertram  die  von  MS.  gewollte 
Lesart  nicht  aufgenommen  hat,  hebe  ich  22  A  hervor,  wo  die  Lesart 
ha  fxoc  xal  dveXeyxrog  rt  fiavv.  yev.  beibehalten  ist  mit  der  richtigen 
Erklärung:  »Der  nicht  gewollte  Nachweis  der  Unwiderleglichkeit  des 
Orakelspruchs  wird  ironisch  als  beabsichtigtes  Resultat  hingestellt.«  Die- 
selbe Auffassung  der  Stelle  findet  sich  übrigens  schon  bei  Stallbaum. 

Der  Kommentar  ist  wohl  im  ganzen  zweckentsprechend  gearbeitet, 
aber  an  gar  nicht  wenigen  Stellen  wird  man  von  der  Auffassung  des 
Verfassers  abweichen  müssen.  Ich  will  eine  Anzahl  solcher  Punkte  an- 
führen. Einen  Druckfehler  übergehe  ich  hierbei.  Auf  der  ersten  Seite 
des  Kommentars  steht  »schön  mit  Tendenzen  und  Redensarten  aus- 
staffierte Rede«,  während  es  offenbar  heifsen  soll:  »schön  mit  Sen- 
tenzen« etc. 

19  A  ergänzt  Bertram  zu  et  n  äfizivov  xal  rj/xTv  xal  ifio:  das  Ver- 
bum  ßeßoöhjjuu.  »Wenn  ich  euch  und  mir  je  etwas  Gutes  gewünscht 
habe,  so  möchte  ich  wohl.«  Gewifs  ist  einfach  kaxiv  zu  ergänzen.  So- 
krates  wünscht  nur  in  dem  Falle  die  Athener  von  seiner  Unschuld  zu 
überzeugen  und  damit  seine  Freisprechung  zu  bewirken,  wenn  es  so  für 
jene  und  für  ihn  besser  ist.  Die  Ergänzung  ist  so  einfacher,  und  der 
Sinn  entspricht  vollkommen  dem  Standpunkte,  den  Sokrates  bei  seiner 
ganzen  Verteidigung  einnimmt. 

20  E  rt  oux  i%to  vi  Uya>  »oder  ich  weifs  nicht,  wie  ich  das  Ding 
(was  sie  besitzen)  nennen  soll«.  Warum  nicht  ganz  einfach:  »oder  ich 
weifs  nicht,  was  ich  sagen  soll«?  —  21  C  wird  zu  dvo/ian  yäp  ouSkv 
dio/iat  Xeysiv  bemerkt:  »Möglicherweise  war  es  gar  der  Mitankiäger  Ly- 
kon.«  So  wenig  begründete  Vermutungen  bleiben  besser  weg.  —  23  C 
wird  auzofia-oc  fälschlich  mit  £7:axu?,oußouvzs^  verbunden,  während  es 
zu  dem  Folgenden  gehört.  Anstofs  erregte  nicht  der  Umstand,  dafs 
junge  Leute  ihm  nachfolgten,  sondern  dafs  diese  ihre  Freude  daran 
hatten  zuzuhören,  wie  andere  geprüft  wurden  und  dabei  die  Nichtig- 
keit derselben  dargethau  wurde,  und  dafs  sie  diese  Thätigkeit  des  So- 
krates nachahmten  und  andere  prüften.  Darum  kam  es  Sokrates  hier 
darauf  an  zu  betonen,  dafs  er  an  dieser  Freude  und  an  diesem  Thun 
der  jungen  Leute  unschuldig  sei.  —  24  C  ist  auch  Bertram  geneigt  in 
ifidfojoev  eine  Anspielung  auf  den  Namen  Mek/rog  zu  finden,  indem  er 
auf  die  »kaum  zufällige  Häufung  der  Formen  /jls/.ov.  fiefisfyxev  und 
das  stammverwandte  dfiiletav*  im  folgenden  Kapitel  verweist.  Dieses 
Wortspiel  hätte  doch  etwas  recht  Frostiges,  und  da  fielet*  ein  bo  ge- 
bräuchliches und  hier  seinem  Sinne  nach  ganz  nahe  liegendes  Wort  ist, 
so  ist  eine  Nötigung  zu  dieser  Annahme  nicht  vorhanden. 

27  E  liest  Bertram  mit  MS.  uts  ob  r<>r>  adroü  i<rra>  xa:  Baupfota 
xal  Beta  ijyeio&at  und  erklärt:  »d.  i.  es  sei  ein  innerer  Widerspruch  an 
Dämonisches   uud   an  Göttliches   zu  glauben  ,   d.  h.  wer  an  Dämonisches 


]44  H.  Bertram,  Piatons  Verteidigungsrede. 

glaube,  könne  nicht  an  Göttliches  glauben  und  umgekehrt.«  Wenn  man 
ob  beibehält,  so  erscheint  die  hier  gegebene  Erklärung  als  die  einzig 
mögliche,  aber  meines  Erachtens  paf^t  sie  nicht,  in  den  Zusammenbang, 
der  nur  folgender  sein  kann :  Wer  an  dat/wvta  glaubt,  mufs  an  dat'jtovee 
glauben,  und  wer  an  daftioves  glaubt  au  deot.  Dann  mufs  man  aller- 
dings das  uij  streichen.  Wenn  Bertram  in  der  folgenden  Anmerkung 
sagt:  »Mit  dieser  Beweisführung  ist  auch  der  in  xacvä  liegende  Vorwurf 
erledigt,  so  ist  das  richtig,  aber  das  »Wie«  ist  aus  seiner  Darlegung 
nicht  zu  ersehen.«  Pluto  mufste  Sokrates  diesen  Vorwurf  widerlegen 
lassen;  sonst  hätte  sich  Sokrates  geradezu  eine  Täuschung  zu  schulden 
kommen  lassen,  als  er  den  Meletus  zu  der  Behauptung  hinführte,  So- 
krates glaube  überhaupt  nicht  an  Götter.  Dies  Verfahren  würde  mit 
seiner  wiederholt  betonten  Wahrheitsliebe  in  grellem  Widerspruche  stehen, 
ist  aber  trotzdem  vielfach  angenommen  worden. 

28  A  ws  fikv  iydi  obx  d8cxw  xazd  ztjv  MzXtjzuü  y/japf/V,  uu  noXkr^q 
fxoi  ooxsT  ehac  dnoXoycag.  Bertram  spricht  hier  von  einer  Abundauz  der 
Negation  und  übersetzt:  »Dafs  ich  im  Unrecht  bin,  bedarf  keiner  langen 
Widerlegung.«  Die  Auffassung  ist  schwerlich  richtig.  Zugrunde  liegt 
der  Gedanke:  »Dafs  ich  nicht  Unrecht  gethan  habe,  bedarf  keiner  langen 
Erörterung.«  Die  Erörterung  ist  hier  aber  zugleich  eine  Verteidigung, 
daher  dnoXoyiaq.  —  28  B  oudkv  8k  Secvov,  fiy  iv  i/xoc  azfj  »es  ist  aber 
durchaus  nicht  zu  besorgen,  dafs  sie  vor  mir  zum  Stehen  kommen«. 
Das  »vor«  halte  ich  nicht  für  richtig.  Sokrates  will  offenbar  sagen, 
dafs  er  gewifs  nicht  der  letzte  sein  werde.  Es  mufs  also  »bei  mir« 
heifsen.  —  31  D  <pa)vi]  zcg  ycyvo/xivr^  wird  als  Assimilation  an  das  Prä- 
dikatsnomen erklärt,  »ein  Etwas,  das  zu  einer  Stimme  wird«.  Ich  halte 
diese  Erklärung  für  gesucht.  Es  ist  doch  viel  einfacher  und  natürlicher 
zu  übersetzen:  »eine  sich  erhebende  (sich  regende)  Stimme«.  —  Zu  ei 
jxrj  dypocxüzepov  tjv  ebzeh  32  D  wird  bemerkt:  »die  Bitte  um  Entschul- 
digung wegen  des  etwas  kräftigen  Ausdrucks  giebt  ihm  seine  Frömmig- 
keit ein«.  Näher  liegt  eine  andere  Erklärung.  Starke  Behauptungen 
haben  überhaupt  für  das  Gefühl  des  Atheners  etwas  Unfeines  und  be- 
dürfen daher  der  Entschuldigung.  —  37  BC:  dvz\  zoüzou  orj  eXwpat  a>v 
eu  otd'  oti  xaxwv  ovzwv,  toZ  ztpy]odp£vog;  »cuv  partitiver  Genetiv,  ab- 
hängig von  zoü  =  zivog  vor  zep-yadpsvog«.  Ich  glaube,  dafs  der  parti- 
tive  Genetiv  von  einem  bei  iXajpac  zu  ergänzenden  Objektsakkusativ  ab- 
hängig ist.  »Statt  dessen  soll  ich  also  eines  von  den  ausgemachten 
Übeln  wählen.«  Zu  zoü  bei  zipr^aptvog  ist  xaxoü  nicht  zu  ergänzen. 
—  41  E  zouq  olecq  fioo,  enEtoäv  ijßrjaiuat,  zcjxcopqcracr&e.  Dazu  wird  be- 
merkt: »Beachte  die  Wortstellung:  seine  Söhne  sollen  sie  zur  Strafe 
ziehen;  denn  was  sie  ihm  anthun,  das  ist  in  Wahrheit  keine  Strafe.« 
So  etwas  kann  doch  Sokrates  nun  und  nimmermehr  sagen.  Auch  ist 
das,  was  sie  eventuell  seinen  Söhnen  anthun  sollen,  durchaus  keine  Strafe; 
denn  die  Ermahnung,  die  Tugend  höher  zu   schätzen  als  alles  andere, 


H.  Bortram,  Piatons  Vorteidigungsredp.  145 

kann  doch  als  solche  nicht  aufgefafst  werden.  Sokrates  bittet  die  Rich- 
ter, die  ihn  verurteilt  haben,  seinen  Söhnen  eventuell  dasselbe  anzu- 
thun,  was  er  ihnen  angethan  habe.  Damit  spricht  er  in  der  denkbar 
bestimmtesten  Weise  noch  einmal  seine  Überzeugung  aus,  dafs  das,  was 
er  seinen  Mitbürgern  gethan  hat,  kein  Unrecht  war,  sondern  etwas  Gutes 
und  Heilsames. 

Kriton  44  D  'AXX  bpag  8rj  utc  dvdyxrj  xal  zrtg  zwv  noXXiuv  do&jQ 
l±£)>ziv.  Dazu  bemerkt  Bertram:  »ozc  erklärend  »insofern«.  Sinn:  Die 
gegenwärtige  Lage  der  Umstände  bedarf  keines  Kommentars,  insofern«  etc. 
Ich  sehe  für  diese  doch  etwas  künstliche  Interpretation  keinen  Grund, 
da  ein  vollkommen  genügender  Sinn  herauskommt,  wenn  man  ori  ein- 
fach mit  »dafs«  übersetzt. 

Ziemlich  oft  mufs  ich  die  Auffassung  des  griechischen  Sprachge- 
brauchs für  eine  irrtümliche  erklären.  Ich  will  die  Fälle,  die  mir  wich- 
tiger erscheinen,  kurz  besprechen. 

17  C  rf/ls  t7j  fjhxtq.  war.zn  fxeipaxc<p  tMj--ov-i  loyoug.  Dazu  wird 
bemerkt:  »■n.hi.zxovTi  statt  ■Klar-zohar^  eine  Enallage  generis,  durch  das 
Vorwalten  des  in  zfids  rjj  rthxia  liegenden  Personalbegriffs  erklärt«. 
Die  Erklärung  ist  richtig,  obwohl  man  auch  das  7tXdrrovrt  durch  das 
daneben  stehende  /lsifjaxcoj  erklären  könnte,  aber  wozu  wird  das  eine 
Enallage  generis,  eine  Verwechselung  des  Geschlechts,  genannt?  Nach 
der  von  Bertram  selbst  gegebenen  Erklärung  liegt  eine  struetura  xa-ä 
aüvzoiv  vor,  aber  doch  keine  Verwechselung.  Diese  Terminologie  trifft 
das  Wesen  der  Sache  gar  nicht  und  ist  ganz  dazu  angethan,  eine  falsche 
Vorstellung  bei  dem  Schüler  hervorzurufen.  Von  einer  Verwechslung 
spricht  Bertram  auch  bei  den  Worten  kxovzag  ädexr-iov  in  Kriton.  49  A 
»Akkusativ  statt  des  regelmäßigen  Dativs  Diese  Abweichung  scheint 
auf  einer  Verwechslung  mit  der  Konstruktion  von  5er  zu  beruhen«.  Es 
ist  im  Grunde  genommen  genau  derselbe  psychologische  Vorgang 
wie  bei  dem  bekannten  quod  se  oblitum  nescio  quid  diceret,  wo  der 
Konjunktiv  durch  das  vorschwebende  oblitus  esset  veraulafst  ist.  Da 
redet  aber  niemand  von  einer  Verwechslung.  18  C  wird  zu  äv  .  .  .  .  £nt- 
ozsöoazs.  bemerkt:  »Auch  mit  <).v  verbunden  kann  der  Aorist  wie  das 
Imperfekt  unser  »pflegen«  ausdrücken«.  Diese  Regel  ist  wörtlich  aus 
Krüger,  53,  10,  3  herttbergenommen,  das  »auch«  beruht  aber  bei  die- 
sem auf  einer  ungenauen  oder  vielmehr  anrichtigen  Darstellung  des 
Aoristus  gnoniieus  in  der  voraufgehenden  Anmerkung.  Zu  xaxov  n 
Xaßetv  dn'  abrou  in  24  E  wird  bemerkt:  tdnd  »von  .  .  .  her«,  wegen 
der  passiveu  Bedeutung  von  xaxdv  rt  Xaßetv  »Schaden  leiden«.  Zu 
»von  . . .  her«  pafst  doch  gerade  die  eigentliche  Bedeutung  von  ka/tßdvetv  so 
vollkommen,  dafs  es  gar  nichl  nötig,  ja  nicht  einmal  gut  ist,  deswegen  xaxdv 
kaftßdvetv  als  passivischen  Begriff  zu  denken.  Zu  ix  vije  ipyr^azpaz 

in  26  E  giebt  Bertram  folgende  Erklärung:  »Die  Präposition  ix  ist  ge- 
wählt   wegen  des  Begriffs  der  Bewegung,   der   ursprünglich   in  np(aadtu 

Jahresbericht  fur  Alterthumswisseuchaft  L..   (1887.  I.i  IQ 


146  H.  Bertram,  Piatons  Verteidigungsrede. 

liegt.  Wir  haben  also  eine  sogenannte  Prolepsis  ( Anticipation)  des 
Ortsverhältnisses.  Uebersetze:  in  der  Orch.«  Unmittelbar  vorher  ist 
gesagt  :  »Die  naturphilosophische  Weisheit  fand  durch  die  in  der  Or- 
chestra  vorgetragenen  Chorlieder  des  Dramas,  besonders  der  Tragödie 
des  Euripides,  weitere  Verbreitung.«  Bei  dieser  Erklärung  ist  doch  an 
eine  Prolepsis  des  Ortsverhältnisses  gar  nicht  zu  denken;  die  Zuhörer 
sind  nicht  in  der  Orchestra,  kaufen  also  diese  Weisheit  auch  nicht  in 
der  Orchestra,  sondern  entnehmen  sie  aus  der  Orchestra.  Das  ix  be- 
zeichnet also  klar  und  einfach  das  wirkliche  Verhältnis.  Anders  liegt 
die  Sache  in  32  B  bei  den  Worten  zobg  ix  rrjg  vaufxa^ae,  in  welchen 
Bertram  unter  Vergleichung  der  eben  besprochenen  Stelle  ebenfalls, 
eine  Anticipation  der  Ortsbestimmung  findet.  Genau  genommen  kann 
von  einer  Anticipation  der  Ortsbestimmung  auch  hier  nicht  die  Rede 
sein,  denn  das  ix  ist  veranlafst  durch  das  ävehofiivouQ  und  gehört  dem 
Gedanken  nach  mit  diesem  zusammen,  ist  überhaupt  nur  durch  die  Ver- 
bindung mit  diesem  zu  erklären.  —  In  dem  dianetpw/tevqt  in  den  Wor- 
ten ioexev  yap  wo-sp  alvcy/xa  £uvzct)svrc  ocar:aipoj/id^a>  27  A  findet  Bertram 
ein  Part,  praes.  de  conatu.  Das  aiveyfia  £uv~tfrdvac  besteht  in  den 
widerspruchsvollen  Behauptungen,  diese  sind  aber  bereits  eine  That- 
sache,  also  macht  Meletus  auch  bereits  die  Probe,  also  ist  an  ein  praes. 
de  conatu  nicht  zu  denken.  Gerade  bei  dem  Verbum  dtamipäo&at  sollte 
einem  der  Gedanke  an  ein  praesens  de  conatu  nicht  so  leicht  kommen. 

—  Zu  iuamp  xal  äXXog  zig  28  E  bemerkt  Bertram:  xa\  abundiert«.  Da- 
mit ist  nichts  erklärt,  ja  sogar  dem  Schüler  eine  falsche  Auffassung  nahe 
gelegt.  Wir  sagen  gerade  so:  »Wie  auch  mancher  andere«  und  haben 
gar  nicht  die  Empfindung,  dass  wir  dabei  etwas  Ueberrlüssiges  sagen. 
Ebenso  verhält  es  sich  mit  33  C  comp  zcg  tzozz  xal  äXXrj  &sca  polpa 
dvfrpa)7iü)  xal  bziow  npoeriza^s  Tipdzzstv,  wo  xal  als  »formelhaft  abun- 
dierend«  bezeichnet  wird.  In  ähnlicher  Weise  wird  von  dlld  in  40  D  xal 
Birs,  prfiepta  al'a&rjotg  ioziv,  dXX  olov  unvog  gesagt,  dafs  es  nur  for- 
melle Berechtigung  habe.  Ȇbersetze:  Zustand  der  Empfindungslosig- 
keit, einem  Schlaf  vergleichbar.«  Meines  Erachtens  hat  hier  dXXä  ganz 
genau  dieselbe  Berechtigung  und  dieselbe  Bedeutung,  wie  überall  nach 
einer  Negation.  Der  Tod  ist  ein  Zustand,  bei  dem  man  gar  keine  Em- 
pfindung bat,  sondern  sich  wie,  im  Schlaf  befindet.  Die  deutsche  Über- 
setzung kann  daran  nichts  ändern.  35  C  prj  ouv  dciobzi  fis  zoiabza  8eiu 
npbg  bpdg  Tipdzzeiv  soll  deTv  »abuudieren«  nach  prj  d^cobzs  »verlangt 
nicht«.  Es  ist  aber  gar  nicht  nötig,  d~couzs  mit  »verlangt«  zu  über- 
setzen, da  man  ebenso  gut  übersetzen  kann:  »haltet  nicht  dafür,  hegt 
nicht  die  Ansicht«;  wenn  man  aber  es  mit  Bertram  durch  »verlangt« 
übersetzt,  so  müfste  man  das  deh  aus  dem  Vorschweben  des  Gedankens 
in  direkter  Form  erklären.     Mit  »abundiert«  ist  keine  Erklärung  gegeben. 

—  Bei  den  Worten  29  A  d  obx  oloev  wird  augemerkt:  »nämlich  zig 
»man««.     Da  kann  der  Schüler  leicht  glauben,  dafs   etwas  fehle.    Es 


Westermayer,  der  Protagoras  des  Plato.  147 

mufste  gesagt  werden,  dafs  das  Subjekt  dasselbe  ist  wie  in  dem  vorauf- 
gehenden Infinitiv  ouxeh  und  dem  davon  abhängigen  etdsvcu,  zu  welchem 
der  relative  Satz  im  Verhältnis  des  Objektes  steht. 

Eine  Brachylogie  findet  Bertram  in  30  D  in  den  Worten  d-o- 
xtsfvees  .  .  .  rj  k-zw.anv,,  vt  dTifiwffetev,  insofern  als  sie  von  dem  Anklä- 
ger gesagt  werden,  »welcher  Todesstrafe  oder  Exil  oder  Verlust  der 
bürgerlichen  Ehrenrechte  beantragt  oder  erwirkt«.  Nach  attischem  Sprach- 
gebrauche ist  der  intellektuelle  Urheber  der  Thäter.  So  ist  Agoratos 
der  Mörder  der  infolge  seiner  Denuuciation  hingerichteten  Demokraten 
und  wird  mit  einer  ypa<pit  <fövou  verfolgt.  Au  eine  Brachylogie  ist  also 
nicht  zu  denken,  wenn  man  von  der  Anschauung  des  griechischen  Schrift- 
stellers selbst  ausgeht,  nicht  von  unserer  Auffassung  und  unserer  Aus- 
drucksweise. —  Ebenso  wenig  kann  ich  es  billigen,  wenn  die  Worte  u/xu>v 
xsÄs'jovTtov  xa:  ßowvzwv  32  C  als  Hyphen  bezeichnet  werden:  »obschou 
ihr  unter  wüstem  Lärm  dazu  antriebt«.  Zweierlei  that  das  Volk:  es 
verlangte  ein  Einschreiten  gegen  Sokrates  und  schrie  und  tobte.  Diese 
beiden  Thätigkeiten  des  Volkes  giebt  hier  die  Sprache  einfach  und  kor- 
rekt wieder.  An  irgend  welche  Redefigur  ist  also  gar  nicht  zu  denken. 
Ebenso  wenig  glaube  ich,  dafs  to»  dz7oba>  ßcaCoi'ftijv  35  D  ein  Oxymoron  ist. 
Die  Bitte  ist  auch  eine  Macht,  die  uns  vielfach  zwingt,  etwas  zu  thun, 
was  wir  nicht  thun  möchten.  Man  denke  an  Redensarten  wie  »mit 
Bitten  in  jemand  dringen«,  »einen  mit  Bitten  bestürmen«  und  nament- 
lich an  unser  »nötigen«  =  durch  inständiges  Bitten  jemand  zu  etwas 
bewegen.  Sehr  richtig  sagt  Lälius  bei  Cicero  (de  amic.  26)  zu  den  ihn  um 
eine  weitere  Darlegung  bittenden  Schwiegersöhnen:  Vim  hoc  quidem  est 
afferre:    quid  enim  refert  qua  me  ratione  cogatis?     cogitis  certe. 

Wir  müssen  es  als  unsere  Überzeugung  aussprechen,  dafs  die  vor- 
liegende Ausgabe  in  dieser  Hinsicht  an  einem  sehr  erheblichen  Mangel 
leidet,  und  dafs  es  uns  als  sehr  wünschenswert  erscheint,  dafs  diese 
Weise  sprachlicher  Erklärung  recht  bald  aus  den  Gymnasien  schwinde, 
denn  mit  ihr  wird  dem  Schüler  das  Verständnis  des  Sprachgebrauchs 
geradezu  versperrt.  Dagegen  gestehen  wir  gern.  dafs  die  Ausgabe  auch 
ihre  guten  Seiten  hat  und  auch  manches  Brauchbare  bietet. 

Der  Protagoras  des  l'lato  zur  Einführung  in  das  Verständnis 
der  ersten  platonischen  Dialoge,  erklärt  von  Dr.  Adolf  Westermayer, 
Gymnasialprofessor  in  Nürnberg.    Erlangen  1882.  8.  VI.  202  S. 

Nachdem  der  Versuch  des  Verfassers,  durch  eine  Erklärung  des 
platonischen  Lysis  (Erlangen  1875)  jüngeren  Lesern  eine  Anleitung  zu 
förderlichem  und  genufsreichem  Privatstudium  des  l'lato  zu  geben,  den 
Beifall  hervorragender  Kritiker  gefunden  hat,  wendet  er  sieh  mit  der- 
selben Absieht  an  denselben  Leserkreis  mit  einer  Bearbeitung  des  Pro- 
tagoras. Rücksichtlieh  der  Wald  dieses  Dialoges  sagl  er  auf  der  ersten 
Seite  der  Einleitung:    »Die  Wahl  dieses  Dialoges  zu  dem  Zwecke,  an- 

10* 


148  Westermayer,  der  Protagoras  des  Plato. 

fangende  Leser  des  Philosophen  in  das  Verständnis  seiner  Werke  einzu- 
führen, bedarf  keiner  Rechtfertigung.  Ist  ja  doch  diese  Schrift  »die 
leichteste  und  anmutigste  Einleitung  in  die  platonische  Anschauungs- 
weise« und  noch  mehr:  nicht  hlol's  um  ihrer  künstlerischen  Vollendung  willen 
wert  allgemein  gelesen  zu  werden,  sondern  auch  in  sittlicher  Beziehung  ein 
wahres  Kleinod  der  Litteratur.«  Von  dieser  Motivierung  können  wir 
nur  dem  zweiten  Teile  ganz  und  voll  zustimmen,  dem  ersten  Teile  nicht 
ohne  Einschränkung.  Als  eine  Einleitung  in  die  platonische  An- 
schauungsweise kann  der  Dialog  wegen  seines  Inhaltes  schwerlich  ohne 
weiteres  bezeichnet  werden,  und  leicht  ist  ein  tiefer  gehendes  Verständ- 
nis desselben  nicht.  Für  beide  Momente  bietet  die  vorliegende  Bear- 
beitung des  Dialogs  selbst  manchen  Beleg.  Vergl.  z.  B.  S.  194 f.:  »Es 
ist  allerdings  auffallend,  dafs  in  einer  Schrift,  welche  die  Quintessenz 
sokratischen  Philosophierens  vereinigen  soll,  das  Dogmatische  in 
solchem  Mafse  nur  angedeutet  ist,  dafs  sogar  das  eigentliche  Thema 
nur  gleichsam  post  festum  verraten,  gewissermafsen  nur  das  Präludium 
vorgetragen  wird.«  Es  verdient  diese  Frage  um  so  mehr  Beachtung, 
als  sie  mit  einer  zweiten,  recht  wichtigen  zusammenhängt:  ob  denn  wirk- 
lich der  Protagoras  so  geeignet  für  die  Primalektüre  ist,  als  man  so 
vielfach  glaubt.    Doch  können  wir  diesen  Gegenstand  hier  nicht  erörtern. 

Der  vorliegenden  Bearbeitung  des  Protagoras  wird  man  grofsen 
Beifall  nicht  versagen  können;  es  ist  eine  durchaus  sorgfältige  und  tüch- 
tige Arbeit,  die  auf  ebenso  eindringendem  als  umfassendem  Verständnisse 
und  auf  einer  Betrachtungsweise  beruht,  die  auf  die  Erfassung  des  Ein- 
zelnen und  des  Ganzen  fortgesetzt  gleichmäfsig  gerichtet  ist.  Dabei  ist 
die  Darstellung  klar  und  ansprechend.  Am  wertvollsten  ist  nach  unse- 
rer Überzeugung  der  letzte,  »Einleitung  und  Schlufs«  überschriebene 
Teil.  In  sicheren  Zügen  wird  hier  Werden  und  Wesen  der  Sophistik 
geschildert  und  das  Verhältnis  derselben  zu  der  alten  Anschauung  des 
griechischen  Volkes,  sodann  die  Stellung  des  Sokrates  beiden  gegen- 
über zur  Darstellung  gebracht.  »Sokrates  stand  den  Anhängern  des 
Alten  gegenüber  mit  einer  neuen  Lehre,  den  Predigern  der  neuen  Phi- 
losophie aber  mit  dem  alten,  doch  anders  und  tiefer  begründeten  Glau- 
ben. Gegen  jene  verfocht  er  das  Prinzip  der  Freiheit,  gegen  diese  das 
Prinzip  des  Gesetzes.«  »Als  Vermittelungspunkt  zwischen  beiden  er- 
kennt er  die  menschliche  Seele.«  »Die  Seele  ist  ihm  das  wesentliche 
Element  des  Subjekts  und  als  solches  der  Träger  der  Freiheit;  zugleich 
aber  ist  in  der  Seele  ein  Göttliches  gegenwärtig,  was  sie  zum  Träger 
des  Gesetzes  macht.  Als  die  Frucht  der  Erkenntnis  der  Seele  verkün- 
digt er  bewufst- sittliches  Leben,  in  welchem  sich  alle  Kräfte  der  mensch- 
lichen Natur  in  vollem  Gleichgewicht  befinden.«     (S.  173). 

Für  Piatos  schriftstellerische  Thätigkeit  in  der  Zeit  als  Sokrates 
noch  lebte  wird  als  eigentliches  Motiv  folgendes  angegeben:  »Während 
Sokrates   durch   die  Macht  des  lebendigen  Wortes  dieses  neue   Leben 


Westermayor,  der  Protagoras  des  Plato  149 

auf  dem  Wege  der  Erziehung  durch  Erkenntnis  zu  bewirken  suchte,  wollte 
Plato  als  sein  begeisterter  Schüler  und  nur  als  solcher  dieses  Ziel  auf  dem 
Wege  schriftstellerischer  Thätigkeit  erreichen«.  (S.  174).  »So  war  das 
Hauptziel  der  platonischen  Schriftstellerei  scharf  bestimmt:  Darstellung  des 
neuen  Glaubens  und  Lebens  in  der  Person  des  Sokrates  als  des  Ideals 
der  neuen  Menschheit.«  (S.  177).  Aber  »nur  so  glaubte  Plato  der  gei- 
stigen und  sittlichen  Bedeutung  des  Sokrates  gerecht  zu  werden,  wenn 
er  sie  in  dem  überwältigenden  Einflüsse  zur  Darstellung  brächte,  den 
er  an  sich  selbst  erfahren  hatte.  So  ist  das  Bild  des  Sokrates  bezüg- 
lich seiner  Lehre  das  Bild  des  platonischen  Sokrates  geworden.« 
(S.  182  f.) 

Den  Protagoras  selbst  nun  betrachtet  der  Verfasser  »im  Verhält- 
nis zu  den  früheren  Schriften  Piatos  als  die  Zusammenfassung  derselben, 
als  die  Vereinigung  der  in  ihnen  zerteilten  Strahlen  und  somit  als  den 
Abschlufs  jener  Periode.«  (S.  184.)  In  gutem  Zusammenhange  wird  ent- 
wickelt, dafs  »dem  Schriftsteller  der  Inhalt  einer  ausschliefslich  dem 
Sokratismus  gewidmeten  und  denselben  in  seiner  Summa  repräsentieren- 
den Schrift  auf  das  deutlichste  vorgezeichnet  war:  sie  mufste  die  Ethik 
des  Sokrates  nach  ihrer  formalen  und  materialen  Seite  an  dem  Gegen- 
satze der  sophistischen  Ethik  so  darstellen,  dafs  aus  der  Darlegung  ihres 
Prinzipes  sich  ihr  System  als  Konsequenz  ergab.  Durch  diesen  Inhalt 
war  die  formale  Gestaltung  der  Schrift  bedingt.«  (S.  186.)  »Die  soma- 
tische Tugend,  nach  ihrer  materialen  und  formalen  Seite,  ist  der  ein- 
heitliche Gedanke  der  Schrift,  der  Gegensatz  der  sophistischen  Tugend 
nach  ihrer  materialen  und  formalen  Seite  nur  als  Folie  dieses  Grund- 
gedankens so  dargestellt,  dafs  sich  dieser  am  Widerspruche  gegen  die 
sophistische  Tugeudauffassung  entwickelt.«     (S.  194-) 

Der  gediegenen  Arbeit  gegenüber  lasse  ich  abweichende  eigene 
Auffassungen  gern  zurücktreten.  Nur  auf  einen  Punkt  möchte  ich  auf- 
merksam machen.  Sehr  richtig  sagt  der  Verfasser  auf  S.  1 73 :  »Sokra- 
tes betonte  die  Existenz  eines  spezifisch  sittlichen  Wissens,  welches  der 
Mensch  mit  der  Selbsterkenntnis,  d.  h.  mit  der  Erkenntnis  seiner  Seele 
besitzt.  Und  indem  er  nun  das  von  dem  modernen  Zeitgeist  zerrissene 
Band  zwischen  Sittlichkeit  und  Religiosität  von  neuem,  aber  innerlicher 
als  die  vorausgegangenen  Zeiten  knüpft,  erweist  er  das  sittliche  Wissen 
des  Menschen  von  sich  selbst  als  Gottesbewufstseiu«!  Das  ist,  wie  ge- 
sagt, sehr  richtig,  aber  es  fehlt  doch  der  Nachweis,  wir  denn  mit  der 
Annahme  eines  begrifflichen  Wissens  die  Überzeugung,  dafs  etwas  Gött- 
liches in  uns  ist,  innerlich  zusammenhängt,  und  gerade  der  Nachweis  dieses 
Zusammenhanges  ist  für  die  Erkenntnis  der  Bokratischen  Philosophie  von 
der  gröfsten  Bedeutung.  Auch  die  folgenden  Worte  erbringen  diesen 
Nachweis  nicht,  so  wahr  und  BChÖD  sie  auch  sind:  »Wohl  giebt  es  auch 
Gottesoffenbarungen  in  der  äufseren  Welt,  der  Natur;  aber  die  eigent- 
liche unmittelbarste   Offenbarung  des  Göttlichen  hat    jeder   Mensch    in 


150  Morsclli,  il  demoiie  di  Socrate. 

sich  selbst  die  Selbsterforschung  ist  ein  Innewerden  des  in  uns  leben- 
den göttlichen  Teils  —  das  Leben,  das  auf  dem  Wissen  begründet  ist, 
ist  ein  religiöses,  ist  eine  Verwirklichung  des  in  jedem  Mensehen  nie- 
dergelegten Gottesgedaukens,  ist  eine  Verähnlichung  des  Menschen  mit 
Gott.« 

E.  Morselli,  il  demone  di  Socrate.  Estratto  dalla  Rivista 
di  hlosofia  scientifica  Anno  II,  Vol.  II,  Fase.  1,  1882.  Milano-Torino 
1882.   14.  Grofs  8. 

Professor  Enrico  Morselli,  Direktor  der  psychiatrischen  Klinik  in 
Turin,  bekämpft  in  dieser  Schrift  vorzugsweise  die  Annahme,  dafs  der 
Glaube  des  Sokrates  an  das  Daimonion  auf  Hallucinationen  beruhte  und 
jene  Zeichen  und  Warnungen  in  solchen  bestanden  haben.  Was  den 
positiven  Teil  der  Schrift  anlangt,  so  befindet  er  sich  hier  in  wesent- 
licher Übereinstimmung  mit  d'Eichthal.  Er  aeeeptiert  mit  diesem  den 
Satz  von  Grote,  »che  Socrate  fu  un  missionario  religioso  sotto  le  vesti  del 
rilosofo«  (S.  11),  und  nimmt  mit  ihm  an,  dafs  die  sokratische  Vorstellung 
von  dem  Daimonion  auf  das  innigste  mit  seinen  Anschauungen  von  dem 
Walten  der  Vorsehung,  mit  seinem  sistema  providenziale  zusammen- 
hänge. »Sokrates  glaubte  au  eine  fortgesetzte  göttliche  Einwirkung  so- 
wohl auf  das  Denken  und  die  Entschliefsuugen  der  Individuen,  als  auf 
die  Geschicke  der  Staaten  und  der  Völker.  Die  Gottheit,  welche  über- 
all gegenwärtig  ist,  welche  alle  Dinge,  die  Worte,  die  Thateu,  die  ge- 
heimsten Gedanken  der  Menschen  kennt,  enthüllt  ihnen  auch  das,  was 
sich  auf  die  menschlichen  Angelegenheiten  bezieht«.  (S  13.)  Damit 
wird  man  übereinstimmen,  aber  die  Übereinstimmung  mufs  aufhören, 
wenn  im  folgenden  zu  jenen  Zeichen  und  Mahnungen  in  erster  Linie 
die  sittlichen  und  philosophischen  Anschauungen  ( i  coucetti  morali  e 
filosofici)  gerechnet  werden.  Ebensowenig  kann  man  beistimmen,  wenn 
Sokrates  ohne  jede  Einschränkung  als  ein  Gegner  der  Wissenschaft  be- 
zeichnet wird  (certo  Socrate  fu  contrario  alla  scienza  e  la  derise  sempre 
S.  11),  und  auch  das  erscheint  einer  genaueren  Erklärung  gegenüber 
nicht  haltbar,  dafs  bei  Plato  die  ersten  Spuren  der  Legende  von  einem 
besonderen  Daimonion  des  Sokrates  sich  zeigen.  Doch  wir  wollen  uns 
auf  Einzelheiten  nicht  weiter  einlassen.  Im  ganzen  mufs  mau  den  Aus- 
führungen des  Verfassers  zustimmen. 

Piaton  a  l'academie  fondation  de  la  premiere  ecole  de  Philo- 
sophie en  Grece  par  C.  Huit,  professeur  houoraire  ä  l'institut  catho- 
lique  de  Paris.     Paris  1882.  8.  VIII.  64  S. 

Das  Buch  stellt  sich  die  Aufgabe,  folgende  Fragen  zu  beantwor- 
ten: 1.  Welche  Umstände  riefen  in  Plato  den  Gedanken  hervor,  diese 
Akademie  zu  gründen  und  unterstützten  ihn  in  der  Verwirklichung  die- 
ses Gedankens?    2.  Was  war  diese  Akademie?    3.  Was  wissen  wir  von 


Huit,  Piaton  a  l'academie.  151 

der  innern  Leitung  der  entstehenden  Institution  und  von  dem  Pro- 
gramm, welches  dabei  befolgt  wurde?  4.  Welche  Wechselfälle  hatte  sie 
bei  Lebzeiten  des  Stifters  durchzumachen? 

Der  hauptsächlichste  Inhalt  des  Buches  ist  folgender:  Eine  Philo- 
sophenschule im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes  hat  es  in  Griechenland 
vor  der  Gründung  der  Akademie  nicht  gegeben.  Plato  prädestinierte 
sein  ganzes  Wesen  dazu,  das  Haupt  einer  Schule  zu  werden.  Es  er- 
füllte ihn  nicht  nur  das  Streben  zu  wissen  und  zu  schreiben,  sondern 
auch  zu  unterrichten.  Hätte  es  in  Athen  eine  Sorbonne  gegeben,  so 
hätte  sich  Plato  sicherlich  um  einen  Lehrstuhl  beworben,  aber  Athen 
hatte  noch  keine  öffentliche  Lehranstalt.  Sein  umfassendes  und  tief- 
sinniges System  eignete  sich  nicht  für  die  Menge,  nicht  für  zufällige 
Hörer,  sondern  erforderte  auserwählte  und  vorbereitete  Schüler.  Dazu 
kam  die  im  Phädrus  dargelegte  Auffassung  von  dem  Werte  schriftlicher 
Darlegungen  im  Verein  mit  seiner  bedeutenden  Beredsamkeit.  Zugleich 
glaubte  er  so  wirksamer  gegen  den  verderblichen  Einflufs  der  Sophisten 
ankämpfen  zu  können.  Es  folgt  eine  Beschreibung  der  Lage,  eine  Er- 
klärung des  Namens  und  eine  Geschichte  des  Platzes  bis  auf  die  heu- 
tige Zeit;  sodann  werden  die  Verhältnisse  Athens  und  die  Eigentüm- 
lichkeiten der  Athener  dargelegt,  welche  die  Gründung  einer  solchen 
Schule  begünstigten.  —  Plato  übte  bei  seinen  Lebzeiten  eine  Art  gei- 
stiger Königsherrschaft  aus.  Alle  Berufsarten,  alle  Stände  waren  in 
seiner  Schule  gleichmäfsig  vertreten.  Mit  dem  vorschreitenden  Alter 
entsagte  er  allmählich  dem  öffentlichen  Unterricht,  um  sich  ganz  seinen 
eigentlichen   Schülern  zu  widmen. 

Das  Datum  der  Gründung  ist  unbekannt.  Der  Gedanke,  den  Phä- 
drus gewissermafsen  als  die  Einweihungsrede  des  neuen  Instituts  zu 
betrachten,  wird  zurückgewiesen.  Lehrgegenstand  war  ausschliesslich 
die  Philosophie,  Bedingung  für  den  Eintritt  Kenntnis  der  Geometrie. 
Huit  ist  geneigt  zu  glauben,  dafs  sich  die  Unterrichtsweise  Piatos  je 
nach  den  Umständen  und  den  Erfordernissen  des  Augenblicks  bald  der 
Weise  des  Sokrates,  bald  der  des  Aristoteles  genähert  habe.  Er  lehrte 
wahrscheinlich  promenierend,  vielfach  umgeben  von  einer  grofsen  Zahl 
von  Schülern  und  Zuhörern,  in  lebendigem  Wechselverkehr  mit  diesen. 
Die  Dialoge  erschienen  als  ein  direktes  Echo  dieser  Unterhaltungen. 
Der  eminent  volkstümliche  Charakter  der  sokratischen  Unterrichtsweise 
ist  durch  die  Methode  Piatos  ebenso  wie  durch  sein  System  ausge- 
schlossen. Bei  ihm  zeigt  sich  immer  der  Lehrer«  Seine  Dialoge  in- 
augurieren in  Griechenland  den  philosophischen  Stil.  Schliefslich  hat 
Plato  eigentliche  Vorlesungen  eingeführt.  Dafs  das  Wesen  des  Plato 
etwas  Heiteres  hatte  und  auch  der  Verkehr  mit  seinen  Zuhörern  diesen 
Charakter  trug,  dafür  bernfl  sich  Unit  auf  das  Symposion. 

Einen  seiner  würdigen  Schüler  hat  Plato  nicht  gehabt;  derjenige, 
der  an  Geist  ein  zweiter  Plato  war,   ist  sein  gefährlichster  Gegner  ge- 


152  Goebel,  Apologie  und  Kriton. 

worden.  Unter  den  Augen  Piatos  selbst  war  die  Eintracht  im  Schofse 
der  Akademie  manches  mal  gefährdet.  In  erster  Linie  ist  hier  Aristo- 
teles zu  nennen,  der  seinen  Lehrer  verliefe,  ja  beinahe  verriet.  Line 
exoterische  und  esoterische  Lehre  Piatos  hat  es  nicht  gegeben. 

Im  letzten  Kapitel  giebt  Iluit  eine  Geschichte  des  Wortes  Aka- 
demie und  der  Akademien,  die  er  selbst  als  eine  sehr  unvollständige 
bezeichnet. 

Viel  Neues  lernen  wir  aus  dem  vorliegenden  Buche  über  diesen 
Gegenstand  nicht;  das  Wesentliche  steht  z.  B.  schon  bei  Zeller,  wenn 
auch  nur  auf  wenigen  Seiten.  Dagegen  erkennen  wir  gern  an,  dafs  die 
einschlägigen  Fragen  in  besonnener  und  einsichtiger  Weise  erörtert  und 
beurteilt  werden. 

Piatos  Apologie  des  Sokrates  und  Kriton.  Für  den 
Schulgebrauch  bearbeitet  von  Dr.  Ed.  Goebel,  Gymnasial -Direktor. 
Paderborn  1883.  8.  XVI.   112  S. 

Im  Vorwort  spricht  sich  der  Verfasser  über  die  Einrichtung  einer 
Schulausgabe  und  über  die  für  die  Konstituierung  des  vorliegenden 
Textes  von  ihm  beobachteten  Grundsätze  aus.  Den  ersten  Punkt  mufs  ich 
hier  übergehen.  Was  die  Konstituierung  des  Textes  anlangt,  so  ist  der 
Ausgabe  der  Hermann'sche  Text  zugrunde  gelegt,  »doch  sind  auch  die 
kritischen  Ansichten  anderer  nach  Gebühr  berücksichtigt  und  insbeson- 
dere die  trefflichen  Arbeiten  von  M.  Schanz  für  die  Textesrevision  zu 
rate  gezogen  worden«.  —  »Von  dem  in  den  besten  Handschriften  über- 
lieferten Texte  wurde  uur  da  abgewichen,  wo  triftige  Gründe  dieses  zu 
fordern  schienen.«  —  »Als  völlig  unberechtigt  mufs  es  aber  erscheinen, 
den  Text  nach  der  subjektiven  Ansicht  dieses  oder  jenes  Gelehrten,  un- 
bekümmert um  die  Auktorität  der  Handschriften,  willkürlich  zu 
gestalten  und  z.  B.  alle  von  demselben  durch  Klammern  —  »die  ja  nie- 
mand schaden«  —  als  kritisch  verdächtig  bezeichnete  Stellen  einfach 
auszuscheiden.«  —  Diese  Bemerkung  ist,  wie  auch  die  Note  zeigt,  na- 
mentlich gegen  Bertram  gerichtet,  zugleich  aber  auch  gegen  M.  Schanz. 
Vergl.  mit  »die  ja  niemand  schaden«  M.  Schanz  Piatonis  opera  I  S- X: 
qui  nimium  verebantur  uncos  adhibere  nemini  noxios.  Auch  nach  meiner 
Ansicht  ist  es  keineswegs  immer  nötig,  die  von  M.  Schanz  eingeklam- 
merten Worte  auszuscheiden,  manchmal  sogar  nicht  gut,  aber  in  der 
Apologie  und  im  Kriton  ist  mir  kaum  eine  Stelle  bekannt,  wo  durch  eine 
solche  Ausscheidung  dem  Sinne  geschadet  würde. 

Die  Einleitung  zerfällt  in  zwei  Teile:  I.  Piaton  und  So- 
krates (S.  IX  — XIV),  II.  Piatons  Apologie  des  Sokrates  und 
Kriton  (S.  XIV— XVI).  Der  erste  Abschnitt  von  I  behandelt  Piatos 
Leben  und  Entwickelungsgang  bis  zum  Tode  des  Sokrates.  Hieran 
schliefst  sich  eine  Darlegung  des  Lebens  und  Wesens  des, Sokrates,  und 
in  einer  Fufsnote    wird   über    die  Entwickelung  der  griechischen  Philo- 


Goebel,  Apologie  und  Kriton.  153 

Sophie  bis  auf  Sokrates  und  über  das  Wesen  der  Sophistik  gehandelt. 
Das  ist  eine  Anordnung,  durch  die  der  innere  Zusammenhang  zerrissen 
wird,  denn  dieser  gebietet  doch  offenbar  folgende  Anordnung:  Ent- 
vvickelung  der  griechischen  Philosophie  bis  auf  Sokrates  und  Sophistik, 
Sokrates,  Plato.  Auch  manches  sachlich  Falsche  enthält  die  Einleitung. 
So  heifst  es,  um  nur  einen  Punkt  hervorzuheben,  auf  S.  IX:  »Daher 
wandte  sich  sein  (Piatos)  Geist  von  der  Spekulation  über  das  Sein  uud 
Werden  (Physik  und  Metaphysik)  der  praktischen  Seit e  der  Philo- 
sophie (Ethik)  zu  und  entschied  sich  dafür,  dafs  die  Seele  des 
Menschen  Gegenstand  des  Forschens  und  Erkenuens  sein  müsse  und 
dafs  die  Wahrheit  in  der  begrifflichen  Erkenntnis  des  den- 
kenden Geistes  {vuug)  zu  suchen  sei.« 

Die  übrigen  Abschnitte  von  Einleitung  I  geben  eine  Übersicht 
über  das  Leben  Piatos  von  399  bis  zu  seinem  Tode  und  über  seine 
schriftstellerische  Thätigkeit.  Es  werden  hierbei  die  meisten  der  pla- 
tonischen Schriften  aufgeführt  und  den  verschiedenen  Lebensperioden 
Piatos  zugewiesen.     Das  wäre  besser  weggeblieben. 

Aus  dem  zweiten  Teile  der  Einleitung  wollen  wir  nur  die  beiden 
Sätze  herausheben,  die  den  Zweck  der  beiden  Dialoge  angeben.  »Die 
Apologie  des  Sokrates  ist  nicht  nur  eine  Widerlegung  der  gegen  diesen 
erhobenen  Anklage  und  indirekt  ein  bitterer  Vorwurf  und  eine  herbe 
Kritik  für  die  Athener,  sondern  zugleich  eine  Lobrede  auf  Sokrates, 
der  als  Muster  und  Ideal  eines  echten  Weisen  verherrlicht  und  zur  Nach- 
ahmung hingestellt  wird.«  (S.  XV.)  »Nicht  zur  Verteidigung  der  Freunde 
des  Sokrates  gegen  die  Nachrede,  als  wenn  sie  aus  niedrigen  Beweg- 
gründen die  Rettung  desselben  unterlassen  hätten,  auch  nicht  zum  Schutze 
des  Sokrates  selbst  gegen  schiefe  Beurteilung  seiner  Handlungsweise, 
als  ob  er  ohne  triftige  Gründe  die  Hülfe  der  Freunde  zur  Flucht  aus- 
geschlagen, ist  Kriton  geschrieben,  sondern  um  das  Bild  seines  erhabenen 
Charakters  zu  vervollständigen,  der  lieber  Unrecht  leiden  als  Unrecht 
thun  will  und  der  schlimmer  als  den  Tod  die  Verletzung  der  Pflicht 
erachtet.  Die  Frage:  »Wer  ist  ein  guter  Patriot ?«  hat  uns  Piaton  durch 
das  leuchtende  Beispiel  des  Sokrates  beantwortet.  Wer,  wie  dieser,  vor 
allem  ein  guter  und  edler  Mensch  ist  und  jegliches  Unrecht  bafst,  der  ist 
notwendig  auch  ein  guter  Staatsbürger.«  (S.  XVI.)  Ich  Btimme  dieser 
Auffassung  bei  und  erkenne  gern  an,  dafs  die  ganze  Einleitung  klar 
und  im  ganzen  sachgemäß  abgefaßt  ist.  Wollte  man  freilieh  an  eine 
solche  Einleitung  die  Anforderung  stellen,  dafs  sie  das  Verständnis  des 
Wesens  und  der  Bedeutung  des  Sokrates,  Boweil  es  in  der  Apologie 
und  im  Kriton  zur  Erscheinung  kommt,  in  einfacher  und  klarer  Weise 
zu  erschliefsen  habe  und  /war  so,  dafs  das  Einzelne  in  seinem  innern 
Zusammenhange  erscheint,  so  wurde  auch  die  vorliegende  Einleitung 
nicht  wenig  zu  wünschen  übrig  lassen. 

Wenn  wir  uns  nun  zur  Betrachtung  des  vorliegenden  Textes  und  der 


154  Goebel,  Apologie  und  Kriton. 

erklärenden  Anmerkungen  wenden ,  so  müssen  wir  uns  dabei  auf  die 
Hervorhebung  einer  Anzahl  von  Punkten  beschränken.  S.  17  A  liest 
Goebel  sehr  richtig  mit  MS  ajQ  yj>rj  vpäg  eöAaßeto&ou  für  yj^v.  Zu 
ei  jikv  yap  zdbzo  Uyuuoiv  17  ß  wird  bemerkt:  »fiev  steht  hier,  wie  auch  sonst 
öfter,  ohne  ein  folgendes  de  noch  im  Sinne  von  prp;  so  ist  unser  »zwar« 
ein  abgeschwächtes  ze  wäre  =  in  Wahrheit.«  Das  ist  ja  an  sich  ganz 
richtig,  aber  hier  erklärt  sich  das  p£v  doch  einfach  durch  die  Annahme 
eines  dem  Redenden  vorschwebenden,  aber  nicht  ausgesprochenen  Gegen- 
satzes: »Wenn  sie  es  aber  in  anderem  Sinne  nehmen  (so,  wie  man  es 
gewöhnlich  versteht),  dann  bin  ich  gar  kein  Redner.«  19  C  sind  die 
Worte  ilt)  mog  iycb  brJ)  MeÄijzoo  zoaaüzag  dexag  (füyoipi  beibehalten  und 
erklärt  »damit  ich  nicht  etwa  (eventuell)  .  .  .  verklagt  würde,«  nämlich 
ei  emocfii  xepc  tmMou  noietabai  Toiaurtjv  iziaz/ji^u.  Daher  der  Optativ 
im  Finalsatze  trotz  vorausgehendem  Präsens.«  Aber  da  die  Anklage 
gegen  Sokrates  bereits  erhoben  und  die  Anklagereden  bereits  gehalten 
sind,  so  kann  er  das  doch  kaum  noch  sagen,  auch  pafst  diese  Er- 
klärung dem  ohy  log  äzipäCwv  gegenüber  gar  nicht  in  den  Zusammen- 
hang. 19  E  sind  in  dem  Satze  zoi'jzojv  yap  ixaazog,  w  ävopsg,  oio'g 
t3  iazlv  la>v  xzX.  die  Worte  616g  r  eaziv  ohne  Klammer  beibehalten 
mit  der  Rechtfertigung:  »Anakoluthieen  dieser  Art  sind  charakteristisch 
für  die  Redeweise  des  Sokrates«.  Diese  Anakoluthie  ist  allerdings  etwas 
hart,  steht  aber  meines  Erachtens  nicht  in  Widerspruch  mit  einer  Rede- 
weise, wie  sie  im  ersten  Kapitel  der  Apologie  gezeichnet  ist.  20  C  sind 
die  Worte  el  py  zi  izpazzsg  dXXotov  rj  ol  noXXot  ohne  Klammer  beibe- 
halten, indem  erklärt  wird,  dafs  sie  zwar  allenfalls  entbehrt  werden 
könnten,  aber  keineswegs  störend  seien.  Auch  ich  wäre  für  Beibe- 
haltung. 21  A  steheu  in  dem  Satze  ohzog  epög  zs  kxdipog  rtv  ex  veou, 
xai  v/xwv  -w  Titydet  iraTpdg  zs  xai  <-uvi<p<jye  z/jv  (puyrjv  zaözr^  die  Worte 
ezcupog  ze  xai  ohne  Klammer.  Ich  glaube,  dafs  man  für  die  Tilgung 
dieses  wenig  geschickten  Zusatzes  sein  mufs.  21  C  wird  geschrieben 
otacrxonwv  oüv  —  zoüzov  ovdpazi  yap  oüSsv  ddopai  Xiyziv  xzX.  Dafs 
diese  Verbindung  etwas  Unnatürliches  hat,  sieht  wohl  ein  jeder;  dafs 
der-  von  Goebel  dafür  angeführte  Grund,  nämlich  weil  bei  oiaaxonziv 
sich  sonst  nirgendwo  ein  persönliches  Objekt  finde,  nicht  stichhaltig 
ist,  hat  Kral  in  der  Vorrede  zu  seiner  Ausgabe  S.  XI  gezeigt.  —  21  E 
aca&avopevog  pkv  xai  hmobpzvog  xai  deoiojg,  indem  offenbar  xai- xai  als 
korrespondierende  Partikeln  gefafst  und  die  beiden  letzten  Participien 
dem  ersten  subordiniert  werden.  MS  klammert  das  erste  xai  ein,  wo- 
durch auf  jeden  Fall  die  Ausdrucksweise  verständlicher  und  gefälliger 
wird.  Doch  eine  Notwendigkeit  der  Tilgung  des  xai  kann  nicht  be- 
hauptet werden.  22  A  Tva  poi  xai  dveleyxzog  y  pavzeia  ysvoizo  mit 
der  auch  von  Bertram  gegebenen  Erklärung.  Goebel  vergleicht  gut 
unser:  »Er  zog  gesund  in  den  Krieg,  um  als  elender  Krüppel  heimzu- 
kehren«.    22  C   äzfja   oüv   xai   ivzsü&ev  m»  auzw  oidpsvog  Tiepiyzyovivai^ 


Goebel,  Apologie  und  Kriton.  155 

MS  tw  o.u-oj  abrwv,  ein  Zusatz,  der  gegenüber  dem  folgenden  ajxsp 
xal  tujv  7toXtTixwv  als  notwendig  erscheint.  23  A  xal  <patvexai  xoüxo 
Xsyecv  ~uv  üatxpdxy,  7tpoaxe%pija&at  dk  zip  ip.a>  dvö/iaxt  mit  der  Er- 
klärung :  »Das  tooto  weist  auch  hier  auf  das  folgende  oti  ouxog  ujiujv  etc. 
hin  und  wird  nach  der  Zwischenbemerkung  (meinen  Namen  aber  ge- 
braucht er  nur,  indem  er  mich  als  Beispiel  aufstellt  etc.)  durch  uja-zp 
av  ei  etnoc  etwas  locker  aufgenommen. a  Dieser  Erklärung  gegenüber 
ist  ganz  gewifs  an  der  Lesart  toüt'  ob  Xsysiv  festzuhalten.  Wenn  übri- 
gens Goebel  patvexat  to~jto  liytiv  »offenbar  will  er  dieses  sagen« 
übersetzt,  so  ist  die  Übersetzung  ungenau.  23  C  wird  zu  abxöpiaxot  in 
den  Worten:  IJpbg  ok  zoözuig  oi  viot  poc  iitaxoXooBouvxeg ,  otg  pdhara 
G'/ofy  ao~Tiv,  oi  tujv  Tt\ooOiU)xdxu)V,  abxöiuaxoi  %a/pou<TiV  dxouovxeg  S:ZTa- 
Zopievotv  xtä.  bemerkt:  *abxdp.axoi,  durch  parenthetische  Einschiebsel  von 
inaxoAou&obvxeg  getrennt  und  dadurch  noch  mehr  hervorgehoben«.  Ich 
habe  diese  Auffassung  schon  bei  der  Ausgabe  von  Bertram,  der  sie 
teilt,  besprochen.  24  A  soll  der  Zusatz  xal  tujv  noXtxtxwv  durch  fol- 
gende Darlegung  gerettet  werden:  »Dafs  Anytos  als  Repräsentant  so- 
wohl der  Gewerbtreibenden,  als  auch  der  Staatsmänner  bezeichnet 
wird,  ist  im  Munde  des  Sokrates  nicht  ohne  Ironie.  Auch  mochte  er 
den  Lykon  nicht  gerade  als  einen  Staatsmann  aufführen ;  daher  macht 
er  ihn  zum  Vertreter  der  oben  (Kap.  6—8)  nicht  besonders  genannten 
Klasse  der  pr/xopeg  (=  oi  elat&öxeg  heyeiv),  die  im  weiteren  Sinne  aller- 
dings zu  den  nohxtxot  gehören.  Vergl.  32  B«.  Das  letzte  weist  doch 
selbst  darauf  hin,  dafs  hier  die  py-opsg  an  Stelle  der  tioIitixoi  eintreten. 

25  A  ist  oi  ixx/\rjacaa-ai  nach  oi  iv  xf)  ixxhjaia  beibehalten.  Der  Zu- 
satz erscheint  geradezu  unerträglich.  26  A  tujv  toioutujv  xal  äxo>joiujv. 
Es  werden  zwei  Möglichkeiten  der  Erklärung  geboten:  »Entweder  ist 
xat  explikativ  zu  nehmen,  ähnlich  wie  nach  noXhu  und  ulcyoi,  oder 
tujv  xotouxwv  heilst  so  viel  als  »so  unbedeutender«,  wie  25  D  TijXixoorog 
und  xrjkxoads  =  »so  jung  und  so  alt«.  Was  die  erste  der  gebotenen  Mög- 
lichkeiten anlangt,  so  mül'ste  man  doch  übersetzen:  wegen  derartiger  und 
zwar  unfreiwilliger  Vergehen,  was  logisch  inkorrekt  ist,  da  »derartigt 
hier  eben  »unfreiwillig«  ist;  im  zweiten  Falle  würde  Sokrates  die  ihm 
zur  Last  gelegten  Vergehen,  denn  an  diese  könnte  doch  nur  gedacht 
werden,   für  unbedeutende   erklären,   was   doch  geradezu  anmöglich  ist. 

26  C  sind  die  Worte  xal  abzog  dpa  vo/itZoi  etvat  &eoug,  x<l\  oöx  eipl  vb 
napdnav  ä&sog  obSk  xauzfi  dStxöj  in  Parenthese  gesetzt,  und  sie  werden 
in  der  Note  für  eine  parenthetische  Folgerung  erklärt,  die  gram« 
inatisch  ganz  unabhängig  sei.  Meines  Erachtens  kann  es  gar  keine 
Frage  sein,  dafs  auch  diese  Worte  von  dem  voraufgehenden  nörepov 
abhängig  sind  und  die  Parenthese  also  zu  tilgen  i^t.  26  D  ist  die  Lesart 
'Ava^ayopou  tnac  xaxyyopelv,  3t  y.'/s  MiÄqxe,  w.}  »■irei  xaray>p*9v8tg  rwvde 
xal  oiet  xtä.  ruhig  beibehalten  ohne  jede  Erörterung,  So  einfach  liegt 
die  Sache  keineswegs.     26  E   ix  nyc  dp^rjarpag  npeafiivotc-     Es  werden 


156  Goebel,  Apologie  und  Kriton. 

die  beiden  bekannten  Möglichkeiten  der  Deutung  vorgeführt,  dafs  ent- 
weder an  einen  Buchhandel  in  der  Orchestra  zu  denken  sei,  was  Goebel 
für  das  wahrscheinlichere  hält,  oder  dafs  gemeint  sei,  »dafs  die  drama- 
tischen Dichter,  insbesondere  Euripides,  6  axijvexbg  <ptX6oo<poG,  der- 
gleichen philosophische  Lehren  auf  die  Bühne  brachten.  Der  ungenaue  Aus- 
druck »auf  die  Bühne  brachten«  verleitet  ihn  dann  zu  dem  irrtümlichen 
Zusatz,  dafs  bpyrjarpa  dann  Synekdoche  =  axr^  oder  (Hoirpov  wäre. 
Beide  Erklärungen  sind  wenig  wahrscheinlich.  Das  Richtige  giebt  wohl 
v.  Wilamowitz-Mölleudorf  in  Hermes  XXI,  H.  4.  1886,  S.  603,  Anm.  l. 
Wir  wenden  uns  zu  der  vielgeprüften  Stelle  27  D  E.  Hier  setzt 
Goebel  die  Worte  vöfroi  revkg  rj  ix  vt>[i<pu>v  rt  ix  ztvtuv  aA/Mv,  ujv  dr,  xal 
Xiyovzat  in  Parenthese,  indem  er  sie  für  einen  epexegetischen  Zusatz 
erklärt,  auf  den  für  die  Argumentation  als  solche  nichts  ankomme. 
Das  ist  nicht  richtig.  Soll  die  Argumentation  für  den  Athener  irgend 
welche  Bedeutung  haben,  so  mufs  sie  sich  auf  den  Boden  des  attischen 
Volksglaubens  stellen.  Dies  geschieht  ganz  bestimmt  bereits  mit  den 
voraufgehenden  Worten:  zobg  de  daijiovag  obyl  rjzoi  Heobg  ye  r^obpzba 
rj  &aa>v  natdag;  und  das  geschieht  von  neuern  hier  unter  ausdrücklicher 
Hervorhebung  (Vergl.  cuv  orj  xal  Xiyovzat).  Indem  so  die  Argumen- 
tation den  Boden  des  attischen  Volksglaubens  gewinnt,  mufste  nun  auch 
der  Athener  bei  deu  Göttern,  an  die  nach  dieser  Argumentation  So- 
krates  glaubt,  an  die  Götter  des  attischen  Volksglaubens  denken  und 
konnte  darunter  nicht  ezepa  xatva  dacpdvca  verstehen  Tobg  rjpcdvo'jg 
ist  eingeklammert,  weil  »dieser  Zusatz  im  Munde  des  Sokrates  nur  dann 
Sinn  hätte,  wenn  er  vorhin  das  vo&oc  zivzg  als  wesentlich  urgieren 
wollte«.  Demnach  mufs  die  Klammer  beseitigt  werden,  wenn  unsere 
obige  Darlegung  des  Zusammenhanges  richtig  ist.  Dann  darf  es  aber 
nicht  waxep  av  e?  zeg  Ttttiojv  pkv  Tiatdag  ijyoczo  ij  xal  ovojv  heifsen,  wie 
Goebel  liest,  sondern  das  rj  vor  xae  ist  zu  tilgen.  27  E  Anfaug  liest 
Goebel  dXX ,  tu  MiXrjze,  oux  sazcv  dnatg  ab  vauza  obyl  d-onecpujpevog 
iypdipco  [~rjv  ypaiprjv  rawTjyv]  rt  dnopwv  xzX.  Der  letzte  Satz  von  27  E 
erscheint  in  folgender  Gestalt:  oticus  de  ab  riva  Tree'&ocg  av  xal  aptxpbv 
youv  vobv  e'yovza  dv&pujTiojv  (ojg  ob  roh  auzou  iure  xae  daipovia  xal  ßeTa 
rjyeca&at,  xal  au  zob  auzou  prtze  daipovag  p^/~£  &£obg  [p^e  r^ocuag]), 
oudepc'a  pY/avrj  iaziv.  Das  unhaltbare  youv  ist  demnach  beibehalten, 
sodann  ist  wieder  einmal  die  Parenthese  angewandt,  aber  wiederum 
nicht  mit  Glück.  Das  Verbum  xec&oeg  fordert  unbedingt  ein  sachliches 
Objekt,  und  dieses  kann  nur  in  dem  Satze  mit  cog  gegeben  sein.  Dann 
mufs  aber  ob  vor  zob  auzou  gestrichen  werden.  Wenn  schliefslich  Goebel 
das  zweite  zob  auzou  unbeanstandet  läfst,  so  mufs  gesagt  werden,  dafs 
logisch  genommen  dieses  nicht  blofs  überflüssig,  sondern  auch  störend 
ist.  Doch  kann  man  sagen,  dafs  ein  grofser  Nachdruck  auf  diesem 
zob  aÖTou  liegt,  und  dafs  wir  in  der  improvisierten  Rede  (diese  soll 
ja    hier    nachgeahmt    werden)    solche  Begriffe    selbst   gegen   die   Logik 


Goebel,  Apologie  und  Kriton.  157 

wiederholen.  So  liefse  sich  also  diese  Wiederholung  psychologisch 
rechtfertigen.  28  A  d  dy  noXXobg  xal  äXXo'jg  xal  dya&obg  avdpag 
rjpyxev,  oljxac  ob  xal  aiprjost  (MS  noXX.obg  xaXobg  xal  dya&obg  —  — 
acp^ascv),  indem  gesagt  wird:  »noXXobg  steht  prädikativ  (in  grofser  Zahl 
=  oft  schon);  das  erste  xal  heifst  »auch«,  das  zweite  »und  zwar«. 
30  E  wird  puaxf'  richtig  als  Pferdebremse  gefafst.  Ibid.  wird  inter- 
pungiert  og  bpäg  iystpiov,  xal  mtftujv  xal  övscSc^ojv  Iva  Ixaazov,  obokv 
nduopai,  so  dafs  die  beiden  letzten  Participia  dem  ersten  untergeordnet 
sein  sollen.  Eine  unhaltbare  Auffassung.  Wen  ich  überzeugen  will,  der 
mufs  schon  aufgewacht  sein.  31  B  elyov  av  ziva  Xöyov.  Besser  MS 
zlyev  xzX.  31  C  ^upßouXebw  nspudtv  xal  izoXu7:paypovu>.  Besser  MS 
TioXwapaypoviöv.  31  E  ou  yäp  zaztv  oaztg  ävd-pwxaiv  aiuMfizzat  ouzz  bpTv 
ouze  aViO>  nXrftzi  oboevc  yv^aaug  iva.vztubp.zvog.  »Die  Dative  können 
wegen  der  Negation  nur  abhängen  von  aojU^azza'.,  nicht  von  ivavztobpzvog.«. 
Das  giebt  einen  schiefen  Sinn.  32  A  prj  bnzcxatv  oz  dpa  xal  dp  av 
dnoXöiprjV.  Eine  meines  Erachtens  vollkommen  unhaltbare  Lesart.  32  B 
werden  die  Worte  xal  zvavzia  ifaptoäpr^v  geschützt  durch  die  Erklärung: 
»Diese  Worte  lassen  sich  füglich  auf  die  Abstimmung  unter  den  Pry- 
tanen  selbst,  ob  sie  der  ungerechten  Forderung  des  Volkes  nachgeben 
sollten,  beziehen.«  Aber  dem  Zusammenhange  nach  denkt  man  doch 
hier  nur  an  sein  Auftreten  dem  wütenden  und  tobenden  Volke  gegen- 
über. 33  B  dXX  bpoc'wg  xal  nXoualco  xal  nevijxt  Tiapzyiu  ipauzbv  (ipcozwv 
xal,  idv  Ttg  ßobXryzai,  änoxpcvbpzvog)  dxobztv  div  dv  Xz'ycu.  Eine  schwer- 
lich haltbare  Konstituierung  des  Textes.  35  B  sucht  Goebel  die  Lesart 
ouze  bpäg  ypij  noieiv  zu  rechtfertigen.  Meines  Erachtens  mufs  es  un- 
bedingt rjpdg  heifsen.  37  B  zobzou  ripyjodpevog  im  Texte,  in  der  An- 
merkung heifst  es  aber  unter  auderem:  »Oder  ist  etwa  zoü  (=  rcvog) 
zu  schreiben?«  Das  kann  meines  Erachtens  kein  Zweifel  sein.  37  C 
ou  yäp  eazi  poc,  ypyjpaza  bnothv  exzioio.  Eine  geradezu  unglückliche 
Weise  der  Interpunktion.  In  der  Anmerkung:  »Das  Wort  yp^paza  ist 
wohl  Glossem?«  Diese  Vermutung  entbehrt  jedes  Grundes.  40  E  xal 
yäp  obdzv  r.lzb>v  6  nag  xpovog,  nicht  nXzta>v  mit  der  Erklärung:  obSzv 
nXelov  (=  nihil  plus,  nichts  weiter)  verlangt  der  Sinn;  odSkv  -Xzuuv 
hiefse  »gar  nicht  längere     Ich  stimme  dieser  Auffassung  bei. 

Kriton  45  B  wird  für  £evot  ouroi  ivftddz  gelesen:  csW  zzc  (=  auch 
noch)  zvitddz  (sc.  eloh)  It.  ävaX.:  »ouroe,  welches  auch  nur  prädikativ 
sein  könnte,  kann  neben  zvhdoz  nicht  wohl  bestehen«.  48  B  KP.  (dijAa 
8y  xal  xabza,  <fairj  yäp  &v,  m  Sdtxparsg.  20.  \lXrti>ft  keyetg.  Die  Worte 
Kritons  werden  erklärt:  »Freilich,  denn,  das  zeigt  ja  offenbar  auch  der 
vorliegende  Fall,  würde  er  sagen«.  Das  ist  mir  nicht  recht  klar.  48  E 
liest  Goebel:  iug  iy<b  nep\  noXXoo  notoupat  Ttaooat  <tz  raora  npdvrstv  und 
giebt  folgende  Erklärung:  »wie  ich  denn  groJEsen  Wert  darauf  lege,  dich 
davon  abzubringen,  so  zu  handeln  oder  dieses  zu  betreiben,  i.  e.  noXXdxtg 
pot  Xzyztv  zbv  abzbv  Xbyov  xzX. ,  jedoch  nicht  ohne  deine  Zustimmung«. 


158  Goebfil,  Apologie  und  Kriton 

Ich  gebe  der  Lesart  r.eiaag  ae  zabza  npdrzeiv  den  Vorzug.  Goebel 
sagt  allerdings:  »Bei  Hermanns  Lesart  neiaag  <re  r.  7i/>.,  d.  b.  dich  über- 
redet habend  =  »mit  deiner  Zustimmung  hierin  zu  handeln« ,  würde 
Tieiaaq  ae  nur  positiv  dasselbe  besagen,  was  durch  <).),/,<).  fiij  Sxovxoq 
negativ  ausgedrückt  wird.  Auch  ist  der  Zusammenhang  mit  dem  un- 
mittelbar voraufgehenden  nicht  recht  klar«.  Aber  der  erste  Grund  ist  hin- 
fällig; denn  vielfach  lieben  wir  es,  wenn  wir  auf  etwas  grofsen  Nach- 
druck legen,  dasselbe  positiv  und  negativ  auszudrücken,  sodann  scheint 
mir  der  Zusammenhang  ganz  klar  zu  sein.  Sokrates  fordert  den  Kriton 
zu  gemeinsamer  Prüfung  auf,  denn  es  liegt  ihm  sehr  viel  daran,  dafs 
er  das  was  er  thut  (nämlich  dafs  er  sich  der  vom  Staate  über  ihn  ver- 
hängten Strafe  nicht  entzieht)  mit  der  inneren  Zustimmung  des  Kriton 
thut  und  nicht  gegen  seinen  Willen.  Dieser  Gedanke  scheint  mir  dem 
Zusammenhange  besser  zu  entsprechen  als  der  bei  Goebels  Konstituierung 
des  Textes  sich  ergebende.  51  D  steht  im  Texte  d  prj  dpiaxocp.su ,  in 
der  Anmerkung  aber  »sc  prj  dpiaxocpsv  (oder  dpiaxopsv?)« .  Mir  er- 
scheint dpiaxopsu  durchaus  als  das  richtigere.  52  D  y>doxovr£g  as  copo- 
Xoyrjxivac  noXcrsösa&ac  (MS  7ioXczsöasoDac)  xa&'  rj/mg  spyoj  \dXX'  ob  Xoyoj]. 
Die  Einklammerung  der  letzten  Worte  wird  durch  folgendes  gerecht- 
fertigt: »Wenn  spyoj  wie  51  E  mit  copoXoy.  zu  verbinden  ist,  so  erscheint 
der  dann  vielmehr  abschwächende  als  steigernde  Zusatz  als  ein  müfsiges 
Glossem«.  Aber  meines  Erachtens  liegt  es  viel  näher  es  mit  noXczsbosfrac 
zu  verbinden,  und  dann  ist  auch  gar  kein  Anstofs  daran  zu  nehmen.  Es 
wird  mit  diesem  Zusatz  bestimmt  auf  die  Reden  hingewiesen,  die  Sokrates 
so  oft  im  Munde  geführt  hat,  log  y  dpszrj  xal  jy  oixacoabu^  r.Xscazoo 
a£cou  zolg  duftpuirrocg  xal  zd  uöpcpa  xal  ol  u6p.oc.  53  C.  Vergl.  53  E. 
—  52  E  werden  die  Worte  ^uu&yxa;  zag  r.pbg  t^päg  abroug  im  Texte 
beibehalten.  Doch  nimmt  Goebel  in  der  Anmerkung  Anstofs  an  abzobg 
(»Was  die  Hervorhebung  des  rjpäg  durch  abroug  bezweckt,  sieht  man 
nicht«),  und  vermutet  aauzob  (zs).  Die  Vermutung  ist  kaum  eine  glück- 
liche zu  nennen.  53  A  werden  die  Worte  SrjXou  oze  zhc  yap  dv  nöAtg 
dpiaxoe  dusu  vopcuv  durch  die  Erklärung  geschützt:  »Das  fast  adverbiale 
drjXou  ozt  =  »das  ist  klar«  gehört  lediglich  zu  dem  letzten  Begriff  uöpota. 
Dafs  so  ein  richtiger,  dem  Zusammenhange  entsprechender  Sinn  heraus- 
kommt, ist  mir  gewifs,  zweifelhaft  aber,  ob  die  Ausdrucksweise  eine 
korrekte  ist.  54  A  wird  gelesen:  ol  yap  sruzrjSsioc  ol  aol  sr.cpsXrjaovzac 
abzwu.  nozepou,  käu  slg  SszzaXcau  dnoorjprjaflg,  ETicpsXyaouzac,  iäv  8k  xzX. 
Die  Anmerkung  giebt  folgende  Erklärung:  ol  yap  (»freilich«)  sr.czijdscoc 
ol  aoe  impsXyoouzac  abzwu  antwortet  der  Fragende  mit  ironischem  Tone 
aus  dem  Sinne  des  Sokrates,  um  diesen  sogleich  durch  die  folgende 
Frage  ad  absurdum  zu  führen.  Die  Wiederholung  des  Zeitworts  er.ip.eL 
und  dnodrjp..  bietet  bei  dem  Charakter  der  Rede  nicht  den  mindesten 
Anstofs.«  Das  Letzte  ist  richtig,  aber  die  Grundlage  der  Erklärung 
falsch.     Die  Worte  ol  yap  smzrjöscoc  ol  aol  sTicpsXrtaouzac  abzwu  können 


Purves,  Selections  from  the  dialogues  of  Plato.  159 

nicht  ironisch  aufgefafst  werden.  Das  würde  ja  ein  herber  Tadel  gegen 
die  Freunde  des  Sokrates  sein  und  nicht  in  den  Zusammenhang  passen, 
der  doch  nur  folgender  sein  kann:  »Die  Dir  nahe  Stehenden  werden  ja 
für  Deine  Kinder  sorgen.  Aber  das  werden  sie  doch  ebenso  gut  thun, 
wenn  Du  in  den  Hades,  als  wenn  Du  nach  Thessalien  ausgewandert 
bist«.     Der  ironische  Ton  beginnt  erst  mit  rrorepov. 

Beigegeben  sind  der  Ausgabe  zwei  recht  brauchbare  Register,  ein 
Register  der  Eigennamen  und  ein  Register  zu  den  Anmerkungen. 

Die  Ausgabe  macht  den  wohlthuenden  Eindruck  einer  sorgfältigen 
und  gewissenhaften  Arbeit,  und  wir  stehen  trotz  mancher  Abweichungen 
in  der  Auffassung  nicht  an,  sie  als  ein  im  ganzen  brauchbares  Schul- 
buch zu  bezeichnen. 

Selections  from  the  dialogues  of  Plato  with  introductions  and  notes 
by  John  Purves  and  a  preface  by  B.  Jowett.  Oxford  1883.  8. 
XXIX.  und  404  S. 

Die  von  Purves  und  Jowett  gemeinsam  getroffene  Auswahl  ent- 
hält die  Apologie  und  den  Kriton  ganz  und  aufserdem  ausgewählte  Ab- 
schnitte aus  sechzehn  Dialogen:  Charmides  155  E- 158  E,  Lysis  207  D 
— 210  D,   Laches  182D-184A,  Protagoras  310  A-316  A,  Jon  533  C 

—  535  A,  Phaedo  Anfang— 69  E  und  114  D— Schlufs,    Symposion  215  A 

—  216  C  und  220  C-222  A,  Phaedrus  228  A  — 230  E,  245  C-249  D, 
258  D-259  D  und  274  B  — 275  B,  Cratylus  425  B  -  428  D,  Gor- 
gias  511  C— 512  B  und  521  C— Schlufs ,  Alcibiades  I  120  E-124  B, 
Republ.  I  Anf.  -331  D,  II  376  E  — Schlufs,  III  405  C  — 408  C  und 
414  B- Schlufs,  V  472B-474B,  VI  487  A-489  C,  VII  Anf.-520  E, 
VIII  557  A  -  558  C  und  562  A  — 563  E,  IX  588  A  — Schlufs,  X  613  E 
—Schlufs,   Timaeus   20D-26E,   Phileb.    15  D  -  17  A,  Theaet.    172  C 

-177  C,  Legg.  I  644  D— 645  C,  III  676  A— 682  E,  IV  719  C-720  E, 
VII  816  D  -817  D,  X  887  C-891  A. 

Wir  müssen  uns  begnügen  den  Inhalt  der  von  Jowett  gegebenen 
Einleitung  ihren  wesentlichsten  Punkten  nach  kurz  darzulegen  und  zu 
besprechen.  Die  vorliegende  Sammlung  soll  nicht  eine  Einführung  in 
das  platonische  System  sein;  sie  hat  einen  mehr  litterarischen  als  philo- 
sophischen Zweck.  Bevor  der  junge  Studierende  für  abstraktes  Denken 
reif  ist ,  kann  er  sich  mit  dem  Stil  Piatos  in  seiner  vollendetsten  Form 
mit  Vorteil  bekannt  machen,  er  kann  seinen  Geist  mit  schönen  Stellen 
anfüllen  zu  einer  Zeit,  wo  Einbildungskraft  und  Gedächtnis  noch  ihre 
volle  Frische  und  Kraft  haben.  Und  wenn  er  später  die  Stellen  im  Zu- 
sammenhange liest  und  ein  neues  Licht  auf  sie  fällt,  dann  wird  er  sich 
freuen  seine  alten  Freunde  wieder  zu  finden;  er  wird  zu  ihnen  mit  ge- 
steigertem Interesse  zurückkehren,  indem  er  wahrnimmt,  dafa  mehr  in 
ihnen  war  als  er  glaubte.  Einem  solchen  Zwecke  will  diese  Auswahl 
dienen,   und  man  mufs  zugestehen,  dafs  sie  von  diesem  Gesichtspunkte 


160  Purves,  Selectiona  froxn   the  dialoguee  of  Plato 

aus  betrachtet  eine  geschickte  und  gute  ist.  Dabei  entgehen  die  Män- 
gel, die  jeder  Auswahl  anhaften,  Jowett  selbst  nicht, 

Sodann  legt  Jowetl  den  Charakter  des  platonischen  Dialogs  in 
ansprechender  Weise  dar  und  entwirft  ein  anschauliches  Bild  von  dem 
Wesen  des  Sokrates.  Hierauf  bespricht  er  noch  zwei  Punkte:  die  popu- 
läre und  halb  poetische  Fassung  der  platonischen  Ideen  und  den  wahren 
Ursprung  und  die  wahre  Bedeutung  derselben.  Der  Verfasser  geht 
dabei  im  wesentlichen  von  der  bekannten  Angabe  des  Aristoteles  in 
Metaph.  XII  4  aus,  dafs  Sokrates  mit  Recht  zwei  Entdeckungen  zuge- 
schrieben werden  können:  die  der  Induktion  und  die  der  allgemeinen 
Begriffe.  Plato  nahm  nun  an,  dafs  die  allgemeinen  Begriffe  für  sich  be- 
stehen, und  auf  grund  dieser  Annahme  ergeben  sich  ihm  vier  Arten  der 
Erkenntnis,  denen  vier  Klassen  von  Dingen  entsprechen:  1.  Die  Dinge 
an  sich,  gathered  up  into  the  Idea  of  Good,  which  is  the  Divine  essence 
and  first  and  final  cause  of  them.  2.  Zahlen  und  Zahlenverhältnisse. 
3.  Sinnendinge,  welche  die  Erscheinungen  oder  Abbilder  der  Ideen  sind, 
geordnet  und  unterschieden  durch  die  Zahl.  4.  Die  Schatten  von  sol- 
chen Objekten ,  welche  die  Phantasiebilder  und  Schöpfungen  des  Men- 
schen sind ,  die  Welt  der  Dichter  und  Mythologen ,  die  von  der  Wahr- 
heit doppelt  entfernt  ist.  —  Wir  haben  hierbei  nur  darauf  hinzuweisen, 
dafs  die  den  Zahlen  und  Zahlenverhältnissen  von  Plato  beigelegte  Be- 
deutung bei  No.  3  durchaus  nicht  hinreichend  zur  Geltung  kommt.  Die 
Zahlen  und  ihre  Verhältnisse,  mit  andern  Worten  das  Mathematische 
hat  nicht  blofs  eine  ordnende  und  unterscheidende  Bedeutung  für  die 
Sinnendinge,  sondern  diese  werden  ihrem  Wesen  nach  durch  mathe- 
matische Verhältnisse  konstituiert. 

Diese  eben  skizzierte  Theorie  glaubt  Jowett  als  die  populäre  Form 
der  Ideenlehre  bezeichnen  zu  dürfen,  und  er  findet  dieselbe  namentlich 
in  der  Republik,  dem  Phädon  und  Menon.  leb  halte  diese  Bezeichnung 
für  eine  recht  bedenkliche;  nach  meiner  Ueberzeugung  ist  es  Plato  mit 
jener  Theorie  voller  wissenschaftlicher  Ernst,  und  er  wendet  sich  mit 
ihr  an  wissenschaftlich  denkende  Kreise.  Auch  glaube  ich  nicht,  dafs 
wir  hierin  eine  besondere  Form  der  Ideenlehre  haben,  die  später  von 
Plato  stark  modificiert  oder  gar  aufgegeben  worden  wäre.  Jowett  glaubt 
ferner,  dafs  gerade  gegen  diese  Form  der  Ideenlehre  sich  die  Angriffe 
des  Aristoteles  vorzugsweise  richten.  Er  fafst  diese  in  folgende  drei 
Hauptargumente  zusammen:  l.  Wie  ist  ein  Unterschied  zwischen  der 
Idee  und  dem  Sinnengegenstande  möglich?  2.  Wer  vermag  irgend  wel- 
che Beziehung  zwischen  den  Ideen  und  den  Sinnendingen  nachzuweisen? 
3.  Haben  solche  transcendentale  Speculationen  irgend  welchen  Nutzen? 
Damit  ist  die  eigentliche  Basis  der  aristotelischen  Polemik  gegen  die 
Ideenlehre  immer  noch  nicht  nachgewiesen,  die  damit  gegeben  ist,  dafs 
Aristoteles  die  caussa  efficiens  in  der  platonischen  Metaphysik  vermifst. 
Hat  Aristoteles   damit    recht,   so  ist  seine  Polemik  im  wesentlichen  un- 


Gitlbauer,  Piatonis  Laches.  161 

anfechtbar,  hat  er  damit  unrecht,  so  fallen  fast  alle  seine  Angriffe  ohne 
weiteres  in  nichts  zusammen.  Jowett  erachtet  die  aristotelische  Wider- 
legung Piatos  für  eine  definitive,  wenn  die  Theorie  Piatos  in  buchstäb- 
lichem Sinne  genommen  wird.  »But  the  ideas  of  Plato  are  really  poetry 
or  imagery.«  Mit  dieser  Verteidigung  geschieht  meines  Erachtens  dem 
Philosophen  Plato  kein  Gefallen.  Richtig  ist  dagegen,  dafs  all  den 
mannigfachen  Darstellungen  der  Ideenlehre,  die  sich  bei  Plato  finden, 
ein  Gedanke  zu  gründe  liegt:   Die  Wahrheit  der    allgemeinen  Begriffe. 

Einen  Fortschritt  findet  Jowett  in  den  späteren  Dialogen  Piatos, 
besonders  in  dem  Sophisten  und  dem  Staatsmann.  Die  phantasievolle 
und  schwankende  Sprache  verschwindet,  und  Plato  ist  ernstlich  bemüht 
die  Ideen  zu  verknüpfen,  nicht  mit  den  Erscheinungen,  sondern  unter 
einander.  Er  legt  nirgends  ihr  Verhältnis  zu  den  Erscheinungen  dar; 
er  ist  zufrieden,  dafs  sie  mit  einander  verbunden  sind,  und  betrachtet 
sie  nunmehr  als  die  Glieder  oder  Momente  eines  erkenntnistheoretischen 
Systems.  Bei  dem  Versuche  die  Ideenlehre  auf  ihr  logisches  Skelet 
zurückzuführen,  findet  Jowett  zwei  Sätze:  1.  Während  Aristoteles  und 
Sokrates  die  Idee  als  in  äufseren  Objekten  oder  in  dem  Geiste  selbst 
existierend  betrachten,  gewannen  für  Plato  die  Ideen  eine  solche  Inten- 
sität und  Realität,  dafs  sie,  wenigstens  für  eine  Zeit,  sowohl  von  dem 
Geiste  als  von  äufseren  Objekten  getrennt  wurden.  2.  Infolge  dieser 
Sonderexistenz  der  Ideen  zeigte  sich  eine  andere  Schwierigkeit,  die 
Frage  nach  ihrem  gegenseitigen  Verhältnisse.  Es  galt  das  Problem  des 
Einen  und  Vielen  und  damit  die  grofse  Frage  der  Aualysis  und  Syn- 
thesis  zu  lösen.  Es  mufste  gefunden  werden,  nicht  blofs  wie  das  Ganze 
in  seine  Teile  aufgelöst,  sondern  auch,  wie  die  Teile  in  ein  Ganzes 
vereinigt  werden  können.  —  Durch  No.  1  stellt  sich  Jowett  in  der  Auf- 
fassung der  Ideenlehre  auf  denselben  Boden,  den  Aristoteles  für  seine 
Polemik  gegen  dieselbe  dadurch  gewinnt,  dafs  er  die  causa  efficiens  in 
der  platonischen  Metaphysik  ignoriert;  aber  dieser  zieht  auch  die  not- 
wendige Konsequenz  dieser  Auffassung:  die  Ideen  sind  nichts  anderes 
als  aca&yzu  älötu,  die  für  die  Welt  und  die  Dinge  in  ihr  keine  Bedeu- 
tung haben.  Dafs  Plato  schliefslich  den  Ideen  nur  eine  Bedeutung  für 
unser  Denken  beigelegt  habe,  wie  Jowett  glaubt  und  wie  wir  es  z.B. 
bei  Shorey  wieder  finden,  davon  kann  ich  mich  nicht  überzeugen,  und 
auch  Aristoteles  geht  bei  seiner  Polemik  offenbar  von  der  Annahme  aus, 
dafs  Plato  den  Ideen  auch  für  die  Sinnenwelt  eine  Bedeutung  beigelegt 
habe,  und  sucht  nun  nachzuweisen,  dafs  ihnen  diese  in  Wirklichkeit 
nicht  zukomme. 

Piatonis  Laches.  In  usum  scholarum  rccensuii  et  verborum  in- 
dicem  addidit  Dr.  M ichacl  Gitlbauer ,  Professor  universitatis  \  ien- 
uensis.     Friburgi  Brisgoviae.     MDCCCLXWIY.      LS  S.     VI. 

Eine  Begründung  der  hier  vorliegenden  Gestaltung  des  Textes 
giebt  Gitlbauer  bekanntlich  in  seinem   Aufsatze    »Textkritische   Hemer 

Jahresbericht  für  AltertlniuiHwiaaunschuft  L.    (18S7.    I.)  H 


162  Gitlbauer,  Piatonis  Lacbes. 

kungen  zu  Piatons  Lacbes«  in  »Philologische  Streifzüge«  3.  Lief.  S.  169 
bis  198,  zugleich  geht  er  hier  in  der  Annahme  von  Interpolationen  noch 
weiter.  Seine  Grundanschauung  geben  folgende  Worte  auf  S.  171  wieder: 
»Ich  habe  mir  die  Überzeugung  gebildet,  dafs  die  Grundsatze,  die  ich 
für  die  Cäsarkritik  aufgestellt,  auch  hier  Gültigkeit  haben.  Ich  kann 
unmöglich  an  eine  derartige  direkte  Abhängigkeit  aller  Handschriften 
von  den  zwei  Hauptcodices,  wie  Schanz  sie  behauptet,  glauben  und  bin 
weit  entfernt,  alles,  was  diese  andern  Handschriften  richtiges  bieten,  für 
Coujectur  der  Schreiber  zu  halten.  Auch  das  Verhältnis  der  beiden 
Handschriftenklassen  zu  einander  stelle  ich  mir  in  der  Weise  vor,  dafs 
Varianten  in  den  Lesarten  selbst  sowohl  wie  auch  in  der  Wortstellung 
zu  einem  Schlüsse  auf  Randnoten  oder  Interlinearglossen  im  gemein- 
schaftlichen Archetypos  berechtigen.«  Zunächst  führt  Gitlbauer  die 
Stelleu  vor,  wo  er  abweichend  von  Schanz  die  kürzere  Fassung  einer 
der  beiden  Haupthandschriften  oder  einer  anderen  Handschrift  bevor- 
zugt, sodann  die  Fälle,  »wo  die  Handschriften  durch  ihre  Varianten  hin- 
sichtlich der  Wortstellung  als  Zeugen  gegen  die  Ächtheit  des  Textes 
auftreten«,  drittens  die  ungleich  häufigeren  Fälle,  »wo  eigentliche  Va- 
rianten uns  auf  die  Trübung  des  ursprünglichen  Textes  aufmerksam 
macheu  müssen«,  und  schliefslich  die  Stellen,  »wo  der  Text  ebenfalls 
verdorben  ist,  ohne  dafs  die  Handschriften  durch  ihr  Abweichen  von 
einander  uns  einen  Fingerzeig  bieten«.  Da  der  hier  gegebene  Text  auf 
dem  von  M.  Schanz  konstituierten  ruht,  so  kommt  es  für  die  Beurteilung 
der  vorliegenden  Ausgabe  namentlich  auf  eine  Vergleichung  mit  dem 
Texte  von  M.  Schanz  au.  Der  Unterschied  von  diesem  beruht,  wie  schon 
aus  den  angeführten  Worten  Gitlbauers  erhellt,  im  wesentlichen  darauf, 
dafs  Gitlbauer  an  vielen  Stellen  ein  oder  mehrere  Worte,  hier  und  da 
auch  ganze  Sätze  ausgeschieden  hat.  Wir  wollen  diese  Stellen  voll- 
ständig aufführen,  indem  wir  jedesmal  den  Text  geben,  wie  er  sich  bei 
M.  Schanz  findet,  und  das  von  Gitlbauer  gestrichene  gesperrt  drucken 
lassen.  178  A  TeHsacrfte  pkv  zbv  dvopa  pa%6p£vov  iv  ZnXocg ,  a>  i\tx:'a 
ze  xac  Ad%rjg-  ob  8'  evexa  upäg  ixeÄebaapev  auv&edaaa&ac  eyiö  ze 
xal  MeXyacag  o8e,  zoze  pev  oux  ehzopsv,  vuv  <5'  epoupev.  Ib.  elal  ydp 
zcveg  ot  ztuv  zocobzaiv  xazayeXdxJc  xac,  idv  zcg  auzocg  o~upßouXebö'rJzac, 
oux  dv  el'nocev  ä  voouaev  dXXd  azoya^öpevoc  zou  aupßouX.euopevou  dXXa 
Xeyouac  napä  zty  abzwv  oöqav.  B.  eazcv  ouv  toüto,  nspl  ob  ndXac 
zoaauza  napocpcd&pac,  zooe.  179  A  TMnnojov  8k  xal  obzog  ovoll  eyec 
zoupoü  nazpög.  B  ecSozeg  ouv  xac  bpcv  u'cecg  dvzag  *ecg  aupßouXrtv 
bjidg  napexaXeaapev  oze*  rj^adpe&a  pepeX^xevac  mp'c  auzwv,  ecTzep 
zeaev  dXXotg,  7zd>g  av  &epo.7:eu^evz£g  yevocvzo  dpeazoe-  el  o'  dpa  no/.Xdxcg 
p.7]  npooea^xaze  zbv  vouv  zip  zocouzoj,  unopv^aovzeg  oze  ob  yprj  abzou 
dpeXscv.  [Wegen  des  brMpv^aovzeg  ist  m.  E.  ein  derartiger  Zusatz  kaum 
zu  entbehren. J  C  zauza  Si)  bnacayuvope&d  ze  zobo8e  xac  ahccups&a 
zobg   Tiazipag   ypaJv.     DE   acarjrjcrazo   ouv  reg  ypcv  xal  zouzo  zb  pdfypa 


Gitlbauer,  Piatonis  Laches.  163 

ozc  xaXbv  ecrj  T<jj  vsüj  pad-sTv  iv  onXocg  pdysa&ac,  xal  infjvec 
zobzov  ov  vuv  bpscg  i&sdaaa&s  incdscxvbpsvov  xdz}  ixdXsus  d-sdaa- 
a&ac  E  soo^s  oi]  yprtvat  abzobg  zs  iX&scv  inl  &dav  zdvdpbg  xal  bpdg 
aupnapaX-aßslv.  180  A  rjdr,  oZv  bpdzspov  pdpog  aupßouXsbscv  xac  nspl 
zobzou  zou  pa&rtpazog,  efce  Soxsc  %p7Jvai  pavßdvscv  shs  pr).  181 A  dXX' , 
w  nacdsg,  Xdyszd  poc,  o<5'  iazl  l'wxpdzyg,  nspl  ob  ixdazozs  pdpvrj  afrs; 
Ibd.  Eo  ys  vr)  zrtv  r'Hpav,  w  Zwxpazsg ,  ozc  dp&ocg  zbv  nazdpa,  äpearov 
dvSpwv  ovza  xal  dXXwg  xai  Sr)  xai  ozc  olxsca  zd  zs  ad  rtpcv  bndpgsc 
xac  aol  zd  r]pdzspa.  B  obzog  pdvzoc  o  snacvdg  iazcv  xaXog ,  ov  ab  vuv 
inacvsc  bn'1  dvdpwv  dg~cwv  ncazsbsaßac  xac  eig  zauza  ecg  &  obzoc  inac- 
vouacv.  su  ouv  l'a&c  ozc  iyw  zauza  dxobwv  -yacpw  ozc  sb8oxcpsTg.  Ibd. 
ypr/v  psv  ouv  xac  npdzspdv  ae  (foczäv  abzbv  nap'  r)pdg.  C  ns.pl  8s  wv 
r)pg~dps$a  zc (fazs;  zc  8oxsT;  zb  pdßrjpa  zocg  pscpaxcocg  inczrjds  cov 
eJvac  r)  ou,  zb  paßslv  iv  onXocg  pdysaßac,  D  ocxacdzazov  pdvzoc 
poc  8oxsl  scvac  ipk  vswzspov  ovza  zwv8s  xal  dnscpözspov  zouzwv  dxouscv 
npdzspov  zc  Xdyouacv  xal  pavßdvscv  nap'  abzwv.  182  A  obzoc  yupvd&v- 
zac  oc  iv  zobzocg  zocg  nspl  zbv  nöXspov  opydvocg  yupva^bpsvoc.  Ibd. 
pdycazov  pivzoc  auzou  d(psXog,  ozav  Xußwacv  a'c  zdq~scg  xal  rjorj  zcvd  8drj 
pdvov  npbg  povov  r)  dcwxovza  dpuvopdvw  zcvl  incßdaßac  r)  xal  iv  <puyrj 
inczcßspdvou  äXXou  dpuvaaßac  auzöv  BC  nag  ydp  &v  paßwv  iv  onXocg 
pdysaßac  incßuprjascs  xal  zou  kgrtg  paßr]pazog  zou  nspl  zag  zdgscg  xal 
zauza  Xaßwv  xal  (pcXozcprftslg  iv  abzocg  inl  näv  dv  zb  nspl  zag  azpa- 
zrjycag  bppr)ascsm  Kai  rjorj  drJXov  ozc  zu  zouzwv  iyöpsva  xal  padrjpaza 
ndvza  xal  inczrj  osupaza  xal  xaXd  xal  noXXou  dgca  dvöpl  paßscv  ze 
xal  inczrjosuaac,  wv  xaßyyrjaacz'  dv  zouzo  zb  pd$rtpa.  CD  pr)  dzcpdaw- 
psv  8s  scnslv,  —  —  ozc  xal  sbayr^povdazspov  ivzaJj  #«,  ob  XP*j  rov 
dvdpa  sua-yrtpovdazspov  <pac'vsoBac,  ob  dpa  xal  Sscvdzspog  zo?g 
i%&polg  (pavstzac  Sca  zip)  sua'/^puabvrjV.  Für  dpa  ist  bei  Gitlbauer 
dXXd  gesetzt,  so  dafs  die  Stelle  bei  ibm  folgendermafsen  lautet :  pr)  dzc- 
pdawpsv  8k  slnscv  (sc  xac  zw  apcxpözsnov  8oxsl  scvac)  ozc  xal  sbayr^ 
povsazspov  •  dXXd  xal  oscvüzspog  rotg  iy&poTg  pavsczac  Sei  zr^v  suayrtpo- 
abvrtv.  182  D  ndvza  ydp  inc'azaafrac  dya&bv  ooxs:  slvuc  xal  8rt  xal  zb 
bnXczcxbv  zouzo,  sc  psv  iazcv  pdfypa,  onsp  (paalv  oc  dcSdaxovzsg ,  xal 
ocov  Ncxcag  Xsysc ,  yprj  abzb  pav  bdvecv.  sc  8'  sazcv  psv  prj  pdßrjpa, 
—  —  zc  xal  8doc  dv  abzb  pavftdvscv;  Xdyw  ok  zauza  nspl  auzou  scg 
zd8s  dnoßXd<pag ,  ozc  ocp.ac  iyw  zouzo,  sc  zc  rtv,  oux  dv  XisXrftdvac  Aa- 
xsSacpovc'oug.  —  183  A  sc  <?'  sxsc'vou^:  iXsX^Hstv  (Gitlbauer  iXsXrjHs:),  d'/.Ä 
ob  zobzoog  ye  zobg  8c8aaxdXoug  auzou  i XsXrt  H  s:v  abzb  zouzo,  ozc  sxsc- 
voc  pdXcaza  ziuv  EXXr]vwv  anouodZouacv  inl  zocg  zocouzoig  xal  ozc  nap' 
ixscvotg  dv  zcg  zcpyüslg  scg  zauza  xal  napd  zwv  SXXtuv  nXsttrc'  dv  io- 
yd&czo  yprjpaza.  —  B  dXX'  sbftbg  Ssupo  (fdpszat  xal  zolao  incosc'x- 
vuz'  slxozwg.  —  184B°#  ouv  xal  ig  doyr^  stnov,  [Gitlbauer  scnov\  ilzc 
sc'zs  ouzwg  pcxpdg  uxfsXcag  sysc  pdth/pa  ov  s"zs  fir]  ÜV  <faa\  xal  nnoa- 
nocouvzac  abzb  slvac  pdbrtpa,  oux  dgtov  tm%etpe7v  pavßdvscv.     xal  yay 

11» 


164  GitJbauor,  Platouis  Laches. 

öuv  pot  doxei,  ei  pev  deiXög  zig  ujv  olotro  au  zbv  eniozaabai,  Hpaabzepog 
dv   dt"   abzb   yevdpevog  ennpavzozepog  yzvotzo,    otog  r(v.  184  D  eu  dy 

z'yzt  äxoüoou  xal  aoü  nozepoj  zo?v  dvdpoev  abpipqtpog  ei.  —  E  xdv  zi 
zig  nzpl  dyaiviag  zoü  uieog  aol  ßouXrj  zirt  zi  y<>rt  dexetv.  —  Ibd.  oaztg 
zuyydvei  Imb  natoozpiß^  dyalhlj  nenaiSeufidvoe  xo.l  ita xrtxujg\  —  Ibd. 
'Eniozrjprj  ydp  olpai  dee  xpivenaat  dXK  ob  nXqßei  xb  pz//,ov  xaXöjg  xpt- 
Srjcrea&at.  —  185  A  uieiuv  ydp  nou  vt  ypqazvjv  $j  zdvavzia  yzvopzvatv 
xai  nag  o  oixog  6  zou  nazpbg  ouzcog  olxrjffSTCU,  bnotot  dv  ziveg  oi  n  ai- 
de g  yevojvzat.  —  185  C  axenzöpetia  oaztg  Yjpujv  zeyvtxbg  xal  zouzou 
ivexa  dedaaxdXoug  exz^aazo  xal  oazcg  fifj.  —  E  "Oaztg  [Gitlbauer  Ei 
zig]  äpa  rjjxcov  zeyvtxbg  nepl  <l>o%7Je  Bepaneiav  xal  otog  zz  xaXdig  zoüzo 
$  epaneüaai  xal  oza>  dtddaxaXoi  dya&ol  yeydvaotv  zouzou,  axznzeov. 
—  186A  intdeicat  auzoig  xal  dtdaaxdXoug  oiztveg  qpujv  yeyovaaiv ,  +o?* 
auzol  npöjzov  dya&ol  ovzeg  xzX.  —  B  tj  ei  zig  rjpwv  auzivv  eauzip  dedd- 
axaXov  pev  ou  <prtai  yzyovzvai,  d/X  ouv  zpya  auzbg  auzoü  zyzi  zinziv,  ent- 
deii-at,  ziveg  'AB^vaiajv  rj  zujv  ^eveov,  rt  doüXot  rj  iXeübepoi,  dt'  ixeivov 
üpoXoyoupevojg  dya&ol  yeyovaaiv  si  dz  prtdev  rtjih  zoüzujv  'jndoyzt,  dXXo'jg 
xeXebetv  &/Teiv.  —  186  D  xa&dnep  äpxt  Ad.yrtg  prt  d<pieafrai  az  ipoü 
diexeXeuezo  dXXd  epiozav,  xal  eyd>  vüv  napaxeXeuopai  aoi  prj  d<pie- 
o&at  Adyryzog.  —  187  B  et  ydp  vüv  dp^ea&e  npiuzov  naideuetv  axoneiv 
ypy ,  oux  zv  zip  Kapl  upiv  xtvduveuezai.  Gitlbauer  setzt  vor  oux  einen 
Gedankenstrich.  —  C  xal  ydp  ig  dpyyg  ivzeü&ev  ^pyöpqv.  —  D  a//' 
dpäze  ei  doxeT  yp^vai  ooztu  notzTv.  —  187  E  Ou  pot  doxeig  eidevat  ort, 
og  av  iyyuzaza  Zu>xpdzoog  jy  Xöyoj,  wanep  yevee,  xal  nXrtGiäZrj 
dtaXeydpevoQ  [auch  mir  erscheinen  diese  Worte  nicht  ohne  Bedenken], 
dvdyxrj  au  zw,  —  —  prt  nauzo&ac.  —  188  A  ineiddv  d'  epnear},  ozt  ou 
npozepov  auzbv  dcprjoei  2oj  xpdzyg ,  nplv  av  jSacraviojj.  —  Ibd.  xal  ezi  ye 
auzbg  ozt  Tieiaopat  zaüza  eu  otda.  —  188  D  xal  xopidfj  pot  doxet  pou- 
atxbg  b  zoiouzog  elvat,  dppovtav  xaXXco~zqv  r^poapevog  ou  Xüpav  oude 
natdiäg  öpyava  dXXd  zip  ovzt  £rjv  [rhoßoapevog  ou]  auzbg  auzoü  zbv 
ßi'ov  oupcpiüVüv  zoig  Xoyoig  Tipbg  zd  epya.  [Diese  letzten  Worte  rtpbg 
tol  \epya  erscheinen  auch  mir  dem  zbv  ßiov  gegenüber  überflüssig  und 
störend.  Vielleicht  ist  zu  schreiben  rjppoapevog  eu  auzbg  auzoü  zbv  ßiov 
oupipojvov  zoitg  Xoyoig.]  —  189  A  y^pdaxojv  ydp  71oX)m  diddaxzG&ut  ißeX.uj 
uTib  -/prtazu)V  povov.  —  189  E  dXX'  otpai  xal  rj  zotdde  axe(ptg  eig  zau- 
rbv  (pepei,  ayedbv  de  zi  xal  pdXXov  eq  dpy^g  ei-q  av.  ei  ydp  zuyydvo- 
pev  eTitazdpevot  bzouoüv  nepi  ozt  napayevupzvov  zoj  ßeX-cov  noteT  ixeivo 
5)  napeyevezo.  —  190 A  ei  zuyydvopzv  eniazdpzvot  ozt  o<{'tg  napaye- 
vopzvrj  Oip&aXpoig  ßeXzioug  notzi  ixeivoug  olg  napeyevezo,  xal  r.poa- 
ezt  dtoi  ze  eapev  noeecv  auzrjv  Tzapayiyveafrat  oppaat,  drtXov  ozt  oi[>tv  ye 
iopev  auz^v  ozt  rroz"  eaztv,  rtg  nepi  oüpßouXoi  dv  yevoipe&a  log 
äv  zig  auzrjv  paaza  xal  apiaza  xz^aatzo.  ei  ydp  pyd'  aurb  zoüzo 
eidetpev,  o  vi  noz'  eaztv  o(pig  %  o  zi  eaztv  dxofj,  o-yoX^  dv  oüpßouXoi  ye 
dgtot  Xdyou  yevoipe&a  xal  iazpol  vt  nepl  dcf&aXpwv  rj  nepl  cuzcov.  — 


Gitlbauer,  Piatonis  Laches.  165 

190  B  zt'v'  av  zponov  zolg  utzatv  aözdiv  dpzzrj  napayzvopzvrj  zag  (poyfcg 
dpzcvoog  noirjaztz',  C  reu'  av  zponov  zobzoo  abpßooXoi  yzvoc'pzßa  Srwoüu 
onojg  av  abzb  xdXXiaza  xzrjaaizo;  —  191 B  xal  ab  rb  zdiv  Zx'j&uxv  '•.-- 
nzcov  nzpi  Xzyzig.  zb  pzv  ydp  cnncxbv  rb  ixzivujv  ou~ai  ftdyerae,  rb  dz 
bnXizixbv  rb  yz  zwv  'EXXrjvoJV,  log  £yd>  Xzyoj.  —  191 C  ßouXdpzvog  ydp 
ffou  nu&zaßac.  —  Ibd.  xal  pr)  pdvov  zobg  iv  ~a>  noXzpoj  dXXA  xa\  zobg 
iv  zocg  Tipbg  zrjv  ddXazzav  xivdbvotg  dvopzioog  ovzag.  —  193  C  Kai 
oao:  drj  i&zXouaiv  —  —  xapzzpzcv.  —  D  Nuv  o'  au  ndXtv  <papkv  ixztvo 
zb  aca^pbv,  zrjv  dippova  xapzzpyaiv ,  dvdpzc'av  zcvac.  —  194A  7va  xal 
prj  7]p.u)V  abzrj  rj  dvdpzia  xazayzXdarj ,  ort  obx  dvdpzuog  abzrjv  fyzobpzv, 
el    dpa    noXXdxig   abzrj   rj   xapzzprßlq   iaziv   dvdpzia.  C  "/#.'   8y,    uj 

Ncxc'a,  avopdcrt  (plXucg  /zip.a^op.ivoig  iv  Xdyoj  xal  dnopobatv  ßojj&rjoov. 
—  Ibd.  doxzcze  zotvuv  poi  ndXai  ob  xaXwg  bpi£ea&at  zrjv  dvdpzc'av.  — 
t95B  inzl  abzixa  iv  zacg  voaotg  ob'/  ol  lazpol  zd  dztvd  in'.azavzai\  r)  ol 
dvdpzToi  Soxobai  aot  incazaa&ac;  r)  zobg  lazpobg  ab  dvdpzcoog  xa- 
Xztg;  —  C  "Ozt  oczzat  zobg  cazpobg  nXzov  zi  zldzvai  nepl  zobg  xdpvovzag  r) 
zb  byczcvbv  [zcnzTv  ocdv\  zz  xal  voaibdzg;  —  D  Olpac  z'ytoyz  zouzb  yz.  — 
Ibd.  nXrjv  zw  zibv  decvcvv  xal  pr)  dzivwv  incazrjpovc ,  ov  iydt  dvdpetov 
xaXu).  —  196  A  AXX'  iyuj  zobzou  ob  pav&dvco,  o  zi  ßobXzzai  Xzyzcv;  — 
C  AXX'  obdzv  pz  xcoXbzr  xotvrj  ydp  zcszai  rj  nbazig  bnkp  ipou  zz  xal 
aoü.  —  197A  Od  ydp  zi  eycuyz  dvdpzia  xaXdJ  ouzz  ftypca  ouzz  dXXo 
oubzv  zb  zd  dzivd  unb  dyvoia;  flij  (foßoupzvov  dXX'  d<foßov  xal  püjpov 
[Auch  mir  erscheint  dieser  Zusatz  k.ium  erträglich.  ]  r)  xal  zd  naioia 
Ttdvza  ol'zi  pz  dvopzla  xaXzlv,  d  8t'  dyvocav  o  udzv  SsSoixzv.  —  198D 
doxzT  ydp  dij  hfiöe  zz  xal  :wo£,  nzpl  oaiuv  zazlv  zraazrtprn  obx  dXXrj  p'zv 
zlvac  nzpl  yzyovözog,  zldzvat  ottyj  yzyovzv,  aXXrj  dz  nzpl  yiyvop.zviov ,  onjj 
ylyvzzai,  dXXrj  8z  onrj  dv  xdXXiaza  yzvoczo  [xal  yzvrjoszai]  zb  pr-oj 
yzyovbg,  dXX'  rj  abzr).  -  E  tug  zcduca  xdXXcov  zd  nepl  zbv  -bXzpov 
xal  yiyvdpzva  xal  yzv^adpzva.  —  199  C  xac'zoi  f/fieTg  r]piozcbpzv  dXrtv  8r) 
dvdpztav  8  zi  zt'rr  —  Ibd.  xal  vbv  Sy,  wg  zocxzv,  xaza  zbv  o~bv  Xdyov 
ob  pdvov  8zivwv  zz  xal  flaftpaXzcov  imazrjprj  r)  dvdpzia  zaziv ,  dXXd  a/z- 
növ  zi  rj  nzpl  Ttdvzojv  dyafiwv  zz  xal  xaxutv  xal  ndvT<og  i/övziuv,  wg 
vbv  ab  ö  rrbg  Xoyog,  dvdpzi"  dv  efy[.]  oüzojg  au  pzzazt^za&at  rt  -ib; 
Xzyztg,  o)  Stxi'a.  199  E  Kai  prjv  zyiuyz,  a>  <pc'X,z  Nixia,  (pprtv  az  zbpr)- 

(T£tv,  inzidij  zp.ob   xazzifpöv^cra^:  2\»xpdzz:  dnoxpivapivon.  200  C  z:  ds 

xal  ifiol  £v  rjXixta  r^iuv  ol  na78sg%   zabzd  av  n/:i:'  inofouv. 

Was  nun  das  Resultat  dieser  kritischen  Operation  anlangt,  so  wird 
man  unmöglich  im  ganzen  eine  Verbesserung  des  Textes  erkennen  können, 
eher  das  Gegenteil ;  vielfach  wird  auch  durch  die  vorgenommenen  Strei- 
chungen der  Sinn  verdunkelt  und  das  Verständnis  erschwert.  Was  iwei- 
tens  die  Methode  anlangt,  so  wird  man  den  Bicheren  Boden  vielfach 
gänzlich  vermissen  und  grol'sc  Willkür  linden,  oder  vielmehr  das  geist- 
volle Spiel  eines  hochbegabten  Mannes. 

Wir  geben  nun  die  übrigen  Abweichungen  von  dem  Texte  bei  Schanz. 


166  Gitlbauer,  Piatonis  Laches. 

Wir  übergehen  dabei  179  D  ffluit  ok  brj  zouzo  axonoüpev ,  zl  dv  obzoc 
pabövzeg  r)  inczrjoebaavzeg  ö  zc  Spearot  ydvocvzo;  da  das  zl  für  zc  offen- 
bar nur  Druckfehler  ist.  —  180  B  bzc  auzo7g  a/e86v  zc  radra  aufißalvet 
ä  obzog  Xdysc  xal  nepl  natoag  xal  r,ep\  zb./j.a  tota,  bhywpwg  isohai'  re 
xal  dpeXwg  dtaTt'&ea&cu.  MS  streicht  "eo-Hac,  Gitlbauer  behält  es  bei, 
indem  er  bXtywpwg  l'saßac  erklärt  »mit  Gleicbgiltigkeit  vorgehen«.  Phi- 
lologische Streifzüge  S.  193  wird  gesagt:  »tznbac  heifst  »sich  in  (schnelle) 
Bewegung  setzen«,  xept  n  demnach  »eine  Sache  (energisch)  in  Angriff 
nehmen«,  wozu  nun  bXcywpwg  ebenfalls  wieder  die  Kehrseite  bildet.«  So 
bildet  diese  Zusammenstellung  ein  Oxymoron ;  ein  solches  findet  Gitlbauer 
auch  in  dem  dpeXwg  8uxzi&eo&at ,  indem  er  erklärt:  »StariBea&ou  -ntpc 
zc  bedeutet  »hinsichtlich  einer  Sache  in  einer  Verfassung  sein«  und  zwar 
in  der  Regel  »in  der  Verfassung  sein,  sie  vorzunehmen,  auszuführen  = 
sich  dieselbe  angelegen  sein  lassen« ,  wozu  dpeXwe  sich  fast  wie  eine 
Negation  verhält.«  Die  Annahme  dieses  Oxymoron  ist  schwerlich  richtig; 
damit  aber  erscheint  das  bXcywpwg  "tabac  als  kaum  zulässige  Zusammen- 
stellung. —  180  D  dXXä  xac  zdXXa  b-nuaa  ßobXet,  Gitlbauer  r&XX3  ä  ß. 
—  181  B  xal  au  8k  r)you  pe  iv  zocg  y'  ebvobazazov  aoc  elvac,  Gitlbauer 
iv  zoTg  ebvouazdzocg  ecvac.  —  181  C  bnwg  dv  8caaw&jzt  xal  upeTg  zrtv 
ypezdpav  <pcAcav,  Gitlbauer  zrjv  bperipav  <p.  —  182  A  ob  yäp  dywvog 
d&Xyzat  iapev  xal  iv  ocg  rjpcv  b  dywv  TTpuxsczai,  Gitlbauer  ob  yäp  d&Xrr 
zac  iapev  xzX.  [Eine  m.  E.  kaum  haltbare  Lesart.]  —  182  B  ob  zdv 
und  ye  kvbg  ecg  b  zouz'  imazdpevog  obdkv  dv  nddoc,  Gitlbauer  bnb  yäp 
kvbg  ecg  xzX.  —  184  B  peydXag  dv  ScaßoXäg  l'ayoc,  Gitlbauer  a%oc'rj;  — 
C  xal  yäp  wanep  ezc  zou  Scaxpcvouvzog  doxec  poc  oecv  ijficv  ij  ßouXr), 
Gitlbauer  xal  yäp  wanepel  zou  Scaxpcvouvzog  bei  r)ptv  jy  ßouAy.  —  185  B 
Ouxouv  ezc  npozepov,  zt'vog  ovzog  zouzou  ^rjzoupev  zoug  bcoaaxdXoug; 
Gitlbauer  hat  ob  vor  Croupen,  welches  m.  E.  nicht  haltbar  ist.  —  185  E 

"Oazcg  dpa  ypwv  ze%vixbg axenzdov,  Gitlbauer  El'  zig  apa  xzX.  — 

186  A  Touzo  pkv  dArj&rj  Xeyeig,  Gitlbauer  dXrftebecg.  —  186  C  boxobac 
Srj  pot  buvazoc  ecvac  nacoeüaac  äv&pwxov  ob  yäp  äv  zcoze  doewg  dne- 
cpacvovzo  77$pl  inczrfieupäzwv  vdw  yp^azwv  zs  xal  Ttovrjpwv.  Gitlbauer 
nacSeuaac  vdov ,  und  dann  fehlt  vdw  vor  yprtazwv.  —  187  B  oux  iv  zw 
Kapl  upcv  b  xcvbuvog  xcvbuvebezac  dAX'  iv  zolg  upezdpocg  ze  xal  iv 
zocg  zöjv  <pcXwv  nacac,  Gitlbauer  dXX'  iv  zoTg  uieac.  Ibd.  xal  dze'/vwg 
zb  Xeyopevov  prj  xazä  zrjv  xapocpc'av  bpTv  ouftßfi,  Gitlbauer  xal 
dzeyywg  zb  Xeyopevov  upcv  aupßacvec  —  187  E  prj  xabeabac  bnb  zob- 
zou -nepcayöpevov  zw  Xbyw,  nplv  dv  ipndarj,  Gitlbauer  nplv  ipzeaeTv.  — 
188  D  olpac  ouok  <ppuycazl  oubs  XoStozc,  Gitlbauer  ocpac  ok  x:l,  wohl 
mit  Recht.  —  189  C  idv  ye  psza£b  äXXoc  Xoyoc  ydvwvzac,  Gitlbauer  iäv 
89j  xzX.  —  191  C  oux  iftsÄscv  pdvovzag  npbg  au  zoug  pä'/sa&ac,  Gitl- 
bauer oux  i.  p.  TTpoapdyso'&ac.  —  Ibd.  Touzo  zocvuv  dpzc  iAeyov,  ozi 
iyw  al'zcog  /zjy  xaXwg  as  dnoxpcvao&at;  Gitlbauer  Touzo  zocvuv  ac'zcov 
iXeyov  prj   xaXwg   xzX.    —     D    älm   xm.1   npbg   inc&upc'ag  V)  ijSoväg  Sscvol 


Bianchi-Cantu,  II  Fedone.  167 

Hd'/Eo&ai,  pevovzeg  ^  dvaazpzyovzzg,  Gitlbauer  xai  p.£vovzeg  y  dv.  [Die 
Weglassung  des  xai  ist  m.  E.  eine  Verbesserung.]  —  192  A  xai  ayeodv 
zi  abzb  xsxzrjjizda,  ob  xai  n£pi  ä£iov  X£yziv,  ^  £v  zaTg  zwv  yzipwv  npd- 
£eaiv ,  Gitlbauer  xai  ayzduv  zi  abzb  x£xzr/p.s8a  (ob  xaiitep  d~cov  X£yz>.v) 
7]  xzX.  [Die  Stelle  scheint  mir  noch  der  Heilung  zu  bedürfen. J  —  192  C 
zobzo  zoivov  ipoiye  (paivezai,  ^ozi*  ouzi  ndad  ys  —  xapzepia  dvdpzia 
aoc  paivezai,  Gitlbauer  zobzo  zoivov  i/xoiyz  paivezai,  obzoi  xzX.  —  195  C 
o?  Srjnoo  zoaobzov  povov  iaaaiv ,  Gitlbauer  di  dtj  zoaobzov  xzX.  — 
197  D  xai  ydp  poi  doxeig  zobSz  flij  fiaH^adai  ozi,  Gitlbauer  ou8'  iftk. 
[M.  E.  eine  unhaltbare  Lesart.]  —  198  D  olov  zspt  zb  byieivbv  eig  änav- 
zag  zobg  ypovoug  obx  äXXrj  zig  y  f]  lazpixrj  fiea  obaa  £<popa,  Gitlbauer 
oiov  —  —  obx  äXXrt  zig'  tj  lazpixrj  pia  obaa  xzX.  [Vielleicht  ist  zu 
schreiben:  obx  dXXrt  zig  rj  rj  lazpixrj,  rj  p.ia  obaa  ipopa.]  —  200  B  ab 
p.'sv  obv  fioi  ooxelg  öbg  äXrftwg  dv&pwneiov  npäypa  ipydZzaftai,  obdkv 
npbg  aaozbv  ßX£miv  dXXä  npbg  zobg  äXXoug-  Gitlbauer:  ab  pkv  obv  p.oi 
ooxeTg  utg  dXrftojg  dv&piumiov  npdypa  zpydZta&ai  ouok  npbg  aaozbv  ßX£- 
neiv  dX/M  npbg  zobg  dXXoug.  —  Ibd.  xai  jizza  Jdpwvog,  ob  ab  zi  ofet 
xazayeXäv,  Gitlbauer  ob  ab  noXb  oYei  x.  —  200  D  dXX'  opa,  et  rt  aob 
dv  pdXXov  bnaxoboi  Sojxpdrrjg.  Gitlbauer  zi  aob  dv  xzX.  —  201  A 
oudeig  ydp  expopog  Xdyou,  Gitlbauer  Xbyog.  [Xdyou  erscheint  mir  als 
die  richtigere  Lesart.] 

Angefügt  ist  auf  13  Seiten  ein  Wörterverzeichnis  in  sehr  ge- 
schickter Fassung,  welches  für  das  Verständnis  sehr  gute  Dienste  leistet, 
doch  ist  es  zu  knapp  gehalten.  Auch  bessere  Schüler  werden  geuötigt 
sein,  mauches  Wort  nachzuschlagen,  das  in  dem  vorliegenden  Verzeich- 
nisse nicht  steht.  Ein  unter  nißog  stehendes  Versehen  wird  auf  S.  196 
der   »Streifzüge«  in  der  Anmerkung  berichtigt. 

II  Fedone,  Dialogo  tradotto  in  Italiano  da  Antonio  Bianchi 
c  preceduto  da  un  discorso  di  Cesare  Cantu.  In  Napoli  1883.  12. 
XII,  109  S. 

Da  eine  Besprechung  der  Übersetzung  für  Deutsche  kaum  von 
Interesse  sein  dürfte,  so  können  wir  uns  hier  mit  einer  Darlegung  des 
Inhaltes  der  Einleitung  begnügen  und  zwar  in  der  Weise,  dafs  wir  uns 
auf  den  wichtigsten  Teil  derselben  beschränken.  Auf  eine  Schilderung 
des  geistigen  Wesens  riatos  folgt  eine  Darlegung  der  Grundzüge  seiner 
Spekulation:  »Plato  suchte  die  Erkenntnis  des  Göttlichen  in  einer  ur- 
sprünglichen Offenbarung  und  in  einer  inneren  Wiedererinneruug.  Er 
nahm  an,  dafs  die  Principien  der  Erkenntnisse  ihren  Sitz  in  dem  In- 
tellekt haben  müssen,  und  dafs  alles  darauf  ankommt,  die  festen  von 
den  schwankenden  zu  unterscheiden;  letztere  leiten  sich  von  den  Sinnen 
her,  während  die  anderen  auf  den  Ideen  beruhen.  Die  Untersuchungen 
lenkte  er  darauf  hin,  das  aufzufinden,  was  in  den  Dingen  fest  und  un- 
veränderlich   ist;    daher   sonderte   er   das   Meinen   von    dem   Wissen   und 


168  L'Ollivior,  Piaton  oxplique  par  lui-meme. 

stellte  fest,  dafs  keine  wissenschaftliche  Philosophie  sich  auf  die  Sin- 
neserfahrung gründen  könne.  Die  Existenz  des  Begrenzten  und  des 
Unbegrenzten  nahm  er  ohne  weiteres  als  wesentliche  Bedingung  der 
Wissenschaft  an  und  fand  in  der  Seele  gewisse  der  Vernunft  eigentüm- 
liche Begriffe,  die  er  Ideen  nannte,  Typen  der  Dinge  und  Principien 
unserer  Erkenntnis,  auf  die  wir  denkend  die  Unendlichkeit  der  einzelnen 
Objekte  zurückführen.  Sie  sind  in  der  Seele  von  vornherein  gegeben, 
und  die  Erfahrung  entwickelt  sie  allmählich ,  indem  sie  ihre  Abbilder 
vorführt;  so  ist  das  Erkennen  ein  Sichwiedererinnern  an  einen  Zustand, 
der  den  Banden  des  Leibes  voraus  liegt.  Wenn  nun  die  Gegenstände 
der  Sinneswahrnehmung  wenigstens  teilweise  den  Ideen  entsprechen,  so 
mufs  es  ein  den  Dingen  und  der  Seele,  die  eine  Erkenntnis  von  ihnen 
hat,  gemeinsames  Princip  geben,  und  dieses  Princip  ist  Gott,  der  die 
Dinge  nach  dem  Muster  der  Ideen  bildete.  Die  Seele  ist  thätige  Kraft 
an  sich,  und  infolge  ihrer  Vereinigung  mit  dem  Körper  wird  sie  zu 
einem  Teil  vernünftig  und  zu  einem  Teil  unvernünftig.« 

Damit  ist  die  Grundanschauung  Piatos  in  einfacher  Weise  richtig 
angegeben;  Neues  ist  damit  nicht  gesagt.  Die  folgenden  Seiten  der 
Einleitung  enthalten  namentlich  eine  Darlegung  der  platonischen  An- 
schauung vom  Wesen  des  Staates.  Das  Ganze  ist  ansprechend  ge- 
schrieben, enthält  aber  hier  und  da  ungenaue  oder  auch  falsche  An- 
gaben. So  heifst  es  z.  B.  auf  S.  8:  Donne  e  figliuoli  sono  possessione 
dell'  uomo,  privi  di  personalitä,  messi  in  comune  come  patrimonio  sociale. 

Piaton  explique  par  lui-meme.  Premiere  partie  Les  atomes 
par  Emmanuel  l'Ollivier,  professeur  de  philosophie.  Paris  1883. 
8.     70  S. 

Die  Abhandlung  hat  die  Form  eines  Gespräches,  in  welchem  Plato 
einem  Eremiten  seine  Philosophie  auseinandersetzt.  Wir  wollen  zunächst 
die  hauptsächlichsten  Gedanken  dieses  Dialogs  darlegen. 

Alle  Männer  der  alten  Welt,  welche  die  Wahrheit  gesucht  haben, 
haben  als  Grund  der  Gewifsheit  lediglich  die  mathematische  Evidenz 
angesehen.  Die  Principien  der  philosophischen  Wissenschaft  sind  von 
wunderbarer  Einfachheit.  Voraussetzung  ist,  dafs  der,  welcher  die  Wahr- 
heit sucht,  mit  vollkommener  Aufmerksamkeit  an  seine  Aufgabe  heran- 
geht, frei  von  jedem  Vorurteil  und  voll  von  dem  Verlangen  nach  Er- 
kenntnis und  von  Liebe  zur  Wahrheit. 

Wollen  wir  uns  von  den  Dingen  Rechenschaft  geben  und  das  Wie 
und  Warum  von  allen  Erscheinungen  aufsuchen,  so  müssen  wir  sie  ein- 
zeln betrachten  und  auf  ihre  ersten  gemeinsamen  Elemente  zurückführen, 
es  bedarf  hierzu  mit  einem  Worte  der  Analyse.  Die  A.nalyse  ist  die 
einzige  Methode  der  Philosophie.  Alle  Erkenntnis  beruht  im  Princip 
auf  Distraktion  und  Division.  Materie  und  Geist  haben  beide  ihre  Wich- 
tigkeit, nicht  von  einander  getrennt,  sondern  verbunden;  denn  sie  sind 


L'Ollivier,  Piaton  expliquö  par  Iui-meme.  169 

in  der  That  unzertrennlich  in  dem  All.  Ein  Hinweis  darauf  ist  auch 
die  doppelte  Natur  des  Menschen  Da  Materie  und  Geist  in  unserm 
eigenen  Wesen  harmonisch  geeint  sind,  so  mufs  dasselbe  Grundgesetz, 
welches  die  Materie  regiert,  auch  den  Geist,  d.  h.  die  geistige  Welt  re- 
gieren. Es  giebt  notwendigerweise  einen  Punkt  der  Vereinigung  zwischen 
dem  Körper  und  dem  Geiste,  und  diesen  gemeinsamen  Punkt,  dieses 
gemeinsame  Gesetz  mufs  man  finden. 

Bei  unsern  Untersuchungen  mufs  das  Materielle  die  erste  Stelle 
einnehmen,  denn  das  erste  was  wir  kennen  zu  lernen  vermögen,  ist  die 
sinnlich  wahrnehmbare,  sieht-  und  tastbare  Materie.  Wenden  wir  auf 
diese  jene  Analyse  an,  so  kommen  wir  auf  die  Atome.  Von  diesen  giebt 
es  zwei  Arten:  zusammengesetzte  und  wahrhaft  einfache.  Die  ersteren 
gehören  zu  der  Domäne  des  Materialismus,  die  andern  gehören  den  Spi- 
ritualisten,  d.  h.  den  wahren  Philosophen  an.  Mit  den  Atomen,  mag 
ihre  Natur  sein,  welche  sie  will,  endigt  die  physikalische  Analyse  und 
beginnt  die  Metaphysik.  Die  zusammengesetzten  Atome  sind  die  Grund- 
elemente der  physischen  Welt;  solche  sind  die  Dreiecke  im  Timäus.  Die 
wahrhaften  Atome  sind  unteilbar,  einfach,  immateriell;  sie  bewirken  die 
Teilung,  Gestaltung  und  Begrenzung  der  Körper.  Was  ist  nun  dieses 
Einfache  und  Immaterielle?  Nach  den  Lehren  der  Geometrie  sind  die 
geometrischen  Punkte  die  Elemente  der  Körper;  durch  sie  werden  die 
Körper  begrenzt,  gestaltet,  bestimmt.  Also  nehmen  wir  die  geometrischen 
Punkte  an  Stelle  der  Atome  an.  Nun  besitzt  die  Zahl  dieselben  Eigen- 
schaften wie  das  Atom  und  der  Punkt;  also  können  wir  sie  diesen  sub- 
stituieren. Die  Zahlen  sind  die  wahren  Atome.  Die  Zahl  ist  das  Geistige 
der  Materie  und  die  Materie  des  Geistigen.  Der  Geist  an  und  für  sich 
ist  eine  einfache  Substanz,  die  sich  unserer  Erkenntnis  entzieht;  aber 
er  offenbart  sich  uns  durch  die  Bewegung;  die  Bewegung  aber  wird  be- 
stimmt durch  die  Zahl.  So  offenbart  sich  der  Geist  in  und  an  der  Ma- 
terie mit  Hülfe  der  Zahl.  Der  Geist,  der  seinem  Wesen  nach  thätig 
ist,  giebt  der  ihrem  Wesen  nach  trägen  Materie  das  Leben  vermittelst 
der  Zahl,  und  so  bereitet  er  eine  Welt  harmonischen  Zusammenhangs. 
Alle  Arten  von  Wesen  bis  herab  zum  Staubkorn  bilden  eine  ununter- 
brochene Stufenfolge;  auf  der  höchsten  Stufe  steht  der  Mensch,  und  im 
Reiche  der  Menschen  steht  obenan  der  Philosoph.  Die  ganze  Schöpfung 
aber  ist  gegründet  auf  das  Urgesetz  der  Zahl,  denn  Gott,  der  die  Ur- 
sache aller  Dinge  ist,  ist  die  Zahl  der  Zahlen. 

Man  sieht,  der  Gang  der  Untersuchung  ist  ein  eigentümlicher. 
Untersuchen  wir  nun,  wie  weit  der  Verfasser  auf  diesem  seinen  Wego 
zu  Resultaten  kommt,  die  mit  der  platonischen  Weltanschauung  über- 
einstimmen. Alles  andere  können,  ja  müssen  wir  hier  beiseite  lassen. 
Als  oberstes  Frincip  haben  wir  also  die  Vernunft  oder  Gott.  Dieser  ist 
seinem  Wesen  nach  thätig,  schaffend.  Neben  ihm  steht  die  Materie, 
die,  an  sich  trag,  Objekt  der  Thätigkeit  Gottes  ist.    Darob  die  von  Gotl 


170  Archer-Hind,  The  Phaedo  of  Plato. 

ausgehende  Bewegung  erhält  diese  Materie  Leben  und  Gestaltung,  und 
so  entsteht  eiue  Welt  von  stufenweis  in  ununterbrochenem  Zusammen- 
hange sich  erhebenden  Geschöpfen.  Aber  diese  Bewegung  »sc  compose 
de  nombre«.  Also  gestaltet  Gott  die  Welt  mit  Hülfe  der  Zahl.  Das  ist 
alles  platonisch,  wenn  man  ein  Recht  dazu  hat  für  das  idpa&  des  Phi- 
lebus die  Zahl  zu  setzen.  Die  Berechtigung  hierzu  liegt  darin,  dafs 
das  nepae  wesentlich  in  Zahlenverhältnissen  besteht.  So  erscheint  auch 
der  Ausdruck  »Gott  ist  die  Zahl  der  Zahlen  (S.  70:  Dieu  etant  lui-meme 
Je  nombre  des  nombres)  im  gründe  genommen  als  identisch  mit  dem 
Plato  von  altersher  zugeschriebenen  Worte:  »Gott  übt  immer  Geometrie«, 
was  nach  Trendelenburg  (vergl.  das  Ebenmafs  S.  17  f.)  heifst:  »Gott  ist 
der  Bildner  der  geometrischen  Proportionen,  durch  die  er  die  Dinge 
in  ihr  Wesen  setzt  und  in  ihrem  Wesen  erhält  und  der  Menschen  Ge- 
meinschaft in  das  Recht  fafst.«  Wenn  der  Verfasser  aber  die  Dreiecke 
des  Timäus  als  atomes  formeis  ou  composes  (S.  41)  bezeichnet,  so  teilt 
er  wohl  die  falsche  Auffassung  H.  Martius,  der  sich  diese  Dreiecke  als 
Blättchen  denkt.  Ganz  und  gar  nicht  kann  man  ihm  zustimmen,  wenn 
er  S.  63  sagt:  La  matiere  regoit  ainsi  les  idees  en  son  sein,  eile  est 
le  grand  receptacle  des  idees,  nous  l'avons  meme  nommee  l'idee  pro- 
prement  dite.  Hier  liegt  ein  verhängnisvolles  Mifsverständuis  von  Ti- 
mäus 49  A  ff.  zu  gründe.  Die  in  das  rpnov  yevog  eintretenden  Gestalten 
sind  nicht  die  Ideen,  sondern  Abbilder  derselben,  wie  aus  den  Worten 
in  50  C:  r«  Sk  elatovza  xal  itjcövza  tu>v  uvtujv  de]  /ic/x^/jLara  ganz  deut- 
lich erhellt. 

The  Phaedo  of  Plato  edited  with  introduction  notes  and  appen- 
dices  by  R.  D.  Archer-Hind,  M.  A.  fellow  of  Trinity  College,  Cam- 
bridge.    London  1883.     Gr.  8.     II  und  199  S. 

Ich  habe  diese  Ausgabe  bereits  in  dem  Philologischen  Anzeiger 
XVI  1  S.  44  ff.  ausführlich  besprochen;  bei  der  Bedeutung  des  Buches 
will  ich  mich  aber  trotzdem  nicht  begnügen  einfach  auf  jene  Anzeige  zu 
verweisen,  sondern  will  das  dort  weiter  Ausgeführte  hier  möglichst  kurz 
berühren  und  das  dort  nur  Gestreifte  etwas  ausführlicher  darstellen. 
Ich  habe  auch  nach  Abfassung  jener  Recensiou  das  Buch  wiederholt  ein- 
gehend durchstudiert,  so  dafs  ich  nichts  einfach  wiederhole,  sondern 
auch  die  Wiederholung  bereits  ausgesprochener  Ansichten  auf  neuen 
sorgfältigen  Erwägungen  beruht. 

Die  vorliegende  Ausgabe  erhebt  nicht  den  Anspruch  eine  kritische 
Ausgabe  zu  sein,  sondern  basiert  ihren  Text  im  wesentlichen  auf  den 
von  M.  Schanz  gegebenen,  dem  hohes  Lob  gespendet  wird.  Doch  finden 
sich  mannigfache  Abweichungen,  die  sich  gewöhnlich  in  der  Richtung 
einer  Rückkehr  zu  den  Handschriften  hin  bewegen.  Die  generelle  Be- 
gründung der  Abweichungen  von  Schanz  giebt  er  in  folgenden  Worten: 
Schanz,  though  a  far  sounder  critic  (seil,  als  Hirschig),  has,  I  think,  in 


Archer-Hind,  The  Phaedo  of  Plato.  ]7] 

several  cases  unduly  deferred  to  Hirschig;  and  in  others  has  himself 
bracketed  passages  without  having  in  my  opinion  sufficient  cause  (S.  44). 
Ich  will  eine  Übersicht  der  Abweichungen  folgen  lassen,  jedoch  so,  dafs 
keine  Erwähnung  der  Stellen  gethan  wird,  wo  Schanz  einklammert  und 
Archer-Hind  das  von  diesem  Eingeklammerte  wegläfst. 

61  B  xal  7i£ S ö/jlsvov  ,  Schanz  [xal]  midopevov.  —  61  E  Trtg  ixs7, 
Schanz  [rrjg  ixzc].  —  62  A  tuomp  xal  TaXXa,  (otiv  ots  xal  ocg  ßsXreov, 
Schanz  axmep  xal  TaXXa.  dXXd  iariv.  —  62  C  7tph  dvdyx^v  vtvä  &sbg 
inmd/Mpfl ,  Schanz  itptv  av  dvdyxrtv  t.  &.  i.  —  62  D  <psuxr£ov  elvat  dno 
tou  oeanürou  ohne  Klammern,  Schanz  in  Klammern.  —  63  C  behält  er 
im  Texte  fjgeev  uneingeklammert  bei,  bemerkt  aber  in  der  Note:  Per- 
haps  however  Schanz  is  right  in  bracketing  r^eiv.  63  E  Tb  sauToü  na- 
paax£oaZiru> ,  Schanz  [rö  eaurov]  n.  —  66  B  setzt  er  die  Worte  pezd 
too  Xoyou  iv  tt)  oxe^'ec  hinter  zeug  dv  zu  owpa  i/copev,  so  dafs  die  Stelle 
lautet:  ort  xivduveüei  toi  ujonsp  drpanög  ng  ixipspeiv  rjpdg,  oti,  itug  dv 
to  crwpa  i^ajpev  pezd  too  Xoyou  iv  tjj  axsipst,  xal  <JUjj.~s(fuppevrj  rj  rjpujv 
tj  <pL>%y  pzTa  toioütoü  xaxoü,  od  /xy  tcots  xT^aiopsfra  ixavwg  oh  imftupoü- 
pev.  —  67  A  toüto  8'  ioriv  l'aojg  to  dtydeg  in  Klammern,  Schanz  ohne 
Klammern.  —  69  A  xpaTsTv  dXXwv  yoovwv,  Schanz  xp.  [äXXcov]  rtd.  —  69  D 
r/vüoapev ,  Schanz  ^vuadp^v.  —  70  A  klammert  er  diayüc-ipr^ai  tb  xal 
dnoXXörjTai  ein,-  während  Schanz  oY^tjtou  dia-zofiivr,  xal  oudzv  Sri  ouoa- 
pou  fj  einklammert.  —  71  B  ig  ixaTspou  ohne  Klammern,  Schanz  iu 
Klammern.  —  72  C  xaßsOSstv  in  Klammern,  Schanz  ohne  Klammern.  — 
73  B  mit  Heindorf  inei  toi,  Schanz  e'nscTa.  —  74  C  Ouxouv  rt  bpoiou 
o'vTog  bis  Tidvu  pkv  ouv,  reichlich  vier  Zeilen,  in  Klammern,  Schanz  ohue 
Klammern.  —  75  B  opiysTac  tou  o  eotiv  l'aov,  Schanz  klammert  l'aov 
ein.  —  76  A  dvdpocovov  y  a>  opotov,  Schanz  <L  in  Klammern.  —  76  E 
undpxouoav  ■npoTBpov  dveuptaxovTzg  ypsTepav  ouaav,  xal  ra^ra  ixstvjj 
dneixd&pev,  dvayxatov,  ooTwg  in  Klammern,  Schanz  ohne  Klammern.  — 
77  A  rtv  au  vuv  Xeyecg,  Schanz  vuv  in  Klammern.  78  D  ys  Xdyov  dc- 

dopsv  tou  ecvai,  Schanz  to  elvae.  —  80  B  opocihaTov  shat  4"rW,  Schanz 
<l>o%i).  —  80  C  aupr.zabv  ydp  to  awfj.a  —  öaov  y^povov  ohne  Klammern, 
Schanz  in  Klammern.  —  80  E  dXXd  <psuyouaa  auTo  xal  auvrlihlo:au.z\ri 
[aoTrj  dg  afjTyv],  Schanz  klammert  xal  auvr^ßpocapsv^  ein  und  tilgt  auTrj 
eig  aijTrjv.  —  81  A  öiayoüay,  Schanz  didyouaa.  —  82  D  dXXä  prj  aCopd 
ti  nXaTTovTEg  £d>at,  Schanz  owpaTt  XazpsuovTsg  f  ZCuat.  —  82  K  :■>)./*-.- 
Tutp  el'y  tu)  dedsaßac,  Schanz  tou  de8ea$at.  —  83  B  xaxUv  enaftsv  tbi' 
auT<Lv,  Schanz  un'  aijTutv.  —  83  E  ob%  cuv  ol  noXXol  s'vsxä  paotv,  Schanz 
klammert  <paaiv   ein.  84  A  Hanaocfibvai  ohne  Klammern,    Schanz  in 

Klammern.  —  84  B  Ta~nd  y  iTtiT^öeuaaaa,  Schanz  raova  '»  &nrnj8eü* 
aaaa  in  Klammern.  —  85  A  xal  pdXinTa  ^.Sooat^  Sclianz  x<v  xdll-MTa 
$d>  —  85  B  e'ujg  WHr^adov  iwatv  dvdneg  ivdexa  ohne  Khuniiieni,  Solianz 
in  Klammern.  -  8GA  i;  Statiftfl  xal  Stappföfl  rAff  %op8dct  Schani  klam- 
mert   dtaripjj   ein.    —     Ibid.    dtsppci>yunhv    tü>v  %op85>V   oh06    Klammorn. 


172  Archcr-H/nd,  The  Phaedo  of  Plato. 

Schanz  in  Klammern.  —  88  A  rj  <l>o/tj  eotiv,  Schanz  rj  <J>.  iorat.  -  88  C 
amoza  iy,  Schanz  ämtrca  ei'rj.  —  89  C  rhu' HpaxXr)  ohne,  Schanz  in  Klam- 
mern. -  89  E  Obxouv,  7)  8'  og,  al<r%p6v,  Schanz  klammert  ala%p6v 
ein.  90  B  dXX'  ixEivrj,  %,  Schanz  streicht  fj.         93  B  fiäXAov  hvepav 

kxipaq  (puyr^g ,  Schanz  klammert  päXXov  ein.  —  93  D  krepav  kzdpag  &p- 
povi'av  äppoveag  ehai,  Sclianz  klammert  dppuviag  ein.  —  94  A  sinsp 
bpoiajg  ipo%a\  mpöxamv,  Schanz  klammert  <j>u%ai  ein.  94  B  Uörepov 

(Tuy%(opo~j<Tav  ToTg  xarä  to  oiopa  naflr^paatv  rj  xal  ivavTioufteimv \  /.dyoj 
de  to  roiövSe,  ojg  xaupaTog,  Schanz  klammert  auyyiopobaav  und  na&r)- 
paai   ein,    und  für  öjg  xaopazog  hat  er  |(Ws;]  xaöpuTog.  95  B  pdX- 

Xovra  eaeadai,  Schanz  eoeabai  in  Klammern.  —  96  B  tu  deppuv  xal 
to  (puypuv,  Schanz  to  dsppuv  [xal  (puypuv].  —  97  A  r)  to  npuoTEbkv  xai 
w  xpoaeTsßy,  Schanz  r)  to  T[pooT£Hdv,  ^r)  tu  rrpoaTe&sv*  xai  wnp.  —  97 D 
nspi  auTou  ixeivuu,  Schanz  klammert  abrou  ein.  —  98  B  npuiihv  xai 
dvayiyvwoxwv,  Schanz  klammert  xai  ein.  Ibid.  uüdd  Tivag  ahiag  irrai- 
Tcwpevov  in  Klammern,  Schanz  ohne  Klammern.  —  100  D  r)  r)  exeivuu 
too  xaXuü  Site  Tcopouoia  etre  xaivojvia  eI'te  utzjj  ör)  xai  onujg  [npucryEVu- 
pdvrj],  Schanz  r)  rj  exeivuu  to~j  xaXou  eite  Ttapuuaia  ehe  xuiviovia  [erre] 
o7ttj  8r)  xai  unojg  npocryevopdvrj.  [Bei  der  Wichtigkeit  der  Stelle  will 
ich  wiederholen,  dafs  meines  Erachtens  zu  lesen  ist:  r)  r)  ixeivou  too 
xaXou  peTaayeaig  eI'te  Ttapouaia  eI'te  xotvojvia  eite  otijj  8r)  xai  onujg 
■npuayEvupdvrj.\  —  101  D  el  dd  Tis  auTrjg  Tyg  bno&do'Eojg  e%octo  ,  yaipsiv 
iwrjg  dv  xai  ohx  dnoxpc'vaio,  iojg  dv  Ta  an"  ixEtvrjg  öppufi-evra  axd^aiu, 
st  aoi  dXXrjXoig  oup<ptovE?  r)  8ia<pojvel  in  Klammern,  Schanz  ohne  Klam- 
mern und  EtfoiTo  für  eyuiTO.  —  101  E  upeug  Süvao&ai  auToi  auTo?g 
dpdaxeiv,  Schanz  düvaa&at  in  Klammern.  —  102  E  bnupdvuv,  Schanz 
bnupelvav.  —  103  C  6  <T  Oux  au,  ecptj,  6  Kdßrjg ,  ouzujg  iyuj ,  Schanz 
klammert  6  Kdßrjg  ein.  —  103  D  ouddnoTs  yiuva  oücrav,  Schanz  ouSd- 
txote  yidva  yiova  oücrav.  —  Ibid.  yiova  xai  ftsppov,  Schanz  yiöva  [xai 
B-eppov).  —  103  E  nup-  xai  (f'uypuv,  Schanz  nüp  [xai  <pu%pov].  —  104 D 
Elpyd^ETo  8d  ys  rj  TiEpiTTÖT^g ,  Schanz  rj  7iEpiTTrr  —  104  E  ou  odyETai 
auTu  to  ivavTiov,  Schanz  klammert  rt*  dvavTiav  ein.  —  105  B  tu  rtpiou 
ohne,  Schanz  in  Klammern.  —  Ibid.  w  avre  [dv  toj\  awpaTi  dyydvrjTai, 
Schanz  a»  dv  re  [iv  ra>  aojpaTi]  kyydvrjTai.  —  106  A  xdv  si  tu  ä<[>u%pov 
dvuj?iE&puv  iyv,  Schanz  x.  ei  tu  äi/'uxTuv  dv.  rjv.  —  107  A  sig  ovuvd  Tig 
dXXuv  xaipuv  dvaßdXXoiTu,  Schanz  sig  uvtiv^  äv  Tig  xtX.  —  107  B  Ta~jTd 
te  eu  XdyEig  ohne  Klammern,  Schanz  in  Klammern.  —  108  B  o&ir.Ep  al 
äXXat,  Schanz  oinsp  xtL  —  109  E  xaTioEiv  dvaxüfiavTa,  Schanz  xaudeTv 
*dv*  dvaxüipavTa.  —  110  A  onoo  dv  xai  yrj,  Schanz  onou  dv  xai  rj  yrr  — 
110  E  Uno  orßsSuvug  xai  aXpjjg  [unu]  töjv  ÖEÜpo  ^uvsppu^xuTOJV ,  Schanz 
[u7tu  ayjneddvog  xai  dXpr^g]  und  twv  xtX,  —  111  B  auf  grund  einer  Ver- 
mutung von  Schanz  drjp,  Schanz  ^6*  drjp.  —  111  C  tu  ydopa  auTcüv,  Schanz 
tu  auTOJV  ydapa.  —  112  C  [ro?c]  xoct'  ixsTva  Ta  peüpaTa  Siä  TTjg  yrjg 
etcrpEi,    Schanz    ToTg    xaT     ixsiva   Ta  peüpaTa   Sid  Trjg   yrjg  elafppei.    — 


Archer-Hind,  The  Phaedo  of  Plato.  173 

112  D  xaravTtxpö  fj  slapeT  i^sneasv  ,  Schanz  xazavzixpb  fj  igd-eosv 
Stapel.  —  113  B  npvjTov  ohne  Klammern,  Schanz  in  Klammern.  — 
114  B  f  npbg  zu  ualiog  ßtwvat  f  (The  text  is  certainly  corrupt),  Schanz 
npbg  zu  uaiojg  ßiojvai  7tpoxexpe<ff&ai.  —  115  A  iv  Zivi  '/püviü  ixaarot 
nupeuascr&e,  Schanz  iv  z.  %p.  txaaxog  it.  —  116  B  [kxecvaeg],  Schanz 
[ixscvat].  —  116  C  a  rtlbuv  dyysUcuv,  Schanz  dyyeXivv.  —  116  E  scxo- 
zujg  ohne  Klammern,  Schanz  in  Klammern.  —  117  D  dvaßpu^adpevog 
xXaccuv  xal  dyawxzibv,  Schanz  dv.  [xXcuatv  xal]  dyav.  —  117  E  abzog 
6  Sobg  zb  (pdppaxov  ohne  Klammern,  Schanz  in  Klammern.  —  118  A 
xal  auzbg  rpzzzu,  Schanz  xac  au  r^xezo.  —  Ibid.  xal  äXXojg  (ppovipuj- 
zdzou.  Schanz  dXXwg  in  Klammern. 

Das  Bedeutendste  an  der  vorliegenden  Ausgabe  ist  meines  Er- 
achtens  die  Einleitung.  Der  erste  Paragraph  derselben  erörtert  das 
eigentliche  Ziel  des  Dialogs  und  rindet  dasselbe  in  dem  Nachweis,  dafs 
die  Ideen  die  Ursachen  des  Seins  und  die  Objekte  der  Erkenntnis  sind 
(S.  5  f.).  Demgemäfs  wird  der  innere  Zusammenhang  des  Dialogs  S.  8 
folgendermafsen  bestimmt:  We  see  then  in  the  Phaedo  an  affirma- 
tion  of  the  ideas  as  causative  and  intelligible  existences,  from  which, 
through  the  iufereuce  of  immortality,  the  ethical  deduction  is  drawn 
that  the  philosopher,  secure  of  his  well-being  in  the  region  of  the  de- 
parted,  will  meet  death  with  calmness  and  confidence;  and  the  impression 
thus  conveyed  is  rendered  more  vivid  by  a  description  of  the  earth 
and  the  underworld  and  an  account  of  the  adventures  of  the  disembo- 
died  soul;  and  finally  it  is  yet  more  earnestly  enforced  by  a  picture  of 
Philosophie  fortitude  taken  from  actual  history. 

Dem  gegenüber  mufs  ich  auch  heute  noch  an  dem  schon  früher 
ausgesprochenen  Bedenken  festhalten:  Die  Ideenlehre  erscheint  im  Dia- 
loge durchaus  als  Mittel  des  Beweises  für  die  Unsterblichkeit  der  Seele, 
und  es  ist  trotz  der  scharfsinnigen  Erörterungen  des  Herausgebers  kein 
genügender  Grund  vorhanden,  dieses  Verhältnis  umzukehren.  In  bezug 
auf  das  Verhältnis  der  einzeluen  Beweise  schliefst  sich  Archer-Hind  der 
Auffassung  von  Bonitz  an,  glaubt  aber  eine  etwas  genauere  Festsetzung 
geben  zu  können.  Die  Darlegung  ist  auch  hier  klar  und  schön.  Ich 
habe  jedoch  in  zwei  Beziehungen  Bedenken.  Den  ersten  aus  der  dv- 
zanudoaeg  und  der  dvdpv^atg  sich  zusammensetzenden  Beweis  hält  Archer- 
Hind  insofern  für  mangelhaft,  als  wir  die  Bedingungen  nicht  kennen, 
welchen  unsere  Seele  bei  unserer  Auflösung  unterworfen  ist,  und  er  be- 
ruft sich  hierfür  auf  77  D:  pij  ujg  dlrftwg  u  ävepog  aör^jv  ixßatvoooav 
ix  zoü  trutpazog  dcayuaq.  xac  diaaxedd\>w<Jtv ,  dXXujg  zs  xal  üzav  zb%rj 
zig  prj  iv  vryvepia  dXX'  iv  psydXat  ztvl  rtveOpjart  dno&vfimcatv,  [ch  glaube 
auch  jetzt  noch,  dafs  diese  Stelle  ironisch  gemeint  ist  und  halte  diesen 
ganzen  Gedanken  des  Herausgebers  für  nicht  ausreichend  begründet 
und  für  bedenklich.  Ferner  halte  ich  den  letzten  Beweis  für  vollkommen 
in   sich   abgeschlossen   und    bin   auch  jetzt   noch  der  Überzeugung,   dal's 


174  Archer-Hind,  The  Phacdo  of  Plato. 

der  Schlufs  desselben  darauf  beruht,  dafs  das  für  die  Seele  gewonnene 
Prädikat  dßdvaroe  entsprechend  der  Grundlage  der  platonischen  Speku- 
lation schließlich  im  gewöhnlichen  Sinne  des  Wortes  genommen  wird. 
Archer-Ilind  dagegen  läfst  diesen  Beweis  schliefslich  auf  dem  Gesetze 
von  der  Erhaltung  der  Kraft  ruhen,  wie  es  im  ersten  Argumente  nieder- 
gelegt ist. 

Über  die  Frage  nach  der  platonischen  Auffassung  von  der  indi- 
viduellen Unsterblichkeit  spricht  sich  Archer-Hind  im  dritten  Abschnitte 
der  Einleitung  folgendermafsen  aus:  Plato  lehrt  die  Ewigkeit  der  all- 
gemeinen Seele  und  die  Seelenwanderung  der  einzelnen  Seelen.  Mit 
dieser  Anschauung  hängt  das  Grundgesetz  der  platonischen  Ethik  zu- 
sammen, nach  welchem  der  Mensch  seinem  Thun  entsprechend  leidet, 
indem  er  seine  Sünde  mit  geistiger  Degradation  büfst  und  nur  durch 
Besserung  die  verlorene  Position  wieder  gewinnen  kann.  In  Wirklich- 
keit haben  Piatos  Beweise  für  die  Unsterblichkeit  der  Seele  nur  Kraft 
für  die  allgemeine  Seele,  aber  wenigstens  in  der  Zeit,  in  welche  die 
Abfassung  des  Phädon  gehört,  glaubte  Plato,  dafs  die  einzelne  Seele 
bei  ihrer  Trennung  von  dem  Körper  nicht  in  der  allgemeinen  Seele  auf- 
gehe, sondern  als  selbstbewufste  Persönlichkeit  fortlebe.  —  Diese  Auf- 
fassungen Archers  müssen  als  sehr  wohl  begründete  erachtet  werden. 
Ich  stimme  denselben  vollkommen  bei. 

Der  vierte  Paragraph  bespricht  Piatos  Lehre  von  der  Seele.  In 
dem  Phädon  erscheint  die  Seele  als  ihrem  Wesen  nach  einfach  und  ud- 
zusammengesetzt.  Wenn  anderwärts  drei  zl'drj  der  Seele  genannt  wer- 
den, so  sind  das  nicht  drei  verschiedene  Teile  oder  Arten,  sondern  es 
sind  lediglich  verschiedene  Weisen  der  Seelenthätigkeit  unter  verschie- 
denen Bedingungen.  Die  zwei  niederen  Arten  sind  nur  eine  Folge  von 
der  Verbindung  der  Seele  mit  dem  Stoffe,  und  ihre  Thätigkeit  hört  bei 
der  Trennung  der  Seele  von  der  Materie  auf.  Die  Seele  als  solche  ist 
einfach,  sie  ist  reines  Denken,  und  ihre  Thätigkeit,  die  im  Denken  be- 
steht, ist  einfach.  Nur  die  der  Materie  einwohnende  Seele  hat  eine 
komplizierte  Thätigkeit.  Die  Seele  existiert  ihrem  eigenen  Wesen  nach 
ewig,  ihren  materiellen  Beziehungen  nach  zeitweis.  —  Auch  diesen  fein- 
sinnigen Erörterungen  wird  man  die  Zustimmung  nicht  versagen  können. 

Der  fünfte  Paragraph  sucht  die  Stellung  des  Phädon  innerhalb  des 
platonischen  Systems  zu  bestimmen.  Archer  nimmt  für  die  Platonischen 
Schriften  drei  gesonderte  Perioden  an:  die  sokratische,  die  mittlere  und 
die  spätere.  Was  die  Einteilung  der  platonischen  Schriften  und  die 
Entwickelung  der  platonischen  Lehre  anlangt,  so  acceptiert  er  im  we- 
sentlichen die  Resultate  der  scharfsinnigen  Untersuchungen,  die  Jackson 
im  Journal  of  Philology  voll.  X  und  XI  veröffentlicht  hat.  Er  weist 
den  Phädon  der  mittleren  Phase  der  platonischen  Metaphysik  zu,  deren 
Hauptrepräsentant  die  Republik  sei.  Die  Merkmale,  welche  den  Phädon 
dieser  Periode  zuweisen,  sind  folgende  zwei :  1.  we  see  ideas  of  relation, 


Archer-Hind,  The  Phaedo  of  Plato.  175 

though  ideas  of  axsuaarä  do  not  occur,  and  2.  the  ideas  are  immanent 
in  particulars.  Bei  No.  1  müfste  doch  gefragt  werden,  ob  nicht  Ideen 
für  durch  menschliche  Thätigkeit  hervorgerufene  Gegenstände  nur  des- 
wegen nicht  erwähnt  werden,  weil  der  Inhalt  des  Dialoges  auf  solche 
weniger  hinführt,  und  die  Aufstellung  des  zweiten  Merkmals  scheint  mir 
geradezu  auf  einer  irrtümlichen  Auffassung  zu  beruhen.  Ich  kann  keines- 
wegs finden,  dafs  der  Phädon  die  Immanenz  der  Ideen  in  den  Einzel- 
dingen lehrt.  Ich  kann  mich  hier  auf  diese  Frage  nicht  weiter  einlassen 
und  will  nur  das  Eine  betonen,  dafs  nach  meiner  Überzeugung  im  Phä- 
don eine  von  dem  Timäus  und  Philebus  im  wesentlichen  abweichende 
Metaphysik  nicht  vorliegt.  Dieser  Erkenntnis  hat  sich  auch  Archer 
nicht  verschliefsen  können.  S.  36  sagt  er  selbst:  »Moreover  a  synthesis 
of  these  two  dialogues  will  show  us  that  Plato  is  working  ou  precisely 
the  same  lines  which  he  afterwards  follows  in  the  Philebus  and  Timaeus. 

In  demselben  Paragraphen  bespricht  Archer  noch  die  Stellung 
des  Phädon  zu  der  Frage  nach  der  Prädicierung.  Er  glaubt,  dafs  wir 
im  Phädon  102  B  Piatos  frühere  Ansicht  haben,  und  dafs  Plato  hier 
den  Kernpunkt  der  Frage,  nämlich  die  richtige  Fassung  des  ov  und 
/xrj  ov  noch  gar  nicht  berührt  und  auch  nicht  das  geringste  Bewufstsein 
davon  zeigt,  dafs  gerade  hierin  die  Schwierigkeit  liegt. 

Hierbei  ist  meines  Erachtens  von  Archer  übersehen,  dafs  Plato 
in  der  ganzen  Partie  des  Phädon,  zu  der  jene  Stelle  gehört,  lediglich 
bemüht  ist,  einen  ganz  sichern  Boden  für  seinen  Hauptbeweis  zu  ge- 
winnen, und  dafs  er  infolge  dessen  ernstlich  bestrebt  ist,  nicht  weiter 
zu  gehen  als  er  für  den  vorliegenden  Zweck  gehen  mufs,  um  ebeu  nicht 
über  die  nach  seiner  Meinung  ganz  sichere  Grundlage  hinauszukommen. 

Der  sechste  Paragraph  der  Einleitung  giebt  eine  Zusammenstel- 
lung des  uns  über  die  Personen  des  Dialogs  Überlieferten  und  von  den 
beiden  Thebanern  eine  ansprechende  Charakteristik. 

Der  Kommentar  zeichnet  sich  namentlich  dadurch  aus,  dafs  der 
Inhalt  der  einzelnen  Kapitel  oder  der  unter  einander  eng  zusammen- 
hängenden Kapitel  in  klarer  Form  auf  grund  eines  guten  Verständnisses 
angegeben  ist.  Noch  sind  dem  Ganzen  aufser  einem  Index  zwei  Appeu- 
dices  beigegeben.  Der  erste  handelt  von  der  öy/iouxrj  xa\  nohuxrj 
dpEzrj  und  kommt  auf  grund  der  Betrachtung  von  acht  platonischen 
Stellen  zu  dem  Ergebnis,  dafs  sie,  während  sie  sich  von  der  philosophi- 
schen Tugend  von  grund  aus  dadurch  unterscheidet,  dafs  sie  ävsu  ppo- 
vrjaewg  ist,  in  zwei  Arten  zerfällt.  Die  erste  Art  ist  ein  Sittengesetz, 
gebildet  von  der  grofsen  Menge  für  die  grofse  Menge  auf  grund  von 
Utilitätsprincipien  ohne  Kenntnis  des  (inten,  die  zweite  ist.  gebildet  von 
dem  Philosophen  für  die  Menge  nicht  auf  grund  von  Utilitätsprinoipieo 
mit  Erkenntnis  des  Guten,  aber  von  der  Menge  angenommen  auf  grund 
von  Utilitätsprincipien  und  ohne  Kenntnis  des  Goten. 

Der  zweite  Anhang  behandelt  in  sorgfältiger  Weise,  was  denn  So- 


176       Puoti,  Apol.  di  Socr.  Bembo,  Eutiir.  e  Crit.  —  Sborey,  De  Plat.  id.  doctr. 

krates  mit  dem  x^wzog  und  dem  detjze/joc  tJmoq  gemeint  habe,  wobei 
vorzugsweise  Kapitel  48  berücksichtigt  wird.  Bei  der  von  ihm  gewon- 
nenen Erklärung  (vergl.  S.  189  f.)  ist  zunächst  bedenklich,  ja  mehr  als 
bedenklich,  dafs  Archer  Sokrates  die  X6yot  bilden  läfst,  während  die 
platonische  Anschauung  doch  dahin  geht,  dafs  die  \6yoi  im  mensch- 
lichen Geiste  gegeben  sind,  so  dafs  es  nur  der  denkenden  Erfassung 
derselben  bedarf,  und  so  steht  denn  auch  an  unserer  Stelle  nicht,  dafs 
Sokrates  die  X6yoi  bilde.  Sodann  weifs  Archer  nicht  recht,  was  er  mit 
den  Worten  in  Kapitel  48  anfangen  soll:  ßUnujv  npbe  zu  npuy/j.aza  zolg 
o/j./j.a<Tc  xui  kxda~ji  zuj\>  aca&rjaeow  inc^ecpwv  unzeabui  uuziijv.  Man  wird 
sich  schwerlich  zufrieden  geben,  wenn  er  S.  190  sagt:  The  words  kxüazrj 
rwv  aiadrjoswv  are,  I  consider,  to  be  regarded  as  purely  metaphorical; 
und  wenn  man  sein  Urteil  über  die  Stelle  ßXinujv  npög  zä  n/juyfj.azu  bis 
änzeerdae  auzujv  berücksichtigt  (vergl.  S.  191:  we  shall  see  that  it  is  in 
itself  confused  and  iuaecurate  etc.),  so  mufs  man  sich  wundern,  dafs  er 
dieselbe  nicht  mit  Jackson  für  unecht  erklärt.  Aber  allerdings  finden 
diese  Worte  in  dem  Voraufgehenden  einen  so  guten  Halt,  dafs  ihre 
Ausscheidung  nicht  möglich  erscheint.  Demnach  scheinen  die  Schwierig- 
keiten, die  sich  dem  Verständnis  dieses  Kapitels  und  des  mit  ihm  zu- 
sammenhängenden bedeutungsvollen  Abschnittes  des  Dialogs  ergeben, 
auch  durch  Archers  eingehende  Erörterungen  noch  nicht  vollständig 
gehoben. 

Schliefslich  erkläre  ich  trotz  mannigfacher  Abweichung  in  der  Auf- 
fassung gern,  dafs  ich  die  vorliegende  Ausgabe  des  Phädon  für  eine 
sehr  verdienstliche  halte,  durch  die  das  Verständnis  dieser  herrlichen 
platonischen  Schrift  wesentlich  gefördert  worden  ist. 

Piatone.  Apologia  di  Socrate  traduzione  di  Basilio  Puoti. 
Eutifrone  e  Critone  versione  di  Bardi  Bembo.  In  Napoli  1884. 
12.     100  S. 

Das  Buch  bietet  lediglich  eine  Übersetzung  der  drei  Dialoge  ohne 
Einleitung  und  Noten,  abgesehen  von  der  Angabe  der  betreffenden  Homer- 
stellen in  der  Apologie.  Die  Übersetzungen  sind  durchaus  nicht  frei 
von  Ungenauigkeiten  und  Mifsverständnissen,  und  die  Ergebnisse  der 
neueren  Textkritik  sind  nicht  besonders  beachtet.  Wissenschaftlichen 
Wert  kann  das  Buch  nicht  beanspruchen. 

De  Piatonis  idearum  doctrina  atque  mentis  humanae  notionibus 
commentatio  scripsit  Paulus  Shorey.     München  1884.     8.     59  S. 

Der  Verfasser  tadelt  es  sehr,  dafs  die  bisherigen  Untersuchungen 
über  die  Ideenlehre  Piatos  meistens  so  gut  wie  keine  Rücksicht  auf 
das  philosophische  Problem  nehmen.  Er  selbst  geht  vom  Inhalte  des 
menschlichen  Geistes  aus,  in  dem  einmal  anschauliche  Vorstellungen 
»iniagiues«,  sodann  abstrakte  und  allgemeine  Begriffe  enthalten  sind.  Dafs 


Shorey,  De  Piatonis  idearum  doctrina.  177 

es  allgemeine  Begriffe  im  menschlichen  Geiste  giebt,  das  leugnet  nie- 
mand mehr,  aber  wie  beschaffen  sie  sind  und  woher  wir  sie  haben,  dar- 
über gehen  die  Ansichten  der  Philosophen  sehr  auseinander.  Die  Unter- 
suchung über  die  Beschaffenheit  und  den  Ursprung  der  Begriffe  in  uns 
fällt  der  Psychologie  zu;  ontologisch  wird  die  Untersuchung,  wenn  ge- 
fragt wird,  was  aufserhalb  unseres  Geistes  an  sich  bestehen  und  den 
Begriffen  in  uns  entsprechen  soll;  die  Logik  schliefslich  lehrt  auf  grund 
der  Annahme  von  Begriffen  die  dpBrj  oujxnloxrj  derselben.  Diesen  Unter- 
schied zwischen  Logik  auf  der  einen  Seite  und  Psychologie  und  Onto- 
logie  auf  der  andern  lassen  ,  so  meint  der  Verfasser,  unsere  Philologen 
und  Philosophen  bei  der  Frage  nach  den  Begriffen  vielfach  aufser  acht. 
Wer  irgend  ein  Wort  aussagt,  nimmt  meistenteils  nicht  nur  an,  dafs 
die  mit  jenem  Worte  bezeichnete  Sache  sei,  sondern  zugleich,  dafs  sie 
gerade  so  sei,  wie  er  glaubt.  Der  Verfasser  hat  es  sich  demnach  mit 
dieser  Schrift  zur  Aufgabe  gestellt,  jenen  Unterschied  ins  rechte  Licht 
zu  setzen  und  dann  zur  Darlegung  der  Ideenlehre  zu  verwenden.  Bei 
der  Untersuchung  dieser  Lehre  dürfen  wir  nicht  einfach  fragen,  was  die 
Idee  ist,  sondern  wir  müssen  vielmehr  darnach  fragen,  die  Lösung  wel- 
cher Probleme  sich  Plato  zur  Aufgabe  gestellt  und  wie  weit  er  sie  ge- 
löst hat.  Ein  ganz  besonderes  Problem  bewegte  sich  nun  in  der  Wider- 
legung der  Zweifel  und  Angriffe  der  fxcauXuyot.  Gegen  sie  stellte  Plato 
seine  Ideenlehre  auf. 

Ich  stimme  diesen  Erörterungen  des  Verfassers  im  wesentlichen 
bei.  Die  Annahme  von  allgemeinen  Begriffen  im  menschlichen  Geiste 
bildet  thatsächlich  den  Ausgangspunkt  und  die  Grundlage  der  gesamten 
Ideenlehre,  wie  auch  schon  andere  gesehen  haben,  auch  die  übrigen  Ge- 
sichtspunkte sind  richtig,  doch  kommt  er  in  der  Verfolgung  derselben 
zu  einem  einseitigen  Resultate,  indem  er  die  Platonische  Forschung  fast 
ausschließlich  in  den  Dienst  der  Logik  stellt.  Vergl.  S.  39:  Nobis  vero 
bis  explicatis  acquiescendum  est  in  ea  Platonicae  doctriuae  explicatione 
quae  supra  exposita  est:  videlicct  Platonem  ut  logicam  saltem  salvam 
praestaret  omnium  omnino  notionum  ideas  posuissc  et  omues  dr:ofua^ 
metaphysieas  ad  haue  unam  sumptionem  relegasse,  ne  sermonibus  de 
aliis  rebus  institutis  plus  officerent. 

Seine  Anschauungen  über  die  Platonische  Ideenlehre  hat  der  Ver 
fasser    in   vier  Abschnitten    näher    dargelegt,    welche   die   Überschriften 
führen:   De  idearum  origine,  De  idearum  natura,  De  ideis  atque  name- 
ns, De  Parmenide  atque  Sophista. 

In  De  idearum  origine  wird  dargetban,  dafs  Plato  in  der  Absicht, 
den  Grund  zu  einer  Logik  zu  legen  und  den  Angriffen  der  Sophisten 
zu  entgehen,  namentlich  auf  dreifachem  Wege  zu  der  [deenlehre  geführt 
worden  sei:  durch  das  Aufsuchen  der  Definitionen,  durch  die  Frage  nach 
den  wahren  Gründen  und  schliefslich  durch  die  psychologische  Unter- 
suchung  über  Ursprung  und  Wesen  der  Erkenntnis  und  der  Wissenschaft. 

Jahresbericht  fllr  AUerthuiunwiuuenschat't  L.    (1887.  I.)  12 


178  Bhorey,  l>>-  Platonia  idearum  doctrina. 

Der  Hauptinhalt  von  De  idearum  natura  ist  folgender:  In  erster 
Linie  will  die  Ideenlchrc  nichts  weiter  darthua  als  dafs  Begriffe  exi- 
stieren, d.h.  dafs  die  Worte,  deren  wir  une  bedienen,  etwas  Bestimmtes 
bezeichnen,  was  wir  durch  Definitionen  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
ausdrücken  können  und  für  eine  genaue  Erklärung  anwenden  müssen. 
Da  nun  aber  Plato  die  Begriffe  durch  die  Sinneswahrnehmung  weder  er- 
klären konnte  noch  wollte,  das  aber,  was  wir  Idealismus  nennen,  über- 
haupt nicht  kannte,  so  sah  er  sich  zu  der  Annahme  gezwungen,  dafs 
die  Begriffe,  wie  sie  im  Geiste  existieren,  als  solche  in  rerum  natura 
bestehen.  Daraus  ergiebt  sich  zugleich,  dafs  Plato  Ideen  für  alle  Dinge 
jeder  Art  angenommen  hat,  von  denen  es  Gattungsbegriffe  giebt.  So- 
dann werden  die  von  Plato  selbst  im  Parmenides  gegen  die  Ideenlehre 
erhobenen  Bedenken  vorgeführt  und  ebenso  die  platonischen  Versuche, 
diese  Bedenken  zu  heben.  Hierbei  glaube  ich  darauf  hinweisen  zu  sollen, 
dafs  eine  volle  Lösung  dieser  Schwierigkeiten  nur  gefunden  werden 
kann  im  Zusammenhange  mit  der  Frage  nach  dem  Verhältnisse,  in  wel- 
chem die  Ideen  zu  der  ahea  stehen. 

In  dem  Abschnitte  De  ideis  atque  numeris  spricht  der  Verfasser 
die  Überzeugung  aus,  dafs  Plato  niemals  Zahlen  an  Stelle  der  Ideen 
habe  treten  lassen.  Für  die  platonischen  Schriften  ist  dies  eine  aus- 
gemachte Sache,  und  ich  stimme  dem  Verfasser  vollkommen  bei,  dafs 
die  angezogenen  Stellen  (Phileb.  1GD,  Tim.  53B,  54D,  Parm.  143 A)  in 
einem  anderen  Sinne  zu  erklären  sind.  In  Tim.  53  B  Bsög  —  —  8ie- 
(T^rj/xa-caaro  elosac  re  xa\  äpiß/iolg  heifst  übrigens  £iort  gar  nicht  Ideen, 
wie  der  Verfasser  glaubt,  sondern  Gestalten.  Eine  andere  Frage  ist  es 
nun  aber,  ob  man  der  Behauptung  des  Verfassers  zustimmen  kann,  dafs 
Plato  überhaupt  niemals  die  Ideen  zu  Zahlen  gemacht  habe,  dafs  viel- 
mehr die  ganze  Sache  auf  einem  Mifsverständnis  des  Aristoteles  beruhe. 
Auch  ich  halte  dafür,  dafs  den  Angaben  des  Aristoteles  gegenüber  Vor- 
sicht geboten  ist,  aber  hier  erhält  seine  Angabe  eine  gewisse  Unter- 
stützung durch  die  platonischen  Schriften  selbst.  Wenn  nach  der  Lehre 
dieser  das  nspag,  d.  h.  die  mathematischen  Verhältnisse,  namentlich  die 
Proportionen,  also  schliefslich  doch  die  Zahlen  die  Sinuendinge  zu  Ab- 
bildern der  Ideen  machen,  so  liegt  es  nicht  allzuferu,  auch  in  den  Ideen 
etwas  derartiges  wiederzufinden,  und  in  der  That  kommt  Piato  im  Phi- 
lebus da,  wo  er  den  Inhalt  der  Idee  des  Guten  zu  bestimmen  unter- 
nimmt, recht  nahe  an  diese  Auffassung  heran.  Die  Stelle  de  republ. 
523  D-  526  E  soll  die  Veranlassung  gegeben  haben  zu  jener  »futilissima 
hariolatio  de  numeris  mathematicis  inter  numeros  sensiles  et  numeros 
ideales  positis«.  Da  nun  aber  dem  Verfasser  auzol  ol  apSp.oi  525  D 
ideae  numerorum  sind,  so  haben  wir  doch  Ideen  von  Zahlen,  mathema- 
tische d.  h.  unbenanute  Zahlen  und  drittens  benannte  Zahlen.  Eine 
dritte  Art  der  Arithmetik  (Tertiae  illius  dpc&pr^cx^s  nullum  apparet 
vestigiura  S.  33)  kommt  dadurch  natürlich  nicht  heraus,  denn  mil  Ideen 


Huit,  Criton.  179 

von  Zahlen  rechnet  auch  der  Mathematiker  nicht,  sondern  nur  mit  un- 
benannten Zahlen,  aber  wenn  wir  einmal  Ideen  von  Zahlen  annehmen, 
so  kommen  wir  von  jener  »futilissima  hariolatio«  nicht  los. 

De  Parmenide  atque  Sophista.  Der  Verfasser  betont  noch  einmal 
das  schon  gewonnene  Resultat:  Um  wenigstens  die  Logik  zu  retten,  hat 
Plato  Ideen  von  allen  Begriffen  angenommen  und  hat  alle  metaphysi- 
schen Aporien  auf  diese  eine  Annahme  verwiesen,  damit  sie  nicht  den 
Erörterungen  anderer  Gegenstände  schadeten.  Piatos  Verfahren  hierbei 
wird  nun  im  Sophisten  und  im  zweiten  Teile  des  Parmenides  betrachtet. 
Das  Ergebnis  dieser  Erörterung  ist  im  wesentlichen  folgendes:  Die  Ideen- 
lehre selbst  wird  im  Parmenides  weder  verteidigt  noch  hinreichend  dar- 
gelegt, aber  auf  grund  der  Ideenlehre  werden  alle  logischen  Schwierig- 
keiten in  dem  Dialoge  selbst  gut  gehoben.  Davon  ist  der  Verfasser 
überzeugt,  ob  aber  Plato  selbst  dies  klar  erkannt  hat,  ist  ihm  sehr 
zweifelhaft.  Dieses  in  seinem  zweiten  Teile  recht  auffällige  Resultat 
sucht  der  Verfasser  durch  eine  Untersuchung  des  Inhaltes  des  Sophisten 
zu  erhärten. 

Am  Schlüsse  seiner  Abhandlung  spricht  der  Verfasser  noch  kurz 
über  zwei  Punkte.  Einmal  de  idearum  principatus  atque  dignitatis  or- 
diue  serieque.  Hierbei  streift  er  die  schwierige  Frage  nach  dem  Ver- 
hältnis der  Idee  zur  ahea.  Wenn  er  hier  von  der  napoooia  der  Ideen 
spricht,  so  mag  daran  erinnert  werden,  dafs  die  bekannte  Stelle  Phae- 
don  100D  nicht  ohne  weiteres  ein  Recht  hierzu  giebt,  und  wenn  es  S.  55 
unter  Berufung  auf  Tim.  53  B  heifst :  ea  demum  bene  ordinata  quibus 
ideae  imprimautur,  so  beruht  dies  auf  einem  Mifsverständnis  der  Stelle. 
Dasselbe  gilt  von  S.  54  Anm.  3:  Loci  Timaei  50  C,  52  D  —  53  A  aliquam 
Piatonis  inconstantiam  in  hac  re  declarant.  Sodann  spricht  der  Verfasser 
noch  de  idearum  cognitione  atque  de  methodo  illa,  quam  ut  vere  dia- 
lecticam  et  philosopham  Plato  laudibus  effert  mysticis.  In  bezug  auf 
diese  Partie  will  ich  nur  bemerken,  dafs  nach  meiner  Auffassung  Piatos 
Erkenntnistheorie  einheitlicher  ist  als  sie  nach  der  Darstellung  auf 
S.  56  erscheint.  Etwas  ausführlicher  habe  ich  über  diese  beachtens- 
werte Schrift  berichtet  in  Wochenschrift  für  klassische  Philologie  III  2 
S.  33-38. 

Criton.  Nouvelle  edition  par  C.  Huit.  Docteur  es  lettres  Pro- 
fesseur  honoraire  ä  lTnstitut  catholique  de  Paris.  Paris,  Society  ge- 
nerale de  librairie  catholique  1885.     8.     VIII  und  23  S. 

In  einem  Vorworte  wird  die  Einrichtung  der  von  der  Societe  ge- 
nerale de  librairie  catholique  veranstalteten  Sammlung  von  Klassikern, 
zu  welcher  die  vorliegende  Ausgabe  des  Kriton  gehört,  naher  angegeben. 
Das  Wesentliche  enthalten  folgende  Sätze.  1.  Nos  Classiques  serout 
ouvertemeut  chretiens,  et  leurs  notes  offriront,  quand  il  y  aura  lieu,  im 
caractere  uettement  apologetique.    Dieser  Satz  erfüllt  sich  in  bo/ng  auf 

12* 


180  Kral,  Piatonis  Apologia  et  Crito. 

den  Kn'ton  namentlich  dadurch,  data  wiederholt  auf  die  Erhabenheit  der 
Anschauung  aufmerksam  gemacht  wird  unter  dem  Hinweis,  dafs  die 
christliche  Anschauung  doch  noch  erhabener  ist.  2.  Nos  Classiques 
auront  ....  une  portee  economique  et  sociale  ...  Ce  que  nous  vou- 
drions  enseigner  aux  jeunes  gens,  d'une  facon  rapide  et  simple,  c'est 
^Organisation  sommaire  de  la  Familie  et  celle  de  l'Etat  aux  differentes 
epoques  et  chez  les  differentes  races.  Dieser  Aufgabe  wird  in  der  vor- 
liegenden Ausgabe  nur  in  sehr  kärglicher  Weise  entsprochen.  3.  Nos 
Classiques  auront  des  ßditeurs  qui  s'attacheront  surtout  .  .  .  .  a  faire 
valoir  la  beautö  des  id6es,  plutöt  que  celle  des  mots.  Diesem  Gesichts- 
punkte verdankt  auch  diese  Ausgabe  manche  ansprechende  sachliche 
Bemerkung.  Doch  ist  der  Rahmen  auch  hierfür  ein  sehr  enger.  Die 
Worterklärung  resp.  die  grammatische  Erklärung  ist  zu  kurz  gekommen. 
Auch  zeigt  sich  in  der  Beziehung  Falsches.  So  wird  auf  S.  10  zu  den 
Worten  7va  oloi  ze  rtaav  am  Schlufs  von  Kapitel  III  bemerkt:  'Iva  est 
suivi  de  l'indicatif,  parce  que  dans  la  pensee  de  l'auteur  il  s'agit  ici 
beaueoup  moins  d'exprimer  un  dösir  que  de  constater  un  fait.  In  der 
gleich  darauf  folgenden  Anmerkung  heifst  es  mit  bezug  auf  die  Worte 
des  vierten  Kapitels  rj/xetg  ydp  nou  de'xacoi  iajjLSv:  Attraction  ä  remarquer, 
pour  8txacöv  kc-iv  r^mg.  Auf  S.  11  Anmerk.  3  werden  i£6v,  osov  etc. 
für  nominatifs  absolus  erklärt.  4.  Nos  Classiques  seront  illustres.  Die 
Illustrationen  sind  zahlreich,  zum  gröfseren  Teile  passend  ausgewählt 
und  verhältnismäfsig  gut  ausgeführt.  Manche  könnten  fehlen,  nament- 
lich das  angebliche  Gefängnis  des  Sokrates  und  sein  Grundrifs.  Wenn 
man  an  der  Richtigkeit  einer  Sache  so  grofsen  Zweifel  hegt,  wie  hier 
der  Herausgeber,  dann  soll  man  sie  nicht  aufnehmen. 

Es  folgt  auf  vier  knappen  Seiten  Notice  sur  le  Criton,  die  na- 
mentlich eine  kurze  Übersicht  über  den  Inhalt  giebt.  Hervorheben  will 
ich  hier  nur,  dafs  Huit  glaubt,  dafs  wir  im  Kriton  den  historischen  So- 
krates nicht  vor  uns  haben.  Dazu  sind  ihm  die  hier  vorgetragenen  An- 
schauungen zu  erhaben  und  ist  ihm  Plato  zu  geistvoll :  Piaton,  avec  son 
merveilleux  talent,  ne  pouvait  guere  se  contenter,  en  prenant  la  plume, 
du  simple  role  de  metteur  en  scene  ou  de  narrateur.  Le  Socrate  du 
Criton,  c'est  le  type  du  Sage  antique,  du  citoyen  obeissant  jusqu'au 
sacrifice.    (S.  3.) 

Der  Text  ruht  auf  der  Ausgabe  von  Wohlrab,  Leipzig  1877.  Die 
Ausstattung  ist  gut. 

Piatonis  Apologia  et  Crito.  Scholarum  in  usum  ed.  Jo- 
sephus  Kral.  Accedunt  Phaedonis  c.  LXIV— LXVII.  Lipsiae  1885. 
8.     XV,  57  S. 

Über  die  Gestaltung  des  hier  gegebenen  Textes  erfahren  wir  aus 
der  Einleitung  folgendes:  Zu  gründe  gelegt  sind  in  erster  Linie  der 
Clarkianus  (31),   der  Tubingensis  (£)   und  der  Veuetus  77,  sodann  aus 


Kral,  Piatonis  Apologia  etfCrito.  181 

der  Klasse  der  weniger  guten  Handschriften  der  Venetus  t,  soweit  die 
Lesarten  desselben  dem  Herausgeber  zugänglich  waren.  Doch  hält  er 
es  nicht  für  angänglich,  ausschliefslich  die  Handschriften  21 2 /7  t  zu 
berücksichtigen,  sondern  glaubt,  dafs  von  den  bessern  Handschriften 
31  2  II T  lFT>  l  J  47  f.,  von  der  andern  Klasse  t  berücksichtigt  werden 
müssen.  Thatsächlich  ruht  die  vorliegende  Ausgabe  der  Apologie  und 
des  Kriton  an  den  meisten  Stellen  lediglich  auf  den  bessern  Hand- 
schriften. (Vergl.  S.  IX  Apographis  igitur  remotis  hi  Codices  restant, 
quorum  rationem  habere  oportet:  prioris  familiae  213"  IJT  'FD  1  d  47  f., 
alterius  t;  nam  ceteri  Codices  deteriores  exiguam  habent  utilitatem  eisque 
facile  carere  possumus.  sed  cum  neque  codicem  t  (aut  B  et  Vind.  3) 
neque  quemquam  alium  deteriorem  apographo  8  excepto  satis  noverimus, 
multis  locis,  nisi  quid  ex  Bekkeri  aut  Stallbaumii  silentio  conicere  ma- 
lumus,  codicum  deteriorum  lectiones  adferri  non  possunt.  ita  factum 
est,  ut  haec  quoque  Apologiae  et  Critonis  editio  plerisque  locis  melio- 
ribus  tantum  codicibus  nitatur.)  Konjekturen  sind  nur  wenige  aufge- 
nommen, von  den  nicht  aufgenommenen  sind  die  bemerkenswerten  den 
Anmerkungen  zugefügt.  Das  von  manchen  Gelehrten  für  Interpolation 
Erklärte  ist  nur  dann  getilgt,  wenn  der  Zusammenhang  selbst  auf  eine 
Interpolation  hinwies;  was  ohne  Nachteil  sowohl  getilgt  als  beibehalten 
werden  kann,  ist  unangetastet  geblieben.  In  der  Zulassung  des  v  iyeX- 
xuorixüv  ist  er  dem  Clarkianus  gefolgt,  ebenso  bei  den  Formen  mit 
Krasis  und  Elision  mit  nur  wenig  Ausnahmen;  was  Orthographie  und 
Wortformen  anlangt ,  meistenteils  M.  Schanz.  P.  23  D  hat  er  für  oYo- 
fiac,  was  91  bietet,  olfiai  geschrieben;  semper  enim,  cum  interponitur 
hoc  verbum,  hanc  eius  formam  usurpare  solent  scriptores.  P.  25  D  ist 
gegen  21,  welcher  Jj  dyaßd  hat,  <uya$£  hergestellt;  denn  an  fast  un- 
zähligen Stellen  haben  21,  t  und  Parisinus  A  diese  Form,  nur  dafs  fast 
immer  ojyatH  geschrieben  ist,  so  dafs  es  nicht  zweifelhaft  ist,  dafs  Plato 
immer  wya&e  geschrieben  hat. 

Auf  den  letzten  Seiten  der  Einleitung  spricht  Kral  über  einige 
schwierigere  Stellen.     Es  sind  folgende : 

Apol.  19  C  sucht  er  die  Worte  [irj  niuq  iyuj  fatb  Metyrov  roawjrag 
8ixag  puyotjJLt,  welche  Schanz  eingeklammert  hat,  quia  sanam  interpre- 
tationem  spernunt,  durch  Herstellung  folgendes  Zusammenhanges  zu 
retten:  »neque  haec  dico,  quod  hanc  scientiam  {tö  "r^slv  zä  bnb  yifc 
xal  oupdvca)  contemnam,  si  quis  modo  in  bis  rebus  est  sapiens,  sed 
cum  nemo  hac  scientia  instruetus  sit  (Xen.  Comm.  I,  1,  11;  cf.  20  D), 
utinam  ne  Meletum  cupiditas  invadat  me,  qui  illa  scientia  omnes  ho- 
mines  carere  contendam,  hoc  crimine  aecusandi.  sed  non  aecusabit; 
nam  ego  harum  rerum  nihil  intollego.«  timero  se  simulat  Socrates,  ne 
Meletus  qua  est  aecusandi  cupiditate  hoc  crimen  a  poetis  oomiois  ex- 
cogitatum  arripiat  stulteque  contendat  ipsum  ea  investigare,  qiiao  homo 
sanae  mentis  perscrutari  non  audeat ;   prenienda  est  vox  iy<»,  quae  vor 


182  Kral,  Piatonis  Apologia  et  Crito. 

bis  et  ztg  iazi  atxpug  opponitur.  Ich  kann  diesen  Versuch  nicht  für 
einen  geglückten  halten.  Wird  keine  bessere  Erklärung  gefunden,  so 
müssen  die  Worte  mit  Schanz  gestrichen  werden.  —  21  C  bei  den 
Worten  diaaxomuv  oZv  zouzov  verweist  er  gegen  Goebel  für  die  Ver- 
bindung des  toütov  dcaaxonußv  auf  Prot.  p.  311  I'  xv).  lyi»  v-orrstput- 
/i£Vog  'hnoxpdzoug  zyg  pujp.^g  dtsaxorouv  aozov.  —  In  22  A  rechtfer- 
tigt er  die  Lesart  der  besten  Codices:  Tita  ftoi  xai  Avilzyxzog  it  pa»- 
zet'a  yivoizo  (also  ohne  jiij),  indem  er  die  Worte  ironisch  gesprochen 
sein  läfst.  Ironia  autem  uti  Socratem  vel  ex  verbis  "»or.zp  növooi  rtväi 
■novoüvzog  elucet,  quae  indicant  Socratem  non  consulto  hunc  laborem 
suscepisse,  sed  invitum  alia  prorsus  atque  voluerat  effecisse.  Er  teilt 
also  die  Auffassung  der  Stelle,  die  auch  bei  Bertram  und  Goebel  sich 
findet.  Sodann  rechtfertigt  er,  dafs  er  23  E  in  den  Worten  xa\  rAXai 
xa\  vüv  oyoSpwg  ohne  ausreichende  handschriftliche  Beglaubigung  v~jv 
aufgenommen  hat.  Die  Aufnahme  ist  nur  zu  billigen.  Auch  Schanz  hat 
vüv  aufgenommen.  —  26  D  liest  er  'Amgayopou  o\'ec  xaz^yopzTv,  uj  <f>)>£ 
Mefojre,  <^>  xai  outcu  xazaypovelg  xzX.  Sauppe  hatte  iy  für  xai  ver- 
mutet, Kral  nimmt  diese  Konjektur  auf,  behält  aber  das  xa\  bei.  Omis- 
sum  est  iy  a  librario  propter  litterarum  rt  et  x  similitudinera.  Ich  glaube, 
dafs  diese  Lesart  einen  guten  Sinn  giebt,  wenn  man  Avaqayopou  oTet 
xaTrjyopeTv  als  Frage  der  Verwunderung  auffafst:  »Meinst  du  Anaxago- 
ras  sei  es,  den  du  anklagst?«  —  In  27  E  liest  Kral  war.ep  av  £t  reg 
"nnwv  p.kv  na?8ag  rjyolzo  xai  ovujv  ,  streicht  aber  dann  zoug  fjfLiövoug, 
das  er  als  ein  insulsum  additamentum  bezeichnet.  Das  erste  billige  ich 
vollkommen,  die  Streichung  von  zoug  r^uovoog  nun  und  nimmermehr. 
Gerade  die  Einführung  der  Maulesel  stimmt  zu  dem  voraufgehenden 
et  8'  au  ol  Satpoveg  &ewv  naiSeg  stertv  vo&ot  ztvkg  ij  ix  vuptpujv  ^  ix 
ztvwv  äUojv  (also  hervorgegangen  aus  der  Paarung  von  Göttern  mit 
Wesen,  die  von  ihnen  verschieden  sind,  Abkömmlinge  von  Göttern,  die 
diese  mit  Wesen  anderer  und  zwar  niedrigerer  Art  gezeugt  haben)  ganz 
vortrefflich,  und  die  Stelle  verliert  durch  diese  Streichung  sehr  viel. 
Die  Maulesel  sind  eben  "nxajv  nacoeg  vö&oe  ztvkg  i$  ovujv.  Wer  glaubt, 
dafs  die  Dämonen  eine  Art  unechter  (=  nicht  ebenbürtiger)  Söhne  von 
Göttern  sind,  die  diese  mit  Nymphen  (oder  irgend  welchen  anderen 
Wesen)  gezeugt  haben,  der  mufs  auch  glauben,  dafs  es  Götter  und 
Nymphen  giebt,  ebenso  wie  der,  welcher  glaubt,  dafs  es  Maulesel  giebt, 
auch  glauben  mufs,  dafs  es  Pferde  und  Esel  giebt.  So  würde  der  Pa- 
rallelismus vollständig  heifsen.  Sokrates  setzt  aber  in  dem  ersten  Gliede 
des  Vergleichs  nur  den  einen  Begriff  (ztg  av  dv&pürMv  &£wv  p.kv  r.dt8ag 
yyoho  elvai,  Bsoug  8k  //$;),  weil  es  ihm  dem  Zusammenhange  nach  nur 
darauf  ankommt  zu  zeigen,  dafs  er,  wenn  er  an  Dämonen  glaubt,  not- 
wendiger Weise  auch  an  Götter  glaubt.  Übrigens  scheint  mir  der  Ver- 
gleich mit  den  Mauleseln  der  sokratischen  Weise  ganz  besonders  gut 
zu  entsprechen.  —  Das  in  27  E  von  Schanz  eingeklammerte  zauza  samt 


Kral,  Piatonis  Apologia  et  Crito.  183 

dem  von  Hermann  eingeklammerten  zrjv  ypa<prjv  zauzrjv  sucht  er  zu  retten, 
indem  er  denen  zustimmt,  die  zabza  mit  dnomcpwp.evog  verbinden  und 
härtere  Formen  des  Hyperbaton  bei  Plato  anführt.  —  Für  das  von  ihm 
in  28  A  aufgenommene  noUoug  xai  äkko'jg  xai  dyaßoug  verweist  er  auch 
auf  Conv.  178  A  noAAat%fl  pkv  xai  äkXrp  ob%  rjxiora  od.  —  In  35  B  schreibt 
er  nach  dem  Vorschlage  von  Forster,  wie  auch  Schanz,  ouzs  rtpäg  (statt 
upäg)  xprj  Tioizlv,  und  rechtfertigt  das  rtpdg  eingehend.  Diese  Lesart 
ist  sicherlich  die  richtige.  —  40  E  schreibt  er  rJs7ov,  quamquam  Schanz 
in  editione  sua  omnibus  locis  pro  t:As?ov,  quod  Codices  habent,  aut  nkiov 
aut  TiXelv  scripsit.  —  —  cum  vero  etiam  apud  alios  scriptores  Atticos 
utriusque  formae  idem  fere  ius  sit,  haud  scio  an  iniuria  nksTov  ex  Pia- 
tonis scriptis  extrudatur.  —  In  41  E  weist  er  die  Unrichtigkeit  der 
Goebelschen  Interpunktion  nach  ikünouv  nach  (Socrates  Athenienses  mo- 
nere  non  potest,  ut  filios  suos  poenis  coerceant  nisi  causa  adlata,  cur 
eos  poena  dignos  esse  putet);  er  selbst  interpungiert  richtig,  wie  auch 
Schanz  nach  pydkv  ovzeg. 

Crit.  45  B  ist  in  den  Text  aufgenommen  £evoi  ouzot  iv&dSe  kzoc- 
fioe  ävafo'axecv,  da  aber  Plato  jene  auswärtigen  Freunde  des  Sokrates, 
da  sie  nicht  anwesend  sind,  schwerlich  mit  ouzot  habe  bezeichnen  können, 
so  wird  vermutet  t-dvoi  oaoi  ivßdSe  kzolpot  (quot  peregrini  hie  sunt, 
qui . .  .).  —  Dafs  47  C  die  Form  diöXXvot  beibehalten  ist,  obwohl  die  besten 
Handschriften  ocuUuei  zu  schützen  scheinen,  wird  damit  gerechtfertigt, 
dafs  diese  Formen,  obwohl  sie  bei  attischen  Schriftstellern  begegnen,  die 
Grammatiker  dem  attischen  Dialekte  absprechen.  —  In  52  E  wird  für 
fj  $-uvßi)xag  rag  npbg  rjjiäg  abzobg  xai  bpoXoytag  xapaßacvetg  vermutet 
rj  t-ovßrjxag  rag  npug  fj/xäg  abzog  (ultro)  napaßacveig ,  verbis  xai  bpoXo- 
yiag,  quae  ex  S.  52  D  huc  irrepere  potuerunt,  deletis.  Aufser  diesen 
in  der  Vorrede  besprochenen  Stellen  wollen  wir  noch  die  übrigen  Ab- 
weichungen von  dem  Schanz'schen  Texte  geben. 

18  A  npbg  zd  npaizd  pou  <p£u8rj  xazqyoprjpdva ,  Schanz  hat 
(peodr)  in  Klammern.  18  B  xai  xazrjyöpouv  ipob  obdkv  dXrtßdg,  Schanz 
xai  xazrjydpoov  ipob  p.a.  zov  obokv  dXrftsg.  19  D  ouze  zobzeuv  obSdv 
icrzcv,  Schanz  ioziv  in  Klammern.  19  E  otbg  r'  inziv,  wie  auch 
Goebel,  ohne  Klammern,  Schanz  in  Klammern.  20  C  sind  die  Worte 
ei  prj  zi  inpazzeg  dXAoiov  rt  ol  noXXot  weggelassen,  Schanz  giebt  sie 
in  Klammern.  Bei  Beibehaltung  dieser  Worte  entsteht  allerdings  eine 
Tautologie.  Aber  da  die  Apologie  den  gewöhnlichen  Gesprächston  des 
Sokrates  nachahmen  soll,  so  ist  doch  an  diesem  Zusätze  kein  Anstofs 
zu  nehmen.  Da  auf  dieser  Bedingung  ein  starker  Nachdruck  ruht,  so 
liegt  es  dem  Sprechenden  nahe,  diese  nach  dem  Nachsatze  noch  einmal 
auszusprechen,  um  den  scheinbaren  Widerspruch  recht  stark  hervorzu- 
heben.    Der    tautologische   Zusatz    rechtfertigt  sich   also   psychologisch. 

Wir  wollen  hier  gleich  die  übrigen  Stellen  folgen  lassen,  au  denen 
Kral    das    von    Schanz    Eingeklammerte    einfach    tottlal'st.      21  A    nach 


184  Kral,  Piatonis  Apologia  et  Crito. 

xai  bjjLwv  zw  rJ.rjHei  läfst  Kral  die  von  Schanz  eingeklammerten  Worte 
kraupÖQ  ~e  xal  fort.  23  E  xal  zwv  noXizixwv.  26  A  xal  dxouafov 
zwischen   tum  zoiobzwv  und  äftapTyfidnov.     27  E  ^  vor  xai  Svatv.     28  A 

zou  abzob  vor  prjzs  datpovag  und  prtzE  itpwag  nach  fujrt  heobj.  30  E 
bnb  ro~j  deoo  nach  npooxEipEvov  zjj  TtöXßt.  31  D  (fwvrt  nach  Zzi  poi 
BeTöv  zi  xal  oaipdviov  yfyverat  und  -ä/.at  zwischen  el  iydi  und  inE^ei- 
frtßa.  32  B  'Avrco%fs  zwischen  ezu%ev  rjpwv  y  pofy  und  npuravEwiaa. 
33  D  xal  zipwptlabai  nach  v5v  pzp.v^alhj.1.  35  D  rtdvzwg  vor  xai  <i(T£- 
/Sc/f/f  (pzöyovTo..  36  C  «uv  nach  inj  «e  tv>  «5/<5£  ixaazov.  40  C  t^'Ü  t«- 
?rot»  toü  zwischen  pEzoi'xyaig  zr,  ^'u/i?  und  ivddvSe  Eig  dXXov  zör.ov. 
Kriton  47  C  xa\  zobg  inaivoog  nach  aörou  zrt\>  Sdgav.  49  A  örtep  xai 
dpzi  iXiyEzo-  vor  rj  ndoai  rj/itv  ixeTvai  a\  npdaHsv  bpoXoyi'ai.  Ibid.  yi- 
povzsg  zwischen  ztjXixoioe  und  dvopEg.  53  E  iv  &EzzaXia  nach  zi  noiwv 
3J  Euw%obp.Evog.  Phaed.  HOB  kxetvat  nach  £v«vr/«v.  117  A  Eixozwg 
zwischen  xai  iywys  zaüza  und  ob  notfjoat.  Andere  Abweichungen  sind : 
21 C  xal  diaXsyöpsvog  ohne  Klammern,  Schanz  in  Klammern.  21 E 
ato~8avöfievog  pkv  xal  Xurrob psvog  xal  OEoiwg,  Schanz  alabavöptvog  pkv 
[xal]  Xtmobpsvog  xzX.  22  C  zw  abzw  oidpsvog  nepcyeyovsvat,  Schanz 
zw  abzw  abzwv  olopsvog  n.  Warum  der  Zusatz  abzwv  notwendig  er- 
scheint, ist  bereits  Goebel  gegenüber  bemerkt.  22  D  xal  ol  dya&ol  orr 
pioupyoi  ohne  Klammern,  Schanz  in  Klammern.  Mir  scheint  dieser  Zu- 
satz dem  Tone  der  Apologie  recht  wohl  zu  entsprechen.  23  D  dXX 
dyvoobaiv,  Schanz  dXX'  dpfiyvoobaiv.  24  D  ipk  ehdystg  zouzoial,  Schanz 
eig  zoozooai.  25  A  prj  ol  iv  zfj  ixxXrßtq,  ol  ixxXrtaiaazai,  Schanz  klam- 
mert ol  exxtyaiaozai  ein,  nach  meiner  Ansicht  mit  vollstem  Rechte,  wie 
ich  schon  bei  der  Ausgabe  von  Goebel  bemerkt  habe.  26  A  naboopai 
o  ye  äxwv  7toiu>,  Schanz  ob  ye  xzX.  27  E  wg  zou  abzob  iaziv  xal  oai- 
povia  xal  ßsTa  yysiadai,  Schanz  wg  ou  zo~j  xzX.  Ich  habe  über  die  Stelle 
bereits  bei  den  Ausgaben  von  Bertram  und  Goebel  gesprochen.  28  C 
w  na?  vor  ei  zip.wpf]OEig,  das  bei  Schanz  fehlt.  30  B  Xsywv,  ozi  obx  ix 
%prlp.dzwv  dpEzi)  yiyvEzai,  Schanz:  Xsywv  oüx  ix  yp^pdzwv  xzX.  31  C 
{•upßooXsüw  TiEpuwv  xal  Ttokmpaypovw ,  Schanz  noX.impaypovwv ,  was  ich 
für  das  Richtige  halte,  denn  der  Gegensatz  ist  Iota  t-opßooXEbEiv  und 
8rip.oaiqi  ^upßouXsuEiv,  und  jenes  ist  notwendiger  Weise  mit  Umherlaufen 
und  Vielgeschäftigkeit  verbunden,  während  er  bei  diesem  das  ganze 
Volk  auf  einmal  vor  sich  hat.  32  A  prj  utzeixwv  oe  dpa  xal  dnoXoi'p^v, 
bei  Schanz  fehlt  xai.  32  B  xal  ivavzc'a  i^rtfiadpryv  ohne  Klammern,  bei 
Schanz  in  Klammern.  Mir  erscheinen  aus  sachlichem  Grunde  die  Worte 
unhaltbar.  34  E  dXX'  ouv  dsdoypsvov  yi  iazi  zb —wxpdzr,  oia<pipEiv  zivl 
zwv  noXXwv  dv8pw7:wv,  Schanz  zw  ZwxpdzEi.  35  A  ei  ouv  bpwv  ol  So- 
xouvzsg  oia<pipEiv  eize  oo<piq  eize  äXXj]  fjZivtouv  dpEzfj  zoioüzot  iaovzai, 
Schanz  —  eize  oo<p>a  sYzs  dvSpEia.  eYze  äXXy  yzivouv  dpszfj  xzX.  36  A 
xal  oux  dviXmazöv  poi  ysyovEv  zb  ysyovbg  zobzo,  Schanz  zb  ysyovbg  in 
Klammern.     Ibid.   dxEnsifsbyy  ävt   Schanz  dnoriE^Ebpj  av.     36  E   6  p.sv 


Kral,  Piatonis  Apologia  et  Crito.  185 

yäp  u/iäg  nocet  ebSat'povag  SoxeTv  elvac,  iyd>  8k  elvac,  Schanz  klammert 
elvac  nach  8oxelv  ein.  37  C  oouXebovza  rjji  del  xa$iozap.£vr/  dp%fj ,  T0*G 
evSexa;  Schanz  zo?g  evoexa  in  Klammern.  Ich  glaube,  dafs  zolg  ivSexa 
getilgt  werden  mufs,  nicht  blofs  weil  es  ein  ganz  überflüssiger  Zusatz 
ist,  sondern  auch  weil  diese  Apposition  sich  ihrem  Inhalte  nach  mit  rjp 
del  xa&cazapivrj  dp^fi  nicht  deckt,  da  zo?g  iv8exa  eines  dem  del 
xadcazapevfl  entsprechenden  Zusatzes  entbehrt.  40  A  rj  yäp  ecoj&uTd  poc 
pavzcxy  ij  zou  dacpovc'ou ,  Schanz  rj  zdb  Saijiovcou  in  Klammern.  Dieser 
Zusatz  ist  nicht  notwendig,  aber  vollkommen  zulässig.  41  B  zcg  abzwv 
oo<pög  iazcv,  Schanz  zcg  8tj  abzwv  xd.  42  A  d8rtXov  navzl  nXijv  rj  ra> 
#£<£,  Schanz  nXrjv  el  xzX. 

Kriton  43  A  rj  ob  7ip<b  ezc  iazcv;  Schanz  ohne  ezc.  Ibid.  einjpys- 
zyrac,  Schanz  ebepyezTtzac  43  D  8rtXov  obv  ix  zobzwv  zcuv  dyyeXcwv, 
Schanz  SyXov  obv  ex  zobziov  [tujv  dyyeXiov].  —  44  B  xal  vbv  ipol  nec- 
8ou,  Schanz  nc&ob.  Ibid.  ob  pc'a  guppopd  iaztv,  Schanz  $up<popä  e'azac. 
Ibid.  ezc  8k  xal  noXXoTg  86$a>,  Schanz  ezc  8y  xzX.  45  B  dnoxdpr^g, 
Schanz  dnoxvfig.  46  B  wg  iyiu  ob  povov  vbv,  dXXä  xal  del  zocobzog, 
Schanz  für  ob  povov  vbv  mit  Nauck  ob  vbv  npwzov,  eine  dem  Sinne  nach 
gute,  aber  meines  Erachtens  nicht  notwendige  Änderung.  47  B  navzbg 
dvSpbg  inac'voj  xal  <pöyw  zbv  vobv  npoae^ec,  Schanz  ir.acvip  xal  (pöyoi 
xal  86^7)  xzX.  48  B  KP.  A^Xa  orj  xal  zabza'  cpac'rj  yäp  «v,  w  Zcuxpazeg. 
2(2.  'AXrj&rj  Xeyecg.  dXX\  &  Saupdace,  Schanz  KP.  ArjXa  8rj  xal  zabza 
\.(pairj  yäp  dv],  d>  Iwxpazeg,  dXySrj  Xeyecg.  KL  'AXX  w  daopdace.  Die 
letztere  "Weise  erscheint  mir  als  die  ansprechendere.  48  D  obre  dXXo 
bzcobv  nda/ecv,  Schanz  ouz'  et  dXXo  xzX.  50  D  (ppdaov  obv  zobzoig 
ly/idiv,  zoTg  vöpocg,  Schanz  zoTg  vöpocg  in  Klammern.  Ibid.  ol  im  zob- 
zoig zezaypevoc  vöpot,  Schanz  vöpoc  in  Klammern.  51  D  el  prj  dpeaxoc- 
pev,  Schanz  mit  Madvig  äpeaxopev,  was  mir  als  das  Richtige  erscheint. 
Ibid.  äXXoae  not,  Schanz  äXXoae  mit  Weglassuug  von  -oc.  51  E  bpoXo- 
yrjaag  ^pTv  nec'&eadac,  Schanz  mit  Buttmann  necoea&ac.  Dieses  letztere 
halte  ich  für  das  richtigere.  Ebenso  verhält  es  sich  mit  wpoXoyrtxevac 
noXczebeadac  in  52  D,  wofür  Schanz  TroXczebaeafrac  schreibt.  53  A  oSrot 
aoe  8ta<pep6vziog  zujv  dXXwv  Wbrpaüov  rjpeaxev  rj  nöXtg  ze  xal  fytets  <>l 
vöpoc  87jXov  ozc  zivi  yäp  dv  r.öXtg  dpiaxot  aveu  v6ftxov\  Schanz  klam- 
mert die  Worte  8rtXov  ozc  bis  vöpwv  ein.  Auch  mir  erscheinen  die 
Worte  als  ein  ganz  unnützer  und  störender  Zusatz.  Ibid.  ippevecg, 
Schanz  ippeveTg,  welches  dem  Zusammenhange  besser  entspricht.  53  E 
SouXebojv  ohne  Klammern,  Schanz  in  Klammern.  54  A  ol  yäp  imzr;8ecoc 
ol  aol  incpeXrjO'ovzac  abziov.  ndzepov  iäv  seg  Serealcav  ärtofyurjrnrg,  int- 
peXrjoovzac ,  iäv  8e  ecg  "AcSou  aito8i]fifjajjg^  odyl  imfxeX^aovrai]  Schanz  ol 
yäp  inczySecoc  ol  aol  [incpeXrjaovra:]  abziov  rtörepov  iäv  xzX.  5-1  1'  tu 
(flXe  kzalpe  Kpc'zojv.  Schanz  Kiuzwv  in  Klammern.  Ibid.  Coar.ep  ol  xo- 
poßavzcujvzeg    zojv   abXCov ,    Schanz    wanep   ol  x.   z.  ab.   SoxOüOW   äxobetv. 


]3f>  Kral,  Piatonis  Apologia  et  Crito 

Die  Worte   SoxoZacv  axoöeiv  finden  sich  in  den  Handschriften,   und  ich 
finde  für  ihre  Tilgung  keinen  Grund. 

Phaedon.  115  B  xaxä  rä  vw  te  elfjr^ieva  xal  iv  zw  tyatpooBw 
X(>öv(o  C^,  Schanz  —  xal  t«  iv  tuj  e.  %p.  C-,  was  entschieden  besser 
ist.  115  D  rauTfi  fiot  doxw  aörijj  aAAwz  ).£yEt\> ,  Schanz  (tot  in  Klam- 
mern. 116  C  dÄX'  ixetvoig.  wv  oZv  — ,  Schanz  akXa  exEtvmg.  \>~jv.  — 
117  D  xal  tote  avaßfpj^adjXEVog  xXaiwv  xal  dyavaxrwv ,  Schanz  xkaüttV 
xal  in  Klammern.  Ich  sehe  keinen  genügenden  Grund  für  die  Ein- 
klammcruug  dieser  Worte  118  A  xal  av&tg  r^rera,  Schanz  xal  <>.<> 
ynzEro.    Ibd.  dvöpug   —  dpcfrrou  xal  dXXujg  ypovi/iojraTO'j  xal  Sixaco- 

rdroo.     Schanz  klammert  aXXwi;  ein,  für  das  sich  schwerlich  eine  ge- 
nügende Erklärung  finden  läfst. 


Bericht  über  die   auf  die   attischen   Redner 

bezüglichen  litterarischen  Erscheinungen  der 

Jahre  1882—1885. 

Von 

Dr.  Georg  Hüttner, 

Studienlehrer  in  Ansbach. 


Zweite    Abteilung. 

Demosthenes. 

Bei  dem  reichen  Material,  das  uns  über  diesen  Redner  zur  Be- 
sprechung vorliegt,  empfiehlt  es  sich,  von  dem  in  der  ersten  Abteilung 
beobachteten  Verfahren,  die  litterarischen  Erscheinungen  in  chronologi- 
scher Reihenfolge  aufzuzählen,  hier  abzuweichen.  Wir  stellen  daher  in 
No.  1  —  10  voran,  was  sich  auf  die  Textesüberlieferung,  die  Scholien, 
die  Sprache,  auf  Textkritik,  endlich  auf  das  Leben  des  Demosthenes 
bezieht.  Es  folgen  No.  11—20  die  Ausgaben,  sodann  die  Schriften  zu 
den  einzelnen  Reden  nach  der  üblichen  Folge  der  letzteren. 

1)  W.  Christ,  Die  Attikusausgabe  des  Demosthenes,  ein  Beitrag 
zur  Textesgeschichte  des  Autors.  Mit  einer  Tafel.  Aus  den  Abhand- 
lungen der  k.  bayer.  Akademie  der  Wissensch.  I.  Cl.  XVI.  Bd. 
III.  Abth.     München  1882.     82  S.     4. 

Nachdem  K.  Halm  seine  Lehrthätigkeit  an  der  Münchener  Uni- 
versität eingestellt  hatte,  entschlofs  sich  1881  Prof.  v.  Christ,  wie  er 
einleitungsweise  mitteilt,  in  den  leer  gewordenen  Platz  einzutreten  und 
Vorlesungen  über  Demosthenes  in  den  Kreis  seiner  akademischen  Vor- 
träge zu  ziehen.  Zugleich  nahm  er  sich  vor,  bei  dieser  Gelegenheit  die 
beiden  in  München  aufbewahrten  Demosthenes -Handschriften,  den  cod. 
Augustanus  485  (A)  und  den  cod.  Bavaricus  85  (B),  näher  zu  unter- 
suchen. Diesen  Studien  verdanken  wir  als  erste  Frucht  obige  höchst 
interessante  Abhandlung,  welche  zugleich  den  Beweis  liefert,  dafs  selbst 
längst  bekannte  und  verglichene  Handschriften  einer  gründlichen  For- 
schung noch  reichlich  lohnenden  Ertrag  bieten  können. 

Während  man  bisher  nur  Reste  der  Totalstichometric  aus  dem 
cod.  Bavaricus  kannte,  entdeckte  Christ   1.  eine  Partialstichometrie,  am 


188  Demosthenes. 

linken  Rande  der  Handschrift  durch  Buchstaben  des  griechischen  AN 
phabets  bezeichnet,  2.  kritische  Zeichen  zur  vierten  Philippischen  Rede 
und  zur  Midiana.  Durch  Erkundigungen  in  Paris  und  Venedig,  ob  sich 
nicht  auch  im  cod.  Parismas  9  und  im  cod.  Venetus  F  Ähnliche  Buch- 
staben und  Zeichen  finden,  suchte  er  seine  Forschungen  zu  vervollstän- 
digen. Leider  ist  er  über  die  letztere  Handschrift,  wie  II.  Bu ermann 
im  Hermes  XXI  (188G)  S.  34-  40  nachgewiesen  hat,  total  falsch  berichtet 
worden.  Christ  hatte  auf  die  Versicherung  des  Professors  Triantaphylles 
in  Venedig,  dafs  sich  im  cod.  F  nirgends  eine  Spur  der  Partialsticho- 
metrie  erhalten  habe,  die  Ansicht  derer,  welche  den  cod.  B  für  eine 
Abschrift  des  cod.  F  erklärten,  mit  vollem  Recht  als  eine  irrige  be- 
zeichnet. Buermann  dagegen  überzeugte  sich  an  Ort  und  Stelle,  dafs 
sich  im  cod.  F  nicht  nur  alles  das  findet,  was  im  cod.  B  steht,  sondern 
noch  einiges  mehr;  selbst  in  den  kritischen  Zeichen  stimmen  beide 
Handschriften  überein  »mit  alleiniger  Ausnahme  des  vereinzelten  ver- 
mutlich nicht  als  Obelos,  sondern  als  Marke  für  den  Sinnabschnitt  auf- 
zufassenden Striches  Mid.  §  95«.  Verliert  somit  Christs  Vermutung, 
dafs  beide  Handschriften  einer  gleichen  Quelle  entstammen,  aber  keine 
von  ihnen  aus  der  andern  abgeschrieben  sei,  ihre  wichtigste  Begrün- 
dung, so  bleibt  doch  der  andere  Satz  stehen,  dafs  die  Totalzahlen  in 
SBF  und  die  Partialzahlen  in  B  (jetzt  BF)  auf  eine  und  dieselbe  Quelle 
zurückgehen.  Dieser  Quelle  spürt  nun  der  Verfasser  weiter  nach.  Aus 
der  Subscriptio  der  Codices  B  und  F  am  Ende  der  Rede  npog  ttjv  im- 
(TzoXrjV  zrjv  0tXcnnoo ,  welche  lautet  ocüpdiozai  ano  Söo  'Azzcxcavuiv,  fol- 
gert er,  dafs  die  Rezension  des  Attikus  nicht  nur  dem  Texte  des  cod.  B 
zugrunde  liege,  sondern  dafs  auch  die  stichometrischen  Angaben  der 
gleichen  Ausgabe  entlehnt  seien.  Wer  dieser  Attikus  ist  und  welcher 
Zeit  er  angehört,  wird  sich  wohl  nie  mit  Sicherheit  bestimmen  lassen. 
Nur  das  sucht  Christ  in  scharfsinniger  Weise  für  die  Zeitbestimmung 
desselben  festzustellen,  dafs  Dionysios  von  Halikarnasos  die  Attikusaus- 
gabe  nicht  gekannt  habe.  Dies  ist  das  Ergebnis  der  ersten  zwei  Ka- 
pitel. Im  dritten  bespricht  er  die  kritischen  Zeichen,  die  ebenfalls  sehr 
alt  sind  und  jedenfalls  das  Zeitalter  des  Ulpian  überragen;  ob  sie  auf 
Attikus  zurückgehen,  läfst  der  Verfasser  dahin  gestellt  sein.  Die  Va- 
rianten des  cod.  B,  der  Gegenstand  des  vierten  Kapitels,  legen  die 
durchaus  wahrscheinliche  Vermutung  nahe,  dafs  die  beiden  verglichenen 
Exemplare  keine  reinen,  sondern  bereits  stark  interpolierte  'A-nxtavd 
waren,  und  dafs  überdies  vom  Schreiber  nur  Varianten  zum  ursprüng- 
lichen Texte  nach  jenen  Exemplaren  angemerkt,  nicht  auch  ganze  Sätze 
auf  grund  derselben  nachträglich  gestrichen  wurden.  Wichtiger  sind 
das  fünfte  und  sechste  Kapitel:  Die  Urkunden  in  Demosthenes'  Reden, 
und  die  Interpolationen  der  dritten  Philippischen  Rede.  In  jenem  weist 
Christ  aus  den  stichometrischen  Angaben  nach,  dafs  die  Urkunden  zur 
Kranzrede,  zur  Midiana,  zu  den  Reden  gegen  Stephanos,  Lakritos  und 


Demosthenes.  ]g9 

Makartatos,  ferner  das  Epigramm  in  der  Rede  gegen  Halonnesos,  die 
Elegien  und  Trimeter  in  der  19.  Rede  und  der  Brief  Philipps  (XII)  in 
den  Exemplaren  des  Attikus  gefehlt  haben;  dagegen  stunden  in  den- 
selben die  Urkunden  der  Rede  wider  Neaira  und  teilweise  auch  die  der 
Aristokratea  und  Timokratea.  Diese  auffallende  Thatsache  erklärt  sich, 
wie  Christ  zeigt,  aus  der  eigentümlichen  Stellung  der  Rede  gegen  Neaira; 
diese  hatte  nämlich  in  der  Ausgabe  des  Attikus  ihren  Platz  unter  den 
öffentlichen  Reden,  welche  von  vornherein  ein  allgemeineres  Interesse 
erregten  und  bei  deren  Rekognition  der  Librarius  noch  nicht  ermüdet 
war.  Sind  nun  die  Urkunden  in  den  übrigen  Privatreden,  in  denen  sie 
nachweislich  in  der  Ausgabe  des  Attikus  fehlten,  unecht?  Diese  Frage 
läfst  sich,  wie  Christ  richtig  bemerkt,  auf  diplomatischem  Wege  allein 
nicht  endgiltig  entscheiden.  Die  von  Demosthenes  selbst  veröffentlichten 
Reden,  zu  denen  der  Verfasser  die  Philippischen,  die  Rede  gegen  Lep- 
tines,  von  der  Truggesandtschaft,  vom  Kranze  rechnet,  enthielten  sicher- 
lich keine  Urkunden,  sondern  nur  Titel  von  solchen.  Wenn  aus  den 
Scholien  zur  Midiana  ersichtlich  ist,  dafs  die  Urkunden  dieser  Rede 
einen  ziemlich  späten  Ursprung  haben,  so  darf  dies  keineswegs  so  ohne 
weiteres  auf  die  übrigen  Reden  ausgedehnt  werden  (Seite  46  =  198).  — 
Die  beiden  letzten  Kapitel  machen  den  Versuch,  die  Attikusausgabe, 
als  deren  getreueste  Kopie  cod.  S  zu  betrachten  ist,  zu  rekonstruieren. 
Auch  hier  wird  man  der  klaren  und  geistvollen  Argumentation  des  Ver- 
fassers und  dem  Bemühen,  das  Dunkel  der  frühesten  Überlieferung  auf- 
zuhellen, die  Anerkennung  nicht  versagen  können,  wenn  man  auch  nicht 
allen  Hypothesen  zustimmen  kann. 

2)    H.  Weil,   D'un   signe  critique   dans   le  meilleur  manuscrit  de 
Demosthene.     Melanges  Graux.     Paris  (Thorin)  1884.     S.  13—20. 

Dieser  Aufsatz,  der  seinem  wesentlichen  Inhalt  nach  in  des  Ver- 
fassers Ausgabe,  Les  plaidoyers  politiques  de  Demosthene  I.  Serie  2me 
edit,  Paris  1883,  aufgenommen  ist,  bringt  die  von  Prof.  Christ  zu  seiner 
(in  voriger  Nummer  besprochenen)  Untersuchung  erbetenen  Aufschlüsse 
über  die  kritischen  Zeichen  im  cod.  S.  Weil  hatte  diese  Zeichen,  hori- 
zontale Striche  am  Anfange  der  Zeilen  bei  einer  gröfseren  Anzahl  von 
Stellen  der  Midiana,  wie  er  sagt,  schon  früher  bemerkt,  ohne  sie  in 
seiner  Ausgabe  zu  erwähnen.  Erst  durch  den  Brief  Christs  wurde  seine 
Aufmerksamkeit  wieder  auf  dieselben  gelenkt.  Nicht  alle  sind  von  der- 
selben Hand,  die  meisten  von  erster  Hand,  von  §  205  an  sind  sie  von 
dem  Schreiber  der  Scholien  hinzugefügt.  Die  Bedeutung  dieser  kriti- 
schen Zeichen,  die  also  im  allgemeinen  in  den  drei  Codices  SliF  über- 
einstimmen, ist  nicht  leicht  anzugeben.  Einigemal  kommen  uns  die  Scho- 
lien zu  Hilfe,  in  den  meisten  Fällen  jedoch  sind  wir  auf  eigene  Ver- 
mutungen angewiesen.  Indem  Weil  die  einzelnen  Stellen,  welcho  mit 
jenem  Zeichen  versehen  sind,  bespricht,  gelangt  er  gleich  Christ  zu  dem 


1 90  Demosthenes. 

Resultat,  dafs  wir  es  wirklich  mit  einem  Obelos  zu  thun  haben.  Die 
Thatsache,  dafs  sich  die  Zeichen  nur  in  der  Midiana  finden,  ist  für  die 
Frage  nach  ihrer  Bedeutung  nicht  gleichmütig.  Die  alten  Kritiker 
wufsten  recht  wohl,  dafs  Demosthenes  nicht  die  letzte  Hand  an  die 
Rede  gelegt  und  sie  jedenfalls  nicht  selbst  veröffentlicht  hat.  Ihr  Obe- 
los sollte  daher  nach  Weils  Ansicht  die  Stellen  bezeichnen,  die  noch 
einer  Überarbeitung  bedurften. 

3)  Emil  Wangrin,  Quaestiones  de  scholiorum  Demosthenicorum 
fontibus.  Pars  prior.  De  Harpocratione  et  Aelio  Dionysio  Pausa- 
niaque  atticistis.     Diss.  inaug.  Halle  1883.     39  S.     8. 

Die  hohen  Erwartungen,  welche  der  Verfasser  durch  sein  abfälliges 
Urteil  über  andere  —  quae  adhuc  viri  docti  de  scholiis  illis  dixerunt, 
obiter  iudicata  sunt  —  von  seiner  eigenen  Leistung  erweckt,  werden 
durch  diesen  ersten  Teil  nicht  befriedigt.  Es  wird  darin  der  an  sich 
löbliche  Versuch  gemacht,  von  etwa  80  Demosthenes- Scholieu,  welche 
gröfsere  oder  geringere  Übereinstimmung  mit  Glossen  des  Harpokration, 
Photios,  Suidas,  des  Bekkerschen  Lexikons  u.  a.  zeigen,  die  Quellen  zu 
erforschen.  Wangrins  Vorbild  ist  Th.  Freyer  (unten  No.  56).  Gleich 
ihm  ist  er  der  Ansicht,  dafs  Harpokration  nicht  die  Attikisten  Ailios 
Dionysios  und  Pausanias  benützt  habe,  sondern  dafs  alle  Glossen,  welche 
dem  Harpokration  und  den  Attikisten  gemein  sind,  auf  eine  gemeinsame 
Quelle,  das  Lexikon  des  Pamphilos,  zurückgehen.  Gleich  ihm  sucht  er 
bei  möglichst  vielen  Scholieu  die  beiden  Attikisten  als  Quelle  nachzu- 
weisen, obgleich  nirgends  in  den  Scholieu  der  Name  des  Pausanias  oder 
des  Ailios  Dionysios  erwähnt,  noch  auch  durch  irgend  ein  Wort  wie 
drrtxiarrjg  die  Quelle  angezeigt  wird  (S.  21).  Da  Photios  bekauntlich 
jene  beiden  benützt  hat  oder,  wie  Wangrin  S.  20  sagt,  Photii  lexicou 
paene  totum  ex  Aelii  Dionysii  Pausaniaeque  glossis  consarcinatum  est, 
so  glaubt  er  die  Scholien,  die  mit  Photios  übereinstimmen,  auf  den 
einen  oder  andern  zurückführen  zu  müssen.  Zwar  läfst  sich  nur  bei 
drei  Scholieu  eine  fast  wörtliche  Konkordanz  mit  Photios  erweisen,  aber 
dies  genügt  dem  Verfasser,  um  viele  andere,  welche  nur  einige  Ähn- 
lichkeit mit  Glossen  desselben  haben  oder  nur  denselben  Sinn  aus- 
drücken, den  Attikisten  zuzuweisen.  Indes  erkennt  er  selbst,  dafs  durch 
diese  Methode  die  eine  oder  andere  Glosse  mit  Unrecht  den  Attikisten 
zugeschrieben  werdeu  kann,  cum,  quidquid  assequemur,  coniectura  asse- 
cuturi  simus  (S.  26).  Ganz  andere  Grundsätze  werden  bei  den  Scho- 
lien, welche  mit  Glossen  des  Harpokration  zusammenstimmen,  in  An- 
wendung gebracht,  da  uns  dieser  vollständig  erhalten  sei  (cum  Harpo- 
cratiouis  copiae  integrae  nobis  servatae  sint,  S.  5  und  18).  Kommen  sie 
nur  bei  Harpokration  vor  —  es  sind  deren  nach  Wangrin  nur  vier  — , 
so  hat  sie  der  Scholiast  wohl  von  diesem  ausgeschrieben.  Finden  sie 
sich  aber  mehr  oder  minder  ähnlich  auch  in  andern  Lexicis,  so  läfst  es 


Demosthenes.  191 

der  Verfasser  bei  acht  von  vierzehn  Scholien,  welche  §  2  angeführt  wer- 
den,  unentschieden,  ob  sie  aus  Harpokration  oder  aus  den  Attikisten 
stammen.  —  Der  Druck  ist  durch  zahlreiche  Fehler  entstellt.  Der  Ver- 
fasser hat  es  nicht  einmal  der  Mühe  wert  gefunden,  die  Seitenzahlen 
seiner  Dissertation,  die  vermutlich  zuerst  in  einer  Zeitschrift  erschienen 
ist,  entsprechend  abzuändern;  so  wird  S.  7  auf  p.  96,  S.  25  auf  p.  65, 
S.  26  auf  p.  73  verwiesen. 

4)  Kariowa,  Bemerkungen  zum  Sprachgebrauch  des  Demosthenes 
mit  Berücksichtigung  anderer  attischer  Redner.  Programm  der  evang. 
Fürstenschule  zu  Plefs  1883.     20  S.     4. 

Die  Schrift  enthält  sehr  mannigfaltige,  aber  darum  nicht  minder 
wertvolle  Bemerkungen  grammatischer  und  lexikalischer  Natur;  Über 
den  Infinitiv  nach  teyscv  und  einetv,  über  xac  ydp  zoc,  npc'v,  zu  Dem.  23,  185 
ouzog  8'  ecg  ändvzojv  zuiv  olXXujv  povog.  Weiterhin  wird  die  Präposition 
auv  behandelt,  der  Dativ  beim  Passivum  an  Stelle  von  und  mit  Genitiv, 
Snetra  im  Sinne  von  slza  zur  Bezeichnung  logischer  Inkonsequenz,  npüj- 
zov  fisv,  das  Adjektivum  verbale,  der  Gebrauch  des  Relativs  og,  rt,  o 
in  abhängigen  Fragen,  og  av  und  oazcg  dv  mit  Konjunktiv,  nec'd-scv  über- 
zeugen, ndvzeg  {ndvza)  oaoc  (ooa)  und  ot  (ä),  zouzo  (zaüza)  noceiv,  wel- 
ches ein  vorangehendes  Verbum  auch  dann  vertritt,  wenn  dieses  nicht 
eigentlich  ein  tioczTv  bezeichnet,  endlich  das  Verbum  itoc'&cv,  kXmdag 
B^stv  und  verwandte  Verbindungen.  -  Wo  es  angeht,  berücksichtigt 
der  Verfasser  die  bekannten  Indices  von  C.  Rehdautz,  diese  bald  be- 
richtigend, bald  ergänzend.  Da  der  neue  Herausgeber  derselben  —  die 
vierte  von  F.  Blafs  besorgte  Auflage  erschien  1886  —  von  Kariowas 
Bemerkungen  noch  keine  Notiz  genommen  hat,  so  sollen  hier  die  be- 
treffenden Artikel  ausführlicher  besprochen  werden.  Für  die  Konstruk- 
tion von  <pdvac  (Ind.  S.  144)  mit  folgendem  ä>g  vergleicht  Kariowa 
Dem.  27,  19  ivc'ozs  pev  <prtacv  dpy^aac  zb  ipyaazypcov ,  ivc'ozs  o"  wg 
abzog  pkv  obx  inepeXrjdrj  zoüziuv  und  Isokr.  17,  25  ouzog  pkv  difzla&ai 
<prjoc  zwv  iyxhjpdzojv ,  kyd>  3'  cug  i'dsc  ps  rtapa  zoüzou  xopc'aao&ac  zb 
Xpuoiov.  özc  steht  nach  <pdvai  Dem.  22,  23;  24,  204;  20,  135.  —  Was 
xac  ydp  zoc  (Ind.  S.  93)  betrifft,  so  führt  es  nach  Kariowa  das  Resultat 
einer  vorangehenden  Darlegung  ein  {ydp),  welches  durch  das  die  Zu- 
stimmung der  Anwesenden  in  Anspruch  nehmende  zoc  als  ein  allgemein 
bekanntes  hingestellt  wird.  Die  von  Rehdantz  gegebene  Übersetzung 
»und  so  denn  auch«  läfst  sich  nach  der  Ansicht  des  Referenten  auf 
alle  Stellen  anwenden;  es  dürfte  also  nicht  nötig  sein,  für  Dem.  23,  19S 
und  200;  19,  56  und  325  eine  besondere  (explikative)  Bedeutung  auf- 
zustellen. Was  der  Verfasser  über  die  Entstehung  von  zoc  bemerkt, 
dafs  wir  es  jedenfalls  mit  dem  zur  Partikel  erstarrten  Dativ  dir  zu  thuu 
haben,  ist  durchaus  beifallswert.  Die  Stelleu  aus  lsokrates  hatte  be- 
reits  Schneider  zu  Is.  7,  30   zusammengetragen;  aus  Lysias  führt  Kar- 


1 92  Demosthenes. 

Iowa  an  [2,j  20.  20.  03.  79.  80;   27,  10;   30,  4.   —  Über  die  Konjunk- 
tion tz/hv  ist  jetzt  Sturm,   Geschichtliche  Entwickelung   der  Konstruk- 
tionen mit  n/nv,  zu  vergleichen.   Das  Adverb  npb  findet  sich  nur  Dem.  1,11 
und  in  der  unechten  siebenten  Rede  §  5,  sonst  weder  bei  Demosthenes 
noch    bei  Aischines,    Lysias,    Isokrates   und   Isaios.     Der   Verfasser  i^t 
deshalb  geneigt,  Dem.  1,  11  mit  Dindorf  der  Lesart  r.tmu-nnz/w-ujv  den 
Vorzug  zu  geben;  so  liest  übrigens  auch  Fr.  Franke.     Mit  npo'j-äp/s'.v 
vergleicht  Kariowa  Aisch.  2,  140.   —    Dem.  23,  185  verbindet  er  gegen 
Westermann  eis  &ndvr(uv  tCov  äMatv,  wozu  fiöv.os  pleonastisch  gefügt  sei; 
denn  der  von  püvog  abhängige  Genitiv  folge  diesem  immer  nach.    Wei- 
tere Beispiele  siehe  bei  Rehdantz  zu  Lyk.  §  67  und  Anhang  2.   -     Über 
aüv  ist  jetzt  L.  Lutz,   Die   Präpositionen   bei   den   attischen    Rednern, 
Programm  von  Neustadt  a.  d.  H.,  1887,  S.  39  f.,  zu  vergleichen.  —  ir.tiTa 
im  Sinne   von   eha  zur  Bezeichnung  logischer  Inkonsequenz  (Ind.  S.  66) 
erscheint  nicht  nur  [Dem.]   52,   29   (nicht   26),   sondern  auch    18,   209; 
[35,]  45;  [42,]  30,  xänena  [Lys.]  8,    19.   —   Auf  npiörov  ftkv  (Ind.  S.  103) 
folgt  83  mal  ercscra,  davon  22  mal  in  unechten  Reden,  47  mal  eha,  dar- 
unter 2  mal  in  der  unechten  58.  Rede;  eneiza  de  auch  55,  22  und  [42,]  1. 
Dazu   kommt   TipüiTov   pev    —    oeurepov   de    —     eneeza   23,    125,   npüJTov 
pev  —  enetTa  —  eha  57,  19.  43,  npu/Tov  pev  —  jxsza  rauza  de  —  eha 
14,    23.     Vgl.  hierzu  auch  P.Uhle  in  seiner  Doktordissertation  (unten 
No.  47)  S.  93.     Gar  nicht  fortgesetzt  ist  npaJTov  pev  16,  18   (Referent). 
—  Das  Adjektivum  verbale  (Ind.  S-  41)  findet  sich  nach  Kariowa  unper- 
sönlich konstruiert  22  mal  in  den  echten  Reden,   4  mal  in  unechten  Re- 
den, persönlich  konstruiert  nur  6  mal  (21,  142;  22,  62;  24,  25.  78;  36, 
30;  54,  44).     Die  unpersönliche  Konstruktion   ergibt   sich   für  die   von 
ihm  in  Betracht  gezogenen  Redner  (Demosthenes,  Aischines,  Lysias,  Iso- 
krates, Isaios)   »als   die   übliche,   von  der  nur  aus  bestimmten   Gründen 
abgewichen  zu   werden   scheint.     Da  nun   bei   der   unpersönlichen   Kon- 
struktion das  Verbaladjektiv  als  Verbum,   bei  der  persönlichen  als  Ad- 
jektivum behandelt  wird,   so   läfst  sich  schliefsen,   dafs  die  persönliche 
Konstruktion  nur  da  angewandt  wird,   wo  eine  Eigenschaft  beigelegt 
wird«.    —    »Ilei&ecv  überzeugen  wird   mit  aug  am  häufigsten  im  Akti- 
vum  verbunden.«  —  »Der  Infinitiv  nach  dem  Aktivum  erscheint  nur,  wo 
nec&eiv  mit  dem  Reflexiv  verbunden  nicht  wesentlich  verschieden  ist  von 
neneco&ac,  in  den  echten  Werken  des  Demosthenes  nur  19,  99,  sonst  in 
den  Proömien  5.  19.  33.  50.  56  und  Ep.  5,  2.«    —   Ind.  S.  106  s.  v.  pc- 
xpög  mufs  es  21,   75   statt  21,   25   heifsen.     Mit  der  Verbindung  oure 
pcxpuv   ou-e  peya  vergleicht  Kariowa  |Dem.]  47,    78   nepl  tu  nXeov  xa\ 
zb   iAazTov,   Isokr.  15,  111  oute  nXeov  out'  eXazTov ,    Dem.  24,  29  outs 
Xscpova   oure  ßekTtu)   vopov  und  24,  88  pfre  ßeXuoug  pijTe  %ec'poug  (iy- 
yurjTdg).  —  Endlich  findet  sich  der  Infinitiv  nach  iXru'e  (io~zc)  aufser  an 
den  Ind.  S.  87  angegebenen  Stellen  auch  Prooem.  38  =  1446,  26.     Nur 
|Dem.J  59,  57  steht  der  Inf.  fut. 


Demosthenes.  193 

5)  Joh.  Straub,  De  tropis  et  figuris,  quae  inveniuntur  in  ora- 
tiouibus  Demosthenis  et  Ciceronis.  Programm  von  Aschaffenburg  1883. 
VI,  147  S.     8. 

Die  sehr  fleifsige  Arbeit  kann  wegen  der  reichen  Beispielsamm- 
lung als  ein  wertvoller  Beitrag  zur  Geschichte  der  Tropen  und  Figuren 
bezeichnet  werden.  Dafs  sich  die  wiederholt  (S.  V  und  104)  ausge- 
sprochene Hoffnung  des  Verfassers,  er  werde  auch  den  Schülern  des 
Gymnasiums  mit  seiner  Abhandlung  einen  Gefallen  erweisen,  erfüllen 
wird,  möchten  wir  sehr  bezweifeln.  Diese  würden  ihm,  wenn  ihnen  erst 
der  Sinn  hierfür  geweckt  wäre,  für  einen  deutsch  geschriebenen,  nur 
die  wichtigsten  Tropen  und  Figuren  behandelnden  Abrifs  mehr  Dank 
wissen.  Im  übrigen  verweisen  wir  auf  die  Anzeige  von  G.  Landgraf 
in  diesem  Jahresbericht  XXXV  (1883.  II)  S.  5  und  die  Rezension  von 
G.  Dzialas,  Neue  philol.  Rundschau  1886  S.  313  ff. 

6)  Y.,  La  critique  des  textes  grecs  ä  l'Fxole  pratique  des  Hautes 
etudes  II.  —  Demosthene.    Revue  de  philologie  VII  (1883)  S.  33—60. 

Der  erste  Teil  handelt  über  xal  yäp  rot.  Der  Verfasser  geht 
die  verschiedenen  Erklärungen  durch,  welche  die  Partikel  durch  Hoo- 
geveen,  Vigerius,  Reiske,  H.  Schäfer,  Seiler,  R.  Klotz,  J.  A  Härtung 
und  Rehdantz  erfahren  hat,  und  findet,  dafs  sie  bereits  im  Lexikon  des 
Hesychios  richtig  durch  rotyapouv  (deshalb,  demnach)  erläutert  ist. 
Darauf  führt  er  nacheinander  die  Stellen  an,  wo  xal  yäp  roc  von  Voemel 
richtig  durch  itaque,  igitur,  proinde,  quapropter  übersetzt  sei,  nämlich 
9,  58  (nicht  57);  18,  99;  19,  137  und  325;  20,  69  und  91;  21,  150; 
23,  198;  24,  140;  51,  14  und  22  (nicht  21);  61,  29  (nicht  28);  sodann 
die  Stellen,  wo  derselbe  xal  yäp  zo>  unrichtig  übersetzt  habe:  4,  6; 
8,  66;  10,  68;  13,  22;  19,  141;  23,  104,  200  und  206.  Ohne  Grund 
schlägt  der  Verfasser  19,  56  xal  yäp  outoi  statt  xal  yäp  rot  zu  lesen 
vor.  Der  Stelle  ist  ganz  ähnlich  19,  325.  Das  Resultat  ist,  dafs  xal 
ydp  rot  mit  votydprot  synonym  sei,  nie  aber  mit  xal  yäp.  —  Der  zweite 
Teil  enthält  textkritische  Bemerkungen  zu  den  drei  Staatsreden  Von 
den  Symmorien  (XIV).  Für  die  Megalopoliten  (XVI)  und  Für  die  Frei- 
heit der  Rhodier  (XV).  Die  meisten  der  hier  vorgeschlagenen  Konjek- 
turen sind  erweislich  verfehlt  oder  unnötig.  Wir  heben  als  beachtens- 
wert hervor  XIV  1  ttjq  d£taq  st;ilt  d&toe  nach  Gregor.  Nazianz.  orat. 
fuuebr.  Caes.  6  ou  toütov*  zyxwpcäaac  ßouASjievog  oöd1  dyvowv  Sri  pö- 
h<i    äv    rts    X^s    d£(aq    l<p(xoiXO.  4   xdv  eoppayrto~<u  coli.   §  26.    —    12 

■nap"  rjpwv  mit  einigen  Codices.  —  14  soll  npo&u/uoe  als  Glosse  zu 
ixovza  gestrichen  werden.  —  32  werden  Dobrecs  Konjekturen  feWß 
statt   ^sW^-   und    xpavfjaovrez  empfohlen.  ;'■<',   <<">    äv  statt  >h  oöSk. 

—  38  pkv  hinter  änayysÄAso-ttat  zu  streichen.  —  XV  L6  sftwr'  äv  rtHs- 
tyoav  tö  <ppovrtaat. 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft   L.    (1887.   1.1  13 


194  Demosthenes. 

7»  II.  van  Berwerden,  Demosthenica.    Rhein.  Bfuseara  XXXYll 

(1882)   S.  241  —  251. 

Textkritische  Bemerkungen  in  reicher  Fülle  zunächst  zn  II   Weih 
Ausgabe  dyfwa&svous  r<uv  8cxavcxä>v  Xöytuv  <>•  Sy/jLÖatot,  Paris  (Hachette) 

1877,  weicht;  die  20.,  21.,  19.  und  18-  Re<l<'  enthält,  aber  auch  zu  andern 
Reden.  Aufserdem  wird  10,  '•'•'■'>  iyxaTaAeinöfievot  richtig  durch  non  adiuti 
a  rege,  sed  deserti,  destituti  erklärt;  zu  dem  Plural  npeaßeurouQ  (Ge- 
sandten) 12,  8  macht  I Irrwerden  auf  ein  Beispiel  in  seiner  8chrift  La- 
pidum  de  dial.  Au.  lest.  S.  63  aufmerksam.  (Bei  Demosthenes  fiu 
sich  Ttpeaßeoxat  für  r^zofizt^  nur  24,  12,  bei  Andokides  .'},  41.  bei  Dei- 
narchos  l,  20  und  82.)  Von  den  Verbesserungsvorschlägen  haben  in- 
zwischen mehrere  die  Billigung  Weils  in  der  zweiten  Auflage  der  er- 
wähnten Ausgabe  oder  die  des  neuen  Herausgebers  der  Dindorfschen 
Textausgabe,  F.  Blafs,  oder  beider  Gelehrter  zugleich  gefunden.  So 
klammert  jetzt  Weil  mit  Herworden  18,  247  xa\  dcap&apelg  ein  (Blafs 
liest  jir/Vz  dtap&apels);  ebenso  18,  251  das  zweite  xaXbv.  19,  27  liest 
er  07i£f)  £?7:ov,  was  übrigens  nach  Weils  Note  bereits  Dobree  vor  Her- 
werden konjiziert  hatte.  19,  190  Weil  und  Blafs  elotTyrrjpt'  statt  etat- 
~rjpi\  19,  217  setzen  beide  das  Fragezeichen  hinter  ozl  statt  hinter 
rauxa.  19,  260  Weil  dveitX^ae  statt  evinXrjoe.  19,  320  Blafs  zatpijaee, 
nach  Dobree  von  Herwerdeu  empfohlen.  21,  55  Weil  zfj  us  statt  -rp 
de  (ohne  Not).  Blafs  7,  12  xatxot  statt  xahoi  yz.  8,  65  xh  (lh/,:--<rj 
gestrichen.  In  den  Noten  erwähnt  Weil  zur  19.  Rede  §  76  auzubg  — 
npoanocrjfTojvzac,  §  136  wonzp  ev  Bakdzrjj  Tivzbpaxi  xüp.'  axaraazdroj, 
§  137  ooÜAYjV  zhai,  §  146  [yzyzvrtaHai]  hinter  rüayjmp ,  §  233  toutou 
statt  toutwv,  rr^g  ö(pe<oQ  in  Klammem,  §  325  wjtujv  hinter  <pp6vrj\£  ver- 
dächtigt; zur  20.  Rede  §  49  bnr/peine  statt  buippei,  womit  Herwerden 
Plut.  Mor.  S.  71  B  vergleicht,  §  186  auzog  ixzcvog,  wie  schon  früher 
Cobet,  §  196  pzyälrp  pzvräv  xiyyrjv  pdUov  <T  dp%yv.  —  Noch  mögen 
folgende  Vorschläge  des  holländischen  Kritikers  zu  andern  Reden  er- 
wähnt werden:  6,  20  oYzofrz  hinter  ruaxzoaat  zu  streichen;  Referent 
würde  es  lieber  hinter  dpa  stellen.  8,  25  pij  aöldabai  zu  streichen; 
warum  nicht  lieber  (jlyj  ä8ixs7a&cut  8,  61  iyfrpou;  hinter  xoldar^  zu 
streichen.  12,  5  oudzv  npoo^xobaa^  statt  ivopxoug,  12,  13  sldozeg  zu 
streichen.  —  Die  Konjekturen  zu  1,  14  und  25;  8,  69;  3,  7;  7,  43 
hätte  er  sich  ersparen  köuuen,  wenn  er  die  Ausgabe  von  Rehdautz  ein- 
gesehen hätte.  Übrigens  hat  Blafs  3,  7  zxxoXzp^oa.'  statt  ixzo/.zpwaac 
und  7,  43  dfaj&y  statt  dXy&kg,  was  Herwerden  verlaugt,  wieder  aufge- 
nommen. 

8)  F.  Blafs,  Über  die  Verwertuug  der  bei  den  Rhetoren  sich  finden- 
den Citate  aus  Demosthenes.  Rhein.  Mus.  XXXVIII  (1883)  S.  612-624. 
Dafs   die   bei   Späteren   sich  findenden  Citate   und  Nachahmungen 
eines  Autors   ein  wichtiges  Hilfsmittel  der  Textkritik  sind,   ist  eine  all- 


Demosthenes.  195 

bekannte  Thatsache;  gleichwohl  haben  die  Herausgeber  des  Demosthenes 
vor  Blafs  von  dieser  Unterstützung  nur  wenig  oder  nicht  in  der  rechten 
Weise  Gebrauch  gemacht.  Diese  Citate  sind  freilich  von  sehr  verschie- 
denem, oft  ziemlich  geringem  Werte,  teils  weil  die  Methode  des  Citie- 
rens  bei  den  Alten  eine  andere  war  als  heutzutage  und  mehr  den  Sinn 
als  den  Wortlaut  berücksichtigte,  teils  weil  die  Citate  aus  einem  be- 
reits verdorbenen  Texte  stammen  können,  da  ja  die  Handschriften  schon 
in  sehr  früher  Zeit  durch  Korrekturen  und  Interpolationen  entstellt 
wurden.  Nicht  selten  ist  auch,  wie  Blafs  an  Beispielen  nachweist,  die 
citierte  Stelle  nach  dem  Original  korrigiert  worden,  und  dies  um  so 
häufiger,  je  bekannter  das  Original  und  je  gelesener  der  citierende  Schrift- 
steller war.  Kommt  dazu  noch  der  weitere  Umstand,  dafs  die  Hand- 
schriften ,  wie  dies  besonders  bei  dem  Rhetor  Hermogenes  der  Fall  ist, 
noch  nicht  genügend  verglichen  sind,  so  ist  bei  der  Benutzung  der  Ci- 
tate mit  der  äufsersten  Vorsicht  zu  verfahren.  Ans  Hermogenes  dürfen  wir 
daher  nicht  allzu  viel  Gewinn  für  den  Demosthenestext  erwarten.  Bessere 
Aussichten  erweckt  die  rhetorische  Schrift  des  Aristeides,  wiewohl  auch 
diese  nicht  frei  von  Interpolationen  ist.  Das  ergiebt  sich  jedoch  mit 
aller  Evidenz,  dafs  die  Zahl  der  Interpolationen  in  unserm  Demosthenes- 
text auch  nach  der  besten  Überlieferung  eine  ganz  ungeheure  ist,  wenn 
auch  die  Reden  nicht  alle  in  gleichem  Mafse  gelitten  haben,  die  Kranz- 
rede mehr  als  die  Gesandtschaftsrede,  die  Leptinea  mehr  als  die  Aristo- 
kratea,  ganz  besonders  aber  die  Rede  von  den  Symmorien ;  frei  sind 
nicht  einmal  die  Briefe  geblieben.  Das  Hauptergebnis  der  Untersuchung, 
der  Nachweis  zahlreicher  Interpolationen  aus  Aristeides,  ist  bereits  der 
neuen  Ausgabe  des  Demosthenes  von  Blafs  (unten  No.  12)  zu  gute  ge- 
kommen. Darin  ist  jetzt  gestrichen  3,  31  yeyi^aDe  nach  pepee,  9,  29 
örjTiOu  nach  dyvoee,  10,  8  nap'  upiuv  nach  Tuy^ävi^ro.,  14,  3  dvai  nach 
^EUr/vujv  (ebenda  äpaadat  statt  aipscattat  gesetzt),  16,  1  itoXtrau.  nach 
nvrsg,  16,  3  rfj  nuUi  nach  vopi£w,  18,  97  dort  nach  av&pwzocg,  18,  130 
yiyovz  nach  j)7)Ta>p  und  299  dcxaetog  nacb  ßouty,  19,  16  Tidvzzg  vor  frzo: 
und  83  upÄuv  nach  otdev  und  84  aun»»  nach  npaypdTajv,  ferner  einge- 
klammert 9,  28  npbq  dXkfjXoog  und  36  oödepiäs,  13,  28  v^s  nöXsat^ 
14,  1  npoatpeca&ac  und  37  ddtxsev  i}p.äg  ixzrsov,  16,  2  ßouXopzvcuv,  18,  3 
avbpÜTMiQ,  10  (hov  ouros  ijrtäro  und  rt  nap1  bpcv,  72  S  neTtpaxrau.  Mit 
Hilfe  einer  Nachahmung  sucht  er  zu  heilen  18.  227  av  xadaipwatv  ai 
(f>ijy>ot  x&v  fiqdkv  nepifj.  LO,  46,  wo  er  rdfecu;  statt  bnodiaeote  ein- 
setzen zu  müssen  glaubte,  bat  er  in  der  Ausgabe  die  alte  Lesart  bei- 
behalten. ~  Zu  streichen  ist  feiner  nach  Blafs  20,  11  raüra  naeh  yorr 
fiara,  41  totz  nach  Xaßelv  {Aaßeev  aber  vor  itap'  upiuv  zu  setzen),  76 
8sw  hzyziv  nach  öÄlyou  und  vüv  naeli  zxäaro),  89  jtävrwv  naeb  rinn»; 
und  San  nach  oödev  (sodann  ouS1  eüpyp.'  fyperepov  zu  schreiben),  96 
iorev  nach  -odzo  pkv,  155  rd  8eivora&'  naeb  ra)»;  dagegen  fehlt  20,  72 
iauv  zwischen  ydp  und  tu  ävSpe;  'A&yvatot.    21,   111  sei  r<r>n>^  Sv  -J:^- 

13* 


196  Demosthenes. 

iiiynuD.t  vponov  zu  .stellen  und  129  f/pwv  nach  dfiporepwv  zu  streichen; 
ebenda  schlägt  er  vor  tj>1i^  zu  Xoatbv  näv  rb  ifibv  y.».\  (auch)  xh  toötou 
npotne&kv  als  appositionelle   Erklärung  zu    zb   nap'  4ppordptov   53wp, 

23,  8  f  ix  toötou  nach  yhp  zu  streichen  und  TuxpaSoüvou  n  £v\  zu  lesen, 
74  ebp£vS)V  statt  bpoXoywv\  24,  4  zu  Mxaia  statt  zi>  -uuy/j.u,  54,  8 
noUovres  statt  bßplZovres  und  20  /jtcrä  zaüra  nach  i$eruiaj3^xet  zu 
streichen,  Ep  3,  42  ~uuoyi)zyi).a  statt  np6axaypxx  und  toötou  ncl.-t 
zuiurizu  zu  streichen. 

9)  H.  Weil,  De  quelques  omissions  dans  le  texte  de  D6mosthene. 
Revue  de  philologie  VII  (1883)  S.  7-13. 

Weil  sucht  hier  umgekehrt  einige  anscheinend  lückenhaft  über- 
lieferte Stellen  zu  ergänzen:  19,  234  vermutet  er  (nph  yevioBai)  zag 
kxxX-qaiaq  iv  aig ,  20,  98  ist  er  geneigt  doxouvrag  vor  xpiBivraQ  einzu- 
setzen, ebenso  §  131  npö$evot  zwischen  zhut  and  pdcrxovree.  §  141  liest 
er  e~c  zu?g  (unkp  aör^g)  TeXeoTTjoaoi.  §  161  setzt  er  du/ueg  ztoiv  hinter 
'i^oszrjg    lv    ein    (durchaus    unwahrscheinlich),    22,   8   prtdk   hinter  \irn 

24,  187  xal  nepl  pkv  rouvou  (roü  kaxeppdvou)  xara  a%otyv  d  dtj  Ttpo- 
xp&TYjS  v~jv  eps?  noXXä  Xeyeiv  eti  npbg  tootois  iyoiv  •naboopjo.t.  Statt 
des  letzten  Wortes  vermutet  er  nach  4,  13  na.uop.at  (so  liest  auch  Blafs, 
Att.  Bereds.  III  A  S.  248  Anm.  4) ;  die  Einsetzung  von  tou  iaxzppdvou 
scheint  mir  verfehlt.  Die  §§  183  186  hält  Weil  wohl  mit  Recht  für 
eine  Interpolation  aus  22,  75  ff. 

10)  J.  Sörgel,  Demosthenische   Studien  II.     Programm   von  Hof 

1884.     40  S.     8. 

Der  zweite  Teil  dieser  Studien,  worin  der  Charakter  und  die  Politik 
des  Demosthenes  gegenüber  der  neueren  von  Spengel  und  Weidner  ver- 
tretenen Kritik  mit,  Wärme  und  Leidenschaft  verteidigt  wird,  beschäftigt 
sich  hauptsächlich  mit  der  Frage,  wie  es  in  Wahrheit  mit  der  Haltung 
des  Demosthenes  dem  Philokratischen  Frieden  gegenüber  steht,  ob 
durch  denselben  und  in  demselben  wirklich  eine  völlige  Umwandlung  in 
ihm  eingetreten  sei  und  Aischines  Grund  hatte,  seinem  grofsen  Gegner 
vorzuwerfen,  er  habe,  um  sein  wechselndes,  widerspruchsvolles  Verhalten 
zu  erklären  und  zu  beschönigen,  zu  den  ärgsten  Lügen,  Verdrehungen 
und  Verleumdungen  aller  Art  seine  Zuflucht  genommen.  Der  Verfasser 
gesteht  zu,  dafs  die  Politik  des  Demosthenes  nicht  von  Anfang  an  bis 
zum  Schlüsse  einzig  und  allein  in  ihren  Mitteln  stets  die  richtige  und 
praktische  war,  aber  nach  ihren  Motiven  sei  sie  eine  untadelhafte  und 
edle,  für  einen  Patrioten  die  einzig  würdige  und  mögliche  gewesen. 
Aischines  dagegen  ist  ihm  ein  gemeiner  Verleumder ,  ein  Windbeutel 
und  frecher  Lügner,  ein  grofsmäuliger  Schwätzer,  der  gemeinste  Ver- 
räter und  dgl.  »Überhaupt  ist  der  Lebenswandel  des  Aischines  ein  ver- 
ächtlicher, er  ist  bestochen,  ein  Schmeichler,  fluchbeladen,  Lügner,  Ver- 


Demosthenes.  197 

räter  seiner  Freunde,  und  alles  mögliche  Schlechte.«  (S.  38.)  Die  Ab- 
handlung ist  überreich  an  dergleichen  Epitheta  ornantia,  mit  denen  die 
alten  und  neuen  Gegner  des  Demosthenes  ausgezeichnet  werden.  Die 
ganze  Darstellung  verrät  die  zur  Zeit  der  Abfassung  dieses  Programms 
bereits  krankhaft  überreizte  Gemütsverfassung  des  um  Demosthenes  ver- 
dienten Autors;  damit  mögen  auch  die  zahlreichen  Wiederholungen  und 
die  sprachlichen  Unrichtigkeiten  entschuldigt  werden. 

11)  Demos thenica.     In  usum  scholarum  collegit  H.  J.  Nassau 
Noordewier,  rector  gymnasii  Delphensis.  Leyden  (Brill)  1884.  166  S. 

Das  Büchlein  ist  nach  demselben  Plane  angelegt  und  soll  einem 
ähnlichen  Zwecke  dienen  wie  des  Verfassers  Isocratea,  Groningen  (Wol- 
ters) 1883.  »Pergant  discipuli,  sagt  er  in  der  Praefatio,  legere  totas 
Demosthenis  oratiooes,  quarum  non  longiores  neque  politicas  scholae 
semper  aptiores  esse  censeo ;  haec  autem  excerpta  iis  trado  legenda,  ut 
reliquarum  orationum  aliquam  notitiam  saltem  sibi  acquirant.«  Mit  Vor- 
liebe finden  sich  allgemeinere  Gedanken  und  Sentenzen  ausgezogen,  so- 
dann auch  solche  Stellen,  die  in  grammatischer  oder  lexikalischer  Be- 
ziehung lehrreich  sind.  Die  Exzerpte  sind  häufig  iu  lateinischer  Sprache 
unter  sich  verbundeu  oder  ergänzt.  Dafs  die  allgemein  für  unecht  er- 
klärten Reden  in  dieser  Ausgabe  weniger  Berücksichtigung  gefunden 
haben,  ist  durchaus  begründet,  und  hier  hätte  der  Verfasser  nach  meinem 
Dafürhalten  noch  weiter  gehen  dürfen,  da  er  doch  nur  dazu  beitragen 
will,  dafs  die  studierende  Jugend  den  Demosthenes  kennen  lerne.  In 
der  Regel  wird  kurz  bemerkt,  wann  eine  Rede  verfafst,  bez.  gehalten 
ist.  Bei  den  olyntbischen  Reden  vermifst  man  eine  derartige  Angabe. 
Zur  ersten  Rede  lesen  wir  nur:  Demosthenes  suadet  Atheniensibus,  ut 
auxilium  ferant  Olyntho  obsessae  (!)  a  Philippo.  Vergeblich  habe  ich 
mich  bemüht,  die  Ausgabe,  welche  diesen  Exzerpten  zu  gründe  liegt, 
ausfindig  zu  machen.  In  der  vierten  Rede  §  5  steht  gegen  die  Über- 
lieferung rjoetv  im  Texte,  in  der  Note  An  sldsv?  Was  der  Herausgeber 
hier  vermutet,  ist,  soviel  ich  sehe,  in  allen  neueren  Ausgaben  zu  lesen. 
Ebenso  hatten  Baiter-Sauppe,  Bekker,  Westermann,  Rosenberg,  Reh- 
dantz,  Blafs  8,  61  die  von  Nassau  Noordewier  verdächtigten  Worte  :>-r- 
peToovrag  .  .  .  ixetveov  ganz  aus  dem  Texte  entfernt.  Auffällig  sind  in 
einer  für  Schüler  bestimmten  Ausgabe  Hinweisungen  auf  Werke,  die 
ihnen  nicht  wohl  zugänglich  sind,  wie  Blafs,  Attische  Beredsamkeit  oder 
Meier  und  Schoemann,  Attischer  Prozefs.  Über  die  Klimax,  die  der 
Verfasser  bei  Demosthenes  nur  18,  179  gefunden  hat,  kann  ihn  Rehdantl 
im  Index  I  und  Straub  (oben  No.  5)  S.  116  f.  eines  besseren  belehren; 
statt  Quinct.  Inst.  Or.  IX  355  ist  Quiut.  IX  3,  54  f  zu  lesen.  Von  den 
zahllosen  Druckfehlern,  besonders  Accentfehlcrn,  will  ich  nur  einen  hier 
berichtigen:  S.  3  Note  soll  es  XX  50  statt  XV  50  heifsen. 


198  Demosthei 

12)  Demosthenis  orationes  ex  recensione  Gtuilielmi  Dindorfii. 
Vol.  I.  Orationes  I— XIX.  Editio  quarta  correctior  curante  Pride- 
rico  Blafs.   Editio  maior.    Leipzig  (Teubner)  1885.    OLXXVI,   1 1 1  s. 

—  Editio  minor.     Ebenda  1885.    44 1  8. 

Ree.:  Deutsche  Literaturzeitung  1885  S.  1632—1634  von  Br.  Keil. 
—  Journal  des  Savants  1886  S.  295—305  von  II.  Weil.  Philologischer 
Anzeiger  XVI  (1886)  S.  311  314  von  K.  Secliger.  Wochenschrift 
für  klass.  Philologie  III  (1886)  Sp.  1489—1490  von  II.  Landwehr. 
Wochenschrift  für  klass.  Philologie  IV  (1887;  Sp.  481—484  von  W. 
Nitsche.  —  Zeitschrift  für  die  österr.  Gymnasien  38.  Jahrgang  (1887) 
S.  339     354  von  A.  Kornitzer. 

Die  Besorgung  einer  neuen  Auflage  des  Dindorfschen  Deraosthenes 
konnte  wohl  keinem  Kundigeren  übertragen  werden  als  Blafs,  und  er 
hat  sich  seine  Aufgabe  nicht  leicht  gemacht.  Es  ist  in  der  That  »eine 
erstaunliche  kritische  Arbeit«,  welche  der  Commentarius  criticus  von  109 
und  der  Index  interpolationum  von  40  Seiten  in  sich  schliefsen.  Zwar 
hat  der  Herausgeber,  abgesehen  von  mehreren  Stellen  des  cod.  A  und 
einigen  wenigen  des  cod.  S,  keine  Handschriften  kollationiert,  wiewohl 
auch  diese,  wie  er  überzeugt  ist,  noch  nicht  völlig  ausgebeutet  sind; 
dafür  aber  hat  er  zur  Herstellung  des  ursprünglichen  Textes  neue  wich- 
tige Hilfsmittel  herangezogen,  die  testimouia  veterum,  die  Scholien,  die 
Nachahmungen  Späterer.  Über  seine  Stellung  zu  den  Handschriften  und 
über  die  Grundsätze,  von  denen  er  sich  bei  der  Verarbeitung  des  reichen 
Materials  leiten  liefs,  spricht  er  sich  in  der  Praefatio  deutlich  aus. 
Gleich  Cobet,  Weil  und  anderen  ist  er  der  Ansicht,  dafs  der  jetzige 
Text  des  Demostheues  von  dem  ursprünglichen  und  echten  sehr  weit 
abstehe  und  auch  unsere  relativ  guten  Handschriften  bei  der  in  sehr 
frühe  Zeit  zurückgehenden  Verderbnis  der  Überlieferung  besonders  durch 
Interpolationen  arg  entstellt  seien.  Bei  dieser  Sachlage  kommen  dem 
Kritiker  die  größtenteils  erst  von  Blafs  entdeckten  Kompositionsgesetze, 
das  Hiatusgesetz,  das  rhythmische  und  das  Kürzengesetz,  sehr  zu  statten; 
diese  werden  hier  zum  erstenmal  in  die  Praxis  übersetzt  und  so  ein 
wesentlich  veränderter  und  verbesserter  Text  geschaffen.  Hier  und  da 
freilich  möchte  man  wünschen,  dafs  der  neue  Herausgeber  bei  der  Durch- 
führung dieser  Regeln  weniger  streng  verfahren  und  der  Überlieferung 
mit  seinem  scharfen  kritischen  Messer  nicht  so  sehr  zu  Leibe  gegangen 
wäre.  Indes  ob  auch  manches  hier  getilgte  oder  in  Klammern  verwiesene 
Wort  späterhin  wieder  ganz  zu  Gnaden  angenommen  wird,  sicher  ist, 
dafs  die  Demostheneskritik  mit  dieser  Ausgabe  einen  bedeuteuden  Schritt 
vorwärts  gethan  hat. 

13)  Ausgewählte  Reden  des  Demosthenes.  Für  den  Schulgebrauch 
erklärt  von  J.  Sörgel,  Studienrektor  in  Hof.  I.  Bändchen.  Die  drei 
olynthischen  Reden   und   die   erste  Rede   gegen  Philippos   enthaltend. 


Demosthenes.  199 

II.  Bändchen.  Rede  über  den  Frieden.  Zweite  Rede  gegen  Philipp. 
Rede  über  die  Angelegenheiten  im  Chersones.  Dritte  Rede  gegen 
Philipp.  Gotha  (Perthes)  1883  und  1884.  Zusammen  IV,  232  S. 
Dieser  neue  Demosthenes -Kommentar  unterscheidet  sich  von  den 
bei  Teubner  und  Weidmann  erschienenen  kommentierten  Ausgaben  haupt- 
sächlich dadurch,  dafs  er,  den  Grundsätzen  der  Bibliotheca  Gothana  ge- 
mäfs,  lediglich  das  Bedürfnis  der  Schüler  bei  ihrer  Vorbereitung  auf 
die  Lektüre  ins  Auge  fafst,  während  jene  zugleich  den  Anforderungen 
der  Gelehrten  Rechnung  tragen.  Aus  diesem  Grunde  ist  die  Textkritik 
nicht  nur  vom  Kommentar  ausgeschlossen,  sondern  es  werden  auch  die 
Abweichungen  von  dem  zu  gründe  gelegten  cod.  S  oder  von  neueren 
Ausgaben  nicht  in  einem  kritischen  Anhange  zusammengestellt  und  be- 
sprochen. Selbst  da,  wo  eine  ebenso  von  der  handschriftlichen  Über- 
lieferung wie  von  andern  Ausgaben  abweichende  Lesart  aufgenommen 
ist,  wie  in  der  Rede  über  den  Frieden  §  8  nocou/xevog  statt  inot^craro, 
überläfst  es  uns  der  Herausgeber,  seine  Gründe  hierfür  zu  erraten.  In 
der  Erklärung  war  er,  wie  er  im  Vorwort  sagt,  vor  allem  bestrebt,  ein 
bescheidenes  Mafs  einzuhalten  und  auf  alles  das  zu  verzichten,  wofür 
der  Schüler  weder  das  nötige  Interesse  noch  die  erforderliche  Reife  des 
Urteils  besitzt.  Das  sind  Grundsätze,  mit  denen  wohl  jeder  Schulmann 
einverstanden  sein  wird,  und  da  dieselben  im  ganzen  mit  grofsem  Ge- 
schick und  mit  rühmenswerter  Sorgfalt  und  Umsicht  durchgeführt  sind, 
so  konnte  Sörgels  Ausgabe  mit  den  in  ihrer  Art  vortrefflichen  Ausgaben 
von  Rehdantz  und  Westermanu  getrost  in  Konkurrenz  treten.  Der  beste 
Beweis  für  ihre  Brauchbarkeit  ist  der  Umstand,  dafs  von  dem  ersten 
Bändchen  schon  nach  drei  Jahren  eine  zweite  Auflage  nötig  wurde. 
Eine  ausführlichere  Einleitung  enthält  das  Wissenswerteste  von  dem 
Leben  und  der  Bedeutung  des  grofsen  Redners  und  entwirft  zugleich  in 
allgemeinen  Zügen  ein  klares  Bild  der  damaligen  politischen  Zustände 
Griechenlands.  Hier  ist  S.  8  die  Angabc,  dafs  Philippos  den  Olynthiern 
die  Städte  Pydna  und  Poteidaia  schenkte,  dahin  zu  berichtigen,  dafs 
statt  Pydna  Anthemus  einzusetzen  ist;  man  vergleiche  A.  Schäfer  II1 
S.  22  und  die  Einleitung  von  Rehdautz-Blafs  §  25.  Den  Reden  des 
zweiten  Bändchens  sind  besondere  zweckentsprechende  Einleitungen  vor- 
ausgeschickt. Auf  Einzelheiten  kann  hier  nicht  eingegangen  werden. 
Nur  sei  noch  der  Wunsch  ausgesprochen ,  es  möchte  bei  einer  neuen 
Auflage  in  der  Schreibung  der  griechischen  Eigennamen  und  in  der  An- 
wendung der  Elision  mehr  Konsequenz  angestrebt  werden.  -  Besprochen 
wurden  die  beiden  Bändchen  von  J.  Sitzler.  Wochenschrift  für  klass. 
Philologie  1884  Sp.  647  f.  Zum  ersten  Bändchen  finden  sich  zahlreiche. 
zum  Teil  recht  beachtenswerte  Bemerkungen  von  J.  Dreher  in  der 
Piniol.  Rundschau  1884  Sp  577  689  und  r,n  821.  Eine  kürzere  An- 
zeige des  zweiten  Bändchens  von  J.  Peters  steht  Berliner  philol.  Wochen- 
schrift 1885  Sp.  743—745. 


