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JAHRESBERICHT
über
die Fortschritte der classischen
Altertumswissenschaft
begründet .
von
Conrad Bursian,
herausgegeben
von
Iwan Müller,
orcl. öffenll. Prof. der classischen Philologie an der Universität Erlangen.
Fünfzigster Band.
Fünfzehnter Jahrgang. 1887.
Erste Abtheilung.
GRIECHISCHE KLASSIKER»
BERLIN 1889.
VERLAG VON S. CALVARY & CO.
W. Unter den Linden 17.
3
-73 <J. &o-f/.
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Inhalts- Verzeichnis s
des fünfzigsten Bandes.
Die Berichte über Homer von Rektor Dr. A. Gern oll in
Striegau und Dr. F. Weck in Metz, sowie der Bericht
über Hesiod und nachhomeriscbe Epiker von Professor
Dr. Rzach in Prag folgen im nächsten Jahrgang.
Jahresbericht über Pindar 1885—1887. Von Dr. L. Borne-
mann in Hamburg 21 — 33
1. Leben und Weltanschauung 21. — II. Dialekt, Grammatik 25.
— III. Chronologie 28. — IV. Ausgaben und Beiträge 28.
Die Berichte über die griechischen Lyriker von Prof. Dr. Fül-
ler in Halle; Tragiker von Studienrektor Prof. Dr. Weck-
lein in München; Komiker von Prof. Dr. H. Zacher in
Breslau; Herodot von Dr. J. Sitz ler in München; Thuky-
dides von Prof. Dr. L. Cwiklinski in Lemberg und Dr.
Fr. Müller in Salzwedel; Xenophon von Geh. Rath Prof.
Dr. K. Schenkl in Wien; spätere griechische Geschichts-
schreiber von Dr. Kaerst in Gotha; Plutarch von Dr. Max
Treu in Breslau; älteste griechische Philosophen von Prof.
Dr. F. Lortzing in Berlin folgen im nächsten Jahrgang.
Bericht über die Litteratur zu Plato aus den Jahren 1880
-1885. Von Prof. Dr. G. Schneider in Gera . 134-186
Staatslehre 134. — Sokratos 138. — Protagoras 147. — Apologie
und Criton 152. — Ladies 161. — Phaedon IGT.
Der Bericht über Textkritik zu Plato von Prof. Dr. M. Schanz
in Würzburg folgt im nächsten Jahrgang.
Bericht über Aristoteles und Theophrastos für 1886.
Von Prof. Dr. Franz Susemi hl in Greifswald . . 1—20
Hermenie 1. — Metaphysik 2. — Physica G. — Ethik 9. — Po-
litik 12. — Rhetorik 13. — Poetik IG. — Theophrastus 19.
IV Inhalt - V tz icl
Bericht über <ln: in den Jahren 1881 — 1886 erschienenen
au l die Dacharistotelische Philosophie bezüglichen Schriften.
Von Prof. Dr. M. Heinze in Leipzig 34-
Allgeme 34 Die Stoa :;i. Zeno 52 — Chrysipp 68.
Panaetiut 55. Posidonius 56. — Seneca 57. Epictel 68
— Marcus Antoninas 7o - Andronicus 73 — Epicur und l'hi-
lodem 7."». — Die Skepsis 83. - Pyrrho und Sextna Empi-
ricus 87. — Apollonius von Tyana 90 Galen 92. - Die
Alexandriner 94. — l'liilo 95. — Die Nenplatoniker 96.
— Plotin 98. — Hypatia 103. — Janiblichus 104. - Letzte
heidnischen Philosophen, Boethius etc. 107. Patristik
110. - Nachtrag 133.
Bericht über die auf die attischen Redner bezüglichen litte-
rarischen Erscheinungen der Jahre 1882 — 1885. Zweite
Abtheilung. Von Dr. Georg Hüttner, Studienlehrer in
Ansbach 187—224
Demosthenes 187. — Textüberlieferung und Sprachgebrauch
187. — Ausgaben 197. — Erläuterungsschriften 204. — Aeschi-
nes234. — Lycurgus 240 — Hyperides und Dinarchus 244.
— Dem ad es 245.
Die Berichte zur Litteratur über die griechischen Rhetoren
von Studienlehrer C. H am in er in München: über spätere
griechische Prosaiker und Byzantiner von Privatdocent Dr.
Krumbacher in München und Oberschulrat Prof. Dr.
Eberhard in Braunschweig und über die griechischen
Grammatiker von Prof. Dr. P. Egenolff in Mannheim er-
scheinen später.
Bericht über Aristoteles und Theophrastos
für 1886.
Von
Professor Dr. Franz Snsemihl
in Greifswald.
Auf dem Gebiete der aristotelischen Litteratur ist im Jahre 1886
nicht gerade Vieles erschienen, aber doch einiges Erhebliche. So gleich
Rose's dritte Bearbeitung der Fragmente:
1) Aristotelis qui ferebantur librorum fragmenta. Collegit Valen-
tinus Rose. Leipzig, Teubner. 1885. I, 451 S. 8.
Eine eingehendere Besprechung derselben scheint mir aber au
dieser Stelle überflüssig. Wem an einem raschen Ueberblick über das
Verhältniss dieser neuen Bearbeitung zu der zweiten (Berlin 1870 in
der akademischen Ausgabe des Aristoteles) gelegen ist, findet ihn in
meiner Anzeige in der Wochenschr. f. klass. Phil. IV. 1887. Sp. 1354
— 1360. Ausserdem siehe die von Heitz in der deutschen Litt.-Ztg. 1887.
Sp. 341-344.
Die Hermenie ist von dem inzwischen verstorbenen Michelis
in dem Schriftchen
2) Aristotelis rrsp} ipfxrjvs:ag librum pro restituendo totius philo-
sophiae fundamento intefpretatus est Fr. Michelis. Heidelberg.
Weiss. 1886. 84 S. 8.
einer erneuten Erörterung unterzogen worden, indem der Verfasser
glaubte erst den wahren Schlüssel zum Verstäudniss dieses kleinen
Werkes gefunden zu haben und damit auch jeden Zweifel an der Aecht-
heit desselben beseitigen zu können. Das Schriftchen enthält brauchbare
Einzelheiten, als Ganzes scheint es mir nicht gelungen, worüber ich midi
in meiner Anzeige in der deutschen Litt.-Ztg. 1886. Sp. 1642 f genauer
ausgesprochen habe. Ausserdem haben aber dasselbe YYohlrab im
Litt. Centralbl. 1886. Sp. 1043 und Wallies in der Berliner philol.
Wochenschr. VII. 1887. Sp. 40—43 berichtet.
lahresbericht für Altertliuniswissensch.ifi L. (1887. !•• 1
2 Aristoti let
Sehr verdienstlich i-t die neue Ausgabe der Metaphysik:
:'.) Aristotelis Metaphysica. Etecogoovil W. Chrisi Leipzig,
Teubner. 1886. XX, .".30 S. 8.
Chrisi hal die beiden ältsten Bandschriften A' and E neu ver-
glichen und als die Trägerinnen zweier versebiedner Ueberliefernngen
dergestalt erwiesen, dass zwar die in Ab vertretene etwas besser ist,
aber doch der Text abwechselnd nach beiden gestaltet werden muss.
Mit grosser Vereinfachung des Apparats hält er sich im Wesentlichen
tun an diese beiden Manuscripte, indem er es allem Anscheine nach mit
Recht für wahrscheinlich erklärt, dass alle jüngeren aus ihnen abgeleitet
sind. Unter seinen Conjecturen sind viele glückliche. Was ich trotz-
dem an dieser neuen Ausgabe auszusetzen habe, ist in meiner Recension
in der Wochenschr. f. klass. Philol. IV. 1887. Sp. 5—12 angedeutet, in
welcher ich eine Reihe von Stellen aus den Büchern A und B besprochen
habe. Meine eignen dort vorgetragenen Vermuthungeu brauche ich hier
nicht zu wiederholen, da ich sie mit anderen Nachträgen hinter meiner
Ausgabe der Oekonomik zusammengestellt habe. Ausser von mir ist
diese Arbeit auch von Wohlrab im Litt. Centralbl. 1886. Sp. 1043 f.
und von E. Wellmann in der deutschen Litt.-Ztg. 1886. Sp. 1559 f. rüh-
mend angezeigt worden. Der Bericht von Bullinger in der Neuen
philol. Ruudsch. I. 1886. Sp. 373 f. ist mir nicht zugänglich.
Eine Vorläuferin dieser Ausgabe war und eine wesentliche Er-
gänzung derselben ist die Abhandlung
4) Kritische Beiträge zur Metaphysik des Aristoteles. Von
W. v. Christ. In den Sitzungsberichten der philos. -philol. Klasse
der Münchener Akademie 1885. II. (München 1886). S. 406—423,
indem Christ in derselben über den Codex Ab genauere Mittheilungen
giebt. Die Nachbleibsel stichometrischer Zählung, welche er in dieser
Handschrift entdeckt zu haben glaubt, beruhen indessen nach der Ver-
sicherung, welche mir Bruno Keil auf Grund eigner genauer Einsicht
gegeben hat, auf Irrthum. Und was dann Christ über die erste Zu-
sammenstellung unserer heutigen Metaphysik aus dem Nachlasse des
Aristoteles bemerkt, ist nicht neu, sondern längst besonders von Zell er
gesagt: in der That, ganz gewiss wollte Aristoteles selber die früher ge-
schriebenen Bücher M und N nicht in die Metaphysik aufnehmen, bei
der Frage aber, warum in der Polemik gegen die platonische Ideenlehre
nunmehr in A mit der dritten Person die erste des Plurals vertauscht
wird, war doch, da wirklich kein Grund dafür ersichtlich ist, wesshalb
erst »die Redactoren« sie hätten vornehmen sollen, die doppelte Mög-
lichkeit zu unterscheiden, worauf Di eis, Ueb. d. exot. Reden b. Arist.
S. 482. A. 1. S. 487. A. 1 (vgl. Ber. XLII. S. 7) aufmerksam gemacht
hat, ob dies bloss so viel als unser »man« bedeuten soll, oder ob dem
Fragmente. Hermenie. Metaphysik. 3
Aristoteles daran liegt sich gerade gegen das Ende seiner Wirksamkeit
mitten in dieser Polemik doch noch selber zu den Piatonikern zu
rechnen1). Trotz der ausserordentlichen stilistischen Durcharbeitung
dieses ersten Buchs kann ich mir dagegen keine Vorstellung davon
machen, dass er die Absicht gehabt haben sollte im Unterschiede von
allen seinen andern systematischen Schriften (und selbst der Topik und
Rhetorik!) gerade die Metaphysik »zur Herausgabe, also für ein grösse-
res Publicum« zu bestimmen2) und desshalb mit dieser ersten Person
»einen gemüthlicheren und weniger exclusiven Ton anzuschlagen« (S. 420).
Eben so ist es mir durchaus Dicht so wahrscheinlich wie Christ (S. 410),
dass Andronikos, der doch in Athen wirkte, seine Aristotelesausgabe in
Rom bei Atticus hätte erscheinen lassen. Dagegen gebe ich unbedenk-
lich zu, dass der Fall eigner nachträglicher Randbemerkungen des Aristo-
teles in der Metaphysik häufiger ist als in anderen Schriften. Ob es indessen
H, 6. 1045 b 2 ff. (s. S. 420 f.) nicht genügt 8tb xcu ohx k'veazcv bis ov ~i als
Parenthese zu bezeichnen, ist eine andere Frage. Aehnliche Beispiele
sind ja zahlreich bei Aristoteles; ich begnüge mich auf das Ber. XXXIV.
S. 43 besprochne Polit. I, 6. 1255 a 17 ff. zu verweisen. Eben dort liess
ich I, 5. 1254 a 25 ff. mich einst zu einer Umstellung verleiten, worauf
Thurot mich eines Bessern belehrte.
Die im Allgemeinen in gewandtem Latein geschriebene Dissertation
5) Aristotelis systema causarum ad motum circularem refertur.
Commentatio philosophica, quam ... ad summos in philosophia honores
rite impetrandos scripsit Konradus Adrian. Münster, 1886. 59 S. 8.
ist ein erneuter Versuch den aristotelischen Deismus unbeschadet des
ausdrücklich anerkannten Dualismus von Gott und Materie im Anschluss
an Brandis in eine Art von dynamischem Pantheismus zu verwandeln,
vermöge dessen alle in der Welt wirkenden Kräfte in dieselbe, um mit
i) Warum ich das Letztere für wahrscheinlicher halte, habe ich in den
Jahrb. t. Piniol. CXX1X. 1884. S. 2G5. A. 5 auseinandergesetzt.
2) Dass man eine solche Folgerung nicht ziehen darf, erhellt meines
Erachtens aus der Analogie anderer Schrifter., wenn auch ähnliche Erschei-
nungen gerade im Anfang derselben in gleicher Ausdehnung nicht nachweis-
lich sein mögen. Aber wie sehr sticht •/.. B. die flüssige, im hesteu Sinne
populär -wissenschaftliche Darstellung in Pol. VI (IV), li von den meisten
antlern Partien dieser Schrift al>! Mi: IV (VII), 1 hat es freilich dort wohl
eine eigne Bewandniss, Ziemlich hiatnsfrei aber schreib! Aristoteles Öfter,
z. B. auch im Anfang der Politik Und die Disposition des Stoffs i-t im
Buch A der Metaphysik wahrlich nicht besonders leicht verstandlich Wie
sehr sie ■/,. B, gerade in der Bekämpfung der platonischen Ideenlehre nicht
allein von Christ, sondern sogar von Bonitz, trotzdem dieser sehen ani
dem richtigen Wege war, verkannt ist, glaube ich in meiner angeführten Re-
cension bei aller Kurze doch überzeugend dargelegt eu haben
1*
4 Ari ' B
Brandis zu reden, »eingesenkte göttliche Gedanken« sein sollen. Der
Verfasser zeigl eine löbliche Belesenheil in den Schriften des Aristoteles,
bal es aber nicht für nöthig gehalten auf Zeller - bereits vorhandene
Widerlegung dieses Standpunktes auch nur mit einer Silbe einzugehen,
geschweige denn, dass er sie zu entkräften versucht hätte, und so kann
seine Arbeit tn>t/ alles sonstigen auf sie verwandten Fleisses im Wesent-
lichen Leider nur als ein wissenschaftlicher Anachronismus bezeichnet
werden. Gott denk! nach der ausdrücklichen Erklärung des Aristoteles
nur sich seihst, also nicht die Formen anderer Dinge. Der Grundge-
danke des Verfassers aber, dass nach der Lehre des Stagiriten an die
von Gott selbst gewirkte Kreisbewegung des Fixsternhimmels die ab-
weichende der Planeten und an beide wieder der Kreislauf des Werdens
in der Erdenwclt sich anschliesst, ist nicht neu, und die Ausführung
desselben bei Adrian kann nur innerhalb der menschlichen Sphäre auf
den Ruhm einer gewissen Eigenartigkeit Anspruch machen; frei von
starken Fehlern ist sie freilich auch hier nicht. Aber Adrian selbst
muss ja zugeben, dass die abweichenden Umläufe der Planetensph;'iren
nicht von Gott, sondern von andern, gleich ewigen Principien hergeleitet
werden. Aus der Neigung der Sonnenbahn ferner folgt nur der Wechsel
des Entstehens und Vergehens auf Erden im Allgemeinen, nicht aber
dass es gerade diese und keine anderen Arten vergänglicher Dinge giebt.
Vergeblich bestreitet Adrian, dass Aristoteles zur Erklärung hierfür
noch wieder fernere ewige Urkräfte angenommen hat und annehmen
musste. Wie es endlich mit einander stimmen soll, dass Gott, wie
Adrian ausdrücklich zugiebt, nach Aristoteles ausserweltlich ist, und
der Philosoph ihn dennoch nach der Meinung desselben Adrian für
einerlei mit der actuellen Vernunft im Einzelraenschen gehalten haben
soll, ist nicht zu begreifen. Dass der Verfasser aber fälschlich diese
letztere Meinung auch Zeller unterschiebt, ist in der That etwas stark3).
Offenbar ist vielmehr diese Art von Geistern bei Aristoteles noch eine
vierte Classe solcher ewiger Substanzen.
Wie sehr sich vielmehr ein wirklicher Fortschritt in der Erkennt-
niss der aristotelischen Weltanschauung, so weit er überhaupt noch mög-
lich ist, lediglich durch eine gründliche Prüfung von Zell er' s Dar-
stellung und Kritik derselben vollziehen kann, dafür giebt die scharf-
sinnige und methodisch eindringende Untersuchung
6) Ou the universal and particular in Aristotle's theory of know-
ledge. A dissertation written for the fellowships at Trinity College,
Cambridge, by H. Mac Leod Inues, B. A. Cambridge: Deighton,
Bell and Co. 1886. 31 S. 8.
einen werthvollen Beleg. Gegenüber der Ausführung Zeller' s, dass die
3) S. 48. Dabei citirt er Zell er II. S. 489 ff., d. h. er hat überhaupt
nur die erste Auflage von Zeller's Werk in Händen gehabt!
Metaphysik. 5
aristotelische Metaphysik durch den von Aristoteles selbst sehr wohl
erkannten, aber nicht gelösten Grundwiderspruch, nach welchem die Er-
kenntniss auf das Allgemeine gerichtet, das Einzelne aber das wahrhaft
Wirkliche oder Substanzielle sei, zerrissen werde, sucht Inn es zu zeigen,
dass dieselbe, wenn auch keineswegs widerspruchslos, doch von einem
so fundamentalen Risse frei sei. Es sei nämlich nicht das letzte Wort
des Aristoteles, dass das Individuum die -ou'jzr, ohaia sei. sondern als
Substanzen im strengen Sinne betrachte er in Wahrheit innerhalb der
Erdenwelt jene ewigen, an die Stelle der platonischen Ideen tretenden
Formen der verschiedenen Classen von Dingen, von denen eben bereits
die Rede war, wie sie (um es hier möglichst kurz und daher freilich
nur recht ungenau auszudrücken) den untersten Arten zu Grunde liegen.
Irre ich nicht, so ist diese Lösung in der That die richtige; alle Be-
achtung verdient sie jedenfalls. Aber ich fürchte, sie bringt uns von
der Skylla in die Charybdis. Es kann nach den unzweideutigsten Er-
klärungen des Aristoteles keinem Zweifel unterliegen, dass er dagegen
den Gattungen keine solche Formen zuerkennt, und dass, wie Inn es
S. 24 richtig bemerkt, gerade hierin das eigentliche Ferment seiner
Polemik gegen die platonische Ideenlehre zu rinden ist, dass er sie also
nur als potenzielle Realitäten ansieht und als eine intelligible Materie
bezeichnet, siehe Inn es S. 25 f. Aber was soll man sich nach seinen
Voraussetzungen unter einer intelligibleu Materie (ufy votjrfj Met. H, 6-
1045a 33) eigentlich denken, so bald man über das Gebiet der blossen
Analogie und Metapher hinausgeht ? Der Begriff der absoluten Poteu-
zialität ist ja an die stoffliche Materie, die rr/></>T>; uXrj, bereits wegge-
geben; die relative Potenzialität der intelligiblen müsste erst aus ihr
hergeleitet werden und sich herleiten lassen. In Wahrheit ist nuu aber
bei Aristoteles die Form der Grund alles Intelligiblen, Seelischen und
Geistigen und Gott allein eben als die reine Form auch der reine Geist,
die Materie dagegen der Grund alles Sensiblen und Körperlichen. Frei-
lich, dass die menschliche Vernunft in eine actuelle (von aussen in den
Fötus eingetretene) und eine potenzielle zerfällt und folglich die mensch-
liche Erkenntniss, sowohl die unmittelbare wie die mittelbare, ebenso,
lässt sieh genügend aus 'lern Einfluss dieser eigentlichen Materie be-
greifen, so fern auch der Mensch immerhin noch ein organisches Körper-
wesen im Bereich der vier niederen Elemente ist. Aber für die Gattun-
gen als reale Potenzialitäten hört, wie mir scheint, dieses Begreifen auf,
um so mehr da die eigentliche Materie doch vielmehr die Ursache dos
Einzeldaseins sein soll. Gans anders steht es ja mit der Form: die
Vielheit gleich ursprünglicher und ewiger Formen hebt die innere Ein-
heit des Princips nicht auf, denn sie bilden ein Stufenreich aufzeigen-
der Vollkommenheit bis zur Gottheit, der absoluten und allein stofffreien
Form, hinauf: es herrsch! hier, bo zn sagen, dieselbe prastabilirte Har-
monie wie unter den Leibnizschen .Monaden. Abstractionen und Phan-
6 Aristoteles.
;.i iegebilde ind sie freilich nicht minder als Wie platonischen Ideen,
atu welchen nnd in Gegensatz gegen welche sie hervorgewachsen sind.
in der verderbten Stelle X. 18. 10381' 28 (siehe Öcnwegler und
Bon it./ zu derselben) vermuthel tnnes 8. 16 f. A. l ouoa für obata.
In der Schrift vom Entstehen und Vergehen BChlägt Apelt
in der unter No. 11 aufzufahrenden Aldi. (8. 765. A. 34) I, 10. 328» 5.
out für ohx \or und schützt dann durch Herstellung der richtigen In-
terpunetion cbendas. 7 ff. drjXov utg oure — fte/JuyBat {pvv&eatc yhp —
fiöptov (fajikv d' — xpaBevrog' dtv 8 ataByccv) oute rjj Sioupeaet
gegen Prantl's verunstaltende Aenderung von 15. o5n in obdk.
Innerhalb der Meteorologie ist die zuletzt von Poske (siehe
Ber. XXXIV. S. 24 f.) besprochne Abhandlung über den Regenbogen in
dem Aufsatz
7) Aristote Meteorologie, livre III. eh. V. Von Paul Tannery.
In der Revue de philologie. N. F. X. 1886. S. 38-46
einer erneuten Prüfung unterzogen, welche zu ganz anderen Ergebnissen
gelangt. Der rühmlich bekannte Verfasser geht von der Beobachtung
von Allman und Usener aus, dass zwar die Mathematiker seit Eu-
kleides den Punkt mit zb A, die Linie mit jj BT zu bezeichnen pflegen,
dass sich aber bei Aristoteles und Eudemos eine ältere Bezeichnungs-
weise zb if w A, rt i<p' jj BT findet, und wie diese Beobachtung dazu
gedient hat das Bruchstück des Eudemos bei Simplikios (Phys. I. S. 60 — 68
Diels) von den Zusätzen des letzteren zu scheiden, so kommt er mit
Hülfe dieses übrigens, wie er selbst von vorn herein hervorhebt, nicht
unbedingten Kennzeichens dazu eine massenhafte Interpolation im Texte
des Aristoteles anzunehmen, mit deren Beseitigung das bisherige gering-
schätzige Urtheil über diese geometrische Construction desselben schwin-
det und sie vielmehr in ein neues und gar nicht unvorteilhaftes Licht
tritt. Dass freilich nicht alle seine Tilgungen gleich sicher sind, giebt
Tannery selber zu; am Bedenklichsten sind seine Herstellungsversuche
377 a 3 ff. Ueberhaupt sind es folgende: 375 a 19. [toö], 20. [xsvzpou ok
zou K\, 21 und 25. xivzpoo für Ä, 22. [rj], 23. [änb — k-i'lvr/Hz^aa: .
30 f. [xal — H], 31. [iv a> tö A], 32. zä statt des zweiten zb, ent-
sprechend auch 376b 30. 32. 377 a 3. 5, dann 375 b 34 (unter Tilgung
des Kommas vor av) [zä>v - h . )///], 376a 1. [änb tiöv IIA], 3 — 5. [htei
— Mh), 7— b7. [npbg — M K\, b10. xivzpoo statt MH xuxXoo. 10 12.
[sc — ädövazov]. 14. [änb zoü HK], dann 16. zijv 22. öpc^ovrog seien
Worte, die der Interpolator an die Stelle der von ihm ausgemerzten
ächten gesetzt habe; die Unächtheit von 22. zwv — 28. hepzwzv steht
schon von alter Zeit her fest, ferner 29. [enavaTeTaAxerta bk zb //],
377a 3f. [z/je — irtdvoj], 4. [&v], 5. ypap.prJQ (boto))?, 6. (rou) ijptx'j-
xXiou, 7 — 9. [zoü yäp — eeezat], 9. [abzo ü\ ? Endlich 22. t^v zb II sei
verderbt.
Metaph. De gen. et corr. Meteor. Erdkunde des Aristot. 7
Namentlich auf die Meteorologie und die Thiergeschichte, aber
auch auf andere aristotelische Werke bezieht sich die vortreffliche
Dissertation
8) De Aristotelis geographia capita duo. Dissertatio inauguralis,
quam . . . scripsit Gustavus Sorof. Halle 1886. 93 S. 8.
Sie ist nur Theil einer umfassenderen Schrift über die gesammte
Erdkunde des Aristoteles, und man kann der Veröffentlichung dieses
Ganzen nur mit freudiger Erwartung entgegensehen. Was uns hier dar-
geboten wird, ist nur das dritte Capitel, welches die Ansichten des Ari-
stoteles über die bewohnte Erde, und ein Theil des vierten, welches die
Frage behandelt, wie weit seine Specialkenntniss derselben reichte. In
jenem dritten (S. 5—30) wird zunächst nachgewiesen, dass, wie Letronne
mit Recht aus de coel. II, 14. 298 a 9 ff schloss, dem Aristoteles die
Ansicht, nach welcher der Ocean ein vou der bewohnten Erde einge-
schlossener ungeheurer See sein sollte, schon wohlbekannt war4), indem
er zugiebt, sie könne gewisse Gründe mit Recht für sich anführen, dass
er sich aber doch, wenn auch mit einer gewissen Reserve, für die ent-
gegengesetzte entschieden hat, welcher die ocxou/xsvrj vielmehr für eine
Insel im Ocean galt5) (S. 5 21). Dieser Abschnitt ist zugleich ein
guter Commentar für Meteor. II, 5 362b 13- 30, eine Stelle, deren Sinn
und Zusammenhang bisher durch eine unglaublich verkehrte Interpunk-
tion völlig verdunkelt war6). Sodann wird (S. 21 — 30) die Lehre des
Aristoteles von den Erdtheilen besprochen, indem gezeigt wird, dass er
zwar gelegentlich die Theilung in Europa, Asien und Libyen beibehält,
genauer aber sich doch für die in Europa und Asien aussprechen will.
Dabei schliesst Sorof besonders aus Polit. IV (VII), 7. 1327 b 24f. mit
Recht, dass er Nordasien noch mit zu Europa rechnete, und führt dies
an anderen Aeusserungen des Philosophen genauer aus, dergestalt, dass
also der von Eratosthenes übernommene Gedanke des Dikäarchos die
bewohnte Erde durch einen Parallel mit dem Aequator in eine nördliche,
kältere und eine südliche, wärmere Hälfte zu theilen schon auf dessen
4) Aber noch nicht die, nach welcher dieser See wieder in mehrere,
durch schmale Landzungen getrennte Seen zerfallen sollte.
5) Beide Ansichten verbindet Piaton Tim 24Eff, indem er meint, d;i<>
der Ocean selbst noch wieder von einem grossen Festlande auf der westlichen
Halbkugel umgeben sei.
6) Die richtige ist folgende, wie Sorot' zum Theil ausdrücklich gesagt
hat, zum Theil sich wenigstens aus seiner Erörterung ergiebt: iti — k<>yo*.
'd re ydp kdyoq deixvuoiv dtd ttjv xpdm> (m) ydp — i-i TtAdros), <3<rr' ;!
— nopeüoipov ■ xai xarä rd (famdpevuv (nämlich zaTiv ddÜMarnv) ?:£/>> re —
rtopsiat koXö ydp — dxptßelat xatxoi — olxouftevyjD [tf&a fiiv yap — dkiav),
rd 3k — üb <paiverai auvsipstv tw OUVtY&t tlvat r.dodv olxouflivijv (= oinw
ouvtipecs, wäre ouvay&i ttvatj üiehe Sorot S 9)«
8 Aristoteles
Lehrer Aristoteles zurückgeht. Der noch Übrige, umfänglichere Thcil der
Dissertation zerfällt in folgende Abschnitte: de Europa (8. 80 44), wo
besonders über das Mittelmeer und Beine Anhängsel und über die Namen
seiner Theile bei Aristoteles gehandelt wird, de Iberia (8. 44-48), de
Celtis (S. 48 56), de Scythis (S. 57 68), de Liguria (S. 68f.)f de Italia
(S. 70—78), de Sicilia (S. 78—82), de Illyria (S. 82 92). und so ist
denn das Schriftchen ein werthvoller Beitrag ebensowohl für das Studium
des Aristoteles als für die Geschichte der Erdkunde. Zu tadeln isl nur,
dass der Verfasser, der doch meine erklärende Ausgabe der Politik
kennt7), nicht im Geringsten auf meinen Nachweis Rücksicht nimmt,
dass die Abschnitte in der Politik IV (VII), 2. 1324 a 14—4. 1325 '- 34
und 10. 132911 40— b39 Schulinterpolationen sind und folglich für Ari-
stoteles selbst nur sehr bedingungsweise verwandt werden dürfen. Ausser-
dem wäre bei der Herausgabe des Ganzen sehr zu wünschen, dass der-
selbe nicht nach den Capiteln und Paragraphen der Didotschen Ausgabe,
sondern nach Bekker citirt würde.
Für die Psychologie und die Schrift de sensu sind nur zu
erwähnen:
9) Zu Aristoteles Psychologie. Von Fr. Susemihl. Im Philo-
logus XL VI. 1886. S. 86.
10) Zu Aristoteles nepl alaBrjaeojg. Von Clemens Bäumker. In
den Jahrb. f. Philol. CXXXIII. 1886. S. 319 f.
Susemihl erklärt sich I, 3. 407 a 11 einverstanden mit der we-
sentlich nach ihm vorgenommenen Textgestaltung Biehl's und schreibt
II, 3. 414b 8. £wvtwv. Bäumker aber vertheidigt de sensu 7. 448b 19
npog äXXrjla gegen Thurot, billigt ebendas. 21 richtig mit Thurot die
Lesart von Alex, und LSU xa\ oüziog dro/nw wg und verbessert in der-
selben Thurot's Correctur xal <sv> in xav8), vermuthet wiederum auf
Grund von Thurot's Anstoss 24. ^c9), endlich 449 a 3, wo Neuhäuser
(siehe Ber. XVII. S. 264) </zjy> kv vorschlug, erinnert er daran, dass
7) Aus derselben hätte er* auch lernen sollen , dass die Verbesserung
Sipirtv IV (Vll), 10. 1329b 21 nicht, wie er S. 71. A. 1 angiebt, von Bekker,
sondern von Göttling herrührt.
8) Darauf freilich, dass man jetzt allgemein Poet. 1. 1447 a 21 xäv statt
y.al Ac (xal iv eine bestimmte Classe der Apographa) schreibe, hätte Bäumker
sich nicht berufen sollen, denn ich wenigstens habe ausdrücklich gegen diese
weder Sinn noch Construction herstellende, wohl aber den tiefer liegenden
Schaden verhüllende Aenderung protestirt, ebenso vor mir Spengel.
9) Daraus, dass die vetusta translatio hier zu que noch utique hinzusetzt,
erwächst jedoch dieser leichten Aenderung schwerlich eine Stütze (denn ye
pflegt in diesen vetustae translationes weggelassen und nicht durch utique
übersetzt zu werden), aber sie bedarf auch einer solchen nicht.
Psychol. De sens. Thiergesch. De Melisso. Ethik. 9
schon Alexandros unter T hu rot 's Beifall mit Recht </xiy) odaBoverai
vermuthet hat, und rechtfertigt dabei das y.a:. im Nachsatz statt ohot
durch den Hinweis auf de coel. I, 11. 281 a 16 f.
In der Thiergeschichte III. l. 510a 34 setzt Tannery a. a. 0.
S. 38 die Worte alSdiov J, xuareg E in eckige Parenthesen.
Von dem pseudo - aristotelischen Schriftchen über Melissos,
Xenophanes, Gorgias ist von dem künftigen Herausgeber desselbeu
in der vorzüglichen Abhandlung
11) Melissos bei Pseudo -Aristoteles. Von OttoApelt. In den
Jahrb. f. Philol. CXXXIII. 1886. S. 729—766
die Gliederung und der Gedankenzusammenhang des ersten und um-
fänglichsten Theils in überzeugender Weise dargelegt und in Verbindung
damit die Gestaltung des Textes besprochen, welcher bekanntlich in
furchtbar zerrütteter Form überliefert ist. Einen Auszug aus der erste-
ren Untersuchung zu geben ist unthunlich, und nach der letzteren Seite
einen solchen geben zu wollen würde Raum- und Zeitverschwedung
sein, denn den besten Auszug wird nach dieser Richtung hin eben die
Ausgabe Apelt's selber darstellen, welche uns endlich einmal eine wirk-
liche Textrecension liefern wird. Jeder, welcher dieselbe einst mit Nutzen
gebrauchen will , wird auch diese erläuternde Abhandlung selber zur
Hand nehmen müssen. Nur kurz sei hier also auf das Ergebuiss hin-
gewiesen, dass der peripatetische Urheber durchweg in wohldurchdachter
Weise verfährt und trotz der starken Blossen, welche er sich im Uebri-
gen in historischer Beziehung mehrfach giebt, doch die Lehre de- Me-
lissos im Wesentlichen historisch treu, wie auch bisher schon Zell er
und Andere urtheilten, aufgefasst hat.
P'ür die Ethik begnüge ich mich hier kurz zu verzeichnen:
12) La murale d'Aristotele (Ethica Nicomachea). Tradotta sul tosto
del Susemihl da L. Moschettini. Vol. II: üb. VI X Cosenza, 1886.
114 S. 8. Vgl. Ber. XXXIV. S. 35.
13) Aristote. Morale äNicomaiiue, livre lo. Traduction deThurot,
revue et accompagnee d'une introduction par A. Ilaunequin. Paris,
Hachette. 1886. 83 S. 16.
14) Aristote. Morale ä Nicomaque, Iure X. Nouvelle äditioo • • •
par Ludovic Carrau. Paris, Alcan. L886. 92 8. L2. Vgl. dir An-
zeige von Wallies in der Berl. philol. Wochenschr. \ 1. 1886. Sp. L079i
auch Ber. XXX. S. 52f.
ir>) Aristote. Morale \ Nicomaque, livre Vlll (de l'amitie).
Texte grec etc. par 1-. Ollö-Laprune. Paris, Belin. 1886. IV,
L52 8. i-j.
10 Aristotele .
Moschettini bietet uns auch in diesem zweiten Theile seiner
Arbeit einige rechl beachtenswerthe Vermutbungen, [ch bedaore, 'la-
ich dieselben hinter meiner Ausgabe der Oekonomifc nicht mehr mit-
theilen konnte, wo versehentlich auch die früheren ausgelassen jind.
VI, 2. 1139*3. TtpÖTepov 17. olxetov werden in eckige Parenthesen
gesetzt, was ich nicht hillige, aber als eine richtige Consequenz davon
anerkennen moss, dass Moschettini im Anschluss an Rassow ebenso
mit 5. 1140b 25. Süotv - 30. SoTiv und 13. 1144b 1. <rxzr-i<,\> — 1145 a
11. noXet verfahrt. ll.39a4. äXoyov <, o>v r/jr, dtjjprfccu eis "'"> f*£py ~<>
äXoyovy. 4. 1140a 16- insc — 17. stvai vielleicht nicht zu streichen, son-
dern vor 6. inst hinanfzurttcken (mindestens sehr beachtenswert!))- Nicht
glücklich scheint mir 9. ll42a die Vermuthang, dass auch 16. imi —
20. äor^ov in eckige Parenthesen zu schliessen und Z. 17 yäuoer' a\>
oo(p6g, (iffjovinog) cT zu schreiben sei. Ferner zweifelt Moschettini
an der Aechtheit von 1142b 25. dvTtxetTau — 30. eldog, ebenso an der
von 13. 1144a 9. zou — 11. npdvceiv, wo er von seinen Annahmen aus
sogar folgerichtig wieder geradezu die eckige Parenthese hätte anwenden
müssen. VII, 5. 1 147 a 32 (wo od in den beiden Haupthandschriften
fehlt). Yj (u~i riäv yXuxu psuxzdov, r^ od, ort näv yXuxb rjdü. VIII, 13.
1161a 35. (pdetrat für wpeÄshat? IX, 1 bis 1164a 22. oujozt vielleicht
eine andere Recension von VIII, 4. 1157a (schwerlich). 7. 1168a 7.
aripyet — 8. (fooixov hiuter 9. prjwsc zu setzen (ohne Zweifel richtig).
Die Vermuthung 12. 1171 b 34. acpeacg beruht auf Miss verstand (Sri iaztv
hängt von 7) al'c&rjoig ab), und die übrigen Conjecturen vollends glaube
ich unberücksichtigt lassen zu dürfen.
In der sorgfältigen und scharfsinnigen Untersuchung
16) Ueber Aristoteles' Eth. Nie I, 5. I097h 16ff. Von Dr. Emil
Arleth. In der Zeitschr. für Philol. und philos. Krit. XC 1886.
S. 88-110,
in welcher er genau mit seineu Vorgängern10) abrechnet, gelaugt Arleth
zu dem Ergebniss denjenigen von ihnen beizustimmen, welche auvapi-
frpoupdvrjv hier im Sinne von »als Summe zusammengezählt« fassen.
Mich indessen hat diese Auseinandersetzung nicht überzeugt11), und
ebenso wenig glaube ich, dass in den Worten 8. 1098 b 8 f. oxeirreov de
Tiepl abrrjg (1. aurob) od povov ix vou aupTTspäcparog xai iz cov 6 Äoyog
das ix tob aopit. auf das 5. und das ig-löyog auf das 6. Capitel zu-
rückgehe, halte vielmehr nach wie vor Beides zusammen für Dasselbe,
für volleren Ausdruck des deduetiven Verfahrens in jenen beiden Capitelu.
10) Irrthümlich macht der Verfasser aus »dem Scholiasten« und Eustra-
tios zwei verschiedne Personen.
11) Denn nicht bloss ist die>e Bedeutung nicht bei Aristoteles nach-
weislich , sondern auch die nächsiverwandte »zu einer Summe zusammenge-
zahlt«, wie es scheint, nur an einer einzigen Stelle Pol. VII (VI), 3. 1318a 38,
Ethik. Politik. 11
In dem mir nicht zugegaugnen Schriftchen
17) Cruces and criticismes von W. Mars hall, London, Elliot
Stock. 1886. 55 S. 8.
werden S. 3—12 Stellen der nik. Ethik behandelt.
Es bleiben noch die Mittheilungen von
18) G. Heylbut Scholien zur nikomachischen Ethik. Im Rhein.
Mus. XLI. 1886. S. 304-307.
Meine Behauptung (Ausg. der nik. Eth. S. VII), dass die Scholien
des zweiten Hauptcodex Lb noch nicht veröffentlicht seien, beruhte auf
Irrthum. Denn sie finden sich bei Cramer Anecd. Paris. I. S. 81 ff.,
dessen sehr ungenaue Collation aber Heylbut nunmehr berichtigt.
Für die Politik sind zunächt zu nennen:
19) De Politicis Aristoteleis quaestiones criticae. Scripsit Fran-
cis cos Susemi hl. Leipzig, Teubner 1886. 8. = Jahrb. f. Philol.
Suppl. N. F. XV. S. 329-450.
an welcher ich die Unächtheit des ganzen betreffenden Capitels nachgewiesen
zu haben glaube. Obendrein aber wird, wie mich dünkt, der gewöhnliche
Sinn »mit andern Theilen zu einer Gesammtsumme gezählt« oder »als Theil
in ein Ganzes mit eingerechnet«, vermöge dessen ouvapt&ßooߣvT)\> den Gegen-
satz zu dem voraufgehenden ßovoußsvov bildet, ßrt oysapiftßoußivT^ also
gleichbedeutend mit ßuvooßivtjv ist, hier durch den Zusammenhang geboten.
Man braucht nur, was ich nach dem Vorgang von Aretinus gethau habe
und Arleth stillschweigend billigt, Z. 17 dk. in yäp zu ändern uud mit mir
Z. 16 vor src Komma statt des Punkts zu setzen, so entsteht folgender tadel-
freier Gedankengang: »die Glückseligkeit bringt Selbstgeuüge, denn Selbstge-
nüge bringend ist dasjenige, was für sich allein {ßovoüpevo:*) das Leben wün-
schenswert!] und bedürfnisslos macht, so beschaffen ist aber die Glückseligkeit,
ja sie ist ferner eben desshalb, eben weil sie nicht ein blosser Theil i-t von
der Gesammtsumme der Güter, üb irdies noch das Wünschenswertheste von
Allem; denn freilich, wenn sie ein solcher blosser Theil (wenn auch der oberste
und vorzüglichste neben anderen Theilen wäre, so würde Bie Wünschenswerther
sein mit dem geringsten dieser Theile verbunden als für sich allein ; eben weil
aber das p]rstere nicht von ihr gilt, gilt auch das Letztere nicbt : sie i>t keiner
Steigerung uud keine- Zuwachses fähig. Hoffentlich wird Arleth bei noch-
maliger Erwägung selbst finden, dass die-' Auffassung von seinen Einwürfen
S. 99 überhaupt nicbt getroffen wird Entbehrt freilich hätte der ganze Zu-
satz von £T£ ßk ab werden können, aber zum klaren Verständnis de-
ßsvov ist er doch aueb niclii gerade uberflössig, siehe Etamsauer /.. d. st.
Jedenfalls läset sich Dicht, was ich früher für möglich hielt, bloss das 1.
vom zweiten ouvapt&ßoufi&vTjv oder aueh nur von mtpo^ (Z, ls ah tilgen,
vielmehr hat Aristoteles lediglich desshalb .">
gesagt, um eben diese weitere Ausführung anzuknüpfen.
I ' Aristoteli
20) Dr. Jowett'8 Politics of Arietotle. Von R. V- Tyrrell. In:
Bermatbena No. 12. iH8fJ. S. 19 34.
Die erstere Schrift i-t eine tiberarbeitete Sammlung meiner früher
zerstreut, meist bereits lateinisch, zum Theil aber anch ursprünglich
deutsch veröffentlichten kritischen Bemerkungen in Form eines Supple-
ments >.n meiner ersten Ausgabe Nur die längeren, deutsch geschriebnen
Erörterungen sind nicht mit in dieselbe aufgenommen. Zu ihrer Zu-
sammenstellung, so weit eine solche noch von Werth ist, findet sich
hoffentlich eine andere Gelegenheit.
Die letztere Abhandlung ist ein erfreuliches Zeichen dafür, dass
es auch in England Männer giebt, welche die Art, wie Jowett (vgl.
Her. XLII. S. 253 Ö.) mit der aristotelischen Politik umgeht, mit Frei-
muth und gesundem Menschenverstand zu beurtheilen sich durch die
ausserordentliche Anctorität dieses Mannes in seinem und ihrem Vater-
lande nicht abhalten iassen. Auffallend ist nur, dass ein so verständig
urtheilender Gelehrter wie Tyrrell, dennoch meint, es sei nicht nöthig
II, 9. 1271a 15. zoözocg mit Susemihl und Welldon in zoüzw noch
II, 11 1279 b 2. roug in tout mit Welldon zu ändern. Als ob es sich
hierbei um ein Aeudern handelte und nicht vielmehr um eine Wahl
zwischen den Ueberliet'erungen der beiden Handschriftenklassen II1 und
//2! Ist es denn eine so schwer begreifliche Sache, dass wer die erstere
Classe für die im Ganzen bessere hält, da, wo ihm die Lesarten beider gleich
passend scheinen, wenn anders er methodisch und nicht willkürlich ver-
fahren will, jener ersteren zu folgen hat! Dass in der Lesart zoüzoig
dies als Masculinum zu verstehen sei und darin nicht der mindeste
Austoss liegt, ist ja wahrlich selbstverständlich. — I, 1. 1252a 14 schreibt
Tyrrell mit Unrecht abzog12). IL 4. 1262 b 14 ist er nicht abgeneigt
ecg für rt zu vermuthen, doch sei vielleicht rt im Sinne von or at all
events haltbar. Dabei bringt er seine frühere Conjectur (Hermath. IV.
S. 39) VIII (V), 9. 1310 a 1. tpHipovreq {ig} touq — vdjioug in Erinne-
rung, aber sie giebt meines Erachtens keinen brauchbaren, sondern das
Ueberlieferte allein (siehe meine Uebersetzung) giebt den erforderlichen
Sinn, und zoug — vö/xoug beruht nur auf werthlosen Quellen (Ls Ar. Aid.).
Richtig dagegen bemerkt er über II, 8. 1268a9f. iug outm zouzo xop'
äUotg »avoixodezrjfj.dvov, wenn dies heissen sollte: »als wäre dies nicht
schon bei andern Leuten gesetzlich eingeführt gewesen«, so erwarte mau
fxrjnuj, allein eben so richtig hat Spengel andernfalls töte r,ap "EXhjoi
erwartet: die feinere Unterscheidung von ou und jxyj ist bei Aristoteles,
wie es scheint, schon im Schwinden begriffen; bis zu welchem Grade,
ist freilich noch erst zu untersuchen.
12) abzog bildet den unentbehrlichen Gegensatz zu xazä pipog äp%u)v
xai dp-^öpe^og, siehe meine Uebersetzung.
Politik. Rhetorik. 13
Endlich die Schulschrift
21) Die Kritik der Platonischen Politie bei Aristoteles. Vom Gym-
nasiallehrer Karasiewicz. Im Jahresbericht des Neisser Gymnasiums
für 1885/86. Neisse 1886. 4. S. 1—12
zeigt neben guter Verwerthung der einschlagenden Litteratur ein ge-
sundes Urtheil, aber besonders Neues bringt sie nicht, und es lässt sich
solches über den betreffenden Gegenstand auch kaum mehr bringen13).
Unbegreiflich ist mir die Conjectur (S. 6. A. 14) II, 2. 1261b 38 /«&an>,
dagegen kann 1262a7. i/jtbv für fikv richtig sein.
Von der Rhetorik ist die englische Uebersetzung
22) The Rhetorics of Aristotle translated with an analysis and
critical notes by J. E. C. Welldon. Cambridge 1886. 8.
mir bisher leider nicht zugegangen. — Von besonderem Interesse aber
ist die Untersuchung über die Aechtheit des dritten Buchs:
23) Ueber das dritte Buch der aristotelischen Rhetorik. Von
H. Di eis. Aus den Abhandlungen der Berliner Akad. v. Jahre 1886.
Berlin, 1886. 37 S. 4.
Gegen dieselbe sind bekanntlich neuerdings von verschiedeneu
Seiten erhebliche Einwürfe geltend gemacht, während Anderen diese
zwar nicht stark genug erschienen, um den Glauben an den aristoteli-
schen Ursprung im Ganzen zu erschüttern, wohl aber ausreichend zu der
vermittelnden Annahme, zu welcher ich selbst mich bekannt habe, dass
wir einen von dem Herausgeber überarbeiteten Entwurf des Aristoteles
in dieser Schrift zu erkennen hätten. Diesen Einwänden tritt nun Di eis
mit gewohnter Meisterschaft, und zwar, wenn nicht überall, so doch fast
überall siegreich entgegen. Dass die Rhetorik mit den beiden ersten
Büchern zu Ende und das dritte eine besondere Schrift, vermutiilich die
in den Verzeichnissen unter dem Titel Ttepl ke$e(oe aufgeführte, ist, er-
kennt natürlich auch er an, ja er zeigt, wie gerade dadurch ein Theil
der Anstösse schwindet (S. 16-20).
Vollständig gelungen ist zunächst der Nachweis (S. 5—8), dass
10. 1411 a 32. üakafuvt die richtige Lesart und Aajxiq. (was ja übrigens
auch nur bei Wenigen Beifall gefunden bat) eine verfehlte Conjectur
ist. Die, wie Diels richtig artheilt, einfachste Lösung der Schwierig-
keiten giebt v. Wilamowitz in einer beigefügten Miscelle: De Gorgiae
13) Das grobe Missverständniss mit dein Verfasser S 1 1 dem Aristoteles
unterzuschieben, als glaubte er 5. 1264 b 6ff., Piaton wolle das philosophische
Herrschercollegium erblich machen, dazu sind wir nicht im Entferntesten be-
rechtigt, seihst wenn der betreffende Einwurf wirklich sonsl nicht treffend Bein
sollte, wie Karasiewicz meint, worüber sich aber mindestens auch noch
sehr streiten Hesse
] 4 Aristoteles.
Epitaphio ab Aristotele citato (8. 36—87) durch eine Erklärung der
Worte, durch welche, wenn sie richtig ist, Dobree's Anstoss beseitigt
wird, und die Annahme, «lass der hier citirte 'Encrdpioe der des Gorgias
sei. Freilich steht ein Bedenken entgegen, welches sich auf I'hil'j-tr. V.
S. I, 9 gründet und von Diels S. 35 A. i sehr richtig dargelegl wird.
Nicht minder gewiss i-t (8. Inf.). das! die Erwähnung des Kyni-
kers Diogenes 10. 1411 a 24, selbst wenn dieser wirklich mit Alexandros
dem Grossen gleichzeitig gestorben wäre, durchaus nicht die eines Todten
zu sein braucht. Ausserordentlich glücklich ist ferner die Rechtfertigung
der Erwähnung der theodekteischen Rhetorik 1410b 2f.M), wobei jedoch
Rose's Conjectur dperat mit Billigung behandelt wird, und besonders
lehrreich die angeknüpften Erörterungen über dies Werk (S. 9 16).
Dass dies die frühere eigne Rhetorik des Aristoteles war, darüber
herrschte freilich bereits ziemliche Uebereinstimmung, aber Diels hat
derjenigen Auffassung, nach welcher dieselbe theodekteisch hiess , weil
Theodektes sie veröffentlicht hatte, entschieden zu überwiegenderer Wahr-
scheinlichkeit, als es bisher gelungen war15), veiholfeu: es ist sehr
glaublich, wenn er den Theodektes als Fortsetzer der von Aristoteles
bei seinem früheren Aufenthalt in Athen 16) gegründeten Rhetorenschule
ansieht, obsebon die Gründe, welche in dieser Hinsicht vielmehr für Theo-
phrastos sprechen (siehe ßer. XXX. S. 9), kaum minder stark sind17).
Sehr begreiflich aber ist es, dass später, wie Diels hervorhebt, die
i*) Bei dieser Gelegenheit meint Diels S. 10. A. 1, man habe fälsch-
lich nik. Eth. I, 4. 1096 a 34. dnop-jaets — b5. ifrjßipou verdächtigt. Allein
so lange Nötel's ausgezeichnete Beweisführung (siehe Ber XVII. S. 272.
279) nicht widerlegt ist, wird es schon dabei bleiben müssen, dass hier nicht
das Folgende b5— 7, wie Diels will, ein späterer Zusatz des Aristoteles, son-
dern jene eisteren Worte eine nachträgliche Randbemerkung desselben sind,
und zwar zu 1096a 16 f. — Ansprechend vermuthet Diels S. 11 (mit A. 2),
dass die nik. Eth. von Nikomachos, dem Sohne des Aristoteles, redigirt sei,
und er setzt hauptsächlich auf Rechnung dieses Redactors die auffallenden
Erscheinungen namentlich in den mittlem Büchern Aber der Zustand des 6.
kann schwerlich so erklärt werden, und wie kommt es dann, dass diese drei
Bücher der nik. und der eud. Eth. gemeinsam sind ?
15) Vgl. Ber. XLII. S. 2. Uebrigens muss ich auch zugeben, dass die
Worte in dem gefälschten Briefe Rhet. ad AI. 1. 1421 b lf. zal± bx ißoü
Ti^vatc, dsoSixrrj ypa<pBiaaig möglicherweise nicht so zu deuten sind, wie ich
dort gethau habe, sondern heisseu sollen: »die ich zum Gebrauch des Theo-
dektes geschrieben habe«.
16) Ob noch bei Piatons Lebzeiten, wie die gewöhnliche, von Diels
festgehaltene Annahme ist, oder ob bei dem von Teichmüller und Bergk
(siehe Ber. XXX. S. 4fi.) gemuthmassten zweiten dortigen Aufenthalt zwischen
344 und 342, darauf kommt für diese Frage Nichts an.
17) Vermuthlich lehrten Beide friedlich neben einander und setzten so
Beide das von Aristoteles begonnene Werk fort.
Rhetorik. 1 5
Ausarbeitung der strengeren philosophischen Disciplinen in seiner Ency-
klopädie den Aristoteles zu der systematischen Neugestaltung der Rhe-
torik erst ziemlich zuletzt, nach der Poetik gelangen Hess, er sich nun
aber auch zum Theil zu einer Polemik gegen jene ältere Form (siehe
Diels S. 12. A. 3) genöthigt sah. Diese Neugestaltung erstreckte sich
nun aber nicht bloss auf die eigentliche Rhetorik, unsere zwei ersten
Bücher, sondern auch über die in dem jetzigen dritten verarbeitete Lehre,
die Aristoteles also jetzt wenigstens als eine blosse Hülfswissenschaft
von jener ansah18).
Wesshalb mich die Erörterungen des Verfassers S. 20—23 über
die Aechtheit des angeblich platonischen Menexenos, bei denen er sogar
seinen Glauben an den platonischen Ursprung des Kleitophon durchblicken
lässt, weniger befriedigen, kann ich hier nicht auseinandersetzen. Könnte
ich mich freilich überhaupt zur Annahme der Aechtheit entschliesseu,
so würde ich den von Diels gezeigten Weg für den einzigen noch
allenfalls gangbaren ansehen; aber gerade was für Diels eine Empfeh-
lung ist, die Entstehung nach dem antalkidischen Frieden, hindert mich
um so mehr diesen Weg zu betreten.
Wohl der glänzendste Theil der Abhandlung von Diels ist aber
der letzte S. 23-34, in welchem er von der Vertheidigung zum positiven
Nachweis der Aechtheit unseres jetzigen dritten Buchs übergeht, indem
er namentlich darlegt, wie Theophrastos in voller Anerkennung der ari-
stotelischen Herkunft dieser Schrift in seiner eignen r,zp\ li^zu}^ sich
eng an sie angelehnt und dann zu ihrer Ergänzung auch noch seine
eigne nepl unoxpccrewg abgefasst hat.
Die Beiträge des Verfassers zur Kritik einzelner Stellen (beson-
ders S. 7. A. 1) habe ich hinter meiner Ausgabe der Oekonomik vor-
zeichnet. Mit Recht missbilligt er (S. 20. A. 1), dass Römer 2. I404b
28 Spengel's Conjectur noiqrcxrjt; für nocrjasaj^ aufgenommen hat.
Noch sind zwei andere Besprechungen einzelner Stellen zu er-
wähnen :
lö) Dies Letztere sagt Diels zwar oicht ausdrücklich, aber ich hoffe
dies eben so sehr in seinem als in meinem Sinne zu schreiben. Freilich passl
dazu nicht ganz die Bemerkung S. 17. A. 6, in welcher auch nepl HGewt
und nepl TdSscug als »Theileo der rhetorischen Disciplin bezeichnet und Ana-
logien herbeigezogen werden, die Btreng genommen Bonsl Dich! ganz zutreffen,
Nach der Definition, die Aristoteles 1, I. 1855* 25f von der Rhetorik giebt,
ist diese mit den nlareti (der inventio) abgeschlossen Nichtsdestoweniger
bleibt auch so ooch Dasjenige vollständig richtig, was Diels durch diese
Analogie erläutert, dass das dritte Buch auch als selbständige Sein
doch füglich so, wie es zu Anfang geschieht, auf das Bauptwerh zurQckbe-
ziehen kann, indem es sich gleichsam aar als einen Anbang desselben be-
trachtet
16 Aristoteles.
24) Zur Rhetorik des Aristoteles II, 2. Von A. Römer. In den
Blättern f. bayr. Gymnw. XXII. 1886. S. 391.
25) Zu Aristoteles Rhetorik I, 14. 1375" LB. Von J. Zahl fleisch.
In den Wiener Studien VIII. 1886. S. 165.
Zahlfleisch zeigt, dass 1375 a 15 mit den schlechten Handschrif-
ten ypapö/ieva (natürlich unter Fcsthaltung der Correclur Tuxpä) zu
schreiben ist. Römer aber bemerkt, dass 137'.» :i LS das von Bekker*
hinter nevöfievot eingesetzte rM/.zjio~)V7c.j von unerwarteter Seite her eine
Bestätigung erhält: »nämlich in den Autoritäten Arütotelü S. XXXVII
wird die Stelle also gegeben: infirmi coeuntes bellantes amanles sitientex
et totaliter desiderantes aliquid et non consequentes illud de fucili irascuntur.
Was ist aber coeuntes?«.
Für die Poetik kommen in Betracht:
26) Eine vermeintliche Tragödie des Euripides und ein Papyrus
der Sammlung Erzherzog Rainer. Von Theodor Gomperz. Im
Anzeiger der philos.-hist. Classe der Wiener Akad. 1886. No. 5.
27) Skylla in der aristotelischen Poetik. Von Franz Susemihl.
In den Jahrb. f. Piniol. CXXXIII. 1886. S. 583 f.
28) Skylla in der aristotelischen Poetik und die Kunstform des
Ditbyrambos. Von Theodor Gomperz. Ebendaselbst S. 771 — 775.
Vorgreifend nenne ich ferner schon hier:
29) Skylla in der aristotelischen Poetik und der jüngere Dithy-
rambus. Von Franz Susemihl. Ebendaselbst CXXXV. 1887.
S. 219-223.
30) Skylla in der aristotelischen Poetik uud der jüngere Dithy-
rambus. Von Theodor Gomperz. Ebendaselbst S. 460 f.
Die »vermeintliche« Tragödie des Euripides, um welche es sich
hier handelt, ist die zweimal in der Poetik, im 15. und im 26. Capitel
(1454a30f. und 1461 b 30 — 32) erwähnte Skylla. Dass nun freilich Euri-
pides keine Skylla gedichtet hat, stand, wie hier ergänzend bemerkt
sei, schon seit den Untersuchungen von Wilamovvitz in seinen Ana-
lecta Euripidea (1875) fest. Dass ferner die Skylla im 26. Cap. nicht
eine Tragödie, sondern ein Dithyrambos ist, sieht Gomperz mit Recht
zum Theil als festgestellt an, zum Theil vollendet er diese Feststellung,
indem er namentlich auch nachweist, worüber ich in meiner zweiten
Ausgabe noch geschwankt hatte, dass bei den tp<m)<oi abhjrat hier nur
an den jedesmaligen einzigen, den Dithyrambos begleitenden Flöten-
spieler gedacht werden kann. Damit ist nun aber die Frage noch nicht
entschieden, ob nicht die Skylla im 15. Cap. eine andere und doch wirklich
eine Tragödie ist. Auch durch den interessanten, von Gomperz mit-
Rhetorik. Poetik. 17
getheilten Fund eines Papyrosfragments, in welchem sich unverkennbare
Anklänge an aristotelische Aesthetik zeigen, und welches mit den Worten
wazep xai Tc/ioßsog iv to> bprtvu> röu 'Odvooiujg ei ftev Teva fufieezat xcä
vb 8fiocov vivt olosv, oläX 0(0} ra> 'Oouaazt ist zunächst Nichts weiter
bewiesen, als dass der Verfasser des Papyros den von Aristoteles als
Beispiel gebrauchten bprpOQ 'Od'jaazujg iv -fj HxuUij seinerseits auf die
Skylla des Timotheos, welche wir erst durch ihu kennen lernen, bezog,
und dass in dieser ein Klaggesang des Odysseus enthalten war. Es
ist möglich, dass er mit jener Beziehung, wie Gomperz annimmt, Recht,
es ist aber auch möglich, dass er Unrecht hat, und für Letzteres spricht
der von Susemihl hervorgehobne Umstand, dass jedes andere Beispiel
als aus einer Tragödie oder einem Epos wider die Disposition des Aristoteles
Verstössen würde. Weiter lässt sich hier, wie es scheint, leidernicbtkommen.
Selbst aber wenn der Anonymos Recht hat, braucht der Dithyrambus Skylla
im 26 Cap. noch nicht mit der gleichnamigen Composition des Timotheos
zusammenzufallen, sondern letztere kann füglich, ob nun von Aristoteles
im 15. Cap. gemeint oder nicht, vielmehr ein kitharodischer Nomos ge-
wesen sein. Nach Plat. Rep. III. 394 C sollte man, wie Susemihl be-
merkt, sogar glauben, dass im Jüngern Dithyrambos überhaupt keine
Einzelgesänge mehr vorkamen; da nun aber doch, wie Gomperz er-
widert, nach dem Zeugniss von Plut. de mus. 30. 1142A Aristophanes
dem Philoxenos die Einführung von //öV.jj19) in die kyklischen Chöre zu-
schrieb, so muss wenigstens, um mit Piaton in Einklang zu bleiben, an-
genommen werden, dass es zum Mindesten nur selten und vermuthlich
nur von Philoxenos geschah. Der mimetische Charakter des jüngeren
Dithyrambos muss also in etwas Anderem gefunden werden. Und auch
der sinnreiche Versuch von Gomperz aus der Stelle im 26. Cap. zu
zeigen, dass bei der Aufführung dieser Compositionen Chorführer und
Flötenspieler in ein nicht unähnliches Verhältniss getreten seien wie in
der ältsten Tragödie der Chorführer und der einzige Schauspieler, findet,
wie Susemihl zu zeigen sucht, an den Worten des Aristoteles durch-
aus nicht den nöthigen Anhalt, noch weniger an Stellen anderer Schrift-
steller. Aus allen diesen Nachrichten folgt nur, dass allerdings dem
Flötenspieler eine besondere mimetische Rolle gegenüber dem Chor zu-
kam; und dabei wird man sich zu beruhigen haben. Gomperz hat in
seiner letzten Erwiderung in Bezug hierauf nichts Sachliches mehr bei-
gebracht, vielmehr nur ein wirkliches (allerdings tadelnswerthes) Miss-
verständniss von mir, welches übrigens mit dieser Frage Nichts zu
thun hat, und ein zweites vermeintliches90), welches, wenn ich es auch
19) Allerdings können, wie es scheint, nur Eincelgesangfl verstanden
werden. Aber wie in aller Welt kommt ßiko; zu dieser Bedeutung? Sollte
ßoxwdtxii ausgefallen sein, wie Weatphal vermuthet hat?
20) Gomperz bezeichnet ohne jede Reserve die beiden Bücher der
ürestie des Stesichoros als einen Liederkranz. Wilamowiti vermuthet
Jahresbericht für AlterthmuswiasenscUaft L. (1887. 1.) 2
I s kristoti les. Poetik Anhang
wirklich begangen hätte, doch gar nicht zur Sachi hervorgehoben,
dabei behauptet, dass er noch mehrere aufdecken könnte, und daraus
den Schluss gezogen, dase sich eine weitere Discussion mit mir nicht
lohne. Diese Borte von Polemik schlagt lediglich Denjenigen selbst,
welcher ihre Ausübung für Beiner würdig hält.
In dem kleinen Aufsatz aber:
31) Die Bedeutung von iptXäv&pumov in der aristotelischen Poetik.
Von Franz Susemihi. In den Jahrb. rar Piniol. CXXXIII. 1886.
S. Ü8lf.
führe ich die nur schon von Jerusalem (-bdie Ber. XLII S. 263) vor-
weggenommene Beobachtung weiter aus, dass nach Rhet. II, 9. 1386b
25ff. einzig und allein die Erklärung Zeller's von yiXdv&pwnoM 13.
1452b 36 ff. und 18. 1456* 18ff. möglich ist.
Endlich rindet sich in dem Buche
32) Philologische Streifzüge. Von Dr. Michael Gitlbauer,
Professor an der Uuiversität in Wien. Freiburg i. B., Herder. 1886. 8.
eine Miscelle »Zur Erklärung des zwölften Capitels von Aristoteles'
Poetik« S. 405-407, in welcher von den Worten 1452b 24f. xu/jl/xo; ok
&pijvos xotvbs %opöu xai datb axyvrjQ folgende sonderbare Erläuterung
gegeben wird: Kommos ist ein Klagelied, welches entweder vom Chore
oder auch auf der Bühne von einem Schauspieler gesungen werden kann.
Also gerade im Wechselvortrag von Chorführer und Bühnenpersonen
niemals? Wer, wie Gitlbauer, die früheren Worte Z. 17 f. y.o>.\>ä psv
and\>-u>\> zauxa, edea dk rä ä~o axr^g xai xo/ifiot für ursprünglich hält, den
hätte doch schon die Erwägung*, dass hier ausdrücklich die dnb axr^q von
den xojijiot unterschieden werden, von einem solchen Einfall abhalten
sollen. Seltsam ist auch die Behauptung, dass hier die Auffassung von
ändvTwv als Masculinum im Sinne von %öpeuTä>v bisher wohl den meisten
Anklang gefunden habe. Gitlbauer hat nicht einmal meine Bearbei-
tung der Poetik angesehen, daher behauptet er denn ferner auch schlank-
weg, die Verbesserung Z. 23 von oäou in ofoj rühre von Westphal
her, während sie vielmehr mir angehört und nach mir Westphal dann
»mehr aus den allgemeinen Erwägungen als auf positiven An-
halt hin« nur, dass das Verhältniss beider Bücher zu einander ein ähnliches
war wie zwischen der 1. und 3. olymp. Ode des Pind. oder zwischen der
Helene (B. 1) und der Palinodie(-= Helene B. 2), welche er ausdrücklich als
»zwei Gedichte« bezeichnet, »von denen das spätere freilich auf
das erste Bezug nahm«, in diesem Falle also sogar widerrufend. Danach
durfte ich vollkommen so schreiben, wie ich geschrieben habe. Oder möchte
Gomperz auch Pind. Ol I. III einen Liederkranz nennen oder diesen Aus-
druck auf zwei Gedichte anwenden, von denen das zweite ein Widerruf des
ersten ist?
Theophrastos. 19
vielmehr uatj toü verrauthet hat. Und dabei beklagt sich S. 160 ff. der-
selbe Gitlbauer so lebhaft über die Nichtbeachtung seiner eignen Ar-
beiten! Wer aber, wie ich nach Leop. Schmidt unter Angabe meiner
Gründe gethan habe, jene früheren Worte für interpolirt erklärt, für
den fällt um so mehr jeder Anlass fort eine besondere Definition der
Bühnengesänge zu erwarten, und für den ist um so mehr die des Kom-
mos nach der gewöhnlichen und allein möglichen Auslegung derselben
eine vollbefriedigende.. Dass aber auf alle Fälle ändwojv als Neutrum
( = zpaywocujv) zu fassen ist, scheint mir zweifellos: Beispiele für diese
griechische Redeweise werden ja wohl hoffentlich nicht mehr nöthig sein.
Receusirt oder angezeigt wurden: Aristot. de au. ed. Guil. Biehl
(Leipzig 1884) von Stapfer, philol. Anz. XVI. 188G. S. 108—113, Ari-
stote. Traites des parties des animaux etc. trad. par J. Barthelemy-
Saint Hilaire (Par. 1885) von Bullinger, Neue philol. Rundsch. I.
1886. S. 117 — 119, Aristophanishistoriaeaninialiumepitome,ed.Spyridion
P. Lambros (Berlin 1886. Supplem. Aristot. I, l) von Schaar-
schraidt, philos. Monatsb. XXII. 1886. S. 387 f., E. Richter De Ari-
stotelis problematis (Bonn 1885) von Stau gl, philol. Anz. XVI. 1886.
S. 384—389, The Politics of Aristotle . . . translated by R. Jowett
(Oxf. 1885) von Braughton, Academy No. 717. S. 79-81, Aristot.
Rhet. ed. A. Roemer (Leipz. 1885) von Cl., Bl. f. bayr. Gymnw. XXII.
1886. S. 224—226, Aristot. Poet, tertium ed. Io. Vahlen (Leipz. 1885)
von Wallies, Berliner philol. Wocheuschr. VI. 1886. Sp. 553 556,
E. Jerusalem Ueber die aristotelischen Einheiten im Drama (Leipz.
1885) von Bullinger, Neue philol. Rundsch. I. 1886. No. 10, Dehlen
Die Theorie des Aristoteles und die Tragödie (Göttingen 1885) von
Weck lein, Berl. philol. Wocheuschr. VI. 1886. S. 8371'., W. Jerusa-
lem, Zeitschr. f. d. österr. Gymn. XXVII. 1886. S. 416 — 420, Bern-
heim, Gott. gel. Anz. 1886. S. 8 19 f. und von einem Ungenannten im
Litt. Centralbl. 1886. Sp. 1107.
Zu den Charakteren des Theophrastos hat
33) G. F. Unger im Philologus XLV. 1886. S. 244. 277. 368
438. 448. 552f. 613. 641
eine Reihe neuer Verbesserungsversuche mitgetheilt: 5. S. 9, 7 Ussing
(8, 23 Foss) xoivög <r^> für xuevug eig oder xmvbg. 6. S. 10, 13 (9, 7)
wg (statt xai) npoaa>-di>^ e%<ov. S. 10, 25 (9, 29). dtaxuuoat. 10. S. 15,
11 (13, 18). S7zcTux!av für inl r^v ulxlav'i S. 15, 15 (13, 22). (mvco)
ecvut- xai. 16. S. 21, 1 (18, 22). &ß86fi(atg £--' ratg elxyäa:. 19. S. 23,
15 (20, 31). uurCuv elg tu yevog. 20. S. 24, L2f. (21, 9). 7)8y und -npoasX-
{lovrog (Letzteres steht schon bei Foss). S. 24, 20 (21, 26). utxsnuv.
S. 24, 21 f. (21, 28). ebvyg für afreye und mit Beibehaltung von u>e %8u
dort sodann rl/uf' epiuro. für dfipörepa. 27. S. 32, 20 (29, 26), WO nach
Foss xeXeosiv hinter abrdu eingeschoben zu werden ptlegt, vielmehr
2*
20 Aristoteles und rheophra tos. Anhang.
äUou statt, abroü. 80. S. 36, (83, 2). nv' für r^v. S. 36, 20f. (88, 15).
nap' iiv)7(b sei beizubehalten, dann nop* eaurou nicht mit Ussing zu
streichen, sondern in nap' kxdarou v.w verbessern, 8. 36, 26 (33, 20f.)
endlich sei bloss au dnodtSovrog herzustellen, aber weder mit Ussing
rv hinter dnatryaou einzuschieben noch mit demselben äv nc hinter
ra%etoG zu tilgen.
Als Anhang tlieils zu Aristoteles, theils zu Theophrastos ist end-
lich noch aufzuführen:
34) Kupplemcntum Aristotelicum editum consilio et auetoritate
academiae litterarum regiae Borussicae. Voluminis I pars II. Prisciani
Lydi quae extant. Metaphrasis in Theophrastum et solutionum ad
Chosroem über. Edidit I. By water. Berolini typis et impensis
Georgii Reimer. MDCCCLXXXVI. XIV, 136 S. Lex. 8.
Priscianus hatte eine Metaphrase zu den acht physischen Büchern
des Theophrastos, von denen das 4. und 5. von der Seele handelte, ge-
schrieben, von welcher nur der zum 5. gehörige Theil, und zwar auch
nur unvollständig, erhalten ist. Allerdings sind hier eingestandener-
massen die Gedanken des Theophrastos mit Stücken aus Iamblichos ver-
setzt, indem der Interpret sich bemüht sie mit Hülfe dessen ins Neu-
platonische im Sinne dieses letzteren Mannes zu verkehren, doch lassen
sich die ächten Reste des Theophrastos unschwer ausscheiden und aus
diesen zugleich der grosse Gewinn für den Text der aristotelischen
Psychologie ziehen, dass man aus ihnen mehrfach erkennt, was Theo-
phrastos bei Aristoteles gelesen hat. Dieser Nutzen ist bisher leider
nicht aus ihnen gezogen, und es wird dies begreiflich, wenn man be-
denkt, dass bisher nur der gänzlich ungenügende Druck in der zweiten
Basler Ausgabe des Aristoteles und Theophrastos (1541) vorlag, den
Wimmer, der Einzige, welcher sich ausser Philippson neuerdings ein-
gebender mit dieser Metaphrase beschäftigte, lediglich durch Conjectur
zu verbessern bemüht war. Und doch bestätigt Theophrastos in dieser
jetzt endlich zu Tage getretenen Textrecension des Priscianus manche
Vermuthungen Tors tri k 's, während er ihn von andern zurückgehalten
haben würde.
Die Solutiones des Priscianus aber existiren nur in einer lateini-
schen Uebersefzung aus der Karolingerzeit, die zuerst von Quicherat
in einem sehr unvollständigen Codex von St. Germain wiederentdeckt,
dann aus demselben von Dübner hinter Plotinos, vollständiger mit Hülfe
eines Codex des brittischen Museums von Rose (Aristot. pseudep. u.
Anecd. Gr. et Graecolat.) herausgegeben ward, vollständig aber erst hier
durch Bywater erscheint. Nur wenige der von Priscianus in dieser
Schrift angeführten griechischen Auetoren, wie Aristoteles, Theophrastos,
Geminos, Albinos, Iamblichos, Proklos, scheint er unmittelbar benutzt
zu haben.
Jahresbericht über Pindar 1885 — 1887.
Von
Dr. L. Borne mann,
Direktor einer Privatschule zu Hamburg.
Zu meinem vorigen Berichte (1885. I. 52ff.) habe ich folgende
Nachträge zu machen:
Zu No- 2: Von Croiset, La poesie de Pindare u. s. w. ist eine
zweite Auflage erschienen. Ich habe sie nicht gesehen.
Zu No. 40 f.: Eingehende Besprechungen der Arbeiten von Feine
uud Hörn gab Schoemanu im Philologischen Anzeiger XV. 568 ff. und
XVI. 8 5 ff.
Tessing, De compositis nominibus Aechyleis et Pindaricis (nach
No. 28) ist lobend besprochen von Wecklein in diesen Berichten Jahrg. 38.
Zu No. 39: Abels Scholienausgabe ist bisher nicht fortgesetzt.
Andere Nachträge unten No. 14 und 19 f.
Ich citiere die Oden nach Mommsen. die Fragmente nach Bergk's
vierter Ausgabe.
I. Leben. Dichtung und Weltanschauung.
1) E. Hill er, Die antiken Verzeichnisse der pindarischen Dich-
tungen. Im Hermes XXL 357-371.
Unsere Anschauung über das Verhältnis der beiden (in der Bres-
lauer Vita und bei Suidas) überlieferten Verzeichnisse der pindarischen
Dichtungen hat Hillcr, wie mir scheint, wesentlich geklärt. Indem er
die Vermittlungsversuche Boeckh's und Bergk's ausführlich widerlegt,
macht er darauf aufmerksam, dal's in dem bei Suidas befindlichen Ver-
zeichnisse der Schriften des Orpheus (schon Boeckh S. 555 verweist darauf)
Bpovta/iol p^rpium xal ßaxyixä erwähnt werden; so verstellt er auch in
dem von Pindar handelnden Artikel des Suidas unter ivbpovKTjxol rich-
tiger BpovtfffioP und ßaxytxd orphisehe Lieder und nimmt an. dal's von
dem Verfasser dieses Artikels zur Ergänzung der überlieferten Zahl von
17 Büchern jene beiden Titel sowie die Titel axoAcd, ouifv^ifoiKxü und
Spdfiara zf>aytx(/. willkürlich erdacht und eingeschoben seien.
22 Pindar: Dichtung.
Diese letzte Wendung der Hillerscben Abhandlung erscheint mir
allerdings zu gewaltsam; höchstens für dir- dpdfiara rpay.xa kann ich ihr
zustimmen. Vielmehr glaube ich die Ableitung des hei Suidas überlie-
ferten Verzeichnisses aus dem älteren, mit genauen Zahlangaben ver-
sehenen Verzeichnisse der Vita etwas anders ansehen zu müssen. Ich
unterscheide in letzterem vier, aus je 4 bezw. 5 Büchern bestehende
Bände: a) 1 Hymnen, 1 Päane, 2 Dithyramben; b) 2 Prosodien. 2 bezw.
3 Parthenien; c) 2 Hyporcheme, 1 Enkomien, l Threnen; d) 4 Epinikien.
Bei Suidas finden wir diese vier Bände in der Reihenfolge d b a c; in b
wäre dann der Anhang {xe%<opiop.£va) oder das dritte Buch der Parthe-
nien mit den Titeln der Unterabteilungen [Hpovtoput, ßax%cxd, Say>V7]<poptxd)
detailliert bezeichnet, wie denn in der That die Fragmente 95 und 96
mit der Erwähnung der Kybele in den Kreis der Mysterien fallen; in c
wäre der Nebentitel oder Untertitel axohd den iyxutpia, welche sie mit
umfafsten, vorausgeschickt. Was die Reihenfolge der Baude und Bücher
betrifft, so lag die Voranstellung von d nahe; die Umstellung der Päane
und der Hyporcheme (sofort hinter die Daphnephorika) möchte ich aus
der Absicht ableiten, die auf Apollon bezüglichen Lieder hinter einander
folgen zu lassen. Jedenfalls halte auch ich mit Hiller das Verzeichnis
des Suidas für das sekundäre.
Die folgenden Nummern 2)— 4) beziehen sich wieder auf die Frage
nach dem Verhältnis der Pindarischen Oden zu dem Nomos des Terpander.
2) Ed. Lübbert, Commentatio de poesis Pindaricae in archa et
sphragide componendis arte. (Ind. lect. Winter 1885/86.) Bonn, Cohen
und Sohn. XXVI S. 4.
Gliederung der achten pythischen Ode, die aus den letzten Jahren
von Äginas Selbständigkeit stammen soll, nach den Grundsätzen der
Nomostheorie. Grundgedanke des Liedes: nulluni est proprium homi-
nutn robur; omne robur nostrum deus est. Über die äginetischen Zu-
stände handeln ausführlich S. X -XVIII; sodann wird über den terpan-
drischen Nomos Folgendes ausgeführt. Neben der bei Pollux überliefer-
ten Reihenfolge der sieben Teile (Bergk gr. Literaturgeschichte S. 211 ff.)
habe — wahrscheinlich schon bald nach Terpander — eine zweite Form
bestauden, diejenige, welche Pindar benutze, in welcher uemlich die ps-
■zaxaTaxpoTÄ hinter den 6p<paX6g gestellt sei. Hexameter habe Terpan-
der wohl hauptsächlich im dp<paAog gebraucht. Vor den sieben Teilen
habe bisweilen noch ein Proömium Platz gefunden. Dies sei die in der
Polluxstelle seltsamerweise eingefügte i-ap%d, welche, nachdem mit der
Umstellung der peraxara-pond auch die ptrap/d ihre volle Berechtigung
verloren hatte, einen Platz unter den sieben Teilen gefunden habe. Bei
der Benutzung seiner Quelle (Juba) habe Pollux die erwähnten beiden
Formen durcheinander geworfen. Man sieht, wie verwickelt bereits die
Grundlage der Nomostheorie ist, welche zur Gliederung der piudarischen
Pindar: Terpandriscüer Nomos. 23
Dichtungen herbeigezogen wird. Auf P 8 raufs Referent demnächst aus-
führlich eingehen; vgl. die Anzeige des Lübbertschen Programms in der
Neuen philol. Rundschau 1887 S. 145 f.
3) Ed. Lübbert, Meletemata de Pindari studiis Terpandreis. (Zum
22. März 1886.) Bonn, Cohen und Sohn. XXIII S. 4.
Die gröfsere Hälfte dieser Arbeit fällt, weil sie die Gliederung
der Poesie des Callimachus nach terpandrischem Nomos nachzuweisen
sucht, einem anderen Referenten für diese Jahresberichte zu. Indessen
selbst wenn die Nomostheorie für Callimachus zu Recht bestände, so wäre
ein Beweis für Pindar nicht erbracht. Jedenfalls die Ode N 8, welche
Lübbert nunmehr als ein luculentum documentum für seine Auffassung
anführt und durchgeht, zerlegt sich meines Erachtens für eine vorur-
teilsfreie Exegese nach den drei Systemen in folgende Teile: 1) Der
jugendschöue Sieger, 2) Der fiat/xo^, 3) Das Lob des Dichters und Freun-
des. Lübbert allerdings bezieht auch diese Ode auf politische Zwistig-
keiten und läfst den Dichter in ihr ein Bild der vera virtus placida et
tranquilla, arboris instar crescens geben. — Der Schlufs des Programms
geht wieder auf den terpandrischen Nomos selbst ein. Die Umstellung der
IxEraxazazpond soll nunmehr bereits von Terpander selbst herrühren.
Der dreiteilige Nomos der Klagelieder im 24. Buch des Ilias (Pepp-
müller, Halle 1872) war durch die Katatropa zu einem vierteiligen er-
weitert; dann hat Terpander noch drei Teile zugefügt, ganz wie er als
begleitendes Instrument aufser der xc'ftapcg die Flöte einführte. Ähnlich
benutzte er neben dem Hexameter den opBiog (aus 4 zeitiger Arsis und
8 zeitiger Thesis) und den Trochäus Semantus. Übrigens müsse man
sorgsam diesen jambischen zaüg dp&cog von rb Sp&eov (sc. pirpov) unter-
scheiden, wodurch (nach Engelbrecht, de scoliorum poesi, Wien 1882)
heroische Daktylen im Gegensatze zum Skolion zu verstehen seien.
4) Ed. Lübbert, Commentatio de Pindaricorum carminum com-
positione ex Nomorum historia illustranda. (Zum 22. März 1887.)
Bonn, Cohen und Sohn. 19 S. 4.
Trotz des Titels fällt diese Abhandlung lediglich in das Gebiet der
antiken Musik. Nur beiläufig tritt die Vermutung auf. data, weil Olympos
ein lmxri8c.iov auf den Tod des Drachen Pytho für Flöte komponiert hat,
auch die Threnen nomisch gegliedert seien. Im übrigen behandelt das
Programm die Flötenmusik der Griechen, speziell jene Kompositionen
für Flöte, welche in fünf bis sieben Sätzen den Kampf Apollos mit dem
Drachen darstellten. Die überlieferten Benennungen dieser fünf bis sieben
Sätze sind (nach Lübbert) identisch mit den angeblich alteren Namen
{<)p<paXu>;, äp%d u. s. w.i derjenigen Teile, welche im kitharödischen v6
SpBtog des Terpander und in den Dichtungen Pindars aufzufinden seien.
Kompositionen für Flöte in fünf bis sieben Sätzen zur Darstellung
24 Pindar: Weltanschauung.
bestimmter Stadien des Kampfes zwischen Apollo und dem Drachen —
das ist verständlich und durch Überlieferung bezeugt; aber eine Brücke
zwischen dieser Flötenmusik und der logisch -ästhetischen Komposition
pindarischer Dichtungen hat trotz aller aufgewandten Gelehrsamkeit auch
Lübbert meines Erachtens nicht hergestellt.
5) Travnicsek, Pindaros Ethikaja. Leutschau 1884. 26 S. 8.
ist nach Finäczy in Egyetemes philologiai koezlony 1885 S. 427 ff. wertlos.
6) Ed. Lübbert, Commentatio de Pindaro dogmatis de migratione
animarum cultore. Ind. schob hib. Bonn 1887/88. XXI S. 4.
1. Zu fragm. 133: nakubv nivboQ sei cladis illa prisca luctuosaque,
quae quondam hujus nostrae in terris peregrinationis origo fuit, nemlich
ein peccatum primigenium, quod euphemismo usus poeta n£\>Bog vocat.
Für dieses peccatum hätten die meisten Menschen per multas genera-
tiones et mortes (also fortgesetzte Metempsychose) zu büfsen; einige
Auserwählte dagegen sähe Persephone früher zu Gnaden an {no'.väv de-
gsTat), sie werden dann Könige, Helden, Weise u. s. w. — Diesen Aus-
führungen kann ich nicht beistimmen. Allerdings die Auslegung des
Wortes r.ivdog bei Rumpel (woher?): »luctum dicit caede alicujus olim
excitatum« liegt sowohl dem Wort selber als dem Sinn der ganzen Stelle
fern; aber Lübberts »peccatum primigenium« ist doch nicht viel besser.
Der Begriff der Sünde oder des Unrechts läfst sieb meines Erachtens
aus nev&og nicht gewinnen; vielmehr wird die einfache Auffassung »Leid
dieses Lebens« durch den Zusatz Tiowäv, der sich ebenfalls Nl, 70
findet (xafidrujv fisydkuv 7iowä\>) lediglich bestätigt. Es kommt hinzu,
dafs der Dichter in 0 2 von keiner Läuterung der ialoi weifs, ebenso-
wenig aber (wie Mezger S. 162 sagt) von einer Metempsychose der
Übeltäter. Die multae generationes et mortes bei Lübbert sind eben-
falls aus Pindar nicht zu belegen, vielmehr kennt der Dichter nur vier
Stücke: auf Erden, in der Unterwelt, nochmals auf Erden (soweit =
earpig 0 2, 68), endlich auf den Inseln der Seligen. Indessen die statu-
ierte Metempsychose wird nach fragm. 133 nur denjenigen zu teil, otai
@£p<je<p6va notvdv naXatou nivB-eog oe^ezai. Ist meine Deutung der
noiva Ti. n. richtig, so läfst sich allerdings das Verbum oe^ezat nicht
halten, sondern wäre in reu^erac zu ändern: »wem Persephone Ersatz für
früheres Erdenleid bereitet, den sendet sie u. s. w.« So enthält auch
unser fragm. die vier erwähnten Stufen.
2. Zu 0 2, 57 ff.: Lübbert hält — mit Recht — die aristarchische
Erklärung von vs. 57 fest, nach welcher es sich bei &av6v-wv jiiv um
in der Unterwelt begangeue Sünden handelt; doch sollen dieselben nach
Lübbert darin bestehen, dafs die Abgeschiedenen sich bei Gelegenheit
der Metempsychose zu einer falschen, unglückseligen Wahl ihrer (zweiten)
Lebensstellung verleiten lassen. - Das ist wiederum nirgends äuge-
Pindar: Dialekt. 25
deutet, vielmehr lehren vs. 68 ff., dafs nach Pindars Anschauung die 8a-
\><j\>7zq wirklich in äocxa fallen können.
7) Ed. Lübbert, Commentatio de Pindari studiis chronologicis.
(Ind. lect. 1887.) Bonn, Cohen und Sohn. XXVIII S. 4.
Das im Scholion zu 0 2, 16 erwähnte pindarische Enkomion gab
vermutlich die Zahl der zwischen Kadmos und Theron liegenden ysvsai
(siehe Böckh zum schol. zu 0 2, 14) auf 27 an. Rechnet man 3 yeveai
auf ein Jahrhundert und fixiert man den Ausgangspunkt der delphischeu
Chronologie auf 582 (Ol. 49, 3), so erhält man die Ansetzung des
Kadmos auf 1382. Auf dieselbe Zahl kommt man , wenn man P 4, 10
zu Grunde legt: Kyrenes Gründung 623, eine yevaä später der Ausgangs-
punkt der delphischen Chronologie 582, 1-4-17 yeveou früher der Argo-
nautenzug (ferner Herakles uud der Zug der Sieben gegen Theben) =
1183—1216, 6 ysvsac von Polyneikes bis Kadmos, also Kadmos 1383.
II. Dialekt, Grammatik, Metrik, Lexikographie.
8) Führer, Die Sprache und die Entwicklung der griechischen
Lyrik. Münster i. W. 1885. 18 S. 4.
Dies Programm bildet die Fortsetzung des im letzten Bericht unter
No. 27 erwähnten Artikels im Philologus XLIV. In letzterem sucht Ver-
fasser die dorischen, hier die äolischen Formen aus dem Pindartext zu
verbannen, weil er die Theorie von der Mischung der Dialekte nicht
anerkennt. Aber das Vorgehen des Verfassers in beiden Arbeiten ist
ganz verschiedenartig. Im Philologus XLIV versucht er den Nachweis, dafs
die sogenannten dorischen Formen Pindars in Wirklichkeit böutisch
seien oder sein könnten; nur wäre ou wohl in tu umzuschreiben, des-
gleichen die Infinitivendung -ev in -etv, die Akkusativendung -oc
in -oug. Diesmal dagegen, um die angeblich äolischeu Formen zu
eliminieren, nimmt er fehlerhafte Transscription im 4. Jahrhundert v. Chr.
an. Ja, wenn die Sache umgekehrt läge, wenn z. B. statt \tdiaa die
attische Form Moücra, statt (paewog die Form paeivos eingeschlichen
wäre! aber Führer verlangt von uns, wir sollen an den Leichtsinn will-
kürlicher Dialektmischung seitens des 4. Jahrhunderts glauben, ohne
dafs sich ein direkter Beweis dafür fuhren läfst. Überdies kommt der
Verfasser doch nicht ganz von der »Mischung« der Dialekte frei, da er
zugeben mnfs, dafs neben einem epischen Grundstock der böo tische In-
dividualismus vertreten sei Er sucht allerdings dafür einen reinlichen
Ausdruck, indessen eine »Mischunga in etwelchem Sinuc bleibl es den-
noch. Nur soll man freilich Mischung nicht so verstehen, als hätte sich
Pindar auf seine Studierstube hingesetzt und mit mehr oder weniger
Konsequenz bunte Farben geborgt; aber wie heutzutage von einem (um-
bildeten die möglichste Überwindung der immerhin geringeren dialekti-
20 Pindar: Dialekt, Metrik
sehen Eigenheiten erwartet wird, so mufste (aber in höherem, künst-
lerischem Sinne) dem in Griechenland vielgereisten Dichter daran ge-
legen sein eine für seine Stoffe und Rhythmen geeignete, den Hörern
willkommene »Tonart« des Dialektes auszubilden, eine poetische Kunst-
sprache, »assez moderne pour eouvenir a des poenies de eirconstance,
assez parfume d'antiquite pour t^pondre dignement k la grandeur ordi-
naire de son inspiration; une langue qui exprime dans une parfaite me-
sure ce qu'il y a d'actuel dans l'occasion necessaire de ses chants et
ce qu'il y a de general, d'impersonnel dans la libre coneeption de ses
sujets« (Croiset, la poesie de Pindare S. 388).
9) Aug. Heimer, Studia Pindarica. Lundae 1885. 150 S. 4.
Die fleifsige Arbeit ist von Bräuning in der Neuen philol. Rund-
schau I S. 177f, von F. Hanssen im Philol. Anzeiger XVI S. 202 204,
eingehend vom Referenten in der Berliner philologischen Wochenschrift
V S. 1477-1482 besprochen (daselbst S. 1478 Z. 18 ist vor »Elision«
ausgefallen »nach einem Vokale« ; Zeile 15 v. u. lies Xa%tnoav. \
Die gröfsere Hälfte der Dissertation bebandelt das Digamma bei
Pindar; S. 89—117 wird die Position (speziell vor muta cum liquida)
besprochen; endlich folgen kürzere Erörterungen: über Diphthougver-
kürzung im Inlaut, über doppelzeitigen Gebrauch von a i u, über a pri-
vativum, über äolische Verkürzung, über die Endungen -a und -ag
in Wörtern auf -sog, über die Dativendung -t, über oxytonierte Ad-
verbien auf - c, über den Schlufs daktylischer Reihen, über v paragogi-
cum. Dafs man über die Deutung mancher Einzelheit mit dem Ver-
fasser streiten kann, habe ich a. 0. näher ausgeführt; Heimer's Unter-
suchungen sind aber in der That höchst dankenswert und bieten eine
treffliche Basis für weitere Studien.
10) C Ritter, De Pindari studio nomina variandi. In: Disser-
tationes philologicae Argentoratenses selectae vol. IX. Argentorati,
apud Truebner. 1885. S. 239—292. 8.
Als einen Beitrag zur Erklärung des auffallenden Reichtums an
Beiwörtern und Umschreibungen, die wir in den pindarischen Gedichten
findeu, sieht Verfasser die von ihm zuerst formulierte »certa lex« an,
dafs Pindar, »cum diligentissime caveret, ne intra idem strophae anti-
strophae epodi systema eadem vox vel dictio repeteretur, circumlocu-
tiouibus vel epithetis pro nominibus ipsis plerumque uti maluit.« Aus-
geschlossen sind natürlich Wörter wie dvfjp, rjxrijp, tjxIq, olög u. s. w.
Aber der Ort des Sieges (ausgenommen N 6, 12 und 20), die Heimat
des Siegers, Götter und Heroen (ausgenommen Zeus, die Musen und
Chariten), allerlei Appellativa wie Gesang, Flöte, Sieg u. a. werden
obigem »Gesetz« gemäfs mit allerlei Variationen benannt. Auffällige
Wiederholung von Wörtern findet Verfasser 0 2, 30 und 37. 64 und 73.
Pindar: Grammatik. 27
3, 23 und 32. 5, 10 und 13. 13, 29 und 36. 72 und 79. P 1, 44 und 48.
84 und 90. 2, 27 und 35. 3, 55 und 57. 6, 47 und 51. N 10, 77 und 83.
J 3, 18 und 19 und 23. 5, 25 und 28. — Höchst wunderlich ist Ritters
Bemerkung zu N 3, 37: »nondura satis expositum est, quamobrem Pin-
darus hoc loco non Herculem, sed Jolaum nominaverit. Quod nescio an,
sie expediri possit, ut loXaog cognomen Herculis fuerit, nisi potius Pin-
darus repetitionem Herculis norainis aspernatus, cum alia circumlocutio
generalis Aeaci et Pelei interea mentione facta perspicua non fuisset,
pro Hercule substituisse videbitur Jolaum, quippe qui perpetuus illi
comes esset et in eadem cum Hercule ara coleretur.«
11) Fr. Roever, Die Übertragung des Adjektivs bei Pindar.
Wissenschaftliche Beilage für das Progamm des Gymnasiums zu Stolp
1886. 24 S. 8.
bebandelt eine für Pindars poetische Plastik wichtige Frage verständig
wenn auch kurz. Es handelt sich für den Verfasser hauptsächlich um
eine logische Verarbeitung des Stoffes, auch läfst er die lehrreiche Ver-
wendung des Adjektivs bei Zusammensetzungen aul'ser Acht. 1) Über-
tragung des Adjektivs von der Sache auf das Bild und umgekehrt,
a) J 7, 63. N 8, 15. fragm. 194, 1 (was Roever vom Schlagen des Vor-
spiels verstehen will). N 9, 50. P 8, 98. 0 9, LI. N 8, 46 (wo Roever
Xdßpov als »stürmisch« fafst und auf den Hymnus bezieht). 0 6, 82.
(»Indem die Gedanken des Dichters in Stymphalus und Theben weilen,
strömt der Gesang zum Lobe dieser Städte, dessen liebliche Klänge er
mit seinem innern Ohre vernimmt, wie von oben gesandt auf ihn ein
und zwingt seinen Mund, der bereitwillig gehorcht, die Offenbarung kund
zu thun «) PI, 86. 2, 62. 0 9, 47. N 7, 51. Ol, 109. fragm. 191. J. 7,
17. N 1, 15. P3, 80. — b) 0 9, 21. fragm. 205. fragm. 123, 2 5.
(fxeXaQ versteht Roever von dem nicht glühenden Eisen.) Beide Arten
in J 4, 44f. vereinigt. — 2) Vom umschriebenen Substantiv auf das
Hinschreibende: N 7, 81. 0 7. 92. J 7, 54. fragm. 29, ! P9, 86. J 3, 53.
N3, 38. J 7. 47. P l, 72. N 3, 60. 0 14, 12. fragm 123, 9. N 5, 20. 3,
59. P4, 194. l, 10. Ol, 48. N 10, 36. J. 3, 23. N 3, 25 Vollendung
des Zuges«). P 4, 206. 12, 3. — 3) Von einer Person oder Sache auf
einen Zustand oder einen Teil derselben oder überhaupt auf etwas, was
zu derselben in Daher Beziehung steht ai Epitheta von Personen a) auf
Zustände derselben übertragen: P 2, 55. .1 :>. 15. P 9, 92, J 2, 13. x
29. 0 6, 60. PK), 36. ß) auf Körperteile: <>;. 1. I' 1. 11. .17. 46.
0 6. 66. 8. IM, 98. 121. fragm. 177. 1 P 4, 244 N - 13 10, 17 PS,
15. y) auf Handlungen: Nl, IC .17. 26 N5, 1'.' J 5, 27. 0 12, I
P8, 26. J 1, 20. P 1 1, 49. 02, 18. fragm. 19 013, 19. 5, 3. 1' 1. 18.
202 fragm. 208, 2. N3 56. 1".'. 18. 8, 37. 10, 20. N 4, 57 8) auf
Werkzeuge: P 4, 91. NC, 52. 9, 1. IM. 162. 0 LO, E ihofs des
Feuer8chwiDgers< s) auf Örtlichkeiten: \; 9< .'7, 20.08, 20 P9,4.
2g Pimlar: Chronologie der Gedichte.
11, 9. (0 6, 85. fragm. 195, ähnlich J 6, 3.) Ol, 10. N 4, 24. P 9,
83. N 1, 1. fragm. 51. P 11, 6. 3, 32. C) auf die Zeit: N 8, 31. 0 13,
37. N6, 40. — b) Epitheta von Sachen: 0 13, 39. 7, 90. J 3, 36. N 10,
22. 0 6, 91. — 4) Adjektiva pro adverbio, auf einen casus obliquus
übertragen, a) Ortsbestimmung P 5, 63. b) Zeit: P 9, 46. fragm. 127,2.
N3, 32 (»in alter Zeit«, vor Telamon und Achilles). Nil, 8. 6, 6.
c) Art und Weise: 0 2, 66. 1, 82. P 4, 186. 6, 48. Ol, 12 (»regiert
gerecht«). 2, 32. Pl, 86. 0 6, 93. N 4, 55. 0 10, 4. N 6, 57. 5, 39.
0 9, 91. N3, 51. N7, 72. 1, 42. fragm. 162. P 1, 83. 9, 114. 11, 47.
6, 19. 1, 71. N 10, 6. fragm. 163. — 5) Von Ursache auf Wirkung und
umgekehrt: N 8, 40. P 4, 81. 10, 48. J 3, 48. fragm. 122. —Ol, 68.
27. P 4, 214. Eine dankenswerte Sammlung, die zu eingehenderen Er-
örterungen Anlafs geben kann; nur wird dann das logisch-grammatische
Moment etwas zurücktreten müssen vor den poetisch-ästhetischen Motiven.
12) Blafs, Kleine Beiträge zur griechischen Metrik (Jahrb. für
kl. Philol. 133 S. 451 ff.)
geht unter IV auf die Daktyloepitriteu Pindars ein. Ich kaun ihm nicht
zustimmen, überlasse aber das Nähere dem Referenten über »Metrik.«
III. Handschriften, Scholien, Chronologie der Gedichte.
13) L. Schmidt, Quaestionis de Pindaricorum carminum chrono-
logia supplementum alterum. Ind. lect. aest. Marburg. 1887. X S. 4.
Der Verfasser greift hauptsächlich die im letzten Jahresbericht
No. 78 aufgestellten Sätze an. Da die Frage keineswegs abgeschlossen
ist und Referent seinerseits auf eine in Vorbereitung begriffene ausführ-
liche Behandlung von P8 und 11 im Voraus sich bezogen hat, so mag
es an dieser Stelle ausreichen auf die kurze Inhaltsangabe nebst Gegen-
bemerkungen zu verweisen, welche Referent im Philolog. Anzeiger 18,
254 f. gegeben hat.
IV. Ausgaben und Beiträge.
14) Eclogae poetarum Graecorum, scholarum in usum comp.
H. Stadtmüller. Ups. 1883. 8.
enthält S. 192—217 pindarische Odeu. Der Herausgeber schreibt 0 1,
40 äpnaya. Die Priorität kommt ihm zu für die beiden (im vorigen Be-
richt erwähnten) Vermutungen 0 1, 118 lotnuv statt rouzov und 0 3, 25
ns.pahz.iv (oder auch ns.pa.aaC) statt nüpeuev. Was letztere Stelle betrifft,
so hätte ich deutlich aussprechen sollen, dafs gerade hier der Begriff
des (transitiven!) nopsuuj durch die ähnlichen Stellen Ol, 77. P 11, 21.
N 7, 29 gesichert erscheint; das erforderliche Subjekt bietet die hübsche
Konjektur von M. Schmidt svttu/j.u; öppd, nur dafs wohl der Aorist no-
Pindar: Ausgaben und Beiträge. 29
fizua' statt, des Imperfekts zu setzen wäre (vgl. die Varianten zu P 11,
21). Aus der von Stadtmüller angeführten Stelle P 10, 28 dagegen läfst
sich der intransitive Gebrauch von nspatveev nicht beweisen. — P l, 67
versucht Stadtmüller ety de statt aiel öd, wodurch die Schwierigkeit
nicht geringer wird als wenn man Sog ergänzt. P 1, 77 ivsnwv statt
des schwerlich richtigen ipecu liegt weit ab und ist meines Erachtens
ein immerhin recht allgemeines und überflüssiges Wort. Ähnlich Boeckh
ipscuv. P 7, 6 fügt Stadtmüller zu den vielen Versuchen den eigenen:
aaivujv. Dann sähe ich lieber nauZatv. N 1, 50 Bäaaov für thxxöw, und
J 5, 36 Setnvov statt der Ergänzung to'jtov sind beides Vermutungen,
denen man die Verlegenheit anmerkt. J 5, 59 fiäxp' iv trotz des eben
vorhergehenden paxpov.
15) UivSdpoo ~a awZöpzva perä pzzacfpdazwv a^/izcdxrzajv xac
m'vaxog ru)V tet-ztov zig röfioug e' bnb h. KXedvßo'jg. Topog a . 'Ev
Tepyia-r) 1886. Xa und 457 S. 8.
Charakterisiert von Wäschke in der Berliner philol. Wochenschrift
1886, 28. August. Kann in Deutschland füglich unberücksichtigt bleiben.
16) J. H. Heinrich Schmidt, Synonymik der griechischen
Sprache. Vierter Band. Leipzig 1886. XIV und 875 S. 8.
Vorliegender Schlufsband des verdienstlichen Werkes enthält im
Register eine geordnete Übersicht der ca. 500 Pindarstellen, welche der
Verfasser in den vier Bänden erwähnt oder erörtert hat, ganz abgesehen
von der Behandlung solcher wichtiger Synonyme, die zufällig nicht mit
Pindarcitaten belegt sind. Eingehender behandelt Schmidt in vorliegen-
dem Bande drei Stellen. 0 5, 12 versteht er die azpvol ö^ztoc nicht
von gegrabenen Kanälen, die etwas Selbständiges für sich bilden, son-
dern von den vom Flusse selbst gespendeten, sich ins Land ergiefsenden
Wassermengen, die deshalb sehr wohl den Beinamen azpWj; verdienen.
Ausführlicher ist die Behandlung von 0 6, 8. Richtig zeigt Schmidt die
Unzulänglichkeit der bisherigen Erklärungen; aber seiner eigenen Aus-
legung kann ich nicht zustimmen. Schmidt rindet nemlioh in TteSiXov
eine Doppelbeziehung (ganz wie zu Ol, 12 im vorigen Jahresbericht
S. 12), Demiich auf das musikalische Gesetz coli. 0 3, 5 und auf die
Fittige des Gesanges. Die meines Erachtens vielmehr naheliegende
Deutung »mit der Götter Gunst rüstest du dich zu deiner Wanderschaft«
wird, wie mir scheint, durchaus bestätig! durch die Gesamterklärung
des Gedichtes, deren Veröffentlichung ich bereits angekündigt habe.
Endlich N 7, 33 sucht Schmidt die Deutung »ein äßpbg /"'?«*% der den
Toten Genugthuung verschafft« durch Verweisung auf einige Stellen in
Rednern zu stützen, erkennt aber selber den Unterschied an. Die sup-
ponierte freie Übertragung des ßoa&öog ist meines Erachtens nicht er-
weislich; mein Versuch ist Piniol. XLY 8. 604 vorgetragen.
30 Pindar: Beiträge. Olympische Oden.
17) Tyrrell, Pindarica. Im Hermathena XI (1885) S. 851 353.
Der Optativ 0 3, 45. IM, 118. 10, 21 wird wie bei Gildersleeve
erklärt. Ferner N 9, 23 vöaxov ipuacd/ievot bei Mezger, zugleich unter
Bezugnahme anf Born. IL 13, 859 neepap inaXXd^avree (?). J 3, 54 wird
statt rajxu>v vermutet npa&atv oder ßaXutv oder nixujv = <fi/.(jy(v/(ij dfupt'
xoXtaats N 8, 23. Endlich wird J 5, 36 ergänzt xüpyoeipl.) [rerfitov]
datvü/iswv mit epischer Breite.
18) Ed. Lübbert, Commentatio de Pindari poetae et Hieronis
regis aniicitiae primordiis et progressu. (Ind. schol. Sommer 1886.)
Bonn, Cohen und Sohn. XXVII S. 4.
Des Verfassers Argumentation in der ersten Hälfte dieser Arbeit
habe ich in der Neuen philol. Rundschau 1887 S. 146 etwa folgender-
mafsen zusammeugefafst: »Uafs Pausanias 6, 9, 4 einen Privatmann
Gelon, Deinomenes Sohn, sicli ausgedacht hat, ist allerdings herzlich
dumm; grenzenlos dumm aber wäre dies, wenn er in seinen litterarischen
Hülfsmittelu unter derselben Ol. 77 einen Sieg Hierons, des Sohns des
Deinomenes, verzeichnet gefunden hätte: also hat Hieron nicht Ol. 77 ge-
siegt, vielmehr ist die Ode 0 1 in Ol. 76 zu setzen.« — Die zweite
Hälfte des Programms betrifft die Quellen des Pausanias für seine An-
gaben über die Sieger, speziell Kallimachos und Duris nzfA äya>va>v.
19) Ed. Lübbert, Originum Eliacarum capita selecta. (Index lect.
Sommer 1882.) Bonn. 14 S. 4.
Augias ist nach dem Verfasser kein heimischer Heros in Elis;
sondern sein Vater Phorbas, ein Lapithe, ist aus Thessalien eingewan-
dert. Ferner die Stadt des Augias Oll, 38 ist Ephyra, identisch mit
Phyteon oder Phyteus, dessen Name im Scholion z. St. herzustellen ist.
Die Sage vom Kampf des Herkules mit Augias stammt aus Ätolien,
nemlich vom thesprotischen Ephyra. Den Hyperboreermythus in 0 3
fafst Lübbert folgendermafsen (siehe auch folgendes Programm S. 5):
in mediis vitae humanae fiuctibus et procellis nonnunquam beatissima
mirae cujusdam quietis et felicitatis tempora emicare, quibus Hyperbore-
orum beatitudiuem pectus nostrum cum summa virium ad futura certa-
mina recreatione sentiat.
20) Ed. Lübbert, De Pindari carminum quibus Olympiae origines
canit fontibus. (Zum 22. März 1882.) Bonn. 19 S. 4.
Eine andere Gestalt der Sage als die im vorigen Programm an-
geführte stammt vom sikyonischen Ephyra; in derselben führt Herkules
von Pheneos aus Tiryuthier und Kleonäer ins Feld. Zu Grunde liegt
nach Lübbert die Thatsache der durch den Ladon und Alpheus in Elis
angerichteten Verheerungen. - Die einschlägigen Stellen aus Schrift-
stellern werden mit sorgsamer Gelehrsamkeit beigebracht.
Pindar. Olympische Oden. 31
21) Ed. Lübbert, Meletemata in Pindari locos de Hieronis regis
sacerdotio Cereali. (Ind. lect. 1886/87.) Bonn, Cohen und Sohn.
XXIV S. 4.
Ausführliches Referat in der Wochenschr. für klass. Philol. III
1415 von Stengel, der »sich nicht entschliefsen kann, dem kühnen,
grofsenteils auf Hypothesen gegründeten Aufbau des Verfassers Ver-
trauen zu schenken.«
22) Hegedüs in Egyetemes phil. közlöny 1886 N. 1 S. 57—63
hat eine ungarische Übersetzung von 0 6 nebst Einleitung gegeben.
23) v. Wilamowitz-Moellendorf, 'Idfiou yovai (4. Excurs zum
neunten Heft der philologischen Untersuchungen von Kiefsling und
v. Wilamowitz-Moellendorf. Berlin 1886, S. 162-185.)
Nach dem Verfasser hat die von Pindar in 0 6 verwertete Jamos-
sage »exemplifikatorische Bedeutung für die Methode richtiger poetischer
wie historischer Analyse.« Sie ist für ihn ein »Beispiel« dafür, dafs
»die Gcschlechtssage noch im Jahrzehnt nach den Perserkriegen ein
neues Reis hat treiben können, und dafs nach kaum zehn Jahren ein
Dichter von Pindars Ernst und Pindars Selbstgefühl dieses junge Reis
mit derselben Ehrfurcht behandelt hat wie die urältesteu Stammbäume.«
Warum? Es finden sich allerlei Anstöfse, welche nach v. Wilamowitz-
Moellendorf die pindarische Erzählung als Wiedererzähluug charakteri-
sieren: Die Aao~p6<pog rtfid, die Lage von Phaisana, das Hineinsteigen
in den Alpheios, die Doublette von der heimlichen Geburt bei Mutter
und Tochter, die Unthätigkeit Poseidons für seinen Enkel, das Verhältnis
der Euadna zum Aipytos. Da ferner der Jamide Teisameuos erst 480
das spartanische Bürgerrecht erhielt, so ist das erste Glied der pindari-
schen Genealogie (Pitana -Euadna) ein »späterer Flicken«, eingeführt
von den aufser spartanischen Jamiden in Stymphalos, um ihr Geschlecht
mit Sparta zu verknüpfen, und von Pindar 468 in 0 6 verwertet, um
das politische Bekenntnis einer im spartafeindlichen Arkadien vorhan-
denen Gegenpartei gutzuheifsen, deren Stamm es verwandter Teisamenos
das spartanische Heer bei Dipaia zum Siege gegen die Arkader gefühlt
hatte. Übrigens von politischen Demonstrationen in Epinikien halt der
Verfasser selber wenig, und über die Einsetzung des »Flickens« ist
unserseits zu bemerken, dafs die Herleituug des Jamidengeschlechts von
Pitana nicht erst mit der Bewerbung um das spartani>che Bürger-
recht »erfunden« zu sein braucht, dafs vielmehr die erste Ansiedelung
von Jamiden in Sparta jensei t unserer historischen Überlieferung liegt.
Wir können also diese »poetisch- historische Analyse« nicht billigen.
Allerdings hat der Verfasser mit Recht auf eine Reihe \on auffallenden
Wendungen des Ausdrucks sowohl als der Sagenerzählung hingewiesen;
(loch glauben wir imstande au sein, dieselben durch unsere bereits fertig-
32 Pindar: Pythische Oden.
gestellte ausführliche Behandlung der Ode zu erklären. 0. Schröder
freilich (Wochenschrift für klass. Philo!. 188G 8. 0(39) ist umgekehrt
der Meinung, die Analyse des Verl- si geeignet, einer) frischen
Zug in «Im- Pindarerklärung zu bringen. - Eine poetische Einheit des
Liedes nachzuweisen lag nicht in des Verfassers Plan; überhaupt liegt
für ihn »in der Situationsmalerei vielmehr als in dem hochtönenden
Schwalle konventionellen Redeschmuckes das Individuelle der pindari-
schen Poesie.«
24) Christ im Philologus XLV (1885) S. 190f.
will 0 13, 113 dttfiev statt ISejiev setzen. Das ist prosaischer und
schwächer: die vielen Siege sind wie ein Meer, über welches der Blick
nicht reicht.
25) G. Fraccaroli, L'ode Pitia I. di Pindaro dichiarata e tra-
dotta. Verona 1885. 56 S. 8.
Über die Absicht des Verfassers vgl. vorigen Jahresbericht S. 109
zu P 10. Ich finde die berechtigten Erwartungen nicht annähernd be-
friedigt. Fraccaroli hält nichts von dem Bestreben, jede pindarische
Ode auf eine »allgemeine Formel« zurückzuführen. Einverstanden; aber
eine poetische Einheit verlangen wir dennoch, und die weist Fraccaroli
nicht nach. Vielmehr erhalten wir eine Disposition vom Standpunkt der
Nomostheorie, ähnlich wie bei Mezger; daneben Bemerkungen über die
Sprache der Ode im Vergleich zu Äschylus' Ätneerinnen, Erörterungen
über die historischen Verhältnisse, aus denen die Annahme hervorzu-
heben sein dürfte, dafs Chromios der Vorgänger des Deinomeues ge-
wesen sei, endlich eine, wie mich dünkt, nicht ungeschickte freie Über-
setzung in 15 elfzeiligen Strophen. Ausführlich ist der Verfasser hin-
sichtlich vs. 50 f.; er will das vov ye fidv nicht zeitlich, sondern anti-
thetisch fassen. Referent denkt bei icrrpa—ufry an keinen Krieg des
Hieron, sondern an den besungenen pythischen Wagenkampf. — Noch
kürzer ist die folgende Abhandlung desselben Verfassers No. 27.
26) Hegedüs in Erdelyi Muzeum sect. philol. I Lief. 3
giebt eine ungarische Übersetzung von P IV.
27) G. ;Fraccaroli, L'ode Pitia XI. di Pindaro. Verona 1886.
(Estratto dal Giornale »La Ronda«). 36 S. 8.
Erörterungen S. 5—29, Übersetzung S. 33 — 36. Verfasser meint
aus vs. 14 schliefsen zu sollen, dafs Thrasydäus noch im väterlichen
Hause gelebt habe, und sieht vs. 49 den Vater als pythischen Sieger
an. Auch Referent vertritt die Datierung in die 28. Pythiade, uimmt
aber an, dafs der Vater des Siegers längst tot war, und findet dessen
beide Siege vs. 46 f. angegeben, wo allerdings die Änderung iv "Apye'i
statt iv äppaat vorzunehmen sein dürfte, während das handschriftliche
Pindar: Neraeische und isthmische Oden. Fragmente. 33
'OXufim'q r' besteheu bleibt. Wieder folgt bei Fraccaroli die Disposition
wie bei Mezger nacb den ferree norme deila poetica d. h. nach der
Nomostheorie. Länger verweilt er bei vs. 29 f., ohne zur überzeugenden
Klarheit zu kommen, und endlich folgen auch liier einzelne sprachliche
Parallelen aus Äschylus' Agamemnon.
28) Bury, Emendations. Im Hermathena XI. 1885 S. 267
will N 6, 18 nach npürog ergänzen zvorrazv.
29) Bornemanu, Pindar'ö siebente nemeische Ode ein Sieger-
totenlied. (Philologus XLV S. 596—613.)
Dies ist die im vorigen Bericht in Aussicht gestellte Auslegung,
die allerdings von der traditionellen Richtung der Exegese völlig ab-
weicht. Supponiert ist folgende Situation: Sogenes, Sieger im nemei-
schen Knabenfünfkampfe, ist vom Sonnenstich tötlich getroffen und im
Herakleion seiner Heimat Ägina beigesetzt. Das ganze Lied ist ein
imtxydseov Auf dieser Grundlage wird das Gedicht analysiert, eine
grofse Anzahl von Stellen rinden eine neue kritische und exegetische
Behandlung. Sic hier zu wiederholen halte ich nicht für angebracht:
durch ähnliche Behandlung von 0 6, P8 und P 11 hoffe ich weitere Be-
lege für die von mir vertretenen Grundsätze vorzuli
30) Herbst in der Rezension von Breusing, Nautik der Alten,
Berl. philol. Wochenschrift 1886 8. 813.
J 2, 40 ist von Breusing erklärt: »Lief- nicht den Vorhang eine
Scheidewand um seinen gastlichen Tisch fallen.« Herbst, der den Aus-
druck des Dichters »etwas schwülstig«! nennt, will tibersetzen: »Zog nie-
mals in bezug auf seinen gastlichen Tisch die Segel ein.«
31) 0. Keller, Zu Isthm. 4, 80 (3, 65).
Da selbst die beste der bisherigen Erklärungen, die von Thiersch,
nicht genügt, schreibt Keiler dvaniTvajisvou. Erwähnt wird eine Notiz
Tschudi'e über einen Kampf zwischen Steinadler und Fuchs.
32) Ed. Lübbert, Zu Pindars Hypot-cheraa. Rheinisches Museum
XLI, 468 f.
liest fr. 105, 3 orpoLTw (mil kleinem Anfangsbuchstaben und absichtlich
als Paroxytonon) : »er isl ausgeschlossen von den Stammesabteilungen.«
Nachtrag zu No. 2 und 3; Beide Arbeiten Lübberts bat
0. Crusius einer sehr au fuhrlichen, leilv mmeuden Besprechung
unterzogen in der Wochen chrifl für klass. Philol. IV. 1380 -1395.
rieht füi Alterthumswissenschaft L. i'HS7 I 1
Bericht über die in den Jahren 1881 — 1886
erschienenen auf die nacharistotelische
Philosophie bezüglichen Schriften.
Von
Prof. Dr. M. Heinz e
in Leipzig.
Von allgemeineren Werken, welche die ganze Geschichte der
griechischen Philosophie behandeln, ist hier vor allem zu erwähnen die
Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung von
Ed. Zeller, 3. Th., 1. Abtheil., 3. Aufl., Leipzig 1880, und 3. Th.,
2. Abtheil., 3. Aufl., Leipzig 1881, welche beiden Abtheilungen zusam-
men die nacharistotelische Philosophie umfasseu. Dass eine neue Auf-
lage auch dieser Bände verhältnissmässig sehr zeitig nöthig war, spricht
für die ohnedies schon allgemein anerkannte Vortref'flichkeit des Werkes,
da ohne die grossen Vorzüge desselben das Bedürfniss gerade nach den
beiden letzten Bänden sich nicht so fühlbar gemacht haben würde. Der
Zusätze und Veränderungen giebt es in dieser letzten Auflage viele —
jeder der beiden Bände hat um ungefähr 80 Seiten zugenommen — ;
dieselben sind namentlich zu bemerken in den Abschnitten, welche die
Epikureer, die spätere Skepsis, die Vorgänger des Neuplatonismus und
die jüngeren Neuplatoniker behandeln. Dass Zeller bei seiuer überall
bewährten Genauigkeit im Arbeiten alle Monographien und Abhandlungen,
die Themata aus der nacharistotelischen Philosophie zum Gegenstände
haben, benutzt und durchweg in streitigen Fragen mit sicherem Blick
und ruhigem Urtheil die Entscheidung giebt, braucht kaum erwähnt zu
werden. Wesentlich erleichtert ist der Gebrauch des Werkes durch das
im Jahre 1882 erschienene Register, in welchem wir zuerst ein alpha-
betisches Verzeichniss der in dem Werke benutzten Quellenschriftsteller,
hierauf ein Verzeichniss der Stellen aller Autoren , die von Zeller er-
läutert oder emendiert werden, und dann das sehr genau gearbeitete
Namen- und Sachregister finden.
Auch bei Ausländern erfährt das Werk die vollste Anerkennung,
wie die Uebersetzungen in das Englische von Costelloe und F. Alleyne,
in das Französische von E. Boutroux und M. Belot zeigen.
Ueberweg-Heiuze. Grundr. d. Gesch. d. Philosophie. 35
Eine kürzere Darstellung der griechischen Philosophie ist von
Ed. Zeller als Grundriss der Geschichte der griechischen Philosophie,
Leipzig 1883 und in zweiter Auflage fast ganz unverändert schon 1886
erschienen. Die uacharistotelische Philosophie ist darin auf S. 197 bis
310 behandelt, also nicht zu kurz gekommen. Das Buch ist namentlich
für Studierende bestimmt, um diesen die Vorbereitung für die Vor-
lesungen zu erleichtern uud das Nachschreiben zu ersparen. Es erfüllt
in seiner übersichtlichen uud musterhaft klaren Darstellung seinen Zweck
in vollem Maasse und ist auf das wärmste zu empfehlen. Hier uud da
giebt es für Anfänger zu viel Namen. In das Englische ist es schon
übersetzt von Sarah A Heyne und Eveline Abbott, in das Russische
ist es ebenfalls schou übertragen.
In dritter Auflage ist erschieneu und wie die zweite vou Karl
Köstlin herausgegeben die Geschichte der griechischen Philosophie
von Albert Schwegler, Freiburg i. ßr. u. Tübingeu 1882. Das Buch
ist zum Theil vortrefflich, namentlich in den Partien über Platou und Ari-
stoteles. Die nacharistotelischc Philosophie ist in einigen Tueilen stief-
mütterlich behandelt. So werden schon die späteren Stoiker und der
Stoicismus bei deu Römern wenig berücksichtigt, und noch schlechter
kommt die mittlere und die neuere Akademie weg. Gar nicht erwähnt
habe ich gefunden die Reihe der eklektischen Platoniker, sogar Philon
ist nur einmal genannt. Für eine neue Ausgabe wäre mehr Gleichmäßig-
keit, so dass auch die späteren Philosophen zur Geltung kämen, sehr
erwünscht. Bedauerlich ist es, dass dem verdienstlichen Buche ein
Namenregister fehlt.
Friedr. Ueberwegs Grundriss der Geschichte der Philosophie,
Bd. 1, das Alterthum, habe ich Berlin 1886 in siebenter, und Bd. 2, die mitt-
lere oder die patristiscbe und seh ilastische Zeit. Berlin 1881 in sechster und
1886 in siebenter Aufl. neu bearbeitet berausgegi ben. Zahlreiche Verände-
rungen und Zusätze unterscheiden die neuen Auflagen von der früheren,
wenn auch die Anlage des Ganzen gewahrt worden ist. Bei der pat ri-
stischen Philosophie habe ich es mir angelegen sein lassen, den Zusam-
menhang mit der alten Philosophie noch mehr, als dies in älteren Aus-
gaben geschehen war, hervorzuheben. Die objeelive, möglichst auf den
Quellen ruhende, alle neuen Forschungen, soweit es angemessen ist,
benutzende Darstellung, verbunden mit der Angabe der ganzen neu er-
schienenen Litteratur, sind Eigenschaften des Werkes, die dasselbe trotz
mancher Angriffe und trotz der Btarken Goncurrenz, die dem ersten und
dritten Bande gemacht worden ist, in der Schätzung und Benutzung
seitens der studierenden Jugend äowie weiterer Kreise noch nicht haben
sink« n lassen Bemerkt sei hier, dass für die An! lie Litteratur-
angaben keineswegs in dem Maasse verwirrend sind, wi< von einigen
Seiten behauptet worden ist, da icl , sverthesten Werke
durch gesperrten Druck vor den übrigen bemerkli« ibe.
•
36 Benn, The Greeh plulosopliera.
Berichtet sei ferner, dass von Alfred Weber, Histoire de la
Philosophie Europeenne, die dritte Auflage, Paria 1883, ebenso von
Alfred Fouillee, Histoire de la pbilosophie, die dritte Auflage, Paris
1882 erschiene!] ist, sowie dass die griechischen Pbilosophinneo eine
besondere Darstellung und Würdigung, aber in einer Form, die kaum
auf wissenschaftlichen Werth Anspruch macht, erfahren haben von J. C.
Poestion, Norden 1882.
Ein neues ausführliches Werk über griechische Philosophie ist
erschienen :
The Greek philosophers by AI fr. Will. Benn in two volumes,
London 1882.
Uns geht hier der zweite Band näher an, welcher in fünf Capiteln
auf 362 Seiten behandelt the Stoics, Epicurus and Lucretius, the Sceptics
and Eclectics: Greek philosophy in Rome, the religious revival, the
spiritualisme of Plotinus. Der Zweck bei der Abfassung des Buches
war, wie der Verfasser sich äussert: to exhibit the prineipal ideas of
Greek philosophy in the dosest possible connexion with the characters
of their authors, with each other, with their developmeuts in modern
speculation, with the parallel tendeucies of literature and art, with the
history of religion, of physical science and of civilisation as a whole.
Es geht hieraus schon hervor, dass wir es hier nicht sowohl mit einer
genaueren, etwa auf neuer Durchforschung der Quellen beruhenden Dar-
stellung zu thun haben, als vielmehr mit, Reflexionen über die Philo-
sophen, die allerdings vielfach zutreffend und geistvoll sind, so dass
kein Liebhaber der griechischen Philosophie das Buch aus der Hand
legen wird, ohne Anregungen empfangen zu haben.
Besonders bemerkenswert!! ist das letzte Capitel des zweiten Bandes:
Greek philosophy and modern thought, das in der philosophischen Zeit-
schrift Mind schon vorher erschienen war, wie auch die meisten der
übrigen Capitel schon in der Westminster Review' veröffentlicht worden
waren. Es wird ja oft genug, freilich meist, von Unwissenden, die antike
Philosophie missachtet, als sei sie vollständig überwunden. Nun Benn
macht den Versuch und nicht ohne Erfolg, nachzuweisen, wie sehr sich
die neuere Philosophie noch von der alten nährt; wie sich in den neue-
ren Systemen nicht nur platonische und aristotelische Gedanken finden,
sondern auch stoische und epikureische. Er zieht sogar eine Parallele
zwischen der neueren Akademie und Locke. Vielfach hätte er noch
nähere Berührungen hervorheben können, z. B. zwischen den Stoikern,
Locke und Spinoza.
Die Schriften von R. Bobba, Saggio sulla filosofia greco-romana,
Torino 1881, von Jos. B. Mayor, A sketch of ancieut philosophy from
Thaies to Cicero, Cambridge 1881, sind nicht iu meine Hände ge-
kommen.
Mullach, Fragmenta philosophorum Graecorum. 37
Eine Fortsetzung hat ein trotz seiner sehr grossen Mängel viel
gebrauchtes Werk erfahren, nämlich: Fragmenta philosophorum Grae-
corum collegit, recensuit, vertit etc. Fr. Guil. Aug. Mullachius, von
dem Paris 1881 Volumen III erschienen ist, Platonicos et Peripateticos
continens. Freilich sagt diese Inhaltsangabe viel zu viel, da nicht alle
Platoniker, von denen wir Fragmeute oder kleine Schriften besitzen,
aufgenommen sind, noch weniger sämmtliche Peripatetiker. So fehlt von
den ersteren Herakleides Pontikos, Eudoxos, aus späterer Zeit der lüyog
ScdaaxaÄcxog tojv TlXariuvog öof/iärcov, der jetzt nach Freudenthals Unter-
suchungen mit Sicherheit dem Albinos an Stelle eines unbekannten Al-
kinoos zugeschrieben wird, während die elaaywyij des Albinos abgedruckt
ist. Von den Peripatetikern finden sich in dem Bande überhaupt nur
Aristokles, Eudemos der Rhodier, Andronikos der Rhodier, vermisst wer-
den Straton, Hieronymos u. a.
Etwas wunderlich ist die Reihenfolge, in der Platoniker und Ari-
stoteliker aufgeführt werden. Der Band beginnt mit Eusebios Myndios
mit Albinos und Sallustius, von denen der erste und der letzte schon
den späteren Neuplatonikeru angehören. Hierauf findet sich eine Ab-
handlung de Piatone eiusque discipulis et successoribus; dann folgen
nach einander die Fragmente des Speusippos, Xenokrates, Krantor,
Numenios, Attikos und Severus mit Einleitungen, unter denen als
nicht unbrauchbar hervorzuheben sind die zu Speusippos und Xeno-
krates. Von den Aristotelikern wird zuerst Aristokles gebracht, und das
Ganze schliesst Andronikos aus Rhodos, nachdem eine Abhandlung de
Aristotele eiusque discipulis et successoribus noch eingeschoben ist.
Ein Princip für die ganze Anordnung ist nicht zu erkennen. Vollstän-
digkeit der Fragmente ist ebensowenig in diesem wie in den früheren
Bänden erzielt, und die kritische Behandlung des Textes lässt nur zu
viel zu wünschen übrig. Zwar sind kritische Anmerkungen hinzugefügt,
und der Text ist häufig verändert, aber die Conjecturen können sehr
selten als Verbesserungen gelten.
Sicherlich mehr zur Füllung des Bandes als aus einem gefühlten
Bedürfniss ist die dem Andronikos aus Rhodos von Heinsius zugeschrie-
bene Paraphrase der Nikomachischen Ethik abgedruckt. Sie nimmt bei-
nahe die Hälfte de-, Bandes ein, und doch ist es ziemlich sicher, d
sie den Andronikos uicht /um Verfasser hat. Wenigstens schreibt sie
die Pariser Handschrift dem Heliodoros von Prusa zu, die Wiener bat
keinen Namen des Autors, und die Bodleiana nennt als Verfasser Olym-
piodoros. Mullach freilich meint betreffs der Autorschaft des Androni-
kos: Unus Salmasius rem in controversiam voeavit. l rwähnen will
ich hier, dass diese Paraphrase zusammen mit der aristotelischen Ethik
ins Englische von Walter M. Hat eh übersetzt, und diese Heber-
tragung London l ö 7 1> herausgegeben worden ist. Zuletzt ist bei
Mullach noch der bekannte libellus nepl ta&iuv. der auch «Ich Namen
38 Siebeck, Geschichte der Psychologie.
des Andronikoa als Verfasser trägt, zum Abdruck gekommen, über dessen
Autor sich Mullach nicht ausspricht. Kritische Sorgfalt, die sehr nöthig
war, ist auch diesem Schriftchen vom dem Herausgeber nicht zu Theil
geworden. Ueber eine neue Ausgabe desselben von Kreuttner und
Schucbhardt, siehe weiter unten.
Nicht unerwähnt darf hier bleiben die vortreffliche Ausgabe der
sogenannten Eklogen des Joannes Stobaios von Curt Wachsmuth
unter dem Titel Ioannis Stobaei Anthologii libri duo priores qui inscribi
solent eclogae physicae et ethicae, vol. I und II, Berolini 1884. Es
sticht diese Edition auf das vorteilhafteste gegen die früheren, auch
die von Meineke, ab, was wesentlich daher rührt, dass Wachsmuth erst
festgestellt hat, welches die vorzüglichsten Handschriften sind. Aucb
hat derselbe sehr viele wirkliche Verbesserungen, theils eigene, theils
fremde in den Text aufgenommen. Auf Einzelnes hier einzugehen, ist
nicht meine Aufgabe, nur hervorheben will ich noch, dass sich am
Schlüsse drei sehr werthvolle Indices finden, durch welche die Forschung
auf dem Gebiete der alten Philosophie wesentlich erleichtert wird: l ein
Index auetorum, 2. philosophorum, quorum placita enanantur, und 3. re-
rum a philosophis traetatarum. In dem letzten sind zugleich die ein-
zelnen Philosophen und Schulen angegeben, von welchen die Ausdrücke
gebraucht werden.
Von geschichtlichen Darstellungen , die einzelne Disciplinen der
Philosophie behandeln, muss hier genannt werden:
Geschichte der Psychologie von Herrn. Siebeck. Prof. d. Philos.
an der Univ. Giessen, I. Theil, 1. Abth. die Psychologie vor Aristoteles,
2. Abth. die Psychologie von Aristoteles bis zu Thomas von Aquino,
Gotha 1880, 1884. 284 und 531 S. 8.
Uns gehen hier von der zweiten Abtheilung die Abschnitte über
die monistisch-naturalistische Psychologie nach Aristoteles, über die spiri-
tualistische Reaction gegen den Naturalismus und das Capitel über die
Patristik an. Es theilen diese Partien die Vorzüge des ganzen Werkes:
Gründlichkeit in der Forschung und Klarheit der Darstellung, durch
welche letztere auch für weitere Kreise das Verständniss des Werkes
möglich wird. Etwas kurz ist die Patristik behandelt, und der Ver-
fasser zeigt sich hier nicht ebenso zu Hause wie auf dem Boden der alten
Philosophie. In der Geschichte der Psychologie des nacharistotelischen
Zeitraums sieht Siebeck als einen wesentlichen Punkt die Wiederauf-
nahme von Versuchen , welche durch Piaton und Aristoteles niederge-
drückt worden waren. Sie hätten umso eher, meint er, wieder aufkommen
können, als sie im Stande gewesen seien, auf manche, namentlich durch
Aristoteles angeregte, aber noch offene Frage Autwort zu geben. Trotz
des bedeutenden Einflusses der aristotelischen Psychologie trete doch
zu Ausgang der griechischen Cultur der Platonismus mehr iu seiue
Rechte, indem statt des empirisch -speculativen Interesses ein ethisches
Siebeck, Geschichte der Psychologie. 39
wieder vorwalte, und statt der Frage Dach der Erkenntniss der Seele
die nach ihrer Läuterung die Geister beschäftige. Die exactere psycho-
logische Forschung bleibe in der späteren Zeit den Medicinern aus-
schliesslicher überlassen, wie sich schon dadurch kundgebe, dass die
Lehre vom Pneuma sich in der Psychologie mehr entwickele. Ohne
Zweifel spielt die Lehre vom Pneuma eine grosse Rolle in diesem Zeit-
raum, aber ob dies hauptsächlich durch die Medieiner bedingt ist, muss
zweifelhaft sein, da ?.. B. in der Stoa die Lehre vom Pneuma vom all-
gemein physischen und speciell vom psychologischen Standpunkt aus in
den Vordergrund tritt. Uebrigens ist in Siebecks Werk das Capitel
über die Lehre vom Lebensgeist (Pneuma) als besonders werthvoll her-
vorzuheben; der Verf. hatte schon vorher einen ausführlicheren Aufsatz
ȟber die Entwicklung der Lehre vom Geist (Pneuma) in der Wissenschaft
des Alterthums« im 12. Bande der Zeitschrift für Völkerpsychologie,
1880, S. 361 — 407 veröffentlicht. Es ist von grossem Interesse zu ver-
folgen, wie sich der Begriff des Pneuma mehr und mehr vergeistigt, bis
schliesslich alles Materielle ausgeschlossen wird.
In dem Abschnitt über die spiritualistische Reaction gegen den
Naturalismus ist besonders das Capitel »die Herausbildung des Bewusst-
seinsbegriffs« von Bedeutung, das in weiterer Ausführung schon im
80. Bande der Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik,
1882, S. 213-239 erschienen war. Es wird da namentlich betont, wie
der Begriff des Bewusstseins sich bei Plotin mit grosser Schärfe und
Klarheit herausgebildet hat, so dass nach dieser Seite hin den Neu-
platonikern ein wesentliches Verdienst zugesprochen werden muss, wie
überhaupt diese Philosophon von Siebeck in richtiger Weise gewürdigt
werden. Dass derselbe die psychologischen Ansichten der Mediciner,
unter denen Galenos hervortritt, genauer berücksichtigt und in seine
Darstellung einflicht, ist ein besonderer Vorzug seines Werkes. Ob er
Recht gethan hat, die Lehren der Stoiker und Epikureer nebeneinander,
untermischt noch mit anderen iu behandeln, ist mir zweifelhaft. Es
scheint mir dabei die ganze stoische Psychologie, die ja einen sehr
breiten Raum einnahm, nicht recht zu selbständiger Geltung zu kommen.
Freilich ist bei Siebecks Behandlung die stoische Lehre besser in den
grossen Gang der Entwickelung eingefügt. Ausführliche Beurtheilun-
gen dieses Werkes finden sich von P. Natorp in den Philosophischen
Monatsheften 1885, S. 384— 396, und von R. Eueken in den Göttinger
gelehrten Anzeigen 1884, No. 5, S. 172—182.
An die besprochene Arbeit reiht sich würdig an die
Geschichte der Ethik von Theob. Ziegler. i. Abtli : Die Ethik
der Griechen und Römer, Bonn 1881; 2. A.bth.: Geschichte der christ-
lichen Ethik, Strassburg 1886. 342 und 593 S. S.
Der erste Band ist Ed. Zeller gewidmet in dankenswertster Aner-
kennung dessen, dass Huf Zellers Werk diese Darstellung dej antiken
40 Zii biebte dei Ethik.
Ethik vielfach beruht. Ich habe diese Abtheilung schon in der Theo
logiseben Literatur - Ztg. 1882 No. 7 kurz angezeigt, und ich kann das
dort ausgesprochene ürtheil hier nur wiederholen, nämlich dass der ^
Verfasser das Quellen material gründlich studiert bat, selbständig in der
Auffassung und Beurtheilung ist. und ich seine Darstellung durch
Klarheit und Knappheit empfiehlt. Gros ere Ausführlichkeit wäre in
manchen Partien zu wünschen gewesen, und würde dem Autor bei
scinei' Kenntnis« der Quellen nicht schwer gefallen sein, aber sie war
wohl für dvn Zweck des Werkes ausgeschlossen.
Billigen kann ich bei der Eintheilung des Stoffes nicht, dasa erat
hinter Aristoteles und dem Beilenismus in einem Capitel die Kyrenaiker
mit den Epikureern zusammen und in dem nächsten die Kyniker mit
den Stoikern zusammen behandelt werden. Hervorgehoben sei noch,
dass Ziegler die allgemeineren Anschauungen der verschiedenen Zeit-
räume, die ja auf die Ausbildung der ethischen Systeme vielfach stark
eingewirkt haben, nicht übergeht, so in dem Abschnitt über den Helle-
nismus und in dem über die römische Sitte und Sittenlehre. Etwas zu
kurz kommen die Neuplatoniker weg, die ja das Ethische häutig in den
Mittelpunkt ihrer Betrachtung treten lassen und von tiefem und nach-
haltigem Einfiuss auch auf gewisse Richtungen in der christlichen Ethik
gewesen sind.
Bei der Besprechung der eönd&stat der Stoiker sieht es Ziegler
als Inconseqnenz an, dass sie deren nur drei annahmen, da nicht einzu-
sehen sei, warum dem Schmerz nicht auch eine vernünftige Seelenstimmung
zur Seite treten solle, was Uebervveg-Heinze bestreite. Schon Lac-
tantius, Div. inst. VI, 15 hatte den Stoikern denselben Vorwurf gemacht.
Nun bei Stobaios heisst es Floril. 7, 21 : dXyetv jxkv rbv oo(fov, jirj ßouaa-
vi&abai de, und den Grund, warum der Weise nicht in einen dem
Schmerz entsprechenden vernünftigen Affekt geratheu kann, giebt meiner
Ansicht nach schon Augustinus, de civit. Dei XIV, 8 richtig au: Ac
per hoc possunt Stoici pro suis partibus respondere, ad hoc videri utilera
esse tristitiam, ut peccasse poeniteat; in animo autem sapientis ideo esse
non posse, quia nee peccatum in eum cadit, cuius poenitentia contri-
stetur, nee ullum aliud malum, quod perpetiendo et sentiendo sit tristis.
— Stoici autem non stultum sed sapientem aiunt tristem esse non posse.
- Inwiefern ein der Küxy entsprechender normaler Gegensatz schon in
der ehXdßsta inbegriffen sein soll, wie Siebeck, Geschichte der Psycho-
logie II, 232 will, vermag ich nicht einzusehen
In die zweite Abtheilung hat Ziegler unter der Ueberschrift »das
Judenthum« auch die alexandrinische Philosophie und Philon aufge-
nommen, indem er die Ansicht vertritt, dass Philon in erster Linie Jude
sei und so auch »wesentlich zur Geschichte des Judenthums und nicht
zu der der griechischen Philosophie gehöre « Dasselbe führt der Ver-
fasser aus in einem Vortrage ȟber die Entstehung der alexaudrinischen
Ziegler, Geschichte der Ethik. 41
Philosophie« in Verhandlung, der 36. Versammlung der deutschen Philo-
logen und Schulmänner zu Karlsruhe 1882, Leipzig 1883, S. 136—145.
Wenngleich natürlich bei Philon eine Vermischung des Hellenischen mit
dem Jüdischen anzuerkennen ist, so kann ich mich durch die Gründe
Zieglers für das Uebergewicht des Jüdischen nicht überzeugen lassen.
Um hier Einiges in aller Kürze wenigstens zu erwähnen: Ziegler führt
namentlich die Transcendenz Gottes für seine Ansicht an, aber diese
kommt doch ähnlich schon bei Piaton, Aristoteles vor, und die Ver-
mengung der platonisch-aristotelischen Elemente mit stoischen, die eigent-
lich ihn Wesen der phänischen Aufstellungen bildet, zeigt sich bekannt-
lich vielfach schon in der griechischen Philosophie vor Philon. So lässt
das Buch nep} y.üap.üu, das wahrscheinlich schon vor Philon verfasst ist,
in seinen hauptsächlichsten Lehren unverkennbare Aehnlichkeit mit dem
jüdischen Philosophen erkennen, und dieses Schriftchen werden wir doch
nicht dem Judenthum zuschreiben wollen (über den Ursprung desselben
hat sich neuerdings Ed. Zell er wieder ausgesprochen, Sitzungsber. der
Akademie der Wissenschaften zu Perlin, 1885, S. 399-415, nachdem
Theod. Bergk als den Verfasser desselben Nikolaos von Damaskos
angesehen hatte, Rhein. Mus., 1882, S. 50 53, vgl. auch Herrn.
Becker, eine neue Ansicht über den Verfasser der Schrift -zpl xua/iou,
in der Zeitschrift für österr. Gymn. 1882, S. 50-53). Ich kann auch nicht
finden, dass der Begriff der allgemeinen Sündhaftigkeit bei Philon viel
energischer zum Ausdruck komme als bei den Stoikern, sowohl den
früheren, man denke an Chrysippos, als auch den späteren, wie Ziegler
will, und worin er ein Zeichen der Abhängigkeit Philons vom Alten
Testamente sieht; ebensowenig kann ich Ziegler zugeben, dass, wo Piaton
Optimist sei, sich Philon als Pessimist zeige; den entschiedensten pla-
tonischen Ausdruck für den allerdings kosmologischen — Optimismus
hat Philon beinahe wörtlich sich angeeignet de Abrah. II, 12.
Von dem sonstigen Inhalt der zweiten Abtheilung des Zieglerschen
Werkes geht uns hier an Capitel 3: die Ethik der altkatholischen Kirche.
und Capitel 4: das Möncbthum, Augustin und Pelagianismus. Mit der
Ueberschrifl de, ;;. Capitels wird man sich nicht ganz zufrieden er-
klären können, da nicht nur die Gnosis nebst Clemens und Origenes
darin vorkommen sowie die Apologeten, sondern auch der Montanismus
Tertullians. - Das Wesentliche herauszufinden ist, soweit ich gesehen,
Ziegler unter Benutzung der ziemlich reichen neueren Litteratur ge-
lungen, auch hat er neben der Theorie der Ethik die Praxis im Leben
und in '1er Sitte berücksichtigt. So nimmt in dem L Capitel das Mönch-
tbuni und die Opposition gegen dasselbe einen verhältnissmässig breiten
Raum ein. Gar zu kurz ist Lactantius weggekommen, dessen Institu-
tionen divinae doch einen wesentlich ethischen Charakter haben, [rgend«
welche neue Resultate sind mir Mi die- i Darstellung der Ethik der
42 Martha, Etudes murales aur l'autiquite
ersten christlichen Jahrhunderte nicht entgegentreten. Die Abhängig-
keit von der griechischen Philosophie ist überall richtig hervorgehoben.
Genannt muss hier wenigstens werden das Werk \on Leopold
Schmidt, die Ethik der alten Griechen, 2 Bände, Berlin 1882, 400
und 494 S. 8. Da es aber nicht auf die Philosophen Bpeciell eingeht,
sondern die ethischen Ideale und das ethische Leben des griechischen
Volkes auf Grund der ausgedehnten Litteratur sich zum Gegenstande
nimmt, so darf ich davon absehen, es hier zu besprechen.
Auch will ich hier nur erwähnen und nicht ausführlicher be-
handeln die beiden Excurse von Wilamowitz - Moll endo rff im
4. Hefte der Philol. Untersuchung. 1881: die Philosophenschuleu und die
Politik, und die rechtliche Stellung der Philosophenschulen, ferner die
Abhandlung von H. Usener in den Prcussischen Jahrbüchern, 53, 1884:
Organisation der wissenschaftlichen Arbeit im Alterthum, und den Auf-
satz von E. Heitz in der Deutschen Revue, 1884, 3. Band: die Philo-
sophenschulen Athens, alles sehr lehrreiche und verdienstliche Arbeiten,
aus denen mau Wesen und Bedeutung der Philosophenschulen erkennt.
Ein Werk, das verschiedene auf die alte Philosophie bezügliche
Themata behandelt, bietet sich uns in:
Etudes morales sur l'autiquite par Constant Martha, Membre
de l'Institut, Professeur ä la Faculte des lettres ä Paris, Paris 1883.
339 S. 8.
Der durch seine Arbeiten: Les moralistes sous lempire Romain und
Le poeme de Lucrece bei uns vorteilhaft bekannte Verfasser giebt uns
hier sechs Abhandlungen : L'eloge funebre chez les Romains, le philo-
sophe Carneade ä Rome, les consolations dans l'autiquite, l'examen de
conscience chez les anciens, un Chretien devenu Pa'ien und un Palen
devenu Chretien, die sich weniger durch gründliche Forschung oder gar
irgendwie erschöpfende Bearbeitung ihrer Gegenstände, als durch les-
bare, gefällige Form und grossen Theils geistreiche Behandlung des
immerhin reich zu Gebote stehenden Stoffs auszeichnen. Martha meint
selbst, er. wolle so zu sagen historische Psychologie in einer Anzahl aus-
gewählter Capitel treiben, eindringen in die antike Seele und zwar nicht
in der Art, dass nur Eingeweihte ein Verständniss dafür haben könnten,
sondern vielmehr, qu'elle (l'autiquite) füt accessible par plus d'un cöte
ä tous les Esprits eultives. aux jeunes gens, meine aux femmes. Interesser
tout le monde, si l'on peut, ä l'histoire des idees morales, c'est faire un
oeuvre morale soi meine. Der Fachmann wird durch die Leetüre nicht
viel Neues lernen, aber namentlich sich durch die geschickte Zusammen-
fassung und Beleuchtung weitschichtiger Materieu, wie in dem ersten,
dritten und vierten Aufsatz , angezogen und angeregt fühlen. So wird
in dem letzterwähnten eine Art Geschichte der pythagoreischen Vorschrift!
jeden Tag Selbstprüfung anzustellen, gegeben und gezeigt, wie diese Selbst-
Martha, Etudes morales sur l'autiquite. 43
prüfung vielfach als eine Uebung, das Gedächtniss zu stärken, aufge-
fasst wurde, bis bei den Sextiern und Stoikern der tiefere Sinn und
die ethische Bedeutung wieder in das Bewusstseiu trat. In der Ab-
handlung über die Trostschriften werden nicht sowohl die einzelnen
Schriftstücke dieser Art, die wir entweder vollständig oder fragmen-
tarisch noch besitzen, vorgefühlt und analysiert, sondern es wird allge-
mein über den Zweck, über den Werth derselben gesprochen, und es
ist sehr richtig, was Martha über die abnehmende Wirksamkeit der
Trostgründe sagt: il est naturel, qu'avec le temps on ait peu ä peu
demele la faiblesse de ces raisons consolatoires, et que la plupart aient
de siecle en siecle perdu de leur credit Autrefois, leur nouveaute
plus ou moins surprenante pouvait donner ä l'esprit une salutaire se-
cousse; mais quand l'accoutumance les eut emoussees, elles glisserent
sur les ämes saus les penetrer. Sehr lesenswerth sind auch die beiden
letzten Aufsätze, der eine über den Kaiser Julian, anknüpfend an das
Werk von Albert de Broglie, L'eglise et i'empire romain au qua-
trieme siecle, 1866, und der andere über Synesios, Bezug nehmend auf
die französische Uebersetzung des Synesios von M. K. Druon, welcher
eine biographische und litterarische Einleitung vorausgeht. Einige
Kleinigkeiten sind mir bei dem Durchlesen zweifelhaft erschienen. Um
nur das Eine zu erwähnen, so weiss ich nichts davon, dass Aristoteles
gegen Ende seines Lebens geschwankt habe, ob er dem Aristoxenos
oder dem Theophrast die Leitung der Schule anvertrauen solle, wenn-
gleich berichtet wird, dass Ersterer seinem Meister wegen Uebergehens
seiner Person gezürnt habe.
In Anknüpfung an den einen Aufsatz Marthas sei hier sogleich
genannt :
Consolationum a Graecis Romanisque scriptarum historia critica.
Dissert. inaug scripsit Carolus Burescli, Lipsiae 1886. 170 S. 8.
Es ist dies eine gelehrte und scharfsinnige Arbeit die ein sehr
ansprechendes und wichtiges Thema zum Gegenstande hat. Sie bandelt
in drei Abschnitten de Graecorum philosophorum scriptis consolatoriis,
de rbetorum Graecomm studiis consolatoriis, de eonsolationibus a Ro-
mains scriptis. Im ersten nehmen den meisten Kaum ein der pseudo-
platonische Axiochos, welchen Buresch meiner Meinung nach zu hoch
seb;it/,t und geneigl ist für eine Arbeit des Aesehines zu halten, und
Krantor, in der dritten Cicero und Seneca. Einzelnes kann ich hier
nicht besprechen, zumal Buresch auf den philosophischen Inhalt der
Schriften weniger Rücksicht nimmt, vielmehr dieselben, wie es
auf dem Titel schon heisst, historisch kritisch behandelt. Nur das Eine
will ich noch hervorheben, daS8 ei mit Recht die Consolatio ad l'oi\-
iiium dem Seneca absprichl Auf ein Epimetrum der Dissertation
habe ich später noch zurückzukommen
44 Weygolrit, i)j(. Philosophie der Stoa.
Wenn ich nun auf einzelne Schulen und einzelne Philosophen ein-
gehe, so muss ich vorausschicken, dass es mir hier besonders auf das
Philosophische, weniger auf das Philologische und Textkritische ankom-
men wird. Ich nius.s darauf verzichten, alle die kleinen und kleinsten
kritischen Beiträge zu der Menge der behandelten Schriftsteller auf-
zuführen, und ebensowenig kann ich mich darauf einlassen, aus den
grösseren Arbeiten etwa eine Reihe von Gonjecturen aufzuzählen und
zu beurtheilen und ausführliche Becensionen der neuen Ausgaben
niederzuschreiben. Bei der Ueberfülle des zu bewältigenden Stoffes be-
gnüge ich mich hierbei meist mit allgemeineren Charakteristiken. Auch
berücksichtige ich die Arbeiten nicht, die ausschliesslich einen Akade-
miker oder Peripatetiker behandeln, z. B. die Dissertation von Rud.
Hoyer, de Antiocho Ascalonita, die von Max. Weber, de Clearchi So-
lensis vita et opp., ebensowenig die Alexander Aphrodisiensis betreffen-
den Schriften.
Die Philosophie der Stoa nach ihrem Wesen und ihren Schick-
salen für weitere Kreise dargestellt von Dr. G. P. Weygoldt,
Leipzig 1883. 218 S. 8.
Aus dem Titel geht hervor, dass diese Arbeit populärerer Art ist,
und dass man darin keine tieferen Forschungen über einzelne Punkte
der stoischen Lehre und keine neuen wissenschaftlichen Resultate zu
suchen hat. Der Verfasser bemerkt richtig, dass »unter allen philo-
sophischen Systemen der alten wie neuen Zeit keines so reich an merk-
würdigen Vertretein, an wechselvollen Schicksalen, an tief ins Leben
eingreifenden Gedanken, an religious- und weltgeschichtlichen Beziehun-
gen als das stoischea sei. und daher sich auch kein anderes so wie das
stoische dazu eigne, über den Kreis der Gelehrten hinaus »Interesse zu
erwecken«. Die Lehre der Stoa kommt in der Arbeit bisweilen auch
für den Zweck des Verfassers etwas zu kurz weg, so vermisse ich ein
genaueres Eingehen auf den Vorsehungsglauben, den Indeterminismus und
die Ansichten über die Freiheit, sowie auf den Optimismus und den
Pessimismus. Dagegen werden ausführlicher dargestellt die Gegner der
Stoa, die Einbürgerung des Stoicismus in Rom, die Märtyrer des Stoi-
cismus, Senecas Leben und Lehre, und verhältnissmässig viel Raum wird
dem Verhältniss des Stoicismus zum Christenthum gegeben, wobei der
theils unmittelbare theils mittelbare Einfluss des ersteren auf das letz-
tere mit Recht sehr bestimmt betont wird. Ob es richtig ist, dass
Paulus in Tarsos schon mit den Lehren der stoischen Schule in den
Gruudzügen bekannt wurde, mag dahingestellt bleiben, aber dass in
seinem Gottesbegriffe Anklänge an den der Stoa sich finden, lässt sich
nicht leugnen. — Im ganzen ist das Buch geeignet auch der Philosophie
ferner Stehende für die Stoa und ihre Bedeutung zu interessieren.
Ogereau, Essai eur le Systeme phiiosophique des Stoiciens. 45
Wissenschaftlicher ist gehalten:
Essai sur le Systeme phiiosophique des Stoiciens par F. Ogereau,
ouvrage recompense par Facademie des sciences morales et politiques,
Paris 1885. 304 S. 8 (in der Collection historique des grands philo-
sophes).
Während man sich neuerdings vielfach Mühe gegeben hat, das
den einzelnen Stoikern, namentlich den ersten derselben, Eigenthümliche
herauszufinden und so eine genaue Darstellung der Entwicklung in der
Stoa zu bieten, betont Ogereau gerade die Einheit der stoischen Lehre
auch zu verschiedenen Zeiten. Das erste Capitel handelt sogleich von
der Unite de doctrine chez les premiers Stoiciens, und nachdem in den
acht folgenden Capiteln 1 etre, le monde, l'homme, le criterium de verite,
la dialectique, le souverain bien, le sage et la cite, theodicee et religion
dargestellt sind, sucht der Verf. im letzten la couservation de la doctrine
piimitive chez les derniers Stoiciens zu beweisen. Wenn auch Poseidouios
mit der Erklärung des Zenon und Chrysippos über den Ursprung der
Affecte nicht ganz einverstanden war, so theilt er doch nach Ogereaus
Meinung die Ansicht der ersten Stoiker über die Affecte selbst. Der
Kern der stoischen Lehre soll bei Panaitios und Poseidouios derselbe
geblieben sein, wie in der früheren Zeit, oder wenigstena nur ganz ge-
ringe Veränderungen erfahren haben. Dagegen sei der Stoicismus bei
seinem Uebergange aus Athen nach Rom uns der Schule in das Leben
eingetreten, und in Folge dessen seien die früher gepflegten subtilen
dialektischen Untersuchungen als ganz unpraktisch in vollen Misscredit
gekommen und allmählich verschwunden. An dieser Bemerkung ist
etwas Richtiges, aber Ogereau verkennt offenbar den eklektischen Charak-
ter des Panaitios, wenn er meint, derselbe habe Platou und Aristoteles
den unwissenden und halbbarbarisehcn Römern gegenüber nicht angreifen
wollen, sie vielmehr gelobt, und so sei die Werthschätzung dieser Philo-
sophen bei ihm, die vielleicht in Griechenland nicht zum Ausdruck ge-
kommen wäre, geweckt und auch wohl vergrössert worden.
Ebenso wie diese mittlere Stoa sollen sich Semca, Epiktet und
Marc Aurel zu den Gründern der Schule verhalten. Von Seneeas Selb
ständigkeit die allerdings anerkannt wird, heisst es, dieselbe beschränke
sich darauf »ä räclamer le droit, dont les preeeptes de l'6cole stoieienne
lui conseillenl d'ailleurs L'exercice, de n'aeeepter le- dogmes qu'apres
avoir compris la force des prenves, sur lesquelles les dogmes reposent«,
und weiter unten lesen wir: »l'attitude observ6e par Seneque est aussi
celle, que garde Bpictete en face de l'enseignement des premiers stoi-
ciens«, und: »Marc. Aurele n'a poinl sur la doctrine des anciens Stoici
nn autre sentiment.«
Man nmss eine Berechtigung dafür anerkennen, dass auf die Ein-
heit der stoischen Lehre wieder einmal ausdrücklich hingewiesen wird.
46 D'Avenel, Le SloiciMiue et les Stoicien»
Sind sich die Alten bei ihren Referaten über die Stoiker doch sicher
vielmehr dos Gemeinsamen in der Stoa als der Verschiedenheiten unter
den einzelnen Stoikern bewusst gewesen, und haben sich doch auch die
letzten Stoiker noch in Einheit mit den früheren gedacht, und was die
Hauptsätze betrifft, so sind sie auch hierbei nicht im Irrthum gewesen.
So kann allerdings Ogereau auch das System der Stoiker im ganzen be-
handeln und darstellen, und man wird durch seine Arbeit gut in die
stoische Philosophie eingeführt. Trotz seiner eigentlichen Tendenz kann
er es übrigens doch nicht vermeiden, hier und da auf Unterschiede der
einzelnen Vertreter hinzuweisen, z. B. bei der Unsterbliclikeitslehre. Hätte
er dies öfter gethan und dabei Rücksicht auf die einschlägigen deutscheu
Forschungen, namentlich auf die Hirzels genommen, so würde seine
Schrift beträchtlich an Werth gewonnen haben. Verdienstlich ist es, dass
er den Begriff des Tovog, den schon Ravaissou nachdrücklich betont
hatte, als einen für die stoische Philosophie sehr bedeutsamen hervor-
hebt, wenn er ihn auch meiner Ansicht nach nicht ganz richtig fasst.
Sehr geringen Werth hat:
J. D'Avenel. Le Stoicisme et les Stoiciens, Paris 1886. 170 S. 8.
In sechs verschiedenen Abtheilungen behandelt der Verfasser ober-
flächlich die vorzüglichsten Vertreter der Stoa, dann die stoische Physik,
Logik, Moral, den Einfluss der Stoa auf die Gesetzgebung und übt zu-
letzt unter dem Titel »Erreurs et Verite« eine Kritik namentlich an
ethischen Stücken der Stoiker. Das Ganze beruht nicht auf eigenen
Quellenstudien, ist überhaupt nicht wissenschaftlich gehalten. Es wer-
den manche alten Schriftsteller angeführt, aber häufig ohne geuauere Be-
zeichnung der Stellen. Die griechischen Citate wimmeln von Druck-
fehlern, so dass man zweifelhaft sein muss, ob der Verfasser überhaupt
Griechisch versteht. Nirgends ist er gründlich zu Werke gegangen; in
dem Capitel: Influence sur la legislation, wo man ein tieferes Eingeben
erwartet, wird man mit allgemeinen Redensarten und allerhand wenig
zur Sache gehörenden Geschichten abgespeist. In der Beurtheilung
Dimmt der Verfasser einen beschränkten Standpunkt ein : die Moral der
letzten Stoiker zeigt nach ihm den Einfluss des Christenthunis. Von
den eingehenden Arbeiten Deutscher gerade über Stoa und Stoiker
weiss J. D'Avenel nichts. Wenn die Schrift durchaus populär seiu soll
und als solche ihren Zweck, im allgemeinen über die Stoa aufzuklären,
obenhin erfüllen mag, warum dann der Anschein von Gelehrsamkeit in
den Anmerkungen?
Sehr genaue Forschungen über Stoiker und die Lehren der Ein-
zelnen finden wir in:
Untersuchungen zu Cicero*s philosophischen Schriften von Rudolf
Hirzel. II. Theil: De finibus, de offieiis, III. Theil: Academica priuia.
Tusculanae disputationes, Leipzig 1882, 188ü 9 13 und 576 S. :
Hirzel, Untersuchungen zu Ciceros philos. Schrift. 47
Den ersten Band dieses gelehrten sowie von Scharfsinn und be-
deutender Combinationsgabe des Verfassers zeugenden Werkes habe ich
in dem letzten Bericht über die uacharistotelische Philosophie an mehre-
ren Stellen erwähnen müssen. Von grösserem Werthe noch als dieser
erste sind für die Geschichte der alten Philosophie die vorliegenden
Bände, mit denen das Werk seinen Abschluss gefunden hat. Zugleich
ist jetzt der Gebrauch desselben wesentlich erleichtert durch ein am
Ende des dritten Bandes gegebenes ausführliches Inhaltsverzeichniss und
ebenso genaues Namen- und Sachregister, während vorher die beiden
ersten Bände bei dem Mangel aller Unterabtheilungen und speciellen
Ueberschriften im einzelnen Falle, wenn man etwas Specielles suchte,
nur schwer zu benutzen waren. Wie Hirzel nun schon im ersten Bande
eine Art Geschichte der epikureischen Philosophie gegeben hatte, so
finden wir in der ersten Abtheilung des zweiten Bandes auf 566 Seiten
»die Entwickelung der stoischen Philosophie«, das Ausführlichste, was
es über diesen Gegenstand bis jetzt giebt. Freilich wird diese Entwicke-
lung nicht bis zu dem Ausgange der Stoa in Seneca, Epiktet und Marc
Aurel fortgeführt, und ebensowenig wird die stoische Lehre in ihrem
ganzen Umfang geschichtlich behandelt. Z. B. treten die für die Stoa
sehr wichtigen Begriffe des -vs~j/ia, des lüyoq ompiiaTixög bei Hirzel
gar nicht hervor, so dass der Titel: Entwickelung der stoischen Philo
sophie etwas zu weit gegriffen scheint. Im dritten Bande werden dann
auf 251 Seiten die verschiedenen Formen des Skepticismus, d. h. die
pyrrhonische und die akademische Skepsis in ihrem Ursprung und in
ihrer Entwickelung dargestellt. Die übrigen Abschnitte der Bände be-
handeln |die Quellen der im Titel schon genannten Schriften Ciceros.
wobei Hirzel vielfach zu wesentlich anderen Resultaten als den bisher
angenommenen gelangt. Doch habe ich auf diese Cicero betreffenden
Untersuchungen nicht einzugehen, ich beschränke mich darauf, zunächst
aus der Geschichte der Stoa und weiter unten aus der Geschichte der
Skepsis Einiges hervorzuheben.
Der Stifter der Stoa geht nach Hirzel besonders auf Antisthenes
zurück, indem er von diesem auch den dp&bg Koyoi herübernimmt ; der Xoyo
ist dann die Vermittelung jtlir ihn zwischen dem Kynismus und der
beraklitisierenden Naturphilosophie. Indem Zenon den Xöyos des Anti-
sthenes zum Prinzip der ganzen Welt erhöh, hat er »denselben Weg
eingeschlagen wie Piaton, als er die sokratischeo Begriffe in Ideen ver-
wandelte, die auch ausserhalb des menschlichen Geistes wirklieh sind,
und die Kriterien des Denken9 und Handelns zu Ursachen des Seins
und Werdens überhaupt machte. So mit aber als Piaton deshalb nicht
aufhören wollte, Sokratiker zu sein, so gut konnte Zenon die erweiterte
Lehre vom h'>yog als eine Conseqoenz betrachten, die im Geiste de-- an-
tisthenea selber lag, und die lieser zu anileren Zeiten auch Lre/OL:>- i
haben würdet. Wenn man auch zugebpii muss, dass Zenon die Fühlung
48 Hirzel, Untersuchungen zu Cieeroa pfaitos. Schrift
mit dem Kynismus Die verloren hat, so Bebeint mir doc.li gerade der
h'tyix; in der sein- umfassenden Bedeutung, die er schon bei Zenon bat,
viel eher die enge Verbindung niil Beraklit anzudeuten, als die mit den
Kynikern, und mir scheint es durch Hirzel nicht voll erwiesen, dass die
Abweichung des Kleanthes von seinem Meister gerade in dem weiter
entwickelten Heraklitismus bestehe. Die Anlehnung an Heraklit zeigt
sich bei Zenon so gut wie bei Kleanthes, abei da ist rieht i sich
der letztere, sofern er die Physik weiter ausbildete, dies in der von
Zenon eingeschlagenen heraklitischen Richtung tbat, und darin pflichte
ich Hirzel bei, dass Kleanthes, der sich nicht sowohl auf dialektische
Künste verstand, als vielmehr eine anschauende, ja dichterische Natur
war, eine grosse Verwandtschaft mit Heraklit zeigt, jedenfalls eine
grössere, als Chrysippos, der von seinem Lehrer ja nur die Dogmen
haben wollte, um diese dann selbstständig zu beweisen. Den Unterschied
des Kleanthes von Zenon nimmt Hirzel als zu bedeutend au, die Ver-
dienste des Chrysippos um Dialektik und Erkenntnisstheorie dagegen
charakterisirt er treffend und schreibt demselben, wohl auch mit Recht,
die weitere Ausbildung des Pantheismus bis zu dem Grade zu, dass
»jeder Theil der Welt eine unmittelbare Offenbarung der Gottheit nur
in anderer Form« sei. Freilich will ich im Gegensatz zu Hirzel be-
merken, dass der Pantheismus auch schon bei Kleanthes benimmt aus-
gesprochen ist.
Verhältnissmässig ausführlich handelt Hirzel über Panaitios und
Poseidonios; bei dem Ersteren hebt er als charakteristisch hervor den
Piatonismus, sowie den Antheil, den er an philologisch-historischen Stu-
dien nahm. Die Abweichung in der Güterlehre beider, namentlich den
Punkt, dass sie die npor^p.iva als dyadd bezeichneten, bringt er scharf-
sinniger Weise in Verbindung mit der Autfassung des Weisen Ideals,
indem er zugleich eine kurze Geschichte dieses Ideals giebt. Die ältere
Stoa leugnete die Realisierbarkeit desselben nicht, während sie von Po-
seidonios bestimmt in Abrede gestellt wurde. Hiermit war aber eine
Art Moral nötbig, die für die Nichtweiseu galt und zugleich eine andere
Fassung der Güterlehre. Die längere Untersuchung darüber, ob Panai-
tios und Poseidonios nicht auch aus feinerem attischem Sprachgefühl
den Terminus 7tporJy/j.dvov gemieden hätten, scheint mir etwas zu subtil
geführt und in ihrem bejahenden Resultat doch ungewiss Dagegen hat
Hirzel sicher wieder Recht, wenn er die Schroffheit der altstoischen
Moral gemildert sieht in Panaitios' Auffassung des höchsten Gutes. -
Geringe Umbildungen der stoischen Lehre werden weiterhin von dem
Verfasser noch besprochen bei der Angabe des Verhältnisses zwischen
aipsröv und alpszsov , ebdatpovea und eudaijxovetv , rsXog und oxonog.
Von einer Anzahl Excursen im zweiten Baude seien hier der erwähnt,
welcher den Nachweis liefert, dafs die TTpoyyoüpeva nicht mit dem xporj-
psva zu verwechseln sind, ferner der über die npwra xaxä <fü<j'.v . ein
L. Stein, Die Psychologie der Stoa. 49
Ausdruck, der nach Hirzel in die Stoa erst durch die Akademiker ge-
kommen ist, und endlich ein ausführlicherer, in welchem der Verfasser
nachweist, dass Polybios als Stoiker, zunächst als Anhänger des Panai-
tios, zu betrachten ist.
Von Schriften, die auf einzelne Theile der stoischen Philosophie
gehen, sei hier zuerst erwähnt:
Die Psychologie der Stoa von Dr. Ludw. Stein, 1. Band. Meta-
physisch-anthropologischer Theil, Berlin 1886. 216 S. 8. (Berliner Stu-
dien für klassische Philologie und Archäologie 3. Band).
Es ist dies eine sorgfältige und auf gründlicher Kenntniss der
Quellen beruhende Arbeit, deren baldige Fortsetzung nur zu wünschen
ist1). Nach der Wahl des Themas kann es nicht befremden, dafs der
Verfasser in dem ganzen System der Stoa die Psychologie für ganz be-
sonders wichtig hält. Doch geht er meines Erachtens zu weit, wenn er
meint, die leitenden Motive der stoischen Physik und Metaphysik seien
vorzugsweise psychologisch, den Grundzug ihrer sensualistischen Erkennt-
nisslehre bilde wiederum die Psychologie, und das eigentliche Wesen
der Ethik ruhe erst recht auf psychologischer Basis. Sofern die Affecte
in der stoischen Ethik eine grosse Rolle spielen, ist das Letzte richtig;
auch für die Erkenntnisstheorie muss die Seelenlehre eine der Grund-
lagen bilden, aber was das Erste anlangt, so ist bei den Stoikern viel-
mehr die Psychologie in Physik aufgegangen, als umgekehrt, wenngleich
bei der Construction der Welt, wie das bei jeder ausgeführten Welt-
anschauung mehr oder weniger der Fall sein wird, Analogien aus der
Anthropologie oder Psychologie angewandt werden. - - Jedenfalls aber
lohnte es die Mühe, die Psychologie der Stoiker einmal ausführlich dar-
zustellen, und der Verfasser zeigt sich seiner Aufgabe durchaus ge-
wachsen.
Der vorliegende Band zerfällt in zwei Theile: Metaphysik (wäre
doch wohl besser als Physik bezeichnet worden) und Anthropologie. Der
erste Theil war nöthig, weil in dem überhaupt festgeschlosseuen stoischen
System ein sehr enger Zusammenhang zwischen dem Weltganzen und
dem Menschen besteht, ein Zusammenbang, den der Verfasser in einem
lesenswerten Anhange: Mikro- und Makrokosmos der Stoa, ausführ-
licher behandelt. In vier Capiteln giebt er eine kurze Darstellung des
Monismus und Materialismus bei den Stoikern, der Lehre vom Orpneuma,
der Weltseele, des X6yos ffnepfiartxög und ihres Pantheismus, und in
drei weiteren Capiteln geht er auf die Verschiedenheiten Xenons.
Kleanthcs', Chrysippos' und der späteren Stoa ein. Man sieht aus den
Ueberschriften, dass die Physik schon in Binblick auf die Psychologie
J) Der zweite Band, die Erkenntnisstheorie der Stoa, ist nach Ein-
lieferung des Manuscriptes dieses Berichts erschienen.
.lahresbericlit fllr AUerthiiniHwi«sonKoliBft \j. (iss;. I ) 4
50 L. Stein, Dir Psychologie der Stoa.
von Stein behandelt worden ist; z. B. tritt die npövoia der Stoiker, ihr
Indeterminismus u. a. zurück. Mit Recht ist das nveüfia und der züvog
besonders betont; nur kann ich dem nicht zustimmen, dass die vier
Elemente Abstufungen des ruvog sein sollen; und dass Diog. VII, 136
den vernünftigen Keimkräften bei der Weltbildung eine spätere Rolle
zugeschrieben wird, möchte ich trotz der Einwendungen Steins noch
aufrecht halten. Ob dies im allgemeinen von der Stoa gelehrt wurde,
oder mit ihren sonstigen Dogmen übereinstimmte, kann freilich zweifei
haft sein.
Der zweite Theil geht ausführlich ein auf das Pneuma in seinen
Abstufungen, auf den göttlichen Ursprung der Seele, die Substanz,
Körperlichkeit, Entstehung, Theile, die einzelnen Functionen, den Sitz
derselben, auf Krankheit, Schlaf, Traum und Tod und auf die Unsterb-
lichkeitslehre, und zuletzt werden wiederum die einzelnen Stoiker in
ihren Unterschieden von einander vorgeführt. Der Verfasser sagt mit
Recht, dass nicht Alles, was unter dem Namen des Zenon, des Chrysip-
pos u. a. vorkomme, mit Sicherheit dem Genannten zugewiesen werden
dürfe, und er stellt dann im ganzen zu billigende Normen für die An-
theilsbestimmung der Einzelnen an der Gesammtlehre der Stoiker auf.
Ich will blos daraus hervorheben, dass, wenn sich ein Bericht mit schwer-
wiegenden Differenzpunkten zwischen einzelnen Stoikern einführt, wir
diesem Glauben schenken dürfen, dass aber, wenn einem Stoiker in
eklektischer Weise neben einer Anzahl Philosophen aus andern Schulen
eine Ansicht zugewiesen wird, diese Notiz an sich nur geringen Werth
hat. Von seinem aufgestellten Kanon aus gelangt Stein zu dem kaum
anzuzweifelnden Resultate, dass Zenon an den interessantesten und
originellsten psychologischen Lehrsätzen der Stoa Antheil hat.
Viele Details, die nicht nur die stoische Lehre angehen, sind
neben den genauen Quellennachweisen in den Anmerkungen enthalten,
die theilweise die Form von Excursen annehmen. Ich hebe eine der-
selben hervor, welche die wesentlichsten Uebereinstimmungen zwischen
den Stoikern und den hippokratischen Medicinern aufführt. Es sind
dies folgende: 1) das hvzü/jlo, (f^u^txöv der alten Stoa entspricht dem
&£pjj.b)/ i/jL^uTov der Mediciner; 2) die Bluternährung der Seele lässt sich
mit Wahrscheinlichkeit auf dieselben zurückführen; 3) die Mediciner
haben die Seele für körperlich und vergänglich gehalten — freilich
wurde die Vergänglichkeit der Seele nur von einem Theil der Stoiker
bekannt, und sowohl Körperlichkeit als auch Vergänglichkeit der Seele
kommt in früherer Zeit nicht nur bei den Medicinern vor; 4) die stoische
euxpaaca findet sich schon vollständig bei den Medicinern; 5) die Unter-
scheidung der Venen und Arterien ist auf medicinische Vorgänger zu-
rückzuführen. — Auf eine andere Anmerkung werde ich später noch
zurückkommen.
Em. Hannot, Essai de la morale Stoicienne. 51
Mit der Ethik der Stoiker beschäftigt sich:
Essai de la morale Stoicienne et ses consequences au point de vue
de la civilisation par Emile Hannot, these presentee pour l'obtention
du grade du docteur — ä l'universite libre de Bruxelles, Bruxelles
1880. 63 S. 8.
Eine gut geschriebene aber keineswegs gelehrte Dissertation, welche
keine neuen Resultate über die stoische Ethik zu Tage fördert, aber
die Bedeutung dieser Ethik für die sittliche Cultur und besonders für
den Fortschritt derselben in der Römerwelt in das richtige Licht stellt,
freilich ohne weitere Ausführung und Beweise. Es ist im ganzen zu-
treffend, wenn Hannot sagt: »Ce fut lui (le Sto'icisme) qui s'efforQa de
saper les barrieres infranchissables, qui selevaient entre les diverses
classes, de niveler les conditions, d'introduire des priucipes de charite
et de bienfaisance universelle, de nouer des liens de fraternite entre
tous les horames, il evoqua dans l'avenir l'image d'une cite nouvelle,
toute differente de la vieille cite politique, preparant en quelque sorte
la fondation de cette Jerusalem nouvelle, que le Christianisme fait sortir,
pour accueillir tous les peuples dans son sein.« So macht sich hier
eine angemessenere Würdigung der Stoa auch in ihrer ganzen Stellung
zum Christenthum geltend, und es ist erfreulich zu sehen, wie man von
den verschiedensten Seiten her den Werth dieser Schule für die ganze
Civilisation und für die Ausbreitung des ihr in so vielen Stücken ver-
wandten Christenthums anerkennt. — Dass die stoische Lehre ebenso
wie das Christenthum von dem Orient ausgegangen sei, kann ich dem
Verfasser nicht zugeben, ebensowenig, dass die griechische Welt der
Stoa gegenüber sich beinahe ganz gleichgiltig verhalten habe, nachdem
diese sich der Moral besonders zugewandt und unter den Römern ihre
Anhänger gefunden.
Auf eine besondere Seite der stoischen Ethik bezieht sich:
Un probleme moral dans l'antiquite. ßtude sur la casuistique
Stoicienne pur Raymond Tb am in. Ouvragc couroune par l'aca-
demie des sciences morales et politiqucs, Paris 1884. 350 S. 8.
Thamin bandeil über die stoische Moral im allgemeinen, über das
Honestum und Utile, über moralische Controversen , über den Einfluss
der stoischen Casuistik, über die stoische Religion, ober die Gasuistik
vor und nach der Stoa, ohne in diesem letzten Capitel etwa eine ganze
Geschichte der Casuistik zu geben. Dem Philosophen Ariston, der in
der Moral die grösste Einseitigkeil vertrat, widmet er mit Recht ein
besonderes Capitel. Man kann sich aus der Schrift ober die immerhin
wichtige Partie in der stoischen Sittenlehre gut informieren; nur stimme
ich der Herleitung der* Gasuistik, wie sie Thamin giebt, nicht bei. Kr
meint, sie sei entstanden aus den Couflicten swischen dem utile und
4*
52 Fr. .Striller, I)p Stoicorum rhetoricis.
dem Honestum und aus denen zwischen den verschiedenen Graden des
Honestum, während sie meiner Ansicht nach sich gebildet hat durch die
Absicht, sich dem gewöhnlichen, nicht philosophisch geschulten Bewusst-
sein möglichst zu nähern. Vgl. übrigens meine Anzeige des Werkes
in: Philolog. Wochenschr., 1885, No. 31 und 32, S. 987 f.
Auch die Rhetorik der Stoiker hat ihren Bearbeiter gefunden:
De Stoicorum rhetoricis scrips. Franc. Striller (Breslauer
philol. Abhandlung. 1. Bd. 2. Heft), Breslau 1886. 61 S. 8.
Dass die Stoiker, die sich so viel mit der Grammatik abgaben,
auch die Rhetorik nicht vernachlässigten und manches Neue, wenigstens
neue Bezeichnungen in derselben aufbrachten, lässt sich von vornherein
annehmen, und es ist dankenswerth, dass der Verfasser in seiner sauber
geschriebenen Abhandlung die Verdienste der Stoiker auf diesem Gebiet
darzulegen und anzuerkennen sucht, indem er zunächst über die rheto-
rischen Studien einzelner Stoiker, des Zenon, des Kleanthes und Chry-
sippos, sowie des Poseidouios handelt, sodann aber, und zwar in dem
längeren Capitel, darlegt, was man in der Rhetorik den Stoikern zu-
schreiben muss oder wenigstens darf, da man auch vielfach auf Ver-
muthungen angewiesen ist. Er meint selbst ferner, in den Schriften des
Fortunatianus und Sulpicius sei vielleicht noch manches Stoische, das
als solches festzustellen, ihm nur noch nicht gelungen sei. Zugleich
richtet er sein Augenmerk darauf, in welchen Punkten Hermagoras sich
an die Stoiker angeschlossen, in welchen er von ihnen abgewichen sei.
Aus der besonnenen und umsichtigen Ausführung des Verfassers
erkennt man mit Sicherheit, dass die Stoiker sich viel mit der Rhetorik
beschäftigten und auch nicht nur das früher schon Gefundene mit neuen
Namen belegten. — Dass Kleanthes die Dreitheiluug der Seele gelehrt
habe, wie der Verfasser annimmt, kann ich nicht zugeben, ebensowenig
möchte ich glauben, dass der Begriff der pavraa'a, wie er bei dem Ver-
fasser der Schrift n. u<poog vorkommt, als ?b önwaoöv ivvöyfxa, auf die
Stoiker zurückzuführen sei, wiewohl sonst Manches in dieser Schrift
stoisch sein mag.
Wenn ich nun auf die einzelnen Stoiker übergehe, so ist über
Zenon und Kleanthes abgesehen von den gründlichen schon erwähnten
Untersuchungen Hirzels nichts Bedeutenderes erschienen.
Nicht unerwähnt darf jedoch bleiben der Aufsatz:
Zenon von Kittion. Zu Laertius Diogenes VII, 1 — 12. 24— 29 von
Franz Susemihl, in den Jahrbüchern für classische Philologie,
Bd. 125, 1882, S. 737—746.
Es [kommt in [dieser Abhandlung namentlich darauf hinaus, den
Widerspruch unter den nicht aus Persaios stammenden Nachrichten über
die Chronologie des Zenon bei Diogenes zu erklären, oder auf die
Alfr. Gercke, Chrysippea. 53
Quellen zurückzuführen, ohne dass dadurch über Zenon etwas Sichereres,
als man jetzt geneigt ist anzunehmen , gewonnen würde. Vgl. übrigens
E. Rohde, Zenon von Kittion, a. d. a. 0., S. 831 f. und dann wieder
Franz Susemihl, Zenon von Kittiou ebenda Bd. 126, 1883, S. 223. Diese
beiden kurzen Artikel sind für die Sache selbst von keiner Bedeutung.
Ferner hat L. Stein in seiner Psychologie der Stoa eine längere An-
merkung S. 2—5 der Frage nach der Abstammung Zenons gewidmet
und neigt sich aus äusseren und inneren Gründen, welche letzteren aber
nicht aus der stoischen Lehre genommen, sondern auch mehr äusserer
Art sind, der Ansicht zu, dass Zenon ein Semit sei. Wenn hierfür u. a.
angeführt wird, dass Zenon seinen gleichfalls aus Kittion stammenden
Schüler Persaios, dessen Name schon deutlich auf den semitischen Ur-
sprung hinweisen soll (?!), allen anderen Schülern vorzog, so ist dies
meiner Ansicht nach sehr wenig beweisend. Ich möchte wegen des
entschieden griechischen Charakters der zenonischen Lehre auch an der
griechischen Abstammung Zenons noch festhalten. Mit der Ansicht, dass
wir aus zweifelhaften Büsten weder auf den hellenischen noch auf den
semitischen Ursprung Zenons schliessen dürfen, hat Stein ganz Recht.
Eine sehr verdienstliche Arbeit, der nur bald ähnliche nachfolgen
mögen, ist uns gegeben in :
Chrysippea scripsit Alfredus Gercke, in den Jahrbüchern für
classische Philologie, 14. Supplementband, 1885, S. 689 — 780.
Der Verfasser bietet uns hier die kritisch behandelten Fragmente
aus Chrysipps Schriften nep\ npovotag und nepl eipappivrjs , nachdem
er vorher über die Quellen und über die betreffenden Lehren Chrysipps
und Anderer, d. h. kurz über die des Antiochos und Alexander und die
des Diogenianos, gehandelt hat. Die Bruchstücke des zweiten Buches
der Schrift mp\ npovotag stammen sämmtlich aus der herculanensischen
Bibliothek; von ihnen sagt Gercke selbst: septem columnae adhuc
editae cum supplementis a me temptatis — etsi pauca tarnen non vilia
docent de natura Iovis mundi hominum. Die Fragmente der beiden
Bücher r.epl eipappsv^g sind uns erhalten durch Diogenianos (bei Euse-
bios), Cicero, Alexander, Plutarch, Nemesios u. A. Diogenianos scbeint
nach Gercke nicht identisch mit dem bei Plutarch als Gesprächsperson
vorkommenden (so Zeller), der ein Freund der platonischen Lehre ist.
sondern vielmehr ein Epikureer zu sein. Dass die Fragmente Chrysipps
viel sorgfältiger gesammelt sind, als von Baguet, bedarf kaum der
Erwähnung. Doch meint Gercke: me ne duorum quidcm librorum reli-
quias contulisse omnes haud nescio: plurimas iam praestare contido.
Vielleicht hätte er Boethius noch berücksichtigen können, bei dem
wenigstens in den Büchern de interpretatione verschiedentlich die sich
scheinbar widersprechende Lehre der Stoiker angeführt und behandelt
wird. Den Chrysippos selbst beurtbeilt der Vertasser wohl etwas zu
54 v. Wilamowitz-Möllendorff, Der kyn. Prediger Teles.
ungünstig trotz der offenbaren Widersprüche in der Lehre. Zum Schluss
giebt er noch die Fragmente des Diogenianos und drei Register: 1. Sedes
fragmentorum Chrysippi, 2. Judex Dominum, 3. Index verborum , von
denen das letzte sehr genau angefertigt und sehr brauchbar ist.
Mit einer besonderen Seite der schriftstellerischen Thätigkeit des
Chrysippos beschäftigt sich:
Xpöamnog ypcip/iazcxog. Dissert. philol., quam scripsit Christ os
Aronis Smyrnaeus, Jenae 1885. 38 S. 8 (griechisch).
Der Verfasser spricht zuerst etwas ausführlich über das Leben,
dann etwas kürzer über die Werke des Chrysippos und behandelt dann
die grammatischen Lehren desselben unter einzelnen Titeln: neo; fpa»njet
7iepl Xuyoo, nspt te£e<og, OTOt%eia loyau, pr{p.a, oüvoscr/iog, ap&pov, ir>jpo-
Xuycat. Wenn auch keineswegs Vollständigkeit erzielt ist, so bekommt
man doch durch die Zusammenstellung ein Bild von der Bedeutung des
Chrysippos für die Grammatik. Zuletzt bringt Aronis wenigstens be-
achtenswerte Gründe dafür vor, dass der in den Scholien zu Pindar
erwähnte Chrysippos nicht der Stoiker sei.
Den Teles, den Zeller als einen Zeitgenossen des Chrysippos
unter den Stoikern anführt und als Verfasser populär moralischer Betrach-
tungen im Sinne des Kynismus und Stoicismus, behandelt in einem be-
sondern Excurs v. Wilamowitz-Möllendorff: Der kynische Prediger
Teles, Philolog. Untersuchungen, IV, 1881, S. 292-319. Man sieht
schon aus der Ueberschrift, dass er diesen Popularphilosophen, von dessen
Schriften oder Vorträgen uns in dem Florilegium des Stobaios ansehn-
liche Stücke erhalten sind, zu den Kynikern rechnen will. Es lässt
sich ja nicht leugnen, dass sich eine starke Hinneiguug zu Krates und
seinen Anhängern in den Fragmenten kund giebt, so besonders in den
Stücken, die bei Stobaios einfach bezeichnet sind als ex twv Tetyzog
kmxoprj. Andererseits macht das Stück nep\ eitnaBecag den Eindruck,
als rühre es eher von einem stoisch gefärbten Philosophen her. Teles
war, wie der Verfasser darlegt, ein Wanderprediger, »der älteste kennt-
liche Vorfahr des geistlichen Redners — , der heute durch fromme
Betrachtung die Herzen seiner Hörer stärkt und erbaut«. Musste nun
ein solcher, der sich von den Schätzen Anderer nährte, sich bestimmt
zu einer Schule bekennen? Er wollte doch keine Schule machen, son-
dern moralisch wirken, und für die Kreise der Zuhörer, namentlich für
die jugendlichen mochte es da gleichgiltig sein, ob die gepredigte
Moral echt stoisch oder echt kynisch war. Als Beispiele wurden Stoiker
und Kyniker gebraucht, die letzteren noch mehr, weil sie besser wirkten.
Was der Verfasser über diese ganze Litteraturgattuug, die wir durch
Teles vertreten finden, und die er als Kreuzung des philosophischen
Dialogs mit der rhetorischen Epideixis bezeichnet, sagt, ist der Beach-
tung sehr werth.
A. Chiappelli, Panezio di Rodi. 55
Gern wird man die Sammlung der Fragmente zweier Stoiker sehen :
Panaetii et Hecatonis librorum fragmenta colleg. praefationibus
illustravit — Haroldus N. Fowler Americanus (Diss. inaug.), Bon-
nae 1885. 63 S.
Ueber Panaitios hat von Lynden 1802 eine gelehrte und gründ-
liche Disputatio historico - critica erscheinen lassen, deshalb beschränkt
sich Fowler in der Praefatio darauf, Panaitios, soweit er Quelle Ciceros
ist, zu betrachten, und abgesehen von den Büchern de officiis kommt er
hier zu negativen Resultaten, die ich nur billige. Ueber Hekaton besitzen
wir meines Wissens nach keine Arbeit; der Verfasser behandelt da in
der Praefatio namentlich das Verhältniss Hekatons zu seinem Lehrer
Panaitios und die Abhängigkeit Senecas in seinen Büchern de beneficiis
von Hekaton {mp) xa^rjxovzug).
Die Sammlung der Fragmente ist sorgfältig und behutsam ange-
fertigt; auch finden sich bei den einzelnen die nöthigen kritischen Ver-
merke.
Mit Panaitios beschäftigt sich ferner:
A. Chiappelli. Panezio di Rodi e il suo giudizio sulla autenti-
citä del Fedone, Roma 1882. 22 S. 8 (Estratto della Filosofia delle
scuole Italiane).