200  Demo  thene 

14)  Ausgewählte  Kodon  des  Dcmostlienos.  Erklärt  von  Anton 
West  ermann.  Erstes  Bändchen:  il  III.)  Olynthiscbe  Reden.  (IV.) 
Kiste  Kode  gegen  Philippos.  (V.)  Rede  vom  Frieden.  (VI.)  Zweite 
Knie    gegen   Philippos.    (VIII.)   Kode   aber  die  Angelegenheiten   im 

Chersonesos.  (IX.)  Dritte  Rode  gegen  I'liilippos.  Achte  verbesserte 
Auflage,  besorgt  von  Emil  Rosenberg.  Berlin  (Weidmann)  1883. 
244   S.  Zweites    Bändcben:    (XVIII.)    Rede    vom    Kranze.     (XX. i 

Rede  gegen  Leptines.  Sechste  vermehrte  Auflage,  besorgt  von  Emil 
Rosenberg.     Ebenda  1885.     272  S. 

Auch  diese  Ausgabe  ist  bereits  eingehend  besprochen:  das  erste 
Bändchen  von  W.  Fox,  Philol.  Rundschau  1884  Sp.  1191  —  1200  und 
1228-  1235,  das  zweite  von  demselben,  Neue  philol.  Rundschau  1886 
S.  33  -  37  und  49  54,  ferner  von  II.  Landwehr,  Wochenschrift  für 
klass.  Philologie  1886  Sp.  1448  f.  und  von  Fr.  Slameczka,  Zeitschrift 
für  die  österr.  Gymnasien  1887  S.  428  -431. 

Die  Westermannsche  Ausgabe  des  Domosthenes  ist  in  guten  Hän- 
den. Der  neue  Herausgeber  hat  es  verstanden,  bei  möglichster  Wah- 
rung des  ursprünglichen  Bestandes  in  den  Einleitungen ,  im  Texte  wie 
im  Kommentar  zahlreiche  Verbesserungen  anzubringen.  Vor  allem  galt 
es,  der  seit  1871  erschienenen  reichen  Litteratur  über  Demosthenes 
Rechnung  zu  tragen,  um  die  Ausgabe  wieder  auf  die  Höhe  der  heutigen 
Wissenschaft  zu  heben.  Mit  dem  ersten  Bändchen  mufste  eine  durch- 
greifendere Änderung  vorgenommen  werden,  weil  die  siebente,  von  Emil 
Müller  besorgte  Auflage,  wie  im  Vorwort  richtig  hervorgehoben  wird, 
sich  zu  weit  von  dem  der  Haupt-Sauppeschen  Sammlung  vorschwebenden 
Zwecke  entfernt  hatte  und  namentlich  in  der  Heranziehung  des  histori- 
schen Materials,  in  der  Ausspinnung  der  Gedanken  des  Redners  über 
das  Bedürfnis  der  Schule  allzu  weit  hinausgegangen  war.  Während  hier, 
zumal  in  der  Einleitung,  eine  Beschränkung  eintreten  durfte  und  mufste, 
hat  der  Herausgeber  das  Verständnis  nach  der  grammatischen  wie  der 
ästhetischen  Seite  durch  manche  feine  Bemerkung  besonders  im  zweiten 
Bändchen  wesentlich  gefördert.  Der  Klarleguug  des  Gedankengangs  und 
der  vollen  Würdigung  der  Reden  dient  der  Rückblick  auf  die  einzelnen 
Reden,  bez.  die  Schlufsbemerkuug,  eine  sehr  dankenswerte  Zugabe  der 
neuen  Auflage.  Auch  der  Text  zeigt  mehrfache  Änderungen  und  Ver- 
besserungen. Dafs  der  Kommentar  von  den  kritischeu  Bemerkungen 
entlastet  wurde,  verdient  unbedingt  Billigung,  aber  schwer  begreiflich 
ist  es,  warum  der  kritische  Anhang,  in  welchem  die  Abweichungen  der 
neuen  Auflagen  von  den  früheren  angegeben  und  besprochen  werden 
sollen,  nicht  jedem  einzelnen  Bändchen  beigegeben  wurde,  sondern  auf 
das  dritte  aufgespart  ist. 


Demosthenes.  201 

15)  Demosthenes'  neun  philippische  Reden,  für  den  Schulgebrauch 
erklärt  von  C.  Rehdan tz.  Erstes  Heft:  I  III:  Olynthische  Reden. 
IV:  Erste  Rede  gegen  Philippos.  Siebente  verbesserte  Auflage,  be- 
sorgt von  F.  Blafs.     Leipzig  (Teubner)  1884.     VIII,  178  S. 

Die  wichtigste  Änderung  der  neuen  Auflage  besteht  darin,  dafs 
die  textkritischen  Erörterungen  vom  Kommentar  ausgeschieden  und  in 
einen  kritischen  Anhang  verwiesen  sind,  welcher  zugleich  die  Recht- 
fertigung der  im  Texte  vorgenommenen  Änderungen  enthält.  Es  ist 
ganz  natürlich,  dafs  der  Herausgeber,  welcher  gleichzeitig  eine  neue 
Auflage  des  Dindorfschen  Textes  vorbereitete,  die  Ergebnisse  seiner  Stu- 
dien auch  für  die  Textesgestaltung  der  vorliegenden  Ausgabe  verwertete. 
Indes  weicht  der  hier  gebotene  Text  von  dem  späteren  an  nicht  wenigen 
Stellen  ab.  Wir  teilen  zum  Beweise  dessen  im  folgenden  die  Varianten 
von  der  ersten  olynthischen  Rede  mit,  wobei  wir  die  Lesart  der  Reh- 
dantzschen  Ausgabe  voran  stellen:  1  rjji  noXst:  gestrichen.  av  ineX&ecv: 
ineAfrstv  av.  3  rpe^njrou  xal:  eingeklammert.  4  xal  öxopp^zcov :  xdnop- 
pyzwv  und  zw  azpazeOp.o.zi:  eingeklammert.  5  xoÄsp.frjmv:  x:'vo'jvog  und 
iywatv:  eyiuat.  6  £'#':  getilgt.  11  awnrt:  (twojj.  15  xal  ypscg,  av:  ein- 
geklammert. 19  dv&pwnwv.  eingeklammert  und  zi  ouv\  av  zig  echoe,  a:> 
ypdfpeig  zauz'  elvat  arpaxuorixdy.  vre  oüv«  av  ztg  eXitot  »ab  ypd<fsig\ 
zaöz'  eevai  azpaz:wzcxda ;  20  zauz'  elvat:  elvat  zauza  uud  ouoev  iaze: 
oödkv  eazt  und  Xiyooot  de:  liyouaiv  ök.  23  ecae:  eingeklammert.  26 
drjßatoiy.  Brjßauot.  Ebenso  bei  (PcoxeTg.  \jj\\  getilgt,  izotpwg:  einge- 
klammert, ovzeg:  eingeklammert,  wzav:  u>  zav.  -  Eine  ausführlichere 
Besprechung  von  Fr.  Slameczka  steht  in  der  Zeitschrift  für  die  österr. 
Gymnasien  1886  S.  112  —  118. 

16)  Demosthenes,  The  first  Philippic  with  an  Introduction  and 
Notes.  Edited,  after  C.  Rehdan tz,  by  the  Rev.  T.  Gwatkin.  Bf.  A. 
Late  Fellow  of  St.  Johns  College,  Cambridge.  London  (Macmillan) 
1883.     XLIV,  61  S. 

Die  hübsche  Ausgabe  erhebt  keinen  Anspruch  auf  Originalität. 
Der  Text  ist  ein  Abdruck  der  sechsten,  von  F.  Blafs  besorgten  Aasgabe 
C.  Rehdantz.  Die  Introduction  umfafst  aus  dessen  Einleitung  Kapitel  V, 
IX,  X,  VII,  VIII,  XVI,  §  9'J.  wobei  ein  Teil  der  gelehrten  Anmerkungen 
weggeblieben  ist.  Auch  die  hinter  den  Text  gestellten  Noten  sind  mit 
wenigen  Ausnahmen  Übertragungen  oder  Umschreibungen  der  deutschen 
Ausgabe.  Den  Noten  folgt  ein  Appendix  »Die  athenische  Volksversamm- 
lung« (bei  Rehdantz  S.  76—79),  eine  Zusammenstellung  der  in  den  Nu- 
ten erläuterten  grammatischen  Eigentümlichkeiten  mit  Einweisungen  auf 
Goodwin's  Syntax  of  the  Moods  and  Tenses  of  the  Greek  Verb  und 
dessen  Elementary  Greek  Grammar.  endlich  ein  doppelter  Index.  Im 
Text  sind  folgende   Druckfehler   zu   berichtigen:    §  5   zu  statt   za,    §  8 


202  I  ><-n)0äthenes. 

äno<Trpoy>}]V,   §  0  npdyfia,  §  14  rjipeaxeorjv,  §  22  ifto  ohne  Accent,  §  44 
rrpdyfidrüJV,  §  47  noy. 

17)  dy/j.off&evous  twv  Scxavexwv  X6y<uv  oi  8rjfj.6fftot.  Los  j » 1  ;i  i  - 
doyers  politiqaes  de  Dämostbene.  Texte  gree,  publik  d'apres 
les  travaux  les  plus  recents  de  Ia  philologie,  avec  un  commentaire 
critique  et  explicatif,  uue  pröface  et,  des  noticee  snr  chaque  discours, 
par  Henri  Weil.  Premiere  sörie:  Leptine,  Midias,  Ambassade, 
Couronne.  2me  ödilion,  entierement  revue  et  corrigee.  Paris  (Hachette) 
1883.     VIII,  569  S.     Roy.     8. 

Der  Herausgeber  sagt  in  der  Preface  p.  III:  J'ai  revu  avec  soin 
la  premiere  Edition,  et  je  me  suis  efforce  de  mieux  comprendre  et  de 
mieux  expliquer  ces  discours,  ainsi  que  d'en  constituer  Je  texte  d'one 
manierc  plus  satisfaisante,  sans  sortir  du  cadre  oblige  des  pages  clichees. 
Eine  Vergleiehung  der  gegenwärtigen  Ausgabe  mit  der  1877  erschienenen 
ersten  bestätigt  allenthalben  die  Wahrheit  dieses  Satzes.  Die  in  der 
Preface  der  ersten  Auflage  besprochenen  Koujekturen  und  Emendationeu 
Cobcts,  welche  damals  nicht  mehr  für  die  Textesgestaltung  benutzt  wer- 
den konnten,  sind  jetzt,  soweit  nicht  der  Herausgeber  seine  Ansicht  ge- 
ändert hat,  in  den  Noten  verzeichnet  oder  in  den  Text  gesetzt.  Da- 
durch wurde  in  der  Preface  Raum  gewonnen  für  Weils  Abhandlung  über 
die  Anwendung  des  Obelos  in  der  Midiana.  Die  meisten  Änderungen 
sind  textkritischer  Art;  kleinere  Zusätze  und  Nachbesserungen  wurden 
teils  durch  Kürzung  oder  Streichung  weniger  wichtiger  Bemerkungen, 
teils  durch  engeren  Druck  untergebracht.  Einen  längeren  Zusatz  hat 
die  Notice  zur  Gesaudtschaftsrede  erhalten,  worin  die  Frage  nach  der 
Abfassungszeit  derselben  im  Anschlufs  an  Blafs,  Att.  Bereds.  III  A  S.  320, 
erörtert  wird.  Christs  Abhaudlung  über  die  Attikusausgabe  des  De- 
mosthenes,  van  Herwerdens  Demostheuica  wie  überhaupt  die  gesamte  in 
der  Zwischenzeit  erschienene  Litteratur  hat  gewissenhafte  Berücksich- 
tigung gefunden.  Die  Sorgfalt  der  Revision  erstreckt  sich  bis  auf  die 
Orthographie  uud  Interpunktion.  So  lesen  wir  jetzt  nach  attischen  In- 
schriften reeaat,  Teiaiaq  (21,  62),  Ilorscoaca  (18,  69;  20.  61),  Ärjzo'jpyt'a, 
Oiupetd,  elm-rjTrjpia  (19,   190;  21,   114). 

18)  Demosthene,  Le  discours  de  la  Couronne.  Texte  grec 
aecompagne  d'une  notice,  d'analyses,  de  notes  en  francais  et  enforme 
ä  la  deuxieme  edition  des  plaidoyers  politiques,  publie  par  H.  Weil. 
Paris  (Hachette)  1884.     163  S. 

Der  Text  dieser  in  gefälligem  Taschenformat  gedruckten  Schul- 
ausgabe unterscheidet  sich  von  dem  der  gröfseren  dadurch,  dafs  hier 
die  unechten  Urkunden  weggeblieben  sind.  Einleitung  und  Anmerkungen 
haben  eine  ihrem  Zwecke  entsprechende  Vereinfachung  und  Kürzung  er- 
fahren.   Als  wesentlicher  Vorzug  verdient  hervorgehoben  zu  werden  das 


Demosthenes.  203 

Fehlen  von  Hinweisungen  auf  Werke,  die  sich  nicht  in  den  Händen  der 
Schüler  befinden. 

19)  Jr^aocrddvoug  6  y.a~a  MeiBtou  Xuyog  nepl  xovSuÄou.  The  ora- 
tion  of  Demosthenes  against  Meidias  edited  for  use  in  Schools 
and  Colleges,  with  Introdtiction,  Analysis,  Notes  and  Index,  by  C  A.  M. 
Fenn  eil.  M.  A.  Late  Fellow  of  Jesus  College,  Cambridge,  Editor  of 
Pindar,  &.  Cambridge  (E.  Johnson).  London  (Hamilton,  Adams  &  Co.) 
1883.     XVIII,   135  S. 

Die  Ausgabe  ist  für  den  Gebrauch  der  Studierenden  im  allge- 
meinen bestimmt  und  mag  in  Ermangelung  anderer  ihrem  Zwecke  ge- 
nügen. Einen  eigentlichen  wissenschaftlichen  Wert  kann  ihr  Referent 
nicht  beimessen  und  scheint  sie  auch  selbst  nicht  zu  beanspruchen.  Dem 
Verfasser  sind  zwar  die  Ausgaben  von  Voemel  und  die  Oxforder  von 
Dindorf,  wie  man  aus  dem  Verzeichnis  der  Handschriften,  Ausgaben  und 
Hilfsmittel  S.  XIII  f.  ersieht,  wenigstens  dem  Titel  nach  bekannt,  aber 
für  seinen  Text  hat  er  nur  die  Ausgabe  von  Baiter  und  Sauppe  und 
die  von  Buttmann  (5.  Auflage)  benutzt.  Ob  er  die  Textausgaben  von 
Dindorf  (Teubner)  und  von  Imm.  Beklier  (Tauchnitz),  die  Ausgabe  von 
Benseier  mit  kritischen  und  erklärenden  Anmerkungen  (Leipzig,  Eugel- 
manii)  und  die  vortreffliche  Ausgabe  von  H.  Weil  (Paris,  Hachettc) 
kennt,  läfst  sich  aus  dem  Verzeichnis  nicht  ersehen.  Die  eingelegten 
Urkunden  sind  mit  Ausnahme  der  Gesetze  §  8  und  10  und  der  Zeugen- 
aussagen §  22  und  168  in  Klammern  gesetzt.  Kritische  Bemerkungen 
hat  Fennell ,  vermischt  mit  den  erklärenden,  nur  an  solchen  Stellen  ge- 
geben, die  eine  besondere  Bedeutung  für  die  Textesgestaltung  haben 
oder  in  bezug  auf  Textkritik  allgemein  interessant  und  lehrreich  schienen. 

20)  Demosthenes  against  Androtion  and  against  Timo- 
crates,  with  Introductions  and  English  Notes,  by  William  Wayte, 
M.  A.,  late  Professor  of  Greck,  University  College,  London;  form  er  ly 
Fellow  of  King's  College,  Cambridge,  and  Assistant  Master  at  Eton. 
Cambridge:  at  the  University  Press.  1882.    LIV,  264  S. 

Als  Vorbild  diente  dem  Verfasser  vorliegender  Ausgabe  die  in 
gleichem  Verlage  187-t  f.  erschienene  Ausgabe  der  Select  Private  Ora- 
tions  of  Demosthenes  by  F.  A.  Paley  and  J.  E.  Sandys,  und  es  ist 
anzuerkennen,  dafs  sie  sieh  derselben  durchaus  würdig  anschliefst.  Sie 
bekundet  vollständige  Bekanntschaft  des  Verfassers  mit  der  einschlä« 
gigen  Litteratur,  welche  S.  XVII  BF,  verzeichnet  ist,  verbunden  mit  eige- 
nen gründlichen  Studien  desselben  auf  dem  Gebiet  der  attischen  Redner 
und  des  Demosthenes  insbesondere.  Das  Bauptgewicht  legt  Wayte  auf 
die  sachliche  Erklärung,  da  ihn  bei  der  Auswahl  dieser  Reden  der 
Wunsch  geleitet,  hat,  die  studierende  Jugend  Englands  mit  den  darin 
gegebenen  Erörterungen  des  attischen  Rechts  vertraut  eu  machen,     \ 


204  Demosthenes. 

Text  ist  der  Dindorfschc  der  dritten  Auflage  (Teubner  1855)  zu  gründe 
gelegt,  von  dem  er  nur  au  zwei  Stellen  der  Timokratea  (§  59  und  1951 
abweicht,  obwohl  er  im  Kommentar  mehrmals  einer  andern  Lesart  den 
Vorzug  zugesteht.  Die  S.  XVIII  erwähnten  Konjekturen  von  Rud.  Dahms 
zu  Androt.  §33  rabrä  Scxata  und  zu  Timokr.  §  206  (nicht  201)  ndvreQ 
dl  av  xou,  von  denen  Wayte  die  letztere  als  eine  entschiedene  Verbesse- 
rung bezeichnet,  werden  weiterhin  gar  nicht  berücksichtigt.  Unter  dem 
Texte  wird  eine  Auswahl  abweichender  Lesarten  der  Ausgabe  von  Baiter 
und  Sauppe,  1850,  der  Bekkerschen  Stereotypausgabe  1854  und  der 
Ausgabe  von  Benseier  1861  gegeben.  Besonderer  Fleifs  ist  auf  die  bei- 
den Einleitungen  verwendet.  Im  übrigen  verweisen  wir  auf  die  Rezen- 
sion von  J.  Sörgel,  Philo!.  Rundschau  1884  Sp.  997-1008. 

21)  Franz  Terlikowski,  0  mowach  olintyjskich  (Über  die  olyn- 
thischen  Reden).  Programm  des  Kaiser  Franz  Josef- Gymnasiums  in 
Lemberg  1882.     35  S.     8. 

Der  lobenden  Anzeige  von  J.  Wrobel  in  der  Zeitschrift  für  die 
österr.  Gymnasien  1883  S.  155  f.  entnimmt  Referent  folgendes:  Der  Ver- 
fasser versucht  die  Frage  zu  lösen,  in  welcher  Reihenfolge,  unter  wel- 
chen Umständen  und  mit  welchem  Erfolge  die  drei  olynthischen  Reden 
gehalten  worden  seien.  Indem  er  den  Grundsatz  aufstellt,  man  müsse 
aus  den  demosthenischen  Reden  selbst  und  den  darin  enthaltenen  An- 
deutungen zu  einigermafsen  übereinstimmenden  Resultaten  zu  gelangen 
trachten,  findet  er,  dafs  den  ersten  Platz  in  der  Reihenfolge  die  Rede  A 
einnehme,  welche  Demostheues  zu  Anfang  des  chalkidischen  Krieges  zu 
dem  Zwecke  gehalten  habe,  die  Athener  zum  Bündnis  mit  Olynthos  und 
zur  Absendung  eines  Hilfsheeres  zu  bewegen.  Bald  nach  der  Rede  A 
sei  die  Rede  E  und  schliefslich  die  Rede  0  gehalten  worden,  als  Phi- 
lippos die  olynthischen  Städte  bereits  zu  belagern  begonnen  hatte.  Alle 
drei  Reden  fallen  in  die  zweite  Hälfte  des  Jahres  349.  Auf  keine  der 
beiden  Reden  A  und  E  sei  eine  Hilfsendung  nach  Olynthos  erfolgt;  erst 
nach  der  Rede  0  seien  nach  einander  zwei  Hilfscorps  unter  Chares  und 
Charidemos  auf  den  Kriegsschauplatz  abgefertigt  und  zuletzt  infolge  der 
dritten  Gesandtschaft  Olynthos'  auch  ein  Bürgerheer  mobilisiert  worden. 

22)  G.  Leuchtenberger,  Dispositive  Inhaltsübersicht  der  drei 
Olynthischen  Reden  des  Demosthenes.  Berlin  1882.  Zweite  verbesserte 
Auflage.     Berlin  1884.     18  S.     8. 

23)  Cornelius  Fischer,  Übersichtliche  Inhalts-Tabelle  der  drei 
Olynthischen  Reden.     Programm  von  Lemberg  1882. 

Gewifs  ist  es  »unerläfslich,  dafs  bei  der  Lektüre  des  Demostheues 
in  Prima  dem  Schüler  die  Disposition  der  Reden  verständlich  gemacht 
werde«  (Leuchteuberger  S.  4).    Ebenso  wird  mau  unbedingt  zustimmen 


Demosthenes.  205 

müssen,  wenn  im  Vorwort  zur  zweiten  Auflage  der  Grundsatz  aufgestellt 
wird,  dafs  es  bei  gröfseren  Ganzen  didaktisch  das  einzig  Richtige  scheint, 
wenn  der  Lehrer  bei  der  Lektüre  selbst  die  logische  Gliederung  teils 
durch  direkte  Belehrung  selbst  aufzeigt ,  teils  durch  geeignete  Fragen 
die  Schüler  finden  läfst.  Die  »dispositive  Inhaltsübersicht«,  von  jeder 
der  drei  Reden  vier  enggedruckte  Seiten  umfassend,  ist  demnach  für 
die  Hand  des  Lehrers  bestimmt;  dies  mag  die  von  einem  Rezensenten 
beanstandete  Ausführlichkeit  entschuldigen  und  rechtfertigen.  Dafs  das 
Büchlein  im  allgemeinen  seinen  Zweck  erfüllt,  beweist  das  nach  so  kurzer 
Zeit  eingetretene  Bedürfnis  einer  zweiten  Auflage.  Mit  der  neueren 
Demosthenes-Litteratur  verrät  übrigens  der  Verfasser  keine  sonderliche 
Bekanntschaft.  Sonst  hätte  es  ihm  nicht  entgehen  können,  dafs  die 
olynthischen  Reden  schon  vor  ihm  von  Schmied  er  disponiert  worden 
sind.  Rehdantz  erwähnte  dessen  Dispositionen  in  der  5.  Auflage  seiner 
Ausgewählten  Reden  des  Demosthenes  (1877)  S.  40  Note  1.  Auf  die 
Frage  des  Verfassers  (im  Vorwort  zur  zweiten  Auflage),  ob  diesen  Reden 
überhaupt  Dispositionen  zu  gründe  liegen,  giebt  E.  Rosenberg  in  der 
obeu  No.  14  angezeigten  achten  Auflage  des  ersten  ßäudchens  von  Wester- 
mann S.  102  f.  die  gewünschte  Antwort. 

Will  man  den  Schülern  nach  beendigter  Lektüre  eine  Inhaltsüber- 
sicht diktieren,  so  würde  Referent  der  von  C.  Fischer  angefertigten 
Tabelle  unbedenklich  den  Vorzug  geben,  nicht  nur  wegeu  der  kürzeren 
Fassung,  sondern  auch  wegen  der  scharfen  und  klaren  Gliederung.  Da 
das  Programm  schwer  zu  erhalten  ist,  so  mag  hier  der  Inhalt  der  ersten 
olynthischen  Rede,  wie  ihn  Fischer  skizziert  hat,  stehen: 

Standpunkt:  Das  Bündnis  mit  Olynth  ist  noch  nicht  abgeschlossen. 

Einleitung  §  1.  Die  den  Athenern  als  guten  Patrioten  am  Herzen 
liegende  Wahl  der  zweckmäfsigen  Politik  ist  wegen  der  Meuge  der  Rat- 
geber leicht. 

Thesis:  Mau  soll  den  Olynthiern  Hilfe  leisten  und  dorthin  eine 
Gesandtschaft  schicken. 

I.  Teil  von  §2  —  15.  Gründe:  a)  von  §2  —  7.  Der  Zeitpunkt 
ist  günstig  Die  Schlauheit  und  Energie  des  Philipp  gereichen  den 
Athenein  zum  Vorteil  (Paradoxon) ;  denu  sie  nötigen  die  Olynthier  zu 
einem  Kampfe  auf  Tod  und  Leben.  —  b)  von  §  8  15.  Der  Zeitpunkt 
ist  entscheidend.  Wiewohl  die  Athener  gar  manche  günstige  Gelegen- 
heit, wie  die  Belagerung  von  Amphipolis,  Potidäa,  Methone  u.  s.  w.  un- 
benutzt liefsen,  bot  sich  ihnen  jetzt  eine  noch  günstigere  Gelegenheit 
dar,  so  dafs  sie  den  Göttern  Dank  schulden;  lassen  sie  aber  auch  diese 
noch  unbenutzt,  so  wird  schliefslicli  der  Kriegsschauplatz  nach  Attika 
verlegt  werden. 

II.  Teil  von  §  lü  20  (nicht  21).  Die  Art  und  Weise  der 
Hilfeleistung.  Geldmittel:  a)  Zwei  Heere  müsseu  zugleich  ent- 
sendet werden,   das  eine  nach  Olynth,   das  ändert1  nach  Macedonien    - 


206  Demosthenes. 

sonst  kein  Erfolg.  —  b)  Kino  Geldquelle  ist  vorhanden,  nämlich  die 
ßetoptxd,  wenn  man  sie  wieder  in  oxpantaTixa  verwandelt.  Sonst  bleibt 
nur  die  drückende  Steuer  der  elopupd  übrig. 

III.  Teil  von  §  21  27.  Herzensgründe:  Der  Redner  weckt 
die  Gefühle  der  Hoffnung  und  Furcht,  a)  Hoffnung  (ix  tou  ßa- 
ot'on):  Philipps  Macht  ist  nicht  allzu  grofs.  Er  rechnete  (wohl  l»< 
als  zählte)  Dicht  auf  einen  anhaltenden  Krieg  mit  Olynth;  auch  das  Mifs- 
trauen  der  Thessalier,  Päonier  und  Illyrier  lähmt  seine  Bestrebungen, 
b)  Furcht  (ix  tou  dvayxacou):  Niemand,  weder  die  Phoker  noch  'li<- 
Thebaner,  ist  da,  den  Krieg  zu  hemmen;  dieser  mufs  nach  Anika  ver- 
legt werden.  Ungeheure  Verluste  in  diesem  Falle  —  grofse  Schande 
obendrein. 

Schlufs  §  28.     Aufforderung  zum  energischen  Handeln. 

Mine  Zusammenstellung  paralleler  Gedanken  aus  den  drei  Reden 
bildet  eine  dankenswerte  Beigabe.  —  Ol.  I  hat  Fischer  (und  Leuchten- 
berger)  die  Worte  §  2  jy&j  und  rrp  za-/_cazr^  nicht  beachtet;  desgleichen 
II  11  ™5-  /ikv  VXuv&iüiq  ßoYj&eTv.  Die  Worte  III  11  touq  äraxTouvrag 
beziehen  sich  doch  wohl  nicht  blofs  auf  die  beim  Religionswesen  be- 
schäftigten und  deshalb  vom  Kriegsdienste  befreiten  Personen.  —  Kine 
Besprechung  der  dispositiven  Inhaltsübersicht  von  A.  Baran  steht  Zeit- 
schrift für  die  österr.  Gymnasien  XXXVI  (1885)  S.  93  f. 

24)  H.  Gölkel,  Kine  Interpolation  iu  Demosthenes'  dritter  olyn- 
thischer  Rede.  Blätter  für  das  bayer.  Gymnasialschulwesen  XX  (1884) 
S.  194-201. 

Gölkel  geriet  schon  vor  Jahren,  wie  er  einleitungsweise  bemerkt, 
beim  Lesen  der  §§  34  und  35  der  dritten  olynthischen  Rede  durch  den 
daselbst  hervortretenden  Mangel  an  Rhythmus  sowie  durch  Anstöfse  der 
verschiedensten  Art  zu  der  Vermutung,  dafs  daselbst  nicht  alles  in  Ord- 
nung sei;  bei  wiederholter  und  genauerer  Betrachtung  befestigte  sich 
in  ihm  immer  mehr  die  Ansicht,  dafs  wir  es  hier  mit  einer  unechten 
Stelle  zu  thuu  haben.  In  der  Begründung  seiner  Ansicht,  die  er  hier 
giebt.  ist  nun  zwar  von  dem  mangelnden  Rhythmus  nicht  die  Rede, 
wohl  aber  hat  er  sprachlich  und  inhaltlich  erstaunlich  viel  an  der  Stelle 
auszusetzen.  --  Wie  kann  Demosthenes,  fragt  er  zuerst,  nachdem  er  in 
der  ganzen  Rede  gegen  die  Verschleuderung  der  Staatsgelder  geeifert 
hat,  einem  Gegner  den  Einwand  in  den  Mund  legen:  »Also  du  schlägst 
Löhnung  vor?«  —  Ich  entgegne:  Ist  etwa  Soldzahlung  (Besoldung  fie- 
a&o<fof)d)  an  Bürger  für  persönliche  Dienstleistungen,  die  Demosthenes 
verlangt,  eine  Verschleuderung  der  Staatsgelder?  —  aüvro^cg  hat  hier 
die  gleiche  Bedeutung  wie  1,  20;  hier  wie  dort  hängt  ein  gen.  obiect. 
davon  ab.  Rehdantz  übersetzt  beidemal  » Ordnung«,  Sörgel  1,  20  Ord- 
nung, an  unserer  Stelle  »Regelung«.  Wenn  der  Verfasser  sich  bei  dieser 
Bedeutung  nicht   beruhigen  kann ,   so   wird   er  wohl   auch   die  Stelle  in 


Demosthenes.  207 

der  ersten  olynthischen  Rede  verdächtigen  müssen.  —  Der  nachfolgende 
Satz  Tva  Ixaa-og  .  .  .  unä/r/ot  ist  von  den  Herausgebern  richtig  erklärt. 
Gölkel  dagegen  möchte  hier  eine  anakoluthische  Ausdrucksweise  kon- 
statieren. Zu  §  35  ohoq  •  .  .  rjayov  bemerkt  Sörgel  richtig:  »durch 
seinen  Antrag,  falls  derselbe  angenommen  wird«.  Der  Redner  denkt 
sich  seinen  Antrag  bereits  angenommen  und  drückt  die  Folgen  dieser 
Annahme  durch  den  Modus  der  Wirklichkeit  aus.  Ebenso  hatte  Reh- 
dantz  die  Stelle  aufgefafst  (5.  Auflage).  Mit  Blafs  (Att.  Bereds.  III  A 
S.  275  und  zur  Steile)  anzunehmen,  dafs  Demosthenes  seinen  Plan  be- 
reits früher  einmal  spezialisiert  dem  Volke  vorgelegt  habe,  erscheint 
mir  unnötig  und  unbegründet.  Die  von  Gölkel  beanstandete  Anmerkung 
desselben  Gelehrten  (nicht  Rehdantz')  zu  den  Worten  oh/,  effrcv  ö~oo 
trifft  ganz  das  Richtige.  Der  Zusammenhang  ist:  »Du  schlägst  also  Be- 
soldung vor?«  —  »Ja  sofort,  aber  nur  für  wirkliche  Dienstleistungen, 
nicht  wie  vormals  Perikles  (vgl.  die  von  Rehdantz  §  34  citierte  Platon- 
stelle);  wer  nichts  leistet,  soll  auch  nicht  das  erhalten,  was  nur  der 
Arbeit  gebührt.«  —  Au  der  Verbindung  der  Yerba  dpyzh  xal  ayo'/A'lt'^ 
hat,  soviel  ich  sehe,  Sörgel  nichts  auszustellen  gefunden,  wie  Gölkel  be- 
hauptet. Auch  ott  (dafs)  —  zaöza  ist  in  keiner  Weise  auffallend;  vgl. 
Rehdantz ,  Ind.  II ,  Numerus.  Die  »lästige  Wiederholung  dxa^cav  — 

zdqtv  —  -ä~i\>v.  hat  Blafs  durch  Einklammern  der  Worte  -dz/.v  not^ffag 
beseitigt.     Man   könnte   statt  des  letzten  ra^v  auch  o'jvrazLv  vermuten. 

Was  Gölkel  von  der  Mattigkeit  und  Nüchternheit  der  Ausein- 
andersetzung in  den  beiden  Paragraphen,  von  der  ziemlich  selbstgefäl- 
ligen Betrachtung  der  eigenen  Leistungen  und  der  Verwahrung  gegen 
einen  unverständlichen  Vorwurf  in  §  35  bemerkt,  dürfte  teils  im  Vor- 
stehenden widerlegt  sein,  teils  kann  es  Referent  nicht  in  der  Stelle  finden. 
Wie  liefs  sich  das  beantragte  Besoldungssystem  anders  entwickeln  V  »In 
gedrungenster  Kürze  giebt  der  Redner  das  den  Einzelnen  beruhigende, 
dem  Ganzen  wohlthätige  Ziel  an«  (Rehdantz). 

Es  fragt  sich  nun,  wie  das  Einschiebsel  entstandeu  ist.  Die  Ent- 
stehung der  angeblichen  Interpolation  glaubt  sich  der  Verfasser  aus  der 
bisher  falschen  Auffassung  der  ^fi/iara  erklären  zu  können.  Darunter 
seien  nämlich  hier  die  bisherigen  Scheinerfolge  oder  die  armseligen  Vor- 
teile, welche  die  Athener  im  Felde  errungen  haben,  zu  verstehen.  Allein 
§33,  wo  die  tyfifxara  mit  den  Speisen,  welche  der  Arzt  dem  Kranken 
reicht,  verglichen  werden,  heifst  es  deutlich:  Wie  jene  Speisen  dem 
Kranken  weder  Kraft  verleihen  noch  ihn  sterben  lassen,  so  ist  auch  da-, 
was  ihr  jetzt  vom  Staate  gcniel'st  (was  euch  jetzt  von  den  freatpixd 
zugeteilt  wird),  nicht  genug 'für  euch,  um  irgend  einen  ausreichenden 
Nutzen  davon  zu  haben.  Durch  den  letzten  Satz  wird  zugleich  die  imo- 
(foj)d  veranlafst:  »Schlägst  du  also  (wenn  die  Gaben  aus  der  Theoriken- 
kasse  nicht  ausreichen),  eine  fit<r&opopd  vor?«  Ich  kann  deshalb  dem 
Verfasser  nicht  zustimmen,   wenn  er  S.  105  meint,  auf  diesen   (iedunken 


208  Demostheues. 

könne  ein  Gegner  nach  dem  Vorhergehenden  gar  nicht  geraten.  Auch 
die  Auffassung  des  riXeiöv  n  («  wird  wohl  ein  Druckfehler  Bein)  xtd 
fieya  dya&öv  kann  ich  nicht  richtig  finden.  Gölkel  will  darunter  eine 
Demütigung  und  Unschädlichmachung  Philipps  verstehen,  zumal  im  Ilin- 
blick  auf  die  Worte  der  Einleitung  §  2  QiXtmiov  ufuopijoaofrat.  Allein 
der  Grundgedanke  des  Proömiums  ist  doch:  An  die  Züchtigung  Philipps 
ist  gegenwärtig  nicht  zu  denken;  jetzt  reicht  es  zunächst  aus,  wenn  wir 
die  Bundesgenossen  retten.  An  die  Rettung  der  Bandesgenossen  und 
die  Wiedergewinnung  der  früheren  Machtstellung  denkt  wohl  auch  der 
Redner  bei  dyad-ov.  Denn  er  kann  docli  im  Epilog  nicht  das  Gegen- 
teil von  dem  sagen,  was  er  im  Proömium  als  seine  Überzeugung  an  - 
gesprochen  hat.  —  Die  £iht  sodann,  von  denen  Demosthenes  die  Athener 
befreit  sehen  will,  sind  nach  Gölkel  die  von  dem  Redner  unmittelbar 
vorher  geschilderten  üblen  Gewohnheiten,  unter  welche  in  erster  Linie 
eben  die  Unsitte  zählt,  die  Staatsgelder  durch  Spenden  an  das  Volk  zu 
verschleudern.  Richtiger  wird  man  darunter  die  Unlust  der  damaligen 
Athener,  persönlich  ins  Feld  zu  ziehen  und  Hand  anzulegen,  verstehen; 
denn  iäv  oüv  .  .  .  i&eXr/orjre  arpareOeffBat  ~e  xal  -pö-reiv  §  33  bezieht 
sich  offenbar  auf  den  Anfang  des  §  30  töte  fikv  Tipd-zeiv  xal  axpa- 
rsöeaHac  roA/xiüv  aurog  6  dijfiog.  —  Eudlich  kann  ich  dem  Verfasser 
nicht  zugeben,  dafs  sich  mit  den  Worten  xa\  ohy\  /id/i<po/xai  .  .  .  des 
§  36  ein  neuer  Gedanke  ganz  gut  an  die  letzten  Worte  des  §  33  an- 
schliefst.  Die  Worte  ~bv  ttocoüv-u  tc  twv  deovzaiv  bukt)  u/iojv  enthalten 
eine  deutliche  Beziehung  auf  die  Worte  des  letzten  Satzes  auroug  fxkv  .  . . 
nov&ävzo&ai.  Meine  Ansicht  ist  also  die:  Die  von  Gölkel  beanstandeten 
Paragraphen  stehen  durchaus  an  ihrem  Platze  und  werden  stehen  bleiben, 
solange  nicht  triftigere  Gründe  für  ihre  Unechtheit  vorgebracht  werden. 

25)  Edmund  Eichler,  Demosthenes'  erste  Philippica  doch  eine 
Doppelrede?  Programm  des  k.  k.  Staatsgymnasiums  im  II.  Bezirke 
von  Wien,  1883.     30  S.     Lex.-8. 

26)  A.  Baran,  Die  einheitliche  Composition  der  ersten  Philippica 
des  Demosthenes.     Wiener  Studien  VI  (1884)  S.  173     205. 

Die  von  Dionysios  von  Halikarnasos  angeregte  Kontroverse  über 
die  Einheit  der  ersten  Philippika  konnte,  nachdem  A.  Schäfer,  Blafs, 
Hartel,  Fuchs,  Unger  und  sämtliche  Herausgeber  des  Demosthenes  sich 
gegen  die  Ansicht  des  Rhetors  entschieden  haben,  als  beigelegt  be- 
trachtet werden.  Zuletzt  äufserte  sich  Christ,  Die  Attikusausgabe  des 
Demosthenes  S.  22,  hierüber  also:  »Nur  unserer  Zeit,  in  der  auch  das 
Verkehrteste  seine  Verteidiger  findet,  war  es  vorbehalten,  wieder  Vor- 
kämpfer jenes  Irrtums  zu  stellen.«  Es  gehörte  somit  einiger  Mut  dazu, 
mit   seiner   gegenteiligen  Überzeugung  vor   die  Öffentlichkeit  zu   treten. 

Eichlers  Abhandlung  zerfällt  in  sechs  Abschnitte:  I.  Die  einzig 
mögliche  Erklärung  der  Anfangsworte  des  §  30.     II.   Dionysios  von  Ha- 


Demosthenes.  209 

likarnasos  und  sein  Zeugnis  über  die  erste  Philippika.  III.  Prüfung 
der  in  der  Rede  vorkommenden  historischen  Anspielungen.  IV.  Die  erste 
Philippika  läfst  Einheit  der  Stimmung  vermissen.  V.  Moriz  Seebeck 
und  die  Schicksale  seiner  Abhandlung  über  die  erste  Philippika.  VI.  Von 
fragmentarischen  Reden.  —  So  gründlich  und  mitunter  scharfsinnig  nun 
auch  die  Beweisführung  Eichlers  ist,  so  konnte  sich  Referent  doch  nicht 
von  der  Richtigkeit  seiner  Ansicht  überzeugen.  Gleich  die  Annahme, 
dafs  Demosthenes  die  Worte  §  30  *A  jxkv  fjfieeg  dsoiJ»r//j.sfra  euptlv  nur 
als  Ratsherr  im  Namen  der  Bule  gesprochen  habe,  ist  »ebenso  subjek- 
tive Kombination  wie  die  Erklärungsversuche  anderer«  (Baran  S.  186). 
Wenn  Westermanns  Erklärung  sich  als  wenig  stichhaltig  erweist,  wes- 
halb soll  mau  nicht  (mit  Rehdantz  und  Blafs)  unter  rotzig  Demosthenes 
und  seine  Freunde  (etwa  Lykurgos)  verstehen  können?  —  Im  zweiten 
Abschnitte  bemüht  sich  der  Verfasser,  die  Autorität  des  Dionysios  als 
unanfechtbar  darzuthun;  doch  mufs  er  zugestehen,  dafs  der  Rhetor  so- 
wohl die  Worte  §  33  a  iyaj  y£ypa<pa  aufser  acht  gelassen,  —  sonst  hätte 
er  §  30-51  nicht  für  eine  Deuterologie  erklären  können  -  als  auch 
den  Inhalt  des  ersten  und  besonders  des  zweiten  Teiles  der  Rede  recht 
ungenau  angegeben  habe.  Allein  dies  ist  nach  Eichler  von  keinem  Be- 
lange und  nebensächlich.  Ob  Dionysios  die  Teilung  der  Rede  bereits 
vorfand,  wie  Eichler  annimmt ,  oder  ob  er  mit  Baran  als  der  Urheber 
der  Trennung  anzusehen  ist,  läfst  sich  aus  den  erhaltenen  Notizen  nicht 
klar  erkennen.  Das  Scholion  zu  §  30  ivzeu&sv  (prjac  Jcovöacog  6  'Ah- 
xu.[)vaoebg  krzpo'j  Xoyou  zhai  dpyijV  spricht  für  die  letztere  Annahme. 
Was  ihn  in  diesem  Falle  zur  Absonderung  des  zweiten  Teiles  bewogen 
habe,  ob  der  rätselhafte  Plural  fjfietg  (dies  Barans  Ansicht)  oder  das 
Lemma  (so  A.  Schäfer  und  Christ),  darüber  lassen  sich  nur  Vermutungen 
aufstellen;  mir  scheint  das  letztere  mehr  Wahrscheinlichkeit  für  sich  zu 
haben.  Dafs  des  Dionysios  Zeugnis  über  die  erste  Philippika  von  kei- 
nem seiner  Zeitgenossen  eine  Anfechtung  erfahren  hat,  ist  nicht  erwiesen 
(Eichler  S.  8).  Überhaupt  legt  Eichler  der  Autorität  des  Rhetors  im 
gegebenen  Falle  gegenüber  der  handschriftlichen  Überlieferung  eine  zu 
hohe  Bedeutung  bei.  Den  Einspruch  des  Scholiasten  glaubt  er  durch 
eine  keineswegs  wahrscheinliche  Konjektur  (Versetzung  der  Negation) 
und  eine  erkünstelte  Deutung  beseitigen  zu  können.  —  Auch  die  in  der 
Rede  vorkommenden  historischen  Anspielungen  vermögen,  wie  Baran 
S.  199  202  des  Näheren  nachweist,  die  Einheitlichkeit  der  Rede  nicht 
zu  erschüttern;  denn  Eichler  hat  keineswegs,  wie  er  S.  19  behauptet, 
gezeigt,  dafs  kein  einziger  der  in  den  §§30-51  erwähnten  geschicht- 
lichen Ereignisse  anstofefrei  in  einen  anderen  Zeitraum  als  denjenigen, 
welcher  zwischen  dem  Falle  Olynths  und  dem  Friedensschlüsse  des  Jahres 
34G  liegt,  versetzt  werden  könne.  Aus  §  :;  f.  der  pseudodemostheoischen 
(warum  pseudaischinischen?  Eichler  S.  14;  Baran  S.  l'.e.i)  Rede  wider 
Neaira  geht  nicht,  hervor,  dafs  die  [nseln  Lemnos,    [mbros  und  Skyros 

Jahreiberiobt  fllr  Alterthornnwlssetucliift  \,     (1887.    L)  14 


210  Demosthene8. 

vor  dem  Psephisma  des  Apollodoros  nie  beunruhigt  worden  waren.    Über 
die  Zeit   der   §  34   erwähnten   Kaperversache   Philipps  vergleiche  mau 

Westcrmiiiiii    zu  der  Stelle,  wo  bereits  auf  das  widersprechende  Zeugnis 
Justins   [angewiesen  ist,  und  Rehdantz-BIaffl  Einleitung  §  29. 

Gegen  den  IV.  Absebnitt  Eichlers  und  die  Behauptung,  dafs  der 
zweite  Teil  der  Rede  (§  80  51)  eine  wesentlich  andere  Färbung  auf- 
weise als  der  erste  Hauptabschnitt  derselben,  wendet  sich  Harun  S.  L96ff. 
Sehr  richtig  bemerkt  dieser,  dafs  die  Auslegung  einzelner  Stellen  rttck- 
sicbtlicb  des  Kolorits  immer  etwas  Subjektives  bebalten  und  je  nach 
der  Tendenz,  der  sie  dient,  wecbseln  wird.  So  citiert  Eichler  aus  §3: 
»Dies  sage  ich,  damit  ihr  wisset  und  sehet,  dafs,  wenn  ihr  euch  in  acht 
nehmt,  für  euch  nichts  zu  fürchten  steht«,  das  folgende:  »wenn  ihr  aber 
sorglos  seid,  wird  euch  nichts  nach  Wunsch  gehen«  bleibt  weg.  Ebenso 
übersetzt  er  von  §  24  nur  den  ersten  Satz  bis  Ixeivtov  und  knüpft  daran 
die  Bemerkung:  »Klingt  das  nicht  gerade,  als  ob  Demosthenes  sagen 
wollte:  Die  Teilnahme  von  Bürgern  am  Feldzuge  ist  zwar  sehr  wün- 
schenswert und  hat  sich  bewährt;  wenn  sie  euch  aber  lästig  fallen  sollte, 
dann  bestehe  ich  beileibe  nicht  darauf?«  Aber  freilich,  was  hier  über 
die  reinen  Söldnerheere  gesagt  wird,  nimmt  sich,  gegen  die  §§45—48 
gehalten,  nach  Eichlers  Ansicht  (S.  22)  sehr  zahm  aus;  man  vergleiche 
doch  nur  §  24  zoug  (piloog  vtxa  xal  zoug  cru/Mfiayoug,  oi  o  ky&pol  /xei- 
&ug  zou  dsovzog  yeyovaoiv  mit  §  45  oi  /xkv  iyßpol  xaTayeXutatv ,  oi  oz 
abfiiiayoi  ze&väcrc  zip  osei  zoug  zocoüzoug  änoozoXoog.  —  Dem  §  50  stellt 
er  §  3  gegenüber;  warum  nicht  lieber  §  10?  Mit  §  12  vergleicht  er 
§  50  statt  §  45  Anfang.  Unrichtig  ist  ferner,  dafs  Demosthenes  das 
leidige  Zuspätkommen  im  ersten  Teile  auch  nicht  mit  dem  leisesten 
Worte  berührt  habe;  man  vergleiche  §  9  laxircajffi  /xzÄÄovzag  r^xdg  xal 
xa^jxevoog  und  §  8  dcä  zyv  ujxezepav  ßpaduzrjza.  —  Von  gröfserer  Wich- 
tigkeit ist  der  V.  Abschnitt,  welcher  auf  Seebecks  Abhandlung  (Zeit- 
schrift f.  d.  Altertumsw.  1838  S.  737—787)  hinweist,  und  der  VI.,  dies 
zugleich  der  schwächste  Teil  der  Beweisführung,  worin  Eichler  den  völlig 
begründeten  Argumenten  Schäfers,  dafs  die  beiden  Stücke,  wie  sie  Dio- 
nysios  von  einander  schied,  jedes  für  sich  abgerissen  und  fragmentarisch 
dastehen,  zu  begegnen  sucht.  Es  ist  natürlich,  dafs  Baran  zunächst 
mit  diesen  Gründen  rechnen  mufste.  Ihrer  hoffentlich  endgiltigen  Be- 
kämpfung und  Widerlegung  ist  denn  auch  der  weitaus  gröfste  Teil  (bis 
S.  195)  seiner  ebenso  klaren  und  ruhigen  wie  überzeugenden  Polemik 
gewidmet.  Eine  eingehende  Zergliederung  und  unbefangene  Betrachtung 
des  Gedankenganges  der  Rede  führte  ihn  zu  dem  Resultat,  dafs  weder 
der  erste  noch  der  zweite  Teil  für  sich  ein  abgerundetes  Ganzes  bildet; 
beide  wären  Fragmente,  jener  wegen  des  Mangels  einer  Commeudatio 
und  eines  Epilogs,  der  andere,  weil  ihm  Proömium,  Exposition  und  ein 
detaillierter  Antrag  fehlten.  »Wären  die  beiden  Fragmente  in  der  Über- 
lieferung an  verschiedenen  Orten  eingefügt  und  als  selbststäudige  Reden 


Demosthenes.  211 

bezeichnet,  so  würde  es  sich  lohnen,  dieselben  unter  einander  zu  ver- 
gleichen und  den  Versuch  zu  machen,  ob  sie  nicht  Glieder  einer  und 
derselben  Rede  seien.«  »Der  scheinbare  Widerspruch  zwischen  dem 
Plane  des  ersten  und  dem  des  zweiten  Teiles,  welchen  Seebeck  so  nach- 
drücklich betont  hat,  fällt  weg,  wenn  man  den  Irrtum  von  der  Identität 
der  ßoißstai  mit  dem  ersten  Antrage  aufgiebt.  Demosthenes  wollte  ja 
mit  dem  System  der  verrufenen  ßoffletcu  brechen,  und  das  glaubte  er 
am  besten  durch  zwei  Anträge  erzielen  zu  können,  deren  Ausführung 
er  aber  nicht  zugleich,  sondern  nacheinander  (npb  8k  toutcov  §  19)  ver- 
langte, weil  die  gleichzeitige  Ausführung  erstens  viel  Opfer  auf  einmal 
forderte,  zweitens,  weil  einstweilen,  wo  keine  Meldung  von  einem  An- 
griffe Philipps  vorlag,  der  kleine  Krieg  am  Platze  war;  ein  Aufgeben 
des  ersten  Antrags  kounte  aber  damit  nicht  gemeint  sein,  sondern  blofs 
die  zeitliche  Nachfolge  nach  dem  kleineren.«  Während  A.  Schäfer  II  58 
und  Blafs  III A  S.  263  an  der  Ansicht  festhalten,  dafs  der  Redner  auf 
den  ersten  Teil  seines  Antrags  nicht  weiter  zurückkomme,  findet  Baran 
in  der  Commendatio  (§30  51)  mehrfache  Beziehungen  auf  denselben. 
»Das  Eigentümliche  der  Rede  besteht  darin,  dafs  im  zweiten  Teile  keine 
Sonderung  in  der  Verwendung  der  vorgeschlageneu  Kriegsrüstungen  ein- 
gehalten wird,  so  dafs  der  Leser  versucht  ist,  entweder  an  die  eine  oder 
andere  zu  denken.  Diese  Eigentümlichkeit  berechtigt  jedoch  nicht,  daraus 
einen  Grund  gegen  die  Zugehörigkeit  des  zweiten  Teiles  abzuleiten.«  — 
Ein  kleines,  für  die  vorliegende  Frage  bedeutungsloses  Verseben  ist  dem 
Referenten  S.  176  aufgestofsen :  Baran  betrachtet  za  reXe-uzala  §34  als 
Fortsetzung  von  xpöjzov  und  smera,  während  es  doch  nur  in  Beziehung 
zu  xov  TMpzlbüv-cf.  xpovov  steht,  wie  §  17  ra  zsAeurala  7tpa»)V  zu  npo- 
zzpov   7IUZS. 

27)  A.  Baran,  Zur  Chronologie  des  euböischen  Krieges  und  der 
olynthi sehen  Reden  des  Demosthenes.  Wiener  Studien  VII  (1885) 
S.  190—231. 

Das  Ergebnis  der  sorgfältigen  Untersuchung  fafst  Baran  mit  den 
Worten  zusammen  (S.  228):  »Wir  konnten  uns  weder  mit  Harteis  Aus- 
legung des  philochorischen  Zeugnisses  noch  mit  Ungers  Annahme  eines 
zweifachen  olynthischen  Krieges  einverstanden  erklären  und  glaubten  in 
jenem  Zeugnisse  und  in  der  eingehenden  Interpretation  der  Neairastelle 
(§  3  f.)  einen  festen  Boden  gefunden  zu  haben,  auf  dem  sich  die  übrigen 
Ereignisse  in  natürlicher  Folge  gruppieren  liefsen,  und  kamen  so  zu 
dem  Resultate,  welches,  was  die  Grundlage  der  Untersuchung  anlangt, 
mit  Weil  übereinstimmt,  infolge  einer  andern  Anordnung  der  beiden 
Kriege  aber  den  euböischen  um  ein  Jahr  früher  ansetzt.  —  .Mit  dem 
Jahre  349,  in  dessen  Frühling  wir  den  euböischen  Feldzug  und  mehrere 
Monate  darnach  auch  den  Hilfszug  nach  Olynth  verlegen,  stimmen  so- 
wohl der  anderweitig  bekannte  historische   Verlauf  der  Ereignisse  als 

14" 


212  Demosthenes. 

besonders  der  Inhalt  der  drei   oh nthischen  Reden,  von  denen  die  ersten 
zwei  jenem  Jahre  vorausgehen,  die  dritte  jedoch  nachfolgt.« 

Diese  Datierung  des  euhöischcn  Krieges,  welche  \<m  der  Neaira- 
stclle  (§  8f.)  ausgeht  und  durch  Dem.  Mid.  §Kil  bestätigt  wird,  hat 
alle  Wahrscheinlichkeit  für  sich;  der  euböischc  Krieg  liegt  also  sowohl 
nach  seiner  Veranlassung  als  auch  nach  seinem  ^tatsächlichen  Ausbruche 
zeitlich  früher  als  der  olynthischc.  Dagegen  vermögen  wir  dem  Ver- 
fasser in  der  Zeitbestimmung  der  olynthischcn  Reden,  deren  gewöhnliche 
Anordnung  er  gegen  Unger  gut  verteidigt,  nicht  beizustimmen;  vor  allem 
können  wir  nicht  zugeben,  dafs  Ol.  3,  12  mit  den  Worten  ob  yäp  ebpfj- 
<X£T£  .  .  .  nattsTv  aoixcog  ti  xaxov  zov  raür'  ebzdvFOL  xai  ypdffxxvTa  förm- 
lich auf  den  zu  einem  Talent  verurteilten  Apollodoros  hingewiesen  sei; 
uns  dient  die  Stelle  als  Beweis  dafür,  dafs  die  dritte  Rede  dem  An- 
trage des  Apollodoros  vorausliegt;  vgl.  Blafs,  Att.  Bereds.  III  A  S.  27C. 

28)  K.  J.  Lieb  hold,  Zu  Demosthenes'  Friedensrede.  Jahrbücher 
für  klass.  Philologie  129.  Band  (1884)  S.  288. 

Der  Verfasser  bemerkt  zu  §  24  to~j-'  ol/iou  Selv  Tiotetvi  »Es  ist 
zwar  nicht  zu  verkennen,  dafs  die  Wiederholung  des  Infinitivs  notziv 
des  Nachdrucks  halber  wünschenswert  erscheint,  aber  notwendig  ist  die- 
selbe durchaus  nicht.«  —  Noch  weniger  erscheint  dem  Referenten  hier 
eine  Konjektur  wie  ivvoscv  notwendig. 

29)  Dreher,  Exegetische  und  kritische  Beiträge  zur  Erklärung 
von  Demosthenes'  Rede  für  die  Megalopoliten.  Programm  des  Gym- 
nasiums in  Ehingen  1882.     52  S.    4. 

Nach  dem  ursprünglichen  Plane  wollte  der  Verfasser,  wie  es  im 
Vorworte  heilst,  einen  vollständigen  Kommentar  zu  der  Rede  für  die 
Megalopoliten  liefern.  In  diesem  sollten,  zunächst  mit  Beiseitelassung 
der  meisten,  teilweise  schon  von  den  ältesten  Erklärern  mit  genügender 
Ausführlichkeit  behandelten  geschichtlichen  Notizen,  Aufnahme  finden: 
a)  eine  jedesmal  den  einzelnen  Abschnitten  der  Rede  vorausgeschickte 
Exposition  des  Inhalts  nebst  sonstigen  den  Gedankengang  des  Redners 
betreffenden  Bemerkungen,  b)  eine  Reihe  textkritischer  Erörterungen, 
c)  eine  kurze  Besprechung  aller  grammatischen,  lexikalischen,  stilisti- 
schen, rhetorischen  Punkte.  Da  es  sich  aber  nach  dem  Drucke  des 
ersten  Bogens  herausstellte,  dafs  auf  diese  Weise  der  für  das  Programm 
verstattete  Raum  zu  sehr  überschritten  worden  wäre,  so  mufste  von  §  8 
der  Rede  an  ein  ansehnlicher  Teil  von  Bemerkungen,  namentlich  sol- 
cher grammatischen  und  lexikalischen  Inhalts,  ausgelassen  werden.  Re- 
ferent möchte  diese  Streichungen  eher  als  einen  Vorteil  für  die  übrigens 
durchaus  sorgfältige  und  gehaltvolle,  an  feinen  Bemerkungen  reiche 
Schrift  betrachten  und  glaubt,  dafs  sich  manches  viel  kürzer  hätte  fassen 
lassen.    Die  exegetischen  Bemerkungen  überwiegen  nicht  nur  dem  äufse- 


Demosthenes.  213 

ren  Umfange  nach,  sondern  auch  nach  ihrem  innern  Werte.  Die  Stel- 
lung, die  der  Verfasser  zu  der  handschriftlichen  Überlieferung  einnimmt, 
spricht  er  S.  35  dahin  aus:  »Nach  meiner  Ansicht  giebt  nur  cod.  2 
(nebst  A  und  i")  die  Schreibung  des  Demosthenes  (im  ganzen!)  richtig.o 
Demgemäfs  verteidigt  er  §  1  npsaßstfouac,  das  er  zugleich  weit  lebhafter 
rindet  als  das  Medium  Ttpsaßebovrat  (letzteres  hat  Blafs).  Das  Medium 
erscheint  ihm  sogar  unrichtig,  weil  die  Gesandten  leibhaftig  in  der  Volks- 
versammlung anwesend  gewesen  seien.  Dafs  dpcpözepoc  vor  npeaßzöouac 
nur  auf  die  Arkader  und  Lakedämonier  bezogen  werden  kann,  steht 
aufser  Frage.  —  §  2  übersetzt  er  auvagr^az^psviuv  ydp  upwv  nach 
Reiske,  Voemel,  Rüdiger,  »da  ihr  alle  mit  einander  euch  habt  täuschen 
lassen«.  Es  ist  jedoch  bedenklich,  sich  für  diese  Bedeutung  von  ouv 
auf  Dem.  18,  179  auvenacveadvziov  dk  xdvziuv  zu  berufen,  wozu  doch 
eher  poc  als  dXXrjkocg  zu  ergänzen  sein  dürfte.  —  Mit  Unrecht  giebt  er 
der  Lesart  des  cod.  S  äv  zc  pezat-ü  reg  den  Vorzug  vor  dv  zd  pezagu 
ztg.  -  §  4  dvzscmcv  eug  ob  »leugnend  (?)  behaupten,  dafs  nicht«,  rindet 
sich  nicht,  wie  Dreher  nach  Rehdantz  zu  8,  31  angiebt,  9,  54  {ujv  oud' 
dv  dpvrjBeTev  iveoe  d>g  oux  etalv  zocouzoc),  dafür  22,  12  und  [13,]  2.  — 
Zwischen  da&evecg  und  ysvsaSac  verlangt  er  die  Einsetzung  von  av, 
weil  der  Satz  unabhängig  yevotvz'  dv  lauten  würde;  ebenso  §  5  zwischen 
ßoukoc'psfr"  und  dvzmdkoog  —  nach  des  Referenten  Ausicht  mit  Recht; 
vgl.  §  7  xal  zt  av  äUo  ßou\oipe$a\  ebenso  §  11  hinter  ßoy&yaavzag. 
(Der  handschriftlichen  Überlieferung  ßo^Brjaavzag  ypTv  vov  (sie!)  kommt 
am  nächsten  die  Konjektur  von  Rud.  Dahms,  Jahrbücher  für  klass.  Phil. 
93.  Band  S.  674,  ßorftyaavzag  rjpcv  dv.  —  vüv  läfst  sich  nicht  halten, 
wie  Dreher  will.)  Unrichtig  ist,  dafs  auch  §  16  in  den  besten  Hand- 
schriften dv  hinter  ydvocvzo  fehle.  —  Ist  die  Wolfsche  Erklärung  der 
Worte  §  6  7tpoo~ds?a&a:  o'  ixt  zou  zd  dc'xaca  tiocecv  £&e?>övzojv  zebv  kzi- 
patv  wirklich  die  einzig  richtige,  wie  W.  Fox  in  der  Rezension  dieses 
Programms,  Piniol.  Rundschau  1883  Sp.  1419,  behauptet?  Dreher  deutet 
eine  neue  Erklärungsweise  an  durch  die  Übersetzung:  »Dazu  aber  ist 
noch  nötig,  dafs  mau  das  Gerechte  thue  (die  Forderungen  der  Gerech- 
tigkeit erfülle),  indem  auch  die  andern  sich  freiwillig  dazu  verstehen«; 
richtiger  wohl:  wenn  die  andern  sich  dazu  verstehen,  seil,  zd  dc'xaca 
nocelv.  Man  vergleiche  §  18  dv  zd  Sc'xata  tiocecv  e$eXojoc,  §  24  zu  prj 
üiXecv  zd  dc'xaca  npdzzscv  dnXujg  und  §  15  ot  prj  diXovzeg  zocg  dexae'oeg 
ippiveev.  Auf  zou  zä  dc'xaca  tiocecv  bezieht  sich  doch  wohl  §  10  da?  Se 
oxoTiecv  pkv  xal  npdzzecv  dec  zd  dc'xaca.  -  §  6  zieht  der  Verfasser  ixsc- 
vocg  hinter  ivavzc'a,  §  7  dvzcnapazaqapdvoug ,  beides  nach  cod.  S,  den 
Lesarten  execvwv  und  <ruLtitapaTa£a/x£wuG  vor.  Allein  o-uprrapaza^api- 
voug  steht  zur  Abwechselung  für  //£#'  ujv  t6t'  ixivduvsöoLiev ,  und  mit 
ioaz'  oud'  ozcouv  uTtevavzc'ov  .  .  .  aupriapaza^apsvoug  erwidert  der 
Redner  augenscheinlich  auf  den  von  den  Gegnern  erhobenen  Einwand. 
Derselbe  Gedanke  kehrt  §  8  wieder:  atty^topm  8'  i'yioye  .  .  .  prtdkv  ivav- 


214  Dembrthi  i 

Teöj&rjvat   to~c  ys   tum  abvwv  ftercur^oüfft  xwdöuatp.  8  8  verteidigt  er 

nach  cod.  S  fiövov,  §9  incrpdrcetv  bfiag  däcxeiv  mii!  Unrecht),  S  L2  od 
yäp   mit   Weglassung    von   xaixot   zn  Anfang   des  nächste  mit 

Recht;  doch  ist  ;m  räura  vor  teyorcesi  (wofür  er  raörd  raSra  vor- 
schlägt) nach  meinem  Dafürhalten  nichts  zu  ändern.  Auffallend  ist,  dafs 
er  §  13  xat  fiijv  el  x<i.\  vorzieht,  trotzdem  xal  im  cod.  -1  fehlt.  Zu  tov 
irtujOrjnaii  und  o>v  dStxetv  .  .  .  dpyiZeaBai  erwartet  mau  nach  der  sonsti* 
gen  Gründlichkeit  eine  Bemerkung;  man  vergleiche  Dem.  23,  184.  — 
§  14  ist  Totvuv  doch  wohl  als  fxeraßanxöv  aufzufassen.  Durch  die  an 
das  Ende  des  Satzes  gerückte  Anrede  w  ävSpeg  'A&rjvdiot  soll  nicht 
diese,  wie  Dreher  meint,  sondern  robvavuov  stärker  betont  werden.  — 
Am  Ende  des  Paragraphen  empfiehlt  er  die  Lesart  der  Vulgata  tjw.v 
äel  ßouÄo//.evrj ,  §  17  aüroc  nach  cod.  2  »sie  selbst,  sie  ihrerseits«,  §  20 
u/xwv  i/jiol  zauTa  <prjostv ,  ohne  Grund  §  19  ratv  toioutojv  trufifid^wv. 
Gut  ist  §  22  noXepetv  alfioufiivout ,  aber  ein  av  hinter  noXsjieiv  einzu- 
fügen, dürfte  doch  nicht  absolut  nötig  sein.  Dagegen  entscheidet  er 
sich  für  ~yv  npurepov  gegen  cod  2'. 

Wir  schliefsen  mit  dem  Wunsche ,  dafs  der  Verfasser  seine  wert- 
vollen »Beiträge«  einer  nochmaligen  Überarbeitung  unter  Berücksichti- 
gung der  inzwischen  erschienenen  Blafsschen  Textesrezension  unter- 
werfen möchte.  Vielleicht  entschliefst  er  sich  auch  zur  Trennung  der 
kritischen   Bemerkungen  vom  Kommentar. 

30)  Johannes  Windel,  De  oratione,  quae  est  inter  Demosthe- 
nicas  deeima  septima  et  inscribitur:  Ihp\  zwv  npbg  \1/.£;av3pov  auv- 
Brjxiov.     Programm  der  Thomasschule  in  Leipzig  1882.     40  S.     4. 

31)  AI.  Kornitzer,  Quo  tempore  oratio  mpc  rcDv  npbg  Wti-uv- 
Spov  aov&rjxCov  habita  esse  videatur  et  quid  de  auetore  huius  orationis 
sit  statuendum.    Zeitschrift  für  die  österr.  Gymnasien  1882  S.  249—270. 

32)  Gustav  Leue,  Quo  tempore  et  quo  consilio  oratio,  quae  in- 
scribitur nepl  zwv  7ipbg  'AkiqavSpov  auv^xihv ,  composita  sit.  Diss. 
inaug.  philol.  von  Halle  1885.     52  S.     8. 

Die  erste,  äufserst  gründliche  und  mit  grofser  Sorgfalt  ausgear- 
beitete Abhandlung  Windeis  ist  bereits  von  Prof.  Blafs  in  diesem 
Jahresberichte  XXX  (1882.  I.)  S.  243  besprochen  worden. 

Gleichzeitig  und  unabhängig  von  Windel  hat  Kornitzer  dieselben 
Fragen,  die  Abfassungszeit  und  den  Autor  der  Rede  Über  die  Verträge 
mit  Alexander  betreffend,  mit  Umsicht  und  besonnenem  Urteil  behan- 
delt. Die  einzige  sichere  Zeitangabe,  welche  die  Rede  enthält,  ist  der 
mehrfach  erwähnte  Vertrag  Alexanders  mit  den  Griecheu  auf  dem  Syn- 
edrion  zu  Korinth  336  v.  Chr.  Die  übrigen,  anderweitig  nicht  berich- 
teten Thatsachen  lassen  keine  feste  Datierung  zu.  Daher  gehen  denn 
die  Ansichten  der  Gelehrten  über  die  Abfassungszeit  der  Rede  weit  aus- 


Demostbenes.  215 

einander.  Reiske,  Boebnecke,  Grote,  L.  SpengeJ,  Weil  und  Blafs  setzen 
sie  mit  dem  Scholiasten  in  die  erste  Regierungszeit  Alexanders,  vor 
Thebens  Zerstöruug  Sommer  335,  weil  bei  einem  späteren  Ursprung  ir- 
gend eine  Hinweisung  auf  das  Schicksal  dieser  Stadt  zu  erwarten  wäre. 
Blafs  weist  auch  darauf  hin,  dafs  nirgends  in  der  Rede  der  Perserkrieg 
und  seine  ungeheuren  Erfolge  berührt  werden.  Dagegen  macht  Kor- 
nitzer  geltend,  dafs  aus  dem  Stillschweigen  kein  sicherer  Schlufs  gezogen 
werden  könne.  Zunächst  sei  es  unglaublich,  dafs  die  in  der  Rede  be- 
sprochenen Vertragsverletzungen  des  Makedoniers,  die  Wiedereinsetzung 
der  Tyrannen  in  Messene,  der  Umsturz  der  freien  Verfassung  bei  den 
Pelleneern,  die  Zurückführung  des  verbannten  Ringmeisters  nach  Sikyon, 
in  den  kurzen  Zeitraum  fallen,  welcher  zwischen  der  Erneuerung  des 
korinthischen  Vertrags  und  den  Kriegen  Alexanders  mit  den  Taulan- 
tiern,  Illyriern,  Triballern  liege;  ja  es  wäre  unklug  von  Alexander  ge- 
wesen, sogleich  nach  Abschlufs  des  Vertrags  die  kaum  beruhigten  Grie- 
chen durch  vertragswidrige  Handlungen  zu  reizen  und  sich  einen  neuen 
Feind  im  Rücken  zu  schaffen.  Das  Stillschweigen  über  Theben  aber  er- 
kläre sich  hinlänglich  aus  der  Absicht  des  Redners,  die  Athener  zum 
Kriege  gegen  Makedonien  zu  bestimmen.  Hätte  nicht  die  Erinnerung 
an  die  Schnelligkeit  Alexanders,  mit  der  er  die  aufständischen  Thebaner 
trotz  des  tapfersten  Kampfes  ihrerseits  unterdrückte,  die  Athener  ein- 
schüchtern müssen?  Gehört  somit  die  Rede  einer  späteren  Zeit  an,  so 
weisen  die  Vorgänge  auf  Tenedos  (§  20),  die  Seeherrschaft  der  Make- 
donier  (§  22),  besonders  aber  der  öfter  berührte  xatpog  auf  die  Zeit  der 
Erhebung  des  spartanischen  Königs  Agis  hin.  In  dieselbe  Zeit  haben 
Droysen  und  A.  Schäfer  die  Entstehung  der  Rede  gesetzt. 

Was  ist  nun  von  dem  Verfasser  der  Rede  zu  halten?  Demosthenes 
kann  es  nicht  sein.  Dies  beweist  Kornitzer  durch  eine  sorgfältige  Prü- 
fung der  ganzen  Anlage  wie  des  Ausdrucks  im  einzelnen.  Aber  auch 
an  Hypereides  und  Hegesippos  ist  nicht  zu  denken.  —  Im  Anhang,  wel- 
cher auf  Windeis  Dissertation  Bezug  nimmt,  tritt  Kornitzer  mit  vollem 
Rechte  der  Ansicht  desselben  entgegen,  dafs  die  Rede  das  Werk  eines 
Fälschers  sei.  Die  von  Windel  mit  allzu  grofser  Akribie  zusammenge- 
stellten Nachahmungen  demostheuischer  Stellen  sind  mehr  scheinbare 
als  wirkliche. 

Die  allgemein  erkannte  und  anerkannte  Thatsache,  dafs  die  in  der 
Rede  Über  die  Verträge  mit  Alexander  erwähnten  Ereignisse  die  Zeit- 
bestimmung der  Rede  erschweren,  hat  Leue  nicht  abgeschreckt ,  diese 
Frage  von  neuem  zu  prüfen.  Statt  nun  die  hierbei  in  Betracht  kommen- 
den Daten  zusammenzustellen  und  daraus  die  nach  seiner  Ansicht  rich- 
tige Zeitbestimmung  abzuleiten,  bespricht  er  mit  ermüdender  Breite  die 
verschiedenen  Meinungen  der  Neueren  über  die  Zeit  der  Rede,  von 
Boehnecke,  Spengel ,  Weil,  Blafs,  von  St.  Croix,  Clinton,  Droysen, 
A.  Schäfer,  A.  G.  Becker,  Windel.     Schade,  dal-  ihm  Kornitzers  Aufsatz 


2if,  Demoethenea, 

nicht  bekannt  war.    Jedenfalls   hätte   er  auch  diesen  einige  Seiten 
widmet.    Die   Hede    scheint   ihm   kurz   vor  der  Schlacht  bei   [8808,   welche 
im  November  333   geliefert    wurde,   rerfafsl   zu   sein.     Damit  komml 
der  Ansieht  Droyscns    ziemlieh   nahe.      Etwa-,  absolut   Sichere  Kann  na- 
türlich auch  Leue  nicht   ermitteln.        Ganz  abenteuerlich  erschein!  dem 
Referenten  die  Hypothese   Leue-    über  die  Tendenz  der  Rede:    Ita  ifii- 
tur  invenimus,  falsarium,   qui  bominnm,   quos  oratione  scripta  deeip 
volebat,   acqualis  esset,    non  Atheniensibus ,   sed  ceteris  Graecis  persua- 
derc  voluisse,  talem  oratiouem  Athenis  tum  babitam  esse  (S.  46).     Die 
Rede  sollte,  wie  der  Verfasser  glaubt,   als   »Flugschrift«  (S.  48)  in  den 
griechischen  Städten,   wo   Makedonierfreunde  an  der  Spitze  standen,  wie 
in  Korinth,    Pellene ,    Messene,    zur  Aufreizung    der  Bürger  verbreitet 
werden. 

33)  J.  Dolnicki,  Über  die  Entstehung  der  Rede  des  Demosthenes 
7i£fj\  zoü  OTE<pdvoo  und  über  ihr  Verhältnis  zur  Rede  des  Aischines 
xarä  KT-qanpuiVTuq  (Polnisch).  Programm  des  Gymnasiums  in  Zloczow 
1882.     41  S.     8. 

Angezeigt  von  J.  Wrobel  in  der  Zeitschrift  für  die  österr.  Gym- 
nasien XXXV  (1884)  S.  315  f. 

34)  Saueressig,  De  epigrammate  sepulcrali  in  Athenienses  apud 
Chaeroneam  interfectos  agatur,  quod  in  Demosthcnis  oratione  de  Co- 
rona habita  legitur.  Programm  des  Progymnasiums  in  Oberehnheim 
1882.     17  S.     4. 

Die  von  Karsten,  Westermann,  Kaibel,  Kirchhoff  u.  a.  für  ein  Mach- 
werk späterer  Zeit  erklärte  Grabinschrift  auf  die  bei  Chaironeia  gefal- 
lenen Athener  wird  hier  noch  einmal  nach  Form  und  Inhalt  besprochen. 
Wesentlich  neue  Gründe  für  die  Unechtheit  bringt  der  Verfasser  nicht 
bei.  Durch  Vergleichung  einer  grofsen  Anzahl  ähnlicher  Epigramme 
sucht  er  zu  erweisen,  dafs  das  Dem.  18,  289  eingelegte  hinter  jenen 
sachlich  und  sprachlich  zurückstehe:  es  fehlen  nämlich  in  demselben 
nicht  nur  alle  Angaben  über  die  kämpfenden  Völker,  den  Kampfplatz 
und  den  Ausgang  der  Schlacht,  sondern  man  vermisse  auch  lebhaftes 
Kolorit  und  epigrammatische  Kürze;  in  jedem  Distichon  lassen  sich  Un- 
gereimtheiten nachweisen,  und  wenn  die  Gelehrten  einzelne  Mängel  durch 
Konjekturen  zu  heilen  suchten,  so  werde  dadurch  nicht  das  ganze  Ge- 
dicht geheilt.  Die  meisten  Schwierigkeiten  bietet  der  Erklärung  das 
letzte  Distichon,  dessen  erster  Vers  vom  Redner  wiederholt  und  auf 
seine  Sache  angewendet  wird.  Die  von  Fröhlich  gegebene  Erklärung, 
»da  ja  den  Sterblichen  von  Zeus  dies  beschiedeu  ist,  nichts  (keines 
Wunsches)  zu  verfehlen  bei  den  Göttern  und  (durch  sie)  alles  wohl  zu 
vollenden  im  Leben«,  verwirft  Saueressig,  weil  a/j.ap-dv£tv  zt  ztvog  un- 
griechisch   sei;    aber   Fröhlich   hatte  für  diese  Konstruktion  auf  Soph. 


Demosthenes.  217 

Phil.  230  f.  hingewiesen.  Auch  L.  Spengels  Erklärung  »von  den  Göttern 
hängt  es  ab,  ob  die  Sterblichen  nichts  verfehlen  und  alles  wohl  vollen- 
den im  Leben«,  findet  seine  Billigung  nicht.  —  Unhaltbar  aber  ist,  wie 
bereits  Spengel  hinlänglich  dargethan  hatte,  Kaibels  Ansicht,  dafs  der 
von  dem  Redner  citierte  Hexameter  gar  nicht  in  dem  verlesenen  Epi- 
gramm gestanden  habe,  sondern  ein  altes  Sprichwort  sei.  Das  echte 
Epigramm  soll  das  Anth.  Pal.  VII  245  abgedruckte  sein.  Kaibels  Epi- 
gramm bezieht  der  Verfasser  zwar  auf  die  Schlacht  bei  Chaironeia,  aber 
das  vor  den  Richtern  verlesene  sei  es  nicht.  Dieses  ging  seiner  An- 
sicht nach  verloren,  und  das  in  den  heutigen  Ausgaben  stehende  sei 
untergeschoben.  Über  die  Zeit  und  die  Person  des  Fälschers  lasse  sich 
nichts  Bestimmtes  angeben.  —  Im  einzelnen  sei  noch  bemerkt,  dafs 
'Atdys  nicht  Plutus,  sondern  Pluto  zu  übersetzen  ist.  Druckfehler  sind 
nicht  wenige  stehen  geblieben. 

Denselben  Gegenstand  behandelt  Richter,  De  epigrammate  Chae- 
roneensi,  Programm  der  Realschule  I.  0.  zu  Malchin  1883,  das  jedoch 
dem  Referenten  bis  jetzt  leider  nicht  zugegangen  ist. 

35)  Franz  Slameczka,  Untersuchungen  über  die  Rede  des  De- 
mosthenes von  der  Gesandtschaft.    Wien  (Holder)  1885.    48  S.    gr.  8. 

Die  sorgfältige  und  gehaltvolle  Untersuchung  hat  sich  zur  Auf- 
gabe gestellt,  einen  neuen  Beitrag  zu  liefern  zu  einer  befriedigenden 
Erklärung  der  in  der  jetzigen  Gestalt  der  Rede  begründeten  Schwierig- 
keiten. Mit  Recht  bezeichnet  der  Verfasser  das  Bemühen,  eine  rich- 
tigere Gliederung  der  Rede  durch  Umstellung  einzelner  Partien  zu  ge- 
winnen, für  verfehlt,  mit  Recht  verwirft  er  auch  die  meisten  Hypothesen 
0.  Gilberts,  der  zwar  die  jetzige  Anordnung  als  die  richtige  beibe- 
halten, aber  mehrere,  oft  umfangreiche  Stücke  als  fremde  Zuthaten  aus- 
scheiden wollte.  Nach  einem  historischen  Rückblicke  über  die  Einlei- 
tung des  Prozesses  gegen  Aischines  führt  ihn  eine  eingehende  Betrach- 
tung des  Inhalts  und  des  Zusammenhangs  der  einzelnen  Abschnitte  zu 
dem  jedenfalls  richtigen  Gesamtergebnis,  dafs  die  Rede  mit  Ausnahme 
ganz  geringfügiger  Stücke  durchaus  ein  echtes  Produkt  demosthenischer 
Arbeit  darstellt,  ferner  dafs  sie  in  ihrem  weitaus  gröfseren  Teile  nach 
einem  einheitlichen  Plane  angelegt  und  mit  der  nötigen  Sorgfalt  auch 
im  einzelnen  ausgeführt  ist.  Interpoliert  scheinen  ihm  nur  drei  Para- 
graphen (234-236)  zu  sein.  Doch  fehlt  es  auch  für  diese  Annahme  an 
ausreichenden  Gründen;  vgl.  die  Rezensionen  von  K.  Seeliger,  Philo!. 
Anzeiger  XVI  (1886)  S.  314-  316  und  von  R.  Busse,  Wochenschrift  für 
klass.  Philologie  1887  Sp.  905  -908-  -  Zum  gröfsten  Teile  ist  die  Hede 
vor  der  Verurteilung  des  Philokrates  oder  sogar  vor  der  Einleitung  des 
Prozesses  gegen  diesen  ausgearbeitet  worden.  Mehrere  Stücke  sind  je- 
doch erst  nach  der  Gerichtsverhandlung  geschrieben.  Als  Bolche  nach- 
trägliche Zusätze  bezeichnet  der  Verfasser  §  88-97,  147—149,  832     ■ 


218  Demostbci 

Ob  hierher  auch  <lio  §§  337— 840  gehören,  l&fst  er  unentschieden.  Zu 
bedauern  ist,  dafs  er  \'nr  diesen  Teil  die  Schrift  von  ßud  Bnsse,  De 
dnplici  recensione  orationia  Demosthenicae,  <i||a''  esl  de  falsa  legatione, 
Berlin  1880,  nicht  benützl  bat.    Weiter  wurde  die  Abhandlung  besprochen 

von  W.  Fox,  Neue  phil.  Rundschau  1886  S.  81  82,  von  B. ,  Literar. 
Centralblatt  1886  S.  510,  von  W.  Nitsche,  Deutsche  Literaturzeitung 
1886  S.  503,  von  E.  Rosenberg,  Berliner  philol.  Wochenschrift  1886 
Sp.  777  770  und  von  H.  Ortner,  Blätter  für  das  bayer.  Gymn.  1887 
S.  121  f. 

36)  H.  Weil,   Sur  un  morceau  du  discours  contre  la  loi  de  Lo|, 
tine.     Annuaire  des  ötudes  grecques  XVI  (1882)  S.  150     155. 

Dem  Referenten  nicht  zugänglich. 

37)  Peter  Bastgen,   De  Demosthcnis   Midiana.     Comm.   philol. 
inaug.  von  Münster  1884.     56  S.     8. 

Die  Abhandlung  hat  vorwiegend  kritischen  und  polemischen  Cha- 
rakter. Der  Verfasser  prüft  zuerst  S.  1  10  die  Gründe,  welche  ver- 
schiedene Gelehrten,  wie  Böckh,  A.  Schäfer,  Blafs  für  die  Ansicht, 
dafs  die  Midiana  in  ihrem  jetzigen  Zustande  unvollendet  und  jedenfalls 
nicht  von  Demosthenes  ausgearbeitet  sei,  vorgebracht  haben.  Daran 
schliefst  sich  S.  10  —  21  eine  im  ganzen  wohlgelungene  Widerlegung  und 
Bekämpfung  der  Hypothesen  von  Wachendorf  und  van  den  Es,  dafs 
die  uns  vorliegende  Rede  nach  dem  Tode  des  Demosthenes  von  einem 
Redaktor  aus  zwei  demosthenischen  Reden  verschmolzen,  bez.  von  ir- 
gend einem  Librarius  aus  mehreren  Zetteln,  auf  denen  sich  Demosthenes 
Notizen  für  seine  Rede  gemacht  hatte,  zu  einem  Ganzen  zusammenge- 
leimt worden  sei. 

Wie  denkt  sich  nun  der  Verfasser  die  Rede  entstanden?  Auffallen- 
der Weise  nicht  viel  anders  als  van  den  Es.  Die  Wahrnehmung,  dafs 
nicht  nur  mehrfach  eine  richtige  Disposition  in  der  Midiana  vermifst 
wird,  sondern  auch  vieles,  was  schlechterdings  nicht  fehlen  konnte,  sich 
nicht  darin  findet,  führt  ihn  zu  der  Annahme,  dafs  Demosthenes  zuerst 
einzelne  Abschnitte  der  gegenwärtigen  Rede  separatem  niedergeschrieben 
habe,  um  sie  später  in  Ordnung  zu  bringen,  dann  aber,  als  er  nach  dem 
wenig  rühmlichen  Vergleich  mit  seinem  Gegner  den  Prozefs  aufgegeben, 
die  Ausarbeitung  und  Herausgabe  unterlassen  habe;  nach  seinem  Tode 
habe  man  diese  Zettel  gefunden  und  neglegenter  ac  temere  zusammen- 
gestellt. Bastgen  macht  sogar  den  kühnen,  aber  eitlen  Versuch,  die- 
jenige Disposition  zu  finden,  welcher  Demosthenes  gefolgt  wäre,  wenn 
er  die  Rede  ausgearbeitet  hätte.  Dieses  Experiment  hätte  er  sich  er- 
sparen können.  Hatte  doch  Blafs  (Att.  Bereds.  III A  S.  296  f.)  richtig 
hervorgehoben:  »Man  mufs  dergleichen  stehen  lassen,  ebenso  wie  sich 
die  Unordnung  der  Rede  weder  durch  Streichungen  noch  durch  Umstel- 


Demosthenes.  219 

lungen  heben  läfst;  es  ist  unmöglich  zu  ermitteln,  wie  Demosthenes, 
wenn  er  die  Rede  ausgearbeitet  hätte,  sie  gestaltet  haben  würde.«  Ebenso 
orteilt  E.  Roseuberg,  der  die  Dissertation  in  der  Berliner  philol. 
Wochenschrift  1884  Sp.  1533  ff.  bespricht. 

38)  Hermann  Vieze,  De  Demosthenis  in  Androtionem  et  Timo- 
cratem  orationibus.     Diss.  inaug.  philol.  Halle  1885.     44  S.     8. 

Es  sind  schwierige  Fragen,  die  hier  erörtert  werden.  Im  ersten 
Teile  sucht  der  Verfasser  die  Frage ,  ob  die  Rede  wider  Androtion  in 
ihrem  gegenwärtigen  Zustande  mit  Taylor  uud  A.  G.  Becker  als  ver- 
stümmelte?) oder  mit  Funkhänel  als  unversehrt  und  in  jeder  Hinsicht 
vollendet  anzusehen  sei,  endgiltig  zu  entscheiden.  Das  Ergebnis  ist  im 
wesentlichen  folgendes:  An  zwei  Stellen  (§  20  und  am  Schlüsse  des 
Ganzen)  ist  die  Rede  verstümmelt.  Eine  dritte  Stelle  (§  40  und  41)  ist 
zwar  von  Demosthenes  verfafst,  aber  nicht  von  ihm  der  Rede  einver- 
leibt worden.  Dies  war  jedoch,  wie  Vieze  meint,  schon  vor  der  Heraus- 
gabe der  Rede  geschehen.  Die  Rede  scheint  ihm  so  ziemlich  in  der 
Gestalt,  in  der  sie  uns  vorliegt,  herausgegeben  zu  sein,  jedoch  nicht 
von  Demosthenes  selbst,  sondern  vielleicht  erst  nach  seinem  Tode.  — 
Dafs  der  Text  der  Rede  Ende  §  20  unklar  und  lückenhaft  ist,  hatte  be- 
reits Harpokration  erkannt  und  wird  sich  nicht  wegleugnen  lassen,  wie 
man  auch  den  letzten  Satz  lesen  und  erklären  mag.  Vieze  verlangt  die 
Lesart  ahzfj  gleich  den  Züricher  Herausgebern  und  Beuseler.  Seine  Er- 
klärung befriedigt  indes  weniger  als  die  des  letztgenannten  Gelehrten, 
auf  dessen  Anmerkung  er  hätte  verweisen  sollen.  Über  die  angeblich 
fehlende  Peroratio  läfst  sich  auch  jetzt  noch  streiten.  Neue  Gründe 
hat  der  Verfasser  für  seine  Ansicht  nicht  beibringen  können,  überhaupt 
die  Frage,  die  er  sich  zur  Untersuchung  wählte,  wenig  oder  gar  nicht 
gefördert.  Mit  Recht  nimmt  er  die  §§38  —  39  gegen  Blafs  in  Schutz. 
Er  glaubt,  dafs  sie  bereits  vor  gehaltener  Rede  geschrieben  uud  durch- 
aus an  ihren)  Platze  sind.  Aber  warum  soll  nicht  dasselbe  von  den  ^§  40 
und  41  gelten?  Die  Gründe,  mit  denen  der  Verfasser  seine  Ansicht  zu 
stützen  sucht,  dafs  sie  erst  nach  der  Rede  des  Archias  von  Demosthenes 
auf  ein  Blatt  geschrieben  und  dieses  von  dem  unbekannten  Herausgeber 
eingefügt  worden  ,  ohne  dafs  er  sie  dem  Tone  und  dem  Zusammenhang 
anpafste,  sind  nicht  beweiskräftig.  Die  Härte  des  Übergangs,  welche  in 
dem  Pronomen  aörbv  §  42  liegt,  wird  durch  die  Worte  ohfiat  rot'vuv 
und  durch  die  Paust1,  welche  vor  diesen  Worten  eintreten  mofs,  wesent- 
lich gemildert;  vgl.  Weil  zur  Stelle.  Wie  die  Kritik  au  den  zwei  Stel- 
len, die  nicht  in  den  Zusammenhang  der  Androtionea  passen  (§  »>7  und 
74),  zu  verfahren  habe,  will  der  Verfasser  nicht  entscheiden  Die  Kon- 
jektur, die  er  zu  §  33  (rabvd.  dt'xata)  vorschlägt,  wurde  bereits  L866  von 
A.  Westermann  und  unabhängig  von  diesem  von  Rud.  Dahms  ge- 
macht und  entsprich!  Ilbrigeus  der  Lesart  de-  cod  A. 


220  Dcmosthenes. 

Im  zweiten  Teile  unt ersucJit  Vieze  die  Komposition  '1er  Rede 
wider  Timokrates.  Bensei  er  und  A.  Schäfer  haben  in  dem  ganzen 
mittleren  Teile  von  §  lio  187  ein  störendes  und  fremdartiges  Element 
erblickt;  aber  während  jener  vermutete,  was  nicht  ans  der  Hede  wider 
Androtion  herübergenommen  sei  (§  160  18G),  sei  der  Rede  de-  zweiten 
Sprechers  Euktcmon  entlehnt,  war  Schäfer  der  Ansicht,  dafs  auch  dieser 
Teil  von  Dcmosthenes,  aber  von  einem  ersten  Entwürfe  desselben  her- 
rühre. Er  nahm  nämlich  eine  doppelte  Rezension  der  Rede  an,  eine 
kürzere  von  letzter  Hand,  in  allen  Teilen  sorgsam  ausgeführt,  die  an- 
dere leicht,  hingeworfen  ,  aber  voll  wirksamer  Ausfälle  gegen  Androtion 
und  seine  Genossen.  Diese  beiden  Rezensionen  seien  zusammengezogen 
worden,  sei  es,  dafs  Diodoros  selber  aus  Hafs  gegen  Androtion  die  Rede 
in  solcher  Gestalt  in  Umlauf  setzte,  oder  dafs  ein  anderer  sich  darüber 
machte,  sie  so  vollständig  wie  möglich  herzustellen  und  von  dem  Ent- 
würfe des  Deraosthenes  nichts  preiszugeben.  —  Vergeblich  versuchte 
L.  Spengel  die  Einheitlichkeit  der  Rede  gegen  Schäfer  zu  verteidigen. 
Blafs  entwickelte  die  Annahme  Schäfers  von  zwei  zusammengezogenen 
Rezensionen  weiter  und  glaubte  auch  in  andern  Abschnitten  Spuren  da- 
von zu  finden. 

Vieze  nun  will  mit  der  Untersuchung  über  den  Zusammenhang  und 
die  Stellung  (collatione  S.  25  ist  wohl  einer  der  vielen  Druckfehler)  der 
einzelnen  Teile  die  Frage  verbinden,  ob  dieselben  nach  oder  vor  der 
Zahlung  der  Summe,  welche  Androtion  und  seine  Genossen  dem  Staate 
schuldig  waren  ,  verfafst  seien.  Auch  er  nimmt  also  eine  doppelte  Re- 
zension an.  Dem  ersten  Entwurf  teilt  er  zu:  §  1-5;  6  —  8;  10  (ig  dp- 
X^S  o?jv  iv  ßpa%£ot)  — 13;  9  10  (ouvacfießa),  dies  das  Proömium  in  der 
hier  angegebenen  Reihenfolge.  Sodann  scheint  ihm  die  echte  Partitio 
der  Beweisführung  verloren  gegangen  zu  sein.  Es  folgen  §  19  (r.piözuv 
jjlsv  ouv)  —  109  als  Argumentatio,  §  110—143  als  Confutatio.  Von  diesen 
Abschnitten  nahm  der  Redner  nach  Viezes  Ansicht  folgende  in  die  vor 
Gericht  gehaltene  Rede  herüber:  §  1-5;  6—8  (kaßecv);  10  (i$  dpxyQ 
ouv)  -13;  dazu  fügte  er  §  14—16.  Diesem  Proömium  folgte  die  ver- 
loren gegangene  Partitio,  darauf  die  Argumentatio  §  19  —  109.  An  die 
Stelle  jener  Confutatio  des  ersten  Entwurfs  setzte  er  eine  andere,  be- 
stehend aus  den  §§  187-214;  155  —  186;  215— Schlufs. 

Die  Begründung  dieser  Hypothese  im  einzelnen  zu  besprechen,  ist 
hier  nicht  der  Ort.  Referent  gesteht,  dafs  er  sich  von  der  Richtigkeit 
derselben  nicht  überzeugen  konnte.  Vieze  sucht  Schwierigkeiten  und 
Anstöfse,  wo  eine  besonnene  Interpretation  keine  findet.  Nur  ein  Bei- 
spiel! §  6  ff .  giebt  der  Sprecher  Diodoros  die  persönlichen  Gründe  an 
für  seine  Beteiligung  iv  dyuxrc  xal  ypa<pacg  or^uaiaiq.  Dieser  Abschnitt 
reicht  bis  §  10  et  ypa<pd/xevot  rbv  vop.ov  xai  eioayayovzes  eis  b/tas  Maat 
duvac'fie&a.  Erst  hier  ist  von  der  gegenwärtigen  ypacprj  napavö/icov  die 
Rede;  r^ßov  in3  abruv  aber  kann   nur  auf  den  ersten  Angriff  gegen 


Demosthenes.  221 

Androtion  bezogen  werden.  Da  Vieze  dies  nicht  einsieht  oder  nicht  ein- 
sehen will,  so  nimmt  er  zuerst  S.  27  an,  dafs  vor  zoö  ok  Tzpäy/iazog  der 
erste  Teil  der  Erzählung  fehle,  dann  S.  28  f.,  dafs  der  Herausgeber  der 
ganzen  Rede  aus  den  hinterlassenen  Papieren  des  Demosthenes  den  Satz 
ßooXoijirjV  o'  av  i/xe  ze  zuyeiv  üjv  ßoOXojxat,  zoTjzov  zs  ita&eiv  wv  ä~tog 
iazcv  mit  dem  folgenden  Abschnitt  zoö  ok  npäy/iarog  .  .  .  dovcäfie&a  voll- 
ständig aufgenommen  und  überliefert  habe,  damit  kein  Wort  des  De- 
mosthenes verloren  gehe.  Demosthenes  aber  war  der  Ansicht  (censuit), 
dafs  der  Satz  ßot>Aoi/j.rjV  8'  ftv  .  .  .  zu  streichen  sei  und  der  folgende  Ab- 
schnitt nicht  in  die  zweite  Rede  herübergenommen  werden  dürfe.  Auch 
in  den  Worten  §  17  ff.  iaziv  iu  ävdpeg  'Afyvaioi  .  .  .  &vdyva)&i  findet 
Vieze  mehreres  anstöfsig  und  macht  wieder  seltsame  Enthüllungen  über 
die  Absicht  des  Demosthenes:  Itaque  haec  quidem  verba  neque  priori 
neque  posteriori  orationi  destinata  esse  videntur,  sed,  cum  in  commen- 
tariis  relicta  essent,  ab  editore  orationis  nobis  tradita  sunt  (S.  31).  An- 
gesichts solcher  Konjekturenmacherei  fragt  man  billig:  Cui  bono?  Der 
Wissenschaft  wird  damit  wenig  gedient  sein. 

39)  H.  Weil,  Etudes  sur  Demosthene  II.  —  De  l'authentieite  du 
premier  discours  contre  Aristogiton.  Revue  de  philologie  VI  (1882) 
S.  1-21. 

40)  J.  Hermann  Lipsius,  Über  die  Unechtheit  der  ersten  Rede 
gegen  Aristogeiton.  Leipziger  Studien  zur  klassischen  Philologie  VI 
(1883)  S.  317-331. 

41)  Richard  Wagner,  De  priore  quae  Demostheuis  fertur  ad- 
versus  Aristogitonem  oratione.  Diss.  inaug.  von  Rostock.  Hirschberg 
1883.     49  S.     8. 

42)  Hugo  Stier,  De  scriptore  prioris  adversus  Aristogitonem  ora- 
tionis, quae  Demosthenis  esse  fertur.    Diss.  inaug.  Halle  1884.    37  S.   8. 

Die  beiden  Reden  wider  Aristogeiton,  welche  unter  Demosthenes' 
Namen  überliefert  sind,  waren  schon  im  Altertum  von  Dionysios  von 
Halikarnasos  und  andern  Kritikern  dem  Demosthenes  abgesprochen  wor- 
den, und  auch  die  Neueren  haben  sie  fast  einstimmig  für  unecht  er- 
klärt. Dagegen  hat  es  Weil  in  obiger  Abhandlung  und  in  seiner  Aus- 
gabe Les  plaidoyers  politiques  de  Demosthene,  II.  Serie,  Paris  188G, 
unternommen,  zunächst  die  Echtheit  der  ersten  Rede  mit  grofsem  Scharf- 
sinn zu  verteidigen.  Er  giebt  zwar  zu,  dafs  die  Rede  Stellen  enthalte, 
die  einen  aufmerksamen  Leser  des  Demosthenes  in  Staunen  versetzen; 
aber  sie  sei  auch  voll  Feuer  und  Lebendigkeit  und  in  der  rednerischen 
Form  vollendet.  Die  Unterschiede  zwischen  Ihr  und  andern  Reden  des 
Demosthenes  seien  nur  relativ,  für  alles,  was  in  dieser  Rede  kühn  oder 
ungewöhnlich    erscheinen    könne,    linden   sich    Analogion   in   den   andern 


222  Demosthenes. 

Reden.  Zudem  lassen  sich  diese  Unterschiede,  soweit  sie  Dich!  auf  In- 
terpolationen zurückzuführen  seien  (wie  in  den  §§  n.  ig,  -.;  n.  ;■.,  . 
durch   die  Natur  der  Rede,   die  Person   des  Angeklagten  und   die  Zeit 

des  Prozesses  erklären.  Die  Rede  ist  eine  Deuterologie.  Lykurgos 
hatte  in  seiner  Rede  die  strafbaren  Bandlungen  Aristogeitons  darge- 
than,  die  Zeugen  aufgerufen,  die  von  dem  Angeschuldigten  verletzten 
Gesetze  aufgezählt  und  erläutert.  Die  Aufgabe  des  zweiten  Sprechers 
war  also  darauf  beschränkt,  noch  einiges  Thatsslchliche,  wus  jener  über- 
sehen hatte,  nachzutragen,  die  Vergehen  zu  steigern  und  auf  die  Ge- 
sinnung der  Richter  einzuwirken.  Die  Rede  dürfe  deshalb  nicht  mit 
vollständigen  Reden  des  Demosthenes  verglichen  werden,  sondern  mit 
den  Epilogen.  In  diesen  aber  begegnen  uns  auch  sonst,  wie  in  der 
Kranzrede,  populäre,  für  den  vorliegenden  Fall  erfundene  oder  in  einem 
besonderen  Sinne  gebrauchte  Wörter,  deren  sich  der  Redner  sonst  nicht 
bedient  habe.  Mit  den  politischen  und  gerichtlichen  Einrichtungen  Athens 
aber  zeige  sich   der  Verfasser  unserer  Rede  wohl  vertraut.  Weiter 

sucht  Weil  zu  erweiseu,  dafs  die  Rede  weder  eine  Schulrede  noch  das 
Werk  eines  Zeitgenossen  des  Demosthenes,  etwa  des  Hypereides,  wie 
Cobet  neuerlich  annahm,  sein  könne.  Jedoch  ist  es  ihm  nicht  gelungen, 
die  hinsichtlich  der  Echtheit  der  Rede  bestehenden  Bedenken  anderer 
zu  beseitigen. 

Lipsius  wendet  sich  gegen  die  Behauptung  Weils:  II  est  incon- 
testable  que  l'auteur  de  notre  plaidoyer  se  montre  bien  informe  des  in- 
stitutions  politiques  et  judiciaires  d'Athenes.  II  ne  laisse  echapper  aueune 
erreur  ä  ce  sujet,  il  nous  fait  meine  connaitre  certains  details  que  nous 
ignorerons  sans  lui.  Nach  ihm  ist  das  gerade  Gegenteil  von  alle  dem 
richtig:  Die  Rede  setzt  sich  fast  überall,  wo  sie  rechtliche  Institutionen 
berührt,  in  Widerspruch  mit  dem,  was  wir  durch  Überlieferung  und  For- 
schung von  attischem  Recht  und  Gerichtswesen  wissen.  Sie  kann  des- 
halb unmöglich  das  Werk  eines  Redners  sein,  der  in  der  Praxis  des 
attischen  Rechtslebens  gestanden  hat.  Wenn  anderwärts  der  Verfasser 
mancher  staatlicher  Einrichtungen  in  einer  Weise  gedenkt,  die  zu  Be- 
denken keinen  Anlafs  giebt ,  worauf  allein  die  gegnerische  Ansicht  sich 
zu  stützen  vermag,  so  folgt  daraus  nur,  dafs  er  von  diesen  Dingen  eine 
richtigere  Vorstellung  gewonnen  hat. 

Zu  einem  ähnlichen  Resultat  ist  R.  Wagner  gelangt,  welcher  die 
Rede  nach  Inhalt  und  Form  einer  äufserst  gründlichen  und  sorgfältigen 
Prüfung  unterzogen  hat.  Die  Rede  sei  von  einem  Menschen  verfällst, 
welcher  die  Beredsamkeit  nicht  auf  dem  Forum,  sondern  in  der  Studier- 
stube erlernt  habe.  Wagner  hält  sie  für  ein  Denkmal  der  asianischen 
Beredsamkeit  und  verlegt  ihre  Entstehung  in  die  Zeit  von  320  -  250 
v.  Chr.  Die  zuerst  von  Blafs  ausgesprochene  Vermutung,  dafs  ein  ge- 
wisser alter,  vielleicht  demostheuischer  Kern  in  dieser  Rede,  gleichwie 
in   den   unechten  Demegorien,   enthalten   sei,    verwirft   er   und   entdeckt 


Demosthenes.  223 

auch  hier  Spuren  des  alles  übertreibenden  Rhetors.  Ein  Versehen  ist 
dem  Referenten  S.  6  Z.  6  v.  u.  aufgestofsen,  wo  Aristone  statt  Aristogi- 
tone  zu  lesen  ist. 

Neben  dieser  tüchtigen  Dissertation  erscheint  die  von  H.  Stier 
als  recht  unbedeutend,  wenn  nicht  als  ganz  wertlos.  Was  sie  Gutes  und 
Beifälliges  enthält,  ist  aus  A.  Schäfer  meistens  wörtlich  übersetzt  und 
mit  den  von  demselben  beigebrachten  Stellen  belegt.  Anderes  wird  der 
Dissertation  von  R.  Braun  entlehnt  sein,  die  dem  Referenten  leider 
nicht  zu  Gebote  steht.  Weiter  eignet  er  sich  eine  Vermutung  von  Blafs 
an:  Partes  aliquas  re  vera  a  Demosthene  scriptas  auctori  orationis 
praesto  fuisse  suspicor  (S.  36).  Was  er  S.  10,  wie  es  scheint  de  suo, 
in  sprachlicher  Hinsicht  Anstöfsiges  hervorhebt,  bedarf  der  Berichtigung. 
Über  xpivttv  §  42  in  der  Bedeutung  existimare  vgl.  P.  Uhle,  De  prooem. 
collect.  S.  16.  Desgleichen  über  oXwg  §§  84  und  95  ebenda  S.  18.  — 
ojxdü  §  51  statt  iyyüg  findet  sich  Dem.  36,  36,  dcarpcßscv  int  xm  §  51 
auch  Dem.  2,  16.  Isokr.  3,  19;  4,  143;  11,  18.  23;  15,  18  (Lutz).  Mit 
rji  <p'jyjj  vergleicht  Weil  rr)  <f"J%fj  tout3  olds  Mid.  201  (soll  heifsen  221), 
mit  bzav  §  68  Dem.  23,  62,  mit  dixata  §1,3  etc.  Dem.  18,  7  und  9. 
Dazu  38,  20;  41,  7.  —  Überdies  ist  die  Dissertation  Stiers  überreich 
an  Druckfehlern. 

43)  Joh.  E.  Kirchner,  De  litis  instrumentis,  quae  exstant  in  De- 
mosthenis  quae  fertur  in  Lacritum  et  priore  adversus  Stephanum  ora- 
tionibus.     Diss.  inaug.  philol.  Halle  1883.     40  S.     8. 

44)  Derselbe,  Zur  Frage  über  die  Glaubwürdigkeit  der  in  die 
Demosthenischen  Reden  eingelegten  Urkunden.  Rhein.  Museum  XXXIX 

(1884)  S.  309-310. 

45)  Derselbe,  Zur  Glaubwürdigkeit  der  in  die  [Demosthenische] 
Rede  wider  Neaira  eingelegten  Zeugenaussagen.     Rhein.  Museum  XL 

(1885)  S.  377—386. 

46)  Otto  Staeker,  De  litis  instrumentis,  quae  exstant  in  De- 
mosthenis  quae  feruntur  posteriore  adversus  Stephanum  et  adversus 
Neaeram  orationibus.     Diss.  inaug.  phil.  Halle  1884.     58  S.     8. 

Um  die  Echtheitsfrage  der  in  die  attischen  Redner  eingelegten 
Urkunden  zu  lösen,  kommt  es  darauf  an,  »die  Urkunden  selbst  Stack 
für  Stück  einer  scharfen  Kritik  zu  unterwerfen,  ihren  Inhalt  Punkt  für 
Punkt  sorgfältig  zu  prüfen  und  aus  dessen  Beschaffenheit,  mit  Ruck- 
sicht auf  die  beglaubigten  Staats-  und  Rechtszuständig  des  attischen  Al- 
tertums, ein  Urteil  für  oder  wider  die  Originalität  zu  abstrahieren« 
(A.  West  ermann,  Abhandl.  d.  K.  S.  Gescllsch.  d.  Wisscnsch  II  S.  S). 
Die  Untersuchungen,  welche  Westennann  selbst  and  andere  Gelehrten 
nach   diesem  Grundsatz   anstellten,    halten   den  Glauben  an  die  Anthen- 


224  Demosthenes. 

tizität  dieser  Urkunden  dermafsen  erschüttert,  dafs  man  sie  fast  allge- 
mein tiir  Fälschungen  betrachtete.  Dnrcfa  Kirchhof!  and  l'.  Köhler 
wurde  sodann  die  Präge  neu  angeregt.  Darauf  hat  Ad.  Wacbholtz 
die  Echtheit  der  in  die   pseudodemosthenische  Rede  wider  Bfakarta 

eingelegten  Urkunden  mit  Geschiel:  verteidigt;  vgl.  Blafs  in  diesem 
Jahresbericht  XXI  (1880.  I)  S.  201  f.  Den  gleichen  Versuch  haben 
Kirchner  und  Staeker  in  den  vorliegenden  Abhandlungen  für  die  Bede 
wider  Lakritus  (SS),  die  beiden  ßedeu  wider  Stephanos  (45  und  46)  und 
die  Rede  wider  Neaira  (59)  gemacht. 

Kirchner  bemüht  sich  in  seiner  Dissertation  sämtliche  Urkunden 
der  Rede  wider  Lakritos  uud  der  ersten  Rode  wider  Stephanos  und  in 
der  Abhandlung  No.  45  sämtliche  Zeugenaussagen  der  Rede  wider  Neaira 
als  echt  zu  erweisen.  In  No.  44  weist  er  zwei  in  den  Urkunden  (35,  14 
und  45,  46)  vorkommende  Namen  inschriftlich  nach:  Qopfiuov  Kryo 
pwvzog  üeipatBÜg  in  einer  Inschrift  vom  Jahre  334/3  und  %7toXA6dwpog 
'Ayapvzog  in  einer  Seeurkunde  vom  Jahre  356/5.  Nach  der  ersteren 
glaubt  Kirchner  Pseudodem.  35 ,  14  Knjai^mvros  für  das  handschrift- 
liche krtfiooyujv-og  einsetzen  zu  sollen.  Was  die  Zeugenaussagen  be- 
trifft, so  galt  es  hauptsächlich  die  von  Westermann  gegen  die  Authen- 
tizität geäufserten  Bedenken  zu  beseitigen.  Dies  ist  dem  Verfasser  frei- 
lich nicht  immer  gelungen  und  dürfte  vielleicht  auch  nie  gelingen. 
Westermann  scheint  indes  seine  Anforderungen  an  die  Form  oder  den 
Inhalt  dieser  Dokumente  bisweilen  zu  hoch  gestellt  haben ,  so  wenn  er 
sämtliche  Zeugenaussagen,  in  denen  die  Zeugen  blofs  mit  ihrem  eigenen 
Namen  oder  mit  Hinzufügung  nur  des  väterlichen  Namens  oder  des  De- 
mos angeführt  werden,  für  unecht  erklärte.  Kirchner  möchte  dagegen 
gerade  in  dem  Fehlen  dieses  Zusatzes  einen  Beweis  für  die  Echtheit 
sehen;  denn  einem  Fälscher  wäre  es  ein  Leichtes  gewesen,  nachdem  er 
so  viele  Namen  ausgedacht,  auch  noch  die  übrigen  beizufügen.  (Ähn- 
lich weist  Staeker  S.  38  diesen  Verdachtsgrund  Westermanns  ab.) 
Wenn  derselbe  ferner  mehrmals  bei  Zeugnissen,  besonders  in  der  Rede 
wider  Neaira,  die  Armseligkeit  und  Dürftigkeit  des  Inhalts  tadelte,  so 
entgegnet  Kirchner,  es  sei  unrecht,  in  den  Aktenstücken  etwas  zu  ver- 
missen, was  nicht  absolut  zur  Sache  gehört.  Unklar  erscheint  dem  Re- 
ferenten die  Erklärung  der  Lemmata  36,  7  (S.  7  und  22).  Der  Wort- 
laut der  npoxfyaee  ist  nicht  erhalten;  unter  papzopiai  ist  wohl  das  45,  8 
verlesene  Zeugnis  des  Stephanos ,  Endios  und  Skytkes  zu  verstehen,  so 
dafs  also  an  dieser  Stelle  der  Plural  fiapropiat  von  einem  einzigen  Zeug- 
nisse, das  mehrere  Personen  zugleich  ausgestellt  haben,  gebraucht  ist, 
was  Kirchner  S.  6  bestreitet;  nap'  ulg  al  du/.br/y.o.c  xalvzac  scheint  eine 
Interpolation  zu  sein.  Unrichtig  ist  jedenfalls  die  Erklärung  der  Har- 
pokrationstelle  über  die  Diaiteten  S.  24.  Die  dtairrjral,  heifst  es  dort, 
suchten  vorher  (ehe  die  Sache  vor  die  otxaazal  kam)  die  streitenden 
Parteien  zu  versöhnen.    Andere  Versehen  und  Schwächeu   der  Beweis- 


Demosthenes.  225 

führung  Kirchners  in  seiner  Dissertation  hat  K.  Seeliger,  Philol.  An- 
zeiger XIV  (1884)  S.  385  —  392  namhaft  gemacht.  Wenn  dieser  über 
die  ganze  Abhandlung  das  Urteil  fällt,  dafs  sie  die  Frage  nach  der 
Echtheit  der  eingelegten  Urkunden  nicht  besonders  gefördert  habe,  so 
mufs  doch  mit  W.  Fox,  Philol.  Rundschau  1884  Sp.  1057  ff.  anerkannt 
werden,  dafs  durch  sie  mancher  dunkle  Punkt  aufgehellt  und  im  ganzen 
hinlänglich  dargethan  ist,  dafs  auch  kein  Moment  den  Glauben  an  die 
Echtheit  der  behandelten  Urkunden  entschieden  ausschliefst.  Aufser  den 
Zeugenaussagen  finden  sich  in  der  Rede  wider  Lakritos  eine  Vertrags- 
urkunde und  eine  Gesetzesformel,  in  der  ersten  Rede  wider  Stephanos 
eine  Antigraphe,  ein  Testament  und  ein  Mietvertrag.  Diese  Urkunden 
werden  hier  zum  ersten  Mal  auf  ihre  Echtheit  geprüft,  und  durch  Verglei- 
chung  mit  ähnlichen  Dokumenten,  soweit  dies  möglich  ist,  wird  gezeigt, 
dafs  sie  in  der  üblichen  Form  abgefafst  sind  und  bezüglich  ihres  Inhalts 
zu  keinem  Zweifel  an  der  Originalität  Anlafs  geben;  das  Testament  und 
der  Mietvertrag  sind  jedoch  nicht  vollständig  überliefert.  Dem.  45,  8 
ist  mit  Sauppe  ehac  ok  r«'d'  dvrfypeqpa  zu  schreiben;  der  Name  des 
hier  erwähnten  Schiedsrichters  lautet  nach  den  Inschriften  Tetaiag.  Aufser- 
dem  lassen  sich  folgende  in  den  Urkunden  vorkommende  Namen  nach 
Kirchner  inschriftlich  nachweisen:  AnoXXwvidrjg  ^AXixapvaasüg  35,  33, 
lütfiaocpwv  KeyaMwvog  (dies  der  richtigere  Name)  A<pi8vacog  45,  19, 
Acovutjcog  KoXtovrj&ev  59,  23,  Urepavog  'Epoiddyg,  rXauxenrjg  Krt<fiaieüg 
und  'AfHozoxfjdrrjQ  &aXrtpeüg  59,  40,  die  Namen  der  drei  Schiedsrichter 
59,  47,  der  Name  des  Genneten  Ni'xmitog  Kzyalrftzv  59,  61,  der  Name 
des  Zeugen  äeivoptvrjg  (so  ist  mit  den  codd.  Y.  0.  r.  zu  lesen)  Ap%e- 
Mou   kooo.bijVaizbg  59,  123. 

Staeker.  dessen  Dissertation,  wie  am  Schlüsse  derselben  mitge- 
teilt wird  ,  bereits  gedruckt  war,  als  Kirchners  Abhandlung  über  die  in 
die  Rede  wider  Neaira  eingelegten  Zeugenaussagen  erschien,  gelangt 
zum  Teil  zu  anderen  Ergebnissen.  Der  erste  Teil  seiner  Untersuchung 
gehört  den  Urkunden  der  zweiten  Rede  wider  Stephanos.  Die  neun  Ge- 
setzesparagraphen werden  eingehend  erläutert;  sie  scheinen  dem  Ver- 
fasser sämtlich  echt,  jedoch  teilweise  korrupt  zu  sein.  Das  einzige  Zeug- 
nis der  Rede  hält  er  mit  Westermaun  für  unecht.  Die  Schwierigkeiten, 
welche  die  Gesetzesformel  §  14  (Dind.  §  17)  der  Erklärung  bietet,  glaubt 
er  durch  eine  Textesänderung  beseitigen  zu  können,  indem  er  ou  rtv 
statt  wäre  zu  schreiben  vorschlägt.  Viel  Wahrscheinlichkeit  hat  übri- 
gens diese  Konjektur  nicht.  Wenn  der  Verfasser  S.  10  behauptet,  notetv 
sei  ohne  den  Zusatz  von  noXtvrjV  oder  'A&yvdtov  nicht  von  der  Verleihung 
des  Bürgerrechts  gebraucht  worden,  so  verweist  Referent  auf  Dem.  36, 
47  ohv  (iura  a  inotijaavro  A&yvatot,  und  Lys.  13,91  a<rr:g  pyot  ;ü\>  \mb 
rov  Bypou  -srMLrjCTÜui;  vgl.  Frohbergcr-liebauer  zu  Lys.  LS,  7ü.  In  »ler 
Gesetzesformcl  §  24  (31)  gehört  iav  dno&dvwaiv  .  .  .  r/t3ä\>  ohne  Zweifel 
zum  nachfolgenden  Hauptsatz.  -  Im  /.weilen  Teile  nimmt  Staeker  zu- 
Jahresberlcbt  fUr  A.lterthumd«rid8eiischkft  L.  (is^,     i  15 


Demosthenes. 

ersl  die  drei  Gesetzesformeln  der  Rede  wider  NY-aira  gegen  die  Angriffe 
des  Holländers  van  den  Eis  in  Schatz.  Die  Zeugenaussagen  hält  er 
teils  für  echl  teils  für  untergeschoben.  Über  den  Volksbeschlufe  in  be- 
treff der  Platäer  und  über  den  Eid  der  Gerairen  läfst  sieb  nach  seiner 
Ansicht  eine  sichere  Entscheidung  nicht  treffen,  weil  diese  Dokumente 
sonst  nirgends  angeführt  würden.  -  Viel  gründlicher  i->t  die  Untersu- 
chnug  von  J.  Riehemann,  De  litis  instrumentis ,  quae  exstant  in  De- 
mosthenis  quae  fertur  oratione  adversus  Neaeram,  Diss.  inaug.  von  Leip- 
zig 188(3,  welcher  im  Anhang  S.  48 ff.  die  Dissertation  Stacken  und  die 
Abhandlung  Kirchners   eingehender   bespricht   und   zum  Teil     berichtigt. 

47)  Paul  Uhle,  Quaestioues  de  orationum  Demostheni  falso  ad- 
dietarum  scriptoribus.  Particula  prima.  De  orationum  XXXV  XXXXIII 
XXXXVI.  —  L-  LH.  LIII.  LIX.  scriptoribus.  Diss.  inaug.  von  Leipzig. 
Hagen  in  Westfalen   1883.     118  S.     8. 

A.Schäfer,  der  zuerst  die  fälschlich  unter  Demosthenes'  Namen 
überlieferten  Reden  einer  eingehenden  Untersuchung  und  Vergleichung 
unterzogen  hat,  war  geneigt,  die  Reden  wider  Apaturios  (33),  wider  Phor- 
mion  (34)  und  wider  Dionysodoros  (56)  einem  und  demselben  unbekann- 
ten Verfasser  beizulegen,  einem  und  demselben  ferner  die  Reden  wider 
Makartatos  (43)  und  wider  Olympiodoros  (48),  wieder  einem  andern  die 
Reden  in  Sachen  des  Apollodoros  (45.  46.  49.  50.  52.  53.  59)  nebst  der 
Rede  wider  Euergos  und  Mnesibulos  (47);  der  Verfasser  der  letzten 
Gruppe,  vermutete  er,  sei  wahrscheinlich  Pasions  Sohn  Apollodoros  sel- 
ber. Fr.  Blafs  hält  die  Ideutität  des  Verfassers  der  Reden  wider 
Apaturios,  Phormion  und  Dionysodoros  für  nicht  ganz  unwahrschein- 
lich. Als  den  gemeinsamen  Verfasser  der  sogenannten  Apollodorischen 
Reden  46.  49.  50.  52.  53.  59  —  die  45.  Rede  gilt  ihm  für  echt  —  be- 
trachtet er  jedoch  nicht  Apollodoros  selber,  sondern  einen  ungenannten 
Logographen.  »Diesem  selben  Manne,  sagt  er  Att.  Bereds.  III  A  S.[527, 
der  in  seinen  Leistungen  kaum  je  das  Mittelmafs  erreicht,  gehören  viel- 
leicht auch  die  Reden  gegen  Euergos,  Makartatos,  Olympiodoros,  Lakri- 
tos  an;  die  drei  letzten  haben  jedenfalls  unter  sich  eiuen  gemeinsamen 
Verfasser.«  --  Der  letzte  Satz  wird  durch  die  vorliegende  Untersuchung 
Uhles  bestätigt,  während  ihm  der  Nachweis,  den  er  gegen  Blafs  führen 
will,  dafs  der  Verfasser  der  Reden  46.  47.  49.  50.  52.  53.  59  mit  dem 
gemeinsamen  Verfasser  der  Reden  35.  43  und  48  nicht  identisch  sein 
könne,  trotz  aller  Gründlichkeit  und  Sorgfalt  nicht  gelungen  ist.  Von 
geringem  Belang  und  für  die  vorliegende  Frage  keineswegs  entscheidend 
ist  das  Ergebnis  der  ersten  zwei  Abschnitte  (S.  7—50),  worin  die  zehn 
Reden  nach  der  Argumentation,  dem  Ethos  und  Pathos  wie  nach  ihrer 
Disposition  mit  einander  verglichen  werden.  Was  soll  es  heifsen,  wenn 
die  Wiederholungen  in  den  Reden  35.  43  und  48  etwas  häufiger  sind 
als  in  denen  der  andern  Gruppe?    Was  über  das  Ethos  und  Pathos  S.  40 


Demosthenes.  227 

zusammenfassend  behauptet  wird,  steht  zum  Teil  im  Widerspruch  mit  des 
Verfassers  eigenen  vorausgehenden  Angaben.  S-  37  findet  er  nämlich, 
dafs  der  35.  Rede  das  Ethos  gänzlich  mangelt ,  in  der  43.  Rede  mehr 
Ethos  angestrebt  wird,  S.  40  aber  will  er  gezeigt  haben,  dafs  in  den 
Reden  35.  43  und  48  sehr  viel  Ethos  und  Pathos  sei  (summos  esse 
effectus  et  compositos  et  concitatos).  Die  Entscheidung  müfste  also  von 
dem  Unterschied  in  der  elocutio  abhängen;  dies  ist  der  umfangreichste 
und  wertvollste  Teil  der  Abhandlung,  welcher  sich  wieder  in  drei  Unter- 
teile gliedert:  a)  de  ornatu  (.S.  50  — 73),  b)  de  sententiarum  compositione 
(S.  73 — 103),  c)  de  singulis  verbis,  phrasibus,  sententiis  (S.  104 — 118). 
Mit  aufserordentlichem  Fleifse  geht  der  Verfasser  alle  ungewöhnlichen 
und  gewöhnlichen  sprachlichen  Erscheinungen  der  einzelnen  Reden  durch 
und  schafft  damit,  dafs  er  das  gewonnene  reiche  Material  übersichtlich, 
wo  möglich,  tabellarisch  zusammenstellt,  eine  wertvolle  Fundgrube  für 
die  Kenntnis  des  Sprachgebrauchs  dieser  Reden,  aber  was  er  eigentlich 
beweisen  will,  wird  nicht  bewiesen.  »Giebt  es  doch  zwischen  den  beiden 
Redeklassen  auch  Ähnlichkeiten  und  zwischen  den  einzelnen  Reden  der- 
selben Klasse  auch  Unterschiede  genug;  und  wie  manches  von  dem,  was 
als  Eigentümlichkeit  der  einen  Gruppe  im  Gegensatze  zur  andern  be- 
zeichnet wird,  ist  ganz  unwesentlich,  rein  zufällig  oder  der  Art,  dafs  es 
hinlänglich  aus  der  besonderen  Beschaffenheit  der  betreffenden  Rechts- 
sache, aus  der  Eigentümlichkeit  des  jeweiligen  Sprechers,  für  den  die 
Rede  geschrieben  ward,  selbst  aus  dem  Umstände  erklärt  werden  kann, 
dafs  der  Logograph  bei  seiner  Arbeit  ein  Glas  Wasser  weniger  oder 
ein  Glas  Wein  mehr  getrunken  hat!«  W.  Fox  in  einer  Rezension  dieser 
Schrift  Piniol.  Rundschau  1885  Sp.  641  -644.  Eine  andere,  ausführ- 
lichere Besprechung  von  II.  Windel  steht  Wochenschrift  für  klassische 
Philologie  1884  Sp.  1223-1229.  Der  inzwischen  (Leipzig  1886)  er- 

schienene zweite  Teil  dieser  Quaestiones  richtet  sich  gegen  A.  Schäfer 
und  sucht  darzuthun,  dafs  die  34.  und  die  56.  Rede  einen  und  den- 
selben Verfasser  haben,  der  jedoch  von  dem  Verfasser  der  33.  Rede 
verschieden  sei. 

4b)  Conrad  Rueger,  Prolegomena  in  Demosthenis  quae  fertur 
orationcm  adversus  Olympiodorum.  Diss.  inaug.  philol.  Leipzig  1885. 
88  S.     8. 

Zur  Zeit ,  als  der  Verfasser  diese  Prolegomena  zu  schreiben  be- 
schlofs,  war  die  Rede  wider  Olympiodoros  noch  nicht  Gegenstand  einer 
besonderen  Abhandlung  gewesen.  Inzwischen  hat  Uhle  im  ersten  Teile 
seiner  Quaestiones  de  orationum  Dcmostheni  falso  addictarum  seriptori- 
bus  auch  diese  Rede  einer  eingehenderen  Prüfung  unterzogen,  jedoch,  wie 
es  der  Zweck  seiner  Abhandlung  gebot,  mehr  die  sprachliche  Seite  be- 
rücksichtigt. Es  war  deshalb  für  Rueger  kein  Grund  vorhanden,  nach 
•lein  Erscheinen  obiger  Untersuchungen  seine  eigene  Dissertation  zurüek- 

lö* 


228  Üemosthenes 

zuhalten.  Dieselbe  geht  im  ersten  Kapitel  näher  auf  den  Inhalt  und 
auf  den  Rechtsfall  dei  Rede  ein,  während  im  /weiten  die  Fra</e  nach 
dem  Verfasser  mit  grofser  Grundlichkeil  erörtert  wird.     Den  Sang  der 

Untersuchung  im  einzelnen  anzugehen,  erscheint  uns  hier  nicht  nötig, 
da  niemand,  der  sicli  eingehender  mit  der  Rede  wider  Olympiodoros  be- 
fassen will,  die  sorgfältige  und  in  gewandtem  Latein  geschriebene  Ab- 
handlung unbenutzt  lassen  darf.    Die  Echtheitsfrage,  wenn  dieselbe  nach 

den  Forschungen  von  A.  Schäfer  und  F.  BlaTs  überhaupt  noch  zweifel- 
haft sein  konnte,  dürfte  nunmehr  endgiltig  gelöst  sein.  Im  einzelnen 
sei  folgendes  bemerkt:  S.  4  wird  der  Titel  der  Rede  ungenau  angege- 
ben, richtig  S.  34.  Aus  §  r>5  läfst  sich  nicht  erweisen,  dafs  die  in  der 
Rede,  bez.  Hypothesis  erwähnten  Brüder  Kallistralos  und  Kallippos 
nicht  mit  den  von  A.  Schäfer  inschriftlich  nachgewiesenen  Athenern 
gleichen  Namens  identisch  seien.  An  dieser  Stelle  heilst  es  nur,  die 
Frau  und  die  Tochter  des  Sprechers  ikallistratos)  seien  weniger  gut 
daran,  als  die  mit  reichem  Goldschmuck  und  schönen  Gewändern  ge- 
schmückte Hetäre  Olympiodors.  Wenn  der  Verfasser  S.  42  sagt:  Bcrip- 
tor  prooemii  nostri  causam  quae  agitur  non  breviter  indicat,  id  quod 
Demosthenes  fere  semper  facit,  so  scheint  mir  das  nicht  ganz  richtig  zu 
sein.  Das  Thema  ist  deutlich  §  4  angegeben:  dvayxatöv  ia-t  npbg  (tpas 
teystv  7ie[>\  ojv  do cxoufxac  bitb  OXop-coocöpou.  Auch  der  Tadel 
S.  47,  dafs  der  Epilog  keine  Rekapitulation  enthalte,  ist  meines  Erach- 
tens  unbegründet.  Dieselbe  ist  in  dem  §  5G  enthalten  (vgl.  püvov  doixog 
mit  dem  Thema  der  Rede),  und  nichts  hindert,  den  Epilog  schon  mit 
diesem  Paragraphen  zu  beginnen;  man  vergleiche  die  Rede  für  Phor- 
rnion  §  57.  Dann  fällt  auch  der  weitere  Tadel,  welchen  Rueger  S.  86 
nach  Blafs  gegen  den  besonders  schlechten  Übergang  zum  Epilog  er- 
hebt. Überhaupt  ist  der  Verfasser  in  seinem  Eifer,  Fehler  und  Nach- 
lässigkeiten in  der  Rede  aufzufinden,  hier  und  da  zu  weit  gegaugeu. 
Dagegen  ist  die  Schwurformel  §  2  fiä  rbv  Ata  rbv  päycarov  S.  47  nicht 
genügend  hervorgehoben;  vgl.  R.  Kühnlein,  De  vi  et  usu  precandi  et 
iurandi  formularum  apud  decem  oratores  Atticos  S.  33  und  74.  Das 
Verbum  auvEmpeXaTaBat  (S.  48)  findet  sich  auch  Pseudodem.  49,  40.  S.  51 
hält  es  Rueger  für  wahrscheinlich,  dafs  43,  20  der  Optativ  ivo^XocujV 
ausgefallen  sei.  Ich  möchte  vielmehr  in  unserer  Rede  §  7  £vo%Xoa]v  für 
ein  Glossem  zu  npayfiara  nape^otpu  halten.  S.  65 ff  giebt  der  Verfasser 
eine  sehr  sorgfältig  angelegte  Beispielsammluug  zu  der  sogenannten  figura 
etymologica.  Hier  ist  nachzutragen  Ijj-oopyiaq  Xjjroupyziv  20,  21,  nofy- 
aiv  noisto&ai  (nicht  noczlv)  39,  20,  Tzpdypa  oiaxpaT~z<j$ai  22,  42,  utm- 
ayiaecg  umayvsiaBat  [7,]  33,  if>rj<piopa  ipytyt&o&at  20,  84  und  [13]  33. 
Von  Druckfehlern  erwähnen  wir  nur  S.  43  Z.  1  inartificialis  statt  artifi- 
cialis  und  S.  65  ixnXoüv  statt  ixitXouv. 


Demosthenes.  2*29 

49)  Georg  Hüttner,  Demosthenis  pro  Phormione  oratio  adno- 
tatione  critica  instructa  et  comraentario  explanata.  Diss.  inaug.  Er- 
langen 1885.  104  S.  8.  (Auch  in  den  Acta  semiuarii  philol.  Erlan- 
gensis  IV  S.  59  —  160.) 

Es  ist  in  hohem  Grade  auffallend,  dafs  »die  gefeiertste  aller  Pri- 
vatreden des  Demosthenes«,  wofür  die  Einrede  für  Phormion  gilt,  bis- 
läng weder  kritisch  noch  exegetisch  in  einer  Spezialarbeit  behandelt 
worden  war;  und  doch  konnte  dies  schwerlich  für  überflüssig  oder  zweck- 
los gehalten  werden.  Zwar  hat  J.  E.  Sandys  im  zweiten  Teil  seiner 
Select  private  orations  of  Demosthenes  (Cambridge  1875.  Zweite  Auf- 
lage 1886)  auch  diese  Rede  mit  einem  sehr  sorgfältigen  Kommentar 
versehen;  vergl.  F.  Blafs  in  diesem  Jahresberichte  XXI  (1880.    I) 

S.  199  —  aber  diese  Ausgabe  ist  in  Deutschland  sehr  wenig  gekannt 
und  wurde  leider  auch  von  dem  Verfasser  obiger  Dissertation  nicht  be- 
nützt. Letztere  zerfällt,  wie  schon  der  Titel  besagt,  in  einen  kritischen 
und  iu  einen  erklärenden  Teil.  Vorausgeschickt  ist  ein  längerer  Ab- 
schnitt über  die  Beziehungen  Phormions  zu  Apollodoros,  über  die  Dis- 
position, die  Vorzüge  und  Zeit  der  Rede.  Ein  Anhang  enthält  das  Wis- 
senswerteste über  die  athenischen  Bankiers  und  deren  sociale  Stellung. 
—  Aus  der  Adnotatio  critica  heben  wir  hervor:  §  7  seien  die  Worte 
napy  olg  al  dia&r/xou  xelvzai  interpoliert,  §  13  xal  u>g  ~o  damdor.^yslov 
sc2sto  mit  H.  Schäfer  zu  streichen ,  §  30  xal  kzipiov  tiXsiiu  xz^craa&at 
verdächtig  und  wohl  zu  streichen  ,  desgleichen  §  43  xal  Jjv  ipcurrjascv 
eprjaHa,  nüftev  rä  ovra  xekTyrat  <ßopp.ca>v,  §  48  w?  iysvszo  fJaac'iov 
'Ap^sazpdrou  und  §  61  xal  xaxoh>yfr  §  47  ist  oia  zu  streichen,  z^g 
toütojv  <piXav$pa>mag  hängt  von  dnoXaijaag  ab;  es  wäre  dies  die  einzige 
Stelle  bei  Demosthenes,  wo  dnoXaüetv  absolut  gesetzt  wäre;  vgl.  Rueger 
S.  57.  §  8  wird  mit  Reiske  der  Lesart  zouzoig  igsXövzag  rag  dvrefiotr 
ptag  der  Vorzug  gegeben,  §  34  cog  d.  /xsv,  §  36  rä  f/fifoea  vorgeschlagen ; 
zu  den  bereits  angeführten  Stellen  füge  ich  hinzu  Pseudodem.  48,  8; 
Isae.  6,  38  und  11,  50,  wo  die  Handschriften  und  die  Herausgeber  jy/x/- 
nsa  bieten.  §  55  ist  wohl  hinter  rpönov  mit  Reiske  Xtye  einzusetzen. 
§  56  wird  "l&i  drj  xal  rag  zrjg  Tiovrjptag  vermutet,  §  60  Xoyoog  statt  Xöyov 
mit  Reiske  verlangt.  §  45  hatte  der  Verfasser  unabhängig  von  Cobet 
nepcdyet  statt  des  handschriftlichen  mptäyetg  vermutet  nach  Xen.  Mem. 
l,  7,  2.  An  einer  andern  Stelle,  Cyrop.  2,  2,  28  liest  Breitenbach  nach 
den  Handschriften  ■mfxdyetg^  Diudorf  Ttspcdyse  ex  Zeunii  coniectura.  End- 
lich steht  Paulus  1.  Korinth.  9,  5  dnskiprjv  yovalxa  zsptüyztv.  AuI'mt- 
dem  glaubt  der  Verlässer  Dem.  37,  35  das  Verbum  npoarjxst  (zu  §  25) 
und  45,  33  die  Worte  xal  oimxo'ivza  (zu  §  7)  als  Interpolationen  strei- 
chen zu  müssen.  Eine  kurze  Besprechung  der  Dissertation  von  W. 
Nitschc  steht  Berliner  philol.  Wochenschrift  1886  8p.  679 f, 


230  Demo  thene 

50)   Karl  Zink,    Adnotationes  ad  Demosthenie  oratiooem  in  Co- 

iiouem.     Diss.  inaag.    Erlangen  1883.    30  S.    8.     (Auch  in  den  Acta 
scminarii  philol.  Erlangensis  III  S.  76      102.) 

Die  mit  grofser  Sorgfalt  ausgearbeitete  Dissertation  enthalt  mehr, 
als  ihr  Titel  erwarten  läfst.  Die  Adnotationes  machen  Dämlicb  nur  die 
zweite  Hälfte  der  Schrift  aus;  in  der  ersten  kommen  einige  schwierige 
Fragen  des  attischen  Strafprozesses  zur  Erörterung:  Über  den  Begriff 
der  ßoüteoocQ  und  die  Zuständigkeit  der  ypwffy  ßoujLeöaewe,  über  Dem. 
w.  Konon  §  28  et  yap  äxihavov,  nap'  ixeivotg  (z<ng  i~  'Apetou  ndrou) 
äv  rjv  rj  olxrj  und  §  25  el  na&ecp  tl  fiot  auvdßjj,  <p6voo  xo).  vZv  dsr/ozd- 
tujv  &v  rjv  unooexog,  endlich  über  die  ypatffy  Zßpetog.  Mit  Recht  ver- 
wirft Zink  die  Ansicht  Forchhammers  und  Philippis,  dafs  die  ypa<ptj 
ßooXeöaeujg  überhaupt  nicht  beim  Areopag  angestellt  wurde,  wenn  auch 
die  Unterscheidung  der  ßouXzuatg,  die  er  selbst  aufstellt,  und  deren  Be- 
gründung nicht  unanfechtbar  ist;  vgl.  hierüber  W.  Fox  Philol.  Rund- 
schau 1885  Sp.  259  ff.  Neuerdings  wurde  dieselbe  Frage  behandelt  von 
J.  A.  Heikel,  Über  die  sogenannte  ßouXeumg  in  Mordprozessen,  Hel- 
singfors  1886  und  von  W.  Passow,  De  crimine  ßouAeüaewg,  Diss.  von 
Göttingeil  1886.  —  Dem.  54,  25  ist  igißate  wohl  richtiger  mit  Zink  von 
der  Verbannung  zu  verstehen  als  von  der  Ausstofsung  aus  dem  Areo- 
pag; letztere  Ansicht  wird  neuerdings  vertreten  von  Lipsius,  Att.  Pro- 
zefs  S.  247  und  377  und  von  Sandys  in  der  unter  voriger  Xo.  erwähn- 
ten Ausgabe,  welche  dem  Verfasser  ebenfalls,  wie  aus  den  Adnotationes 
ersichtlich  ist,  unbekannt  geblieben  war.  Richtig  ist  jedenfalls ,  was  er 
im  dritten  Abschnitt  über  den  in  der  Midiana  §  48  überlieferten  vupog 
zrjg  ußpewg  sagt:  Haec  lex  etiamsi  non  iutegra  est,  tarnen  partes  eius 
quae  restant  genuinas  esse  censeo,  ebenso  dafs  §  25  derselben  Rede  die 
Negation  xae  der  Verbindung  von  o-qpooiq  xpiveiv  auzbv  und  ziprtjm 
endyeiv  nicht  im  Wege  steht.  —  Die  Adnotationes,  bis  auf  zwei  (zu  §  1, 
wo  die  Konstruktion  von  eyxakeTv  mit  Genitiv  durch  Dem.  36,  9  geschützt 
wird,  und  §  14  xazaaxeudaet)  exegetischer  Natur,  haben  offenbar  den 
Zweck  ,  den  Kommentar  Westermanns  zu  ergänzen.  §  5  konnte  mit  u>g 
rjfiäg  ecffeirrjSrjaav  auch  Dem.  21,  22  elan^o^aag  Ttpög  pe  vuxzojp  Msco/ag 
und  21,  78  elazrLTjdrjaav  äSeX<fbg  o  zoözou  xal  ouzog  elg  zrjv  olxi'av  an- 
geführt werden;  zu  §  14  epzlv  tug  eialv  .  .  .  xa\  8y  xal  rbv  oluv  zbv 
kaozoü  eevat  zobzeuv  Iva  ist  jetzt  Kariowa,  Bemerkungen  zum  Sprach- 
gebrauch des  Demosthenes  S.  1  zu  vergleichen.  Dem.  18,  47  ist  zoze 
8r/,  zoze  xal  piael  eine  Epanadiplosis  oder  Epizeuxis,  durfte  also  nicht 
mit  der  Anapher  des  §  28  unserer  Rede  verglichen  werden;  vgl.  hier- 
über Straub,  De  tropis  et  figuris  S.  114  f.  Bei  den  Citaten  aus  De- 
mosthenes wird  nur  selten  auf  die  Echtheit,  bez.  Unechtheit  der  Reden 
Rücksicht  genommen:  Die  47.  und  die  58.  Rede  werden  zwar  zu  §  1 
und  §  35  durch  ein  Fragezeichen,  bez.  Klammern  als  unecht  bezeichnet' 


Demostlieues.  231 

nicht  aber  zu  §  36  und  §  1.  Bei  einem  Citat  der  44.  Rede  steht  §  2 
ein  Fragezeichen,  dagegen  wird  §  13  eine  Stelle  der  10.  Rede,  §  3  eine 
der  32.  Rede,  §  1.  7.  11  Stellen  der  48.  Rede  und  §  2.  7  Stellen  der 
53.  Rede  angeführt,  ohne  dafs  die  Unechtheit  derselben  irgend  bezeich- 
net wird. 

51)    Paul  Uhle,    De  prooemiorum  collectionis  quae  Demosthenis 
nomine  fertur  origine.     Programm.     Chemnitz  1885.     29  S.     4. 

Wenn  es  im  allgemeinen  ein  gewagtes  Unternehmen  ist,  lediglich 
auf  Grund  sprachlicher  Beobachtungen  über  die  Echtheit  einer  Schrift 
entscheiden  zu  wollen,  so  mag  dies  doch  in  dem  Falle  hinlänglich  ge- 
rechtfertigt erscheinen ,  wenn  eine  derartige  Untersuchung  nur  das  Ur- 
teil eines  anderen  näher  begründen  und  bestätigen  soll.  Uhle  teilt  näm- 
lich hinsichtlich  der  demosthenischen  Proömiensammlung  durchaus  die 
Ansicht  von  Blafs.  Einleitungsweise  giebt  er  eine  gedrängte  Übersicht 
der  verschiedenen  Meinungen  neuerer  Gelehrten  über  die  vorliegende 
Frage.  Hier  konnten  noch  erwähnt  werden  L.  Ranke  in  Ersch  und 
Grubers  Encyclopädie  Bd.  XIV  s.  v.  Demosthenes,  Böckh  Staatsh.  d. 
Athener  I  3 14 f.,  Heitz  in  0.  Müllers  Gesch.  der  griech.  Litteratur  II  2 
S.  371,  Boehnecke  Forschungen  S.  259  f.,  Westermann  Gesch.  der 
Bereds.  I  109  und  306,  E.  Müller  Ausgewählte  Reden  des  Demosthe- 
nes 1875  S.  431.  —  Von  den  drei  Kapiteln,  in  welche  die  Abhandlung 
zerfällt,  handelt  das  erste  De  prooemiis.  quae  conveniuut  cum  prooemiis 
orationum  Demosthenicarum,  de  singulis  locis,  sententiis,  locutiouibus, 
verbis  verborumque  structuris.  Hier  mufsteu  die  fünf  Proömien,  welche 
fast  wörtlich  mit  Exordien  demostheuischer  Reden  übereinstimmen,  voll- 
ständiger abgedruckt  werden,  wenn  anders  sämtliche  Abweichungen  an- 
gegeben werden  sollten.  Auch  das  sich  daran  anschliefsende  Verzeich- 
nis der  Stellen  und  Gedanken,  deren  Wortlaut  in  den  Proömien  und  in 
den  echten  Reden  des  Demosthenes  ganz  oder  teilweise  übereinstimmt, 
wäre  noch  einer  bedeutenden  Ergänzung  fähig;  vgl.  die  Rezension  von 
W.  Nitsche  Berliner  philol.  Wochenschrift  1885  Sp.  1419  f.  und  das 
Programm  von  S.  Reich euberger,  Demosthenis  de  collectione  prooe- 
miorum, Landshut  1886  S.  23-33.  Es  folgt  S.  6  —  22  ein  mit  grofsem 
Fleifs  angelegtes  Wörterverzeichnis.  Aber  wenn  der  Verfasser  damit 
den  Beweis  geliefert  zu  haben  glaubt  nullam  rcpcriri  in  prooemiis  loeutio- 
nem,  quae  non  sit  usurpata  etiam  a  Demosthene,  nullam  vocem,  quam  non 
possis  etiam  invenire  in  veris  ac  probatis  summi  Graecorum  oratoria  oratio- 
nibus,  nullam  structuram,  quae  sit  aliena  Demosthenis  sermoni  -  ,  so  be- 
findet er  sich  in  einem  grofseu  Irrtum.  Denn  wir  Bachen  in  dem  Wör- 
terverzeichnis gerade  solche  Ausdrücke  und  Wörter  vergebens,  die  sich 
nicht  durch  Parallclstellcn  aus  Demosthenes  belegen  lasscu  oder  die 
sonst  zu  Bedenken  Anlafs  geben,  wie  dve%ecv  und  dtaXehtew  pr.  41  (nach 
Dindorfs  Oxforder  Ausgabe  1846),  dpuAaxroc  pr.  43,  ßeßafout  rät  >, 


232  Demosthe 

pr.  39,  womit  Epist,  III  2.°»  zä;  avfi<poph<,  ßeßa/oue  zu  vergleichen,  da- 
gegon  l,  7  ßeßaUav  zrjv  ty&pav  und  10,  LO  elprjvrjv  .  .  .  ßeßaiav\  ixrte- 
nhyyfievae  pr.  39,  xXivetv  pr.  41,  xoivtoveiv  pr.  25,  Aayft^v  douvat  pr.  '_'. 
napaZevyvij/j.Evot  aiftcs>.\>  pr.  55,  napouata  pr.  33  and  89,  npooonivecv  pr.  25, 
ovvsyr^  pr.  55,  rf'>/j.7:oÄ!ZEÜcöiia!  pr.  21,  jj  //srä  ror>  %p6voo  ßdaavoQ  pr.  49, 
womit  Lutz  (die  Präpositionen  bei  den  attischen  Rednern,  Programm 
von  Neustadt  a.  d.  II.  1887  S.  84)  Ant.  V  71  //crü  ro5  %p6vou  ßcuravf- 
Zeiv  ra  7:pdy/j.a7a  vergleicht,  ferner  TtepoJvetv  n  twi/  noi  WoD  pr.  34 
(Lutz  S.  61),  cwff  efc  fltxpörarov  au^äyowzz;  pr.  36,  raOr'  iv  ^oovr  ""«"- 
t£*i*  owft'  fi/üv  pr.  28.  Auch  r>£yza>i'i.>  -ni>  navrög  pr.  33,  //erä  xöfT/x'j'j 
xa\  fftpjs  axohaat  pr.  4,  Xiyziv  jieza  ßpa%ew\>  Xoytov  pr.  5  und  //srü 
zrjg  (vjz^q  yvwj).rtQ  axo'jetv  z>.  pr.  25  (Lutz  S.  86)  sind  ohne  Beleg- 
stellen. Kürzer  und  von  geringerer  Bedeutung  sind  die  Untersuchun- 
gen des  zweiten  Kapitels:  de  ornatu  prooemiorum  und  des  dritten:  de 
compositione.  Der  Hiatus  ist  meistens  vermieden,  auch  das  rhythmische 
Gesetz  beobachtet.  Einige  Stellen  sucht  Uhle  durch  Umstellung  der 
Wörter  zu  heilen.  Gleicherweise  zeigt  der  Gebrauch  des  substantivier- 
ten Infinitivs  und  des  absoluten  Particips  keine  Besonderheiten.  Die 
äufseren  Gründe,  welche  S.  27  für  die  Echtheit  angeführt  werden,  mit 
denen  Uhle  den  Zweiflern  jeden  Skrupel  zu  benehmen  hofft,  waren  be- 
reits von  A.  G.  Becker,  Blafs  u.  a.  vorgebracht  worden.  Viel  gründ- 
licher hat  R.  Swoboda,  De  Demosthenis  quae  fertur  prooemiis,  Wien 
1887,  diese  Frage  untersucht. 

52)    Albert  Neup er t,    De  Demosthenicarum   quae  feruntur  epi- 
stularum  fide  et  auetoritate.    Diss.  inaug.  philol.    Leipzig  1885.  78  S.  8. 

Die  Frage,  ob  die  uns  erhaltenen  demosthenischen  Briefe  echt 
sind  oder  nicht,  gehört  zu  denen,  auf  welche  sich  nicht  leicht  eine  be- 
stimmte Antwort  geben  läfst;  daher  denn  auch  die  Ansichten  der  Ge- 
lehrten hierüber  bis  in  unsere  Zeit  sehr  geteilt  waren.  Während  A. 
Schäfer  sämtliche  Briefe  für  unecht  erklärte,  hält  F.  Blafs  an  der 
Ansicht  fest,  dafs  die  umfangreichsten  und  bedeutsamsten  Stücke  der 
Sammlung,  der  zweite  und  dritte  Brief,  jedenfalls  dem  Demosthenes  an- 
gehören; der  kürzere  erste  Brief  scheint  ihm  wenigstens  kein  vollende- 
tes Werk  desselben  zu  sein.  Den  vierten  und  fünften  Brief  hält  er  für 
unecht;  über  den  sechsten  lasse  sich  bei  der  aufserordentlichen  Kürze 
desselben  nicht  urteilen.  Es  verdient  somit  Anerkennung,  dafs  Neupert 
die  schwierige  Frage  durch  eine  nochmalige  Untersuchung,  besonders  in 
sprachlicher  Hinsicht,  und  durch  Abwägung  der  Gründe  und  Gegen- 
gründe ihrer  Lösung  näher  zu  bringen  gesucht  hat.  Dafs  dieselbe  nuu- 
mehr  wirklich  gelöst  ist,  will  dem  Referenten  mehr  als  zweifelhaft  er- 
scheinen. Das  Ergebnis  der  Abhandlung  stimmt  in  der  Hauptsache  mit 
A.  Schäfers  Urteil  überein:  Spero  fore  ut  epistulas  a  Demo^fhene  abiu- 
dicandas  esse  peritioribus  persuadeam  (S.  77);  weniger  entschieden  S.  47: 


Demosthenes.  233 

Reliquum  est,  ut  de  epistularum  sermone  disseramus;  quo  facto  non 
minus  quam  ex  iis,  quae  adhuc  protulimus,  intellegi  posse  existimo  epi- 
stulas  vix  posse  Demostheni  vindicari.  Selbstverständlich  handelt  es 
sich  hauptsächlich  um  den  zweiten  und  dritten  Brief,  nicht  nur  wegen 
des  gröfseren  Umfangs,  sondern  auch,  weil  diese  bei  weitem  die  vorzüg- 
lichsten sind.  Von  untergeordneter  Bedeutung  für  die  Entscheidung 
sind  die  Zeugnisse  aus  dem  Altertum.  Die  Rhetoren  wie  die  Gramma- 
tiker, welche  auf  die  Briefe  Bezug  nehmen,  sprechen  nie  einen  Zweifel 
an  der  Echtheit  derselben  aus.  Dafs  Cicero  übrigens  gerade  unsere 
Briefsammlung  gelesen  hat,  läfst  sich  ebenso  wenig  beweisen  als  das 
Gegenteil.  In  der  Überschrift  der  an  den  Rat  und  das  Volk  von  Athen 
gerichteten  Briefe  vermifst  Neupert  ohne  Grund  den  Zusatz  vaiv  \M)rr 
vaciov.  Unrichtig  ist  auch,  dafs  man  unter  i]  ßouty  bei  den  attischen 
Schriftstellern  mit  Ausnahme  des  Deinarchos  und  Hypereides  immer 
den  Rat  der  Fünfhundert  zu  verstehen  habe.  Ich  verweise  nur  auf  die 
7  Rede  des  Lysias.  Auch  der  Inhalt  des  zweiten  und  dritten  Briefes, 
welcher  S.  16 ff  geprüft  wird,  liefert  keine  sicheren  Indicien  der  Unecht- 
heit.  Der  Verfasser  der  Briefe  bekundet,  wie  auch  Neupert  zugesteht, 
eine  respektable  Kenntnis  der  demosthenischen  Zeit.  Dagegen  werden 
S.  26 ff.  mehrere  Entlehnungen  und  Anklänge  an  andere  Stellen  hervor- 
gehoben, auch  das  Bestreben  getadelt,  das  Mitleid  durch  rhetorische 
Mittel  zu  erwecken:  die  Briefe  seien  Reden  in  Briefform.  Dafs  der 
Briefschreiber  zweimal  (II  10  und  III  25)  aus  der  Rolle  gefallen  sei, 
kann  Referent  nicht  finden.  Ungleich  wichtiger  ist  die  Beobachtung, 
dafs  sowohl  in  einzelnen  Wörtern  als  auch  im  Gebrauch  der  Präposi- 
tionen und  der  Schwurformeln  manches  gegen  den  sonstigen  Sprachge- 
brauch des  Demosthenes  verstöfst.  Doch  bedarf  gerade  dieser  Teil  der 
Abhandlung  mehrfach  der  Ergänzung  und  Berichtigung.  Für  die  Schwur- 
formeln konnte  das  Programm  von  R.  Kühn  lein,  De  vi  et  usu  pre- 
candi  et  iurandi  formularum,  Neustadt  a.  d.  H.  1882,  benützt  werden; 
für  die  Präpositionen  ist  jetzt  L.  Lutz,  Die  Präpositionen  bei  den  atti- 
schen Rednern,  Neustadt  a.  d.  H.  1887,  zu  vergleichen.  Wörter,  welche 
auch  in  den  echten  Reden  des  Demosthenes  vorkommen,  werden  unter 
die  Raritäten  gerechnet,  wie  fiia<fu?.v.T7£iv,  iy-xaraXetnetv,  er>£f>xz7ttJ  jioi, 
ddöpeo&at,  das  sieh  auch  18,  41;  21.95;  36,  36;  37,48  findet,  napeara- 
rae  fioi,  nepmtmeiv,  s'Xu^c'a,  ^ffa,  npo7t^Aax«Tp6{,  nXiov  oöSiv  ianv; 
dagegen  werden  86&)Q  imToyiävu)  V  3,  Xetxtöq  II  20  und  dSuvqpöe  II  15 
nicht  erwähnt;  auch  //.et«  r^c  dpz&ije  r6%ije  I  1(5  scheint  nach  Lutz 
S.  82  ungewöhnlich,  äxoxft'veatla!  mit  dem  Infinitiv  III  16  ist  nach  Kar- 
Iowa  (oben  No.  4)  S.  2  eine  vereinzelte  Verbindung.  Auch  die  Auf- 
zählung der  substantivierten  Infinitive  S.  71  ist  nicht  ganz  vollständig. 
Die  Entstehung  dov  Briefe  verleg!  Neupert  in  eine  Zeit,  in  welcher 
die  Prinzipien  des  demosthenischen  Stils  im  ganzen  noch  im  Bewufst- 
sein    lebten.     Doch   nimmt   er  nicht   für  alle  sechs  Einen  Verfasser  an. 


234  Demostheues.     Aischines. 

wie  H.  Landwehr  in  der  Besprechung  der  Dissertation  Wochenschrift 
für  klass.  Philologie  1880  Sp.  378  aogiebt,  sondern  nur  für  die  drei 
ersten.  Üher  den  vierten  und  sechsten  Brief  äufsert  er  keine  bestimmte 
Ansicht;  den  fünften  aber  schreibt  er  einem  andern  Autor  zu.  Vergl. 
auch  W.  Nitsche  Berliner  philo!.  Wochenschrift  1887  Sp.  230  —  234, 
der  eine  gröfsere  Anzahl  Entlehnungen  oder  Anklänge  an  echte  Reden 
des  Demostheues  nachträgt,  von  denen  freilich  manche  recht  geringe 
Ähnlichkeit  haben. 

A  i  s  c  h  i  n  e  s. 

53)  G.  F.  Unger,    Zu  Aischines.     Philologus  XLI  (1882)  S.  159 
bis   161. 

Unger  weist  hier  auf  den  Widerspruch  hin ,  in  welchem  die  aus 
den  Historikern  geflossenen  Berichte  über  die  Vorgänge  in  Makedonien 
nach  dem  Tode  Alexanders  II.  im  Jahre  368  mit  der  Darstellung  des 
Aischines  de  fals.  legat.  26  ff.  stehen,  und  nimmt  deshalb  im  Texte  des 
Redners  hinter  den  Worten  'Ate£;ävdpou  toü  TTpsaßord-oo  zöjv  äos/yaiv 
eine  Lücke  an,  welche  er  dem  Sinne  nach  durch  ne/A  ~obg  UXXuptobg 
dcr/oXorj/idvou   ergänzt. 

54)  Joh.  Adam,    De  codieibus  Aeschineis.     Diss.  iuaug.     Berlin 

1882.     46  S.     8. 

55)  Wilhelm  Hardt,    De  Aeschinis  emendatione.     Diss.  inaug. 
Halle  1882.     66  S.     8. 

Beide  Dissertationen  bringen  schätzenswerte  Beiträge  zur  Lösung 
der  schwierigen  Frage  nach  dem  Verhältnis  der  zahlreichen  Aischines- 
Handschriften  zu  einander  und  dem  Wert  der  einzelnen  Klassen  und 
Handschriften.  Den  Weg  zur  richtigen  Klassifizierung  hat  Weidner 
gezeigt,  der  zunächst  für  die  dritte  Rede  des  Aischines  drei  Klassen 
unterschied:  eklh  =  A,  agmn  =  B  und  eine  aus  A  und  B  kontaminierte 
Klasse  =  M.  Während  demnach  für  die  Textgestaltung  nur  zwei  Klas- 
sen in  Betracht  kämen,  wies  Büttner,  Quaestiones  Aeschineae,  de  co- 
dicum  Aeschinis  generibus  et  auetoritate,  1878  (vergl.  Blafs  in  diesem 
Jahresbericht  XXI  (1880.  I)  S.  205  f.)  nach,  dafs  die  von  Weidner  ver- 
worfenen Handschriften  d  f  Barb.  nicht  aus  A  und  B  kontaminiert,  son- 
dern aus  einer  selbständigen  Quelle  geflossen  und  für  die  Rezension 
des  Aischinestextes  nicht  ganz  wertlos  seien.  Büttner  unterschied  des- 
halb drei  selbständige  Klassen  A  B  M.  Beide  Aufstellungen  verwirft 
Adam,  dessen  Untersuchung  übrigens  nicht  nur  auf  die  Rede  gegen 
Ktesiphon  beschränkt  ist,  sondern  hier  auch  die  Stellen  aufser  acht 
läfst,  an  denen  die  Handschriften  abweichende  Wortstellungen  bieten. 
Adam  hat  durch  Zählung  gefunden,  dafs  die  Handschrifteuklasse  A  an 


Aisehines  235 

etwa  500  Stellen,  M  an  66  Stellen  und  B  an  9  bis  10  Stellen  eine  eigene, 
von  allen  andern  Handschriften  abweichende  Lesart  biete,  und  zieht  dar- 
aus den  Schlufs,  dafs  A  nicht  blofs  eineu  selbständigen,  sondern  auch 
von  allen  übrigen  Handschriften  durchaus  verschiedenen  Ursprung  habe. 
Nach  ihm  zerfallen  also  die  sämtlichen  Handschriften  in  zwei  Klassen: 
A  =  e(h)kl  uud  C  =  ceteri  Codices.  Es  fragt  sich  nun  vor  allem: 
Was  hat  man  von  den -Stellen  zu  halten,  an  denen  A  von  C  abweicht? 
Denn  durch  reinen  Zufall,  meint  Adam,  könne  eine  so  beträchtliche  Zahl 
abweichender  Lesarten  nicht  entstanden  sein.  Die  Untersuchung  dieser 
Frage  bildet  den  Inhalt  der  Abhandlung  Adams.  Aus  den  der  ersten 
Klasse  eigentümlichen  Fehlern  geht  hervor,  dafs  der  Schreiber  des  Arche- 
typus —  auf  diesen  gehen  nämlich  die  gemeinsamen  Fehler  zurück  — 
den  Text  nicht  verstanden  oder  einfach  Wort  für  Wort  gedankenlos  ab- 
geschrieben habe.  Die  so  entstandenen  Fehler,  wie  das  Überspringen 
einzelner  Wörter,  die  Verwechslung  der  Endsilben  saßac  und  sr«.',  seien 
dem  Aischines  ungleich  weniger  verderblich  gewesen  als  die  Fehler  der 
Klasse  C,  deren  Text  von  einem  Grammatiker  willkürlich  geändert  und 
verderbt  worden  sei.  Diese  Änderungen  erstrecken  sich  auf  die  Ver- 
tauschung der  Personen  des  Verbums ,  von  r^ziQ  und  ufxsTg .  besonders 
auf  die  Vertauschung  der  Partikelu,  Einsetzung  von  Pronomina,  Ad- 
verbia,  Präpositionen,  xcu,  Wörtern,  welche  aus  dem  Vorausgehenden  in 
Gedanken  zu  ergänzen  sind  Auch  der  umgekehrte  Fall  kommt  vor, 
wiewohl  seltener,  dafs  A  ein  oder  mehr  Wörter  bietet,  die  in  C  nicht 
stehen.  Ein  grofser  Unterschied  in  den  beiden  von  Adam  aufgestellten 
Klassen  zeigt  sich  auch  im  Gebrauch  des  Artikels.  An  vielen  Stellen 
hat  ferner  C  ein  anderes  Wort  als  A,  eine  andere  Präposition,  das  Ver- 
bum  simplex  für  das  compositum  und  umgekehrt,  einen  anderen  Nume- 
rus, ein  anderes  Tempus  oder  Genus  verbi,  was  au  zahlreichen  Beispie- 
len nachgewiesen  wird.  Eine  Besprechung  mehrerer  Stellen,  die  der 
Schreiber  des  Archetypus  C  durch  Aufnahme  einer  Erklärung  oder  in 
anderer  Weise  verderbt  habe,  bildet  den  Schlufs  der  sorgfältigen  Ab- 
handlung. Mag  man  auch  im  einzelnen  dem  Verfasser  öfter  nicht 
beipflichten,  da  die  Entscheidung  für  die  eine  oder  die  andere  Lesart 
vielfach  recht  schwierig  ist,  so  wird  man  sich  doch  unbedenklich  seinem 
Endurteil  anschliefsen,  dafs  die  Klasse  A  (in  der  dritten  Rede)  im  all- 
gemeinen gröfseres  Vertrauen  verdient  als  die  Klasse  C;  da  sie  aber 
an  mehreren  Stellen  lückenhaft  und  auch  sonst  nicht  frei  von  Fehlern 
sei,  die  von  der  Nachlässigkeit  des  Schreibers  herrühren,  so  müsse  mau 
auch  die  Klasse  C  zu  Rate  zu  ziehen,  jedoch  mit  Vorsicht,  damit  mau 
nicht   die   Emendationen  des  Grammatikers  für  echte  Lesarten  halte. 

Hardt,  dem  bereits  Adams  Dissertation  vorlag,  geht  im  ersten 
Teil  seiner  Untersuchung  näher  auf  den  Wert  der  ein/einen  Hand- 
schriften ein.  Indem  er  die  Einteilung  sämtlicher  Handschriften  in  die 
zwei  Klassen  A  und  C  acceptiert,  sucht  er  zu  erweisen,  dafs  cod.  u.  der 


236  üschine 

Klasse  A  allein  aus  dem  Archetypus  abgeschrieben  Bei,  während  olh  auf 
eine  sehr  schlechte  Abschrift  von  A  zurückgehen.  Von  den  codd.  ein 
verdiene  e,  nach  Weidner  der  beste,  da,  wo  er  eigene  Lesarten  biete, 
gar  kein  Vertrauen.  Die  Prüfung  der  Stellen,  an  denen  die  Familien 
B  und  M  der  Klasse  C  abweichende  Lesarten  haben,  ergiebt,  dafs  M 
zwar  mehr  Fehler  habe  als  B,  jedoch  weniger  willkürliche  Änderungen. 
Für  die  zweite  Rede  statuiert  Ilardt  dasselbe  Verhältnis  der  Hand- 
schriften, dieselben  zwei  Klassen  A  =  ekl  und  C,  welche  M  und  I>  nm- 
fafst,  letztere  weit  mehr  interpoliert.  Über  die  erste  Rede  äufsert  er 
sich  sehr  kurz  S.  39.  —  Im  zweiten  Teil  erörtert  er  die  Frage,  wie  die 
Kritik  da  zu  verfahren  habe,  wo  die  Lesarten  von  A  und  C  hinlänglich 
feststehen,  und  bespricht  zum  Schlufs  die  Stellen,  die  Weidncr  für  inter- 
poliert hielt  und  die  ihn  zu  Streichungen  veranlafsten. 

56)  Theodor  Freyer,  Quaestiones  de  scholiorum  Acschineorum 
fontibus  cum  epimetro  de  Aelii  Dionysii  et  Pausaniac  atticistarum 
formulis  ol  tto.Xo.iol,  TMpa  toTq  nakacoTg,  xaza  rou*  naXaiooQ.  Diss. 
inaug.     Leipzig  1882.     In  den  Leipziger  Studien  V  S.  237—392. 

Über  den  Ursprung  und  die  Quellen  der  Aischines-Scholien  schie- 
nen nach  der  Abhandlung  von  Ferdinand  Schultz  in  den  Jahrb.  für 
klass.  Philologie  93.  Band  (1866)  S.  289  —  315  die  Akten  geschlossen. 
Fr.  Franke  hatte  sich  über  diese  Abhandlung  in  denselben  Jahrbüchern 
93  S.  595—607  sehr  anerkennend  ausgesprochen.  Freyer  dagegen  sagt: 
Plane  omittenda  in  hoc  genere  sunt,  quae  de  origine  scholiorum  Aeschi- 
neorum  disputavit  F.  Schultz  1.  1.,  qui  de  principali  eorura  fönte,  i.  e. 
de  lexicis  atticistarum  nihil  omnino  cognitum  habuit.  Woher  hat  Freyer 
diese  neue  Erkenntnis  genommen?  Den  Weg  bat  ihm  Ernst  Schwabe 
gezeigt,  welcher  in  seinen  Quaestiones  de  scholiorum  Thucydideorum 
fontibus,  Leipzig  1881,  sichere  Gesetze  aufgestellt  habe,  wie  die  Frag- 
mente der  Attikisten  aus  den  Lexikographen  zu  bereichern  seien,  haupt- 
sächlich aus  Photios,  Suidas,  Eustathios,  Hesychios,  Bekkers  Anekdota 
und  den  Scholiasten.  Nun  werden  freilich  die  Attikisten  nur  einmal  in 
den  Scholien  des  Aischines  (zu  I  89)  als  Quelle  genannt,  und  es  galt 
vor  allem  zu  erweisen,  dafs  man  hier  unter  ol  'AzTcxtazat  nur  die  bei- 
den Attikisten  Ailios  Dionysios  und  Pausanias  zu  verstehen  habe.  Diesen 
Beweis  hat  der  Verfasser,  so  sehr  er  sich  bemüht,  nicht  erbracht.  Re- 
ferent ist  auch  nicht  überzeugt  worden,  dafs  der  Zusatz  <Jjg  <paatv  ol 
'Arrixcarac  sich  auf  das  ganze  Scholion  beziehe.  Da  aber  auf  diese  eine 
Stelle  fast  die  ganze,  übrigens  sehr  fleifsige  Untersuchung  sich  stützt, 
so  sind  die  wirklich  gesicherten  Resultate  ziemlich  unbedeutend,  und  es 
ist  sehr  zu  bedauern,  dafs  der  Verfasser  so  viel  Fleifs  und  Gelehrsam- 
keit an  eine  so  haltlose  Sache  gewendet  bat.  Wenn  auch  die  rhetori- 
schen Lexika  der  Attikisten  eine  Hauptquelle  des  Photios,  Suidas,  Eusta- 
thios und  der  Bekkerschen  Lexika   sind,  so  berechtigt  doch  dies   noch 


Aischines.  237 

nicht  zu  dem  Schlüsse,  dafs  alle  Scholien  des  Aischines,  die  mit  Glossen 
dieser  Lexikographen  mehr  oder  weniger  Übereinstimmung  zeigen,  aus 
Ailios  Dionysios  und  Pausanias  abgeschrieben  oder  exzerpiert  sind.  Vgl. 
auch  L.  Cohn  im  Piniol.  Anzeiger  XV  (1885)  S.  49ff. 

57)  Georg  Guttmann,  De  oratione,  quae  Aeschinis  Ctesipbon- 
teae  cum  eius  commentariis  intercedit,  capita  duo.  Diss.  inaug.  philo!. 
Breslau   1883.     45  S.     8. 

Unter  commentarii  sind  hier  die  verschiedenen  Entwürfe,  bez.  Be- 
arbeitungen der  Ctesiphoutea  zu  verstehen,  deren  der  Verfasser  (mit 
andern  Gelehrten)  drei  annimmt:  Der  erste  Entwurf  sei  bald  nach  der 
Anklage  336  angefertigt,  eine  Bearbeitung  desselben  sei  die  sechs  Jahre 
später  vor  den  Richtern  gehaltene  Rede;  endlich  habe  Aischines  die 
letztere  vor  der  Veröffentlichung  in  seiner  freiwilligen  Verbannung  noch 
einmal  unter  Benützung  der  demosthenischen  Rede  (anders  Weidner, 
Aeschines'  Rede  gegen  Ktesiphon  1878  S.  14)  erweitert  und  überarbeitet. 
Der  Zweck  der  Abhandlung  ist  nun,  die  Spuren  dieser  verschiedenen 
Bearbeitungen  in  der  uns  erhalteneu  Rede  nachzuweisen,  und  zwar  han- 
delt das  erste  Kapitel  über  §  l  -31,  das  zweite  über  §  32  —  48.  Am 
eingehendsten  beschäftigt  sich  der  Verfasser  mit  dem  ersten  Teile,  weil 
nur  in  diesem  Spuren  von  allen  Bearbeitungen  deutlich  zu  erkenneu 
seien;  der  andere  Abschnitt  (§  32 — 48)  scheint  ihm  ganz  dem  ersten 
Entwürfe  anzugehören.  Die  Beweisführung  ist  mehr  blendend  als  rich- 
tig und  zuverlässig.  Sie  geht  von  §  31  aus,  woselbst  der  Redner  eine 
Rekapitulation  des  bisher  Gesagten  geben  will.  Diese  enthält  nach  Gutt- 
mann in  den  Worten  6  pkv  votwd4v^g  .  .  .  dy/xoad-evyv  die  Zusammen- 
fassung von  §  13 — 16  und  §  28-30;  die  folgenden  Worte  irepos  .  .  . 
eü&öväs  beziehen  sich  auf  §  9—12.  Somit  sind  zwei  sehr  wichtige  Ab- 
schnitte, §  17  23  und  §  24 — 27,  ganz  übersehen.  Diese  gehören  also 
einer  späteren  Bearbeitung  an;  und  zwar  sei  der  Abschnitt  §  17  23, 
welcher  ein  sogenanntes  vaticinium  ex  eventu  enthalte,  erst  bei  der 
dritten  Bearbeitung  hinzugekommen,  der  andere  Abschnitt  §  24 — 27 
kurz  vor  der  Verhandlung.  Nun  heifst  es  aber  §  31  weiter  iyw  Sk 
i^eXsy^u}  tö  nrxfjdvo/jLov  (idprupas  äpa  ~oug  vöpoug  xal  :«  d>7)wtapara 
xal  zoug  dvzcdc'xou*  nape%6p.evoQ.  In  den  £§  9  12  und  28  30, 
die  aufs  er  §  31  allein  schon  in  dem  ersten  Entwürfe  gestanden  haben 
sollen,  ist  von  dem  Zeugnisse  der  Dekrete  und  der  Gegner  nicht  die 
Rede,  vielmehr  enthalten  die  bezeichneten  Worte,  wie  auch  der  Ver- 
fasser zugesteht,  eine  deutliche  Beziehung  auf  §  27.  Sie  sind  dun  des- 
halb erst  später  hinzugefügt  worden.  Dieselbe  Ansicht  hat  er  wohl  auch 
von  der  späteren,  ausführlicheren  Rekapitulation  §208  f.,  von  der  er 
durchaus  schweigt.  Dafs  die  Worte  dieser  Stelle  x<r.  ras  iaoitevae  npbs 
xwjrn.  npopdaetc  etnov  auf  §  24  njoog  fikv  quv  rät  xeväe  itpopdffsts  ''-■ 
ohxot  npopaoiouvTcu  zurückweisen,   läfsl  sich  jedenfalls  nicht  in  Abrede 


'238  Aisehini's. 

stellen.  Die  erste  xzvrj  izpö<paatq  aber  ist  §  17—23  widerlegt,  gegen  die 
lindere  (ßrepöv  ro/a  Xöyov  §  18)  wendet  sich  der  Redner  §  L8  L6  (vgl. 
unten  No.  <;o)-  Übrigens  gehören  die  §§  17  —  23  notwendig  zu  dem  Be- 
weise, dal's  Demosthenes  rechenschaftspflichtig  war:  !>  nk  ;>/,-<»/>  y£ypa<pz 
■zov  uneö&uvov  oxeyavöOv  §  31.  Noch  weniger  Bind  die  weiteren  Hy- 
pothesen bewiesen,  dal's  das  vorhandene  Proömium  im  Jahre  330  ver- 
fallt und  an  die  Stelle  eines  älteren  getreten  Bei,  und  dafs  die  §§  13  —  16 
erst  vor  der  Heraasgabe  der  Rede  einverleibt  worden  Beien.  Schwer 
begreiflich  ist  es,  wie  der  Verfasser  einen  Beweis  für  die  Richtigkeit 
seiner  Annahme  darin  finden  kann,  dafs  die  Präsentia  gerade  in  den 
Stellen  vorkommen  (§§  14.  17.  23),  die  er  nach  der  Verhandlung  ver- 
fallt sein  läfst.  Alles  in  allem  kann  Referent  nicht  zugeben,  dafs  die 
Frage  nach  den  verschiedeneu  Redaktionen  der  Ktesiphontea  durch  diese 
Schrift  irgendwie  gefördert  wurde.  Auch  über  die  Darstellung  kann  er 
kein  günstiges  Urteil  fällen;  zum  mindesten  sollten  Fehler  wie  incre- 
passet  und  das  oft  wiederkehrende  int'uisse  vermieden  sein. 

58)  M.  Schanz,    Zu   griechischen   Prosaikern.      Rhein.   Museum 
XXXVIII  (1883)  S.  138-142. 

Darin  werden  S.  140—142  zu  folgenden  Stellen  des  Aischines  Ver- 
besserungen vorgeschlagen:  I  172  wird  die  handschriftliche  Überliefe- 
rung änoxpr^zig  verteidigt;  I  175  sei  xae  vor  Stegcovra  zu  tilgen  (wohl 
nicht  nötig),  desgleichen  I  176  dv-trzzdydat  xae;  npog  tuöto.  bedeute 
ujg  zoütojv  oo~a>g  iydvrcov,  ojg  wo'  e~/6v~u>v.  —  III  14  und  52  ist  Jrr 
poatiiv^g  als  Interpolation  zu  streichen.  An  der  ersteren  Stelle  hatte 
bereits  W.  Fox  (Kranzrede  des  Demostheues  S.  310)  die  Tilgung  des 
Namens  drjpocrttevrjg  verlangt,  an  der  zweiten  hatte  ihn  bereits  Weid- 
ner getilgt. 

59)  G.  Leue,  ElprjVocpüXa-.    Philologus  XLII  (1884)   8.  608— 614. 

Aischines  erhebt  Ctesiph.  §  159  unter  anderem  den  Vorwurf  gegen 
Demostheues,  dafs  er,  nachdem  ihn  die  unverhoffte  Rettung  des  Staates 
nach  Athen  zurückgeführt  (nach  der  Schlacht  bei  Chaironeia),  zum  Frie- 
densrichter gewählt  werdeu  wollte:  zcpr/vu^ü?Mxa  upäg  abzov  zxzXzuz 
yetjjozovsiv.  Was  hier  unter  eipr]Vo<p6Xa<;  eigentlich  zu  versteheu  sei, 
weifs  kein  Erklärer  des  Aischines  mit  Sicherheit  anzugeben. 

Weidner  hat  wegen  der  verschiedenen  Stellung  des  Pronomens 
auTuv  (so  die  Handschriften)  mit  dem  cod.  e  das  Pronomen  gestrichen, 
die  Sache  selbst  aber  als  unbekannt  bezeichnet.  Es  verdient  darum 
jeder  Versuch,  das  Dunkel  aufzuhellen,  Anerkennung.  Recht  klar  wird 
die  Sache  freilich  auch  durch  Leues  Erklärung  nicht:  In  der  pseudo- 
demosthenischen  Rede  nspl  zwv  rtpog  'AXz^avopov  ouv&yxcuv  §  15  ist  von 
zwei  Behörden  die  Rede,  welche  nach  der  Schlacht  bei  Chaironeia  über 
die  einzelnen  Städte,  die  an  der  xotvrj  slpyvy  Teil  hatten,  gesetzt  worden 


Aischines.  239 

waren  ;  die  eine  das  »Synedrion«,  die  andere  »die  auf  geraeinsame  Wacht 
Gestellten«.  Da  auch  diese  Einrichtung  zu  politischen  Zwecken  ausge- 
nutzt worden  sei,  so  hätten  beide  Parteien,  die  makedonische  und  die 
patriotische,  mit  einander  darnach  gerungen,  Leute  aus  ihrer  Mitte  in 
das  Synedrion,  in  das  Kollegium  der  ine  zfj  xoivfj  <puXaxfj  zszaypivoi  zu 
bringen.  »Die  letzteren  waren,  wenn  sie,  wie  wahrscheinlich  ist,  die 
Befugnis  hatten,  die  einlaufenden  Beschwerden  nach  vorläufiger  Beratung 
entweder  anzunehmen  oder  abzulehnen,  dadurch  sehr  einflufsreich.  Die 
xoivrj  <polaxij  nun,  auf  welche  sie  gestellt  waren,  ist  in  diesem  Bunde, 
in  dieser  xoivrj  scprjvrj  selbstverständlich  eine  (poXaxrj  z^g  xoivrtg  eipqvng. 
Und  ein  Mitglied  eben  dieser  im  zfj  xoivfj  <pukaxfj  z^g  xomtg  elpyvTje 
zezaypivot ,  welche  bald  nach  der  Schlacht  bei  Chaironeia  eingesetzt 
wurden,  wollte  Dernosthenes  werden,  wenn  er  sich  zoug  npüzoog  %pu\>oug 
nach  jener  Schlacht  zum  slpr^oipuXaq  wählen  lassen  wollte«. 

60)    Carl  Troost,    Zu  Aischines'  Rede   gegen  Ktesiphon.     Jahr- 
bücher für  klass.  Philologie  129.  Bd.  (1884)  S.  101-107. 

In  der  genannten  Rede  wendet  sich  Aischines  §  13  zur  Abfertigung 
einer  »zweiten  Einrede«  der  Gegner,  obgleich  nach  der  jetzigen  Über- 
lieferung von  einer  ersten  noch  keine  Rede  war.  Diese  auffallende  That- 
sache  erklärt  sich  Blafs  Att.  Bereds.  III  B.  S.  184  so,  dafs  vor  diesem 
Stücke  ursprünglich  die  Beantwortung  einer  ersten  Einrede  gestanden 
habe  und  dafs  mit  der  Entfernung  derselben  die  Übergangsformel  unver- 
ändert geblieben  sei.  Diese  Annahme  wird  überflüssig,  wenn  man  mit 
Troost  §  13-16  hinter  §17-23  (nicht  24!)  stellt;  dann  besteht  nicht 
nur  der  Übergang  des  §  13  völlig  zu  Recht,  sondern  es  erhalten  auch 
die  Worte  §  17  npbg  Sk  8y  .  .  .  npoemsTv  eine  leichtere,  zutreffende  Er- 
klärung. Der  Fehler,  meint  Troost,  ist  durch  eine  Verwirrung  von 
Blättern  entstanden  und  beweist,  dafs  alle  unsere  Aischines- Handschrif- 
ten einer  gemeinsamen  Quelle  entstammen.  Neu  ist  übrigens  diese  Ver- 
mutung, dafs  §  13-16  ursprünglich  hinter  §23  gestanden  habe,  nicht, 
sondern  bereits  von  W.  Fox  (Kranzrede  des  Dernosthenes  S.  308)  aus- 
gesprochen worden.  Die  erste  von  Aischines  bekämpfte  Einrede  ist  dem- 
nach der  ätpuxrog  löyog  §  17  —  23;  dieser  enthält  zugleich  den  Nach- 
weis, dafs  Dernosthenes  rechenschaftspflichtig  war  (pbdefg  iaztv  dw-zö- 
buvog  tujv  xat  unwoaüv  npug  rä  xocvä  izpoozX^Xu&üzwv  §  17).  Auf  diesen 
Xüyog  beziehen  sich  die  Worte  §  13  zw  apzaoq  eiprjfievq).  Weiter  fol- 
gert Troost  aus  §  159,  wo  nur  die  schedae  Scrimgeri  die  einzige  rich- 
tige Lesart  dpyupoAopjaag  bieten,  dafs  diese  Blätter  aus  einem  andern 
Codex  stammen  als  alle  übrigen  Handschriften,  und  nimmt  deshalb  drei 
Familien  an  a)  die  schedae  Scrimgeri,  b)  ekl(h),  c)  ceteri  Codices  omues. 
Die  Dissertationen  von  Adam  und  Ilardt,  welche,  von  den  schedae  Scrim- 
geri absehend,  ebenfalls  zwei  Handschriftenklassen  annehmen,  waren  dem 
Verfasser  wohl  nicht  bekannt. 


'In  Aischines.    Lykurgos. 

61)  Heinrich  Wilhelm  Reich,  Die  Beweisführung  <i'^  Aeschi- 
nes  in  seiner  Rede   gegen  Ktesiphon.     Ein  Beitrag  zum  Verständnis 

des  Redners  und  seiner  Zeit.  Von  der  philosophischen  l'akultät  der 
Universität  München  gekrönte  Preisschrift.  Erste  Hälfte  Nürnberg 
(Fr.  Campe  &  Sohn)  1884.  84  S.  8.  Zweite  Hälfte.  Ebenda  1885. 
68  S.     8. 

Die  durch  Gründlichkeit  und  Gediegenheit  der  Untersuchung  wie 
durch  schöne,  lebendige  Darstellung  ausgezeichnete  Schrift  triebt  sieh 
schon  durch  ihren  Titel  als  ein  Seitenstück  zu  L.  Sp  engeis  akademi- 
schem Vortrag  »Demosthenes'  Verteidigung  des  Ktesiphon,  ein  Beitrag 
zum  Verständnis  des  Redners,  München  1863«  zu  erkennen.  Gegenüber 
den  heftigen  Angriffen,  welche  in  neuester  Zeit  mehrfach  gegen  die  Po- 
litik und  den  Charakter  des  Demosthenes  unternommen  wurden,  findet 
Reich  in  der  Beweisführung  des  Aischines  die  stärksten  Übertreibungen 
und  Entstellungen  der  Thatsachen  und  erhebt  entschiedenen  Einspruch 
dagegen,  dafs  der  Beurteilung  des  Demosthenes  die  Kritik  seines  Geg- 
ners Aischines  zu  gründe  gelegt  werde.  Von  der  ohne  Zweifel  richtigen 
Anschauung  des  Prozesses  als  eines  rein  politischen  Tendenzprozesses 
ausgehend  ist  er  seiner  Aufgabe  vollkommen  gerecht  geworden,  wenn  er 
die  Rechtsfrage  mit  geringerer  Ausführlichkeit  behandelt  hat  als  den 
politischen  Teil  der  Rede;  doch  wird  man  auch  in  jenem  ersten  Teile 
keine  Frage  von  einiger  Wichtigkeit  unerörtert  finden.  Nirgends  geht 
der  Verfasser  Kontroversen  aus  dem  Wege,  seinem  besonnenen  Urteil 
wird  man  in  der  Regel  zustimmen  müssen.  Aufser  dem  eingehendsten 
Studium  der  beiden  Redner  Aischines  und  Demosthenes  verrät  die  wert- 
volle Schrift  zugleich  völlige  Vertrautheit  mit  der  einschlägigen  neueren 
Litteratur,  welche  I  8 f.  und  II  3  übersichtlich  zusammengestellt  und  be- 
sprochen wird.  Unter  diesen  Umständen  sehen  wir  der  in  Aussicht  ge- 
stellten Untersuchung  über  die  sogenannte  zweite  Redaktiou  der  Ktesi- 
phontea  mit  den  besten  Erwartungen  entgegen. 

Lykurgos 

62)  Karl  Schenkl,  Zu  Lykurgos  gegen  Leokrates  §  15.    Wiener 
Studien  V  (1883)  S.  328. 

Hier  vermutet  Schenkl,  dafs  vor  den  Worten  §  15  u'l  Xaaai  ein  zu 
dnrjyyeXkov  gehöriger  Dativ,  etwa  tmgiv,  ausgefallen  sei,  worauf  sich  das 
Relativ  beziehe. 

63)  Lykurgos' Rede  gegen  Leokrates,  erklärt  von  Adolph  Niko- 
lai.    Zweite  Auflage.     Berlin  (Weidmann)   1885.     83  S. 

Dis  Ausgabe  ist,  was  sie  nach  dem  Vorwort  sein  will,  eine  Schu- 
le r ausgäbe,    und  dies  in  weit  höherem  Grade  als  die  meisten  der  glei- 


Lykurgos.  241 

chen  Sammlung.  Einleitung,  Text  und  Kommentar  zeugen  von  der  Er- 
fahrung des  kundigen  Schulmannes,  der  mit  den  Bedürfnissen  der  Schule 
vertraut  denselben  im  ganzen  wie  im  einzelnen  Rechnung  zu  tragen  be- 
strebt ist.  Die  seit  dem  Erscheinen  der  ersten  Auflage  (1875)  veröffent- 
lichten Arbeiten  anderer  hat  der  Verfasser  »zu  Rate  gezogen  und  an 
mehreren  Stellen  den  Wortlaut,  die  Interpunktion  und  die  Erklärung 
der  Rede  sowie  auch  einzelnes  in  der  Einleitung  geändert«.  Für  die 
Einleitung  erscheint  die  Überschrift  »Leben  des  Lykurgos«  nicht  ganz 
zutreffend.  Die  sachlichen  Änderungen,  welche  §  4.  5.  8  und  besonders 
Ende  10  der  Einleitung  vorgenommen  wurden,  zeigen  in  der  Zeitbestim- 
mung der  Thätigkeit  Lykurgs  als  Staatsschatzmeister  und  seines  Todes 
wie  in  der  Beurteilung  der  Schuldfrage  des  Leokrates  und  der  Zeitbe- 
stimmung der  Rede  engen  Anschlufs  an  Blafs;  indes  stimmt  die  An- 
gabe S.  8,  dafs  sich  das  Geschlecht  Lykurgs  bis  in  späte  Zeiten  fort- 
pflanzte, nicht  zu  Blafs  S.  88:  »gleichwohl  pflanzte  sich  das  Geschlecht 
im  Mannesstamm  nur  durch  Adoption  noch  eine  Generation  weiter  fort«. 
Auch  der  Text  hat  mehrfache  Verbesserungen  erfahren.  So  liefst  man 
jetzt  §  4  napadoüoa  statt  napaocooücra,  9  ehai  ysvrjGatT&a:  statt  shat,  22 
Suneratova  statt  Eimezeujva,  28  npoijxaÄeffdfiyv  statt  rjj.pz.x<j.lzoäp.rl\>,  37 
ä<pi£pEvot  statt  dpetpevoc,  38  zwv  lepiatv  hinter  vaot  eingesetzt,  52  <pt'j- 
yovzag  und  kyxaxdktinovrag  statt  <pvy6vrag  uud  iyxatahn6vragt  55  el'acu 
zoü  Xipivog  statt  ix  xoo  fapsvog,  60  douAyv  y'  oüaav  statt  douhjv  ovcrav, 
71  hinter  kxolaaav  und  100,  24  hinter  npoTapßoua  ein  Fragezeichen, 
100,  11  oixfjarj  noXcv  statt  cpxccrz'  elg  nofov,  108  bpoiatg  statt  b/ioi'utg, 
110  npoyovoig  statt  itaXaiolg^  132  die  beiden  Verse  in  Klammern  (die 
einzigen  kritischen  Klammern  der  Ausgabe).  Dafs  der  Herausgeber, 
dem  Zwecke  des  Büchleins  entsprechend,  eine  Aufzählung  dieser  Stellen 
im  Vorwort  oder  in  einem  Anhang  nicht  gegeben  hat,  gereicht  ihm  eher 
zum  Lobe  als  zum  Vorwurf.  Ebenso  ist  in  den  Anmerkungen  die  revi- 
dierende Thätigkeit  des  Verfassers  wahrnehmbar;  vgl.  zu  4  vöfiwv  zdzig, 
5  änaai  Se  zo7g  yeypapp.,  7  ob  pcxpov,  13  auxopavzsTv,  36  'l'xspscSou, 
67,  149  u.  ö.  Indes  ist  auch  die  zweite  Auflage  noch  der  Verbesserung 
bedürftig.  Eine  Schülerausgabc  mufs  vor  allem  möglichst  frei  von  Druck- 
fehlern sein;  solche  sind  aber  nicht  wenige  stehen  geblieben,  zum  Teil 
sogar  aus  der  ersten  Auflage  iu  die  zweite  übergegangen.  Wir  notiren 
§  1  Aeoxpdroug,  in  den  Noten  Stxatag  statt  dixaeav  uud  slgrjyzXxa,  11 
ou,  bjioiog  und  o?  statt  tü\  38  vaot  statt  vao},  41  iv/jf'  78  nepeScuxe,  93 
dxijoe  statt  dxyxoe,  100,  2  de  statt  de,  100,  45  naAatd  und  Note  TtdAaea 
statt  Tialaia,  130  u7Toxecp.evyv ,  132  neretvd  statt  nexetvä.  Der  Spiritus 
oder  Accent  fehlt  10  j?,  43  und  51  aJ,  79  oör\  91  oug,  122  8v,  123  unkp\ 
vgl.  auch  Aum.  zu  2  bitb  z?j  ffnjptp,  77  is/>ä.  —  Statt  der  ziemlich  zahl- 
reichen Hinweisungeu  auf  Krüger  würde  wohl  zeitgemäfser  Kochs  Gram- 
matik citiert  sein.  In  der  Anwendung  der  Elision  und  Krasis  sollte  in 
einer  Schulausgabe  mehr  Konsequenz  beobachtel  werden;  man  vergleiche 

Jahresbericht  für  Alturthumswisseiibchait  L.    (1887.   I.)  Iß 


242  Hypereidea  und  Deinarchos 

z.B.  §22  und  24  rdvSpdnoSa  mit  §2.'',  rä  dvtipdnoda,  g  11  tjvfy  opäv 
mit  §  39  ijvixa  ff.  Warum  wird  ferner  §  7  rote  intytvopJvocs  und  g  9 
rorg-  ixiytyvoßi',,,'  geschrieben?  Ich  würde  auch  §3  8t<unpZ 
(hijkwnav,  §  15  yxyxöeaav  vorziehen;  g  86  steht  jetzt  xaraxX^a&evreQ 
statt  xaraxXetaBevTet.  Mit  welchem  Rechte  stehl  g  Sl  der  "Opxoe  im 
Texte,  nachdem  der  eiste  §  77  in  die  Anmerkungen  verwiesen  ist?  §  19 
verdient  /iz~s'/u»  ab-rrje  (seil  nevTyxooirje)  nach  dem  cod:  Oxoniensis 
entschieden  den  Vorzug  vor  pere^cuv  aöroig,  vgl.  §  58;  ebenso  g  59  r<7,> 
narptatv  vopJpatv  nach  §  129;  §  76  scheint  mir  npwpyaaea&e  richtiger 
als  rtpuip-ijoeo&e,  §  88  ^>a  pe  statt  ö/wre,  vgl.  7o  '//"/.  pe  fipotov,  Hfl 
fy>d  /-c  öpoitos,  123  und  Dem,  3,  27  c^oa  j-'  opotqig,  19,  63  äpd  /-'  ?/to«z. 
Auch  in  den  Anmerkungen  bleibt  manches  zu  bessern  übrig.  So  erwartet 
man  eine  Bemerkung  zu  §  16  nprfs  re  r^w  Tro'ykv  zt^  raiv  Podfatv  y.a\ 
vm  ipnöpwv  rote  imdvjpjouaiv  i/.zl  und  toutiov  n/ietarov,  §  23  xoUoj. 
Eine  Rezension  der  zweiten  Auflage  von  J.  Rohrmoser  steht  in  der 
Zeitschrift  f.  d.  österr.  Gymn.  1886  S.  820  -  824. 

Hypereides  und  Deinarchos. 

64)  E.  Piccolomini,  Osservazioni  sul  testo  dell'  epitafio  d'  Ipe- 
ride.  Studi  di  Filologia  Greca  pubblicati  da  E.  Piccolomini  I  (Turin 
1883)  S.  107—132. 

Bei  der  Abfassung  dieser  textkritischeu  Bemerkungen  konnte  der 
Verfasser  nur  die  erste,  1869  erschienene  Ausgabe  des  Hypereides  von 
Blafs  benutzen;  doch  hat  die  zweite  nachträglich  in  den  Anmerkungen, 
soweit  es  nötig  war,  noch  Berücksichtigung  gefunden.  Von  den  vorge- 
schlagenen Konjekturen  (zu  I  9  ff.  27  ff.  II  2ff.  III  3  ff.  15.  23.  30.  32. 
IV  38.  V  8.  VT  15  VII  37.  VIII  40.  IX  22.  34.  X  25.  29.  XII  37  nach 
der  zweiten  Auflage  von  Blafs)  erscheint  dem  Refereuteu  keine  besser 
als  die  anderer  Gelehrten.  Eine  Besprechung  mit  zahlreichen  neuen 
Vorschlägen  hat  J.  Sitzler  gegeben  in  der  Piniol.  Rundschau  1883 
Sp.  1025     1029. 

65)  F.  Blafs,  Ad  Hyperidis  Demosthenicam.  Revue  de  Philolo- 
gie VIII  (1884)  S.  167—170  und  S.  190-191. 

In  diesem  Aufsatze  giebt  Blafs  auf  Grund  einer  persönlichen  Be- 
sichtigung einiger  Blätter,  welche  Fragmente  der  Rede  des  Hypereides 
gegen  Demosthenes  enthalten,  nähere  Auskunft  über  dieselben  nebst 
einigen  neuen  Ergäuzungsvorschiägen. 

66)  W.  Tröbst,  Quaestiones  Hyperideae  et  Dinarcheae.  Pars  II. 
Berlin  (Mayer  &  Müller)  1882.     43  S.     8. 

Hat  sich  der  erste  Teil  dieser  Quaestiones,  welcher  als  Gymnasial 
Programm  von  Hameln  1881  erschienen  ist,  vornehmlich  auf  Hypereides 


Deinarchos.  943 

c.  Dem.  frg.  II  col.  III  (VII)  bezogen  —  vgl.  F.  Blafs  in  diesem  Jahres- 
berichte XXX  (1882)  S.  249  — ,  so  dreht  sich  fast  die  ganze  Untersu- 
chung des  zweiten  Teils  um  Deinarchos  I  4  f.  Diese  Stelle,  zeigt  Tröbst, 
findet  ihre  beste  Erklärung  durch  Hyp.  c.  Dem.  frg.  IX  col.  33  (11). 
Unter  dem  zuerst  erwähnten  Sixcuöv  ffacapa,  dessen  Antragsteller  jedoch 
Demosthenes  nicht  sei,  habe  mau  jenen  Volksbeschlufs  zu  verstehen, 
nach  welchem  an  alle,  welche  von  Harpalos  sich  hatten  bestechen  lassen, 
mittels  eines  x^puypa  die  Aufforderung  ergehen  sollte,  das  Geld  zurück- 
zugeben, wofür  ihnen  ädeta  zugesichert  wurde.  Nach  diesem  Volksbe- 
schlufs habe  Demosthenes  im  Verein  mit  andern,  wie  Philokles,  die  Unter- 
suchung der  Sache  durch  den  Areopag  beantragt.  Es  habe  also  nur 
ein  Psephisma  von  Demosthenes  im  harpalischen  Prozesse  gegeben,  wie 
deutlich  aus  Dein.  I  40  xarä  rö  ko.uzwv  <f>rjy>i<Tfia  und  51  hervorgehe; 
vgl.  auch  §  86  ypd<po.g  zb  tyrtfiapa  xaft'  iaurou ,  welche  Worte  jedoch 
Tröbst  für  unecht  hält  (S.  36).  Demnach  seien  die  von  Blafs  in  den  Text 
gesetzten  Konjekturen  ipyptfffiaTa  und  xarä  aauzoo  zu  verwerfen  und 
nach  dem  Oxoniensis  zu  lesen  xa\  Ttpbg  zouzocg  ^cpiapa  ypdibavroq  iL 
dypöa&eveg  goo  xat,  irspwv  tmIIojv.  Dieser  Beweis  ist  dem  Verfasser 
nach  der  Ansicht  des  Referenten  gelungen.  Auch  die  neue  Erklärung 
von  oux  ix  7wv  npoxtyaeaiv  pa&oüaa  zb  dtxcuov  dürfte  Beachtung  ver- 
dienen. Die  Worte  I  61  äXXä  puvog  ab  twv  t.uj-ozs  dzo~s<pa(T/j.d^cüv  .  .  . 
ysvicrßat  jedoch  sind  wohl  nur  eine  rhetorische  Übertreibung,  nicht  eiu  inaui- 
festissimus  error,  der  zu  Zweifeln  an  der  Echtheit  der  Rede  Anlafs  gäbe. 
S.  23  ff.  wiederholt  Tröbst  eine  von  ihm  in  den  Miscellaneis  philologis  (Fest- 
schrift des  philol.  Vereins  zu  Göttingen  1876)  S.  1  aufgestellte  Konjektur, 
welcher  Blafs  nicht  die  verdiente  Anerkennung  gezollt  hat;  er  streicht  näm- 
lich I  82  nspc  Zr^azwg  ra)v  ^prjpjdrfov.  Mit  I  85  auzbv  b<p^  kaozob  .  .  . 
iaXajxora  vergleicht  er  treffend  Hyp.  frg.  VIII  unb  zou  (pw'apazoq 
fjÄajxevat  (iaXaßxevat?)  aeauröv.  Nebenbei  bespricht  er  ausführlich  frg.  I 
des  Hypereides,  dessen  zweite  Hälfte  er  iu  den  Jahrbüchern  für  klass. 
Philologie  1876  S.  207  f.  zum  erstenmal  richtig  interpretiert  habe  (dies 
gegen  A.  Cartault).  Ob  in  dem  Satze  sypafev  3k  auzä  ...  das  Pro- 
nomen abzä  notwendig  auf  zä  tyq<piep.a.Ta  zob  dr/pou  bezogen  werden 
mufs,  erscheint  dem  Referenten  sehr  fraglich. 

67)  Dinarchi  orationes  tres.  Germanice  reddidit  et  commentario 
illustravit  Theodorus  Plaschke,  gymnasii  Waidhofensis  professor. 
Vol.  I:  orationes  germanice  redditas  contineus.  Programm  des  nieder- 
österr.  Landes-Realgymnasiums  zu  Waidhofen  a.  d.  Taya  1885.  43  S.  8. 

Es  ist  ein  sehr  verdienstliches  Unternehmen,  dessen  erster  Teil 
hier  vorliegt.  Ein  Kommentar  zu  Deinarchos  ist  seit  Mätzners  Aus- 
gabe 1842  nicht  mehr  erschienen,  eine  vollständige  deutsche  Übersetzung 
wird  hier  zum  erstenmal  geboten.  Plaschkes  Übersetzung  zeugt  von 
richtigem  Verständnis  des  Redners;  sie  ist  zugleich  korrekt  und  im  all- 

10' 


244  Itciiiarcbos. 

gemeinen  in  gutem  Deutsch  abgefafst.  Dafa  die  oft  mafslosen  Perioden 
des  Deinarchos  nichl  selten  in  mehrere  Sätze  zerlegt  sind,  ist  nur  zu 
billigen.  Eine  andere  Eigentümlichkeil  des  Redners,  die  häufige  An- 
wendung der  Epanalepsis,  findet  sich  auch  in  der  deutschen  Dbertra- 
gung  meistens  geschickt  nachgeahmt,  jedoch  nicht  l  28.  29.  II  24.  Im 
Ausdruck  hat  der  Übersetzer  gröfsere  Variierung  erstrebt,  als  sie  der 
Grundtext  aufweist;  so  gleich  im  Eingang  der  ersten  Rede:  »Der  Führer 
eures  Volks  .  .  .  für  den  Fall,  als  (dafs?)  man  ihn  irgend  eines  Anteils 
an  der  Ilarpalischen  Bestechung  überweisen  (statt  überführen )  sollte, 
ist  nun  vor  euer  aller  Augen  Überführt,  dafs  er  Geschenke  angenommen 
hat  (statt:  der  Bestechung  überführt);  I  25  und  72  übersetzt  er  oi  ->>za- 
ßurspot  richtig  »die  älteren  Leute«,  I  75  dagegen  "die  Gedenkmänner«. 
Zu  beanstanden  ist  wohl  »Bestechungen  annehmen«  (In.  26.  40.  60.  67. 
II  7.  16.  III  16)  und  »Bestecbungen  nehmen«  (I  47),  »zur  Gänge  be- 
gleichen« (II  18),  »ihr  müfst  den  Zorn  der  Väter  in  eurer  Brust  ent- 
flammen« (I  77).  I  4  mufs  es  beifsen  »einen  gerechten  (nicht  rechts- 
kräftigen) Beschhifs  in  üblen  Ruf  (oder  in  Mifskredit)  zu  bringen« 
(statt:  in  Schuld  zu  stürzen:  ScaßoM)  =  ahia  /xo^&rjpd  §  5),  §  5  »da 
er  .  .  .  die  Wahrheit  nicht  erfahren  hatte«  ;  inl  aou  wohl  richtiger  »auf 
deine  Veranlassung«,  §  15  »sondern  auch  auf  Kosten  des  Staates  sich 
bereichert  hat«,  §  19  »die  Mißhandlungen  .  .  .  anzusehen«,  §  49  »ge- 
stattet es  ihm  nicht«,  §  59  »bezüglich  seiner  Anzeigen«  (statt  Anzeige), 
§  72  »was  (statt  wer)  niemand  anders«,  §  85  »durch  sich  und  durch 
die  von  ihm  beantragten  Beschlüsse«.  §  1  ist  ijSy,  §  4  xspi  «Ora)v, 
§  12  rMVzag,  §  43  xat  ZdTopov,  §  44  KaXXiou  .  .  .  nicht  übersetzt,  §  23 f. 
nur  teilweise,  wie  es  scheint,  des  Inhalts  wegen. 

68)   E.  G.  SiHler,    A  Study  of  Dinarchus.     Extract  from  Trans- 
actions  of  American  Philological  Association  1885  S.  120  —  132. 

Der  Aufsatz  enthält  nach  einer  biographischen  Skizze  Bemerkun- 
gen über  die  stilistiseben  Eigentümlichkeiten  des  Deinarchos,  da  »die 
Behandlung  des  Redners  dureb  Blafs  iu  seiner  Geschichte  der  attischen 
Beredsamkeit  noch  Raum  läfst  für  die  detaillierte  Untersuchung  des 
Textes  und  erschöpfende  Gruppierung  des  Materials«.  Neues  freilich 
bringt  die  Studie  soviel  wie  nichts.  Die  Entlehnungen  aus  Aischines, 
die  an  verschiedenen  Stellen  erwähnt  werden,  hat  Blafs  S.  287  n.  5  weit 
vollständiger  zusammengestellt.  Über  den  Satzbau  handelt  derselbe 
S.  295  f.,  über  die  Epanalepsis,  die  nach  Sihler  Aischines  nie  angewendet 
hat  —  vgl.  jedoch  Blafs  S.  212  — ,  S.  297,  über  die  Anaphora  S.  296, 
überall  mit  vollständigerer  Angabe  der  Stellen.  Weiter  werden  die 
Schimpfwörter  bei  Deinarchos  mit  denen  des  Aischines  in  Parallele  ge- 
setzt, xcvaoog  findet  sich  auch  Aescb.  Ctes.  167,  xdftappa  211,  nicht 
277,  über  S^piov  vergleiche  man  Blafs  III  A  S.  80;  mit  -zbv  dk  xard- 
mua-ov  toütov  I  15  vgl.  Dem.  21,  137.     Nur   teilweise   richtig  ist,   was 


Deinarchos  und  Demades.  245 

der  Verfasser  über  emphatische  und  abnorme  Wortstellung  des  Deinar- 
chos sagt,  wie  auch  die  hierfür  beigebrachten  Beispiele  zum  grofsen 
Teile  nicht  zutreffen.  Auch  sonst  ist  den  Anforderungen  der  Genauig- 
keit nicht  genügt:  die  dritte  Rede  des  Deinarchos  citiert  Sihler  konse- 
quent als  Rede  gegen  Phüokrates,  die  19.  Rede  des  Demosthenes  hält 
er  S.  131  für  die  Kranzrede.  Wie  es  kommt,  dafs  alle  Citate  aus 
Volkmanns  Rhetorik  zweiter  Auflage  unrichtig  sind,  vermag  ich  nicht 
zu  erklären. 

Demades. 

69)  A.  Dalmartello,  La  vita  di  Demade,  oratore  ateniense,  ed 
il  frammento  dell'  orazione  bnkp  ryg  dwdexaszcag.  Gymnasial -Pro- 
gramm in  Fiume  1883.     40  S.     8. 

Der  erste  Teil  der  Abhandlung  enthält  eine  klare  Darstellung  der 
Herkunft,  Bildung  und  politischen  Thätigkeit  des  Demades,  der  zweite 
eine  kurze  Würdigung  seiner  Beredsamkeit,  eine  Besprechung  der  ihm 
zugeschriebenen  Reden,  endlich  eine  Übersetzung  des  längeren  Frag- 
ments aus  der  Rede  bnkp  zrtg  dujosxaszcag.  Neue  Ergebnisse  darf  man 
nicht  erwarten;  doch  ist  anzuerkennen,  dafs  der  Verfasser  die  einschlä- 
gige Littcratur  vollständig  kennt  und  sorgfältig  benützt  hat. 


Druck  von   C.   Foiclit  in   IUtIIii 


JAHRESBERICHT 


über 


die  Fortschritte  der  classischen 

Altertimmswissenschaft 

begründet 

von 

Conrad  Bursian, 

herausgegeben 


Iwan  Müller, 

ord.  öffenil.  Prof.  der  classischen  Philologie  an  der  Universität  Erlangen. 


Einundfunfzigster  Band. 


Fünfzehnter  Jahrgang.    1887. 

Zweite  Abtheilung. 

LATEINISCHE   KLASSIKER. 


BERLIN    1889. 

VERLAG  VON  S.  CALVARY  &  CO. 
W.  Unter  den  Linden  17. 


Inhalts- Verzeichniss 

des  einundfunfzigsten  Bandes. 


Die  Litteraturberichte  über  Plautus  von  Prof.  Dr.  0.  Seyffert 
in  Berlin;  Terenz  von  Direktor  Dr.  A.  Spengel  in  Passau; 
Vergil  von  Dr.  Güthling  in  Liegnitz  und  über  die  anderen 
römischen  Epiker  von  Prof.  Dr.  Jeep  in  Königsberg;  Lu- 
cretius  von  Dr.  A.  Brieger  in  Halle;  Horatius  von  Prof. 
Dr.  W.  Hirschfelder  in  Berlin;  Lucilius  von  Prof.  Dr.  Sto- 
wasser  in  Wien,  und  Ovidius  von  Prof.  Dr.  R.  Ehwald 
in  Gotha  folgen  nächstens. 

Bericht  über  die  Litteratur  zu  Ca  tu  11  und  Tibull  für  die 
Jahre  1877—1886.    Von  Dr.  Hugo  Magnus  in  Berlin    145-372 

1.  Catull.  A  Ausgaben  146.  —  B.  Beiträge  zur  Grammatik, 
Sprachgebrauch  und  Metrik  185.  —  C.  Beiträge  zur  handschrift- 
lichen Ueberlieferung  198.  —  D.  Litteraturgeschichte,  Ordnung  der 
Gedichte,  Biographisches  210.  —  Catull  und  Cicero  240.  —  Bei- 
träge zur  Erklärung  und  Textkritik  248.  —  E.  Anthologieen  276. 
F.  Uebersetzungen  280.  —  G.  Vermischtes  287  —  IL  Tibull. 
A.  Ausgaben  301.  —  B.  Grammatik  und  Sprachgebrauch  308.  — 

C.  Handschriftliche  Ueberlieferung  311.  —  1.  Unvollständige  Tex- 
tesquellen, a)  Fragmentum  Cuiacianum  313.  —  b)  Freisinger  Ex- 
cerpte  316.  —  c)  Excerpta  Parisina  318.  —  2)  Vollständige  Hand- 
schriften 320.  —  a)  Ambrosianus  und  Vaticanus  321.  —  b)  Lach- 
manns Handschriften  328.   —   c)   Codex   Guelferbytanus   332.   — 

D.  Litteraturgeschichte,  Kritik  und  Erklärung  338.  —  E.  Ueber- 
setzungen 367. 

Bericht  über  die  Litteratur  zu  Propertius  für  die  Jahre  1881 
bis  1884.    Von  Dr.  Eduard  Hey  den  reich  in  Freiberg  83  -144 

I.  Ausgaben  83.  —  II.  Monographien  88.  —  III.  Uebersetzungen 
115.  —  IV.  Zerstreute  Beiträge  118. 

Die  Berichte  über  die  Litteratur  zu  den  römischen  Satirikern 
von  Prof.  Dr.  L.  Friedländer  in  Königsberg  und  über 
Phädrus  von  Dr.  J.  Draheim  in  Berlin,  ferner  die  Berichte 


IV  Lahalte-Verzeichni 

über  Cicero  von  Dr.  G.  Landgraf  in  München,  Rektor 
\)v.  J.  S:  on  in  Kaiserslautern ,  Dr.  P.  Schwenke  in 
Göttingen  und  Direktor  Dr.  .1.  EL  Schmalz  in  Tauber- 
bischofsheim,  über  Tacitus  von  Prot  Dr.  G.  Qelmreich 
in  Augsburg  und  über  die  übrigen  römischen  Historiker 
von  Prof.  Dr.  A.  Eussner  in  Würzburg  erscheinen  später. 
Bericht  über  die  Litteratur  zu  Quintilian  aus  den  Jahren 
1880  —  1887.     Von  Oberlehrer  Dr.    Ferdinand  De  eher 

in  Ilfeld  am  Harz 1  —  82 

Institutio  oratoria.    Zerstreute  Beiträge  1.   —  Ausgaben  von 
über  X,  31.  —  Ausgaben  der  ganzen  inst.  or.  49.  —  Declama- 
tiones  62. 
Die  Berichte    über  Plinius   maior  von  Prof.  Dr.  Urlichs  in 
Würzburg;  über  Plinius  minor  von  Studienlehrer  Dr.  Strö- 
bel  in  Kaiserslautern;  über  Seneca  von  Gvmnasial-Director 
Prof.  Dr.  H.  J.  Müller  in  Berlin;  die  lateinischen  Gram- 
matiker von  Prof.  Dr.  G.  Götz  in  Jena  und  die  spätlatei- 
nischen Schriftsteller  von  Dr.  K.  Sittl  in  München  folgen 
im  nächsten  Jahrgang. 


Bericht  über  die  Litteratur  zu  Quintilian 
aus  den  Jahren  1880-1887. 

Von 

Oberlehrer  Dr.  Ferdinand  Becher 

in  Ufeld  a.  Harz. 


Das  Interesse  für  Quintilian  ist  gestiegen.  Der  folgende  Jahres- 
bericht hat  es  nicht  nur  mit  fünf  neuen  Ausgaben  des  10.  Buches  zu 
thun,  sondern  —  was  einen  Abschnitt  in  der  Quintilianforschung  be- 
deutet mit  einer  neuen  Ausgabe  der  ganzen  institutio  oratoria  von 
Meister  und  mit  einer  neuen  Ausgabe  der  Declamationes  von  Ritter. 
Indem  icb  mich  zunächst  zur 

institutio  oratoria 

und  zwar  zur  Besprechung  derjenigen  Forschungen  wende,  die  in  Zeit- 
schriften zerstreut  vorliegen  oder  in  Dissertationen  und  Programmen 
niedergelegt  sind,  ist  es  mir  eine  grofse  Freude,  mit  Iwan  Müller,  dessen 
Referate  fortzusetzen  ich  übernommen,  gleich  zu  Anfang  meine  Überein- 
stimmung kundgeben  zn  können  gegen 

1.  Fritz  Scholl,  Über  Quintilian  X,  1.  Rhein.  Mus.  XXXV.  4 
S.  G39.  Nachtrag  zu  XXXIV  S.  84  -  89.  Dieser  Nachtrag  ist  durch 
Müllers  Polemik  gegen  die  Behandlung  von  §  4.  15.  39.  72  hervorge- 
rufen. Wählend  Scholl  sich  nunmehr  §  4  zu  Müller  bekennt,  behauptet 
er  seinen  isolierten  Standpunkt  in  der  Verteidigung  der  Conjecturen  §  15 
nam  omnium  quaeeunque  docemus,  haec  (für  hoc  Regius)  sunt  exempla 
potentiora  quam  (für  etiam)  ipsis  quae  traduntur  artibus,  §  39  fuit  igitur 
brevitas  illa  tutissima  qua  praeeipit  Livius  in  epistula  ad  tili u m  scripta 
(für  quae  est  apud  Livium  in  e.  a  f.  s.),  §  72  si  cum  iudicio  (für  cum 
venia)  leguntur.  Über  cum  venia  s.  nachher.  Sonst  habe  icb  zu  Müllers 
Rechtfertigung  der  gewöhnlichen  Lesungen  kein  Wort  hinzuzufügen. 

2.  Ch.  Thur.it.  Sur  Quintilien  X  1.  66.  Revue  de  phil  IV.  1.  S.  24. 
Weil  §  67  folgt  sed  longe  clarius  inlustraverunt  hoc  opus  Sophoclea  at- 
que  Euripides,  so  müsse  es,  meint  Thurot,  §  66  lauten  tragoediam  (tra- 
goedias  die  Bandschriften)  primua  in  lucem  Aeschylua  protulit  Zu  hoc 
opus  ist  /u  ergänzen  tragoedias  in  lucem  proferendi,  denn  opus  ist  nach 

Jahresbericht  für  Allerlhuinswisscnschait   LI.  Bd.    (1887,   II.)  ] 


2  Quintilian. 

Doederlein  dae  Werl  irgend  einer  produzierenden  Thätigkeil  {ipyov). 
So  läfsf  -ich  opus  und  tragoedias,  Gattung,  wie  Thurol  will,  and  ein- 
zelne Tragoedien  sehr  wohl  zusammenreimen. 

:t.   T)i.   Froment,   QuintUien   avocat  Annalee  de  la  facult 

lettre*  de  Bordeaux.     II.  3  8.  224     240. 

Man  erwarte  nichts  Neues  von  diesen  Blättern.  Der  reale  Inhalt 
gehl  nicht  viel  über  die  bekannten  Steiles  der  inst  hinaus  VII  2,  24; 
IV  2,  86;  IX  2,  73.  Ti:  IV  1.  19;  VII  2,  5  u.  a  .  aber  die  Staffage  ist 
schön  and  anmutig.  Nachdem  die  Art  der  causidici  geschildert  i-t.  zu 
denen  Quintilian  in  scharfen  und  bewufsten  Gegensatz  tritt,  wird  er  ans 
selbst  vorgeführt,  wie  er  für  die  Anwaltscarriere  durch  Geburt,  Erzie- 
hung und  Unterricht  sozusagen  prädestiniert  war.  Es  wird  gezeigt,  bei 
welchen  besonderen  Gelegenheiten  er  sich  als  Advocat  auf-  und  hervor- 
gethan.  wie  er  -eine  Rolle  vom  Standpunkt  des  Ethetors  und  Juristen 
ausgespielt,  und  schließlich,  wie  er  trotz  dieser  und  jener  Befangenheit 
im  Zeitgeschmack  doch  an  seinem  Ideal  festgehalten :  vir  probus,  dicendi 
peritus.  cf.  Hild  S.  X  XIV.  Näher  auf  den  Aufsatz  einzugehen  ist 
hier  nicht  vonnöten.  Nur  zwei  Bemerkungen:  S.  230  beifst  es  c'est  vers 
Tage  de  vingt-sept  ans  environ  que  notre  orateur  commence  ä  briller  ä 
Rome.  Wenn  der  Rhetor  um  35  herum  geboren  ward  und  68  nach  dem 
Tode  des  Nero  von  Galba  wieder  nach  Rom  geführt  wurde,  so  kann 
seine  Glanzperiode  erst  etwa  in  seinem  33.  Jahre  begonnen  haben,  und 
»il  souna  la  retraite«  (S.  236)  nicht  im  47.,  wie  Froment  meint,  sondern 
im  53.  Jahre.  Auch  wird  er  trotz  Froment  S.  239  und  240  zu  Wohl- 
stand gelangt  sein.  cf.  luv.  VII,  186 sq.  Der  Quintilian,  welcher  von 
Plinius  (ep.  VI  32)  wegen  seiner  bescheidenen  Vermögensverhältnisse 
durch  einen  Beitrag  zur  Mitgift  seiner  Tochter  erfreut  wurde,  ist  sicher- 
lich nicht  unser  Quintilian  gewesen,  wie  sich  aus  dem  berühmten  prooe- 
miuni  zu  1.  VI  coli.  Plin.  ep.  II  14,  10;  VI  6,  3  leicht  nachweisen  läfst. 

4.  Ch.  Fierville,  Etienne  de  Rouen,  moine  du  Bec  au  XII.  siecle 
auteur  du  premier  abrege  connu  de  Quintilien  et  du  Draco  Normannicus 
(2.  partie)  Bulletin  de  la  Soc.  des  Antiqu.  de  Normandie  VIII,  2  S-  421 
—442  ist  mir  bis  jetzt  nicht  zugegangen. 

5.  Gustav  Lindner,  Marcus  Fabius  Quintilianus.  Rednerische 
Unterweisungen.  (Pädagogische  Klassiker  herausgeg.  von  Dr.  G.  A. 
Lindner.)    Wien  1881,  Pichler  8.    XXXVI.    241  S 

Die  philologische  Wissenschaft  braucht  von  dieser  Schrift  keine 
Notiz  zu  nehmen.  Nur  so  viel  sei  bemerkt,  dafs  die  Einleitung  sich 
über  Quintilian  und  seine  Zeit  ergeht,  dafs  sie  recht  viel  von  ihm  und 
aus  ihm  bringt,  dafs  S  1  185  eine  ganz  gute  Übersetzung  von  1.  I  II 
X  und  XI,  2  liefert,   und  dafs   ein  Anhang  mit  Erläuterungen  und  Zu- 


inst.  or.  3 

Sätzen   zu   einzelnen  Stellen   des  Textes  den  Beschlufs  macht.     Ob  wohl 
dem  Verfasser  Halms  Ausgabe  bekannt  gewesen? 

6.  A.  Eussner  handelt  in  seinen  Adversarien  (Bl.  für  das  bayer. 
Gymnasialschulw.  XVII.  Bd.  9.  Heft  1881  S.  391  —  393)  über  Quintilian 
X  1,  31;  33  coli.  Plin.  ep.  V  8,  9  -  11,  um  gegen  de  la  Berge  (Biblio- 
theque  de  l'ecole  des  hautes  etudes,  fasc.  XXXII  Paris  1877  S.  256) 
darzuthun,  dafs  in  den  ungezogenen  Stellen  Meister  und  Jünger  eine 
gleiche  Auffassung  über  den  Unterschied  zwischen  oratio  und  historia 
verraten  haben.  In  der  That  ist  die  Interpretation  des  französischen 
Gelehrten  sprachlich  wie  sachlich  gleich  verkehrt  und  nur  eine  Con- 
cession  an  seine  falsche  Ansicht,  dafs  der  Begriff  der  Geschichte  in  der 
Zeit  von  Quintilian  bis  zu  Tacitus  und  Plinius  sich  geändert  habe.  Schon 
Phil.  Rundschau  I  No.  13  S.  415  hatte  Eussner  die  richtige  Beziehung 
der  Stelle  des  Plinius  auf  die  des  Quintilian  angedeutet.  Hier  bestätigt 
er  die  Übereinstimmung  durch  Vergleich  von  Quint.  II  4,  2  mit  Plin. 
VII  33,  10,  X  5,  15  mit  VII  9,  8,  X  1,  103  mit  I  16,  4.  »Wer  den 
Plinius  im  Widerspruch  mit  Quintilian  vermutet,  der  mufs  ihn  auch  des 
Widerspruches  mit  sich  selbst  bezichtigen.«  cf.  Iwan  Müllers  Referat 
im  Jahresbericht  über  Plinius  den  Jüngern  XXXV.  (1883.  II)  S.  176  u.  177. 

7.  De  coniunctionum  causalium  apud  Quintilianum  usu.  Scripsit 
Edmund  us  Guenther  (Doctordissertation)  Halis  Saxonum  typis 
Kosmaelianis  Krotoschini.    1881.    47  S.    8. 

Ein  lesbarer  und  lesenswerter  Beitrag  zur  Grammatik  des  Quin- 
tilian und  indirekt  zur  historischen  Syntax  der  lateinischen  Sprache.  Im 
Anschlufs  an  C.  Reufs  cde  coniunctionum  causalium  apud  Tacitum  usu' 
(Halle  1876)  behandelt  Verfasser  quia  S.  6  —  19,  quod  —  S.  40,  quoniam 
—  S.  43,  quando  —  S.  44,  quatenus  (oder  quatmus?)  -  S.  45,  siqui- 
dem  —  S.  46,  quippe,  quippe  qui,  quippe  cum,  ut  qiti  S.  47.  (Schlafe.) 
Es  versteht  sich,  dafs  auch  die  einschlägigen  Verbindungen  bei  den  betreffen- 
den Conjunctionen  berücksichtigt  sind  z.  Ii.  ideo  quia,  non  quia,  cum  eo 
quod  u.  s.  w.  Warum  fehlt  aber  cum  causale,  warum  ut  cum  cf.  VI  3.  ;». 
X  1,  76,  warum  si  tarnen,  was  wenigstens  zur  Illustration  von  si  quidem 
hätte  herangezogen  werden  können?  Doch  der  Verfasser  hat  -ich  engere 
Grenzen  gezogen  als  der  Titel  zu  verraten  scheint  (S.  5):  halten  wir  ans 
an  das.  was  er  bietet.  Da  er  an  der  Hand  von  Bonnells  Lexikon  und 
auf  Grund  eigener  Forschung  das  ganze  Stellenmaterial  überschaut.  ->> 
kann  er  an  geeigneter  Stelle  sein  Veto  gegen  Conjecturen  einlegen,  die 
dem  Gehrauch  des  Rhetors  widersprechen,  z.  B.  S.  1(5.  wo  mit  Hecht  an 
der  Lesart  von  MS  XII  ii,  u;  quod  non  eo  dico  quia  si1  e  B.  t'estge- 
halten  wird,  da  Halms  non  eo  d.  quasi  (G  qua)  in  dieser  Verbindung 
bei  Quintilian  nicht  vorkommt;  non  eo  dico  quia  dagegen  Lesen  wir  IX 
4,  20.     Schwieriger  ist   es  über  den   Nachsatz   von    XII    11.    L6   ins    Heine 

zu  kommen,  wo  der  wirkliche  Grund  mit  folgenden  Worten  angegeben 

1* 


4  Quintilian. 

wird:  ged  quia  nun  in  nn;i  it  eins  pecie  consenescendum.  Der  Con- 
junctiv  widersprich!  allen  landläufigen  Regeln  and  auch  einigermafsen 
den  Gesetzen  der  Logik,  welche  imaginären  and  realen  Grund  folge- 
richtig durch  den  Wechsel  des  Modu  zu  unterscheiden  pflegt1),  aber 
da  dieser  Conjuncth  durch  fünf  andere  bei  dem  Rhetor  gedeckl  wird 
IV  l,  65;  VI  ::.  48;  MI  3,  9;  IX  l,  23;  i.  L83,  so  wage  ich  es  nicht 
mit  Halm  n.  a.  zu  corrigieren,  sondern  schliefse  mich  Günther  an.  der 

5.  i<)  bemerkt,  »lumr,  usnin  nullo  modo  prorsus  e  Quintiliani  libris  eicien- 
dum,  sed  huius  scriptoris  proprium  existimandura  esse  libenter  mihi 
persuaserim.«  Oh  freilich  dieser  Conjuuctiv  durch  Attraction  zu  er- 
klären, ist,  mir  sein-  zweifelhaft,  und  aoeh  zweifelhafter,  oh  die  Parallele 
Cic.  Brut.  2,  8  pafst,  mir  scheint  es  viel  einfacher  als  Grund  dieses 
Modus  eine  gewisse  modestia  und  urbanitas  anzusehen,  die  bekanntlich 
den  Gonjunktiv  oft  bei  Quintilian  hervorgerufen,  cf  Bonnell  Lex  8.  LXI. 
Entschiedenen  Widerspruch  mufs  ich  gegen  die  Interpretation  folgender 
Stellen  erheben:  I  8,  21  soll  in  den  Worten  adeo  ut  de  libris  totis  men- 
tiantur  tuto,  quia  inveniri  qui  mimquam  fuere  non  possunt,  quin  den 
subjektiven  Grund  angeben,  so  dafs  es  =  quoniam  wäre.  Warum  denn 
eigentlich?  sie  lügen  sicher,  d.  h.  ohne  Gefahr  entlarvt  zu  werden,  weil 
u.  s.  w ,  das  tuto  wird  ganz  objektiv  begründet,  ebenso  nee  facile  III  1, 

6,  plurimum  posse  III  8,  36  u.  s.  w.  Ich  finde  unter  den  13  Beispielen, 
die  S.  8—9  aufgeführt  werden,  auch  nicht  ein  einziges,  was  sich  nicht 
der  gemeinen  Regel  über  quia  fügte.  —  Ebenso  mufs  ich  gegen  die  Be- 
handlung von  nisi  quod  protestieren  IV  2,  74,  VIII  3,  33,  IX  4,  110. 
IX  4,  145.  Warum  denn  eine  Ellipse  statuieren,  wo  dem  Gedanken 
nichts  an  seiner  Integrität  fehlt?  Worte,  wie  diese  IV  2,  74  neque 
enim  iureiurando  opus  fuisse,  si  alioqui  hoc  roentis  habuissent,  nee  sorte, 
nisi  quod  se  quisque  eximi  voluerit'  werden  durch  die  Ergänzung  von 
sortiendi  necessitatem  attulerit  zu  nisi  blofs  unverständlich,  nee  sorte 
opus  fuisse  nisi  quod  .  .  voluerit  läfst  dagegen  nichts  an  Klarheit  zu 
wünschen  übrig.  Nun  gar  aber  zu  IX  4,  145  neque  enim  ullum  (sc.  ver- 
bum)  erit  tarn  difficile,  quod  non  commode  inse'ä  possit,  nisi  quod  in 
evitandis  eiusmodi  verbis  non  decorem  compositionis  quaerimus,  sed  fa- 
cilitatem  zu  ergänzen:  »Allerdings  verleitet  uns  der  Umstand,  dafs  wir 
Leichtigkeit  der  Wortfügung  erstreben,  zu  der  Ansicht,  einige  Worte 
seien  zu  rauh«  (S.  28),  das  macht  die  Rede  nicht  nur  unverständlich, 
sondern  versteifst  einfach  gegen  den  Gedanken  des  Schriftstellers.  Denn 
der  sagt:  Von  einer  Schwierigkeit  die  Worte  passend  einzufügen  wird 
nur  darum  die  Rede  sein  können,  weil  wir  .  .  .  suchen.  Es  fragt  sich 
aber  nach  §  144  fin.   sehr,   ob  der  Rhetor  diese   desidia  dicentium  et 


•)  II  4,  31.  17,  9  steht,  wie  schon  Törnebladh  S.  32  anmerkt,  in  beiden 
Sätzen  der  lndicativ.  V  10,  47  ist  7 war  anders  geartet,  verdiente  aher  Berück- 
sichtigung bei  Günther  S.  15, 


inst.  or.  5 

scribentium  so  allgemein  als  Thatsache  zugiebt.  Sollte  der  Lehrer  nicht 
auf  den  einzelnen  Fall  und  auf  die  einzelnen  Redner  oder  Schriftsteller 
exemplifizieren?  jedes  noch  so  rauhe  Wort  wird  geschickt  eingefügt 
werden  können,  wenn  wir  nicht  facilitas,  sondern  decor  compositionis 
suchen.  Freilich  würde  dann  statt  nisi  quod  zu  losen  sein  nisi  cum, 
wozu  vorzüglich  als  Parallele  pafste  VIII  3,  48  cui  natura  contrarium, 
sed  errore  par  est.  parvis  dare  excedentia  modum  nomina,  nisi  cum  ex 
industria  risus  inde  eaptatur.  —  Dafs  nach  den  Verbis  sentiendi  und 
declarandi  von  nachklassischen  Schriftstellern  bisweilen  quod  statt  des 
Acc.  c.  Inf.  gebraucht  wird,  findet  Günther  u.  a.  VI  3,  83  bestätigt.  In- 
dessen formulam  scribere  heifst  nicht  testari  oder  blofs  scribere,  wie 
Verfasser  meint,  sondern  ist  dasselbe  wie  dicam  scribere  (Cic),  d.  h. 
einen  Procefs  anstrengen,  quod  giebt  den  Grund  an.  Ebensowenig  steht 
quod  nach  dem  Substantiv  nuntius  statt  des  Acc.  c.  Inf.  XI  2,  12  Simo- 
nides nuntio  est  excitus,  quod  eiun  duo  iuvenes  equis  advecti  desiderare 
maiorem  in  modum  dicebantur.  Der  Acc.  c.  Inf  wäre  ganz  falsch,  ja 
wenn  dicebantur  fehlte,  aber  so  giebt  quod  blofs  den  Abi.  causae  nuntio 
epexegetisch  wieder.  Was  endlich  ein  Freund  zu  VIII  6,  64  vorgeschla- 
gen quam  quo  (statt  quod)  =  ut  eo  eum  quoque  (sc  numerum)  maxime 
facere  experiretur  (S.  35),  hilft  uns  so  auch  keinen  Schritt  weiter. 
Haupt:  quam  quo  eum,  qui  maxime  y/«ceret,  experiretur.  s.  Meister. 
Wie  ich  über  X  7,  13  (cf.  S.  24  u.  25)  denke,  habe  ich  Phil.  Rundsch.  I 
No.  51  S.  1628  und  III  Mo.  14  S.  435  —  436  auseinandergesetzt,  und 
wie  XII  2,  31  (cf.  S.  28  u.  29)  lesbar  zu  machen,  im  Hermes  XXII.  1 
S.  142.  Möchte  Verlässer  fortfahren  im  Quintilian  zu  arbeiten,  das  Ge- 
schick dazu  besitzt  er,  möchte  er  dann  auch  Törnebladh  berücksichtigen: 
'de  usu  particularum  apud  Quintilianum  quaestiones.'     Holmiae  1861. 

8.  Hermann  Kraffcrt.  Beiträge  zur  Kritik  und  Erklärung  latei- 
nischer Autoren.  IL  Teil.  Aurich  1882.  S.  103  u.  104  giebt  einige  kri- 
tische Bemerkungen  zu  X  l  §  46  in  der  von  Homer  handelnden 
Stelle  wünscht  er  coli.  XII  10,  23  latior  (soll  doch  wohl  beifsen  latus) 
statt  laetus  und  gleich  darauf  (soll  heifsen  kurz  vorher)  in  }>ar\i-  varie- 
/<<?<'  statt  proprietate.  $  47  vermutet  er  laudibus,  exhortationibus,  con- 
Sttfoationibus  statt  consolationibus,  §  52  utifw  circa  praecepta  sententias- 
que,  levitas  verborum  (utiles  c  p.  sententiae  levitasque  v.  die  Überliefe- 
rung). §  56  hält  er  üngers  Valgitw  stätl  Vergiliua  noch  für  die  relativ 
beste  Lesart.  §  60  denkt  er  an  quoquam  oüior  statt  <j.  minor  und  §  71 
an  iinur  statt  decor.  §  91  zieht  er  Wölt'Hins  proniua  dem  promptiua  von 
Halm  vor,  er  selbst  vermutet  propüiae.  $  94  will  er  oon  labor  durch 
tum  laboro  ersetzen.  In  der  berühmten  von  Seneca  handelnden  Stelle 
§  129  u.  130  soll  in  concupissel  dm-  Lieblingsausdruck  Quintilians  >.*■- 
cuasisset  stecken.  Notwendig  ist  keine  einzige  der  vorgeschlageneu  Ände- 
rungen, ct.  meine  Bemerkungen  Phil.  Rundsch.  III  No.  11  S.  431;  über 
consultationibus  §  46  und  Valgius  §  56  liefse  sich  allenfalls  reden. 


ß  Quintilian 

9  Gustafsson  Phil.  Rundgeh.  III  No.  9  s.  268  d.  270  wider- 
li  t'i  treffend  diese  Kraffertschen  ESmendationen,  um-  X  l.  52  atüis  <■.  p. 
sententiasque,  levitae  verborum  nennt  er  »der  drei  Correcturen  nngeach* 
tet,  vielleichl  richtig.«  Ich  kann  mich  von  der  Richtigkeil  resp.  der 
Notwendigkeil  einer  Änderung  an  dieser  Stelle  ebensowenig  überzeugen, 
wie  X  i.  46,  wo  Gustafsson  nicht  abgeneigl  isl  flatus  ac  pret  q  coli- 
X  4,  J  zu  schreiben.  Wenn  derselbe  l.  91  noch  pronku  verteidigt,  so 
darf  ieli  wohl  auf  die  Thatsache  hinweisen,  dafs  meine  Verteidigung  des 
handschriftlichen  propius  (Philolögus  XXXIX  s.  i8i  )  auch  Wölffline 
briefliche  Anerkennung  gefunden  hat.  Das  -ei  auch  für  Bchtttl  (Neue 
Phil.  Rnndsch.  7  S.  102)  gesagt.  Zu  X  l,  130  bemerkl  Gustafsson: 
»Vielleicht  ist  hier  mit  Vergleichung  von  I  •;,  20  (frivolae  in  parvis  iaetan- 
tiae)  ganz  einfach  si  aliqua  contempsisset,  <i  /»n-m  nun  coneupisset  zu 
schreiben.«  Ich  bin  der  Meinung,  dafs  diese  Stelle  bis  auf  den  henii- 
gen  Tag  noch  nicht  geheilt  ist. 

10.  C  Bohlmann,  De  attractionis  usu  et  progressn  e.  8.  dissert. 
inaug.  Vratislaviae  1882  (erste  These)  will  X  5,  1  geschrieben  wissen  nam 
id  factum  est  et  tum  primo  libro  (etiam  die  Handschriften,  iam  Halm) 
.  .  et  seeundo.  In  demselben  Mafse  wie  etiam  zu  schwach  ist  (sonst 
etiam -et  z.  B.  XI  3,  123),  ist  et  iam  (d.  i.  etiam)  zu  stark:  et  iam  .  . 
et  giebt  dem  Gedanken  der  erfolgten  explicatio  eine  Wichtigkeit,  die  er 
durchaus  nicht  beanspruchen  kann.     Das  einzig  Richtige  sah  Halm. 

11.  Ad.  Bohlmann,  Antiphontea.  dissert.  inaug.  Vratislaviae  1882. 
(fünfte  These)  conjiziert  1,  96  is  erit  Caesius  Bassus,  quem  nuper  amü 

vidimus  {videmus  G)  die  Überlieferung  —  coli.  §  90  multum  in  Valerio 
Flacco  nuper  amisimus.  Aber  mufs  denn  ein  Schriftsteller  dieselben 
Worte,  die  er  §  90  setzt,  auch  §  96  setzen?  nuper  und  vidimus  (cf. 
Seyffert-Müller  Lael.  S.  44)   —  beides  ist  in  schönster  Ordnung. 

12.  L.  Havet,  Quintilien  VIII  3,  26.  Revue  de  philologie  1882. 
Livr.  I  S.  21  habe  ich  nicht  einsehen  können,  ebensowenig  L.  Havet, 
Quint.  I  1,  30  ibid  N.  S.  VI,  3  S.  188  und  id.  un  passage  de  Quintilian 
I   1,  24  ibid.  VI  4  S.   203  U.   204. 

13.  P.  Hirt,  Quintilian  Buch  X.  Jahresber.  d.  phil.  Vereins  zu 
Berlin  (Zeitschr.  f.  Gymnasialw.  1882.  Heft  2.  3)  S.  67  -  72.  Bei  der 
Besprechung  der  quaestiones  des  Referenten  teilt  Hirt  S.  69  zu  X  3,  25 
einen  Vorschlag  Möllers  mit:  ideoque  lucubrantes  silentium  noctis  et 
clausuni  cubiculum  et  lumen  unum  velut  custos  maxime  teneat,  und  zu 
X  1 ,  4  macht  er  selbst  S.  70  (in  dem  Bericht  über  Schölls  kritische 
Bemerkungen)  den  Vorschlag:  (eum)  instruamus  qua  exercitatiow  (qua 
ratione  ed.  Colon. ,  qua  in  oratione)  quod  didicerit  facere  .  .  possit.  s. 
meine  Gegenbemerkungen  über  3,  25  Philol.  XLIII  S.  204  und  über  l,  4 
Phil.  Rundsch.  III  14  S.  428. 


inst.  or.  7 

14.    Th-  Froment,   La  critique  d'art  dans   Quintilien.     Annales 
de  la  faculte  des  lettres  de  Bordeaux  IV  1.    S.  1     15.  ■ 

Ein  interessanter  Aufsatz  in  populär -wissenschaftlichem  Gewände, 
reichlich  mit  Citaten  geschmückt,  die  durch-  eine  elegante  Übersetzung 
schmachhaft  gemacht  werden.  —  Quintilian  spricht  zu  wiederholten  Malen 
über  Malerei,  Bildhauerkunst  und  Musik,  aber  ein  selbständiges,  durch 
eingehende  Studien  erworbenes  und  befestigtes  Urteil  hat  er  in  Sachen 
der  Kunst  nicht:  dans  la  critique  d'art,  comme  dans  la  critique  litte- 
raire,  il  semble  plutöt  suivre  une  tradition  consaeree  qu'exprimer  des 
opinions  personnelles  sagt  der  Verfasser  S.  2.  Das  ist,  soweit  es  das  kunst- 
kritische Urteil  angeht,  ohne  jede  Einschränkung  richtig.  Z.  B.  was 
Plinius  Hist.  nat.  XXXV  10  über  Parrhasius  sagt,  das  reproduciert 
Quintilian  XII  10,  4.  Cicero  hatte  or.  22,  73  u.  74  in  betreff  des  de- 
corum  an  die  Gemälde  des  Timanthes  und  Apelles  erinnert,  Quintilian 
macht  es  II  13,  12-  14  ebenso.  Merkwürdig  ist  das  II  19,  3  über  Praxi- 
teles Gesagte.  -Doch  möchte  ich  darin  nicht  so  sehr  einen  Mangel  an 
künstlerischem  Geschmack  sehen,  als  vielmehr  ein  kühnes  und  schiefes 
Bild,  das  der  Rhetor  gewagt,  um  den  Wert  der  Naturanlage  zu  accen- 
tuieren.  Sehr  erklärlich  —  wenigstens  vom  Standpunkt  des  Rhetors 
aus  —  ist  die  abweisende  Haltung,  die  der  Advokat  den  Diensten  des 
Malers  gegenüber  vor  Gericht  einnehmen  soll,  cf.  VI  1,  32.  Also:  Quin- 
tilian ist  kein  Kunstkritiker,  aber  er  hat  ein  gutes  natürliches  Verständ- 
nis. "II  a  du  goüt,  ä  defaut  de  competence1  S.  7.  Er  braucht  keine 
Anweisung,  um  die  Majestät  des  olympischen  Juppiter  i,XII  10,  9)  zu 
begreifen  oder  den  Diskuswerfer  des  Myron  (II  13,  10)  zu  bewundern. 
Und  er  ist  nicht  blofs  ein  laudator  temporis  acti.  Trifft  er  Leute,  die 
die  rohen  Anfänge  einer  erst  werdenden  Kunst  den  gröfsten  Meistern 
der  späteren  Zeit  vorziehen,  so  läfst  er  sie  ziemlich  hart  an.  indem  er 
ihnen  proprius  quidam  intelligendi  ambitus  vorwirft.  (XII  10,  3).  Euer 
huldigt  er  dem  Fortschritt  und  räumt  wirklichen  Priestern  der  Kunst 
nicht  aber  den  luxuriae  ministris  gröfstmögliche  Freiheit  der  Be- 
wegung ein.  Die  Inspiration  soll  sich  über  die  Regeln  hinwegsetzen  und 
sieh  nicht  sklavisch  an  Meister  oder  Vorbild  binden.  —  Iu  der  Musik 
hafst  er  das  Virtuosentum  seiner  Zeit  mit  seineu  neuen  Instrumenten 
und  seinen  raftinements  und  niodnlations  variees.  Die  Musik  ist  nicht 
dazu  da,  um  etwa  marine  ä  la  dause  -  die  Ohren  und  Sinne  zu 
kitzeln,  sie  ist  ihm  eine  hehre  und  ernste  Kunst,  ohne  die  es  keine  wahre 
Erziehung  giebt,  grandia  elate,  iueunda  dulciter,  moderata  leniter  canil 
(I  10,  24):  so  beschwört  sie  die  Stürme  der  Seele,  und  im  den  natio- 
nalen Schranken  gehalten  verschönt  sie  gleich  der  edlen  Gabe  des 
Gesanges  das  Leben  des  einzelnen,  wie  sie  dem  Ganzen  in  Krieg  und 
Frieden  Nutzen  bringt.  Die  ganze  Kunstkritik  des  Quintilian  ist  in  die 
sechs  Worte  gefafst  (VIII  3,  in  uumquam  yera  species  ah  utilitate 
dividitur. 


g  Quintilian. 

15.  A.  Eussner  will  IX  i.  L29  iNeue  Jahrb.  im-  Phil.  125.  Bd. 
lieft  f>  iiinl  •'>  S.  426)  folgendermafsen  emendieren:  oamque  omnia  eine 
im;,  bistoriae)  membra  conexa  Bunt  ei  quoniam  Lubrica  est,  fertur  (cf. 
IX  -i.  112)  ac  Unit  (esl  ac  tluit  A.  et  hac  Unit  G  8,  hac  atqoe  illac  Halm, 
hac  ei  illac  f.  Meister  beide  nach  Spalding)  ul  hominee  qoi  manibus 
invicem  adprehensis  gradum  firmant,  continenl  ei  continentur,  Auch  auf 
IX  4,  18  historia  currere  debel  ac  ferri  hätte  Eussner  Doch  verweisen 
können,  nm  seine  EmendatioD  zu  stutzen.  Trotzdem  halte  ich  dieselbe 
nichl  für  richtig.  Zwar  dafs  die  gewöhnliche  Lesung  hac  atqtu  Ulai  an- 
haltbar ist,  darin  stimme  ich  Eussner  vollkommen  bei.  Die  angezogenen 
Stellen  zeigen,  was  der  Rhetor  von  der  historia  verlangt:  dafs  sie  fertur, 
currit,  fluit,  nicht  aber  hac  atque  illac.  Was  Bollte  denn  auch  das  Bild 
mit  ut,  das  doch  nur  den  continuierlichen  Zusammenhang  malt?  Viel- 
mehr —  um  der  historia  den  orbis  contextusque  zu  sichern  und  das 
omnia  eius  membra  conexa  sunt  recht  einzuschärfen,  bedient  sich  Quin- 
tilian zweier  Gleichnisse,  von  denen  das  eine  mehr  den  äufseren  glatten, 
ungehinderten  Ab-  und  Verlauf  der  Begebenheiten  veranschaulicht  und 
fast  in  Form  einer  Parenthese  auftritt,  das  andere  mehr  den  inneren 
Zusammenhang,  den  Gang  und  die  Consequenz  der  Thatsachen  sowie 
die  Kontinuität  ihrer  Entwicklung  beleuchtet.  Ist  das  aber  richtig,  so 
ist  et  vor  quoniam  zu  streichen,  wie  z.  B.  bei  Spalding  geschehen  ist, 
und  lubrica  est  ac  fluit  gehört  aufs  engste  zusammen,  lubricus  =  glatt 
dahinfliefsend,  z.  B.  1.  et  Simois.  Hör.  epod.  XIII,  14.  Beiläufig  —  was 
ist  denn  IX  4,  127  an  hie  (Regius  haec)  enim  lenis  et  fluens  contextus 
decet  auszusetzen?     Zu  hie  cf.  z.  B.  IV  2,  39,  zu  decet  VIII  3,  2u  u.  a. 

16.  Derselbe  A.  Eussner,  spricht  N.  Jahrb.  127.  Bd.  S.  412  über 
XII  10,  64  (Homerus)  summam  expressurus  in  Ulixe  faeundiam  et  magni- 
tudinem  illi  vocis  et  vim  orationis  nivibus  hibernis  copia  verborum  atque 
impetu  parem  tribuit.  Eussner  glaubt  in  verborum  mit  Sicherheit  ein 
Einschiebsel  zu  erkennen,  weil  es  nur  zu  dem  einen  Gliede  des  Ver- 
gleiches vis  orationis  und  nicht  auch  zu  nivibus  hibernis  passe,  und  weil 
zweitens  copia  verborum  nicht  die  Fülle  der  Rede  bei  Quintilian  be- 
deute, sondern,  wie  aus  X  1,  5  erhelle,  deu  Sprachschatz,  über  welchen 
der  Redner  verfügt.  Indessen  copia  und  impetu  sind  nicht  abl  limita- 
tionis,  sondern  instrumenta  so  dafs  die  alleinige  Beziehung  auf  vis 
orationis  völlig  gerechtfertigt  ist.  Und  wenn  copia  verborum  bei  Quin- 
tilian wirklich  immer  blofs  den  Sprachschatz  des  Redners  bedeutet,  so 
ist  doch  so  viel  klar,  dafs  dem  Ulixes  durch  den  Zusammenhang  ein 
reicher  Sprachschatz  vindiziert  wird,  woraus  sich  denn  die  Fülle  der 
Rede  von  selber  ergiebt. 

17.  Derselbe  Eussner  handelt  N.  Jahrb.  131.  Bd.  S.  615  617  (cf. 
Litt.  Centralblatt  1885  No.  22  Sp.  753f.)  über  X  1,  90.  1,  22.  1,  79. 
2,  17.  7,  5.    Dafs  1,  90  das  überlieferte  et  ut  dicam  quod  sentio,  magis 


inst.  or.  9 

oratoribus  quam  poetis  imitändus  sc.  Lucanus  das  einzig  richtige  i-t.  sah 
schon  Claussen:  quaest.  Quintilianeae  S.  357  Anm..  was  Eussner  entgangen 
ist,  s.  auch  unter  Hild.  -  1,  22  will  Eussner  in  den  Worten  quin  etiam 
si  minus  pares  videbuntur  aliquae  das  quin  streichen.  Es  unterliegt 
keinem  Zweifel,  dafs  dadurch  der  Stil  Quintilians  verbessert  wird,  denn 
ein  doppeltes  quin  etiam  in  einem  und  demselben  Paragraphen  ist  ent- 
schieden anstöfsig,  nur  nicht  bei  Quintilian.  cf.  Bonneil- Meister  S.  13. 
Auch  das  ist  zweifellos,  dafs  der  chiastische  Gegensatz  zwischen  utilis- 
simum  .  .  utrimque  habitas  legere  actiones  und  easdem  causas  .  .  utile 
erit  scire  durch  diese  Tilgung  schärfer  markiert  wird.  Ob  aber  deshalb 
quin  zu  streichen,  ist  mir  doch  nicht  so  ganz  zweifellos,  denn  was  Eussner 
als  direkten  Grund  für  die  Tilgung  beibringt,  dafs  nämlich  »etiam  durch 
das  folgende  tarnen  bedingt  ist,  was  wieder  durch  quin  verdunkelt  wird.« 
scheint  mir  nicht  zutreffend.  Warum  mufs  tarnen  mit  etiam  in  Bezie- 
hung gesetzt  werden?  warum  nimmt  mau  nicht  si  =  etiamsi,  dem  es 
durch  ein  gegenübertretendes  tarnen  nicht  selten  gleicht?  cf.  Cic.  Pomp. 
17,  50,  pro  Deiot.  9,  25,  Sali.  bell.  lug.  85,  48  u.  a.  Quin  etiam  ist 
deshalb  gesagt,  weil  dieser  Satz,  der  minus  pares  actiones  zu  lesen 
empfiehlt,  eine  Ausnahme  von  der  sonst  konsequent  befolgten  Regel 
bildet,  dafs  das  Beste  für  den  zukünftigen  Rhetor  grade  gut  genug  isl 
Also:  so  beachtenswert  der  Vorschlag  Eussners  ist  und  so  sehr  ich 
wünschte,  der  Rhetor  hätte  geschrieben,  wie  Eussner  will,  für  zwingend 
halte  ich  die  Änderung  nicht  Wie  1,  79  zu  interpungieren  ist.  habe 

ich  Rhein.  Mus.  XLI1  S.  144  u.  14  5  dargethan.  Damit  fällt  Eussners 
Vorschlag  die  Worte  so  zu  stellen:  auditoriis  enim  so.  non  iudieiis  eom- 
pararat,  honesti  Studiosus:  in  inventione  facilis,  in  compositione  adeo  dili- 
gens  e.  s.  s.  auch  unter  Maehly.  —  Über  2,  17  werde  ich  mich  bei  Hild 
aussprechen,  und  dafs  es  unnötig  ist  7.  6  umzustellen  quisquis  autem 
via  ducetur1)  </>'(■< t  ante  omnia  rerum  ipso  serie  velut  duce,  glaube  ich 
Phil.  XEY  4  S.  722  u.  723  nachgewiesen  zu  haben.  Da  §  5  beginnt 
nota  sil  primum  dicendi  via,  so  ist  via  dicet  wenigstens  vorbereitet,  und 
gerechtfertigt  isl  der  Ausdruck  durch  die  Parallele  Cic.  Brut.  12.  46 
nam  antea  neminem  solitum  via  nee  arte  sed  aecurate  tarnen  ei  de  scripto 
plerosque  dicere.  Die  qualitative  Verschiedenheil  der  Metapher  ferner 
denn  duci  ist  sein-  gewöhnlich  (cf.  XI  2,  39),  serie  velut  duce  sehr 
kühn  verbietet  von  einer  Tautologie  zu  reden.  Meister  ist  hier  und 
l,  22  Eussner  gefolgt,  auch  l.  90  schreibt  er  mit  Claussen  und  Eussner 
et  ut  d. 

18.  Ferd.  Meister  giebt  im  Philologus  XI, II.  l  S.  141  -  157 
einen  ausführlichen  Jahresbericht  zu  Quintilian,  in  dem  er  sich  nament- 
lich mit  Boettner,  Becher,  Schnell.  Günther,  v.  Morawski,  Ritter  (Unter- 
suchung über  die  Art    und   Herkunft   der  Quint.  Decl.)  und   mit   Beiner 


•)  dicet  (.t    1.  ducetur)  schon  in  Bonn  IIa  Lex    S 


]0  Quintilian. 

neuen  Auflage  des  Bonnellscben  1.  X  beschäftigt.  Wa  Meister  ^agt, 
ihis  ist  alles  aufs  sorgfältigste  and  schärfste  durchdacht  and  gegründet 
auf  eine  seltene  Vertrautheit  mit  dem  Sprachgebranch  des  Rhetors. 

19.  E.  Gruenwald,  Quae  ratio  intercedere  videatur  inter  Quin- 
tiliani  institutionem  oratoriam  et  Taciti  dialogum.  Doctordissertation 
von  Berlin,  Mayer  &  Muller.  i««3.  57  S.  8.  Reo.-.  PhiL  Rundschau 
IV.  Jahrg.  No.  26  S.  785-787  von  Eduard  Wolff1). 

In  seiner  Abhandlung  (N.  Jahrb.  f.  Phil.  Supplementband  12)  de 
dialogi  qui  Taciti  nomine  fertur  sermone  indicium  hatte  Th.  Vogel  den 
Nachweis  zu  erbringen  versucht  S.  254—266  '  Universum  colorem  (dialogi) 
adeo  esse  Quintilianeum ,  ut  non  modo  aequalem  eius,  sed  amicum  di- 
scipulumve  scriptorem  fuisse  statuendum  sit'.  Zu  diesem  Zweck  druckt 
er  den  Text  vom  Dial.  XVIII  — XXIII  verbotenus  ab  und  begleitet  ihn 
in  den  Anmerkungen  mit  Parallelen  aus  Quintilian.  Gruenwald  macht 
sich  den  Gedanken  Vogels  zu  eigen,  ihn  stützend  resp.  ergänzend.  Kr 
gliedert  seinen  Stoff  folgendermafsen.  §  1  S.  7-  27  de  sermonis  Dialogi 
cum  Quintiliano  similitudine,  §  2  S.  27  —  31  quae  ex  dictionibus  modo 
allatis  etiam  apud  Ciceronem,  Senecam,  Plinium  min.  aliosque  reperian- 
tur,  §  3  S.  31  41  de  argumentorum  et  Dialogi  et  Institutionis  oratoriae 
similitudine,  §  4  S.  41  —  49  de  libello  quem  Quintiliauus  de  causis  cor- 
ruptae  eloquentiae  scripsisse  se  fateatur,  §  5  S.  49—57  de  Tacito  Quin- 
tiliani  auditore.  Um  die  Ähnlichkeit  der  Sprache  des  Dialogus  mit  der 
Quintilians  zu  erweisen,  folgt  Gruenwald  Schritt  für  Schritt  dem  Text 
des  Tacitus  und  zieht  mit  Ausschlufs  jener  von  Vogel  behandelten  Capi- 
tel  alle  Wendungen  heraus,  die  er  mit  quintilianeischen  belegen  zu 
können  glaubt.  Dafs  diese  Methode  eine  glückliche  sei,  läfst  sich  nicht 
behaupten.  Nicht  Worte,  Wendungen,  Phrasen  aufzuzählen  genügt  uns, 
sondern  die  Erscheinungen  abzuwägen,  sie  nach  der  lexikalischen,  gram- 
matischen und  stilistischen  Seite  zu  prüfen  -  darauf  kam  es  an.  Wir 
haben  wohl  eine  inventio  des  Stoffes,  aber  keine  dispositio,  es  fehlt  das 
Systematische,  und  so  geht  der  Blick  für  das  Wesentliche  verloren.  Er- 
scheinungen charakteristischer  Art,  wie  z.  B.  ut  sie  dixerim  dial.  c.  34 
cf.  Quint  I  6,  1,  nempe  enim  c  35  cf.  II  13,  9,  non  quia  c.  Conj.  c.  37 
cf.  IV  1,  37,  paratus  in  c.  41  cf.  X  5,  12  —  diese  und  ähnliche  waren 
auf  ihren  historischen  Ursprung  und  ihre  Entwickelung  hin  zu  unter- 
suchen, um  daraus  die  schriftstellerische  Individualität  beider  Männer 
resp.  die  Abhängigkeit  des  Dialogus  von  Quintilian  zu  eruieren.  Bei 
Gruenwald   steht  ohne   Wahl   Wichtiges   neben  Unwichtigem,   ja  neben 


i)  Aus  Wolff  a,  a.  0.  S.  787  —  792  ersehe  ich,  dafs  auch  Ludovicus 
Kleiber,  Quid  Tacitus  in  Dialogo  prioribus  scriptoribus  debeat.  Diss.  inaug. 
Halens  Berlin,  Mayer  &  Müller  1883.  90  ö.  8.  das  Verhältnis  zwischen  dem 
Dialog  und  Quintilian,  namentlich  am  Schlufs  der  Dissertation,  bespricht.  Mir 
ist  die  Arbeit  nicht  bekannt. 


inst.  or.  1 1 

Trivialem.  Was  soll  es  der  Wissenschaft  nützen,  wenn  er  aufführt  und 
belegt  S.  8  hercule,  invenis  admodnm  S.  11  natus  ad,  iam  vero  (in  tran- 
situ)  S.  14  refertas  (c.  Abi.),  apud  te  S.  15  dignnm  aliquid  S.  16  non 
magis  quam  u.  s.  vv.  ?  Noch  Dutzende  von  Beispielen  könnte  ich  nennen. 
Wenn  dies  Verzeichnis  also  stark  durch  die  nebensächlichsten  und  land- 
läufigsten Dinge  aufgeschwellt  ist,  so  fehlt  hinwiederum  in  der  Tabelle 
S.  28  29,  wo  die  mit  dem  Sprachgebrauch  Ciceros  übereinstimmenden 
Stellen  erwähnt  sind,  so  viel,  dafs  selbst  elementaren  Anforderungen 
nicht  Genüge  geschieht.  Nur  einiges  sei  herausgehoben.  C.  1  ex  me 
requiris,  cf.  z.  B.  Cic.  pro  Caelio  XXVIII,  67,  Iuste  Fabi,  cf.  pro.  Mil. 
III  8.  In  den  Briefen  Ciceros  wird  das  Cognomen  dem  Gentilnamen 
bekanntlich  sehr  häufig  vorgestellt,  wenn  auch  in  sorgfältiger  republika- 
nischer Prosa  dergleichen  Transposition  nicht  vorkommt  (Mommsen). 
C  5  mihi  coniunctiorem  cf.  Brut  XCII  317.  C.  6  attulerit  (fut.  II)  — 
commendat  cf.  ad  Att  X  8,  5.  C.  17  vel  (ter  rep.)  cf.  Lael.  IV  13. 
C.  25  quamvis  (in  sent.  mutilata)  cf.  Tusc  III  30,  73.  C.  29  cuiquam 
ministerio  cf.  Verr.  II  6,  17  und  meine  quaest.  S.  15  u.  16.  C.  31  alie- 
mim  erit  oratori  cf.  pro  Caecina  IX  24  u.  s.  w.  -  Im  dritten  Abschnitt, 
der  eine  Fülle  inhaltlich  ähnlicher  Stellen  des  Dialogus  uud  der  Insti- 
tutio  nach  Eckstein  bietet  csed  altero  tanto  auctam',  streift  Verfasser 
S.  33  auch  die  Interpretation  der  schwierigen  Stelle  dial.  c.  12  nee  ullis 
aut  gloria  maior  aut  augustior  honor,  primum  apud  deos,  quorum  pro- 
ferre  responsa  et  interesse  epulis  ferebantur,  deinde  apud  illos  diis  ge- 
nitos  sacrosque  reges,  inter  quos  neminem  causidicum,  sed  Orphea  et 
Linum  ac  .  .  .  ipsum  Apollinem  aeeepimus,  indem  er  passend  nach  Vogel 
a.  a.  O.  S.  264  u.  265  Quintil.  I  10,  9  vergleicht,  unpassend  inter  quos 
mit  dem  weit  entfernten  ullis  verbindet.  In  der  angezogenen  Stelle  c  28 
lasse  ich  mir  die  Beziehung  des  coram  qua  auf  propiDqua  schon  eher 
gefallen,  hier  aber  halte  ich  diese  Auslegung  resp.  Verbindung  für  schier 
unmöglich.  Baehrens  stellt  quorum  ferebantur  hinter  reges,  aber  durch 
das  in  der  Luft  schwebende  proferre  responsa,  welches  schwerlich  mit 
deos  verbunden  werden  kann,  läl'st  auch  er  mindestens  eine  ungelöste 
Schwierigkeit  zurück.  —  Der  vierte  Paragraph  sucht  darzuthun,  dafs 
die  Annahme  der  Identität  des  Dialogus  und  des  in  der  inst.  or.  mehr- 
fach erwähnten  quintilianeischen  Buches  de  causis  corruptae  eloquentiae 
darum  unstatthaft  sei,  weil  der  Titel  nicht  für  den  Dialogus  passe  und 
andererseits  jenes  Buch  des  Quintilian  mehrere  Jähre  später  (?)  verfafst 
zu  sein  scheine,  cf  Reuter.  Im  fünften  Paragraphen  endlich  nennt 

Verfasser  in  Übereinstimmung  mit  Vogel  a.  a.  <>.  S.  266  und  277  Taei- 
tus  einen  Zuhörer  des  Quintilian  wie  Plinius  diu  Jüngeren,  ohne  jedoch 
wirklich  durchschlagende  Gründe  für  diese  gewifs  richtige  Behauptung 
beizubringen  Denn  um  um-  das  Wichtigste  zu  erwähnen:  wenn  Tacitus 
im  Dialogus  durch  die  Sprache  Ciceros  stark  beeinflufst  erscheint,  so 
mufs  das  doch  nicht  darin  seinen  Grund  haben,  dal-  er  durch  die  viva 


12  Quintilian. 

\n\  des  Qnintiliazi  Liebe  für  Cicero,  Hafs  gegen  Beneca  i  n  bat.  — 

Der  Druck  der  Arbeit  hätte  sorgfältiger  Überwacht  werden  Bollen     An- 
der Menge  der  Fehler  erwähne  ich  nur  einen,  weil  er  über  das  Mals  des 
Erlaubten  resp.  Verzeihlichen  einigermafeen  binausgreift:  8.  10  locuples 
X  i,  67  statt   X   l.  87.     Anstatt   den  Texl   einzusehen,  hat   Verla 
einfach  den  Fehler  de-  Bonnellschen  Lexikons  weitergetragen. 

•jo.  J.  Farkas,  Quintilianus  pälyavälasztäsa.  Paedagogiai  616t- 
k6p,  Kolozsvar.  Progr.  d.  kath.  Gymn  8.  90  8.  habe  ich  nicht  zuge- 
schickt erhalten 

21.  P.  Hirt,  Jahresbericht  zu  Quintilian,-  Zeitschr.  f.  Gymnasialw. 
1882.  8.  S.  312  317  besprichl  mit  sicherem  kritischem  Urteil  Bonnells 
1.  X  5.  Auflage  von  Meister.    Dabei  findet  des  Referenten  Recension  der 

Meistersehen  Ausgabe  Phil.  Rundsch.  III  N<>.  14  und  15  eingehende  Be- 
rücksichtigung. Spezielbwird  meiner  Rechtfertigung  des  durch  L  8  über- 
lieferten secundum  (i,  53)  gedacht  und  meiner  Erklärung  der  lactea 
ubertas  (1,  32)  =  der  reinen  lauteren  Fülle. 

22.  Ferd.  Becher,  Phil.  XXXIX  S.  181  u.  182  zu  X  l.  <Jl  quem 
praesidentes  studiis  deae  propius  audirent?  Durch  Vergleich  von  Verg.  Aen. 
I  526  parce  ]>io  generi  et  propius  res  aspice  nostras  weise  ich  nach, 
dafs  die  handschriftliche  Überlieferung  unantastbar  ist,  so  dafs  es  weder 
des  Halmschen  promptius  noch  des  Woeltfiinchen  pronius  bedarf.  Pro- 
pius heilst  nicht  nur  aus  gröfserer  Nähe,  sondern  auch  mit  gröfserem 
Interesse  und  bezieht  sich  auf  die  wohlwollende,  gnädige  Teilnahme  der 
Musen  bei  der  Vorlesung  der  Gedichte  ihres  Günstlings.  Wie  in  der 
Vergilstelle  das  Organ  des  Auges,  so  vermittelt  bin-  das  Ohr  die  innere 
Nähe,  die  seelische  Beteiligung,  s.  auch  Phil.  Rundsch.  III  15  S.  464 
und  cf.  Ovid.  trist.  I  2,  7. 

23.  Ibid.  XLIII  S.  203-205  bespreche  ich  X  3,  25  ideoque  lucu- 
brantes  silentium  noctis  et  clausuni  cubiculum  et  lumen  unum  velut  n 
maxime  teneat.  rectos  ist  sinnlos ,  nichtsnutzig  alle  dafür  vorgeschlage- 
nen Conjecturen,  nicht  zum  wenigsten  meine  eigene  quaest.  S.  26  mit- 
geteilte. Nur  tectos,  was  ed.  Leid,  bietet,  trifft  das  Richtige.  Formell 
ist  nichts  gegen  velut  tectos  einzuwenden,  denn  rectus  und  tectus  ist 
eine  häutige,  weil  naheliegende  Verwechselung  in  den  Handschriften, 
recteque  statt  /ecteque  (d.  h.  tectaegäe)  steht  z.  B.  in  M  auch  IX  1.  20 
cf.  C.  F.  W.  Müller  adn  crit.  S.  XCVII  zu  Cic.  pro  Deiot.  6,  16.  Und 
den  Sinn  anlangend,  so  ist  tectus  ein  Ausdruck  der  Gladiatoren-  und 
Soldatensprache,  aus  der  bekanntlich  viele  Metaphern  Quintilian-  stam- 
men, cf.  Orelli  zu  Cic.  pro  Dejot.  6,  16.  Gegensatz  zu  tectus  ist  aper- 
tus,  wie  der  taktische  Ausdruck  latus  apertum  beweist,  cf.  Heraeus  zu 
Tac.  bist.  II  21.  Wenn  es  sich  hier  nicht  um  ein  Bild  des  Kampfes, 
sondern  um  ein  iustum  proelium  handelte,  so  würde  natürlich  velut  über- 
flüssig sein,  so  aber  ist  es  vor  der  Metapher  völlig  am  Platz,  s.  Wollner. 


inst    or.  13 

24.  Ibid.  XLV  S.  722  —  725  werden  X  1,  72.  7,  6.  7,  24  u.  25. 
7,  31  und  5,  13  einer  Besprechung  von  mir  unterzogen.  1,  72  schlage 
ich  vor  zu  lesen:  tarnen  habent  alii  quoque  comici,  si  cum  ingenio  legun- 
tur,  quaedam  quae  possis  decerpere,  in  der  Überzeugung,  dafs  das  über- 
lieferte cum  venia  nicht  genügt,  weil  es  hier  —  im  Gegensatz  zu  der 
Frotscherschen  Parallele  Ovid  Trist.  IV  1,  104  (cf.  ib.  I  1,  46)  —  nicht 
sowohl  auf  das  blofse  legere  als  auf  das  decerpere  ankommt,  und  weil 
das  decerpere  nicht  etwa  ein  nachsichtiges,  sondern  ein  aufmerksames, 
verständiges  Lesen  voraussetzt.  Grade  von  Menander  sagt  der  Rhe- 
tor  1 ,  69  -  worauf  mich  Woelffiin  brieflich  ausdrücklich  aufmerksam 
macht  —  qui  vel  unus,  meo  quidem  iudicio  diligenter  lectus  ad  cuncta, 
quae  praecipimus,  effingenda  sufficiat,  cf.  1,  116  u.  a.;  1,  69  drängt  zu 
cum  diligentia,  was  mir  gleichfalls  in  den  Sinn  gekommen,  1,  116  zu 
cum  iudicio,  was  Schoell  eingesetzt  wissen  will:  beide  Vorschläge  werden 
durch  das  obige  cum  ingenio  überflügelt,  weil  es  handschriftlich  viel 
näher  liegt  (m  =  in)  und  dem  Sinn  volles  Genüge  bietet,  denn  cum  in- 
genio heifst  »mit  Verstand«  (Georges)  cf.  Cic.  ad  fam.  XIII  10,  2  und 
Ulp.  Dig.  I  16,  9  patientem  esse  proconsulem  oportet,  sed  cum  ingenio, 
ne  contemptibilis  videatur.  Über  7,  6  siehe  unter  Eussner.  —  7,  24  u. 
25  nehme  ich  die  Überlieferung  von  M.  in  Schutz:  est  alia  (illa  B,  et 
illa  die  Herausgeber  mit  Spalding)  exercitatio  cogitandi  totasque  mate- 
rias  vel  silentio  (dum  tarnen  quasi  dicat  intra  se  ipsum)  persequendi  e.  s. 
cf.  IX  2,  57  est  alia  non  quidem  reticentia  e.  s.  Was  man  immer 
als  Parallele  anführt  IX  3,  35  est  et  illud  repetendi  genus,  quod  simul 
proposita  iterat  et  dividit,  pafst  absolut  nicht,  weil  jenes  repetendi  einem 
in  unserer  Stelle  zu  ergänzenden  dicendi  entspricht,  cogitandi  e.  s. 
aber  grammatisch  jenem  Satz  mit  quod  gleicht.  Cogitandi  und  perse- 
quendi sind  genetivi  definitivi  oder  epexegetici,  wie  fines  montium  et 
fluviorum,  exitus  mortis.  -  In  den  schwer  zu  erklärenden  Worten  7,  31 
fasse  ich  contraxit  =  gesammelt  (cf.  Tac.  dial.  c.  37).  Tiro  hat  die 
commentarii  Ciceros  gesammelt  und  veröffentlicht,  ab  ipso  (sc.  Cicerone) 
in  memoriam  posteritatis  non  sunt  compositi.  —  quos  non  ideo  excuso  e.  s. 
heifst:  Diese  Skizzen  in  ihrer  durch  den  privaten  /weck  bedingten  Ge- 
stalt entschuldige  und  rechtfertige  ich  (excuso)  nicht  deshalb,  als  ob 
sie  mir  nicht  gefielen,  sondern  damit  sie  —  auch  in  dieser  Form  —  noch 
gröfsere  Bewunderung  für  den  Genius  des  Verfassers  erwecken.  —  Durch 
Vergleich  endlich  von  III  5,  10  Milo  Clodium  occidit,  iure  occidit  insi- 
diatorem:  nonne  hoc  quacritur,  an  sit  ins  insidiatorem  decidendi  wird 
die  Überlieferung  von  5,  13  verteidigt:  aam  quid  interesl  d  Cornelius 
tribunus  plebis,  quod  codicem  legerit,  reus  sit*  an  quaeramus:  violeturne 
maiestas,  si  magistratus  rogationem  suam  populo  ipse  recitarit?  e.  s. 
Die  finita  oder  specialis  causa  zeigt  hier  wie  III  5,  10  und  VII  l,  34 
die  Form  der  assertorischen  Behauptung,  denn  reus  sit  ist  blofa  durch 
die  disjunktive  Frage  hervorgerufen,  die  infinita  causa  dagegen  erscheint 


14  Quintilian 

in  der  Frageform,  einer  Form,  die  den  Schriftsteller  min  nicht  mehr  in 
den  beides  folgendes  finitae  und  infinitae  quaestionee  rerläfst 

25.    P.  Teichert,  De  fontibua  Quintiliani  rhetoricis.   Diss.   Königs- 
berg (Beyer).   8.   58  S. 

Der  Zwick  der  Schrift  wird  8.  ]  mit  folgenden  Worten  angegeben: 
eruere  in  animo  est,  quae  ex  Aristotelis.  Etutilii,  Cornificii  libris  rheto- 
ricis sumpseril  Fabius,  Bumptis  quomodo  usus  Bit,  quod  in  rebus  ambi- 
guis  \el  controversis  iudicium  ostenderit,  quae  ex  snis  addiderit.  Die 
Ausführung  hält  nicht  ganz,  was  die  Einleitung  verspricht:  Rntilius  wird 
ausgemerzt  und  für  die  Zukunft  aufgespart  (cf.  8.  58),  der  Verfasser 
handelt  nur  S.  2-35  de  Aristotele  Quintiliani  auctore,  8.  36  —  58  quae 
ex  Cornificii  libris  rhetoricis  habeal  Quintilianus.  Wenn  .Meister  jetzt 
in  dem  index  scriptorum  a  Quintiliano  citatorum,  qnorum  opera  extant 
(S.  339)  21  Stellen  des  Quintilian  unter  Aristoteles  angiebt .  30  werden 
wir  die  erste  de  interpretatipne  2,  3,  cf.  Quint.  1,  6,  28  mit  Teichert 
S.  24  u.  25  ausscheiden,  weil  es  mehr  als  wahrscheinlich  ist,  dafs  diese 
Stelle  nicht  aus  Aristoteles,  sondern  aus  Cic.  Top.  VIII  35  geflossen  ist. 
So  bleiben  20  Stellen,  dieselbe  Zahl  wenigstens  wie  bei  Teichert  (S  3): 
»Duos  tantum  libros  nominatim  laudat  Quintilianus:  libros  de  arte  rheto- 
rica  tres  et  Gryllum\  alios  eum  evolvisse  coniectura  modo  assequi  possu- 
mus,  quia  ipsi  libri  interierunt:  aüvaywyijv  -syvwv,  ao^caz^v,  artem  Theo- 
decteam.  Alios  eum  non  evolvisse  aut  certum  est  ut  librum  de  inter- 
pretatione,  aut  vero  proximum,  ut  illum  de  categoriis«  S.  31.  Wie  steht 
es  nun  mit  der  ~ixwl  i>rt~opixi)  als  Quelle  des  RhetorsV  Teichert  ver- 
gleicht beide  Autoren  hinsichtlich  der  definitio,  materia,  den  partes  rhe- 
torices,  genera  causarum,  Status  und  probationes,  aber  das  Resultat  ist 
sehr  kläglich:  »hoc  tenenduin  est  praeter  definitionem  artis  rhetoricae 
et  nonnulla  exempla  nullam  sententiam  ad  verba  tarn  similem  esse  Aristote- 
leae  ut  inde  originem  duxisse  manifestum  sit«  S.  32  u.  33.  Wir  sind  eben 
fast  immer  auf  verschiedene  Möglichkeiten  angewiesen,  und  die  Angabe 
jener  20  Stellen  —  Halm  bietet  mehr  und  Teichert  stimmt  im  einzelnen 
nicht  mit  Meister  —  ist  nur  ein  Notbehelf  das  ursprüngliche  Eigentum 
des  Stagiriten  auszusondern.  Thatsächlich  gilt  von  Quintilian  dasselbe, 
was  Madvig  de  fin.2  exe  VII  S.  843  von  Cicero  sagt:  multa  Aristotelis 
de  multis  rebus  iudicia  sie  per  aliorum  libros  sparsa  fuisse  ut  ea  Cicero 
et  ponere  et  ad  Aristotelem  auetorem  referre  posset,  etiamsi  ipse  ea  ex 
eius  libris  non  sumeret.  Nun  erwächst  aber  der  Quellenforschung  eine 
grofse  Schwierigkeit.  Es  giebt  Stellen,  wo  Quintilian  grofser  Nachlässig- 
keit (V  10,  17;  III  6,  49;  IV  2,  32;  III  7,  1),  ja  der  Unzulänglichkeit 
(III  8,  63,  III  9,  5)  in  der  Benutzung  des  Aristoteles  geziehen  werden 
kann,  während  andere  II  17,  14;  III  6,  60;  III  6,  49;  VIII  3,  37;  III 
8,  8;  VIII  3,  6  geeignet  scheinen,  nicht  nur  eine  genaue  Kenntnis  des 
Stagiriten,  sondern  teilweise  sogar  Schärfe  der  Auffassung  und  der  Com- 


inst.  or.  15 

bination  in  der  Wiedergabe  der  Vorschriften  jenes  zu  bezeugen.  Teichert 
hilft  sich  auch  hier,  indem  er  behauptet,  die  Vertrautheit  des  Rhetors 
mit  Aristoteles  sei  nur  scheinbar,  in  Wahrheit  verdanke  er  vieles  sekun- 
dären Quellen,  wie  Cicero  und  Dionys  von  Halicarnass-  Und  dafs  sehr 
viele  Lehren  des  Aristoteles  Gemeingut  der  Ehetoren  geworden,  bezeugt 
Philodem  (vol.  Hercul.  tom.  III  S.  185)  (zä  nepl  zä  rAhrt)  zohz  pyzopag 
ou;  06  npogrjxov  kauzoTg  obx  iyyeiprßat  ix  za>v  "Apiazozikoug  jxzzs.vzy- 
xecv  zä  XotTcä  /iszsvrjvo^üzag.  Jedenfalls  ist  Stahr  (Aristoteles  bei 
den  Römern)  den  Beweis  schuldig  geblieben,  den  wir  nach  seinen  Wor- 
ten S.  113  erwarten:  »Wie  genau  und  sorgfältig  Quintilian  diese  (sc.  die 
Rhetorik  des  Aristoteles)  benutzt  hat,  soll  erst  weiterhin  nachgewiesen 
werden.« 

Im  zweiten  Abschnitt  thut  der  Verfasser  recht  daran  die  vier 
Bücher  Rhetorica  ad  C.  Herennium  —  nach  dem  entscheidenden  Vorgang 
von  Kayser  —  dem  Cornificius  zu  vindizieren.  Ebenso  richtig  ist  es, 
wenn  er  Quintilian  von  dem  Vorwurfe  des  malignum  silentium  (Kayser 
praef.  ed.  S.  13)  befreit,  als  habe  unser  Rhetor  an  verschiedenen  Stellen 
absichtlich  den  Namen  des  Cornificius  verschwiegen,  weil  er  fürchtete, 
jene  Bücher  möchten  dem  Ruhme  seines  Werkes  Abbruch  thun.  Ich 
stelle  mir  mit  Teichert  den  Quintilian  als  eine  ehrenhafte,  zum  Aner- 
kennen geneigte  Persönlichkeit  vor,  der  nichts  ferner  lag  als  kleinliche 
invidia  (cf.  X  1 ,  40).  Die  Stellen ,  welche  Kayser  als  besonders  be- 
weiskräftig für  seinen  Vorwurf  anführt,  sind  nicht  aus  Cornificius, 
sondern  aus  Cicero  de  inv.  geflossen.  Man  vergleiche  z.  B.  inst.  III  6, 
13  mit  de  inv.  I  10,  13  f.,  inst.  IV  2,  83  mit  de  inv.  I  20,  29,  inst.  IV  2, 
44  mit  I  20,  29  u.  s.  w.  Benutzt  ist  nur  1.  IV  des  Cornificius,  wie  denn 
auch  Meister  in  seinem  index  S.  345  nur  zu  diesem  Buche  ein  Dutzend 
Stellen  angiebt.  —  »Exilia  sane  sunt  quae  invenit  P.  Teichertus  in 
Dissertatione,  quam  audacius  quam  rectius  inscripsit  de  fontibus  Quin- 
tiliani  rhetoricis.  quamquam  non  homo  doctus  est  arguendus  sed  Fabius, 
qui  fontes  suos  caute  (!)  occultavit,«  sagt  Reuter  S.  71  Anm.  mit  Recht 
(s.  No.  62).  -  Der  Druck  ist  nicht  sorgfältig  kontroliert,  die  Latinität 
nicht  korrekt  genug.  Von  disertis  verbis  S.  20.  23.  32  statt  diserte  Liv. 
(aperte  Cic)  will  ich  nicht  viel  reden,  aber  herausheben  mufs  ich  doch 
beispielsweise  S.  9  quorum  (sc.  rhetorum)  annon  unus  alterve  aeque  ac 
Fabius  ceterorum  auctorum  defimtiones  perstrinxeriit,  discerni  non  nun 
potest,  sed  a  verisimilitudine  non  abhorret.  Der  Verfasser  meint  im 
perstrinxerit.  Ebenso  inkorrekt  ist  S.  48  quem  ipse  maxime  acstiniabat 
(s.  Krebs-Schmalz  S.  111)  u.  a.  Warum  ist  nicht  nach  Halm  citiert? 
An  die  Erfüllung  des  S.  58  gegebenen  Versprechens  de  Rutilio  et  Cice- 
rone Fabii  auetoribus  zu  handeln,  wollen  wir  den  Verfasser  freundlichst 
gemahnt  haben. 