Zeller hatte in seinen »Beiträgen zur Kenntniss des Stoikers Pa-
naetius« (s. Jahresber. 1876—80, S. 11) an der Richtigkeit der Angaben,
dass dieser Philosoph die Echtheit des platonischen Phaidou bestritten
habe, gezweifelt, zumal Panaitios gar keineu Grund gehabt habe, dem
Piaton den Phaidon abzusprechen; dass nun diese Frage mit den be-
merkenswerthen Bedenken Zellers nicht zum Abschluss kommt, dafür
hat der Verfasser des vorliegenden Aufsatzes gesorgt, indem er einmal
die Nachrichten über das Verwerfungsurtheil des Panaitios für nicht so
spät und nicht so bedeutungslos ansieht, wie dies Zeller thut, und so-
dann nachzuweisen sucht, welche Gründe Panaitios zu seiner Athetese
gehabt habe. Derselbe sei überhaupt kritisch verfahren, da er gegeu
100 Dialoge der Sokratiker für unecht erklärt habe, und zwar aus inne-
ren Gründen; und in derselben scharfen Art habe er natürlich auch die
platonischen Dialoge betrachten müssen. Besonderen Anstoss habe er
nun offenbar an der Einheit der Seele, wie sie im Phaidou gelehrt
werde, nehmen müssen, die der sonstigen Lehre Piatons durchaus wider-
streite. Sodann habe er Platou nicht einen so argeu historischen Ver-
stoss zutrauen können, dass er dem Sokrates. der selbst in Betreff der
Unsterblichkeit stark gezweifelt hatte, die Fülle und die Ausführlichkeit
der Argumente für eben diese Unsterblichkeit in den Mund gelegt habe.
— Der erstere dieser Gründe scheint mir einige Kraft zu haben, weni-
ger der zweite. — ■ Bestärken will Chiappelli seine Ansicht noch durch
56 Poseidonioe.
den Hinweis auf die beiden Gründe gegen die Unsterblichkeit bei Cicero
Tusc. I, 32, 79, die sich gegen keines der so verhältnissmässig sicher
vorgetragenen Argumente im Phaidon, sondern gegen sonst von Piaton
angeführte richten, daraus gehe hervor, dass Cicero es nicht für nöthig ge-
halten, den platonischen Phaidon zu bekämpfen, offenbar, weil er ihn
als unecht angesehen habe. Jedenfalls ist dies ein Moment, das bei der
ganzen Frage mit in Erwägung gezogen werden muss. S. übrigens
R. Hirzel, Untersuch. III. S. 378 Anm., der in der Stelle Ciceros gerade
eine Bekämpfung des Phaidon findet, im übrigen die Ueberlieferung des
Verwerfungsurtheils für richtig hält. Entschieden ist die Frage immer
noch nicht, besonders da das Schweigen der Panaitios nahestehenden
Schriftsteller, namentlich des Cicero, wenigstens Bedenken au der Wahr-
heit der immerhin späten Nachrichten aufrecht erhalten muss. S. übri-
gens wiederum A. Chiappelli, Ancora sopra Panezio di Rodi e il suo
dubbio della autenticitä del Fedone Platonico, in: La Filosofia delle
scuole Italiane, vol. 30, disp. 3, ein Aufsatz, den ich nicht habe erlan-
gen können.
Auf Poseidon ios hat sich die Aufmerksamkeit mehrfach gelenkt.
Friedrich Blass sucht in einem Universitäts-Programm: Dissertatio
de Gemino et Posidonio, Kiliae 1883, 25 S. 8, mit Erfolg nachzuweisen,
dass Geminos in seiner ElaayujyTj elg rä yxxtvofieva nichts als einen Aus-
zug aus der bekannten Schrift des Poseidonios mpl ptzsojpujv habe
geben wollen, und dies durch den Titel schon angezeigt habe, indem er
hinzugefügt: ix ~wv floostocuvtoo Mersujpo^oyixcijv, und Blass meint weiter,
dass schlechte Ordnung, Auslassungen, Inconsequenzen, Dunkelheiten
dem Excerptor zur Last zu legen seien, dagegen die Vorzüge des
Schriftchens aus dem Werke des Poseidonios stammen; dafür, dass Ge-
minos directer Schüler des Poseidonios sei, wie Manche annehmen, sei
kein Zeugniss vorzubringen, doch stehe durch Alexander Aphrodisiensis
fest, dass er vor dem Ausgang des zweiten Jahrhunderts gelebt habe.
Wenig Anklang kann P. H. Poppelreuter finden, der in seiner
Bonner Doctordissertation: Quae ratio intercedat inter Posidonii nepl
7ia$a>\> iipaypazdaq et Tusculanas disputationes Ciceronis, Bonnae 1883,
zu dem Resultate kommt, dass Cicero alles das, was er über die Affecte
vortrage, aus Poseidonios geschöpft habe. Glücklicher ist in seiner Be-
weisführung Paul Rusch, der in seiner Greifswalder Dissertation: De
Posidonio Lucreti Cari auetore iu carmine de rerum natura VI auf Spu-
ren der Benutzung des Poseidonios bei Lucretius hinweist. Doch habe
ich hier auf diese beiden Schriften nicht näher einzugehen.
Eine scharfsinnige Abhandlung bezieht sich namentlich auf die
Lehre von den Affecten bei Poseidonios:
Poseidonios und Seneca. 57
Die stoischen Definitionen der Affecte und Poseidonios von Otto
Apelt (Weimar), in: Jahrbb. für class. Philol. 1885, H. 8, S. 513
bis 550.
Der Verfasser wendet sich namentlich auf Grund des Galenos da-
gegen, dass, wie Poppelreuter und Kreuttner ( s. unten S. 73 f.) wollen,
wir die Ansichten des Poseidonios aus Ciceros Disp. Tusc. B. III und IV
kennen lernen, obwohl er zugiebt, dass Cicero bei der Abfassung der Tuscu-
lanen das Buch seines Lehrers Poseidonios -zp\ na&atv benutzt haben
könne. Und es ist allerdings die in den Tusculanen sich findende Erklärung
der Affecte eine wesentlich andere, als die des Poseidonios, wie sich
aus der Beweisführung Apelts ergiebt. Auch macht es derselbe wahr-
scheinlich, dafs Nemesios in seiner Schrift mpl <püazujQ äv&ptonou in
maochen Theilen, besonders auch in dem über die Lust, den Poseido-
nios als Quelle benutzt hat. Es wird dies dadurch zu grösserer Sicher-
heit erhoben, dass Nemesios trotz der im Ganzen dem Aristoteles fol-
genden und zustimmenden Darstellung doch auch die stoischen Lehren
berücksichtigt, indem er auf die stoische yapd im Unterschiede zu der
rßovTj hinweist. — Zuletzt übt Apelt noch treffende Kritik an der Ueber-
lieferung einzelner Definitionen. So conjiciert er in der Definition der
ßapu&ujjLi'a bei Andronikos als Xonrj ßupüvouaa xal dvdveuacv oh oioouaa
statt dvdveuaiVi das unverständlich ist: äveatv, ferner in der Defini-
tion des nö&og bei Stobaios als em&u/ic'a ruü ifxon änovros, auf
Grund von Plat. Erat. 420a: Imbo^ia irepatde nuu ovzog. Auch die
pseudoplatonischen Definitiones berücksichtigt er dabei.
Die Abhandlung von H. Lauret, De perturbationibus animi
Stoici quid senserint, Nancy 1885. 48 S. 8, habe ich bis jetzt nicht
erhalten.
Die Stoiker der römischen Kaiserzeit sind in den letzten Jahren
vielfach behandelt worden, vor allen Seneca. Ein Theil der Schriften
desselben ist in einer kritischen Ausgabe erschienen:
L. Annaei Senecae Dialogorum libros XII ad codicem praccipue
Ambrosianum recensuit M. C. Gertz, Dr. phil., Professor Hauniensis,
Hauniae 1886. 443 S. 8.
Der Herausgeber hatte schon in seinen Studia critica in L. Annaei
Senecae dialogos (s. meinen Bericht über die Jahre 1874 und 1875,
S. 558 f.) eine genaue Collation de- codes Mediolanensis primns (A) oder
Ambrosianus für DÖthig erklärt, um endlich einen sichern Gmnd tu r die
Kritik der Dialoge zu haben, im Jahre 1879 erschien nun die Aasgabe
der Dialoge von Koch, die nach dem Tode Kochs Johannes Vahlen besorgt
hatte (s. meinen Bericht über die Jahre 1876 bis 1880, S. im. und
man musste der Ansicht Bein, der Ambrosianus sei von Koch in gentt-
58 M. C. Gortz, L. A. Senecae dialog. II. XII.
gender Weise verglichen und für die Ausgabe benutzt, und man sah das
Hauptverdieosi derselben gerade hierin. Nach Gertz ist aber die Colla-
lioii Kochs eine sehr ungenaue gewesen. Ich will das Unheil des Erste-
ren der Hauptsache nach mit den eigenen Worten desselheu anführen :
Multa Kochius non recte legit, multa plane praetermisit, multa rasuris
liturisque obscurata — legere aut non potuit aut non curavit — , non-
nullis locis conlationi suae ea immiscuit, quae fieri non potest quin non
ipse ex codice enotarit, sed ex conlatione Fickerti mutua sumpserit.
Hiernach war allerdings eine neue Ausgabe am Platze, und Gertz hat
das von Koch Versäumte und Verfehlte, soweit ich sehen kann, gründ-
lich gut gemacht, indem er sich der grössten Genauigkeit beflissen und
besondere Sorgfalt auf die Unterscheidung der verschiedenen Hände in
dem Codex verwendet hat. Lesarten der übrigen schlechteren Hand-
schriften (P) zieht Gertz in der Mehrzahl der Dialoge nur dann heran,
wenn brauchbare Correcturen aus ihnen zu entnehmen waren. Uebrigens
führt er diese neueren nicht mehr sämmtlich auf den codex Ambrosianus
zurück, wie er es in seinen Studia critica, Madvig darin folgend, gethan
hatte. Für die drei Bücher de ira erwähnt er manche Lesarten aus
einem codex Laurentianus (L). In der Consolatio ad Polybium, von der
sich nur sehr Weniges im Ambrosianus findet, geht er meist, wie dies
Koch schon gethan hatte, auf den codex Berolinensis zurück, muss aber
auch hier Ungenauigkeiten Kochs feststellen. Der kritische Apparat
lässt bei Gertz nichts zu wünschen übrig.
Dass Gertz die Bemühungen der früheren Kritiker und Heraus-
geber, bis herunter auf Koch und Vahlen, seiner Edition zu Gute kom-
men lässt, brauche ich kaum zu erwähnen. Er selbst hat an vielen
Stellen emendierend eingegriffen, an manchen mit entschiedenem Ge-
schick. Die Ausgabe ist meines Erachtens eine vortreffliche, und es
wäre nur sehr zu wünschen, dass Gertz, nachdem die Bücher de beue-
ficiis und de dementia schon 1876 von ihm ediert worden sind, die
übrigen Schriften Senecas, namentlich die Briefe, bald folgen liesse.
Leider hat er dazu keine bestimmte Aussicht gemacht.
Erwähnt sei hier, dass in Reclams Universalbibliothek, wie früher
schon eine Uebersetzung von Marc Aureis Meditationes, so jetzt eine
von ausgewählten Schriften und eine von 50 ausgewählten Briefen Senecas
an Lucilius erschienen sind.
Ich schliesse hier sogleich einige kritische Arbeiten an:
Adnotationes in Senecae dialogum I von L. C. M. Aubert, im
Rhein. Mus. XXXVI, 1881, S. 178-195.
Eine Reihe meist wohl begründeter Bedenken und Verbesserungen.
Ferner:
Adnotationes criticae in L. Anuaei Senecae epistulas morales scr.
Guilielmus Gern oll, Kreuzburg O.-S. 1886. 21 S. 4. (Progr.)
L. Ann. Seneca. 59
Der Verfasser weist zuerst neueren Lesarten gegenüber auf ältere
bessere hin, zeigt, dass manche neuere Conjecturen von früheren Gelehr-
ten anticipiert sind, und bringt in dem Haupttheile seines Programms
selbst eine Reihe zum Theil annehmbarer Verbesserungen.
Einiges Beachtenswerthe habe ich auch gefunden in :
Quaestiones criticae in L. Annaei Senecae epistulas morales.
Scripsit S. Linde, Lundae 1885. 12 S. 4.
Ep. 33, 7 heisst es: »Hoc Zenon dixit« : tu quid? »hoc Cleanthes«:
tu quid? quousque sub alio moveris? impera et die etc. Glücklich
scheint mir Linde zu corrigieren: quousque sub aliorum eris imperio?
die etc. Unnöthig dagegen ist der Zusatz von te in Ep. 35, 1 bei
habere amicum volo.
De L. Annaei Senecae quaestionibus naturalibus. Dissert. philol.
quam — defendet scriptor Georgius Müller Oldenburgensis, ßonnae
1886. 46 S. 8.
Eine mit Fleiss und Sorgfalt geschriebene Dissertation, welche
handelt I. de Pragensi et Bambergensi codieibus, IL de Berolinensi et
Wirceburgensi codieibus, III. de ordine librorum und IV. Analecta cri-
tica (S. 27 — 46) giebt. Eine Anzahl von Manuscripten hat der Ver-
fasser selbst verglichen. Die Frage nach der Ordnung der Bücher ist
schon öfter behandelt worden , ohne dass man zu Einstimmigkeit ge-
kommen wäre. Müller hat sie selbständig und mit Geschick beantwortet.
Zum grössten Theil nicht auf die philosophischen Schriften, son-
dern auf die Gedichte des Seneca geht:
Disquisitionum de Senecae filii scriptis criticarum capita II. Dissert.
philol. quam ad summos in philos. honores — in Academia Rosto-
chiensi rite impetrandos — scripsit Otto Rossbach, Vratißlaviae
1882. 36 S. 8.
In dem ersten Capitel sucht der Verfasser mit Geschick und
Kenntniss des Seneca nachzuweisen, dass nicht nur die gewöhnlich dem
Seneca zugeschriebenen nenn Epigramme, deren Authenticität mohrfach
angezweifelt worden ist, ihm wirklich als Eigenthum zuzusprechen sind,
sondern dass auch eine Reihe anderer Gedichte des Vossianus. auch
eines des Salmasianus und eines des Monacensis ihm gehören. Im
zweiten Capitel theilt er ein Fragment aus dorn verlorenen Theil der
Bücher de dementia mit, das er in einem ungefähr 1101 geschriebenen
Briefe des Hildebertus Cenomanensis gefunden bat, ohne aber der An-
sieht des Fabricina beizustimmen, dass dieser Bischof die Bacher de
dementia vollständig vor sich gehabt habe.
fif) Guil. Allers, De L. A. Senecae librorum de ira fontibus.
Eine schätzbare Quellenstudie ist:
De L. A. Senecae librorum de ira fontibus. Diss. inaug. quam
— tradidit Guilelmus Allers Brunsvicensis, Gottingae 1881. 77 S. 8.
Seneca hat bei Abfassung seiner Schriften sicherlich viel frühere
Autoren benutzt, ohne sie anzugeben, wiewohl er bekanntlich auch oft
Quellen nennt und wörtlich citiert. Es hat daher seine Schwierigkeit,
die Autoren, denen er hauptsächlich gefolgt ist, zweifellos festzustellen,
und so ist auch Allers meiner Ansicht nach zu absolut feststehenden
Resultaten nicht gekommen, wohl aber hat er Manches sehr wahrschein-
lich gemacht. Vorzüglich soll Seneca, wie sich aus Cicero, Tusc. Disp.,
und Galen ergebe, den Chrysippos benutzt haben; wenn für diese An-
sicht nun auch Galen herangezogen werden kann, so doch nicht Cicero,
ehe feststeht, dass dieser in seinen Tusculanen sich namentlich an Chry-
sippos angeschlossen hat. Das ist aber sehr zweifelhaft. Sodann soll
Seneca aus Theophrast und Hieronymos geschöpft haben, und die Ueber-
einstimmungen zwischen Seneca und Philodemos mpt drjyr^ führt Allers
auf die beiderseitige Benutzung der chrysippischen Schrift mp"> naßwv
zurück. Schliesslich verdankt nach dem Verfasser Seneca auch in der
Schrift de ira Vieles seinem Lehrer Sotion und für einige Stellen ist
dies sicher erwiesen, vgl. auch dazu den Excursus V der Dissertation
von Carl Bure seh, Consolationum a Graecis Romanisque scriptarum
historia critica, Lipsiae 1886. Ich vermuthe. dass Seneca den Sotion
sehr stark ausgebeutet hat, freilich würde Sotion dann seinerseits wie-
derum auf ältere Quellen zurückzuführen sein.
Eine grössere Arbeit über Seneca ist erschienen:
Lo Stoicismo Romano considerato particolarmente in Seneca.
Studio di Carlo Corsi con una lettera del Prof. Augusto Conti,
Prato 1884. IV. 331 S. 8 (vorher veröffentlicht in Scienza e Lettere,
Periodico mensile Toscano, 1883).
Der Einführungsbrief Contis giebt nur an, dass Corsi auf Anre-
gung seines Lehrers Conti, der in seinem Cursus die stoische Philoso-
phie auch behandelt hatte, sich das Thema gewählt, aber bei der Aus-
führung desselben durchaus selbständig vorgegangen sei. Auf ähnliche
Weise, aber in grösserer Abhängigkeit von dem Meister, war das Buch
Rossi's über den Epikureismus entstanden (s. u. S. 78 f.).
Nachdem der Verfasser allgemeine Betrachtungen über die römi-
sche Gesellschaft in den ersten Jahrhunderten des Kaiserreichs und über
die Philosophie in Rom angestellt, geht er in sieben Kapiteln ausführ-
lich auf Seneca ein, zuerst auf sein Leben und seinen Charakter, den
er vielleicht etwas zu sehr in Schutz nimmt, dann auf seine einzelnen
Schriften, hierauf lässt er eine kritische Analyse der Lehre des Seneca
folgen, indem er erst im allgemeinen die ganze Richtung derselben be-
Carlo Corsi, Lo Stoicismo Romano etc. 61
spricht und dann Einzelnes, besonders die Lehre von Gott und die
Ethik. Ein eigenes Capitel ist den Quaestiones naturales gewidmet.
Habe ich auch nicht gerade Neues in der ganzen Charakteristik
und Auffassung des Seneca gefunden, so ist doch anzuerkennen, dass
der Verfasser fast stets das Richtige trifft und sagt, wenn er z. B. das
Vorherrschen der Parenese bei dem Philosophen betont, wenn er aus-
führt, wie die Strenge der alten Stoa durch Seneca als römischen Mo-
ralisten wesentlich gemildert worden sei. Ich stimme ihm auch bei,
wenn er bemerkt: que il nostro filosofo non e un retore ne un decla-
matore di professione, und ferner: qu'egli e proprio convinto delle dot-
trine que va predicando agli altri e que egli pure ha conosciuto e pro-
fondamente gustato le forti consolazioni della verace sapienza. Dass ein
besonderes Capitel auch das sagenhafte Verhältniss des Seneca zu Pau-
lus und hiermit auch zu dem Christenthum behandelt, ist natürlich, je-
doch kommt der Verfasser auch hier zu annehmbaren Resultaten, indem
er z. B. den directen Einfluss christlicher Lehren auf die Ansichten
Senecas abweist, aber eine allgemeine und indirecte Einwirkung nicht
gerade ausschliessen will. Das Schlusscapitel des ganzen Werkes hat
die Ueberschrift: Efficacia dello Stoicismo in Roma, und handelt in
der Kürze, nur etwas zu kurz im Verhältniss zu dem Titel des ganzen
Buches, von Persius, Lucanus, Juvenalis, von Musonios, Epiktet, Marc
Aurel, von dem Verfall der Stoa und dem Uebergewicht des Christen-
thums über die alte Philosophie. Der Verfasser erkennt hier eine indi-
recte Vorbereitung des Christenthums durch die Stoa an, una prepara-
zione delle anime alle dottrine piü pure, proclamate poi dal christi-
anesimo alla piena luce del giorno, ohne sich auf Einzelnes einzulassen.
Das Buch liest sich gut, und es ist anzuerkennen, dass sich der Ver-
fasser mit der deutschen und mit der französischen Litteratur bekannt
zeigt. Namentlich bezieht er sich häufig auf Martha.
Eine Rettung des Seneca bietet uns ein Werk, das iu doppelter
Gestalt vorliegt:
S6neque et la mort d'Agrippine par H. Dacbert, Leiden 1884.
264 S. 8.
Etudes sur la vie de S6neque par P. Hochart. Paris 1885. VII,
285 S. 8, avec Vignette.
Herr Hochart hatte zuerst seine Arbeit Pseudonym veröffentlicht,
weil er nicht das nöthige Vertrauen in seine Kräfte setzte und sich vor
dem Fluch der Lächerlichkeit fürchtete. Er will dann zur Herausgabe
unter seinem wirklichen Namen durch die Anerkennung sachverständiger
Gelehrter bewogen worden sein. Seneca soll nämlich von ihm durchaus rein
gewaschen werden, in welcher Beziehung, giebt ja der Titel der eisten Aus-
gabe an. Ein Zwiespalt zwischen dem Leben des Philosophou und der von
62 0- H. R, Wetzstein, L. A. Seneca quid de nat. hum. senserit.
ihm auerkannten Moral soll nicht stattfinden. Es ist dieses Resultat
nur dadurch zu gewinnen, dass bedeutende Textesentstellungen hei Ta-
citus angenommen werden. Der Verfasser verfährt mit grosser Willkür
und hat für die in Rede stehende Sache nichts gethan. Auch seine
Darstellung des Stoicismus im ersten Capitel, die allerdings nicht übel
geschrieben ist, bietet nichts Neues.
Mehr auf Einzelnes gehen die folgenden Schriften:
L. Annaeus Seneca quid de natura humana censuerit, dissert.
inaug , quam — proposuit 0. H. R.Wetzstein, Carwitziensis, Stre-
litzae novae 1881. 110 S. 8.
In fünf Abschnitten behandelt der Verfasser sein Thema: 1) qua
dignitate geuus humanuni sit, 2) de natura animi, 3) de corpore, 4) de
corruptione naturae humanae, 5) de morte et vita, quae post mortem
futura sit. Die Eintheilung ist angemessen und bei der Darstellung
selbst ist etwas Wesentliches nicht übergangen, auch setzt der Verfasser
Seneca in richtige Beziehung zu der stoischen Schule, zu anderen Phi-
losophen und zum Christenthum, ohne dass aber der Philosoph durch
die Arbeit geradezu in eine neue Beleuchtung gebracht würde. Se-
neca hält sich ja selbst populär, so sind seine Ansichten leicht zu ver-
stehen und leicht wiederzugeben ; es kam nur darauf an, das Zerstreute
unter richtigen Gesichtspunkten zu sammeln und in lesbarer Form dar-
zustellen. Beides ist dem Verfasser gelungen. In den Fehler so vieler
Schriftsteller, den behandelten Autor zu überschätzen, ist er nicht ver-
fallen; er erkennt z.B. an: interiores ac reconditas philosophiae lite-
ras non magis illum scrutatum esse quam omnes Romanorura philoso-
phos, nur hebt er das Rhetorische bei Seneca nicht genug hervor, na-
mentlich wenn er dessen Tugendlehre und moralische Ermahnungen be-
sonders hoch stellt.
Hier will ich sogleich anfügen:
L. Annaeus Seneca quid senserit de rerum natura ac de vita hu-
mana. Von Dr. Binde. Progr. des Kgl. Evang. Gymnasiums zu Gross-
Glogau 1882 bis 1883, Glogau 1883. 30 S. 4.
Der Verfasser hat sich viel vorgenommen und glaubt es ausge-
führt zu haben. Von seinem ersten Theil, S. 3—11. sagt er: quid de
rerum natura senserit, collegi, exposui, cum nostra scientia comparavi,
comparata interpretatus sum. Dass er hier über Allgemeines nicht hin-
aus kommt, braucht kaum besonders erwähnt zu werden. Man lese die
Erklärung dafür, dass Seneca sich überhaupt mit naturwissenschaftlichen
Fragen abgegeben habe. Vom zweiten Theil, S. 12—20, meint er: ea
omnia quae Seneca de iis rebus iudieavit, quibus omnium scientiarum
summa continetur, de natura et genere humano in unum congessi. Zu-
gleich will er hier die Anfänge einer Geschichtsphilosophie bei Seneca
Ose. Weissenfeis. De Seneca Epicureo. 63
aufgedeckt haben und in dieser Beziehung giebt er einiges Gute. Für
den dritten Theil, S. 20—30, hat er sich wiederum eine weite Aufgabe
gestellt: de Seneca ipso eiusque doctrina morali quid dictum sit et a
veteribus et a recentioribus audiamus atque examinemus, aber ausser-
dem will er auch hier über die dem Seneca zur Last gelegten Verbre-
chen handeln, und giebt sich zuletzt das Zeugniss: quod volui effecisse
mihi videor vel gravissima quae versa sunt in mores Senecae crimina
minime esse confirmata. Neque est igitur quod dubitemus quin prae-
cepta moribus eius responderint. - Glücklich der Verfasser, wenn er
mit solcher Zuversicht seine eigenen Arbeiten beurtheilt!
Eine ganz besondere Seite bei Seneca wird berücksichtigt in:
De Seneca Epicureo. Scripsit Oscar Weissenfeis, Berl. 1886.
38 S. 4 (Programme du College frangais).
Dass Seneca im allgemeinen nicht gegen Epikur eingenommen ist,
im Gegentheil denselben sehr hoch stellt, ist bekannt. Er citiert ihn
häufig und läse man nur, welches Lob der Stoiker dem Epikur spendet, so
könnte man geneigt sein, den Seneca geradezu für einen Epikureer zu
halten. Man findet das Einzelne in dem Index von Haase. Der Ver-
fasser vorliegenden Programms lässt es sich nun angelegen sein, die
offenbaren Aehnlichkeiten in der Lehre hervorzuheben, und er hat in
Wahrheit da auf Mancherlei hingewiesen, was der Beachtung werth ist.
Er bemerkt ganz mit Recht: Utut est, profecto ex Senecae libris disci
potest in magno versari errore, qui Zenonis doctrinam e regione cen-
seant Epicuri oppositam esse. Es ist ja auch oft schon darauf hinge-
wiesen worden, dass in den praktischen Lehren, gewissermassen in den
Enden der Theorie, die Stoiker vielfach mit den Epikureern zu harmo-
nieren scheinen, besonders in der späteren Zeit, wo die Starrheit der
älteren Stoa schon gebrochen war, und wo die ganze Philosophie mehr
noch als früher praktische Ziele verfolgte. Der Unterschied in den
Principien bleibt dabei immer als ein fundamentaler besteheu, und
diesen hält auch Seneca, der sich ja stets offen zur Stoa rechnet, dem
Epikur gegenüber aufrecht. Man darf hier auch das Scheidende nicht
verwischen, wozu Weissenfeis bisweilen in erklärlicher Weise geneigt
ist, wenn er z. B. meint, Seneca habe sich von der stoischen Lehre
etwas entfernt und sich dem Epikur genähert, quod gaudium concelebrat
ut sensum vere humanuni ac vel sapiente dignissimum. Die alteren
Stoiker nehmen die xaPri an> nur *st diese etwas ganz Anderes als die
epikureische rfiovrr — Bei den Aussprüchen über Epikur in den Briefen
ist übrigens stets zu berücksichtigen, dass Lucilius der epikureischen
Lehre geneigt war.
Die Schriften von Lövy-Brühl, quid Seneca de Deo aenserit,
These, Paris 1884, von W. T. Jackson, Seneca and Kant, or an exposition
of stoie and rationalistic ethics with a comparison and criticism of the
64 E. Westerburg, D. Urspr. der Sage, dass Seneca Christ gew. sei.
two Systems, von J. A. Heikel, Senecas Charakter und politische
Thätigkeit aus seinen Schriften beleuchtet (aus den Acta scient. fenuicae),
Berlin 1886, bedauere ich, nicht erhalten zu haben.
Eine beachtenswerthe Frage betrifft:
Der Ursprung der Sage, dass Seneca Christ gewesen sei. Eine
kritische Untersuchung nebst einer Recension des apokryphen Brief-
wechsels des Apostels Paulus mit Seneca, von Eugen Westerburg,
ordentlichem Lehrer an dem Gymnasium zu Barmen, Berlin 1881.
52 S. 8- Vgl. dazu die ausführliche Recension von Ad. Harnack in
der Theol. Literatur-Ztg., 1881, 19, S. 444-449.
Am frühesten erwähnt den Briefwechsel zwischen Seneca und
Paulus, der sicherlich Grund zur Bildung der Sage vom Cbristenthum
des Philosophen mit gewesen ist, Hieronymus, de viribus illustr. 12,
später Augustinus und Pseudolinus, dessen Passio Petri et Pauli wenig-
stens in der jetzigen Fassung nach Hieronymus niedergeschrieben sein
muss. Westerburg ist nun der Ansicht, dass diese Briefsammlung aus
zwei verschiedenen Schichten, einer älteren, Br. 10-12, und einer
jüngeren, Br. 1 — 9 und 13 — 14, besteht, theils wegen der abweichenden
sprachlichen Form, theils wegen des verschiedenen Bildungsgrades der
beiden Verfasser, theils und zwar namentlich wegen des verschiedenen
Verhältnisses in den zwei Gruppen zwischen Nero einerseits und Paulus
und Seneca andererseits. Die ältere Sammlung muss vor Hieronymus
entstanden sein, da dieser aus dem 11. Briefe citiert, die Abfassung
der jüngeren setzt Westerburg aus mir freilich zweifelhaft scheinenden
Gründen in die karolingische Zeit. Es ist nicht einmal erwiesen, dass
der Briefwechsel wirklich verschiedenen Zeiten und verschiedenen Ver-
fassern angehört, und nicht eine frühere Zeit für seine Abfassung, etwa
die Wende des zweiten Jahrhunderts, angenommen werden muss, wie
dies z. B. von Harnack geschieht, freilich auf Grund der diesem als
ganz sicher geltenden Annahme, dass die Briefe zunächst griechisch ge-
schrieben und erst sehr viel später übertragen worden seien von einem
des Lateinischen nicht sehr Kundigen. Um diese Frage nach dem
griechischen Ursprung zu entscheiden, bedürfte es aber noch einer
genaueren Untersuchung.
Westerburg sieht nun in der Uebereinstimmung des Pseudolinus
mit der jüngeren Gruppe der Briefe Grund, anzunehmen, dass sie beide
einen dritten ausgebeutet haben, dessen Werk verloren gegangen
sei, aber den Paulus in Verbindung bringe mit Poppaea Sabina und
sogar den christenfeiudlichen Nero ziemlich wohlwollend gegen den Apo-
stel erscheinen lasse. Diese Angaben könnten aber nur auf ebioniti-
schen Verdächtigungen beruhen, wenn auch die Grundschrift selbst wie-
der conciliatorischer Tendenz gewesen sei, und so werde denn auch
Seneca aus Feindschaft gegen den Paulus mit diesem in Verbindung
Diels, Seneca und Lucan. 65
gebracht. Diese ganze Sage, aus Gehässigkeit entstanden, habe des-
halb auch erst im vierten Jahrhundert Gläubige gefunden, und ein sol-
cher sei auch der Verfasser der früheren Briefgruppe gewesen, ohne
aber die Nebenumstände der Sage zu kennen, während der zweite Fäl-
scher auch diese in seiner Quelle gefunden und benutzt habe.
Der ganze Aufbau Westerburgs ist künstlich und setzt Annahmen
Baurs und seiner Schüler als erwiesen voraus, mit ihnen fällt auch er
zusammen. Mir scheint neben dem Briefwechsel, auf Grund dessen
Hieronymus allerdings den Seneca in dem Catalogus sanctorum erwähnt,
die Annäherung vieler Sätze des Seneca an Lehren des Christenthums,
in Folge deren sogar Tertullian ihn als saepe noster bezeichnet, die
Entstehung der Sage bewirkt zu haben; der letztere Umstand ist wahr-
scheinlich in Berücksichtigung von Philipp. 4, 22 sogar die Ursache für
die Fälschung des Briefwechsels gewesen. — Verdieustlich ist die Aus-
gabe der Briefe bei Westerburg, die er mit besonderer Benutzung der
besten Codices, des Mediolanensis und des leider 1870 verbrannten
Argentoratensis, angefertigt hat.
Das Werk von Joh. Kreyher über L. Ann. Seneca und seine Be-
ziehungen zum Christeuthum ist erst 1887 erschienen; ich habe es also
hier nicht schon zu besprechen.
Eine vortreffliche Arbeit, die das Verhältniss des Seneca zu einem
Dichter betrifft, sei hier nur kurz erwähnt, da sie deu letzteren mehr
angeht:
Seneca und Lucan. Von Diels, in den Abhandlungen der Kgl.
Akad. der Wissenschaft zu Berlin aus dem Jahre 1885, Piniol, bist.
Abh. II, 54 S.
Dass Lucanus, der Neffe Senecas, in dem Theile seiner Pharsalia,
welcher das Geheimniss des Nils zu enthüllen versucht, nicht unabhän-
gig von den Naturales quaestiones seines Oheims sei, war schon früher
bekannt. Diels weist in vorliegender Arbeit nun schlagend nach, dass
die Benutzung eine sehr weitgehende ist, dass sie sich sogar nicht sel-
ten auf Worte erstreckt, und kommt zu dem Resultate, dass Lucanus
das fertige Buch Senecas vor sich gehabt und nicht etwa nach Remi-
niscenzen gearbeitet habe. Die Abfassungszeit der beiden Schriften
macht dabei keine Schwierigkeit, da nach Diels im J. 65 die Naturales
quaestiones abgeschlossen sein konnten, und die späteren Bücher der
Pharsalia kurze Zeit darauf geschrieben sein müssen. Nebenbei berührt
der Verfasser, dass Seneca dem Poseidonios viel verdanke. Als Anhang
giebt Diels die betreffenden Abschnitte der beiden Schriftsteller, Lucan.
Pharsalia X, 194—331, und Seneca Natur, quaest. IV, 1. 2, mit genauem
kritischem Apparat.
Hinweisen will ich zum Schluss dieser Besprechung der auf Seneca
bezüglichen Schriften noch darauf, dass man sich in Frankreich viel
Jahresbericht für Alterthumswissenschafr L. (1887. I.) 5
ßfi ( onrati Theol. Graecao Compeod. rec Lang.
mit diesem Philosophen beschäftigt, wie, abgesehen von den schon an-
geftthrten Schriften, aus einer Anzahl von Ausgaben und Uebersetzungen.
zum Theil mit Anmerkungen and Einleitungen versehen, liervorgeht.
Ich nenne hier: De vita beata, nouvelle edition annotee et precedee
d'une introduction par A. Bertrand, Paris 1883; De la vie heureuse,
tradnction de J. Baillard, revue et augment£e dune introduction par
A. Delaunay, Paris 1885; Ad Lucilium Epistolae morales I— XVI,
texte latin, publie avec une notice sur la vie et les oeuvres de S6neque,
et des notes en francais, par R. Aube\ Paris 1885; Lettres ä Lucilius
I— XVI, publiees avec une introduction, des arguments et des notes par
E. Charles, Paris 1886; Ad Lucilium epistolae sexdecim. Nouvelle
edition avec une etude sur la morale stoicienne, une notice biographique,
des notes historiques et philosophiques et des eclaircissements, par Lio-
nel Dauriac, Paris 1886, siehe zu diesem letzten die Recension von
M. Ol. Gertz in der Berliner philol. Wochenschrift, VI 1886, S. 1603
— 1605, in welcher die Einleitung gelobt, die Herstellung des Textes
aber sehr stark getadelt wird. Auch eine spanische Uebersetzung
der Tradatos filosoficos von Fr. Navarro y Calvo ist in Madrid er-
schienen.
Erfreulich ist es, dass die Schrift des Kornutos wieder herausge-
geben ist, welche seit Osanns editio ex schedis d'Ausse de Villoison von
den Philologen nicht viel berücksichtigt worden ist:
Cornuti Theologiae Graecae Compendium recens. et einend. Ca-
rol. Lang, Lipsiae 1881. XIX. 125 S. 8. (in der Bibliotheca Teub-
neriana).
Die Ausgabe ist mit grosser Sorgfalt angefertigt auf Grund des
ziemlich umfangreichen handschriftlichen Materials. In dem Codicum
recensus sind 36 Handschriften, nach drei Classeu geordnet, angeführt,
eilf davon hat Lang selbst vollständig, darunter fünf von Classe a, sechs
zum Theil verglichen. Der Text hat nicht unwesentlich gewonnen, in-
dem die Vermuthungen Anderer berücksichtigt sind, und der Heraus-
geber mit seinen eigenen, darunter ganz glücklichen, nicht zurück-
hält; übrigens meint er, dass wohl noch mehr Interpolationen anzuneh-
men seien, als er angezeigt habe. Der kritische Apparat findet sich
unter dem Text in grosser Ausführlichkeit. Man kann zweifelhaft sein,
ob nicht trotz der S. XVIII hervorgehobenen Beschränkung nicht noch
zu viel gegeben ist.
In der Praefatio stellt Lang zunächst den Namen des Verfassers
als Kornutos fest gegenüber dem Phurnutus, neigt sich dann der An-
sicht mit Entschiedenheit zu, dass trotz der Trockenheit des Werkes
doch der gefeierte stoische Philosoph, der Lehrer des Persius, Verfasser
desselben sei. Der bestüberlieferte Titel ist: izcdpo/irj rcuv xazä ttjv
EXKrjvixrjv ftzukoycav -aoad£öofidvw\>, und imdpo/iy ist nach Praefatio X
P. Wendland, De Musonio. 67
nicht zu fassen als »impetus«, sondern als »tumultuaria et compendiosa
— tractatio*, wie bei Diog. L. VII, 48, X. 11 imSpofii) zivv <pikoo6<puj)/.
— Woraus Kornutos sein Werk geschöpft habe, auf diese Frage geht
Lang nicht näher ein.
Das Werk von Vinc Papa: Lo Stoicismo in Persio, Torino 1882,
ist mir zu meinem Bedauern nicht zugekommen.
Mit einem Stoiker, der bisher wenig behandelt worden ist, be-
schäftigt sich eine kleine Schrift:
Quaestiones Musonianae. De Musonio Stoico Clementis Alexan-
drini aliorumque auctore scrips. Paulus Wendland, ßeroliui 1886.
66 S. 8.
Dass Clemens in seinen Schriften sich viel an die Stoiker ange-
lehnt hat, ist bekannt; ich habe selbst auf Benutzung der Stoa bei ihm
mehrfach hingewiesen In einer Reihe von Stellen seines Paedagogus
stimmt er nun im Sinn, aber selbst in den Worten, mit dem was wir
bei Stobaios als Auszüge aus Musonios finden, überein. Das Nächstlie-
gende wäre nun anzunehmen, dass die Schrift, welche Stobaios excer-
piert hat, auch von Clemens benutzt worden sei, aber dies weist Wend-
land mit einleuchtenden Gründen als unwahrscheinlich zurück, und so
bleibt nur übrig, dass beide Autoren, der, welchen Stobaios vor sich
gehabt hat, und Clemens, aus einer und derselben Quelle ge-
schöpft haben. Wendland meint, dass dies die Aöyoi, vielleicht auch
Aöyoi (fuoooflaq i%6ps\>oi genannt, des Musonios selbst gewesen seien,
von denen Suidas zu berichten weiss. Nun wird allerdings in der Regel
daran gezweifelt, dass Musonios selbst Schriften hinterlassen habe, aber
ein vollgiltiges Zeugniss darüber besitzen wir nicht, im Gegentheil spricht
noch der allerdings unzuverlässige Eunapios von ypdufiara des Muso-
nios. Ich halte es für sehr gut möglich, dass die 'A-0/iv^jj.ove'jjj.aza
Mouawvlou to~j (ptloGocpoo, welche Suidas irrthümlich dem Asinius Pollio
zuschreibt, Jonsius richtiger dem Valerius Pollio, die eigene Schrift des
Musonios zur wesentlichen Grundlage hatte, und ich möchte demnach
auch den Aufstellungen Wendlands betreffs des Verhältnisses des Cle-
mens zu Musonios beipflichten. Auf übereinstimmende Stellen in dem
Paedagogus des Clemens und in dem pseudojustinischeu Brief an Zena
und Serenus sowie in Tertullians Schriften weist Wendland noch hin und
macht es wahrscheinlich, dass in den letzteren auch Musonios benutzt
ist, wie er auch nachweist, dass Plutarch und manche der Neuplatoni-
ker, namentlich Hierokles, aus Musonios geschöpft haben. In einem Ex-
curs zum Schluss giebt er noch ein Beispiel an Clem. Paedag. III, 6,
wie man mit leichtester Mühe aus Clemens den Wortlaut des Musonios
herstellen kann.
Mit Epiktet hat man sich mehrfach beschäftigt. In Frankreich,
wo mau eine besondere Vorliebe für diesen Philosophen, offenbar wegen
6«
(1K Schränke, Her Stoiker KpiktH 11. Beine Philosophie.
seiner ins Leben eingreifenden Moral, hat, ist von nincr I < \>< -i ■wtzung
der ätatptßai eine zweite Auflage erschienen:
Les Entretieos d'Epictete recueillia par Arrien. Traduction
nou volle et complete par V. Courdaveaux, deuxiome ed. revue et
corrigee, Paria 1882. XXX, 420 S. 8.
Die Uebersetzung liest sich gut und ist, soweit ich gesehen, ziem-
lich treu. Das Vorwort zur ersten Aurlage, die vor ungefähr 25 Jahren
erschien, ist beinahe ohne Veränderung wieder abgedruckt. In der kur-
zen Vorrede zur vorliegenden spricht sich der Uebersetzer mit Wärme
über die Ethik Epiktets aus, bringt sie in Vergleich mit der Ethik der
Positivisten, namentlich der französischen, nur fehle der letzteren die
Ansicht, que l'ideal qui rayonne au fond de nos coeurs — soit - un reflet
de l'ideal d'en haut«. Dies finde man aber schon bei Epiktet. — So
wohlgemeint die Absicht des Uebersetzers bei dieser Nebeneinander-
stellung ist, so scheint mir der ganze Versuch doch mehr als gewagt.
Kaum erwähnt zu werden verdient:
Der Stoiker Epiktet und seine Philosophie. Von dem philosoph.
Doctor-Collegium der Universität Prag mit dem I. Preise gekrönte
philos. Monographie von Dr. Eduard Maria Schranka, Frankfurt
a. d. 0. 1885. 118 S. 8.
Eine höchst oberflächliche aber mit Ansprüchen auftretende Schrift.
Man sollte nach der Anlage und Behandlung des Themas meinen, sie
sei auf ein grösseres Publikum berechnet, vielleicht um ethisch zu wir-
ken, würde nicht in dem litterar- historischen Abschnitt sowie in dem
epiktetisch -terminologischen Lexicou ein Aulauf zur Entwickeluug einer
gewissen Gelehrsamkeit genommen. Freilich kläglich genug fällt der-
selbe aus; für das Lexicon hat der Verf. nur das, was ihm bei der Leetüre
als das Wichtigste erschien, zusammengestellt und besprochen und wie
besprochen! Bei ndpspya heisst es: »Nebendinge, die nicht wichtige
Theile sind. Wir wissen, dass viele Schriftsteller dieses Wort auch als
Titel ihrer kleinen Schriften gewählt haben«. Sogleich darunter bei
■mptaTäatiq: »Umstände. Ich möchte es am besten übersetzen durch
das quis, quid, ubi« etc. Quis, quid sind also auch nepurzdozig. Verhält-
nissmässig erträglich noch ist die Darstellung der Lehre Epiktets, ob-
wohl es auch hier an tieferem Eindringen und Abruuduug. die freilich
bei Epiktet nicht leicht zu erzielen ist, fehlt. Geradezu lächerlich da-
gegen ist der erste Abschnitt: »Historiette der stoischen Schule.« Bios
einen Satz daraus: »Unter den Eleaten stosseu wir bereits auf einen
Namen Zeno, der aber noch nicht unser Zeno, Stifter der stoischen
Schule ist, sondern Zeno von Elea, ein Eleate.« Iu dieser Art oder
noch schlimmer geht es weiter. — Zu dem mangelhaften Inhalt kom-
men noch Ungeleukigkeit, zugleich aber Gespreiztheit der Sprache,
Epiktet. 69
Wiederholungen, sehr viele Druckfehler, namentlich in dem Griechischen,
die es zweifelhaft machen können, ob der Verfasser überhaupt Griechisch
versteht — kurzum das Ganze macht einen höchst unerquicklichen
Eindruck.
Viel gründlichere Kenntniss zeigt sich in einem Aufsatze:
Epiktet und das Christenthum. Von A. Braune, Stiftspfarrer iu
Altenburg, in der Zeitschrift für kirchliche Wissenschaft und kirch-
liches Leben, V, 1884, S. 477—488.
Den specifischen Unterschied zwischen der christlichen Lehre und
der Epiktets, bezw. der stoischen, hebt der Verfasser im ganzen richtig
hervor. Nur behandelt er Anschauungen als specifisch epiktetisch, die
in der stoischen Lehre tief begründet liegen. Er findet Vortreffliches
bei Epiktet und würdigt bei ihm die Spuren des Xoyoq anepixaztxog.
Epiktet kennt nach Braune die Nothwendigkeit des Umschwungs, der
Selbstbesserung, aber er schreibt dem Menschen die Kraft zu, durch
eigene Anstrengung die fisTaßoÄrj zou yye/j.ovcxou herbeizuführen; er
will sich durch sich selbst retten: der Christ wird von Ausserhalb des
Ich gerettet. Aber der Philosoph ist doch keine in sich befriedigte
Persönlichkeit, er fühlt den Contrast zwischen Ideal und Wirklichkeit
und kann das erstere trotz alles Bingens nicht erreichen. So hebt der
Idealismus die Philosophie Epiktets und trägt sie — es hätte nur
heissen müssen: die stoische Philosophie überhaupt. — Dieser gegen-
über ist nun der wahre Heiland, der wahre Weise Christus.
Mit der Termiuologie Epiktets beschäftigt sich:
De vocabulis notionum philosophicarum in Epicteti libris Disser-
tationem amplissimo philos. in Academia Ienensi — propos. Joannes
Stuhrmann, typis Brandenburgii Neustadtensis 1885. 60 S. 8.
Stuhrmann behandelt gemäss der stoischen Eintheiluug zuerst die
logischen Begriffe, d. h. die aus der Erkenntnisslehre und aus der for-
malen Logik, dann die physischen und schliesslich die ethischen und
bringt die irgendwie eingreifenden zur Sprache. Besonders viel Baum
widmet er der (pavraoia, und auch mit Becht, da sie eine wichtige Bolle
in der stoischen Lehre und besonders bei Epiktet spielt. Speciell vou
Epiktet gebrauchte Termini giebt es nur wenige, dazu gehören die
/isTanrnTovreg Xuyoi, die mir anderswoher nicht bekannt sind. Diese er-
klärt Stuhrmann in anderer Weise als Schvveighäuser, der sie bestimmt
als »argumentationes sophisticae, in quibus seuteutia propositionum vel
terminorum, cum eadem mauere deberet, callide mutatur«. Nach dem
Verfasser sollen sie solche Schlüsse sein, die zur propositio maior eiu ä&w/jLa
/xsTamnrov haben, wofür Simplikios als Beispiel gebraucht: sc Zfi J-'W,
Z^oe-cai Aiu)v. Der Schluss würde dann weiter lauten: Nun lebt Diou
also . Es könne nun leicht vorkommen, dass später die Prämissen nicht
70 Epiktet, Marc Aurel.
zugegeben werden dürfen, und deshalb sei der h'jyog ein fitrancnrojv.
Mir scheint diese Auffassung keineswegs sicher, besonders deshalb nicht,
weil Epiktet die Auflösung dieser iiezaruTt-zovTeg nicht für ganz leicht
ansieht. — Neben den ftzraiUnrovres werden daa truvrjjijievov, das otz^e>)y-
/xivov, das trufinenXeyfievov , der xopieuwv, der ipeuSöpevoe erklärt, ohne
dass eine Verschiedenheit dieser logischen Termini gegen den sonstigen
stoischen Gebrauch festzustellen wäre. Und so ist es weitaus mit den
meisten der Begriffe. Den besonderen Nutzen der Arbeit vermag ich
deshalb nicht einzusehen, zumal wir uns aus Schweighäusers Index Grae-
citatis in Epicteti Diss., Enchir. et Fragmenta über den Sprachgebrauch
Epiktets schon leidlich orientieren können. Einigen Werth hat die
Dissertation vielleicht für ein etwaiges Lexicon der stoischen philoso-
phischen Kunstausdrücke, das immerhin eine dankenswerthe Gabe wäre.
— Warum es nach dem Verfasser lächerlich sein soll, wenn in dem
Passowschen Wörterbuch das auvrjfj.jj.ivov erklärt wird als »ein Satz, in
welchem, das Eine zugegeben, das Andere nothwendig folgt«, vermag ich
nicht einzusehen.
Kritische Sorgfalt ist den Commentarien des Kaisers Marcus
Antonin us verschiedentlich zu Theil geworden:
Adnotationes criticae ad Marcum Antoninum scripsit Ioannes
Stich, Zweibrücken 1881, Programm des Gymnasiums, 38 S. 8. Siehe
auch von demselben: In Marci Autonini commentarios, im Rhein.
Mus. 36, 1881, S. 175- 177.
Kpi'txai 7iaparrjp7jaetg ine xujv eig kaozuv 12 ßtßliujv Mäpxoo
'Avtujvcvou Auroxpäropog' Pwprfi und llavay. Sxa<pt8tü)zou, iv AByjv.
1881. 16 S. 12.
De Marci Antonini commentariis. Scripsit A. Nauck, in Melanges
Greco- Romains tires du bulletin de l'academie imperiale des sciences
de St. Petersbourg, T. V, 1, St. Petersburg 1884, S. 1-21.
Nauck bringt eine Reihe von theils angezeigten theils weniger
notwendigen Verbesserungen durch sämmtliche zwölf Bücher hindurch,
unter denen sich sehr Annehmbares findet. Von Skaphidiotes, dessen
Schiiftchen mir nicht vorliegt, sagt Stich: Sunt — maximam partem aliorurn
repetitae coniecturae. Dieser letzte hat nach seinen kritischen Bemerkun-
gen eine Ausgabe des kaiserlichen Philosophen in der Bibliotheca Teu-
bneriana veröffentlicht:
Mdpxou 'Avtojv/vou Auzoxpdropog twv eig eauzbv ßißtia aß' . D. Im-
peratoris Marci Antonini Commentariorum quos sibi ipse scripsit
libri XII. Recens. Ioannes Stich, Lipsiae 1882. XVIII, 211 S. 8.
Seit 60 Jahren ungefähr war das Werk nicht ediert worden, und
es war sehr wünschenswert^ dass eine neue Ausgabe erschien, und wenn
Marc Aurel. 71
durch die vorliegende auch weitaus nicht Alles für Marcus Antoninus
gethan ist, so ist doch der Text jetzt lesbarer als bei Johannes Matthias
Schultz, dessen Verdienste ich übrigens nicht gering schätze. Stich selbst
spricht sich sehr bescheiden über seine Arbeit aus: Jam emittiraus
librum. Quem qui leget, ne emendatum ingenio editoris Antoniuum
exspectet, quaeso, sed retractatum instructumque eis adminiculis, quibus
non additis emendari Antonmus non potest. Wir finden einen aus-
reichenden kritischen Apparat unter dem Text, in dem zwar nicht sämmt-
liche Lesarten omnia menda, wie Stich sagt — der einzigen vollständi-
gen Handschrift, des codex Palatinus (A) angegeben, ebensowenig wie
die aller übrigen Codices, aber namentlich Emendationen anderer Ge-
lehrter aufgeführt sind. Vorsichtig ist der Herausgeber gewesen in der
Aufnahme fremder, noch behutsamer in der eigener Conjecturen.
In der Praefatio spricht sich Stich über die Handschriften aus
und bringt eine erwähnenswerthe Vermuthung darüber, warum eine
grössere Anzahl von Handschriften Fragmente des Marcus Antoninus
untermischt mit Fragmenten aus Aeliau -enthält. Zum Schluss der
Ausgabe wird uns ein ziemlich reichhaltiger Index Graecus geboten.
Vor dieser Ausgabe war schon erschienen:
The fourth book of the Meditations of Marcus Aurelius Antoninus.
A revised text with translation and commentary and an appendix on
the relations of the emperor with Cornelius Fronto by Hastin gs
Crossley, M. A., London 1881. 64 S. 8.
Der Herausgeber hatte die Absicht den ganzen Marcus Antoninus
im Urtext mit englischer Uebersetzung und Commentar zu veröffent-
lichen. Da er aber für die nächste Zeit dazu nicht kommen würde,
zieht er es vor, das, was er fertig hatte, dem Publicum vorzulegen.
Kritisch ist nicht viel geleistet, in der sachlichen Erklärung findet sich
manches Brauchbare, die Uebersetzung ist ganz geschickt gemacht. Im
Anhang geht er auf den Briefwechsel des Kaisers mit seinem Lehrer
Fronto ein und sucht die Bedeutung desselben für die Kenntuiss der
früheren Lebensperiode des Kaisers festzustellen.
Wenn wir auf die Lehre und den Charakter Marc Aureis über-
gehen, so ist hier ein Vortrag zunächst zu nennen:
Ein Philosoph auf dem Throne (Marc Aurel), von Dr. Johann
Münzer. Beilage No. IV zu No. 6 der Monatsblätter des wissen-
schaftlichen Club in Wien vom 15. März 1884. 10 S. 4.
Ohne gerade neue Aufklärungen oder Auffassungen zu bringen,
entwirft der Verfasser, nachdem er im Allgemeinen über die stoische
Philosophie gesprochen, ein wahrheitsgetreues Bild Marc Aureis, wobei
er besonders auf die Einheit von Lehre uud Leben des Kaisers Nach-
druck legt. Das rege Pflichtgefühl, die Unterordnung unter das Ganze,
72 Marc Aurel.
die Menschenliebe werden mit Recht betont — nebenbei findet der Ver-
fasser auch den Kampf ums Dasein schon bei Marc Aurel in demselben
Sinne wie bei Darwin, nur nach verschiedener Richtung des Individuums,
bei dem ersteren mehr nach der sittlichen, bei dem zweiten mehr nach
der vegetativen Seite des Lebens hin. — Auffällig ist es, dass der Ver-
fasser neben Thrasea, Helvidius auch Brutus und Cato zu den Män-
nern des Jahrhunderts Marc Aureis zahlt.
Ein ausgesprochener, etwas rhetorisch gehaltener Pauegyricus auf
Marc Aurel ist:
Bassano Gabba, Di Marco Aurelio Antonino imperatore. Con-
ferenza detta nel circolo filologico Milanese il 18. Maggio 1884, Mi-
lano 1884. 48 S. 8-
Der Verfasser sieht als Norm des Kaisers für sein ganzes Ver-
halten an: dimenticare di essere Cesare per ricordarsi di esser uomo
e cittadino soltanto, giebt aus den Selbstbetrachtungen besonders be-
zeichnende Sentenzen Marc Aureis in Uebersetzung und verfolgt dann,
wie weit der Kaiser im Regierungsberuf seinen eigenen Lehren ent-
sprochen habe. Die grösste Bewunderung, die grössten Lobpreisungen
werden ausgesprochen; der ganze Ton, der durch den Vortrag geht,
lässt sich in dem Satze erkennen: II suo governo rimase come una no-
stalgia ed una espirazione nel cuore dell' umanitä, che ha sempre invi-
diato quei tempi e invocato dei futuri che li eguagliassero. Weniger
prunkende Worte und etwas mehr historische Besonnenheit wären am
Platze gewesen, um den selbst so einfach auftretenden Kaiser und Phi-
losophen im richtigen Lichte erscheinen zu lassen.
Sehr lesenswerth ist der Aufsatz:
Die Moral in Marc Aurel's Meditationen. Von Dr. Chr. E Lut-
hardt, in der Zeitschrift für kirchliche Wissenschaft und kirchliches
Leben 1881, S. 324—335.
Die Sittenlehre des kaiserlichen Stoikers wird hier kurz und
treffend dargestellt. Zuletzt ist darauf hingewiesen, dass, wie im Grie-
chenthum überhaupt, so auch bei Marc Aurel die Erkenntniss der Weg
zur Sittlichkeit sei, dass die Erkenntniss aber nur Sache weniger, und
so auch in den Meditationen trotz aller schönen Worte von Menschen-
liebe ein Zug von Verachtung der Masse zu bemerken sei. Hiermit
verbinde sich die Verkennung der Bedeutung des Willens, d. h. des
eigentlichen sittlichen Charakters. Wenn Luthardt zuletzt meint, die
Moral Marc Aureis gebe dem Leben eine durchgängige Beziehung zur
Gottheit und sei von dem im Grunde dem Alterthum fremden Gedanken
der Allgemeinheit beherrscht, aber diese Allgemeinheit der stoischen
Denkweise sei verhältnissmässig inhaltsleer, und so sei denn diese Moral
gross in Rhetorik aber schwach in Kraft, so möchte ich gegen die
Andronikos von Rhodos. 73
letzte Bemerkung hervorheben, dass unter den Stoikern eine Reihe
sittlich grosser Charaktere zu verzeichnen ist, und also von einer blossen
rhetorischen auf das Leben wirkungslosen Moral nicht wohl gesprochen
werden kann.
Auf die Philosophie Marc Aureis scheint das grössere Werk von
P. B. Watson, the life of Marcus Aurelius Antoninus, London 1884,
nicht besonders einzugehen. Es ist mir nicht zu Gesicht gekommen,
vergl. darüber Saturday Review, 1884, No. 1513, S. 537. Ebenso wenig
habe ich einsehen können A. Huit, le stoicisme de Marc-Aurele, in den
Annales de philos. chretienne, Octobre 1882.
Vieles Stoische findet sich bekanntlich in der Zusammenstellung
IJepl naBSiv, die uns unter dem Namen des Andronikos von Rhodos
überliefert ist. Eine vortreffliche neue Ausgabe dieser seit Höschel ver-
nachlässigten Schrift besitzen wir nun:
Andronici qui fertur libelli mp\ rraHwv. Pars prior de affectibus.
Novis codicibus adhibitis recens. et quaestiones ad Stoicorum doctrinam
de affectibus pertinentes adiecit Xaver. Kreuttner, Heidelbergae
1884. 50 S. 8 (Doctor-Dissert.).
Andronici Rhodii qui fertur libelli nepl tjiBojv. Pars altera de
virtutibus et vitiis. Dissert. philol., quam — scripsit Carol. Schuch-
hardt, Darrastadiae 1883. 84 S. 8 (Heidelb. Doctor-Dissert.).
Von den beiden jungen Gelehrten ist zur Herstellung des Textes
namentlich der Cod. Coislinianus 120 aus dem X. Jahrhundert, weitaus
der beste für dieses Schriftchen, benutzt worden, und der Text sieht
nun ganz anders aus, als z. B. noch bei Mullach (s. oben S. 17). In
dem zweiten Theil ist bekanntlich die pseudo-aristotelische Schrift -tp\
äperwv xat xuxcwv verwendet, die sich auch bei Stobaios, Floril I, 18
findet. So sind auch Handschriften dieses pseudo-aristotelischen Werk-
chens und des Stobaios mit herangezogen worden. An sich hat die
kurze Compilation wenig Werth, sie gewinnt einen solchen erst durch
Vergleichung mit den uns sonst überlieferten identischen oder ähnlichen
Definitionen der Affecte, der Tugenden und Laster. Die beiden Her-
ausgeber haben diese Vergleichung wesentlich erleichtert, Kreuttner, in-
dem er die Parallelstellen unter den kritischen Anmerkungen mit an-
nähernder Vollständigkeit angegeben hat. Schuchhardt, indem er am
Ende seiner Dissertation eine tabellarische Uebersicht der stoischeu
Definitionen nach Andronikos, Stobaios. Diogenes, Plutarch, Sextus Em-
piricus, Clemens Alexandrinas, Cicero. Galenos, Seneca u. a. anfügt.
Von wem die Zusammenstellung herrührt, isl angewiss. Dass ihr Ur-
heber nicht Audronicus Callisti (so heissl er and nicht Gallistas, 8. in
der oben besprochenen Abhandlung von 0. Apelt, S. 516) sein kann,
geht schon daraus liervor. dass der Coislinianus Jahrhunderte früher
74 Andronikos von Rhodos.
geschrieben ist, als dieser Andronicus gelebt hat. Wie Andronikos der Peri-
patetiker für den Verfasser ausgegeben wurde, dafür giebt Apelt (siehe
oben) nach Richter (Ueberlieferung der stoischen Affecte 1873) eine an-
sprechende Erklärung.
Der Werth der Ausgabe ist noch bedeutend erhöht durch die in
beiden Dissertationen angefügten Untersuchungen. Kreuttner han-
delt zunächst von der Ueberlieferung der Definitionen der Affecte bei
Cicero, Stobaios und Diogenes, ohne dabei zu sicheren Ergebnissen zu
kommen. Sehr zweifelhaft namentlich ist das Resultat betreffs Ciceros: quod
Cicero vertit compendium Antiochi esse, qui maximam partem Posidonii li-
brum compilans suo iure nonnulla addidit et immiseuit. Der Verf. meint
schliesslich selbst: cum pateat nos adhuc qualis traditionis condicio sit pa-
runi perspicere, non miramur, quid Stoici de perturbationibus docuerint ut
distinete et fuse exponatur non posse. Doch geht er auf die Entwicke-
lung der Lehre bei Zenon, Chrysippos und Poseidonios ein. Dass Zeuon
noch die platonische Dreitheilung der Seele angenommen habe, ist mir
sehr zweifelhaft. Den Hauptunterschied zwischen Chrysippos und Po-
seidonios in der Lehre der Affecte sieht Kreuttner darin, quod ille
iudicia esse voluit perturbationes, hie in iudieiis posuit causam pertur-
bationum. Chrysippos ist damit richtig gekennzeichnet, aber Poseidonios
gewiss nicht. Zuletzt macht der Herausgeber noch werthvolle Bemer-
kungen über die einzelnen Definitionen und deren Herkunft, und ich
stimme ihm vollkommen darin bei, dass bei Pseudo-Andronikos die For-
meln des Chrysippos recht treu erhalten sind. — Verdienstlich ist es
noch, dass er aufmerksam macht auf die »Ethica seeuudum Stoicos
composita per D. Barlaamum«, von Heinr. Canisius in Lectiouum antiqu.
t. VI, 1604, und in der Biblioth. scr. eccles. Leid, tom XXVI, 1675
herausgegeben. Er findet in dieser Abhandlnng Spuren des Poseidonios.
In ähnlicher Weise stellt Schuchhardt Untersuchungen über die
stoischen Definitionen der Tugenden, namentlich über deren Ursprung
an. Wir stossen hier besonders auf die Spuren von Zenon und Chry-
sippos; in Betreff des letzteren sagt der Verfasser mit Recht: Chrysippi
— definitiones ita undique recurrunt, ut non dubium sit, quin quae ab
illo inventae erant, a posterioribus philosophis fere non mutatae reci-
perentur. Auf Zenon führt er die allgemeinen Definitionen der Tugen-
den bei Diogenes zurück. Und so ist auch anzunehmen, dass der Grün-
der der Stoa nicht in der Weise schon die Definitionen bis in das
Einzelnste ausgebildet hat, wie dies dann der logisch subtile Chrysip-
pos that.
Wenden wir uns zur Epikureischen Schule, so will ich zunächst
das auf die Schriften Epikurs und Philodemos Bezügliche anführen.
Schon in der Rivista filologica, 1879 (s. meinen Bericht über die
in den Jahren 1876—1880 erschieueueu Schriften, S- 29) hatte Dome-
nico Comparetti Fragmente einer ethischen Schrift Epikurs aus einem
Epikur. 75
herculanensischen Papyrus veröffentlicht, diese Ausgabe aber nur als
eine vorläufige bezeichnet, der eine edizione definitiva, criticamente
illustrata etc. folgen sollte. Dies Versprechen hat er jetzt erfüllt in:
Frammenti delP Etica di Epicuro tratti da un papiro Ercolanese,
in: Museo Italiano di anticbitä classica diretto da Domenico Com-
paretti, Vol. I, Firenze 1885, S. 67-88.
Nach der beigegebenen Phototypie des Papyrus zu ermessen, war
es eine saure Arbeit, eine Zeichnung der Reste anzufertigen, die auch
auf einer zweiten Tafel beigefügt ist, und dann diese Ueberbleibsel noch
in verständlicher Weise zu ergänzen. Der gelehrte Philolog sagt selbst:
Ho posto la massima diligenza nel determinare il testo colla maggior
possibile sicurezza, ricercando gli errori dell' antico amannense, ritro-
vando i sovrapposti e le altre cause di allucinazione, e supplendo con
critica cautela, evitando ogni fantastica audacia. Soweit ich verglichen
habe, hat er seine Thätigkeit richtig geschildert. In dem kritischen
und erklärenden Commentar hat er sich auf das Nöthige beschränkt,
dies aber auch wirklich gegeben.
Dass die Fragmente von Epikur herrühren, hatte Comparetti schon
früher mit im ganzen überzeugenden Gründen dargethan, er wiederholt
dieselben jetzt und hält auch wohl mit Recht daran fest, dass die Bruch-
stücke der Epikureischen Schrift mpl alpsascov xat ipoyujv entstammen.
Wir finden so in diesen Fragmenten geradezu den Kernpunkt der Epi-
kureischen Ethik behandelt und festgestellt im Gegensatz zu der kyre-
naischen, und es muss uns die ganze Entdeckung Comparettis um so
werthvoller sein, als die bisher in den Papyri gefundenen Fragmente
Epikurs nur aus dessen Physik herrühren.
Einen Artikel von W. Scott, A newly identified fragment of Epi-
curus nepi <püaeojg im Journal of philology, XIII, 1886, S. 289 — 298,
habe ich nicht einsehen können, da mir das betreffende Journal hier
nicht zur Verfügung steht.
Die Probe einer Ausgabe der uns noch überlieferten Schriften
und Fragmente Epikurs mit Ausschluss der aus den herculanensischen
Rollen genommenen Fragmente des Werks nepl <püoews liegt vor iu
dem Index scholarum, quae — in Universitate Fridericia Guilelma Rhe-
nana per menses hibernos anni 1880 1881 habebuntur. Inest Epicuri
ab H. Usenero recogniti specimen, Bonnae. VIII S. 4.
Usener giebt hier den Anfang des Briefes an Herodotos nament-
lich auf Grund der besten italischen Handschriften, die Wachsmuth
früher verglichen hatte, zweier Pariser Handschriften und des ältesten
Laurentianus. Von der projeetirten Sammlung der Epikureischen Schrit-
ten und Fragmente waren, wie ich aus Natorp, Forschungen S. 209,
Anm. 1, ersehe, schon im Jahre 1884 21 Bogen gedruckt; dioelbeu
sind auch schon von Natorp mehrfach benutz! und citiert worden. Die
76 Epikur, Philodemos
Ausgabe ist aber bisher nicht im Buchhandel erschienen, und nun sehe
ich zu meiner Freude aus den Mittheilungen der Verlagsbuchhandlung
von B. G. Teubner, 1887, No. 2, dass jetzt sichere Aussicht auf Ver-
öffentlichung ist unter dem Titel: Epicurea ed. H ermann us Usener1),
und dass auch ein erschöpfendes Glossarium Epicureum hinzukommen
wird. Alle Freunde der alten Philosophie werden die längst erwartete
Arbeit des hochverdienten Forschers mit grösster Genugtuung and
Dankbarkeit begrüssen. Für das sachliche Verständniss der erhaltenen
Schriften Epikurs soll eine Beilage dienen.
Für einen Theil eines Briefes haben wir einstweilen von anderer
Seite eine Erläuterung erhalten :
Epikurs Brief an Herodot, 68 83, übersetzt und erläutert von
A. Brieger, Halle a. S. 1882. 28 S. 4. Progr. des Stadtgymnas.
Der um Lucrez so wohl verdiente Gelehrte hat uns hier eine treff-
liche Uebersetzung geboten und den Commentar, in dem sich sehr Gutes
findet, namentlich sachlich gehalten, worauf es ihm besonders ankam, da
er damit umgeht, für eine geplante grössere Lucrez -Ausgabe Epikur
wesentlich mit zu benutzen.
Der Theil einer Schrift des Philodemos ist neu herausgegeben,
nachdem schon Th. Gomperz in Hermes, Bd. 12, 1878, S. 223 — 225
die Probe einer Bearbeitung veröffentlicht hatte:
0tXüortiioQ Tiepl Saväroo J. Philodemos Ueber den Tod, viertes
Buch. Nach der Oxforder und Neapolitaner Abschrift herausgegeben
von Siegfried Mekler, Wien 1886. 52 S. 8.
Das von der Schrift bis jetzt allein aufgefundene vierte Buch ist
1848 nach der Neapolitaner Abschrift im 9. Bande der Herculanensia
Volumina, Collectio prior, veröffentlicht worden, freilich in sehr fragwür-
diger Gestalt, da einmal die Copie nicht genau angefertigt, und sodann der
Bearbeiter Ottaviani seiner Aufgabe nicht gewachsen war. Mekler wurde
nun dadurch, dass ihm Gomperz das ihm gehörende Facsimile der in
der Bodleiana sich befindenden Hayterschen Copie, die treuer ist als
die Neapolitaner, überliess, in den Stand gesetzt, sich der Herausgabe
zu unterziehen, bei der er noch »durch zahlreiche Ergänzungen — wie
durch werthvolle Nachweise im sachlichen und sprachlichen Gebiete«
von Gomperz unterstützt wurde, und hat so einen namentlich in den
letzten besterhaltenen Partien verhältnissmässig lesbaren Text geliefert.
Mängel an demselben, die sich besonders auf Nichtberücksichtigung der
Gesetze des Hiatus und der Worttrennuug am Zeilenende beziehen, hat
Herrn. Di eis in seiner Recension, Deutsche Literatur -Zeitung 1886,
S. 515 f. mit Recht gerügt; auch hat derselbe a. a. 0. einige Supple-
mente gegeben. — Die fast durchaus kritischen Anmerkungen Meklers
sind möglichst knapp gehalten.
l) Ende des Jahres 1887 erschienen.
Walter, Scott, Fragmenta Herculanensia. 77
Der Inhalt des Buches erinnert sehr an die Trostschriften des
Alterthums, indem namentlich das bekannte Epikureische Argument,
dass der Tod die Lebenden nichts angehe, gebraucht wird, und es ist
zu bedauern, dass C. Buresch nicht in der Lage gewesen ist, in seiner
früher (S. 43) besprochenen Schrift das Buch, wenigstens in dieser neuen
Gestalt, zu berücksichtigen. Er giebt aber zum Schluss seiner Abhand-
lung S. 142 — 164 ein Epimetrum de Philodemi -spl Bavdrou libro, in
welchem er eine Reihe von beachtenswerthen Verbesserungen bringt.
Das Programm von Georg Schmidt, Philoderaea, Beilage zum
Jahresbericht der St. Katharinenschule in St. Petersburg, 1885, ist mir
nicht zu Gesicht gekommen. Ich kenne dasselbe nur aus der Recension
von Hugo Landwehr in der Berliner Philologischen Wochenschrift,
1886, S. 1082 f., aus welcher ich entnehme, dass darin 25 Stellen der
Schrift mpc zuaeßei'ag in zum Theil gelungener Weise behandelt sind.
— Auf die Ausgabe der Epigramme Philodems von Georg. Kaibel,
Universitätsprogramm von Greifswald, sowie auf die Edition der Bücher
de musica desselben Autors von J. Kempke habe ich hier nicht ein-
zugehen.
Von grosser Bedeutung für die Kenntniss der in Herculaneum ge-
fundenen Papyri ist das Werk:
Fragmenta Herculanensia. A descriptive catalogue of the
Oxford copies of the Herculanean rolls together with the texts of
several papyn accompanied by facsimiles edit. with iutroduction and
notes by Walter Scott, Oxford, 1885. VII, 325 S. XLI. 8.
In der sehr instructiven Einleitung giebt Scott eine Art Geschichte
der Rollen seit ihrer Auffindung. Besonders interessieren uns hier die
Mittheilungen, dass John Hayter auf Veranlassung des damaligen Prin-
zen von Wales, später Königs Georg IV, von 1802 bis 1806 Leiter des
Aufrollens und Copierens der Papyri war, und dass er nach der fran-
zösischen Invasion die angefertigten Bleistiftcopien und die Stiche von
der Schrift r.spl havä-wj und von dem Carmen Latinum de hello Actiaco
mit nach England nahm, wo sie der Universität Oxford eiuverleibt wur-
den. Hiernach erfolgten in England die Veröffentlichungen, zuerst ein
Stück von ns.p\ eijozßtiag, später die beiden Theile der Herculanensia
Volumina zu Oxford, in denen jedoch von den etwa hundert Copien uur
sieben herausgegeben sind. Auch die beiden Neapolitaner Collectiones
bespricht Scott in richtiger Scheidung ihrer Werthes. Was die aufge-
fundene Bibliothek selbst betrifft, so huldigt Scott der Ansicht, dass
diese durch Philodemos selbst angelegt sei, und schliesst sich Comparetti
ferner an, wenn dieser (siehe La villa dei Pisoni e la sua biblioteca in
der Festschrift: Pompei e la regioue sotterrata de] Vesnvio, Napoli 1879»
dagegen Tb. Mommseu, Inschriftbüsten in der Archäologischen Zeitung
78 Walter, Scott, Kragmenta Herculanensia.
1880, S. 32 ff.) vermuthet, das Haus der Bibliothek sei das des Calpurnius
Piso Caesoninus. Beide Meinungen scheinen mir freilich sehr anfechtbar.
Auf die Einleitung folgt S. 19-52 Katalog und Beschreibung der
Oxforder Facsimiles, womit Scott eine Ergänzung von Comparettis Be-
schreibung der Neapolitaner Copien geben will, siehe Relazioue sui
papiri Ercolanesi, Roma 1880 von Comparetti und Villa Ercolanese dei
Pisoni von Comparetti e de Petra, Torino 1883, welch letzteres Werk
ich leider nicht habe einsehen können. Und zwar ist dieser Katalog
Scotts ein doppelter: in dem ersten beschreibt er alle die Oxforder
Facsimiles in der Ordnung, wie sie sich in sieben Bänden finden; in
dem zweiten, mit dem Titel Groups of connected rolls, stellt er gewisse
Papyri, die Theile desselben Werks sind oder doch einen ähnlichen In-
halt haben, in fünf "Gruppen zusammen: 'Emxoupoo nepl (füaewg , Bio-
graphical rolls, 0tlobrtpoo ns.pi xaxtcuv xai rujv dvTixztpzvujv dperatv,
nepi no^pä-iüv, nepl ßqToptxijs, und giebt zugleich genau an, was von
diesem Material schon veröffentlicht, und wo dies geschehen ist. Hier-
auf folgt der Text einer Anzahl Papyri mit kritischen und erklärenden
Anmerkungen, bei l) und 2) unter Zugabe einer Nachbildung der Ox-
forder Copien, nämlich: 1) Pap. 157 — 152. (Ddoorjtiou mpl Usw\> ötayw-
yrjg, 2) Pap. 26. 0cXo8rjpou nepl Bewv «',3) Pap. 19 — 698 (nepl alo&r)-
aewg'i), 4) Pap. 1013 {Trept pawop.ei'ajv?), 5) Pap 862 {xzp\ padyaeejs?),
von denen die drei letzten überhaupt noch nicht veröffentlicht waren.
Um die Herstellung des Textes hat sich Scott entschiedene Verdienste er-
worben und auch zum Verständniss des Sachlichen viel beigetragen.
Zum Schluss fügt er noch die Hayterschen Stiche von Philodemos' nepl
&avd-ou und des Carmen Latinum hinzu. Uebrigens bleiben von beiden
Rollen einige Fragmente, die nicht von Hayter mit gestochen waren,
noch unveröffentlicht. — Siehe auch die anerkennende Besprechung
dieses Werkes von Fried r. Blass in den Göttinger Gelehrten An-
zeigen, 1886, I, S. 537-540.
Gehen wir jetzt auf die Schriften über Epikurs Lehre und die
Epikureische Schule ein, so habe ich einen Nachtrag für den Jahresbe-
richt 1880 zu liefern, nämlich:
A. Conti e G. Rossi, Esame della Filosofia Epicurea nelle sue
fonti e nella storia, Firenze 1879. 264 S. 8.
Aus den philosophischen Vorlesungen und Uebungen Contis ist
dies Buch entstanden; deshalb die zwei Namen auf dem Titel; das
Hauptverdienst bei der Abfassung desselben schreibt aber Conti seinem
Schüler Rossi zu. Die Arbeit ist zur Einführung in die Epikureische Philo-
sophie nicht ungeeignet, bringt aber in keiner Weise, soweit ich ge-
sehen habe, neue wissenschaftliche Resultate, stellt auch in keinem
Punkte genauere Untersuchungen an. Manches für das Epikureische
System Charakteristische wird sogar darin übergangen. Nach allge-
Epikureische Philosophie. 79
meiner gehaltenen Capiteln über die Vorläufer Epikurs, über Epikur
selbst, über die die seiner Philosophie zu Grunde liegenden Gedanken,
über die historischen Quellen derselben, wird der Inhalt der drei uns
bei Diogenes überlieferten Briefe Epikurs angegeben, dann werden die
Fragmente Epikurs besprochen, und nachdem wiederum allgemeine Be-
merkungen über Lucrez vorausgeschickt sind, folgt in sechs Capiteln der
Inhalt der sechs Bücher des Lucrezischen Gedichtes. Die besondern
Capitel über den Epikureismus in Griechenland und Rom sind dürftig,
ebenso der Schluss, der auf den Epikureismus zur Zeit der Renaissance,
bei Gassendi und in der modernen Wissenschaft kurz eingeht. Die ein-
zelnen physicalischen Lehre sind im ganzen richtig gewürdigt; wenn
aber zum Schluss das Urtheil über Epikur dahin lautet, dass der Physik,
namentlich dem Atomismus desselbeu manche Schulen der Gegenwart
huldigen könnten, während seine Moral von keiner modernen Schule an-
genommen werden würde, so kann man nur dem ersten Theil desselben
zustimmen.
Auf das Ganze der Epikureischen Lehre geht:
De philosophia Epicuri. Diss. inaug., quam — scripsit Herrn.
Pachnicke, Halle 1882. 48 S. 8.
Der Verfasser greift nicht einzelne Punkte zur besondere Unter-
suchung oder Klarstellung heraus, sondern behandelt die drei Theile
der Epikureischen Philosophie nach einander, am ausführlichsten die
Ethik, und giebt sich Mühe, den Epikur in vortheilhaftem Lichte er-
scheinen zu lassen, ihn von manchen scheinbaren Widersprüchen zu be-
freien und seiner Lehre gemachte Vorwürfe zu entkräften. Dass ihm
dies nicht durchweg gelungen sein kann, erhellt schon aus der Kürze
seiner Arbeit. — Die Abhandlung liest sich gut; doch habe ich Neues
in ihr nicht gefunden.
Ebensowenig werden wir in die Tiefe und die Bedeutung der
Epikureischeu Lehre eingeführt durch eine audere Arbeit:
Ueber griechischen und römischen Epikureismus von B. Schwen,
Programm der Realschule 1. Ordnung zu Tarnowitz, 1881. 20 S. 4.
Der Verfasser will den Epikureismus in der richtigen Weise wür-
digen und meint, dass die abfällige Beurtheilung desselben grössteu-
theils beruhe auf einem mangelnden Verständnis der Verhältnisse, Hüter
denen sich diese Lehre gebildet und ausgebreitet habe. Nun diese
könnten immer berücksichtigt werden, ohne dass man der Richtung, ab-
gesehen von dem Anerkennen der geschichtlichen Berechtigung /u ihrer
Zeit irgend welchen Beifall zollte. — Uebrigens scheint Schwen selbst
manches sehr Bedeutungsvolle in der epikureischen Lehre, sowie manche
Hauptvertreter derselben, z. B. den Philodemos, gar nicht zu kennen.
80 Epikureische Philosophie.
oder hält sich absichtlich ihrer Erwähnung fern. — Eigentlich wissen-
schaftliche Forschung finden wir in dem Programm nicht.
Nicht eine Darstellung, vielmehr eine Kritik der bisherigen Dar-
stellungen der Physik Epikurs sind:
Einleitende Bemerkungen zu einer Untersuchung über den Werth
der Naturphilosophie des Epikur von Dr. Paul von Gizycki.
Wissenschaftliche Beilage zum Programm des städtisch. Progymnasiums,
Berlin 1884. 26 S. 4.
Der Verfasser hat aus seiner Vorliebe für Epikur schon in seiner
Dissertation kein Hehl gemacht, siehe den Jahresbericht aus dem Jahre
1880, S. 25 f. In dem vorliegenden Programm bringt er nun einige Be-
merkungen über die Methode, die allein eine gerechte Beurtheilung der
Epikureischen Physik ermögliche, Bemerkungen, die natürlich überhaupt
für geschichtliche Darstellungen der Philosophie gelten sollen. Er spricht
da zuerst über die subjeetive Darstellung der Geschichte der Philoso-
phie, die darin bestehe, dass der Historiker seinen eigenen metaphy-
sischen Standpunkt an die Arbeit heranbringe und ihn zur Norm bei
der Beurtheilung mache. Diese Methode verdeutlicht Gizycki nun an
der Art, wie Hegel, Ritter und Zeller Epikur behandeln, und es lässt
sich nicht leugnen, dass bei diesen dreien, bei Ritter am meisten, bei
Zeller am wenigsten, der eingenommene Standpunkt das Urtheil zu stark
beeinflusst hat, so dass es kein durchaus gerechtes genannt werden
kann. Dieser Methode setzt dann der Verfasser die objeetive Darstellung
der Geschichte der Philosophie als die zu befolgende gegenüber, die im
wesentlichen darauf hinauslaufe, dass der Inhalt der einzelnen Schriften
möglichst in dem Zusammenhange, wie ihn der Autor selbst geboten
habe, wiedergegeben werde. Er verhehlt sich aber selbst nicht, dass
sogar bei diesem Verfahren Zu- oder Abneigung für einen bestimmten
Philosophen Subjectives in die Darstellung von dessen Lehre hinein-
bringen kann. Auf andere Mängel dieser Methode kann ich hier nicht
eingehen ; ich will nur noch bemerken, dass Giiycki mit Recht statt der
subjeetiven Kritik das Urtheil der Geschichte selbst verlangt, d. h. es
soll der Darstellung der Lehre des Philosophen eine auf Thatsächliches
gegründete Geschichte der Entwicklung seiner Gedanken folgen. Epikur
würde bei dieser Art von Kritik mit seiner Naturphilosophie sich nicht
schlecht stehen.
Einen nicht unwichtigen Punkt in der Epikureischen Physik betrifft :
The physical Constitution of the Epicurean Gods by W. Scott,
in The Journal of Philology, Vol. 12, 1883, S. 212-247.
Es dreht sich hier besonders um die Auslegung von Cic Nat.
D. I, 49, in welcher der Verfasser sich an Bachelier (siehe Revue de
philol. 1877, S. 264) anschliesst. Er kommt dabei zu folgenden Re-
Epikureer, Philodemos. 81
sultate: Die Götter sind zwar materiell, aber von einer viel feineren
Textur als die menschlichen Körper oder sonstige tastbare Dinge. Sie
haben keine materielle sondern nur formale Identität, d. h. der Stoff,
aus dem sie gebildet werden, wechselt fortwährend, wird immer durch
neuen ersetzt, während die Form allein unverändert zurückbleibt. Sie
werden zu Stande gebracht durch stetige Aufeinanderfolge von Bildern
»or material films« von sehr ähnlicher Form, welche aus der unend-
lichen Masse der Atome zuströmen und in ihrem Zusammentreffen für
einen Moment das Sein der Götter bilden; dann strömen sie wieder
nach allen Richtungen auseinander, treten in die Menschen ein und
bringen so die Vorstellungen von den seligen und ewigen Wesen her-
vor, deren Körper sie für einen Moment mit gebildet haben, und deren
Form sie noch tragen. Siehe auch Fragmeuta Hercul. desselben Ver-
fassers S. 196 f. Zur Bestätigung seiner Autfassung zieht Scott Stelleu
aus Philodemos itepi euaeßeeag und xe[A Hsujv Siayajy^g heran, an deren
Interpretation er sich mit Glück versucht. — Schwierigkeiten in der
Lehre von der Materialität der Götter bleiben freilich bei der Auffassung
Scotts noch zurück, so sehr wir auch seinen Scharfsinn anerkennen
mögen.
Eine schätzbare Arbeit ist:
De Philodemi libro qui est: nepl arjfieiatv xa> ayjfieuoaewv et Epi-
cureorum doctrina logica. Diss. inaug. quam — defendet scriptor
Robertus Philippson, Berol. 1881 (Druckfehler: 1831). 78 S. 8.
Den Gedankengang der betreffenden Schrift des Philodemos bat
früher schon Bahnsch in klarer Weise dargelegt (siehe Jahresber. 1880,
I, S. 29 f.). Der Verfasser vorliegender Dissertation hat sich seine Ziele
etwas weiter gesteckt, indem er von Philodemos ausgehend den Zusam-
menhang der Lehre Zenons, die bekanntlich von Philodemos dem Wesen
nach vorgetragen wird, mit der des Meisters Epikur und anderer Schulen
verfolgen will. Nachdem er zunächst de libri forma et dispositione ge-
sprochen hat, wobei er zu dem Resultate kommt, dass der uns erhalte-
nen Widerlegung der Stoiker auch noch ein positiver Theil vorausge-
gangen sei, und dass die Schrift Dicht zum Zwecke der Veröffentlichung,
sondern zum Privatgebrauch des L. Galpurnius Piso verfasst worden sei,
nachdem er ferner einige Stellen, namentlich zwei Fragmente aus dem
ersten Theile nach Möglichkeit wieder hergestellt bat, geht er auf die
Kanonik Epikurs ein, und er führt den Beweis dafür, dass Epikur in
seiner »Kanon« betitelten Schrift alle Eindrücke der Seele aia&yaste
genannt, nachher aber, nachdem er einen eigenen Theil der Seele,
Stdvoca, für das Zustandekommen dieser Eindrücke angenommen, die-
selben als tpoLvraaiat bezeichnet und unterschieden habe «wischen r St1
alo&yoeujG (pavTaala oder aiodr]Oi$ und ij duAvoijTtxy paveaofa oder ..
raartx^ imßoty rijedtavofas (wie Träume und Vorstellungen Wahnsinniger)
labreiberichl fUi Uterthom bf i. iiss: i i ii
82 Epikureer, Skeptiker.
Durch Annahme dieser Aenderung j;i»iknis selbst heben sich die Diffe-
renzen, die sich Jon ' in seiner Lehre vom Kriterium zu finden scheinen.
Wenn Philippson weiter sagt, die Qualitäten inhalierten den Körpern
nicht, sondern seien nur Formen, anter denen die Dinge von den Sinnen
aufgefasst winden , so isl zu vergleichen die bald zu erwähnende Ab-
handlung Natorps.
In dem Capitel de Zenonis doctrina logica schreibt er diesem Epi-
kureer al> speeifisch die xa&' Sfiotov fierdßaoig zu, eine transitio a
rebus similibus significantibus de rebus abditis et quae similitudinem cum
illis possideant Es wird dieser Sehluss ebenso für die npoefievovra
wie für die wirklichen ädtjXa gebraucht. Der Unterschied zwischen der
i-ayojyr, und diesem modus simililudinis sei, meint der Verfasser, der,
dass die erstere von Einzelnen auf Allgemeines, der letztere von Ein-
zelnen durch Allgemeines auf Einzelnes wieder schliesse. So sei denn
diese neue Art bei Zenon das, was wir jetzt in der Logik Analogie-
schluss zu nennen pflegen. Mir ist es freilich nicht sicher, dass es nur
auf diesen bei Zenon hinauskommt. -- Die Quellen für die Neuerungen
Zenons findet Philippson namentlich bei den Empirikern, wobei er noch
untersucht, wie die Uebereinstimmuug der epikureischen Kanonik mit
den Empirikern zu erklären sei; er führt diese auf eine gemeinsame
Benutzung des Nausiphaues zurück, der selbst wieder stark auf Aristo-
teles hinweise. — Einen interessanten Gegenstand behandelt das Capitel
de signorum memoria. Die Lehre von den Zeichen spielte eine Rolle
bei den Stoikern wie bei den Epikureern, und Skeptiker kämpften auf
das heftigste gegen sie. Sextus kennt das ayfiscov Imoiivijazixo^ durch
welches ~b. nobg xaipbv aorlo., und das ayfiecov ivdsixzcxov, durch welches
za if'jGzi ädyAa erkannt werden sollten Philippson meint, Erfinder des
ivdeixrtxöv seien die logischen, die des bno[iv7)<jTixa» — quum praesertira
id Sexto et quod veri simile est aliis Scepticis probatum esse sciamus —
die empirischen Aerzte gewesen. (Siehe übrigens hierzu den Aufsatz
Natorps über die Erfahrungslehre der Skeptiker.) Die stoische Lehre
von den Zeichen bringt Philippson mit Recht mehr in Verbindung mit
Aristoteles und den Rhetoren.
Sehr beachtenswerthe Beiträge zur Kenntniss der empirisch-skep-
tischen Richtung in der griechischen Philosophie bieten die
Forschungen zur Geschichte des Erkenutnissproblems im Alter-
tbum. Protagoras, Demokrit, Epikur und die Skepsis von Dr. Paul
Natorp, Privatdocent an der Universität Marburg, Berlin 1884. VII,
315 S. 8.
Der gelehrte Verfasser hat mit grosser Genauigkeit und auch
Scharfsinn gearbeitet, und wenn manche seiner Resultate auch anfecht-
bar sind, so ist andererseits sehr anzuerkennen, dass er betreffs der
Behandlung der erkenutnisstheoretischen Probleme im Alterthum nicht
P. Natorp, Forschung, z. Gesch. des Erkenntnissproblems. 83
unwichtige Aufklärungen gegeben hat. Die sich auf die Skepsis bezie-
henden Aufsätze werde ich sehr bald zu erwähnen haben. Epikur und die
epikureische Schule, d. h. die Erfahrungslehre der Epikureer, bilden
das Thema für den fünften Aufsatz, S. 209-255. Epikur wird von Na-
torp mit Recht als reiner Sensualist dargestellt. Er soll zwar auch in
der Kanonik von Demokrit ausgehen, aber die Lehre Demokrits auf-
geben, nach der »die Sinne keine Wahrheit haben, blos subjective Er-
scheinung, nichts auch objectiv und an sich Vorhandenes darstellen«.
Die Wahrnehmung ist durchaus wahr, nimmt das Seiende auf, wie es
selbst seiner Natur nach ist. Der Unterschied zwischen primären und
secundären Qualitäten existiert nicht; »die sinnlichen Beschaffenheiten
sind wirkliche Existenzen, nicht nur Erscheinungen, sie sind nicht —
Substanzen wie die Körper, aber dennoch — wahre Beschaffenheiten an
den Körperu, denen sie inhärieren«. Dies letztere stellt Natorp auch
gegen die Auffassung Zellers fest.
Trotz seines Sensualismus kann Epikur doch auf eine rationale
Grundlage seines Atomismus nicht ganz verzichten, so dass es neben
den Sinnen auch einen Äofia/xog giebt. Freilich denkt er sich diesen
als sinnliches Vermögen , als sublimierte Wahrnehmung. Von die-
ser Iuconsequenz abgesehen, konnte das System im Gebiete der Erfah-
rung treffliche Dienste leisten und enthielt auch die Grundlagen zur
Theorie eines Erfahrungsbeweises, die dann in der Schule weiter be-
nutzt wurden. Freilich zeigt sich nach den Ausführungen Natorps auch
in dieser Weiterbildung bei Zenon noch der Grundfehler: Es wird mit
der unveränderlich beharrenden Wesenheit der Dinge, mit der unver-
änderlich beharrenden Gesetzlichkeit ihrer Veränderung, worauf der
Schluss nach der Uebereinstimmung der Merkmale beruht, etwas in
die Theorie gebracht, das sie nicht aus sich begründen konnte. Gegen
diese Fundamente richtete sich nun nach Natorp vor allen anderen
Ainesidemos.
Den Skeptikern hat man in den letzten Jahren mehrfach Auf-
merksamkeit zugewandt. Ich nenne zuerst die Arbeiten von:
Rud. Hirzel, Ursprung der Skepsis: a) Ursprung der pyrrhoni-
schen Skepsis, b) Ursprung der akademischen Skepsis, und die wei-
tere Entwickelung der Skepsis: a) Die Entwickelung der pyrrhoni-
schen Skepsis, b) die Entwickelung der akademischen Skepsis, S. 1
bis 251 des dritten Bandes der S. 46 ff. schon besprochenen Untersu-
chungen zu Ciceros philosophischen Schriften.
Ferner will ich hier sogleich nennen die Abhandlungen von
Paul Natorp, Aenesidem, Die Erfahrungslehrc der Skeptiker
und ihr Ursprung, Die Skepsis Aenesidems im Verhältniss zu Demo-
krit und Epikur, Kritischer Anhang, S. 1 02. 127 168, 256 — 2S">,
6«
84 R- Hirzel, Untersuchung, zu Ciceroa pbil. Schritten.
286—306 in den soeben besprochenen Forschungen zur Geschichte
<los Erkenntnissproblems im Alterthum.
Hierher gehört auch das Programm:
Die Tropen der griechischen Skeptiker, Cap. I — III <j. Von Dr.
Eugen Pappenheim, Berlin 1885. 24 S. i. Wissenschaftliche Bei-
lage zum Programm des Kölnischen Gymnasiums 1885.
Pyrrhon hat nun nach Hirzel wesentlich an Demokrit angeknüpft,
wie dies die Ueberlieferung schon angebe und daraus hervorgehe,
diese ältere Skepsis nicht dialektischer Art sei, unter den Zweifelsgrün -
den die Meinungsverschiedenheit nicht besonders betone, im wesent-
lichen nur die sinnliche Wahrnehmung bestreite, und dass ihre Ethik
auch auf demselben Grunde wie die Demokrits beruhe. Gegen diese
Aufstellung mit Ausnahme des letzten Punktes wendet sich Natorp, der
zwar auch einen bedeutenden Einfluss Demokrits auf die pyrrhonische
Skepsis anerkennt, aber mit Recht betont, dass dialektische Argumen-
tationen, ähnlich denen des Diodor, sich schon bei den ältesten Skeptikern
finden, und dass aus einem Nichtvorkommen in den zehn Tropen keines-
wegs auf ein Nichtvorkommen bei Pyrrhon und Timou zu schliessen sei.