26.  M.  Kiderlin,  Zu  Quintilianus.  Jahrbücher  für  Philologie. 
131.  Bd.    2.  Heft.    S    113     138-  (a). 


Iß  Qnintilian. 

27.  Derselbe,  Zn  Quintilianus  ibid.  188.  Bd.  8.  H.  B.  200    802.  (b). 

28.  Derselbe,  Kritische  and  exegetische  Bemerkungen  zn  Quinti- 
lian.  Blätter  f.  d.  bayr.  Gymn,  XXII  l  S.  l  L9,  XXII  4  S.  199  — 
215.   XXII   6  S.  349-  877.  (c). 

20  Stellen  aus  den  ersten  f&nf  Büchern  werden  in  dein  ersten  Auf- 
satz einer  Besprechung  unterzogen.  Sie  sind  nicht  nach  der  Reihenfolge 
der  Bücher  und  CapiteL,  in  denen  sie  vorkommen,  geordnet,  sondern  nach 
der  Art  der  Fehler,  die  dem  Verfasser  vorzuliegen  scheinen.  Sieben  Stellen 
sucht  er  durch  die  Binzufügung,  Beseitigung  oder  Veränderung  eines 
einzigen  Buchstaben  zu  verbessern:  III  5,  14;  IV  1,  5G.  l,  33.  2,  69; 
I  5,  54;  II  20,  5;  V  prooem.  4,  anderen  sieben  glaubt  er  durch  die  Ein- 
setzung eines  Wortes  beizukommen:  II  11,  6.  15,  33;  III  4,  2.  11,  9. 
6,  26;  IV  2,  70;  I  12,  7.  In  drei  Stellen  scheint  ihm  mehr  als  ein  Wort 
ausgefallen:  II  21,  7;  III  6,  12;  I  6,  5.  Durch  Interpunktionsänderung 
heilt  er  I  5,  31.  Nebenher  finden  IV  3,  3  und  III  11,  9  ihre  Erledi- 
gung. Der  zweite  Aufsatz  beschäftigt  sich  mit  II  1,  4  und  II  13,  2.  - 
Im  dritten  endlich  werden  über  50  Stellen  aus  den  ersten  drei  Büchern 
behandelt,  sechs  aus  1.  III,  die  übrigen  etwa  in  gleicher  Anzahl  aus 
I  und  II.  - 

Gründliche  Forschung,  reicher  Ertrag  —  das  ist  die  Signatur  die- 
ser Kiderlinschen  Arbeiten,  für  deren  Güte  am  besten  zeugt,  dafs  der 
vorsichtig  abwägende  Meister  eine  ganze  Reihe  der  hier  mitgeteilten  Ver- 
besserungsvorschläge als  gesichert  in  den  Text  seiner  neuen  Ausgabe 
aufgenommen  hat.  KiderKn  handhabt  die  Methode  leicht  und  geschickt: 
der  Zusammenhang  der  Stelle  wird  klar  analysiert,  der  Schade  scharf- 
sinnig aufgedeckt,  die  Heilung  frischweg  versucht,  nicht  selten  mit  Glück. 
Wenn  trotzdem  bei  zehn  richtigen  Diagnosen  nur  einmal  etwa  die  Hei- 
lung gelingt,  so  soll  das  kein  Vorwurf  und  keine  Einschränkung  des 
eben  Gesagten  sein.  Glücklich  der  Kritiker,  der  mit  scharfem  Blick  die 
kranke  Stelle  findet,  sie  sogleich  zu  heilen  wird  er  nicht  immer  imstande 
sein,  manche  Krankheit  spottet  aller  menschlichen  Kunst,  manche  for- 
dert einen  langen  Heilungsprocefs  und  dauert  hartnäckig,  bis  die  wissen- 
schaftliche Forschung  oder  der  Zufall  neue  Quellen  der  Erkenntnis  er- 
schlossen. Stellen  freilich,  wie  die  folgenden,  sind  gesund:  Kiderlin  hätte 
sie  unangetastet  lassen  sollen.  III  5,  14  (cf.  a  S.  113  u.  114)  sunt  ta- 
rnen inscripti  nomine  Hermagorae  libri  qui  confirmant  illam  opinionem, 
sive  falsus  est  titulus  sive  alius  hie  Hermagoras  fuit.  nam  eiusdem  esse 
quomodo  possunt  qui  de  hac  arte  mirabiliter  multa  composuit,  cum  .  . 
materiam  rhetorices  in  thesis  et  causas  diviserit?  Es  versteht  sich,  dafs 
mit  der  opinio,  welche  die  libri  eines  gewissen  Hermagoras  vertreten, 
die  Ansicht  derjenigen  gemeint  ist,  die  inutiles  oratori  putant  univer- 
sales quaestiones  (§  12).  Wenn  nun  der  bekannte  Hermagoras,  qui  de 
hac  arte  sc.  orandi  (Kiderlin  de  hac  parte)  mirabiliter  multa  composuit, 


Quintilian.  1 7 

materiam  rhetorices  in  thesia  und  causas  teilt,  so  ist  das  dem  Rhetor 
ein  Beweis,  dafs  er  jene  libri  nicht  verfafst  bat,  in  denen  die  univer- 
sales quaestiones  verworfen  sind.  Qui  de  hac  arte  m.  m.  composuit  dient 
blofs  zur  näheren  Bestimmung  des  bekannten  Hermagoras,  ist  epexegetisch 
zu  eiusdem  gesetzt;  de  hac  parte  ist  durchaus  überflüssig.  - 

Für  ebenso  überflüssig  halte  ich  eine  Änderung  der  Worte  II  11,  6 
(ib.  S.  121  u.  122):  qui  plurimum  videntur  habere  rationis,  non  in  cau- 
sas tamen  laborem  suum,  sed  in  locos  intendunt.  (Kiderlin:  sunt  qui). 
d.  h.  welche  (unter  den  Naturalisten)  noch  die  meiste  Methode  zu  haben 
scheinen,  richten  ihre  Thätigkeit  dennoch  nicht,  trotzdem  sie  ...  schei- 
nen, auf  ganze  Verhandlungen,  sondern  auf  einzelne  Teile:  die  übrigen 
folgen  dem  vulgaris  modus  (11,  1),  d.  h.  der  gemeinen  Methode,  die  noch 
immer  eine  Art  von  Methode  ist  (der  Naturalismus  nämlich),  trotzdem 
sie  =  nulla  ratio  ist;  nulla  ratione  adhibita  (11,  4)  ist  sehr  gut  von 
Baur  übersetzt:  sie  folgen  keiner  vernünftigen  Methode.  Von  denjenigen 
aber,  die  noch  die  meiste  Methode  unter  den  Naturalisten  haben,  läfst 
sich  sehr  gut  »im  allgemeinen«  sagen,  dafs  sie  ihre  Bemühung  nicht  auf 
ganze  Verhandlungen  richten,  weil  es  eben  Naturalisten  sind.  —  Dafs 
es  II  21,  8  (ib.  S.  131  u.  132)  ausreicht  mit  dem  Schriftsteller  zu  sagen: 
nam  de  omni  materia  dicere  eam  fatentur,  propriam  habere  materiam, 
quia  multiplicem  habeat,  negant  und  des  Einschubes  qvia  in  eadem  ver- 
setur  et  alius ,  finitam  hinter  materiam  nicht  bedarf,  geht  aus  folgender 
Erwägung  hervor:  Weil  die  materia  eine  multiplex,  darum  in  eadem  ver- 
satur  et  alius,  das  zweite  ist  die  Folge  des  ersten.  Infinita,  non  propria 
läuft  auf  denselben  §  7  erwähnten  Vorwurf  hinaus:  eamque  artem  circum- 
currentem  vocaverunt,  quod  in  omni  materia  diceret.  —  I  6,  5  (ib.  S.  134 
—  136)  sagt  der  Rhetor:  comparatio  in  nominibus  .  .  deprendit  deelina- 
tionem,  ut  si  veniat  in  dubium,  chac  domu'  dicendum  sit  an 'hac  domo' 
ot'domuum'  an 'domorum'  similia  sint  [domus] 'anus  manus'.  Der  Ab- 
lativ von  domus  heifst  domo  und  domu  —  letzteres  selbst  cieeronia- 
niscb  -  ,  der  Genitiv  domorum  und  domuum  (s.  Neue  I  S.  520  u.  521). 
Quintilian  setzt  den  Fall,  dafs  es  zweifelhaft  sei,  ob  hac  domu  oder  hac 
domo  u.  s.  w.  zu  sagen,  und  um  dies  dubium  zu  entscheiden,  greift  er 
zu  den  similia,  de  quibus  non  quaeritur:  anus,  manus.  Fafst  man  die 
Sache  so  theoretisch -abstrakt,  so  schwinden  alle  Bedenken.  Wer  die 
ratio  fragt  und  nicht  beim  usus  Hilfe  sucht,  der  thut  ganz  recht 
anus  und  manus  zum  Vergleich  heranzuziehen  und  würde  unrecht  thun 
pomus  ulmus  als  Analoga  zu  wählen,  darum  die  Conjektur  similia  sint 
pomua  ulmus,  von  anus  manus  liberflüssig.  Ich  stimme  dem  Gedanken 
nach  durchaus  mit  Faber  überein,  sowie  ich  Meyer  in  der  Tilgung  von 
domus  recht  gebe.  Wenn  nicht  Uli  vorherginge,  Konnte  domus  allenfalls 
von    similia  so  Quintilian    auch    sonst  abhängig  gemacht   werden, 

vgl.  Iw.  Müller:  Jahresb.  1876.  II  S.  273.  —  Denselben  Fehler  des  Ver- 
fahrens, wie  an  dieser  Stelle,  finde  ich  auch  II   !.   t  (b.  S  200  u.  201): 

Jahresbericht  für  Alterthnmawlaaenscbafl  1.1.  11.1    (1887.  II.)  2 


j  g  Quintilian 

eine  falsche  Prämie  e  erzeugte  einen  falschen  Schlafs,  and  der  falsche 
Schlafs  brachte  in  kühner  Consequenz  eine  ebenso  gewagte,  wie  aber- 
iiu  ige  Conjektur  hervor.  Weil  Kiderlin  II  l.  i  die  Überlieferung  im 
anzureichend  erachtet  and  ihm  die  Verwischung  des  Bildes  anzulässig 
erscheint,  so  machl  er  aus  aam  tenuis  ;i  fönte  adsumptü  hiatoricorum 
criticorumque  (A)  viribus  pleno  iam  satis  alveo  iluit  -  mit  Berücksichti- 
gung der  durch  Bn  pr.  m.  vertretenen  Lesart  bistoricorumque  (ohne 
criticorumque)  —  adsumptia  tot  rivorum  fluviorumque  viribus.  Nun  i-t 
aber  l.  bei  Quintilian  die  Confundierung  von  Bild  and  Gedanken  durch- 
aus nicht  ungewöhnlich  (s.  X  l,  4  und  Voigtland  de  brevitate  Quintilia- 
aea  S.  10)  und  2.  Bn  corr.  m.  2  und  ßg  bieten  poetarum  historicorum- 
que,  eine  Lesart,  aus  der  niclit  nur  die  Corruptel  der  übrigen  zu  er- 
klären, sondern  die  auch  allen  Anforderungen  des  Sinnes  genügt,  wie 
I  4,  2  —  4  deutlich  zeigt.  Dort,  wie  hier  in  gleicher  Sache  derselbe  Fort- 
schritt: 1.  poetae,  2.  historici  (denn  diese  Etappe  liegt  angedeutet  in 
den  Worten  a.  a.  0.  nee  poetas  legisse  satis  est:  excutiendum  omne 
scriptorum  genus  non  propter  historiaa  modo),  3.  omniuni  maximarum 
artiura  scientia.  Übrigens  bleibt  auch  bei  der  Kiderliiischen  Conjectur 
das  Bild  durch  viribus  unterbrochen,  die  Parallele  IX  4,  7  totis  viribus 
fluit  pafst  nicht,  weil  (oratio)  quae  conexa  est  et  vorhergeht.  —  Die 
Anerkennung  einer  nicht  nur  bei  Quintilian,  sondern  auch  bei  Cicero  u.  a. 
vorkommenden  Freiheit  der  Rede,  der  sogenannten  Synesis,  verbietet 
es,  in  den  Worten  II  13,  2  (ib.  S.  201  u.  202)  atque  ideo  res  in  oratore 
praeeipua  consilium  est,  quia  varie  et  ad  rerum  momenta  convertitur  vor 
varie  das  Substantiv  ratio  mit  Kiderlin  einzusetzen.  Wenn  es  IX  3,  4 
ohne  weiteres  heifsen  kann  quodsi  quis  parce  et,  cum  res  poscet,  utetur, 
velut  asperso  quodam  condimento  iueundior  erit,  ohne  dafs  oratio  ein- 
geschoben wird,  was  Spalding  wollte  (cf.  Yoigtland  S.  5),  so  wird  sich 
auch  hier  aus  orator  das  Subjekt  oratio  zu  convertitur  leicht  ergäuzen 
lassen  (s.  Seyffert-Müller  Lael.  S.  188),  um  so  leichter,  als  mit  der  oratio 
gewissermafsen  doch  auch  orator  varie  et  ad  rerum  momenta  cuuvertitur, 
beides  natürlich  durch  eine  Änderung  der  ratio  veranlafst.  —  Durch 
Synesis  möchte  ich  auch  I  3,  12  und  auch  I  3,  5  erklären  (cf.  c.  S.  8  - 
10).  Wenn  der  Redner  sagt  mores  quoque  se  inter  ludendum  simplicius 
detegunt,  modo  nvlla  videatur  aetas  tarn  infirma,  quae  non  protinus  quid 
rectum  pravumque  sit  discat,  tum  vel  maxime  formanda,  cum  simulandi 
nescia  est  et  praeeipientibus  facillime  cedit,  so  ist  es  keine  Frage,  dafs 
formanda  grammatisch  korrekt  mit  nulla  aetas  verbunden  werden  mufs, 
und  da  das  selbstverständlich  nicht  angeht,  so  korrigiert  Kiderlin  den 
Text  durch  tum  vel  maxime  mens  est  formanda.  Aber  wie,  wenn  die 
Schriftsteller  nicht  immer  grammatisch  korrekt  verfahren  wären,  wie, 
wenn  wir  recht  hätten  einer  gewissen  grata  negligentia  mitunter  das 
Wort  zu  reden?  Bei  der  Synesis  geht  nicht  alles  nach  der  Tabulatur, 
sondern  was  dem  Geiste  des  Schreibenden  vorschwebt,  ist  entscheidend: 


Qnintilian.  19 

hiev  ist  es  das  Alter  der  Kleinen,  und  dazu  pafst  vortrefflich  t.  v.  m. 
formanda.  Ebenso  möchte  ich  I  3,  5  in  den  Worten  non  subest  vera 
vis  nee  penitus  inmissis  radieibus  nititur  nicht  mit  Kiderlin  profectus 
vor  penitus  einsetzen  ,  sondern  entweder  vis  als  Subjekt  von  nititur  be- 
trachten oder  ein  allgemeines  »-er«,  »der  betreffende  cui  non  subest  vera 
vis  .  .  So  heifst  es  Cic.  Tusc.  IV  24,  54  ista  bellatrix  iraeundia,  cum 
domum  rediit.  qualis  est  cum  uxore?  —  I  1,  34  (c.  S.  6)  liest  Kiderlin 
nam  prospicere  in  dextrum,  quod  omnes  praeeipiunt,  et  i^oxiina  provi- 
dere  non  rationis  modo,  sed  usus  quoque  est.  Indessen  da  prospicere 
hier  klärlich  die  mechanische  Thätigkeit  bezeichnet,  so  werden  wir  dem 
providere  die  geistige  Thätigkeit  vindicieren  und  mit  dieser  Differen- 
ziierung  der  Synoyma  die  überlieferte  Lesart  ohne  das  Kiderlinsche 
proxima  schützen,  cf.  X  7,  9  u.  10.  —  Das  Futurum  gebraucht  Qninti- 
lian häufig  für  den  Conj.  imperativus  (cf.  Bonneils  Lex.  S.  LH  und  LI1I): 
eine  Änderung  des  handschriftlich  feststehenden  I  4,  7  (ib.  S.  10)  at 
(M)  grammatici  saltem  omnes  in  haue  descendtnt  rerum  tennitatem  (des- 
cendr/nt  Kiderlin)  erscheint  mir  daher  nicht  vonnöten.  —  Auch  II  4,  33 
(ib.  S.  209  u.  210)  scheinen  mir  die  Bedenken  des  Verfassers  ungerecht- 
fertigt Warum  soll  ich  des  Rhetors  Worten  quae  quidem  suasoriis  an 
controversiis  magis  aecommodata  sit  exercitatio,  consuetudine  et  iure 
civitatium  differt  nicht  übersetzen:  ob  diese  Übung  sich  mehr  eignet 
für  die  (Form  der)  suasoriae  oder  die  controversiae ,  so  dafs  derselbe 
Sinn  herauskommt,  den  Kiderlin  durch  seine  Konjektur  aecommodanda 
sit  erreichen  will?  Drei  Änderungen  mufs  sich  II   10,  0   (ib.  S.  213 

215)  gefallen  lassen  Während  die  Handschriften  bieten:  erit  Optimum, 
sed  certe  sint  grandia  et  tumida,  non  stulta  etiam  et  acrioribus  oculis 
intuen ti  ridicula,  ut  si  iam  cedendum  est,  impleat  se  declamator  ali- 
quando  dum  sciat  e.  s.,  möchte  Kiderlin  schreiben  et  tontum  tumida.  für 
ut  —  mit  und  für  aliquando  -  aliquo  modo,  Macht  nicht  die  dreifache 
Änderung  von  vornherein  stutzig?  Gewifs,  aber  das  darf  der  vorurteils- 
losen  Prüfung  der  Vorschläge  keinen  Eintrag  thun.  Der  Rhetor  liält 
es  für  das  Geratenste,  dafs  den  jungen  Leuten  Keine  poetischen,  aher 
die  Grenze  des  Glaubwürdigen  hinausgehenden  Themata  zur  Behandlung 
überlassen   weiden.     Wenn   schon  dann  will  er  die  Aufgaben  wenig- 

stens grofs  und  schwülstig  (nicht  auch  albern  und  für  den  schärferen 
Blick  lächerlich)  in  der  Weise  (sc.  grandia  et  tumida),  dafs,  wenn  denn 
doch  einmal  nachgegeben  werden  mufs,  der  Declamator  sich  anfüllt  und 
aufschwellt,  wenn  er  nur  weifs,  dafs  er  die  Hypertrophie  wieder  zu  seiner 
Zeit  abthun  mufs.  certe  sint  grandia  et  tumida  steht  in  der  engsten 
Verbindung  mit  dem  consekutiven  ut  impleat  se  declamator  aliquando, 
dum  sciat,  impleat  se  fast  =  sit  grandis  et  tumidus,  tantum  tumida  darum 
nicht  nur  überflüssig,  sondern  falsch .  weil  es  den  Gegensatz  zu  (bin 
parenthetischen    non    stulta    etiam    et    ridicula    /u    stark    herauskehrt 

und  dadurch  die  Gedankenverbindung  mit  ut  stört     Dafs  es  dem  Rhetor 

2* 


20  Qnintilian. 

jchwer  wird  diese  Concession  der  grandia  and  tamida  Themata,  die  das 
,(.  implere  des  Declamators  zur  Folge  haben,  zu  machen,  isl  klar,  wird 
iuf8erdem  durch   -i   iam   cedendum  esl  ausdrücklich  bezeugt,  die  nahe- 
liegende Änderung  aber  aut  für  ut,  die  ich  mir  schon  vor  Jahren  notiert, 
i  i    unstatthaft,   weil   3ie  noch  andere  Zugeständnisse  involvieren  wurde, 
nämlich  die  noch  übrig  bleibenden  Btulta  e1  ridicula,  was  sich  von  Belbsl 
verbietet.    Warum  grandia  (cf.  II  11,3)  ei  tnmida  keine  Steigerung  ent- 
halten Milieu,  vermag  ich  oichl  einzusehen,  jedenfalls  isl  die  Möglichkeil 
derselben  aus  X  2,  16  klar:  fiuntque  pro  grandibus  tumidi.     Zudem  isl 
tumida    nichl    weniger  und  nicht  mehr  tadelnswert  vom  Standpunkl  des 
Rhetors  als  se   impleat   (cf.  §  ß  ut  exspatientur  e.1  gaudeanl  materia  et 
quasi   in   corpus  eant.)     Äliquando  endlich   erklärt  sich  au-  dem  durch 
erit  Optimum  indicierten  Gegensatz  numquam,  30  öfter  auch  bei  Qninti- 
lian s.  Bonnells  Lex.,   und  si  iam  entsprich!  dem  griechischen  e?  ye,  e? 
ye  8rj  cf.  Hand.  Turs.  III  S.  141.   -      II   15,  10  u.   11  (cf.  C  S.  354-356) 
lesen  wir:  a  quo  non  dissentit  Theodectes,  sive  ipsius  id  opus  est,  sive, 
ut  creditum  est,  Aristotelis :  in  quo  est  finem  esse  rhetorices,  ducere  ho- 
mines  dicendo  in  id  quod  auctor  velit.  sed  ne  hoc  quidem  satis  est  com- 
prehenwm:   persuadent  enim   dicendo  vel  dncunt  in  id  quod  volunt  alii 
quoque  ut  meretrices  e.  s.  auctor  mit  B  statt  actor  oder  orator  (Spengel) 
zu  schreiben,  halte  icli  für  richtig,  comprehensus  sc.  finis  zu  emendieren 
für  falsch,  behaupte  vielmehr,  dafs  derselbe  Sinn  in  den  Worten  Quinti- 
lians  liegt,  den  Kiderlin  wünscht:  hoc  bezieht  sich  xarä  avveatv  auf  tinem, 
cf.  X  1,  68,  Seyffert-Müller  Lael.  S.  194  und  oben;  damit  ist  alle  Schwie- 
rigkeit beseitigt.     Sallust  liebt   bekanntlich    diese   Art,    s.   Schmalz:   b. 
Cat.  1,  2.  —  Dafs  in  den  Worten  II  17,  4  (ib.  S.  360  u.  361)  quamquam 
is,   quod  bis  dissimile  non  est  (A)  composuisse  orationem,  quae  est  ha- 
bita  contra  Socraten,  dicitur  auf  Grund  von  B  esset-?**  et  composuisse 
eingesetzt  werden  müsse,  kann  ich  Kiderlin  nicht  zugeben.     Das  ganze 
Satzgefüge  quamquam  is,  quod  b.  d.  n.  e.  composuisse  o.,  q.  est  habita 
bringt  den  Gegensatz  zwischen   der   spielenden  Übung  der  Geister  und 
dem  Ernst  der  Wirklichkeit  klar  zur  Anschauung,  so  klar,  dafs  et  die 
Wirkung  nur  abschwächte.    —    Wenn  ich   quaest.  S.  22  u.  23  in   dem 
Satze  II  17,  25  (ib.  S.  363  -  365)  et  medicus  sanitatem  aegri  petit:   si 
tarnen  aut  valetudinis  vi  aut  intemperantia  aegri  aliove  quo  casu  summa 
non  contingit,  dum  ipse  omnia  secundum  rationem  fecerit,  medicinae  fine 
non  excidet.  ita  oratori  bene   dixisse  finis   est   —    für  aliove  quo  casu 
summa  vorschlug  aliove   quo   casu  humano,  so  gebe  ich  heute  Kiderlin 
vollständig  recht,  dafs  die  von  Qnintilian  beliebte  Unterscheidung  zwischen 
summa  und  finis   das  erstere   durchaus  rechtfertige  und  Spaldings  Vor- 
schlag, summa  zu  streichen,  sowohl  wie  den  meinigen  überflüssig  mache, 
summa  ähnlich  X  2,   9,   XII   11,    26.     Sonderbar,   dafs  Kiderlin   diese 
Rettung  der  Überlieferung  in  die  Anmerkung  verwiesen.     Hätte  er  sie 
doch  in  den  Text  gesetzt,  alles  übrige,  was  er  zu  den  Worten  sagt,  hat 


Quiutiliau  21 

nicht  meinen  Beifall.  Erstens  ist  excich't  und  contigü  unnötig  —  grade 
so  gut  heifst  es  vorher  si  tempestatc  fuerit  abreptus,  non  ideo  minus 
erit  gubernator  und  konnte  es  heifsen  si  t.  äbripitw  cf.  Draeger:  H.  S. 
II  S.  674  u.  f.  dum  fecerit  steht  unter  dem  Einflufs  des  Fut.  excidet. 
Und  für  ita  oratori  bene  dixisse  finis  est  zu  schreiben  b.  dixisse  satis 
est  ist  ebenso  unnötig  wie  kühn.  Natürlich  müssen  die  Worte  den  von 
Kiderlin  geforderten  Sinn  haben,  aber  den  haben  sie  auch,  ohne  dafs 
man  vom  Auslegen  ins  Unterlegen  zu  verfallen  brauchte;  tendit  ad  victo- 
riam,  qui  dicit,  sagt  der  Rhetor  kurz  vorher,  summa  contigit,  qui  vicit, 
sagen  wir,  zu  siegen  ist  das  höchste  und  letzte  Ziel,  die  ideale  Auf- 
gabe des  Redners.  Hebt  er  zu  reden  an,  so  weifs  er  nicht,  ob  er  dieses 
höchste  Ziel  erreichen  wird,  ebensowenig  wie  der  Steuermann  beim  Ver- 
lassen des  Hafens  weifs,  ob  er  durch  Sturmes  Gewalt  wird  verschlagen 
werden,  oder  wie  es  dem  Arzt,  wenn  er  einen  Patienten  in  Behandlung 
nimmt,  verborgen  ist,  ob  er  mit  besonderen  Zufällen  wird  zu  rechnen 
haben,  die  die  Genesung  des  Kranken  unmöglich  machen.  Was  aber 
auch  kommen  möge,  sie  werden,  ut  summa  contingant,  es  als  ihre  nächst- 
liegende Aufgabe  ansehen  clavum  rectum  tenere,  omnia  seeundum  ratio- 
uem  f apere,  bene  dicere.  Sind  sie  am  Ende  und  haben  das  höchste 
Ziel  nicht  erreicht  (victoria,  salva  nave  in  portum  pervenire,  sanitas 
aegri),  nun,  —  so  trösten  sie  sich  mit  dem  Bewufstsein  erfüllter  Pflicht 
und  lassen  sich  genügen  (satis  est.),  und  Quintilian  wenigstens  macht 
ihnen  keine  Vorwürfe,  sondern  ist  milde  und  liebenswürdig  genug  zu 
sagen:  (quemadmodum  gubernatori  clavum  rectum  tenuisse  et  medico  om- 
nia seeundum  rationem  fecisse)  ita  oratori  bene  dixisse  finis  est.  Ist  schon 
hieraus  klar,  warum  der  Rhetor  gut  that  das  Perf.  dixisse  zu  wählen, 
so  wird  es  noch  klarer,  wenn  wir  dem  Satze  einfach  die  notwendige 
Ergänzung  geben  oratori,  etiamsi  non  vicerit,  bene  dixisse  finis  est.  Der 
Blick  ist  eben  auf  das  Ende  gerichtet,  von  wo  die  Thätigkeit  des  Redners 
nach  finis  und  eventus  überblickt  werden  kann.  —  Ebensowenig  vermag 
ich  Kiderlin  beizustimmen  in  der  Behandlung  von  III  5,  1  und  5,  4 
(cf.  c.  S.  376  u.  377)  omnis  autem  oratio  constat  aut  ex  iis  quae  signi- 
ficantur,  aut  ex  iis  quae  significant,  id  est  rebus  et  verbis.  Da  es  keine 
Rede  giebt,  die  nur  aus  Gedanken,  und  keine  die  nur  aus  Worten  be- 
steht, für  jede  vielmehr  das  eine  ebenso  absolut  notwendig  wie  das  andere 
ist,  so  streicht  Kiderlin  das  erste  aut  und  verwandeil  das  zweite  in  e1 
mit  Berufung  auf  III  5,  4,  wo  A  allerdings  bietet,  illud  iam  omnes  faten- 
tur  esse  quaestiones  in  scripto  et  in  non  scripto  im  Gegensatz  zu  der 
sonstigen  Überlieferung,  die  alle  Herausgeber  bevorzugen,  aut  in  scripto 
aut  in  non  scripto.  Anstatt  hier  A  das  Wort  zu  reden  und  auf  Grund 
dessen  III  5,  l  zu  emendieren,  glaube  ich  vielmehr  umgekehrt,  dafs  5,  i 
zuhalten  und  die  Skriptur  von  A  5,  4  als  irrtümlich  zurückzuweisen  isl 
und  zwar  aus  folgenden  Gründen:  Kiderlin  geht  von  der  falschen  Unter- 
stellung aus  —  die  allerdings  von  vielen  geteilt  wird,  als  oh  durch  aut 


22  Quiutilian. 

nur  Begriffe  verbunden  würden,  die  -i«'li  gegenseitig  ausschliefeen.  Es 
kann  Kein  besseres  Beispiel  für  die  Unrichtigkeit  dieser  gewöhnlichen 
Rege)  geben  als  diesi  aal  ex  ii-  qua<    significantur  aut  ex  iis  quae 

äignificanl  einfach  durch  id  esl  rebus  ei  verbis  erklärt  wird.  Dem  Schrift- 
steller fälll  eg  nichl  ein  mit  aut-aul  nur  eins  zur  Wahl  zn  Btellen, 
sondern  alle  beide  können  nichl  nur  sehr  wohl  neben  einander  bestehen, 
sondern  sind  Bogar  gewöhnlich  mit  einander  verbunden  (cf.  Seyffert- 
Müller  zu  Oic.  Lael.  S.  470).  Es  kommt  blofa  darauf  an,  was  ich  oder 
wer  sonst  jedes  Mal  herausheben  will  für  meine  Zwecke.  Eine  Bestäti- 
gung für  die  Richtigkeit  dieser  Erklärung  finde  ich  auch  II  17.  30 
(c.  S-  365  u.  366),  wo  Kiderlin  Ntatt  item  aut  dicenda  eam  docere  aut 
min  dicenda  schreiben  will  item  aut  dicenda  et  contraria  dicendü  eam 
docere  aut  e.  s.  Gewifs  genügte  et  -  et  nicht  für  aut -aut,  aber  aut- 
;mt  in  dem  entwickelten  Sinne  pafst  vortrefflich  zu  dem  folgenden  ita 
vel  per  hoc  non  esse  artem,  quod  non  dicenda  praecipiat,  vel  per 
hoc,  quod,  cum  dicenda  praeceperit,  etiam  contraria  his  doceat,  ja  ich 
wage  zu  behaupten,  dafs  der  Rhetor  sich  kürzer  und  treffender,  d.  h. 
besser  kaum  ausdrücken  konnte.  --  Diese  Stellen  und  noch  andere,  auf 
die  ich  hier  nicht  näher  eingehen  kann,  sind  gesund  und  bedürfen  des 
Arztes  nicht,  an  andere  wirklich  kranke  hat  Kiderlin  seine  Kunst  nicht 
vergeblich  gewandt.  Als  geheilt  betrachte  ich  IV  2,  69  (cf.  a  S.  115  u. 
116)  verum  in  his  quoque  confessionibus  est  aliquid  quo  de  invidia,  quam 
expositio  adversarii  fecit,  detrahi  possit  (so  auch  Gertz),  I  5,  54  (ib. 
S.  116  —  118)  hactenus  de  soloecismo:  neque  enim  artem  grammaticam 
componere  adgressi  sumus,  sed  cum  in  ordinem  incurreret,  inhonoratum 
(sc.  soloecismum)  transire  noluimus  (inhonoratam  die  Haudschr.),  III  11, 
19  (ib.  S.  129  u.  130)  verius  igitur  et  brevius  ii,  qui  statum  et  conti- 
nens  et  iudicationem  [idem]  esse  voluerunt  (idem  Regius,  om.  Kiderlin 
mit  AB),  I  5,  31  (ib.  S.  136  138)  est  autem  in  omni  voce  utique  acuta, 
sed  numquam  plus  una  nee  umquam  ultima,  ideoque  in  disyllabis  prior, 
praeterea  numquam  in  eadem  flexa  et  acuta  [quoniam  est  in  flexa  et 
acuta]:  itaque  neutra  cludet  vocem  latinam  (das  Komma  vor  praeterea 
von  Kiderlin,  die  Athetese  von  Claussen  u.  a.  s.  Iw.  Müller:  Jahresb.  1876. 
II  S.  263  und  Jahresb.  1879.  II  S.  165).  11,5  (cf.  c  S.  2  u.  3)  nam  bona  fa- 
cile  mutantur  in  peius:  quando  (mit  A,  nam  quando  Bg)  in  bonum  ver- 
teris  vitia.  II,  15,  5—6  ib.  S.  351  u.  352  Cicero  pluribus  locis  scripsit 
officium  oratoris  esse  dicere  adposite  ad  persuadendum,  in  Rhetoricis 
tamen,  quos  sine  dubio  ipse  non  probat,  finem  facit  persuadere.  (etiam 
die  Handschr.)  Man  könnte  auch  an  autem  denken,  was  paläographisch 
vielleicht  noch  näher  liegt  und  öfter  mit  etiam  verwechselt  ist),  II  15,  13 
(ib.  S.  356  u.  357)  rhetorice  est  vis  inveniendi  (videndi  Francius  und  Spengel) 
omnia  in  oratione  persuasibilia,  II  15,  27  (ib.  S.  357  —  359)  Socrates  .  . 
eam  quidem,  quae  tum  exercebatur,  rhetoricen  talem  putat  .  .  veram 
autem  [et]  honestam  intellegit,  III  1,   12  (ib.  S.  370  u.  371)  horum  primi 


Quintilian.  23 

communis  locos  tractasse  dicuntur  Protagoras,  Gorgias,  adfectas  Proclicus, 
Hippias,  [et]  idem  Protagoras,  Thrasymachus  (kommt  der  Überlieferung 
am  nächsten).  Wenn  ich  den  Quintilian  herausgebe,  werde  ich  diese 
Vorschläge  als  wirkliche  Emendationen  in  den  Text  aufnehmen.  Die 
folgenden  werde  ich  als  höchst  schätzbares  Material  unter  dem  Text 
vermerken  IV  1 ,  56  (a  S.  114)  nee  minus  diligenter,  ne  suspecti  simus 
ulla  arte  (ulla  parle  libri ,  illa  parte  Regius)  .  .  .  quia  videtur  ars  omnis 
dicentis  contra  iudicem  adhiberi.  IV  2,  70  (ib.  S.  127  u.  128)  quaedam 
enim  quasi  non  defendamvs  narrantes  mitigabimus  (der  Gedanke  richtig; 
ob  die  Worte  des  Schriftstellers  mit  dem  eingeschobenen  defendamus  ge- 
troffen sind,  ist  eine  andere  Frage,  es  könnte  auch  in  narrantes  das 
fragliche  Verbum  stecken).  III  6,  12  (ib.  S.  132  u.  133)  nee  in  causa 
Milonis  circa  primas  quaestiones,  quae  sunt  ante  propositionem  post  prooe- 
mium  positae,  iudicabo  conflixisse  causam  (der  Einschub  von  prop.  p. 
möglich,  sinngemäfs  jedenfalls).  I  1,  36  (c.  S.  6  u.  7)  prosequitur  haec 
memoria  in  senectutem  et  impressa  animo  rudi  usque  ad  mortem  in  mores 
proficiet  (usque  ad  mores  die  Handschr.).  I  4,  8  (ib.  S.  11  u.  12)  non 
enim  [sie]  coptumunT  dieimus  aut ' Optimum'  =  denn  nicht  sprechen  wir 
optwmus  oder  optmius  —  ganz  probabel  in  der  viel  und  von  bedeutenden 
Männern  behandelten  Stelle.  I  8,  8  (ib  S.  205  -  207)  multum  autem 
veteres  etiam  Latini  conferunt,  quamquam  plerique  plus  ingenio  quam 
arte  valuerunt,  [in  primis  copiam  verborum]  quorum  in  tragoediis  gravi- 
tas  .  .  inveniri  potest.  I  12,  11  (ib  S.  207  -  209)  porro  ut  frequenter 
experti  sumus,  minus  adficit  sensus  fatigationis  (fatigatio  die  Handschr.) 
quam  cogitatio  cf.  IV  prooem.  7  et  ipsa  cogitatione  suseepti  muneris 
fatigor.  cogitatio,  kritische  Reflexion  (=  laboris  iudicium)  oft  dem  sen- 
sus, dem  Gefühl  und  der  Empfindung  entgegengesetzt,  s.  Seyffort-Müller 
zu  Lael.  S.  194.  Kein  Zweifel  übrigens,  dafs  Huet  den  Sinn  der  Worte 
gefafst  hat.  II  14,  3  (ib.  S.  349  u.  350)  namque  uno  modo  fit  adposi- 
tum,  >/t  ars  rhetorica,  navis  piratica,  altero  nomen  rei,  qualis  est  philo- 
sophia,  amicitia  (ars  rhetorica  ut  navis  piratica  die  Handschr.).  Wenn 
man  nicht  für  ars  rhetorica  reyvaj  jirjToptxv)  einsetzen  will,  was  mir  in 
den  Sinn  gekommen,  so  ist  dies  die  beste  Lösung  der  Schwierigkeit. 
II  15,  6  —  9  (ib.  S.  352  354)  worden  vier  Änderungen  vorgeschlagen, 
probabel  ist  et  vor  Servium  quidem  Galbam  .  .  einzusetzen,  wodurch  in 
der  That  auf  die  leichteste  Weise  der  Parallelismus  zwischen  et  Bfanium 
Aquilium  und  et  Phrynen  entsprechend  dem  vel  recordatio  meritorum 
cuiusque  vel  facies  aliqua  miserabilis  vel  formae  pulchritudo  hergestellt 
wird.  Füge  ich  hierzu  nocl  diejenigen  Stellen,  denen  Eiderlin  durch 
Interpunktionsänderung  aufhilft,   I  l,  13  (c.  S.  4),  II  5.   n  u.  12  (ib. 

S.  212),  II  14,  2  u.  3  (ib.  S.  350),  II  14,  4  (iL.   S.  351  vor  profecto   ist 

aber  ein  Komma  zu  setzen),  II   17.  l  I  (ib.  S.  362)  III  3,   i  (ib.  S.  372) 
so   habe  ich  getreulich  diu   Ertrag  der  Forschungen         quantum 
existimare  possum   -   gebucht,  und  es  bleibt  mir  blofs  noch  übrig,  den 


24  Quiniiliao 

Wunsch  auszusprechen,  den  jeder  Kundige  gerechtfertigt  finden  wird, 
data  der  Verfasser  Müsse  finden  möge,  seinen  Scharfsinn  auch  deu  ron 
ihm  bisher  Doch  Dicht  behandelten  Büchern  der  institutio  oratoria  zu  gute 
kommen  zu  lassen 

29.  Fr.  Scholl,  Zu  Ennius  und  Quintilian,  Rhein   Museum  XL  2 

5.  320 — 324  ist  mir  nicht  zu  Gesichte  gekommen. 

Ebensowenig 

30.  Delle  istituzioni  oratorie  e  dei  giudizi  letterarii  sui  poet  latini 
di  M.  Fabio  Quintiliano.    Per  cura  di  A.  Aldini.     Livorno,  tip.  Griusti. 

16.    105  S. 

31.  H.  Nettleship  behandelt  in  seinen  conieetanea  (Journal  of 
Philology  N.  29  S.  22)  zwei  Stellen  des  Quint  I  6,  1  und  X  1,  83.  Er 
meint,  die  Anfangsworte  von  I  6  est  etiam  sua  loquentibus  observatio, 
sua  scribentibus  seien  an  den  Scblufs  des  5.  Cap.  zu  setzen  hinter  nam 
ne'balare' quidem  aut '  hinnire1  fortiter  diceremus,  nisi  iudicio  vetustatis 
niterentur,  und  das  6.  Cap.  habe  zu  beginnen  Sermo  constat  ratione, 
vetustate,  auetoritate,  consuetudine.  Dafs  diese  Meinung  verkehrt  ist, 
zeigt  der  Anfang  vom  7.  Cap.  Nunc  quoniam  diximus,  quae  sit  loquendi 
regula,  dicendum,  quae  scribentibus  custodienda,  eine  Recapitulation  von 

6,  1  in.,  wo  das  Programm  für  die  beiden  Cap.  6  und  7  aufgestellt  ist. 
—  Beachtenswerter,  ja  blendend  erscheint  der  Vorschlag  X  1,  83  zu 
schreiben  quod  de  Pericle  veteris  comoediae  testimonium  est,  in  hunc 
transferri  iustissime  possit,  in  labris  eius  sedisse  Suadam  [persuadendi 
deamj  statt  quandam  persuadendi  deam,  coli.  Cic.  Brut.  XV  59  IIöSüj 
quam  vocant  Graeci,  cuius  effector  est  orator,  hanc  Suadam  appellavit 
Ennius,  ut,  quam  deam  in  Pericli  labris  scripsit  Eupolis  sessitavisse,  huius 
hie  medullam  nostrum  oratorem  fuisse  dixerit.  Indessen  der  Anstofs,  den 
Nettleship  an  der  Überlieferung  nimmt,  schwindet,  wenn  man  quandam 
richtig  versteht;  quandam  heifst  eigentlich  ein  gewisses  Etwas,  was  (als) 
persuadendi  dea  (zu  bezeichnen)  ist,  d.  h.  eine  förmliche  pers.  dea  oder 
förmlich  eine  pers.  dea,  s.  Seyffert-Müller,  Lael.  S.  467  uud  quaest.  S.  14. 
cf.  (gegen  Halm)  X  1,  81  quodam  [Delphici]  videatur  oraculo  dei  in- 
stinetus,  X  1,  76,  XII  10,  21  quadam  eloquentiae  frugalitate  u.  a. 

32.  Fr.  Scholl,  Zum  Virgil  des  Probus   und  Quintilian.     Rhein. 
Mus.  XLI  S.  18-26. 

Wenn  auch  der  Vers  Aen.  I  109  'saxa  vocant  Itali  mediis  quae  in 
fluetibus  Aras1  von  den  namhaftesten  Kritikern  längst  verdammt  ist.  so 
hat  man  ihn  doch  für  altbezeugt  gehalten ,  vor  allem  durch  Quintilian 
VIII  2,  14.  Nun  besagt  aber  der  Rhetor.  richtig  verstanden,  grade  das 
Gegenteil  von  dem,  wofür  man  ihn  geltend  macht.  Zunächst  nennt  Quintilian 
den  Verfasser  des  Verses  nicht.     Nachdem  er  ihn  mit  den  Worten  ein- 


Quiutilian  25 

geführt  quibus   adhuc  peior  est  mixtura  verborum,   qualis  in  illo  versu, 

fährt  er  fort  etiam  interiectione  e.  s.,  während  doch  das  vorhergehende 
Beispiel,  wie  es  in  unserem  Virgiltext  steht,  selbst  eine  interiectio  ist. 
Noch  mehr  spricht  für  die  Annahme,  dafs  Quintilian  den  Vers  nicht  als 
Virgilisch  kannte,  die  Stellung  der  Worte  (§  15),  die  ein  wirkliches  Citat 
aus  Virgil  bringen  '  nam  Virgilius  illo  loco'  e.  s.  Und  endlich  tadelt 
Quiutilian  den  Dichter  nie  so  hart,  wie  hier  mit  einem  'quibus  adhuc  peior 
est  mixtura  verborum'  cf.  I  5,  35  -  Gründe  genug  für  Scholl  -  und 
uns  zu  der  Behauptung,  dafs  ein  aus  der  Rhetorschule  bekannter  Vers 
eines  Dichterlings  als  thörichte  Erklärung  zu  Yirgils  saxa  latentia'  bei- 
geschrieben wurde  und  so  in  den  Text  kam.  Interessant  ist,  wie 
Scholl  mit  Berufung  auf  Quint.  IX  3,  16  den  Anstofs  beseitigt,  den 
Ribbeck  u.  a.  an  Aen.  IV  53  dum  non  tractabile  caelum  genommen 
haben.  Er  setzt  nach  morandi  ein  Kolon  und  erklärt :  » So  lange  der 
Sturm  und  der  wasserreiche  Orion  über  dem  Meere  wütet  und  die  Schiffe 
noch  schadhaft  sind,  so  lange  (dum  =  usque  eo  korrelativisch  zu  dem 
vorhergehenden  dum  =  quoad)  darf  man  den  Himmel  nicht  versuchen.« 
Non  tractabile  c.  ist  vielleicht  ein  auguraler  Ausdruck. 

33.  R.  Sabbadini,  Studi  di  Gasparino  Barzizza  su  Quintiliano  e 
Cicerone.  Livorno,  Giusti.  8.  13  S.  (Rec.  Wochenschrift  f.  klass. 
Phil.  III  34  S.  1071-  1072  v.  B.  Kubier) 

ist  mir  nicht  zugegangen. 

34.  Die  von  der  Beredsamkeit  aus  der  Krieger-  und  Fechter- 
sprache entlehnten  Bildlichen  Wendungen  in  den  rhetorischen 
Schriften  des  Cicero,  Quintilian  und  Tacitus.  Zusammengestellt  von 
David  Wollner,  K.  Studienlehrer.  Programm  der  K.  Studienanstalt 
zu  Landau  am  Schlüsse  des  Studienjahres  1885/86.  Landau  1886. 
8.     44  S. 

Wenn  es  den  Römern,  dem  Volke  der  Eroberer,  Überhaupi 
war,  Vergleiche  und  Bilder  aus  dem  Gebiete  des  Kriegswesens  zu  wählen, 
so  mufste  die  Ähnlichkeit,   welche  der  Redner  mit  einem  Kämpfer  hat. 
namentlich  wenn  er  vor  Gericht  als  Ankläger  oder  Vertheidiger  erscheint, 
zum   Vergleiche   geradezu    herausfordern.      Verfasser  unternimml   es 
unter  Beschränkung  auf  die  rhetorischen  Schriften  des  Cicero,  Quintilian 
und  Tacitus,  einer  Beschränkung,  die  den  Stoff  doch  in  gedrängter  Form 
bietet  —  solche  vom  Kriege  für  die  Beredsamkeil  entlehnten  Bilder  zu- 
sammenzustellen.    Ls  ergeben  sich  ihm  drei  Hauptteile:   der   ersl 
bis   16)  umfafsl  diejenigen  Bilder,  welche  sich  auf  die  Pflicht,  den  Cha- 
rakter und  die  Person  des  Redners  beziehen,  zum  zweiten  (S.  16    29) 
gehören  diejenigen,    welche    die   Redegewandtheil    betreffen,    der   dritte 
(S.  29—44)  enthält  diejenigen,   in  welchen  die  Thätigkeit   des  Redners 
als  Kampf  aufgefafsl  wird     Dafs  es  nicht  überall  möglich  war  genau  zu 


26  Quintilian. 

scheiden,  weil  in  zahlreichen  Beispielen  da-  Bild  nicht  anfeinem,  son- 
dern  auf  mehreren  Worten  beruht  oder  sieb  auch  über  mehren  Sfitzi 
er  treckt,  thul  der  Sache  keinen  Abbruch.  Interessant  war  es  mir  aus 
den  Ausführungen  Wollners  eine  Bestätigung  meiner  Behandlung  von 
Quintil.  inst.  or.  X  3,  25  (Philologus  XI. III  l  8.  208  205)  herauslesen 
zu  können.  Wollner  selbst  i  t  diese  charakteristische  Stelle  entgangen. 
Sie  lautet:  ideoque  lucubrantes  silentium  noctis  e1  clausum  cubiculum  et 
lumen  unum  velut  tectot  maxime  teneat.  Tectus  ist  eine  ganz  gewöhnliche 
Metapher  aus  der  Gladiatoren-  und  Soldatensprache  and  bedarf  des  velut 
an  und  für  sich  nicht,  wie  das  die  Beispiele  zeigen,  die  ich  a.  a.  <».  bei- 
gehracht.  cf.  Wollner  S.  9.  14.  3G  u.  a.  Dafs  aber  ea  quae  oculis  vel 
auribus  ineursant  —  Vogelsang,  der  Flüsse  und  Wälder  Bauschen  and 
was  weis  ich  sonst,  als  Feinde  des  Menschen  hingestellt  werden,  die 
ihn  an  der  Concentration  seines  Geistes  hindern  und  gegen  die  er  die 
Waffen  silentium  noctis  et  clausum  cubiculum  et  lumen  unum  als  Schutz 
benutzen  mufs,  das  ist  neu  und  verlangt  einen  Zusatz  wie  velut.  »Eine 
Art  Mittelstufe  bildet  die  Beifügung  entschuldigender  Worte  zu  einem 
Bilde,  das  beim  ersten  Gebrauch  noch  als  zu  kühn  erscheint«,  S.  4. 
Zuweilen  verleitet  den  Verfasser  Eifer  für  die  Sache,  Dinge  hereinzuziehen, 
die  nicht  der  Kriegersprache  entlehnt  sind.  Kann  man  bei  aculeus  (Cic. 
de  or.  II  15,  64.  Brut.  9,  38.  or.  19,  62)  denn  im  Ernst  zweifeln,  ob 
an  die  Spitze  einer  Waffe  oder  an  den  Stachel  eines  Insektes  zu  denken 
sei?  cf.  de  fin.  IV  3,  7,  pro  Sulla  16,  47  und  Vogel  zu  Curtius  IV 
14,  54  temeritas  est,  quam  adhuc  pro  virtute  timuistis:  quae  ubi  pri- 
mum  impetum  effudit,  velut  quaedam  animalia  emisso  aculeo,  torpet. 
Und  ist  es  denn  wirklich  möglich  bei  insinuare  und  insiuuatio  in  erster 
Linie  den  Gedanken  an  ein  Überlisten  aufkommen  zu  lassen?  S.  29. 
Doch  dergleichen  beeinträchtigt  den  Wert  der  Arbeit  nicht.  Ich  gestehe, 
dafs  ich  das  Programm,  das  nur  zum  Teil  in  unseren  Bericht  gehört, 
mit  steigendem  Interesse  durchgelesen  habe,  und  empfehle  es  allen ,  die 
sich  einen  kurzen  Überblick  über  diese  Seite  der  römischen  Sprache 
verschaffen  wollen,  aus  voller  Überzeugung. 

35.  J.  Maehly  trägt  in  seiner  Schrift  'Zur  Kritik  lateinischer 
Texte'  (der  Alma  Ruperto- Carolina  zur  Feier  ihres  fünfhundertjährigen 
Bestehens  gewidmet)  —  Basel,  Schultzesche  Universitäts- Buchhandlung, 
1886  —  S.  15  -  17  Conjecturen  zu  sechs  Stellen  aus  Quintilian  vor. 
X  1,  3  vermutet  er  nam  certe,  cum  sit  in  eloquendo  positum  oratoris 
officium,  dicere  ante  omnia  opus  esse  atque  hinc  initium  eius  artis  fluxis.se 
manifestum  est,  proximum  deinde  imitationem,  novissimum  scribendi  quo- 
que  diligentia™  sc.  esse,  fluxisse  ist  überflüssig,  wie  VIII  2,  7  zeigt 
proprio  tarnen  unde  initium  est,  cf.  etiam  VI  prooem.  10  ut  prorsus 
posset  hinc  (Regius)  esse  tanti  fulminis  metus.  Für  opus  esse  schlug 
Fr.  Scholl  (Rh.  Mus.  XXXIV  S.  85)  ante  omnia  uecesse   est  oder  ante 


Quintiliau.  27 

omnia  stat  vor,  was  Maehly  ebenso  entgangen  ist.  wie  meine  Vermutung 
ante  omnia  seiet  (Phil.  Rundschau  III  14  S-  428),  an  der  ich  festhalte. 
Imitationen!  endlich  hat  Halm  nach  meiner  Ansicht  nicht  olme  Not  in 
imitatio  korrigiert  (diligentia  hat  G),  nur  est  hinter  imitatio  halte  ich  für 
unnötig,  cf.  I  3,  l  proximum  imitatio.  —  Ibid.  11  liest  Maehly:  sunt 
autem  alia  huius  naturae  ut  idem  pluribus  voeibus  declarent  .  .  .  alia 
vero ,  etiamsi  propria  rerum  aliquarum  sint  nomina  vponixiog  [quare] 
tarnen  ad  eundem  intellectum  referuntur.  Dafs  tarnen  von  Halm  mit  Un- 
recht in  Klammern  gesetzt  sei,  erkannten  schon  andere.  /..  Li.  Meister  in 
seiner  Ausgabe.  Die  Art  aber,  wie  Maehly  die  Entstehung  des  unver- 
ständlichen  quare   erklären  will  —  so  nämlich,  dafs  im  Archetypus  die 

erste  Zeile  mit  alia  vero   quae  endete,   die  zweite  lautete  etiamsi 

re  —  und  die  dritte  mit  feruntur  begann,  ist  umsoweniger  überzeugend, 
als  er  auf  diese  Hypothese  die  zweite  baut,  referuntur  statt  des  über- 
lieferten feruntur  zu  schreiben.  Warum  der  Sinn  gebieterisch  das  Com- 
positum verlange,  sehe  ich  nicht  ein.  Wie  bei  VI  3,  87  averti  intellec- 
tus  et  aliter  solet,  cum  ab  asperioribus  ad  leniora  deflectitur  und  VIII  3, 
44  in  obscenum  intellectum  sermo  detortus  est  die  Idee  eines  Weges 
vorschwebt,  von  dem  zu  einem  andern  Ziel  abgewichen  wird,  so  ist 
es  auch  bei  unserm  ferri,  wo  zu  einem  Ziel  vorgeschritten  wird;  ferri 
wird  in  solchen  Wendungen  bekanntlich  vielfach  gebraucht,  cf.  X  3,  6. 
Feruntur  ist  beizuhalten,   quare  zu  tilgen.  Ibid.  16   glaubt  Maehly 

excitat  qui  dicit  spiritu  suo,  nee  imagine  ambitu  (so  G)  rerum,  sed  rebus 
incendit  —  imagine  ambitu  verschrieben  aus  imagine  tantum.  Ich  halte 
auch  hier  an  meiner  quaest.  S.  23  vorgetragenen  Auffassung  fest,  dafs 
imagine   als  Glossem  zu  ambitu  zu  streichen  ist.  Weshalb  Maehlys 

Vorschlag  zu  ib.  79  in  inventione  facilis.  disponendi  studiosu>  (Handschr. 
honend  st.),  in  compositione  adeo  diligens  ut  e.  s.  nicht  zu  billigen  i^t. 
habe  ich  Rhein.  Mus.  XLII  S.  144  u.  145  nachgewiesen.  —  An  der 
Überlieferung  des  locus  communis  I  12,  7  adeo  facilius  est  multa  facere 
quam  diu  hat  nicht  blofs  Andresen  Anstofs  genommen,  wie  Maehly  meint, 
sondern  auch  Kiderlin.  der  Jahrb.  für  klasa  Phil.  1885  Heft  -2  s.  L29 
schreibt  .  .  quam  >n,,nn  diu,  Andresen  Rhein.  Mus.  XXX  S.  518)  quam 
midtwm,  Maehly  quam  idem.  Ich  bin  der  Meinung,  wir  kommen  mit  dem, 
was  Iw.  Müller  (Jahresber.  1876.  II  S.  277)  sagt,  völlig  aus:  facilius  esl  multa 
facere  quam  diu  sc.  unam  rem,  denn  es  gehl  anmittelbar  vorher  quarum 
nos*  una  res  quaelibel  nihil  intermittentis  fatigaret.  Ahn-  kann  denn 
gerade  der  Gegensatz  zu  multa  fehlen?  traut  Kiderlin.  Ich  gebe  die 
Antwort  mit  Liv.  XI A  20,  9  orantes,  ne  uova  falsaque  crimina  plus 
obesse  Rhodiis  aequum  censerent  quam  antiqua  merita,  quorum  ipsi 
testes  essent  (cf.  ib  24,  8).  Wenn  hier  in  dem  mit  quam  beigefügten 
Gliede  aus  obesse  das  contrarium  prodesse  zu  ergänzen  möglich  ist,  so 
wird  es  auch  in  der  Stelle  Quintilians  erlaubl  sein  aus  multa  —  onum  her- 
auszuhören, umsomehr  als  una  res  noch  dem  Gedanken  vorschwebt     Das 


yft  Quintilian. 

Gebiet  der  Brachylogie  erstreckt  sich  in  den  alten  Sprachen  sehr  weit 
\  lll  3,  20  machl  Maehlj  aus  der  Lesart  der  Bandschriften  prolem  di- 
cendi  versü  ei  prosapiam  (AG)  »prolem«  die,  aon  diversnm  ei  »prosa- 
piam« insulsum  im-,  est  dicere).  Das  liegl  ja  paläographisch  nah'-,  aber 
selbst  wenn  non  diversum  ei  adjektivisch  so  schlanfc  weg  zum  Bubstan- 
tivura  —  »idem  significanso  (Maehly)  gesetzt  werden  könnte,  so  pafsl 
doch  prolem  die  schwerlich  für  Quintilian,  ihn-  das  Wort  selbst  Dicht  ge- 
braucht, wohl  aber  zweimal  I  6,  26  und  III  7.  9  progenies.  Zumpt  nicht 
iiln'l  dicemus  in  versu,  sed  prosapia,  Halm  prolem  dicere  innsitatum  est, 
prosapiam  insulsum  »kaum  richtig«  (Maehly).  Madvig  (advers.  crit.  III 
S.  214  u.  215  emendiert  die  ganze  Stelle  so:  aerumna  <iuid  opus  est,  tam- 
quam  parum  sit,  si  dicatur  queo,  horridum?  .  .  .  prolem  dicendi  in  versu 
j'ms  est,  prosapia  insulsum. 

36.  Wölt'flin  (Rhein.  Mus.  XLII  S.  144)  schreibt  X  1 ,  46  statt 
des  überlieferten  ex  Oceano  dicit  ipse  (sc.  Homerus)  annium  (GL)  fon- 
tiunique  cursus  initium  capere  —  omnhim  flmninum  fontiumque  c.  (Osann, 
Halm  u.  a.  omnium  amnium).  Wölfflin  vermeidet  durch  diese  überzeu- 
gende Emendation  eine  böse  Kakophonie  und  das  seltenere  Wort  am- 
nium gewinnt  einen  in  der  Allitteration  wohlklingenden  Satz  und  das  an 
sich  passendere  fluminum  (cf.  X  1, 78),  ohne  die  Homerische  Parallele  II.  XXI, 
196  zu  vernachlässigen,    cf.  Archiv  für  Lexigr.  III  Heft  3.  u.  4  S.  447.  — 

37.  Becher  (Rhein.  Mus.  ibid.  S.  144  und  145).  Die  offenbare 
Schwierigkeit  in  den  Worten  X  1,  79  in  inventione  facilis,  honesti  Studio- 
sus, in  compositione  adeo  diligens,  ut  cura  eius  reprehendatur  (der  ethi- 
sche Gesichtspunkt  gehört  nicht  in  die  Litteraturgeschichte  und  am  aller- 
wenigsten zwischen  inventio  und  compositio)  wird  dadurch  gehoben,  dafs 
ich  interpungiere  in  inventione  facilis,  honesti  studiosus  in  compositione, 
adeo  diligens,  ut  c.  e.  r.  cf.  IX  4,  146  u.  147  compositio  debet  esse  ho- 
nesta, iueunda,  varia  .  .  .  cura  ita  magna,  ut  sentiendi  atque  eloquendi 
prior  sit;  derselbe  Chiasmus  X  1,  97  (s.  oben  Eussner  und  Maehly). 

38.  Im  Hermes  XXII  1  S.  137  142  behandele  ich  14  Stellen  aus 
dem  zwölften  Buche.  1,  7  entscheide  ich  mich  für  nam  et  cum  insidia- 
tur,  spe,  curis,  labore  distringitur,  et,  iam  cum  sceleris  compos  fuit,  solli- 
citudine  torquetur,  weil  die  Steigerung  der  Ängste,  die  alsbald  nach  voll- 
brachter That  eintritt,  durch  iam  cum  =  alsbald  wenn  (cf.  Liv.  I  23,  9. 
Cic.  ad  Att.  III  22,  l)  gut  zum  Ausdruck  kommt.  —  Wenn  Davisius  6.  3 
vorgeschlagen  hatte  dum  et  veniae  spes  (et  venia  et  spes  die  Handschrif- 
ten) et  paratus  favor,  so  mache  ich  daraus  dum  et  veniaest.  d.  h.  et 
venire  est  spes.  Nichts  häufiger  als  die  Verwechselung  von  et  und  est.  — 
7,  4  lese  ich  namque  (so  die  Handschriften)  defendet  non  omnes  orator 
idem,  was  den  Vorzug  vor  der  Schreibung  der  edd.  vett.  neque  def.  om- 
nes o.  i.  aus  zwiefachem  Grunde  verdient,  weil  es  erstens  der  Form  nach 
vortrefflich  zu  dem  folgenden  non  etiam  piratis  pafst,  und  weil  zweitens 


Quintilian  99 

die  Stellung  des  positiven  defendet  den  beabsichtigten  Gegensatz  zu  dem  occv- 
sare  schroff  herauskehrt.  -  Dafs  Halm  8  ,  7  liberum  igitur  demus  ante  om- 
nia  iis,  quorum  negotium  erit,  tempus  ac  locum  exhortemurque  ultro.  ut 
omnia  quamlibet  verbose  et  unde  volent  repetito  tempore  expunant  mit  seiner 
Erklärung  des  repetito  tempore  =  ab  eo  inde  tempore  unde  volent  repeten- 
tes  exponant  in  die  Brüche  geraten  ist,  halte  ich  nach  meinen  Ausführungen 
für  ausgemacht.  Es  läfst  sich  eben  in  diesem  Satzgefüge  ab-ulut  nicht  erklä- 
ren. Ich  denke,  dafs  ursprünglich  blofs  repetito  dastand  und  dafs  tempore, 
eine  leicht  erklärliche  Glosse  zu  unde  volent,  in  den  Text  geraten  ist  und 
die  falsche  Lesart  in  BM  erzeugt  hat.  —  Ebenso  verunglückt  ist  Halms  Ket- 
tung der  Überlieferung  10,  39  an  non  in  privatis  et  acutus  et  indistinetus  et 
non  super  mocluni  elatus  M.  Tullius?  Er  behauptet  (Sitzungsber  d.  Bayr. 
Akad.  d.  Wiss.  1869  II  Heft  1  S.  19  u.  20),  dafs  indistinetus  ein  tech- 
nischer Begriff  sei  und  die  Bedeutung  habe  luminibus  oratoriis  carens  = 
ohne  rhetorischen  Glanz  und  Flitter,  aber  den  Beweis  für  diese  Behaup- 
tung ist  er  uns  schuldig  geblieben,  wenigstens  beweisen  die  Parallelen, 
die  Halm  für  distinetus  in  dieser  Hinsicht  beibringt  Tac.  dial.  c.  18,  Cic. 
de  or.  II  36.  54,  I  50,  de  inv.  II  49,  durchaus  nicht,  was  sie  sollen. 
Aus  Tac.  ann.  VI  8,  Gellius  praef.  2,  X  20,  9.  XIII  31,  5  und  vor 
allem  aus  Quint.  VIII  2,  23  geht  vielmehr  hervor,  dafs  indistinetus  nichts 
anderes  heifsen  kann  als  »unklar,  verworren«.  Ist  dies  aber  richtig,  so 
folgt,  dafs  in  unserer  Stelle  entweder  zu  schreiben  ist  et  non  indistinetus 
oder  blofs  et  distinetus,  wofür  ich  mich  unter  Berufung  auf  V  14,  33  ent- 
scheide. —  10,  46  ist  es  mir  nicht  zweifelhaft,  dafs  der  Rhetor  schrieb 
nempe  enim  (neque  enim  die  Handschriften)  fieri  potest  salva  traetatiune 
causae  et  dicendi  auetoritate,  si  non  crebra  liaec  lumina  et  continua 
fuerint  et  invicem  offecerint.  cf.  II  13,  9.  VIII  pr.  6  (Tac.  dial.  c.  35). 
II  13,  9  in  A  dieselbe  Corruptel.  —  10,  50  ist  teils  nach  Halm,  teils 
nach  der  Überlieferung  so  zu  gestalten:  at  quod  libris  dedicatum  in  exem- 
plum  edatur  et  tersum  {id  Halm)  ac  limatum  et  ad  legem  ac  regulam 
compositum  esse.oportere.  Zu  et-ac  et-ac  cf.  /.  I!  XII  m.  67. 
lese  ich  mit  Obrecht  ac  si  unum  est  e  duobus  eligendum  und  2,  31  mache 
ich  lesbar  durch  tantnm  quod  non  cognitis  de  rebus  admoneri  (Spalding), 
[<iui]  non  modo  proximum  tempus  •  .  intueri  >ati>  credal  bc.  orator.  Zur 
handschriftlichen  Lesart  kehre  ich  gegen  Halm  zurück  2.  7  mit  civilem 
virum  exhibeat;  3,  2  in  discendo;  6,  6  ineipere  ohne  <  (cf.  IX  t.  48. 
X  7,  21);  7,  5  quorum  certe  pars  est;  8,  1  n<-«|ii«'  mini  quisquam  tarn 
ingenio  tenui  reperietur.  -  Es  ist  mir  eine  grofse  Freude  und  Genug- 
thuung  gewesen,  dafs  ich  mit  allen  diesen  Vorschlägen  Meisters  Zu- 
stimmung (Buch  XII  der  neuen  Ausgabe)  gefunden  habe.  Nur  7.  ;.  folgt 
er  der  Überlieferung  de-  Voss.  1.  der  quorum  certe  ■'  1  pars  est  bietet, 
und  (.t,  c,  schliefsl  er  sieb  mit  Halm  an  I!  M  an  aut  si  unum  e  duobus 
eligendum.  Wenn  er  ■_•.  :ü  in  der  verzweifelten  st. dir  mit  Bonnell  Liest 
tantuni    quod    nun   cognitis   ilh    rebus   adquieverit,    uni    non   und   meine 


30  Qaintilian. 

Vermutung  nichl  in  den  Texl  Betzt,  sondern  in  der  kritischen  Note  ver- 
zeichnet, so  isl  das  keine  Differenz,  und  wenn  er  10,  39  von  den  beiden 
zur  W'.ilil  gestellten  Wendungen  ei  non  indistinctus  und  el  distinctus  die 
ei  tere  vorzieht,  so  bedeutel  das  er  I  rechl  keinen  Zwiespall  der  Meinung. 

39.    Wölfflin,  Zn  Quintilian,  Rhein.  Mus.  f.  PhiloL  N.  F.  XI. II 

s.  310     318   handelt  liher  X  l.  60    63.  G5ff.  l,  60  schlägt  er  vor 

zu  lesen:  suninia  in  hoc  (sc.  Archilocho)  vis  elocutionis,  cum  validae  tum 
hreves  vibrantesque  sententiae,  plurimum  sanguinis  atqne  nervnrum.  ade., 
nt  videatur  quibusdam,  quod  idem  amarior  esl  (quoquam  minor  G)  mate- 
riae  esse  non  ingenii  vitium.  Y<m  dem  Jambendichter  verlangl  man  acer- 
bitas  nach  §  96,  das  nimium  des  acerbum  isl  das  amarum  nach  ij  117. 
der  Gedanke  also  vortrefflich  und  die  Form  §  113  angeglichen:  in  Asinio 
Pollione  summa  diligentia  adeo  ul  quibusdam  etiam  nimia  videatur.  In- 
dessen so  scharf  die  Beweisführung,  so  zwingend  möchte  ich  fasl 
sagen-  die  Schlufsfolgerung,  mir  macht  der  Obersatz  Scrupel.  quod 
quoquam  minor  est  drückt  nach  meiner  Meinung  nicht  aus,  »dafs  Archi- 
lochus  diesem  oder  jenem  nachstehe«,  sondern  dafs  er  überhaupt  jemand 
nachsteht,  wenn  das  der  Fall  ist,  denn  quisquam  stellt  die  Existenz  in 
Frage,  ob  der  Jemand  vorhanden  ist  oder  nicht  cf.  Seyffert-Müller:  Lael. 
S.  43.  Es  ist  klar,  dafs  damit  dem  ingenium  das  A.  die  höchste  An- 
erkennung gezollt  wird:  A.  hatte  ganz  das  Zeug  dazu  Nummer  eins  zu 
werden  und  zwar  als  Dichter  überhaupt,  nicht  blofs  in  der  engeren 
Sphäre  der  Jambendichtung.  Dafs  er  es  nicht  geworden,  dafs  es  mög- 
lich ist  von  einem  Vordermann  bei  ihm  zu  reden  (Homer  natürlich,  denn 
der  schwebt  immer  als  Nummer  eins  vor  §  65),  daran  ist  —  so  scheint  es 
einigen  --  nicht  sein  ingenium,  sondern  die  materia  schuld.  M.  a.  W. 
die  Meinung  einiger  ist  die:  Archilochus  rangiert  unmittelbar  nach  Homer, 
wenn  er  nicht  neben  ihn  zu  setzen.  Eine  solche  Rangordnung  aufzu- 
stellen ist  ja  durchaus  im  Geiste  Quintilians  cf.  §  53.  85.  86.  Von 
Stesichoros  keifst  es  §  62  si  tenuisset  modum  videtur  aemulari  proximus 
Homerum  potuisse,  sed  redundat  atque  effunditur,  quod  ut  est  reprehen- 
dendum,  ita  copiae  vitium  est.  —  1,  63  liest  Wölfflin  (Alcaeus)  in  elo- 
quendo  quoque  brevis  et  magnificus  et  elegans  et  (dicendi  et  G  diligens 
M  diligens  et  Sc)  plerumque  oratori  similis,  während  Halm  dicendi  vi 
nach  G  konjicierte.  Dem  Urteile  Quintilians  liegen  die  Worte  des  Dionys 
zu  Grunde:  'AÄxatou  Sk  axonec  zb  i±£yaXo(pukg  xa\  ßpa.%u  xal  rjob  fierä 
osivoTY]Tog,  —  xal  npb  &ndvt(uv  zb  zojv  koXizixojv  r.payjxdzwv  ?j&og,  von  denen 
juLsrä  dsiv.  Halm,  rfiö  Wölfflin  beeinflufste.  Mir  will  doch  das  in  elo- 
quendo  diligens  richtig  überliefert  scheinen,  »diligens  ist  der,  der 
etwas  mit  Sorgfalt,  Pünktlichkeit  und  Genauigkeit  im  Unterscheiden  und 
Auswählen  betreibt  und  ausführt«  (Krebs-Schmalz:  Antibarb.  S.  409,  wo 
aber  in  compositione  adeo  diUgons  X  I,  79  als  Beispiel  für  diligens  in 
gestrichen  werden  mufs)     So  pafst  das  diligens  durchaus  zu  in  eloquendo 


Quintilian.  3 1 

—  cum  sit  in  eloquendo  positum  oratoris  officium  (X  1 ,  3).  Quintilian 
hat  sich  auch  sonst  nicht  sklavisch  an  den  Wortlaut  das  Dionys  gebun- 
den, abgesehen  davon,  dafs  sich  elegans  und  r/Su  nicht  deckt.  1,  69 
emendiert  Wölfflin  unter  teilweiser  Benutzung  eines  Wiegandschen  Vor- 
schlages (cf.  Osann  IV  S.  20)  sehr  ansprechend  hunc  imitatus  niaxime 
est,  ut  saepe  testatur,  et  secutus  .  .  Menander  cf.  Ovid  fast  V,  157     158. 

Ausgaben  von  über  X. 

40.  M.  Fabii  Quintiliani  institutions  oratoriae  über  decimus.  Er- 
klärt von  E.  Bonneil.  Fünfte  Auflage  von  F.  Meister.  Berlin, 
Weidmannsche  Buchhandlung.    1882.    90  S.    8. 

Die  neue  Auflage  der  bewährten  Ausgabe  ist  in  bewährte  Hände 
gelegt:  sie  bedeutet  einen  wirklichen  Fortschritt  in  der  Kritik  so  gut 
wie  in  der  Exegese.  Wenn  in  letzterer  —  soweit  sie  dem  Schüler  zu 
Hülfe  kommen  soll  -  vielleicht  die  Grenze  des  Notwendigen  überschritten 
ist,  so  wollen  wir  darüber  mit  dem  Verfasser  nicht  lange  rechten,  um- 
soweniger,  als  es  immer  darauf  ankommt,  wie  weit  oder  wie  eng  der 
Horizont  derjenigen  Schüler  ist,  denen  man  Quintilians  1.  X  zu  inter- 
pretieren hat.  Das  auf  S.  89  u.  90  beigegebene  Verzeichnis  lehrt, 
dafs  Meister  an  75  Stellen  eine  andere  Constitution  des  Textes  beliebt 
hat  als  Halm,  neun  Stellen  darunter  sind  von  eigener  Hand  gebessert, 
zweifellos  richtig  2,  8  ac  si  omnia  percenseas,  nulla  mansü  (nulla  sit  die 
Handschr.)  ars,  qualis  inventa  est,  nee  intra  initium  stetit.  An  das  Fleck- 
eisensche  nulla  est  dachte  schon  Gensler  analect.  S.  45,  wenngleich  er 
S.  46  fuit  vorschlug  und  vorzog.  -  Unwahrscheinlich  ist  1,  117  et  ur- 
banitas  et  sermo  purm  für  das  Bursiansche  et  fervor.  —  Im  folgenden 
erwähne  ich  kurz,  wo  ich  mich  von  Meister  entferne,  indem  ich  zur  Be- 
gründung meiner  entgegengesetzten  Ansicht  teils  auf  meine  ausführliche 
Recension  dieser  Ausgabe  Phil.  Rundschau  III  No.  14  S.  427  436; 
No.  15  S.  457  -  470,  teils  auf  die  in  Zeitschriften  zerstreuten  Bemer- 
kungen verweise,  die  auch  in  diesem  Jahresbericht  ihre  Berücksichtigung 
finden.  Ich  lese:  1,  3  nam  certe,  cum  sit  in  eloquendo  positum  orato- 
ris officium,  dicere  ante  omnia  seiet,  l,  7  et  qaae  idem  significarenl 
scio  solitos  ediscere,  quo  facilius  sumerent  aliud  guod  idem  intellegi 
posset.  -  19  repetamus  autem  et  tractemus.  23  quin  etiam  easdem 
causas  ut  quisque  egerit,  utile  erit  scire.  40  neu  est  dissimulanda 
nostri  quoque  iudicii  summa.  —  42  sed  nun  quidquid  ad  aliquam  partem 
scientiae  pertinet,  protinus  ad  phrasin,  de  qua  loquimur,  aecommoda- 
tum.  —  44  sunt  etiam  levis  et  nitidi  et  compositi  generis  nun  pauci 
amatorcs  .  .  .  Interim  summatim  quid  et  a  qua  lectione  petere  possint, 
qui  confirmare  facultatem  dicendi  volent,  attingam.  P  (sunl  enim 
eminentissimi)  excerpere  in  animo  est.  18  age  vero,  \wn  atriusqae 
operis  sui  ingressu.          54  quanto  ^ii  aliud  proxiraum  esse  aliud 


32  (Juintilian. 

dum.        59  3ed  dum  adsequamur  illam  tirmam  facilitatem.  —  G8  namque 
i     el    sermone   {quod  ipmm    reprchendunt.   q 1 1  i t > u s   </];i% ita -    videtur 
Bublimior)  magis  accedil  oratorio  generi         70  nisi  forte  aut  illa  [mala] 
iudicia.  72  si   cum   ingenio   leguntur.  ibid.  qui  u1  pratu  sui  temporü 

iudiciis  Menandro  saepe  praelatus  est.        76  ut  nee  quid  desil  in  eo  nee 
quid   redundet,    invenias.  77   Plenior  Aeschines   el   magie    fusus   et 

grandi  oratori  similis.  —  83  eloqucndi  vi  nc  suavitate.  —  106  omvia  deni- 
que,  quae  sunt  inventionis.  —  126  placere  se  in  dicendo  posse  äs,  qui- 
bus  illi  placerent.  2,  17  Attici  sunt  scilicet;  qui .  .  superant.  .">.  i:;  nam 
quid  interest,  Cornelius  tribunus  i>l* ■  1  »i ^ .  quod  codicem  legerit,  reua  sil 
an  quaeramus  violeturne  maiestas,  si  magistratus  rogationem  Buam  po- 
pulo  ipse  recitarit'.  7,  13  quem  iurgantibus  etiam  mulierculis  Buper- 
fluere  video\  quodsi  calor  ac  spiritns  tulit.  frequenter  aeeidit.  7,  24  vel 
soli  tarnen  dicamus  potius  quam  non  omnino  dicamüs.  —  25  est  alia 
exercitatio  cogitandi  totasque  materias  vel  silentio  (dum  tarnen  quasi 
dicat  intra  sc  ipsum)  persequendi.  Andere  Differenzen  werden  noch  an 
anderer  Stelle  ihre  Erledigung  finden:  hier  noch  folgendes,  l,  89  schreibt 
Meister:  Cornelius  autem  Severus.  etiamsi  sit  versificator  quam  poeta 
melior,  si  tarnen,  ut  est  dictum,  ad  exemplar  primi  libri  bellum  Siculum 
perscripsisset,  vindicaret  sibi  iure  seeundum  locum.  Hild  (s.  unten):  poeta 
melior.  ut  est  dictum,  tarnen  si  e.  s.  Dafs  tarnen  zu  vindicaret  gehöre, 
gebe  ich  zu,  dafs  es  deswegen  vor  si  zu  stellen,  bestreite  ich.  Denn 
wenn  diese  Einschiebung  des  zum  Hauptsatz  gehörenden  tarnen  in  den 
Nebensatz  auch  nicht  »sehr  häufig«  bei  Quintilian  ist,  wie  Bonnell- 
Meister  meinen,  die  dieses  si  tarnen  nicht  gehörig  von  dem  andern  si 
tarnen  etwa  =  si  modo  (quidem)  bei  Cic.  trennen,  cf.  IX  2,  55  in  quo 
est  et  illa  si  tarnen  inter  Schemata  numerari  debet  .  .  .  digressio,  II  15. 
4  u.  a.  s.  Draeger:  H.  S.  II  S.  711,  so  giebt  es  doch  wenigstens  einige 
Beispiele,  die  jene  Änderung  verbieten,  cf.  II  17,  24.  25,  cum  tarnen 
ebenso  XI  3,  91.  Mifslicher  wird  das  Hyperbaton  durch  das  dem  tarnen 
beigefügte  ut  est  dictum,  was,  wenn  es  überhaupt  richtig  und  an  richti- 
ger Stelle  überliefert  ist,  ebenfalls  mehr  zum  Haupt-  als  zum  Nebensatz 
mit  si  gehört.  Denkbar  ist  es  immerhin,  dafs  in  den  Worten  si  tarnen, 
ut  est  dictum  e.  s.  auf  eine  sententia  de  Cornelio  ab  aliquo  prolata  hin- 
gedeutet wird,  wie  Osann  meinte  Progr.  V  S.  1 1  nam  ipsius  Quintiliani 
sententia  inest  in  verbis  etiamsi-melior'.  Viel  wahrscheinlicher  aber  ist 
es,  dafs  umgekehrt  der  Satz  mit  si  tarnen  Quintilians  Urteil  wiedergiebt. 
in  etiamsi-melior  aber  die  Meinung  nescio  cuius  berücksichtigt  wird.  Ist 
dies  richtig  —  und  auch  die  Form  etiamsi  sil  versificator  scheint  dafür 
zu  sprechen,  so  folgt,  dafs  ut  est  dictum  jedenfalls  am  unrechten  Orte 
steht.  Schon  Doederlein  hat  es  deshalb,  wie  Hild,  hinter  poeta  melior 
gestellt,  Fleckeisen  sieht  es  lieber  hinter  etiamsi,  wohl  besonders  wegen 
versificator,  ich  stimme  Halm  bei,  der  es  als  Glosse  zu  etiamsi-melior 
einklammert.   —    3,  22  lesen  Krüger.  Meister,  Bassi,  Dosson,  Hild  mit 


Quintilian  (hb.  X).  33 

Halm:  denique  ut  semel  quod  est  potentissimura  dicam,  secretum  quod 
(B)  dictando  perit,  atque  liberum  arbitris  locum  et  quam  altissimum 
silentium  scribentibus  maxime  convenire  nemo  dubitaverit.  Wenn  ich 
trotz  so  vieler,  zum  Teil  gewichtiger  Stimmen  die  Lesart  von  Mb  vor- 
ziehe: secretum  in  dictando  perit.  Atque  .  .  nemo  dubitaverit,  so  ver- 
anlafst  mich  dazu  folgende  Erwägung:  Zu  den  Gründen,  die  der  Rhetor 
gegen  das  Diktieren  aufführt,  gehört  als  letzter,  entscheidender  und 
abschliefsender,  dafs  das  secretum  dabei  verloren  gehe.  Der  Begriff  des 
secretum  leitet  zugleich  zu  dem  folgenden  Gedanken  über.  Nun  ist  kein 
Zweifel,  dafs  zwischen  den  Sätzen  denique  ut  semel  quod  est  potentissi- 
mum  dicam  und  secretum  quod  dictando  perit  .  .  scribentibus  maxime 
convenire  nemo  dubitaverit  ein  Mifsverhältnis  des  Tones  besteht,  das  durch 
nichts  motiviert  ist.  Gegen  das  schneidige  ut  semel  q.  e.  potentissimum 
dicam  sticht  und  fällt  das  zaghaft  schwankende  nemo  dubitaverit  gradezu 
ab:  der  energische  Ausdruck  der  eigenen  Willens-Meinung  duldet  nicht 
den  Appell  an  die  vielleicht  zweifelnde  Ansicht  anderer.  Ob  das  quod 
von  B  das  quid  vor  est  pot.  hat  verbessern  sollen  und  ob  es,  an  eine 
falsche  Stelle  vom  Rande  in  den  Text  geraten,  das  in  verdrängt  hat? 
Atque  in  Übergängen  macht  keine  Schwierigkeit  cf.  Seyffert  Schob  L.  I 
§  14,  nur  darf  man  nicht,  wie  Meister  mit  Berufung  auf  2,  20  thut,  von 
diesem  atque  reden,  wenn  man  die  Halmsche  Lesung  in  den  Text  auf- 
nimmt. Ist  das  aber  immer  noch  verzeihlich,  denn  Meister  hat  aus 
Bonnell4  die  Anmerkung  herübergenommen  und  nur  übersehen,  dafs 
Bonnell  im  Text  der  Lesart  in  den  Vorzug  gegeben,  so  ist  es  gradezu 
unverzeihlich,  dafs  Bassi  und  Dosson  diesem  Irrtum  Meisters  so  zu  sagen 
die  Weihe  erteilen,  dadurch  dafs  sie  ihn  blind  wiedergeben.  — 

Zur  Erklärung  noch  einige  Bemerkungen  und  Beiträge:  1,  6  non 
solum,  sed  =  ob  jiovov,  dUd  steht  da,  wo  das  zweite  Glied  dem  Umfange 
oder  dem  Grade  nach  stärker  ist  und  das  erste  umfafst  oder  in  sich  schliefst 
(Kühner- Schmalz  bei  Iw.  Müller:  Handbuch  der  klass.  Alterthumsw.  2 
S.  311).  Diese  Bedingung  trifft  zu  1,  6  non  solum  sed,  1,  46  nee  modo 
sed,  7,  8  non  m.,  s.,  3,  20  non  tantum  sed,  5,  5  neque  t,  s.,  sie  trifft 
aber  auch  bei  Cic  zu,  der  non  //<<«/<<  und  non  solum,  sed  so  gebraucht 
z.  B.  pro  Sestio  20,  45  iecissem  ipse  me  potius  in  profundum,  ut  ceteros 
conservarem,  quam  Ulos  mei  tarn  cupidos  non  modo  ad  certam  mortem, 
sed  in  magnum  vitae  discrimeo  adducerem.  Das  »Herabsteigen!,  wie  die 
Interpreten  und  Grammatiker  sagen  (auch  Wolff:  Progr.  \.  Ratibor  1856 
S.  5),  ist  nur  ein  scheinbares,  thatsächlich  ist  es  auch  hier  ein 
»Aufsteigen«,  wie  auch  Cic.  Pomp.  23,  66,  div.  in  Caec  8,  27.  Oder 
ist  der  Opfermut  nicht  gröfser,  wenn  ich  mich  tun  1 1 •  -  —  magnum  vitae 
discrimen,  als  wenn  ich  mich  um  der  certa  mors  der  Freunde  willen 
in  die  Tiefe  stürze'.''  Beispiele  für  mm  solum  sed  bei  Cic.  bietet  aus- 
reichend Merguet:  Lex.  :;  S.  861  u.  362.  —  L,  21  ex  integro  und  ex 
Industrie  hat  doch  auch,  was  die  Herausgeber  sämtlich  vergessen,  in  dem 

Jüliresbericlit  fllr  AlteriliuuiiiwisHeiisiluiU  1.1.  Uil    (1881     II. i  y 


34  Quiotilian  dili.  X) 

ciceronianischen  ex  improviso  (Verr.  i.  112)  seine  Parallele,  de  impro- 
u  o  pro  Robc  \xa.  »2,  151.  Ebenso  giebl  ea  für  alter  ---■■  alterater 
i.  26  chon  beiCic.  Belege:  ad  Att.  XI  L8,  l,  A.cad.  II  •»::.  132.  Hild: 
Ciceron  dant  ce  cas  emploie  alteruter.  Dber  in  alteram  partem  er- 
rare cf.  Nipperdey:  quaest  Caes.  B,  52  —  i,  4»;  tum-tum  wagte  Quinti- 
li.ni  wieder  in  die  Prosa  einzuführen,  auf  Cic.  zurückgehend.  cf.  Wölff- 
lin:  Archn  f.  Lexikogr.  II  S.  241.  L,  64  beifsl  in  bac  parte,  wie  ans 
Nipperdey  a-  a.  0.  zeigt  "in  dieser  Beziehung,  nach  dieser  Sichtung« 
et'.  I  :',,  17.  7,  1'.).  lo.  1.  II  17.  1.  III  »;.  64.  XII  1.  16.  Es 
könnte  auch  ab  (ex)  bac  parte  stehen.  Danach  isl  quaesl  v.  i  zu  ver- 
bessern. Dafs  die  Bemerkung  über  versificator  i,  B'.i  in  den  Angaben 
nicht  ganz  korrekt  ist.  zeigl  Georges,  dessen  Fleifa  noch  drei  Stellen 
aufser  [ust.  VI  9  nachgewiesen  bat  -  Ebensowenig  genflgl  für  l,  101 
supra  quam  enarvari  potest  eloquentia  die  Parallele  Sali.  Cat.  5,  3, 
Bonneil- Meister  gar:  selten,  nur  noch  Sali.  Cat.  5,  3.  Schon  Krüger 
hat  bell.  lug.  24,  5  hinzugefügt,  und  aus  Cic.  läfst  sich  or.  XL  139  an- 
führen (cf.  de  nat.  deor.  II  54,  136).  Eine  ganze  Reihe  von  Stellen  giebt 
es  naoh  WöMfflin:  Compar.  S.  26.  —  Ähnlich  steht  es  mit  1,  124  non  parum 
nmlta.  "Während  Hild  sich  mit  VI  2,  3  als  Parallele  zufrieden  giebt, 
setzt  Bonnell-Meister  hinzu:  »eine  aufser  bei  Cic.  nicht  seltene  Litotes«. 
Icli  bringe  aus  Cic.  bei  für  non  parum  multi  in  Verr.  III  9,  22  (cf.  Phil. 
VII  6,  18,  pro  Quinctio  3,  11,  in  Verr.  IV  12,  29),  für  non  parum  saepe 
de  fin.  II  4,  12.  Der  Gegensatz  von  non  parum  ist  non  nimis  =  nicht 
sonderlich:  interessant  deshalb  Liv.  XXII  26,  4  haud  parum  callide  mit 
Cic.  de  nat.  deor.  I  25,  70  nihil  horum  nimis  callide  zu  vergleichen.  — 
Merkwürdig,  dafs  niemand,  aufser  Dosson  S.  129,  et  invisum  quoqm  1,  125 
notiert.  Aus  der  klassischen  Zeit  kann  ich  als  unbeanstandetes  Beispiel 
nur  nennen  de  domo  18,  47  quoniam  iam  dialecticus  es  et  haec  quoque 
liguris  —  nirgends  für  diese  Verbindung,  die  bei  Curtius,  Tacitus,  Quin- 
tilian  öfter  vorkommt,  citiert.  Draegers  in  Verr.  II  1,  4,  11  und  de  inv. 
II  16,  50  (H.  S.  II1  S.  31)  sind  nicht  sicher,  und  was  Dosson  sagt,  be- 
darf ebensosehr  der  Verbesserung,  wie  seine  Bemerkung  zu  2,  19  über 
ne  .  .  et  .  .  et  (s.  Rem.  94,  nicht  91).  Diese  Verbindung  statt  des  ge- 
wöhnlichen ne  .  .  aut  .  .  aut,  dann  gebraucht,  wann  hervorgehoben  werden 
soll,  dafs  das  Zusammentreffen  von  beiden  zugleich  zu  verhüten  ist, 
kommt  nicht  einmal  bei  Cic.  vor,  wie  Bonnell-Meister  meinen,  sondern 
fünfmal:  de  off.  1  14,  42,  Tusc.  I  15,  33,  ad  Att.  III  7,  2,  XII  40,  2, 
ad  fam.  XI  7,  2  cf.  C.  F.  W.  Müller  de  off.  a.  a.  0.  —  Dafs  que  bei 
Satzverbindungen  nach  vorangehender  Negation  häufig  adversative  Be- 
deutung habe,  liest  man  oft,  und  Bonnell-Meister  wie  Hild  suchen  dies 
3,  4  durch  Berufung  auf  Cic.  de  off.  I  25,  861)  zu  erhärten.    Aber  diese 


!)  Von  Bonnell   hat   sich  der  Fehler  Cic.  de  off.  I  25,  4  auf  Meister  ver- 
erbt, bei  Hild  steht  gar  I  24,  4. 


Quiutilian  (lib.  X'.  35 

Regel  haftet  zu  sehr  an  der  Oberfläche.  Nur  dann  kann  que  (et,  atque) 
nach  einer  Negation  stellen  ,  wenn  der  zweite  positive  Satz  nicht  mate- 
riell, sondern  nur  formell  das  Gegenteil  des  vorhergehenden  ist  Der 
Lateiner  läfst  sich  durch  den  Gedanken  leiten,  während  wir  uns  durch 
die  Form  bestimmen  lassen  und  deshalb  »sondern«  sagen.  —  Zu  Bon- 
nells  Bemerkung  3,  7,  dafs  Quintilian  nicht  dummodo  gebrauche,  son- 
dern dum  oder  modo,  fugt  Meister  »oder  si  modo«,  und  Hild  wie  Bassi 
pflanzen  diesen  Irrtum  fort.  Die  Grenzen  sind  verwischt;  si  modo  (si 
quidem)  drückt  eine  Beschränkung  in  der  Voraussetzung  aus.  dummodo 
u.  s.  w.  enthält  eine  Forderung  oder  einen  Wunsch,  der  den  Inhalt  des 
Hauptsatzes  einschränkt. 

41.  II  libro  decimo  della  instituzione  oratoria  di  M.  Fabio  Quin- 
tiliano  commentato  da  Domenico  Bassi.  Torino,  Ermanno  Loescher, 
1884.  XXVIII,  92  S.  8.  L  1,20.  (Recensiert  von  Ferd.  Becher: 
Neue  phil.  Rundschau  I  19  S.  292. 

42.  M.  Fabii  Quintiliani  de  iustitutione  oratoria  über  deeimus. 
Texte  latin  publie  avec  une  notice  sur  la  vie  et  les  ouvrages  de  Quin- 
tilien,  des  notes  explicatives,  des  remarques  grammaticales.  un  diction- 
naire  des  nöms  propres  et  des  prineipaux  termes  de  critique  litteraire 
et  des  illustrations'd'apres  les  monuments  par  S.  Dosson.  Paris  1884, 
Hachette.  XXXII,  204  S.  IC  cart.  1  fr.  50  c  (Resensiert  von 
P.  Hirt:  Berliner  phil.  Wochenschrift  V  20  S.  G28— 630.) 

43.  M.  Fabi  Quintiliani  institutionis  oratoriae  über  deeimus.  Texte 
latin  publie  avec  un  Commentaire  explicatif  par  J.  A.  Hild,  Professeur 
de  Litterature  latirie  et  Institutions  romaines  ä  la  Faculte  des  Lettres 
de  Poitiers.  Paris,  Librairie  C.  Klincksieck,  1885.  XXVIII,  164  S. 
8.  3  fr.  50  c.  (Recensiert  von  II.  J  Müller:  Wochenschrift  für  klass. 
Phil.  II  20  S.  626—627,  von  A.  E.:  Lit.  Centralblatt  Xo.  22  S.  753, 
von  I'.  Hirt:  Berliner  phil.  Wochenschrift  VI  5  S.  140  142  und  Schutt: 
Neue  phil.  Rundschau  Xo.  7  (1887)  S.  101  —  103.) 

Mit  den  beiden  ersten  Ausgaben  ist  wenig  zu  machen,  am  aller- 
wenigsten mit  der  italieniM-hen.  Zwar  mul's  ich  gestehen,  bei  ßa>si  nicht 
überall  nachgekommen  zu  sein,  aber  wer  imstande  ist,  einen  Druckfehler 
aus  Bonnell- Meister  5,  13  S.  74:  Marcia  lebte  von  56—60  v.  Chr.  hei 
Hortensius  (Honneil4  ganz  richtig  56  50  v.  Chr.)  folgendermaßen  wieder- 
zugeben S.  73:  Dopo  la  raorte  di  Grtensio,  con  cui  atette  quattro  anni 
(56  60  av.  Cr.)  .  .,  der  erweokl  \""  vornherein  den  bedenklichen  Arg- 
wohn, dafs  die  alten  Philologentugenden  der  Solidität  and  Akribie  Beine 
Vorzüge  nicht  sind,  [nteressanl  übrigens  diese  stelle  auch  bei  andern. 
Meister  hat:  56  -  60  v.  Chr..  Krüger8  S.  65:  5o  56  \.  c.  gleich  als  sollte 
das  ungeheuerliche  Faktum,  daß  Cato  Uticensis  dem  ihn  schwärmerisch 
verehrenden  Q,  Hortensius  seine  Gattin  sechs  Jahre  überlief.-,  ins  Reich 

3* 


36  Quintilian  Hib.  X). 

der  Sage  entrückt  werden.  Bassi  giebt  in  einer  Introduzione  (8.  X 

bis  XXVIII)  das  Notwendigste  Über  Quintilians  Lehen  and  Schriften,  über 
Zweck  und  Bedeutung  der  inst.  or.  für  die  Erziehung  and  Im-  die  Kenntnis 
der  römischen  Beredsamkeit,  um  in  einem  Schlufsabschnitl  die  sprach- 
lichen Eigentümlichkeiten  von  Quint.  1.  X  in  fasl  wörtlicher  Übereinstim- 
mung mit  Bonnell  kurz  zusammenzustellen.  Da  figuriert  noch  immer  die 
Auffassung  von  dem  Fehlen  des  Relativums  3,  11,  während  es  riel  ein- 
facher ist  den  Satz  omnia  mutare  ....  velint  selbständig  zu  fassen  und 
velint  als  Conj.  pot.  zu  erklären,  s.  Phil.  Rundschau  III  15  S.  468.  Der 
Text  ist  der  von  Halm,  doch  ist  auch  Bonnell  und  Kniger  herangezogen 
—  ohne  sicheres  Urteil  in  Kritik  und  Exegese.  Es  gebricht  dem  Ver- 
fasser an  methodischer  Schulung  ebensosehr  wie  an  gründlicher  Kenntnis 
des  Schriftstellers.  Die  Resultate  neuester  Forschungen  sind  ihm  verbor- 
gen geblieben,  nur  bis  Bonnell -Meister  etwa  reicht  seine  Wissenschaft. 
Ich  hebe  einiges  heraus,  was  die  Weise  Bassi's  ausspricht.  1,  3  S.  3  ist 
die  sprachliche  Unmöglichkeit  des  dicere  ante  omnia  est  dem  Verfasser 
nicht  einmal  erwähnenswert  erschienen.  1,  27  S.  11  Anm.  ist  falsch  aus 
Bonnell-Meister  nachgedruckt:  pro  Archia  6,  12  quia  suppeditat  (noraen 
poetarum)  statt  homo.  1,  48  S.  18  hat  Bassi  die  Claussensche  Recht- 
fertigung des  blofsen  ingressu  nicht  gekannt.  1 ,  77  S.  30  scheint  dem 
Verfasser  grandiori  Neutrum  zu  sein,  aber  es  kommt  ihm  vor,  als  sei 
der  Gedanke  nicht  glücklich  ausgedrückt.  1,  82  S.  32  ist  sicherlich  mit 
Frotscher  zu  lesen :  sed  quodam  [Delphici]  videatur  oraculo  dei  instinctus, 
wie  ich  unter  der  Zustimmung  von  Meister,  Schmalz  u.  a.  quaest.  S.  14 
dargethan  habe.  Schon  Claussen  hat  das  Halm  sehe  tamquarn  Delphico 
v.  o.  inst,  angetastet,  so  dafs  uns  Bassi  damit  verschonen  konnte.  Auch 
das  von  mir  coli.  Verg.  Aen.  I  5,  26,  Ov.  trist.  I  2,  7  verteidigte  hand- 
schriftliche propius  (1 ,  91  S.  35)  hätte  er  aufnehmen  sollen.  Er  folgt 
dem  Harnischen  promptius,  weil  ihm  propius  zu  poetisch  erscheint,  als 
ob  nicht  die  Parallele  grade  aus  Vergil  die  Richtigkeit  der  überlieferten 
Lesart  über  allen  Zweifel  erhöbe.  Dafs  3,  20  in  intellegendo  zu  emen- 
dieren  sei,  wird  heute  allgemein  zugestanden.  Bassi  hält  S.  63  im  Text 
und  in  der  Anmerkung  noch  in  legendo  fest.  3,  25  S.  64  bietet  er 
richtig  velut  tectos,  wenn  er  aber  t.  =  custoditi  erklärt,  so  bedeutet  das 
wieder  einen  Mangel  an  Schärfe  des  Urteils.  Warum  dann  velut?  tectus 
ist  ein  Ausdruck  der  Gladiatorensprache,  cf.  Piniol.  43,  1  S.  203  —  205. 
Etwas  besser  steht  es  mit  der  xiusgabe  des  Franzosen  Dosson. 
Ich  bekenne,  dafs  ich  gern  in  dem  niedlichen  Büchelchen  blättere  und 
mir  gern  die  Bilder  des  Homer,  Sophokles,  Euripides  u.  s.  w.  ansehe, 
sonst  aber  erfüllt  die  Ausgabe  nur  zum  geringen  Teil  die  hohen  Erwar- 
tungen, die  der  reiche  Titel  erweckt.  So  z.  B. ,  um  das  gleich  vorweg- 
zunehmen, alles,  was  ich  an  der  Behandlung  von  1,  3.  27.  48.  77.  82. 
91;  3,  11.  20.  25  bei  Bassi  gerügt  habe,  pafst  genau  auf  Dosson.  Die 
Einleitung  (preface  I  —  IV,  notice  sur  Quintilien  V -XXXII)  giebt  einen 


Quintilian  (Hb.  X).  37 

Lebensabrifs  Quintilians,  bezeichnet  seine  instit.  orat.  als  une  oenvre  de 
reaction  contre  le  mauvais  goüt  de  ses  contemporains  et  les  tendances 
de  Tecole  nouvelle,  bespricht  an  der  Hand  von  Mercklin  die  Quellenfrage 
zum  zehnten  Buch  und  übt  kurze  Kritik  an  dem  von  Quintilian  über  die 
griechischen  und  römischen  Schriftsteller  abgegebenen  Urteil.  Nur  eins 
sei  hier  moniert.  Durch  Mommsens  Untersuchung  im  Hermes  XIII 
S.  428—430  ist  festgestellt,  dafs  der  Freund,  dem  Quintilian  seine  inst. 
or.  widmete,  nicht  Vktorius  Marcellus,  wie  Dosson  noch  meint,  hiefs,  son- 
dern Vitorius  Marcellus  und  dafs  Gallus  nur  als  ein  dem  Dichter  Statius  und 
Marcellus  gemeinschaftlicher  Freund,  nicht  als  der  Sohn  des  letzteren 
zu  betrachten  ist.     Der  hiefs  vielmehr  Geta.   cf.  Quint.  pr.  I  6,   Statius 

IV  4,  71.  —  Auf  die  Einleitung  folgt  der  Text  mit  erklärenden.  Anmer- 
kungen (S.  3-- 105),  in  denen  regelmäfsig  auf  die  remarques  sur  la  langue 
de  Quintilien  (216  Paragraphen  S.  116-145)  verwiesen  wird.  Den  Be- 
scblufs  macht  ein  index  explicatif  des  noms  propres  u.  s.  w.  Dafs  Dosson 
in  der  Textesrevision  im  ganzen  Halm  als  Führer  genommen,  wird  jeder 
gutheifsen,  auch  das  wird  niemand  tadeln,  dafs  er  sich  in  seinem  kriti- 
schen Urteil  stark  von  Meister  beeinflussen  läfst,  zu  bedauern  aber  bleibt 
es,  dafs  auch  Dosson  von  den  neuesten  Forschungen  keine  Notiz  genom- 
men. Wäre  das  geschehen,  so  würde  Text  und  »Liste  des  passages  dans 
lesquels  notre  texte  differe  de  celui  de  Halm«  (S.  113  —  114)  doch  ein 
anderes  Antlitz  zeigen  wenigstens  an  manchen  Stellen.  Es  war  zu 
schreiben:  1,  16  blofs  ambitu;  1,  45  paucos  (sunt  enim  eminentissimi); 
1,  59  adsequamur;  1,  68  quod  ipsum  ohne  quoque  u.  s.  w. ,  vgl.  oben 
unter  Bonuell-Meister.  Mit  Thurot  1,  66  tragoedias  in  tragoedia»/  zu 
ändern  und  zwar  ohne  alle  handschriftliche  Gewähr,  ist  kein  Grund,  und 
ob  ibid.  richtig  permisere  aus  den  verstümmelten  Zügen  der  Handschriften 
herausgelesen  ist  statt  permiserunt  (permiserr  G),  s.  auch  S.  120,  ist  mir 
mehr  als  zweifelhaft,  weil  Quintilian  die  kürzere  Form  nicht  gerade  liebt, 
s.  Bonnell  Proleg.  de  gramm.  Q.  S.  XXVII.  —  1,  91  ist  sicherlich  fami- 
liäre numen  Minervac  zu  schreiben,  cf.  z.  B.  Verg.  Aen.  I  447  u.  Osann 

V  S.  16.  Merkwürdig,  dafs  man  5,  23  noch  immer  der  Regiusschen 
Konjektur  begegnet:  una  diligenter  efieeta  plus  proderit  quam  plures 
inchoatae  et  quasi  degustatae.  Entweder  setze  man  una  vor  quam,  wo 
es  leicht  ausfallen  konnte,  oder  man  begnüge  sich  mit  dem  blofsen  Sin- 
gular, wofür  ich  mich  um  so  unbedenklicher  entscheide,  als  der  Gegen- 
satz nicht  blofs  quantitativer,  sondern  auch  qualitativer  Natur  ist.  Welcher 
Lesart  der  Verfasser  7,  32  den  Vorzug  giebt,  ob  der  Regiusschen  ego 
autem  ne  scribendum  quidem  puto,  quod  non  simus  memoria  perseenturi 
oder  der  handschriftlichen  ohne  non.  habe  ich  nicht  enträtseln  können, 
weil  im  Text  die  letztere,  S.  n  I  die  erstere  als  die  richtige  bingestelll 
wird,  s.  unter  Hihi.  Versehen,  Druckfehler  u.  S.  w.  sind  überhaupt  in 
erklecklicher  Zahl  vorhanden,  S.  114  gerade  bietet  für  diesen  Tadel  allen 
Grund.    Nicht  nur  dafs  die  Reihenfolge  der  Paragraphen  chap.  VIT  ver- 


:-jK  QuiDlfFfaii  (Mb.  Xj 

wint  ist,  &uch  dfe  Worte  sind  falsch  gesetzt:  5,  13  recte  de  lurrectene, 
7,  10  iiii.'ini  tiir  iiiki  (was  Btatl  des  Harnischen  simul  in  den  Text  anfeu« 
nehmen  ist),  7,  LS  qnod  eum  eo  für  ctnfki  eo  qnod  (wofür  das  Bahnsche 
vddeo:  qnod  einzusetzen  ist).  Wenn  eine  halbe  Seite  soviel  Fehler  ent- 
hält, ao  wird  man  sich  ober  anderes  kaum  noch  wundern,  vielleicht  auch 
darüber  nicht,  dafs  hier  und  da  aus  andern  Ausgaben  Falsches  nach- 
gedruckt ist,  wie  S.  36  aus  Frotscher  oder  Krüger  Ov.  Tr.  IV  II.  ioi 
statt  IV  I,  104.  Die  remarques  verfolgen  den  Zweck,  den  usus  lo- 

quendi  des  Quintilian  mit  Cicero  zn  vergleichen.  Schade  nur,  dafs  der 
Verfasser  mit  seinen  dünnen  grammatischen  Kenntnissen  fast  immer  an 
der  Oberfläche  haften  bleibt  und  seine  Bemerkungen  mit  Irrtümern 
gröberer  und  feinerer  Art  zersetzt.  Ein  paar  Proben:  Ich  will  nicht 
davon  reden,  dafs  er  S.  132  No.  109  von  quamquam  1,  33  spricht  als 
von  einer  Conjunction,  die  direct  ä  un  substantif  sans  verbe  gesetzt  sei 
—  das  kann  ein  Versehen  sein,  wenn  es  auch  stark  genug  ist,  zumal 
S.  141  No.  187  quamquam  1,  33  der  Subjonctif  zuerteilt  wird.  Auch  das 
will  ich  nicht  besonders  urgieren,  dafs  ihm  S.  118,  b  zu  caelestis  1,  86 
die  Parallelen  aus  Ciceros  Scbriften  entgangen  sind  Phil.  V  11,  28  und 
Ps.  Cic  ad  Brut.  II,  7,  2,  ebensowenig  will  ich  es  dem  Verfasser  stark 
anrechnen,  dafs  er  S.  139  No.  177  in  einem  wunderbaren  Irrtum  befangen 
behauptet  1,  92  si  non  equivaut  ä  püisque,  cor.  Aber  —  wer  sous  une  forme 
methodique  plusieurs  faits  grammaticaux  gruppieren  will  (S.  117),  der 
mufs  wissen,  dafs  mutuo  nicht  egalement  heifsen  kann  (S.  127  No.  66) 
weder  bei  Quint  2,  15  noch  bei  Curtius  IV  14,  21,  s.  Vogel2  S.  27  und 
161,  der  sollte  S.  129  No.  86  besseres  thun  als  sagen:  Caesar  gebrauche 
et  —  etiam  nur  einmal  B.  G.  VIII  66  ('?),  der  darf  zu  3,  31  nisi  forte  .  . 
exiget  S.  139  No.  176  (im  Text  steht  76)  nicht  die  Bemerkung  machen: 
le  subjonctif  serait  plus  correct.  Nisi  forte  scheinbar  mit  dem  §ubj.  Sali, 
bell.  Jug.  14,  10  s.  Schmalz  z.  d.  St.;  der  läuft  Gefahr  von  der  Kritik 
arg  behandelt  zu  werden,  wenn  er  S.  140  No.  185  schreibt:  licet  equivaut 
ä  etsi,  (ßiamviü,  ce  qui  n'est  pas  d'un  usage  classique:  licet  Varro  .  . 
dicat  X  1 ,  99.  Aus  Cicero  den  Gegenbeweis  mit  einem  Dutzend  Pa- 
rallelen zu  bringen  verschmähe  ich.  —  Zum  Index  diese  Bemerkung: 
Wie  der  Titel  der  beiden  Sallustischen  Schriften  S.  190  lauten  sollte, 
lehrt  Quint.  III  8,  9  C.  Sallustius  in  bello  Jugurthino  et  Catilinae,  also 
bellum  Catilinae  und  bellum  Jugurthinum,  cf.  "Wölfflin:  Archiv  I  S.  277  ff. 
mit  Bonnell:  lex  S.  LXXVIII. 

Hild  läfst  die  Bassi  und  Dosson  weit  hinter  sich,  denn  er  vereinigt 
des  Forschers  Fleifs  mit  einem  gesunden  Urteil,  so  dafs  von  einer  wirk- 
lich wissenschaftlichen  Leistung  die  Rede  sein  kann.  Wie  treffend  z.  B. 
ist  zu  1 ,  40  die  Bemerkung  aus  Spalding  wieder  hervorgehoben ,  die 
unsere  neuesten  Herausgeber  mit  Stillschweigen  übergehen,  dafs  vetusta- 
tem  perferre  eigentlich  vom  Weine  gesagt  wurde.  Nur  hätte  ich  ge- 
wünscht,  dafs  der  Verfasser  hinzugefügt:    stehend   ist  vetustatem  ferre, 


Quintilian  (üb.  X)  39 

cf.  Cic.  Lael.  67.  Ovicl  trist.  V  9,  8.  and  annos  t'erre,  im  gewöhnlichen 
Leben  häufig  zur  Bestimmung  der  Zeit,  wie  lange  jemand  gelebt,  ge- 
braucht, lesen  wir  bei  Quint.  II  4,  9  nee  musta  in  lacu  statim  austera 
sint:  sie  et  annos  ferent  et  vetustate  proficient.  »Haltbar«  sagt  man  bei 
uns  vom  Wein.  Was  Hild  in  der  Introduction  S.  VII  -  XXVII  über 
Leben,  Werke  (de  causis  corruptae  eloquentiae,  inst,  or.)  und  Charakter 
des  Quintilian  sagt,  zeigt,  dafs  er  Bescheid  weifs.  Er  betont  mit  Recht, 
\tie  Domitian  auf  die  ganze  Litteratur  drückt.  Nicht  ausreichend  ist 
das  S.  XXI  über  die  Declamationes  Bemerkte,  und  S.  XXIII  figuriert 
Marcellus  Victorias  wie  bei  Dosson  als  Name  dessen,  dem  die  institutio 
gewidmet  ist.  —  »Le  texte  de  Halm  a  ete  revise  avec  soin;  tout  en 
restant  fidele  le  plus  possible  ä  ce  travail  monumental  .  . «  Wo  das 
nicht  anging,  schliefst  sich  Hild  an  andere  Kritiker  an,  die  er  gründlich 
studiert  hat,  oder  er  folgt  eigenen  Eingebungen  1,  11.  15.  28.  89;  2,7; 
(7,  13),  s.  S.  XXVIII.  Ich  zähle  die  Stellen  auf,  an  denen  ich  mich  von 
Hild  entferne.  1,  2  lese  ich  et  qui  seiet  quo  quaeque  sint  modo  dicenda, 
cf.  Osann  I  S.  14.  Denn  mit  Halm  das  von  GL  gebotene  guae  quo 
s.  m.  d.  =  quae  et  quomodo  zu  verstehen  ist  nicht  blofs  sprachlich  be- 
denklich (»copulae  enim  que  in  coniunetione  talium  membrorum  relati- 
vorum  inter  se  discretorum  non  aptus  esf  locus«  Osann),  sondern  auch 
sachlich,  weil  der  Nachdruck  ohne  Frage  blofs  auf  dem  quomodo  liegt, 
das  wie  die  Theorie  —  der  eloquentia  in  der  Praxis  gegenübergestellt  wird. 
Zudem  ist  nichts  häufiger  als  eine  Versehreibung  dieser  beiden  Prono- 
mina, wenn  sie  zusammenstehen,  cf.  2,  26  Warum  ist  denn  Halm  in 
den  ganz  ähnlichen  Stellen  I  6,  16  und  18,1  der  Überlieferung  nicht 
treu  geblieben?  cf.  etiam  VII  1,  9.  16.  —  1.  4  ist  an  qua  ratione,  ob- 
wohl ratio  unmittelbar  vorhergeht,  bei  Quintilian  nicht  Anstofs  zu  nehmen. 
1 ,  10  hat  Halm  gewifs  mit  Recht  propter  quod  infantes  .  .  .  tarnen 
loquendi  iacultate  caruerunt  aufgenommen  (carueiv  G-),  caruerint,  was 
Hild  mit  FLST  liest,  bringt  viel  zu  viel  Unsicherheit  in  den  Berieht. 
der,  wenn  er  auch  mit  einigen  Abweichungen  von  Herodot  II.  2  vor- 
getragen wird,  doch  den  Ton  assertorischer  GeWifsheit  nicht  verleugnet: 
caruerunt  propterea  quod  sermonem  auribus  primum  nun  aeeeperunt 
Es  ist  nicht  die  Frage,  ob  die  Erzählung  dem  Rhetor  historisch  be- 
glaubigt erscheint,  wohl  aber,  ob  er  sie  für  rationell  begründet  er- 
achtet und  dafür  die  Garantie  übernimmt,  und  das  thut  er  sonder  Zweifel. 
Was  für  ein  Conjunctiv  sollte  caruerint  auch  sein,  potentiali-  oder  con- 
cessivus?  1,  11  würde  ich  mit  der  Umstellung  rpomxms  tnmm  q 
(quare  tä  GL)  ganz  einverstanden  Bein,  wenn  quasi  nur  dein  Sinne  nach  /u 
ad  eundem  intellectum  feruntnr  pafste,  aber  ferrum  und  mucro  kommen 
in  tropischer  Bedeutung  doch  t ha  t  sächlich  und  nicht  blofs  g  e  w  i  sser- 
massen  oder  ungefähr  auf  einerlei  Sinn  hinaus.  Mir  erscheint  das 
quare  so  verdächtig,  dafs  ich  es.  wie  Meister  in  seiner  Ausgabe  mit  er- 
klärenden Anmerkungen  auch  gethan,  kurzweg  streiche:  ich  weifs  nichts 


40  Qointilian  (üb.  X). 

Besseres.  Die  von  Hild  vorgeschlagene  I  mstellung  hat  übrigem  schon 
Gensler,  Anal.  S.  25,  ausführlicher  zu  begründen  versuchl  und  Begitu 
wohl  zuerst  mit'-  Tapet  gebracht.  Quasi  seinem  Beziehungswort  oach- 
gestellt  auch  Sali.  bell.  Jug.  48,  3.  Warum  in  den  Worten  l,  15 
.  .  eo  qui  discit  perductus  est  iit  intellegere  ea  sine  demonstrante  i—  duce 
Kühner  Gramm.  S.  17h  et  sequi  iam  suis  viribus  possil  .  .  iam  unnütz 
sein  und  durch  viam  ersetzt  werden  mufs,  Behe  ich  nicht  ein  ich  finde  im 
Gegenteil,  dafs  iam  den  Contrasl  zwischen  3onst  und  jetzt  schön  /um  Au»- 
druck  bringt.  Schon  steht  der  Lernende  auf  eigenen  Füfsen,  schon  bedarf 
er  keines  Führers  mehr.  Oder  hat  Bild  an  dem  ea  3equi  Anstofs  genom- 
men? cf.  Bonnell  lex.  s.  sequor  III  b.  —  1,  23  interpungiert  Hild  nach 
dem  Vorgang  von  Spalding  und  Bonnell  quin  etiam  si  minus  pares  vide- 
buntur,  aliquae  tarnen  ad  cognoscendam  litium  quaestionem  recte  requi- 
rentur.  Aber  wie  stimmt  dazu  das  vorhergehende  quoties  continget, 
utrimque  liabitas  legere  actiones?  Verbieten  diese  Worte  nicht  mit  aller 
Entschiedenheit,  an  eine  Auswahl  unter  den  minus  pares  zu  denken? 
Ich  folge  unbedenklich  Halm,  der  das  Komma  hinter  aliquae  setzt,  wie 
schon  Schneidewin  wollte.  —  Besondere  Schwierigkeit  macht  1,  28  me- 
minerimus  tarnen  non  per  omnia  poetas  esse  oratori  sequendos  nee  liber- 
tate  nee  licentia  rigurarum ;  geims  ostentationi  comparatum  et  praeter  id. 
quod  .  .  .  incredibilia  seetatur,  patrocinio  quoque  aliquo  iuvari:  quod  ad- 
ligata  .  .  non  uti  propriis  possit,  sed  depulsa  .  .  confugiat.  Warum  man 
alligata  und  depulsa  so  sehr  perhorresciert,  gestehe  ich  nicht  einzusehen. 
Natürlich  beziehen  sich  die  Worte  auf  ein  dem  Geiste  des  Schrift- 
stellers vorschwebendes  poesis  statt  auf  poetas  oder  genus,  aber  eine 
solche  Synesis  findet  sich  aller  Orten,  nicht  nur  bei  Quintilian  (cf.  IX 
2,  79-  3,  3  und  s.  Voigtland:  de  brevitate  Quintilianea,  Schleusingen 
1846  S.  12),  sondern  bei  allen  Schriftstellern.  »Synesiu  hanc  appellant 
et  opthnis  scriptoribus  usitatam  dieunt;  nos  simplicius  neglegentiae  excu- 
sationem  quaerimus«  Madwig  de  fin.2  S.  206  zu  II  11,  35  una  simplex 
—  »tamquam  praecedat  sententia,  non  finis«.  Interessant  dem  Inhalt  wie 
der  Form  nach  ist  die  Parallele,  die  ich  aus  Cic.  or.  XX,  68  hersetzen 
will  ego  autem  etiamsi  quorundam  grandis  et  ornata  vox  est  poetarum, 
tarnen  in  ea  (sc.  poesi)  e.  s.  Viel  härter  erscheint  genus  ostentationi 
comparatum,  weil  wir  hinzudenken  haben  entweder:  genus  poeticum  o.  c. 
(esse)  oder  hoc  genus  o.  c.  (esse)  oder  genus  esse  o.  c.  Durch  die  Hildsche 
Umstellung  et  praeter  id,  quod,  genus  ostentationi  comparatum,  e.  s. 
kommen  wir  nicht  weiter,  weil  auch  in  diesem  Falle  zu  genus  ein  hoc 
oder  poeticum  suppliert  werden  mufs,  abgesehen  davon,  dafs  man  bei 
der  so  erfolgten  Trennung  non  poetas  esse  sequendos  et  iuvari  nicht  recht 
weifs,  was  Subjekt  zu  iuvari  sein  soll,  ob  poetas  oder  genus  oder  das 
aus  poetas  abzuleitende  poesin.  Ebensowenig  nützen  uns  freilich  die 
Conjecturen,  die  von  andern  vorgetragen  sind,  sie  siud  allesamt  zu  kühn. 
Das  gilt  von  Philanders  totumque  illud  studiorum  genus  ebensogut  wie 


Quintilian  (lib.  X).  41 

von  Spaldings  gentem  .  comparatam,  von  Halms  genus  poeseos  o.  c.  nicht 
minder  wie  von  Schoells  poeticam  .  comparatam  oder  Hirts  noajrtxqv.  — 

1,  38  würde  das  de  omnibus  aetatis  suae  quibuscum  vivebat,  was  Hild  ä 
defaut  de  mieux  beibehält,  allenfalls  zu  erklären  sein:  mit  denen  er  im 
engen  Verkehr  stand  (denn  das  heilst  cum  aliquo  vivere  häufig,  cf.  C.  F. 
W.  Müller:  Cic.  off.  15,  46  S.  33),  wenn  es  nur  sicher  überliefert  wäre. 
Aber  da  die  Schreibung  der  Handschriften  auf  ein  qui  quidem  convivebant 
hinausläuft,  so  hat  Bursian  hier  mit  Recht  eine  Glosse  erkannt,  cf.  Iwan 
Müller:  Jahresb.  f.  Alterthumsw.  1876  II  S.  277.  Iwan  Müller  folge  ich 
auch  ibid.,  wenn  er  schreibt  S.  266:  .  .  et  Graecos  omnes  persequamur? 
Hild  [et  philosophos]  mit  Schmidt  bei  Halm,  ohne  das  unentbehrliche  per- 
sequamur, wenngleich  er  anmerkt:  il  faut  suppleer  le  verbe:  persequar.  — 
Es  ist  ferner  zu  schreiben  um  das  gleich  hier  anzufügen:  1,  107  in  epistu- 
lis  quidem  dialogisve,  quibus  nihil  ille,  nulla  contentio  est  (cf.  quaest.  S.  19), 

2,  13  cum  et  verba  intercidant  ...  et  compositio  cum  rebus  accomodata 
sit,  tum  ipsa  varietate  gratissima  (quaest.  S.  24),  3,  20  at  idem  si  tardior 
in  scribendo  aut  incertior  in  intellegendo  velut  offensator  fuit  (ib.  S.  25), 

3,  25  ideoque  lucubrantes  silentium  noctis  et  clausuni  cubiculum  et  lumen 
unum  velut  tectos  maxime  teneat  (s.  oben).  —  I,  48  entscheide  ich  mich 
für  dearum,  quas  praesidere  vatibus  creditum  est,  nicht  blofs  wegen  der 
Parallelen  4,  1.  II  15.  7,  sondern  auch  weil  G,  worauf  sich  Halms  cre- 
ditur  allein  stützt,  creditur.  m.  e  bietet,  L  S  haben  das  logische  Perfect. 

—  1 ,  69  ist  für  praecipuus  est.  Eum  admiratus  maxime  est  e.  s. 
kein  Anhalt  in  der  Überlieferung.  Man  lese  praecipuus.  Hunc  imitatus 
m.  e  s.  unter  Wölfflin.  —  1,  80  durfte  die  Parallele  aus  Cic.  Brut.  9,  38 
hie  primw.s-  inrlexit  nicht  Veranlassung  werden  das  handschriftliche  is 
primum  (Halm- Hild  primus)  inclinasse  eloquentiam  dicitur  aufzugeben, 
denn  Quintilian  citiert  klärlich  aus  dem  Gedächtnis,  wie  öfter  z.  B.  1,  94. 

—  1,  90  ist  das  handschriftliche  et  in  den  Worten  Lucanus  ardens  ei 
concitatus  et  sententiis  clarissimus  et  (Halm- Hild  Bed)  at  dieam  quod 
sentio,  magis  oratoribus  quam  poetis  imitandus  von  Glaussen  ( quaest. 
Quintilianeae  S.  357)  mit  Recht  verteidigt:  propter  censurae  consilium 
Quintilianus  Lucani  elocutionem  oratoriam  laudat,  sed  ingenium  poetienm 
una  reprehendit,  s.  Eussner.  -  1,  96  halte  ich  mit  Hahn  für  »probabilius« : 
iambus  non  sane  a  Romanis  celebratus  est  ut  proprium  opus,  sed  aliis 
quibusdam  interpositus.  Übrigens  rührt  diese  Ergänzung  der  Lücke  von 
Christ  und  nicht  von  Bonncll  her.  —  Den  Zweifel  Spaldings  and  Halms 
an  der  Richtigkeil  der  Oberlieferung  l.  101  teile  ich  nichl  trotz  l.  69. 
Commendare  heilst  in  t\vn  Worten  atl'ectus  .  .  ut  pareissüne  dieam.  nemo 
historicorum  commendavil  magis,  aichts  anderes  als  was  es  auch  sonsl 
bei  Quintilian  bedeutet,  z.  B.  VIII  prooem.  6;  IX  I.  13;  approhare 
lectoribus,  und  das  pafst  gerade  zu  ut  parcissime  dicara  vortrefflich. 

I,  103  lese  ich  mit  Halm  (s.  .Meister  Phil.  42  S.  163):  Basses  Aufidius 
egregie,  utique  in  libris  belli  Germanici,  praestitit,  genere  ipso  proba- 


|  -  Qtrintilian  (lib    X) 

Luis,  in  partibus  quibusdam  suis  ipse  viribus  minor.  i.  in  raufe  ea 
einfach  mit  BM  beifsen  ei  illa  (sc.  oratio)  qna  nihil  pulcbrius  auditum 
est.  Das  Spaldingsche  nihil  unquam  bat  so  '-rut  wie  gar  keine  Gewähr. 
Warum  Balm-Hild  i.  115  bi  quid  adiecturua  fuil  geben  ohne  den  Znsatz, 
auf  den  die  Handschriften  deutlich  hinweisen:  non  -i  qnid  detracturus 
fruit  sc.  nimia  contra  Be  calumnia  verstehe  ich  nicht.  Ebensowenig 
stehe  ich  den  Anstofs,  den  man  an  castigata  in  den  Worten  vorher 
nimmt:  sed  esl  et  saneta  et  gravis  ei  castigata  et  frequentier  vehemens 
quoque,  cf.  Krueger  z.  d.  St.  —  Das  1,  131  überlieferte  utrumque  indi- 
ciura  ist  nicht  mit  Halm  in  utcumque  zu  ändern,  sondern  in  ntrimque, 
wio  5,  20;  G,  7,  wo  gleichfalls  atrumque  in  den  Bandschriften  steht,  and 
ibid.  zu  schreiben  digna  enim  fuil  illa  natura  quae  meliora  vellet,  quae 
quod  voluit,  effecit  liegt  kein  Grund  vor:  das  von  BM  gebotene  blofse 
quod  v.  e.  schliefst  den  Gedanken  viel  energischer  ab.  2,  7   Nobis 

usus  aliarum  rerum  ad  eruendas  alias  non  proderit,  sed  nihil  habebimus 
nisi  beneficii  alieni?  quemadmodum  quidam  pietores  in  id  solum  Student, 
ut  describere  tabulas  mensuris  ac  lineis  sciant.  turpe  etiam  illud  est 
contentum  esse  id  consequi,  quod  imiteris.  So  die  gewöhnliche  Inter- 
punktion: Hild  setzt  nach  sciant  ein  Komma  und  will  unter  Ergänzung 
von  ita  vor  turpe  est  einen  ausgeführten  Vergleich  zu  stände  bringen. 
Das  wird  schwerlich  Beifall  finden.  Der  Rhetor  gliedert,  wenn  das  auch 
blofs  theoretischen  Wert  haben  mag,  den  Gedanken  so:  1)  fas  est  reperiri 
aliquid  a  nobis,  quod  ante  non  fuerit,  wie  die  Urahnen  es  gethan  haben. 
Oder  wollen  wir  uns  begnügen  nihil  habere  nisi  beneficii  alieni1)?  d.  h 
nachahmend  nur  vom  geistigen  Erwerb  anderer  zu  zehren,  wie  einige 
blofs  kopierende  Maler.  (Es  versteht  sich,  dafs  die  imitatio  den  ganzen 
Gedankenkomplex  beherrscht  und  darum  auch  zu  nihil  habere  nisi'  bene- 
ficii alieni  zu  ergänzen  ist.)  2)  Wir  müssen  plus  efficere  eo  quem  se- 
quimur  und  dürfen  nicht  zufrieden  sein  id  consequi  quod  imitamur.  Sonst 
wären  wir  über  Livius  Andronicus,  über  die  annales  pontificum  nie  hinaus- 
gekommen, die  Schiffahrt  würde  sich  noch  mit  Flöfsen  begnügen,  und  in 
der  Malerei  gäbe  es  nur  blofse  Schattenrisse.  Mit  andern  Worten:  für 
die  Richtigkeit  der  an  die  Spitze  gestellten  Behauptung  imitatio  per  se 
ipsa  non  sufficit  resp.  für  die  Notwendigkeit  des  Fortschritts  giebt  das 
erste  Glied  (§  4—7)  den  rhetorischen  Beweis  positiv  durch  das  er- 
munternde oder  beschämende  Beispiel  der  neu  schaffenden,  erfinderischen 
Altvordern,  negativ  durch  das  abschreckende  Simile  der  blofs  kopieren- 
den Maler,  das  zweite  Glied  aber  §  7  bringt  den  logischen  Beweis  ex 


l)  habere  beneficii  alieni  ist  eine  Modifikation  von  beneficii  esse,  wie 
habere  tui  muneris  Tac.  aun.  XIV  55  von  rauneris  esse  (Gen.  der  Angehörig- 
keit), cf.  Haase-Peter  S  15;  nihil  habebimus  nisi  beneficii  alieni  ist  also  =  n.  h. 
quod  non  sit  oder  nisi  quod  sit  b.  a.  Daraus  geht  hervor,  dafs  Meisters  Er- 
klärung unannehmbar  ist:  »Ein  Gen    qualitatis  abhängig  von  nihil«. 


Quintiliau  (lil>    X;.  43 

contrario  aus  der  Dichtkunst,  Historiographie,  Nautik  und  Malerei.  Beide. 
Gedankengruppen  bewegen  sich  in  einem  gewissen  unschwer  zu  erkennen- 
den Parallelismus  der  Form  wie  des  Inhaltes.  Dem  pigri  est  ingenii  e.  s. 
§  4  entspricht  turpe  etiam  illud  est  e.  s.  §  7,  das  quid  enim  futurum 
erat  wird  durch  nam  rursus  quid  erat  futurum  wieder  aufgenommen,  und 
die  Malerei  mufs  für  beide  zeugen.  Schon  aus  diesen  Gründen  ist  die 
Interpunktion  Hilds  mifslich,  ganz  abgesehen  davon,  dal's  die  Ergänzung 
des  ita  vor  turpe  doch  nicht  so  leicht  ist,  wie  uns  Hild  glauben  machen 
will.  Sein  Vest  la  construction  usuelle  en  pareil  cas'  möchte  ich  nicht 
unterschreiben,  vielmehr  quemadmodum  —  sie  bei  Quint.  III  6,  33.  V  10. 
125,  IX  2,  46,  quemadmodum  -  ita  II  5,  1.  Die  Meistersche  Conjectur 
§  8  nulla  mansit  ars  erhält  durch  diese  Entwicklung  ihre  glänzende 
Rechtfertigung,   wenn  sie   derselben  überhaupt  noch  bedürfte.  -.   17 

ziehe  ich  jetzt  mit  Iw.  Müller:  Jahresber.  1879  II  S.  162  quidlibet  frigi- 
dum  et  inane  vor,  Eussners  neuester  Vorschlag  (N.  Jahrb.  131  Bd.  S.  616) 
illud  frigidum  et  inane  als  Spuren  von  Glossen  zu  §  16  zu  streichen  ist 
mir  zu  radikal.  -  Was  2,  28  zu  schreiben  sei,  ob  quem  nunc  con^um- 
mari  oportet  mit  B  oder  q.  n.  c  oportet  mit  Mb,  ist  schwer  zu  sagen: 
beides  giebt  einen  guten  Sinn,  denn  oportebat  heifst  »hätte  geschehen 
sollen  und  sollte  noch  geschehen«,  cf.  VIII  4,  22,  oporteat  zu  oportet 
der  Conj.  pot.  ( nicht  dubitativus,  wie  Krüger  sagt)  heifst  »sollte  ge- 
schehen«, cf.  XI  2.  20.  Besser  gefällt  mir  —  ut  dicam  quod  sentio  - 
oportmr,  weil  der  Ausdruck  der  unmittelbar  gegenwärtigen  Pflicht  und 
Schuldigkeit  sich  leichter  mit  dem  folgenden  nam  erit  e.  s.  zu  vereinigen 
scheint:  für  Genslers  oportet  (S.  51)  ist  ebensowenig  ein  zwingender 
Grund  wie  für  deewrit  (ibid.)  vorher.  —  5,  10  ist  gut  beglaubigte  Lesart 
nur:  nam  illa  (nicht  in  illa)  diyersitate  delitescel  infirmitas,  cf.  XII  in.  15, 
was  Hild  selbst  anführt.  Zu  personarum,  causarum  cf.  III  5.  11.  18, 
zu  temporum,  locorum,  dictorum,  factorum  cf.  Preuss:  de  bim.  diss.  usu 
sollemni  S.  37—38.  -  7,  13  nee  fortuiti  sermonis  contextura  mirabor 
unquam,  quem  etiam  mulierculis  videmus  superfluere  cum  eo  miu.m1i  >i 
calor  ac  spiritus  tulit,  frequenter  accedit,  ut  successum  extemporalem 
consequi  cura  non  possit.  So  Hild.  Neu  isl  an  diesem  Vorschlage  nur 
accedit  und  die  Einklammerung  von  quod,  dagegen  videmus  superfluere 
schon  Meister.  Ich  folge  Halm,  der  im  engsten  Anschlufs  an  UM  (super- 
fluere cum  eo  quod)  schreibl  s.  video:  quodsi  (=  wenn  aber,  ct.  Cic.  ad 
fam.  XII  20).  Während  cum  eo  quod  dem  durch  calor  uml  Spiritus  er- 
zeugten successus  extemporalis ,  den  kenn'  cura  erreicht,  denselben  Er- 
folg bei  dein  Rhetor  garantierl  wie  dem  sernto,  von  dem  die  zankenden 
Weiber  überfliefsen,  nämlich:  nicht  bewundert  zu  werden,  wird  durch  die 
Harnische  Lesung  diese  eine  Ausnahme  von  dem  nee  fortuiti  sermonia 
contextum  mirabor  unquam  Btatuiert,  und  das  scheint  mir  das  Richtige. 
Hilds  Verbindung  aber  cum  co  accedit  halte  ich  für  schier  unmöglich: 
Sprache  und  Gedanke  protestieren  gleichermafsen  dagegen.        7,  i  • 


44  Quintilian  dib.  X). 

ich  credendum  enün  Ciceroni  esl  in  Klammern  als  Parenthese  des  Schrift- 
stellers zu  iit  Antipater  Sidonius  et  Licinine  Archias,  Beispiele,  die  zu 
der  halben  Entschuldigung  Veranlassung  Bind  aon  quia  (  ich  will  damit 
nicht  gesagt  haben,  dafs)  nostris  quoque  temporifl  aon  ei  fecerint  quidam 

hoc  et  i'aciiint.  7.  24  schreibt  IIiI<l  ars  enim  semel  percepta  aon  .  . 
labitur  mit  der  Anmerkung:  je  soupconne  nne  lacnne  a  cette  place:  animo 
non  ou  mente  aon  labitur.  Möglich-,  aber  unwahrscheinlich.  —  Zum 
Schlufs  dieses  Abschnittes  noch  einige  Worte  über  die  schwierige  Stelle 
7,  32  ego  autem  ne  scribendum  quidem  pnto,  quod  simns  memoria  p<  r- 
secuturi;  quod  simus  Halm  und  Bild  mit  BM,  non  sirnus  b,  quod  non 
simus  Regius,  Frotscher,  Meister  u.  a.  Ob  wir  uns  mit  der  Spalding- 
schen  Erklärung  zufrieden  geben  dürfen:  ubi  satis  fidere  possumus  me- 
moriae,  ne  scribendum  quidem  esse  censeo,  mnfs  die  Betrachtung  des 
Zusammenhanges  lehren.  Der  Rhetor  sagt:  Ich  lasse  mir  eine  brevis 
adnotatio  und  libelli,  qui  vel  manu  teneantur  et  ad  quos  interim  respi- 
cere  fas  sit  wohl  gefallen.  Nach  der  Art  des  Laenas  aber  den  ganzen 
Stoff  auszuarbeiten  (in  bis  quae  scripserimus)  und  daneben  noch  einen 
Extrakt  der  Hauptsachen  anzufertigen  und  in  das  Gedenkbuch  einzu- 
tragen, das  gefällt  mir  nicht.  Denn  das  Vertrauen  auf  diesen  Auszug 
mindert  den  Eifer  des  Memorierens,  und  dies  hemmt  den  Flufs  der  Rede 
in  demselben  Grade  wie  es  sie  verunstaltet.  Ich  meine,  dafs  auch  nicht 
zu  schreiben,  ja  was  denn?  was  wir  mit  dem  Gedächtnis  beherrschen 
können?  Sprachlich  würde  dem  nichts  im  Wege  stehen  weder  von  seiten 
des  Conj.  Fut.  noch  von  seiten  der  Verbindung  memoria  persequi,  cf.  7,  25 
und  Cic.  pro  Sulla  XIV  42.  Aber  was  soll  denn  das  Gedächtnis  be- 
herrschen? neben  dem  ganzen  Opus  noch  die  summae?  Sollte  Laenas 
wirklich  der  memoria  diese  duplex  cura  (XI  2,  25)  aufgebürdet  haben? 
Schwerlich.  Und  wenn  Laenas  so  unvernünftig  gewesen  wäre,  so  würde 
Quintilian  sich  dafür  bedankt  haben.  Schon  aus  diesem  Grunde  ist  es 
mifslich  Halm  beizustimmen,  geradezu  unmöglich  aber  wird  es,  wenn 
wir  bedenken,  dafs  wir  hier  nicht  eine  Vorlesung  über  die  memoria  hören, 
sondern  über  die  ex  tempore  dicendi  facultas.  Ich  meine,  dafs  auch 
nicht  zu  schreiben  ist,  sagt  Quintilian,  quod  non  simus  m.  p.,  was  wir 
nicht  gründlich  memorieren,  sondern  wo  wir  uns  der  extemporalis  faci- 
litas  überlassen  wollen.  Hier  gilt  es  Vorschriften,  quemadmodum  extem- 
poralis facilitas  paretur  et  contineatur;  wo  das  Gedächtnis  im  Mittelpunkt 
der  Untersuchung  steht,  heifst  es  mit  sehr  charakteristischer  Änderung 
XI  2,  45  nam  si  memoria  suffragatur,  tempus  non  defuit,  nulla  me  velim 
syllaba  effugiat:  alioqui  etiam  scribere  sit  supervacuum.  Ich  stimme  also 
mit  Entschiedenheit  Regius  bei  und  lese  quod  non  simus  memoria  perse- 
cuturi,  um  so  mehr,  als  diese  Lesart  durch  die  folgenden  Worte  gestützt 
wird.  Haben  wir  geschrieben,  was  wir  nicht  völlig  in  das  Gedächtnis 
aufzunehmen  beabsichtigen,  so  passiert  es,  dafs  die  Erinnerung  an  das 
Geschriebene  (üla  elaborata)   die  freie  Bewegung  der  Gedanken  hemmt 


Quintilian  (lib.  X).  45 

und  eine  bedenkliche  Unsicherheit  im  Vortrage  erzeugt.  Was  Hild  in 
der  Anmerkung  gegen  die  Einschiebung  des  non  sagt:  s'il  disait  qu'il  ne 
faut  ecrire  que  ce  que  la  memoire  peut  garder,  il  dirait  une  naivete,  ist 
nicht  stichhaltig,  inwiefern  in  dem  persecuturi  simus  nicht  blofs  das 
pouvoir,  sondern  ebensogut  das  vouloir  garder  liegt.  Ne  quidem  endlich 
bedeutet  hier  ein  schlichtes  »auch  nicht«,  ohne  alle  Steigerung,  wie 
häufig  auch  bei  Cic.  z.  B.  de  nat.  deor.  III  12,  29,  cf.  Madvig  de  fin.2 

S.  802-803. 

Über  die  erklärenden  Anmerkungen,  die  vielfach  mit  Citaten  aus 
der  französischen  Litteratur  untermischt  sind,  nach  ihrem  ganzen  Inhalt 
und  Umfang  zu  urteilen,  mafse  ich  mir  nicht  an,  weil  ich  nicht  weifs,  was 
für  die  französischen  Schulamtskandidaten,  denen  die  Ausgabe  dienen  soll, 
nötig,  nützlich  und  angenehm  ist.  Ich  begnüge  mich  Folgendes  zu  notieren : 
1,  7  ist  zu  congregat  und  occupet-quod  »statt  des  betreffenden. Menschen 
mit  nicht  ungewöhnlicher  Kühnheit  Subject«  cf.  C.  F.  W.  Müller  Cic.  off. 
S.  12,  1  und  Voigtland  S.  5.  Occupare  heifst  hier  »erfassen,  aufgreifen« 
und  nicht  s'adresser  ä,  wie  Hild  unter  Berufung  auf  Hör.  sat.  I  9,  6  meint. 
»Numquid  vis?«  occupo  =  (p&dva>  ipturibv.  —  Die  Bemerkung  zu  1.  18 
über  die  Verba  indiquant  l'idee  de  defense,  d'empechement  kann  mifs- 
verstanden  werden.  »Plus  frequemment  (als  der  Inf.)  ne  et  le  subj.« 
Und  quominus?  Übrigens  würde  es  klassisch  durchaus  korrekt  lauten 
können:  verecundia  prohibemur,  impedinmr  (cf.  Cic.  pro  Rab.  Post  24), 
deterremur  plus  nobis  credere,  da  das  Passivum  gerade  den  Infinitiv 
bevorzugt,  der  bekanntlich  bei  prohibere  vorherrschend  ist.  Impedbr 
mit  dem  Infinitiv  nur  bei  sächlichem  Subject  von  Cic.  gebraucht  de  or. 
I  35,  163,  de  off.  II  2,  8,  de  nat.  deor.  I  31,  87  cf  Draeger;  H.  S.  II 
S.  332,  wo  aber  das  letzte  Beispiel  zu  verbessern  ist.  -  I  30  würde  ich 
zu  den  Worten  potius  habenti  periculosus  nicht  quam  otilis  ergänzen, 
sondern  quam  adversario.  -  1,51  verum  =  interea  ist  bedenklich,  wenn 
auch  interea  schon  bei  Cic.  indessen  bedeuten  kann  ad  fam.  V  12,  10, 
besser  heifst  es :  verum  wird  zu  »aber«  durch  den  Gegensatz  »das  Wahre 
ist«  cf.  Haase-Eckstein  IS.  115.  —  Wollte  Hild  zu  1,  67  genau  sein,  so 
mufste  er  sagen,  dafs  das  von  Cic.  pro  Rose  Amer.  33  geneuevte  longo 
audacissimus  (pro  Caec.  1,  3  longe  alia  ratione,  wenn  alius  zu  den  Com- 
parativen  zu  rechnen)  von  Quintilian  bei  Coraparativen,  Superlativen  und 
superlativischen  Positiven  (z.B. X  1,  61  longe  prineeps)  gebraucht  wird, ohne 
multo  zu  verdrängen,  z.  B.  I  2,  24,  was  Cic.  namentlich  hei  maximns  bei- 
behielt  cf.  Wölfflin  Comparation  S.  38  u.  I'1).    Derselbe  Wölfflin  sprichl 


!)  Zu  3,  24  bemerkt  Wölfflin:  Über  die  alliterierenden  Verb.  d.  lat.  Sprache 
S  33  u.  65  u.  66  Anm.,  dal's  Quint.  die  all.  Verb,  longe  lateque  circomspicere 
geflissentlich  vermieden  zu  haben  scheine  er  begnügt  sich  mit  lato  ciremn- 
spiciendi  libertas,  wie  Sali.  b.  lug.  5,  Tac.  Bist  I,  ">i»  mit  vultiim  et  oculos 
VIII  3,  65    stillt,   ora    et  oculos,  er  hat    nur  Batifi  oder  s;Uh  itbumle  Btatt   BStia 


4<;  Quintilian  (lib.  X). 

s.  36  auch  im  Zusammenhange  über  X  1.  94  multum  <•*  est  tersior  coli 
XII  c.  1  multum  ante  und  zeigt  durch  Parallelen  aus  dem  Altern  Plinine 
11.  a,  dafs  multum  durchaus  oichl  in  der  Lufl  schwebl  and  zu  'lim  Osann- 
schen  multo  kein  ausreichender  Grund  vorhanden  ist.  Ich  habe  also 
nichts  gegen  die  obige.  Schreibung,  obwohl  ich  nicht  leugne,  dafe  Wölff- 
lins  ibid.  bedingungsweis  vorgeschlagenes  multo  tersior  (coli.  >  '.'■:.  78,  77) 
ohne  Copula  wegen  der  Unsicherheil  der  Überlieferung  und  auch  wohl 
wegen  des  unmittelbar  folgenden  multum  ei  verae  gloriae  . .  rneruil  manches 
für  sh-li  hat.  Am  liebsten  freilich  lese  ich  grade  wegen  des  folgenden 
multum  et  mit  Sc  multum  est  tersior.  Mir  scheinl  die  Überlieferang  auf 
ein  falsch  eingeschobenes  et  hinzudeuten  multum  et  est  <>.  etiam  esl  M. 
Weil  zu  1,  70  omnibua  numeris  von  Meister  und  Bold  als  Parallele 
aus  Krüger  falsch  nachgedruckt  ist  de  nat.  deor.  II  13,  31  statt  II  13, 
37,  will  ich  den  Aidafs  benutzen  auf  die  Schoemannsche  Erklärung  von 

0.  n.  zu  verweisen1)  Über  non  dubitare  mit  Acc.  c  inf.  (zu  L,  l'-'n 
handelt  nach  Schmalz  jetzt  am  besten  Riemann:  Etudes2  S  283  u  f. 
Für  Cic.  kommt  eigentlich  nur  de  rin.  III  1 1,  38  in  Betracht,  denn  oecon.  »; 
will  als  Übersetzung  der  Jugend  nicht  viel  besagen,  ad  Att.  VII  1.  3 
(Kühner,  auf  den  sich  Hild  bezieht)  ist  anders  zu  interpungieren.  Fol- 
gende eigentümliche  Bemerkung  steht  1,  86  zu  lesen:  ut  signifie  ici:  ä 
supposer  que,  en  suppleant  vel  ita,  mais  le  subj.  n'est  pas  mis  ä  cause 
de  ui;  il  existe  par  lui-meme,  comme  formule  d'affirmation  adoucie.  Ge- 
setzt selbst  ut  sei  hier  concessiv,  was  soll  denn  ita  bedeuten?  Nein  ut- 
ita  heifst  hier,  wie  aller  Orten  wie-so,  während-so  {jjl£v-S£)  cf.  X  3.  1,  31. 
—  Wie  2,  4  vel  =  tout  au  moins  sein  soll,  ist  unklar.  Der  Sinn  ist:  si 
velis  cf.  Wölfflin  Comp.  S.  40  u.  f  Wenn  du  willst,  lasse  ich  diesen 
Grund  gelten,  ich  könnte  auch  andere  (gewichtigere)  anführen,  vel  ebenso 

1,  80,  86.  5,  8  u.  a.  Kühner  S.  713  hat  Hild  mit  bell.  civ.  III  25,  4 
irregeleitet.  —  3,  14  kommt  die  Bedeutung  omni  labore  =  en  depit, 
malgre  tout  son  travail  nur  durch  den  abl.  modalis  zustande  cf.  Naegels- 
bach-Müller:  Lat.  Stil.7  S.  110  u.  f.  —  3,  31  läfst  sich  die  Anm  erkungüber 
scribi  optime  ceris  schärfer  so  fassen:  optime  giebt  ein  Urteil  über  die 
Handlung  an,  drückt  nicht  die  Art  und  Weise  aus  cf.  3,  33  optime,  f.  72 
prave,  1,  105  fortiter,  5,  13  rectene  und  honestene  u.  a.  s.  Phil.  Rundsch. 
III  15  S.  462.     Dosson:   optime   =   Optimum,   er  hätte   sagen  sollen    = 


superque.  Aus  Wölfflins  Gemination  S.  467  u.  f.  gehört  hierher,  dafs  5,  9  aliae 
aliaeque  nicht  nur  bedeutet  »der  eine  und  der  andere,«  sondern  »immer  wieder 
andere,, neue.«  Dadurch  wird  auch  der  Begriff  von  quam  numerosissime  schärfer 
abgegrenzt,  so  dafs  es  nicht  nur  »so  oft  als  möglich,«  sondern  auch  »so  reich, 
so  mannigfaltig  als  möglich«  bedeutet  cf.  XI  2,  27.  Übrigens  gehört  »die  Ver- 
knüpfung durch  que  wohl  der  silbernen  Latinität  an,  Quint  hat  mit  Ausnahme 
von  X  5,  9  das  ciceronianische  atque  beibehalten.« 

M  1,  72  ist  wohl  Frotscher  die  Veranlassung  zu  dem  falschen  Citat  der 
Herausgeber  üvid.  Trist.  IV  2,  104  statt  IV   1,  104 


Quintilian  (üb.  X).  47 

Optimum  esse,  wie  schon  Herbst  S.  146.  —  5,4  »et  ipsa;  pour  ipsa 
quoque  cf.  1,  94  multum  et  verae  gloriae;  et  plus  bas  5,  20:  et  ipse. 
Ici:  par  elle-meme.«  Wunderbar  falsche  Combination  aus  Krüger  und 
Meister,  cf.  quaest.  S.  12  und  Phil.  Rundsch.  a.  a.  0.  S.  463,  wo  ein 
Druckfehler  so  zu  verbessern  ist:  Cic.  nur  ipse,  auch  ipse  etiam  (etiam 
ipse),  ipse  quoque,  Liv.  besonders  gern  et  ipse  =  xo.\  abroq.  —  5,  18 
accidere  ut  sowie  1 ,  58  facere  ut  sind  einfach  pleonastiscb  zu  nehmen, 
ibid.  scheinen  die  Herausgeber  zu  vergessen,  dafs  opinio  —  existimatiu. 
fama  —  womit  es  häutig  verbunden  —  echt  ciceronianisch  und  cäsaria- 
nisch  ist.  Ursprünglich  eine  vox  media  steht  es  so.  wenn  man  will. 
passivisch  =  vorteilhafte  Meinung,  gutes  Renommee,  z.  B.  pro  Sulla 
3,  10,  Lael.  9,  30,  Caes.  b.  G.  II  8,  1;  IV  16,  7  cf.  7,  17.  --  Dafs  6,  4 
eo  tandem  pervenit  (cf.  7.  19)  »un  impersonnel«  sei,  ist  wühl  nur  ein 
lapsus  calami,  es  müfste  ja  das  Passivum  stehen.  Natürlich  ist  6.  4  vis 
und  7,  19  facilitas  extemporalis  zu  ergänzen.  Ebensowenig  ist  es  mög- 
lich 7,  7  das  erste  ut  =  comment  zu  fassen:  das  letzte  Satzglied  ut 
cum  multa  scripserimus,  etiam  multa  dicamus  widerspricht  dein  ganz 
entschieden.  —  7 ,  26  vereri  =  sich  scheuen  c.  Inf.  ist  doch  aus  Cic. 
bekannt,  ja  es  ist  das  unpersönliche  v.  c.  Inf.  aus  de  fin.  II  13,  39 
bekannt.  — 

An  Druckfehlern  u.  s.  w.  ist  auch  Hilds  Ausgabe  nicht  grade  arm. 
Ich  habe  mir  an  die  80  Stellen  notiert,  wo  Inkorrektheiten  statthaben. 
Nur  das  notwendigste  sei  hier  aufgeführt.  S.  26  (1,  42)  steht  im  Text 
richtig  ad  ppäacv,  in  der  Anmerkung  wird  ad  faciendam  .  .  .  ppdatv  er- 
klärt. S.  96  Anm.  mufs  es  zu  dubitari  quin  so  heifsen  cf.  1,  81  et  la 
note  1,  73.  S.  105  ist  zu  lesen  Hör.  A.  P.  86  discriptas  und  89  cena, 
S.  106  Ciceron,  de  Orat.  II  15,  64,  S.  112  (zu  die)  Cic.  pro  Rose.  Am. 
46,  132  (auch  bei  Krüger  und  Meister  falsch),  S.  117  Theb.  V  542  cf. 
Archiv  für  Lexigr.  I  S.  482.  S.  119  steht  die  aus  Cic.  beigebrachte 
Parallele  nicht  de  off.  I  22,  77,  sondern  Tusc.  V  21.  62  illild  hat  Kühner 
nicht  genau  eingesehen),  und  zu  de  off.  III  15,  61  fehlt  ex.  S.  122  ist 
zu  scribi  ceris  aus  Frotscher  falsch  XII  statt  XI  2,  32  abgedruckt  (par- 
vum  und  facillima  3,  31  erwähne  ich  nebenbei).  S.  133  stehl  zweimal 
dvaffxsijrj  und  xaraaxsor^  wie  bei  Dosson.  S.  134  war  nmninati  >uu! 
aus  Cic.  de  or.  III  27,  106  zu  setzen,  S.  152  fehlt  7,  18  id  im  Text, 
nicht  in  der  Anmerkung.  Zur  besseren  Orientierung  wäre  es  vorteilhaft 
gewesen,  wenn  auf  jeder  Seite  oben  über  dem  Text  die  Zahl  des  Capi- 
tels  und  der  Paragraphen  genau  nach  Halm  vermerkt  wäre. 

Von  Meisters  Ausgabe  des  ganzen  Quintiliao  i>t  separat  erschienen: 

44.    M.  Fabi  Quintiliani   institutionis  oratoriae  über   deeimus 
EdiditF erdin andus  Meister.    Lipsiae        Pragae  1887.    Xlll.  LS  S. 
Die  praefatio  iS.   Vll    -XIII)    giebl   in  lateinischer  Sprache  das 
Wichtigste  über  Quintilians   Lehen   und  Studien.     Ritters   Ansicht    aber 


48  Quintiliaa  (lib  X). 

die  Deklamationen  wird  kurz  and  bündig  zurückgewiesen.  Es  folgt  eine 
gedrängte  Übersicht  über  den  Inhalt  der  inst,  ot,  nacb  den  Worten 
des  Rhetors  zusammengestellt.  Nachdem  dann  die  Quellenfrage  unter 
Bezugnahme  aufClaussen  and  die  Handschriftenfrage  anter  Bezugnahme 
auf  Halm  mit  Betonung  des  Wesentlichen  und  Wi- senswerten  berührt 
ist,  bringt  der  Herausgeber  zum  Schluß  einige  Emendationen,  die  im 
Text  nicht  mehr  Verwertung  finden  konnten:  Wölfflins  l,  46  hie  enim, 
quemadmodum  ex  Oceano  dicit  ipse  omnium  Hummum  fontiumque  cursua 
initium  capere,  des  Referenten  l,  79  in  inventione  facili-.  honesti  Studio- 
sus in  compositione,  adeo  diligens,  Wölfflins  1,  81  quodam  [Delphici] 
oraculo  dei  instinetus  cf.  Claussen:  quaest.  S.  356  Anm.,  Koehlers  1,  100 
cum  eam  ne  Graeci  quidem  in  alio  genere  linguae  sitae  obtinuerint. 
Wölfflins  und  Spaldings  l ,  106  [omniaj  denique  quae  sunt  inventionis. 
cf.  tarnen  Phil.  Rundsch.  III  14  S.  434-435.  Oh  1,  82  mit  Nettleship 
in  lahris  eius  sedisse  Suadam  [persuadendi  deamj  oder  Suadem  persua- 
dendi  deam  zu  schreiben  sei,  läfst  Meister  unentschieden.  Referent  hält 
an  der  Überlieferung  fest:  quandam  p.  d.  s.  o. 

Von  dem  Text,  wie  ihn  diese  Ausgabe  ohne  Varianten  bietet,  läfst 
sich  mit  gutem  Fug  sagen,  dafs  er  an  Treue  und  Sicherheit  alle  bisher 
erschienenen  übertrifft.  Der  Herausgeber  hat  die  gesamte  Litteratur 
zum  zehnten  Buch  mit  bewunderungswürdiger  Sorgfalt  geprüft  und  das 
Beste  behalten.  Besondere  Anerkennung  verdient  die  Objektivität,  mit 
der  er,  wenn  stichhaltige  Gründe  vorlagen,  seine  Ansicht  einer  fremden 
untergeordnet.  Mir-  speziell  ist  nicht  nur  die  Widmung  des  Buches  eine 
grofse  Ehre  und  Freude  gewesen,  sondern  auch  die  Thatsache,  dafs  hier 
von  den  Ausstellungen,  die  ich  zu  der  fünften  Auflage  von  Bonnells  1.  X 
in  der  Phil.  Rundsch.  a.  a.  0.  gemacht,  eine  ganze  Reihe  berücksichtigt 
sind.  Meister  liest  jetzt:  1,  23  quin  etiam  easdem  causas  ut  quisque 
egerit  utile  erit  scire,  Bonnell- Meister  non  inutüe  erit  sc.  1,  40  non  est 
dissimulanda  nostri  quoque  iudicii  summa,  Bonnell-Meister  non  est  tarnen 
d.  l ,  44  interim  summatim  quid  et  a  qua  lectione  possint  .  .  attingam, 
Bonnell-Meister  a  qua  1.  (ohne  quid  et).  1,  45  paueos  (sunt  enim  emi- 
nentissimi)  excerpere  in  animo  est,  Bonnell-Meister  paueos  enim.  qui  sunt 
eminentissimi  s.  1,  48  age  vero,  non  utriusque  operis  sui  ingressu  .  . 
legem  .  .  constituit?  Bonnell-Meister  in  utriusque  o.  s.  i.  1,  53  quanto 
sit  aliud  proximum  esse,  aliud  seeundum,  Bonnell-Meister  parem.  1,  59 
sed  dum  adsequomur,  Bonnell-Meister  adsequnnur,  1,  68  quod  ipsum 
reprehendunt  —  Bonnell-Meister  quod  ipsum  quoque  r.  (Halm:  quem  ip- 
sum q.  r.).  1,  126  cum  .  .  placere  se  .  .  posse  üs,  quibus  e.  s.  Bonnell- 
Meister  posse,  quibus  e.  s.  7,  24  vel  soli  tarnen  dicamus  quam  non 
omnino  dicamus.  Bonnell-Meister  quam  omnino  non  d.  Auch  5,  13  nam 
quid  interest  »Cornelius  tribunus  plebis,  quod  codicem  legerit,  reus  sit« 
an  quaeramus  e.  s.  habe  ich  den  Herausgeber  durch  meine  Ausführungen 
Philol.  XLV,  4  S.  724  u.  725  von  der  Richtigkeit  der  handschriftlichen 


Meister,  inst.  or.  49 

Überlieferung  überzeugt.  Nicht  gelungen  ist  mir  dies  mit  zwei  andern 
Stellen,  wo  ich  es  zuversichtlich  erwartet  hatte:  1,  72  Philemon  qui  ut 
prave  (GM)  sui  temporis  iudiciis  Menandro  saepe  praelatus  est  und  7,  25 
est  alia  (M)  exercitatio  cogitandi.  Da  ich  die  Codices  für  mich  habe  und 
vonseiten  der  Grammatik  wie  des  Sinnes ,  soviel  ich  sehe ,  nichts  gegen 
diese  Lesarten  eingewandt  werden  kann,  so  stelle  ich  sie  mit  andern 
1,  7.  19.  44.  76.  83.  106.  2,  17.  7,  13  noch  einmal  zur  Erwägung,  aber 
einem  Meister  gegenüber  durchaus  mit  dem  Vorbehalt  der  Bescheiden- 
heit Quintilians  IX  4,  2.  —  7,  26  schreibt  Meister  mit  Gertz  diligentius 
enim  componitur  quam  in  illa,  in  qua  contextum  dicendi  intermittere 
veremur.  Ich  halte  diesen  Einschub  des  in  für  überflüssig.  Zu  compo- 
nitur ist  Subjekt  exercitatio  cogitandi  totasque  materias  vel  silentio  (dum 
tarnen  quasi  dicat  intra  se  ipsum)  persequendi,  d.  h.  dem  Sinne  nach  tn- 
cita  oratio,  wie  dum  t.  q.  dicat  i.  s.  i.  zeigt,  zu  illa  ist  Subjekt  vera 
oratio;  componitur  exercitatio  aber  ist  nicht  auffälliger  als  explicatur  e. 
—  Was  Meister  veranlafst  hat  2,  17  zu  neuern:  Atticis  scilicet,  qui  prae- 
cisis  conclusionibus  obscuri  sunt,  Sallustium  .  .  superant,  kann  ich  nicht 
erkennen.  Mir  scheint  es  einfacher  und  richtiger  aus  Atticis  (Mb  Attici 
sunt  zu  machen  und  den  folgenden  Relativsatz  unangetastet  zu  lassen, 
s.  Phil.  Rundsch.  a.  a.  0.  S.  435.  Ein  sorgfältiger  Index  der  Termini 
und  Namen  (S.  38  —  45)  beschliefst  die  Ausgabe,  die  sich  auch  durch 
korrekten  und  schönen  Druck  empfiehlt. 

Ausgabe  der  ganzen  inst.  or. 

45.  M.  Fabi  Quintiliani  institutionis  oratoriae  libri  duodecim.  Edi- 
dit  Ferd.  Meister.  Vol.  I  lib.  I  —  VI.  X,  289  S.  1886.  Vol.  II 
lib.  VII  XII.  I,  363  S.  1887.  Lipsiae  et  Pragae.  Freytag  & 
Tempsky. 

Von  Meister,  dem  Kenner  des  Quiutilian,  eine  neue  Ausgabe.  Tritt 
sie  mit  dem  Anspruch  in  die  Öffentlichkeit  die  grofse  Ausgabe  Halms 
entbehrlich  zu  machen?  Mit  nichten.  Das  will  sie  weder  noch  kann 
sie  es.  Wer  sich  kritisch  mit  Quintilian  beschäftigen  will,  der  kann 
Halms  und  seines  vollständigen  kritischen  Apparates  nicht  entraten.  Zwar 
giebt  Meister  eine  Auswahl  von  Lesarten;  aber  diese  genügt  nicht,  weil 
kein  Eklektizismus  —  und  gründete  er  sich  auf  die  vollkommenste  Kennt- 
nis des  Schriftstellers  —  den  Charakter  der  Subjektivität  verleugnen 
kann.  Ein  Beispiel  zum  Beweise.  I  11,  10  heifst  es  bei  Meister:  vidi 
multos,  quorum  supercilia  ad  singulos  vocis  conatus  adlevarentur,  alio- 
rum  constrieta,  aliorum  etiara  dissidentia,  cum  alterum  in  verticem  ten- 
ierent,  altero  paene  oculus  ipse  premeretur.  Da  unter  dem  Texl  keine 
Variante  verzeichnet  ist ,  mnfs  jeder  annehmen,  dies  sei  die  bandschrift- 
lich gesicherte  Überlieferung,  lud  doch  belehii  uns  der  Balmsche 
apparatus  criticus,  dafs  A   alterum  ■  .  tenderei    bietet.     Alteruin  haben 

Jahresbericht  ftti  Alterthumawlssenaobaft  1  1      iis*r    11  1  1 


50  Quintilian. 

Halm  and  Meister  statt  altere  BMS  aufgenommen,  tenderel  haben  sie 
verschmäht  Warum?  Dafs  tenderel  das  einzig  richtige  an  dieser  Stelle 
ist,  zeigt  nicht  nur  da  Passivum  premeretur,  sondern  Beispiele  wie  l  12, 
i  tot  disciplinis  in  diversum  tendentibue  oder  \lll  i.  9  haec  amplifica- 
tio  in  Buperiora  tendit.  cf.  meine  quaest.  S.  21  a.  22.  Also:  Meister 
nicht  ohne  Halm,  aber  auch  umgekehii  Balm  oichl  ohne  Meister,  denn 
die  Moistersc.be  Ausgabe,  gegen  die  Balmsche  gehalten,  zeigt  an  vielen 
Stellen  in  der  That  eine  wesentlich  verbesserte  Gestall  Dank  eigener 
Forschung  des  Herausgebers  und  Dank  den  Studien  anderer,  deren  Re- 
sultate gewissenhaft  berücksichtigt  und  verwertel  sind.  Pur  den  ersten 
Teil  standen  Meister  namentlich  Kiderlins  Arbeiten  zu  Gebote,  für  den 
zweiten  haben  aufser  Kiderlin  namentlich  Wölfflin,  Schenk!  und  der 
Referent  Emendationen  beigesteuert.  Dem  Herausgeber  gebührt  der 
Löwenanteil,  weit  über  100.  So  darf  also  auch  der  Kritiker  von  Fach 
sich  dieser  neuen  Ausgabe  freuen.  Vollends  aber  —  wer  den  Betrieb  der 
rednerischen  Unterweisung  bei  den  Römern  studieren  oder  den  Inhalt, 
den  uns  der  Rhetor  in  geschmackvoller  Form  bietet,  geniefsen  will,  ohne 
sich  um  die  Divergenzen  von  A  und  B  zu  sorgen,  der  kann  nichts  Besse- 
res thun,  als  sich  diese  Ausgabe  anzuschaffen.  Sie  ist  mit  einer  Sorg- 
falt gearbeitet,  die  uneingeschränktes  Lob  verdient.  Nach  Druckfehlern 
mufs  man  förmlich  auf  Suche  gehen.  Ich  habe  nur  wenige  gefunden: 
S.  72 l  adn.  crit.  etsi  Spalding  et  AB  statt  et  hie  Ab,  S.  86  l  adn.  crit. 
libr.  statt  libri,  S.  88  Z.  31  bv  statt  8v,  S.  95  adn.  crit.  efficit  AB  statt 
Ab,  S.  115  adn.  crit.  1717  statt  17,  S.  251  Z.  17  adpoenas  statt  ad 
poenas,  S.  8 n  adn.  crit.  cumquam  statt  eumquam,  S.  153  H  adn.  crit. 
ere  se  statt  fere  se,  S.  289  u  Z.  33  fehlt  hinter  in  Catil.  17,  1 7  ib.  I  11, 
27,  adn.  crit.  ib.  aliquandoque  ut  nos  (Halm:  ut  addidit  Obrecht.  cf. 
Phil.  35  S.  542).  Add.  et  corrigenda  S.  362  2,  11,  9  statt  2,  13,  9. 
Equidem  non  mediocrem  industriam  in  ea  re  nie  collocavisse  contiteor, 
ut  suum  cuique  tribuerem  vel  restituerem,  sagt  Meister  praef.  S.  VII. 
Auch  in  dieser  Hinsicht  kann  ich  nur  ein  Scherflein  zur  Verbesserung 
beitragen:  S.  140 n  adn.  crit.  ita  Christ,  steht  schon  in  Bonnells  Lex. 
S.  924,  S.  202  adn.  crit.  velut  Halm,  steht  gleichfalls  in  Bonnells  Lex. 
S.  139,  S.  219  adn.  crit.  ei  .  .  .  impertire  Spalding,  <i  rührt  von  Halm 
her.  —  Aller  Orten  herrscht  maxima  cura  ac  diligentia.  Ja,  wenn  man 
die  Treue  im  Kleinen  mit  einrechnet,  wie  sie  sich  z.  B.  in  der  Art  offen- 
bart, die  einzelnen  Buchstaben  mancher  Worte  durch  den  Druck  als 
Werk  der  Conjekturalkritik  zu  kennzeichnen,  so  ist  man  versucht  an 
das  Urteil  Quintilians  über  Isocrates  zu  denken  (X  l,  79)  adeo  diligens, 
ut  cura  eius  reprehendatur,  wenn  nicht  jenes  Wort  doch  eine  Manier 
geifselte  und  wenn  nicht  die  cura  für  einen  Editor  höchstes,  bindendes 
Gesetz  wäre.  —  Die  Einleitung  belehrt  uns,  welche  Quellen  und  Hülfs- 
mittel  Meister  für  die  Konstituierung  des  Textes  benutzt  hat.  Dafs  es 
in  erster  Linie  der  Ambrosianus  I  (A)  s.  XI  und  der  Bernensis  (Bn)  s. 


Meister,  inst.  or.  51 

X  sind,  versteht  sich  nach  Halm  von  selbst.  Nicht  so  selbstverständlich 
ist  die  Entscheidung  über  die  Frage,  wie  man  sich  diesen  beiden  vor- 
nehmen Zeugen  gegenüber  zu  verhalten  hat,  wenn  sie  von  einander  ab- 
weichen, so  zwar,  dafs  beide  Lesarten  dem  Rhetor  zugetraut  werden 
können.  Meister  ist  geneigt  sich  dann  mehr  für  die  Autorität  von  Bn 
zu  entscheiden.  Ich  besinne  mich  doch,  ehe  ich  dieser  prinzipiellen  — 
ich  will  nicht  sagen  Bevorzugung,  aber  Auszeichnung  oder  Berücksichti- 
gung zustimme.  Wenn  es  I  2,  5  heifst  et  amicum  gravem  virum  aut 
fidelem  libertum  lateri  filii  sui  adiungere  sc.  licet,  cuius  adsiduus  comi- 
tatus  etiam  illos  meliores  faciat,  qui  timebtratur  (Ab),  so  pafst,  däucht 
mir,  das  Imperfektum  viel  besser  zu  dem  Potentialis  faciat.  als  timelwn- 
tur  (B).  Bonneil  scheint  das  auch  gefühlt  zu  haben,  da  er  in  seinem 
Lexikon  ungenau  erklärt:  timebuntur  i.  e.  suspecti  sunt.  —  I  12,  16 
klagt  der  Rhetor,  dafs  die  Beredtsamkeit  nicht  an  und  für  sich  selbst 
erstrebt  wird,  weil  sie  ehrenvoll  und  die  schönste  der  Künste,  sed  ad 
venalem  (Ab)  usum  et  sordidum  hierum  accingimur.  Ist  nicht  venalem 
viel  signifikanter  als  vilem,  was  Meister  mit  BMS  vorzieht?  cf.  fides 
venalis.  Cic.  Verr.  III  62,  144.  —  II  12,  6  sehe  ich  nicht  ein,  warum 
Halm  sowohl  wie  Meister  der  Überlieferung  von  B  folgen  his  accedit, 
quod  a  cura  docendi  quod  intenderin*  recedunt.  Der  Indikativ  inten- 
derunt  (Ab)  ist  nicht  nur  an  und  für  sich  besser  und  einfacher,  sondern  auch 
durch  Parallelen  gestüzt  wie  I  10,  49  illud  utique  iam  proprium  ad 
efficiendum  quod  intendimus  cf.  XII  10,  53.  72  u.  a.  V  11,  6  ad  per- 
suadendum  id  quod  intendm*  (Bonnells  Lex.  falsch  intendimus)  darf 
nicht  als  Gegenbeweis  gelten,  weil  die  zweite  Person  für  »man«  in  Neben- 
sätzen bekanntlich  ihre  Eigenheiten  hat.  Dafs  es  II  20,  5  mit  Ab 
heifsen  mufs  si  consonare  sibi  in  faciendis  ac  non  faciendis  virtw*  est 
(virtutis  B),  ist  mir  deshalb  unzweifelhaft,  weil  gleich  darauf  si  virtutes 
sunt  folgt  und  in  dem  ganzen  Cap.  der  Nom.  resp.  der  Acc  beliebt  wird 
1.  4.  7.  8.  9  (ter)  10;  VI  5,  11  ist  wegen  des  Zusatzes  eiusdem  anders 
geartet.  I^benso  entscheide  ich  mich  für  A  I  6,  15  quid  vrero  quod 
e.  s.  Meister  mit  B  quid  vero?  quae  I  6,  29  nt  M.  Caelius-Meister  nt  cum, 
cf.  IX  2,  41.  42  und  Kiderlin  a.  a.  0.  S.  204,  III  7,  20  et  animo 
Meister  et  aninu,  III  8,  4  si  quando  ambigetur  —  Meister  s.  q.  ambig*- 
tur ,  IV  prooem.  5  propitium  numon  —  Meister  proprium  n.,  IV  2,  89 
quod  fingemus  -  Meister  ting/mus  cf.  §  90  constabit,  91  debebit,  finxe- 
rit.  Doch  ich  will  hierbei  nicht  länger  verweilen,  weil  sich  an  manchen 
Stellen  ein  Überzeugender  Beweis  für  die  alleinige  Richtigkeit  der  einen 
Lesart  nicht  führen  läfst,  ich  will  lieber  eine  Stelle  herausheben,  wo 
Meister  ohne  Zweifel  recht  gethan  hat  1'»  gegen  A  sich  anzuschließen. 
IV  i,  76  schreibl  er  quotiens  autem  prooemio  fuerimus  asi,  tum  sive 
ad  expositionem  transibimus  sive  protinus  ad  probationem ;  Halm  liest 
mit  A  in  expositionem  und  stützt  sich  auf  Bonnells  Lexikon,  wo  man 
alier  nach  passenden  Beispielen  für  dieses  transire  in  vergeblich  sucht. 

4* 


52  Quintilian. 

Eis  kommt  dazu,  daß  das  parallele  ad  probationem  zu  Gunsten  von  B 
spricht.  —  A  and  B  ergänzen  Bich  gegenseitig.  Wo  beide  Quellen  fliefsen 
initium         V    14,22,   VIII  8,64  —   VIII  (i.   17.   VIII   6,  67         IX  8,  2,) 

»ad  textum  constituendum  praeter  hos  alio  libro  rä  opus  i rideatur.« 

Der  Ambrosianus  hört  mit  IX  i.  L85  auf  und  hat  nur  noch  gegen  das 
Ende  des  NN  «i  kr-  einige  wenige  Paragraphen  von  XII  11,  12  an.  Dei 
Bernensis  isl  durch  den  wiederholten  Ausfall  von  Blfttterlagen  etwa  um 
2/7  defekt.  Aus  ihm  stammen  Ambrosianua  II  and  Bambergensis  (Bg), 
dessen  von  Ant.  Linsmayer  185'2  gemachte  (\dlation  Bonnell  sterbend 
au  Meister  vermachte  -  hie  illic  konnte  er  ihr  folgen.  Was  in  Bg  ur- 
sprünglich fehlte,  ist  durch  eine  spätere  Band  (G  bei  Halm)  au-  einem 
vollständigen  Codex  nachgetragen,  in  dessen  Wertschätzung  Meister  TOD 
Halm  nicht  ahweicht  Sonst  benutzte  er  noch  den  Parisinus  Nostra- 
damensis  (N),  zwei  Vossiani  (Voss.),  drei  I'arisini  (Par.),  um  jüngerer 
Handschriften  von  untergeordneter  Bedeutung  zu  geschweigen.  Die  Pari- 
sini, besonders  Par.  II,  zog  er  im  zweiten  Teil  mehr  heran  iisque,  sag! 
er,  lectiones  iam  dudum  in  textum  reeeptas,  quae  non  solum  mihi,  sed 
etiam  aliis  verae  atque  genuinae  esse  viderentur,  tribui,  cum  adhuc  aut 
aliis  codieibus  tribuerentur  aut  etiam  coniecturae  haberentur.  Zuweilen 
boten  auch  des  Julius  Victor  Compilation,  die  excerpta  rhetorica  und 
excerpta  Cassiodori  Abhülfe  —  doch  erinnert  er  daran  non  quiequid  in 
his  praestare  videatur  continuo  praeferendum,  sed  »cum  libris  Quintiliani 
destituti  sumus,  ad  ea  configiendum  esse.«  An  Ausgaben  waren  ihm  an 
die  40  zur  Hand  von  der  Venetiis  1493  per  Bonetum  Locatellum  cum 
annotationibus  Raphaelis  Regii  bis  zu  Hilds  lib.  X.  Paris  188-ri.  Man 
sieht,  das  Buch  ruht  auf  breitester  Grundlage  der  Forschung.  Wenn 
trotzdem  der  Text  noch  an  vielen  Stellen  krankt,  so  wird  kein  Verstän- 
diger dafür  den  Herausgeber  verantwortlich  machen  wollen:  nur  die 
vereinigte  Arbeit  aller  Forscher  kann  den  Autor  relativ  gesund  machen. 
Mir  hat  sich  bei  der  Durchsicht  des  Buches  folgendes  ergeben: 

Die  Übereinstimmung  der  guten  Handschriften  AB  erweckt  einigen 
Verdacht  gegen  die  Überlieferung  der  Parisini  2  und  5  I  2,  30  maxima 
enim  pars  eloquentiae  constat  animo.  hunc  adfici,  hunc  coneipere  ima- 
gines  rerum  et  transformari  quodam  modo  ad  naturam  eorum,  de  quibus 
\oquimur  (loquitur  ABMS),  necesse  est.  Halm  liest  loquitur  und  fügt 
hinzu  sc.  animus.  Er  hätte  sagen  sollen:  per  synesin.  Ebenso  heifst 
es  bei  Cic.  Lael.  IX  29  quid  mirum  est,  si  animi  hominum  moveantur, 
cum  eorum,  quibuscum  usu  coniuneti  esse  possunt,  virtutem  perspicere 
videantur?  Subjekt  zu  possunt  sind  in  der  Wirklichkeit  natürlich  homi- 
nes,  nicht  animi  hominum,  gerade  so  wie  Subjekt  zu  loquitur  nicht  ani- 
mus ist,  sondern  orator,  s.  oben.  —  I  11,  17  ist  nach  der  Überlieferung 
A  ut,  B  in,  L  ut  in  kein  ausreichender  Grund  ut*  (statt  ut)  nomine  ipso 
declaratur  zu  schreiben;  ut,  vi,  in  sind  oft  verwechselt  worden,  cf.  Madvig 
Adv.  crit.  I  S.  löf.1),  ut  in  L  ist  willkürliche  Weiterbildung  resp.  Ditto- 

i)  Adv  III  S.  27")  emendiert  Madvig  IX  2,  21  ebenso  einfach  wie  treffend 
si  vos  meo  (in  eo  libri)  loco  essetis. 


Meister,  inst    or.  53 

graphie.  II   10,   15  sed  haec  suo  quoque  (A,  quorfque  Meister)  loco. 

cf.  IV  2,  62.  Kiderlin  (Neue  phil.  Rundschau  No.  6  S.  88)  will  au  beiden 
Stelleu  quaeque  geschrieben  wissen,  weil  die  Überlieferung  nicht  zu  erklären. 
Indessen  haec  suo  quoque  loco  =  dies  an  seinem  respektiven  Orte  —  ist 
echt  lateinisch,  wie  Madvig  de  fin.  V  17,  46  S.  689-690  ausführlich  dar- 
legt, suus  quisque  fast  ein  Begriff,  cf.  Cic.  Tusc.  IV  12,  28  haec  pro- 
clivitas   ad    suum   quodque  genus.  II  20,  5   quod  philosophi  quidem 

multis  et  acutis  conclusionibus  colligunt,  mihi  vero  etiam  planiore  hac 
proprieque  nostra  probatione  videtur  esse  perspicuum.  Dafs  hac  .  .  pro- 
batione nicht  die  Worte  des  Rhetors  sein  können,  hat  Kiderlin  N.  Jahrb. 
1885  Heft  2  S.  118  überzeugend  nachgewiesen.  In  der  That  erwarten 
wir  nach  hac  pr. ,  dafs  uns  Quintilian  in  dem  zunächst  folgenden  Ab- 
schnitte seinen  Beweis  vorführe  und  nicht  die  Schlüsse  der  Philosophen, 
denen  er  seine  probatio  erst  §  8  gegenüberstellt.  Was  aber  Kiderlin 
vorschlägt  planiore  hoc  proprieque  nostra  probatione,  ist  wegen  der 
Stellung  des  hoc  zwischen  den  Ablativen  verfehlt,  §8  ist  anderer  Art. 
Der  Rhetor  schrieb  wohl  planiore  ac  proprie  nostra  p.  War  einmal  ac 
in  hac  verderbt  (b  giebt  ac),  so  konnte  sich  ein  Abschreiber  leicht  ge- 
müfsigt  finden  propriec/wc  zu  konjizieren.  -  III  1,  11  kommt  man  mit 
der  handschriftlichen  Lesart  nicht  aus,  wie  oft  hervorgehoben  ist,  zuerst 
wohl  von  Claussen,  der  richtig  einschiebt:  Antiphon  quoque  qui  et  ora- 
tionem  primus  omnium  scripsit.  Fortzufahren  ist  dann  mit  B  et  nihilo 
minus  artem  et  ipse  composuit  e.  s.  -  Wie  sehr  eine  kluge  Scheu  vor  der 
Überlieferung  oft  not  thut,  lehrt  III  8,  9  quos  secutus  videlicet  C.  Sallustius 
in  bello  Jugurthino  et  Catilinae  (A),  Catilinario  ed.  Aid,  der  Meister 
gefolgt  ist.  Da  heute  kein  Zweifel  mehr  ist  —  nach  Wölfflins  Darlegung 
und  Appell  an  die  Herausgeber  des  Sallust  Archiv  I  2  S.  278  —  ,  dafs 
Sallust  seine  Schrift  bellum  Catilinae  betitelte,  so  werden  wir  uns  nicht 
von  A  entfernen  dürfen,  ohne  uns  ebenso  weit  von  der  Wahrheit  zu  ent- 
fernen. Auffallend,  dafs  kein  Herausgeber  bis  jetzt  an  IV  2,  25  An- 
stofs  genommen:  sed  hoc  quoque  interim  mutat  condicio  causarum.  nisi 
forte  M.  Tullius  in  oratione  pulcherrima.  quam  pro  Milone  scriptam  re- 
liquit,  male  distulisse  narrationem  videtur  tribus  praepositis  quaestioni- 
bus:  mit  profuisset  exponere.  quo  modo  insidias  Miloni  fecisset  Clodius. 
si  reum,  qui  a  se  hominem  occisum  fateretur,  defendi  omnino  fas  non 
fuisset,  aut  si  iam  praeiudicio  senatus  damnatus  esset  Milo.  aut  si  Cn. 
Pompeius,  qui  praeter  (A,  propter  B)  aliam  (Handschriften,  aliquam  edd. 
vett.)  gratiam  iudicium  [etiam]  militibus  armatis  cluserat,  bamquam  ad- 
versus  ei  timeretur.  Da  die  Annahme  und  Voraussetzung  des  irrealis 
im  Widerspruch  mit  der  Wirklichkeit  steht,  so  halten  wir  zu  denken: 
nunc  autem  fas  erat  reum  .  .  defendi,  praeiudicio  senatus  damnatns  non 
erat,  Cn.  Pompeius  tarn  quam  adversus  ei  non  timebatur  -  und  darum: 
nmi  proftlit  exponere  Aber  das  ist  ja  barer  Unsinn.  Oder  voll  auf  pro- 
fflisset   exponere  e.  s.  DOCh    in  den  Satz  mit    nisi  forte  gezogen   werden? 


54  Quintilian. 

dann  wäre  die  Interpunktion  vor  anl  zu  ändern,  aber  gelbst  wenn  dae 
geschähe,  wurden  die  Sätze  mil  -i  einer  solchen  Verbindung  durchaus 
widerstreben.  Der  Gedanke  erforderte  dann  atatl  des  Gegensatzes  der 
Wirklichkeit,  statt  des  irrealen  Verhältnisses  den  Gegensatz  des  Grundes, 
das  concessive  Verhältnis.  Kurz,  eine  Möglichkeil  die  Überlieferung 
zu  retten,  giebl  es  nicht.  Der  Fehler  steckt  in  aut,  <la~  entweder  in 
haud  zu  verändern  ist,  was  mir  in  den  Sinn  gekommen,  oder  mil  an  zu 
vertauschen  ist,  was,  wie  ich  nachträglich  Behe,  Eberhard  in  der  Ein- 
leitung zur  Miloniana  3.  Aufl.  8.  21  Anin.  82  vorgeschlagen  hat  Der 
Sinn  ist  derselbe,  ob  wir  band  oder  an  schreiben,  und  die  Änderung  ist 
gleich  leicht:  haud  ist  oft  genug  mit  aut  verwechselt.  8.  bei  Halm  IX  8, 
20  S.  150,  X  1,  86  S.  219,  X  3,  20  S.  237,  aber  ebenso  oft  ist  auch 
wohl  an  und  aut  verschrieben,  s.  V  10,  44  S.  238,  V  10,  69  8.  248,  VII 
4,  34  S.  39,  das  Mittelglied  bildet  an  s.  V  2,  1  S.  217,  V  10,  12  S.  233. 
Das  Eberhardsche  an  scheint  mir  aber  nach  der  ganzen  Fügung  des 
vorhergehenden  Satzes  mehr  für  sich  zu  haben  als  mein  eigenes  haud, 
zumal  haud  bei  Quintilian  nicht  gerade  beliebt  ist,  cf.  Planer:  Jenaer 
Diss.  1886.  War  man  an  aut  bisher  anstandslos  vorübergegangen,  so 
hatte  man  sich  umsomehr  abgequält  das  praeter  oder  propter  aliam  gra- 
tiam  zu  erklären.  Umsonst.  Per  te  sapere  aude!  Da  es  pro  Milone 
heifst  8,  21  in  communi  omnium  laetitia  si  etiam  ipse  gauderet,  timuit 
ne  videretur  intirmior  fides  reconciliatae  gratiae,  29,  79  etiam  si  propter 
amicitiam  vellet  illum  ab  inferis  avocare,  propter  rempublicam  non 
fecisset,  32,  88  illum  ipsum,  qui  obstare  poterat,  novo  reditu  in  gratiam 
quasi  devinctum  arbitrabatur  sc  Clodius,  so  wird  es  kein  zu  kühnes 
Wagnis  sein  zu  schreiben  propter  reconciliatam  gratiam.  Verkennen  von 
Compendien  mag  die  falsche  Lesart  erzeugt  haben,  und  etiam  in  Ab 
wird  durch  praeter  hervorgerufen  sein:  iudicium  etiam  om.  B.  —  IV  2,  45 
ändert  Meister  quare  vitanda  est  etiam  Sallustiana  brevitas  et  abruptum 
sermonis  genus,  quod  otiosum  fortasse  lectorem  minus  fallat.  audientem 
transvolat,  nee,  dum  pereipiatur  (Handschrift  repetatur)  expeetat.  perci- 
piatur  ist  eine  alte  Konjektur  Meisters,  gegen  die  ich  mich  schon  Phil. 
Rundschau  III  15  S.  469  Anm.  ausgesprochen  habe,  jetzt  auch  nn- 
abhäng  von  mir  -  Kiderlin  Wochenschrift  f.  klass.  Phil.  1887.  2.  S.  48. 
Wenn  man  zu  dum  repetatur  ergänzt,  wie  es  bei  dem  otiosus  lector  der 
Fall  ist,  der  wiederholen  kann,  so  ist  alles  in  Ordnung.  —  V  7,  13  lese 
ich  mit  Halm:  quod[cum|  in  iis  quoque,  qui  ea,  quae  dicturi  videntur. 
esse  (Meister,  Handschrift  re)  vera  soiunt,  necessarium  est  praeeavere, 
multo  magis  in  iis,  qui  se  dicturos,  quae  falsa  sunt,  pollicentur.  Weil 
dem  cum  quod  vorhergeht,  weil  ferner  cum  A  in  ras.  m.  2  und  wegen 
des  quoque  ziehe  ich  es  vor  cum  mit  Halm  einzuklammern  als  mit  den 
edd.  vett. ,  wie  Meister  thut,  tum  vor  multo  einzusetzen.  Kein  Zweifel 
übrigens,  dafs  re  vor  vera  unhaltbar,  fraglich  erscheint  mir  blofs,  ob  man 
es  mit  Meister  in  esst  zu  verwandeln  oder  auszumerzen  hat,  das  voran- 


Meister,  inst.  or.  55 

gehende  r  und  das  folgende  vera,  könnte  zu  dem  letzteren  verführen,  um 
so  mehr  als  der  Rhetor  solche  Wendungen  mit  scire  liebt,  cf.  II  10,  8 
quod  omnes  sciant  falsum  und  XII  1,  41.  43.  --  Warum  man  V  7,  19 
nicht  der  Autorität  von  A  folgt  und  schreibt:  id  si  non  contigit  (Halm, 
Meister  contm^it,  Meister:  fort,  contigerit),  reliquum  erit,  ut  eum  nolle 
dicere  manifestum  sit,  verstehe  ich  nicht.  Die  mangelnde  Corresponsion 
der  Tempora  durfte  das  nicht  hindern,  denn  die  ist  selbst  klassisch, 
cf.  Cic.  ad  fam.  VII  14,   1;  Phil.  IX  1 ,  2.  V  14,  30   quorum   nihil 

consequetur,  si  conclusionibus  certis  et  in  u/mm  prope  formam  cadenti- 
bus  concisa  et  contemptum  ex  humilitate  et  odium  ex  quadam  Ser- 
vitute ( severitate  ed.  Aid. )  et  ex  copia  satietatem  et  ex  similitudine 
fastidium  tulerit  Sowohl  die  Nachbarschaft  von  humilitas,  gegen  das 
severitas  entschieden  abfällt,  als  auch  die  Parallele  VII  3,  16  rarissime 
apud  eos  reperitur  illa  ex  consuetudine  philosophorum  ducta  servitus 
ad  certa  se  verba  adstringeudi  zeigen,  dafs  man  übereilt  der  Aldina  ge- 
folgt ist.  Auch  quadam  d.  h.  etwas,  was  .  .  zu  bezeichnen  ist,  hätte 
davor  bewahren  sollen,  denn  zu  severitas  pafst  es  doch  sehr  schlecht, 
während  es  sich  bei  dem  starken  und  hyperbolischen  servitus  als  mil- 
derndes Beiwort  sehr  gut  ausnimmt  im  Gegensatz  zu  humilitas,  copia. 
similitudo,  die  einer  solchen  Herabstimmung  nicht  bedürfen.  VI  3,  64 
tertium  adhuc  illud,  si  quidem  (T  m.  2,  si  quod  A  G)  ut  ne  auctorem 
ponam,  verecundia  ipsius  facit:  '  libidinosior  es  quam  ullus  spado'.  Mit 
Recht  zweifelt  H  J.  Müller  in  der  Anzeige  des  ersten  Bandes  (Deutsche 
Litteraturzeit.  1887  S.  10  —  ll)1),  ob  das  an  sich  schlecht  beglaubigte 
si  quidem  in  diesem  Zusammenhange  dem  Schriftsteller  zugetraut  werden 
darf.  Sein  Vorschlag  illud  est  oder  sit  quod  ut  citra  (cic  für  ne)  aucto- 
rem ponam,  v.  i.  f.,  trifft  sicher  den  Sinn  des  Satzes,  ob  auch  den  Wort- 
laut? Durch  die  Erwägnng,  dafs  dieses  dritte  Scherzwort  den  beiden 
andern  im  übrigen  ähnlich,  nur  insofern  unähnlich  ist,  als  es  anonym 
auftritt,  bin  ich  auf  die  Vermutung  geführt  worden  nisi  quod  statt  si 
quod  zu  schreiben.  »Als  drittes  ist  noch  jenes  übrig  (den  beiden  andern 
ähnlich),  nur  dafs  ich  den  Namen  nicht  nenne.«  Unmittelbar  darauf 
folgt  et  hoc  ex  eodem  loco  est,  sed  nulli  priorum  simile,  quod  dixit  M. 
Vestinus  e.  s.  Dafs  nisi  quod  dem  Gedanken  des  Rhetors  Genüge  tliut. 
kann  ebenso  wenig  bestritten  werden,  wie  dafs  es  grammatisch  korrekt 
isl  :  das  restringierende,  was  es  immer  haben  soll,  cf.  I  4,  9,  hat  es  auch 
hier.     Zudem  ist  die  Änderung  leicht  genug,  denn  si  ist  mit  nisi  (Mittel- 


')  Müllers  ebenda  ausgesprochene  Ansicht,  dafs  IV  6,  24  so  emendieren 
sei  nam  est  suus  et  in  digestu  modus,  erinnert  an  Gertz,  der  lesen  will  et  di- 
gestui.  Beide  könnten  sich  auf  XI  3,  114  berufen  sive  in  digitos  argumenta 
digerimns,  aber  in  digestu  oder  digestui  sc.  in  digitos,  das  ist  eben  —  nicht 
ohne  leisen  Spott  —  der  fji^tns,  ganz  abgesehen  davon,  dafs  digeBtns,  wie  schon 
Iw.  Müller  (Jahrb.  IH76.  II  S.  281)  hervorgehoben,  in  dieser  Bedentnng  nicht 
nachweisbar  ist. 


56  Quintiliaii 

glied  in)  ott  verwechseil  worden,  s.  Bahn  I\  i.  70  >.  182,  VII  10,  6 
8.  51.    Denselben  Übergang  von  <il|{,|l  in  quiden  haben  wir  in  den  Eland 

schritten  Vi  :'..  6  B.  310.  -  VI  .;.  L06  verum  mihi  etiam  iocosa  quaedam 
videntur  posse  aon  satis  urban«  referri  80  Meister  mit  T  m  -i.  Meine] 
bei  Halm  '»  11.  9.  urbana  r.  ich  folge  anbedingt  Meister,  nur  weif-  ich 
nicht,   ob  referri  gehalten  werden  kann.     Die  Bedeutung,  die  Spalding 

dem  Worte  mit  Recht  vindiziert  zu  V  1:',,  2'.r.  referre  esl  oarrare,  com 
lectore  communicare,  cf.  Madvig  de  fin.s  II  30,  97  8.  ::<i7     808,  will  liier 

nicht  passen;   dasselbe,  was  exj ere  oder  dicere,  bedeutet  es  nie.  und 

darum  schlage  ich  vor  efferri  zu  lesen,  cf.  I  5,  <>4  in  ceteris  quae  po- 
terunt  utroquo  modo  non  indecenter  efferri,  Cic  or.  44.  150  snaves  gra- 
vesque  sententiae  si  meonditis  verbie  efferuntur,  offendunt  aures.  Über  die 
Art  der  Verderbnis  handelt  Madvig  adv.  crit.  I  S.  18  u.  f.  —  Wenn  Meister 
mit  Teuffei  (Jahrb.  f.  kiass.  Phil.  89  S.  172)  VII  3,  34  schreibt:  qui 
ergo  puniri  debent,  in  quibus  omnia  a&sunt  (sunt  die  Handschriften)  ho- 
mieidae  praeter  manum?,  so  ist  daran  soviel  richtig,  dafs  der  Gedanke 
unweigerlich  die  Ableugnung  aller  Merkmale  eines  homieida  fordert  mit 
Ausnahme  einen  einzigen,  scheinbaren,  nämlich  der  rein  äufserlichen 
Thatsache,  dafs  die  Jünglinge  den  tumulus  errichteten  und  dafs  dies  den 
Tod  des  Vaters  zur  Folge  wenn  auch  nur  ganz  unbeabsichtigten  Folge 
—  gehabt  hat.  Wie  aber  das  einfache  manus  die  rein  äufserliche 
Handanlegung  (Thätigkeit),  den  blofsen  Schein  —  denn  daraufkommt 
es  an  bezeichnen  kann,  vermag  ich  nicht  einzusehen.  Eher  würde  ich 
noch  die  handschriftliche  Lesart  verteidigen  und  manum  =  vim  setzen, 
aber  dagegen  streitet,  wie  gesagt,  der  Gedanke.  Die  Stelle  harrt  noch 
eines  glücklichen  Kritikers.  Auch  der  Halmsche  Vorschlag  omnia  absi- 
milia  (oder  dissimilia)  oder  was  mir  eingefallen  omnia  aliena  sunt  hilft  uns 
nicht  weiter.  —  VII  6,  4 — 5  in  hoc  altera  pars  scripto  nititur,  altera 
voluntate.  et  (Meister,  aed  die  Handschriften)  contra  scriptum  tribus  gene- 
ribus  oecurritur.  Gewifs  hätte  der  Rhetor  das  altera  voluntate  durch  et 
fortführen  können ,  aber  da  oecurritur  contra  scriptum  einen  wirklichen 
Gegensatz  gegen  das  erste  Glied  —  altera  pars  nititur  scripta  involviert, 
so  halte  ich  sed  für  unantastbar.  VIII  prooem.  26  haben  die  Hand- 
schriften sed  ille  et  durus  atque  ineruditus.  Meister  macht  daraus  sed 
ille  durus  a.  i.,  Spalding  vermutet  sed  ille  est  durus,  letzteres  verdient 
den  Vorzug,  denn  et  und  est  sind  wer  weifs  wie  oft  verwechselt.  Ebenso 
folge  ich  Spalding,  wenn  er  VIII  2,  19  schreibt  quantum  ad  alios  perti- 
neat,  nihih'  putant  (Meister  nihil  putant  referre,  nihil  p.  die  Handschrift). 
Zu  dem,  was  Spalding  vergleicht,  füge  Cic.  pro  Sestio  53,  114  ut  auspicia 
.  .  bonorum  iudicium  nihili  putaret.  VIII  3,  11  hat  derselbe  Spalding 
sicher  richtig  erklärt:  ita  demum  decet  hie  ornatus,  si  fuerit  pro  ma- 
teriae  genere  variatus.  wenn  er  aber  mit  Regius,  dem  auch  Meister  folgt, 
schreibt  hie  ipse  honestus  ornatus  pro  materiae  genere  decet  variatus.  so 
vermisse  ich  bei  dieser  Lesung  das  vom  Gedanken  geforderte  ita  demum, 


Meister,  inst    or.  57 

das  durch  die  Schreibung  der  edd.  vett.  debet  es.se  (ohne  das  von  Regius 
hinzugefügte  pro)  deutlich  hindurchklingt.  Am  Ende  ist  es  aber  wegen 
der  Überlieferung  in  AGM  genere  decidit  doch  noch  geratener  mit  Halm 
esse  debebit  zu  schreiben.  —  »Vielleicht  ist  bei  Quintilian  VIII  3,  35 
Caecilius  a  Sisenna  —  primum  dictum  putat  —  albenti  coelo  Caesellius  zu 
verbessern«,  sagtBergk:  op.  phil.  I  S.  98.  Ich  bleibe  bei  Caecilius  und 
albente  caelo,  denn  wahrscheinlich  hat  ßergk  diese  Verbesserung  nicht 
gemacht.  Ebenso  wenig  kann  Beifall  finden,  um  das  hier  anzufügen, 
was  Bergk  op.  II  S.  756  sagt:  »queentia,  was  man  bei  Quintilian  (II  14,  2) 
hat  herstellen  wollen,  ist  eine  Unform,  es  ist  neque  entia  zu  lesen«,  cf. 
Halm  ad  h.  1.  Dagegen  hätte  Beachtung  verdient  op.  I  S.  378  IX  3,  77 
Hecuba,  hoc  dolet,  miseret,  pudet,  piget  •  es  ist  wahrscheinlich  ein  Wort 
ausgefallen,  da  Quintilian  Beispiele  der  viergliedrigen  Rede  anzuführen 
beabsichtigt.  Und  wenn  Bergk  I  4,  10  schreibt  (op.  II  S.  760)  at  quae 
ut  vocales  iunguntur  aut  unam  longam  faciunt,  ut  veteres  scripserunt, 
qui  geminatione  earum  velut  apice  utebantur,  aut  duas  (individuas),  nisi 
quis  putat  etiam  ex  tribus  vocalibus  syllabam  fieri,  si  non  aliqu«  officio 
consonantium  fungatur,  wo  man  gewöhnlich  aliquae  fungemtur  liest,  so 
halte  ich  zwar  den  Einschub  von  individuas  wie  alle  Konjekturen  zu 
diesem  Worte  für  unnötig,  für  nötig  aber  aliquot  fungatur.  So  erklärt 
schon  Spalding  I  praef.  LXXV -  LXXVI,  cf.  Kiderlin  bayr.  Gymn.  XXII 
S.  13-  15,  dem  Bergks  Emendation  gleichfalls  entgangen  ist.  —  VIII  6,  32 
macht  Wölfflin  (Archiv  f.  lat.  Lexikographie  III  S.  86)  den  mir  sehr  ein- 
leuchtenden Vorschlag  qualia  sunt  illud  (die  Handschrift  nur  ut:  die 
Herausgeber  lassen  das  Wort  ganz  weg)  sullaturit'  et  'proscripturif 
coli.  I  4,  11  conicit  est  ab  illo  (dnö  ruü)  iacit.  »Vielleicht  IX  3,  17 
quäle  est  illud  (die  Handschrift  vulgus)  amat  fieri'«.  Meister  liest  mit 
Francius  'vulgo  amat  fieri'1).  —  IX  2.  36  est  et  incerta  persona  et  ficta 
oratio:  'hie  aliquis'  et  dicat  aliquis'.  est  et  iactus  sine  persona  sermo. 
Sowohl  der  Vergleich  von  III  8,  54  ficta  personarum  oratione  und  VI 
1 ,  25  fietae  alienarum  personarum  orationes  als  auch  der  Gegensatz 
iactus  sine  persona  =  nullius  p.  sermo  beweisen,  dafs  Meister  mit  Un- 
recht die  durch  ed.  Camp,  und  Regius  eingeführte  Lesart  est  et  incerta« 
personae  ficta  o.  verschmäht  hat.  —  IX  3,  61  non  enim  obtieuit,  lusit, 
quia  nihil  aliud  intellegi  poterat,  quam  hoc:  diadema  imposuit.  So  die 
Überlieferung,  Spalding  aut  lusit.  Halm  nr.d  Meister  sed  lusit.  Letzteres 
dem  Gedanken  nach  zweifellos  richtig,  aber  warum  scheut  man  sich  ein 


•)  In  demselben  Jahrgang  111  S.  560 — 561  weist  Wölfflin  Dach,  wir  recht 
Quintilian  hatte,  wenn  er  sich  flher  die  Partikel  igitur  tolgendennal-en  linderte 
I  5,  39:  an  sit  initio  Bermonis  positum  dubitari  potest,  quia  maximos  auetores 
in  diversa  fuisse  opinione  video,  cum  apud  alios  sil  etiam  Frequens,  apud  alios 
numqunm  reperiatur,  (Caesar  z.  B  mit  Ausnahme  von  hell.  civ.  I  85,  t  und 
der  Rhetor  Seneca  haben  eine  Antipathie  gegen  das  Wort.) 


58  Quintilian 

Asyndeton  zu  statuieren?  cf.  Cic.  de  off.  III  88,  118  non  recipit  istam 
coniunctionem  honestas,  aspernatnr,  repellit,  .-5.  Beyftert- Malier:  Lael 
8.  ni  112.  Eine  der  Bchwierigsten  Stellen  Lei  IX  i.  186  argumenta 
acria  et  citata  pedibua  quoque  ad  hanc  uaturain  accomodatis  atentur, 
noa  tarnen  ita  ut  trochaeis  qupque  celeria  quidem,  sed  sine  viribus  -int. 
verum  iis,  qui  sunt  brevibus  longisque  mixti,  non  tarnen  plnres  longas 
quam  breves  habent.  Weil  die  Handschriften  habentia  bieten  and  teil- 
weise mixta  (LS),  wo  es  klarlich  mixti  und  habenl  ohne  Beziehung 
auf  argumenta  heifsen  mufs,  so  schliefst'  ich  mit  einiger  Sicherheit, 
dafs  auch  die  Lesart  troceisque  .  .  celeri"  .  .  sunt  GL  einer  falschen  Be- 
ziehung ihren  Ursprung  verdankt  und  schreibe  mit  Gallaeus  trochaeis 
qw  celem  q.f  s.  s.  v.  sunt  quoque  auch  wegen  des  vorhergehenden  q.  be- 
denklich wie  non  tarnen  wegen  des  folgenden  n.  t.  Für  das  handschrift- 
liche nondum  ita  ut  erwartet  man  etwa  nach  §  49  non  dico  continuis 
oder  nach  §  91  non  dico  continuatis  trochaeis  oder  non  videlicet  tr.  Nur 
Beispiele,  keine  paläographisch  wahrscheinliche  Lesart  steht  mir  zu  Ge- 
bote. —  X  7,  24 ')  ars  enim  semel  percepta  non  capitur  (BM),  labitur 
ed.  Gryph.,  animo  non  oder  mente  non  1.  Hild,  andere  rapitur.  Der 
Sinn  ist  ja  klar,  (»la  connaissance  theorique  une  fois  conquise  ne  se 
perd  pas«  Hild),  die  Lesarten  aber  sind  sämtlich  so  anstöfsig,  dafs  ich 
zu  abit  gegriffen  habe  coli.  IX  4,  14  abierit  omnis  vis,  iucunditas,  decor. 
Petersens  Bemerkungen  zu  dieser  Stelle  (Zeitschrift  f.  Altertumsw.  1836 
S.  753)  habe  ich  bis  jetzt  nicht  einsehen  können.  —  XI  1,  14  idem  fere 
in  omni  genere  causarum  et  proderit  et  decebit.  est  autem,  quod  omnes 
et  semper  et  ubique  deceat,  facere  ac  dicere  honeste,  contraque  nemi- 
nem umquam  ullo  in  loco  turpiter.  Halm  hält  mit  Recht  die  Yulgata 
für  korrupt.  Man  schreibe  deceb^.  id  est  autem  (cf.  X  1,  120)  und  mache 
hinter  deceat  ein  Kolon,  was  etwa  unserm  nämlich  gleichkommt,  so  ist 
alles  in  bester  Ordnung.  —  XI  l,  72  liest  man  mit  Regius  hoc  enim  com- 
mune remedium  est,  si  (nisi  GMS)  tota  actione  aequaliter  appareat  non 
honor  modo  eins,  sed  etiam  Caritas.  Wie  erklärt  man  den  Conj.  appa- 
reat? Ich  denke,  dafs  nisi  aus  ni  entstanden,  was  für  ut  verlesen  ist, 
oder  dafs  es  blofse  Dittogrophie  des  vorangegangenen  mst  (=  nisi)  ist 
und  das  ursprüngliche  ut  verdrängt  hat,  was  um  so  leichter  geschehen 
konnte  als  die  Schriftzüge  von  ut  in  nisi  aufgehen,  cf.  1,  87  in  quibus 
omnibus  commune  remedium  est  ut  traetare  videaris.  —  XI  1.  88  liegt  es 
nach   der  Überlieferung  si  cupidunt  rfedicasset  GMS  näher  mit  Spalding 


i)  XI  1,  17  schreibt  Meister  mit  Regius  cum  interim  et  vitiosa  pluribus 
placeont  et  a  conrogatis  laudentur  etiam  quae  non  placent.  placent  —  lau- 
dantur  S,  placent  —  laudentur  (laudetur  G)  GL.  Giebt  es  sonst  Beispiele  im 
Quintilian  für  cum  interim  mit  conj.  IV  2,  37  ist  anders  geartet.  Dafs  interim 
hier  =  tarnen,  ist  weder  sicher  noch  entscheidend,  cf.  Hoffmann:  Lat.  Zeit- 
part. S.  145  u.  f. 


Meister,  inst.  or.  59 

si  (sie  Sj)alding)  cupidos  milites  dicas  zu  schreiben  als  mit  Badius  si 
milites  c.  d.  —  XI  1,  91  hat  non  habet  haec  res  mensuram  keine  hand- 
schriftliche Gewähr:  es  genügt  n.  h.  res  m. ,  ebenso  2,  43  illud  tempus, 
illud  ipsum  t.  Meister,  3,  154  conciliet  (ut  c.  Meister).  —  XI  2,  17  klingt 
idque  credere  suo  quisque  queat  experimento  (Meister)  quisque  e.  potest 
(Rollin)  sehr  nach  einem  Germanismus.  VI  2,  3  und  X  7,  9  ist  queat 
vollkräftiges  Verbum.  Ich  ziehe  Gesners  Lesung  vor  idque  credet  suo 
e.  s.  —  XI  3,  3  nam  cum  haec  omnia  fecerimus,  felices  tarnen,  si  nostrum 
illum  ignem  iudex  coneeperit,  nedum  eum  supini  securique  moveamus  ac 
non  et  ipse  nostra  oscitatione  solvatur.  Während  Meister  in  dem  XI.  Buche 
sonst  ganz  besonders  glücklich  in  seinen  Conjecturen  gewesen  ist  (evident 
sind  z.  B.  1,  21  se  et,  B  se  neget;  1,  28  si  criminis  loco  poni  negasset, 
cf.  Schlufs  des  Paragraphen;  1,  44  sedentem  dicturus;  1,  77  ea  de  causa; 
2,  2  neque  quae  scripseris;  2,  3  quid  quod  extemporalis  oratio;  2,  32 
rstque  cum  dicit),  trägt  er  hier  einen  Fehler  in  den  Quintilian  hinein, 
wenn  er  schreibt  ac  non  et  ipsi .  .  solvamus.  Da  dasselbe  Subjekt  bleibt 
und  das  Verbum  sich  ändert,  nicht  aber  umgekehrt,  so  ist  et  ipse  un- 
statthaft. Ich  finde  überhaupt  nichts  an  den  Worten  auszusetzen.  Glück- 
lich, sagt  der  Rhetor,  wenn  wir  es  durch  das  lebendige  Spiel  aller  un- 
serer Kräfte  erreichen,  dafs  der  Richter  unser  Feuer  in  sich  aufnimmt. 
Setzen  wir  nicht  alle  Kräfte  ein,  so  werden  wir  unsern  Wunsch  nicht 
erfüllt  sehen,  geschweige  denn,  dafs  wir  supini  securique  auf  ihn  Ein- 
druck machten  und  dafs  er  nicht  durch  unser  Gähnen  ebenso  schläfrig 
würde  wie  wir.  (So  ist  et  ipse  zu  erklären.)  Das  zweite  non  bildet  den 
Gegensatz  zu  dem  mit  nedum  eingeleiteten  negativen  Gedanken,  macht 
also    das  solvatur   positiv.  Zu  XI  3,  131   cf.   Woelfflin   Archiv  4 

Jahrg.  l  S.  60-61  »Wenn  auch  sonst  Quintilian  usqut  nicht  mit  dein 
Akkusativ  verbunden  hat,  so  ist  die  Phrase  u.  limbos  mit  der  Gewohn- 
heit der  Arzte  entschuldigt«.  -  Unter  den  Vorschlägen  Kidcrlins1)  zu 
1.  XII  cf.  Addenda  et  Corrigenda  S.  363,  1.  42  cui  vera  obictuntuT;  2.  23 
neque  sane  (se  die  Handschriften)  tanta  iimquam  in  eo  fuisset  ubertas; 
6,  4  nun  oder  nondum  defervisse;  9,  10  bono  grata;  9,  n  plane  adversi; 
10,  26  etiam  eam,  qua»'  .  .  videtw  billige  ich  den  letzten  nicht  Wenn  der 
Rhetor  sagt  si  quis  ad  eas  Demosthenis  virtutes,  quas  ille  suramus  orator 
habuit,  tarnen  quas  defuisse  ei  sive  i]>Miis  natura  seu  lege  civitatis  videntur, 
adiecerit,  so  liegt  in  dem  tarnen  die  höchste  Anerkennung  dir  redneri- 
schen Bedeutung  des  Demosthenes,  die  ein  adicere  quae  ei  defuisse 
dentur  (cf.  VI  3,  2)  fasl  in  den  Bereich  der  Unmöglichkeit  versetzt. 
»Sollte  jemand  imstande  sein  über  die  menschenmögliche  Vollendung 
doch  noch  hinaus  zu  kommen«  u.  s.  w.  2.  23  könnte  mau  auch  m 
hinter  qw    streichen,    bei   dem   se  fudissel    von  Badius   weifs   man   nicht 


')  XII  1,32  »rrm  retinendum  es  e  monuil  Kiderlin«  Meister  S  -' ^ t ■ ; i    Qerta 
iStmecne  dial.  1.  XII  1886  8  415)  spricht  siefa  ebenfalls  für  rem  (B)  aus 


fjO  Qaintilian. 

recht,  was  m  eo  soll.  Ist  9,  11  plane  adversi  Matt  des  aberlieferten  p. 
adversarii  absolut  nötig? 

In  dem  index  personarum  ei  rernm  (8.  298  389)  and  dem  index 
scriptorum  a  Quintiliano  citatorum,  quorom  opera  extant1)  <S  339  360), 
sowie  in  der  Übersichl  aber  die  lectiones  anius  editionie  ab  editione 
(  Halmii  discrepantea  (8.  3R0  362  jpttrl  man  überall  dieselbe  Grtind- 
lichkeil  und  Genauigkeit,  die  oben  der  Ausgabe  nachgerühmt  wurde. 

46.  P.  Hirt,  Recension  von  vol.  I  des  Meisterschen  Quintilian 
(Berliner  phil  Wochenschr.  VI  51  S.  1600  1603)  machl  mit  Recht  dar- 
auf aufmerksam,  dafs  VI  1.  20  (coli.  IV  2,  100  und  X  l.  22)  mit  Seh  <  11 
zu  schreiben  sei:  Servium  Sulpiciurw  Meesa.'a  contra  Aufidiam  ne  .  .  discri 
nioii  obici-'/  sibi  praemonet  et',  voll.  II  S.  355.  Ebenso  richtig  wird 
VI  1,25  Halms  Verbesserung  der  Luenemannschen  Conjectur  litigatorum 
ore  dicit  empfohlen.  Nicht  nur  dafs  die  folgenden  Pluralia  ipsos,  per- 
sonis  auch  hier  den  Plural  fordern:  wie  litigatorurn  ore  in  litigatore 
verderbt  ist,  so  ipsorum  ore  G  corr.  ex  ipsore  s.  Halm  ibid.  S.  297  (cf. 
Gertz  Senecae  dial  8.  412-415). 

47.  M.  Kiderlin  unterzieht  Neue  Phil.  Rundsch.  No.  6  S.  86— 
91  die  ersten  beiden  Bücher  des  Meisterschen  Quintilian  einer  sehr  ein- 
gehenden Besprechung.  Ich  stimme  ihm  bei,  wenn  er  aufgenommen 
wünscht:  I  5,  0  spatio  (Claussen),  7.  23  dice  et  facie  (Halm),  II  18,  3 
vei  (Gertz).     Auch  I  5,  7  und  9  barbarum  und  barbari  (Claussen).  I  6, 

14  ut  quamvis  feminina  (Halm  nach  Keil),  1  10,  39  geometrira  (Christ) 
und  I  4.  28  et  quaedam  (Keil)  hätten  Berücksichtigung  bei  Meister  ver- 
dient.    Ferner  war  zu  schreiben:  I  5,  1  blofs  oratio  (ohne  omnis),  I  6, 

15  eunt  (statt  exeunt),  II  8,  10  deserendum  statt  de/erendum.  Mit  Recht 
schützt  Kiderlin  I  1,  5  qu"  statt  quae,  I  1,  11  defuerwt  statt  defuerit 
und  I  10,  30  usque  a  Chirone  atque  Achille  ad  uostra  tempora.  Sehr 
beachtenswert  ist  der  neue  Vorschlag  adspirare  /  (ohne  ut  <p)  solent.   - 

48.  1.  III  und  IV  ist  von  Kiderlin  Wochenschrift  für  klassische 
Philologie  1887  No,  2  S.  43  —  49  geprüft.  Aus  dieser  Recension  erwähne 
ich  die  Zurückweisung  des  handschriftlich  nicht  beglaubigten  eo  vor 
maiorem  III  7,  13.  Wenn  auf  eo  kein  Nachdruck  liegt,  kann  es  wegge- 
lassen werden  cf.  Cic.  riu.  V  13,  37.  Im  Griechischen  ist  es  ähnlich 
cf.  Plato  Apol.  39  D.  Ebenso  richtig  ist  nach  meiner  Meinung  abgelehnt 
IV  l,  32  rogatione  statt  oratione,  IV  1,  72  si  [sitj  praeparatus  (ich 
glaube  freilich,  dafs  est  und  eget  zu  schreiben  ist  s.  Halm)  IV  2,  22  tu 
scias;  III  8,  59  würde  ich  auch  mit  Regius  furiose  lesen.  — 


!)  Der  Ausspruch  des  Gallio  dura,  anime,  dura:  bere  fortior  fuisti  steht 
Seneca  K  S  184,  7  mit  der  unwesentlichen  Variante  eras  statt  fuisti.  cf.  Tra- 
bandt  S.  7     8  Anni    1. 


inst.  or.  61 

49.  Um  zu  beweisen,  dafs  vol.  II  der  Meisterschen  Ausgabe 
(1.  VII  — XII)  dem  ersten  Bande  würdig  und  ebenbürtig  an  die  Seite  tritt, 
fafst  Kid  erlin  Neue  Philol.  Rundsch.  No.  9  S.  134—  138  das  zwölfte 
Buch  näher  ins  Auge.  Nachdem  er  für  die  Benutzung  der  Handschrif- 
ten zu  1.  XII  sieben  Sätze  als  mafsgebend  aufgestellt  hat,  bespricht  er 
die  handschriftlichen  Lesarten  und  die  Schreibungen  alter  Ausgaben,  die 
sich  Meister  aufs  neue  zu  nutze  gemacht  hat,  um  daran  sein  Crteil  über 
die  neu  aufgenommenen  Conjectureu,  über  die  Beseitigung  früherer  und 
über  neu  aufzunehmende  zu  knüpfen.  Ich  hebe  aus  dieser  Anzeige  fol- 
gendes heraus:  10,  14  ist  das  vor  parum  stehende  et  zu  streichen  (cf. 
Halm  Add.  et  corrigenda  S.  369),  5,  4  ist  mit  Halm  coloiv  mutar*  zu 
schreiben  und  2,  14  genügt  campo  deprehenduntur  (ohne  in).  11,  8  ist 
schwer  einzusehen,  wie  aus  velint  das  überlieferte  voluissent  hätte  werden 
sollen.  »Quintilian  gebraucht  das  Plusqpf. ,  als  hätte  er  seine  Lehren 
nicht  schriftlich,  sondern  mündlich  gegeben,  als  hätten  diejenigen,  für 
welche  sie  bestimmt  sind,  dieselben  hören  können,  als  er  sie  nieder- 
schrieb.« 10,  31  sollte  von  Halm  in  quam  aufgenommen  sein  (ich  würde 
aber  gegen  Kiderlin  auch  mugiente  m  littera  mit  Halm  schreiben),  ebenso 
10,  74  axLTibus  und  11,  11  ea*  statt  easdem  (ich  ziehe  Buttmanns  eas 
idem   quae   vor  easdemque  GMS).     10.  21  halte  ich  mit  Kiderlin  et 

statt  sed  für  das  einzig  richtige.  Neu  sind  in  dieser  Anzeige  folgende 
Vorschläge:  11,  14  quod  (statt  quo)  videtur  esse,  1,  42  cui  nunc  (tone 
BM)  vera  obiciuntur,  8,  7  repetita  servoto  tenore  (coli.  X  7,  6),  10,  77 
nee  oratorem  .  .  .  coquit  ut  aegre  e.  s.,  10,  44  quod  si  non  eveniret  et 
omnes  pares  essent,  idem  homines  aliter  de  re  alia  locuntur  (Vi.  10,  55 
unter  teilweiser  Benutzung  eines  früheren  Vorschlages  von  Meister  (der 
aber  sed  et,  nicht  blofs  sed  las  cf.  Philol.  35  S.  540)  sed  erunt  quae 
impediant:  quam  saepe  iam  brevitate  .  .  .  reeiderunt !  editio  habebit  om- 
nia,  quae  scripta  sunt,  quae  tarnen  .  .  .  dieta  sunt,  11,  3  de  M.  Aqnilio, 
wenn  nicht  illo  als  Dittographie  von  io  zu  streichen  ist.  10,  22  quos  ut 
omnes  (Halm)  inter  se  genere  sini  sirailes  (ut  concessivum,  ich  hatte  an 
homines  statt  homines  gedacht,  natürlich  ohne  sint).  10,  66  u.  (37  quonium 
statt  quorum  nam,  11,4  Ins  os  statt  hos,  11,25  alioqui  (=  sonst)  quie- 
quid  ....  posset,  cum  (=  während  doch)  .  .  .  habuissent;  yor  deniqne 
(§  26)  ein  Komma  zu  setzen,  10,  58  alii  medium  {namque  est  medium  ex 
duobus)  alii  e.  s.  (der  Name  des  genus  war  nichl  medium  ex  duobus, 
sondern  medium,  /liaou) ,  10,  61  aliquandoque  dicenlem  ipsum  alloquelur, 
ut  Ciceronem  (dice  Ciceli  .  .  .  alloquttur,  11.  27  nee  qui  Homeri  non 
fuerunt,  poetoe  non  faerunl  cf  Oic.  or.  i.  4.  Die  Begründung  dieser  Ver- 
mutungen wird  die  Zeitschrift  für  die  Osten*.  Gymn.  bringen,  vor  der 
Hand  erscheint  mir  io.  66  u.  »17  quoniam  der  Beachtung  wert. 


62  Quintilian. 

Declamationes. 

60.  K.  v.  Moräwski,  Bemerkungen  zu  den  sogenannten  gninti- 
lianeischen  Declamationen.  Zeitschrift  für  di>-  österreichischen  Gym- 
nasien.   82.  Jahrgang  1881.    I.Heft.    8.  i     12. 

Peine  sprachliche  Bemerkungen,  den  i{.»  grösseren  Declamationen 
gewidmet.  Sie  wollen  darthun,  dafa  die  Annahme  Teuffels,  als  seien 
diese  Stücke  von  einem  Schüler  Quintilians  verfafst,  Bich  nichl  halten 
lasse.  Vielmehr  zeige  die  Sammlung  mehrere  Eigentümlichkeiten,  welche 
auch  andere  Krzeugnisse  der  römischen  Litteratur  aus  der  Verfallzeil 
nach  150  kennzeichnen,  Eigentümlichkeiten,  welche  zum  grofsen  Teil 
aus  der  Umgangssprache  in  die  Schrittsprache  gedrungen  Bind.  Die 
Vermutung  Burmanns,  »welche  volle  Aufmerksamkeit  and  eine  sorgfäl- 
tige Prüfung  verdient,«  dal's  nämlich  die  einzelnen  Stücke  verschiedenen 
Verfassern  angehören,  weil  sie  sprachlich  von  einander  abweichen,  läfst 
der  Verfasser  vorläufig  aufser  Acht.  Er  spricht  zuerst  über  Abundanz 
und  Pleonasmus.  Der  grell  hervortretende  Hang  zu  starken  und 
übertriebenen  Ausdrücken  —  eine  Erbschaft  aus  der  Volkssprache  und 
andererseits  eine  Frucht  der  rhetorischen  Declamationen  —  zeigt 
sich  in  dem  Gebrauch  des  Wortes  tumultus,  ungefähr  im  Sinne  von 
magnus  numerus  —  ich  würde  sagen:  im  Sinne  des  eigenartig  ge- 
brauchten »Spektakel«  —  (I  4  criminum  tumultus,  XVII  9  querelarum  t.), 
ferner  in  der  Vorliebe  für  starke  Epitheta,  wie  infinitus,  inauditus,  dann 
in  der  Verwendung  der  Composita  statt  einfacher  Verba  wie  immori  = 
mori  (XVII  4)  vineulis  instringere  =  stringere  (V  16),  aecrescere  (IV  8), 
assimulare  (I  5),  collucere  (IV  13),  repromittere  (XVII  20,  X  18),  re- 
conducere  (XII  18)  u.  a.  Von  Substantivis  gehört  hierher  das  Wort 
corrivalis  (XIV  12).  Wenn  die  einzelnen  Wörter  an  Wert  und  Gewicht 
verlieren,  mufs  man  breit  werden  und  zu  Synonymis  seine  Zuflucht 
nehmen.  Der  oder  die  Verfasser  unserer  Stücke  gebrauchen  sehr  häufig 
quin  immo.  Ebenso  verbunden  erscheint  vix  aegre  (VIII  21).  Adverbia 
werden  den  Verbis  beigefügt:  rursus  revocare  (IV  9),  r.  retorquere 
(XIV  2),  r.  reddere  (XIX  10),  iterum  revocare  (XIV  8),  ante  praemittere 
(IV  18)  u.  a.  —  Von  der  Comparation  handelt  der  zweite  Abschnitt: 
er  führt  Beispiele  für  die  Steigerung  des  Positivs  durch  bene  (III  4). 
multum  (X  8),  satis  (XIII  3)  auf,  verzeichnet  plus  triste  est  (IV  1)  und 
giebt  endlich  als  Beispiel  der  Doppelgradation  V  11  utrum  stringam 
magis  aretiore  complexu.  —  Der  dritte  Abschnitt  bespricht  Eigentümlich- 
keiten im  Gebrauch  der  Präpositionen  sub,  per,  circa,  in  (in  bild- 
licher (?)  Bedeutung  V  2),  apud,  trans,  ad  und  namentlich  der  Präpo- 
sition de,  die  einen  fast  unbestimmten  Inhalt  angenommen  und  darum 
im  gröfsten  Umfange  verwandt  werden  kann.  Die  Declamationen  bieten 
bereits  ziemlich  zahlreiche  Beispiele  von  de  c.  abl.  statt  eines  gen.  part. 
Auch  die  Umschreibung  nichtpartitiver  Genetivi  kommt  so  vor  V  13.  14, 


Declamationes.  63 

X  2,  XV  6.  Interessant  ist,  dafs  wir  ein  Analogon  zu  dem  französischen 
ä  force  de  vielleicht  schon  in  dieser  Sammlung  in  dem  viribus  zu  suchen 
haben,  z.  B.  XV  14  sane  tarnen  viribus  potionis  effectum  sit.  —  »Svn- 
tactische  Bemerkungen  zur  Satzlehre«  ist  der  vierte  Abschnitt 
überschrieben.  Indem  der  Verfasser  die  überaus  häufige  Vernachlässi- 
gung der  oratio  obliqua  nach  verbis  sentiendi  et  declarandi,  die  häufige 
Anwendung  des  Indicatives  in  indirecten  Fragen  nur  streift,  weil  diese 
Erscheinungen  alle  zur  vulgären  Sprache  hinneigeuden  Schriftwerke 
kennzeichnen,  geht  er  zu  quod  nach  verbis  sent.  et  decl.  über,  führt  dann 
Wendungen  mit  ut  auf,  wo  die  klassische  Sprache  den  acc  c.  inf.  hat, 
z.  B.  incredibile  est  (II  8.  10.  11.  19)  credibile  est  (IV  8),  spero  (IV  4) 
persevero  ut  (IX  2)  und  schliefst  diesen  Teil  mit  den  Verbis,  die  mit 
dem  Inf.  verbunden  sind:  capto,  laboro,  affecto,  valeo,  sufficio,  sustineo, 
scio,  adigor,  festino,  contemno,  horreo.  —  Im  Schlufsabschnitt  werden 
einige  eigentümliche  Ausdrücke  und  Redensarten  hervorgeho- 
ben, welche  den  absonderlichen  und  stark  vulgären  Charakter  der  Sprache 
dieser  Declamationen  noch  mehr  hervortreten  lassen ,  z.  B.  accidentia 
(neutr.  plur.)  Unfall,  ein  Vorläufer  des  französischen  accident  (IV  11  n. 
sonst),  figuratio  =  Einbildung  (VI  4  u.  s.)  figura  tibi  =  figure  toi 
(XII  7),  frons  =  äufserer  Schein  (VIII  1  u.  s.),  genus  =  modus  (XI  3 
u.  s.),  Phrasen  mit  habere  und  facere,  wo  die  classische  Sprache  sich 
mit  einem  einfachen  Verbum  oder  Adjectivum  begnügt  hätte,  z.  B.  XVII 
20  non  habet  gratiam  suam  toties  genua  complecti,  exitum  facere  = 
verenden,  das  Leben  beschliefsen  (IV  22  u.  a.),  häufig  invidiam  facere 
alicui  und  contumeliam  facere  alicui  (V  8),  totus  in  Verbindung  mit  ver- 
schiedenen Substantivis,  wenn  gesagt  werden  soll,  dafs  etwas  im  gestei- 
gerten, vollen  Mai'se  oder  mit  dem  gröfstmöglichen  Kraftaufwand  ge- 
schieht, z.  B.  tota  velocitate  grassari  (XIV  6),  cf.  de  toute  force,  de 
tout  mon  cceur,  ferner  in  honorem  =  aus  Rücksicht  auf  II  1  und  end- 
lich beneficio  =  durch  Vermittelung,  Hilfe,  selbst  mit  schlimmen  Dingen 
zusammengestellt,  z.  B.  I  1  parricidium  non  fecisso  videatur  beneficio 
caecitatis.  Die  vorstehenden  Beobachtungen  sind  dem  Verfasser  und  — 
uns  Grund  genug  die  19  Declamationen  in  die  Nähe  des  dritten  Jahr- 
hunderts hinabzurücken,  v.  Morawskis  Bemerkungen  sind  wirklich  gut, 
auch  deshalb,  weil  sie  die  sprachlichen  Erscheinungen  nicht  ein/ein  für 
sich  betrachten,  sondern  im  Zusammenhang  der  Entwickelung  dos  latei- 
nischen. Idioms  zu  verstehen  suchen.  Nur  verläfst  mich  über  den  Be- 
merkungen ein  Gefühl  der  Unsicherheit  nicht.  Avelclus  ;ms  der  Unsicher- 
heit des  Textes  fiiefst.  "Wenn  es  I  4  criminum  tumultus  heifst,  so  weifs 
ich  nicht,  ob  nicht  etwa  criminum  cumulum  zu  lesen  i>t.  freilich  spricht 
XVII  9  dagegen  —  und  wenn  V  16  vineulis  instringere  aherlieferl  wird, 
so  schwanke  ich,  ob  nicht  stringere  zu  emendieren  ist.  Bekanntlich  nichts 
häufiger  in  den  Handschriften  ;ils  der  Vorschlag  eines  i  vor  st,  bc,  sp 
u.  a.  cf.  quaest.  S.  21.    I>as  Bild  im  ganzen  wird  ja  nicht  geändert,  jeden- 


64  Quintilian. 

falls  \-\  aber  Vorsicht  geboten,  damit   man   nicht  den  Verfassern   in  die 
Schuhe  schiebe,  was  <i»-n  Abschreibern  zur  Last  fallt. 

Kinen  ähnlichen  Gedanken  Bpricht  aus 

61.  [sidor  Bilberg,  Zur  pseudo-quintilianischen  Declamatio 
IIIh.  Zeitschr.  f.  österr.  Gymn.  32.  Jahrg.  1881.  12.  Hefl  B.  906,  wo 
zugleich  III1'  cap.  *'■  statt  his  inductus  miles  illecebris  et  avaritiae  -nuf 
nihilo  minus  illaqueatus  düciplina  (cf.  Ritter:  Decl.  S.  ~j.:>)  schön  emendierl 
wird  •  •     decipula. 

52.  Felix  Zverina,  Aus  den  sogenannten  quintilianischen  De- 
clamationen  -  Archiv  für  das  Studium  der  neueren  Sprachen  LXX.  Band, 
a.  und  4.  Heft  1883  S.  351-354  begleitet  die  Bemerkungen  v.  Mo- 
rawskis  mit  Parallelen  aus  dem  Französischen  und  Italienischen.  Zum 
Teil  hatte  v.  Morawski  selbst  schon  die  romanischen  Anklänge  ange- 
deutet Zverina  ergänzt  ihn:  infinitus.  cum  suo  sibi  scelere,  bene  und 
multum  beim  Positiv,  plus  und  magis  beim  Comparativ,  in  comparatione, 
parricidam  nou  videt  per  virum  fortem,  cura  circa  reum,  de  zur  Bezeich- 
nung des  Stoffes  und  zur  Umschreibung  des  Genitivs.  viribus,  aeeidentia, 
sibi  figurare,  totus,  beneficio  werden  durch  die  Beleuchtung,  in  die  sie 
Zverina  rückt,  noch  verständlicher.  Übrigens  erinnert  Zverina  daran, 
dafs  der  Ausdruck  15,  14  toto  terrore  convenire  nicht  so  auffällig  ist, 
wie  v.  Morawski  S.  1 1  meint.  Aus  Georges,  aus  dem  Zverina  Cic.  Verr. 
2,  38  für  convenire  aliquo  beibringt,  hätte  er  notieren  sollen,  dafs  con- 
venire aliquem  ein  juristischer  term.  techn.  ist  =  jem.  gerichtlich  an- 
gehen, belangen.  Wölfflins  Vortrag  »Über  die  Latinität  des  Afrikaners 
Cassius  Felix«  (Sitzungsber.  d.  bayr.  Akad.  d.  Wissensch.  1880  I.  phil. 
bist.  Cl.  Bd.  I  4  S.  381 — 432)  würde  für  v.  Morawski  wie  Zverina  sehr 
instruktiv  gewesen  sein. 

53.  Coustantin  Ritter,  Die  Quintilianischen  Declamationen. 
Untersuchung  über  Art  und  Herkunft  derselben  Mit  zwei  Facsimile- 
Drucken  in  Holzschnitt  und  vier  Tabellen.  Freiburg  i.  B.  und  Tübingen 
1881.  Akademische  Verlagsbuchhandlung  von  J.  C.  B.  Mohr  (Paul  Sie- 
beck). XIV,  272  S.  8.  Rec:  Litt.  Centralbl.  No.  5  S.  158  u.  159  v. 
A.  E.;  Phil.  Auzeiger  No.  10.  11  S.  526  -  532  v.  F.  Meister;  Revue 
critique  No.  46  S.  384-387  v.  J.  Le  Coultre. 

Die  Quintilianischen  Declamationen  waren  bislang  so  gut  wie  eine 
terra  incognita.  Wurde  über  sie  ein  Urteil  abgegeben,  so  geschah  es 
nach  der  Weise  Teuffels  (Littg.  S.  653):  »Bei  den  unter  Quintilians 
Namen  erhaltenen  19  gröfseren  und  vollends  den  145  kleineren  decla- 
mationes  (den  Resten  einer  Sammlung  von  388  Stücken)  spricht  nichts 
für  ihre  Abfassung  durch  den  berühmten  Rhetor,  wohl  aber  ihre  Unbe- 
deutendheit dagegen.«  So  mufs  man  es  der  philosophischen  Fakultät  der 
Tübinger   Universität  Dank    wissen,    dafs    sie    durch  eine   Preisaufgabe 


Declamationes.  65 

die  erste  Anregung  zu  neuer  Untersuchung  dieser  Schriftwerke  gegeben. 
Ritters  Arbeit  über  den  Gegenstand  ist  mit  dem  Preise  gekrönt  worden. 
Das  war  ihm  ein  Antrieb,  was  unfertig  und  zweifelhaft  an  seiner  Unter- 
suchung schien,  zu  vollenden  und  sicherzustellen.  Das  Resultat  liegt  in 
dem  oben  genannten  Buche  vor,  das  sich  durch  schöne  Ausstattung  em- 
pfiehlt. Ob  auch  durch  den  Inhalt,  ist  eine  andere  Frage.  Mögen  sich 
aber  auch  die  Ergebnisse  als  höchst  zweifelhaft  herausstellen,  möge  die 
Untersuchung  lückenhaft  erscheinen,  der  Verfasser  schenkt  dem  spröden 
Gegenstand  einen  Fleifs  und  Ernst,  den  wirklich  »keine  Mühe  bleicheto, 
und  das  mufs  aufs  wärmste  anerkannt  werden.  Eine  wesentliche  För- 
derung in  seinen  Bemühungen  erfuhr  er  durch  den  immer  freundlich  teil- 
nehmenden Rat  seines  Lehrers  E.  Rohde1),  ihm  ist  das  Buch  gewidmet. 

I.  Abschnitt  ( S.  8  —  218)    Untersuchung    der    gröfseren  Declamationen. 

II.  Abschnitt  (S.  219  —  256)  Untersuchung  der  kleineren  Declamationen. 

III.  Abschnitt  (S.  257  —  270)  Wiederaufnahme  der  im  ersten  Abschnitt 
vorläufig  beantworteten  Frage  nach  den  Verfassern  der  grofsen  Decla- 
mationen. 

Durch  Verwendung  künstlicher  Kriterien  werden  zunächst  im  ersten 
Abschnitt  die  gröfseren  Declamationen  (bis  S.  184)  ohne  Rücksicht  auf 
Quintilians  inst,  or.,  bis  S.  203  mit  Rücksicht  auf  dieselbe  bezüglich  der 
elocutio,  inventio  und  dispositio  geprüft  und  mit  einander  verglichen. 
Das  Resultat  ist:  "Wenn  wir  III b  aufser  acht  lassen,  ein  Stück  wildester 
Barbarei,  das  übrigens  in  den  meisten  Handschriften  fehlt  und  im  besten 
Fall  etwa  dem  10.  Jahrhundert  angehört,  vielleicht  noch  um  ziemliche 
Zeit  später  anzusetzen  ist,  so  bilden  II,  IV,  V,  VII,  VIII,  XI,  XIV  bis 
XIX  eine  Gruppe  für  sieh  und  gehören  demselben  Verfasser  an,  ebenso 
III,  VI.  IX.  XII,  XIII,  dagegen  deck  I  und  ebenso  X  steht  vereinzelt  da. 
"Was  die  Gruppe  von  III  betrifft,  so  ergiebt  sich  auch  aus  der  Betrach- 
tung der  praktisch  in  der  institutio  gezeigten  inventio  und  dispositio 
Quintilians  kein  Gegengrund  gegen  die  Annahme,  dafs  er  der  Verfasser 
der  ihr  zugehörenden  Stücke  sei«  (S.  199).  Speziell  III  ist  den  andern 
Stücken  weil  überlegen  und  wäre  wirklich  eines  bedeutenden  Rhetors 
würdig.  Bei  der  elocutio  (S.  8    73)  kommen  drei  verschiedene  Mo- 

mente in  Betracht:  Correctheit,  Deutlichkeil  and  Redeschmuck.  So  an- 
erkennenswert es  ist,  dafs  Ritter  sieh  die  blühe  nicht  hat  verdriefsen 
lassen,  bei  jeder  einzelnen  Declamation  naeli  diesen  Kategorien  zu  fragen 
und  zu  richten,  so  wird  doch  der  subjektiven  Auffassung  auf  diese  Weise 
ein  breiter  Spielraum  gelassen.  Die  Begriffe  sind  zu  schwankend.  Was 
heifst  z.  B.  correct?  Der  eine  wird  dies,  der  andere  jenes  je  nach 
dem  stände  seiner  sprachlichen  Kenntnisse        dafür  erklären,    lud  dafs 


')  Die  Randbemerkungen  zu  Ritters  .Ms.  von  der  Hand  Rohdes  sind 
wörtlich  in  den  Zusammenhang  aufgenommen  und  durch  Anführungaseichea 
und  beigesetztes  (E    B  |  gekennzeichnet. 

•lahresbericht  för  Alterthumswissensobaft  LI.     ii^-1-:.  II.) 


ßß  Quintilian 

Ritters  Stärke  gerade  nach  dieser  Seite  hin  läge,  läfst  »ich  aach  den 
Proben  dieses  Buches  uichl  behaupten.  So  /■  B.  uimml  er  wiederholt 
Anstofs  an  dem  ausgedehnten  Gebrauch  der  Präposition  de  (cf.  8.  14,  28, 
::i  n.  ;i.i.  Er  meint,  dafs  wenn  et  auch  bei  guten  Schriftstellern  ver- 
einzell  vorkommen  möge,  dafs  diese  Präposition  gesetzt  Bei  an  Stellen, 
wo  man  eine  bestimmte  /  B.  accu  atrvische  Beziehung  oder  ein  deut- 
licher ausgeführtes  S;it/'_fln'<i  erwarten  sollte,  jedenfalls  die  Menj 
Beispiele,  in  denen  dies  sich  finde,  auffällig  sei.  Nun  ist  aber  grade 
der  Gebrauch  transitiver  Verba  mit  de  ätatt  des  Objectes,  wenn  es  nicht 
seinem  ganzen  Umfange  aach  bezeichnet  werden  soll,  selbst  in  klassische! 
Sprache  durchaus  nicht  verpönt,  geradezu  häufig  bei  Caesar,  worüber 
Heynacher  zu  vergleichen  (Sprachgebr.  Caesars  im  bell,  C2  8.65  u.  f ). 
Blofs  kühne  Neuerungen  wann  zu  notieren.  Wenn  aber  Caesar  sagt: 
postulare  de  B.  G.  I  42,  1,  significare  de  VII  26,  4  u.  a.,  impe- 
trare  de  IV  13,  5  u.  a.,  de  morte  res  in  suspicionem  venit  VI  19,  3. 
so  steht  das  durchaus  auf  gleicher  Stufe  wie  S.  43:  (Burm.)  de  Bcelere, 
in  quo  .  .  non  explicuit  ordinem  quaestionis,  S.  44  quae  postulaverat  de 
veneno,  S.  51  etiam  ut  de  parricidio  crediderit  novercae,  S.  53  qui  modo 
de  parricidio  suspicatus  est  u.  s  w.  Ȇbertreibend  ist  S.  40  (und  S.  39) 
nefas  gesetzt, a  sagt  Ritter  S.  19.  Indessen  decl.  II  quod  est  summum 
in  rebus  humanis  nefas  gleicht  ganz  und  gar  Quint.  IX  2,  80  quia  sum- 
mum nefas  suspicatus  de  uxore  videatur,  und  quem  sc.  adfectum  nefas 
est  optare  de  liberis  ist  durchaus  nicht  von  X  2,  4  verschieden  cf. 
Spalding.  nefas  est  =  paene  homini  inconcessum  (X  2,  26)  schon  Cic 
Timaeus  1,6.  —  decl.  II  S.  59  heifst  es  nefas  est  ut  reatus  iste  sen- 
tiat  debilitatis  adversa;  gewifs  auffällig,  wenn  auch  durchaus  rationell, 
wie  alle  andern  S.  14  aufgeführten  Verbindungen.  »Der  Fall,  das 
Faktum  wäre  ein  Unrecht«  cf.  Seyffert-Müller  Lael.  S.  85.  Wenn  aber 
Fütter  als  halbes  Analogon  Quint.  XI  3,  181  annimmt  neque  illud  tarnen 
est  nefas  ut  aüquem  vel  omnia  vel  plura  deceant,  so  ist  das  falsch,  weil 
ut  epexegetisch  zu  illud  ist.  cf.  Cic  de  fin.  II  33,  108,  de  div.  II  31. 
66  u.  a.  —  Wie  kann  man  nur  im  Ernst  S.  6  ut  heredem  filium  scri- 
beret,  non  est  res,  quae  imputetur  =  quod  scripsit  setzen  und  mit  S.  9 
iungunt  his  multo  incredibiliora  ut  occiderit  zusammenbringen  wollen! 
Wie  kann  man  überhaupt  diese  Worte,  so  wie  sie  dastehen,  erklären 
wrollen!  s.  Ritter  S.  10.  Woher  denn  der  Conj.  Imperfecti?  Es  ist  keine  Frage, 
dafs  zu  interpungieren  ist:  neque  gravissimum  patrem  suprema  sua  iuveni 
iactasse  crediderim,  ut  heredem  filium  scriberet:  non  est  res  q.  i.  ut  (dafs 
nämlich)  ist  epexegetisch  zu  suprema  sua  und  iactasse  hat  das  Imperf. 
veranlafst.  Denselben  Mangel  an  Schärfe  der  Auffassung  in  grammati- 
schen Dingen  dokumentiert  die  Interpretation  von  S.  64  neque  illa  libido  fuit 
saltem  vitiis  usitata,  quae  .  .  .,  sed  quidam  perditus  contumeliae  amor 
ac  summa  flagitiorum  voluptas,  inquinare  honesta.  Welche  Ungeheuer- 
lichkeit den  Infinitiv  hier  als  Acc.  zu  fassen,  abhängig  von  voluptas  fuit 


Declamationes.  67 

=  cupivit!  s.  S.  21-  -22.  Das  unbestimmte  »es«  ist  Subj.,  illa  libido,  amor, 
voluptas  fuit  sind  Prädikate,  der  Inf.  nimmt  das  Subj.  erklärend  auf.  —Wenn 
das  Substantiv  von  dem  Adjectiv  durch  ein  anderes  "Wort  getrennt  ist. 
z.  B.  S.  12  inter  sacronun  infinita  nominum  pignora  cf.  S.  10-  16.  36  u.  a., 
so  macht  Ritter  die  Anmerkung,  dafs  er  dafür  in  Gründen  des  Wohl- 
lautes eine  Erklärung  nicht  zu  finden  vermag.  Aber  wie,  wenn  schon 
Quintilian,  der  Gewohnheit  der  Dichter  folgend,  dies  durchaus  nicht  ver- 
schmäht hat?  cf.  X  1.  122  magnam  eos  qui  nunc  vigent,  materiam  vere 
laudandi.  Dafs  at  beim  Einwand,  nisi  forte,  porro,  tandem  (in  der  Frage), 
steigerndes  etiam,  id  est  oder  hoc  est,  non  dico,  atqui,  alioqui  (cf.  Rib- 
beck: Part.  S.  20),  hercle  (im  Unterschied  von  hercule,  nie  hercle  und 
nie  hercule  cf.  Neue  II  S.  814—816)  keine  charakteristische  Eigenheiten 
sind,  versteht  sich  von  selbst.  Ritter  führt  sie  S.  60  u.  61  als  solche 
auf  Nun  gar  aber  was  bringt  er  alles  bei  der  Yergleichung  an  Ähn- 
lichkeiten zwischen  den  einzelnen  Declamationen.  man  traut  manchmal 
seinen  Augen  kaum.  Das  reiche  Material,  das  Meister  Phil.  Anz.  XII 
S.  528  u.  529  in  dieser  Beziehung  zusammengestellt  hat,  liefse  sich  leicht 
vermehren,  cf.  Trabandt  S.  27.  —  S.  79—181  werden  die  gröfseren 
Declamationen  genau  analysiert  nach  prooemium,  narratio,  argumentatio. 
refutatio  and  peroratio,  um  daraus  den  Wert  der  inventio  und  dispositio 
/.a  bestimmen  und  daran  eine  Yergleichung  der  übrigen  Stücke  zu  fügen. 
Hier  zeigt  sich  der  Fleifs  des  Verfassers  in  hellstem  Lichte;  jeder,  der 
sich  fortan  mit  den  Declamationen  beschäftigt,  wird  es  ihm  danken,  dafs 
diese  Arbeit  gethan  i-t.  Dagegen  fehlt  es  dem  Abschnitt  (S.  186  —  198), 
wo  die  elocutio  Quintilians  zum  Vergleich  herangezogen  wird,  durchaus 
an  dem  nötigen  Unterbau.  Gäbe  es  für  Quintilian  Zusammenstellungen. 
wie  sie  Lupus  zu  Cornel  oder  Draeger  zu  Tacitus  geliefert,  so  wäre 
lütter  sicherlich  auf  ganz  andere  Kategorien  geführt  worden,  auch  auf 
charakteristische  Einzelheiten.  Wie  steht  es  z.  B.  mit  band,  «'tu,  tru- 
stra,  frustra  est,  -i  morior  exe.  17  f.  incassum1),  nempe  enim,  satis  abunde- 
que,  equidem,  cf.  modo  —  repente  (S.  181.  22  Ritter),  alias  —  alias  iS.  432, 
13)  u.  s.  w.  Wir  verlangen  heute  die  Darstellung  der  schriftstellerischen 
Individualität  eines  Autors,  wie  sie  sich  aus  der  bis  ins  kleinste  Detail 
gehenden  Untersuchung  des  gesainten  Sprachgebrauchs  eruieren  läfst 
Mit  mehr  oder  weniger  allgemeinen  Bemerkungen  ist  uns  nicht  geholfen, 
liier  ist  Doch  unendlich  viel  zu  thun.  Bonqells  Prolegomena  de  graAma- 
tiea  Quintilianea  sind  nur  Vorarbeit  -  Besser  gefällt  der  Vergleich 
bezüglich  der  inventio  und  dispositio  (8.  198  204).  —  Nachdem  der 
äer  au-  der  ganzen  Vergleichuns  nach  ihren  verschiedenen  Punk- 


l)   »Quintilian  erkennt  den  Ausdruck   nicht   an:  die  Stelle  in   den 
Deklamationen  l,  4  homo   ferrnm  missurua  incassum  (in  casum  codd.)  kann 
also   nur   g(  gen  die  Urheberschaft  des  grofsen  Rh(  ad  gemacht  wer- 

den.«    Weithin  im  Archiv  f.  tat  Lexikographie  11  S,  l<'>. 


68  Qnintilian. 

ten  die  Summe  gezogen  (8.203),  dafs  nämlich  II.  IV.  V,  VII,  VIII,  XI. 
XIV— XIX  and  X  jedenfalls  nicht,  I  Kaum  von  Quintilian  Bind,  dafs  da- 
gegen  decl.  III.  VI,  IX.  XII,  XIII  in  entschiedenem  Zusammenhange  mit 
Quintilian  stehen  and  ein  innerlicher  Grund  gegen  dessen  Autorschaft 
Für  diese  Stücke  nicht  vorliegt,  gehl  er  S.  204  zur  Verwendung  der  an- 
künstlichen Kriterien  d.  h.  za  den  Bandschriften  über,  die  wenigstens 
zum  gröfsten  Teil  —  die  ganze  Sammlung  dem  Quintilian  zuschreiben. 
Die  ältesten  dieser  Handschriften  führen  ans  bis  ins  zehnte  Jahrhunderl 
zurück,  aber  ooeh  für  weit  frühere  Zeil  gewinnen  wir  ein  vermitteltes 
Zeugnis  aus  einer  Subscription  im  Bambergensis *■}  und  im  Parisinus 
i(')230,  durch  die  wir  bis  in  das  letzte  Drittel  oder  die  Mitte  des  vier- 
ten Jahrhunderts  gelangen  und  schliefsen  können,  dafs  um  jene  /.fit  ein 
Gelehrter,  mindestens  die  Mehrzahl  der  19  Stücke,  wahrscheinlich  die 
ganze  Sammlung  für  echt  quintilianisch  hielt.  Weitere  bestimmte  Zeug- 
nisse, die  sich  auf  einzelne  Stinke  uuserer  Sammlung  beziehen,  finden 
sich  bei  Hieronymus,  Ennodius,  in  einem  Lucanscholion,  noch  ändert 
Oitate  lassen  sich  im  Original  nicht  mehr  nachweisen.  Die  früheste, 
aber  ganz  allgemein  gehaltene  Erwähnung  von  Declamationen  Quinti- 
lians  ist  die  bei  Trebellius  Pollio  XXX  tyr.  IV,  2  also  ums  Jahr  300, 
aus  der  wir  zugleich  ersehen,  dafs  die  Controversien  eines  l'ostumus 
iunior  »Quintiliano  dicantur  insertae.«  Aus  dieser  Thatsache  uud  aus 
der  Angabe  (des  Casellius),  dafs  einige  Handschriften  nicht  den  Quinti- 
lian, sondern  einen  M.  Florus  als  Verfasser  nennen,  möchte  Ritter 
schliefsen,  dafs  während  Gruppe  III  dem  Quintilian  zuzueignen,  Gruppe  II 
dem  Florus  und  I,  X  oder  eine  derselben  dem  Postumus  angehöre.  Das 
heifst  nun  freilich  mit  andern  Worten:  Man  giebt  dem  Kind  einen  Namen 
und  läfst  es  laufen.  — 

In  der  Untersuchung  der  kleineren  Declamationen  (II.  Abschnitt 
S.  219  —  256)  ist  neu  die  Gegenüberstellung  vieler  Stellen  des  7.  Buches 
der  inst,  or.,  worüber  bei  Trabandt;  sonst  dieselbe  Art  der  Beweis- 
führung, dieselbe  Art  der  Vergleichuug  nach  elocutio,  inventio  und  dis- 
positio,  dieselbe  Unverdrossenheit  der  Forschung  —  aber  auch  dieselbe 
unerhörte  Kühnheit  in  der  Schlufsfolgerung.  Die  kleineren  Declama- 
tionen rühren  sämtlich  von  Quintilian  her,  aber  sie  sind  nicht  von  Quin- 
tilian herausgegeben,  nicht  zur  Herausgabe  bestimmt,  nicht  einmal  von 
ihm  selbst  aufgezeichnet,  sondern  von  Schülern  nachgeschrieben,  sie  sind 
wahrscheinlich  vor  der  inst,  veröffentlicht,  und  »es  ist  ziemlich  sicher: 
die  und  erhaltenen  145  kleinen  Declamationen  sind  der  Rest  jenes  auf 
Quintilian  zurückgehenden  und  von  seinen  Schülern  herausgegebenen 
gröfseren  über  artis  rhetoricae«.    S.  256.    Dafs  es  ein  bestimmtes  äufseres 


!)  Meister  teilt  a.  a.  0.  mit,  dafs  die  Übereinstimmung  zwischen  beiden 
Codices  noch  gröfser  ist  als  es  nach  Ritters  Angabe  den  Anschein  hat,  inso- 
fern als  auch  im  Bamb.   feliciter  nach  hieri  nicht  fehlt. 


Declamationes.  69 

Zeugnis  für  die  Autorschaft  Quiutilians  —  aufser  der  handschriftlichen 
Bezeugung  durch  den  Montepessulanus  126,  saec.  X  —  nicht  giebt,  will 
angesichts  der  Sicherheit,  mit  der  diese  Resultate  vorgetragen  werden, 
schlechterdings  nichts  besagen.  — 

Der  III.  Abschnitt  stufst  die  Schlufsfolgerung  des  I.  um,  indem 
er  auf  Grund  einer  Vergleichung  der  kleineren  Declamationen  mit 
Gruppe  III  darthut,  dafs  jene  5  Stücke  nicht  zu  dem  liber  artis  rheto- 
ricae  (cf.  inst.  or.  I  pr.  7)  gehören,  überhaupt  dem  Quintilian  abge- 
sprochen und  einem  unmittelbaren  Schüler  desselben  —  in  der  Zeit  zwi- 
schen Quintilian  und  Septimius  Severus  lebend  —  zugesprochen  werden 
müssen.  Gruppe  II  ist  später  anzusetzen.  Möglich  dafs  die  Stücke 
noch  vor  Hadrian  verfafst  sind,  möglich  aber  auch,  dafs  sie  noch  weiter 
herabzurücken  sind,  bis  zum  Schluss  des  III.  Jahrhunderts.  Das  letz- 
tere gilt  auch  von  X,  decl.  I  scheint  früher  als  deck  II  verfafst  zu 
sein.  —  Nach  Druckfehlern  braucht  man  nicht  lange  zu  suchen,  sie 
linden  sich  in  allen  Schattierungen.  Störend  sind  besonders  falsche  Citate 
wie  S.  267  Quint.  inst.  IX  3,  13  statt  X  3,  13  oder  falsche  Namen  wie 
Arodius  S.  272  statt  Aerodius. 

54.  v.  Morawski,  »Zu  lateinischen  Schriftstellern«,  "Wiener  Studien, 
4.  Jahrgang  1882.  1  Heft.  S.  166-167,  Xo.  II  weist  aus  Tacitus  An- 
nalen  nach,  dafs  wenn  die  Declamationen  der  römischen  Kaiserzeit  von 
Liebes-  und  Hafselixieren  überströmen,  das  nicht  blofs  Ergüsse  einer 
verwilderten  Phantasie  sind,  sondern  dafs  die  schauerlichsten  und  widrig- 
sten Vergehen  in  den  Criminalacten  der  Epoche,  jenes  corruptissimum 
saeculum,  wie  es  Tacitus  gebrandmarkt,  einen  realen  Hintergrund  hatten. 
Der  saubere  Plautius  Silvanus  ann.  IV  22  erwürgte  seine  Gattin  in  der 
Nacht  und  gab  dann  vor  fest  geschlafen  zu  haben.  Spater  prior  oxor 
eius  accusata  iniecisse  carminibus  et  veneficiis  vecordiam  marito  cf. 
Pseudoquint.  Decl.  14  und  15.  Die  rumores  über  Sejanus,  Tiberius 
und  den  ermordeten  Drusus,  welche  nach  dessen  Tod  in  den  Strafsen 
Roms  im  Umlauf  waren  (ann.  IV  10),  haben  in  den  Declamationen  einen 
Nachhall  gefunden,  wo  ein  Sohn  vom  eigenen  Vater  bei  Zubereitung 
des  für  diu  Vater  bestimmten  Gifttrankes  ertappt  wird.  (cf.  decl.  17  > 
Die  Gerichtsrede  bei  Tacitus  ann.  XIV  44  endlich  hat  mit  der  ersten 
Deck,  namentlich  c.  3.  einige  Berührungspunkte. 

55.  A.  Traband  t .  De  minoribus  quae  sub nomine Quintilianiferuntur 
declamationibus.  Greifswalder  Doctordissertation.  1883.  Typis  V.  u. 
Kunike.    8.    42  s. 

Trabandt  lieht  gegen  Kitter,  der  ihm  die  besten  Watten  selbst  in 
die  Hand  giebt.  I  (S.  2—16).  Ritter  sagt  ?on  den  gröTseren  Declama- 
tionen s.  216  »Es  ist  ganz  gewifs:  wenn  diese  Stücke  von  Quintilian 
herrühren  und  vor  der  Herausgabe  der  instit.  bekannt  waren,  so  mufsten 


70  Quintilian 

sie  in  derselben  Erwähnung  finden«  und  von  den  kleineren  8.  2 
«Wenn  die  Sammlung  vor  der  inst,  veröffentlichl  ist,  so  isl  auch  hier 
^,;inz  bestimm  1  zu  erwarten,  dafs  ihrer  Erwähnung  geschieht«,  i 
zweifelhaft  richtig.  Sie  werden  nicht  erwähnt.  Also?  Aber  sie  können 
unter  einem  anderen  Namen  verborgen  Bein.  Zufällig  oder  absichtlich? 
Zu  beidem  liegl  absolut  kein  Grund  vor.  Angenommen  jedoch,  das 
wäre  möglich,  so  müTsten  jene  Stellen  I  pr.  7;  III  6,  68,  auf  die  sich 
Ritter  beruft,  dies  klar  und  plan  ausdrücken.  Grade  das  Gegenteil  ist 
der  Fall.  1.  Der  I  pr.  7  erwähnte  Titel  libri  artis  rhetoricae  pa 
nicht.  2.  Es  ist  unmöglich,  dafs  Schiller  ein  Werk  von  solchem  Um- 
fang1) in  verhältnismäfsig  so  kurzer  Zeit  nachschrieben.  3.  Eine  Er- 
wägung des  Zusammenhanges  von  I  pr.  7  wo  der  Rhetor  durchaus 
kein  Verstecken  spielt  •  ergieht,  dafs  in  jenen  libri  nicht  declama- 
tiones,  sondern  praccepta  de  arte  rhetorica  enthalten  gewesen  Und 
III  6,  68  coli.  65  bestätigt  dies.  Wie  konnte  nur  Ritter  auf  den  I 
danken  kommen  dem  sermo  I  pr.  7;  III  6,  68  die  sermones,  welche  den 
Declamationen  vorangestellt  sind,  gleichzusetzen!  Also:  im  Qnintilian 
selbst  steht  keine  Silbe,  dafs  diese  Declamationen  von  ihm  verfafst  sind. 
Aber  weiter.  Quint.  spricht  IX  2,  90  über  das  Thema :  raptor  nisi  intra 
tricesimum  diem  et  raptae  patrem  et  suum  exoraverit,  pereat:  qui  exo- 
rato  raptae  patre  suum  non  exorat,  agit  cum  eo  dementiae.  Dasselbe 
Thema  wird  von  Seneca  II  3  und  deck  349  behandelt.  Ist  es  denkbar, 
wenn  die  Declamationen  von  Quintilian  waren  und  zwar  vor  der  in^t. 
veröffentlicht,  dafs  sich  dieser,  um  die  Befolgung  seiner  praecepta  zu 
illustrieren,  auf  Latro  und  Gallio  a.  a.  0.  berufen  und  nicht  auf  sich 
selbst?  Umgekehrt  —  wenn  die  Declamationen  nach  der  inst  ver- 
öffentlicht waren,  sollte  der  Verfasser  nicht  in  dem  sermo  auf  die  inst, 
zurückgekommen  sein?  Weder  das  eine  noch  das  andere  ist  der  Fall: 
putabimusne  ullum  vinculum  cognationis  inter  auctores  utriusque  operis 
esse?  fragt  Trabandt.  Nein!  würde  die  Antwort  selbst  dann  lauten, 
wenn  Trabandt  nicht  noch  mehrere  Beispiele  namentlich  aus  dem 
VII.  Buche  beibrächte ,  wo  wir  eine  Bezugnahme  auf  die  decll.  oder 
andere  aus  ihnen  entlehnte  exempla  entschieden  erwarten.  Uebrigens 
verachtete  Quintilian  das  modische  Declamatorentum  mit  seinen  leeren, 
der  Wirklichkeit  entfremdeten  Uebungen  aufs  gründlichste.  (Siehe  na- 
mentlich V  12,  17.)  Und  derselbe  Mann  sollte  die  gleichen  Sünden, 
die  er  in  den  bittersten  Ausdrücken  geifselt,  selbst  auf  sein  Gewissen 
geladen  haben? 

II  S.  16- -32.     Wenn  Ritter  unter  teilweiser  Berufung  auf  Paral- 


*)  Meister  (Piniol.  Anzeiger  XVI  S.  126)  rechnet  mehr  als  1000  Seiten 
oder  25000—30000  Zeilen  für  das  ganze -Werk  heraus,  weun  die  uns  erhal- 
tenen Declamationen  441  Druckseiten  bei  Ritter  füllen.  Das  soll  Quintilian 
seinen  Schülern  innerhalb  weniger  Tage  vorgetragen  haben?! 


Declamationes.  71 

lelen  des  Aerodius  aus  der  Ähnlichkeit  der  Themen.  Stoffe  und  Behand- 
lungsweise  einen  Schlafs  auf  die  Autorschaft  des  Quintilian  machen  zu 
können  meint,  so  ist  das  mehr  als  gewagt.  Trabandt  weist  gleiche  Ueber- 
einstimmung  z.  B.  mit  Seneca,  Cicero,  Cornificius  nach,  so  dafs  von 
einem  ausschliefslichen  geistigen  Eigentum  des  Quintilian  nicht  die  Bede 
sein  kann.  Solche  Fragen  lagen  so  zu  sagen  in  der  Luft,  wer  sich  mit 
ihnen  abgab,  wurde  auch  wohl  häufig  genug  auf  dieselben  oder  ähnliche 
Gedanken  geführt.  Lehrreich  hierfür  namentlich  S.  24  die  Gegenüber- 
stellung von  inst.  VII  4,  37  mit  Seneca.  Dafs  übrigens  Bitter  weit  über 
das  Ziel  hinausgeschossen  und  Ähnlichkeiten  gesehen,  wo  ein  vorurteils- 
freier Blick  nimmer  welche  entdeckt,  dafs  ferner  Themata  in  den  De- 
clamationen  behandelt  werden,  die  Quintilian  direkt  verwirft,  und  dafs 
He  Behandlung  an  manchen  Orten  doch  nicht  so  ganz  dieselbe  ist, 
die  wir  an  dem  grofsen  Ehetor  gewohnt  sind,  wie  uus  Bitter  glauben 
machen  will,  das  nachzuweisen  bildet  den  Schlufs  dieses  interessanten 
Kapitels. 

III  (S.  32  —  42)  Jemand  hat  sich  das  Vergnügen  gemacht  die  De- 
clamationen  nach  Willkür  zu  kürzen  und  zwar  je  näher  dem  Schlüsse,  um 
so  mehr;  die  letzte  scheint  intakt,  ebenso  260,  267,  321.  Ob  dasselbe  mit  den 
sermones  geschehen,  läfst  sich  nicht  entscheiden,  nur  261  und  316  scheinen 
unter  der  Hand  eines  Excerptors  gelitten  zu  haben.  Sermones  una  cum  de- 
clamationibus  conscripti  sunt  (die.  Ausnahmen),  ex  schola  originem 
duxerunt  hae  declamationes,  hoc  corpus  non  uuo  tempore  exstitit  quäle 
nunc  habemus,  sed  paullatim  ita  ut  alius  alius  operi  adderet  dum  corpus 
nobis  traditum  confectum  est,  hae  declamationes  altcri  parti  primi  p.  Chr. 
natum  saeculi  ascribi  possunt  —  diese  Sätze  wollen  nicht  mehr  sein  als 
Hypothesen.  Dem  positiven  Besultate  der  ganzen  Arbeit  geschieht  da- 
durch kein  Abbruch:  Bitter  ist  geschlagen,  das  Facit  ist  mit  Dank  zu 
buchen. 

Um  so  mehr  sind  die  formellen  Gebrechen  zu  bedauern.  Dafs 
sich  hier  und  da  kleine  Druckfehler  finden,  fällt  nicht  schwer  in-  Ge- 
wicht. Warum  ist  aber  nicht  Halme  Ausgabe  der  inst,  zu  Grande  ge- 
legt? Verhängnisvoll  ist  das  VII  i,  58  (S.  Li),  wo  die  richtige  Lesart 
rusticus  statt  scholasticus  der  ganzen  Stelle  die  beweisende  Kraft  nimmt. 
Überhaupt  sind  die  Citate  mit  wunderbarer  Sorglosigkeit  behandelt  bald 
werden  Worte  verändert  /.  li.  s.  <i.  bald  werden  welche  ausgelassen 
/.  I!.  S.  li  in  quantum  maxirm  potest,  S.  12  in  scholis  rh  ■■■■  dieuntur, 
bald  fehlen  die  Kapitel  und  Paragraphen  S.  11:  II  5,  1 1 ;  S  12:  II  LO, 
l  ii.  a.  —  Das  Latein  der  Arbeil  müfste  korrekter  -ein  s.  2  disertis 
verbis  ist  unlateinisch  cf.  Naegelsbach-Müller:  Stil7  s.  27;?.  s.  ii.  88 
dubitare  Dum  i-t  unklassisch  cf.  Schmalz  in  Krebs  Antil>  S  IS2,  mehr 
aN  unklassisch  isl  S.  15  decernitur  num  opus  quoddam  auetori  cuidam 
tribuendum  sil    uecne  und  S.  :;7   -i   hie  particula    quoque1  non  prorsus 


72  Quintilian. 

'•ii  m  ca  -'""  est:  quae  eiusmodi  sunt  at  nemini imponant  wttrde  der  Ver- 
i.i    er    agen  cf.  8.  27. 

56.  M.  Fabii  Quintiliani  declamationes  quae  jupersunl  CXLV. 
Recensuil  Constantinus  Ritter.  Lipsiae  in  aedibua  \'>-  <>•  Teubneri 
L884.     XXXII   and  524  8.     8°. 

Rec:  Deutsche  Litteraturzeitung  No.  8  S.  266  —  267  v.  II.  .1. 
Müller;  Blätter  f.  bayr.  Gymn.  XXI  7.  8  S.  419-420  \.  br. 

Der  Titel  erweckt  Bedenken.  Der  Herausgeber  ächeinl  jelb 
schwankt  zu  haben,  welchen  er  wählen  sollte.  Zuerst  bol  sich  divisionea  1 1 
parenchireses  ihn-  aus  der  Überschrift  der  inst.  II  6,  wo  Quintilian  die  beson- 
dere Art  unserer  declamationes  wohl  im  Auge  ,ur<'h;ilii  haben  könnte.  Allein 
da  diese  Überschriften  nicht  echt  sind  »et  ah  Haimio  e  contextu  verborum 
in  apparatum  removeantur«  S-  V,  so  war  von  diesem  Titel  Abstand  zu 
nehmen.  »Magis  probabile  illud,  ut  artis  rhetoricae  titulum  demus.« 
Nach  der  Theorie  des  Herausgebers  durchaus  richtig,  denn  er  sieht  eben  in 
diesen  Declamationen  die  Fragmente  jenes  inst.  I  7  8  erwähnten  Buches. 
Aber  nun  seiner  kritischen  Ausgabe  diese  Aufschrift  zu  geben  konnte 
er  sich  doch  nicht  entschliefsen.  Vielmehr  läfst  er  es  beim  Alten  und 
schreibt  declamationes,  nur  dafs  er  minores  oder  quae  putantur  streicht. 
Nun  braucht  man  freilich  kein  Prophet  zu  sein,  um  zu  sagen,  dafs  ein 
zukünftiger  editor  diese  Worte  wieder  in  ihr  Recht  einsetzen  wird,  denn 
so  fest  auch  Ritter  von  der  Richtigkeit  seiner  Ausführungen  und  von 
der  Unumstöfslichkeit  seiner  Resultate  überzeugt  sein  mag  -  docui  enim 
et  demonstravi  esse  haec  Quintilianea  sagt  er  S.  V  -  kein  Orakel  fand 
allzeit  Glauben,  und  besonders  in  unseren  aufgeklärten  Tagen  wird  Ritter 
die  trübe  Erfahrung  nicht  erspart  bleiben,  dafs  die  Menschen  der  Skepsis 
eines  Faust  verfallen:  Die  Botschaft  hör'  ich  wohl,  allein  mir  fehlt  der 
Glaube.  Indessen  —  da  der  Titel  die  Consequenz  des  principiellen 
Standpunktes  ist,  so  wollen  wir  nicht  weiter  mit  Fingern  auf  ihn  zeigen. 
Wichtiger  ist  es  zu  konstatieren,  dafs  wir  es  nicht  mit  einer  vollkommen 
durchgearbeiteten  Ausgabe  zu  thun  haben.  Welch  ein  Abstand  z.  B. 
zwischen  Meisters  Quintilian  und  diesem  Buche.  Dort  für  650  Seiten 
kaum  \l/2  Seiten  Addenda  et  Corrigenda,  hier  für  514  Seiten  8  Seiten 
Corrigenda  und  über  zwei  Seiten  Addenda  (handschriftliche  Nachträge 
namentlich  aus  A.)  »Non  sine  pudore  percensens  quae  scripsi  cognovi 
tot  vitia,  postquam  inrepserunt,  non  habeo  quod  melius  faciam,  quam 
ut  nullum  celem«  S.  515.  null  um?  praef.  XXV  Anm.  steht  «um  für  cum, 
S.  45,  22  scilicit  statt  —  et,  S.  45,  35  fortiore  pro  nobis  sacramento,  pro- 
niore  animo  stabunt  (corr.  Seh.)  statt  proniore  pro  nobis  animo,  fortiore 
sacramento  stabunt,  S.  86  <me>  reum  Seh.  statt  reum  <me>,  S.  102  adn. 
er.  [paenitentiae]  affectum  statt  affectum  [paenitentiae],  S.  339  adn.  er. 
cfs.  341,  11  statt  cf.  341,  12,  S.  377  adn.  er.  proximo  AB  statt  proxüno 
AB  corr.  Gr.  (sc  proxima,   wie  im  Text  steht)   u.  s.  w.     Nur  Proben 


Declamationes.  73 

wollte  ich  geben,  um  zu  beweisen,  dafs  dem  Buche  die  letzte  Feile  fehlt. 
Unfertiges  aber  zu  Markt  zu  bringen,  nur  um  die  Herausgabe  nicht  zu 
verzögern,  statt  die  Herausgabe  zu  verzögern  und  nach  Kräften  Fertiges 
zu  liefern  ist  eine  Art  und  Weise,  von  der  bekanntlich  schon  Horaz 
nichts  wissen  wollte.  Freilich  ist  der  Stoff  spröde,  rauh,  unerquicklich: 
dafs  der  Herausgeber  ihm  trotzdem  Zeit  und  Kräfte  jahrelang  gewidmet, 
soll  ihm  unvergessen  sein,  aber  wenn  schon  —  denn  schon,  er  mufste 
bis  zum  letzten  Moment  ausharren.  Auch  hätte  ich  gewünscht,  dafs  er 
sich  z.  B.  mit  Trabandt  auseinandergesetzt.  Oder  soll  S.  V  eine  Ab- 
schlagszablung  für  die  Gegner  sein?  Die  wäre  dann  allerdings  sehr 
billig  ausgefallen. 

Hauptcodex  für  die  kleineren  Declamationen  ist  ein  Montepessu- 
lanus  aus  dem  X.  Jahrhundert  (A),  von  Ritter  im  September  1880  selbst 
verglichen.  Als  er  diese  Collation  für  die  Constituierung  des  Textes 
nutzbar  machen  wollte,  erschien  ihm  manches  zweifelhaft,  so  dafs  er  ge- 
zwungen war  M.  Bonnet  um  Hülfe  und  Nachprüfung  anzugehen.  Ob 
also  die  Ausbeute  der  Handschrift  für  die  Kritik  erschöpft  ist,  das  ist 
zweifelhaft.  Ja,  wenn  man  liest,  was  K.  Schenkl  Wochenschrift  f.  klass. 
Piniol.  1886  No.  3  S.  73-78  über  seine  kontrolierende  Nachvergleichung 
mitteilt,  so  mufs  man  das  entschieden  verneinen  und  mit  Schenkl  den 
Wunsch  einer  nochmaligen  Collation  des  Montepessulanus  aussprechen. 
Bursians  ungenaue  Beschreibung  des  codex  ist  wiederholt.  »Auch  das. 
was  er  über  die  Korrekturen  und  Hände  S.  VII  bemerkt,  ist  nicht  genau* 
da  sich  aufser  der  ersten  Hand  noch  drei  andere  erkennen  lassen,  von 
denen  die  eine  die  des  Revisors  ist,  der  die  Abschrift  nach  der  Vorlage 
verbesserte,  während  die  zwei  anderen  einer  späteren  Zeit  angehören. 
Dazu  kommt,  dafs  er  auch  die  Korrekturen  der  ersten  Hand  z.  B. 
S.  4,  5  ostendemus,  6  istius,  wie  alle  anderen  mit  Ab  bezeichnet.  End- 
lich ist  nicht  weniges  übergangen  oder  falsch  angeführt  Lesarten  wie 
S.  4,  26  rej  (i  m1),  9,  24  mariti  bona,  12,  4  matrimonii,  28.  21  ante- 
quarn  .  .  videretur  in  mg.  ml  u.  s.  w.  durften  nicht  übergangen  werden. 
Auch  zeigt  sich  darin  keine  Konsequenz,  dafs  offenbare  Verderbnisse 
bald  angeführt,  bald  wieder  nicht  verzeichnet  werden.  Ja  es  finden  sich 
ganz  falsche  Angaben,  wie  8,  18  utrunque  Aa  (vielmehr  utraque  ni'i. 
10,  23  plenä  c  A  (plenum),  nun  Ah,  om.  Aa  (non  m1),  13,  31  piudia 
Amg.  (praeiudici) ,  19,  17  pugnai  /// it ///  is  A  (pugnabitisis,  das  erste 
is  ausradiert,  aus  1»  durch  Rasur  u  gemacht),  22.  1  perper.  cit.  Aa  (re- 
percit),  27,  26  iustitiae  et  Aa  (iustitia  et.  was  dieselbe  Hand  in  iustitiae 
verbesserte),  30,  21  immo  nun  ingratus  A  (immonemgratus,  von  der- 
selben Band  korrigiert  immo  oe  ingratus)  n.  s.  \\-  Die  Randnoten 
rühren  von  verschiedenen  Bänden  her,  die  falls  man  von  diesen  Nuten 
einen  Gebrauch  für  die  Kritik  machen  will,  genau  unterschieden  werden 
müssen«. 

Als   zweiter  Codex    kommt    in   Betrachl    ein   Monacensis  (B)    im 


74  Quintiliaii 

Jahre  1494   oder  kurz   vorher  geschrieben,  von  Kitter  [liehen. 

Er  beginnl  mitten  in  decl.  CCLH  (8.82,  17  bei  Bitter)  mit  den  Worten 
excutiamus.  submisit,  enthält  also  8l/i  Deklamationen  weniger  als  A. 
Direkte  Entlehnung  ans  A  ist  nichl  anzunehmen,  Wie  ist  denn  aber 
das  Verhältnis?  —  Der  dritte  Codex  i-t  ein  Chigianus  (C)  aus  dem- 
selben Jahrhunderl  wie  I;.  dasselbe  enthaltend  und  ganz  mit  i;  überein- 
stimmend. Ltaque  oon  nimis  neglegenter  mihi  visus  -um  facere,  abi 
integrum  hunc  quidera  librura  excutere  nolui  sagt  Ritter  8.  KI.  Was 
verglichen  i  t,  liat  A.  Man  besorgt:  aufser  ein/einen  Stellen  namentlich 
das  Stück  von  decl.  OCLH  und  decl  CCLXV1  CCLXXI.  Von  Aus- 
gaben haben  sieh  Ritter  besonders  nützlich  erwiesen  die  des  Ugoletus,1) 
Aerodius,  Pithoeus,  Obrecht  and  Burmann.  INI ii-  liegt  die  letztere  vor. 
Ein  Blick  in  sie  lehrt,  was  ooeh  zu  thun  war  und  was  gethan  ist. 
Ritter  kann  mit  Recht  von  sich  sagen  8.  XW  oe  ipse  quidem  mihi 
videor  restituendis  verbis  prorsus  defuisse  nee  nulla  eorum,  quae  manum 
emendatricem  exspeetabanj;,  pristinae  sanitati  restituisse.  Aber  die 
Krone  gebührt  E.  Rohde,  fast  keine  Seite,  die  nicht  von  seinem  divina- 
torischen  Scharfblick  zeugte.  Trotzdem  stehen  viele  Kreuze  in  dem 
Buche:  die  schwer  verderbte  Überlieferung  spottet  häufig  aller  Kunst. 
Ich  habe  mir  bei  der  Durchsicht  folgendes  angemerkt:  S.  78,  14  lese 
ich  mit  Burmann  sententiam  formalvV  sc.  religio  vestra  statt  formahitis 
(Rohde),  S.  82,  22-  24  verteidige  ich  die  Überlieferung  verum  ne  ipse 
quidem  adversarius  tantum  in  exempio  (exempft'ora«  Rohde)  fiduciae  habet 
quantum  in  ipsa  iniuriae  interpretatione.  exemplum  bedeutet  im  Gegen- 
satz zu  dem  Gesetzlich-gültigen  das,  was  praktisch  vorkommt  (Naegels- 
bach-Müller  Stil.7  S.  39).  Interessant  also  die  Gegenüberstellung  von 
exemplum  und  interpretatio  iniuriae.  S.  83,  18  schreibe  ich  alio  aliquo 
loco  cf  S.  82,  19;  83,  22.  Die  Prolepsis  bei  alius  ist  bekannt.  S.  84, 
6  ist  ergo  si  iuneta  sunt  ista  richtig  überliefert  cf.  Z.  2.  -  eiusd.  S.  84, 
22  hat  Burmanns  vis  hostium  metu  ac  (ac  metus  die  Handschriften)  reli- 
gione  templorum  defenditur  sehr  viel  für  sich.  S.  88,  10  11  ist  kein 
Grund  zur  Änderung  der  Überlieferung:  non  semper  iudicum  culpa  est, 
cum  innocens  damnatus  erit  (fuerit  Rohde).  S.  93,  13  schlage  ich  vor 
ego  enim  mores  nasci  puto  ex  propria  cuiusque  naturae  virtut«  (et  pro- 
priam  .  .  virtutem  die  Handschr.).  S.  96,  15  --16  ist  die  thematische 
Frage  mit  Ironie  wiederholt  quid  ego  dicam,  quantum  civitati  profuerit 
(AB,  Ritter  nocuerit)  eloquentia?  sibi  noeuit  cf.  S.  95,  15—17.  S.  97, 
10  würde  ich  mit  Ranconetus  consuleris  (consulaberis  B)  in  den  Text 
setzen.  S.  170,  21 — 22  vermute  ich  cuius  famem  tantum  tu  propitiüs 
di^erebas  (c.  f.  tantum  tu  (Rohde  tu  tantum)  p.  differebas,  S.  187,  16 
— 17    ist    vielleicht    zu    lesen    alieuius    inhumanüatis    (alioqui   ius   in   nie 

J)  Diese  editio  pnneeps  (Parmensis  Ugoleti  vom  Jahr  1494)  stammt 
aus  B  und  nicht,  wie  Ritter  anfangs  glaubte,  aus  dem  von  Jo.  Ant.  Campanus 
erwähnten  codex  Germanicus.     cf.  S.  XIV   sq. 


Declairüitionos  75 

humanitatis  die  Handseh.)  est  nostra  frugalitas,  quae  .  .  praebet?  cf. 
Z.  23  cenasti  tarnen  hilaris  und  für  die  Frage  S.  284,  10.  —  S.  188,  30 
will  Meister  Phil.  Anz.  XVI  S.  130  schreiben  ueque  enim  poterat  non 
dubitari.  Da  wäre  es  leichter  nempe  enim  poterat  dubitari  zu  conji- 
zieren,  positives  dubitare  quin  Sen.  contr.  I  3,  1.  von  Georges  ange- 
nommen, wo  aber  eine  negative  Frage  zu  statuieren;  über  nempe  enim 
s.  meinen  Aufsatz  Hermes  XXII,  1  S.  140—141,  aber  alle  Schwierigkeit 
löst  sich,  wenn  man  hinter  das  erste  raperes  ein  Punktum  setzt  und 
invitavi  bis    zum   zweiten   raperes   ironisch   faf>t.  S.  229,    6  könnte 

man  auch  an  seaeva  (saeva  AB,  sera  Gronow)  inquisitio  in  praeterita 
est  denken.  S.  245,    15   quautulum   temporis  spatium  est  quod  (die 

Handschr.  qu«  Ritter  mit  Aerodius)   ist  völlig  geschützt  durch  Quint.  X 

3,  14.  —  S.  262,  22-23  scheint  es  mir  einfacher  und  auch  angemessener 
zu  emendieren  ut  mihi  videatur  rerum  natura  omnibus  in  hominem  col- 
latis  bonis  unum  Vitium  (unum  metum  A,  summum  metum  B,  unum 
malum  Rohde)  opposuisse.  cupiditas  Z.  18  ist  das  vitium,  vitium  dem 
bonum  entgegengesetzt  z.  B.  Cic  Brut.  38,  141,  de  off.  I  31,  114,  Quint. 
inst.  I  1 ,  5.  —  S.  272,  5  —  6  mache  ich  folgenden  Vorschlag:  quaeri 
voluit,  an  quis  opem  tulisset  dolo  muh,  animum  (cf  Z.  7  8)  depre- 
hendit  et  ferentem  coarguit.  S.  274,  18—19  ist  richtig  überliefert 
nempe  ne  bellum  h&beretis  (habeatis  Ritter)  sc.  si  periret.  --  S.  288,  9 
läfsl  sich  vielleicht  herstellen  ut  omnia  facta  causas  aequiperarent  (supe- 
rarent  die  Handschr.)  eiusd.  Z.  19  halte  ich  an  der  Ueberlieferung, 
fest  cotidianis  iurgiis  forum  strepere,  assiduos  lites  (assidua  Ute  Rohde) 
videmus,  ebenso  S.  338,  19  id  cum  fecistis  e.  s.  (fecistis  cum  Rohde) 
cf  .Cic  fam.  XV  7,  1-  —  S.  343,  1  ist  tanta  renn,,  (harum  rerum  Rohde) 
differentia  est  in  causis  lihertatis  echt  lateinisch  cf.  Naegls.-Muller7  Stil. 
S.  62—63.  —  S.  362,  24  25  reicht  der  Vorschlag  des  Aerodius  aus 
die,  die  quanti  emeris,  quod  (quid  AB)  velis.  Interessant  S.  367,  9  die 
Überlieferung  nupsit  alio  (alii  Rohde)  marito.  ebenso  inst  IX  !.  23  cf. 
Neue:  II  S.  217.  —  S.  368,  14  läfst  sich  adeo  tnariti  prioris  etiam  me- 
moria abierat    (obierat  Rohde)  halten  durch  Vergleichung  von  inst  IX 

4,  14  abierit  omnis  vis.  ineunditas,  decor.  Meister  und  Schenkl  geben 
memoriam  abiecerat  (B)  den  Vorzug,  Schenk!  coli.  Cic.  Phil.  I  12,  30, 
VIII  11,  32;  eiusd.  S.  Z.  23  ist  wohl  zu  schreiben  quic  (qui  ad  AB) 
domum  meani  induetus  est,  und  Z.  26  ist  üliasi  mit   A;i  /u  streichen.  - 

5,  37o,  li  ist  die  Conjectur  des  Aerodius  provisum  atque  probatum  (pro- 
latum  die  Bandschr.)  est,  ut  e.  s.  sehr  beachtenswert  (cf.  S  XI). 
Warum  soll  es  S.  372,  20  oichl  ecquo  (quo  Ritter)  animo  Pecerit  in  in- 
direkter Frage  heifsen?  cf.  Cic.  fam.  VII  16,  3.  S.  377,  12  hat 
Brissonius  petitor  richtig  eingesetzt,  aber  aas  dem  bandschriftlichen  pe- 
euniam  ist  noch  peeuniae  hinzuzufügen,  wie  S.  62,  16  16  zeigt,  i  1  >  7.  20 
bedarf  es  des  sil  von  Rohde  nicht,  etiamsi  adverbiell  bei  Quint-  öfter 
cf.  inst.  II  20   6  u.  a.     -  S.  380,  14  wird  die  Überlieferung  civem  sedi- 


76  Quintilian. 

tiosura,  omnibus  sceleribua  con/o    im    \  (confessum  B,  obsessum  Rohde) 
tützl  durch  stellen  wie  8en.  de  rita  beat.  27,  6,  Val.  Max.  8,  l;  il>. 
Z.  21    Lese   ich   quod   fere    sceleratis   pectorib««   usu   tenial    (pectoribus 
veniat  die  Eandschr.,  evenial  frühere  ausgaben).  _•.  2     i  dürfen 

keine  Fragezeichen  stehen,  es  Isl  Ironie  bis  deprehendo,  auch  facta  muß 
flehen  bleiben,  weil  es  die  Ironie  verstärk!  (als  Gegensatz  zu  ficta); 
ib.  '/..  i;  hätte  Ritter  an-  misissem  (AB)  nichl  mit  Gronow  imssem,  son- 
dern iissem  oder  issem  machen  sollen,  isses  /.  15.  S.  169,  Z  23  cf.  Nene 
II  S.  515.  ib.  Z.  tu  isl  es  einfacher  dives  uobilisque  (es  t* »l<_^t  cum) 
zu  vermuten  als  dives  et  uobilis  mit  Rohde.  S.  383,  14—10  ziehe  ich 
vor  zu  lesen:  hac  victoria  accensum,  quasi  in  aemulationem  gravi  dolore 
exarsisse  ducem,  cum  diceret  e.  s.  quasi  in  aemulationem  d.  h.  der 
väterlichen  Freunde  de-  Reichen,  die  frementes  und  palam  questi  de 
duce  kamen  und  ihre  Überredungskünste  anwandten.  Auf  den  Text 
folgen  drei  Indices:  index  I,  rerum,  verborum  et  locutionum  S.  442—508, 

II  legum  et  Romani,  Graeci,  scholastici  iuris  constitutionum.   —   S.  512, 

III  declamationum   et  institutionis  oratoriae  similes  locos  componens  - 
S.  514.     Die  Ähnlichkeit  ist  nun  freilich  manchmal  nicht  weit  her,  aber 
das    soll   der   Anerkennung  des   Fleifses,    mit  dem   diese   Indices  ange- 
fertigt sind,  keinen  Abbruch  thun,  wie  denn  überhaupt  Ritters  liebevolle 
Hingabe  an  solchen  Stoff  wiederholter  Anerkennung  wert  ist. 

57.  von  Morawskis  Recension  (Berliner  Piniol.  Wochenschi'. 
No.  35  S.  1099  —  1103)  schützt  mit  Recht  an  folgenden  Stellen  die  Über- 
lieferung S.  178  Z.  18  nescio  quid  intactum  (statt  non  int.),  S.  288 
Z.  19  assiduas  lites  (statt  assidua  lite)  s.  oben,  S.  295  Z.  10  11  aliam 
fuisse  causam  (statt  alium  fuisse  in  causa).  -  Änderungen  werden  fol- 
gende vorgeschlagen:  S.  128  Z.  13  ostenderet  fecisse  ohne  et  hinter  ost., 
S.  244  Z.  19  fleo  fortasse  supervacu««  sc.  lacrimas,  S.  316  Z.  29  suffi- 
cit (sufficit  Ritter,  suffecit  Aa),  S.  338  Z.  15  colore  ac  rumoribus  (statt 
dolore  ac  r.),  S.  180  Z.  24—25  ultionis  peragatur  qualitas,  S.  367 
Z.  23  —  24  si  non  ignorassem,  quod  Aiceretur,  non  occidissem?  Die  erste 
Änderung  ist  glücklich,  die  zweite,  dritte  und  vierte  unnötig,  die  beiden 
letzten  sehr  zweifelhaft.  -■  Wichtig  sind  die  sprachlichen  Bemerkungen, 
die  v.  Morawski  seiner  Recension  beigefügt  hat.  Post  haec  =  postea, 
civitas  =  urbs,  genus  =  modus  werden  nebenher  erwähnt.  Betont  wird 
die  pleonastisclie  Ausdrucksweise  invicem  se  Deck  305,  S.  194  Z.  25 
bis  26,  D.  321  S.  258  Z.  6,  die  merkwürdige  Steigerung  des  Positivs 
infinitum  potens  D.  357  S.  390  Z.  2  —  3.  Während  in  den  19  gröfseren 
Declamationen  das  Überhandnehmen  der  Präposition  de  in  verschiedenen 
Verbindungen  zu  konstatieren  ist,  linden  wir  hier  die  Präposition  in  in 
den  mannigfachsten  und  zum  Teil  ungewöhnlichen  Verwendungen  z.  B. 
damnare  in  quadruplum  S.  4  Z.  21-22,  petere  in  deditionem  S.  35 
Z.  29-30,  nocere  in  exemplum  S.  16  Z.  3,  sufficit  in  argumentum  S.  234 


Declamatioues.  77 

Z.  27  —  28,  in  hoc  (sechs  mal  gebraucht),  in  summara  S.  247  Z.  27,  in 
tantum  S.  268  Z.  22,  in  ultimo  =  zuletzt  S.  393  Z.  2  und  das  sieben 
mal  gebrauchte  in  totum  =  ganz  und  gar,  durchaus,  ex  toto  so  S.  383 
Z.  28  und  per  omnia  so  S.  413  Z.  IG.  Merkwürdig  ist  S.  40  Z.  8  — 9 
nunc  in  privatum  sibi  singuli  consulunt.  Zum  Schlufs  wird  aufgeführt 
S.  405  Z-  7  mendicandum  habet  cf.  Archiv  f.  lat.  Lex.  II  1,  66.  Die 
Entstehungszeit  dieser  Declamationen  wagt  v.  Morawski  nicht  genau  zu 
fixieren.  Nur  so  viel  behauptet  er  mit  Entschiedenheit,  dafs  sie  in  das 
erste  Jahrhundert  nicht  gehören,  während  es  andererseits  nicht  geraten 
erscheint,  das  Datum  über  das  zweite  Jahrhundert  weit  hinauszuschieben. 

58.  Meister,  (Phil.  Anzeiger  XVI  S.  125  —  130)  will  26,  11  mit 
Pithoeus  schreiben  de  eo  (deo  A),  31,  19  de  ipsa  legum  natura  mit 
Burmann  (de  ipsa  rerum  natura  A),  32,  16  ut  ex  parte  fecerit  mit  Gro- 
nov  (ut  ea  p.  f.  A.),  40,  19  ubi  lex  est  mit  Schulung  (ubi  lex  non  est 
AB),  177,  11  jAaißeat  mit  Gronov  (placet  A).  Mit  Ausnahme  der  letzten 
Stelle,  wo  ich  plaeered  mit  Rohde  vorziehe,  stimme  ich  Meister  bei.  Ich 
stimme  ihm  ferner  bei,  wenn  er  die  handschriftliche  Überlieferung  ver- 
teidigt 4,  19  habuerit  (abnuerit  Rohde),  22,  14  contra  (contraria  Rohde), 
26,  16  tum  (tu  Ritter)  31,  11  quod  cum  (qui  c.  Rohde),  36,  21  avium 
(virium  Ritter),  40,  15  non  (nulhim  Schulung)  159,  3  nee  (haec  Rohde) 
160,  29  quod  (qui  Rohde).  161,  23  iuvenis,  dum  ohne  tilius  A,  169,  16 
hoc  (hinc  Rohde),  171,  7  quod  (ut  Rohde),  188,  22  hie  (hinc  Rohde), 
196,  19  temporis  (contentionis  Rohde),  202,  23  suspirat  (suspiravit  Rohde) 
204,  17  inde  (videte  Rohde).  8,  11;  10,  23;  11,  15;  16,  9.  12;  18,  28; 
42,7;  157,  28;  169,  25;  186,  13;  189,  16  und  18;  203,  11  kann  ich 
mich  —  abweichend  von  Meister  —  nicht  von  der  Richtigkeit  der  Über- 
lieferung überzeugen.  Von  eigenen  Vermutungen  werden  folgende  mit- 
geteilt: 11,  13  sed  non  erit  neecssarium  i^ed  adicit  [excedit  Ritter]  ne- 
cessarium),  22,  4  negaveris  s<  (n.  possedisse  A),  29,  13  et  an  male- 

ticium?  sed  ohne  sit.  (sed  fügte  Rohde  hinzu),  37,  14  perpetua  posteri- 
tatis  immortalitate  [(perpetuae  p.  i.  A.),  197,  28  praesens  U  ac  spectanU 
(praestantis  AB,  praesente  te  Rohde),  204.  14  unde  nobis  tanta  felicita« 
est  (unde  nobis  tantam  felicitatew  AB).  Der  let/te  Vorschlag  scheinl 
mir  besonderer  Beachtung  wert,  die  übrigen  haben  ihre  Bedenken. 

K.  Schenk  1,  (Wochenschr.  f.  klass.  Phil.  1886  No.  3  S.  7::  78) 
folgt  mit  Recht  der  Überlieferung  an  folgenden  Stellen,  wo  Ritter  oder 
Rohde  ändern  wollen:  123.  15  adversus  t=  in  Binsichl  auf)  tyranni 
ultionem  coli.  Cic.  ad  fam.  111  13,  2;  85,  .".  quod  confessus  >it  (=  da 
er  sich  als  ignominiosus  bekannte,  indem  er  ruhig  deinen  Schlag  hin- 
nahm); 92,  12  nihil  quod  e\  auiiuo  SUO  tantum  referant;  96,  •!  an  Q0- 
centem;  122,  9  lex;  123,  13  potentissime  (coli.  127.  6  Quint.  VI  3.  83, 
XU  10,  72);  178,  17  iniuria  paed  (AI!,  iniurias  pacisci  nach  A  mg  Rohde) 
cf.  Cic.  off.  11  li,  40;  L81j  12  in   poena   sua   (coli.  Cic.  pro  Rose.  Am. 


,S  Quintiliau 

26,  72).  Durch  Interpunktion,  »die  allerdings  in  dieser  Au  gäbe  viel- 
fach berichtig!  worden  ist«,  hilft  Schenkl,  indem  er  schreibt:  im,  n 
posita;  >i:  122,  13  »sed  tyrannu*  fulmine  ictus  est«  (coli  124,  3)5  123, 
3  ff.  iiiiinn  (iramo  würde  ich  gern  missen:  vielleicht  ans  /.  1  wiederholt) 
tieque  .  .  potuerunt.  nee  templa  excepta  sunt?;  ■"••':!.  17  potuit:  iromo; 
338,  1  f.  mihi,  aliud  est  nutrix,  e1  ancilla,  ei  torquente  domino«.  Zum 
Schlufs  verbessert  Schenk!  eine  Reihe  von  korrupten  Stellen,  mit  Glück, 
wie  mir  scheint,  folgende:  L26,  _i  tenm-i  statt  temporis,  127,  1  eligendt 
(cf.  Oic.  iliv.  in  Q.  Caec.  11.  16),  11  electio(nem)  aisi  .  .  .  esse  (es 
ne  vor  ai  ausgefallen),  L40,  19  et  modus  el  color,  177.  17  »;it  ego  deli- 
catus  stun«.  abdicenl  te,  L86,  L3  maxima  arte  curavi,  334,  12  iunetum 
statl  inventum,  370,  19  scrupulose  statl  periculose.  Anderes  erscheinl 
zweifelhaft  und  unsicher:  89,  22  »deo  statt  ad  ea,  99,  11  multa  (te>. 
(Der  Satz  indignum  putasti  tarn  multa  passum  esse  ohne  te  würde  ll>-t 
in  Ciceros  Briefen  nicht  auffallen  <•('•  meine  Bemerkungen  Rhein.  Mus. 
37  B.  S.  r>80),  176,  24  hoc  cum  (mihi  prae)dium  obvenisset,  183,  27  illa 
<(men*>  magis  <dum>  apud,  186,  1  audebo  <(modo>  ne  nos  fastidiat,  189, 
15  tuos  species  (doch  giebt  Schenkl  gerne  zu,  dafs  petisses  durch  das 
folgende  petisses  in  den  Text  gekommen  sein  kann),  193,  13  castra  vin- 
dico:  disce  tu,  sacerdos,  199,  18  si  non  <id  ageret  ut)  recusaretur,  203, 
15  inter  .  .  .  memoria  nach  inpares  annos  Z.  17  zu  stellen,  368,  11 
auetorem  statt  amorem. 

60.  C.  Hammer,  Zu  Quintilians  Declamationes  Philologus  XI. V  B. 

1.  H.  S.  194-195,  bespricht  drei  Stellen.  CCCVIII  S.  210-211  will  er 
schreiben  intellegitis  amici  (Roh.de ,  a  me  Handschriften)  signum?  an 
omni  iure  conscriptas  velut  intestati  tabulas  voliis  damnare  (an  0.  i.  con- 
scriptae  vel  tabulis  soletis  damnare  die  Handschriften).  Warum  in  dem 
Rohdeschen  an  0.  i.  conscripta  velat  (einfacher  noch  ut)  rabulae  sob'ti> 
damnare,  das  viel  näher  liegt,  »eine  direkte  Beziehung  auf  die  getroffe- 
nen gültigen  Erbverfügungen  nicht  gefunden  werden  kann,  gestehe  ich 
nicht  einzusehen.  Die  Verallgemeinerung  ist  durch  den  individuellen  Fall 
veranlafst  und  dieser  in  der  Allgemeinheit  beschlossen.  Nach  damnare 
will  Hammer  fortfahren:  non  id  agunt  ut  meum  non  (utrum  non  AB) 
fecerit  testamentum.  Das  ist  möglich,  wahrscheinlicher  aber  Ritters  Con- 
jeetur  ut  omnino  non  cf.  Z.  7.  —  Wenn  CCCIX  S.  215  Z.  6  bei  illa  op- 
tare  vult  das  von  Aerodius  vorgeschlagene  iterum  wegen  des  Zusammen- 
hanges nötig  ist,  was  allerdings  so  scheint,  so  ist  es  paläographisch  am 
einfachsten,  es  mit  Hammer  nach  optare  zu  ergänzen.  —  CCCX  S.  219 
Z.  12  vermutet  Hammer  sed  pericula  (formula  die  Handschriften,  foren- 
ses  von  Morawski  Berl.  Philol.  Wochenschrift  V  No.  35  S.  1101)  inimi- 
citiae  tum  valere  possunt,  cum  de  aliquo  facto  mentiri  licet.  Sollte  wohl 
frivolae  dagestanden  haben?  cf.  inst.  VII  2,  34  levibus  aut  frivolis  aut 
manifesto  falsis  reum  incessere,  I  6,  20  u.  a. 


de  causis  corruptae  eloqueutiae.  79 

61.  R.  Novak,  Ad  Quint.  declam.  in  den  miscellanea  critica.  Listy 
filologicke  II  1   S.  12-  19  ist  mir  nicht  zugegangen. 

Zum  Schlufs  möge  zur  Besprechung  gelangen: 

Augustus  Reuter,  De  Quintiliani  libro  qui  fuit  de  causis  corrup- 
tae eloquentiae.  (Doctor-Dissertation  von;Göttingen).  Vratislaviae  apud 
G.  Koebner.  1887.  77  S.  8.  (Rec:  Wochenschrift  f.  kl.  Piniol.  1887 
No.  28  S.  882-885  von  Y.i 

IT.  v.  Wilamowitz-Moellendorff  hatte  es  in  seinen  Vorlesungen  als 
ein  verdienstliches  Werk  hingestellt  si  quis  quem  Fabius  composuit  de 
causis  corruptae  eloquentiae  librum  quasi  mortuum  quodaramodo  ab 
inferis  revocaturus  esset  ad  lucem.  Reuter  ist  dieser  Anregung  gefolgt 
und  hat  das  Werk  mit  Hilfe  seines  Lehrers  zustande  gebracht.  Beiden 
gebührt  der  warme  Dank  aller  Freunde  des  Quintilian.  Was  nur  über 
das  verloren  gegangene  Buch  gesagt  werden  kann  —  mit  weitem  Aus- 
und  Uniblick  und  strenger  Methode  der  Forschung,  das  ist  hier  gesagt. 
Nur  eins  ist  schade.  Es  erklingt  mitunter  in  der  Dissertation  ein  Ton, 
der  für  mein  Ohr  und  Empfinden  wenigstens  unangenehm  ist.  Ich  will 
nicht  davon  reden,  dafs  Pilz  S.  44  wegen  seines  Buches  c  Quintilianus. 
Ein  Lehrerleben  aus  der  römischen  Kaiserzeit'  mit  unsanften  Worten 
bedacht  wird.  Das  Buch  verdient  keine  Beachtung  seitens  der  Philolo- 
gie, aber  zu  sagen' miram  quandam  et  quam  magis  mulierculis  et  pueris 
esse  quam  viris  scriptam  putares  fabuhun  composuit  C.  Pilzius5  würde 
ich  mich  doch  nicht  unterfangen.  Ritter  hat  die  Frage  der  quintiliani- 
schen  Deklamationen  wieder  auf  die  Tagesordnung  der  Wissenschaft  ge- 
setzt. Männer  wie  Eussner,  H.  J.  Müller,  Schenkl,  Meister  haben  seinem 
Fleifs  und  seinen  Forschungen  trotz  mancher  Ausstellungen  Worte  der 
Anerkennung  gewidmet.  Reuter  hat  S.  6  für  ihn  folgende^:  tarn  mirifica 
nemo  nisi  re  desperata  adfirmare  audebit.  nemo  opinor  nisi  qui  Ritteri  erit 
similis.  Was  wird  nun  aber  Reuter  sagen,  wenn  Ritter  ihm  vorwirft. 
dafs  er  ihn  nicht  einmal  genau  eingesehen?  Ritter  isl  sich  selbst  durch- 
aus nicht  untreu  geworden.  Was  in  ed.  praef.  S.  V  steht,  stimmt  durch- 
aus mit  dem,  was  in  dem  Buch  'Die  Quintilianischen  Drei.'  behauptet 
ist.  Reuter  hätte  zu  S.  203  nur  noch  8.  257  u.  f  lesen  müssen,  um  das 
zu  erkennen.  —  Volkmann  wird  nach  berühmten  Mustern  behandelt: 
dormitavisse  videtur  bonus  ille  Eomerus,  heifsl  es  gelegentlich  S.  15. 

Die  Disposition  des  Buches  isl  folgende:  c.  1  de  Quintiliano  libri  de 
causis  corruptae  eloquentiae  conscripti  auctore.  de  vocabulorum  corrumpere 
et  corruptus  usu  Quintüianeo  8.  1—3,  c.  II  de  locis  ex  opere  minore  in 
[nstitutionem  translatis  s.  1  10,  c.  111  de  comrpta  eloquentia  deque 
eius  causis  quid  senseril  Quintilianus  S.  11  27,  c.  IV  de  corruptis  deque 
eis  oppositis  S.  28—  t2,  c.  7  quo  tempore  de  causis  corruptae  eloquen- 
tiae über  sit,  conscriptus  S.  43  52  (dazu  excursus  1  de  ratione  qua  pro- 
diit  Institutio  S.  52  -53,  exe.  II  de  emendatione  \l  prooem.  §§  3  et  L3 
S.  53— 55),  c.  VI  inter  Quintiliani  de  causis  corruptae  eloquentiae  librum 


SO  Quintilian. 

ei  Taciti  de  oratoribus  dialogum  quae  intercedal  ratio  9  c.  VII 

in  memoria  litterarum  quem  locum  obtineai   eloquentia  Quintiliani  9   i  l 
72.  Zwei  indices,  ein   indes  aominum  ei  auctoram  8.73     77  and  ein 
indes  bominum  doctorum  quorum  in  hoc  libro  adferuntui    ententiai  E   77. 
machen   den   Beschlufs  der  gehaltreichen   Schrift.  C.  II    bringl   als 

Fragmente  der  verlorenen  Schrifl  V  L2,  17  28,  II  i.  1 1  m  42  m, 
VIII  3,  56  58,  VIII  6,  7:;  76.  AI  Fragmente?  Wie  wül  Reuter  da« 
beweisen?  Die  Worte  Quintilians  besagen  nur.  dafs  dieselbe  M 
dort  behandell  ist.  Dafs  e6  mil  denselben  Worten  geschehen  sei,  i  I 
nicht  nur  oichl  bezeugt,  sondern  auch  an  Bich  unwahrscheinlich.  Dil 
Grundanschauungen  freilich,  von  denen  der  Rhetor  im  Kampfe  mil  der 
»Manierc  der  Gegner  ausgeht,  werden  dadurch  oichl  berührt.  Er  wirft 
ihnen  vor  —  wie  C.  III  des  näheren  ausfuhrt  dafs  sie  oeglegunl  res, 
peccant  elocutione  (xaxogqAov),  und  er  klagt,  dafs  die  Lehrer  der  Rede- 
kunst ihre  Schüler  nicht  zur  Belehrung,  sondern  zur  Ergötzung  der 
Richter,  überhaupt  zu  eitlem,  unwahrem,  der  Wirklichkeit  entfremdetem 
Thun  abrichten.  C.  IV  nennt  und  behandelt  als  Gegner  des  Quintilian 
d.  h.  als  Vertreter  der  corrupta  eloquentia  Seneca.  Cassius  Severus,  Fu- 
scus  Arellius,  Papirius  Fabinianus,  (estius  Pius,  Junius  Gallio,  Curtius 
Rufus,  Julius  Africanus,  M.  Aper.  Diese  konnte  er  offen  oder  versteckt 
angreifen.  Ob  er  es  gethan.  läfst  sich  nicht  ermitteln.  Über  Seneca  cf. 
inst.  X  l,  125  u.  f.  Als  Gleichgesinnte  werden  Julius  Secundus,  Vitorius 
Marcellus,  Vipstanus  Alessala  und  Plinius  Secundus  aufgeführt.1)  —  Wenn 
Reuter  das  Geburtsjahr  des  in  Rede  stehenden  Buches  berechnen  wollte, 
so  konnte  er  diese  Untersuchung  nicht  führen,  ohne  zu  anderen  wich- 
tigen chronologischen  Fragen  in  der  vita  des  Quintilian  Stellung  zu  neh- 
men. Im  C.  V  ist  das  mit  ebensoviel  Umsicht  wie  Klarheit  geschehen. 
Die  Resultate  sind  folgende:  Quintilian  ist  professor  eloquentiae  gewor- 
den im  Jahre  68  oder  bald  nachher,  er  hat  das  Amt  niedergelegt  um 
88  (cf.  pr.  I,  1),  die  inst,  ist  herausgegeben  93  oder  94,  ja  auch  95 
ist  möglich.  (Dodwell  wird  siegreich  bekämpft).  Das  Buch  de  causis 
ist  zwischen  87  und  89  ans  Licht  getreten  (cf.  VI  pr.),  eodem  fere  tem- 
pore Fabius  munere  se  abdieavit  et  librum  de  causis  corruptae  eloquen- 
tiae couscripsit  (S.  52).  Das  VI.  C.  weist  überzeugend  nach  -  -  gegen 
Wölfflin  und  Grünwald  — ,  dafs  unser  Buch  vor  dem  dialogus  de  ora- 
toribus  geschrieben  ist,  uud  schliefst  mit  den  Worten  von  Wilamowitz, 
die  man  als  Überschrift  über  diesen  Abschnitt  setzen  möchte:  »Tacitus1 
Dialog  ist  der  Reflex  der  quintilianischen  Kritik  in  der  Seele  eines  Hi- 
storikers«. Welchen  Erfolg  hatte  das  Vorgehen  des  Quintilian?  Diese 
Frage  beantwortet  C.  VII.  Aufhalten  konnte  selbst  ein  Quintilian  den 
Verfall  der  römischen  Beredsamkeit  nicht.  Nach  ihm  tonangebende  Rhe- 
toren  wie  Fronto  und  Apulejus,   der   eine  seinen  Mangel  an  Geist  und 


i)  V.  a.  a.  0.  verniil'st  mit  Recht  eine  Einraugierung  des  Dominus  Afer. 


de  causis  corruptae  eloquentiae.  81 

Geschmack  mit  Fetzen  aus  der  alten  Litteratur  deckend,  der  andere 
überladen  und  schwülstig  in  »seiner  aus  allen  Zeiten  und  Stilarten  zu- 
sammengesetzten Darstellung«,  beide  darin  gleich,  dafs  sie  dem  Ideal- 
bild eines  Redners,  wie  es  Quintilian  vorschwebte,  absolut  nicht  ent- 
sprechen. In  Asiana  dici  potest  facundia  desiisse  Graeca,  Romana  in 
corrupta.    (S.  70).  — 

Im  Verlauf  der  Untersuchung  wünscht  Verfasser  hier  und  da  einen 
andern  Text,  als  ihn  die  besten  Ausgaben  bieten.  V  12,  17  möchte  er 
mit  Philander  lesen  (S.  4)  non  alio  medius  fidius  vitio  docentiura  (di- 
centium  die  Handschriften)  quam  quo  mancipiorum  negotiatores  formae 
puerorum  virilitate  excisa  lenocinantur.  Warum  docentium?  zu  dicen- 
tium  ist  aus  dem  unmittelbar  Vorhergehenden  declamationes  zu  ergän- 
zen, diese  stehen  im  Mittelpunkt  des  Gedankens,  und  ihr  Charakter  — 
ab  illa  vera  imagine  orandi  recesserunt  atque  ad  solam  compositae  vo- 
luptatem  nervis  carent  —  wird  vortrefflich  durch  das  folgende  Bild  illu- 
striert, ib.  §  22  (S.  5)  schlägt  er  vor  nam  ut  ad  peiora  iuvenes  malorum 
(fehlt  in  den  Handschriften)  laude  ducuntur,  ita  laudari  in  bonis  mallent 
(AB,  malent  Halm,  Meister),  nunc  illud  mali  est  e.  s.  Dafs  malorum 
nicht  einzusetzen  ist,  sagt  peiora,  und  dafs  mallent  in  malent  zu  ändern, 
dafür  spricht  der  vorhergehende  Satz,  namentlich  der  Schlufs  praecep- 
tor  id  maxime  exigat,  inventum  praecipue  probet  mit  aller  Entschie- 
denheit. J)  Wenn  Reuter  VIII  3,  58  conjiziert  (S.  5)  est  autem  omne 
cacozelon  utique  falsum,  etiam  si  non  omne  falsum  cacozelon  est: 
{cacozelo  enim  res)  dicitur  aliter  quam  se  natura  habet  et  quam 
oportet  et  quam  sat  est,  so  trifft  er  damit  sicherlich  den  Gedanken 
des  Schriftstellers,  aber  den  trifft  auch  die  Überlieferung  bei  Julius 
Victor.  xaxoCyAov  cacozelon  vero  est  quod  dicitur  e.  s.  Vielleicht 
ist  einfach  zu  schreiben  cacozelon  est  (et  die  Handschriften),  cacozelo 
dicitur  aliter  quam  e.  s.  cf.  IX  1,  12  itemque  eadem  figura  dicitur  cur- 
sitare'  qua  lectitare',  IX  1.  19  qua  figura  quidque  dicatur.  Früher 
dachte  ich  an  cacozelon.  si  (et,  est,  si  oft  vertauscht)  cacozelon,  dicitur 
aliter  e.  s.  —  VIII  pr.  12  (S.  11-12)  will  Reuter  gelesen  wissen:  cre- 
dere  modo  qui  discel  velil  artem  certam^  eloquentiam  variam  esse.  Hätte 
er  Claussen  quaest.  S.  338  eingesehen,  so  würde  er  sich  vielleicht  über- 
zeugt haben,  dafs  im  engsten  Anschlufs  an  die  Überlieferung  zu  schrei- 
ben ist:  credere  modo,  qui  discet,  velit.  certa  guaedam  via  est.  Zu  cre- 
dere  vergleich!  Claussen  XII  11,  12  brevis  est  institutio  vitae  honestae 
beataeque,  si  credas  .  natura  e.  s.,  wo  es  der  Christschen  Conjectur 
si  cedas  naturae.  natura  nicht  bedarf:  beide  Stellen  Btützen  sich  gegen- 
seitig.   Der  Gegensatz  zu  ereilen'  ist   repugnare  cf.  XII  11,  12.  YI11  pr.  :». 

')  Wenn  das  nicht  der  Kall  wäre,  wurde  nunc  =  vuv  3i  (nUUO  von»  oder 
autoni)  den  Gegensatz  gegen  die  Irrealitat  bezeichnen  et.  ÜomielN  Lex. 
s   683    wo  aller  VIII  ii,  48  Btatl  38  zu  lesen  ist 

Jahresbericht  für  Alterthumswissenichafl   1.1    Bd.    (1887    n  i  Ü 


,-•'  Quintilian 

pugnare  und  credere  tehen  sich  II  14,  i  gegenüber,  und  certa  quae- 
dam  via  est  belegl  Claus  en  mil  einer  ganzen  Reihe  von  Parallelen  z  li. 
V  l,  3,  X  i,  15—16,  II  17.  n  u.s.  w.,  Spaldings  Bedenken  aber,  er- 
bärtel  durch  V  14,  31,  MI  pr.  4,  VII  io,  10  u.  f.,  MI  2,  26,  schwin- 
den coli.  VIII  pr.  3.  Während  IX  8,  LOO  die  Au  gaben  haben 
ipii  oeglecto  rerum  pondere  ei  viribus  sententiaruro,  -i  vel  inania  verba 
in  hos  modos  depravarunt,  iummos  se  iudicent  artifices  ideoque  non 
desinanl  eas  aectere  quas  äine  substantia  sectari  tam  est  ridicnlnm  quam 
quaerere  habitum  gestumque  sine  corpore,  empfiehll  Reuter  (8.  LI 
sumraos  den  Einschub  von  -figurarum.  Er  vergifst,  data  in  dem  ganzen 
Abschnitt  die  figurae  das  Thema  bilden  und  dafa  unmittelbar  vorher 
ohne  die  Hinzufügung  von  figurae  gesagl  isl  ego  illud  de  ii  etiam  qaae 
VIT-"  sunt  adiciam  breviter,  sicut  ornanl  orationem  opportune  positae, 
ita  ineptissün««  esse,  cum  immodice  petantur.  sunt  qui  e.  s.  I 
steht  sich,  dafs  damit  auch  eas  nectere  quas  erklärt  und  gerechtfertigt 
ist.  M  pr.  3  sah  Meistejr  das  Richtige:  non  (nuni  AGM,  nunc  S  und 
Reuter  S.  53—54)  igitur  Optimum  fuit  infaustum  opus  .  .  flammis  inicere 
neque  haue  impiam  vivacitatera  oovis  insuper  curis  fatigare?  über  non 
in  der  Frage  cf.  Bonnells   Lex.  S.  573.  VI  pr.  13  endlich  schreibt 

Reuter  S.  55  tc  <non>  teneo  consulari  nuper  adoptione  ad  omnium  jpes 
honorum  (propius)  admotüm,  .  .  .  .  te  omnium  (spe  ac  votis)  eloquen- 
tiae  candidatum,  superstes  parens  tantum  (ad)  poenas.  <(sed)  si  non 
cupido  lucis,  certe  patientia  vindicet  (nie)  reliqua<e>  mea<e)  aetat^i). 
Dafs  auf  diese  kühne  Weise  die  Stelle  geheilt  sei,  glaubt  Reuter  selbst 
nicht,   und   wir   glauben  es  ebenso  wenig.  Das  Latein  der  Abhand- 

lung ist  klar  und  fliefsend.  Dubitare  num,  «Ins  auch  hier  S.  36  begeg- 
net, ist  wenigstens  aus  Quintilian  zu  belegen  VI  1,  3  (cf.  Plin.  ep.  VI 
27,  1).  Ein  Satz  wie  dieser:  totam  ratiocinationem  respicienti  tenendum 
est  ut  singulos  annos  certe  definiri  non  posse,  ita  certam  esse  rationem 
S.  51  ist  durch  Cicero  pro  A.  Cluentio  50,  138  und  Livius  geschützt  z.  B. 
II  13,  8.  Druckfehler  habe  ich  mir  über  ein  Dutzend  notiert,  jedoch  nur 
solche,  die  kaum  stören.  Störend  dagegen  finde  ich  eine  oft  wiederkeh- 
rende Art  der  Abkürzung  wie  diese  S.  49  L  Spengel  Leb  d  Studium  d 
Rhetorik  b  d  Alten. 


Bericht  über  die  Litteratur  zu  Propertius 
für  die  Jahre  1881—1884 

Von 

Dr.  phil.  Eduard  Heydenreich 

in  Freiberg. 


I.    Ausgaben. 

1)  Select  elegies  of  Propertius  edited  with  introduction, 
notes,  and  appendices  by  J.  P.  Postgate.  London.  Macmilian 
and  Co.     1881. 

Rec:  R.  Ebwald,  Pliilol.  Anz.  1883,  837  ff.;  R.  Ellis,  Academy 
1881  N.  479  S.  32  ff.;  H.  Magnus,  Phil.  Wochenschrift  1882  N.  36. 
1123  ff;  A.  Palmer.  Hermathena  IV,  8,  326  ff.;  Fr.  Plessis,  Etudes 
crit.  sur  Properce  1884,  92;  J  P.  Postgate,  Transact.  of  the  Cam- 
bridge Piniol.  Soc.  II.  228.   —  Athenaeum   1881,  N.  2810. 

Diese  Ausgabe  eines  auch  sonst  um  Properz  hochverdienten  Gelehrten 
ist  eine  sehr  erfreuliche  Erscheinung.  Beweist  sie  doch,  dafs  Verfasser  mit 
umfassender  Gelehrsamkeit,  gebildetem  Geschmacke  und  vielfach  glück- 
lichem Verständnis  sich  in  seinen  schwierigen  Autor  versenkt  und  dabei 
die  Resultate  einheimischer  und  deutscher  Forschung  —  mit  einer  unten 
zu  bemerkenden  Ausnahme  —  verwendet  hat.  Allerdings  ist  die  Kom- 
position des  ganzen  Werkes  insofern  auffallend,  als  die  Einleitung  einen 
generellen  Charakter  hat  und  auf  sämtliche  Lieder  des  Dichters  bezug 
nimmt,  während  nachher  nur  eine  Auswahl  von  '29  Gedichten  folgt.  Das 
bindert  aber  nicht,  dafs  die  fünf  Kapitel  der  Einleitung  (I,  Life  and 
Character;  II.  Works  and  Style;  III.  Graramar  and  Vocabulary;  IV.  Metre 
and  Prosody;  V.  Literary  History)  durchaus  lesenswert  und  auch  für 
deutsche  Leser  instruktiv  sind.  Manches  freilich  bleibt  zweifelhaft,  so 
die  Richtigkeit  der  Gesamtwürdigung  des  Dichters  bei  Postgate  S.  36 
(vgl.  M.  Haupt,  Op.  III  206  f),  so  die  Meinung,  dafs  das  fünfte  Buch 
nach  des  Dichters  Tod  und  /war  nach  2  V.  Chr.  ediert  sei.  Anderes  ist 
irrig;  so  die  Behauptung,  dafs  Paulus  Silentiarius  den  Propen  nach- 
geahmt habe  (siehe  den  letzten  Bericht  des  Referenten  S.  159  ff),  so 
die  Kritik,  welche  der  Verfasser  S.  L  f.  an  der  Lacbmannschen  Einteilung 
in  fünf  Bücher  übt  (vgl.  darüber  Maguus  a.  0.  S.  1124.  1125).  Noch  anderes 

6* 


84  Properz.     Ausgabe  von  Postgate. 

vermifsl  man  angern,  so  die  Vermutung  von  Brizio  (Annali  dell'  inst. 
1873,  S.  104  ff.),  dafs  ein  Portrait  des  Properz  in  einer  Doppelteste 
enthalten  sei.  Unter  die  Nachahmer  <lcs  Properz  (bei  Postgate  8.  CXLVf.) 

kann  man  jetzt  auch  den  CorippUfi  rechnen,  vgl.  Pud.  Ainann,  De 
Corippo  priorum  poetarum  latinorum  imitatore.  Progr.  Oldenburg  1885, 
S.  15.  Aber  diese  Ausstellungen  einiger  Einzelheiten  hindern  Dichl  an- 
zuerkennen, dafs  Postgates  Ausgabe  eine  der  brauchbarsten  i^t,  die  v>ir 
besitzen.  Der  Herausgeber,  schon  durch  seine  Jahresberichte  ober  Pro- 
perz in  den  «Cambridge  Philological  Transactions«  als  gründlicher  Kenner 
der  Properz-Litteratur  rühmlichst  bekannt,  wird  bei  einer  zweiten  Auf- 
lage, welche  hoffentlich  nicht  lange  auf  sich  warten  lassen  wird,  sich 
die  Gelegenheit  zur  Verbesserung  und  Ergänzung  seiner  Ausgabe  wiener 
nicht  entgehen  lassen. 

Die  Gedichte,  welche  Postgate  in  seine  Auswahl  aufgenommen 
hat,  sind  I  1.  2.  5.  8.  9.  16.  20  22;  II  5,  7;  III  1.  2.  5.  21.  23.  29; 
IV  l.  3.  7.  9.  18.  23—25;  V  2.  6.  11.  Der  Text  derselben  beruht 
hauptsächlich  auf  Paley  und  Baehrens.  Eine  Verwertung  der  Ausgabe 
von  Haupt- Vahlen  ist  für  eine  neue  Auflage  unerläfslich.  Ein  Verzeichnis 
der  wichtigeren  Abweichungen  Postgates  vom  Text  derselben  hat  Ehwald 
in  seiner  Recension  zusammengestellt.  Darin,  dafs  die  Arbeiten  von 
Lachmann,  Haupt  und  Vahlen  teils  ungenügend,  teils  gar  nicht  ver- 
wertet sind,  liegt  der  schon  oben  angedeutete  Hauptmangel  von  Post- 
gates Ausgabe.  Der  auf  den  Text  folgende  Kommentar  ist  so  einge- 
richtet, dafs  eine  allgemeine  Einführung  der  Detailerklärung  voraus- 
geht. Die  Grundsätze,  welche  Verfasser  bei  der  Kritik  und  im  Zu- 
sammenhang damit  auch  bei  der  Exegese  des  Dichters  befolgt,  fordern 
vielfach  zum  Widerspruch  heraus  (vgl.  Magnus  a.  0.  S.  1126  ff.),  sodafs 
Text  und  Erklärung  in  der  vorliegenden  ersten  Auflage  nicht  auf  der- 
selben Höhe  stehen,  wie  die  Einleitung.  Doch  hat  Verfasser  im  einzelnen 
mancherlei  nützliches  Material  gesammelt,  viele  interessante  Parallel- 
stellen herangezogen  und  überhaupt  die  Erklärung  des  Dichters  gefördert. 

Anhang  A  bespricht  die  Handschriftenfrage  und  bietet  eine  kurze 
Vergleichung  von  Lesarten  der  Handschriften  und  der  drei  Ausgaben 
von  Postgate,  Baehrens,  Palmer.  Es  folgen  Appendix  B  »On  the  mea- 
uings  of  fuleire  and  its  coguates«  und  ein  Appendix  C,  in  welcher  die 
Liederziffern  der  genannten  Editionen  und  der  von  L.  Müller  neben- 
einandergestellt sind.  Ein  Register  zu  dem  Kommentar  schliefst  diese 
auch  äufserlich  trefflich  ausgestattete  Ausgabe. 

2)  Bender,  Hermann,  Anthologie  aus  römischen  Dichtern  mit 
Ausschlufs  von  Vergil  und  Horaz.  Zum  Gebrauch  im  Gymnasial- 
Unterricht.     Tübingen,  Laupp,  1884. 

Rec:  G.  Egelhaaf,  Korrespondenzblatt  f.  Württemberg.  Schulen 
XXX11,   S.  577;  K.  Jacoby,   Phil.  Rundschau  V  No.  23;   H.  Magnus, 


Bender,  Anthologie  aus  röm.  Dichtern.  85 

Jahresber.  des  Philo].  Vereins  zu  Berlin  XII,  207;  K.  P.  Schulze, 
Berl.  Phil.  Wochenschr.  1884  No.  44;  R.  Steig,  Wochenschr.  f.  klass. 
Phil.  II  Sp.  589. 

In  dieser  Anthologie,  deren  Texte  sich  an  die  »üblichsten«,  leider 
nicht  näher  bezeichneten  Ausgaben  anschliefsen,  ist  Properz  mit  17  Stücken 
vertreten.  Da  der  Herausgeber  auf  eine  selbständige  Konstitution  des 
Textes  verzichtet,  auch  lediglich  pädagogischen  Zwecken  dient,  so  ge- 
nüge es  auf  das  Urteil  von  H.  Magnus  zu  verweisen,  wonach  diese 
Anthologie  zwar  keineswegs  unbrauchbar  ist,  aber  eine  unbedingte  Em- 
pfehlung erst  verdient,  wenn  sie  eine  gründliche  Revision  erfahren  habe. 
Die  Ausstattung  ist  gut. 

3)  Brandt,  Samuel,  Eclogae  poetarum  latinorum  in  usum  gym- 
nasiorum.     Lipsiae.     B.  G.  Teubner.     1881.     VIII,  146  S. 

Rec:  W.  Gilbert,  Piniol.  Anzeiger  XIII,  9.  10,  S.  478  f.; 
H.  Magnus,  Jahresber.  des  Philol.  Vereins  zu  Berlin  IX,  285  f.;  Blätter 
f.  d.  bayr.  Gymnasialwesen  XIX,  2.  3,  S.  160  f. 

Durch  eine  Versammlung  Badenser  Gymnasialdirektoren  veranlafst, 
bietet  diese  Sammlung  u.  a.  16  Stücke  aus  Properz  unter  Weglassung 
sittlich  anstöfsiger  Stellen.  Zur  Erklärung  dieses  Dichters,  der  auch 
für  Primaner  genug  Schwierigkeiten  enthält,  wird  so  gut  wie  nichts  ge- 
boten; aber  der  Text  ist  gut,  »die  Eintagsfliegen  allerneuester  Konjek- 
turen sind  mit  wohlthuender  Entschiedenheit  ferngehalten«. 

4)  Frigell,  Andreas,  Propertii  elegiae  duodecim.  Suecicis  ver- 
sibus  expressit  adnotationibusque  instruxit.  Upsala.  Univ.  Arrskrift 
1883.  Filosofi,  spräkvetenskap  och  historiska  vetenskaper  I.  Upsala. 
Akademiska  Bokhandeln  (C.  J.  Lundström).     22  S.     fol. 

Rec. :  E.  Heyden reich,  Philol.  Rundschau  IV,  S.  225—230. 

Diese  fleifsige  Arbeit  eines  nordischen  Gelehrten ,  dem  leider  die 
einschlagende  deutsche  Litteratur  nur  teilweise  bekannt  ist,  behandelt 
die  Elegien  I  1—3.  6.  7.  8.  11.  14.  17.  18.  20.  22.  Dieselben  werden 
zunächst  metrisch  übersetzt;  als  Probe  mag  der  Anfang  von  I  1  dienen: 

Cynthia  först  mig  faltige  grep  med  ögonens  tjusning, 

Mig,  som  aldrig  förut  varit  af  lidelser  rörd. 
Da  min  ständigt  trotsiga  blick  af  Amor  tilljorden 

Nedslogs,  och  med  sin  fot  tryckte  mitt  hufoud  hanncd, 
Tills  han  hos  mig  väckt  leda  och  hat  mot  dygdiga  tlickor 

Och  dek  stygge  mig  lärt  lefva  pi  vinst  och  förtust: 
Redan  ett  är  har  förgatt,  och  ynseln  gifver  ej  vika, 

Fastän  gudarncs  gunst  ännu  ej  rüna  jag  tat t . 

In  den  hieran  von  S.  13  —  22  sich  anschließenden  adnotationes 
werden  Frigells  Abweichungen   vom  Texte  L.  Müllers  begründet,   nicht 


86  Frigell,  Propertii  elegiae  duodacim. 

immer  in  überzeugender  Weise.    An  21   Stellen  verteidigt  dr:r  Verfasser 
handschriftliche  Lesarten,  an  drei  fremde,  an  zwei  eigene  Konjekturen. 

5)  Anthologie  aus  den  Elegikern  der  Römer.  Für  den  Scbul- 
gebrauch  erklärt  von  Carl  Jacoby.  Erstes  Bändeben:  Ovid  und 
Catull.  Zweites  Bändeben :  Tibnll  undProperz.   Leipzig,  B.  G.  Teubner. 

132  und   122  S.     8°. 

Rec.:  W.  Gilbert,  Philol.  Anz.  XIII,  479 ff.;  II.  Magnus,  Jahres- 
bericht des  Philol.  Vereins  zu  Berlin  IX,  278ff. 

Dies   Buch   Jacobys  ist   ein   sehr    brauchbares   Hilfsmittel   für   die 

Einführung  der  römischen  Elcgiker  in  die  Schullektüre  Das  erste 
Bändchen  enthält  eine  allgemeine  Einleitung,  die  auch  bei  der  Lektüre 
des  zweiten  verwendet  werden  kann.  Aufserdem  ist  zu  jedem  Dichter 
eine  spezielle  Einleitung  gegeben.  Aus  Properz  sind  24  Stücke  auf- 
genommen. Das  Verhältnis  des  Virgil  zu  Properz  konnte  S.  50  näher 
präcisiert  werden,  vgl.  dazu  Birt,  Ad  historiam  hexametri  latini  sym- 
bola  1877,  S.  33.  Der  Schlufssatz  der  Einleitung  enthält  die  sehr  an- 
fechtbaren, jedenfalls  zu  bestimmt  hingestellten  Behauptungen,  dafs  die 
Mehrzahl  der  Gedichte  des  fünften  Buches  den  Jahren  16  und  15  an- 
gehöre, einige  Jugendgedichte  seien  und  dafs  diese  Properz  selbst 
demselben  eingefügt  habe;  vgl.  darüber  z.  B.  K.  Rofsberg,  Neue  Philol. 
Rundschau  1886,  216.  Das  Buch  macht  keinen  Anspruch  darauf,  die 
Wissenschaft  gefördert  zu  haben.  Auf  pädagogische  Einzelheiten  ein- 
zugehen ist  hier  nicht  der  Ort.  Dem  bereits  von  H.  Magnus  a.  0.  ge- 
äufserten  Wunsche,  dafs  einer  neuen  Auflage  ein  wissenschaftlicher  An- 
hang für  den  Lehrer  beigegeben  werde,  pflichtet  Referent  um  so  mehr 
bei,  als  leider  Jacoby  es  nicht  für  nötig  erachtet  hat,  von  der  Be- 
schaffenheit seines  Textes  Rechenschaft  abzulegen. 

6)  Mann,  0.,  Anthologie  aus  römischen  Dichtern  für  die  obersten 
Klassen  der  Realgymnasien  und  ähnlicher  Anstalten.  Leipzig,  Teubner. 
1883.     IV,  124  S.     8°. 

Rec:  H.  Magnus,  Jahresber.  des  Philol.  Vereins  zu  Berlin  XII, 
207;  K.  P.  Schulze,  Wochenschr.  f.  kl.  Phil.  I  No.  3. 

Vorstehende  Anthologie  enthält  aus  Properz  fünf  Stücke  nach  der 
Ausgabe  von  L.  Müller.  Dafs  dabei ,  entgegen  der  sonst  gewöhnlichen 
Weise,  die  Liederziffern  weggelassen  sind,  kann  nicht  gebilligt  werden. 
Auf  Selbständigkeit  in  der  Behandlung  der  Texte  ist  Verzicht  geleistet. 
Die  kurze  S.  111  abgedruckte  Biographie  des  Properz  ist  sehr  ungenau: 
Der  falsche  Name  Aurelius  sollte  doch  endlich  gänzlich  verschwunden 
sein.  Es  war  weder  schlechthin  zu  sagen,  dafs  Properz  »fünf  Bücher 
Elegien  schrieb«,  noch  ohne  Einschränkung  zu  behaupten,  dafs  in  den 
vier  ersten  er  »seine  Liebe  zur  Cynthia  (Hostia)  schildert«:  auch  die 
Fassung    »er  stirbt   a.  15   a.  Chr.«   ist  ungenau.     Referent  mufs   daher 


Mann,  Anthologie  aus  röm.  Dichtern.  S7 

dem  ungünstigen  Urteil  von  K.  P.  Schulze  und  H.  Magnus  beistimmen, 
dafs  diese  Sammlung  nicht  von  genügender  Sachkenntnis  des  Heraus- 
gebers zeugt.  Unter  dem  wenig  zutreffenden  Titel  »Anmerkungen«  wird 
ein  erklärendes  Verzeichnis  von  Eigennamen  gegeben,  wobei  die  allzu 
grofse  Kürze,  wie  »Achaemeuius  =  persisch«  ohne  jede  Zuthat,  keine 
Billigung  verdient.  Referent  hält,  da  ein  Kommentar  zu  den  Texten 
nicht  erschienen  ist,  das  Buch  für  ungeeignet,  seinem  Zwecke  zu  dienen. 
Vielleicht  entschliefst  sich  die  Verlagshandlung,  einen  Kommentar,  etwa 
in  der  Weise  des,  Properz  leider  gänzlich  ausschließenden,  Buches  von 
Hemme  (Auswahl  aus  Horaz  und  den  römischen  Elegikeru.  Berlin,  Weid- 
mann 1886),  noch  nachträglich  den  Texten  separat  folgen  zu  lassen. 
Ein  Schriftsteller  wie  Properz  bietet  selbst  einem  guten  Gymnasial- 
primaner soviele  Schwierigkeiten,  dafs  ein  Kommentar  nötig  ist.  Vol- 
lends aber  an  einem  Realgymnasium  hiefse  es  Zeit  und  Kraft  vergeuden, 
wollte  man  kommentarlose  Texte,  wie  die  von  Mann,  dem  Unterrichte 
zu  Grunde  legen,  vgl.  die  Bemerkungen  des  Referenten  in  Zeitschr. 
f.  d.  Gymnasial wesen  XL  7.  8,  S.  406  ff. 

7)  Schulze,  K.  P.,  Römische  Elegiker.  Eine  Auswahl  aus  Catull, 
Tibull,  Properz  und  Ovid.    Zweite  Auflage.    Berlin,  Weidmann.    1884. 

Die  zweite  Auflage  dieser  nützlichen  Schulausgabe,  über  die  Re- 
ferent bereits  im  vorigen  Bericht  S.  152  f.  sich  ausgesprochen  hat,  ist 
durch  Benutzung  der  erschienenen  Rezensionen  und  Heranziehung  der 
neueren  Speziallitteratur  vor  der  ersten  ausgezeichnet.  Dafs  Schulze 
sich  gemüht  hat,  den  von  Vahlen  gebilligten  Standpunkt  der  Kritik, 
soweit  es  irgend  ging,  durchzuführen,  verdient  volle  Billigung.  Ein  An- 
hang giebt  die  Stelleu  an,  in  denen  Schulze  von  dem  Text  der  vierten 
Auflage  von  Haupt-Vahlen  abweicht.  Möge  der  Herausgeber  die  reiche 
Fülle  der  inzwischen  neu  erschienenen  Arbeiten  über  Properz  zu  einer 
dritten  Auflage  zu  verwerten  recht  bald  Gelegenheit  haben. 

8)  Biblioteca  scolastica  di  Scrittori  Latini  eonforme  alle  piü 
accreditate  edizioni  moderne  con  note  scelte  dei  migliori  commentatori. 
Q.  Valerii  Catulli  et  S.  Propertii  carmina  selecta  Ditta  G.  B. 
Paravia  e  Comp.     Torino-Roma-Firenze-Milano.     1882.     8°. 

Rec:  E.  Heydenreich,  Philol.  Rundschau  II.  '.»33  — 936. 

So  erfreulich  es  au  sich  ist,  dafs  auch  in  Italien  zu  Schulzwecken 
eine  Auswahl  aus  den  römischen  Elegikern  erschien,  so  ist  es  doch  tief 
zu  beklagen,  dafs  es  sich  der  Berausgeber  über  Gebühr  leicht  gemacht 
bat.  Nicht  nur  dafs  über  vieles,  was  in  eine  Schulausgabe  gehört,  gar 
nichts  beigebracht  wird:  die  alte  Fabel  von  dem  doppelten  Gentilnamen 
des  Dichters  sollte  Dicht  wieder  aufgetischt  werden.  Für  den  deutschen 
Philologen  und  Schulmann  i-i  das  Buch  völlig  wertlos. 


HH  Aken,  Do  fitfiirae  dno  xotvoG  U8U 

Unbekannt  blieb  dem  Referenten 

9)  Crowell,  E.  I'.,  Belections  from  the  Latin  poets,  Catullus 
Lncretius,  Tibullus,  Propertius,  Ovid  and  Lacan  Boston,  Ginn, 
Beath  &  Co.     VI,  300.     (Rec.:  Bat.  Review  1882,  N.  1387,  S.  079.) 

II.  Monographien, 

10)  Aken,  0.,  De  figurae  äxo  xotvou  nsu  apud  Catullam  Tibul- 
lum  Propertium  pars  I.     Scbwerin.    1884.    10  S.    4. 

Aken  stellt  zunäebst  die  griechischen  Definitionen  der  Figur  ä-<> 
xoevoü  zusammen,  bespricht  dann  die  neueren  Arbeiten  über  diesen 
Gegenstand  und  belegt,  soweit  ihm  dies  der  knapp  gemessene  Raum 
des  Programms  gestattete,  die  einzelnen  Erscheinungsformen  aus  den 
auf  dem  Titelblatt  genannten  Schriftstellern.  Etwas  Bemerkenswertes, 
das  die  Kritik  des  Properz  speziell  zu  fördern  geeignet  wäre,  weifs 
Referent  nicht  hervorzuheben.  Die  Fortsetzung  dieser  Studien  ist  er- 
wünscht, da  aus  dem  nur  fragmentarischen  kurzen  Abrifs  des  vorliegenden 
Programms  Umfang  und  Art  der  Figur  sich  noch  nicht  genügend  kon- 
trollieren läfst.    Vergl.  auch  den  letzten  Bericht  des  Referenten  S.  185. 

11)  Heymann,  Paulus,  In  Propertium  quaestioues  grammaticae 
et  orthographicae.     Halis  Saxonum  1883.     87  S.     gr.  8°. 

Rec:  E.  Heydenreich,  Phil.  Ruudschau  IV,  S.  905  -907. 

Diese  fleifsige  und  nützliche  Haller  Dissertation  stellt  in  ihrem 
ersten  Teile  fremde  und  römische,  besonders  griechische  Eigennamen 
auf  ihre  Kasusendungen  hin  zusammen,  soweit  sich  dieselben  aus  den 
vor  und  durch  Baehrens  bekannt  gewordenen  Handschriften  ergeben. 
Ihnen  werden  andere  bemerkenswerte  Flexionsformen  angereiht.  Mit 
den  Genetiven  Deci  Täti  war  S.  20  der  non.  plur.  Gabi  V,  1,  34  zu  ver- 
gleichen, worüber  zu  verweisen  ist  auf  »Monumenti  Gabini  della  villa 
Pinciana«  Roma  1797,  S.  146  und  auf  die  Quaestiones  Prop.  des  Re- 
ferenten S.  31. 

Der  zweite  Teil  der  Heymannschen  Arbeit  stellt  die  in  den  Hand- 
schriften vorkommenden  orthographischen  Altertümlichkeiten  zusammen 
und  bietet  einen  Versuch,  Normen  für  eine  konsequentere  Rechtschrei- 
bung der  Properzianischen  Elegien  zu  gewinnen.  Trotzdem  die  Unter- 
suchung dadurch  beeinträchtigt  wird,  dafs  Heymann  in  der  Handschriften- 
frage auf  dem  teilweise  irrigen  Standpunkt  von  Leo  steht,  den  derselbe 
in  seinen  vindiciae  Propertianae  (Rhein.  Mus.  XXXV,  441  ff.)  näher  be- 
gründet hat  (vgl.  aber  Solbisky,  De  codieibus  Propertianis  in  Diss. 
Jenens.  II,  139  ff.),  sind  doch  diese  orthographischen  Zusammenstellungen 
neu  und  mit  Nutzen  zu  gebrauchen. 


Kirchner,  De  Propertii  libro  quinto.  89 

12)  Kirchner,  Karolus,  Saxoborussus,  De  Propertii  libro  quinto 
capita  sex.  Wismar.  HinsdorfFsche  Rats -Buchdruckerei  (L.  Eber- 
hardt).     1882.     86  S.     gr.  8°. 

Rec. :  R.  Ehwald,  Jahresber.  für  Altertumswissenschaft  XLIII 
(1885  II),  174  f.;  E.  Heydenr eich,  Philol.  Rundschau  IV  1161  ff. 

Kirchner  geht  von  der  Ansicht  Heim  reich  's  Symb-  Philol.,  Bonn, 
S.  674 ff.  aus,  dafs  das  letzte  Buch  der  auf  uns  gekommenen  Properzi- 
schen Liedersammlung  mit  Ausnahme  des  Schlufsgedichtes  unecht  sei 
und  mehrere  Lieder  von  Passenus  Paulus  enthalte.  Mit  Recht  weist 
Kirchner  zunächst  darauf  hin,  dafs  dieser  in  das  zweite  Jahrhundert  ge- 
hörende Dichter  wenigstens  für  das  fünfte  Gedicht  durch  die  von  Haupt 
(ind.  lect.  aestiv.  Berol.  1856,  S.  3  =  opusc  II  101)  behandelte  Pompe- 
janische  Inschrift  =  V  5,  47  f.  als  Verfasser  ausgeschlossen  ist.  Eher 
könnte  man,  wenn  die  Unechtheit  bewiesen  wäre,  mit  Carutti  ed.  praef. 
S.  XI  an  Sabinus,  den  Zeitgenossen  des  Ovid  deuken.  Aber  die  gegen 
die  Echtheit  des  Schlufsbuches  vorgebrachten  Gründe  seien  —  abge- 
sehen von  Vi,  71-  150,  vgl.  unter  No.  55  —  sämtlich  nicht  stichhaltig. 
Dies  zu  erweisen  ist  die  Aufgabe  der  in  sechs  Kapitel  zerfallenden  Ar- 
beit Kirchners. 

In  einem  ersten  Kapitel  führt  Verfasser  aus,  dafs  kein  Moment 
vorhanden  sei  »propter  vitae  condiciones  morumque  eius  qui  eas  com- 
posuerit«  die  Elegien  des  Schlufsbuches  für  unecht  zu  erklären.  Höch- 
stens sei  die  fünfte  Elegie  auffällig;  doch  reichten  die  Unebenheiten 
nicht  hin,  die  Athetierung  zu  rechtfertigen.  Dazu  berechtigt'  auch  nicht 
die  Form  der  Gedichte,  wie  Verfasser,  teilweise  in  Anschlufs  an  Voigt, 
De  quarto  Prop.  libro  Helsiugfors  1872,  im  zweiten  Kapitel  näher  dar- 
legt. Ob  er  freilich  Recht  hat  mit  der  Behauptung  S.  10  »tot um  cau- 
sarum  opus  non  perfectum  esse  sed  ex  singulis  fragmentis  constare«, 
scheint  fraglich. 

In  einem  dritten  Kapitel  versucht  es  Kirchner,  die  Abfassuugszeit 
der  einzelnen  Lieder  des  fünften  Buches  zu  bestimmen.  Nach  Kirchner 
sind  V  la,  2,  4,  9  und  10  zwischen  732  (22)  und  738  (16)  gedichtet. 
V  lb  hält  Kirchner  für  unecht.  V  3  sei  733  (21)  oder  734  (20),  V  5 
um  725  (29),  V  6  erst  739  (15),  V  7  nicht  lange  nach  dem  Tode  der 
Cynthia  725  (29),  V8  vielleicht  726  (28).  V  ll  aber  738  (16)  abgefafst. 
Die  Chronologie  der  Properzischen  Gedichte  i^i  nun  freilich  ein  Gebiet, 
auf  dem  bei  Schritt  und  Tritt  der  Boden  schwankt;  und  i^t  es  deshalb 
doppelt  beklagenswert,  dafs  Kirchner  die  Arbeil  von  Rob.  Scharf 
Quaestiones  Propertianae,  Balis  Sax.  1881  (vgl.  den  Berichl  des  Re- 
ferenten unten  unter  No.  18)  nicht  gekannt  hat.  Dennoch  ist  das  Re- 
sultat  dieses  dritten  Kapitels  »propter  ternporis  rationes  ne  iinum  qui- 
dem  libri  quinti  Carmen  spurium  habendum  esse«  offenbar  richtig« 

Das  vierte  Kapitel  zeigl  auf  Grund  eines  sehr  reichen  statistischen 


90  Kirchner,   Do   PropertÜ  lihro   qu int o 

Materiales,  dessen  Bammlang  einen  wahren  Bienenfleifs  \  I    dafs 

betreffs  der  Synaloephe,  des  Gebrauches  der  Daktylen  und  Spondeen 
sowie  der  Cäsuren  das  fünfte  Buch  von  <l!'n  ersten  der,  I  dem 

Qäcbst  vorhergehenden,  oichl  Behr  verschieden  ist,  dafs  jedoch  eine 
gröfsere  metrische  Strenge,  die  durch  den  Vorgang  Ovids  veranlafst 
scheine,  im  letzten  Buch  des  Properz  anerkannl  werden  mufs.  Auch 
hier  sei  von  V  l1'  abzusehen.  Wenn  nun  auch  die  Litteratur  nur  teil- 
weise benutzt,  z.  I!.  die  Dützlichen  Arbeiten  von  Gebhardi,  De  Tibulli 
Propertii  Ovidii   distichis  quaestionura  rum    ipecimen    1870  und 

Birt,  Ad  historiam  hexametri  latini  symbola  1877  übergangen  werden, 
so  sind  doch  die  S.  29  ff.  gebotenen  statistischen  Tabellen  sehr  instruktiv. 
Mit  Recht  glaubt  Verfasser  die  Frage,  ob  das  fünfte  Buch  aus  me- 
trischen Gründen  unechte  Stücke  enthalte,  verneinen  zu  müssen;  aber 
auch  die  von  ihm  gegen  die  Ecbtheit  von  V  lb  vorgetragenen  metrischen 
Bedenken  werden  schwerlich  irgend  jemand  überzeugen. 

Nachdem  Verfasser  im  fünften  Kapitel  die  Ausdrucksweise  des 
fünften  Buches  als  properzisch  nachgewiesen,  bietet  er  in  dem  S.  45 -84 
ausgedehnten  letzten  Kapitel,  zum  Teil  in  Anschlufs  an  Ziugerle's 
bekanntes  Buch  über  Ovid  und  sein  Verhältnis  zu  den  Vorgängern  und 
gleichzeitigen  Dichtern  sowohl  eine  grofse  Anzahl  von  Parallelstellen 
aus  Ovid  zu  Properz  als  insbesondere  den  Nachweis  zahlreicher  Anklänge 
dieses  fünften  Buches  an  Callimachus.  Hervorgehoben  zu  werden  ver- 
dient der  S.  46  ff.  vorgelegte  ausführliche  Vergleich  von  Prop.  V  3  mit 
Ovids  Heroiden,  wobei  Jurenka's  »Beiträge  zur  Kritik  der  Ovidischen 
Heroiden«  1881  (vgl.  den  Bericht  des  Referenten  unter  No.  51)  aller- 
dings nicht  benutzt  sind.  Kirchner  entscheidet  sich  -  nach  der  An- 
sicht des  Referenten  mit  Recht  —  dafür,  dafs  Ovid  der  Nachahmer  des 
Properz  war:  »facile  fieri  potuit;  ut  Ovidius  libri  quinti  carmina  fortasse 
a.  740  nondum  editi  antea  novisseU  (S.  58).  Auch  durch  die  zahl- 
reichen Parallelstellen  wird  die  von  Kirchner  mit  Glück  verteidigte  Echt- 
heit des  letzten  Buches  der  Properzischen  Gedichtsammlung  bestätigt. 

Die  Arbeit  Kirchners,  deren  Gebrauch  allerdings  durch  den  Mangel 
eines  Stellenregisters  erheblich  erschwert  wird,  bietet  manche  gute  und 
brauchbare  Bemerkung.  Es  ist  daher  zu  bedauern,  dafs  dieselbe  nur 
wenig  bekannt,  geworden  ist:  Plessis,  der  eine  sehr  ausgebreitete  Kennt- 
nis der  deutschen  Speziallitteratur  zu  Properz  besitzt,  erwähnt  sie  Etudes 
crit.  sur  Properce  an  der  zuständigen  Stelle  S.  245  nicht;  auch  dem 
Referenten  gelang  es  nur  nach  langer  Mühe,  ein  Exemplar  der  Disser- 
tation zu  erlangen.  Namentlich  die  metrischen  Erörterungen  Kirchners 
mit  ihrer  reichen  Statistik,  sowie  das  Schlufskapitel  mit  seinen  Nach- 
weisen über  Ovid  und  Callimachus  machen  es  wünschenswert,  dafs  eine 
Anzahl  von  Exemplaren  durch  eine  unserer  bekanntereu  buchhäudlerischen 
Firmen  auch  weiteren  Kreisen  zugänglich  gemacht  wird. 


Mallet,  Quaestiones  Propertianae.  91 

13)  Mallet,  Fridericus,  Quaestiones  Propertianae.  Diss.  philol. 
Gottingae,  apud  Calvoerium.  Druck  der  Dieterichschen  Universitäts- 
Buchdruckerei.     W.  Fr.  Kästner.     68  S.     8°.     1882. 

Rec. :   K.  Schenkl,  Deutsche  Litteraturztg.  1884  No  8  S.  271. 

Diese  Karl  Dilthey  gewidmete  vortreffliche  Untersuchung  schliefst 
sich  den  Arbeiten  von  Rohde,  Heibig  und  Otto  an  (vgl.  den  letzten  Be- 
richt des  Referenten  unter  No.  11).  Während  aber  diese  Gelehrten  in 
den  von  Properz  verwendeten  mythologischen  Sagenstotfeu  griechische 
Einflüsse  nachwiesen,  thut  dies  Mallet  im  ersten  Teil  seiner  Dissertation 
S.  3  ff.  mit  einzelnen  Wendungen.  So  begegnen  sowohl  bei  Properz  als 
auch  bei  den  Griechen:  das  Bild,  dafs  der  Dichter  aus  einem  Flusse 
trinkt;  der  Vergleich  der  Dichtkunst  entweder  mit  der  Schiffahrt  oder 
mit  einem  Rossegespanu ;  der  Gedanke,  dafs  die  Augen  in  der  Liebe 
Führer  sind,  dafs  Cupido  auf  Haupt  oder  Nacken  des  in  Liebe  ent- 
brannten Jünglings  die  Füfse  gesetzt  habe  u.  dgl.  mehr.  S.  33  ff.  weist 
Verfasser  sodann  nach,  dafs  auch  »ipsa  Propertii  amatoriorum  carminum 
argumenta«  auf  alexandrinische  Vorbilder  zurückgehen,  so  bei  den  Ge- 
dichten I  2.  3,  III  12.  30-  Mit  Recht  entscheidet  sich  Mallet  S.  56  da- 
für, die  Ähnlichkeit  des  Properz  mit  Paulus  Silentiarius  aus  gemein- 
samer griechischer  Quelle  zu  erklären.  Am  Schlufs  S.  57  werden  die 
Epicedien  (vgl.  I  21;  IV  7.  18;  V  7.  11)  auf  ihre  griechischen  Anklänge 
hin  untersucht. 

Die  Arbeit  zeugt  von  guter  Methode  und  grofser  Beherrschung 
der  einschlagenden  Litteratur;  besonders  ist  hervorzuheben,  dafs  auch 
die  bildende  Kunst,  wie  die  zahlreiche  Verwertung  archäologischer 
Werke  darthut,  in  umfangreicher  Weise  von  Mallet  zur  Lösung  seiner 
Aufgabe  herangezogen  ist.  Verfasser  ist  selbst  so  vorsichtig,  nicht  so- 
fort aus  jeder  Übereinstimmung  des  Properz  mit  einem  Griechen  einen 
sicheren  Schlufs  darauf  ziehen  zu  wollen,  dafs  jeuer  aus  diesem  schöpft. 
So  bemerkt  er  zu  Prop.  IV  18,  22  »est  mala,  sed  cunctis  ista  terenda  via 
est«:  »Fortasse  hie  (seil.  Propertius)  istano  viam  omnitras  homiuibus 
ex  Graeco  auetore  mutuatus  est  poeta«.  Aber  nicht  immer  ist  der 
selbständigen  poetischen  Gestaltungskraft  des  Römers  genügend  Rech- 
nung getragen:  Dafs  die  Liebe  bis  in  die  innerste  Brust  eindringt,  ist 
ein  so  naheliegender  Gedanke,  dafs  Properz  1  '.».  29  »media  attigit  ossa« 
trotz  ähnlicher  Wendungen  bei  Theocrit,  denselben  nicht  notwendig,  wie 
Mallet  S.  18  meint,  aus  einem  griechischen  Original  genommen  haben 
mufs.  Auch  wo  mehrere  Römer,  wie  Tibull  und  Ovid,  denselben  Ge- 
danken wie  Properz  und  die  Alexandriner  haben,  i-i  die  Meinung  Mal- 
le ts  S.  21,  dafs  nicht  Tibull,  sondern  alexandrinisches  Vorbild  hier  ent- 
scheidend gewesen  sei,  nicht  überzeugend  begründet.  Die  Behauptung 
S.  36  »Corte  Paulus  [seil  Anth.  Pal.  V  -j.vjj  nun  ex  Propertio  hausit  a 
quo  id  laseiviae  genus  alienum  est«  ist  sein  gewagt,  vgl.  Vahlen, 


92  Mallet,  QuaeBtiones  Propertianae. 

»Beiträge  zur  Berichtigung  der  Elegien  des  Proporz«,  Monatsberichte 
der  Berliner  Akademie  1881,  354.  Im  grofsen  und  ganzen  aber  sind 
die  Nachweise   alexandrinischen    Einflusses   auf  Properz    woblgelungen, 

woran  der  erfahrene  Rat  Dilthey's,  den  Verfasser  einzuholen  wieder- 
holt in  der  glücklichen  Lage  war,   gewifs  viel  beigetragen  haben  wird. 

Eigene  textkritikalische  Vermutungen  trägt  Mallet  nirgends  vor; 
dies  wird  ihm  niemand  zum  Tadel  anrechnen,  der  die  Menge  schlechter 
Konjekturen  kennt,  welche  das  letztvergangene  Jahrzehnt  in  Umlauf  ge- 
setzt hat.  Bei  der  Besprechung  von  V  11  S.  63  war  auf  Hübner's 
Aufsatz  in  den  Comment.  philol.  in  honorem  Th.  Mommseni  S.  98  ff. 
Bezug  zu  nehmen. 

Verschiedene  Formen  des  Druckes  und  ein  ausführlicher  index 
locorum  Propertianorum  erleichtern  die  Übersicht  dieser  auch  äufserlich 
trefflich  ausgestatteten  Schrift.  Dieselbe  gehört  zu  dem  Besten,  was  in 
neuerer  Zeit  über  Properz  veröffentlicht  worden  ist. 

14)  Marx,  Antonius,  De  S.  Propertii  vita  et  librorum  ordine 
temporibusque.  Diss.  iuaug.  Lips.  Kommission  von  Gustav  Fock. 
Leipzig.     1884.     84  S.     8°. 

Rea:  E.  Heydenreich,  Philol.  Rundschau  1885,  741  f. 

Bei  der  vielfach  zerstreuten  wissenschaftlichen  Thätigkeit  der 
neuesten  Zeit  über  das  Leben,  die  Ordnung  und  Abfassungszeit  der 
Bücher  des  Properz  würde  eine  zusammenfassende  Darstellung,  wie 
sie  Marx  versucht,  au  sich  erwünscht  sein.  Allein  wer  diese  Lücke 
befriedigend  ausfüllen  will,  mufs  besser  ausgerüstet  ans  Werk  gehen, 
als  dies  dem  Verfasser  vorliegender  Dissertation  nachgerühmt  werden 
kann.  Häufig  genug  begegnet  ungenügende  Verwendung  der  ein- 
schlagenden Litteratur.  Wenn  Marx  z.  B.  S.  10  bemerkt:  »Originem 
nominis  Aurelii  in  nostri  poetae  Aureliisque  Prudentii  nominibus  con- 
fusis  Hauptius  invenisse  sibi  visus  est« ,  so  durfte  nicht  verschwiegen 
werden',  dafs  Haupt  diese  Vermutung  nicht  für  beweisbar  hielt,  vergl. 
darüber  Magnus,  Berliner  Philol.  Wochenschr.  1886,  1280;  und  dann 
war  auch  darauf  hinzuweisen,  dafs  James  Cranstoun,  The  Eleg.  of 
Prop.  transl.  into  Engl,  verse,  London  1875  S.  13  Aurelius  für  eine 
Korruption  aus  Amerinns  hält,  da  Arneria  von  mehreren  Gelehrten  als 
Heimatsort  des  Dichters  angesehen  wird.  Vor  einem  litterarischen  Weg- 
führer aber,  der,  wie  Marx  über  das  Verhältnis  des  Properz  zu  den 
alexandrinischen  Vorbildern  Otto's  bahnbrechende  Arbeiten  (vgl.  den 
letzten  Bericht  des  Referenten  No.  11  und  12)  nicht  kennt  und  Zingerle's 
vortreffliches  Buch  über  das  Verhältnis  des  Ovid  zu  den  gleichzeitigen 
Dichtern  nicht  nennt,  mufs  ausdrücklich  gewarnt  werden.  Wer  sich  in 
das  Studium  der  einschlagenden  Fragen  einführen  lassen  will,  kann  die 
Schrift  von  Marx  ohne  Schaden  übergehen,  er  wird  an  den  gleichzeitig 
erschienenen  gründlichen  und  einsichtsvollen  »Etudes  critiques  sur  Pro- 


Marx,  De  Propertii  vita.  93 

perce  et  ses  elegies«    von  Plessis   (Paris    1884,    siehe  nachher  unter 
No.  16)  einen  zuverlässigen  Katgeber  finden. 

Nun  wird  zwar  von  Marx  auch  einzelnes  Neue  beigebracht.  Es 
heilst  aber  die  Geduld  und  Nachsicht  des  Lesers  in  arger  Weise  in 
Anspruch  nehmen,  wenn  man,  wie  Marx,  einen  Gegenstand,  der  in  eine 
grofse  Anzahl  einzelner  Spezialuntersuchungen  zerfällt,  ohne  jede  Sonder- 
überschrift, ohne  Verschiedenheit  des  Druckes,  ohne  Eegister,  überhaupt 
ohne  jeden  Fingerzeig  zur  Orientierung  in  einem  Umfang  von  nahezu 
100  Seiten  abhandelt. 

Marx  stellt  die  Vermutung  auf,  Properz  habe  wohl  das  erste, 
dritte  und  vierte,  nicht  aber  das  zweite  Buch  selbst  herausgegeben. 
Die  Gedichte  des  zweiten  seien  vielmehr  von  den  Freunden  des  Dich- 
ters nach  seinem  Tode  ediert,  die  meisten  unvollendet,  wie  sie  im 
Nachlasse  aufgefunden  seien  —  eine  Ausicht,  gegen  die  mit  Recht 
bereits  Reisch,  Wiener  Studien  IX  1887,  S.  105  sich  ausgesprochen 
hat.  Der  Dichter  habe  in  Absicht  gehabt,  mit  dem  elften  Gedichte  das 
zweite  Buch,  dessen  spätere  Gedichte  omnia  augenda  expolienda  ab- 
solvenda'  gewesen  seien,  zu  schliefsen,  mit  dem  12.  Gedicht  aber  ein 
neues  Buch  zu  beginnen,  von  dem  er  nur  sehr  wenig  Gedichte  fertig 
ausgearbeitet  habe.  Marx  meint  in  die  Arbeitsweise  des  Dichters  einen 
tiefen  Blick  thun  zu  können.  Niemand  habe  bis  jetzt  erkannt,  dafs 
III  20  in  I  3  doppelt  erhalten  sei:  »In  tota  re  carmina  I  3  et  111  29 
consentiunt  et  maturo  tempore  hoc  carmen  scriptum  esse  pentametrorum 
exitus  docent.  Ergo  poeta  primum  duas  carminis  III  29  partes  compo- 
suit,  deiude  unum  pulcherrimum  carmen  13  his  partibus  effecit,  prio- 
rem  partem  duobus  versibus  (13,  9  sq.)  compressit,  posteriorem  auxiu 
(S.  82).  Dies  soll  ein  Beweis  dafür  sein,  dafs  Properz  das  zweite  Buch 
überlieferter  Zählung  nicht  selbst  herausgegeben  haben  könne.  Ähnlich 
werden  II  9,  II  136,  II  8  behandelt,  um  die  Behauptung  S.  81  zu  recht- 
fertigen: »si  omnia  quae  non  convcniunt  secum  carmina  dirimimus,  in- 
tegre nova  carmina  hac  opera  non  efficiuntur,  fragmenta  frustula  effi- 
ciuntur,  immo  aliquotiens  sola  enuntiata  singulis  distichis  ex] 
Eiusmodi  enuutiatis  distichisque  poeta  carmina  sua  pangere  coepisse 
credendus  est  plurima,  paulatim  ea  auxit  mutavit  coniunxit,  quaedam 
intacta  reliquit,  alia  contraxit  compressit  vel  eiecil  vel  extinxitc.  Wenn 
Marx  sich  dafür  ausspricht,  dafs  diese  angebliche  Veröffentlichung  des 
Nachlasses  in  einem  einzigen  Bach  erfolgt  sei,  und  dadurch  der  Lach- 
mann'schen  Zweiteilung  entgegentritt,  so  hat  er  damit  Ich  Forschungen 
Birts  über  das  antike  Buchwesen  nicht  Rechnung  getragen.  Ebenso 
unbewiesen  sind  die  Behauptungen  ron  Marx  dafs  Propere  II  7,  111  10. 
22.  23.  24.  29  selber  gar  nicht  heranreichen  haben  würde  und  dafs 
er  einzelne  Gedichte,  die  gegenwärtig  im  dritten  Buche  Lachmannscher 
Zahlung  stehen,  dem  von  ihm  angeblich  beabsichtigten  /weiten  Buche 
würde    einverleibt     haben.      Auch    Otto    hat     sich    gegen    die    Marx -che 


94  Marx,  De  Propertii  vita 

Auffassung  dos  zweiten  Buches  alter  Zählung  in  seinem  Aufsatz  «die 
Reihenfolge  der  Gedichte  des  Properza  Hermes  XX.  8.662  Anm.  aus- 
gesprochen,  wobei  er  die  Arbeit  von  Marx  so  beurteilt:  "L'lierhaupt 
kann  ich  hier  die  Bemerkung  nicht  unterdrücken,  dafs  Marx  die  Sache 
in  keinem  Punkte  gefördert,  wohl  aber  die  etwa  schon  vorhandene  Ver- 
wirrung und  Ungewifsheil  durch  neue  und  wahrlich  nichl  bessere  Ein- 
fälle vermehrt  hat.« 

Interessanl  isl  es  aus  8.  70  der  Dissertation  von  Marx  zu  erfahren, 
dafs  Bücheier  eine  planmäfsige  Anordnung  des  letzten  Buches  aner- 
kannt wissen  will.  Marx  sagt  wörtlich:  Carminum  ordo  ut  in  primo 
lihro  artificis  curam  sapit  quam  rem  Huechelero  duce  enucleatam  esse 
gaudeo.  Sepone  primam  elegiam,  exordium  totius  lihri,  et  horoscopus 
falsae  rerum  futurarum  scientiae  gloriosus  venditor  oppositus  esse  vide- 
bitur  Corneliae  vera  sua  merita  omnibus  nota  prodenti  praeterita.  Ver- 
tumno  respondet.  Juppiter  Feretrius,  utriusque  dei  nomen  a  poeta  expli- 
catur.  Arethusa  coniugis  de  frigido  amore  queritur,  Hercules  respondet 
mulierum  duros  animos  increpans.  Quarto  carmine  et  oetavo  Tarpeia 
et  Cynthia  inter  se  opponuntur,  utraque  est  perfida  mulier,  utraque 
tarnen  in  carmine  suo  lectori  non  prorsus  odiosa,  illa  tragicam  haec  co- 
micam  quandam  personam  induta.  Restant  lena  et  Cynthia,  utraque 
mortua,  utraque  tiebili  et  turpi  ratione  sepulta  est,  illa  merita  haec  non 
merita  tut  poetae  quidam  carminis  tempore  videbatur)  illam  mortuam 
detestatur  poeta  hanc  pulcherrimo  carmine  laudat  celehratque.  Mediam 
totius  lihri  sedem  Apollo  oecupat  Palatiuus  eiusque  Romae  regni  pro- 
curator  Augustus.«  Dafs  aber  eine  solche  genaue  Responsion,  wie  sie 
im  Einzelnen  wohl  mehr  von  Marx  als  von  ßücheler  (vgl.  auch  unten 
unter  No.  44)  vertreten  werden  dürfte,  eine  gekünstelte  ist,  haben  so- 
wohl Otto,  Herines  XX,  567  als  auch  0.  Ribbeck,  Rhein.  Mus.  f. 
Philol.  XL,  1885,  S.  482  bereits  bemerkt. 

15)  Otto,  Die  Versumstellungen  bei  Properz.  Erster  Teil.  Grofs- 
Glogau.     Gymnasialprogramm.     1884.     25  S.     gr.  4°. 

Rec:  H.  Draheim,  Wochenschrift  für  klassische  Philologie  1885, 
8  ff.;  E.  Heydenreich,  Philolog.  Rundschau   1884,  1160  ff. 

Die  Frage,  in  welchem  Umfang  in  den  Elegien  des  Properz  Vers- 
umstellungen zulässig  sind,  gehört  zu  den  wichtigsten  der  Properziani- 
schen  Textkritik.  Die  sehr  von  einander  abweichenden  Zählungen,  durch 
welche  die  Vergleichung  der  Ausgaben  erschwert  wird,  sind  zu  einem 
ganz  wesentlichen  Teile  in  der  Verschiedenheit  begründet,  mit  welcher 
eben  diese  Frage  beantwortet  wird.  Die  gröfste  Kühnheit,  die  zuerst 
von  Scaliger  geübt  und  vor  kurzem  durch  Carutti  und  ßaehrens  er- 
neuert worden  ist,  steht  einem  übergrofsen  Konservatismus  gegenüber, 
wie  er  speziell  in  der  sonst  so  verdienstlichen  Ausgabe  Hertzbergs  vor- 
liegt;   auch  Haupt   und   Vahlen  haben  die  Ansicht  vertreten,    dafs   im 


Otto,  Versumstellungen  bei  Properz.  95 

Properz  nur  au  wenigen  Stellen  ein  oder  ein  paar  Distichen  über  einige 
Verse  hinwegzurücken  seien.  Ein  Urteil  über  diese  Frage  war  schon 
aus  dein  Grunde  ungemein  erschwert,  weil  keine  Sammlung  des  ein- 
schlagenden Materiales  vorhanden  war.  Otto  stellt,  mit  Ausnahme  der 
Willkürlichkeiten  Carutti's,  alles  zusammen,  was  an  Versumstellungen 
seit  Scaliger  gewagt  wordeu  ist,  und  geht  mit  wohlthuender  Gründlich- 
keit und  Ruhe  die  einzelnen  Stellen  der  Reihe  nach  durch;  gesundes 
Urteil  und  ausgebreitete  Kenntnis  der  Litteratur  zeichnen  auch  diese 
Arbeit  des  um  Properz  bereits  mehrfach  verdienten  Verfassers  aus. 

Referent  kann  in  dem  knappen  Rahmen  dieses  Berichtes  nicht 
auf  Spezialitäten  näher  eingehen.  Da  aber  Otto  es  leider  versäumt  hat, 
eine  Übersicht  der  nach  seiner  Ansicht  teils  nötigen  teils  von  anderen 
irrtümlicher  Weise  aufgestellten  Transpositionen  zu  geben,  so  mag  eine 
kurze  Inhaltsangabe  folgen. 

Am  wenigsten  Anlafs,  die  überlieferte  Ordnung  der  Verse  in 
Zweifel  zu  ziehen,  hat  das  erste  Buch,  die  sogenannte  Monobiblos,  ge- 
boten, welches  sich  ja  überhaupt  besser  als  die  übrigen  erhalten  hat. 
Allein  ganz  intakt  uud  unbeschädigt  ist  doch  auch  dieses  Buch  nicht 
geblieben.  Otto  statuiert  aber  nur  an  zwei  Stellen  die  Notwendigkeit 
der  Umstellung:  I  7.  25  nach  V.  14  mit  W.  Fischer  und  I  15,  15.  IG 
eher  nach  V.  20  (so  Markland,  L.  Müller,  Baehrens  u.  a.)  als  nach  X.  22 
(Lachmann,  Palmer).  Dagegen  sei  I  7,  23.  24  nicht,  wie  Baehrens 
wollte,  mit  umzusetzen.  Auch  I  8,  13  ff.  seien  in  der  überlieferten  Ord- 
nung zu  belassen,  V.  15  sei  et  nicht  mit  Vahlen  in  ut,  sondern  auferet 
in  auferat  zu  andern.  I  8b  45.  46  sei  nicht  mit  Fischer  nach  V.  36  zu 
rücken.  I  15,  11.  12  sei  irrig  von  Baehrens  mit  dem  vorhergehenden 
Distichon  umgestellt,   vielmehr  sei   11  und   12  als  Parenthese  zu  fassen. 

Auch  der  erste  Teil  des  zweiten  Buches  Lachmannscher  Zählung 
wird  von  Otto  fast  unangetastet  gelassen.  Nur  II  4,  25.  26  weiden 
hinter  V.  14  und  II  6,  25.  26  hinler  V.  36  gestellt.  Im  übrigen  wird 
die  Überlieferung  verteidigt;  so  wird  die  Hypothese  Heimreichs,  II  l.  1 1  ff. 
seieE  umzustellen,  als  völlig  verfehlt  hingestellt;  Otto  schreibt  Vers  5 
mit  den  ältesten  Heransgebern  und  Palmer:  Sive  illam  Cois  folgentem 
incedere  vidi,  cogis  für  eine  Dittographie  aus  Cois  haltend  (anders 
Vahlen)  und  erklärt  sich  gegen  Lachmann  für  Beibehaltung  der  über- 
lieferten Versordnung.  Ebenso  wird  die  überlieferte  Versordnung  ver- 
teidigt II  :■.,  29  ff.  (gegen  Starb  und  Lachmann)  und  V.  39  f. 
Rofsberg),  II  4,  17 — 24  (gegen  Scaliger)  und  II  6,  41f.  (gegen  Scaliger 
und  Hetzel).  Äufserst  gewaltsam  aber  sind  die  von  <>;t'>  für  II  8  und 
II  9  S.  9  f.  vorgeschlagenen  Änderungen.  Es  soll  II  8,  l  6  mit  29—40 
ein  Gedicht  bilden,  9,  l  40  mit  11,  l  6  ein  zweites.  9,  n  48  mit 
8,  7-- 16  ein  drittes  und  8,  17  28  mit  9,  i:.  62  das  vierte,  dem  sich 
mit  10,  1  —  26  das  dritte  Buch  anschlofs.  I >.i  1  >*■  i  sind  nach  Otto  noch 
8,    7.   8    mit  Scaliger  nach   V.  10   uud  9,   13.   14   mit    Vahlen  nach   V.  lo 


96  Otto,  Versumstollungen  bei  Properz. 

zu  setzen.    Leider  konnte  Otto  bei  Abfassung  dieser  seiner  Abhandlung 
noch   nicht  auf  Birt  (Rhein.  Mus.  1883 ,   197  ff.)  Rücksicht  nehmen.     Er 
hat    dies  aber   nachgeholt   in   dem  Aufsatz:    »Die  ünvollständigkeil  des 
zweiten    Buches   des   Propertius   und  ihre  Entstehung«    (Jahrb.  f.  kl 
Philol.  1885,   Dl  ff.). 

Das  dritte  Buch  Lachmannscher  Zählung  ist  gleich  in  seinem  An- 
fang  sein-  kühnen  Kombinationsversuchen  ausgesetzt  gewesen.  Allein 
die  diesbezüglichen  Aufstellungen  Heimreichs  und  Faltins  sind  heute  be- 
reits antiquieri  (vergl.  Heydenreich,  Quaest.  Prop.  S.  22 ff.  und  Rich- 
ter in  dieser  Zeitschrift  1877  II,  S.  301).  »Es  wird  sich  kaum  eine  bes- 
sere Erklärung,  die  dem  Gedichte  in  allen  Stücken  gerecht  würde,  aus- 
findig machen  lassen,  als  diejenige,  welche  Heydenreich  angebahnt  und 
zuletzt  Birt  (Das  antike  Buchwesen  8.  41 5 ff.)  im  einzelnen  durchgefühlt 
hat.«  Auch  von  den  übrigen  Umstellungen,  die  im  Laufe  der  Zeit  in 
diesem  Buch  vorgenommen  sind,  wird  ungefähr  die  Hälfte  zurückgewie- 
sen:  beizubehalten  sei  die  überlieferte  Ordnung  II  16,  11.  12  (gegen 
Fontaine  und  Baehrens);  II  16,  41.  42  (gegen  Fontaine  und  Hetzel); 
II  17  (Umstellung  durch  Änderung  von  V.  15  beseitigt;  Hetzels  Verbin- 
dung von  17,  1—16.  18,  5  —  20.  23-  38  wird  abgelehnt,  aber  hinter 
V.  18,  4  eine  Lücke  angenommen);  II  20,  23.  24  (gegen  Baehrens); 
II  24,  35  —  38  und  47 f.  (gegen  Rofsberg);  II  26,  5.  6  (gegen  Burmann); 
II  26,  31.  32  (gegen  Brandt  und  Baehrens);  II  28,  35  —  46  (gegen 
Baehrens);  II  29,  15-18  und  27.  28  (gegen  Fontaine  und  Rofsberg); 
II  31,  7.  8  (gegen  Douza);  II  32,  7.  8  (gegen  Baehrens);  II  33  sei 
nicht  mit  Baehrens  für  lückenhaft  zu  halten;  II  34,  23 ff.  gegen  Munro 
(vgl.  Richter  in  dieser  Zeitschrift  a.  0.  S.  304);  II  34,  81  82  (gegen 
Brandt).  Es  bleiben  aber  noch  genug  Transpositionen  übrig,  welche  Otto 
billigt:  II  14,  13 f.  nach  V.  11  (mit  Fontaine);  II  18,  11.  12  vor  9  (mit 
Hertzberg);  II  18b  31.  32  nach  V.  28  (mit  Baehrens);  II  26,  11.  12 
nach  V.  18  (mit  Bähreus);  II  28,  33  f.  nach  V.  2  (mit  Passeratius);  II  30, 
13—  18  vor  V.  38  (mit  Lindner  und  Rofsberg).  »Ebenso  kann  die  Schlufs- 
folgerung  in  V.  31.  32  erst  folgen,  wenn  die  Aufzählung,  auf  welche  sie 
sich  stützt  (v.  27  —  30.  33  —  36)  beendet  ist,  sie  gehört  also,  wie  Rofs- 
berg eingesehen,  ebenfalls  in  die  Lücke  nach  V.  36  und  vor  V.  13.  Das 
enge  Verhältnis  dieser  beiden  auf  diese  Weise  wieder  vereinigten  Par- 
tien ist  unverkennbar.  Nur  in  einem  Punkte  weicht  meine  Ansicht  von 
der  Rofsbergs  ab,  ich  sehe  nämlich  in  dem  Erhaltenen  ein  vollständi- 
ges, einheitlich  iu  sich  abgeschlossenes  Gedicht«;  V.  19  will  Otto  S.  16 
so  herstellen:  »nunc  tarnen  immerito  Pkrygias  paras  ire  per  undas« 
(vgl.  Draheim  a.  0.  S.  9);  II  31,  5.  6  (mit  Douza)  an  den  Schlufs  des 
Gedichtes;  II  34,  47-50  nach  V.  54  (mit  L.Müller);  V.  77—80  nach 
66  (mit  Ribbeck  und  Heydenreich).  Diesen  schon  von  früher  her  be- 
kannten Transpositionen  fügt  Otto  noch  folgende  neue,  von  ihm  selbst 
herrührende   hinzu:    II  13,  21.  22   vor  V.  19;    II  16,  29.  30v  zwar  nicht 


Otto,  Versumstelhmgen  bei  Properz.  9  , 

hinter  V.  22,  was  Otto  De  fab.  Prop.  S.  11  proponiert,  jetzt  aber  zurück- 
nimmt, aber  »vielleicht  genügt  es  schon,  wenn  die  Verse  au  V.  26  an- 
geschlossen werden«;  II'  27,  5.  6  hinter  V.  8;  II  28,  39.  40  und  41.  42 
haben  die.  Stellung  zu  vertauschen. 

Auch  in  dem  vierten  (dritten)  Buche,  dein  letzten,  welches  Otto 
in  diesem  ersten  Teil  behandelt,  glaubt  Verfasser  für  eine  nicht  uner- 
hebliche Anzahl  von  Steilen  die  Notwendigkeit  einer  Versumstellung  er- 
härten zu  können.  Von  diesen  Stellen  sind  neu  III  7,  13  -IG  nach  V.  24; 
III  11,  59.  60  nach  V.  68,  III  14,  15.  16  nach  V.  10  und  V.  45.  46, 
sowie  43.  44  hinter  V.  2  resp.  10;  III  22,  37.  38  nach  V.  10  (so  schon 
De  fab.  Prop.  S.  11).  Dagegen  rühren  die  folgenden  von  Otto  gebillig- 
ten von  anderen  Gelehrten  her:  III  8,  25.  26  nach  V.  2  (mit  Vahlen, 
nur  dir  Konjektur  Vahlens  te  für  se  widerspricht  Otto) ;  III  16,  19.  20 
hinter  V.  14  (mit  W.  Fischer,  dagegen  seien  die  übrigen  Verse  dieser 
Elegie  in  der  überlieferten  Ordnung  zu  belassen);  III  20,  11.  12  nach 
V.  14  (mit  Scaliger),  V.  )'.).  20  nach  V.  12  und  vor  V.  15  (mit  Lach- 
maiiu);  III  22,  19-22  vor  V.  39  (mit  Baehrens).  Die  übrigen  Umstel- 
lungsversuche werden  zurückgewiesen:  III  3,  8  und  12  sei  nicht  mit 
Polster  (Quaest.  Prop.  S.  2)  zu  vertauscheu,  da  nicht  erwiesen,  »dafs 
Properz  nur  das  chronologische  und  nicht  vielmehr  eiu  sachliches  Mo- 
ment im  Auge  hatte«;  im  V.  8  sei  übrigens  nicht  eine  Anspielung  auf 
den  Triumph  des  Aemilins  Paullus  über  den  makedonischen  König  Per- 
seus  zu  erblicken;  vielmehr  sei  der  Sieg  des  L.  Aemilius  Regillus  über 
die  asiatische  Flotte  und  den  König  Antiochus  von  Syrien  bei  Myonne- 
sus  im  Jahre  100  vor  Chi',  gemeint.  —  III  4,  17.  18  nicht  mit  Keil  nach 
V.  14,  auch  nicht  V.  2!.  22  nach  III  5,  6.  --  III  6,  11  ff.  nicht  mit  Su- 
r  in  gar  und  Baehrens  umzustellen.  —  Betreffs  der  Paetuselegie  III  7  gelte 
noch  heute,  was  Lach  manu  von  Scaliger  schrieb:  mirum  omnia  transpo- 
nendo  nihil  effecit  nisi  ut  minus  quam  antea  eohaererent;  die  Beweis- 
führung Ottos  trifft  in  vielen  Punkten  mit  der  von  Vahlen  (SitZUDgsber. 
du-  lierl.  Akad.  der  Wi6sensch.  1883,  Heft  2  und  ;;i  zusammen,  weicht 
aber  in  der  Beurteilung  von  25  ff.  und  V.  13  ff.  von  diesem  ab  (s  u.). 
Sonst  aber  stimmt  Otto  dem  Resultat  der  Abhandlung  Vahlens  bei.  dafs 
die  überkommene  Versfolge  im  ganzen  wie  im  ein/einen  richtig  und  alle 
diesbezüglichen  Emendationsversuche  verfehlt  sind.  --  III  «1  kann  nach 
Otto  nicht  durch  Umstellung  hergestellt  weiden;  die  Umstellung  Lach- 
manns V.  59.  60  nach  V.  47  sei  unstatthaft:  Entweder  müsse  man  [II  9, 
17  60  als  für  sich  bestehend  abscheiden,  oder  man  nehme,  und  so 
Otto  mit   Hertzberg,  te  duce  =  quod  si  tu  praeires.  111  14,   18.   1  1 

von  Scaliger   und  Kanter  mit  Unrecht    nach  V.  16  gestellt.  III   ls 

seien  die  Umstellungsversuche   von  Rofsberg   und  Baehrens  verfehlt. 
Verroifsl    wird   am  Schlufs   eine  Besprechung  der  von  Kalk  mann.    De 
Bippolytis  Euripideis  quaestiones  novae,  Bonnae,  1881,  6.  L9  in  Anschluß 

Jahn  Bborlcbl  ftlr  Altsrtl i  il  j  7 


cjg  Otto,  VerBnmstellungen  bei  Properz 

an  Buche  ler  vorgeschlagenen    Umstellung   von    III   (IV)   24,    11  -  14 
nach  V.  8. 

Das  Ziel,  welches  nach  S.  3  Otto  sich  seihst  bei  dieser  Arbeit  ge- 
setzt hat,  »sowohl  die  starr  konservative  Richtung,  die  unbedingt  sich 
an  der  Überlieferung  festklammert,  als  unhaltbar  zu  erweisen,  als  auch 
die  Lust  an  zwar  blendenden  uud  geistreichen,  aber  ebenso  unbegrün- 
deten und  willkürlichen  Kombinationen  zu  zügeln  nnd  in  Schranken  zu 
halten«,  hat  er  ohne  Zweifel  erreicht.  Seine  Arbeit  enthält  wertvolle  Bei- 
träge zur  Properzkritik  und  ist  für  jeden,  der  sich  mit  derselben  be- 
schäftigt, unentbehrlich.  Eine  höchst  erwünschte  Vorarbeit  wird  sie  dem 
Gelehrten  sein,  der  vor  der  schwierigen  Aufgabe  nicht  zurückschreckt, 
einen  dem  gegenwärtigen  Standpunkt  der  Wissenschaft  entsprechenden 
kritischen  Kommentar  zu  den  Gedichten  des  Properz  zu  schreiben. 

Die  Fortsetzung  dieser  Arbeit  Ottos  ist  unter  dem  Titel  »Die 
Versumstellungen  in  den  vier  ersten  Elegien  des  vierten  Buches  des 
Properz«  in  den  Commentationes  in  honorem  Augusti  Reifferscheidii 
(1884),  ihr  Schlufs  in  der  Berliner  Philol.  Wochenschrift  1885  No.  16 
erschienen. 

Referent  hatte  in  seiner  oben  notierten  Recension  die  Hoffnung 
ausgesprochen,  es  würden  sich  aus  Ottos  Untersuchungen  bestimmte 
Folgerungen  ziehen  lassen  über  die  wahrscheinliche  Zahl  der  zu  ver- 
setzenden Distichen,  d.  h.  über  die  Zeilenzahl  der  Kolumnen  im  codex 
archetypus.  Diesem  Wunsche  ist  inzwischen  Draheim  a.  0.  S.  9 f.  nach- 
gekommen; derselbe  berechnete  auf  Grund  der  Untersuchungen  von  Otto 
und  Birt  die  Zeilenzahl  jeder  Seite  auf  26.  Otto  hat  ganz  am  Schlufs 
seiner  Abhandlung  in  der  Berliner  Philol.  Wochenschrift  diesem  Ergeh 
nis  zugestimmt.  Referent  gesteht,  dasselbe  nicht  als  »feststehend«  be- 
trachten, sondern  ihm  nur  einen  gewissen  Grad  von  Wahrscheinlichkeit 
zugestehen  zu  können,  allerdings  einen  gröfseren,  als  den  Vermutungen 
von  Bährens  proleg.  p.  XLI  und  Jahrb.  f.  klass.  Philol.  1882,  S.  785  ff., 
vgl.  den  letzten  Bericht  des  Referenten  in  dieser  Zeitschrift  S.  145  und 
das  Referat  weiter  unten  unter  No.  37. 

16)  Plessis,  Frederic,  Etudes  critiques  sur  Properce  et 
ses  elegies.  Ouvrage  contenant  le  facsimile  de  six  feuillets  du  Nea- 
politanus.  Paris.  Hachette  et  Cie.   1884.  Gr.  8.  XVI,  331  S. 

Rec:  G.  Boissier,  Journal  des  Savants  1886  avril,  S.  189ff. ; 
R.  Elli  s,  American  Journal  of  Philology  1886  N.  26  S.  239 ff.  und  Aca- 
demy  1886  N.  733,  S.  366;  H.  Magnus,  Berliner  Philol.  Wochenschrift 
1886,  S.  1276ff.;  K.  Rofsberg,  Neue  Philol.  Rundschau,  1886,  S.  209 ff. 
Diese  reife  Frucht  sorgfältiger  und  gründlicher  Gelehrtenarbeit 
will  in  erster  Linie  das  schlummernde  Interesse  der  Franzosen  für  Pro- 
perz wecken  und  dieselben  mit  dem  bekannt  macheu,  was  das  Ausland, 
besonders  Deutschland   und  England ,   für   den   Dichter    in    den  letzten 


Plessis,  Etudes  critiques  sur  Properce.  99 

50  Jahren  geleistet  hat.  Aber  nicht  allein  den  Dank  seiner  Landsleute 
hat  sich  Plessis  durch  dieses,  auch  äufserlich  trefflich  ausgestattete 
Buch  verdient,  sondern  die  eingehende  Beachtung  der  Gelehrtenwelt 
überhaupt.  Denn  dasselbe  ist  nicht  nur  in  hohem  Mafse  geeignet,  in 
das  Studium  des  Dichters  einzuführen,  sondern  enthält  auch  eine  erheb- 
liche Anzahl  selbständiger,  neuer  Gedanken,  die,  wenn  sie  auch  nicht 
immer  das  Richtige  treffen,  doch  schon  deshalb  eine  ernste  Prüfung 
verdienen,  weil  der  Verfasser  klares  Urteil,  gesunde  Methode,  ausge- 
breitete Litteraturkenntnis  und  ein  aufrichtiges  Streben  nach  Unpartei- 
lichkeit zeigt. 

In  dem'  ersten  Abschnitt  dieser  Studien  über  die  Handschriften 
wird  zunächst  die  Erzählung  des  Alexander  ab  Alexandro,  Genialium 
dierum  libri  sex  lib.  II  cap.  1  Ende  (fol.  52b  der  Ausgabe,  Frankfurt 
1626),  dafs  die  Gedichte  des  Properz  c.  1440  zuerst  in  einem  Weinkeller 
in  sehr  verwahrlostem  Zustande  aufgefunden  seien,  für  eine  Fabel  er- 
klärt und  dargethan,  dafs  bereits  Petrarca  eine  Handschrift  des  Dich- 
ters besesseu  hat.  Dafs  freilich  Properz  im  Mittelalter  ganz  vergessen 
war,  erhellt  auch  aus  dem  Umstand,  dafs  das  Werk  von  Gustav  Becker 
(Catalogi  bibliothecarum  antiqui,  Bonn  1885)  keine  einzige  Properz- 
handschrift  erwähnt.  Hierauf  folgt  bei  Plessis  die  eingehende  Beschrei- 
bung und  Beurteilung  des  Neapolitanus.  Verfasser  hat  die  Reise  nach 
Wolffenbüttel,  wo  bekanntlich  der  Kodex  jetzt  liegt,  persönlich  ausge- 
führt, die  Handschrift  selbst  untersucht  und  von  ihr  sechs  Facsimile- 
tafeln  anfertigen  lassen,  welche  eine  höchst  erwünschte  Beilage  seines 
Buches  bilden.  Das  Alter  dieser  wichtigsten  aller  Properzhandschriften 
wird  ja  sehr  verschieden  beurteilt:  Lachmann  und  Hertzberg  setzen  sie 
ins  13.  Jahrhundert,  Keil  ins  12.,  Lucian  Müller  ins  14.  oder  15.. 
Baehrens  ins  15.  Baehrens  fufst  bei  seiner  Zeitansetzung  darauf,  dafs 
der  Name  Mauetti  auf  der  Handschrift  stehe  und  dafs  ein  Janoötto 
Manetti  zu  Neapel  1459  starb;  allein  nach  Plessis  weisen  die  wenig 
lesbaren  Schriftzüge  eher  auf  einen  Namen  wie  Mometti,  wobei  der 
letzte  Buchstabe  auch  ein  anderer  als  i  sein  kann,  und  selbst  wenn  man 
Manetti  darin  finden  will,  beweist  dies  nur,  dafs  sie  demselben  gehört 
hat,  nicht  dafs  sie  zu  dessen  Zeit  auch  geschrieben  ist,  eine  Bemerkung 
von  Plessis,  gegen  die  Baehrens  schwerlich  etwas  einwenden  kann. 
Plessis  selbst  setzt  den  Neapolitanus  in  den  Anfang  des  13.  oder  au  das 
Ende  des  12  Jahrhunderts  und  beruft  sich  bei  Erörterung  dieser  Prag« 
auf  das  Urteil  von  Leopold  Delisle  und  E.  Chatelaiu,  welche  die  Fac- 
similes  der  Handschrift  geprüft  habeu.  Als  Beweisgründe  werden  aut- 
geführt: Die  grünen  Initialen  des  Kodex,  welche  seit  etwa  1220  nicht 
mehr  anzutreffen  seien.  §  =  ae,  ii  mit  Accenten  bei  zwei  aufeinander 
folgenden  i.  wahrend  hei  ein/einem  i  kein  Aeeent  gesetzt  wird,  &  für 
die  Schlufssilbe   der  Wörter  z.  B.  habA:,    f  für  schließende-  s,   das  nur 


100  Plessis,  Etudee  critiques   -m   Properce. 

selten  in  gerundeter  Gestalt  auftritt,  t  mit  dem  Grundstrieb  nicht  über 
den  Querstrich  hinaus. 

Trotz    der   sehr   gründlichen  Auseinandersetzung    von   Plessis   ist 

aber  die  Sache  noch  immer  nicht  recht  klar.  .Man  mufs  daher  wünschen, 
dafs  die  von  Plessis  veröffentlichten  Facsimiles  weitere  Gutachten  palfto- 
graphischer  Autoritäten  veranlassen.  Weder  Luc.  Müller  noch  Baehrens 
haben  verkannt,  dafs  die  Schriftzüge  an  sich  auf  eine  frühere  Zeit 
schliefsen  lassen,  als  sie  dem  Kodex  zugestehen  wollten.  Jener  aber 
nimmt  an,  dafs  die  Handschrift  mit  Fleifs  ältere  Schriftzüge  nachahme, 
dieser ,  dafs  dieselbe  in  einer  Gegend  geschrieben  wurde^  wo  noch  eine 
ältere  Schreibweise  in  Gebrauch  war.  Gegen  die  Annahme  von  L.  Müller 
wendet  Plessis  mit  Recht  ein,  dafs  man  das  Geschick  bewufster  Nach- 
ahmung fremder  Schriftzüge  nicht  für  alle  Teile  der  Handschrift  an- 
nehmen könne,  am  wenigsten  für  den  eilig  und  nachlässig  geschriebenen 
Schlufs.  Aber  auch  gegen  Baehrens,  dem  sich  Rofsberg  a.  0.  S.  210 
anschliefst,  wendet  sich  Plessis  S.  17  nicht  ohne  Grund:  »pour  lui,  le 
Neapolitanus  a  ete  execute  dans  cette  ville  du  vivant  de  Manetti;  et 
si,  redige  en  plein  quinzieme  siecle,  il  offre  les  caracteres  d'une  epoque 
bien  anterieure,  c'est  que  dans  l'Italie  meridionale,  on  etait  ea  retard 
pour  les  formes  de  l'ecriture  et  pour  l'omementatioa  des  manuscrits. 
Eu  retard  de  plus  de  deux  siecle s?  M.  Baehrens  en  est-il  bien 
sür?  Apres  1430,  ecrivait-on  ä  Naples  comme  on  avait  ecrit  ailleurs 
de  1190  ä  1220?«  Jedoch  auch  die  eigene  Ansicht  von  Plessis  ruft  ge- 
wichtige Bedenken  hervor.  Sowohl  L.  Müller  als  Baehrens,  denen  doch 
eine  grofse  Menge  Handschriften  vorgelegen  haben,  behaupten,  dafs  die 
Beschaffenheit  des  Pergaments  eine  so  frühe  Ansetzung,  wie  sie  Plessis 
zu  begründen  sucht,  ausschliefst.  Es  würde  überhaupt,  wie  L.  Müller 
und  Rofsberg  a.  0.  S.  211  mit  Recht  bemerkt  haben,  Verwunderung  er- 
regen, wenn  zwar  im  Anfang  des  13.  Jahrhunderts  eine  Abschrift  von 
Properz  genommen  wurde  in  so  deutlichen  schönen  Schriftzügen,  wie 
sie  N  aufweist,  in  einem  für  jene  Zeiten  so  erträglichen  Text,  dennoch 
aber  jede  Erwähnung,  jede  Spur  einer  Benutzung  vom  Anfang  des  13. 
bis  zum  letzten  Viertel  des  14.  Jahrhunderts  fehlt. 

Im  weiteren  Verlauf  seiner  die  Handschriften  behandelnden  Dar- 
legungen wendet  sich  Plessis  gegen  Baehrens,  der  den  von  ihm  hoch- 
geschätzten codex  Üttoboniano-Vaticanus  in  das  Ende  des  14.  Jahrhun- 
derts setzt.  Plessis  hat  die  Gutachten  hervorragender  Handschriften- 
kenner Roms  eingeholt:  »M.  Stevenson  place  la  date  de  l'Ottoboniano- 
Vaticanus  aux  alentours  de  1450;  le  caractere  des  lettres  ornees,  d'une 
elegance  precise  et  un  peu  seche,  ne  permet  pas  d'avancer  ni  de  reculer 
cette  date  d'une  maniere  sensible.  En  France,  le  manuscrit  serait  evi- 
demmeut  de  Ja  fin  du  quinzieme  siecle;  mais  les  Raliens  etaient  beaueoup 
plus  avances  que  nous  et  M.  Stevenson  est  dispose  ä  croire  l'Ottohoniano- 
Vaticanus  de  provenauce  toscaue.    MM.  P"aucon  et  de  Nolhac  aboutisseut 


Plessis,  Etüde =  critiques  sur  Proporce  101 

aux  memes  conclusions.«  (Plessis  S.  21  f.)  Mit  Recht  folgern  Plessis 
und  Magnus  a.  0.  S.  1277  hieraus,  dafs  nunmehr  auch  die  Angaben  von 
Baehrens  über  die  Zeit  seiner  anderen  Handschriften  Zweifel  verdienen. 

Bemerkenswert  sind  die  Mitteilungen,  welche  Plessis  S.  28  über 
die  Properzhandschriften  der  Bibliotheque  nationale  zu  Paris  macht, 
während  er  im  übrigen  nicht  auf  eine  vollständige  Aufzählung  der  bis 
jetzt  bekannten  Properzhandschriften  ausgeht:  es  fehlt  z.  B.  eine  Er- 
örterung über  den  codex  Dresdensis,  der  aus  dem  Apparat  von  Hertz- 
berg bekannt  ist.  Neun  Handschriften  werden  von  Plessis  für  so  hervor- 
ragend angesehen,  dafs  ihre  Lesarten  für  den  kritischen  Apparat  einer 
neuen  Ausgabe  Berücksichtigung  verdienen:  Neapolitanus  (N),  Vossia- 
nus  (A),  Laurentianus  (F),  Daventriensis  (D),  Ottoboniano  —  Vaticauus 
(V),  Groninganus  (G),  Hamburgensis  (H),  Perusinus  (P),  Parisiensis 
(No.  7989,  Bibl.  nat.)  (B).  Dies  Verzeichnis  dürfte  sich  im  Interesse  der 
Entlastung  des  Apparates  leicht  verkürzen  lassen:  Die  Varianten  der 
Pariser  Handschrift,  von  der  Plessis  selbst  S.  43  zugiebt,  dafs  sie  wenig 
Interesse  biete,  und  wohl  auch  der  Gröninger  würden  höchstens  in  Aus- 
nahmefällen verzeichnet  werden  müssen.  In  dem  wichtigen  Kapitel 
#aleur  comparative  S.  30  ff.  wird  dem  Neapolitanus  mit  Recht  der  erste 
Platz  eingeräumt,  auch,  und  zwar  ebenfalls  mit  Recht,  gegen  Leo  aus- 
geführt, dafs  die  neun  Handschriften  von  Baehrens  nicht  ganz  wertlos 
sind  (vgl.  darüber  den  letzten  Bericht  des  Referenten  in  dieser  Zeit- 
schrift S.  190). 

Einen  förmlichen  Stammbaum  der  Properzhandschriften  aufzustellen 
hat  Plessis  leider  verabsäumt.  Doch  unterscheidet  er  S.  44  drei  Gruppen: 
Die  erste  aus  zwei  Zweigen,  von  der  der  eine  durch  N,  der  andere 
durch  AF  gebildet  werde.  Die  zweite  Gruppe  setze  sich  aus  DV  zu- 
sammen, sei  untergeordnet  dem  N,  mit  AF  gleichwertig;  die  dritte 
Gruppe  aber  werde  von  denjenigen  Handschriften  gebildet,  welche  die 
Lesarten  der  beiden  ersten  vermengen;  H  schlösse  sich  trotzdem  mehr 
an  die  erste  Gruppe  an  durch  Fm  2;  G  werfe  die  beiden  ersten  Gruppen 
mehr  durcheinander,  stehe  aber  der  zweiten  Gruppe  näher  durch  die 
Vermittelung  von  Vm2.  Darin,  dafs  Plessis,  gegen  die  Neuerungen  von 
Baehrens,  N  wieder  in  seine  frühere  Stellung  als  der  wichtigsten  Hand- 
schrift einsetzt,  befindet  er  sich  in  Übereinstimmung  mit  allen,  die  sich 
über  diese  Frage  in  neuester  Zeit  geäufsert  haben  (vgl.  den  letzten  Be- 
richt des  Referenten  S.  145);  doch  ist  die  Abschätzung,  welche  Plessis 
den  übrigen  Handschriften  zu  teil  werden  läfst,  nicht  überall  richtig: 
Nach  den  gründlichen,  von  Plessis  nicht  benutzten,  Untersuchungen  von 
Solbisky,  comm.  Jenens.  1882,  S.  139  —  194  hat  die  Properzkiitik  im 
Wesentlichen  auf  N  und  der  Familie  DV  zu  beruhen  (vgl.  auch  unten 
unter  No.  20).  — 

In  der  zweiten  Studie  über  die  Ausgaben  hat  sich  der  Verfasser 
nicht  darauf  beschränkt,  dieselben  aufzuzählen,  sondern  hat.  etwa  in  der 


102  PJee  i  |  Etüde    i  ritiqoec    ai   Properes 

Weise  heutiger  deutscher  Universitätsvorlesungen,  zu  bestimmen  gesucht, 
wie  weit  die  einzelnen  Editionen  die  Bestellung  und  Erklärung  des 
Textes  gefördert  oder  gestörl  haben,  durch  welche  wechselnden  Ge. 
schicke  die  Elegien   des  Properz  bis  auf  unsere  Zeil  hindurchgegangen 

sind  und  welches  der  Nutzen  jeder  einzelnen  Ausgabe  ist.  Zwar  wird 
dieser  Teil  des  Buches  hauptsächlich  Lernenden  zu  gute  kommen,  er 
enthält  aher  zugleich  einen  auch  für  weitere  Kreise  instruktiven  Beitrag 
zur  Geschichte  des  Humanismus.  Die  Beurteilung  der  einzelnen  Leistungen 
trifft  im  allgemeinen  das  Richtige.  Für  den  freilich,  der,  wie  Referent, 
von  Plessis  nicht  voll  überzeugt  ist,  dafs  eine  schriftliche  Fixierung  des 
Properztextes  bereits  vor  Ende  des  H.Jahrhunderts  erfolgte,  werden 
die  ältesten  Editionen  ein  grösseres  Interesse  haben,  als  ihnen  Plessis 
zugestehen  will.  Über  die  seltene  Aldine  von  1502  (vgl.  Plessis  S.  50), 
von  der  Referent  ein  Exemplar  in  seiner  Privatbibliothek  besitzt,  giebt 
eine  schriftliche  Eintragung  von  moderner  Hand  in  dasselbe  folgende 
Auskunft:  »Expressam  eam  esse  ex  superiore  Veneta  1500  liquido  con- 
stat  pluribus  lectionibus  comparatis;  correctiones  tarnen  viri  docti  seu 
Avantii  seu  Aldi  experta  est,  in  Catullo  utique  Avantii,  id  quod  in 
praefatione  ipse  Aldus  testatur.  Idem  ait  nonnulla  asterisco  notata  in 
fine  operis  aliter  atque  aliter  legi  exeudenda  curasse:  quod  tarnen 
praestitum  ab  Aldo  non  videtur.  Nam  quae  sub  Catulli  calcem  sub- 
jeetae  sunt  emendationes  Avantii,  Lucretium  respiciunt.  Exierunt  prelo 
Aldi  ad  tria  millia  (sie!)  exemplaria  hujus  libri  ut  miraudum  sit 
eum  non  frequentius  reperiri.«  Eine  zusammenhängende  Untersuchung 
über  den  handschriftlichen  Wert  der  ältesten  Ausgaben  fehlt  zur 
Zeit.  Mit  Unrecht  wird  von  Plessis  S.  62  über  die  Ausgabn  Broek- 
huyzens  nur  gerühmt,  dafs  sie  denen  seiner  Zeitgenossen  vorzuziehen 
sei  und  dafs  sich  darauf  das  Gute  beschränke,  welches  man  von  ihr 
sagen  könne;  durch  ihren  index  verborum  ist  die  Ausgabe  noch  heute 
von  grofsem  Nutzen.  Bei  der  Erörterung  des  Zweckes  (Plessis  S.  73), 
welchen  Lachmann  mit  seiner  zweiten  Ausgabe  verfolgte,  war  statt  auf 
L.  Müller  vielmehr  auf  Lachmann  selbst,  Hall.  Allg.  Litteraturztg.  1836 
N.  109  Bd.  II  S.  251,  zu  verweisen;  die  Ausgabe  von  1829  war  nicht 
die  Folge  von  »defiance  de  ses  propres  forces« ;  trotzdem  dafs  Lach- 
mann absichtlich  die  meisten  seiner  früheren  Konjekturen  verschwieg, 
hielt  er  viele  doch  noch  immer  für  richtig  und  hatte  im  Sinne,  bei 
einer  neuen  Ausgabe  ihnen  ihr  Recht  angedeihen  zu  lassen.  Richtiger 
hätte  Plessis  über  Lachmann  geurteilt,  wenn  ihm  die  ausführliche  Beur- 
teilung von  dessen  Properzarbeiten  bekannt  geworden  wäre  in:  »Karl 
Lachmann,  Eine  Biographie  von  Martin  Hertz«,  Berlin  1851,  S.  19  ff., 
120  ff.  Auch  auf  Belger's  Buch  über  »Moritz  Haupt  als  akademischer 
Lehrer«,  Berlin  1879,  S.  254  hätte  bezug  genommen  werden  können. 

Die  S.  97  — 112   folgende  Studie  »Division   en   quatre  ou   en  cinq 
livres«  ist  eine  der  wenigst  gelungenen.    Mit  einer  Leidenschaftlichkeit, 


Pl><-is,  Etüde-  critiques  >ur  Propere^.  103 

die  zu  der  sonst  in  dem  ganzen  Buch  auftretenden  objektiven  Ruhe  im 
unangenehmen  Gegensatz  steht,  wird  hier  die  Lachmannsche  Teilung 
des  zweiten  Buches  verworfen  und  denjenigen  Herausgebern,  welche 
fünf  statt  vier  Bücher  zählen,  Mangel  an  Kritik  und  an  Aufmerksamkeit 
zugeschrieben.  Es  ist  aber  keineswegs  richtig,  was  Plessis  S.  111  sagt: 
»avec  un  peu  plus  de  sens  critique  et  surtout  d'attention,  ils  auraient 
vu  qu'elle  est  insoutenable«.  Ganz  falsch  ist  ferner,  was  er  den  eben 
citierten  Worten  anfügt:  »La  distribution  en  cinq  livres  donne  ä  l'oeuvre 
de  Properce  une  fausse  physiouomie«.  Diese  Studie  war  bereits  ge- 
schrieben, als  das  scharfsinnige  Buch  von  Birt  über  das  antike  Buch- 
wesen (vgl.  weiter  unten  unter  No.  40)  erschien,  welches  diese  Frage 
von  einem  neuen  und  weiteren  Gesichtspunkt  aus  behandelt,  und  es 
wäre  Pflicht  von  Plessis  gewesen,  die  bereits  abgeschlossene  Studie  mit 
Rücksicht  auf  Birt  umzuarbeiten.  Leider  aber  hat  er  sich  mit  der  Be- 
merkung begnügt:  »je  ne  crois  pas  que  le  Systeme  de  M.  Birt  ait 
beaueoup  de  chances  de  succes.  II  est  tout  d'imagination,  et  comme 
resultat,  n'offre  que  peu  d'interet.«  Aber  ganz  im  Gegenteil  kann  die 
Frage  der  Lachmannschen  Zweiteilung  nur  in  Zusammenhang  mit  den 
allgemeinen  Buchverhältnissen  der  Alten  beantwortet  werden,  da  das 
zweite  Gedichtbuch  alter  Zählung  nach  Birt  die  gewöhnliche  Länge 
ganz  bedeutend  übersteigt.  Was  die  Polemik  von  Plessis  gegen  Lach- 
mann selbst  betrifft,  so  ist  allerdings  zuzugeben,  dafs  nicht  alle  Gründe 
des  letztgenannten  überzeugend  sind  und  dafs  gegen  einige  Gründe  des- 
selben von  Plessis  Richtiges  eingewendet  wird.  Aber  in  der  Haupt- 
sache, der  Interpretation  des  berühmten  sat  mea  sat  magna  est  si  tres 
sint  pompa  libelli  II  13,  25,  ist  die  Polemik  von  Plessis  weder  neu  noch 
glücklich.  Plessis  beruhigt  sich  bei  der  auch  von  Faltin  (zur  Properz- 
kritik  S.  19)  gegebenen  Erklärung:  »je  n'y  vois  rien  de  plus  que  le  desir 
de  porter  ä  trois  le  nombre  de  ses  livres  de  poesiesa.  Aber,  wie 
Magnus  bereits  Piniol.  Wochenschr.  II  1882,  1125  hervorgehoben  hat, 
wäre  es  wunderlich,  wenn  Properz  mitten  in  trüben  Todesgedanken, 
während  er  düster  von  seinen  Begräbuisfeierlichkeiten  spricht,  ganz  bei- 
läufig den  Wunsch  einfliefsen  liefse,  noch  ein  Buch  Gedichte  zu  schreiben. 
Auch  die  vou  Nobbe  und  Voigt  aufgestellte,  von  Plessis  für  »aeeep- 
table«  erklärte  Deutung  von  tres  im  Sinne  einer  kleinen  Anzahl  über- 
haupt pafst  nur  da,  wo  die  Dreizahl  an  sich  schon  eine  sehr  kleine  An- 
zahl bedeutet;  von  Büchern,  wie  hier  hat  auch  Reisch  (Wiener  Stu- 
dien IX,  1887,  96),  der  tres  ebenfalls  »im  übertragenen  Sinne  versteht*, 
Beispiele  nicht  vorgebracht. 

Die  folgende  Studie  »Questiou  des  interpolations«  enthält  nicht, 
wie  der  unzutreffende  Titel  vermuten  läfst,  eine  zusammenhängende  Er- 
örterung über  Art  und  Umfang  der  Interpolationen  bei  Properz,  nimmt 
auch  nicht  Stellung  zu  der  Abhandlung  von  Theodor  Korsch,  De 
interpolationibus  Propertianis   in   Nord,  tidskr.   for    Hlol.  Ny  raekke  V. 


]  0 1  Plee  i      Etüde    critiquea    ur  Properce 

257—271»   (vgl.   den    letzten   Beriohl   des   Referenten   8.  186  f.),    «reiche 
dem  Verfasser  unbekannt  geblieben  ist,  bietel  vielmehr  eine  zwar  allzu 
weitschweifige,  aber  nicht  unntttzliche  Erörterung  über  folgende  einzelne 
Stellen:    11    l,    17     38,    wobei  auf  Hübner  in   Comment.   in  honorem 
Th.   Momraseni   (Berlin    1877)  8.  98  ff.    hätte   bezug  genommen    werden 
sollen;  II  l,  5.  6.   18.   li  (gegen  Gruppe);  II  10,  7.  h  (besonders  gegen 
Heimreich);   II  14  (Uli;  L.Müller),  11.   lu  (gegen  Guyet  und  Gruppe); 
II  •_'.",,   21   wird   tili   anecht  erklärt;  das  ganze  Gedicht  II  24  (nicht  nur 
l — 8,  wie  Heimreich   wollte»  wird  athetiert,   wogegen   bereits   Magnus 
a.  0.  S.  1279  Einspruch  erhoben  hat;  II  26  (III  2h;  II  28b  19.  60  (gegen 
Ileimreich  und  Weber);  II  30  (III  28  L.  Müller),   19     22  »sont  tellemenl 
deligures    qu'il    laut    les   ecarter  coinme   inexplicables   et  san->   intCri 
wobei  Knauth,    Herrn.,   Quaest.  Prop.  1878,  S.  33  unberücksichtigt  ge- 
blieben ist;  neuerdings  hat  auch  Otto,  Versumstellungen  I.  16  über  die 
Stelle   gehandelt    (vgl.   oben   unter   No.  15);   eine   ausführliche  Interpre- 
tation der  Lobpreisung  Virgils  II  34,  61  ff.,  die  für  echt  befunden  wird, 
bildet  den  Schlufs. 

Die  folgende  Studie  cnom  et  patrie  de  Properce'  enthält  zwar 
nichts  Neues,  aber  im  allgemeinen  Richtiges.  Den  Irrtum  S.  173,  Haupt 
habe  nicht  gewufst,  dafs  das  dem  Dichter  in  interpolierten  Handschriften 
zugeschriebene  nomen  Aurelius  vielleicht  aus  einer  Verwechselung  mit 
Prudentius  entstanden  sei,  bat  Magnus  a.  0.  S.  1280  berichtigt.  Das 
Verzeichnis  der  Orte,  welche  sich  um  das  Recht  streiten,  dafs  in  ihnen 
der  Dichter  geboren  sei,  bei  Plessis  S.  174  ist  unvollständig;  vgl.  Giulio 
Urbini,  La  vita  i  tempi  e  l'elegie  di  Sesto  Properzio  I,  Foligno  1883, 
S.  30  ff.  Plessis  entscheidet  sich  für  Asisium  als  Vaterstadt  des  Pro- 
perz;  Magnus  dagegen  a.  0.  S.  1280  meint,  dafs  der  Dichter  wohl  nicht 
in  sondern  bei  Asisium  geboren  sei  und  dafs  sich  auf  diese  Weise  die 
unbestimmten  Ausdrücke  erklären,  in  denen  der  Dichter  von  seinem 
Geburtsorte  spricht. 

In  der  folgenden  Studie  »Chronologie«  bespricht  Verfasser  zu- 
nächst das  System  Lachmanns,  sowie  die  Modifikationen  desselben  durch 
Eschenburg  und  Lütjohann,  ferner  die  Berechnungen  Hertzbergs  und 
Barths,  sodann  die  bekannte  Ovidstelle -Trist.  IV,  10,  51-54  und  bietet 
schliefslich  S.  208  ff.  »renseignements  tires  de  l'ceuvre  meme  de  Pro- 
perce«. Das  Resultat  dieser  Darlegung  wird  S.  225  durch  folgende 
Tabelle  gegeben: 

Naissance  de  Properce  47  707  ou  46  70s 

II  prend  la  toge  virile  30  724 

Liaison  avec  Lycinne  premiers  mois  de  29  725 

Liaison  avec  Cynthie  milieu  de  29  725  —  fin  de  24  7311 

Discidium  fin  de  29  725  —  flu  de  28  726 

Mort  de  Properce  16  738  ou  15  739. 


Plessis.  Etudes  critiques  sur  Properem. '  105 

Mit  einer  lobenswerten  ars  nesciendi  setzt  er  aber  hinzu,  dafs  dies 
nur  eine  Reihe  von  Hypothesen  wiedergebe  und  dafs  es  das  Beste 
ist,  sich  an  folgende  Schlufsfblgerung  zu  halten:  Properz  ist  zwischen 
54  und  43  geboren,  wahrscheinlich  näher  au  43  als  an  54,  er  hat  wenig- 
stens bis  16  gelebt;  er  ist  vermutlich  in  diesem  oder  dem  folgenden 
Jahre  gestorben.  Wenn  somit  Plessis  auch  zu  einem  fast  völlig  negativen 
Resultat  gelangt,  so  mufs  man  doch  seinem  Hinweis  darauf,  dafs  man 
nirgends  einen  sicheren  Anhalt  gewinnt,  und  seinem  Urteil  über  die 
Möglichkeit,  aus  unbestimmten  vieldeutigen  Dichterworten  chronologische 
Schlüsse  zu  ziehen,  grofse  Anerkennung  zuteil  werden  lassen.  Das 
zweite  Kapitel  dieser  Studie  »ordre  chronologique  des  elegies  du  premier 
lione«  sucht  die  Anordnung  der  Elegien  des  ersten  Buches  als  eine  im 
grofsen  und  ganzen  chronologische  zu  erweisen.  Nach  Plessis  ist  die 
chronologische  Reihe  dieser  Gedichte:  3,  4,  2,  5  15,  17-19,  1.  Auf 
Rol'sberg  dagegen  a.  0.  S.  214  macht  die  erste  Elegie  der  überlieferten 
Reihenfolge  den  Eindruck,  al»  sei  sie  wirklich  einer  der  ersten  schüch- 
ternen Versuche  des  Properz  auf  dem  Gebiete  erotischer  Dichtung.  Vgl. 
darüber  auch  den  letzten  Bericht  des  Referenten  S.  164  ff. 

Die  wenigen  Thatsachen,  welche  sich  über  das  Leben  des  Properz 
gewinnen  lassen,  hat  Plessis  in  der  nächsten  Studie  »Biographie«  zu- 
sammengestellt. Eine  »Etüde  sur  le  caractere"et  l'histoire  de  l'elegie. 
Talent  de  Propercea  bildet  den  Schlufs.  Beigegeben  ist  S.  307  ff.  eine 
Receusion  der  drei  Elegien  I,  2  Quid  juvat  ornato  procedere ,  vita  ca- 
pillo;  III  12  Postume  plorantem  potuisti  linquere  Gallam,  und  der  »Kö- 
nigin der  Elegien«  V  ilY),  11.  Dieselben  sind  kaum  anders  denn  als 
Probe  der  vom  Verfasser  vorbereiteten  Ausgabe  anzusehen.  Für  eine 
solche   aber  ist  betreffs  der  Angaben  von  Lesarten  der  A  von 

denen  die  wichtigeren  doch  in  den  Händen  der  Spezialforscher  sich  be-' 
finden,  gröfsere  Zurückhaltung  zu  empfehlen,  da  sonsl  die  V  >ifig- 

keit  des  Apparates  gar  zu  entsetzlich  wird.  Dafs  auch  in  den  hand- 
schriftlichen Varianten  gespart  werden  kann,  wurde  schon  oben  ange- 
deutet. Dahingegen  i-t  eine  noch  vollständigere  Ausnutzung  der  zum 
teil  schwer  zugänglichen  Speziallitteratur  zu  wünschen.  Nach  dem.  was 
Rol'sberg  a.  0.  S.  217  über  die  Konjekturalkritik  des  Verfassers  bemerkt 
hat.  ist  der  Wunsch,  dafs  Plessis  seinen  eigenen  Kindern  nicht  zu 
viel  Platz  im  Texte  einräume,  nicht  überflüssig. 

Von  dem  ernsten  Streben  des  Verfassers  zeugt  auch  die  inzwischen 
erschienene  Fortsetzung  seiner  Studien :  Propertiana,  Extrait  du  Bulletin 
de  la  Faeulte  des  Lettres  de  Poitiers.  Paris  1886,  Leroux,  L6  S.,  -'■ 
über  welche  Referent  sieh  eingehenden  Bericht  vorbehält.  Der  ange- 
kündigten Properzausgabe  von  Plessis,  zu  welcher  die  fitudes  critiq 
eine  Art  Einleitung  darstellen,  darf  man  mit  lebhaftem  [nteresse  ent- 
gegen sehci,. 


106  Polster,  Qoaesl   Propert.   pecimen. 

17)  Polster,  Ludovicus,  Quaestionum  Propertianarum  speeimen. 
Ostrowo.     17  S.     4°. 

Rec:  Konrad  Rofsberg,  Philol.  Rundschau  II  873    877. 

Dieses  Gyraoasialprogramm  sucht  zunächst  folgende  Versumstel- 
lungeu  zu  begründen:  In  IV  2  Beien  V.  8  and  12  zu  tauschen,  damit 
eine  chronologische  Folge  der  aufgezahlten  Thatsachen  erzielt  werde. 
Aber  auch  sonst  hat  sieh  l'ropcrz  nicht  so  streng  an  die  chronologische 
Ordnung  gehalten,  vgl.  die  Bemerkungen  von  Otto,  Versumatellungcn 
hei  Properz  I  1884,  18.  IV  11  soll  so  geordnet  werden:  46.  57.  58. 
67.  68.  59-65.  47-  57.  65.  66.  69-72,  die  Pätuselegie  IV  7  aber  so: 
1  —  20.  29-36.  21-24.  39-43.  37.  38.  43  70.  25-29.  71.  72;  doch 
vgl.  Vahlen,  Sitzungsber.  der  Berliner  Akademie  der  Wissensch.  1883, 
Heft  2  und  3.  —  Die  Darstellung  des  Verfassers  ist  in  diesem  ganzen 
ersten  Abschnitt  insofern  sehr  unpraktisch,  als  er  die  Verse  nicht  in 
der  von  ihm  gewünschten  Reihenfolge,  sondern  in  der  der  L.  Müller'schen 
Ausgabe  citiert. 

Hierauf  werden  die  folgenden  Konjekturen  vorgetragen  und  zwar 
in  folgender  Ordnung:  III  26,  53  morans  für  vocans  (vacans  ex 
coniectura  Ayrmanni  L.  Müller):  »nee  umquam  Alternante  morans  vasta 
Charybdis  aqua«  (vgl.  über  dieses  Distichon  auch  Observ.  miscell.  Am- 
stel.  V,  3,  1735,  S.  lff.);  V  3,  7  mitratos  für  iteratos:  »te  modo 
videruut  mitratos  Bactra  per  ortus«;  V  4,  39  seuos  für  saevos:  »can- 
didaque  in  senos  inguina  versa  canes«.  Während  zu  dieseu  drei  Kon- 
jekturen Rofsberg  a.  0.  seiue  Zustimmung  aussprechen  kounte,  enthält 
der  Vorschlag  V  11,  24  »Fallax  Tantale e  o  corripiare  liquor«  einen 
bösen  Verstofs  gegeu  die  Prosodie,  vgl.  Luc.  Müllers  Orthogr.  et  prosod. 
lat.  summarium  S.  70  und  Praef.  ad  Prop.  S.  L.  Das  zu  V.  50  ver- 
mutete accessu  für  assensu  steht  schon  in  einem  cod.  Vatic.  (vgl. 
Burmann-Santen);  anstatt  des  ebenda  V.  53  von  Polster  vorgeschlagenen 
vel  cui  sacratos  möchte  Rofsberg  a.  a.  0.  873  noch  lieber  cuius 
sacros  lesen,  vgl.  auch  Brandt,  Quaest  Prop.  1880,  7;  I  17,  3  sto- 
lido  für  solito:  »Nee  mihi  Cassiope  stolido  visura  carinam«;  so  schon 
Fischer,  De  locis  qbsd.  Prop.  1863,  14;  I  16,  17  torpidus  für  tur- 
pis  et:  »torpidus  in  tepido  limine  somuus  erit«  mit  Recht  von  Rofsberg 
S.  875  zurückgewiesen;  auch  torpida  (statt  turbida)  saxa  I  20,  13 
ist  schwerlich  richtig,  da  dies  Wort  von  den  Elegikern  gemieden  ist, 
sich  auch  bei  Virgil  und  Horaz  nicht  findet;  IV  13,  10  ferunt  statt 
terunt  zwar  schon  im  cod.  Askewianus,  aber  gegen  den  gewöhnlichen 
Sprachgebrauch,  vgl.  Rofsberg  S.  875;  IV  13,  20  virgatos,  alte  Lesart, 
schon  frühzeitig  augezweifelt;  IV  21,  28  verborumque  [L.  Müller: 
libaboquej  .  .  sales;  V  2,  44  decet  für  notat,  wegen  decenter  V.  45 
zweifelhaft;  V  3,  33  »Et  Tyria  in  radios  vellera  serta  suos«,  von  Rofs- 
berg S.  876  mit  gewichtigen  Gründen  bekämpft,  der  seine  frühere  An- 
sicht Lucubr.  Prop.  26  f.   dahin   modifiziert ,  dafs    er  das  überlieferte  i  n 


Polster.  Quaest.  Proper'    specialen  107 

gladios  (Rofsberg  schreibt  »Et  Tyria  in  gladios  vellera  secta  suo«) 
jetzt  auffafst  als  quae  gladiis  secentur«,  also:  »und  ich  nähe  purpurne 
Lederstreifen  als  Ziel  für  die  Streiche  der  (feindlichen)  Schwerter«  ; 
V  6,  79  foedera  für  foedere  hat  schon  Heinsius;  V  8,  13  tulerint 
für  fuerint;  I  8,  19  iusta  für  tuta;  IV  22,  18  cluet  für  fuit. 

Schliefslich  wird  Tib.  II  1,  67  vorgeschlagen:  »Ipse  quoque  int  er 
ägnos«,  was  aus  metrischem  Grunde  völlig  unmöglich  ist.  Vgl.  Luc. 
Müller,  Orthogr.  et  pros.  lat.  summ.  S.  27,  und  Tib.  IV  5,  11  Mane 
Geni  nach  den  Handschriften,  wobei  Manus  =  bonus  gefafst  wird  vgl. 
Varro  L.  L.  VI,  4. 

18)  Scharf,  Robert,  Quaestiones  Propertianae.  Diss.  inaug. 
Götting.  73  S.  gr.  8.  —  Halis.  Sax..  formis  Ploetzianis  (R.  Nietschmann). 
Göttingen.     Verlag  von  Vandeuhoeck  u.  Ruprecht. 

Rec:  R.  Ehwald,  Philol.  Anz.  XII,  1882,  389 ff.,  E.  Heyden- 
reich,  Philol.  Rundschau  II  532-537. 

Das  erste  Kapitel  dieser  weitschweifigen,  vieles  Bekannte  referie- 
renden Dissertation  enthält  nur  in  der  Anmerkung  S.  7-  9  Neues.  Hier 
wird  III  1  Lachmannscher  Zählung  für  ungeeignet  erklärt,  als  Einlei- 
tungsgedicht zum  dritten  Buche  zu  dienen  aus  Gründen,  die  den  Refe- 
renten (vgl.  Phil.  Rundschau  II  532 ff.)  nicht  überzeugt  haben.  Dafs  das« 
eigentliche  Proömiumsgedicht  vor  III  1  verloren  gegangen  sei,  wie 
Scharf  S.  9  glaubt,  ist  auch  neuerdings  wieder  vermutet  worden,  vergl. 
Otto,  Berliner  Philol.  Wochenschrift  1886,  No.  42,  S.  1310.  In  dem 
zweiten  Kapitel  Discrimiua  quae  intercedunt  inter  singulos  elegiarum  libros 
wird  insbesondere  die  Ansicht  begründet,  dafs  in  den  ersten  drei  Bü- 
chern aufser  I  21.  22  alle  Gedichte  in  direkter  oder  indirekter  Verbin- 
dung mit  des  Dichters  Liebe  zu  Cyuthia  stehen.  Trotz  der  Zustimmung 
von  R.  Ehwald  a.  0.  bleibt  Referent  bei  seinem  a.  0.  S.  534  erhobenen  Wi- 
derspruch :  Auch  Ribbeck  hat  Rhein.  Mus.  N.  F.  XL,  497  ilarauf  hin- 
gewiesen, dafs  nicht  überall,  wo  aufserhalb  des  ersten  Buches  bei  Pro- 
perz  von  Liebe  die  Rede  ist,  durchaus  an  Cynthia  zu  denken  i>t ;  neuer- 
dings hat  E  Reisch,  Wiener  Studien  IX  1887,  S.  111  in  Anschlufs  an 
Ribbecks  Untersuchungen  es  für  recht  gut  möglich  erklärt,  dafs  wir 
zwei  oder  drei  Empfängerinnen  der  poetischen  Huldigungen  des  Properz 
zu  unterscheiden  haben.  Trotz  der  Verschiedenheit  des  fünften  Buches 
von  den  früheren  findet  Scharf  doch  einen  engen  Zusammenhang,  nicht 
ohne  dabei  auf  metrische  und  chronologische  Einzelfragen  Daher  einzu- 
gehen; hervorgehoben  zu  werden  verdient  die  ausführliche  Erläuterung 
der  Komposition  von  V2  bei  Scharf  S.  62ff.  Diese  Erörterungen  ober 
das  fünfte  Buch  sind  das  Wichtigste  der  ganzen  Arbeit. 

Nach  Seh  .rf  wurde  das    fünfte  Buch  vom  Lichter  weder  vollendet 
noch  herausgegeben;  die  beiden  Lieder  5  und  s  seien  von  dm  ul 
zu  trennen  und  zeitlich  zum  vierten  Buch  zu  rechnen.    Die  erste  Klegie 


[0g  Scharf,  Quai   tiones  Propertianac. 

trennt  auch  Scharf  in  zwei:  V.  1  —  70  und  V.  71  L50  (vergl.  dagegen 
Ehwald  ;■•.<).).  Die  neun,  dem  fünften  Buch  nach  Scharf  verbleibenden 
Elegien  seien  sowohl  ihrer  8toffe  als  auch  ihrer  metrischen  Beschaffen- 
heil wegen  in  die  letzte  '/.<  il  des  Dichters  zu  setzen;  alle  Hedenken 
gegen  ihre  Echtheil  seien  unbegründet;  ebenso  sei  die  Ansichl  irrig, 
welche  in  diesen  Liedern  Jugendprodukte  erblickt. 

Gegen  die  Trennung  der  Lieder  5  und  8  von  dem  fünften  Buch 
hat  sich  mit  Entschiedenheil  bereits  K.  Ehwald  ausgesprochen.  Dafs 
der  Dichter  das  fünfte  Buch  nicht  selbst  ediert  habe,  kann  weder  mit 
der  Mannigfaltigkeit  noch  der  scheinbaren  Unordnung  seiner  Stoffe  be- 
gründet weiden:  Die  planvolle  Anordnung  dieser  Gedichte  des  letzten 
Buches,  die  allem  Anschein  nach  auf  Properz  selbst  zurückgeht,  ist 
aul'ser  von  Ehwald  auch  von  Birt,  Das  antike  Buchwesen  S.  425  Aum., 
Buche ler  (vgl.  A.  Marx,  De  Sex.  Propertii  vita  et  librorum  ordine 
temporibusque  Leipzig  1,884,  70)  und  Otto  (Die  Reihenfolge  der  Ge- 
dichte des  Properz,  Hermes  XX,  568)  neuerdings  betont  worden.  Die 
von  Scharf  so  sehr  in  den  Vordergrund  der  Diskussion  gerückte  metri- 
sche Vollkommenheit  der  in  Rede  stehenden  Gedichte  beweist  nichts 
gegen  die  von  Rofsberg  (Neue  philol.  Rundschau  1886,  216)  vorgetra- 
gene Ansieht,  wonach  es  trotzdem  Jugendprodukte  sind,  die  nur  später 
metrisch  durchgefeilt  wurden. 

Die  einschlagende  Litteratur  ist  nicht  genügend  verwertet,  das 
Latein  bei  den  inhaltlich  oft  verwickelten  Gegenständen  nicht  immer 
klar  und  durchsichtig  genug,  die  Korrektur  recht  mangelhaft,  der  Preis 
von  1  Mark  80  Pf.  unverhältnismäfsig  hoch,  weder  die  Übersicht  durch 
den  Druck  genügend  erleichtert,  noch  irgend   ein  Register  beigegeben. 

19)  Schneemann,  Carolus,  De  verborum  cum  praepositionibus 
compositorum  apud  Catullum  Tibullum  Propertium  struetura.  Diss. 
inaug.  philol.  Halis  Saxonum  1881.  54  S.  8. 

Diese  Haller  Dissertation  berücksichtigt  sämtliche  iu  ihrem  Titel 
bezeichnete  Verba  und  ist  durch  grofse  Übersichtlichkeit  ausgezeichnet. 
Im  grofsen  und  ganzen  schliefst  sich  Schneemann  an  L.  Müller  an,  ohne 
jedoch  bei  textkritikalischen  Kontroversen  kritischen  Erwägungen  aus 
dem  Wege  zu  gehen.     Eigene  Konjekturen  werden  nirgends  aufgestellt. 

20)  Solbisky.  Ricard us,  De  codieibus  Propertianis.  Diss.  in- 
aug. Jenens.  1882.  gr.  8.  =  Dissertationes  Jeaenses  H' 139 -195. 

Rec:  E.  Hey  den  reich,  Philol.  Rundschau  II  1615  -  1622;  J.  P. 
Postgate,  Transact.  of  the  Cambridge  Philol.  Soc.  II  235 f. 

Diese  ebenso  zeitgemäfse  als  tüchtige  Dissertation  giebt  zunächst 
einen  kurzen  Rückblick  über  die  Untersuchungen,  welche  die  Properz- 
handschriften  zum  Gegenstande  haben.  Von  den  Arbeiten  Palm  er 's 
konnte  Verfasser  nur  die  Ausgabe  von  1880  benutzen;  dagegen  ist  Pal- 


Solbisky,  De  condiribus  Propertianis.  109 

mers  Aufsatz  »Baehrens  and  the  codex  Neapolitanus«  Hermathena  VI*-, 
1881,  S.  40  — 72  ihm  unbekannt  geblieben;  vennifst  hat  Referent  aufser- 
dem  die  Bemerkungen  von  Kiefsling  in  seiner  Anzeige  der  Ausgabe 
von  Baehrens  in  der  Deutschen  Litteraturzeit.  1880,  231  und  das,  was 
Referent  selbst  in  der  Philologischen  Rundschau  I  16 f.  436  bemerkt 
hat.  Sonst  aber  zeichnet  sich  die  Arbeit  von  Solbisky  ebenso  durch 
ausgebreitete  Litteraturkenntnis  als  durch  gute  Methode  ans. 

Unter  Beibehaltung  der  von  Baehrens  eingeführten  Abkürzungen 
handelt  Verfasser  zunächst  über  die  Familie  AF  und  zeigt  wiederum 
1.  »(A)FN  verum  servaverunt  prae  DV  gravioribus  corruptelis  aut  inter- 
polationibus  deformatis«  S.  141  ff.;  es  folgt  S.  147  ff.  eine  Besprechung 
von  Stellen  »ubi  vestigia  tantum  veri  servata  sunt  in  (A)FN  altera  fa- 
milia  ab  integritate  magis  deflexa«;  2.  »DVN  praeferendi  sunt  libris  AF 
aut  corruptis  aut  interpolatis«  S.  153ff.,  wobei  S.  155  zu  II  29,  21  ed. 
Baehrens  unabhängig  von  Leo  Rhein.  Mus.  1880,  439  Laxarunt  vor- 
geschlagen wird;  der  Schlufs  dieses  Abschuittes  besteht  darin,  dafs  die 
Behauptung  »nonnullis  locis  aut  D  aut  V  ad  alteram  stirpem  A  F  pra- 
vam  scripturam  exhibentem  deflexus  est« 'S.  158  durch  fünf  Stellen  er- 
örtert wird;  3.  »F  solus  paucissimis  locis  genuinam  lectionem  perhibet« 
S.  159ff. 

Aus  dieser  ganzen  Untersuchung  Solbiskys  erhellt,  dafs  die  Fa- 
milie (A)F  an  vielen  Stellen  zwar  entweder  selbst  das  Richtige  erhalten 
oder  den  Weg  dazu  gewiesen  hat,  aber  so,  dafs  N  überall  zustimmt, 
dafs  (A)F  an  anderen  Stellen  von  der  ursprünglichen  Reinheit  der 
Überlieferung  abgewichen  ist  und  nur  an  ganz  wenigen  für  sich  allein 
das  Richtige  bewahrt  hat.  An  diesen  ganz  wenigen  Stellen  ist  aber  die 
handschriftliche  Differenz  so  klein,  dafs  auch  ohne  F  die  Wahrheit  sich 
darbietet.  Es  kommt  dazu,  dafs  es  nicht  einmal  feststeht,  ob  F  hier 
mit  A  gestimmt  hat,  welche  Handschrift  für  diese  Stellen  fehlt;  es  han- 
delt sich  also  hier  möglicher  Weise  um  glückliche  Schreibfehler.  Baeh- 
rens hat  aus  diesem  Codex  ursprüngliche  Lesarten  zu  entnehmen  mit 
Unrecht  geglaubt.    AF  ist  demnach  so  gut  wie  wertlos. 

In  dem  zweiten  Kapitel  »De  auctoritate  Neapolitani  et  familiae 
DV«  behandelt  Solbisky  zunächst  solche  Stellen,  in  denen  N  gegen  die 
übrigen  Handschriften  das  Richtige  hat.  Hier  konnte  sich  Verfas 
kurz  fassen,  da  Haupt,  Vahlen,  Leo,  Brandt  u.  a  einen  Teil  des  Stoffes 
bereits  vorweg  genommen  hatten;  es  folgen  s.  165  Stellen  wo  »N  in  ge- 
nuina  lectione  couspiral  cum  F-'  V-'«,  S.  1 70  solche,  wo  X  com  V  -  solo 
verum  perhibet«,  S.  171  solche,  wo  »N  com  F-  in  vera  lectione  consen- 
tit.«  Das  Resultat  S.  1 7_:  o actum  igitur  est  de  sententia  Baehrensii  qui 
Neapolitanum  quasi  agmen  ducere  codicum  [talorum  coniecturis  inter- 
polatorum  putat«  i>t  unzweifelbafl  richtig.  Ebenso  hall  Referenl  aber 
auch  den  Nachweis  für  erbracht,  dafs  Leo  u.  a.  in  Verteidigung  von  N 
über  die  rechten  Grenzen  hinausgegangen   (vgl.  den  letzten  Bericht  des 


]]0  Solbisky,  De  condicibu    Properti&nii 

Referenten  s.  190)  Der  Beweis  wird  von  Solbisky  so  geführt,  daß  ei 
S.  17211.  nachweist,  wie  an  einer  Anzahl  voii  8 teilen  iDV(A)F  antefe- 
rendi  sunl  Neapolitano  aul  corrupto  aot  interpolato« ;  Stellen,  an  denen 
Spuren  des  Richtigen  in  DVF  erhalten  sind  oder  über  die  dem  7er 
Zweifel  bestehen,  folgen  S.  175.  Hierbei  trägt  Solbisky  8.  171 
die  eigene  Konjektur  vor:  II  L8,  5,  »Quid  si  iam  canis  aetas  mea  ce 
deret.  iinnis«.  Besonders  schwierig  Bind  die  Stellen,  an  denen  N  Lücken 
hat;  hier  gelang!  Solbisky  S.  183  zu  dem  Resultat:  »Haec  si  vere  di^>- 
putata  sunt,  sequitur  nimiis  laudibus  viros  doctos  extulisse  Neapolitani 
praestantiam  compluribus  locis,  ubi  in  co  nonnulla  desunt  Aut  enim 
errore  aut  legendi  difficultate  aut  aliis  cansis  factum  esse-  demonstrari 
potest,  ut  librarius  vocabula  omitte.ret,  quae  in  archetypo  extitisse  pro- 
babile  est.o  Dann  wird  erörtert,  »familia  DV  verum  servavit  prae  N 
(AF)«.  Den  Schlufs  der  Abhandlung  bilden  Stellen,  wo  V  allein  das  Rich- 
tige bietet  und  »duo  loci,  ubi  libri  DV  super  an  t  F  defieiente  Neapoli- 
tano.« S.  193. 

Die  von  Heimreich,  Leo  u.  a.  vertretene  Ansicht,  dafs  von  allen 
Properzhandschriften  lediglich  N  zu  Grunde  zu  legeu  sei,  die  anderen 
Codices  aber  völlig  bei  Seite  gelassen  werden  müfsten,  ist  durch  die 
Arbeit  von  Solbisky  ein  für  allemal  als  irrig  nachgewiesen.  Vielmehr 
hat  die  Properzkritik  in  Zukunft  sowohl  auf  N  als  auch  auf  der  Familie 
DV  zu  beruhen.  Das  Stemma  der  Properzhandschriften  ist  demnach: 


Die  Resultate  der  trefflichen,  durch  ein  ausführliches  Register 
auch  leicht  nutzbar  gemachten  Arbeit  von  Solbisky  hält  Referent  für 
sicher  und  auch  Postgate  bezeichnet  dieselbe  a.  0.  als  »well  abreast  of 
recent  critism  and  well  coorthy  of  consideratiou«.  Dafs  im  Einzelnen 
manches  zweifelhaft,  sogar  einiges  irrig  ist,  kann  bei  der  Unmasse  der 
von  Solbisky  behandelten  Lesarten  nicht  wunderbar  erscheinen ;  über 
einige  Stellen  hat  Referent  seine  abweichende  Ansicht  in  seiner  oben 
citierten  Recension  ausführlich  begründet,  worauf  es  genügen  mag,  zu 
verweisen. 

21)  Urbini,   Giulio,    La   vita  i  tempi   e   l'elegie  di  Sesto 
Properzio.    Vol.  I.    Foligno  1883.  108  S.  gr.  8. 
Rec:  G.  in  Cultura  V  6,  S.  230-234. 


Urbini,  La  vita  i  tempi  e  l'degie  di  Properzio.  1  1  1 

22)  Urbini,  Giulio,   Properziana.  Perugia,  1884.  40  S.  Kl.  8. 

23)  Urbini,  Giulio,  Per  i  natali  di  Sesto  Properzio.  An- 
cona  1884.  12  S.  gr.  8  =  »Preludio«  VIII.  N.  13.  14.  S.  132  -135. 

Diese  Arbeiten  Urbinis  beweisen,  dafs  ein  gründliches  Studium 
der  gesamten,  insbesondere  auch  der  deutschen  Fachliteratur  zu  Pro- 
perz  in  Italien  vorhanden  ist.  Das  in  der  erstgenannten  Schrift  S.  103  ff. 
gegebene  Verzeichnis  von  Arbeiten  zur  Properzkritik  ist  zwar  keines- 
wegs erschöpfend,  aber  immerhin  in  anerkennenswerter  Weise  lang  aus- 
gefallen. Auch  dem  deutschen  Spezialforscher  werden  die  Arbeiten  von 
Urbini  nutzbringend  sein,  obgleich  ihm  natürlich  gar  manches,  z.  B.  die 
Übersicht  über  die  Handschriften  und  Ausgaben  des  Properz  bis  inclus. 
Baehrens  (La  vita  etc.  S.  14ff.)  nichts  Neues  bieten  wird.  Insbesondere 
sind  die  fieifsigen  Zusammenstellungen  ebenda  S.  30 ff.  darüber,  welche 
Gelehrte  an  einzelne  Orte  (Amelia,  Assisi,  Bettona,  Bevagua,  Perugia, 
Spelio,  Spoleto,  Todi,  Trevi,  Trebbia- Stellatina)  als  an  die  Heimat  des 
Dichters  gedacht  haben,  sowie  ebenda  S.  61  ff.  über  die  auf  Properz  be- 
züglichen Inschriften  willkommen.  Hoffentlich  läfst  es  Verfasser  nicht 
mit  den  beiden  kurzen  Nachträgen,  die  in  Perugia  und  Ancona  1884 
erschienen  sind  (oben  No.  21  und  No.  22),  bewenden,  sondern  erfreut 
uns  recht  bald  mit  einem  umfänglicheren  vol.  II. 

24)  Vahlen,  J.,  Über  zwei  Elegien  des  Propertius.  Aus  den 
Sitzungsberichten  der  Königl.  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin 
vom  Jahre  1882.    Berlin.    20  S.  Lex. 

Rec:  F.  Gustafson,  Phil.  Wochenschr.  II  24,  746f.;  E.  Hey- 
den  reich,  Philol.  Rundschau  II  1034 ff.;  H.  Magnus,  Jahresber.  des 
Philol.  Vereins  zu  Berlin  IX,  260ff.;  J.  P.  Postgate,  Transact.  of  the 
Cambridge  Philol.  Soc.  II  232  f. 

Wie  die  im  vorigen  Bericht  des  Referenten  besprochenen  »Bei- 
träge zur  Berichtigung  der  Elegien  des  Propertiusa  (Bericht  der  Ber- 
liner Akad.  1881,  335ff),  so  sind  auch  diese  Erörterungen  desselben 
Verfassers  über  zwei  schwierige  Lieder  nicht  nur  um  ihrer  Mdbst  willen 
wichtig  und  für  jeden,  der  sich  mit  den  einschlagenden  Gedichten  be- 
schäftigt, unentbehrlich,  sondern  zugleich  auch  dazu  bestimmt,  die  von 
Vahleu  besorgte  Revision  des  Hauptscheü  Properztextes  zu  recht- 
fertigen. 

Mit  Glück  weist  Vahlen  nach,  dafs  es  sich  nicht  empfiehlt,  in 
VIII a  die  Verse  13.  14  hinter  V.  16  zu  stellen.  Durch  die  Umstellung 
würde  der  Wunsch  herausgebracht  werden,  dafs,  wenn  Cynthia  reist,  die 
jetzt  wehenden  ungünstigen  Winde  Meli  nicht  legen  mögen.  Es  kommt, 
wie  Otto,  Versumstellungen  bei  Properz  I  1884,  l  ausführt,  hinzu,  dafs 
mau   in   der  handschriftlichen  Reihe  der  Verse   liberal]  verfolgen  kann, 


I  j  ■_>  Vablen,  Zwei  EClegien  de     Proparti 

wir   .in  Gedanke  aas  dem   anderen  Bich  entwickelt  und  jecfe«  Mal  den 
vorhergebenden  zur  Voraussetzung  bat. 

Schwierig  isl  <Ii<-  Präge,  welche  Änderung  sich  am  meisten  em 
pfiehlt,  damit  die  Verse  einen  angemes  enen  Sinn  erhalten.  Vahleu 
ändert  V.  15  ei  in  ut:  »Möge  ich  nicht  sehen,  dafs  solche  Winde  sich 
legen,  damit  das  '1er  Erfolg  sei,  dal-,  wenn  'lieh  dein  Fahrzeug  davon- 
.  ich  am  Ufer  gebannt,  dir  um-  nachrufen  könnte« ;  Magnus  S.  266 
und  oiio  a.  0.  äufseru  Zweilei  darüber;  der  letztgenannte  möc 
auferet  in  auferat  ändern:  »Möchten  nie  d  rarl  le  sich  !'■- 

und   damit  die  Zeil  kommen,   wo  du  absegelst  und  mich  in  Einsamkeil 
verzweifelnd  zurückläfst.« 

Im  Folgenden  weist  Vahlen  nach,  dafs  in  V.  19  nicht  mit  Lach- 
mann  vites  zu  schreiben,  sondern  ut  te  beizubehalten  ist,  dafs  dem 
Properz  die  freiere  Anwendung  des  Vocativs  in  Partizipialformen,  zumal 
im  unmittelbaren  Anschlufs  an  da-,  Pronomen  te  nicht  zu  entziehen  i-t 
Zu  der  Argumentation  Vahlens  kommt  hinzu,  dafs,  wießernh  Rieb 
(De  nonnullis  Propertii  locis  difficilioribus  commentationes,  Festschrift 
zum  25  jährigen  Amtsjubiläum  von  Prof.  Klotz-Leipzig  i>s5ü,  13  f.)  richtig 
bemerkt,  jenes  te  für  V.  20  nicht  füglich  entbehrt  werden  kann. 

Die  Verteidigung  des  allein  stehenden  verba  querar  V.  22  mit 
2,  15,  3  und  4,  1,  134  (ed.  Vahlen)  ist  nicht  recht  überzeugend;  gegen 
Haupts  Änderung  von  vita  in  fida  (vgl.  Haupt,  Opp.  3,  516)  wendet 
Vahlen  mit  Recht  ein,  dafs  vita  als  schmeichelnde  Anrede  auch  soist 
dem  Properz  geläufig  und  au  dieser  Stelle  nicht  ohne  fühlbare  Wirkung 
ist.  Es  wird  wohl  mit  Passerutius  vera  oder  mit  Keil  multa  zu 
schreiben  -ein. 

Noch  in  dem  ersten  Gedichte  des  zweiten  BucLes  hat  sich  Vahlen 
der  überlieferten  Versfolge  angenommen  und  überzeugend  dargethau, 
dafs  die  Disticha  5.  6  und  9.  10  nicht,  wie  Lachmann  wollte,  die  Plätze 
zu  tauschen  haben.  Vahlen  hat  bei  den  genannten  Kecensenten  und 
bei  Otto,  Versumstellungen  I  6  hierin  Zustimmung  gefunden.  Auch 
cogis  V.  5  verteidigt  Vahlen,  und  zwar  damit,  dafs  er  allerdings  den 
Nachweis  führt,  wie  cogere  mitunter  nur  eine  lose  Spur  des  Zwanges 
bewahrt  hat,  und  auch  Magnus  erklärt  a.  0.  S.  266  cogis  für  tadellos. 
Referent  hat  sich  a.  0.  S.  1037  dahin  ausgesprochen,  dafs  im  ersten 
Gliede  dieser  mit  seu-seu  eingeleiteten  Gedankenreihe  es  sich  empfehlen 
möchte,  auch  eine  solche  leise  Spur  des  Zwanges  zu  vermeiden.  Otto 
hält  a.  0.  S.  6  cogis  für  nichts  weiter  als  eine  Dittographie  von  Cois, 
welche  das  ursprünglich  hier  gestandene  Verbum  vidi  verdrängte;  aufser 
au  vidi  könnte  auch  an  novi  (Huschke,  Ep.  crit.  13)  oder,  wie  Palda- 
mus  wollte,  au  cernis  gedacht  werden.  Wenn  H.  Magnus  a.  0.  S.  267 
bemerkt,  dafs  Haupt  zu  Gunsten  von  Lachmanns  Versversetzung  auf  die 
schöne  Steigerung  aufmerksam  machte :  Miratur  —  laudat  volumen 
conficit         mille  causas  iuvenit         totas  Iliadas  coudit,  so  konnte  eben- 


Vahlen,  Zwei  Elegien  des  Propertius.  113 

sogut  Paldamus  Obs.  crit.  S.  262  seiner  Ausgabe  die  sinnreiche  gradatio 
der  Überlieferung  hervorheben. 

Das  Gesamtresultat,  die  Beibehaltung  der  überlieferten  Versord- 
nung, hält  Referent  für  zweifellos  durch  Vahlens  Untersuchung  gesichert, 
die  auch  da,  wo,  wie  z.  B.  betreffs  der  dem  Gedichte  II,  1  zukommenden 
Stellung  in  der  Liedersammlung  des  Properz,  der  Leser  nicht  überzeugt 
wird,  durch  Klarheit  und  fesselnde  Darstellung  erfreut. 

25)  Vahlen,  J.,  Über  die  Paetus-Elegie  des  Propertius.  Sitzungs- 
berichte der  Königl.  Preufsischen  Akademie  der  Wissenschaften  zu 
Berlin.  Sitzung  der  philos.-philol.  Klasse  vom  18.  Januar  1883,  III. 
(S.  69  -90.)     22  S.     fol. 

Rec:  E.  Heydenreich,  Philol.  Rundschau  IV,  S.  97—102. 
Vahlen  wendet  sich  in  dieser  Monographie  gegen  die  Umstellungen, 
welche  Scaliger  und  Baehrens  in  der  Pätus- Elegie,  der  siebenten  des 
dritten  Buches  alter  Zählung,  vorgenommen  haben,  und  zeigt,  dafs  die 
Fugen  der  Gedankenbewegung  in  der  überlieferten  Versordnung  deut- 
lich erkennbar  sind.  Referent  hält,  wie  er  bereits  a.  0.  näher  ausge- 
führt hat,  die  Ausführungen  Vahlens  für  überzeugend.  Diese  Pätus- 
Elegie  ist  für  die  Gänge  und  Irrgänge  philologischer  Kritik  bezeichnend, 
daher  die  Lektüre  der  Schrift  von  Vahlen  auch  denen,  welche  nicht 
speziell  in  Properzischer  Textkritik  arbeiten,  eine  willkommene  Gabe 
sein  wird.  Für  die  Kritik  und  Erklärung  der  Pätus-Elegie  ist  dieselbe 
in  Zukunft  unentbehrlich. 

26  und  27)  Weidgen,  J.,  Quaestiones  Propertiane.  I.  1881. 
15  S     4°.   —  II.    1882.     14  S.  4°. 

Rec:  R.  Ehwald,  Philol.  Anz.  XIII,  374ff.;  E.  Heydenreich, 
Philol.  Rundschau  II,  1289  ff.;  H.  Magnus,  Jahresber.  des  Philol.  Ver- 
eins zu  Berlin  IX,  295;  J.  P.  Postgate,  Transact.  of  the  Cambridge 
Philol.  Soc.  II,  233., 

Das  erste  dieser  beiden  Programme  des  Gymnasiums  zu  Koblenz 
bietet  folgende  Konjekturen:  I  11,  16  ecce  pia  für  das  tadellose  ac- 
cepta.  —  II  7,  15  »quod  si  vera  meae  constarent  castra  puellae« 
gegen  den  Sprachgebrauch  der  augusteischen  Dichter.  —  II  12,  6 
(III  3,  6)  »fecit  et  hunc  vario  corde  volare  deuni«  für  f.  e.  humano 
c.  v.  d.;  »vario  corde  unvereinbar  mit  fecit«  Ehwald.  -  Die  vielbehau- 
delte  (vgl.  jetzt  auch  Solbisky,  De  codieibus  Prop.  1882,  154)  Stelle 
III  13,  23  wird  von  Weidgen  so  geschrieben: 

Interca  nobis  nun quam  non  ianua  mollis 

Non  unqiiam   lecti  copia  facta  alii. 

III  27,   7   sed   nitidi.  —  III  30,   2    »facti   tu   mihi  crimen  babes«  oder 

»facti  crimina  tu  mihi  habes«  schwerlich  richtig,  vgl.  über  das  Bfetrnm 

Eschenburg   im    Lib.  niisc.  Bonn.  86f.;    m    demselben   Gedicht    wird 

.Jahresbericht  l'Ur  Altui  thiim.iwisNonsohaft  LI      (IssT.    II.»  8 


]14  Weidgen,  Quai-  tkraec   Propertianae 

eine  dialogische  Komposition  angenommen;  aber  das  »geht  nicht  an 
wegen  V.  27  und  45;  das  tu  V.  25  ist  zu  erklären,  wie  V.  49;  die  Kon- 
jektur zu  V.  7  Hoc  ut  iam  spatiere  loco,  quocunque  vagaris, 
Cynthia*  ist  unverständlich  und  V.  41  in  tanto  Baperiorum  exa- 
mine  unhaltbar  wegen  V.  42a  Ehwald.  -  IV  l,  23  »fama  post  obi- 
tum  cingit  maiore  vetustaso  oder  ufama  post  ob. —  vetusta«, 
aber  famac  ist  Glossem,  wie  bereits  Ehwald  und  Solbisky  De  cod.  S.  175 
bemerkt    haben.  IV  10   (11)   5  f.    wird    die  Richtigkeit  der  jetzigen 

Fassung  angezweifelt,  worin  Ehwald  insoweit  zustimmt,  als  dieser  meint, 
es  sei  hinter  mortem  und  metum  ein  Fragezeichen  zu  setzen;  die 
Änderung  »venturamne  levis«  für  »venturam  meliusa  hält  aber 
auch  Ehwald  für  unnötig;  die  Änderung  von  ista  in  stulta  ist  mit 
Recht  von  Ehwald  und  Maguus  zurückgewiesen:  ista  verba  sind  Worte, 
wie  du  sie  sprichst.  —  Nicht  überzeugend  ist  der  Vorschlag  Weidgens, 
V.  59.  60  derselben  Elegie  so  zu  schreiben: 

Hannibalis  spolia  et  vidi  lamenta  Syphacis 
Est  Pyrrhi  ad  nostros  gloria  fraeta  pedes, 
ebensowenig  Weidgens  Fassung  von  V.  69  ebenda  »Leucadius  vestras 
acies  tenuabit  Apollo«.  —  IV  15,  11  wird  für  testis  erit,  das 
Ehwald  für  »notwendig«  erklärt,  »da  das  Beispiel  der  Dirce,  das  Pro- 
perz  anführen  will,  eine  Mahnung  für  Cynthia  sein  soll«,  rescierat 
vermutet.  -  Ganz  verunglückt  ist  Weidgeus  Versuch,  IV  17,  29  f.  in 
die  Fassung  zu  vergewaltigen: 

Hie  olim  Mavors  luctu  populavit  Achivos, 
Atridae  magno  clam  stetit  ultor  Amor. 
Das  zweite  Programm  enthält  folgende  Vorschläge:    IV  17,  31  ff.  sei  zu 
schreiben 

At  tibi  —    (nauta  sinas,  hominum  qui  traicit  umbras)    — 
Hac  animae  portent  corpus  inane  citae, 

Qua  Siculae  victor  telluris  Claudius  et  qua 
Caesar  ab  humana  cessit  in  astra  via, 
wogegen  Ehwald  einwendet,  dafs  Marcellus  in  der  ganzen  Elegie  nicht 
angeredet  wird.  —  IV  25,  9  temere  für  tarnen.  —  V  1,  81  nee  .  . 
aut  für  nunc  et  .  .  und  im  folgenden  Verse  itero  alta  anstatt  ite- 
rata;  in  derselben  Elegie  V.  87  dicant  und  88  canant  mit  astra  als 
Subjekt.  —  V  3,  7  intrantes  Bactra  plerosa.  —  V  4,  55  Si  capies,  pa- 
tria  metuar  regina  sub  aula.  —  V  4,  93  werden  nicht  weniger  als  vier 
Worte  geändert: 

Hac  vice  turpe  Jovis  mons  est  cognomen  adeptus: 

0  vigil,  iniustae  praemia  sortis  habes. 

V  7,  57  »Una  Clytemnestrae  stuprumve  in  Tartara«,  »wo  schon  die 

Disjunktiv -Partikel   die  Konjektur  unmöglich  macht«  (Ehwald),    ebenda 

V.  59  carpta  phaselo.  —  V  9,  24  Lucus   ubi  umbroso  segregat  orbe 


Weidgen,  Quaestiones  Propertianae.  115 

nemus«,  wo  Lucus  ubi  von  Heinsius  herrührt,  segreg at  nach  Magnus 
vielleicht  die  einzige,  dem  Sinne  nach  befriedigende  Konjektur  Weidgens 
ist;  dem  unechten  Verse  V  9,  42  soll  aufgeholfen  sein  mit  dem  Vor- 
schlag: »Aspicite!  haec  fesso  vix  mihi  tecta  patent«;  V.  66  nunc 
statt  vix,  zwar  nach  Ehwald  »die  einzige  Änderung,  die  plausibel 
scheint«,  aber  unnötig,  vgl.  Voigt,  De  quarto  Propertii  libro  S.  101. 

28)  Wolff,  Oscarus,  De  enuntiatis  interrogativis  apud  Catullum, 
Tibullum,  Propertiura.     Diss.  inaug.  Halis  Sax.    1883.     62  S.    gr.  8°. 

Rec:  Edm.  Hau ler,  Archiv  f.  lat.  Lexikogr.  I  1884,  140 f. 

Diese  wohlgelungene  Haller  Dissertation  behandelt  zunächst  die 
Einleitungsformen  und  Modi  der  direkten  und  der  indirekten  Wort-  und 
Satzfragen  und  bietet  sodann  Beobachtungen  über  die  dichterische  Ver- 
wendung der  Fragen  zur  Einkleidung  negativer  oder  positiver  Gedanken, 
wie  ihren  Gebrauch  für  Kondizional-,  Konzessiv-,  Adversativ-  und  Be- 
fehlssätze, ferner  über  die  dem  Ausrufe  nahestehende  Frage  und  die 
rhetorische  Antwort  mit  den  Figuren  sermocinatio  und  subiectio.  Die 
fast  immer  treffenden  Parallelstellen  sind  nicht  nur  der  antiken,  sondern 
auch  der  mittel-,  und  neuhochdeutschen  Litteratur  entnommen.  Text- 
kritische Fragen  werden  nur  wenig  berührt;  so  S.  47,  wo  mit  C  Brandt, 
Quaest.  Prop.  1881  (vgl.  den  letzten  Bericht  des  Referenten  S.  158) 
II  (III)  22,  44  geschrieben  wird:  »Quid  iuvat  haec  nullo  ponere  verba 
loco?«  Nur  eine  einzige  eigene  Konjektur  zu  Properz  trägt  der  Verfasser 
S.  31  vor,  und  zwar  zu  dem  vielumstrittenen  Verse  III  34,  53:  »Nee  si 
post  Stygias  aliquis  restat  timor  undas.« 

III.   Übersetzungen. 

29)  Geibel,  Emanuel,  Klassisches  Liederbuch.  Griechen  und 
Römer  in  deutscher  Nachbildung.  3.  Aufl.  1879.  —  5.  Aufl.  1888. 
Berlin,  Wilh.  Hertz.    243  S.     8°. 

Wie  sehr  sich  diese  vortrefflichen  Übersetzungen  Geibels  der  Gunst 
des  deutschen  Publikums  zu  erfreuen  gehabt  haben ,  zeigt  die  rasche 
Aufeinanderfolge  neuer  Auflagen.  Noch  die  zweite  Auflage  des  Jahres 
1876  war  auf  nur  185  Seiten  beschränkt,  aber  schon  die  dritte  erschien 
in  erweiterter  Gestalt.  Für  den  vorliegenden  Bericht  kommen  die  Ver- 
deutschungen griechischer  Lyriker,  des  Kallinos,  Tyrtäos,  Solon,  Mim- 
nermos,  Theognis,  Archiloehos,  Alkman,  Sappho,  Alkäos,  Stesichoros, 
Ibykos,  Auakreon,  Simonides,  Bakchylidcs  u.a.  ebensowenig  in  betiacht, 
als  die  zahlreichen  Übersetzungen  aus  Iloraz.  Aber  auch  die  römische 
Elegie  ist  durch  Tibull,  Properz  und  Ovid  vertreten,  während  t'atull 
merkwürdiger  Weise  fehlt.  Die  geschmackvolle,  echt  poetische  Art 
dieser  Übersetzungen  ist  mit  Recht  allgemein  geschätzt  und  die  Häutig- 


]jfj  Geifu'l.  Kli  sieches  Liederbuch. 

keil  der  Auflagen  ein  erfreuliches  Zeichen  dafür,  daß  nicht  nur  die 
Zunft  der  Philologen,  welche  diese  Sammlung  stet»  mit  neuem  Vergnügen 
in  die  Hand  nehmen  werden,  Bondern  auch  die  Gesamtheit  unseres  deut- 
schen Volkes  in  den  Geist  dieser  Dichtungen  sich  gern  einführen  Iftfst 
Für  eine  abermalige  Auflage  ist  das  Weglassen  des  falschen  Namen 
Aurelius'  zu  wünschen,  da  der  Dichter  bekanntlich  nui  Sextus  Pro- 
pertius  liiol's.  Auch  ist  die  Hinzufügnng  der  Liederziffern  nach  den 
gangbarsten  Ausgaben  angezeigt,  damit  denen,  welche  die  Urtexte  ver- 
gleichen wollen,  das  Nachschlagen  erleichtert  werde.  Properz  ist  durch 
vier  Proben  vertreten:  An  Tullus':  »Ob  du,  in  üppiger  Kuh  am  Tiber- 
stade  gelagert«  (114).  '  Cynthia':  »Frei  sebon  dacht  ich  zu  sein  und 
verschwur  auf  immer  die  Mädchen«  (II  2).  —  An  sich  selbst':  »Der 
du  noch  eben  geprahlt,  kein  Mädchen  bestricke  dich  wieder«  (II  3).  — 
Triumph  der  Liebe':  »Nicht  so  freudig  beging  den  Dardanertriumph 
der  Atride«  (II  14  =  III  6  L.  Müller).  Der  Schlufs  dieser  letzten  Über- 
setzung (III  6,  21  —  28)  mag  als  Probe  hier  folgen: 

Andere  pochten  am  Laden  umsonst  und  riefen  sie:    Herrin! 
Aber  an  mich  voll  Ruh  schmiegte  sie  zärtlich  das  Haupt. 

Das  ist  gröfserer  Sieg,  als  bätt'  ich  die  Parther  bezwuugen; 
Köuige,  Beute,  Triumph  acht'  ich  dagegen  gering. 

Nun  soll  köstlicher  Schmuck,  Cytherea,  die  Säule  dir  kränzen, 
Und  mit  goldener  Schrift  nenne  den  Geber  das  Lied: 

»Diese  Trophäen  erhöht  vor  deinem  Tempel  o  Göttin, 
Weil  er  die  seligste  Nacht  liebend  verschwärmte,  Properz«. 

30)    Elegien    des    Properz.     Von    Karl    Ludwig    von    Knebel. 
Neue  Ausgabe.     Leipzig,  Reclam.     1882.     128  S.     kl.  8°. 

Unter  No.  1730  der  bekannten  Reclam'scheu  Universal- Bibliothek 
ist  diese  von  Ludwig  Holla  ender  besorgte  neue  Ausgabe  der  Knebei- 
schen Übersetzung  Properzischer  Elegien  erschienen.  Referent  begrüfst 
dies  deshalb  mit  Freude,  weil  auf  solche  Weise  diese  Übersetzung,  an 
denen  kein  geringerer  als  Goethe  regen  Anteil  genommen  hat,  und  da- 
mit der  Inhalt  der  Properzischen  Muse  Aussicht  hat,  Gemeingut  unseres 
Volkes  zu  werden.  Sie  ist  zuerst  1796  in  den  von  Schiller  redigierten 
Hören,  dann  1798  in  Buchform  erschienen.  Die  vorliegende  Ausgabe 
hat  es  sich  zur  Aufgabe  gemacht,  dieselbe  gemäi's  den  Errungenschaften 
der  neueren  Textkritik  zu  redigieren.  Dafs  sich  dabei  Hollaender  im 
Grofsen  und  Ganzen  an  den  Haupt- Vahlenschen  Text  gewendet,  wird  auf 
Zustimmung  zu  rechneu  haben.  Vorliegende  Ausgabe  enthält  die  Vor- 
rede Knebels  und  sodann  die  einzelnen  Elegien  mit  den  Anmerkungen, 
diese  letzteren  aber  nur  insoweit,  als  sie  gegenwärtig  noch  haltbar  sind. 
Der  Schlufs  der  Cornelia  Elegie  diene  als  Probe: 

Lafs  dir  die  Nächte  genügen  zu  deinen  Klagen,  mein  Paulus! 
Und  dafs  meine  Gestalt  oft  dir  im  Traume  sich  zeigt. 


von  Knohel  Hollat  nder,  Elegien  des  Properz.  117 

Und  wenn  du  in  geheim  mein  Bild  anredest,  so  lege 

Hin  ihm  die  Worte,  als  gab'  jedes  ich  wieder  zurück. 
Stellt  sich  jedoch  ein  anderes  Bett  der  Thüre  genüber, 

Ein  Stiefmütterchen  sitzt  schlau  an  der  Stelle  von  mir; 
Segnet,  ihr  Kinder,  und  tragt  des  Vaters  neue  Verbindung! 

Von  dem  Betragen  gerührt  reicht  -ie  euch  willig  die  Hand. 
Seid  vorsichtig  im  Lobe  der  Mutter!  Bei  freier  Vergleichung 

Könnte  die  Worte  sie  leicht  sich  zur  Beleidigung  ziehn. 
Sollte  doch  euer  Vater  an  meines  Schattens  Gedächtnis 

Sich  begnügen,  ihm  so  theuer  die  Asche  noch  sein; 
Lernet  gefällig  schon  jetzt  das  kommende  Alter  empfinden, 

Seinem  einsamen  Stand  lasset  die  Sorge  nicht  uahn! 
Leg'  euch  das  Schicksal  zu,  was  es  mir  an  Jahren  entzogen; 

Gern,  um  der  Kinder  von  mir,  werde  mein  Paulus  nun  alt. 
Heil  mir!  Das  Trauergewand  hab'  ich  um  keines  getragen, 

Und  mein  ganzer  Trupp  folget  zur  Leiche  mir  nach. 
Meine  Sach'  ist  gesprochen!  Ihr  thränenden  Zeugen  erhebt  euch! 

Während  des  Lebens  Preis  dankbar  die  Erde  belohnt. 
Sitten  erheben  zum  Himmel!   Es  führen  bekräuzete  Rosse, 

Hab'  ich  solches  verdient,  meine  Gebeine  zum  Grab. 

31)    Wittauer,    A. ,    Blätter  für   d.   bayer.   Gymnasialschulwesen 
XIX  1883,  S.  110  f. 

bietet  eine  »Übersetzungsprobe  aus  Properz«.  Dämlich  die  dritte  Elegie 
des  ersten  Buches  in  deutschen  Distichen.    Der  Anfang  derselben  lautet: 

Gleich  wie  die  Gnosische  Maid  entschlummert  am  öden  Gestade 

Ruhte,  da  Theseus'  Schiff  sich  in  die  Ferne  verlor; 
Gleich  wie  des  Cepheus  Tochter  Andromeda,  erst  von  der  Klippe 

Starrenden  Zacken  erlöst,  lag  in  erquickendem  Schlaf; 
Wie  die  Mänade  zuletzt  todmatt  vom  beharrlichen  Reigen 

An  des  Apidanus  Bord  sank  in  das  schwellende  Gras 
Liebste,  so  däuchtest  du  mir,  willkommene  Ruhe  nur  atmend, 

Als  auf  schwankendem  Arm  lehnte  dein  liebliches  Haupt. 

In  Vers  IG  liest  Wittauer  Man  da  für  das  handschriftliche  et 
arma  und  übersetzt  demgemäß:  »Sollt'  ich  mit  leisem  Arm  die  Ruhende 
kosend  umfangen,  Nehmen  umschlingend  ihr  Haupt  lockende  Küsse 
zum  Raub?«;  ähnlich  war  Rofsbergs  Vorschlag  Lucubr.  s.  6:  grata  und 
der  auch  von  L.Müller  in  den  Text  gesetzte  Vorschlag  Kochs:  cara. 
Aber  die  handschriftliche  Überlieferung,  die  eine  Obscönität  bezeichnet, 
ist  festzuhalten,  vgl.  Vählen,  Beiträge  zur  Berichtigung  der  Elegien  des 
Propertius  S.  354 ;  auch  die  übrigen  Vorschläge,  die  im  Lauf  «ler  Zeit 
gemacht  sind,  ad  ora,  ab  ore,  rapta,  earpta,  avara  (amota)  ab  aure, 
sind  daher  überflüssig.     Der  Übersetzer  kommt  hier  allerdings  in  \  er- 


118  Wittauer,  Übersi  tzungsprobe  aus  Properz. 

legenheit:  denn  mit  Recht  meinte  Haupt  (bei  Beiger  S.  254),  dafs  das 
ganze  Bild  /arter  und  schöner  sei,  wenn  mir  Küsse  erwähnt   wurden. 

32)  Wittauer,  A.,  Der  Raub  des  Hylas.  Blätter  für  das  bayer. 
Gymnasialschulwesen  XX,  1884,  S.  202  f. 

bietet  eine   Übersetzung   von   Prop.  I,  20  in  deutschen  Distichen.     Der 
Anfang  derselben  mag  als  Probe  folgen: 

Hör'  ein  ermahnendes  Wort  aus  Freundesmunde,  mein  Gallus, 
Schreibe  die  Warnung  ins  Herz,  dafs  du  sie  nimmer  vergifst! 

Vorsicht  frommt  in  der  Lieb';   sonst  droht  dir  ein  tückisches  Schicksal, 
Wie  des  Askanius  Quell  Minyas'  Enkeln  bewies. 

Gleich  in  des  Namens  Klang,  nicht  minder  berückend  an  Schöne, 
Steht  des  Thiodamas  Sohn,  Hylas,  dein  Liebling  zunächst. 

In  den  angefügten  Noten  trägt  Wittauer  folgende  Vermutungen 
vor:  V.  7  Umbrae  cita  flumina  silvae;  V.  48  Tum  comitem  rapto  cor- 
pore adegit  Hylas;  in  V.  49  Cui  proeul  Aleides  iterat:  responsa  sed 
illi  mit  Veränderung  der  herkömmlichen  Interpunktion. 

Unbekannt  blieben  dem  Referenten: 

33)  Propertius.  Elegies.  With  notes.  Translated  by  J.  F.  Gan- 
tillan,  with  metrical  versions  by  Nott  and  Elton.  London  1884. 
Bell  &  Sons. 

34)  Catullus,  Tibullus,  Propertius.  Poesie  voltate  da  Z.  Carini. 
Torino.     Paravia  (,Rec:  Rassegna  Settimanale  N.  155). 

35)  Czengeri,  J.,  Ungarische  Übersetzung  von  Properz  II,  3. 
Egyetemes  philol.-közlöny.    N.  3.     S.  393  f. 

Über  die  deutsche  Übersetzung  Büchelers  von  einigen  Elegien  s. 
unten  unter  No.  43 ,  über  die  schwedische  Frigells  s.  oben  unter  No.  4. 

IV.   Zerstreute  Beiträge. 

36)  Baehrens,  E.,  »Zu  lateinischen  Dichtern«,  N.  Jahrb.  f.  Philol., 
21.  Jahrg.,  1881 

giebt  von  S.  408-  410  einen  textkritikalischen  Nachtrag  zu  seiner  Aus- 
gabe. Von  jeher  seien  ihm  ob  ihres  Rhythmus  verdächtig  gewesen 
III  31  (33)  V.  9 

cum  te  iussit  habere  puellam  cornua  Juno 
und  IV  6,  25 

non  me  moribus  illa  sed  herbis  improba  vicit. 
Indem   Baehrens  die  Beweisführung  auf  einen   anderen  Zusammenhang 
verschiebt,   behauptet   er:    »Die  caesura  xazä  zpc'-ov   -rpoXaTov  ist  nur 


Baehrens,  Zu  lateinischen  Dichtern.  U9 

eine  griechischen  Vorbildern  entnommene  Erfindung  späterer  Gramma- 
tiker: ein  lateinischer  Hexameter,  der  blofs  diesen  und  keinen  anderen 
Einschnitt  hat,  ist  seit  Catulls  und  seiner  Genossen  Zeit  ein  Unding. a 
III  33,  9  sei  durch  Umstellung  zu  emendieren  in  »cum  iussit  te  habere« ; 
den  zweiten  der  angegebenen  Verse  zu  heilen,  überläfst  Baehrens  an- 
deren, da  die  einzige  mögliche  Umstellung,  weil  zu  gewaltsam,  keinen 
Anspruch  auf  Wahrscheinlichkeit  hat;  ein  dritter  Vers  der  Art  V  7,  41, 
wo  früher  gelesen  wurde  »et  graviora  rependit  iniquis  pensa  quasillis«, 
»ist  jetzt  durch  meine  besseren  Handschriften,  welche  fundit  für  repen- 
dit lesen,  entfernt;  ich  habe  dafür  das  den  behandelten  Verhältnissen 
entsprechende  iniungit  eingesetzt;  ich  hätte  noch  beifügen  können,  dafs 
vielleicht  auch  affundit  genügt«.  Die  zweite  der  von  Baehrens  berührten 
Stellen  ist  übrigens  wiederholt  für  unecht  erklärt  worden,  vgl.  Gruppe, 
Rom.  Elegie  I  303  und  Eschenburg,  Obs.  crit.  in  Prop.  1865,  28  ff. 
Schliefslich  schlägt  Baehrens  IV  22,  6  statt  meo  vor  tuae  seil,  urbis 
(vgl.  den  vorhergehenden  Vers):  »nee  desiderio  Tülle  movere  tuaeV« 

37)  Baehrens,  E.,  Das  antike  Buchformat  der  römischen  Elegiker. 
Jahrb.  f.  klass.  Philol.  1882,  S.  785—790. 

Verfasser  handelt  zunächst  im  allgemeinen  über  die  Buchformate 
der  Alten,  speziell  über  Isidorus  orig.  VI  12  im  Gegensatz  zu  Birts 
Buch  über  das  antike  Buchwesen.  Das  Poesiebuch  könne  nicht,  wie 
Birt  angenommen,  43  Zeilen  auf  der  Kolumne  gehabt  haben;  es  folge 
dies  aus  der  Beschaffenheit  der  Herkulanensischen  Rollen.  Besonderes 
Gewicht  legt  Baehrens  auf  die  Abbildung  einer  Papyrusrolle  auf  einem 
pompejanischeu  Gemälde,  vgl  Zaugemeister  CLL.  IV,  Tafel  XVIII,  l 
und  Jordan  im  Hermes  XIV  279;  vier  Verse  habe  die  Seite  enthalten; 
doch  seien  auf  den  schmäleren  Selides  nicht  immer  nur  so  wenig  Verse 
geschrieben  worden.  Verfasser  habe  »für  Propertius  festgestellt«  »par- 
ticulas  illas  (transponendas)  quattuor  versibus  constare«  (praef.  seiner 
Ausgabe  S.  XVI);  es  sei  aber  nicht,  wie  Baehrens  selbst  a.  0.  früher 
geglaubt,  an  den  Archetypus  des  Mittelalters,  sondern  an  eine  Papyrus- 
rolle des  antiken  Buchhandels  zu  denken. 

Referent  hat  bereits  in  seinem  letzten  Bericht  S.  145  darauf  hin- 
gewiesen, dafs  die  Behauptung  von  Baehrens,  es  seien  gerade  vier  Verse 
häufig  an  falsche  Stellen  geraten,  durchaus  nicht  von  ihm  »für  Properz 
festgestellt«  ist;  vielmehr  haben,  wie  Referent  a.  0.  ebenfalls  bereits 
bemerkte,  die  neueren  Arbeiten  auf  eine  weit  höhere  Ziffer  geführt. 
Ein  weiteres  Eingehen  auf  die  Ansichten  von  Birt,  die  inzwischen  be- 
reits wiederholt  der  Gegenstand  wissenschaftlicher  Debatte  gewesen  Bind 
und  die  Anerkennung,  die  Kritik  des  Properz  gefördert  zu  haben,  ge- 
funden haben  (vgl.  z.  B.  A.  Otto,  Die  Unvollständigkeil  des  zweiten 
Buches  des  Propertius  und  ihre  Entstehung,  Jahrb.  f.  klass.  Philol.  1886, 
S.  411  ff.),   verschiebt   Baehrens  auf  die  Zeit,   wo   Birt   die   Buchweseu 


]20  Bachnn  .    Da     antike  Bucbformat 

S.  413  in  Aussicht  gestellte  Kritik  seiner  Ansichten  veröffentlicht  haben 
werde  (inzwischen  im  Rhein.  Museum  188.°,,  S.  rj7  ff.  erschienen,  vgl. 
den  Bericht  des  Referenten  unten  unter  No.  41 1. 

38)  Biese,  Alfred,  Die  Entwicklang  des  Naturgeftthla  bei  den 
Römern.     Kiel.     1884.     gr.  8.     VI,  210  S. 

Rec:  B.  Cultura  V  17  8.  75Sf.;  L.  Friedländer,  Berliner  Philol. 

Wochcnschr.  IV  '21,  655  ff.;  G.  Hofs,  Philol.  Rundschau  L884,  N.  38, 
S.  1050  ff.;  J.  Renner,  Deutsche  Litteraturztg.  1884,  N.  22,  S.  708; 
G.  A.  Saalfeld,  Blätter  für  bayr.  Gymn.  XXI  1.  2,  S.  57  f.;  C.  S(chaar- 
schmidt),  Philos.  Monatshefte  XXII  4.  5,  S.  305;  U.  Litt.  Centralbl. 
1884  N.  52,  S.  1838  f.;  K.  Woermann,  Phil.  Anzeiger  XIV  7,  S.  402  ff.; 
Saturday  Review  1884  N.  1486. 

behandelt  Seite  96-  105  Properz.  Das  elegische  Moment  seiner 
Dichtungen  beruhe  »auf  dem  mit  moderner  Sentimentalität  empfunde- 
nen Gegensatz  von  Kultur  und  Natur  und  der  elegischen  Betrach- 
tung einer  verderbten  Gegenwart  im  Vergleich  zu  einer  glücklicheren 
Vergangenheit«.  Von  höchster  Vollendung  seien  bei  ihm  diejenigen 
Gedichte,  wo  er  sich  nicht  von  mythologischen  Floskeln  hemmen  läfst 
und  wo  »die  Empfindung  der  leidenschaftlichen  Liebe  zur  Cynthia  sich 
in  freiem  Strom  ergiefst  und  mit  einem  tiefen,  fast  modernen  Gefühl 
für  das  Stilleleben  und  das  Reizvolle  in  der  Natur  sich  paart«.  Wenn 
auch  in  all  den  einschlagenden  zahlreichen  Stellen  des  Properz  man 
leicht  den  Schüler  der  griechischen  Dichter  hellenistischer  Zeit  wieder 
erkennen  könne,  so  sei  doch  der  Farbenglanz,  der  über  den  Elegien 
des  Properz  liege,  echt  römisch.  »Die  Kultur  des  Hellenismus  ist  ein 
Ferment  der  innerlich  verwandten  römischen  geworden  und  dient  im 
allgemeinen  Entwickelungsprozesse  des  menschlichen  Geistes  als  ein  zum 
spezifisch  Modernen  hintreibendes  Moment.«  Aus  dem  reichen  Inhalt 
der  fesselnden  Darlegungen  dieses  Buches  mag  noch  die  auf  Properz 
bezügliche  Stelle  des  »Rückblickes«  S.  189  f.  hier  folgen:  »Das  empfind- 
sam Modernste  bieten  in  sympathetischer  Naturauffassung  sowie  in  dem 
Zusammenspiel  von  Liebe  und  Landschaft  Properz  und  Ovid.  Der  Wald 
mit  seinen  Bäumen  und  Vögeln  wird  der  Trost  in  der  Einsamkeit  des 
Verlassenen,  oder  die  Sterne  und  der  Frühtau  werden  zu  Zeugen  für 
die  Wahrheit  des  Empfindens;  ja  die  Bäume  selbst  kennen,  was  Liebe 
ist  und  wie  verlorne  Liebe  schmerzt ;  die  Rinde  trägt  den  Namen  der 
Geliebten;  Hügel  müssen  sich  vor  ihr  neigen,  Ströme  im  Lauf  inne- 
halten; oder  gar  das  Laub  soll  trauernd  sinken,  dort,  wo  das  geknickte 
Gras  noch  von  der  süfsen  Liebesstunde  kündet  und  wo  nun  die  Ein- 
same weint.« 


Biese,  De  iteratis  syliabis.  121 

39)  Biese,  Alfredus,  De  iteratis  syliabis  observatiuncula.  Rhein. 
Mus.  1883,  S.  634-637 

behandelt  Buchstabenwiederholungen  wie  Prop.  I  6,  33  carpere  remis; 
II  1,  18  arma  manus;  II  10,  10  nie  mea  u.  a,  sowie  reimähnliche  Ver- 
bindungen wie  IV  12,  29  ff.  mugisse  iuvencos:  fugisse  puellae;  natasse 
dies:  intrasse  silentum.  Vgl.  auch  besonders  Ed.  Wölfflin,  »Der  Reim 
im  Lateinischen«,  Archiv  f.  lat.  Lexikographie  I,  1884,  350  ff.,  speziell 
S.  358  f. 

40)  Birt,  Theod. ,  Das  antike  Buchwesen  in  seinem  Verhältnis 
zur  Litteratur.  Mit  Beiträgen  zur  Textgeschichte  des  Theocrit,  Ca- 
tull,  Properz  und  anderer  Autoren.  Berlin,  Hertz.  1882.  8°.  VIII,  518  S. 

In  dem  achten  Kapitel,  worin  S.  371  ff.  die  Störungen  der  antiken 
Buchform  abgehandelt  werden,  spricht  Birt  S-  413-426  ausschliefslich 
über  Properz. 

Verfasser  geht  aus  von  der  handschriftlichen  Überlieferung  des 
ersten  Buches:  »Incipit  monobiblos  propertii  aurelii  naute  ad  Tullum« 
oder  »Propertii  .  .  monobiblos  incipit«.  Diese  Benennung  monobiblos 
Propertii  sei  »nicht  etwa  unursprünglich,  sondern  für  die  eigenartige 
Fassung  der  Werke  des  Properz  im  Altertum  selbst  ein  getreuer  Zeuge«, 
da  auch  Martial  eine  monobiblos  Propertii  verzeichnet. 

Die  übrigen  Bücher  hätten  eine  Syntaxis  von  vier  Büchern  ge- 
bildet; denn  an  der  Teilung  des  zweiten  Buches  der  handschriftlichen 
Überlieferung  sei  schon  mit  Rücksicht  auf  dessen  übergrofse  Verszahl 
(1362  Verse,  dagegen  Buch  III  mit  990  und  Buch  IV  mit  952  Versen) 
festzuhalten.  Aber  diese  Syntaxis  von  vier  Büchern  sei  von  den  römi- 
schen Bibliothekaren  als  Buch  I— IV  gerechnet  worden;  die  Monobiblos 
habe  nebenher  separat  im  Buchhandel  bestanden  und  sei  vermutlich  bei 
einem  anderen  Bibliopolen  erschienen.  Nonius  citiert  nun  bekanntlich 
S.  169  s.  v.  secundare  den  Vers  Iam  liquidum  nautis  aura  secundat 
iter  IV  21,  14  als  aus  dem  dritten  Buch.  Nach  Lachmann  hätte  er  im 
vierten  Buch  antiker  Zählung  gestanden.  Die  Alten  aber  haben  nach 
Birt  nie  fünf  Bücher  gezählt;  das  Zeugnis  des  Nonius  sei  nicht  ein 
Zeugnis  gegen  die  Zweiteilung  des  zweiten  Buches  überlieferter  Zahlung, 
als  vielmehr  eine  Bestätigung. 

Die  Tetrabiblos  sei  gelesener  und  bekannter  gewesen  als  die  Mo- 
nobiblos;  denn  aus  jener  seien  elf  Grammatikeranführungen,  au-  dieser 
keine  einzige  auf  uns  gekommen«  Nur  unter  den  Wandkritzeleien  Pom- 
pejis finde  sich  auf  Monob.  l.  6  eine  Anspielung  ('.  I.  L.  IV  1520.  ^Dieser 
Umstand  dient  uns  zur  Erläuterung  der  Thateache,  dafs  Martial,  wenn 
er  eine  bibliothekarische  Rarität  nennen  will,  nicht  wie  Tetrabiblos,  son- 
dern gerade  die  Monobiblos  auswählt.« 

Die  Tetrabiblos  scheine  so  entstanden  zu  sein,  »dafs  zunächst 
zwei  Bücher   vom  Dichter  gleichzeitig  ediert  and  hernach  erst  die  zwei 


122  N'rf-  Da«  antike  BuchwcM-n 

weiteren  hinzugefügt  wurden«.  Tetr.  II  habe  mit  II  10  der  handschrift- 
lichen Überlieferang,  also  in  der  von  Lachmann  angenommenen  Weise 
begonnen.  Das  erste  Buch  der  Tettabiblos  sei  im  Mittelalter  ^tark  ver- 
kürzt worden  (vgl.  hierüber  Hirt  im  Rhein.  Mus.  1883.  XXXVIII,  107 
und  den  Bericht  des  Referenten  unten  unter  No.  41).  Die  beiden  letzten 
Bücher  habe  Pronerz  noch  selbst  herausgegeben,  das  vorletzte  eher  als 
das  letzte. 

Diese  die  Lachmann'sche  Zweiteilung  des  zweiten  Buches  von 
einem  ganz  neuen  Standpunkt  aus  betrachtende,  dieselbe  teils  modi- 
fizierende, teils  neubegründende  Aufstellung  von  Birt  zeichnet  sich  durch 
grofsen  Scharfsinn  aus  und  erklärt  die  vorhandenen  Schwierigkeiten  in 
einer  beachtenswerten  Weise.  Die  neueste  Forschung  hat  daher  wieder- 
holt an  diese  Ausführungen  angeknüpft.  Allein  trotz  allen  Scharfsinns 
kann  Referent  -  abgesehen  von  Einzelheiten  -  auch  in  der  Haupt- 
sache Birts  Ansichten  nicht  für  erwiesen  ansehen.  Es  bleibt  immerhin 
wunderbar,  dafs  es  im  Altertum  nie  eine  Gesamtausgabe  der  Gedichte 
des  Properz  gegeben  haben,  eine  solche  vollständige  Sammlung  vielmehr 
nur  in  unsern  Handschriften  und  gedruckten  Ausgaben  und  zwar  mit 
falschen  Büchertiteln  existieren  soll.  Die  Thatsache  freilich,  dafs  das 
zweite  Buch  der  Überlieferung  den  gewöhnlichen  Maximalumfang  eines 
Poesiebuches  der  damaligen  Zeit  um  volle  300  Verse  übersteigt,  ist 
auch  weder  von  J.  de  Pruzsinsky,  De  Propertii  carminibus  in  libros 
distribuendis,  Budapest,  Kilian  1886,  noch  von  E.  Reisch,  »Properz- 
Studien«,  Wiener  Studien  IX,  1887,  102  ff.  in  ihrer  Beweiskraft  völlig 
erschüttert  worden;  darauf,  dafs  die  jungen,  fehlerhaften  Handschriften 
vier  Bücher  zählen,  dürfte  nicht  mit  Reisch  a.  0.  S.  105  ein  so  starkes 
Gewicht  zu  legen  sein,  dafs  wir  deswegen  »dieses  Ungewöhnliche  als 
einmal  überliefert  anerkennen«  müfsten.  Für  eine  gesonderte  Veröffent- 
lichung des  zweiten  und  dritten  Buches  ist  Otto  eingetreten,  Berliner 
Philol.  Wochenschrift  1886,  No.  42,  S.  1308;  gegen  Birts  Auffassung  von 
Libellus  (vgl.  auch  Birts  Vortrag  Ȇber  den  Begriff  des  Buchs  bei  den 
Alten« ,  Verhandlungen  der  34.  Versammlung  Deutscher  Philologen  in 
Trier,  Leipzig,  Teubner,  S.  91  100)  bei  Properz  spricht  sich  aus  Plessis, 
Etudes  crit.  sur  Prop.  1884,  S.  102,  Anm.  2,  vgl.  ebenda  S.  112.  Noch 
anders  zieht  in  Zweifel  E.  Baehrens,  »Das  antike  Buchformat  der  rö- 
mischen Elegiker«,  Jahrb.  f.  klass.  Philol.  1882,  785  ff.,  vgl.  den  Bericht 
des  Referenten  unter  No.  37,  sowie  auch  Hugo  Magnus  in  Philol. 
Wochenschrift  1882,  No.  36,  S.  1126  und  ganz  besonders  Erwin  Rohde 
in  seiner  inhaltreichen  Rezension  des  Birt'schen  Buches,  Göttinger  ge- 
lehrte Anzeigen  1882,  Stück  49,  S.  1537— 1563.  Vgl.  auch  H.Land- 
wehr, Philol.  Anz.  1884,  S.  357;  K.Hamann,  Philol.  Rundschau  1884, 
S.  1177  f.;  Louis  Haenny,  Schriftsteller  und  Buchhändler  in  Rom. 
Halle  a.  S.  1884. 


Birt,  Bemerkungen  zum  »ersten  Buchet  des  Properz.  123 

41)  Birt,  Th.,  Bemerkungen   zum   »ersten   Buche«   des  Properz. 
Rhein.  Mus.  1883,  N.  F.  XXXVIII,  2,  S.  197—221. 

Birt  wendet  sich  zunächst,  und  mit  Recht,  gegen  die  Ansicht  von 
Baehrens,  dafs  die  Elegien  II  7  bis  II  13  in  das  III.  (IV.  Lachmann) 
Buch  gehören,  eine  Meinung ,  auf  deren  ungenügende  Begründung  auch 
Referent  in  seinem  letzten  Bericht  S.  146  f.  aufmerksam  gemacht  hat. 
Sodann  verweist  Birt  auf  die  Ausführungen  seines  Buches  »Das  antike 
Buchwesen«  S.  413  ff.  und  bezeichnet  die  Elegien  II  1  —  9  über- 
lieferter Zählung  als  ein  Excerpt  aus  Buch  I  antiker  Be- 
zeichnung in  der  Syntaxis  tetrabilos  (vgl.  den  Bericht  des  Referenten 
oben  unter  No.  40).  »Dies  Excerpt  ist  von  dem  Abschreiber,  auf  den 
unsere  Tradition  zurückgeht,  als  zu  winzig  zum  Buch  II  hinzugeschlagen 
worden,  mit  Voranstellung  der  Monobiblos.  Es  folgt  hieraus  nun,  dafs 
uns  nicht  wenige  Elegien  des  Properz  verloren  sein  müssen.«  Verfasser 
sucht  nun  die  Frage  zu  beantworten,  ob  es  sich  diesem  ' ersten  Buche' 
der  antiken  Tetrabiblos  noch  jetzt  anmerken  lasse,  dafs  es  einst  voll- 
ständiger war. 

Wenig  oder  gar  nichts  könne  uns  der  Nachweis  kleiner  Lücken 
helfen.  Eine  solche  finde  sich  gleich  in  der  ersten  Nummer  Tetrab.  I  1 
an  Mäcenas,  wo  dem  Distichon  39  f. 

Theseus  infernis,  superis  testatur  Achilles 
Hie  Ixioniden  ille  Menoetiaden. 

in  der  handschriftlichen  Überlieferung  jeder  rechte  Zusammenbang  fehle. 
Indem  Birt  bei  Ausfüllung  der  Lücke  zugleich  eine  Versverschreibung 
annimmt,  schlägt  er  vor: 

Te  mea  Musa  Ulis  semper  contexeret  armis 

Et  sumpta  et  posita  pace  fidele  caput. 
Theseus  infernis,  superis  praestabat  Achilles, 

Hie  Ixioniden,  ille  Menoetiaden: 
Te  magnus  magnae  Caesar  non  deseret  urbi 

Confirmans  comitem  marte  togaque  suum. 

Für  ganz  komplet  sei  die  letzte  der  neun  Elegien  zu  halten; 
V.  13  hält  Birt  gegen  Vahlen  (Monatsber.  der  Berl.  Akad.  1881,  S.  358) 
die  Emendation  »Foedavitque  comas  siccans  tibi  corpus,  Achille«  auf- 
recht; V.  18  sei  zu  schreiben: 

Tunc  aestum  felix  inter  et  arma  pudor. 
Auch    das   vierte  und    fünfte  Gedicht   Bei  intakt;   in  No.  7  sei  ein 
Distichon  ausgefallen;  eine  Ergänzung  dieser  Lücke  war  vom  Verfasser 
bereits  Ad  hist.  hex.  lat.  symb.  vorgeschlagen   (vgl.   den  loteten  Bericht 
des  Referenten  S.  I7(.u;  jetzt  bietet  er  S.  205  folgenden  glatteren  Vers: 
Unde  mihi  dulcis  contemnere  gandia  lecti? 
Nulla  hos  amplexus  solvere  castra  valeut. 


124  M|rt<  Bemerkungen  zum  »ersten  Buchet  d<  •  Propere. 

Auch  No.  VI  liält  Birt,  entgegen  der  gewöhnlichen  Ansicht,  nicht 
für  lückenhaft,  glaubt  es  vielmehr  durch  folgende  Versordnung  her- 
stellen zu  können:   I     26.  35.  36.  27     80.  33.  34.  31.  82.  :;7— 42. 

Wirklich  den  Eindruck  dee  Excerptea  mache  nur  die  No.  \  lll 
V.  12  seien  mit  Wahrscheinlichkeit  zwei  mehr  oder  weniger  umfang- 
reiche Ausfälle  anzunehmen;  vier  Gedichte  seien  zu  scheiden,  von  Jürt 
mit  VIIIa,  V1II'\  VIII'  und  VIII'1  bezeichnet  Der  grofee  Ausfall  aber 
habe  nicht  an  dieser  .Stelle,  sondern  im  Bucbinnern'  stattgefunden;  der 
Anfang  (No.  I— III)  und  der  Schlufs  (No.  VIII  IX)  liege  der  Haupt- 
sache nach  unverkürzt  vor. 

Grundverschieden  von  seiner  Umgebung  sei  das  vierte  Gedicht: 
es  habe  uicht  die  Liebe  zur  Cynthia  zum  Gegenstande;  statt  des  Eigen- 
tones der  Liebe  sei  dasselbe  durch  Lehrton  charakterisiert;  drittens 
aber  bestehe  das  Rezept  in  der  Empfehlung  der  Knabenliebe,  die  dem 
Properz  sonst  so  gut  wie  fremd  sei.  Es  sei  daraus  zu  folgern,  dafs 
das  vierte  Gedicht  sich  ursprünglich  in  anderer  Umgebung  befand.  Das- 
selbe sei  erotodidaktischen  Inhaltes  und  mau  dürfe  vermuten,  dal-  es 
ursprünglich  von  einer  Reihe  ähnlicher  umgeben  stand,  in  denen  Pro- 
perz (vgl.  Ovid,  Trist.  II  461)  auch  vom  furtum  uud  dem  faliere  viros 
gehandelt  habe. 

Die  No.  XI  der  Überlieferung  »Scribant  de  te  alii«  etc.,  welche 
den  Eindruck  eines  durchaus  in  sich  fertigen,  schneidigen  Epigrammes 
bilde,  sei  um  eine  Seite,  »oder  um  eine  Kolumne  iu  dem  Codex  arche- 
typus,  nämlich  um  26  Zeilen«,  verstellt  und  habe  in  ihrer  klaren  Kürze 
einen  effektvollen  Abschlufs  des  Buches  I  der  Tetrabiblos  auf  die  dura 
puella  gebildet. 

Diese  Aufstellungen  von  Birt  sind  ohne  Zweifel  scharfsinnig  und 
für  jeden  unentbehrlich,  der  sich  mit  dem  sogenannten  »ersten  Buche« 
der  von  Birt  angenommenen  Tetrabiblos  näher  beschäftigen  will;  sie 
enthalten  eine  Reihe  beachtenswerter  Einzelbemerkungen,  über  die  hier 
zu  referieren  zu  weit  führen  würde.  Trotzdem  mufs  Referent  betonen, 
dafs  vieles  in  dem,  was  Birt  vorträgt,  zu  gewichtigen  Zweifeln  Anlafs 
bietet  und  dafs  dem  Verfasser  die  Hauptsache,  sein  erstes  Buch'  als 
»Excerpt«  zu  erweisen,  nicht  geglückt  ist.  Wenn  Birt  S.  211  bemerkt: 
»Eine  Buchverkürzuug  um  fast  zwei  Dritteile  wird  auch  nicht  durch 
Ausfall,  sonderu  als  bewufste  Auslese  eines  Excerptors  erklärt  werden 
müssen«,  so  ist  das  weder  von  vornherein  einzusehen,  noch  durch  die 
Einzelkritik  Birts  bestätigt.  Auch  der  Versuch  von  Birt,  den  Haupt- 
verlust in  die  Mitte  des  Buches,  in  die  Nachbarschaft  der  vierten  Elegie 
zu  verlegen,  unterliegt  schwerwiegenden  Bedenken,  vgl.  A.  Otto,  »Die 
Unvollständigkeit  des  zweiten  Buches  des  Propertius  und  ihre  Ent- 
stehung«, Jahrb.  f.  klass.  Philol.  1885,  S.  411  ff. 


Bitschofsky,  Zu  Properz.  125 

42)  Bitschofsky,  R.     »Zu   Prop.   II  21,  11  f.«,    Wiener  Studien 
III  1881,  303. 

Verfasser  wendet  sich  zunächst  gegen  die  Fassung  dieser  Verse  in 
der  Ausgabe  von  Baehrens: 

Colchida  sie  hospes  quondam  deeepit  Jason: 
Electa  est  tenuis  namque  Creusa  toro. 

Mit  vollem  Recht  wird  diese  Fassung,  die  Baehrens  Mise.  crit. 
1878,  91  ohne  Glück  zu  begründen  versuchte,  zurückgewiesen.  Die 
Überlieferung  eieeta  est  ist  in  der  That  nicht  zu  verlassen  und  der 
Sinn  der  ganzen  Stelle  wird  durch  Parallelstellen  aus  Euripides  (vergl. 
z.  B.  Androm.  15 f.  ab  o  ouaa  doöty  xae  oopuxrrjTog  yuvy  oo/j.o>j?  xara- 
ayelv  ixßaXoü  <x'  rj;w.q  Uilzig)  gut  erläutert.  Wenn  aber  Bitschofsky  vor- 
schlägt: »eieeta  est,  tenuit  namque  Creusa  domo s«,  also  tenuit  in 
beibehält  und  domo  in  domos  ändert,  so  kann  Referent  nur  betreffs 
tenuit  beistimmen.  Auch  domo  ist  nicht  zu  ändern;  eher  als  domos 
würde  sich  domum  empfehlen,  das  wenigstens  in  G  überliefert  ist  und 
wofür  sich  Voss  Anrnerkungeu  und  Randglossen  zu  Griechen  und  Rö- 
mern 1838,  S.  258  entscheidet  (eieeta  est  tenuit  —  domum).  Es  ist 
aber  auch  hier  die  Lesung  der  guten  codd.  zu  behalten  und  nur  mit 
Rofsberg  Lucubr.   Prop.  1877  S.  33  richtig  zu  interpungieren: 

Eieeta  est,  tenuit  namque  Creusa,  domo. 

43)  Bücheier,  Franz,  Properz,  Deutsche  Revue,  herausgegeben 
von  Fleischer,  8.  Jahrg.,  Heft  8,  August  1883,  S-  187—199. 

Bücheier  wendet  sich  mit  diesem  Aufsatz  an  das  grofse  Publikum 
und  schildert  in  wannen  Worten  und  poetischem  Schwung  Leben  und 
Dichtung  des  Properz  auf  dem  Hintergründe  der  damaligen  Zeitan- 
schauungen, welche  mit  inhaltreicher  Kürze  und  doch  allgemeiner  Ver- 
ständlichkeit und  völliger  Klarheit  vorgeführt  werden.  Das  Wichtigste 
aus  den  Ergebnissen  der  einschlagenden  Spezialforschungen,  deren  in- 
timste Kenntnis  überall  durchblickt,  aber  nirgends  stört,  ist  in  die  meister- 
hafte Darstellung  verwoben.  Dem  Referenten  ist  keine  Arbeit  bekannt, 
die  gleich  dieser  geeignet  wäre,  den  weitesten  Kreisen  unserer  Nation 
ein  Bild  des  Properz  zu  geben  und  Begeisterung  für  seine  Lieder  zu 
erwecken.  Dazu  tragen  die  wohlgelungenen  Übersetzungen  wesentlich 
mit  bei,  welche  Bücheier  von  einzelnen  Stellen  und  speziell  von  den 
Liedern  I  18  »Oed  ist  der  Ort  und  höret  stumm  die  Klage,  dem  Wohn 
des  Wests  gehört  der  weite  Wald«  u.  s.  f.,  V  11  »Wenn  erst  in  den 
unterird'schen  Bann  der  Tote  eingezogen,  steht  von  Diamant  verschlos- 
sen jeder  Weg«  u.  s.  f.  und  von  11  12  giebt  Das  Letztgenannte  Gedieht 
ist  von  Bücheier  folgendermafsen  übersetzt  worden: 


126  Blichfler,  Properz 

Wer  uns  zuerst  den   Amor  malt  als  Knaben, 
war  dessen  Hand  nicht  minderbar  geschickt? 

Er  sah  wie  ohne  Sinnen  die  Verliebten, 

wie  leichten  Spiels  sie  grofses  Gut  verthun. 
Mit  Recht  gah  er  dem  Gotte  luft'ge  Flügel, 
damit  er  flattere  aus  dem  Menschenherz. 
Denn  auf-  und  abwärts  schaukelt  uns  die  Woge, 

und  stätig  nirgends  leidet  uns  der  Wind. 
Gab  in  die  Hand  ihm  spitze  Pfeil'  als  Waffen, 
den  Kücher  auf  die  Schultern  wohlbedacht. 
Trifft  er  doch,  ehe  wir  den  Feind  gewahren, 
und  von  der  Wunde  Niemand  ganz  genest. 
Bei  mir  bewähret  Amor  sich  als  Schütze, 

als  Kind  auch,  doch  die  Flügel  er  verlor, 
Da  er  aus  meiner  Brust  nicht  will  entweichen 

und  ewig  Krieg  mit  meinem  Blute  führt. 
Welche  Lust  hast  du  in  dürrem  Mark  zu  hausen? 

sei  klug  und  rieht  auf  Andre  dein  Geschofs. 
Gesunde  treffe  jenes  Gift:  Du  schlagest 

nicht  mich,  den  schwachen  Schatten  nur  von  mir. 
Vernichtest  diesen  du,  wer  soll  dann  singen  — 

ist  doch  mein  schwaches  Lied  dein  mächt'ger  Ruhm  — 
Wer  singt  das  Köpfchen  und  die  schwarzen  Augen 
des  Mädchens,  ihrer  Füfse  leisen  Tritt  V 
Auch  für  den,  der  nicht  das  Glück  hat,  dem  hochverehrten  Ver- 
fasser näher  getreten  zu  sein,  hat  derselbe  durch  solche  Proben  bewie- 
sen, dafs  er  selbst  zu  den  Männern  gehört,  »welche«  —  um  seine  eige- 
nen Worte  zu  gebrauchen,  mit  denen  er  auf  der  Philologen -Versamm- 
lung in  Trier  zu  methodischer  Vervollkommnung  von  Übersetzungen  auf- 
forderte (vergl.  Verhandlungen  der  34.  Versammlung  deutscher  Philol., 
Leipzig,  Teubner  1880,  S.  11)  —  »zugleich  wissenschaftliche  Kenntnis 
und  künstlerisches  Talent  besitzen,  um  als  Übersetzer  sowohl  dem  Ge- 
schmack wie  der  Gelehrsamkeit  genug  zu  thun«.  An  jener  Stelle  sagte 
Bücheier  mit  Recht:  »Wie  wenig  mustergiltige  Übersetzungen  besitzen 
wir !  Für  die  Vielen,  welche  z.  B.  den  Properz  im  Urtext  nicht  geniefsen 
können,  bleibt  ein  bestes  Stück  römischer  und  aller  Poesie  in  Lethes 
Fluth  begraben!«  Möchte  Verfasser  Zeit  finden,  den  oben  genannten 
Übersetzungen  andere  hinzuzufügen.  Möchte  sein  Beispiel  zahlreiche 
Nachahmung  finden.  Da  die  Befürchtung  nahe  liegt,  dafs  vom  grofsen 
Publikum  viele,  die  sich  für  das  klassische  Altertum  interessieren,  Büche- 
lers  kurzen  Aufsatz  in  der  Deutschen  Revue  übersehen  werden,  möchte 
Referent  noch  den  Wunsch  hinzufügen,  dafs  Bücheier  denselben  Gegen- 
stand in  erweiterter  Gestalt  durch  eine  Monographie  unserem  deutschen 
Volk  darbieten  möchte. 


Bücheier,  Coniectanea.  127 

44)  Bücheier,  Fraucisci,  Coniectanea,    Ind.   schol.     Bonn.    hib. 
1878/9.  26  S.  4. 

In  diesem  Universitäts-Programm,  das  dem  Referenten  bei  seinem 
letzten  Bericht  noch  nicht  vorgelegen  hat,  macht  Bücheier  S.  13  darauf 
aufmerksam,  dafs  das  Gedicht  des  Properz  auf  den  princeps  und  seinen 
Schützer  Apollo  V  6  »Sacra  facit  vates«  die  Mitte  des  Buches  einnimmt, 
und  vergleicht  damit  die  Epoden  des  Horaz,  in  deren  Centrum  (9)  das 
Gedicht  auf  die  Schlacht  von  Actium  steht.  Die  Centralstellung  jenes 
Properzischen  Liedes  scheint  allerdings  beabsichtigt,  wie  jetzt  auch 
Reisch,  Wiener  Studien  IX  1887,  130  anerkennt.  Sonst  freilich  deu- 
tet die  Anordnung  des  letzten  Buches  nicht  gerade  auf  überlegene  Weis- 
heit des  Dichters,  wie  Reisch  mit  Recht  betont,  und  ist  daher  das, 
was  Marx,  De  S.  Propertii  vita  etc.  1884,  S.  70,  angeblich  als  Büche- 
lers  Ansicht,  vorträgt,  künstlich  gemacht  vgl.  oben  unter  No.  14. 

45)  Bücheier,  Fr.,  Coniectanea,  No.  VII,  Rhein.  Mus.  f.  Philol. 
N.  F.  36.  Bd.  1881,  337f. 

schreibt  V  11,  72  jugum  für  rogum:  haec  est  feminei  merces  extrema 
triumphi,  laudat  ubi  emeritum  libera  fama  iugum.«  Damit  steht  in 
Übereinstimmung  Büchelers  Übersetzung  in:  Deutsche  Revue  1883,  VIII, 
3,  199:  »Das  ist  weiblichen  Triumphes  höchster  Lohn,  wenn  freie  Rede 
Rühmt,  wie  bis  zum  Eud'  getragen  ward  das  Joch.« 

46)  Buche ler,  F.,  Rhein.  Mus.  XXXIX,  4,  1884  S.  621  ff.  schreibt 
III  18  (IV,  17  L.  Müller)  5 ff.  so: 

hie  ubi  mortales,  dexter  cum  quaereret  urbes, 

cymbala  Thebano  concrepuere  deo  — 
at  nunc,  iuvisae  magno  cum  crimine  Baiae, 

quis  deus  in  vestra  constitit  hostis  aqua? 
his  pressus  Stygias  voltum  demisit  in  uudas. 

47)  Cumpfe,  K.,  Kriticke  a  exegeticke  pfispevky  k  Pro- 
pertiovi,  in:  Listy  filologicke  a  paedagogicke,  (redigiert  von  Kvicala 
und  Gebauer  Prag)  1884,  S.  224  -  229. 

Anknüpfend  au  Ottos  Abhandlung  in  der  Berliner  Philol.  Wochen- 
schrift 1884  No.  9  ff.  über  eine  Reihe  einzelner  Stellen  des  Properz  be- 
spricht Cumpfe:  I  1,  19;  4,  15;  5,  7;  8,  33;  11,  21;  15,  29;  17,  3.  — 
II  1,  47;  5,  27;  20,  35;  32,  50.  —  III  7,  45;  13,  41  der  Zählung  von 
Baehrens. 

48)  Ellis,  R.,    Propertianum,  Journal  of  philol.  XI,  1882,  S.  174 

vermutet  IV  7,  81  »Ramosis  Anio  qua  pomifef  inenbat  arvist,  wo  ilif 
Emendation  Broukhuysens   »Pomosis  spumifer«  allgemeinen  Anklang  ge- 


]28  Ellis,  Propertianum. 

fanden  (so  z.B.  auch  bei  Schneidewiti  Gott.  Gel.  Ans.  L866  II),  für 
Ramosis  vielmehr  Lamosis  »boggyc  Dagegen  sei  -pumifer  durch 
Ovid  Amor.  III  <;.  16  »Tiburis  Argei  spumifer  arva  rigas«  sicher  gestellt 

49)  Ellis,  K.,  »Note  oh  Propertiugc,  hat  Journal  of  Philol.  XII, 
24   S.  267    Prop.  IV,  5.  61.  62    behandelt;    dem  Referenten   ist 

Beitrag  zur  Properzkritik  nicht  zugegangen. 

50)  Ellis,  R.,  Transactions  of  the  Oxford  Philologie al  Society. 
Heft  1880/81.  eröffnet  die  Reihe  der  Vorträge  diese-,  Heftes,  dessen  In- 
halt dem  Referenten  nur  aus  Kraffcrts  Besprechung  Philol.  Rundschau 
IV  1884,  237  ff.  bekannt  geworden  ist,  mit  Mitteilungen  über  den  Nea- 
politanus  des  Properz;  es  wird  ausgeführt,  dafs  N  der  Gruppe  AEDV 
gegenüber  oft  allein  das  Richtige  hat  oder  darauf  hinführt,  vgl.  darüber 
Solbisky  in  Dissert.  Jenens.  II  139 ff.  und  oben  unter  No.  20.  Kraffert 
a.  0.  S.  239  unterschreibt,  was  Ellis  über  Prop.  V  4,  71  f.  von  Strymo- 
nis  sagt  »und  dafs  wir  mit  Rücksicht  auf  Schob  Apollon.  Rhod.  II  946 
und  Herod.  VII,  45  an  eine  Amazone  zu  denken  haben«. 

51)  Gow,  Note  on  Propertius  II  2.  3,  4  Transactions  of  the  Cam- 
bridge Philological  Society,  vol.  II.  1883,  157. 

Da  die  vorgenannte  Zeitschrift  in  Deutschland  nur  wenig  Verbrei- 
tung hat,  so  mag  gleich  aus  den  Proceedings  of  the  Cambridge  Philol. 
Soc.   1881  der  Wortlaut  der  Bemerkung  folgen  zu  dem  Text: 
cur  haec  in  terris  facies  humana  moratur? 
Juppiter,  ignoro  pristina  furta  tua. 

»The  pentameter  only  requires  a  note  of  interrogation  at  the  end 
to  make  it  intelligible.  »An  I  ignorant  of  your  old  amours  Jupiter?«  is 
Propertius'  way  of  saying,  »Were  those  amours  realities?«  The  argu- 
ment  is  that  Jupiter's  allowiug  Cynthia  to  remain  on  earth  among  men 
(humana)  is  a  reason  for  doubting  the  truth  of  the  stories  of  his  attach- 
ment to  the  heroines  of  old.« 

52)  Holland,  Geo.  Ric,  De  Polyphemo  et  Galatea,  Diss.  Lips., 
Leipziger  Studien  VII,  1884,  S.  139—312 

erwähnt  S.  276  die  zuerst  bei  Properz  IV  1,  45  f.  (.III  2,  5  f.)  nachweis- 
bare Fassung,  dafs  Polyphems  Liebe  von  Galatea  erwiedert  wird.  Nach 
Holland  geht  dieselbe  nicht  sowohl  auf  ein  dichterisches  Original,  als 
auf  ein  Wandgemälde  zurück  »propter  rorantium  cquorum  insigne  simile 
delphinis,  quibuscum  semper  feie  Galatea  in  picturis  comparet«.  Vergl. 
dazu  R.  Ehwald  in  dieser  Zeitschrift  XLII,  1885,   II,  S.  160. 

53)  Jurenka,  Hugo,    Beiträge  zur  Kritik  der  Ovidischen  He- 
roiden.  Progr.  Wien  1881. 

Rec:  Heinrich  Löwner,  Philol.  Rundschau  II.  1366ff.  —  Alex. 
Riese,  Jahresber,  f.  Altertumsw.  XXVII  (1881  II),  76f. 


Jurenka,  Beiträge  zur  Kritik  der  Ovidischen  Heroiden.  129 

Dieses  Programm  des  k.  k.  Staatsgymuasiums  im  achten  Bezirke 
Wiens  behandelt  in  seiner  ersten  Hälfte  bis  S.  20  »das  Verhältnis  der 
Heroiden  zu  den  Dichtungen  der  Vorgänger  Ovids,  insbesondere  des 
Properz«.  Ausgehend  von  der  vielerörterten  Stelle  Ov.  A.  A.  III  346, 
»Ignotum  hoc  aliis  ille  novavit  opus«,  sucht  Jurenka  durch  eine  ziem- 
lich weitläufige  Besprechung  zu  erweisen,  dafs  Ovid  in  allem  und  jedem 
den  Ruhm  des  Erfinders  der  Dichtungsart  der  Heroiden  in  Anspruch 
nehmen  kann.  Properz  habe  seine  Arethusaepistel  erst  nach  der  Ver- 
öffentlichung einer  Anzahl  dieser  Episteln  Ovids  geschrieben,  »vielleicht 
um  dem  befreundeten  Ovid  damit  seinen  Beifall  für  die  schöne  Erfindung 
auszudrücken.«  »Es  war  ihm  in  diesem  Falle  gewifs  auch  gestattet,  seiner 
Epistel  das  Aussehen  einer  Blumenlese  der  geläufigsten  Gedanken  aus 
den  Heroiden  zu  geben.« 

Trotz  der  Zustimmung  von  Löwner  kann  Referent  nicht  zugeben, 
dafs  Jurenka  den  Beweis  für  diese  seine  Ansichten  erbracht  hat.  Schon 
die  chronologischen  Verhältnisse  lassen  erhebliche  Zweifel  zurück.  Ju- 
renka macht  es  sich  in  dieser  Beziehung  über  Gebühr  leicht,  indem  er 
sich  mit  der  Ansicht  beruhigt,  dafs  das  fünfte  Buch  der  Elegien  des 
Properz,  also  auch  der  diesem  angehörige  Arethusabrief,  erst  nach  dem 
Tode  des  Dichters  herausgegeben  wurde.  Allein  abgesehen  davon,  dafs 
diese  Zeit  der  Veröffentlichung  höchst  zweifelhaft  ist,  kommt  es  hier 
auf  das  Alter  der  Abfassung,  aber  nicht  der  Veröffentlichung  um  so 
mehr  an,  als  Properz  dem  Ovid  seine  Liebesgeschichte  vorzulesen  pflegte, 
die  Arethusaepistel  aber  hiervon  mit  Jurenka  auszunehmen  bedenklich 
ist.  Nun  gehört  nach  Rofsberg,  N.  Philol.  Rundschau  1886,  216  die 
Arethusaepistel  zu  den  Jügeudgedichten  des  Properz.  Der  Chronologie 
nach  liegt  es  also  näher  anzunehmen,  dafs  Ovid  durch  Properz  angeregt 
wurde,  als  umgekehrt. 

Dafs  Jurenka,  wie  Löwner  behauptet,  »den  Nachweis  der  Abhängig- 
keit des  Properz  von  Ovid  erbracht«  habe,  ist  ebenfalls  in  Abrede  zu 
stellen.  Die  S.  13  ff.  zusammengestellten  Parallelen  der  Arethusaepistel 
mit  Ovids  Heroiden  erklären  sich  aus  der  gemeinsamen  Situation,  teil- 
weise wohl  auch  aus  der  Benutzung  gleicher  alexandriuischer  Muster,  und 
kehren  teilweise,  wie  die  Verfluchung  desjenigen,  der  den  Krieg  erfun- 
den, oder  die  Befürchtung  der  Untreue,  auch  sonst  häufig  genug  wieder. 
Eingehender  handelt  darüber,  aber  ohne  Jurenkas  Namen  zu  nennen  Ka- 
rolus  Kirchner,  De  Propertii  libro  quinto  capita  sex  1882,  47ff;  vgl. 
auch  Zingerle,  Ovid  und  sein  Verhältnis  zu  den  Vorgängern  und 
gleichzeitigen  Dichtern,  Heft  1,  S.  119  f. 

Dafs  es  Ovid  mit  positiven  Angaben  nicht  genau  nahm,  ist  be- 
kannt. Referent  vermag  daher  auch  die  Worte  »ignotum  hoc  aliis  ille 
novavit  opus«  nur  insofern  als  sachlich  berechtigt  anzusehen ,  als  Ovid 
die  Erfiuduug  des  Propertius  modifizierte.    Auch  R.  Bhwald  Bprichl  sich 

Jahresbericht   für  Alierthuiiiswi-.seiisoh.ill    LI.   (1887.    II.  •  'J 


130  Jurenka,  Beiträge  zur  Kritik  der  Ovidischen  Heroiden. 

in  vorliegender  Zeitschrift  43.  Bd.  1887,  175  dahin  aus,  dafs  Ovid,  nicht 
Properz,  als  Nachahmer  anzusehen  ist. 

Das  Verhältnis  des  Ovid  zu  Properz  ist  neuerdings  von  Reisch 
Wiener  Studien  IX  1887  behandelt  worden.  In  AosehlnCa  an  Lach- 
mann (Kl.  Sehr.  II  L20)  wird  liier  bemerkt,  dafe  Ovid  den  Axethosa- 
brief  in  unzähligen  Stellen  der  Heroiden  »berupft«  hat.  »Wer  sich  vor 
Augen  hält«,  heifst  es  bei  Reisch  S.  143,  »wie  Ovid  in  seinen  Amores 
die  Gedichte  des  Properz  geplündert  hat,  wie  oft  er  ein  von  Properz 
kurz  angedeutetes  Motiv  des  längern  ausgesponnen,  der  wird  keinen 
Augenblick  zweifelhaft  sein,  dafs  zwischen  Heroiden  und  Arethusabrief 
dasselbe  Verhältnis  obwaltet«. 

Dem  Referat  von  Bodenstein  Philol.  Rundschau  V,  1159  ff.  ent- 
nehme ich,  dafs  neuerdings  auch  Carl  Dilthey,  Observationum  in  epi- 
stulas  heroidum  Ovidianas  particula  I  (Index  scholarum  der  Göttinger 
Universität  für  das  Wintersemester  1884/85.  Göttingen,  Dieterich'sche 
Verlagsbuchhandlung  22  S.  4.  —  bei  Abschlufs  dieses  Berichtes  nicht 
gleich  zu  beschaffen,  soll  das  nächste  Mal  eingehend  besprochen  werden) 
gezeigt  hat,  »dafs  Ovid  das  Recht  der  Originalität  für  die  Heroiden  nur 
in  beschränktem  Mafse  in  Anspruch  nehmen  kann«. 

54)  Kalkraann,  De  Hippolytis  Euripideis  quaestiones  novae-  Diss. 
inaug.    Bonn  1881. 

Diese  der  Hauptsache  nach  ganz  andere  Gegenstände  behandelnde 
Dissertation  enthält  an  drei  Stellen  Beiträge  zu  Properz.  Zunächst  be- 
spricht Kalkmann  S  18—20  Prop.  II  1,  51  ff.  (seu  mihi  sunt  tangenda 
novercae  pocula  Phaedrae  etc.),  wobei  er  S.  18  in  V.  54  Colchiacis  ver- 
teidigt und  S.  19  in  Anschlufs  an  seinen  Lehrer  Bücheier  11  —  14  nach 
V.  8  stellt  (vergl.  über  diese  Elegie  jetzt  besonders  Otto,  Die  Versum- 
stellungen bei  Properz  I  1884,  S.  6 f.);  sodann  bringt  er  S.  25  zu  I  1,  3 
und  III  13,  25  (tres  libelli)  Parallelstellen  bei  und  behauptet  schliefs- 
lich  S.  46  (sententiae  controv.  VI),  dafs  das  Distichon  II  6,  41.  42  an 
das  Ende  der  folgenden  Elegie  zu  setzen  sei. 

55)  Kan,  J.  B.,  Epistula  critica,  Mnemosyne  IX  1881 

bietet  S.  345  an  Stelle  von  V  11,  15  »Damnatae  noctes  et  vos  vada 
lenta  paludes«  unter  Verwerfung  der  früheren  Vermutung  vos  atrae 
für  damnatae  desselben  Verfassers  die  Lesung  »Damnatae  noctes 
festes  et  vos  vada  lenta«.  Zur  Erklärung  von  damnatae  verweist 
Kan  auf  Virg.  Aen.  1.  IV  693 ff.  In  der  Anmerkung  S.  346  wird  V.  69  f. 
so  geschrieben:  »Et  serie  fuleite  genus:  mihi  cymba  volenti  solvitur 
aueturis  tot  mea  fata  satis«;  das  ist  aber  nicht  neu  vgl.  Paldamus  obs. 
S.  301  seiner  Ausgabe. 


Kiefsling,  Zu  Augusteischen  Dichtern.  131 

56)  Philologische  Untersuchungen,  Herausgegeben  von  A.  Kiefs- 
ling und  U-  v.  Wilamowitz-Möllendorff.  Zweites  Heft:  Zu  Augu- 
steischen Dichtern.  Berlin.  Weidmann  1881. 

Dieses  Heft  behandelt  zwar  kein  Gedicht  des  Properz,  sondern 
enthält  einen  Aufsatz  von  F.  Leo  über  einige  Elegien  Tibulls  und  eine 
Arbeit  über  Horaz  von  A.  Kiefsling.  Doch  sei  Kiefsliugs  Ansicht  über 
das  letzte  Buch  des  Properz  registriert,  die  er  S.  73  Anra.  mit  folgen- 
den Worten  mitteilt:  »Auch  anderen  Dichtern  der  Zeit  ist  diese  Rück- 
sicht auf  runde  Zahlen  nicht  fremd.  In  Properz  fünftem  Buche  sind  die 
zehn  gröfseren  Elegien,  wie  V  6  sacra  facit  vates  lehrt,  in  zwei  Hälften 
gruppiert;  die  Corneliaelegie  ist  dann  als  dvTmpoaojnov  rr^aoyig  viel- 
leicht erst  später  von  fremder  Hand  angefügt.«  Aber  das  Haschen  nach 
runden  Zahlen  gewährt  nicht  den  leisesten  Beweis  für  die  ganz  in  der 
Luft  hängende  Vermutung,  der  mit  Unrecht  K.  P.  Schulze  (Über  das 
Princip  der  variatio  bei  römischen  Dichtern,  Jahrb.  f.  klass.  Philol.  1885, 
S.  867)  beistimmt,  dafs  die  Elegie  auf  den  Tod  der  Cornelia  erst  später 
von  fremder  Hand  angefügt  worden  sei.  Am  wenigsten  bietet  gerade  dies 
fünfte  Buch  Anlafs,  runde  Zahlen  vermuten  zu  lassen.  Denn  alle  Ver- 
suche der  Neueren,  eine  auf  höheres  Dichtergenie  beruhende  Anordnung 
sämtlicher  Gedichte  des  Schlufsbuches  nachzuweisen,  hält  Referent,  wie 
er  dies  in  seinem  nächsten  Bericht  ausführlich  darzulegen  gedenkt,  für 
verunglückt.  Wenn  irgend  etwas  in  der  Anordnung  des  Schlufsbuches 
auf  bewufste  Absicht  des  Dichters  hinweist,  so  ist  dies  aufser  der  Cen- 
tralstellung  des  patriotischen  Hymnus  auf  Apollo  (6)  (s.  o.  unter  No.  41) 
der  Schlufs  mit  »der  Königin  der  Elegien«).  Vergl.  Otto  Die  Reihen- 
folge der  Gedichte  des  Properz.  Hermes  XX,  570).  Mit  Recht  sagt 
Ribbeck,  Zur  Erklärung  und  Kritik  des  Properz,  Rhein.  Mus.  XL, 
1885,  S.  482:  »Die  ganze  Sammlung  konnte  durch  keinen  schöneren 
Schlufs  gekrönt  werden  als  durch  die  regina«.  Diese  ausgezeichnete 
Schlufsstelluug  blofs  wegen  der  Rücksicht  auf  runde  Zahlen  dem  Dichter 
abzusprechen  und  einer  späteren  fremdeu  Hand  zuzuschreiben,  sieht 
Referent  keinen  Grund. 

57)  Kirchner,  K.,  behandelt  in  der  Festgabe  für  Wilhelm  Cre- 
celius  (Elberfeld  1881),  welche  Referent  zwar  bei  dem  Verleger  des  vor- 
liegenden Berichtes  bestellt,  aber  nicht  erhalten  hat,  S.  62-64  Prop.  V 
1,  71-150.  Wie  aus  der  Dissertation  desselben  Verfassers  zu  ersehen 
ist,  glaubt  derselbe,  dafs  diese  Verse  nicht  von  Properz  selbst,  sondern 
von  einem  Freunde  desselben  herrühren  vgl.  oben  No.    12. 

58)  Kraffert.  Herrn.,  lleiträge  zur  Kritik  und  Erklärung  lateini- 
scher Autoren.  Aurich.  In  Kommission  bei  R.  Reents.   1883. 

Rec:  A.  E.,  Lit.  Centralbl  1883,  No.  47,  S  1641;  E.  Beyden- 
reich,  Phil.  Rundschau  IV.  -17—220;  K  Menge,  Philol.  An/.  Xlll, 
Suppl.   1.,  S.  723f. 

y* 


132  Kraffert,  Beitrage  zur  Kritik  lateinischer  Autoreo. 

enthält  S.  139 ff.  über  Properz  aufser  aphoristischen  Bemerkungen  zur 
Erklärung  folgende  Vermutungen:  3,  20  nti  natis  oder  ut  in  natis;  4,  26 
decus  für  deus;  5,  32  non  impune  irritata  venit;  10,  21  tristis  pug- 
nare  puellaeV;  11,  6  restat  amare  loco;  12,  2  Pontice  Roma  mo- 
ram  (so  auch,  unabhängig  von  Kraffert,  von  Wilamowitz-Moellen- 
dorff  im  Göttinger  Index  schol.  1884  S.  5;  vergl.  unten  unter  No.  73); 
12,  11.  12  mutat  via  longa;  puellae  —  fugit  amor;  13,  29  .luve 
digna  et  proxima,  Leda  et  Ledae  gratior;  14,  6  »Nach  diesem  Verse 
kann  eine  Lücke  statuiert  werden«;  15,  v.  39  40  »gehören  schwerlich 
an  diese  Stelle«;  16,  7  corollas;  v.  38  iugrato  dicere  tuta  loco;  V.  45 
miseri  —  amantis?;  17,  3.  4.  solido  =  in  solido,  wie  schon  früher 
Philol.  XXI,  684;  19,  24  adsiduis  viris;  20,  5  infra  specie;  21,  5  ff. 
»ich  streiche  V.  5  ut,  setze  es  aber  statt  nee  in  V.  6  ein«;  22,  6  sed 
mihi  praeeipue.  Diesen  Vermutungen,  welche  sämtlich  dem  ersten  Buch 
angehören,  reihen  sich  folgende  aus  dem  zweiten  an:  II  1,  37.  38  »am 
ehesten  würde  sich  noch  dafür  nach  V.  58  ein  Platz  finden,«  V.  47.  48 
salvus  statt  solus  »und  so  kommt  der  verständliche  Sinn  heraus:  Ster- 
ben um  der  Liebe  willen  ist  schön,  eben  so  schön  ist's,  seiner  Liebe  sich 
erfreuen;  möchte  ich  leben  und  meiner  Liebe  mich  erfreuen«;  3,41  si- 
quis  vult  famae  tabulas  anteire  venustas;  7,  11  caneret  mihi;  8,21 
—  24  vor  29.  —  Aus  Buch  III:  13,  14  iam  statt  nam;  V.  48  bellicus  — 
miles,  »16,  11  —  12  und  V.  13-14  scheinen  einer  Umstellung  zu  bedür- 
fen«; 18 b,  25  laedis,  wie  schon  Phil.  XXII,  343,  V.  29  deine  (desine 
Baehr.);  19,  12  addueta,  nicht  doeta;  22 b  48  non  noverit  ille;  hinter 
24,  11  und  hinter  25,  34  eine  Lücke;  32,  23  allisit  ad  aures;  V.  59 
statt  hesternis:  in  vernis.  —  Aus  Buch  IV:  3,  3  — 4  »Wenn  mau  die 
Verse  nicht  als  überflüssig  streichen  will,  so  ist  vielleicht  regum  facta 
duorum  zu  lesen«;  Lücke  nach  5,  2;  V.  6  misera  aera;  8,  3  furi- 
bunde;  V.  22  me  discat  livor;  9,  37  in  cineres  arcem  sedisse  pater- 
nam;  11,46  statuas  inter  et  arma  fori;  12,  15  Ismara  Calpe  saeva 
Malea,  wie  früher  Phil.  XXII,  343f.;  14,  14  turba  levatur  equis; 
18,  31  f. :  at  tibi  nauta,  —  qui  traicit  umbras,  huc  animae  portet 
corpus;  24,  14  versa  angemessener  als  vera;  V.  13  iugo  veneris  tor- 
quebar  aheno ;  25,  1  positis  inter  convivia  amicis.  —  Aus  Buch  V: 
1,  83  stellae;  V.  87  Roma  cades;  2,  19  mendax  fama  noces  aliis, 
mihi  nominis  index  vgl.  Phil.  XXI,  354 f.;  3,  11  haecne  marita  fides  et 
paetae  hae  mihi  noctes;  3,  48  Arcticus;  4,  1  Tarpeiae  scelus;  4,  17. 
18  nach  V.  92;  4,  55:  sim  hospes  (patiare!)  tua  regina  sub  aula; 
V.  69  Venus  für  Vesta;  7,  23  non  oculos  quisquam  inclinavit  euntis? 
10,  43  *ille  virgatis  iaculanti  ante  agmina  braccis«;  11,  9  sit, 
maestae,  wie  schon  früher  Philol.  XXL  355. 


Kühlewein,  Kritische  Bemerkungen  zu  Propertius.  133 

59)  Kühlewein,  Guido,   Kritische  Bemerkungen  zu  Propertius, 
Im  Festgrufs  für  Heerwagen.    1883.    Erlangen,   Deichert  S.  1  —  17.  8. 

Rec.:  R.  Ehwald,  Philol.  Anz.  XIII,  12,  599ff.;  E.  Heyden- 
reich,  Philol.  Rundschau  1883,  49,  1555  ff.;  J.  P.  Postgate,  Transact. 
of  the  Cambridge  Philol.  Soc  II  233. 

Kühlewein  trägt  in  Anschlufs  an  L.  Müllers  Ausgabe  folgende 
Konjekturen  der  Reihe  nach  vor:  I  1,  19  sollertia  (vgl.  Rofsberg, 
Lucubr.  Prop.  1877,  S.  4  ff.  und  den  letzten  Bericht  des  Referenten 
S.  168 f.);  I  13,  12  amatus  für  amicus,  wozu  Ehwald  auf  IV  19  (20),  9  und 
I  18,  20  verweist:  I  14,  5  Utque  nemus  tantas,  ganz  unnötig  vgl.  Fri- 
gell,  Upsala  universitets  arsskrift  1883  filos-  etc.  vetensk.  I,  S.  17; 
I  17,  3  »nee  mihi  Cassiopes  saltum  visura  carina,  aber  carina  ist 
durch  G  sehr  schlecht  gestützt;  I  21,  5.  6.  »Sic  te  servato  possint 
gaudere  parentes,  Ut  soror  Acca  tuis  sentiet  e  lacrimis«  vergl.  aber 
Lachmann,  Ausgabe  von  1816,  S.  87;  II  1,5  unter  Beibehaltung  der  über- 
lieferten Versfolge  compsi  für  cogis;  aber  das  Verbum  heifst  nicht 
»sich  schmücken«,  auch  nicht  Plaut.  Stich.  V.  4,  19,  die  Argumentation 
gegen  Lachmann  ist  sehr  ungenügend  vgl.  Vahlen,  Über  zwei  Elegien 
des  Properz  1882,  272  (12);  direkt  falsch  ist  die  Behauptung  von  Kühle- 
wein, dafs  gegen  vidi  die  Wiederholung  des  gleichen  Wortes  spreche, 
s.  Vahlen,  Beiträge  zur  Berichtigung  der  Elegien  des  Properz  1881, 
342  vergl.  auch  die  Bemerkungen  des  Referenten  unter  No.  15;  die 
neunte  Elegie  wird  in  teilweise  beachtenswerter  Argumentation  so  re- 
konstruiert: IX  1-40,  VIII  17-24,  IX  47—48,  VIII  25—28,  IX  49-52, 
worüber  aufser  den  Bemerkungen  von  Vahlen,  Ehwald  und  Birt 
(Rhein.  Mus.  1883,  202 ff. )  besonders  die  eingehende  Kritik  von  Otto  Vers- 
umstellungen bei  Properz  I  1884,  9 f.  zu  vergleichen  ist;  III  4,  1  arma- 
tur  A  tossa  (statt  Etrusca);  auch  die  Schreibung  Kühleweins  III  32,  33ff. 

Ipsa  Venus  fertur  corrupta  libidine  Martis 
Nee  minus  in  coelo  semper  honesta  fuit 

Quamquam  Idaea  parens  pastorem  dicat  amasse 
Atque  inter  peeudes  aceubuisse  deam 
ist  ganz  verfehlt,  worüber  Referent  in  seiner  Recension  S.  1557  bereits 
ausführlich  gehandelt  hat,  vgl.  Vahlen,  Beiträge  zur  Berichtigung  1881, 
358  und  Kor  seh,  Nord,  tidskr.  for  filol.  V,  264  ff.;  III  34,  26  stultum 
für  das  handschriftliche  so  Iura,  doch  dürfte  Bergk's  Vermutung  serura 
(vgl.  auch  Rofsberg,  Luc.  Prop.  S.  33),  gegen  die  auch  Kühlewein  nichts 
vorzubringen  weifs,  den  Vorzug  verdienen;  IV  11,  7  int  ext  a  lacerna, 
wozu  Ehwald  mit  Recht  fragt,  ob  dies  die  von  der  Band  der  Gattin 
verzierte  1.  bedeuten  könne;  V  l,  57  munia  statt  moenia,  vgl.  Schip- 
pers, Obs.  crit.  in  Prop.  librum  quartum  1818,  10  und  llertzberg, 
Quaest.  S.  157;  V.  8,  7.  8  »iteratos  Bactra  per  ictus«,  was  sich 
auf  Pfeilschüsse  beziehen  soll;  V  LI,  4  vices  für  viae  der  Handschriften, 


\'M  Lau.'  illimachi  aetiis. 

das,  wenn  überhaupt,  eher  noch  mit  Heinsius  durch  fores  oder  serae 
zu  ersetzen  wäre. 

60)  Lange,    Guilelmus,    De    Callimachi    aetiis.     Diss.    philol. 
46  S.     8°.     1882  Leipzig.    J.  C.  Hinrich'sche  Buchhandlung. 

Rec. :  Eduard  Hey  den  reich.  Philol.  Rundschau  III,  88     39. 