Noch entschiedener ist die Herleitung Hirzels bestritten von Pappen-
heim in dem ersten Theil seines Programms, der vielmehr den Zusam-
menhang der skeptischen Ansicht mit den ävrdoyixo} Xoyot des Zeit-
alters der Sophisten (s. schon Plat. Phaid. 90 C) annimmt, indem er
aus den »sich widersprechenden Reden« die ino%y, das Princip der skep-
tischen Schule, hervorgehen lässt. Pappenheim legt dabei zu wenig Ge-
wicht auf den geschichtlich beglaubigten Zusammenhang des Urhebers
der Skepsis mit dem Demokritismus, hat aber mit Recht hervorgehoben,
dass man zu Pyrrhons Zeit allgemein das Bewusstsein von einer Fülle
der Widersprüche gehabt habe; dass dieses Bewusstsein nicht ohne
Einfluss auf Pyrrhon geweseu sei, ist glaubhaft, ohne dass dadurch eine
Abhängigkeit von Demokrit geleugnet zu werden braucht.
In seiner Darstellung der Entwickelung der pyrrhouischen Skep-
sis weist Hirzel darauf hin, dass Timon, hierin noch etwas dogmatisch,
eine Wahrheit anerkannte und diese zum Maassstab der unser Handeln be-
stimmenden Vorstellungen machte. Bei Ainesidemos hebt er besonders
hervor, und hierin stimmt ihm Natorp vollständig bei, dass dieser Skep-
tiker eine Verbindung zwischen der pyrrhonischen Skepsis und dem He-
raklitismus herzustellen suchte. Und , wenn man den Sextus nicht ge-
radezu als einen Lügner bezeichnen will, muss man nach Hypot. I, 210 ff.
trotz der gegenteiligen Ansicht von Zeller und Diels den beiden Ge-
lehrten Hirzel und Natorp Recht geben, ohne dass freilich die Schwierig-
keiten in dieser Frage vollständig gelöst wären. Denn das ist mir doch
zweifelhaft, ob, wie Hirzel und Natorp wollen, der heraklitische Dog-
R Hirzel, Untersuchung, zu Ciceros phil. Schrifteu. 85
matismus nur ein scheinbarer gewesen sei, indem Ainesidemos Sätzen
des Heraklit nur xazä <po.cvujj.evo\> zugestimmt habe. Natorp selbst will
auf die etwaige Frage, ob er seine Vermuthung für wahr und dem wirk-
lichen Sachverhalt entsprechend halte, sich bescheiden und mit seinem
Skeptiker erwidern: i-niyuj. Immerhin ist es doch ein Versuch, das
scheinbar Unvereinbare zu vereinigen. Nach Hirzel sollen die dogma-
tischen Aeusserungen nur allgemein angenommene Phänomene ausspre-
chen, auf die nicht nur das Wahre, sondern auch das Gute zurückge-
führt werde. Sehr unwahrscheinlich ist es mir, dass Ainesidemos auch
einen Ausgleich des Pyrrhouismus mit der kyrenaischen Lehre in Bezug
auf das höchste Gut versucht habe, wie Hirzel meint. Dagegen ist ohne
Zweifel richtig, dass Agrippa seine fünf Tropen nicht an die Stelle der
zehn des Ainesidemos setzte, sondern durch die ersteren, die einen mehr
dialektischen Charakter zeigen, die letzteren, die mehr empirischer Natur
sind, ergänzte. In späterer Zeit näherte sich die pyrrhonische Skepsis
der akademischen, wie sich dies nach Hirzel in der dialektischen Rich-
tung, namentlich schon bei Ainesidemos in der Benutzung platonischer
Argumente zeigt.
Was den Ursprung der akademischen Skepsis betrifft, so
ist Hirzel der Ansicht, Arkesilaos habe weniger an Pyrrbon als an So-
krates in der Dialektik ebenso wie in der Ethik angeknüpft, indem er
sich hierbei namentlich auf Cic. de fin. II, 2 und de nat. deor. I, 11
beruft. Es könnte nun aber möglich sein, und dies ist mir sogar das
Wahrscheinlichste, dass Arkesilaos, obgleich Pyrrhoneer, doch geglaubt
habe, seine skeptischen Ansichten schon durch Sokrates vertreten zu finden.
In ihrer weiteren Entwickelung nähert sich die akademische
Skepsis, wie Hirzel durchaus richtig darlegt, mehr und mehr dem Dog-
matismus. Bei Karneades zeugt für diese Hinneigung zum Dogmatismus
deutlich seine Einführung des rafravov, und bei Philon weist Hirzel zu-
treffend auf die stoisierende Richtung hin, indem er die Bemerkungen
des Ainesidemos bei Photios Bibl. cod. 212, auf Philon bezieht. Ich
glaube auch mit Hirzel, dass die Worte: ol d' drib zrtg 'Axadyp/ag, fidhara
rrjs vüv, xai UrwtxatQ au/i^dpovrac 86£eue xzX. den Philon mit charakte-
risieren sollen und nicht, wie Natorp meint S. 67 ff., 202 ff., den Antio-
chos. Es wird fortgefahren : oz>'>7z<>ov rrey} -oä/mv doyfiar^oufftv xrX.
Hier ist sicher Philon mit inbegriffen, aber eine Unterscheidung der hier
bezeichneten Persönlichkeiten von denen, welche mit den Stoikern über-
einstimmen sollen, ist gar nicht zu bemerken, so dass man den Philon
auch zu den letzteren zählen muss.
Um auf die einzelnen Abhandlungen der Schritt von Natorp, so-
weit sie die Skepsis direel betreffen, etwas einzugehen, so Bei zunächst
bemerkt, dass die Arbeit über »Aenesidem« eine Umarbeitung der im
Rhein. Mus. Bd. 38 S. 28 ff. schon gedruckten ist. Der Verfasser behan-
deil zunächst darin die Lehrzeil des Ainesidemos und bringt die Ansicht.
86 P- Natorp, Forschung, z. Gesch. des Erkenntnissproblems.
die ich auch schon vertreten habe, dass derselbe ein jüngerer Zeitge-
nosse des Antiochos gewesen sei und etwa 80 60 vor Chr. gelehrt
habe, zu grösserer Wahrscheinlichkeit. Er sucht diese Annahme auch
dadurch zu begründen, dass wir den Abschnitt bei Sextus, der zuletzt
eine Bemerkung über Antiochos bringt (Hypot. I, 220-235), dem Aine-
sidemos mit Sicherheit zuschreiben könnten. Ueberhaupt führt Natorp
die Berichte über frühere Philosophen bei Sextus zum grössten Theil
auf Aincsidemos zurück, so auch den Bericht über Heraklit, während
Hirzel für diesen, wie für den ganzen Abschnitt, der sich auf die Na-
turphilosophen bezieht, adv. dogm. I, 89 - 141, als Quelle einen Dog-
matiker, nämlich den Antiochos ansieht. Natorp hat mit grossem Scharf-
sinn diese ganze Quellenfrage behandelt, ohne dass freilich seine Re-
sultate über allen Zweifel erhaben wären. Ausführlich wird in der
Abhandlung noch das Verhältnis des Ainesidemos zu Heraklit bespro-
chen, das ich vorhin schon berührt habe, sowie seine Skepsis in Grund-
zügen und sein Wahrheitsbegrifl entwickelt.
In dem Aufsatze über die Erfahrungslehre der Skeptiker sucht Na-
torp gegen Philippson (s. oben S. 81 f.) nachzuweisen, dass dieselbe ihren
Ursprung nicht in den Aufstellungen der empirischen Aerzte habe, mit
denen sie allerdings übereinstimme, sondern vielmehr schon von Piaton
erwähnt werde, also zu dessen Zeit schon ihre Vertreter gehabt haben
müsse, unter denen Protagoras sicher der vorzüglichste gewesen sei.
Dass Sext. Hypot. II, 101 der Satz von üBev bis ixxaXuTzrixbv ~o~j lrr
yovrog interpoliert sei, wie Natorp annehmen muss, scheint mir aller-
dings auch das Wahrscheinlichste zu sein.
In der Abhandlung: Die Skepsis Aenesidems im Verhältniss zu
Demokrit und Epikur, weist Natorp zunächst ziemlich überzeugend nach,
dass Ainesidemos der Urheber der Beurtheilung der epikureischen Lehre
bei Sextus ist. Sodann wird auf der hergestellten Grundlage die Skep-
sis des Ainesidemos bestimmter gezeichnet. Und zwar soll in ihr theils
ein skeptisches, theils ein rationalistisches Element liegen, und das
erstere durch das letztere eingeschränkt sein. Der Xoyog hängt nicht in
seiner Giltigkeit von den Phänomenen ab, vielmehr bestimmt er ihnen
die ihrige. Eine logische Einsicht in das Wesen der Dinge soll nicht
möglich sein, aber wir können uns über die Wirklichkeit der Dinge
doch eine Vorstellung bilden und diese praktisch zu Grunde legen, wenn
wir die Phänomene beurtheilen. Wir dürfen diese Wahrheit blos denken,
ihr nur nachgeben als einem r.dBog. — Ob der Verfasser hiermit die
Skepsis des Ainesidemos nicht neueren Theorien etwas zu nahe gerückt
hat? Immerhin ist der Versuch, die Ansichten des Skeptikers zu recon-
struieren, sehr'' zu schätzen und wird gewiss dazu beitragen, die philo-
sophische Gestalt des Ainesidemos allmählich genauer festzustellen.
In dem zweiten Theil seines Programms behandelt Pappenheim
namentlich die überlieferten Gruppen der Tropen, freilich nur vor der
Skeptiker. 87
Hand die der neun und der zehn, welche letztere nach den zutreffenden
Ausführungen des Verfassers in der skeptischen Schule sich besonderer
Achtung erfreute und zugleich für uns heutigen Tags die lehrreichste
ist. Sonst ist noch die Ansicht Pappenheims bemerkenswert!}, dass die
Ueberlieferung bei Aristokles von den neun Tropen des Ainesidemos
die richtige sei gegenüber den Berichten des Sextus und Diogenes, die
ihm zehn zuschreiben. Ich möchte allerdings mit Hirzel a. a. 0. S. 113
Anm. den beiden letzteren in dieser Frage mehr Glauben schenken als
dem Aristokles, der über Ainesidemos nur einen sehr unvollständigen
Bericht bringt.
Mit Pyrrhon ausschliesslich beschäftigt sich ein Aufsatz:
Pyrrhon et le scepticisme positif par Victor Brochard in der
Revue philosophique, 19, 1885, S. 517—532.
Der Verfasser, der nicht sehr kritisch verfährt, hebt besonders die
praktische Seite bei Pyrrhon hervor, indem er sich auf Cicero beruft.
Nicht die ino%y, sondern die uoia<pofna sei bei Pyrrhon Hauptsache ge-
wesen, seine Nachfolger hätten umgekehrt aus dem Zweifel die Haupt-
sache, aus der Indifferenz etwas Nebensächliches gemacht. Wir wissen
bekanntlich von Pyrrhons Lehre sehr wenig, aber der Ansicht bin ich
auch, dass der praktische Gesichtspunkt für ihn der entscheidende war,
wie überhaupt in der späteren griechischen Philosophie, und dass der
Zweifel nur als Mittel zum Zweck diente. Und wenn Brochard seine
mit besonderer Vorliebe für Pyrrhon geschriebene Abhandlung schliesst:
il fut un ascete grec, so kann er auch damit Recht haben, aber die
Vorbilder für diese Asketik brauchte Pyrrhon nicht in Indien bei den
Gymnosophisten und Magiern zu finden, wie Brochard will, sondern
solche Asketen, wie er einer war, gab es auch in Griechenland.
Auf Sextus Empirie us gehen zwei Abhandlungen eines Gelehr-
ten, der sich schon früher mit den Skeptikern beschäftigt hat:
Leben des Sextus Empiricus von Dr. Lorenz Haas. Progr. der
Königl. Stildienanstalt Burghausen für das Schuljahr 1881/82, Burg-
hausen. 27 S. 8.
Die Schriften des Sextus Empirikus \on Dr. Loren/ Haas. Progr.
der Königl. Studienaustalt Burghausen für das Schuljahr 1882/83,
Freising 1883. 29 S. 8-
Ueber beide Gegenstände hatte früher E. Pappenheim Programme
geschrieben und ich habe über dieselben berichtet. Was nun die Le-
bensverhältnisse des Sextus anlangt, so sind wir darüber bekanntlich
sehr im Unklaren. Dass er im zweiten Jahrhundert höchstens bis in
den Anfang des dritten hinein gelebt, dafür hat man ziemlich sichere
Kriterien, und dies nimmt auch Haas an. Dann bringt er Gründe da-
ss Scxtii Bmpirii
für, dass er in Libyen geboren Bei, freilieb kann dies nur als Vermu-
thung gelten. 8icher scbeinl es mir dagegen, dass Sextus in Alexandria und
in Athen sich aufgebalten hat; dass er Kos einmal besucht, stehl mir schon
weniger fest. Zur Wahrscheinlichkeit hai b meiner Ansicht der
Verfasser erhoben, dass Sextus seine Schriften in Rom ?erfassi bat;
einer der Hauptgründe dafür isl der, dass man »bei uns« als identisch
mit »bei den Römern« ansehen muss Qebei das Verhältniss
tus als Arzt zu der empirischen Schule urtheill Baas, dass er empiri-
scher Arzt gewesen sei, dass er aber als echter Skeptiker für den skep-
tischen Arzt die Möglichkeil festgehalten habe, Methodiker zu sein, ja
dies unter Umständen für das Bessere ange ehen habe. In diesem Sinne
werden die betreffenden bekannten Meilen bei Sextus Hypotyp. I, 236,
II. Log, 327 f. und II. Log. 191, gedeutet. Ich möchte freilich immer
noch der Ansicht sein, dass Sextus zwar ursprünglich Empiriker g
sieb aber später den Methodikern mehr zugewendet habe.
In dem zweiten Programme gelangt Haas zu folgenden, soweit ich
sehe, annehmbaren Resultaten : Zuerst schrieb Sextus ein medicinisches
Werk über die Empirie, widmete sich aber später ganz der Darlegung
der Skepsis, und zwar verfasste er zunächst die r TnoTUTzwozig, dann ein
Werk über die Seele. Die ' Tixo-onibaciQ »commentierte er ihrem antirrhe-
tischen Theile nach in den Büchern gegen die Dogmatiker und fügte
als Ergänzung und als Abschluss der skeptischen Antirrhesis die Bücher
gegen die Mathematiker hinzu.« - Zum Schluss berichtet der Verfasser
noch in dankenswerther Weise über die Ausgaben, Handschriften und
deutschen Uebersetzungen von Schriften des Sextus, macht auch mit
Recht auf die Schwierigkeit der Conjecturalkritik gerade bei Sextus
aufmerksam.
Der Uebersetzung der ' Ytlototiüjgziq [lufjpwveioi des Sextus siud
gefolgt:
Erläuterungen zu des Sextus Empiricus Pyrrhoneischen Grund-
zügen von Eugen Pappen heim, Leipzig 1881. 290 S. 8. (Philos.
Biblioth. Heft 296-300).
Ich halte die Schrift des Sextus für sehr geeignet, um in die Phi-
losophie, namentlich die Erkenntnisslehre einzuführen, und sie ist dem-
nach auch Studierenden warm zu empfehlen. Das Verständuiss sowohl
des griechischen als des deutschen Textes ist durch die vorliegenden
Erläuterungen wesentlich erleichtert. So weit ich gesehen , ist in den-
selben nichts Wichtiges übergangen, namentlich finden sich überall die
gewünschten historischen Aufklärungen. Auf die schwierige Quellen-
frage geht der Verfasser weniger ein, dagegen behandelt er in einer
langen Erläuteruug — sie ist in ihrem Umfange von 25 Seiten eine
selbständige Abhandlung — die zehn Tropen der Skeptiker, woraus
ich nur die ansprechende weiter ausgeführte Vermuthang hervorheben
C. Wachsmuth, Sillograph. Graecorum Reliquiae. 89
will, dass die Skepsis bei Aufstellung der nicht rein subjectiven Tropen
den aristotelischen Kategorien folgte, ohne dass aber die Reihenfolge
der letzteren die der ersteren bestimmt hätte. Zur freien Benutzung
war Pappenheim ein Manuscript des verstorbenen Dan. Zimmermann
überwiesen, welches vorbereitende Arbeiten zu einer textkritischen mit
lateinischer Uebersetzung und Anmerkungen versehenen Ausgabe der
Grundzüge enthielt. Wo der Verfasser dasselbe verwerthet, giebt er es
stets an.
Ein kurzer Aufsatz ist hier noch zu erwähnen:
Die Kritik des Götteiglaubens hei Sextus Empiricus von K. Hart-
felder im Rhein. Mus. XXXVI, 1881, S. 227-234.
Man führt die Kritik des Götterglaubens in Buch IX advers. math.
in der Regel auf Karneades, dessen Ansichten Kleitomachos übermittelt
habe, zurück. Der Verfasser bringt nun bestimmte Gründe vor, welche
diese Abhängigkeit des Sextus noch sicherer stellen.
Beiträge zur Conjecturalkritik für Sextus liefert 0. Apelt im
Rhein. Mus., XXXIX, 1884, S. 27 33.
Hier ist auch der Platz einer Ausgabe der Sillographen zu ge-
denken, unter denen bekanntlich Timon der vorzüglichste ist:
Sillographorum Graecorum Reliquiae. Recogn. et enarrav. Cur-
tius Wachsmuth. Praecedit commentatio de Timone Phliasio cete-
risque sillographis, Lipsiae 1885. 214 S. 8.
Bekanntlich hat Wachsmuth im Jahre 185H als Gratulationsschrift
zu Welckers sojährigem Professorenjubiläum ode Timone Phliasio cete-
risque sillographis Graeeis« veröffentlicht. Fr sagt selbst von seiner
jetzigen Arbeit: Nunc ego opusculum quod peradulescentulus inchoa-
bam emendavi ut potui et auxi ut debui. Ueber Leben, Schriften und
namentlich die Sillen Timons handelt er ausführlich, dann besprichl er
den Xenophanes als Sillographen, die kynischen Sillographen und die
griechischen Autoren menippeischer Satiren. Bierauf folgen die Frag-
mente der Sillographen, des Timon, des Kenopha Krates und
des Bion. Neue Fragmente sind nicht hinzugekommen, dagegen sind
die kritisch sein- genau behandelten Bruchstücke, «leren Verständniss
theilweise Schwierigkeiten bietet, jetzt von duer sachlichen, ausse
deutlich verdienstlichen Erklärung begleitet, die ebenso wie die einlei-
tende Commentatio von gründlichster Gelehrsamkeit zeugt und eine
grosse Zahl feiner und aufklärende! Bemerkungen bringt. Dei
brauch des Buchs ist wesentlich erleichtert durch die mit grossei i
nauigkeit angefertigten Register, einen index vocabulorum &ita$ slprj/ie-
\>o>\>, einen index scriptorum und einen index rerum.
90 J. .Jensen, Apollonius von Tyaii.i
Unter den Ncupythagoreern bewährt Apollonios immer Doch seine
alte Anziehungskraft:
Apollonius von Tyana und sein Biograph Philostratus. Von Dr.
Julius Jessen. Hamburg, Progr. der Gelehrtenschule des Johan-
neunis. 36 S. 4.
Der Verfasser geht auf die Biographie des Apollonius, wie sie
uns bei Philostratos vorliegt, ein, indem er meist referiert und Bemer-
kungen theils erklärender, theils kritischer Natur dazu macht. Er
meint, dass die der Kaiserin Julia Domna übergebenen Berichte über
Apollonios, die von Philostratos dem sonst unbekannten Damis, in der
Biographie Begleiter des Philosophen, zugeschrieben werden, auf Grund
der Briefe des Apollonios unter Zuhilfenahme eines griechischen Ro-
mans — daher das viele Fabelhafte und Wunderbare — verfasst seien,
und dass Philostratos sodann entsprechend dem Auftrage seiner Kaise-
rin die Redaction dieser Papiere übernommen, dabei aber materiell
nichts hinzugesetzt, wohl aber vielfach durch Anspielungen und Remi-
niscenzen ausgeschmückt habe. Ich möchte dem Philostratos auch einen
materiellen Antheil nicht absprechen, da gar Manches in der Biogra-
phie auf Jemanden, der den Apollonios begleitet haben will, kaum zu-
rückgeführt werdeu kann. Doch lässt sich darüber mit Sicherheit nichts
ausmachen. Eine beabsichtigte Parallele zwischen Christus und Apollo-
nios nimmt Jessen nicht an, dagegen eine solche zwischen Pythagoras
und Apollonios, die schon häufig bemerkt worden ist und auch sicher
statuiert werden kann, ohne dass man die Beziehung zu Christus in Ab-
rede zu stellen braucht — der Vergleichungspunkte ergeben sich un-
gezwungen gar zu viele - , und ebenso ist entschieden eine Gegenüber-
stellung des Neupythagoreismus und Stoicismus beabsichtigt. Es soll
das Ideal des alten Pythagoreismus im Neupythagoreismus wieder er-
reicht oder noch übertroffen sein und nun dieser Neupythagoreismus
selbst als das Vorzüglichere dem Stoicismus und Christenthum gegen-
über sich darstellen. — Jessen nimmt zu viel Historisches in dem Ro-
man an, wie er auch auf die Briefe, die unter dem Namen des Apol-
lonios uns überliefert sind, zu grosses Gewicht legt, und lässt die Ten-
denz zu wenig vorwalten. In Folge dessen malt er auch in dem Schlüsse
des Programms die historische Gestalt des Apollonios mit zu unfreund-
lichen Farben; wir wissen viel zu wenig Sicheres über die Persönlich-
keit, um über sie abzusprechen.
A. Dumeril, Apollonius de Tyaue et letat du paganisme dans leg
Premiers siecles de l'ere chretienne. In Anuales de la Faculte des
Lettres de Bordeaux, Tome V, 1883, S. 133-167.
In Betreff des uns überlieferten Lebens des Apollonios spricht es
der Verfasser als wahrscheinlich aus, que la legende d' Apollonius a ete
A. Dumeril, Apollonius de Tyane. 91
une oeuvre collective. Apollonius lui meme peuty avoir eu part. Non qu'il
ait ete un charlatan et un imposteur habile ä faire des dupes. Mais
l'amour-propre rend credule. A., eu voyant la foule s'empresser autour
de lui et le consulter comme un oracle, ne fut-il jamais tente de se
considerer comme un etre superieur ä l'humanite? Seine Schüler fassten
dann das Wunderbare als den eigentlichen Kern aller ihrer Erzählun-
gen über ihn auf; dazu kam, dass die Orakel deu Ruhm des Philoso-
pheu bedeutend vergrösserten, und ausserdem vergass Philostratos die
Gewohnheiten seines Metiers als Rhetor nicht und wollte auch der Kaiserin
Julia gefallen. Endlich war Apollonios Pythagoreer, und schon seit alter
Zeit waren die grossen Pythagoreer mit Wundern umkleidet worden.
Es haben diese Momente, abgesehen von den Orakeln, deren Sprüche
sich, soviel ich weiss, nur auf Philostratos selbst stützen, gewiss zur
Gestaltung des Bildes bei Philostratos beigetragen, aber sicherlich haben
noch bestimmte Tendenzen mitgewirkt, um die einzelnen Züge zu geben.
Diesen trägt Dumeril auch Rechnung, wenn er meint, zwei Versuche,
die heidnische Religion wieder zu kräftigen, seien für die ersten Jahr-
hunderte nach Chr. zu constatieren: der eine habe zu Urhebern die
Kaiser gehabt und bestehe darin, den traditionellen Cultus zu heben
und die, welche die officielle Religion von sich wiesen wie Staatsver-
brecher zu verfolgen, der andere Versuch sei geradezu personificiert in
Apollonios und stütze sich auf die Philosophie, auf Einführung einer
reineren Moral und auf einen Synkretismus, aus dem das Christenthum
selbst nicht immer ausgeschlossen gewesen sei. Die beiden Richtungen
hätten sich dann vielfach verbunden, namentlich unter den syrischen
Kaisern, und hier geht nun Dumeril so weit zu sagen, Apollonios, ob-
gleich schon über ein Jahrhundert todt, sei der eigentliche Gesetzgeber
für den römischen Cultus während ihrer Herrschaft gewesen. Er über-
schätzt hier die Verehrung, die dem Apollonios allerdings von manchen
Seiten zu Theil wurde, weitaus in ihren Wirkungen; man muss beden-
ken, dass in dem Sanctuarium des Alexander Severus neben Apollonios
auch z. B. Abraham seinen Platz fand. Richtig ist es, dass Apollonios
als sittlich-religiöser Reformator auftrat oder wenigstens für einen sol-
chen mit der Zeit galt, aber dass seine allmählich mythische Persön-
lichkeit einen tieferen und weiter greifenden Einfluss auf das religiöse
Leben ausgeübt habe, lässt sich durch nichts beweisen. — An dem
philostratischen Leben des Apollonios hätte der Verfasser viel stren-
gere Kritik üben und namentlich dabei die deutsche Litteratur, so vor
allem die gründliche und scharfsinnige Abhandlung von Baur nicht ver-
nachlässigen sollen.
Einen warmen Verehrer hat Apollonios in dem neueston Ueber-
setzer seiner Biographie gefunden:
Apollonio von l jran i Galt u
Apollonius von Tyana aus dem Griechischen des Philostratus über-
Betzl und erläutert von Ed. Baltzer .Mit einer üebersichtskarte.
Rudolst. L883. 403 S. 8.
Die etwj [ehaltene Uebersetzang liest sich gut and i t, so-
weit ich gesehen, fast frei von Fehlern. Die Erläuterungen bieten nicht
gerade viel, erleichtern <!<'in Unkundigen aber doch das Verstände
In der Einleitung spricht ßaltzer über das Werk und seinen Verfasser,
den er, wie «lies ja mehrfach geschieht, für einen Neupythagoreer hält,
ferner über das Vaterland und die Vaterstadl des Apollonios In dem
»Nachwort zu Apollonius von Tyana« giebt er eine Würdigung des
Philosophen. Es ist die eigentliche Tendenz Baltzers, den Apollonios
als religiösen und sittlichen Reformator neben Christus, diesem womög-
lich gleich zu stellei . Beide hätten zu derselben Zeit gelebt, seien von
der gleichen göttlichen Art, auch ihr Ziel sei das gleiche gewesen,
nämlich Wiedergeburt der Menschen durch den Geist, der da heiligt,
sogar die Mittel zu ihrem Zweck seien vielfach dieselben gewesen. Nun
es ist dieser Versuch, der bekanntlich öfter schon gemacht worden ist,
nur ein Zeichen dafür, wie wenig Baltzer in die Tiefe des Christenthums
eingedrungen ist. Seine Vorliebe für den Neupythagoreer stützt sich
darauf, dass er selbst den Vegetarianismus lebhaft vertritt, wie dies aus
seinen sonstigen Schriften über philosophische Persönlichkeiten des
Altertbums hervorgeht. Er erhebt sich sogar zu einem Hymnus auf
seinen Helden, in dem er ihn »Stern unter Sternen« anredet. Recht
hat er mit der Ansicht, dass Apollonios nach der Darstellung des Damis
eigentlich ein Spiritist der neueren Art gewesen sei.
Mehrfach ist dem philosophischen Arzte Galen Aufmerksamkeit
zugewandt worden. Auf kritische Bemühungen um seine Schriften kann
ich mich hier freilich nicht näher einlassen. Es sei nur erwähnt, dass
von Iwan Müller erschienen sind Specimiua I. et IL novae editionis
libri Galeniani qui inscribitur 8n reug zoö acuparog xpdaemv al rijg
<p'->'/Ji? dovdfiecg 1-ovzac, Erlangen 1880 und 1885, deren Trefflichkeit
nach dem, was Iwan Müller schon für Galen geleistet hat, nicht noch
besonders dargethan zu werden braucht; ferner dass Georg Helmreich
die Schrift Galens nepl alpecrewv rote elaayop.£votg (im zweiten Bande der
Acta Seminarii philologici Erlangensis ed. Iwan Müller et Wölfflin 1881),
sowie de utilitate partium lib. IV, Pr. Augsburg 1886, herausgegeben
hat; sodann dass Galeni scripta minora, Vol. I ex rec. J. Marquardt,
Leipzig 1884, erschienen ist.
Näher scheint uns hier anzugehen:
Galeni qui fertur de partibus philosophiae iibellus primum edid.
Eduardus Wellmann, Berolini 1882. 36 S. 4 (Wissenschaftliche
Beilage zum Progr. des Köuigstädt. Gymnasiums. Ostern 1882).
Unter den Schriften Galens findet sich in der Laurentiana eine
mit dem Titel nepl cjocDv <pdooo<piag. Aus dieser Handschrift ist dann
Galen. 93
eine andere Pariser abgeschrieben. Die kleine Abhandlung, deren In-
halt sich der Hauptsache nach auf Mathematik und ihr nahestehende
Disciplineu bezieht, stimmt merkwürdig überein mit den Prolegomenis
des David (siehe Scholia in Aristotelem ed. Brandis 12aff., freilich hier
unvollständig abgedruckt) und mit dem Commentar des Ammonius Her-
miae zu den Quinque voces des Porphyrios. Die beiden betreffenden
Partien giebt Wellmaun zugleich hier mit heraus, und bei allen dreien
hat er, soweit ich sehen kann, die nöthige kritische Sorgfalt angewandt.
— Was er bei anderen Schriftstellern Aehuliches gefunden hat, fügt er
verdienstlicher Weise in der Adnotatio hinzu. — Dass die Abhandlung
nicht von Galen herrührt, bedarf keines ausführlichen Beweises; die
Gründe, die sicher dagegen sprechen, hat Wellmann in der Praefatio
kurz augegeben. Die Urschrift, die also auch David und Ammonius aus-
geschrieben haben, ist von einem Neupythagoreer, vielleicht Xeuplatoni-
ker verfasst. Dass wir durch die Veröffentlichung dieses pseudogaleni-
schen Machwerks in unserer Kenntniss der alten Philosophie irgendwie
bereichert würden, kann man nach dem Gesagten nicht erwarten. Immer-
hin war aber die Herausgabe der Mühe werth.
Auf eine Abhandlung, die sich unter den Schriften Galens findet,
geht ein anziehender Aufsatz:
Ein Lehrgedicht des Plutarch (Echtheit von Galens Protreptikos.
- Versspuren. Galen und Plutarch. - Plutarch und Phaedrus)
von 0. Crusius im Rhein. Museum XXXIX, 1884, S. 581-606.
Die Hauptsache für uns ist hier, dass der Protreptikos trotz der
bedeutenden formellen Unebenheiten für echt erklärt wird, als Theii
einer Cohortatio ad medicinam, und wohl auch mit Recht. Er soll ent-
standen sein aus einem Buche des Skeptikers Menodotos, und ferner
soll der Verfasser in den iambischen und daktylischen Partien, die sich
bei ihm finden, ein Gedicht des Plutarch benutzt haben. Diese letzten
beiden Annahmen bestreitet entschieden A. Gercke in einem kleinen
Beitrage de Galeno et Plutarcho im Rhein. Mus. XLI. 1886, S. 470 471.
Mit der Philosophie der Mediciner, also namentlich der des Galen,
hat sich Emanuel Chauvet eingehender beschäftigt:
La medcciue Grecque et ses rapports ä la philosophie par
E. Chauvet, in der Revue philosophique , XVI, 1888, S. 233 263
La philosophie des medecins Grecs. Par Emanuel Chauvet.
Paris 1886 LXXX1X. 604 S. 8.
Derselbe Verfasser hat eine Reihe von kleineren Schriften ober
die Psychologie, Theologie, die praktische Moral Galens schon früher
veröffentlicht (siehe Jahresbericht 1875, S. 568), auch die Logik Galens
neuerdings behandeil in: Seances et travaux de l'Academie raorale et
94 B. Chauvet, La medecine Grecque.
politique, 1882, 2 und '6 (besonders erschienen Paris 1882. 51 S.j, und so
seine Vorliebe für die Medicin des Alterthnms, soweit diese philosophisch
isl , zu erkennen gegeben. In der zuerst genannten Abhandlung der
Revue philos. betont der Verfasser mit Recht, wie, abgesehen von der
ausschliesslich religiösen Medicin und der nur praktischen der Gymna-
sien, eine fortwährende enge Verbindung zwischen Medicin und Philo-
sophie wahrzunehmen sei. Dann geht er nach kurzer Erwähnung der
früheren medicinischen Schulen, namentlich nach zu kurzer des Alkmaion,
über auf Hippokrates, von dem er sagt: l'Hippocrate de la tradition
nest pas l'Hippocrate de la realite. C'est moins un individu qu'une
famille, moins une famille qu'une 6cole. C'est un cycle. Et il ne faut
pas oublier qu'en lisant Hippocrate, c'est l'ecole de Cos qu'on lit; qu'en
analysant la philosophie d'Hippocrate, c'est la philosophie de l'ecole de
Cos, qu'on analyse. Dieser Hippokrates ist Philosoph, aber ein medizi-
nischer Philosoph; er behandelt nicht die Logik im Allgemeinen, son-
dern eine medicinische Logik u. s. w. Auf die asklepischen Schulen
folgen dann die alexandrinischen: die dogmatische, empirische, metho-
dische. Alle diese drei haben nach Chauvet ihren Ursprung in Hippo-
krates und ihr natürliches Ziel und ihr glorreiches Ende in Galen. In
diesen beiden ist die ganze griechische Medicin beschlossen. Der letztere
ist freilich in vorzüglichem Sinne der medicinische Philosoph des Alter-
thums. Obgleich er in der Philosophie weitaus nicht so ursprünglich
ist wie in der Medicin , so herrscht bei ihm doch der Philosoph über
den Mediciner: Er macht es nicht wie die sonstigen Aerzte des Alter-
tbums, dass er von der Medicin zur Philosophie vorschritte, er geht
vielmehr von der Philosophie zur Medicin über, sowohl zeitlich als
logisch. — Gewinnt man auch aus der Abhandlung Chauvets keinen tiefern
Einblick in die gegenseitigen Beziehungen, und ist auch Manches dabei
übergangen, was eine Erwähnung verdient hätte, so bietet dieselbe doch
einen sehr brauchbaren Ueberblick, und ist namentlich bei dem Mangel
an Arbeiten über diesen Gegenstand um so schätzenswerther. Chauvet
meint selbst zu Ende seines Aufsatzes: das philosophische Element,
welches in der Medicin der Griechen wie ein edler Saft kreise, verdiene
eine besondere Darstellung in unsere Geschichte der Philosophie. —
Siebeck hat schon in seiner Geschichte der Psychologie diese Lücke
nach Möglichkeit ausgefüllt. Chauvet selbst hat dann später das
grössere Buch darüber erscheinen lassen, das mir leider hier nicht zu-
gänglich ist. Ich verweise nur auf die Recension von H. Siebeck in
der Berliner Philologischen Wochenschrift VI, 1886, S. 750-756,
worin Manches anerkannt, aber namentlich getadelt wird, dass die neue-
ren Forschungen, vor allen die deutscheu viel zu wenig benutzt seien,
und dass es dem Buche durchaus an philologischer Genauigkeit fehle.
Den Uebergang zu den Neuplatonikern mache ich mit der alexan-
drinischen Philosophie. Zu erwähnen ist hier:
Buch der Weisheit, Philon. 95
Senatore Francesco Perez, Sopra Filone Alessandrino e il suo
libro detto la Sapienza di Salomone. Saggio storico-critico, seguito
da una versione poetica del libro stesso e da una appendice, Palermo
1883. 200 S. 8.
Der Verfasser sucht, wie aus dem Titel hervorgeht, die schon im
Alterthum ausgesprochene Ansicht zu beweisen, dass Philon der Ver-
fasser des Buches der Weisheit sei, giebt zu dem Zwecke einige No-
tizen über Ursprung und Charakter des alexandrinischen Judaismus,
namentlich über Aristobulos, ferner über Jesus, den Sohn Sirachs und
den Ecclesiasticus, bringt dann eine Analyse des Buches der Weisheit,
in dem er zwei Theile unterscheidet, einen platonisch-griechischen (besser
vielleicht: stoischen) und einen jüdischen, geht dann auf Philon über,
dessen Lehre und allegorische Methode er in der Kürze darlegt, und
bespricht hierauf die Verfolgung der Juden in Alexandrien unter Caligula,
als dessen Bild in den Synagogen aufgestellt werden sollte, ferner die
jüdische Gesandtschaft an Caligula unter Führung Philons. Im Schluss-
capitel wird dann die Uebereinstimmung zwischen den Gedanken im
Buche der Weisheit und denen in den Schriften Philons betont, sowie
die eben erwähnten Ereignisse benutzt werden, um die Stücke im Buche
der Weisheit, die sich gegen den Götzendienst wenden, in ihrer Ent-
stehung zu erklären. Die Verschiedenheit der beiden Hälften ist nach
dem Verfasser dadurch entstanden, dass Philon zuerst seine Schrift auf die
ersten zehn Capitel beschränkt und später nach den bittersten Erfahrun-
gen der letzten Jahre seines Lebens dieselbe wieder aufgenommen und
vollendet habe. Allein dies ganze Verfahren entspricht der sonstigen
Schreibseligkeit Philons keineswegs. Ferner sind die Aehnlichkeiten
zwischen den Schriften Philons und dem Buche der Weisheit aus dem
gleichen Ideenkreise, der die alexandrinischen gebildeten Juden damals
überhaupt beherrschte, sehr leicht zu erklären; ausserdem tritt bei
Philon die Weisheit nirgends der Art in den Vordergrund wie im Buche
der Weisheit; und dass die Auslassungen gegen Götzendienst und Ge-
walttätigkeit in dem unmittelbaren Schmerze des erlittenen Unrechts
niedergeschrieben seien, ist deshalb unwahrscheinlich, weil die Ent-
stehung des Bilderdienstes in theoretischer Weise mit Ruhe geschildert
wird, siehe auch Zeller, V, 274. — Die Abfassuug des Buches durch
Philon ist mir daher nicht einmal wahrscheinlich, geschweige denn ge-
wiss geworden.
Für das Buch der Weisheit ist von Bedcutuug die Schrift Edm.
Pf 1 eider ers: Die Philosophie des Heraklit von Ephesus im Lichte
der Mysterienidee. Nebst einem Anhange über heraklitische Einflösse
im alttestamentlichen Kohelet und besonders im Buche der Weisheit
sowie in der ersten christlichen Litteratur, Berlin 1886. Dass sich in
dem merkwürdigen Buche stoische und platonische Elemente linden, ist
schon längst bekannt; ich selbst habe mehrfach Gelegenheit genommen,
;n; Buch der Weisheit, Pbilon.
das stoische darin zu betonen. Von vornherein konnte man nun an-
nehmen, dass der Verfasse] de Buches ebenso wie Pbilon aneb mit den
herakli tischen Philosopbemen bekannt and auch ebenso wieder
Genannte deutliche Spuren dieser Bekanntschaft zeige. Das ich dies
wirklich so verhält, hat Pfleiderer meines Erachten? mil Sicherheil nach-
gewiesen, wenn Ich ihm auch nicht in allen Einzelheiten beistimmen
kann, namentlich da nicht, wo bei Erwähnung der Mysterien das Buch
der W eisheil Rücksicht auf Heraklit nehmen soll. Gründe, die freilich nicht
voll überzeugen können, hat Pfleiderer für die Ansicht vorgebracht, dass
einige der pseudoheraklitischen Briefe, nämlicb i 7. von dem Verl
der Weisheil herrühren; sicher ist eine grosse Aehnlichkeit
in den Gedanken und auch in der zu Grunde liegenden Stimmung zu finden.
Nach einem Anisatz Pfleiderers: Die pseudoheraklitischen Briefe und ihr
er, im Rheinischen Museum, Bd. 42, 1887, 8. 153-103, sollen
demselben Verfasser auch die Briefe 8 und 9 und ebenso »mit be-
achtenswerter Möglichkeit« I 3 angehören. Jac. Bernays hatl
lieh ein ganz anderes Resultat gewonnen: Er glauhte für die neun
Briefe sechs Autoren annehmen zu müssen und setzte ihre Abi.'
iu das erste Jahrhundert nach Christi, oder theilweise noch später.
In seinem erwähnten Buche geht der Verfasser auch auf herak-
litische Anregungen bei den ersten christlichen Schriftstellern ein und
weist mit Recht darauf hin, dass die Grundgedanken Heraklits eine
zuerst »anziehende, später wenigstens für die Orthodoxen abstosseude
und ärgerliche Familienähnlichkeit mit den tiefsten Ideen eines specu-
lativ gefassten Christenthums« haben. Bei Einflüssen denkt er nament-
lich au Justinus, die kleiuasiatisch -syrische (jnosis und das Evangelium
Johannis. Die ersteren sind gewiss hier mit Recht zu nennen, ob das
letztere, ist mir zweifelhaft.
In einem Aufsätze: Heraklitische Spuren auf theologischem, ins-
besondere altchristlichem Boden inner- und ausserhalb der kanonischen
Litteratur, in den Jahrbb. für Protestant. Theologie, 14, 1887, S. 177 218,
geht Pfleiderer noch besonders auf die Naassener und den Brief an die
Epheser ein, als Beziehungen zu Heraklit aufweisend. Bei den Naasse-
nern ist dies wohl sicher anzunehmen, hingegen sind in dem erwähnten
Briefe die Hindeutungen auf den ephesischen Weisen wenigstens nur
schwer zu erkennen.
Mit einer pseudophilonischen Schrift beschäftigt sich:
Ueber die unter Philons Werken stehende Schrift: Ueber die
Unzerstörbarkeit des Weltalls von J. Bernays, in den Abhandlungen
der Königlichen Akademie der Wissenschaft zu Berlin aus dem Jahre
1882, Philos. bist. Klasse, Abhandlung III, Berlin 1883. 82 S.
Zu dieser Schrift, welche Bernays 187G in den Abhandlungen der
Akademie hei ausgegeben und übersetzt hatte, siehe Jahresbericht 1S80
Neuplatonismus. 97
S. 39, wollte er eine erläuternde Abhandlung erscheinen lassen. Nach
seinem Tode fanden sich einige Hefte vor, worin die Erörterung der
für die Geschichte der Philosophie werth vollen Schrift bis zum zweiten
Haupttheil derselben druckfertig vorlag, und diese ist hier veröffentlicht.
Ihr folgen noch Anmerkungen zum Text des Pseudophilou, die uns be-
sonders von Werth sind, soweit sie sich auf den zweiten, von Bernays
nicht mehr behandelten, Theil der Schrift bezieben. Der Verfasser der-
selben erscheint uns nach Bernays als peripatetischer Neupythagoreer,
der sich mehrfach mit den Piatonikern berührt, aber nicht als Neupia-
toniker zu bezeichnen ist, besonders die stoische Lehre von der i.x7iü-
fxjjaiq angreift und so in einer Blüthezeit des stoischen Einflusses gelebt
haben muss. Das alte Testament kennt er, gehört aber nicht zum
Judenthum. Da die Schrift so viel auf frühere Lehren Rücksicht
nimmt, hat Bernays Gelegenheit, Allerlei aus dem reichen Schatze seines
Wissens hervorzubringen, wovon ich nur auf Eins hinweisen will, auf
die Bemerkungen über die dem Lukaner Okellos zugeschriebene Ab-
handlung, die zur Zeit der Abfassung der pseudophilonischen Schrift
erst »vor Kurzem aus der neupythagoreischen Werkstatt auf den Bücher-
markt gebracht worden« sei.
Ueber den Neuplatonismus im Allgemeinen ist eine vortreff-
liche Abhandlung zu rinden iir dem Lehrbuch der Dogmengeschichte von
Ad. Harnack als Beigabe I, S. 663 — 681, die zuerst englisch ver-
öffentlicht war in der Encyclopaedia Britannica. Der Verfasser betont
hierin, dass in dem Neuplatonismus die »Sehnsucht des Menschen nach
einem Höheren zum Alles beherrschenden Princip der Welterklärung
erhoben sei«, dass diese letzte der griechischen philosophischen Lehren
nicht nur die absolute Philosophie, sondern ebenso die absolute Religion
sein wollte, dass aber der Neuplatonismus weder als Philosophie noch
als Religion entscheidende Bedeutung in der Geschichte gewonnen habe
sondern vielmehr als Stimmung, als Gefühl dafür, »dass es ein ewige:
höchstes Gut giebt, welches jenseit der äusseren Erfahrung liegt und
auch nicht das Intelligible ist«. Ich will nur zu dieser treffenden
Charakteristik bemerken, dass wir dasselbe ungefähr bei Philon schon
finden.
Wenig kann ich den nicht sehr klar dargelegten Ansichten zu-
stimmen, die sich finden in dein Vortrag:
Ueber die Bedeutung des Neuplatonismus für die Entwickelung
der christlichen Speculation von Prof. Dr. Mi che lis, in den Philo-
sophischen Vorträgen, herausgegeben von der Philos. Gesellsch, zu
Berlin, Neue Eolge, 8. Heft, Halle a. d. Saale 1885, S. 51— 74.
Michelis ist der Meinung, dass die christliche Religion an der
Entstehung des Neuplatonismus ihren Antheil habe, und weist dabei
namentlich auf Ammonios Sakkas hin, da dieser vom Christeothom
■Ifilirusbericht fllr Altertliuiiiswisseusclittft L. (1887. 1.) ~
98 Neupiatonismus. Plotin.
wieder zum Heidcnthum übergetreten sei. Wie nun für Michelle »der
Gedanke der Trinität als der formale Ausdruck für den Begriff (iottes
als des absoluten Selbstbewnsstseins, durch dessen schaffenden Willens-
akt die endliche Realität in dem Gegensatz des geistigen und des stoff-
lichen Sinns mit ihrer Verbindung im Menschen ihr Dasein und ihren
Bestand hat, einen unendlichen Inhalt bekommt«, so sei es auch bei
Plotin gewesen mit dem Begriff der absoluten Einheit, die er als das
Gute noch über den Gegensatz von Geist und Stoff setze, und zu der
sich der Mensch erbeben solle. In dem Begriffe Gottes aber, als der
absoluten Einheit, weiche Plotin von dem echten Sinne Piatons ab, wie
er auch den christlichen Trinitätsgedanken nicht erfasse. — Eine Be-
reicherung unserer Kenntniss des Neuplatonismus oder seiner directen
Einwirkung auf das Christentum hat uns Michelis mit seinem sehr
ßubjeetiven Verfahren nicht geboten.
Ein Aufsatz, der im Allgemeinen den Neuplatonismus betrifft, isi
hier noch anzuführen:
Eine platonische Quelle des Neuplatonismus von A. Gercke im
Rhein. Museum, 41, 1886, S. 266—291.
Der Verfasser weist nach, dass der Autor von der unter den
Werken Plutarchs sich findenden Schrift de fato, Chalcidius und Neme-
sios einen und denselben platonischen Schriftsteller benutzt haben, der
auch auf die Neuplatoniker entschiedenen Einfluss geübt hat. Es
schrieb dieser, wie Gercke meint, vor Albinus und Apuleius, welche ihn
kennen, und er gehört der platonischen Schule zu Beginn des zweiten
Jahrhunderts an. In der Logik ist er Aristoteliker, sonst vermischt er
platonische und stoische Elemente, wie dies ja bei den eklektischen
Piatonikern üblich war. Wirksam für die Folgezeit sind nach Gercke
fast nur seine mystisch-platonischen Speculationen gewesen.
Wenden wir uns nun zu den einzelnen Neuplatouikern!
Auf die Textesrecension Plotins von H. F. Müller aus dem Jahre
1878 (siehe Jahresbericht über die Jahre 1876 — 1880, S. 46 f.) ist eine
neue gefolgt:
Plotini Enneades praemisso Porphyrii de vita Plotini deque
ordine librorum eius libello edidit Ricardus Volkmann, Lipsiae
1883 und 1884. Vol. I, XXXIV, 350 S. Vol. II, LVL 524 S. 8.
Der Herausgeber bemerkt selbst in der Praefatio, dass er sich
zwar seit seinen Jünglingsjahren viel mit der Erklärung und Verbesse-
rung des Plotin beschäftigt habe, aber nie daran gedacht haben würde,
ihn zu edieren, wenn nicht die Teubnersche Buchhandlung, nachdem
die Kirchhoffsche Ausgabe vergriffen, ihn ersucht hätte, den Plotin in
der Bibliotheca Teubneriana wieder erscheinen zu lassen. Hauptsäch-
lich aus diesem Grunde, damit Plotin in der Sammlung nicht fehle, kann
Plotin. 99
die Ausgabe gerechtfertigt erscheinen. Volkmann erkennt selbst die
Vorzüge der Ausgabe Müllers an und meint nur, derselbe sei in der
Ausmerzung dessen, was er für Glosseme und Interpolationen gehalten,
etwas zu rasch gewesen. Er selbst hat die Handschriften nicht wieder
verglichen und geht namentlich von dem codex Mediceus (A) aus, nimmt
viele Verbesserungen anderer Gelehrter auf, tilgt die offenbaren Glosseme
und sucht seinestheils den noch übriggebliebenen verderbten Stellen auf-
zuhelfen, und es ist allerdings meines Erachtens ein Fortschritt gegen
die früheren Ausgaben zu bemerken. Der sehr kurze kritische Apparat
findet sich in der Vorrede. Mit vollstem Rechte hat Volkmann ebenso
wie Müller im Gegensatz zu Kirchhoff die Eintheilung des Porphyrios
beibehalten.
Für die Kritik des Textes der Enneaden ist es von Werth, den
Sprachgebrauch Plotins zu untersuchen. Ein tüchtiger Anfang ist hier-
zu gemacht in:
De usu praepositionum Plotiniano Quaestiones. Diss. iuaug. philol-
quam scripsit — Eugenius Seidel, Nissae 1886. 77 S. 8.
Nachdem der Verfasser zunächst die Stellen angegeben hat, in
denen er von der Eecension Volkmanns abweichen zu müssen glaubt,
handelt er in dem ersten, dem allgemeinen Theil, de praepositionum et
adverbialium praepositionaliüm vel casualium frequentia. de causis poly-
prothesis, de repetitione et commentatione, de cumulatione praepositionum,
de coniuuctione cum aliis particulis, de forma, de collocatione. Im zwei-
ten, specielleren aber längeren Theil geht er auf 7tpog genau ein und
bt handelt Partikel und Präposition nach allen Seiten in sehr gründ-
licher Weise. Dass hierbei zur Erklärung und Verbesserung des Textes
vom Verfasser Manches beigetragen wird, ist kaum nöthig zu erwähnen.
Brauchbare Vorschläge zu einigen Stellen in den Enneaden finden
sich in der Abhandlung aus den Christiania Videnskabsselskabs Forhand-
linger 1884, No. 5:
De locis quibusdam Plotinianis commentatus est M. J. Monrad.
Christiania 1884. 10 S. 8.
Um die Kenntniss und das leichtere Verständniss Plotins haben sich
einige Gelehrte, zum Theil solche, die schon früher eitrig und erfolg-
reich dafür gearbeitet haben, verdient gemacht:
Plotins Forschung nach der Materie im Zusammenhang dargestellt
von Herrn. Frdr. Müller, Berl. 1882. 20 S. 4. Progr. von llfeld.
Dispositionen zu den drei ersten Enneaden des Plotinos von
Herrn. Frdr. Müller, Bremen 1884. 102 S. 8.
Beides sehr verdienstliche Arbeiten. Nachdem der Verfasser in
der ersten einen Rückblick auf die griechischen Philosophen vor Biotin
7*
]00 Herrn. Knlr. Malier zu l'lotin.
gethan hat, bandelt er ober Ursprung und Notwendigkeit, ober da«
Wesen and die Erkennbarkeit der Materie bei Plotin. Und höchst
lesenswert!) sind diese Erörterungen, Belbsl für die neuere Philosophie
beherzigenswert!). Wir sehen hier, wie nahe Plotin dem snbjectiven
Idealismus kommt, wonach die sichtbaren und tastbaren Gegenstände
Erzeugnisse des inneren Sinnes sind, wonach Materie auf ansern con-
t'usen Vorstellungen beruht. Obwohl die Dinge aus der intelligibeln
Welt stammen, ist ihr Erscheinen doch nur ein erlogenes, weil da-.
worin sie erscheinen, nicht ist Die Materie i-t aber nothwendig als
das Substrat und ferner aus einem ethischen Gesichtspunkt, weil sie
mit dem Bösen geradezu identifiziert wird. Hiermit haben wir zugleich
das Wesen der Materie, und wenn wir fragen, was wir weiter von ihr
aussagen können, so müssen wir uns zumeist an Negationen halten: Sie
hat weder Gestalt noch Form, weder Qualität noch Quantität; nicht zu-
sammengesetzt, sondern einlach und continuierlich ist sie leer von Allein.
Sie ist etwas Anderes als alle andern Dinge, ein szsoou . äneipov, eine
ariprjGiq. Was die Erkennbarkeit der Materie anlangt, so ist aus dem
Angeführten schon zu verstehen, wie die oht äyviooroQ xaß' aurrj/v i-f.
und wie der Verfasser seine Erörterung über Plotin damit schlies&en
kann, dass wir von der Materie nur eine undeutliche, dunkle und un-
echte Erkenntniss erlangen. — Zuletzt weist Müller mit vollem Recht
darauf hin, dass wir im Verständniss der Materie nicht wesentlich über
die Alten hinausgekommen sind, und mit das Beste unter diesen hat
Plotin gesagt.
Vortrefflich zur Einführung in die Leetüre des Plotin ist die
zweite Arbeit Müllers, für die er sich Leser denkt, die zum ersten Mal
an Plotin herankommen und nun die Leitung eines Kundigen gebrauchen.
Indem er sich nicht auf Kritik einlässt. will er auch keinen Commentar
geben, bringt aber doch in den Anmerkungen, namentlich in der Ab-
handlung gegen die Gnostiker, Mancherlei zum bessern Verständniss
bei. Wesentlich verhält er sich referierend , sucht aber die Gedanken
in logische Ordnung zu bringen. Wie schwierig diese Aufgabe für ihn
gewesen sein muss, weiss jeder, der Plotin einmal studiert hat. —
Möge dem treuen und ernsten Plotinforscher der gewünschte Erfolg,
dass durch seine Arbeit auch das Studium Plotins zunehme, nicht aus-
bleiben, so dass er nicht wieder in die Worte auszubrechen Noth hat
(Philolog. 1887, S. 370 in seinem Jahresbericht über Plotin): »Wir
haben zwei neue Ausgaben, Analysen und Dispositionen einzelner Bücher;
es fehlen blos noch die Leser.«
Der Gedankengang in Plotins erster Abhandlung über die All-
gegenwart der intelligibeln in der wahrnehmbaren Welt (Enn. VI, 4).
Von Dr. phil. Hugo von Kleist, Flensb. 1881. 28 S. 4. Progr. des
Königl. Gymn. und der Realschule 1. Ordn. zu Flensburg.
Hugo v. Kleist, zu Plotin. 101
Plotinische Studien von Hugo von Kleist. Erstes Heft: Studien
zur IV. Enneade (IV 1; 2; 3,1 — 17; 4, 14; 4, 18-29; 5; 6), Heidel-
berg 1883. VIII, 152 S. 8.
Zu Plotins zweiter Abhandlung über die Allgegenwart der intelli-
gibelu in der wahrnehmbaren Welt, Enn. VI, 5, von demselben.
Philologus, 42. Bd., 1884, S. 54—71.
Zu Plotinos, Enn. III, 1, von demselben. Philologus, Bd. 45,
1886, S. 34-53.
Diese vier Arbeiten zeichnen sich in gleicher Weise durch Gründlich-
keit der Auffassung und Klarheit der Darstellung aus, so dass sie das
Verständniss Plotins in den betreffenden Theileu wesentlich fördern und er-
leichtern. Die beiden Abhandlungen über die Allgegenwart des Intelligibeln
in dem Wahrnehmbaren gehören zu den schwierigeren, aber sie sind von
H. von Kleist möglichst lichtvoll analysiert. In der ersten derselben stellt
sich Plotin eine doppelte Aufgabe. Einmal will er die ungetheilte Ge-
genwart der intelligibeln Welt beweisen, sodann dieselbe auch begreiflich
machen. Das Erste geschieht, indem alle denkbaren andern Annahmen
über das Verhältniss des Intelligibeln zum Wahrnehmbaren als unmög-
lich dargethan werden. Das Zweite geschieht durch Beseitigung aller
der Zweifel, welche sich gegen die Thesis an sich und gegen ihre Ver-
einbarkeit mit allgemein gültigen oder von Plotin gelehrten Sätzen er-
heben. — In der zweiten Abhandlung Plotins handelt es sich um die
ganz abstracte Frage: Wie kann ein existentiell Identisches als Ganzes
und zugleich überall sein? Plotin geht, wie von Kleist darlegt, bei der
Beantwortung dieser Frage von verschiedenen zweifellosen Sätzen aus
und beweist dann, dass jeder dieser Sätze die ungetheilte Gegenwart
eines existentiell Identischen in der Vielheit von Dingen in sich schliesst.
Zum Finden des Intelligibeln kommt mau freilich nur, wenn man über
alle Getheiltheit sich erhebt und unmittelbar das Ganze ergreift, indem
man selbst aus einem Theilwesen von gewisser Grösse andern gegenüber
ein Ganzes wird.
Die Theile von Enn. IV, welche von Kleist iu seinen Ploliuischen
Studien behandelt, beziehen sich theils auf Fragen der empirischen,
theils auf solche der metaphysischen Psychologie. Der Verfasser hat
sich die Aufgabe gestellt, genaue Analysen zu geben, nichts als die Ge-
danken Plotins, aber diese in ihrer vollen Entwickelang vorzutragen;
nur führt er hie und da einen von Plotin bloa angedeuteten Gedanken
weiter aus oder ergänzt einen bei Plotin gar nicht ausgedrückten aber
notwendigen Zwischengedanken. Er hofft dann, durch >eine Arbeit er-
reicht zu haben, dass man theils der Problemstellung, theils der Lösung
der Probleme bei Plotin Anerkennung zollen weide. Das Seinige hat
er wenigstens ehrlich dazu gethan, die Bedeutung Plotins auch für diese
psychologischen Fragen in das richtige Lieht zu stellen.
102 Plotin. Die Theologie des Aristoteles.
Eine ähnliche Analyse bietet uns von Kleist in der vierten Arbeit
betreffs der Abhandlung über da 8 Schicksal, indem er auch hier allen
Gedankengangen Plotins bis ins Einzelnste nachgeht und die complicierte
Disposition nach Möglichkeit übersichtlich macht. In dieser Abhand-
lung wie in den Plotiniscben Studien hat er in den Anmerkungen Vieles
zur Erklärung des Einzelnen sowie manches Branchbare für die Text-
kritik beigetragen.
In derselben Weise wie die von Kleistschen Arbeiten ist hier
rühmlich zu erwähnen:
Plotins Enn. I, Buch l, cap. 1 — G exegetisch und kritisch unter-
sucht von P. Pabst, Philol. 43, 1884, S. 662 — 677.
In diesen Capiteln handelt es sich um die Frage: vi rb Zwn\>\ die
Disposition wird von Pabst sehr scharf dargelegt, und ausführliche An-
merkungen werden dazu gegeben. Die Antwort auf die P'rage formuliert
sich schliesslich so: £wov ist ein aus einem mit Seele als mit Form be-
hafteten Körper und einem von der darüber stehenden Seele ausge-
strahlten (?), von letzterer geschaffenes selbständiges Wesen, welchem die
Wahrnehmung und die andern Affectionen eigen sind.
Nicht unerwähnt darf hier bleiben: Die sogenannte Theologie
des Aristoteles aus dem Arabischen übersetzt und mit Anmerkungen
versehen von Dr. Fr. Dieterici, Leipzig 1883. Im Jahre vorher war
dasselbe Werk aus arabischen Handschriften von demselben Gelehrten
zum ersten Male herausgegeben worden, nachdem eine lateinische Para-
phrase der Schrift 1519 zu Rom von Franc, de Rosis und 1572 zu Paris
von Carpentarius erschienen war. Dieterici sieht deutlich, dass diese
Schrift aus neuplatonischer Schule stammt, fragt auch schon nach dem
Verhältniss desselben zu den Enneaden Plotins , findet einige Ueberein-
stimmungen, namentlich die Versenkung des Ichs in die intelligible
Welt, und meint, es würden gewiss noch mehr Parallelen zu entdecken
sein. Valentin Rose ist nun diesem Zusammenhange weiter nachge-
gangen und kommt in seiner Anzeige der Dietericischen Uebersetzung,
Deutsche Lit.-Ztg. 1883, S. 843 — 846, zu dem Resultate, dass wir in
dieser Theologie des Aristoteles nichts als Stücke aus Plotins Enneaden,
IV, V und VI, haben, und belegt dies durch einen Inhaltsnachweis der
Quellen und der ihr entnommenen Theologie. Freilich war die griechische
Vorlage selbst nur eine Paraphrase der plotinischen Stücke, wie Rose
meint, von Porphyrios angefertigt. H. F. Müller zieht dies letztere in
dem oben S. 100 erwähnten Jahresbericht in Zweifel, und ich schliesse
mich ihm hierin an. Schreibt schon Dieterici dem Neuplatonisraus
einen recht bedeutenden Einfluss auf die arabische Philosophie zu,
indem er meint, plotinische Philosopheme seien mit am frühesten den
Arabern als aristotelische zugeführt worden, so ist nun Rose nach seiner
W.A.Meyer, Hypatia von Alexandria. 103
Entdeckung zu den Aussprüchen berechtigt: »Plotin ist die Quelle
der Besonderheit des arabisch aristotelischen Scholasticismus: Plotin
und Aristoteles, das ist die gaDze arabische Philosophie.« — Uebrigeus
behandelt auch R. Volkmann in dem zweiten Band seiner Ausgabe
auf den ersten Seiten der Praefatio das Verhältniss des Plotin zu der
Theologie des Aristoteles und kommt zu einem sehr absprechenden
Urtheil über den Autor der letzteren. Mag man auch dem zustimmen,
so bleibt nichtsdestoweniger die Bedeutung des Plotin für die arabische
Philosophie bestehen.
Auch die neuplatonische Philosophin hat ihren Bearbeiter gefunden:
Hypatia von Alexandria. Ein Beitrag zur Geschichte des Neu-
platonismus von Wolfg. Alex. Meyer, Heidelberg 1886. 52 S. 8.
Der Verfasser hebt mit der Behauptung an, wahrscheinlich zur
Rechtfertigung seiner Schrift, dass alle bisherigen Darstellungen des
Lebens und Todes Hypatias mit einander eine völlig kritiklose Benutzung
des Quellenmaterials gemein hätten; auch die Arbeit Hoches sei von
diesem Vorwurfe nicht frei zu sprechen. Man müsste hiernach denken,
Meyer sei zu neuen sichereu Resultaten, vielleicht auch nur nach der nega-
tiven Seite hin, gekommen. Das ist aber keineswegs der Fall. Im Ge-
gentheil: Er stimmt mit Hoche vielfach überein, und wenn er von diesem
abweicht, so sind das eigene Phantasien, die sich beinahe auf nichts
stützen, z. B. wenn er behauptet: Hypatia habe sich viel auf der Strasse
bewegt und, wenn sie angesprochen und um Auskunft gebeten worden
sei, diese ertheilt, ja sie möge wohl hie und da selbst ein Gespräch
angefangen und daran ihre Belehrungen geknüpft haben. Und dies wird
geschlossen aus den Worten des Suidas: ntptßaXXoiiivrj 8k rpißtuvo
E^rjyeT-co orj/iotTig. roig äxpoaoHai ßo'jÄußSvucg rj rä to~j IlXdr<oVog r/ rou
' ApLOToriXouQ x-L Ferner wenn er meint, Hypatia sei das Opfer einer
politischen oder persönlichen Rache gewesen, die gar nicht sie treffen
sollte, sondern durch sie eine dritte Person, nämlich den Statthalter
Orestes, vielleicht auch den Bischof Synesios, so kann man dies keines-
wegs eine kritische, wohl aber sehr willkürliche Benutzung des Sokrates
nennen. Und wenn ferner Meyer der Ansicht ist, Hypatia habe weit
mehr Werke verfasst, als die, von denen uns berichtet wird, und unter
ihren Werken seien höchst wahrscheinlich solche philosophischen Inhalts
gewesen, so weiss ich nicht, welche Quellen er kritisch gebraucht hat
für diese Aufstellungen. Was er vollends über die Lehre der Hypatia.
sagt, dass sie in allem, was echt hellenisch bei Plotin sei, mit diesem
übereingestimmt habe, dass man auch in der Politik eine Herührung
zwischen dem System Plotins und der Lehre Hypatias annehmen dttrfe,
dass sie endlich dieselbe philosophische Richtung vertreten habe, wie
Hierokles, und als Schöpferin derselben eine weit originellere und
genialere Vertreterin derselben gewesen sei ah Qierokles — das Alles
104 Iamblichos, Proklos.
sind nur vago Vermuthungen und haben nicht, einmal die Wahrscheinlich-
keit für sich. — Die PhÜOSOphia von Alexandria bal den Verfasser mehr
als ein Jahr unausgesetzt beschäftigt, wie er am Bchluss Beiner Schrift
bemerkt, das Jahr hat wenig Gutes zu Tage gefördert.
Die werthvollste Schrift des Iamblichos ist in einer neuen Aus-
gabe erschienen:
[amblicbi de vita Pythagorioa über. Ad fidem codicis Florentini
recensuit Augustus Nauck. Accedit Epimetrum de Pythagorae
aureo carmine, Petropoli 1884. LXXXV, 309 S. 8.
Die Schrift bedurfte einer neuen Recension. und dieser musste,
wie es von Nauck nun geschehen ist, der Laurentianus (plutei LXXXVI
cod. 3) zu Grunde gelegt werden, den der Herausgeber Florentinus
(F) nennt. Mit der sorgfältigen Benutzung der Handschrift war aber
weitaus nicht Alles geschehen: Sehr viele Verbesserungen waren nötliig,
um den Text lesbarer zu machen; vielleicht ist hie und da von Nauck
zu viel geschehen. Jedenfalls erscheint das Buch des Iamblichos in viel
annehmbarerer Gestalt als früher; der nöthige kritische Apparat findet
sich unter dem Texte. In den Prolegomenis giebt Nauck ausführlich
Rechenschaft über sein Verfahren.
Das Epimetrum, S. 196- 242, wiederholt wesentlich das, was Nauck
in einer Abhandlung aus dem Jahre 1873: Sur les sentences morales
de Pythagore im Bulletin de l'acad. imper. des sciences de St. Petersb.,
XVIII, S. 472-501 vorgetragen hatte, und in Betreff deren er sich
beklagt, dass sie von Tycho Mommsen, Zeller, Cobet ignoriert worden
sei. Nun bei Uebervveg ist sie wenigstens citiert, wenn ich auch keine
Veranlassung haben konnte, auf sie einzugehen. Es kommt in ihr darauf
hinaus, dass die ipuoä inrj eine späte Compilation, aus dem 4. Jahr-
hundert, seien.
Reichhaltige Indices hat Nauck der Ausgabe beigefügt: 1) I. scrip-
torum, 2) I. vocabulorum, S. 247 355 (beinahe etwas zu reichlich aus-
gefallen), 3) I. potiorum rerum ab lamblicho commemoratarum, 4) I.
locorum temptatorum (d. h. aus andern Schriftstellern). Zwei Proben
aus dem cod. Laurentianus sind am Ende auf Tafeln gegeben.
Eine Reihe von Verbesserungsvorschlägeu findet sich in der Arbeit:
Ad Iamblichi de vita Pythagorica librum scr. H. van Herwerden
im Rhein. Museum 40, 1885, S. 444—452.
Höchst erfreulich ist es, dass unsere Keuutuiss des Proklos durch
Herausgabe bis dahin unbekannter Theile einer seiner Schrifteu be-
reichert ist:
Prodi commentariorum in rempublicam Piatonis. Partes ineditae.
Edid. Rudolfus Schoell, Berolini 1886. 238 S. gr. 8 (Vol. II Der
Varia inedita Graeca et Latina edid. Rud. Schoell et Guil. Studemuund).
Proklos. 105
Der Codex Mediceus der Abhandlungen des Proklos zur Republik
-des Piaton, von dem der Oxoniensis stammt, welcher dem Grynaeus
zu seiner Ausgabe diente, ist unvollständig. Ein Codex Vaticauus, der
früher im Besitz der Salviati war, enthält die fehlenden Abschnitte,
nicht wie man mehrfach meinte, das Ganze. Nachdem Aug. Mai ver-
schiedene Stücke daraus veröffentlicht hat, ist er keinem Gelehrten wieder
zu Gesicht gekommen; man weiss nicht, wo er in der Vaticana liegt.
Schoell sagt über ihn: eiusdem codicis Graeci antiqui, qui in Laurentiana
servatur, olim dum integer esset particulam extremam effecerat Salvia-
torum über: quae jam ante quam liber ad Mediceos perlatus est e volu-
minis compage avulsa videtur latuisse inter Codices Mediceos. Von
diesem Codex findet sich nun eine theils durch Lucas Holstenius selbst,
theils unter dessen Aufsicht besorgte genaue Abschrift in der Bibliotheca
Barberina, welche der Herausgeber copiert hat. Bei der Herstellung
des immerhin sehr verderbten Textes ist keine Mühe gescheut worden.
Es galt, sehr viel zu verbessern und manche Lücken waren auszufüllen.
Der Text bietet die fünf letzten Abhandlungen, 9-13: Mikiaaa
£i; zbv kv üohtBiq. Xoyov zwv Mouautv, Ilepl ~w\> deixvovziov vpiwv Xöyujv
an siJdat//.ov£(Trepov roo ddc'xou vo dixcuov, fiept rtov iv tüj osxdzco tt^
IloXcrstag xe<pa\auuv, Elg rbv ev llnh~eiq pd&ov und Entaxetfug tujv im'
'ApiOToriXoug kv oeorepcu zu>u floXiTixatv rtpo^ -yv IIXdTUJvog UoXizeiav
dvtetp7jpev(uv. Auf den Text mit kritischem Apparat folgen S. 135-139
einige Scholieu aus dem Codex Laurentianus, dann S. 140 — 148 eine
deutsche Abhandlung von Frieder. Hultsch über die platonische Zahl bei
Proklos, und endlich 249 — 338 ein Index auctorum und ein sehr aus-
führlicher Index verborum.
Auf Proklos bezieht sich noch eine Abhandlung:
Zu Proklus und dem Jüngern Olympiodorus von J. Freudenthal,
im Hermes, XVI, 1881, S. 201-224.
Der Verfasser hatte in seinen Hellenistischen Studien 3. Heft, S. 316
auf eine Stelle in den Prolegom. des Olympiodor hingewiesen, nach der
Proklos nicht nur die Epinomis und die Briefe, sondern auch die Politie
und die Gesetze für nicht platonisch erklärt habe. Ed. Zeller wandte
sich hiergegen in einem Aufsatze: Zur Geschichte der platonischen und
aristotelischen Schriften im Hermes, XV, 1880, S. 1880ff. Im vorliegen-
den Aufsatze hält nun Freudenthal an seiner Auffassung der Stelle und
an der Möglichkeit fest, dass Proklos, wenn er auch sonst in den uns er-
haltenen Schriften die Echtheit durchaus anerkenne, einmal den nicht
platonischen Ursprung dieser Dialoge behauptet habe, und macht dafür
geltend, dass sich Proklos in äeinen ans noch vorliegenden Schriften oft
genug widersprochen habe, /,. B. in der Werthschätzung platonischer
Schriften. Zeller bleibt in der 3. Aufl. des 5 Bandes seiner Phil, der
Griechen S. 777, l bei seinem Widerspruche stehen, und ich schlie
106 Neuplatonikcr. Damaskios.
mich ihm bierin an and glaube, dass die Angabe bei Olympiodor, die
allerdings in der Weise Freuden! hals zu interpretieren ist, auf einem
MissYerständniss Seitens Olympiodors oder dessen, der die Prolegomena
herausgegeben hat, beruht.
S. 214ff. giebt Freudenthal auch eine sehr dankenswerthe Ueber-
sicht der noch vorhandenen philosophischen Schriften di s Proklos in der
Reihe, wie sie zeitlich auf einander folgen. Siehe übrigens dazu Rud.
Schoell in der Praefatio zu dem Commentar des Proklos, S. 5, Anm.
Eine lehrreiche Abhandlung, die freilich mehr die Theologie als
Philosophie angeht, beantwortet die Frage:
Haben die späteren neuplatonischen Polemiker gegen das Christen-
thum das Werk des Celsus benutzt? Von Georg Loesche, in der
Zeitschr. für wissensch. Theol., 27, 1883, S. 257 — 302.
Der Verfasser untersucht in gründlicher Weise, wie sich zu Kelsos
seine Nachfolger verhalten, aber ferner auch, welche Berührung diese
mit einander haben, und welche Vorwürfe sich bei allen wieder finden.
Die Antwort, die mir gesichert scheint, auf die Hauptfrage lautet, dass
Hierokles und der Anonymus des Lactanz das Meiste dem Kelsos ent-
nommen, dass höchst wahrscheinlich Porphyrios, Julianus, der Anonymus
des Makarios Magnes unmittelbar oder mittelbar, letzteres vielleicht
durch mündliche Ueberlieferung und Auszüge, den Kelsos benutzt haben,
dass Proklos aber unbeeintlusst von ihm gewesen ist.
Hier wäre auch der Platz der meist von Neuplatonikern geschrie-
benen Commentare zu Aristoteles zu erwähnen, die seit 1882 »consilio
et auetoritate Academiae litterarum regiae Borussicae« herausgegeben
werden. Es mag genügen darauf hinzuweisen, dass Simplicii in Aristot.
Phys. 11. quatuor priores von Herrn. Di eis, Simplicii in 11. Arist. de
anima von Michael Hayduck, Themistii quae fertur in Arist. Anal,
pr. 1. 1 paraphras. von Max Wallies u. a. bereits erschienen sind.
Freuen wir uns, dass ein solches Unternehmen begonnen hat und den
besten, sichersten Händen anvertraut ist!
Mit dem letzten Leiter der Akademie in Athen beschäftigt sich
ein besonderer Aufsatz:
Der Philosoph Damascius. Von E. Heitz, in den Strassburger
Abhandlungen zur Philos. Ed. Zeller zu seinem siebenzigsten Ge-
burtstage, Freib. i. B. und Tübingen 1884, S. 1-24.
Nach allgemeineren Bemerkungen über die Neuplatoniker, über
Damaskios und die unter dem Namen des Erennius bekannte Schrift
ecg rä fierä rä <puoixä, geht der Verfasser zn seinen eigentlichen Fragen
über, nämlich ob uns in dem codex Marcianus zwei Werke des Damas-
kios überliefert sind, oder nur eines, und entscheidet sich mit Recht auf
Grund äusserer Merkmale der Handschrift und auf Grund der inhalt-
Neuplatonikef. Boethius. 107
liehen Verschiedenheit der beiden Theile für Bejahung der ersten Frage
im Gegensatz zu der üblichen Ansicht. Während die erste Schrift:
Aapaoxtou otaooyoo dnopcai xai Auoscg nepl tojv npujzujv doywv, mit fol.
210 r abbricht, fängt die zweite: dapaaxeou dtadöyou sie rov DXdraiVog
[lapptvior^v dnopiat xcä intXOoeiQ dvriTtaparscvöpsvat roTg elg aurov
bnop.vrip.aot roh <pilooö<pov (nämlich Upoxloo) auf 216r allerdings in ver-
stümmelter Weise an. Die erste Schritt bildet ein ununterbrochenes
Ganzes, bei der zweiten findet sich im Gegensatz dazu eine Eintheilung,
und in dieser letzteren hat Damaskios mit dem Proklos in einen Wett-
streit eingehen und diesen noch überbieten wollen.
Auf das Ende der Philosophenschulen in Athen geht die Abhandlung:
Die letzten heidnischen Philosophen unter Justinian von Schuck,
in den Jahrbb. für Philologie und Pädag., 2. Abth., XXVIII, 1882,
S. 426 - 440.
Der Verfasser handelt in dem gut geschriebeneu Aufsatze über
die letzten Edicte gegen die Heiden, über das Ende der neuplatonischeu
Schule in Athen, und über die Auswanderung der heidnischen Philo-
sophen uach Persien (Agathias. Uranios. Simplicius), ohne dass er dabei
aber besonders Neues zu Tage gefördert hätte. Er weist zuletzt hin
auf den früher geschätzten, jetzt etwas in Vergessenheit geratheneu
Commentar des Simplikios zu dem Encheiridiou Epiktets, indem er
meint, dem Simplikios habe in seiner unfreiwilligen Müsse das stoisch-
moralische Handbüchlein zum Tröste gedient. Hierfür spricht allerdings
die Bemerkung des Commentators: Er müsse dafür dankbar sein, Ver-
anlassung gehabt zu haben, sich mit dem trefflichen Buche zu beschäf-
tigen, umsomehr als diese Veranlassung gekommen sei zu einer Zeit,
wo Tyrannei ihn bedrängte.
Hier sei noch darauf hingewiesen, dass die seit 1881 in St. Louis
erscheinende Zeitschrift the Piatonist es sich zu einer ihrer Haupt-
aufgaben gestellt hat, Uebersetzungen platonischer, besonders neuplato-
nischer Schriften zu liefern and dass auch schon beträchtliche Stücke
aus Plotin und Proklos in englischer Sprache daselbst gebracht wor-
den sind.
Zu Boethius — denn so müssen wir nach Usener doch wieder
schreiben — ist wiederum Einiges erschienen. Ich nenne zuerst :
Handschriftliche Studien zu Boethius de consolatione philosophiae.
Progr. der Königl. Studien-Anstalt Würzt), f. die Studienjahre 1880/81
von Dr. Georg Schepss, Würzburg 1881. 47 S. 8.
Wir finden hier eine genaue Beschreibung einer noch nicht genug
gewürdigten Handschrift der Fürstl. Oettingen-Walleratein'schen Biblio-
thek zu Maihingen aus dem 10. oder 11. Jahrhundert, deren Haupt-
inhalt bilden: Boethius de cons. phil. nebst vielen Scholien und ein
108 Boetbius.
geschlossener Commentar zur CoDsolatio. Im Oapitel 2 giebt Scbepss
eine dankenswerthe Collation nach Peipers' Text, aus der man sieht,
dass die Handschrift bei einer künftigen Ausgabe Beachtung verdient,
und in Capitei 3 handelt er über die Scholieo und verbreitet einiges
Licht üher die Frage nach denselben, die bisher so gut wie noch nicht
beleuchtet worden ist. Namentlich kommt er zu dem Resultat, da^-,
wohl schon vor dem L0. Jahrhundert zwei Redactionen von Erklärungen
oder vielmehr zwei wesentlich verschiedene Oommentare zu den Schoben
entstanden seien.
Sodann sei genannt:
Boethiana vel ßoethii commentariorum in Ciceronis Topica emeu-
dationes, ex octo codicibus haustas et auctas observationibus gramma-
ticis composuit Th. Stau gl, Gotha 1882, IV, 104 S. 8.
Doch ist nur diese Schrift nicht zugekommen, so dass es mir nicht
möglich ist über sie zu berichten.
Eine andere Abhandlung desselben Verfassers:
Pseudoboethiana in den Jahrbb. für Piniol., 127, 1883, S. 193-208
und 285—301,
weist meines Erachten s schlagend nach, dass eine Fortsetzung zu Boe-
thius Comment. iu Cicer. Topica, die sich allein in der Pariser Hand-
schrift 7711 findet, eine Fälschung ist. Form und Inhalt sprechen gegen
Boetbius als Verfasser. Uebrigens hält Stangl an der Ansicht fest, dass
Boetbius, wenigstens als Schriftsteller, dem Christenthum gegenüber zu-
rückhaltend gewesen sei, also die theologischen Schriften nicht ver-
fasst habe.
Mit Boetbius als Christen beschäftigt sich:
Ueber die theologischen Schriften des Boetbius, Vortrag gehalten
bei Gelegenheit der 9. Generalversammlung der Görresgesellschaft
1884, von C. Krieg, im Jahresber. der Görresgesellsch. für 1884,
Köln 1885, S. 23-52.
Die sogenannten theologischen Schriften des Philosophen hält der
Verfasser für echt, auch die von Usener (siehe Jahresber. 1880, S. 50 f)
für untergeschoben erklärte Abhandlung, ohne doch irgendwie Neues
für seine Annahmen beigebracht zu haben, so dass ich an meinen Zwei-
feln festzuhalten immer noch geneigt bin. In einer Beilage zählt der
Verfasser die Handschriften der theologischen Werke des Boetbius auf.
Wie unvollständig dieser Katalog ist, sehen wir aus einer Besprechung
der Arbeit Kriegs von G. Scbepss in der Berliner Philolog. Wochen-
schrift, VI, 1886, S. 559 f. Der letztere kündigt hierbei zugleich Vor-
arbeiten zu einer Ausgabe des Boethius an, die nächstens in den Wiener
Sitzungsberichten erscheinen sollen.
Boethius. Kahnis, Ueb. d. Verb. d. alt. Phil. z. Cbristenth 109
Dasselbe Thema, nur ausführlicher, ist behandelt in:
Boethius und seine Stellung zum Christenthum von A. Hilde-
brand, Regensburg 1885. VII, 314 S. 8.
Der Verfasser kommt zu dem Ergebnis?, dass wir keinen entschei
denden Grund haben, dem Boethius das Christenthum abzusprechen,
wenngleich die Consolatio höchstens einige Berührungen mit dem christ-
lichen Gedankenkreis habe. Hiermit steht in Verbindung, dass Hilde-
brand die theologischen Schriften mit Ausnahme des Glaubensbekennt-
nisses für echt hält.
Auch Johannes Draeseke kommt in seinem Aufsatze: Ueber
die theologischen Schriften des Boethius in den Jahrbüchern für Protest.
Theol.. XII, 1886, S. 312—333, in welchem er namentlich eine prüfende
Uebersicht über den gegenwärtigen Stand der p'rage zu geben beab-
sichtigt, zu dem Resultate, dass der Streit im Sinne Useners entschie-
den sei. Mir bleibt es freilich immer noch unverständlich, wie Boethius
als Verfasser specifisch christlicher Schriften, in welcher Eigenschaft er
doch in das Wesen des Christenthums eingedrungen sein musste, sich
in der Noth des Lebens nur den Trost von der heidnischen Philosophie
holte und dabei an die Glaubenswahrheiten des Christenthums gar nicht
dachte. Sollte er nur so äusserlich gehaltene Schriften, wie etwa den
Octavius des Minucius, verfasst haben, so wäre mir diese Erscheinung er-
klärlich. Aber wie die Sachen liegen, scheint mir Boethius. wenn er
überhaupt Christ war, blos dem Namen nach ein solcher gewesen zu sein,
so dass ihm wenigstens nicht die theologischen Schriften zugesprochen
werden dürften.
Den Uebergang zu den christlichen Schriftstellern will ich machen
mit Berührung der Schrift:
Ueber das Verhältniss der alten Philosophie zum Christenthum
von Karl Friedr. Aug. Kahnis, Leipzig 1884. IV, 84 S. 8 (vor-
her schon erschienen in zwei Universitätsprogrammen der Universität
Leipzig, 1875 und 1883).
Es kommt Kahnis nicht darauf an, darzulegen, welchen Einfluss
die alte Philosophie auf die patristische oder scholastische Lehre ge-
habt hat, sondern seine Frage lautet vielmehr: Welche Stelle nimmt
die alte Philosophie in der Heilsvorbereitung der alten Welt ein?
Aehnlich, wie wir sie schon hei Clemens, bei Eusebios finden. Die Ant-
wort bei Kahnis lautet, dass die Philosophie in die Vorbereitung der
alten Welt auf Christum eingegriffen habe, sofern sie negativ dem alten
GOtterglauben den Untergang bringe, positiv aber mit dem Ileilsbedürf-
niss einen auf Wahrheit gerichteten Glauben fördere. Auf einzelne
Aussprüche der alten Philosophen, die christlichen Charakter zu baben
scheinen, giebt deshalb Kahnis nicht viel: es kommt ihm immer auf
110 Theod. Keim, Rom und das Christenthum.
das Grund verbal tniss an. So erkennt er drei Punkte an, in welchen
die Stoa dem Christenthum sich nähere: l) der dogmatische Charakter
der Stoa verbunden mit der Logosidee und dem Ideal des Weisen,
2) das letzte Ziel des Seelenlebens, das Verhältniss des Einzelnen zu
Gott auf sittlicher Grundlage, 3) der Universalismus. Zugleich setzt
aber der Verfasser in doch wohl nicht streng geschichtlicher Auflassung
hinzu: es sei eine Verkennung des Unterschieds zwischen Christenthum
und Stoa, wenn man diese Momente der Aehnlichkeit von dem Einflüsse
des Stoicismus auf das Christenthum ableiten wolle. Andererseits ge-
steht er aber ein, dass Johannes, Paulus, der Verfasser des Hebräer-
briefs die Lehre von dem Sohn Gottes an die Logoslehre angeknüpft
hätten, ohne freilich Philons Philosophie sich in allen Stücken anzu-
eignen. Was uns in den griechischen Philosophemen vereinzelt ent-
gegentrete, das fasse sich im Neuplatonismus zusammen: das Motiv nach
göttlicher Offenbarung durch auserwählte Menschen, die drei Potenzen:
das absolut Eine, der Verstand mit den Ideen und die Weltseele, end-
lich die Auflösung des Menschen in Gott; alles das weise aber auf das
Christenthum hin. Die Arbeit, die sich nirgends auf Specielles ein-
lässt, sondern nur den Gang der griechischen Philosophie in grossen
Zügen giebt, zeugt von Verständniss aber auch Achtung derselben. Sie
giebt manche Anregung, wenn sie auch in einigen Punkten zum Wider-
spruche reizt.
Die, dem Titel nach zu urtheilen, interessante Abhandlung:
Les origines du christianisme et la philosopbie stoicienne par
A. Talamo, in Annales de philosopbie Chretienne, 1885, mars, avril,
habe ich zu meinem Bedauern nicht erhalten.
Mehrfach auf Philosophie und philosophische Schriftsteller muss
Rücksicht nehmen : Rom und das Christenthum. Eine Darstellung des
Kampfes zwischen dem alten und dem neuen Glauben im römischen
Reiche während der beiden ersten Jahrhunderte unsrer Zeitrechnung
von Dr. Theodor Keim, weiland Prof. der Theologie an der Univ.
Giessen. Aus Tb. Keims handschriftlichem Nachlass herausgegeben von
H. Ziegler, Berlin 1881.
In der ersten Abtheilung: die alte Religion und der neue Gegner,
wird unter den Motiven der Erhaltung des alten Glaubens als erstes
hervorgehoben und ausgeführt neben dem staatsmänuischen und religiösen
der philosophische Aufbau, und der Verfasser weist hier besonders auf
die Stoiker und unter ihnen vor allen anderen auf Seneca mit Recht
hin. Keine philosophische Schule näherte sich nach Keim mehr dem
ethischen christlichen Gottesbegriff als der um seines Naturalismus und
seines Pantheismus willen verschriene Stoicismus. »Energisch suchte
namentlich Seneca die Schule von dem bis jetzt wohlverdienten Vor-
wurf, Götter ohne Herz und Kopf zu besitzen, zu befreien.« Ob der
Th. Keim, Rom u. d. Christenthum. Patristik. 1 1 1
Vorwurf wirklich so begründet war? Es scheint kaum, wenn wir z. B.
den Hymnus des Kleanthes auf den Zeus lesen.
In der zweiten Abtheilung, welche das zweite Jahrhundert behan-
delt, findet sich in dem ersten Abschnitt: der sich auflösende und rege-
nerierende alte Glaube, ein Capitel: die gläubige Philosophie, in welchem
Keim darauf hinweist, wie die Philosophie des zweiten Jahrhunderts
noch mehr als früher eine praktische Richtung einschlug, bei der es
nicht darauf ankam, Sätze des Chrysippos zu erklären, sondern in Er-
kenntniss des Willens der Natur das Richtige im Thun und Lassen
zu finden. Zugleich war hiermit eine Annäherung an die Religion ge-
geben; je mehr die Philosophie an ihrem eigenen Denken verzweifelte,
um so zugänglicher wurde sie in Demuth dem Gedanken einer gött-
lichen Offenbarung, dem Glauben an Vorsehung und Vergeltung. Plutarch
ebenso wie Maximus von Tyrus, Kelsos wie Numenios, sie haben den
Unglauben verworfen und das ewige Recht der Religion aufgezeigt.
Freilich beruhte die ganze Kraft dieser Restauration nach Keim in der
neuen Dämonenlehre, die wir bei allen den eben Genannten finden, und
so blieb der Aberglaube bestehen , ohne dass der Unglaube verdrängt
worden wäre, und der Zug der Zeit ging deshalb über die alten Götter
hinaus zu den neuen Göttern. Der zweite Abschnitt: das Christenthum
unter den Völkern, umfasst in seinem dritten Stück die Apologie des
Christeuthums und giebt hier auch eine kurze Charakteristik der Apo-
logeten und eine Inhaltsangabe ihrer Schriften, ohne dass ich hierin
etwas Erwähnenswerthes gefunden hätte. Unter den Kaisern des zweiten
Jahrhunderts nimmt Marc Aurel selbstverständlich den grössten Raum
ein, ohne dass aber über ihn als Philosophen etwas Neues vorgebracht wäre.
Ueber die patristische Philosophie als solche ist kein besonderes
grösseres Werk erschienen. Berühren will ich hier nur den sehr in-
structiven Aufsatz von Frz. Overbeck: »Ueber die Aufäuge der patri-
stischen Literatur« in der Historischen Zeitschrift, Neue Folge, 12. Bd.,
1882, S. 417-472, der namentlich den Begriff der patristischen Littera-
tur zu bestimmen versucht und zwar als griechisch-römische Litteratur
christlichen Bekenntnisses und christlichen Interesses, so dass die Ent-
stehung dieser Litteratur zusammenfallen würde mit dem Auftreten und
Sichgeltendmachen des Christenthums in der bestehenden und allgemein
gelesenen Litteratur des römischen Reiches, und hiermit zugleich die
neutestamen tlichen Schriften sowie die der apostolischen Väter als Reste
einer christlichen Urlitteratur, die sich nicht mehr fortsetzte, ausgeschieden
wären. Die Anfänge der Patristik gehen nach Overbeck hervor aus den
Beziehungen der Kirche zur Aussenwelt des Nichtchristlichen oder des
Häretischen, und erst mit Clemens ist die christliche Litteratur dahin
gekommen, sich auf die inneren und bleibenden Bedürfnisse der Kirche
selbst zu gründen. Sodann geht Overbeck auf das Werk des Clemens
ausführlicher ein und stellt die Form desselben in ein neues Licht. —
] 1 '2 Marnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte.
Alle die, welche sich mit der patriotischen Philosophie and namentlich
mit Clemens beschäftigen, werden die Abhandlung Overbecks berück-
Bichtigen müssen.
Von grosser Bedeutung ist das Lehrbuch der Dogmengeschichte
von Dr. Adolf Harnack, 1. Bd.: die Entstehung des kirchlichen
Dogmas, Freib. im Hr. 18861). Es i^t in diesem Werke, das seil seinem
Erscheinen sehr viel Anerkennung, aber auch mannigfachen Widerspruch
erfahren hat, auf das Verhältniss des Cbristenthums zur griechischen
Philosophie im Ganzen viel Rücksicht genommen, und deshalb musa ich
es hier erwähnen, ohne mich auf seinen Werth für die theolog
Wissenschaft irgendwie einzulassen. Schon in den einleitenden Voraus-
setzungen der Üogmengeschichte wird über Philon und die griechisch-
römische Religionspbilosophie kurz gesprochen, sodann aber handelt
beinahe die Hälfte des ganzen Bandes von der Fixierung und allmäh-
lichen Helleni-derung des Cbristenthums als Glaubenslehre, und i
dienen hier von Seiten der Geschichte der Philosophie namentlich Be-
achtung das Capitel über das kirchliche Christenthum und die Philo-
sophie (die Apologeten) und das über die Umbildung der kirchlichen
Ueberlieferung zu einer Religionsphilosophie (Clemens und Origenes).
sowie das letzte über die Präcisierung der kirchlichen Lehrnorm durch
die Aufnahme der Logoschristologie (Monarehianismus und Ausscheidung
desselben). Die Stellung der Apologeten, auch unter Vorbehalt die der
Alexandriner zu der Philosophie, bezeichnet Harnack im Ganzen zu-
treffend, indem er sagt: das Christenthum ist ihnen Philosophie, weil
es einen rationalen Inhalt hat, weil es über die Fragen befriedigend
Aufschluss giebt, um welche sich alle wahrhaften Philosophen bemüht
liabeu; aber es ist keine Philosophie, ja eigentlich der conträre Gegen-
satz zu derselben, sofern es aus Offenbarung stammt, auf welcher
schliesslich allein die Wahrheit seiner Lehre beruht. In Betreff des
zweiten Theiles dieser Formulierung möchten sich für manche Apologeten
gewiss Modifikationen empfehlen. Vortrefflich ist nach meiner Ansicht
das System des Origenes dargestellt, wobei auch die Stellung des christ-
lichen Alexandriners zu der griechischen Philosophie beleuchtet wird.
Origenes hat nach Harnack als idealistischer Philosoph den ganzen In-
halt des christlichen Glaubens in Ideen umgesetzt, sich dabei nicht an
ein bestimmtes philosophisches System gehalten, sondern wie Clemens
und die Neuplatoniker den ganzen Ertrag der Arbeit der idealistischen
griechischen Moralisten seit Sokrates aufgenommen und bearbeitet und
als Mittel zur stufenmässigen Verwirklichung seines sittlichen Ideals die
stoische und platonische Ethik herbeigezogen. — Ueber die kurze Dar-
stellung der neuplatonischen Philosophie in dem vorliegenden Werke
habe ich schon S. 97 berichtet.
i) Der 2. Band: die Entwickeluug des kirchlichen Dogmas, I, ist inzwischen
1887 erschienen.