Diese  sich  mehrfach  mit  der  vom  Verfasser  Dicht  genannten  Bres- 
lauer Dissertation  von  Otto,  De  fäbulis  Propertianis  ibho  inhaltlich  ' 
deckende,  flcilsige  Leipziger  Doktorarbeit  bietet  zunächst  eine  ziemlich 
ausführliche  Besprechung  von  Prop.  II  (III)  34,  die  Seite  5  mit  Casp. 
Barth,  Adv.  lib.  XXV  c.  IV  S.  1218  in  zwei  geteilt  wird;  doch  ist  die 
Verwunderung  des  Verfassers,  dafs  mit  Ausnahme  von  Baehrens  jene 
Zweiteilung  keine  Zustimmung  gefunden  habe,  nicht  gerechtfertigt,  vgl. 
Heimreich,  Quaest.  Prop.  S.  46;  Ribbeck,  proll.  Verg.  S.  57  und 
Carutti,  Ausgabe  S.  111.  Auch  Richter  in  dieser  Zeitschr.  1877  II  305 
hebt  den  Widerspruch  in  den  beiden  Teilen  hervor.  Betreffs  des  Disti- 
chons 31  f.  entscheidet  sich  Verfasser  für  die  Interpretation  Scaligers, 
der  non  zu  imitere,  aber  nicht  zu  inflati  bezog.  Vers  33  sei  mit  Scaliger 
zu  lesen  »Non  rursus  licet  Aetoli  referas  Acheloi«,  wobei  Lange  mit 
Unrecht  den  Ausführungen  von  Leo,  Rhein.  Mus.  35,  S.  441  ff.  völlig 
beipflichtet  (vgl.  den  letzten  Bericht  des  Referenten  No.  34).  Hl,  40; 
III  (IV)  9,  43  und  III  (IV)  1  seien  auf  Elegien  des  Callimachus  zu  be- 
ziehen, nicht  auf  die  Aetia.  Das  Verhältnis  des  Properz  zu  Callimachus 
konnte  weit  eingehender  charakterisiert  werden,  worüber  es  genüge,  auf 
die  ausführliche  Receusion  des  Referenten  a.  0.  zu  verweisen. 

61)  Onorato  Occioni,  La  Cintia  di  Properzio.  Nuova  Anto- 
logia  Vol.  XXX,  Serie  II,  15  Dicembre  1881,  S.  581-604 

stellt  unter  eingehender  Berücksichtigung  der  deutschen  Speziallitteratur 
die  Beziehungen  der  Cynthia  zu  Properz  zusammen.  Die  Arbeit  giebt 
für  die  Verbreitung  philologischer  Studien  in  Italien  ein  erfreuliches 
Zeugnis. 

62)  Otto,  A.,  Die  Versumstellungen  in  den  vier  ersten  Elegien 
des  vierten  Buches  des  Properz.  Commentationes  philologae  in  ho- 
norem August!  Reifferscheidii  scripserunt  discipuli  pientissimi.  Vratis- 
laviae  apud  Guil.  Koebnerum  1884,  S.  10—21. 

In  dieser  ersten  Fortsetzung  seiner  Abhandlung  über  die  Vers- 
umstellungen bei  Properz  (Progr.  Glogau  1884,  vgl.  oben  No.  15)  be- 
handelt Otto  den  Anfang  des  letzten  Buches,  welches  bekanntlich  unter 
den  Elegien  dieses  Dichters  eine  eigentümliche  und  besondere  Stellung 
einnimmt.  Nirgeuds  treten  die  Gegensätze  der  kritischen  Behandlung, 
über  die  Otto  schon  im  ersten  Teil  seiner  Arbeit  gehandelt,  schärfer 
hervor  als  hier,  sodafs  eine  epikritische  Revision  der  bisher  vorgetragenen 
Ansichten  und  Erklärungen  keineswegs  überflüssig  war. 


Otto,  Versumstellungen  in  d.  Eleg.  des  vierten  Buches.  135 

Otto  weist  sieben  Umstellungen  zurück,  billigt  zwei  der  bisheri- 
gen und  sucht  zwei  neue  zu  begründen.  Nicht  zu  versetzen  seien 
El.  I  55.  56  hinter  V.  38  (gegen  den  Referenten;  ich  nehme  meine  Ver- 
setzung hierdurch  ausdrücklich  zurück  und  bemerke  auch,  dafs  Ritschi, 
der  über  diese  schwierige  Anfangselegie  sich  bereits  früher  geäufsert 
hatte,  im  mündlichen  Verkehr  sich  mit  Entschiedenheit  gegen  diese  meine 
Transposition  aussprach);  I  87.  88  nicht  mit  Scaliger  nach  V.  68,  nicht 
mit  L  Müller  hinter  V.  52,  nicht  mit  Baehrens  nach  V.  54,  vielmehr  in 
handschriftlicher  Ordnung  zu  belassen;  I  141  f.  nicht  mit  Lütjohadn  nach 
V.  138;  II  41—46  weder  mit  Schrader  nach  V.  18,  noch  mit  Lütjohann 
nach  V.  12  zu  stellen;  III  43—50  nicht  mit  Lütjohann  umzustellen; 
IV  7—14  nicht  mit  Baehrens  nach  V.  2;  IV  71.  72  nicht  mit  Lütjohann 
nach  V.  26.  Dahingegen  billigt  Otto  die  Vertauschung  von  I  34  und  36 
(so  L.  Müller  und  Heydenreich)  und  IV  17.  18  hinter  V.  92  mit  Broukhus 
und  Rofsberg.  Neu  von  Otto  proponiert  sind:  I  37.  38.  nach  V.  54  und 
IV  13.  14  vor  V.  11. 

63)   A.  Otto,  Propertiana,  Berliner  Philol.  Wochenschrift,   1884, 
No.  9  ff. 

In  sechs  Artikeln  bespricht  Verfasser  eine  Anzahl  schwieriger  Stellen: 

I.  No.  9:  I  1,  20 f.  wird  die  Überlieferung  verteidigt  gegen  L.  Müller: 
»fallacia  beinahe  dasselbe  als  fallax  labor«,  piare  mit  M.  Haupt  =  piando 
facere,  vgl.  aber  den  Bericht  dieser  Zeitschrift  1886  II  168;  I  1,  35 
neque  assueto  mutet  amore  torum  (für  lorum);  I  4,  16  hoc  magis  et 
(oder  at)  certa  [für  accepta]  fallit  uterque  fide. 

II.  No.  10:  I  5,  8  Molliter  irasci  non  solet  illa  mihi,  gegen 
Baehrens,  Mise  crit.  73  und  Brandt,  Quaest.  Prop.  S.  10;  I  8\  33  Quam 
sibi  dotari  regnum  vetus  Hippodamiae  (dotari  für  dotatae);  I  9,  33  si 
pudor  est  erklärt  gegen  Hertzberg  mit:  »Wenn  du  dich  deines  jetzigen 
Zustandes  und  deiner  Liebe  schämst  und  von  ihr  befreit  sein  möchtest« ; 

I  11,  21  »An  mihi  nunc  maior  carae  custodia  matris,  Aut  sine  te  vitae 
cura  sit  ulla  meae?«;  I  14,  5  Vulgata  verteidigt  gegen  Lachmann. 

III.  No.  11:  Multa  prius  vasto  labentur  tiumina  ponto,  erklärt  mit: 
»Eher  werden  viele  Ströme  ins  weite  Meer  verfliefsen  (sie!)  und  natür- 
lich vertrocknen  und  schwinden,  als  die  Sorge  um  dich  in  meiner  Brust 
schwindet«;  I  17,  3  Nee  mihi  Casiope  stulto  visura  carinam,  gegen 
Polster,  Quaest.  Prop.  1881;  I  20,  13  Ne  tibi  sint  duri  montes  et  frigida 
saxa,  Galle,  neque  experto  semper  adire  lacus;  II  1,  47 

Laus  in  amore  mori,  laus  altera,  si  datur,  unum 
Posse  frui:  fruar  0  solus  amore  meo! 

II  2,  5  zwischen  6  und  7  ein  Distichon  ausgefallen  derart,  dal's  die 
eigentliche  Lücke  V.  6  zwischen  die  beiden  Worte  digna  und  soror 
fällt«;  113,  19  anders  als  gewöhnlich  zu  interpungieren;  II  5,  27  Scri- 
bam  igitur,  quod  non  umquam  tibi  (statt  tua)  deleat  aetas,  so  bereits 
Leo,  Rhein.  Mus.  1880,  440. 


13fi  r)t"»-,   I'n.prrtiana 

IV.  No.  12:  II  ♦;.  11  laedet,  nicht  laodit ;  II  7.  15  qnod  mea  si 
vero  comitaront  castra  paellae;  II  B,  84  iacere  von  Baehrens  mit  Un- 
recht beanstandet;  II  8,  .".4  veria  natis  verteidigt;  II  9,  28  Hie  abi  tum, 
pro<li.  perfida,  quidve  foit?  (qnidve  für  qaisqne);  II  18,  26  Bai  mea 
sed  magnast;  III  18  dl  20),  35  Hoc  mihi  perpetoo  t'as  est  (fas  Förjus); 

III  16  (II  22),  48  Cum  reeipi,  quem  non  noverit,  ille  putat 

V.  No.  13:  III  18  (II  24),  8  Aut  pndor  iDgennis,  aul  reticendns 
amor;  III  20  (II  25,  33)  semel  ire  memento  verteidigt;  III  30  (II  32»,  50 
dclicere  für  deripere,  aber  so  schon  Kind  seh  er,  Rhein.  Mus.  1862, 
226;  ebenda  V.  23  Nuper  enim  de  te  nostras  impleverat  aures  Ru- 
mor-, V.  32  Et  sine  delicto  viva  redueta  domum  est;  IV  6,  9  Sic  tu 
eam;  IV  6,  22  Et  qualem  null  am  dicere  habere  domi;  ebenda  V.  28 
Et  leeta  ex  sectis  anguibus  ossa  trahunt;  IV  7,  29  Ite.  rates  curvate, 
et  leti  texite  causas;  ebenda  V.  46  in  terra,  Dil  ubi  fleret  opes. 

VI.  No.  16:  IV  8,  27  Odi  ego  quam  nunquam  pungunt  suspiria 
somno;  IV  12  (III  13),  39  die  statt  dei;  ebenda  V.  42  Dique  deaeque 
omnes  Praebebant    nostris    (d.  h.   humanis)    verba    benigna   focis; 

IV  13   (III  14),   31   Nee  quae  sint  faciles,  V  l,   61  facta  für  dieta; 

V  1,  97  amarae  für  avarae;  V  5,  29  stimulare  für  simulare,  aber  so 
schon  in  der  Ausgabe  von  L.  Müller;  V8,  13  fuerunt;  V  11,  39  Te 
Perseu;  V  11,  65  Vidimus  et  fratrem  sellam  gemuisse  curulem. 

In  Auschlufs  an  diese  Abhandlung  hat  eine  Anzahl  Stellen 
K.  Cumpfe  behandelt  in:  Listy  filologicke  a  paedagogicke  1884,  224  ff. 

64)  A.  Palm  er,  Propertiana:  Baehrens  and  the  codex  Neapoli- 
tanus.     Hermathena  VII,  1881,  S.  40—72. 

Nach  einem  Rückblick  auf  die  bisherigen  Untersuchungen  über 
die  Properzhandschriften  spricht  Palmer  über  die  codicalen  Entdeckungen 
von  Baehrens  und  über  die  von  diesem  vorgelegte  Wertschätzung  des 
Neapolitanus  (N).  Ohne  den  Vorteil  zu  verkennen,  der  sich  aus  der 
durch  Baehrens  ermöglichten  Vermehrung  des  kritischen  Apparates  er- 
giebt,  spricht  sich  doch  Palmer,  der  (vgl.  Piessis ,  Etudes  critiques  sur 
Properce  1884,  S.  18)  N  1878  in  Wolfenbüttel  selber  eingesehen  hat, 
mit  Entschiedenheit  gegen  die  von  Baehrens  versuchte  chronologische 
Fixierung  dieses  codex  aus  (vgl.  den  letzten  Bericht  des  Referenten 
S.  145).  Die  Gründe,  mit  denen  Baehrens  N  nach  1430  geschrieben 
sein  läfst  (praef.  S.  VIII),  seien  »three  utterly  futile  arguments«.  Nach 
Palmer  ist  der  Neapolitanus  vor  dem  Ende  des  14.  Jahrhunderts  ge- 
schrieben. Als  einen  Beitrag  zu  der  Untersuchung  über  das  Wechsel- 
verhältnis von  N  zu  den  von  Baehrens  neu  bekannt  gegebenen  hand- 
schriftlichen Lesarten  giebt  dann  Palmer  von  S.  46  an  textkritikalische 
Erwägungen  über  folgende  Stellen  der  Ausgabe  von  Baehrens:  I  8,  21.  22. 
—  II  7,  3;  15,  49;  18,  5;  23,  21.  22;  24,  45.  46;  25,  2;  27,  7;  29,  1.  41; 
30,  19;  32,  5.  22.  33  ff.;  33,  37  f.;  34,  3  f.  -  III  1.  23  f.:  6,  22;  7,46; 
9,  9;  10,  25;  14,   11  ff.;  15,  3;  15,  33;  21,  19  ff.  —  IV  4,  29  f.;  4,  55  f. 


Palmer,  PropertiaDa:  Baehrens  and  the  codex  N.  137 

Eine  ausführliche  Würdigung  aller  der  neuen  Lesarten  von  Baehrens 
in  Vergleich  mit  der  bisher  bekannten  Überlieferung  lag  zwar  aufser- 
halb  der  Grenzen,  die  sich  Palmer  für  diesen  Artikel  gesetzt.  Doch 
spricht  er  seine  diesbezüglichen  Ansichten,  ohne  die  Beweise  vorzulegen, 
S.  67  dahin  aus:  1.  Dafs  N  die  beste  unserer  Properzhandschriften  ist, 
obgleich  gelegentlich  interpoliert,  aber  im  ganzen  nur,  wenn  der  Arche- 
typus verstümmelt  oder  lückenhaft  war;  2.  dafs  die  Übereinstimmung 
von  0  äufserst  wertvoll  ist,  wenn  sie  gleich  viel  gröfsere  Interpolation 
als  N  aufweist;  3.  dafs  die  Familie  AF  weit  besser  ist  als  die  Familie 
DV.  Aus  der  Familie  DV  seien  zwar  ein  oder  zwei  gute  Lesarten  ab- 
leitbar, diese  seien  aber  nicht  sicher;  und  wenn  sie  sicher  wären,  so 
könnten  sie  nur  Korrekturen  sein.  Die  Anschauungen  von  Baehrens 
über  die  Properzhandschriften  seien  falsch  im  Allgemeinen,  falsch  im 
Besonderen.  Die  Stellung  von  N  habe  er  angegriffen,  dieselbe  sei  aber 
aus  seinem  Angriff  nur  um  so  gesicherter  hervorgegangen.  Den  hohen 
Wert  von  D  und  V  habe  Baehrens  zwar  behauptet,  dennoch  aber  seien 
diese  Handschriften  in  einem  wirklich  bedeutenden  Grade  interpoliert. 
Trotz  alledem  habe  Baehrens  eine  Beihe  acceptabler  Emendationen  in 
den  Text  eingeführt. 

Was  die  Art  von  Baehrens1  emendatio  betrifft ,  mit  der  Palmer 
seinen  Aufsatz  schliefst,  so  genüge  es  auf  den  letzten  Bericht  des  Re- 
ferenten in  dieser  Zeitschrift  S.  149  zu  verweisen.  Wenn  aber  Palraer 
über  die  handschriftlichen  Anschauungen  von  Baehrens  S.  68  sich  dahin 
ausspricht:  »Baehrens'  theory  is,  in  fact,  false  generally,  and  false  in 
detail«,  so  stimmt  das  mit  den  übrigen  Untersuchungen  überein,  welche 
durch  die  neuen  Funde  von  Baehrens  veränlafst  wurden.  Dagegen  sind 
die  Anschauungen  von  Palmer  über  die  gegenseitigen  Verhältnisse  der 
beiden  Familien  AF  und  DV  ebenso  falsch,  als  unbewiesen.  Es  ist 
irrig,  wenn  Palmer  S.  67  behauptet  »that  the  AF  family  is  much  more 
honest  thau  the  DV  family«;  und  wenn  er  S.  68  sagt:  »I  challenge 
Baehrens  to  produce  a  Single  instance  in  the  DV  family  where  the  true 
reading  is  preserved  against  the  other  family  through  an  unintelligible 
corruption« ,  so  hat  dieser  Aufforderung  zwar  nicht  Baehrens  selbst, 
wohl  aber  in  der  gründlichsten  Weise  Solbisky  durch  seine  Disser- 
tation De  codieibus  Propertianis  (Lipsiae  1882,  abgedruckt  in  den  Disser- 
tationes  Jenenses  II  S.  139— 194)  entsprochen,  welche,  unabhängig  von 
dem  Aufsatz  Palmers  in  Hermath.  VH,  S.  183  sqq.  den  Nachweis  fuhrt: 
»familia  DV  verum  servavit  prae  NAF«  und  welche  zu  dorn  Resultat 
gelangt,  dafs  die  Properzkritik  in  Zukunft  auf  N  und  der  Familie  DV 
zu  beruhen  habe.     Vgl.  den  Bericht  des  Referenten  oben  unter  No.  20. 

65)  Postgate,  J.  P.,  Propertiana,  Journal  of  Philology.  Vol.  IX. 
62-70. 


]38  Postgate,   Propertiana,  Of  the  genuinenes*  of  Tib.  IV,  13. 

66)  Postgate,  J.  P.,   Of  thc  genuineness  of  Tibullus  IV  13  in: 
Journal  of  Philology  vol.  IX,  280—286. 

Verfasser  sucht  folgende  Schreibungen  zu  begründen: 

I  1,  33  voces  für  noctei:  in  me  nostra  Venus  voces  exercet  amores. 
Aber  Venus  ist  nicht  =  darling;  nostra  Venus,  womit  Magnus,  Piniol. 
Wochenschr.  1882,  1126  nostra  Dione  Nemes.  ecl.  II  56  vergleicht,  heifst: 
Venus,  der  wir  Liebenden  dienen.  Die  Stelle  ist  nicht  zu  ändern;  der 
Ausdruck  noctex  amarae  kommt  auch  sonst  bei  Properz  und  anderen  rö- 
mischen Dichtern  vor,  vgl.  Zingerle,  Ovidius  und  sein  Verhältni-  zu 
den  Vorgängern  und  gleichzeitigen  römischen  Dichtern  I  91.  —  I  2,  25.  26 
mit  veränderter  Interpunktion,  vgl.  Ausgabe  Seite  3.  57.  —  I  6,  20  socis 
d.  i.  sociis.  —  18,  7  zu  fulcire  verglichen  Celsus  1.  7.  18  und  Verg. 
Ecl.  6,  53.  —  19,  34  quo  für  qua.  —  I  20  Anfang,  mit  veränderter 
Interpunktion,  vgl.  Ausgabe  S.  10,  91.  —  I  20,  52  tutus  für  »-wm«,  vgl. 
dazu  Voss,  Anmerkungen  und  Randglossen  1838,  257.  —  I  21,  4  proxima 
militiae  erklärt  unter  Verweis  auf  Just.  32,  2;  ebenda  V.  9  quicunque.  — 
II  1,  47  uno:  »Here  the  MSS.  reading  uno  has  been  changed  without 
reason  to  uni,  or  misinterpreted  as  the  ablative.  It  is  dative.«  —  II  2,  4 
ignaro  für  ignoro: 

cur  haec  in  terris  facies  humana  moratur? 
Juppiter,  ignaro  pristina  furta  tua 
erklärt  mit:    »To   the  ignorant  with  your  old  intrigues,  Jupiter!    They 
are  tales  which  canuot  impose  on  me.«  —  II  7,  20  nomine  für  sanguine, 
unter  Verweis  auf  Lucr.  1 ,  95.  —  II  9,  12  erläutert  unter  Hinweis  auf 
Non.  207,   7.  8.   —  III  32,  29  lecti  für  lecta.    -     IV  l ,  3.  4  erläutert  in 
Vergleich  mit  Catull  64,  260  (Ellis)  und  Virg.  Aen.  6,  515.  -  IV  2  (3),  33 
jura  für  rura.  —  IV  6  (7),  46:    pauper  at  in  terra,  nil  ubi  flere  sat  est; 
IV  10  (11),  5  ventorum  (für  venturam).   -  IV  16  (17),  27.  28 
et  tibi  per  raediam  bene  olentia  flumina  Naxon 

unde  tuum  potat  Naxia  turba  merum. 
»Et  tibi  per  Diam  .  .  saxis  is  Mr.  Palmer's  brilliant  conjecture  for  the 
MS-  reading  (see  Hermath.  I  S.  162).  To  make  it  perfect,  \ve  should 
read  saxo,  which  is  nearer  the  MSS.,  and  is  more  appropriate  than 
the  plural,  »gushed  from  the  rock«,  cf.  Prop.  I  16.  29,  III  8,  3  saxo  .  . 
Cerauno.«  —  IV  20,  8  (18)  testis  sidereae  torta  Corona  deae  (torta  für 
tota).  —  V  5,  61  odoratum  Paestum,  acc  statt  gen.;  aber  ebenso,  was 
Postgate  entgangen  ist,  bereits  im  Jahre  1818  Schippers,  Observ.  crit. 
in  Propertii  librum  quartum,  Groningae,  S.  48.  —  V  11,  70  facta  für 
/ata.  —  Der  Aufsatz  über  die  Echtheit  von  Tibull  IV  13  knüpft  an  die 
Tibullischen  Blätter  von  Baehrens  (Jena  1876)  an  und  enthält  Beiträge 
zum  Verhältnis  des  Properz  zu  Tibull.  Das  schon  oben  zu  I  1 ,  33 
citierte  Buch  von  Zingerle  scheint  dem  Verfasser  vollständig  unbe- 
kannt geblieben  zu  sein;  auch  in  der  Ausgabe  wird  es  am  zuständigen 


Rofsberg,  Zur  Kritik  des  Propertius.  139 

Orte  S.  LXXVII  ff.  nicht  erwähnt.  Postgate  hätte  aus  der  Schrift  von 
Zingerle  S.  103  ersehen,  dafs  die  von  ihm  S.  282  mit  Recht  hervorge- 
hobene Ähnlichkeit  von  Tib.  IV  13,  3  und  Prop.  II  7  ,  19  auf  einer  fast 
stereotypen  Formel  beruht. 

67)  K.  Rofsberg,   »Zur  Kritik  des  Propertius.«     Jahrb.  f.  klass. 
Philol.  1883.     Heft  1,  S.  65—77. 

Verfasser  geht  von  der  neuen  Properzausgabe  von  Baehrens  aus 
und  teilt  mit,  was  sich  ihm  »aus  langer  sorgfältiger  Vergleichung  der 
Lesarten  in  den  fünf  Handschriften  ergeben:  1.  dafs  es  mit  unseren 
kritischen  Hilfsmitteln  für  Properz  nach  wie  vor  kläglich  aussieht; 
2.  dafs  N  nicht  mehr  für  frei  von  Interpolationen  gelten  kann;  3.  dafs 
aber  die  übrigen  Handschriften  ebenfalls  interpoliert  sind,  nur  meist 
viel  ungeschickter  als  N;  4.  dafs,  wenn  die  Lesart  von  N  der  aller 
übrigen  Handschriften  gegenübersteht,  in  ersterem  oft  eine  Korrektur 
oder  Interpolation  vorliegt;  5.  dafs  die  zweiten  Hände  in  F  und  V  deut- 
lich unter  dem  Einflüsse  von  N  stehen,  also  keinen  selbständigen  Wert 
beanspruchen  können;  6.  dafs  N  in  der  Zahl  guter  Lesarten  jedem  ein- 
zelnen der  übrigen  sehr  überlegen  ist  und  daher  auch  jetzt  noch  für 
den  besten  Kodex  gelten  mufs;  7.  dafs  aber  die  übrigen  Handschriften 
AFDV  bei  der  Kritik  des  Properz  nicht  ohne  Schaden  unberücksichtigt 
bleiben«.  Diese  Ansichten,  sowie  die  weitere  Vermutung  desselben  Ge- 
lehrten ,  elafs  die  fünf  Baehrens'schen  Handschriften  nicht  zwei,  sondern 
drei  Familien  angehören  und  dafs  die  gemeinsame  Quellschrift  0  mit 
Varianten  versehen  war,  näher  auszuführen  verzichtet  Rofsberg,  »da  eine 
solche  sehr  viel  mehr  Zeit  und  Raum  erfordern  würde  als  mir  zur  Ver- 
fügung steht«.  Durch  die  umfängliche  und  erschöpfende  Arbeit  von 
Solbisky,  De  codicibus  Propertianis,  Diss.  Jenenses  II  139 — 195  ist 
das  Meiste  der  vorstehenden  Anschauungen  bestätigt  worden,  s.  oben 
unter  No.  20. 

Hierauf  werden  folgende  Vermutungen  zu  einzelnen  Stellen  unter 
besonderer  Rücksichtnahme  auf  die  Ausgabe  von  Baehrens  vorgetragen: 
I  1,  7  ei  mihi,  iam  toto  furor  hie  non  deficit  anno;  I  1.  13  robore  für 
arbore;  I  3,  37 

iamque,  ubi  longa  meae  consumpsti  tempora  noctis, 
languidus  exaetis  eis  mihi  sideribus? 
I  4,  7  formosi  corporis  aetas;  V.  13  f.  et  quae  gandia  subtacita 
dicere  voce  übet«;  1  6,  24  otia  für  omnia;  I  7,  16  qui  valuit  nostros 
et  violasse  deos;  I  8,  40  carmiuis  obsequio  beizubehalten  nach  Ausonius 
parent.  21,  6;  I  8,  45  firmos  für  certos  in  N;  I  9,  G  quaeque  beizube- 
halten; 19,  13  Überlieferung  verteidigt;  I  11,  6  ecquid  in  extremo 
restat  amare  loco?;  I  19,  10  verterat;  I  19,  26  quarr,  dam  licet  in 
terris,  laetemur  amantes;  120,  25 ff.  nunc  Buperat  Zetes,  nunc  BU- 
perat  Calais;  II  l,  f.  vielleicht  mox  totuiu  oder  actutum;  II  ;:,  22  Bchreibt 


]  40  Rofsberg,  Zur  Kritik  des  Fropertius. 

Rofsberg,  indem  er  seinen  früheren  Heilungsversuch  aufgiebt,  jetzt  car- 
minaque  ullius;  II  3,  39.  40  nach  V.  34;  II  5,  10  si  dolos  afuerit  mit 
einer  Pompejanischen  Wandinschrift,  vgl.  C.  Winterberg,  »Die  neuesten 
Ausgrabungen  in  Pompeji«  in  »Unsere  Zeit«   1881,  S.  857;  II  G,  32  tur- 
pia  für  iurgia,  V.  34  tinctus;  II  7,  11  BChlofs  mit  rhyUimns;  II  9,   LI.  L2 
nach  V.  14  mit.  Vahlen,   V.  16   dubio  für   viduo;    V.   17    miris    natis; 
II  13,  28  tu   nee  eris;   II  15,  16  nudus  aus  V.  16  passend  wiederholt; 
II  16,  41.  42  »von  Properz  erst  später  eingeschaltet,  als  er  durch  Mae- 
cenas  mit  Augustus  näher  bekannt  geworden  war«,  II  18  »kein  einheit- 
liches Gedicht,   V.  1-  4  sind  ein  irgend  woher  stammender  Fetzen,   der 
Rest  das  Bruchstück  eines  andern  Gedichtes«;   II  28,  40  iufernos  lacus 
zu  belassen;   II  29,  7  semidei  fuerunt,  V.  21  atque  ita  me  in  tectum 
duxerunt  rursus  amicae;   seine  frühere  Autfassung  des  Gedichtes  II  29, 
wonach   es  aus  zwei  selbständigen  Gedichten  zusammengeflossen,   giebt 
Rofsberg  auf;  II  34,  7  nave  für  nonne  (nocte  Baehrens);  II  34,  22  membra 
für  verba;  II  34,   91   haec  für  et;  II  34,   93   quin  et  erit;  III  1,  35 
meque  inter  sacros  laudabit  Roma  poetas;  III  12,  14  die  Vulgate  sie 
redeunt  beizubehalten;  III  13,  8  praestat  für  pastor;   III  17,  12  animo 
cursat  utroque  meo;  III  19,  4  cupidae  für  captae;  III  21,  18  undicolas 
für  undisonos;  III  22,  30  Argolicas;  III  24,  30  nee  semel;  IV  2,  52  viel- 
leicht ausa  für  das  wiederholte  arma;  IV  3,  60  seu  voluit  spargi  parca 
lucerna  mero;   IV  4,  47  tota  potabitur  urbe,  V.  48  tum  für  tu,  V.  49  f. 
quippe  latentes  i  fallaci  celat  limite  supter  aquas;   IV  4,  85  omnia 
praebebant  somno  se:    Juppiter  unus;  IV  5,   69  tabernae;   IV  6,   28 
quam   tulit  irato  mobilis   uuda  Noto;  IV  6,   33  vultum,  V.  35  quali; 
IV  6,  64  illa  petit  Nilum  cymba  male  nixa  fugaci  ,  hoc  animo:  iusso  non 
moritura  die;  IV  7 ,   2  extruetos   für  evinetos;  IV  7,    19  f.  corpora  für 
pectora;   IV  7,  36   in  cyathis;   IV  7,  37  ut  für  aut;  IV  7,  63  marita; 
IV  8,  37  uterque  mit  0  V  F,  »man  verstehe  nur  üter, '  der  Weinschlauch  « ; 
IV  9,  28  putris  odorato  luxerat  igne  casa  »die  baufällige  Hütte  hatte 
zu  leuchten  angefangen  (d.  h.  war  eben  erleuchtet  worden)  durch  Feuer 
von  wohlriechendem  Holz«.     IV  10,  5 

indiges  exemplum  primus  tu  Romule  palmae 
huius  es:  exuvio  plenus  ab  hoste  redis. 
IV,  39  et,  Persem  proavi  simulantem  pectus  Achilli 

quique  reas  proavo  fregit  Achille  domos. 
IV  11,  86  casta  noverca.  — 

Wie  Verfasser  mir  brieflich  mitzuteilen  die  Güte  hatte,  hat  er  für 
einzelne  dieser  Vorschläge  noch  stützende  Parallelen  gefunden,  so  z.  B. 
zu  I  8,  45,  wo  er  firmos  amores  vermutet,  Ovid  a.  a.  II  385  Hoc  bene 
compositos,  hoc  firmos  solvit  amores«.  »Zu  den  Stellen,  wo  ich  jetzt 
anderer  Ansicht  geworden  bin,  gehört  u.  a.  I  4,  14,  zu  dessen  Consti- 
tuirung  vielleicht  Ovid  am.  III  2,  35  f.  beitragen  kann,  HI  1,  35  für 
dessen  richtige  Überlieferung  serös  nepotes  eintreten  Ovid  ex.  P.  III  2,  35 


Rofsberg,  Zur  Kritik  des  Propertius.  141 

Vos  etiam  seri  laudabant  saepe  nepotes.  Sil.  Ital.  IV  401  serosque 
videre  nepotes.  Dracont.  de  deo  II  386  serosque  nepotes«.  Zugleich 
macht  mich  Rofsberg  auf  folgende  Druckfehler  aufmerksam,  welche  in 
meinem  letzten  Referate  stehen  geblieben  sind:  S.  141  Z.  10  mufs  es 
statt  »Leistungen«  vielmehr  »Lesarten«  heifsen,  ferner  steht  auf  S.  172 
Z.  4  für  secta  —  serta,  Z.  14  Saxonam  statt  Saxosam,  Z.  6  von  unten 
probo  für  probra,  Z.  2  von  unten  Domo  für  domo. 

68)  Schäfler,  J. ,  Die  sogenannten  syntaktischen  Gräcismen  bei 
den  Augusteischen  Dichtern.     Amberg  1884. 

Rec:  R.  Ehwald,  Jahresber.  f.  Altertumsw.  XXXXIII  (1885  II), 
S.  190  ff.;  Th.  Fritzsche,  Phil.  Anz.  XV  7.  8  S.  389—391;  J.  Haas, 
Blätter  f.  d.  bayr.  Gymn.  XXI  1.  2  S.  66  f.;  F.  Piger,  Neue  phil.  Rund- 
schau 1887  N.  10  S.  152  ff.;  H.  Ziemer,  Zeitschr.  f.  d.  Gymn.  XXXX  l, 
S.  23-25. 

Diese  in  ihrer  Totalität  nicht  in  dieses  Referat  gehörende  Schrift 
bespricht  eine  Anzahl  einzelner  Properzstellen  in  Parallele  lateinischer 
und  griechischer  Autoreu.  Wie  bei  Ovid,  so  seien  auch  noch  in  der 
Sprache  des  Properz  Reste  der  archaischen  Sprache  zu  finden;  so  z.  B. 
in  Sätzen  wie  I  1,  12  ibat  et  hirsutas  ille  videre  feras  (vgl.  Schäfler 
S.  68).  Ein  besonders  starker  Gräcismus  sei  von  Properz,  der  ja  aller- 
dings seine  griechische  Gelehrsamkeit  gern  zur  Schau  trägt,  gewagt 
worden,  indem  er  die  Verbindung  des  singularen  Hilfszeitwortes  mit 
einem  pluralischen  Relativsatz  (iariv  wv,  olg,  oug)  in  die  lateinische 
Poesie  verpflanzte.  Der  scheue  Versuch  IV  8,  17  f.  est  quibus  Eleae 
concurrit  palma  quadrigae,  est  quibus  in  celeres  gloria  nata  pedes  habe 
in  Plautus,  Pseud.  245  keinen  Vorläufer,  worüber  auf  Usener  in  Fleck- 
eisens Jahrb.  107  (1873),  S.  399  verwiesen  wird. 

69)  Heinrich  Schenkl,   Eine  Properzhandschrift.     Wiener  Stu- 
dien III  1,  160 

bespricht  unter  Anlehnung  an  die  teilweise  irrigen  (vgl.  den  letzten  Be- 
richt des  Referenten  Seite  190)  Anschauungen  von  F.  Leo  über  die 
Properzhandschriften  im  Rhein.  Mus.  XXXV  441  ff.  den  Codex  Corsinianus 
(C)  43  E  8,  der  nach  dem  Katalog  dem  14.,  nach  Schenkl  erst  dem 
15.  Jahrhundert  angehört.  Nach  der  von  Sedlraayer  vorgenommenen 
Kollation  des  ersten  Buches  zeigt  C  zwar  schon  Interpolation,  aber  noch 
nicht  in  solchem  Mafse  wie  DV.  Ob  es  richtig  ist,  was  Schenkl  be- 
hauptet: »Somit  ist  die  Existenz  eines  Kodex  nachgewiesen,  der  einer- 
seits der  Quelle  von  V2  sehr  nahe  verwandt  ist  und  deutlich  zeigt,  dafs 
die  Verbesserungen  der  zweiten  Hand  in  V  merklich  auf  handschrift- 
liche Tradition  zurückgehen,  andererseits  aber  zwischen  N  und  V  in  der 
Mitte  steht«,  mufs  erst  auf  Grund  einer  Kollation  aller  vier  Bücher  be- 
wiesen werden.     Bei  der  Mangelhaftigkeit  unserer  Handschriften  mufs 


142  Schenkl,  Kine    Properzhandscbrift. 

diese  Untersuchung  als  recht  wünschenswert  bezeichnet  werden.  Wenn 
aber  Schenkl  behauptet:  "Diese  Handschrift  stimmt  im  allgemeinen  mit 
DV,  ist  also  für  die  Herstellung  des  Texte-  wertlos«,  so  ist  das  irrig; 
denn  Solbisky  hat  in  seiner  sorgfältigen  Dissertation  De  cod.  Pro- 
pertianis  1882  überzeugend  nachgewiesen,  dafs  die  Properzkritik  aufser 
auf  dem  Neapolitaner  gerade  auf  diesen  beiden  Handschriften  DV  zu 
beruhen  hat. 

70)  Tappe,  0.,  Analecta  critica  et  exegetica  ad  Sex.  Propertii 
elegiarum  librum  primum.  Particula  prima.  Festschrift  der  Königs- 
städtischen Realschule  zu  Berlin  1882,  S.  75  —  101. 

Tappe  bietet  zunächst  eine  kurze  Einleitung,  in  welcher  gegen  die 
Lachmannsche  Zweiteilung  von  Buch  II  die  bekannte  Stelle  I  11,  19  f. 
ins  Treffen  geführt  und  tres  libelli  III  (II)  13,  25  damit  erklärt  wird, 
»quod  hie  numerus  pariter  apud  Romanos  atque  zpzTg  apud  Graecos 
sacer  erat«.  Hierauf  wird  erläutert:  1,  2  nullis  cupidinibus,  1.  12  rä- 
dere; 2,  4  peregrinis  muneribus;  2,  9  summittit  formosa;  2,  13  collu- 
cent  verteidigt;  2,  15  sim  tibi;  3,  16  sumere  et  arma  manu;  2,  36  clau- 
sis  expulit  e  foribus;  2,  43  graviter;  4,  3  ducere;  4,  13  mit  Jacob  calor 
statt  des  überlieferten  color;  4,  14  dicere,  nicht  ducere;  4,  23  contem- 
net  fletibus;  5,  8  seiet  nicht  solet;  5,  20  domum;  6,  9  irato;  6,  23  f. 
ultima  vota;  6,  33  f.  et  aeeepti  pars  eris  imperii;  7,  3  primo;  7,  6  quae- 
rimus  in  dominam;  7,  15  coneusserit;  7,  16  wird  evigilasse  konjiziert 
(S.  14  des  Separat- Abzuges)  im  Sinne  von  meditatos  esse;  8,  4  vento 
quo  übet  ire;  8,  7  pedibus  teneris  positas  fuleire  pruinas;  8,  13  atqui 
für  atque  konjiziert  (Tappe  S.  16  des  SA);  8,  15 f.  in  überlieferter  Vers- 
folge V.  15  patietur;  8,  19  ut  te  felici  praeveeta  remo;  das  Distichon 
8,  21  f.  soll  nach  Tappe  S.  17  des  SA  unecht  sein  (vgl.  über  dies  Di- 
stichon Vahlen;  Über  zwei  Elegien  des  Properz  1882,  S.  269  und  Sol- 
bisky De  codieibus  Prop.  S.  166f.);  9,  3  quaevis;  9,  30  wird  tu  fuge 
konjiziert  (S.  18  des  SA);  9,  33  si  pudor;  10,  25  irritata  venit;  11,  1.  25 
ecquid,  iacet,  adducere;  11,  6  extremo;  11,  17  timetur;  11,  21  at  mihi 
non;  11,  24  omnia  tempora;  12,  2  conscia  Roma;  12,  6  dulcis  sonat; 
12,  9  nunc,  nicht  num  oder  non;  13,  7  lapsus  abire;  13,  9  poena;  13,  10 
nives;  13,  17  verbis;  13,  21  mixtus;   13,  30  una  tribus. 

Die  Arbeit  bietet  dem  Erklärer  des  Properz  nützliches  Material; 
es  gereicht  ihr  aber  zum  Nachteil,  dafs  sie  weder  zu  der  Ausgabe  von 
Baehrens  noch  zu  der  Handschriftenfrage  Stellung  nimmt.  Die  Kritik 
gegen  Lachmann  S.  9  des  SA  ist  verfehlt  (vgl.  oben  S.  103).  Eine  Fort- 
setzung der  Arbeit  ist  dem  Referenten  nicht  bekannt  geworden. 

71)  Vahlen,  J.,  Ind.  lect.  Univ.  Berol.  aest.  1881 

behandelt  zunächst  zwar  den  Taciteischen  Dialog,    aber  in  der  Form 
einer  längeren  Abschweifung  S.  5   die  viel  umstrittene  Stelle  V  4,  55, 


Vahlen,  Ind.  lect.  Berol.  1881.  143 

welche  geschrieben  wird:  »Si  posces  pariamve  tua  regina  sub  aulaa. 
Ferner  würde  zwar  III  8,  19  ed.  Vahlen  die  Schreibung  »Non  est  certa 
fides,  quam  non  iniuria  versat«,  wenn  sie  in  den  Handschriften  überlie- 
fert wäre,  kaum  den  Verdacht  einer  Fälschung  erwecken.  Allein  der 
Neapolitanus,  »cui  plurimum  tribuere  nos  nondura  desiimus«,  habe  nicht 
iniuria,  sondern  iniurgia,  und  dies  führe  auf  die  richtige  Lesung: 
»Non  est  certa  fides,  quam  non  in  iurgia  vertas«.  Vergl.  auch  den 
letzten  Bericht  des  Referenten  S.  141,  wo  (in  Anschlufs  an  Vahlens  Selbst- 
citat  »Beiträge  zur  Berichtigung  der  Elegien  des  Prop.  S.  354)  das  Jahr 
1880  anstatt  1881  irrtümlich  angegeben  ist. 

72)  Washietl,  Joannes  Andreas,    De  similitudinibus  imagini- 
busque  Ovidianis.  Diss.  inaug.  Vindobonae.  Gerold  1883.  VI,  193  S.  8. 

Rec:  R.  Ehwald,  Jahresber.  f.  Alterturasw.  XLIII  1885  II,  177 f.; 
H.  Magnus,  Jahresber.  des  Berl.  Philol.  Vereins  XII,  194ff. 

In  dieser  fleifsigen  Materialiensammlung  über  die  Gleichnisse  des 
Ovid  werden  auch  folgende  Stellen  des  Properz  besprochen:  I  16,  29  f. 
(ed.  Baehrens);  II  3,  9  ff.;  3,  1 2 ff . ;  4,  3ff.;  5,  1 1  ff . ;  9,  33ff.;  15,  51ff.; 
25,  15 f.;  28,  8;  34 \  47 ff.;  IV  5,  19 f.;  8,  55 f.  Interessante  Parallel- 
stellen aus  Ovid  werden  allerdings  beigebracht.  Wenn  jedoch  der  Ver- 
fasser, besonders  von  S.  160  an,  fast  überall  darauf  ausgeht,  eine  Ab- 
hängigkeit des  Ovid  von  Properz  nachzuweisen,  »quem  Ovidium  permul- 
tis  locis  imitatum  esse  inter  omnes  constat«,  so  befindet  er  sich  damit 
auf  einem  Irrwege:  Weder  vermag  er  dem  selbständigen  poetischen 
Gestaltungstalent  des  Ovid  noch  der  Möglichkeit  gebührende  Rechnung 
zu  tragen,  dafs  Ovid  aus  anderen  Quellen  schöpfte.  So  soll  das  Bild 
vom  Davontragen  des  Windes  und  der  Welle  zur  Bezeichnung  alles  Un- 
beständigen, Ungiltigen,  Vergeblichen  und  zum  Ausdrucke  nicht  gehal- 
tener Versprechungen  (vergl.  z.  B.  Ovid  Am.  II  16,  45,  Fast.  III  481  f. 
und  Prop.  I  9,  33ff.;  II  3,  12;  II  5,  llff.;  II  15,  51  ff.)  von  Ovid  dem 
Properz  entlehnt  sein;  und  doch  kommt  dasselbe  auch  bei  Catull,  Tibull, 
Virgil,  sowie  bei  Homer  und  anderen  griechischen  Dichtern  vor;  vergl. 
z.  B.  Zingerle,  Ovidius  und  sein  Verhältnis  zu  den  Vorgängern  I,  S.  39. 
Für  einen  Teil  der  von  Wasbietl  behandelten  Properzstellen  hatte  die 
demselben,  wie  es  scheint,  unbekannte  Dissertation  von  Mallet,  Quae- 
stiones  Propertianae  (Göttingen  1882,  s.  oben  unter  No.  13)  glücklicher 
gehandelt:  s.  Mallet  S.  19  im  Vergleich  mit  Washietl  S  151  f.;  Mallet  S.  28 
Anm.  3  verglichen  mit  Washietl  S  119;  Mallet  S.  30ff.  verglichen  mit 
Washietl  S.  162  f. 

73)  Von  Wilamowitz-Moellendorff,  U.,    Coniectanea.   Index 
schol.  Göttingen  1884.  18  S.  4. 

bespricht  S.  5  I  12,  1.  2    »Quid  mihi  desidiae   non  cessas   fingere  cri- 
men, quod   faciat  nobis  conscia  Roma  moram?«     Für  den,   allem  An- 


144  Von  Wilaniowitz-Moellendoiff,   Coniectanea. 

schein  nach  verdorbenen  Pentameter  schreibt  Verfasser  q.  f.  n.  Pontice 
R.  m.;  dies  ist  sehr  ansprechend,  aber  schon  von  Kraffert,  Beiträge 
zur  Kritik  und  Erklärung  latein.  Autoren  III  1883,  140  (vcrgl.  Philol. 
XXI,  084)  vorgeschlagen.  Die  Begründung  des  Verfassen  i-t  bemer- 
kenswert: Im  ersten  Buch  siod  ;tlle  Gedichte  an  eine  bestimmte  Person 
gerichtet,  deren  Namen  in  den  Versen  vorkommt,  an  Cynthia  ri.  :;.  ^. 
11.  15.  17.  18.  19),  Tullus  (1.  6.  14.  22),  Gallus  (5.  10.  18.  20),  PoD- 
ticus  (7.  9),  Bassus  (4)  »accedit  ianua  (16)  et  epitymbion  Galli  epi- 
gramma  (21)«.  Gewöhnlich  findet  man  die  Namen  der  Cynthia  in  der 
Überlieferung,  was  Verfasser  durch  den  Hinweis  auf  V.  6  als  irrig  er- 
weisen zu  können  meint;  auch  der  Beweis,  dafs  Roma  nicht  geändert 
werden  dürfe,  scheint  dem  Referenten  nicht  zwingend.  Überdem  ist  es 
nicht  ganz  richtig,  was  Verfasser  sagt:  »alterum  versum  corruptum  esse 
constat«;  denn  Tappe,  Analecta  critica  et  exegetica  ad  Sex.  Pro- 
pertii  elegiarum  librum  primum,  (Festschrift  der  Königsstädtischen  Real- 
schule zu  Berlin  1882,  75  ff.)  hat  S.  22  des  Separat- Abzuges  conscia 
Roma  als  Parenthese  mit  ausgelassenem  est  verteidigt.  Verbesserungs- 
vorschläge von  anderen  Gelehrten  sind:  Cynthia  rara,  Cynthia  uostra, 
Cynthia  amore,  conscio  amore. 

Unbekannt  blieben  dem  Referenten: 

74)  Bernocco,  S.,  Sopra  aleuni  passi  di  poeti  latini:  Giovenale, 
Orazio  .  .  .  Properzio,  Lucrezio,  Virgilio.     Ragusa  97  S.  1881. 

75)  Gildersleeve,  Propertius  III  (IV)  7,  47     50.  American  Jour- 
nal of  Philol.  IV,  2,  S.  208-210. 

76)  Kallenbach,  J.  H.,    Propercyusza  krölowa  elegiij;  (Die  Kö- 
nigin der  Elegien  des  Properz).  Przcgtad  akad.  1881.  I,  3.  S.  192-197 

77)  Palmer,  A.,    Emendations  (Aristoph.,   Plautus ,  Cic. ,  Prop.) 
Hermathena  1883.  N.  IX,  S.  446-452. 


Bericht  über  die  Litteratur  zu  Catull  und  Tibull 
für  die  Jahre  1877—1886. 


Von 

Dr.  Hugo  Magnus. 

in  Berlin. 


Obwohl  die  zu  behandelnde  Litteratur  sich  als  geradezu  riesig 
herausstellte,  musste  Ref.  doch  von  einer  Teilung  absehen,  da  andere 
Arbeiten  drängten.  Er  bittet  daher  seine  Leser  um  Nachsicht,  wenn  es 
ihm  nicht  gelungen  sein  sollte,  die  Vollständigkeit  zu  erreichen,  die  er 
ehrlich  erstrebt  hat.  Manche  zu  spät  bemerkte  Lücken  werden  im 
nächsten  Berichte  nachträglich  ausgefüllt  werden. 

Gewisse  Schwierigkeiten  bot  die  Disposition.  Eine  rein  stoffliche 
Anordnung  erwies  sich  als  unausführbar.  Die  meisten  der  besprochenen 
Arbeiten  behandeln  nicht  ein  bestimmtes  Thema,  sondern  mehrere  ver- 
wandte wie  Grammatik,  Kritik,  Exegese,  Quellen,  Chronologie  zusammen. 
Der  Ref.  also,  welcher  jede  von  ihnen  in  ihre  einzelnen  Bestandteile 
auflösen  und  den  einen  hier,  den  andern  da  untersuchen  wollte,  würde 
den  Lesern  nicht  mehr  lebendige  Organismen,  sondern  säuberlich  sor- 
tierte Haufen  von  Gliedmafsen  vor  Augen  führen.  So  ist  nur  insofern 
eine  bestimmte  Disposition  durchgeführt,  als  sachlich  Zusammengehöriges 
möglichst  zusammengestellt  wurde.  Daneben  waren  natürlich  noch  die 
verschiedensten  Erwägungen  für  die  Wahl  des  Platzes,  der  den  einzelnen 
Publikationen  angewiesen  wurde,  mafsgebend.  Die  zahlreichen  zer- 
streuten Bemerkungen  sind  unter  besonderer  Rubrik,  nach  dein  Namen 
ihrer  Verfasser  alphabetisch  geordnet,  zusammengestellt. 

Recensionen  als  solche  zu  erwähnen  schien  mit  Rücksicht  auf  den 
beschränkten  Raum  nicht  ratsam.  Dagegen  wurden  wertvolle  sachliche 
Beiträge,  wie  sie  an  Kritiken  nicht  selten  sich  anschliefsen,  an  gehöriger 
Stelle  registriert.  Übrigens  verhehlt  sich  Ref.  nicht,  dafs  gerade  hier 
die  Gefahr  etwas  \\  ichtiges  zu  übersehen  besonders  nahe  lag. 

Zitiert  habe  ich  (wo  «las  Gegenteil  nicht  entweder  selbstverständlich 
ist  oder  ausdrücklich  bemerkt  wird)  nach  llaupt-Yahlens    Text  von  1885. 


Jahresbericht  fm  Aiterthumswisseiuchaft  11    ü887    11  I  10 


146  Catull.     Rieses  Ausgabe. 

I.  Catull,  sowie  die  auf  Catull  und  TibulJ  genninsam 
bezüglichen  Schriften. 

A.  Ausgaben  und  dazu  gehörige  Schriften. 

1.  Die  Gedichte  des  Catullus.  —  Herausgegeben  und  er- 
klärt von  Alexander  Riese.  Leipzig,  B.  G.  Teubner.  1884.  XLIII 
u.  288  S. 

In  einer  Recension  wird  dieser  ersten  Catullausgabe  mit  deutschen 
erklärenden  Anmerkungen  vor  allem  Solidität'  nachgerühmt  und  ihr 
Charakter  damit  richtig  bezeichnet.  Der  Kommentar  (und  in  diesem 
liegt  offenbar  der  Schwerpunkt  des  Buches)  enthält  bei  knapper  Fassung 
alles  für  das  Verständnis  des  Dichters  Wesentliche  und  eignet  sich  eben- 
sowohl für  den  Anfänger  zur  Einführung  iu  das  Studium  Catulls  wie  für 
den  Fachmann  zur  schnellen  Orientierung  über  das  kritische  und  exege- 
tische Material.  Ref.  erkennt  das  unumwunden  an,  obgleich  er  in  Bezug 
auf  eine  grofse  Reihe  Fragen,  namentlich  in  der  Beurteilung  einzelner 
Stellen,  anders  urteilt.  Verf.  verfährt  immer  durchaus  ehrlich,  sucht 
auch  der  bekämpften  Ansicht  immer  gerecht  zu  werden :  nie  wird  er 
eine  ihm  unsympathische  Anschauung  mit  einer  hochfahrenden  Redensart 
abfertigen  oder  gar  totschweigen,  wie  dies  bei  E.  Baehrens  zu  rügen 
ist.  Mitunter  ist  die  Vorsicht  sogar  zu  weit  getrieben:  Verf.  zeigt  sich 
mehrfach  auch  da  schwankend  und  unsicher,  wo  die  Zweifel  füglich 
schweigen  sollten.  Neue  Resultate  für  Kritik  und  Exegese  fehlen  zwar 
nicht,  treten  aber  gegenüber  den  gerühmten  Vorzügen  zurück  (womit 
durchaus  kein  Tadel  ausgesprochen  werden  soll):  das  Buch  hat  eben 
seinen  Hauptwert  als  sorgsames  mit  Fleifs  und  Sachkenntnis  gearbeitetes 
Kompendium. 

Riese's  Text  beruht  auf  OG,  deren  Übereinstimmung  nach  seiner 
Ansicht  den  verschollenen  Veronensis  repräsentiert.  Die  jüngeren  Hand- 
schriften stammen  wahrscheinlich  aus  einem  verlorenen  Originale,  das 
ebenfalls  auf  V  zurück  geht.  Die  von  seinem  Texte  abweichenden  Les- 
arten in  GO  hat  Verf.  zwischen  Text  und  Kommentar  auf  jeder  Seite 
verzeichnet.  Zwischen  der  durch  Lachmann,  Haupt,  Vahlen  bezeichneten 
konservativen  Richtung  der  Texteskritik  und  Baehrens'  Interpolationen 
steht  Riese  etwa  in  der  Mitte.  Auch  er  verläfst  meines  Erachtens  bis- 
weilen ohne  Not  die  Handschriften,  um  eigene  oder  von  Andern  vor- 
geschlagene Konjekturen  aufzunehmen,  aber  dafs  es  nie  ohne  Über- 
legung geschehen  ist,  zeigt  die  Begründung  seines  Verfahrens  im  Kom- 
mentare. Anerkennung  verdient  es,  dafs  Verf.  eine  Anzahl  früherer 
Vorschläge,  die  in  der  That  nicht  befriedigen  konnten,  ohne  Weiteres 
zurück  nimmt.  Von  eigenen  Konjekturen  Rieses  seien  folgende  genannt: 
6,  12  nil  celare  valet,  nihil  tacere.  21,  9  atquei  si  faceret  satur(coll.  C  110).   55,  9 


Catull.     Rieses  Ausgabe.  147 

averiistis'  saepe  flagitabam.  55,11  nudum  sinum  recludens.  64,  16  illa  felici 
(vgl.  Riese,  N.  Jahrbb.  1882,  880).  64,  109  lateque  ruiniz  obvia  frangit.  67,  12 
verum  isto  in  populo  ianua  quid  faciett  68,  69  cum  qua  (nicht  im  Texte). 
68,  118  qui  tum  te  indomitam.  76,  5  longa  pietate,  Catulle.  25,  5  cum  luna 
balnearios.  63,  5  icta  acute-  sibi  pondera.  64,  287  variis.  114,  6  dum 
bono   ipse  egeat.      04,    205   quo   tonuit  ttllus  (nicbt  im  Texte). 

Da  das  nützliche  Buch  ohne  Zweifel  neue  Auflagen  erleben  wird, 
so  möchte  Ref.  mit  einer  Reihe  von  Wünschen  resp.  Verbesserungsvor- 
schlägen nicht  zurückhalten  in  der  Annahme,  dafs  die  eine  oder  andere 
Notiz  vielleicht  Berücksichtigung  findet.  Weder  konsequent  noch  recht 
praktisch  scheint  das  Verfahren  des  Herausgebers  in  seinen  Angaben 
aus  der  zum  grossen  Teil  in  Zeitschriften  zerstreuten,  oft  in  Recensiouen 
versteckten  und  schwer  zugänglichen  Litteratur  des  Dichters.  »Die  Ur- 
heber aller  einzelnen  Ansichten  zu  nennen«,  so  heifst  es  in  der  Vorrede, 
»was  nur  da  geschah  wo  es  zweckmäfsig  schien,  konnte  an  anderen  Stellen 
aus  verschiedenen  Gründen  unterbleiben,  und  so  hat  der  Herausgeber 
auch  das  von  ihm  aufgestellte  Neue  nicht  überall  als  solches  kenntlich 
gemacht.«  Dieses  Verfahren  läfst  zwar  fast  immer  den  Kundigen  er- 
kennen, welche  Stellung  die  Ausgabe  zu  den  einzelnen  Fragen  nimmt, 
aber  das  Bedürfnis  des  Lernenden  wird  durch  die  Nennung  eines  Namens 
oder  durch  ein  '  nach  Anderen'  nicht  befriedigt.  Dem  liefse  sich  leicht 
durch  einen  kurzen  litterarischen  und  bibliographischen  Anhang  ab- 
helfen. Au  der  Spitze  jedes  Gedichtes  könnte  seine  Litteratur  ver- 
zeichnet stehen,  nicht  blos  katalogmäfsig,  sondern  über  Inhalt  und  Wert 
orientierend.  Ebenso  könnten  zu  jeder  einzelnen  umstrittenen  Stelle  die 
Publikationen  genau  nachgewiesen  werden,  in  denen  für  ihre  Kritik 
und  Erklärung  Wertvolles  geleistet  ist.  Alles  dies  liefse  sich  auf 
wenige  Blätter  zusammendrängen  und  würde  zugleich  das  Wegfallen 
mancher  gelegentlichen  bibliographischen  Notiz  unter  dem  Texte  ermög- 
lichen. --  S.  VI,  Anna,  l  wird  der  Datanus  wieder  als  kritisch  wertlos 
bezeichnet.  Das  läfst  sieb  noch  der  tüchtigen  Dissertation  von  Sydow 
(De  recensendis  Catnlli  carminibus  Berol.  1881),  die  ich  bei  Riese  über- 
haupt nicht  verwertet  finde,  kaum  aufrecht  halten  (vgl.  auch  Jahresber. 
d.  Piniol.  Vereins  V  S.  313).  —  S.  IX  Schon  hatte  er  sich  traurig  zu 
ihr  (sie)  gesehnt1  u  s.  w.  Der  Satz  ist  formell  verunglückt.  —  S.  XIV c  .  . 
die  ihm  vielleicht  nach  den  römischen  Jahren  nötig  war1,  unverständlich. 
—  S.  XVI  Auch  ich  halte  mit  Haupt  den  Ruins  in  69,  77  und  wühl  71 
für  den  Redner  Caelius  Rufus.  Ich  hatte  nur  Jahrbb.  1876,  S.  404  darauf 
hin  gewiesen,  dafs  die  Identität  heider  nicht  an  abhängig  von  der 
Lesbia-Clodiafrage  zu  erweisen  sei.  S.  XXIX  Die  AUitteration 
ist  in  den  Gedichten  erhabenen  Stils  durchaus  nicht  selten1  (ebenso 
unrichtig  p.  XXYI).  Ich  füge  zu  den  -i  aus  c.  64  angeführten  Beispielen 
noch  aus  demselben  Gedichte:  V.  1.  28.  59.  70.  79.  92.  101.  155.  L59. 
262.  281.  309.  —   S.  XXXV.    Zu  dem  Epigramm  de.-  B.  Campesani    de 

10* 


148  Catull.     Rieses  Ausgabe. 

resurectione  Catulli' sei  noch  bemerkt,  dafe  Haupt  in  seinen  Vorlesungen 
die  hübsche  Vermutung  aussprach,  der  glückliche  Finder  sei  nach  v. .'.  4 
vielleicht  ein  Schreiber  (nach  a  calamis  ==  Schreiber  ist  zu  interpungieren) 
namens  Francesco  Notapassanti  gewesen.  -  Unbestimmte,  seh  wankende 
Fassung  von  Anmerkungen  fällt  besonders  in  1  -  60  mitunter  auf.  Nach 
2,  10  ist  z.  13.  im  Texte  die  Lücke  eines  Verses  angenommen,  die  Anm. 
aber  scheint  dem  zu  widersprechen.  Zu  14,  3  odio  Vatiniano  werden  vier 
verschiedene  Erklärungen  ohne  Kritik  neben  einander  gestellt.  Ili<  r 
möchte  ich  Baehrens'  Note  entschieden  vorziehen.  —  14,  21  valete  abite. 
Text  und  Kommentar  nicht  im  Einklänge,  ib.  22  unde  malum  pedem 
attulistis.  Zu  verstehen  offenbar  malas  in  oras  cf.  33,  5.  —  21,  9  atque 
id  si  faceres  satur  heifst  wohl  einfach:  Wenn  du  nicht  ein  so  elender 
Hungerleider  wärest'.  —  26,  1  'C  gebraucht  vester  nie  für  tuus.'  Das 
ist  jetzt  allerdings  Dogma,  läfst  sich  aber  ohne  Gewalt  nicht  durch- 
führen. So  kann  68,  151  vestrum  nicht  heifsen  'dein  und  deiner  Ge- 
liebten'. Denn  die  Geliebte  des  Allius  wird  nirgends  mit  Namen  ge- 
nannt (ne  .  .  .  tangat  rubigine  nomen!).  Ja,  vor  der  Stelle,  wo  C.  diese 
Verheifsung  ausspricht,  ist  sie  überhaupt  noch  nicht  erwähnt  worden. 
Endlich  wird  vester  =  tuus  auch  erwiesen  durch  48  notescatque  magis 
mortuus  atque  magis.  Auch  99,  6  ist  vestrae  =  tuae  nötig,  jede  andere 
Erklärung  sehr  gezwungen.  —  29,  20  timere  bezieht  sich  immer  auf  die 
Zukunft'.  Das  kann  doch  nur  gelten,  wenn  ein  abhängiger  Satz  folgt. 
Man  fürchtet  Jemanden,  dessen  Macht  und  bösen  Willen  man  kennen 
gelernt  hat  und  dem  man  daher  auch  für  die  Zukunft  nicht  traut.  Ma- 
murra  hat  die  Provinzen  ausgesogen,  sie  wissen  also  wessen  sie  sich 
künftig  von  ihm  zu  versehen  haben.  Man  kann  dabei  an  eine  zweite 
Ausplünderung  denken,  braucht  es  aber  nicht.  Diese  doppelte  Bedeu- 
tung von  timere  mag  Ovid  Metam.  8,  70  veranschaulichen.  —  47,  2  fa- 
mesque  erkläre  ich:  cihr  verkörperte  Hungerleiderei  des  unendlichen 
Weltalls',  cf.  Ov.  Metam.  12,  178  o  faeunde  senex,  aevi  prudentia  nostri 
und  Riese  zu  Cat.  17,  21.  Das  erhabene  Wort  mundus  wird  durch  das 
komische  Pathos  der  Stelle  erklärt.  —  51,  2  gemina  teguntur  lumina 
nocte  vielleicht  so  zu  halten:  'zwillingsgleiche  d.  h.  gleichmäfsig  dunkele 
oder  tiefe  Nacht  deckt  die  Augen'  cf.  Silius  Pun.  IV  99  geminusque 
cupido  Laudis  et  ad  pugnas  Martemque  insania  Concors.  Man  könnte 
auch  an  Ov.  Metam.  XIV  725  geminaque  simul  mihi  luce  carendum 
denken,  vgl.  XI  550  duplicataque  noctis  imago  est  und  521  nox  premitur 
tenebris  hiemisque  suisque.  Doch  wäre  hier  die  Pointe  des  gemina  nocte 
nicht  recht  klar.  —  54,  5.  Der  Schlufssatz  ist  zu  streichen.  —  55,  4  zu 
libelli  =  Buchläden  vgl.  Philol.  Wochenschr.  1883  Nr.  14.  ib.  11  recludens 
pafst  schwerlich  zu  nudum;  recludere  heifst  zwar  etwas  Verborgenes  er- 
schliefsen  und  dadurch  dem  Auge  zeigen,  aber  nicht  ohne  Weiteres 
=  monstrare.  —  61,  27  perge  linquere  heifst  wohl  wörtlich  fahre  fort  zu 
verlassen'  d.  h.  verlafs  vollends.    Nach  der  ersten  Aufforderung  v.  9  huc 


Catull.    Rieses  Ausgabe.  149 

veni  hat  sich  der  Gott  zum  Aufbruche  gerüstet.  Vgl.  191  und  dann 
200  perge,  ne  reroorare.  —  26.  Darauf,  dafs  Vorbild  zu  diesem  Scherze 
wohl  Callim.  epigr.  47  Mein.  %eefuovag  /j.syäÄo>jg  .  .  .  davetov  war,  habe 
ich  schon  früher  aufmerksam  gemacht.  —  61,  124.  Die  in  der  Anm. 
vorgetragene  Lehre,  dafs  Catull  das  h  'unbekannt  nach  welcher  Theorie', 
wie  einen  Konsonanten  verwendet  habe,  um  Position  zu  bilden,  scheint 
denn  doch  höchst  abenteuerlich.  Die  dafür  zitierten  Beispiele  (so  66,  11 
auctüs  hymenaeo)  erklären  sich  sehr  einfach,  wie  Ov.  Metam.  II  247 
Taenariüs  Eurotas  und  ähnliche  Stellen.  Die  Polemik  gegen  Haupt's  Teilung 
der  Perikope  in  zwei  Perioden  steht  daher  anf  schwachen  Füfsen  und 
ist  ebenso  mifslungen  wie  Munro's  einsilbiges  jo.  —  63,  63  das  über- 
lieferte mulier  habe  ich  ZfGW.  XXXII  495  verteidigt.  Auch  Vahlen 
interpungiert  jetzt  richtig  ego,  mulier,  ego  adulescens  sq.  63,  93  rapidos. 
Diese  Tautologie  ist  aber  doch  unerträglich.  Die  affektvolle,  durch  vaga 
pecora  und  den  folgenden  Relativsatz  aliena  quae  petentes  vom  Vorher- 
gehenden sich  wirksam  abhebende  Wiederholung  in  v.  13  ist  damit  nicht 
zu  vergleichen.  —  64,  102  'die  Vulgata  oppeteret  (G)  pafst  nur  zu  mor- 
tem'. Spricht  diese  Thatsache  wirklich  gegen  oppeteret?  Vgl.  Sydow  1.  c. 
p.  48:  '  appetere  mortem  est  mori  cupere;  iam  autem  sententia  non  ea  est, 
ut  Ariadne  expalluisse  dicatur,  cum  Theseus  contra  Minotaurum  pugnare 
cupiens  aut  mori  aut  praemia  laudis  adipisci  cuperet,  sed  cum  Mino- 
taurum occidere  cupiens  aut  morti  obviam  iret  aut  praemia  laudis  adep- 
turus  esset'.  —  64,  144.  Die  'Verallgemeinerung'  ist  sehr  unschön.  Ist 
eine  solche  constructio  ad  intellectum  viri  quis  wirklich  anstöfsig?  Da 
viri  'des  Mannes'  dem  Sinne  nach  virorum,  ist  der  folgende  Plural  nicht 
auffällig.  Vgl.  64,  32  tota  frequentat  Thessalia  .  .  ferunt  declarant. 
64, 132.  In  welcher  Beziehung  soll  ab  aris  zur  Ariadne  stehen?  Riese's 
Parallelstellen  Verg.  Aen.  3,  332.  Ov.  Metam.  15,  723  zeigen  deutlich, 
wann  solche  Ausdrucksweise  nur  statthaft  wäre.  —  64,  105  succendit 
vota.  Wie  pafst  das  zu  tacito  labello.  Dafs  dies  nicht  lediglich  von 
promittens  abhängen  kann,  zeigt  doch  die  Wortstellung  unwidersprech- 
lich.  —  64,  227  '  Lachmanns  ut  —  decet  pafst  nicht,  weil  es  nicht  final 
ist'.  Warum  ist  aber  ein  Finalsatz  nötig,  ist  der  Kausalsatz  etwa  nicht 
sinngcmäfs?  —  64,  275  procul  gehört  zu  nantes:  die  in  der  Ferne 
rollenden  Wogen  färben  sich  purpurn,  nicht  in  der  Nähe.  Die  Sache  ver- 
hält sich  wirklich  so!  —  64,351  variabunt  vielmehr  '  werden  blau  (nicht 
blutig),  schlagen',  vgl.  Ov.  Metam.  8,  536  liventia  pectora  tundunt  u.  a. 
-  64,  401  nuptae  neben  novercae  ist  sinnlos.  Nach  Riese  ist  ut  in- 
nuptae  in  den  codd.  unmöglich,  weil  innupta  bei  C.  stets  =  virgo  steht'. 
Also  weil  C.  nur  an  dieser  Stelle  innuptus  in  der  ursprünglichen 
adjektivischen  Bedeutung  =  jungfräulich,  nicht  in  der  abgeleiteten 
substantivischen  =  Jungfrau  gebraucht  ( «las  ist  doch  der  ganze  l'nter- 
schied!)  sollen  wir  eine  wohl  pointierte  handschriftliche  Lesart  einer  nichts- 
sagenden Konjektur  opfern?      Um  ungestört  die  Blüte  der  jungfräulichen 


150  Catull.     Rieses  Ausgabe 

Stiefmutter  pflücken  zu  können'.  r>;i f's  die  junge  Frau  vor  dem  flore 
potiri  'jungfräulich  beifst,  kann  doch  nichl  auffallen.  Nbverca  beifst  sie 
mit  Beziehung  auf  primaevi  funera  oati.  Etwas  anders  B.  Schmidt  praef. 
ed.  mai.  p.  CXXIV.  Warum  sucht  übrigens  Verf.  in  dieser  ganzen  A.usn  alung 
des  entarteten  Zeitalters  überall  spezielle  mythologische  Zöge?  65,  9 
alloquar  audiero  namquam  tua  .  .  loquentem.  Seil  wann  sind  harte  Kon- 
struktion, unverständliches  Put,  exact.,  Lückenhaftigkeit  Zeichen  eines 
interpolierten  Verses?  Die  vers-  und  sprachgewandten  [tali  machten  es 
sonst  anders,  wenn  sie  einen  Vers  ergänzten.  —  65,22  die  Anrn.  zu 
streichen.  —  66,  22  Wenn  Ptolemaeus  und  Bcrenice  Geschwister  beifsen, 
so  konnte  auf  Ov.  Metam.  l,  351  o  soror  (Deucalion  und  Pyrrha)  ver- 
wiesen werden.  -  66,  20  die  Anm.  nicht  zu  halten.  66,  83  Riese 
Colitis  mit  GO.  Aber  diese  La.  ist  sinnwidrig,  denn  liier  ist  von  Bräuten 
die  Rede  (optato  quas  iunxit  lumine  taeda  non  prius  coniugibus  tradite 
corpora),  nicht  von  Matronen.  Es  pafst  also  nur  das  petitü  des  viel- 
geschmähten Datanus.  Vgl.  Sydow  1.  c.  p.  9-  10.  67,  10  culpa  mea 
est  im  Texte  zu  lesen.  -  67,27  über  die  Provenienz  des  is  erfährt 
man  nichts. 

Eigentümlich  und  interessant  ist  Riese's  Stellung  zu  dem  viel  um- 
strittenen c.  68.  Er  nimmt  zwischen  den  Verteidigern  der  Einheit  und 
den  Chorizonten  eine  vermittelnde  Stellung  ein.  Zwar  erkennt  er  enge, 
noch  von  Niemandem  widerlegte  Beziehungen  zwischen  den  beiden  Stücken 
an  (149  verglichen  mit  10,  32,  12),  aber  zählt  dann  sieben  Gründe  auf,  die 
uns  angeblich  hindern,  im  ganzen  c.  68  ein  einheitliches,  von  Anfang  bis 
Ende  dieselbe  Situation  schilderndes  Gedicht  zu  erblicken.  D  Das  poe- 
tische munus  wird  14  und  32  verweigert,    dann   aber   in   68b    gegeben. 

2)  Dort  entsagt  C.  der  Liebe  (19.25.),  hier  huldigt  er  ihr  (bis   160). 

3)  Zu  v.  1  und  lecto  caelibe  in  6  pafst  der  Glückwunsch  in  155  nicht.  4)  Die 
fast  völlige  Gleichheit  der  Klage  v.  20-24  und  92-96  in  einem  und 
demselben  Gedicht  ist  unzulässig;  5)  der  Name  heifst  dort  Malius  (?), 
hier  Allius;  6)  41  schliefst  sich  uicht  an  40  an,  7)  1—40  ist  in  der  ein- 
fachen Sprache  des  gewöhnlichen  Verkehrs,  41  ff.  aber  überwiegend  in 
erhabenem  oder  ge'ziertem  Ausdruck  geschrieben.  Es  sind  das  Ausfüh- 
rungen ,  die  zweifellos  eine  sehr  dankenswerte  Präzisierung  der  Streit- 
frage enthalten.  Auf  folgende  Weise  sucht  Riese  die  Schwierigkeiten 
zu  heben:  1-40  ablehnende  Antwort  auf  die  Bitte  des  Freundes,  ihn 
durch  heitere  Gedichte  fröhlich  zu  stimmen:  er  sei  selbst  unglücklich; 
heiteres  könne  er  daher  jetzt  nicht  dichten;  passende  Dichtungen  aber 
die  schon  vorhanden  seien,  könne  er  nicht  schicken,  da  er  in  Verona 
keine  mit  sich  führe:  so  müsse  er  utrumque  zu  seinem  Bedauern  ver- 
sagen. Doch  so  läfst  sich  der  Freund  nicht  abfinden.  Er  wird  noch- 
mals an  0.  geschrieben  und  ihn  eindringlich  gebeten  haben,  ihm  wenn 
nicht  ein  heiteres  Liebeslied,  so  doch  irgend  eine  poetische  Leistung 
zukommen   zu  lassen;    dabei  mag  er  auch   mitgeteilt   haben,   dafs   sein 


Catull.    Rieses  Ausgabe.  151 

Liebesunglück  beseitigt,  dafs  er  wieder  glücklich  sei.  Als  Antwort  auf 
einen  derartigen  Brief  ist  dann  das  c.  68 b,  ein  kunstvolles  Gedicht,  zu 
denken.  Ihm  fügt  C.  noch  ein  Begleitschreiben  V.  149—160  bei  =  c  68 c. 
Man  sieht,  die  Frage  ist  damit  in  ein  neues  Stadium  getreten.  Das 
überlieferte  c.  68  besteht  nicht  aus  einem  Gedichte,  nicht  aus  zweien, 
sondern  aus  dreien.  Aber  wunderlich  genug:  dieselbe  Theorie,  die  an- 
scheinend im  Zerstören  noch  einen  Schritt  weiter  geht  als  die  Chorizonten 
von  Ramler  abwärts  wagten,  lenkt  fast  unbewufst  in  richtige  Bahnen 
zurück  und  entpuppt  sich  als  Verteidigung  der  Einheit.  Anderseits 
werden  auch  die  eifrigsten  Verteidiger  der  Einheit,  zu  denen  sich  Ref. 
rechnet,  zugeben  dürfen,  dafs  manche  der  Gründe  die  uns  zwingen  in 
den  41—160.  losgelöst  von  den  ersten  40  Versen,  ein  wahres  Monstrum 
zu  sehen,  bei  der  von  Riese  befürworteten  Dreiteilung  wegfallen.  Sie 
ist  an  sich  möglich,  sie  läfst  sich  nicht  so  wie  die  Zweiteilung  direkt 
als  irrig  erweisen.  Hätte  nur  Riese  seine  Theorie  konsequenter  durch- 
geführt: Ich  fürchte,  der  Lernende  wird  nunmehr  nicht  recht  wissen,  ob 
er  in  c.  68  ein,  zwei  oder  drei  Gedichte  sehen  soll.  Auch  verwickelt 
uns  die  Annahme  einer  Dreiteilung  wieder  in  neue  Schwierigkeiten.  Ist 
c.  68a  die  ablehnende  Antwort  auf  eine  erste  Bitte  des  Freundes, 
68 b  und  c  die  zusagende  auf  eine  zweite,  so  ist  nicht  recht  abzusehen, 
wie  C.  sich  in  dem  Begleitschreiben  (c.  68 c)  auf  einen  früheren  Brief 
ablehnenden  Inhalts  (68a),  der  unter  ganz  anderen  Bedingungen  ent- 
standen ist ,  beziehen  konnte.  Wenn  Allius  in  dem  zweiten  Briefe  '  an 
seine  officia  für  C.  bescheiden  erinnert  hat',  so  bezieht  sich  149  —  150 
eben  auf  diesen  Passus,  nicht  aber  auf  v.  12  hospitis  officium.  Ferner: 
Wenn  Allius  in  eben  diesem  zweiten  Briefe  schrieb,  sein  Liebesunglück 
sei  beseitigt,  er  sei  wieder  glücklich,  wie  kam  er  dazu  seine  frühere 
Bitte  um  munera  musarum  et  Veneris  unter  so  veränderten  Verhältnissen 
zu  wiederholen?  Konnte  er  wirklich  schreiben:  Zwar  ist  mein  Kummer 
von  mir  gewichen,  zwar  habe  ich  Trost  durch  ein  heiteres  Liebeslied 
nicht  mehr  nötig,  aber  trotzdem  würde  ich  dir  sehr  dankbar  sein,  wenn 
du  mir  irgend  eine  poetische  Leistung  aus  deiner  Feder  schicken  woll- 
test? (notabene:  Obgleich  du  mir,  selbst  tief  betrübt,  meine  Bitte 
um  Liebeslieder  schon  einmal  abgeschlagen  hast,  obgleich  der  Grund, 
der  mich  diese  Bitte  aussprechen  liefs,  jetzt  ganz  weggefallen  ist!).  Und 
schliefslich :  Ist  Riese's  Hypothese  nicht  gar  sehr  künstlich,  stürzt  das 
ganze  Gebäude  nicht  in  sich  zusammen,  wenn  die  sieben  Gründe  für  Trennung 
von  1  —  40  sich  als  hinfällig  erweisen?  Eine  Verständigung  mit  einem 
so  einsichtigen,  streng  sachlich  verfahrenden  Gegner  wie  Riese  scheint 
mir  ebenso  möglich  wie  wünschenswert.  Gehen  wir  also  die  sieben  Punkte 
noch  einmal  durch,  ad  1)  Dasjenige  poetische  munus,  das  der  Freund 
erbeten  hatte,  wird  verweigert  und  wird  nicht  gegeben]  Statt  dessen 
sendet  der  Dichter  ein  begeistertes  Loblied  auf  den  lieben  Freund. 
ad  2)  In  19  und  25  sagt  C,  sein  Kummer  um  des  Bruders  Tod  habe 


|52  Catnll.     Ripsen  Ausgabe. 

ihm  die  Stimmung  zu  poetischen  Tändeleien  erotischer  Färbung  (etwa 
im  Stile  des  passer  deliciae  meae  puellae)  genommen.  Soll  darum  auch 
seine  glühende  Leidenschaft  für  die  Geliebte  erstorben  sein?  Durch 
Stellen  wie  Ov.  ex  P.  I.  10,  '.v.i  nee  vires  adimil  Veneria  damnosa  volnptas: 
non  solet  in  maestos  illa  venire  toroa  wird  man  dies  doch  nicht  etwa 
erweisen  wollen?!  Über  lecto  caelibe  in  v.  6  ist  von  mir  und  Harnecker 
gesprochen.  Ich  habe  schon  früher  auf  c.  6,  8  ridnaa  noctes  verwiesen. 
Im  Uebrigen  wiederhole  ich  Harnecker's  treffende  Worte  (Programm  von 
Friedeberg  1881  S.  4):  Nicht  das  Fehlen  der  Venus  raubt  dem  Mün- 
den Schlaf,  sondern  selbst  sie  die  heilige  Venus  gar,  die  doch  sonst  so 
gnädig  wirkt,  hier  versagt  ihr  Dienst.  Durch  neque-neque  sind  beide 
Glieder  als  parallel  und  gleichwertig  erwiesen;  in  einem  derselben 
(saneta  Venus)  kann  also  das  Unglück  gar  nicht  stecken,  denn 
beide  Glieder  sind  erst  vollkommen  parallele  Folgen  aus 
dem  einen  uns  unbekannten  Unglücke,  gleichsam  Symptome 
des  Leidens.  Also  es  ist  ganz  unmöglich  anzunehmen,  die  Liebe  sei 
bei  dem  Mifsgeschicke  im  Spiele'.  Vgl.  auch  Jahrbb.  1877  S.  416. 
Und  wie  soll  155  Sitis  felices  et  tu  simul  et  tua  vita  mit  v.  l  casuque 
oppressus  acerbo  im  Widerspruch  stehen?  Mit  seiner  Geliebten  lebte  A. 
ein  glückliches  Liebesleben  und  hatte  es  auch  vorher  gelebt.  Konnte 
ihn  denn  aber  darum  (z.  B.  im  öffentlichen  Leben)  überhaupt  kein  Un- 
glück treffen?  Nun  konnte  ja  Catull  auf  das  unbekannte  Unglück  des 
Freundes  noch  einmal  zurück  kommen  und  etwa  schreiben :  '  Möget  ihr 
wie  bisher  liebebeseligt  leben.  Dies  dein  ungestörtes  Liebesglück,  mein 
Allius,  wird  dir  leicht  über  den  Schlag,  der  dich  jetzt  betroffen  hat,  hin- 
weghelfen'. Er  konnte  es,  aber  es  wäre  nicht  sonderlich  taktvoll.  Man 
tröstet  einen  Betrübten  besser  mit  dem  einfachen  Hinweise  darauf,  wie 
Vieles  und  Schönes  ihm  geblieben,  als  durch  wiederholtes  Berühren  der 
Wunde.  —  ad  4)  Dieser  Einwand  ist  unverständlich.  Nach  welchem  Ge- 
setze der  Poesie  ist  das  unzulässig?  Ref.  findet  in  dieser  Wiederholung 
gerade  einen  wunderbar  rührenden  Ausdruck  der  Trauer,  die  den  lieben- 
den Bruder  verzehrt.  Unwillkürlich  strömen  ihm  dieselben  Klagetöne 
zu:  dieselben  Gefühle  kleiden  sich  dem  einfachen  Dichter  in  dieselben 
Worte.  Vermag  nicht  auch  ein  Tondichter  durch  die  Wiederholung  der 
Melodie,  die  seinem  Gefühle  besonders  rührenden  und  treffenden  Aus- 
druck giebt,  wundersam  zu  wirken  und  zu  ergreifen?  Vgl.  das  Wagner- 
sche  Leitmotiv!  Man  wende  nicht  ein,  dergleichen  sei  Gefühls-  und 
Herzenssache,  dürfe  daher  zur  Beantwortung  einer  kritischen  Frage  nicht 
ins  Feld  geführt  werden.  Die  Chorizonten  finden  etwas  anstöfsig,  was 
den  Verteidigern  der  Einheit  besonders  schön  und  wirkungsvoll  er- 
scheint. Die  Partie  steht  also  gleich.  —  ad  5)  Auch  für  Riese  ist  dies 
in  Wirklichkeit  gar  kein  Einwand,  da  ja  nach  S.  219  auch  er  in  68a 
und  b  zwei  Namen  für  dieselbe  Person  findet.  Ob  man  nun  besser 
mit  Lachmann  Vorname  und  Gentilname  herstellt  oder  mit  Riese  (nach 


Catull.     Rieses  Ausgabe.  153 

Scaliger)  Gentilname  und  Adoptionsname,  kann  hier  unerörtert  bleiben, 
denn  es  ist  für  die  uns  interessierende  Frage  ohne  Belang.  Nur  sei  be- 
merkt, dafs  die  Beobachtung,  Catull  rede  nie  mit  dem  blofsen  Pränomen 
an  (S.  219)  nicht  gegen  Lachmanns  Moni  sprieht.  Catull  redet  eben  in 
c  68  den  Freund  nicht  mit  dem  blofsen  praenomen.  sondern  einmal 
mit  dem  Vornamen,  ein  andermal  mit  dem  Gentilnamen  an.  Dafs  in 
Catulls  kleinen  Gedichten,  wo  die  Anrede  nur  einmal  steht,  das  Pränomen 
keinen  Platz  hatte,  weil  es  allein  den  Angeredeten  nicht  genug  bezeich- 
nete, ist  ja  selbstverständlich.  Über  den  naturgemäfs  selteneren  Ge- 
brauch des  Pränomens  in  der  poetischen  Anrede  bei  alten  wie  neuen 
Dichtern  vgl.  Harnecker  1.  c.  p.  2  und  Jahresber.  d.  Philol.  Vereins  VII 
S.  363  364.  Mit  welchem  Rechte  aber  leitet  man  daraus  ein  obliga- 
torisches Gesetz  her?  Gewöhnlich  inspirieren  die  Musen  den  Dichter,  in 
68,  45  findet  bekanntlich  mit  gutem  Grunde  das  Umgekehrte  statt.  Der- 
gleichen darf  eben  nicht  nach  einer  Schablone  behandelt  werden.  —  ad  6) 
41  schliefst  sich  ganz  vorzüglich  an  40  an'  Es  fehlt  nur  die  gramma- 
tische Verbindung,  weil  das  Gedicht  sich  zu  neuem  Fluge  erhebt,  weil 
das  eigentliche  Lobgedicht  hier  beginnt.  Auf  v.  40  folgt  eine  Gedanken- 
pause, ähnlich  wie  in  einem  Tonwerke  nach  der  Introduktion:  die  Auf- 
merksamkeit des  Zuhörers  wird  gespannt,  erwartungsvoll  harrt  er  des 
Grossen,  Erhabnen,  das  da  kommen  soll,  bis  die  vollen  Klänge  daher 
brausen.  So  hier:  Wie,  fragt  sich  Catull,  meinem  Allius  mufs  ich  mich 
ganz  versagen,  ihm,  meinem  lieben  Freunde?  Nein,  trotz  alledem,  tausend- 
mal nein:  denn:  non  possum  reticere,  deae.  —  ad  7)  In  noch  schärfere 
Form  wird  dieser  Einwurf  zu  v.  1  gefafst:  '  v.  1-40  ist  fast  durchweg 
in  Satzbau,  Wortschatz,  Wortstellung  u.  a.  versifizierte  Prosa'.  Man 
höre  diese  Prosa:  conscriptum  hoc  lacrimis  mittis  epistolium.  uaufragum 
ut  eiectum  spumantibus  aequoris  undis  sublevem  et  a  mortis  limine  resti- 
tuam  u.  s.  w.  bis  v.  10.  Dann  v.  16  iucundum  cum  aetas  florida  ver 
ageret,  18  quae  dulcem  curis  miscet  amaritiem,  21  —  26,  34  illa  domus. 
illa  mihi  sedes,  illic  mea  carpitur  aetas.  Dagegen  halte  man  folgende 
'erhabene1  Poesie  in  68b:  48  notcscatque  magis  mortuus  atque  magis, 
80  docta  est  amisso  Laudamia  viro,  82  quam  veniens  una  atque  altera 
rursus  hiems,  41  iuverit  auf  quantis  iuverit  officiis,  v.  135  u.  f.  u.  a.  Die 
Sache  steht  vielmehr  so:  Catull  hat  im  ganzen  c  68  noch  keinen 
strengen,  konsequent  ausgebildeten  Stil.  Neben  Wörtern,  Wendungen 
und  Bildern  der  erhabenen  Poesie  stehen  überall  Ausdrücke  die  sich 
der  Prosa  nähern.  Am  häufigsten  sind  dieselben  notwendigerweise 
im  Proömium  und  im  Epilog,  weil  hier  Form  und  Sprache  des  Briefes 
festgehalten  sind  und  das  persönliche  Element  vorwaltet,  weil  endlich 
die  laudatio  Allii  sich  von  ihnen  bedeutungsvoll  abheben  soll. 

68,  30  Datanus  hatte  ursprünglich  Manil  —  68,  39  im  Texte 
est,  im  Lemma  facta  estl  —  68,52  in  quo  me  torrueril  genere.    Dann 
mutete  aber  der  Dichter  doch  fortfahren  ut  tantum  arderem.        68,  67 


154  Catull.     Rieses  Ausgabe. 

'lato  limite  ist  Abi.  qualitatis:  Das  bisher  verschlossene,  weite  (weit- 
umgrenzte) Feld'.  Schwerlich  richtig.  Dieser  Abi.  quäl,  wäre  doch  sehr 
kahl  und  wird  durch  die  zu  64,  17  citierten  Parallelstelleo  nicht  ge- 
Bchtitzt.  Noch  mehr  dagegen  spricht  folgendes:  es  ist  zwar  denkbar, 
dal's  ein  weitumgrenztes  Feld  gleichwohl  verschlossen  ist.  Aber  so 
nebeneinander  gestelll  passen  die  bilden  Begriffe  nicht  recht  zu- 
sammen, ja  schliefsen  sich  nahezu  aus;  mit  lato  1.  verbindet  man  un- 
willkürlich den  Begriff  'offen,  von  allen  Seiten  Bichtbar  und  leicht  zu- 
gänglich'. Ich  ziehe  daher  lato  1.  zu  patefecit  und  erkläre  es  als 
Abi.  iustrum.  oder  besser  Ablativ  der  näheren  Bestimmung:  er  öffnete 
die  Bahn  durch  weite  Grenzen  (indem  er  die  Grenzen  erweiterte,  so  dafs 
die  Grenzen  weit  wurden).  Dieser  Gebrauch  des  Abi.  bei  den  römischen 
Dichtern  ist  ja  sehr  verbreitet.  So  Ov.  Metam.  IX  222  spissa  glomerari 
grandine.  V  673  rigido  concrescere  rostro.  II  453  cornua  nono  orbe  re- 
surgebant  u.  a.  —  Die  Verse  93  -  96  streichen  heilst  nach  dem  oben 
Bemerkten  Catullum  tollere  e  Catullo!  —  68,  118  die  Konjektur  qui  te 
unum  comitem  ferro  iugum  doeuit,  welche  Riese  mir  zuschreibt,  ist  von 
C.  Jacoby  vorgeschlagen  und  ward  vielmehr  von  mir  Jahresber.  d.  Phil- 
V.  IX  279—280  bekämpft.  —  68,  160  Nicht  der  Liebe  hatte  Catull  in 
68 a  Valet  gesagt,  sondern  tändelnden  Liebesgedichten.  76,  5  das  hsl. 
in  longa  aetate  ist  wohl  nicht  anzutasten.  Multa  und  longa  korrespon- 
dieren: 'Viele  Freuden  stehen  dir  noch  während  eines  langen  Lebens 
bevor'  d.  h  dein  Leben  wird  lang  und  an  Freuden  reich  sein.  —  83,  6 
ist  das  in  seiner  Tautologie  vollständig  sinnlose  uritur  et  loquitur  nicht 
glücklich  verteidigt:  quod  ganuit  et  obloquitur  .  .  irata  est,  hoc  est: 
uritur,  et  loquitur  ist  undenkbar.  Das  Komma  hinter  uritur  ändert 
die  Sache  auch  nicht:  uritur  allein  ist  kahl  und  nicht  selbständig  genug; 
et  kann  an  dieser  Stelle  des  Epigramms  nicht  heifsen  cund  darum', 
sondern  uritur  und  coquitur  müssen  sich  gegenseitig  erklären.  Loquitur 
endlich  läfst  gegenüber  dem  mala  plurima  dicit  etwas  sehr  Wesentliches 
vermissen  (zu  taceret  in  v.  3  bildet  es  mit  nichten  den  Gegensatz,  son- 
dern gannit  et  obloquitur).  Kurz  in  diesem  Epigramme  wäre  Alles  wind- 
schief. Riese's  Einwurf,  coquere  könne  so  nicht  ohne  erklärenden  Zu- 
satz stehen,  trifft  nicht.  Denn  sowohl  die  Nachbarschaft  von  uritur,  wie 
der  Gegensatz  sana  esset  sind  deutliche  Erläuterung.  —  92,  3  totidem 
mea  ist  wohl  nicht  verderbt.  Den  richtigen  Gedanken  trafen  die  Itali 
mit  der  Konj.  mala  in  v.  1.  Doch  ist  die  Änderung  selbst  unnötig. 
Vgl.  0.  Aken:  De  figurae  ävb  xoivoü  usu  apud  Catullum,  Tibullum, 
Propertium.  Pars  I.  Schwerin  1884  p.  9:  '  »mea«  dicit,  tanquam  in  primo 
versu  substantivum  posuisset.  At  non  iterum  cogitandum  est  substan- 
tivum,  sed  dnb  xoivou  supplendum  est  ex  »dicit  male«  maledicta.  Con- 
feras  illud  Thucydideum  (I  109)  ort.  rer^erat  xai  ü^og  ijdij  Xafißdvei  sc. 
zu  reiyog'.  —  94,  2  der  Schlufssatz  'Wie  matt  wäre  der  Witz,  wenn 
Catull  selbst  ihm  erst  den  Namen  gäbe  und  ihn  dann  darum  verspottete 


Catull.     Rieses  Ausgabe.  155 

entspricht  nicht  der  naiven  und  darum  kindlich-liebenswürdigen  Freude 
Catulls  darüber,  dafs  ein  bon  mot  von  ihm  Beifall  gefunden  und  ge- 
flügeltes Wort  geworden  war.  —  110,  1  zur  Erklärung  von  bonae  durfte 
wohl  nicht  auf  111,  1  viro  contentam  vivere  solo  verwiesen  werden.  Die 
Begriffe  nuptae  und  amicae  schliefsen  sich  aus.  Ist  nicht  überhaupt 
bonus  hier  besser  wie  89,  1  zu  erklären?  —  110,  4  saepe  ist  wohl  nicht 
anzutasten,  sondern  mit  Haupt  zu  interpungieren  nee  das  et  fers  saepe. 
—  113,  2  'solebant  Mucilla  sc.  uti'.  Selbst  wenn  es  Belege  für  diesen 
obscuren  Gebrauch  von  uti  aliquo  gäbe,  erhielten  wir  doch  nicht  die 
richtige  Nuance  des  Ausdruckes.  Mucillam  sc.  futuere  scheint  unzweifel- 
haft. —  116,  4  tela  infesta  meura  oder  mihi.  Die  La.  ist,  denke  ich,  von 
Muret.  —  81,  3.  Man  kann  zugeben,  dafs  moribundus  nicht  die  aktive 
Bedeutung  tötend  =  langweilig  hat,  ohne  doch  Riese's  Erklärung  ctot 
=  langweilig'  zu  billigen,  denn  diese  pafst  nicht  zum  folgenden  pallidior, 
das  offenbar  in  Beziehung  zu  Pisaurum  steht  (vgl.  6,  4  febriculosi).  Pi- 
saurum  war  demnach  eine  hinsterbende  d.  h.  aussterbende  Stadt,  weil 
es,  wie  viele  italienische  Ortschaften,  durch  Fieber  allmählich  verödete. 
So  kommen  wir  auf  anderem  Wege  doch  wieder  zu  der  Bedeutung  un- 
gesund'. 

Möge  die  tüchtige  Ausgabe  weite  Verbreitung  und  dem  liebens- 
würdigen Dichter  neue  Freunde  in  grofser  Zahl  gewinnen.   — 

Aus  Harnecker's  anerkennender  Recension  (N.  Jahrbb.  1884, 
769  —  772)  seien  zwei  allgemeinere  Erörterungen  hervorgehoben.  Mit 
Unrecht  setzt  Riese  (Einl.  S  XIX,  vgl.  S.  VII)  den  Tod  des  Bruders 
etwa  ins  17.  Lebensjahr  des  Dichters  und  kurz  darauf  c.  68,  65,  66, 
und  zwar  weil  es  68,  15  f.  heifst  tempore  quo  primum  vestis  mihi  tradita 
pura  est,  iueundum  cum  aetas  florida  ver  ageret  .  .  sed  totum  hoc 
Studium  luctu  fraterna  mihi  mors  abstulit!  Man  darf  aber  nicht  über- 
setzen rzu  der  Zeit,  da  ich  die  topa  viiilis  erhielt,  dichtete  ich  viel'. 
Denn  primum  in  Verbindung  mit  tempore  quo  ersetzt  natürlich  das  ubi 
primum  der  Prosa  und  tempore  quo  ist  aufzulösen  =  ex  eo  tempore 
quo;  und  dieser  ganze  Zeitraum  ist  hinterher  durch  v.  16  charakterisiert. 
Es  ist  also  nicht  von  einem  Zeitpunkte,  sondern  vou  einer  ganzen 
Lebeusperiode  die  Rede.  Nicht  in  meinem  16.  oder  17.  Lebensjahre 
habe  ich  gar  viel  gescherzt',  sondern  seit  meinem  16.  Lebensjahre  habe 
ich  meinen  ganzen  blühenden  Lebensfrühling  hindurch  viel 
gedichtet;  jetzt  aber'  n.  s.  w.  So  hätte  der  Dichter  auch  in  seinem 
40.  Jahre  von  sich  sprechen  können.  Übrigeos  ist  es  an  sich  oichl  glaub- 
lich, dafs  ein  18-  oder  19 jähriger  Jüngling  Gedicht)  wie  68,  65,  66 
(und  wohlfiemerkt  gleichsam  auf  einen  Wurf)  geschaffen  haben  soll. 
[Harnecker  konstruiert  also,  wenn  Ref.  recht  versteht,  bo:  tempore,  iu- 
eundum cum  aetas  Borida  ver  ageret,  ex  quo  vestis  mihi  tradita  pura 
est.  Aber  freilich  ist  quo  und  selbst  ubi  primum  nicht  =  ex  quo.  Ausser- 
dem gehört  offenbar  tempore  quo  eng  zusammen  und  darf  nicht  getrennt 


laß  Catull      Baehrens'  Kommentar. 

werden.  In  der  Sache  bat  Harnecker  dagegen  offenbar  recht.  Aber  der 
Ausdruck  tempore  quo  . .  pura  est  ist  gewählt  al  charakteristischer 
Zeitpunkt  der  florida  aetas,  des  LebensfrUhlings.  Gemeinl  ist  natürlich 
eine  Lebensperiode.  Catnll  sagt:  Schon  als  ich  die  Kinderschuhe  aus- 
zog, dichtete  icli  Liebeslieder  und  natürlich  von  da  an  bis  zu  dem 
Momente,  wo  mir  des  Bruders  Tod  den  Sinti  für  solche  Beberze  nahm'.] 
—  Harnecker  meint  sodann,  eine  allegorische  Auffassung  einzelner  Na- 
men hei  Catullus  sei  nicht  ohne  Weiteres  abzuweisen.  Juventius  z.  B. 
ein  Pseudonym  sein  (etwa 'Jugendschön,  Jugendblüte').  Denn 
hätte  Catull  wirklich  einen  Juventius  mit  Milchen  Kui-liedchen  öffentlich 
beglückt,  so  mnfste  sich  ein  stolzer,  steifer  Römer,  ein  Juventier  (und 
zwar  jeder  junge  Träger  des  Namens)  kompromittiert  fühlen.  Ist  dem- 
nach Camerius  in  55  einer  der  sich  im  Kämmerlein  verborgen  hält  und 
nicht  aufzutreiben  ist?  Aquinius  =■ 'Poet  Wässerung'?  [Ref.  hält  auf 
diesem  Gebiete  grofse  Vorsicht  für  ratsam.  Der  Boden  ist  doch  gar  zu  un- 
sicher]. —  Auch  andere  Recensionen,  (Biese,  Cr.,  K.  P.  Schulze,  K.  Rofs- 
berg,  Schäfler  u.  a.)  bringen  nützliche  Nachträge  zu   einzelnen  Stellen. 

2.  Catulli  Veronensis  liber.  Recensuit  et  interpretatus  est 
Aemilius  Baehrens.  Volumen  alterum  [CommentariusJ.  Lipsiae, 
B.  G.  Teubner.  1885.     XVI  und  619  S.  8. 

Zwischen  dem  kritischen  und  dem  erklärenden  Teile  von  Baehrens' 
Catullausgabe  liegt  ein  Zeitraum  von  neun  Jahren.  Zweifel,  ob  der  längst 
versprochene  Kommentar  je  erscheinen  würde,  erschienen  somit  nicht  un- 
begründet, haben  doch  auch  Haupt  und  Schwabe  ihren  Plan  den  Catull 
zu  kommentieren,  nicht  ausgeführt.  Überdies  schien  es  eine  schwere, 
wenn  nicht  unmögliche  Aufgabe  für  Baehrens  den  von  ihm  konstruierten, 
höchst  willkürlichen,  von  ebenso  überflüssigen  wie  tollkühnen  Änderungen 
wimmelnden  Text  zu  begründen  und  zu  rechtfertigen.  Aber  die  erstaun- 
liche Arbeitskraft  des  Verf.  hat  das  Unmögliche  möglich  zu  macheu  ge- 
wufst.  Die  Praefatio  belehrt  uns,  dafs  er  bei  allen  andern  Arbeiten  (Aus- 
gaben von  Tibull,  Properz,  Statius,  den  Poetae  Latini  minores)  den 
Catullkommentar  immer  im  Auge  behielt  und  endlich  das  gesammelte 
Material  in  der  kurzen  Zeit  vom  Oktober  1883  bis  zum  August  1884 
druckfertig  stellte.  Um  seiner  Arbeit  gerecht  zu  werden,  ist  vor  Allem 
anzuerkennenjdafs  sie  eine  von  sehr  respektablem  Fleifse  zeugende,  neben 
den  Kommentaren  von  EUis  und  Riese  volle  Selbständigkeit  wahrende 
Leistung  ist,  die  zur  Erklärung  der  catulliseheu  Poesie  beizutragen  ge- 
eignet scheint.  Namentlich  durch  die  grofse  Belesenheit  des  Verf.  in  der 
römischen  Poesie  nach  Catull  ist  manches  Brauchbare  herangezogen 
worden;  weniger  ist  er  in  der  griechischen  Litteratur  zu  Hause.  Die 
Arbeiten  früherer  Erklärer  sind  sorgsam,  wenn  auch  einseitig  und  wenig 
objektiv  benutzt.  Vgl.  darüber  praef.  p.  XIII:  :illud  unura  adicio,  quid- 
quid  priorum  interpretum  curis  debeo,   me  sub  eorum  nomine  adtulisse 


Catull.    Baehrens'  Kommentar  157 

summa  cum  religione,  cetera  omnia  memet  ipsum  collegisse  (et  in  his 
sane  nonnulla,  quae  postea  iam  apud  Mos  extantia  vidi)'.  Doch  ist  dieser 
Grundsatz  nicht  immer  streng  durchgeführt.  So  sind  zu  c.  49  und  68,  10 
offenbar  0.  Harnecker's  Arbeiten  benutzt,  ohne  dafs  sein  Name  je  citiert 
würde.  Auch  die  praktische,  leicht  übersichtliche  und  klare  Fassung 
der  Noten  ist  zu  rühmen:  Baehrens  sagt  immer  gerade  heraus  was  er 
will.  Endlich  zeigt  er  bisweilen  da,  wo  er  unbefangen  urteilt,  im  Gegen- 
satze zu  Ellis  ein  gesundes  und  offenes  Auge  für  das  Einfache  und 
Richtige.  Man  vergleiche  z.  B.  die  Anm.  zu  64,  23  heroum  salvete 
deum  genus,  o  bona  mater  bei  ihm  und  Ellis.  Die  unten  näher  zu  er- 
örternden Prolegomena  sind  endlich  durchaus  dankenswert. 

Wenn  nur  Verf.  seinen  Lesern  den  Dank  für  empfangene  Beleh- 
rung nicht  gar  so  schwer  machen  wollte!  Höchst  unerquicklichen  Ein- 
druck machen  die  zahlreichen  persönlichen  Ausfälle  des  Verf.  gegen 
andere  Gelehrte.  Fast  jede  sachliche  Diskussion  wird  durch  dergleichen 
Gehässigkeiten  vergiftet.  Der  Anfänger,  der  diesen  Kommentar  benutzt, 
mufs  Baehrens'  Gegner  sämtlich  für  bornierte  Menschen  halten.  Hand 
in  Hand  damit  geht  eine  naive,  für  den  Geschmack  unserer  Zeit  geradezu 
verblüffende  Selbstüberhebung.  So  heifst  es  auf  S.  IX:  retiam  in  emen- 
datione  me  plane  adaequasse  Lachmanni  merita,  probi  simulque  pru- 
dentes  iudices  candide  agnoverunt,  inimici  omni  modo  negavere  atque 
dissimulavere'.  Wer  sind  diese  probi  simulque  prudentes  iudices?  Ebenso 
naiv  ist  die  Klage,  dafs  Bursian  in  seiner  Geschichte  der  klassischen 
Philologie  nicht  günstig  genug  über  ihn  urteile,  er,  der  doch  selbst  kein 
Kritiker  sei  und  zum  Catull  überhaupt  nur  eine  Konjektur  gemacht 
habe!  S.  IX  heifst  es  dann:  .  .  .  'Catullum  mihi  videor  restituisse  in  eura 
statum  habitumque,  quem  eis  quibus  utimur  subsidiis  recuperare  licet'! 
Verhängnisvoll  für  den  Kommentar  ist  ferner  die  leichtfertige  Konjektural- 
kritik  des  ersten  Bandes  geworden.  Wie  verhält  sich  Baehrens  zu 
seinem  willkürlich  interpolierten  Texte?  In  zahlreichen  Fällen  werden 
die  früheren  Vermutungen  (und  daraus  ist  wahrlich  dem  Verf.  kein  Vor- 
wurf zu  machen!)  einfach  aufgegeben,  bisweilen  zu  Gunsten  der  Tradi- 
tion, oft  aber  auch  nur  um  neuen  Konjekturen  zu  weichen  (so  12.  7 
furta  fuste  lento\  25,  5  cum  dira  vinulenties]  31,  9  peregrino  ab  orbe\  55,  11 
velum  sinu  reducens;  62,9  canent  quo  irincere  cura  est]  63,  74  sonitus  gemens 
abeit;  64,  127  pertenderet ;  64,  287  Meliasin  .  .  .  duris?\  66,  15  arme  /«'- 
ventes;  67,  12  ianua  cuncta  fach;  68,  39  peteiti  copia  aperta  est\  93,  1 
96,4  et  quei  discissas;  115,  5  tractusque  paludesque  u.  a.).  Manches  wird 
gar  nicht  erwähnt  (66,31  tantumf  febrtii  an  <in<><h.  Einen  greisen  Teil 
seiner  Vorschläge  aber  hält  Baehrens  unter  z.  T.  sehr  ausführlicher, 
doch  selten  gelungener  Begründung  aufrecht.  Endlich  werden  zahlreiche 
neue  Einfälle  vorgebracht  und  verteidigt.  Aus  alledem  ergibt  sich,  dafs 
die  Textkritik  auch  in  diesem  Bande  eine  sehr  grofse  Rolle  spielt. 
Beinahe  Vers  für  Vers  begegnet  mau  kritischen    Erörterungen.     Auch 


158  Catull.     Baehrens'  Kommentar. 

die  Paläographic  wird  häufig  herangezogen.  Es  it  in  dieser  Beziehung 
des  Guten  etwas  zu  viel  geschehen  im  Gegen  atze  zu  Ellis,  dessen  Kom- 
mentar allerdings  durch  fast  gänzliche  A.usschliefsung  der  Kritik  ein- 
seitig geworden  ist.  Baehrens'  Textkritik  trägt  zwei  Gesichter.  Sie  isl 
skeptisch  gegenüber  den  Vorschlages  anderer  Kritiker:  und  es  mufe  an- 
erkannl  werden,  dafs  Baehrens  iu  der  Polemik  gegeu  solche  manches 
richtige  uüd  treffende  Wort  gelungen  i.^t.  Sic  isl  gänzlich  haltlos  und 
befangen  gegenüber  den  eigenen  Einfällen.  Mitunter  bleibt  unklar,  was 
Baehrens  eigentlich  an  der  Überlieferung  tadelt,  wenn  nicht  etwa  der 
Wunsch  bestimmend  war,  eine  früher  ausgesprochene  Konjektur  unter 
allen  Umständen  zu  halten.  So  werden  geflissentlich  S.  520  zu  68 b,  59 
Troia  obscena,  S.  530  zu  68'',  100  plurima  furta  Iovis  Schwierigkeiten 
herausgeklügelt,  die  für  den  Unbefangenen  nicht  vorhanden  sind.  Er 
scheut  vor  argen  Geschmackswidrigkeiten  nicht  zurück,  die,  von  einem 
Andern  begangen,  seinen  Spott  herausfordern  würden.  So  wird  in  68,  2 
das  wunderschöne  conscriptum  lacrimis  epistolium  ersetzt  durch  eon- 
strictum  ec  lacrimis  mit  folgender  Motivierung:  umor  constringit  ua- 
turaliter  papyrum,  quae  ita  prodit  lacrimas'.  Was  Baehrens  selbst  für 
streng  verboten  erklärt,  wird  erlaubt,  sobald  er  selbst  mit  einer  Kon- 
jektur beteiligt  ist.  Zu  71,  1  wird  Palladius  Konj.  'iure  b<mo'  mit  Rück- 
sicht auf  den  Sprachgebrauch  abgewiesen,  der  iure  optimo  verlange:  nam 
usum  in  huiusmodi  coniccturis  anxie  observandum  esse  patet'.  Dagegen 
führt  er  76,  11  ein  unerhörtes  tepte  oder  tele  unbedenklich  durch  Kon- 
jektur ein:  (nam  huius  usus  exemplum  sane  uon  indulsit  nobis  casus'! 
Ja,  Bauer,  das  ist  ganz  was  anderes!  Die  Litteratur  des  c.  68  wird 
einfach  unterdrückt  und  so  dem  Lernenden  jede  Möglichkeit  genommen, 
sich  ein  eigenes  Urteil  in  der  Sache  zu  bilden.  Es  heifst  einfach,  es  seien 
erstanden  '  acerrimi  placitorum  Lachmannianorum  defensores  .  .  quorum 
explicatioues,  quoniam  (ut  fieri  aliter  nequit)  absurdae  sunt  omues,  si- 
lentio  premere  praestat'.  Das  ist  Alles.  Baehrens  hat  seinen  Kommentar 
nach  p.  XI  'tarn  virorum  doctorum  quam  adulescentium  studiis  philolo- 
gicis  operam  navantium  usui'  bestimmt.  Es  bedarf  nach  dem  Gesagten 
kaum  der  Versicherung,  dass  er  bei  aller  Anerkennung  gelungener  Einzel- 
heiten für  den  letzteren  Zweck  nicht  geeignet  ist,  ebensowenig  wie  Ellis' 
Commentary.  Denn  das  Studium  des  Buches  fordert  die  Fähigkeit  die 
Spreu  von  den  vereinzelten  edlen  Körnern  zu  sondern,  fordert  das  feste 
Urteil  und  den  geübten  Blick  des  sachkundigen  Gelehrten.  In  der  Hand 
des  Anfängers  kann  es  leicht  Schaden  anrichten,  denn  dieser  wird  über 
Ziele  und  Methode  der  Textkritik,  über  das  was  hier  erlaubt  und  ver- 
boten ist,  ganz  falsche  Vorstellungen  schöpfen.  Es  wird  Aufgabe  der 
Universitätslehrer  sein  die  Lernenden  über  den  Charakter  des  Buches 
aufzuklären. 

Ref.  versucht  nun   in  kurzer  Musterung  eine  Übersicht  des  Neuen 
und  Wertvollen  zu  geben,  das  dieser  Catullkommentar  bietet.   Auch  die 


Catull.    Baehrens'  Kommentar.  159 

neuen  Konjekturen  von  Baehrens  werden  möglichst  vollständig  ver- 
zeichnet, um  dem  Vorwurfe  zu  entgehen,  als  sei  Wichtiges  übergangen. 
Dem  Ref.  ist  nur  wenig  davon  brauchbar  erschienen.  Die  vorausge- 
schickten Prolegomena  sind  dankenswert:  sie  verbreiten  sich,  lebendig 
geschrieben  und  von  grofser  Belesenheit  zeugend,  über  die  verschie- 
densten Seiten  des  litterarischen  Lebens  in  Rom  vor  und  nach  Catulls 
Zeit,  legen  gleichsam  den  Boden,  aus  dem  die  catullische  Poesie  erwuchs, 
blos,  und  füllen  entschieden  eine  Lücke  aus.  So  wird  in  cap.  I  S.  8  14 
gut  erläutert  wie  die  alexandrinische  Poesie  auf  die  römische  ihren  un- 
geheueren Einflufs  erlangen  konnte,  sowie  auf  S.  16 --20  manches  Cha- 
rakteristische für  die  novi  poetae  beigebracht.  Vgl.  S.  17:  eam  construc- 
tionem ,  quam  vulgo  vocant  accusativum  graecum,  introduxerunt  primi 
cantores  Euphorionis  in  carminibus  doctis  .  .  nam  falsum  est  quod 
alius  alium  exscribentes  adfirmant  vulgo,  usus  illius  iam  apud  Plau- 
tum  Enniumque  inveniri  exempla'.  [Doch  vgl.  die  Bemerkungen  bei 
Schäfler  Gräcismen  S.  26.]  —  In  cap.  II  wird  über  Catulls  Leben  ge- 
handelt. Es  bedarf  kaum  der  Erwähnung,  dafs  auch  Baehrens  Lesbia 
für  die  Schwester  des  P.  Clodius  hält.  Der  Beweis  dafür  ist  mit  wenigen 
Abweichungen  aus  den  Analecta  Catulliana  wiederholt.  Auf  S.  34  wird 
der  Spitzname  quadrantaria  so  erklärt  (nach  Cicero  p.  Cael.  20,  62): 
'  lavabantur  Romae  quadrante  viri,  videturque  Clodia  aliquaudo  uua  cum 
viris  lavasse:  quae  res  sub  Caesarum  imperio  non  ita  rara  tum  novitate 
sua  ita  offendere  potuit,  ut  hinc  feminae  procaci  lascivaeque  cognomen 
illud  inditum  esse  non  sit  veri  dissimile'.  Mancherlei  ist  sehr  zweifel- 
haft. Nach  S.  36  sammelte  Catull  den  Stoff  zu  c  63  auf  der  bithynischen 
Reise  und  arbeitete  es  vielleicht  im  Winter  57/56  zu  Nicaea  aus.  Nach 
S.  38  suchten  Furius  und  Aurelius  den  Dichter  beim  Juventius  zuerst  da- 
durch auszustechen,  dafs  sie  ihn  als  parum  pudicus  hiustellten  Als 
dies  nicht  gelang,  suchten  sie  ihn  dadurch  auf  gute  Manier  ('amicitiae 
specie  usi')  los  zu  werden,  dafs  sie  ihn  mit  Lesbia  wieder  aussöhnten! 
Ihre  guten  Dienste  weist  C.  mit  dem  beifsendeu  c.  1 1  zurück.  Doch 
ist  zuzugeben,  dafs  manches  ganz  artig  kombiniert  ist.  Es  folgt  in 
cap.  III  die  Charakteristik  Catulls.  Das  auf  S.  40  -  42  über  das 
Naturell  des  jugendlichen  Dichters  Gesagte  ist  richtig,  doch  in  keiner 
Beziehung  originell.  Aus  der  formelhaften,  von  Catull  in  fast  mechani- 
scher Nachahmung  beibehaltenen  Anrufung  64,  22-25  Heroes  .  .  .  vos 
ego  saepe  meo,  vos  carmine  compellabo  wird  S.  44  unrichtig  gefolgert, 
Catull  habe  den  Plan  gehabt  ein  Epo>  Argonautica  zu  verfassen  Die 
Bemerkungen  über  die  Sprache  des  Dichters  S.  45-52  sind  Lesenswert. 
Über  die  Responsion  bei  Catull  heifst  es  S.  57  richtig:  Alias  autem 
strophas  quam  (sie)  quae  fiunt  aut  systematis  aut  versa  intercaiari  .  . 
non  adhibuit  Catullus,  cui  sine  ullo  iuris  aut  verisimilitudinis  specie  docti 
nonnulli  obtrusere  illas  recentioram  philologoram  delicias  oec  iueunditatis 
quidquam    nee   fruetum    haben tes'.     Den   Beschlufs   machen   in  cap.    IV 


160  Catull.     Baehrens'  Kommentar. 

meist    richtige   und  besonnene   Bemerkungen   aber  Anordnung,  Heraus- 
gabe, Nachahmung  und  Überlieferung  der  Catallischeii   Gedichte.     Die 
uns  erhaltene  Gedichtsammlung  kann  Bchon  wegen  ihres  Umfang«-   (2 
Verse)  nicht  ein  einziges  Buch  (libellus)  im  antiken  Sinne  gewesen  sein.  Der 
dem  Cornelius  Nepos  dedicierte  und  muh  Dichter  selbst  edierte  libellus 
bestand  aus  c.  l  — 60.  ' Congregata  autem  antiquitas  in  anicum  rolumeo 
carmina  minuta  ad   medium    aevum   pervenisse  statuimus   in   exemplari 
quodam,  cuius  pars  extrema  eademque  externa  cum  perisset,  nunc  exitus 
carminis  LX  una  cum  eis  poematis,   ad  quae  pertinent  fragmenta  I     IV. 
desideratur.     bis  quae  perierunt  ex  probabili  computatione  adiectis  hoc 
volumen  coutiuuit  fere  versus   900'.     Die   Gedichte  61  —  116  sind   erst 
nach  Catulls  Tode   von  Freundeshand   gesammelt    und  wahrscheinlich  in 
zwei  Büchern  ediert,  von  denen  das  erste  c.  61-64  (=  840  Verse),  das 
zweite  c.  65      116  (=  660  Verse)  enthielt.     Gegen   die  Edition    dieser 
beiden  Bücher  durch  den  Dichter  selbst  sprechen  angeblich  das  Fehleu 
eines    Widmungsgedichtes,    die    Aufnahme    des     debile    atque    elumbe 
poema  68  u '  (!)  und  einiger  ungeeigneter  Epigramme.  Die  Akten  über  diese 
Frage  sind  noch  nicht  abgeschlossen.  Vgl.  die  neue  Hypothese  von  B.  Schmidt 
ed.  p.  LXXXIX.   Erwähnt  sei  noch,  dafs  direkte  Benutzung  eines  vollstän- 
digen Catullexemplares  durch  Ausonius,  Sidonius  Apollinaris,  Dracontius, 
Luxorius,  Boethius,  Maximianus  in  Abrede  gestellt  wird.  —  Aus  dem  Kom- 
mentare sei  folgendes  erwähnt:  Carm.  ad  Cornelium  8  —  10  Baehrens:  Quare, 
mel,  tibi  habe  quidem  hoc  libelli;  Qualecumque  quod  est,  patrona  virgo,  Plus 
uno  maneat  peremne  saeclo.    1  (2),  8  Baehrens:  karum  nescio  quid  lubet 
iocique  et  solaciolum  sui  doloris  (choc  est,  cum  puellae  placet  res  aliqua 
grata,  quae  ei  sit  et  ioco  et  solacio').   Abweichend  von  allen  bisherigen 
Erklärungsversuchen  wird  c.  4  interpretiert:   Es   bezieht  sich  nicht  auf 
die   bitbynische  Reise   Catulls   (vgl.   zu  25  sed  haec  prius  fuere:  'quo- 
modo  haec  in  Catullum  a.  56  reversum   mortuumque  a.  54  quadrant'?). 
Der  lacus  limpidus  ist  nicht  der  Gardasee:  'optime  interpretabimur  de 
staguis  pertinentibus  ad  divitis  cuiusdam  Transpadani   villam   ad  oram 
Hadriae    positara'.      Das   Gedicht   hat   mit  Catull   nichts    zu  thun,  der 
erus  des  Phaselus  wird   ein  Freund   und  Landsmann  des  Dichters  sein. 
Für  ihn  und  auf  seine  Bestellung  schrieb  Catull   diese  Dedikatiou    for- 
tasse  longo  ante  ipsius  iter  Bithynicum  tempore'.     Baehrens  stützt  sich 
dabei   auf  die  Notiz   des   Berner  Scholiasten   zu   Verg.  Georg.  IV    289 
quem  [phasellum]   habuit  hospes  Serenus.     Dieser  sonst  ganz   unbekannte 
Serenus  sei  der  Redende.  —   6,  17  Baehrens:  ad  cenam  lepido  vocare 
versu  (!).    Zu  8,   16-18   wird  gut  bemerkt:  ' .  .  .  qui   sie  demum   per- 
spicui  sunt,  si  hoc  Carmen  missum  statuimus  ad  matronam  scilicet  hone- 
stam  (quam  quidem  poeta  putabat),  cui  certi  quos   transilire  non   lieuit 
fiues  obiecti  essent  quaeque   utpote   viro   iuamato  nupta   amatore  misso 
iam   tristem  vitam  peragere  videretur'.     9,  1  Baehrens   omnibus  o  meis 
amicis  (Dat.).   10,  32  Baehrens:  quam  ipse  si pararim.  Ganz  ansprechend. 


Catull.     Baehrens'  Kommentar.  161 

11,6  wird  die  Schreibung  Sagas  empfohlen.  Zu  c.  13  wird  bemerkt,  dafs 
Flavius  und  Fabullus  eine  Person  seien  (also  Flavius  Fabullus).  Zu 
15,  12  heifit  es:  cpenem  illum  t.uum  semper  ad  Veneris  posticae  opera 
promptum  expeditumque,  ubicumque  porta  patebit.  'foru  igitur  sub- 
stantivum  de  npiux-w  accipio'.  15,  16  B.:  ut  carum  insidiis.  15,  19  ß.:  per- 
rumpent  oder  pervellent.  17,  10  B. :  putida  eque  palude  lividissima.  21,  1  B.: 
Furei,  praecipua  emritionum.  21,  9  B.:  atquei  si.  22,  6 — 8  ß.:  novi  libri 
[recens  ex  Alexandrinorum  officinis  advecti,  nihil  dum  situs  atque  putre- 
dinis  passi]  lana  rubra  membranae  [membrana  in  parte  exteriore  habet 
lanam  fuco  inbutam],  derecta  plumbo  [sc.  omnia].  22,  13  B.:  aut  siqnid 
est  acutius  videbatur.  23,  22  B.:  si  manibus  teras  friesque.  25,  5  B.: 
cum  diva  Mulcebris  pures  [h.  e.  aequales].  Eratne  Romanis  inter  turbara 
illam  deorum  minorum  quorum  saepe  mero  casu  ad  nos  pervenit  notitia, 
etiam  dea  quaedam  Mulcebris?'.  25,7  catagraphosque  Thynos,  B.:  pugil- 
larium  membraneorum  opercula  e  buxo  facta,  quibus  varias  figuras  breviter 
delineatas  censeo  fuisse  insculptas'.  Zu  c.  26  wird  bemerkt:  'Furius 
centum  sestertia  a  poeta  rogans  in  piguus  ei  villulam  suam  obtulerat, 
cuius  virtutes  ceteras  extollens  laudibus  etiam  de  situ  ab  oranibus  ventis 
tuto  verba  fecerat',  29,  23  B.:  usu  opum  levissimei  h.  e.  qui  levitate 
vestra  tarn  sinistrum  divitiarum  usum  facitis.  35,  23  B.:  c Romuli  ante 
usque  ut  solita  es.  36,  12  B. :  Hudr iosque  apertan' [qnamquam  mim  possint 
cHydrii'  dici  terrae  Hydruntinae  incolae  in  incerto  relinqueudum  est  mihi]. 
37,  5  B. :  et  patrare  ceteros  hircos'  h.  e.  sie  efficere  ut  ceteri  tamquam 
hirci  a  puellis  refugiantur.  37,  11  B.:  puella  nam,  quae  de  meo  sinn 
fugit.  38,  6  B.:  aic  tuos  amoresf  'significans  nimirum  se  ipsum,  quem 
'amores  suos'  Corniticius  appellare  soleret'.  39,2  B.:  sei  ad  rei  pendent. 
45,  8  B. :  sinistra  et  ante  (die  Konj.  ist  überflüssig,  doch  in  der  Erklä- 
rung der  Stelle  manches  Richtige).  50,  16  B.:  semimortua  lectulo  levavi. 
51,  11-  12  B.:  gelida  teyuntur  lumina  miete.  47,  1  B.:  Scabies  fanu 
nummi  h.  e.  qui  cupiditate  peeuniae  tamquam  morbo  taetro  affecti  estis. 
55,  8  -  9  B  :  quaa  vultu  vigili,  tarnen  acreno,  lustrans  te  sie  ipse  flagitabam.  55,  12 
B. :  midum  reduc  amicum  : '  femella  mala  usa  ambiguitate  et  spoliatum  a  malis 
puellis  Camerium  fingens  et  reieeta  tunica  libidini  servientem'.  55,  18  wird 
so  umgedichtet:  ventorumque  simul  require  cursum:  qüos  vinetos  (mihi  tradat 
Aeolus  rex:  haec  si  inquainy  Cameri^  mihi  dicares.  55,  17  it<m  te  lacteolae. 
55,  22  dam  fausti  oder  dextri  amoris.  (Aber  der  tadellose  Sinn  der  hsl. 
La.  ist  Schweige  gegen  Jedermann,  wenD  ich  nur  Mitwisser  eures  Ge- 
heimnisses bin').  56.5-  Q  pupulum  puellae  crusantem :  '  puerulus  tainquam 
mulier  supra  se  positam  babuit  puellam  ut  virum  eique  crisavit  .  .  hoc 
c  crusare'  vel  'ciisare',  quod  adhibetur  de  feminis  toter  coneubitum  nates 
vibrantibus  construitur  cum  dativo  cf.  Priap.  1 9,  4 '.  61,32  B.:  Coniugia 
cupidi  novam.  61.  64  B.:  quia  knie  deua.  61,  126  1!-:  iubet  (oacb  Bcbrader) 
iani  sereirc  Talusin  \w\    Talasio'    iani  sit  oomtoativus).     61,  216  B.:   rto- 

scitetur  avonculeia   (!).     62,  9   B.:    canent   quod   eivere  pur  est   ü.  e.   quod  nie- 
Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft   LI.    (1887.  II.  1  11 


1(52  Catull.     Baehrens'  Kommentar 

retur,  ut  el  hunc  in  annum  vivat  ei  plures.  62,  22  B.:  eonpleasu  matrit 
retinente.  Zu  62,32  bemerkt  B. :  Pleriqae  consentiunt  in  quioque 
cantus  puellaris  versibue  et  ano  antistropha  imissia.    quod  equidem 

propterea  probo,  quod  verisimillimum  est  puellaa  illud  abstaut  stabili« 
taras  (cf.  v.  21)  perrexißBe  per  namque',  quod  iuvenea  more  buo  (cf.  27) 
repetierint.  hinc  et  de  numero  vereuum  interlapsornra  plane  constat  et 
de  origine  vitii:  a  priore  namque'  ad  alternm  aberravit  librarius  arche 
typi* .  62,  58  B. :  cara  suis  magia  et.  Zu  68,  1  wird  ohne  Angabe  von 
Gründen  behauptet,  Catulls  Attia  habe  mit  «lern  pbrygischen  Lieblinge 
der  Cybele  nichts  gemeinsam.  Warum  denn  nicht?  Etwa  nur,  weil  die 
Sage  bei  Catull  in  etwas  abweichender  Gestalt  auftritt?  63,  2  —  3  B.: 
Phrygium  ut  solum  .  .  .  viditque  npaca.  63,  9  B  :  typanum,  tubatn  Cy- 
belles  furinntis  [oder  turbantis]  initia  (?).  63,  14  B.:  aliena  quae  petentes 
celere  (adv.)  exuhs  loca.  Zu  63,  16  wird  gut  gegen  die  Verteidiger  der 
La.  truculentaque  pelagi  (coli,  acuta  belli,  porrecta  camporum  u.  dgl.)  be- 
merkt: hi  neque  illud  observant,  usum  eum  demum  inde  ab  Augusti 
principatu  increbuisse,  et  neglegunt,  sie  denotari  partem  totius.  63,  28  B.: 
thiasis  repente  litus  trepidantibus  ululat.  63,  31—32  B.:  vadit  anitnum 
agens  comitum  ante  tympano  Attis  coli.  Hör.  a.  p.  animum  auditoris  agunto. 
63,37  B.:  gravante  languore.  63,  54  B.:  earum  ad  ima  adirem.  63,  62  B.; 
quod  enim  genus  ßguraest?  ego  enim  in  quid  abii  heri?  63,  74  B.:  roseis 
ut  hie  labeltis  sonus  editus  adiit  matrem  deorum,  ad.  63,  77  B. :  orseU 
(h.  e.  verbis)  Stimulans.  63,  78  B. :  ferox  fac,  percellat  hunc  pavor.  63.  79  B. : 
fac  ut  vi  pavoris  ictus.  63,  84  B.:  relevatquc  iuga.  64,  24  B.:  salvele  iter 
(u7u  nunc:  post  modo  digne)  vos  ego  xoepe  meo  vos  carmine  conpellabo.  64,  31 
die  hsl.  La.  optato  finitae  tempore  luces  wird  verteidigt:  luces  finitae  sunt 
constituti  nuptiarum  dies,  qui  liberiore  illo  ablativi  usu  Romanis  tarn 
dilecto  vocantur  tempus  optatum',  64,  40  B. :  proso  vomere  h.  e.  in 
rectum  vadente.  64,  64  B.:  non  conlecta  levi.  Amictus  ist  von  einer 
leichten  Tunika  zu  verstehen:  non  conlecta  =  recineta.  Non  cinxerat 
Ariadne  pectus  levi  tunica  velatum,  ut  tiuitaret  iam  amictus  hie  tenuis'. 
64,  83  B. :  funera  Cecropia  =  e  Cecropia.  64,  89  Europae  Phaesti  dant 
flumina  myrtos.  Europae  ist  Dativ  und  bezieht  sich  auf  die  in  Kreta 
verehrte  Europa,  der  ein  Myrtenkranz  dargebracht  wurde.  Nach  64,  102 
Lücke  angenommen.  64,  106  B.:  fundenti  vortice  b.  e.  se  fundente 
sive  diffundente.  64,  109  B.:  quaecumque  habet  obria  frangens.  64,118 
Heinsius'  Konj.  ut  consanguineas,  complexum  ut  empfohlen.  64,  127  B.  : 
aciem  p.  vastos  per  tenderet  aestus.  64,  157  B- :  talia  quod  reddis.  64,  178  B. : 
Sidoneosne  petam  montes  (Was  sollen  das  für  Berge  sein?).  64,  184  B. : 
nullo  reeipit  sola  insula  tecto  h.  e.  hospitio  me  suseipit.  64,  212  B. :  galeatae 
moenia  divae.  64,  237  B. :  dea  prospera  oder  trabs  (=  navis)  prospera 
sistet.  64,  242  B. :  absumens  lumina  visus.  64,267  B. :  pulvinar  complexa 
suom  h.  e.  pulvinar,  ad  quod  pertinuit.  64,  288  B. :  namque  inde  tulit. 
64,   300   B. :    eultricem    montibus   Istri.       64,  301  — 3o2    B.:    asptmata    nee 


Catull.     Baehreus'  Kommentar.  163 

(=  ne  .  .  quidem )  Thetidis.  64 ,  304  B. :  sunt  extructae  dope  mensae. 
64,  315  B  :  atque  ibi.  64,  320  B.:  pellentes  stamina  (oder  licia).  64,  324  B. : 
carissime  notis  b.  e.  eis  qui  te  noverunt.  64,  330  B.:  quae  tibi  flexo 
animo  mentis  profundcU  (oder  defandat)  amorem.  64,  346  B.:  longi/iquo 
moenia  fine  h.  e.  in  belli  exitu  longe  remoto.  64,  353  B.:  densas  praecae- 
dens  (oder  praeeeidens).  64,  359  cuius  iter  ccUis.  64,  372  B.:  quare  agite 
o  tontos;  c quanti   ante   descripti    sunt   vv.    330   sq.'.    64,  381    B.:    Peleo. 

64,  407  B.:  lumin e  claros  coli.  Hom   Od.  XV  164  Beol  <patvo\>zai  ivapyscQ. 

65,  4  B.:  dukis  simul  harum  espromere  fetus  h.  e  eodem  tempore,  quo 
cura  nie  angit.  65,  6  B.:  alligat  unda  jtedes.  65,  17  B. :  nequnquam 
credita  ventis:  !ne  forte  me  putes  oblitum  esse  verborum  tuoruni,  quae 
tamen  bercle  minime  es  ventis  locutus'.  66,  7  B.:  caelesti  m  limine:  csi 
quidem  caer'  ex  sensu  Alexandriiiorum  sie  ut  mihi  videtur  distinguentium 
recte  dicitur  ccaeli    limen".     66.    15     16   B.:    anne  parumper   Frustantur. 

66,  27  28  B.:  quo  regia/n  adoptas  coniugium,  quod  non  ausit.  alis  mulier. 
66,  35  B.:  sei  reditum  tetulisset  ovans.  is  tempore  longo.  66,  63  B.:  tur- 
bidulam  ab  luctu.  66.  66  Callisto  taeta  Lycaonia:  'quae  ut  pote  supra 
virginem  et  leonem  posita  hos  taugit,  ea  ipsa  tangitur  a  superiore  ursa\ 

66,  74  B  :  condita  quae  veri  pectoris  evolvo:  'me,  quae  tamen  nihil  aliud 
facio  quam  ut  arcana  mentis  verum  amantis  sensa  aperiam'  (Aber  das 
ist  in  72  schon  gesagt!).  66,  77  mit  Heinsius  omnibus  expersa  (  =  madens) 
unguentis  [versu  scilicet  hypermetro|.  66,  93  B.:  sidera  vi  retinent.  67,  6  B.: 
postquam  est  (seil,  nata)  porrecto  facta  era  rite  sene.    67,  23  sed  pater  illnsi. 

67,  31-34  Baehrens :  equidem  inrisionem  agnosco  lepidissimam  nescio 
cuius  docti  Brixiani,  qui  nimio  patriae  amore  duetus  satis  ridicule  huius 
originem  et  situm  explieaverat  cum  detreetatione  Veronae,  inter  quam 
et  Brixiarn  fortasse  simultas  quaedam  extiterat'.  67,  32  liest  B.  mit 
Zanchi  Cycnea  svpposita  in  specula  und  erklärt:  cquae  ibi,  ubi  olim  erat 
Ligurum  (die  einst  Cycnus  beherrschte)  specula,  loco  eius  postea  est 
posita.  quo  iure  ita  statuerit  antiquarius  quem  sumimus  Brixianus,  nobis 
nimirum  diiudicare  iam  non  licet'.  68 \  29  B.:  torpescit  membra.  68 a,  39  B. : 
copia  prompta  est.  68 b,  29  B.:  ad  quem  h.  e.  apud  eum,  in  eius  domo. 
68 b,  53  B.:  ei  misero  aelatis  ioeundo  in  limine  adempte.  68 b,  78  B.:  quine 
tuum  domitum  (tuum  =  amatorem,  coli.  Prop.  I  9,  22  posse  negare  tuae). 
68 b,  108  B.  verteidigt  seine  La.  quem  lapide  illa  notut  candidiore,  dies. 
Doch  vgl.  Vahlen  Hermes  17,  598.  68b,  117  B.  citiert  Stellen  wie  Seneca 
epigr.  15,  14  (P.  L.  M.  IV,  S.  60)  Orispe,  naufragio  Hins  tutatque  terra 
men  und  meint  'terram  alicui  dare'  non  male  quidem  dici  de  auxilio 
praebito,  sed  tarnen  oecessario  exemplia  omnibus  admonentibus  adicien- 
dum  esse,  quo  agi  de  naufrago  appareat.  Der  Sinn  müsse  also  sein:  et 
sit  felix  is  qui  ante  Album  terram  sive  salutein  dedit  mihi,  qui  saevo 
amoris  aestu  absorptus  oaufragiumque  passus  paene  perii.  Er  vermutet 
also  für  aufert:  haustis.  Diese  Konj.  ist  ja  schwerlich  richtig,  schon 
weil  mau  zu  haust  is  eine  nähere  Bestimmung   erwartet.     Aber  die  Er- 

11* 


164  I  atuil.    baehn-ris'  Kommentar. 

klärung  von  terram  dedil  Bcheint  sehr  plausibel.    68b,  HB  B.:  a  <juo  .sunt 

//•uro.     89j  8  !<•:  """  ■'  illam   ''um.     71,   I    B. :   aiquui,   vir  bo 

butitit  hircua.  Angeredel  .-^oll  mit  vir  bom  Bein  Metellas,  der  damals 
schon  verstorbene  Gemahl  dei  Lesbia  i  bone  accipiendom  est  prosollemni 
mortuorum  appellatione).  \  Metello  hircam  podagramqoe  in  novnm 
Lesbiae  fututorem  transmigrasse  acerbo  com  ioco  1  u<li t  poeta  .  71,  3  B. : 
aetnulus  inte,  tuo  gut  cei  amoretn,     76,  11  15- :  quin  mm, mm  offirma$. 

Das  rätselhafte  Epigramm  79  bezieh!  Baehrens  mit  Lipsius  wiedei 
Sextus  Clodius  und  stützt  diese  Annahme  mit  Behr  beachtenswertes 
Gründen.  War  Sextus  Clodius  auffallend  häfslich,  su  wird  der  Spott 
um  so  bitterer;  hatte  er  nicht  den  Beinamen  Pulcher,  als  Plebejer 
und  vielleicht  als  Nachkömmling  eines  Freigelassenen  der  geus  Claudia 
—  tarnen  iterum  acerba  cum  inrisione  boc  poüit  poeta,  euni  ad 
Pulcbrorum  familiam  pertinere' .  Die  Pointe  des  Epigramms  ist  also 
nach  B.  folgende:  Sex.  Clodius  siue  dubio  homo  formosissimus  est  et  ex 
nobili  Pulchrorum  farailia,  cum  eum  Clodia  malit  quam  te,  Catulle  foede, 
tuamque  gentem  rusticam!  hoc  cum  acerrima  ecpwvsca  positum  iam  dil- 
uitur:  sed  ecce  formosus  iste  nobilisque  Sextus  est  cuuuilingus!  80,8  B. : 
clamant  Victoris  ilia,  ab  emulso  labra  nutata  (sc.  esse)  sero.  90,  5  B.: 
gnarus  ut  accepto  h.  e.  postquam  disciplinam  didicit.  95,  7  Paduam 
morientur  ad  ipsam.  Daraus  folgert  B ,  die  Padua  müsse  zu  Volusius 
Aunalen  in  derselben  Beziehung  gestanden  haben  wie  der  Satrachus  zu 
Cinna's  Zmyrna.  Den  Stoff  der  ersteren  müssen  also  wenigstens  teil- 
weise die  Kriege  der  Römer  in  Gallia  Cisalpina  hergegeben  haben. 
96,  4  B.:  olim  iunctas  (oder  nexas,  mixtas.)  97,  7  B.:  qtvdem  dis\ 
coli.  Lucr.  VI  599  distracta  suum  late  dispandat  hiatum.  97,  HB.: 
quem  siqua  admittit.  99,  7  multis  deluta.  99,9  B.:  contractu  oder  con- 
tacta  ex  ore:  csaliva  igitur  cum  deleto  commate  debeat  esse  enuutiati 
subiectum,  quicquam'  hie  quoque  vice  adverbii  (=  omnino  vel  minimum) 
fungi  apparet'.  101,  1  B.:  adveni  has,  miser  o  frate>\  ad  inferias.  101,  7  B. : 
nunc  tarnen,  interea  ec  prisco  quae.  102,  1  B. :  ßdo  ut  amico.  102,  3  B.  : 
Indorum  iure  sacratum  (!).  107,  6  B.:  o  lucem  e  cemdidiore  nota.  107,  7 — 8  B. : 
aut  raagis  hace  optandam  vitam  degere  quis  potent.  109,  5  B.  :  tota  tra- 
pucere  vita  oder  totam  per  ducere  vitam.  109,  6  B.  :  altcrnae  hoc  aanete. 
110,  3  B. :  tu,  promisisti  mihi  ij_uod  mentita,  inimica  es.  113,  3 — 4  B. : 
sed  creverunt  t/iilia  in  horum  Singula  {feeundum  seinen!)  adulterio.  115,  2  B. : 
cetera  fine  carent.  116,  1  B.:  conversa  requirens.  116,  7  tela  ista  tua  evita- 
bimus  acta. 

Der  Kommentar  ist  leicht  verständlich  und  fliefsend  geschrieben. 
Aber  das  Latein  ist  sehr  inkorrekt,  sowohl  durch  manche  Verstöfse 
gegen  die  mustergültige  lateinische  Grammatik  (S.  312  das  plautini- 
sche  servibit,  S.  11  poetaudi,  S.  15  aiemus,  S.  109  rediet,  iubeo 
mit  ut,  viam  a  Statio  et  Vossio  ingressam  u.  s.  w. )  wie  durch  Bar- 
barismen    labt    auf  jeder    Seite    (vgl.    z.    B.    S.   253    ut    est   in    seusis 


Catull.   Schwabes  Ausgabe.  165 

declarandis  niroius!)  Übrigens  ist  die  Sprache  ohne  jedes  individuelle 
Gepräge  und  unterscheidet  sich  nicht  von  dem  bekannten  farblosen  Noten- 
latein. Der  Druck  ist  sorgfältig  (Kleinigkeiten,  wie  Vertauschungen  von  u 
und  n  sind  kaum  störend),  die  Ausstattung  des  Teubner'schen  Verlages 
würdig. 

3.  Ca t ulli  Veronensis  liber  ad  optimos  Codices  denuo  colla- 
tos  Ludovicus  Schwabius  recognovit.  Indices  testimoniorum  et 
verborum  Catullianorum  adiecti  sunt.  Berlin,  Weidmann.  1886. 
XXIIII  und  156  S.   8. 

Schwabes  neue  Catullausgabe  eignet  sich  in  hohem  Grade  für  den 
Handgebrauch  und  wird  vermöge  ihrer  praktischen  Einrichtung,  ihrer 
bei  aller  Kürze  sehr  reichhaltigen  Angaben  Jedem,  der  nicht  etwa  ganz 
specielle  Untersuchungen  vornehmen  will,  vollständig  .genügen.  Dem 
Texte  ist  erstens  vorangeschickt  eine  kurze  Praefatio,  die  über  die  Hand- 
schriften, deren  Kollationen,  die  angewandten  Abkürzungen  orientiert. 
Von  den  wertvollsten  Handschriften  Sangermanensis  und  Oxoniensis 
(G  und  0)  publiziert  Schwabe  eigene  neue  Kollationen;  den  cod.  Thuaneus 
(T),  der  c.  62  enthält,  hat  M.  Bonnet  für  ihn  verglichen.  Über  andere, 
als  sekundär  betrachtete  Textesquellen  heifst  es  S.  V:  'Sicubi  e  re  esse 
videbatur  singulis  locis  varias  lectiones  ex  aliis  praeter  G  et  0  libris 
addidi'.  Jede  Erörterung  über  den  Wert  der  einzelnen  Handschriften, 
ihre  charakteristischen  Unterschiede,  ihre  Abhängigkeit  von  einander  ist 
sorgsam  vermieden.  Es  wird  lediglich  eine  rein  objektive  Zusammen- 
stellung des  vorliegenden  Materials  geboten.  Es  folgt  ein  Index  loco- 
rum ,  quibus  scriptores  alii  a  poetae  aetate  ad  annum  MCCCLXXV  p.  Chr. 
n.  Catullum  nominaverunt  aut  eius  versus  citaverunt'.  Es  enthält 
diese  nützliche  und  sehr  fleifsige  Sammlung  zugleich  eine  kurze  Ge- 
schichte der  imitatio  Catulliana,  da  Verf.  nicht  nur  die  Namen  der  Auto- 
ren, welche  Catull  lasen  und  nachahmten,  verzeichnet,  sondern  auch  durch 
eigentümliche  Zeichen  den  Grad  der  Nachahmung  veranschaulicht.  Ver- 
mifst  habe  ich  hier  die  Berücksichtigung  einer  Notiz  von  mir  (Berl- 
Phil.  W.  1885  No.  19).  Wenn  Paulus  Diaconus  (Waitz,  Script,  rec. 
Longob.  S  17)  an  Petrus  Pisanus  schreibt:  Tibi  quoque,  Veronensis 
o  Tibulle,  conferor',  so  gehen  ihm  höchst  wahrscheinlich  Catull  und  Tibull 
durcheinander.  Hat  doch  selbst  Servius  beide  einmal  verwechselt  (vgl. 
frgmt.  12  bei  Schwabe).  Der  Znsatz  Veronensis  ist  geradezu  typisch: 
Vgl.  Birt  Buchwesen  S.  406  Anm.  2  Es  folgen  S.  XVI— XXIIII  'testi- 
mouia  selecta  ex  annis  MCCCLXXV — MD',  die  neben  Bekanntem  anch 
mancherlei  enthalten,  das  wenigstens  dem  Ref.  neu  war.  Dom  Texte 
sind  untergesetzt  die  kritischen  Noten  sämtlich,  d.  b.  handschriftliche 
Varianten,  Konjekturen  neuerer  Kritiker,  Citate  aus  antiken  Schrift- 
stellern, die  sich  auf  Stellen  im  darüber  stehenden  Texte  beziehen.  Un- 
zweifelhaft ist  diese  Einrichtung  praktischer   als  in  Schwabe's  Giefsener 


]ßß  Catull.  Bcbwabea  Ausgabe. 

Auspabe  von  1866,  wo  man  dies  alles  an  drei  verschiedenen  Orten  suchen 
und  zusammenstellen  mufte.  Aber  freilich  ist  jetzt  in  der  Fülle  von 
Noten  verschiedenster  Art  oft  die  Dbersichtlichkeit  verloren  gegangen. 
Durch  Vergrößerung  dos  Spatium  zwischen  den  Noten  zu  jedem  Vi 
durch  Wahl  fetter  Buchstaben  zur  Bezeichnung  der  Handschriften,  Ste!- 
hing  der  testimonia  zwischen  Text  und  Noten  und  ähnliche  kleine  Mittel 
hätte  sich  dieser  Übelstand  nach  dem  Muster  von  Baehrens'  kritischen 
Ausgaben  vermeiden  lassen.  Die  Angaben  aua  den  Handschriften 
(namentlich  G  und  0)  weichen  von  Baehrens  und  Ellis  nicht  unerheblich 
ab  (Vgl.  zu  21,  11.  25,  5.  32,  2.  37,  3  38.  5  und  7  44,  4.  45,  1.  54,  2. 
56,7.  55,  9  und  11.  61.83.  61.204  63,31.  63,49.  63  75.  63.77  63.85. 
64,11.  64,232  65,7.97,8.  103,3.  107,7.  116,  8),  da  Schwabe  nicht 
nur  seine  eigenen  Kollationen,  sondern  auch  die  Nachträge  von  M  Bonnet 
und  K.  P.  Schulze  zu  Baehrens'  Apparate  verwettet  bat.  Er  bemerkt 
selbst  praef.  S-  IUI  über  diesen  Punkt:  '  Si  quis  animadvei  terit  ex  G 
et  0  a  me  enotata  saepius  ab  eis  discrepare  quae  alii  inde  exeripserunt, 
is  scito  me  horum  benegnarum  codieibus  aecurate  examinatis 
mea  dedisse'.  In  der  That  machen  seine  Angaben  durchweg  den  Ein- 
druck der  Glaubwürdigkeit.  Sein  Apparat  ist  daher  für  Jeden,  der  die 
Textgeschichte  des  catullischen  über  studieren  will,  unentbehrlich  um 
die  früheren  Herausgeber  zu  k'ontroliercn.  -  Über  die  Auswahl  der  mit- 
geteilten Konjekturen  werden  naturgemäfs  die  Ansichten  geteilt  sein. 
Der  Eine  wird  dies  überflüssig  finden,  der  Andere  jenes  vermissen.  Im 
Ganzen  ist  nach  Ansicht  des  Ref.  eher  zu  viel  als  zu  wenig  gethan. 
Ihren  Zweck  aber  erfüllt  die  Auswahl  vollständig:  es  fehlt  weder  eine 
richtige,  noch  wahrscheinliche  noch  mögliche  Konjektur.  —  Schwabe's 
Text  unterscheidet  sich  von  dem  der  Giefsener  Ausgabe  durch  eine  noch 
schärfer  ausgeprägte  konservative  Tendenz.  An  einer  ganzen  Reihe  von 
Stellen,  wo  früher  Konjekturen  aufgenommen  waren,  steht  jetzt  die  kor- 
rupte handschriftliche  Lesart,  mit  einem  Kreuze  versehen,  im  Texte.  So 
Ko.  55,  9  und  11.  63,  75.  64,  16.  64,  73.  64,  109.  64,  254.  66,  54.  66,  59. 
67,  32.  114,  6  u.  a.  Auch  sonst  findet  man  bisweilen  Rückkehr  zur  Über- 
lieferung ( z.  B.  62,35  comprendis  nomine  eosdem.  63,  15  eeetam  meam 
executae.  Die  Verse  non  cvstos  si  fivgar  ilie  Cretvm  sind  nicht  mehr  hinter 
55,  14  eingeschoben  u.  s.  w  ).  Ergänzte  oder  geänderte  Buchstaben  sind 
auch  jetzt  wieder  durch  kursive  Lettern  bezeichnet.  Kurz,  der  Heraus- 
geber will  durch  seinen  Text  offenbar  ein  möglichst  getreues  Bild  des 
alten  Veronensis  geben,  —  mehr  beansprucht  er  nicht.  Freilich  ist 
dieses  Bestreben  nicht  überall  konsequent  durchgeführt.  Besonders  hat 
Schwabe  der  Versuchung  nicht  widerstehen  können,  eigene  Konjek- 
turen in  den  Text  zu  setzen,  die  nichts  weniger  als  sicher  sind.  Geradezu 
unrichtig  sind  64,  64  levi  nvdaium  pectus  amictu  (denn  das  überlieferte 
velahim  bedarf  nicht  erst  der  gekünstelten  Erklärung  von  Baehrens  im 
Kommentare,  um  als  tadellos  zu  gelten)  und  110,  7  fraudando  est  ficti 


Catull.   Schwabes  Ausgabe.  iß7 

plus  quam  meretricis  avarae  (denn  eine  meretrix  avara,  wie  sie  in  v.  1  —  2 
als  offen  und  ehrlich  gerühmt  wird,  kann  man  des  'fingere'  überhaupt 
nicht  beschuldigen).  Überhaupt  ist  an  ziemlich  viel  Stellen  meines  Er- 
achtens  nicht  die  richtige  Wahl  getroffen.  Dafs  mit  68,  41  auch  hier 
wieder  ein  neues  Gedicht  angefangen  wird,  war  ja  bei  Schwabe's  Stel- 
lung in  dieser  viel  debattierten  Streitfrage  zu  erwarten.  Befremden 
aber  mufs,  dafs  ihre  Existenz  vollständig  verschwiegen  wird.  Die 
Verse  65,9  —  14  findet  man  zwar  jetzt  an  ihrer  richtigen  Stelle,  aber 
eingeklammert  und  von  folgender  Note  begleitet:  Ab  hoc  carmine  alie- 
nos  esse  Rossbachius  intellexit:  quos  post  101,  6  inserendos  esse  ingeuiosa 
Frid.  Haasii  est  coniectura'.  66,  77—78  ist  Vahlen's  Interpunktion,  die 
mir  sehr  beachtenswert  scheint,  nicht  erwähnt.  66,  15  ist  das  sinnlose 
atque  wieder  im  Texte  zu  lesen.  Dafs  diese  und  andere  Mängel  bei  der 
vortrefflichen  praktischen  Anlage  des  Buches  nicht  erheblich  stören,  sei 
ausdrücklich  anerkannt.  —  Neue  eigene  Konjekturen  von  Schwabe  (d.  h. 
solche,  die  in  der  Giefsener  Ausgabe  noch  nicht  publiziert  waren)  hat 
Ref.  im  Texte  nicht  gefunden.  In  den  Noten  sind  einige  vorgeschlagen. 
So  42,  9  ringentem.  51,  11  gemina  obteguntur.  55,  9  hau  vellens.  64,  3 
aeetios.  64,  270  procurvas.  64,  323  aucte.  64,  402  innupto.  66,  32  valent. 
102,  Sputum.  115,  7  maximus  alter.  Davon  scheint  dem  Ref.  nur  der  Vor- 
schlag zu  66.  32  ansprechend,  den  übrigens  schon  Baehrens  in  der  Adn.  crit. 
seiner  Ausgabe  gemacht  hat.  Aber-  freilich  konstruiert  Catull  valeo 
sonst  noch  nicht  in  dieser  Weise  mit  dem  Inf.,  denn  6,  12  ist  etwas 
anderes  (ebensowenig  Tibull  und  sein  Kreis,  vgl.  Ehwald,  in  dieser  Zeit- 
schrift 1885  II.  S.  197).  Die  wesentlicheren  Abweichungen  vom  Texte 
der  Giefsener  Ausgabe  sind  folgende.  Orthographisches  ist  dabei  nur 
in  besonderen  Fällen  berücksichtigt.  2,  6  kämm.  2,  11  —  13  nicht  mehr 
mit  14,  24  verbunden.  4,  1  phasellus.  10,  3  tunc.  10,  13  nee  faceret. 
10,  26  istos  commoda.  11,  6  Sagas.  12,  9  differtus.  21,  1  esuritionum 
u.  s.  w.  21,  9  atque  id.  22,  9  membranae  mit  folgendem  Komma.  23,  23 
posses.  27,  4  ebrioso  acino.  29,  4  habebat  ante.  29,  23-24  jetzt  nicht 
umgestellt.  29,  13  diffututa.  29,  15  alit.  31,  5  Thuniam  atque  bithunos. 
36,  12  Uriosque  apertos,  37,  10  sopionibus.  39,  9  monendum  est  tc  mihi. 
39,  11  fartvs.  42,  14  potes  (unrichtig,  vgl.  Sydow,  De.  rec  Cat.  c.  S.  9). 
50,  21  vehemenn.  51,  11  —  12  gemina  teguntur  Lumina  nocte.  (So  auch 
Ellis,  Vahlen,  Palmer  Hermath.  VI.  337).  55,  2  demonstres.  55,  4  qua- 
druviti.  61,  16  Vinia  (fehlt  im  index  verborum).  61,  98  vidi  ui  fuces. 
61,  168  ras8Üemque.  63,  60  gumituuiis,  63,  79  fac  uti.  64,  102  appe- 
teret.  64,  139 — 140  blanda  proinis.su  dediati  Voce  mihi,  non  haec  miscram 
sperare  iubebas.  64,  148  meminere.  64,  153  iniaeta.  64,  174  in  Crcta. 
64,  177  nitor.  64,  178  Idaeosne.  64,  273  leviterque  sonant.  64,  309  At 
roseae  niveo.  64,  334  coniexit.  64,  350  cum  incuüwn  cano.  64,  378  ein- 
geklammert. 64,  392  locus  corruptus'.  66,  6  guro.  66,  78  unguentis, 
una,     66,  83  colüis  (unrichtig,  cf.  Sydow  1.  c.  S.  9—10).     67,  27  </  qua»- 


|  fift  Ca tul  1  und  Tibull.     Vahlena  Ausgaben  und  Abhandlungen 

rendits  is  muh.     (;7,  'M  r/iiitJf  tu  iataec.     <»H.  60  <!•  •  iplorata. 

Oft,  (17  clveeum.  OH.  OK  dominae,  68,  85  eciratU.  08.  105  pulcerrima. 
68,  185  tamenetei.  68,  1  •''.'.)  concoquit.  68,  156  wi  '/""  no».  87  und  75 
nicht  mehr  verbunden.  75,  i  ff«c.  70,  io  cur  /»  te.  7ü.  \h  ip»a  in 
morte,  76,  28  <""//•'/  ///  wie.  77,  1  amice.  77,  5  und  8  6Äan  (unrichtig, 
Vgl.  Jabresber.  des  phil.  Vor.  1*7!»  S.  .*',1  1 ).  79,  -1  notorum,  81,  8  '"""'- 
A////r/».  r</».  82,  4  s^tt.  84.  6  Über  statt  Liber  B8,  l  ecquid.  90,  r>  Gratus. 
96,  5  dolor  ei 8t.  07,  .''.  nihiloque.  101,  8  fr»»/t  mmn  er.  1 07,  1  cupidoque, 
112,    1—2   lammst  ij/n'n    Te  8cindat.      116,  H  dabis. 

Die  Orthographie  bat  manche  Eigentümlichkeiten,  die  Bef  nicht 
als  Vorzüge  bezeichnen  kann  wie  humida,  heri,  berifugae,  brachiolum. 
Dagegen  era  03,  92.  Sollen  in  dergleichen  Dingen  wirklich  die  Launen 
und  Felder  der  Handschriften  massgebend  sein?  86,  3  ist  zu  lesen  '  fnr- 
mosa',  zu  i)0  felilt  die  Überschrift.  In  der  Note  zu  96,  4  mufs  es  heifen 
'Et  quei  Baebrensius'.  Als  Finder  der  Emendation  Rufulum  59,  1  ist 
bei  Schwabe  Pleitner  genannt,  bei  Baebrens  dagegen  Palladius. 

Den  Schlufs  des  Buches  bilden  die  geringen  Fragmente  und  ein 
Index  verborum.  Der  letztere,  sehr  sorgfältig  gearbeitet,  wird  das  nütz- 
liche Buch  für  weite  Kreise  besonders  wertvoll  machen,  da  die  bereits 
existierenden  indices  in  den  älteren  Ausgaben  und  bei  Ellis  nicht  Jedem 
zugänglich  sind. 

4.  Catulli  Tibulli  Propertii  carmina  a  Mauricio  Hauptio 
recognita.  Editio  quarta  ab  Johanne  Vahleno  curata.  Leipzig, 
Ilirzel.    1879.   372  S.   12. 

5.  J.  Vahlen,  Über  drei  Elegien  des  Tibullus.  Monatsber. 
der  Berl.  Akademie  1878.    S.  343  —  356. 

6  J.  Vahlen,  (De  Catullo)  Index  lectionum  Berol.  aest.  1882. 
S.  1-8. 

Ref.  hat  diese  Arbeiten  bereits  früher  (Jahresber.  d.  Phil.  Ver. 
IX.  260-264)  in  ausführlicher  Besprechung  nach  Verdienst  gewürdigt 
als  das  Beste  und  Gediegenste,  was  seit  Jahrzehnten  über  die  römischen 
Elegikcr  gesagt  ist.  Er  beschränkt  sich  daher  hier  auf  die  einfache 
Registrierung  des  Geleisteten,  das  nur  selten  Widerspruch  gestattet. 

1  Catullus.  Baehrens'  Ausgabe  mit  ihrer  Kollation  und  Bevor- 
zugung des  Oxoniensis  ist  auf  den  Text  der  vierten  Auflage  fast  ohne 
jeden  Einflnfs  geblieben.  Die  wichtigsten  Abweichungen  von  der  dritten 
Auflage  (sie  bedeuten  meist  Rückkehr  zur  Überlieferung)  sind  folgende: 
1,8—10  ohne  4-  so  geschrieben  und  interpungiert:  quidquid  hoc  Ubelli 
qualerumque  qvod,  o  pafrona  virgo,  plvs  vno  maneat  perenne  saeclo.  ^  gl. 
zu  dieser  Interpunktion  A.  Palmer,  Hermathena  VI,  298.  —  Nach  10,  27 
keine  Lücke.  —  61,  204  qund  cupis  cupis.  —  64,  68  etc.  —  64,  107  in- 
domitns  turbo.   —    64,  148    dieta  nihil  memmere.   —  64,   179  discernens.     - 


Catull  und  Tibull      Vahlpns  Ausgaben  und  Abbandlungen.  169 

64,  212  clossi.  -  64,  287  wieder  mit  +•  —  64,  296  süiei.  —  64,  320 
vellentes.  -  64,  334  contexit.  —  65,  4.  66,  72  den  Sinn  nicht  alterierende 
Interpunktionsänderungen.  —  68,  60  densi.  —  68,  149  quod  potui.  —  68,  158 
mi  gestrichen.  —  73,  4  taedet  zweimal.  —  96,  4  olim  missas.  —  101,  7 
interea  haec.  —  107,  3  nolis  qunque  carius  auro.  —  110,  7  fraudando 
nimio.  —  90,  5  gratus  [gnatus  nicht  glücklich  verteidigt  von  Rettig,  Ca- 
tulliana  III  S.  6  Anm.].  In  der  Abhandlung  No.  6  empfiehlt  Vahlen  zu- 
nächst quod  potui  in  68,  149  [vgl.  dazu  K.  Rofsberg  N.  Jahrbb.  1884, 
645f.].  Zu  68,  157  wird  konjiziert:  dum  qui  principio  nobis  terram  dedit, 
avftrt  d.  h.  'Sitis  felices,  ait  Catullus,  tu  et  tua  vita  et  domus  et  do- 
mina  usque  dum  vita  finitur,  hoc  est,  dum  qui  principio  nobis  hominibus 
terram  ad  vivendum  vitaeque  dulcedine  fruendum  dedit  eam  quam  dedit 
aufert,  is  ex  cuius  benignitate  nata  sunt  omnia',  nämlich  Juppiter.  Der 
Versanfang  et  qui  principio  ist  angeblich  aus  66,  49  interpoliert  [Vgl. 
dagegen  die  Bedenken  des  Ref.  a.  0.  S.  262  und  Ov.  Met.  I  256. 
Vahlen  hat  denn  auch  seine  Konj.  jetzt  in  der  fünften  Auflage  nicht  re- 
zipiert]. 

2.  Tibullus.  I  1 ,  25  iam  modo  ivers  possim  [vgl.  unten].  — 
I  1,  67  tu  manes  ne  laede  meos.  —  II  5,  4  nunc  precor  ad  laudes  tiec- 
tere  verba  novos  [vgl.  unten].  I  7,  13  tacitis  qui  leniter  undis.  -  seu 
nil  peccavimus.  —  III  4,  26  humanuni  nee,  videt,  illud  opus.  —  IV  1,  1  —  2 
quamquam  tun  cognita  virtus  terret,  ne.  —  IV  2,  23  wie  früher  sacrum 
multos  hoc  sumite  in  annos,  aber  mit  veränderter  Interpunktion  [jetzt  in 
ed.  V:  multos  haec  sumet  in  annos]. 

In  der  schönen  Abhandlung  Nr.  5  bespricht  Vahlen  mit  gewohnter 
Feinheit  Plan  und  Gliederung  von  II  5,  I  4,  I  1.  In  II  5,  4  schlägt  er 
novas  für  das  überlieferte  meas  (Lachmann- Haupt  mea)  vor.  Phoebus 
soll  kommen  mit  der  Cither  und  mit  Gesang,  soll  die  Saiten  schlageu 
und  soll  singen  (nicht  den  Dichter  zum  Gesaug  begeistern).  Das  neue 
Loblied  gilt  dem  Messalla.  War  dessen  Triumph  nicht  gar  lange  vorher 
gegangen,  so  war  es  nicht  unschicklich,  bei  dem  Einweihungsfest  des 
Sohnes  an  des  Vaters  Sieg  zu  erinnern  —  aber  eben  nur  zu  erinnern, 
denn  nicht  Messalla's  Siegesfest  wird  begangen.  [Gegen  noras  vgl.  Leo 
Über  einige  Elegien  TibullV  S.  4  f.,  einen  Versuch  n,cn  zu  verteidigen 
beim  Ref.  a.  0.  S.  264;  vgl.  Tank,  De  trist.  Ov.  rec.  seilt  controv.  V: 
'Phoebe  .  .  ad  tuaa  laudes  vorba  mea  flecte.  sc  orat  poeta,  ut  Apollo 
divino  sese  (poetam)  spiritu  impleat,  ne  indigne  <uas  (Apollinis,  non 
Augusti  aut  Messalae)  laudes  cantet'].  I  4,  15  schlägt  Vahlen  vor: 
Sin:  ne  te  capiant  coli.  Priap.  31,  3  [doch  vgl  Vahlen  Sitzungsber.  der 
Berl.  Ak.  1882  S.  267  (7)|.  RitscbTs  Umstellangsversuche  in  diesem 
Gedichte  [Kgl.  Sachs.  Soc.  d.  Wissensch.  26  Mai  L866]  werden  in  ein- 
gehender Analyse  als  unrichtig  nachgewiesen  Der  Poesie  des  Dibullus, 
in  dessen  Elegien  sich  hin  und  wieder  gleichzeitige  Versgruppen  ohne 
Schwierigkeit  absondern   lassen,    ist  Alexandrinische   Symmetrie  fremd, 


170  Catull  und  Tibull.     Vahlens  Ausgaben  und  Abhandlungen. 

Bfe  beweg!  Bich  wie  ein  sanfter  Wellenschlag,  dessen  Auf  und  Ab  man 
noch  empfindet,  .'Mich  wenn  einmal  eine  Welle  weiter  ausgreift'.  Vgl. 
E.  Hübner,  Hermes  14,  807f.—  Auch  in  1  i  beruhen  alle  Umstelluogs- 
yersucbe  auf  unrichtiger  Auffassung  des  Gedankenganges.  Der  1: 
rung  bedarf  v.  25.  Die  Lesarten  von  Lacbmann  und  ron  Haupt  lassen 
ein  Bedenken  ungelöst:  Der  8atz  modo  possim  (si  possum)  contentos 
vivere  parvo  drückt  nur  die  eine  Hälfte  dessen  aus,  was  Tibull  füi 
Leben  wünscht,  und  nicht  diejenige  Hälfte,  welcher  der  Gegensatz  des 
nächsten  Verses  dient,  nee  semper  longae  deditus  osse  viae,  und  die  in 
den  weiter  folgenden  anschaulicher  ausgeführt  wird.  Zu  Lesen  ist:  iam 
modo  inera  possim  contentus  vivere  parvo.  Da  die  Analyse  des  Ge- 
dichtes, durch  die  alle  Umstellungen  mit  Evidenz  als  falsch  erwiesen 
werden  [Nachträge  bei  Leo  a.  0.  S.  29 1,  sich  nicht  mit  kurzen  Worten 
skizzieren  Infst,  so  sei  nochmals  die  Lektüre  dieser  bahnbrechenden 
Arbeit  allen  Freunden  Tibulls   dringend  empfohlen. 

7.  Ca t ulli  Tibulli  Propertii  carminaaMauricio  Haupt io 
recognita.  Editio  quinta  ab  Johanne  Vahleno  curata.  Lipsiae.  Hirzel. 
MDCCCLXXXV.  12.  372  S. 

8.  J.  Vahlen,  (De  Propertio  et  Tibullo)  Ind.  leett.  Berol. 
hib.   1886/87.   18  S.  4. 

Über  den  aufserordentlicben  Wert  der  neuesten  Leistung  dieses 
grofsen  Kritikeis  sind  alle  Freunde  römischer  Poesie  einig.  Vahlen  ist  wahr- 
lich von  Gottes  Gnaden  Nachfolger  Haupts:  in  seinem  Geiste  hat  er  das 
Werk  weiter  geführt,  ja  an  Feinheit  und  Schärfe  der  Interpretation  ihn 
zuweilen  übertroffen.  War  schon  in  der  vierten  Auflage  Vahlens  Kritik 
bestrebt,  sich  noch  enger  an  die  Überlieferung  anzuschliefsen,  als  selbst 
Haupt  für  möglich  bielt,  so  tritt  diese  Tendenz  in  der  fünften  noch  viel 
deutlicher  und  konsequenter  hervor.  Dafs  Vahlen  übrigens  von  aber- 
gläubischer Verehrung  des  Buchstabens  weit  entfernt  ist,  hat  er  wieder- 
holt gezeigt:  mancher  inveterierte  Scbaden,  den  Niemand  beachtet  hatte, 
ist  mit  sicherer  Hand  gebeilt.  Indem  ich  die  Aufzählung  der  neuen 
Lesarten  im  Properz  dem  Herrn  Ref.  überlasse,  der  für  mich  einzutreten 
die  Güte  hatte,  wende  ich  mich  zu  Catull  und  Tibull.  Änderungen  der 
Interpunktion  sind  nur  berücksichtigt,   wenn   sie  den  Gedanken  ändern. 

1.  Catull.  Dafs  Vahlen  dem  cod.  Oxoniensis  gegenüber  eine  im 
Ganzen  reservierte  Haltung  beibehalten  hat,  ist  unbedingt  zu  billigen. 
An  einigen  Stellen  wird  man  bescheidene  Zweifel  äufsern  dürfen.  Dafs 
Vahlens  Entscheidung  stets  sorgsam  erwogen  und  nie  kurzer  Hand  ab- 
zuweisen ist,  bedarf  kaum  der  Versicherung.  —  4,  20  vocaret  aura 
(f.  vagaret,  vgl.  ind.  lect.  aest.  Berol.  1882.  S.  6  sq.  Für  vocaret  auch 
Munro  Crit.  S.  17  u.  23.  Palmer  Hermath.  VI  304.).  -  21,  1.  10;  23,  14 
esuritionum ,   esurire,  esuritione  (essuritionurn  u    s.  w.       ).   30   die    Verse 


Catull  und  Tibull.     Vahlens  Ausgaben  und  Abhandlungen  171 

4 — 5  sind  jetzt  als  an  den  Scblufs  gestellt  bezeichnet.  37,  10  sopionibus 
(scorpionibus).  —  51,  11 — 12  gtmina  tegtmtur  lumina  nocte  (geminae, 
1. 1.  n.).  —  55,2  demovstres  (demostres).  55,  22  vestri  (vostri,  aber  cf.  61,209. 
66,  87).  —   63,  63  Komma  vor  mulier  (vgl.   oben   zu  Riese's  Ausgabe). 

—  64,  109  omnia  frangens  (obvia).  —  64,  179  pontl  (pontum).  -  -  64 
quae  tum  prospectans  (quae  tarnen  adspectans).  64,  273  leviterque  so- 
nant  ( leni  resonant).  —  64,  276  sie  tum  (sie  ibi).  —  66,  59  4-  hi  dii 
ven  ibi  vario  (ardui  ibi  vario).  —  66 ,  77  quicura  ego,  dum  virgo  quon- 
dam  fuit,  omnilus  expers  Unguenth,  una  milia  multa  bibi  (quicum  ego, 
dum  virgo  quondam  fuit  +  omnibus  expers,  uuguenti  Syrii  milia  multa 
bibi,  cf.  Hermes  1880  S.  269).  —  66,  91  ne  siris  (non  siris).  —  67,  12 
verum  istis  populis  ianua  quieque  facit  (verum  istud  populi  fabula,  Quinte, 
facit);  quieque  Itali.  —  68,  28  quod  hie  quisquis  iquivis).  —  68,  43  ne  fu- 
giens,  mit  veränderter  Interpunktion  in  42  und  44  (nee  fugiens).  — 
68,  141  atqui  nee  (at,  quia  uec).  —  68,  142  tremidi  tolle  (tremulist  illa). 

—  68,  145  mira  munuscula  (rara).  —  76.  11  animo  offirmas  (adfirmas), 
107,  8  Zeichen  des  Ausrufs  statt  dessen  der  Frage. 

2.  Tibull.  I  l,  46  contiruässe  (detiuuisse,  cf.  Rothstein,  de  Tibulli 
codd.  S.  41).  —  I  1,  72  capite  (capiti).    —   I  6,  66   Ula  tum  (ille  tuus). 

—  19.  31  non  uUo  divitis  auri  coni.  Vahlen  (nullius  divitis  auri).  — 
I  10,  46  sub  iuga  enrva  (panda,  cf.  Rothstein  S.  95  und  meine  Bern,  in 
Berl.  Phil.  W.  1885  No.  19).  I  10,  47  Pax  (pax).  —  II  1,  47  rtire 
terunt  messes  coni.  Vahlen  (rura  ferunt  messes).  —  II  2,  17  vota  cadunt: 
utinam  (vota  cadant  utinam).  —  II  3,  54  Komma  nach  texuit.  —  II  5, 
21—38  nicht  in  Parenthese.  -  II  5,  68  Grata  quod  admonuü  (Graiaque 
quod  moiiuit).  -  II  5,  76  eqnos  (equo,  Druckfehler).  —  Lygdam.  2,  24 
dives  et  Assyria  (pinguis  et  Assyria).  Lygd.  4,  1  mihi  somnia  (in- 
somnia).  —  Lygd.  4,  3  vani  (vanum).  -  Lygd.  4,  4  in  vanis  coni.  Mure- 
tus  (in  nobis).  —  Lygd.  4,  64  tende  fide  (prece).  —  Lygd.  4,  66  ver- 
bera  saeva  (verbera  posse.).  —  Lygd.  6,  45  »e,  vorher  Kolon  (nee). 
Lygd.  6,  46  fide  (prece).  -  IV  1,  92  possit  et  (possitve).  —  IV  1,  96 
venia t  gravis  (grandis  venit).  —  IV  1,  112 b  namque  senex  longae  pe- 
ragit  dum  tempora  vitae  aus  Baehrens'  codd.  aufgenommen.  IV  2,  23 
haec  sumet  in  annos  (hoc  sumite  in  annos).  I\'  4.  6  paüida  memhra 
(Candida).  -  IV  6,  15  praeeipit  et  (praeeipiat).  —  IV  6,  18  statt,  des 
Kommas  hinter  velit  ein  Punkt.  I^T  6,  19  sit  iuveni  grata,  ei  (für  si, 
iuveni  gratae,  nach  Heyne's  ansprechender  Konj.,  cf.  Rothstein  S.  15  not. 
Ähnlich  A.  Otto  ZfGW.  1885  S.  225  Sit  iuveni  grata,  ut  .  .  .  --  Vor 
VIII  ist  die  Überschrift  8ulpicia  weg  gelassen. 

Die  meisten  Änderungen  im  Tiboll  beruhen  auf  Losarten  der  von 
Baehrens  benutzten  Handschriften  (0).  Einige  von  ihnen  sind  im  Ind. 
leett.  Berol.  hib.  1886/87  (No.  8)  eingebend  und.  wie  nicht  anders  zu 
erwarten  war,  meisterhaft  begründet  worden. 

Nach    Behandlung    verschiedener   Stellen    im    Propertius,    wo    di« 


172         Cat.ull   und  Tiball.     Vahleni  Ausgaben  and  Abhandlungen 

Wiederholung  desselben  Wortes  eicht  für  anstöfsig  erachtet  werden  darf. 
wendet  sich  Verfasser  ähnlichen  Erscheinungen  bei  Tibull  zu  iVgl.  des 
Ref.  Studien  zu  Ovids  Metamorphosen.  Berlin.  ibk7  s.  28).  Lygdam. 
•1,  66  ist  mit  dem  frgmt.  Cuiacianum  zn  Lesen: 

Saovns  Amor  doenil  validos  temptare  labores. 
Sapvu^  Amol'  doeuit  verbera  saeva  pati. 
Das  verbera  potse  pati  der  übrigen  Handschriften,  an  sich  tadel- 
los, ist  Interpolation  [cf.  Rothstein.  De  Tib.  codd.  S.  5].  Im  vorher- 
gehenden Verse  64  mufs  mit  der  guten  I  berliefernng  gelegen  worden 
fide  (nicht,  prece),  und  ebenso  6,  47,  (obwohl  hier  die  Pariser  Kxzerpte 
iwece  bieten).  Fides  steht  hier  wie  Prop.  I  18,  18.  Verg  Aen.  6,  459. 
Ilor.  c.  III  24,  59  =  obseciatio  Beteuerung.  Lygd.  4,  3-  4  liest  Vablen: 
Ite  proeul,  vani  (so  die  besseren  Handschriften  und  Lachmann),  falsum- 
que  avertite  visum.  Desinite  in  vani*  (Muret)  quaerere  velle  fidem.  Mit 
vani  sind  somni  angeredet.  Dafs  die  Anrede  in  der  Formel  ite  proeul 
oder  este  proeul  nie  fehlt,  wird  durch  Beispiele  erwiesen.  Zu  in  vanis 
heilst  es:  quippe  poeta  iubet  homiues  desinere  (id  quod  facere  solent) 
fidem  quaerere  in  vanis,  quae  fidem  non  habent'  [Freilich  ist  dabei  die 
Anrede  vani  an  ein  aus  somnia  zu  entnehmendes  somni  und  der  neue 
Subjektswechsel  in  Desinite  bedenklich:  Di  meliora  ferent  —  ite  proeul 
(somni).  —  Desinite  (homines)].  -  In  IV  4,  23  verteidigt  Vahlen  das 
handschriftliche  iam  celeber,  iam  laetus  eris  gegen  Haupt's  Konj.  lautus 
obwohl  nicht  mit  voller  Entschiedenheit  |  Ref.  ist  hier  noch  nicht  über- 
zeugt: laetus  führt  doch  wohl  ein  fremdes  Element  in  den  Gedanken 
ein  und  pafst  nicht  recht  zu  celeber].  Mit  Recht  wird  in  v.  6  das 
handschriftliche  neu  notet  informis  pallida  membra  color  gegen  das 
interpolierte  Candida  gehalten:  nam  quod  pallida  membra  informi  co- 
lore,  qui  ipse  pallor  est,  notari  dicit,  poetarum  more  loquitur,  qui  id 
quod  efficitur  tamquam  effectum  epitheto  designant'.  —  Tib.  I  7,  13 
das  handschr.  tacitis  leniter  undis  mit  Glück  gegen  Lachmanns 
tactis  .  .  ulvis  geschützt  coli.  Prop.  II  25,  23.  Ov.  Metam.  XI  46.  Tib. 
IV  2,  17.  —  Lygdam.  4,  25  wird  die  schon  in  der  vierten  Auflage 
rezipierte  handschr.  Lesart  verteidigt:  non  illo  quiequam  formosius 
ulla  priorum  Aetas,  humanuni  nee,  videt,  illvd  01ms.  Es  ist  zu  kon- 
struieren: non  illo  quiequam  formosius  ulla  priorum  aetas  videt,  nee 
humanuni  illud  opus.  Zum  Praesens  videt  wird  verglichen  Prop.  IV  4,  54. 
IV  1,  77.  Verg.  Aen.  VII  363.  IX  264,  zu  der  ungewöhnlichen  Stellung 
des  zum  ersten  Gliede  gehörigen  Verbums  ins  zweite  Catull  44,  9.  Lucr. 
VI  176.  Hör.  ep.  II  2,  21.  Ov.  fast.  III  384.  Metam.  XI.  536.  Aa.  I  399. 
Rem.  am.  641.  Ref  gesteht  in  aller  Bescheidenheit,  dafs  er  noch  nicht 
überzeugt  ist:  1)  Es  ist  nicht  die  Verstellung  des  Verbums  allein,  die 
Anstofs  erregt ,  sondern  eine  Kumulation  von  Seltsamkeiten  ( die  Ver- 
stellung, das  Praesens,  das  Fehleu  eines  Verbums  im  zweiten  Gliede), 
die  den  Ausdruck  ganz  unverständlich  macht.     In  allen  andern  zitierten 


Catull.     Ellis'  Ausgabe.  173 

Beispielen  kann  über  die  Absiebt  des  Schriftstellers  kein  Zweifel  sein. 
2)  Die  Ausdrucksweise  des  Lygdamus  ist,  übereinstimmend  mit  der  Dürf- 
tigkeit des  Inhaltes,  durchaus  plan  und  einfach,  jedem  höheren  Fluge 
abhold.  Es  gibt  bei  ihm  sonst  kein  Beispiel  einer  nur  entfernt  ähn- 
lichen Kühnheit  in  der  Wortstellung.  3)  Das  zweite  Glied  scheint  min- 
destens ebenso  bedenklich  wie  das  erste  (Vahlen  berührt  diesen  Punkt  gar 
nicht}.  Zu  nee  humanuni  illud  opus  ist  doch  wohl  est  zu  ergänzen  —  oder  was 
sonst?  Wie  kann  denn  aber  von  dem  wunderschönen  lorbeerbekränzten  Jüng- 
linge gesagt  werden  nee  humanuni  illud  opus'?  Der  Jüngling  ist  kein 
Meuschenwerk!  heifst  das  er  ist  nicht  von  Menschen  gezeugt'?  Aber 
wer  hat  je  so  gesagt?  Wer  mag  sagen,  ob  Lachmanns  geniales  heroum 
nee  tulit  ulla  domus  die  Hand  des  Dichters  trifft?  Aber  selbst  wenn 
dem  nicht  so  wäre,  würde  dadurch  die  Richtigkeit  der  Überlieferung 
noch  nicht  erwiesen.  Vgl.  Vahleus  schöne  Worte  (S.  16):  c  Difficillimura 
videtur  dicere  quid  in  talibus  genuinum  haberi  oporteat,  quid  non  opor- 
teat:  nisi  quis  quae  probabili  modo  corrigi  possunt ,  non  ferenda,  quae 
non  possunt,  ea  ferenda  instat'. 

9.  Catulli  Veronensis  über,  iterum  recognovit,  apparatum 
criticum  prolegomeua  appendices  addidit  R.  Ellis.  Oxford  1878. 
LXXVII  und  410  S.   8. 

K.  P.  Schulze,  Anzeige  von  Ellis'  Ausgabe,  N.  Jahrbb.  1880, 
S.  125-135. 

Die  erste  Auflage  von  Ellis'  voluminöser  Ausgabe  darf  als  bekannt 
vorausgesetzt  werden.  Die  Abweichungen  der  zweiten  sind  nicht  so  be- 
deutend, wie  man,  nachdem  inzwischen  Baehreus'  Ausgabe  erschienen 
war,  annehmen  durfte  Mit  Baehreus  vornehmlich  setzt  sich  Ellis  denn 
auch  in  der  Praef.  zu  ed.  II  auseinander.  Der  Vorwurf  vou  Baehrens, 
fast  keine  Seite  in  Ellis  erster  Ausgabe  sei  ohne  falsche  Lesarten  aus  Ü, 
wird  als  in  erregtem  Tone  als  unbegründet  bezeichnet  und  nachgewiesen, 
dafs  auch  des  Ersteren  Kollation  Unrichtigkeiten  enthalt.  Baehrens 
habe  nur  das  Verdienst  als  cprimus  Germanorum'  den  Oxoniensis  ge- 
bührend beachtet  zu  haben  u.  s.  w.  Unerquickliche  Polemik  über  die 
Prioritätsfrage  zwischen  R.  Ellis  u.  H.  Nettleship  Academy  Nu.  315, 
440--441.  316,  365.  317,  489.  Es  folgen  mit  Zusätzen  und  Änderungen 
die  Prolegomena  der  ersten  Ausgabe.  Fast  ganz  neu  sind  die  Er- 
örterungen auf  S.  XXI — XXX.  Es  werden  Stellen  verzeichnet,  au  denen 
G  und  0  '  contra  ceteros  Codices  ita  conspirant,  ut  maiorem  antiquitatem 
testentur',  sowie  Stellen,  wo  0  Besseres  bietet  ah  Gr.  Vorzüge  von  Ü 
bestehen  auch  darin,  dafs  er  die  vv.  t>7,  21  languidior  tenera  cui  pen- 
deus  sicula  beta  und  68,  16  ioeundum  cum  aetas  florida  ver  ageret  nur 
einmal  (au  falscher  Stelle)  enthält,  dafs  92,  3—1  nicht,  wie  in  ti  und 
den  meisten  andern  Handschriften,   ausgelassen   sind.     Aus   dein  Fehleu 


]74  Catull.     E1IU'  Ausgabe. 

der  Überschriften  in  0  ist  dagegen  nichts  zu  folgern,  da  die  Spatia  für 
elben  vorbanden  sind:  Der  Schreiber  hatte  sie  absichtlich  über- 
gangen,  um  sie  farbig  zu  malen,  unterlieft  dies  aber  Bpäter  ;nh  irgend 
einem  Grunde.  Au  andern  Stellen  wieder  ist  0  entschieden  weiter  vom 
Richtigen  entfernt  als  G  und  andere  Handschriften  (vgl.  10,  26.  25,  2. 
64,  lü.  77.  139.  270.  273.  355.  66,  3.  80,  6.  18,  8).  Alsdann  werden 
besprochen  die  duplices  Bcripturae  in  0  und  G  (sive  altera  alteri  Buper« 
scriptae  Bive  in  contextu  appositae  sive  denique  in  margine  adscriptac 
fuerunt').  Solche  Varianten  sind  in  0  viel  seltener  als  in  G  |  vgl.  M. 
Bonnet,  rev.  crit.  1877  No.  4.  1$.  Schmidt,  Jenaer  LZ.  1878  No.  14]. 
Demnach  stammen  angeblich  0  und  G  aus  zwei  Abschriften  von  V,  sind 
also  nicht  unmittelbar  aus  V  abgeschrieben.  Die  Doppellesarten  standen 
in  V  noch  gar  nicht.  Sie  sind  als  Konjekturen  der  Schreiber  anzu- 
sehen, als  Leseversuche  schwer  zu  entziffernder  Worte.  Die  Vorlage  von  0 
hatte  nur  wenige  solcher  duplices  scripturae,  die  von  G  viel  mehr  Das 
Original  von  G  ist  jünger  und  weniger  zuverlässig  [vgl.  übrigens  F.  Scholl. 
N.  Jahrbb.  1880  S.  494-495].  Dafs  G  nicht  Quelle  der  jüngeren 
Handschriften  ist,  wie  Baehrens  glaubte,  wird  S.  XXIX  aus  einer  Reihe 
von  selbständigen  Lesarten  in  den  letzteren  nachgewiesen.  —  Der  Text 
ist  nicht  wesentlich  verändert.  Im  kritischen  Apparate  sind  jetzt  die 
Lesarten  von  0,  von  denen  früher  nur  eine  Auswahl  geboten  wurde, 
fast  vollständig  aufgeführt  [nicht  ganz;  vgl.  K.  P.  Schulze  1.  c.  S.  135 
und  jetzt  Schwabens  Angaben  [.  Leider  hat  der  Herausgeber  nicht  ver- 
sucht, ihn  einfacher  zu  gestalten:  Haufen  wertloser  Varianten  aus  wert- 
losen Handschriften  erschweren  die  Übersicht  ungemein.  Von  Konjek- 
turen neuerer  Kritiker  ist  Manches  nachgetragen,  anderes  nicht.  Ein 
bestimmter  Plan  in  der  Auswahl  scheint  dem  Herausgeber  nicht  vor- 
geschwebt zu  haben.  Auf  die  verunglückte  Abhandlung  de  aequabili 
partitione  carminum  Catullianorum',  die  aus  der  ersten  Auflage  sattsam 
bekannt  ist,  folgen  die  Exkurse,  hin  und  wieder  mit  Änderungen  und 
Zusätzen  (namentlich  werden  Munro's  Ansichten  registriert  resp.  be- 
kämpft ).  Neu  ist  ein  sorgfältiger  iudex  verborum  und  das  Faksimile 
eines  Blattes  vom  Oxoniensis  (mit  den  Versen  64.  336  —  366).  —  Ref. 
glaubt,  dafs  diese  neue  Ausgabe  trotz  ihres  gewaltigen  Apparates,  trotz 
der  auf  den  ersten  Blick  imponierenden  Gelehrsamkeit  des  englischen 
Forschers  doch  nur  einen  kleinen  Fortschritt  in  der  Kritik  des  Catullus 
bezeichnet. 

K.  P.  Schulze  erklärt  sich  in  seiner  Rezension  gegeu  Ellis'  An- 
nahme, dafs  0  und  G  aus  zwei  verschiedenen  Kopien  von  V  stammten, 
und  meint,  sie  seien  direkt  aus  V  abgeschrieben.  Die  meisten  Doppel- 
lesarten standen  schon  in  V.  'Wie  sollten  sonst  0  und  G  zu  denselben 
Varianten  kommen?  cf.  10,  9.  12,  4.  15,  11.  23,  2.  Auch  64.  145  wird 
die  duplex  scriptura  apisci  adipisci  schon  in  V  gestanden  haben'.  [Aber 
Schwabe  bemerkt  zu  St.  litteras  di  suppuuxit  et  superscripsit  pro  adi- 


Catull.     Die  Handschriften  nach  Ellis'  Ausgabe.  175 

pisci  manus  altera].    c0  Dahm  im  Allgemeinen  nur  das  im  Text  selbst 
Stehende  aus  V  herüber.     Am  Anfang  begann  er  auch  Randglossen  mit 
abzuschreiben;  dies  ward  ihm  aber  bald  zu  viel,  so  dafs  er  es  nach  den 
ersten   Gedichten   vorläufig  aufgab,    um    es    etwa  später   nachzutragen. 
0  macht  überhaupt  einen  unfertigen   Eindruck',     [cf.  Baehrens  prolegg. 
S.  XXXVIIL]  Der  Schreiber  von  G  schrieb  dagegen  nicht  nur  alle  Varianten 
aus  V  ab,  sondern  fügte  auch  neue  aus  eigener  Erfindung  hinzu.    [Hiernach 
stünde  also  nur  für  die  wenigen  Fälle,  wo  0  und  G  übereinstimmende  duplices 
scripturae  haben  —  namentlich  für  23,  2;  vgl.  B.  Schmidt  Jen.  Litz.  1878, 
210  —  die  Provenienz  aus  V  fest.  Über  die  nur  in  G  vorhandenen  bliebe  Alles 
unsicher.     War  übrigens  der  Schreiber  von  0  wirklich  der  rein  mecha- 
nische Kopist,  für  den  man  ihn  ausgibt,  würde  er  schwerlich  so  selbst- 
ständig  verfahren   sein.]     Die   Verse   67,  21   und  68,  16  standen    in  V 
zweimal,  an  ihrer  richtigen  Stelle  und  hinter  64,  386  resp.  68,  49.   0  hat 
sie    nur    einmal    au    falscher  Stelle.     Den    ersten    liefs   der   bedächtige 
Schreiber  vun  0  weg,  weil    er  sich  erinnerte   den   Vers   bereits   früher 
geschrieben  zu  haben,  den  zweiten  übersah  er  an  seiner  richtigen  Stelle 
vielleicht  weil  er  am  Ende  einer  Seite  stand.   Zum  Zeichen,  dafs  etwas 
fehle,  malte  er  beide  Male   ein  Kreuz  an   den  Rand      [Aber  wie   reimt 
sich    das    mit  der   kurz    vorher  gegebenen   Charakteristik    eben    dieses 
Schreibers  cer  malte  ruhig  ab  was  dastand,  mochte  es  Sinn  geben  oder 
nicht'?  Und  wenn  er  einen  Vers  übersah,  warum  malte  er  —  nachträg- 
lich, nachdem   er  seinen  Fehler  bemerkt   hatte?  —   ein   Kreuz   an  den 
Rand    und  trug  den   übersehenen  Vers   nicht  lieber  nach?    Viel   wahr- 
scheinlicher ist  es  doch,  dafs  wir  in  diesem  Kreuze,    von  dem  übrigens 
Schwabe  gänzlich  schweigt,   das  Zeichen   eines  Lesers   zu   sehen   haben, 
der  67,  21  und  68,  16  das  Verhandensein   einer  Lücke   bemerkte].    — 
Ellis  war  der  Ansicht,  die  jüngeren  Handschriften  (deteriores)  stammten 
nicht  alle  aus  G  (wie  Baehrens  wollte),   G   und  viele   derselben   gingen 
vielmehr  nur    auf  eine   gemeinschaftliche   Abschrift    von  V  zurück.     Im 
Gegensatze  dazu  behauptet  Schulze:  'Ich  bin  mit  Baehrens  der  Ansicht, 
dafs  G  und  0  aus  einer  Quelle  stammen,  und  dafs  die  deteriores  sämt- 
lich auf  G  zurückgehen  und  deshalb  die  ihnen  eigentümlichen  Lesarten 
nur  den  Wert  von  Konjekturen  haben'.   Um  dies  zu  erweisen,  wird  ver- 
sucht die  von  Ellis  S.  XXIX  citierten  Stellen,  wo  die  deteriores  gegen 
0  zusammen  stehen,  teils  zu  einfachen  Schreibfehlern,   teils  zu  Interpo- 
lationen  des    in   G   vorliegenden   Textes    zu    stempeln.     Eine    offenbare 
Interpolation  soll  z.  B.  15,  16  noatrorum   sein.    Der  Schreiber  [der  Kopie 
von  G,  ans  welcher  die  deteriores  stammen?]  verstand  das  nostrum  nicht 
und    änderte    deshalb    in   nostrorum.   [? Übrigens    hat    auch   (>   nogtrorum. 
Hat  sich  nun  der  mechanisch  die   Schriftzüge  seines   Originales   nach- 
malende Schreiber   von   0  eine    so   offenbare   Interpolation    gestattet?) 
Auch   die  dem   Datanus   eigentümlichen  Lesarten    sind    angeblich    teils 
Schreibfehler,  teils  Interpolationen.     [Aber   gerade   die  wichtigsten  der- 


176  Catuli.    Aasgabe  von  üigli. 

selben  Bind  unbesprochen  geblieben,  z.  I*.  66,  83  petüit  fttr  Colitis;  vgl. 
auch  Jahresb  d.  Ph  7er.  V  B.  818  und  Sydow  de  rec.  Cat.  carm.  S.  74  f . j . 
Seine  Sätze  über  die  deteriores  hall  übrigens  Schulz:  aiiM-heim-nd  selbst 
nicht  mehr  aufrecht.  Vgl.  Rom.  Eleg.8  8.  VI.]  Erwähnt  Bei  bei  dii 
Gelegenheit  eine  Notiz  von  R.  Ellis  Academj  No.  268,  659—660  über 
die  langsame  Verbreitung  des  wiedergefundenen  über  Catulli.  A.  Bei 
delli's  Hermapbroditus  ist  wahrscheinlich  1410—1416  geschrieben  ediert 
nach  Schwabe  ed.a  S.  XVII  erst  1426).  Hier  steht  in  IIb.  II  ein  Ge- 
dicht ad  Galeaz,  welches  beweist,  dafs  Abschriften  von  Catulls  Gedichten 
damals  sehr  schwer,  mitunter  gar  nicht  zu  erlangen  waren.  Abgedruckt 
jetzt  bei  Schwabe  a.  0.  Ebenda  auch  verschiedene  Catullreminiszeuzen 
aus  dem  Hermaphroditus. 

10.  I  carmi  di  C.  Valerie-  Catuli o  Veronese  noveliamente 
espurgati,  tradotti  ed  illuslrati  per  uso  delle  scuole  Italiane  da  Angelo 
Gigü.     Roma.   1880.  VIII  und  268  S.   8. 

Die  Ausgabe  ist  für  den  Gebrauch  in  italienischen  höheren  Schulen 
bestimmt,  sie  hofft  (nach  Vorrede  S.  VII)  zu  sein  '  una  edizione  espur- 
gata  la  piü  abbondante,  la  meglio  ordinata,  la  piü  corretta  di  quante 
fin  qui  videro  la  luce  in  Italia'.  Unseren  Vorstellungen  von  einer  Schul- 
alisgabe entspricht  sie  jedoch  in  keiner  Weise.  Wir  suchen  in  einer 
solchen  nicht  eine  dem  lateinischen  Texte  gegenüberstehende  Über- 
setzung, die  uns  hier  geboten  wird;  wir  suchen  dagegen  sprachliche  und 
sachliche  Erläuterungen,  und  diese  fehlen  gänzlich.  —  Auf  die  Vorrede 
folgen  Prolegomeua  über  Catulls  Leben,  seine  Gedichte,  seine  Zeitge- 
nossen. Neue  Resultate  für  die  Wissenschaft  enthalten  sie  nicht.  Nur 
eins  sei  erwähnt.  Verf.  vermutet,  dafs  den  Dichter  ein  schweres  Zer- 
würfnis mit  seinem  Vater  aus  der  Heimat  trieb.  Näheres  darüber  sagen 
angeblich  die  Verse  64,  400-401  optavit  genitor  primae  vi  funera  nati 
Liber  ut  innuptae  poteretur  flore  novercae.  Das  sei  eine  Vorstellung 
ccosi  determiuata,  cosi  speciale  e  poco  comune,  che  la  si  direbbe  sug- 
gerita  al  poeta  da  casi  avvenuti  sotto  i  suoi  occhi  e  nella  stessa  sua 
famiglia'.  Dadurch  finde  auch  die  auffällige  Thatsache,  dafs  Catuli  sei- 
nen Vater  nie  nenne,  ihre  Erklärung.  Nun  mag  dies  Schweigen  des 
Dichters  befremden;  die  Schlüsse,  welche  hier  daraus  gezogen  werden, 
sind  sicher  unzulässig.  Weder  ist  jene  Ausmalung  speciale  e  poco  co- 
mune (man  denke  au  Theseus  und  Hippolytus),  noch  ist  die  frühe 
Übersiedlung  des  Dichters  nach  Rom  im  Geringsten  auffällig.  Ungern 
sieht  man  auf  S.  6  uud  sonst  noch  immer  den  Prätor  Memmius  Ge- 
m eil us  spuken.  Es  folgt  der  Text  in  zwei  Abteilungen  gesondert: 
I.  poesie  maggiori.  A  Sülle  nozze  di  Peleo  e  di  Teti.  Poemetto  di 
genere  epico.  B.  Elegie.  C  Liriche.  II.  Epigramm i.  A.  Amorosi 
B.  Scherzevoli  e  famigliari.  C.  Mordaci.  D.  Varii.  Die  überlieferte 
Ordnung  ist  also  umgestofseu.      Zwar  sind  die   alten  Nummern  der  ein- 


Catull.    Gigli's  Ausgabe.  177 

zelnen  Gedichte  angegeben,  aber  unbegreiflicher  Weise  nicht  die 
Versziffern,  selbst  in  Gedichten  gröfseren  Umfanges,  selbst  in  c  64. 
nicht.  Es  ist  daher  nur  mit  Hilfe  anderer  Ausgaben  möglich  sich  zu 
orientieren,  und  auch  das  mühsam  genug.  Zahlreiche  Nuditäten  und. 
Obszönitäten  liefsen  bisher  immer  nur  einen  kleinen  Teil  von  Catulls 
Gedichten  als  geeignet  für  die  Schule  erscheinen.  Verf.  erklärt  dagegen 
mit  Stolz,  es  sei  ihm  gelungen  von  den  116  Nummern  des  über  Catul- 
lianus  nicht  weniger  als  90  für  die  Schule  lesbar  zu  machen.  Das  ist 
wahr.  Aber  um  welchen  Preis!  Der  Text  ist  durch  eine  Unzahl  keuscher 
Verbesserungen  (die  übrigens  sämtlich  durch  fette  Schrift  kenntlich  ge- 
macht sind)  förmlich  kastriert,  abgesehen  von  Auslassungen  ganzer  Verse 
und  Versgruppeu.  Aus  24,  1  o  qui  flosculus  es  Iuventiorum  ist  ge- 
worden o  q  u  a  e  flosculus  es  p  u  e  1 1  u  1  a  r u  m.  c.  83,  1  heifst  bei  Gigli  Lesbia 
mi  coram  patruo  mala  plurima  dicit.  Fabullus  soll  in  c  13  mitbringen 
bonam  atque  magnam  Cenam,  non  sine  candido  sodali!  In  c.  42  klagt 
der  Dichter  'Iocum  me  putat  esse  saga  turpis  u.  s.  f.  In  c  103  wird. 
Silo  ermahnt  aufzuhören  für  esse  atque  idern  saevus  et  indomitus  (sind 
diese  Eigenschaften  wirklich  mit  dem  Diebshandwerk  unvereinbar?).  In 
c.  25  wird  jener  diebische  Lüstling  so  apostrophiert  'Venuste  Thalle, 
mollior  cuniculi  capillo  .  .  .  Vel  pelle  languida  senis'!  Manches 
klingt  wie  Parodie.  Aus  der  Einladung,  mit  der  Catull  in  c.  32  ein 
lüderliches  Dirnlein  beehrt  (Amabo,  mea  dulcis  Ipsitilla)  ist  geworden: 
Amabo,  pater  omnium  leporum,  meae  deliciae,  diserte  Calve,  .  .  . 
paresque  nobis  quod  ludamus  identidem  et  bibamus'.  Die  vier  ersten 
Verse  von  56  (0  rem  ridiculam,  Cato,  et  iocosam  .  .  .  Res  est  ridicula 
et  nimis  iocosa)  sind  Einleitung  von  c.  10  Varus  me  meus  ad  suos 
amores!  Koch  toller  ist  die  Zusammenziehung  von  59  und  60:  Bono- 
niensis  rui'a 

Cum  devolutum  ex  igne  prosequens  pauem 

Ab  semiraso  tunderetur  ustore 

His  lacrimalis  est  misera  vocibutt  questa: 

cNum  te  leaena  montibus  Libystinis, 

Aut  Scylla  latrans  ventris  infima  parte  sq. 
Soll  man  über  den  Unfug  lachen  oder  sich  ärgern?  —  Bisweilen 
ist  der  Herausgeber  aunh  wieder  auffallend  wenig  skrupulös.  Wenn  es 
68,  83  statt  noctibus  in  longis  avidum  saturasset  amorem  heilst  nexi- 
bus  in  longis,  so  ist  es  doch  fraglich,  ob  dadurch  die  Sache  besser  wird. 
Auch  in  c.  61  a.  E.  ist  Manches  stehen  geblieben,  das  sich  nicht  eben 
für  die  Jugend  empfiehlt.  Und  die  Entmannung  des  Attis  im  Anfange 
von  63  gehört  nicht  in  Jugendscbriften.  Sogar  c  23  Furi ,  cui  neque 
servus  est  neque  arca  ist  abgedruckt,  ein  Gedicht,  dessen  grandiose 
Komik    nur   reife    Männer    mit   abgeschlossener    Bildung    verstehen    und 

würdigen   köi n. 

Ein  von  solchen  Verkehrtheiten   wimmelndes  Buch  könnte  in  dieser 

Jahresbericht  für  Alterthumswissenschaft  LI.  (iü87.  II.)  12 


178  Cafull.    Ausgabe  von  (Jigli. 

Zeitschrift  [inbesprochen  bleiben,  wenn  die  Textesgestaltung  Dicht  bin 
und  wieder  Interesse  einzuflößen  vermöchte.  Nicht  als  ob  sie  beson- 
deres Lob  verdiente.  Die  Kritik  des  Herausgebers  zeugt  weder  von  ge- 
nügender Kenntnis  des  catullischen  Sprachgebrauches  Doch  der  ein- 
schlägigen Litteratur  (anscheinend  sind  ihm  nur  Ellirf  und  Bchwabe's 
Arbeiten  bekannt).  Ebenso  ist  er  i.  J.  1880  über  die  Handschriftenfrage 
durchaus  nicht  orientiert  und  steht  auf  dem  eklektischen  Standpunkte 
früherer  Zeiten.  Allein  er  bemüht  sich  doch  eine  selbständige  Haltung 
einzunehmen,  und  einige  seiner  Aufstellungen  verdienen  wenigstens  eine 
Prüfung.  Folgende  Konjekturen  werden  vom  Herausgeber  vorgeschla- 
gen: 64,  23b  wird  ergänzt  progenies  salvete  animumque  advertiie,  quando. 
64,  73  illa  tempestate,  ferox  qua  (ex  tempore  =  improwisamente).  64,  75 
attigit  infesti.  64,  178  anne  tneos  repetam  montes.  64,  205  quo  motant 
tellus.  64,  227  carbasus  obscura  volget  (schlecht).  64,  300  eultricem 
movtivm,  adire  Pelea.  64,  387  templo  in  fulgente  residens  (so  Baehrens. 
Am  Schlüsse  des  Buches  wird  die  Konjektur  als  Druckfehler  bezeichnet! 
Baehrens'  Ausgabe    ist    dem   Herausgeber    anscheinend    nicht    bekannt : 

67,  5  heifst  es  zu  natae  servisse  'io  leggo').  66,  78  unguenti  n  iam. 
66,  50  ferri  effringere  duritiem.  68,  47  wird  ergänzt  laudibus  ut  toto  dum 
vivit  clareat  orbe.  Der  Schlufs  des  c.  68  von  149  an  wird  als  68 c  be- 
zeichnet und  erhält  die  Überschrift  'Epistola  aecompagnatoria  della  pre- 
cedente  elegia'    (Auf  dieselbe  Annahme    ist   jüngst  Riese    gekommen). 

68,  157  nobis  te  iam  dedit  auclor.  76,  21  ei  nimis  obrepens.  63,  54  et 
earum  ut  omne  adirem  furibunda  latibulum.  63,  70  ego  trhtis  algida 
Idae.     62,  32 f.  folgende  Strophen  hergestellt: 

Puellae. 

Hesperus  e  nobis,  aequales,  abstulit  unam. 

Noctivagun  qui  sis  für,   Hespere,    iure  putaris\ 

Namque  tuo  adventu  vigilat  custodia  semper. 

At  iuvenum  coetus  te  eunetis  praetulit  astris. 

Quid  tum  si  laudent   sibi  quem  novere  faventemf 

Hymen  o  Hymenaee,   Hymen  ades  o  Hymenaee. 
Juvenes. 

Ten  furti  insimident,  cuius  male  lumine  in  ipsa 

Nocte  latent  fures?  sq. 
62,  41.  Danach  folgender  Vers  ergänzt  Spiret  uti  suaves  circum 
bene  pictus  odores.  Die  nach  62,  58 b  folgenden  Verse  wurden  der  cCa- 
terva'  zugewiesen  und  im  Anfange  durch  folgenden  Vers  ergänzt:  Te 
petit  ecce  tuo  conivnx  incensus  amore;  At.  61  ,  32 — 33  Nach  voca  inter- 
pungiert,  nach  novi  Interpunktion  gestrichen.  55,  7  femellas  omnes 
manu  prehmdi.  61,  156  ut  potens  et  beata  als  Ausruf  in  Parenthese. 
55,  9  avelletis.  102,  1  commissum  et  fido  ab  amico  est.  91,  3  quin  te 
rognoasem  bene.  30,  10  ventos  irrita  ferre  ut  nebulas.  22,  13  aut  si 
quid  hoc  argutius,     29,  15  quod  obtulit  sinistra   (vorher  keiue  Interpunk. 


Catnll.   Ausgaben  von  Gigli  und  Toldo.  1  79 

lion).  29,  20  nunc  Galliae  teaeiUur  (wie  einst  Ribbeck).  95,  5  Zmyrna 
turnen  Satrachi  patrias  mittetur.  27,  4  ebrioso  acina  ebriosiora  ('all' 
ebbro  date  vino  piü  inebbriante').  59,  1  Bononiensis  rufa,  r vfa,  ni  fallor 
(rufa  nicht,  nom.  propr.,  sondern  Adj.).  In  c  67  (dieses  Gedicht  in  einer 
Auswahl  für  die  Jugend!)  führt  den  Dialog  mit  der  Thür  nicht  der 
Dichter,  sondern  allgemein  'cives  =  alcuni  cittadini'  (wie  verträgt  sich 
aber  mit  dieser  Annahme  v.  12  verum  isti  populo  ianua  quidque  facit?). 
An  vielen  Stellen  sind  Konjekturen  älterer  Kritiker  (bes.  der  Itali,  so- 
wohl aus  geschriebenen  wie  aus  gedruckten  Ausgaben)  in  den  Text  ge- 
setzt, bisweilen  solche,  die  heute  fast  vergessen  waren.  So  64,  16  illa, 
ri/que  haud  alia.  94,  94  immiti  corda  furore.  64,  104  suspendit.  64,  139 
at.  non  haec  quondam,  tum  haec  (Statius).  64,  249  quae  tarnen  aspectans. 
61,  81  tardat.  51,  11  tinniunt  (Muret).  2,  8  tarn  gravis.  75,  3  queam. 
109,  6  alternum.  96,  4  olim  amissas.  39,  9  monendus  es  mihi.  22,  5  in 
palimpsestum.  55,  13  Herculis.  (Heinsius).  64,  273  leni  et  resonaut. 
64,  280  quotcumque  .  .  .  qvot.  66,  35—36  si  reditum  tetulisset  is  haud  in 
tempore  longo  et  .  .  .  addiderit.  68,  91  quae  nempe  et  (Aldine  v.  1502). 
63,  50  o  mea  creatrix.  68,  5  isti  populo  ianua  quidque  facit.  Selten 
(und  dann  fast  immer  unrichtig)  ist  die  beste  Überlieferung  im  Gegen- 
satze zu  den  neueren  Herausgebern  gehalten:  64,  28  Neptvnine.  64,  143 
Tum  iam.  64,  334  contexit.  63,  2  Phrygium  nemus  (Caesius  Bassus)  .  . 
4  u/n.  63,  16  truculentaque  pelagi.  61,  67  adest.  2,  11  tarn  gratum  id 
mihi  (Muret).  66,  9  multis  illa  dearum.  Ebenso  sind  Konjekturen 
Neuerer  nur  selten  rezipiert.  Ich  vermute,  zuweilen  deshalb,  weil  (nach 
den  Anmerkungen  zu  schliefsen)  die  Litteratur  der  letzten  Jahrzehnte 
dem  Herausgeber  ungenügend  bekannt  ist.  Ich  habe  mir  notiert  fulvore 
(Ritschi).  64,  287  Magnessum.  c.  101  ist  nach  Haase's  Transpositionen 
konstituiert.  —  An  verschiedenen  Stellen  ist's  dem  Ref.  nicht  möglich 
gewesen,  die  Provenienz  der  aufgenommenen  Lesarten  zu  ergründen.  Ich 
notiere  66,  83  casti  petilis  quae  iura,  culrilis.  62,  44  nulli  ipsum  pueri  (Druck- 
fehler?). 3,  15  lum  bellum  (Druckfehler?).  114,  3  omnigenos  pisces. 
Sorgfalt  und  Akribie  vermifst  man  in  vielen  Einzelheiten.  Es  wird 
von  Roberto  Ellis,  von  Ritschel,  von  He/se,  von  Haas  gesprochen.  Der 
Vers  64,  127  ist  im  Texte  nachlässigerweise  ausgefallen.  D;is  lange  Ver- 
zeichnis sinnentstellender  Druckfehler  am  Schlüsse  des  Buches  ist  bei 
weitem  nicht  vollständig.  So  steht  z.  B.  S.  68  in  lncu  für  incola.  In 
der  Orthographie  finden  sich  viele  veraltete  Schreibungen  wie  moesta, 
coelestumque,  coeca. 

11.  I  carmi  di  Valerio  Catullo  tradotti  ed  annotati  dal  Prof. 
Luigi  Toldo  con  alcuni  cenni  di  biografia  e  di  bibliografia  premi- 
ati  dall' accademia  dei  lincei.   Imola.  Galeati.    L883.  8    LXIX  u. 

Der  quantitativ  sehr  reiche  Inhalt  des  Buches  besteht  aus  (olgen- 
den Teilen:  1.  Biographie  des  Dichters,  2.  Geschichte  des  Textes,  :\.  v.>r- 

12* 


180  Catull.    Ausgabe  von  Rostend  •Benoist. 

zeichnis  der  Ausgaben,  Monograpbieen,  Übersetzungen  and  Nachahmun- 
gen, 4.  der  lateinische  Text,  5.  gegenObersteheode  italienische  Über- 
setzung, 6.  kurze  Bemerkungen  Ober  die  Metra,  7.  allgemein  orientie- 
rende Einleitungen  (vorwiegend  historischen  Inhaltes)  zu  den  einzelnen 
Gedichten,  8.  Verzeichnis  von  Varianten  und  Konjekturen,  '.).  erklärende 
Anmerkungen,  10.  Verzeichnis  der 'parole  proprio  di  Catullo'.  (Jelungen 
ist  von  alledem  besonders  ilie  Übersetzung:  sie  ist  dem  Ref.  treu, 
fliefsend,  in  schöner  Sprache  and  glücklich  gewählten  metrischen  Formen 
abgefafsl  erschienen.  Sonst  entsprechen  die  Resultate  dem  grofsen  Appa- 
rate  nicht  im  entferntesten.  Das  Buch  bietet  dein  Philologen  weder 
etwas  Neues,  noch  ist  es  als  zuverlässiges  Kompendium  des  bishi 
leisteten  anzusehen.  Viele  Angaben  (besonders  über  handschriftliche 
Lesarten)  sind  unrichtig  resp.  unvollständig  und  ungenau.  Der  Text 
steht  nicht  auf  dem  heutigen  Standpunkte  der  Wissenschaft;  er  ist  teils 
veraltet,  teils  durch  Aufnahme  von  willkürlichen  Interpolationen  (\ov 
Itali  (die  nicht  immer  als  solche  kenntlich  gemacht  sind)  verunstaltet. 
Einige  zwanzig  Gedichte  obszönen  oder  derben  Inhaltes  werden  nicht 
nur  nicht  übersetzt  (dies  möchte  sich  rechtfertigen  lassen),  sondern  blei- 
ben sogar  unabgedruckt.  Es  wäre  zu  wünschen,  dafs  Verf.  sich  ent- 
schlösse, seiner  hübschen  Übersetzung  durch  eine  Separatausgabe  weitere 
Verbreitung  zu  sichern.  Vgl.  für  die  Einzelheiten  des  Ref.  Anzeige  in  der 
Berl.  Ph.  Wocheuschr.  1887  No.  44. 

12.  C  Valeri  Catulli  liber.  Les  poesies  de  Catulle.  Traduc- 
tion  en  vers  fran^ais  par  Eugene  Rostand.  Texte  revu  d'apies  les 
travaux  les  plus  reeents  de  la  philologie  avec  un  commentaire  critique 
et  explicatif  par  E.  Benoist.  Ouvrage  couroune  par  l'Acaciemie  fran- 
caise.  Paris.  1882.  Hachette.  Tome  premier  LXX1X  und  337  S., 
tome  second  XIV  338-516  S.  8. 

Betreffs  der  französischen  Übersetzung,  welche  der  erste  Band 
dieses  fleifsigen  und  wohl  gemeinten  Buches  enthält,  sei  nur  bemerkt. 
dafs  sie  natürlich  in  modernen  Rhythmen  abgefafst  ist  und  dafs  sie  den 
Beifall  competenter  Beurteiler  gefunden  hat.  Von  der  Hand  des  Über- 
setzers ist  noch  eine  vornehmlich  auf  deutschen  Monographieen  beruhende, 
lebendig  geschriebene  cvie  de  Catulle1.  Nur  selten  stöfst  man  an  (S.  L'XI 
C.  Memmius  Gemellus).  Die  Übersetzung  steht  gegenüber  dem  von 
Benoist  revidierten  Texte.  Dieser  bietet  im  Wesentlichen  nichts  Neues. 
Doch  sind  die  textkritischen  Arbeiten  von  Schwabe,  Ellis,  ßaehrens, 
Bonnet  verständig  und  sorgsam  benutzt.  Grundlage  der  Textgestaltung 
sind  0  und  G.  Doch  glaubt  Benoist  nicht,  dafs  die  jüngeren  Hand- 
schriften alle  aus  G  abzuleiten  seien  (wie  Baehrens  wollte).  Mehrere 
charakteristische  Lesarten  sind  aus  0  aufgenommen  z.  B.  64,  103.  140. 
180.  101.  7.  Wohl  unrichtig  ist  64,  355  mesaor.  Ohne  Grund  ist  da- 
gegen 61,  204  cupis  cupis  verschmäht.     Überhaupt  finden  sich  Mifsgriffe 


Catull.     Ausgabe  von  Rostand -Benoist.  181 

in  der  Auswahl  der  Lesarten  nicht  ganz  selten,  so  64,  24  die  Ergän- 
zung placidiquefavete;  64,  65  nvdatvm  pectus;  64,  206  motu\  64,  237  die 
Einfügung  des  Verses  lucida  —  mnli\  68,  119  Anser;  65,9-14  ine  101 
transponiert;  2,  11  f.  hinter  c    14b  gestellt  u.  a. 

Der  zweite  Teil  enthält  nach  einer  über  die  Handschriftenfrage 
orientierenden  Einleitung  den  Kommentar  zu  c.  1  —  63.  Der  Schlufs- 
band  des  ganzen  Werkes  ist  bisher  nicht  erschienen.  Benoist'  Kom- 
mentar kommt  dem  Ellis'schen  an  Reichhaltigkeit  des  Materiales  bei 
weitem  nicht  gleich.  Er  ist  in  Deutschland  jetzt  durch  die  Arbeiten 
von  Riese  und  Baehrens  längst  überholt,  hat  auch  die  Erklärung  fast 
nirgends  durch  selbständig  gefundene  neue  Resultate  gefördert.  Die 
in  Zeitschriften,  Programmen,  Dissertationen,  Rezensionen  zerstreuten 
Beiträge  zur  Kritik  und  Erklärung  des  Dichters  sind  zwar  fleifsig  be- 
nutzt und  werden  oft  citiert.  Aber  es  fehlt  häufig  der  rechte  Überblick, 
zwischen  Wichtigem  und  Unwichtigem  wird  nicht,  gesondert.  Auf  ganz 
unbedeutende  und  wertlose  Bemerkungen  der  Fachliteratur  wird  immer 
wieder  mit  lästiger  Umständlichkeit  verwiesen:  der  gutwillige  Leser  schlägt 
die  citierten  Stellen  nach  und  findet  oft  nichts  der  Rede  wertes.  Die 
einzelnen  Noten  bestehen  im  Wesentlichen  aus  Reproductionen  und  Kri- 
tiken fremder  Ansichten,  nicht  aus  Ergebnissen  eigener  Forschung.  Dies 
alles  zugegeben:  es  wäre  sehr  zu  wünschen,  dafs  der  Kommentar  von 
berufener  Hand  zu  Ende  geführt  würde.  In  Deutschland  würde  er  frei- 
lich nach  den  neuesten  Fortschritten,  die  hier  gerade  auf  diesem  Ge- 
biete gemacht  sind,  nicht  mehr  viel  Leser  finden.  Aber  in  Frankreich 
wird  die  fleifsige.  grundehrliche  und  ohne  alle  Prätensionen  auftretende 
Arbeit,  auch  ferner  ein  gutes  und  nützliches  Hilfsmittel  zur  Einführung 
in  das  Studium  Catulls  sein,  —  vorausgesetzt,  dal's  durch  geeignete  Nach- 
träge am  Schlüsse  des  Werkes  auch  die  erste  bis  jetzt  vorliegende  Hälfte 
des  Kommentares  auf  den  heutigen  Standpunkt  der  Wissenschaft  ge- 
bracht wird.  —  Äusserlich  ist  der  Kommentar  so  eingerichtet,  dafs  zu 
jedem  Gedichte  an  erster  Stelle  "notes  critiques'  zusammengestellt  sind 
d.  h.  die  wichtigsten  Varianten  von  G  und  0.  Die  ersteren  sind  mit- 
geteilt nach  eigener  Kollation  und  den  Angaben  von  Schwal>e,  Ellis  uud 
Bonnet,  die  letzteren  nach  den  Apparaten  von  Ellis  und  Baehrens  Hier 
werden  sich,  wie  Schwahe's  neue  Ausgabe  zeigt,  ziemlich  viel  Berichti- 
gungen als  notwendig  herausstellen.  Diese  Variantenverzeiehnisse  sind 
mit  kritischen  Bemerkungen  verschiedener  An  vermischt.  Auf  die  notes 
critiques  folgt  dann  jedesmal  der  eigentliche  'commentaire'  zu  dem  be- 
treffenden Gedichte.  Von  Einzelheiten  sei  erwähnt  die  eigentümliche 
Deutung  von  c.  4,  die  Benoist  im  Anschlüsse  an  Patin  gibt.  Ea  ist  an- 
geblich folgende  dichterische  Fiktion  anzunehmen:  'Catulle  voit  uue  vi- 
eille  carcasse  de  navire;  c'cst  lä  le  poinl  de  d6patt  de  soo  iiua^ination; 
il  se  demande  co  qu'a  ete  ce  bätiment  ,  et  le  lui  fail  dire  lui-meme  .  .  . 
Puis  par  uue  assimilation  naturelle,  1'  idee  d'une  navigation  lointaiue  ro- 


182  Simpson,  Select  poems  of  Catullus. 

porte  Catullc  ä  cellc  qu'il  vicnt  de  faire  lui-meme  .  .  .  Eutin  il  est  bOB 
de  remarquer  que  le  navire  se  dedie  lui-möme  par  une  figure  poötique, 
niais  qu'il  nVst  anllement  question  d'un  ex  voto  formel  du  po6t€  .  Eine 
ausführliche  Besprechung  des  Buches  mit  verschiedenen  sachlichen  Nach- 
trägen und  Berichtigungen  (z.  B  zu  68,  ß;  11,  7  qua;  15,  11  paratvm% 
vgl.  auch  Ov.  Met.  V  603;  44,  21  l«;gi;  51  ;  59,  :>  rapere  de  rogo  cenam; 
61,27  perge  linquere;  63,89)  hat  Ref.  Phil.  Wochenscbr.  1883  8p. 420— 426 
geliefert.  —  Erwähnt  sei  seh  liefslich,  dafs  Text  und  Kommentar  von  c.  29 
bereits  Rev.  Archeol.  XXXIX  (1880)  38—50  abgedruckt  Bind. 

Nützliche  Nachträge    zu   einzelnen    Stellen   des   Kommentares    von 
M.  Bonnet  Revue  crit.  1883,  313-351. 

13.  Select  poems  of  Catullus  edited,  with  introduetions,  note» 
and  appondices,  by  J.  P.  Simpson.  New  editiou  revised.  London. 
1886.     Macmillan. 

Das  hübsche  kleine  Buch  gehört  derselben  Sammlung  antiker  Klas- 
siker an  wie  Postgates  Auswahl  aus  Properz  und  Simmons'  jüngst  er- 
schienene Ausgabe  des  13.  und  14.  Buches  von  Ovid's  Metamorphosen. 
Während  das  Titelblatt  die  Jahreszahl  1886  zeigt,  ist  die  Vorrede  auf- 
fälligerweise  aus  dem  Jahre  1879  datiert  Ihr  zufolge  ist  diese  Auflage 
(die  frühere  oder  die  früheren  kennt  Ref.  nicht)  'carefully  revised  .  .  . 
in  order  to  render  tbis  volume  of  selections  from  Catullus  perfectly  sui- 
table  for  school  reading'.  Dafs  wir  es  trotzdem  nicht  mit  einer  Schul- 
ausgabe nach  deutschen  Begriffen  zu  thun  haben,  wird  die  Charakteristik 
des  Buches  ergeben.  —  Die  Auswahl  umfafst  den  bei  weitem  gröfsten 
Teil  des  über  Catullianus.  Es  sind  nur  vollständige  Gedichte  aufge- 
nommen (von  c.  61  fehlen  allerdings  einige  Strophen).  Unterdrückt  sind 
lediglich  einige  von  Nuditäten  wimmelnden  Stücke.  Soll  also  wirklich  die 
furchtbare  Entmanuungsgeschichte  des  Attis  in  Schulen  gelesen  werden  ? 
Die  Textesgestaltung  ist  aufs  erordentlich  konservativ.  Sehr  oft  stehen 
sinnlose  Korrupteleu  der  Handschriften  im  Texte,  selbst  da  wo  plausible 
Emendationen  längst  gefunden  sind  wie  62,  9;  66,  91;  95,  9  und  soust. 
Meist  schliefst  Verf.  sich  an  Ellis'  Text  an,  doch  sind  Abweichungen 
nicht  gerade  selten.  Bisweilen  ist  ganz  ohne  Not  die  beste  Tradition 
verlassen  (1,  9  quidem).  Die  aufgenommenen  Konjekturen  sind  keines- 
wegs, wie  man  dies  bei  der  konservativen  Richtung  des  Herausgebers 
erwarten  sollte,  sämtlich  evident  (64,  10  huudque  alia  Schwabe;  64,  110 
comis  obit  uud  73,  4  iam  iuvat  Munro;  77,  4  mi  Itali).  Der  Kommentar 
ist  mit  unleugbarem  Geschick  geschrieben.  Aber  wie  knapp  und  klar 
auch  die  Noten  gehalten  sind,  für  Schüler  scheinen  sie  nicht  geeignet. 
Viele  enthalten  rein  textkritische  Bemerkungen.  Vgl.  zu  12,  14;  61,  223; 
63,  74  und  75;  64,  16;  64,  110;  64,  288;  68,  91  und  sonst.  Doch  die 
pädagogische  Brauchbarkeit  des  Kommentares  ist  hier  nicht  Gegen- 
stand der  Erörterung.     Betont  aber  mufs  werden,    dafs    der  wissen- 


Catull.     Nachträge  zu  Ellis'  Kommentare.  183 

schaftliche  Wert  des  ganzen  Buches  erheblich  durch  die  Unbekannt- 
schaft des  Verf.  mit  der  deutschen  Facblitteratur  beeinträchtigt  wird. 
Er  kennt  und  citiert  eigentlich  nur  Ellis  und  Munro.  Selbst  in  den  selte- 
nen Fällen,  wo  der  Name  eines  Ausländers  genannt  wird,  schöpft  er 
anscheinend  wieder  nur  aus  Ellis  und  Munro.  Simpson  hat  durch 
diese  Einseitigkeit  seinem  Buche  sehr  geschadet.  Er  geht  hierin  so 
weit,  dafs  er  diesen  seineu  Landsleuteu  Emendationen  zuschreibt, 
die,  wie  er  aus  Ellis'  Ausgabe  ersehen  konnte,  von  andern  herrühren. 
So  ist  64,  14  freti,  116,  1  sludiose  nicht  von  Munro;  95,  9  die  Er- 
gänzung sodalis  nicht  von  Ellis.  Neues  bietet  der  Kommentar  sehr 
wenig.  Zu  36,  9  hat  Munro  eine  unerhebliche  Note  geliefert,  ebenso  zu 
64,  203  (cone  in  Lucan  and  one  in  Claudiau  are  the  only  other  exam- 
ples  of  profundere').  Eigene  Konj.  des  Herausgebers  scheint  66,  59 
Dive,  tibi.  Annehmbar  ist  sie  nicht.  Schwerlich  könnte  diese  Anrede, 
wie  Simpson  will,  dem  Bacchus  gelten.  Beachtenswert  ist  die  zu  68,  68 
und  156  im  Anschlüsse  an  Munro  gegebene  Erklärung  von  dominant,  ad 
quam:  The  connection  oi  domum-dominam,  and  also  the  parallel  words  in 
the  adieu  156  show  that  dominam  is  not  Lesbia,  who  is  never  apparently 
so  called,  but  the  lady  of  the  house ,  whose  assistance  was  all  impor- 
tant'.  Zu  c.  49  heifst  es:  To  find  here  sarcasm  and  an  imitation  of 
Cicero's  style  and  a  logical  sophism  is  an  occupatiou  liav  dztvuTj  xal 
inmovuu  xal  ob  ndvu  euTu^oüg  dv8p6g\ 

In  der  Einleitung  sind  nicht  ohne  Interesse  die  Kapitel  'Catullus 
in  relation  to  Greek  literature'  und  'Catullus'  position  in  latin  literature'. 
Nicht  als  ob  Neues  oder  das  Bekannte  vollständig  geboten  würde.  Aber 
die  übersichtlichen  Tabellen  der  Nachahmungen  aus  Kallimachus,  Apol- 
lonius,  Theokrit,  Homer,  Euripides  u.  s.  w.  (S.  XXX— XXXIII),  sowie  der 
Beziehungen  zu  Plautus,  Terenz,  Lucretius  (dessen  Nachahmung  durch 
Catull  wegen  der  bekannten  chronologischen  Schwierigkeiten  geleugnet 
wird),  Horaz,  Vergil,  Properz,  Tibull,  Ovid  (S.  XXXV  — XL)  sind  für  eine 
schnelle  Orientierung  ungemein  bequem.  Ebenso  praktisch  sind  in  Ap- 
pendix II  die  Tabellen  über  'the  diction  of  Catullus'  (S.  182—198).  Sie 
können  als  Ergänzungen  zu  Riese's  nützlichen  Zusammenstellungen  (Ausg. 
S.  XXIV  f.)  betrachtet  werdeu.  Auch  für  einzelne  Stelleu  fällt  manches 
dabei  ab.  Ein  Blick  z.  B.  auf  die  Tubelle  der  Adj.  auf  —  osus  bei 
Catull  (S.   192)  zeigt  die  Echtheit  des  verdächtigten  euniculosae  37,   18. 

14.  Ellis'  umfangreicher  Commentury  od  Catullus  Oxford 
1876  (über  ihn  vgl  R.  Richter  in  dieser  Zeitschr.  1876  II  S.  326  f.) 
ist  in  verschiedenen  Rezensionen  besprochen  worden.  Aus  ihrer  Zahl 
seien  folgende  noch  erwähnt,  weil  sie  sachliche  Nachträge   bringen: 

K.  P.  Schulze  in  d.Z.  f.  d.  G.W.  1887,  S.  690-708. 
L.  Schwabe  in  N.  Jahibb.  1878,   S.  257     268. 
H.  Magnus  in  d.  Z.  f.d.  G.W.   1878,  S.  492-506. 


]g4  Catull    und  Tibull.     Carmina  selecta. 

Diese  Nachträge  bestehen  in  vielen  vereinzelten  Notizen,  wie  das 
die  Natur  der  Bache  mit  sich  brachte.  Sie  enthalten  meist  oeue  Parallel- 
stellen  und  sind  in  den  Bpftter  erschienenen  Kommentaren  von  Riese 
und  Baebrens  bereits  verwertet.  Ihre  Aufzählung  kann  daher  biet  unter- 
bleiben. Aus  Schwabe's  Anzeige  Bei  indessen  hervorgehoben  der  reich- 
haltige Exkurs  zu  63,8  cüata,  ('der  Dichter  bebandelt  von  hier  an  den 
Attis  auch  grammatisch  als  Weih'),  die  Bemerkungen  zn  <;h,  142  (tolle 
als  Selbst  anrede),  zu  14.  19  {Svfenum  als  Genetiv  des  Plurals).  —  Aus 
dem  Artikel  des  Ref.  mag  erwähnt  werden  die  Verteidigung  von  ego 
wilicr  (63,  63),  die  Bemerkungen  über  die  Einheit  von  c.  68,  welche 
seine  Aufsätze  über  das  gleiche  Thema  (N.  Jahrbb.  1875  und  1877)  er- 
gänzen sollen.  Doch  ist  einzuräumen,  dafs  das  über  munera  Musarum 
ri  Veneria  Gesagte  nach  0.  Barnecker's  Ausführungen  nicht  haltbar  er- 
scheint. AufS.  500  wird  durch  Hinweis  auf  Mommsen  Rom.  Münzwesen 
S.  597,  Borghesi  oeuvres  II  S.  354,  P.  Wehrmann  fasti  praetorii  S.  62, 
die  La.  des  Mediceus  bei  Cic.  Qu.  fratr.  1,  2,  16  erwiesen,  dafs  der 
Prätor  Memmius,  in  dessen  cohors  Catull  nach  Biihynien  reiste,  nicht 
den  Beinamen  Gemellus  hatte.  Dieses  Ergebnis  ist  von  den  neueren 
Herausgebern  (jetzt  auch  von  B.  Schmidt  prolegg.  S.  XXV)  einfach 
aeeeptiert  worden,  ohne  dafs  sie  ihre  Quelle  bezeichneten.  —  Aus  der 
Anzeige  von  K.  P.  Schulze  endlich  sei  hingewiesen  auf  ein  Verzeichnis 
von  Phrasen  und  formelhaften  Ausdrücken,  welche  Catull  mit  den  Ko- 
mikern gemein  hat  (S.  692).  — 

Einige  italienische  Schulausgaben  mit  erklärendem  Text  werden  am 
besten  hier  im  Zusammenhange  kurz  besproehen,  obwohl  die  beiden 
letzten  bereits  dem  Jahre  1887  angehören.  Die  Herausgeber  machen 
sich  leider  die  Sache  über  Gebühr  leicht.  Sie  kennen  die  Fachliteratur 
so  gut  wie  gar  nicht.  Sie  geben  keine  litterarhistorischen  Einleitungen, 
sie  geben  nirgends  Auskunft  über  ihren  teils  willkürlichen  teils  ganz 
veralteten  Text,  ja  nicht  einmal  eine  vergleichende  Tabelle  der  aufge- 
nommenen Gedichte  mit  den  Nummern  irgend  einer  kritischen  Ausgabe. 
Die  Anmerkungen  sind  öde  und  trivial,  erklären  geschwätzig  die  elemen- 
tarsten Dinge  und  schweigen  über  wirkliche  Schwierigkeiten. 

15.  Q.  Valerii  Catulli   et  S    Propertii    carmina  selecta. 
Torino.    Paravia.    1882. 

16.  Albii    Tibulli   carmina   selecta    curante   0.   Berrinio. 
Torino.   Paravia.  1887. 

17.  Albii  Tibulli  carmina  castigata  cum  notis.   Ed.  V.  Aug. 
Taurinorum.    Off.  Salesiana.    1887. 

Der  Herausgeber  der  Auswahl  aus  Catull  und  Properz  ist  nach 
dem  Umschlage  der  Tibullausgabe  ebenfalls  0.  Berrini.  In  den  Stücken 
aus  Catull  (über  die  aus  Properz  vgl.  E.  Heydenreich  Ph.  R.  II  No.  30) 


Catull.     Grammatik  und  Sprachgebrauch.  185 

ist  der  Text  ziemlich  genau  der  von  L.  Müller.  Doch  sind  hin  und 
wieder  Lesarten  älterer  Ausgaben,  namentlich  derjenigen  von  Döring  re- 
zipiert. Mit  wieviel  Kritik  dabei  zu  Werke  gegangen  wird,  mag  ein 
Beispiel  zeigen.  Der  Adressat  des  ganzen  c.  68  ist  wie  bei  Döring  der 
Manlius  Torquatus  aus  61.  Aber  in  v.  62  (=  66)  ist  L.  Müllers  Ma- 
nius  ruhig  stehen  geblieben.  Der  einzige  selbständige  kritische  Versuch. 
66,  57  (59)  Hie  dira ,  in  vario  ist  schmerzlich  verunglückt.  Die  Anmer- 
kungen scheinen,  soweit  sich  bei  ihrem  Charakter  urteilen  läTst,  aus 
Döring's  Ausgabe  kompiliert.  Aber  68,  10  und  damit  das  ganze  Gedicht 
ist  trotz  Döring's  leidlicher  Note  nicht  erklärt         und  so  oft. 

Desselben  Geistes  Kind  ist  die  Tibullausgabe.  Nur  ganz  wenige 
Abweichungen  von  L.  Müller's  Texte  stofsen  auf.  So  II  5,  71  hne  — 
cometem  (!)  statt  haec  —  cometen.  III  2,  13  fehlt  das  -\-.  I  10,  67  ah 
statt  at  soll  wohl  keine  kritische  Änderung  sein,  sondern  nur  den 
durch  Auslassung  einiger  Distichen  gestörten  Zusammenhang  herstellen. 
I  1,  46  steht  statt  des  Tibullischen  Pentameters  die  alberne  Interpola- 
tion aequore  ab  indoinito  dum  sihi  nauta  timet.  Von  den  Anmerkungen 
gilt  das  oben  Gesagte.  Erklärung  des  Gedankenganges,  die  bei  Tibull 
vor  allem  not  tut,  wird  nirgends   auch  nur  versucht. 

Immerhin  ist  es  wenigstens  noch  möglich  die  Elegiker  in  den  Ber- 
rini'schen  Ausgaben  zu  lesen.  Bei  No.  17  geht  das  nicht  mehr  an.  Der 
Text  ist  willkürlich  verunstaltet  und  förmlich  kastriert.  Wer  wird  Verse 
wie  die  folgenden  noch  für  Ti bullisch  erklären  'Ferreus  ille  fuit,  qui, 
rüg  qnum  posset  habere',  Muueribus  taeüis  est  captus  miser'  (?!),  cauro 
n e  pollue  mores',  'Tu  proeul  hinc,  scelerate,  fidem  cui  vendere  cura  est', 
'  celer  in  patrios  ipse  recurre  lares',  ' teueri  morbos  expeile  puelli'.  Die 
in  lateinischer  Sprache  geschriebenen  Anmerkungen  sind  über  alle  Be- 
griffe kläglich.  Und  das  erlebt  nach  Angabe  des  Titelblattes  eine  fünfte 
Aurlage!   Begreife  es  wer  es  kann. 

B.    Beiträge    zu    Grammatik,    Sprachgebrauch    und 

Metrik. 

18.  B.  Ziegler,  De  G.  Valeri  Catulli  sermone  quaestioues 
selectae.    Diss.  inaug.    Freiburg  i.  Breisgau.    1879.    35  S.    8. 

Grammatik  und  Sprache  Oatulla  sind  schon  in  einer  ganzen  Reihe 
von  Dissertationen  behandelt  worden  (erinnert  sei  namentlich  an  die  Ar- 
beiten von  Heussner  und  Overhelthaus).  Doch  bat  Zieglers  Arbeit  da- 
neben einige  Bemerkungen,  die  ihr  Existenzberechtigung  sichern.  Im 
ersten  Kapitel  'de  forma  externa  sermonis  Catulli.ini'  wird  der 
Nachweis  versucht  'CatuHum,  quamvis  magnum  eins  esset  oovitatis  ele- 
gantiaeque  Studium,  vel  in  externa  orationis  specie  conformanda  per- 
multas  priscorum  poetarura  proprietates,  idque  band  r»ro  magno  cum 
vigoris  atque  veritatis  commodo,  tamquam  oescientem  interiniaisse',    Den 


]86  Catull  und  Tibull.    Grammatik  und  Sprachgebrauch. 

Inhalt  bildet  hauptsächlich  ein  Verzeichnis  der  Allitterationeo  und  Asso- 
nanzen bei  Catull,  das  freilich  neben  der  reichhaltigeren  und  besser  ge- 
ordneten Abhandlung  von  Ziwsa  Ober  denselben  Gegenstand  (die  Eurhyth- 
mische  Technik  des  Catullus,  8.  5  sq.)  nberflössig  erscheint  Unrichtig 
wird  auf  S.  15  behauptet,  die  P\>rm  dulei  dulcins  ambrosia  n.  ftfanl.  finde 
sich  aufser  im  Catull  nur  noch  Plaut.  Asin.  HI  8,  24  und  Martial  \  111 
76,  7.  Vgl.  z.  B.  Üv.  Metam.  XII  236  vastum  vastior.  --  Auch  im  zweiten 
Kapitel  'De  syntaxi  libri  Catulliani'  wird  immer  wieder  betont, 
dafs  viele  Eigentümlichkeiten  aus  der  Anlehnung  an  die  Sprache  der 
alten  Komiker  zu  erklären  seien.  Aus  der  Lehre  vom  Substantiv  seien 
hervorgehoben  Sammlungen  über  den  Gebrauch  der  Abstrakta  für  Kon- 
kreta (deliciae,  detiderium,  amores  =  amica,  Stupor  u.  s.  w  ).  Der  Unter- 
schied zwischen  potia  (masc.  und  fem.)  und  pole  (neutr.  und  adv.)  ist, 
wie  schon  bei  den  alten  Komikern,  so  auch  bei  Catull  nicht  durchge- 
führt. Gelegentlich  wird  der  Versuch  gemacht  zur  Kritik  und  Erklärung 
des  Textes  beizutragen,  doch  ohne  nennenswerten  Erfolg.  12,  7  soll  mit 
Pluygers  gelesen  werden  vite  lenta  (lnulla  plane  relinquitnr  dubitatio, 
quin  verum  viderit  Pluygersius'!  Was  ist  an  der  Überlieferung  auszu- 
setzen ?).  47,  2  tnundi  zu  halten.  14,  18  Svffcnvm  soll  lieber  Accus. 
Sing,  sein  (der  Sing,  denn  'Suffeni  scilicet  nemo  poterat  inveniri'). 
22,  13  tersius  mit  Munro  und  Baehrens.  64,  139  blanda  promissa  dedisti 
voce  mit  cod.  Oxoniensis.  8,  5  amata  nobu  gegen  Baehrens  gehalten. 
1,  8  quidquid  hoc  libelli  ( libello  suo  libelli  ipsum  nomeu  indere  non  ausus 
de  re   loquatur,  quae  aliqua  solum  ex  parte  libello  similis  possit  videri  ;. 

19.  0.  Wolff,  de  enuntiatis  interrogativis  apud  Catullum, 
Tibullum,  Propertium.    Diss.  Hai.    1883.    62  S.   8. 

Verf.  behandelt  seinen  Stoff  in  zwei  Abschnitten:  l.  de  gramma- 
tica  in  t  errogationum  forma,  2.  de  usu  rhetorico  poeticove. 
Die  Schrift  ist  als  Materialsammlung  willkommen,  namentlich  für  den 
Grammatiker.  Zur  Kritik  und  Erklärung  der  Elegiker  trägt  sie  nichts 
Wesentliches  bei.  Durch  zahlreiche  Citate  aus  anderen  Dichtern  (auch 
aus  Walther  v.  d.  Vogelweide,  Goethe  etc.)  gibt  Verf.  Proben  seiner  Be- 
lesenheit. Hervorgehoben  seien  auf  S.  29  f.  Sammlungen  der  Formen 
für  die  Fragen  nach  Herkunft,  Eltern  u.  s.  w.  bei  verschiedenen  Autoreu, 
S.  40  die  Stellen  mit  viden  und  dem  Indikativ,  S.  47  die  Stellen  für  den 
Gebrauch  von  quid  iuvat,  quid  prodest  u.  ähnl.  (in  querelis  de  praepostera 
et  perversa  re  vel  de  pravitate  consilii).  —  Hin  und  wieder  finden  sich 
selbständige  kritische  Versuche.  In  Cat.  81  will  Verf.  S.  17  in  v.  4  nach 
statua  die  Interpunktion  tilgen,  hinter  audes  in  v.  6  ein  Fragezeichen 
setzen  und  für  das  hiernach  überlieferte  et  setzen  ah.  Aber  dies  ver- 
muteten schon  die  Bali  des  15.  Jahrh.;  Baehrens  schlägt  jetzt  en  vor. 
Zu  Catull  66,  31  wird  Peipers  ganz  unpassendes  quis  te  mutavit  tantus 
dolor  (S.  20)  empfohlen.    Welchen  Sinn  hat  dann  die  durch  an  quod  ein- 


Catull  und  Tibull.    Fragesätze,  Infinitiv.  187 

geführte  Alternative?  Eingehend  spricht  Verf.  auf  S.  33  -  35  über  Lygdam. 
1,  19.      Er   verwirft   die  gewöhnliche  Annahme,    dafs  si  hier  Fragewort 
und  eine  Dreiteilung  si-an-an  zu  statuieren  sei.    Eine  solche  sei  beispiellos, 
überhaupt  gebrauche  von  den  Elegikem  nur  Properz  au  einigen  Stellen 
(S.  31)  si  für  num  (=  et).     Vielmehr  habe  »i   die  gewöhnliche  coudizio- 
uale   Bedeutung    und  der  Sinn   sei:  'Si   cura  nostri  mutua  est.    Neaera 
referet,    quae  responsio  mihi  exspectanda  sit ,    utrum  aliquem  numerum 
apud  eam  habeam  an   omnino  nullus  factus  sim';   cura  aber  sei  etwa  = 
Teilnahme,  Interesse,  denn  da  Neaera  dem  Lygdamus  einen  Andern  vor- 
gezogen habe,    könne   hier   von  Liebe  nicht  mehr  die  Rede  sein.     Aber 
mit  dieser  Auffassung  steht  im  Widerspruche  v.  27  sed  potius  coniunx  sq., 
ebenso  v.  6.     Ferner   läfst  sich   mutua  cura   in  -diesem   abgeschwächten 
Sinne  nicht  vereinigen   mit  v.  25  teque  suis  iurat  caram  magis  esse  rae- 
dullis.   Und  endlich  die  Hauptsache:  an  minor  heifst  ganz  und  gar  nicht 
'utrum   aliquem   numerum   apud   eam   habeam'.      Grammatisch    auffällig 
wäre  auch  das  Präsens   est  nach  referet.     Man  wird  also  bei  der  Drei- 
teilung (die  von  Haupt    durch  Weglassung  des   Kommas   hinter  est  fein 
angedeutet  ist)  bleiben   müssen.    Ob  sie  besonders  schön  und  geschmack- 
voll ist,  darauf  kommt   hier  nichts  an.     Und   wenn  Martial  X  20,  9  (so 
ist  im  Citate  zu  lesen)   wirklich  si  kondizional   gefafst  haben  sollte  (die 
Übereinstimmung    kann    auch    zufällig    sein),    so   ändert    das   nichts    an 
der  Sachlage.     Merkwürdiger  Weise  weist  übrigens  Verf.  die  Interpola- 
tion  des  Guelferhytanus  an  maneam ,    durch    welche    das   schwerste   Be- 
denken gegen  den  kondizionalen  Gebrauch   von  si  beseitigt  wird  (offenbar 
ißt  sie   auch   zu    diesem   Zwecke   ersonnen),    ausdrücklich   zurück.     Vgl. 
über  diese  La.  den  Ref.  in  den  Jahresb.  des  Ph.  Ver.  IX  (1883)  S.  272- 

20.  J.  Senger,   Über  den  Infinitiv  bei  Catull,   Tibull  und 
Properz.     1886.     (Programm,  Speier).     44  S.  8. 

Eine  sehr  brauchbare  und  (soweit  Ref.  prüfen  konnte)  vollständige 
liaterialsammlung,  die  mehrfach  wertvolle  Nachtläge  zu  Draegers  histo- 
rischer Syntax  liefert.  Den  gröfsten  Raum  nimmt  natürlich  der  Inf.  nach 
Verben  ein.  Die  bezüglichen  Verben  werden  dem  Sinne  nach  in  ver- 
schiedene Gruppen  gesondert  (Verba  des  Wollens,  Könnens,  Müssens, 
der  Affekte,  sentiendi  und  declarandi,  Impersonalia,  est  mit  dem  Neutrum 
eines  Adjektiv  ums  oder  einem  abstrakten  Substantivum).  Kurz  (S.  40  42) 
ist  der  Inf.  nach  Partizipien    und  Adjektiven    behandelt.  Von  Einzel- 

heiten sei  noch  folgendes  erwähnt.  Feto  ist  mit  dein  blofseo  Inf  ge- 
braucht zuerst  Prop.  IV  6,  47  nun  taut  stridorem  audire  procellae.  Meno 
ebenfalls  bei  Prop.  II  5,  3  (haec  merui  sperare).  Preeor  mit  Acc  i.  inf. 
ist  nicht  von  Ovid,  wie  Draeger  will,  zuerst  gebraucht,  sondern  von 
Tibull  II  5,  4.  Wenn  Catull  35,  10  royo  mit  dem  Inf.  verbindet,  so  ist 
ihm  darin  kein  späterer  Dichter  nachgefolgt.  Pottulo  ist  seit  Plautus 
und  Terenz  wieder  durch  Catull  66,42  iu  die  Poesie  aufgenommen.    S.  9 


188  Präpositionen  bei  CatulL 

wird  zu  Catnll  73.  l  desine  bene  >,ih  mereri  bemerkt,  L.  Müllers  Ände- 
rung beVe  erscheine  Überflüssig.  Hier  muffe  ein  Irrtom  vorliegen.  Ver- 
mutlich ist  nach  73,  i  das  Citat  '.»3,  i  Btudeo  tiln  volle  placere  ausge- 
fallen. Volo  mit  acc.  c.  inf.  hei  gleichem  Subjekt  findet  siofa  nur  einmal 
bei  Tibull  IV  14,  2.  Nolo  komm)  bei  Tibull  überhaupt  nicht  vor.  Labort 
scheint  von  den  Dichtern  Catull  ti7,  12  zum  crst.enmale  angewendet  zu 
haben.  Auf  8.  13  wird  bemeikt  'nüor  gehört  vorherrschend  der  Prosa  an'. 
Doch  vgl.  allein  aus  Ovids  Metamorphosen  II  618.  V  849.  VIII  694 
XI  702.  Das  Verb.  cts*are  mit  inf.  steht  immer  negiert.  Duüto  steht 
aufser  bei  Catnll  87,  8  immer  am  Anfange  des  Hexameters  und  Penta- 
meters. Für  maereo  mit  Inf.  blieben  bei  Draeger  unbeachtet  Tibull  I 
4,  34.  Sil.  Ital.  VIII  18.  Specto  mit  einem  Partizipium  und  einem  acc 
inf.  bei  Proporz  III  12,  11.  IV  10,  53;  invenio  mit  acc.  c.  inf.  bei  Catull 
102.  3.  Unter  eäo  (S.  28)  heilst  es  Catull  68,  85  liest  Müller  xdrant 
an  Stelle  des  überlieferten  seibant'.  Diese  Form  soll  aber  von  scisco 
abgeleitet  werden! 

21.  E.  Duderstadt,  De  particularum  usu  apud  Catullum. 
Diss.   Halle   1881.    64  S.    8. 

Der  Titel  ist  unrichtig.  Es  werden  nur  die  Präpositionen  bei  Ca- 
tull behandelt,  diese  aber  vollständig  und  gut.  Anzuerkennen  ist  auch, 
dafs  Verf.  die  handschr.  Überlieferung  fast  immer  sorgfältig  berücksich- 
tigt. Die  textkritischen  Bemerkungen,  welche  dadurch  nötig  wurden, 
bringen  nicht  gerade  Neues,  zeugen  aber  meist  von  verständigem  Urteil. 
Die  Disposition  ist  die  durch  den  Stoff  geforderte.  Besonders  aufmerk- 
sam gemacht  sei  hiermit  auf  die  nützlichen  Sammlungen  in  den  Ab- 
schnitten '  De  collocatione  et  iteratione  praepositionum'  und  'Comparatur 
usus  Praepositionum  apud  Catullum  et  Lucretium'.  Das  Resultat  des 
letzteren  ist  das  zu  erwartende:  Lucretium  magis  anxie  priscorum  poeta- 
rum  vestigia  pressisse  quam  Catullum.  Studium  des  älteren  Lateins 
macht  sich  auch  sonst  vorteilhaft  bemerkbar.  Zum  Schlüsse  werden  die 
mit  Präpositionen  zusammengesetzten  Verba  behandelt.  Zu  einem  jeden 
wird  die  Konstruktion  (einfacher  Kasus  oder  Präposition)  bei  Catull  ver- 
zeichnet und  der  Sprachgebrauch  des  Lucrez  (bisweilen  auch  des  Plautus) 
verglichen.  Nur  wenige  Einzelheiten  seien  hier  gestreift.  Über  das 
schwierige  ad  quam  68,  69  wird  zwar  ausführlich  gehandelt,  aber  ohne 
Erfolg.  Verf.  beruhigt  sich  schliefslich  bei  Froehlichs  dominae.  Die 
Verbb.  adire  und  advenire  verbindet  Catull  nicht  mit  der  Praep.  ad. 
denu  101,  2  advenio  ad  inferias  heifst  eo  consilio,  ut  inferias  absolvam. 
100,  6  ist  die  schöne  Emendation  per  facta  exhibita  est  von  Lachmann, 
nicht  von  Schwabe.  64,  405  wird  wohl  richtig  noiis,  64.  5  Colchis  als 
Dativ  betrachtet  wegen  68,  20  und  92.  Auf  S.  25  durfte  zu  111,  4 
nicht  verschwiegen  werden,  dafs  susci^ere  nur  eine  ganz  unsichere  Kon- 
jektur ist.     Neu  war  dem  Ref.   auf  S.  33   die  Erklärung  von  97,  7  de- 


Catull  und  Tibull.    Grammatik  und  Sprachgebrauch.  189 

feeeus  in  aestu  'durch  Liebesbrunst  erschlafft'.  Annehmbar  ist  sie  nicht. 
Auf  S.  37  wird  Baehrens'  Konj.  incuUum  64,  350,  die  mit  Unrecht  Beifall 
gefunden  hat,  gut  zurückgewiesen. 

22.  K.  Schneemann,  De  verborum  cum  praep  osit  ionibus 
compositorum  apud  Catullum  Tibullum  Proper tium  struc- 
tura.     Diss.  Halle  1881.    54  S.  8. 

Über  den  bezüglichen  Sprachgebrauch  Catulls  wird  man  sich  besser 
aus  Duderstadts  im  Ganzen  gründlicherer  Arbeit  orientieren.  Für  Tibull 
sind  die  Sammlungen  des  Verf.  nicht  ganz  ohne  Nutzen.  Namentlich 
wird  dem  Grammatiker  und  Lexikographen  (nennenswerte  Beiträge  zur 
Kritik  und  Erklärung  der  behandelten  Dichter  sind  dem  Ref.  nicht  auf- 
gestofsen)  das  alphabetische  Verzeichnis  der  Verba  composita  bei  Catull, 
Tibull,  Properz  mit  genauer  Angabe  der  jedesmaligen  Konstruktion  will- 
kommen sein.  Die  Richtigkeit  früherer  Beobachtungen  (antiquiores 
scriptores  praepositionem  iteratam,  posteriores  casus  solos  imprimis  da- 
tivum  praetulisse)  bestätigt  sich  auch  hier,  obwohl  die  Differenzen  na- 
türlich nicht  grofssiud:  Catull  bevorzugt  entschieden  die  Konstruktion  mit 
der  Präposition.  —  Den  Wert  der  Arbeit  beeinträchtigt  einigermafsen 
die  Unzuverlässigkeit  des  zu  Grunde  gelegten  Textes.  Die  Angabe  in 
versuum  numeris  indicendis  adhibui  editionem  Luciani  Muelleri'  scheint 
sich  leider  nur  auf  die  Ziffern  zu  beziehen.  Wenigstens  wird  mit  Baeh- 
rens citiert  Catull  63,  74  sonitus  gemens  abiit  (abeit?);  66,  77  omnibus 
exstans  ohne  weitere  Bemerkung.  Notizen,  welche  über  die  Tradition 
orientieren,  fehlen  nicht  ganz,  aber  sie  sind  unvollständig  und  viel  zu  selten. 

23.  E.Clemens,  De  Catulli  periodis.  Wolfenbüttel.  1885. 
61  S.   8. 

Der  Verf.  dieser  Göttinger  Dissertation  hat  viel  Fleifs  auf  eine  sehr 
undankbare  Aufgabe  verwendet.  Durch  umfassende  Sammlungen  wird 
nachgewiesen,  dafs  Catull  einfachere  Perioden  bevorzugte,  dafs  er  ziem. 
lieh  häufig  Periodenbau  durch  Anwendung  des  parataktibchen  Satzgefüges 
ganz  vermied,  dafs  er  im  Gebrauche  des  Asyndetons  und  der  verschie- 
denen Arten  von  Partizipien  mit  der  Gewohnheit  der  übrigen  lateini- 
schen Schriftsteller  übereinstimmt,  Das  Ergebnis  steht  zu  dem  grofsen 
Apparate  in  keinem  rechten  Verhältnisse.  Um  die  Komposition  der  ein- 
zelnen Perioden  zu  veranschaulichen,  bedient  sich  Verf.  eines  eigentüm- 
lichen Schemas.     Die  Periode  68,  51  —  62  sieht  z.  B.  so  aus 

A  (a)   A 
b 
ß 


2 


]  90  Catull  und  Tibull      Die   Figara  dttb  ttotvoB, 

So  scheinen  manche  Seiten  der  Arbeit  anf  den  ersten  Blieb  einem 
fonnelreicben  Lebrbuche  der  Algebra  entnommen.  Hervorgehoben  sei, 
dafs  S.  26  zu  28,  22  statt  des  Überlieferten  quod  vorgeschlagen  wird  quo. 

24.  F.  Koldewey,  Die  Figara    dn&  xoivou  bei  Catnll,  Ti- 
bull,   Proporz   und  Boraz,  Z  f.  d.  G.W.  XXXI  (1877),  837  —  858. 

Von  den  mannigfaltigen  Formen,  in  welchen  die  Fi  iura  iitb  xotvoo 
auftritt  (vgl.  darüber  Aken  S.  2),  behandelt  Verf.  nur  diejenige,  welche 
dem  gemeinsamen  Gliede  einen  Platz  im  Anfange  des  zweiten,  resp. 
des  dritten  oder  vierten  Gliedes  zuweist  und  zwar  so,  dafs  es  entweder 
unmittelbar  hinter  das  verknüpfende  Wort  tritt  oder  dieses  als  Bncliticon 
an  sich  zieht.  Als  Musterbeispiele  für  diesen  Fall  werden  angeführt 
Horaz  carm.  I  11,4  Seu  plures  hiemes,    seu  Iribuit  Juppiter  ultimum  und 

III  5,  7  Pro  curia  inveraique  mores.  Es  ist  ebenso  bedauerlich,  daTs 
Verf.  sein  Thema  so  eng  gefafst,  wie  dafs  er  den  Ovid  ausgeschlossen 
hat,  der  reiche  Ausbeute  gewährt  hätte.  Der  Löwenanteil  der  auch  in 
ihrer  vorliegenden  Gestalt  dankenswert  en  Untersuchung  kommt  auf  Horaz, 
der  für  diese  Figur  eine  besondere  Vorliebe  hatte  (vgl.  das  Referat  von 
W.  Mewes,  Jahresb.  d.  Phil.  Ver.  V  107  in  Z.  f.  G.W.  1879).  Im  Fol- 
genden wird  nur  das  auf  Catull  und  Tibull  Bezügliche  hervorgehoben.  — 
A)  Am  häufigsten  ist  das  xotvbv  ein  Verb  um.  Bei  Catull  finden  sich  drei 
Fälle  dieser  Art  (30,  3;  08,  68;  95,  2),  bei  Tibull  11  (I  4,  2;  I  4,  57; 
I  4.   66;  I  8,  2;  I  8,  13;  I  9,  30;   II  5,  4;  II  6.  23;    III   1,  26;  IV  1,  66; 

IV  3,  2).  —  B)  Das  gemeinsame  Glied  ist  ein  Nomen,  welches  indessen 
nicht  als  gemeinsames  Attribut  verwendet  ist.  Hier  ist  ebensowenig  wie 
bei  dem  gemeinsamen  Verbum  Anlafs  zu  Mißverständnissen  vorhanden. 
Bei  Catull  nur  ein  Beispiel  (64,  33  6),  bei  Tibull  fünf  (I  2,  40;  I  5,  34; 
I  6,  81-82;  I  7,  49.  Doch  ist  letztere  Stelle  unsicher)  -  C)  Das  ge- 
meinsame Attribut.  Dies  ist  1)  ein  Epitheton  ornans.  Bei  Catull  kein 
Beispiel.  Bei  Tibull  drei:  I  5,  43  teneris.  II  5,86  magni.  II  5,  99  feslas. 
Doch  hält  Ref.  an  diesen  Stellen  ein  äxb  xoivou  nicht  für  wahrscheinlich. 
Schwerlich  hätte  Tibull  tenera  facie  verbunden.  Vgl.  I  9,  69.  Bei  den 
erotischen  Dichtern  heifst  eben  fades  wie  forma  schlechtweg  'schöne 
Gestalt,  Schönheit'.  2)  Das  Attribut  ist  ein  für  das  Verständnis  not- 
wendiges (ein  logisches).  Bei  Catull  ein  Beispiel:  56,  2;  bei  Tibull 
drei:  I  1,  24  bona;  II  5,  22  ardentes;  II  5,  112  iustos.  Auch  hier  wird 
indessen  das  erste  Beispiel  zu  streichen  sein.  —  D)  Adv  erbium  und  ad- 
verbiale Bestimmung  als  xoi  vo  v.  Das  für  den  ersteren  Fall  (Adverb) 
zitierte  Beispiel  Catull  51,  14  niminm  ist  offenbar  zu  streichen,  das  Ti- 
bullische  I  1,  51  potius  nicht  ganz  sicher.  Das  einzige  Beispiel  für  den 
zweiten  Fall  aus  Catull  100.  8  in  amore  ist  entschieden  nicht  anzuer- 
kennen. —  E)  Präposition  als  xotvov.  Catull  55,  3  in  (doch  mufste 
erwähnt  werden,  dafs  die  La.  ganz  unsicher  ist;  vgl.  Duderstadt  S.  47). 
33,  5  in.     Bei  Tibull  kein  Beispiel.  —  Um  die  koordinierten  Glieder,  in 


Catull  und  Tibull.     Die  Figura  dnö  xotvou.  191 

denen  die  Figur  vorkommt,  mit  einander  zu  verknüpfen,  gebraucht  Catull 
zweimal  Konjunktionen  (et,  que),  sechsmal  die  Anapher.  Tibull  wählt 
24  Mal  konjunktionale  Verknüpfung  (et,  que,  atque,  aut,  sive-sive),  neun- 
mal die  Anapher.  Bezüglich  Tibulls  vgl.  übrigens  noch  Streifinger,  De 
synt.  Tib.  S.  47. 

25.  0.  Aken,  De  figurae  dnb  xoivou  usu  apud  Catullum, 
Tibullum,  Propertium.  Pars  I.  1884.  (Progr.  d.  Gymn.  Frid.  zu 
Schwerin).     10  S.    4. 

Nach  Anleitung  der  alten  Grammatiker  und  Rhetoren  wird  so  de- 
finiert: 'dnb  xowo~)  dici  solere  docemur,  si  quod  verbum  (ßrj[Ld\  et  suo 
loco  positum  sit  et  continuata  structura  subaudiendum'.  (Enger  zieht 
Boldt,  De  liberiore  linguae  Graecao  et  latinae  collocatione  verborum 
S.  69,  die  Grenzen).  Verf.  macht  darauf  aufmerksam,  dafs  nicht  immer 
dasselbe  Wort,  welches  vorangeht  oder  folgt,  zu  ergänzen  ist,  sondern 
bisweilen  nur  ein  ähnliches  [durch  Ideenassoziation  eng  mit  jenem  in 
Verbindung  stehendes],  wie  in  dem  homerischen  eSouai  ze  m'ova  /i^Xa 
oivöv  T'iqrxcrov  (sc.  ruvovat)  oder  in  dem  Satze  'Macedones  Alexandrum 
non  ut  civem  (sc.  amissum  lugebant),  verum  ut  hostem  amissum  gaude- 
bant'.  Zwischen  der  Fig.  «7:0  xoivo~>  und  den  verwandten  Ellipse.  Brachy- 
logie  und  Aposiopese  ist  zu  unterscheiden.  So  besteht  z.  B.  bei  der 
Ellipse  die  Kürze  in  der  einfachen  Auslassung  eines  Wortes,  das  sich 
aus  dem  Sprachgebrauche  ergänzen  läfst  (z.  B.  rex  habitabat  ad  Iovis 
Statoris).  In  der  Fig.  dnb  xoivo'j  besteht  die  Kürze  darin,  dafs  ein 
wiederholt  gedachtes  Wort  nur  einmal  gesetzt  ist;  ergänzen  läfst  sich 
also  das  fehlende  aus  den  vorangehenden  oder  folgenden  Worten.  Die 
Beispiele  (eigentliche  Sammlungen  werden  leider  nicht  gegeben) 
aus  den  Elegikern  beziehen  sich  hauptsächlich  auf  zu  ergänzende 
Verba  und  Substantiva.  Als  beachtenswert  für  die  Exegese  sei  folgendes 
hervorgehoben.  Prop.  II  1,  44  ist  aus  dem  enumerat  des  vorigen  Verses 
einfach  'enumeramus'  zu  ergänzen,  quo  iocose  poeta  pro  verbo  canendi 
usus  est'.  Prop.  V  11,  30  Altera  materuos  exaequat  turba  Libones  'sc. 
Numantinis  avis  exaequat'.  Catull  64,  110  soll  sich  saevum,  das  wegen 
iactantem  im  nächsten  Verse  masc.  sein  mufs,  auf  das  dem  Dichter  noch 
vorschwebende  Minotauro  in  v.  79  beziehen.  [Unrichtig!  saevus  steht 
substantivisch,  wie  häufig  ferus;  vgl.  Riese  z.  St.].  Durch  Annahme 
einer  Figur,  in  welcher  '  vox  vooujiivrj  non  nisi  genere  ein-  similis  sit 
quae  praecedit'  wird  die  verzweifelte  Stelle  Catull  92,  3  quo  siguoV 
quia  sunt  totidem  mea  plausibel  erklärt:  »mea«  dicit,  tan  quam  in  primo 
versu  substantiviim  posuisset.  At  non  herum  COgitandum  est  substan- 
tivum,  sed  dnb  xm\><>~>  Bupplendum  est  ex  »dicit  male«  maledicta.  Be- 
kanntlich schrieben  einige  Iiali  in  v.  1  Lesbia  mi  dicit  Bemper  mala 
(statt  male).  Diese  Änderung  ist  also  nicht  nötig  (abgesehen  davon, 
dafs  sie   auch   Dicht  sinngemäß   ist:    nicht   mala,    sondern   maledicta   i-t 


192  Catull.    Tropen  und  Redcfiguron 

eben  in  v.  3  zu  mea  zu  ergänzen.  —  Zu  vergleichen  sind  neben  '1er  Ab- 
handlung die  einen  weiteren  Kreis  umfassenden  Sammlungen  von  Boldt 
1.  c.  8.  69     78. 

26.  K    Ziwsa,   Die  enrbytbmische  Technik  des  Catalina 

I.  Teil.    Wien  1879.    2«)  S.    8.    (Jahresber.  des  Gymn.  in  Bernais).  — 

II.  Teil.    Wien  1883.    40  S.    8.    (Jahresber.  des  Leopoldstädter  Com- 
munal-  Real-  und  Obergymnasiums  in  Wien). 

Der  erste  Teil  dieser  nützlichen,  nicht  nur  von  Sammelfleil'.,  son- 
dern auch  von  Verständnis  der  Catullischen  Poesie  zeugenden  Unter- 
suchung handelte  sein-  ausführlich  von  der  Alliteration  und  den  ihr  ver- 
wandten Figuren  annominatio,  Conduplicatio  und  revocatio,  in  deren  An- 
nahme Verf.  freilich  mitunter  zu  weit  geht.  Vgl.  Jahresber.  d.  Piniol. 
Vereins  VII  366  f.  (Bei  dieser  Gelegenheit  sei  verwiesen  auf  den  ge- 
haltreichen Aufsatz  Wölfflins  Über  die  alliterierenden  Verbindungen 
der  lateinischen  Sprache',  Sitzungsber.  der  Manch.  Ak.  1881  S.  1  —  94. 
Namentlich  in  dem  alphabetischen  Verzeichnisse  der  allitterierenden 
Verbindungen,  welches  den  Schlufs  bildet,  ist  öfters  Catull  berücksich- 
tigt). Nicht  ohne  Grund  hat  man  den  Titel  getadelt  und  als  passender 
vorgeschlagen  Über  den  Gebrauch  der  Tropen  und  Redefiguren  bei  Ca- 
tullus'.  —  Im  zweiten  Teile  werden  besprochen  die  Figuren  der  Repe- 
titio  (dmpopd,  inavapopd),  Conversio  \jtm<pop&,  dvrearfw^rj),  Redditio  (xu- 
xAog).  Die  erste  wird  nach  Cicero,  dem  auetor  ad  Herennium  und  Quin- 
tilian  so  definiert:  c  Das  Wesen  der  Anaphora  besteht  in  der  Wieder- 
holung desselben  Wortes  am  Anfange  der  Sätze  oder  Verszeilen;  ihr 
Zweck  beruht  in  der  nachdrücklichen  Hervorhebung  ähnlicher  oder  ver- 
schiedener Gedanken'.  Mit  einer  erschöpfenden  Beispielsammlung  geht 
Hand  in  Hand  der  Nachweis,  dafs  die  Figur  dem  Gedanken  dienstbar 
ist,  dafs  Form  und  Inhalt  der  Rede  sich  in  echt  künstlerischer  Weise 
decken.  Catull  hat  sich  dieser  Figur  mit  Vorliebe  bedient.  Der  Repe- 
titio  nahe  verwandt  und  sehr  oft  mit  ihr  verbunden  ist  die  Conversio. 
Die  eine  hat  ihre  Stelle  am  Anfange,  die  andere  am  Schlufs;  cund  eben 
darin  besteht  der  Unterschied,  dafs  bei  der  Anaphora  gleichsam  der 
Flufs  der  Rede  von  demselben  Ursprung  anhebt,  während  bei  der  Epi- 
phora Wort  um  Wort,  Fufs  um  Fufs  nach  dem  gleichlautenden  Ende 
des  Verses  hineilt'.  In  c.  39  ist  z.  B.  die  Epiphora  dentes-dentes-dens 
est  (v.  1,  14,  20)  verbunden  mit  der  dreimaligen  Anaphora  Renidet: 
'Gerade  die  beiden  Hauptbegriffe  sind  an  markanten  Stellen  des  Verses 
wiederholt  eingesetzt  und  entsprechen  in  ihrer  Verwendung  als  rhetori- 
sche P'iguren  den  Anforderungen  bewufster  Eurhythmie'.  Viel  seltener 
ist  die  Figur  der  Redditio:  Gleichheit  des  Anfanges  und  des  Schlusses 
von  einem  Satze.  Als  klassisches  Beispiel  dafür  wird  citiert:  Cic.  in 
Verr.  act.  II,  lib.  V,  45,  119  Multi  et  graves  dolores  inventi  parenti- 
bus  et  propinquis  multi.  Catull  bietet  z.  B.  c.  42,  1  Adeste,  hendeca- 
syllabi,    quot  estis  omnes  undique,  quotquot  estis  oranes. 


Der  Intercalar  bei  Catullus.  193 

Neue  Resultate  für  Kritik  und  Erklärung  enthält  die  verdienst- 
liche Abhandlung  nicht.  Sehr  natürlich.  Denn  sie  spricht  ja  eben  nur 
das  aus,  was  der  aufmerksame  Leser  bei  der  Lektüre  empfindet  und  oft 
unbewufst  auf  sich  einwirken  läfst.  Ref.  schliefst  seine  Besprechung  mit 
folgenden  treffenden  Worten  des  Verf.:  'Catulls  Gestaltungsvermögen 
weifs  die  den  einzelnen  Figuren  der  Wiederholung  innewohnende  Eigen- 
tümlichkeit in  charakteristischer  Weise  dem  Gedanken  dienstbar  zu 
machen;  er  versteht  es,  dergleichen  eurhythmische  Kuustmittel  in  reichem 
Mafse,  manchmal  sogar  mit  verschwenderischer  Hand  zu  formalem  Schmuck 
zu  verwenden,  und  insbesondere  in  der  Verbindung  zweier,  dem  Wesen 
nach  verwandter  Figuren,  wie  Anaphora  und  Epiphora,  bekundet  er  fei- 
nen Geschmack  und  richtiges  Gefühl  für  formale  Wirkung.  Für  ge- 
wisse Figuren  wie  Alliteration,  durch  deren  fast  verschwenderischen  Ge- 
brauch er  mit  der  archaisierenden  Poesie  seiner  Landsleute  in  Fühlung 
trat,  oder  Anapher  bekundet  er  entschieden  mehr  Vorliebe  als  die  spä- 
teren streng  kunstmäfsigen  Lyriker  der  augusteischen  und  nachauguste- 
ischen Zeit'.    (S.  38). 

In  gewissem  Zusammenhange  mit  den  oben  besprochenen  Abhand- 
lungen stehen  folgende  Aufsätze  desselben   Verfassers: 

27.    K.    Ziwsa,    Der    Intercalar    bei    Catullus.    I.    Wiener 
Studien  111(1881)  298     302.  —  II.  Wiener  Studien  IV  (1882),  271—291. 

An  Untersuchung  der  Stellen,  wo  Catull  den  Intercalar  verwendet 
hat,  wird  die  Behandlung  einiger  kritisch  kontroverser  Fragen  geknüpft. 
In  16,  36,  52,  57  enthält  gerade  der  Intercalar  den  Hauptgedanken,  er 
bildet  den  Anfang  und  Schlufs  des  Gedichtes.  In  c.  8  haben  wir  eine 
Zweiteilung  des  Ganzen,  nämlich  1  8,  9—19;  in  beiden  Stücken  stehen 
die  Intercalare  im  dritten  Verse  ihres  Abschnittes  (3  u.  11)  und  beide 
beschliefsen  ihren  Abschnitt.  [Die  erstere  Thatsache  scheint  aber  doch 
reiner  Zufall,  denn  die  beiden  Gruppen  l — 3  uud  9  —  11  korrespondieren 
nicht  im  Geringsten].  In  c.  29  ist  dem  Parallelismus  zuliebe  das  es  in- 
pudicus  et  vorux  et  aleo  aus  v.  10  hinter  5  als  5b  nach  dem  Vorgänge 
der  Aldina  von  1602  einzuschalten.  lAuch  hier  ist  Ref.  nicht  überzeugt, 
wie  bestechend  immer  der  Vorschlag  ist.  Jenen  Vers  sprudelt  eben  nur 
die  höchste  Empörung  heraus.  In  v.  6  ist  aber  der  Gipfelpunkt  noch 
nicht  erreicht;  noch  weifs  der  Dichter  Schlimmeres  hinzuzufügen,  das 
die  Zukunft  bringen  wird|.  Aus  c  68  wird  die  Wiederholung  der  Klage 
verse  über  des  Bruders  Tod  20-24,  92-96  besprochen.  Mit  Unrecht 
an  dieser  Stelle,  denn  von  einem  Intercalaris  kann  hier  gar  nicht  die 
Rede  sein.  Seltsam  genug  wird  daraus,  dafs  die  Wiederholung  nicht 
ganz  wörtlich  ist  (21  und  93  sind  nicht  identische  gefolgert,  das  Gedicht 
sei  nach  40  zu  teilen,  da  '  Catull,  bewufste  Absichtliehkeit  vorausgesetzt, 
jene  beiden  verschiedenen  Verse  ohne  Störung  des  Gedankengauges  hätte 
auslassen  können'.     Wird   denn   die  wunderbar  rührende  Wirkung  der 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft  LI.  (  1887.  II  )  13 


J94  Der  Iutorcalar  bei  Catullus. 

wiederholten  Klage  dadurch  beeinträchtigt?   Ist  nicht  sogar  der  Eindruck 

jetzt  reiner,  weil  er  weniger  beabsichtigt  scheint?  In  c  8  haben  die 
Verse  11  u.  19  nur  das  eine  Wort  obdura  gemeinsam,  und  doch  isl  die 
Beziehung  deutlich  erkennbar,  ja  Verf.  findet  hier  sogar  regelrechte  Inter- 
calare  (allerdings  nicht  mit  Recht,  wie  das  anknüpfende  iam  Catullus 
obdurat  in  v.  12  lehrt).    Übrigens  vgl.  oben  S.  152. 

Der  zweite  Teil  des  Aufsatzes  behandelt  den  Intercalar  in  c.  04, 
61,  62,  die  sämtlich  zur  Gattung  der  Hochzeitslieder  gehören.  Für  64 
gilt  dies  wenigstens  von  dem  hier  in  Frage  kommenden  Parzengesange 
v.  323-381.  Der  Intercalar  currite  ducentes  subtegmina,  currite,  J/isi  tritt 
immer  da  ein,  wo  ein  Gedanke  erschöpft  ist,  d.  h.  wo  mit  Bezug  auf 
die  Zukunft  des  Brautpaares  ein  Stück  Leben  symbolisch  durch  das 
Werk  der  Spindel  bestimmt  und  vorhergesagt  ist.  Daraus  wird  nicht 
ohne  Wahrscheinlichkeit  gefolgert,  dafs  der  Intercalar  378  mit  den  Itali 
zu  streichen  ist.  Denn  der  eine  Gedanke  von  376-380  (Amme  und 
Mutter  wird  die  junge  Frau  fortan  in  ihrer  veränderten  Lebensstellung 
missen)  kann  nicht  wohl  durch  den  Intercalar  in  zwei  Strophen  zerrissen 
werden.  Alle  Versuche  zahlenmäfsige  Responsion  der  einzelnen  Strophen 
zu  gewinnen  sind  verfehlt.  —  In  c.  61  kann  man  vier  resp.  fünf  ver- 
schiedene Intercalare  unterscheiden.  Dieser  Wechsel  ist  in  dem 
fingierten  Fortschreiten  der  Festfeier  begründet.  Der  Kehr- 
vers steht,  wie  im  Einzelnen  nachgewiesen  wird,  auch  wirklich  stets  lo- 
gisch im  Abhängigkeitsverhältnisse  zu  dem  Strophenganzen,  das  er  als 
Ausdruck  der  Stimmung  beschliefst.  In  der  verstümmelten  16.  Strophe 
(v.  76  f.)  folgt  Verf.  L.  Müller  d.  h.  vermutet,  nach  81  tardet  ingenuus 
pudor  sei  der  Schlufsvers  der  Strophe  ausgefallen,  während  die  Verse 
quem  tarnen  magis  audiens  Flet  quod  ire  necesse  est  das  Ende  der  gröfsten- 
teils  verlorenen  Strophe  17  bildeten.  Der  ausgefallene  Schlufs- 
vers aber  der  Strophe  16  sei  höchst  wahrscheinlich  der 
III.  Kehrvers  Prodeas,  nova  nupta  [derselbe  Gedanke,  nur  gewalt- 
samer durchgeführt  bei  Peiper  Q.  Valerius  Catullus  S.  5].  Ungenauig- 
keiten  im  Kehrverse  z.  B.  abit  dies  in  94  (90)  statt  sed  abit  dies  oder 
at  queat  in  73  statt  at  potest  seien  nicht  anstöfsig,  sondern  für  Catulls 
Manier  charakteristisch.  —  In  c  62  hat  nach  Z.  der  Intercalar  wahr- 
scheinlich den  Ausfall  einer  Reihe  von  Versen  veranlafst  (die  bekannte 
Lücke  nach  32).  Vor  32  Hesperus  e  nobis  sq.  sei  ebenfalls  eine  Lücke 
zu  statuieren.  Denn  auf  die  Frage  v.  30  konnten  angeblich  die  Mädchen 
nur  erwidern :  Nicht  glücklich  ist  das  Licht  des  Hesperus  (vgl.  26),  noch 
ersehnt  ist  seine  Stunde  (vgl.  30);  dann  erst  setzen  unsere  Texte  ein 
Hesperus  e  nobis  .  .  .  Von  der  folgenden  Strophe  der  Jünglinge  sei  nur 
ein  Vers  unmittelbar  vor  33  namque  .  .  .  semper  ausgefallen.  Danach 
würde  die  Strophe  der  Jünglinge,  den  Intercalar  mitgerechnet,  aus  sieben 
Versen  bestehen,  und  von  der  vorhergehenden  Strophe  der  Mädchen 
müfsten  samt  dem  Kehrverse  sechs  Verse  verloren  gegangen  sein,    von 


Gräcismen  bei  den  Augusteischen  Dichtern.  195 

denen   mindestens  zwei  vor   Hesperus  e  nolis  sq.  einzusetzen  wären,    so 
dafs    also   die   ganze   Lücke   sich  auf  sieben   Zeilen    erstrecken   würde. 
Nach  41  wird  mit  Spengel  Ausfall  eines  Verses  angenommen.   So  kommt 
Verf.  (den  Intercalar  nicht  mitgerechnet)  zu  folgendem  Schema: 
4  +  4,  8,   5  +  5,  6  +  6,   10  +  10,  7. 

In  Catulls  Epithalamien  sei  der  Intercalar  Ausdruck  der  das 
Ganze  illustrierenden  Stimmung,  die  Signatur  des  Liedes.  Gleichmäfsig- 
keit  im  Umfange  der  durch  den  Schaltvers  abgeschlossenen  Strophen 
ist  nicht  vorhanden,  selbst  in  c.  62  hat  sich  der  Dichter  nur  innerhalb 
der  logisch  zusammengehörigen  Strophen  paare  der  gleichen  Verszahl 
bedient. 

28.  J.  Schäfler,  Die  sogenannten  syntaktischen  Gräcis- 
men bei  den  Augusteischen  Dichtern.  Münchener  Inaugural- 
diss.    Amberg.    1884.    95  S.    8. 

Diese  Schrift  hat  mit  Recht  vielseitigen  Beifall  gefunden.  Verf. 
hat  es  verstanden  reichen  Stoff  anregend  und  fesselnd  darzustellen. 
Von  eingehender  Besprechung  kann  indessen  hier  abgesehen  werden,  da 
R.  Ehwald  eine  solche  in  dieser  Zeitschr.  Bd.  XLIII  S.  I90f  gegeben 
und  wertvolle  Nachträge  und  Berichtigungen  angeschlossen  hat.  Ref.  be- 
gnügt sich  mit  wenigen  Bemerkungen.  Verf.  kommt  zu  dem  Resultate, 
'  dafs  die  lateinische  Sprache  in  viel  höherem  Grade  ihre  selbständige 
Entwicklung  genommen,  und  dafs  die  römischen  Schriftsteller  im  Ge- 
fühle ihres  Nationalstolzes  weit  mehr  ihre  Originalität  gewahrt  haben, 
als  man  gemeiniglich  anzunehmen  pflegt'.  Nur  wo  Strukturen  sich  zeigen, 
die  bei  den  älteren  Dichtern  und  in  der  klassischen  Prosa  konsequent 
fehlen,  ist  man  berechtigt  von  Gräcismen  zu  reden.  Vgl.  zu  diesen  rich- 
tigen Gesichtspunkten  M.  Haupt  bei  Beiger  S.  232.  Zu  folgenden  Stellen 
in  Catull  und  Tibull  liefert  Verf.  kritisch- exegetische  Beiträge.  Catull 
64,  64  verteidigt  er  mit  Recht  das  überlieferte  velatum  pectus.  Doch 
scheint  die  Übersetzung  'nicht  vollständig  bedeckt  die  sonst  leicht  ver- 
hüllte Brust'  kaum  glücklich:  sonst  'leicht  verhüllt',  jetzt  'nicht  voll- 
ständig bedeckt'  ist  kein  Gegensatz.  Contecta  ist  nichts  als  ein  ver- 
stärktes tecta;  non  contecta  schwächt  die  Negation  also  nicht  ab,  son- 
dern verstärkt  sie:  gar  nicht,  nicht  im  Geringsten  bedeckt.  Auch  Ref. 
hält  im  Gegensatze  zu  Biese  uud  Baehrens  velatum  nach  contecta  für 
einfach  abundierend:  Catull  hätte  vermutlich  velanti  vorgezogen,  wenn 
nicht  levi  voran  ginge.  Auf  üvids  (a.  a.  I  529)  tunica  volata  reciucta 
ist  wohl  kaum  etwas  zu  geben,  zumal  da  recincta  einerseits  Behr  wohl  auf 
65  non  .  .  .  vincta  gehen  kann,  anderseits  Zweifel  erlaubt  sind,  ob  Ovid 
sich  hier  auf  Catull  bezieht.  Denn  dieses  tunica  volata  recincta  ist 
nichts  als  eine  poetische  Phrase,  mit  der  Ovid  /u  klingeln  liebte,  also 
für  unsere  Stelle   nicht  charakteristisch.    Vgl.  Am.   I  5,  9.  fast.   111  645. 

13* 


196  Griicismen  bei  den  Augusteischen  Dichtern. 

Am.  III  7,  81  tunica  velata  soluta.  Met.  VII  182  vestes  induta  recinc- 
tas.  Auch  ist  die  Situation  nicht  dieselbe:  Bei  Ovid  ist  Ariadne's  Klei- 
dung ungeordnet  vom  Schlummer  her  (e  snmno  tunica  v.  r.),  Catulls  Ariadne 
hat  den  Schmuck  ihres  Gewandes  durch  einen  Akt  der  Verzweiflung  zer- 
stört (vgl.  63  non  retinens).  Ferner  geht  es  nicht  an  zwischen  tunica 
und  amictus  so  zu  unterscheiden :  Die  Brust  war  zwar  velatum  sc.  tunica, 
aber  nicht  contectum  amictu  (=  palla).  Denn  dies  hätte  der  Dichter  eben 
deutlich  machen  müssen,  indem  er  velatum  näher  bestimmte  und  für 
amictus  den  eigentlichen  Ausdruck  wählte.  Ganz  folgerichtig  suchte 
daher  Baehrens  den  Fehler  in  conteda  und  konjiziert  jetzt  conlecta,  ^eriit 
aber  so  mit  v.  65  in  Konflikt.  Denn  unklar  ist  die  Unterscheidung  zwi- 
schen cingulum  vestem  cohibens  und  strophium  =  fascia,  unschön  die 
Tautologie  non  conlecta  =  non  vincta,  unverständlich  v.  66-68.  Wenn 
die  Brust  noch  tunica  velatum  ist,  welchen  Sinn  hat  dann  omnia  quae 
toto  delapsa  e  corpore  passim  ipsius  ante  pedes  fluctus  salis  adlude- 
bant  ?  Jedes  einzelne  Wort  predigt  förmlich,  dafs  fiuitantis  68  in 
erster  Bedeutung  zu  fassen  ist.  Die  gezeichnete  Situation  ist  dieselbe 
wie  bei  Eur.  Hecuba  557  f.  Gegen  Biese  -  Baehrens  spricht  auch  die 
Thatsache,  dafs  velare  nicht  im  Gegensatze  zu  tegere  stehen  kann,  son- 
dern genau  dasselbe  bedeutet.  Vgl.  64,  266  vestis  pulvinar  suo  velabat 
amictu  mit  49  quod  tincta  tegit  roseo  conchyli  purpura  fuco  Ebenso 
Ov.  Am.  I  5,  9  und  14.  Dafs  non  den  ganzen  Satz  negiert  wie  103,  ist 
längst  bemerkt.  Zu  der  Abundanz  contecta  velatum,  einer  Art  Prolepsis, 
vgl.  Tibull  I  7,  13  —  14  tacitis  leniter  undis  placidis  serpis  aquis.  I  6,  67 
quamvis  non  vitta  ligatos  impediat  crines.  Tibull  I  2,  2  occupet  ut  fessi 
lumina  victa  sopor.  Tibull  II  3,  61  dura  seges  persolvat  nulla  semina 
certa  fide.  Tibull  IV  4,  6  notet  informis  pallida  membra  color  (Vgl. 
oben  S.  172).  Prop.  I  3,  36  iniuria  te  expulit  clausis  e  foribus. 
Juven.  8,  145  tempora  velas  adoperta  cucullo  (Auf  die  ähnliche  Stelle 
Aen.  III  405  wies  bereits  Schäfler  hin).  Silius  13,  106  coniuuctas  trabes 
adstringere  nodis.  ib.  477  exhausto  instituit  vacuare  cerebro  ora.  Ovid 
Met.  I  37  iussit  freta  ambitae  circumdare  litora  terrae  XI  215  capit  su- 
peratae  moenia  Troiae.  Met.  6,  664  emersa  viscera  egerere.  Met.  6,  248 
laniata  pectora  plangens  u.  a.  —  Ferner  weist  Schäfler  darauf  hin,  dafs 
die  fünf  Beispiele  für  den  fälschlich  sogenannten  Accus.  Graecus  bei 
Catull  sich  sämtlich  in  dem  nach  alexandrinischem  Muster  gedichteten 
c.  64  finden  (z.  B.  207.  122  65).  —  Für  das  altertümliche  omne  genus 
piscis  bei  Catull  114,  3  werden  die  Beispiele  gesammelt.  Cat.  12,  8  le- 
porum  disertus  durch  Hinweis  auf  Hör.  sat.  II  3,  3  epist.  I  14,  34  ver- 
teidigt. Tibull  17,9  Verteidigung  des  überlieferten  non  sine  me  est 
tibi  partus  bonos  gegen  Baehrens.  —  Zur  Erläuterung  der  auf  S.  56  ver- 
zeichneten Konstruktionen  wie  Ov.  Met.  XV  96  aetas,  cui  fecimus  aurea 
nomen  konnte  Catull  86,  3  totum  illud  formosa  nego  herangezogen  wer- 


Catulls  Metrik.  197 

den.  —  Nach  S.  62  hat  es  fast  den  Anschein,  als  hielte  Verf.  das  unice 
bei  Catull  29,  11.  54 b,  2  für  das  Adverbiura. 

29.  J.  Bauraann,  De  arte  metrica  Catulli,  22.  S.  4.  Lands- 
berg a  W.  1881.     Progr. 

Aus  den  einleitenden  Bemerkungen  dieser  nützlichen  Schrift  seien 
hervorgehoben  die  Worte  über  die  auffallende  und  singulare  Abstossung 
des  Schlufs  -s  bei  Catull  in  dem  Verse  116,  8  at  fixus  nostris  tu  dabi' 
supplicium :  c  qui  tarnen  versus  talis  est,  ut  antiquioris  poetae  cuiusdam 
verba  »tu  dabi'  supplicium«,  quae  Catullo  in  mentem  venerunt,  magis 
quam  Catulli  ipsius  verba  continere  videatur'.  Im  ersten  Abschnitte  'De 
metris'  geht  Verf.  die  einzelnen  Versmafse  Catulls  durch,  giebt  histo- 
rische Notizen  über  ihre  angeblichen  Erfinder,  ihre  Einführung  in  die 
römische  Poesie  u.  s.  w.  Das  Verzeichnis  der  vorkommenden  Besonder- 
heiten z.  B.  der  Cäsuren,  der  Auflösungen  ist  vollständig  und  zuverlässig. 
Der  Text,  den  Verf.  zugrunde  legt,  ist  fast  durchweg  der  Lachmann- 
Haupt'sche.  Zu  55,8  vermifst  man  eine  Bemerkung  über  den  auf- 
fallenden Spondeus.  Besonders  eingehend  ist  der  Hexameter  behandelt. 
Lesenswert  ist,  was  Verf.  über  die  aTtovoecd^ovres  sagt  (z.  B/extremum  illud 
est,  ut  in  c.  62  et  in  c.  67  et  c.  64  inter  versus  132  —  201,  qui  Ariadnes 
lamentationem  continent,  Aegeique  in  verbis  64,  215  —  237  omnino  deesse 
spondiacos  dicamus').  Die  zojx/j  xara  -pixov  rpo^aTov  wird  gegenüber 
L.  Müller  zu  Ehren  gebracht  und  mit  Recht  angenommen,  dafs  sie  in 
Versen  wie  64,  146  nil  metuunt  iurare,  nihil  promittere  parcunt,  64,  195 
huc  huc  adventate,  meas  audite  querellas  Hauptcäsur  sei.  Zweifel- 
haft scheint  dieselbe  Annahme  64,  405  omuia  fanda  nefanda  malo  per- 
mixta  furore.  Vgl.  übrigens  Haupt  bei  Beiger  S.  240  f.  —  Im  zweiten 
Abschnitte  wird  gehandelt  'de  rebus,  quae  ad  prosodiam  pertinent'. 
67,  23  sed  pater  illius  soll  wegen  der  beispiellosen  Messung  des  i  ver- 
derbt sein.  Ein  wunderliches  Versehen  ist  dem  Verf.  auf  S.  XVIII  wider- 
fahren: '  semel  vocalem  brevem  arsi  intentam  invenimus  (LXVI  84  sed 
quae  se  impuro  dedit  adulterio)'.  Aber  dedit  ist  nicht  Perf.  von  do» 
sondern  Praes.  von  dedo!  Auf  S.  XX  u.  f.  wird  über  die  Elisionen  ge- 
sprochen (in  Ausführung  des  Satzes  'variae  sunt  causae,  quae  ad  eli- 
dendas  vocales  poetam  commovere  vel  elisiones  omnino  prohibere  possint, 
et  mensura  et  ambitus  verbi,  et  locus,  quem  hoc  usurpat  in  versu,  et 
syllaba  subsequens  et  arsis  thesisve').  66,  69  durfte  die  unsichere  Kon- 
jektur ardui  ibi  vario  nicht  ohne  Weiteres  als  bezeugte  La.  ausgegeben 
werden.  Der  Hiatus  in  der  Diärese  des  Pentameters  ist  nicht  anzuer- 
kennen, sondern  68,   158;    66,  48;    67,  44;    97,  2  zu  beseitigen. 

Die  verdienstliche  Zusammenstellung  sei  hiermit  nochmals  em- 
pfohlen. 


198  Catullus.    Die  handschriftliche  Überlieferung. 

C.   Beiträge  zur  Geschichte  der  handschriftlichen 
Überlieferung. 

30.  M.  Bonnet  (Über  den  cod.  Sangermanen sis  desCatulI) 
Revue  crit.  1887.     No.  4   S.  57—65. 

Diese  verständige  Anzeige  des  ersten  Bandes  von  Baehrens'  Aus- 
gabe hat  dauernden  Wert  für  die  Textesgeschichte  Catulls  ,  weil  Verf. 
auf  Grund  eigener  Kollation  eingehend  über  G  handelt.  Er  weist  nach, 
dafs  Baehrens  in  seinem  Apparate  eine  grofse  Zahl  der  variae  lectiones 
von  G  übersehen  hat,  dafs  auch  mehrere  Lesarten  erster  Hand  fehlen,  dafs 
überhaupt  seine  Angaben  über  G  viele  Ungenauigkeiten  resp.  Irrtümer 
enthalten.  Während  Baehrens  sich  der  Ansicht  zuneigte,  die  variae  lectio- 
nes habe  der  Schreiber  von  G  sämtlich  mit  eigener  Hand  geschrieben  (praef. 
ed.  S.  XIV),  unterscheidet  ßonnet  mit  Sicherheit  drei  verschiedene  Hände 
(ebenso  jetzt  Schwabe2  praef.  S.  III).  Bei  weitem  die  meisten  sind  nichts 
als  glückliche  oder  unglückliche  Konjekturen.  Doch  finden  sich  angeb- 
lich einige  Stelleu,  wo  G2  eine  andere  Handschrift  vor  sich  hatte.  Verf. 
kommt  S.  62  zu  dem  Resultate:  fIl  faut  croire  que  G2atire  les  titres, 
de  memes  que  ses  meilleures  lec,ons,  et  probablement  aussi  une  partie 
de  ses  mauvaises  conjeetures,  d'une  autre  copie  de  V,  dejä  elle-meme 
assez  interpolee,  mais  qui  avait  conserve  quelques  lecons  authentiques 
negligees  par  G,  ou  par  G  et  0,  comme  collocat  66,  56,  tutamen  opis  04, 
324,  et  tres- probablement  aussi  les  notes  marginales  sur  les  metres'- 
Die  Sache  ist  noch  nicht  aufgeklärt.  Jedenfalls  nicht  genügend,  um  die 
Provenienz  aller  bezeichneten  variae  lectiones  aus  V  zu  sichern.  Namentlich 
collocat  66,  56  konnte  leicht  durch  Konjektur  gefunden  werden.  Und 
selbst,  wenn  man  die  Möglichkeit  für  einzelne  Fälle  zugiebt,  so  ändert 
dies  (da  ein  Beweis  nicht  zu  erbringen  ist)  nichts  an  der  Thatsache, 
dafs  jene  Varianten  an  sich  keine  Autorität  sondern  nur  den  Wert  von 
Konjekturen  haben.  Dies  ist  im  Grunde  auch  Bonnets  Ansicht:  cOn  ne 
peut  prendre  en  toute  securite  comme  derive  directement  de  V  que  le 
texte  lui-meme,  sans  corrections  ni  variantes'  (S.  63).  Im  Folgenden 
wird  der  Wert  von  0  richtig  und  ohne  die  häufige  Übertreibung  beur- 
teilt und  richtig  hervorgehoben,  dafs  Baehrens'  Ansicht  die  jüngeren 
Handschriften  stammten  sämtlich  aus  G  gegründeten  Bedenken  unterliegt. 

31.  K.   P.   Schulze,    Zum    Codex  Oxoniensis    des    Catull, 
Hermes  XIII  (1878)  S.  50-  58. 

Verf.  hat  sich  die  Aufgabe  gestellt  die  Lesarten  des  wichtigen 
Oxoniensis  zu  revidieren,  eine  dankbare  Aufgabe,  weil  zwischen  den  Vari- 
anten von  Ellis  und  Baehrens  sich  mehrfach  Widersprüche  finden.  Er 
bietet  uns  an  etwa  60  Stellen  Berichtigungen  (einige  andere  noch  bei 
Ellis  ed.  II  S.  XII— XIII)  von  Baehrens  Apparate  —  ein  Resultat,  wel- 


Catullus.     Der  codex  Oxoniensis.  199 

ches,  da  die  Handschrift  schwer  lesbar  ist  und  es  sich  meist  nur  um 
Kleinigkeiten  handelt,  diesem  durchaus  nicht  zur  Unehre  gereicht.  Einige 
Male  steht  übrigens  die  richtige  La.  auch  schon  bei  Baehrens  (64,  364 
perculse.  88,  6  occeanus).  An  andern  wie  96,  3  renovarh  =  renovamus 
schweigt  Baehrens  wohl  absichtlich,  und  eigentlich  mit  Recht.  Hin  und 
wieder  scheint  nach  Schwabe's  neuer  Kollation,  in  der  dieser  Aufsatz 
doch  mit  benutzt  ist,  vielmehr  Verf.  geirrt  zu  haben.  So  hat  nach 
Schwabe  0  62,  7  K  eos  =  hoc  eos,  64,  11  ein  Kompendium  =  post  eam. 
64,  145  die  Punkte  unter  di  und  die  Glosse  pro  adipisci  rühren  von  einer 
andern  Hand  her.  64,  394  in  letifero.  An  den  meisten  Stellen  hat  aber 
Verf.  entschieden  richtig  gelesen.  Er  widerlegt  sodann  überzeugend  die 
Ansicht  von  Baehrens,  welcher  (praef.  S.  XLV)  daraus,  dafs  in  0  und  G 
sich  vielfach  einfache  Consonanz  statt  der  üblichen  doppelten  finde,  ge- 
folgert hatte,  dafs  ein  Grammatiker  zur  Zeit  des  Fronto  diese  altertüm- 
liche Orthographie  eingeführt  habe.  Die  doppelte  Consonanz  ist  viel- 
mehr in  den  meisten  Fällen  dem  V  fremd.  Denn:  1)  G  hat  in  der  Regel 
zwei  Consonanten,  wo  0  sich  mit  einem  begnügt.  2)  0  schreibt  gegen 
die  Regel  sehr  viele  Wörter  mit  doppelter  Consonanz  wie  dissertus,  pus- 
silli,  'Occeano,  digittis  u.  s.  w.  3)  Oft  weist  angeblich  die  überlieferte  ver- 
derbte La.  auf  doppelte  Consonanz  in  V  hin  z.  B.  Citeorio  auf  Cittorio, 
recomdüa  auf  reconndita ,  berve  auf  benne,  lecti  auf  letti  u.  s.  w.  [Das 
letzte  Moment  hat  freilich  geringe  Beweiskraft.  Die  citierten  Korrupteleu 
lassen  sich  doch  sehr  verschieden  erklären].  Einige  Glossen  wie  23,  2 
sind  schon  auf  V  zurückzuführen,  vgl.  3,  14,  wo  G  und  0  dieselbe  Glosse 
pulcra  über  bella  haben.  [Über  45,  8  hat  Verf.  später  seine  Ansicht  ge- 
ändert: hier  empfiehlt  und  erklärt  er  das  einister  ante  von  Voss,  während 
er  N.  Jahrbb.  1884,  184  sinistra  ut  ante  lesen  will].  Altes  ei  statt  i  will 
Verf.  herstellen  aus  Lesarten  wie  6,  15  bonique,  66,  50  ferris.  68,  150 
aliis  (=  allci)  u.  a.  [Auch  hier  ist  grofse  Vorsicht  ratsam.  Wir  haben 
es  mit  Schreibfehlern  zu  thuu,  die  sich  auf  sehr  verschiedene  Weise  er- 
klären lassen.  So  ist  offenbar  bonique  in  6,  15  nicht  aus  altem  b 
sondern  durch  Anpassung  an  das  folgende  maligne  zu  erklären.  VgL 
Ellis  ed.  II  S.  XXVI  not.  Und  aliis  steht  einem  unverstandenen-  all»  viel 
näher  als  allei.\  —  Verf.  macht  sodann  darauf  aufmerksam,  dafs  in  U 
oft  ein  Zeichen  am  Rande  steht,  durch  das  der  Schreiber  der  Hand 
schritt  (in  welcher  nur  selten  eine  Zeile  zwischen  zwei  Gedichten  frei 
gelassen  ist)  den  Anfang  eines  neuen  Gedichte-  bezeichnete.  Hier  sollte 
offenbar  später  ein  buntes  Zeichen  gemalt  werden,  wie  dies  81,  l  der 
Fall  ist.  Das  Zeichen  besteht  in  zwei  Strichen//.  [?  Andere  (Angabe 
Catulltorsehungen  S.  13].  Es  findet  sich  auch  bei  2,  1 1  tani  gratum  est  mihi 
quam  ferunt  puellae.  Dreimal  steht  das  /eichen  an  talscher  Stelle: 
37,  17;  53,  5  und  54,  »i.  Verf.  glaubt,  da-  Versehen  müsse  Bcbon  in  V 
gewesen  sein,  weil  G  ebenso  abteile.  Diese  Vermutung  i-t  aber  un- 
richtig, da  nach  den  neuesten  Kollationen  die  Überschriften  an  den  drei 


200  Catullus.     Die  Handschriften. 

fraglichen  Stellen  in  G  von  jüngerer  Hand  (g)  herrühren.  Überhaupt 
ist  es  sehr  auffällig,  dafs  Schwabe  von  jenen  Zeichen  gänzlich  schweigt, 
(Ellis  in  ed.  II  erwähnt  sie  nur  zu  53,  5  und  54,  6)  und  ausdrücklich 
an  allen  citierten  Stellen  bemerkt  toberttüium  rmiikun  V.  Unter  diesen 
Umständen  hat  das  Zeichen  2,  11  nicht  mehr  Anspruch  auf  Beachtung 
als  37,  17;  53,  54,  6.  Die  Angabe,  dafs  0  4,  1  pkaaeUm  habe  (nicht 
Hasellus)  scheint  sich  nach  Ellis  ed.  II  und  Schwabe  nicht  zu  bestätigen. 

32.  A.  Gehrmann,  De  ratione  critica  inde  a  Lachmanno 
in  emendando  Catulli  libro  usque  ad  hunc  annum  adhibita. 
1879.   40  S-   4.   (Programm  des  Gyran.  zu  Braunsberg). 

Die  Abhandlung  enthält  mehr  als  der  Titel  verspricht,  nämlich 
eine  fleifsige,  auf  viele  Einzelheiten  genau  eingehende  Untersuchung  der 
Handschriftenfrage.  Mit  ihren  Resultaten  kann  sich  Ref.,  obgleich  manche 
Bemerkungen  gut  und  richtig  sind,  nicht  einverstanden  erklären.  Die 
Arbeit  stammt  aus  jener  Zeit,  wo  die  neu  erschlossene  Bekanntschaft 
mit  dem  cod.  Oxoniensis  manche  Catullkritiker  in  einen  förmlichen  Taumel 
versetzt  hatte,  wo  man  geneigt  war  an  den  Beginn  einer  neuen  Ära  für 
den  Catulltext  zu  glauben.  Die  Ernüchterung  ist  schnell  genug  gefolgt: 
abgesehen  etwa  von  einem  halben  Dutzend  Stellen  (wenn  es  hoch  kommt!) 
ist  in  den  konservativen  Texten  alles  beim  Alten  geblieben.  Die  An- 
schauungen des  Verf.,  der  in  seiner  Verehrung  des  Oxoniensis  noch  über 
Baehrens  hinausgeht,  sind  somit  veraltet  und  besonders  durch  Sydows 
treffliche  Arbeit  in  den  wesentlichsten  Punkten  widerlegt.  In  der  fol- 
genden Inhaltsangabe  betont  Ref.  nur  ausnahmsweise  seinen  Dissensus. 
Den  unmittelbaren  Anstofs  zur  Abfassung  des  Aufsatzes  gab  anscheinend 
Pleituer  mit  seiner  Schrift  'Studien  zu  Catullus'  (Dillingeu  1876),  deren 
phantastische  Hypothesen  meist  treffend  zurückgewiesen  werden.  Im 
ersten  Kapitel  De  codicibus  qui  extant'  wird  auch  das  bekannte  Epi- 
gramm über  die  Wiederentdeckuug  Catulls  behandelt  und  aus  v.  3  Sci- 
licet  a  calamis  tribuit  cui  Francia  nomen  gefolgert,  der  Mann,  welcher 
den  Dichter  nach  Verona  zurück  brachte,  habe  Francia  geheifsen.  [Doch 
vgl.  oben  S.  148].  Die  jüngeren  Handschriften  stammen  zwar  nicht  aus 
dem  Sangermanensis  (G)  selbst,  wohl  aber  aus  einer  interpolierten  Ab- 
schrift von  G.  [So  nach  Baehrens,  doch  vgl.  B.  Schmidt  Jen.  Litz.  1878 
S.  209.  Sydow  S.  13.  Riese  praef.  ed.  S.  XXXVII].  In  dem  Briefe 
des  Coluccio  Salutati  an  Benvenuto  de  Imola  (abgedruckt  bei  Haupt, 
Ber.  der  K.  S.  Gesellschaft  d.  Wissenschaften  1849  S.  259  =  Opusc.  I 
279)  aus  d.  J.  1374  ist  statt  des  verderbten  dyomianes  zu  lesen  duos 
vates.  In  einem  andern  Briefe  desselben  Gelehrten  aus  demselben  Jahre 
(bei  Haupt  ebd )  folgt  auf  die  Worte  c  Catullum,  quem  credo  parvum  li- 
bellum,  aut  exemplatum  aut  exemplandum  rogo  transmitte'  der  Satz: 
'tenent  ibi  Florentini,  qui  totum  terrarum  orbem  discurrendo  terunt,  pro 
mercibus  apothecas:    in   ballis   quas  faciunt  illum  iubere  potes  alligari, 


Catullus.     Die  Handschriften.  201 

quem  ad  me,  ut  arbitror,  libenter  quilibet  destinabit',  die  bisher  nicht 
beachtet  worden  sind.  Aus  ihnen  ergiebt  sich,  dafs  damals  aufser  in 
Verona  nirgends  ein  Catullcodex  aufzutreiben  war,  dafs  Coluccio  alles 
daran  setzte  des  einzigen  existierenden  habhaft  zu  werden,  dafs  er  be- 
stimmt glaubte,  jeder  in  Verona  ansässige  Florentiner  werde  ihn  in  die- 
sem Vorhaben  unterstützen.  Man  vergleiche  damit  die  Subscriptio  von  G, 
in  welcher  sich  der  Schreiber  wegen  etwaiger  Fehler  entschuldigt:  .  .  . 
quoniam  a  corruptissimo  exemplari  transcripsit.  uon  enim  quodpiam 
aliud  extabat  uude  posset  libelli  hujus  habere  copiara  exemplandi'  [und 
oben  S.  176].  Selbst  G  wird  an  Güte  durch  0  übertroffen:  cEgo  censeo 
Oxoniensem  adeo  anno  1374  attribuendum  verisimillimum  esse,  ergo  ad 
reliquas  ejus  virtutes  etiam  accedere  quod  uno  anno  ante  G  et  fortasse 
a  Benevenuto  ipso  exaratus  sit'.  [?  Diese  Behauptung  hängt  mit  dem 
Vorhergehenden  nur  lose  zusammen  und  ist  durch  nichts  begründet]. 
Der  unvergleichliche  Wert  von  0  erhellt  aus  92,  3-4,  die  0  fast  allein 
bewahrt,  während  sie  sogar  in  G  ausgelassen  sind,  ein  schlagender  Be- 
weis, dafs  alle  Handschriften  aufser  0  auf  G  zurück  gehen.  [Dafs  neben 
dieser  Hypothese  noch  verschiedene  andere  Möglichkeiten  Platz  haben, 
zeigt  Sydow  1.  c.  S.  28].  -  Der  Datanus  gehört  unter  die  jüngsten  und 
am  stärksten  interpolierten  Handschriften.  Zu  68,  83  heilst  es  z.  B.  'quia 
quaeritis  metri  causa  legi  non  posse  intellegebat ,  scriba  libri  D  petitü 
interpolavit'.  Woher  die  dritte  Variante  quaeritis  stammt,  gesteht  Verf. 
nicht  zu  wissen.  [Vgl.  Sydow  1.  c.  S.  9 ,  über  den  Datanus  im  Allge- 
meinen ib.  S.  52,  Jahresber.  d.  Phil.  Ver.  V  S.  313j.  66,  28  wird  die 
La.  von  GO  quod  non  fortior  ausit  aus  verteidigt  und  erklärt  'oder  hast 
du  vielleicht  die  grofse  That  vergessen,  durch  die  du  die  Ehe  mit  dem 
Könige  erlangt  hast,  weil  kein  Anderer  wegen  seiner  gröfsereu 
Tapferkeit  sie  wagte?' [?].  101,  8  wird  Pleitner's  Vorschlag  maUo 
für  multum  empfohlen.  [Kann  neben  fraterno  nicht  bestehen;  ebenso, 
wenig  97,  3  die  empfohlene  La.  von  0  'nilo  mundius  hoc  nihiloque  im- 
mundius  illud'  neben  dem  folgenden  Verse].  66,  79  wird,  angeblich  als 
La.  von  0  vinxit  empfohlen.  Dies  ist  nicht  siungemäfs;  vgl.  den  Ref 
N.  Jahrbb.  1887  S.  138.  Die  ganze  Notiz  ist  wahrscheinlich  unrichtig, 
denn  dieses  vmxii  findet  sich  nur  in  Lllis  Apparate,  nicht  bei  Uaehrens 
und  Schwabe3. 

Im  zweiten  Kapitel  wird  von  den  in  manchen  Handschriften  über- 
geschriebenen variae  lectiones  und  den  erhaltenen  tituli  der  einzel- 
nen Gedichte  gesprochen.  Über  die  in  G  teils  zwischen  den  Zeilen, 
teils  am  Rande  stehenden  variae  lectiones  stehen  sich  zwei  Ansichten 
gegenüber.  Die  einen  il hiebner,  Schwabe)  geben  zwar  /u,  dafs  die  Hand 
des  Schreibers  von  0  viele  dieser  variae  lectionea  schrieb,  unterscheiden 
aber  davon  mehrere  andere  korrigierende  Hände  Die  Andern  (Woelfflin, 
Haehrens)  behaupten,  alle  variae  lectiones  rührten  VOD  einer  Hand  her, 
derselben,  die  den  cod.  G  schrieb.     Die   durch   den  Platz   iwischea  den 


202  Catullus.     Die  Handschriften. 

Zeilen  bedingte  Kleinheit  der  Buchstaben  habe  die  Vertreter  der  ent- 
gegengesetzten Ansicht  getäuscht.  [Doch  gegen  Baehrens  vgl.  Bonnet 
a.  0.,  B.  Schmidt  Jen.  Litz.  1878,  208,  Sydow  1.  c.  S.  13f.J.  Nicht  alle 
variae  lectiones  in  G  stammen  aus  V.  Manche  hat  der  BCriba  soo  in- 
genio'  gesetzt.  'Primum  enim  voccs  singulas  legens  lihrarius  aut  litteram 
earum  aliquam  perperam  legerat  aut  compendiurn  aliquod  peri)eram  re- 
solverat,  quo  cognito  id  quod  rectum  erat  transcribehat'.  Dieser  Art 
sind  die  zweiten  Lesarten  zu  7,  9.  14,  17.  28,  14.  31,  5.  64,  232.  [Ähn- 
lich Sydow  1.  c.  S.  16  haud  paucae  inde  videntur  ortae  esse,  quod 
librarius,  cum  duobus  modis  archetypi  scriptura  legi  posset,  incertus 
utrum  adhiberet,  utrumque  posuit  itaque  ipse  duplicem  procrcavit  scrip- 
turam'].  —  Von  S.  30  an  wird  zunächst  erörtert  die  Frage,  inwieweit  V 
schon  die  einzelnen  Gedichte  durch  Intervalle  von  einander  trennte.  Aus 
der  Übereinstimmung  von  G  und  0  läfst  sich  folgern,  dafs  V  an  folgen- 
den Stellen  trennte:  1-2,  3—4,  4-5,  6-7,  7—8,  8—9,  12—13,  13—14, 
17-21,  48—49,50-51-52,  55-56,  60-61,  61-62,  63-64,  67— 68a, 
68b-69,  71-72,  76-77,  79—80,  88-89.  —  Die  Überschriften  standen 
angeblich  in  V  noch  nicht  im  Spatium  zwischen  je  zwei  Gedichten,  son- 
dern, soweit  V  sie  überhaupt  enthielt,  am  Rande.  In  die  Zwischenräume 
setzte  sie  zuerst  der  Schreiber  von  G  (S.  32).  Im  zweiten  Teile  des 
Catullischen  über  von  c.  64  an  hat  V  in  den  allermeisten  Fällen  Über- 
schriften nicht  gehabt  (ccertum  et  manifestum  est  prope  omnes  defuisse'). 
Auch  vor  c.  64  werden  die  Überschriften  in  V  bisweilen  gefehlt  haben, 
nämlich  zu  10,  16,  24,  33,  39,  41,  42,  43,  44,  45,  46,  47,  48,  53,  54, 
55,  57,  58,  60,  weil  cnec  0  signa  [//]  neque  G  titulos^exhibet'.  Es  ist 
wahrscheinlich,  dafs  der  Schreiber  von  G  manche  Überschriften  in  V 
änderte,  manche  selbst  erfand. 

Das  Schlufskapitel  bandelt  über  das  Thema  '  Virorum  doctorum  con- 
jecturae,  quae  ad  historiam,  scripturam,  circuitum  codicum  quam  0  et  G 
vetustiorum  pertinent'.  Dafs  der  im  14.  Jahrh.  in  Verona  zum  Vorschein 
gekommene  Codex  aus  Gallien  gebracht  sei,  wird  ohne  Weiteres  als  er- 
wiesen angenommen.  Baehrens  Ansicht,  dafs  der  Archetypus  aus  der 
Recension  eines  Grammatikers  im  Zeitalter  Fronto's  hervorgegangen  sei 
(Baehrens  proll.  S.  LI),  ist  mit  K.  P.  Schulze  zurück  zu  weisen.  Hervor- 
gehoben sei  noch  das  Schlufswort  der  Abhandlung:  c Nihil  restat  nisi  ut 
illustretur  quid  Ellisius  quaestione  editioni  addita,  quae  est  de  aequabili 
partitione  carminum,  Catullo  profuerit.  Sed,  ut  paucis  dicam,  —  nam 
pluribus  non  licet  -,  nihil  fere  profuit'. 

33.  B.  Schmidt,  (Über  unsere  Catullhandschrifteu),  Jenaer 
Litz.   1878,  207—212. 

Diese  gehaltvolle  Recension  behandelt,  von  Baehrens'  ed.  critiea 
ausgehend,  fast  alle  für  die  Geschichte  und  Klassifikation  unserer  Textes- 
quellen wichtigen  Fragen.  Folgendes  sei  als  beachtenswert  hervorgehoben. 


Catullus.    Die  Handschriften.  203 

1.   Die   Varianten   und   Korrekturen    im   Sangerraanensis   (G). 

Die  in  grofser  Zahl  zwischen  den  Zeilen  oder  am  Rande  stehenden 
variae  lectiones  rühren  nicht,  wie  Baehrens  praef.  S-  XIII  behauptet 
hatte,  sämtlich  von  dem  Schreiber  des  Codex  her.  Dies  ist  von  Bonnet 
nachgewiesen,  der  drei  verschiedene  Schriftzüge  erkannte.  Es  läfst  sich 
aber  bei  manchen  Varianten  auch  durch  ihren  Inhalt  wahrscheinlich 
machen,  dafs  sie  erst  hinterher  von  anderer  Hand  beigeschrieben  wur- 
den. Mitunter  ist  nämlich  gerade  dasjenige,  was  ursprünglich  in  G  ge- 
standen hat,  aber  dann  ausradiert  wurde,  wiederum  als  Variante  hinzu- 
gesetzt. Vgl.  23,  19  cuius  culus\  25,  5  aries  aves;  28,  14  nobis  vobis; 
10,  1  meus  mens.  Auch  in  den  Fällen,  wo  die  Varianten  in  G  von  der 
Hand  des  ersten  Schreibers  selbst  herrühren,  darf  man  nicht  alles  über 
einen  Leisten  schlagen.  Manches  übergeschriebene  Wort  ist  keine  eigent- 
liche Variante  (trotz  jenes  vorgesetzten  cd')  sondern  ein  neuer  Versuch 
des  Schreibers  den  schwer  leserlichen  Text  seiner  Vorlage  richtig  zu 
entziffern.  So  besonders  31,  5  [hier  ist  aber  noch  Schwabe2  das  über- 
geschriebene credens  von  jüngerer  Hand,  und  ebenso  14,  17  das  überge- 
schriebene x;  die  Untersuchung  müfste  auf  Grund  der  jetzt  eher  mög- 
lichen Scheidung  von  G  und  g  noch  einmal  gemacht  werden];  9,  14. 
Allerdings  gab  es  schon  in  V  Varianten  und  zwar  im  Texte  selbst. 
Das  zeigen  die  sechs  bei  Baehrens  praef.  XXXVII  f.  verglichenen  Stelleu 
(12,  4;  15,  11;  22,  15;  23,  2;  68 \  26;  95,  10)  wo  auch  0  duplices 
scripturae  im  Texte  aufweist.  Hier  lehrt  die  Vergleichung  von  0  mit  G, 
dafs  der  Schreiber  von  G  einige  der  im  Texte  von  V  beigesehriebenen 
Varianten  nicht  wiedergegeben,  und  zweitens,  dafs  er  hie  und  da  viel- 
mehr die  voranstehende  La.  weggelassen  und  nur  die  dahinter  stehende 
Variante  aufgenommen  hat.  Aber  derselbe  Vergleich  zwischen  G  und  0 
zeigt,  dafs  ebenso  der  Schreiber  von  0  eine  Reihe  Varianten  im  Texte 
von  V  übergangen  oder  auch  zwischen  der  eigentlichen  Texteslesart  und 
der  Variante  beim  Kopieren  gewählt  hat.  Vgl.  2,  6;  15,  13;  25,  3; 
33,  4;  34,  15,  21;  40,  8;  50,  13;  61,  120,  225;  64,  28,  298;  60,  57. 
Einige  gröfsere  Differenzen  zwischen  G  und  0,  namentlich  64,  L39  und 
353,  lassen  sich  endlich  nach  Schmidt  nur  durch  die  Annahme  erklären, 
dafs  schon  in  V  doppelte  Lesarten  vorhanden  waren,  von  denen  G  gegen 
seine  sonstige  Gewohnheit  nur  die  eine  wiedergegeben  hat.  Vgl.  hierzu 
und  zu  andern  Punkten  B.  Schmidt  prölegg.  ed.  S.  CHI.  Doch  lassen 
sich  jene  Differenzen  auch  anders  erklären.  Namentlich  kann  messor  in 
353  dadurch  entstanden  sein,  dafs  Augen  und  Gedanken  des  Schreibers 
von  0  auf  das  folgende  demetit  abirrten. 
2.  Die  Provenienz  der  jüngeren  Handschriften  (del  oriores  =  c). 

Baehrens  Annahme,  dafs  sämtliche  c  aus  dein  schon  durohkorri- 
gierten  G  geflossen  seien,  ist  unhaltbar.  Denn  bisweilen  stimmen  alle  c 
oder  wenigstens  die  Mehrzahl  sowohl  im  Fehlerhaften  wie  im  Richtigen 


204  Catullus.    Die  Handschriften. 

mit  0  gegen  G  überein  (s.  die  18  Beispiele  bei  Baebrens  praef  S.  XXII; 
vgl.  aufserdem  100,  2  treronensum  in  0  und  vielen  c).  Mitunter  geben 
wiederum  wenigstens  einige  <r  mit  0,  und  zwar  fast  durchgängig  in 
der  korrupten  Lesart.  Vgl.  40,  3.  43,  8.  64,  7,  25.3.  59,  l.  Noch  be- 
weiskräftiger gegen  Baebrens  sind  89,  2  (ein  Laurentianus  mit  0  »«,  in 
G  und  den  übrigen  c  seu);  68 b,  79  (tum  Datanus  und  einige  andere  mit  0, 
G  und  die  übrigen  r  causa)\  97,  3  [nihüoque  0,  nihloque  a,  nihilque  ein 
Laurent.,  nihilo  Datanus,  aber  nobisque  G  und  die  übrigen.  [Vgl.  über 
die  Stelle  Sydow,  De  rec.  Cat.  carm.  S.  33].  Dafs  die  7  zum  grofsen 
Teil  gemeinsamen  Ursprung  haben,  ist  allerdings  wahrscheinlich  (vgl. 
bes.  11,  3  das  interpolierte  ubi  für  ut).  Aber  dafs  diese  gemeinsame 
Vorlage  eine  Kopie  von  G  war,  ist  sehr  wenig  glaublich.  Zu  diesem 
Resultate  führt  auch  noch  folgende  Erwägung.  Es  giebt  Stellen,  an 
denen  sämtliche  Handschr.  korrupt  sind,  aber  die  Korruptelen  in  einem 
Teile  von  c  der  Hand  des  Dichters  entschieden  näher  kommen  als  die- 
jenigen in  G  sowohl  wie  in  0.  Vgl.  65,  14.  66,  5.  Anderseits  ist  Baeh- 
rens  einzuräumen,  dafs  die  c  samt  und  sonders  stark  interpoliert  und 
darum  im  höchsten  Grade  unzuverlässig  siud.  Man  kann  daher  ihnen 
gegenüber  kaum  vorsichtig  genug  sein. 

34.  R.  Sydow,  De  recensendis  Catulli  carminibus.   Berlin. 
1881.     Mayer  und  Müller.  76  S.  8. 

Diese  sehr  tüchtige  und  gehaltvolle  Dissertation  ist  aus  Vahlens 
Schule  hervorgegangen  und  verdient  ganz  abgesehen  von  ihrem  Inhalte 
ganz  besondere  Beachtung,  weil  sie  anscheinend  die  Ansichten  dieses 
grofsen  Catullkeuners  im  Ganzen  wiedergiebt.  —  Auf  S.  1—24  wird  das 
Verhältnis  der  Lachmannschen  Handschriften  zum  Sangermanensis  (G) 
mit  Benutzung  der  oben  besprochenen  Abhandlungen  von  Bonnet  und 
Gehrmann  erörtert.  G  ist  älter  als  Lachmanns  D  L  und  direkte  Ab- 
schrift von  V.  An  23  Stellen  hat  G  bessere  Lesarten  als  D  L.  Doch 
betont  Verf.  mit  Recht,  dafs  es  sich  überall  um  Schreibfehler  handelt; 
nur  11,  3  ist  ubi  statt  ut  handgreifliche  Interpolation.  Übrigens  ist 
Lachmann  nur  an  zwei  Stellen  durch  seine  Handschriften  zu  Irrtümern 
verleitet  worden:  73,  4  ist  mit  Avantius  zu  schreiben  immo  etiam  taedet, 
taedtt  obestque  magis  (so  jetzt  Haupt -Vahlen)  und  76,  11  mit  GO  quin 
tu  animo  offirmas  (animo  offirmare  =  sich  in  seinem  Gemüte  verhärten). 
Über  beide  Stellen  giebt  Verf.  sehr  lesenswerte  Auseinandersetzungen. 
Anderseits  bieten  DL  au  zwei  Stellen  das  Richtige,  wo  G  schwer  ver- 
derbt ist.  Überzeugend  wird  nämlich  nachgewiesen,  dafs  42,  13  potes 
und  66,  83  petitis  zu  schreiben  ist  {colitis  in  GO  ist  Interpolation).  Im 
Anschlüsse  an  Bonnet  weist  Verf.  darauf  hin,  dafs  die  zahlreichen  meist 
auf  Rasuren  stehendeu  Correctiones  in  G  nicht  Konjekturen  (mifs- 
lungeue  zum  gröfsteu  Teile)  des  Schreibers  von  G  selbst  sind  (so  Baeh- 
rens   praef.  S.  XIV  und  XVII).     Es   sind   vielmehr   Lesarten  aus  einer 


Catullus.    Die  Handschritten.  205 

andern  Handschrift  von  anderer  Hand  eingetragen.  Die  durch  die  Notiz 
aV  zu  der  ersten  La.  hinzugefügten  scripturae  duplices  in  G  sind  aus  V 
in  G  übergegangen.  G  ist  daher  das  treuesle  Bild  des  Archet.  Doch 
bleibt  zweifelhaft,  ob  alle  duplices  scripturae  schon  in  V  vorhanden  waren 
[und  wohl  auch,  ob  G  die  doppelten  Lesarten  immer  beide  aufnahm; 
vgl.  B.  Schmidt  Jen.  Litz.  1878,  21  lj.  Manche  scheinen  nämlich  da- 
durch entstanden,  dafs  der  Schreiber  ccum  duobus  modis  archetypi  scrip- 
tura  legi  posset,  incertus  utrum  adhiberet,  utrumcpue  posuit  itaque  ipse 
duplicera  procreavit  scripturam'  z.  B.  7,  6.  23,  19.  25,  5.  64,  288. 
[Dabei  wäre  freilich  auffällig,  dafs  der  Schreiber  seine  Leseversuche 
von  den  doppelten  Lesarten,  die  er  in  V  schon  vorfand,  durch  nichts 
unterschied].  Unter  keinen  Umständen  sind  die  jüngeren  Handschriften, 
wie  Baehrens  wollte,  sämtlich  aus  G  geflossen.  Von  Einzelheiten  sei 
nur  weniges  hervorgehoben  61,  204  ist  mit  G1  (cf.  Bonnet  a.  0.)  und 
und  D  cupis  cupis  zu  schreiben.  64,  249  wird  nach  den  Spuren  von  G1 
und  0  zu  lesen  sein  quae  tum  prospectans.  10,  13  wird  nee  faceret  durch 
Parallelstellen  als  lateinisch  erwieseu.  14,  16  ist  sähe  in  G  richtig  über- 
liefert. Aus  allen  diesen  Stellen  geht  übrigens  hervor,  dafs  die  du- 
plices scripturae  für  die  Feststellung  des  Textes  fast  nirgends  brauch- 
bar sind;  nur  über  die  Beschaffenheit  von  V  gestatten  sie  uns  ein  voll- 
ständigeres Urteil.  -  Im  zweiten  Abschnitte  (S.  25  — 51)  wird  über 
den  Oxoniensis  gesprochen.  0  bietet  mit  G  übereinstimmend  an  36  Stellen 
Besseres  als  Lachmanns  Handschriften  (ihr  Verzeichnis  S.  25).  Ganz 
singulär,  also  gegen  GDL,  hat  er  das  Bessere  3,  12;  4,  17;  17,  25; 
29,  19;  55,  11  ;  63,  38;  63,  52;  63,  81;  64,  25;  64,  165;  64,  231;  66,  72; 
77,  9;  114,  6;  66,  55.  An  diesen  Stellen  kannte  Lachmann  das  Richtige 
aus  Konjekturen  älterer  Kritiker,  an  folgenden  aus  Varianten  junger 
interpolierter  Handschriften:  30,  9;  39,  2;  42,  7;  59,  1;  64,  10;  73,  6: 
68,  130;  68,  50;  25,  2;  61,  183  (176);  64,  183;  67,  8;  68,  67;  92;  3— 4 
(omissi  in  DLG).  Bisweilen  ist  0  immerhin  weniger  verderbt  alsDLG: 
63,  46;  64,  138;  67,  42;  76,  11;  77  (78),  10.  Ebenso  zeigt  sich  (S.  30f.) 
sein  Wert  wiederholt  darin,  dafs  Abkürzungen  des  Arch.  geuau  wieder- 
gegeben sind,  welche  die  übrigen  Schreiber  mifsverstanden  und  falsch 
aufgelöst  hatten.  [Dahin  gehören  entschieden  auch  mehrere  der  S.  26  ver- 
zeichneten Stellen].  71,  1  wird  das  sacer  alarum  der  Itali  durch  sacra- 
torum  in  0  offenbar  bestätigt;  vgl.  auch  die  Bemerkungen  zu  97,  3.  Ver- 
bessern läfst  sich  Lachmanns  Text  aus  0  nur  an  zwei  Stellen :  62,  63 
Tertia  pars  patri  est,  jiars  est  data  tertia  matri  (=  Haupt  quaest.  Cat.  S.  30) 
und  101,  7  nunc  tarnen  iutrrea  kaec  {=  Schwabe  quaest.  Cat.  S.  276). 
Die  vom  Verf.  noch  citierte  Stelle  24,  4  ist  zu  streichen,  da  Lachmann 
Midae  in  den  Text,  der  späteren  Auflagen  aufnahm.  Endlich  ist  anzu- 
erkennen ,  dafs  0  von  den  Interpolationen  frei  ist,  welche  DL  an  fol- 
genden Stellen  enthalten:  5,  8;  11,  3;  44,  11;  45,  10;  62,  8.  40  —  63; 
73,  4.  —  Dem  steht  gegenüber  eine  Menge  falscher  Lesarten  (S.  36  f.). 


s>Ofi  Catullus.     Die  Handschriften. 

Es  fehll  zun  liehst  nicht,  an  Interpolationen  der  schlimmsten  Art.  Dahin 
gehören,  abgesehen  von  66,  83  und  42,  14  ( s.  oben):  64,  353  m 
61,  106  Lenta  »ed.  64,  139  blandu  (dabei  ein  lesenswerter  Exkurs 
über  den  Wechsel  des  Numerus  beim  Personalpronomen).  64,  273  lern- 
terque  sonant.  64,  11  proram  imbuit.  64,  15  equore  monalrorum  (in  marg.). 
Betreffs  57,  7  uno  in  lecticulo  wird  man  wenigstens  Zweifel  hegen  dürfen. 
Doch  ist  dem  Verf.  der  Nachweis,  dafs  diese  Stellen  interpoliert  sein 
müssen,  nicht  gelungen  (vgl.  Jahresb.  d.  Ph.  Ver.  IX  295  in  Z.f.  d.  G.W. 
1883  und  neuerdings  ß.  Schmidt  prolegg.  ed.  S.  CII).  So  erklären  sich 
61,  106  sed  und  64,  11  proram  wohl  als  Schreibfehler  (vgl.  Schwabes 
Apparat  in  ed.  II).  64,  353  läfst  sich  das  unrichtige  messor  auch  ohne 
Annahme  einer  Interpolation  erklären;  vgl.  oben  S.  203.  64,  139  bleibt 
es  trotz  der  lesenswerten  Ausführungen  des  Verf.  sehr  fraglich,  ob  blanda 
in  0  nicht  echt  ist  (die  Sache  stünde  ja  anders,  wenn  es  in  einer  jungen, 
von  den  Itali  nachweislich  stark  interpolierten  Handschrift  auftauchte). 
64,  273  kann  der  Vers  durch  que  in  0  gefüllt  sein,  aber  beweisen  läfst 
es  sich  nicht,  denn  die  La.  leviterque  sonant  ist  möglicherweise  richtig 
(so  jetzt  Vahlen  und  Schwabe).  64,  15  endlich  ist  ohne  Belang.  So 
schiefst  der  Satz  (S.  36):  cNullus  est  locus,  quo  codex  0  bonam  scrip- 
turam  novam  et  virorum  doctorum  coniecturis  antea  non  repertam  prae- 
beat'  doch  etwas  über  das  Ziel  hinaus.  Viel  eher  könnte  man  64,  102 
appeteret  für  eine  absichtliche  Änderung  halten,  eine  La.,  über  welche 
S.  sonst  richtig  urteilt  (S.  48).  Andere  Fehler  in  0  sind  nach  S.  auf 
Versehen  des  Schreibers  zurück  zu  führen,  wie  68,  61  viatorum;  66,  50 
ferris  fingere;  65,  1  defectum;  64,  175  in  Cretam.  Reichhaltiges  Register 
anderer  Fehler  auf  S.  50.  Obwohl  0  zu  den  besten  Catullhandschriften 
gehört,  so  thut  bei  seiner  Benutzung  grofse  Vorsicht  not. 

Im  dritten  Abschnitte  S.  51  —  65  spricht  Verf.  speciell  über 
den  cod.  Datanus.  Derselbe  ist  unzweifelhaft  mehrfach  interpoliert.  Aber 
viele  seiner  richtigen  Lesarten  lassen  sich  nicht  durch  Annahme  von 
Interpolationen  erklären:  66,  45  cumque  (denn  der  Schreiber  las  in  seiner 
Vorlage  das  unsinnige  propere,  konnte  also  den  Vers  weder  skaudieren 
noch  verstehen,  c  sed  tarnen  divina  qua  erat  animi  sagacitate  cumque  illud 
recte  pro  atque  reposuit').  68,  119  nam  nee  tarn  (die  Stelle  beweist  zu- 
gleich, dafs  D  nicht  aus  G  geflossen  ist).  97,  3  scheint  D  die  echte  La. 
von  V  ebenfalls  bewahrt  zu  haben.  Vgl.  80,  6;  76,  26;  61,  200  (193); 
64,  291;  68,  2;  64,  377.  Ganz  oder  fast  singulare  echte  Lesarten  bietet 
D  an  folgenden  Stellen:  66,  83;  88,  2;  62,  12;  65,  9.  Sydows  Be- 
sprechung des  wichtigen  Verses  65,  9  ist  sehr  lesenswert.  Zum  Wechsel 
des  Fut.  I  und  II  wird  verwiesen  auf  Prop.  II  5,  21  —  22  und  Verg. 
Aen.  IX  297  —  298.  Verf.  glaubt  'versum  illum  in  V,  fortasse  in  mar- 
gine,  adscriptum  fuisse  et  a  plerisque  librariis  neglectum,  ab  uno  fide- 
liter  exaratum  esse'.  97,  5  dentis  hos  (=  os).  65,  14  Daunias.  Aus 
verschiedenen  der  genannten  Stellen  ergiebt   sich,    dafs  D  nicht  aus  G 


Catullus.    Handschriften.    Zeilenzahl  des  Archetypus.  207 

geflossen  ist.  Vgl.  S.  62.  Diese  Ausführungen  sind  meist  überzeugend, 
doch  berücksichtigt  Verf.  nicht  immer  die  Möglichkeit,  dafs  die  richtige 
La.  in  D  durch  Konjektur  gefunden  wurde.  —  Dafs  die  D  eigentüm- 
lichen archaistischen  Formen  nicht  immer  auf  Interpolationen  beruhen, 
wird  mehrfach  durch  das  Zeugnis  von  0  erwiesen  (S.  63f.),  so  1,  10 
peremne,  35,  18  incohata,  11,  23  posquam,  64,  326  secuntur.  Man  wird 
daher  auch  anderes  nur  durch  D  Bezeugte  unverdächtig  finden  wie  55,  2 
demostres,  23,  8  conquoquitis,  61,  127  (120)  Fascennina.  —  Doch  ist  zu- 
zugeben (S.  65 f.),  dafs  Lachmann  dem  Datanus  bisweilen  zu  viel  ver- 
traute: Der  Vorname  Quintus  in  der  Inscriptio  ist  unrichtig.  Auch  107,  1; 
76,  10  (beachtenswert  sind  die  Bemerkungen  über  den  Hiatus  bei  Catull 
S.  68—69);  108,  1;  101,  7;  64,  107  (lesenswerte  Auseinandersetzung 
über  indomitum  turben)  hätte  ihm  Lachmann  nicht  folgen  sollen.  Auf 
S.  74—75  werden  viele  der  angeblichen  Archaismen  in  D,  welche  Ellis 
(praef.  ed.  II  S.  XXX f.)  aufzählt,  als  einfache  Schreibfehler  erwiesen. 
Dagegen  findet  Ref.  seine  Andeutungen  über  den  Wert  von  D  Jahresb. 
d.  Ph.  Ver.  V  313  Anm.  nicht  verwertet.  Das  Gesamtergebnis,  zu  dem 
die  Untersuchung  des  Verf.  gelangt:  '  Datanum  sua  via  ac  ratione  ad 
Veronense  Archetypon  redire  atque  non  sine  fruetu  in  recensendis  Ca- 
tulli  carminibus  adhiberi'  hält  Ref.  für  richtig. 

35.  R.  Fisch,  Zur  Geschichte  der  handschriftlichen  Über- 
lieferung des  Catull.  Wochenschr.  f.  kl.  Phil.  I  1884  Sp.  152—156. 
180—188. 

Verf.  bemüht  sich  durch  verwickelte  Berechnungen  die  Zeilenzahl 
auf  den  Seiten  des  Archetypus  festzustellen.  Seine  Resultate  sind  fol- 
gende. Die  Urhandschrift  hatte  auf  jeder  Seite  21  Zeilen. 
Alle  Gedichte  folgten  unmittelbar  auf  einander,  waren  also  nicht  durch 
tituli  getrennt.  Diesem  Codex  wurde  als  er  noch  in  verhältnismäfsig 
gutem  Zustande  war,  für  eine  lateinische  Anthologie  c.  62  entnommen  (cod. 
Thuaneus).  Ihn  besafs  Ratherius  und  nahm  ihn  in  die  Fremde  mit. 
Dann  blieb  er  bis  zum  Anfange  des  saec.  XIV  verschollen  und  mufs  in 
dieser  Zeit  arg  beschädigt  worden  sein.  Nach  Verona  zurückgebracht 
ward  er  sofort  abgeschrieben.  Der  so  neu  entstandene  Verouensis  ist 
die  Quelle  für  alle  übrigen  Catullhandschriften  und  bewirkte  aufserdem, 
dafs  der  alte  Urkodex  zum  zweiten  Male  der  Vergessenheit  anheimfiel. 
—  Zu  jener  Zeilenzahl  21  kommt  Verf.,  indem  er  Textverderbnisse,  Aus- 
lassungen, Nachträge,  Mifsverständnisse  durch  Seitenschlufs  oder 
Seitenanfang  seines  Urkodex  zu  erklären  sucht.  Diese  Lrklürungen 
sind  aber  oft  so  künstlich  (vgl.  z.  ß.  Sp.  154),  stellen  so  willkürlich  eine 
vage  Möglichkeit  als  Gewißheit  hin  und  operieren  wie  mit  einer  solchen, 
während  doch  daneben  hundert  andere  Fälle  denkbar  sind,  dafs  sie 
schwerlich  Jemanden  überzeugen  können  (vgl.  Riese.  Ausg.  8.  XXXVII). 
Mifstraueu  erweckt   auch,    dafs   Verf.    es  unterläßt  sich   mit  Lachmann 


208  Catullos.    Handschriften.    Guarinus'  Receusion. 

und  Haupt  auseinander  zu  setzen.  Haupt  hielt  Lachmanns  Annahme 
eines  30zei)igen  Archetypus  für  absolut  sicher  und  hat  sie  Quaest.  Cat. 
S.  38-49  (Opusc.  I  27  —  36)  scharfsinnig  begründet.  Nun  sind  es  aber 
zum  grofsen  Teil  dieselben  Lücken  und  Verderbnisse,  die  nach 
Haupt  den  30 zeiligen,  nach  Fisch  den  21  zeiligen  Archetypus  erweisen 
sollen!  Es  hätte  also  doch  vor  allen  Dingen  die  ältere  Hypothese  wider- 
legt werden  müssen.  Aber  Haupts  Berechnungen  sind  offenbar  ein- 
facher und  haben  die  gröfsere  Wahrscheinlichkeit  für  sich  :  Zweifel  blei- 
ben freilich  auch  hier.  Manches  was  Verf.  vorbringt,  ist  offenbar  nur 
erdacht,  um  die  21  Zeilen-Theorie  zu  stützen.  Die  Auslassung  von  64, 
334 — 337  in  manchen  Handschriften  erklärt  sich  auch  ohne  sie  auf  den 
ersten  Blick.  Sind  30,  4  —  5  wirklich  an  den  Schlufs  zu  stellen?  Wenn 
nicht,  was  wird  dann  aus  der  Hypothese?  Auffallend  ist,  dafs  Sp.  187 
behauptet  wird,  der  Urkodex  'geriet  zuletzt  an  einem  seiner  unwür- 
digen Orte  in  volle  Vergessenheit'.  Der  unwürdige  Ort  ist  doch  nicht 
etwa  wieder  der  Speicher,  auf  dem  die  Handschrift  unter  dem  famosen 
Scheffel  lag??  —  In  63,  78  wird  gelesen:  Agedum,  inquit,  age  ferox  i, 
face  ut  hucfuga,  celer  »',  Face  uti  sq.  Der  erste  Satz  face  .  .  .  fuga 
wird  angeblich  nicht  zu  Ende  geführt,  vielmehr  durch  eine  neue  Auf- 
forderung, celer  i,  unterbrochen,  schliefslich  aber  doch  durch  den  ganzen 
folgenden  Vers  inhaltlich  wiedergegeben. 

36.  E.  Abel,  Die  Catullusrecension  des  Guarinus.  Zeitschr. 
f.  d.  Ö.  G.  XXXIV  (1883),   161-166. 

37.  R.  Sabbadini,  Se  Guarino  Verouese  abbia  fatto   una 
recensione  di  Catullo.     Rivista  di  filol.  XIII  (1884),  266—269. 

38.  R.  Sabbadini,   Ancora  di  Catullo  e  di  Guarino  Vero- 
nese.     Rivista  di  filol.  XIV  (1885),  179-181. 

Ist  unter  dem  Guarinus,  welcher  den  Catullus  edierte,  der  ältere 
Guarinus  Veronensis  oder  dessen  Sohn  Baptista  Guarinus  zu  verstehen? 
Zur  Beantwortung  dieser  Frage  reproduziert  und  bespricht  Abel  einen 
schon  von  G.  Voigt  Wiederbelebung  des  classischen  Alterthums  II  389 
erwähnten  Brief  aus  Ferrara  ohne  Angabe  des  Schreibers  und  des  Adres- 
saten (vom  26.  Juli  1456),  jetzt  in  der  Gräflich  Apponyischen  Bibliothek 
zu  Nagy-Appony.  Gegen  Schlufs  dieses  Briefes  stehen  die  Worte  'Ca- 
tullum  ubi  meliorem  fecero,  ad  proprios  laresremeare  cora- 
pellam'.  Mit  Unrecht  zweifelt  Abel  ob  dieses  ad  proprios  lares  bedeute 
'zurück  an  den  Adressaten'  oder  in  seine  Heimat  nach  Verona'.  Offen- 
bar ist  das  Letztere  der  Fall.  Wir  haben  hier  jedenfalls  eine  Anspie- 
lung auf  das  Epigramm  des  B.  Campesani  Ad  patriam  venio  sq ,  das,  in 
falscher  Interpretation,  mehrfach  gerade  mit  Guarinus  in  Verbindung  ge- 
bracht wurde  (Abel  S.  161).     Wie  Abel  zu  dem  Schlüsse  kommt,    bei 


Catullus     Handschriften.     Guarinus'  Recension.  209 

dieser  Auffassung  müsse  der  Adressat,  notwendigerweise  in  Verona  ge- 
wohnt haben,  ist  nicht  recht  verständlich.  Sonst  haben  seine  Ausfüh- 
rungen grofse  Wahrscheinlichkeit.  Der  Verfasser  des  Briefes  ist  ein 
Guarinus  (dafür  spricht  besonders  das  Datum  1456,  sowie  die  Umge- 
bung in  welcher  er  steht;  über  die  Schriftzüge  äufsert  sich  Abel  nicht), 
aber  Baptista  (der  Apponyische  Codex  enthält  nur  Briefe  von  diesem; 
von  einer  Catullrezension  des  älteren  Guarinus  ist  überdies  sonst  nichts 
bekannt).  Schwabes  Annahme  Baptistam  intra  annos  fere  1450  ad  1470 
Catulli  librum  a  se  emendatum  edidisse'  (d.  h.  durch  handschriftliche 
Kopien,  nicht  durch  den  Druck;  vgl.  Schwabe2  S.  XXI)  wird  also  durch 
den  Brief  bestätigt  und  die  Zeit  der  Edition  näher  bestimmt.  Vgl.  auch 
B.  Schmidt  prolegg.  S.  C. 

Aber  wie  ansprechend  auch  Abels  Ausführungen  sind,  wie  gut 
sie  zu  den  sonstigen  Angaben  über  die  Catullstudien  des  Baptista 
Guarinus  passen  (vgl.  Schwabe2  S.  XVIIII,  XX),  seine  Vermutung  ver- 
wickelt uns  in  gewisse  Schwierigkeiten.  Dies  betont  Sabbadini.  Aus 
Andeutungen  des  Briefes  geht  hervor,  dafs  der  Adressat  Octavianus  hiefs 
und  Bruder  eines  dux  Federicus  war.  Ein  dux  Federicus  von  grofser 
Gelehrsamkeit  i.  J.  1456  kann  schwerlich  ein  Anderer  sein  als  Federico, 
duca  di  Urbino.  Dies  zugegeben,  spricht  der  Umstand,  dafs  Guarino 
Vater  v.  J.  1451  an  in  nahen  Beziehungen  und  Briefwechsel  mit  dem 
duca  di  Urbino  stand,  anscheinend  für  seine  Autorschaft.  Aufserdem 
lehrte  Baptista  Guarinus  1455-1457  in  Bologna  (Malagola,  Urceo 
Codro,  S.  61,  72).  Indessen  ist  ein  wirklicher  Beweis,  dafs  Baptista  der 
Schreiber  nicht  gewesen  sein  kann,  damit  offenbar  nicht  geliefert.  Und 
Guarino  Vater  erwähnt  zwar  den  Catull  öfters,  aber  nirgends  finden  sich 
sonst  Spuren ,  dafs  er  eine  Ausgabe  des  Dichters  vorbereitete.  Dies 
räumt  auch  Sabbadini  ein.  —  Über  das  Epigramm  des  B.  de  Campesani 
bemerkt  Sabbadini,  dafs  (was  übrigens  Niemandem  zweifelhaft  sein  kann) 
compatriata  in  v.  2  nicht  auf  Guarinus  Veronensis  gehen  kann  (die  sub- 
scriptio  in  G  stammt  aus  1375,  Guarinus  ist  1370  geboren!).  Die 
sonstige  Interpretation  ist  mehrfach  unrichtig,  wird  auch  im  zweiten 
Aufsatze  teilweise  von  Sabbadini  selbst  zurückgenommen.  Dafs  v.  4  den 
Stand  des  Finders  meine,  nachdem  in  v.  8  "  calamis  vorangegangen  und 
dann  tribuit  cui  Francia  nomen  dazwischen  getreten  ist,  glaubt  Ref.  nicht. 
Wie  die  Anknüpfung  mit  que  zeigt,  ist  die  Lösung  des  Rätsels  der  Zu- 
name jenes  Francesco  (vgl.  oben  S.  148).  Zu  dem  bildlichen  (vgl.  Ev. 
Lucae  11,  33;  Marci  4,  21)  ȟb  modio  in  v.  6  bringt  Sabbadini  (a  0. 
S.  180)  eine  hübsche  Parallelstell  e  ans  einem  nnedierten  Briefe  Gnarinos 
bei:  'Laudanda  profecto  religiös!  ei  sapientissimi  viri  Timothei  liberali- 
tas,  quae  hunc  repertaro  thesaurura  nun  defoderit,  sed  in  lucem  et  in 
christianorum  conspectum  eduxerit,  nee  sub  modio  Bed  Bnper  can- 
dclabro  ad  Christi  gloriam  collocavit,  ut  coram  bominibns  suaruin  vir- 
tutum  nitorem  diffunderel 

Jahresbericht  für  Alterthiimswissenschaii   LI.  (i887.   II.)  14 


210     Zur  Litteraturge8ch.  Catulls  u.  seiner  Zeit.    Ordnung  d.  Gedichte. 

D.  Beiträge  zur  Literaturgeschichte,   Kritik  und 

Erklärung. 

Mehrere  Publikationen  beschäftigten  sich  mit  der  Frage  nach  Aus- 
gabe, Umfang  und  Anordnung  des  über  Catullianus.  Das  letzte  Wort 
über  alle  diese  Punkte  scheint  noch  nicht  gesprochen. 

3V.  J.  Sufs,  Catulliana.     Erlangen.    1877.    48.  8.    8. 

Diese  fleifsige  Arbeit  ist  durch  brauchbare  Materialsammlungen 
noch  heute  wertvoll,  obwohl  der  Verf.  in  der  Behandlung  kritischer  Fra- 
gen vielfach  irre  geht.  Die  ersten  31  Seiten  waren  schon  187G  als 
Erlanger  Inauguraldissertation  erschienen  und  sind  von  R.  Richter  in 
dieser  Zeitschr.  1876  II,  3 10  f.  besprochen.  Doch  wird  hier  auf  den  In- 
halt auch  der  ersten  Abschnitte  nochmals  hingewiesen  —  der  Vollstän- 
digkeit halber  und  weil  die  inzwischen  erschienene  Litteratur  mehrfach 
Anlafs  zu  anderer  Auffassung  giebt.  —  Behandelt  werden  in  acht  Ka- 
piteln folgende  Themata.  1)  Die  beiden  Widmungsgedichte,  c.  14b 
si  qui  forte  mearum  ineptiarum  wird  wieder  mit  c  2,  11  tarn  gratum 
est  mihi  quam  ferunt  puellae  zu  einem  zweiten  Vorworte  verbunden  [Un- 
richtig. Vgl.  besonders  Birt  Buchw.  411  Anm.  1.  F.  Scholl.  N.  Jahrbb. 
121,  494.  R.  Richter  Catulliana  S.  1].  Bezüglich  des  doppelten  Vor- 
wortes verweist  Verf.  auf  die  beiden  Einleitungsgedichte  der  Priapea 
und  stellt  die  Anklänge  dieser  Gedichte  an  Catull  und  Ovid  zusammen 
(S.  4—5).  Speziell  das  o  patrona  virgo  (1,  9)  wird  angeblich  durch 
Priap.  2,  4—5  geschützt.  —  2)  Nachklänge  Catullischer  Poesie. 
Verf.  versucht  mehrfach  Reminiszenzen  in  der  späteren  Poesie  als  Hilfs- 
mittel zur  Feststellung  des  Textes  zu  verwerten.  So  entscheidet  er  sich 
29,  24  für  gener  soccrque  wegen  Catalept.  3,  6  und  Mart.  IX  70,  3.  Vgl. 
auch  Birt  Buchw.  S.  409.  Mit  Rücksicht  auf  Ciris  170  non  niveo  reti- 
nens  bacata  monilia  collo  wird  Catull  64,  64  velatum  für  korrupt  er- 
klärt und  mit  Benutzung  von  Vorschlägen  Anderer  vermutet  non  niveum 
contecta  levi  per  pectus  amiäu.  Doch  erklärt  Verf.  eine  im  Anhange  S.  48 
mitgeteilte  Vermutung  Wölfflins  für  cnoch  richtiger':  non  niveum  velata 
levi  tum  pectus  amictu  [Beides  vielmehr  gleich  unrichtig.  Die  Ähnlichkeit 
der  Cirisstelle  ist  ganz  geringfügig,  velatum  echt;  vgl.  oben  S.  195  - 196].  Ca- 
tull 101 ,  7  will  Verf.  nach  Ciris  44  emendieren  haee  tarnen  interea.  Ciris 
352  spricht  angeblich  für  die  Richtigkeit  von  Schraders  Eons  in  62,  35. 
Es  folgen  die  Reminiszenzen  im  Culex,  den  Dirae,  dem  Martial  (Pauck- 
stadts  Dissertation  ist  dem  Verf.  anscheinend  erst  nachträglich  bekannt 
geworden).  Den  Schlufs  bilden  lesenswerte  sprachliche  Bemerkungen  zu 
1,  8—9.  —  3)  Die  Fragmente  und  der  Umfang  des  über  Ca- 
tull i.  Von  sonst  als  acht  anerkannten  Fragmenten  beanstandet  Verf. 
Fragm.  1  at  non  effugies  meos  iambos  wegen  Catull  40,  3.  Doch  vgl. 
Birt   Buchw.   403   Anm.   3.     Über  Ov.   Trist.  U  427  f.    wird  richtig  ge- 


Zur  Litteraturgesch.  Catulls  u.  seiner  Zeit.  Ordnung  d.  Gedichte.      211 

sprachen.  Plinius  Angabe  bist.  nat.  28,  2  hinc  Theocriti  apud  Graecos, 
Catulli  apud  nos  proxumeque  Vergilii  incantaraentorum  amatoria  imitatio 
wird  mit  Peiper  auf  die  Refrainverse  bei  Tbeokr.  Idyll  2.  Verg.  ecl.  8, 
im  Parzenliede  bei  Cat.  64  bezogen.  Doch  vgl.  Birt  Buchw.  404  Anm.  1. 
Fragment  2  bei  Baehrens  ist  zu  streichen.  Bei  Servius  zu  Verg.  Georg. 
2,  95  und  Varro  de  1.  1.  S.  74  M.  ist  von  Lutatius  Catulus  die  Rede. 
Die  Schlufsbetrachtungen  über  den  Umfang  des  heutigen  über  Catulli 
('Man  könnte  sich  wohl  versucht  fühlen  anzunehmen.  Catulls  Gedichte 
hätten  im  Altertume  drei  Bücher  gebildet')  sind  jetzt  durch  Birts  For- 
schungen überholt.  —  4)  Die  drei  Teile  des  über  Catulli.  Aus- 
drücke der  hochpoetischen  Sprache  finden  sich  vorzugsweise  und  manch- 
mal ausschliefslich  in  der  Mittelpartie.  Z.B. wird  in  1  —  60' schön'  stets  durch 
bellus  bezeichnet,  nie  durch  pulcher,  in  61-  63  dagegen  konsequent  durch 
pulcher,  nie  durch  bellus  u.  s.  w.  Im  Vorbeigehen  verlangt  Verf.  in  95,  3 
Tanusius  statt  des  überlieferten  Hortensius.  Andere  Einzelheiten  jetzt 
bei  A.  Seitz,  De  Catulli  carmiuihus  in  tres  partes  distribuendis.  Rastatt. 
1887.  _  5)  Die  Anordnung  der  Gedichte.  Da  die  Metriker  ihre 
Musterbeispiele  dem  ersten  betreffenden  Gedichte  Catulls  zu  entnehmen 
pflegten  und  da  sie  als  Muster  des  priapeischen  Verses  anführen  Hunc 
lucum  tibi  dedico  consecroque,  Priape,  nicht  17,  1  0  colonia,  so  folgert 
Verf.,  dafs  jenes  Gedicht  auf  Priapus  vor  17  stand,  etwa  nach  14.  [Doch 
bleibt  zu  erwägen,  ob  jenes  Gedicht  an  den  Priapus  den  Metrikern  nicht 
wegen  seines  Inhaltes  als  sehr  geeignetes  Musterbeispiel  für  den 
Priapeischen  Vers  erschien.]  In  selteneren  Versmafsen  abgefafste  Ge- 
dichte pflegen  sich  nicht  zu  folgen,  sondern  durch  verschiedenartige  ge- 
trennt zu  werden.  Verf.  ei  kennt  darin  das  nämliche  Prinzip  der  Variatio, 
welches  auch  den  Horaz  bei  der  Anordnung  seiner  Oden  geleitet  hat. 
[Vgl.  unten  zu  No-  41].  Der  Dichter  gewinnt  so  ein  Mittel,  durch 
welches  benachbarte  Gedichte  sich  gegenseitig  erklären  und  ergänzen'. 
Diese  Theorie  erweist  sich  angeblich  fruchtbringend  für  die  Interpretation 
von  c.  49,  d.  h.  für  die  sogenannte  ironische  Auffassung  dieses  Ge- 
dichtes. 'Diesen  Pfeil  schleuderte  Catull  gegen  Cicero,  als  dieser  sich 
auf  Zureden  Cäsars  dazu  hergab,  den  nämlichen  Vatinias  im  Jahre  54 
gegen  die  Anklage  des  Calvus  zu  verteidigen,  den  er  sich  selbst  rühmte 
zwei  Jahre  vorher  in  die  Pfanne  gehauen  zu  haben'.  [Doch  vgl.  gegen 
diese  Sätze  unten  zur  Litteratur  des  c.  49.]  -  6)  Einflufs  der  Me- 
trik auf  die  Sprache.  Bemerkungen  über  Freiheiten  der  Wortstel- 
lung (z.  B.  Nachstellung  von  valde,  male,  nimis;  sod  und  at  an  zweiter 
Stelle  ;  namque  an  fünfter  Stelle  66,  65;  das  Auffällige  in  66,  18).  Bei 
den  Komparativformen  3,  2;  5,  2;  9,  10;  10,  17,  J 1 :  12,  ."•;  'JT.  2  be- 
nutzt Catull  nur  in  den  munteren  HendekasyllabeD  eine  Freiheit  der 
Umgaugssprachc,  die  ihm  für  den  Versbau  gelegen  kommt.  7t  Griechi- 
sche Studien  und  Gräcismus.  Eingehende  Behandlang  von  c.  66. 
Dies  ist  eins  der  ältesten  Gedichte  Catulls     Die  Behandlung  des  Disti- 

14* 


212  Die  Anordnung  der  Gedichte  Catulls 

chons  wird  der  Komposition  sapphischer  Oden  oder  der  schwierigen 
Galiiamben  vorausgegangen  sein.  Das  Gedieht  ist  reich  an  Archaismen 
(28.  35.  48.  94)  und  anderen  Licenzen,  wie  die  Nachstellung  von  nam- 
que;  es  ist  einem  Originale,  und  zwar  recht  getreu  ohne  Beimischung 
eigener  Zusätze,  nachgebildet.  Schlüsse  für  die  Chronologie  sind  hieraus 
nicht  zu  ziehen.  Denn  wenn  auch  die  Absendung  des  Gedichtes  an 
Hortensius  (65,  1)  dem  Tode  des  Bruders  bald  nachgefolgt  sein  mufs, 
so  kann  der  Dichter  offenbar,  um  sein  früher  gegebenes  Wort  zu  halten, 
ein  auf  Lager  vorrätiges  Gedicht  älteren  Datums  dem  hohen  Gönner 
übermittelt  haben.  Nach  Bemerkungen  über  51  und  62  werden  einzelne 
Gräzismen  verzeichnet:  leaena  60,  1.  64,  83  f antra  nee  funera  wie  Toapug 
ärapoz,  yd/xog  ayajnog.  64,  18  nutricum  wie  rcrDq.  Amphitrite  64,  11. 
Der  Nom.  c  inf.  68,  11.  Ebenso  4,  1  —  2.  Der  Geu.  exclamationis  9,  5 
nuntii  beati.  Der  Dativ  nach  Analogie  von  [xäyea&a'.  62,  64.  Über  den 
Akkusativ  bei  medialen  Passivis  (64,  64  conteeta  pectus  amictu),  über 
die  figura  etymologica  basiu  badare  u.  s.  w.  findet  mau  jetzt  Genaueres 
in  Schäflers  Schrift  über  die  Gräzismen  (No.  28).  8)  Provinzialis- 
mus oder  Gallicismus.  Es  steht  fest,  dafs  Catull  mehrere  gallische 
Wörter  zuerst  in  die  römische  Litteratur  eingeführt  hat.  Über  jjloxenum, 
basium  wird  sorgfältig,  wenn  auch  ohne  wesentliche  neue  Ergebnisse,  ge- 
handelt. Auch  grabatus  ist  Verf.  geneigt  für  gallisch  zu  halten  00,  22). 
Über  salaputium  oder  salaputtium  wagt  er  kein  bestimmtes  Urteil,  ebenso- 
wenig über  cuniculus,  euniculosus  (25,   1;  37,   18). 

38.  R.  Richter,   Catulliana.     Leipzig.    1881.    26  8.    4.     (Pro- 
gramm des  Königl.  Gymnasiums  zu  Leipzig). 

Die  Abhandlung  beschäftigt  sich  mit  der  Anordnung  der  Catulli- 
schen  Gedichte  1-60.  Verf.  geht  von  den  Voraussetzungen  aus,  dafs 
Catull  diese  Sammlung  (den  über  ad  Cornelium  Nepotem)  selbst  edierte 
und  dafs  die  Reihenfolge  unserer  Texte  durchweg  die  ursprüngliche  ist. 
Die  Darstelluug  ist  fesselnd  und  geistvoll,  die  eingestreuten  Übersetzungs- 
proben (c.  50.  8.  27.  31)  gelungen,  die  Resultate  aber,  wie  das  in  der 
Natur  der  Sache  liegt,  problematisch  (vgl.  Jahresb.  d.  Phil.  Ver.  IX 
289,  Z.f.G.W.  1883).  Verf.  unterscheidet  folgende  vom  Dichter  beab- 
sichtigte Gruppen,  angeblich  mehrfach  mit  korrespondierenden  Schlufs- 
gedichten:  I)  1—14.  cDie  Lieder  vor  XIV b  sind  ein  Ganzes  von  einer 
gewissen  berechneten  Abgeschlossenheit'.  Verf.  versucht  bis  ins  Einzelne 
nachzuweisen,  warum  jedes  Gedicht  gerade  diesen  Platz  erhalten  mufste, 
und  berührt  sich  hierbei  mehrfach  mit  den  Anschauungen  von  K.  P. 
Schulze  in  No.  39.  So  hält  auch  er  2,  11  —  13  für  den  Rest  eines  die 
Sperlingslieder  trennenden  Gedichtes  von  anderem  Inhalte.  Den  Grund- 
ton der  ganzen  Gruppe  bestimmen  die  Lesbialieder.  —  II)  14 b  —  36, 
Zu  Grunde  gelegt  sind  die  sechs  zusammengehörigen  Gedichte  an  Furius 
und  Aurelius.    Die  scheinbar  versprengten  Verse  14 b  sind  bestimmt  die 


Anordnung  der  Gedichte  Catulls.  213 

neue  Gruppe  einzuleiten,  eine  Gruppe  rücksichtslosester  Äufserungen 
des  Übermutes  und  Unmutes,  (horrere  weist  auf  die  Möglichkeit  von 
Widerwillen  und  Abscheu  hin).  'Catull  wufste,  dafs  zum  Genufs  des 
nunmehr  Darzubietenden  ein  anderer  Geschmack  gehöre  als  für  die  bis- 
her gereichte  Zuckerkost  der  Sentimentalität'.  —  III)  37-50.  Nr.  14 
und  50,  die  Schlufsgedichte  der  ersten  und  dritten  Gruppe  korrespon- 
dieren. Catull  schliefst  zweimal  mit  Calvus,  beide  Male  die  Gemeinsam- 
keit ihrer  litterarischen  Neigungen  und  Bestrebungen  berührend,  c  35 
und  36  sind  als  Bild  und  Gegenbild  zusammengestellt.  In  der  letzten 
Partie  51  60  sieht  Verf.  einen  Anhang,  eine  Nachlese,  bestehend  aus 
den  Überbleibseln  und  Abfällen  des  bisherigen  Einordnungsverfahrens. 
Hier  ward  auch  die  Ode  Ille  mi  esse  deo  videtur  untergebracht,  denn 
als  Ganzes  ist  sie  wegen  der  Schlufsstrophe  Otium,  Catullc  ein  mifs- 
ratenes  Gedicht.  Textkritische  und  erklärende  Bemerkungen  werden 
beiläufig  zu  folgenden  Stellen  gemacht.  11,  21  respectet  soll  heifsen: 
Nach  dem  Abfall  von  mir  in  der  ersten  Periode  ihrer  Lüderlichkeit  hat 
L.  mich  immer  im  Auge  behalten,  um  zu  mir ,  dem  scheinbar  Getreuen 
zurückzukehren,  wenn  sie  des  wilden  Treibens  und  meine  Nebenbuhler 
ihrer  müde  sein  werden;  aber  auf  diesen  Rückhalt  an  meiner  Treue,  den 
sie  bisher  (ante)  zu  haben  meinte,  mag  sie  verzichten.  Zu  30,  5  wird 
das  quos  der  Bali  empfohlen.  46,  11  diversos.  10,  10  nee  ipsis  nunc 
praetoribus  esse.  10,  32  '  Zu  paratim  ist  nur  das  unbestimmte  octo  ho- 
mines  rectos  zu  ergänzen  (ich  könnte  mir  welche  anschaffen),  statt  die 
bestimmten  acht  des  Cinna  zu  suppliereu'.  6,  12  iion  ista  ipae  vales  mihi 
tacere. 

39.  K.  P.  Schulze,  Catullforschungen  (in  der  Festschrift  des 
Friedrichs-Werderschen  Gymnasiums  zu  Berlin).  Berlin.  Weidmann. 
1881.    20  S.  im  Separatabzuge.    8. 

Gegen  die  gewöhnliche  Annahme,  dafs  Catull  die  unter  seinem 
Namen  erhaltene  Gedichtsammlung  selbst  veröffentlicht  habe,  kann  man 
Bedenken  verschiedener  Art  geltend  machen.  Besonders  läfst  sich  durch- 
aus kein  durchgehendes  Prinzip  der  Ordnung  aufdecken,  denn  das  von 
Wcstphal  aufgestellte,  von  Süfs  etwas  modifizierte  Prinzip  der  Variatio 
('zwei  zusammengehörige  Gedichte  weiden  durch  ein  heterogeues  von 
einander  getrennt')  ist  nicht  für  die  ganze  Sammlung  durchführbar.  An 
einigen  Stellen  pafst  die  Theorie,  für  die  Mehrzahl  der  Gedichte  aber 
läfst  sie  uns  im  Stich'.  Verf.  stimmt  den  negativen  Ausführungen  Brauen 
(acta  soc.  Fennicae.  1863.  VII  601  656)  bei:  Die  Widmung  an  den 
Cornelius  Nepos  kann  sich  weder  auf  die  ganze  Sammlang,  noch  auch 
nur  auf  sämtliche  kleinere  Lieder  (c.  1—60)  beziehen.  Bruners  posi- 
tive Ansicht  über  drei  vom  Dichter  selbst  veranstaltete  Sammlungen  ist 
dagegen  zu  verwerfen.  Vielmehr  reichte  der  dem  Nepos  gewidmete, 
vom  Dichter  selbst  edierte  und  nach   dem  Principe  der  Variatio  geord- 


214  Ordnung  und  Herausgabe    der  Gedichte  Catulls. 

riete  Libcllus  nur  bis  c.  14.  Als  Epilog  desselben  ist  14 b  anzusehen. 
Aufscr  dieser  Sammlung  hat  der  Dichter  keine  mehr  veranstaltet.  Die 
Auswahl,  welche  er  in  l  14  getroffen  hat,  können  wir  nur  loben;  sie 
enthält  die  schönsten  Perlen  Catullischer  Poesie.  Die  jetzt  bestehende 
Anordnung  des  über  Catulli  ist  wahrscheinlich  nicht  unmittelbar  nach 
des  Dichters  Tode  entstanden.  Denn  die  mit  den  Schicksalen  des  Dich- 
ters wohl  vertrauten  Freunde  werden  nicht  ein  solches  Chaos  geschaffen 
haben.  [Vgl.  für  diese  Sätze  0.  Harnecker,  Phil.  R.  1882  No.  10;  re- 
serviert äufsert  sich  Ellis  Academy  No.  497,  368.  Dagegen  s.  Riese 
Ausg.  S.  XXX-XXXII,  Baehrens  Comm.  S.  58—59.  H.  Magnus  Jahresb. 
d.  Phil.  Ver.  IX  Z.f.d.  G.W.  1883  S.  286—289,  sowie  unten  S.  218;  s. 
auch  neuerdings  B.  Schmidt  prolegg.  ed.  S.  LXXXIXf.  ]  Baehrens' 
Sammlung  von  Parallelstellen  zu  Catull  aus  der  Ciris  wird  berichtigt 
und  ergänzt.  In  c.  31  ist  uterque  Neptunus  =  Meer  des  Ostens  und 
Westens  [vgl.  Jahresb.  d.  Phil.  Ver.  VII  S.  357].  Catull  64,  139  wird 
das  in  0  überlieferte  Manila  durch  Ennius  Ann.  I  34,  51  gestützt. 

40.  Theodor  Birt,  Das  antike  Buch wesen  in  seinem  Ver- 
hältnis zurLitteratur,  mit  Beiträgen  zur  Textgeschichte  des  Theo- 
krit,  Catull,  Properz  und  anderer  Autoren.  Berlin  1882.  Hertz.  VII 
und  518  S.    8. 

Dieses  bedeutende,  von  viel  Scharfsinn  und  Gelehrsamkeit  zeugende 
Werk  hat  bekanntlich  ebensoviel  Beifall  wie  Widerspruch  gefunden. 
Schwerlich  ist  heute  schon  ein  unbefangenes  Urteil  über  das  Ganze 
möglich.  Unter  allen  Umständen  wird  Jeder,  der  die  Schicksale  der 
antiken  Autoren  von  ihrer  Edition  an  verfolgen  will,  zu  den  geistreichen 
Kombinationen    des  Verf.  Stellung  nehmen  müssen. 

Speziell  über  die  Geschichte  und  Komposition  des  uns  erhaltenen 
Catullischen  über  wird  S.  401—413  gehandelt.  Gewichtige  Gründe  machen 
es  sehr  unwahrscheinlich,  dafs  diese  unsere  Catullsammlung  im  antiken 
Sinne  ein  'Buch'  ist.  1)  Es  giebt  kein  anderes  antikes  Buch,  das 
aus  so  ungleichartigen  Bestandteilen  zusammengesetzt  wäre.  Niemals 
fehlt  eine  begriffliche  Einheit  (metrisch-formale,  sachliche  Einheit,  gleich- 
mäfsiger  Umfang  der  Stücke).  2)  Der  Umfang  dieses  Sammelbuches  ist 
ganz  anormal  (2276  Verse).  3)  Dieses  anormale  c  Buch'  ist  obendrein 
inkomplet:  Kleinere  Lücken  im  Texte,  unzweifelhaft  verloren  gegangene 
Gedichte.  Eins  der  letzteren,  cein  erotisches  Gedicht,  die  Zauberbeschwö- 
rungen eines  Liebenden  enthaltend,  ohne  Frage  eine  Nachbildung  der 
Pharmakeutriai  Theokrits,  die  Plinius  hist.  nat.  XXVIII  19  mit  ihm  zu- 
sammenstellt', wird  wie  sein  Vorbild  etwa  166  Verse  gehabt  haben.  4)  Bei 
Martial  IV  14,  XI  6  wird  eine  Bucheinheit  des  Catull  nach  den  beiden 
ersten  Nummern  derselben  passer  Catulli  benannt.  In  ihr  konnten 
Kunstwerke  ernsten  uud  grofsen  Stiles  wie  c.  63,  64  nicht  mit  enthalten 
sein.     Denn  Martial   vindiziert  dem  betreffenden  Buche  den    nämlichen 


UmfaDg  und  Herausgabe  des  über  Catulli.  215 

Charakter  wie  seinen  Epigrammen;  man  las  es  seposita  severüate,  es  war 
madidus  iocis  lascivis  und  so  dem  Saturnalienfeste  angemessen.  Daher 
auch  das  Prädikat  teuer.  Martials  Catullbuch  begann  also  zwar  mit 
unseren  Anfaugsnummern  1,  2  und  3,  enthielt  aber  nicht  No.  64  und 
die  sonstigen  Dichtungen  verwandten  Tones.  5)  In  dem  Widmungsge- 
dichte an  Nepos  spricht  Catull  selbst  von  seinem  libellus  d.  li.  einer  Ge- 
dichtrolle mit  höchstens  1000  Zeilen,  er  bezeichnet  diesen  libellus  als 
lepidus,  nett,  drollig,  liebenswürdig,  er  nennt  seinen  Inhalt  migae  oder 
inejjtiae.  '  Dafs  man  für  »Possen«  und  »Bagatell«  auch  die  Elaborate 
seines  sauersten  Dichterfleifses  nehmen  würde,  dies  hat  Catull  sich  ge- 
wifs  nicht  träumen  lassen.  Das  Proöm  Catulls  ignoriert,  wie 
Jeder  sieht,  jedenfalls  die  Nummern  62  bis  68  sowie  die 
Pharmakeutriai'.  Die  Summe  dieser  Thatsachen  führt  zu  dem  nach 
Ansicht  des  Ref.  überzeugenden  Schlüsse,  dafs  unsere  Sammlung  durch 
Kontraktion  mehrerer  normaler  CaUillbücher  entstanden  ist.  Die  Grenzen 
dieser  libelH  versucht  Birt  (natürlich  bleibt  hier  vieles  problematisch)  zu 
bestimmen.  Catull  edierte  vier  Mouobibla  verschiedeneu  Inhaltes,  a)  Ein 
poematorum  liber  ad  Nepotem  mit  über  738  Versen.  Das  Buch 
enthielt  die  Nummern  1—60.  Die  Anordnung  vieler  Gedichte  ist  noch 
die  ursprüngliche.  Das  Bruchstück  No.  14  ist  vielleicht  nur  hierher  ver- 
sprengt und  ein  Teil  des  Schi ufs Wortes:  so  galten  Catulls  letzte  Verse 
dem  Publikum,  die  ersten  dem  speziellen  Adressaten  Nepos.  [Doch  vgl. 
des  Ref.  Bedenken  Jahresb.  d.  Phil.  Ver.  IX,  1883,  S.  289].  b)  Das 
Epyllion  Nuptiae  Pelei  et  Thetidis  mit  407  Verseu.  Ein  so  grofses 
Gedicht  findet  sich  nie  als  Buchteil.  Auch  als  monobiblos  sind  die 
Nuptiae  das  Vorbild  gewesen  für  die  Ciris,  und  nicht  anders  ist  die 
Smyrna  des  Cinna,  nicht  anders  werden  der  Glaukos  des  Cornificius,  die 
Jo  des  Calvus  erschienen  sein.  [Über  den  Letzteren  und  seine  Jo  vgl. 
jetzt  F.  Plessis,  Essai  sur  Calvus,  Caen,  1885  S.  23  und  sonstj.  c)  Ein 
carminum  liber  als  Miscellanbuch  von  Gedichten  höherer  Gattung,  in 
der  Sache  an  des  Properz  letztes  Buch,  in  seiner  metrischen  Mannig- 
faltigkeit besonders  an  die  Silvae  des  Statius  erinnernd,  enthaltend  unter 
Separattiteln  c.  61,  62,63,  65,  66,  68b  die  Laodamiastudie,  die  grofse 
Gloritizierung  Lesbias',  die  Nachahmung  der  Pharmakeutriai,  zusammen 
etwa  790  Verse,  d)  Ein  Epigrammatum  liber,  No.  67  —  116  cxcl. 
68 b,  in  welchem  sich  einige  Stücke  (wie  ja  c.  7G  lehrt),  zum  Umfange 
kürzerer  Elegien  ausdehnten.  In  der  Artungleichheit  der  vier  Catull- 
bücher,  welche  eine  Buchzählung  verschmähte,  sieht  Birt  die  Ilaupt- 
ursache  ihrer  Entstellung.  In  den  Noten  zu  diesen  Ausführungen  rindet 
der  Leser  noch  manche  interessante  Einzelheiten.  Sehr  willkürlich  wird 
über  c  54  gehandelt,  das  Birt  in  zwei  Gedichte  zerlegt.  In  dem  Citat 
aus  c  4  (scholia  Berncns.  ad  Verg.  georg.  IV  289)  versucht  Birt  eimeto- 
rinn  statt  des  überlieferten  auetorm  (vulg.  auctoris).  Anklang  an  60,  2 
bei  Apulcius  de  deo  Socr.    12   gui  signorum  ortus  ei   obitu»  comptrU.    In 


216  Ordnung  der  Gedichte  Catulls.   Prinzip  der  Variatio. 

No.  51  ist  das  Otium  Catulle  nicht   mit   der  Supphoübersctzung  zu   ver- 
binden u.  a. 

Kürzere  Behandlung  erfährt  S.  426-429  die  unter  Tibulls  Namen 
überlieferte  Sammlung.  Diu  Excerpta  Parisina  kennen  nur  zwei  Tibull 
bücher.  Das  dritte  Buch  gilt  als  Teil  des  zweiten.  Auch  das  Altf-rtum 
wird  nur  zwei  Tibullrollen  normaler  Gröfse  gehabt  haben:  Bnöb  I  zu  820, 
Buch  II  (unser  II  +  III)  zu  718  Versen.  Die  sechs  Gedichte  des  Lyg 
damus  traten  vermutlich  in  der  Weise  in  den  Buchhandel  ein,  dufs  sie 
von  den  Sosii  in  die  noch  halb  leer  stehende  zweite  Tibullrolle  hinten 
eingetragen  wurden  und  so  zu  einem  Bestandteile  des  zweiten  Tibull- 
buches  herabsanken.  So  ging  auch  die  Autorschaft  des  Lygdamus  sehr 
früh  auf  Tibull  über,  dessen  Name  auf  dem  Protokoll  stand.  Ovid  weifs 
noch,  dafs  nur  Delia  und  Nemesis  die  Gefeierten  seines  Freundes  waren, 
aber  das  ganze  weitere  Altertum  kennt  einen  Dichter  Lygdamus  nicht. 
Derselbe  Anlafs  machte  später  Nemesiauus'  Eclogen  zum  Eigentum  des 
Calpurnius.  Zu  beurteilen,  in  welcher  Form  die  so  disparate  Appendix 
Tibulliana  (unser  Buch  IV)  im  Altertum  umging,  fehlt  uns  jeder  Anhalt. 

41.  K.  P.  Schulze,  Über  das  Princip  der  Variatio  bei  Rö- 
mischen Dichtern,  N.  Jahrbb.  f.  Phil.  1885,  857-879. 

Verf.  verteidigt  zunächst  das  Resultat  seiner  oben  S.  213 — 214f.  be- 
sprochenen Catullforschungen  ('  dafs  Catullus  die  ersten  14  Gedichte 
unserer  Sammlung  nach  dem  Princip  der  Variatio  kunstvoll  augeordnet 
hat,  während  in  den  folgenden  Gedichten  unseres  über  Catulli  eine  der- 
artige künstlerische  Anordnung  sich  nicht  nachweisen  läfst,  und  dafs  wir 
deshalb  wohl  annehmen  dürfen,  nur  l  —  14  seien  von  Catull  selbst  zu 
einem  Ganzen  vereint  herausgegeben  worden)  gegen  den  Widerspruch 
des  Ref.  Z.f  d.G.W.  1883  Jahresber.  IX  8.  286  f.  Er  versucht  sodann 
nachzuweisen ,  dafs  auch  andere  römische  Dichter  der  klassischen  Zeit 
dasselbe  Princip  angewandt  haben.  So  sind  die  Sulpiciaelegien  Tib.  IV 
2  —  6  kunstvoll  in  der  Weise  gruppiert,  dafs  in  der  zweiten,  vierten  und 
sechsten  Elegie  Tibull  selbst  von  der  Liebe  der  Sulpicia  berichtet,  wäh- 
rend in  den  dazwischentretenden  drei  und  fünf  der  Dichter  die  Sulpicia 
redend  einführt.  Diese  Anordnung  rührt  jedenfalls  von  Tibull  selbst  her, 
obwohl  die  Gedichte  erst  aus  seinem  Nachlasse  veröffentlicht  sein  werden. 
Im  ersten  Buche  von  Tibulls  Elegieen,  'das  unzweifelhaft  vom  Dichter 
selbst  herausgegeben  ist',  findet  Verl'  folgendes  Schema: 

1  divitias  alius  fulvo  sibi  congerat  auro  (Messalla  und  Delia). 
2  adele  merum  vinoque  novos  compesce  dolores  (Delia). 

(3   ibitis  Aegaeas  sine  nie,  Messalla,    per  tindas  (Messalla  und  Delia). 
4  sie  umbrosa  tibi  contingant  teeta,  Priape  (Marathus). 
5  asper  eram  et  bene  diseidhnn  nie  ferre  loqucbar  (Messalla  u.  Delia). 
6  semper,  ut  inducar,  blandos  offers  mihi  vultus  (Delia). 


Catull  und  Tibull.     Prinzip  der  Variatio  in  de»-  Anordnung.  217 

7  hanc  ceeinere  diem  Parcae  fatalia  nentes  (Messalla). 

8  non  ego  celari  possum,  quid  mdus  amantis  (Marathus). 

9  quid  mihi,  si  fuerns  miseros  laesurus  amores  (Marathus). 
10  quis  fuit,  hurrendos  primus  qui  protulit  ense.i? 

'So  hat  auch  Tibull  in  diesem  Buch  Delia  die  Gedichte  nach  dem 
Princip  der  Variatio  geordnet'.  [? Richtiger:  Spuren  des  Strebens  nach 
Variatio  lassen  sich  einige  Male  erkennen.  Durchgeführt  ist  das  Princip 
offenbar  nicht.  Das  zeigt  schon  obiges  Schema,  c.  9  bezieht  sich,  wie 
Verf.  selbst  betont,  auf  das  vorhergehende  Gedicht.  Einige  Seiten  vor- 
her hiefs  es:  'Die  Kunst  des  Dichters,  der  seine  Lieder  herausgiebt, 
zeigt  sich  auch  darin,  dafs  er  die  Gedichte  verwandten  Inhalts 
nicht  einfach  plump  an  einander  fügt,  sondern  sie  trennt'. 
Übrigens  ist  das  Schema  selbst  keineswegs  unanfechtbar.  Das  Thema 
der  fünften  Elegie  ist  nicht  'Messalla  und  Delia1:  Messalla  wird  nebenbei 
in  vier  Versen  als  Staffage  ländlicher  Szenerie  erwähnt.  Dafs  dieses 
kurze  beiläufige  Kompliment  für  Messalla  bei  der  Anordnung  bestimmend 
mitgewirkt  habe,  glaube  wer  will.  Über  die  Stellung  von  I  4  vgl.  Dou- 
cieux,  De  Tib.  am.  S.  61  not.:  'Si  poeta  elegiarum  de  Delia  tractum 
ita  dividere  voluisset,  certe  in  medio  el.  I  7  collocavisset,  quae  una  per 
se  constat,  non  alteros  alteris  amores  permiscuisset'.  Wiederum  anders 
Ribbeck  Rh.  Mus.  32,  449:  Jenes  discidiura  aber,  welches  Tibull  sich 
gerühmt  hatte  leicht  ertragen  zu  wollen  (5,  1),  mag  durch  Eintiechtung 
des  frechen  Priapeums  an  Marathus  (4)  angedeutet  sein'.  Endlich  ist 
zu  konstatieren,  dafs  die  inneren  Beziehungen  zwischen  den  einzelnen 
Elegien,  die  Verf.  mehrfach  treffend  nachweist  (freilich  ist  unrichtig,  dafs 
in  c.  2  die  '  erste  Zeit  glücklicher  Liebe'  geschildert  werde),  sich  ebenso 
gut  zwischen  zusammenstehenden  wie  getrennten  Gedichten  linden,  dafs 
sie  auch  bei  anderer  Anordnung  vorhanden  sein  würden,  d.  h.  dafs  sie 
mit  dem  Princip  der  Variatio  nicht  das  geringste  zu  thun 
haben  |.  'Im  zweiten  Buche,  das,  wie  es  scheint,  vom  Dichter  anvoll- 
endet  und  noch  nicht  für  die  Herausgabe  vorbereitet  ans  seinem  Nach- 
lasse herausgegeben  worden  ist,  vermögen  wir  eine  derartige  kunstvolle 
Anordnung  der  Gedichte  nicht  nachzuweisen'.  [Hierbei  bliebe  die  Frage 
offen,  ob  die  Stoffe  der  Elegieen  des  zweiten  Baches  eine  ähnliche  An- 
ordnung wie  im  ersten  Buche  gestatteten,  ferner  ob  es  dem  Dichter  oder 
dem  Herausgeber  (Ref.  geht  auf  diese  Frage  hier  nicht  ein)  auch  nur 
wünschenswert  erscheinen  konnte  jene  einfach  zu  wiederholen.  Ein  wohl 
bedachter  Plan  in  der  Anordnung  läfsl  sich  an  verschiedenen  Stellen 
jedenfalls  deutlich  erkennen.  Liefe  sich  wohl  ein  passenderes  Gedicht 
als  'Ouvertüre'  an  die  Spitze  des  neuen  Buches  Stellen,  als  II  1  mit 
seiner  anmutigen  Schilderung  des  ländlichen  Festes  mit  seiner  begeister- 
ten Anrufung  des  Messalla.  der  wie  ein  Gott  gebeten  wird  huc  tuUt  "</- 
spiraque  mihi  (v.  35).     c.  2  und  3  sind   nicht    nur   durch  die   Person   des 


218  Catull  und  Tibull.    Prinzip  der  Variatio  in  der  Anordnung. 

angeredeten  Cornutus  verbunden,  sondern  stehen  durch  ihren  Inhalt  in 
wirksamem  Gegensätze:  hier  innige  treue  Gattenliebe,  dort  die  Herr- 
schaft der  herzlosen  Bnhlerio.  Noch  deutlicher  sind  die  Beziehungen 
von  4  auf  3  (ob  sie  plump'  oder  kunstvoll  sind,  werden  freilich  Andere 
entscheiden  müssen).  Hatte  Tibull  in  8  geklagt  heu  heu  divitibus  >•;,/,,, 
gaudere  pvellas  und  war  endlich  zu  dem  Entschlüsse  gekommen:  Trotz 
alledem  ducite:  ad  impf  rinnt  dominae  sulcabimtu  fir/rox:  non  e<jo  tat  vinclis 
verberibusqiu  nego,  so  wird  dieses  Thema  in  4  näher  ausgeführt.  Vgl. 
Hie  mihi  servitium  video  dominamque  paratam  sq..  vgl.  53  —  54  quin  eUam 
sedes  iübeat  si  venderi  avitas,  ile  aub  imperium  sub  titulumque,  lares  und 
59  -  60-  Ob  in  der  Zusammenstellung  von  5  und  6  eine  bevvufste  Ab- 
sicht obwaltet,  mag  dahin  gestellt  bleiben'.  Der  Dichter  oder  der  Heraus- 
geber mufste  eben  mit  dem  ihm  zur  Verfügung  stehenden,  etwas  dispa- 
raten Materiale  rechnen.  Dafs  innere  Beziehungen  zwischen  beiden  Ge- 
dichten nicht  fehlen,  ist  offenbar.  Vgl.  5,  105  sq.  pnee  tun  pereant  arcus 
jyereantqve  sagittae,  Phocbe .  modo  in  terrin  erret  inermis  Amor,  ars  bona: 
sed  postqtcam  sumpsit  sibi  tcla  Cupido  sq.  mit  6,  1  Castro.  Macer  sequitur: 
tenero  quid  fiet  Amorit  Sit  comes  et  collo  fortiter  arma  gerat?  .  .  .  cum  telis 
ad  latus  ire  volet.]  'Ebensowenig  hat  der  Nachahmer  Lygdamus  es  ver- 
standen seine  Gedichte  so  kunstvoll  zu  ordnen,  obwohl  sich  hier  eine 
beabsichtigte  Aufeinanderfolge  der  Gedichte  nicht  verkennen  läfst'.  [c.  5 
gehört  offenbar  gar  nicht  in  den  Cyklus.  Gehörte  es  hinein ,  so  müfste 
es  hinter  2  stehen].  'Ebensowenig  ist  in  den  Elegien  der  Sulpicia 
(IV  7  —  12)  eine  bestimmte  Anordnung  zu  erkennen'.  [?  Auf  der  fol- 
genden Seite  heifst  es:  'Die  Gedichte  der  Sulpicia  sind  übrigens 
chronologisch  geordnet'].  Gemäfs  demselben  Prinzipe  ordneten 
angeblich  auch  Horatius  [Angewandt  hat  Horaz  das  Prinzip  wohl,  aber 
keineswegs  durchgeführt.  Gerade  darum  dreht  sich  aber  der  Streit. 
Vgl.  übrigens  gegen  die  Überschätzung  der  Variatio  bei  Horaz  auch 
Th.  Kock  Rh.  Mus.  1886,  315],  Vergilius  in  den  eclogae,  Propertius 
im  letzten  und  vor  Allem  im  ersten  Buche,  über  das  eingehend  ge- 
handelt wird.  'Von  deu  alten  aber  lernten  es  unsere  klassischen  Dichter'. 
Für  die  Anordnung  von  Herders  Volksliedern  und  Goethes  Gedichten 
werden  im  Anschlüsse  an  diese  Behauptung  manche  interessante  aber 
der  Theorie  des  Verf.  nicht  selten  widersprechende  Einzelheiten  angeführt. 
Wenn  Ref.  noch  kurz  auf  die  recht  unnötig  gereizte  Polemik 
gegen  seine  Person  zurück  kommt,  mit  der  Verf.  seine  Arbeit  ein- 
leitet, so  geschieht  das  lediglich  im  Interesse  der  Sache.  Zunächst 
mufs  Verwahrung  eingelegt  werden  gegen  eine  Verdunkelung  des  That- 
bestandes.  Wer  die  gegen  ihn  gerichteten  Bemerkungen  liest,  mufs 
glauben,  er  habe  behauptet  das  Prinzip  der  Variatio  sei  den  römischen 
Dichtern  unbekannt.  Er  hat  gesagt,  die  variatio  sei  nicht  das  ein- 
zige Prinzip,  das  die  römischen  Dichter  bei  der  Anordnung  anwandten, 
es  sei  daher  auch  nirgends  konsequent  durchgeführt.     Diese  Ansicht 


Ordnung  der  Gedichte  Catulls.   Prinzip  der  Variatio.  219 

ist  durch  die  besprochene  Abhandlung  durchweg  bestätigt 
(in  dem  kleinen  Sulpiciacyklus,  wo  abwechselnd  der  Dichter  und  das 
Mädchen  reden,  liegt  ja  ein  ganz  eigenartiger  Fall  vor).  —  Verf.  sagt: 
Es  handelt  sich  nicht  um  ein  starres  logisches  Verfahren,  um  eine  Ab- 
wechslung in  dem  Sinne,  wie  beim  Marschieren  auf  den  linken  Fufs 
immer  der  rechte  folgt'.  Ref.  konstatiert  mit  Genugthuung,  dafs  diese 
Worte  einen  Fortschritt  gegen  den  Standpunkt  der  '  Catullforschungen' 
(nach  denen  auf  S.  5  das  Prinzip  der  Variatio  darin  bestand,  dafs  immer 
'zwei  offenbar  zusammengehörige  Gedichte  durch  ein  dazwischen  gescho- 
benes getrennt  sind'  und  zugleich  eine  erfreuliche  Annäherung  au  den 
Standpunkt  des  Ref.  bezeichnen,  der  S.  288  ausdrücklich  sagte:  'Das 
Streben  nach  einer  anmutigen  ungezwungenen  Mannigfaltigkeit  ist  in  der 
fraglichen  Gruppe  unverkennbar'.  Aber  freilich  hat  sich  Verf.  die  Trag- 
weite seines  Zugeständnisses  nicht  völlig  klar  gemacht.  Mit  ihm 
fällt  nämlich  der  ganze  Beweis  für  die  Sonderausgabe  von  1  —  14,  soweit 
er  auf  das  Prinzip  der  Variatio  gestützt  ist.  Denn  Gruppen,  wo  sich 
die  Variatio  in  dem  Sinne  gefafst,  den  jetzt  Verf.  übereinstimmend  mit 
dem  Ref.  annimmt,  erkennen  läfst,  giebt  es  mehrere,  wie  Westphal,  Süfs 
und  R.  Richter  gezeigt  haben.  Verf.  behauptet  zwar  Westphals  Versuch 
auch  in  andern  Gruppen  das  Prinzip  der  Variatio  nachzuweisen  in  seinen 
Catullforschungen  widerlegt  zu  haben.  Mit  dieser  Behauptung  vergleiche 
man  S.  5  der  citierten  Abhandlung,  wo  zugegeben  wird,  dafs  Westphals 
Prinzip  auf  folgende  Gedichtpaare  passe:  16,  21,  23;  37  und  39;  41  und 
43;  69  und  71;  70  und  72;  107  und  169.  Vgl.  Catullforschungen  S.  16: 
'  Wir  finden  zwar  auch  sonst  Spuren  desselben  Prinzips  der  Anorduung 
wie  in  den  ersten  vierzehn  Gedichten'.  Dazu  lassen  sich  vielleicht  35 
und  36  u.  a.  fügen.  Irrig  war  allerdings  Westphals  Versuch,  das  Prinzip 
durch  die  ganze  Sammlung  durchzuführen  —  darin  mufs  mau  dem 
Verf.  beistimmen.  (Vgl.  Ilarnecker  Progr.  187'.)  S.  6.)  Nur  glaube  mau 
darum  nicht,  Catull  sei  seinem  Plane  aus  Nachlässigkeit  untreu'  ge- 
worden, oder  habe  ihn  gar  'verlernt'.  Er  hat  eben  mit  vollem  Bewußt- 
sein nach  mehreren  Prinzipien  geordnet.  Das  ist  auch  eine  Variatio! 
Auf  ein  zweites  derartiges  Prinzip  hat  bereits  Süfs  aufmerksam  gemacht. 
Verwandte  Gedichte  werden  bisweilen  zusammengestellt  um  sich  gegen- 
seitig zu  erklären  und  zu  ergänzen.  Ich  vergleiche  besonders  c.  2.  u,  3, 
15  und  16,  24  und  25  (wir  wissen  nun,  wer  Thallus  ist),  41—43  (Schwer- 
lich kann  über  die  Person  der  moecha  in  42  noch  ein  Zweifel  sein) 
87  und  76,  95  und  95'',  97  und  98.  Über  die  planmäfsige  und  sweck- 
entsprechende  Ordnung  der  Epigramme  auf  Gellius  s.  Rettitj  Catulliana  III 
S.  9.  Verf.  selbst  bemerkt  N.  Jahrbb.  1887,  640,  auch  bei  Martial  finde 
sich  häufig  Trennung  von  zwei  Gedichten  durch  ein  dazwischen  tretendes 
heterogeues  und  belegt  diese  offenbar  rieh t i _r- *  Beobachtung  mit  fünf  Bei- 
spielen. Dann  fährt  er  fort:  'Mitunter  treten  zwei  andere  dazwischen3 
(5  Beispiele!).    Bisweilen  stehen  zwei  Gedichte  verwandten  Inhalts  neben 


220  Ordnung  der  Gedichte  Catulk    Prinzip  der  Variatio. 

einander  (12  Beispiele!),  auch  drei  und  vier'  (4  Beispiele!).  Das  ist  die 
Variatio,  die  Ref.  auch  für  Catull  annimmt.  Ausdrücklich  sei  übrigens 
anerkannt,  dafs  diese  Erwägungen  noch  kein  Beweis  für  die  Identität 
des  libellus  ad  Nepotem  mit  c.  1  —  60  sind.  Sie  lehren  nur,  (tafe  die 
angeblich  vermifste  Ordnung  der  Gedichte  nicht  etwa  den  Gegenbeweis 
liefert.  Wie  steht  es  denn  nun  mit  der  Variatio  in  1  14V  Ref.  hatte 
darauf  hingewiesen,  dafs  in  c.  7  und  8  zwei  Lesbialieder  nebeneinander 
stehen  und  dafs  somit  das  Schema  der  Variatio  im  engeren  Sinne  nicht 
durchgeführt  sei.  Verf.  repliziert:  Ich  habe  Dachgewiesen,  dafs  diesen 
beiden  Lesbialiedern  zwei  Lieder  heterogenen  Inhalts  zur  Seite  stehen: 
so  plump,  wie  es  von  Magnus  geschieht,  ist  das  Prinzip  der  Variatio 
allerdings  nicht  aufzufassen'.  Zu  dieser  Auffassung  hat  aber  leider  Verf. 
selbst  den  Anlafs  gegeben.  Auf  S.  5  und  13  seiner  Catullforschuugen 
und  sonst  erklärt  er  sich  mit  Westphals  Prinzip  Zwei  zusammenge- 
hörige Gedichte  werden  durch  ein  heterogenes  voneinander 
getrennt',  soweit  es  sich  auf  1-14  beziehe,  einverstanden.  Nirgends 
deutet  er,  wie  oben  gesagt,  in  den  Catullforschungen  an,  dafs  er  unter 
dem  Prinzipe  der  Variatio  etwas  Anderes  verstehe.  Sodann  hätte  er 
[Ref.]  nicht  sagen  sollen,  dafs  auch  in  2  und  3  zwei  Lesbialieder  neben 
einander  stehen;  will  sich  Magnus  durchaus  nicht  belehren  lassen,  dafs 
nach  dem  Ausweis  unseres  besten  Catullcodex  die  Verse  c  2,  11  —  13  vom 
zweiten  Gedicht  abzusondern  sind'?  Nein,  er  will  nicht!  Nach  Catull- 
forschungen S.  13  steht  im  cod  0  bei  tarn  am  Rande  ein  Zeichen  V, 
welches,  wie  öfter,  wenn  kein  Zwischenraum  gelassen  ist,  den  Anfang 
eines  neuen  Gedichtes  andeutet'.  Aber  dieses  Zeichen  kennt  hier  weder 
Baehrens,  noch  Ellis,  noch  Schwabe  in  seiner  neuesten  auf  eigene  Kollation 
gestützten  und  von  peinlicher  Akribie  zeugenden  Ausgabe.  Ja  Letzterer 
bemerkt  sogar  ausdrücklich  zu  11  13  cohaerent  cum  praecedentibus  V. 
Vgl.  damit  Schwabe2  praef.  S.  IUI  unten.  Verf.  darf  hiernach  nicht 
beanspruchen,  dafs  man  seiner  Beobachtung  besonderen  Wert  beimifst. 
Ist  das  Zeichen  am  Rande  wirklich  vorhanden,  so  wird  es  von  jüngerer 
Hand  herrühren  und  deutet  auf  das  schon  von  den  Itali  ( vgl.  Lach- 
mann z.  St.)  bemerkte  Vorhandensein  einer  Lücke  hin.  Auf  die  Frage, 
ob  die  Verse  11  —  13  zu  c.  2  gehören  müssen,  soll  hier  nicht  eingegangen 
werden.  Ref.  konstatiert  nur,  dafs  Verf.  lediglich  um  zu  verhüten,  dafs 
in  c.  2  und  3  zwei  Lesbialieder  neben  einander  stehen  und  so  die  Variatio 
wiederum  unterbrochen  wird,  sich  gezwungeu  sieht  1)  Die  vv.  11-13  von 
c.  2,  zu  dem  sie  nach  dem  einstimmigen  Zeugnisse  der  Handschriften 
gehören,  zu  trennen  und  für  ein  herrenloses  Fragment  zu  erklären, 
2)  ohne  ein  Wort  der  Begründung  als  feststehend  anzunehmen,  dieses 
angeblich  zwischen  die  beiden  Lesbialieder  tretende  Gedicht,  von  dem 
nur  drei  Verse  erbalten  sind,  sei  nicht  etwa  ein  Gedicht  verwandten, 
sondern  unbedingt  heterogenen  Inhaltes  gewesen.  Ref.  hatte  ferner 
darauf  hingewiesen,  dafs,  unvereinbar  mit  der  Variatio,  in  12 — 14  drei 


Ordnung  der  Gedichte  Catulls.    Prinzip  der  Variatio.  221 

Gedichte  verwandten  Inhalts  an  Bekannte  zusammengestellt  seien.  Verf. 
hat  darauf  nicht  geantwortet.  Doch  sei  nicht  verschwiegen,  wie  er  (in  den 
Catullf.)  die  Variatio  dadurch  gewahrt  rindet,  dafs  in  c.  13  ein  Mädchen 
erwähnt  wird  (v.  11  meae  puellae),  in  12  und  14  dagegen  nicht!!  Ref. 
hält  also  an  seiner  Behauptung  fest:  Spuren  des  Strebens  nach  einer 
ungezwungenen  Abwechslung  sind  in  1-14  an  einigen  Stellen  erkennbar 
ebenso  gut  wie  in  andern  Gruppen  der  Sammlung,  durchgeführt  ist  das 
Prinzip  hier  ebensowenig  wie  dort.  Gegen  die  Bemerkung  des  Ref. 
1  —  14  könne  nicht  figurieren  als  Auswahl  des  Besten,  was  der  Dichter 
überhaupt  zu  geben  hatte,  und  den  Hinweis  auf  die  Mittelmäfsigkeit 
von  c.  10,  12,  14  wendet  Verf.  lakonisch  ein:  ' Derartige  ästhetische  Be- 
denken sind  nichtig.  Was  für  Gründe  den  Dichter  bewogen  haben  mögen, 
diese  Gedichte  gerade  mit  in  die  Sammlung  aufzunehmen,  läfst  sich  nicht 
erraten'.  Damit  erklärt  er  also  auch  seine  Behauptung  Catullf.  S.  14. 
'DieAuswahl,  welche  derDichter  getroffen  hat,  können  wir 
nur  loben;  sie  enthält  die  schönsten  Perlen  Catullischer 
Poesie*  für  nichtig.  Übrigens  ist  die  Bemerkung  nicht  zutreffend.  Sie 
würde  es  hier  nur  sein,  wenn  uns  die  Sonderausgabe  von  1  —  14 
durch  den  Dichter  als  solche  überliefert  und  ausdrücklich 
bezeugt,  wenn  jenes  Bedenken  das  einzige  wäre,  das  sich  geltend 
machen  liefse.  Ästhetische  Rücksichten  haben  in  der  Kritik  sicherlich 
einen  Platz,  wenn  auch  nicht  den  ersten  und  einzigen.  Worauf  beruht 
denn  zum  grofsen  Teil  die  höhere  Kritik  Homers?  Warum  verwirft  die 
Kritik    den    Panegyricus  Messallae  als  unecht?  Auf  die  Frage  des 

Ref.:  'Ist  es  denkbar,  dafs  in  Catulls  Nachlafs  sich  die  heutige  auMoyr} 
mit  Ausschlufs  von  1  -  14unediert  vorfand?',  giebt  Verf.  eine  gewundene  Ant- 
wort die  auf  ein  Ja'  herauskommt.  Die  Zeit  wird  lehren,  ob  ihm  in  dieser 
Annahme  Jemand  folgen  wird  oder  nicht.  -  -  Auf  den  Einwurf  des  Ref., 
c.  14 b  passe  wegen  des  Ausdrucks  non  korrebitis  durchaus  nicht  als 
Epilog  zu  der  angeblichen  Auswahl,  antwortet  Verf.:  Einmal  ist  das 
Gedicht  unvollendet  [?  unvollständig  erbalten?];  wir  wissen  demnach 
nicht,  was  Catull  sagen  wollte'.  Wenn  Verf.  das  glaubt,  konnte  er  es 
ebensowenig  als  geeigneten  Epilog  ansehen.  Dann  i-t  es  eine  unbe- 
kannte Gröfse,  die  aus  der  Rechnung  ausscheiden  mul's.  Indessen  steht 
die  Sache  nicht  so.  Man  kann  ergänzen  wie  man  will  (es  ist  nach  An- 
leitung von  c.  IG  und  Martial  I  l  nicht  schwer  zu  erraten,  was  Catull 
ungefähr  sagen  wollte)  non  horrebilis  bleibt  unangemessen.  Die  folgende 
Äufserung  'die  Worte  scheinen  in  scherzhafter  Übertreibung  vom  Dichter 
gebraucht  zu  sein'  darf  man  wohl  auf  sich  beruhen  lassen.  Vielleicht 
auch  befürchtete  er,  dafs  zartere  Seelen  an  etwas  derberen  Stellen  wie 
c.  6,  4—14;  c.  10;  c.  li,  l7  —  2o  Anstofa  nehmen  Konnten.  Dafs  er 
damit  Recht  hatte,  lehrt  C.  16'.  Mau  lese  die  eitierten  Stellen,  man 
lese  was  Catull  sonst  an  Derbheit  sich  erlaubt  bat.  man  erwäge,  was 
für  Licenzen  die  Dichter  und  Leser  erotischer  Poesieen   im  damaligen 


222  Ordnung  der  Gedichte  Catulls.    Priuzip  der  Variatio. 

Rom  für  gestattet  hielten,  und  man  ermesse  danach  die  Wahrscheinlich- 
keit dieser  Annahme.  Und  ist  es  gestattet  c.  16  angesehen  von  der  An- 
spielung auf  6,  ohne  Weiteres  auf  die  vorhergehenden  Gedichte  1  — 14 
zu  beziehen?  Eine  andere  Verteidigung  des  manusque  veatraa  uon  horre- 
MUß  admovere  nobis,  auf  das  Vorhergehende  bezogen,  hätte  sich  eher  mit 
einem  Scheine  des  Rechten  versuchen  lassen:  Heyse  übersetzte  mit  un- 
ziemlicher Hand  mich  anzutasten'.  Dafs  aber  auch  sie  unzulässig  ist, 
zeigt  einmal  der  Ausdruck  ai  gut  lectorea  eritis,  durch  den  das  manus  admo- 
vere ergänzt  wird,  und  dann  der  feststehende  Sprachgebrauch:  Ov.  Met.  X 
254  manus  operi  temptantes  admovet.  X  510  Lucina  admovit  manus. 
XV  218  artifices  natura  manus  admovit',  vgl.  Ov.  Met.  XIII  403.  XI  115. 
Heroid.  XX  194.  Aa.  III  134.  ex  P.  I  3,  16.  Tibull  II  1,  10.  Priap.  15,  2 
non  modestas  manus  afferre  agello  ist  natürlich  nicht  heranzuziehen.  Wo 
existiert  aufserdem  in  der  antiken  Litteratur  ein  so  winziger  Libellus 
vermischter  Gedichte  (es  wäre  etwas  Anderes,  wenn  es  sich  um  eine 
monobiblos  oder  um  einen  zusammenhängenden  Cyklus  wie  die  Sulpicia- 
elegien  handelte)  noch  dazu  grofsartig  ausgestattet  mit  Prolog  und  Epi- 
log? Er  ist  meines  Wissens  in  der  römischen  Litteratur  nicht  nachweis- 
bar. Und  ein  solches  Unicum  sollte  Catullus  in  seiner  letzten  Lebens- 
zeit (vgl.  c.  11)  zusammengestellt  haben,  als  er  sein  Pult  voll  (z.  T.  sehr 
wertvoller)  Lieder  hatte,  genügend  um  mehrere  libelli  des  gewöhnlichen 
und  feststehenden  Umfanges  zu  füllen?  -  Verf.  beschwert  sich  end- 
lich, dafs  Ref.  a.  0.  auf  andere  Erwägungen,  die  seine  Ansicht  angeb- 
lich stützen,  nicht  eingegangen  sei.  Das  darin  liegende  Ansinnen  ist  un- 
billig. Wie  soll  es  in  einem  Jahresberichte  möglich  sein  jede  Erwägung, 
jede  Beweisstelle  eines  Autors  anzuführen  und  event.  zu  widerlegen? 
Doch  sei  einmal  eine  Ausnahme  gemacht.  Verf.  fragt:  'Wie  erklärt  M. 
es,  wenn  Catull  c.  1-60  zusammen  herausgab,  dafs  er  Epigramme  gegen 
Cäsar  in  seine  Sammlung  mit  aufnahm,  mit  dem  er  sich  doch  ausgesöhnt 
hatte?  '  Ist  es  denn  aber  so  ausgemacht,  dafs  die  Aussöhnung  mit  Cäsar 
der  Edition  des  dem  Cornelius  Nepos  gewidmeten  libellus  zeitlich  voran- 
ging? Catull  starb  nach  der  gewöhnlichen  Annahme  i.  J.  54  (nach  Baeh- 
rens  Comm.  S.  40  sogar  'anno  54  ineunte'),  die  Versöhnung  mit  Cäsar 
setzt  Schwabe  quaest.  Catull  S.  237  cintra  menses  anni  700/54  priores'. 
Aus  11  ,  10  ist  natürlich  nicht  zu  folgern,  dafs  die  Aussöhnung  schon 
vorangegangen  war  (vgl.  29,  11.  54,  7).  Doch  sehen  wir  einmal  von  dieser 
Möglichkeit  ab.  Glaubt  man  im  Ernste  von  einem  so  furchtlosen,  so 
selbstbewufsten  und  von  dem  Werte  seiner  Poesieen  durchdrungenen,  oft 
leidenschaftlich  unklugen  Dichter,  er  werde  gerade  diejenigen  beiden 
Gedichte,  die  ihn  nicht  zum  mindesten  berühmt  gemacht  hatten,  aus 
denen  geflügelte  Worte  von  Mund  zu  Mund  gingen  (socer  generque,  per- 
didistis  omnia!),  nämlich  c.  29  und  57  (denn  um  diese  beiden  handelt  es 
sich  nur)  bei  der  Herausgabe  unterdrücken,  blos  weil  er  befürchtete 
Cäsar  könne  sich  sonst  ärgern?    Cäsar  war  berechtigt  zu  fordern,    dafs 


Ordnung  der  Gedichte  Catulls.    Prinzip  der  Variatio,  223 

Catull  nach  der  Versöhnung  seine  Angriffe  gegen  ihn  einstelle,  aber  zu 
verlangen,  dafs  Catull  zwei  seiner  bekanntesten  Gedichte,  die  Jedermann 
halb  auswendig  wufste,  ausmerze,  dazu  war  er  zu  klug.  Denn  durch  ein 
solches  Ansinnen  hätte  er  sich  lächerlich  gemacht,  mochte  sich  nun  Catull 
fügen  und  jeder  Leser,  der  nicht  fand  was  er  suchte,  seine  boshaften 
Glossen  über  Cäsars  Empfindlichkeit  machen,  oder  nicht  (und  das  letz- 
tere ist  bei  Catulls  Eitelkeit  und  seinem  bittern  Hasse  gegen  Mamurra, 
auf  den  doch  in  erster  Linie  beide  Gedichte  gemünzt  waren,  wahrschein- 
licher). Der  alte  Fritz  liefs  ein  gegen  ihn  gerichtetes  Pasquill  niedriger 
hängen  —  soll  man  von  dem  grofsen  Cäsar  geringer  denken?  Also: 
freiwillig  liefs  Catull  diese  Gedichte  nicht  weg;  das  ging  gegen  seine 
Natur.  Und  Cäsar  hätte  es  nimmermehr  durch  Schmeicheleien  oder 
Drohungen  zu  erreichen  gesucht,  denn  er  hatte  als  eminent  praktischer 
Staatsmann  an  der  Unterdrückung  gar  kein  Interesse.  Die  Gedichte 
waren  einmal  da  und  hatten  ihre  Wirkung  längst  gethan.  Jetzt  konnten 
sie  keinen  Schaden  mehr  anrichten.  Summa:  Weder  dem  Angreifer  noch 
dem  Angegriffeneu  gereicht  es  zur  Unehre,  dafs  wir  c  29  und  57  in  dem 
libellus  an  Nepos  nicht  vergeblich  suchen.  (Vgl.  auch  Baehreus  comm. 
S.  58).  —  Verf.  fragt  endlich:  'Wie  erklärt  er  [Magnus]  c.  16,  13  legistisf 
Die  Frage  ist  seltsam.  Waren  denn  diese  kleinen  Gedichte  nur 
mündlich  verbreitet  worden  V  Wird  sich  nicht  gar  Mancher,  dem  sie 
gefielen,  eine  Abschrift  genommen  haben.  Warum  sollten  sie  denn  Furius 
und  Aurelius  nicht  gelesen  haben?  Man  hört  oder  liest  irgendwo  ein 
hübsches  Gedicht,  man  schreibt  es  sich  ab,  diese  Abschrift  wird  von 
einem  andern  Liebhaber  wieder  kopiert  u.  s.  w.  Die  zudringlichen 
Burschen  konnten  ja  sogar  die  Liedchen  in  des  Dichters  Schreibtafel 
gesehen  haben.  Man  denke  nur  an  das  zornige  redde  codicillos  in  42! 

Ref.  hat  die  skizzierte  Abhandlung  mit  Interesse,  mehrfach  auch 
(besonders  in  ihrem  letzten  Teile)  mit  Beifall  gelesen.  Jedoch  Anlaß 
seine  früher  ausgesprochenen  Ansichten  wesentlich  zu  modifizieren,  hat 
er  nicht  finden  können.  Er  sieht  im  Gegenteil  in  der  Arbeit 
einen  sehr  erwünschten  Kommentar  zu  seinen  Behauptungen. 
Mit  welchem  Rechte,  mögen  noch  einige  Citate  erweisen.  Ref.  hatte  a.  0. 
S.  287  und  288  betont,  dafs  ebensowenig  wie  Catull  andere  Dichter  bei 
der  Anordnung  ein  bestimmtes  Prinzip,  auch  nicht  das  der  Variatio*), 
streng  schematisch  von  a  bis  z  durchführten,  sondern  dafs  die  verschie- 
densten Prinzipien  wie  Rücksicht  auf  Abwechslung  (variatio),  Chrono- 
logie, Metrum, Zusammenstellung  von  Gedichten  verwandten  Inhaltes  behufs 
gegenseitiger  Erläuterung,  der  Wunsch  einerseits  mit  einigen  gelungenen 

*)  Vgl.  jetzt  E.  Reisen,  Properzatudien,  Wiener  Btudien  1887  S.  i;;o 
Anm.:  In  Wirklichkeit  nimmt  dieses  banausische  Prinzip  [der  Variatio],  dessen 
Bedeutung  man  so  einseitig  zu  betonen  liebt,  unter  den  verschiedenen  Ge- 
sichtspunkten, welche  bei  nichtchronologischer  Ordnung  für  den  Dichter  nafih 

gebend  sind,  nur  eine  ganz  untergeordnete  Stellung  ein'. 


224  M.  Haupt  als  Catullerklflrer. 

Gedichten  als  dp%ofi4vou  ipyou  npötratnov  TyAauydc zn  beginnen,  anderseits 
nach  einer  Reihe  unbedeutender  Verse  wieder  einen  glänzenden  Beweis  von 
Können  zu  gehen,  nach  freiem  Belieben  zur  Anwendung  kommen.  Da- 
mit vgl.  folgende  Sätze  der  Abhandlung.  'Die  erste  an  Messalla  ge- 
lichtete Elegie  ist  recht,  eigentlich  eine  Ouvertüre  Tibullischer  Poesie, 
welche  die  beiden  Lieblingsthemata  seiner  Dichtung,  das  Liebes-  und  das 
Landleben  umfafst.  Die  hier  angeschlagenen  Klänge  werden  dann  im 
Folgenden  fortgeführt  und  anmutig  variiert1.  '  Diese  Untreue  wird  in 
den  beiden  folgenden  Marathuselegien  8  und  9  näher  begründet \  So 
wechseln  in  den  zehn  ersten  Gedichten  des  zweiten  Buches  der  Oden  al- 
cäische  und  sapphisebe  Strophen  regelmäfsig  ab'  |aber  weiter  nicht!] 
Doch  ist  es  fraglich,  ob  Properz  dieses  Buch,  wie  es  uns  vorliegt,  selbst 
zusammengestellt  hat'  [die  gefundene  Variatio  würde  also  vom  Heraus- 
geber herrühren)  'Wir  lesen  in  dem  Gedicht  von  der  Liebe  zu  Cynthia 
und  von  der  Freundschaft  mit  Tullus,  und  darum  bildet  es  sehr  passend 
den  Anfang  der  Sammlung,  obwohl  es  der  Zeit  nach  sicher  nicht  das 
erste  ist'.  'Die  Gedichte  des  ersten  Buches  sind  mit  Ausnahme  des 
ersten  chronologisch  geordnet'.  '  Dazwischen  aber  treten  wieder  der  Variatio 
zu  Liebe  die  Elegien  11  und  12'.  Herder  ordnete  seine  Volkslieder 
nach  dem  oben  erwiesenen  Prinzip:  Verbindung  des  in  Stimmung  und 
Wirkung  Gleichartigen  u.  s.  w.\  'Um  ein  Lied,  in  dem  sich  der  höchste 
Grad  einer  Empfindung  darstellt,  sind  Lieder  verwandter  Stimmung 
gruppiert;  bisweilen  folgt,  wenn  in  einem  Liede  die  Woge  des  Gefühls, 
der  Leidenschaft  den  Höhepunkt  erreicht  hat,  sofort  der  ausgleichende, 
beschwichtigende  Gegenschlag'.  'Gedichte  mit  gleichem  Motiv,  werden 
nicht  nur  an  einander  gefügt,  sondern  ihre  Zusammengehörigkeit  auch 
dadurch  kenntlich  gemacht,  dafs  sie  im  Buch  einander  gegenüber  stehen' 
u.  s.  w. 

Es  mögen  sich  hier  anreihen  die  Beiträge  zur  Literaturgeschichte. 

42.  Chr.  Beiger,   Moriz  Haupt  als  aca demischer  Lehrer. 
Berlin.   1879.  Weber. 

Unter  Haupts  Vorlesungen  nahmen  bekanntlich  die  über  Catull  eine 
hervorragende  Stelle  ein.  Das  Lob  dieses  liebenswürdigen  Dichters  in 
begeisterten  Worten  aus  so  beredtem  Munde  strömend  hat  bei  manchen 
Zuhörern  (zu  denen  Ref.  zählt)  Eindrücke  hinterlassen,  die  nur  mit  dem 
Leben  vergehen.  Ohne  Zweifel  hat  Beiger  sich  grofses  Verdienst  er- 
worben, wenn  er  S.  238—246  alles  Wesentliche  aus  der  Einleitung, 
die  Haupt  seiner  Interpretation  voran  zu  schicken  pflegte,  mitteilt.  Nur 
glaube  man  nicht,  das  diese  Ausführungen  das  lebendige  Wort  des 
Meisters  im  Entferntesten  ersetzen.  Haupt  sprach  hier  über  Ca- 
tulls  dichterische  Eigenart,  seine  Stellung  zu  den  Alexandrinern,  Di- 
gressionen,  sein  Verhältnis  zu  Lesbia  u.  a.  Im  Einzelnen  sind  hervor- 
zuheben   die    Bemerkungen    über  c.   68,    obwohl    nicht    alle    streitigen 


Darstellungen  von  Leben  und  Werken  Catulls  (Nettleship).  225 

Punkte  mit  voller  Klarheit  und  Schärfe  beleuchtet  werden.  Unter  diese 
gehört  z.  B.  Folgendes  'M'.  Allius  ist  von  einem  Mifsgeschick  befallen 
worden  ,  das  als  ein  Liebesunglück  deutlich  bezeichnet  ist'.  —  Zu  Catull 
7,  11  sprach  Haupt  (Beiger  S.  104)  über  den  alten  Volksglauben,  dafs 
Zählen  Unheil  bringe.  Über  das  Adjektiv  nulla  statt  des  Adverbs  bei 
Catull  8,  14  s.  S.  95.  Über  11,  24  s.  S.  133:  'fractus  ist  elend,  matt 
und  schwach;  tactus  hingegen  sinnlich  und  stark  (denn  es  steht  mit  ultimi 
prati  in  einer  Anschauung'.  Sehr  lesenswert  ist  auch  S.  157  der  Ab- 
schnitt über  die  Gleichnisse  bei  Catull  68,  53  f.  (wo  auch  die  freilich 
nicht  unbedingt  notwendige  Konj.  sensim  in  v.  60  glänzend  verteidigt  wird). 
Die  zerstreuten  und  zum  teil  sehr  schwer  zugänglichen  Abhand- 
lungen Haupts  zu  Catull  und  Tibull  liegen  jetzt  vereinigt  vor  in  den  drei 
Bänden  der  Opuscula  Mauricii  Hauptii  (Leipzig,  Hirzel,  1875  bis 
1876),  einer  wahren  Fundgrube  für  die  Kritik  und  Erklärung  nament- 
lich des  ersteren  Dichters.  Hin  und  wieder  (z.  B.  I  S.  9,  35,  84  u.  sonst) 
hat  der  Herausgeber  Wilamowitz  sehr  wertvolle  Mitteilungen  aus  Haupts 
Vorlesungen  beigegeben.  Vgl.  R.  Richter  in  dieser  Zeitschr.  1876  II  S.  330. 

43.  H.  Nettleship,  Catullus.  (Separatabdruck  aus  Fortnightly 
Review,  May,  1878.  In  Lectures  and  Essays  by  Henry  Nettleship. 
Oxford.    1885.    Clarendon  Press.  S.  84—96). 

Eine  knappe  Skizze,  in  manchen  Beziehungen  unvollständig,  aber 
mit  Geist  und  Sachkenntnis  geschrieben.  Die  Einleitung  macht  auf  die 
Fruchtbarkeit  an  litterarischen  Produkten  aufmerksam,  welche,  die  mit 
146  beginnende  und  bis  in  den  Beginn  der  christlichen  Ära  reichende 
Periode  der  römischen  Geschichte  auszeichnet.  Studium  der  griechischen 
Litteratur  geht  Hand  in  Hand  mit  Ausbildung  der  Muttersprache.  Cha- 
rakteristisch ist  ferner  die  grofse  Rolle,  welche  Nichtrömer  im  litterari- 
schen Leben  dieser  Zeit  spielen.  (Cicero,  Catullus,  Cornelius  Nepos  u.  a.). 
Das  Leben  des  Dichters  wird  nach  den  gewöhnlichen  Darstellungen  er- 
zählt. Kritische  Analysen  einzelner  Gedichte  werden  nicht  gegeben.  Im 
Anschlüsse  au  Munro  wird  davor  gewarnt,  Catulls  Invektiven  gegeu 
Cäsar  übertriebene  Bedeutung  beizulegen,  werde  mau  doch  auch  den 
modernen  Staatsmann  nicht  nach  seinem  Portrait  im  Punch  beurteilen. 
Das  Verhältnis  Ciceros  zu  Catullus  ist  entschieden  nicht  richtig  aufge- 
fafst.  Auf  S.  92  heifst  es:  'In  politics  his  friends  and  eneniies  are  ou  the 
whole  those  of  Cicero;  his  friends  are  Calvus, Sextius  and  Horteusius.  his  ene- 
mies  Piso,  Vatinius,  Clodius,  and  Julius  Caesar  himself.  [Jnd  weiter 
auf  S.  95:  His  style  in  poetry  is  very  analogons  to  the  prose  style  of 
Cicero,  with  whom,  though  the  orator  was  soine  twentv  years  his  senior, 
Catullus  was  probably  on  terms  of  greal  friendship'  Hier  hätten  doch 
für  den  Wiederabdruck  der  Skizze  die  einschlägigen  Arbeiten  von  0.  Har- 
necker (namentlich  der  Aufsatz  'Cicero  uud  Catullus'  Piniol.  XLI 
S.    465  f.)  benutzt  werden  müssen.     Einige  kürzere  Gedichte  sind  in  der 

Jahresbericht   für  Alterthumswissenschaft  LI.  (1887    II  I  15 


226  Catulls  Leben  und  Werke  (nach  Martini,  Stocchi). 

wohlgelungenen  Übersetzung  von  Ellis  mitgeteilt.  Auf  S.  90  wird  85, 1 
in  folgender  Fassung  zitiert:  odi  et  amo:  <mr  id  fiat  fortasse  requiris. 
Woher  stammt  dieses  cur  id  fiat  statt  des  überlieferten  quare  id  faciam. 
Oder  liegt  vielleicht  ein  einfacher  Gedächtnisfehler  zugrunde V 

44.  Caio  Valerio  Catullo.  Monografia  di  Feiice  Martini. 
Parma.   Battei.    1880.   XVII  und  79  8.    8. 

Verf.  behandelt  im  ersten  Teile  seiner  Schrift  i  carmi  di  Catullo  in 
rapporto  coi  fatti  della  sua  vita'  und  bespricht  hier  u.  a.  die  Lesbia- 
Clodiafrage  im  Anschlüsse  an  Schwabes  quaestiones  Catullianae.  Der 
zweite  kürzere  Teil  ist  überschrieben  critica  letteraria'.  Er  will  nach 
S-  45  cscoprire  in  aleuni  de'  carmi  di  lui  quali  fossero  il  suo  gusto  e 
le  sue  opinioni  in  fatto  di  poesia' .  Hier  wird  z.  B.  gesprochen  über 
Ciceros  Verhältnis  zu  Catull  im  Anschlüsse  an  c.  49,  über  attizistische 
und  asiatische  Beredtsamkeit,  über  die  poetae  novi.  An  einigen  Beispielen 
zeigt  Verf.  'questo  felice  aecordo  della  forma  metrica  e  dell'  argomento  '. 
Die  zitierten  Gedichte  resp.  Verse  werden  gewöhnlich  ins  Italienische 
übersetzt. 

Die  kleine  Skizze  ist  (soweit  Ref.  das  zu  beurteilen  vermag)  nicht 
übel  geschrieben  und  scheint  wohl  geeignet  das  Interesse  für  Catull  in 
Italien  zu  fördern.  Deutschen  Lesern  ist  sie  nicht  zu  empfehlen,  da 
ihr  Inhalt  ganz  aus  Schwabes  quaestiones,  Westphals  bekanntem  Buche 
und  Ribbecks  kleiner  Schrift  über  Catull  geschöpft  ist  (aufserdem  wird 
nur  Heyses  Übersetzung  noch  bisweilen  zitiert).  Übrigens  zeigt  das 
Titelblatt  zwar  die  Jahreszahl  1880,  am  Ende  des  Buches  steht  aber  die 
Notiz  'Pisa,  1  Giugno  1874'. 

45.  Vita  e  carmi  di  C.  Valerio  Catullo.  —  Indagini  storico- 
critiche  di  Giuseppe  Stocchi.  Firenze.  Tipografia  della  gazzetta 
d' Italia  1875.     149  S.    8. 

Die  Arbeit  ist  in  ihrer  ganzen  Anlage  der  eben  besprochenen 
ähnlich,  doch  gründlicher  und  selbständiger.  Namentlich  die  chronolo- 
gischen Untersuchungen  des  zweiten  Teiles  werden  auch  in  Deutschland 
von  Bearbeitern  der  einschlägigen  Fragen  wenigstens  beachtet  werden 
müssen,  obwohl  sie  auf  sehr  unsicheren  Voraussetzungen  beruhen.  Zwar 
der  erste  Teil  cLa  vita  di  Catullo'  ist  mehr  feuilletonistisch  gehalten, 
wie  schon  die  Kapitelüberschriften  l'idillio,  il  dramma,  la  catastrofe  zeigen. 
Zahlreiche  Stellen  sind  ganz  im  Stile  einer  Novelle  gehalten.  Oder 
könnte  man  vermuten,  dafs  folgender  Passus  einer  kritischen  Unter- 
suchung angehöre:  Nel  palazzo  appunto  dei  Manlii,  una  sera  dell' anno 
694  di  Roma  s'  incontrarono  per  la  prima  volta  un  giovane  provinciale, 
che  il  padrone  di  casa  avea  condotto  a  Roma  dalla  Verona  nativa,  e  una 
tra  le  piü  belle,  se  non  la  piü  bella  addiritura,  e  tra  le  piü  pericolose  dame 
della  cittä  eterna'.      Auf  S.    13    heifst    es    von    der   lüderlichen    Dirne 


Catulls  Leben.     Verhältnis  zu  Lesbia.  227 

des  c.  32 :'  La  povera  Ipsitilla,  la  fanciulla  veronese,  che  da  lontano  sospirava 
per  il  suo  Catullo  .  .  fu  in  un  instante  dimenticata,  e  dimenticata  per  sempre'. 
Sentimentale  und  unwahre  Phrasen!  -  Im  ersten  Kapitel  des  zweiten 
Teiles  (der  indagini  critiche')  spricht  Verf.  für  die  rIdentitä  di  Lesbia 
con  la  Clodia  quadrantaria  im  engen  Anschlüsse  an  Schwabes  Quaestio- 
nes  und  Baekrens'  Bemerkungen  in  den  Analecta  Catulliana.  Den  Auf- 
satz von  K.  P.  Schulze  in  der  Zeitschrift  für  Gymnasialwesen  1874  kennt 
er  anscheinend  nicht:  überhaupt  sind  ihm  die  deutschen  Fachzeitschriften 
fast  fremd.  Das  wenige  Neue,  das  dem  Ref.  aufgestofsen  ist,  scheint 
unwesentlich.  Properz'  Worte  Lesbia  quis  ipsa  notior  est  Helena  werden 
mit  Ciceros  Worten  (pr.  Cael.  XIII  31)  zusammengestellt  c.  .  cum  Clodia, 
muliere  non  solum  nobili  sed  etiam  nota\  Catulls  'quos  simul  complexa 
tenet  trecentos'  ist  angeblich  '  la  versione  poetica  della  fräse  cicero- 
niana'  (nämlich  Omnes  semper  amicam  omnium  potius  quam  cuiusquam 
inimicam  putaverunt'  pr.  Cael.  XIII  32).  Catulls  glubit  magnanimos  Remi 
nepoies  in  c.  58  wird  zusammengestellt  mit  Ciceros  (ib.  XXI  52)  >>po- 
liatricem  ceterorum.  Anderes  ist  noch  schwächer.  Unter  der  Ariadue 
des  c.  64  ist  angeblich  Lesbia  dargestellt.  Von  ihr  also  heifst  es  v.  91 
non  prius  ex  ille  flagrantia  declinavit  lumina,  Cicero  spricht  in  der  Cae- 
liana  von  Clodias flagrantia  oculorum  —  folglich  Clodia  =  Lesbia!  Lesbia 
'furtiva  dedit  mira  munuscula  nocte\  ebenso  pflegte  Clodia  nach  Cicero 
zu  suchen  'solitudinem  ac  teuebras  atque  haec  flagitiorum  iutegumenta'Ü 
—  Kap.  II  II  carme  68 b  c  la  morte  del  fratello  di  Catullo'.  In  dem 
Verhältnisse  Catulls  zu  Lesbia  werden  5  Perioden  unterschieden:  1)  amore 
ricambiato  e  felice,  2)  dubbio  intermittente,  3)  adiramento,  4)  riconcilia- 
zione,  5)  distacco  irrevocabile.  Verf.  beginnt  mit  68,  41  gleich  vielen 
Andern  ein  neues  Gedicht.  Er  versucht  (S.  68 f.)  den  Nachweis,  dafs 
der  als  68b  bezeichnete  Teil  dem  sogenannten  68a  zeitlich  vorangehe. 
Das  letztere  ist  verfafst  während  der  letzten  Periode  nach  dem  defi- 
nitiven Bruche  zwischen  Catull  und  Lesbia  (vgl.  besonders  v.  27  —  30, 
v.  2  im  Gegensatze  zu  157—158).  Dagegeu  68b  ist  verfafst  in  der 
vierten  Periode  (riconciliazione)  d.  h.  im  Ausgange  d.  J.  696/58  (oder 
im  Beginne  d.  J.  697/57).  Jeder  Versuch  es  in  einer  andern  unterzu- 
bringen begegnet  unüberwindlichen  Schwierigkeiten.  Die  heutige  ver- 
kehrte Stellung  in  den  Handschriften  mag  daher  kommen,  dafs  die 
ersten  Verse  von  68 a  scheinbar  einen  leidlichen  Anfang,  die  letzten  von 
68 b  scheinbar  einen  leidlichen  Schlufs  der  als  Ganzes  gedachten  Elegie 
bildeten.  —  Zu  demselben  Resultate  kommt  Verf.  im  dritten  Abschnitte 
la  lettera  a  Ortalo  e  la  traduzione  della  Chioma  di  Berenice'.  Aus 
v.  17  18  ne  tua  diota  vagis  nequiquam  credita  ventis  Effluxisst  tneo  fortt 
putea  un'nno  wird  gefolgert,  zwischen  dem  Versprechen  und  der  Er- 
füllung liege  ein  beträchtlicher  Zeitraum  die  lange  dritte  Periode 
von  Catulls  Liebe-  Jedenfalls  gehöre  c.  86  nicht  in  die  eiste  oder  zweite 
Periode,   in  welcher  der  tändelnde  Dichter  sicherlich  nicht  so  künstliche 

15* 


228  Catulls  Lesbia.    Chronologie  des  c.  68  nach  Stocchi. 

und  gelehrte  Arbeiten  wie  die  Übersetzung  der  coma  Berenices  verfafst 
habe,  in  eine  Zeit,  wo  er  einmal  nach  dem  Bausche  zur  Besinnung  kom- 
mend  auslief:  utitnn,  Catulle,  tibi  molestum  est'.  Es  gehört  vielmehr  in 
die  vierte  Periode  und  ist  etwas  vor  68 h  verfafst  —  Eine  vierte  Unter- 
suchung behandelt  die  Frage  Allio  o  Manlio?'.  Der  Adressat  von  68 b 
soll  Manlius,  nicht  Allius,  heifsen  und  mit  dem  Manlius  in  c.  61  und 
68  *  identisch  sein.  Es  liegt  angeblich  kein  Grund  vor  einen  Allius  ein- 
zuführen, 68 a  und  68''  müssen  unbedingt  an  dieselbe  Person  gerichtet 
sein  u.  s.  w.  Offenbar  schwebt  das  Alles  völlig  in  der  Luft.  Soll  man 
etwa  in  41  aus  dem  handschr.  quam  fallius  gewaltsam  ein  qua  Manlius 
herstellen  noch  dazu  mit  fehlendem  Objekte  nie?  Soli  man  in  50  will- 
kürlich transponieren  deserto  in  Maniit  Und  soll  man  in  150  statt  des 
überlieferten  äliis  ganz  einfach  Manli  schreiben?  Verf.  antwortet  auf 
diese  Fragen  mit  keinem  Worte.  Er  hat,  wie  aus  seinen  Ausführungen 
S.  113  hervorgeht,  gar  keine  Ahnung  davon,  um  was  es  sich  hier  eigent- 
lich handelt  (vgl.  meine  Bern.  Jahrbb.  f.  Phil.  1875  S.  850).  —  Im  fünf- 
ten Kapitel  zieht  Verf.  nun  seine  Schlüsse.  Der  Tod  des  Bruders,  der 
dem  c.  68 b  nur  wenig  voran  geht,  fällt  in  das  J.  696/58  und  zwar  wahr- 
scheinlich in  die  zweite  Hälfte.  Viel  Kopfzerbrechen  bereitet  Stocchi 
die  Wiederholung  der  Verse  über  des  Bruders  Tod  in  68b,  91-96  und 
68 a,  19  —  26.  Wie  ist  sie  überhaupt  möglich,  zumal  da  beide  Gedichte 
an  ein  und  dieselbe  Person  gerichtet  sind?  Wo  ist  hier  die  Eleganz, 
die  Frische,  die  Originalität  Catulls?  Er  mufste  mannigfaltig  sein,  durfte 
nicht  immer  wieder  dieselben  Phrasen  ableiern,  wenn  er  dem  Verdachte 
entgehen  wollte,  der  Schmerz  um  den  Toten  sei  am  Ende  gar 
nicht  aufrichtig  (!!).  Verf.  denkt  sich  die  Sache  nun  so.  Nach  der 
Wiederaussöhnung  mit  Lesbia  schrieb  Catull  das  c.  68 b  an  Manlius,  um 
ihm  zu  danken  für  seine  Freundesdienste,  durch  die  er  die  Geliebte 
wieder  gewann.  Es  sollte  seine  ganze  Liebesgeschichte  enthalten  und 
ein  umfangreiches  opus  werden.  Aber  die  Periode  '  riconciliazione'  war 
kurz.  Der  endgültige  Bruch  mit  Lesbia  erfolgte,  als  das  Gedicht 
noch  nicht  vollendet  war.  Bei  so  veränderter  Sachlage  konnte  es 
der  Dichter  nicht  absenden.  Um  die  Ungetreue  zu  meiden  ( er  traut 
sich  selbst  nicht),  flieht  er  nach  Verona.  Hier  empfängt  er  von  Manlius 
das  consriptum  lacrimis  epistolium,  —  die  Kunde  vom  Tode  seiner  ge- 
liebten Gattin.  Ein  Trauriger  spricht  zum  Traurigen:  Catull  mufste  von 
seinem  Bruder  sprechen.  Auch  in  dem  nicht  abgesandten  c.  68 h  war 
von  diesem  die  Rede.  Da  ist  es  doch  die  natürlichste  Sache  von  der 
Welt,  dafs  Catull  es  aus  seinen  Papieren  hervorsuchte  und  die  betref- 
fenden Verse  entlehnte.  Ref.  vermutet,  dafs  auch  die  Chorizouten  an 
dieser  Erklärung  kaum  Geschmack  finden  werden.  Den  Schlufs  des 
Buches  bilden  chronologische  Tabellen  und  Anmerkungen  dazu.  Aus 
letzteren  sei  noch  erwähnt  eine  Konjektur  zu  73,  4  immo  etiam,  Caeli, 
taedet  obestque.    [Schwerlich   ist  neben   dem   allgemeinen  de&ine  in  v.  1 


Catulls  Leben.    Lesbia-Clodia  229 

die  Anrede  an  eine  bestimmte  Person  zulässig.]     Dies  vermutete  übri- 
gens  schon  Schwabe  quaest.  Cat.  S.  85. 

46.  C.  M.  Francken,  Lesbia-Clodia,  Bijdrage  tot  Verklaring 
van  Catullus.  Overgedrukt  uit  de  Verslagen  en  Mededeelingen  der 
Koninklijke  Akademie  van  Wetenschappen,  Afdeeling  Letterkunde,  2de 
Reeks,  Deel  IX.    Amsterdam.    1879.    8.    36  S. 

Da  Verf.  für  seine  Publikation  die  holländische  Sprache  gewählt 
hat,  ist  sie  in  der  philologischen  Welt  Deutschlands  unbeachtet  geblie- 
ben. Auch  Ref.  mufs  bekennen,  dafs  er  den  Ausführungen  Franckeus 
nicht  überall  zu  folgen  vermochte,  und  enthält  sich  jedes  allgemeinen 
Urteils  über  ihren  Wert.  Verf.  betrachtet  zunächst  die  Lesbia  Catulls, 
danach  die  Clodia  der  Geschichte.  Das  Material,  mit  dem  im  ersten 
Teile  operiert  wird,  ist  das  bekannte.  —  Der  zweite  Teil  beginnt  mit 
einem  historischen  Exkurse  über  die  Claudier,  dessen  Resultate  dem 
Ref.  nicht  völlig  klar  geworden  sind.  Die  Zusammenstellung  der  auf 
Lesbia  und  die  historische  Clodia  bezüglichen  Daten  führt  zunächst  auf 
ein  negatives  Resultat:  c.  .  .  Maar  er  kunnen  twee  of  meer  vrouwen  te 
Rome  gewest  zijn,  die  in  dese  omstandigheden  verkeerden;  er  moeten 
bijzondere  trekken  gevonden  worden,  die  niet  licht  meer  dan  eens  voor- 
komen'.  Diese  findet  denn  Verf.  auch  vor  allem  in  c.  79  Leslius  est 
pukcr  (so,  nicht  pulcher,  schrieb  angeblich  Catull  nach  dem  berühmten 
Epigramm  84).  Wenn  in  c.  83  Lesbias  Gemahl  angeredet  wird  'mulc, 
nihil  sentis',  so  wird  gefragt:  stemt  niet  deze  scheldnaara  op  merkwaar- 
dige  wijze  met  het  kinderlooze  huwelijk  van  Metellus?'  Einen  wichtigen 
Beweis  für  Lesbia  =  Clodia  findet  Verf.  sodann  in  der  Identität  von 
Catulls  Rufus  (c.  69.  77)  mit  dem  Redner  Caelius  Rufus,  dem  notori- 
schen Liebhaber  der  historischen  Clodia.  Versteht  Ref.  die  Worte  des 
Verf.  recht,  so  sollen  sich  nicht  nur  die  Rufus-  (69-  77),  sondern  auch 
die  Caeliusgedichte  (58.  100)  auf  den  Redner  beziehen.  Dieser  kann 
trotz  Cic.  Cael.  2,  5  recht  wohl  ein  Veroneser  sein.  Denn  im  Anschlüsse 
an  den  Parisinus,  welcher  nicht  Puteolani ,  sondern  praetoriani  bietet,  ist 
vielleicht  zu  lesen  prae.  p.  romani  d.  h.  nemini  unquam  praetori  populi 
Romani  maiores  honores  habuerunt,  quam  abseuti  M.  Caelio  -  näml. 
municipes.  [Ganz  unwahrscheinlich:  0.  Harnecker,  der  Wochenschr. 
für  Klass.  Philol.  III  1886  Sp.  1099  eingehend  über  die  Stelle  handelt, 
vermutet  nemini  umquam  praesenti  poimlares ,  -  jedenfalls  sinngem&Ts. 
Das  Verhältnis  zwischen  Caelius  Rufus  und  dem  Dichter  hat  sich  im 
Laufe  einiger  Jahre  gewandelt.  (Verwiesen  wird  dazu  auf  Ciceros  Stel- 
lung zu  Gabinius,  die  des  Aristophanes  zu  Socratcs  nach  I'latos  Sym- 
posion). Zu  69,  3  non  si  illam  raren  labefactes  munere  vestie  wird  er- 
innert an  Quintilians  in  triclinio  Coam',  denn  ' Rara  vestis  is  hetzelfde 
als  Coo,  dun,  pellucida'.  Wenn  Catull  der  tief  gesunkenen  Lesbia  \  ir- 
wirft  in  quadriviis  et  angiportia  glubit  magnemimos  Rani  nepoies,  so  erinnert 


•230  Ciceros  Beziehungen  zu  Clodia  nach  <;    Retl 

Francken  wieder  an  das  was  Sencea  de  Benef.  VI  32  von  der  Julia  er- 
zählt: admissos  gregatim  adulteros,  pererratam  nocturnis  comessationi- 
bus  civitatem,  forum  ipsum  ac  rostra,  ex  quibus  pater  legem  de  adul- 
teriis  tulerat,  filiae  in  stupra  placuisse,  cotidianum  ad  Marsyam  coneur- 
sum,  cum  ex  adultera  in  quaestuariam  versa  ius  omnis  licentiae  sub 
ignoto  adultero  peteret.  Bündige  Zusammenstellung  der  Gründe  für  die 
Gleichung  Lesbia  =  Clodia  quadrantaria  s.  noch  bei  Palmer  Hermath. 
VI  356  f. 

47.  G.  Rettig,  Catulliana.  I.  12  S.  4.  (Ind.  leett.  aest.  Ber- 
nens.  1878).  —  II.  18  S.  4  (Sollemnia  anniversaria  conditae  universi- 
tatis  Bernens.  1880).  —  III.  De  epigrammatis  in  Gellium  scriptis. 
15  S.  4.  (Soll.  ann.  cond.  univ.  Bernens.  1881). 

Diese  lesenswerten  Abhandlungen  sind  anscheinend  angeregt  durch 
die  Lektüre  von  R.  Westphals  bekanntem  Buche  c  Catulls  Gedichte  in 
ihrem  geschichtlichen  Zusammenhange  übersetzt  und  erläutert.  Breslau. 
1867'.  Die  erste  beschäftigt  sich  mit  Westphals  phantastischen  Kom- 
binationen über  Ciceros  Beziehungen  zu  Clodia,  der  angeblichen  Lieb- 
schaft beider,  dem  von  beiden  gehegten  Vorsatze  einer  Scheidung,  die  ihnen 
eine  Heirat  ermöglichen  sollte.  Vgl.  Westphal  S.  35  f.,  S.  100  f.,  S.  239  f. 
Neuerdings  hat  Westphal  seine  Theorie  fast  mit  denselben  Worten 
wiederholt,  ohne  etwas  Neues  beizubringen  (denn  einige  gereizte  Bemer- 
kungen gegen  Rettig  sind  von  sachlicher  Widerlegung  weit  entfernt). 
Vgl.  Catulls  Buch  der  Lieder,  deutsch  von  R.  Westphal.  1884.  S.  137f. 
Dem  gegenüber  betont  Rettig  etwa  Folgendes.  Dafs  Cicero  in  einem 
Falle  (denn  nur  von  einem  braucht  ad.  Fam.  V  2  die  Rede  zu  sein) 
die  Clodia  aufsuchte  und  sie  um  ihre  Vermittelung  anging,  ist  nicht  auf- 
fällig, zumal  er  selbst  ihren  abwesenden  Gemahl  von  dem  Besuche  in 
Kenntnis  setzt.  Auch  scheint  eine  erotische  Liaison  mit  Ciceros  Cha- 
rakter nicht  im  Einklänge.  Plutarchs  Erzählung  (Cic.  c.  28  —  29),  auf 
die  sich  Westphal  vornehmlich  stützt,  ist  schwerlich  mehr  als  Klatsch, 
wie  so  viele  der  hier  aus  Ciceros  Leben  erzählten  Daten.  So  urteilt 
auch  Drumann  mehrfach  über  Plutarchs  Glaubwürdigkeit.  [Gegen  West- 
phals Behauptung,  Plutarchs  Quelle  sei  auch  für  alles  in  c.  28—29  Er- 
zählte Tiros  Werk  über  Cicero  gewesen,  s.  0.  Harnecker  Berl.  Ph.  W. 
1884  Sp.  226].  Die  Annahme  Cicero  habe,  von  der  rachsüchtigen  Terentia 
gezwungen,  Zeugnis  gegen  Clodius  abgelegt,  läfst  sich  nicht  mit  Stellen 
wie  Cic.  ad  Att.  I  13,  3.  I  12,  3.  I  16,  1  vereinigen.  —  Ebenso  unhalt- 
bar ist  die  Ansicht  Westphals,  dafs  c.  49  schou  in  das  Jahr  62  gehöre, 
d.  h.  in  eine  Zeit,  wo  Catull  noch  fast  unbekannt  war  (daher  angeblich 
das  schüchterne  pessimus  omnium  jioeta),  dafs  'proxirnum  locum  in  amore 
Clodiae  ante  Catullum  oecupasse  Ciceronem',  dafs  Catull  mit  c.  49  dem 
Cicero  danke,  weil  er  ihn  bei  der  Clodia  eingeführt  habe.  Denn  mit 
ihr  ist  unvereinbar  die  Kürze,   der  schmucklose   und  frostige  Charakter 


Westphals  Nomostheorie  für  Catull  nicht  haltbar.  231 

des  Gedichtes.  Für  einen  solchen  Liebesdienst  pflegte  Catull  ganz  an- 
ders zu  danken;  vgl.  68,  41-70.  149.  Richtig  und  durch  spätere  Unter- 
suchungen (vgl.  unten  zu  c.  49)  bestätigt  ist  der  Satz:  Catullum  ne  in 
carminibus  quidem  brevissimis  quae  epigrammatici  argumenti  sunt  tacere 
solere  quorsum  ea  spectent  et  pertineant'.  Leider  steht  damit  die  Be- 
hauptung auf  S  12,  c.  49  sei  'epigrammatici  generis'  im  Widerspruche. 
Zu  schwer  nimmt  Rettig  das  pessimus  omnium  poeta:  Das  horazische 
ego  apis  Matinae  more  modoque  gehört  schwerlich  hierher.  Am  besten 
hat  über  diese  Phrase  0.  Harnecker  gehandelt. 

Die  zweite  Abhandlung  bekämpft  Westphals  (S.  48)  Erklärung  der 
vielumstrittenen  Schlufstrophe  von  c.  51  Otium,  Catulle,  tibi  molestum  est. 
Er  meint  z.  B.  non  de  otio,  sed  de  amore  queri  debebat  Catullus,  et 
graviter  queri,  non  ita  ut  otium  sibi  molestum  non  periculosum  esse  di- 
ceret'  u.  s.  w.  Verf.  findet  in  der  Strophe  nur  Ironie  und  Spott.  Aber 
'  Catullum  se  ipsum  his  ridere  non  posse,  concedent  omnes  qui  animum 
eius  veri  et  sinceri  amoris  impetu  abreptum  norunt.  Cfr.  c.  76.  Ca- 
tullus ab  amore  se  ipse  dehortans  ferri  posset,  sed  Catullus,  ita  ut  fit, 
de  otio  querens  ferri  non  potest'.  Die  Worte  sind  also  nicht  von  Catull 
selbst,  sie  sollen  seine  sentimentale  Liebe  verspotten,  sie  sind  gedichtet 
nach  dem  Vorbilde  von  Ov.  rem.  Am.  135  sq.  [Schwerlich  werden  dem 
Viele  zustimmen.  Und  schwerlich  wird  das  Verhältnis  dieser  Strophe 
zum  Vorhergehenden  je  völlig  aufgeklärt  werden ,  denn  es  sind  der  un- 
bekannten Gröfsen  zu  viele,  mit  denen  wir  zu  rechnen  hahen|.  -  c.  65. 
Die  drei  letzten  Disticha  sind  nicht  mit  Rofsbach  und  Westphal  von  dem 
Gedichte  abzutrennen.  Dies  wird  S.  8  — 10  richtig  dargelegt.  Doch 
irrt  Verf.,  wenn  er  vor  dem  letzten  Distichon  stark  iuterpungiert  und 
in  dieses  das  Tertium  des  Vergleiches  legt:  Ut  virgo  prodito  amore 
gravi  dolore  obruatur,  ita  se  nunc  acerbissimum  sentire  dolorem  propter 
obitum  fratris'.  Denn  das  ertappte  Mädchen  schämt  sich  (manat  ort 
rubor),  non  gravi  dolore  obruitur.  Die  ebenfalls  erwähnte  Deutung  ('qua 
ad  Homeri  aliorumque  poetarum  exemplum  provocare  possemus,  qui  in 
comparationibus  saepe  multa  addunt  poetice,  quae  ad  rem  quae  agitur 
necessaria  non  sunt')  ist  natürlich  die  richtige.  —  Auf  S.  10—14  wird 
treffend  die  abenteuerliche  Ansicht  Westphals  zurückgewiesen,  dafs  Ca- 
tull c.  68  nach  Art  des  Terpandrischen  Nomos  gegliedert  habe  (vgl. 
Westphal  a.  0.  S.  23  u.  f.  und  jetzt  Catulls  Buch  der  Lieder  S.  151  f.). 
Bei  Catull  ist  einfach  Alles  anders  wie  es  im  Nomos  sein  sollte:  Die 
xazaTponä  und  /izraxaTarpond,  die  Westphal  herausfindet,  sind  -ehr  lang 
und  epischen  Inhaltes,  der  6fj^paX6g  sehr  kurz  und  lyrischer  Natur  u.  s.  w. 
Der  ungleichmäfsige  (manche  haben  gesagt  »monströse..)  Hau  des  Ge- 
dichtes erklärt  sich  einfach  durch  die  den  alexandrinischeD  Vorbildern 
abgelauschte  Neigung  zu  Digressionen.  Für  die  ganze  Nomostheorie 
liegt  auch  nicht  der  Schatten  eines  Grundes  vor.   Ref.  Btimml  dem  rück' 


232  Catnlla  Gelliusopigrammc 

haltlos  bei*).  Dafs  übrigens  Cur  alle,  welche  au  der  Einheit  von  c.  68 
festhalten,  sich  Westphals  wunderlicher  Einfall  von  selbst  erledigt,  be- 
darf kaum  der  Erwähnung.  —  Zum  Schlüsse  (S.  14  -17)  wird  West- 
phals Restitution  von  c.  55  (Westphal  S.  216f.)  behandelt.  Weil  der 
zweite  Teil  des  Gedichtes  (58b=  23—32)  nicht  distichisch  ist  (d.  h.  weil 
nicht  versus  vere  Phalaeceus  versum  Phalaeceum  spondiacum  sequitur), 
kann  es  auch  der  erste  nicht  sein  (vgl.  auch  v.  8  und  13).  Das  von 
Westphal  nach  v.  5  gesetzte  Komma  ist  falsch;  dieses  würde  ein  Te 
in  Magni  simul  ambulatione  verlangen.  Ebenso  ist  v.  16  die  Verbin- 
dung uudacter  committe  abzuweisen.  Westphals  Ordnung  23,  25,  24,  26 
ist  unrichtig,  niveae  citaeque  bigae  als  Nom.  anzusehen  mit  Auslassung 
des  Participium  verbi  substantivi.  Dagegen  ist  Westphals  Erklärung 
der  Schlufsworte  dum  nostri  s.  p.  amoris  fein  und  gut.  Rieses  Gründe 
gegen  die  Eiuschiebung  von  23  -  32  an  dieser  Stelle  sind  nicht  stich- 
haltig :  '  Tarn  diu,  poeta  ait  sc  per  totam  urbem  currentem  amicum  frustra 
quaesivisse  ,  ut  etiamsi  wxüraTos  esset  et  optime  pedibus  uteretur,  ta- 
rnen fessus  nunc  esset  frustra  suseepto  labore'. 

Einige  der  bissigsten  Epigramme  Catulls  (74,  80,  88  —  91,  116) 
gelten  einem  gewissen  Gellius.  Wer  war  dieser  Mann?  Vgl.  Schwabe 
quaest.  S.  101  f.  Zwei  Personen  kommen  in  Frage,  Oheim  und  Neffe. 
Der  erstere,  ein  eifriger  Anhänger  des  Clodius,  ist  der  Bruder  jenes  be- 
kannten L.  Gellius  Publicola,  der  im  J.  72  v.  Chr.  Konsul,  im  J.  70 
Censor  war.  Der  Sohn  dieses  Letzteren  ist  die  andere  Persönlichkeit, 
an  die  man  bei  Catull  denken  kann.  Für  den  Neffen  hatte  sich  nach 
eingehender  Untersuchung  Schwabe  entschieden,  besonders  wegen  Val. 
Max.  V  9,  1.  [Ihm  folgen  auch  die  neueren  Erklärer,  Riese  allerdings 
unter  Reserve].  Dagegen  hatte  Westphal  (Catulls  Ged-  S.  119 f.)  be- 
hauptet, nur  die  zusammenstehenden  Gedichte  88—91  bezögen  sich  auf 
den  Neffen  Gellius  und  zwar  genau  in  umgekehrter  Reihenfolge.  In 
74,  80,  116  hingegen  werde  der  Oheim  Gellius  gegeifselt.  Diese  Ansicht 
Westphals  wird  in  besonnener  und  überzeugender  Beweisführung  Punkt 
für  Punkt  widerlegt.    Die  7  Epigramme  beziehen  sich  höchst  wahrschein- 


*)  Vgl.  über  Westphals  Theorie  noch  Macan  Transact.  of  the  Oxf.  Phil. 
Soc  1882— 1883  S.  16f  Christ  Metrik  S  644:  'Auch  die  Versuche  Westphals 
jene  alten  musikalischen  Gliederungen  in  der  Composition  pindarischer  Oden, 
äsebylischer  Tragödien  und  catullischer  Gedichte  nachzuweisen,  halten  wir  für 
blofse  Phantastereien  eines  erfindungsreichen  Kopfes'.  S.  auch  die  verständi- 
gen Ausführungen  von  A.  Croiset,  Annuaire  de  1' Association  pour  l'encou- 
ragement  des  etudes  Grecques  en  France.  Paris  1880.  S.  99  f.  und  Cr.  im 
Lit.  Centralbl.  1887,  44,  Sp.  1502.  46,  Sp.  1564.  Der  jüngste  Versuch  die 
Gliederung  des  echten  Nomos  als  eine  Art  Kompositionsschema  für  kalli- 
machische  Hymnen  und  den  Pauegyricus  ad  Messallam  zu  betrachten ,  hat  mit 
Westphals  Pseudonomos  nichts  zu  thua.  Ehe  man  ihn  beurteilt,  wird  nähere 
Begründung  abzuwarten  sein 


Catulls  Gclliusepigramme.     Tanusius  und  Volu3ius.  233 

lieh  alle  auf  den  Neffen.  Nur  auf  wenige  Einzelheiten  kann  hier  ein- 
gegangen werden.  Zu  80,  1  wird  richtig  bemerkt,  dafs  rosea  labella  besser 
auf  den  tener  adulescens  Gellius  als  auf  den  Oheim  pafst.  Verwiesen 
hätte  hier  auf  63,  74  werden  sollen,  wo  von  den  roseis  labellis  der  ent- 
mannten Attis  die  Rede  ist.  In  80.  8  schreibt  Rettig  Ilia,  et  emulso 
hm'c  labra  notata  sero.  Die  Konj.  ist  mit  Unrecht  von  den  Herausgebern 
nicht  beachtet  worden.  Aber  notwendig  ist  sie  wohl  nicht.  Gewifs  ist 
es  hart,  dafs  lahro  notata  nicht  zu  Victoris  gehören  soll  (denn  es  mufs 
doch  nach  v.  1  und  folg.  von  den  labella  des  Gellius  die  Rede  sein),  aber 
es  ist,  wenn  man  nach  ilia  interpungiert ,  wohl  nicht  gerade  unerträg- 
lich. Ferner  will  Rettig  in  v.  7  statt  des  wunderlich  unmotiviert  herein- 
gezogenen Eigennamens  Victoris  lesen  victoris  und  bezieht  dies  auf  den 
patruus  in  74  [vgl.  89,  3]:  Oheim  und  Neffe  waren  abwechselnd  irru- 
mantes  et  irrumati!  Auch  dies  hält  Ref.  für  beachtenswert:  victor 
heifst  Einer  der  das  Erstrebte  erreicht  hat'.  Hier  wäre  es  der  bei 
dem  ekelhaften  Akte  Obenliegende,  die  Rolle  des  stärkeren  Mannes 
Spielende,  im  Gegensatze  zu  dem  das  Glied  in  sich  Aufnehmenden,  dem 
suecumbens.  Vgl.  Ov.  Met.  II  437.  VII  836.  Verg.  Aen.  II  329.  X  409. 
XI  565. 

48.  R.  v.  Braitenberg,  Über  das  Verhältnis  Catulls  zu 
seiner  Zeit.  20  S.  8.  Progr.  des  Obergymnasiums  der  Kleinseite 
Prag.   1882. 

Die  Abhandlung  bietet  keine  neuen  Gesichtspunkte.  Das  Gegebene 
ist  im  Wesentlichen  korrekt. 

49.  V.  Kosztka,  C.  Valerius  Catullus.  Ungar.  Neudorf.  1884. 
38  S.   8.  Progr. 

Der  Verf.  dieser  magyarisch  geschriebenen  Abhandlung  zeichnet 
ein  anscheinend  für  das  grofse  Publikum  bestimmtes  Bild  von  Lebeu 
und  Werken  des  Dichters.  Nähere  Angaben  zu  machen  ist  Ref.  aufser 
stände. 

50.  P.  E.  Sonnenburg,  Der  Historiker  Tanusius  Gemi- 
nus  und  die  annales  Volusi.  Ein  Catullianum.  (Historische  Unter- 
suchungen. Arnold  Schaefer  gewidmet.   Bonn.   1882.    8  S.  158  -  165.) 

51.  L.Schwabe,  DieAnnalen  desTanusius  undVolusius. 
N.  Jahrbb.   1884,  380—386. 

Sonnenburg  leugnet  die  Identität  der  Annalen  des  Volusius  bei 
Catull  c.  36  u.  95  mit  den  Annalen  des  Tanusius,  die  seit  Muret  ge- 
wöhnlich angenommen  und  zuletzt  von  M.  Haupt  quaest.  Cat.  S.  98  = 
opusc.  I  71  und  L.  Schwabe  quaest.  Cat.  28o  eingehend  begründet  wor- 
den war.  Die  Identifizierung  stutzte  sich  besonders  auf  Senec.  ep.  98,  1 1 
'  et  paueorum  versuum  über  est  et  qnidem  laudandus  atque  utilis:  annaUa 


234  Catull.    Volusius  =  Tanusius 

Tanusii  ecis  quam  ponderosi  sini  et  quid  voceniur.  hoc  est  vita  quorum- 
dam  longa,  et  quod  Tanusii  sequitur  annalcs',  verglichen  mit  Catulls  be- 
rühmtem annales  Volusi,  cacata  charta  36,  1.  Von  diesem  Tanusius  wird 
aurserdem  (Suet.  Jul.  9,  Plut.  Caes.  22)  ein  Geschichtswerk  mit  dem 
Titel  historia  erwähnt.  Von  den  in  der  Senecastelle  citierten  Annalen 
bemerkt  Sonnenburg  ohne  jede  Begründung:  ein  Werk,  welches  wir 
doch  wohl  mit  jener  von  Suetonius  genannten  historia  zu  identifizieren 
das  Recht  haben  werden'.  Wer  dem  zustimmt,  stöfst  nun  auf  eine 
Schwierigkeit.  Die  Annales  Volusi  waren  in  Versen  geschrieben  ( Ca- 
tull 36,  6  electissima  pessimi  poetae  scripta).  Es  ist  aber  höchst  unwahr- 
scheinlich, dafs  Suetonius  und  Plutarchos  ein  poetisches  Annalenwerk 
als  Quelle  für  die  Cäsarische  Zeit  benutzt  haben  sollten.  Aufserdem 
kann  die  dem  Cäsar  so  feindliche  historia  des  Tanusius,  'ein  Buch,  worin 
ausführlich  über  seine  Teilnahme  an  Verschwörungen  zum  Umsturz  der 
Verfassung  und  über  seinen  Treubruch  an  fremden  Gesandten  berichtet 
war',  erst  nach  Cäsars  Ermordung,  also  sehr  lange  nach  Catulls 
Tode,  veröffentlicht  worden  sein.  Auch  andere  Gründe  machen  angeb- 
lich die  Identität  des  Tanusius  mit  Catulls  Volusius  unwahrscheinlich  : 
dafs  Catullus  Pseudonyma  angewandt  habe,  wissen  wir  sicher  nur  bei 
drei  Persönlichkeiten  Clodia,  Clodius  und  Mamurra,  und  hierbei  liegen 
die  Gründe  auf  der  Hand.  Den  Namen  Volusia  führte  eine  in  Rom 
angesehene,  vornehme  gens  u.  s.  w. 

Der  Beifall,  der  diesen  Ausführungen  von  mehreren  Recensenten 
[auch  neuerdings  haben  sich  Riese  und  Baehrens  beeinflussen  lassen]  ge- 
zollt worden  war,  veranlafste  L.  S  c h  w  a b  e  sie  zu  bekämpfen  und  mit  schnei- 
diger Logik  vollständig  zu  widerlegen.  Die  ganze  Beweisführung  Sonnen- 
burgs  beruht  auf  einer  argen  petitio  prineipii :  Es  mufste  vor  allem  seine 
Aufgabe  sein  zu  beweisen,  dafs  die  annales  und  die  historia  des 
Tanusius  ein  Werk  gewesen.  Statt  dessen  setzt  er  die  Identität  beider  ohne 
Weiteres  voraus.  Schwabe  weist  sodann  nach,  dafs  für  die  Gleichung 
Volusius  =  Tanusius  folgende  gewichtige  Gründe  bestehen  bleiben: 

1)  Tanusius  hat  Annalen  geschrieben,  aber  auch  Volusius. 

2)  Tanusius'  Annalen  waren  weitläufig,  aber   auch  die  des  Volusius. 

3)  Tanusius  lebte  in  der  Zeit  des  Cäsar  und  Catullus,  aber  auch 
Volusius. 

4)  Über  die  Annalen  des  Tanusius  ging  ein  derbes,  Verachtung  be- 
zeugendes Witzwort  um,  aber  auch  über  die  des  Volusius. 

5)  Tanusius  wird  bei  Strabon,  Seneca,  Plutarch  und  Sueton  erwähnt, 
Volusius  bei  dem  einen  Catull. 

6)  Von  den  je  acht  Buchstaben  der  beiden  Namen  dieser  merkwür- 
digen Doppelgänger  sind  je  fünf  ganz  gleich,  auch  die  Quantität  der 
Silben  ist  gewifs  identisch.  Man  wird  sich  also  mit  Schwabe  die  Sache 
etwa  so  vorzustellen  haben.  Tanusius  Geminus  (das  cognomen  bei 
Suetonius)  aus  der  Pogegend  (Cat.  95,  7)  gebürtig,  verfafste  in  jungen 


Catull.     Volusius  =  Tanusius.     Gedicht  95.  235 

Jahren  umfangreiche  poetische  Annales  wie  vor  ihm  Q.  Ennius,  L.  Accius 
und  A.  Furius.  Catullus,  der  Heifssporn  der  jungrömischen  Dichter, 
verhöhnt  diese  Leistung  eines  schulfremden  pessimus  poeta  (36,  6)  —  er 
nennt  ihn  mit  leiser  Namensänderung  Volusius  — ,  prophezeit  den 
Annalen  baldiges  Vergessensein  und  zeichnet  sie  als  pleni  ruris  et  in- 
ficetiarum  mit  derbem  Witzwort:  cacata  charta.  Auf  dieses  Prädikat, 
welches  für  immer  an  jenen  Annalen  haften  blieb,  spielt  an  Seneca  ep. 
93,  11.  Später  wandte  sich  Tanusius,  vielleicht  gewitzigt  durch  die 
schlimmen  Erfahrungen,  welche  er  mit  seinem  poetischen  Versuche  ge- 
macht hatte,  oder  durch  eigene  Einsicht  belehrt,  dafs  er  nicht  zum 
Dichter  geboren  sei,  zur  Geschichtschreibung  und  gab  nach  Cäsars  Tod 
eine  historia  heraus,  in  welcher  er  die  jüngste  Vergangenheit  des  römi- 
schen Staats  behaudelte.  Während  das  poetische  Jugendwerk  des  Ta- 
nusius früh  verschollen  war  und  nur  in  Catulls  wenig  schmeichelhafter 
Charakteristik  weiter  lebte,  gewann  die  historia  Ansehen  und  wurde  viel 
benutzt,  z.  B.  von  Strabon,  Plutarch,  Sueton  und  Appian.  —  Alle  diese 
Sätze,  die  B.  Schmidt  jetzt  wieder  mit  unzureichenden  Gründen  be- 
kämpft (prolegg.  ed.  S.  XLV),  unterschreibt  Ref.  Nur  über  c.  95  hat 
Schwabe  nicht  ganz  richtig  geurteilt.  Er  versteht  unter  dem  tu- 
midus  Antimachus  in  v.  10  wieder  den  Volusius:  'Kann  Catull  nach  Hor- 
tensius  und  Volusius  seinen  Landsleuten  und  Zeitgenossen,  ganz  unver- 
mittelt Antimachus  nenuen,  den  Griechen  der  vor  mehr  als  300  Jahren 
lebte?  Wie  viele  Leser  hatte  wohl  damals  in  Rom  Antimachos?'  Aber 
wie  passen  dann  9  —  10  zum  ersten  Teile  des  Gedichtes?  Ref.  bemerkte 
schon  früher  (N.  Jahrbb.  1876,  414):  »Eben  hat  Catull  dem  Gedichte 
seines  Freundes  Cinna  allgemeinen  Beifall,  ewigen  Ruhm  prophezeit:  in 
den  fernsten  Ländern  wird  es  gelesen  werden,  die  Nachwelt  wird  es 
immerdar  bewundern:  dagegen  des  Volusius  Annalen  werden  nur  als 
Makulatur  Verwendung  finden.  Und  nun  soll  er  das  gerade  Gegenteil 
dessen  hinzufügen:  Mir  soll  es  teuer  sein,  des  Freundes  Büchlein:  die 
Welt  mag  sich  am  Volusius  erfreuen'.  Ist  das  auch  nur  denkbar ?« 
Ähnliches  jetzt  bei  B.  Schmidt  prolegg.  S.  XLIV.  Man  wird  also  mit 
Lachmann,  Haupt,  Vahlen  v.  9—10  vom  Vorhergehenden  trennen  und 
als  selbständiges  Epigramm  fassen  müssen.  Auch  so  ist  Antimachus  = 
Volusius.  Ein  ctumidus  Antimachus'  mochte  Volusius  in  Catulls  Kreise 
genannt  worden  sein.  Die  Beziehung  war  daher  hier  Niemandem  dunkel. 
-  Über  den  Tanusius  vgl.  noch  B.  Niese  Rh.  Mus.  38,  600 f.  Ellis, 
Academy  1883,  12  Mai. 

5'2.  I].  Linke,   Tibullus  quantum  in  poesi   elegiaca  pro- 
fecerit  comparato  Catullo.     Progr.  Luckau.    19  3.  4. 

Es  ist  zu  bedauern,  dafs  der  Verfasser  dieser  Beifügen  und  ver- 
ständigen Arbeit  sich  zu  viele  und  grofsc  Aufgaben  gestellt  hat.  Auf- 
gaben, die  nur  durch  eine  Reihe  ganz  spezieller  Untersuchungen  zu  lösen 


23fJ       Tibulls  Verhältnis  zu  Catull     Nachahmung  der  Alexandriner 

waren  und  inzwischen  teilweise  gelöst  sind.  So  wird  manches  interes- 
sante Thema  nur  oberflächlich  berührt,  z.  B.  der  Gebrauch  von  at  bei 
Tibull,  der  Parallelismus  in  seinen  Distichen,  die  Stellung  von  zwei 
Substantiven  mit  dazu  gehörigen  Adjektiven  im  Pentameter  u.  a. 

Auf  S.  1  —  7  wird  einiges  für  Catull  Charakteristische,  teilweise 
anscheinend  im  Anschlüsse  an  Haupts  Vorlesungen  zusammengestellt 
(Vgl.  z.  B.  Haupt  bei  Beiger  S.  241  und  sonst).  Verf.  illustriert  Ca- 
tulls  Abhängigkeit  von  den  Alexandrinern  in  der  Elegie  durch  näheres 
Eingehen  auf  c.  G6  und  68,  ohne  dafs  gerade  etwas  Neues  geboten 
würde.  Auf  S.  5—7  wird  endlich  über  Catulls  Metrik,  über  Altertüm- 
liches, sowie  über  die  Natürlichkeit  und  Einfachheit  seiner  Sprache,  über 
Mangel  an  einheitlichem  Stile  gesprochen.  —  Im  zweiten  Teile  der  Ab- 
handlung (S.  7—19)  handelt  Verf.  zunächst  über  Tibulls  Sprache  und 
Stil.  Tibull  ist  in  seiner  Sprache  freier  von  Archaismen,  überhaupt 
reiner  als  selbst  Vergil  und  Horaz.  Gräcismen  werden  nur  vorsichtig 
und  in  bestimmten  Grenzeu  zugelassen.  Höhere  Vollendung  gegenüber 
Catull  zeigt  sich  auch  in  der  Metrik  (Lesenswertes  über  Elisionen, 
Cäsuren,  Hexameter-  und  PentameterschlufsJ.  Nicht  minder  in  den  be- 
handelten Stoffen.  'Fere  anxie  fugit  omnem  doctrinam,  quae  apud  Ca- 
tullum  in  fabulis  exemplisque  longius  petitis  parumque  ad  ipsum  argu 
mentum  aptis  cerni  poterat'.  Doch  gilt  dieser  Satz  nicht  ohne  Ein- 
schränkung, wie  Maafs  später  gezeigt  hat.  Auf  S.  16  ist  erwähnenswert, 
dafs  Tibull  ''  ubique  cum  amore  coniunxit  querimoniam  nescio  an  magis 
natura  sua  duetus  quam  quod  originem  vocabuli  elegiae  speetavit  .  .  . 
semper  habet  cur  queratur  vel  de  ianua,  qua  ab  amata  puella  exeluditur 
(I  2,  5;  I  1,  56;  I  5,  67;  II  3,  74;  II  4,  22  und  31;  II  6,  47)  vel  de 
avaritia  puellae  et  qui  amorem  vendere  docuerit  (II  4,  14,  25,  33,  39; 
II  2,  49;  I  9,  11,  51,  77  u.  a.)  vel  denique  de  deo,  qui  amantes  cruciet 
(I  2,  98;  I  6,  1  sq.;  I  8,  5;  II  1,  70,  82;  II  5,  107  sq.;  II  6,  15)'. 
Bemerkungen  über  I  7  und  II  5  verteidigen  diese  Gedichte  gegen  Teuffels 
Angriffe. 

53.  G.  Henkel,  DeCatulloAlexandrinorumimitatore  com- 
mentatio  philologica.  17  S.  4.  1883  (Programm  des  Gyran.  Carolo- 
Alexandr.  zu  Jena). 

Die  Arbeit  ist  eigentlich  nur  die  Einleitung  zu  einer  Untersuchung, 
wie  sie  der  Titel  verspricht  Gehandelt  wird  über  den  römischen  National- 
charakter, über  die  besonders  durch  Korinths  Eroberung  erschlossene 
nähere  Bekanntschaft  mit  der  griechischen  Litteratur,  über  die  Gründe, 
warum  die  Alexandriner  von  den  Römern  bevorzugt  wurden.  Als  Haupt- 
vertreter des  Alexandrinismus  und  Vorbild  für  Catull  und  Properz  wird 
sodann  Kallimachus  besprochen  und ,  soweit  es  die  dürftigen  Überreste 
gestatten,  ein  Bild  seiner  Poesie  gezeichnet.  Verf.  geht  dabei  fast  immer 
nicht  vom  historischen,  soudern  vom  ästhetischen  Standpunkte  aus.    Man 


Catulls  Galliamben  (c  63)  Nachahmung  des  Kallimachos?  237 

sieht  selten  das  Bemühen  eine  litterarische  Erscheinung  aus  der  Be- 
sonderheit der  Zeiten  und  Verhältnisse,  die  sie  in  das  Dasein  riefen,  zu 
verstehen;  im  Vordergrunde  steht  ihm  vielmehr  immer  die  Frage:  Ist 
dies  und  das  schön  oder  häfslich?  Ref.  ist  fern  da-von  dieser  Anschau- 
ungsweise ihre  Berechtigung  abzusprechen ,  aber  für  wissenschaftliche 
Untersuchungen  ist  sie,  so  ausschliefslich  angewendet,  schwerlich  geeignet. 
—  Auf  die  Charakteristik  des  Kallimachus  folgt  eine,  ebenfalls  ästheti- 
sierende,  Analyse  der  coma  Berenices.  Ist  hier  folgender  Satz  ganz 
ernst  zu  nehmen :  '  Maxime  autem  in  carmine  quod  castitati  patrocinatur 
quodque  reginae  modo  nuptae  oblatum  recitatumque  vel  ab  ipsa  perlec- 
tum  est,  nimis  offendimur  poetae  circa  singula  haerentis  lascivia,  quae 
tarn  late  patet,  ut  haud  inepte  conicere  possis  hos  poematis  versus 
non  a  bibliothecario  regio  confictos  sed  ab  ipso  Clodiae 
adultero  esse  interpolatos'  V  Wunderlich  ist  die  Behauptung 
(S.  17),  Catull  werde  sich  erst  nach  schwerem  inneren  Kampfe  (quanto- 
pere  putas  talem  virum  esse  luctatum?)  entschlossen  haben  die  Alexan- 
driner nachzuahmen,  um  die  herrschende  Mode  mitzumachen. 

Wie  schon  aus  der  Inhaltsangabe  hervorgeht,  enthält  die  Abhand- 
lung nichts,  was  die  Sache  fördern  kann.  Doch  soll  gern  anerkannt 
werden,  dafs  sie  in  fliefsendem,  stellenweise  in  elegantem  Latein  geschrie- 
ben ist  und  sich  ganz  gut  liest.  In  einem  zweiten  Teile  soll  'cum  de 
aliis  Veronensis  carminibus,  tum  de  vexatissima  elegia  sexagesima  octava' 
gehandelt  werden.  Vorangeschickt  ist  das  Facsimile  von  einem  Blatte 
des  cod.  Oxoniensis,  enthaltend  die  v.  41  105  von  c  68.  Während  eines 
Aufenthaltes  zu  Oxford  i.  J.  1875  hatte  Verf.,  wie  er  angiebt,  c.  68  aus 
der  Handschrift  kopiert. 

54.   U.   v.   Wilamowitz-Möllendorf,    Die    Galliamben    des 
Kallimachos  und  Catullus.     Hermes  14  (1879),  194—201. 

1)  Der  Erfinder  der  Galliamben  ist  Kallimachos.  Dies  folgert 
Wilamowitz  aus  Hephaestion  Cap.  12  S.  39  Westphal.  Aber  die  citierte 
Stelle  zusammengehalten  mit  der  Notiz  eines  Scholiasten  besagt  nur, 
dafs  Kallimachos  Galliamben  anwandte.  —  2)  Dem  Kallimachus  ge- 
hören die  von  Hephaestion  a.  0.  citierten  Verse  FaAÄdl  pyjrpbg  dpeüje 
<piX6Bt)ftaui  8pofid8ec,  ./?,•  zvzea  natayetTat  xa\  ydXxea  xporaXa.  Aber 
auch  das  ist  schwerlich  mehr  als  möglich,  allenfalls  wahrscheinlich.  Ref. 
möchte  sogar  aus  jener  Notiz  des  Scholiasten  w  xa\  KodXtp.a%oe  xe- 
yj>f,~<i-i  herauslesen,  dafs  dieser  wenigstens  die  Verse  nicht  dem  Kalli- 
machos zuschrieb.  Welchen  Sinn  hat  jenes  xa£  sonst?  3)  Catullus' 
Attis  ist  Nachahmung  (nicht  Übersetzung)  Kallimacheischer  Galliamben. 
Dies  beweist  angeblich  die  Übereinstimmung  von  Kallimachos'  FaXXai 
jitjvpbe  ipsbji  ptkö&upoot  Spopd8ee  mit  Catullus  (>3,  12  agäet  üe  ml  alta, 
Gallae,  Cybeles,  nemora  rimul.  Besonders  beweiskräftig,  weil  Singular, 
soll  sein,  dafs  Catull  den  Geschlechtswechsel,  den  Beine  Personen  durch 


238  Catull.     Galliamben.     Juventiuslieder. 

die  Entmannung  erleiden,  ebenfalls  auf  das  grammatische  Geschlecht 
ihrer  Namen  überträgt.  Aber  das  ganze  Gebäude  ruht,  wie  sich  aus 
dem  Obigen  ergiebt,  auf  unsicherem  Fundamente,  obwohl  die  Möglich- 
keit, dafs  Catulls  Vorbild  Kallimachos  war,  nicht  bestritten  werden   »11. 

Speciell  über  v.  12  vgl.  Baehrens1  Note.  -  Den  Charakter  des  catulli- 
schen   Gedichtes  beurteilt  Wilamowitz  so:    Anzuerkennen  isl  bei  Catullus 

ein  lediglich  formales  Interesse.  Seine  Attis  ist  kein  Dokument  für  den 
religiösen  Sinn  ihres  Verfassers  oder  ihrer  Zeit,  sie  ist  vielmehr  ein 
Meisterstück  der  Nachahmung  alexandrinischer  Kunst  in  Metrum.  Sprache 
und  Stil'.  Wenn  aber  Wilamowitz  findet,  Catull  beuge  sieh  hier' schal  k  - 
haft'  vor  der  Göttermutter,  so  hat  er  den  Sinn  der  naiven,  aber  sehr 
ernst  gemeinten  Schlufsworte  (91-93)  gewaltig  mifsverstanden.  4)  Ein- 
zelheiten. In  v.  G4  will  Wilamowitz  hinter  fui  /los  ein  Punktum  setzen; 
mulier  in  63  wird  mit  Recht  gehalten.  -■•  66,  77  vindiziert  sich  Wila- 
mowitz die  Priorität  der  Konj.  hymenis  eepers  (doch  vgl.  S.  479)  und  be- 
zeichnet Syrii  in  78  als  beziehungsloses  Füllwort,  das  im  Originale  nicht 
stand.  Doch  steht  jetzt  wohl  fest,  dafs  Catullus  weder  hymenis  noch 
Syrii  schrieb.  Vgl.  Vahlen  Hermes  15,  269  und  Riese  z.  St.  —  Für 
den  Teil  des  c.  64,  in  dem  Prometheus  auftritt,  benutzte  nach  Wilamo- 
witz Catull  vielleicht  (vgl.  Robert,  Eratosthenes  223)  den  Hermippos. 
Wenn  in  v.  300  Apollo  nicht  zum  Feste  kommt,  so  ist  das  bewufste 
Opposition  gegen  Aeschyl.  fg.  340,  das  wiederum  aus  42  63  genommen  ist. 

55.  0.  Harnecker,  Des  Catullus  Juventiuslieder,  N.Jahrbb. 
1886,  273—279. 

Verf.  zieht  eine  interessante  Parallele  zwischen  dem  tändelnden 
Epigramme  des  Cicero  auf  Tiro,  das  Plinius  der  Jüngere  in  dem  Buche 
'de  comparatione  patris  et  Ciceronis'  des  Asinius  Gallus  fand  und  das 
er  seinem  wesentlichen  Inhalte  nach  ep.  VII  4,  6  wieder  gibt,  und  Ca- 
tulls c  99  surripui  tibi,  dum  ludis,  mellite  Juventi.  Plinius  sagt  von 
jenem  Epigramme  .  .  .  queritur  quod  fraude  mala  frustratus  amantem  pau- 
cula  cenato  sibi  debita  savia  Tiro  tempore  nocturno  subtraxerit.  Darin  ist 
nur  ein  neuer  Beweis  zu  sehen,  dafs  auch  Cicero  der  Mode  gehuldigt 
und  in  müfsigen  Stunden  sich  in  der  Übertragung  und  Bearbeitung 
griechischer  Vorbilder,  besonders  alexandrinischer  Modestücklein  geübt 
habe'.  Die  Ähnlichkeit  beider  Gedichte  ist  überraschend.  An  Juventius 
ist  ferner  das  reizende  c.  48  mit  seiner  absichtlichen  Wiederholung  der 
berühmten  Catullischen  Küsse  für  Lesbia  (c  5  u.  7)  gerichtet  {meüüos 
oculos  tuos,  Juventi).  Es  macht  den  Eindruck  als  sollte  c.  99  eine  heitere 
Antwort  sein  auf  die  überschwängliche  Sehnsucht  von  48.  Der  Kontrast 
usque  ad  milia  basiem  trecenta,  nee  umquam  videar  satur  futurus  zu  dem 
numquam  iam  posthac  basia  surripiam!  Auch  C  24  und  81  (die  einzigen 
in  denen  Juventius  noch  vorkommt)  haben  ein  ganz  allgemeines  Motiv  : 
cder  schöne  Knabe   ist  in   den  Armen  des  Unwürdigen'.     [Aber    freilich 


Catulls  Nachahmer.  239 

werden  die  beiden  Unwürdigen  scharf  auseinander  gehalten,  ihre  Perso- 
nen sind  deutlich  bezeichnet,  von  Jedem  werden  ganz  individuelle  Züge 
angeführt !].  Verf.  kommt  zu  dem  Schlüsse,  dafs  dem  Catullus  der  Knabe 
Juventius  genau  das  war,  was  dem  Cicero  sein  Tiro  in  dem  oben  erwähn- 
ten Epigramm.  Wollte  Catull  seine  alexandrinischen  Vorbilder  erreichen, 
so  durfte  auch  bei  ihm  die  Moüaa  natStxi)  nicht  fehlen :  Es  ist  mir  trotz 
ehrlichen  Suchens  nicht  möglich  gewesen  in  Catulls  Juventiusliedern  wirk- 
liches Leben,  wahres  Empfinden  zu  entdecken,  und  ich  kann  in  dem 
Knaben  Juventius  nichts  sehen  als  eine  stehende  Figur ,  ein  Phantom, 
wie  der  Ligurinus  bei  Horatius  und  —  sei  es  auch  hier  gleich  gesagt, 
der  Marathus  bei  Tibullus'. 

56.  Nachahmer. 

Für  unsere  Kenntnis  von  Catulls  Fortleben  im  späteren  Alter- 
tume  bieten  jetzt  die  Kommentare  von  Riese  und  Baehrens  reiche 
Ausbeute.  (Vergl.  im  Allgemeinen  Riese  S.  XXXIII f.,  Baehrens  pro- 
legg.  comm.  S.  62 f.).  Über  Nachahmung  Catulls  durch  Properz  vergl. 
den  Referenten  Neue  Jahrbücher  1887,  418  f.  Anderes  ist  bei  verschie- 
denen Gelegenheiten  schon  notiert  worden;  über  Süfs'  Catulliana  z.  B. 
s.  oben  No.  37.  Wenige  Andeutungen  werden  daher  an  dieser  Stelle 
genügen.  Ganz  besonderes  Interesse  hat  immer  das  Verhältnis  Mar tials 
zu  seinem  Vorbilde  Catull  erweckt.  Vgl.  die  tüchtige  Dissertation  von 
R.  Paukstadt,  De  Martiale  Catulli  imitatore,  Halle  1876.  Ein  sehr 
reichhaltiges  unter  dem  Texte  fortlaufendes  Verzeichnis  der  Anklänge  an 
Catull  bietet  jetzt  L.  Friedländers  erklärende  Martialausgabe  (Leipzig, 
Hirzel,  1886).  Nachträge  dazu  ganz  neuerdings  von  K.  P.  Schulze, 
N.  Jahrbb.  1887  S.  637-640.  Sehr  geringfügig  und  überhaupt  zweifel- 
haft sind  die  Spuren  einer  Benutzung  Catulls  in  Calpurnius  Bucolica. 
Vgl.  in  H.  SchenkTs  nützlicher  Ausgabe  den  Index  S.  73.  Entlehnun- 
gen aus  Tibull  sind  dagegen  anzuerkennen.  Vgl.  ebenda  S.  76.  Be- 
nutzung Catulls  in  der  Epitome  des  Siliüs  Italicus  hat  Ref.  in 
Berl.  Ph.W.  1886  Sp.  1501-1502  nachgewiesen.  Vgl.  z.  B.  Epitom.  384 
Sanguine  Dardanii  manabant  undique  campi  mit  Catull  64,  344.  Epitom. 
885  rura  colunt  alii,  sulcant  gravia  arva  iuvenci  mit  Catull  64,  38  u.a.  — 
Corippus  (vgl.  R.  Amann,  De  Corippo  priorum  poctarum  latiiionun 
imitatore.  Oldenburg.  1885  S.  6)  kannte  Catulls  c.  64.  Vgl.  mit  Catull 
64,  110  f.  Cor.  Joh.  IV  OO'J  und  606  tento  revoccma  vestigia  ji/<>  .  .  .  Non 
labyrintheis  Minoia  cura  latebris  ßexerai  ancipitea  tantu  arrfractibua  orbaa, 
Benutzung  Tibulls  scheint  trotz  der  von  Amann  a.  0.  S.  14  verzeich- 
neten Parallelstelleu  zweifelhaft.  Die  Ähnlichkeit  von  Stellen  wie  Tibull 
II  5,  5  mit  Just.  IV  80  Ounota  triumphalia  pendentia  culmma  laurua 
Comit  ist  doch  gar  zu  geringfügig.  —  Nachahmung  Catulls  durch  Auso- 
nius  nahm  K.  Scheu  kl  in  seiner  schönen  Ausgabe  (Berlin  1883)  auf 
Grund  folgender  Parallelen  an  :  Catull  1,  1  =  Ausou.  XX1I1  l  XXVI  1,  4. 


iMO  Catulls  Nachahmer.     Gedicht  40. 

Catull  1,  3  =  XXVI  1,  1.  Oatull  63,  21  =  Ep.  XX IUI  21.  Catull  68,  40 
=  Ep.  XXIIII  48.  Catull  fragm.  3  Baehrens  =  IUI  7,  42.  Trotzdem 
leugnet  ßaehrens  conim.  8.  65,  dafs  Ausonius  den  ganzen  Catull  las. 
Das  wörtliche  Citat  Oui  d<mo  lepidum  novum  libdlum  erkläre  sich  dadurch, 
dafs  Ausouius  das  Widmungsgedicht  an  Nepos  aus  einer  Anthologie 
kannte.  Das  ist  an  sich  nicht  wahrscheinlich.  Die  Worte  Veronenti 
uü  poeta  quondam  (XXIII  2),  die  Einsetzung  von  Nepoti  fiir  Cornea  bei 
Catull,  das  Wort  ineptias  in  v.  5  beweist,  dafs  er  mebr  kannte  als  das 
Eingangsgedicht  und  bei  seinen  Lesern  mehr  voraussetzte.  Dafs  er  c.  03, 
vielleicht  auch  68  gelesen  hatte,  zeigen  Schenkls  Citate.  Dafs  er  noch 
andere  Gedichte  Catulls  kannte,  hat  Ref.  Berl.  Phil.  W.  1884  Sp.  877 
nachgewiesen.  Catull  101,  9  accipe  .  .  .  atgue  in  perpetuum,  frater ,  ave 
atque  vale  =  Aus.  XVI  25,  15  accipe  .  .  .  Glalrio  in  aeternum  comme- 
morate  vale  ist  ganz  sicher.  Nachahmung  Tibulls  macht  Schenkl  durch 
folgende  Parallelen  wahrscheinlich.  Tibull  I  1,  59  =  IUI  3,  72.  Tibull 
I  7,  53  =  IUI  2,  11.  Tibull  II  1,  10  =  XV  4,  4;  18,  4.  II  6,  19  = 
XXVII  3,  2.  Tibull  IV  1,  121  =  epigr.  26,  1.  Tibull  IV  13,  5  =  epigr. 
80,  4.  Dazu  hat  Ref.  a.  0.  noch  gefügt  Tibull  I  1,  9  nee  Spes  destituat 
=  XXVII  7,   13  et  numquam  .   .  .  deutitnens  Spes. 

Folgende  Schriften  beschäftigen  sich  mit  der  Deutung  von  c.  49 
und  dem  Verhältnisse  Catulls  zu  Cicero: 

57.  0.  Harnecker,  Catulls  Carmen  XLIX,  Zeitschr.  f.  d.  G.  W. 
XXXIII  (1879),  72-80. 

58.  0.  Harnecker,    Beitrag    zur    Erklärung    des    Catull. 
Friedeberger  Progr.  1879.    22  S.   4. 

59.  K.   P.  Schulze,    Drei   Catullfragen,    Z.f.d.G.W.   XXXIV 
(1880),  353-392. 

60.  0.  Harnecker,   Qua  necessitudine  coniunetus  fuerit 
cum  Cicerone  Catullus.     Progr.  Friedeberg  1882.   8  S.  4. 

61.  0.  Harnecker,  Cicero  und  Catullus,  Philol.  41,  465  — 481. 
Die   sonstige  Litteratur    des   Gedichtes   verzeichnet   Harnecker   in 

einer  Vorbemerkung  zu  No.  61;  vgl.  auch  K.  P.  Schulze  No.  59  S.  369  f. 
Dazu  noch  G.  Rettig,  Catulliana  I  S.  8.  und  K.  Jacoby  Philol.  44, 
178—182.  B.  Schmidt  prolegg.  ed.  XLf.  —  Schulze  untersucht  den 
Gebrauch  der  Eigennamen  (Praenomen,  Nomen  gentilicium  und  Cognomen) 
bei  Catull  und  den  Augusteischen  Dichtern.  Daraus  ergeben  sich  ihm 
für   die  Catullkritik  folgende  Resultate: 

1)  In  49,  2  lehrt  die  feierliche  Anrede  Marc e  Tulli,  dafs  dieses 
Gedicht  nicht  ernst  sein  kann.  fNur  so  erklärt  sich  diese  sonst  aus- 
schliefslich  in  Aktenstücken  übliche,  äufserst  förmliche  Benennung,  zu 
der   sich  bei  den  übrigen  Dichtern  der  Zeit  keine  Analogie  findet1. 


Catulls  Gedicht  49.   Die  Klagen  um  des  Bruders  Tod.  241 

2)  Die  Konjektur  Quinte  Scaligers  zu  67,  12  erweist  sich  als  un- 
möglich. Statt  derselben  befürwortet  Verf.  Munros  Vorschlag:  verum 
isti  populo  ianua  guippe  facit. 

3)  Ebenso  unmöglich  soll  es  sein  mit  Lachmann,  Haupt  und  L.  Müller 
[und  Vahlen]  in  c.  68,  11;  30;  66  Mani  resp.  Manius  zu  lesen,  so  dafs 
dieses  Gedicht  an  einen  Manius  Allius  gerichtet  wäre.  Eine  derartige 
Trennung  des  Pränomens  von  seinem  Gentilnamen  sei  ohne  Beispiel  in 
der  gleichzeitigen  römischen  Litteratur.  In  längerer  Ausführung  tritt 
Verf.  sodann  denen  bei,  die  c.  68  in  zwei  Gedichte  zerlegen.  Neue 
Gründe  werden  dafür  nicht  beigebracht.  Denn  warum  es  unmöglich 
sein  soll,  dafs  der  Tod  des  Bruders  zweimal  und  zwar  mit  denselben 
Worten  in  e i  n e m  G e d i c h t e  (20 f,  90 f.)  erwähnt  würde,  ist  durchaus  nicht 
abzusehen.  Gerade  die  Wiederholung  mehrerer  Verse  in  zwei  verschie- 
denen Gedichten  köunte  vielleicht  den  Leser  über  die  Absichtlichkeit 
der  Repetition  im  Zweifel  lassen  und  als  Gedankenarmut  ausgelegt  wer- 
den. (Die  Sache  liefse  sich  auch  keineswegs  durch  die  wohlgefällige 
Wiederholung  eines  Ausdrucks  wie  decoctoris  amica  Formiani  in  41,  4 
und  43,  5  erklären).  Jetzt  aber  ist  diese  Möglichkeit  ausgeschlossen.  Vgl. 
auch  Kiefsling  Anal.  Cat.  S.  17;  Palmer  Hermath.  VI  350.  Es  giebt 
also  nur  zwei  Fälle:  1)  Mau  leugnet  überhaupt,  dafs  Catull  sich  wieder- 
holen konnte,  und  streicht  die  Verse  an  einer  von  beiden  Stellen.  2)  Man 
giebt  die  Möglichkeit  der  Repetition  zu.  In  diesem  Falle  giebt  man 
auch  zu,  dafs  die  Wiederholung  in  demselben  Gedichte  viel  schöner 
und  ergreifender,  viel  ursprünglicher  wirkt.  Verf.  äufsert  sich  nicht 
darüber,  inwiefern  denn  eigentlich  dieser  rührende  zweimalige  Klageruf 
gegen  die  Einheit  des  Gedichtes  sprechen  soll.  (Vgl.  übrigens  oben  S.  152.) 
Die  Bemerkungen  über  den  Gebrauch  des  Pränomens  endlich,  von  denen 
ausgehend  Verf.  seine  zweite  und  dritte  '  Catullfrage'  beantwortet,  hält 
Ref.  nicht  für  zutreffend  und  hat  darüber  in  dem  Jahresb.  des  Phil. 
Ver.  VII  363  (Z  f.d.  G.W.  1881)  gesprochen.  Übrigens  sei  nochmals  be- 
tont, dafs  man  über  die  Schreibung  des  Namens  in  v.  ll  und  30  sehr 
wohl  anderer  Ansicht  als  Lachmann  und  doch  von  der  Einheit  des  Ge- 
dichtes überzeugt  sein  kann.  Vgl.  in  dem  einen  c  61  die  doppelte  Be- 
zeichnung der  Braut  mit  Vinia  und  Arunculeia.  Lachmanns  Herstellung 
ist  ein  —  nach  des  Ret',  persönlicher  Ansichl  -  sehr  wahrscheinlicher 
Versuch  die  Schwierigkeit  zu  heseitigen,  aber  es  haben  daneben  andere 
Möglichkeiten  Platz.  Eingehendere  Würdigung  verdienen  die  über 
c.  49  entwickelten  Anschauungen.  Denn  Verf.  geht  liier  viel  gründlicher 
zu  Werke  und  versteh!  sein  Material  geschickt  und  wirksam  zu  grup- 
pieren. Zunächst  wiid  richtig  bemerkt,  dafs  aber  Catulls  Verhältnis  zu 
Cicero  das  c.  49  unser  einziges  Zeugnis  ist,  denn  Büchelera  Vermutung 
im  Greifswalder  Lektionskatalog  l868/c>'.i  S.  16,  derCic  ad  Qu.  fr.  II 13,  4 
vorkommende  Ausdruck  auricula  infuma  molliorem  stamme  aus  dein  soeben 
erschienenen  Büchlein  catullischer  Poesie,    also  sei   bereits   vor  diesem 

Jahresbericht  ftlr  Alterthumswissensohaft  LI.    (1887.  II.)  lg 


242  (  icwro  und  Catuiin«.    Gedicht  49. 

im  Juni  d.  J.  54  geschriebenen  Briefe  Catulls  Buch  der  Lieder  veröffent- 
licht gewesen,  scheine  unrichtig.  Die  in  &  25  gebrauchten  Vergleiche 
(zum  teil  sprichwörtliche  Redensarten)  babe  Catull  vielmehr  der  Volks- 
sprache entlehnt'*).  Verf.  gehl  Bodana  zu  seinem  eigentlichen  Thema 
über,  erinnert  daran,  dafa  Cicero  bedeutende  Widersacher  hatte  (die 
Attiker),  unter  ihnen  besonders  Catulls  intimsten  Freund  Culvus.  Auf 
litterarischem  Gebiete  trat  Cicero  für  die  alten  römischen  Nationaldichter 
ein  und  bekämpfte  die  uewrepoi,  welche  sich  die  Alexandriner  zum  Vor- 
bilde nahmen  d.  h.  Catull  und  seine  Parteigenossen.  Hieraus  wird  ge- 
schlossen, Catull  werde  in  den  litterarischen  Kämpfen  treu  zur  Fahne 
seiner  Freunde  gehalten  haben.  Ein  interessantes  Überbleibsel  aus  diesen 
Fehden  sei  c.  49.  Zu  demselben  Resultate  führt  angeblich  die  Wort- 
erklärung des  Gedichtes,  a)  disertus  habe  oft  einen  gewissen  tadeln- 
den Nebeusinn  wie  unser  'redselig'.  Hingewiesen  wird  auf  Gr.  5,  18 
disertos  se  vidisse  multos,  eloquentem  omnino  neminem;  de  Or.  I  21,  95 
u.  s.  w.  Noch  deutlicher  werde  die  Ironie  durch  den  Superlativ,  der 
vielleicht  nebenbei  den  mit  Superlativen  stark  gewürzten  Stil  Ciceros 
parodiere,  b)  Auch  die  Worte  Romuli  nepotum  sollen  dem  Gedichte 
eine  ironische  Färbung  geben,  cf.  28,  15.  23,  5  und  9.  58,  5  u.  a.  c)  Die 
Redensart  quot  sunt  ...  in  annis  ist  eine  der  Umgangssprache  ent- 
lehnte Phrase  der  Komödie.  Dies  wird  durch  reiche  Stellensammlung 
nachgewiesen,  d)  Die  feierliche  Anrede  Marce  Tulli.  e)  Auch  die 
Redensart  gratias  tibi  maximas  agit  findet  sich  bisweilen  ironisch 
und  scherzhaft  gebraucht  wie  bei  Catull  44,  16  f!  Welche  Redensart 
oder  welches  Wort  kann  man  nicht  unter  Umständen  scherzhaft  ge- 
brauchen?], f)  Catull  nannte  sich  nicht  im  Ernste  pessimus  omnium 
poeta.  Eine  solche  Bescheidenheit  im  Urteile  über  eigene  dichterische 
Leistungen  war  dem  Altertum  völlig  fremd.  Dies  wird  sowohl  im  All- 
gemeinen, wie  speziell  von  Catull  gut  dargelegt,  zum  ironischen  Ge- 
brauche von  pessimus  auf  36,  9  u.  a.  verwiesen,  g)  Cicero  ward  angeb- 
lich wiederholt  teils  scherzhaft,  teils  mit  bitterem  Spott  von  seinen  Zeit- 
genossen omnium  patronus  genannt.  A.  Caecina  ad.  fam.  6,  7,  4 
schreibt  an  ihn:  ubi  hoc  omnium  patronus  facis,  quid  me,  veterem  tuum, 
nunc  omnium  clientem,  sentire  oportet?'  u.  s.  w.  h)  Fast  alle  Gedichte 
in  Hendekasyllaben  sind  entweder  erotischen  Inhalts  oder  harmlose  Ge- 
legenheitsgedichte an  intime  Freunde  oder  beifsende  Spottgedichte  Hätte 
also  Catull  den  Cicero  ernstlich  preisen  und  ihm  wirklich  Dank  abstatten 
wollen,  so  hätte  er  gewifs  ein  ernsteres,  feierlicheres  Metrum  dazu  ge- 
wählt. Nach  alledem  erklärt  Verf.  c.  49  für  ein  Spottgedicht  folgenden 
Inhalts:  »So  wenig  ich,  Catull,  der  schlechteste  der  römischen  Dichter 
bin,  so  wenig  bist  du,  Cicero,  der  bedeutendste  Redner  Roms;    dies    sei 


*)  Verf.  sammelt  bei  dieser  Gelegecheit  (S.  367—368)  Anklänge  an  Ca- 
tull aus  den  Priapea  und  dem  Culex,  ebenso  auf  S.  390  solche  bei  St atius. 


Cicero  und  Catullus.   Gedicht  49.  243 

mein  Dank,  meine  Erwiderung  auf  deinen  Angriff«.  Verf.  hält  es  für 
wahrscheinlich,  dafs  Catull  hiermit  auf  Angriffe  antwortete,  welche  Cicero 
gegen  ihn  und  seine  Freunde,  die  vsujrapoc,  gerichtet  hatte.  —  Anhangs- 
weise werden  noch  einige  Konjekturen  vorgetragen.  Auf  Catull  beziehen 
sich  folgende:  64,  287  Naiasin  linquens  solis  (als  Dativ  mit  naiasin  zu 
verbinden.  Gewifs  unrichtig;  vgl.  Jahresb.  d.  Ph.  Ver.  VII  363).  c.  25 
soll  sich  nach  12,  4  und  14  auf  den  Asinius  beziehen,  SdXXog  eine  Über- 
setzung von  Polio  sein  (ßäktetv  =  pollere).  29,  20  wird  nach  dem  Vor- 
gänge Anderer  vorgeschlagen  nunc  Galliae  timent,  timet  Britannia. 

Die  oben  entwickelte  ironische'  Auffassung  des  c  49  hat  0.  Har- 
necker bekämpft  in  einer  Reihe  von  Abhandlungen,  die  sich  gegenseitig 
ergänzen  (vgl.  auch  die  gelegentlichen  Bemerkungen  Z.f.d.G.W.  1881 
S.  606—610.  Berl.  Ph.  Wochenschr.  1884  Sp.  1573—1574).  Näheres 
Eingehen  auf  seine  in  den  Hauptpunkten  überzeugenden  Ausführungen 
ist  um  so  mehr  geboten,  als  sie  von  Riese  nicht  gebührend  beachtet, 
von  Baehrens  zwar  benutzt,  aber  im  Übrigen  tot  geschwiegen  werden. 
In  No.  57  beschränkt  sich  Harnecker  auf  ein  mehr  allgemein  gehaltenes 
Raisonnement  über  Ton  und  Charakter  des  Gedichtes  (gegen  gelegent- 
liche Bemerkungen  von  K.  P.  Schulze  Z.f.d.G.W.  1877  S.  100 f.).  Er 
weist  u.  a.  darauf  hin,  dafs  disertus  selbst  bei  Cicero  niemals  tadelnde 
Bedeutung  habe.  Das  Wort  könne  höchstens  einen  ironischen  Beige- 
schmack bekommen,  wenn  ein  Neider  oder  Gegner  etwa  den  Cicero  di- 
sertus nannte,  dabei  darauf  hinweisend,  dafs  jener  selbst  zwar  sich  für 
eloquens  halte,  aber  blos  disertus  sei.  Das  c.  49  sei  ein  graziöses,  launig 
gehaltenes  Dankbillet  an  Cicero.  Hielten  sich  diese  Betrachtungen,  wenn 
auch  an  sich  richtig,  mehr  auf  der  Überfläche,  so  wird  schon  in  No-  58 
wenigstens  eine  Seite  der  Streitfrage  gründlich  und  klar  behandelt. 
Suis,  Catulliana  S.  31,  hatte  nach  Wölfflins  Vorlesungen  über  c.  49  fol- 
gendes behauptet:  Diesen  Pfeil  schleuderte  Catull  gegen  Cicero,  als 
dieser  auf  Zureden  Cäsars  sich  dazu  hergab,  den  nämlichen  Vatinius 
im  J.  54  gegen  die  Anklage  des  Calvus  zu  verteidigen,  den  er  sich  selbst 
rühmte  zwei  Jahre  vorher  in  die  Pfanne  gehauen  zu  haben'.  [Vgl.  auch 
F.  Scholl,  N.  Jahrbb.  1880  S.  481  A.  45.  B.  Schmidt  prolegg.  ed. 
S.  XLIJ.  Süfs  war  dabei  von  der  an  sich  richtigeu  Beobachtung  ausge- 
gangen, dafs  in  der  Anordnung  der  Gedichte  häufig  das  Prinzip  der 
Variatio  obgewaltet  habe.  Er  schliefst,  weil  c.  50  die  poetische  und 
und  c  53  die  rednerische  Trefflichkeit  des  Calvus  feiere,  c.  52  au  des 
Dichters  Abscheu  gegen  Vatinius  erinnere,  sei  c.  49  auf  deu  Prozefs  des 
Vatinius  und  Ciceros  Verteidigung  dieses  'zweifelhaftes  Klirenmauues' 
zu  beziehen,  und  es  könne  Catull  dem  Cicero  kein  Kompliment  machen. 
Dem  gegenüber  wird  betont,  dafs  die  zwei  oder  mehr  Umgebungsgedichte 
nicht  das  dazwischen  liegende  erklären  und  ergänzen  können.  '  Wie 
können  z.  B.  die  beiden  Kufslieder  an  die  Lesbia  (6  und  7)  dazu  dieuen, 
das  dazwischen  liegende  von  dos  Flavius  Liebchen  in  ein  helleres  Licht 

16* 


244  Cicero  und  Catullus.    Gedicht  49. 

zu  setzen?  Einzig  und  allein  der  Schiufa  hat  Berechtigung:  c.  6  han- 
delt von  etwas  ganz  anderem  als  5  und  7'.  Also  Namen,  ja  blofse  Epi- 
theta von  Namen,  einzelne  Worte,  kleine  Teile  ganz  oebensachlicher  Art 
sollen  auf  die  Auffassungsweise  eines  ganzen  Gedichtes  (das  ohne  alles 
das  gar  keine  Schwierigkeiten  bietet)  einwirken!  Weil  r.»  und  53  <li- 
sertus,  52  und  53  den  Namen  Vatinius  (58  eigentlich  nur  crimina  Va- 
tiniana)  gemein  haben,  deshalb  wandert  Vatinius  von  53  Dach  191  Endlich 
konnte  Catull  dem  Cicero  die  Verteidigung  des  Vatinius  ^o  brflsk  gar 
nicht  zum  Vorwurfe  machen:  Cicero  übernahm  sie  nur  gezwungen,  wen- 
dete sich  vorher  und  nachher  um  von  der  Sache  und  ihrem  odium  los- 
zukommen u.  s.  w.  Als  Hauptstellen  darüber  werden  verzeichnet  cp.  ad. 
Fam.  I.  9;  ad.  Qu.  fr.  II,  16;  ad.  Att.  XI  5.  Manche  andere  gute  Be- 
merkungen gegen  Suis  kehren  verbessert  und  vermehrt  in  den  unten  zu 
besprechenden  Abhandlungen  wieder.  Daher  sei  hier  nur  Weniges  noch 
erwähnt.  S.  15.  Anm.  '  elorjuens  mit  seiner  Sippe'  gehört  überhaupt  nicht 
der  Dichtersprache  an.  Ist  es  auch  nur  möglich,  dafs  Cicero  Ironie 
argwöhnen  konnte,  wenn  ihn  Jemand  disertus  nannte?'  Wenn  das  Ge- 
dicht wirklich  ein  dem  Cicero  versetzter  Hieb,  wenn  das  was  anerkennend 
über  ihn  gesprochen  wird,  ironisch  zu  fassen  ist,  so  heifst  tanto  pessimus 
poeta,  quanto  tu  optimus  patronus:  sosehr  der  trefflichste  Dichter, 
wie  du  der  elendeste  Sachwalter.  Aber  so  etwas  konnte  Catull 
doch  im  Ernst  weder  von  sich  noch  von  Cicero  aussagen.  Vgl.  das  be- 
scheidene c.  1.  Und  den  Cicero  als  erbärmlichsten  Sachwalter  ironisie- 
ren durfte  er  nimmermehr,  denn  er  war  es  eben  nicbt,  auch  seine  ver- 
bissensten Neider  und  Gegner  konnten  ihm  doch  wenigstens  Erfolge  nicht 
absprechen.  —  Eine  die  gegnerischen  Ansichten  ( namentlich  No.  59) 
Punkt  für  Punkt  widerlegende,  nach  des  Ref.  Ansicht  abschliefsende  Be- 
handlung des  Themas  hat  endlich  Harnecker  in  No.  60  und  61  gegeben. 
Ref.  berücksichtigt  vornehmlich  die  letztere  Abhandlung  wegen  ihrer  klaren 
Disposition  und  präzisen  Fassung.  Der  reiche  Stoff  wird  in  folgenden 
Kapiteln  behandelt:  I)  Die  litterarischen  Ansichten  und  Bestre- 
bungen. Verf.  weist  nach,  dafs  keine  der  Stellen,  an  welchen  Cicero 
über  die  novi  poetae  (zu  denen  Catull  gehörte)  spottet,  zu  Catulls  Leb- 
zeiten geschrieben  ist.  Die  früheste  ad  Att.  VII  2,  1  fällt  in  d.  J.  704. 
Freilich  war  Catulls  Herzensfreund  Licinius  Calvus  ein  Vertreter  des 
genus  Atticum,  dessen  Verehrer  von  Cicero  eifrig  bekämpft  wurden. 
Aber  auch  hieraus  kann  man  nicht  auf  ein  gespauntes  Verhältnis  zwi- 
schen Cicero  und  Catull  schliefsen,  denn  Letzterer  kann  den  Begiun 
dieses  Kampfes  gar  nicht  mehr  erlebt  haben.*)    Übrigens  waren  Cicero 


*)  Die  genauere  chronologische  Datierung  des  Streites  hat  0.  Harnecker 
in  dem  Aufsatze  'Cicero  und  die  Attiker'  N.  Jahrbb.  1882  S.  601-611  ge- 
geben. In  den  699/55  herausgegebenen  Büchern  de  oratore  findet  sich  noch 
keine  Spur  des  Streites,  ebensowenig  in  den  zahlreichen  Briefen  aus  den  Jah- 
ren 56-48.     Verf.  setzt  schliefslicb  die  Blüte  des  Atticismus  in  die  Jahre  51 


Cicero  und  Catullus.    Gedicht  49.  245 

und  Calvus  gar  nicht  unversöhnliche  Feinde.  Vgl.  darüber  Progr.  1879 
S.  12.  Über  einen  Briefwechsel  beider  aus  späterer  Zeit,  rhetorische 
Fragen  betreffend,  s.  Harnecker  N.  Jahrbb.  1882  S.  604f.  Mit  nach- 
weisbaren litterarischen  Fehden  des  Cicero  läfst  sich  also  Catull  absolut 
nicht  in  Zusammenhang  bringen.  Denn  auch  die  Stelle  Tusc.  III  19,  45, 
wo  es  nach  einigen  Versen  des  Ennius  heifst  co  poetam  egregium,  quam- 
quam  ah  his  cantoribus  Evphorionis  contemnitur'  läfst  sich  schwerlich  auf 
Catull  beziehen.  Es  ist  nicht  nachgewiesen,  auch  gar  nicht  wahrschein- 
lich, dafs  Catull  den  Euphorion  nachgeahmt  hat.  Selbst  64,  30  Oceanus- 
que  muri  totum  qui  amplectitur  orbem  ist  ein  poetischer  Gemeinplatz,  der 
mit  Euphorion  fg.  158  (Meineke  Anal.  AI.)  nichts  zu  thun  hat.  [Vgl. 
Berl.Ph.W.  1884  8p.  1573—1574.  S.  auch  Merkel  prolus.  ad  Ibin  S.  354]. 
Ferner  wird  anscheinend  durch  his  angedeutet,  dafs  Cicero  von  noch 
lebenden  modernen  Tagespoeten  spreche.  Nun  lebten  aber  zur  Abfas- 
sungszeit der  Tusc.  45/44  weder  Catull  noch  Calvus.  Und  schliefslich 
meinte  Cicero  an  jener  Stelle  vornehmlich,  vielleicht  ausschliefslich  den 
Cornelius  Gallus.  Vgl.  Haupt  Opusc.  II  206.  Programm  1882  S.  3. 
Auch  wird  mit  Unrecht  behauptet  (Schulze  a.  0.  S.  379),  Catull  sei  der 
intimste  Freund  derjenigen  Redner  und  Dichter,  welche  von  Cicero  be- 
kämpft werden,  und  befehde  anderseits  dessen  Freunde.  Beide  hatten 
vielmehr  verschiedene  gemeinsame  Freunde:  Cornelius  Nepos  (vgl. 
Gell.  XV  28,  1;  Att.  XVI  5,  5;  14,  4.  Cornificius  (Farn.  XII  17,  1; 
18, 1  und  2;  19,  3  Ende),  M.  Caelius  Rufus  [?J.  Gemeinsame  Feinde: 
Caesar,  Gellius,  Mamurra  (cf.  Cic.  Att.  VII  7,  6).  Beide  begegnen 
sich  in  ihrem  Urteile  über  des  Sestius  geschmacklose  Rede  und  Schrift- 
stellerei  (vgl.  c.  44  mit  Att.  VII  17,  2.  Fam.  VII  32,  1.  Plut.  Cic.  c  26). 
S.  noch  Schwabe  quaest.  Cat.  246  und  339.  -  II)  Cicero  als  Anwalt 
und  Politiker.  Eine  bestimmte  Gelegenheit  in  der  öffentlichen  Thä- 
tigkeit  Ciceros,  die  beide  Männer  zusammenbrachte,  ist  nicht  aufzu- 
spüren. [Der  Satz  ist  nicht  unbedingt  richtig.  Die  Verteidigung  des 
Vatinius  durch  Cicero  konnte  die  Gelegenheit  bieten.  Vgl.  oben  S.  243]. 
Ja  auch  in  Ciceros  Schriften  giebt  es  nichts,  was  mit  Catull  oder  seinen 
Dichtungen  in  Beziehung  zu  bringen  wäre.  (Höchstens  etwa  die  versus 
obscaenüsimi  in  Clodiam  et  Clodium,  von  denen  Qu.  fr.  II  3,  2  gesprochen 
wird,  sind  auszunehmen),  speziell  die  0 aeli an a  kann  gar  nicht  irgend- 
welche klare  Beziehungen  zu  Catull  bieten.  Denn  Caelius  wurde  ge- 
schädigt und  der  Lächerlichkeit  preisgegeben,  wenn  der  Gedanke  an 
Catull  und  seine  beifsenden  Epigramme  den  Richtern  vor  die  Seele  trat 
Daher  irrte  vermutlich  Scholl  (s.  unten  S.254],  wenn  er  in  g  69  der  Caeliana 

bis  50.  Den  definitiven  litterarischen  Austrag  des  Streites  bezeichnen  Brutus 
und  Orator,  beide  aus  dein  Jahre  16.  Catull  aber  ist  wahrscheinlich  700 
oder  701  gestorben!  Auch  chronologische  Qründe  verbieten  demnach  mit  Suis 
a.  0.  aus  Catull  12,  '••  zu  folgern  ,  dafs  Catull  den  Asinius  Polio  als  Redner 
verehrte.     Vgl.  Ilarneeker  Progr.    ls7'.t  S.   LO— 11. 


246  Cicero  und  Catullus.    Gedicht  49. 

einen  direkten  Hinweis  auf  Catull  finden  wollte,  f 1 1 >  Catulls  c.  49. 
Man  darf  nicht  von  einer  »ernsten«  und  einer  dazu  im  Gegensatze 
stehenden  »ironischen c  Auffassung  dos  Gedichtes  reden.  Vielmehr  ist 
zu  fragen:  Was  war  das  c.  49,  ein  Dankgedicht  oder  ein  Epigramm? 
Auf  den  Versuch  nachzuweisen,  dafs  alle  Worte  and  Wendungen  des 
c.  49  von  Catull  oder  anderen  Schriftstellern  ironisch  gebraucht  worden 
seien,  antwortet  Verf.:  Jedes  Wort  in  jeder  Sprache  kann  ironisch 
gebraucht  werden;  die  Ironie  liegt  im  Tone,  nicht  im  Worte,  oder  in 
einem  augenfälligen  oder  im  bestimmten  Falle  bekannten  Gegensatze 
zur  Wahrheit'.  Für  unseren  Fall  kann  also  nur  behauptet  werden:  die 
und  die  Wendung  im  Munde  des  Catull,  gerichtet  an  einen  Cicero  zu 
der  und  der  Zeit,  ist  notwendig  ironisch.  Der  Deweis  ist  also  wiederum 
auf  das  gegenseitige  litterarische  und  persönliche  Verhältnis  reduziert, 
das,  wie  oben  ausgeführt,  für  die  ironische  Fassung  keinen  Anhalt  bot. 
Trotzdem  werden  die  dem  Sprachgebrauche  entnommenen  Argumente 
der  Gegner  einzeln  geprüft,  a)  disertissime.  Z. f.d. G.W.  1879  S.  77. 
Progr.  1879  S.  15.  Anm.,  1882  S.  6,  Philol.  41,  474.  Cicero  selbst  hat 
den  Unterschied  zwischen  eloquens  und  disertus  nicht  anerkannt  und 
durchgeführt,  auch  in  der  späteren  Rhetorik  findet  man  ihn  niemals 
in  Geltung.  An  der  Hauptstelle,  die  ins  Feld  geführt  wird,  de  Or.  I  21,  94 
spricht  gar  nicht  Cicero,  sondern  M.  Antonius  (vgl.  Or.  5,  18  M.  An- 
tonius disertos  se  vidisse  multos,  eloquentem  omnino  neminem),  der  Erfinder 
dieser  Unterscheidung,  welche  in  der  dichterischen  Sprache  und  der  des 
gewöhnlichen  Lebehs  nicht  bekannt  ist.  De  or.  ist  699/55  geschrieben, 
Catull  starb  54.  Soll  in  höchstens  einem  Jahre  diese  Distinktion  zum 
Gemeingut  geworden  sein,  so  dafs  Catull  verständlich  war,  wenn  er  an- 
spielte? Wenn  Schulze  a.  0.  381  vermutet,  Catull  wähle  dieses  Wort 
hier  absichtlich  im  Hinblick  darauf,  dafs  Cicero  ad  Att.  XIII  46,  2  sich 
selbst  im  Vergleiche  zu  der  neuen  Rednerschule  disertua  nannte  ('  Bruti 
Catone  se  sibi  visum  disertum'),  so  irrt  er  sehr.  Cicero  schrieb  dieses 
cse  sibi'  natürlich  nicht  von  sich,  er  schrieb  es  von  Julius  Cäsar  —  und 
zwar  9  Jahre  nach  Catulls  Tode!  —  b)  Romuli  nepotes  und  quot 
sunt  etc.  ist  lässige  Ausdrucksweise  eines  wortreichen,  weil  gutgelaunten 
Sprechers,  der  Umgangssprache  entlehnt.  Süfsa.  0-  wies  gar  auf  den 
Doppelsinn  von  nepotes  hin!  Nun,  nepos  kann  Schlemmer,  Wüstling  heifsen, 
aber  an  dergleichen  hat  selbst  bei  dem  viel  verleumdeten  Cicero  noch 
Keiner  zu  denken  gewagt!  Vgl.  darüber  und  über  Stellen  wie  28,  15. 
29,  5.  58,  5  die  treffenden  Bemerkungen  im  Progr.  1879  S.  9  —  10.  — 
c)  MarceTulli.  Vgl.  Progr.  1879  S.  10;  1882,  S.  6.  'Marcus  Tullius' 
lag  dem  Römer  angenehm  im  Ohr,  wie  hunderte  von  Stellen  beweisen, 
es  pafste  sehr  gut  ins  Metrum  der  Hendekasyllaben.  Auch  bei  uns 
kann  '  aktenmäfsige '  Bezeichnung  in  sehr  verschiedenem  Sinne,  höflich 
anerkennend  und  hämisch  ärgernd  gebraucht  werden;  die  Situation  be- 
dingt die  Auffassung.    Vgl.  Cicero  in  Cat.  I  11,  27  u.  a.  —  d)  pessi- 


Cicero  und  Catullus.    Gedicht  49  247 

raus  poeta.  Philo].  41,474-475.  Sehr  mit  Unrecht  wird  denen,  die 
c.  49  für  ein  Dankbillet  ansehen,  die  Vorstellung  imputiert,  Catull  be- 
zeichne sich  im  Ernste  als  pessimus  poeta.  Es  ist  hier  durchaus  nicht 
besonders  bescheiden,  nur  ein  kleiner  Schalk  gegenüber  dem  berühm- 
ten Anwalt  im  reifen  Alter,  dem  gewesenen  Konsul.  Auch  36,  6  be- 
zeichnet sich  Catull  launig  als  pessimus  poeta.  [Vgl.  unten  zu  c.  36]  und  citiert 
sich  nicht  absichtslos  selbst:  wahrscheinlich  nimmt  Lesbia  in  36  auf  49  Be- 
zug. —  e)  Omnium  patronus.  Progr.  1879,  S.  13.  Z.f.d.G.W.  1881 
S.  607 f.  Progr.  1882,  S.  7.  Philol.  41,  475-476.  Die  Behauptung,  Ci- 
cero sei  wiederholt  teils  scherzhaft,  teils  mit  bitterem  Spott  von  seinen 
Zeitgenossen  omnium  patronus  genannt  worden,  ist  gänzlich  unerwiesen. 
Die  bezüglichen  Stellen  ad  Farn.  VI  7,  4.  Brutus  97,  332  sind  anders 
zu  interpretieren.  Im  Allgemeinen:  Will  Catull  dem  Cicero  etwas  am 
Zeuge  flicken,  so  schreibt  er  nicht  ein  Epigramm,  das  man,  weil  inhaltslos 
und  aus  sich  nicht  verständlich,  auch  als  ein  mehr  oder  weniger  poin- 
tiertes Dankbillet  auffassen  kann.  Ein  Epigrammatiker  wie  Catull  läfst 
sich  nicht  Pointen  entgehen,  wie  wir  sie  heute  noch  ihm  massenhaft  an 
die  Hand  geben  können  (ein  reiches,  sehr  belustigendes  Verzeichnis 
siehe  Progr.  1879,  S.  15.  1882,  S.  8.  Philol.  41,  478-479.  -  IV)  Zu- 
sammenfassende Ergebnisse.  In  Ciceros  Stellung  als  Schriftsteller 
und  Politiker  bis  z.  J.  54  lag  für  Catull  kein  Grund  zur  Feindschaft, 
ebensowenig  allerdings  zur  Freundschaft.  Catull  anderseits  war  als 
Dichter  von  Tändeleien  dem  vielbeschäftigten  Cicero  eben  so  gewifs 
bekannt,  wie  gleichgültig,  als  Epigrammatiker  gegen  socer  gcncrque 
und  Clodius  mit  seiner  Sippe  gewifs  nicht  unwillkommen  (wenn  er  auch 
zu  vorsichtig  war  öffentlich  für  diese  etwas  kompromittierende  Litteratur 
einzutreten).  Catull  als  Alexandriner  endlich  war  dem  Cicero  bis  zum 
Jahre  700  schwerlich  irgendwie  unbequem.  Zeigte  sich  doch  Cicero,  wie 
allein  schon  seine  Übersetzungen  des  Arat  beweisen,  zeitweise  sicher 
den  Alexandrinern  nicht  abhold.  Seine  Polemik  aber  gegen  die  novi 
poetac  aber  gehört  einer  späteren  Zeit  an  und  ist  nur  durch  das  Vor- 
gehen der  Attiker  bestimmt  und  veranlafst.  Als  Menschen  haben  die 
beiden  schwerlich  an  einander  Gefallen  gefunden.  Sie  begegneten  sich 
sicher,  ohne  jedoch  in  engere  Berührung  zu  kommen.  Irgend  einer  ge- 
legentlichen Aufmerksamkeit  oder  Gefälligkeit  über  wird  der  glänzende 
junge  Mann  mit  der  spitzigen  Feder  dem  eitlen  KuiHularon  doch  wohl 
wert  erschienen  sein.  Und  dieser  quittierte  darüber,  höflich  wie  es  -ich 
gehört,  aber  Dhne  besondere  Verbindlichkeit,  leise  scherzend,  unmerk- 
lich unter  Verbeugungen  lächelnd:  «Verbindlichsten  Dank  sagt  Catullus, 
das  'kleine  Dichterlein'  dem  greisen  Anwalt".  [Vgl.  Rettig  Catnlüana  1 
S.  12.  Hier  wird  vermutet,  da  Catull  den  Cicero  disertisaimum^  patro- 
vuiii  omnium  optimum  nenne,  so  danke  er  propter  oratorias  virtntes  et 
propter  oratoris  aliquod  meritum'  mit  dem  bemerkenswerten  Zusätze  in 
re    tarnen    non   ita  gravi'.]     Ref.  hat    diesen  Ausführungen  Jahresb. 


248  riccro  und  Catullus.  —    Die  Einheit  von  c 

d.Ph.Ver.IX290f.  Z.f.d.G.W.  1883  zugestimmt.  Nor  kann  ernichl  finden, 

dafs   durcli  die  Bkizzierte  Deutung   von   c.  19    die  Möglichkeit 
schlössen   würde,   jene  gelegentliche   Aufmerksamkeit   oder  Höflichkeit, 

für  welche  Catull  dankt,  sei  vielleicht  ein  anerkennendes,  aber  (wie  na- 
türlich bei  dem  ' grofsen  Staatsmann,  dem  gewaltigen  Redner,  dem  feinen 
Stilisten')  etwas  gönnerhaftes,  gnädig  herablassendes  Urteil  über  den 
jungen  Dichter  gewesen:  Ganz  niedliche  8äch eichen  das,  die  der  junge 
Mann  auf  seinem  kleinen  Gebiete  macht —  nun  pessimua  in  sno  g 
poeta'.  Dann  begreift  man,  warum  bei  den  gutgelaunten  Worten  des 
Dichters  '  der  Schalk  lächelt'. 

Dagegen  vermag  lief,  den  Bemerkungen  über  c  2  nicht  zuzustim- 
men, welche  S.  1  6  des  Progr.  1879  füllen.  Neben  der  geschickt  und 
lebendig  vorgetragenen  Auffassung  des  Verf.  bleiben  entschieden  andere 
Möglichkeiten  offen.  Er  bekämpft  die  früheren  Rekonstruktions  versuche 
des  anscheinend  so  einfachen  Gedichtchens,  erkennt  c.  2  so  wie  es  ist 
(d.  h.  wenn  der  eigentliche  Gedanke  des  Ganzen  in  v.  9  10  liegen  soll) 
nicht  als  antikes  Gedicht  an  [?  in  dem  eben  besprochenen  c.  49  hätten 
wir  ein  Analogon  dieser  Form],  nimmt  an,  dafs  mit  v.  10  das  Gedicht 
abgeschlossen  sei  (dafs  also  die  folgenden  Verse  11—13  zu  einem  an- 
deren Gedichte  heterogenen  Inhaltes  gehörten,  welches  c.  2  und  3  gemäfs 
dem  Prinzipe  der  Variatio  trennte),  schreibt  in  v.  7  mit  Jacobs  es  und 
in  8  mit  jüngeren  Handschriften  tum,  interpungiert  endlich  hinter  doloria, 
so  dafs  der  eigentliche  Gedanke  des  Liedchens  in  v.  7  steckt: 

Passer,  deliciae  meae  pnellae  .... 

Cum  desiderio  meo  nitenti 

Carum  nescio  quid  übet  iocari, 

Es  solaciolum  sui  doloris. 

Credo,  ut  tum  gravis  acquiescet  ardor! 

Tecum  sq. 

Der  versuchte  Beweis,  dafs  die  drei  Verse  von  der  Atalaiite  nicht 
zu  c.  2  gehörten,  ist  kaum  gelungen.  Die  Argumentation  cwas  konnte 
überhaupt  noch  erwähnt  oder  ausgeführt  sein  von  dem  passer  oder  der 
Lesbia  oder  Catull?'  vermag  Ref.  nicht  anzuerkennen.  Über  andere  Ver- 
mutungen s.  unten  S.  255,  sowie  A.  Palm  er  Hermathena  VI  300  f. 

Speziell  mit  Catulls  c.  68  (vgl.  über  dies  vielumstrittene  Gedicht 
auch  oben  S.  150 f.)  beschäftigten  sich  folgende  Schriften: 

62.  A.  Kiefsling,  Analecta  Catulliana.  Ind.  leett.  Gryphisw. 
aest.  1877.   20.  S.  4. 

63.  0.  Harnecker,  Das  68.  Gedicht  des  Catullus.    Friede- 
berger Progr.  1881.    14.  S.   4. 

A.  Kiefsling  behandelt  im  ersten  Teile  seiner  Abhandlung  die  Sage 


Die  Laodamiasage  bei  Catull.     Einheit  des  c.  68.  249 

von  Laodamia.  (Die  mit  der  vulgären  Aussprache  übereinstimmende 
Schreibung  Laudamia  wird  S.  3  Anm.  als  prosodisch  unrichtig  zurück- 
gewiesen). Er  geht  aus  von  den  betreffenden  Versen  bei  Homer  (B  7001.) 
und  der  Anmerkung  des  Eustathius.  Die  Erzählung  des  Hyginus  (103 
und  104)  ist  eine  Kontamination  des  Inhaltes  zweier  Tragödien.  Es 
werden  sodann  (um  die  Notiz  bei  Eustathius  dv£Ä&wv  aupsv  ixeivyv 
dydljia-t  aoTou  Trspixetjxivr^  zu  erklären)  die  bildlichen  Darstellungen 
von  der  Rückkehr  des  Protesilaus  aus  der  Unterwelt  aufgezählt  (S.  9). 
Es  folgen  die  Fragmente  der  Euripideischen  Tragödie  Protesilaus  (aus 
welcher  angeblich  Eustathius  schöpfte)  geordnet  und  erläutert.  Verf. 
kommt  endlich  ziemlich  unvermittelt  zu  dem  Resultate:  '  Catullus  ex 
Euripidea  tragoedia  pendet'  (vgl.  dem  gegenüber  die  Abhandlung  von 
Baehrens  unten  No.  68).  In  v.  118  findet  Kiefsling  wegen  107  —  116  und 
besonders  wegen  des  Plusquamperfektums  detulerat  in  108,  eine  Anspie- 
lung auf  das  zweite  Wiedersehen  nach  dem  Tode  und  konjiziert  qui 
viduam  domini  ferre  iugum  docuit.  Doch  s.  den  Ref.  Jahresber.  des 
Phil.  Ver.  IX  (Z.f.d.G.W.  1883),  280  und  Baehrens  a.  0.  —  Der  zweite 
Teil  (S.  13—20)  ist  eine  Verteidigung  der  Einheit  von  c  68.  Er  ist 
(was  im  Interesse  der  Sache  zu  bedauern)  ohne  Kenntnis  der  betreffenden 
Abhandl.  des  Ref.  N.  Jahrbb.  1875,  S.  849 f.  geschrieben.  Das  Unglück 
des  Allius  bestand  nach  Kiefsling  einfach  in  einem  Zwiste  mit  seiner 
Geliebten.  Bei  dieser  Annahme  ist  es  besonders  fein,  wenn  der  Dichter 
lqui  amicum  Musarum  munere  consolari  studet,  in  extrema  votorum  pro 
Allii  eiusque  pueliae  salute  nuncupatione  (155  Suis  felices  et  tu  simul  et 
tua  vita)  consolatione  sua  non  opus  esse  auguratur'.  Der  Adressat 
hiefs  M' Allius.  In  11  und  30  ist  der  Vokativ  Moni  herzustellen.  An  der 
verschiedenen  Bezeichnung  des  Freundes  (50,  65,  41.  150)  ist  kein  An- 
stofs  zu  nehmen,  weil  im  ersten  Teile  (1  —  40)  der  Dichter  den  Allius 
selbst,  'cuius  molles  auriculae  gaudebant  praenomine',  anrede.  Im 
zweiten  dagegen,  wo  Catull  die  Musen  anrufe  und  ihnen  den  Allius  wie 
einen  Abwesenden  empfehle,  sei  die  Bezeichnung  durch  das  nomeu  durch- 
aus notwendig.  Vgl.  dazu  Jahresb.  d.  Ph.  Ver.  VII  364.  (Z.f.d.G.W. 
1881).  In  v.  39  ist  non  utriusque  zu  betonen.  Der  Freund  hatte  nach 
v.  10  zwei  Geschenke  erbeten.  Catull  kann  bei  seiner  trüben  Stimmung 
nur  eins  senden,  ein  munus  Mtisarum\  und  auch  dieses  verlangt  nach 
33—36  nachsichtige  Beurteilung.  Die  Einheit  des  c.  68  folgt  auch  aus 
den  engen  Beziehungen  von  12-13,  68  —  69  zu  155  -156,  aus  der  Wieder- 
holung der  Klagen  über  des  Bruders  Tod  19 f.  und  93  f.,  endlich  aus 
den  vv.  135-140,  die  angeblich  nicht  zu  verstehen  sind,  wenn  man  Dicht 
an  den  Anfang  der  Elegie  zurückdenkt:  'Nam  Allio  de  amicae  perfidia, 
quae  ipsum  deseruerit,  graviter  conquesto  respondet  semel  ipsum  similia 
patieuter  tolerarc.  Talia,  dummodo  rara  Binl  hirta  vereeundae  erae,  inter 
amautes  esse  ferenda,  sicut  et  ipsa  Juno  plurima  Jovia  furta  tolerare 
neque  ei  irasci  debuerit'.   Am  Schlüsse  der  Abhandlung  wird  in  v.  68  da- 


250  "io  Einheit  von  Catalina  Gedicht  68. 

veluti  der  Itali,  in  39  und  68  Froehliche  praestoat  and  dommae,  in  102 
L.  Muellers  Grata  empfohlen;  Baebrens  Konjekturen  zu  c.  ch  werden 
dagegen  mit  berechtigtem  Sarkasmus  zurückgewiesen. 

0.  Harnecker  hatte  sich  in  seinem  Aue-at/.e  da-  Ziel  g<<>teckt 
eine  endgültige  Einigung  über  c.  68,  die  Bchönste  Blüte  römischer  Poesie, 
anzubahnen,  jedenfalls  eine  Menge  übler  Vermutungen  zurückzuweisen. 
Die  ersterc  Hoffnung  ist  nicht  in  Erfüllung  gegangen.  Noch  immer  wird 
die  Einheil  des  Gedichtes  von  vielen  Kritikern  bezweifelt,  leider  auch 
von  einigen  wirklichen  Catullkennern.  —  Das  Studium  von  Harneckers  ge- 
diegener Arbeit  ist  für  Jeden,  der  c.  68  studieren  will,  unentbehrlich. 
Verf.  steht  natürlich  auf  dem  vom  Ref.  und  von  Kiefsling  befestigten 
Boden,  aber  er  zeigt  durchweg  selbständiges  Urteil,  er  kennt  den  Dich- 
ter, er  kennt  auch  die  einschlägige  Litteratur  (nur  die  Abhandlung  von 
E.  Eich ler,  Progr.  von  Obcrhollabrunn  1872  ist  nicht  berücksichtigt). 
Alle  gegen  die  Einheit  vorgebrachten  Gründe  sind  widerlegt  (anhangs- 
weise auch  die  von  M.  Schmidt  N.  Jahrbb.  1880,  S.  780 f.).  Verf. 
bebandelt  nach  einigen  treffenden  Bemerkungen  über  den  Gebrauch  des 
Pränomens  bei  den  römischen  Dichtern  (vgl.  oben  S.  241  f.)  den  reichen 
Stoff  in  folgenden  Abschnitten:  l)  Das  Unglück  des  Allius.  Der 
casus  acerbus  der  den  Allius  getroffen  hatte,  ist  ein  kompromittierendes 
Unglück  öffentlicher  bürgerlicher  Art,  z.  B.  eine  Zurückweisung  bei  einer 
Bewerbung,  etwa  mit  einer  kleinen  Skandalgeschichte  verknüpft.  Damit 
wird  nun  sehr  hübsch  kombiniert  v.  41—50  und  151.  Denn  wenn  der 
Name,  der  makellose  Ruf  des  Allius  in  Gefahr  war,  so  gewinnt  das  Ver- 
sprechen des  Dichters :  c  Ich  will  durch  mein  Lied  dafür  sorgen  ,  dafs 
Spinnweben  und  Rost  den  Glai>z  deines  Namens  nicht  verdunkeln',  eine 
tiefe  Bedeutung.  [Diese  Vermutung  ist  gewifs  sehr  ansprechend,  aber 
offenbar  nicht  so  zwingend ,  dafs  daneben  nicht  andere  Möglichkeiten 
offen  blieben.  Vgl.  B.  Schmidt  prolegg.  ed.  CXXIX].  2)  Die  Munera 
et  Musarum  et  Veneris.  Verf.  prüft  die  von  Ellis  gesammelten 
Stellen  über  owpa  'Appodcnye  u.  ähnl.,  vervollständigt  sie  und  weist  über- 
zeugend nach,  dafs  der  Ausdruck  keineswegs  immer  sinnlich -erotische 
Bedeutung  hat  (=  Liebesgenufs,  Geliebte).  Entscheidend  ist  hierfür 
Anakreon  No.  94  Bergk.  Es  bezeichnen  demnach  derartige  Ausdrücke 
nur  das,  was  der  Gott  am  Menschen  und  für  den  Menschen  wirkt,  die 
Genüsse,  die  er  ihm  schafft.  Wir  werden  an  der  alten  Erklärung  mu- 
nera Veneris  =  erotische  Tändeleien,  Liebesgedichte  festhalten.  Der 
Freund  hatte  hiernach  zwar  um  Lektüre  gebeten,  wie  man  schon  früher 
annahm,  aber  speziell  um  catulli sehe  Poesie  (denn  veterum  scriptorum 
Musae  helfen  ihm  eben  nicht;  etwa  so:  'Schicke  mir,  was  Du  hast,  es 
ist  mir  gleich  ob  es  gelehrte  Arbeit  (nach  griechischen  Mustern)  ist,  ob 
Tändelei  —  das  sind  ja  doch  deine  beiden  gleichsam  starkeu  Seiten, 
die  Fächer,  in  denen  du  brillierst'.  Diese  Bitte  gewährt  auch  der  Dichter 
liebenswürdig    sich    entschuldigend:    so    wie    der    Freund    es    vielleicht 


Die  Einheit  von  Catullus  Gedicht  68.  251 

wünsche  und  zu  erwarten  ein  Recht  habe,  könne  er  der  Bitte  jetzt  nicht 
nachkommen,  weder  in  der  einen  noch  in  der  andern  Richtung.  3)  Die 
Einheit  des  c.  68.  Hervorzuheben  ist  hier  namentlich  die  Erklärung 
des  nam  in  33  durch  Annahme  einer  Gedankenpause.  Der  Gedanken- 
zusammenhang zwischen  32  33  ist  folgender:  [Damit  also  kann  ich  dich 
nicht  erfreuen.  Aber  auch  in  meinem  andern  Fach  kann  ich  dir  nicht  so 
recht  dienen,]  denn  mein  eigentliches  Heim  ist  doch  nun  einmal  Rom 
u.  s.  w.  Für  diesen  Gebrauch  von  nam  verglich  Ref.  schon  früher  Stellen 
wie  Ov.  Met.  VI  271,  VIII  531.  —  Die  nach  Fröhlichs  Vorschlage  em- 
pfohlene Umstellung  in  43-50:41.  42.  45.  46.  43.  44.  49.  50.  47.  48 
scheint  nicht  notwendig.  Der  unverkennbare  Vergleich  der  Lesbia  mit 
Laodamia  ist  S.  12  wohl  zu  sehr  auf  Einzelheiten  ausgedehnt.  Der  Satz: 
cTroja,  das  böse  Troja  raubte  der  Laodamia  den  blühenden  Gatten,  dem 
Dichter  den  Bruder  —  so  auch  der  Lesbia  den  Catullus'  ist  in 
seinem  letzten  Teile  nicht  verständlich.  Ebenso  sind  die  chronologischen 
Erörterungen  am  Schlüsse,  die  auf  Seh ölls  unsicheren  Hypothesen  über 
M.  Caelius  Rufus  basieren,  schwerlich  überzeugend.  Über  die  Einheit 
des  c.  68  im  Allgemeinen  vgl.  noch  A.  Palm  er  Hermathena  VI  346 f., 
B.  Schmidt  ed.  mai.  S.  CXXVI  und  oben  des  Ref.  Bemerkungen  S.  150f. 

64.  M.  Schmidt,  Zu    Catullus.    N.  Jahrbb.  1880   S.  777-785. 

Die  Verse  9—14  sind  mit  Haase  hinter  101,  7  zu  setzen.  V  65,  9 
alloquar,  audiero  numquam  tua  .  .  loquentem  ist  wahrscheinlich  echt.  Denn 
einerseits  ist  sehr  wohl  die  Möglichkeit  vorhanden,  dal's  ein  in  der  Ur- 
handschrift  unleserlich  gewordener  Vers  in  einer  Abschrift  auch  ohne 
Zeichen  der  Lücke  weggelassen,  in  einer  andern,  soweit  er  eben  lesbar 
schien,  fortgepflanzt  wurde.  Anderseits  entspricht  der  Vers  den  An- 
forderungen der  Grammatik  und  des  Metrums  so  wenig,  dafs  man  nicht 
begreift,  was  ein  Interpolator  damit,  bezweckt  haben  sollte.  Die  Ver- 
bindung alloquar,  audiern  ist  unzulässig.  Mit  Benutzung  von  Westphals 
Konjektur  te  suave  für  tua  ist  zu  schreiben:  ergo  auscultabo  numqnam  U 
suave   loquentem.  Die    beiden    Disticha  68h,   53     56   sind  zu 

streichen.  Sie  sind  ursprünglich  als  Parallelstelle  dem  Verse  attulit, 
ei  misero  f rater  adempte  mihi  am  Rande  beigeschrieben  von  einem,  dem 
hierbei  68",  20f.  einfiel.  Später  wurden  sie  irrtümlich  als  ausgefallene 
und  hier  einzutragende  Verse  betrachtet;  der  vermeintlich  fehlende  Hexa- 
meter 53  wurde  dann  einfach  aus  52  schlecht  genug  fabriziert.  |  l>ic 
Athetese  ist  von  Riese  gebilligt  Fröhlich  in  d.  Aldi.  d.  kgl.  Bay.  Ak.  d. 
Wissensch.  V  3  S  263  und  265  wollte  die  Verse  an  beiden  stellen  strei- 
chen und  verwies  sie  in  c.  65].  ~  68R  -+-  68b  sind  nicht  ein  Gedicht, 
sondern  zwei,  gerichtet  an  dieselbe  Person,  den  Manius  Allius.  [An 
der  Einheit  der  Person  des  Adressaten  wird  also  festgehalten  und  z.  B. 
in  v.  11  geschrieben  sed  tibi  ne  mea  sint  ignota  incommoda,  Mani}. 
Es  wäre,  worauf  schon  Westphal  hinwies,    der  Gipfel   aller  Geschmack- 


252  I  atullua  Gedieh!  W 

losigkeit,  wenn  in  den  zwei  Teilen  1—40,41     160  Stücke  <h 
densten  Stiles  zusammengekoppelt  würden,  ein  zum  teil  im 
Briefstil   geschriebenes  Billel   und  ein  mit  denkbarster  Sorgfall    a 
arbeitetes   Enkomion    oach   griechischem  Vorbilde    Welcher  üntei 
im  Stile  mag  aber  wohl  zwischen  l     40  und  149—160  bestehen?)  Ufo 
in   39  bezieht  sich  nicht  aui  min, im  musarum  et  Vem  rnaofzwei 

bestimmte  Brochüren,  welche  der  Freund  in  seinem  Briefe  aufser  einem 
Trostgedichte  noeli  ausdrücklich  erbeten  hatte.  Auf  diesen  V, 
lediglich  beziehen  sich  die  Verse  33  40.  [Vgl.  die  schlagende  Wider- 
legung dieser  ganz  unhaltbaren  Ansicht  von  o.  Barnecker  im  Friede- 
berger Programm  von  1881  S.  14J.  in  v.  40  kann  nitro  nicht  richtig 
sein.  'Wie  konnte  denn  Catnll  versichern,  er  würde  Allius  Bitte  zuvor- 
gekommen sein,  die  gar  nicht  zu  erraten  war?5  [vgl.  dagegen  Riese  zu  tu. 
Was  Objekt  zu  deferrem  ist,  sagt  etwa  v.  3—4].  Da  Catull  von  den 
beiden  gewünschten  Dingen  nur  eins  schickt,  wird  er  versichert  haben, 
dafs  er  gern  sogar  ein  drittes  und  viertes  gewähren  würde,  wenn  es  in 
seiner  Macht  stünde  [Also  eine  dritte  und  vierte  Brochüre!].  Es  ist 
daher  zu  lesen  ultra  (numerum  a  te  petitum).  —  Ref.  glaubt,  dafs  in 
diesen  Ausführungen  nichts  ist,  das  nicht  durch  Kiefsling,  Harnecker 
und   ihn  selbst  seine  Erledigung  gefunden  hätte. 