Hirt des Hermas. 113
So gut wie nichts für die Geschichte der Philosophie ist aus dem
Lehrbuch der Patrologie und Patristik von Joseph Nirschl, drei Bände,
Mainz 1881—1885, zu entnehmen, in welchem besonderer Werth darauf
gelegt ist, wichtige patriotische Texte für die Hauptpunkte der christ-
lichen Lehre anzufügen. So ist es verständlich, wie der Verfasser die
Verbindung der Patristik mit der Philosophie beinahe vollständig igno-
riert. Bei Augustin heisst es nur, dass er die Grundlage der christ-
lichen Philosophie legte, seine Abhängigkeit von den Neuplatonikern
scheint dem Verfasser unbekannt. Und wo ein enger Zusammenhang
zugestanden werden muss, wird dieser doch in ineonsequenter Weise
abgeschwächt, so bei dem Werke des Ambrosius de officiis mini-
strorum.
Auf den Hirten des Hermas gehen einige Arbeiten, deren Ge-
genstand auch philosophisches Interesse bietet:
Sittliche Grundanschauungen im »Hirten« des Hermas von Licent.
F. J. Winter, Pfarrer in Röhrsdorf in Sachsen, in der Zeitschr. für
kirchl. Wissensch. und kirchl. Leben, V, 1884, S. 33—46.
Nach dem Verfasser, der in klarer Weise sein Thema entwickelt,
ohne auf das Einzelne bei Hermas eingehen zu wollen, ist das Leben
für Gott der grundlegende sittliche Begriff bei Hermas; in diesem Leben
der Gemeinschaft mit Gott ist auch Harmonie und Seligkeit der Seele
gegeben und die wieder hergestellte Befähigung zum Guten. Es giebt
aber hier auf Erden schon ein Leben der Seele, welches mit dem in
der Ewigkeit zu erhoffenden ganz gleich ist, ein göttliches Leben, das
seiner Natur nach ewig und durch keinen Tod unterbrochen werden
kann. Es ist dies ein Begriff, der in der christlichen Ethik überhaupt
eine grosse Rolle spielt. Dieses Leben soil wieder erworben weiden.
und hierin liegt es begründet, dass der »Hirt« weniger auf die objeetive
Vermittlung des Heils als auf den subjeetiven Heilsprozess gerichtet ist.
Mit demselben Thema beschäftigt sich:
Zum ethischen Lehrbegriff des Hirten des Hermas von Dr. Rieh.
Schenk, Realgymnasiallehrer. Wissenschaftl. Beilage zum Jahres-
bericht des Realgymn. zu Aschersleben, 1886. 35 S. 4.
Derselbe hatte vorher schon einen auf die Ethik des Ilermas be-
züglichen Aufsatz: Zur angeblichen Lehre des Hirten des Hermas vom
überschüssigen Verdienst, in der Zeitschr. für kirchl. Wissenschaft und
kirchl. Leben, VI, 1885, S. 407-413, veröffentlicht. In seinem Programm
handelt er zuerst von dem Menschenwesen, von der Sünde, von der
Erneuerung, von der Rechtfertigung und dem christlichen Leben in seiner
empirischen Gestaltung. Obgleich Schenk vou vornherein als den Grund-
gedanken in der Ethik des Hermas ansieht, dass der Vollbesita der
itioTiQ identisch mit der religiös sittlichen V ollkommenheit, ihr Schwill*
Jahresbericht für Alterthumswissenichaft L. (1887. I) g
])4 Eni. Renan, Marc-Aurel«'
den dagegen gleichbedeutend mit der Sünde sei, so legt er doch auch
wie Winter Nachdruck auf die %cur/ atu'jvcoc, scheint dies aber als Selig-
keitszustand in dem Jenseit anzusehen. Für den normativen Gang der
subjectiven Erneuerung nimmt er bei Hermas zwei Stadien an; das erste,
negativen Charakters, besteht wesentlich in einem Refreiungsakt, in der
Abkehr vom Bösen, das zweite zeigt die neugewonnene sittliche Energie
und besteht im reichlichen Thun des Guten. - Wünschenswerth wäre
es gewesen, dass der Verfasser auf das Verhältniss des Uermas zu der
ueutestamentlichen, vielleicht auch zu der griechischcu Ethik Rücksicht
geuommen hätte.
Ehe ich zu Apologeten übergehe, will ich ein Werk nennen, das
seinem Titel nach schon früher hätte behandelt werden müssen, seiner
ganzen Tendenz nach aber erst hierher gehört, nämlich:
Marc-Aurele et la fin du monde antique par Ernest Renan,
Paris 1882. VI, 640 S. 8 (Histoire des origines du Christianisme,
livre septieme).
Mit diesem Bande ist das grosse Werk Renans beendigt, in wel-
chem er die aufeinander folgenden Veränderungen darstellen wollte, die
der von Jesu in die Menscheu gepflanzte Keim durchmachen musste, um
ein dauerhafter kirchlicher Organismus zu werden. Das Embryonen-
thum des Christenthums endigt nach Renan mit dem Tode Marc-Aurels,
der zugleich die antike Civilisation beschliesst. Der Verfasser geht
aber zu weit, wenn er sagt: Ce qui se fait de bien apres cela ne se
fait plus par le principe hellenico-romain; le principe judeo-syrien
remporte, et quoique plus de cent ans doivent s'6couler avant son plein
triomphe, on voit bien dejä, que l'avenir est ä lui. Le Ille siecle est
l'agonie d'un monde, qui au II e siecle est plein encore de vie et de force.
Man kann nicht zugeben, dass im zweiten Jahrhundert die heidnische
Philosophie kräftiger gewesen sei als im dritten, und der Neuplatonis-
mus ist nicht jüdisch -syrisch. So ist auch der ganze Nebentitel des
Bandes: La fin du monde antique, mehr wirksam als wahr.
Von den einzelnen Capiteln geht uns hier an III: Le regne des
philosophes, in welchem sowohl die Lichtseiten als die Schattenseiten
der Erfüllung des platonischen Ideals an dem Beispiel Marc-Aurels auf-
gezeigt werden. Sodann XVI: Marc-Aurele chez les Quades. Le livre
des Pensees, in welchem das Buch des philosophischen Kaisers ausser-
ordentlich hoch gestellt wird. So heisst es: Le livre — n'ayant aucune
base dogmatique couservera eternellement sa fraicheur. Tout depuis
l'athee ou celui qui se croit tel, jusqu'ä l'homme le plus eugage dans
les croyances particulieres de chaque culte, peuvent y trouver des fruits
d'edification. C'est le livre le plus purement humain qu'il y ait. Renan
berücksichtigt bei der ganzen Besprechung und Beurtheilung dieses
Werkes zu wenig, dass der Kaiser stoischer Philosoph ist und dass auch
Schubring, Die Philosophie des Athenagoras. 115
die dogmatische Unterlage, die er ganz und gar leugnet, als eine stoische
leicht erkannt wird. Im ganzen berührt aber die warme Vorliebe für
die Meditationes in angenehmer Weise.
In einem eigenen Capitel, VI, wird Tatian behandelt und das
doppelte System der Apologien, das sich schon in Justin und Tatian
deutlich zeigen soll: Les uns au fönd Hellenes, tout en reprochant ä la
sociöte paienne le relächement de ses moeurs, admettront ses arts, sa
culture generale, sa philosophie. Les autres, Syriens ou Africains, ne
verront dans l'hellenisme qu'un amas d'infamies, d'absurdite. Es wird
schwer halten, diese Sonderung durchzuführen. Capitel XXI hat zum
Inhalt Kelsos und Lucian, und das folgende die Apologien von Athena-
goras, Theophilos und Miuucius Felix. Es finden sich in diesen Partien
sehr gut geschriebene, wenigstens zum Theil treffende Charakteristiken.
An einzelnen Punkten derselben kann man Ausstellungen machen, be-
sonders wenn Antithesen vorkommen, wie die bei Minucius Felix: pour
inculquer le christianisme on evite de prononcer le nom de Christ.
Auf einen philosophisch denkenden Apologeten bezieht sich:
Die Philosophie des Athenagoras von Friedrich Schubring,
Berlin 1882. 26 S. 4 (Wissensch. Beilage zum Progr. des Kölluisch.
Gymnasiums Ostern 1882).
Athenagoras nimmt unter den Apologeten eine hervorragende
Stellung ein durch seine yerhältnissmässig reine Sprache und sodann
durch seine philosophische Bildung. Der Verfasser vorliegender Abhand-
lung geht nun nicht sowohl auf den Inhalt der philosophischen Gedanken
des Athenagoras ein, als vielmehr blos auf dessen Verhältniss zu der Philo-
sophie und dem philosophischen Erkennen. Er weist treffend nach, dass
der christliche Apologet im Ganzen zu der eklektischen Richtung der Philo-
sophie, wie sie in den ersten Jahrhunderten v. Chr. herrschte, gehört,
d. h. zu den Philosophen, welche die Philosophie mehr zu praktischen
Zwecken trieben, jedoch in enger Verbindung mit der Religion, mit dem
Glauben an göttliche Offenbarung, vermittelt durch Dämonen und son-
stige Mittelwesen, sodann unter Berufung auf die alten Lehrer, deren
Gedanken, freilich ohne dass man sich dessen bewusst gewesen wäre,
willkürlich erklärt wurden. Schubring geht nun mehr auf diese ganze
Art des damaligen Philosophierens als auf Athenagoras selbst ein, und
zeigt dann nur im Speziellen, wie der christliche Apologet im Ganzen
diese Weise des Philosophierens auch in sich zur Darstellung bringt
und dabei wenig specifisch Christliches zeigt. — Die Arbeit ist gut ge-
schrieben, und der Verfasser hat sich in die Eigentümlichkeiten des da-
maligen Philosophierens gut eingearbeitet. — Die weitere Untersuchung,
wie das Wissen uuu bei Athenagoras wirklich zu Stande kommt, hat
Schubriug leider wegen Maugels au Raum nicht geben köuueu.
8*
1 16 Minucius Felix.
Mit dieser Frage beschäftigt sich eingehender:
//oay/iaTsca m[>\ Trtg nap' xAßrjVay6pq. (ftÄoorxpix^g yvojaew;. Dissert.
philos. quam scripsit — Anthimus Ioannidcs, Peloponnesins,
Ienae 1883. 44 S. 8.
Nachdem der Verfasser über die Stellung des wissenschaftlichen
Denkens, sodann über die Grenzen des wissenschaftlichen Erkennens
bei Athenagoras gesprochen hat, geht er auf den Ursprung desselben
ein, und er weist besonders darauf hin, dass Athenagoras hierbei beinahe
Alles, oau jxrj FIXarujvixä Ädyet, von den Stoikern übernommen habe, in
der Art, dass sogar vielfach wörtliche Uebereinstimmungen vorkämen.
— Offenbar findet sich vieles Stoische bei Athenagoras, nur betont der
Verfasser zu wenig, dass die Lehrsätze dieser Schule allgemeines Eigen-
thum der gebildeten Welt im Römerreiche geworden wareu.
Der Octavius des Minucius Felix ist in den letzten Jahren
verschiedene Male ediert worden, zunächst im Urtext und in deutscher
Uebersetzung daneben von Beruh. Dom hart, 2. Ausg., Erlangen 1881.
XV, 142 S. 8. Die Uebersetzung war schon in den Jahren 1875 und
1876 in Programmen des Erlanger Gymnasiums veröffentlicht worden.
Nachdem die Exemplare derselben vergriffen, fügt der Uebersetzer einem
neuen Abdruck seiner Arbeit auf Wunsch des Verlegers auch den latei-
nischen Text bei und zwar in der Form, wie ihn Halm hergestellt hat
unter ausdrücklicher Zustimmung desselben, mit nur geringen Abände-
rungen. Die Varianten der Halmsehen Ausgabe stehen unter dem Text,
die Angabe der benutzten Stelleu aus profaneu und auch etwaigen
biblischen Autoren wird in den Anmerkungen zu der Uebersetzung ge-
macht, die Belege für die Abweichungen von Halms Text finden sich im
Anhange, wie auch manche werthvolle sonstige Bemerkungen. Nament-
lich ist hier auch die Benutzung des Seneca durch Minucius sicher er-
wiesen, indem Dombart eine Anzahl Stellen der beiden Autoren neben
einander zum Abdruck bringt. In der Aufnahme von Conjecturen, auch
eigener, ist Dombart mit Recht vorsichtig gewesen, da bei genauerem
Zusehen ein vielfaches Abweichen vom classischen Sprachgebrauch bei
Minucius zu constatieren ist. — Die Uebersetzung liest sich gut und
giebt das Original in ziemlich treuer Weise wieder. Etwas durchaus
Verfehltes habe ich in ihr nicht gefunden.
Weitaus nicht mit der besonnenen Zurückhaltung hat der zweite
Herausgeber J. J. Cornelissen den Text behandelt: M. Minucii
Felicis Octavius, Lugduni Batavorum 1882. XX, 74 S 8. Sowohl Con-
jecturen Anderer als auch eigene hat Cornelissen in reicher Anzahl auf-
genommen, dabei aber deu Sprachgebrauch und die Eigenart des Minucius
häufig genug übersehen. Das Verfehlte in seinem Verfahren ist in einer
längeren Recension von Ernst Klussmauu in der Philologischen Rund-
Minucius Felix. 117
schau 1885, S. 1489- 1494 schlagend nachgewiesen. Mit Klussmann
möchte ich die Ausgabe als einen Rückschritt hinter Dombart bezeichnen.
Die Ausgabe von J. Leonard, die sich eine edition classique avec
une iutroduction litteraire, des notes pbilologiques et un appendice cri-
tique nennt und in Namur 1885, 175 S-, 4, erschienen ist, habe ich nicht
in die Hände bekommen.
Zuletzt ist Octavius noch in der Bibliotheca Teubneriana erschienen:
M. Minucii Felicis Octavius. Emendav. et praefatus est Aemilius Baeh-
rens, Lipsiae 1886, XXXV, 64 S. 8. Der Herausgeber hatte sich schon
früher mit Minucius beschäftigt und spricht in seiner Praefatio zunächst
über den Verfasser, die Sprache und die Abfassungszeit des Dialogs.
Er kommt, was die letzte verlangt, namentlich auf Grund von cap. 7,4:
et ut Parthos siqua repetamus, dirarum imprecationes Crassus et meruit
et inrisit, zu dem mir zweifelhaften Resultat, dass der Dialog zwischen
162 und 163 entweder zu Ostia gehalten, oder veröffentlicht sei. Auch
das Verhältniss des Minucius zum Cbristenthum berührt Baehrens und
spricht sich darüber folgeiidermassen aus: ea usum mentis acie eaque
iudicii sobrietate, qua optimum quemque iurisperitorum Romanorum ex-
celluisse videmus, aliquateuus praecessisse Straussios nostros Renanosque:
reliquit Felix sectae conditoris tamquam dei adorationem impeiitis rudi-
busque et improvide credulis; eoque maiore iure hanc vulgi idololatriam
a se procul arcuit, quo accuratiorem instituerat indagationem de persona
Christi etc. Stand es so mit Minucius, so ist mir sein Uebertritt zum
Christenthum unverständlich. Die Textausgabe ist bandlich und brauch-
bar. In den Verbesserungen, deren hauptsächlichsten er in der Prae-
fatio begründet, geht Baehrens öfter zu weit, z. B. cap. 21, 2, wo
er die Worte: errando inventis novis frugibus, für eine Randbemerkung
ansieht.
Nach Ad. Eberts Untersuchung über Tertullians Verhältniss zu Mi-
nucius Felix entschied man sich mehr und mehr für Annahme der Prio-
rität des Octavius vor dem Apologeticum Tertullians und die Abfassung
des ersteren in dem Anfang oder der Mitte der achtziger Jahre des
zweiten Jahrhunderts. Gegen dieses Resultat ist nun Victor Schnitze,
die Abfassungszeit der Apologie Octavius des Minucius Felix, in den
Jahrbb. f. protest. Theol. 1881, S. 485 506, aufgetreten, und setzt auf
eine sehr willkürliche und sogar falsche Interpretation einer Stelle des
Octavius hin die Abfassung der Apologie zwischen 300 und den 28. Fe-
bruar 303, indem er unter reges und principe« Octav. 29, 5 versteht Dio-
cletianus und Maximianus als Augusti und Galerius und Constaotias als
Caesares, während reges und priueipes sicher ganz allgemein Macht-
haber bezeichnen. Die Schrift Cyprians de idoloram vanitate, welche
den Octavius benutzt, erklärt Schnitze leichthin für unecht Biergegen
vgl. W. Möller: Zu Minucius Felix in den Jahrbuch, f. protest. Theol.
1881, S. 757 f. Sehr gründlich hat die Frage nun erörtert P Schwenke:
1 18 Minucius Felix.
Ueber die Zeit des Minucius Felix in den Jahrbb. f. protest. Theol. 1883,
S. 263 294. Er bält hier namentlich auf Grund der Benutzung der-
selben Stellen aus Cicero und auch aus Seneca seitens des Minucius und
Tertullian an der Priorität des Ersteren fest, weist dann die Abhängig-
keit des Minucius von Athenagoras namentlich gegen Lösche zurück,
der sie in den Jahrbb. f. protest. Theol. 1882, S. 168—178 zu beweisen
versucht hatte, ebenso die Abhängigkeit von anderen griechischen Apo-
logeten ausser von Justin, und kommt unter Benutzung der chronolo-
gischen Anspielungen im Octavius selbst zu dem Resultat, dass der-
selbe in den letzten Jahren des Antoninus Pius abgefasst sei. Mit
voller Sicherheit ist dies nicht erwiesen; ich möchte noch immer an den
ersten Jahren des Commodus festhalten. — Zu dem Ergebniss, dass Mi-
nucius vor Tertullian zu setzen sei, gelangt auch Reck: Minucius Felix und
Tertullian, eine litterarhistorisch-kritische Untersuchung in der Theolog.
Quartalschrift, 1886, S. 64—114. Vor Schultze hatte schon H. Dessau:
Ueber einige Inschriften aus Cirta in Hermes XV, 1880, S. 471-474
den Octavius in das dritte Jahrhundert gerückt, da ein auf Inschriften
vorkommender unter Septimius Severus und Caracalla lebender Triumvir
von Cirta identisch sein müsse mit dem im Octavius vorkommenden Cae-
cilius. Allein diese Identität beruht auf einem sehr schwachen Grunde.
S. dagegen und auch gegen Schultzes Aufstellung K. J. Neumanns Re-
cension eines sogleich zu nennenden Werkes von Feiice in der Theolog.
Literaturzeit. 1881, S. 421-424.
Mit dem Inhalte des Octavius vornehmlich beschäftigen sich:
Etüde- sur 1' Octavius de Minucius Felix par Paul de Feiice.
These pour la licence prösentee ä la faculte de theologie de Mon-
tauban, Blois 1880. 147 S. 8. und
Der Octavius des Minucius Felix eine heidnisch-philosophische Auf-
fassung vom Christentum. Inaug.-Dissert. von Richard Kühn, Leipz.
1882. VIII, 69 S. 8.
Was der erste dieser beiden zunächst über die Abfassungszeit des
Octavius sagt, dass dieselbe vor das Jahr 177, ja sogar vor die zweite
Apologie Justins zu setzen sei, ist von K. J. Neumann in der erwähnten
Recension kurz aber treffend widerlegt. Feiice giebt weiter eine aus-
führliche Inhaltsangabe des Octavius, schildert dann die Eigenthümlich-
keiten der heidnischen und der christlichen Reden und erklärt nament-
lich den Mangel an positiv christlichem Inhalt in der Apologie daraus,
dass diese blos eine Art Einleitung zu einer Anzahl speciell christlicher,
für uns aber verlorener Abhandlungen von Minucius sei. Er weist mit
Recht namentlich hin auf das Fehlen biblischer Citate, auf das beinahe
absolute Schweigen über Person und Werk Christi und über die speci-
fisch christliche Heilslehre. Es sind diese Lücken in einer Verteidi-
gungsschrift des Christenthums sicherlich höchst auffallend. Aber die
Minucius Felix. Tertulliau. 119
Erklärung Felices stützt sich nur auf zwei Stelleu 36, 2 und 40, 2, au
deren erster Minucius allerdings davon spricht, über das fatum später
einmal ausführlicher sich verbreiten zu wollen -■ ob er es gethan, ist
ganz ungewiss - , während die zweite nur eine Nachahmung Ciceros ist.
Aehnlich, nur nicht mit dem Hinweis auf spätere Schriften des Minucius,
hat auch Dombart in der Einleitung zu seiner Ausgabe und Ueber-
setzung es als Zweck des Octavius angesehen, eine feste Grundlage für
die Heiden zu schaffen, auf der dann weiter gebaut werden könnte,
namentlich die Existenz Gottes und die Regierung der Welt durch dessen
allwaltende Fürsorge festzuhalten.
Ganz anders fasst Kühn, wie schon aus dem Titel seiner Schrift
hervorgeht, das Verhältniss des Minucius zu dem positiven Christeuthum
auf: der Apologet ist ein philosophischer Eklektiker von überwiegend
stoischer Färbung, der mit seinen Anschauungen nicht zu weit über die
Popularphilosophie sich erhebt, in dem Christenthum die Zusammen-
fassung aller Wahrheitsmomente, die im Heideuthum nur zerstreut vor-
lagen, findet und dem ersteren den Vorzug vor dem letzteren einräumt,
nicht nur weil es allein im Besitz der vollen Wahrheit ist, sondern sich
auch durch lebendige Sittlichkeit auszeichnet. In das eigentliche Cen-
trum des Christenthums, die Offenbarung des Heils, ist er überhaupt
nicht eingedrungen, konnte deshalb den Octavius auch nicht davon
sprechen lassen. Es ist also die Schrift nur ein »Ausdruck der persön-
lichen Auflassung ihres heidnisch gebildeten Verfassers. a — Es ist diese
Thesis auf Grund genauen Eingehens in den Gedankenkreis des Minu-
cius mit Scharfsinn von Kühn zu beweisen versucht worden, sie hat sehr
Vieles für sich, namentlich wenn man noch wie Kühn, der darin Keim
folgt, in Minucius einen Neubekehrten sieht, der im ersten Eifer für die
ergriffene Lehre nach seiner Fassung dieselbe in der Form eines moral-
philosophischeu Monotheismus vertheidigt. Trotzdem kann ich nicht
umhin, bei Minucius ebensowie bei Athenagoras ein absichtliches Zurück-
halten der tieferen christlichen Erkenntniss anzunehmen.
Gegen Kühn polemisiert Boissier: l'Octavius de Minucius Felix
in dem Journal des Savants, 1883, S. 436 453, und sucht die Ansicht
zu begründen, dass Minucius mit seinem Verschweigen es uur darauf
abgesehen habe, Heiden zu gewinnen. - Die Schrift von Fr. Wilhelm
über den Octavius des Minucius und das Apologeticum Tertulliaus ist
erst 1887 erschienen.
Von den auf Tertullian bezüglichen Arbeiten habe ich hier zu
erwähnen:
Tertullians Ethik. Inaug. - Dissertation vorgelegt von Güuther
Ludwig, Cand. theol., Leipzig 1885. 206 S. 8.
Der Verfasser hat grossen Fleiss zur Bewältigung seiner schwieri-
gen Aufgabe aufgewandt, sich mit Tertullian genauer bekannt gemacht
120 G- Ludwig, Tertullians Ethik.
und, so weit ich gesehen, alles Wichtigere herangezogen. Er will eine
dm chaus objective Darstellung seines Gegenstandes geben und führt
deshalb die Gedanken Tertullians meist in wörtlicher Uebersetzung aus
dessen Schriften an. Die Eintheiliing des ganzen Stoffes nimmt er nach
dem System, welches Luthardt in seinen Vorlesungen giebt, und so be-
denklich dies von vornherein scheint, so kann ich es doch nicht als ganz
verfehlt ansehen, da wenigstens alles Wesentliche auf diese Weise unter-
gebracht wird. Neben der heiligen Schrift als Haupjtgrundlage für die
ethischen Lehren Tertullians und neben den Offenbarungen der neuen
Prophetie in der montanistischen Periode stützt sich, wie Ludwig mit
Recht betont, Tertullian in seinen ethischen Ansichten vielfach auf die
Stoa, besonders auf das ojioXoyoufievüjg zfj pveree derselben, und der Ver-
fasser weist im Verlaufe seiner Darstellung, freilich öfter in etwas zu
äusserlicher Weise, auf diesen Zusammenhang hin. Siehe übrigens oben
S. 67 Wendlands Versuch des Nachweises, dass Musonios von Tertullian
benutzt worden sei, während Ernst Nö ldechen, Tertullians Verhält-
niss zu Clemens von Alexandrien, in den Jahrbüchern für protest. Theol.
XII, 1886, S. 279 — 301, nur die Benutzung des Clemens seitens Ter-
tullians festhalten will.
Den Haupttheil in der Ludwigschen Darstellung nimmt »die
christliche Sittlichkeit in ihrer Erweisung im Handeln« ein und hierin
wieder die sittliche Bethätigung des Christen innerhalb der ehelichen
Gemeinschaft. Dass der Verfasser hierbei und auch sonst scheidet
zwischen einer vormontanistischen und einer montanistischen Periode bei
Tertullian, scheint mir nicht unangebracht. — Fehlt es auch an einer
vollen Bewältigung und Durchdringung des Stoffes insofern, als Ludwig
sich denselben nicht in der Art angeeignet hat, dass er ihn selbständig
aus sich reproducierte, so ist doch für dieses höhere Ziel die vorliegende
Dissertation eine brauchbare Vorarbeit.
Bios auf die Sprache bei Tertullian geht dem Titel nach:
Die Grundsätze und Mittel der Wortbildung bei Tertullian. Zwei-
ter Beitrag von G. R. Hauschild, Progr. des Städtischen Gymnas.
in Frankf. a. M., Leipzig 1881. 56 S. 4.
Obwohl sich diese Arbeit, in Anlehnung an eine frühere desselben
Verfassers, nur auf griechische Wörter in griechischer Schrift mit grie-
chischer Flexion, angewendet zur Erklärung eines vorausgehenden latei-
nischen Ausdrucks, welcher eine Neubildung sein kann, und Aehnliches
bezieht, also einen sehr engen Umfang zu haben scheint, so wird man
doch durch dieselbe zum Theil mitten in die Lehre Tertullians einge-
führt, so bei auzz^oücrcov, ^ys/j-ovexav, tu Auycxuv, tu &ufj.cxuv und iTuBufiij-
Ttxöv, und jeder, der sich inhaltlich mit Tertullian beschäftigt, wird gut
thun, sich mit den Erörterungen Hauschilds bekannt zu macheu.
Frdr J. Winter, Die Ethik des Clemens v. Alex. 121
Die alexandrinisch -christlichen Philosophen werden be-
handelt in:
The Christian Platonists of Alexandria. Eight lectures preached
before the university of Oxford in the year 1886 — by Charles
Bigg, London 1886. XXVI, 304 S. 8.
Ich kenne dies Werk nur aus der sehr beifälligen Recension von
Ad. Harnack in der Theolog Literaturzeittmg 1887, Seite 105- 112,
nach der ich wenigstens Folgendes bemerken will: Für acht Vorlesungen
scheint der Verfasser das Mögliche geleistet zu haben. Die beiden Dar-
stellungen von der Lehre des Clemens und der des Origenes müssen
sehr lesenswerth sein; bei Origenes bat Bigg den Einfluss der griechi-
schen Philosophie wohl zu gering geschätzt.
Eine wesentliche Bereicherung hat unsere Kenntniss des Clemens
Alexandrinus erfahren durch:
Forschungen zur Geschichte des neutestamentlichen Kanons und
der altkirchlichen Litteratur von Th. Zahn, 3. Theil: Supplemen-
tum Clementinum, Erlangen 1884. IV, 329 S. 8.
Abgesehen davon, dass Zahn hier auf das Leben des Clemens ein-
geht, bringt er sehr dankenswerthe Untersuchungen über die Schriften.
so besonders über das achte Buch der UrptopLaTeig , ferner über eine
Sammlung der Fragmente aus sämmtlichen verlorenen Werken des
Clemens, die nichts zu wünschen übrig lässt, und eine sehr dankens-
werthe, mit ausserordentlichem Fleiss angefertigte Aufzählung der Stellen,
in welchen sich Citate aus den noch vorhandenen Schriften des Alexan-
driners finden. Welchen Werth diese ganze Arbeit für die richtige
Würdigung des Clemens hat, brauche ich nicht darzulegen.
Auf einen Theil der Lehre des Clemens bezieht sich eine ausführ-
lichere Schrift:
Studien zur Geschichte der christlichen Ethik von Frdr. Julius
Winter. Erster Band: Die" Ethik des Clemens von Alexandrien.
Leipzig 1882. 233 S. 8.
Nachdem Winter schon in der Zeitschrift für kirchliche Wissen-
schaft und kirchliches Leben I, 1880, S. 130—144, einen Aufsatz zur
Ethik des Clemens von Alexandrien, dann in den Gratulationsschriften
zum Jubiläum E. Luthardts, 1881, eine Abhandlung über die Leine des
alexandrinischen Clemens von den Quellen der sittlichen Erkenntniss
veröffentlicht hatte, giebt er uns hier nun eine umfassende Darstellung,
indem er nach der Einleitung bandelt von den Quellen der sittlichen
Erkenntniss, von dein Menschen, der Idee des (inten, von der Tugend
und der Sünde, von dem Gang der sittlichen Entwicklung und von be-
sonderen sittlichen Vorschriften (hier am ausführlichsten von der Ehe).
122 Frdr. J. Winter, Die Ethik des Clemens v. Alex.
Uns geht hier zumeist das Verhältniss des Clemens zu der griechischen
Philosophie an und zwar nimmt Winter hier eine im ganzen wohlbegrün-
dete Mittelstellung ein zwischen Cognat, der den Clemens zu sehr als
vollen Christen, und Merk, der ihm materiell durchaus von der griechi-
schen Philosophie abhängig sein lässt.
Für die Verschiedenheit dieser Auflassungen ist zum grossen Theil
Clemens selbst mit seinen Inconsequenzen und Widersprüchen, aufweiche
auch Winter bestimmt hinweist, verantwortlich zu machen. Der Ver-
fasser hebt daun hervor, dass Clemens nicht nur Aussprüche heidnischer
Philosophen häufig angeführt habe, um seine Ausführungen zu belegen,
sondern dass er auch sachlich in seiner gesammten sittlichen Anschauung
eine weitgehende Abhängigkeit von der Philosophie verrathe. »Er ent-
lehnt ihr theilweise wörtlich ihre Definitionen, zeichnet sein sittliches
Ideal nach ihrem Schema und ihren Farben und führt geradezu das
Christlich-Sittliche auf ihre Formeln zurück.« Vor allen übrigen sieht
Winter Piaton und die Stoiker als die an, welchen Clemens gefolgt sei,
Piaton, der selbst die christliche Heilsordnung beinahe geweissagt habe,
die Stoiker, die Clemens zwar häufig bekämpfe, die aber trotzdem unter
der Vermittlung Philons den grössten Einfluss auf seine Denkweise aus-
geübt hätten. Gerade die Einseitigkeiten und Verirrungen dieser Schule
hätten die Auffassung und die Darstellung des christlichen Ethos bei
Clemens am meisten erschwert und getrübt. Es ist in dieser letzteren
Bemerkung etwas Richtiges, aber es hätte hinzugefügt werden müssen,
dass die stoische Ethik auch der christlichen am nächsten kommt, und
dass Clemens eben der Meinung ist, mit seinen der stoischen Lehre sehr
ähnlichen Sätzen stehe er mitten im Christenthum. Winter bezeichnet
treffend die eigene Richtung des Clemens als einen Eklekticismus, da
er gemeint habe, der Besitz der Wahrheit gehöre nicht einem der nach-
einander aufgetretenen Systeme an, sondern sei unter sie vertheilt. Nur
sei dieser Eklekticismus nicht der damals gewöhnliche, weit verbreitete.
Meiner Ansicht nach steht er freilich diesem sehr nahe, und Clemens
wird denselben in dem gewöhnlichen Bildungsgange aufgenommen haben.
Daraus erklärt sich auch das Vorwalten- der stoischen Lehren, die, ähn-
lich wie bei Clemens, von manchem Eklektiker, z. B. von Plutarch,
stark angefochten werden und dennoch zu den Ansichten dieser Philo-
sophen Wesentliches, bisweilen das Wesentlichste beigetragen haben.
Wie sehr Clemens namentlich die Stoiker benutzt hat, sehen wir beson-
ders an seinen wörtlichen Entlehnungen im Paidagogos (s. oben S. 67).
Auch in der ganzen Clementinischen Logoslehre steht Stoisches wenig-
stens unmittelbar neben Christlichem und ist mit diesem in engste sach-
liche Verbindung gebracht, wie Winter auch anerkennt, dessen Erörte-
rungen über diesen Punkt (S. 95 ff.) gerade sehr lesenswerth und für
die ganze Auffassung und Beurtheiluug des Clemens lehrreich sind.
M. J. Denis, De la philosophie d'Origene. 123
Die Schrift von R. Taverni sopra il nacoayujyog di Tito Flavio
demente Ällessandrino, Roma 1886, 36 S., 4, ist mir nur dem Titel
nach bekannt.
Ein kurzer Aufsatz ist hier noch anzuführen:
Zur Quellenkritik des Clemens Alexandrinus von E. Hill er im
Hermes 21, 1886, S. 126 — 133.
Einige Notizen bei Clemens scheinen aus den sogenannten Parallela
miuora Pseudoplutarchs geflossen zu seiu; Hiller sucht, wie ich meine,
mit Erfolg, darzuthun, dass zwischen den Parallela minora und Clemens
noch ein anderer Autor das Mittelglied bilde, welcher Notizeu über sa-
crale Antiquitäten sammelte und sich willkürliche Veränderungen er-
laubte, die mau dem Clemens nicht zuschreiben darf.
Auf Origenes bezieht sich ein grösseres Werk:
De la philosophie d'Origene par M. J. Denis, Professeur ä la
Faculte des Lettres de Caen. Memoire couronne par 1'Iustitut, Paris
1884.- VII, 730 S. 8.
Die Akademie hatte als Thema für eine Preisarbeit die Philosophie
des Origenes gestellt und bestimmt, dass bei der Bearbeitung derselben
auch die Quellen dieser Philosophie, sowie ihre Wirkung auf die philo-
sophischen und religiösen Lehren der folgenden Jahrhunderte dargelegt
würden, und ferner dass die Frage behandelt würde, ob die Philosophu-
mena dem Origenes zugeschrieben werden dürften. Es war also eine weite
Aufgabe gestellt, aber abgesehen davon, dass diese letzte Frage in nicht
annehmbarer Weise positiv dahin beantwortet wird, dass der Verfasser
der Philosophumena Gaius sei, und davon, dass Denis die deutsche
Wissenschaft in unverantwortlicher Weise vernachlässigt, wie es scheint
aus Hass gegen die Deutschen, abgesehen von diesen beiden Mängeln,
hat der Verfasser die Aufgabe mit leidlicher Kenntniss und einigem Ge-
schick gelöst.
Bei der Darstellung der Lehre des Origenes kann Denis nicht mir
das eigentlich Philosophische berücksichtigen; er behandelt nach der
Einleitung die Methode des Origenes, die Theologie, Kosmologie, An-
thropologie und Teleologie, die letzte in zwei Abtheilungen: r6surrection
und öpreuves successives, salut universel. Was die Abhängigkeit des
Origenes von der griechischen Philosophie betrifft, bo schlägt D
diese zu gering an und widerspricht sich auch wenn er meint, Origi
verdanke zwar Vieles den Stoikern und Piaton, aber die Frage sei nicht
die, ob er ihnen diesen oder jenen Zug entlehnt habe, vielmehr dju
ob die entlehnten Gedanken lebendige Kräfte in seiner Lehre gewesen
seien. Keines seiner wichtigeren Principieu habe er aus der griechi-
schen Wissenschaft geschöpft. Was er gedacht, das würde er gedacht
haben, ohne die Stoiker und Platon selbst zu kennen; aber wahr Bei,
124 H J. Bestmann, Origenes und Plotinos
dass er ihnen öfter die Form entlehnt habe für seine Gedanken, seine
eigentlichen Lehren stammten jedoch von ihm und seiner Zeit. Nun
das Letzte kann man bereitwilligst zugeben; dann stammen sie aber
wenigstens zum Theil von der damals in Alexandria herrschenden grie-
chischen Philosophie, welche wesentlich platonische und Btoische Ele-
mente in sich trug, und eben durch diese zeitgenössische Philosophie,
die sich freilich mit aus Philon entwickelt hatte, ist Origenes ersl in
seinem Grunde zu verstehen. Dem französischen Verfasser möchte ich
das bekannte Urtheil des Porphyrios über Origenes entgegenhalten,
das uns Eusebios, H. eccl. VI, 19 aufbewahrt hat, und hinweisen will
ich wenigstens darauf, dass Harnack in dem Abschnitt seiner Dog-
mengeschichte über Origenes zu dem Resultat kommt, dass nicht
nur die griechische Ethik in ihrer verschiedenartigen Ausprägung von
Origenes verwendet sei, sondern dass auch die griechische kosmologische
Speculation den complicierten Unterbau seiner religiösen Ethik bilde.
Die Gnosis sei formell Offenbarungsphilosophie, materiell kosmologische
Speculation. Es ist dies meines Erachtens auch zu weit gegangen, steht
aber der Wahrheit näher, als das was Denis behauptet. Dagegen muss
ich letzterem dies zugeben, dass Origenes weniger primäre als seeun-
däre Quellen für seine Bekanntschaft mit der griechischen Philosophie
benutzt habe, ferner auch dies, dass Origenes, obwohl Schüler des Cle-
mens, doch manche Frage behandelt habe, die der Lehrer nicht berührte.
Die der Darstellung folgenden vier Abschnitte sind der Einwir-
kung des Origenes auf spätere Zeiten gewidmet, wobei die origenistischen
Gedanken bis in die neuere Zeit, bis auf Leibniz und Reymond verfolgt
werden. Ob aber Alles, was origenistisch in späteren Zeiten klingt, auch
wirklich, wenn auch durch so und so viel Mittelglieder, von dem alexan-
drinischen Kirchenvater herrührt, muss ja sehr zweifelhaft sein.
Einen bemerkenswerthen Vergleich des Origenes mit einem heid-
nischen Philosophen bringt:
H. J. Best mann. Licent. : Origenes und Plotinos in Zeitschr. f.
kirchliche Wissenschaft, und kirchliches Leben 1883, S. 169-187.
Der Verfasser erkennt vorurteilsfrei an, dass in den antiken Völ-
kern das Christentbum nur dann zu siegen vermochte, wenn es sich
mit den Interessen derselben verband, dass die christliche Kirche eben-
sowohl deshalb siegte, weil sie sich zu opfern, als auch deshalb, weil
sie sich mit dem Gegner zu verständigen wusste, und dass der Ort dieser
Verständigung Alexandrien, der Mann, der sie herbeiführte, Origenes
gewesen sei. Ganz anders als in dem vorhin erwähnten Werke heisst es
bei Bestmann: es sei schwer zu sagen, was bei Origenes überwiege, der
platonische oder der christliche Ideengehalt. Voraus sollen die christ-
lichen Philosophen vor den antiken und so namentlich vor Plotin haben
die realistische Richtung, und diese zeige sich auf dem Gebiete der Re-
Dionysios der Areopagite. 125
ligion in der Lebendigkeit der Gottesidee, auf dem Gebiete der theo-
retischen Erkenntniss in dem Interesse au der Causalitätsidee. Hierbei
schätzt Bestmann die griechische Philosophie und zunächst Plutin zu ge-
ring, wie er überhaupt in die antike Philosophie, sogar in die Lehre
Plotins nicht tief eingedrungen ist. Wenn er den Fortschritt des Christen-
thums betreffs der Lehre vom Logos darin sieht, dass dieser als die
lebendige Ursache der Wirklichkeit der Dinge, nicht nur als die Summe
von Möglichkeiten der Dinge, gelte, so kennt er weder Heraklit noch
die Stoiker, um Plotin nicht zu erwähnen, der ja schon vom Christen-
tum abhängig sein könnte.
Auf eine mit dem Neuplatonismus eng zusammenhängende Erschei-
nung geht eine Dissertation:
Dionysius der Areopagite nach seinem Charakter als Philosoph
dargestellt. Inaug.-Dissert. eingereicht von Ilarion Kanakis, Leip-
zig 1881. 35 S. 8.
Die Schriften, die uns unter dem Namen des Dionysios des Areopa-
giten überliefert sind, verdienen auch nach den Bemühungen früherer Ge-
lehrter, namentlich Engelhardts noch neuer Untersuchungen Mao kaun
nun nicht sagen, dass durch vorliegende Schrift die Fragen nach Ur-
sprung und Abfassung.-zeit derselben wesentlich gefördert seien. Das
Verdienst der Dissertation liegt in einer verbältnissmässig klaren und,
so weit ich gesehen, auch treuen Darstellung der philosophischen An-
sichten des Pseudo-Dionysios. Aus derselben soll sich ergeben, wie der
Verfasser zum Schluss mehr an- als ausführt, dass Pseudo-Dionysios ein
Eklektiker sei, der besonders platonische, aristotelische und platonische
Elemente aufgenommen habe, unter den letzten die Mystik und die alle-
gorische Deutung biblischer Texte, dass er in der Reihe der platonischen
Eklektiker stehe und ungefähr gleichzeitig mit Plutarch, etwas nach
Philon seine Werke verfasst habe. Um dieses Resultat fester zu be-
gründen, bedürfte es viel genauerer Untersuchungen, als der Verfasser
anstellt.
Noch weniger Werth als diese Schrift hat folgende:
Areopagitica. Die Schriften des h. Dionysius vom Areopag. Eine
Vertheidigung ihrer Echtheit von Ceslaus Schneider, Regensbarg
1884. 283 S. 8.
Der Zweck der Schrift ist auf dem Titel angegeben. Es braucht
kaum hinzugefügt zu werden, dass derselbe auch nicht annähernd er-
reicht ist, zumal der Verfasser nicht blos kritiklos verfährt, sondern auch
Mangel an den nöthigen Kenntnissen zeigt.
Mit Pseudo-Dionysios steht in enger Verbindung Johannes Eri-
gena, und deshalb erwähne ich hier kurz eine verdienstliche auf diesen
letzteren bezügliche Dissertation:
126 P- Ewald, Einfluss d<>r atoisch-ciceron Moral auf Ambrosius.
Der Logosbegriff des Johannes Scotus Erigena. Inaug.-Dissert.
vorgelegt von Cand. theol. Georg Buchwald, Oberlehrer am Gym-
nasium zu Zwickau, Leipzig 1884. 72 S. 8.
Der Verfasser stellt in verständlicher und wohlgeordneter Weise
die betreffende Lehre des Erigena dar und kommt zu dem Gesammt-
ergebniss, dass der Logos bildet 1. die Brücke von der Einheit Gottes
zu der Vielheit der Welt und 2. die Brücke von der in Folge der Sünde
der Zerstreuung verfallenen Vielheit der Welt zur Einheit in Gott. Von
Wichtigkeit ist es, dass Buchwald auf den Zusammenhang des Erigena
mit der alten Philosophie, namentlich mit Philon, hinweist, sodann aber
noch deutlicher auf den mit den griechischen Mustern wie Origenes,
Gregor von Nyssa und vor allen mit Dionysios dem Areopagiten, woraus
auch hervorgeht, dass der specifisch christliche Glaube bei Erigena
keine Rolle spielt.
Eine ganz verdienstliche Schrift bezieht sich auf Ambrosius:
Der Einfluss der stoisch -ciceronianischen Moral auf die Darstel-
lung der Ethik bei Ambrosius von Paul Ewald (Doctor-Dissertation),
Leipzig 1881. 88 S. 8.
Im Jahre 1874 war eine Abhandlung von Jac. Reeb über die
Grundlagen des Sittlichen nach Cicero und Ambrosius erschienen, in
welcher die Verbindung der Ethik mit der Religion bei Ambrosius be-
tont wird, während Cicero auf den für seine Lehre unsichern Grund der
Religion die Moral nicht aufbauen wollte (siehe Jahresber. von 1876 — 80
S. 59 f.), ohne dass aber die enge Anlehnung des Ambrosius an Cicero
geleugnet wurde. Ewald lässt nun das religiöse, namentlich das christ-
liche Element bei Ambrosius mehr zurücktreten und führt den Beweis,
dass Ambrosius nicht nur stoische Formen, sondern ganze stoische Ge-
dankengänge in seine Schriften, besonders in die de officiis ministrorum
herübergenommen hat, indem er die einzelnen Abschnitte der ambro-
sianischen Ethik durchgeht: das Entstehen des sittlichen Handelns, das
höchste Gut und die Güter, die Tugend und die Tugenden, die Pflicht
und die Pflichten.- Er weist darauf hin, dass allerdings Ambrosius das
ewige Leben zu den Gütern rechnet, aber zeigt zugleich, dass dieses
»ganz äusserlich an die von der Stoa herübergenommene Bestimmung
des höchsten Gutes als der mit der Tugend gegebenen Glückseligkeit
angeschweisst ist«. Es ist von Werth, dass dieser Sachverhalt klar ge-
stellt worden, besonders deshalb, weil die Bücher des Ambrosius über
die Pflichten als einer der Versuche, die christliche Moral wissenschaft-
lich darzustellen, in der katholischen Kirche sich lange Zeit des höchsten
Ansehens erfreuten, und man so deutlich sieht, wie die griechische Philo-
sophie auch für die christliche Ethik auf lange Zeit hinaus von der
grössten Bedeutung gewesen ist.
J. Storz, Die Philosophie des h. Augustinus. 127
Eine umfassende Schrift über Ambrosius ist erschienen:
Ambrosius, Bischof von Mailand. Eine Darstellung seines Lebens
und Wirkens von Dr. Th. Förster, Halle a. S. 1884. 334 S. 4.
Das erste Buch dieses Werkes behandelt den Ambrosius als
Bischof, das zweite als Kirchenlehrer, das dritte als Prediger Und Dichter.
Uns können hier nur einige Capitel aus dem zweiten Buche angehen,
namentlich die Darstellung seines Verhältnisses zu Philon und Origenes
und seine Ethik. Wenn Förster meint, es sei nicht ein positiver Lehr-
gehalt, der aus Philon in die christlichen Lehrsysteme übergegangen sei,
am allerwenigsten seine Logosidee, so ist diese Ansicht im allgemeinen
ausgesprochen unrichtig, ich glaube auch in Beziehung auf Ambrosius.
Wie eng sich vielfach dieser Kirchenlehrer in der allegorisierenden Aus-
legung des Alten Testaments an den jüdischen Alexandriner angeschlossen
hat, ist hinlänglich bekannt; Förster giebt dafür eine Reihe von be-
zeichnenden Beispielen. Die mehr als formale Anlehnung an Origenes
erkennt Förster mit Recht besonders in den eschatologischen Ideen.
Für die Ethik des Ambrosius sucht er nachzuweisen, dass dieselbe nicht
zusammenhangslos, sondern von dem dogmatischen Staudpunkte beherrscht,
als Ausfluss der religiösen Ueberzeugungen zu verstehen sei, indem
nur die mannigfachen Einflüsse, die man sonst in dem Lehrsystem des
Ambrosius bemerke, auch hier zur Geltung kämen. Meiner Ansicht
nach ist aber dieser Versuch nicht gelungen: Ambrosius hat vielmehr
die verschiedenen Gedankenreihen, die er in seine Ethik aufgenommen
hat, nicht in vollen Einklang mit einander bringen können. Siehe auch
die Recension des Försterschen Buches von Paul Ewald in den Theo-
logischen Studien und Kritiken 1885, S. 786-795.
Philosophische Ansichten Au gusti ns werden mehrfach behandelt.
Ich nenne hier zuerst:
Die Philosophie des heil. Augustinus. Von Dr. J. Storz, Frei-
burg i. Br. 1882. VI, 260 S. 8.
Es ist keine leichte Aufgabe, die sich der Verfasser gestellt hat.
aber im Ganzen hat er dieselbe nicht schlecht gelöst, namentlich in
richtiger Erkenntniss der ganzen Persönlichkeit Augustins, in der sich
Schärfe des Denkens mit besonderer Gemüthstiefe verband. Die letztere
bewahrte Augustin, wie Storz richtig hervorhebt, davor, sich in falsche
Spitzfindigkeit und in abstracten Formalismus zu verlieren, liess ihn die
Dinge weit inniger als mit dem Auge des Verstands erfassen und setzte
ihn in eine Lebensverbindung, in ein persönliches Verhältniss zu Allem,
auch zum absoluten Wesen. Andererseits schützte ihn sein Verstand da-
vor, in eine unklare, verschwommene Mystik zu verfallen. So erklärt es
sich aber, wie sich ebenso die Scholastik als die Mystik auf ihn beriefen,
vor allen aber solche Denker, die das scholastische und mystische Ele-
128 J 8torz, Die Philosophie dea h. Augustinus.
ment in sich vereinigten, z. B. Nicolaus von Cues. Es wäre sehr dankens-
wert gewesen, wenn der Verfasser hie und da auf die Spuren Augusti-
ni eher Gedanken in der weiteren Entwickelung der Philosophie mehr
hingewiesen hätte, als er es thut. Auch bei Leibniz würden solche ge-
funden werden.
Richtig schätzt der Verfasser den Einfluss der neuplatonischen
Lehren auf Augustin in dem ersten Theil seiner Arbeit, worin das Prin-
cip der Augustinischen Philosophie erörtert und der intellectuelle Eut-
wickelungsgang Augustins kurz dargestellt wird. Es heisst da, dass der
Neuplatonismus ihm den Begriff des Immateriellen, die Vorstellung des
Unsichtbaren und Uebersinnlichen gegeben, das ßedürfniss für das Ideale
geweckt, sein Aufstreben zu geistiger Anschauung gefördert und ihn zu
einer optimistischen Weltanschauung erhoben habe. Es hätte hinzugefügt
werden können, dass der ganze religiöse Zug bei Augustin ähnlich war
dem der Neuplatoniker; wie man ja sogar den Versuch gemacht hat,
Augustin als einen Neuplatoniker aufzufassen und zu verstehen. — Ver-
misst habe ich ein Eingehen des Verfassers auf die Urtheile Augustins
über die vorchristliche Philosophie, wie sich diese namentlich in de civi-
tate Dei finden.
Wenn Storz der Forschung Augustins einen durchaus theologischen
Charakter zuschreibt und dessen Philosophie als eine religiös -philoso-
phische Weltanschauung bezeichnet, weshalb er sich auch gegen die Er-
forschung der Naturdinge gleichgiltiger verhalten und die Psychologie
nur im theologischen Sinne wissenschaftlich betrieben habe, so ist dies
richtig, freilich mit dem Zusätze, den wir bei Storz später finden, dass
die Erkenntniss Gottes nicht eigentlich Selbstzweck bei Augustin sei,
sondern dass wir Gott erkennen sollen, um ihn zu lieben und im Ge-
nüsse dieser Liebe unsere Glückseligkeit zu finden; wie nach Augustin
der Besitz der Wahrheit für uns Bedürfuiss ist, da ohne dieselben keine
Glückseligkeit denkbar sei. So hat auch bei Augustin die praktische
Vernunft durchaus den Primat vor der theoretischen. Wenn nun die
Gotteserkenntniss das Endziel der philosophischen Forschung ist, so
bildet die Selbsterkenntniss den Weg zu diesem. Nur in dem Innern
der Seele kann der Mensch den wahren Gott, das Urbild aller endlichen
Geister erkennen. So ist es zu verstehen, wie die ganze philosophische
Forschung durch Augustin eine psychologische Richtung erhielt.
Im zweiten Theil behandelt Storz die Erkenntnisslehre ausgehend
von der Gewissheit des Selbstbewusstseins. Es ist dies bekanntlich der-
selbe Anfang der Erkenntniss oder der Philosophie wie bei Descartes.
Ueberhaupt habe ich bei dem Lesen der vorliegenden Arbeit noch mehr
als früher den Eindruck gewonnen, dass Descartes in mehr Punkten,
als man in der Regel annimmt, mit Augustin übereinstimmt. Ich will
hier nur noch auf die Unbegreiflichkeit der Verbindung von Seele und
Leib, wie sie von beiden ausgesprochen wird, hinweisen. Im dritten
Augustinas. 129
Theil, der Psychologie Augustins, legt Storz besonderen Werth auf die
Immaterialität der Seele, die es allerdings in den Zeiten Augustins zu
vertheidigen galt. Was die Frage nach der Dichotomie oder Trichotomie
bei Augustin betrifft, so muss ich mich der Ansicht Böhringers im Theo-
logischen Jahresbericht über das Jahr 1882, S. 122, anschliessen, dass
Augustin, wo er streng wissenschaftlich verfuhr und nicht durch Polemik
gegen die Manichäer geleitet wurde, die Eintheilung in Leib, Seele und
Geist, also die Trichotomie lehrte, während Storz für die Dichotomie
bei Augustin eintritt. Im vierten Theil folgt die speculative Theologie
Augustins. von der besonders der Abschnitt über die Ideen und deren
Verhältniss zum endlichen Sein lesenswerth ist. - Aufgefallen ist mir,
dass der Verfasser das Problem der Willensfreiheit sehr kurz behandelt,
sowie dass der geschichts- philosophische Gedanke der Civitas Dei bei
ihm nicht zur Geltung kommt, ein Gedanke, mit dem Augustin sich
offenbar in Gegensatz stellt zu dem begrifflichen, geschichtslosen Welt-
prozess der Neuplatoniker.
Ein specielleres Thema finden wir behandelt in:
Des Aurelius Augustinus Metaphysik im Rahmen seiner Lehre
vom Uebel dargestellt von Dr. Konr. Scipio, Leipzig 1886. V, 113 S. 8.
Der Titel ist, wie Ad. Harnack in seiner Anzeige, Theologische
Literatur-Zeitung 1886, S. 592, richtig hervorhebt, nicht gut gewählt, da
der Verfasser nicht sowohl die Metaphysik im Rahmen der Lehre vom
Uebel, als vielmehr im Rahmen der Metaphysik die Lehre vom Uebel mit
darstellt, diese letztere allerdings hervortreten lässt, da Augustins Lehre
vom Uebel zugleich eine Verteidigung Gottes sei. Die Arbeit ist meist
gut geschrieben, hier und da etwas unklar gehalten; auch werden Be-
ziehungen Augustins zu den früheren Philosophen , namentlich zu dem
Piatonismus berührt Der Verfasser handelt vom Wesen Gottes und der
Schöpfung, dann von der Welt als Kosmos, in welcher sich die Vernunft
documentiert; das Uebel ist nur eine Beraubung, nichts Substantielles.
Zuletzt folgt ein ethischer Abschnitt: die Persönlichkeit und der Kosmos.
Ein noch engeres Gebiet bei Augustin betrifft die Abhandlung:
Die Lehre vom Primat des Willens bei Augustinus, Duns Scotus
und Descartes, dargestellt von Dr. Wilh. Kahl, Strassburg 1886.
IX, 126 S. 8.
In dem Theil dieser Arbeit, welcher auf Augustin geht, hebt der
Verfasser hervor, dass sich dessen Psychologie des Willens gründet
auf eine sorgfältige Beobachtung des psychologischen Thatbestandes and
durchaus originell ist im Vergleich zu den froheren Ansätzen in der
griechischen oder christlichen Philosophie. Das Eigenthumliche Augustins
liege eben darin, dass dieser den Willen an die Spitze der seelischen
Thätigkeiten setze, indem der iutellectuelle Determinismus vou ihm über
Jahresbericht für Altertumswissenschaft L. (1887. [.) 9
] MO G Loesche, Plotin und Augustin
wunden worden sei. Um dies zu beweisen, sucht der Verfasser zu zeigen,
dass bei Augustin der Wille frei von allen äusseren und inneren Mo-
tiven sei, und dann, dass bei ihm das theoretische Vermögen sich ab-
hängig von dem praktischen zeige. — Man wird den genauen im ganzen
besonnenen Ausführungen Heifall nicht versagen, und die Erstlingsschrift
verdient auch sonst, abgesehen von den auf Augustin bezüglichen Partien,
alle Anerkennung. Freilich muss der Verfasser selbst zugeben, dass ge-
rade auf der letzten Stufe des Erkennens der neuplatonische Intellec-
tualismus die Consequenzen des augustinischen Standpunktes mehrfach
durchbrochen habe, indem einmal in der Auffassung der Vernunfterkennt-
niss die Spontaneität des Menschen bedeutend hinter der Receptivität
zurücktrete, und dann auch in der Eudämonologie der Primat des Wil-
lens nicht voll gewahrt sei. Diese Concessionen hätten den Verfasser
bei der Aufstellung seiner Thesis etwas vorsichtiger sein lassen sollen.
Eine kurze aber sehr lesenswerthe Abhandlung ist:
Plotin und Augustin, von Lic. Dr. G. Loesche in Berlin, in der
Zeitschrift für kirchliche Wissenschaft und kirchliches Leben, 5. Jahr-
gang, 1884, S. 337 — 346.
Es wird hier nicht in dem ganzen Umfange der augustinischen
Lehre Alles, was auf Plotin zurückzuführen ist, berührt, sondern nur in
einigen Punkten soll das Abhängigkeitsverhältniss festgestellt werden,
zunächst in der Lehre von Gott als dem unbegreiflichen, aber doch ein-
fachen und unveränderlichen Wesen. Gott soll bei beiden qualitätslos
sein, zugleich aber doch Princip alles Seins und erfüllt mit dem höchsten
Inhalte, so dass bei dem heidnischen Philosophen wie bei dem christ-
lichen Kirchenvater ein Widerspruch zu bemerken ist in der Verbin-
dung der verneinenden und der bejahenden Theologie — freilich, wie
bekannt, nicht nur bei ihnen. Sodann weist Loesche auf die Ueberein-
stimmung der beiden in der Lehre vom Schönen und in dem Schöpfungs-
begriff hin, der an einen »akosmistisch- dynamischen Pantheismus« er-
innere, freilich nicht bei Plotin und noch weniger bei Augustin durch-
gebildet sei.
Weniger Augustins Philosophie als vielmehr specifisch seine theo-
logischen Ansichten betreffen die Augustinischen Studien von Hermann
Reuter, die in einer Reihe von fünf Artikeln der Zeitschrift für Kircheu-
geschichte erschienen sind. Ich will nur aus No. IV, Band 6, 1884,
Seite 155 — 192 das Eine hervorheben, dass nach Reuter Augustin das
Griechische soweit verstand, dass er griechische Schriften selbständig,
wenn auch nicht ohne Mühe, zu übersetzen und zu erklären vermochte.
Er selbst hat in dieser Beziehung seine Leistungsfähigkeit unterschätzt.
Es lässt sich demnach annehmen, dass er auch manches Neuplatonische
im griechischen Urtext gelesen hat. In das Jahr 1887 vorgreifend, er-
M. Evangelides, Ueber Neroesius und seine Quellen. 131
wähne ich noch, dass diese fünf Aufsätze, um zwei weitere vermehrt, als
selbständiges Buch erschienen sind unter dem Titel: Augustinische Stu-
dien, Gotha 1887. VIII, 576 S. 8. Aus der sechsten will ich darauf
hinweisen, dass nach Reuter bei Augustin sich die absolute Seligkeit
und die Existenz im Diesseits ausschliessen , dass der Gedanke einer
Vergottung sich allerdings Augustin aufgedrängt hat, aber von ihm
nicht im Dienste einer systematischen Mystik verwendet worden ist,
dass die ethische Weltbetrachtung im Ganzen pessimistisch ist, daneben
aber doch aus metaphysischen und ästhetischen Interessen eine opti-
mistische Tendenz zu Tage tritt.
Mit Nemesios beschäftigt sich theilweise Apelt in der oben be-
sprochenen Abhandlung (siehe S. 57). Auch eine besondere Schrift ist
ihm gewidmet :
Zwei Kapitel aus einer Monographie über Nemesius und seine
Quellen. Inaug. -Dissert. von Margarites Evangelides aus Ky-
zikos, Berlin 1882. 59 S. 8.
Der Verfasser urtheilt über die schriftstellerische Thätigkeit des
Nemesios im allgemeinen richtig, wenn er meint, derselbe habe ein Werk
liefern wollen, das geeignet sein sollte, die Interessen der christlichen
Lehre wissenschaftlich zu begründen. Daher rühre sein eigentümlicher
Eklekticismus, die Art, immer dasjenige von dem früheren auszuwählen,
was sich den christlichen Lehren und Anschauungen seiner Zeit anpasste,
daher der Verzicht auf tiefere philosophische Erörterungen , wie sie in
der früheren Zeit üblich gewesen seien. Evangelides behandelt zuerst
die Lehre des Nemesios von der Lust, die verhältnissmässig ausführ-
lich besprochen wird und sehr an Aristoteles erinnert, aber höchstwahr-
scheinlich von Poseidonios genommen ist (siehe 0. Apelt, oben S. 57).
Dann geht der Verfasser auf den unvernünftigen, der Vernunft nicht ge-
horchenden Theil der Seele über, d. h. auf das Physiologische, und stellt
hier die physiologischen und anatomischen Ansichten Galens in Kürze
voran, um so die Abhängigkeit des Nemesios von Galenos auf diesen
Gebieten klarer zu machen. Zuletzt legt er die inneren Vorgänge des
Thierorganismus und die Stellung des Menschen in der gesammten Na-
tur nach Nemesios dar. Offenbar ist hier die Uebereinstimmung mit
Galenos gross, der aristotelische Gedanken von der Zweckmässigkeit
in dem Natürlichen dazu braucht, um die Weisheit und Allmacht des
Demiurgen darzuthun. — Ob Nemesios nicht noch in manchem Andern
ausser in der Lehre von den Affecten, besonders in der von der Lust,
den Poseidonios stark benutzt hat, ist hier nicht der Ort zu untersuchen.
— Die vorliegende Arbeit liest sich übrigens gut, und es wäre nur zu
wünschen, dass die Fortsetzung bald erschiene.
9*
132 Claudianus Mamertus.
Ein wenig genannter kirchlicher Schriftsteller wird behandelt in:
Die Schrift des Claudianus Mamertus, Presbyters zu Vienne über
das Wesen der Seele (de statu animae). Inaug.-Dissert. vorgelegt
(Leipzig) von Martin Schulze, cand. theol. Dresden 1883. 85 S. 8.
Eine Monographie über diese Schrift war am Platze, und der Ver-
fasser hat die Aufgabe, die er sich gestellt hatte, nicht übel gelöst.
Zwar kommt in den ersten Paragraphen über Lebensverhältnisse und
Schriften des Claudianus Mamertus, über den Anlass der Schrift de statu
animae, über Zweck, Empfänger, Zeit und Ort der Abfassung, nichts be-
sonders Neues heraus, aber sehr brauchbar ist schon die Inhaltsangabe
der Schrift des materialistisch gesinnten Faustus, welche Claudianus be-
kämpfte, sowie der dann folgende ausführliche Auszug aus der Schrift
de statu animae, durch den wir in den Stand gesetzt werden, den Clau-
dianus als philosophischen Schriftsteller zu beurtheilen. Der Darstellung
von Faustus' und Claudianus' Lehren reiht sich eine besonnene Beur-
theilung der letzteren an, sowie schliesslich nachgewiesen wird, wieweit
Claudianus sich abhängig zeigt von der alten und patristischeu Philo-
sophie. Unter den griechischen Philosophen ist es Piaton, dem er am
meisten verdankt, unter den Kirchenvätern Augustin, dem er sich in
vielen Stücken anschliesst. Der Verfasser bemerkt mit Recht, Claudianus
habe von Augustin den theologischen Charakter seiner philosophischen
Forschung, das vorwiegende Interesse für das Geistige und die Gleich-
gültigkeit gegen das Körperliche überkommen. Werth der Untersuchung
wäre es noch gewesen, inwieweit Claudianus durch die Vermittelung
Augustins sich neuplatonische Sätze angeeignet hat. Dass sich Manches
davon bei ihm findet, lässt sich von vornherein annehmen.
Sehr nöthig war eine Ausgabe des Claudianus, die endlich er-
schienen ist:
Claudiani Mamerti opera. Rec. et commentario critico instruxit
Aug. Engelbrecht, Vindobonae 1885. XLIX, 262 S. 8. (Vol. XI
des Corpus scriptorum ecclesiasticorum latinorum ed. consilio et im
pensis Academiae litterar. Caesar. Vindobon.)
Auf Grund der besten Handschriften, unter welchen ein cod. Lip-
siensis M. den Vorzug verdient, hat Engelbrecht den Text in besonnener
Weise hergestellt, sieht sich freilich' durch Bedenken, die ihm gegen
cod. M. während des Druckes aufgestiegen sind, veranlasst, eine grössere
Anzahl von Stellen in der Vorrede zu ändern. Aus einem cod. Sangal-
iens, hat er den vollständigen Brief des Faustus, ebenso einen Brief des
Claudianus an Sidonius, sowie dessen Antwort, und einen Brief an den
Rhetor Sapaudus aufgenommen, dagegen die dem Claudianus früher
fälschlich zugesprochenen Gedichte ausgeschlossen. — Werthvoll sind
die Iudices, namentlich der dritte: Verborum et locutionum, der allein
Nachträge. 133
fünfzig Seiten einnimmt. — Vergleiche dazu die längere Recension von
Paul Mohr in der Philologischen Rundschau, 1885, S. 1417-1424. -
Die von Engelbrecht versprochenen »Untersuchungen über die Sprache
des Claudianus Mamertus« sind veröffentlicht in den Sitzungsberichten
der Wiener Akademie der Wissenschaften Band 110, 1885, S. 423 — 542,
und auch separat erschienen.
Zum Schluss meines Berichtes habe ich Folgendes iu der Kürze
nachzutragen:
Porpbyrii Philosopbi Platonici Opuscula selecta rec. Aug. Nauck
sind in zweiter Auflage Leipzig 1886 erschienen. Auf dem Titel der
ersten Auflage hiess es: Opuscula tria; in der zweiten ist die Schrift
De antro nympharum hinzugekommen. Eine wesentliche Verbesserung
ist die, dass sich die kritischen Anmerkungen jetzt unter dem Text und
nicht in der Praefatio, wie früher, finden. Dass Nauck sich wieder um
den Text auf Grund der Codices und mit Hülfe eigener und fremder
Verbesserungen verdient gemacht hat, bedarf kaum der Erwähnung.
Ein anziehendes Thema behandelt:
Die Schrift des alexandrinischen Bischofs Dionysius des Grossen
»Ueber die Natur«, eine altchristliche Widerlegung der Atomistik De-
mokrits und Epikurs. Von Geo. Roch, Inaug.-Dissert., Leipzig 1872.
60 S. 8.
Der Verfasser stellt die Auffassung des Dionysios von der Ato-
mistik und dessen Widerlegung dieser Lehre in klarer, verständiger
Weise dar, und es ist ein Verdienst, überhaupt auf die uns leider nur
fragmentarisch erhaltene Schrift wieder hingewiesen zu haben. Zu weit
geht Roch, wenn er meint, das Werk habe seine Veranlassung in der
Herrschaft des Epikureismus zu der damaligen Zeit, wenn auch nicht
anzunehmen ist, dass der alexandrinische Bischof in seiner praktischen
Richtung ohne allen äusseren Grund, der iu damals sich zeigenden epi-
kureischen Tendenzen zu finden wäre, die Atomistik so heftig bekämpft
habe. Dass seine gegen Demokrit und Epikur gerichteten Argumente
specifisch christlich waren, wie die Ansicht Rochs nach dem Titel der
Dissertation gedeutet werden könnte, wird Niemand behaupten wollen,
der wie Roch weiss, wie gründlich gebildet Dionysios in der griechi-
schen Philosophie war. Zu bedauern ist es, dass der Verfasser nicht
untersucht hat, wie weit Dionysios in seiner Polemik den PlaUmikern
und Stoikern gefolgt ist. Vergleiche meine Anzeige in dem Literari-
schen Centralblatt, 1883, B. 395 f.
Bericht über die Litteratur zu Plato aus den
Jahren 1880—1885.
Erste Abteilung.
Von
Professor Dr. G. Schneider
in Gera.
Die Staatslehre Piatos in ihrer geschichtlichen Entwicklung.
Ein Beitrag zur Erklärung des Idealstaats der Politeia von Carl
Nohle, Dr. phil. Jena 1880. 8. XX und 169 S.
In der Einleitung giebt der Verfasser den Zweck der Untersuchung,
die philologischen Voraussetzungen, den Gang der Untersuchung und
ihre Resultate in bestimmter und übersichtlicher Form an, so dafs wir
zur Orientierung über die vorliegende Schrift nichts Besseres thun können,
als die wichtigsten Stellen einfach herauszuheben.
»Die nachfolgende Untersuchung beabsichtigt, vermittelst einer Be-
trachtung des Entwicklungsganges der Staatslehre Piatos von derjenigen
des Sokrates an bis zum Idealstaate den letzteren aus seineu Gründen
und Prinzipien zu erklären.« (S. 1.)
»Die philologischen Voraussetzungen, auf welche dieselbe sich
stützt, sind diese: In Beziehung auf die Echtheit und Unechtheit der
platonischen Dialoge ist die Ansicht Zellers (Ph. d. Gr. II, 413 f.) zu
Grunde gelegt worden. Es sind danach aufser dem Staat und abgesehen
von einigen gelegentlich erwähnten Dialogen als Material zur Verwen-
dung gekommen : die Apologie, Kriton, Charmides, Laches, Euthydemos,
Protagoras, Menon, Gorgias und der Staatsmann. Die Reihenfolge, welche
hinsichtlich ihrer Abfassungszeit unter ihnen angenommen wird , ist die
in dieser Aufzählung befolgte Ordnung, nur dafs einerseits Protagoras,
Menon und Gorgias als gleichzeitige Dokumente derselben Enwickelungs-
periode betrachtet werden und andererseits es unbenommen bleibt, den
Euthydem einer beliebigen Stelle zwischen Laches und dem Staatsmann
zuzuweisen. Es wird daraus ersichtlich, dafs auch diese Anordnung von
derjenigen Zellers (a. a. 0. S. 447 f.) im wesentlichen nicht abweicht.
Als Material für die Darstellung der sokratischen Politik haben wir nur
Xenophons Denkwürdigkeiten gelten lassen, indem wir uns der Meinung
C. Nohle, Die Staatslehre Piatos. 135
anschliessen, dafs die platonische Apologie keine Wiedergabe der histo-
rischen Verteidigungsrede des Sokrates ist.« — — — »Den Memora-
bilien dagegen haben wir durchweg Glauben geschenkt und sie in ihrem
vollen überlieferten Umfange für echt gehalten. Endlich ist der Staat
als ein einheitliches Werk und als nach den genannten Dialogen ver-
fafst angesehen worden.« (S. 1 f.)
Der Gang der Untersuchung ist folgender: »1. In der Politik ist wie
in den übrigen Teilen seiner Philosophie der Ausgangspunkt Piatos das
sokratische Denken, und zwar giebt ihm dasselbe auf diesem speziellen
Gebiete sowohl die allgemeinen ethischen Voraussetzungen als auch im
besonderen eine Reihe von politischen Überzeugungen. 2. Schon die
Hinrichtung des Sokrates veranlafst eine teilweise Fortbildung derselben
im Geiste des Schülers; die Zeugnisse dafür sind die Apologie und der
Kriton. 3. Sodann rindet in den kleineren Dialogen Charmides, Laches
und Euthydemos die erste Grundlegung eines neuen Staates nach den
neuen Ideen statt, wohingegen 4. letztere in den folgenden Dialogen
Protagoras, Menon und Gorgias nicht selbst weiter entwickelt werden,
sondern sich mit den entgegenstehenden Prinzipien der politischen Praxis
jener Zeit auseinandersetzen. 5. Einen zweiten ausführlicheren Entwurf
bietet der Staatsmann, auf welchen schiiefslich, nachdem 6. die im
»Staate« niedergelegte Kritik der historischen Politik eine weitere Aus-
bildung der Grundsätze veranlafst hat, 7. der endgültige Ausbau des
Ideals noch in dem genannten Dialoge selbst folgt.« (S. 3.)
Die Auffassung, die sich auf Grund dieser Betrachtung ergiebt,
ist folgende: »Der platonische Staat hat zum Zweck das Glück aller In-
dividuen, welche er in sich vereinigt, und demgemäfs jedes einzelnen
derselben bis zu dem Grade, welcher bei dem Bestände des Ganzen und
bei einer gleichen Befriedigung der Ansprüche aller anderen auf Eudä-
monie möglich ist. Die Glückseligkeit eines Menschen ist nach Piatos
Anschauung nur möglich, wenn alle seine Handlungen durch die Ver-
nunft bestimmt werden. Am vollkommensten geschieht dies, wenn er
selbst die Gebote der Vernunft findet; doch sind nur wenige hierzu im
Stande. Andere können sich dieselben nur so zu eigen machen, dafs
sie ihnen von andern als fertige Normen zugebracht werden. Ein dritter
Teil der Menschen endlich kann die Erkenntnis des Guten weder aus
sich selbst hervorbringen noch von aufsen her in sich aufnehmen; diese
müssen durch Zwang geleitet werden, wenn sie vernunftgemäfs leben
sollen. Der Staat verschafft in Erfüllung seines Zwecks den ersten die
Mittel zur Ausbildung ihres Denkens, d. h. die Philosophie, den andern
die Ethik, welche das Resultat der Philosophie ist, d. h. die Religion,
den dritten die Regierung mit Hülfe von Gesetzen und obrigkeitlichen
Anordnungen.! (S. 3 f.)
»Der platonische Staat giebt demnach seinen Bürgern eine Philo-
sophie, eine Religion und ein Begieiung:>.systein and zwar, da er der
136 C. Noble, Die Staatslehre Piatos.
bestmögliche zu sein beansprucht, dieselben in ihrer Vollkommenheit ge-
dacht. Von diesen drei Stücken gehören die beiden ersten einem an-
dern Gebiete der Betrachtung und Beurteilung an; wir haben es im
einzelnen nur mit dem dritten zu thun. Was Plato in dieser Richtung
geben will, ist eine Antwort auf die Frage: welche Regierung ist die
beste?« (S. 4.)
1. »Der Zweck der Regierung ist, wie aus dem Gesagten unmittel-
bar folgt, das Wohl der Regierten. 2. Dies zu erreichen ist unmög-
lich , wenn nicht die Regierenden das Wissen sowohl von der Bestim-
mung des Ganzen wie von der Natur der staatlichen Dinge, welche
dieser Bestimmung gemäfs geordnet werden sollen, besitzen. Sie sind
daher Männer der Wissenschaft. 3. Das bezeichnete Wissen kann nur
von wenigen erworben werden. Es ist also die Anzahl derselben eine
beschränkte. 4. Das Wissen dieser Wenigen hat nur dann vollkomme-
nen Einflufs auf die Regierung, wenn sie unbeschränkte Macht haben,
ihre Beschlüsse zur Ausführung zu bringen; sie müssen im alleinigen
Besitz aller Gewalt im Staate sein. Dies ist der Fall, indem die Füh-
rung der Waffen der Masse der Regierten entzogen und einem beson-
deren Teile der Staatsangehörigen gegeben ist, welcher unter dem un-
bedingten Gebote der Regierenden steht. Der platonische Staat ist
demnach eine absolutistisch herrschende Aristokratie von
Wissenschaftlichen. 5. Da die eigentlichen Regenten und das ihnen
ergebene Heer, welche beide als Regierende im weiteren Sinne bezeichnet
werden können, alle Macht in Händen haben, so mufs verhindert wer-
den, dafs sie dieselbe zur Befriedigung solcher persönlichen Interessen
mifsbrauchen , welche der Sorge um das Wohl der Beherrschten wider-
streiten; sie müssen incorruptibel sein. Dies wird erreicht einmal
durch ihre Erziehung vermittelst Wissenschaft und Religion und sodann
durch die Aufhebung des Eigentums und der Familie. 6. Da aber andrer-
seits die Regierenden menschliche Wesen sind, welche nur ihre eigene
Glückseligkeit wollen, so mufs der Vorteil der Regierten mittelbar auch
den ihrigen zur Folge haben, sie müssen für eine gute Regierung inter-
essiert sein. Dies ist der Fall, da ihre Wissenschaft und Religion nur
bei einer vernunftgemäfsen Beherrschung der Regierten möglich sind.
7. Endlich kann nur diejenige Regierung eine gute genannt werden, in
welcher das Vorhandensein befähigter Regenten nicht vom Zufall ab-
hängt, sondern ein notwendiges Resultat der bleibenden Institutionen
des Staates ist. Dies wird hier durch die gesicherte Fortpflanzung der
Wissenschaft und der Religion bewirkt.« (S. 4 f.)
Was nun die Verschiedenheit der in der vorliegenden Untersuchung
gewonnenen Auffassung von den bisherigen Anschauungen anlangt, so
wollen wir hier hervorheben, was der Verfasser auf Seite X des Vor-
wortes sagt: »Hier nun ist einer der Punkte, auf welchen eine durch-
greifende Verschiedenheit zwischen den bisherigen Auffassungen und der-
Ch. Waddington, Criton. 137
jenigen eintritt, welche die nachfolgende Untersuchung begründen will.
Wir sind der Meinung, dafs im platonischen Staate der Egoismus der
Individuen in keiner Weise eine Schädigung erleidet, dafs jeder Teil
des Ganzen allein durch das Motiv der Selbstsucht dazu getrieben wird,
diejenige Funktion möglichst vortrefflich und mit Erfüllung aller dabei
notwendigen Bedingungen auszuüben, welche ihm in dem Mechanismus
des Ganzen zufällt. Nicht das Allgemeine ist im letzten Grunde gesetz-
gebend, sondern der Wille des Einzelnen. Wenigstens für Plato existiert
jener Unterschied zwischen Altertum und Neuzeit nicht. Seine Menschen
werden so ausschliefslich von ihrem persönlichen Interesse bewegt wie
nur irgend ein Bürger eines modernen Staates der Theorie oder der
Wirklichkeit.« Wir sind überzeugt, dafs dem ein richtiger Gedanke zu
gründe liegt; wir halten Plato für einen viel zu guten Menschenkenner
als dafs wir annehmen sollten, er habe nicht eingesehen, dafs ein Staat
nur dann Bestand und zwar einen guten Bestand haben kann, wenn den
berechtigten Interessen der einzelnen Teile oder Stände Genüge ge-
schieht. Andererseits scheint uns doch hier eine Übertreibung vorzu-
liegen; Plato wird doch wohl zu seiner Erziehung des bevorzugten Stan-
des das Vertrauen gehabt haben, dafs sie im stände ist eine Gesinnung
zu erwecken, bei der das Motiv der Selbstsucht nicht das alleinige ist.
Im folgenden (Seite 11 des Vorwortes) sagt der Verfasser: »Man kann
noch weiter gehen und fragen, ob es denn eine solche Staatsidee, wie
sie die antike angeblich sein soll, überhaupt gegeben habe.« Wir halten
diese Frage für sehr berechtigt und stimmen auch der folgenden Aus-
führung im wesentlichen zu: »Soviel kann behauptet werden, dafs der
platonische Staat, welcher häufig als Beispiel für das sogenannte antike
Staatsprinzip angeführt wird und vielleicht am meisten Veranlassung zur
Annahme eines solchen gegeben hat, in Wirklichkeit nichts euthält, was
die Existenz desselben beweisen könnte.«
Die ganze Untersuchung ist mit Gründlichkeit und Besonnenheit
geführt, und ich glaube trotz mancher Abweichungen von einzelneu Aus-
führungen des Verfassers, dafs man den gewonnenen Resultaten im we-
sentlichen zustimmen mufs.
Criton ou le devoir du citoyen. Text grec accompagn^ d'une
introduction d'un argument analytique et de notes en francais par
Ch. Waddington. Paris 1880. 8. 56 S.
Die ansprechend geschriebene Einleitung giebt namentlich eine
Darstellung von dem Wesen des Sokrates, soweit eine solche durch das
Wesen der vorliegenden Ausgabe gefordert wird. Bei der Anlage des
Ganzen konnte es allerdings eicht die Aufgabe der Einleitung sein, dieses
Wesen seiner eigentlichen Tiefe nach in innerem Zusammenhange dar-
zustellen. Der Zweck des Dialogs wird auf Seite 16 folgeudermafsen
angegeben: »U ine semble qu'on entre mieux dans l'intention de I'auteor
138 G. d'Eichthal, Socrate et notre temps.
en disant que ce dialogue a 6te ecrit en l'honneur de Socrate lui-möme
et pour completer son apologie: car plus Socrate se moutre bon citoyen,
plus la condamnation portee contre lui doit paraltre injuste.« Die Haupt-
punkte des Dialogs werden geschickt herausgehoben. Der Kommentar
bat wesentlich den Zweck, das Verständnis des Textes zu erleichtern
und will offenbar auch dem wenig Geübten zu Hülfe kommen. Auch
hier zeigt der Herausgeber Geschick, doch wird man nicht überall bei-
stimmen, namentlich wird nicht selten ein sous-entendu gesetzt, wo nichts
zu supplieren ist, und ein equivaut ä, wo die Begriffe genau genommen
doch verschieden sind. Jedoch ist es möglich, dafs dies nicht durch
eine Ungenauigkeit in der Erfassung des griechischen Sprachgebrauchs
herbeigeführt ist, sondern durch das Streben, dem Leser das Verständnis
möglichst zu erleichtern. Der Text ruht auf der Stallbaum -Wohlrab-
schen Ausgabe Piatonis Apologia et Crito, Lipsiae 1877.
Socrate et notre temps. Theologie de Socrate-Dogme de la
providence par Gustave d'Eichthal. (Extract de l'Annuaire de
l'Association pour l'encouragement des Etudes grecques en Frauce. —
Annee 1880.) Paris 1881. 8. VIII und 96 S.
Die interessante und lehrreiche Schrift hat nach den Angaben der
Vorrede den Zweck, die tiefgehende Analogie zwischen der religiösen
Krisis zur Zeit des Sokrates und der unserer Zeit nachzuweisen und
sodann das schliefsliche Vorherrschen des Dogmas von der Vorsehung
in das rechte Licht zu setzen, welches Sokrates zugleich dem wissen-
schaftlichen Skepticismus und dem Aberglauben des Volkes entgegen-
stellte. Ausgebreitet durch den Stoicismus, angenommen von dem Christen-
tum auf grund der griechischen Philosophie ebensowohl als auf grund
der hebräischen Prophetie, ist das Dogma von der Vorsehung, nachdem
es im Mittelalter einigermafsen zurückgetreten, im Laufe des 17. Jahr-
hunderts plötzlich wieder hervorgetreten und ist von da an mehr und
mehr das besondere Kennzeichen des modernen religiösen Gefühls ge-
worden.
Wenn ich nunmehr die Hauptgedanken der vorliegenden Schrift
hervorhebe und kurz bespreche, so mufs ich mich dem Zwecke der
Jahresberichte entsprechend im wesentlichen auf das beschränken, was
der Verfasser über Sokrates und seine Lehre sagt.
Gegenüber dem sittlichen Verfalle seiner Zeit war Sokrates be-
müht, seinen Landsleuten den Grund jeglicher Tugend zurückzugeben:
den religiösen Glauben. »Socrate, a dit excellement M. Grote, a ete un
missionnaire religieux faisant ceuvre de philosophe« (Seite 3). Das ist
dem Verfasser das wahrste Urteil, welches über Sokrates gefällt worden
ist, und welches nicht nur seine Lehre charakterisiert, sondern zugleich
die Heiligkeit seines Lebens und den Heroismus seines Sterbens erklärt.
Dieser Gedanke ist nach der Ansicht des Verfassers bisher längst nicht
G. d'Eichthal, Socrate et notre temps. 139
hinreichend zur Geltung gebracht, auch von Grote nicht, und so will er
dieses Moment zum Gegenstande einer besonderen Untersuchung machen.
Die religiöse Reform des Sokrates stand in engem Zusammen-
hange mit dem wissenschaftlichen Fortschritte seiner Zeit. Das war aber
seine erhabene Auffassung von der Wissenschaft, dafs er in ihr nicht
nur die Quelle unserer physikalischen und mathematischen Kenntnisse
sah, sondern selbst den Grund aller moralischen und politischen Tugenden.
Der Verfasser stützt sich bei seinen Untersuchungen vorzugsweise
auf Xenophon. Plato kann nach seiner Überzeugung nur ausnahmsweise
herangezogen werden, und zwar nur so weit, als seine Angaben sich mit
denen Xenophons nicht im Widerspruche befinden.
In dem zweiten, die Theologie des Sokrates überschriebenen Ab-
schnitte prüft der Verfasser die verschiedenen Beweise, welche Sokrates
für das Dasein der Gottheit in den Gesprächen mit Aristodemus und
Euthydemus in den Memorabilien vorbringt. Von diesen allen erkennt
der Verfasser nur ein Argument als stichhaltig an, dieses ist ihm das
unumstöfsliche Fundament der rationellen Theologie. Er nennt es »le
principe de l'analogie anthropomorphique« , d. h. den Schlufs von dem
Organismus des Menschen, des Mikrokosmos, auf den Organismus des
Alls, des Makrokosmos, von der menschlichen Vernunft auf die gött-
liche. Die Gottheit ist Sokrates nicht allein Geist, sie ist Weisheit, die
die Welt regiert, sie ist Vorsehung. Sie ist der Welt immanent, und
so läfst sich die Thätigkeit, die sie auf die Welt ausübt, nur begreifen
als analog der Thätigkeit, welche die menschliche Vernunft auf den
menschlichen Körper ausübt, als eine fortgesetzte und schützende Ver-
mittelung, als ein umsichtiger Einflufs zu dem Zwecke, die Ordnung und
das Leben in jedem Teile und in dem All zugleich zu erhalten. Das
rechte Wort für diese Thätigkeit der Sokratischen Gottheit ist Vor-
sehung, providence. Zu dieser ihrer Thätigkeit gehört nun auch, dafs
sie den Menschen über das Zukünftige Zeichen sendet, und zwar geben
die Götter den Menschen ihre Benachrichtigungen durch den Anblick
ihrer Werke. (Seite 34: c'est par le spectacle de leurs ceuvres que les
dieux donnent leurs avertissements aux hommes.) Er beruft sich für
diese Annahme auf Memor. IV, 3. 13: "Ott dt ys dkqBy Xiyio xa\ a:>
yvwar], av jirj dvafiivrjQ, icog av rag /io^yr«;- tüjv ftsivv i'Srjg, dW i£apxfl
aoi rä epya auzwv öptuvrt aeßecrHat xa\ rt/iriv :««; Beous, Worte,
die auf Seite 33 folgendermafsen übersetzt werden: Tu reconnaitras que
je dis vrais, lui r£pond Socrate, si tu n'attends pas de voir apparaltre
les formes des dieux; mais qu'il te suffise de voir leura oeuvres. I1
sind die gesperrt gedruckten Worte nicht mit übersetz! und nicht mit
berücksichtigt. Aber mit diesen hat die Stelle einen Andern Sinn als
den vom Verfasser gewollten. Der Sinn kann doch nur sein: Der Mensch
soll nicht warten, bis die Götter in leiblicher Gestalt ihm gegonüber-
treten, um |au sie zu glauben] und sie zu verehren, sondern die Be-
140 G. d'Eichtha), Socrate et notre temps.
trachtung ihrer Werke mufs ihn zu ihrer Verehrung hinführen , wie es
auch im folgenden Paragraphen wiederum heifst: "A %p% xaravooüvra ;j.rt
xarappoveTv tujv dopartuv, dXX' ix rwi/ ytfyopdvtov rtjv Suvatuv abruft
xaTa/iavBdvovra vifiav tö Sai/ioveov. Diese fromme Gesinnung aber ist
die Bedingung dafür, dafs die Gottheit sich dem Menschen mitteilt und
ihm Zeichen gieht, was er thun soll und was nicht. Es kann also aus
dieser Stelle nicht gefolgert werden, dafs nach sokratischer Auffassung
die Götter den Menschen Zeichen über das Zukünftige durch den An-
blick ihrer Werke geben. Doch fahren wir nunmehr in der Darlegung
des Gedankenganges der Schrift fort.
Die Mantik hat zu ihrem Gebiete die zukünftigen Dinge, die der
Mensch aus eigener Kraft nicht vorhersehen oder berechnen kann. Über
diese lassen die Götter denen ihre Benachrichtigungen zukommen, denen
sie günstig sind. Diese Regel bleibt richtig gefafst für den religiösen
Menschen ewig wahr. Die Mantik des Sokrates hat nichts Abergläu-
bisches, nichts Mystisches; sie ist ein vernünftiges Verfahren geeint mit
einem Gefühle des Glaubens an die Gerechtigkeit und das Wohlwollen
der Gottheit, ein Vorhersehen der Zukunft und eine Bestimmung der
Handlungen, gegründet auf eine religiöse Betrachtung der Thatsachen.
Es folgt ein Überblick über die Lehre von der Providenz von der
Zeit des Sokrates bis auf unsere Tage. Der Abschnitt dient dem Nach-
weise des Satzes: »Le vrai dogme du mönde moderne est en effet celui
qui, inaugure par Socrate comme le complement nßcessaire du mono-
theisme, consacre par le christianisme, a ete repris, revivifie, compl^te
par la philosophie moderne; c'est le dogme de la Providence.« (S. 57 f.)
In dem siebenten, »Vraie piete, vertu civile« überschriebenen Ab-
schnitte sucht der Verfasser nachzuweisen, dafs dem Sokrates die Fröm-
migkeit mit der Bürgertugend zusammenfiel. (Seite 62: pratiquer la
loi de la cite c'est pratiquer la piete.) Trotz der eingehenden Dar-
legung des Verfassers und trotz der Vermittelung, die in der »Sancti-
fication de l'Etat« gegeben ist, wird man es ihm schwerlich zugeben,
dafs dem Sokrates die Frömmigkeit in der bürgerlichen Tugend ganz
aufging.
In dem achten von dem Daimonion handelnden Abschnitte weist
der Verfasser nach, dafs für Sokrates und für Xeuophon das Wort rb
öui/xovcov dieselbe Bedeutung hat wie Beög, 6 Seog, ol &eoe, ru &e7ov.
Das Wort bezeichnet also die Gottheit im Sinne des Sokrates: »la Divi-
nite providente, omnisciente, omnipresente.« Die Beziehungen, welche
Sokrates zu dem oatp.6vtov unterhält, sind keine andern als die, welche
jeder vernünftig religiöse Mensch zu der Vorsehung unterhält. Aufser
Xenophon haben die eigenen Schüler des Sokrates ihren Meister in
dieser Beziehung mifsverstanden, in erster Linie Piaton. — Ich kann einen
so tiefgehenden Unterschied zwischen den xenophontischen und plato-
nischen Angaben über das Daimonion keineswegs finden und kann auch
H.Jackson, Plato's Republic VI. 141
das ungünstige Urteil des Verfassers über Plat. Apolog. Cap. 15 nicht
teilen. Aber trotz dieser und der oben angegebenen Abweichungen in
der Auffassung geht mein Urteil dahin, daTs der Verfasser das religiöse
Moment in Sokrates in verdienstlicher Weise zur Darstellung gebracht
und als das ihn beherrschende überzeugend nachgewiesen hat.
Henry Jackson, On Plato's Republic VI 509 D sqq. From the
Journal of Philology, Vol. X S. 132—150.
In scharfsinniger und umsichtiger Erörterung gewinnt der Ver-
fasser in § 1 der Abhandlung (The Line) zunächst das Resultat, dafs
die durch die viergeteilte Linie bezeichnete Proportion folgende Bedeu-
tung hat: Wie sich die Abbilder (die Schattenbilder, Spiegelbilder im
Wasser etc.) der Sinnendinge zu den Sinnendingen verhalten, so ver-
halten sich die Abbilder der Ideen zu den Ideen. Unter den Abbildern
der Ideen aber versteht Jackson die allgemeinen Begriffe. Den Unter-
schied zwischen beiden stellt er folgendermafsen fest: die Idee ist »the
whole completed connotation of the name, as it would be understood by
omniscience, hypostasized«, während der allgemeine Begriff (the general
notion) »is the connotation of the name, as we imperfectly understand it,
not hypostasized«. (S. 136-)
In dem zweiten, »The Cave« überschriebenen Paragraphen deutet
Jackson die Schatten der Statuen, welche die Gefangenen in der Höhle
erblicken, als die Einzeldinge, wie sie von den Sinnen wahrgenommen
werden, die Statuen der Dinge als die Einzeldinge, wie sie an sich sind
oder werden. Beide Arten zusammen machen das Gebiet des do^aaröv
aus. Die Spiegelbilder der Dinge aufserhalb der Höhle sind ihm die
Objekte der niederen intellektuellen Methode, d. h. die Xuyoi, und die
Dinge selbst, die Objekte der höheren intellektuellen Methode, d. h. die
Ideen. Auf grund dieser Deutung wird dann folgende Proportion ge-
wonnen: »Einzeldinge, wie sie von den Sinnen aufgefafst werden, ver-
halten sich zu Einzeldingen, wie sie an sich sind (oder vielmehr wer-
den), wie die Objekte der niederen intellektuellen Methode, d.h. die
lüyoi, die allgemeinen Begriffe, zu den Objekten der höheren intellek-
tuellen Methode, d. h. den Ideen « So ist die ursprüngliche Proportion,
wie sie der Schlufs des sechsten Buches der Republik enthält, in voll-
kommenem Einklänge mit der Allegorie im Anfange des siebenten Buches.
Aus dem Gesagten erhellt, dafs es nach platonischer Anschauung
zwei Methoden der wissenschaftlichen Forschung giebt. Diese legt der
Verfasser in § 3 »The Two Methodse in folgender Weise dar:
Der Arithmetiker und der Geometer gehen von Hypothesen ans.
welche, da ihre Berechtigung nicht durch Aufsteigen zu einem Prinzipe
nachgewiesen wird, ihren hypothetischen Charakter bis zuletzt behalten.
und von diesen Hypothesen aus steigen sie zu den verlangten Schlafe-
folgerungen herab, und zwar bedienen sie sich dabei der Hülfe von
142 H Bertram, Piatons Verteidigungsrede.
sichtbaren Dingen (der Modelle und Zeichnungen). Der Dialektiker geht
wie die Mathematiker von Hypothesen aus, begnügt sich aber nicht mit
ihnen, sondern benutzt sie nur als Stufen, um zu dem Prinzip aller
Dinge, der dp^ toü navrog, aufzusteigen; von hier aus steigt er, ohne
auf die Sinnendiuge zurückzukommen, von Idee zu Idee und so zu der
gesuchten Schlufsfolgerung.
Das wesentlich Neue an diesen feinsinnigen Erörterungen ist, dafs
Jackson als das dritte Glied jener durch die viergeteilte Linie bezeich-
neten Proportion die Aoyoi, d. h. allgemeinen Begriffe annimmt. Wir er-
kennen gern an, dafs Jackson hierfür sehr beachtenswerte Gründe vor-
bringt. Anderseits ist nicht zu verkennen, dafs bei der so gewonnenen
Proportion das Verhältnis zwischen den zwei ersten Gliedern und das
zwischen dem dritten und vierten an einer wesentlichen Ungleichheit
leidet, insofern als die Schatten- und Spiegelbilder der Sinnendinge
diesen niemals adäquat werden, während die Xuyot. den Ideen entsprechen
können. Vergleiche S. 144: »Whenever a Xoyog can be shown to be a
correct and complete account of the appropriate idea, it will be no
longer an bno&eaig, it will become an äpyjj-« Für die herrschende Auf-
fassung, die in dem dritten Gliede jener Proportion bekanntlich das
Mathematische sieht, spricht, abgesehen von der aristotelischen Angabe
in Metaph. I 6, 987 b 14, die auf Seite 134 erwähnt wird, einmal, dafs
Plato in dem folgenden den Unterricht in der Mathematik als propä-
deutisch für den Unterricht in der Dialektik hinstellt, und zweitens die
Stelle, die Plato dem nipag den Ideen gegenüber anweist.
Piatons Verteidigungsrede des Sokrates und Kriton. Für den
Schulgebrauch erklärt von Dr. H. Bertram, Professor an der Landes-
schule Pforta. Gotha (Perthes) 1882. 8. IV und 90 S.
Der Verfasser erklärt in dem Vorworte: »Das Gegebene beruht
auf den Arbeiten der Vorgänger.« Die Einleitung umfafst acht Seiten.
Dieselbe »soll dem jugendlichen Leser Ziel und Ergebnis der alten Phi-
losophie vorführen«. Meines Erachtens kann das nicht die Aufgabe
einer Einleitung zu der Apologie und dem Kriton sein. Eine solche
hat vielmehr lediglich den Charakter des Sokrates und das Wesen seiner
philosophischen Thätigkeit in möglichst einfacher Weise zu klarer Dar-
stellung zu bringen. Die Einleitung müfste ganz anders angelegt sein,
wenn der Schüler davon für das Verständnis der beiden platonischen
Schriften etwas Ordentliches haben soll. — Zugrunde gelegt ist die
Textrezension von M. Schanz, nur sind die von diesem Gelehrten durch
Klammern als kritisch verdächtig bezeichneten Stellen entweder ausge-
schieden, oder, in wenigen Fällen, ohne das Zeichen der Athetese auf-
genommen worden. Andere Abweichungen sind ganz vereinzelt. Frei-
lich sind der Ausscheidungen auf diese Weise ziemlich viele geworden,
aber dem Sinne ist nicht leicht irgendwo geschadet. Bedenken habe
H. Bertram, Piatons Verteidigungsrede. 143
ich in dieser Beziehung nur rücksichtlich der Ausscheidung des 'Ava£a-
yöpou in 26 D. Von den Stellen, wo Bertram die von MS. gewollte
Lesart nicht aufgenommen hat, hebe ich 22 A hervor, wo die Lesart
ha fxoc xal dveXeyxrog rt fiavv. yev. beibehalten ist mit der richtigen
Erklärung: »Der nicht gewollte Nachweis der Unwiderleglichkeit des
Orakelspruchs wird ironisch als beabsichtigtes Resultat hingestellt.« Die-
selbe Auffassung der Stelle findet sich übrigens schon bei Stallbaum.
Der Kommentar ist wohl im ganzen zweckentsprechend gearbeitet,
aber an gar nicht wenigen Stellen wird man von der Auffassung des
Verfassers abweichen müssen. Ich will eine Anzahl solcher Punkte an-
führen. Einen Druckfehler übergehe ich hierbei. Auf der ersten Seite
des Kommentars steht »schön mit Tendenzen und Redensarten aus-
staffierte Rede«, während es offenbar heifsen soll: »schön mit Sen-
tenzen« etc.
19 A ergänzt Bertram zu et n äfizivov xal rj/xTv xal ifio: das Ver-
bum ßeßoöhjjuu. »Wenn ich euch und mir je etwas Gutes gewünscht
habe, so möchte ich wohl.« Gewifs ist einfach kaxiv zu ergänzen. So-
krates wünscht nur in dem Falle die Athener von seiner Unschuld zu
überzeugen und damit seine Freisprechung zu bewirken, wenn es so für
jene und für ihn besser ist. Die Ergänzung ist so einfacher, und der
Sinn entspricht vollkommen dem Standpunkte, den Sokrates bei seiner
ganzen Verteidigung einnimmt.
20 E rt oux i%to vi Uya> »oder ich weifs nicht, wie ich das Ding
(was sie besitzen) nennen soll«. Warum nicht ganz einfach: »oder ich
weifs nicht, was ich sagen soll«? — 21 C wird zu dvo/ian yäp ouSkv
dio/iat Xeysiv bemerkt: »Möglicherweise war es gar der Mitankiäger Ly-
kon.« So wenig begründete Vermutungen bleiben besser weg. — 23 C
wird auzofia-oc fälschlich mit £7:axu?,oußouvzs^ verbunden, während es
zu dem Folgenden gehört. Anstofs erregte nicht der Umstand, dafs
junge Leute ihm nachfolgten, sondern dafs diese ihre Freude daran
hatten zuzuhören, wie andere geprüft wurden und dabei die Nichtig-
keit derselben dargethau wurde, und dafs sie diese Thätigkeit des So-
krates nachahmten und andere prüften. Darum kam es Sokrates hier
darauf an zu betonen, dafs er an dieser Freude und an diesem Thun
der jungen Leute unschuldig sei. — 24 C ist auch Bertram geneigt in
ifidfojoev eine Anspielung auf den Namen Mek/rog zu finden, indem er
auf die »kaum zufällige Häufung der Formen /jls/.ov. fiefisfyxev und
das stammverwandte dfiiletav* im folgenden Kapitel verweist. Dieses
Wortspiel hätte doch etwas recht Frostiges, und da fielet* ein bo ge-
bräuchliches und hier seinem Sinne nach ganz nahe liegendes Wort ist,
so ist eine Nötigung zu dieser Annahme nicht vorhanden.
27 E liest Bertram mit MS. uts ob r<>r> adroü i<rra> xa: Baupfota
xal Beta ijyeio&at und erklärt: »d. i. es sei ein innerer Widerspruch an
Dämonisches uud an Göttliches zu glauben , d. h. wer an Dämonisches
]44 H. Bertram, Piatons Verteidigungsrede.
glaube, könne nicht an Göttliches glauben und umgekehrt.« Wenn man
ob beibehält, so erscheint die hier gegebene Erklärung als die einzig
mögliche, aber meines Erachtens paf^t sie nicht, in den Zusammenbang,
der nur folgender sein kann : Wer an dat/wvta glaubt, mufs an dat'jtovee
glauben, und wer an daftioves glaubt au deot. Dann mufs man aller-
dings das uij streichen. Wenn Bertram in der folgenden Anmerkung
sagt: »Mit dieser Beweisführung ist auch der in xacvä liegende Vorwurf
erledigt, so ist das richtig, aber das »Wie« ist aus seiner Darlegung
nicht zu ersehen.« Pluto mufste Sokrates diesen Vorwurf widerlegen
lassen; sonst hätte sich Sokrates geradezu eine Täuschung zu schulden
kommen lassen, als er den Meletus zu der Behauptung hinführte, So-
krates glaube überhaupt nicht an Götter. Dies Verfahren würde mit
seiner wiederholt betonten Wahrheitsliebe in grellem Widerspruche stehen,
ist aber trotzdem vielfach angenommen worden.
28 A ws fikv iydi obx d8cxw xazd ztjv MzXtjzuü y/japf/V, uu noXkr^q
fxoi ooxsT ehac dnoXoycag. Bertram spricht hier von einer Abundauz der
Negation und übersetzt: »Dafs ich im Unrecht bin, bedarf keiner langen
Widerlegung.« Die Auffassung ist schwerlich richtig. Zugrunde liegt
der Gedanke: »Dafs ich nicht Unrecht gethan habe, bedarf keiner langen
Erörterung.« Die Erörterung ist hier aber zugleich eine Verteidigung,
daher dnoXoyiaq. — 28 B oudkv 8k Secvov, fiy iv i/xoc azfj »es ist aber
durchaus nicht zu besorgen, dafs sie vor mir zum Stehen kommen«.
Das »vor« halte ich nicht für richtig. Sokrates will offenbar sagen,
dafs er gewifs nicht der letzte sein werde. Es mufs also »bei mir«
heifsen. — 31 D <pa)vi] zcg ycyvo/xivr^ wird als Assimilation an das Prä-
dikatsnomen erklärt, »ein Etwas, das zu einer Stimme wird«. Ich halte
diese Erklärung für gesucht. Es ist doch viel einfacher und natürlicher
zu übersetzen: »eine sich erhebende (sich regende) Stimme«. — Zu ei
jxrj dypocxüzepov tjv ebzeh 32 D wird bemerkt: »die Bitte um Entschul-
digung wegen des etwas kräftigen Ausdrucks giebt ihm seine Frömmig-
keit ein«. Näher liegt eine andere Erklärung. Starke Behauptungen
haben überhaupt für das Gefühl des Atheners etwas Unfeines und be-
dürfen daher der Entschuldigung. — 37 BC: dvz\ zoüzou orj eXwpat a>v
eu otd' oti xaxwv ovzwv, toZ ztpy]odp£vog; »cuv partitiver Genetiv, ab-
hängig von zoü = zivog vor zep-yadpsvog«. Ich glaube, dafs der parti-
tive Genetiv von einem bei iXajpac zu ergänzenden Objektsakkusativ ab-
hängig ist. »Statt dessen soll ich also eines von den ausgemachten
Übeln wählen.« Zu zoü bei zipr^aptvog ist xaxoü nicht zu ergänzen.
— 41 E zouq olecq fioo, enEtoäv ijßrjaiuat, zcjxcopqcracr&e. Dazu wird be-
merkt: »Beachte die Wortstellung: seine Söhne sollen sie zur Strafe
ziehen; denn was sie ihm anthun, das ist in Wahrheit keine Strafe.«
So etwas kann doch Sokrates nun und nimmermehr sagen. Auch ist
das, was sie eventuell seinen Söhnen anthun sollen, durchaus keine Strafe;
denn die Ermahnung, die Tugend höher zu schätzen als alles andere,
H. Bortram, Piatons Vorteidigungsredp. 145
kann doch als solche nicht aufgefafst werden. Sokrates bittet die Rich-
ter, die ihn verurteilt haben, seinen Söhnen eventuell dasselbe anzu-
thun, was er ihnen angethan habe. Damit spricht er in der denkbar
bestimmtesten Weise noch einmal seine Überzeugung aus, dafs das, was
er seinen Mitbürgern gethan hat, kein Unrecht war, sondern etwas Gutes
und Heilsames.
Kriton 44 D 'AXX bpag 8rj utc dvdyxrj xal zrtg zwv noXXiuv do&jQ
l±£)>ziv. Dazu bemerkt Bertram: »ozc erklärend »insofern«. Sinn: Die
gegenwärtige Lage der Umstände bedarf keines Kommentars, insofern« etc.
Ich sehe für diese doch etwas künstliche Interpretation keinen Grund,
da ein vollkommen genügender Sinn herauskommt, wenn man ori ein-
fach mit »dafs« übersetzt.
Ziemlich oft mufs ich die Auffassung des griechischen Sprachge-
brauchs für eine irrtümliche erklären. Ich will die Fälle, die mir wich-
tiger erscheinen, kurz besprechen.
17 C rf/ls t7j fjhxtq. war.zn fxeipaxc<p tMj--ov-i loyoug. Dazu wird
bemerkt: »■n.hi.zxovTi statt ■Klar-zohar^ eine Enallage generis, durch das
Vorwalten des in zfids rjj rthxia liegenden Personalbegriffs erklärt«.
Die Erklärung ist richtig, obwohl man auch das 7tXdrrovrt durch das
daneben stehende /lsifjaxcoj erklären könnte, aber wozu wird das eine
Enallage generis, eine Verwechselung des Geschlechts, genannt? Nach
der von Bertram selbst gegebenen Erklärung liegt eine struetura xa-ä
aüvzoiv vor, aber doch keine Verwechselung. Diese Terminologie trifft
das Wesen der Sache gar nicht und ist ganz dazu angethan, eine falsche
Vorstellung bei dem Schüler hervorzurufen. Von einer Verwechslung
spricht Bertram auch bei den Worten kxovzag ädexr-iov in Kriton. 49 A
»Akkusativ statt des regelmäßigen Dativs Diese Abweichung scheint
auf einer Verwechslung mit der Konstruktion von 5er zu beruhen«. Es
ist im Grunde genommen genau derselbe psychologische Vorgang
wie bei dem bekannten quod se oblitum nescio quid diceret, wo der
Konjunktiv durch das vorschwebende oblitus esset veraulafst ist. Da
redet aber niemand von einer Verwechslung. 18 C wird zu äv . . . . £nt-
ozsöoazs. bemerkt: »Auch mit <).v verbunden kann der Aorist wie das
Imperfekt unser »pflegen« ausdrücken«. Diese Regel ist wörtlich aus
Krüger, 53, 10, 3 herttbergenommen, das »auch« beruht aber bei die-
sem auf einer ungenauen oder vielmehr anrichtigen Darstellung des
Aoristus gnoniieus in der voraufgehenden Anmerkung. Zu xaxov n
Xaßetv dn' abrou in 24 E wird bemerkt: tdnd »von . . . her«, wegen
der passiveu Bedeutung von xaxdv rt Xaßetv »Schaden leiden«. Zu
»von . . . her« pafst doch gerade die eigentliche Bedeutung von ka/tßdvetv so
vollkommen, dafs es gar nichl nötig, ja nicht einmal gut ist, deswegen xaxdv
kaftßdvetv als passivischen Begriff zu denken. Zu ix vije ipyr^azpaz
in 26 E giebt Bertram folgende Erklärung: »Die Präposition ix ist ge-
wählt wegen des Begriffs der Bewegung, der ursprünglich in np(aadtu
Jahresbericht fur Alterthumswisseuchaft L.. (1887. I.i IQ
146 H. Bertram, Piatons Verteidigungsrede.
liegt. Wir haben also eine sogenannte Prolepsis ( Anticipation) des
Ortsverhältnisses. Uebersetze: in der Orch.« Unmittelbar vorher ist
gesagt : »Die naturphilosophische Weisheit fand durch die in der Or-
chestra vorgetragenen Chorlieder des Dramas, besonders der Tragödie
des Euripides, weitere Verbreitung.« Bei dieser Erklärung ist doch an
eine Prolepsis des Ortsverhältnisses gar nicht zu denken; die Zuhörer
sind nicht in der Orchestra, kaufen also diese Weisheit auch nicht in
der Orchestra, sondern entnehmen sie aus der Orchestra. Das ix be-
zeichnet also klar und einfach das wirkliche Verhältnis. Anders liegt
die Sache in 32 B bei den Worten zobg ix rrjg vaufxa^ae, in welchen
Bertram unter Vergleichung der eben besprochenen Stelle ebenfalls,
eine Anticipation der Ortsbestimmung findet. Genau genommen kann
von einer Anticipation der Ortsbestimmung auch hier nicht die Rede
sein, denn das ix ist veranlafst durch das ävehofiivouQ und gehört dem
Gedanken nach mit diesem zusammen, ist überhaupt nur durch die Ver-
bindung mit diesem zu erklären. — In dem dianetpw/tevqt in den Wor-
ten ioexev yap wo-sp alvcy/xa £uvzct)svrc ocar:aipoj/id^a> 27 A findet Bertram
ein Part, praes. de conatu. Das aiveyfia £uv~tfrdvac besteht in den
widerspruchsvollen Behauptungen, diese sind aber bereits eine That-
sache, also macht Meletus auch bereits die Probe, also ist an ein praes.
de conatu nicht zu denken. Gerade bei dem Verbum dtamipäo&at sollte
einem der Gedanke an ein praesens de conatu nicht so leicht kommen.
— Zu iuamp xal äXXog zig 28 E bemerkt Bertram: xa\ abundiert«. Da-
mit ist nichts erklärt, ja sogar dem Schüler eine falsche Auffassung nahe
gelegt. Wir sagen gerade so: »Wie auch mancher andere« und haben
gar nicht die Empfindung, dass wir dabei etwas Ueberrlüssiges sagen.
Ebenso verhält es sich mit 33 C comp zcg tzozz xal äXXrj &sca polpa
dvfrpa)7iü) xal bziow npoeriza^s Tipdzzstv, wo xal als »formelhaft abun-
dierend« bezeichnet wird. In ähnlicher Weise wird von dlld in 40 D xal
Birs, prfiepta al'a&rjotg ioziv, dXX olov unvog gesagt, dafs es nur for-
melle Berechtigung habe. Ȇbersetze: Zustand der Empfindungslosig-
keit, einem Schlaf vergleichbar.« Meines Erachtens hat hier dXXä ganz
genau dieselbe Berechtigung und dieselbe Bedeutung, wie überall nach
einer Negation. Der Tod ist ein Zustand, bei dem man gar keine Em-
pfindung bat, sondern sich wie, im Schlaf befindet. Die deutsche Über-
setzung kann daran nichts ändern. 35 C prj ouv dciobzi fis zoiabza 8eiu
npbg bpdg Tipdzzeiv soll deTv »abuudieren« nach prj d^cobzs »verlangt
nicht«. Es ist aber gar nicht nötig, d~couzs mit »verlangt« zu über-
setzen, da man ebenso gut übersetzen kann: »haltet nicht dafür, hegt
nicht die Ansicht«; wenn man aber es mit Bertram durch »verlangt«
übersetzt, so müfste man das deh aus dem Vorschweben des Gedankens
in direkter Form erklären. Mit »abundiert« ist keine Erklärung gegeben.
— Bei den Worten 29 A d obx oloev wird augemerkt: »nämlich zig
»man««. Da kann der Schüler leicht glauben, dafs etwas fehle. Es
Westermayer, der Protagoras des Plato. 147
mufste gesagt werden, dafs das Subjekt dasselbe ist wie in dem vorauf-
gehenden Infinitiv ouxeh und dem davon abhängigen etdsvcu, zu welchem
der relative Satz im Verhältnis des Objektes steht.
Eine Brachylogie findet Bertram in 30 D in den Worten d-o-
xtsfvees . . . rj k-zw.anv,, vt dTifiwffetev, insofern als sie von dem Anklä-
ger gesagt werden, »welcher Todesstrafe oder Exil oder Verlust der
bürgerlichen Ehrenrechte beantragt oder erwirkt«. Nach attischem Sprach-
gebrauche ist der intellektuelle Urheber der Thäter. So ist Agoratos
der Mörder der infolge seiner Denuuciation hingerichteten Demokraten
und wird mit einer ypa<pit <fövou verfolgt. Au eine Brachylogie ist also
nicht zu denken, wenn man von der Anschauung des griechischen Schrift-
stellers selbst ausgeht, nicht von unserer Auffassung und unserer Aus-
drucksweise. — Ebenso wenig kann ich es billigen, wenn die Worte u/xu>v
xsÄs'jovTtov xa: ßowvzwv 32 C als Hyphen bezeichnet werden: »obschou
ihr unter wüstem Lärm dazu antriebt«. Zweierlei that das Volk: es
verlangte ein Einschreiten gegen Sokrates und schrie und tobte. Diese
beiden Thätigkeiten des Volkes giebt hier die Sprache einfach und kor-
rekt wieder. An irgend welche Redefigur ist also gar nicht zu denken.
Ebenso wenig glaube ich, dafs to» dz7oba> ßcaCoi'ftijv 35 D ein Oxymoron ist.
Die Bitte ist auch eine Macht, die uns vielfach zwingt, etwas zu thun,
was wir nicht thun möchten. Man denke an Redensarten wie »mit
Bitten in jemand dringen«, »einen mit Bitten bestürmen« und nament-
lich an unser »nötigen« = durch inständiges Bitten jemand zu etwas
bewegen. Sehr richtig sagt Lälius bei Cicero (de amic. 26) zu den ihn um
eine weitere Darlegung bittenden Schwiegersöhnen: Vim hoc quidem est
afferre: quid enim refert qua me ratione cogatis? cogitis certe.
Wir müssen es als unsere Überzeugung aussprechen, dafs die vor-
liegende Ausgabe in dieser Hinsicht an einem sehr erheblichen Mangel
leidet, und dafs es uns als sehr wünschenswert erscheint, dafs diese
Weise sprachlicher Erklärung recht bald aus den Gymnasien schwinde,
denn mit ihr wird dem Schüler das Verständnis des Sprachgebrauchs
geradezu versperrt. Dagegen gestehen wir gern. dafs die Ausgabe auch
ihre guten Seiten hat und auch manches Brauchbare bietet.
Der Protagoras des l'lato zur Einführung in das Verständnis
der ersten platonischen Dialoge, erklärt von Dr. Adolf Westermayer,
Gymnasialprofessor in Nürnberg. Erlangen 1882. 8. VI. 202 S.
Nachdem der Versuch des Verfassers, durch eine Erklärung des
platonischen Lysis (Erlangen 1875) jüngeren Lesern eine Anleitung zu
förderlichem und genufsreichem Privatstudium des l'lato zu geben, den
Beifall hervorragender Kritiker gefunden hat, wendet er sieh mit der-
selben Absieht an denselben Leserkreis mit einer Bearbeitung des Pro-
tagoras. Rücksichtlieh der Wald dieses Dialoges sagl er auf der ersten
Seite der Einleitung: »Die Wahl dieses Dialoges zu dem Zwecke, an-
10*
148 Westermayer, der Protagoras des Plato.
fangende Leser des Philosophen in das Verständnis seiner Werke einzu-
führen, bedarf keiner Rechtfertigung. Ist ja doch diese Schrift »die
leichteste und anmutigste Einleitung in die platonische Anschauungs-
weise« und noch mehr: nicht hlol's um ihrer künstlerischen Vollendung willen
wert allgemein gelesen zu werden, sondern auch in sittlicher Beziehung ein
wahres Kleinod der Litteratur.« Von dieser Motivierung können wir
nur dem zweiten Teile ganz und voll zustimmen, dem ersten Teile nicht
ohne Einschränkung. Als eine Einleitung in die platonische An-
schauungsweise kann der Dialog wegen seines Inhaltes schwerlich ohne
weiteres bezeichnet werden, und leicht ist ein tiefer gehendes Verständ-
nis desselben nicht. Für beide Momente bietet die vorliegende Bear-
beitung des Dialogs selbst manchen Beleg. Vergl. z. B. S. 194 f.: »Es
ist allerdings auffallend, dafs in einer Schrift, welche die Quintessenz
sokratischen Philosophierens vereinigen soll, das Dogmatische in
solchem Mafse nur angedeutet ist, dafs sogar das eigentliche Thema
nur gleichsam post festum verraten, gewissermafsen nur das Präludium
vorgetragen wird.« Es verdient diese Frage um so mehr Beachtung,
als sie mit einer zweiten, recht wichtigen zusammenhängt: ob denn wirk-
lich der Protagoras so geeignet für die Primalektüre ist, als man so
vielfach glaubt. Doch können wir diesen Gegenstand hier nicht erörtern.
Der vorliegenden Bearbeitung des Protagoras wird man grofsen
Beifall nicht versagen können; es ist eine durchaus sorgfältige und tüch-
tige Arbeit, die auf ebenso eindringendem als umfassendem Verständnisse
und auf einer Betrachtungsweise beruht, die auf die Erfassung des Ein-
zelnen und des Ganzen fortgesetzt gleichmäfsig gerichtet ist. Dabei ist
die Darstellung klar und ansprechend. Am wertvollsten ist nach unse-
rer Überzeugung der letzte, »Einleitung und Schlufs« überschriebene
Teil. In sicheren Zügen wird hier Werden und Wesen der Sophistik
geschildert und das Verhältnis derselben zu der alten Anschauung des
griechischen Volkes, sodann die Stellung des Sokrates beiden gegen-
über zur Darstellung gebracht. »Sokrates stand den Anhängern des
Alten gegenüber mit einer neuen Lehre, den Predigern der neuen Phi-
losophie aber mit dem alten, doch anders und tiefer begründeten Glau-
ben. Gegen jene verfocht er das Prinzip der Freiheit, gegen diese das
Prinzip des Gesetzes.« »Als Vermittelungspunkt zwischen beiden er-
kennt er die menschliche Seele.« »Die Seele ist ihm das wesentliche
Element des Subjekts und als solches der Träger der Freiheit; zugleich
aber ist in der Seele ein Göttliches gegenwärtig, was sie zum Träger
des Gesetzes macht. Als die Frucht der Erkenntnis der Seele verkün-
digt er bewufst- sittliches Leben, in welchem sich alle Kräfte der mensch-
lichen Natur in vollem Gleichgewicht befinden.« (S. 173).
Für Piatos schriftstellerische Thätigkeit in der Zeit als Sokrates
noch lebte wird als eigentliches Motiv folgendes angegeben: »Während
Sokrates durch die Macht des lebendigen Wortes dieses neue Leben
Westermayor, der Protagoras des Plato 149
auf dem Wege der Erziehung durch Erkenntnis zu bewirken suchte, wollte
Plato als sein begeisterter Schüler und nur als solcher dieses Ziel auf dem
Wege schriftstellerischer Thätigkeit erreichen«. (S. 174). »So war das
Hauptziel der platonischen Schriftstellerei scharf bestimmt: Darstellung des
neuen Glaubens und Lebens in der Person des Sokrates als des Ideals
der neuen Menschheit.« (S. 177). Aber »nur so glaubte Plato der gei-
stigen und sittlichen Bedeutung des Sokrates gerecht zu werden, wenn
er sie in dem überwältigenden Einflüsse zur Darstellung brächte, den
er an sich selbst erfahren hatte. So ist das Bild des Sokrates bezüg-
lich seiner Lehre das Bild des platonischen Sokrates geworden.«
(S. 182 f.)
Den Protagoras selbst nun betrachtet der Verfasser »im Verhält-
nis zu den früheren Schriften Piatos als die Zusammenfassung derselben,
als die Vereinigung der in ihnen zerteilten Strahlen und somit als den
Abschlufs jener Periode.« (S. 184.) In gutem Zusammenhange wird ent-
wickelt, dafs »dem Schriftsteller der Inhalt einer ausschliefslich dem
Sokratismus gewidmeten und denselben in seiner Summa repräsentieren-
den Schrift auf das deutlichste vorgezeichnet war: sie mufste die Ethik
des Sokrates nach ihrer formalen und materialen Seite an dem Gegen-
satze der sophistischen Ethik so darstellen, dafs aus der Darlegung ihres
Prinzipes sich ihr System als Konsequenz ergab. Durch diesen Inhalt
war die formale Gestaltung der Schrift bedingt.« (S. 186.) »Die soma-
tische Tugend, nach ihrer materialen und formalen Seite, ist der ein-
heitliche Gedanke der Schrift, der Gegensatz der sophistischen Tugend
nach ihrer materialen und formalen Seite nur als Folie dieses Grund-
gedankens so dargestellt, dafs sich dieser am Widerspruche gegen die
sophistische Tugeudauffassung entwickelt.« (S. 194-)
Der gediegenen Arbeit gegenüber lasse ich abweichende eigene
Auffassungen gern zurücktreten. Nur auf einen Punkt möchte ich auf-
merksam machen. Sehr richtig sagt der Verfasser auf S. 1 73 : »Sokra-
tes betonte die Existenz eines spezifisch sittlichen Wissens, welches der
Mensch mit der Selbsterkenntnis, d. h. mit der Erkenntnis seiner Seele
besitzt. Und indem er nun das von dem modernen Zeitgeist zerrissene
Band zwischen Sittlichkeit und Religiosität von neuem, aber innerlicher
als die vorausgegangenen Zeiten knüpft, erweist er das sittliche Wissen
des Menschen von sich selbst als Gottesbewufstseiu«! Das ist, wie ge-
sagt, sehr richtig, aber es fehlt doch der Nachweis, wir denn mit der
Annahme eines begrifflichen Wissens die Überzeugung, dafs etwas Gött-
liches in uns ist, innerlich zusammenhängt, und gerade der Nachweis dieses
Zusammenhanges ist für die Erkenntnis der Bokratischen Philosophie von
der gröfsten Bedeutung. Auch die folgenden Worte erbringen diesen
Nachweis nicht, so wahr und BChÖD sie auch sind: »Wohl giebt es auch
Gottesoffenbarungen in der äufseren Welt, der Natur; aber die eigent-
liche unmittelbarste Offenbarung des Göttlichen hat jeder Mensch in
150 Morsclli, il demoiie di Socrate.
sich selbst die Selbsterforschung ist ein Innewerden des in uns leben-
den göttlichen Teils — das Leben, das auf dem Wissen begründet ist,
ist ein religiöses, ist eine Verwirklichung des in jedem Mensehen nie-
dergelegten Gottesgedaukens, ist eine Verähnlichung des Menschen mit
Gott.«
E. Morselli, il demone di Socrate. Estratto dalla Rivista
di hlosofia scientifica Anno II, Vol. II, Fase. 1, 1882. Milano-Torino
1882. 14. Grofs 8.
Professor Enrico Morselli, Direktor der psychiatrischen Klinik in
Turin, bekämpft in dieser Schrift vorzugsweise die Annahme, dafs der
Glaube des Sokrates an das Daimonion auf Hallucinationen beruhte und
jene Zeichen und Warnungen in solchen bestanden haben. Was den
positiven Teil der Schrift anlangt, so befindet er sich hier in wesent-
licher Übereinstimmung mit d'Eichthal. Er aeeeptiert mit diesem den
Satz von Grote, »che Socrate fu un missionario religioso sotto le vesti del
rilosofo« (S. 11), und nimmt mit ihm an, dafs die sokratische Vorstellung
von dem Daimonion auf das innigste mit seinen Anschauungen von dem
Walten der Vorsehung, mit seinem sistema providenziale zusammen-
hänge. »Sokrates glaubte au eine fortgesetzte göttliche Einwirkung so-
wohl auf das Denken und die Entschliefsuugen der Individuen, als auf
die Geschicke der Staaten und der Völker. Die Gottheit, welche über-
all gegenwärtig ist, welche alle Dinge, die Worte, die Thateu, die ge-
heimsten Gedanken der Menschen kennt, enthüllt ihnen auch das, was
sich auf die menschlichen Angelegenheiten bezieht«. (S 13.) Damit
wird man übereinstimmen, aber die Übereinstimmung mufs aufhören,
wenn im folgenden zu jenen Zeichen und Mahnungen in erster Linie
die sittlichen und philosophischen Anschauungen ( i coucetti morali e
filosofici) gerechnet werden. Ebensowenig kann man beistimmen, wenn
Sokrates ohne jede Einschränkung als ein Gegner der Wissenschaft be-
zeichnet wird (certo Socrate fu contrario alla scienza e la derise sempre
S. 11), und auch das erscheint einer genaueren Erklärung gegenüber
nicht haltbar, dafs bei Plato die ersten Spuren der Legende von einem
besonderen Daimonion des Sokrates sich zeigen. Doch wir wollen uns
auf Einzelheiten nicht weiter einlassen. Im ganzen mufs mau den Aus-
führungen des Verfassers zustimmen.
Piaton a l'academie fondation de la premiere ecole de Philo-
sophie en Grece par C. Huit, professeur houoraire ä l'institut catho-
lique de Paris. Paris 1882. 8. VIII. 64 S.
Das Buch stellt sich die Aufgabe, folgende Fragen zu beantwor-
ten: 1. Welche Umstände riefen in Plato den Gedanken hervor, diese
Akademie zu gründen und unterstützten ihn in der Verwirklichung die-
ses Gedankens? 2. Was war diese Akademie? 3. Was wissen wir von
Huit, Piaton a l'academie. 151
der innern Leitung der entstehenden Institution und von dem Pro-
gramm, welches dabei befolgt wurde? 4. Welche Wechselfälle hatte sie
bei Lebzeiten des Stifters durchzumachen?
Der hauptsächlichste Inhalt des Buches ist folgender: Eine Philo-
sophenschule im eigentlichen Sinne des Wortes hat es in Griechenland
vor der Gründung der Akademie nicht gegeben. Plato prädestinierte
sein ganzes Wesen dazu, das Haupt einer Schule zu werden. Es er-
füllte ihn nicht nur das Streben zu wissen und zu schreiben, sondern
auch zu unterrichten. Hätte es in Athen eine Sorbonne gegeben, so
hätte sich Plato sicherlich um einen Lehrstuhl beworben, aber Athen
hatte noch keine öffentliche Lehranstalt. Sein umfassendes und tief-
sinniges System eignete sich nicht für die Menge, nicht für zufällige
Hörer, sondern erforderte auserwählte und vorbereitete Schüler. Dazu
kam die im Phädrus dargelegte Auffassung von dem Werte schriftlicher
Darlegungen im Verein mit seiner bedeutenden Beredsamkeit. Zugleich
glaubte er so wirksamer gegen den verderblichen Einflufs der Sophisten
ankämpfen zu können. Es folgt eine Beschreibung der Lage, eine Er-
klärung des Namens und eine Geschichte des Platzes bis auf die heu-
tige Zeit; sodann werden die Verhältnisse Athens und die Eigentüm-
lichkeiten der Athener dargelegt, welche die Gründung einer solchen
Schule begünstigten. — Plato übte bei seinen Lebzeiten eine Art gei-
stiger Königsherrschaft aus. Alle Berufsarten, alle Stände waren in
seiner Schule gleichmäfsig vertreten. Mit dem vorschreitenden Alter
entsagte er allmählich dem öffentlichen Unterricht, um sich ganz seinen
eigentlichen Schülern zu widmen.
Das Datum der Gründung ist unbekannt. Der Gedanke, den Phä-
drus gewissermafsen als die Einweihungsrede des neuen Instituts zu
betrachten, wird zurückgewiesen. Lehrgegenstand war ausschliesslich
die Philosophie, Bedingung für den Eintritt Kenntnis der Geometrie.
Huit ist geneigt zu glauben, dafs sich die Unterrichtsweise Piatos je
nach den Umständen und den Erfordernissen des Augenblicks bald der
Weise des Sokrates, bald der des Aristoteles genähert habe. Er lehrte
wahrscheinlich promenierend, vielfach umgeben von einer grofsen Zahl
von Schülern und Zuhörern, in lebendigem Wechselverkehr mit diesen.
Die Dialoge erschienen als ein direktes Echo dieser Unterhaltungen.
Der eminent volkstümliche Charakter der sokratischen Unterrichtsweise
ist durch die Methode Piatos ebenso wie durch sein System ausge-
schlossen. Bei ihm zeigt sich immer der Lehrer« Seine Dialoge in-
augurieren in Griechenland den philosophischen Stil. Schliefslich hat
Plato eigentliche Vorlesungen eingeführt. Dafs das Wesen des Plato
etwas Heiteres hatte und auch der Verkehr mit seinen Zuhörern diesen
Charakter trug, dafür bernfl sich Unit auf das Symposion.
Einen seiner würdigen Schüler hat Plato nicht gehabt; derjenige,
der an Geist ein zweiter Plato war, ist sein gefährlichster Gegner ge-
152 Goebel, Apologie und Kriton.
worden. Unter den Augen Piatos selbst war die Eintracht im Schofse
der Akademie manches mal gefährdet. In erster Linie ist hier Aristo-
teles zu nennen, der seinen Lehrer verliefe, ja beinahe verriet. Line
exoterische und esoterische Lehre Piatos hat es nicht gegeben.
Im letzten Kapitel giebt Iluit eine Geschichte des Wortes Aka-
demie und der Akademien, die er selbst als eine sehr unvollständige
bezeichnet.
Viel Neues lernen wir aus dem vorliegenden Buche über diesen
Gegenstand nicht; das Wesentliche steht z. B. schon bei Zeller, wenn
auch nur auf wenigen Seiten. Dagegen erkennen wir gern an, dafs die
einschlägigen Fragen in besonnener und einsichtiger Weise erörtert und
beurteilt werden.
Piatos Apologie des Sokrates und Kriton. Für den
Schulgebrauch bearbeitet von Dr. Ed. Goebel, Gymnasial -Direktor.
Paderborn 1883. 8. XVI. 112 S.
Im Vorwort spricht sich der Verfasser über die Einrichtung einer
Schulausgabe und über die für die Konstituierung des vorliegenden
Textes von ihm beobachteten Grundsätze aus. Den ersten Punkt mufs ich
hier übergehen. Was die Konstituierung des Textes anlangt, so ist der
Ausgabe der Hermann'sche Text zugrunde gelegt, »doch sind auch die
kritischen Ansichten anderer nach Gebühr berücksichtigt und insbeson-
dere die trefflichen Arbeiten von M. Schanz für die Textesrevision zu
rate gezogen worden«. — »Von dem in den besten Handschriften über-
lieferten Texte wurde uur da abgewichen, wo triftige Gründe dieses zu
fordern schienen.« — »Als völlig unberechtigt mufs es aber erscheinen,
den Text nach der subjektiven Ansicht dieses oder jenes Gelehrten, un-
bekümmert um die Auktorität der Handschriften, willkürlich zu
gestalten und z. B. alle von demselben durch Klammern — »die ja nie-
mand schaden« — als kritisch verdächtig bezeichnete Stellen einfach
auszuscheiden.« — Diese Bemerkung ist, wie auch die Note zeigt, na-
mentlich gegen Bertram gerichtet, zugleich aber auch gegen M. Schanz.
Vergl. mit »die ja niemand schaden« M. Schanz Piatonis opera I S- X:
qui nimium verebantur uncos adhibere nemini noxios. Auch nach meiner
Ansicht ist es keineswegs immer nötig, die von M. Schanz eingeklam-
merten Worte auszuscheiden, manchmal sogar nicht gut, aber in der
Apologie und im Kriton ist mir kaum eine Stelle bekannt, wo durch eine
solche Ausscheidung dem Sinne geschadet würde.
Die Einleitung zerfällt in zwei Teile: I. Piaton und So-
krates (S. IX — XIV), II. Piatons Apologie des Sokrates und
Kriton (S. XIV— XVI). Der erste Abschnitt von I behandelt Piatos
Leben und Entwickelungsgang bis zum Tode des Sokrates. Hieran
schliefst sich eine Darlegung des Lebens und Wesens des, Sokrates, und
in einer Fufsnote wird über die Entwickelung der griechischen Philo-
Goebel, Apologie und Kriton. 153
Sophie bis auf Sokrates und über das Wesen der Sophistik gehandelt.
Das ist eine Anordnung, durch die der innere Zusammenhang zerrissen
wird, denn dieser gebietet doch offenbar folgende Anordnung: Ent-
vvickelung der griechischen Philosophie bis auf Sokrates und Sophistik,
Sokrates, Plato. Auch manches sachlich Falsche enthält die Einleitung.
So heifst es, um nur einen Punkt hervorzuheben, auf S. IX: »Daher
wandte sich sein (Piatos) Geist von der Spekulation über das Sein uud
Werden (Physik und Metaphysik) der praktischen Seit e der Philo-
sophie (Ethik) zu und entschied sich dafür, dafs die Seele des
Menschen Gegenstand des Forschens und Erkenuens sein müsse und
dafs die Wahrheit in der begrifflichen Erkenntnis des den-
kenden Geistes {vuug) zu suchen sei.«
Die übrigen Abschnitte von Einleitung I geben eine Übersicht
über das Leben Piatos von 399 bis zu seinem Tode und über seine
schriftstellerische Thätigkeit. Es werden hierbei die meisten der pla-
tonischen Schriften aufgeführt und den verschiedenen Lebensperioden
Piatos zugewiesen. Das wäre besser weggeblieben.
Aus dem zweiten Teile der Einleitung wollen wir nur die beiden
Sätze herausheben, die den Zweck der beiden Dialoge angeben. »Die
Apologie des Sokrates ist nicht nur eine Widerlegung der gegen diesen
erhobenen Anklage und indirekt ein bitterer Vorwurf und eine herbe
Kritik für die Athener, sondern zugleich eine Lobrede auf Sokrates,
der als Muster und Ideal eines echten Weisen verherrlicht und zur Nach-
ahmung hingestellt wird.« (S. XV.) »Nicht zur Verteidigung der Freunde
des Sokrates gegen die Nachrede, als wenn sie aus niedrigen Beweg-
gründen die Rettung desselben unterlassen hätten, auch nicht zum Schutze
des Sokrates selbst gegen schiefe Beurteilung seiner Handlungsweise,
als ob er ohne triftige Gründe die Hülfe der Freunde zur Flucht aus-
geschlagen, ist Kriton geschrieben, sondern um das Bild seines erhabenen
Charakters zu vervollständigen, der lieber Unrecht leiden als Unrecht
thun will und der schlimmer als den Tod die Verletzung der Pflicht
erachtet. Die Frage: »Wer ist ein guter Patriot ?« hat uns Piaton durch
das leuchtende Beispiel des Sokrates beantwortet. Wer, wie dieser, vor
allem ein guter und edler Mensch ist und jegliches Unrecht bafst, der ist
notwendig auch ein guter Staatsbürger.« (S. XVI.) Ich Btimme dieser
Auffassung bei und erkenne gern an, dafs die ganze Einleitung klar
und im ganzen sachgemäß abgefaßt ist. Wollte man freilieh an eine
solche Einleitung die Anforderung stellen, dafs sie das Verständnis des
Wesens und der Bedeutung des Sokrates, Boweil es in der Apologie
und im Kriton zur Erscheinung kommt, in einfacher und klarer Weise
zu erschliefsen habe und /war so, dafs das Einzelne in seinem innern
Zusammenhange erscheint, so wurde auch die vorliegende Einleitung
nicht wenig zu wünschen übrig lassen.
Wenn wir uns nun zur Betrachtung des vorliegenden Textes und der
154 Goebel, Apologie und Kriton.
erklärenden Anmerkungen wenden , so müssen wir uns dabei auf die
Hervorhebung einer Anzahl von Punkten beschränken. S. 17 A liest
Goebel sehr richtig mit MS ajQ yj>rj vpäg eöAaßeto&ou für yj^v. Zu
ei jikv yap zdbzo Uyuuoiv 17 ß wird bemerkt: »fiev steht hier, wie auch sonst
öfter, ohne ein folgendes de noch im Sinne von prp; so ist unser »zwar«
ein abgeschwächtes ze wäre = in Wahrheit.« Das ist ja an sich ganz
richtig, aber hier erklärt sich das p£v doch einfach durch die Annahme
eines dem Redenden vorschwebenden, aber nicht ausgesprochenen Gegen-
satzes: »Wenn sie es aber in anderem Sinne nehmen (so, wie man es
gewöhnlich versteht), dann bin ich gar kein Redner.« 19 C sind die
Worte ilt) mog iycb brJ) MeÄijzoo zoaaüzag dexag (füyoipi beibehalten und
erklärt »damit ich nicht etwa (eventuell) . . . verklagt würde,« nämlich
ei emocfii xepc tmMou noietabai Toiaurtjv iziaz/ji^u. Daher der Optativ
im Finalsatze trotz vorausgehendem Präsens.« Aber da die Anklage
gegen Sokrates bereits erhoben und die Anklagereden bereits gehalten
sind, so kann er das doch kaum noch sagen, auch pafst diese Er-
klärung dem ohy log äzipäCwv gegenüber gar nicht in den Zusammen-
hang. 19 E sind in dem Satze zoi'jzojv yap ixaazog, w ävopsg, oio'g
t3 iazlv la>v xzX. die Worte 616g r eaziv ohne Klammer beibehalten
mit der Rechtfertigung: »Anakoluthieen dieser Art sind charakteristisch
für die Redeweise des Sokrates«. Diese Anakoluthie ist allerdings etwas
hart, steht aber meines Erachtens nicht in Widerspruch mit einer Rede-
weise, wie sie im ersten Kapitel der Apologie gezeichnet ist. 20 C sind
die Worte el py zi izpazzsg dXXotov rj ol noXXot ohne Klammer beibe-
halten, indem erklärt wird, dafs sie zwar allenfalls entbehrt werden
könnten, aber keineswegs störend seien. Auch ich wäre für Beibe-
haltung. 21 A steheu in dem Satze ohzog epög zs kxdipog rtv ex veou,
xai v/xwv -w Titydet iraTpdg zs xai <-uvi<p<jye z/jv (puyrjv zaözr^ die Worte
ezcupog ze xai ohne Klammer. Ich glaube, dafs man für die Tilgung
dieses wenig geschickten Zusatzes sein mufs. 21 C wird geschrieben
otacrxonwv oüv — zoüzov ovdpazi yap oüSsv ddopai Xiyziv xzX. Dafs
diese Verbindung etwas Unnatürliches hat, sieht wohl ein jeder; dafs
der- von Goebel dafür angeführte Grund, nämlich weil bei oiaaxonziv
sich sonst nirgendwo ein persönliches Objekt finde, nicht stichhaltig
ist, hat Kral in der Vorrede zu seiner Ausgabe S. XI gezeigt. — 21 E
aca&avopevog pkv xai hmobpzvog xai deoiojg, indem offenbar xai- xai als
korrespondierende Partikeln gefafst und die beiden letzten Participien
dem ersten subordiniert werden. MS klammert das erste xai ein, wo-
durch auf jeden Fall die Ausdrucksweise verständlicher und gefälliger
wird. Doch eine Notwendigkeit der Tilgung des xai kann nicht be-
hauptet werden. 22 A Tva poi xai dveleyxzog y pavzeia ysvoizo mit
der auch von Bertram gegebenen Erklärung. Goebel vergleicht gut
unser: »Er zog gesund in den Krieg, um als elender Krüppel heimzu-
kehren«. 22 C äzfja oüv xai ivzsü&ev m» auzw oidpsvog Tiepiyzyovivai^
Goebel, Apologie und Kriton. 155
MS tw o.u-oj abrwv, ein Zusatz, der gegenüber dem folgenden ajxsp
xal tujv 7toXtTixwv als notwendig erscheint. 23 A xal <patvexai xoüxo
Xsyecv ~uv üatxpdxy, 7tpoaxe%pija&at dk zip ip.a> dvö/iaxt mit der Er-
klärung : »Das tooto weist auch hier auf das folgende oti ouxog ujiujv etc.
hin und wird nach der Zwischenbemerkung (meinen Namen aber ge-
braucht er nur, indem er mich als Beispiel aufstellt etc.) durch uja-zp
av ei etnoc etwas locker aufgenommen. a Dieser Erklärung gegenüber
ist ganz gewifs an der Lesart toüt' ob Xsysiv festzuhalten. Wenn übri-
gens Goebel patvexat to~jto liytiv »offenbar will er dieses sagen«
übersetzt, so ist die Übersetzung ungenau. 23 C wird zu abxöpiaxot in
den Worten: IJpbg ok zoözuig oi viot poc iitaxoXooBouvxeg , otg pdhara
G'/ofy ao~Tiv, oi tujv Tt\ooOiU)xdxu)V, abxöiuaxoi %a/pou<TiV dxouovxeg S:ZTa-
Zopievotv xtä. bemerkt: *abxdp.axoi, durch parenthetische Einschiebsel von
inaxoAou&obvxeg getrennt und dadurch noch mehr hervorgehoben«. Ich
habe diese Auffassung schon bei der Ausgabe von Bertram, der sie
teilt, besprochen. 24 A soll der Zusatz xal tujv noXtxtxwv durch fol-
gende Darlegung gerettet werden: »Dafs Anytos als Repräsentant so-
wohl der Gewerbtreibenden, als auch der Staatsmänner bezeichnet
wird, ist im Munde des Sokrates nicht ohne Ironie. Auch mochte er
den Lykon nicht gerade als einen Staatsmann aufführen ; daher macht
er ihn zum Vertreter der oben (Kap. 6—8) nicht besonders genannten
Klasse der pr/xopeg (= oi elat&öxeg heyeiv), die im weiteren Sinne aller-
dings zu den nohxtxot gehören. Vergl. 32 B«. Das letzte weist doch
selbst darauf hin, dafs hier die py-opsg an Stelle der tioIitixoi eintreten.
25 A ist oi ixx/\rjacaa-ai nach oi iv xf) ixxhjaia beibehalten. Der Zu-
satz erscheint geradezu unerträglich. 26 A tujv toioutujv xal äxo>joiujv.
Es werden zwei Möglichkeiten der Erklärung geboten: »Entweder ist
xat explikativ zu nehmen, ähnlich wie nach noXhu und ulcyoi, oder
tujv xotouxwv heilst so viel als »so unbedeutender«, wie 25 D TijXixoorog
und xrjkxoads = »so jung und so alt«. Was die erste der gebotenen Mög-
lichkeiten anlangt, so mül'ste man doch übersetzen: wegen derartiger und
zwar unfreiwilliger Vergehen, was logisch inkorrekt ist, da »derartigt
hier eben »unfreiwillig« ist; im zweiten Falle würde Sokrates die ihm
zur Last gelegten Vergehen, denn an diese könnte doch nur gedacht
werden, für unbedeutende erklären, was doch geradezu anmöglich ist.
26 C sind die Worte xal abzog dpa vo/itZoi etvat &eoug, x<l\ oöx eipl vb
napdnav ä&sog obSk xauzfi dStxöj in Parenthese gesetzt, und sie werden
in der Note für eine parenthetische Folgerung erklärt, die gram«
inatisch ganz unabhängig sei. Meines Erachtens kann es gar keine
Frage sein, dafs auch diese Worte von dem voraufgehenden nörepov
abhängig sind und die Parenthese also zu tilgen i^t. 26 D ist die Lesart
'Ava^ayopou tnac xaxyyopelv, 3t y.'/s MiÄqxe, w.} »■irei xaray>p*9v8tg rwvde
xal oiet xtä. ruhig beibehalten ohne jede Erörterung, So einfach liegt
die Sache keineswegs. 26 E ix nyc dp^rjarpag npeafiivotc- Es werden
156 Goebel, Apologie und Kriton.
die beiden bekannten Möglichkeiten der Deutung vorgeführt, dafs ent-
weder an einen Buchhandel in der Orchestra zu denken sei, was Goebel
für das wahrscheinlichere hält, oder dafs gemeint sei, »dafs die drama-
tischen Dichter, insbesondere Euripides, 6 axijvexbg <ptX6oo<poG, der-
gleichen philosophische Lehren auf die Bühne brachten. Der ungenaue Aus-
druck »auf die Bühne brachten« verleitet ihn dann zu dem irrtümlichen
Zusatz, dafs bpyrjarpa dann Synekdoche = axr^ oder (Hoirpov wäre.
Beide Erklärungen sind wenig wahrscheinlich. Das Richtige giebt wohl
v. Wilamowitz-Mölleudorf in Hermes XXI, H. 4. 1886, S. 603, Anm. l.
Wir wenden uns zu der vielgeprüften Stelle 27 D E. Hier setzt
Goebel die Worte vöfroi revkg rj ix vt>[i<pu>v rt ix ztvtuv aA/Mv, ujv dr, xal
Xiyovzat in Parenthese, indem er sie für einen epexegetischen Zusatz
erklärt, auf den für die Argumentation als solche nichts ankomme.
Das ist nicht richtig. Soll die Argumentation für den Athener irgend
welche Bedeutung haben, so mufs sie sich auf den Boden des attischen
Volksglaubens stellen. Dies geschieht ganz bestimmt bereits mit den
voraufgehenden Worten: zobg de daijiovag obyl rjzoi Heobg ye r^obpzba
rj &aa>v natdag; und das geschieht von neuern hier unter ausdrücklicher
Hervorhebung (Vergl. cuv orj xal Xiyovzat). Indem so die Argumen-
tation den Boden des attischen Volksglaubens gewinnt, mufste nun auch
der Athener bei deu Göttern, an die nach dieser Argumentation So-
krates glaubt, an die Götter des attischen Volksglaubens denken und
konnte darunter nicht ezepa xatva dacpdvca verstehen Tobg rjpcdvo'jg
ist eingeklammert, weil »dieser Zusatz im Munde des Sokrates nur dann
Sinn hätte, wenn er vorhin das vo&oc zivzg als wesentlich urgieren
wollte«. Demnach mufs die Klammer beseitigt werden, wenn unsere
obige Darlegung des Zusammenhanges richtig ist. Dann darf es aber
nicht waxep av e? zeg Ttttiojv pkv Tiatdag ijyoczo ij xal ovojv heifsen, wie
Goebel liest, sondern das rj vor xae ist zu tilgen. 27 E Anfaug liest
Goebel dXX , tu MiXrjze, oux sazcv dnatg ab vauza obyl d-onecpujpevog
iypdipco [~rjv ypaiprjv rawTjyv] rt dnopwv xzX. Der letzte Satz von 27 E
erscheint in folgender Gestalt: oticus de ab riva Tree'&ocg av xal aptxpbv
youv vobv e'yovza dv&pujTiojv (ojg ob roh auzou iure xae daipovia xal ßeTa
rjyeca&at, xal au zob auzou prtze daipovag p^/~£ &£obg [p^e r^ocuag]),
oudepc'a pY/avrj iaziv. Das unhaltbare youv ist demnach beibehalten,
sodann ist wieder einmal die Parenthese angewandt, aber wiederum
nicht mit Glück. Das Verbum xec&oeg fordert unbedingt ein sachliches
Objekt, und dieses kann nur in dem Satze mit cog gegeben sein. Dann
mufs aber ob vor zob auzou gestrichen werden. Wenn schliefslich Goebel
das zweite zob auzou unbeanstandet läfst, so mufs gesagt werden, dafs
logisch genommen dieses nicht blofs überflüssig, sondern auch störend
ist. Doch kann man sagen, dafs ein grofser Nachdruck auf diesem
zob aÖTou liegt, und dafs wir in der improvisierten Rede (diese soll
ja hier nachgeahmt werden) solche Begriffe selbst gegen die Logik
Goebel, Apologie und Kriton. 157
wiederholen. So liefse sich also diese Wiederholung psychologisch
rechtfertigen. 28 A d dy noXXobg xal äXXo'jg xal dya&obg avdpag
rjpyxev, oljxac ob xal aiprjost (MS noXX.obg xaXobg xal dya&obg — —
acp^ascv), indem gesagt wird: »noXXobg steht prädikativ (in grofser Zahl
= oft schon); das erste xal heifst »auch«, das zweite »und zwar«.
30 E wird puaxf' richtig als Pferdebremse gefafst. Ibid. wird inter-
pungiert og bpäg iystpiov, xal mtftujv xal övscSc^ojv Iva Ixaazov, obokv
nduopai, so dafs die beiden letzten Participia dem ersten untergeordnet
sein sollen. Eine unhaltbare Auffassung. Wen ich überzeugen will, der
mufs schon aufgewacht sein. 31 B elyov av ziva Xöyov. Besser MS
zlyev xzX. 31 C ^upßouXebw nspudtv xal izoXu7:paypovu>. Besser MS
TioXwapaypoviöv. 31 E ou yäp zaztv oaztg ävd-pwxaiv aiuMfizzat ouzz bpTv
ouze aViO> nXrftzi oboevc yv^aaug iva.vztubp.zvog. »Die Dative können
wegen der Negation nur abhängen von aojU^azza'., nicht von ivavztobpzvog.«.
Das giebt einen schiefen Sinn. 32 A prj bnzcxatv oz dpa xal dp av
dnoXöiprjV. Eine meines Erachtens vollkommen unhaltbare Lesart. 32 B
werden die Worte xal zvavzia ifaptoäpr^v geschützt durch die Erklärung:
»Diese Worte lassen sich füglich auf die Abstimmung unter den Pry-
tanen selbst, ob sie der ungerechten Forderung des Volkes nachgeben
sollten, beziehen.« Aber dem Zusammenhange nach denkt man doch
hier nur an sein Auftreten dem wütenden und tobenden Volke gegen-
über. 33 B dXX bpoc'wg xal nXoualco xal nevijxt Tiapzyiu ipauzbv (ipcozwv
xal, idv Ttg ßobXryzai, änoxpcvbpzvog) dxobztv div dv Xz'ycu. Eine schwer-
lich haltbare Konstituierung des Textes. 35 B sucht Goebel die Lesart
ouze bpäg ypij noieiv zu rechtfertigen. Meines Erachtens mufs es un-
bedingt rjpdg heifsen. 37 B zobzou ripyjodpevog im Texte, in der An-
merkung heifst es aber unter auderem: »Oder ist etwa zoü (= rcvog)
zu schreiben?« Das kann meines Erachtens kein Zweifel sein. 37 C
ou yäp eazi poc, ypyjpaza bnothv exzioio. Eine geradezu unglückliche
Weise der Interpunktion. In der Anmerkung: »Das Wort yp^paza ist
wohl Glossem?« Diese Vermutung entbehrt jedes Grundes. 40 E xal
yäp obdzv r.lzb>v 6 nag xpovog, nicht nXzta>v mit der Erklärung: obSzv
nXelov (= nihil plus, nichts weiter) verlangt der Sinn; odSkv -Xzuuv
hiefse »gar nicht längere Ich stimme dieser Auffassung bei.
Kriton 45 B wird für £evot ouroi ivftddz gelesen: csW zzc (= auch
noch) zvitddz (sc. eloh) It. ävaX.: »ouroe, welches auch nur prädikativ
sein könnte, kann neben zvhdoz nicht wohl bestehen«. 48 B KP. (dijAa
8y xal xabza, <fairj yäp &v, m Sdtxparsg. 20. \lXrti>ft keyetg. Die Worte
Kritons werden erklärt: »Freilich, denn, das zeigt ja offenbar auch der
vorliegende Fall, würde er sagen«. Das ist mir nicht recht klar. 48 E
liest Goebel: iug iy<b nep\ noXXoo notoupat Ttaooat <tz raora npdvrstv und
giebt folgende Erklärung: »wie ich denn groJEsen Wert darauf lege, dich
davon abzubringen, so zu handeln oder dieses zu betreiben, i. e. noXXdxtg
pot Xzyztv zbv abzbv Xbyov xzX. , jedoch nicht ohne deine Zustimmung«.
158 Goebfil, Apologie und Kriton
Ich gebe der Lesart r.eiaag ae zabza npdrzeiv den Vorzug. Goebel
sagt allerdings: »Bei Hermanns Lesart neiaag <re r. 7i/>., d. b. dich über-
redet habend = »mit deiner Zustimmung hierin zu handeln« , würde
Tieiaaq ae nur positiv dasselbe besagen, was durch <).),/,<). fiij Sxovxoq
negativ ausgedrückt wird. Auch ist der Zusammenhang mit dem un-
mittelbar voraufgehenden nicht recht klar«. Aber der erste Grund ist hin-
fällig; denn vielfach lieben wir es, wenn wir auf etwas grofsen Nach-
druck legen, dasselbe positiv und negativ auszudrücken, sodann scheint
mir der Zusammenhang ganz klar zu sein. Sokrates fordert den Kriton
zu gemeinsamer Prüfung auf, denn es liegt ihm sehr viel daran, dafs
er das was er thut (nämlich dafs er sich der vom Staate über ihn ver-
hängten Strafe nicht entzieht) mit der inneren Zustimmung des Kriton
thut und nicht gegen seinen Willen. Dieser Gedanke scheint mir dem
Zusammenhange besser zu entsprechen als der bei Goebels Konstituierung
des Textes sich ergebende. 51 D steht im Texte d prj dpiaxocp.su , in
der Anmerkung aber »sc prj dpiaxocpsv (oder dpiaxopsv?)« . Mir er-
scheint dpiaxopsu durchaus als das richtigere. 52 D y>doxovr£g as copo-
Xoyrjxivac noXcrsösa&ac (MS 7ioXczsöasoDac) xa&' rj/mg spyoj \dXX' ob Xoyoj].
Die Einklammerung der letzten Worte wird durch folgendes gerecht-
fertigt: »Wenn spyoj wie 51 E mit copoXoy. zu verbinden ist, so erscheint
der dann vielmehr abschwächende als steigernde Zusatz als ein müfsiges
Glossem«. Aber meines Erachtens liegt es viel näher es mit noXczsbosfrac
zu verbinden, und dann ist auch gar kein Anstofs daran zu nehmen. Es
wird mit diesem Zusatz bestimmt auf die Reden hingewiesen, die Sokrates
so oft im Munde geführt hat, log y dpszrj xal jy oixacoabu^ r.Xscazoo
a£cou zolg duftpuirrocg xal zd uöpcpa xal ol u6p.oc. 53 C. Vergl. 53 E.
— 52 E werden die Worte ^uu&yxa; zag r.pbg t^päg abroug im Texte
beibehalten. Doch nimmt Goebel in der Anmerkung Anstofs an abzobg
(»Was die Hervorhebung des rjpäg durch abroug bezweckt, sieht man
nicht«), und vermutet aauzob (zs). Die Vermutung ist kaum eine glück-
liche zu nennen. 53 A werden die Worte SrjXou oze zhc yap dv nöAtg
dpiaxoe dusu vopcuv durch die Erklärung geschützt: »Das fast adverbiale
drjXou ozt = »das ist klar« gehört lediglich zu dem letzten Begriff uöpota.
Dafs so ein richtiger, dem Zusammenhange entsprechender Sinn heraus-
kommt, ist mir gewifs, zweifelhaft aber, ob die Ausdrucksweise eine
korrekte ist. 54 A wird gelesen: ol yap sruzrjSsioc ol aol sr.cpsXrjaovzac
abzwu. nozepou, käu slg SszzaXcau dnoorjprjaflg, ETicpsXyaouzac, iäv 8k xzX.
Die Anmerkung giebt folgende Erklärung: ol yap (»freilich«) sr.czijdscoc
ol aoe impsXyoouzac abzwu antwortet der Fragende mit ironischem Tone
aus dem Sinne des Sokrates, um diesen sogleich durch die folgende
Frage ad absurdum zu führen. Die Wiederholung des Zeitworts er.ip.eL
und dnodrjp.. bietet bei dem Charakter der Rede nicht den mindesten
Anstofs.« Das Letzte ist richtig, aber die Grundlage der Erklärung
falsch. Die Worte ol yap smzrjöscoc ol aol sTicpsXrtaouzac abzwu können
Purves, Selections from the dialogues of Plato. 159
nicht ironisch aufgefafst werden. Das würde ja ein herber Tadel gegen
die Freunde des Sokrates sein und nicht in den Zusammenhang passen,
der doch nur folgender sein kann: »Die Dir nahe Stehenden werden ja
für Deine Kinder sorgen. Aber das werden sie doch ebenso gut thun,
wenn Du in den Hades, als wenn Du nach Thessalien ausgewandert
bist«. Der ironische Ton beginnt erst mit rrorepov.
Beigegeben sind der Ausgabe zwei recht brauchbare Register, ein
Register der Eigennamen und ein Register zu den Anmerkungen.
Die Ausgabe macht den wohlthuenden Eindruck einer sorgfältigen
und gewissenhaften Arbeit, und wir stehen trotz mancher Abweichungen
in der Auffassung nicht an, sie als ein im ganzen brauchbares Schul-
buch zu bezeichnen.
Selections from the dialogues of Plato with introductions and notes
by John Purves and a preface by B. Jowett. Oxford 1883. 8.
XXIX. und 404 S.
Die von Purves und Jowett gemeinsam getroffene Auswahl ent-
hält die Apologie und den Kriton ganz und aufserdem ausgewählte Ab-
schnitte aus sechzehn Dialogen: Charmides 155 E- 158 E, Lysis 207 D
— 210 D, Laches 182D-184A, Protagoras 310 A-316 A, Jon 533 C
— 535 A, Phaedo Anfang— 69 E und 114 D— Schlufs, Symposion 215 A
— 216 C und 220 C-222 A, Phaedrus 228 A — 230 E, 245 C-249 D,
258 D-259 D und 274 B — 275 B, Cratylus 425 B - 428 D, Gor-
gias 511 C— 512 B und 521 C— Schlufs , Alcibiades I 120 E-124 B,
Republ. I Anf. -331 D, II 376 E — Schlufs, III 405 C — 408 C und
414 B- Schlufs, V 472B-474B, VI 487 A-489 C, VII Anf.-520 E,
VIII 557 A - 558 C und 562 A — 563 E, IX 588 A — Schlufs, X 613 E
—Schlufs, Timaeus 20D-26E, Phileb. 15 D - 17 A, Theaet. 172 C
-177 C, Legg. I 644 D— 645 C, III 676 A— 682 E, IV 719 C-720 E,
VII 816 D -817 D, X 887 C-891 A.
Wir müssen uns begnügen den Inhalt der von Jowett gegebenen
Einleitung ihren wesentlichsten Punkten nach kurz darzulegen und zu
besprechen. Die vorliegende Sammlung soll nicht eine Einführung in
das platonische System sein; sie hat einen mehr litterarischen als philo-
sophischen Zweck. Bevor der junge Studierende für abstraktes Denken
reif ist , kann er sich mit dem Stil Piatos in seiner vollendetsten Form
mit Vorteil bekannt machen, er kann seinen Geist mit schönen Stellen
anfüllen zu einer Zeit, wo Einbildungskraft und Gedächtnis noch ihre
volle Frische und Kraft haben. Und wenn er später die Stellen im Zu-
sammenhange liest und ein neues Licht auf sie fällt, dann wird er sich
freuen seine alten Freunde wieder zu finden; er wird zu ihnen mit ge-
steigertem Interesse zurückkehren, indem er wahrnimmt, dafa mehr in
ihnen war als er glaubte. Einem solchen Zwecke will diese Auswahl
dienen, und man mufs zugestehen, dafs sie von diesem Gesichtspunkte
160 Purves, Selectiona froxn the dialoguee of Plato
aus betrachtet eine geschickte und gute ist. Dabei entgehen die Män-
gel, die jeder Auswahl anhaften, Jowett selbst nicht,
Sodann legt Jowetl den Charakter des platonischen Dialogs in
ansprechender Weise dar und entwirft ein anschauliches Bild von dem
Wesen des Sokrates. Hierauf bespricht er noch zwei Punkte: die popu-
läre und halb poetische Fassung der platonischen Ideen und den wahren
Ursprung und die wahre Bedeutung derselben. Der Verfasser geht
dabei im wesentlichen von der bekannten Angabe des Aristoteles in
Metaph. XII 4 aus, dafs Sokrates mit Recht zwei Entdeckungen zuge-
schrieben werden können: die der Induktion und die der allgemeinen
Begriffe. Plato nahm nun an, dafs die allgemeinen Begriffe für sich be-
stehen, und auf grund dieser Annahme ergeben sich ihm vier Arten der
Erkenntnis, denen vier Klassen von Dingen entsprechen: 1. Die Dinge
an sich, gathered up into the Idea of Good, which is the Divine essence
and first and final cause of them. 2. Zahlen und Zahlenverhältnisse.
3. Sinnendinge, welche die Erscheinungen oder Abbilder der Ideen sind,
geordnet und unterschieden durch die Zahl. 4. Die Schatten von sol-
chen Objekten , welche die Phantasiebilder und Schöpfungen des Men-
schen sind , die Welt der Dichter und Mythologen , die von der Wahr-
heit doppelt entfernt ist. — Wir haben hierbei nur darauf hinzuweisen,
dafs die den Zahlen und Zahlenverhältnissen von Plato beigelegte Be-
deutung bei No. 3 durchaus nicht hinreichend zur Geltung kommt. Die
Zahlen und ihre Verhältnisse, mit andern Worten das Mathematische
hat nicht blofs eine ordnende und unterscheidende Bedeutung für die
Sinnendinge, sondern diese werden ihrem Wesen nach durch mathe-
matische Verhältnisse konstituiert.
Diese eben skizzierte Theorie glaubt Jowett als die populäre Form
der Ideenlehre bezeichnen zu dürfen, und er findet dieselbe namentlich
in der Republik, dem Phädon und Menon. leb halte diese Bezeichnung
für eine recht bedenkliche; nach meiner Ueberzeugung ist es Plato mit
jener Theorie voller wissenschaftlicher Ernst, und er wendet sich mit
ihr an wissenschaftlich denkende Kreise. Auch glaube ich nicht, dafs
wir hierin eine besondere Form der Ideenlehre haben, die später von
Plato stark modificiert oder gar aufgegeben worden wäre. Jowett glaubt
ferner, dafs gerade gegen diese Form der Ideenlehre sich die Angriffe
des Aristoteles vorzugsweise richten. Er fafst diese in folgende drei
Hauptargumente zusammen: l. Wie ist ein Unterschied zwischen der
Idee und dem Sinnengegenstande möglich? 2. Wer vermag irgend wel-
che Beziehung zwischen den Ideen und den Sinnendingen nachzuweisen?
3. Haben solche transcendentale Speculationen irgend welchen Nutzen?
Damit ist die eigentliche Basis der aristotelischen Polemik gegen die
Ideenlehre immer noch nicht nachgewiesen, die damit gegeben ist, dafs
Aristoteles die caussa efficiens in der platonischen Metaphysik vermifst.
Hat Aristoteles damit recht, so ist seine Polemik im wesentlichen un-
Gitlbauer, Piatonis Laches. 161
anfechtbar, hat er damit unrecht, so fallen fast alle seine Angriffe ohne
weiteres in nichts zusammen. Jowett erachtet die aristotelische Wider-
legung Piatos für eine definitive, wenn die Theorie Piatos in buchstäb-
lichem Sinne genommen wird. »But the ideas of Plato are really poetry
or imagery.« Mit dieser Verteidigung geschieht meines Erachtens dem
Philosophen Plato kein Gefallen. Richtig ist dagegen, dafs all den
mannigfachen Darstellungen der Ideenlehre, die sich bei Plato finden,
ein Gedanke zu gründe liegt: Die Wahrheit der allgemeinen Begriffe.
Einen Fortschritt findet Jowett in den späteren Dialogen Piatos,
besonders in dem Sophisten und dem Staatsmann. Die phantasievolle
und schwankende Sprache verschwindet, und Plato ist ernstlich bemüht
die Ideen zu verknüpfen, nicht mit den Erscheinungen, sondern unter
einander. Er legt nirgends ihr Verhältnis zu den Erscheinungen dar;
er ist zufrieden, dafs sie mit einander verbunden sind, und betrachtet
sie nunmehr als die Glieder oder Momente eines erkenntnistheoretischen
Systems. Bei dem Versuche die Ideenlehre auf ihr logisches Skelet
zurückzuführen, findet Jowett zwei Sätze: 1. Während Aristoteles und
Sokrates die Idee als in äufseren Objekten oder in dem Geiste selbst
existierend betrachten, gewannen für Plato die Ideen eine solche Inten-
sität und Realität, dafs sie, wenigstens für eine Zeit, sowohl von dem
Geiste als von äufseren Objekten getrennt wurden. 2. Infolge dieser
Sonderexistenz der Ideen zeigte sich eine andere Schwierigkeit, die
Frage nach ihrem gegenseitigen Verhältnisse. Es galt das Problem des
Einen und Vielen und damit die grofse Frage der Aualysis und Syn-
thesis zu lösen. Es mufste gefunden werden, nicht blofs wie das Ganze
in seine Teile aufgelöst, sondern auch, wie die Teile in ein Ganzes
vereinigt werden können. — Durch No. 1 stellt sich Jowett in der Auf-
fassung der Ideenlehre auf denselben Boden, den Aristoteles für seine
Polemik gegen dieselbe dadurch gewinnt, dafs er die causa efficiens in
der platonischen Metaphysik ignoriert; aber dieser zieht auch die not-
wendige Konsequenz dieser Auffassung: die Ideen sind nichts anderes
als aca&yzu älötu, die für die Welt und die Dinge in ihr keine Bedeu-
tung haben. Dafs Plato schliefslich den Ideen nur eine Bedeutung für
unser Denken beigelegt habe, wie Jowett glaubt und wie wir es z.B.
bei Shorey wieder finden, davon kann ich mich nicht überzeugen, und
auch Aristoteles geht bei seiner Polemik offenbar von der Annahme aus,
dafs Plato den Ideen auch für die Sinnenwelt eine Bedeutung beigelegt
habe, und sucht nun nachzuweisen, dafs ihnen diese in Wirklichkeit
nicht zukomme.
Piatonis Laches. In usum scholarum rccensuii et verborum in-
dicem addidit Dr. M ichacl Gitlbauer , Professor universitatis \ ien-
uensis. Friburgi Brisgoviae. MDCCCLXWIY. LS S. VI.
Eine Begründung der hier vorliegenden Gestaltung des Textes
giebt Gitlbauer bekanntlich in seinem Aufsatze »Textkritische Hemer
Jahresbericht für AltertlniuiHwiaaunschuft L. (18S7. I.) H
162 Gitlbauer, Piatonis Lacbes.
kungen zu Piatons Lacbes« in »Philologische Streifzüge« 3. Lief. S. 169
bis 198, zugleich geht er hier in der Annahme von Interpolationen noch
weiter. Seine Grundanschauung geben folgende Worte auf S. 171 wieder:
»Ich habe mir die Überzeugung gebildet, dafs die Grundsatze, die ich
für die Cäsarkritik aufgestellt, auch hier Gültigkeit haben. Ich kann
unmöglich an eine derartige direkte Abhängigkeit aller Handschriften
von den zwei Hauptcodices, wie Schanz sie behauptet, glauben und bin
weit entfernt, alles, was diese andern Handschriften richtiges bieten, für
Coujectur der Schreiber zu halten. Auch das Verhältnis der beiden
Handschriftenklassen zu einander stelle ich mir in der Weise vor, dafs
Varianten in den Lesarten selbst sowohl wie auch in der Wortstellung
zu einem Schlüsse auf Randnoten oder Interlinearglossen im gemein-
schaftlichen Archetypos berechtigen.« Zunächst führt Gitlbauer die
Stelleu vor, wo er abweichend von Schanz die kürzere Fassung einer
der beiden Haupthandschriften oder einer anderen Handschrift bevor-
zugt, sodann die Fälle, »wo die Handschriften durch ihre Varianten hin-
sichtlich der Wortstellung als Zeugen gegen die Ächtheit des Textes
auftreten«, drittens die ungleich häufigeren Fälle, »wo eigentliche Va-
rianten uns auf die Trübung des ursprünglichen Textes aufmerksam
macheu müssen«, und schliefslich die Stellen, »wo der Text ebenfalls
verdorben ist, ohne dafs die Handschriften durch ihr Abweichen von
einander uns einen Fingerzeig bieten«. Da der hier gegebene Text auf
dem von M. Schanz konstituierten ruht, so kommt es für die Beurteilung
der vorliegenden Ausgabe namentlich auf eine Vergleichung mit dem
Texte von M. Schanz au. Der Unterschied von diesem beruht, wie schon
aus den angeführten Worten Gitlbauers erhellt, im wesentlichen darauf,
dafs Gitlbauer an vielen Stellen ein oder mehrere Worte, hier und da
auch ganze Sätze ausgeschieden hat. Wir wollen diese Stellen voll-
ständig aufführen, indem wir jedesmal den Text geben, wie er sich bei
M. Schanz findet, und das von Gitlbauer gestrichene gesperrt drucken
lassen. 178 A TeHsacrfte pkv zbv dvopa pa%6p£vov iv ZnXocg , a> i\tx:'a
ze xac Ad%rjg- ob 8' evexa upäg ixeÄebaapev auv&edaaa&ac eyiö ze
xal MeXyacag o8e, zoze pev oux ehzopsv, vuv <5' epoupev. Ib. elal ydp
zcveg ot ztuv zocobzaiv xazayeXdxJc xac, idv zcg auzocg o~upßouXebö'rJzac,
oux dv el'nocev ä voouaev dXXd azoya^öpevoc zou aupßouX.euopevou dXXa
Xeyouac napä zty abzwv oöqav. B. eazcv ouv toüto, nspl ob ndXac
zoaauza napocpcd&pac, zooe. 179 A TMnnojov 8k xal obzog ovoll eyec
zoupoü nazpög. B ecSozeg ouv xac bpcv u'cecg dvzag *ecg aupßouXrtv
bjidg napexaXeaapev oze* rj^adpe&a pepeX^xevac mp'c auzwv, ecTzep
zeaev dXXotg, 7zd>g av &epo.7:eu^evz£g yevocvzo dpeazoe- el o' dpa no/.Xdxcg
p.7] npooea^xaze zbv vouv zip zocouzoj, unopv^aovzeg oze ob yprj abzou
dpeXscv. [Wegen des brMpv^aovzeg ist m. E. ein derartiger Zusatz kaum
zu entbehren. J C zauza Si) bnacayuvope&d ze zobo8e xac ahccups&a
zobg Tiazipag ypaJv. DE acarjrjcrazo ouv reg ypcv xal zouzo zb pdfypa
Gitlbauer, Piatonis Laches. 163
ozc xaXbv ecrj T<jj vsüj pad-sTv iv onXocg pdysa&ac, xal infjvec
zobzov ov vuv bpscg i&sdaaa&s incdscxvbpsvov xdz} ixdXsus d-sdaa-
a&ac E soo^s oi] yprtvat abzobg zs iX&scv inl &dav zdvdpbg xal bpdg
aupnapaX-aßslv. 180 A rjdr, oZv bpdzspov pdpog aupßouXsbscv xac nspl
zobzou zou pa&rtpazog, efce Soxsc %p7Jvai pavßdvscv shs pr). 181 A dXX' ,
w nacdsg, Xdyszd poc, o<5' iazl l'wxpdzyg, nspl ob ixdazozs pdpvrj afrs;
Ibd. Eo ys vr) zrtv r'Hpav, w Zwxpazsg , ozc dp&ocg zbv nazdpa, äpearov
dvSpwv ovza xal dXXwg xai Sr) xai ozc olxsca zd zs ad rtpcv bndpgsc
xac aol zd r]pdzspa. B obzog pdvzoc o snacvdg iazcv xaXog , ov ab vuv
inacvsc bn'1 dvdpwv dg~cwv ncazsbsaßac xac eig zauza ecg & obzoc inac-
vouacv. su ouv l'a&c ozc iyw zauza dxobwv -yacpw ozc sb8oxcpsTg. Ibd.
ypr/v psv ouv xac npdzspdv ae (foczäv abzbv nap' r)pdg. C ns.pl 8s wv
r)pg~dps$a zc (fazs; zc 8oxsT; zb pdßrjpa zocg pscpaxcocg inczrjds cov
eJvac r) ou, zb paßslv iv onXocg pdysaßac, D ocxacdzazov pdvzoc
poc 8oxsl scvac ipk vswzspov ovza zwv8s xal dnscpözspov zouzwv dxouscv
npdzspov zc Xdyouacv xal pavßdvscv nap' abzwv. 182 A obzoc yupvd&v-
zac oc iv zobzocg zocg nspl zbv nöXspov opydvocg yupva^bpsvoc. Ibd.
pdycazov pivzoc auzou d(psXog, ozav Xußwacv a'c zdq~scg xal rjorj zcvd 8drj
pdvov npbg povov r) dcwxovza dpuvopdvw zcvl incßdaßac r) xal iv <puyrj
inczcßspdvou äXXou dpuvaaßac auzöv BC nag ydp &v paßwv iv onXocg
pdysaßac incßuprjascs xal zou kgrtg paßr]pazog zou nspl zag zdgscg xal
zauza Xaßwv xal (pcXozcprftslg iv abzocg inl näv dv zb nspl zag azpa-
zrjycag bppr)ascsm Kai rjorj drJXov ozc zu zouzwv iyöpsva xal padrjpaza
ndvza xal inczrj osupaza xal xaXd xal noXXou dgca dvöpl paßscv ze
xal inczrjosuaac, wv xaßyyrjaacz' dv zouzo zb pd$rtpa. CD pr) dzcpdaw-
psv 8s scnslv, — — ozc xal sbayr^povdazspov ivzaJj #«, ob XP*j rov
dvdpa sua-yrtpovdazspov <pac'vsoBac, ob dpa xal Sscvdzspog zo?g
i%&polg (pavstzac Sca zip) sua'/^puabvrjV. Für dpa ist bei Gitlbauer
dXXd gesetzt, so dafs die Stelle bei ibm folgendermafsen lautet : pr) dzc-
pdawpsv 8k slnscv (sc xac zw apcxpözsnov 8oxsl scvac) ozc xal sbayr^
povsazspov • dXXd xal oscvüzspog rotg iy&poTg pavsczac Sei zr^v suayrtpo-
abvrtv. 182 D ndvza ydp inc'azaafrac dya&bv ooxs: slvuc xal 8rt xal zb
bnXczcxbv zouzo, sc psv iazcv pdfypa, onsp (paalv oc dcSdaxovzsg , xal
ocov Ncxcag Xsysc , yprj abzb pav bdvecv. sc 8' sazcv psv prj pdßrjpa,
— — zc xal 8doc dv abzb pavftdvscv; Xdyw ok zauza nspl auzou scg
zd8s dnoßXd<pag , ozc ocp.ac iyw zouzo, sc zc rtv, oux dv XisXrftdvac Aa-
xsSacpovc'oug. — 183 A sc <?' sxsc'vou^: iXsX^Hstv (Gitlbauer iXsXrjHs:), d'/.Ä
ob zobzoog ye zobg 8c8aaxdXoug auzou i XsXrt H s:v abzb zouzo, ozc sxsc-
voc pdXcaza ziuv EXXr]vwv anouodZouacv inl zocg zocouzoig xal ozc nap'
ixscvotg dv zcg zcpyüslg scg zauza xal napd zwv SXXtuv nXsttrc' dv io-
yd&czo yprjpaza. — B dXX' sbftbg Ssupo (fdpszat xal zolao incosc'x-
vuz' slxozwg. — 184B°# ouv xal ig doyr^ stnov, [Gitlbauer scnov\ ilzc
sc'zs ouzwg pcxpdg uxfsXcag sysc pdth/pa ov s"zs fir] ÜV <faa\ xal nnoa-
nocouvzac abzb slvac pdbrtpa, oux dgtov tm%etpe7v pavßdvscv. xal yay
11»
164 GitJbauor, Platouis Laches.
öuv pot doxei, ei pev deiXög zig ujv olotro au zbv eniozaabai, Hpaabzepog
dv dt" abzb yevdpevog ennpavzozepog yzvotzo, otog r(v. 184 D eu dy
z'yzt äxoüoou xal aoü nozepoj zo?v dvdpoev abpipqtpog ei. — E xdv zi
zig nzpl dyaiviag zoü uieog aol ßouXrj zirt zi y<>rt dexetv. — Ibd. oaztg
zuyydvei Imb natoozpiß^ dyalhlj nenaiSeufidvoe xo.l ita xrtxujg\ — Ibd.
'Eniozrjprj ydp olpai dee xpivenaat dXK ob nXqßei xb pz//,ov xaXöjg xpt-
Srjcrea&at. — 185 A uieiuv ydp nou vt ypqazvjv $j zdvavzia yzvopzvatv
xai nag o oixog 6 zou nazpbg ouzcog olxrjffSTCU, bnotot dv ziveg oi n ai-
de g yevojvzat. — 185 C axenzöpetia oaztg Yjpujv zeyvtxbg xal zouzou
ivexa dedaaxdXoug exz^aazo xal oazcg fifj. — E "Oaztg [Gitlbauer Ei
zig] äpa rjjxcov zeyvtxbg nepl <l>o%7Je Bepaneiav xal otog zz xaXdig zoüzo
$ epaneüaai xal oza> dtddaxaXoi dya&ol yeydvaotv zouzou, axznzeov.
— 186A intdeicat auzoig xal dtdaaxdXoug oiztveg qpujv yeyovaaiv , +o?*
auzol npöjzov dya&ol ovzeg xzX. — B tj ei zig rjpwv auzivv eauzip dedd-
axaXov pev ou <prtai yzyovzvai, d/X ouv zpya auzbg auzoü zyzi zinziv, ent-
deii-at, ziveg 'AB^vaiajv rj zujv ^eveov, rt doüXot rj iXeübepoi, dt' ixeivov
üpoXoyoupevojg dya&ol yeyovaaiv si dz prtdev rtjih zoüzujv 'jndoyzt, dXXo'jg
xeXebetv &/Teiv. — 186 D xa&dnep äpxt Ad.yrtg prt d<pieafrai az ipoü
diexeXeuezo dXXd epiozav, xal eyd> vüv napaxeXeuopai aoi prj d<pie-
o&at Adyryzog. — 187 B et ydp vüv dp^ea&e npiuzov naideuetv axoneiv
ypy , oux zv zip Kapl upiv xtvduveuezai. Gitlbauer setzt vor oux einen
Gedankenstrich. — C xal ydp ig dpyyg ivzeü&ev ^pyöpqv. — D a//'
dpäze ei doxeT yp^vai ooztu notzTv. — 187 E Ou pot doxeig eidevat ort,
og av iyyuzaza Zu>xpdzoog jy Xöyoj, wanep yevee, xal nXrtGiäZrj
dtaXeydpevoQ [auch mir erscheinen diese Worte nicht ohne Bedenken],
dvdyxrj au zw, — — prt nauzo&ac. — 188 A ineiddv d' epnear}, ozt ou
npozepov auzbv dcprjoei 2oj xpdzyg , nplv av jSacraviojj. — Ibd. xal ezi ye
auzbg ozt Tieiaopat zaüza eu otda. — 188 D xal xopidfj pot doxet pou-
atxbg b zoiouzog elvat, dppovtav xaXXco~zqv r^poapevog ou Xüpav oude
natdiäg öpyava dXXd zip ovzt £rjv [rhoßoapevog ou] auzbg auzoü zbv
ßi'ov oupcpiüVüv zoig Xoyoig Tipbg zd epya. [Diese letzten Worte rtpbg
tol \epya erscheinen auch mir dem zbv ßiov gegenüber überflüssig und
störend. Vielleicht ist zu schreiben rjppoapevog eu auzbg auzoü zbv ßiov
oupipojvov zoitg Xoyoig.] — 189 A y^pdaxojv ydp 71oX)m diddaxzG&ut ißeX.uj
uTib -/prtazu)V povov. — 189 E dXX' otpai xal rj zotdde axe(ptg eig zau-
rbv (pepei, ayedbv de zi xal pdXXov eq dpy^g ei-q av. ei ydp zuyydvo-
pev eTitazdpevot bzouoüv nepi ozt napayevupzvov zoj ßeX-cov noteT ixeivo
5) napeyevezo. — 190 A ei zuyydvopzv eniazdpzvot ozt o<{'tg napaye-
vopzvrj Oip&aXpoig ßeXzioug notzi ixeivoug olg napeyevezo, xal r.poa-
ezt dtoi ze eapev noeecv auzrjv Tzapayiyveafrat oppaat, drtXov ozt oi[>tv ye
iopev auz^v ozt rroz" eaztv, rtg nepi oüpßouXoi dv yevoipe&a log
äv zig auzrjv paaza xal apiaza xz^aatzo. ei ydp pyd' aurb zoüzo
eidetpev, o vi noz' eaztv o(pig % o zi eaztv dxofj, o-yoX^ dv oüpßouXoi ye
dgtot Xdyou yevoipe&a xal iazpol vt nepl dcf&aXpwv rj nepl cuzcov. —
Gitlbauer, Piatonis Laches. 165
190 B zt'v' av zponov zolg utzatv aözdiv dpzzrj napayzvopzvrj zag (poyfcg
dpzcvoog noirjaztz', C reu' av zponov zobzoo abpßooXoi yzvoc'pzßa Srwoüu
onojg av abzb xdXXiaza xzrjaaizo; — 191 B xal ab rb zdiv Zx'j&uxv '•.--
nzcov nzpi Xzyzig. zb pzv ydp cnncxbv rb ixzivujv ou~ai ftdyerae, rb dz
bnXizixbv rb yz zwv 'EXXrjvoJV, log £yd> Xzyoj. — 191 C ßouXdpzvog ydp
ffou nu&zaßac. — Ibd. xal pr) pdvov zobg iv ~a> noXzpoj dXXA xa\ zobg
iv zocg Tipbg zrjv ddXazzav xivdbvotg dvopzioog ovzag. — 193 C Kai
oao: drj i&zXouaiv — — xapzzpzcv. — D Nuv o' au ndXtv <papkv ixztvo
zb aca^pbv, zrjv dippova xapzzpyaiv , dvdpzc'av zcvac. — 194A 7va xal
prj 7]p.u)V abzrj rj dvdpzia xazayzXdarj , ort obx dvdpzuog abzrjv fyzobpzv,
el dpa noXXdxig abzrj rj xapzzprßlq iaziv dvdpzia. C "/#.' 8y, uj
Ncxc'a, avopdcrt (plXucg /zip.a^op.ivoig iv Xdyoj xal dnopobatv ßojj&rjoov.
— Ibd. doxzcze zotvuv poi ndXai ob xaXwg bpi£ea&at zrjv dvdpzc'av. —
t95B inzl abzixa iv zacg voaotg ob'/ ol lazpol zd dztvd in'.azavzai\ r) ol
dvdpzToi Soxobai aot incazaa∾ r) zobg lazpobg ab dvdpzcoog xa-
Xztg; — C "Ozt oczzat zobg cazpobg nXzov zi zldzvai nepl zobg xdpvovzag r)
zb byczcvbv [zcnzTv ocdv\ zz xal voaibdzg; — D Olpac z'ytoyz zouzb yz. —
Ibd. nXrjv zw zibv decvcvv xal pr) dzivwv incazrjpovc , ov iydt dvdpetov
xaXu). — 196 A AXX' iyuj zobzou ob pav&dvco, o zi ßobXzzai Xzyzcv; —
C AXX' obdzv pz xcoXbzr xotvrj ydp zcszai rj nbazig bnkp ipou zz xal
aoü. — 197A Od ydp zi eycuyz dvdpzia xaXdJ ouzz ftypca ouzz dXXo
oubzv zb zd dzivd unb dyvoia; flij (foßoupzvov dXX' d<foßov xal püjpov
[Auch mir erscheint dieser Zusatz k.ium erträglich. ] r) xal zd naioia
Ttdvza ol'zi pz dvopzla xaXzlv, d 8t' dyvocav o udzv SsSoixzv. — 198D
doxzT ydp dij hfiöe zz xal :wo£, nzpl oaiuv zazlv zraazrtprn obx dXXrj p'zv
zlvac nzpl yzyovözog, zldzvat ottyj yzyovzv, aXXrj dz nzpl yiyvop.zviov , onjj
ylyvzzai, dXXrj 8z onrj dv xdXXiaza yzvoczo [xal yzvrjoszai] zb pr-oj
yzyovbg, dXX' rj abzr). - E tug zcduca xdXXcov zd nepl zbv -bXzpov
xal yiyvdpzva xal yzv^adpzva. — 199 C xac'zoi f/fieTg r]piozcbpzv dXrtv 8r)
dvdpztav 8 zi zt'rr — Ibd. xal vbv Sy, wg zocxzv, xaza zbv o~bv Xdyov
ob pdvov 8zivwv zz xal flaftpaXzcov imazrjprj r) dvdpzia zaziv , dXXd a/z-
növ zi rj nzpl Ttdvzojv dyafiwv zz xal xaxutv xal ndvT<og i/övziuv, wg
vbv ab ö rrbg Xoyog, dvdpzi" dv efy[.] oüzojg au pzzazt^za&at rt -ib;
Xzyztg, o) Stxi'a. 199 E Kai prjv zyiuyz, a> <pc'X,z Nixia, (pprtv az zbpr)-
(T£tv, inzidij zp.ob xazzifpöv^cra^: 2\»xpdzz: dnoxpivapivon. 200 C z: ds
xal ifiol £v rjXixta r^iuv ol na78sg% zabzd av n/:i:' inofouv.
Was nun das Resultat dieser kritischen Operation anlangt, so wird
man unmöglich im ganzen eine Verbesserung des Textes erkennen können,
eher das Gegenteil ; vielfach wird auch durch die vorgenommenen Strei-
chungen der Sinn verdunkelt und das Verständnis erschwert. Was iwei-
tens die Methode anlangt, so wird man den Bicheren Boden vielfach
gänzlich vermissen und grol'sc Willkür linden, oder vielmehr das geist-
volle Spiel eines hochbegabten Mannes.
Wir geben nun die übrigen Abweichungen von dem Texte bei Schanz.
166 Gitlbauer, Piatonis Laches.
Wir übergehen dabei 179 D ffluit ok brj zouzo axonoüpev , zl dv obzoc
pabövzeg r) inczrjoebaavzeg ö zc Spearot ydvocvzo; da das zl für zc offen-
bar nur Druckfehler ist. — 180 B bzc auzo7g a/e86v zc radra aufißalvet
ä obzog Xdysc xal nepl natoag xal r,ep\ zb./j.a tota, bhywpwg isohai' re
xal dpeXwg dtaTt'&ea&cu. MS streicht "eo-Hac, Gitlbauer behält es bei,
indem er bXtywpwg l'saßac erklärt »mit Gleicbgiltigkeit vorgehen«. Phi-
lologische Streifzüge S. 193 wird gesagt: »tznbac heifst »sich in (schnelle)
Bewegung setzen«, xept n demnach »eine Sache (energisch) in Angriff
nehmen«, wozu nun bXcywpwg ebenfalls wieder die Kehrseite bildet.« So
bildet diese Zusammenstellung ein Oxymoron ; ein solches findet Gitlbauer
auch in dem dpeXwg 8uxzi&eo&at , indem er erklärt: »StariBea&ou -ntpc
zc bedeutet »hinsichtlich einer Sache in einer Verfassung sein« und zwar
in der Regel »in der Verfassung sein, sie vorzunehmen, auszuführen =
sich dieselbe angelegen sein lassen« , wozu dpeXwe sich fast wie eine
Negation verhält.« Die Annahme dieses Oxymoron ist schwerlich richtig;
damit aber erscheint das bXcywpwg "tabac als kaum zulässige Zusammen-
stellung. — 180 D dXXä xac zdXXa b-nuaa ßobXet, Gitlbauer r&XX3 ä ß.