65.   II.  A.  J.  Munro,   Catullus'   68th  poem,  journ.   of  philol. 
VIII  (16),  333-336. 

Munro  berichtigt  seine  in  den  Criticisms  and  Elucidations  vorge- 
tragene Erklärung  von  zwei  Stellen  des  c  68.  In  v.  68  ist  mit  Ellis 
das  handschr.  dominant  zu  halten.  Der  Sinn  ist:  he  gave  to  me  a  house, 
hc  gave  to  me  the  lady  of  that  house'.  Das  folgende  ad  quam  heifst 
(so  ebenfalls  Ellis)  'in  whose  mausion'.  Für  ad  aliquem  =  apud  citiert 
Munro  noch  Plaut.  Asin.  825  und  Ciceros  'fuit  ad  me'  in  Cumano  ad 
te'.  Offenbar  hat  diese  Erklärung  viel  für  sich,  einmal  wegen  der  so 
hergestellten  Beziehung  des  ad  quam  und  wegen  156,  wo  es  Schwierig- 
keiten macht  domina  =  Geliebte  zu  setzen  (denn  von  dieser  ist  erst  159 
bis  160  die  Eede).  Vgl.  auch  B.  Schmidt  prolegg.  ed.  S.  CXXVI. 
Übrigens  ist  die  Erklärung  wohl  nicht  neu.  M.  Haupt  interpungierte 
schon  1868  in  156  vor  et  domina.  Und  Heyse  (der  freilich  v.  68  anders 
auffafst)  übersetzte:  Beglückt  sei  .  .  .  das  Haus  selbst  und  die  Herrin 
im  Haus'.  Aber  geben  68  —  69  ohne  Künstelei  den  von  Ellis  hinein 
gelegten  Sinn  'Allius  allowed  me  to  meet  Lesbia  in  a  house  the 
mistress  of  which  was  favourable  to  our  love'?  Und  die  daun 
geforderte  Erklärung  von  communes  amores  ist  nicht  ohne  sprachliche  Be- 
denken. 

Von  Munros  Bemerkungen  zu  dem  heillosen  157  sei  als  sehr  be- 
achtenswert hervorgehoben  der  Versuch  das  überlieferte  terram  zu  halten: 
terra  ='firm  ground'.    ' raa-bv  yrt,  arua-ov  BdAacoa,  says  Thaies'.  Munro 


Die  Einheit  von  Catullus  Gedicht  68.  253 

citiert  Plaut,  mercat.  195  equidem  me  iam  censebam  esse  in  terra  atque 
in  tuto  loco,  aufserdem  Most.  737.  Eudens  824.  Cicero  pr.  Mur.  4.  An- 
scheinend schrieb  Munro  noch  ohne  Kenntnis  von  Baehrens'  Kommen- 
tare. Hier  findet  man  S.  535  dieselbe  Ansicht  vorgetragen  und  mit  an- 
deren Beispielen  begründet.  Gewagte  Hypothesen  hat  hieran  geknüpft 
B.  Schmidt  Adn.  crit.  S.  CXXVIHf. 

64.  F.  Scholl,  Zu  Catullus.     N.  Jahrbb.   1880  S.  471-496. 

Verf.  dieses  inhaltreichen  Aufsatzes  behandelt  eine  ganze  Reihe 
wichtiger   Fragen  mit»  Scharfsinn  und  Gelehrsamkeit. 

I.  Die  Einheit  des  c.  68  ist  für  jeden  Philologen  entschieden. 
Wenn  Catull  v.  39  sagt  quod  tibi  non  utriusque  petiti  copia  praestost, 
so  heifst  dies  im  Latein  der  Chorizonten  quod  tibi  neutrius  petiti  c.  p. 
[Dasselbe  hat  Ref.  schon  früher  geltend  gemacht  Z.  f.d.  G.W.  1878. 
S.  496  Anm.  Übrigens  wäre  die  Gleichung  non  utriusque  =  neutrius,  wenn 
sie  sich  beweisen  liefse,  dem  Ref.  ganz  sympathisch.  Die  Einheit  würde 
durch  sie  nicht  in  Frage  gestellt.  Vgl.  oben  S.  151  am  Ende.  Ref. 
hält  seine  obigen  Ausführungen  auch  nach  der  neuesten  Behandlung 
der  Frage  durch  F.  Hermes  (Beiträge  zur  Kritik  und  Erklärung  des 
Catull.  Frankfurt  1888)  in  allen  Punkten  aufrecht],  c.  68  giebt  sich 
als  munus  Musarum  nicht  nur  durch  den  Charakter,  die  —  natürlich  der 
una  Capsula  v.  36  entnommene  —  Laodamiasage  und  durch  die  aus- 
drückliche Anrede  an  die  Musen  v.  41  kund.  Die  Alten  liefsen  sich  bei 
solchen  Einteilungen  nicht  vom  Inhalt  (z.  B.  Liebe),  sondern  von  der  Form 
bestimmen.  Die  Ausdrücke  casus  acerbus,  mortis  Urnen,  mens  anxia  per- 
vigilat  deuten  darauf  hin,  dafs  des  Freundes  Unglück  in  schwerer  Krank- 
heit bestand.  [Vgl.  dagegen  Harnecker,  Friedeberger  Progr.  1881 
S.  4].  Um  Gleichheit  der  Anrede  herzustellen  wird  v.  30  geschrieben  id  im, 
Alli,  non  est  turpe,  in  v.  11  ignota  incommoda,  amtce,  so  dafs  Mali  hier  eiue 
Glosse  wäre  [Vgl.  Jahresber.  d.  Phil.  Ver.  VII,  364;  mit  mehr  Wahr- 
scheinlichkeit vermutet  jetzt  B.  Schmidt  in  150  Mani].  —  In  v.  118  ist, 
was  schon  Kiefsling  betonte,  die  Rede  von  der  Zeit  nach  dem  Tode 
des  Gatten.  Lies:  qui  Diti  domitum  ferre  iugum  docuit  [Vgl.  aber  deu 
Ref.  Jahresber.  d.  Phil.  Ver.  IX,  279  und  jetzt  Baehrens  im  Komm.  z.  d. 
St.].  68,  68  ut  dam  communes  exerceremus  amores.  68,  143  claustria 
deducta  paternis.  68,  143.  Wir  haben  hier  eine  Aufzählung  von  Gründen, 
mit  denen  Catull  sich  selbst  zu  beschwichtigen  sucht.  Der  tremulus 
parens  ist  aus  61,  r>l  interpoliert.  Hier  kann  nur  von  dem  ängstlich 
verfolgenden  Liebhaber  die  Rede  sein,  der  stultorum  more  molestus  ist.  Lies 
etwa:  nee  gratum  (sc.  est)  tremuli  tollere  amantis  onus.  [Aber  das  folgende 
tarnen  deutet  doch  auf  einen  Gegensatz  zum  Vorhergehenden].  ■■  Der 
Hexameter  48  ist  vielleicht  eine  zu  den  bildlich  gemeinten  Versen  49f.  beige- 
Bchriebene  Parallelstelle.  —  In  dem  verzweifelten  Verse  157  isl  Rnfns  be- 
zeichnet.    Korrigiert  man  in    158  nostra   statt   des  unpassenden  nata,  so 


254     Lesbia:    Ciodia.  Caelioe  i.c68u.  LOOident.  m.d.  Red. Caelius  Rufus? 

wird  die  Beziehung  auf  77,  4  ei  misero  f;rij>uist i  omuia  nostra  bona  deut- 
lich.    Lies: 

et  qni,  priocipio  nobia  era  quae  dedit,  aafert  — 
ii l    i/imi  sunt  permissa  omuia  nostra   bona! 

In  diesen  Worten  reicht  der  Dichter  gleichsam  mit  abgewandtem 

Antlitz  dein  ehemaligen   Freund  die   Hand  zur   Verhöhnung.    |  !V  | 

II.  Catulla  Lesbia-Clodia  ist  ganz  gewifa  identisch  mit  der 
berüchtigten  Schwester  des  P.  Clodins.  Einige  bisher  übersehen''  Mo- 
mente für  die  Identität  liefert  noch  Ciceros  Caeliana.  Wie  gut  dort  §  69 
die  Worte  adulescens  non  tarn  msulsu»  quam  non  vereeundus  im  Munde 
Ciceros  den  Catull  charakterisieren  würden,  liegt  auf  der  Hand  [doch 
vgl.  Harnecker,  Piniol.  XLI,  3,  470  Anm.]  Das  Zusammentreffen  auf 
beiden  Seiten  in  dem  intimen  Verhältnis  zu  einem  Kufus  und  dem  un- 
züchtigen Umgang  mit  einem  Clodius!  In  dem  wichtigen  Epigramme  79 
ist  v.  4  zu  schreiben  si  tria  nostrorum  basia  reppererit  ('  Wer  denkt  dabei 
nicht  gleich  an  die  berühmten  tausend  und  aber  tausend  basia  des  Ca- 
tull?'). —  Für  die  Identität  des  Caelius  (c.  100)  mit  dem  Redner  M. 
Caelius  Rufus  spricht  c.  58  Caeli,  Lesbia  nostra,  Lesbia  illa  u.  s.  w. 
Denn  bei  der  Thatsache,  dafs  ein  Caelius  einst  die  Clodia  geliebt  hatte, 
bei  dem  weiteren  Zusätze  illa  -  amavit  ist  es  unmöglich,  dafs  nostra  anders 
zu  fassen  als  im  eigentlichen  Sinn:  an  Caelius  gerade  wendet  sich  dieser 
Aufschrei,  weil  auch  er  bei  dieser  Herabgekommenheit  der  früheren 
Zeit  ihrer  Liebe  denken  mufste.  Aber  der  Redner  Caelius  Rufus  stammte 
nach  Cicero  pr.  Cael.  2,  5  aus  einem  munieipium,  Catulls  Caelius  war 
nach  c.  100  ein  Veroneser.  Darauf  ist  zu  erwidern,  dafs  in  c.  100  der 
Plural  depereunt  auf  flos  bezüglich  nicht  zu  rechtfertigen,  dafs  depereunt 
auch  gar  nicht  sicher  (G  depereret,  0  deperet),  dafs  vielleicht  zu  lesen  ist 
flos  Veronensurn  deperit,  ei,  iuvenum.  (Diese  Interjektion  ist  angeblich 
von  Lachmann  unrichtig  70,  21  hergestellt;  lies  hier  sensim  subrepens. 
In  demselben  Gedichte  ist  v.  10  vor  te  ein  tu  einzuschieben).  Dann  be- 
zieht sich  flos  V.  i.  nur  auf  Quiutius.  [Offenbar  unrichtig,  da  Caelius,  ab- 
gesehen von  der  unpassenden  Interjektion  nicht  ohne  Epitheton  bleiben 
darf.  Vgl.  übrigens  die  Bemerkungen  von  0.  Harnecker,  Berl.  Ph. 
Wochenschr.  1884  Sp.  225—229.  Wochenschr.  f.  Kl.  Phil.  1886  No.  35 
Sp.  1099 f.,  der  an  letzterer  Stelle  Scliölls  Ausführungen  zustimmt  und 
sie  vervollständigt].  In  100,  5  ist  nach  den  Spuren  der  Überlieferung 
zu  lesen  perfecta  ex  ignest  ['i  perspeeta  ex  igni  tum  Palmer  Hermath.  VI 
361].  Ebenda  v.  1  Caelius  Aufilenam  et  Quiutius  Aufilenwm  (denn  in  110 
und  111  führt  Catull  die  Sache  des  Caelius,  nicht  seine  eigene).  — 
c.  71,  4  lies  mirificest  apte  [Aber  dies  kann  man  doch  durch  die  Zu- 
sammenstellung sinnverwandter  Adverbia  wie  36,  10  nicht  entschul- 
digen].    29,  20  lies:  nunc  Gallia   est   et    ultima  Britannia.     In  71,  3  lies: 


Cat.  62,  64  nach  Scholl  interpoliert.    Zu  c.  2.  255 

aeraulus  iste  putus  (vgl.  Catal.  IX  me  perdidit  iste  putus.  Rufus  war 
klein  nach  Atratinus  bei  Fortunatianus  III  7). 

III.  8,  5  ist  nach  37,  12.  87,  1  zu  lesen  amata  tantum  quantum 
amabitur  nulla.  Nobis  ist  Füllung  für  ausgefallenes  tantum,  ähnlich  wie 
64,  139  nobis  für  ausgefallenes  blanda.  —  107,  3  lies  fuhoque  est  carius 
auro  [doch  cf.  Tibull  I  8,  31  carior  est  auro  iuvenis].  —  107,  7—8  et 
magis  koras  optandas  vita  dicere  quis  poterit  mit  Beziehung  auf  62,  30 
felici   optatius  hora. 

IV.  Der  Vers  62,  64  tertia  pars  patrist,  pars  est  data  tertia  matri 
ist  eine  'manifesta  interpretatio  et  interpolatio '.  Auch  die 
Messung  pätri  ist  bei  Catull  unerhört.  Dadurch  wird  allerdings  diese 
Epodos  60-67,  für  die  man  Responsion  mit  11  —  19  annahm  (indem  man 
gewöhnlich  den  Ausfall  eines  Verses  hinter  66  vermutete),  jenen  Versen 
noch  ungleicher.  Aber  es  ist  hier  auch  gar  keine  Responsion  vorhanden  : 
es  käme  höchstens  eine  äufsere  und  äulserliche  Zahlengleichheit  ohne 
Wert  heraus.  In  den  übrigen  Strophen  und  Antistrophen  ist  nicht  nur 
der  Urnfang  gleich,  sondern  es  sind  auch  durchgängige  Gedankenbezie- 
hungen und  Wortentsprechungen  vorhanden.    [Vgl.  oben  S    195 J. 

V.  Das  erste  Gedicht  an  den  Passer  (2)  ist  bisher  in  seinem 
Baue  verkannt  worden.  Es  ist  mit  geringer  Änderung  der  handschrift- 
lichen Lesart  so  zu  konstruieren: 

passer,  deliciae  meae  puellae, 
quicum  ludere,  quem  in  sinu  tenere, 
quoi  primum  digitura  dare  adpetenti 
et  acris  solet  incitare  morsus: 
cum  desiderio  meo  nitenti 
carum  uescio  quid  lubet  iocari, 
est  solaciolum  sui  doloris 
(a-edo)  et  tum  gravis  acquiescet  ardor. 
tecum  ludere  sicut  ipsa  possem 
et  tristis  animi  levare  curas! 

[Dieser  Restitutionsversuch  hat  manches,  wie  die  grammatische  Trennung 
der  beiden  letzten  Verse  vom  Vorhergehenden,  mit  0.  Harn  eckers 
Ausführungen  im  Progr.  1879  (s.  oben  S.  248)  gemeinsam.  Anscheinend 
schrieb  Scholl  ohne  deren  Kenntnis.  Sein  Versuch  ist  in  manchen  Be- 
ziehungen gefällig.  Doch  spricht  Anderes  dagegen,  die  Stellung  des  tum, 
das  in  den  vorhergehenden  Vers  gehört,  der  Wechsel  des  Tempus  in 
est—aeguieseet;  vgl.  auch  Riese  zum  Verse].  Die  folgenden  /eilen  tum 
gratum    est    mihi  ligatam   gehören    nicht    mit    zum    Gedichte.      [Man* 

wird  diese  Behauptung  bezweifeln  dürfen,  da  Catull  seine  Gedichte  gern 
mit  Vergleichen  schliefst;  vgl.  oben  S.  220  und  Kiese  zu  v.  11  —  13]. 
Die  handschr.  Lesart  quod  zonam  solvit  diu  negatam  ist  beizubehalten, 
'weil  gerade  für  Atalante,  das  lange  Versagen,  nicht  nur  Geschlossensein 


256  Catullus  und  Propertius.     Laodamiasage  und  c  68. 

des  Gürtels  charakteristisch  ist'  [?].  Die  Variante  ligatam  in  G  ist 
chen  aus  Prisciau  hinzugefügt.  Die  Varianten  in  (•  und  0  sind  über- 
haupt teils  niif  LeseversDChe,  teils  Verbesserungsversuche,  an  dem  schwer 
ZU  entziffernden  Veronensis  von  den  Gelehrten  des  vierzehnten  Jahr- 
hunderts angestellt.  0  wurde  früher  aus  V  kopiert,  in  dem  erst  v 
Varianten  eingetragen  waren.  [Vgl.  oben  S.  L98t].  Die  drei  Zeilen 
sind  übrigens  nicht  mit  Pleitner,  Klotz  u.  a.  an  c.  14b  zu  fügen.  — 
37,  10  ist  nach  Marius  Plotius  Sacerdos  S.  462,  2  K.  und  Petronius  22 
zu  schreiben  sopionibus.  Auch  bei  »Sacerdos  ist  statt  ropio  zu  setzen 
(nicht  umgekehrt  bei  Catull  und  Petron  ropio),  also  nön  homost,  sed 
söpio.  Nach  Osthoff  kommt  ein  Nomen  sdpa  =  penis  schon  in  den  brAh- 
mauas  vor.  [Baehrens  erklärt  jetzt  im  Kommentare  sopio  mit  fututor 
und  verbindet  sopionibus  als  Dativ  mit  vobis], 

67.  H.  Magnus,  Zu  Catullus  und  Propertius,   N.  Jahrbb. 
1877,  415-419. 

Ref.  giebt  hier  zunächst  einige  Nachträge  zu  seinem  Aufsatze  über 
die  Einheit  von  Catullus  Gedicht  68  (N.  Jahrbb.  1875,  849  —  854).  In 
v.  5  kann  nicht  das  Unglück  selbst  bezeichnet  sein,  welches  den  Allius 
getroffen:  denn  wir  würden  dann  zu  der  Annahme  genötigt,  dafs  auch 
in  v.  7  der  casus  acerbus  des  Allius  geschildert  sei;  die  beiden  mit 
nee  verbundenen  Sätze  stehen  ja  doch  parallel.  In  v.  5—8  mufs  viel- 
mehr der  trostlose  Zustand  des  Freundes,  wie  er  jenem  schweren  Schick- 
salsschlage gefolgt  ist,  ausgemalt  sein.  Ein  Widerspruch  mit  v.  155 
ist  also  durchaus  nicht  vorhanden.  —  Durch  viele  Stellen  wird  erwiesen, 
dafs  bei  Propertius  sich  zahlreiche  Anklänge  an  Catull  finden,  dafs  diese 
Anklänge  sich  namentlich  bei  Prop.  I,  20  häufen.  Die  zu  Catull  64, 
287  vorgeschlagenen  Konjekturen  befriedigen  sämtlich  dem  Sinne  nach 
nicht  vollständig.  Haupts  Naiasin  ist  richtig  [vgl.  Röscher  N.  Jahrbb. 
1880,  785],  doris  noch  zu  emeudieren.  Vielleicht  ist  zu  lesen :  Naiasin 
linquens  solitis  celebranda  choreis,  coli.  Prop.  I  20,  45  Dryades . .  puellae 
miratae  solitos  destituere  choros.  Vgl.  E.  Heydenreich  in  dieser  Zeit- 
schrift 1886  II  S.  190. 

68.  E.  Baehrens,    Die  Laodamiasage    und    Catullus  68. 
Gedicht.    N.  Jahrbb.  1877,  409  —  415. 

Eine  leidenschaftliche  Polemik  gegen  Kiefslings  Analecta  Catulliana. 
—  Die  Einheit  von  c.  68  läfst  sich  nimmermehr  erweisen.  Man  darf  beide 
Gaben,  die  der  Freund  erbittet,  nicht  scharf  trennen;  munera  et  Musa- 
rum  et  Veneris  ist  ein  einheitlicher  Begriff  =  munera,  in  quibus  con- 
ficiendis  pariter  Musae  et  Venus  elaboraruut  =  carmen  et  doctum  et 
amatorium.  Catull  erklärt  sich  unfähig  sowohl  das  gewünschte  Liebes- 
lied zu  verfassen,  wie  dasselbe  zu  einem  wahren  Kunstprodukt,  zu  einem 
Carmen  doctum,  zu  machen.    cWas   soll   denn  aber  diese  Erörterung  in 


Cat.  22,  7 — 9.    Helvius  Cinna  ein  Landsmann  Catulls?  257 

v.  33—36,  wenn  nun  trotzdem  in  68b  das  Carmen  doctum  folgt?'  [Alles 
Bedenken,  die  von  den  Verteidigern  der  Einheit  längst  erledigt  sind!]. 
Wenn  es  schliefslich  heifst  cdie  übrigen  Argumente  für  die  Einheit  und 
Einwände  gegen  die  Trennung  stehen  auf  noch  schwächeren  Füfsen, 
worüber  später  im  Kommentar  mehr',  so  hat  Baehrens  dieses 
Versprechen  nicht  gehalten.  Das  Resultat  von  Kiefslings  Untersuchung 
der  Laodamiasage  (Euripides  sei  Catulls  Quelle)  wird  wohl  mit  Recht 
bekämpft.  Die  hierauf  bezüglichen  Ausführungen  sind  jetzt  fast  wört- 
lich in  Baehrens'  Kommentare  wiederholt.  Kiefslings  Konjektur  zu  68,  118 
qui  viduam  domini  ferre  iugum  docuit  ist  verfehlt.  Baehrens  nützliche 
Sammlungen  über  die  Bedeutung  des  iugum  ferre  bei  den  römischen  Dich- 
tern sind  jetzt  ebenfalls  im  Kommentare  zu  finden. 

68.  E.  Benoist,  SurCatulle.   Revue  de  Phil.  III  1879,  26—27. 

Catull  55,  29  ist  nach  den  Spuren  der  besten  Überlieferung  vinctos 
zu  lesen  (Anspielung  auf  Odyss.  X  20  —  26).  Doch  vgl.  M.  Bonnet 
Rev.  critique  1883,  349  'Catulle  enumere  tout  ce  qui  pourrait  häter  ou 
soutenir  sa  coursc;  comment,  dans  ce  nombre,  mettre  les  vents  lies? 
Dans  le  cas  d'Ulysse  un  vent,  le  vent  favorable,  est  excepte'. 

22,  7—9  wird,  teilweise  im  Anschlüsse  an  Munro,  gelesen: 

Novi  umbilici,  lora  rubra,  membranae, 
Derecta  plumbo  et  pumice  omnia  aequata. 
Haec  cum  legas  tu  sq. 

Die  Vulg.  sei  unhaltbar,  denn  man  wisse  nicht  ccomment,  sur  cette 
couverture,  des  lignes  peuvent  avoir  ete  tracees  ä  la  regle'.  Aber  das 
isolierte  membranae  ist  doch  solange  sinnlos,  bis  nachgewiesen  wird,  dafs 
schon  der  Umschlag  aus  membrana  allein  die  Rollen  des  Suffenus  als 
Prachtexemplare  charakterisierte.  Auch  bei  uns  sind  doch  Einbände 
nicht  ohne  Weiteres  =  Prachteinbände.  Über  diese  Schwierigkeit 
kommt  auch  B.  Schmidt  prolegg.  ed.  S.  CXII  nicht  hinweg.  Vgl. 
übrigens  Riese  z.  St.  und  Birt  Buchwesen  S.  67.  Benoist  bemerkte 
später  im  Kommentare  S.  417:  cOn  peut  suppleer  avec  ce  mot  [mem- 
branae] rubrae,  tire  de  rubra  applique-  ä  lora  -  '  aber  wer  mag  das 
glauben?  Abgesehen  von  diesem  Bedenken  ist  übrigens  die  vorgeschlagene 
Interpunktion  sehr  ansprechend. 

Als  Beitrag  zur  Literaturgeschichte  Catulls  und  zur  Erklärung 
des  c.  30  ist  auch  zu  erwähnen: 

70.  A.  Kiefsling,  De  C.  Ilclvio  Cinna  poeta  (Comment. 
philol.  in  honorem  Th.  Mommscni  S.  351-355).  Berlin.  1877.  Weid- 
mann. 

Verf.  glaubt,    Cinna  sei  ein  Landsmann  Catolla  und  stamme  aus 
Brixia   (wegen  frgmt.   l   und  6  bei  L.  Müller    ed.   Cat.  S.  87,    und  weil 
Jahresbericht  für  AltertamawisBensohaft,  LI.    (1887.    0  |  17 


•258  Allcim     Vmii-    im  l   Catullus    lil  i|    30. 

'Eelviae  gentis  Qomen  in  titulis  Brixiensibus  in  ipso  Cenomannorum  ca* 
pite  saepius  occurrit  |.  Diese  Vermutung  ist  gefällig,  aber  schwerlich 
mit  IJ.  Schmidt  prolegg.  S.  KLD  als  erwiesen  anzusehen.  Zum  Freundes- 
krei  e  der  Transpadani  gehörte  angeblich  auch  der  Rechtsgelebrte  Alfe« 
uns  Wims,  der,  wie  Verf.  als  sicher  ansieh!  (wegen  Porphyrio  zu  Hör. 
Sat.  I"-,  L30?),  aus  Cremona  stammte.  An  ihn  sind  c.  10,  22  und  30 
gerichtet.  Die  Beziehung  auf  den  Stand  des  vielbeschäftigten  Rechts- 
gelehrten,  welche  Verf.  in  10,  i      2  findel  (Varu«   me  duxerat 

eforo  otio8vm)  ist  jedoch  nicht  vorhanden:  Varus  tritt  ja  hier  als  Lebe- 
mann    auf    {ad    8U08    Union»     visUTTl    (IllXOl'at,    ScOTtÜlum     S<|.  !  I.       Hoil.it.    ahi.T 

bat  die  Identifizierung  beider  viel  für  sich.     Durch  Alfenus  ward   wohl 

Catull  bei  Clodia  eingeführt  (vgl.  c.  30).  Quem  cum  Alfenus  Clodiae 
haud   displicere  prior  animadvertisset,   persuasit  amico  ut  omni  iara   po- 

sita  liaesitationc  amorem  siiiim  libere  fateretur.  At  Clodia  cum  non 
statim  poetae  preeibus  vieta  propter  audaciam  importunam  Bohirasci 
videretur  Alfeuusque  ipse  dominae  animum  Catullo  reconciliare  detrec- 
taret,  asclepiadeis  iliis  ...  in  perüdiam  sodalis  invectus  est  Catullus'. 
[Ebenso  ß.  Schmidt  prolegg.  S.  IX].  Auf  Alfenus  soll  sich  auch  68,  158 
beziehen.     Alles  gefällige,  aber  unsichere  Vermutungen! 

71.  II.  Blümner,  Zu  Catullus,  N.  Jahrbb.  1885,  879     881. 

Auch  hier  wird  c.  30  besprochen.  Das  nee  in  v.  4  ist  unerklärbar. 
Aber  Lachmaun-  Haupts  Umstellung  von  4-5  an  den  Schlufs  des  Ge- 
dichtes scheint  nicht  glücklich,  da  11-12  einen  trefflichen  Abschlufs 
des  Gedichtes  geben.  Das  im  Anfange  von  v.  5  überlieferte  quae  kann 
sich  nicht  wohl  auf  das  vorhergehende  facta  impia  beziehen.  Auch  ist 
nicht  wahrscheinlich,  dafs  es  schlechtweg  'das'  bedeute,  -  nämlich  die 
Thatsache,  dafs  impia  facta  fallacum  hominum  caelicolis  non  placent. 
[Warum?  Munro  konjiziert  übrigens  quom  und  verbindet  5  mit  6].  Diese 
Schwierigkeiten  sucht  Verf.  zu  beseitigen,  indem  er  4  und  5  in  umge- 
kehrter Reihenfolge  hinter  10  stellt  und  in  4  non  für  nee  schreibt: 

idem  nunc  retrahis  te  ac  tua  dieta  omnia  faetaque 

ventos  irrita  ferre  ac  nebulas  aerias  sinis; 

quae  tu  neglegis  ac  me  miserum  deseris  in  malis. 

non  facta   impia  fallacum  hominum  caelicolis  placent. 

Für  das  ganze  Gedicht  wird  also  Teilung  in  vier  dreizeilige  Strophen 
angenommen.  Quae  in  v.  5  bezieht  sich  nun  auf  tua  dieta  omnia  faeta- 
que. Aber  die  ganze  Operation  ist  doch  kaum  zulässig:  Zwei  Trans- 
positionen und  eine  Konjektur!  Aufserdem  ist  neglegis  nach  dem  voran- 
gehenden ventos  irrita  ferre  ac  nebulas  aerias  sinis  matt  und  fast  tauto- 
logisch. 

72.  A.Arlt,  Catulls3G. Gedicht.  Progr.  Wohlau.  1883.  S.  1- 6.  4. 


Catullus'  Gedicht  36.  259 

73.    0.  Harnecker,  Zum  36.  Gedicht  des  Catullus,  Blätter 
f.  d.  bayer.  Gymnasialschulw.  XXI  S.  556—558. 

Baekrens  hatte  schon  in  den  Analecta  Catulliaua  S.  15  die  Ver- 
mutung geäufsert,  pessimi  poetae  in  36,  6  beziehe  sich  auf  Catull  selbst. 
Dieselbe  Ausieht  sucht  Arlt  zu  verteidigen,  ohne  anscheinend  von  Baeh- 
rens [und  Anderer,  vgl.  Harnecker  a.  0.  S.  556]  Vorgange  Kenntnis  zu 
haben.  Wie  Catull  seine  geliebte  Lesbia  (mit  der  er  sich  versöhnen 
will  oder  schon  versöhnt  hat)  mit  pessima  puella  bezeichnet,  so  versteht 
unter  pessimus  poeta  Lesbia  den  Catull  (2)essinuts  in  ähnlichem  Sinne  ge- 
nommen, wie  er  sie  pessima  nennt).  Die  electissima  scripta  d.  h.  die  aus- 
gesucht schärfsten  Schmähgedichte,  waren  ein  Greuel  in  den  Augen  der 
Göttin;  ihre  Vernichtung  mufste  ihr  wohlgefällig  sein.  Aufserdem  wird 
noch  vorgeschlagen  in  9  nee  statt  et  zu  schreiben,  so  dafs  sich  dann 
folgender  Gedankengang  ergäbe:  'Annalen  des  Volusius,  wandert  ins 
Feuer  zufolge  des  Gelübdes  meiner  Geliebten!  Sie  hat  nämlich  gelobt: 
»Wenn  Catull  mir  wiedergeschenkt  wird  und  aufhört  seine  Schmähge- 
dichte gegen  mich  zu  richten,  so  will  ich  die  erlesensten  (ausgesucht 
schönsten)  Gedichte  des  ganz  abscheulichen  Dichters  dir,  Venus,  statt 
des  dir  sonst  wohlgefälligen  Weihrauchs  als  Opfer  darbringen.«  Ge- 
meint hat  sie  freilich  meine  schönsten  Liebeslieder,  von  ihnen  will  sie 
sich  trennen,  sie  vernichten,  das  abscheuliche  Mädchen;  aber  sie  hat 
dabei  nicht  {nee)  gemerkt,  dafs  man  mit  Witz  einen  Doppelsinn  in  ihren 
Worten  finden  kann ,  wie  ich  es  jetzt  thue.  Ich  bringe  dir  Venus  die 
erlesensten  (ausgesucht  schlechtesten)  Gedichte  des  ganz  abscheu- 
lichen Dichters  Volusius,  würdige  den  guten  Witz  und  lafs  Dir  an  ihnen 
genügen \ 

Eine  bessere  Begründung  erfährt  der  dem  zu  gründe  liegende  Ge- 
danke durch  die  Bemerkungen  0.  Harne  ckers.  Er  paraphrasiert 
9  16  so:  'Das  war  wirklich  (vidit)  ein  feines  Scherzgelübde  des  losen 
Mädchens.  Jetzt  (da  wir  nun  wieder  versöhnt  sind),  Venus,  lafs  das  Ge- 
lübde erfüllt  sein.  [Unklar.  Inwiefern V]  At  vos  interea  heifst  Aber 
ihr,  —  nicht  die  electissima  scripta  des  obigen  pessimus  poeta  —  inzwi- 
schen (d.  h.  solange  wir  vereint  sind,  sind  meine  Schöpfungen  nicht 
dazu  da).  Das  Ganze  also:  »Inzwischen  (vorerst)  aber  mit  euch  ins 
Feuer,  ihr,  Volusius  Zeiten,  Dreckpapiere«.  [Vgl.  die  unter  No.  74  fol- 
gende Abhandlung].  —  Auch  dem  Ref.  scheint  die  Beziehung  des  p  •  - 
vins  poeta  auf  Catull  plausibel  uud  der  daraus  für  die  Interpretation  <!<'•- 
Gedichtes  entspringende  Vorteil  einleuchtend.  Nur  das  Gelübde  der 
Lesbia  kommt  auch  so  nicht  zu  seinem  Rechte.  Zur  Zeit  des  Zerwürf- 
nisses kann  Lesbia  etwas  Derartiges  nicht  gelobt  haben.  Man  stelle 
sich  die  Situation  doch  nur  einmal  vor!  Wohl  aber  kann  sie  nach  der 
Versöhnung  im  zärtlichen  tete  ä  tete  im  Scherze  geäufsert  haben,  dafs 
sie  dies  -    und  viele  andere  Gelübde!  —  gethau. 

17» 


2fiO  Beiträge  zur  Erklärung  von  Cat    c    2    36  u.  a 

74.    II.  Monse,  Zu  Catull.    15  S.  4.  (Programm  des  Gymn.  zu 
Waidenburg  i.  Schles.  1884). 

Die  Abhandlung  enthält  eine  Reihe  von  kritischen  und  exegetischen 
Bemerkungen,  die  von  liebevollem  Verständnis  des  Dichters  zeugen,  aber 
freilich  durch  die  Kommentare  von  Kiese  und  Baehrens  heute  teilweise 
überholt  sind.  c.  2.  Verf.  teilt  die  Bedenken  Harneckers  (Progr.  1879, 
S.  1  —  6),  gegen  die  gewöhnliche  Interpunktion,  nach  der  das  ganze  Ge- 
dicht bis  v.  10  eigentlich  nichts  ist,  als  ein  an  einen  Vokativ  ange- 
schlossener Stofsseufzer.  Bedenken  werden  geäufsert  gegen  v.  8.  Die 
Wiederholung  des  Gedankens:  'Du  bist  ihr  ein  Trösterlein  für 
ihre  Schmerzen'  durch  die  Worte  Ich  glaube  es,  wie  wird  der 
schwere  Drang  nachlassen'  ist,  zumal  in  so  schwerfälliger  Form,  ent- 
schieden störend.  (Dasselbe  gilt  angeblich  auch  von  Schölls  Restitu- 
tion, s.  oben  S.  255).  Verf.  will  in  7  et  solaciolum  halten  und  in  8  et  tum 
gravis  acquiescet  schreiben:  'Wenn  meiner  herrlichen  Ersehnten  ein 
artiger  Zeitvertreib  und  ein  kleiner  Trost  für  ihren  Schmerz  beliebt,  so 
glaube  ich,  wird  dann  (nämlich  wenn  sie  mit  dir  scherzt  u.  s.  w.)  selbst 
heftige  Pein  verschwinden'.  [Sehr  unwahrscheinlich.  Zwischen  Vorder- 
und  Nachsatz  besteht  keine  rechte  Verbindung,  selbst  wenn  man  hinter 
morsus  stark  interpungiert.  Die  ungenaue  Stellung  des  et  ist  bei  Catull 
beispiellos.  Es  ist  auch  an  sich  nicht  denkbar,  dafs  ein  so  stark  hervor- 
gehobenes gravis  an  ganz  unbetonter  Stelle  im  Verse  stehen  und  von  et 
durch  ein  ganz  ungebührlich  betontes  tum  getrennt  sein  soll].  —  c.  3,  6 
'Ich  vermute  statt  suamque  ein  Attribut  zu  passer,  etwa  piusque\  [?  piusque 
soll  doch  wohl  präd  ikative  Bestimmung  zxxnorat  sein?  Ipsa  puella  ist 
übrigens  wohl  nicht  cdas  Mädchen  selbst',  sondern  'als  sogar  ein 
Kind  die  Mutter'.]  —  c.  4,  15  die  von  Klotz  vorgeschlagene  Inter- 
punktion hinter  origine  ist  abzuweisen.  —  c.  6,  7  nequicquam  zu  halten. 
—  c.  8,  14  Rossbergs  nullei  unrichtig.  —  c.  31,  2  —  3  werden  richtig  so 
erklärt:  'Sirmio,  du  Perle  von  allen  Halbinseln  und  Inseln,  die  in  klaren 
Seeen  und  im  weiten  Ocean  zu  Neptuns  Reich  im  Osten  und  Westen 
gehören'  [Vgl.  oben  S.  214].  —  c.  36.  pessimi  poetae  in  v.  6  geht  aller- 
dings auf  Catull.  Electissima  scripta  sind  die  auserlesensten  d.  h.  aus- 
gesucht schönsten  (cman  verpflichtet  sich,  um  das  Wohlwollen  der 
Götter  zu  erwerben,  zum  Verluste  von  etwas  einem  ganz  besonders  An- 
genehmen'); pessimi-,  abscheulich,  wegen  der  oben  genannten  truces 
iambi.  —  37,  10  mit  Peiper  ropionibus  zu  lesen  und,  ebenso  wie  Petron. 
Sat.  21  S.  23  Bücheier,  in  ursprünglicher  Bedeutung  zu  fassen:  mit 
roter  Farbe  werden  bei  Petron  dem  Ascyltos  Lippen  und  Schultern  be- 
malt, hier  beifsende  Witze  an  die  Mauer  der  Kneipe  geschrieben.  [Besser 
Scholl,  s.  oben  S.  256.  Über  die  Petronstelle  noch  Bücheier  Rh.  Mus.  35, 
400].  —  C  46,  11  diversae  vai-iae  richtig.  —  C  50,  2  'Ich  meine,  in 
meis  ist  entstanden  aus  aemulis\  —  c.  51,  11  Lambins  gemina  integuntur 
lumina  nocte  empfohlen.  —  c.  87,  4  der  Sinn  ist:  cEs  ist  gröfsere  Treue 


Catullus'  Gedicht  45.  261 

nicht  denkbar  als  die,  welche  gefunden  worden  ist  in  meiner  Liebe  zu 
dir'.  Das  »meiner«  ist  so  stark,  nämlich  durch  ex  parte  mea  ausgedrückt, 
um  seine  Treue  der  der  mancherlei  anderen  Liebhaber,  die  Lesbia  in- 
zwischen gehabt,  entgegen  zu  stellen. 

75.    K.  P.  Schulze,   Zu  Catullus,   N.  Jahrbb.  1884,  182—184. 

Gehandelt  wird  über  45,  8  und  17  sinistra  ut  ante,  dextra  stemmt 
approbationem.  Die  Erklärung:  'Amor  nieste  erst  zur  Linken,  dann 
zur  Rechten  Beifall'  (die  auch  Ref.  befürwortet  hatte  Phil.  Wochenschrift 
1883  No.  14,  vgl.  Jahresb.  d.  Phil.  Ver.  IX,  256-  257)  ist  angeblich  un- 
richtig wegen  des  offenbar  beabsichtigten  Gegensatzes  zwischen  ante  in 
v.  8  und  17  und  nunc  v.  19.  (S.  darüber  auch  K.  P.  Schulze,  Zeit- 
schrift f.  d.  G.  W.  31,  700).  Die  Liebe  der  Acme  und  des  Septimius  war 
vielmehr  bis  zu  dem  in  v.  8  geschilderten  Momente  ganz  unglücklich, 
der  Liebesgott  war  ihnen  nicht  hold.  Aber  ihre  Treue  rührte  den  Gott. 
Das  drückt  der  Dichter  so  aus:  Während  Amor  früher  links  geniest 
hatte,  nieste  er  nun  zur  Rechten,  d.  h.  während  er  früher  ihrer 
Liebe  un'günstig  war,  wendet  er  ihr  nunmehr,  nachdem  er 
wieder  einmal  ihre  Liebesschwüre  belauscht  hatte,  seine 
Gunst  zu.  Niesen  ist  zwar  gewöhnlich  an  sich  ein  gutes  Omen.  Doch 
spricht  Plut.  Them.  13  von  einem  glückverheifsenden  Tzzap/xög  ix  ot^cwv, 
anderseits  wird  bei  Plut.  de  gen.  Socr.  11  gesagt  .  .  orc  rö  lu>xpd- 
roug  daijiovtov  nzappog  rjV  .  .  ezdpao  pr^v  zzafxi^zog  ix  o£t~iäg  atz'  umo&av 
£tri  epjnpoalhv,  Sp/xäv  auzuv  ine  ~yv  npägtv.  Sinistra  ist  hier  nach  Art  der 
Griechen  =  unglückverkündend;  auch  sonst  finden  sich  in  dem  Gedichte 
Anklänge  an  griechische  Dichter.  Über  ut  iu  Gegensätzen  Kühner,  Lat. 
Gr.  II  964.  —  Ref.  mufs  diesen  Ausführungen  widersprechen.  1)  Die 
skizzierte  Auffassung  des  Gedichtes  ist  durchaus  unautik.  'Acme  und 
Septimius  liebten  sich  zärtlich.  Aber  Amor  war  ihnen  nicht  hold'. 
Warum?  Wie  war  das  gekommen?  Von  der  Feindseligkeit  Amors  und 
ihren  Gründen  müfste  doch  die  Rede  sein;  vgl.  Haehreus  z.  St.  'Ihre 
Liebe  war  ganz  unglücklich'.  Wirklich?  Man  lese  die  ersten  Verse 
Acmen  Septimius  suos  amores  teuens  in  gremio  u.  s.  w. !  Ist  das  ein  un- 
glückliches Liebespaar?!  Ein  antiker  Dichter  würde  um  unglücklich 
Liebende  vor  Augen  zu  führen,  das  Mädchen  unter  der  Hut  eines  strengen 
Vaters  oder  eifersüchtigen  Gatten  seufzen  und  den  Jüngling  vor  der  ver- 
schlossenen Thür  sein  Klagelied  singen  lassen.  Ein  antiker  Dichter  sagt 
was  er  will;  er  mutet  uns  nicht  zu,  dafs  wir  aus  einer  beiläufigen  Wen- 
dung Dinge  erraten  sollen,  die  gar  nicht  im  Rahmen  des  Gedichtes 
liegen.  Ein  antikes  Gedicht  hat  eben  seine  Erklärung  in  sich  selbst. 
Mit  andern  Worten:  Catullus  hat  uns  hier  in  einem  einfachen  reizenden 
Genrebildchcn  das  Glück  zweier  Liebenden  gezeichnet  :  Der  Verf.  will 
einen  ganzen  Roman  herauslesen  -  und  zwar  einen  schlechten!  2)  In- 
wiefern nunc  v.  19   in   beabsichtigtem   Gegensätze  zu   ante  v.  8   und    17 


262  Catalina'  Ged.   15.    Cerinthna        Coroutai  bei  'I'iljull 

stehen  soll,  ist  nicht  ersichtlich.  Bei  jeder  Interpretation  hat  ante  an 
heiden  Stellen  seinen  Gegensatz  nunc  im  folgenden  Verse.  Man  mufs 
doch  konstruieren:  Amor  sinistra  ut  ante,  (nunc)  dextra  Bternuit,  I  ' 
es  denn  auch  nur  denkbar,  dafs  auf  dieses  zu  ergänzende  nunc  gleich 
im  nächsten  Verse  ein  ganz  identisches,  ebenfalls  mit  antt  korrespon- 
dierendes nunc  folgen  soll'.-'  Nunc  heifst  natürlich  jetzt,  nun,  somit'  — 
nach  allem  vorher  Erzählten  und  steht  genan  wie  86,  11.  Tihull  II  5,  55. 
3)  Nach  der  gewöhnlichen,  bei  Griechen  und  Römern  herrschenden  Vor- 
stellung ist  jedes  Niesen  ein  glückverheifsendes  Omen.  Die  zweite 
Plutarchstelle  beweist  ja  eben,  dafs  man  die  entgegengesetzte  Anschau- 
ung als  etwas  Ungewöhnliches  und  Auffalliges  notierte.  4)  ut  mit  fol- 
gendem oder  zu  ergänzendem  sie  im  Sinne  eines  Gegensatzes  =  zwar  — 
aber  ist  zwar  bei  Ovid  beliebt,  bei  andern  Dichtern  nicht  unerhört,  bei 
Catull  aber  nirgends  nachweisbar.  Endlich  führt  diese  Interpretation 
hier  noch  auf  die  höchst  unpassende  Vorstellung,  als  habe  Amor  wah- 
rend der  früheren  Periode,  wo  er  dem  Liebespaare  gram  war,  fortwäh- 
rend links  geniest  (sinistra  ut  ante  -  nämlich  sternuerat).  5)  In  den 
Worten  sinistra  ut  ante,  dextra  stemmt  mufs  der  unbefangene  Leser  ent- 
schieden auch  zum  ersten  Gliede  approbationem  ergänzen.  Verf.  hat 
zwar  später  (Wochenschr.  f.  kl.  Phil.  II  Nr.  4)  bemerkt,  zu  sinistra  sei 
nur  sternuit  zu  ergänzen:  'Amor,  ut  ante  sinistra  sinistrum  omen  dedit, 
nunc  dextra  sternuit  approbationem'.  Aber  wie  gekünstelt  ist  das!  Aus 
allen  diesen  Gründen  hält  Ref.  unbedingt  an  seiner  früheren  Erklärung 
fest.  Über  die  Wiederholung  des  Niesens  sagt  Verf.  selbst  S.  184 
Richtiges.  Noch  einmal  sei  übrigens  erinnert  an  68,  133  quam  cir- 
cumeursans  hinc  illinc  saepe  Cupido.  Auch  in  c.  45  umgaukelt  Amor 
scherzend  das  zärtliche  Paar  und  sendet  ihm  von  hier  und  dort  glück- 
verheifsende  Zeichen.  Welch  reizendes  Bild!  Unbegreiflicher  Weise  er- 
klärt jetzt  B.  Schmidt  Adn.  crit.  S.  CXVII  die  Stelle  wieder  für  korrupt. 

76.     A.   Zingerle,    Kleine    Philologische    Abhandlungen. 
IL  Heft.    Innsbruck.    1877.    127  S.    8.   —    III.  Heft.    1882.    82  S.    8. 

Der  unermüdliche  Gelehrte  behandelt  im  zweiten  und  dritten  Hefte 
seiner  gehaltvollen  Abhandlungen  (Heft  I  und  IV  liegen  zeitlich  aufser- 
halb  des  Rahmens  dieser  Berichte)  auch  verschiedene  Catull  und  Tibull 
betreffende  Fragen  —  mit  Nutzen  für  die  Sache  auch  da,  wo  Ref.  ihm 
im  Resultate  nicht  beistimmen  kann.  --  Im  ersten  Hefte  S.  22-30  war 
Verf.  für  die  Ansicht  Teuffels  eingetreten,  dafs  in  Tibull  II  2  der  wirk- 
liche Name  Cornutus  für  den  fingierten  Cerinthus  eingetreten  und 
auch  II  3,  1  Comutc  für  die  richtige  La.  zu  halten  sei  [ohne  Belang  ist, 
was  Knappe,  De  Tib.  1.  IV  elegiis  S.  7  dagegen  einwendet].  Er  hatte 
ferner  wohl  mit  Recht  darauf  hingewiesen,  dafs  IV  7  nicht  zu  den  eige- 
nen Briefchen  der  Sulpicia,  sondern  noch  zu  dem  Tibullischen  Lieder- 
kranze gehöre.   (Vgl.  dazu  R.  Ehwald  Ph.  Anz.  XV  593,    der  für  den 


Echtheil  dor  Sulpiciaelegieen     Zingerle  zu  Tib    1,  4,  54.  263 

Tibullischen  Ursprung  von  IV  7  auf  eine  sprachliche  Eigentümlichkeit 
hinweist,  den  Gebrauch  von  que  im  vierten  Verse.  S.  Leo,  Über  einige 
Eleg.  Tib.  S.  27).  In  Heft  II  S.  45-91  erfahren  wir  nun  ' Weiteres 
zu  den  Sulpiciaelcgieen  des  Tibullus'.  Um  den  Tibullischen  Ur- 
sprung von  IV  2  —  7  zu  erweisen  untersucht  Zingerle  den  Sprachgebrauch 
in  diesen  Gedichten  und  denjenigen  in  Tibull  I  und  II  (beide  Bücher 
unterscheiden  sich  sprachlich  nicht  unerheblich)  und  vergleicht  ihn  im 
Anschlüsse  an  die  Spezialuntersuchungen  von  Kleemann,  Lierse  u.  a.  mit 
dem  des  Lygdamus.  Wörter  wie  teuer,  sanetus,  celer  liebt  Tibull  auf- 
fallend, meidet  Lygdamus  ganz  oder  fast  ganz.  Im  ersten  Buche  herrscht 
qmcunque,  im  zweiten  qtdsquis  vor.  Mit  jenem  stimmen  die  Sulpicia- 
clegieen,  qui&quis  fehlt  bei  Lygdamus  ganz.  Zu  ähnlichen  Resultaten  führt 
die  Beobachtung  der  Verba  Impersonalia  pudet,  pi'get  etc.,  des  Gebrauchs 
der  Konjunktion  ät,  der  Wortanklänge  in  IV  2-7  an  die  Gedichte  un- 
bezweifelter  Echtheit.  [Bemängelung  von  Einzelheiten  bei  Birt,  De 
Hai.  Ov.  poet.  falso  adscr.  S.  194 f.]  Die  Sulpiciaelcgieen  sind  mehrfach 
von  Properz  nachgeahmt.  [  W.  Olsen  Comm.  phil.  Gryphisw.  1887 
S.  27 f.  vermutet  jetzt,  Properz  habe  auf  Tibull  Einflufs  ausgeübt]. 
Es  ist  klar,  dafs  dergleichen  Beobachtungen  nicht  entscheidend  sind:  der 
Verf.  von  IV  2—  7  konnte  eben  ein  begabterer  und  mit  Tibulls  Kunst  besser 
vertrauter  Nachahmer  sein  als  Lygdamus.  Aber  gegen  die  vorsichtigen 
Worte,  in  welche  Verf.  sein  Resultat  zusammenfafst,  wird  sich  nichts 
einwenden  lassen:  Weder  Sprachgebrauch,  noch  Metrisches,  noch  Berüh- 
rungen mit  anderen  Dichtern  geben  irgend  etwas  von  Bedeutung  gegen 
die  Echtheit  an  die  Hand,  vielmehr  findet  man  in  IV  2  — 7  gerade  die 
feineren,  einem  Nachahmer  fern  liegenden  Eigentümlichkeiten  Tibulls 
wieder. 

Im  dritten  Hefte  S.  16 f.  wird  Catull  45,  8  besprochen  und  für 
das  angeblich  verderbte  ut  ante  vermutet:  Hoc  ut  dixit,  Amor  sinistra 
abunde  dextram  sternuit  approbationem.  Ref.  vermag  dem  nicht  beizu- 
stimmen und  hält  die  Überlieferung  für  heil.  Vgl.  Jahresb.  d.  Philol. 
Ver.  IX  (Z  f.d.  G.W.  1883)  255f.  und  oben  unter  No.  75.  —  Tibull  I  4,  54 
nimmt  Zingerle  au  apta  Anstofs.  Denn  die  einzig  mögliche  Bedeutung 
von  oscvlu  apta  sei  nach  Epist.  Sapph.  13o  cbene  iuneta,  diu  durantia, 
lasciva',  und  diese  passe  hier  (vgl.  155  rapta  dabit  primo)  noch  nicht 
in  den  Zusammenhang:  er  wird  sich  sträuben,  aber  wenn  seine  Küsse 
apta  sind,  wird  er  sich  auch  wieder  nicht  sträuben!  Zingerle  stützt  sieh 
nun  darauf,  dafs  oscula  rapta  darc  sonst  immer  =  oscula  rapere  ist  (Ov. 
Am.  II  4,  26)  und  vermutet  ansprechend  apta  dabis.  Rapta  dabis  (für 
dabit).  Doch  möchte  Ref.  für  die  Oberlieferang  eintreten.  Apta.  bene 
iuneta  oscula  sind  solche,  welche  beiden  Teilen  zweckdienlich  scheinen, 
ihnen  zusagen,  erfreulich  sind.  Das  gilt  auch  vom  puer:  es  heifst  ja 
ausdrücklich  tum  tibi  mitia  frit.  Gerade  die  von  Zingerle  zitierte  Stelle 
Ov    a.  a.  I  665  pugnabit  primo  .  ,  .  pugnando  vinci  86  tarnen  illa  volel 


2(;4  Catullus'  Ged.  62  (Vorbilder     Elesponsion). 

(Vgl.  das  berühmte  facüi  sacvitia  nogat,  quae   posccnte  magis  gaudeat 
eripi  bei  Hör.  c.  II  12,  26)  spricht  für  die  Überlieferung.    Audi   führt 
die  Koiij.  doch  zu  Inkonvenienzen :  Bed  tarnen  apt&dabi*  hat  nach  raj 
tum  cara   licobit  oscula  keine  rechte  Pointe.    Und  für  dabü  in  .oö  for- 
dert doch  wohl  der  Gegensatz  offerei  die  eigentliche  Bedentang. 

77.  A.  Bonin,  UnterBuchungen  aber  das  62.  Gedicht  von 
Catull.  18  S.  4.  1885.  (Programm  des  Realgymnasiums  zu  Brom- 
berg). 

Das  erste  Kapitel  dieser  lesenswerten  Abhandlung  bespricht  das 
Verhältnis  des  c.  62  zu  den  griechischen  Vorbildern.  Abhängigkeit  von 
den  Hymcnäen  der  Sappho  wird  nicht  geleugnet,  obschon  die  Vcrgleichung 
der  vorhandenen  Fragmente  zu  keinem  sicheren  Ergebnisse  führt.  Rö- 
mischer Hochzeitsbrauch  wird  darin  erkannt,  dafs  man  sich  als  Schau- 
platz das  Haus  des  Bräutigams  zu  denken  hübe.  Trotzdem  heif^t  es 
gleich  nachher:  'Unser  Gedicht  macht  den  Eindruck,  als  habe  Catull 
die  schönsten  Gedanken,  die  er  bei  Hochzeitsliedern  doch  wohl  immer 
wiederkehren  sah,  losgelöst  von  allen  persönlichen  Beziehungen  zusammen- 
fassen wollen,  habe  dazu  die  Form  des  Wechselgesanges  gewählt  und 
sie,  so  gut  es  ging,  den  römischen  Hochzeitsgebräuchen  angepafst  .  .  . 
Unser  Lied  erinnert  entschieden  an  die  Art  und  Weise,  wie  Theokrit 
die  originellen  Wechselgesänge  der  sicilischen  Hirten  dem  überfeinerten 
griechischen  Publikum  mundgerecht  machte.«  [So  hat  man  auch  auf  die 
Ähnlichkeit  mit  Vergils  eclogae  verwiesen].  Das  Gedicht  ist  ein  phan- 
tastisches Gebilde  und  steht  mit  seinen  Voraussetzungen  nicht  auf  dem 
Boden  der  Wirklichkeit.  Trotzdem  ist  griechischer  Einflufs  in  Diktion 
und  Szenerie  unverkennbar.  Dafs  der  Vergleich  vom  Ulmbaume  und  der 
Rebe  49 — 58  nicht  römisch  ist,  wird  im  Anschlüsse  an  Leutsch  betont 
[vgl.  des  Ref.  Bemerkungen  Jahresber.  d.  Phil.  Ver.  XII  S.  197.  Viel- 
leicht setzte  Catull  dieses  Gleichnis  an  Stelle  des  Sapphischen  Fragm.  94, 
dessen  Sinn  Bonin  auf  S.  5  wohl  richtig  deutet].  Verwiesen  wird  noch 
passend  auf  das  Epigramm  des  Antipater  Sidonius  in  der  Anthologie  IX 
231.  —  Das  zweite  Kapitel  behandelt  die  strophische  Responsion.  Köchlys 
Restitutionen  (Akadem.  Reden  und  Vorträge  I  S.  192)  werden  zurück- 
gewiesen. Die  Lücke  von  einem  Verse  in  der  Strophe  39 — 47  ist  un- 
bestreitbar. Ebenso  zwischen  32-  33.  Verf.  denkt  sich  die  letztere  sehr 
grofs.  Da  das  erste  Strophenpaar  aus  je  fünf,  das  zweite  aus  je  sechs, 
das  dritte  uns  ganz  erhaltene  aus  je  elf  Versen  besteht,  so  schlägt  er 
vor  besagte  Lücke  durch  Strophenpaare  zu  sieben,  acht,  neun  und  zehn 
Versen  auszufüllen.  Diese  enthalten  zusammen  68  Verse.  Zieht  man 
davon  v.  32  als  den  Anfang  der  siebenzeiligen  und  33—38  als  Ende  der 
zehnzeiligen  Strophen  ab,  so  bleiben  61  Verse,  also  ein  Vers  mehr,  als 
uach  Lachmanns  Berechnung  auf  einem  Blatte  Platz  faud.  Nimmt  man 
den  Ausfall  eines  Verses  im  Archetypus  au,  so  ist  diese  Restitution  eine 


Strophische  Responsion  in  Catullus'  Ged.  62.  265 

Stütze  für  Lachmanns  Hypothese.  Die  letzte  Strophe  von  60  an  soll 
man  sich  von  den  Mädchen  gesungen  denken.  Ein  Vers  ist  ausgefallen 
etwa  des  Inhaltes:  »Wir  sind  besiegt  und  durchschaut  (vgl.  v.  37),  des- 
halb wollen  wir  nur  aufhören,  aber  du  weigere  nicht  u.  s.  w.«  Dann 
enthält  auch  diese  Strophe  neun  Verse,  sie  steht  in  schönster  Respon- 
sion mit  der  dritten,  und  der  Wechsel  zwischen  Knaben  und  Mädchen 
wird  nicht  unterbrochen.  So  ergiebt  sich  (wenn  man  die  erhaltenen 
Strophen  mit  deutschen,  die  ausgefallenen  mit  römischen  Ziffern  be- 
zeichnet)   folgendes  Schema: 

5.  5.-9.-  6:6.  1  +  VI :  VII.  VIII :  VIII.  IX  :  IX.  X  :  IV  +  6.  -  11  :  11.  9. 
Schwerlich  werden  diese  Versuche  viel  Beifall  finden.  Die  Res- 
ponsion (und  zwar  durchgeführte  Responsion)  darf  man  in  diesem  Ge- 
dichte freilich  nicht  verkennen.  Denn  da  wir  in  der  letzten  Strophe 
einen  Nachgesang  haben,  mufs  ihr  wohl  ein  Vorgesang  entsprechen, 
und  dies  ist  natürlich  die  dritte  Strophe.  In  der  Epodos  ist  also  ein 
Vers  ausgefallen.  Dann  sieht  dies  Verhältnis  in  Zahlen  ausgedrückt  so 
aus  (denlntercalaris  nicht  mit  eingerechnet)  4  :  4.  —  8.  —  5  :  5.  1  +  x  :  x-j-5. 
10  :  10.  —  8.  Weiter  wissen  wir  gar  nichts.  (Ziwsa,  Wiener  Studien  IV 
287,  dessen  Abhandlung  ßoniu  anscheinend  nicht  kennt,  leugnet  —  wohl 
mit  Unrecht  --  sogar  Responsion  der  dritten  und  letzten  Strophe,  ebenso 
Scholl.  Vgl.  oben  S.  195  und  255  )  Sodann  ist  in  keinem  Falle 
die  Epodos  von  den  Mädchen  gesungen,  in  deren  Munde  sie  geradezu 
frech  klingen  würde.  —  In  Bezug  auf  den  Bau  der  Verse  hebt  Verf. 
hervor,  wie  kunstvoll  Catull  die  Elisionen  auf  die  Versstellen  zu  be- 
schränken wufste,  wo  sie  am  wenigsten  störten,  auf  den  ersten  Choriam- 
bus und  den  vierten  Versfufs  (mit  drei  Ausnahmen:  45.  50.  56).  Für  sehr 
viele  Fälle,  wo  Wechsel  der  Cäsur  eintritt ,  ist  eine  bestimmte  Absicht 
nachzuweisen  (z.  B.  64,  146.  148.  141.  152.  21).  -  Den  Schlufs  bilden 
Bemerkungen  zu  einzelnen  Stellen.  Die  Art,  wie  Olympus  und  Oeta  in 
1  und  7  erwähnt  werden,  zeigt,  dafs  der  Dichter  sich  keine  bestimmte 
Gegend  als  Schauplatz  dachte.  Denn  Olympus  meint  den  Himmel  und 
Oetaeos  ignes  ist  geflügeltes  Wort,  | Richtig!  Die  Lokrer,  denen  wirklich 
der  Abendstern  über  dem  Oeta  aufging,  führten  den  Ilesperus  im  Wappen. 
Keyx,  der  Sohn  des  Lucifer,  wohnte  am  Oeta.  Kurz,  man  hatte  sich 
eben  gewöhnt,  den  Oeta  als  Wohnsitz  des  Gottes  zu  betrachten.  So 
ging  die  eigentliche  Bedeutung  des  Ausdrucks  oft  verloren.  Übrigens 
empfiehlt  Verf.  Statius'  Konj.  Oetaeaa  oblendü  .  .  umbras.]  In  v.  30  ist 
angeblich  hora  nicht  Stunde,  sondern  die  heitere,  Gaben  spendende  Göttin. 

78.    K.  P.  Schulze,   Zu    Catullus  N.  Jahrbb.   1882,   205-  214. 

Ellis'  Annahme,  der  Plural  Venerea  bei  Catull  3,  l  sei  durch  Assi- 
milation an  öupidineaque  zu  erklären  wird  gebilligt  und  durch  einige 
weitere  Parallelstellen  (Hör.  ep.  l,  3,  8.  11  l,  102.  Catull  15,  2)  ge- 
stützt.   |Doch  vgl.  Riese  z.  Sl.J.         Unter  Dia   bat  Bich  Catull  in  c  64 


266       Dia       Naxos.    Cat.  c,  <»i  nicht  Übersetzung  am  Kalüinachos. 

nicht  Naxos  vorgestellt  (trotz  Kallim.  frg.  163  iv  dfy,  rb  yhp  lirxe  -<i- 
Xalrepov  ouvojia  Nd£(p),  sondern  die  gleichnamige  kleine  Insel  nördlich 
von  Kreta.  Dafür  sprich!  angeblicb  besonders:  L)  Dia  ist  nach  Catull 
ein  kleines  ödes  Eiland  ohne  Bewohner  (vgl.  188.  152.  184.  187.  164. 
168-170).  2)  Wäre  Theseus  von  Kreta  über  NTaxos  nacb  Athen  zu- 
rückgekehrt, so  hätte  er  einen  bedeutenden  Umweg  gemacht-  3)  Auch 
das  kretische  Dia  stand  mit  dem  Dionysoskult  in  Verbindung  (Diony- 
siaden  heifst  bekanntlich  eine  Inselgruppe  hei  Kreta).  Ref.  i-t  durch  diese 
Ausführungen  nicht  überzeugt.  Gegen  l  ist  zu  sagen,  dafs  die  Klagen 
der  verstofsenen  auf  unbekanntem  Strande  zurückgelassenen  Jungfrau 
sich  ahsolut  nicht  für  die  geographische  Fixierung  der  Örtlichkeit  ver- 
werten lassen.  Lag  es  etwa  im  Interesse  der  das  eigene  Schicksal  Be- 
klagenden und  den  ungetreuen  Mann  Verwünschenden  die  Insel  als  wohl 
angebaut  und  von  freundlichen  Menschen  bewohnt,  kurz  als  ganz  ange- 
nehmen Aufenthaltsort  zu  schildern?  Der  zweite  Grund  ist  kaum  ernst 
zu  nehmen.  Catull  wird  beim  Schreiben  doch  nicht  den  Atlas  antiquus 
vor  sich  gehabt  haben!  Dafs  in  der  ältesten  Form  der  Ariadnesage  das 
kretische  Dia  figurierte,  ist  möglich.  Ein  direktes  Zeugnis  dafür 
existiert  jedoch  nicht ,  alle  alten  Schriftsteller  verlegen  vielmehr  den 
Schauplatz  auf  Dia  =  Naxos,  vgl.  Stoll  s.  v.  Ariadne  in  Boschers 
Lexikon.  Namentlich  über  die  Auffassung  der  römischen  Dichter  kann 
kein  Zweifel  sein.  Wenn  z.  B.  Ovid  Met.  III  636  sagt  ivaajon,  ait 
Liber,  cursus  advertite  vestros.  illu  mihi  domus  est,  wenn  es  dann  ebd. 
690  heifst  Diamque  tene,  und  wenn  man  damit  verbindet  VIII  174  pro- 
tinus  Aegides  rapta  Minoidc  Diam  vela  dedit ,  so  kann  man  sich  einen 
zwingenderen  Beweis  kaum  denken.  Ovid  setzt  ausdrücklich  Dia  =  Naxos, 
nach  Dia  läfst  er  den  Theseus  mit  der  Ariadne  von  Kreta  segeln,  und 
läfst  sie  hier  von  Theseus  verlassen,  von  Bacchus  gerettet  werden.  Das 
durch  Dionysoskult  hochberühmte  Naxos  galt  allgemein  als  Schauplatz 
der  Ariadnesage.  Verstand  also  Ovid  unter  Dia  nicht  Naxos,  so  mufste 
er  das  zu  erkennen  geben.  Die  Form  Dia  für  Naxos  scheint  bei  den 
Alexandrinern  beliebt  gewesen  zu  sein  (vgl.  das  citierte  Zeugnis  des 
Kallimachus),  darum  gab  ihr  Catull  den  Vorzug.  Das  Bewufstsein  sich 
unklar  ausgedrückt  zu  haben,  konnte  ihm  gar  nicht  kommen,  da  er 
wie  alle  römischen  Dichter  keinen  andern  Schauplatz  der 
Sage  kannte  als  eben  Dia  =  Naxos. 

Beistimmen  darf  man  dagegen  dem  zweiten  Hauptteile  des  Auf- 
satzes: c.  64  ist  nicht  wie  Riese  früher  glaubte  [Rh.  Mus.  1866,  468f., 
vgl.  aber  jetzt  Rieses  Ausg.  S.  154]  aus  Kallimachus  übersetzt. 
Es  ist  ein  selbständiges  Werk  Catulls,  nach  alexandrinischer  Art  ge- 
dichtet, aber  mit  Reminiszenzen  aus  Homer,  Euripides,  Theokritos,  Apol- 
lonios  und  Euphorion.  Dies  wird  durch  eine  Reihe  von  Parallelstellen, 
die  noch  nicht  alle  bekannt  waren,  nachgewiesen.  Zu  66,  16  carmina 
Baltiaäae  vgl.  auch  Süfs  Catulliana  S.  16. 


Litteratur  von  Catulls  Gedicht  64.  -_'67 

An  den  eben  besprochenen  Aufsalz  knüpft  vielfach  folgende  Ab- 
handlung an: 

79.  K.  Cumpfe,  Exegeticke  piispevky  k  64.  basui  Catullove.    Listy 
filologicke  a  paedagogicke.  IX,  3  u.  4,  S.  269-286. 

Eine  genaue  Inhaltsangabe  dieser  exegetischen  Beiträge  zum  64.  Ge- 
dicht steht  Phil.  Wochenschr.  1883  Sp  429  430.  Aus  ihr  ist  mit  ver- 
schiedenen Abkürzungen  das  folgende  Referat  entnommen.  —  Gegen 
Riese,  der  früher  c.  64  für  eine  Übersetzung  eines  verlorenen  Gedichtes 
von  Kallimachos  hielt,  wird  Haupts  Ansicht,  dafs  dieses  Gedicht  ein 
selbständiges,  den  Alexandrinern  nach  Form  und  Inhalt  nachgebildetes 
Produkt  des  römischen  Dichters  sei,  verteidigt.  Denn:  l)  Der  Plural 
carmina  66,  16  kann  von  einem  einzigen  Gedichte  gelten.  2)  Die  von 
Riese  angeführten  Fragmente  des  Kallimachos  haben  keine  grofse  Ähn- 
lichkeit mit  den  angeblich  entsprechenden  Versen  Catulls.  3)  Viele 
Stellen  in  c.  64  sind  deutliche  Nachbildung  anderer  Dichter.  —  In23b 
wird  ergänzt  salvete,  beati.  Die  dreifache  Wiederholung  des  salvete  wird 
durch  Hinweis  auf  Theokr.  20,  4;  17,  3.  Kallim.  hymn.  Jov.  91  f..  Ca- 
tull  63,  12 f. ;  Ciris  195 f.  gestützt.  -  In  v.  24  wird  das  zweite  vos  durch 
Analogieen  wie  Ciris  407.  Catull  63,  91.  21.  63.  69  verteidigt.  Zu 
v.  52  wird  gegen  K.  P.  Schulze  (s.  oben)  die  Identität  der  Insel  Dia 
mit  Naxos  behauptet.  In  243  ist  infecti  zu  lesen.  —  In  320  verdient 
Fruters  Konj.  vellentes  vellera  Beifall.  Beispiele  der  mit  der  figura  ety- 
mologica  verbundenen  Alliteration  sind  auch  bei  Catull  nicht  selten,  wie 
7,  9;  14,  3;  40,  7;  61,  113;  81,  6;  110,  4  [Aber  keins  dieser  Beispiele 
findet  sich  freilich  in  dem  kunstvoll  gefeilten,  gräzisierenden  c.  64]. 
Andere  Beispiele  von  Alliteration  aus  dem  63.  und  64.  Gedicht  werden 
aufgezählt.  —  64,  14  Schraders  freu  canenti  e  gurgite  für  richtig  er- 
klärt, obwohl  v.  18  wiederum  steht  e  gurgite  cano.  Als  Beispiele  der- 
artiger Wiederholungen  bei  Catull  citiert  Verf.  64,  27  und  29.  32  und  37. 
4,  6  und  7.  68,  42.   — 

Ref.  registriert  zum  Schlüsse  dieses  Kapitels  noch  eine  Reihe  von 
Beiträgen,  die  ganz  oder  überwiegend  der  Emendation  einzelner 
Stellen  gewidmet  sind  Natürlich  konnte  nicht  jede  raifslungene  Ver- 
mutung als  solche  charakterisiert  werden.  Aus  seiner  Überzeugung,  dafs 
die  moderne  Konjekturalkritik  im  Catull  und  im  Tibull  vollständig  Schiff- 
bruch gelitten  hat  (nur  ganz  wenige  Vorschlage  sind  überhaupt  disku- 
tabel), macht  Ref.  übrigens  kein  Hehl. 

80.  II.  A.  J.  Munro,   Criticisms  aod  elueidations  of  Ca- 
tull us.    Cambridge.    1878.    VIII.  und  243  8.   8. 

Umfangreiche  Partien  dieses  Buches  sind  unveränderte  Abdrücke 
von  Aufsätzen,  die  Verf.  früher  im  Journal  of  Philologe  veröffent- 
licht hatte:    so   die  Bemerkungen  zu  c.  2.  4.  22.  29.    Jedem  von  ihnen 


208  Munro,    Criticisnis  and  elucidationfl  ot  Catullus. 

folgen  anhangsweise  Zusätze  und  Besserungen,  die  dem  Verf.  nachträg- 
lich besonders  durch  die  Publikation  von  Ellis1  Catullkommentare,  (auf 
den  fortlaufend  berichtigend,  ergänzend,  zustimmend  Rücksichi  genom- 
men wird),  notwendig  erschienen.  Das  Ganze  bat  dadurch  ein  <'twas 
buntscheckiges  Aussehen  erhalten.  Alles  Wertvolle  in  diesen  Ausfüh- 
rungen (man  findet  nicht  eben  viel)  ist  inzwischen  den  Kommentaren  von 
Riese  und  Bachrens  zu  gute  gekommen.  Ref.  begnügt  sich  daher  mit 
einer  kurzen  Inhaltsangabe  und  sieht  von  jeder  Polemik  ab.  I  Kinige 
sachliche  Gegenbemerkungen  s.  Jahresb.  d.  Phil.  Ver.  V  314—317).  — 
Die  Introduction  behandelt  die  Handschriftenfrage  im  Sinne  von 
Baehrens:  0  und  G  sind  die  beiden  einzigen  direkten  Abschriften  von  V. 

—  c.   1  Bergks  Konj.   qualecumque   quidem  patronei  ut  ergo  empfohlen. 

—  c.  2,  8  —  9  lies:  credo  ut,  cum  gravis  acquicscet  ardor,  sit  solaciolum 
sui  doloris.  -  -  c.  4  Polemik  gegen  Westphals  Erklärungsversuch  und 
kritische  Bemerkungen  über  Einzelheiten  z.  B.  v.  20  vocaret  aura  [Vgl. 
oben  S.  170  und  Th.  Bergk  Kl.  Sehr.  I  297  Anm.|.  -  c  G,  6—7  inter- 
pungiert:  noctes  —  ncquiquam  tacitum  —  cubile  clamat  ( tnritum  is  not  an 
adjeetive  here,  but  the  passive  participle').  v.  12  lies:  Mani,  stupra 
vales  nihil  tacere.  —  c.  10.  Nach  cohorti  in  v.  10  mit  einem  Punktum, 
nach  referret  iu  v.  11  mit  einem  Fragezeichen  interpungiert.  v.  27  lies: 
'  meminei  inquio.  —  c.  12,  8 — 9  leporum  ducentum  puer  coli.  Hör.  c.  IV 
1,  15  centuni  puer  artium.  c  Ducentum  may  bei  either  tbe  gen.  plural, 
which  oecurs  also  in  Varro:  or  eise  the  indecliuable  Ducentum,  which 
is  fouud  in  Lucilius'.  Polemik  gegen  Ellis'  Datierung  der  Reisen 
des  Veraunius  und  Fabullus.  —  c.  21,  11  lies:  a  te  mei  puer  coli.  77,  3. 
[Vielleicht  richtig.  Dieselbe  Konfusion  Ov.  Met.  XI  701].  —  c.  22,  7 
nach  membranac  ein  Punktum.    [Vgl.  oben   S.  257.]     v.   13   lies:   tersius. 

—  C  25 ,  5  conclave  com  vicarios  oder  cum  Diva  mi  vicarios  oder  Cum 
Diva  iam  vicarios  oder  Cum  diva  Murcia  atrieisU  [Vgl.  Postgate  Trans,  of 
the  Cambridge  Phil.  Soc.  I  1:  mm  Murcia  atriarios].  —  c.2  9.  Mau  mufs  die 
Schmähungen  gegen  Cäsar  und  seinen  Günstling  nicht  allzu  ernst  nehmen. 
[Doch  vgl.  v.  Leu  t  seh  Phil.  41,  283].  Sie  stehen  etwa  auf  einer  Linie  mit 
jenen  Spottversen  in  Triumphliedern  der  Soldaten:  Gallias  Caesar  subegit, 
Nicoraedes  Caesarem  und  Urbaui,  servate  uxores,  moechum  calvum  ad- 
dueimus.  In  v.  20  lies:  Et  huiene  Gallia  et  metet  Britannia.  [metit  jetzt 
B.  Schmidt].  Iu  24  lies:  eone  nomine,  urbis  ob  luem  ipsimae  (d.  h.  ob 
Mamurram,  istam  pestem  dominae  urbis).  —  c.  30.  Alle  Umstellungen 
sind  abzuweisen.  In  v.  4  steht  nee  altertümlich  für  non  (Munro  zu 
Lucr.  II  23).  Nach  placent  ist  ein  Punktum  zu  setzen,  v.  5  — 6  so  zu 
verbinden:  quom  (V  que)  .  .  in  malis ,  eheu  (Baehrens  im  Kommentare 
z.  St.  hält  diesen  Vorschlag  für  richtig;  doch  vgl.  R.  Richter  Catulliana 
S.  5  not.).  —  31,  13  lies:  vosque,  o  vividae  lacus  undae.  —  37,  10  vobis 
frontem  tabernae  pusionibus  scribam.  Vobis  zu  pusionibtts  als  Ablativ  : 
'  both  with  their  names  and  caricatures  of  their  persons'.  —  42,  16  —  18 


Munro,  Criticisms  and  elucidations  of  Catullus.  269 

quod  si  non  aliud  pote,  ut  ruborem  .  .  .  ore,  conclamate.  —  45,  8  lies: 
manu  sinistra  oder  sinister  astans.  Ersteres  gebilligt  von  Palmer  Her- 
math. VI  335.  —  c.  54.  Das  Gedicht  ist  weder  lückenhaft,  noch  aus 
mehreren  Fragmenten  zusammengesetzt.  In  v.  1  —  2  lies:  Othonis  caput 
(oppido  est  pusillum)  et,  trirusiice,  semilauta  crura.  Zu  si  non  omnia  in 
v.  4  wird  verglichen  Cic.  pr.  Sest.  §  7  Lucr.  III  406.  II  1017.  Lucil  I 
33  Mueller.    Cic.  epist.  XVI  24,  1.  —  55,  9  lies:   sie  usque  flagitabam. 

—  c.  59,  1.  Entweder  Bonouiensis  rufet  rufulum  fellat  uxor  Meneni  (nicht 
Rufa  Rufulum)  oder  Rufum  anus  fellat.  —  c.  61.  Die  Annahme  von 
Lachmann— Haupt ,  dafs  die  Strophe  oder  Perikope  aus  zwei  Perioden 
bestehe,  von  denen  die  erste  drei,  die  zweite  zwei  Kola  umfasse,  ist  ab- 
zuweisen. Denn  es  sei  nicht  richtig,  dafs  einige  Male  (vgl.  darüber 
Haupt  opusc.  I  18—19)  die  Freiheiten  des  Versschlusses  (Hiatus  und 
syllaba  aneeps)  sich  fänden.  Die  <jüvd<psta  sei  durchgeführt.  Den  von 
v.  121  an  scheinbar  auftretenden  Hiatus  müsse  man  beseitigen,  indem  man 
das  überlieferte  einsilbige  io  vor  Hymen  wieder  einführe.  Die  kurze 
Silbe  in  omnibus  223  beweise  nichts:  entweder  habe  Catull  us  einfach 
laug  gebraucht  cas  Virgil  has  so  often  done  with  -  ?/*'(!!),  oder  eine 
der  Konjekturen  obvüs  resp.  advenis  treffe  das  Richtige.  —  63,  9  typa- 
num  ac  typum  Cybelles.  —  63,  74  sonus  excitus.  —  63,  75  deae  tarn  ad 
auris  nova  nuntia  d.  h.  tidings  so  stränge  and  novel'.  —  64,  61  lies: 
illac  (quaque  alia?).  —  64,  23 b  salvete  iterumque  iterumque,  bonorum.  — 
64,  109  lateque  comeis  obit.  —  64,  273.  Für  das  levitergue  sonant  in  0 
wird  Senec.  Ag.  680  verglichen.  —  66,  9.  Mit  Verschmähung  des  Da- 
tanus  SO  ergänzt :  numquam  ego  te  primae  mihi  ademptum  in  flore  iuventae. 

—  66,  15  an  quod  avenhim.  —  c  67.  In  ausführlicher  Darlegung  ver- 
sucht Munro  nachzuweisen,  das  Gedicht  sei  cquite  simple  and  intelli- 
gible'.  v.  12  verum  astu  populi  ianua  quippe  facit.  —  c.  68.  'Nearly 
every  commentator  of  Catullus  is  now  agreed  that  this  68 th  poem  forms 
two  entirely  distinet  poems,  addressed  respectively  to  two  quite  different 
persons,  1  —  40  to  a  Manlius,  41  —  160  to  an  Allius'.  Manlius  schrieb 
an  Catull  nicht  von  Rom,  sondern  von  Baiae  aus.  In  v.  27  liest  Munro 
daher  (mit  codd.)  Catidle,  in  v.  29  tepefecit.  v.  65  implorald  ist  angeb- 
lich nom.  sing.  v.  75  ineepto  a!  frustra.  v.  91  quae  taetrt  id.  v.  157 
nobis  te  et  eram  dedit  Afer.  Im  Anschlüsse  an  c.  68  handelt  ein  be- 
sonderer Abschuitt  über  Lesbia  (S.  194—202).  Munro  tritt  sehr  ent- 
schieden für  die  Identität  von  Lesbia  mit  Clodia  quadrantaria  ein,  ohne 
neue  Momente  vorzubringen.  Erwähnt  sei  der  Hinweis  auf  die  Sera- 
pronia  bei  Sali.  Cat.  25  und  Augustus  Tochter  Julia.  —  c.  71,  1—2 
' Siqua  iure  bono  sacer,  >>  Rufe,  obstitit  hircus  aut  siqua  merito  tarda  Po- 
dagra secat  (siqua  =    in  any  way').  —  c.  73,  4  iam  iuvati  immo  etiani. 

—  76,  5  manent  iam  in  longa,  v.  io  cur  te  iam  a!  amplius.  —  Zu 
92,  3  totidem  nun  wird  auf  Hör.  sat.  II  3,  298  7erwie8en.  —  95,  3  —  4  //</- 
trianns   in  uno  veratculorum  aimo  putidua  evomuü  (llatrianus  =s ' t he  native 


270  Catull.   Hiiiiiit,"-  zur  Kritik  und  Erklärung  (Pulmei 

of  Batria '  ist  Volusius).  1 1  o,  8  tu,  promisisti  mihi  guod.  v.  7  frau- 
dando  est  fviru  —  plus  (|iiiini  meretricis  avarae.  The  asyodeton  seems 
here  emphatic:  est  furis  -  |cst,  inquam,]  plus  quam  <:et.'  -  114,  3 
aueupia  omne  genus,  piscis.  v.  •;  modo  ist  Ablativ  (doppelsinnig:  l)  in 
der  hei  »Jen  Grammatikern  Üblichen  Bedeutung,  ~±)  —  ratio,  moderatio). 
-  115,  1  Mentula  haltet  tonai.  v.  U  cetera  sunt  nemoris.  v.  4  tot  qui 
in  saltu  uno  commoda  possideat.  v.  7  tarnen  i|>^:-»t  maximus  ut  re  nou 
liomo,  sed  vero.  Eine  gut  geschriebene,  ästhetisch- litterarische  Pa- 
rallele   Catullus  and   lloraee'  bildet  den  Schlaft  des   Bnche8. 

81.     A.  Palmer,    Ellis's    Catullus,    Ilcrmathena    VI    (1879), 
293-3G3. 

Aufser  einer  lobenden  Besprechung  von  Ellis'  Werke  (die  Behaup- 
tung auf  S.  363,  das  luscheinen  von  dessen  erstem  Bande  bezeichne  eine 
neue  Ära  für  Catull,  läfst  sich  schwerlich  aufrecht  halten )  bietet  der 
Aufsatz  kritische  und  exegetische  Bemerkungen  in  grofser  Zahl.  Die 
Polemik  des  Verf.  richtet  sich  vielfach  gegen  Munro,  dessen  Criti- 
cisms  and  Elucidations  er  sich  formell  zum  Muster  genommen  hat. 
Unter  den  folgenden  Konjekturen  befindet  sich  manches  geistreich  Er- 
dachte, aber  keine  sichere  Emendation.  Von  der  neueren  deutschen 
Litteratur  über  Catull  kennt  Verf.  sehr  zu  seinem  Schaden  aufser  B  a eh- 
ren s'  Ausgabe  anscheinend  gar  nichts.  —  c.  1.  Sehr  plausibel  ist  die 
ungefähr  gleichzeitig  von  Vahlcn  in  den  Hauptschen  Text  eingeführte 
Interpunktion  hinter  libelli.  Geführt  ward  Palmer  auf  diese  Änderung 
durch  Munro  z.  St.,  besonders  durch  die  dort  citierten  Stellen  Tac. 
Ann.  XIV  55.    Martial  V  60,  5.  —  c.  2,  5-11: 

Cum  desiderio  meo  nitenti 

Carum  uescio  quid  übet  iocari 

Et  solaciolum  sui  doloris 

Cordt  est,  cum  gravis  acquiescit  ardor, 

Tecum  ludere  sicut  ipsa  possem, 

Et  tristis  animi  levare  curas! 

Gratum  sit  mihi  quam  ferunt  puellae  sq. 

Zwischen  dolor  und  ardor  sei  nach  Munros  Vorgange  scharf  zu 
unterscheiden.  —  c.  4  Bemerkungen  ohne  Belang.  —  c.  6,  11  neun  ista 
stupra  valet  nihil  tacere.  —  8,  14  —  15  cum  rogaberis  nullä,  Scelesta, 
■nocte  mit  Scaliger.  Offenbar  unrichtig.  Die  Änderung  setzt  anstatt  des 
exquisiten  nülla  (vgl.  Beiger,  M.  Haupt  S.  95)  das  platte  mala  nocte, 
führt  das  hier  unangemessene  nocte  ein  und  zerstört  vor  Allem  das  fol- 
gende quae  tibi  manet  vita.  —  c.  10  Unerhebliches.  —  c.  11,  11  horri- 
bilesque  vitro  inusque  Britannos  mit  Beziehung  auf  Caes.  b.  g.  V  14  und 
die  Variante  Vitimosque  in  0.  Sehr  unglücklich:  ultimosque  ist  nicht  nur 
tadellos,  sondern  hier  absolut  notwendig,  wo  die  äufserste  Grenze  des 


Catnil.    Beiträge  z>ir  Kritik  und  Erklärung  (Palmer).  271 

bekannten  Erdkreises  bezeichnet  werden  soll  (vgl.  das  Fortschreiten  in 
Alpes,  Rhenum,  aequor,  Britannos).  —  12,  9  leporum  disertus  puer  ac 
facetiarum  wird  (doch  mit  Bedenken)  übersetzt  '  the  eloquent  child  of 
pleasantry  and  wit'  und  auf  21,  1  pater  esurilionum  verwiesen.  —  14,  14 
continuo  ist  Adj.  —  22,  7  membranae  mit  codd.  und  Munro,  danach  ein 
Doppelpunkt.  In  v.  13  wird  trüius  richtig  verteidigt  durch  Hinweis  auf 
Cic.  fam.  IX  16,  4  und  das  griechische  rpißat ,  rpc/x/ia,  mpczpc/ifjLa.  — 
25,  5  Simul  Laverna  vemulas  ostendit  oscitantes  oder  Convivium  simul 
viros  o.  o.  —  36,  10  Jocosis  lepide  vovere  divis.  —  46,  11  diverse  maria 
et  viae  reportant.  An  den  citierten  Stellen  Hör.  c.  II,  6,  7  und  Epist.  I 
11,  6  bedeutet  mare  neben  viae  in  ganz  anderem  Sinne  die  Mühsale  und 
Gefahren  des  Meeres  und  der  Seefahrt.  Die  einem  maria,  reportant  ali- 
quem  zu  Grunde  liegende  Vorstellung  hätte  vielmehr  erst  belegt  werden 
müssen.  Am  nächsten  kommt  wohl  Tibull  II  6,  3  seu  longa  virum  terrae 
via  seu  vaga  dueent  aequora,  aber  auch  hier  werden  die  aequora  durch 
den  scharfen  Gegensatz  terrae  via  viel  deutlicher  als  Strafse  bezeichnet. 
—  38,  6  Sic  meos  amarel  'Is  it  thus  tliat  my  friends  love  rae!'.  — 
41,  1  In  dem  Ameana  der  codd.  steckt  kein  Eigenname,  neben  dem 
puella  stören  würde.  In  v.  8  wird  Fröhlichs  aes  imaginosum  durch  Gell.  XVI 
18,  3  ut  speculum  in  loco  certo  positum  nihil  imaginet'  gestützt.  — 
44,  20  Zum  frigus  Sestianum  cf.  Arist.  Acharn.  138 f.  —  An  lesens- 
werte metrische  Bemerkungen  über  die  Galliamben  in  63  reihen  sich 
einige  kritische.  Wegen  des  Jonicus  a  minore  ist  in  18  zu  lesen  conci- 
tatia  [so  bereits  ItalüJ,  in  53  opaca,  in  60  guminaaiis.  Vgl.  übrigens 
L.  Müller  praef.  ed.  S-  XXV.  64,  16  illac  aequalis    viderunt,    coli. 

Verg.  Georg.  IV  460.  Ciris  435.  Aber  welche  unmögliche  Syntax: 
aequalis  marinas  nudato  corpore  nymphas  extantes!  21  suasit.  23''  sal- 
vete  herum,  sah-ete,  bonorum.  So  hat  aber  längst  Peerlkamp  vermutet. 
Vgl.  übrigens  den  Ref.  in  N.  Jahrbb.  1876,409.  24  ma-»  statt  meo  [!].  119 
quae  misera  in  gremio  gnatam  deperdita  alebat.  Aber  das  absolute  deperdita 
ist  unmöglich  und  braucht,  um  verständlich  zu  sein  eben  den  Zusatz  in 
gnata.  Übrigens  verdirbt  die  Konj.  den  schönen  Gegensatz  misera  .  .  laeta- 
batur,  den  Lachmanns  glänzende  Emeudation  herstellt.  120-122:  amorem, 

Atthide  vecta  rati  spumosa  ad  litora  Diae? 
Aut  ut  eam  Dia»  devinetam  sq. 

184  praetcrea  nullo  colitur  sola  insula  tecto,  coli.  Her.  X  59.  97.  [Aber 
welche  Redeweise  ist  insula  colitur  tecto!]  —  Ganz  interessant,  obwohl 
von  Irrtümern  nicht  frei,  sind  Palm  er  s  Betrachtungen  über  c.  68.  Er 
ist  von  der  Einheit  des  Gedichtes  überzeugt;  mitunter  u.  I>-  S.  3»7» 
stimmt  er  fast  wörtlich  mit  der  Abhandlung  des  Ref.  N.  Jahrbb.  i ^ 7 r. 
S.  849 f.  übercin,  obgleich  er  sie  anscheinend  oichl  kennt.  Aber  da  er 
ohue  jeden  Grund  in  dem  angeredeten  Freunde  den  Maulius  Tor- 
quatus  aus  61  und  in  dem  teetua  caeleba  in  v.  6  einen  Hinweis  aut  den 


272  Catull.     Heitrage  zur  Textkritik   (Palmer,  Postgate). 

Tod  der  Viuia  sieht,  so  verwickelt,  ersieh  in  unlösbare  Schwierigkeiten. 
Er  vermutet,  der  Name  All  ins  im  zweiten  Teile  von  v.  41  an  sei  ein 
absichtlich  gewähltes  Pseudonym  fürManlius  im  ersten  Teile  (S.  :mh). 
Nur  der  zweite  Teil  sei  nämlich  zur  Veröffentlichung  bestimmt  gewesen; 
Manlius  habe  ja  doch  schwerlich  gewünscht,  dafs  die  Welt  von  seiner  Kappler- 
rollc  bei  dem  Liebespaare  Catull  und  Lesbia  erfahre.  Den  hiermit  im 
Widerspräche  stehenden  v.  155  versucht  Palmer  so  zu  erklären,  dafia 
tua  vita  lediglich  Umschreibung  von  te  sei:  so  habe  ja  auch  Catull  das 
kallimacheische  t^v  re  xdprjv  aj/xooa  <toi>  te  ßlov  durch  adiuro  tequt  tu- 
umque  Caput  wiedergegeben.  Jeder  der  den  Vers  unbefangen  liest,  sieht, 
dafs  diese  Deutung  unrichtig  ist,  ebenso  wie  im  folgenden  Verse  die 
Konj.  dominae  (' our  ladies,  your  Aurunculcia,  my  Lesbia').  Aber  schön 
und  von  poetischem  Verständnis  zeugend  ist  die  allgemeine  Würdigung 
des  herrlichen  Gedichtes,  die  den  Schlufs  macht.  —  77,  G  Vitae,  heu 
non  verae  pectus  amicitiae  '  0  thou  who  art  the  cruel  poison  of  my  life, 
and  not,  a|s  I  once  thougbt,  a  heart  of  faithful  friendship'.  Unrichtig, 
wie,  abgesehen  von  Anderem,  schon  die  Einschwärzung  der  gesperrt  ge- 
druckten Worte  zeigt.  —  83,  6  uritur  et  queritur  [!].  —  88,  7  quiequam, 
unrichtig.  —  66,  59  Ellis'  iuveni  Ismario  mit  Recht  bekämpft,  statt  solum 
sei  sola  [so  früher  G.  Hermann]  zu  lesen.  77  quicum  ego  dum  virgo 
quondam  fuit  omnibue  et  spes  coli.  Ov.  Metam.  IX  10,  obwohl  gleich  darauf 
zugegeben  wird,  dafs  diese  Stellung  des  et  uncatulliscb  sei.  —  100,  6 
perspeeta  est  igni  tum  coli.  Cic  post  red.  IX  23  amicitias  igne  per- 
speetas.  Unrichtig  wegen  der  Elision  des  Flickwortes  tum.  —  114,  6 
dum  modo  homo  ipse  egeat.  Darauf  spiele  an  das  non  homo  im  letzten 
Verse  von  115:  CI  called  him  contemptuously  homo;  but  after  all,  that 
is  not  true  appellation '.  —  115,  7  maximus  auetor.  'Auetor  meant  the 
person  who  had  the  right  to  seil  a  thing;  bence  the  legal  owner'. 

82.  J.  P.  Postgate,    Catulliana,    Muemos.  N.  S.  XIV   (1886), 
433-439. 

Verf.  behandelt  folgende  Stellen.  2,  8  credit  [mit  Änderung  von 
cum  in  tum?].  —  6,  10  cassa.  cTremere  lectum  C.  dicit  etiam  tum  cum 
nulla  sit,  quae  quidem  cernatur,  tremendi  causa.  Hie  lectuli  motus  Om- 
nibus cassus  esse  videtur,  illo  excepto  qui  veram  eius  causam  intellexit1. 
Unrichtig:  cassus  heilst  gar  nicht  'grundlos'  oder  'unmotiviert'.  Der 
Gedanke  ist,  wie  die  vorhergehenden  Verse  zeigen,  hier  fremdartig  und 
unpassend.  Die  Überlieferung  ist  heil,  c  29,  20  hüicne  Galliae  ultima 
et  Britanniae  d.  h.  huiene  Galliae  et.  Britanniae  praeda  ultima  conce- 
detur?  —  29 ,  23  urbis  o  putamina  =  xaftäppaza,  coli.  Non-  2,  685. 
Curt.  10,  2).  —  61,  224-225  (217)  pudicitiam  suo  matris  indicet  ore. 
[Aber  220  sit  suo  similis  patrü]  —  62,  22  complexum  matris  retinentem. 
—  64,  11  illa  rüdem  cursu  prora  inbuit  Amphitritem.  [Aber  ohne  prima 
bat  der   Vers   gar   keinen   Sinn.     Über   das   Paläographische   vgl.  jetzt 


Catull.   Beiträge  zur  Textkritik  (Cumpfe,  Markland).  273 

Schwabe  z.  St.)-  —  110,  3  mihi  quod  mentire,  inimica  es.  —  Interessant 
sind  Postgates  Bemerkungen  zu  c.  115.  In  v.  7  ist  nach  maximus  zu 
interpungieren,  für  das  verderbte  ultor  zu  schreiben  alter  (so  jetzt  auch 
Schwabe)  und  mit  dem  folgenden  non  homo  zu  verbinden.  Catull  spielt 
auf  den  bei  Sacerdos  überlieferten  Spottvers  (Keil  VI  S.  461)  auf  Pom- 
pejus  an  cquem  non  pudet  et  rubet,  non  est  homo  sed  ropio'.  Also: 
'Innuit  Catullus  Mamurram  tantum  apud  Pompeium  Magnum  gratia  va- 
lere  ui  ipse  alter  Magnus  sit,  cum  acerbissima  idem  amborum  irrisione 
qui  non  homines  sed  mentulas  magnas  appellet'.  Dadurch  wird  angeb- 
lich auch  die  Übertreibung  in  5—6  erklärlich:  'terrarum,  puto,  dominos 
quosdam  tangebat,  Europae  atque  Asiae  victores'.  Aber  freilich  ent- 
stehen nun  wieder  neue  Schwierigkeiten !  In  dem  minax  sucht  Verf.  offenbar 
zu  viel.  Catull  vergleicht  die  mentula  magna  mit  einer  drohenden  Waffe, 
vgl.  56,  6  rigida  mea  cecidi. 

83.  K.  Cumpfe,  Kriticke  a  exegeticke  prispevky  ke  Ca- 
tullovi.     Listy  filologicke  a  paedagogicke.  1883  (III  a  IV),  183—202. 

Auf  eingehende  Besprechung  dieses  Aufsatzes  mufs  Ref.  bei  seiner 
Unbekanntschaft  mit  der  Sprache  verzichten.  Der  Verf.  behandelt  fol- 
gende Stellen:  Catull  51,  besonders  v.  2  superare  divos  (coli.  Prop.  II 
14,  9.  Anth.  Pal.  V  94,  3-4),  6-7,  9-12  (coli.  Lucr.  III  155.  Hör. 
carm.  I  13,  5),  13—16  (coli.  68,  103.  Ov.  Rem.  139 f.);  c.  1,  besonders 
v.  2  arido  pumice,  v.  8  — 9  quidquid  hoc  libelli  qualecumque  (coli.  Priap.  2,  9. 
Martialis  III  1,  1.  I  70,  17.  VII  26,  3  Hör.  sat.  I  10,  88.  Stat.  Silv.  II 
praef.  25.  Lucr.  III  l,  135.  Ov.  a.  a.  II  283  —  284.  Paneg.  Mess.  24. 
Phaedr.  III  prol.  27).  In  v.  9  wird  anscheinend  statt  o  patrona  virgo 
vermutet  o  patrone  vere.  Es  folgen  Bemerkungen  zu  55,  6  —  13.  Zu 
v.  11  vermutet  Verf.  anscheinend  mundum  sinum  reducens. 

84.  A.  Stachelscheid,   Unedited    conjectures   of  Mark- 
land.   Hermathena  VII  (1881)  153-156. 

Markland  hatte  Vermutungen  zu  Catull  und  Tibull  an  den  Raud 
einer  (nicht  näher  bezeichneten)  Pariser  Ausgabe  der  Elegiker  von  1723 
(in  dem  betreffenden  Exemplare  fehlte  jedoch  Propertius)  beigeschrie- 
ben. Der  Herausgeber  bemerkt  dazu:  'Exemplar  istud  nunc  in  Museo 
Britannico  adservatur  sign.  834.  K.  1  (olim  Gal.  10  Sd.  )\  Es  sind 
folgende : 

1)  Catullus.  28,  5  verpa  (coli.  v.  12  und  47,  4).  —  48,  5  Africis 
aristis  (schon  bekannt  durch  Ep.  crit.  S.  157).  —  64,  21  sanxii  (=  Itali). 
—  64,  94  miseroa  agitans.  Der  Rat  Marklands  'forte  hie  versus  cum 
sequentibus  coniuugendus  est'  wird  in  den  heutigen  Texten  meist  be- 
folgt. —  64,  111  vaeuis  (so  jetzt  Baehrens).  —  64,  287  Nerddum  (so 
die  Aldinen).  —  64,  362  debita  (Markland  fand  in  seinem  Texte  Morets 
Konjektur  dedlta  statt  des  überlieferten  reddita),  —  66,  44   Thiae  (so  auch 

Jahresbericht   für  AlterthuiuswisHenschaft  LI.    (1887.  II.)  18 


274  Catull.     Beiträge  zur  Textkritik  (Markland,  Noväk). 

Vossius).  Bent.  Schul.  Hom.  II.  9.  v.  480'.  —  68,  65  face  (so  Dorville). 
'Scriptum  fuit  phnce,  unde  istud  prece.  Sen.  Herc.  Für.  v.  38'.  —  86,  2 
liaec  ego,  «  singula,  confiteor.  —  94,  1  moechatur  Mentula?  Certe  Hoc 

est.    —     101,    2   has   scras. 

2)  Tibullus.  I  1,  3  quem  pavor.  —  I  i,  55  retinet  •■  etwa.  — 
I  2,  19  descendere.  —  12,  02  magicos  —  focos.  'Proport.  I  l'  (d.  h. 
I  1,  20).  —  I  3,  32  debcat]  '  debitrix  sit,  6y>etX£n)<:  el'r/.  —  I  3,  86  Feftj 
statt  Tellus,  coli.  Val.  Flacc.  I  169.  Pind.  Pyth.  V  88.  Sen.  Suas  3. 
Stat.  Achill.  Anth.  lib.  I  S.  123.  Philo  de  Monarch,  lib.  II  8.  564  ed. 
Turneb.  Aristid.  Isthm.  in  Nept.  S.  19  ed.  Jebb.  —  I  3,  47  non  rabiee 
(so  auch  Burmann).  —  I  3,  49  saevum  nunc  mare.  —  I  3,  51  parce  preeor 
(Sehr  beachtenswert,  die  Anrede  an  Juppiter  wäre  nach  v.  49  recht  un- 
passend; Mors  ist  zu  weit  entfernt,  kann  auch  nicht  mit  pater  angeredet 
werden.  Zu  einem  parce  preeor  würde  fac  in  54  passen).  —  I  3,  75 
per  iugera  matris,  'cuius  glossa  fuit  zb  terrae'.  —  I  4,  72  supplicis,  et 
miseri.  —  I  4,  12  hie  facilem.  —  I  5,  6  fortia  verba.  —  I  5,  38  cf. 
Heliod.  Aethiop.  V  33.  —  I  5,  69  mea  furta.  —  I  5,  70  Fors  nicht  fors 
(so  unsere  Ausgaben).  —  I  7,  16  alat  (so  unsere  Ausgaben).  —  I  7,  47 
dulei  (so  Itali).  —  I  7,  49  '  1.  Gemum  :  ludis,  cf.  M.  remarks  on  the 
epistles  of  Cicero  to  Brutus,  London  1745  pag.  68.'  —  I  10,  43  hie  ego. 
Horat.  nimirum  hie  ego  dum.  Propert.  hie  ego  Pelides.  —  II  5,  21  cer- 
nebat.    —    II  5,  46  veni.     'Above   6,  25.  cf.  M.  ad  Stat.  Silv.  I  4,  55'. 

—  III  4,  21  'Alibi  conieceram  Oeta  et  ita  legendum  puto  ap.  Senecam 
Troad.  170.  Summa  iam  Titan  iuga  stringebat  Oetae  :  vicerat  noctem 
dies,    cf.  M.  Stat.  silv.  II  2,  45.'    —    III  4,  83   nostrü  contraria  vota. 

—  III  5,  10  dedi.  —  IV  1 ,  32  futuris  (so  die  gute  Überlieferung.)  — 
IV  1,  37  victus.  —  IV  2,  10  comptis  stat.  'Ita  ap.  Auson.  Mosell.  v.  321 
ed.  Stoer.  Haec  est  nativi  sublimis  in  aggere  saxi  :  lege  Haec  stat  \  (Von 
Schenkl  notiert).  —  IV  13,  9  teeum  ego.  cCf.  M.  ad  Stat.  Silv.  V 
3,   213.' 

Manches  hiervon  ist  längst  anderswoher  bekannt.  In  anderem  er- 
kennt man  leicht  den  flüchtigen  Einfall  des  Augenblicks.  Einiges  aber 
ist  fein  erdacht  und  eingehender  Prüfung  wert,  namentlich  in  den  Be- 
merkungen zu  Tibull.  Von  den  neuesten  Herausgebern  des  Catull  und 
Tibull  ist  die  ganze  Publikation  anscheinend  übersehen  worden. 

85.    R.  Noväk,  Ad  Catullum,  Listy  filologicke  a  paedagogicke' 
1886,  337-340. 

Verf.  bemerkt  zu  Catull  6,  12  cSane  desideratur  sententia,  qua 
dicat  Catullus  omnia  sibi  sive  a  cubili  sive  a  lecto  enuntiari  excepto  no- 
mine Flaviignium'  und  schlägt  vor:  nomen  is  pote,  alid  nihil  tacere.  Die 
Korruptel  ist  angeblich  dadurch  entstanden,  dafs  pote  in  post  über- 
ging, und  die  Zeichen  für  post  und  prae  verwechselt  wurden.  —  22,  12 
teilweise  im  Anschlüsse  an  Baehrens:    aut  si  quid  est  acutius  videbatur. 


Catull.    Beiträge  zur  Textkritik  (Noväk,  Kraffert).  275 

—  54,  2  Macri  rustica  sq.  —  64,  16  Mac  atque  Mac  coli.  6,  9.  61,  34. 
68,  133.  —  64,  109  late  quae  sunt  ei  obvia  frangens  [das  einsilbige  ei 
ist  in  diesem  Gedichte  offenbar  unstatthaft  und  läfst  sich  nicht  durch 
82,  3  stützen.  Verf.  berührt  dieses  schwere  Bedenken  gar  nicht].  — 
64,  205  conrnotast  tellus.  Verf.  macht  für  diese  Konj.  besonders  die 
Alliteration  mit  contremuerunt  .  .  concussitque  geltend.  —  64,  345  mana- 
bunt  sanguine  fines.  —  66,  59  ut  vidit,  vario  i.  e.  '  dea  ut  me  (comam) 
adlatam  conspexit,  ne  .  .  .  foret  .  .  .  ,  posuit'.  Die  Korruptel  ist  an- 
geblich durch  die  duplex  scriptura  ^   entstanden.  —  66,  93  sidera  per- 

mütant,  iterum.  —  67,  11  verum  istvd  populus,  ianua  rite  facit.  [Aber 
rite  ist  sinnlos  und  wird  durch  64,  310  nicht  gestützt].  —  92,  3  quot 
signa  eins  sunt,  totidem  mea.  —  107,  7  aut  magis  istac.  — 

86.     H.    Kraffert,    Beiträge    zur   Kritik    und    Erklärung 
lateinischer  Autoren.     III.  Teil.    Aurich  1883. 

AufS.  138 — 139  dieser  Schrift  finden  sich  einige  Bemerkungen  zu 
Catull  und  Tibull.     Catull  11,  21  nee  meum  respectet,  ut  ante,  amorem. 

—  64,  9  volitantem  flamine  cursvm  (?).  —  64,  89  —  90  'sind  ganz  hübsch, 
aber  doch  vielleicht  nur  ein  Einschiebsel'.  64,  102  appeteret  (Verf.  scheint 
Baehrens    Ausgabe    nicht   zu    kennen).    —    64,    161    qua    tibi    ioeuudo. 

—  67,  3  benigno  (coli.  Hör.  Sat.  I  2,  4).  —  67,  5  nato  servisse  (so  schon 
Fröhlich).  —  68,  21—24  vielleicht  aus  65  interpoliert'.  —  68,  64  veluti 
nigro  (so  schon  die  Itali  des  15.  Jahrhunderts!).  —  116,  1  veneranda  re- 
quirens.  Eine  Sammlung  der  äna£  elprjp.£va  Catulls,  wie  sie  Verf.  als 
wünschenswert  bezeichnet,  existiert  längst  (von  Teufel). 

Tibull  I  5,  20  hinter  deo  ein  Kolon  zu  setzen  (beachtenswert).  — 

I  5,  31—34  sind  mit  Anführungszeichen  zu  versehen  (?).  —  I  5,  65  de- 
ducet  amores.    —  I  6,  7  et  credere  durum  est.   —   I  6,  69  at  mihi  sint. 

—  I  8,  59  media  quavis  (od.  quo  vis)  obrepere  nocte.  —  I  8,  63  nach 
fallit  ein  Fragezeichen.  —  II  1,  24  extruet  arte  casas.  —  II  2,  18  das 

Epitheton  flava   nicht  angemessen.  —    II  3,  50  iam  venient  praedae.  — 

II  4,  29  —  31  hie  ....  causas,  set  Coa  puellis  ....  man',  haec  fecere 
malas.  —  II  5,  31  —  32  'Ausmalung  der  fistula,  namentlich  im  zweiten 
Verse,  verdächtig'.  —  II  6,  9—10  in  Anführungszeichen,  hinter 
aquam  in  v.  8  ein  Kolon.  —  III  3,  35  aut  mit  geringeren  Hand- 
schriften. —  III  4,  20  Sovmus,  nicht  aomnus  (coli.  v.  55).  —  III  5,  3 
tunc  autem  'jetzt  (in  der  kühleren  Jahreszeit)  seid  ihr  bei  den  fontes 
Etrusci,  dann  aber,  wenn  der  Frühling  Kommt,  in  Bajae'  [Wo  Steht  das 
im  Texte?].  —  III  6,  20  vina  iocosa  colant.  —  IV  1,  27  von, im-  Charta 
(mit  G).  —  IV  1,  43  utrimque  'ist  zum  Dächst eo  Verse  zu  ziehen  und 
davor  zu  interpungicren'.  —  IV  6,  19  sie  iuveni  gratum:  venict.  —  IV  8,8 
arbitrio  quam  vis,  iion  miu's  esse  meo.  —  IV  10,  2  Dach  cadam  eiu 
Fragezeichen. 

18* 


276  Beiträge  zur  Textkritik  Catulls  (Tartara).   —  Authologieea. 

Die  meisten  dieser  Vermutungen  sind  flüchtige  Einfälle.  Auch 
fehlt  genügende  Kenntnis  der  neueren  Litteratur. 

87.    A.   Tartara,    Animadversiones    in    locoa    nonnnllos 

Valeri  Catulli  (etTitiLivi).  Iterum  emendatiores  editae.  Born.  1882. 

Obwohl  die  in  sehr  bedenklichem  Latein  geschriebene  Arbeit  wenig 
Lehrreiches  enthält,  sei  ihr  Hauptinhalt  hier  Bkizziert,  weil  .-de  in  Deutsch- 
land nicht  viel  Leser  finden  dürfte.  Die  neuere  Catulllitteratur  von 
Baehrens  Analecta  Catulliana  an  ist  übrigens  dem  Verl.  anscheinend  nur 
teilweise  bekannt.  I.  Die  Verse  2,  1 1 — 13  sind  von  dem  Vorhergehenden 
zu  trennen.  2,  8  credo  uti  gravis  adquiescat  ardor  soll  unecht  sein,  vor- 
nehmlich wegen  des  Gebrauches  von  ardor.  Und  von  v.  7  wird  zwar 
zugestanden 'Catullum  videtur  redolere  sententiamque  aptam  efficere'  — 
aber  verdächtig  ist  er  doch!!  —  II.  Auseinandersetzung  über  6,  12  —  14. 
Alle  früheren  Konjekturen  werden  mit  unerträglicher  Breite  bekämpft. 
Zu  lesen  ist:  Nam  nil  isla  valent,  nihil  tacere  (näml.  cubile,  pulvinus, 
lectus),  tum  non  tarn  latera  sq.  (tum  =  deinde,  denique).  —  III.  Be- 
sprechung von  29,  20:  Fiuntque  quarta  Galliae  et  Britanniae  oder  Nunc 
Galliae  timent,  timmt  Britanniae  (so  schon  Puccius!).  —  IV.  66,  59 
Sidus  ibi  vario  ne  solum.  —  V.  68,  60  densi  gegen  Haupt  verteidigt.  Der 
Vergleich  68,  57  f.  bezieht  sich  auf  55 — 56,  nicht  auf  das  Folgende  (an- 
geblich wegen  Reminiszenz  an  Homers  II.  II,  2).  —  VI.  95,  7  'Cum 
Tanusio  Gemino,  cuius  historias  legerunt  Suetonius  et  Plutarchus,  nihil 
Volusius  Catulli:  neque  enim  constat  Volusium  historiis  scribendis  operam 
dedisse,  neque  Tanusium  Geminum  aequalem  Catulli  fuisse'.  (Vgl.  oben 
S.  233  f.).  —  VI.  114,  6  zu  lesen  dum  domus  ipsa  egeat.  —  VIII.  116,  4 
Tela  infesta  meum  mittere  in  usque  caput  (=  Muret). 


E.    Anthologieen. 

Rücksicht  auf  den  beschränkten  Raum  macht  dem  Ref.  in  diesem 
Abschnitt  Kürze  zur  ersten  Pflicht.  Wer  sich  für  die  Einzelheiten  in 
den  Texten  und  Kommentaren  interessiert,  wird  in  den  hier  ausnahms- 
weise citierten  Rezensionen,  die  oft  sachlich  wertvolle  Bemerkungen  ent- 
halten, Gelegenheit  finden  sich  zu  orientieren.  Im  Allgemeinen  vergl. 
E.  Heydenreich  in  dieser  Zeitschr.  1886  II  S.  152f.  1887  II  S.  84f. 
R.  Ehwald  1885  II  S.  278 f. 

88.  Römische  Elegiker.  Eine  Auswahl  aus  Catull,  Tibull, 
Properz,  für  den  Schulgebrauch  bearbeitet  von  Dr.  K.  P.  Schulze. 
Berlin.    1879.     Weidmannsche  Buchh.    X  und  194    S.    8. 

Rec.  von  0.  Harnecker,  Z.  f.d.  G.W.  1881,  600—615;  von 
H.  Magnus  Jahresb.  d.  Philol.  Ver.  1881  (VII),  354-362. 


Anthologieen  aus  den  Rom.  Elegikern  (K.  P.  Schulze).  277 

89.  Römische  Elegiker.  Eine  Auswahl  aus  Catull,  Tibull, 
Properz  und  Ovid.  Für  den  Schulgebrauch  bearbeitet  von  Dr.  K.P. 
Schulze.  Zweite  Auflage.  Berlin.  1884.  Weidmannsche  Buchh.  XII 
und  250  S.   8. 

Rec.  von  0.  Harnecker  Berl.  Phil.  W.  1884  No.  50  und  51,  von 
A.  Zingerle  Z.f.d.Ö.G.  1885,  99-101,  von  A.  Otto  Z.f.d.G.W. 
1885,  220-230.  R.  Steig  Wochenschr.  f.  klass.  Phil.  I  Sp.  1509  bis 
1512.  Vgl.  des  Ref.  Bemerkungen  Jahresber.  d.  Phil.  Ver.  XII 212— 214. 

Die  erste  Auflage  dieses  Buches  bezeichnete  zwar  einen  entschie- 
denen Fortschritt  gegen  die  Vorgänger  und  hat,  da  Besseres  eben  nicht 
existierte,  sicherlich  Nutzen  gebracht.  Aber  sie  wurde  den  Forderungen, 
die  man  an  eine  derartige  Arbeit  stellen  mufs,  in  manchen  Beziehungen 
entschieden  nicht  gerecht.  Gerade  aus  dem  für  die  Schule  in  erster 
Linie  passenden  Dichter,  aus  Ovid,  fehlten  Lesestücke.  Dagegen  sind 
dem  für  diesen  Zweck  ungeeignetsten  Dichter,  dem  Properz,  von  194  Seiten 
nicht  weniger  als  114  gewidmet.  Aufserdem  findet  sich  durch  den  Kom- 
mentar hin  verstreut  eine  grofse  Reihe  von  Fehlern  und  Versehen,  wie 
a.  a.  0.  vom  Referenten  nachgewiesen  ist.  Der  Text  schliefst  sich  meist 
an  Haupts  Ausgabe  der  Elegiker  an;  nur  in  den  Stücken  aus  Catull 
findet  man  häufiger  Abweichungen,  weil  mehrfach  Lesarten  aus  dem 
Oxoniensis  nach  Baehrens  Vorgange  aufgenommen  sind.  Sachliche  Nach- 
träge zu  einzelnen  Stellen  geben  Harnecker  und  der  Ref.  in  ihren  Re- 
zensionen. Aus  der  Besprechung  des  Ersteren  sei  hervorgehoben  der 
Passus  über  Catull  e.  49  (S.  606—609),  der  die  späteren  eingehenden 
Arbeiten  über  das  gleiche  Thema  schon  in  nuce  enthält.  Vgl.  oben  S.  240. 
Die  zweite  Auflage  des  Buches  ist  in  jeder  Beziehung  besser 
geworden.  Die  Texte  sind  sorgsam  revidiert.  Schon  dadurch,  dafs  von 
Ovid  19  Elegieen  (aus  Amores,  Tristia,  ex  Ponto)  Aufnahme  fanden,  hat 
das  Buch  an  Brauchbarkeit  sehr  gewonnen.  Auch  die  Stücke  aus  Ca- 
tull und  Tibull  sind  etwas  vermehrt.  Dafür  sind  weggelassen  mehrere 
Gedichte  des  Propcrtius  und  drei  Elegieen  des  Lygdamus.  Am  Schlüsse 
der  Sammlung  werden  die  Abweichungen  von  Haupt  Vahleu  (4.  Aufl. 
1879)  und  Rieses  Ovidausgaben  verzeichnet.  Für  die  Verbesserung  des 
Kommentares  st  anden  dem  Verf.  aufser  zahlreichen  Monographieen  die 
eingehenden  Rezensionen  zu  Gebote,  welche  sich  mit  der  ersten  Auflage 
seines  Buches  sowie  mit  der  Anthologie  von  Jacob;  beschäftigten.  Er 
hat  diese  Vorarbeiten  gewissenhaft  und  mit  Nutzen  zu  Kate  gezogen, 
wenn  er  auch  im  Einzelnen  oft  nicht  das  Richtige  trifft.  Harneckers 
Nachträge  beziehen  sich  meist  auf  die  neu  aas  Ovid  aufgenommenen 
Stücke. 


278  Antliologieen   aus  den  Rom.  Elegikern  (Jacoby,  Bender). 

90.  Anthologie  aus  den  Elegikern  der  Römer.  Für  den 
Schulgcbrauch  erklärt  von  Dr.  Carl  Jacoby.  Erstes  Bändchen:  Ovid 
und  Catull.  Zweites  Bändchen:  Tibull  und  Properz.  Leipzig. 
1882.     B.  G.  Teubner. 

Rec.  u.  a.  von  0.  Ilarnecker  N.  Jahrbb.  1882,  261-272,  von 
H.  Magnus  Jahresber.  d.  Phil.  Vor.  IX  278—285. 

Die  Arbeit  ist  durchaus  brauchbar.  Sie  übertrifft  die  erste  Auf- 
lage von  Schulzes  Elegikern  bedeutend  und  ist  der  zweiten  ebenbürtig. 
Die  Auswahl  ist  angemessen.  Nur  sieht  man  nicht  recht,  warum  Ovid 
mit  Catull  zusammengestellt  wird:  chronologische  wie  innere  Gründe 
weisen  ihm  offenbar  seinen  Platz  an  vierter  Stelle  hinter  Properz  an. 
Die  Texte  sind  sorgfältig  durchgesehen  und  zeugen  von  verständiger 
Überlegung.  Seinen  Widerspruch  gegen  manche  Einzelheiten  hat  Ref.  a.  0. 
begründet.  Die  Einleitungen  in  die  römische  Elegie,  in  Leben  und 
Poesie  der  einzelneu  Autoren  sind  nicht  immer  geschickt  und  geschmack- 
voll abgefafst  (vgl.  Harnecker  a.  0.  S.  262).  Die  Erklärung  verdient 
meist  uneingeschränktes  Lob.  Gröfsere  Selbständigkeit  gegenüber  den 
Vorgängern  wäre  mitunter  zu  wünschen.  Rechenschaft  über  die  Konsti- 
tuierung des  Textes,  sowie  über  die  für  die  Erklärung  benutzten  Vor- 
arbeiten wird  leider  nicht  gegeben.  Dergleichen  wird  bei  einer  neuen 
Auflage,  die  das  nützliche  Buch  gewifs  erleben  wird  ,  hoffentlich  nach- 
geholt werden.  —  Aus  Harneckers  Nachträgen  sei  folgendes  erwähnt. 
Zu  Catull  I,  9  wird  vorgeschlagen:  qualecuiique ;  tua  patrone  voce.  Zu 
Catull  4:  Nicht  das  ganze,  geteerte  uud  geflickte  Schiff,  auch  nicht  das 
blofse  Vorderteil,  sondern  etwa  ein  zierliches  Modell  war  in  einem  Tempel 
geweiht.  Noch  besser  nimmt  man  an,  dafs  es  Catull  in  seinem  Sirraia- 
num  an  einem  passenden  Platze  am  See  aufgestellt  hatte,  daneben  einen 
Altar  oder  eine  Kapelle  für  die  Dioskuren  mit  c.  4  als  Weihinschrift. 
Hospites  sind  dann  Freunde  des  Dichters,  Besucher  des  Dichterheims. 
Beachtenswert  sind  die  Bemerkungen  über  das  Motiv  von  des  Bruders 
Tode  in  c.  65  und  68  auf  S.  266—267,  über  infecti  veli  Catull  64,  243 
(gegen  K.  P.  Schulze).  Zu  Prop.  IV  9,  37  wird  für  sedisse  vorgeschlagen 
cecidisse.    Doch  vgl.  v.  60  und  Burmann  z.  St. 

91.  Anthologie  aus  römischen  Dichtern  mit  Ausschlufs 
von  Vergil  und  Horaz.  Zum  Gebrauch  im  Gymnasialunterricht.  Von 
Hermann  Bender.     Tübingen.    1884.     Laupp.     VIII  und  156  S.    8. 

Rec.  von  K.  P.  Schulze,  Berl.  Piniol.  W.  1884  Nr.  44,  von 
R.  Steig  W.  f.  kl.  Phil.  II  Sp.  489,  von  K.  Jacoby  Phil.  R.  V  Nr.  23. 

Benders  Anthologie  unterscheidet  sich  von  den  eben  genannten 
Büchern  dadurch,  dafs  die  Grenzen  der  Auswahl  weiter  gezogen  sind. 
Sie  enthält  Lesestücke  aus  Ennius,  Lucilius,  Lucretius,  Catullus,  Tibullus, 
Propertius ,    Ovidius,  Lucanus,  Statius,  Martialis,  Juvenalis,  Ausonius, 


Anthologieen  aus  den  Elegikern  (Brandt,  Mann,  Franke).  279 

Namatianus.  Schwerlich  ist  mit  einer  derartigen  Zersplitterung  des 
Stoffes  den  Interessen  der  Schule  gedient.  Die  Texte  schliefsen  sich 
den  'üblichsten,  meist  Teubnerschen'  Ausgaben  an,  die  jedoch 
leider  nicht  namhaft  gemacht  werden.  Die  hie  und  da  in  den  Anmer- 
kungen vorgeschlagenen  Konjekturen  sind  abzuweisen.  Die  Erklärung 
beschränkt  sich  auf  das  dem  Schüler  Nötigste  und  ist  angemessen. 

92.  Eclogae  poetarum  Latinorum  in  usum  gymnasiorum  com- 
posuit  Samuel  Brandt.  Lipsiae.  1881.  B.  G.  Teubner.  VIII  und 
146  S.    8. 

Die  Auswahl  umfafst  Ennius,  Lucilius,  Lucretius,  Tibullus,  Pro- 
pertius,  Ovidius,  Martialis  und  Juvenalis  (V  37—  154).  Die  Konstitution 
der  Text  verdient  alles  Lob  und  zeugt  von  den  gründlichen  Studien  des 
Herausgebers.  Erklärungen  fehlen  ganz  und  gar  (vgl.  praef. :  'hoc 
euim  genus  editionum,  quo  munus  interpretis  magistro  integrum  servatur, 
merito  nunc  ad  usum  scholarum  a  plerisque  maxime  probatur').  Ob 
hierin  ein  Vorzug  des  Buches  besteht,  läfst  sich  bezweifeln.  Aufser  den 
Texten  findet  man  also  nur  kurze  biographische  Notizen,  eine  descriptio 
metrorum  und  eine  '  explicatio  vocabulorum  et  formarum  in  Eclogis  occur- 
rentium,  quae  in  lexicis  minoribus  explanari  non  solent'.  Vgl.  Jahres- 
bericht d.  Phil.  Ver.  IX  285-28G. 

93.  Anthologie  aus  römischen  Dichtern  für  die  obersten 
Klassen  der  Realgymnasien  und  ähnlicher  Anstalten  zusammengestellt 
von  0.  Mann.     Leipzig,    1883.     B.  G.  Teubner,  VIII  und  124  S.    8. 

Besonders  reichlich  ist  die  Auswahl  aus  Horaz'  Oden.  Leider 
zeugt  die  Sammlung  nicht  von  genügender  Sachkenntnis  des  Heraus- 
gebers. Vgl.  K.  P.  Schulze,  Wochenschrift  f.  kl.  Phil.  I  Nr.  3.  Jahres- 
ber.  d.  Phil.  Ver.  XII.  210-211. 

94.  Chrestomathie  aus  Römi  sehen  Dichtern  für  mittlere 
Gymnasialklassen  von  R.  Franke.    Leipzig.  1886.    Braudstetter. 

Das  Buch  ist  zur  Einführung  in  die  poetische  Lektüre  durchaus 
zu  empfehlen.  Sowohl  die  Auswahl  der  Lesestücke  wie  die  Anmerkun- 
gen zeugen  von  pädagogischem  Takte.  Berücksichtigt  sind  in  erster 
Linie  Ovid  und  Phädrus.  Doch  begegnet  man  auch  kleineren  Ab- 
schnitten (selten  ganzen  Gedichten)  aus  Tibull  (die  Überschrift  von  I  10 
Klage  eines  Rekruten '  klingt  wie  Travestie)  und  Proporz,  BOWie  Epi- 
grammen Martials  und  der  Anthologia  latina.  Recht  praktisch  sind  auch 
die  versus  memoriales  des  Anhanges.  Wissenschaftlich  Beachtenswertes 
ist  dem  lief  in  Text  und  Anmerkungen  nicht  aufgestofsen.  Bei  einer 
neuen  Auflage  des  nützlichen  Buches  wäre  wünschenswert:  1)  Revision 
des  mehrfach  veralteten  Textes  nach  den  neuesten  Ausgaben,  2)  Ver- 
mehrung der  zusammenhängenden  stucke  resp.  der  vollständigen  Ge- 


280  Anthologieen.  —  Catullübersetzungen  (Westphal). 

dichte.  Namentlich  mufs  die  Auswahl  aus  den  Metamorphosen  viel 
reichlicher  bemessen  werden,  wenn  das  Buch  von  Quarta  (resp.  Unter- 
tertia) bis  Untersekunda  der  norddeutschen  Gymnasien   ausreichen  soll. 

95.  OvidLessons,  being  easy  passages  selected  from  the  elegiac 
poems  of  Ovid  and  Tibullus  with  explanatory  notes  by  H.  G. 
Wintle.     London.    1886.     Murray. 

86  Bruchstücke  aus  Elegieen  Ovids  und  Tibulls.  Bei  der  Auswahl 
war  das  wunderliche  Prinzip  mafsgebend,  dafs  ein  jedes  Stück  gerade 
10  Distichen  zählte  und  gerade  eine  Seite  füllte!  Weder  Text  noch  Anmer- 
kungen vermögen  irgend  welches  Interesse  zu  erwecken.  Ausstattung 
sehr  schön. 

96.  Lesestücke  aus  griechischen  und  lateinischen 
Schriftstellern  von  Moritz  Seyffert.  Sechste,  durchgesehene 
Auflage.     Leipzig.     1880.     Holtze. 

Seyfferts  Lesestücke  sind  ein  allbekanntes,  mit  Recht  beliebtes 
Buch.  Die  sechste  Auflage  scheint  im  wesentlichen  unverändert.  Es 
läfst  sich  nicht  verkennen,  dafs  die  Ovid,  Tibull  und  Martial  be- 
treffenden Partieen  in  Text  und  Anmerkungen  eine  der  neueren 
Fachlitteratur  Rechnung  tragende,  doch  vorsichtige  Revi- 
sion nötig  haben. 

97.  Auswahl  aus  Horaz  und  den  römischen  Elegikern 
für  den  Gebrauch  auf  Realgymnasien  herausgegeben  und  erklärt  von 
Ad.  Hemme.     Berlin.    1886.     Weidmann. 

Rec.  von  K.  P.  S  chulze,  Wochenschr.  f.  klass.  Phil.  III.  Sp.  619 
bis  622,    E.  Heydenreich,  Zeitschrift  für  das  Gymnasialw.  XXXX. 
S.  406-410,  F.  Müller,   N.  Jahrbb.  f.  Pädag.    1886  S.  317-320. 
Das  Buch  ist  für  den  im  Titel  angegebenen  speziellen  Zweck  wohl- 
geeignet.    Praktisch  ist  besonders  die  Verweisung   von  Text  und  Kom- 
mentar  in   zwei  getrennte   Hefte.     Den   Löwenanteil    bei    der  Auswahl 
(93  von  123  Seiten  Text)  hat  natürlich  Horaz  davongetragen.    Aufserdem 
sind  vertreten  Catull,   Tibull,   Ovid,    nicht  Properz.     Die   knapp   und 
präzis   gefafsten  Anmerkungen    sind   fleifsig   ausgearbeitet    und    werden 
dem  Schüler  gewifs  nützlich  sein.   Übersetzungen  werden  vielleicht  etwas 
zu   reichlich    gegeben.      Wissenschaftlich    Beachtenswertes    scheint    das 
Buch  nicht  zu  enthalten. 

F.  Catullübersetzungen. 

98.  Catuils  Buch  der  Lieder.  Deutsch  von  Rudolf  West- 
phal.   Leipzig.    1884.    Leuckart.   VIII,  167  S.    8. 

Der  Titel  leitet  nach  verschiedenen  Richtungen  hin  irre.  Man  er- 
wartet zunächst  eine  neue  Übersetzung  und  findet  bei  genauerem  Zu- 


Catullübersetzungen  (Westphal).  281 

sehen  in  dem  wesentlichen  Inhalte  des  Buches  die  Wiederholung  der 
Gedichte  'Catulls  in  ihrem  geschichtlichen  Zusammenhange  übersetzt  und 
erläutert  von  R.  Westphal'  (erschienen  i.  J.  1867).  Bekanntlich  ist  aber 
in  diesem  früheren  Werke  Westphals  nur  ein  Teil  von  Catulls  Gedichten 
übersetzt.  Einige  weitere  Übertragungen  aus  unserem  Dichter  enthielt 
die  'humoristische  Lyrik  des  klassischen  Alterthums'  desselben  Verf. 
(Halle,  Barthel).  Diese  sind  dem  vorliegenden  Buche  eingefügt.  Einen 
dritten  Bestandteil  bilden  endlich  neue  Übersetzungen.  Man  erwartet 
ferner  eine  vollständige  Übersetzung  —  und  findet,  dafs  ein  sehr 
erheblicher  Teil  des  über  Catulli  fehlt,  nämlich  c.  61  und  64  gröfsten- 
teils,  c.  27,  33,  34,  38,  60,  62,  63,  66,  67,  73,  95-99,  102,  103,  108, 
112  sowie  sämtliche  Gedichte  an  Gellius  Oheim  und  Neffe  ganz.  Manche 
der  bezeichneten  Auslassungen  erklären  sich  vielleicht  aus  Rücksichten 
der  Moral  und  des  Anstandes  (obwohl  sich  Verf.  anderwärts  nicht  über- 
mäfsig  skrupulös  in  diesem  Punkte  zeigt) ,  andere  bleiben  unverständ- 
lich. Man  fragt  verwundert,  warum  nicht  wenigstens  im  Vorworte  eine 
Aufklärung  gegeben  wird,  was  dieses  Versteckenspielen  eigentlich  be- 
zweckt. 

Westphals  Übersetzung  von  1867  und  somit  die  grofse  Mehr- 
zahl der  Nummern  des  neuen  Buches  ist  den  Fachgenossen  bekannt. 
Hie  und  da  ist  am  Ausdrucke  geändert,  nicht  immer  gebessert.  So  liest 
man  jetzt  erstaunt  (S.  57),  dafs  in  Rufus'  Achselhöhlung 'ein  trotz'ger 
Feind,  ein  Teufel'  wohnt.  Soll  das  lat.  hircus  dadurch  salonfähiger 
werden  oder  kennt  der  moderne  Mensch  jene  mala  bestia  nicht  mehr? 
Eher  rechtfertigt  sich  vielleicht  näheres  Eingehen  auf  die  Gedichte  der 
zweiten  Gruppe,  da  Westphals  'humoristische  Lyrik'  anscheinend  wenig 
Leser  gefunden  hat.  Der  Übers,  hat  auch  hier  durchweg  moderne  Vers- 
maße gewählt.  Ref.  ist  weit  entfernt,  mit  ihm  darüber  zu  rechten.  Er 
meint,  das  Wort  eines  berühmten  Historikers:  'Es  giebt  viele  Arten  Ge- 
schichte zu  schreiben,  und  jede  ist  berechtigt,  wenn  sie  nur  ihren  Stil 
rein  und  streng  einhält'  gilt  auch  vom  Übersetzen:  es  kommt  eben  alles 
darauf  au,  wie  es  gemacht  wird.  Er  ist  überzeugt,  dafs  gerade  Catulls 
Gedichte  —  abgesehen  von  den  Elegieen  gröfseren  Umfanges,  für  die 
auch  im  Deutschen  das  Distichon  als  Kunstform  fest  steht  —  sich  sehr 
wohl  in  moderne  Form  umgiefsen  lassen.  Den  Beweis  hat  denn  auch  hier 
wieder  Westphal  durch  mehrere  wahrhaft  geniale  Treffer  vollgültig  ge- 
führt. Hervorragend  an  Umfang  und  Bedeutung  ist  in  seiner  Übertra- 
gung ein  Teil  des  Hochzeitsliedes  auf  Manlins  und  Vinia  Aruncoleia 
(v.  75  —  190).  Hier  sind  ihm  einige  Strophen  wohl  gelangen.  I>as  ist 
nichts  Kleines;  denn  an  diesem  Gedichte  waren  alle  anderen  Übersetzer 
gescheitert  —  seihst  Ileyse.  —  Die  grofsen  Vorzüge  der  Westphalschen 
Übersetzung,  anmutig  ungezwungene  Sprache,  glattfliefsende  Verse,  witzig 
treffender  Ausdruck,  grofse  Kunst   in  Wiedergabe   des   Grandtones   und 


282  Catullübersetzungen  (Westphal). 

der  Farbe,  sind  leider  verdunkelt  durch  grofse  Mängel,  die  sämtlich 
einer  Wurzel  entstammen:  es  ist  dem  Verfasser  im  Grunde 
nicht  Ernst  um  die  Sache.  Der  Aussicht,  einen  schlechten  Witz 
anbringen  oder  irgend  einen  wohlfeilen  Effekt  erzielen  zu  können, 
opfert  er  kaltblütig  die  ersten  Pflichten  eines  gewissenhaften  Übersetzers. 
Neben  schönen,  von  feinstem  poetischen  Gefühle  zeugenden  Worten  spreizt 
sich  die  widerwärtigste  Plattheit  und  Salopperie,  die  armselige  verwäs- 
sernde Phrase.  In  dem  wundervollen,  Bonnig-heitern  Hochzeitsliede  (o.  61) 
stehen  (v.  126  u.  f.)  einige  Strophen,  welche  an  die  Fescenninenscherze 
und  ihre  alten  Gebräuche  er  in  nein  sollen  und  darum  in  mutwillig 
neckendem  Tone  gehalten  sind.  Dass  aber  in  ihnen  nicht  etwa  wirklich 
eine  rohe  Fescennina  locutio  zu  sehen  ist,  dafs  sie,  dem  Charakter  des 
ganzen  Liedes  entsprechend,  durchaus  zart  und  dezent  sind,  —  davon 
mag  man  sich  im  Originale  überzeugen.  Westphal  giebt  dem  betref- 
fenden Abschnitte  die  Überschrift  Hochzeitskalauer'  und  redet  u.  a. 
den  maritus  folgendermafsen  an:  Du  Ehekrüppel,  .  .  •  jetzt  kommts 
Pantoffelregiment  .... 

Noch  gestern  durftest  du  und  beut 
ein  Zottelbärtchen  haben, 
doch  jetzt  halbiert  dich  der  Rasör 
Unseliger,  Unseliger! 
Die  Nüsse  für  die  Knaben! 

Warum  nicht  Unselig ör,  da  doch  offenbar  Zwickauer  redet?  Sind  die 
Schwierigkeiten  dieser  Strophen  dem  Nachdichter  unüberwindlich,  — 
nun  wohl,  so  mag  man  sie  unübersetzt  lassen,  aber  man  soll  sie  nicht 
travestieren.  Denn  dafs  von  diesen  faden  Späfsen  im  Liede  nichts 
steht,  das  weifs  ein  Mann  wie  Westphal  besser  als  Ref.  —  und  doch 
schickt  er  dergleichen  in  die  Welt! 

Auch  in  der  dritten  Gruppe,  den  neuen  Übersetzungen,  werden 
uns  einzelne  Proben  glänzenden  Könnens  gegeben.  Wie  prachtvoll  hebt 
C.  57   (Pulcre  convenit  inprobis  cinaedis,  Mamurrae  pathicoque  Caesarique)  an : 

Vortrefflich  für  einander  pafst 

das  Paar  der  Päderasten, 
Mamurra  und  sein  General, 

die  beiden  gottverhafsten. 

Bezüglich  der  Gedichte,  die  angeblich  einer  Übersetzung  in  mo- 
derne Form  widerstreben  (warum,  bleibt  unklar)  wird  im  Vorwort  be- 
merkt: 'Soweit  es  irgend  anging,  hatte  ich  mich  hier  an  Heyses 
Übertragung  zu  halten'.  Wie  weit  es  anging,  möge  ein  Beispiel 
zeigen  (Catull  c.  53): 


Catullübersetzungen  (Westphal,  Pressel).  283 

Heyse:  Westphal: 

Lachen  machte  mich  einer  auf  dem  Forum,  Lachen  machte  mich  einer  auf  dem  Forum, 

Der,  als  meisterlich  eben  unser  Calvus  der,  als  meisterlich  eben  unser  Calvus 

Dargethan  des  Vatinius  Schurkereien,  dargethan  des  Vatinius  Schurkereien, 

Staunensvoll  mit  erhobenen  Händen  ausrief :  staunensvoll  mit  erhobenen  Händen  ausrief: 

»Grofse  Götter!  ein  grundgescheites-  »Groi'se  Götter!  ein  grundgescheites 

Käuzlein«  Zwergleine 

Wer  noch  nicht  im  Klaren  ist,  wie  weit  es  anging,  lese  c  30, 
48,  16,  24,  86,  28,  47  bei  beiden  Übersetzern.  Vgl.  mit  diesem  —  naiven 
Verfahren  Mähly  Rom.  Lyriker  S.  VI:  'Ich  habe  Geibel  weder  zu,  noch 
nach  meinen  Übersetzungen  benutzt;  dafs  letzteres  oft  von  Vortheil  ge- 
wesen wäre,  weifs  ich  natürlich  wohl,  aber  —  ich  mufste  auf  eigenen 
Füfsen  stehen.  So  hab  ich  es  auch  .  .  .  mit  Th.  Heyse  bei  Catull  ge- 
halten, obschon  gerade  bei  Heyse  besser  machen  ein  schweres  Stück 
Arbeit  sein  möchte'. 

»Erläuterungen  zu  Catulls  Gedichten«  machen  den  Beschlufs.  Sie 
enthalten  nichts  als  die  Wiederholung  zweier  Hypothesen  aus  d.  J.  1867. 
Wir  hören  von  neuem  die  Geschichte  von  dem  sträfllichen  Verhältnisse 
Ciceros  zu  Clodia-Lesbia,  von  neuem  werden  wir  belehrt,  dafs  die  Verse 
41  —  160  der  Elegie  an  Allius  ein  selbständiges  Gedicht  bilden  und  'in 
der  Weise  altgriechischer  Lyrik  nach  der  siebenteiligen  Compositions- 
norm  Terpanders  angeordnet  siud'.  Vgl.  oben  S.  231  f.  Neues  von  Be- 
lang wird  nicht  vorgebracht.  Kenntnis  der  neueren  Litteratur  zu  c.  68 
verrät  sich  nirgends  (nur  eiumal  S.  155  Anm.  ist  gegen  Rettig  ein  fehl 
gehender  Seitenhieb  geführt). 

Das  sehr  elegant  ausgestattete  Büchlein  ist  dem  Dichter  F.  von 
Bodenstedt,  'dem  unerreichbaren  Meister  deutscher  Über- 
setzungskunst' zugeeignet.  Vielleicht  ist  die  Frage  erlaubt,  wo  in 
Westphals  Kanon  Rückeit,  Geibel  und  Freiligrath  rangieren. 

R.  Westphal  war  wie  wenig  andere  berufen  uns  den  deutschen 
Catull  zu  schenken:  er  hat  es  vorgezogen,  ein  Buch  zu  schreiben,  das 
manches  Gelungene  und  Interessante  enthält,  aber  als  Ganzes  betrachtet 
dem  Freunde  des  Dichters  einen  höchst  unerfreulichen  Eindruck  zurück- 
läfst. 

99.  Catulls  Ausgewählte  Gedichte.  Verdeutscht  in  den 
Versweiseu  der  Urschrift  von  F.  Pressel.  3  Lieferungen.  Zweite  voll- 
ständig umgearbeitete  Auilage.  VIII  und  116  S.  Kl.  8.  Berlin. 
Langenscheidt  (ohne  Jahreszahl,  die  Einleitung  ist  vom  Februar  1885 
datiert). 

Die  erste  nach  S.  VIII  der  Vorrede  i.  J.  1860  erschienene  Auf- 
lage dieser  Übersetzung  hat  Ref.  niemale  in  Händen  gehabt.  Er  ist 
daher  nicht  imstande  über  das  Verhältnis  der  beiden  Auflagen  zu 
sprechen.     In  der  Vorrede  heifst  es  ebenda  über  diesen  Punkt:'.  .  .  die 


284  CatulJübersetzungftn  (Pressel) 

auf  den  Wunsch  der  Verlagsbuchhandlung  übernommene  Durchsicht  der 
vergriffenen  ersten  Auflage  nahm  daher  die  Gestall  einer  vollstand 
Umarbeitung  an'.  —  Die  Bezeichnung  des  Titels  Verdeutscht  in 
den  Versweisen  der  Urschrift',  ist  unrichtig.  Die  Versmslse  des 
Originals  sind  in  vielen  Fällen  nicht  beibehalten.  Au  die  Stelle  der 
Asklepiadeischen,  der  Priapeischen  Verse,  der  Clioliamben  und  der  Galli- 
amben  sind  andere  Rhythmen  getreten.  Gelungen  scheinl  nur  die  Form 
von  c.  0.3;  sie  thut  der  Sprache  keinen  Zwang  an  und  wahrt  doch  den 
Eindruck  des  Schauerlichen  und  Unheimlichen: 

Auf  raschem  Kiel  fuhr  Attis  hin  über  das  weite  Meer, 
In  den  Ilain  der  Phrygischen  Göttin  zog  mächtig  ihn  die  Begier. 
Und  sowie  er  in  der  Waldnacht   geweihte  Stätte  dringt, 
Schlägt  ihn  des  Wahnsinns  Geifsel,  ins  Leere  schweift  sein  Geist  u. s.w. 
Warum  aber  auch  in  einer  Reihe  von  Gedichten  der  Hendekasyllabus 
aufgegeben  wurde,  ist  nicht  ersichtlich.   Der  Übersetzer  hat  sich  dadurch 
empfindlich  geschadet.     Wie   viel    besser  klingt  doch  Ileyses     Sperling, 
meiner  Geliebten  kleiner  Liebling'   als  Presseis     Sperling,  meines  Mäd- 
chens Liebling'!  —  Von  den  l  IG  Nummern    des  Catullischen  über  sind 
72  übersetzt.    Die  Auswahl  ist  im  Ganzen  angemessen.   Die  schlimmsten 
Nuditäten  bleiben  ausgeschlossen.  Warum  sucht  man  aber  c.  10  Varus  me 
meus  ad  suos  amores  vergeblich?  Es  ist  keineswegs  sittlich  bedenklicher 
als  andere  Gedichte,  die  übersetzt  wurden,  dabei  für  des  Dichters  Leben 
in  der  Grofsstadt  äufserst  charakteristisch. 

Die  vorliegende  Übersetzung  ist  eine  wohlgemeinte,  fleifsige,  von 
Selbständigkeit  zeugende  Arbeit.  Manches  ist  auch  ganz  leidlich  ge- 
raten. So  c.  17  0  colouia,  quae  cupis.  Die  dritte  Strophe  von  c.  54 
lautet  so: 

Du  der  Berge  Gebieterin 
Und  der  grünenden  Waldesnacht 
Und  der  Triften  am  stillen  Hang 
Und  der  rauschenden  Bäche. 

So.liefse  sich  noch  Einzelnes  anerkennen.  Aber  Alles  in  Allem  ist  der 
Übersetzer  seiner  Aufgabe  nicht  gewachsen.  Er  ist  dem  Dichter  nicht 
geistesverwandt.  Er  hat,  wie  tausend  Einzelheiten  zeigen,  kein  feines 
Ohr  für  die  zarten  Nuancen  der  Sprache,  für  den  Klang  des  Verses. 
So  ist  der  altertümliche  Ton  des  c.  64,  den  Heyse  in  Sprache  und  Vers 
so  wunderschön  wiedergegeben  hat,  bei  Pressel  völlig  verfehlt.  Die 
Sprache  verfällt  sehr  häufig  in  den  bekannten  fürchterlichen  Übersetzer- 
jargon, über  den  sich  ein  höchst  lehrreicher  Essai  schreiben  liefse.  Fast 
auf  jeder  Seite  begegnen  undeutsche,  schiefe,  nichtssagende,  unverständ- 
liche, dem  Charakter  des  Originales  widersprechende  Wendungen.  Einige 
Beispiele  mögen  das  illustrieren,     c.  I,  3 — 4  Dir,   der  stets   mir  etwas 


Catullübersetzungen  (Pressel).  285 

gelten  Liefs  mein  Spiel  (?).  c  2,  5  —  8.  Wenn  solch  artig  Scherzen 
Mag  mein  holdes  Kind  ergötzen,  Um  ein  Weilchen,  ja,  zu  schweigen 
Ihr  beklommen  Herz  ,  das  heifse  [Welcher  auch  noch  so  gründlich  ge- 
bildete Leser,  der  das  Original  nicht  kennt,  versteht  das  wohl?].  13,  9 
Aber  bare  Liebe  dafür  auch  wird  dir.  30,  10  Gibst  den  Winden  du, 
den  grauen  Lüften  preis.  48,  1  Deine  Augen,  die  süfsen  Lichter, 
c.  49,  5  Er  der  schlimmste  von  sämtlichen  Poeten.  62,  13  Gebt  acht, 
es  kommen  besondere  Dinge.  63,23  Wo  das  Epheuhaupt  umher- 
wirft die  Mänade.  63,  81,  Auf,  peitsche  dir  geduldig  mit  dem  Schweife 
deinen  Leib.  106  ist  bei  Pressel  unverständlich.  Ein  Vergleich  von 
Heyses  und  Presseis  Übersetzung  fällt  fast  durchweg  zu  Ungunsten  der 
letzteren  aus. 

Heyse.  Pressel. 

61,  192  f. 

Darfst  nun  kommen,  o  Bräutigam;  Jetzo  darfst  du  dich  nah' n,  die  Braut 

Bräutchen  liegt  dir  im  Bette  schon,  Ist  im  Stübchen,  o  Bräutigam, 

Draus  das Blumengesichtchen  schaut,  Mit  des  rosigen  Mündleins  Zier 

Wie   der  Lilie  Schnee  so  weifs,  Auzuschaun  der  Kamille  gleich 

Wie  der  rosige  Mohn  glüht.  Und   dem  rötlichen  Mohne. 

64,  7  H. :  Fegend  mit  tannenen  Rudern  der  Seebahn  blauende  Weite. 
P.:  Schlagend  mit  Tannenhänden  des  Meeres  tief  bläuliche  Fläche.  64,  29 
H.:  Dich  hielt  Thetis  im  Arm,  die  entzückende  NereustochterV  P. :  Schlofs 
dich  die  schönste  der  Töchter  des  Nereus  nicht  in  die  Arme?  64, 127  H. : 
Und  angstvoll  itzt  klomm  sie  empor  am  steilen  Gebirgshang.  P :  Klimmte 
mit  Wehmut  [!]  jetzo  hinan  die  erhabensten  Kuppen.  68,  38  H. : 
Beschuldige  nicht  die  Gesinnung  Als  unedel  und  falsch  oder  au  Treue 
verarmt.  P.:  Denke  du  nicht,  es  geschehe  Von  mir  aus  Kärglichkeit 
oder  aus  Falschheit,  dafs  ich.  68  ,  95  Mit  dir  welkten  sie  alle,  die 
Frühlingsblüten  der  Freude  ,  die  dein  Lieben  allein  lieblich  im  Leben 
gepflegt.  P.:  Tot  ist  all  mein  Freuen  mit  dir,  o  Bruder,  von  dessen 
Lieb'  es,  so  lange  mir  du  lebtest,  die  Nahrung  erhielt.  78,  1  —  2  IL: 
Rufus,  dem  ich  umsonst  in  der  Freundschaft  Namen  vertraute,  —  Sagt' 
ich  »umsonst«?  o  nein!  theuer  bezahlt  ich  dafür.  P. :  Rufus,  dem  ich 
umsonst  und  fruchtlos  lieh  mein  Vertrauen  —  fruchtlos,  sag'  ich?  0  Gott, 
theuer  bezahlt  ich  dafür!  [fruchtlos  und  teuer  können  doch  nicht  in 
Gegensatz  gestellt  werden  H.  Auch  109  zeigt  die  Überlegenheit  Heyses 
in  besonders  hellem  Lichte .  Das  Bestreben  die  Diminutivs  und  den 
tändelnden  Ton  des  Originals  nachzuahmen,  hat  mehrfach  zu  ganz  ver- 
fehlten Wendungen  geführt,  c.  8,  1  Catullchcn,  armer  Freund,  werd' 
endlich  klug.  31,  1  0  Sirmio,  du  Perlchon  alles  dessen,  was.  45,  13 
Mein  Septimchen,  o  du  mein  Leben. 

Den  Schiufa  bilden  kurze  Erläuterungen  zu  den  einzelnen  Gedich- 
ten,   die  im   Gauzeu   korrekt  und    angemessen   sind.     Was  soll  zu  S.  4 


286  Catullübcrsetzungcn  (Mähly,  Bruch). 

folgender  geistreich  sein  sollende  unverständliche  Satz:  Unter  dem  See 
denken  wir  uns  wohl  den  Gardasee,  zu  dem  ein  Dichterschiff  noch  heute 
wie  damals  vom  Meere  aus  gelangen  kann,  wenn  auch  der  Mincio  erst 
von  Mantua  an  schiffbar  wird?  Wenn  86,  .'5  nam  sanetae  Veneri  Cupi- 
dinique  übersetzt  wird  denn  bei  Ven  us  und  Gott  Cupido  schwur  sie  hoch 
und  teuer',  so  läfst  sich  nichts  dagegen  einwenden:  soviel  Freiheit  hat 
der  Übersetzer.  Aber  warum  heilst  es  in  den  Krl. 'die  Übersetzung  las 
für  sanetae  =  saneie  und  verband  es  mit  vovit'  ?  Es  soll  doch  nicht  etwa 
gar  eine  Konjektur  seinV  Ebenso  ist  die  Anm.  zu  S.  100  '  Cominius, 
Name  zweier  Ankläger'  unverständlich.  Ebensowenig  hilft  zu  S.  82  (c.  80) 
die  Notiz  Lesbius  soll  nach  vielen  der  berüchtigte  Bruder  der  Lesbia 
(Clodia)  sein'  dem  Leser  nicht  viel  weiter,  c.  CG  (coma  Berenices)  mufs 
für  den  modernen  Leser  ästhetisch  ungeniefsbar  bleiben.  Der  Versuch 
es  in  den  Erläuterungen  auf  historischem  Wege  wenigstens  dem  Ver- 
ständnisse näher  zu  führen  ist  nicht  gemacht. 

Von  Übersetzungen  einzelner  Gedichte  oder  Bruchstücke  Ca- 
tulls  sind  dem  Ref.  folgende  bekannt  geworden: 

100.  J.  Mähly  übersetzt  in  seinen  Römischen  Lyrikern 
(Leipzig,  Bibliographisches  Institut)  nach  den  Versmafsen  des  Originals 
Cat.  c.  2,  3,  14,  31,  22,  44,  46,  50,  101.  Die  Sprache  ist  würdig  und 
geschmackvoll,  der  Vers  fliefsend.  Eine  kurze  Probe  mag  dies  Urteil 
rechtfertigen  (c.  22): 

Suffenus,  den  du,  Varus,  ja  gar  wohl  kennest, 

Ist  Schöngeist,  weifs  zu  sprechen,  ist  nicht  unwitzig 

Und  macht  daneben  auch  ein  ganzes  Schock  Verse. 

Ich  glaub',  er  hat  zehntausend  fabricirt  oder 

Noch  mehr,  und  nicht,  wie  sonst  geschieht,  Conceptbogen 

Genommen,  nein,  Royal  mit  neuen  Schutzdecken 

Und    neuen  Stäben,  rothen  Schnürchen,  Querlinien, 

Mit  Blei  gezogen,   alles  glatt  vom  Bimssteine. 

101.  C.  Bruch  (Roma,  Minden  1884)  übersetzt  Catull  c.  73,  5,  64 
v.  323—381,  7,  3,  27,  70,  85)  in  den  antiken  Versmafsen.  Auch  diese 
Übertragungen  sind  sehr  lesbar  und  gewandt,    c.  7  beginnt  so: 

Wie  viel  Küsse  von  deinen  süfsen  Lippen 
Mir  genügen,  um  satt  zu  sein  des  Küssens? 
So  viel  Körner  du  zählst  im  Wüstensande 
Um  Cyrene  mit  seinen  Wunderblumen, 
Von  des  Jupiter  sandumwogtem  Tempel 
Bis  zur  heiligen  Gruft  des  alten  Battus; 
So  viel  Sterne  bei  Nacht  in  stummem  Schweigen 
Auf  der  Menschen  geheimes  Lieben  schauen. 


Catullübersetzungen  (Richter  u.  a.)   —  Vermischte  Bemerkungen.     287 

102-  R.  Richter  übersetzt  (Catulliana  S.  18  -  19)  Catull  50,  8, 
27,  31  —  mit  einer  gewissen  Kongenialität  in  moderne  Rhythmen.  Cha- 
rakteristisch ist  das  Trinklied  (27): 

Mundschenk  giefs'  ein ! 
Aber  zum  schärferen  Trünke  vom  Alten 
Lafs  der  Postumia  Zechgesetz  walten ; 

Heifs  ist  das  Traubenblut, 

Heifser  ihr  trunkener  Muth. 
Weg,  du  Verderben  der  Bacchusgabe, 
Brunnenwasser,  Philisterlabe! 

Hier  wird  geopfert  mit  lauterem  Wein  — 

Mundschenk,  giefs  ein! 

103.  A.  Englert  endlich  übersetzt  in  den  Bl.  f.  d.  Bayer.  Gyra- 
nasialw.  XV  (1879)  52-  53  Catull  c.  2,  3,  5,  13. 

Von  Übersetzungen  in  fremde  moderne  Sprachen  sei  (abge- 
sehen von  den  oben  S.  176  f.  aufgezählten  Ausgaben,  die  Text  und  Über- 
setzung bringen)  noch  erwähnt: 

104.  Poesie  scelte  di  Catullo,  Tibullo  e  Properzio. 
Voltate  in  lingua  Italiana  e  corredate  di  note  storiche,  filologiche, 
geografiche  e  mitologiche  da  Z.  Carini.     Torino.     1880.     Paravia. 

Der  Titel  des  Buches  darf  als  richtige  Inhaltsangabe  bezeichnet 
werden.  Doch  sei  bemerkt,  dafs  die  Übersetzung  in  Prosa  geschrieben 
ist  —  übrigens  in  einer  fliefsenden  sinngetreuen  Prosa,  die  sich  (soweit 
Ref.  urteilen  kann)  gar  nicht  übel  liest.  Schlimmere  Versehen  machten 
sich  bei  flüchtiger  Durchsicht  auch  in  den  Anmerkungen  nicht  bemerk- 
lich. Über  die  benutzten  Ausgaben  und  sonstigen  Hilfsmittel  wird  leider 
nirgends  Rechenschaft  abgelegt. 

G.    Zerstreute  Bemerkungen  vermischten  Inhaltes. 

105.  E.  Baehrens,  N.  Jahrbb.  1883,  860  —  862:  Über  das  Epi- 
gramm vilicus  aerari  quondam,  das  dem  Tibull  zugeschrieben  wird,  hat 
angeblich  E.  Hiller  im  Hermes  XVIII  349  nicht  richtig  gesprochen.  Die 
von  Mommsen  und  Hiller  gebilligte  La.  in  v.  6  tcnto  ist  sinnlos  [?  das 
sed  ist  zu  erklären  wie  II  5,  7  und  oft,  vgl.  Vahlen,  Monatsb.  d.  B.  Ak. 
1878,  346],  tuceo  vortrefflich.  Das  Epigramm  ist  keine  Inschrift,  son- 
dern durch  das  fragment.  Cui.  in  die  schedac  italienischer  Humanisten 
gekommen.  Eine  fehlerhafte  Abschrift  mit  der  La.  tcnto  [Woher  ist 
diese  aber  gekommen?]  benutzte  der,  welcher  das  Gedicht  als  eine  in 
agro  Patavino  gefundene  Inschrift  den  Sammlern  jener  Zeit  aufschwatzte. 
Scaliger  hat  zu  taceo  nichts  angemerkt,  weil  seine  Handschrift  mit  dem 
Drucke  (der  cd.  Plant.)  übereinstimmte.    —    Die   von  Maal's  und  seinen 


288      Vermischte  Bemerkungen  zu  Catull  u.  Tiboll  (Baehrens,  Biese). 

Freunden  [s.  weiter  unten]  vorgeschlagene  Konjektur  zu  Tibnll  II  l,  58 
dux  pecoris:  vüe$  roaerat  ille  nova»  is1  unrichtig,  weil  sie  eine  Beimen- 
gung verschiedener  Motive  der  Sage  enthält.  Unmöglich  kann  Tibnllns 
verbinden  >  der  Landmann  bekam  als  Preis  seine-,  Gesäuge*  einen  Hock, 
denn  derselbe  hatte  die  jungen  Reben  zerstört.  Für  das  Letztere  wird 
dieser  geschlachtet;  dafür  dafs  er  als  praemium  dient  ist  das  kein 
Grund'.     Zu  lesen  ist  vielmehr  dux  pecori    scaenat   causa  erat  hircus  avis. 

106.  E.  Haehrens,  N.  Jahrbb.  1881,407,  kdnjiziert  zu  Catullus 
68,  143  nee  tarnen  illa  mihi  de  aula  dedueta  paterna.     Die  Konj.  ist 

metrisch   sehr  bedenklich  und  sachlich  überflüssig;  vgl.  Kiese  z.  St. 

107.  E.  Baehrens  (N.  Jahrbb.  1878,  769-770)  liest  Catull  51,  11 
gelida  teguntur  luinina  nocte  [offenbar  unpassend,  da  das  vorangehende 
tenuis  sub  artus  flamma  demanat  soebeu  ein  anderes  Bild  vor  die  Augen 
geführt  hat].  68 b,  21  aaUo  in  sudore  [so  auch  Riese] .  ib.  28  29  isque 
dedit  dominae  [mit  Fröhlich] ,  ad  quem  communes  exerceremus  arnores. 
d.  h.  '  er  gab  eine  Stätte  mir  und  meiner  Herrin,  damit  wir  bei  ihm 
(in  seinem  Hause)  unserer  gemeinsamen  Liebe  nachgingen';  ad  soll  ge- 
braucht sein,  wie  in  cenare  ad  aliquem  u.  ähnl.  [doch  vgl.  Scholl,  N. 
Jahrbb.  1880,  476J.  87,  4  quanta  in  amore  illo  ex  parte  reperta  mea 
est  (statt  luo;  so  auch  Riese). 

108.  A.  Biese  verteidigt  im  Rh.  Mus.  36  (1881),  322—324  das 
Catull  64,  64  überlieferte  velatum  in  eigentümlicher  Weise.  Der  Inhalt 
von  v.  64  wird  bei  Ovid  in  seiner  entsprechenden  Schilderung  A.  a.  I  529 
angeblich  durch  tunica  velata  recineta  wieder  gegeben.  An  beiden  Stellen 
bezeichne  velare  im  Gegensatze  zu  dem  festen  Anschlüsse  des  Gewandes 
nur  die  leichte  Umhüllung.  Ariadne  steht  preisgegeben  dem  Winde, 
vom  Winde  gebläht  löst  sich  das  Obergewand  und  verhüllt  flatternd  nur 
leicht  die  Brust,  ohne  sie  fest  anschmiegend  zu  bedecken.  Ref.  hält 
diese  Deutung  für  unrichtig  (vgl.  oben  S.  195  f.).  Nicht  dem  Winde  ist 
das  Werk  der  Zerstörung  zuzuschreiben  (dies  müfste  doch  erwähnt  sein, 
pafst  auch  nicht  recht  zu  dem  Bilde  in  v.  61),  mit  eigener  Hand  hat 
Ariadne  Gewand  und  Haar  verwüstet:  Kleider  zerreifsen  und  Haar  zer- 
raufen sind  ja  die  gewöhnlichen  Zeichen  der  Trauer.  Auf  den  wilden 
Ausbruch  der  Verzweiflung  ist  nunmehr  die  steinerne  Ruhe  düsteren 
Schmerzes  gefolgt.  Auch  irrt  wohl  Verf.,  wenn  er  meint,  in  jenen  drei  Versen 
Catulls  sei  eine  fortschreitende  Handlung  erkennbar.  Es  wird  ein  Bild 
gezeichnet,  wie  zum  Überflusse  der  Vergleich  saxea  ut  effigies  deutlich  sagt. 

Zu  dem  Bilde  von  Wind  und  Wellen  (v.  59)  werden  in  einer  Anm. 
eine  Anzahl  Parallelstellen  citiert,  Nachträge  zu  seinen  Ausfüh- 
führungen  giebt  Verf.  im  Philol.  Anz.  15,  328.  An  derselben  Stelle 
(S.  324.  327)  werden  interessante  Parallelen  zwischen  der  alexan- 
drinischen  Technik  und  der  des  c.  64  gezogen  (Anapher,  Einschachte- 
lungen). 


Catull  und  Tibull     Beiträge  zur  Textkritik  (Birt,  Boldt).  289 

109.  Th.  Birt  konjiziert  in  der  Dissertation  Ad  historiam  hexa- 
metri  Latini  symbola.  Bonn.  1876'  zu  Catull  64,  109  prona  cadit  la- 
teque  ruineis  obvia  frangens,  und  zu  66,  59  mit  Benutzung  von  Haupts 
Konj.  Ardui  ibi  vario  ne  solum  in  culmine  caeli.  Lygdam.  6,  3  lies  pa- 
tera medicare.  Gegen  Wyngards  allgemein  gebilligtes  patera  medicante 
spricht  angeblich  der  Umstand  cquod  medicantes  nunquam  res  dice- 
bantur.  sed  aut  homines  aut  immortales '.  Aber  gegen  Birts  Konj. 
zeugt  sowohl  die  unpassende  Verbindung  aufer  et  medicare  wie  die 
Stellung  von  ipse.  Zu  patera  medicante  cf.  Tib.  IV  4,  4.  Von  dem- 
selben Gelehrten  werden  in  dem  Buche  (De  Halieuticis  0  vid  io  poe- 
tae  falso  adscriptis.  Berlin  1878'  einige  Stellen  aus  Catull  und  Ti- 
bull kritisch  behandelt.  Cat.  64,  309  atro  sed  niveae.  Cat.  38,  2—3 
Male  est  me  hercule  et  est  laboriose  Ei  magis  magis  in  dies  et  horas. 
—  S.  62  —  63  wird  über  Tib.  I  7,  49  gesprochen.  An  der  vulg.  ist  der 
Sing,  ludo  statt  ludis  sehr  auffällig.  Die  handschr.  La.  huc  ades  et  cen- 
tum  ludos  geniumque  choreis  ist  zu  halten.  Denn  man  kann  sowohl  cele- 
brare  ludos  wie  natalem  (genium)  sagen.  Centum  ist  angeblich  mit  choreis 
zu  verbinden.  Aber  das  scheint  unmöglich ,  denn  an  den  für  eine  der- 
artige Trennung  citierten  Stellen  läfst  ja  der  Sinn  über  die  notwendige 
Beziehung  keinen  Zweifel,  so  bei  Martial  II  14,  19  inde  petit  centum 
pendentia  tecta  columnis.  (Ramsay  in  seinen  Selections  from  Tibullus 
vermuthet  jetzt  wenig  überzeugend  Genium  ludo  centumque  choreis  con- 
celebra). 

110.  Th.  Birt,  Buchwesen  S.  66  —  69,  bespricht  den  bei  Catull 
22,  5—8  sich  findenden  locus  classicus  über  das  antike  Buchwesen.  Er 
schlägt  vor: 

.  .  .  nee  sie  ut  fit  in  palimpsesto 
celata  :  chartae  regiae  novae  libri; 
novi  umbilici;  coria  rubra  membranae; 
et  reeta  plumbo  et  pumice  omnia  aequata. 
Vgl.  oben  S.  257. 

111.  Boldt  (De  liberiore  linguae  Graecae  et  latinae  collocatione 
verborum  diss.  Götting.  1884)  citiert  in  dem  Kapitel  'de  hyperbato  enun- 
tiati  relativi'  zahlreiche  Beispiele  für  die  freiere  Verbindung  des  Rela- 
tivums  mit  entfernteren  Beziehungsworten  und  folgert  daraus  (S.  128) 
für  Catull  68,  68  die  Beziehung  des  ad  quam  auf  dotnum  sei  durchaus 
unbedenklich  [vgl.  übrigens  auch  Lachmann  zu  Proporz  S.  242].  Doch 
ad  quam  für  in  qua  hält  Verf.  für  verdächtig  und  scheint  Schölls  Kon- 
jektur ut  dam  zuzustimmen.  Ebenda  S.  158  spricht  Verf.  über  Lygd. 
4,  25—26  wo  Vahlen  [nicht  Haupt]  die  handschr.  La.  wieder  herstellte: 
non  illo  quiequam  formosius  nlla  priorum  Aetas,  humanuni  pwc,  videt,  iüud 
opiis.  Er  hält  die  Transposition  von  videt  für  kaum  möglich :  Ad  haue 
insolcntissimam  traiectionem,  qua  verbum   tiiiitum    prioris  enuntiati  post 

Jahresbericht  für  Alu-rthumswissenscliaft  LI.  (1887.  11)  19 


290  Catull.     Vermischte  Beitrüge  zu  Kritik  und  Erklärung. 

particulam  nee  sedem  oecupavit,  defendendam  aliud   exemplura  non  sup- 
petit  nec  praesens  tempae  offeosione  caret  .     [VgL  oben  S.  172]. 

112.  M.  Bonnet  (Revue  crit.  1883,  348)  liest  Cat.  37,  5  putare 
ceteros  hmno8,  weil  der  Sinn  sei:  Vous  vous  imaginez  i'tre  seuls  des 
hommes  et  avoir  droit,  par  consequent,  sur  toutes  les  femrnes;  vous 
croyez  les  autres  impuissants;  je  vous  prouverai,  s'il  le  laut,  que  vous 
vous  trompez'. 

113.  Bu[rsian]  vermutet  im  Lit.  Centralbl.  187G  Sp.  1133  zu 
Cat.  3G,  9-10:  Et  hoc  pessima  me  puella  vidit  Joco  sc  lepido  vovere 
divis.  Hierbei  wäre  me  als  Accus,  objeeti  zu  vovere  im  Sinne  von  car- 
mina  mea  aufzufassen  und  eine  scherzhafte  Anspielung  auf  Catull  als 
'pessimus  omnium  poeta'  (c.  49,  5)  anzunehmen.    Vgl.  oben  S.  259. 

114.  B.  Bury  (Bezzenbergers  Beiträge  zur  Kunde  d.  Indogerman. 
Sprachen  VIII  1884,  329)  bemerkt  zu  dem  rätselhaften  multtu  bei  Ca- 
tull 112<  cEs  liegt  nahe  zu  vermuten,  dafs  uns  hier  ein  altes  Parti- 
cipium  von  mokre  vorliegt,  das  in  früheren  Zeiten  in  Nichtgebrauch  ge- 
raten ist,  aber  sich  ausnahmsweise  in  obseönem  Sinne  ( =  fututus )  er- 
hielt. Multus  wäre  das  von  molere  regelmäfsig  abgeleitete  Participium, 
wie  eultus  von  colere,  adultus  von  adolescere'.  Ref.  glaubt,  dafs  diese 
von  Niemandem  beachtete  Notiz  uns  auf  den  richtigen  Weg  weist,  und 
wird  auf  ihr  fufsend  an  anderer  Stelle  eingehend  über  das  rätselhafte 
Gedicht  handeln. 

115.  B.  Bury  (Hermathena  XI  1885,  271-273)  liest  Catull  8,  15 
scelesta,  anenti  quae  tibi  manet  vita!  coli.  Plaut.  Merc.  IV  4,  15  Ritschi 
verum  hercle  anet.  68,  69  qua  nos  communes  exerceremus  amores  wegen 
156,  wo  in  qua  nos  zu  lesen  sei.  'The  m  may  be  a  trace  of  an  abbre- 
viated  nos\  68,  142  ingratum  est  mulier  perfida  amantia  onus  ohne  Lücke. 
Keine  dieser  Vermutungen  ist  annehmbar. 

116.  J.  J.  Cornelissen  (Mnemosyne  N.  S.  VI  1878,  305-307) 
liest  Cat.  10,  27  —  29  c minime'  inquio  puellae  'Est  id  quod  modo  dixerara 
me  habere;  Fugit  me  ratio',  [minime  schon  Pontanus].  —  39,  10  si 
Irpinus.  ibid.  V.  13  quoque  adiungam.  —  44,  15  allioque  et  Urtica  (coli. 
Celsus  IV  4,  4.  Plin.  N.  H.  19,  6,  32).  —  48,  5  horridis  aristis  (=  Peiper). 
—  66,  7  caelesti  in  eulmine  (=  Mähly  und  Birt).  —  68,  42  foverit  offieiis. 

117.  R.  Ellis,  Transactions  of  the  Oxford  Philological 
society  1883  —  1884  liest  S.  11  Catull  66,  78  nunc  iam  milia  multa  bibi 
statt  des  überlieferten  una.  Der  Gedanke  ist  folgender:  cThough  I  was 
kept  during  her  girlhood  aloof  from  unguents,  now  at  last,  since  her 
elevation  to  the  throne  of  Ptolemy,  I  have  been  allowed  my  füll  indul- 
gence  in  those  essences  which  belong  to  a  married  woman  and  a  queen'. 
Ellis  befürwortet  also  anscheinend  die  Interpunktion  von  Haupt-Vahlen 
in  der  fünften    Auflage.      Mit  der   Änderung  nunc   iam  kann  sich  Ref. 


Catull  und  Tibull.    Vermischte  Beiträge  zur  Textkritik.-  291 

nicht  einverstanden  erklären.  Wie  pafst  dazu  das  Perf.  bibi?  Auch 
müfste  sich  nunc  iam  doch  auf  die  wirkliche  Gegenwart  beziehen.  — 
Auf  S.  12  ib.  wird  beiläufig  die  Vermutung  ausgesprochen,  Catull  habe 
115,  1  vielleicht  geschrieben:  Mentula  habet  bostar  (dieses  Wort  wird 
cin  the  Phillips  Glossary'  erklärt  mit  cboum  statio'  oder   boum  pastus'» 

118.  R.  Ellis  betont  im  Journ.  of.  Philol.  XIV  (1885)  81  u.  f. 
nochmals  die  Wichtigkeit  des  Gloss.  Phillips  4626  (vgl.  ebenda  VIII  71) 
es  sei  bei  aller  Übereinstimmung  vollständiger  als  Paulus  Diaconus.  Er 
knüpft  daran  textkritische  Bemerkungen  zu  Catull.  Cat.  68,  155  sei  zu 
lesen:  et  qui  principio  nobis  dextram  dedit  hospes  (hospes  sei  der  owner 
of  the  house).  Unrichtig.  Denn  abgesehen  von  der  unmethodischen 
Änderung  von  aufert  in  hospes  haben  Baehrens  und  Munro  terram  dedit 
als  wahrscheinlich  richtig  überliefert  nachgewiesen.  Vgl.  oben  S.  252. 
Zu  Catull  61,  102  adsitas  arbores  heilst  es  in  Gloss.  Phill.  'Adsita  arbor 
dicitur  cum  aliud  aliquid  quod  sustentet  adiungitur  quemadmodum  vitis 
ulmo  vel  populo.  unde  oratius  quo  populus  adsita  surgit  (Epp.  II  2,  170) 
quod  videlicet  vitibus  maritetur  quas'.  --  61,  150  (158)  die  La.  quae 
tibi  sine  serviat  wird  angeblich  gestützt  durch  eine  Glosse  zu  Apollinaris 
Sidonius  '  pronuba  est  illa  quae  cum  nova  nupta  domum  viri  nupti  petit 
ut  eam  custodiat  et  ei  serviat'.  [Vgl.  Anecdota  Oxon.  V  S.  39.].  - 
Gl,  156  verteidigt  Ellis  die  La.  amnuit  =  abnuit,  gegen  die  er  sich  im 
Komment,  erklärt  hatte:  the  shaking  head  of  the  old  woman  seems  to 
say  'fie'  or'Don't'  to  all;  a  sort  of  general  protest,  which  youth  knows 
well  how  to  understand.     Wunderlicher  Mifsgriff! 

119.  R.  Ellis  bespricht  Journ.  of.  philol.  XV  (29)  7  Cat.  63,  9. 
Er  bemerkt:  'In  reading  Hesychius  it  Struck  me  that  his  gloss  zaßdXa-  za- 
ßr^Xa  und  Ildpbwv  ouzu>  xakeirat  opyavov  xpißdvw  iflpepkg,  wyjituvzai  iv  zoT$ 
TiuXepoiQ  dvzi  adXmyyog  possibly  conceal  sorae  form  of  the  real  word 
used  by  Catullus'.  So  sei  auch  Senec.  epist.  56,  4  tabalas  zu  lesen. 
Für  tubum  sei  also  tabal  oder  tablam  einzusetzen.  Dieselbe  Ansicht  aus- 
führlicher begründet  s.  Transactions  of  the  Oxford.  Phil.  Soc.  1885  bis 
1886  S.  7.  Aber  abgesehen  davon,  dafs  es  sehr  bedenklich  ist  ein  Wort 
so  zweifelhaften  Charakters  dem  Dichter  zuzumuten,  läfst  Ellis  einen 
wichtigen  Punkt  im  unklaren.  Ersetzt  mau  einfach  tubam  durch  tabal, 
so  bleibt  der  Unsinn  derselbe.  Schiebt  man  aber  vorher  ac  oder  et  ein, 
so  wird  die  herrliche  doppelte  Epanalepsis  (typanum  .  .  typanum,  tuom 
.  .  tua)  total  verdorben.  Warum  beruhigt  man  sich  nicht  endlich  bei 
Lachmanns   glänzender  Emendation? 

120.  G.  Goetz  (Ind.  leett.  aest.  Jenens  1883  S.  5-G)  nimmt  An- 
stofs  an  Tib.  I  3,  69  impexa  feros  pro  crinibus  angnes  und  vermutet 
impexa  gerena  (od.  ferena).  Aber  die  Überlieferung  ist  tadellos.  Tisi- 
phone  mit    zottigen  Schlangen    -    nicht    Haaren.     Vgl.    bes.  Hoschke 

19* 


292  Catull  und  Tibull.     Vermischte  Beiträge  zur  Textkritik. 

z.  St.  Das  auch  von  SchäHcr  Graecismen  S.  12  verteidigte  implexa  weist 
Goetz  mit  Recht  zurück. 

121.  Goldbacher  (Wiener  St.  VII  1885  S.  163-164)  bespricht 
Tibull  I  3,  17-  18.  Er  versucht  das  überlieferte  Saturni  sacram  durch 
folgende  Interpunktion  zu  halten: 

Aut  ego  sum  causatus  aves  aut  —  omina  dira!  — 
Saturni  sacram  me  tenuisse  diem. 

Dazu  wird  bemerkt:  'omina  dira!  cum  ironia  quadam  scripsisse  Tibullum 
ex  eo  colligimus,  quod  Saturni  diem  i.  e.  Judaeorum  sabbata  nequaquam 
cum  inter  omina  dira  habuisse  consentaneum  est'.  Man  sieht  zunächst 
nicht,  worin  hier  der  Vorteil  gegenüber  der  verworfenen  Auffassung  be- 
stehen soll,  nach  der  omina  dira  als  Apposition  zum  Folgenden  zwischen 
Kommas  zu  stellen  wäre.  Gegen  beide  Auffassungen  sprechen  dieselben 
Bedenken.  Erstens  der  Plural  omina  dira.  Denn  die  Stellung  der  Pa- 
renthese hinter  aut  zeigt,  dafs  der  Ausruf  nur  dem  durch  aut  begonne- 
nen Satze  Saturni  sacram  me  tenuisse  diem  gelten  kann.  Ganz  abge- 
sehen aber  von  dem  Plural  würde  omen  dirura  weder  als  Apposition 
noch  als  Ausruf  zum  Inhalt  von  v.  18  recht  passen.  Diese  richtige 
Erkenntnis  bewog  offenbar  Baehrens  zu  seiner  Konjektur  omine  diro  Sa- 
turni sacram  und  Francken  (Mnemosyne  N.  S.  VI  183)  zu  seinem  omina 
dira  Saturni  mcra  me  tenuisse  die.  Endlich  ist  die  Ironie  hier  nicht  am 
Platze.  Ein  Seitenhieb  auf  den  Sabbat  der  Juden  kann  nicht  von  Tibull 
beabsichtigt  sein.  Dafs  die  hier  hervortretende  Anschauung  über  den 
dies  Saturni  allgemein  verbreitet  war  und  von  den  römischen  Autoren 
keineswegs  zu  den  c res  levissimae'  gerechnet  wurde,  zeigen  viele  Stellen 
aus  römischen  Dichtern  wie  Ov.  Aa.  1,  415.  Rem.  219.  Juven.  14,  96  u.  a. 
Die  Zusammenstellung. aves,  omina  dira,  Saturni  sacram  verliert  ihr  Auf- 
fälliges und  pafst  sich  genau  dem  dichterischen  Sprachgebrauche  an, 
wenn  man,  wie  dies  in  den  besten  Ausgaben  geschieht,  in  v.  17  nicht 
tenuisse  ergänzt,  sondern  nach  dira  interpuugiert. 

120.  T.  J.  Halbertsma  (Mnemos.  N.  S.  V  333-335)  liest  Catull 
42,  13  facit  (vielleicht  richtig).  46,  11  reportent  ist  eine  Verschlechte- 
rung, a  queis  nicht  neu.  Lachmanns  munerarios  25 ,  5  soll  wegen  Quintil. 
Inst.  Or.  VIII  3,  34  unrichtig  sein. 

123.  E.  Holzer  behauptet  im  Korrespondenz-Blatte  f.  d.  Gel  und 
Realschulen  Württembergs  XXXIV  (1887)  32-33,  dafs  die  Verse  Tib.  II 
5,  91—94  da,  wo  sie  stehen,  den  Zusammenhang  zwischen  87—90  und 
95  f.  empfindlich  unterbrechen,  und  will  sie  hinter  86  oder  84  stellen. 
Offenbar  unrichtig.  Weder  dürfen  Ceres  und  Bacchus  Gaben  (84 -85  f.) 
getrennt  werden,  noch  hat  madidus  Baccho  in  87  und  potus  in  89  eine 
Beziehung,  wenn  nicht  85  — 86  voran  gehen.  Schwerlich  hätte  Verf.  hier 
Anstofs   genommen,    wenn  ihm  Vahlens  und  Leos  Beobachtungen  über 


Catull.     Vermischte  Beiträge  zur  Textkritik.  293 

Tibulls  Kunst  bekannt  gewesen  wären.  Der  Dichter  wünscht  vom  Gotte 
ein  gesegnetes  Friedensjahr.  Ein  solches  ist  fruchtbar  an  Feldfrüchten 
(84),  an  Wein  (85  f.),  an  Kindersegen  (91  f.)-  Dafs  der  Dichter  sich  einen 
Augenblick  im  Ausmalen  der  seine  Phantasie  anziehenden  Bilder  von 
Weinsegen  und  Weinlaune,  von  Kindersegen  und  Familienglück  träume- 
risch verliert,  entspricht  ganz  seiner  Eigenart.  Tunc  in  95  heifst:  in 
diesem  eben  geschilderten  Segensjahre.  Etwas  anders  Lachmann  Kl. 
Sehr.  S.  159. 

124.  C.  B.  Huleatt  (Journ.  of.  Phil.  XIII  1885,  303)  liest  Catull 
61,  227  (234)  mutue  assiduei.  '  Perhaps  MVTVE  ASSIDVEI  was  by  con- 
fusion  of  TV  and  N  read  as  MVNE  ASSIDVEI'. 

125.  K.  Jacoby,  N.  Jahrbb.  1882, 143—144,  versteht  Catull  68, 118 
von  der  Zeit  nach  dem  Tode  des  Protesilaos  und  konjiziert  mit  Bezug 
auf  Ov.  Her.  13,  159.  amor.  II  18,  38.  ex  P.  III  1,  110:  qui  te  unum 
comitem  ferre  iugum  doeuit  [Vgl.  dagegen  die  Bemerkungen  des  Ref. 
Jahresber.  des  Phil.  Ver.  IX  279]. 

126.  A.  Kiefsling  konjiziert  in  den  cGamelia  nuptiis  U.  de  Wila- 
mowitz'  (Greifswald)  zu  Catull  96,  3  et  quo  dimissas. 

127.  E.  v.  Leutsch  behandelt  eine  Reihe  von  Catullstellen  in 
zerstreuten  Bemerkungen  des  P  hilologus,  doch  ohne  im  Grunde  sach- 
lich Neues  zu  sagen.  So  wird  Phil.  37,  161  die  Überlieferung  von  Ca- 
tull 69,  3  nos  illa  mare  aus  no  s  ülam  are  (non  si  illam  rarae)  erklärt. 
Zu  labefaetare  wird  7iXrjy£vTeg  ddtpotg  Herod.  VIII  5,  sowie  das  dort  von 
den  Auslegern  citierte  xdpTtTscv  verglichen. 

128.  Th.  Maguire  verteidigt  Hermath.  XIII  165  mit  Recht  die 
La.  at  bei  Catull  66,  21.  Nur  hätte  er  sie  nicht  als  handschriftliche 
Überlieferung  bezeichnen  dürfen. 

129.  J.  Mowat  (Journ.  of  Philol.  XIV  1885,  252—256)  liest  Ca- 
tull 25,  5  cum  diva  mater  horias  ostendit  aestaantes  und  findet  in  12 
bis  13  nicht  eine  Widerlegung,  sondern  eine  Stütze  seiner  Konj.!  Diva 
mater  sei  TethysI  Ref.  hält  jede  Vermutung  für  unrichtig,  die  in  dem 
Verse  eine  breite  Ausmalung  von  turbida  rapacior  procella  sieht.  — 
66,  59  Hie  (lumen  vario  ne  solum  in  numine  caeli  .  .  .  exuviae);  ibi  sei 
Glosse  zu  hie  (!)  67,  32  Brixia,  Tyrrhena  suppositura  in  specula,  'where 
suppositum  is  au  extension  of  cognitum  and  is  to  bc  understood  of  what 
the  Bresciaus  might  see  at  their  fect,  if  they  stood  on  the  old  Tuscau 
watchtovver  which  I  assume  to  have  crowned  the  neighbouriug  hilT.  (!). 
—  67,  12  soll  Scaligers  Quinte  richtig  sein,  aber  auf  den  Hausherrn 
Quintus  Caccilius  Baibus  gehen.  Übrigens  sei  nach  einer  Konj.  von 
Van  Sittart  der  Vers  zu  lesen;    Verbwn  istuc  popnlj  iaiuia,  Qutnfe,  facit. 

130.  L.  Müller  Rh.  Mus.  31  (1876),  476  liest  Catull  64,  402 
über  uti  nuptae  (so  früher  bereits  Mähly). 


294  Catull  und  Tihull.     Vermischte  Beiträge  zur  Textkritik. 

131.  II.  A.  J.  Munro  liest  journ.  of  philol.  XI  (21),  124  Catull 
64,  276  Sic  tum,  vertu  ubi,  linquent.es  sq  [!|  and  ebenda  S.  1 41  bei  Ca- 
tull 63,  18  Hilaratc  pr<><-itatis  <1.  li.  nach  Phil.  Gloss.  und  Paul.  Fest. 
S.  225,  7  certatim  citatis,  provocatis. 

132.  II.  A.  J.  Munro  liest  (journ.  of  philol.  IX  No.  18  8.  185) 
Cat.  107,  7-8  aut  magis  aevum  Optandum  hac  vita  ducere  quis  poterit 
coli.  Culex  79.  Sicher  unrichtig,  wie  schon  der  verschrobene  Ausdruck 
aevum  magü  u.  h.  v.  ducere  zeigt.  Warum  macht  man  an  dieser  Stelle 
noch  Konjekturen? 

133.  A.  Otto  (Z.f.d.G.W.  1885,  S.  225)  versucht  die  beste  Über- 
lieferung bei  Tibull  I  1,  14  libatum  ayricolae  ponitur  ante  deum  zu 
stützen :  der  Dativ  agricolae  sei  =  ab  agricola  =  a  me.  Doch  erweist 
sich  diese  Vermutung  abgesehen  von  sprachlichen  Gründen  darum  als 
unrichtig,  weil  so  deum  ganz  unverständlich  bliebe.  —  Zu  Tibull  II  1,  65 
wird  mit  teilweiser  Benutzung  einer  Konj  von  Polster  ( Quaest.  Prop. 
Ostrowo  1881)  vermutet:  Ipse  interque  agnos  interque  armeuta  Cupido 
(s.  Z.f.d.G.W.  1885  S.  388).    Endlich  liest  Otto  bei  Tibull  IV  6,  19—20: 

Sit  iuveni  grata,  ut,  veniet  cum  proximus  annus, 

Hie  idem  votis  iam  vetus  adsit  amor. 
Ebenso  liest  jetzt  (bis  auf  et  statt  ut)  Vahlen  in  Ed.  V.     K.P.Schulze 
dagegen  verteidigt  (Wochenschr.  f.  kl.  Ph.  1885  Nr.  19  die  Verlängerung 
grata  und  ändert  v.  20  votis  in  iunetis. 

134.  P.  Pabst,  N.  Jahrbb.  1882,  612,  will  mit  dem  Oxoniensis 
lesen  exagitaus  in  miti  corde  furores  und  das  Punktum  erst  hinter 
furores  setzen ,  so  dafs  exagitans  und  in  miti  corde  auf  Ariadae 
ginge.  Diese  nach  Ansicht  des  Ref.  unrichtige  Beziehung  auf  Ariadne 
haben  die  alten  Ausgaben  fast  sämtlich.  Dagegen  erklärt  sich  auch 
A.  Biese  Rh.  Mus.  38,  637  in  einer  Untersuchung  über  Wiederholun- 
gen derselben  Wörter  und  Silben  bei  den  römischen  Dichtern. 

135.  A.  Palmer  macht  im  journ.  of  philol.  XV  (29)  S.  142—143 
folgende  Emendationsvorschläge  zu  Tibull.  I  5,  33  tantum  venerata 
virum  se  sedula  curet  oder  virum  huic  se  (coli.  Tib.  IV  6,  3.  Plaut.  Cist. 
1,  1,  15.  —  I  3,  71  per  centum  Cerberus  ora  (entschieden  beachtens- 
wert). —  I  2,  50  aestivas  convocat  aere  nives.  (Die  Kouj.  ist  schon 
darum  abzuweisen,  weil  sie  auf  interpolierter  La.  beruht).  —  I  4,  41 
teilweise  nach  Baehrens  venturam  ineutiat  nubifer  ortus  aquam  (coli.  Ov. 
trist.  II  11,  12.     Curt.  8,  4).    Doch  s.  weiter  unten. 

136.  A.  Palmer  schreibt  auf  S.  24  seiner  rEmendations'.  1881. 
Cat.  54,  1—2: 

Othonis  caput  oppido  pusillum,  os 
Airius  pke,  semilauta  crura. 


Catull  und  Tibull.     Vermischte  Beiträge  zur  Textkritik.  295 

Für  atrius  pice  wird  verglichen   Ov.  a.  a.  II  658.  Met.  XII   402.   ex.  P. 
IV  14,  45.  der  Komparativ  atrior  findet  sich  Plaut.  Poen.  V  5,  11. 

137.  A.  Palmer  (Hermathena  XI  1885,  306)  liest  Cat.  116,  1—2: 

Saepe  tibi  studioso  animo  vemada  requirens 

Carmina  uti  possem  verlere  Battiadae 

i.e.  vernacula  (vocabula)  requirens : c  seeking  for  words  of  our  native  tongue 

to  translate  for  you  the  poems  of  Callimachus '.    Aus  den  verschiedensten 

Gründen  abzuweisen. 

138.  A.  Palmer  liest  (Hermath.  VII  148—149)  Cat.  71,  1  si  quoi 
iure  bonae  scortatorum  obstitit  hircus.  '  Bona  is  used  of  a  woman  who 
is  not  chary  of  her  favours'.  —  Catull  115,  1  Mentula  habet  rigid  tri- 
ginta  sq. 

139.  R.  Peiper  Rh.  Mus.  32  (1877),  522  bespricht  den  Spottvers  auf 
Pompeius  bei  Marius  Plotius  Sacerdos  S.  461,  30  K,  quem  non  pudet  et 
rubet,  non  est  homo,  sed  ropio,  in  dem  Pompeius  offenbar  als  non  homo, 
sed  mentula  magna  minax  bezeichnet  wird.  Hiernach  ist  Catull  37,  10 
angeblich  ropionibua  einzusetzen.  Dies  Symbol  der  Unkeuschheit  soll 
also  unkeuschen  Leuten  zur  Schmach  an  die  Thür  ihres  Hauses  oder 
ihres  Kasinos  gemalt  werdeu.  Damit  ist  zwar  der  Sinn  aber  nicht  die 
richtige  La.  getroffen,  denn  das  haudschr.  sopionibus  ist  richtig.  S.  Riese 
und  Baehrens  z.  St.    (Vgl.  übrigens  oben  S.  256  und  260). 

140.  F.  Polle,  N.  Jahrbb.  1886,  80,  will  bei  Tibull  II  1,  83  inter- 
pungieren : 

Vos  celebrem  cantate  deum  pecorique  vocate, 
voce  palam  pecori,  clam  sibi  quisque  vocet. 
[So  liest  Hiller.  Und  schon  Heyne  bemerkte  z.  St.:  'Ceterum  ambiguum 
esse  potest,  sitne  interpungendum:  pecorique  vocate;  Voce  palam  pecori, 
clam  sibi'.  Aber  es  sprechen  doch  gewichtige  Gründe  dagegen;  vor  Allem 
die  bei  Anrufungen  an  Götter  feststehende  Formel  voce  vocare,  vgl. 
Sydow,  de  rec.  Cat.  carm.  S.  40.  Auch  die  folgende  Wiederholung  aut 
etiam  sibi  quisque  palam  deutet  an,  dafs  palam  weiter  keinen  Zusatz 
hatte.    Dasselbe  fordert  der  einfache  Gegensatz  clam]. 

141.  L.  Quicherat,  Rev.  de  Phil.  X  (1886)  S.  157-160  be- 
spricht Catull  61,  206.  Er  vermifst  zu  pulveris  'un  adjeetif  qui  ait  le 
sens  de  volante1  —  und  seblägt  für  das  überlieferte  ericei  vor  o-uti. 
'  Celui  -  lä  pourra  compter  les  grains  d'un  nuage  de  poussiere'.  Für 
diesen  Sinn  von  entere  beruft  er  sich  auf  Ov.  Met.  XV  111.  Ileroid.  5,  54. 
Am.  III  8,  43.     Trist.  I  4,  6. 

142.  A.  Riese  weist  im  Rh.  Mus.  32  (1877),  319  darauf  hin,  dafs 
auch  Horaz  in  den  Epoden,  seiuen  frühesten  Gedichten,  mehrfach  An- 
klänge an  Catull  zeigt.     Von  Interesse  ist  es,   dafs  dem   noch  Jugend- 


296         Catull.     Vermischte  Beiträge  zur  Textkritik  und  Erklärung. 

liehen  Iloraz  in  diesen  jedenfalls  unabsichtlichen  Anklängen  gerade  die 
heftigsten  unter  den  Catullischen  Gedichten  ( die  Jamben  gegen  Cäsar 
und  Mamurra)  vor  die  Seele  traten.  Catull  29,  6  wird  verglichen  mit 
epod.  17,  41.  (cf.  Catull  42,  24).  5,  G9.  4,  5.  Catull  29,  21  mit  epod. 
5,  3.  49.  An  Catull  29,  1  quie  polest  pati  klingt  vielleicht  an  im  Prologe 
des   Laberius  (107  Ribb.)  quis  posset  pati. 

143.  A.  Riese  (Berl.  Piniol.  Wochenschr.   1885   Sp.  1552)  ver- 
mutet zu  Catull  I  9-10: 

qualecunque:  tun,  patrone,  cura 

plus  uno  maneat  perenne  saeclo. 
Die  cura  besteht  in  dem  Lobe  durch  Nepos,  in  dessen  'esse  aliquid  pu 
tare'.     Doch  gelangt  man  durch  Bergks  patroni  ut  ergo  weniger  gewalt- 
sam zu  demselben  ansprechenden  Gedanken. 

144.  W.  H.  Röscher  (N.  Jahrbb.  1880  S.  785—787)  spricht  über 
den  verzweifelten  Vers  Catull  64,  285  Minosim  linquens  doris  celebranda 
choreis.  Er  verteidigt  mit  Recht  Haupts  Emendation  Naiasin  und  bringt 
zwei  Parallelstellen  bei,  wo  Nymphen  als  Bewohnerinnen  des  Tempe- 
thales  und  Töchter  des  Flufsgottes  Peneios  auftreten,  nämlich  Theokr. 
1,  66  und  besonders  Kallim.  Hymn.  auf  Delos  109  f.  vüjx^ai  BsffaaXc'dee, 
nora/xotf  ysvog,  eYnars  narp]  (Ilyveiäi)  xutp^aat  jxiya  %£Üp.a.  Das  über- 
lieferte doris  dagegen  soll  richtig  sein.  Röscher  erinnert  au  die  weit 
verbreitete  Tradition,  nach  der  das  Peneiosthal  dereinst  von  Doriern  be- 
wohnt war  und  geradezu  Doris  hiefs;  er  vergleicht  Herod.  I  56.  Diod. 
IV  37.  Steph.  Byz.  unter  dwpcov;  Pausanias  X  37,  2.  Bursian  Geogr. 
v.  Gr.  I  51.  Müller  Orchomenos  S.  198,  Dorier  I  27  f.  Dies  doris  ist 
angeblich  Epitheton  zu  Naiasin,  das  eben  den  Wohnsitz  jener  Göttinnen 
näher  bezeichnen  sollte.  Grammatisch  ist  die  Form  doris  [die  Haupt 
opusc.  I  142  für  unmöglich  ansah]  zu  erklären  entweder  durch  Zu- 
sammenziehung aus  doriis  (nach  Lachmann  zu  Lucr.  S.  280),  oder  sie 
ist  abzuleiten  von  einem  Nom.  sing,  dorus  —  dorius  (wies  doch  Lach- 
mann die  Form  Dori  bei  Servius  z.  Aen.  II  27.  Festus  S.  206,  3.  Isidor. 
orig.  IX  2,  80  nach).  Bedenklich  bleibt  trotz  dieser  Ausführungen  immer 
noch  zweierlei:  1)  die  Adjektivform  doris  ist,  wie  man  sie  auch  erklärt, 
doch  singulär,  2)  es  ist  nicht  wahrscheinlich,  dafs  doris  zu  Naiasin  ge- 
hört: choreis  ohne  Epitheton  wäre  doch  gar  zu  kahl.  Vollends  die  Cäsur 
läfst  über  die  Beziehung  des  Wortes  kaum  einen  Zweifel.  Baehrens 
hält  jetzt  im  Kommentare  ebenfalls  doris,  aber  als  Epitheton  zu  choreis, 
und  erinnert  an  dajptd&cv  =  abieeta  veste  choreas  ducere  bei  Hesychius 
und  an  Anacr.  fragm.  60  Bergk.  Aber  was  soll  das  hier?  Baehrens  ver- 
mutet zwar,  c  abseute  Penio  nymphas  privas  sibi  choreas  duxisse  licentius, 
quas  illo  praesente  non  ausae  sint  ducere',  aber  welch  lächerlicher  Ge 
danke  (vor  dem  Ref.  einst  ausdrücklich  warnte,  vgl.  S.  256)  wird  da 
dem  Dichter  imputiert :  die  Najaden  benutzen  die  Abwesenheit  des  sitten- 


Catull  und  Tibull.     Vermischte  Beiträge  zur  Textkritik.  297 

strengen  Erzeugers  um  sofort  über  die  Stränge  zu  schlagen  und  leicht- 
fertige Tänze  aufzuführen!  So  bleibt  Alles  unsicher. 

145.  K.  Rossberg,  N.  Jahrbb.  1877,  127—128,  841—845  bietet 
Konjekturen  zu  Catullus.  Die  Strophe  61 ,  114—118  ist  zwischen  35  bis 
36  zu  stellen,  in  v.  115  für  flammeum  zu  schreiben  flaminem  [Beides  schla- 
gend widerlegt  von  0.  Harnecker,  Friedeberger  Progr.  1879  S.  20 — 21 
und  Friedeberger  Progr.  1881  S.  14].  61,  46  zu  schreiben  quis  deus 
magis  ante  alis  [Widerlegt  von  0.  Harnecker  1879  S.  21].  —  2,  6—8 
hinter  v.  6  ein  Punktum  zu  setzen,  7—8  enthalten  eine  Parenthese,  in 
7  zu  schreiben  est  solaciolum,  in  8  mit  B.  Guarinus  tum  gravis  acquiescat 
[Widerlegt  von  Harnecker  1879  S.  1].  6,  7  lies  nequaquam  [so  bereits 
Heinsius].  8,  14  lies  nvllei.  31,  13  lies  nach  den  Spuren  von  0  gaudete 
vos  quoque  hoc  die  lacus  undae.  46,  11  diversae  Italiae  (als  Dativ  der 
Richtung).  50,  2  nach  tabellis  ein  Punktum  zu  setzen;  für  meis  mit 
Schwabe  tueis  zu  schreiben.  55,  15  lies  ede  hoc  (wegen  der  handschr. 
La.  in  v.  16).  55,  22  lies  dum  veri  sis  particeps  amoris.  59,  1  lies 
Rufa  Rufum  edax  fellat.  «7,  27,  lies  nervosius  ile.  68,  59  praeceps  est 
olpe  volutus.  115,  7  lies  maximu  cultor  (=  possessor).  116,  7  lies  tela 
ista  tua  evitaUmus  kta  (d.  h.  tela  ista  tua  contra  nos  icta  evitabimus). 
Diese  Vorschläge  sind  fast  alle  zurückzuweisen. 

146.  M.  Rothstein  (De  Tib.  codd.  Berlin  1880  Thes.)  liest  Ca- 
tull 57,  3  maculae  pares  utrique  (codd.  utrisque),  Cat.  64,  323  0  decus 
eximium,  magnis  virtutibus  augens,  Emathiae  tutamen,  opes. 

147.  A.  Schaube  (N.  Jahrbb.  1880  S.  496)  will  in  der  vita  Ti- 
bulli,  der  er  anscheinend  mit  Baehrens  selbständigen  Wert  beimifst,  unter 
Benutzung  einer  Konjektur  von  Baehrens  schreiben:  Albius  Tibullus, 
eques  R.,  e  Gabiis  originem  duxit,  insignis  forma  cultuque  corporis  obser- 
vabilis,  ante  alios  Corvinum  Messalam  dilexit,  cuius  u.  s.  w.  Offenbar 
gerät  aber  durch  diese  Änderung  die  Apposition  insignis  -  observabilis 
an  eine  falsche  Stelle. 

148.  K.  Schenkl  (Wiener  Studien  V  1883,  165)  liest  Paueg. 
Mess.  142  mit  Benutzung  von  Heinsius'  und  Lachmanus  Vorschlägen: 
aret  Arecteis  haut  uda  per  ostia  campis  coli.  Ov.  fast.  VI  401-  [cf.  auch 
Metam.  I  418].  '  Gyndem  rluviura  describit  poeta  a  Cyro  in  rivos  tre- 
centos  sexagiuta  dispersum,  qui  facile  hareua  hauriuntur1. 

149.  A.  Schoenc  vermutet  nach  Mitteilung  von  R.  Ehwald  Ph. 
Anz.  XV  391  zu  Tibull  II  4,  60  mille  mala*  herbas  (coli.  I  ü.  61  inalas 
Medeac  herbas).  Doch  ist  alias  gewifs  richtig.  In  55  sind  anter  den 
venena  der  Circe  und  Medea  gramina  oder  hcrbae  zu  verstehen ,  in  56 
ist  geradezu  von  den  herbae  Thessaliens  die  Rede,  in  60  wird  endlich 
summarisch  gesagt,  der  Gifttranfa  könne  noch  auffordern  aus  mille  aUae 
herbae   zusammengebraut   sein.      Vgl.   Ov.   Metam    VII    275   nach  einer 


298  Catull.     Vermischte  Beiträge  zur  Textkritik  und  Erklärung. 

ganz  ähnlichen  Aufzählung:  his  et  mille  alita  postquam  sine  nomine 
rebus  instruxit  munus.  Anstofs  aber  zu  nehmen  an  der  v.  58  dazwischen 
tretenden  Erwähnung  der  hippomanee  scheint  unzulässiges  Aufzwängen 
der  logischen  Schablone. 

150.  K.  P.  Schulze,  Z. f.d. G.W.  32  (1878),  6G7,  konjiziert  zu 
Tibull  I  4,  54  arte  für  apta  und  vergleicht  I  3,  48;  4,  76;  5,  4;  6,  10; 
6,  39;  7,  60;  8,  16;  9,  66;  II  1,  56.  Doch  würde  oscula  arte  dare  nicht,  wie 
Verf.  meint,  bedeuten  Mistig  nachgebend'  küssen,  sondern  auf  eine 
besonders  künstliche,  raffinierte  Art'  küssen.  Das  eine  scheint  hier  so 
unrichtig  wie  das  andere. 

151.  L.  Schwabe,  N.  Jahrbb.  1885  S.  803-804,  weist  nach,  dafs 
3  von  den  7  Glossen  bei  M.  Haupt,  opusc.  III  643  aus  der  Sammlung 
des  C.  Labbaeus  (Paris  1679),  welche  gewöhnlich  auf  Catullus  bezogen 
werden,  nicht  antik  sind:  imaginosm  slxovwSyg  Labb.  S.  87 c  (vgl.  Cat. 
41,  8),  lintino  äXaMZat  Labb.  S.  185 a  (vgl.  Cat.  51,  11),  multivolus  nokü- 
ßoutog  Labb.  117C  (vgl.  Cat.  68,  128).  Sie  stammen  vielmehr  aus  dem 
Onomasticon  vocum  latinograecarum  oder  der  Vocum  mere  Latinarum 
Graeca  nomenclatura,  womit  Jacob  Spiegel  aus  Schlettstadt  die  von  ihm 
1537  in  Strafsburg  veröffentlichte  Ausgabe  von  Calepini  lexicon  aus- 
stattete. Diese  nomenclatura  wurde  als  Onomasticon  vetus  latinograe- 
cum  von  B.  Yulcanius  seinem  Thesaurus  utriusque  linguae  Leiden  1600 
angehängt:  daraus  hat  den  ganzen  (vermeintlich  antiken)  Bestand  C.  Lab- 
baeus in  seine  Sammlung  übernommen  und  in  die  aus  dem  Altertum 
stammenden  Glossarien  hineingearbeitet. 

152.  L.  Schwabe  giebt  Hermes  20  (1885),  495  einen  Beitrag 
zur  Kenntnis  Catulls  im  Mittelalter  —  freilich  mit  rein  negativem  Er- 
gebnisse. In  einem  Briefe  des  franz.  Abtes  Servatus  Lupus  f  um  862 
(epist.  5  S.  22  ed.  Baluzius,  Antw.  1710)  sollten  sich  nach  G.  Voigt 
Spuren  von  Bekanntschaft  mit  Catull  finden.  Es  handelt  sich  an  jener 
Stelle  aber  nicht  um  die  Person  des  Dichters,  sondern  um  die  Aussprache 
des  Wortes  ''  Catullus'. 

153.  F.  Seitz  (De  adjectivis  poetarum  Latinorum  compositis. 
Diss.  Bonn.  1878,  Thesen)  will  Cat.  64,  200  qualei;  68,  29  cubilei  her- 
stellen, Cat.  72,  22  corpore  in  V  halten,  Tib.  I  1,  46  lesen  dam  tenuisse. 
Keiner  dieser  Vorschläge  ist  annehmbar. 

154.  L.  Traube  liest  in  seinen  Varia  libamenta  critica  (München 
1883,  S.  4—7)  Catull  10,  9—10  mihi  neque  ipsi  Hoc  praetore  fuisse  nee 
cohorti.  Cat.  22,  13  aut  siquid  hoc  venustius  videbatur  (so  auch  Riese). 
Übrigens  sei  das  überlieferte  hac  oder  ac  vielleicht  in  est  zu  ändern 
(coli.  13,  11;  23,  14;  42,  14;  82,  2).  Endlich  soll  Cat.  31,  7  quid  solutis 
est  beatius  curis  sein  =  quid  est  beatius  quam  qui  curis  soluti  sunt. 


Catull  und  Tibull.     Beiträge  zur  Textkritik.  299 

155.  J.  Vahlen  (Index  lectt.  Berol.  aest.  1880,  S.  4.  10.  17)  be- 
spricht die  Interpunktion  an  folgenden  Catullst eilen.  57,  6  ist  das 
Komma  hinter  pariter  zu  tilgen :  morbusi  pariter  gemelli  utrique  {gemelli 
ist  Apposition  =  utpote  gemelli).  —  In  76  ist  hinter  v.  20  ein  Punktum 
zu  setzen.  In  v.  21  ist  das  ut  exclamativum  zu  statuieren  wie  in  66,  30 
ut  tristi  luraina  saepe  manu!  —  Die  verschränkte  Stellung  nullo  Utas, 
sola  insula,  tecto  wird  durch  zahlreiche  Parallelstellen  gestützt,  (z.  B. 
Prop.   II  3,  14  oculi,  geminae,  sidera  nostra,  faces). 

156.  J.  Vahlen  spricht  im  Hermes  15  (1880),  268  —  269  zuerst 
über  Ellipsen  wie  aspicit  hanc  torvis  Ov.  Met.  6,  34  und  kommt  so  auf 
Cat.  66,  77.  Die  handschr.  Lesart  ist  hier  zu  halten  und  in  78  zu  una 
aus  Ubi  zu  ergänzen  potione.  Zu  milia  multa  sc.  unguenti  wird  ver- 
glichen 61,  210  qui  vostri  numerare  volt  multa  milia  ludi  und  48,  3. 
Wann  die  coma  einmal  Salböl  in  Fülle  getrunken  hatte,  sagen  79  —  82 
verglichen  mit  13  —  14.  Der  Sinn  ist  also:  'A  dominae  vertice  me  afore 
seraper  discrucior  :  quicum  ego,  quae,  dum  quondam  virgo  l'uit  illa,  Om- 
nibus expers  eram  unguentis,  una  (potione)  milia  multa  bibi :  quare, 
quoniam  illa  me  illo  die  uno  unxit  largiter,  nunc  vos  ne  semota  a  meae 
vertice  caream  unguentis ,  optato  quo  iunxit  luraiue  taeda  non  prius 
unanimis  coniugibus  corpora  tradite,  quam  munera  übet  onyx'.  Aber 
freilich  bleibt  bei  alledem  das  dum  virgo  quondam  j'uit,  omnibus  expers 
unguentis  im  Grunde  doch  unerklärt,  wenn  man  auch  die  Möglichkeit  zu- 
geben kann,  Kallimachus  habe,  um  die  in  82  bezeichnete  Sitte  zu  mo- 
tivieren und  eine  Pointe  anzubringen,  einfach  etwas  fingiert. 

157.  E.  Wölfflinkonjiziert  im  Rh. Mus. 41  (1886),  472  Tibull  1 3,  47 
non  macies  statt  acies.  cDem  saturnischen  Zeitalter  werden  die  zum  teil 
durch  verfeinerte  Ernährung  hervorgerufenen  Krankheiten  abgesprochen, 
woran  sich  ira,  als  eine  seelische  Krankheit,  passend  anschliefst\  Ver- 
glichen wird  Hör.  carm.  I  3,  30.  —  Ref.  sieht  keinen  Grund  die  Über- 
lieferung zu  verlassen. 

158.  E.  Wölffliu  empfiehlt  Hermes  17  (1882),  173  das  von  Süfs 
vorgeschlagene,  auf  der  La.  lecti  des  Oxouiensis  beruhende  leeli  (für  Uti) 
mit  Berufung  auf  Cat.  64,  113.  116.  Verg.  Aen.  6,  29.  Ov.  Metam. 
8,  161.  Doch  vgl.  Riese  und  Baehrens  z.  St.  und  Jahresb.  d.  Phil.  Ver. 
XII  213  (Z.f.d.G.W.   1886). 

159.  E.  Wolf  Hin  will  im  Archiv,  f.  lat.  Lex.  I  330  f.  das  inter- 
polierte panda  bei  Tib.  I  10,  46  stützen.  Doch  s.  weiter  unten  den  von 
der  Tibullüberlieferuug  handelnden  Abschnitt  und  R.  Eliwald  in  dieser 
Zeitschr.  1885  II  S.  203. 


300        Catull  und  Tibull.     Verzeichnis  nicht  besprochener  Schriften. 

Folgende  Publikationen   waren  bis  zum  Schlüsse  dieses  Berichtes 
dem  Ref.  nicht  zugegangen: 

160.  Catullus,  Tibullus,  Propertius.  Zwanzig  Gedichte 
von  Catull,  Tibull,  Properz.  Russische  Schulausgabe  von  G.  Lange. 
Moskau. 

161.  V.  Vaccaro,  Catullo  e  la  poesia  latina.  Palermo.  1885. 

162.  Hierro,  La  vita  di  Catullo.  Rassegna  Settimanale. 
No.  126. 

163.  L.  Toldo,  Studi  intorno  Catullo.     Piacenza. 

164.  Catullus,  Selected  poems.  With  notes  by  H.  A.  Strong. 
London.  1879. 

165.  G.  Trezza,  Catullo  e  Lesbia.  Nuovi  studi  critici  (1881) 
S.  47— 53. 

166.  A  nthologie  des  poetes  latins  par  E.  Fallex.  Paris.  1878 

167.  Poetarum  aliquot  Latinorum  carmina  selecta  car- 
minumve  partes  Cur.  J.  N.  Madvigius.    Quartum  ed.  J.  L.  Ussing. 

168.  M.  Ardizzoue,  Studi  sopra  Catullo,  Tibullo  e  Pro- 
perzio,  estratti  dalle  lezioni  dittate  nella  Regia  Universitä  di  Pa- 
lermo nell'  anno  scolastico  1874—1875.     Palermo.     1876. 

169.  L.  Commencini,  studio  su  Caio  Valerio  Catullo. 
Benevent.  1877. 

170.  E.  Rostand,  Catulle  et  Alfred  de  Musset.  Paris.  1877. 

171.  Bernocco,  Sopra  alcuni  passi  di  poeti  latini.  Ra- 
gusa  1881. 

172.  De  la  Ville  de  Mirmont,  De  Phexametre  spondai- 
que  dans  Catulle.  Annales  de  la  Faculte  des  lettres  de  Bordeaux. 
1884.    No.  3. 

173.  Isler,  Ein  codex  Corvinianus  in  der  Hamburger 
Stadtbibliothek  (Tibull,  Properz,  Catull).  Centralblatt  f.  Bibliotheks- 
wesen I  No.  11  S.  444—447. 

174.  E.  P.  Crowell,  Selections  from  the  Latin  poets  Ca- 
tullus, Lucretius,  Tibullus,  Propertius,  Ovid  and  Lucan. 
Boston.    1881. 

175.  Lesbia.     Rassegna  Settimanale  No.  87. 

176.  Catullo  e  Lesbia.    Rassegna  Settimanale  No.  99. 

177.  J.  Bernardini,  De  virtutibus  quibus  nitent  Catul- 
liana  carmina.    Frosinone.    1878. 


Tibull.    Ausgaben  (Baehrens).  301 


II.   Tibullus. 

A.    Ausgaben  und  dazu  gehörige  Schriften. 
178.  AlbiiTibulliElegiarumlibriduo.  AcceduntPseudo- 

tibulliana.    Recensuit  Aemilius  Baehrens.  Lipsiae.  1878.  B.  G. 

Teubner.     XXVI  und  88  S.   8. 

Der  bleibende  Wert  dieser  Ausgabe  besteht  darin,  dafs  Kollatio- 
nen wichtiger,  bis  dahin  unbekannter  Handschriften  publiziert  werden. 
Über  die  Handschriftenfrage  aber  mit  allen  ihren  Einzelheiten  wird  weiter 
unten  in  zusammenhängender  Darstellung  eingehend  gesprochen  werden, 
so  dafs  an  dieser  Stelle  ein  kurzer  Überblick  zur  vorläufigen  Orientie- 
rung genügt.  (Vgl.  auch  Jahresber.  d.  Phil.  Ver.  V  S.  309f.).  Auf 
Prolegomena  folgt  der  Text  mit  testimonia  und  varietas  lectionis.  Äufer- 
lich  fällt  auf,  dafs  die  bisherige  Bucheinteilung  aufgegeben  ist.  Gemäfs 
den  Ansichten,  die  Baehreus  schon  früher  dargelegt  hatte  (Tibullische 
Blätter  1876.  cap.  V)  folgt  auf  lib.  I — II  alles  bisher  in  lib.  III— IV  Zer- 
legte, unter  die  Bezeichnung  Pseudotibulliana  zusammengefafst.  Das 
stellt  den  Sachverhalt  ziemlich  richtig  dar  (obwohl  bekanntlich  lib.  IV 
einige  echt  Tibullische  Stücke  enthält).  Aber  scharf  zu  verurteilen  ist 
es,  dafs  der  Herausgeber  die  alte  Einteilung  daneben  nicht  beibehält.  Der 
Besitzer  einer  andern  Ausgabe  kann  Citate  nach  der  neuen  Zählung 
nicht  aufschlagen,  und  ebenso  ergeht  es  dem  Besitzer  der  neuen  Aus- 
gabe mit  der  alten  Zählung.  Die  vollständigen  neuen  Handschriften, 
auf  die  B.  seinen  Text  gründet,  sind  folgende:  1)  A,  Ambrosianus 
R.  26  sup.,  einst  im  Besitze  des  bekannten  Coluccio  Salutato,  um  1374 
geschrieben.  2)  V,  Vaticanus,  einst  im  Besitze  des  Fulvio  Orsini, 
geprüft  von  G.  Loewe,  verglichen  von  A.  Mau.  Verschiedene  Korrek- 
toren haben  Varianten  beigeschrieben.  Geschrieben  ist  er  eher  gegen 
das  Ende  des  14.  als  im  Anfange  des  15.  Jahrhunderts.  3)  G,  Guelfer- 
bytanus.  Der  Schreiber  ahmt  die  langobardische  Schrift  des  10.  oder 
11.  Jahrhunderts  nach.  Doch  ist  die  Handschrift  wohl  gegen  1425 
geschrieben.  Es  ist  dies  dieselbe,  aus  welcher  einst  Puccius  ihm 
wertvoll  erscheinende  Lesarten  am  Rande  der  Aldina  von  1502  no- 
tierte. Aufser  diesen  vollständigen  Handschriften  werden  von  Baehrens 
noch  verwertet  das  alte  fragm.  Cuiacianum  Scaligers  (F),  die  Freisinger 
(Fris.)  und  die  Pariser  Exzerpte  (Par.),  letztere  aus  einem  Florilegium 
stammend,  das  während  saec.  XI  in  Frankreich  zusammengestellt  wurde. 
Die  Freisinger  Exzerpte  und  F  scheinen  von  dem  Archetypus  der  voll- 
ständigen Handschriften  (0)  unabhängig  zu  sein.  AV  einerseits,  G  und 
Par.  anderseits  sind  Repräsentanten  zweier  Familien.  Keine  dieser 
Handschriften  ist  direkt  aus  0  abgeschrieben,  (i  Par.  ist  die  bei  weitem 
wertvollere  Klasse.  Die  jüngeren  interpolierten  Handschritten  stammen 
meist  aus  der  Familie  AV.  —  Von  diesen  Ausführungen  ist  grundfalsch 


302  Tibull.     Ausgaben  (Baebrens).     Rofsberg  über  G. 

das  günstige  Urteil  über  G,  wie  aus  mehreren  später  zu  besprechenden 
Publikationen  hervorgeht.  Aber  durch  die  Entdeckung  und  Verwertung 
von  A  hat  sich  B.  um  die  Kritik  des  Tibullus  unzweifelhaftes  Verdienst 
erworben,  obwohl  sich  neue  sichere  Emendationen  des  Textes  auf  diese 
Handschrift  fast  gar  nicht  gründen  lassen. 

Der  Text  in  Baebrens'  Ausgabe  ist  sehr  schlecht.  Ungerechte 
Bevorzugung  der  Lesarten  von  G,  zahlreiche  unnötige  und  gewaltsame, 
oft  recht  geschmacklose  Konjekturen,  willkürliche  Operationen  mit  Vers- 
umstellungen und  Lücken  machen  die  Lektüre  sehr  unerfreulich.  Jeder 
Genufs  der  Schönheiten  Tibullischer  Poesie  ist  absolut  ausgeschlossen. 
Von  den  Konjekturen  seien  hier  nur  einige  erwähnt,  die  allenfalls  noch 
ernsthaft  zu  nehmen  sind;  auf  Wahrscheinlichkeit  haben  selbst  diese 
nicht  den  geringsten  Anspruch.  I  1,  48  imbre  sonante.  I  4,  54  sed  tibi 
rapta  dabit.     I  2,  90  mox  tibi  non  mitis.     Paneg.  Mess.   116  Salussus. 

Übersichtliche  und  bequeme  Einrichtung  des  handschriftlichen 
Apparates  ist  wie  bei  allen  von  Baehrens  besorgten  Ausgaben,  so  auch 
bei  dieser  zu  rühmen.    —  — 

Durch  Baehrens  eben  besprochene  Leistung  ist  eine  umfangreiche 
Litteratur  hervorgerufen  worden,  sowohl  direkt  in  Form  von  Recensio- 
nen,  wie  indirekt  in  Gestalt  von  Aufsätzen  in  Zeitschriften,  von  Programmen 
und  Dissertationen,  die  Baehrens'  Aufstellungen  berichtigen  oder  wider- 
legen. Von  den  ersteren  ist  als  sachlich  wertvoll  besonders  hervorzuheben: 

179.  K.  Rofsberg,  Anzeige  v.  Tibulli  elegiae  rec.  E.  Baeh- 
rens.   N.  Jahrbb.  1879  S.  71-79. 

Verf.  äufsert  sich  sehr  anerkennend  über  Baehrens  Verdienste  um 
die  Erweiterung  des  handschr.  Apparates,  erhebt  aber  in  einem  Punkte 
entschiedenen  Widerspruch:  'Der  Guelferbytanus  (G)  besitzt  nicht  den 
hohen  Wert,  welchen  B.  ihm  beimifst,  ja  bei  seiner  Benutzung  ist  die 
höchste  Vorsicht  anzuwenden.  Die  Handschriftenklasse  A  V  ist  bei  weitem 
die  bessere,  ungetrübtere  Quelle'.  Die  Verderbnisse  in  AV  bestehen 
gröfstenteils  in  Schreibfehlern  und  machen  den  Eindruck  der  Unabsicht- 
lichkeit. Dagegen  hat  der  Stammvater  der  Familie  G  Par.  (vermutlich 
schon  in  karolingischer  Zeit,  jedenfalls  vor  dem  elften  Jahrhundert)  eine 
Überarbeitung  erfahren,  durch  welche  eine  grofse  Anzahl  von  Schreib- 
fehlern verbessert,  mehrere  Stellen  glücklich  geheilt,  nicht  wenige  aber 
nach  Ovidischem  Vorbilde  oder  nach  dem  Geschmack  des  Überarbeiters 
umgestaltet  wurden.  Zum  Beweise  dessen  weist  Rofsberg  auf  folgende  Punkte 
hin.  Oft  ist  die  Diskrepanz  zwischen  G  und  AV  nur  dadurch  hervor- 
gerufen ,  dafs  sich  in  ersterem  von  zweiter  Hand  Rasuren  finden  z.  B. 
I  2,  23.  8,  58.  10,  43.  II  4,  63.  Paneg.  104.  200  u.  a.  An  vielen 
Stellen,  wo  die  Verschiedenheit  der  Lesarten  von  AV  und  G  nicht  aus 
Schreiberirrtum,  sondern  nur  aus  willkürlichem  Verfahren  des  Korrektors 
der  Vorlage  von  G  zu  erklären  ist,  hat  Baehrens  selbst  die  La.  von  G 


Tibull.    Rofsberg  über  G.  —  Hillers  Ausgabe.  303 

gegen  die  von  AV  mit  Recht  einfach  verworfen,  so  I  4,  6.  6,  8.  8,  60. 
II  1,  15.  6,  3.  28.  Lygd.  2,  8.  15.  Paneg.  139.  de  Sulp.  et.  Cer.  am. 
2,  20.  Sulp.  ep.  4,  1.  Solche  Beispiele  handgreiflicher  Interpolation  neh- 
men gegen  G  da  ein,  wo  sich  in  AV  gleichwertige  Varianten  finden,  so 
I  1,  29  [doch  cf.  Hillers  Adn.crit.].  I  1,  48  [?].  2,  6.  5,  27.  10,  40.  II  3,  8. 
2,  27.  Weitere  Merkmale  willkürlicher  Änderung  lassen  sich  in  Wort- 
umstellungen erblicken:  I  1,  78.  3,  9.  30.  8,  9.  9,  53.  II  6,  49.  de  Sulp, 
et.  Cer.  am.  4,  8.  G  füllt  Lücken  aus,  die  sich  in  AV  finden.  De  Sulp, 
et.  Cer.  am.  4,  16  [IV  5,  16]  ist  die  Lücke  nach  posthac  in  G  durch  nos 
ergänzt.  Vielmehr  ist  nach  Rofsberg  wegen  der  Ähnlichkeit  der  voran- 
gehenden Buchstaben  haue  ausgefallen.  Eine  vermeintliche  Lücke  ist 
auch  II  1,  76  durch  Einschiebung  von  in  vor  tenebris  fälschlich  ergänzt. 
—  I  6,  72  hält  Rofsberg  das  properans  in  G  nicht  für  richtig  und  pro- 
prias  in  AV  für  einen  verfehlten  Ansatz  zu  proripiur,  so  dafs  eine  Lücke 
zu  konstatieren  wäre  [cf.  Rothstein  de  Tib.  codd.  S.  92  und  Hillers  Adn. 
z.  St.].  Lygd.  4,  82  ist  mit  AV  zu  lesen  a  ego  ne  possim,  da  der  Vers 
eine  Nachahmung  von  Tib.  II  4,  7  ist.  —  Rofsberg  gebührt  das  Ver- 
dienst zuerst  auf  den  höchst  dubiösen  Charakter  von  G  hingewiesen  zu 
haben,  —  obwohl  er  über  das  Verhältnis  von  G  zu  Par.  nicht  richtig 
urteilt  und  der  entscheidende  Angriff  erst  später  von  Rothstein,  Goetz 
und  Hiller  unternommen  worden  ist. 

Nur  im  Vorübergehen  sei  bemerkt,  dafs  Baehrens  (N.  Jahrbb. 
1879,  S.  473—474)  in  einem  besonderen  Artikel  G  gegen  Rofsbergs  Be- 
denken verteidigt.  Es  heifst  da:  'Ich  glaubte  und  glaube  noch  jetzt, 
dafs  für  die  Kritik  des  Tibull  kein  gröfserer  Gewinn  erwachsen  konnte 
als  durch  den  Nachweis  des  bisher  unbeachteten  Guelferbytanus  als  der 
besten  aller  existierenden  (resp.  bekannten)  Handschr.  dieses  Elegikers'. 
Etwas    Sachliches  zur  Begründung  dieser  Ansicht  wird  nicht  beigebracht. 

180.  Albii  Tibulli  elegiae  cum  carminibus  pseudoti- 
bullianis.  Edidit  Eduard  us  Hill  er.  Accedit  index  verborum. 
Lipsiae.     1885.     Tauchnitz.     XXIV,  105  S.  8. 

Hillers  Stellung  in  der  Handschriftenfragc,  zu  deren  Klärung  er 
sehr  wesentlich  beigetragen  hat,  wird  weiter  unten  ausführlich  erörtert 
werden.  Es  genüge  also  der  kurze  Hinweis,  dafs  er  in  A  die  einzige 
getreue,  von  Interpolationen  ganz  fieie  Kopie  des  verloreneu 
Arch.  der  vollständigen  Handschriften  sieht.  Auf  ihn  allein  sei 
daher  (abgesehen  von  den  fragmentarischen  Textesquellen  fragm,  Cuiac, 
exe.  Fris.  und  Par.)  der  Text  zu  basieren.  Zur  konsequenten  Durch- 
führung dieser  Sätze  ist  nach  Angabc  der  praef.  und  nach  Kh.  Mus. 
37,  572  der  vorliegende  Text  bestimmt  Kot'-  (reicht  von  diesen  An- 
schauungen in  zwei  Punkten  ab:  1)  A  ist  Dicht  ganz  frei  von  Interpola- 
tionen. 2)  Es  sprechen  gewisse  Anzeichen  dafür,  dafs  anfser  A  (resp. 
der  Kopie  des  Arch.,  aus  welcher  A  geflossen  ist)  noch  mindestens  zwei 


304  Tibull.    Hillers  Ausgabe. 

Abschriften  vom  Arch.  genommen  wurden,  deren  Nachkommen  uns  be- 
kannt sind.  Ist  das  richtig,  so  läfst  sich  nicht  bestreiten,  dafs  die  Aus- 
gabe ein  nicht  ganz  vollständiges  Bild  der  Tradition  bietet.  Da  aber 
anderseits  anerkannt  werden  mufs,  dafs  A,  als  von  Interpolationen  am 
wenigsten  durchsetzt,  die  beste  und  älteste  Überlieferung  repräsentiert, 
da  die  übrigen  auf  eigenem  Wege  aus  dem  Arch.  herzuleitenden  Hand- 
schriften (YC)  uns  nur  an  wenigen  Stellen  Neues  über  den  Arch.  lehren,  da 
sie  anderweitig  noch  nicht  bekannte  richtige  Lesarten,  die  nicht  auf  Kon- 
jektur beruhen  können,  vielleicht  gar  nicht  bieten,  so  ist  offenbar  der 
Schade  sehr  gering,  —  zumal  bei  einer  für  den  praktischen  Handge- 
brauch bestimmten  Ausgabe.  Man  darf  sich  daher  rückhaltlos  des  Guten 
und   Wertvollen,  das  sie  in  Fülle  bringt,  freuen. 

In  der  Praefatio  wird  bündig  Rechenschaft  abgelegt  über  die 
handschriftlichen  Grundlagen  des  Textes.  Mit  wenig  Worten  ist  alles 
Wesentliche  in  den  Hauptmomenten  klar  dargelegt.  Zum  Schlüsse  wer- 
den diejenigen  Publikationen  verzeichnet,  die  in  der  Adn.  crit.  wieder- 
holt erwähnt  sind.  Ein  vollständiges  Register  der  Tibulllitteratur  ist 
dagegen  nicht  beabsichtigt,  wie  gegenüber  der  Thatsache,  dafs  man  hier 
Lücken  finden  wollte,  betont  werden  mufs.  —  Die  folgende  Adnotatio 
criticaist  ein  treffliches,  umsichtig  eingerichtetes  Hilfsmittel  zum  Studium 
Tibulls.  Sie  enthält  aufser  den  orientierenden  Angaben  über  die  älteren 
(unvollständigen)  Textesquellen  die  Lesarten  von  A  nach  eigener  Kolla- 
tion ,  durch  welche  diejenige  von  Baehrens  mehrfach  berichtigt  wird 
(Ref.  hat  die  betreffenden  Stellen  Berl.  Ph.  W.  1885  Sp.  585  verzeich- 
net). Auch  die  wichtigeren  Varianten  von  V  werden  notiert.  Als  Haupt- 
repräsentant der  jungen  stark  interpolierten  Handschriften  erscheint  G 
nach  der  neuen  Kollation  von  G.  Loewe,  die  auch  Goetz  benutzt  hat. 
Hin  und  wieder  findet  man  vereinzelte  Angaben  aus  Lachmanns  Hand- 
schriften. Am  Kopfe  der  Adn.  zu  jedem  Gedichte  ist  ferner  öfters 
seine  Litteratur  verzeichnet;  doch  sehen  wir  diese  praktische  und  dan- 
kenswerte Einrichtung  nicht  vollständig  durchgeführt.  Die  mitgeteilte 
Sammlung  von  Konjekturen  alter  und  neuer  Zeit  ist  eher  zu  reichlich 
als  zu  sparsam  bemessen.  Auch  haben  mehrere  eigene  Vermutungen 
Hillers,  die  in  den  Text  nicht  aufgenommen  wurden,  hier  eine  Stelle 
gefunden.  So  I  5,  11  ipseque  ter  lectum  lustravi  coli.  Ov.  a.  a.  II  329. 
Zu  I  5,  33  vermutet  er,  um  den  Hiatus  zu  beseitigen,  es  sei  das  Hexa- 
meterende, der  Pentameter  und  ein  Hexameteranfang  ausgefallen.  Doch 
mit  Recht  verweist  R.  Ehwald  in  seiner  gehaltvollen  Rec  von  Hillers 
Ausgabe  Ph.  Anz.  XV  592  auf  L.  Müller  praef.  S.  XXXI  und  Hiller 
zu  I  7,  61.  Palmer  schlägt  jetzt  vor:  virum  se  sedula  curet.  Nach  I  7,  2 
wird  Ausfall  eines  Distichons  vermutet.  II  1,  67  ipse  quoque  inter  oves. 
Angefügt  sind  der  Adn.  crit.  'de  Tibulli  vita  et  poesi  testimonia  antiqua'. 
Ein  Zeugnis  aus  Karls  des  Grofsen  Zeit  siehe  in  des  Ref.  Rezension  d. 
Ausgabe  a.  0.  Sp.  584.    Einige  andere  Nachträge  bei  Ehwald  a.  0.  S.  592. 


Tibull.     Hillers  Ausgabe.  305 

Hillers  Textkritik  ist  bedingt  durch  das  umsichtige  Bestreben  die 
Worte  ,des  Dichters  nach  der  erreichbar  besten  handschriftlichen  Grund- 
lage zu   geben ,    daher   entschieden  konservativ.     Nach  Ehwalds  Bemer- 
kung a.  0.  S.  589  weicht  Hiller  im  ersten  Buche  von  Lachmann  (Ver- 
schiedenheiten wie  tum-tunc  mitgerechnet)  an  ca.  56,  von  Haupt- Vahlen5 
an  ungefähr  ebensoviel,  dagegen  von  Baehrens  an  fast  100  Stellen  und 
zwar  von  ihm  in  den  allerwichtigsten  Punkten   ab.     Von  Versumstel- 
lungen  und  Athetesen  hält  sich  die  Ausgabe  ganz  frei;   hierin  ist 
Vahlens  und  Leos  Einflufs  nicht  zu  verkennen.     An  mehreren   Stellen 
ist  es  Hiller  gelungen  der  besten  Überlieferung  wieder  zu  ihrem  Rechte 
zu  verhelfen.     Er  schreibt  I  1 ,  46   continuisse  (so  jetzt  auch  Vahlen  in 
ed.  V;  Ehwald  vermutet,  detinuisse  sei  aus  Ov.  Am.  II  17,  16  interpoliert, 
vgl.  auch  Stehle,  de  Tib.  puri  serm.  poet.  cultore  S.  21  not.     I  4,  56 
vclit.    (Zu  dem  von  Hiller  Ph.  Anz.  XIV  29  für  den  Wechsel  von  Fut.  I 
und  Konj.  praes.  Beigebrachten  vergleicht  Ehwald  noch  I  5,  21  sq.,  29). 
I  7,  12  Carnutis  et.   III  6,  59  fugit  (so  auch  Vahlen  in  ed.  V).    An  letz- 
terer Stelle  glaubt  Ref.  jetzt  auch  an  die  Richtigkeit  des  in  A  (und  C) 
überlieferten  fügit.    Das  fugiat,    resp.  fugtet    ist  Interpolatorenweisheit, 
die   einen  vermeintlichen  prosodischen  Schnitzer  beseitigen  wollte.  IV  5,  9 
Mane  geni,    vom   altertümlichen  manus   =  bonus.     Heyne   und   Dissen 
fanden  darin   ein   Wort    cascae  antiquitatis,    aliena  ab    elegantia  huius 
carminis'.     Seitdem  schrieb  man  allgemein    magne.     Aber  das  altertüm- 
liche mane  giebt  der  Anrufung  einen  feierlichen,  fast  sakralen  Charakter 
der    schön  zu   dem    heiligen  Eifer   des   liebeglühenden  Mädcheus  pafst. 
Schwieriger   ist  die  Entscheidung  Priap.  I  6,  wo  Hiller  hunc  tu,  sed  tento 
schreibt.     (Ehwald  a.  0.  meint,    lacco    sei  Reminiszenz    aus   der  an- 
geblich Ovidischen  Ep.  Acont  53).     Dasselbe  gilt  von  I  7,  61  te  canit 
agricolä  magna.     Möglich,  dafs  sich  die  Verlängerung  des  ä  mit  Ehwald 
a.  0.  S.  586  und  K.  P.  Schulze   Wochenschr.    f.   kl.   Phil.  1885  No.   19 
verteidigen  läfst,  aber  vielleicht  äfft  uns  ein  ganz  dummer  Schreibfehler. 
Die  citierten  Stellen  I  5,  28.  6,  34.  10,  13   sind  jedenfalls   nicht  ganz 
adäquat.     Wer  hier  die  Überlieferung  verteidigt,  wird  auch  I  4,  44  im- 
brifer  arcus  in  den  Kauf  nehmen    müssen;    vgl.   Stat.  Theb.  9,  405  im- 
brifer  arcus.     Auch  für  Prop.  III  13 h,  25    ist  unsere  Stelle  von  Bedeu- 
tung   -    (sat  mea  sit  magna,  si?).    Vgl.  darüber  Birt  Rh.  Mus.  38,21'.» 
Anm.  E.  Heydenreich  in  dieser  Zeitschi.   1880  II  155.     Mit  Unrecht 
wird  dagegen  wohl  I  3,  14  respueretque  für  Haupts  deqmeretqut  geschrie- 
ben,   um   von   dem   überlieferten  respicereique   noch  einen  Buchstaben  zu 
retten.     Vgl.  Stehle,    De  Tib.  puri   serm.   poet.  cultore   S.  20.     Nicht 
minder  unrichtig  scheint  I  2,  :'■   permuawn  für  pafumtm^    vgl.    ebenfalls 
Stehle  S.  39.  36.  Jährest»,  d.    Phil  Vor.   V   310.     Die  meisten  dieser 
Stelleu    sind  weiter  unten  zu  besprechen,  ebenso  die  wenigen,  wo  Ililler 
sonst  noch  ohne  hinreichenden  Qrond  von  der  besten  Tradition  abweicht. 
So  ist  bedenklich  IV   1,   lTr»  poacent.       I    7.     U»    geiüum    Indo    genium- 

Jahresbericht  für  Alteitluirnswissenscriaft  LI.  (l887.   II  )  JQ 


306  Tibull.    Hillers  Ausgabe. 

que  choreis  ist  jedenfalls  der  Sing,  ktdo  statt    ludu  sehr  auffällig,    wie 
Birt,  de  Halieut.  S.  62  bemerkt.  —  III  1,   12  änderte  Hiller    das  über- 
lieferte tuum  in  meum.   Ersteres  will  Ehwald  a.  0.  S.  588  halten:  'v.  7 
enthält  die  Antwort  der  Pieriden  auf  die  Frage   des  Dichters,  v.  8  die 
Erklärung    des  Dichters  auf  die  allgemeine  Weisung   im  speziellen  Fall 
eingehen  zu  wollen,  v.  9—12  [9  — 14  ?J   geben   die  Musen  die  durch  sed 
deutlich  hervorgehobene  weitere  Anweisung'.  Es  ist  dies  also  eine  Neu- 
gestaltung der  Ansicht,  dafs  7-14  Worte  der  Musen  seien.    Schwerlich 
ist  dieser  Versuch  gelungen.     Ein   derartiger  Dialog,   in  welchem  Rede 
und   Gegenrede  epigrammatisch  zugespitzt  ohne  Angabe  der  sprechenden 
Personen  hin-  und   herfliegen  und  an  deren  Stelle  die  modernen  »Gänse- 
füfschen«    ein  Verständnis   überhaupt   erst   ermöglichen   müfsten,  scheint 
in  der  elegischen  wie  epischen  Poesie  der  Römer  nicht  erhört.   In  einem 
antiken  Gedichte  wäre  auch  der  Sprung  von  14  zu  15,  den  diese  Erklä- 
rung fordert,  kaum   möglich ;    da  müfste   die  Versicherung  des  Dichters 
folgen,  dafs  er  dem  Rate  der  Musen  gehorchen  werde.   Und  wenn  Lyg- 
damus  in  v.  5  die  Musen  anruft,   so   ist  das  schablonenmäfsig  und  dem 
damaligen  poetischen  Jargon  entsprechend.   Dafs  aber  die  Musen  darauf 
—   im  Chor  vermutlich  —  antworten,  wäre  eine  kühne  Neuerung  dieses 
sonst  so  armen  Poeten;  dafs  sie  mit  einem  vereinzelten  abgebrochenen 
Verse  antworten,  der  gar  nicht   als  Autwort  bezeichnet  wird,    ist  nicht 
einmal  möglich.     Musterbeispiel  für  die  Dialogform  ist  I  4.    Beachtens- 
wert  ist  dagegen  Ehwalds  Rat,  nach  v.  10  ein  Komma  zu  setzen,  nach 
v.    11   aber   nicht,   weil   littera  facta    (vgl.  III  2,  27)  Subjekt  zu  prae- 
texat   sei.     Andere    Schwierigkeiten    der  Stelle    bespricht  Birt  Buchw. 
S.  66  —  67.     Er  nimmt  Anstofs   an   der  Wortstellung    in  v.  11,  erklärt 
tenuis  für  abundierend  und  vermutet  dafür  titulus.    Dagegen  bemerkte 
Ref.  in  den  Jahresb.  d.  Ph.  V.  IX  275  (Z. f.d. G.W.  1883)  chartae  be- 
zeichne  die  beschriebenen  Blätter  der  Rolle,   tenuis   chartae  entspreche 
genau  unserem  'feinen  Papier,  Luxuspapier',  passe  also  trefflich  zu  dem 
prachtvoll  ausgestatteten  Büchlein.  Über  III  5,11  sacrilegos  ist  unten  zu  spre- 
chen. IV  1,83  war  wohl  das  überlief,  nam  zu  halten,  vgl.  B.Ph.W.  1885  Sp.589. 
Selten  findet  man,  entsprechend  dem  konservativen  Charakter  von 
Hillers  Kritik,  Annahme  von  Lücken.   I  10,  50  wird  geschrieben  militis 
in  tenebris  occupat  arma  situs  .  .  .  .,  ebenso  II  3,  34  imperat,  ut  nostra 
sint  tua  castra  domo  ....  Da  in  der  Adn.  crit.  zu  diesen  Stellen  bemerkt 
wird  'distichon    excidisse   statuit  Haupt  opusc.  3  S.  38  sqq.'   resp.  cla- 
cunae  Signum  posuit  Lachmann',  so  mufs  man  annehmen,  dafs  eine  Lücke 
von  Hiller  eben  durch  derartige  Punkte  bezeichnet    wird.     Wenn  der 
Leser  nun  II  5,  38  findet  'caseus  et  niveae  candidus  agnus  ovis.  — ',  so 
mufs   er   zunächst  glauben,    es  liege  hier  die  bei  den  Modernen    üb- 
liche Anwendung  des  Gedankenstriches  vor,  aber  er  wird  stutzig  bei  der 
Notiz 'unum  distichon  hie  excidisse  censuit  Haupt'.     Diese  Zweifel  müssen 
sich  verstärken,   wenn  er  demselben  Striche    begegnet  am  Schlüsse  von 


Tibull.    Hillers  Ausgabe.  307 

II  5,  70  und  in  der  Adn.  zu  67  den  Worten  ego  potius  ante  vs.  71 
distichon  omissum  esse  puto'.  (Vgl.  übrigens  dagegen  Ehwald  a.  0.  S. 
591).  Demnach  bezeichnet  also  wohl  der  fragliche  Strich  ebenfalls  eine 
Lücke?  Welcher  Unterschied  besteht  aber  zwischen  beiden  Zeichen? 
Hier  liegt  eine  für  den  Durchschnittsleser  nicht  unerhebliche  Erschwe- 
rung des  Verständnisses  vor.  Lücken  sollten  wie  bei  Baehrens  oder 
Haupt- Vahlen  bezeichnet  sein.  I  10,  25  ist,  wohl  mit  Recht,  keine 
Lücke  statuiert.  Hinter  teln  ist  wie  bei  Haupt- Vahlen  ein  Komma  ge- 
setzt. Demnach  wäre  der  Pentameter  Nachsatz  und  erit  zu  ergänzen, 
der  Imperativ  depelliie  würde  einen  hypothetischen  Vordersatz  vertreten. 
Zu  dem  auffälligen  -que  vergleicht  Ehwald  (a.  0.  S.  590)  sehr  treffend 
Ov.  Met.  13,  254  arma  negate  mihi,  fueritque  beniguior  Aiax.  —  Zwi- 
schen II  3,  58—59,  wo  seit  Lachmanu  gewöhnlich  eine  Lücke  ange- 
nommen wird,  versucht  Hiller  durch  Aufnahme  von  Rofsbachs  Konj.  vana 
loquor  Zusammenhang  herzustellen.  Doch  vgl.  Ehwald  a.  0.  und  den 
Ref.  B.  Ph.W.  1885  Sp.  589.  Gegen  Annahme  einer  Lücke  überhaupt 
Wunderlich  z.  St.  Man  könnte  ihm,  da  sich  nota  loquor  an  49  anknüpfen 
liefse,  beistimmen,  wenn  nicht  die  isolierte  Stellung  des  Distichons  un- 
tibullisch  schiene. 

Zwei  eigene  Konjekturen,  welche  Hiller  in  den  Text  gesetzt  hat, 
sind  beachtenswert,  aber  nicht  überzeugend.  I  2.  88  in  me.  Sonst  schrie- 
ben für  das  überlieferte  unus  die  Itali  vmi  (=  in  unum),  Leo  in  nos. 
I  6,  7  illa  quidem  mihi  euneta  negat.  Doch  vgl.  Ehwald  a.  0.  S.  591, 
Magnus  B.Ph.W.  1885  Sp.  589. 

In  Bezug  auf  Äufserlichkciten  ist  noch  Folgendes  zu  bemerken. 
Wörter  oder  Buchstaben  im  Texte,  welche  die  gute  Überlieferung  nicht 
hat,  sind  kursiv  gedruckt.  Buch  III-  IV  sind,  entsprechend  der  Tra- 
dition, als  '  über  tertius'  zusammengefafst,  Es  wird  also  von  III  1—20 
durchgezählt.  Das  mühelose  Nachschlagen  von  Citaten  ist  indessen  da- 
durch ermöglicht,  dafs  die  alte  Zählung  am  Bande  angegeben  ist.  Zu  wün- 
schen bliebe  freilich,  dies  wäre  auch  in  der  Adn.  crit.  geschehen. 
No.  XIII  =  IV  7  ist  nach  dem  Vorgange  von  Rol'sbach  und  L.  Müller 
der  Sulpicia  zugewiesen.  Dagegen  macht  Ehwald  a  0.  S.  593  auf  die 
echt  tibullische  Stellung  dos  que  in  v.  I  attulit  in  nostrum  deposuüque 
sinum  aufmerksam  mit  Beziehung  auf  Leo,  Über  einige  El.  Tib.  S.  27. 
Vgl.    oben  S.  262. 

Ein  sehr  sorgfältiger  index  verborum  erhöbt  noch  den  Weit  der 
empfehlenswerten  Ausgabe. 

181.  Die  Elegi  oen  dos  Albius  Tibullus  u  od  eini  ger  Zeit- 
genossen erklärt  von  B.  Fabricius.  Berlin.  L881.  Nicolai.  XI  und 
149  S.  8. 

Die  Ausgabe  ist  wissenschaftlich  ganz  wertlos,  den  Anfänger  vor- 
wirrend   und    irre  führend,    daher   auch  /ur  Einführung  in  das  Studium 

120* 


308  Tibull.  Grammatik  und  Sprachgebrauch. 

des  Dichters  gar  nicht  zu  empfehlen.  Den  Beweis  für  dieses  harte  Ur- 
teil hat  Ref.  Jahrcsb.  des  Ph.  Ver.  IX  (Z. f.d. G.W.  1883)  S.  269-  275 
erbracht.     Vgl.  auch  K.  Schenkl  D.  Litztg.  1881   Sp.   1372     1373. 

B.     Beiträge   zu  Grammatik   und  Sprachgebrauch. 

Über  die  Catull  und  Tibull  zusammen  behandelnden  Schriften   siehe 
oben  S.  185  f. 

182.     B.    Ehrlich,    De    Tibulli    elocutione    quaestiones. 
Diss.  inaug.  Halle.  1880.  40  S.  8. 

Diese  nützliche  Arbeit  schliefst  sich  in  der  Anordnung  des  Stoffes 
genau  an  Kuttners  Dissertation  'De  Propertii  elocutione  quaestiones 
Halle  1878'  an  (vergl.  über  diese  Jahresbericht  des  Philol.  Vereins  V 
S.  318).  Freilich  war  dort  bei  der  Eigentümlichkeit  Properzischer  Dik- 
tion die  Ausbeute  viel  reicher.  In  fünf  Kapiteln  wird  gehandelt  de 
verbis,  de  substantivis,  de  adiectivis,  de  pronominibus,  de  particulis. 
Die  Stellen  sind  anscheinend  vollständig  verzeichnet.  Vieles  scheint 
dem  Ref.  etwas  flach  aufgefafst.  II  3,  73  ist  habuisse  satos  nicht  ein- 
fach =  sevisse.  Manche  interessante  Parallelen  mit  Properz'  Sprach- 
gebrauch werden  richtig  hervorgehoben.  So  Tib.  I  2,  45  hanc  ego  de 
caelo  ducentem  sidera  vidi  =  Prop.  I  1,  23  tunc  ego  crediderim  vobis 
et  sidera  et  amnes  Posse  Cytaines  ducere  carminibus.  Auch  der  Ge- 
brauch von  venire,  ferre,  dare  zeigt  bei  beiden  Dichtern  manche  Über- 
einstimmung. Dafs  Verf.  einen  so  unzuverlässigen ,  auch  in  den  Vers- 
ziffern oft  von  der  Vulgata  abweichenden  Text  wie  den  von  Baehrens 
seinen  Sammlungen  zugrunde  legt,  ist  nicht  zu  billigen  (vgl.  S.  17  not.), 
um  so  mehr  als  Verf.  sich  jeder  Kritik  des  so  beschaffenen  Textes  ent- 
hält. So  wird  S.  35  gesagt  'heu  vel  elieu"  komme  bei  Tibull  'saepius' 
vor.  Aber  an  den  citierten  Stellen  (I  4,  81.  I  6,  10.  II  3,  2.  II  3,  52. 
H  5,  108.  IV  13,  17)  ist  gar  nicht  eheu,  sondern,  mit  unwesentlichen 
Varianten,  heu  heu  überliefert.  Ebensowenig  ist  der  Versuch  gemacht 
das  gesammelte  Material  für  die  Interpretation  auszunutzen.  -  In  den 
angehängten  sententiae  controversae  wird  zu  I  1,  25  bemerkt:  'exhiben- 
dum  esse  censeo  dum  modo  iam  possim,  Dafs  dies  eine  längst  bekannte 
Konjektur  von  R.  Richter  ist  und  in  Baehrens'  Texte  steht,  erwähnt 
Verf.  auffälligerweise  nicht.  Die  Zahl  der  Konjekturen  zu  Prop.  III  30,  20 
wird  um  eine  vermehrt:  et  petere  Hyrcani  littora  sola  maris  (die  Überl. 
nota  =  berüchtigt,  vielbesprochen  ist  tadellos).  Prop.  IV  7  (6),  42  soll 
gelesen  werden:  in  mari  cui  noti  non  valuere  doli.  Sinn  und  Paläo- 
graphie  würden  die  Vulg.  soliti  gewifs  mehr  empfehlen.  Aber  das  über- 
lieferte soll  ist  wohl  nicht  anzutasten  (Vahlen,  Monatsber.  der  Berl. 
Akad.  1881  S.  343). 


Tibull.  Grammatik  und  Sprachgebrauch.  309 

183.    J.    Streifinger,    De    syntaxi   Tibulliana.    Würzburg. 
1881.     49  S.   8. 

Diese  Würzburger  Dissertation  gehört  zu  den  vielen  nützlichen 
Spezialuntersuchungen ,  die  durch  Drägers  historische  Syntax  angeregt 
sind.  In  einer  Praefatio  setzt  Verf.  seine  Ansichten  über  die  Zusammen- 
setzung des  corpus  Tibullianum  auseinander,  die  mit  der  herrschenden 
übereinstimmen.  Über  die  Autorschaft  der  Sulpiciaelegieen  IV  2  —  7 
wagt  er  kein  be  stimmtes  Urteil,  die  Disposition  ist  die  durch  den  Stoff 
gebotene:  De  numerorum  usu,  de  casuum  usu  u.  s.  w.  Die  Abschnitte 
'De  collocatione  verborum'  und  'de  periodo  Tibulliana'  machen  den  ße- 
schlufs.  Im  ersteren  berühren  sich  die  Ausführungen  des  Verf.  über 
die  Stellung  zweier  mit  Adjektiven  verbundener  Substantiva  (wie  facili 
grandia  poma  manu)  mit  denjenigen  von  Knappe,  De  Tib.  1.  IV  elegiis 
S.  18  f.  Auf  sprachwissenschaftliche  Erklärungen  läfst  sich  Verf.  im 
Ganzen  nicht  ein.  Dem  Gräcismus  wird,  wie  jetzt  aus  Schäflers  (vgl. 
oben  S.  195)  Untersuchungen  erhellt,  wohl  ein  zu  grofses  Feld  einge- 
räumt. Über  Einzelheiten  läfst  sich  streiten.  I  4,  33  vidi  iam  iuvenem 
gehört  wohl  nicht  unter  die  Beispiele  von  kollektivem  Gebrauche  des 
Singulars.  In  I  5,  7  furtivi  foedera  lecti  vertritt  der  Gen.  gewifs  nicht 
einen  Abi.  loci.  In  I  9,  43  saepe  insperanti  venit  tibi  ist  der  Dativ 
offenbar  nicht  als  Dativ  der  Richtung,  sondern  als  Dat.  coram.  zu  er- 
klären u.  s.  w. 

Schade,  dafs  die  fleifsigen  Sammlungen  der  verdienstlichen  Arbeit 
nicht  vollkommen  zuverlässig  und  von  dem  sie  exzerpierenden  Grammatiker 
immer  erst  durch  Prüfung  der  Citate  zu  berichtigen  sind.  Verf.  berück- 
sichtigt nämlich  nur  ßaehrens'  Text,  und  so  ist  die  behandelte  Syntax 
mehrfach  nicht  eine  Tibulliana,  sondern  Baehrensiana!  ßei  zweifelhaften 
oder  korrupten  Stellen  durften  entschieden  textkritische  Untersuchungen 
nicht  fehlen.  Mindestens  mufsten  ßaehrens'  Konjekturen  als  solche 
kenntlich  gemacht  und  die  handschriftliche  La.  notiert  werden.  Vgl. 
folgende  Citate :  I  2,  90  mox  tibi  non  mitis  saeviet  usque  deus,  I  6,  32 
latrabat  tota  cui  tua  nocte  canis.  II  3,  36  —  37  at  tu  .  .  .  domo  soll 
ein  Anakoluth  sein.  I  1,  41  fructusve  requiro.  Lygd.  4,  20  humanuni 
nee  tulit  ille  decus.  Paneg.  115  gaudet.  Lygd.  4,  9  et  vanum  even- 
tura  hominum  genus  omina  noctis.  Und  doch  konnte  Verf.,  da  er  Koth- 
steins  Dissertation  bereits  kennt,  über  den  bedenklichen  Charakter  von 
ßaehrens'  Texte  kaum  im  Unklaren  sein.  Auch  dafs  er  ßaehrens'  vor- 
wirrende und  dabei  ganz  zwecklose  Neuzählung  adoptiert ,  ist  nicht  zu 
billigen.  Erwähnt  sei  gleich  bei  dieser  Gelegenheit,  dafs  der  Abschnitt 
über  die  Kasuslehre  vervollständigt  wird  durch  die  tüchtige  Dissertation 
von  A.  Hocrle,  Do  casuum  usu  Propertiano  (Halle  1887),  in  deren 
Noten  durchweg  der  von  Proper/,  vielfach  abweichende  Sprachgebrauch 
Tibulls  berücksichtigt  wird. 


310  Tibull.     Sprachgebrauch,  Kcih-figurcu 

184.     M.   Hansen,    De   tropis    et  figuris    apud  Tibullum. 
Diss.  inaug.  Kil.  1881.    51  S.  8. 

Der  Behandlung  des  Themas  ist  auf  S.  3  6  eine  Art  praefatio 
über  die  Handschriftcnfrage  vorausgeschickt.  Man  sieht  nicht,  zu  wel- 
chem Zwecke,  da  Verf.  nirgends  versucht  seine  Materialsammluogea  für 
Kritik  oder  Erklärung  des  Textes  zu  verwerten.  Neues  enthalten  diese 
Bemerkungen  nicht,  ja  sie  sind,  da  unter  den  nova  subsidia'  seit  Lach- 
manns Ausgabe  Baehrens'  Guelferbytanus  als  wertvoll  hervorgehoben 
wird,  nicht  einmal  ganz  korrekt.  Im  ersten  Hauptabschnitte  wird  ge- 
handelt de  tropis,  im  zweiten  de  figuris.  Tibulls  Diktion  ist  reicher  au 
Tropen  und  Figuren  als  man  glaubt.  Als  Summe  der  ersteren  ergiebt 
sich  in  den  echten  Gedichten  489,  der  letzteren  467.  Trotzdem  nennt 
man  Tibulls  Sprache  mit  Recht  einfach,  weil  seine  rhetorischen  Figuren, 
seine  Bilder  und  bildlichen  Ausdrücke  im  Ganzen  nicht  kühn  sind  und 
häufig  gar  nicht  als  Übertragungen  vom  Leser  empfunden  werden.  Frei- 
lich   geht  Verf.    in    der  Annahme    solcher    viel   zu    weit.     So    findet   er 

II  2,  17  eine  '  translatio ',  weil  es  vom  Amor  heifse  viden  ut  strepitan- 
tibus  advolet  alis,  obgleich  doch  Amor  kein  Vogel  sei!  Aber  der  Gott 
hat  doch  Flügel  und  fliegt  wirklich!  Inwiefern  ist  I  6,  18  neve  cubet 
laxo  pectus  aperta  sinu  das  Adj.  laxus  trauslate'  gebraucht?  I  2,  86 
miserum  saneto  tundere  poste  caput  ist  angeblich  'pars  pro  toto'!  Kann 
man  I  3,  61  fert  casiam  non  eulta  seges  als  Litotes  betrachten?    Und 

III  1,  26  sive  sibi  coniunx  sive  futura  soror:  Sed  potius  coniunx  als 
conduplicatio?  Interessant  sind  (S.  30 f.)  die  Sammlungen  für  die 
Anaphora,  diese  beliebteste  Figur  Tibulls.  IV  1,  72  spricht  nach 
S.  35  auch  die  Anastrophe  von  inter  für  die  Richtigkeit  der  jetzt  rezi- 
pierten Lesart  cum  canibus  rabidas  inter  fera  serperet  undas.  Bedauer 
lieh  ist,  dafs  S.  36  die  Beispiele  der  gerade  für  Tibull  so  charakteristi- 
schen Stellung  von  que  beim  Verbum  nach  dem  zweiten  oder  dritten 
Worte  des  Satzes  (wie  I  1,  40  pocula,  de  facili  composuitque  luto)  nicht 
vollständig  gesammelt  sind.     Vgl.  hierüber  oben  S.  307. 

185.  R.  Stehle,  De  Tibullo  puri  sermonis  poetici  cul- 
tore.     Diss.  inaug.  Strafsburg.  1886.  74  S.  8. 

Verf.  weist  im  Eingange  der  Abb.  darauf  hin,  dafs  ein  einheit- 
licher, mit  der  jedesmaligen  Dichtungsart  in  Harmonie  stehender  Stil 
sich  bei  den  römischen  Dichtern  nur  sehr  allmählich  entwickelt  habe 
(cf.  H.  Ploen,  de  copiae  verborum  differentiis  inter  varia  poesis  Ro- 
manae  antiquioris  geuera  iutercedentibus;  diss.  phil.  Arg.  VII  1882), 
ja  dafs  die  Sprache  der  Dichter  vor  Lucrez  und  Catull  ein  buntes  Ge- 
mengsei aus  allen  möglichen  Stilarten  sei.  Besonderes  Verdienst  um 
die  Schöpfung  einer  reinen,  einheitlichen,  von  jenen  buntscheckigen 
Flecken  gesäuberten  Dichtersprache  hat  Tibull.  Die  angebliche  paupertas 
seiner  Sprache    ist  daher  vielmehr   eine  kluge  Auswahl  und  weise  Be- 


Tibull.    Sprachgebrauch.     Die  Handschriftenfrage.  311 

schränkung  auf  das  Beste.  Um  dies  zu  beweisen,  bespricht  Verf.  den 
Gebrauch  der  verba  composita  bei  Tibull,  verglichen  mit  dem  bei  Catull, 
Properz  und  Ovid.  In  cap.  I  wird  iu  alphabetischer  Reihenfolge  über 
diejenigen  verba  composita  gehandelt,  welche  Tibull,  abweichend  von  den 
andern  Dichtern,  nur  im  eigentlichen  (nicht  übertragenen  oder  figür- 
lichen) Sinne  anwendet  (S.  9  -  49).  Es  folgen  in  cap.  II  diejenigen, 
welche  Tibull  singulärer  Weise  nur  im  übertragenen  Sinne  kennt 
(S.  50-62).  Den  Schlufs  bilden  die,  welche  sowohl  im  eigentlichen 
wie  im  übertragenen  Sinne  vorkommen  (S.  62 — 74).  Die  Ergebnisse 
der  nützlichen  Untersuchung  sind  entschieden  beachtenswert.  Durchweg 
zeigt  sich,  wie  schon  äufserlich  aus  dem  Umfange  des  ersten  Teiles 
hervorgeht,  das  Bestreben  die  Wörter  im  ersten  und  eigent- 
lichen Sinne,  wie  er  der  Komposition  entspricht,  zu  gebrauchen 
oft  in  schroffem  Gegensatze  zu  Cat.  Prop.  Ov.  So  heifst  perfero  eben 
nur  'ad  aliquem  locum  vel  finem  fero',  praefero  nur  'vorantragen'. 
Vgl.  Artikel  wie  colligo,  condo,  sustineo  u.  a.  Bequemt  sich  aber  Tibull 
dazu,  ein  Wort  iu  übertragenem  Sinne  zu  gebrauchen,  so  führt  er  diese 
Übertragung  (und  nur  diese  eine)  meist  konsequent  durch  und  behilft 
sich  da,  wo  man  dasselbe  Wort  -im  eigentlichen  Sinne  erwartet,  lieber 
mit  anderen  Verben.  So  ist  abeo  immer  =  evanesco;  'weggehen'  (von 
Personen)  heifst  discedere.  Committo  kommt  nur  vor  in  der  Über- 
tragung ==  trado  oder  concredo,  nicht  =  peeco.  Conferre  ist  nur  'aus- 
tauschen ',  consilia  communicare.  Nun  gibt  es  zwar  einige  Wörter,  die 
Tib  et  proprie  et  translate'  gebraucht,  aber  auch  hier  läfst  sich  weises 
Mafshalten  erkennen ,  denn  diese  Wörter  haben  bei  den  anderen  Dich- 
tern gewöhnlich  mehrere  eigentliche  und  übertragene  Bedeutungen. 
So  ist  refero  in  übertragenem  Sinne  nur  =  dico,  narro,  nicht  auch 
=  memoria  repeto.  Mehrfach  sind  diese  sprachlichen  Beobachtungen 
auch  für  die  Textkritik  von  Nutzen.  II  1,  18  ist  toüite  in  G  unmöglich, 
denn  Tib.  kennt  tollere  nur  im  eigentlichen  Sinne  (I  3,  11;  I  8,  45). 
I  3,  14  lies  despueretque.  I  l,  46  däinuisse  läfst  sich  mit  dem  Sprach- 
gebrauche nicht  vereinigen.  I  2,  3  lies  perfusum.  I  4,  43  admittai  ist 
wahrscheinlich.  —  Ein  unangeuehmer  lapsus  ist  dem  Verf.  S.  16  be- 
gegnet :  er  leitet  nämlich  das  bei  Cat.  64 ,  334  überlieferte  contexit  von 
contexo  ab! 

C.    Beiträge  zur  Geschichte   der  handschriftlichen 
Überlieferung. 

Baehrens'  Ausgabe  hat  ohne  Zweifel  in  der  Geschichte  des  Tibull- 
textes  epochemachende  Bedeutung,  nicht  durch  ihren  Text,  sondern 
durch  ihren  neuen  kritischen  Apparat  und  durch  die  Fülle  gediegener 
Spezialuntersuchungen  über  die  handschriftliche  Tradition,  zu  denen  sie 
den  unmittelbaren  Anstofs  gegeben  hat: 


312  Tibull.    Litteratur  der  Ilandschriftenfrage. 

186.  F.  Widder,  Ue  Tibulli  codicum  fi de  atque  aueto- 
ritate.  Gymn.  Progr.  Lahr.  1884.  37  S.  4  (Rec.  v.  E.  Hiller. 
Berl.  Phil.  W.   1880  Nr.  13  Sp.  390—393). 

187.  M.  Rothstein,  De  Tibulli  codieibus.  Diss.  inaug. 
Berol.  1880.     107  S.  8. 

188.  R.  Leonhard,  De  codieibus  Tibu  llianis  capita  tria. 
Diss.  inaug.  Friburg.  München  1882.  65  S.  8  [Rec.  v.  E.  Hiller. 
Phil.  Anz.  XIV  1884.  S.  24— 32J. 

189.  G.  Goetz,  Über  den  codex  G  uelferbytanus  des  Ti- 
bull.    Rh.  Mus.  37  (1882),  S.  141-146. 

190.  E.  Hiller,  Zur  handschriftlichen  Überlieferung  des 
Tibull.     Rh.  Mus.  37  (1882),  S.  567     575. 

191.  E.  Hiller,  Das  Fragmentum  Cuiacianum  des  Ti- 
bullus.     N.  Jahrbb.  1883,  273—274. 

192.  Ph.  Illmann,  De  Tibulli  codicis  Ambrosiani  aueto- 
ritate.  Diss.  inaug.  Hai.  Berlin.  Mayer  und  Müller.  1886.  65  S.  8. 
[Rec.  v.  H.  Magnus,  Berl.  Ph.  W.  1888  No.   11  S.  Sp.  328f.] 

Widders  Abh.  ist  ohne  Kenntnis  der  früher  erschienenen  Arbeiten 
geschrieben  und  war  darum  schon  bei  ihrem  Erscheinen  in  wesentlichen 
Punkten  veraltet.  Auch  sind  nur  Baehrens'  Handschriften ,  nicht  auch 
die  von  Lachmann  behandelt.  Doch  enthält  sie  manche  (besonders  durch 
Heranziehung  des  Sprachgebrauches  der  römischen  Dichter)  schätzens- 
werte Bemerkungen.  Anhangsweise  handelt  Widder  (S.  35 f.)  noch  de 
Propertio  Tibulli  imitatore\  Vgl.  oben  S.  263.  Die  sorgfältig 
verzeichneten  Anklänge  in  Thema  oder  in  einzelnen  Wenduugen  beziehen 
sich  fast  sämtlich  auf  das  erste  Buch  Tibulls  (die  anscheinende  Über- 
einstimmung von  Prop.  V  5,  17  mit  Tib.  II  5,  57-60  erklärt  sich  durch 
den  Zusammenhang  beider  Stellen  mit  Verg.  Georg.  III  280  f.).  Verf. 
sieht  darin,  vielleicht  richtig,  eine  Bestätigung  der  Ansicht,  dafs  Tibulls 
zweites  Buch  von  ihm  selbst  nicht  vollendet  und  erst  nach  seinem  Tode 
herausgegeben  sei.  Auch  Leonhard  bespricht  in  einem  Anhange  einige 
spezielle  kritische  Fragen.  Er  verteidigt  mit  Recht  die  überlieferte 
Versfolge  in  I  1,  teilweise  zusammentreffend  mit  Francken  Mnemos. 
N.  S  VI  181  — 182,  doch  anscheinend  ohne  Kenntnis  von  Vahlens  vor- 
trefflicher Abhandlung  in  den  Monatsber.  der  Berl.  Ak.  1878  S.  352. 
I  4,  15  wird  übereinstimmend  mit  Vahlen  sin  vermutet  (doch  vgl.  oben 
S.  169).  Es  folgen  Bemerkungen  zu  I  6,  16  I  4,  43  III  1,  8  endlich 
über  Baehrens'  Versumstellungen  aus  I  9  in  I  8.  Von  allen  Bearbeitern 
des  Themas  stehen  nur  Widder  und  Leonhard  noch  in  den  meisten 
Punkten  auf  Baehrens'  Standpunkte.  Die  Übrigen  sind  ihnen  gegen- 
über einig  in  der  Verurteilung  des  cod.  Guelferbytauus,  auf  dem  Baehrens' 


Tibull.    Handschriften.     Fragmentum  Cuiacianum.  313 

Text  in  erster  Linie  basierte.  Auch  in  anderen  wesentlichen  Punkten 
zeigt  sich  eine  erfreuliche  Übereinstimmung,  namentlich  in  der  Beurtei- 
lung des  Ambrosianus.  Daneben  bestehen  freilich  grofse  Meinungsver- 
schiedenheiten; es  ist  mitunter  ergötzlich  zu  sehen,  wie  sich  aus  den- 
selben Thatsachen  nach  dem  jeweiligen  Standpunkte  des  Kritikers  dia- 
metral entgegengesetzte  Schlüsse  ziehen  lassen.  Um  lästige  Wieder- 
holungen zu  vermeiden,  mufsten  die  behandelten  Stoffe  bei  der  Be- 
sprechung mafsgebend  für  die  Disposition  sein. 

1.    Die  unvollständigen   (älteren)   Textesquellen. 

a)  Das  Fragmentum  Cuiacianum  (F). 
Dieses  von  Scaliger  benutzte  und  unter  dem  Namen  'scheda  op- 
tima', 'fragmentum  pervetustum' ,  fragmentum  peroptimum 
et  quam  emendatissimumaquarta  elegia  libritertiiadfinem 
usque'  bekannte  Fragment  ist  verschollen  und  nicht  zu  verwechseln  mit 
dem  jüngeren  über  Cujacianus,  einer  vollständigen  Catull,  Tibull, 
Properz  enthaltenden  Handschrift,  die  Scaliger  ebenfalls  von  Jakob  Cujas 
geliehen  erhalten  hatte  (er  bezeichnet  sie  selbst  als  codex  infimae 
vetustatis'  und  paullo  ante  ineuntem  typographicam  artem 
scriptus').  Diese  ist  es,  welche  jüngst  in  England  wieder  zum  Vor- 
schein kam.  (Vgl.  darüber  A.  Palm  er  und  R.  Ell i s  Hermathena  III 
(1875),  124-158).  Sie  ist  im  Jahre  1467  geschrieben,  sehr  stark  inter- 
poliert und  heute  wertlos  (Vgl.  Ellis  prolegg.  in  Cat.  ed.  II:  'Ipsum 
codicem  non  magni  pretii  habeo').  Über  die  aufserdem  noch  von  Sca- 
liger benutzte,  jetzt  ebenfalls  wertlose  Anthologie  (excerpta  perve- 
tusta')  wird  bei  Betrachtung  der  excerpta  Parisina  zu  handeln  sein. 
Die  Varianten  des  ehrwürdigen  Fragmentes  notierte  Scaliger  (neben 
denen  des  jüngeren  Cuiacianus  und  der  Exzerpte)  in  ein  Exemplar  der 
1569  in  Antwerpen  bei  Plantin  erschienenen  Ausgabe,  welches  sich  gegen- 
wärtig in  der  Leidener  Bibliothek  befindet.  Nicht  diese  Kollation  be- 
nutzte aber  Lachmann  für  den  Apparat  seiner  Ausgabe,  sondern  aufscr 
den  vereinzelten  Angaben  Scaligers  in  den  Castigationes  nur  die  Auf- 
zeichnungen, welche  Heinsius  aus  der  Kollation  in  ein  Exemplar  der 
Aldine  von  1515  eingetragen  hatte.  Erst  in  neuester  Zeit  ist  jenes 
Handexemplar  Scaligers  mit  der  Originalkollation  zugänglich  geworden 
und  hat  für  den  Apparat  der  Ausgaben  von  Baehrens  (doch  vgl.  Roth- 
stein  S.  4)  und  Hiller  manche  Berichtigungen  gebracht  Vgl.  E.  Hiller 
Rh.  Mus.  29  (1874)  S.  97—106.  Baehrens  praef.  ed.  8.  MX.  Das 
Fragment  begann  etwa  mit  III  4,  65  (oder  einige  Verse  vorher,  Tgl. 
Hill  er  Phil.  Anz.  XIV  26).  Über  seinen  unvergleichlichen  Wert  i  es 
repräsentiert  eine  ganz  andere  Überlieferung  als  die  vollständigen  Hand- 
schriften) giebt  es  keine  Meinungsverschiedenheil  mehr.  Eine  ganze 
Reihe   richtiger  Lesarten  sind  nur  durch  1''  erhalten.    Dahin  worden  fol- 


314  Tibull.     Handschriften     Fragmenttim  Cuiacianum. 

gcndo  zu  rechnen  sein:  III  4,  65  Dieser  iu  unsern  Handschriften  feh- 
lende und  durch  Interpolation  verschieden  ergänzte  Vers  ist  nur  in  P 
erhalten:  Saevua  Amin-  docu.it  validoe  temptare  labores :  (Bothstein  s.  5.). 
Auch  der  folgende  Vera  ist  mil  F  zu  schreiben  Saevus  Amor  doeuit 
verbera  saeva  pati;  die  Handsehr.  posee  pati  (Bothstein  a.  0.,  111- 
mann  S.  13  not.,  Vahlon  ind.  lect.  bib.  1886  S.  11  — TJ;  vgl.  zu  saeui- 
Baeva    noch   das    sicher   nicht   geschmackvollere    qualee  bis  poenas  gualis 

III  6,  23).  —  III  4,  80  felix  hoc  (Rothstein  S.  7—8).  —  III  4,  80 
cineta  figuram.  —  III  5,  10  trita  venena.   —   III  6,  23  qualis  quanhuque. 