— 181 B xal au 8k r)you pe iv zocg y' ebvobazazov aoc elvac, Gitlbauer
iv zoTg ebvouazdzocg ecvac. — 181 C bnwg dv 8caaw&jzt xal upeTg zrtv
ypezdpav <pcAcav, Gitlbauer zrjv bperipav <p. — 182 A ob yäp dywvog
d&Xyzat iapev xal iv ocg rjpcv b dywv TTpuxsczai, Gitlbauer ob yäp d&Xrr
zac iapev xzX. [Eine m. E. kaum haltbare Lesart.] — 182 B ob zdv
und ye kvbg ecg b zouz' imazdpevog obdkv dv nddoc, Gitlbauer bnb yäp
kvbg ecg xzX. — 184 B peydXag dv ScaßoXäg l'ayoc, Gitlbauer a%oc'rj; —
C xal yäp wanep ezc zou Scaxpcvouvzog doxec poc oecv ijficv ij ßouXr),
Gitlbauer xal yäp wanepel zou Scaxpcvouvzog bei r)ptv jy ßouAy. — 185 B
Ouxouv ezc npozepov, zt'vog ovzog zouzou ^rjzoupev zoug bcoaaxdXoug;
Gitlbauer hat ob vor Croupen, welches m. E. nicht haltbar ist. — 185 E
"Oazcg dpa ypwv ze%vixbg axenzdov, Gitlbauer El' zig apa xzX. —
186 A Touzo pkv dArj&rj Xeyeig, Gitlbauer dXrftebecg. — 186 C boxobac
Srj pot buvazoc ecvac nacoeüaac äv&pwxov ob yäp äv zcoze doewg dne-
cpacvovzo 77$pl inczrfieupäzwv vdw yp^azwv zs xal Ttovrjpwv. Gitlbauer
nacSeuaac vdov , und dann fehlt vdw vor yprtazwv. — 187 B oux iv zw
Kapl upcv b xcvbuvog xcvbuvebezac dAX' iv zolg upezdpocg ze xal iv
zocg zöjv <pcXwv nacac, Gitlbauer dXX' iv zoTg uieac. Ibd. xal dze'/vwg
zb Xeyopevov prj xazä zrjv xapocpc'av bpTv ouftßfi, Gitlbauer xal
dzeyywg zb Xeyopevov upcv aupßacvec — 187 E prj xabeabac bnb zob-
zou -nepcayöpevov zw Xbyw, nplv dv ipndarj, Gitlbauer nplv ipzeaeTv. —
188 D olpac ouok <ppuycazl oubs XoStozc, Gitlbauer ocpac ok x:l, wohl
mit Recht. — 189 C idv ye psza£b äXXoc Xoyoc ydvwvzac, Gitlbauer iäv
89j xzX. — 191 C oux iftsÄscv pdvovzag npbg au zoug pä'/sa&ac, Gitl-
bauer oux i. p. TTpoapdyso'&ac. — Ibd. Touzo zocvuv dpzc iAeyov, ozi
iyw al'zcog /zjy xaXwg as dnoxpcvao&at; Gitlbauer Touzo zocvuv ac'zcov
iXeyov prj xaXwg xzX. — D älm xm.1 npbg inc&upc'ag V) ijSoväg Sscvol
Bianchi-Cantu, II Fedone. 167
Hd'/Eo&ai, pevovzeg ^ dvaazpzyovzzg, Gitlbauer xai p.£vovzeg y dv. [Die
Weglassung des xai ist m. E. eine Verbesserung.] — 192 A xai ayeodv
zi abzb xsxzrjjizda, ob xai n£pi ä£iov X£yziv, ^ £v zaTg zwv yzipwv npd-
£eaiv , Gitlbauer xai ayzduv zi abzb x£xzr/p.s8a (ob xaiitep d~cov X£yz>.v)
7] xzX. [Die Stelle scheint mir noch der Heilung zu bedürfen. J — 192 C
zobzo zoivov ipoiye (paivezai, ^ozi* ouzi ndad ys — xapzepia dvdpzia
aoc paivezai, Gitlbauer zobzo zoivov i/xoiyz paivezai, obzoi xzX. — 195 C
o? Srjnoo zoaobzov povov iaaaiv , Gitlbauer di dtj zoaobzov xzX. —
197 D xai ydp poi doxeig zobSz flij fiaH^adai ozi, Gitlbauer ou8' iftk.
[M. E. eine unhaltbare Lesart.] — 198 D olov zspt zb byieivbv eig änav-
zag zobg ypovoug obx äXXrj zig y f] lazpixrj fiea obaa £<popa, Gitlbauer
oiov — — obx äXXrt zig' tj lazpixrj pia obaa xzX. [Vielleicht ist zu
schreiben: obx dXXrt zig rj rj lazpixrj, rj p.ia obaa ipopa.] — 200 B ab
p.'sv obv fioi ooxelg öbg äXrftwg dv&pwneiov npäypa ipydZzaftai, obdkv
npbg aaozbv ßX£miv dXXä npbg zobg äXXoug- Gitlbauer: ab pkv obv p.oi
ooxeTg utg dXrftojg dv&piumiov npdypa zpydZta&ai ouok npbg aaozbv ßX£-
neiv dX/M npbg zobg dXXoug. — Ibd. xai jizza Jdpwvog, ob ab zi ofet
xazayeXäv, Gitlbauer ob ab noXb oYei x. — 200 D dXX' opa, et rt aob
dv pdXXov bnaxoboi Sojxpdrrjg. Gitlbauer zi aob dv xzX. — 201 A
oudeig ydp expopog Xdyou, Gitlbauer Xbyog. [Xdyou erscheint mir als
die richtigere Lesart.]
Angefügt ist auf 13 Seiten ein Wörterverzeichnis in sehr ge-
schickter Fassung, welches für das Verständnis sehr gute Dienste leistet,
doch ist es zu knapp gehalten. Auch bessere Schüler werden geuötigt
sein, mauches Wort nachzuschlagen, das in dem vorliegenden Verzeich-
nisse nicht steht. Ein unter nißog stehendes Versehen wird auf S. 196
der »Streifzüge« in der Anmerkung berichtigt.
II Fedone, Dialogo tradotto in Italiano da Antonio Bianchi
c preceduto da un discorso di Cesare Cantu. In Napoli 1883. 12.
XII, 109 S.
Da eine Besprechung der Übersetzung für Deutsche kaum von
Interesse sein dürfte, so können wir uns hier mit einer Darlegung des
Inhaltes der Einleitung begnügen und zwar in der Weise, dafs wir uns
auf den wichtigsten Teil derselben beschränken. Auf eine Schilderung
des geistigen Wesens riatos folgt eine Darlegung der Grundzüge seiner
Spekulation: »Plato suchte die Erkenntnis des Göttlichen in einer ur-
sprünglichen Offenbarung und in einer inneren Wiedererinneruug. Er
nahm an, dafs die Principien der Erkenntnisse ihren Sitz in dem In-
tellekt haben müssen, und dafs alles darauf ankommt, die festen von
den schwankenden zu unterscheiden; letztere leiten sich von den Sinnen
her, während die anderen auf den Ideen beruhen. Die Untersuchungen
lenkte er darauf hin, das aufzufinden, was in den Dingen fest und un-
veränderlich ist; daher sonderte er das Meinen von dem Wissen und
168 L'Ollivior, Piaton oxplique par lui-meme.
stellte fest, dafs keine wissenschaftliche Philosophie sich auf die Sin-
neserfahrung gründen könne. Die Existenz des Begrenzten und des
Unbegrenzten nahm er ohne weiteres als wesentliche Bedingung der
Wissenschaft an und fand in der Seele gewisse der Vernunft eigentüm-
liche Begriffe, die er Ideen nannte, Typen der Dinge und Principien
unserer Erkenntnis, auf die wir denkend die Unendlichkeit der einzelnen
Objekte zurückführen. Sie sind in der Seele von vornherein gegeben,
und die Erfahrung entwickelt sie allmählich , indem sie ihre Abbilder
vorführt; so ist das Erkennen ein Sichwiedererinnern an einen Zustand,
der den Banden des Leibes voraus liegt. Wenn nun die Gegenstände
der Sinneswahrnehmung wenigstens teilweise den Ideen entsprechen, so
mufs es ein den Dingen und der Seele, die eine Erkenntnis von ihnen
hat, gemeinsames Princip geben, und dieses Princip ist Gott, der die
Dinge nach dem Muster der Ideen bildete. Die Seele ist thätige Kraft
an sich, und infolge ihrer Vereinigung mit dem Körper wird sie zu
einem Teil vernünftig und zu einem Teil unvernünftig.«
Damit ist die Grundanschauung Piatos in einfacher Weise richtig
angegeben; Neues ist damit nicht gesagt. Die folgenden Seiten der
Einleitung enthalten namentlich eine Darlegung der platonischen An-
schauung vom Wesen des Staates. Das Ganze ist ansprechend ge-
schrieben, enthält aber hier und da ungenaue oder auch falsche An-
gaben. So heifst es z. B. auf S. 8: Donne e figliuoli sono possessione
dell' uomo, privi di personalitä, messi in comune come patrimonio sociale.
Piaton explique par lui-meme. Premiere partie Les atomes
par Emmanuel l'Ollivier, professeur de philosophie. Paris 1883.
8. 70 S.
Die Abhandlung hat die Form eines Gespräches, in welchem Plato
einem Eremiten seine Philosophie auseinandersetzt. Wir wollen zunächst
die hauptsächlichsten Gedanken dieses Dialogs darlegen.
Alle Männer der alten Welt, welche die Wahrheit gesucht haben,
haben als Grund der Gewifsheit lediglich die mathematische Evidenz
angesehen. Die Principien der philosophischen Wissenschaft sind von
wunderbarer Einfachheit. Voraussetzung ist, dafs der, welcher die Wahr-
heit sucht, mit vollkommener Aufmerksamkeit an seine Aufgabe heran-
geht, frei von jedem Vorurteil und voll von dem Verlangen nach Er-
kenntnis und von Liebe zur Wahrheit.
Wollen wir uns von den Dingen Rechenschaft geben und das Wie
und Warum von allen Erscheinungen aufsuchen, so müssen wir sie ein-
zeln betrachten und auf ihre ersten gemeinsamen Elemente zurückführen,
es bedarf hierzu mit einem Worte der Analyse. Die A.nalyse ist die
einzige Methode der Philosophie. Alle Erkenntnis beruht im Princip
auf Distraktion und Division. Materie und Geist haben beide ihre Wich-
tigkeit, nicht von einander getrennt, sondern verbunden; denn sie sind
L'Ollivier, Piaton expliquö par Iui-meme. 169
in der That unzertrennlich in dem All. Ein Hinweis darauf ist auch
die doppelte Natur des Menschen Da Materie und Geist in unserm
eigenen Wesen harmonisch geeint sind, so mufs dasselbe Grundgesetz,
welches die Materie regiert, auch den Geist, d. h. die geistige Welt re-
gieren. Es giebt notwendigerweise einen Punkt der Vereinigung zwischen
dem Körper und dem Geiste, und diesen gemeinsamen Punkt, dieses
gemeinsame Gesetz mufs man finden.
Bei unsern Untersuchungen mufs das Materielle die erste Stelle
einnehmen, denn das erste was wir kennen zu lernen vermögen, ist die
sinnlich wahrnehmbare, sieht- und tastbare Materie. Wenden wir auf
diese jene Analyse an, so kommen wir auf die Atome. Von diesen giebt
es zwei Arten: zusammengesetzte und wahrhaft einfache. Die ersteren
gehören zu der Domäne des Materialismus, die andern gehören den Spi-
ritualisten, d. h. den wahren Philosophen an. Mit den Atomen, mag
ihre Natur sein, welche sie will, endigt die physikalische Analyse und
beginnt die Metaphysik. Die zusammengesetzten Atome sind die Grund-
elemente der physischen Welt; solche sind die Dreiecke im Timäus. Die
wahrhaften Atome sind unteilbar, einfach, immateriell; sie bewirken die
Teilung, Gestaltung und Begrenzung der Körper. Was ist nun dieses
Einfache und Immaterielle? Nach den Lehren der Geometrie sind die
geometrischen Punkte die Elemente der Körper; durch sie werden die
Körper begrenzt, gestaltet, bestimmt. Also nehmen wir die geometrischen
Punkte an Stelle der Atome an. Nun besitzt die Zahl dieselben Eigen-
schaften wie das Atom und der Punkt; also können wir sie diesen sub-
stituieren. Die Zahlen sind die wahren Atome. Die Zahl ist das Geistige
der Materie und die Materie des Geistigen. Der Geist an und für sich
ist eine einfache Substanz, die sich unserer Erkenntnis entzieht; aber
er offenbart sich uns durch die Bewegung; die Bewegung aber wird be-
stimmt durch die Zahl. So offenbart sich der Geist in und an der Ma-
terie mit Hülfe der Zahl. Der Geist, der seinem Wesen nach thätig
ist, giebt der ihrem Wesen nach trägen Materie das Leben vermittelst
der Zahl, und so bereitet er eine Welt harmonischen Zusammenhangs.
Alle Arten von Wesen bis herab zum Staubkorn bilden eine ununter-
brochene Stufenfolge; auf der höchsten Stufe steht der Mensch, und im
Reiche der Menschen steht obenan der Philosoph. Die ganze Schöpfung
aber ist gegründet auf das Urgesetz der Zahl, denn Gott, der die Ur-
sache aller Dinge ist, ist die Zahl der Zahlen.
Man sieht, der Gang der Untersuchung ist ein eigentümlicher.
Untersuchen wir nun, wie weit der Verfasser auf diesem seinen Wego
zu Resultaten kommt, die mit der platonischen Weltanschauung über-
einstimmen. Alles andere können, ja müssen wir hier beiseite lassen.
Als oberstes Frincip haben wir also die Vernunft oder Gott. Dieser ist
seinem Wesen nach thätig, schaffend. Neben ihm steht die Materie,
die, an sich trag, Objekt der Thätigkeit Gottes ist. Darob die von Gotl
170 Archer-Hind, The Phaedo of Plato.
ausgehende Bewegung erhält diese Materie Leben und Gestaltung, und
so entsteht eiue Welt von stufenweis in ununterbrochenem Zusammen-
hange sich erhebenden Geschöpfen. Aber diese Bewegung »sc compose
de nombre«. Also gestaltet Gott die Welt mit Hülfe der Zahl. Das ist
alles platonisch, wenn man ein Recht dazu hat für das idpa& des Phi-
lebus die Zahl zu setzen. Die Berechtigung hierzu liegt darin, dafs
das nepae wesentlich in Zahlenverhältnissen besteht. So erscheint auch
der Ausdruck »Gott ist die Zahl der Zahlen (S. 70: Dieu etant lui-meme
Je nombre des nombres) im gründe genommen als identisch mit dem
Plato von altersher zugeschriebenen Worte: »Gott übt immer Geometrie«,
was nach Trendelenburg (vergl. das Ebenmafs S. 17 f.) heifst: »Gott ist
der Bildner der geometrischen Proportionen, durch die er die Dinge
in ihr Wesen setzt und in ihrem Wesen erhält und der Menschen Ge-
meinschaft in das Recht fafst.« Wenn der Verfasser aber die Dreiecke
des Timäus als atomes formeis ou composes (S. 41) bezeichnet, so teilt
er wohl die falsche Auffassung H. Martius, der sich diese Dreiecke als
Blättchen denkt. Ganz und gar nicht kann man ihm zustimmen, wenn
er S. 63 sagt: La matiere regoit ainsi les idees en son sein, eile est
le grand receptacle des idees, nous l'avons meme nommee l'idee pro-
prement dite. Hier liegt ein verhängnisvolles Mifsverständuis von Ti-
mäus 49 A ff. zu gründe. Die in das rpnov yevog eintretenden Gestalten
sind nicht die Ideen, sondern Abbilder derselben, wie aus den Worten
in 50 C: r« Sk elatovza xal itjcövza tu>v uvtujv de] /ic/x^/jLara ganz deut-
lich erhellt.
The Phaedo of Plato edited with introduction notes and appen-
dices by R. D. Archer-Hind, M. A. fellow of Trinity College, Cam-
bridge. London 1883. Gr. 8. II und 199 S.
Ich habe diese Ausgabe bereits in dem Philologischen Anzeiger
XVI 1 S. 44 ff. ausführlich besprochen; bei der Bedeutung des Buches
will ich mich aber trotzdem nicht begnügen einfach auf jene Anzeige zu
verweisen, sondern will das dort weiter Ausgeführte hier möglichst kurz
berühren und das dort nur Gestreifte etwas ausführlicher darstellen.
Ich habe auch nach Abfassung jener Recensiou das Buch wiederholt ein-
gehend durchstudiert, so dafs ich nichts einfach wiederhole, sondern
auch die Wiederholung bereits ausgesprochener Ansichten auf neuen
sorgfältigen Erwägungen beruht.
Die vorliegende Ausgabe erhebt nicht den Anspruch eine kritische
Ausgabe zu sein, sondern basiert ihren Text im wesentlichen auf den
von M. Schanz gegebenen, dem hohes Lob gespendet wird. Doch finden
sich mannigfache Abweichungen, die sich gewöhnlich in der Richtung
einer Rückkehr zu den Handschriften hin bewegen. Die generelle Be-
gründung der Abweichungen von Schanz giebt er in folgenden Worten:
Schanz, though a far sounder critic (seil, als Hirschig), has, I think, in
Archer-Hind, The Phaedo of Plato. ]7]
several cases unduly deferred to Hirschig; and in others has himself
bracketed passages without having in my opinion sufficient cause (S. 44).
Ich will eine Übersicht der Abweichungen folgen lassen, jedoch so, dafs
keine Erwähnung der Stellen gethan wird, wo Schanz einklammert und
Archer-Hind das von diesem Eingeklammerte wegläfst.
61 B xal 7i£ S ö/jlsvov , Schanz [xal] midopevov. — 61 E Trtg ixs7,
Schanz [rrjg ixzc]. — 62 A tuomp xal TaXXa, (otiv ots xal ocg ßsXreov,
Schanz axmep xal TaXXa. dXXd iariv. — 62 C 7tph dvdyx^v vtvä &sbg
inmd/Mpfl , Schanz itptv av dvdyxrtv t. &. i. — 62 D <psuxr£ov elvat dno
tou oeanürou ohne Klammern, Schanz in Klammern. — 63 C behält er
im Texte fjgeev uneingeklammert bei, bemerkt aber in der Note: Per-
haps however Schanz is right in bracketing r^eiv. 63 E Tb sauToü na-
paax£oaZiru> , Schanz [rö eaurov] n. — 66 B setzt er die Worte pezd
too Xoyou iv tt) oxe^'ec hinter zeug dv zu owpa i/copev, so dafs die Stelle
lautet: ort xivduveüei toi ujonsp drpanög ng ixipspeiv rjpdg, oti, itug dv
to crwpa i^ajpev pezd too Xoyou iv tjj axsipst, xal <JUjj.~s(fuppevrj rj rjpujv
tj <pL>%y pzTa toioütoü xaxoü, od /xy tcots xT^aiopsfra ixavwg oh imftupoü-
pev. — 67 A toüto 8' ioriv l'aojg to dtydeg in Klammern, Schanz ohne
Klammern. — 69 A xpaTsTv dXXwv yoovwv, Schanz xp. [äXXcov] rtd. — 69 D
r/vüoapev , Schanz ^vuadp^v. — 70 A klammert er diayüc-ipr^ai tb xal
dnoXXörjTai ein,- während Schanz oY^tjtou dia-zofiivr, xal oudzv Sri ouoa-
pou fj einklammert. — 71 B ig ixaTspou ohne Klammern, Schanz iu
Klammern. — 72 C xaßsOSstv in Klammern, Schanz ohne Klammern. —
73 B mit Heindorf inei toi, Schanz e'nscTa. — 74 C Ouxouv rt bpoiou
o'vTog bis Tidvu pkv ouv, reichlich vier Zeilen, in Klammern, Schanz ohue
Klammern. — 75 B opiysTac tou o eotiv l'aov, Schanz klammert l'aov
ein. — 76 A dvdpocovov y a> opotov, Schanz <L in Klammern. — 76 E
undpxouoav ■npoTBpov dveuptaxovTzg ypsTepav ouaav, xal ra^ra ixstvjj
dneixd&pev, dvayxatov, ooTwg in Klammern, Schanz ohne Klammern. —
77 A rtv au vuv Xeyecg, Schanz vuv in Klammern. 78 D ys Xdyov dc-
dopsv tou ecvai, Schanz to elvae. — 80 B opocihaTov shat 4"rW, Schanz
<l>o%i). — 80 C aupr.zabv ydp to awfj.a — öaov y^povov ohne Klammern,
Schanz in Klammern. — 80 E dXXd <psuyouaa auTo xal auvrlihlo:au.z\ri
[aoTrj dg afjTyv], Schanz klammert xal auvr^ßpocapsv^ ein und tilgt auTrj
eig aijTrjv. — 81 A öiayoüay, Schanz didyouaa. — 82 D dXXä prj aCopd
ti nXaTTovTEg £d>at, Schanz owpaTt XazpsuovTsg f ZCuat. — 82 K :■>)./*-.-
Tutp el'y tu) dedsaßac, Schanz tou de8ea$at. — 83 B xaxUv enaftsv tbi'
auT<Lv, Schanz un' aijTutv. — 83 E ob% cuv ol noXXol s'vsxä paotv, Schanz
klammert <paaiv ein. 84 A Hanaocfibvai ohne Klammern, Schanz in
Klammern. — 84 B Ta~nd y iTtiT^öeuaaaa, Schanz raova '» &nrnj8eü*
aaaa in Klammern. — 85 A xal pdXinTa ^.Sooat^ Sclianz x<v xdll-MTa
$d> — 85 B e'ujg WHr^adov iwatv dvdneg ivdexa ohne Khuniiieni, Solianz
in Klammern. - 8GA i; Statiftfl xal Stappföfl rAff %op8dct Schani klam-
mert dtaripjj ein. — Ibid. dtsppci>yunhv tü>v %op85>V oh06 Klammorn.
172 Archcr-H/nd, The Phaedo of Plato.
Schanz in Klammern. — 88 A rj <l>o/tj eotiv, Schanz rj <J>. iorat. - 88 C
amoza iy, Schanz ämtrca ei'rj. — 89 C rhu' HpaxXr) ohne, Schanz in Klam-
mern. - 89 E Obxouv, 7) 8' og, al<r%p6v, Schanz klammert ala%p6v
ein. 90 B dXX' ixEivrj, %, Schanz streicht fj. 93 B fiäXAov hvepav
kxipaq (puyr^g , Schanz klammert päXXov ein. — 93 D krepav kzdpag &p-
povi'av äppoveag ehai, Sclianz klammert dppuviag ein. — 94 A sinsp
bpoiajg ipo%a\ mpöxamv, Schanz klammert <j>u%ai ein. 94 B Uörepov
(Tuy%(opo~j<Tav ToTg xarä to oiopa naflr^paatv rj xal ivavTioufteimv \ /.dyoj
de to roiövSe, ojg xaupaTog, Schanz klammert auyyiopobaav und na&r)-
paai ein, und für öjg xaopazog hat er |(Ws;] xaöpuTog. 95 B pdX-
Xovra eaeadai, Schanz eoeabai in Klammern. — 96 B tu deppuv xal
to (puypuv, Schanz to dsppuv [xal (puypuv]. — 97 A r) to npuoTEbkv xai
w xpoaeTsßy, Schanz r) to T[pooT£Hdv, ^r) tu rrpoaTe&sv* xai wnp. — 97 D
nspi auTou ixeivuu, Schanz klammert abrou ein. — 98 B npuiihv xai
dvayiyvwoxwv, Schanz klammert xai ein. Ibid. uüdd Tivag ahiag irrai-
Tcwpevov in Klammern, Schanz ohne Klammern. — 100 D r) r) exeivuu
too xaXuü Site Tcopouoia etre xaivojvia eI'te utzjj ör) xai onujg [npucryEVu-
pdvrj], Schanz r) rj exeivuu to~j xaXou eite Ttapuuaia ehe xuiviovia [erre]
o7ttj 8r) xai unojg npocryevopdvrj. [Bei der Wichtigkeit der Stelle will
ich wiederholen, dafs meines Erachtens zu lesen ist: r) r) ixeivou too
xaXou peTaayeaig eI'te Ttapouaia eI'te xotvojvia eite otijj 8r) xai onujg
■npuayEvupdvrj.\ — 101 D el dd Tis auTrjg Tyg bno&do'Eojg e%octo , yaipsiv
iwrjg dv xai ohx dnoxpc'vaio, iojg dv Ta an" ixEtvrjg öppufi-evra axd^aiu,
st aoi dXXrjXoig oup<ptovE? r) 8ia<pojvel in Klammern, Schanz ohne Klam-
mern und EtfoiTo für eyuiTO. — 101 E upeug Süvao&ai auToi auTo?g
dpdaxeiv, Schanz düvaa&at in Klammern. — 102 E bnupdvuv, Schanz
bnupelvav. — 103 C 6 <T Oux au, ecptj, 6 Kdßrjg , ouzujg iyuj , Schanz
klammert 6 Kdßrjg ein. — 103 D ouddnoTs yiuva oücrav, Schanz ouSd-
txote yidva yiova oücrav. — Ibid. yiova xai ftsppov, Schanz yiöva [xai
B-eppov). — 103 E nup- xai (f'uypuv, Schanz nüp [xai <pu%pov]. — 104 D
Elpyd^ETo 8d ys rj TiEpiTTÖT^g , Schanz rj 7iEpiTTrr — 104 E ou odyETai
auTu to ivavTiov, Schanz klammert rt* dvavTiav ein. — 105 B tu rtpiou
ohne, Schanz in Klammern. — Ibid. w avre [dv toj\ awpaTi dyydvrjTai,
Schanz a» dv re [iv ra> aojpaTi] kyydvrjTai. — 106 A xdv si tu ä<[>u%pov
dvuj?iE&puv iyv, Schanz x. ei tu äi/'uxTuv dv. rjv. — 107 A sig ovuvd Tig
dXXuv xaipuv dvaßdXXoiTu, Schanz sig uvtiv^ äv Tig xtX. — 107 B Ta~jTd
te eu XdyEig ohne Klammern, Schanz in Klammern. — 108 B o&ir.Ep al
äXXat, Schanz oinsp xtL — 109 E xaTioEiv dvaxüfiavTa, Schanz xaudeTv
*dv* dvaxüipavTa. — 110 A onoo dv xai yrj, Schanz onou dv xai rj yrr —
110 E Uno orßsSuvug xai aXpjjg [unu] töjv ÖEÜpo ^uvsppu^xuTOJV , Schanz
[u7tu ayjneddvog xai dXpr^g] und twv xtX, — 111 B auf grund einer Ver-
mutung von Schanz drjp, Schanz ^6* drjp. — 111 C tu ydopa auTcüv, Schanz
tu auTOJV ydapa. — 112 C [ro?c] xoct' ixsTva Ta peüpaTa Siä TTjg yrjg
etcrpEi, Schanz ToTg xaT ixsiva Ta peüpaTa Sid Trjg yrjg elafppei. —
Archer-Hind, The Phaedo of Plato. 173
112 D xaravTtxpö fj slapeT i^sneasv , Schanz xazavzixpb fj igd-eosv
Stapel. — 113 B npvjTov ohne Klammern, Schanz in Klammern. —
114 B f npbg zu ualiog ßtwvat f (The text is certainly corrupt), Schanz
npbg zu uaiojg ßiojvai 7tpoxexpe<ff&ai. — 115 A iv Zivi '/püviü ixaarot
nupeuascr&e, Schanz iv z. %p. txaaxog it. — 116 B [kxecvaeg], Schanz
[ixscvat]. — 116 C a rtlbuv dyysUcuv, Schanz dyyeXivv. — 116 E scxo-
zujg ohne Klammern, Schanz in Klammern. — 117 D dvaßpu^adpevog
xXaccuv xal dyawxzibv, Schanz dv. [xXcuatv xal] dyav. — 117 E abzog
6 Sobg zb (pdppaxov ohne Klammern, Schanz in Klammern. — 118 A
xal auzbg rpzzzu, Schanz xac au r^xezo. — Ibid. xal äXXojg (ppovipuj-
zdzou. Schanz dXXwg in Klammern.
Das Bedeutendste an der vorliegenden Ausgabe ist meines Er-
achtens die Einleitung. Der erste Paragraph derselben erörtert das
eigentliche Ziel des Dialogs und rindet dasselbe in dem Nachweis, dafs
die Ideen die Ursachen des Seins und die Objekte der Erkenntnis sind
(S. 5 f.). Demgemäfs wird der innere Zusammenhang des Dialogs S. 8
folgendermafsen bestimmt: We see then in the Phaedo an affirma-
tion of the ideas as causative and intelligible existences, from which,
through the iufereuce of immortality, the ethical deduction is drawn
that the philosopher, secure of his well-being in the region of the de-
parted, will meet death with calmness and confidence; and the impression
thus conveyed is rendered more vivid by a description of the earth
and the underworld and an account of the adventures of the disembo-
died soul; and finally it is yet more earnestly enforced by a picture of
Philosophie fortitude taken from actual history.
Dem gegenüber mufs ich auch heute noch an dem schon früher
ausgesprochenen Bedenken festhalten: Die Ideenlehre erscheint im Dia-
loge durchaus als Mittel des Beweises für die Unsterblichkeit der Seele,
und es ist trotz der scharfsinnigen Erörterungen des Herausgebers kein
genügender Grund vorhanden, dieses Verhältnis umzukehren. In bezug
auf das Verhältnis der einzeluen Beweise schliefst sich Archer-Hind der
Auffassung von Bonitz an, glaubt aber eine etwas genauere Festsetzung
geben zu können. Die Darlegung ist auch hier klar und schön. Ich
habe jedoch in zwei Beziehungen Bedenken. Den ersten aus der dv-
zanudoaeg und der dvdpv^atg sich zusammensetzenden Beweis hält Archer-
Hind insofern für mangelhaft, als wir die Bedingungen nicht kennen,
welchen unsere Seele bei unserer Auflösung unterworfen ist, und er be-
ruft sich hierfür auf 77 D: pij ujg dlrftwg u ävepog aör^jv ixßatvoooav
ix zoü trutpazog dcayuaq. xac diaaxedd\>w<Jtv , dXXujg zs xal üzav zb%rj
zig prj iv vryvepia dXX' iv psydXat ztvl rtveOpjart dno&vfimcatv, [ch glaube
auch jetzt noch, dafs diese Stelle ironisch gemeint ist und halte diesen
ganzen Gedanken des Herausgebers für nicht ausreichend begründet
und für bedenklich. Ferner halte ich den letzten Beweis für vollkommen
in sich abgeschlossen und bin auch jetzt noch der Überzeugung, dal's
174 Archer-Hind, The Phacdo of Plato.
der Schlufs desselben darauf beruht, dafs das für die Seele gewonnene
Prädikat dßdvaroe entsprechend der Grundlage der platonischen Speku-
lation schließlich im gewöhnlichen Sinne des Wortes genommen wird.
Archer-Ilind dagegen läfst diesen Beweis schliefslich auf dem Gesetze
von der Erhaltung der Kraft ruhen, wie es im ersten Argumente nieder-
gelegt ist.
Über die Frage nach der platonischen Auffassung von der indi-
viduellen Unsterblichkeit spricht sich Archer-Hind im dritten Abschnitte
der Einleitung folgendermafsen aus: Plato lehrt die Ewigkeit der all-
gemeinen Seele und die Seelenwanderung der einzelnen Seelen. Mit
dieser Anschauung hängt das Grundgesetz der platonischen Ethik zu-
sammen, nach welchem der Mensch seinem Thun entsprechend leidet,
indem er seine Sünde mit geistiger Degradation büfst und nur durch
Besserung die verlorene Position wieder gewinnen kann. In Wirklich-
keit haben Piatos Beweise für die Unsterblichkeit der Seele nur Kraft
für die allgemeine Seele, aber wenigstens in der Zeit, in welche die
Abfassung des Phädon gehört, glaubte Plato, dafs die einzelne Seele
bei ihrer Trennung von dem Körper nicht in der allgemeinen Seele auf-
gehe, sondern als selbstbewufste Persönlichkeit fortlebe. — Diese Auf-
fassungen Archers müssen als sehr wohl begründete erachtet werden.
Ich stimme denselben vollkommen bei.
Der vierte Paragraph bespricht Piatos Lehre von der Seele. In
dem Phädon erscheint die Seele als ihrem Wesen nach einfach und ud-
zusammengesetzt. Wenn anderwärts drei zl'drj der Seele genannt wer-
den, so sind das nicht drei verschiedene Teile oder Arten, sondern es
sind lediglich verschiedene Weisen der Seelenthätigkeit unter verschie-
denen Bedingungen. Die zwei niederen Arten sind nur eine Folge von
der Verbindung der Seele mit dem Stoffe, und ihre Thätigkeit hört bei
der Trennung der Seele von der Materie auf. Die Seele als solche ist
einfach, sie ist reines Denken, und ihre Thätigkeit, die im Denken be-
steht, ist einfach. Nur die der Materie einwohnende Seele hat eine
komplizierte Thätigkeit. Die Seele existiert ihrem eigenen Wesen nach
ewig, ihren materiellen Beziehungen nach zeitweis. — Auch diesen fein-
sinnigen Erörterungen wird man die Zustimmung nicht versagen können.
Der fünfte Paragraph sucht die Stellung des Phädon innerhalb des
platonischen Systems zu bestimmen. Archer nimmt für die Platonischen
Schriften drei gesonderte Perioden an: die sokratische, die mittlere und
die spätere. Was die Einteilung der platonischen Schriften und die
Entwickelung der platonischen Lehre anlangt, so acceptiert er im we-
sentlichen die Resultate der scharfsinnigen Untersuchungen, die Jackson
im Journal of Philology voll. X und XI veröffentlicht hat. Er weist
den Phädon der mittleren Phase der platonischen Metaphysik zu, deren
Hauptrepräsentant die Republik sei. Die Merkmale, welche den Phädon
dieser Periode zuweisen, sind folgende zwei : 1. we see ideas of relation,
Archer-Hind, The Phaedo of Plato. 175
though ideas of axsuaarä do not occur, and 2. the ideas are immanent
in particulars. Bei No. 1 müfste doch gefragt werden, ob nicht Ideen
für durch menschliche Thätigkeit hervorgerufene Gegenstände nur des-
wegen nicht erwähnt werden, weil der Inhalt des Dialoges auf solche
weniger hinführt, und die Aufstellung des zweiten Merkmals scheint mir
geradezu auf einer irrtümlichen Auffassung zu beruhen. Ich kann keines-
wegs finden, dafs der Phädon die Immanenz der Ideen in den Einzel-
dingen lehrt. Ich kann mich hier auf diese Frage nicht weiter einlassen
und will nur das Eine betonen, dafs nach meiner Überzeugung im Phä-
don eine von dem Timäus und Philebus im wesentlichen abweichende
Metaphysik nicht vorliegt. Dieser Erkenntnis hat sich auch Archer
nicht verschliefsen können. S. 36 sagt er selbst: »Moreover a synthesis
of these two dialogues will show us that Plato is working ou precisely
the same lines which he afterwards follows in the Philebus and Timaeus.
In demselben Paragraphen bespricht Archer noch die Stellung
des Phädon zu der Frage nach der Prädicierung. Er glaubt, dafs wir
im Phädon 102 B Piatos frühere Ansicht haben, und dafs Plato hier
den Kernpunkt der Frage, nämlich die richtige Fassung des ov und
/xrj ov noch gar nicht berührt und auch nicht das geringste Bewufstsein
davon zeigt, dafs gerade hierin die Schwierigkeit liegt.
Hierbei ist meines Erachtens von Archer übersehen, dafs Plato
in der ganzen Partie des Phädon, zu der jene Stelle gehört, lediglich
bemüht ist, einen ganz sichern Boden für seinen Hauptbeweis zu ge-
winnen, und dafs er infolge dessen ernstlich bestrebt ist, nicht weiter
zu gehen als er für den vorliegenden Zweck gehen mufs, um ebeu nicht
über die nach seiner Meinung ganz sichere Grundlage hinauszukommen.
Der sechste Paragraph der Einleitung giebt eine Zusammenstel-
lung des uns über die Personen des Dialogs Überlieferten und von den
beiden Thebanern eine ansprechende Charakteristik.
Der Kommentar zeichnet sich namentlich dadurch aus, dafs der
Inhalt der einzelnen Kapitel oder der unter einander eng zusammen-
hängenden Kapitel in klarer Form auf grund eines guten Verständnisses
angegeben ist. Noch sind dem Ganzen aufser einem Index zwei Appeu-
dices beigegeben. Der erste handelt von der öy/iouxrj xa\ nohuxrj
dpEzrj und kommt auf grund der Betrachtung von acht platonischen
Stellen zu dem Ergebnis, dafs sie, während sie sich von der philosophi-
schen Tugend von grund aus dadurch unterscheidet, dafs sie ävsu ppo-
vrjaewg ist, in zwei Arten zerfällt. Die erste Art ist ein Sittengesetz,
gebildet von der grofsen Menge für die grofse Menge auf grund von
Utilitätsprincipien ohne Kenntnis des (inten, die zweite ist. gebildet von
dem Philosophen für die Menge nicht auf grund von Utilitätsprinoipieo
mit Erkenntnis des Guten, aber von der Menge angenommen auf grund
von Utilitätsprincipien und ohne Kenntnis des Goten.
Der zweite Anhang behandelt in sorgfältiger Weise, was denn So-
176 Puoti, Apol. di Socr. Bembo, Eutiir. e Crit. — Sborey, De Plat. id. doctr.
krates mit dem x^wzog und dem detjze/joc tJmoq gemeint habe, wobei
vorzugsweise Kapitel 48 berücksichtigt wird. Bei der von ihm gewon-
nenen Erklärung (vergl. S. 189 f.) ist zunächst bedenklich, ja mehr als
bedenklich, dafs Archer Sokrates die X6yot bilden läfst, während die
platonische Anschauung doch dahin geht, dafs die \6yoi im mensch-
lichen Geiste gegeben sind, so dafs es nur der denkenden Erfassung
derselben bedarf, und so steht denn auch an unserer Stelle nicht, dafs
Sokrates die X6yoi bilde. Sodann weifs Archer nicht recht, was er mit
den Worten in Kapitel 48 anfangen soll: ßUnujv npbe zu npuy/j.aza zolg
o/j./j.a<Tc xui kxda~ji zuj\> aca&rjaeow inc^ecpwv unzeabui uuziijv. Man wird
sich schwerlich zufrieden geben, wenn er S. 190 sagt: The words kxüazrj
rwv aiadrjoswv are, I consider, to be regarded as purely metaphorical;
und wenn man sein Urteil über die Stelle ßXinujv npög zä n/juyfj.azu bis
änzeerdae auzujv berücksichtigt (vergl. S. 191: we shall see that it is in
itself confused and iuaecurate etc.), so mufs man sich wundern, dafs er
dieselbe nicht mit Jackson für unecht erklärt. Aber allerdings finden
diese Worte in dem Voraufgehenden einen so guten Halt, dafs ihre
Ausscheidung nicht möglich erscheint. Demnach scheinen die Schwierig-
keiten, die sich dem Verständnis dieses Kapitels und des mit ihm zu-
sammenhängenden bedeutungsvollen Abschnittes des Dialogs ergeben,
auch durch Archers eingehende Erörterungen noch nicht vollständig
gehoben.
Schliefslich erkläre ich trotz mannigfacher Abweichung in der Auf-
fassung gern, dafs ich die vorliegende Ausgabe des Phädon für eine
sehr verdienstliche halte, durch die das Verständnis dieser herrlichen
platonischen Schrift wesentlich gefördert worden ist.
Piatone. Apologia di Socrate traduzione di Basilio Puoti.
Eutifrone e Critone versione di Bardi Bembo. In Napoli 1884.
12. 100 S.
Das Buch bietet lediglich eine Übersetzung der drei Dialoge ohne
Einleitung und Noten, abgesehen von der Angabe der betreffenden Homer-
stellen in der Apologie. Die Übersetzungen sind durchaus nicht frei
von Ungenauigkeiten und Mifsverständnissen, und die Ergebnisse der
neueren Textkritik sind nicht besonders beachtet. Wissenschaftlichen
Wert kann das Buch nicht beanspruchen.
De Piatonis idearum doctrina atque mentis humanae notionibus
commentatio scripsit Paulus Shorey. München 1884. 8. 59 S.
Der Verfasser tadelt es sehr, dafs die bisherigen Untersuchungen
über die Ideenlehre Piatos meistens so gut wie keine Rücksicht auf
das philosophische Problem nehmen. Er selbst geht vom Inhalte des
menschlichen Geistes aus, in dem einmal anschauliche Vorstellungen
»iniagiues«, sodann abstrakte und allgemeine Begriffe enthalten sind. Dafs
Shorey, De Piatonis idearum doctrina. 177
es allgemeine Begriffe im menschlichen Geiste giebt, das leugnet nie-
mand mehr, aber wie beschaffen sie sind und woher wir sie haben, dar-
über gehen die Ansichten der Philosophen sehr auseinander. Die Unter-
suchung über die Beschaffenheit und den Ursprung der Begriffe in uns
fällt der Psychologie zu; ontologisch wird die Untersuchung, wenn ge-
fragt wird, was aufserhalb unseres Geistes an sich bestehen und den
Begriffen in uns entsprechen soll; die Logik schliefslich lehrt auf grund
der Annahme von Begriffen die dpBrj oujxnloxrj derselben. Diesen Unter-
schied zwischen Logik auf der einen Seite und Psychologie und Onto-
logie auf der andern lassen , so meint der Verfasser, unsere Philologen
und Philosophen bei der Frage nach den Begriffen vielfach aufser acht.
Wer irgend ein Wort aussagt, nimmt meistenteils nicht nur an, dafs
die mit jenem Worte bezeichnete Sache sei, sondern zugleich, dafs sie
gerade so sei, wie er glaubt. Der Verfasser hat es sich demnach mit
dieser Schrift zur Aufgabe gestellt, jenen Unterschied ins rechte Licht
zu setzen und dann zur Darlegung der Ideenlehre zu verwenden. Bei
der Untersuchung dieser Lehre dürfen wir nicht einfach fragen, was die
Idee ist, sondern wir müssen vielmehr darnach fragen, die Lösung wel-
cher Probleme sich Plato zur Aufgabe gestellt und wie weit er sie ge-
löst hat. Ein ganz besonderes Problem bewegte sich nun in der Wider-
legung der Zweifel und Angriffe der fxcauXuyot. Gegen sie stellte Plato
seine Ideenlehre auf.
Ich stimme diesen Erörterungen des Verfassers im wesentlichen
bei. Die Annahme von allgemeinen Begriffen im menschlichen Geiste
bildet thatsächlich den Ausgangspunkt und die Grundlage der gesamten
Ideenlehre, wie auch schon andere gesehen haben, auch die übrigen Ge-
sichtspunkte sind richtig, doch kommt er in der Verfolgung derselben
zu einem einseitigen Resultate, indem er die Platonische Forschung fast
ausschließlich in den Dienst der Logik stellt. Vergl. S. 39: Nobis vero
bis explicatis acquiescendum est in ea Platonicae doctriuae explicatione
quae supra exposita est: videlicct Platonem ut logicam saltem salvam
praestaret omnium omnino notionum ideas posuissc et omues dr:ofua^
metaphysieas ad haue unam sumptionem relegasse, ne sermonibus de
aliis rebus institutis plus officerent.
Seine Anschauungen über die Platonische Ideenlehre hat der Ver
fasser in vier Abschnitten näher dargelegt, welche die Überschriften
führen: De idearum origine, De idearum natura, De ideis atque name-
ns, De Parmenide atque Sophista.
In De idearum origine wird dargetban, dafs Plato in der Absicht,
den Grund zu einer Logik zu legen und den Angriffen der Sophisten
zu entgehen, namentlich auf dreifachem Wege zu der [deenlehre geführt
worden sei: durch das Aufsuchen der Definitionen, durch die Frage nach
den wahren Gründen und schliefslich durch die psychologische Unter-
suchung über Ursprung und Wesen der Erkenntnis und der Wissenschaft.
Jahresbericht fllr AUerthuiunwiuuenschat't L. (1887. I.) 12
178 Bhorey, l>>- Platonia idearum doctrina.
Der Hauptinhalt von De idearum natura ist folgender: In erster
Linie will die Ideenlchrc nichts weiter darthua als dafs Begriffe exi-
stieren, d.h. dafs die Worte, deren wir une bedienen, etwas Bestimmtes
bezeichnen, was wir durch Definitionen bis zu einem gewissen Grade
ausdrücken können und für eine genaue Erklärung anwenden müssen.
Da nun aber Plato die Begriffe durch die Sinneswahrnehmung weder er-
klären konnte noch wollte, das aber, was wir Idealismus nennen, über-
haupt nicht kannte, so sah er sich zu der Annahme gezwungen, dafs
die Begriffe, wie sie im Geiste existieren, als solche in rerum natura
bestehen. Daraus ergiebt sich zugleich, dafs Plato Ideen für alle Dinge
jeder Art angenommen hat, von denen es Gattungsbegriffe giebt. So-
dann werden die von Plato selbst im Parmenides gegen die Ideenlehre
erhobenen Bedenken vorgeführt und ebenso die platonischen Versuche,
diese Bedenken zu heben. Hierbei glaube ich darauf hinweisen zu sollen,
dafs eine volle Lösung dieser Schwierigkeiten nur gefunden werden
kann im Zusammenhange mit der Frage nach dem Verhältnisse, in wel-
chem die Ideen zu der ahea stehen.
In dem Abschnitte De ideis atque numeris spricht der Verfasser
die Überzeugung aus, dafs Plato niemals Zahlen an Stelle der Ideen
habe treten lassen. Für die platonischen Schriften ist dies eine aus-
gemachte Sache, und ich stimme dem Verfasser vollkommen bei, dafs
die angezogenen Stellen (Phileb. 1GD, Tim. 53B, 54D, Parm. 143 A) in
einem anderen Sinne zu erklären sind. In Tim. 53 B Bsög — — 8ie-
(T^rj/xa-caaro elosac re xa\ äpiß/iolg heifst übrigens £iort gar nicht Ideen,
wie der Verfasser glaubt, sondern Gestalten. Eine andere Frage ist es
nun aber, ob man der Behauptung des Verfassers zustimmen kann, dafs
Plato überhaupt niemals die Ideen zu Zahlen gemacht habe, dafs viel-
mehr die ganze Sache auf einem Mifsverständnis des Aristoteles beruhe.
Auch ich halte dafür, dafs den Angaben des Aristoteles gegenüber Vor-
sicht geboten ist, aber hier erhält seine Angabe eine gewisse Unter-
stützung durch die platonischen Schriften selbst. Wenn nach der Lehre
dieser das nspag, d. h. die mathematischen Verhältnisse, namentlich die
Proportionen, also schliefslich doch die Zahlen die Sinuendinge zu Ab-
bildern der Ideen machen, so liegt es nicht allzuferu, auch in den Ideen
etwas derartiges wiederzufinden, und in der That kommt Piato im Phi-
lebus da, wo er den Inhalt der Idee des Guten zu bestimmen unter-
nimmt, recht nahe an diese Auffassung heran. Die Stelle de republ.
523 D- 526 E soll die Veranlassung gegeben haben zu jener »futilissima
hariolatio de numeris mathematicis inter numeros sensiles et numeros
ideales positis«. Da nun aber dem Verfasser auzol ol apSp.oi 525 D
ideae numerorum sind, so haben wir doch Ideen von Zahlen, mathema-
tische d. h. unbenanute Zahlen und drittens benannte Zahlen. Eine
dritte Art der Arithmetik (Tertiae illius dpc&pr^cx^s nullum apparet
vestigiura S. 33) kommt dadurch natürlich nicht heraus, denn mil Ideen
Huit, Criton. 179
von Zahlen rechnet auch der Mathematiker nicht, sondern nur mit un-
benannten Zahlen, aber wenn wir einmal Ideen von Zahlen annehmen,
so kommen wir von jener »futilissima hariolatio« nicht los.
De Parmenide atque Sophista. Der Verfasser betont noch einmal
das schon gewonnene Resultat: Um wenigstens die Logik zu retten, hat
Plato Ideen von allen Begriffen angenommen und hat alle metaphysi-
schen Aporien auf diese eine Annahme verwiesen, damit sie nicht den
Erörterungen anderer Gegenstände schadeten. Piatos Verfahren hierbei
wird nun im Sophisten und im zweiten Teile des Parmenides betrachtet.
Das Ergebnis dieser Erörterung ist im wesentlichen folgendes: Die Ideen-
lehre selbst wird im Parmenides weder verteidigt noch hinreichend dar-
gelegt, aber auf grund der Ideenlehre werden alle logischen Schwierig-
keiten in dem Dialoge selbst gut gehoben. Davon ist der Verfasser
überzeugt, ob aber Plato selbst dies klar erkannt hat, ist ihm sehr
zweifelhaft. Dieses in seinem zweiten Teile recht auffällige Resultat
sucht der Verfasser durch eine Untersuchung des Inhaltes des Sophisten
zu erhärten.
Am Schlüsse seiner Abhandlung spricht der Verfasser noch kurz
über zwei Punkte. Einmal de idearum principatus atque dignitatis or-
diue serieque. Hierbei streift er die schwierige Frage nach dem Ver-
hältnis der Idee zur ahea. Wenn er hier von der napoooia der Ideen
spricht, so mag daran erinnert werden, dafs die bekannte Stelle Phae-
don 100D nicht ohne weiteres ein Recht hierzu giebt, und wenn es S. 55
unter Berufung auf Tim. 53 B heifst : ea demum bene ordinata quibus
ideae imprimautur, so beruht dies auf einem Mifsverständnis der Stelle.
Dasselbe gilt von S. 54 Anm. 3: Loci Timaei 50 C, 52 D — 53 A aliquam
Piatonis inconstantiam in hac re declarant. Sodann spricht der Verfasser
noch de idearum cognitione atque de methodo illa, quam ut vere dia-
lecticam et philosopham Plato laudibus effert mysticis. In bezug auf
diese Partie will ich nur bemerken, dafs nach meiner Auffassung Piatos
Erkenntnistheorie einheitlicher ist als sie nach der Darstellung auf
S. 56 erscheint. Etwas ausführlicher habe ich über diese beachtens-
werte Schrift berichtet in Wochenschrift für klassische Philologie III 2
S. 33-38.
Criton. Nouvelle edition par C. Huit. Docteur es lettres Pro-
fesseur honoraire ä lTnstitut catholique de Paris. Paris, Society ge-
nerale de librairie catholique 1885. 8. VIII und 23 S.
In einem Vorworte wird die Einrichtung der von der Societe ge-
nerale de librairie catholique veranstalteten Sammlung von Klassikern,
zu welcher die vorliegende Ausgabe des Kriton gehört, naher angegeben.
Das Wesentliche enthalten folgende Sätze. 1. Nos Classiques serout
ouvertemeut chretiens, et leurs notes offriront, quand il y aura lieu, im
caractere uettement apologetique. Dieser Satz erfüllt sich in bo/ng auf
12*
180 Kral, Piatonis Apologia et Crito.
den Kn'ton namentlich dadurch, data wiederholt auf die Erhabenheit der
Anschauung aufmerksam gemacht wird unter dem Hinweis, dafs die
christliche Anschauung doch noch erhabener ist. 2. Nos Classiques
auront .... une portee economique et sociale ... Ce que nous vou-
drions enseigner aux jeunes gens, d'une facon rapide et simple, c'est
^Organisation sommaire de la Familie et celle de l'Etat aux differentes
epoques et chez les differentes races. Dieser Aufgabe wird in der vor-
liegenden Ausgabe nur in sehr kärglicher Weise entsprochen. 3. Nos
Classiques auront des ßditeurs qui s'attacheront surtout . . . . a faire
valoir la beautö des id6es, plutöt que celle des mots. Diesem Gesichts-
punkte verdankt auch diese Ausgabe manche ansprechende sachliche
Bemerkung. Doch ist der Rahmen auch hierfür ein sehr enger. Die
Worterklärung resp. die grammatische Erklärung ist zu kurz gekommen.
Auch zeigt sich in der Beziehung Falsches. So wird auf S. 10 zu den
Worten 7va oloi ze rtaav am Schlufs von Kapitel III bemerkt: 'Iva est
suivi de l'indicatif, parce que dans la pensee de l'auteur il s'agit ici
beaueoup moins d'exprimer un dösir que de constater un fait. In der
gleich darauf folgenden Anmerkung heifst es mit bezug auf die Worte
des vierten Kapitels rj/xetg ydp nou de'xacoi iajjLSv: Attraction ä remarquer,
pour 8txacöv kc-iv r^mg. Auf S. 11 Anmerk. 3 werden i£6v, osov etc.
für nominatifs absolus erklärt. 4. Nos Classiques seront illustres. Die
Illustrationen sind zahlreich, zum gröfseren Teile passend ausgewählt
und verhältnismäfsig gut ausgeführt. Manche könnten fehlen, nament-
lich das angebliche Gefängnis des Sokrates und sein Grundrifs. Wenn
man an der Richtigkeit einer Sache so grofsen Zweifel hegt, wie hier
der Herausgeber, dann soll man sie nicht aufnehmen.
Es folgt auf vier knappen Seiten Notice sur le Criton, die na-
mentlich eine kurze Übersicht über den Inhalt giebt. Hervorheben will
ich hier nur, dafs Huit glaubt, dafs wir im Kriton den historischen So-
krates nicht vor uns haben. Dazu sind ihm die hier vorgetragenen An-
schauungen zu erhaben und ist ihm Plato zu geistvoll : Piaton, avec son
merveilleux talent, ne pouvait guere se contenter, en prenant la plume,
du simple role de metteur en scene ou de narrateur. Le Socrate du
Criton, c'est le type du Sage antique, du citoyen obeissant jusqu'au
sacrifice. (S. 3.)
Der Text ruht auf der Ausgabe von Wohlrab, Leipzig 1877. Die
Ausstattung ist gut.
Piatonis Apologia et Crito. Scholarum in usum ed. Jo-
sephus Kral. Accedunt Phaedonis c. LXIV— LXVII. Lipsiae 1885.
8. XV, 57 S.
Über die Gestaltung des hier gegebenen Textes erfahren wir aus
der Einleitung folgendes: Zu gründe gelegt sind in erster Linie der
Clarkianus (31), der Tubingensis (£) und der Veuetus 77, sodann aus
Kral, Piatonis Apologia etfCrito. 181
der Klasse der weniger guten Handschriften der Venetus t, soweit die
Lesarten desselben dem Herausgeber zugänglich waren. Doch hält er
es nicht für angänglich, ausschliefslich die Handschriften 21 2 /7 t zu
berücksichtigen, sondern glaubt, dafs von den bessern Handschriften
31 2 II T lFT> l J 47 f., von der andern Klasse t berücksichtigt werden
müssen. Thatsächlich ruht die vorliegende Ausgabe der Apologie und
des Kriton an den meisten Stellen lediglich auf den bessern Hand-
schriften. (Vergl. S. IX Apographis igitur remotis hi Codices restant,
quorum rationem habere oportet: prioris familiae 213" IJT 'FD 1 d 47 f.,
alterius t; nam ceteri Codices deteriores exiguam habent utilitatem eisque
facile carere possumus. sed cum neque codicem t (aut B et Vind. 3)
neque quemquam alium deteriorem apographo 8 excepto satis noverimus,
multis locis, nisi quid ex Bekkeri aut Stallbaumii silentio conicere ma-
lumus, codicum deteriorum lectiones adferri non possunt. ita factum
est, ut haec quoque Apologiae et Critonis editio plerisque locis melio-
ribus tantum codicibus nitatur.) Konjekturen sind nur wenige aufge-
nommen, von den nicht aufgenommenen sind die bemerkenswerten den
Anmerkungen zugefügt. Das von manchen Gelehrten für Interpolation
Erklärte ist nur dann getilgt, wenn der Zusammenhang selbst auf eine
Interpolation hinwies; was ohne Nachteil sowohl getilgt als beibehalten
werden kann, ist unangetastet geblieben. In der Zulassung des v iyeX-
xuorixüv ist er dem Clarkianus gefolgt, ebenso bei den Formen mit
Krasis und Elision mit nur wenig Ausnahmen; was Orthographie und
Wortformen anlangt , meistenteils M. Schanz. P. 23 D hat er für oYo-
fiac, was 91 bietet, olfiai geschrieben; semper enim, cum interponitur
hoc verbum, hanc eius formam usurpare solent scriptores. P. 25 D ist
gegen 21, welcher Jj dyaßd hat, <uya$£ hergestellt; denn an fast un-
zähligen Stellen haben 21, t und Parisinus A diese Form, nur dafs fast
immer ojyatH geschrieben ist, so dafs es nicht zweifelhaft ist, dafs Plato
immer wya&e geschrieben hat.
Auf den letzten Seiten der Einleitung spricht Kral über einige
schwierigere Stellen. Es sind folgende :
Apol. 19 C sucht er die Worte [irj niuq iyuj fatb Metyrov roawjrag
8ixag puyotjJLt, welche Schanz eingeklammert hat, quia sanam interpre-
tationem spernunt, durch Herstellung folgendes Zusammenhanges zu
retten: »neque haec dico, quod hanc scientiam {tö "r^slv zä bnb yifc
xal oupdvca) contemnam, si quis modo in bis rebus est sapiens, sed
cum nemo hac scientia instruetus sit (Xen. Comm. I, 1, 11; cf. 20 D),
utinam ne Meletum cupiditas invadat me, qui illa scientia omnes ho-
mines carere contendam, hoc crimine aecusandi. sed non aecusabit;
nam ego harum rerum nihil intollego.« timero se simulat Socrates, ne
Meletus qua est aecusandi cupiditate hoc crimen a poetis oomiois ex-
cogitatum arripiat stulteque contendat ipsum ea investigare, qiiao homo
sanae mentis perscrutari non audeat ; prenienda est vox iy<», quae vor
182 Kral, Piatonis Apologia et Crito.
bis et ztg iazi atxpug opponitur. Ich kann diesen Versuch nicht für
einen geglückten halten. Wird keine bessere Erklärung gefunden, so
müssen die Worte mit Schanz gestrichen werden. — 21 C bei den
Worten diaaxomuv oZv zouzov verweist er gegen Goebel für die Ver-
bindung des toütov dcaaxonußv auf Prot. p. 311 I' xv). lyi» v-orrstput-
/i£Vog 'hnoxpdzoug zyg pujp.^g dtsaxorouv aozov. — In 22 A rechtfer-
tigt er die Lesart der besten Codices: Tita ftoi xai Avilzyxzog it pa»-
zet'a yivoizo (also ohne jiij), indem er die Worte ironisch gesprochen
sein läfst. Ironia autem uti Socratem vel ex verbis "»or.zp növooi rtväi
■novoüvzog elucet, quae indicant Socratem non consulto hunc laborem
suscepisse, sed invitum alia prorsus atque voluerat effecisse. Er teilt
also die Auffassung der Stelle, die auch bei Bertram und Goebel sich
findet. Sodann rechtfertigt er, dafs er 23 E in den Worten xa\ rAXai
xa\ vüv oyoSpwg ohne ausreichende handschriftliche Beglaubigung v~jv
aufgenommen hat. Die Aufnahme ist nur zu billigen. Auch Schanz hat
vüv aufgenommen. — 26 D liest er 'Amgayopou o\'ec xaz^yopzTv, uj <f>)>£
Mefojre, <^> xai outcu xazaypovelg xzX. Sauppe hatte iy für xai ver-
mutet, Kral nimmt diese Konjektur auf, behält aber das xa\ bei. Omis-
sum est iy a librario propter litterarum rt et x similitudinera. Ich glaube,
dafs diese Lesart einen guten Sinn giebt, wenn man Avaqayopou oTet
xaTrjyopeTv als Frage der Verwunderung auffafst: »Meinst du Anaxago-
ras sei es, den du anklagst?« — In 27 E liest Kral war.ep av £t reg
"nnwv p.kv na?8ag rjyolzo xai ovujv , streicht aber dann zoug fjfLiövoug,
das er als ein insulsum additamentum bezeichnet. Das erste billige ich
vollkommen, die Streichung von zoug r^uovoog nun und nimmermehr.
Gerade die Einführung der Maulesel stimmt zu dem voraufgehenden
et 8' au ol Satpoveg &ewv naiSeg stertv vo&ot ztvkg ij ix vuptpujv ^ ix
ztvwv äUojv (also hervorgegangen aus der Paarung von Göttern mit
Wesen, die von ihnen verschieden sind, Abkömmlinge von Göttern, die
diese mit Wesen anderer und zwar niedrigerer Art gezeugt haben) ganz
vortrefflich, und die Stelle verliert durch diese Streichung sehr viel.
Die Maulesel sind eben "nxajv nacoeg vö&oe ztvkg i$ ovujv. Wer glaubt,
dafs die Dämonen eine Art unechter (= nicht ebenbürtiger) Söhne von
Göttern sind, die diese mit Nymphen (oder irgend welchen anderen
Wesen) gezeugt haben, der mufs auch glauben, dafs es Götter und
Nymphen giebt, ebenso wie der, welcher glaubt, dafs es Maulesel giebt,
auch glauben mufs, dafs es Pferde und Esel giebt. So würde der Pa-
rallelismus vollständig heifsen. Sokrates setzt aber in dem ersten Gliede
des Vergleichs nur den einen Begriff (ztg av dv&pürMv &£wv p.kv r.dt8ag
yyoho elvai, Bsoug 8k //$;), weil es ihm dem Zusammenhange nach nur
darauf ankommt zu zeigen, dafs er, wenn er an Dämonen glaubt, not-
wendiger Weise auch an Götter glaubt. Übrigens scheint mir der Ver-
gleich mit den Mauleseln der sokratischen Weise ganz besonders gut
zu entsprechen. — Das in 27 E von Schanz eingeklammerte zauza samt
Kral, Piatonis Apologia et Crito. 183
dem von Hermann eingeklammerten zrjv ypa<prjv zauzrjv sucht er zu retten,
indem er denen zustimmt, die zabza mit dnomcpwp.evog verbinden und
härtere Formen des Hyperbaton bei Plato anführt. — Für das von ihm
in 28 A aufgenommene noUoug xai äkko'jg xai dyaßoug verweist er auch
auf Conv. 178 A noAAat%fl pkv xai äkXrp ob% rjxiora od. — In 35 B schreibt
er nach dem Vorschlage von Forster, wie auch Schanz, ouzs rtpäg (statt
upäg) xprj Tioizlv, und rechtfertigt das rtpdg eingehend. Diese Lesart
ist sicherlich die richtige. — 40 E schreibt er rJs7ov, quamquam Schanz
in editione sua omnibus locis pro t:As?ov, quod Codices habent, aut nkiov
aut TiXelv scripsit. — — cum vero etiam apud alios scriptores Atticos
utriusque formae idem fere ius sit, haud scio an iniuria nksTov ex Pia-
tonis scriptis extrudatur. — In 41 E weist er die Unrichtigkeit der
Goebelschen Interpunktion nach ikünouv nach (Socrates Athenienses mo-
nere non potest, ut filios suos poenis coerceant nisi causa adlata, cur
eos poena dignos esse putet); er selbst interpungiert richtig, wie auch
Schanz nach pydkv ovzeg.
Crit. 45 B ist in den Text aufgenommen £evoi ouzot iv&dSe kzoc-
fioe ävafo'axecv, da aber Plato jene auswärtigen Freunde des Sokrates,
da sie nicht anwesend sind, schwerlich mit ouzot habe bezeichnen können,
so wird vermutet t-dvoi oaoi ivßdSe kzolpot (quot peregrini hie sunt,
qui . . .). — Dafs 47 C die Form diöXXvot beibehalten ist, obwohl die besten
Handschriften ocuUuei zu schützen scheinen, wird damit gerechtfertigt,
dafs diese Formen, obwohl sie bei attischen Schriftstellern begegnen, die
Grammatiker dem attischen Dialekte absprechen. — In 52 E wird für
fj $-uvßi)xag rag npbg rjjiäg abzobg xai bpoXoytag xapaßacvetg vermutet
rj t-ovßrjxag rag npug fj/xäg abzog (ultro) napaßacveig , verbis xai bpoXo-
yiag, quae ex S. 52 D huc irrepere potuerunt, deletis. Aufser diesen
in der Vorrede besprochenen Stellen wollen wir noch die übrigen Ab-
weichungen von dem Schanz'schen Texte geben.
18 A npbg zd npaizd pou <p£u8rj xazqyoprjpdva , Schanz hat
(peodr) in Klammern. 18 B xai xazrjyöpouv ipob obdkv dXrtßdg, Schanz
xai xazrjydpoov ipob p.a. zov obokv dXrftsg. 19 D ouze zobzeuv obSdv
icrzcv, Schanz ioziv in Klammern. 19 E otbg r' inziv, wie auch
Goebel, ohne Klammern, Schanz in Klammern. 20 C sind die Worte
ei prj zi inpazzeg dXAoiov rt ol noXXot weggelassen, Schanz giebt sie
in Klammern. Bei Beibehaltung dieser Worte entsteht allerdings eine
Tautologie. Aber da die Apologie den gewöhnlichen Gesprächston des
Sokrates nachahmen soll, so ist doch an diesem Zusätze kein Anstofs
zu nehmen. Da auf dieser Bedingung ein starker Nachdruck ruht, so
liegt es dem Sprechenden nahe, diese nach dem Nachsatze noch einmal
auszusprechen, um den scheinbaren Widerspruch recht stark hervorzu-
heben. Der tautologische Zusatz rechtfertigt sich also psychologisch.
Wir wollen hier gleich die übrigen Stellen folgen lassen, au denen
Kral das von Schanz Eingeklammerte einfach tottlal'st. 21 A nach
184 Kral, Piatonis Apologia et Crito.
xai bjjLwv zw rJ.rjHei läfst Kral die von Schanz eingeklammerten Worte
kraupÖQ ~e xal fort. 23 E xal zwv noXizixwv. 26 A xal dxouafov
zwischen tum zoiobzwv und äftapTyfidnov. 27 E ^ vor xai Svatv. 28 A
zou abzob vor prjzs datpovag und prtzE itpwag nach fujrt heobj. 30 E
bnb ro~j deoo nach npooxEipEvov zjj TtöXßt. 31 D (fwvrt nach Zzi poi
BeTöv zi xal oaipdviov yfyverat und -ä/.at zwischen el iydi und inE^ei-
frtßa. 32 B 'Avrco%fs zwischen ezu%ev rjpwv y pofy und npuravEwiaa.
33 D xal zipwptlabai nach v5v pzp.v^alhj.1. 35 D rtdvzwg vor xai <i(T£-
/Sc/f/f (pzöyovTo.. 36 C «uv nach inj «e tv> «5/<5£ ixaazov. 40 C t^'Ü t«-
?rot» toü zwischen pEzoi'xyaig zr, ^'u/i? und ivddvSe Eig dXXov zör.ov.
Kriton 47 C xa\ zobg inaivoog nach aörou zrt\> Sdgav. 49 A örtep xai
dpzi iXiyEzo- vor rj ndoai rj/itv ixeTvai a\ npdaHsv bpoXoyi'ai. Ibid. yi-
povzsg zwischen ztjXixoioe und dvopEg. 53 E iv &EzzaXia nach zi noiwv
3J Euw%obp.Evog. Phaed. HOB kxetvat nach £v«vr/«v. 117 A Eixozwg
zwischen xai iywys zaüza und ob notfjoat. Andere Abweichungen sind :
21 C xal diaXsyöpsvog ohne Klammern, Schanz in Klammern. 21 E
ato~8avöfievog pkv xal Xurrob psvog xal OEoiwg, Schanz alabavöptvog pkv
[xal] Xtmobpsvog xzX. 22 C zw abzw oidpsvog nepcyeyovsvat, Schanz
zw abzw abzwv olopsvog n. Warum der Zusatz abzwv notwendig er-
scheint, ist bereits Goebel gegenüber bemerkt. 22 D xal ol dya&ol orr
pioupyoi ohne Klammern, Schanz in Klammern. Mir scheint dieser Zu-
satz dem Tone der Apologie recht wohl zu entsprechen. 23 D dXX
dyvoobaiv, Schanz dXX' dpfiyvoobaiv. 24 D ipk ehdystg zouzoial, Schanz
eig zoozooai. 25 A prj ol iv zfj ixxXrßtq, ol ixxXrtaiaazai, Schanz klam-
mert ol exxtyaiaozai ein, nach meiner Ansicht mit vollstem Rechte, wie
ich schon bei der Ausgabe von Goebel bemerkt habe. 26 A naboopai
o ye äxwv 7toiu>, Schanz ob ye xzX. 27 E wg zou abzob iaziv xal oai-
povia xal ßsTa yysiadai, Schanz wg ou zo~j xzX. Ich habe über die Stelle
bereits bei den Ausgaben von Bertram und Goebel gesprochen. 28 C
w na? vor ei zip.wpf]OEig, das bei Schanz fehlt. 30 B Xsywv, ozi obx ix
%prlp.dzwv dpEzi) yiyvEzai, Schanz: Xsywv oüx ix yp^pdzwv xzX. 31 C
{•upßooXsüw TiEpuwv xal Ttokmpaypovw , Schanz noX.impaypovwv , was ich
für das Richtige halte, denn der Gegensatz ist Iota t-opßooXEbEiv und
8rip.oaiqi ^upßouXsuEiv, und jenes ist notwendiger Weise mit Umherlaufen
und Vielgeschäftigkeit verbunden, während er bei diesem das ganze
Volk auf einmal vor sich hat. 32 A prj utzeixwv oe dpa xal dnoXoi'p^v,
bei Schanz fehlt xai. 32 B xal ivavzc'a i^rtfiadpryv ohne Klammern, bei
Schanz in Klammern. Mir erscheinen aus sachlichem Grunde die Worte
unhaltbar. 34 E dXX' ouv dsdoypsvov yi iazi zb —wxpdzr, oia<pipEiv zivl
zwv noXXwv dv8pw7:wv, Schanz zw ZwxpdzEi. 35 A ei ouv bpwv ol So-
xouvzsg oia<pipEiv eize oo<piq eize äXXj] fjZivtouv dpEzfj zoioüzot iaovzai,
Schanz — eize oo<p>a sYzs dvSpEia. eYze äXXy yzivouv dpszfj xzX. 36 A
xal oux dviXmazöv poi ysyovEv zb ysyovbg zobzo, Schanz zb ysyovbg in
Klammern. Ibid. dxEnsifsbyy ävt Schanz dnoriE^Ebpj av. 36 E 6 p.sv
Kral, Piatonis Apologia et Crito. 185
yäp u/iäg nocet ebSat'povag SoxeTv elvac, iyd> 8k elvac, Schanz klammert
elvac nach 8oxelv ein. 37 C oouXebovza rjji del xa$iozap.£vr/ dp%fj , T0*G
evSexa; Schanz zo?g evoexa in Klammern. Ich glaube, dafs zolg ivSexa
getilgt werden mufs, nicht blofs weil es ein ganz überflüssiger Zusatz
ist, sondern auch weil diese Apposition sich ihrem Inhalte nach mit rjp
del xa&cazapivrj dp^fi nicht deckt, da zo?g iv8exa eines dem del
xadcazapevfl entsprechenden Zusatzes entbehrt. 40 A rj yäp ecoj&uTd poc
pavzcxy ij zou dacpovc'ou , Schanz rj zdb Saijiovcou in Klammern. Dieser
Zusatz ist nicht notwendig, aber vollkommen zulässig. 41 B zcg abzwv
oo<pög iazcv, Schanz zcg 8tj abzwv xd. 42 A d8rtXov navzl nXijv rj ra>
#£<£, Schanz nXrjv el xzX.
Kriton 43 A rj ob 7ip<b ezc iazcv; Schanz ohne ezc. Ibid. einjpys-
zyrac, Schanz ebepyezTtzac 43 D 8rtXov obv ix zobzwv zcuv dyyeXcwv,
Schanz SyXov obv ex zobziov [tujv dyyeXiov]. — 44 B xal vbv ipol nec-
8ou, Schanz nc&ob. Ibid. ob pc'a guppopd iaztv, Schanz $up<popä e'azac.
Ibid. ezc 8k xal noXXoTg 86$a>, Schanz ezc 8y xzX. 45 B dnoxdpr^g,
Schanz dnoxvfig. 46 B wg iyiu ob povov vbv, dXXä xal del zocobzog,
Schanz für ob povov vbv mit Nauck ob vbv npwzov, eine dem Sinne nach
gute, aber meines Erachtens nicht notwendige Änderung. 47 B navzbg
dvSpbg inac'voj xal <pöyw zbv vobv npoae^ec, Schanz ir.acvip xal (pöyoi
xal 86^7) xzX. 48 B KP. A^Xa orj xal zabza' cpac'rj yäp «v, w Zcuxpazeg.
2(2. 'AXrj&rj Xeyecg. dXX\ & Saupdace, Schanz KP. ArjXa 8rj xal zabza
\.(pairj yäp dv], d> Iwxpazeg, dXySrj Xeyecg. KL 'AXX w daopdace. Die
letztere "Weise erscheint mir als die ansprechendere. 48 D obre dXXo
bzcobv nda/ecv, Schanz ouz' et dXXo xzX. 50 D (ppdaov obv zobzoig
ly/idiv, zoTg vöpocg, Schanz zoTg vöpocg in Klammern. Ibid. ol im zob-
zoig zezaypevoc vöpot, Schanz vöpoc in Klammern. 51 D el prj dpeaxoc-
pev, Schanz mit Madvig äpeaxopev, was mir als das Richtige erscheint.
Ibid. äXXoae not, Schanz äXXoae mit Weglassuug von -oc. 51 E bpoXo-
yrjaag ^pTv nec'&eadac, Schanz mit Buttmann necoea&ac. Dieses letztere
halte ich für das richtigere. Ebenso verhält es sich mit wpoXoyrtxevac
noXczebeadac in 52 D, wofür Schanz TroXczebaeafrac schreibt. 53 A oSrot
aoe 8ta<pep6vziog zujv dXXwv Wbrpaüov rjpeaxev rj nöXtg ze xal fytets <>l
vöpoc 87jXov ozc zivi yäp dv r.öXtg dpiaxot aveu v6ftxov\ Schanz klam-
mert die Worte 8rtXov ozc bis vöpwv ein. Auch mir erscheinen die
Worte als ein ganz unnützer und störender Zusatz. Ibid. ippevecg,
Schanz ippeveTg, welches dem Zusammenhange besser entspricht. 53 E
SouXebojv ohne Klammern, Schanz in Klammern. 54 A ol yäp imzr;8ecoc
ol aol incpeXrjO'ovzac abziov. ndzepov iäv seg Serealcav ärtofyurjrnrg, int-
peXrjoovzac , iäv 8e ecg "AcSou aito8i]fifjajjg^ odyl imfxeX^aovrai] Schanz ol
yäp inczySecoc ol aol [incpeXrjaovra:] abziov rtörepov iäv xzX. 5-1 1' tu
(flXe kzalpe Kpc'zojv. Schanz Kiuzwv in Klammern. Ibid. Coar.ep ol xo-
poßavzcujvzeg zojv abXCov , Schanz wanep ol x. z. ab. SoxOüOW äxobetv.
]3f> Kral, Piatonis Apologia et Crito
Die Worte SoxoZacv axoöeiv finden sich in den Handschriften, und ich
finde für ihre Tilgung keinen Grund.
Phaedon. 115 B xaxä rä vw te elfjr^ieva xal iv zw tyatpooBw
X(>öv(o C^, Schanz — xal t« iv tuj e. %p. C-, was entschieden besser
ist. 115 D rauTfi fiot doxw aörijj aAAwz ).£yEt\> , Schanz (tot in Klam-
mern. 116 C dÄX' ixetvoig. wv oZv — , Schanz akXa exEtvmg. \>~jv. —
117 D xal tote avaßfpj^adjXEVog xXaiwv xal dyavaxrwv , Schanz xkaüttV
xal in Klammern. Ich sehe keinen genügenden Grund für die Ein-
klammcruug dieser Worte 118 A xal av&tg r^rera, Schanz xal <>.<>
ynzEro. Ibd. dvöpug — dpcfrrou xal dXXujg ypovi/iojraTO'j xal Sixaco-
rdroo. Schanz klammert aXXwi; ein, für das sich schwerlich eine ge-
nügende Erklärung finden läfst.
Bericht über die auf die attischen Redner
bezüglichen litterarischen Erscheinungen der
Jahre 1882—1885.
Von
Dr. Georg Hüttner,
Studienlehrer in Ansbach.
Zweite Abteilung.
Demosthenes.
Bei dem reichen Material, das uns über diesen Redner zur Be-
sprechung vorliegt, empfiehlt es sich, von dem in der ersten Abteilung
beobachteten Verfahren, die litterarischen Erscheinungen in chronologi-
scher Reihenfolge aufzuzählen, hier abzuweichen. Wir stellen daher in
No. 1 — 10 voran, was sich auf die Textesüberlieferung, die Scholien,
die Sprache, auf Textkritik, endlich auf das Leben des Demosthenes
bezieht. Es folgen No. 11—20 die Ausgaben, sodann die Schriften zu
den einzelnen Reden nach der üblichen Folge der letzteren.
1) W. Christ, Die Attikusausgabe des Demosthenes, ein Beitrag
zur Textesgeschichte des Autors. Mit einer Tafel. Aus den Abhand-
lungen der k. bayer. Akademie der Wissensch. I. Cl. XVI. Bd.
III. Abth. München 1882. 82 S. 4.
Nachdem K. Halm seine Lehrthätigkeit an der Münchener Uni-
versität eingestellt hatte, entschlofs sich 1881 Prof. v. Christ, wie er
einleitungsweise mitteilt, in den leer gewordenen Platz einzutreten und
Vorlesungen über Demosthenes in den Kreis seiner akademischen Vor-
träge zu ziehen. Zugleich nahm er sich vor, bei dieser Gelegenheit die
beiden in München aufbewahrten Demosthenes -Handschriften, den cod.
Augustanus 485 (A) und den cod. Bavaricus 85 (B), näher zu unter-
suchen. Diesen Studien verdanken wir als erste Frucht obige höchst
interessante Abhandlung, welche zugleich den Beweis liefert, dafs selbst
längst bekannte und verglichene Handschriften einer gründlichen For-
schung noch reichlich lohnenden Ertrag bieten können.
Während man bisher nur Reste der Totalstichometric aus dem
cod. Bavaricus kannte, entdeckte Christ 1. eine Partialstichometrie, am
188 Demosthenes.
linken Rande der Handschrift durch Buchstaben des griechischen AN
phabets bezeichnet, 2. kritische Zeichen zur vierten Philippischen Rede
und zur Midiana. Durch Erkundigungen in Paris und Venedig, ob sich
nicht auch im cod. Parismas 9 und im cod. Venetus F Ähnliche Buch-
staben und Zeichen finden, suchte er seine Forschungen zu vervollstän-
digen. Leider ist er über die letztere Handschrift, wie II. Bu ermann
im Hermes XXI (188G) S. 34- 40 nachgewiesen hat, total falsch berichtet
worden. Christ hatte auf die Versicherung des Professors Triantaphylles
in Venedig, dafs sich im cod. F nirgends eine Spur der Partialsticho-
metrie erhalten habe, die Ansicht derer, welche den cod. B für eine
Abschrift des cod. F erklärten, mit vollem Recht als eine irrige be-
zeichnet. Buermann dagegen überzeugte sich an Ort und Stelle, dafs
sich im cod. F nicht nur alles das findet, was im cod. B steht, sondern
noch einiges mehr; selbst in den kritischen Zeichen stimmen beide
Handschriften überein »mit alleiniger Ausnahme des vereinzelten ver-
mutlich nicht als Obelos, sondern als Marke für den Sinnabschnitt auf-
zufassenden Striches Mid. § 95«. Verliert somit Christs Vermutung,
dafs beide Handschriften einer gleichen Quelle entstammen, aber keine
von ihnen aus der andern abgeschrieben sei, ihre wichtigste Begrün-
dung, so bleibt doch der andere Satz stehen, dafs die Totalzahlen in
SBF und die Partialzahlen in B (jetzt BF) auf eine und dieselbe Quelle
zurückgehen. Dieser Quelle spürt nun der Verfasser weiter nach. Aus
der Subscriptio der Codices B und F am Ende der Rede npog ttjv im-
(TzoXrjV zrjv 0tXcnnoo , welche lautet ocüpdiozai ano Söo 'Azzcxcavuiv, fol-
gert er, dafs die Rezension des Attikus nicht nur dem Texte des cod. B
zugrunde liege, sondern dafs auch die stichometrischen Angaben der
gleichen Ausgabe entlehnt seien. Wer dieser Attikus ist und welcher
Zeit er angehört, wird sich wohl nie mit Sicherheit bestimmen lassen.
Nur das sucht Christ in scharfsinniger Weise für die Zeitbestimmung
desselben festzustellen, dafs Dionysios von Halikarnasos die Attikusaus-
gabe nicht gekannt habe. Dies ist das Ergebnis der ersten zwei Ka-
pitel. Im dritten bespricht er die kritischen Zeichen, die ebenfalls sehr
alt sind und jedenfalls das Zeitalter des Ulpian überragen; ob sie auf
Attikus zurückgehen, läfst der Verfasser dahin gestellt sein. Die Va-
rianten des cod. B, der Gegenstand des vierten Kapitels, legen die
durchaus wahrscheinliche Vermutung nahe, dafs die beiden verglichenen
Exemplare keine reinen, sondern bereits stark interpolierte 'A-nxtavd
waren, und dafs überdies vom Schreiber nur Varianten zum ursprüng-
lichen Texte nach jenen Exemplaren angemerkt, nicht auch ganze Sätze
auf grund derselben nachträglich gestrichen wurden. Wichtiger sind
das fünfte und sechste Kapitel: Die Urkunden in Demosthenes' Reden,
und die Interpolationen der dritten Philippischen Rede. In jenem weist
Christ aus den stichometrischen Angaben nach, dafs die Urkunden zur
Kranzrede, zur Midiana, zu den Reden gegen Stephanos, Lakritos und
Demosthenes. ]g9
Makartatos, ferner das Epigramm in der Rede gegen Halonnesos, die
Elegien und Trimeter in der 19. Rede und der Brief Philipps (XII) in
den Exemplaren des Attikus gefehlt haben; dagegen stunden in den-
selben die Urkunden der Rede wider Neaira und teilweise auch die der
Aristokratea und Timokratea. Diese auffallende Thatsache erklärt sich,
wie Christ zeigt, aus der eigentümlichen Stellung der Rede gegen Neaira;
diese hatte nämlich in der Ausgabe des Attikus ihren Platz unter den
öffentlichen Reden, welche von vornherein ein allgemeineres Interesse
erregten und bei deren Rekognition der Librarius noch nicht ermüdet
war. Sind nun die Urkunden in den übrigen Privatreden, in denen sie
nachweislich in der Ausgabe des Attikus fehlten, unecht? Diese Frage
läfst sich, wie Christ richtig bemerkt, auf diplomatischem Wege allein
nicht endgiltig entscheiden. Die von Demosthenes selbst veröffentlichten
Reden, zu denen der Verfasser die Philippischen, die Rede gegen Lep-
tines, von der Truggesandtschaft, vom Kranze rechnet, enthielten sicher-
lich keine Urkunden, sondern nur Titel von solchen. Wenn aus den
Scholien zur Midiana ersichtlich ist, dafs die Urkunden dieser Rede
einen ziemlich späten Ursprung haben, so darf dies keineswegs so ohne
weiteres auf die übrigen Reden ausgedehnt werden (Seite 46 = 198). —
Die beiden letzten Kapitel machen den Versuch, die Attikusausgabe,
als deren getreueste Kopie cod. S zu betrachten ist, zu rekonstruieren.
Auch hier wird man der klaren und geistvollen Argumentation des Ver-
fassers und dem Bemühen, das Dunkel der frühesten Überlieferung auf-
zuhellen, die Anerkennung nicht versagen können, wenn man auch nicht
allen Hypothesen zustimmen kann.
2) H. Weil, D'un signe critique dans le meilleur manuscrit de
Demosthene. Melanges Graux. Paris (Thorin) 1884. S. 13—20.
Dieser Aufsatz, der seinem wesentlichen Inhalt nach in des Ver-
fassers Ausgabe, Les plaidoyers politiques de Demosthene I. Serie 2me
edit, Paris 1883, aufgenommen ist, bringt die von Prof. Christ zu seiner
(in voriger Nummer besprochenen) Untersuchung erbetenen Aufschlüsse
über die kritischen Zeichen im cod. S. Weil hatte diese Zeichen, hori-
zontale Striche am Anfange der Zeilen bei einer gröfseren Anzahl von
Stellen der Midiana, wie er sagt, schon früher bemerkt, ohne sie in
seiner Ausgabe zu erwähnen. Erst durch den Brief Christs wurde seine
Aufmerksamkeit wieder auf dieselben gelenkt. Nicht alle sind von der-
selben Hand, die meisten von erster Hand, von § 205 an sind sie von
dem Schreiber der Scholien hinzugefügt. Die Bedeutung dieser kriti-
schen Zeichen, die also im allgemeinen in den drei Codices SliF über-
einstimmen, ist nicht leicht anzugeben. Einigemal kommen uns die Scho-
lien zu Hilfe, in den meisten Fällen jedoch sind wir auf eigene Ver-
mutungen angewiesen. Indem Weil die einzelnen Stellen, welcho mit
jenem Zeichen versehen sind, bespricht, gelangt er gleich Christ zu dem
1 90 Demosthenes.
Resultat, dafs wir es wirklich mit einem Obelos zu thun haben. Die
Thatsache, dafs sich die Zeichen nur in der Midiana finden, ist für die
Frage nach ihrer Bedeutung nicht gleichmütig. Die alten Kritiker
wufsten recht wohl, dafs Demosthenes nicht die letzte Hand an die
Rede gelegt und sie jedenfalls nicht selbst veröffentlicht hat. Ihr Obe-
los sollte daher nach Weils Ansicht die Stellen bezeichnen, die noch
einer Überarbeitung bedurften.
3) Emil Wangrin, Quaestiones de scholiorum Demosthenicorum
fontibus. Pars prior. De Harpocratione et Aelio Dionysio Pausa-
niaque atticistis. Diss. inaug. Halle 1883. 39 S. 8.
Die hohen Erwartungen, welche der Verfasser durch sein abfälliges
Urteil über andere — quae adhuc viri docti de scholiis illis dixerunt,
obiter iudicata sunt — von seiner eigenen Leistung erweckt, werden
durch diesen ersten Teil nicht befriedigt. Es wird darin der an sich
löbliche Versuch gemacht, von etwa 80 Demosthenes- Scholieu, welche
gröfsere oder geringere Übereinstimmung mit Glossen des Harpokration,
Photios, Suidas, des Bekkerschen Lexikons u. a. zeigen, die Quellen zu
erforschen. Wangrins Vorbild ist Th. Freyer (unten No. 56). Gleich
ihm ist er der Ansicht, dafs Harpokration nicht die Attikisten Ailios
Dionysios und Pausanias benützt habe, sondern dafs alle Glossen, welche
dem Harpokration und den Attikisten gemein sind, auf eine gemeinsame
Quelle, das Lexikon des Pamphilos, zurückgehen. Gleich ihm sucht er
bei möglichst vielen Scholieu die beiden Attikisten als Quelle nachzu-
weisen, obgleich nirgends in den Scholieu der Name des Pausanias oder
des Ailios Dionysios erwähnt, noch auch durch irgend ein Wort wie
drrtxiarrjg die Quelle angezeigt wird (S. 21). Da Photios bekauntlich
jene beiden benützt hat oder, wie Wangrin S. 20 sagt, Photii lexicou
paene totum ex Aelii Dionysii Pausaniaeque glossis consarcinatum est,
so glaubt er die Scholien, die mit Photios übereinstimmen, auf den
einen oder andern zurückführen zu müssen. Zwar läfst sich nur bei
drei Scholieu eine fast wörtliche Konkordanz mit Photios erweisen, aber
dies genügt dem Verfasser, um viele andere, welche nur einige Ähn-
lichkeit mit Glossen desselben haben oder nur denselben Sinn aus-
drücken, den Attikisten zuzuweisen. Indes erkennt er selbst, dafs durch
diese Methode die eine oder andere Glosse mit Unrecht den Attikisten
zugeschrieben werdeu kann, cum, quidquid assequemur, coniectura asse-
cuturi simus (S. 26). Ganz andere Grundsätze werden bei den Scho-
lien, welche mit Glossen des Harpokration zusammenstimmen, in An-
wendung gebracht, da uns dieser vollständig erhalten sei (cum Harpo-
cratiouis copiae integrae nobis servatae sint, S. 5 und 18). Kommen sie
nur bei Harpokration vor — es sind deren nach Wangrin nur vier — ,
so hat sie der Scholiast wohl von diesem ausgeschrieben. Finden sie
sich aber mehr oder minder ähnlich auch in andern Lexicis, so läfst es
Demosthenes. 191
der Verfasser bei acht von vierzehn Scholien, welche § 2 angeführt wer-
den, unentschieden, ob sie aus Harpokration oder aus den Attikisten
stammen. — Der Druck ist durch zahlreiche Fehler entstellt. Der Ver-
fasser hat es nicht einmal der Mühe wert gefunden, die Seitenzahlen
seiner Dissertation, die vermutlich zuerst in einer Zeitschrift erschienen
ist, entsprechend abzuändern; so wird S. 7 auf p. 96, S. 25 auf p. 65,
S. 26 auf p. 73 verwiesen.
4) Kariowa, Bemerkungen zum Sprachgebrauch des Demosthenes
mit Berücksichtigung anderer attischer Redner. Programm der evang.
Fürstenschule zu Plefs 1883. 20 S. 4.
Die Schrift enthält sehr mannigfaltige, aber darum nicht minder
wertvolle Bemerkungen grammatischer und lexikalischer Natur; Über
den Infinitiv nach teyscv und einetv, über xac ydp zoc, npc'v, zu Dem. 23, 185
ouzog 8' ecg ändvzojv zuiv olXXujv povog. Weiterhin wird die Präposition
auv behandelt, der Dativ beim Passivum an Stelle von und mit Genitiv,
Snetra im Sinne von slza zur Bezeichnung logischer Inkonsequenz, npüj-
zov fisv, das Adjektivum verbale, der Gebrauch des Relativs og, rt, o
in abhängigen Fragen, og av und oazcg dv mit Konjunktiv, nec'd-scv über-
zeugen, ndvzeg {ndvza) oaoc (ooa) und ot (ä), zouzo (zaüza) noceiv, wel-
ches ein vorangehendes Verbum auch dann vertritt, wenn dieses nicht
eigentlich ein tioczTv bezeichnet, endlich das Verbum itoc'&cv, kXmdag
B^stv und verwandte Verbindungen. - Wo es angeht, berücksichtigt
der Verfasser die bekannten Indices von C. Rehdautz, diese bald be-
richtigend, bald ergänzend. Da der neue Herausgeber derselben — die
vierte von F. Blafs besorgte Auflage erschien 1886 — von Kariowas
Bemerkungen noch keine Notiz genommen hat, so sollen hier die be-
treffenden Artikel ausführlicher besprochen werden. Für die Konstruk-
tion von <pdvac (Ind. S. 144) mit folgendem ä>g vergleicht Kariowa
Dem. 27, 19 ivc'ozs pev <prtacv dpy^aac zb ipyaazypcov , ivc'ozs o" wg
abzog pkv obx inepeXrjdrj zoüziuv und Isokr. 17, 25 ouzog pkv difzla&ai
<prjoc zwv iyxhjpdzojv , kyd> 3' cug i'dsc ps rtapa zoüzou xopc'aao&ac zb
Xpuoiov. özc steht nach <pdvai Dem. 22, 23; 24, 204; 20, 135. — Was
xac ydp zoc (Ind. S. 93) betrifft, so führt es nach Kariowa das Resultat
einer vorangehenden Darlegung ein {ydp), welches durch das die Zu-
stimmung der Anwesenden in Anspruch nehmende zoc als ein allgemein
bekanntes hingestellt wird. Die von Rehdantz gegebene Übersetzung
»und so denn auch« läfst sich nach der Ansicht des Referenten auf
alle Stellen anwenden; es dürfte also nicht nötig sein, für Dem. 23, 19S
und 200; 19, 56 und 325 eine besondere (explikative) Bedeutung auf-
zustellen. Was der Verfasser über die Entstehung von zoc bemerkt,
dafs wir es jedenfalls mit dem zur Partikel erstarrten Dativ dir zu thuu
haben, ist durchaus beifallswert. Die Stelleu aus lsokrates hatte be-
reits Schneider zu Is. 7, 30 zusammengetragen; aus Lysias führt Kar-
1 92 Demosthenes.
Iowa an [2,j 20. 20. 03. 79. 80; 27, 10; 30, 4. — Über die Konjunk-
tion tz/hv ist jetzt Sturm, Geschichtliche Entwickelung der Konstruk-
tionen mit n/nv, zu vergleichen. Das Adverb npb findet sich nur Dem. 1,11
und in der unechten siebenten Rede § 5, sonst weder bei Demosthenes
noch bei Aischines, Lysias, Isokrates und Isaios. Der Verfasser i^t
deshalb geneigt, Dem. 1, 11 mit Dindorf der Lesart r.tmu-nnz/w-ujv den
Vorzug zu geben; so liest übrigens auch Fr. Franke. Mit npo'j-äp/s'.v
vergleicht Kariowa Aisch. 2, 140. — Dem. 23, 185 verbindet er gegen
Westermann eis &ndvr(uv tCov äMatv, wozu fiöv.os pleonastisch gefügt sei;
denn der von püvog abhängige Genitiv folge diesem immer nach. Wei-
tere Beispiele siehe bei Rehdantz zu Lyk. § 67 und Anhang 2. - Über
aüv ist jetzt L. Lutz, Die Präpositionen bei den attischen Rednern,
Programm von Neustadt a. d. H., 1887, S. 39 f., zu vergleichen. — ir.tiTa
im Sinne von eha zur Bezeichnung logischer Inkonsequenz (Ind. S. 66)
erscheint nicht nur [Dem.] 52, 29 (nicht 26), sondern auch 18, 209;
[35,] 45; [42,] 30, xänena [Lys.] 8, 19. — Auf npiörov ftkv (Ind. S. 103)
folgt 83 mal ercscra, davon 22 mal in unechten Reden, 47 mal eha, dar-
unter 2 mal in der unechten 58. Rede; eneiza de auch 55, 22 und [42,] 1.