—  III  6,  62  Tu  puer  i.  —  III  6,  44  cavere  (Kotbstein  S. 8— 11).  IV 
1,  30  quid  quaque  index.  —  IV  1,  39  nam  quü  te  (Hiller  Rh.  Mus. 
37,  568).  —  IV  1,  55  lothos  capto«  (mit  geringer  Korrupte]  für  coeptoi. 
Leonhard  S.  8  meint ,  capto»  optime  in  viros  loti  /xeka^fee  xapntp  retentos 
quadrare'  und  schlägt  vor:  Nee  valuit  lotos  capto»  avertere  cursu.  Dies  ist 
mit  Hiller  Ph.  Anz.  XIV  25  abzuweisen).  —  IV  l,  70-71  Illum  toter 
geminae  .  .  impetus  ore.  —  IV  1,  110  ariqnnis.  —  IV  l,  142  ardet  Areo 
tais  mit  unda  perhospita  campis  (dem  Richtigen  wenigstens  nahe  kommend, 
Rothstein  S.  12).  —  IV  1,  185  ad  deßeientia  messis.  —  IV  1,  180  memor 
ante  ados  (trotz  Baehrens  Tib.  Bl.  S.  63).  —  IV  1,200  vmeere  cartas. 

—  IV  1,   210   quandoeunque   (Leonhard  S.  8).     IV  1,  205  dies  celerem. 
IV  3,  3  aeuisse  in  praelia.  —  IV  5,  1  qui  mihi  te  (Rothstein  S.  13). 

—  IV  6,  7  neu  quis  divellat.  —  IV  7,  6  habuisse  ma.  —  IV  9,  2  iam 
licet  esse  tuo.  (Leonhard  S.  6).  —  IV  11,  5  —  6  at  mihi  .  .  .  lento 
pectore.  —  IV  12,  17  —  18  pignora  cedo  .  .  .  proderat.  —  Auch  au  fol- 
genden Stellen  wird  die  La.  von  F  den  Vorzug  verdienen,  obwohl  sich 
die  Frage  nicht  durch  innere  Gründe  entscheiden  läfst :  IV  1,  78  er- 
roris.  IV  1,  161  non  igitur.  -  IV  1,  175  ierint  (die  Stelle  ist  sehr 
unsicher.  Hill  er  Ph.  Anz.  XIV  S.  24—25  verteidigt  die  La.  der  Hand- 
schriften poscent.  Doch  vgl.  Illmann  S.  15,  der  seine  Ausführungen 
mit  den  Worten  schliefst:  lSive  Scaligeri  sive  Lachmanni  emendationem 
probamus,  non  video  cur  hoc  loco  a  F  scriptura,  quae  levissimas  tantum 
mutationes  exigit,  recedamus  codicumque  recentiorum,  qui  tot  locis  inter- 
polationibus  manifestissimis  depravati  sunt,  lectionem  reeipiamus'.  Für 
ierint  und  Scaligers  per  claros  tritt  auch  Ehwald  Ph.  Anz.  XV  587  ein: 
1  Wenn  deine  Thaten  iu  herrlichem  Triumph  ( per  triumphum ,  s.  Cic. 
accus,  in  Verr.  V  26,  67.  30,  77)  einhergeschritten  sind  d..h.  wenn  die 
tituli  oder  noch  besser,    wenn  die  simulacra  deiner  Thaten   (Ov.  trist. 

IV  2,  37.  Tac.  aun.  II  41)  im  Triumphzug  einhergetragen  sind.  [Vgl. 
A.  Zingerle  Z.f.Ö.G.  1885  S.  98  und  Kl.  Phil.  Abh.  IV  14—15].  Für 
ire  per  vgl.  Ov.  a.  a.  III  387.  trist.  V  9,  32.  Fast.  I  15.  II  16'.  Ref. 
fügt  noch  hinzu,  dafs  praeclarw  bei  Catull,  Tibull,  L}gdamus,  Properz, 
Ovid  (denn  trist.  III  5,  40  ist  jetzt  Dareique  emendiert)  nicht  vorkommt 
und  auch  darum  im  Panegyricus  sehr  unwahrscheinlich  ist.  -  Vielleicht 
auch  IV,  2,  23  haec  sumet  (Vahlen  ed.  V).   —    Dem  stehen  gegenüber 


Tibull.     Handschi iftfn.     Fragmentum  Cuiacianum.  315 

weilige  kleine  Irrtümer  wie  III  6 ,  44.  IV  1,  3.  IV  1,  60.  IV  1,  168. 
193.  198.  IV  3,  21.  Nun  hat  freilich  Baehrens  Tib.  Bl.  S.  63 f.  ver- 
schiedene Lesarten  von  F  als  willkürliche  Änderungen  verdächtigt.  Doch 
vgl.  dagegen  Rothstein  S.  7  not.  Nur  an  einer  Stelle  nimmt  Roth- 
stein selbst  eine  Interpolation  an:  IV  5,  10  bieten  unsere  Handschr.  statt 
des  richtigen  calet  die  leichte  Korruptel  valet,  F  aber  volet  'ut  sensus 
qualiscuinque  in  hunc  versum  inferretur' .  Indessen  ist  auch  da  eine 
absichtliche  Fälschung  sehr  unwahrscheinlich.  Einen  sensus  qualiscun- 
que  giebt  hier,  zumal  in  einem  Geburtstagsgedichte  und  nach  v.  9,  der 
überlieferte  Fehler  volet  immer  noch  eher  als  die  angebliche  Konjektur 
volet.  Wie  unglaublich  also,  dafs  (notab.  in  uralter  Zeit!)  der  Librarius 
einer  sonst  absolut  iuterpolationsfreien  Handschrift  auf  den  Gedanken 
verfallen  sein  sollte  zu  ändern!  Schwieriger  ist  die  Entscheidung  bei 
IV  1,  2  wo  das  nequeant  von  F  gegen  vakant  der  Handschriften  steht. 
Leonhards  Annahme  (S.  7):  'Librarius  cum  verbum  terrendi  cum  par- 
ticula  ut  coniunctum  intellegere  non  posset,  vocem  quae  est  vakant  in 
mqueant  illud  falso  commutavit'  ist  geradezu  ungeheuerlich.  Man  hat 
zwei  Traditionen  vor  sich:  eine  sehr  alte  im  Übrigen  ganz  interpola- 
tionsfreie und  eine  sehr  junge  durch  und  durch  interpolierte.  Metho- 
discherweise mufs  man  also  bis  auf  Weiteres  die  zweite  für  verdächtig 
halten,  um  so  mehr,  da  es  sich  um  eine  tief  einschneidende,  von  höch- 
stem Raffinement  zeugende  Änderung  handelt ,  wie  man  sie  nur  den 
dreisten,  im  Interpolieren  geübten  Itali  späterer  Zeit  zutrauen  kann, 
d.  h.  der  Ersatz  von  valeant  durch  nequeant  in  dem  ehrwürdigen  Frag- 
mente wäre  ein  unbegreifliches  Uuicum ,  der  Ersatz  von  nequeant  durch 
valeant  in  dem  Archet.  unserer  codd.  etwas  ganz  Gewöhnliches  und  All- 
tägliches. Dazu  kommt,  dafs  sich  auch  die  Veranlassung  der  Interpo- 
lation deutlich  erkennen  läfst,  wie  Ref.  schon  Berl.  Ph.  W.  1885  Sp.  586 
bemerkte.  Der  Fälscher  verband,  wozu  man  allerdings  leicht  versucht 
ist,  ut,  austatt  es  konzessiv  zu  fassen,  mit  tei-ret  und  verstand  es  =  ne 
non  (Auf  das  terruit  gentes,  grave  ue  rediret  Saeculuni  Pyrrhae  bei 
Hör.  c  I  2,  5  ist  längst  hingewiesen)  Da  nun  nequeant  gerade  das 
Gegenteil  von  dem  was  der  Sinn  fordert,  bedeutete,  so  konnte  er  ver- 
ständigerweise gar  nichts  anderes  als  valeant  schreiben.  Hiernach  er- 
scheint Rothsteius  Konj.  (S.  14  not.)  quaniquaui  mt  et  cognita  virtus  Tenet 
et  infirmac  nequeant  überflüssig.  Hill  er  stimmte  trüber  (Ph.Anz.  \l\  24) 
Leonbard  bei,  ist  aber  jetzt  mit  Reclit  in  der  Tauchcitzausgabe  EU  - 
queant  zurückgekehrt.  Hier  ist  aueb  zuerst  Dach  terret  die  richtige  ver- 
stärkte Interpunktion  angewendet  worden,  Für  nequeant  noch  Ehwald 
Ph.  Anz.  XV  589.  Birts  ansprechende  Konj.  (De  Bai.  S.  88)  ""  intir- 
mae  valeant  i>t  hiernach  abzuweisen.  —  Aus  alledem  ergiebl  sich,  dafs,  ab- 
gesehen von  einigen  Schreibfehlern,  uns  in  den  charakteristischen  Les- 
arten von  V  ohne  Ausnahme  das  Richtige  oder  Joch  das  dem  Rich- 
tiges am  nächsten  Kommende  erhalten  i-t. 


816        Tibull.    Handschriften.     Frgmt,  Cuiac.        Exe.  Frisingensia. 

Schlicfslich  sei  noch  bemerkt,  dafs  E.  Biller  in  tfo.  191  überzcu- 
gend  nachweist,  wie  F  schon  ron  den  Italienern  des  saec.  XV  benutzt  wor- 
den ist.  Denn  weitaus  die  meisten  Lesarten  in  F,  welche  von  unseren 
ältesten  vollständigen  Quellen  abweichen,  werden  auch  aus  interpo- 
lierten Handschriften,  aus  alten  Ausgaben  und  aus  alten  Kollationen  an- 
geführt, in  den  folgenden  Verzeichnisse  lassen  sich  allerdings  manche 
Übereinstimmungen  nach  Ililler  dadurch  erklären,  dafs  die  Itali  durch 
Konjektur  auf  dieselbe  La.  verfielen,  die  F  bietet.  An  anderen  Stellen 
hält  Ref.  mit  Ililler  diese  Annahme  für  unmöglich.  So  III  4,  65  F. 
Der  Vers  fehlt  in  0,  wird  aber  angeführt  aus  cod.  Corvin.,  Voss.,  1.,  cxc. 
Pucci,  exe.  Perrei.  IV  1,  39  nam  quis  te  st.  nam  quique  tibi:  cod.  Ursini, 
exe  Perrei.  IV  1,  96  veniat  gravis  st.  grandis  venu:  Voss  1.  IV  1,  110 
Arupinü  st.  et  arpinis:  Ambr.  m.  2,  g  {Ampi, ms  Guelf.  1  und  4,  sowie 
mehrere  alte  Ausgaben)  —  u.  a.  Diejenigen  Lesarten  von  F,  die  eben 
nur  Scaliger  verzeichnet,  sind  meist  Versehen,  deren  Notierung  den  Itali 
zwecklos  schien  (vgl.  z.  B.  III  6,  44.  IV  1,  55.  60.  168  u.  a.).  Von 
wichtigen  Varianten  sind  nur  III  5,  10  trüa  st.  certa  (vgl.  Hiller,  Rh. 
Mus.  XXIX  103)  und  IV  3,  3  praelia  st.  pectore  allein  durch  Scaligers 
Kollation  bekannt.  Entscheidend  für  die  Benutzung  von  F  ist  endlich 
der  Umstand,  dafs  auch  die  durch  F  aufbewahrte  Autorbezeichnung 
Domitii  Marsi  für  das  Epigramm  auf  Tibulls  Tod  den  Italienern  nicht 
unbekannt  war  (exe.  Perrei).  Möglicherweise  haben  sich  noch  andere 
von  Scaliger  übergangene  Varianten  von  F  in  interpolierten  Handschriften 
erhalten,  aber  für  die  Kritik  ist  diese  Möglichkeit  wertlos,  da  derartige 
echte  Lesarten  unter  den  massenhaften  Konjekturen  der  Itali  nicht  mehr 
heraus  gefunden  werden  können. 

b)   Die  Freisinger  Exzerpte    (Fris.;  bei  Hiller  mit   M  bezeichnet, 
weil  die  Handschrift  sich  jetzt  in  München  befindet.    Ihm  folgt  Ref.) 

Vgl.  über  sie  aus  der  älteren  Litteratur  Lach  manu  praef.  S.  VI. 
Kleinere  Schriften  S.  146.  E.Protzen,  de  excerptis  Tibullianis.  Greifs- 
wald 1869.  L.  Müller  N.  Jahrbb.  1869,  63f.  Derselbe  praef.  ed.  S.  VIII. 
Über  Plan  und  Zweck  der  Exzerpte  hat  Rothstein  S.  17f.  gut  und 
erschöpfend  gehandelt.  Sie  enthalten  Stellen,  die  ihrem  Sammler  ent- 
weder aus  Rücksichten  der  Grammatik  beachtenswert  schienen  (z.  B.  I 
6,  49),  allgemeine  Sentenzen,  endlich  Stellen,  die  ihm  wegen  ihrer  poe- 
tischen Schönheit  gefielen.  Über  die  Frage,  wie  M  mit  F,  wie  sie  mit 
dem  Archetypus  unserer  Haudschrifteu  zusammenhängen,  wissen  wir 
nichts  (vgl.  Baehrens  praef.  S.  XXI).  Dafs  sie  aus  einer  lückenhaften, 
dem  Archetypus  ähnlichen  Handschrift  exzerpiert  sind,  folgert  Leonhard 
S.  53  daraus,  dafs  sie  den  Hexameter  vor  III  4,  66  nicht  haben.  Es 
ist  in  der  That  nicht  anzunehmen,  dafs  die  Exzerpte  ihn  weggelassen 
hätten,  wenn  er  in  ihrer  Vorlage  stand.  Auch  spricht  für  jene  Ansicht 
der  Umstand,  dafs  in  v.  66  M  übereinstimmend  mit  den  Handschriften 


Tibull.     Handschriften.     Excerpta  Frisingensia.  317 

die  La.  verbera  posse  pati  haben.  —  Auch  über  die  Wichtigkeit  der 
singulären  Lesarten  von  M  ist  jetzt  (trotz  Lachmann  a.  0.  S.  146)  kein 
Streit  mehr:  der  codex,  aus  dem  M  abgeschrieben  sind,  mufs  von  hohem 
Werte  gewesen  sein.  Für  richtig  sind  also  anzusehen:  I  3,  86  colu. 
II  3,  10  pussula.  III  6,  44  cavere  tuo  (Rothstein  S.  8).  —  I  2,  19  haben 
M  sehr  bestechend  molli  furtim  derepere.  Aber  freilich  ist  die  Vorstel- 
lung, aufweiche  so  die  Phantasie  gelenkt  wird,  nicht  eben  schön  (Francken 
Mnemos.  N.  S.  XIII  182).  Vahlen  bleibt  daher  bei  dem  handschr.  de- 
cedere. Die  Entscheidung  ist  sehr  schwer.  —  I  7,  11.  Nach  Hiller  Ph. 
Anz.  XIV  26  hat  Tibull  wohl  Garunna  geschrieben,  so  dafs  sowohl  in 
der  Lesart  von  M  (Garonna)  wie  in  derjenigen  der  besseren  Handschriften 
(Garumna)  ein  Teil  des  Ursprünglichen  erhalten  ist.  I  7,  12  bieten  M 
Camutis,  die  Handschriften  Camoti  resp.  Camuti.  Darüber  handelt  gründ- 
lich LeonhardS.  13 — 14.  Nach  dem  Zeugnisse  Cäsars  und  nach Liv.V 34 
war  zu  den  Zeiten  der  Republik  die  Form  Camutes  die  übliche.  Hiller 
a.  0.  macht  darauf  aufmerksam,  dafs  auch  Plin.  nat.  hist.  IV  §  lu7  die 
Form  Camuti  statt  Camutes  von  Detlefsen  auf  Grund  der  Überlieferung 
beseitigt  ist.  Dafs  Paulinus  Petrocorius  in  saec.  V  n.  Chr.  (vit.  S.  Mart. 
IV  225)  Camötina  mifst,  ist  natürlich  ohne  Belang.  So  ist  denn  Carnutü 
von  Hiller  mit  Recht  rezipiert.  Ebenso  weist  Leonhard  auf  Grund 
eigener  Prüfung  auf  S.  12  nach,  dafs  durch  die  Schreibung  hämatis  IV 
3,  10  lediglich  die  Quantität  des  a  verdeutlicht  werden  sollte,  dafs  also 
die  Form  hammatis  den  Exzerpten  ohne  Grund  zugeschoben  wurde.  Und 
Rothstein  S.  33  betont,  dafs  III  6,  33  in  dem  et  mihi  von  M  das 
später  durch  Itali  richtig  gefundene  ei  mihi  (codd.  s»  mihi)  stecke.  — 
I  1,  2  M:  iugera  multa,  codd.:  magna.  Dafs  sich  letzteres  verteidigen 
läfst,  sahen  schon  die  alten  Ausleger  (vgl.  Huschke  z.  St.).  Aber  das 
Zeugnis  von  M  wird  durch  Diomedes  S.  484  Keil,  durch  die  Nachahmung 
Ovids  Fasti  III  192  (vgl.  III  3,  5)  so  glänzend  bestätigt,  dafs  an  der 
Richtigkeit  von  multa  nicht  zu  zweifeln  ist  (vgl.  Illmann  S.  22,  unrichtig 
urteilt  Widder  S.  6,  s.  Hiller  ßerl.Ph.W.  1886  Sp.  392).  Richtig, 
obwohl  nicht  singulär  ist  auch  I  1,  ">  vüa  (Illmann  S.  23).  I  1,  25  M  : 
iam  modo  iam  possim,  codd.:  tarn  modo  non  possum.  Ref  stimmt  mit 
Rothstein  S.  20,  Illmann  S.  20  in  der  Ansicht  oberem,  dafs  Bf  wahr- 
scheinlich das  Richtige  erhalten  hat  Selbst  Yahlens  scharfsinnige  Kouj. 
iam  modo  iners  possim  scheint  nicht  notwendig.  I  1,  34  ist  dagegen  e$t 
wohl  nicht  mit  M  weg   zu  lassen   (Hiller  Phil.  Anz.  XIV   27).  Hat 

sich  derExzerptor  gestattet  beim  Abschreiben  aus  seiner 
Vorlage  willkürlich  zu  lindern?  Rothstein  S.  18  bejaht  dies  für 
eine  Stelle.  I  9,  45  bieten  M:  o  miser  interii,  statt  tum.  Die  in  tum 
liegende  Beziehung  auf  das  Vorhergehende  sollte  hier,  wo  «Jas  Distichon 
aus  dem  Zusammenhange  gerissen  war,    vermieden  werden   (Illmann 

S.  18  widerspricht  dem  und  sieht  in  dem  o  eine  einfache  Konuptel  der 
Vorlage   von   M).     Eine    Interpolation   findet   Rothstein   S.    19   auch    111 


;}|ft  Tibull.     Handschriften.     Excerpta  Fris.  und  Parisina. 

3,  21-  22  wo  M  mc  Fortuna  für  nam  Fortuna  bietet:     Iis  enim  qui  in 

fortunae  verbo ,  sivc  id  pro  nomine  proprio  sive  pro  appcllativo  acci- 
piebant,  de  fortunis  maxime  cogitaverunt,  facile  poterat  peotametro  plane 
contrarium  eornm  dictum  esse  videri  quae  priori  vcrsu  Bignificata  erant'. 
Doch  bleibt  hier  die  Möglichkeit  olh'ii ,  dafa  schon  die  Vorlage  von  U 
interpoliert  war  freilich  nur  an  dieser  einen  Stelle.  (Doch  vgl.  Illmann 
S.  18:  ' Scriptura  Fris.  facile  compendio  prave  intellecto  rel  alt  excerp- 
tore  ipso  vel  a  nescio  quo,  qui  postea  eclogas  descripsit,  nasci  potuit'). 
Das  gerit  von  M  für  regit  ist  (trotz  Leonhard  S.  11  )  ein  harmloser, 
sehr  gewöhnlicher  Schreibfehler.  Das  Gleiche  gilt  offenbar  von  IV  14,  2 
(te  statt  me).  Dagegen  ist.  I  4,  9  die  Möglichkeit  nicht  zu  leugnen,  dafs 
fugite  in  M  für  fvge  te  durch  Interpolation  entstanden  ist  (Illmann 
S.  19).    Doch  vgl.  Lachmann  Kl.  Sehr.  S.  146. 

c)  Die  Excerpta  Parisina  (Par.  od.  P.). 

Vergl.  über  die  so  bezeichneten  Exzerpte  Baehrens  praef.  ed. 
S.  XI -XIII.  Hiller  Eh.  Mus.  29,  102,  Rothsteiu  S.  23  25,  Leon- 
hard S.  15—16.  Wir  kennen  diese  während  des  Mittelalters  in  Frank- 
reich sehr  verbreitete  Anthologie  am  besten  durch  zwei  Pariser  Hand- 
schriften, den  cod.  Nostradamensis  (n)  und  den  Thuaneus  (}>)• 
Beide  weichen  nur  unwesentlich  von  einander  ab ,  doch  ist  die  letztere 
älter  und  wertvoller.  Ein  Manuscript,  welches  ebendieselben  Exzerpte 
enthielt,  nicht  eine  vollständige  Tibullhandschrift  (Leonhard  S.  15)  be- 
nutzte für  sein  speculum  doctrinale  Vincenz  von  Beauvaisca.  1250. 
Seine  Angaben  sind  heute,  wo  wir  in  den  Pariser  Handschriften  die  von 
ihm  ausgeschriebene  Vorlage  besitzen,  wertlos.  Dafs  auch  Seal  ig  er  s 
eclogae,  die  sogenannten  excerpta  pervetusta  mit  unseren  Parisina  iden- 
tisch sind,  hat  nach  Hiller  a.  0.  Leonhard  S.  16  bewiesen.  Ja,  seine 
Vermutung,  die  Handschrift  Scaligers  sei  eben  unser  Thuaneus  hat  viel 
für  sich  und  wird  von  Hill  er  Ph.  Anz.  XIV  27  gebilligt.  Unter  allen 
Umständen  sind  auch  Scaligers  Exzerpte,  da  wir  ihr  Original  besitzen, 
aus  unseren  Textesquellen  auszuscheiden.  --  Über  die  Zwecke,  welche 
der  Exzerptor  (offenbar  ein  mittelalterlicher  Mönch)  bei  seiner  Auswahl 
verfolgte,  hat  Rothstein  S.  25 f.  vortrefflich  gehandelt  und  sein  Ver- 
fahren an  II  3,  35—48  deutlich  gemacht,  wo  überall  ersichtlich  ist, 
warum  ihm  diese  oder  jene  willkürliche  Änderung  beliebte.  Mit  Recht 
weist  aber  Leonhard  S.  17  not.  darauf  hin,  dafs  sich  aus  der  Über- 
schrift 'de  nimio  dico  dolore'  zu  II  4,  11  nicht  mit  Rothsteiu  irgendwelche 
Schlüsse  ziehen  lassen,  da  höchst  wahrscheinlich  'de  immodico  dolore'  zu 
schreiben  sei.  Im  Ganzen  schrieb  er  besonders  die  Stellen  ab  '  quae  ad 
hominum  mores  corrigendos  maxime  idonea  ei  videbantur1.  Damit  im 
Widerspruche  Stehendes  änderte  er  oder  liefs  es  weg.  Andere  Ände- 
rungen schienen  ihm  nötig,  um  aus  dem  Zusammenhange  gerissene  Verse 
verständlich  zu  machen.     So  erklären  sich  z.  B.  die  Lesarten  I  6,  75  ne 


Tibull.    Handschriften.    Die  Excerpta  Parisina  319 

saevo.  III  3,  11  quid  prodesse  potest.  II  1,  13  pura  cum  mente  u.  a. 
—  Wie  steht  es  nun  aber  mit  denjenigen  unrichtigen  Abweichungen 
von  unsern  Handschriften  in  P,  wo  weder  Interpolationen  des  Ex- 
zerptors  (die  nach  obigen  Gesichtspunkten  meist  leicht  erkennbar 
sind,  vgl.  auch  Leonhard  S.  18),  noch  einfache  Schreibfehler  anzu- 
nehmen scheinen?  Mit  anderen  Worten:  Enthielt  die  vollstän- 
dige dem  Exzerptor  vorliegende  Tibullhandschrift  bereits 
Interpolationen?  Leonhard  verneint  die  Frage  im  Allgemeinen 
(S.  18);  bejaht  sie  aber  für  I  1,  43  und  IV  l,  39  (die  Reihenfolge 
und  nee  quisquam),  an  der  ersten  Stelle  übereinstimmend  mit  Roth- 
stein  S.  31.  Hier  haben  P  statt  des  zweiten  (nach  des  Ref.  An- 
sicht im  Archetyp,  unserer  codd.  fehlenden)  satt*  est  die  Interpolation 
uno.  In  der  Wendung  nun  uno  requiescere  lecto  finden  Rothstein  und 
Leonhard  eine  erotische  Beziehung  auf  Delia  und  meinen,  sie  könne 
gar  nicht  von  dem  streng  moralischen  Exzerptor  ausgehen,  der  ja  gerade 
das  folgende  Distichon  wegen  seines  bedenklichen  Inhaltes  auslasse.  Aber 
sehr  plausibel  vermutet  Hiller  Ph.  Anz.  XIV  28  (und  nach  ihm  111- 
mann  S.  25),  die  Interpolation  uno  lecto  bezeichne  vielmehr  die  Genüg- 
samkeit des  Dichters,  ebenso  wie  I  1,  6  assiduo  in  exiguo  geändert  sei. 
Man  könne  sie  daher  sehr  wohl  dem  Exzerptor  zutraueu.  Wenn  nun 
Hill  er  wegen  dieser  Stelle  (zumal  da  auch  in  der  zweitbesten  Hand- 
schrift V  satis  est  von  erster  Hand  nur  einmal  geschrieben  sei)  meint, 
der  Annahme,  dal's  der  unmittelbarste  Archetypus  unserer  Handschriften 
aus  der  Tibullhandschrift  des  Exzerptors  stamme,  stehe  nichts  im  Wege, 
so  ist  das  einzuräumen,  läfst  sich  aber  mit  den  Anschauungen  desselben 
Gelehrten  über  die  ausschlaggebende  Bedeutung  des  Ambr.  nicht  ver- 
einigen. Denn  Illmanns  (S.  39  —  40)  Erklärungsversuch  ist  nach  seinem 
eigenen  Geständnisse  (fnegari  non  potest,  hanc  explicationem  satis  tor- 
tuosam  esse1)  sehr  unwahrscheinlich.  Auch  über  IV  1,  39  wird  man  mit 
Hill  er  Rh.  Mus.  37,  573.  Ph.  Anz.  XIV  27  anders  urteilen  müssen  als 
Leonhard. 

Noch  weiter  als  dieser  geht  Rothstein,  welcher  S.  31  f.  au  zehn 
Stellen  die  Handschrift  des  Exzerptors  für  interpoliert  erklärt:  I  1,  6 
exiyuu.  I  1,  43  uno.  I  4,  30  sed  furnuie  nulluni.  I  5,  01  praesto  semper. 
I  8,  14  colligut.  I  10,  5  forsan  et  die  nihil  meruit.  II  3,  30  adoperta 
malis.  III  0,  33  heu  quam  difficile  est.  IV  1,  40  huec  aut  haec.  IV  I,  40 
nemo  magis  sedare  queat.  Man  mul's  zugeben,  dafs  die  Interpolation  klar 
zu  Tage  liegt.  Aber  sämtliche  Änderungen  haben  die  Tendenz  Unver- 
ständliches verständlich  zu  machen.  Werden  wir  sie  also  nicht  lieber 
dem  Exzerptor,  der  ja  gerade  hiernach  strebte  (Manches  event.  sogar 
dem  Schreiber  des  Archet.  von  P)  zutrauen  als  sie  bis  zum  Jahre  1000, 
vielleicht  noch  höher  hinaufiiickenV 

Trotzdem  wird  allgemein  anerkannt,  daß  wir  1'  eine  grofse  Zahl 
unverdächtiger  trefflicher  Lesarten  verdanken.     (Über  die  Fälle,  wo  die 


320     Tibull.     Die  Excorpta  Par.  und   die  vollständigen  Handschriften. 

jungen  interpolierten  Handschriften,  namentlich  der  Guelfer bytanus, 
gerade  in  richtigen  Lesarten  mit  P  übereil)  timmen,  wird  später  zu  reden 
sein).  Die  betreffenden  Stellen  bespricht  Rothstein  S.  33  f.  I  1,  2  iu- 
gera  multa,  I  1,  5  vüa  inerü  werden  durch  M  bestätigt.  Aufserdem  sind 
eingehend  behandelt  I  l,  29  bidentem  (vgl.  Widder  S.  IG).  I  9,  23 
celandi  xpes  est  (vgl.  Ulm  an  n  S.  27).  II  4,  12  omnia  tarne.  III  6,  44  rarere.  IV 
1,  89  castrisve.  IV  l,  96  veniat  gravis  mit  1 '  (vgl.  Illmann  S  28).  Zweifelhaft 
kann  man  sein  über  III 5,  Iß  venit  taeüo  (der  Anonymus  im  Ph.Anz.  X185  ver- 
gleicht dafür  Ov.  a.  a.  II  6,  70.  Tib.  I  9,  4. 1  10,  34)  und  III  6,  45  voa  dedpiomt. 
I  1,  48  imbre  iuvante  gegen  igne  der  codd.  Roth  st  ein  fragt  naiv:  Quo 
modo  is  qui  dormit  imbre  aut  igne  iuvari  potestV'  und  konjiziert  igne 
crepemte.  Widder  S.  21  entscheidet  sich  für  die  handschr.  La.  igtu  iu- 
vante. Doch  ist  imbre  offenbar  richtig,  wie  in  v.  45  das  parallele  iuvat 
ventos  audire  cubantem  zeigt.  Zu  den  von  Broukhusius  für  imbre 
beigebrachten  Stellen  fügt  Ehwald  Ph.  Anz.  XV  585  noch  die  schöne 
Parallele  Liv.  24,  46,  5.  Andere  Stellen,  wo  sich  eine  sichere  Entschei- 
dung nicht  treffen  läfst,  bei  Rothstein  S.  37.  Über  I  1 ,  78  des- 
piciam  dites  vgl.  Widder  S.   10. 

Über  das  Verhältnis  vonP  zuM  und  F  läfst  sich  nichts 
Bestimmtes  sagen.  Leonkard  S.  20  meint, 'propiore  coguationis  gradu 
fiorilegium  Gallicum  contingere  Codices  nostros  recentiores  quam  eclogas 
Frisingenses'.  Dagegen  stünden  P  dem  fragmt.  Cuiac  näher  als  unseren 
Handschriften,  weil  sie  nur  zweimal  Korruptelen  mit  den  Handschriften 
teilten  (IV  1,  39.  40),  aber  viermal  gute  Lesarten  mit  F  gemeinschaftlich 
haben  (III  6,  44.  IV  1,  96.  102.  104).  cf.  Leonhard  S.  49. 

2.    Die  vollständigen  Handschriften. 

Alle  unsere  vollständigen  Handschriften  sind  abgeleitet  aus  einem 
Archetypus,  welchen  Baehrens  (praef.  S.XIX),  ohne  bestimmte  Gründe 
anzugeben,  dem  saec.  9  v.  Chr.  zuweist.*)  Entweder  er  selbst  oder, 
was  wahrscheinlicher  ist,  eine  Kopie  mufs  sich  aus  dem  Mittelalter  in 
saec.  14  hinübergerettet  haben.  Denn  in  der  ersten  Hälfte  von  saec.  XIV 
ist  nachweislich  Tibull  in  Italien  gelesen  worden  (vgl.  Baehrens  praef. 
ed.  S.  VI).    Auf  diesem  einen  Codex  beruht  unser  Text  bis  ungefähr  III 

4,  65,  wo    das    fragmt.   Cuiac.    helfend    eintritt   (Lachmann   Kl.   Sehr. 

5.  146).  Er  ist  uns  verloren.  Wir  kennen  ihn  nur  aus  sehr  jungen 
Abschriften  (die  älteste  etwa  aus  1374),  die  mehr  oder  minder  von  Inter- 
polationen der  Itali  durchsetzt  sind.  Aber  auch  jener  im  saec.  XIV  ge- 
fundene und   wieder   verlorene  unmittelbare  Archetypus   unserer  Hand- 


*)  0.  Korn  stellte,  von  den  Lücken  in  I  10  und  II  3  ausgehend,  im 
Rhein.  Mus.  20,  167  f  die  Hypothese  auf,  er  habe  auf  jeder  Seite  28  Zeilen 
gehabt. 


Tibull.    Archetypus  unserer  Handschriften.    A  und  V.  321 

Schriften  wimmelte  schon  von  Fehlern.  Er  enthielt  Interpolationen, 
die  aus  ihm  natürlich  in  alle  unsere  Handschriften  übergegangen  sind 
(vgl.  die  vom  Ref.  gesammelten  Beispiele  Berl.  Ph.  W.  1885  Sp.  586), 
—  soweit  sie  nicht  etwa  von  einzelnen  gelehrten  Itali  des  saec.  XV  als  falsch 
erkannt  und  durch  Konjektur  wieder  beseitigt  wurden.  Er  zeigte  ferner 
Lücken.  Ganze  Verse  fehlten  nach  I  2,  25;  H  3,  15.  75;  III  4,  64, 
an  deren  Stelle  in  den  am  schlimmsten  interpolierten  Handschriften  meh- 
rere Verse  eingeschwärzt  wurden.  R.  Ehwald  Ph.  Anz.  XV  584  ver- 
mutet, besonders  wegen  des  Abstandes  der  beiden  Lücken  in  II,  3,  der 
Arch.  habe  Seiten  von  21  Zeilen  gehabt.  —  An  anderen  Stellen  wie  I 
1,  43;  I  3,  4;  II  4,  10  fehlten  nach  Ansicht  des  Ref.  einzelne  Wörter. 
Hier  ward  auch  schon  in  den  älteren  Abschriften  die  weniger  schwierig 
scheinende  Ergänzung  versucht,  mituuter  nicht  ohne  Glück.  Bei  der 
Klassifikation  der  Handschriften  werden  also  folgende  Fragen  zu  beant- 
worten sein:  Wie  können  wir  die  La.  des  Archetypus  ermitteln? 
Welche  codd.  überlief ern  am  treuesten  und  ohne  willkürliche 
Änderungen?  Welche  codd.  sind,  wenn  auch  durch  mehrere 
unbekannte  Zwischenglieder  direkt  aus  dem  Archet.  (0)  ab- 
zuleiten? Denn  es  leuchtet  ein,  dafs  selbst  interpolierte  Hand- 
schriften wichtig  sind,  wenn  es  sich  nachweisen  läfst,  dafs  sie  aus 
einer  sonsther  nicht  bekannten  Abschrift  von  0  stammen. 

a)  Ambrosianus  und  Vaticanus  (AV). 

Die  Bekanntschaft  mit  beiden  verdanken  wir  Baehrens.  Vgl.  im 
Allgemeinen  Baehrens  praef.  ed.  S.  Vllf.  Leonhard  S.  21  f ,  Illmann 
S.  7f.  Revision  von  Baehrens'  Kollation  in  Hillers  Tauchnitzausgabe 
von  1885.  A  ist  nach  Baehrens  a.  0.  um  1374  geschrieben.  V  wird 
zwar  von  Baehrens  ins  Ende  von  saec.  XIV  gesetzt,  gehört  aber  wohl 
erst  dem  15.  Jahrhundert  au.  Vgl.  A.  Zingerle  Kl.  Phil.  Abb.  I  28. 
Z.  f.  Ö.  G.  1879  S.  345.  Den  ersten  Platz  nimmt  unbedingt  A  ein.  Er 
ist  nach  Ansicht  der  meisten  Kritiker  nicht  nur  die  älteste,  sondern  auch 
die  einzige  von  Interpolationen  freie  Handschrift,  welche  uns 
die  Lesarten  von  0  ganz  treu  überliefert.  Vgl.  Baehrens  a.  0.: 
'Archetypi  lectiones  propagavit  fideliter  nee  ulla  fere  facta  mutatione, 
nisi  quod  hie  illic  librarius  leniter  peceavit'.  Ebenso  Hiller  Rh.  Sias. 
37,  567.  Derselbe  praef.  ed.  S.  V:  '  Qui  solus  archetypi  scripturas  uulla 
addita  interpolatione  propagavit".  Ebenso  111  mann  S.  11.  48  u.  sonst. 
Auf  A  hat  Hiller  denn  auch  seinen  Text  basiert.  (Nicht  ganz  so  weit 
gehen  Leonhard  (S.  29—30)  und  Roth  st  ein,  wie  die  folgende  Dar- 
stellung zeigen  wird).  Welche  Gründe  bringen  nun  jene  Kritiker  für 
ihre  Ansicht  vor?  Es  nimmt  zunächst  sehr  für  A  ein  ,  dafs  er  die  oben 
bezeichneten  Lücken  im  Archetypus  nicht  durch  neufabrizierte  Verse 
auszufüllen    sucht,   wie   dies  sämtliche  Handschriften  Lachmanns  thon. 

Jahresbericht  l'Ur  AltertliumswUsouacliiilt  LI.  (ltW7.   ]I).  21 


322  Tibull.    Die  Handschriften.     Ambrosianoi  and   Vaticanus. 

111  mann  S.  10  will  aus  dem  Umstände,  dars  in  A  die  fehlenden  Verse 
nirgends  durch  ein  Interstitium  bezeichnet  sind,  folgern,  der  Librarius 
habe  gar  nicht  einen  Hexameter  von  einem  Pentameter  unterscheiden 
können,  habe  also  absolut  nicht  gewufst  ,  was  er  schrieb.  Fallen  diese 
Thatsachen  schwer  für  A  ins  Gewicht,  so  darf  man  sie  doch  nicht  miß- 
brauchen (so  Baehrens  praef.  8.  V ),  um  den  Lachmannachen  Hand- 
schriften allen  Wert  abzusprechen,  sie  etwa  gar  aus  A  stammen  zu 
lassen.  Vgl.  darüber  Rothsteil]  S.  61.  Die  Verse  fehlten  ja  nicht 
blos  in  der  unmittelbaren  Vorlage  von  A,  sondern  auch  in  allen  übrigen 
Abschriften  von  0,  die  etwa  genommen  wurden.  In  der  älteren  Zeit 
liefsen  sich  die  Leser  und  Abschreiber  den  Defekt  gefallen.  Später 
aber,  als  man  mit  gröl'serer  Gelehrsamkeit  ausgerüstet  versuchte  das 
Überlieferte  zu  verbessern,  erfanden  kühne  Kritiker  jene  Ergänzungen, 
die  dann  wieder  von  Anderen  aufgenommen  wurden.  Man  ist  also 
nicht  berechtigt,  Lachmanns  Handschriften  wegen  dieser 
Ergänzungen  aus  Baehrens  Codices  ab  zuleiten.  Aber  freilich  ist 
Illmann  S.  10  einzuräumen,  dafs  derartige  Interpolationen  immerhin  Mifs- 
trauen  gegen  Lachmanns  codd.  erwecken.  Denn  der  Argwohn  liegt  nahe, 
dafs  die  Abschreiber,  welche  jene  interpolierten  Verse  aufnahmen,  auch 
anderen  Ergänzungen  und  Änderungen  renommierter  Kritiker,  die  ihnen 
gerade  bekannt  wurden,  Eingang  in  ihre  Texte  gestatteten.  —  Von  ge- 
ringem Belang  ist  es,  wenn  Illmann  a.  0.  als  Beweis  für  die  Zuver- 
lässigkeit von  A  einzelne  Verstöfse  gegen  das  Metrum,  wie  I  3,  25; 
I  7,  6;  I  8,  57;  III  2,  7;  III  5,  29;  IV  1,  56  oder  das  Vorkommen  von 
sinnlosen  Buchstabenkompositionen  oder  Wortungeheuern  wie  I  3,  50; 
I  4,  29;  I  8,  51  (wo  übrigens  Hillers  Note  zu  vergleichen)  geltend 
macht.  An  dergleichen  Versehen  fehlt  es  in  wenigen  Handschriften. 
Man  kann  doch  diese  Librarii  nicht  wie  Böcke  und  Schafe  sondern  in 
die  Klasse  derer,  die  nichts  verstanden  von  dem  was  sie  schrieben,  und 
demnach  nichts  änderten,  und  in  die  Klasse  derer,  die  alles  zu  ver- 
stehen glaubten  und  demnach  überall  änderten,  wo  sie  an  etwas  An- 
stofs  nahmen.  Zwischen  diesen  Extremen  giebt  es  natürlich  zahllose 
Mittelstufen.  So  auch  hier.  Vernachlässigt  A  an  einer  Stelle  das  Me- 
trum ,  so  interpoliert  er  dafür  an  einer  anderen  eben  dem  Metrum  zu- 
liebe. Übrigens  teilt  A  die  meisten  jener  Verstöfse  mit  Laeh- 
manns  Handschriften,  namentlich  mit  dem  von  Interpolationen  wim- 
melnden B.  Schon  daraus  ist  ersichtlich,  dafs  metrische  Schnitzer  und 
monströse  Buchstabenkompositionen  ganz  wohl  neben  Interpolationen  Platz 
haben.  —  Den  entscheidenden  Beweis  für  die  mafsgebende  Bedeutung, 
welche  A  zugeschrieben  wird,  mufs  natürlich  die  Güte  seiner  Lesarten 
liefern.  Vor  Allem  wird  mau  fragen:  An  welchen  Stellen  läfst  sich 
unser  Text  ausA  verbessern?  Die  Ausbeute  ist  nicht  grofs  Roth- 
stein S.  50  verzeichnet  im  Ganzen   sechs   derartige   Stellen      In  erster 


Tibull.     Die  Handschriften      Ambrosianus  und  Vaticanus.  323 

Linie  stehen  die  eben  besprochenen  vier  Fälle,  wo  A  im  Gegensatze  zu 
den  Lachmann  sehen  Handschriften,  die  Lücken  des  Archetypus  getreu 
bewahrt  hat.  Dazu  tritt  noch  II  1,  33  Aquitanae,  wofür  in  LachrnaDus 
codd.  equüanae.  Indessen  ist  gerade  diese  Stelle  nicht  geeignet  die  Zu- 
verlässigkeit von  A  zu  verbürgen.  War  das  richtige  Aquitanae  in  0 
überliefert,  woher  kamen  alle  andern  codd.  zu  ihrem  fehlerhaften  equi- 
tanae.  In  einem  Schreibfehler  könnten  sie  doch,  als  unter  sich  teilweise 
ganz  verschiedenartig  und  nimmermehr  aus  einer  Abschrift  von  0  ge- 
flossen (Niemand  hat  dies  je  behauptet),  nicht  sämtlich  übereinstimmen. 
Ebensowenig  ist  denkbar,  es  sei  absichtlich  in  equüanae  geändert  worden 
—  etwa  um  der  ungeheuerlichen  Idee  willen  equüanae  hänge  mit  eques 
zusammen  und  es  sei  hier  vom  Ritterstande  Messallas  die  Rede  (die 
Möglichkeit,  dafs  ein  konfuser  Librarius  mit  Rücksicht  auf  die  Angaben 
der  Vita  auf  derartiges  verfiel,  könnte  man  einräumen).  Hill  er  Rh. 
Mus.  37,  571  bemerkt  dazu  ganz  einfach,  die  Übereinstimmung  sei  ohne 
Belang'.  Aber  wer  mag  sich  dabei  beruhigen?  Nach  allen  Regeln  me- 
thodischer Kritik  mufs  equüanae  als  das  ursprüngliche  gelten.  Vgl.  Roth- 
stein S.  61.  III  4,45  dagegen  scheint  allerdings  Semele  =  Semelae  das 
Ursprüngliche  zu  sein,  das  später  in  Semeies  geändert  wurde.  Viel- 
leicht gehört  hierher  I  4,  56  velü  statt  der  vulg.  volet.  Ersteres  wird 
gut  verteidigt  von  Hill  er  Ph.  Anz.  XIV  29.  Vgl.  auch  Wolff,  de 
enunt.  interr.  ap.  Cat.  Tib.-  Prop.  S.  26  und  Streifinger,  De  synt. 
Tib.  S.  30.  IV  13,  15  wird  das  in  A  überlieferte,  durch  Lachmanns  BC 
bestätigte  hoc  wohl  das  Echte  sein  (vgl.  Rothsteiu  S.  48.  Ulmann 
S.  41).  III  6,  59  ist  fugü  jetzt  aus  A  von  Hiller  und  Vahlen  aufge- 
nommen. Eine  Stelle,  wo,  wie  Hiller  Rh.  Mus.  37,567  und  Illmann 
S.  37  mit  Recht  hervorheben,  A  allein  von  den  uns  bekannten  Hand- 
schriften die  La.  des  Arch.  treu  bewahrt  hat,  ist  II  2,  19,  wo  man  deutlich 
sieht,  wie  aus  vinculaq.  maneant  in  A  das  interpolierte  vinculaque  et  hervor- 
ging. Die  Sache  liegt  hier  wesentlich  anders  als  II  1,  33:  man  begreift, 
wie  die  dem  Sinne  scheinbar  genügende  Änderung  cinculaque  et  die  un- 
verständliche La.  des  Archetypus  vinculaq.  allmählich  verdrängte.  Es 
wufste  eben  kein  Abschreiber  Besseres.  Dafs  übrigens  rineula  quae 
maneant  echt  ist,  zeigt  zum  Überflusse  die  Nachahmung  Ovids  ex  P.  IV 
8,  10  vineula  .  .  quae  semper  maneant.  —  Gerade  diese  Stelle  aber  macht 
wahrscheinlich,  dafs  Hill  er  a.  0  über  I  7,  57  nicht  richtig  urteilt. 
Denn  das  in  A  überlieferte  que  ist  offenbar  identisch  mit  der  vulgata 
quae.  Über  IV  1 ,  55  bemerkt  Hiller  Ph.  Anz.  XIV  29:  Es  kann 
keinem  Zweifel  unterliegen,  dafs  im  Archetypus  ebenso  wie  in  A  vertere 
gestanden  hat  und  dafs  sowohl  das  falsche  convertere  oder  adetrtett  wie 
das  richtige  avertere  Änderungen  der  Italiener  Bind'.  Auch  II  4,  10  (so 
glaubt  Hiller  Rh.  Mus.  37,  568)  fehlte  im  Arch.  das  Epitheton  von 
marü  (wenigstens  war  nur  der  Anfangsbuchstabe  v  noch  sichtbar  )  und 
wurde  in  den  anderen   Handschriften    perschieden   ergänzt.     Zweifelhaft 

21* 


324  Tibull.    Die  Handschriften     Ambrosianua  und  Vaticanus. 

bleibt  II  5,  112,  wo  dem  reperire  in  A  ein  reperitae  der  meisten  anderen 
codd.  gegenüber  steht,  Vgl.  Roth  stein  S.  Gl  62.  111  mann  S.  36. 
I  8,  14  scheint  urcta  in  a  und  Beiner  Sippe  richtig  überliefert,   das  an 

sich  mögliche  arte  der  Übrigen  Interpolation,  die  durch  Stellen,  wie  sie 
Ref.  Studien  z.  Ov.  Metam.  S.  6  gesammelt  hat,  veranlafst  sein 
mag.  III  4,  9  natum  maturas  wird  ebenfalls  schon  im  Arch.  gestanden 
haben.  Zusammenstellungen  von  charakteristischen  Lesarten  in  A  gegen- 
über Lachmanns  codd.  s.  bei  Rothstein  S.  55,  Leonhard  S.  37  38. 
Hiller  Rh.  Mus.  37,  571.  111  mann  S.  29.  41.  51  f.  Auf  manche  wird 
sich  Gelegenheit  bieten  zurück  zu  kommen. 

Stehen  nun  dem  gegenüber  Stellen,  an  denen  sich  nachweisen  läfst, 
dafs  die  Lesart  des  Arch.  nicht  getreu  fortgepflanzt  ist  d.  h.:  Ist  A 
wirklich  ganz  frei  von  Interpolationen?  Die  Frage  wird  von  Baehrens, 
Hiller,  Illmann  rundweg  bejaht.  Rothstein  behandelt  sie  nicht 
im  Zusammenhange,  doch  geht  aus  gelegentlichen  Aufserungen  hervor, 
dafs  er  A  nicht  für  ganz  intakt  hält.  Leonhard  allein  spricht  S.  29 
bis  30  geradezu  aus,  der  Librarius  von  A  habe  sich  an  einigen  Stellen 
willkürliche  Änderungen  erlaubt.  Doch  ist  sein  Beweis  nicht  gelungen; 
vgl.  Hiller  Rh.  Mus.  37,  575.  Ph.  Anz.  XIV  29.  Selbst  II  1,  67  (vgl. 
über  die  Stelle  aufser  Leonhard  noch  Widder  S.  7—9.  Hiller  Berl. 
Phil.  W.  1886  Sp.  391.  Illmann  S.  34)  wird  ipse  quoque  inter  agros 
die  richtige  La.  des  Archet.  sein.  R.  Ehwald  in  der  Rec.  von  Hillers 
Ausgabe  Ph.  Anz.  1885  S.  585  vergleicht  dazu  Priap.  83,  16  iacebis 
inter  arva  pallidus  situ.  Tac.  ann.  IV  2.  Hand  Turs.  III  S.  387.  Pervig. 
Ven.  77  (Bücheier  z.  St.).  Aber  wenn  diese  Verdächtigungen  von  A 
sich  als  unbegründet  herausgestellt  haben,  so  ist  damit  natürlich  noch 
nicht  erwiesen,  dafs  gegen  die  Treue  von  A  überhaupt  keine  Bedenken 
vorliegen.  Ref.  hat  Berl.  Ph.  W.  1885  Sp.  586  —  588  auf  verschiedene 
Umstände  aufmerksam  gemacht,  die  entschiedeu  gegen  die  Annahme 
sprechen,  A  habe  die  Lesarten  eines  fehlerhaften  Archetypus  mit  un- 
bedingter Treue  fortgepflanzt,  und  benutzt  das  dort  Gesagte  in  den 
folgenden  Ausführungen.  Ausdrücklich  sei  hervorgehoben,  dafs  auch 
diejenigen  interpolierten  Lesarten,  welche  A  mit  seinem  Trabanten  V 
teilt,  als  Änderungen  des  im  Arch.  Überlieferten  gelten  müssen.  Denn 
man  mag  sich  das  Verhältnis  beider  denken  wie  man  will  (vgl.  Illmann 
S.  31),  man  nehme  an,  V  stamme  nicht  aus  A,  sondern  aus  einer  gemein- 
samen Vorlage,  so  erreicht  man  damit  nur  dies,  dafs  die  beiden  Brü- 
dern gemeinsamen  Interpolationen  eben  jener  Vorlage  zur  Last  fallen. 
Es  ist  aber  für  uns  gleichgiltig,  ob  der  Librarius  von  A  oder  der  seiner 
unmittelbaren  Vorlage  die  Lesarten  des  Arch.  willkürlich  änderte.  Ein 
merkwürdiges  Gegenstück  zu  II  2,  19  vineula  quae  maneant  (s.  S.  323)  ist 
III  3,  17.  Lygdamus  schrieb  hier  legitur  quae  litore  concha.  Ebenso 
sicher  ist,  dafs  im  Arch.  stand  legitur  que  litore,  wie  auch  durch  P  be- 
stätigt wird.    In  AV  steht  gegen  alle  andern  codd.  legitur  q;  in.   Inter- 


Tibull.     Die  Handschriften.     Ambrosianus  und  Vaticanus.  325 

polation  und  Ursache  ihrer  Entstehung  sind  handgreiflich.  Der  umge- 
kehrte Fall,  legitur q;  in  sei  eine  Interpolation  des  Archetypus,  sei  in 
sämtlichen  codd.  aufser  AV  als  Interpolation  erkannt  und  überein- 
stimmend richtig  verbessert  worden,  ist  geradezu  undenkbar.  (I  5,  28 
liegt  die  Sache  anders:  hier  ist  pro  segete  et  wahrscheinlich  schon  im 
Arch.  interpoliert).  I  1,  43  das  zweite  satis  est  mufs  in  A  durch  Kon- 
jektur ergänzt  sein.  I  9,  31  Im  Arch.  stand  nullo  (d.  h.  non  ullo,  cf. 
Vahlen  ed.  V)  divitis  auri:  nullius,  nullu  te,  nullo  tibi  sind  willkürliche 
Ergänzungen  (trotz  Widder  S.  17).  Ob  I  9,  19  das  richtige  Divitiis 
von  A  zu  verdächtigen  ist,  bleibt  trotz  Rothstein  S.  59  zweifelhaft, 
ebenso  steht  es  II  1,  22  mit  inyeret.  Aber  I  3,  4  mufs  im  Arch.  das 
Ende  des  Verses  oder  mindestens  das  zwischen  mors  und  manus  stehende 
Wort  (resp.  die  dazwischen  stehenden  Worte)  lückenhaft  oder  verstüm- 
melt gewesen  sein.  Die  Lücke  ward  in  den  drei  verschiedenen  Ab- 
schriften, von  denen  wir  Kuude  haben,  verschieden  ergänzt  (vgl.  übri- 
gens Rothstein  S.  62.  Illmann  S.  55).  Stand  im  Arch.  das  mors 
modo  nigra  manus,  so  durfte  kein  Librarius  daran  Anstofs  nehmen. 
Schwierigkeiten  konnte  die  Ausfüllung  der  Lücke,  da  sowohl  manus,  wie 
ein  Epitheton  zu  Mors  durch  den  Zusammenhang  gefordert  waren,  nicht 
machen.  Die  Frage,  welche  dieser  Ergänzungen  richtig  ist,  hat  für 
die  Beurteilung  der  Handschriften  natürlich  keinen  Belang.  Doch  ist 
es  charakteristisch,  dafs  A  V  mit  seinem  mors  modo  nigra  sich  am  un- 
geschicktesten zeigt.  Welchen  Sinn  soll  es  haben,  wenn  nigra  durch 
atra  abgelöst  wird?  Und  das  Eintreten  von  modo  für  das  nötige  precor 
erklärt  sich  nur  dadurch,  dafs  dieses  nun  nicht  mehr  in  den  Vers  pafste. 
Wahrscheinlich  ist  mit  dem  schönen  mors  precor  atra  die  Hand  des 
Dichters  getroffen  (vgl.  Broukhusius  z.  St.).  II  3,  11  ist  armenti  in 
A  sehr  verdächtig.  Dafs  nämlich  das  richtige  Admeti  in  fast  allen  an- 
dern codd.  übereinstimmend  durch  Konj.  eingesetzt  sein  sollte,  wenn  im 
Arch.  die  plane  und  den  Abschreibern  neben  tauros  sicherlich  sehr  ein- 
leuchtende La.  armenti  stand,  ist  höchst  unwahrscheinlich  an  sich  und 
wird  noch  unwahrscheinlicher,  wenn  man  V  beachtet  (armeti  ex  Admeti 
corr.).  Der  Librarius  von  A  kannte  die  Sage ,  auf  welche  Admeti  sich 
bezieht,  nicht,  er  setzte  dafür  armenti  und  war  jedenfalls  sehr  stolz  auf 
seine  glänzende  Emeudation.  II  5,  95  ist  Illmann  S.  37  die  Möglich- 
keit zuzugeben,  dafs  operta  deo  infolge  eines  Schreibfehlers  schon  im 
Archetypus  stand  und  aus  ihm  in  A  überging,  während  in  den  meisten 
andern  das  richtige  operata  durch  Konjektur  gefunden  ward.  Betrachtet 
man  aber  den  folgenden  Vers  arboris  antiquae  qua  levis  umbra  cadä,  so 
wird  man,  statt  in  der  offenbaren  Beziehung  von  operta  zu  umbra  das 
wunderbare  Walten  des  Zufalls  zu  erkennen,  vielmehr  operta  für  absicht- 
liche Änderung  des  gewählten  operata  haiton.  Dafs  der  Librarius  von  A 
ein  beschränkter  Kopf  war,  der  nicht  viel  Latein  verstand,  zeigt  II  3,  33 
sein  is  est  statt  des  überlieferten  u  es.     I  ti,  18  scheint  lauo    Interpola- 


32ß  Tibull.    Die  Handschriften.    Ambrosfanai  und  Vaticanus. 

tion,  voranlafst  durch  Stollen  wie  I  9,  55.  Auch  I  10,  39  ist  quin  in  A 
kaum  ein  Schreibfehler:  der  Interpokitor  verstand  quin  potitu  =  immo. 
II  5,  35  ülaque  mufs  absichtliche  Änderung  lein  (et  illa  puella,  cum  qua). 
II  4,  33  die  La.  incerta  est  ist,  wie  Baehrens  richtig  bemerkt,  ans  einen 
mifsverstandenen  uicta  est  =  vincta  est  hervorgegangen.  Stand  die  falsche 
Auflösung  incerta  <-.v/  bereits  im  Arch.  (oder  stammten  unsere  Hand- 
schriften sämtlich  aus  AV),  so  wäre  es  kaum  glaublich,  dafJa  die  Schreiber 
dafür  übereinstimmend  victa  est  einsetzten:  in  manchen  codd.  würde 
sich  das  zur  Not  verständliche  incerta  est  behauptet  haben,  in  anderen 
würden  sich  verschiedene  Besserungen  finden,  unter  denen  das  näher 
liegende,  anschauliche  caeca  est  jedenfalls  beliebter  sein  müfste  als  victa 
est.  Es  ist  daher  sehr  wahrscheinlich,  dafs  die  La.  des  Arch.  in  A  mifs- 
verstanden  und  willkürlich  geändert  ward.  (Das  vereinzelte  caeca  est  in 
Lachmanns  B  ist  aus  incerta  est  konjiziert).  II  4,  59  ist  non  kecke 
Interpolation.  Der  Fälscher  meinte:  Wenn  Nemesis  mich  nicht  mehr 
freundlich  anschaut,  will  ich  Gift  nehmen.  III  1,  26  ist  tibi  wohl  durch 
Mifsverständnis  des  folgenden  coniunx  entstanden. 

Resümieren  wir:  A  ist  nicht  interpolationsfrei  (ebensowenigwie 
irgend  eine  andere  Tibullhandschrift).  Dieses  Resultat  war  bei  der  fehler- 
haften Beschaffenheit  des  Arch.  und  den  Gewohnheiten  der  Zeit,  aus 
welcher  die  Handschrift  stammt,  zu  erwarten.  Aber  die  Interpolation 
tritt  schüchtern  auf:  der  Fälscher  getraut  sich  noch  nicht  ganze  Verse 
einzuschwärzen,  er  läfst  im  Bewufstsein  seiner  Schwäche  an  erfolgreicher 
Emendation  verzweifelnd  viele  Stellen  intakt,  an  denen  in  allen  oder 
fast  allen  andern  codd.  klaffende  Wunden  bepflastert  sind.  Er  überliefert 
daher  die  Lesarten  des  Arch.  am  treuesten  und  ist  unzweifelhaft  die 
beste  Tibullhandschrift.  Ganz  richtig  urteilte  Baehrens  selbst  früher 
(Tib.  Blätter  S.  61,  vgl.  Rothstein  S.  49)  über  A:  'Aber  freilich  darf 
man  nicht  glauben,  dafs  er  nun  allein  genügt,  um  uns  den  Archetypus 
zu  ersetzen.  Von  diesem  sind  offenbar  mehrere  Abschriften  gemacht 
worden ,  die  dann  wiederum  vervielfältigt  die  verschiedenen  Klassen 
unserer  jungen  Handschriften  erzeugten'. 

Grofse  Ähnlichkeit  mit  A  zeigen  zwei  Handschriften,  deren  Ver- 
wandtschaftsverhältnis zu  jenem  mehrfach  erörtert  worden  ist.  Die 
erste  ist  der  schon  genannte  Vaticanus  (V),  dessen  vollständige 
Kollation  Baehrens  in  seinem  Apparate  mitgeteilt  hat  (vgl.  dessen 
praef.  S.  VII— VIII).  Die  Übereinstimmung  von  AV  ist  geradezu  über- 
raschend. (Vgl.  die  Verzeichnisse  bei  Rothstein  S.  55  Leonhard 
S.  26—28.  Illmann  S.  29).  Wie  ist  sie  zu  erklären?  Gegen  die  Mög- 
lichkeit, V  sei  aus  A  abgeschrieben  (der  umgekehrte  Fall  ist  überhaupt 
nicht  denkbar),  erklären  sich  Rothstein  S.  60.  Leonhard  S.  28— 29. 
Illmann  S.  30f.  Und  wohl  mit  Recht.  Denn  die  immerhin  erheblichen 
Diskrepanzen  zwischen  A  und  V  (ihr  Verzeichnis  bei  Leonhard  und 
Illmann   a.  0.)    würden   sich   bei  dieser  Annahme   nicht  alle   erklären 


Tibull.   Die  Handschriften.    Ambrosianns,  Vaticanue,  Parisinus  (B).     327 

lassen.  Hill  er  praef.  ed.  S.  5  meint  einfach:  CV  descriptus  esse  videtur 
ex  codice  libro  A  simillimo,  in  quo  nonnullis  locis  Italorum  commenta 
lectionibus  archetypi  sive  apposita  fuerunt  sive  substituta'.  Baehrens 
praef.  S.  XVIII  und  Leonhard  S.  28  stellen  sich  AV  als  Söhne  des- 
selben Vaters ,  als  Brüder  vor.  Rothstein  dagegen  nimmt  für  A  noch 
ein  Zwischenglied  an,  so  dafs  der  Vater  von  A  der  Bruder  von  V  wäre. 
Offenbar  ist  diese  Vermutung  sowohl  mit  Rücksicht  auf  die  späte  Ent- 
stehungszeit von  V  wie  auf  das  stärkere  Eindringen  von  Interpolationen 
nicht  wahrscheinlich  (  solche  Interpolationen  erkennen  Leonhard  und  111- 
mann  z.  B.  I  5,  27.  I  10,  27.  II  1,  25.  III  5,  29.  II  2,  19.  II  4,  10. 
II  5,  95.  IV  1,  55).  Umgekehrt  hält  Illmann  S.  36  A  für  den  Oheim 
von  V,  polemisiert  gegen  Leonhards  (S.  30)  Behauptung 'libros  A  et  V 
auctoritate  fere  pares  esse'  und  kommt  zu  dem  Resultate  codici  A  plus 
auctoritatis  adiungendum  esse  quam  V  (S.  41)  durch  Vergleichung  von 
Stellen  wie  III  6,  26.  I  2,  97.  I  3,  13.  II  4,  43.  I  7,  57.  Und  schon 
vorher  bemerkte  Hill  er  Rh.  Mus.  37,  568:  'Übrigens  giebt  es  keine 
Stelle,  wo  wir  über  die  Lesart  des  Archetypus  mit  Sicherheit  durch  V 
bessere  Belehrung  gewännen  als  durch  A,  abgesehen  natürlich  von  offen- 
baren Versehen  von  A,  deren  Verbesserung  ohne  Weiteres  einleuchtet 
(wie  z.  B.  I  1,  19.  I  1,  29.  I  1,  73.  I  2,  54.  I  2,  81.  I  4,  53.  I  5,  2. 
I  5,  16)'.  Dies  ist  entschieden  die  Hauptsache.  Und  da  hierüber  kein 
Zweifel  möglich  scheint,  so  ist  die  Frage  nach  der  Verwandtschaft  zwi- 
schen A  und  V  von  untergeordneter  Bedeutung.  —  Auch  unter  Lach- 
manns Handschriften  befindet  sich  eine,  die  mit  A  auffällig  überein- 
stimmt, der  Pari sinus  (B),  geschrieben  i.  J.  1423.  Verzeichnisse  der 
bezüglichen  Stellen  bei  Leonhard  S.  31—33.  Illmann  S.  41—42. 
Diese  Übereinstimmung  erstreckt  sich  auch  auf  die  Stellen,  wo  V  sich 
von  A  trennt.  (Nur  I  9,  19  hat  B  mit  V  den  merkwürdigen  Fehler  0 
viciis  gemeinsam;  vgl.  darüber  Roth  st  ein  S.  59,  Illmann  S.  32.  Von 
geringerem  Belang  sind  I  6,  38.  I  8,  2.  I  8,  41.  II  4,  10.  IV  1,  18). 
Rothstein  S.  60  glaubt  diese  Übereinstimmung  so  erklären  zu  sollen, 
dafs  A  und  B  nicht  nur  derselben  Klasse  angehören,  sondern  auch  aus 
derselben  Vorlage  abgeschrieben  sind.  Doch  soll  B  von  dieser  Vorlage 
durch  ein  oder  mehrere  Zwischenglieder  weiter  entfernt  sein.  Gegen 
diese  Annahme  erklärt  sich  Illmann  S.  44.  Leonhard  S.  33  leitet 
B  aus  A  her.  Da  aber  B  die  meisten  Lesarten  von  jüngerer  Hand  in 
A  (Aa)  wiederholt  (nicht  alle,  vgl.  II  3,  2.  IV  1,  110.  169),  so  meint 
Leonhard,  'codicem  B  ex  Ambrosiano  descriptum  esse  eo  tempore .  quo 
hie  iam  alterius  manus  emendationes  expertus  erat'.  Aber  dagegen  be- 
merkte schon  Hiller  Ph.  Anz  XIV  30,  diese  Vermutung  stehe  im 
Widerspruche  mit  der  Angabe  von  Baehrens  praef  S.  VII,  dafs  die 
zweite  Hand  von  A  etwa  um  fünf  Dezennien  jünger  ist  als  die  erste: 
denn  B  sei  im  Jahre  1423  geschrieben.  Und  Illmann  S.  43  betont, 
dafs  von  allen  Stellen,  wo  13  =  A3  (I  7,  6.  I  8,  Ol.  II  2,  19.  II  4,  10. 


328  Tibull.    Die  Bandschriften.    Verhältnis  von  B  zu  AV. 

II  6,  95.  III  G,  50.  IV  1,  70.  IV  1,  110  IV  4,  8)  eigentlich  nur  die  erste 
von  Belang  sei.  Und  selbst  liier  wäre  die  Möglichkeit  nicht  ausge- 
schlossen, dafs  der  Librarius  von  15  auf  eigene  Faust  das  thörichte  "<- 
vinctos  schrieb,  um  den  Vers  zu  fidlen.  Illmanns  eigene  Ansicht  ent- 
hält folgender  Satz:  Videtur  mihi  codex  B  ex  A  fluxisse  hac  ratione, 
ut  apographa  nonnulla  inter  hos  librofi  iotercedant,  magis  magiaqne  inter- 
polationibus  depravata'.  Er  begründet  dies  mit  dem  Hinweis  darauf, 
dafs  nicht  füglich  alle  die  schweren  Interpolationen,  von  *\ci\en  B  wim- 
mele, einem  einzigen  Librarius  in  die  Schuhe  geschoben  werden  könnten, 
der  überdies  anscheinend  unwissend  wäre.  Treffend  wird  S.  45  bemerkt : 
'  Imaginem  interpolationis  nascentis  V  per  unum  tantum  apographum  ut 
videtur  a  codice  X  remotus  nobis  praebet :  paucis  tantummodo  locis  mu- 
tationes  consulto  faetas  deprehendimus;  exemplum  interpolationis  latius 
latiusque  grassantis  B  edit,  qui  corruptelis  scatet'.  Illmann  führt  dann 
S.  46  f.  näher  aus,  wie  die  Schreiber  der  zwischen  A  und  B  liegenden 
Handschriften  bemüht  waren  ihre  Vorlagen  zu  korrigieren.  Sie  ergänz- 
ten die  in  A  fehlenden  Verse,  sie  füllten  den  Vers,  wenn  in  A  einzelne 
Wörter  ausgelassen  waren  (wie  III  2,  7.  IV  1,  56.  IV  1,  200.  IV  5,  16), 
sie  suchten  durch  willkürliche  Änderungen  die  Rede  zu  verschönern  (wie 
I  3,  34.  I  2,  18),  dichteten  was  sie  nicht  verstanden  förmlich  um  (z.  B. 

III  6,  41),  sie  benutzten  hin  und  wieder  auch  die  Exe.  Parisina.  Es 
scheint  nicht,  als  stünde  diesen  Anschauungen  etwas  Erhebliches  im 
Wege.  Denn  selbst  das  merkwürdige  equitanae  II  1,  33  (AV  richtig 
aquitanae)  kann  absichtlich  aus  einer  andern  Handschriftenklasse  in  B 
eingeführt  sein,  weil  man  einen  —  wie  oben  gesagt,  recht  thörichten  — 
Sinn  hinein  legte.  Die  zahlreichen  Interpolationen  wie  I  3,  37  conspexerat. 
I  9,  67  corpus  III  4,  16  magicos  III  3,  47  euieunque  III  6,  41  minor 
ante  u.  a.  sind  handgreiflich.  Von  annehmbaren  singulären  Lesarten  be- 
gegnen nur  drei:  III  5,  23  ßrmaverat  (Rothstein  8.  64),  IV  1,  73  more. 

IV  13,  3  mihi.  Sie  können  sämtlich  Konjekturen  sein;  von  den  beiden 
ersten  scheint  dies  nahezu  gewifs.  So  ist  man  jetzt  wohl  einstimmig  der 
Ansicht,  dafs  B  nach  dem  Bekanntwerden  von  AV  völlig  wert- 
los und  aus  den  uns  interessierenden  Tibullhandschriften 
auszuscheiden  ist.  Selbst  Rothstein  (S.  54)  räumt  ein:  'Dubitari 
non  potest  quin  ea  textus  forma  quae  seeundae  classis  propria  est  in 
codieibus  Baehrensianis  multo  sincerius  tradita  sit  quam  in  Lachmanni  B'. 

b)    Lachmanns   Handschriften    (ABC.     Doch  wird  im   Folgenden 

statt  des  Zeichens  A,  welches  jetzt  dem  Ambrosianus  gebührt,  mit  Hiller 

das  Zeichen  Y  gewählt  werden). 

Lachmnnn  nahm  an,  dafs  vom  Archetypus  drei  direkte  Abschriften 
genommen  wurden.  Aus  diesen  drei  sind  alle  unsere  vollständigen  Hand- 
schriften geflossen.  Dementsprechend  zerfallen  sie  in  drei  Klassen.  Zum 
Repräsentanten  der  zweiten  hatte  Lachmann  den  Parisinus  (B)  gewählt, 


Tibull.    Die  Yorker   Handschrift  (Y).  329 

der  nunmehr  nach  den  obigen  Bemerkungen  durch  AV  zu  ersetzen  ist. 
Vertreter  der  ersten  Klasse  war  der  cod.  Eboracensis,  die  Yorker  Hand- 
schrift (A  =  Y),  geschrieben  im  Jahre  1425.  Die  Handschrift  selbst  ist 
verschollen  (cf.  Rothstein  S.  40  not.).  Auch  Lachmann  kannte  sie  nur 
aus  einer  Kollation,  die  N.  Heinsius  in  ein  Exemplar  von  Murets  Aus- 
gabe eingetragen  hatte.  Dieser  Umstand  ist  für  die  Beurteilung  der 
Handschrift  sehr  unbequem.  Denn  Heinsius  hat  vermutlich  nach  der 
Sitte  seiner  Zeit  nur  die  wichtigsten  ihm  besonders  auffällig  dünkenden 
Abweichungen  von  Murets  Texte  notiert.  Man  darf  daher  aus  seinem 
Schweigen  (vgl.  Hiller  Ph.  Anz.  XIV  31.  II  lmann  S.  48)  keine  Schlüsse 
ziehen:  nur  diejenigen  Lesarten,  welche  in  Lachmanns  Appa- 
rate (zwei  Irrtümer  in  ihm  bei  I  6,  46  und  I  9,  48  berichtigt  Roth- 
stein  a.  0.),  ausdrücklich  aus  Y  angeführt  werden,  können 
als  sicher  bezeugt  gelten.  Vgl.  übrigens  die  unbeachtet  gebliebene 
Bemerkung  von  Lachmann  Kl.  Sehr.  S.  190  zu  II  3,  42:  cDafs  dies  (tn- 
numeram  ovem)  die  Yorker  Handschrift  gebe,  habe  ich  aus  N.  Heinsius 
Stillschweigen  mit  Unrecht  geschlossen'.  Sehr  wahrscheinlich  geschieht 
der  Handschrift  damit  Unrecht,  denn  es  ist  anzunehmen,  dai's  Heinsius 
mitunter  richtige  Lesarten  aus  Y  nur  darum  nicht  erwähnte,  weil  sie 
mit  seinem  Texte  übereinstimmten  (so  steht  es  z.  B.  wohl  II  2,  19  vin- 
cula  quae  maneant),  aber  trotzdem  bleibt,  wenn  wir  nicht  den  Boden  unter 
den  Füfsen  verlieren  wollen,  kein  anderer  Weg  übrig.  Unter  C  end- 
lich verstand  Lachmann  den  Consensus  dreier  sehr  junger  und  stark 
interpolierter  Handschriften,  des  Wittianus  (c),  des  Datanus  (d),  des 
Askewianus  (e).  Vgl.  Lachmann  praef.  ed.  S.  V:  cTribus  recentissimis 
usus  sum,  quorum  consensus  magni  faciendus  est,  quamquam  in  singulis 
nihil  ridei  est  aut  ponderis'.  Mit  Recht  bemerken  aber  Hill  er  Rh. 
Mus.  37,  571  und  111  mann  S.  48,  dafs  zu  diesem  'consensus  magui 
faciendus'  auch  wirklich  die  Übereinstimmung  aller  drei  Handschriften 
gehöre,  nicht  blos  die  von  zweien.  Denn  es  gebe  Stellen,  an  denen 
eine  jener  drei  Handschriften,  gegenüber  der  Interpolation  in  den  bei- 
den andern  das  ursprünglichere  bieten,  wie  12,35  15,6  16,  11 
I  6,  71  I  9,  31  (Illmann  S.  33  not.  28  rechnet  dahin  auch  I  4,  44).  — 
An  dieser  Lachmannscheu  Theorie  von  den  drei  Klassen  hält  nur  noch 
Roth  stein  fest.  Er  meint  also,  dafs  Y  und  C  (C  =  gemeinsame  Vor- 
lage von  c  d  e)  auf  andere  Abschriften  des  Archetypus  zurückgehen  als 
A  V  ß.  Ja,  auf  S.  54  sagt  er  sogar:  '  Vcrisimilc  mihi  videtur  utrumque 
codicem  ex  ipso  archetypo  descriptum  esse'  (womit  freilich  das  Stemma 
S.  60  nicht  stimmt).  Doch  dies  ist  im  Hinblicke  auf  die  starke  Inter- 
polation in  Y  und  C,  die  schwerlich  von  einem  Librarios  ausgegangen 
sein  kann,  sowie  auf  die  Unwahrscheinlichkcit,  dafs  im  Jahre  1  125  der 
Archetypus  selbst  dem  Schreiber  von  V  sollte  vorgelegen  haben,  ent- 
schieden abzuweisen.  Aber  Rothsteil]  hat  überhaupt  einen  strengen  Be- 
weis für  seine  Ansicht  nicht  gegeben   (die  Bemerkungen   auf  S.  51   und 


330  Tilmll.    Lachmann    Bandschriften  Y  und  C. 

5:5  sind  ganz  allgemeiner  Art).  Sondern,  indem  er  durch  eine  starke 
petitio  prineipii  das  zu  Beweisende  al  bewiesen  setzt  d.h.  die  Existenz 
von  drei  Abschriften  des  Archetypus,  aus  denen  Lachmanne  Klassen  A  B  C 

herzuleiten  seien,  stellt  er  den  Satz  auf  (8.  42,  cf.  8.  54):  Iis  locis 
quibus  duae  lectiones  in  codieibus  traditae  Bunt,  quarum  utra  \era  Bit 
per  sc  diiudicari  üod  potest,  eam  praeferendam  esse  quae  duorum  codi- 

cum  consensu  nititur' ,  einen  Satz,  dci  in  iiic-cr  Allgemeinheit  doch  nur 
Geltung  verdiente  erstens,  wenn  vorher  erwiesen  wäre,  dafs  jeder  der 
drei  Codices  aus  einer  besonderen  Abschrift  vom  Archetypus  geflossen  ist, 

zweitens,  wenn  sie  nur  durch  Schreibfehler,  nicht  auch  durch  Inter- 
polationen entstellt  wären.  Wo  also  der  nur  wenig  interpolierte  A  von 
den  stark  gefälschten  VC  abweicht,  würden  nach  Rothstein  unter  allen 
Umständen  letztere  den  Archetypus  repräsentieren.  Da  müfste  man 
doch  Fall  für  Fall  genau  prüfen.  Wie  bewährt  sich  also  die  Theorie 
in  der  Praxis?  Rothstein  S.  42 f.  zählt  viele  Lesarten  auf,  die  ihre 
Richtigkeit  beweisen  sollen.  Aber  einmal  läfst  sich  über  manche  von 
ihnen  sehr  verschieden  urteilen,  anderseits  wird  ihre  Zuverlässigkeit 
dadurch  sehr  problematisch,  dafs  Rothstein  häufig  aus  Lachmanns  Schwei- 
gen über  C,  und  besonders  über  Y,  bestimmte  Schlüsse  zieht.  Endlich 
macht  Hill  er  Rh.  Mus  37,  571  darauf  aufmerksam,  dafs  wir  zur  Aus- 
füllung der  Lücken  nach  II  3,  15.  77  III  4,  65  dieselben  von  den 
Italienern  herrührenden  Verse  sowohl  in  Y  wie  in  C  vorfinden.  (Natür- 
lich folgt  aber  daraus  nicht  die  Provenienz  von  YC  aus  einer  Vor- 
lage, wogegen  die  verschiedene  Ergänzung  nach  I,  2,  25  spricht).  Aufser- 
dem  legt  Hiller  Wert  darauf,  dafs  an  mehreren  Stellen  A  gegenüber 
YC  das  Bessere  biete  (I  3,  29.  I  8,  14.  II  1,  82.  II  6,  17.  IV  11,  4. 
IV  12,  1).  Wie  man  über  diese  Stellen  auch  denke,  darüber  kann  kein 
Zweifel  sein,  dafs  hier  der  wunde  Punkt  in  Rothsteins  sonst  so  vortreff- 
lichen Ausführungen  liegt.  Leonhard  dagegen  S.  40-42  hält  sowohl 
Y  wie  C,  als  derselben  Familie  wie  A  V  angehörig  und  arg  interpoliert, 
für  ganz  wertlos.  Ihm  stimmt  Hiller  a.  0.,  vgl.  Ph.  Anz.  XIV  31. 
praef.  ed.  S.  V  rückhaltslos  bei.  Ulm  an  n  S.  52  hat  das  Verdienst  die 
Sache  noch  einmal  gründlich  untersucht  zu  haben.  Er  präzisiert  zu- 
nächst die  Streitfrage:  Stammen  Y  C  wirklich  von  AV  (resp.  deren  un- 
mittelbarer gemeinsamer  Vorlage  =  X)  ab,  so  mufs  sich  erweisen  lassen 
'scripturas  codd.  Y  et  C  adeo  cum  X  consentire,  ut  nisi  e  X  fluxisse 
non  potuerint,  quaeque  ab  illo  discrepent,  sive  erroribus  sive  coniecturis 
librariorum  ortas  esse.'  Das  Resultat  der  angestellten  Prüfung  ist  rein 
negativ  für  C :  Videntur  mihi  scripturae  a  X  discrepantes  omnes  ita 
comparatae  esse,  ut  ab  nomine  paullo  doctiore  inveniri  potuerint'.  Be- 
züglich Y  dagegen  kommt  Illmann  zu  dem  Ergebnisse,  es  lasse  sich  trotz 
einer  Menge  grober  Interpolationen  (Aufzählung  S.  49,  vgl.  Leonhard 
S.  36.  40)  kaum  bezweifeln,  dafs  Y  nicht  aus  X,  sondern  aus  einer  an- 
deren Abschrift  des  Archetypus  herzuleiten   sei.     Dieses  Urteil  gründet 


Tibull.     Lachmanns  Handschriften  Y  und  C.  331 

sich  auf  folgende  La.  in  Y:  III  3,  17  in  ericteo,  I  4,  22  freta  lonya,  (vgl. 
über  d.  St.  Rothstein  S.  73.  Leonhard  S.  36.  Illraann  S.  54.  Ge- 
gen des  Ersteren  Bemerkungen  über  den  angeblich  unpassenden  Ge- 
brauch von  per  vgl.  Ov.  ex  P.  III  2,  63  und  des  Ref.  Studien  zu  Ovids 
Metam.  S.  24),  I  3,  4  mors  precor  atra  (die  beiden  ersten  sind  als  nicht 
beweiskräftig  auszuscheiden,  vgl.  die  Bemerkung  des  Ref.  Berl.  Phil.W. 
1888  Sp.  330;  entscheidend  ist  die  dritte,  s.  den  Ref.  in  Berl.  Phil.  W. 
1885  Sp.  587).  Daraus  ergiebt  sich  die  kritische  Norm ,  dafs  wir  zwei 
durch  A  Y  repräsentierte  Handschriftenklassen  anzunehmen  haben.  Ihr 
Consensus  ist  die  La.  des  Archetypus,  auch  da  wo  diese  fehlerhaft  ist 
(Verzeichnis  solcher  Irrtümer  S.  60).  Ihre  erheblicheren  Diskrepanzen 
werden  S.  62  zusammengestellt.  111  mann  meint,  an  einigen  Stellen 
habe  Y  die  La.  des  Archetypus  treuer  bewahrt  als  A  (z.  B.  IV  7,  1 
pudori).  Bezüglich  I  2,  7,  wo  A  mit  domini  gegen  Y  mit  dominae  steht, 
wird  S.  63  unpassend  vermutet,  es  sei  domino  zuschreiben  ('i.  e.  poetae 
ipsi,  qui  prius  limina  quasi  dominus  intrare  potuit,  nunc  autem  exclusus 
in  ianuam  quae  ei  difficilis  est,  graviter  invebitur").  Anderseits  räumt  Illmann 
S.  57  ein,  dafs  A  im  Ganzen  gröfsere  Autorität  beanspruche  als  Y,  da 
letzterer  eben  arg  durch  Interpolationen  entstellt  sei.  —  Die  Sache  ist 
wohl  noch  nicht  völlig  spruchreif.  Doch  läfst  sich  schon  jetzt  sagen, 
dafs  die  direkte  und  unabhängige  Herleitung  von  Y  aus  dem  Archetypus 
wenn  auch  durch  mehrere  Zwischenglieder,  viel  Wahrscheinlichkeit  für 
sich  hat.  Dazu  führt  nicht  nur  die  Betrachtung  von  I  3,  4  mors  precor 
atra  manus,  sondern  auch  Anderes.  I  9,  31  scheint  das  singulare  nullius 
in  Y  Versfüllung  für  das  unmetrische  nullo  divitis  auri  des  Archetypus 
(vgl.  S.  325).  Auch  IV  112h  spricht  nach  Roth  st  eins  Notiz  S.  57  für 
alte  gute  Überlieferung  in  Y.  I  1,  43  kann  parva  satis  mensa  est  nur 
aus  einer  unvollständigen  Form  des  Verses,  nicht  aus  dem  richtigen  satis 
est,  satis  est  in  A  hervorgegangen  sein,  obwohl  hier  die  Möglichkeit  nicht 
ausgeschlossen  ist,  dafs  die  richtige  La.  durch  Konjektur  gefunden  und 
später  zum  zweiten  Male  per  haplographiam  korrumpiert  wurde.  Auch 
dem  Verdammungsurteile  über  C  vermag  sich  Ref.  noch  nicht  anzu- 
schliefsen.  Wenn  z.  B.  I  3,  4  in  rf  r  sich  die  Varianten  mors  precor 
atra  manus  und  mors  viulenta  manus  (violanda  in  t  ist  wohl  nur  ein  simpler 
Schreibfehler)  finden,  so  ist  die  einfachste  Erklärung  doch  wohl  die,  dafs 
in  der  gemeinsamen  Vorlage  der  Vers  ebenfalls  lückenhaft  war  und  von 
dem  einen  Librarius  durch  eine  selbstfabrizierte,  von  dem  andern  durch 
eine  aus  A  entlehnte  (c  d  e  bieten  überhaupt  mehrfach  einen  gemischten 
Text,  vgl.  Leonhard  S.  40f.)  Ergänzung  gefüllt  wurde.  I  1.  54  Btand 
im  Archetypus  wahrscheinlich,  wie  ooeh  jetzt  Spuren  in  den  Ilandschr. 
zeigen  ostiles,  danach  C  richtig  hostiles,  A.\  exiles.  Schwerlich  wäre  ein 
Librarius  darauf  verfallen  ein  überliefertes  etiles,  «las  dein  flüchtigen 
Leser  einen  ganz  erträglichen  Sinn  giebt  (vgl.  51  und  \.  6  exiguo  in  P), 
zu  ändern.    IV  6,  7  ist  nevi   id  in  c  offenbar  das   Ursprünglichere  (im 


332  Tibnll    Lachmanne  Handschriften  Y  und  C. 

nos  AV).  Im  Archetypus  mag  das  durch  F  gesicherte  gttü  etwa  dareb 
die  Schreibung  fd  vellat  ausgefallen  Bein.  III  4,  63  i-,t  die  Äuderung 
des  echten  Ulis  (so  0),  das  anscheinend  keine  Beziehung  hatte,  in  HU 
mit  Rücksicht  auf  das   vorangehende  pereai^    didicü   foltert    siqua    trirum 

viel  wahrscheinlicher  als  der  umgekehrte  Fall.  II  5,  98  ante  0,  ipst  A  V. 
Für  ante  entscheiden  sich  die  neuesten  Beransgeber  Vahlen  und  Hiller- 
Mit  Recht.  Denn  einerseits  vermifst  man  nichl  gern  die  Angabe,  dafs 
der  calix  vor  den  Ruhenden  =  ante  toros  stand,  noch  konnte  der  Dichter 
tüglich  sertis  vineta  =  coronata  setzen  und  coronatus  et  ipse  anschliefsen, 
abgesehen  davon,  dafs  calix  durch  ipse  wohl  zu  schwer  betont  würde. 
Ist  aber  ante  richtig,  dann  stand  es  auch  im  Archetypus.  Denn  kein 
Italus  wäre  darauf  verfallen,  das  klare,  scharf  pointierte  dem  Sprach- 
gebrauche anscheinend  ausgezeichnet  entsprechende  et  ipse  (vgl.  I  9,  39 
I  10,  28  1  10,  55  II  4,  34  II  5,  18  III  6,  3)  zu  ändern.  Wie  die 
Interpolation  et  ipse  entstand,  ergiebt  sich  aus  dem  eben  Gesagten.  — 
Wer  also  künftig  eine  Ausgabe  mit  vollständigem  kritischen  Apparate 
d.  h.  eine  Ausgabe,  die  ein  genaues  und  treues  Bild  der  Geschichte  des 
Textes  geben  will,  veranstaltet,  wird  die  Thatsache,  dafs  von  dem  Arche- 
typus drei  Abschriften  genommen  wurden  und  demnach  drei  Klassen 
von  Handschriften  zu  erkennen  und  unterscheiden  sind,  zum  Ausdrucke 
bringen  müssen*).  Für  die  Feststellung  des  Textes  liegt  die  Sache  ja 
anders.  Bei  der  dreisten  Interpolation,  durch  welche  Y  wie  C  durch- 
setzt sind,  wird  es  selten  möglich  sein  fest  zu  stellen,  ob  alte  echte 
Überlieferung  oder  gelungene  Konjektur  vorliegt.  Abgesehen  also  von 
den  Fällen,  wo  innere  Gründe  den  Ausschlag  geben  (einige  davon 
sind  im  Vorangehenden  aufgezählt),  wird  man  schwerlich  lediglich  auf 
die  Autorität  von  Y  C  hin  den  Text  ändern  dürfen  —  bis  dereinst  zu- 
verlässigere,  von  Interpolationen  annähernd  freie  Repräsentanten  der 
betreffenden  beiden  Klassen  gefunden  sein   werden. 

c)   Der  cod.  Guelferbytanus  (G). 

Nach  Baehrens,  der  diese  Handschrift  zuerst  hervorzog  und  kolla- 
tionierte, geschrieben  um  1425.  Einige  Jahrzehnte  später  hat  eine  zweite 
Hand  Varianten  eingetragen,  die  nach  Baehrens  ausdrücklicher  Angabe 
sämtlich  wertlos  sind,   weil   sie   entweder  in   Konjekturen  oder  Les- 


*)  Vgl.  Rothstein  S.  50  über  Baehrens'  Ausgabe:  'Cum  beeret  Lach- 
manni  apparaturo  meliorem  reddere ,  eo  quod  sine  idoneis  causis  omnes  Lach- 
mauni  Codices  e  suis  derivatos  esse  posuit  ob  eamque  sententiam  etiam  Y  et 
C  Lachmanni  Codices  prorsus  neglexit,  apparatum  coraposuit  Lachmanuiano 
non  modo  non  meliorem  sed  multo  etiam  deteriorem.'  Dies  Urteil  gilt  nicht 
von  Hillers  Handausgabe,  die  ihren  Zweck  über  die  beste  von  Interpolationen 
am  wenigsten  verunstaltete  Überlieferung  zu  orientieren  durch  genaue  Wieder- 
gabe der  Lesarten  von  A  entschieden  erreicht  hat. 


Tibull.     Codex  Guelferbytanus  (G).  333 

arten  anderer  bekannter  Handschriften  bestehen.  G  selbst  aber  {g  = 
manus  secunda)  wird  von  Baehrens  ungemein  hoch  geschätzt,  höher  sogar 
als  die  Familie  AV.  Denn  er  stammt  angeblich  gar  nicht  aus  dem 
Archetypus  der  andern  vollständigen  Handschriften  ,  sondern  ist  herzu- 
leiten aus  der  Tibullhandscbrift  des  9.  Jahrhunderts,  aus  welcher  auch 
jener  Archetypus  geflossen  ist;  dieser  und  die  Abschrift,  durch 
welche  G  mit  jener  uralten  Handschrift  des  saec.  IX  zusammenhängt, 
wären  Brüder  (vgl.  das  Sterama  bei  Baehrens  prolegg.  S.  XVIII).  Es 
hätten  sich  also  aus  dem  Mittelalter  ins  14.  Jahrhundert  nicht,  wie  Lach- 
mann (Kl.  Sehr.  S.  146)  annahm,  eine,  sondern  zwei  Handschriften  des 
vollständigen  corpus  Tibullianum  hinübergerettet.  G  ist  dieselbe  Hand- 
schrift, welche  (vgl.  Lachmann  praef.  VII)  seiner  Zeit  Puccius  benutzte. 
Aus  der  Vorlage  von  G  sind  auch  die  Excerpta  Parisina  geflossen  — 
so  folgert  Baehrens  aus  der  Thatsache,  dafs  G  oft  dieselbe  Lesart  hat 
wie  P  (Verzeichnis  solcher  Fälle  bei  Baehrens  prolegg.  S.  XIV.  Leon- 
hard  S.  45).  Danach  stellt  Baehrens  den  Satz  auf,  in  dem  man,  wenn 
er  sich  bewährte,  eine  sehr  bequeme  Norm  sehen  könnte:  Die  mit  G 
übereinstimmenden  Lesarten  von  Psind  echt,  die  abweichen- 
den (z.  B.  I  9,  28  celandi  spes  est,  doch  cf.  Roth  stein  S.  34)  sind 
nichts  als  Interpolationen  resp.  Konjekturen.  (Zusammen- 
stellung der  besseren  von  ihnen  bei  Hill  er  Rh.  Mus.  37,  574).  Man 
sieht,  es  handelt  sich  um  eine  förmliche  Revolution  in  der  Handschriften- 
frage. Wenn  sich  die  Theorie  bewährte,  so  durfte  Baehrens  wohl  das 
stolze  Wort  wagen  (prolegg.  S.  XVI):  'Sine  arrogantiae  periculo  hoc 
possum  contendere ,  inde  a  Scaligeri  editione  non  maius  emolumentum 
reduudasse  in  crisin  Tibull ianam  quam  reeiperato  a  nobis  libro  Guelferby- 
tano'.  Nur  schüchtern  regte  sich  anfänglich  der  Widerspruch.  K.  Rofs- 
berg  in  der  oben  erwähnten  Rezension  von  Baehrens  Ausgabe  (vgl. 
oben  S.  302)  und  Widder  S.  18  sprachen  zuerst  die  Ansicht  aus,  G 
sei  an  verschiedenen  Stellen  interpoliert.  Die  Kardinalfrage  (ob  G  Re- 
präsentant einer  besonderen  wertvollen  Handschriftenklasse  sei  oder 
nicht)  liefsen  beide  unberührt.  Fast  ganz  auf  Baehrens'  Standpunkte 
steht  auch  noch  Leonhard.  Vgl.  S.  44:  'Tantam  optimarum  lectionum 
multitudinem  tradit,  quae  in  familia  codicum  A  et  V  nusquam  inveni- 
untur  et  quas  omnes  coniectura  grammatici  cuiusdam  vel  doctissimi  et 
artis  criticac  peritissimi  ortas  esse  vix  credibile  est'.  Das  folgende  Ver- 
zeichnis von  solchen  ist  indessen  mehrfach  unrichtig,  weil  zwischen  G 
und  (j  nicht  gesondert  ist.  Wenn  Leonhard  fiör  die  Abstammung  von  G  P  aus 
einer  gemeinsamen  Vorlage  die  Übereinstimmung  IV  1,  39  47  in  der 
Reihenfolge  der  Verse  und  der  La.  nee  quUquam  v.  39  geltend  macht, 
so  ist  das  von  Hiller  Rh.  Mus.  37,  572  573  widerlegt  worden  (cf. 
Illmann  S.  26).  Auch  für  die  Benutzung  von  (\  durch  Puccius  sucht 
er  S.  43f.  noch  einige  Momente  beianbringen,  doch  vergl.  dagegen 
die  Notiz  von  Rothstein  S.  80.    Das  Vorhandensein  von  Interpolatio- 


334  Til.ull.     Der  ood.  (HiHf.-rhyUnus  (Q). 

neu  in  Q  leugnet  Lconhard  nicht;  doch  sollen  diese  (vgl.  S.  51)  nicht 
dem  Schreiber  von  G,  sondern  der  gerneinsamen  Vorlage  von  G  P  zur 
Last  fallen.  Den  kritischen  Grundsatz  von  Bachrens,  bei  Diskrepanzen 
zwischen  A  V  und  G  müsse  man  im  Allgemeinen  die  La.  von  G  für  die 
echte,  alt  überlieferte  halten,  aeeeptiert  Leonhard  (S.  52),  wenn  auch 
mit  gewissen  Einschränkungen.  —  Den  entscheidenden  Schlag  gegen  G 
haben  Roth  st  ein  und  Goetz  geführt.  Der  G  behandelnde  Abschnitt 
(S.  67f.)  ist  wohl  der  gelungenste  in  Rotbsteins  ausgezeichneter  Ar- 
beit und  verdient  fast  durchweg  unbedingte  Zustimmung.  Baehrens 
hatte  betont,  dafs  an  den  vier  Stellen,  wo  im  Archetypus  Verse  fehlten 
(I  2,  25;  II  3,  15;  II  3,  77;  III  4,64),  sich  in  G  die  von  den  Italienern 
interpolierten  Verse  nicht  rinden.  Dagegen  macht  Rothstein  S.  G8 
geltend,  dafs  G  sicher  nicht  vor  Lachmanns  Y  und  und  B,  in  welche 
jene  Interpolationen  bereits  eingedrungen  waren,  geschrieben  ist.  Das 
Fehlen  dieser  Fälschungen  in  G  sei  also  keineswegs  von  derselben  Trag- 
weite wie  etwa  in  A.  Der  Librarius  von  G  wufste  sehr  wohl,  dafs  an 
den  bezeichneten  Stellen  der  Text  lückenhaft  war  (wie  sich  schon  daraus 
ergiebt,  dafs  er  Interstitia  liefs),  er  kannte  wahrscheinlich  auch  die 
interpolierten  Verse,  war  aber  zu  klug  um  sie  aufzunehmen.  Treffend 
bemerkt  Rothstein  a.  0.:  '  Suspicari  fortasse  licet  librarium  iu  bis  supple- 
mentis  omittendis  idem  consilium  secutum  fuisse  atque  iu  imitanda  scrip- 
tura  longobardica,  ut  codici  suo  vetustatis  speciem  arrogaret'.  —  Wie 
ist  die  oben  berührte  Übereinstimmung  zwischen  G  und  P  zu  erklären? 
Der  Erklärung  von  Baehrens  stellt  Rothstein  eine  andere  gegenüber. 
Der  Librarius  von  G  hat  die  Exe  Parisina  (die  ja  im  Mittelalter  sehr 
verbreitet  und  bekannt  waren,  vgl.  Rotbstein  S.  72—74)  benutzt  und 
eine  Reihe  von  Lesarten  aus  ihnen  entnommen ;  und  zwar  entweder  aus 
einem  Exemplare  der  Exzerpte  selbst  oder,  was  R.  für  wahrscheinlicher 
hält,  aus  einer  Handschrift,  in  welcher  sie  zwischen  den  Zeilen  und  am 
Rande  beigeschrieben  waren.  Von  den  Beweisen  bierfür  sei  nur  einer 
erwähnt.  Wenn  wirklich  G  und  P  aus  einer  und  derselben  Handschrift 
geflossen  waren,  so  könnten  sich  offenbar  an  den  Stellen,  wo  der  Ex- 
zerptor,  dem  besonderen  Zwecke  seiner  Anthologie  zu  Liebe,  sich  will- 
kürliche Änderungen  am  Texte  der  ihm  vorliegenden  vollständigen  Hand- 
schrift erlaubte,  keine  Übereinstimmungen  zwischen  G  und  P  rinden  — 
es  sei  denn  durch  einen  vereinzelten  Zufall.  Nun  giebt  es  aber  doch 
drei  solcher  Fälle.  In  I  8  machte  der  Exzerptor  aus  v.  9—14  und  43 
bis  46  ein  Epigramm  mit  der  Überschrift  cAd  anum  luxuriosam  et  quae- 
rentem  placere'  und  änderte  das  nun  ohne  Beziehung  dastehende  tum 
(v.  43)  zweimal  in  nunc.  Dieses  nunc  aber  steht  auch  in  G.  Aus  dem 
Distichon  II  1,  29—30  machte  der  moralische  Exzerptor  eine  Strafpre- 
digt1 in  nefarios  illos  homines,  qui,  ut  ait  ipse  titulo  supra  scripto  »in 
festis  (i.  e.  sacris  diebus)  operam  dant  luxuriae«'  und  mufste  darum 
celebrent  in  celebrant  ändern.     Auch   diesen   Indikativ   hat  G.     Die  Verse 


Tibull.    Der  codex  Guelferbytanus  (G)  335 

III  6,  13  und  16  schwerste  der  Exzerptor  zu  einem  Distichon  zusammen 
und  schrieb  statt  des  ihm  nunmehr  zwischen  dües  und  indomitis  an- 
stöfsigen  Sing,  ferocem  den  Plural  —  ebenso  G!  Dafs  es  nicht  noch 
mehr  ähnliche  Beispiele  giebt,  ist  ganz  in  der  Ordnung,  denn  in  den 
meisten  Fällen  erkannte  natürlich  der  gelehrte  Librarius  von  G  die 
Änderungen  des  Excerptors  als  sinnwidrig  und  den  Zusammenhang  stö- 
rend nnd  vermied  sie.  An  der  Benutzung  von  P  durch  G  zweifelt  heut- 
zutage wohl  Niemand.  Die  an  sich  belanglosen  Gründe,  welche  Leon- 
hard  S.  49  dagegen  vorbringt,  erledigen  sich  durch  die  Bemerkungen 
Hillers  Rh.  Mus.  37,  573.  Erwähnt  sei  noch,  dafs  Rothstein  sich 
gegen  die  Ansicht  Lachmanns  erklärt,  nach  der  Puccius  eine  wertvolle  alte 
Handschrift  besessen  habe:  'Nihil  enim  a  Puccio  affertur  quod  non  a 
quinti  decimi  saeculi  viro  docto  coniectura  inveniri  potuerit.'  Das  S.  81 
stehende  Verzeichnis  scheint  diesen  Satz  zu  bestätigen.  —  Ferner  weist 
Rothstein  S.  83  darauf  hin,  dafs  es  keine  Stelle  gebe  (aufser 
etwa  IV  1,  40,  wo  aber  der  Fehler  in  G  durch  Konj.  oder  —  fügt  Ref. 
hinzu  —  durch  Kenntnisnahme  der  La.  von  F  verbessert  werden  konnte), 
an  der  G  zusammen  mitF  das  Richtige  bietet  gegen  dieübri- 
gen  Handschriften.  Und  doch  sollte  man  dies  erwarten,  da  sehr 
viele  Fehler  der  übrigen  codd.  offenbar  aus  ihrem  unmittelbaren  Arch., 
mit  dem  G  angeblich  nichts  zu  thun  hat,  stammen.  Da  vielmehr  G  sehr 
oft  (cf.  S.  84)  in  schlechten  La.  mit  den  andern  codd.  gegen  F  zusam- 
mengeht, mufs  er  aus  demselben  Arch.  stammen.  Und  zwar  ist  sein 
Text  ein  besonders  aus  der  ersten  (Y)  und  der  zweiten  (A  V)  gemischter: 
es  ist  nicht  einmal  anzunehmen,  dafs  er  aus  einer  vierten  direkten  Ab- 
schrift des  Arch.  geflossen  sei.  Daraus  würde  der  Satz  folgen:  Abge- 
sehen von  Schreibfehlern  sind  alle  vom  Arch.  abweichenden 
Lesarten  in  G,  sie  seieu  richtig  oder  falsch,  nichts  alsKon- 
jekturen  resp.  Interpolationen.  Ist  das  wahr,  so  mufs  sich  die 
Probe  an  allen  bezüglichen  Stellen  machen  lassen.  Denn  mag  immer- 
hin G  von  Interpolationen  wimmeln,  die  Möglichkeit,  dafs  er  daneben 
echte,  alt  überlieferte  Lesarten  aufweise,  wird  dadurch  nicht  ausge- 
schlossen. Dieser  Probe  hat  sich  denn  auch  Rothsteiu  S.  86  mit  voll- 
ständigem Erfolge  unterzogen.  Er  verzeichnet  zuerst  die  Stellen ,  an 
denen  G  nach  seiner  Ansicht  das  —  übrigens  durchweg  sonsther  be- 
kannte —  Richtige  bietet.  (Dahin  hätte  R.  aber  nicht  II  1,  67  ip*e 
interque  grcges,  wohl  auch  nicht  II  6,  45  lena  necat  miserum  Phryne  rech- 
nen dürfen;  an  anderen  Stellen  wie  I  5,  7  I  8,  1  u.  a.  hat  nicht  G, 
sondern  <j  das  Richtige;  vgl.  weiter  unten).  Das  Resultat  ist:  'Omnibus 
bis  locis  verum  hominis  docti  coniectura  inveniri  potuisse  apparet. ' 
Ebenso  Hiller  Rh.  Mus.  37,  574:  'Die  meisten  dieser  Lesarten  sind, 
wie  man  sieht,  Berichtigungen  von  Schreibfehlern;  zur  Annahme  einer 
vom  Arch.  von  AV  unabhängigen  Überlieferung  nötigt  ans  keine  ein- 
zige. 3    Von  den  nun  folgenden  Stellen,  an  denen  Dach  Kothsteins  (S.  87f.) 


336  Tibull.     Der  cod.  Guclferbytanus  (G) 

Ansicht  G  trotz  des  Beifalles  von  Baehrens  Unrichtiges  bietet,  sollen 
hier  nur  die  wichtigsten  mit  Angabe  ihrer  Littcratur  aufgezählt  werden. 
I  l ,  78  G  deapiciam  dites.  It.  enthält  sich  eines  bestimmten  Urteiles. 
Doch  hat  G  wohl  Recht,  vgl.  Leonhard  S.  44.  Widder  S.  10.  Der 
anonyme  Rezensent  v.  Baehrens'  Tibull  Ph.  Anz.  X  181.  I  '2,  6  ianua 
j'ulia  scra  in  G  als  interpoliert  naebgewiesen.  (Schwankend  Widder 
S.  29—30).  Vgl.  auch  des  Ref.  Studien  zu  Ov.  Metam.  S.  9  not. 
I  2,  21  vultua  als  interpoliert  aus  Ovid  erwiesen.  Mifslungen  Widder* 
Verteidigung  S.  15.  Vgl.  noch  Heroid.  XVII  84  signa  supercilio  paene 
loquente  dari.  I  2,  50  G  uesiivas  convocat  ore  nives,  von  R.  nicht  un- 
bedingt abgelehnt,  ist  freche  Interpolation,  vgl.  Widder  S.  22-23. 
Der  Anonymus  im  Ph.  Anz.  X  179  vergleicht  für  A  V  Ov.  am.  I  8,  9  -  10. 
Pan.  Mess.  158  —  160.  I  5,  27  pro  fructibus  uvam  von  R.  überzeugend 
als  unrichtig  nachgewiesen.  I  G,  42  atque  in  G  und  Baehrens  daran  an- 
knüpfende Konj.  se  aufemt  sind  unrichtig.  I  6,  72  properans  m  G  un- 
richtig. Vielleicht  ist  mit  R.  z.  T.  nach  Änderungen  der  Itali  so  zu 
schreiben:  Et  siquid  peccasse  putet,  ducarque  eapillis  Immerito  in  me- 
dian proripiarque  vias  (so  jetzt  Hill  er).  Widder  S.  27- 28  hält  sehr 
unwahrscheinlich  das  ganze  Distichon  für  interpoliert,  vgl.  Hill  er  Berl. 
Ph.W.  1886,  Sp.  393.  Ehvvald  Phil.  Anz.  XV  591  tritt  für  das  mehr- 
fach vorgeschlagene  pronus  (A  proprias\  pronos  vulg.)  ein.  I  7,47  gegen 
dulei  in  G  spricht  richtig  Widder  S.  24.  I  7,  54  libtm  et  Mopsopio 
dulcia  mella  favo  von  R.  als  thörichte  Interpolation  erwiesen.  Vgl. 
WidderS.  23.  Über  die  Lesart  vgl.  G.  G  oetz  Rh.  Mus.  37,  143.  I  9,  33 
Campania  tota  iu  G  ist  neben  Falernus  ager  geradezu  Unsinn;  vgl.  auch 
Widder  S.  28.  I  9,  53  donis  puerum  in  G  als  unrichtig  erwiesen  vom 
Anonymus  im  Phil.  Anz.  X  180.  I  10,  46  G:  sub  iuga  yanda  boves. 
Das  curva  von  AV  verdient  den  Vorzug,  vgl.  auch  Leonhard  S.  34. 
Widder  S.  29.  R.  Ehvvald  in  dieser  Zeitschr.  Bd.  XLIII  S.  203. 
Pandus  kommt  sonst  nirgends  bei  Tibull  vor  und  scheint  Interpolation 
aus  Ov.  am.  I  13,  16.  Ref.  vermutete  Berl.  Ph.  W.  1885  Sp.  588,  so- 
wohl curva  wie  panda  seien  Konjekturen,  die  ein  fehlendes  Wort  ergänzen 
sollen.  Eingehend  handelt  Rothstein  S.  96  über  H  2,21—22.  G  hat 
irrig  haec  veniat.  Baehrens  darauf  fufsende  Konj.  haec  veniat  genialis  avis 
ist  mifslungen.  Anstöfsig  sei  aber  die  handschr.  Lesart  Hie  veniat  na- 
talis  avis  wirklich:  cSi  enim  a  deo  natali  petitur  ut  veniat  et  prolem 
ministret,  hoc  mihi  aliter  non  posse  aeeipi  videtur  nisi  ita  ut  primum 
veniat  et  deinde  prolem  ministret,  quod  sane  de  avis  ineptum  est'.  R. 
vermutet  daher: 

Hie  veniat  natalis  avis,  prolesque  ministret, 
Ludat  et  ante  tuos  turba  novella  pedes. 

cSic  ministrandi  verbum  intellegendum  est    de    rebus   sacris    quae  fieri 
solent  hoc  die  quaeque  initio  huius  ipsius  carminis  a  poeta  commemo- 


Tibull.    Der  codex  Guelferbytanus  (G).  337 

rantur'.  Doch  scheint  die  getadelte  Ausdrucksweise  sich  verteidigen  zu 
lassen.  Durch  prolemque- pedes  wird  das  prägnante  natalis  veniat  avü 
(der  Geburtstag  soll  noch  zu  ihnen  kommen,  wenn  sie  schon  Grofseltern 
sind)  nur  näher  erläutert.  Natürlich  ist  proles  ebenfalls  von  den  Enkeln 
zu  verstehen.  Hill  er  schreibt  jetzt  mit  Benutzung  einer  Konj.  von 
Heinsius  hac  veniat  natalis  avi.  —  II  3,  3  wird  laetos  in  G  als  unrichtig 
nachgewiesen  ('Cum  dives  amator  Nemesim  rus  abduxerit,  Tibullus  non 
solum  in   illum  amatorem  sed    in   ipsam   vitam   rusticam  invehitur').  — 

II  3,  8  colenda  in  G  ist  unpassend.  Hoc  enim  ita  dictum  est  quasi 
arva  prius  bubus  subigantur  et  deiude  colantur,  cum  tarnen  illud  subi- 
gere  re  vera  partem  culturae  efficiat'.  —  II  6,  8  das  Epitheton  levi  zu 
yaka  in  G  ist  nicht  angemessen.  Die  Vulg.  levem  aquam  erklärt  R.  so: 
Videtur 'levis' perpetuum  aquae  epitheton  esse,  quo  id  significatur  quod 
non  consistit  sed  facile  movetur,  quo  sensu  II  5,  96  levis  umbra  dici- 
tur'.  —  III  2,  27  casum  in  G  ist  nach  R.  geradezu  Unsinn.  '  Lygdamum 
adeo  ineptum  fuisse  ut  optare  se  ut  in  sepulcro  suo  raortuum  se  esse 
inscriberetur  expressis  verbis  diceret  credi  non  potest'.  —  III  4,  64  und 

III  6,  46  ist  prece  in  G  Interpolation,  das  sonst  überlieferte  fide  richtig, 
denn  es  sei  nicht  wahrscheinlich  'bis  in  eodem  scriptore  verbum  prorsus 
perspicuum  gravissimo  errore  ita  depravatum  esse  ut  difficultas  aliqua 
ultro  inferretur'.  Ähnlich  urteilt  jetzt  Vahlen  ind.  lect.  hib.  Berol. 
1886  S.  11,  weicht  aber  in  der  Interpretation  ab.  Vgl.  oben  S.  172.  — 
III  4,  82  ist  das  von  Baehrens  aus  G  aufgenommene  non  possum  geradezu 
Unsiuu,  denn  nun  mufs  man  unbedingt  tanta  mala  auf  die  Erscheinung 
des  Apollo  beziehen,  nicht,  was  doch  der  Sinn  erfordert,  auf  das  pro- 
phezeite Unglück.  —  III  5,  11  G  sacrikyos.  Rothstein  entscheidet  sich 
für  die  auf  dem  sonst  überlieferten  sacnlegis  fufsende  Konj.  der  Itali 
sacrilegi.  Dafs  sich  auch  für  sacrilegos  Manches  sagen  läfst,  zeigt  Widder 
S.  17 —  18.  Offenbar  steht  Konjektur  gegen  Konjektur.  IV  1,  33  ac 
in  G  ist  interpoliert  von  einem ,  der  den  Tibullischen  Gebrauch  von  at 
nicht  kannte.  —  IV  8,  8  wird  quamvu  gegen  das  quoniam  in  G  richtig 
verteidigt.  Vgl.  die  davon  unabhängigen  Bemerkungen  des  Ref.  Jahresb. 
d.  Phil.  Ver.  1X272.  Rothsteius  treffende  Schlufsworte  lauten  so:  'Satis 
perspicue  iam  ex  omnium  horum  locorum  contemplationc  apparere  mihi 
videtur  codicem  G  a  librario  aliquo  non  iiulucto  ita  scriptum  esse  ut 
obiter  iuspicienti  plerumque  offensionom  non  praebeat;  non  nulla  in  eo 
esse  recte  emendata,  quae  tarnen  aut  oinnia  aut  maximam  partem  ex 
aliis  codieibus  videntur  sumpta  esse;  ea  deuique  quae  huius  codicis  pro- 
pria  sunt  plerumque  apertissima  interpolatiouis  signa  prae  se  ferre.  Est 
igitur  hie  über  unus  e  deterrimis,  ea  sola  re  a  ceteris  libria  interpolatis 
discrepans  quod  in  eo  maiore  etiam  libidine,  fortasse  etiam  feliciore  suc- 
cessu  poetae  verba  immutata  sunt.  Quae  autem  de  seeunda  codicum 
familia  hoc  solo  libro  repraesentata  investigasse  sibi  visttS  est  Uaehren- 
sius  ea  prorsus    nihil!  facienda  sunt'.     Ähnlich  lllmann  S.  61. 

fahresbericht  für  Alterthumbwi.s.scuschufc  LI.  (1887.  II.)  k22 


338  'Jüuill.    Det  eodei  Guelferbytanus  (G). 

Der  letzte  Zweifel  wird  durch  die  Ausführungen  von  Goetz  ge- 
hohen, dem  eine  durch  G.  Loewe  besorgte  Kollation  von  G  zu  I 
böte  stand.  Danach  verringert  sich  die  Zahl  der  Fälle,  wo  nach  Ba-h- 
rena  G  mit  P  übereinstimmt,  um  zwei  wichtige  Beispiele:  I  l ,  48  ist 
nur  i  von  G,  rubre  von  g  und  stebl  auf  Ka-.ur.  III  8,  20  stammt  m- 
vidia  est  von  g,  Auch  BOiist  wird  das  Verzeichnis  der  Stellen  wo  G  die 
falsche  La.  mit  AV  gemein  hat  (vgl.  Roths tein  8.  84)  erheblich  ver- 
mehrt. Unter  den  besseren  selbständigen  Lesarten  in  G  sind  viel  mehr 
als  sich  aus  Baehrens  Kollation  ergiebt  von  g  geschrieben,  haben  also 
selbst  nach  Baehrens  Ansicht  nur  Wert  als  Konjekturen.  So  Btammen 
von  g:  I  8,  1  edari  II  6,  45  necat  III  1,  10  pumex  et  I  2,  52  ore  I  2,  7G 
in  I  7,  54  libem  .  .  .furo.  Umgekehrt  giebt  es  verschiedene  falsche  Les- 
arten in  G,  die  Baehrens  nicht  notiert:  I  1,  57  cupio  IV  1 ,  46  jdacare. 
I  6,  16  stammt  nihil  von  g  und  steht  auf  Rasur.  Steckt  darunter  nicht 
vielleicht  gar  das  aus  Ovid  interpolierte  minus?  Vgl  dazu  I  2,  21  die 
vultus  loquaces]  Zu  I  6,  25 f.  ist  am  Rande  von  g  notiert  'Ovidius  allu- 
dit  ad  hos  versus'!  Anderseits  stehen  manche  der  guteu  Lesarten  von 
G  auch  in  den  Lachmannschen  Handschriften.  Rothstein  hatte,  wie 
erwähnt,  Beispiele  von  solchen  Übereinstimmungen  zwischen  G  und  P 
verzeichnet,  wo  die  gemeinsame  La.  der  ändernden,  zurecht  stutzenden 
Thätigkeit  des  Exzerptors  ihre  Entstehung  verdankt.  Goetz  findet  die- 
selbe Erscheinung  noch  iu  einigen  Fällen:  IV  l,  39  nee  quisquam  I  1,  6 
exiguo.  Bei  der  weiten  Verbreitung  von  Tibullexzerpten ,  wofür  weitere 
Belege  beigebracht  werden,  ist  daher  die  Benutzung  eiuer  Exzerpthand- 
schrift  nicht  zu  bezweifeln.  Was  G  sonst  noch  Singuläres  bietet,  ist 
durch  Konj.  gefunden.  'Für  die  Kritik  ist  diese  Handschrift 
mithin  die  denkbar  unsicherste  Grundlage'. 

Bemerkt  sei  noch,  dafs  die  zuverlässigste  Gesamtkollation  von  G 
iu  der  Adn.  crit.  von  Hillers  Tauchnitzausgabe  zu  finden  ist.  Mittei- 
lungen aus  dem  jungen  und  interpolierten  cod.  Magliabecchianus  VII, 
1053  in  Florenz  giebt  nach  einer  Kollation  Studemunds  der  Anonymus 
im  Ph.  Anz.  X  182—183.     Die  Handschrift  ist  wertlos. 

D.    Beiträge  zur  Literaturgeschichte,   Kritik  und 

Erklärung. 

193.    E.  Hiller,  Die  Tibullische  Elegiensammlung.  Hermes 
XVHI  S.  343—361. 

E.  Hiller  behandelt  in  diesem  Aufsatze  mit  gewohnter  Besonnen- 
heit die  Frage,  welche  Bestandteile  der  unter  dem  Namen  des  Tibullus 
uns  erhaltenen  Sammlung  bereits  im  Archetypus  standen  und  wie  die 
einzelnen  Stücke  in  unsere  Sammlung  gerieten.  Zunächst  ist  die  Rede 
von  den  beiden  Tibull  zugeschriebenen  Priapea  (bei  Baehrens  S.  85, 
jetzt  bei  Hiller  S.  58),  den  Distichen  (Vüicus  aerari  quondam,  nunc  eultor 


Die  Tibullische  Elegiensammlung  und  die  beiden  Priapea.  339 

agelli)  und  den  Jamben  {quid  hoc  novi  est?  quid  ira  nuntiat  deumt).  Das 
erstere  ist  eine  zu  einem  kleinen  Heiligtum  des  Priapus  gehörige  In- 
schrift, aufgefunden  in  der  Nähe  von  Padua;  als  solche  nicht  mehr  vor- 
handen. Das  zweite  steht  in  mehreren  mittelalterlichen  Handschriften  der 
pseudo-vergilischen  Gedichte.  Während  des  15.  Jahrhunderts  wurden  beide  in 
Handschriften  und  in  Drucken  der  Sammlung  der  Priapea  einverleibt. 
Über  die  Jamben  schreibt  dann  im  Jahre  1558  Muret  an  Paul  Ma- 
nutius:  !In  carminibus,  quibus  celebratur  hortorum  deus,  iambica  quae- 
dam  sunt,  quae  ab  omnibus  tribuuntur  Tibullo'.  Da  Scaliger 
(in  der  Appendix  Virgilii  1572)  von  eben  den  Jamben  ausdrücklich  sagt, 
sie  fänden  sich  in  dem  alten  Fragmentum  Cuiacianum  (das  den  Schlufs- 
teil  der  Tibullischen  Sammlung  etwa  von  III  4,  65  an  enthielt),  da  er 
aus  demselben  auch  einige  vortreffliche  Lesarten  [vgl.  28,  29,  42]  mit- 
teilt, so  kann  kein  Zweifel  darüber  sein,  dafs  dem  sich  so  verhält.  Mu- 
rets  Worte  quae  ab  omnibus  tribuuntur  Tibullo  sind  einerseits 
offenbar  stark  übertrieben,  anderseits  mochte  ja  auch  schon  vor  dem 
Erscheinen  von  Scaligers  Appendix  Virgilii  auf  dem  Wege  privater  Mit- 
teilung bekannt  geworden  sein,  dafs  dies  Gedicht  in  einer  alten  Tibull- 
handschrift  stehe.  Daraus  folgt  aber  nicht,  dafs  die  Jamben  wirklich 
von  Tibull  verfafst  sind,  selbst  wenn  es.  sich  erweisen  liefse,  dafs  sie 
schon  im  Altertume  den  Schlufs  der  Sammlung  bildeten  (vgl.  die  ebenda 
stehenden  Gedichte  von  Lygdamus  und  Sulpicia).  Es  folgt  auch  noch  nicht, 
dafs  sie  im  Archetypus  standen  :  ein  mittelalterlicher  Abschreiber  des  Tibull 
kann  sehr  wohl  ein  leeres  Blatt  mit  einem  ihm  vorliegenden  Gedichte  ausge- 
füllt haben.  Anders  steht  die  Sache  beim  Epigramme.  Zwar  erklärt  Scali- 
ger ebenda:  '  Quod  nomine  Tibulli  in  antiquis  Tibulli  codicibus  iuveniri, 
et  alii  in  editionibus  suis  admonuerunt ,  et  nos  inter  opera  Tibnlliana  in 
optima  scheda  reperimus'  und  bemerkt  zu  v.  6  die  optima  scheda  habe 
nicht  hunc  tu  sed  tetito,  sondern  taceo.  Mit  der  optima  scheda  kann 
wieder  nur  das  fragm.  Cuiacianum  gemeint  sein.  [Vgl.  Ellis,  Hermath. 
III  1875.  S.  157J.  Aber,  wie  schon  Mommseu  (Corpus  inscr.  lat.  VI  l 
S.  274)  betonte,  Scaligers  Angabe  mul's  unrichtig  sein:  1)  Scaliger  no- 
tiert aus  der  scheda  keine  einzige  eigentümliche  La.  2)  in  v.  6  hat  die 
scheda  nach  seinem  ausdrücklichen  Zeugnisse  die  zweifellos  interpolierte 
La-  taceo  für  tento.  Diesen  Widerspruch  [Einen  ähnlichen  Fall  bespricht 
Buecheler  Rh.  Mus.  1881  S.  329]  sucht  Hiller  durch  Annahme  eines 
Gedächtnisfchlers  von  Scaliger  zu  erklären.  In  einer  Tibullhandschrift 
des  15.  Jahrhunderts  war  ein  leerer  Kaum  am  Schlüsse  benutzt  worden, 
um  das  kleine  Gedicht  einzutragen;  aus  der  einen  Tibullhandschrift 
mochte  es  vielleicht  noch  in  einige  andere  abergegangen  sein.  So  geriet 
es  in  die  ed.  Plantina  von  1669.  In  ein  Exemplar  notierte  Bicfa  Sealiger 
die  Lesarten  des  fragm.  Cuiacianum.  spater  nun.  als  er  die  Bemerkun- 
gen zur  appendix  Virgilii  niederschrieb,  bildete  er  Bich  ein,  nicht  nur 
das  eine  der  in   die  cd.  Plant,  aufgenommenen  Priapea   (das  Epigramm 

22* 


340      Tibull.  Priapea.  Epigramm  de    Domilios  Marsus.  Vita  Tibulli. 

stand  unmittelbar  vor  den  Jamben)  habe  er  aucb  im  fragm.  Cuiacianam 
vorgefunden,  Bondern  beide.  In  \.  <;  hatte  die  ed  Plant  taeeo.  Da 
sieli  nun  8caliger  zu  diesem  Gedichte  aue  dem  fragm.  Cuiacianam  nichts 
aotierl  hatte  (natürlich,  denn  dae  Epigramm  stand  ja  gar  nicht  darin), 
so  folgerte  er  ans  seinem  eigenen  Schweigen  später,  die  La.  des  fragm. 
stimme  mit  dem  Texte  der  Plantina  Uberein.  Die  Bypotbese  ist  <<tti-nbar 
ganz  hübsch.  Doch  möchte  Ref.  darauf  hinweisen,  dafs  Bich  aus  E 
ligers  Schweigen  über  Varianten  im  fragm.  wohl  keine  Schlüsse  ziehen 
lassen.  Die  Worte  sind  klar  und  einfach,  das  Gedicht  ist  sehr  kurz 
und  zirkulierte  nicht  lange  in  den  Handschriften.  Wo  sollen  da  viel  Varian- 
ten her  kommen?  Um  Scaligers  Annahme  über  laceo  zu  erklären  könnte 
man  ebenso  leicht  vermuten,  Scaliger  habe  die  Variante  tento  des  fragm. 
in  der  Eile  übersehen  und  sei  einfach  dadurch  in  den  von  Hiller  ver- 
muteten Irrtum  geraten.  Vgl.  übrigens  Baehrens  N.  Jabrbb.  1883,  860 
und   oben  S.  287.     Adhuc  sub  iudice  lis  est.  Das  Epigramm  auf 

den  Tod  Tibulls  stand  bereits  im  Archetypus.  Da  Scaliger 
Castigg.  in  Tibullum  S.  158)  dazu  bemerkt:  In  pervetusto  illo  schedio 
(d.  h.  im  fragm.  Cuiacianum)  titulus  huic  epigrammatio  erat  DO- 
MITII  MARSI '  und  da  in  Scaligers  Handexemplare  der  ed.  Plant, 
links  neben  der  Überschrift  EPITAPHION  TIBVLLI  von  seiner  Hand 
die  Worte  stehen  DOMITII  MARSI  V.  D.  oder  V.  0.,  so  vermutet  Hiller, 
die  letzten  Buchstaben  seien  richtig  und  bedeuteten  vetus  optimus. 
Eine  andere  Deutung  vir  doctus  oder  viri  docti  stöfst  angeblich  auf 
Schwierigkeiten.  [Würde  eine  Untersuchung  von  Scaligers  Manier  in 
dieser  Hinsiebt  nicht  Klarheit  schaffen?]  —  Die  Vita  Tibulls  in  den 
ältesten  unserer  Handschriften  ist  zwar  nicht  aus  Sueton  entnommen  (wie 
Baehrens  wollte),  stammt  aber  doch  nicht  aus  der  Humauistenzeit;  da- 
gegen sprechen  die  ebenso  schweren  wie  seltsamen  Korruptelen  eques 
regalis  und  Corvinum  Messalam  originem.  Sie  ist  vielmehr  dem  späteren 
Altertume  zuzuweisen  und  stand  im  Archetypus.  Die  beiden  sonsther 
nicht  bekannten  Angaben,  dafs  Tibull  eques  gewesen  und  dona  mili- 
taria  erhalten  habe,  gehen  vielleicht  auf  gute  Überlieferung  zurück. 
[?  Beide  sind  wohl  aus  Stellen  wie  I  7,  9.  I  1,  19.  41—42  fabriziert]. 
—  Im  Archetypus  unserer  vollständigen  Handschriften  war  die  Samm- 
lung in  drei  Bücher  geteilt,  d.  h.  Alles  auf  das  zweite  Buch  folgende 
bildete  in  unserer  Überlieferung  ein  drittes  Buch.  Schon  das  zweite 
ist  nach  dem  Tode  des  Dichters  herausgegeben.  In  einer  späteren  Zeit 
wurden  alle  folgenden  Stücke,  die  sich  noch  im  Besitze  des  Messalli- 
schen Hauses  befanden,  als  ein  drittes  Buch  hinzugefügt  (so  nach 
Baehrens  Tib.  Blätter  S.  36 f.)  Dadurch  erklärt  es  sich,  dafs  auf  die 
Lygdamuselegieeu  Gedichte  von  drei  verschiedenen  Verfassern  folgen, 
die  sämtlich  zu  Messalla  in  Beziehung  stehen.  Ja  selbst  die  alte  Ver- 
mutung, dafs  sich  in  dem  Namen  Lygdamus  der  Name  Albius  ver- 
stecke, ist  keineswegs  zu   verwerfen.     Warum  sollte   dieser   Dichterling 


Tibull.     Lygdaraus'  Verhältnis  zu  Ovid.  341 

nicht  ein  jüngerer  Verwandter  Tibulls  gewesen  sein?  IV  7  weist  Hiller 
jetzt  der  Sulpicia  zu  [ docli  vgl.  oben  S.  262).  --  Die  durch  ihr  eigen- 
tümliches Verhältnis  zu  Ovid  (Ars.  am.  II  669.  Trist.  IV  10,  5.  Am. 
II  14,  23)  merkwürdige  Stelle  III  5,  15  —  20  wird  eingehend  besprochen. 
Ovid  hat  natürlich  den  Lygdamus  nicht  nachgeahmt.  Aber  auch  der 
umgekehrte  Fall  ist  nicht  denkbar:  Lygdamus  wäre  geradezu  verrückt 
gewesen,  wenn  er  nach  Veröffentlichung  von  Ov.  Trist.  IV,  also  min- 
destens 56  Jahre  alt,  sich  als  iuvenis  bezeichnet  und  mit  crescentea  uvae 
und  modo  natu  mala  verglichen  hätte.  Hiller  hält  v.  15—20  für  einen 
nachträglichen  Zusatz  des  Dichters  selbst.  Lygdamus  hatte  das  Gedicht 
ohne  diese  Verse,  ebenso  wie  die  Neäraelegien,  in  seinen  jungen  Jah- 
ren verfafst.  In  späterer  Zeit  (nach  dem  Bekanntwerden  von  Trist.  IV) 
liefs  er  von  diesen  sechs  Jugendgedichten  für  einen  Freund  oder  Gönner 
eine  neue  Abschrift  anfertigen.  Nun  war  Lygdamus  wirklich  in  dem- 
selben Jahre  geboren  wie  Ovid;  dies  in  seinem  Büchlein  anzubringen 
erschien  ihm  nicht  unpassend;  die  Art,  wie  das  Geburtsjahr  in  den  Tristien 
bezeichnet  war,  hatte  ihm  gefallen  und  veranlafste  ihn  zur  Entlohnung. 
[Aber  diese  Vermutung  ist  doch  eben  nur  eine  Möglichkeit  neben  vielen 
andern.  Ref.  möchte  jetzt  eher  der  Annahme  des  anonymen  Kritikers 
im  Ph.  Anz.  X  183  (vgl.  S.  Kleemann,  De  libri  tertii  carminibus  quae 
Tibulli  nomini  circumferuntur.  1876)  beitreten ,  dafs  III  5  auch  in  Be- 
zug auf  den  Verfasser  von  den  Neaeraelegieen  zu  trennen  ist]. 

194.    L.   Grasberger,    Zur   Würdigung    dos    Dichters  Ti- 
bull us.     N.  Jahrbb.   1882,  838-848. 

In  seinen  Tibullischen  Blättern  (S.  7—11)  war  E.  Baehrens  zu 
dem  Resultate  gekommen:  Der  Horazische  Albius  [in  carm.  I  33. 
Epist.  I  4]  ist  nicht  der  Dichter  Albius  Tibull  us'.  R.  Richter  in 
dieser  Zeitschr.  1877  II  S.  286  äufsert  darüber  u.  a. :  'Einige  der  Be- 
denken gegen  die  Identität  teilen  wir;  die  Überzeugung,  dafs  die  Nicht- 
Identität  nunmehr  erwiesen  sei,  teilen  wir  nicht'.  Vgl.  über  die  Sache 
schon  vor  Baehrens  Lierse  im  Bromberger  Progr.  1875  S.  5.  Gegen 
Baehrens  II  Härtung  S.  13t'.,  K.  P.  Schulze  Z. f.d. G.W.  32,  659  bis 
661.  Grasbergers  Aufsatz  ist  nun  eine  förmliche  Widerlegung  der  Baeh- 
rensschen  Ausführungen,  die  dem  Ref.  in  allen  wesentlichen  Punkten 
gelungen  scheint.  Baehrens  hatte  argumentiert:  In  Hör.  c.  I  38  werde 
eine  Glycera  als  Geliebte  des  angeredeten  Albius  genannt  Allein  aus 
dem  Dichter  selbst,  dann  ans  dem  Nachruf  des  Ovidius  (am.  III  9)  kenne 
man  nur  zwei  anders  benannte,  Delia  und  Nemesis.  Dies  spreche  gegen 
die  Identität.  Dagegen  Grasberger:  Muts  denn  durchaus  ein  näheres 
Verhältnis  dos  Dichters  zur  Glycera  bestanden  haben?  Sagt  denn  nicht 
Tibull  von  sich  selber  I  5,  39  saepe  aliam  tenui  vgl,  das  -eher/halte  11, >- 
ratianum  müh  pueüarum^  puerorum  mxlh  furore»f  Soll  denn  das  liora/i- 
schc  Gedicht  auf  einen  anderen  verliebten  Elegiker  Albius  gehen  (n«u 


342  Albius  boi  Horaz  identisch   mit  dorn  Dichter  Tibullus 

miserabiles  decantea  elegos),  den  wir  sonst  absolut  nicht  kennen?  Eine  so 
flüchtige  Beziehung  Tibulla  brauchte  Ovid  nicht  zu  erwähnen,  wie  ja 
auch  der  Marathuslieder  bei  ihm  nicht  gedacht  wird.  Es  a\  daher 
gar  nicht  nötig  aus  Tiball  IV  18  und  11  ein  Buch  Glycera  zu  Kon- 
struieren, wie  Gruppe  gethau  hat  Mau  halte  also  fest:  Nach  einer  An- 
zahl guter  horazischer  Handschriften,  dann  nach  der  vita  Tibulli,  die 
wohl  auf  das  Suetonische  Werk  depoetis  zurückgeht  [?],  endlich  nach 
Porphyrio  ist  die  betreffende  Ode  des  Iloraz  adressiert  an  Albius  Ti- 
bullus. In  der  Zusammenstellung  inmitis  Glycerae  ist  ein  Wortspiel 
(Oxymoron)  zu  sehen.  Ob  übrigens  Iloraz  auf  die  jener  habsüchtigen  Ne- 
mesis gewidmeten  Lieder  des  Tibull  anspielt,  oder  ob  ein  Verhältnis 
mit  einer  nicht  blos  fingierten  Glycera  gemeint  ist,  läfst  sich  nicht  mehr 
entscheiden.  Auch   der  Albius   in    Epist.  I  4    kann   sehr  wohl  der 

Dichter  Tibullus  sein.  Baehrens  charakterisiert  ihn  falsch.  Einen  sol- 
chen öden  pessimistischen  Genufsmenschen,  wie  diesen  Albius  nach  Baeh- 
rens, sollte  Horaz  einer  freundlichen  Zuschrift  und  sogar  wohlmeinender 
Rathschläge  für  das  Leben  gewürdigt  haben?'  Auch  dafs  dem  horazi- 
schen  Albius  divitiae  zugeschrieben  werden  ( vgl.  v.  11  et  mundus  victus 
non  deßeiente  crumena  'ein  behagliches  Sein  bei  nie  leer  werdendem  Beutel'), 
spricht  nicht  gegen  die  Identität.  Horaz  sagt  weiter  nichts,  als  dafs 
Tibull  unter  dem  Schutze  des  Messalla,  in  leidlichen  Verhältnissen  lebe 
d.  h.  ein  vornehmes  und  dem  ritterlichen  Stande  angemessenes  Leben 
führe,  welches  dennoch  seine  Kasse  nicht  erschöpfe.  Baehrens:  Wenn 
der  horazische  Albius  unser  Tibullus  wäre,  so  mufste  der  in  jener  Epistel 
genannte  Cassius  ein  bekannter  Elegiker  gewesen  sein,  da  Albius  nach 
Horaz  verfasse  quod  Cassi  Parmmsis  opuscula  vincat.  Dieser  Cassius  war 
aber  (so  Porphyrio)  ein  Tragödiendichter.  Schrieb  Horaz  an  Tibull, 
so  konnte  er  passend  nur  sagen:  Corneli  Galli  quod  opuscula  vincat. 
Dagegen  Grasberger:  1)  Von  einem  solchen  Albius  bei  Horaz,  wie  ihn 
Baehrens  fingiert,  spricht  kein  anderer  römischer  Autor.  Und  doch  mufste 
er  Proben  eines  beachtenswerten  Talentes  abgelegt  haben,  wenn  die  Zu- 
schrift des  Horaz  einen  Sinn  haben  soll.  2)  Von  diesem  Cassius  heifst 
es  bei  Porphyrio  (S.  393  Hauthal):  'In  partibus  Cassii  et  Bruti  cum 
Horatio  tribunus  militum  militavit'.  Acro  (S.  390):  'Epicureus  fuit  et 
poeta  .  .  satiras  scripsit  .  .  aliquot  generibus  stilum  exereuit.  inter  quae 
opera  ehgiae  et  epigrammata  eius  laudantur'.  Er  ward  nach  Actium  von 
Augustus  hingerichtet.  Trotzdem  schreckt  Horaz  nicht  zurück  ihn  ehren- 
voll zu  nennen.  Aber  schon  Welcker  Gr.  Trag.  S.  1407  bemerkte:  cDer 
heroische  Zorn  über  Cäsars  genialen  Übermut,  den  er  mit  dem  Leben 
büfste  (cf.  Suet.  Aug.  4),  läfst  sich  als  Ursache  denken,  dafs  die  Dichter 
der  Augusteischen  Zeit,  weniger  freisinnig  und  selbständig  als 
Horaz  seinen  Namen  nicht  nannten,  und  dafs  seine  Werke  sich 
weniger   behaupteten  und  verbreiteten  als  sie  verdienten'.    Übrigens  ist 


Tibull.     Leo  über  II  5.  343 

es   wohl  möglich,  dafs  Tibullus  sich  auch  auf  dem  Gebiete  der  Tragödie 
versuchte.     Man  denke  an  Ovids  Medea. 

195.  F.  Leo,  Über  einige  Elegieen  Tibulls  (Philologische 
Untersuchungen,  herausgegeben  von  A.  Kiefsling  und  U.  v.  W  Hä- 
mo witz- Mollen  dor  ff.  Zweites  Heft:  Zu  Augusteischen  Dich- 
tern S.   1     47.     Berlin   1881.    Weidmann.) 

Verf.  dieser  sehr  interessanten  und  gediegenen  Abhandlung  baut 
auf  Vahlens  bahnbrechenden  Arbeiten  weiter  und  hat  sich  auf  diesem 
Wege  um  die  Erklärung  Tibulls  grofse  Verdienste  erworben.  Lach- 
mann  hatte  in  seiner  Recension  von  Dissens  Tibull  (Kl.  Sehr.  S.  148) 
geäufsert:  'Durch  feinere  Auffassung  des  Gefühls  oder  des  Gedankens 
dürfte  noch  in  mehreren  Stellen  das  Wahre  sich  finden  lassen'.  Durch 
Vahlen  und  Leo  ist  die  Richtigkeit  dieses  Satzes  glänzend  erwiesen 
worden.  Der  Letztere  handelt  nach  einer  orientierenden  Einleitung  über 
II  5.  I  4.  I  3.  I  l.  I  2.  I  5.  1  6.  Kap.  IV  hat  die  Überschrift  'Tibull 
und  Delia'.  Kap.  X,  betitelt 'Zur  Beurteilung  Tibulls',  giebt  ein 
feingezeichnetes  Charakterbild  des  Dichters.  —  II  5  ist  weder  unvollendet 
noch  interpoliert.  Das  Gedicht  ist,  wie  Lachmaun  wollte,  'ein  Fest- 
un d  Ehren  gedieht  in  der  Form  eines  Gebets'.  In  v.  4  ist  das 
überlieferte  meas  unmöglich:  'Der  Dichter  singt  wohl  dem  Gotte  ein  Lied 
nach,  aber  dafs  Gott  und  Dichter  gleichzeitig  singen  ist  keine  mögliche 
Vorstellung'.  Mit  Zurückweisung  von  Vahlens  novus  konjiziert  Leo  saa-as 
[doch  vgl.  über  die  Stelle  den  Ref.  in  Z.  f.  d.  G.W.  1883  Jahresber.  IX 
S.  264  und  oben  S.  169.  Zum  Ausdrucke  Ov.  Trist.  V  1 ,  23  numeros 
ad  publica  carmina  flexi.}  Unter  den  laudes,  welche  der  Dichter  in  v.  4 
von  Apollo  erbittet,  ist  ein  Lied  zum  Preise  der  ewigen  Stadt  zu 
verstehen.  Ort  der  Weissagung  in  19  ist,  übereinstimmend  mit  der  herr- 
schenden Anschauung,  Cumae.  In  21,  wo  Rom  noch  nicht  genannt  sein 
darf,  mufs  der  Gedanke  stecken  'er  glaubte  nicht,  dafs  Troja  wieder  er- 
stehen würde,  eine  Zukunft  habe'.  Demnach  ist  zu  lesen  nee  fore  cre- 
debat  Troiam  [doch  vgl.  dagegen  die  gewichtigen  Bedenken  von  Maafs 
unten  S.  349].  V.  67,  der  sich  an  die  Rede  der  von  Rom  prophezeien- 
den Sibylle  anschliefst,  mufs  hiernach  den  Sinn  haben  viel  wunder- 
barer noch  ist,  was  die  anderen  Sibyllen  Bangen'.  Leo  schlägt  daher 
vor  in  67  zu  schreiben  quid  quod Amaltheä,  quid  quod  Marpessia  clix.it 
und  hinter  sinu  in  70  ein  Fragezeichen  zu  setzen.  In  83  ist  zu  inter- 
pungicren:  laurus  ubi  bona  Bigna  dedit  (gaudett  coloni),  distendet  Bq., 
v.  no  zu  schreiben  iaeeo  cum  saucius  annum  et  faveo  morbo  (quin  iuvat 
ipse  dolor),  usque  sq.  Das  Gedicht  beginnt  mit  der  Berbeirufung  des 
Gottes  als  des  Zukunftkünders  und  endet  in  dein  prophetischen  Hinweis 
auf  des  jungen  Mcssalinus  einstigen  Triumph.  —  In  der  Deutung  der 
Priapuselegie  I  4  schliefst  sich  Leo  eng  au  Vahlens  meisterhalte 
Untersuchung  an.  Er  charakterisiert  das  Gedicht  als  "durch  Empfindung, 


344  Tibull.     Interpretation  von  I  4,  43—44 

Bilderfülle  und  einen,  von  der  elegisch  leidenschaftlichen  Schlufswendung 
eigentümlich  Überschatteten  keck  humoristischen  Grundzug  ausgezeichnet'. 
Das  Distichon  71 — 72  will  Leo  so  schreiben: 

Blanditiis  vult  esse  locum  Venus:  illa  querellis 
Bupplicibus,  miseris  Qetibus  illa  favet 

Bei   der  früheren  Fassimg,   da   der  Ton   auf   ipea   lag,    empfindet 
man  blanditiae  u.  s.  w.  als  etwas  Selbstverständliches,  etwas  das  bis  da- 
hin  schon  in  Rede  gewesen,    während  doch   die  bkmdüiat   querellae  /■ 
dem  materiellen  Liebespreise  gegenüber  gestellt  werden.     Die  schwieri- 
gen Verse  43—44  will  Leo  nach  den  Handschriften  so  schreiben: 

quamvis  praetexens  pieta  ferrugine  caelum 
venturam  admittat  nimbifer  arcua  aquam. 

1  Die  eintönige  Rostfarbe  des  Himmels  vor  dem  Regengufs  (/er- 
rugo)  wird  von  den  Farben  des  Regenbogens  bemalt;  der  Bogen  führt 
das  Wasser  heran  (admittat)  ganz  entsprechend  der  Beschreibung  Se- 
necas  Nat.  quaest.  I  6.  1  \  Die  Stelle  ist  vielbesprochen.  Vgl.  vor 
Allem  Haupt  opusc.  I  345.  Für  das  von  Ritschi  empfohlene  picea  tre- 
ten ein  Zingerle  Z.f.d.Ö.G  1879  S.  347.  Leonhard  S.  64.  Hiller 
Ph.  Anz.  XIV  32.  Illmann  S.  33.  Dagegen  Ehwald  Ph.  Anz.  XV 
587  verteidigt  ebenfalls  pieta  und  übersetzt:  'Der  Regenbogen,  der  die 
Rostfarbe  (des  Himmels)  bemalt  und  den  Himmel  verbrämt  (oder  um- 
säumt), führt  das  Wasser  heran'.  Demnach  soll  man  wohl  pieta  ferru- 
gine als  Abi.  abs.  fassen?  Für  das  in  dem  Sinne  Zuführen'  =  adferre 
sonst  nicht  nachweisbare  admittere  (Zingerle  Z.f.d.Ö.G.  1885  S.  99  = 
Kl.  Ph.  Abb.  IV  13  vermutet  dafür  alliciat,  Palmer  journ.  of  philol.  XV 
143  ineutiat.  Vgl.  Francken  Mnemos.  N.  S  VI  184)  spricht  übrigens 
die  Neigung  Tibulls  die  Wörter  im  ersten,  eigentlichen  Sinne  zu  ge- 
brauchen. Vgl.  Stehle,  de  Tib.  puri  serm.  poet  eultore  S.  62.  Für 
eurus  vergleicht  Zingerle  a.  0.  passend  Ov.  Heroid.  7,  42.  Aber  an 
der  Richtigkeit  von  arcus  lassen  doch  Stelleu  wie  Ov.  Metam.  I  270  nuntia 
Iunonis  varios  induta  colores  coneipit  Iris  aquas  alimentaque  nubibus  ad- 
fert  Prop.  IV  5,  32  purpureus  pluvias  cur  bibit  arcus  aquas  (vgl.  Passera- 
tius  ad  Prop.  S.  430)  kaum  zweifeln.  Daraus  folgt  wieder,  dafs  pieta 
in  den  Handschriften  ebenfalls  echt  ist.  Vgl.  die  von  Broukhusius 
gesammelten  Stellen.  Der  Begriff  des  Wortes  ferrttgo  ist  sehr  weit. 
Vgl.  noch  Ov.  Met.  13,  960  vwidem  ferrugine  barbam.  Auch  als  Syno- 
nym von  purpura  ist  es  nicht  selten.  Verg.  Aeu.  11,  772  peregrina 
ferrugine  clarus  et  ostro.  9,  581  pictus  acu  chlamydem  et  ferrugine  clarus 
Hibera  u  a.  Nun  kann  natürlich  ferrugo  auch  eine  düstere  dunkle 
Farbe  bezeichnen  (welcher  Nuancen  ist  z.  B.  auch  caendeus  fähig  1),  aber 
dann  erhält  es  einen  bestimmenden  Zusatz  wie  obscura,  atra  (vgl.  Cat. 
64,  227  carbasus  obscurata  ferrugine  Hibera  im  Gegensatze  zur  weifsen 


Tibull  und  Delia  nach  Leo.     Analyse  von  I  3.  345 

Farbe).  Umgekehrt  werden  hier  durch  das  Attribut  jnda  die  lebhaften 
Farben  des  Regenbogens  mit  einer  Deutlichkeit  bezeichnet,  die  nichts 
zu  wünschen  übrig  läfst.  Das  Verb,  praetexere  stünde  dann  genau  wie 
III  1,  11.  Aber  selbst  wer  an  der  Verbindung  picta  ferrugine  Anstofs 
nimmt  und  das  picea  der  Itali  einsetzt  braucht  darum  arcus  nicht  preis- 
zugeben. Tibull  konnte  sagen  arcus  praetexit  caelum  picea  ferrugine 
(obwohl  Haupt  es  für  unmöglich  erklärte).  Das  heifst  nach  dem  Sprach- 
gebrauche der  römischen  Dichter  einfach:  'Der  Regenbogen  steht  an 
dem  mit  schwarzen  Wolken  bedeckten  Himmel'.  So  wird  Gleichzeitiges 
und  in  inneren  Beziehungen  Stehendes  oft,  um  die  Darstellung  zu  be- 
leben, in  ein  kausales  Verhältnis  gesetzt.  Die  Beispiele  sind  unzählig. 
Vgl.  Ov.  Fast.  II  235.  Metam.  4,  108.  8,  709.  7,  528.  Prop.  III  20,  18 
Prop.  IV  11,  35  u.  a.  In  v.  28  bleibt  Leo  auch  nach  Vahlens  Einwendungen 
(Mouatsb.  1878  S.  348)  bei  Lachmanns  Erklärung  von  quam  cito  non 
segnis  stat  remeatqne,  dies  (Lucr.  S-  207):  quam  cito  non  stat  gehört  zu- 
sammen. Verglichen  wird  Prop.  II  9,  35,  zu  remeat  Senec  Phaedr.  315. 
('remeat  cum  post  noctem  redit').  —  In  dem  Kapitel  Tibull  und 
Delia'  spricht  Verf.  die  Ansicht  über  Delia  aus,  dafs  ihr  Vorbild  zwar 
ein  Wesen  von  Fleisch  und  Blut  ist,  in  den  Gedichten  aber  weder  ihre 
wirklichen  Verhältnisse,  noch  die  Momente  eines  Liebesverhältnisses  in 
ihrem  wirklichen  Verlauf  geschildert  sind.  Die  Delialieder  erwecken  in 
uns  (dies  gegen  0.  Korn  Rh.  Mus.  XXV  S.  518)  die  Vorstellung,  dafs 
Delia  frei  und  ledig  sei,  sie  sind  mithin  selbst  aus  dieser  Vorstellung 
heraus  gedichtet  .  .  .  Delia  hat  von  Tibull  nicht  viel  charakteristische 
Züge  erhalten.  Sulpicia  steht  leibhaftig  vor  unseren  Augen,  Lesbia- 
Clodia  desgleichen  .  .  .  Nemesis  hat  überhaupt  keine  persönlichen  Züge 
|?  Vgl.  dagegen  II  6,  29  f.  39  —  40].  Besonders  sei  noch  hingewiesen 
auf  die  Warnung  vor  dem  Hinübertragen  von  Erklärungsmomenten  aus 
einem  Gedicht  ins  andere,  dem  Erschliefsen  historischer  Daten 
aus  der  dichterischen  Fiction.  'Was  zum  Verständnis  eines  Ge- 
dichts nötig  ist,  das  bringt  der  Dichter  im  Verlauf  desselben  allgemach; 
wenn  er  Beziehung  des  einen  auf  das  andere  beabsichtigt,  so  giebt  er 
irgendwie  deutlich  zu  erkennen,  dafs  er  einen  Cyclus  dichtet.'  Verf. 
verzichtet  also  darauf,  den  Gedichten  historisch -chronologische  Kombi- 
nationen zu  entlocken  und  geht  zur  Analyse  der  einzelnen  Gedichte  über. 
—  I  3.  Der  Dichter,  krank  und  einsam  von  den  weiterziehenden  Kriegs- 
gefährten  auf  der  fremden  Insel  zurückgelassen,  hängt  den  Gedanken 
an  Heimat  und  Geliebte  nach  und  reiht  wie  im  matten  Fiebertraum 
traurige  und  tröstliche  Vorstellungen,  Erinnerungs-  und  Phantasiebilder 
aneinander  -  das  ist  die  dichterische  Fiction.  Denn  da  die  re- 
signierte Stimmung  sich  jedesmal  in  zuversichtlicheren  Tönen  auflöst, 
waltet  das  traurige  Element  nur  scheinbar  vor.  Thatsächlich  hinterlälsl 
die  Elegie  den  Kindruck,  in  glücklichem  Lebensgenuf s,  vielleicht 
im  Hinblick   auf  die  aberstandene  Möhsal   gedichtet   IQ  ->ein     In  v.  50 


346  Leo  zu  Tibull.     Analyse  von  I  1.  I  2. 

wird  gegen  die  Überlieferung  nunc  mare,  nunc  leti  mille  repentc  viae 
eingewendet,  das  für  caedes  ml, um  viae  zu  ergänzende  Verbum  gebe  bei 
mare  keinen  Sinn,  aufserdem  sei  repenU  anpassend,  weil  die  tausend 
Todes  wege  sich  all  m  ab  lieb  geöffnet  hätten;  es  Bei  daher  zu  lesen  nunc 
leti  mille  patentqm  viae  [Für  die  Menschen  des  goldenen  Zeitalters  war 
es  so  gut,  als  existierte  das  Meer  nicht,  da  Bie  nichts  von  Schiffahrt 
wufsten.  Über  das  zweite  Bedenken  vgl.  den  Ref.  Phil.  Wochenschr.  1883  Nr.  8 
Sp.  171].  An  diese  Kon.j.  knüpft  Leo  wertvolle  Bemerkungen  über  den 
irregulären  Gebrauch  von  que  bei  Tibull  (wie  in  [Hon  ardentes  respiceret- 
que  deos).  An  samtlichen  Stellen  gehtgu«  einem  den  Pentameter  schliefsen- 
den  jambischen  Worte  voraus.  Diese  Beobachtung  spricht  angeblich 
gegen  folgende  Lesarten:  I  5,  47  hoc  nocwtqiu  mihi  quod  adest  buic 
dives  amator  II  5 ,  68  Phyto  Graiaque  quod  monuit  I  10,  51  rusticus  e 
lucoque  vehit.  Mit  jeuer  Regel  stehen  I  4,  26  und  II  5,  53  nur  schein- 
bar im  Widerstreit,  denn  an  der  ersten  gereicht  das  entsprechende 
perque  zur  Entschuldigung,  an  der  zweiten  gehört  furtim  grammatisch 
freilich  nur  zu  iacentes,  aber  dem  Gedanken  nach  auch  zu  coneubüua. 
|Doch  vgl.  Stellen  wie  Ov.  Met.  VII  204.  X  144.  Heroid.  VI  91.  Na- 
mentlich an  der  letzten  Tibullstelle  I  10,  51  ist  es  doch  mifslich  zu  än- 
dern]. --  Es  folgt,  ebenfalls  im  Anschlüsse  an  Vahlen,  eine  Analyse  von 
I  1.  Man  kann  in  dem  Gedicht  zwei  Teile  unterscheiden.  Der  zweite 
beginnt  mit  dem  Distichon  45  —  46,  in  welchem  zuerst  die  Herrin  ge- 
nannt ist,  der  nunmehr  die  Herrschaft  über  die  Gedanken  des  Dichters 
verbleibt.  Die  gröTsere  Hälfte  des  Gedichtes  gliedert  sich  etwa  so: 
1—14;  15-  3«;  3711'.  In  15  trennt  sich  die  Variation  vom  Thema:  Der 
Gedanke  an  die  Götter  erinnert  deu  Dichter  an  die  Gaben,  die  er  jedem 
von  ihnen  bei  Gelegenheit  des  uun  beginnenden  neuen  Lebens  zu  bringen 
hat.  Was  im  Allgemeinen  und  ohne  Beziehung  auf  bestimmte  Zeit  und 
Verhältnisse  angedeutet  war,  wird  in  drei  einzelnen  Bildern  im  Hinblick 
auf  die  nächste  Zukunft  ausgeführt.  In  35  wird  die  Vermutung  Diet- 
richs hunc  ego  für  hie  ego  gebilligt:  'Es  kommt  nicht  auf  den  Ort  au, 
sondern  auf  die  Thatsache  der  Sühnung  und  zwar  der  Herde  vielmehr 
als  des  Hirten'.  [Über  I  l  handelt  neuerdings,  leider  anscheinend  ohue 
Kenntnis  der  Untersuchungen  von  Vahlen  und  Leo,  H.  T.  Karsten 
Mnemos.  N.  S.  XV  1887  S.  211  f.]  —  In  I  2  kommt  es  besonders  darauf 
an  die  Situation  richtig  zu  erfassen.  Weder  wird  der  Wein  an  die  Thür 
der  Geliebten  gebracht ,  noch  wechselt  die  Szenerie.  Richtig  bemerkte 
schon  Wunderlich:  'Recordatio  custodiae  saevae  et  ianuae  clausae  animum 
ita  accendit  amantis,  ut  ianuam  ipsam  alloquatur  seque  ante  eam  stare 
ringat'.  Er  ist  von  Delias  verschlossener  Thür  zu  den  Zechgenossen 
zurückgekehrt  (diese  werden  in  v.  3  aufgefordert  ihn  in  seinem  dumpfen 
Brüten  nicht  zu  stören).  Kaum  hat  er  den  Grund  seiner  Verzweiflung 
(posita  est  nostrae  custodia  saeva  puellae,  clauditur  et  dura  ianua  firma 
sera)  genannt,  so  fühlt  er  sich  durch  seine  lebhafte  Phantasie  wiederum 


Leo  zu  Tibull.    Analyse  von  I  2.  347 

vor  die  Thür  der  Geliebten  versetzt,  wiederum  vergeblich  klopfend, 
bittend  und  verwünschend  (v.  7 f.)-  Diese  Fiktion  dauert  ununterbrochen 
bis  v.  87  fort.  Unbegreiflicherweise  wollte  Vofs  mit  65  ein  neues  Ge- 
dicht anfangen.  Der  Zusammenhang  ist  vielmehr  folgender:  ....  Nun 
sollt'  ich  beten,  dafs  die  Liebe  von  mir  genommen  werde,  aber  non 
ego  totus  abesset  amor,  sed  mutuus  esset  orabam  nee  te  posse  carere 
velim  (63).  So  vereitelte  ich  die  Heilung,  die  mir  frei  stand,  aus  eige- 
nem Willen  noch  im  letzten  Moment  und  die  Liebe  ist  heftiger  als  zu- 
vor (vgl.  Ov.  Met.  XIV  24.  Catull  76,  23.  Tib.  IV  5,  13  Anth.  Pal.  V 
88).  Daran  schliefst  sich  65:  cIch  möchte  dich  nicht  entbehren  können. 
Der  hat  ein  eisernes  Herz,  der  dich  entbehren  kann  ,  selbst  um  reicher 
Beute  und  glänzenden  Kriegsruhms  willen',  {llle  meint  nicht  eine  be- 
stimmte Persönlichkeit.  Gedanke:  'Der  mufste  eisernen  Sinnes  sein, 
der  es  vermocht  hätte'  u.  s.  w.).  Mit  v.  86  ist  die  Fiktion  zu  Ende. 
Man  glaubt  zu  sehen,  wie  der  Dichter  aus  seinem  wüsten  Traum  er- 
wachend  auffährt  und  sich  im  Kreise  der  lachenden  Zechgenossen  findet: 

at  tu,  qui  laetus  rides.  mala  nostra,  caveto 
mox  tibi:  non  uni  saeviet  usque  deus. 

Der  mit  v.  87  beginnende  Schlufsteil  greift  offenbar  auf  die  Situation 
des  Anfangs  zurück.  Von  Einzelheiten  ist  hervorzuheben  in  v.  7  die 
Interpunktion  ianua  difficilis,  domini  te  verberet  imber,  rso  dafs  domini 
erst  durch  Jovis  seine  nähere  Bestimmung  erhält'.  Unwahrscheinlich, 
trotz  Ov.  Met.  8,  173.  Ref.  hat  früher  a.  0.  (Santen  ist  ihm  darin,  wie 
er  jetzt  findet,  vorangegangen)  vorgeschlagen  dominae  als  Dativ  zu  fassen 
und  hält  daran  trotz  des  Widerspruchs  von  Illmann  (de  Tibulli  codicis 
Ambrosiani  auetoritate  S  63)  fest.  Delia  erscheint  ja  doch  als  scharf 
bewachte  Gefangene  in  diesem  Gedichte  vgl.  5,  15,  31.  Gerade  nach 
5  —  6  scheint  diese  Erklärung  möglich.  Das  Distichon  87  88  schreibt 
Leo  so: 

at  tu,  qui  laetus  rides  mala  nostra,  caveto: 
mox  tibi  —  non  in  noa  saeviet  usque  deus. 

Hierin  ist  das  elliptische  mox  tibi  sehr  ansprechend.  Dagegen  scheint 
in  uns  keine  Verbesserung  des  exquisiten  und  dem  überlieferten  unu.« 
viel  näher  stehenden  uni  der  Itaii.  Für  I  5  ist  es  entscheidend,  wel- 
chen Sinn  man  der  Schlufswendnng  beilegt.  Unter  dem  <ini<l<un  v.  71 
haben  Ovid  trist.  II  460  u.  a.  den  Dichter  selbst  verstanden.  Nicht 
richtig.  Ein  solches  Gebahren,  in  wegwerfendem  Tone  geschildert,  kommt 
nicht  dem  Dichter  zu,  sondern  dem  Wüstling,  der  keine  röhrenden  Lieder 
hat,  aber  Gold  um  den  Einlafs  zu  erkaufen.  Der  Dichter  sagt:  "Nur 
Gold  öffnet  die  Pforte;  du  wirst  verdrängt  werden  wie  ich:  Bchoo  wartet 
ein  anderer  nicht  vergeblich«  d.  Ii.  einer  der  plena  manu  anklopfen  wird, 
ein  dritter.    Es  ist  das  alte     »bald    kommen   ihrer   meine   dran.t      \ 


348  Leo  zu  Tibull.     Analyse  von  I  6. 

glichen  wird  Ilor.  cpod.  15,  17.  Prop.  II  9,  1.  V.  00  donis  viucitur  om- 
ii is  amor  wird  mit  Lachniann  erklärt  Gold  tötet  die  Liebe'.  In  47  geht 
haec  nocuere  mihi  |=  Ov.  Metatn.  '.i,  618]  auf  Deliae  Reize;  quodramator 
gehört  zum  folgenden  venu  in  exitium,  welches  die  Steigerung  zu  nocuen 
bildet  [quod  soll  also  wohl,  wie  auch  ans  der  beigefügten  griech.  Dber- 
setzung  ei  hervorgeht,  =  'was  anbetrifft,  dafsJ  sein].  V.  66  pauper  ad 
oecultos  furtim  deducet  amicoa  d.  h.  der  Arme  hat  auch  den  Vorzug,  dal'-, 
seine  Freunde  nicht  in  prunkender  Öffentlichkeit  ihre  Gelage  halten; 
in  meiner  Verborgenheit  entgehst  du  dem  Gerede.  In  11  wird  das  ter 
der  Itali  (in  dreimaligem  Umgange'  coli.  Verg.  Aon.  VI  229)  geschützt, 
ebenso  42  das  überlieferte  et  pudet  et  norrat  coli.  Ovid.  am.  III  7,  84. 
Petron.  S.  182,  13  B.  [zur  Redeform  vgl.  noch  Ov.  Met  XIV  279 
pudet  et  referatn],  —  Am  wenigsten  gelungen  scheint  die  Analyse  von 
I  6:  'Des  Dichters  Stimmung  ist  mutwillig,  sein  Ton  leicht  und  von  der 
Art  wie  man  Hetären  besingt.  Der  Ernst  ist  ironisch  und  der  Scherz 
frivol.  Keine  Äufserung  wahren  Gefühls  begegnet:  in  der  Eifersucht  zu 
Anfang  ist  weder  Grimm  noch  Schmerz,  in  dem  Liebespakt  am  Schlufs 
keine  sehnsüchtige  Hoffnung'.  Damit  wollen  sich  doch  die  Schlufsworte 
»os,  Delia,  amoris  exemplum  cana  simus  uterque  coma  gar  nicht  recht  ver- 
einigen lassen.  Unklar  ist  auch  die  Rolle,  welche  Verf.  die  alte  Kupp- 
lerin, 'das  süfse  Mütterchen',  in  diesem  Gedichte  spielen  läfst.  Tritt 
Delias  Mutter  und  die  Kupplerin  oder  nur  eine  von  Beiden  auf?  Nach 
Leos  Äufserungen  auf  S  21  mül'ste  das  Erstere  der  Fall  sein  ('So  hat 
Delia  im  6.  Gedicht  eine  Mutter,  die  ihr  den  Dichter  heimlich  zuführt, 
eine  wirkliche  Mutter:  sanguis  est  tarnen  lila  tuus').  Und  doch  ist  es 
unmöglich  beide  auseinander  zu  halten.  Wie  kann  in  57  tua  matcr  mc 
movet  auf  die  Mutter  gehen,  das  folgende  iras  aurea  vincit  anus  auf  die 
Kupplerin?  Auch  das  folgende  (vgl.  63  dulcis  anus)  bezieht  sich  also 
auf  die  Kupplerin,  ihr  will  der  Dichter  die  eigenen  Lebensjahre  zulegen 
(v.  64).  Aber  in  65  soll  ohne  jeden  Übergang  und  ohne  jede  Nuance 
des  Tones  wieder  die  Mutter  angeredet  werden  (65  natamque  tuam,  66 
sanguis  est  tarnen  illa  tuus),  die  Mutter  soll  ihre  Tochter  zur  Keuschheit 
erziehen.  Das  geht  doch  nicht.  Die  mater  und  die  aurea  anus  sind 
offenbar  identisch:  es  ist  lediglich  von  Delias  Mutter  die  Rede.  Dar- 
aus folgt  wiederum,  dafs  Leos  obige  Charakteristik  des  Gedichtes  nicht 
richtig  ist.  Sie  pafst  auf  den  ersten  Teil  bis  55.  Dann  aber  gewinnen 
wieder  weiche  zärtliche  Empfindungen  in  der  Brust  des  Dichters  die 
Oberhand.  —  Aus  dem  schönen  Schlufsabschnitte  'Zur  Beurteilung 
Ti bull s'  seien  noch  folgende  Sätze  hervorgehoben  '.  .  .  Der  Hörer  hat 
jedesmal  den  Eindruck  unmittelbarer  Gefühlsäußerung.  Diese  Wirkung 
wird  wesentlich  erzielt  durch  die  im  Verlaufe  meiner  Erörterungen  mehr- 
fach hervorgehobene,  Tibull  ganz  eigene  Neigung,  träumerisch  einem 
Gedanken  ,  einer  Empfindung  nachzuhängen  und  nun  wie  willenlos  von 
der  Phantasie  getragen  weiterzudichteu    bis  zum  plötzlichen   Erwachen 


Maate  über  die  Sibylle  bei  Tibull  II  5,  19  f.  349 

oder  allmählichen  Verfliegen  der  Traumbilder' .  Vgl.  jetzt  H.  T.Karsten, 
De  Tibulli  Elegiarum  structura  Mnemos.  N.  S.  XV  (1887)  21lf. 
XVI  3  9  f. 

Es  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  dafs  gerade  die  besten  Teile  der 
Abhandlung,  die  feinen  Bemerkungen  über  Tibullische  Poesie,  über  An- 
lage, Gedankengang  und  Ton  der  einzelnen  Gedichte  in  obiger  Skizze 
am  schlechtesten  wegkommen  mufsten.  Sie  hat  ihren  Zweck  erfüllt, 
wenn  sie  der  vortrefflichen  Arbeit  zahlreiche  Leser  zuführt. 

196.     E.   Maafs,    Tibullische   Sagen,    Hermes  XVIII   S.   321 
bis  342  (ib.  S.  480). 

Verf.  handelt  in  dieser  sehr  scharfsinnigen  und  lehrreichen  Unter- 
suchung über  Fälle,  wo  die  Mythologie  des  sonst  so  einfachen  Tibull 
Buchgelehrsamkeit  und  nicht  Volksreligion  ist,  wo  er  also  dem  spezifi- 
schen Charakter  der  hellenistischen  Poesie  ganz  nahe  kommt.  Dabei 
sei  sehr  wohl  möglich,  dafs  der  Dichter  von  dem  wirklichen  Ursprung 
der  fraglichen  Sagen  nichts  ahnte,  die  primären  Quellen  für  jene  Rari- 
täten nicht  kannte,  dafs  er  vielmehr  eine  Hypothesensammlung  oder  ein 
mythologisches    Handbuch  benutzte.  II  5,  19  sq.   heifst  es  von  der 

Sibylla:  Haec  dedit  Aeneae  sortes,  postquam  ille  parentem  dicitur  et 
raptos  sustinuisse  lares:  nee  fort  crethbat  Romam,  cum  maestus  ab  alto 
Ilion  ardentes  respiceretque  deos.  Romulus  aetemae  nondutn  formaverat 
urbis  moenia.  Die  Verse  20  —  21  können  sich  nur  auf  den  Moment  be- 
ziehen, wo  Aeneas  von  der  troischen  Küste  abfährt.  Wenn  er  also  vom 
Meere  auf  das  brennende  Ilion  zurück  schauend  nicht  glaubte,  dafs  Rom 
entstehen  werde,  so  folgt  aus  diesem  Unglauben,  dafs  er  vorher  (noch 
in  Troas  selbst)  von  der  Sibylle  die  auf  Roms  Gründung  bezüglichen 
Orakel  erhalten  hat;  sie  sind  es  eben,  denen  er  beim  Anblick 
der  brennenden  Stadt  raifs traut.  Leos  Konj.  Troiam  für  Romain 
(Über  einige  El.  Tibulls  S.  11)  befriedigt  nicht:  statt  'er  glaubte  nicht, 
dafs  Troja  entstehen  werde'  müfste  es  heifsen  'wieder entstehen  werde'. 
Daraus  folgt  (was  auch  die  grammatische  Interpretation  von  19-20 
wahrscheinlich  macht),  dafs  als  Ort  der  Weissagung  Troas,  als 
Moment  die  Abfahrt  von  der  troischen  Küste  zu  denken  ist. 
Die  Sibylle  ist  also  die  troische  (Herophile  aus  Marpessos),  nicht 
die  kumanische  am  Avernersee.  f  Vgl.  übrigens  schon  Heyue  z.  St.]. 
Jene  verdankt  ihre  Entstehung  lediglich  dem  Lokalpatriotismus  des  De- 
metrius  aus  Skepsis  in  Troas  (Maafs,  de  Sibyll.  ind.  8.  22f.]  und  wird 
weil  sie  ipu&pa/a  (von  dem  troischen  Dorfe  ipv&pi)  Mapmjffaöe)  und 
Herophile  heifst,  von  Dionys  I  55  mit  der  älteren  Sibylle  Ilero- 
phile  aus  der  ionischen  Stadt  Erythrae  verwechselt  (was  ja  De- 
metrius  gerade  bezweckte).  Aber  mit  Aeneas'  Fahrt  Dach  Italien  und 
vollends  mit  der  Gründung  von  Laviniiun  und  Koni  hatte  die  troische 
Sibylle  des  Demetrius  noch   nichts   zu  schaffen,   denn   nach   seiner  Dar- 


350  Maars  über  die  Sibylle  bei  Tibull  II  5,  19  f. 

Stellung  wanderte  Aencas  gar  nicht  aus,  sondern  regierte  ruhig  in  Skepsis 
fort.  Trotzdem  findet  sich  die  Verknüpfung  der  troischen  Sibylle  mit 
der  Gründung  Roms  aufser  bei  Tibull  noch  bei  drei  unabhängigen  Zeu- 
gen :  1)  eben  bei  Dionys  I  55.  2)  bei  Liv.  I  1,4  wird  erzählt.  Aeneas 
sei  von  Sicilien  direkt  nach  Latium  gesegelt.  |  Aus  dem  Schweigen 
über  die  Befragung  der  kamanischen  Sibylle  und  Livius'  sonstiger  Über- 
einstimmung mit  Dionys  wird  also  gefolgert,  auch  nach  seiner  Auffassung 
sei  die  Sibylle  bereits  in  der  Troas  befragt.  Ist  dieser  Schlufs  aber 
ohne  Weiteres  berechtigt?].  3)  Zu  Hom.  T  307  bemerkt  ein  Scholion 
des  Townleianus :  .  .  .  ol pkv  dtä'Pwfiaeoue  <pa(ji\>,  Susp  eldivai  zbv  map 
ri)v  ix  t<ov  StßüXhjs  xpyopwv,  und  von  demselben  Verf.  herrührend 
heifst  es  zu  A'  460  dtä  touto  luefi^vtev  Alvettfa  ii6rt  napd  tüu  w3v  ftdv- 
■zewv  r,xo>jocv,  äig  fierä  rrtv  äÄcomv  vife  Tpotas  fiiXXet  x-lao.'.  nöhv.  (An 
die  kumanische  Sibylle  hier  zu  denken  verbietet  einmal  die  Chrono- 
logie -  sie  lebt  400  Jahre  nach  Trojas  Fall  -  und  zweitens,  die 
Situation:  Priamus  hat  sie  selbst  befragt,  und  Priamus  hat  in  Italien 
nichts  zu  schaffen).  Alle  diese  Darstellungen  gehen  also  direkt  oder 
indirekt  auf  denselben  Autor  über  römische  Gründuugsgeschichte  zu- 
rück. Verf.  kommt  dann  durch  Kombination  verschiedener  Indizien  zu 
dem  Resultate,  dafs  der  Autor,  auf  den  die  vier  identischen  Berichte 
zurückgehen  (den  übrigens  Tibull  direkt  schwerlich  benutzt  hat),  zu 
suchen  ist  in  Sullas  Freigelassenen  L.  Cornelius  Alexander  mit  dem 
Beinamen  Polyhistor  aus  Milet  (er  ist  Anhänger  des  Krates,  er  hat 
nachweislich  das  Werk  des  Demetrius  benutzt;  sein  Buch  Über  Rom' 
ist  auch  sonst  von  Livius  und  Dionys  verwertet).  Nun  zählt  freilich 
Tibull  v.  67  —  70  noch  vier  Sibyllen  auf,  die  von  der  in  v.  15  f.  weissagen- 
gen Prophetin  offenbar  zu  unterscheiden  sind.  Und  doch  ist  die  unter 
diesen  vier  auch  Marpesia  Herophile  genannt,  die  eben  mit  der 
troischen  Sibylle  identisch  ist.  Diesen  Widerspruch  mufs  man 
einfach  anerkennen.  Es  gab  zwei  Sibyllen  namens  Herophile, 
beide  haben  auch  die  Bezeichnung  Erythraea:  die  eine  von  Erythrae, 
die  andere  (die  troische)  von  ipu&py  Mapnrjaaog.  Der  Dichter  hat  in 
v.  67  beide  verwechselt.  Er  mochte  in  seiner  Quelle  etwa  finden  Hero- 
phile erythraea  Marpessi  natu  und  dachte  dabei,  wie  es  Jedem  ergehen 
würde,  der  von  der  Zugehörigkeit  des  obskuren  Dorfes  Marpessus  zur 
Troas  nichts  weifs,  an  die  allbekannte  und  hochberühmte  Hero- 
phile aus  Erythrae  in  Jonien  (es  wäre  ja  auch  sehr  auffallend, 
wenn  gerade  diese  bei  Tibull  nicht  erwähnt  würde).  Alle  diese  Aus- 
führungen sind  ungemein  plausibel.  Den  Ref.  hält  nur  noch  ein  letztes 
Bedenken  ab  rückhaltslos  beizustimmen.  Wie  passen  die  Verse  15  bis 
16  te  duce  Romanos  numquam  frustrata  Sibylla,  abdita  quae  senis  fata 
canit  pedibus,  zu  der  obskuren  troischen  Prophetin,  die  doch  nur  ein- 
mal in  einer  entlegenen  Sage  mit  Roms  Gründung  in  Zusammenhang 
gebracht  wird?  — 


Maars  zu  Tibull  II  1,  57—58.  351 

Die  zweite  Sage  findet  Maafs  in  der  ersten  Elegie  des  zweiten 
Buches,  wo  auf  57  —  58  huic  dalus  a  pleno,  memorabile  munus,  ovili  dux 
pecoris  die  verderbten  Worte  Mrcus  auxerat*)  hircus  oves  folgen.  In  die- 
sen sucht  Maafs  die  Begründung  des  Vorhergehenden,  fragt: 
"Was  also  hat  der  Bock  verbrochen,  dafs  er  es  sich  gefallen  lassen  mufs, 
als  Preis  für  tragische  Siege  zu  dienen?'  und  beantwortet  die  Frage 
mit  dem  Hinweis  auf  Hyginus  Astron.  II  4.  Varro  bei  Diomedes  III 
487  Keil.  Vergilius  Georg.  II  376  f.  Ovid  Fast.  I  353.  (Vgl.  außer- 
dem Ov.  Metam.  XV  114  vite  caper  morsu  Bacchi  mactatus  ad  aras  und 
Martial  III  24;  memorabile  munus  wie  Metam.  XIV  225].  In  den  Worten 
mufs  also  der  Gedanke  stecken  'der  Bock  hatte  die  Reben  abge- 
fressen'. Hiernach  vermutete  Maafs  anfänglich:  vites  hauserat  hircus 
olens,  obwohl  er  selbst  das  Beiwort  ölena  als  müßig  bezeichnet.  [Es  ist 
sogar  störend].  In  einem  Nachtrage  wird  dann  eine  Konj.  von  Robert 
und  Knaack  vites  roserat  ille  novas  für  den  einzigen  sachlich  wie  for- 
mell befriedigenden  Herstellungsversuch  erklärt.  —  Es  leuchtet  ein,  dafs 
der  Wortlaut  dieser  Dreimännerkonjektur  keinen  Anspruch  auf  Proba- 
bilität  hat:  vier  Änderungen  in  vier  Worten!  Anderseits  wird  man  ein- 
räumen (trotz  Baehrens  Jahrbb.  1883  S.  862),  dafs  eine  solche  Be- 
ziehung auf  die  gangbare  Sage  ganz  wohl  am  Platze  war.  Aber  nötig 
ist  sie  nicht.  Aufserdem  ist  das  kausale  Verhältnis  zwischen  den  Sätzen 
'der  Laudmann,  welcher  den  Festreigen  geführt  hatte,  erhielt  als  Be- 
lohnung einen  Bock,  weil  der  Bock  die  Reben  benagt  hatte'  ebenso 
undeutlich,  wie  es  deutlich  ist,  wenn  man  sagt  der  Bock  wurde  an 
Bacchus'  Altare  geschlachtet,  weil  er  die  Reben  benagt  hatte*.  Vgl.  die 
oben  citierten  Stellen  aus  Ovid  und  Martial.  Maafs  tadelt  an  Waarden- 
burgs  Konj.  curtas  auxerat  hircus  oves  die  i)latte  Selbstverständlichkeit'. 
Aber  Waardenburg  schrieb  opesl  So  sagt  der  Zusatz  curtas  .  .  .  opes 
sehr  deutlich,  warum  der  Bock  memorabile  munus  heifst :  er  ist  ein  wahrer 
Schatz  für  den  Landmann  und  wird  auch  den  Empfänger  reich  machen. 
(Ref.  bekennt,  dafs  ihm  Hillers  Interpunktion  nicht  recht  verständlich 
ist).  Waardenburgs  Konj.  erscheint  daher  immer  noch  am  erträg- 
lichsten -  ut  in  re  dubia.  Gegen  vites  roserat  ille  novas  polemisiert 
Baehrens  a.  0.     Vgl.  oben  S.  288. 

197.    J.  Ricmann,  De  compositione   strophica  carminum 
Tibulli.     Koburger  Progr.  1878.  1(5  S.  4. 

Priens  Strophentheorie  (die  Symmetrie  und  Responsion  der  Köm. 
Elegie.   Lübeck.   1867  und  N.  Jahrbb.  101,  6S9f.)  bewährt  sich  bei  ge- 

*)  Denn  auxerat  nicht  hauserat  (wie  Maats  will)  ist  die  La  ,  v.m  der  man 
ausgehen  mufs.  Wenn  im  Ambrosianus  Dach  Millers  Angaben  stein  'mu-erat 
corr  ex  hauxerat\  so  ist  hauxerai  in  mittelalterlicher  Orthographie  weiter 
nichts  als  auxerat.  Vgl.  des  Ref.  Studien  zu  Ov.  Metam  3.  17.  Bfi 
ist  klar,  dal's  auch  durch  diese  Erwägung  die  (i lau  1» würdigkeil  der  VOO  MaaK 
von  Robert  und  von  Knaack  vorgeschlagenen  Konjekturen  sehr  vermindert  wird. 


352  Tibull.     liesponsion.     Deliaelegieen. 

naueror  Prüfung  nirgends.  Auch  Bubendey  ^uaestiones  Tibullianae 
Bonn  ih<;4  gehen  in  der  Annahme  einer  durchgeführten  ßeeponsion  viel 
zu  weit.  |  Bubendey  selbst  äufsert  sich  übrigens  in  seiner  Abb.  die 
Symmetrie  der  römischen  Elegie,  Hamburg,  187G  viel  besonnener 
als  in  seiner  Dissertation |.  Das  Resultat  des  Verf.  (  S.  16;  'quamquam 
negari  non  potest,  interdum  hanc  Tibullnm  in  componendu  carminibus 
rationem  secutum  esse,  ut  sententia  sententiae  pari  versuum  Domero 
responderet,  tarnen  cum  in  nullo  carmine  aequabilitas  per  omnes  partes 
servata  sit,  ex  ea  re  certam  ac  manifestam  compositionis  legem  colli- 
gendam  esse  nego'  ist  richtig,  vou  Leo  aber  (a.  0.  S.  IG)  wohl  in  tref- 
fendere Worte  gekleidet.  Vgl.  auch  des  Ref.  Bern.  Jahresb.  d.  Phil. 
Ver.  IV  109.  Folgende  Gedichte  werden  kritisch  besprochen.  I  l.  Pri  cns 
Athetescu  von  7—8,  33—34  gut  abgewiesen,  IJ  aases  Transposition  von 
25  —  34  hinter  6  mit  Unrecht  gebilligt.  Dafs  Priens  und  Bubendeys 
Theorieen  sich  nicht  durchführen  lassen,  wird  sodann  nachgewiesen  durch 
Analyse  von  I  5  (Bubendeys  Athetese  von  45  40  widerlegt),  17,  II  1, 
IV  2,  IV  3,  IV  6. 

198.  0.  Ribbeck,  Über  die  Deliaelegieen  bei  Tibull.  Rh. 
Mus.  32  (1877),  445-449. 

199.  G.  Goetz,  Zu  den  Deliaelegieen.  Rh.  Mus.  33  (1878), 
145-150. 

Beide  Gelehrte  behandeln  die  Frage,  in  welchen  Gedichten  Delia 
verheirathet  erscheint,  in  welchen  ledig,  und  versuchen  ihre  Ergebnisse 
für  die  Fixierung  der  chronologischen  Reihenfolge  in  den  Delialiedern 
zu  verwerten.  Vgl.  aus  der  früheren  Litteratur  über  dieses  Thema  Lach- 
mann: Über  Dissens  Tibull  Kl.  Schriften  S.  151  f.  0.  Korn  Rh. 
Mus.  25,  518.  Baehrens  Tib.  Bl.  S.  16f.  Ribbeck  weist  u.  a.  darauf 
hin,  dafs  in  die  Situation  am  Schlüsse  von  I  3  eine  verheiratete 
Delia  nicht  passe.  Dafs  Delia  in  I  2  dagegen  wirklich  verheiratet 
sei,  folge  aus  41  coniunx  Ums.  Der  ferreus  ille  in  65  f.  sei  aber  nicht 
der  Gatte,  sondern  ein  früher  begünstigter  Rival  [Unrichtig,  vgl.  Leo 
S.  37].  In  der  fünften  Elegie  sieht  Ribbeck  ein  rührendes  Gegenstück 
zur  dritten:  hier  der  Dichter  selbst  schwer  erkrankt,  an  der  Schwelle 
des  Todes  von  der  Wonne  des  Wiedersehens  träumend;  dort  um  das 
Leben  der  Geliebten  besorgt,  ihre  Genesung  erflehend  und  in  Bildern 
künftigen  Glückes  schwelgend.  Das  Endresultat  ist:  Nur  die  zweite 
und  sechste  Elegie  gehören  der  verheirateten  Delia.  Diese 
Ansicht  ist  jetzt  wohl  die  herrschende,  entspricht  auch  der  fingierten 
Situation  am  besten.  Doch  mufs  man  sich  einerseits  hüten  aus  der  Fik- 
tion Schlüsse  auf  die  Wirklichkeit  zu  ziehen,  anderseits  sind  die  in  I  2 
und  6  geschilderten  Situationen  auch  verständlich,  wenn  wir  in  dem 
coniunx  (I  2,  41)  den   Liebhaber  sehen,  der  Delia  unterhält,  vou  dessen 


Tibull      Delialipder.     Priapuselegie.  353 

Gnade  sie  lebt.  (Vgl.  noch  Riese  N.  Jahrbb.  1872  S.  747— 756).  Auch 
sonst  liest  Ribbeck  bisweilen  mehr  ans  den  Worten  des  Dichters  heraus 
als  darin  steht.  Aus  I  5,  39  saepe  aliam  tenui  folgert  er  z.  B.:  Län- 
gereZeit  mufsdas  discidium  gedauert  haben,  wenn  der  Dichter 
oft  versucht  hat  sich  iu  den  Armen  einer  Andern  zu  trösten'.! 

Goetz  stimmt  im  Wesentlichen  Ribbeck  bei  und  beschäftigt  sich 
mit  der  Chronologie  von  2  und  6.  In  beiden  Gedichten  erscheint  Delia 
verheiratet,  in  den  andern  nicht;  die  Annahme  liegt  mithin  nahe,  dafs 
diese  Gedichte  die  letzten  seien.  Aber,  fragt  er,  ist  die  umgekehrte 
Annahme  so  ganz  undenkbar,  dafs  der  Dichter  seine  Liebe  der  ver- 
heirateten Delia  widmete,  die  später  frei  wurde,  sei  es  durch  das  Gesetz 
des  Staates  oder  der  Natur?  Wie  konnte  der  Dichter,  wenn  die  3.  Elegie 
vor  der  zweiten  gedichtet  ist.  dermafsen  sein  eigenes  Verschulden  igno- 
rieren, dafs  er  einem  Andern  (2,  65  f.)  Vorwürfe  macht  für  eine  That, 
die  er  ebenfalls  begangen  hatte?  [Gewi  'onnte  er  das.  Die  Antwort 
ist  I  4,   21  —  22   zu  lesen].     Aus  6,5-  "d  gefolgert,    dafs  6  vor  5 

gedichtet  sei.  Einem  Abschiedsliede  sieht  angeblich  Elegie  6  durchaus 
nicht  ähnlich.  Goetz  ist  also  entschieden  der  Ansicht,  Tibull  habe  die 
verheiratete  Delia  kennen  gelernt  und  mit  ihr  ein  Liebesverhältnis 
angeknüpft,  das  aber  durch  die  Wachsamkeit  des  Gatten  gestört  wird 
u.  s.  w.  —  Gegenüber  diesen  Ausführungen  warnt  Leo  a.  0.  S.  23  mit 
Recht  vor  dem  Hinübertragen  von  Erklärungsmomenten  aus  einem  Ge- 
dicht ins  andere ,  dem  Erschliefsen  historischer  Daten  aus  der  dichte- 
rischen Fiktion. 

200-     E.  Hübn  er,  Die  Priaposelegie  des  Tibullus.  Hermes 
14   (1879),   307-312. 

Verf.  verwirft  mit  Recht  jeden  der  zahlreichen  Umstellungsversuche 
und  sucht  einzelne  Argumente  Ritschis  zu  entkräften.  Der  Titius  in 
73  und  74  ist  nicht  ein  beliebiger  N.  N.,  sondern  ein  Freund  des  Dich- 
ters und  selbst  ein  Dichter,  nämlich  der  von  Horaz  epist.  I  3,  9  als 
Romana  brevi  venturus  in  ora  gepriesene  Titius.  So  erst  erhalte  v.  60 
Pieridas,  pueri,  doctos  et  amate  poelos  seine  richtige  Beziehung.  Sed 
in  v.  15  soll  nicht  anknüpfen  an  9—10,  sondern  an  das  unmittelbar 
vorhergehende  Uli  Virgineus  teneras  s/m'  pudor  ante  genas.  An!  diesen 
Schamhaften  bezieht  sich  primo  forte  rt>;/n/,it.  Mit  Recht  bemerkt  da 
gegen  Vahlen,  Über  zwei  Elegicen  des  Proper  Uns  Sitzungsber. 
(1.  Herl.  Akad.  S.  267:  'Es  war  kein  glücklicher  Erklärungsversuch, 
den  mit  Sed  eingeführten  Gegensatz  an  das  letzt  vorangegangene  "t  Uli 
(jenas,  das  nur  ein  Glied  ist  in  der  geschilderten  Mannigfaltigkeil  der 
Reize  der  Knaben,  anzuschliefsen ,  wie  wenn  es  Bicfa  nin  diesen  allein 
und  nicht,  wohin  gleicherweise  Frage  des  Dichters  und  Antwort  des 
Gottes  zielte,  um  Gewinnung  der  Knaben  überhaupt  gehandelt  hätte'. 
Der  Gedanke  wird  von  Vahlen  so  fixiert:  Lafs  dich  mit  Knaben  nicht 

Jahresbericht  für  A.lUrthamawlssenaoh»il  LI,  (iss;    II). 


354  I  ibnll.     Die  Priapusele<ne. 

ein.  Wenn  aber  doch  (eed,  wofür  Valilen  früher  Monatsb.  1878  S.  347 
$in  lesen  wollte),  so  möge,  wenn  einer  nichl  gleich  Bich  fügt,  nicht  Dber 
drufs  dich  beschrieben '.  -  Bitschi  wollte  an  \  20  den  v.  27  eti 
tardueris,  errabiei  trottetet  aetat  anscbliefsen.  Dadurch  entsteht  Dach 
Hühner  ein  förmlicher  Widerspruch :  17  20  malen  eindringlich  den  vom 
Warten  sicher  zu  erhoffenden  Erfolg,  darauf  kann  nicht  unmittelbar  der 
Gedanke  folgen:  Aber  wenn  du  dich  aufs  Zögern  legst,  wirst  du  zu 
nichts  kommen.  In  80  wird  domum  statt  des  überlieferten  eenem  als 
Konj.  Scaligers  empfohlen.  Aber  lempue  erü  weht  entschieden  auf  eine 
ferne  Zeit.  Auch  zeichnet  uns  eenem  ein  Bchöne9  Bild:  der  greise,  ge- 
reifte, lebenskluge  Lehrer  der  Weisheit  umgehen  von  andächtig  lau- 
schenden Jüngern.  Die  Konj.  domum  ist  übrigens  von  Santen.  Gegen 
sie  äufsert  sich  auch  Lachmann  Kl.  Sehr.  S.  46. 

201.   Westphal,  Über  Ritschis  Umstellungen  in  der  vier- 
ten Elegie  des  Tibull.    Cöslin.   1880.    9  S.  4.    Progr. 

Der  Aufsatz  ist  ohne  Kenntnis  von  Vahlens  Abb.  in  den  Monats- 
ber.  1878,  343—356  (vgl.  oben  S.  168)  geschrieben.  Man  darf  das  be- 
dauern, auch  einräumen,  dafs  von  Vahlen  und  später  von  Leo  mancher 
Punkt  schärfer  und  heller  beleuchtet  ist,  und  doch  seine  Freude  haben 
an  den  verständigen  Ausführungen  des  Verf.,  die  im  Wesentlichen  zu 
durchaus  richtigen  Ergebnissen  führen.  1)  Die  überlieferte  Reihenfolge 
ist  tadellos.  In  v.  15  ist  hinter  sed  ein  Gedankenstrich  zu  setzen  als 
Andeutung  der  elliptischen  Rede:  Hüte  dich  vor  den  Knaben;  aber  — 
wenn  du  meinem  Rate  nicht  folgen  willst,  so  wisse,  alle  sind  zu  fangen 
u.  s.  w.'  [Der  richtige  Sinn  ist  getroffen,  aber  der  Gedankenstrich  kein 
glücklicher  Notbehelf;  s.  Vahlen  Sitzungsber.  1882,  267  =  S.  7J.  Zur 
Anknüpfung  der  speziellen  Vorschriften  21  26,  an  die  allgemeinen  in 
15—20  wird  bemerkt:  'Wie  in  einem  musikalischen  Satze  das  Haupt- 
thema zeitweise  zurücktritt,  dann  variirt  wiederkehrt,  um  abermals  zu 
verschwinden,  so  auch  in  der  Poesie  des  TibulT.  Der  Zusammenhang 
ist:  Lafs  dich  nicht  vom  Überdrufs  befallen,  sondern  sei  geduldig  und 
scheue  keinen  Weg,  der  dich  ans  Ziel  führen  kann;  trage  nicht 
einmal  Bedenken  zu  schwören  u.  s.  w.  Mit  v.  56  ist  der  Gott  mit  sei- 
nen Lehren,  was  recht  und  erlaubt  ist,  zu  Eude.  Durch  die  Antithese 
im  Folgenden  will  er  seine  Vorschriften  als  die  einzig  löblichen  her- 
vorheben gegenüber  den  verderbten  Sitten  der  Zeit.  [Mehr  über  die- 
sen Punkt  bei  Leo  a.  0.  S.  17—18].  Dafs  aus  den  Worten  des  Pria- 
pus  hier  überall  des  Dichters  eigene  Gedanken  hervorbrechen,  darf  man 
einräumen,  -  wenn  man  will,  auch  tadeln  (Nicht  einmal  dies!  Vgl.  Leo 
a.  0.:  Der  Humor  liegt  schon  in  der  Fiction  des  Gedichtes'  u.  s.  w.], 
aber  nicht  deswegen  die  Anordnung  der  Verse  ändern.  Die  wehmüthi- 
gen  vv.  35-38,  welche  Ritschi  unangetastet  liefs,  passen  ganz  ebenso- 
wenig in  den  Mund  des  Priapus.     Mit  71     72  kehrt  der  Gott  nach  der 


Tibull.     Die  Priapuselegie.    Lygdamu3.  355 

Abschweifung  57—70  zu  seinem  Thema  (v.  40 f.)  zurück.  Denn  was  er 
in  Betreff  des  obsequium  vorschreibt,  was  ist  das  Anderes  als  eben  blan- 
ditiae,  querelae  supplices,  miseri  flelus?  [Besser  Vahlen  1878,  351  blan- 
ditÜ8  (non  muneribus)  vult  esse  locum  Venus  ipsa]  2)  Das  Gedicht 
wird  durch  Kitschis  Um  Stellungen  sogar  geschädigt.  Ref.  hebt 
hier  nur  einige  Punkte  hervor.  Die  Verse  53  —  56  gehören  an  das 
Ende  der  Vorschriften,  weil  sie  den  Lohn  für  alle  Bewerbungen 
und  Mühen  aussprechen.  Priapus  kann  keine  »Freuden  der  Erhörung« 
versprechen,  bevor  Alles  befolgt  ist,  was  er  lehrt.  Bei  Ritschi  folgen 
39  —  56  gleich  auf  14!  Ebenso  ist  das  Distichon  71-72  an  seiner  Stelle 
in  der  überlieferten  Reihenfolge  ein  sehr  passender,  Alles  zusammen- 
fassender Abschlufs  ,  bei  Ritschi  (zwischen  56  und  21)  einfach  über- 
flüssig [Sogar  unmöglich!  Vahlen  1878,  351  weist  auf  das  Unverträg- 
liche von  Venus  ipsa  (71),  Veneris  (21),  pater  ipse  (23)  in  diesem  Zu- 
sammenhange hin]. 

202.     K.    Boehlau,    De    Lygdami    carminibus      Neustettin. 
1876.     8  S.  4.  Progr. 

Nach  einem  kurzen  Rückblicke  auf  die  Geschichte  der  Lygdamus- 
frage  (auf  S.  2  wird  es  für  erwiesen  erklärt l Lygdamum  et  post  Ovidium 
fuisse  et  eius  carmina  ante  oculos  habuisse')  versucht  Verf.  den  Nach- 
weis, dafs  die  Schilderung  des  Verhältnisses  zwischen  Lyg- 
damus  und  Neaera  reich  an  Widersprüchen  sei  und  dafs  sie 
den  Leser  zu  keinem  klaren  Bilde  der  Situation  kommen 
lasse.  Aus  6,  60;  3,  23  und  dem  ganzen  c.  2  müsse  man  folgern, 
Lygdamus  sei  ein  edler  und  reicher  Römer.  Damit  stehe  im  Wider- 
spruche der  Name.  Fingierte  Namen  waren  zwar  für  die  besungenen 
Mädchen,  aber  nicht  für  die  Liebesdichter  selbst  üblich.  Mindestens 
mufste  in  der  Grabschrift  2,  29-30  der  wahre  Name  stehen.  Daraus 
folgert  Verf.  sehr  voreilig  (man  braucht  nur  an  den  Cerinthus  in  Hb.  IV 
zu  erinnern)  'verum  lim  um  carminum  anderem,  si  Romanus  fuerit,  non 
suum  ipsius  amorem  celebravisse1.  —  Widerspruchsvoll  ist  angeblich 
auch  die  Schilderung  der  Neaera.  Nach  4,  91—93;  1  5—8,  27  müsse 
man  sie  für  eine  edelgeborene  Römerin  halten.  An  anderen  Stellen  wie 
4,  57-60,  63—64  scheine  sie  eine  Libcrtine.  Ebenso  unklar  sei  das 
Verhältnis  geschildert.  Nach  _'.  1.;  14,  29  —  30;  1.  23  war  Neaera 
einmal  Lygdamus'  legitime  Gattin,  aber  4.  79—80;  .:.  31  32  ist  von 
einer  künftigen  Ehe  die  Rede.  Was  trennte  endlich  den  Bund?  Nach 
2,  4  und  30  ein  Nebenbuhler,  nach  2,  l  2  vielleicht  ein  Kuppler,  da- 
gegen nach  4,  58  und  6,  58  :>'.>  der  freie  Entschlufs  de-  Mädchens. 
[Aber  alle  diese  Stellen  Bind  wohl  zu  vereinigen:  ignolum  cupiens  uana 
i>ihii<>  torum  deutet  doch  auch  auf  einen  Nebenbuhler].  Veit,  folgert 
aus  alledem,  man  müsse  zwischen  dem  Liebhaber  Lygdamus  und 
dem  Dichter  scharf  unterscheiden:    Poeta  nescio  quis  consiliura  cepe* 


356  Tibull.     Panegyricus  ad  Mev->allam. 

rat  amorem  fictum  narrare  talis  quidem  vi i  i ,  qui  a  coniuge  divortio  se- 
iunctus  omnibus  precibus  frustra  elaboraret,  al  com  es  in  gratiam  re- 
diret'.  Offenbar  sind  manche  der  gerügten  Unklarheiten  wirklich  ror- 
handen,  Verf.  hat  vielleicht  ;mc\\  rech!  mil  der  Annahme,  dafa  der  Dich- 
ter quominus  consilium  institntom  aecurate  sibiqne  donstanter  pertrac- 
taret,  impediebatnr  reliquorum  poetarum  memoria  atque  notitia,  qui 
amorem  libertinarum  atque  iuvenum  Romanorum,  oon  mariti  atque  oxoris 
inter  se  seiunetorum  traetabant'.  Aber  darum  braucht  doch  nicht  Alles 
fingiert  zu  sein,  darum  kann  der  anonyme  Dichter  sehr  wohl  an  ein 
Ereignis  aus  seinem  Leben  angeknüpft  haben.  Die  Figur  der  Neaera 
ist  freilich  anscheinend  verzeichnet  infolge  des  Kontrast  der  realen  Ver- 
hältnisse mit  den  angelernten  poetischen  Phrasen. 

203.     H.  Härtung,  De  panegyrico  ad  Messallam  Pseudo- 
Tibulliauo.     Diss.  Halle.     1880.     46  S.  8. 

Widerlegung  der  Abhandlung  von  F.  Ilankel,  De  panegyrico 
in  Messalam  Tibulliano  (Acta  soc.  philol.  Lips.  V  79  sq.),  in  wel- 
cher zuletzt  mit  viel  Fleifs  und  Mühe  Tibulls  Autorschaft  verteidigt 
worden  war.  Das  Resultat  der  vorliegenden  Arbeit  Tibullum  .  .  . 
opusculum  tarn  vile  tamque  inepta  eruditionis  iaetatioue 
abundans  non  composuisse'  ist  gewifs  richtig.  Im  Einzelnen  aber 
ist  Manches  mifslungen.  Dahin  gehören  vor  allem  die  langen  chronolo- 
gischen Erörterungen  S.  19 f.,  nach  denen  der  Panegyricus  später 
als  723  =  31,  nich  t  in  diesem  J  ahre  selbst,  verfafst  sein  soll. 
Er  ist  nicht  vor  Messallas  Konsulat  (723)  geschrieben,  wahrschein- 
lich in  demselben  Jahre  -  dabei  wird  man  sich  wohl  beruhigen  müssen. 
Die  Kardinalfrage  wird  hierdurch  natürlich  nicht  berührt.  Denn  es  ist 
nimmermehr  glaublich,  dafs  Tibull  in  demselben  Jahre  den  schülerhaften 
Panegyricus  und  Elegie  I  10  (über  deren  Datierung  wohl  jetzt  kein 
Zweifel  mehr  ist;  vgl.  Lachmann  Kl.  Schriften  S.  151.  Haupt  opusc. 
III  37.  Leo  a.  0.  S.  19)  geschrieben  habe,  nicht  einmal  glaublich,  dafs 
(wie  Hankel  will)  zwischen  dem  Panegyricus  und  der  Elegie  drei  Jahre 
liegen.  An  dieser  Unmöglichkeit  scheitert  auch  der  Rettungsversuch 
von  Teuf  fei  in  der  Einleitung  zu  seiner  Übersetzung.  Vergleiche 
auch  B.  Linke  a.  0.  S.  18.  (Nachträglich  scheint  übrigens  selbst 
Teuffei  schwankend  geworden  zu  sein,  wenigstens  spricht  er  Studien 
und  Charakteristiken  S.  353  Anm.  nur  den  bescheidenen  Wunsch 
aus,  dafs  'obiger  Rechtfertigungsversuch  wenigstens  zu  weiterer  Ver- 
handlung anrege').  In  der  Fachlitteratur  hat  sich  Verf.  fleifsig  um- 
geschaut (vgl.  S.  17).  Doch  scheint  er  R.  Richters  treffende  Be- 
merkungen in  dieser  Zeitschr.  1877  II  281  -  282  nicht  zu  kennen.  Auf 
S.  12  wird  gegen  Baehrens'  Behauptungen  über  den  horazischeu  Albius 
Tib.  Blätter  S.  7 f.  polemisiert.  Vgl.  oben  S.  341.  S.  23 f.  wird  gegen  Hankel 
der   Nachweis   versucht,    dafs   der  Verf.   des   Paneg.   die   Augusteischen 


Tibull.  Der  Panegyricus  und  die  übrigen  Bestandteile  des  Lib.  IV.     357 

Dichter  gekannt  und  gelesen  habe.  Von  S.  27  an  zählt  Verf.  die 
charakteristischen  Unterschiede  zwischen  dem  Panegyricus  und  den 
echten  Gedichten  Tibulls  auf.  Der  Passus  von  v.  54  an  giebt  S.  32 
zu  folgender  Bemerkung  AnJafs:  '  Seimus  in  scholis  Romanorum  in  usum 
diseipulorum  tabulas  exstitisse,  imaginibus  et  brevibus  inscriptionibus 
exornatas,  quae  argumenta  Iliadis  aut  Odysseae  continebant;  nonne  inde 
a  v.  54  usque  ad,  v.  78  tabulam  Iliacam  aut  potius  Odysseae  nos  perle- 
gere putamus?'  Wörter  des  Paneg.,  die  Tibull  nicht  hat,  wie  xubsistere, 
conditor,  carta  u.  a.  S.  S.  44.  Vermutet  wird  schliefslich  (S  46),  disci- 
pulum  artis  rhetoricae,  cui  cuiusque  sodalibus  laudes  M.  Valerii  Messallae 
egregii  oratoris  vineto  et  soluto  pede  canere  praescriptum  erat,  panegyri- 
cum  conscripsisse'.  Das  stimmt  ungefähr  mit  Lach  mann,  der  sogar 
an  Lygdamus  dachte:  cAls  die  Arbeit  eines  Zwölfjährigen  wird  es  seinen 
Lehrern  in  der  Poetik  und  Rhetorik  alle  Ehre  machen'  Kl.  Sehr.  S.  149. 

204.     G.  Larroumet,  De  quarto  Tibulli  libro.    Paris.    1882. 
Hachette.    77  S.   8.   Diss.  inaug. 

Verf.  untersucht  die  drei  deutlich  erkennbaren  Bestandteile  des 
vierten  Buches:  den  Panegyricus,  die  beiden  Sulpiciacyklen,  endlich  IV  13 
(Nu IIa  tuum  nobis  subducet  femina  lectum)  und  IV  14  {Rumor  ait  crebro 
nosiram  peccare  puellam).  Seine  Argumente  sind  im  Wesentlichen  die 
bekannten.  Neues  und  Selbständiges  enthält  die  Schrift  sehr  wenig.  Zu 
rühmen  ist  die  Kenntnis  der  einschlägigen  Litteratur:  deutsche  Disser- 
tationen werden  sogar  im  Übermafse  citiert.  Baehreus  '  Tibullische 
Blätter'  und  Tibullausgabe  werden  nirgends  erwähnt,  obwohl  es  an  Ge- 
legenheit dazu  nicht  fehlte.  Absichtlich?  Schlimmer  ist,  dafs  Verf.  Leos 
schöne  Abhandlung  'Über  einige  Elegien  Tibulls'  in  den  Piniol.  Unters. 
1881  noch  nicht  zu  keimen  scheint.  Namentlich  das  feine  Schlufskapitel 
würde  ihm  vielfach  förderlich  gewesen  sein.  Aus  dem  Inhalte  der  Schrift 
sei  Folgendes  hervorgehoben.  Von  Tibull  selbst  ist  nur  da?  erste  Buch 
ediert:  'Post  eius  mortem  quidam  e  coetu  Messala  fautore  carmina  ad- 
huc  inedita  collegit  et  publicavit'.  (So  im  Wesentlichen  nach  Lach- 
mann  und  Haase,  vgl.  übrigens  Baehrens  Tibullische  Bl.  S.  48 f.). 
Aufser  den  Briefchen  der  Sulpicia  (als  solche  bezeichnet  Verf.  IV  7—12) 
ist  der  gesamte  Inhalt  von  lib.  IV  Tibullisch.  Messalac  panegyricus, 
opus  iuvenile,  poetae  initia.  nisus,  dubitationes  ostendit  et  multa  de  eius 
vita,  indole,  primo  ingenii  dtictu  indicia  praebet'.  Einen  Beweis  für  die 
Echtheit  glaubt  Verf.  in  der  siebenten  Elegie  des  eisten  Buches  gefunden 
zu  haben,  die  angeblich  alle  EigeDtOralichkeiten  und  Mängel  des  Pane- 
gyricus, wenn  auch  in  geringerem  Mal'se,  teilt.  In  beiden  findet  man 
ungleichrnäfsige  und  verworrene  Darstellung  ('multa  Bunt  verba  aon  propria, 
nunc  niniis  certa,  nunc  incerta;  oratio  interdura  exilis,  interdum  redundans; 
verborum  cireuitus  incondite  saepius  vertitur,  Ais  versuum  paugendo- 
rum  iisdeni  vitiis  peceat;  sunt  cnim  cannine  in  utroque  verba  inauia,  ad 


358  Tilnill.    Die  Bestandteile  des  viert,  n  l',u. 

nurncrum  tantimi  necessaria;  multa  asperius  sonant'.  Hätte  Verf.  di 
Charakteristik  nur  durch  konkrete  Beispiele  beleg) ,  sie  schein!  für  <li<: 
Elegie  gar  nicht  zutreffend.  Es  isl  überhaupt  ein  Mangel  <1<m-  ganzen 
Arbeit,  dal's  weniger  mit  thatsfichlichem  Material  als  mit  allgemeinen 
Behauptungen  operiert  wird).  Ciemeinsam  haben  ferner  beide  geogra- 
phische Digressionen  i'llinc,  enim  Ulyssis  errores,  illinc  eultus  Osiridis, 
Line  regionum,  illinc  populorum  enumeratio,  hinc  librae,  illinc  sacrificii 
descriptio  maiorem  totius  carminis  partem  obtinent  et  tenuissirao  filo 
arguinento  iuneta  sunt').  Aus  alledem  wird  der  Schlufs  gezogen:  8i 
igitur  Tibullo  panegyricum  abiudieaveris,  non  est  causa  cur  eidem  elegiam 
tribuas'.  Ganz  dasselbe  hat  bekanntlich  Teuffei,  Studien  und  Cbar. 
S.  352  f.,  geltend  gemacht.  Über  die  Briefchen  der  Sulpicia,  ihre  Vor- 
züge und  Mängel,  ihr  'weibliches  Latein'  (propinquej  iter  ex  animo  sub- 
latum,  necopinanti,  de  m<  permitlis,  mea  corpora  u.  s.  w.)  finden  sich  auf 
S.  46 f.  ganz  hübsche  Bemerkungen.  II  2  wird  nach  Zingerle  u.  a. 
(vgl.  oben  S.  262)  auf  Ceriuthus  und  Sulpicia  bezogen,  deren  Verhältnis 
in  einer  legitimen  Ehe  seinen  Abschlufs  fand:  'Cerinthum  igitur  cense- 
mus  fictum  nomen  fuisse,  quo  Romanus  quidam  velabatur  iuvenis,  cuius 
verum  nomen  in  tertia  seeundi  libri  elegia  invenitur'.  (Die  bezüglichen 
Ausführungen  bleiben  leider  sehr  auf  der  Oberfläche).  Über  Ceriuthus 
heifst  es  auch  hier  wieder:  'Forsan  idem  est  de  quo  Flaccus  dicebat: 

Nee  magis  huic,  inter  niveos  viridesque  lapillos, 

Sit  licet,  hoc,  Cerinthe,  tuo  tenerum  est  femur  aut  crus 

Rectius  sq. 

(cTextum  sequimur  a  professore  E.  Benoist  in  praelectionibus  datuinY 
II  2  war  von  Tibull  selbst  zur  Aufnahme  iu  das  zweite  Buch  bestimmt,  weil 
dieses  Gedicht  im  Gegensatze  zu  IV  2  6  salva  Cornuti  reverentia, 
Messalae  tunc  coniugio  propinquus  {sie!)  facti,  edi  poterat'.  Manches 
warme,  von  der  Schönheit  der  behandelten  Lieder  begeisterte  Wort  er- 
freut den  Leser  (vgl.  z.  B.  S.  67).  Aber  es  fehlt  auch  nicht  an  Galli- 
cismen,  ja  sogar  grammatischen  Schnitzern.  S.  17  studuit  (cil  etudia'i). 
S.  39  c  ei  poetica  metalla  summo  solo  se  non  offtrebanV.  S.  55  'quis  vero 
Cornutus  erat  nunc  requirendum'.  S.  60  Numquam  amor  fervidioribus 
verbis  usa  est  .  .  .  et  professa  est'!  S.  71  cpost  de  Delia  et  ante  de 
Nemesi  carmina'.  S.  43  ist  cse  excusat  quod  amantem  febrim  dissimulare 
cupiens,  solum  reliquerit'  eiu    gröbliches  Mifsverständnis    von  IV  12,  6- 

205.  Chr.  Knappe,  De  Tibulli  libri  IV  elegiis  inde  ab 
altera  usque  ad  duodeeimam  disputatio.  Duderstadt.  1880. 
44  S.    8. 

Der  Verf.  dieser  Göttinger  Dissertation  hat  sich  im  ersten  umfang- 
reicheren Teile  seiner  Arbeit  die  Aufgabe  gestellt,  Tibulls  Autorschaft 
für  die  Ged.  IV  2  —  7  zu  erweisen,  indem  er  poetische  Kunst,  Sprache 


Tibull.    Sulpiciacyklus.    Echtheit  von  IV  13.  359 

und  Metrik  untersucht.  Dafs  die  Frage  zu  bejahen  ist,  wird  jetzt  kaum 
noch  bestritten.  Auch  sind  neue  Gesichtspunkte  von  wirklicher  Bedeu- 
tung nicht  hervorgehoben.  Doch  fehlt  es  nicht  ganz  an  nützlichen  Ein- 
zelbeobachtungen, z.  B.  auf  S.  13  über  Tibulls  Gleichnisse.  Mit  Recht 
werden  die  beiden  in  den  behandelten  Gedichten  vorkommenden  Gleich- 
nisse IV  2,  13  und  IV  6,  17  zusammengestellt  mit  I  5,  3.  I  5,  45.  I  6, 
53.  II  5,  9.  Lesenswert  sind  auch  S.  18  die  Bemerkungen  über  die 
Stellung  der  Adjektiv a  in  solchen  Pentametern,  wo  sich  zwei  Ad- 
jektiva  mit  zwei  Substantiven  verbunden  finden.  Ohne  rechtes  Resultat 
bleiben  die  metrischen  Untersuchungen  S.  24f.  In  dem  über  die  Stel- 
lung einzelner  Wörter  im  Verse  handelnden  Abschnitte  (S.  32f.)  schliefst 
sich  Verf.  an  Zingerle  Kl.  Ph.  Abb.  II  S.  48  an.  Wie  dieser  nimmt 
er  an,  dafs  II  2  den  Abschlufs  des  Cyklus  bilde.  Vgl.  oben  S.  263. 
Treffend  zeigt  uns  die  Note  S.  34,  wie  übereinstimmend  Tibull  in  den 
beiden  ersten  Büchern  und  im  Sulpiciacyklus  körperliche  Schönheit  malt. 
Eine  ganz  neue  Theorie  entwickelt  Verf.  summarisch  auf  S.  41  —  44. 
Die  Ged.  8—12  sind  angeblich  nicht  mit  Gruppe  u.  a.  als  Liebes- 
briefchen der  Sulpicia  anzusehen.  Mehreren  von  ihnen  fehle  voll- 
ständig der  Charakter  des  Briefes  in  Anbetracht  ihrer  metrischen  Form: 
'Si  essent  epistolae  amatoriae,  versibus  non  scripta  essent'.  So  gemeine 
Worte  wie  in  IV  10  könne  die  hochgeborene  Sulpicia  nicht  ausgespro- 
chen haben.  Vielmehr  stellt  Verf.  folgende  Behauptung  auf:  'Tibullum 
cum  sibi  proposuerit  amorem  Cerinthi  Sulpiciaeque  mutuum  carmine 
celebrare,  priusquam  elegias  inde  ab  altera  usque  ad  septimam  scrip- 
serit,  amorem  illum  adumbrasse,  ea,  quae  in  amore  illo  magni  erant 
momenti,  in  sc  heda  breviter  descripsisse'.  Also  8  —  12  sind  Ti- 
bulls Brouillon  von  2—7;  beide  Gruppen  verhalten  sich,  wie  die  rohe 
Skizze  zum  ausgeführten  Gemälde.  Ref.  hält  diesen  Versuch  für  raifs- 
lungen.  Daraus,  dafs  die  Briefchen  wesentliche  Abweichungen  von  Ti- 
bulls Metrik  nicht  zeigen,  läfst  sich  natürlich  nichts  schliefseu.  Die  Beden- 
ken gegen  die  Autorschaft  der  Sulpicia  sind  einigermafsen  philiströs.  Mag 
sein,  dafs  die  Gedichtchen  nicht  alle  als  wirkliche  Briefe  an  den  Cerin- 
thus  geschickt  sind.  Einige  (besonders  IV  10)  sind  wohl  Herzeuser- 
giefsungen  aus  dem  Tagebuche  des  leidenschaftlichen  Mädchens.  Und 
warum  sollen  diese  nicht  in  Versen  geschrieben  sein'?  Es  geht  nun  ein- 
mal manchen  Leuten,  namentlich  Verliebten  so,  dafs  alles  was  den  Geist 
beschäftigt,  in  Versen  zum  Ausdrucke  kommt.  Übrigens  hat  Verf.  zu 
seinem  Schaden  Lachmanns  Bemerkungen  Kl.  Sehr.  S.  150  unbeachtet 
gelassen. 

206.    J.  I'.  Postgate,  Of  the  genuineness  of  Tibullus  IV 

13.     Journ.  o\>.  philol.   IX  No.   18  S.  280-286. 

Das  Gedicht  ist  angeblich  eine  Fälschung  und  /war  wegen  Tibullo 
v.  13  eine  bcwul'stc  und  beabsichtigte.     Die  Gründe  des  Verf.  sind  fol- 


360  TiblÜJ.     Die  Echtheit  von  IV   13. 

gcndc.  l)  Diu  Nachbarschaft  (d.  h.  die  ?oraogehendea  Gedichte)  erweckt 
Verdacht.  2)  l > « * 1 1  Autornamen  Tibull  in  \.  L8  konnte  der  dttmmste  Fäl- 
scher einschwärzen,  übrigens  gebrauchl  Tibull  sonst  seinen  Namen  nicht 
in  dieser  Weise,  vgl.  I  3,  öö.  1  9,  H3.  8)  Das  Gedicht  ist  steif,  schal, 
mager,  ohne  Originalität,  prosaisch.  4)  Es  ist  aus  Properzischen  Phra- 
sen mühsam  zusammengeflickt.  Zwar  fehlt  es  daneben  nicht  ganz  an 
Tibullischen  Wendungen,  doch  sie  erscheinen  abgeblafst  und  entwertet. 
So  erinnert  v.  8  in  tacito  gaudeat  ilU  sinn  an  Prop.  III  (II)  20  (18),  80 
in  tacito  cohibe  gaudia  clausa  sinn.  v.  U4  i^t  eine  schwache  Nachahmung 
von  Tib.  I  4,  71  —  72  u.  s.  w. 

Das  Verzeichnis  der  Entlehnungen  ist  sicherlich  dankenswert  und 
zeugt  von  der  Belesenheit  des  gelehrten  Verf.,  aber  was  er  beweisen 
wollte,  bat  er  nicht  bewiesen.  Über  den  poetischen  Wert  des  Gedichtes 
nur  wenig  Worte:  derartiges  gehört  in  das  Kapitel  der  Geschmackssachen 
und  hat  für  sich  allein  schwache  Beweiskraft.  Das  Gedicht  ist  aller- 
dings keine  hervorragende  Leistung  und  läfst  sich  mit  den  Prachtstücken 
des  ersten  Buches  nicht  vergleichen.  Aber  mit  II  2  und  einigen  der 
Sulpiciaelegieen  kann  es  sich  sehr  wohl  messen.  Und  warum  soll  Tibull 
nur  Vollendetes,  nur  Elegieen  gröfsten  Stiles  geschaffen  haben?  Und 
wie  kann  man  diesen  Mafsstab  hier  anlegen,  wo  es  sich  um  ein  von  Tibull 
gar  nicht  ediertes,  sondern  in  den  Papieren  des  Messallischen  Hauses 
zufällig  vorgefundenes  Produkt  handelt?  Übrigens  fehlt  es  nicht  an  grofsen 
Schönheiten.  Dahin  gehören  das  prachtvolle  Distichon  11  —  12  (wo  frei- 
lich Postgate  'prosaic  imagination'  findet!),  der  Schlufs  von  17,  die 
echt  tibullischen  vv  19,  23.  Und  nun  die  Anklänge  resp.  Entlehnungen! 
Vieles  davon  beruht  einfach  auf  Selbsttäuschung.  So  der  Vergleich  von 
Prop.  I  8,  45  IV  (III)  20—21  mit  v.  1  —  2.  Was  soll  es  heifsen,  wenn 
gesagt  wird  femina  nvlla  finde  sich  sonst  nirgends  bei  Tibull,  wohl  aber 
bei  Properz?  Oder,  wenn  man  zu  v.  6  notiert  findet,  die  Zusammenstel- 
lung lutus  ero  komme  auch  bei  Prop.  III  4,  14  vor?  Was  soll  zu  20 
garrula  Lingua  der  Hinweis  auf  Ov.  Am.  II  2,  44?  Das  tu  mihi  sola  pla- 
ces  in  v.  3  hat  natürlich  mit  Prop.  II  7,  19  nichts  zu  thun,  denn  es  ist 
die  stereotype  Formel  der  Liebeserklärung  bei  den  Elegikern.  Das  zeigt 
deutlich  (vgl.  auch  Zingerle  Ovid  I  103,  E.  Heydenreich  in  dieser 
Zeitschr.  1887  II  S.  138)  Ov.  aa  I  42  elige  cui  dicas  tu  mihi  sola  place*. 
Wenn  in  zwei  deutschen  Liebesgedichteu  ich  liebe  dich',  in  zwei  eng- 
lischen 'I  love  you'  steht,  wer  denkt  denn  dabei  an  Entlehnung?  Kurz, 
auf  die  vom  Verf.  beliebte  Manier  wird  man  bei  vielen  Elegieen  der 
Augusteischen  Periode  den  Nachweis  führen  können,  dafs  sie  aus  lauter 
Reminiszenzen  zusammengestellt  seien.  In  Bezug  auf  Tibull  IV  5  ist 
dies  auch  wirklich  von  R.  Richter  geschehen.  Die  Anklänge  an  andere 
Tibullische  Stellen  (v.  13  =  I  3,  90;  v.  24  =  I  4,  71-72)  sind  natür- 
lich da  ohne  Beweiskraft,  wo  der  Beweis  der  Unechtheit  erst  geführt 
werden  soll.     Ist  dies  geschehen,  dann  mag  man  aus  der  Unechtheit 


Tibull.    Echtheit  von  IV  13.    Panegyricus  u.  Elegia  ad  Messallam.     361 

schliefsen,  dafs  es  sich  nicht  um  Lieblingswendungen  des  Autors, 
sondern  um  Entlehnungen  ein  es  Nachahmers  handelt.  Nicht  ein- 
mal der  Lygdamus-Ovidfrage  ist  auf  diesem  Wege  recht  beizukommen. 
Auch  IV  2,  15  —  20  besteht  nur  aus  Wendungen,  die  schon  an  verschie- 
denen Stellen  des  zweiten  Buches  vorkommen  (II  4,  27.  II  2,  3.  II  4, 
30).  Einige  Anklänge  an  Properz  sind  anzuerkennen :  8  =  Prop.  III 
(II)  20  (18),  30;  v.  23  vielleicht  =  Prop.  IV  (III)  24,  13  —  14  (alles 
andere  ist  ganz  unsicher).  Aber  sie  sind  weder  an  Zahl  noch  Bedeutung 
mit  denjenigen  zu  vergleichen,  welche  A.  Zingerle  (Kl. Phil.  Abb..  II  S.85) 
und  neuerdings  W.  Olsen  (Comm.  philol.  Gryphisw.  S.  27 f.)  in  den 
Sulpiciaelegieen  nachgewiesen  haben.  So  Tibull  IV  2,  9 f.  =  Properz 
II  1,  7f.  IV  3,  24  =  Properz  IV  19,  10.  IV  4  =  Properz  II  28.  IV 
4,  15  =  Properz  IV  15,  11.  IV  5,  15-16  =  Properz  II  15,  25  u.  a.  Sollen 
nun  die  Sulpiciaelegieen  wegen  dieser  Anklänge  ebenfalls  unecht  sein? 
Auch  äufsere  Gründe  machen  eine  Fälschung  sehr  unwahrscheinlich. 
Wer  war  der  Fälscher?  Offenbar  der  Herausgeber  der  ganzen  Samm- 
lung, die  sich  im  Messallischeu  Hause  vorfand.  Es  wäre  das  ein  Fal- 
sum,  welches  von  den  übrigen  Pseudotibullianis  grundwesentlich 
verschieden  ist.  Diese  geben  sich  nirgends  für  Tibullisch  aus, 
Lygdamus  nennt  sich  sogar.  Wir  hätten  also  den  merkwürdigen  Fall, 
dafs  der  Herausgeber  im  Übrigen  alles,  was  er  vorfand,  gewissenhaft  und 
ehrlich  edierte,  nichts  änderte  und  zuthat,  dafs  er  aber  von  unbegreif- 
lichem Kitzel  getrieben  ein  einziges  Gedicht  selbst  fabrizierte  und  sogar 
den  in  der  ganzen  Sammlung  sonst  nicht  vorkommenden  Namen  Tibulls 
einschwärzte!  Einfacher  ist  jedenfalls  die  Annahme,  dafs  dieses  nicht 
hervorragende,  aber  sehr  achtbare  Gedicht  Tibulls  unter  jenen  Papieren 
war,  und  so  mit  ihnen  an  die  Öffentlichkeit  kam.  —  Vgl.  übrigens  die 
richtigen,  wenn  auch  mehr  allgemein  gehaltenen  Bemerkungen  von  Baeh- 
rens,  die  Postgate  a.  0.  S.  285  aus  einem  Briefe  mitteilt. 

207.   M.  Latköczy,  »Die  neueste  Tibullusliteratur«,  Egye- 
temes  Phil.  Közlöny  II  1878  S.  379—406,  461-473.  [magyarisch]. 

Nach  einer  für  diese  Zeitschrift  gefertigten  Inhaltsangabe  enthält 
der  Aufsatz  aufser  dem  eigentlichen  Referate  folgende  sachliche  Bemer- 
kungen. Der  Panegyricus  in  Messallam  und  die  Elegia  ad  Messallam 
(Verg.  Catalept.  XI)  sind  angeblich  von  demselben  Dichter  verfafst 
Beide  stimmen  besonders  darin  überein,  dafs  sie  die  nach  d.  J.  a.  u.  c. 
723  eingetretenen  Ereignisse  nicht  kennen  |  ?  Doch  vgl.  Her  t /borg. 
Virgils  Werke  II  123 f.  J.  Die  Phraseologie  ist  in  beiden  dieselbo;  vgl. 
aliua  =  alter  Paneg.  180.  El.  21  [An  letzterer  Stelle  ist  die  La.  un- 
sicher], Pi/lius  sat es  —  Nestor  Paueg.  48.  112.  El.  15  charta  =s  Carmen 
Paneg.  200.  El.  13  u.  s.  w.  Auch  inhaltlich  linden  sich  in  beiden  Ge- 
dichten übereinstimmende  Stellen,  Tgl.  Paneg.  82 f.  und  El.  41  f.  Es  fehlt 
in  der  Elegie   nicht  au  Vergilischeu  Anklängen,   vgl.   besonders  v.  17. 


362  Tümll.    Budapester  Handschriften,    Kritische  Beitrage. 

Doch  wird  in  diesem  Falle  nicht  der  Verf.  der  Elegie,  sondern  Messalla 
der  Nachahmer  gewesen  Bein.  |Auf  die  geistige  Verwandtschaft  der  bei- 
den Produkte  wies  bereits  Ribb eck  praef.  8.  12  hin.  Dafs  aber  beide 
Gedichte  von  demselben  Verf.  herrühren,  wird  sich  schwer  erweisen  lassen, 
ist  nach  dem  vorliegenden  Auszuge  auch  vom  Verf.  nicht  erwiesen  wor- 
den]. —  Hierauf  werden  zwei  Budapester  Tibullhandschriften 
kurz  besprochen;  die  eine,  ein  Codex  Corvinianns  im  Ungar.  National* 
muscum  stimmt  meist  mit  der  ed.  prrneeps  1472  überein.  Die  nächsten 
Verwandten  des  andern  ebenfalls  interpolierten  Codex  (Universitätsbibl. 
A.  165,  saec.  XV)  kann  man  aut  Grund  des  jetzigen  Apparates  nicht 
angeben.  Schlief/such  meint  Verf.,  dafs  zu  einem  vollständigen  Apparatur 
criticus  eine  umfassendere  Untersuchung  und  Verwertung  der  interpolier- 
ten Handschriften  nötig  scheine,  da  in  ihnen  zuweilen  wertvolle  Les- 
arten überliefert  seien.  Als  solche  werden  bezeichnet  im  Corvinianus: 
faveat  II  l,  l ;  a  magna  I  7,  61;  ab  ignava  III  3,  38;  im  andern  Codex: 
at  tibi  I  4,  59,  cara  II  3,  34,  iurarit  III  6,  47,  hyems  III  5,  4,  tota  tua 
est  IV  6,  2.  [Aber  das  sind  offenbar  (fast  sämtlich  auch  sonsther  be- 
kannte) Interpolationen]. 

Erwähnt  sei  hier,  dafs  in  derselben  Zeitschrift  VI  (1882)  482 f. 
Ernö  Finäczy  über  die  Trägerinnen  des  Namens  Sulpicia  in  der 
röm.  Litteratur  spricht.  Näheres  vermag  Ref.,  der  magyarischen  Sprache 
gänzlich  unkundig,  nicht  anzugeben.  — 

Zum  Schlüsse  dieses  Abschnittes  seien  noch  Beiträge  verzeichnet, 
welche  angeblich  verderbte  Stellen  mit  Hilfe  der  Konjekturalkritik  zu 
heilen  suchen.  Der  positive  Ertrag  dieser  Vorschläge  ist,  wie  im  Catull 
so  auch  hier,  äufserst  gering. 

208.    H.  Graef,    Aunotationes  ad  Tibullum  ( Particula  al- 
tera).    Memel.    1885.    14  S.    4. 

Verf.  tadelt  L.  Müller  und  Baehrens,  weil  sie  in  IV  4  auf  v.  16 
salva  puclla  tibi  est  folgen  lassen  at  nunc  tota  tua  est  sq.  (v.  17).  Die  Um- 
stellung sei  verkehrt.  Aber  hier  liegt  ein  Irrtum  vor:  Die  bemängelte 
Reihenfolge  ist  vielmehr  die  in  den  Haudschriften  überlieferte.  Beide 
Herausgeber  haben  mit  Recht  die  schon  von  manchem  Itali  vorgeschla- 
gene Umstellung  (21—22  vor  17)  rezipiert.  —  Es  folgen  Bemerkungen 
über  die  Priapuselegie  (I  4),  deren  Grundlage  Ritschis  bekannte  Unter- 
suchung (Ber.  der  Königl.  Sachs.  Societät  der  Wissenschaften  1866) 
bildet.  Ja  die  Bezeichnung  der  einzelnen  Kola,  wie  sie  diesem  Gelehr- 
ten beliebte,  ist  sogar  beibehalten,  so  dafs  der  Leser  nur  folgen  kann, 
wenn  er  Ritschis  Abhandlung  vor  Augen  hat.  Verf.  hält  dessen  Trans- 
positionen für  unsicher  und  rät  bei  der  überlieferten  Reihenfolge  zu 
bleiben,  deren  Zusammenhangslosigkeit  er  lieber  der  noch  mangel- 
haften Kunst  des  Dichters  zuschiebt.  Nur  Ritschis  G  (71  —  72)  will 
er  hinter  56  stellen,  aufserdem  aber  in  54  schreiben  sed  tarnen  aueta 


Tibull.    Kritische  Beiträge  (Graef,  Cornelissen).  363 

dabit.  Nichts  davon  scheint  begründet.  Dem  Verf.  ist  leider  Vahlens 
Untersuchung,  die  alle  Umstellungen  Ritschis  über  den  Haufen  wirft, 
unbekannt  geblieben  (Vahlen,  Monatsber.  der  Berl.  Akademie  1878 
S.  346,  vgl.  dess  Sitzungsber.  1882  S.  267  und  Leo,  Über  einige  Elegien 
Tibulls,  Phil.  Unters.  1881  S.  16,  vgl.  oben  S.  168,  343,  354.).  —  I  6,  21 
soll  man  lesen  si  visere  dicet.  Durch  diese  Konj.  wird  angeblich  die 
Annahme  einer  Lücke  hinter  22  (Baehrens)  unnötig  [doch  vgl.  über  seu 
=  vel  si  Heyne-Wunderlich  und  Dissen  z.  St.].  Aufserdem  ist  29-30 
vor  31  zu  stellen.  (Nam  poetam  non  prius  veniam  a  marito  petere 
potuisse,  quam  clandestina  sua  consilia  ei  aperuisset,  iam  antea  exposui'). 

I  9,  39  haec  facerem,  nisi  et  ipse  fores  in  amore  puellae?  Hoc  est:  cre- 
disne  me  ad  tale  officium  (genarum  sc.  tergendarum)  descensurum  fuisse» 
nisi'  sq.  I  9,  70  Tyrio  prodeat  aucta  sinu  [vgl.  dagegen  des  Ref.  Stud. 
z.  Ov.  Metam.  S.  27].  -  II  1,  53—54  Et  saturam  .  .  .  luderei  ante  deos  [!]. 

II  1,  57  Eine  datus  (poeta  exponit,  unde  ille  mos  ortus  sit').  II  1,65 
qualoque  assiduae  textrix  operata  Minervae.  II  1,  47  rure  ferunt  messes 
[vgl.  Vahlen  in  ed.  Y:rure  terunt].  Am  Schlüsse  sind  einige  Sulpicia- 
elegien  abgedruckt,  die  sich  angeblich  zur  Lektüre  für  reifere  Schüler 
eignen.  (IV  2,  4,  6,  II  2)  Im  Texte  ist  dem  Ref.  Folgendes  aufge- 
fallen: IV  2,  13—14  ausgelassen  (Eberz).  IV  2,  23  multis  celehrabitis 
(wohl  im  Anschlüsse  an  das  interpolierte  cehbretur  der  Itali).  IV  6,  9 
ulli  non  ille  puellae  (codd.  detcrr.).  IV  6,  19  Sis,  Juno,  grata:  ac  (Gruppe), 
ib.  20  iam  ratus  adsit  amor  (Baehrens).  II  2,  9  Cerinthe  (codd.  deterr.). 
II  2,  21  Interea,  Natalis,  ave  [eigene  Konj.  Dann  bezieht  sich  also  tuös 
in  22  auch  auf  den  Natalis?].  Druckfehler  sind  zahlreich  und  bisweilen 
störend. 

209.    J.  J.  Cornelissen,   Ad   Tibull  um,   Mnemosyne  N.S.  VII 
1879,  221—224. 

Verf.  macht  folgende  Vorschlage.  I  L,  44  et  solido  (die  Notiz, 
diese  La.  finde  sich  auch  in  P  ist  nicht  ganz  richtig.  Vgl.  Hillers  Adn. 
crit.).  —  I  3,  3  ingratü  .  .  .  tellus.  —  I  3,  28  ji.ru  docet.  —  I  4,  9  fe- 
rnere puerorum  [!].  —  I  4,  33  segnior  aetas.  -■    I  4,  65  robora  saltus.  — 

I  5,  8  compositumque  latus.  I  8,  16  nitidum  nardo.  —  I  8,  45  tol- 
lere tunc  (coli.  Prop.  III  25,  13).  I  '.»,  l  faeras  noatroa.  —  I  10,  16 
curarer  vestros.           II  5,  82  aatur  aiiuus.  III  5,  84  flava  ("eres.   — 

II  6,  io. >/"/<>  tubast  —  Paneg.  Mess.  ht>  tum,  nee.  Paneg.  Mass. 
156  lentam  in  glaciemque.  —  Paneg.  Mess.  184  online  (resp.  nach  Hein- 
Bios  horrea)  culmi.  Paneg.  Mess.  207  ririi/,.i  percurrere.  W  l.  6 
membra  calor.  Im  Einzelnen  aachznweisen,  dafs  diese  Konjekturen  ent- 
weder überflüssig,  oder  geradezu  mutwillig  Bind,  wäre  leicht  und  den- 
noch die  Mühe  nicht  lohnend. 


304  Tibull.    Textkritische  Beiträge  (Francken). 

um.    CM.  Francken,   Ad  Ti  bull  um,   Mncmos.  N.8.  VI   1878, 
174     189. 

Besprochen  werden  zunäcfasl  Kau  and  Gedankengang  von  I  4  and  »;. 
Verf.  erklärt  die  Umstellungen  von  Sealiger,  Ritschi  und  Baebrens  in  I  4 
für  unnötig,  nimmt  jedoch,  dem  Letzteren  folgend,  zwischen  1 1     15  eine 

Lücke  an.  Der  Zusammenhang  soll  folgender  sein:  '  Ne  ]durea  Biraul 
amaveris:  unns  tc  capiat;  hunc  autem  omni  studio  amplectere;  sed 
ne  te  capiant'  sq.  Es  ist  klar,  dafs  dieser  Gedanke  dem  Priapus  durch- 
aus fern  liegt.  Vgl.  oben  S.  363.  Die  Ausführungen  des  Verf.  sind  über« 
haupt  jetzt  durch    Vahlen,  Leo,   Westphal    überholt.  In    I    6   finde! 

Francken  unlösbare  Widersprüche:  '  Se  esse  amatorem  Deliae  ingenue 
poeta  fatetur  eius  marito,  idem  ab  eo  petit  ut  Deliam  tibi  eustodiendam 
tradat;  laedit  coniugem  simuhjue  ab  eo  beneficium  petit'.  Indessen  er- 
ledigen sich  diese  Bedenken  [ebenso  wie  die  von  Korn  Rh.  Mus.  19, 
497;  20,  471.  Vgl.  W.  Wagner  ib.  20,  314f.  |  durch  Leos  Bemer- 
kungen a.  0.  S.  41  f.  (Vgl.  oben  S.  348).  Gegen  Baehrens  Besprechung 
von  üv.  Trist.  II  457  sq.  und  die  damit  in  Verbindung  stehende  Schrei- 
bung te  in  v.  16  wird  mit  Recht  eingewendet:  .  .  .  Interpretatio  puguat 
cum  mente  Ovidii,  ex  qua  haec  confessionem  eulpae  ipsius  Tibulli  con- 
tinere  debent:  ab  incauto  petit  ut  caveat  a  se,  Tibullo,  eoque  confitetur 
se  illicito  amori  indulgere'.  —  Von  den  folgenden  Konjekturen  Franckens 
ist  richtig  nach  Ansicht  des  Ref.  keine  einzige,  obwohl  einige  gefällig 
klingen.  11,5  vitae  detrudat  inerti.  I  1 ,  14  libandum  i  e.  ut  aliquid 
ex  iis  libetur.  Über  die  I  1,  14-37  vorgeschlagenen  Transpositionen 
wird  gesagt,  'remotis  versibus  11  —  14,  qui  fortasse  contra  poetae  consi- 
lium  inserti  hoc  loco  sint,  omnia  recte  procedere'.  —  13,  17—18  aut 
omina  dira  Saturni  sacra  me  tenuisse  die  (s.  oben  S.  292).  I  3,  25 
pureque  lavaris,  te  (memini)  puro  s.  t  13,  93  hunc,  precor,  hunc.  — 
Zu  I  5,  65  heifst  es  richtig:  '  Communes  familiäres  signiricantur,  ubi  se- 
cura  posset  amori  indulgere,  ipsum  etiam  amplecti,  aut  clandestini  Deliae 
amici,  nam  ne  hoc  quidem  in  Tibullo  mirum  debet  videri.  Cf.  I  8,  41  sq. 
In  hoc  ipso  carmine  v.  75  fingit  se  amoribus  Deliae  favere'.  [Vgl.  Leo 
a.  0.  S.  40  Anm.].  -  I  6,  21  exibit  quom  saepe.  I  6,  71—72  Et  si 
quid  peccasse  puter,  dueterque  (Scaliger)  capillis  Imperito  pronus  per  rar 
piarque  (Heinsius)  vias.  —  I  7,  3  Aquitanas  posset  quo  frangere  geutes 
—  näml.  ille,  quem  .  .  .  Atax.  I  7,  49  huc  ades  ad  cantum;  ludis  ge- 
uiumque  choreis  Concelebra.  I  7,  53  sie  venias  hodieme  deus,  tibi  .  .  . 
Libem  et  .  .  favo.  [Doch  vgl.  oben  S.  336].  —  I  8,  14  corrigit  arta  pe- 
des  i.  e.  ad  optatam  gracilitatem  et  tenuitatem  pedes  nimis  crassos  re- 
ducit.  —  I  9,  25 — 26  mit  Benutzung  von  Riglers  Kouj.:  permisit  oerba 
ministro  Ederet  .  .  lingua  mero.  Dativus  nunc  iungendus  non  cum  per- 
misit, sed  cum  lingua  '.  —  I  9,  60  'emeruisse  viros  non  videtur  sollicitan- 
dum,  sed  significare:  gratiam  iniisse  a  viris,  iis  gratificata  esse, 


Tibull.    Textkritische  Beiträge  (Fraucken).  365 

se  dedisse'.  —  I  10,  51  'Rusticus  ipse  male  sobrius  opponatur  aliis 
inale  sobriis  necesse  fere  est".  Daher  zu  schreiben  im  Anschlüsse  an 
Scaliger  elucosque  —  nämlich  uxorem  progeniemque.  coli.  Paulus  S.  75  elucum 
significat  languidum  ac  semisomnum  u.  ähnl.  —  II  1,  43  tunc  victus 
('.  .  .  intellegitur  successionem  tantum  forma  tum  significari  =  porro') 
.  .  .  tunc  insita  pomus.  II  l,  62  raolle  gerens  .  .  ovis  i.  e.  rure  est  ovis, 
gereus.      II   3,  43  urbique  tremenda. 

211.     C   M.   Francken,   Ad  Tibullum,   Mnemos.   N.   S.   XIII. 
1885.  S.  176—187. 

Glossen  zu  Hillers  Tauchnitzausgabe  des  Tibull.  Aus  den  ein- 
leitenden Worten  sei  folgende  Charakteristik  der  Tibullischeu  Poesie 
hervorgehoben:  Magna  simplicitate  ac  dictionis  flumine  se  commendant 
singula,  universi  carminis  nexus  est  saepe  obscurus,  ut  Tibullus  festi- 
nanti  lectori  planus  esse  videatur,  intellegenti  et  docto  intricatus  sit'. 
An  anderer  Stelle  wird  erinnert:  'Potest  aliquis  uno  in  carmiue  dicere 
ea,  quae  horao  omni  affectu  vacuus  et  sedatus  contenderet  non  convenire 
inter  se,  nee  tarnen  desinit  esse  poeta'.  Sehen  wir,  wie  die  kritischen 
Erörterungen  des  Verf.  zu  diesen  Sätzen  stimmen.  Eingehend  wird  über 
I  8  gehandelt,  ein  Gedicht,  das  Dissen  angeblich  total  mifsverstanden 
hat.  Das  in  v.  15  bezeichnete  Mädchen  wird  nicht  zu  einem  Knaben, 
sondern  zu  einem  andern  in  den  vorhergehenden  Versen  angeredeten 
Mädchen,  einer  alternden  Kokette,  in  Gegensatz  gestellt:  'Comtus  qui 
describitur  est  muliebris,  non  puerf.  Marathus  kann  nicht,  wie  man 
gewöhnlich  meint,  angeredet  sein,  weil  '  fatali  aliquo  malo  cörreptus  de- 
scribitur Marathus  v.  17  sq.,  cum  potius  amor,  quo  Marathus  nunc  arde- 
ret,  poetae,  olim  spreto  amatori,  causa  exultantis  gaudii  esse  deberet' 
und  weil  der  verschmähte  Liebhaber  den  nunmehr  selbst  von  der  Ge- 
liebten abgewiesenen  Knaben  nicht  durch  Spott  und  Hohn  bestraft,  son- 
dern grofsmütig  tröstet  (v.  67  sq.).  Aus  solcher  Auffassung  ergeben  sieh 
nun  die  seltsamsten  Widersprüche.  Das  angeredete  Mädchen  ist  bald 
eine  alternde  Kokette  (9  16),  bald  jung  und  blühend  (47),  bald  hat 
sie  sich  dem  Liebhaber  hingegeben  (25  26),  bald  ist  sie  spröde  und 
schläft  allein.  Dieser  Thatbestand  belehrt  aber  den  Veit,  nicht  etwa, 
dafs  seine  Anschauung  irrig  ist  (wie  man  erwarten  sollte!),  sondern  bringt 
ihn  im  Gegenteil  auf  folgende  Vermutungen.  Die  ?v.  40  [41?]  7s  sind 
von  dem  Vorhergehenden  [doch  wohl  als  selbständiges  Gedicht]  abzu- 
trennen, ebenso  i—i7  [16 Vj  vom  Folgenden.  Die  Verse  18  [17?]— 40 
sind  als  ein  Fragment  aufzufassen  und  in  :r>  mit  Baehrens  ac  für  <>t  zu 
lesen.  Verf.  rechtfertigt  sein  Verfahren  durch  ein  Gleichnis:  Si  statua 
composita  est  ex  fragminibus  male  consutis,  nihil  antiquius  erit,  quam 
caput  et  manum  male  agglutinata  separare,  etiamsi  perfeetam  non  possia 
redintegrare '.  Ja  wohl!  Aber  wer  ein  Kunstwerk,  das  er  nicht  versteht, 
mutwillig  in  Stücke  schlag!  handelt  wie  ein  Barbar    Gewifs  hat  Dissens 


3ßß  TibulL    Textkritische  Kftiträge  (Franck.n, 

[nterpretation  in  manchen  Einzelheiten  nicht  das  Richtige  getroffen. 
Keineswegs  sind  die  Worte  quid  tibi  nunc  molL     \  capillo» 

eine  'irrisio',  keineswegs  ist  die  Tendenz  des  Gedichtes  wirklich  di< 
Maratlius  olim  aspernatus  uunc  Bpernitur  el  irridetur'.  Die  Fiktion 
(denn  offenbar  ist  th<-,  Gedieh)  nur  ein  lusus  ingenii,  eine  poetische 
Übung)  i^t  vielmehr  folgende:  Der  schöne,  spröde  Marathus  wird  von 
einer  Kokette,  der  es  durch  raffinierte  Verführangsknoste  (v.  25)  gelangen 
ist  ihn  an  sich  zu  fesseln,  genasffihrt  und  leidet  schwer.  An  dem 
Verhalten  dieser  Pholoe  soll  Bfarathns  Behen,  wie  schwer  er  selbst 
sich  einst  gegen  Tiball  vergangen.  Dies  Spiegelbild  soll  ihn  znr 
Selbsterkenntnis  und  Reue  bringen.  Die  an  Pholoe  gerichteten  Mahnun- 
gen soll  er  auf  sieh  selbst  beziehen.  So  nimmt  der  Dichter,  wenn  er 
in  dein  Handel  Partei  für  Marathus  ergreift,  seinen  eigenen  Vorteil  und 
nur  diesen  wahr.  Eine  irrisio'  würde  mit  diesem  Zwecke  in  direktem 
Widerspruche  stehen.  -  Gelegentlich  werden  noch  folgende  Vermutun- 
gen geäufsert:  v.  15  statt  illa  vielleicht  bella  zu  schreiben  [!J.  v.  35  timet 
und  consent  zu  halten  ('lila  de  Venere  quae  dieuntur  pertinent  ad  Ado- 
nidem,  aut  alium  quendam  puerum,  qui  metu  plenus  in  siuum  Veueris 
fugerat  et  ab  hac  fovetur').  In  v.  39  bezieht  Verf.  harte  auf  Venus  [?J 
und  will  lesen  nee  frigore  sola  (frigore  zu  verstehen  wie  Hör.  Sat.  II  1,  62). 
Prop.  II  18  siud  die  ersten  vier  Verse  von  den  folgenden  zu  trennen. 
Das  Eingaugsdistichon  der  letzteren  wird  ohne  Erläuterung  in  dieser 
Form  gegeben: 

Quid?  si  iam  canis  aetas  candesceret  et  mi 
iam  faceret  scissas  languida  ruga  genas. 

Es  folgen  zu  einer  Reihe  von  Stellen  Bemerkungen  vermischten  Inhaltes, 
die  teilweise  längst  Bekanntes  repetieren.  I  1-50  und  51  78  sind  zu 
trennen.  —  I  2,  19  decedere  nicht  derepere  ('puella  tauquam  mus  derepit 
lecto;  num  nos  philologi,  ut^auetoritati  Frisingensium  excerptorum  satis- 
fiat,  oninem  elegantiam  abieeimus'?'  Vgl.  Francken,  Mnemos.  N.  S.  VI 
182).  —  I  2,  71  ipse  boves,  mea,  sim  tecum  modo,  Delia,  possum  iungere. 
I  2,  88  Hillers  in  me  saeviet  usque  deus  gebilligt  [doch  vgl.  Ov.  Heroid. 
4,  148  qui  mihi  nunc  saevit,  sie  tibi  parcat  Amor].  —  I  4,  28  Riglers 
non  segni  gebilligt.  [Mit  Unrecht,  wie  die  Stellung  des  non  und  der  Ge- 
danke zeigt:  nicht  nur 'segni1  non  stat  remeatque  dies,  sondern  Jedem]. 
—  I  4,  54  rapta,  tarnen  dederit  (cusu  noto  coniunetionis  tarnen,  relatae  ad 
unum  vocabulum:  quamvis  rapta,  tarnen'.  Aber  vgl.  Zingerle.  Kl.  Phil. 
Abb.  III  S.  31-35).  —  I  5,  11  'fortasse  ipse  ego\  I  5,  27  fructibus 
aus  G,  nicht  vitibus.   [Unrichtig,  vgl.  Roth  stein,  de  Tib.  codd.  S.  90]. 

I  5,  30  me  iuvet  in  tota,  me  nihil  esse  domo-  —  I  5,  34  ferat  mit  Bur- 
mann zu  lesen.    I  5,  49  edit  (von  der  gut  bezeugten  Form  edim,  Neue  2 

II  441)  zu  leseu.  I  5,  57  evenient.  -  I  6,3  quid  tibi  saevitiae,  puer,  est? 
i.  e.  quae  tua  saevitia  est?    I  5,  35—36    loco  alieni  sunt'.  I  8,  Ol 


Tibull.  Textkritische  Beiträge.  —  Übersetzungen.  367 

et  mihi  nox  multis  est  vigilanda  maus.  —  II  5,  15  Sibyllast.  II  5,  79 
c concessivus  fuerint  de  incredibilibus  illis  monstris  aptus  est'.  -•  III  4,  2 
Scaligers  extrema  statt  hesterna  mit  Rücksicht  auf  v.  21  gebilligt,  wohl 
mit  Recht.  —  IV  1,44  alterno  instabilis  rndat  depressior  orbe.  IV  l,  93 
contendere  prosum  [aber  derecto?J  IV  1,  94  cur  com  brevius  convertere 
gyrum.  -  IV  G,  extr.  'Ego  talem  sententiam  desidero:  sie  iuveni  gratae, 
veniet  cum  proximus  annus,  Ins  pälam  [sie!]  votis  arbiter  adsit  Amor'. 
—  IV  7  hier  wird  mit  Recht  gegen  Hiller  geltend  gemacht,  dafs  seine 
La.  qualem  texisse  pudore  .  .  .  fama  magis  gerade  das  Gegenteil  von 
dem  bedeute,  was  der  Sinn  verlangt.  Wer  pudore  schreibt,  mufs 
offenbar  im  nächsten  Verse  das  fama  minor  der  Itali  rezipieren.  Sed 
pudori  et  magis  satisfacere  videntur:  Pudori  sit  {v'rt  a\>)  mihi  magis 
prior  fama  (quod  abscondiderim  amorem)  quam  altera  (quod  prodiderim)'. 
|  Besser  und  klarer  gefafst  ist  die  Erklärung  in  Heyue-Wunderlichs  obss. 
z.  St.].  —  IV  8,  6  non  tempestivae  pa?-ce,  propiuque,  viae.  'Messalla 
propinquus  erat  Sulpiciae,  ut  notum'.  IV  8,  8  entweder  arbitrii  quam 
tu  non  sinis  esse  sui  [der  Genetiv  arbitrii  übrigens  schon  in  den  älteren 
Ausgaben]  oder  besser  arbitrium  quoniam  non  sinis  esse  meum.  —  Carmen 
IV  9  est  poetae  sive  Tibulli  sive  alius  ad  Cerinthum  de  die  natali  Sul- 
piciae; si  haec  Sulpiciae  ipsi  adscribas,  intolerabilis  arrogantiae  sunt  ex- 
tremi  versus'.  Daher  ist  in  v.  2  zu  lesen  suo  [=  Itali].  'Puellae  licet  suo 
natali  Romae  esse'. 

E.    Tib  uliübe rsetzu  ngen. 
212.   Die  Elegieen  des  Albi  us  Tibullus.  In  modernen  Rhyth- 
men von  G.  Fischer.     Ulm,  Kerler,  1882.    VII  und   144  S. 

Ref.  hat  diese  sehr  achtbare  Arbeit  früher  in  den  Jahresb.  d.  Ph. 
Ver.  IX  275  f.  ausführlich  besprochen  und  seinem  Bedauern  Ausdruck 
gegeben,  dafs  der  wohlmeinende  und  sprachgewandte  Übersetzer  die 
Versmafse  des  Originales  verschmäht  hat.  Er  wäre  wohl  im  Stande  ge- 
wesen uns  einen  deutschen  Tibull  zu  schenken;  das  hat  er  bei  1  6  und 
I  to  bewiesen,  wo  'in  pietätsvoller  Konzession'  die  antike  Form  beibe- 
halten ist.  Der  Anfang  des  zweiten  Gedichtes  lautet  so: 
"Wer  doch  war's,  der  zuerst  die  grimmigen  Schwerter  geschmiedet? 

Traun,  ein  trutziger  Mensch  war  es,  mit  ehernem  Sinn. 
Da  kam  über  die  Welt  der  Moni,  da  wütheten  Schlachten, 

Thaten  dem  finsteren  Tod  kürzere  Wege  sich  auf. 
Doch  nicht  ihn  klagt  an!    Er  gab  für  reifsendes  Wild  uns 

Waffen,  daraus  wir  selbst  sehnten  das  eigene  Leid. 
Fluch  des  bereichernden  Golds I  -  Da  hat  kein  Krieg  Doch  gewüthet, 

Ms  noch  die  Buche  den  Keleh  spendete  Iflndlichem  Mahl: 
Nirgends  erhob  sieh  ein  Wall,  noch  Bollwerk;  heiter  inmitten 
Der  buntwolligen  Schar  suchte  den  Schlummer  der  Hirt. 

Damals  wonniges  Sein!    Vom   wrhal'sten   Getümmel  der   Wallen 

Wulste   ich   nichts,  mein    Her/  schreckte  die    l'iiha   mir  nicht- 


368  1  ihullübf  rsetzungen  (Fischer,  Binder;. 

Diese  Gedichte  sind  wirklich  recht  gut  übertragen  und  dürfen  als 
würdige  Seitenstücke  zu  Geibels  Properzttbersetzungen  im  Klassischen 
Liederbuche  bezeichnet  weiden.  Man  begreift  nicht  recht,  wie  Verf.  auf 
seinen  Irrweg  geraten,  da  doch  für  die  Elegie  auch  im  Deutschen  das 
Distichon  durch  unsere  Dichter,  allen  voran  Goethe,  als  Kunstform  festge- 
stellt ist.  Dagegen  Gedichte  dieses  Charakters  und  [nhaltea  in  gereimten 
Versen,  wie  sie  uns  die  Übersetzung  bietet,  kennt  weder  die  moderne  dein 
sehe  Litteratur  noch  weifs  die  Poetik  sie  unterzubringen.  Man  mag 
antike  Chorlieder  in  moderne  Rhythmen  übertragen  (Dochmien  mit  Auf- 
lösungen bringen  wir  freilich  nicht  fertig),  man  mag  catullische  Tände- 
leien in  gereimte  Verse  umgiel'sen,  aber  man  thut  schon  nicht  wohl  daran  im 
Epos  den  Hexameter  durch  die  Stanze  zu  ersetzen  ,  noch  weniger  darf 
man  das  Distichon  durch  den  Reim  verdrängen.  Eines  schickt  sich  nicht 
für  Alles!  Der  Widerspruch  zwischen  Form  und  Inhalt  hat  fast  allen 
Gedichten  ihr  Kolorit  genommen.  Der  Ton  ist  überall  derselbe,  selbst 
in  der  Priapuselegie  und  den  Delialiedern.  Sogar  von  der  heifsen  Glut 
in  den  süfsen  Briefchen  der  Sulpicia  merkt  man  nichts  mehr.  Schade! 
Hat  der  Verf.  nicht  vielleicht  Selbstverleugnung  genug  die  lohnende  und 
für  ihn,  wie  er  glänzend  bewiesen  hat,  nicht  übermäfsig  schwere  Auf- 
gabe noch  einmal  mit  sicher  besserem  Erfolge  zu  lösen? 

213.     Albius  Tibullus.    Deutsch  in  der  Versweise  der  Urschrift 
von  W.  Binder.     Zweite  Auflage.    Berlin.    Langenscheidt.    1885. 

Die  erste  Auflage  von  Binders  Übersetzung  erschien,  soviel  Ref. 
weifs,  Stuttgart  1862  in  der  Hoffmannschen  Sammlung,  die  nunmehr  in 
den  Langenscheidtschen  Verlag  übergegangen  ist.  Über  das  Verhältnis 
der  beiden  Auflagen  kann  Ref.,  dem  die  erste  nicht  zur  Hand  ist,  nur 
vermutungsweise  urteilen.  Weder  in  der  Einleitung  noch  in  den  An- 
merkungen findet  sich  die  geringste  Spur  von  Kenntuis  der  Tibull  litteratur 
seit  1862  Der  übersetzte  Text  z  B.  ist  nach  S.  30  noch  immer  der 
Heyne-Wund  erlichsche,  hin  und  wieder  ersetzt  durch  einzelne  Les- 
arten der  Lachmann  -  Dissenschen  Rezension!  Wir  haben  es  also 
anscheinend  mit  einem  wenig  oder  gar  nicht  veränderten  Abdrucke  der 
ersten  Auflage  zu  thun.  Die  Einleitung,  im  Wesentlichen  wohl  nach  der 
von  Teuffei  gearbeitet,  enthält  ungefähr  das,  was  man  hier  zu  finden 
erwartet.  Geradezu  Unrichtiges  ist  selten  (doch  nach  S.  9  war  Ti- 
bulls  Geburtsort  die  Stadt  Rom),  häufiger  Geschmacklosigkeiten  (nach 
S.  12  war  z.  B.  Delia  'eine  von  jenen  weiblichen  Freigelassenen  oder 
Plebejerinnen,  welche  durch  gefällige  Umgangsformen  und  eine 
nicht  allzu  züchtig  gehaltene  Klei  düng  anzuziehen  und  zu  fesseln 
wüteten'),  Mangel  an  poetischem  Verständnis  (S.  15:  'da  Delia  bei  einem 
Besuche,  den  ihr  Tibull  machen  wollte,  ihre  Wächter  nicht  zu  täuschen 
wagte,  sondern  ihn  vergeblich  schmachten  liefs,  so  gab  ihm  dies  Veran- 
lassung zu  Elegie  2  des  ersten  Buchest.    Die  Anmerkungen    am  Schlüsse 


Tibullübersetzungen  (Binder,  Bernstädt).  369 

des  Ganzen  geben  die  für  ein  ungefähres  Verständnis  der  Gedichte  nötigen 
Realien.  Doch  hätte  S.  143  Neaera  nicht  für  eine  Geliebte  Tibulls 
erklärt  werden  sollen.  —  Die  Übersetzung  ist  Fabrikware,  nicht  schlech- 
ter, aber  auch  nicht  besser  als  die  meisten  Erscheinungen  auf  diesem 
Gebiete,  welche  alljährlich  auf  den  Büchermarkt  kommen.  Die  Sprache 
ist  der  bekannte  wunderliche  Übersetzerjargon.  Wenn  der  Übersetzer 
im  lat.  Texte  findet  multo  perfusum  tempora  Baccho  ,  so  sucht  er  nicht 
etwa  die  gleichwertige  Wendung,  nein,  er  radebrecht  'wenn  triefen  die 
Schläfe  von  Bachus  Reichlicher  Gabe'.  Und  so  ist  sehr  oft  die  Über- 
setzung nur  verständlich,  wenn  man  das  Original  daneben  hält.  Tibull 
I  2,  18  'Wenn  mit  gezahnetem  Stahl  öffnet  das  Mädchen  die  Thür' 
—  also  offenbar  mit  einer  Säge!  Dasselbe  Gedicht  beginnt  'Lautern 
noch  mehr!1  I  4,  46  'Treibe  den  schwankenden  Kahn  selbst  durch 
die  Engen  hinab'.  Vgl.  'des  Mädchens.  .Magd  mitten  zu  stellen 
am  Markt'.  'Dir  .  .  .  drücke  der  Stein  zur  Schmach  .  .  das 
Gebein'  'beim  Haupt  mit  dem  Haupte  vereint'  'nicht  traurige 
Waffen  des  Pöbels'.  Eine  schlechte  Rolle  spielt  auch  das  unholde 
Wort  'derselbe'.  Einzelne  treffende  Ausdrücke  wie  'vielsagende 
Winke '=  nutus  loquaces  hat  bereits  Teuffei.  Überhaupt  fällt  ein  Ver- 
gleich mit  Gruppe«  und  Teuffels  Übersetzungen  überwiegend  ungünstig 
für  die  vorliegende  aus. 

214-     Tibulls  Elegieen.    In  das  Deutsche  übersetzt  von  Alfred 
Bernstädt.   Leipzig.   Nr.  1534  der  Reclam'schen  Sammlung.  79  S.  12. 

Die  bündige  Einleitung  enthält  das  für  ein  gröfseres  Publikum 
Wissenswerteste  über  Leben  und  Gedichte  Tibulls.  Die  neuere  Litte- 
ratur  ist  benutzt  —  vielleicht  mehr  als  nötig:  der  eques  R.  e  Oabüa 
konnte  uns  erspart  bleiben.  Nach  S.  4  mufs  der  Leser  glauben  das  Epi- 
gramm des  Domitius  bestehe  eben  nur  aus  dem  mitgeteilten  Distichon. 
Auf  S.  6  ist  der  Ausdruck  in  den  im  zweiten  Gedichte  (I  2)  ver- 
einigten drei  einzelnen  Gedichten'  sehr  unglücklich  und  irre 
leitend.  S.  10  ist  die  Behauptung,  auch  das  erste  Buch  sei  aus  des 
Dichters  Nachlasse  herausgegeben,  nicht  haltbar.  —  Der  Verf.  hat  sich 
nach  S.  11  zum  teil  'auf  eine  Modernisierung  der  Vossischen 
Übersetzung  beschränkt'.  Indessen  hat  er  sich  die  Sache  nicht 
leicht  gemacht  und  ist  eifrig  bemüht  gewesen  zu  bessern  und  zu  glatten. 
Als  Probe  des  Verhältnisses  von  Original  und  Überarbeitung  mag  der 
Anfang  von  II  5  dienen. 

Voss. 
Phöbus,  sei  hold!  Dir  wandelt  ein  Neulingspriester  zum  Tempel  1 

Auf!  mit  der  Lyra  komm  und  mit  Gesänge  daher! 
Nun  hellstimmige  Saiten,  wohlan!  mit  den  Daumen  gerühret! 

Nun  mir  Worte  zum  Lob  in  Melodieen  gebeugt! 

Jahresbericht  für  Alterthum.swissenschaft  1.1.  ( 1887    II  )  24 


370  Tibullübersctzunf,'en  (Hernsiiidt,  Oi-iliel.  Mäbly). 

Bernstädt. 
Phöbus,  sei  gnädig  gestimmt,  es  naht  dir  ein  neuer  Geweihter 

Drum  mit  der  Leier  komm  und  mit  Gesängen  daher. 
Jetzt,  so  lieh'  ich  dich  an,  lafs  hell  die  Saiten  mir  tönen, 

Und  lal's  mild  sich  mein  Wort  fügen  zum  Lobesgesang. 

Nicht,  überall  ist  offenbar  geändert  Boviel  wie  gebessert.  Aber  im  Ganzen 
darf  man  sagen,  dafs  die  vorliegende  Übersetzung  entschieden  zu  ilen 
besseren  Leistungen  auf  diesem  Gebiete  gehört  and  meist  lesbar  ist. 
Steine  des  Anstofses  fehlen  nun  freilich  nicht.  I  1  ist  verunstaltet  durch 
Umstellungen,  durch  Ausdrücke  wie  unschei  u  1  iche  Heerde',  'Rinder 
zu  feihen'.  I  5,  42  'Und,  o  Scham,  sie  droht,  alles  erfahre  mein  Herz 
ist  vollständig  verballhornt.  II  3,  3  'lachende  Fluren'  isl  falsche  Les- 
art. 11  4,  4  läfst  nicht  Amor  die  Bande  zurück'  ist  ganz  mifs 
verstanden  u.  s.  w.  Der  Versbau  ist  mehrfach  holprig,  besonders  im 
Hexameter.  Die  Ausstattung  ist  die  in  den  älteren  Reclamschen  Aus- 
gaben übliche  —  also  ziemlich  dürftig. 

Aufserdem  hat  Ref.  noch  folgende  Übersetzungen  einzelner  Ge- 
dichte oder  Bruchstücke  gesehen: 

215.  E.  Geibel  (Klassisches  Liederbuch.  Berlin.  Hcrtzi 
übersetzt  mit  gewohnter  Meisterschaft  Tib.  I  3,  IV  2,  IV  3.  Die  Verse 
sind  wundervoll.    Doch  sie  mögen  selbst  für  sich  sprechen  (IV  2.  Auf.)  : 

Festlich  schmückt  sich,  o  Mars,  zu  deinen  Kaienden  die  Juugfrau, 
Weifst  du  was  schön  ist,  so  komm  selbst  vom  Olymp,  sie  zu  schau 'n! 

Venus  wird  es  verzeihn;  doch  magst  du  dich,  Stürmischer,  hüten, 
Dafs  vor  Bewunderung  dir  schmählich  der  Schild  nicht  entfällt. 

Denn  will  Amor  das  Herz  unsterblicher  Götter  entzünden, 
Ihr  am  Auge  zuvor  steckt  er  die  Fackel  in  Brand. 

216.  J.  Mähly,  Römische  Lyriker  S.  85 f.,  übersetzt  Tib.  IV  2, 
IV  4,  IV  3,  IV  5,  I  3,  Lygdam.  5,  Tib.  I  1.  Er  kommt  Geibel  nicht  ganz 
gleich,  wie  die  Vergleichung  der  beiden  Übersetzern  gemeinsamen  Num- 
mern zeigt,  aber  bleibt  nicht  weit  hinter  ihm  zurück.  Die  Sprache  ist 
wirklich  deutsch,  und  doch  nirgends  trivial,  die  Verse  fliefsend.  Die  be- 
rühmten Verse  I  45 f.  lauten  hier  so: 

0  des  Genusses,  im  Bette  das  Toben  des  Windes  zu  hören, 

Während  das  Liebchen  sich  zart  dir  an  den  Busen  sich  schmiegt! 

Oder  beim  Takte  des  Regens  sich  drinnen   in  Schlummer  zu   wiegen, 
Während  in  Strömen  der  Süd  draufsen  die  Fluten  entleert! 

Das  ist's,  was  ich  mir  wünsche:  mag  reich  dann  werden  (ich  gönns  ihm), 
Wen  auf  tobendem  Meer  Wetter  und  Sturm  nicht  bewegt. 


Tibullübersetzungen  (Bruch,  Legerlotz  u.  a.)  371 

217.  C.  Bruch  bietet  in  seiner  Roma'  Tib.  I  1,  IV  13,  IV  12. 
IV  3,  IV  11,  IV  14,  I  10,  Lygdam.  2,  I  3  v.  57—82.  Auch  diese  Ar- 
beit verdient  Lob.  Verf.  ist  ein  sehr  gewandter  Nachdichter,  der  die 
Sprache  beherrscht  und  hübsche,  leicht  fliefsende  Verse  (die  Metra  der 
Originale  sind  beibehalten)  zu  bauen  versteht.  Der  Sprache  fehlt  es 
bisweilen  an  wuchtigen  schweren  Accenten ,  an  sinnlicher  Anschaulich- 
keit. Als  Probe  mag  die  Schilderung  des  Elysiums  (Tib.  I  3,  59f.) 
dienen: 

Da  herrscht  Reigen  und  Sang,  da  fliegen  die  Vögel  und   schmettern, 
Munter  von  Zweig  zu  Zweig  hüpfend,  ihr  liebliches  Lied. 

Da  schenkt  edles  Gewürz  die  Natur  und  die  Düfte  der  Rosen 
Wallen  in  würzigem  Hauch  über  das  blühende  Land. 

Knaben  und  liebliche  Mädchen  vereint  ein  lustiges  Treiben, 
Und  Gott  Amor  betreibt  selber  das  neckische  Spiel. 

218.  G.  Legerlotz  übersetzt  gewandt  und  geschmackvoll  im 
Versmafse  des  Originals  I  1  (Festschrift  zur  Feier  der  Einweihung  des 
Neuen  Gymnasiums.  Salzwedel.  1882  S.  4—5),  sowie  I  2  im  Salzwedeler 
Programm  1884  S.  3—4.  Vgl.  'Aus  guten  Stunden'.  Dichtungen  und 
Nachdichtungen  von  G.  Legerlotz.     Salzwedel.    1886. 

219.  Hultgren  überträgt  (N.  Jahrbb.  116,  110 f.)  Tib.  I  2  und  6  in 
moderne  Rhythmen  (vgl.  die  treffenden  Bemerkungen  von  R.  Richter  in 
dieser  Zeitschr.  1877  II  S.  295),  Ludwig  einen  Teil  der  dritten  Elegie 
des  Lygdamus  (Korrespoudenzbl.  f.  d.  Gelehrten-  und  Realschulen  Würt- 
tembergs XXVIII  (1881  S.  525—526). 

Übersetzungen  Tibulls  in  fremde  moderne  Sprachen  blieben  ent- 
sprechend dem  für  Catull  durchgeführten  Grundsatze  ausgeschlossen.  Doch 
sei  als  Merkwürdigkeit  erwähnt: 

220.  T  i  b  u  1 1  o  —  Urica  amorosa  versione  barbaro-dattilica  di  P  i  e  t  r  u 
Casorati.    Verona.   Münster.    1885. 

Elegische  Distichen  in  italienischer  Sprache  ohne  Rücksicht  auf 
den  natürlichen  Wortaccent  waren  dein  Ref.  etwas  ganz  Neues.  Ob  der- 
artige Experimente  mit  dem  Geiste  dieser  Sprache  vereinbar  Bind,  kann 
ein  Ausländer  nicht  entscheiden.  Zweifel  werden  gestattet  sein.  Der 
Anfang  von  1    1   lautet  so: 

Altri  in  forzieri  calchi  ricchezza  fnlgida  d'oro 
E  tli  fiorenti  messi  anmeri  molti  solchi: 
Ma  il  coro  gli  limi   Toste,  che  presse   s'aeeampa. 

E  lo  dissonni  il  cenno  <li  militare  squillo. 
Ausgestattet  ist  das  Bttohlein  sehr  zierlich. 


9* 

372  Tibull.     Verzeichnis  nicht  besprochener  Schriften. 

Folgende  Tibulliana  bat  Ref.  bis  zum  Abschlüsse  seines  Berichtes 
nicht  einsehen  können: 

221.  V.  Vaccaro,  De  auHevtiyi  Tibulli   in  Messallarn  pa- 
negyrici.   Palermo. 

222.  S.  Vacirca,  Albio  Tibullo.    Roma.    1879. 

223.  C.  Biuso,  La  questione   del   terzo  libro  di  Tibullo. 
Rieti.    1883. 

224.  T  i  b  u  1 1  u  s.  Book  I  adapted  for  schools  by  F.  and  E.  B  ü  1  m  e  r. 
Cambridge. 

225.  L.    Englmann,    Anthologie    aus    Ovid,    Tibull    und 
Phädrus.    5.  Aufl.    Bamberg.   Buchner. 

226.  P.  Frost,   Florilegium    poeticum.     Elegiacs   extracts 
from  Ovid  and  Tibullus.   London.    1877. 


»e« 


Druck  von  C.  Feicht  in  Berlin. 


PA      Jahresbericht  über  die  Fort- 
3  schritte  der  klassischen 

J3        Altertumswissenschaft 

Bd.  pO-51 


PLEASE  DO  NOT  REMOVE 
CARDS  OR  SLIPS  FROM  THIS  POCKET 


UNIVERSITY  OF  TORONTO  LIBRARY 


\rf 


I 

WM