Dazu kommt TipüiTov pev — oeurepov de — eneeza 23, 125, npüJTov
pev — enetTa — eha 57, 19. 43, npu/Tov pev — jxsza rauza de — eha
14, 23. Vgl. hierzu auch P.Uhle in seiner Doktordissertation (unten
No. 47) S. 93. Gar nicht fortgesetzt ist npaJTov pev 16, 18 (Referent).
— Das Adjektivum verbale (Ind. S- 41) findet sich nach Kariowa unper-
sönlich konstruiert 22 mal in den echten Reden, 4 mal in unechten Re-
den, persönlich konstruiert nur 6 mal (21, 142; 22, 62; 24, 25. 78; 36,
30; 54, 44). Die unpersönliche Konstruktion ergibt sich für die von
ihm in Betracht gezogenen Redner (Demosthenes, Aischines, Lysias, Iso-
krates, Isaios) »als die übliche, von der nur aus bestimmten Gründen
abgewichen zu werden scheint. Da nun bei der unpersönlichen Kon-
struktion das Verbaladjektiv als Verbum, bei der persönlichen als Ad-
jektivum behandelt wird, so läfst sich schliefsen, dafs die persönliche
Konstruktion nur da angewandt wird, wo eine Eigenschaft beigelegt
wird«. — »Ilei&ecv überzeugen wird mit aug am häufigsten im Akti-
vum verbunden.« — »Der Infinitiv nach dem Aktivum erscheint nur, wo
nec&eiv mit dem Reflexiv verbunden nicht wesentlich verschieden ist von
neneco&ac, in den echten Werken des Demosthenes nur 19, 99, sonst in
den Proömien 5. 19. 33. 50. 56 und Ep. 5, 2.« — Ind. S. 106 s. v. pc-
xpög mufs es 21, 75 statt 21, 25 heifsen. Mit der Verbindung oure
pcxpuv ou-e peya vergleicht Kariowa |Dem.] 47, 78 nepl tu nXeov xa\
zb iAazTov, Isokr. 15, 111 oute nXeov out' eXazTov , Dem. 24, 29 outs
Xscpova oure ßekTtu) vopov und 24, 88 pfre ßeXuoug pijTe %ec'poug (iy-
yurjTdg). — Endlich findet sich der Infinitiv nach iXru'e (io~zc) aufser an
den Ind. S. 87 angegebenen Stellen auch Prooem. 38 = 1446, 26. Nur
|Dem.J 59, 57 steht der Inf. fut.
Demosthenes. 193
5) Joh. Straub, De tropis et figuris, quae inveniuntur in ora-
tiouibus Demosthenis et Ciceronis. Programm von Aschaffenburg 1883.
VI, 147 S. 8.
Die sehr fleifsige Arbeit kann wegen der reichen Beispielsamm-
lung als ein wertvoller Beitrag zur Geschichte der Tropen und Figuren
bezeichnet werden. Dafs sich die wiederholt (S. V und 104) ausge-
sprochene Hoffnung des Verfassers, er werde auch den Schülern des
Gymnasiums mit seiner Abhandlung einen Gefallen erweisen, erfüllen
wird, möchten wir sehr bezweifeln. Diese würden ihm, wenn ihnen erst
der Sinn hierfür geweckt wäre, für einen deutsch geschriebenen, nur
die wichtigsten Tropen und Figuren behandelnden Abrifs mehr Dank
wissen. Im übrigen verweisen wir auf die Anzeige von G. Landgraf
in diesem Jahresbericht XXXV (1883. II) S. 5 und die Rezension von
G. Dzialas, Neue philol. Rundschau 1886 S. 313 ff.
6) Y., La critique des textes grecs ä l'Fxole pratique des Hautes
etudes II. — Demosthene. Revue de philologie VII (1883) S. 33—60.
Der erste Teil handelt über xal yäp rot. Der Verfasser geht
die verschiedenen Erklärungen durch, welche die Partikel durch Hoo-
geveen, Vigerius, Reiske, H. Schäfer, Seiler, R. Klotz, J. A Härtung
und Rehdantz erfahren hat, und findet, dafs sie bereits im Lexikon des
Hesychios richtig durch rotyapouv (deshalb, demnach) erläutert ist.
Darauf führt er nacheinander die Stellen an, wo xal yäp roc von Voemel
richtig durch itaque, igitur, proinde, quapropter übersetzt sei, nämlich
9, 58 (nicht 57); 18, 99; 19, 137 und 325; 20, 69 und 91; 21, 150;
23, 198; 24, 140; 51, 14 und 22 (nicht 21); 61, 29 (nicht 28); sodann
die Stellen, wo derselbe xal yäp zo> unrichtig übersetzt habe: 4, 6;
8, 66; 10, 68; 13, 22; 19, 141; 23, 104, 200 und 206. Ohne Grund
schlägt der Verfasser 19, 56 xal yäp outoi statt xal yäp rot zu lesen
vor. Der Stelle ist ganz ähnlich 19, 325. Das Resultat ist, dafs xal
ydp rot mit votydprot synonym sei, nie aber mit xal yäp. — Der zweite
Teil enthält textkritische Bemerkungen zu den drei Staatsreden Von
den Symmorien (XIV). Für die Megalopoliten (XVI) und Für die Frei-
heit der Rhodier (XV). Die meisten der hier vorgeschlagenen Konjek-
turen sind erweislich verfehlt oder unnötig. Wir heben als beachtens-
wert hervor XIV 1 ttjq d£taq st;ilt d&toe nach Gregor. Nazianz. orat.
fuuebr. Caes. 6 ou toütov* zyxwpcäaac ßouASjievog oöd1 dyvowv Sri pö-
h<i äv rts X^s d£(aq l<p(xoiXO. 4 xdv eoppayrto~<u coli. § 26. — 12
■nap" rjpwv mit einigen Codices. — 14 soll npo&u/uoe als Glosse zu
ixovza gestrichen werden. — 32 werden Dobrecs Konjekturen feWß
statt ^sW^- und xpavfjaovrez empfohlen. ;'■<', <<"> äv statt >h oöSk.
— 38 pkv hinter änayysÄAso-ttat zu streichen. — XV L6 sftwr' äv rtHs-
tyoav tö <ppovrtaat.
Jahresbericht für Altertumswissenschaft L. (1887. 1.1 13
194 Demosthenes.
7» II. van Berwerden, Demosthenica. Rhein. Bfuseara XXXYll
(1882) S. 241 — 251.
Textkritische Bemerkungen in reicher Fülle zunächst zn II Weih
Ausgabe dyfwa&svous r<uv 8cxavcxä>v Xöytuv <>• Sy/jLÖatot, Paris (Hachette)
1877, weicht; die 20., 21., 19. und 18- Re<l<' enthält, aber auch zu andern
Reden. Aufserdem wird 10, '•'•'■'> iyxaTaAeinöfievot richtig durch non adiuti
a rege, sed deserti, destituti erklärt; zu dem Plural npeaßeurouQ (Ge-
sandten) 12, 8 macht I Irrwerden auf ein Beispiel in seiner 8chrift La-
pidum de dial. Au. lest. S. 63 aufmerksam. (Bei Demosthenes fiu
sich Ttpeaßeoxat für r^zofizt^ nur 24, 12, bei Andokides .'}, 41. bei Dei-
narchos l, 20 und 82.) Von den Verbesserungsvorschlägen haben in-
zwischen mehrere die Billigung Weils in der zweiten Auflage der er-
wähnten Ausgabe oder die des neuen Herausgebers der Dindorfschen
Textausgabe, F. Blafs, oder beider Gelehrter zugleich gefunden. So
klammert jetzt Weil mit Herworden 18, 247 xa\ dcap&apelg ein (Blafs
liest jir/Vz dtap&apels); ebenso 18, 251 das zweite xaXbv. 19, 27 liest
er 07i£f) £?7:ov, was übrigens nach Weils Note bereits Dobree vor Her-
werden konjiziert hatte. 19, 190 Weil und Blafs elotTyrrjpt' statt etat-
~rjpi\ 19, 217 setzen beide das Fragezeichen hinter ozl statt hinter
rauxa. 19, 260 Weil dveitX^ae statt evinXrjoe. 19, 320 Blafs zatpijaee,
nach Dobree von Herwerdeu empfohlen. 21, 55 Weil zfj us statt -rp
de (ohne Not). Blafs 7, 12 xatxot statt xahoi yz. 8, 65 xh (lh/,:--<rj
gestrichen. In den Noten erwähnt Weil zur 19. Rede § 76 auzubg —
npoanocrjfTojvzac, § 136 wonzp ev Bakdzrjj Tivzbpaxi xüp.' axaraazdroj,
§ 137 ooÜAYjV zhai, § 146 [yzyzvrtaHai] hinter rüayjmp , § 233 toutou
statt toutwv, rr^g ö(pe<oQ in Klammem, § 325 wjtujv hinter <pp6vrj\£ ver-
dächtigt; zur 20. Rede § 49 bnr/peine statt buippei, womit Herwerden
Plut. Mor. S. 71 B vergleicht, § 186 auzog ixzcvog, wie schon früher
Cobet, § 196 pzyälrp pzvräv xiyyrjv pdUov <T dp%yv. — Noch mögen
folgende Vorschläge des holländischen Kritikers zu andern Reden er-
wähnt werden: 6, 20 oYzofrz hinter ruaxzoaat zu streichen; Referent
würde es lieber hinter dpa stellen. 8, 25 pij aöldabai zu streichen;
warum nicht lieber (jlyj ä8ixs7a&cut 8, 61 iyfrpou; hinter xoldar^ zu
streichen. 12, 5 oudzv npoo^xobaa^ statt ivopxoug, 12, 13 sldozeg zu
streichen. — Die Konjekturen zu 1, 14 und 25; 8, 69; 3, 7; 7, 43
hätte er sich ersparen köuuen, wenn er die Ausgabe von Rehdautz ein-
gesehen hätte. Übrigens hat Blafs 3, 7 zxxoXzp^oa.' statt ixzo/.zpwaac
und 7, 43 dfaj&y statt dXy&kg, was Herwerden verlaugt, wieder aufge-
nommen.
8) F. Blafs, Über die Verwertuug der bei den Rhetoren sich finden-
den Citate aus Demosthenes. Rhein. Mus. XXXVIII (1883) S. 612-624.
Dafs die bei Späteren sich findenden Citate und Nachahmungen
eines Autors ein wichtiges Hilfsmittel der Textkritik sind, ist eine all-
Demosthenes. 195
bekannte Thatsache; gleichwohl haben die Herausgeber des Demosthenes
vor Blafs von dieser Unterstützung nur wenig oder nicht in der rechten
Weise Gebrauch gemacht. Diese Citate sind freilich von sehr verschie-
denem, oft ziemlich geringem Werte, teils weil die Methode des Citie-
rens bei den Alten eine andere war als heutzutage und mehr den Sinn
als den Wortlaut berücksichtigte, teils weil die Citate aus einem be-
reits verdorbenen Texte stammen können, da ja die Handschriften schon
in sehr früher Zeit durch Korrekturen und Interpolationen entstellt
wurden. Nicht selten ist auch, wie Blafs an Beispielen nachweist, die
citierte Stelle nach dem Original korrigiert worden, und dies um so
häufiger, je bekannter das Original und je gelesener der citierende Schrift-
steller war. Kommt dazu noch der weitere Umstand, dafs die Hand-
schriften , wie dies besonders bei dem Rhetor Hermogenes der Fall ist,
noch nicht genügend verglichen sind, so ist bei der Benutzung der Ci-
tate mit der äufsersten Vorsicht zu verfahren. Ans Hermogenes dürfen wir
daher nicht allzu viel Gewinn für den Demosthenestext erwarten. Bessere
Aussichten erweckt die rhetorische Schrift des Aristeides, wiewohl auch
diese nicht frei von Interpolationen ist. Das ergiebt sich jedoch mit
aller Evidenz, dafs die Zahl der Interpolationen in unserm Demosthenes-
text auch nach der besten Überlieferung eine ganz ungeheure ist, wenn
auch die Reden nicht alle in gleichem Mafse gelitten haben, die Kranz-
rede mehr als die Gesandtschaftsrede, die Leptinea mehr als die Aristo-
kratea, ganz besonders aber die Rede von den Symmorien ; frei sind
nicht einmal die Briefe geblieben. Das Hauptergebnis der Untersuchung,
der Nachweis zahlreicher Interpolationen aus Aristeides, ist bereits der
neuen Ausgabe des Demosthenes von Blafs (unten No. 12) zu gute ge-
kommen. Darin ist jetzt gestrichen 3, 31 yeyi^aDe nach pepee, 9, 29
örjTiOu nach dyvoee, 10, 8 nap' upiuv nach Tuy^ävi^ro., 14, 3 dvai nach
^EUr/vujv (ebenda äpaadat statt aipscattat gesetzt), 16, 1 itoXtrau. nach
nvrsg, 16, 3 rfj nuUi nach vopi£w, 18, 97 dort nach av&pwzocg, 18, 130
yiyovz nach j)7)Ta>p und 299 dcxaetog nacb ßouty, 19, 16 Tidvzzg vor frzo:
und 83 upÄuv nach otdev und 84 aun»» nach npaypdTajv, ferner einge-
klammert 9, 28 npbq dXkfjXoog und 36 oödepiäs, 13, 28 v^s nöXsat^
14, 1 npoatpeca&ac und 37 ddtxsev i}p.äg ixzrsov, 16, 2 ßouXopzvcuv, 18, 3
avbpÜTMiQ, 10 (hov ouros ijrtäro und rt nap1 bpcv, 72 S neTtpaxrau. Mit
Hilfe einer Nachahmung sucht er zu heilen 18. 227 av xadaipwatv ai
(f>ijy>ot x&v fiqdkv nepifj. LO, 46, wo er rdfecu; statt bnodiaeote ein-
setzen zu müssen glaubte, bat er in der Ausgabe die alte Lesart bei-
behalten. ~ Zu streichen ist feiner nach Blafs 20, 11 raüra naeh yorr
fiara, 41 totz nach Xaßelv {Aaßeev aber vor itap' upiuv zu setzen), 76
8sw hzyziv nach öÄlyou und vüv naeli zxäaro), 89 jtävrwv naeb rinn»;
und San nach oödev (sodann ouS1 eüpyp.' fyperepov zu schreiben), 96
iorev nach -odzo pkv, 155 rd 8eivora&' naeb ra)»; dagegen fehlt 20, 72
iauv zwischen ydp und tu ävSpe; 'A&yvatot. 21, 111 sei r<r>n>^ Sv -J:^-
13*
196 Demosthenes.
iiiynuD.t vponov zu .stellen und 129 f/pwv nach dfiporepwv zu streichen;
ebenda schlägt er vor tj>1i^ zu Xoatbv näv rb ifibv y.».\ (auch) xh toötou
npotne&kv als appositionelle Erklärung zu zb nap' 4ppordptov 53wp,
23, 8 f ix toötou nach yhp zu streichen und TuxpaSoüvou n £v\ zu lesen,
74 ebp£vS)V statt bpoXoywv\ 24, 4 zu Mxaia statt zi> -uuy/j.u, 54, 8
noUovres statt bßplZovres und 20 /jtcrä zaüra nach i$eruiaj3^xet zu
streichen, Ep 3, 42 ~uuoyi)zyi).a statt np6axaypxx und toötou ncl.-t
zuiurizu zu streichen.
9) H. Weil, De quelques omissions dans le texte de D6mosthene.
Revue de philologie VII (1883) S. 7-13.
Weil sucht hier umgekehrt einige anscheinend lückenhaft über-
lieferte Stellen zu ergänzen: 19, 234 vermutet er (nph yevioBai) zag
kxxX-qaiaq iv aig , 20, 98 ist er geneigt doxouvrag vor xpiBivraQ einzu-
setzen, ebenso § 131 npö$evot zwischen zhut and pdcrxovree. § 141 liest
er e~c zu?g (unkp aör^g) TeXeoTTjoaoi. § 161 setzt er du/ueg ztoiv hinter
'i^oszrjg lv ein (durchaus unwahrscheinlich), 22, 8 prtdk hinter \irn
24, 187 xal nepl pkv rouvou (roü kaxeppdvou) xara a%otyv d dtj Ttpo-
xp&TYjS v~jv eps? noXXä Xeyeiv eti npbg tootois iyoiv •naboopjo.t. Statt
des letzten Wortes vermutet er nach 4, 13 na.uop.at (so liest auch Blafs,
Att. Bereds. III A S. 248 Anm. 4) ; die Einsetzung von tou iaxzppdvou
scheint mir verfehlt. Die §§ 183 186 hält Weil wohl mit Recht für
eine Interpolation aus 22, 75 ff.
10) J. Sörgel, Demosthenische Studien II. Programm von Hof
1884. 40 S. 8.
Der zweite Teil dieser Studien, worin der Charakter und die Politik
des Demosthenes gegenüber der neueren von Spengel und Weidner ver-
tretenen Kritik mit, Wärme und Leidenschaft verteidigt wird, beschäftigt
sich hauptsächlich mit der Frage, wie es in Wahrheit mit der Haltung
des Demosthenes dem Philokratischen Frieden gegenüber steht, ob
durch denselben und in demselben wirklich eine völlige Umwandlung in
ihm eingetreten sei und Aischines Grund hatte, seinem grofsen Gegner
vorzuwerfen, er habe, um sein wechselndes, widerspruchsvolles Verhalten
zu erklären und zu beschönigen, zu den ärgsten Lügen, Verdrehungen
und Verleumdungen aller Art seine Zuflucht genommen. Der Verfasser
gesteht zu, dafs die Politik des Demosthenes nicht von Anfang an bis
zum Schlüsse einzig und allein in ihren Mitteln stets die richtige und
praktische war, aber nach ihren Motiven sei sie eine untadelhafte und
edle, für einen Patrioten die einzig würdige und mögliche gewesen.
Aischines dagegen ist ihm ein gemeiner Verleumder , ein Windbeutel
und frecher Lügner, ein grofsmäuliger Schwätzer, der gemeinste Ver-
räter und dgl. »Überhaupt ist der Lebenswandel des Aischines ein ver-
ächtlicher, er ist bestochen, ein Schmeichler, fluchbeladen, Lügner, Ver-
Demosthenes. 197
räter seiner Freunde, und alles mögliche Schlechte.« (S. 38.) Die Ab-
handlung ist überreich an dergleichen Epitheta ornantia, mit denen die
alten und neuen Gegner des Demosthenes ausgezeichnet werden. Die
ganze Darstellung verrät die zur Zeit der Abfassung dieses Programms
bereits krankhaft überreizte Gemütsverfassung des um Demosthenes ver-
dienten Autors; damit mögen auch die zahlreichen Wiederholungen und
die sprachlichen Unrichtigkeiten entschuldigt werden.
11) Demos thenica. In usum scholarum collegit H. J. Nassau
Noordewier, rector gymnasii Delphensis. Leyden (Brill) 1884. 166 S.
Das Büchlein ist nach demselben Plane angelegt und soll einem
ähnlichen Zwecke dienen wie des Verfassers Isocratea, Groningen (Wol-
ters) 1883. »Pergant discipuli, sagt er in der Praefatio, legere totas
Demosthenis oratiooes, quarum non longiores neque politicas scholae
semper aptiores esse censeo ; haec autem excerpta iis trado legenda, ut
reliquarum orationum aliquam notitiam saltem sibi acquirant.« Mit Vor-
liebe finden sich allgemeinere Gedanken und Sentenzen ausgezogen, so-
dann auch solche Stellen, die in grammatischer oder lexikalischer Be-
ziehung lehrreich sind. Die Exzerpte sind häufig iu lateinischer Sprache
unter sich verbundeu oder ergänzt. Dafs die allgemein für unecht er-
klärten Reden in dieser Ausgabe weniger Berücksichtigung gefunden
haben, ist durchaus begründet, und hier hätte der Verfasser nach meinem
Dafürhalten noch weiter gehen dürfen, da er doch nur dazu beitragen
will, dafs die studierende Jugend den Demosthenes kennen lerne. In
der Regel wird kurz bemerkt, wann eine Rede verfafst, bez. gehalten
ist. Bei den olyntbischen Reden vermifst man eine derartige Angabe.
Zur ersten Rede lesen wir nur: Demosthenes suadet Atheniensibus, ut
auxilium ferant Olyntho obsessae (!) a Philippo. Vergeblich habe ich
mich bemüht, die Ausgabe, welche diesen Exzerpten zu gründe liegt,
ausfindig zu machen. In der vierten Rede § 5 steht gegen die Über-
lieferung rjoetv im Texte, in der Note An sldsv? Was der Herausgeber
hier vermutet, ist, soviel ich sehe, in allen neueren Ausgaben zu lesen.
Ebenso hatten Baiter-Sauppe, Bekker, Westermann, Rosenberg, Reh-
dantz, Blafs 8, 61 die von Nassau Noordewier verdächtigten Worte :>-r-
peToovrag . . . ixetveov ganz aus dem Texte entfernt. Auffällig sind in
einer für Schüler bestimmten Ausgabe Hinweisungen auf Werke, die
ihnen nicht wohl zugänglich sind, wie Blafs, Attische Beredsamkeit oder
Meier und Schoemann, Attischer Prozefs. Über die Klimax, die der
Verfasser bei Demosthenes nur 18, 179 gefunden hat, kann ihn Rehdantl
im Index I und Straub (oben No. 5) S. 116 f. eines besseren belehren;
statt Quinct. Inst. Or. IX 355 ist Quiut. IX 3, 54 f zu lesen. Von den
zahllosen Druckfehlern, besonders Accentfehlcrn, will ich nur einen hier
berichtigen: S. 3 Note soll es XX 50 statt XV 50 heifsen.
198 Demosthei
12) Demosthenis orationes ex recensione Gtuilielmi Dindorfii.
Vol. I. Orationes I— XIX. Editio quarta correctior curante Pride-
rico Blafs. Editio maior. Leipzig (Teubner) 1885. OLXXVI, 1 1 1 s.
— Editio minor. Ebenda 1885. 44 1 8.
Ree.: Deutsche Literaturzeitung 1885 S. 1632—1634 von Br. Keil.
— Journal des Savants 1886 S. 295—305 von II. Weil. Philologischer
Anzeiger XVI (1886) S. 311 314 von K. Secliger. Wochenschrift
für klass. Philologie III (1886) Sp. 1489—1490 von II. Landwehr.
Wochenschrift für klass. Philologie IV (1887; Sp. 481—484 von W.
Nitsche. — Zeitschrift für die österr. Gymnasien 38. Jahrgang (1887)
S. 339 354 von A. Kornitzer.
Die Besorgung einer neuen Auflage des Dindorfschen Deraosthenes
konnte wohl keinem Kundigeren übertragen werden als Blafs, und er
hat sich seine Aufgabe nicht leicht gemacht. Es ist in der That »eine
erstaunliche kritische Arbeit«, welche der Commentarius criticus von 109
und der Index interpolationum von 40 Seiten in sich schliefsen. Zwar
hat der Herausgeber, abgesehen von mehreren Stellen des cod. A und
einigen wenigen des cod. S, keine Handschriften kollationiert, wiewohl
auch diese, wie er überzeugt ist, noch nicht völlig ausgebeutet sind;
dafür aber hat er zur Herstellung des ursprünglichen Textes neue wich-
tige Hilfsmittel herangezogen, die testimouia veterum, die Scholien, die
Nachahmungen Späterer. Über seine Stellung zu den Handschriften und
über die Grundsätze, von denen er sich bei der Verarbeitung des reichen
Materials leiten liefs, spricht er sich in der Praefatio deutlich aus.
Gleich Cobet, Weil und anderen ist er der Ansicht, dafs der jetzige
Text des Demostheues von dem ursprünglichen und echten sehr weit
abstehe und auch unsere relativ guten Handschriften bei der in sehr
frühe Zeit zurückgehenden Verderbnis der Überlieferung besonders durch
Interpolationen arg entstellt seien. Bei dieser Sachlage kommen dem
Kritiker die größtenteils erst von Blafs entdeckten Kompositionsgesetze,
das Hiatusgesetz, das rhythmische und das Kürzengesetz, sehr zu statten;
diese werden hier zum erstenmal in die Praxis übersetzt und so ein
wesentlich veränderter und verbesserter Text geschaffen. Hier und da
freilich möchte man wünschen, dafs der neue Herausgeber bei der Durch-
führung dieser Regeln weniger streng verfahren und der Überlieferung
mit seinem scharfen kritischen Messer nicht so sehr zu Leibe gegangen
wäre. Indes ob auch manches hier getilgte oder in Klammern verwiesene
Wort späterhin wieder ganz zu Gnaden angenommen wird, sicher ist,
dafs die Demostheneskritik mit dieser Ausgabe einen bedeuteuden Schritt
vorwärts gethan hat.
13) Ausgewählte Reden des Demosthenes. Für den Schulgebrauch
erklärt von J. Sörgel, Studienrektor in Hof. I. Bändchen. Die drei
olynthischen Reden und die erste Rede gegen Philippos enthaltend.
Demosthenes. 199
II. Bändchen. Rede über den Frieden. Zweite Rede gegen Philipp.
Rede über die Angelegenheiten im Chersones. Dritte Rede gegen
Philipp. Gotha (Perthes) 1883 und 1884. Zusammen IV, 232 S.
Dieser neue Demosthenes -Kommentar unterscheidet sich von den
bei Teubner und Weidmann erschienenen kommentierten Ausgaben haupt-
sächlich dadurch, dafs er, den Grundsätzen der Bibliotheca Gothana ge-
mäfs, lediglich das Bedürfnis der Schüler bei ihrer Vorbereitung auf
die Lektüre ins Auge fafst, während jene zugleich den Anforderungen
der Gelehrten Rechnung tragen. Aus diesem Grunde ist die Textkritik
nicht nur vom Kommentar ausgeschlossen, sondern es werden auch die
Abweichungen von dem zu gründe gelegten cod. S oder von neueren
Ausgaben nicht in einem kritischen Anhange zusammengestellt und be-
sprochen. Selbst da, wo eine ebenso von der handschriftlichen Über-
lieferung wie von andern Ausgaben abweichende Lesart aufgenommen
ist, wie in der Rede über den Frieden § 8 nocou/xevog statt inot^craro,
überläfst es uns der Herausgeber, seine Gründe hierfür zu erraten. In
der Erklärung war er, wie er im Vorwort sagt, vor allem bestrebt, ein
bescheidenes Mafs einzuhalten und auf alles das zu verzichten, wofür
der Schüler weder das nötige Interesse noch die erforderliche Reife des
Urteils besitzt. Das sind Grundsätze, mit denen wohl jeder Schulmann
einverstanden sein wird, und da dieselben im ganzen mit grofsem Ge-
schick und mit rühmenswerter Sorgfalt und Umsicht durchgeführt sind,
so konnte Sörgels Ausgabe mit den in ihrer Art vortrefflichen Ausgaben
von Rehdantz und Westermanu getrost in Konkurrenz treten. Der beste
Beweis für ihre Brauchbarkeit ist der Umstand, dafs von dem ersten
Bändchen schon nach drei Jahren eine zweite Auflage nötig wurde.
Eine ausführlichere Einleitung enthält das Wissenswerteste von dem
Leben und der Bedeutung des grofsen Redners und entwirft zugleich in
allgemeinen Zügen ein klares Bild der damaligen politischen Zustände
Griechenlands. Hier ist S. 8 die Angabc, dafs Philippos den Olynthiern
die Städte Pydna und Poteidaia schenkte, dahin zu berichtigen, dafs
statt Pydna Anthemus einzusetzen ist; man vergleiche A. Schäfer II1
S. 22 und die Einleitung von Rehdautz-Blafs § 25. Den Reden des
zweiten Bändchens sind besondere zweckentsprechende Einleitungen vor-
ausgeschickt. Auf Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden.
Nur sei noch der Wunsch ausgesprochen , es möchte bei einer neuen
Auflage in der Schreibung der griechischen Eigennamen und in der An-
wendung der Elision mehr Konsequenz angestrebt werden. - Besprochen
wurden die beiden Bändchen von J. Sitzler. Wochenschrift für klass.
Philologie 1884 Sp. 647 f. Zum ersten Bändchen finden sich zahlreiche.
zum Teil recht beachtenswerte Bemerkungen von J. Dreher in der
Piniol. Rundschau 1884 Sp 577 689 und r,n 821. Eine kürzere An-
zeige des zweiten Bändchens von J. Peters steht Berliner philol. Wochen-
schrift 1885 Sp. 743—745.
200 Demo thene
14) Ausgewählte Kodon des Dcmostlienos. Erklärt von Anton
West ermann. Erstes Bändchen: il III.) Olynthiscbe Reden. (IV.)
Kiste Kode gegen Philippos. (V.) Rede vom Frieden. (VI.) Zweite
Knie gegen Philippos. (VIII.) Kode aber die Angelegenheiten im
Chersonesos. (IX.) Dritte Rode gegen I'liilippos. Achte verbesserte
Auflage, besorgt von Emil Rosenberg. Berlin (Weidmann) 1883.
244 S. Zweites Bändcben: (XVIII.) Rede vom Kranze. (XX. i
Rede gegen Leptines. Sechste vermehrte Auflage, besorgt von Emil
Rosenberg. Ebenda 1885. 272 S.
Auch diese Ausgabe ist bereits eingehend besprochen: das erste
Bändchen von W. Fox, Philol. Rundschau 1884 Sp. 1191 — 1200 und
1228- 1235, das zweite von demselben, Neue philol. Rundschau 1886
S. 33 - 37 und 49 54, ferner von II. Landwehr, Wochenschrift für
klass. Philologie 1886 Sp. 1448 f. und von Fr. Slameczka, Zeitschrift
für die österr. Gymnasien 1887 S. 428 -431.
Die Westermannsche Ausgabe des Domosthenes ist in guten Hän-
den. Der neue Herausgeber hat es verstanden, bei möglichster Wah-
rung des ursprünglichen Bestandes in den Einleitungen , im Texte wie
im Kommentar zahlreiche Verbesserungen anzubringen. Vor allem galt
es, der seit 1871 erschienenen reichen Litteratur über Demosthenes
Rechnung zu tragen, um die Ausgabe wieder auf die Höhe der heutigen
Wissenschaft zu heben. Mit dem ersten Bändchen mufste eine durch-
greifendere Änderung vorgenommen werden, weil die siebente, von Emil
Müller besorgte Auflage, wie im Vorwort richtig hervorgehoben wird,
sich zu weit von dem der Haupt-Sauppeschen Sammlung vorschwebenden
Zwecke entfernt hatte und namentlich in der Heranziehung des histori-
schen Materials, in der Ausspinnung der Gedanken des Redners über
das Bedürfnis der Schule allzu weit hinausgegangen war. Während hier,
zumal in der Einleitung, eine Beschränkung eintreten durfte und mufste,
hat der Herausgeber das Verständnis nach der grammatischen wie der
ästhetischen Seite durch manche feine Bemerkung besonders im zweiten
Bändchen wesentlich gefördert. Der Klarleguug des Gedankengangs und
der vollen Würdigung der Reden dient der Rückblick auf die einzelnen
Reden, bez. die Schlufsbemerkuug, eine sehr dankenswerte Zugabe der
neuen Auflage. Auch der Text zeigt mehrfache Änderungen und Ver-
besserungen. Dafs der Kommentar von den kritischeu Bemerkungen
entlastet wurde, verdient unbedingt Billigung, aber schwer begreiflich
ist es, warum der kritische Anhang, in welchem die Abweichungen der
neuen Auflagen von den früheren angegeben und besprochen werden
sollen, nicht jedem einzelnen Bändchen beigegeben wurde, sondern auf
das dritte aufgespart ist.
Demosthenes. 201
15) Demosthenes' neun philippische Reden, für den Schulgebrauch
erklärt von C. Rehdan tz. Erstes Heft: I III: Olynthische Reden.
IV: Erste Rede gegen Philippos. Siebente verbesserte Auflage, be-
sorgt von F. Blafs. Leipzig (Teubner) 1884. VIII, 178 S.
Die wichtigste Änderung der neuen Auflage besteht darin, dafs
die textkritischen Erörterungen vom Kommentar ausgeschieden und in
einen kritischen Anhang verwiesen sind, welcher zugleich die Recht-
fertigung der im Texte vorgenommenen Änderungen enthält. Es ist
ganz natürlich, dafs der Herausgeber, welcher gleichzeitig eine neue
Auflage des Dindorfschen Textes vorbereitete, die Ergebnisse seiner Stu-
dien auch für die Textesgestaltung der vorliegenden Ausgabe verwertete.
Indes weicht der hier gebotene Text von dem späteren an nicht wenigen
Stellen ab. Wir teilen zum Beweise dessen im folgenden die Varianten
von der ersten olynthischen Rede mit, wobei wir die Lesart der Reh-
dantzschen Ausgabe voran stellen: 1 rjji noXst: gestrichen. av ineX&ecv:
ineAfrstv av. 3 rpe^njrou xal: eingeklammert. 4 xal öxopp^zcov : xdnop-
pyzwv und zw azpazeOp.o.zi: eingeklammert. 5 xoÄsp.frjmv: x:'vo'jvog und
iywatv: eyiuat. 6 £'#': getilgt. 11 awnrt: (twojj. 15 xal ypscg, av: ein-
geklammert. 19 dv&pwnwv. eingeklammert und zi ouv\ av zig echoe, a:>
ypdfpeig zauz' elvat arpaxuorixdy. vre oüv« av ztg eXitot »ab ypd<fsig\
zaöz' eevai azpaz:wzcxda ; 20 zauz' elvat: elvat zauza uud ouoev iaze:
oödkv eazt und Xiyooot de: liyouaiv ök. 23 ecae: eingeklammert. 26
drjßatoiy. Brjßauot. Ebenso bei (PcoxeTg. \jj\\ getilgt, izotpwg: einge-
klammert, ovzeg: eingeklammert, wzav: u> zav. - Eine ausführlichere
Besprechung von Fr. Slameczka steht in der Zeitschrift für die österr.
Gymnasien 1886 S. 112 — 118.
16) Demosthenes, The first Philippic with an Introduction and
Notes. Edited, after C. Rehdan tz, by the Rev. T. Gwatkin. Bf. A.
Late Fellow of St. Johns College, Cambridge. London (Macmillan)
1883. XLIV, 61 S.
Die hübsche Ausgabe erhebt keinen Anspruch auf Originalität.
Der Text ist ein Abdruck der sechsten, von F. Blafs besorgten Aasgabe
C. Rehdantz. Die Introduction umfafst aus dessen Einleitung Kapitel V,
IX, X, VII, VIII, XVI, § 9'J. wobei ein Teil der gelehrten Anmerkungen
weggeblieben ist. Auch die hinter den Text gestellten Noten sind mit
wenigen Ausnahmen Übertragungen oder Umschreibungen der deutschen
Ausgabe. Den Noten folgt ein Appendix »Die athenische Volksversamm-
lung« (bei Rehdantz S. 76—79), eine Zusammenstellung der in den Nu-
ten erläuterten grammatischen Eigentümlichkeiten mit Einweisungen auf
Goodwin's Syntax of the Moods and Tenses of the Greek Verb und
dessen Elementary Greek Grammar. endlich ein doppelter Index. Im
Text sind folgende Druckfehler zu berichtigen: § 5 zu statt za, § 8
202 I ><-n)0äthenes.
äno<Trpoy>}]V, § 0 npdyfia, § 14 rjipeaxeorjv, § 22 ifto ohne Accent, § 44
rrpdyfidrüJV, § 47 noy.
17) dy/j.off&evous twv Scxavexwv X6y<uv oi 8rjfj.6fftot. Los j » 1 ;i i -
doyers politiqaes de Dämostbene. Texte gree, publik d'apres
les travaux les plus recents de Ia philologie, avec un commentaire
critique et explicatif, uue pröface et, des noticee snr chaque discours,
par Henri Weil. Premiere sörie: Leptine, Midias, Ambassade,
Couronne. 2me ödilion, entierement revue et corrigee. Paris (Hachette)
1883. VIII, 569 S. Roy. 8.
Der Herausgeber sagt in der Preface p. III: J'ai revu avec soin
la premiere Edition, et je me suis efforce de mieux comprendre et de
mieux expliquer ces discours, ainsi que d'en constituer Je texte d'one
manierc plus satisfaisante, sans sortir du cadre oblige des pages clichees.
Eine Vergleiehung der gegenwärtigen Ausgabe mit der 1877 erschienenen
ersten bestätigt allenthalben die Wahrheit dieses Satzes. Die in der
Preface der ersten Auflage besprochenen Koujekturen und Emendationeu
Cobcts, welche damals nicht mehr für die Textesgestaltung benutzt wer-
den konnten, sind jetzt, soweit nicht der Herausgeber seine Ansicht ge-
ändert hat, in den Noten verzeichnet oder in den Text gesetzt. Da-
durch wurde in der Preface Raum gewonnen für Weils Abhandlung über
die Anwendung des Obelos in der Midiana. Die meisten Änderungen
sind textkritischer Art; kleinere Zusätze und Nachbesserungen wurden
teils durch Kürzung oder Streichung weniger wichtiger Bemerkungen,
teils durch engeren Druck untergebracht. Einen längeren Zusatz hat
die Notice zur Gesaudtschaftsrede erhalten, worin die Frage nach der
Abfassungszeit derselben im Anschlufs an Blafs, Att. Bereds. III A S. 320,
erörtert wird. Christs Abhaudlung über die Attikusausgabe des De-
mosthenes, van Herwerdens Demostheuica wie überhaupt die gesamte in
der Zwischenzeit erschienene Litteratur hat gewissenhafte Berücksich-
tigung gefunden. Die Sorgfalt der Revision erstreckt sich bis auf die
Orthographie uud Interpunktion. So lesen wir jetzt nach attischen In-
schriften reeaat, Teiaiaq (21, 62), Ilorscoaca (18, 69; 20. 61), Ärjzo'jpyt'a,
Oiupetd, elm-rjTrjpia (19, 190; 21, 114).
18) Demosthene, Le discours de la Couronne. Texte grec
aecompagne d'une notice, d'analyses, de notes en francais et enforme
ä la deuxieme edition des plaidoyers politiques, publie par H. Weil.
Paris (Hachette) 1884. 163 S.
Der Text dieser in gefälligem Taschenformat gedruckten Schul-
ausgabe unterscheidet sich von dem der gröfseren dadurch, dafs hier
die unechten Urkunden weggeblieben sind. Einleitung und Anmerkungen
haben eine ihrem Zwecke entsprechende Vereinfachung und Kürzung er-
fahren. Als wesentlicher Vorzug verdient hervorgehoben zu werden das
Demosthenes. 203
Fehlen von Hinweisungen auf Werke, die sich nicht in den Händen der
Schüler befinden.
19) Jr^aocrddvoug 6 y.a~a MeiBtou Xuyog nepl xovSuÄou. The ora-
tion of Demosthenes against Meidias edited for use in Schools
and Colleges, with Introdtiction, Analysis, Notes and Index, by C A. M.
Fenn eil. M. A. Late Fellow of Jesus College, Cambridge, Editor of
Pindar, &. Cambridge (E. Johnson). London (Hamilton, Adams & Co.)
1883. XVIII, 135 S.
Die Ausgabe ist für den Gebrauch der Studierenden im allge-
meinen bestimmt und mag in Ermangelung anderer ihrem Zwecke ge-
nügen. Einen eigentlichen wissenschaftlichen Wert kann ihr Referent
nicht beimessen und scheint sie auch selbst nicht zu beanspruchen. Dem
Verfasser sind zwar die Ausgaben von Voemel und die Oxforder von
Dindorf, wie man aus dem Verzeichnis der Handschriften, Ausgaben und
Hilfsmittel S. XIII f. ersieht, wenigstens dem Titel nach bekannt, aber
für seinen Text hat er nur die Ausgabe von Baiter und Sauppe und
die von Buttmann (5. Auflage) benutzt. Ob er die Textausgaben von
Dindorf (Teubner) und von Imm. Beklier (Tauchnitz), die Ausgabe von
Benseier mit kritischen und erklärenden Anmerkungen (Leipzig, Eugel-
manii) und die vortreffliche Ausgabe von H. Weil (Paris, Hachettc)
kennt, läfst sich aus dem Verzeichnis nicht ersehen. Die eingelegten
Urkunden sind mit Ausnahme der Gesetze § 8 und 10 und der Zeugen-
aussagen § 22 und 168 in Klammern gesetzt. Kritische Bemerkungen
hat Fennell , vermischt mit den erklärenden, nur an solchen Stellen ge-
geben, die eine besondere Bedeutung für die Textesgestaltung haben
oder in bezug auf Textkritik allgemein interessant und lehrreich schienen.
20) Demosthenes against Androtion and against Timo-
crates, with Introductions and English Notes, by William Wayte,
M. A., late Professor of Greck, University College, London; form er ly
Fellow of King's College, Cambridge, and Assistant Master at Eton.
Cambridge: at the University Press. 1882. LIV, 264 S.
Als Vorbild diente dem Verfasser vorliegender Ausgabe die in
gleichem Verlage 187-t f. erschienene Ausgabe der Select Private Ora-
tions of Demosthenes by F. A. Paley and J. E. Sandys, und es ist
anzuerkennen, dafs sie sieh derselben durchaus würdig anschliefst. Sie
bekundet vollständige Bekanntschaft des Verfassers mit der einschlä«
gigen Litteratur, welche S. XVII BF, verzeichnet ist, verbunden mit eige-
nen gründlichen Studien desselben auf dem Gebiet der attischen Redner
und des Demosthenes insbesondere. Das Bauptgewicht legt Wayte auf
die sachliche Erklärung, da ihn bei der Auswahl dieser Reden der
Wunsch geleitet, hat, die studierende Jugend Englands mit den darin
gegebenen Erörterungen des attischen Rechts vertraut eu machen, \
204 Demosthenes.
Text ist der Dindorfschc der dritten Auflage (Teubner 1855) zu gründe
gelegt, von dem er nur au zwei Stellen der Timokratea (§ 59 und 1951
abweicht, obwohl er im Kommentar mehrmals einer andern Lesart den
Vorzug zugesteht. Die S. XVIII erwähnten Konjekturen von Rud. Dahms
zu Androt. §33 rabrä Scxata und zu Timokr. § 206 (nicht 201) ndvreQ
dl av xou, von denen Wayte die letztere als eine entschiedene Verbesse-
rung bezeichnet, werden weiterhin gar nicht berücksichtigt. Unter dem
Texte wird eine Auswahl abweichender Lesarten der Ausgabe von Baiter
und Sauppe, 1850, der Bekkerschen Stereotypausgabe 1854 und der
Ausgabe von Benseier 1861 gegeben. Besonderer Fleifs ist auf die bei-
den Einleitungen verwendet. Im übrigen verweisen wir auf die Rezen-
sion von J. Sörgel, Philo!. Rundschau 1884 Sp. 997-1008.
21) Franz Terlikowski, 0 mowach olintyjskich (Über die olyn-
thischen Reden). Programm des Kaiser Franz Josef- Gymnasiums in
Lemberg 1882. 35 S. 8.
Der lobenden Anzeige von J. Wrobel in der Zeitschrift für die
österr. Gymnasien 1883 S. 155 f. entnimmt Referent folgendes: Der Ver-
fasser versucht die Frage zu lösen, in welcher Reihenfolge, unter wel-
chen Umständen und mit welchem Erfolge die drei olynthischen Reden
gehalten worden seien. Indem er den Grundsatz aufstellt, man müsse
aus den demosthenischen Reden selbst und den darin enthaltenen An-
deutungen zu einigermafsen übereinstimmenden Resultaten zu gelangen
trachten, findet er, dafs den ersten Platz in der Reihenfolge die Rede A
einnehme, welche Demostheues zu Anfang des chalkidischen Krieges zu
dem Zwecke gehalten habe, die Athener zum Bündnis mit Olynthos und
zur Absendung eines Hilfsheeres zu bewegen. Bald nach der Rede A
sei die Rede E und schliefslich die Rede 0 gehalten worden, als Phi-
lippos die olynthischen Städte bereits zu belagern begonnen hatte. Alle
drei Reden fallen in die zweite Hälfte des Jahres 349. Auf keine der
beiden Reden A und E sei eine Hilfsendung nach Olynthos erfolgt; erst
nach der Rede 0 seien nach einander zwei Hilfscorps unter Chares und
Charidemos auf den Kriegsschauplatz abgefertigt und zuletzt infolge der
dritten Gesandtschaft Olynthos' auch ein Bürgerheer mobilisiert worden.
22) G. Leuchtenberger, Dispositive Inhaltsübersicht der drei
Olynthischen Reden des Demosthenes. Berlin 1882. Zweite verbesserte
Auflage. Berlin 1884. 18 S. 8.
23) Cornelius Fischer, Übersichtliche Inhalts-Tabelle der drei
Olynthischen Reden. Programm von Lemberg 1882.
Gewifs ist es »unerläfslich, dafs bei der Lektüre des Demostheues
in Prima dem Schüler die Disposition der Reden verständlich gemacht
werde« (Leuchteuberger S. 4). Ebenso wird mau unbedingt zustimmen
Demosthenes. 205
müssen, wenn im Vorwort zur zweiten Auflage der Grundsatz aufgestellt
wird, dafs es bei gröfseren Ganzen didaktisch das einzig Richtige scheint,
wenn der Lehrer bei der Lektüre selbst die logische Gliederung teils
durch direkte Belehrung selbst aufzeigt , teils durch geeignete Fragen
die Schüler finden läfst. Die »dispositive Inhaltsübersicht«, von jeder
der drei Reden vier enggedruckte Seiten umfassend, ist demnach für
die Hand des Lehrers bestimmt; dies mag die von einem Rezensenten
beanstandete Ausführlichkeit entschuldigen und rechtfertigen. Dafs das
Büchlein im allgemeinen seinen Zweck erfüllt, beweist das nach so kurzer
Zeit eingetretene Bedürfnis einer zweiten Auflage. Mit der neueren
Demosthenes-Litteratur verrät übrigens der Verfasser keine sonderliche
Bekanntschaft. Sonst hätte es ihm nicht entgehen können, dafs die
olynthischen Reden schon vor ihm von Schmied er disponiert worden
sind. Rehdantz erwähnte dessen Dispositionen in der 5. Auflage seiner
Ausgewählten Reden des Demosthenes (1877) S. 40 Note 1. Auf die
Frage des Verfassers (im Vorwort zur zweiten Auflage), ob diesen Reden
überhaupt Dispositionen zu gründe liegen, giebt E. Rosenberg in der
obeu No. 14 angezeigten achten Auflage des ersten ßäudchens von Wester-
mann S. 102 f. die gewünschte Antwort.
Will man den Schülern nach beendigter Lektüre eine Inhaltsüber-
sicht diktieren, so würde Referent der von C. Fischer angefertigten
Tabelle unbedenklich den Vorzug geben, nicht nur wegeu der kürzeren
Fassung, sondern auch wegen der scharfen und klaren Gliederung. Da
das Programm schwer zu erhalten ist, so mag hier der Inhalt der ersten
olynthischen Rede, wie ihn Fischer skizziert hat, stehen:
Standpunkt: Das Bündnis mit Olynth ist noch nicht abgeschlossen.
Einleitung § 1. Die den Athenern als guten Patrioten am Herzen
liegende Wahl der zweckmäfsigen Politik ist wegen der Meuge der Rat-
geber leicht.
Thesis: Mau soll den Olynthiern Hilfe leisten und dorthin eine
Gesandtschaft schicken.
I. Teil von §2 — 15. Gründe: a) von §2 — 7. Der Zeitpunkt
ist günstig Die Schlauheit und Energie des Philipp gereichen den
Athenein zum Vorteil (Paradoxon) ; denu sie nötigen die Olynthier zu
einem Kampfe auf Tod und Leben. — b) von § 8 15. Der Zeitpunkt
ist entscheidend. Wiewohl die Athener gar manche günstige Gelegen-
heit, wie die Belagerung von Amphipolis, Potidäa, Methone u. s. w. un-
benutzt liefsen, bot sich ihnen jetzt eine noch günstigere Gelegenheit
dar, so dafs sie den Göttern Dank schulden; lassen sie aber auch diese
noch unbenutzt, so wird schliefslicli der Kriegsschauplatz nach Attika
verlegt werden.
II. Teil von § lü 20 (nicht 21). Die Art und Weise der
Hilfeleistung. Geldmittel: a) Zwei Heere müsseu zugleich ent-
sendet werden, das eine nach Olynth, das ändert1 nach Macedonien -
206 Demosthenes.
sonst kein Erfolg. — b) Kino Geldquelle ist vorhanden, nämlich die
ßetoptxd, wenn man sie wieder in oxpantaTixa verwandelt. Sonst bleibt
nur die drückende Steuer der elopupd übrig.
III. Teil von § 21 27. Herzensgründe: Der Redner weckt
die Gefühle der Hoffnung und Furcht, a) Hoffnung (ix tou ßa-
ot'on): Philipps Macht ist nicht allzu grofs. Er rechnete (wohl l»<
als zählte) Dicht auf einen anhaltenden Krieg mit Olynth; auch das Mifs-
trauen der Thessalier, Päonier und Illyrier lähmt seine Bestrebungen,
b) Furcht (ix tou dvayxacou): Niemand, weder die Phoker noch 'li<-
Thebaner, ist da, den Krieg zu hemmen; dieser mufs nach Anika ver-
legt werden. Ungeheure Verluste in diesem Falle — grofse Schande
obendrein.
Schlufs § 28. Aufforderung zum energischen Handeln.
Mine Zusammenstellung paralleler Gedanken aus den drei Reden
bildet eine dankenswerte Beigabe. — Ol. I hat Fischer (und Leuchten-
berger) die Worte § 2 jy&j und rrp za-/_cazr^ nicht beachtet; desgleichen
II 11 ™5- /ikv VXuv&iüiq ßoYj&eTv. Die Worte III 11 touq äraxTouvrag
beziehen sich doch wohl nicht blofs auf die beim Religionswesen be-
schäftigten und deshalb vom Kriegsdienste befreiten Personen. — Kine
Besprechung der dispositiven Inhaltsübersicht von A. Baran steht Zeit-
schrift für die österr. Gymnasien XXXVI (1885) S. 93 f.
24) H. Gölkel, Kine Interpolation iu Demosthenes' dritter olyn-
thischer Rede. Blätter für das bayer. Gymnasialschulwesen XX (1884)
S. 194-201.
Gölkel geriet schon vor Jahren, wie er einleitungsweise bemerkt,
beim Lesen der §§ 34 und 35 der dritten olynthischen Rede durch den
daselbst hervortretenden Mangel an Rhythmus sowie durch Anstöfse der
verschiedensten Art zu der Vermutung, dafs daselbst nicht alles in Ord-
nung sei; bei wiederholter und genauerer Betrachtung befestigte sich
in ihm immer mehr die Ansicht, dafs wir es hier mit einer unechten
Stelle zu thuu haben. In der Begründung seiner Ansicht, die er hier
giebt. ist nun zwar von dem mangelnden Rhythmus nicht die Rede,
wohl aber hat er sprachlich und inhaltlich erstaunlich viel an der Stelle
auszusetzen. -- Wie kann Demosthenes, fragt er zuerst, nachdem er in
der ganzen Rede gegen die Verschleuderung der Staatsgelder geeifert
hat, einem Gegner den Einwand in den Mund legen: »Also du schlägst
Löhnung vor?« — Ich entgegne: Ist etwa Soldzahlung (Besoldung fie-
a&o<fof)d) an Bürger für persönliche Dienstleistungen, die Demosthenes
verlangt, eine Verschleuderung der Staatsgelder? — aüvro^cg hat hier
die gleiche Bedeutung wie 1, 20; hier wie dort hängt ein gen. obiect.
davon ab. Rehdantz übersetzt beidemal » Ordnung«, Sörgel 1, 20 Ord-
nung, an unserer Stelle »Regelung«. Wenn der Verfasser sich bei dieser
Bedeutung nicht beruhigen kann , so wird er wohl auch die Stelle in
Demosthenes. 207
der ersten olynthischen Rede verdächtigen müssen. — Der nachfolgende
Satz Tva Ixaa-og . . . unä/r/ot ist von den Herausgebern richtig erklärt.
Gölkel dagegen möchte hier eine anakoluthische Ausdrucksweise kon-
statieren. Zu § 35 ohoq • . . rjayov bemerkt Sörgel richtig: »durch
seinen Antrag, falls derselbe angenommen wird«. Der Redner denkt
sich seinen Antrag bereits angenommen und drückt die Folgen dieser
Annahme durch den Modus der Wirklichkeit aus. Ebenso hatte Reh-
dantz die Stelle aufgefafst (5. Auflage). Mit Blafs (Att. Bereds. III A
S. 275 und zur Steile) anzunehmen, dafs Demosthenes seinen Plan be-
reits früher einmal spezialisiert dem Volke vorgelegt habe, erscheint
mir unnötig und unbegründet. Die von Gölkel beanstandete Anmerkung
desselben Gelehrten (nicht Rehdantz') zu den Worten oh/, effrcv ö~oo
trifft ganz das Richtige. Der Zusammenhang ist: »Du schlägst also Be-
soldung vor?« — »Ja sofort, aber nur für wirkliche Dienstleistungen,
nicht wie vormals Perikles (vgl. die von Rehdantz § 34 citierte Platon-
stelle); wer nichts leistet, soll auch nicht das erhalten, was nur der
Arbeit gebührt.« — Au der Verbindung der Yerba dpyzh xal ayo'/A'lt'^
hat, soviel ich sehe, Sörgel nichts auszustellen gefunden, wie Gölkel be-
hauptet. Auch ott (dafs) — zaöza ist in keiner Weise auffallend; vgl.
Rehdantz , Ind. II , Numerus. Die »lästige Wiederholung dxa^cav —
zdqtv — -ä~i\>v. hat Blafs durch Einklammern der Worte -dz/.v not^ffag
beseitigt. Man könnte statt des letzten ra^v auch o'jvrazLv vermuten.
Was Gölkel von der Mattigkeit und Nüchternheit der Ausein-
andersetzung in den beiden Paragraphen, von der ziemlich selbstgefäl-
ligen Betrachtung der eigenen Leistungen und der Verwahrung gegen
einen unverständlichen Vorwurf in § 35 bemerkt, dürfte teils im Vor-
stehenden widerlegt sein, teils kann es Referent nicht in der Stelle finden.
Wie liefs sich das beantragte Besoldungssystem anders entwickeln V »In
gedrungenster Kürze giebt der Redner das den Einzelnen beruhigende,
dem Ganzen wohlthätige Ziel an« (Rehdantz).
Es fragt sich nun, wie das Einschiebsel entstandeu ist. Die Ent-
stehung der angeblichen Interpolation glaubt sich der Verfasser aus der
bisher falschen Auffassung der ^fi/iara erklären zu können. Darunter
seien nämlich hier die bisherigen Scheinerfolge oder die armseligen Vor-
teile, welche die Athener im Felde errungen haben, zu verstehen. Allein
§33, wo die tyfifxara mit den Speisen, welche der Arzt dem Kranken
reicht, verglichen werden, heifst es deutlich: Wie jene Speisen dem
Kranken weder Kraft verleihen noch ihn sterben lassen, so ist auch da-,
was ihr jetzt vom Staate gcniel'st (was euch jetzt von den freatpixd
zugeteilt wird), nicht genug 'für euch, um irgend einen ausreichenden
Nutzen davon zu haben. Durch den letzten Satz wird zugleich die imo-
(foj)d veranlafst: »Schlägst du also (wenn die Gaben aus der Theoriken-
kasse nicht ausreichen), eine fit<r&opopd vor?« Ich kann deshalb dem
Verfasser nicht zustimmen, wenn er S. 105 meint, auf diesen (iedunken
208 Demostheues.
könne ein Gegner nach dem Vorhergehenden gar nicht geraten. Auch
die Auffassung des riXeiöv n (« wird wohl ein Druckfehler Bein) xtd
fieya dya&öv kann ich nicht richtig finden. Gölkel will darunter eine
Demütigung und Unschädlichmachung Philipps verstehen, zumal im Ilin-
blick auf die Worte der Einleitung § 2 QiXtmiov ufuopijoaofrat. Allein
der Grundgedanke des Proömiums ist doch: An die Züchtigung Philipps
ist gegenwärtig nicht zu denken; jetzt reicht es zunächst aus, wenn wir
die Bundesgenossen retten. An die Rettung der Bandesgenossen und
die Wiedergewinnung der früheren Machtstellung denkt wohl auch der
Redner bei dyad-ov. Denn er kann docli im Epilog nicht das Gegen-
teil von dem sagen, was er im Proömium als seine Überzeugung an -
gesprochen hat. — Die £iht sodann, von denen Demosthenes die Athener
befreit sehen will, sind nach Gölkel die von dem Redner unmittelbar
vorher geschilderten üblen Gewohnheiten, unter welche in erster Linie
eben die Unsitte zählt, die Staatsgelder durch Spenden an das Volk zu
verschleudern. Richtiger wird man darunter die Unlust der damaligen
Athener, persönlich ins Feld zu ziehen und Hand anzulegen, verstehen;
denn iäv oüv . . . i&eXr/orjre arpareOeffBat ~e xal -pö-reiv § 33 bezieht
sich offenbar auf den Anfang des § 30 töte fikv Tipd-zeiv xal axpa-
rsöeaHac roA/xiüv aurog 6 dijfiog. — Eudlich kann ich dem Verfasser
nicht zugeben, dafs sich mit den Worten xa\ ohy\ /id/i<po/xai . . . des
§ 36 ein neuer Gedanke ganz gut an die letzten Worte des § 33 an-
schliefst. Die Worte ~bv ttocoüv-u tc twv deovzaiv bukt) u/iojv enthalten
eine deutliche Beziehung auf die Worte des letzten Satzes auroug fxkv . . .
nov&ävzo&ai. Meine Ansicht ist also die: Die von Gölkel beanstandeten
Paragraphen stehen durchaus an ihrem Platze und werden stehen bleiben,
solange nicht triftigere Gründe für ihre Unechtheit vorgebracht werden.
25) Edmund Eichler, Demosthenes' erste Philippica doch eine
Doppelrede? Programm des k. k. Staatsgymnasiums im II. Bezirke
von Wien, 1883. 30 S. Lex.-8.
26) A. Baran, Die einheitliche Composition der ersten Philippica
des Demosthenes. Wiener Studien VI (1884) S. 173 205.
Die von Dionysios von Halikarnasos angeregte Kontroverse über
die Einheit der ersten Philippika konnte, nachdem A. Schäfer, Blafs,
Hartel, Fuchs, Unger und sämtliche Herausgeber des Demosthenes sich
gegen die Ansicht des Rhetors entschieden haben, als beigelegt be-
trachtet werden. Zuletzt äufserte sich Christ, Die Attikusausgabe des
Demosthenes S. 22, hierüber also: »Nur unserer Zeit, in der auch das
Verkehrteste seine Verteidiger findet, war es vorbehalten, wieder Vor-
kämpfer jenes Irrtums zu stellen.« Es gehörte somit einiger Mut dazu,
mit seiner gegenteiligen Überzeugung vor die Öffentlichkeit zu treten.
Eichlers Abhandlung zerfällt in sechs Abschnitte: I. Die einzig
mögliche Erklärung der Anfangsworte des § 30. II. Dionysios von Ha-
Demosthenes. 209
likarnasos und sein Zeugnis über die erste Philippika. III. Prüfung
der in der Rede vorkommenden historischen Anspielungen. IV. Die erste
Philippika läfst Einheit der Stimmung vermissen. V. Moriz Seebeck
und die Schicksale seiner Abhandlung über die erste Philippika. VI. Von
fragmentarischen Reden. — So gründlich und mitunter scharfsinnig nun
auch die Beweisführung Eichlers ist, so konnte sich Referent doch nicht
von der Richtigkeit seiner Ansicht überzeugen. Gleich die Annahme,
dafs Demosthenes die Worte § 30 *A jxkv fjfieeg dsoiJ»r//j.sfra euptlv nur
als Ratsherr im Namen der Bule gesprochen habe, ist »ebenso subjek-
tive Kombination wie die Erklärungsversuche anderer« (Baran S. 186).
Wenn Westermanns Erklärung sich als wenig stichhaltig erweist, wes-
halb soll mau nicht (mit Rehdantz und Blafs) unter rotzig Demosthenes
und seine Freunde (etwa Lykurgos) verstehen können? — Im zweiten
Abschnitte bemüht sich der Verfasser, die Autorität des Dionysios als
unanfechtbar darzuthun; doch mufs er zugestehen, dafs der Rhetor so-
wohl die Worte § 33 a iyaj y£ypa<pa aufser acht gelassen, — sonst hätte
er § 30-51 nicht für eine Deuterologie erklären können - als auch
den Inhalt des ersten und besonders des zweiten Teiles der Rede recht
ungenau angegeben habe. Allein dies ist nach Eichler von keinem Be-
lange und nebensächlich. Ob Dionysios die Teilung der Rede bereits
vorfand, wie Eichler annimmt , oder ob er mit Baran als der Urheber
der Trennung anzusehen ist, läfst sich aus den erhaltenen Notizen nicht
klar erkennen. Das Scholion zu § 30 ivzeu&sv (prjac Jcovöacog 6 'Ah-
xu.[)vaoebg krzpo'j Xoyou zhai dpyijV spricht für die letztere Annahme.
Was ihn in diesem Falle zur Absonderung des zweiten Teiles bewogen
habe, ob der rätselhafte Plural fjfietg (dies Barans Ansicht) oder das
Lemma (so A. Schäfer und Christ), darüber lassen sich nur Vermutungen
aufstellen; mir scheint das letztere mehr Wahrscheinlichkeit für sich zu
haben. Dafs des Dionysios Zeugnis über die erste Philippika von kei-
nem seiner Zeitgenossen eine Anfechtung erfahren hat, ist nicht erwiesen
(Eichler S. 8). Überhaupt legt Eichler der Autorität des Rhetors im
gegebenen Falle gegenüber der handschriftlichen Überlieferung eine zu
hohe Bedeutung bei. Den Einspruch des Scholiasten glaubt er durch
eine keineswegs wahrscheinliche Konjektur (Versetzung der Negation)
und eine erkünstelte Deutung beseitigen zu können. — Auch die in der
Rede vorkommenden historischen Anspielungen vermögen, wie Baran
S. 199 202 des Näheren nachweist, die Einheitlichkeit der Rede nicht
zu erschüttern; denn Eichler hat keineswegs, wie er S. 19 behauptet,
gezeigt, dafs kein einziger der in den §§30-51 erwähnten geschicht-
lichen Ereignisse anstofefrei in einen anderen Zeitraum als denjenigen,
welcher zwischen dem Falle Olynths und dem Friedensschlüsse des Jahres
34G liegt, versetzt werden könne. Aus § :; f. der pseudodemostheoischen
(warum pseudaischinischen? Eichler S. 14; Baran S. l'.e.i) Rede wider
Neaira geht nicht, hervor, dafs die [nseln Lemnos, [mbros und Skyros
Jahreiberiobt fllr Alterthornnwlssetucliift \, (1887. L) 14
210 Demosthene8.
vor dem Psephisma des Apollodoros nie beunruhigt worden waren. Über
die Zeit der § 34 erwähnten Kaperversache Philipps vergleiche mau
Westcrmiiiiii zu der Stelle, wo bereits auf das widersprechende Zeugnis
Justins [angewiesen ist, und Rehdantz-BIaffl Einleitung § 29.
Gegen den IV. Absebnitt Eichlers und die Behauptung, dafs der
zweite Teil der Rede (§ 80 51) eine wesentlich andere Färbung auf-
weise als der erste Hauptabschnitt derselben, wendet sich Harun S. L96ff.
Sehr richtig bemerkt dieser, dafs die Auslegung einzelner Stellen rttck-
sicbtlicb des Kolorits immer etwas Subjektives bebalten und je nach
der Tendenz, der sie dient, wecbseln wird. So citiert Eichler aus §3:
»Dies sage ich, damit ihr wisset und sehet, dafs, wenn ihr euch in acht
nehmt, für euch nichts zu fürchten steht«, das folgende: »wenn ihr aber
sorglos seid, wird euch nichts nach Wunsch gehen« bleibt weg. Ebenso
übersetzt er von § 24 nur den ersten Satz bis Ixeivtov und knüpft daran
die Bemerkung: »Klingt das nicht gerade, als ob Demosthenes sagen
wollte: Die Teilnahme von Bürgern am Feldzuge ist zwar sehr wün-
schenswert und hat sich bewährt; wenn sie euch aber lästig fallen sollte,
dann bestehe ich beileibe nicht darauf?« Aber freilich, was hier über
die reinen Söldnerheere gesagt wird, nimmt sich, gegen die §§45—48
gehalten, nach Eichlers Ansicht (S. 22) sehr zahm aus; man vergleiche
doch nur § 24 zoug (piloog vtxa xal zoug cru/Mfiayoug, oi o ky&pol /xei-
&ug zou dsovzog yeyovaoiv mit § 45 oi /xkv iyßpol xaTayeXutatv , oi oz
abfiiiayoi ze&väcrc zip osei zoug zocoüzoug änoozoXoog. — Dem § 50 stellt
er § 3 gegenüber; warum nicht lieber § 10? Mit § 12 vergleicht er
§ 50 statt § 45 Anfang. Unrichtig ist ferner, dafs Demosthenes das
leidige Zuspätkommen im ersten Teile auch nicht mit dem leisesten
Worte berührt habe; man vergleiche § 9 laxircajffi /xzÄÄovzag r^xdg xal
xa^jxevoog und § 8 dcä zyv ujxezepav ßpaduzrjza. — Von gröfserer Wich-
tigkeit ist der V. Abschnitt, welcher auf Seebecks Abhandlung (Zeit-
schrift f. d. Altertumsw. 1838 S. 737—787) hinweist, und der VI., dies
zugleich der schwächste Teil der Beweisführung, worin Eichler den völlig
begründeten Argumenten Schäfers, dafs die beiden Stücke, wie sie Dio-
nysios von einander schied, jedes für sich abgerissen und fragmentarisch
dastehen, zu begegnen sucht. Es ist natürlich, dafs Baran zunächst
mit diesen Gründen rechnen mufste. Ihrer hoffentlich endgiltigen Be-
kämpfung und Widerlegung ist denn auch der weitaus gröfste Teil (bis
S. 195) seiner ebenso klaren und ruhigen wie überzeugenden Polemik
gewidmet. Eine eingehende Zergliederung und unbefangene Betrachtung
des Gedankenganges der Rede führte ihn zu dem Resultat, dafs weder
der erste noch der zweite Teil für sich ein abgerundetes Ganzes bildet;
beide wären Fragmente, jener wegen des Mangels einer Commeudatio
und eines Epilogs, der andere, weil ihm Proömium, Exposition und ein
detaillierter Antrag fehlten. »Wären die beiden Fragmente in der Über-
lieferung an verschiedenen Orten eingefügt und als selbststäudige Reden
Demosthenes. 211
bezeichnet, so würde es sich lohnen, dieselben unter einander zu ver-
gleichen und den Versuch zu machen, ob sie nicht Glieder einer und
derselben Rede seien.« »Der scheinbare Widerspruch zwischen dem
Plane des ersten und dem des zweiten Teiles, welchen Seebeck so nach-
drücklich betont hat, fällt weg, wenn man den Irrtum von der Identität
der ßoißstai mit dem ersten Antrage aufgiebt. Demosthenes wollte ja
mit dem System der verrufenen ßoffletcu brechen, und das glaubte er
am besten durch zwei Anträge erzielen zu können, deren Ausführung
er aber nicht zugleich, sondern nacheinander (npb 8k toutcov § 19) ver-
langte, weil die gleichzeitige Ausführung erstens viel Opfer auf einmal
forderte, zweitens, weil einstweilen, wo keine Meldung von einem An-
griffe Philipps vorlag, der kleine Krieg am Platze war; ein Aufgeben
des ersten Antrags kounte aber damit nicht gemeint sein, sondern blofs
die zeitliche Nachfolge nach dem kleineren.« Während A. Schäfer II 58
und Blafs III A S. 263 an der Ansicht festhalten, dafs der Redner auf
den ersten Teil seines Antrags nicht weiter zurückkomme, findet Baran
in der Commendatio (§30 51) mehrfache Beziehungen auf denselben.
»Das Eigentümliche der Rede besteht darin, dafs im zweiten Teile keine
Sonderung in der Verwendung der vorgeschlageneu Kriegsrüstungen ein-
gehalten wird, so dafs der Leser versucht ist, entweder an die eine oder
andere zu denken. Diese Eigentümlichkeit berechtigt jedoch nicht, daraus
einen Grund gegen die Zugehörigkeit des zweiten Teiles abzuleiten.« —
Ein kleines, für die vorliegende Frage bedeutungsloses Verseben ist dem
Referenten S. 176 aufgestofsen : Baran betrachtet za reXe-uzala §34 als
Fortsetzung von xpöjzov und smera, während es doch nur in Beziehung
zu xov TMpzlbüv-cf. xpovov steht, wie § 17 ra zsAeurala 7tpa»)V zu npo-
zzpov 7IUZS.
27) A. Baran, Zur Chronologie des euböischen Krieges und der
olynthi sehen Reden des Demosthenes. Wiener Studien VII (1885)
S. 190—231.
Das Ergebnis der sorgfältigen Untersuchung fafst Baran mit den
Worten zusammen (S. 228): »Wir konnten uns weder mit Harteis Aus-
legung des philochorischen Zeugnisses noch mit Ungers Annahme eines
zweifachen olynthischen Krieges einverstanden erklären und glaubten in
jenem Zeugnisse und in der eingehenden Interpretation der Neairastelle
(§ 3 f.) einen festen Boden gefunden zu haben, auf dem sich die übrigen
Ereignisse in natürlicher Folge gruppieren liefsen, und kamen so zu
dem Resultate, welches, was die Grundlage der Untersuchung anlangt,
mit Weil übereinstimmt, infolge einer andern Anordnung der beiden
Kriege aber den euböischen um ein Jahr früher ansetzt. — .Mit dem
Jahre 349, in dessen Frühling wir den euböischen Feldzug und mehrere
Monate darnach auch den Hilfszug nach Olynth verlegen, stimmen so-
wohl der anderweitig bekannte historische Verlauf der Ereignisse als
14"
212 Demosthenes.
besonders der Inhalt der drei oh nthischen Reden, von denen die ersten
zwei jenem Jahre vorausgehen, die dritte jedoch nachfolgt.«
Diese Datierung des euhöischcn Krieges, welche \<m der Neaira-
stclle (§ 8f.) ausgeht und durch Dem. Mid. §Kil bestätigt wird, hat
alle Wahrscheinlichkeit für sich; der euböischc Krieg liegt also sowohl
nach seiner Veranlassung als auch nach seinem ^tatsächlichen Ausbruche
zeitlich früher als der olynthischc. Dagegen vermögen wir dem Ver-
fasser in der Zeitbestimmung der olynthischcn Reden, deren gewöhnliche
Anordnung er gegen Unger gut verteidigt, nicht beizustimmen; vor allem
können wir nicht zugeben, dafs Ol. 3, 12 mit den Worten ob yäp ebpfj-
<X£T£ . . . nattsTv aoixcog ti xaxov zov raür' ebzdvFOL xai ypdffxxvTa förm-
lich auf den zu einem Talent verurteilten Apollodoros hingewiesen sei;
uns dient die Stelle als Beweis dafür, dafs die dritte Rede dem An-
trage des Apollodoros vorausliegt; vgl. Blafs, Att. Bereds. III A S. 27C.
28) K. J. Lieb hold, Zu Demosthenes' Friedensrede. Jahrbücher
für klass. Philologie 129. Band (1884) S. 288.
Der Verfasser bemerkt zu § 24 to~j-' ol/iou Selv Tiotetvi »Es ist
zwar nicht zu verkennen, dafs die Wiederholung des Infinitivs notziv
des Nachdrucks halber wünschenswert erscheint, aber notwendig ist die-
selbe durchaus nicht.« — Noch weniger erscheint dem Referenten hier
eine Konjektur wie ivvoscv notwendig.
29) Dreher, Exegetische und kritische Beiträge zur Erklärung
von Demosthenes' Rede für die Megalopoliten. Programm des Gym-
nasiums in Ehingen 1882. 52 S. 4.
Nach dem ursprünglichen Plane wollte der Verfasser, wie es im
Vorworte heilst, einen vollständigen Kommentar zu der Rede für die
Megalopoliten liefern. In diesem sollten, zunächst mit Beiseitelassung
der meisten, teilweise schon von den ältesten Erklärern mit genügender
Ausführlichkeit behandelten geschichtlichen Notizen, Aufnahme finden:
a) eine jedesmal den einzelnen Abschnitten der Rede vorausgeschickte
Exposition des Inhalts nebst sonstigen den Gedankengang des Redners
betreffenden Bemerkungen, b) eine Reihe textkritischer Erörterungen,
c) eine kurze Besprechung aller grammatischen, lexikalischen, stilisti-
schen, rhetorischen Punkte. Da es sich aber nach dem Drucke des
ersten Bogens herausstellte, dafs auf diese Weise der für das Programm
verstattete Raum zu sehr überschritten worden wäre, so mufste von § 8
der Rede an ein ansehnlicher Teil von Bemerkungen, namentlich sol-
cher grammatischen und lexikalischen Inhalts, ausgelassen werden. Re-
ferent möchte diese Streichungen eher als einen Vorteil für die übrigens
durchaus sorgfältige und gehaltvolle, an feinen Bemerkungen reiche
Schrift betrachten und glaubt, dafs sich manches viel kürzer hätte fassen
lassen. Die exegetischen Bemerkungen überwiegen nicht nur dem äufse-
Demosthenes. 213
ren Umfange nach, sondern auch nach ihrem innern Werte. Die Stel-
lung, die der Verfasser zu der handschriftlichen Überlieferung einnimmt,
spricht er S. 35 dahin aus: »Nach meiner Ansicht giebt nur cod. 2
(nebst A und i") die Schreibung des Demosthenes (im ganzen!) richtig.o
Demgemäfs verteidigt er § 1 npsaßstfouac, das er zugleich weit lebhafter
rindet als das Medium Ttpsaßebovrat (letzteres hat Blafs). Das Medium
erscheint ihm sogar unrichtig, weil die Gesandten leibhaftig in der Volks-
versammlung anwesend gewesen seien. Dafs dpcpözepoc vor npeaßzöouac
nur auf die Arkader und Lakedämonier bezogen werden kann, steht
aufser Frage. — § 2 übersetzt er auvagr^az^psviuv ydp upwv nach
Reiske, Voemel, Rüdiger, »da ihr alle mit einander euch habt täuschen
lassen«. Es ist jedoch bedenklich, sich für diese Bedeutung von ouv
auf Dem. 18, 179 auvenacveadvziov dk xdvziuv zu berufen, wozu doch
eher poc als dXXrjkocg zu ergänzen sein dürfte. — Mit Unrecht giebt er
der Lesart des cod. S äv zc pezat-ü reg den Vorzug vor dv zd pezagu
ztg. - § 4 dvzscmcv eug ob »leugnend (?) behaupten, dafs nicht«, rindet
sich nicht, wie Dreher nach Rehdantz zu 8, 31 angiebt, 9, 54 {ujv oud'
dv dpvrjBeTev iveoe d>g oux etalv zocouzoc), dafür 22, 12 und [13,] 2. —
Zwischen da&evecg und ysvsaSac verlangt er die Einsetzung von av,
weil der Satz unabhängig yevotvz' dv lauten würde; ebenso § 5 zwischen
ßoukoc'psfr" und dvzmdkoog — nach des Referenten Ausicht mit Recht;
vgl. § 7 xal zt av äUo ßou\oipe$a\ ebenso § 11 hinter ßoy&yaavzag.
(Der handschriftlichen Überlieferung ßo^Brjaavzag ypTv vov (sie!) kommt
am nächsten die Konjektur von Rud. Dahms, Jahrbücher für klass. Phil.
93. Band S. 674, ßorftyaavzag rjpcv dv. — vüv läfst sich nicht halten,
wie Dreher will.) Unrichtig ist, dafs auch § 16 in den besten Hand-
schriften dv hinter ydvocvzo fehle. — Ist die Wolfsche Erklärung der
Worte § 6 7tpoo~ds?a&a: o' ixt zou zd dc'xaca tiocecv £&e?>övzojv zebv kzi-
patv wirklich die einzig richtige, wie W. Fox in der Rezension dieses
Programms, Piniol. Rundschau 1883 Sp. 1419, behauptet? Dreher deutet
eine neue Erklärungsweise an durch die Übersetzung: »Dazu aber ist
noch nötig, dafs mau das Gerechte thue (die Forderungen der Gerech-
tigkeit erfülle), indem auch die andern sich freiwillig dazu verstehen«;
richtiger wohl: wenn die andern sich dazu verstehen, seil, zd dc'xaca
nocelv. Man vergleiche § 18 dv zd Sc'xata tiocecv e$eXojoc, § 24 zu prj
üiXecv zd dc'xaca npdzzscv dnXujg und § 15 ot prj diXovzeg zocg dexae'oeg
ippiveev. Auf zou zä dc'xaca tiocecv bezieht sich doch wohl § 10 da? Se
oxoTiecv pkv xal npdzzecv dec zd dc'xaca. - § 6 zieht der Verfasser ixsc-
vocg hinter ivavzc'a, § 7 dvzcnapazaqapdvoug , beides nach cod. S, den
Lesarten execvwv und <ruLtitapaTa£a/x£wuG vor. Allein o-uprrapaza^api-
voug steht zur Abwechselung für //£#' ujv t6t' ixivduvsöoLiev , und mit
ioaz' oud' ozcouv uTtevavzc'ov . . . aupriapaza^apsvoug erwidert der
Redner augenscheinlich auf den von den Gegnern erhobenen Einwand.
Derselbe Gedanke kehrt § 8 wieder: atty^topm 8' i'yioye . . . prtdkv ivav-
214 Dembrthi i
Teöj&rjvat to~c ys tum abvwv ftercur^oüfft xwdöuatp. 8 8 verteidigt er
nach cod. S fiövov, §9 incrpdrcetv bfiag däcxeiv mii! Unrecht), S L2 od
yäp mit Weglassung von xaixot zn Anfang des nächste mit
Recht; doch ist ;m räura vor teyorcesi (wofür er raörd raSra vor-
schlägt) nach meinem Dafürhalten nichts zu ändern. Auffallend ist, dafs
er § 13 xat fiijv el x<i.\ vorzieht, trotzdem xal im cod. -1 fehlt. Zu tov
irtujOrjnaii und o>v dStxetv . . . dpyiZeaBai erwartet mau nach der sonsti*
gen Gründlichkeit eine Bemerkung; man vergleiche Dem. 23, 184. —
§ 14 ist Totvuv doch wohl als fxeraßanxöv aufzufassen. Durch die an
das Ende des Satzes gerückte Anrede w ävSpeg 'A&rjvdiot soll nicht
diese, wie Dreher meint, sondern robvavuov stärker betont werden. —
Am Ende des Paragraphen empfiehlt er die Lesart der Vulgata tjw.v
äel ßouÄo//.evrj , § 17 aüroc nach cod. 2 »sie selbst, sie ihrerseits«, § 20
u/xwv i/jiol zauTa <prjostv , ohne Grund § 19 ratv toioutojv trufifid^wv.
Gut ist § 22 noXepetv alfioufiivout , aber ein av hinter noXsjieiv einzu-
fügen, dürfte doch nicht absolut nötig sein. Dagegen entscheidet er
sich für ~yv npurepov gegen cod 2'.
Wir schliefsen mit dem Wunsche , dafs der Verfasser seine wert-
vollen »Beiträge« einer nochmaligen Überarbeitung unter Berücksichti-
gung der inzwischen erschienenen Blafsschen Textesrezension unter-
werfen möchte. Vielleicht entschliefst er sich auch zur Trennung der
kritischen Bemerkungen vom Kommentar.
30) Johannes Windel, De oratione, quae est inter Demosthe-
nicas deeima septima et inscribitur: Ihp\ zwv npbg \1/.£;av3pov auv-
Brjxiov. Programm der Thomasschule in Leipzig 1882. 40 S. 4.
31) AI. Kornitzer, Quo tempore oratio mpc rcDv npbg Wti-uv-
Spov aov&rjxCov habita esse videatur et quid de auetore huius orationis
sit statuendum. Zeitschrift für die österr. Gymnasien 1882 S. 249—270.
32) Gustav Leue, Quo tempore et quo consilio oratio, quae in-
scribitur nepl zwv 7ipbg 'AkiqavSpov auv^xihv , composita sit. Diss.
inaug. philol. von Halle 1885. 52 S. 8.
Die erste, äufserst gründliche und mit grofser Sorgfalt ausgear-
beitete Abhandlung Windeis ist bereits von Prof. Blafs in diesem
Jahresberichte XXX (1882. I.) S. 243 besprochen worden.
Gleichzeitig und unabhängig von Windel hat Kornitzer dieselben
Fragen, die Abfassungszeit und den Autor der Rede Über die Verträge
mit Alexander betreffend, mit Umsicht und besonnenem Urteil behan-
delt. Die einzige sichere Zeitangabe, welche die Rede enthält, ist der
mehrfach erwähnte Vertrag Alexanders mit den Griecheu auf dem Syn-
edrion zu Korinth 336 v. Chr. Die übrigen, anderweitig nicht berich-
teten Thatsachen lassen keine feste Datierung zu. Daher gehen denn
die Ansichten der Gelehrten über die Abfassungszeit der Rede weit aus-
Demostbenes. 215
einander. Reiske, Boebnecke, Grote, L. SpengeJ, Weil und Blafs setzen
sie mit dem Scholiasten in die erste Regierungszeit Alexanders, vor
Thebens Zerstöruug Sommer 335, weil bei einem späteren Ursprung ir-
gend eine Hinweisung auf das Schicksal dieser Stadt zu erwarten wäre.
Blafs weist auch darauf hin, dafs nirgends in der Rede der Perserkrieg
und seine ungeheuren Erfolge berührt werden. Dagegen macht Kor-
nitzer geltend, dafs aus dem Stillschweigen kein sicherer Schlufs gezogen
werden könne. Zunächst sei es unglaublich, dafs die in der Rede be-
sprochenen Vertragsverletzungen des Makedoniers, die Wiedereinsetzung
der Tyrannen in Messene, der Umsturz der freien Verfassung bei den
Pelleneern, die Zurückführung des verbannten Ringmeisters nach Sikyon,
in den kurzen Zeitraum fallen, welcher zwischen der Erneuerung des
korinthischen Vertrags und den Kriegen Alexanders mit den Taulan-
tiern, Illyriern, Triballern liege; ja es wäre unklug von Alexander ge-
wesen, sogleich nach Abschlufs des Vertrags die kaum beruhigten Grie-
chen durch vertragswidrige Handlungen zu reizen und sich einen neuen
Feind im Rücken zu schaffen. Das Stillschweigen über Theben aber er-
kläre sich hinlänglich aus der Absicht des Redners, die Athener zum
Kriege gegen Makedonien zu bestimmen. Hätte nicht die Erinnerung
an die Schnelligkeit Alexanders, mit der er die aufständischen Thebaner
trotz des tapfersten Kampfes ihrerseits unterdrückte, die Athener ein-
schüchtern müssen? Gehört somit die Rede einer späteren Zeit an, so
weisen die Vorgänge auf Tenedos (§ 20), die Seeherrschaft der Make-
donier (§ 22), besonders aber der öfter berührte xatpog auf die Zeit der
Erhebung des spartanischen Königs Agis hin. In dieselbe Zeit haben
Droysen und A. Schäfer die Entstehung der Rede gesetzt.
Was ist nun von dem Verfasser der Rede zu halten? Demosthenes
kann es nicht sein. Dies beweist Kornitzer durch eine sorgfältige Prü-
fung der ganzen Anlage wie des Ausdrucks im einzelnen. Aber auch
an Hypereides und Hegesippos ist nicht zu denken. — Im Anhang, wel-
cher auf Windeis Dissertation Bezug nimmt, tritt Kornitzer mit vollem
Rechte der Ansicht desselben entgegen, dafs die Rede das Werk eines
Fälschers sei. Die von Windel mit allzu grofser Akribie zusammenge-
stellten Nachahmungen demostheuischer Stellen sind mehr scheinbare
als wirkliche.
Die allgemein erkannte und anerkannte Thatsache, dafs die in der
Rede Über die Verträge mit Alexander erwähnten Ereignisse die Zeit-
bestimmung der Rede erschweren, hat Leue nicht abgeschreckt , diese
Frage von neuem zu prüfen. Statt nun die hierbei in Betracht kommen-
den Daten zusammenzustellen und daraus die nach seiner Ansicht rich-
tige Zeitbestimmung abzuleiten, bespricht er mit ermüdender Breite die
verschiedenen Meinungen der Neueren über die Zeit der Rede, von
Boehnecke, Spengel , Weil, Blafs, von St. Croix, Clinton, Droysen,
A. Schäfer, A. G. Becker, Windel. Schade, dal- ihm Kornitzers Aufsatz
2if, Demoethenea,
nicht bekannt war. Jedenfalls hätte er auch diesen einige Seiten
widmet. Die Hede scheint ihm kurz vor der Schlacht bei [8808, welche
im November 333 geliefert wurde, rerfafsl zu sein. Damit komml
der Ansieht Droyscns ziemlieh nahe. Etwa-, absolut Sichere Kann na-
türlich auch Leue nicht ermitteln. Ganz abenteuerlich erschein! dem
Referenten die Hypothese Leue- über die Tendenz der Rede: Ita ifii-
tur invenimus, falsarium, qui bominnm, quos oratione scripta deeip
volebat, acqualis esset, non Atheniensibus , sed ceteris Graecis persua-
derc voluisse, talem oratiouem Athenis tum babitam esse (S. 46). Die
Rede sollte, wie der Verfasser glaubt, als »Flugschrift« (S. 48) in den
griechischen Städten, wo Makedonierfreunde an der Spitze standen, wie
in Korinth, Pellene , Messene, zur Aufreizung der Bürger verbreitet
werden.
33) J. Dolnicki, Über die Entstehung der Rede des Demosthenes
7i£fj\ zoü OTE<pdvoo und über ihr Verhältnis zur Rede des Aischines
xarä KT-qanpuiVTuq (Polnisch). Programm des Gymnasiums in Zloczow
1882. 41 S. 8.
Angezeigt von J. Wrobel in der Zeitschrift für die österr. Gym-
nasien XXXV (1884) S. 315 f.
34) Saueressig, De epigrammate sepulcrali in Athenienses apud
Chaeroneam interfectos agatur, quod in Demosthcnis oratione de Co-
rona habita legitur. Programm des Progymnasiums in Oberehnheim
1882. 17 S. 4.
Die von Karsten, Westermann, Kaibel, Kirchhoff u. a. für ein Mach-
werk späterer Zeit erklärte Grabinschrift auf die bei Chaironeia gefal-
lenen Athener wird hier noch einmal nach Form und Inhalt besprochen.
Wesentlich neue Gründe für die Unechtheit bringt der Verfasser nicht
bei. Durch Vergleichung einer grofsen Anzahl ähnlicher Epigramme
sucht er zu erweisen, dafs das Dem. 18, 289 eingelegte hinter jenen
sachlich und sprachlich zurückstehe: es fehlen nämlich in demselben
nicht nur alle Angaben über die kämpfenden Völker, den Kampfplatz
und den Ausgang der Schlacht, sondern man vermisse auch lebhaftes
Kolorit und epigrammatische Kürze; in jedem Distichon lassen sich Un-
gereimtheiten nachweisen, und wenn die Gelehrten einzelne Mängel durch
Konjekturen zu heilen suchten, so werde dadurch nicht das ganze Ge-
dicht geheilt. Die meisten Schwierigkeiten bietet der Erklärung das
letzte Distichon, dessen erster Vers vom Redner wiederholt und auf
seine Sache angewendet wird. Die von Fröhlich gegebene Erklärung,
»da ja den Sterblichen von Zeus dies beschiedeu ist, nichts (keines
Wunsches) zu verfehlen bei den Göttern und (durch sie) alles wohl zu
vollenden im Leben«, verwirft Saueressig, weil a/j.ap-dv£tv zt ztvog un-
griechisch sei; aber Fröhlich hatte für diese Konstruktion auf Soph.
Demosthenes. 217
Phil. 230 f. hingewiesen. Auch L. Spengels Erklärung »von den Göttern
hängt es ab, ob die Sterblichen nichts verfehlen und alles wohl vollen-
den im Leben«, findet seine Billigung nicht. — Unhaltbar aber ist, wie
bereits Spengel hinlänglich dargethan hatte, Kaibels Ansicht, dafs der
von dem Redner citierte Hexameter gar nicht in dem verlesenen Epi-
gramm gestanden habe, sondern ein altes Sprichwort sei. Das echte
Epigramm soll das Anth. Pal. VII 245 abgedruckte sein. Kaibels Epi-
gramm bezieht der Verfasser zwar auf die Schlacht bei Chaironeia, aber
das vor den Richtern verlesene sei es nicht. Dieses ging seiner An-
sicht nach verloren, und das in den heutigen Ausgaben stehende sei
untergeschoben. Über die Zeit und die Person des Fälschers lasse sich
nichts Bestimmtes angeben. — Im einzelnen sei noch bemerkt, dafs
'Atdys nicht Plutus, sondern Pluto zu übersetzen ist. Druckfehler sind
nicht wenige stehen geblieben.
Denselben Gegenstand behandelt Richter, De epigrammate Chae-
roneensi, Programm der Realschule I. 0. zu Malchin 1883, das jedoch
dem Referenten bis jetzt leider nicht zugegangen ist.
35) Franz Slameczka, Untersuchungen über die Rede des De-
mosthenes von der Gesandtschaft. Wien (Holder) 1885. 48 S. gr. 8.
Die sorgfältige und gehaltvolle Untersuchung hat sich zur Auf-
gabe gestellt, einen neuen Beitrag zu liefern zu einer befriedigenden
Erklärung der in der jetzigen Gestalt der Rede begründeten Schwierig-
keiten. Mit Recht bezeichnet der Verfasser das Bemühen, eine rich-
tigere Gliederung der Rede durch Umstellung einzelner Partien zu ge-
winnen, für verfehlt, mit Recht verwirft er auch die meisten Hypothesen
0. Gilberts, der zwar die jetzige Anordnung als die richtige beibe-
halten, aber mehrere, oft umfangreiche Stücke als fremde Zuthaten aus-
scheiden wollte. Nach einem historischen Rückblicke über die Einlei-
tung des Prozesses gegen Aischines führt ihn eine eingehende Betrach-
tung des Inhalts und des Zusammenhangs der einzelnen Abschnitte zu
dem jedenfalls richtigen Gesamtergebnis, dafs die Rede mit Ausnahme
ganz geringfügiger Stücke durchaus ein echtes Produkt demosthenischer
Arbeit darstellt, ferner dafs sie in ihrem weitaus gröfseren Teile nach
einem einheitlichen Plane angelegt und mit der nötigen Sorgfalt auch
im einzelnen ausgeführt ist. Interpoliert scheinen ihm nur drei Para-
graphen (234-236) zu sein. Doch fehlt es auch für diese Annahme an
ausreichenden Gründen; vgl. die Rezensionen von K. Seeliger, Philo!.
Anzeiger XVI (1886) S. 314- 316 und von R. Busse, Wochenschrift für
klass. Philologie 1887 Sp. 905 -908- - Zum gröfsten Teile ist die Hede
vor der Verurteilung des Philokrates oder sogar vor der Einleitung des
Prozesses gegen diesen ausgearbeitet worden. Mehrere Stücke sind je-
doch erst nach der Gerichtsverhandlung geschrieben. Als Bolche nach-
trägliche Zusätze bezeichnet der Verfasser § 88-97, 147—149, 832 ■
218 Demostbci
Ob hierher auch <lio §§ 337— 840 gehören, l&fst er unentschieden. Zu
bedauern ist, dafs er \'nr diesen Teil die Schrift von ßud Bnsse, De
dnplici recensione orationia Demosthenicae, <i||a'' esl de falsa legatione,
Berlin 1880, nicht benützl bat. Weiter wurde die Abhandlung besprochen
von W. Fox, Neue phil. Rundschau 1886 S. 81 82, von B. , Literar.
Centralblatt 1886 S. 510, von W. Nitsche, Deutsche Literaturzeitung
1886 S. 503, von E. Rosenberg, Berliner philol. Wochenschrift 1886
Sp. 777 770 und von H. Ortner, Blätter für das bayer. Gymn. 1887
S. 121 f.
36) H. Weil, Sur un morceau du discours contre la loi de Lo|,
tine. Annuaire des ötudes grecques XVI (1882) S. 150 155.
Dem Referenten nicht zugänglich.
37) Peter Bastgen, De Demosthcnis Midiana. Comm. philol.
inaug. von Münster 1884. 56 S. 8.
Die Abhandlung hat vorwiegend kritischen und polemischen Cha-
rakter. Der Verfasser prüft zuerst S. 1 10 die Gründe, welche ver-
schiedene Gelehrten, wie Böckh, A. Schäfer, Blafs für die Ansicht,
dafs die Midiana in ihrem jetzigen Zustande unvollendet und jedenfalls
nicht von Demosthenes ausgearbeitet sei, vorgebracht haben. Daran
schliefst sich S. 10 — 21 eine im ganzen wohlgelungene Widerlegung und
Bekämpfung der Hypothesen von Wachendorf und van den Es, dafs
die uns vorliegende Rede nach dem Tode des Demosthenes von einem
Redaktor aus zwei demosthenischen Reden verschmolzen, bez. von ir-
gend einem Librarius aus mehreren Zetteln, auf denen sich Demosthenes
Notizen für seine Rede gemacht hatte, zu einem Ganzen zusammenge-
leimt worden sei.
Wie denkt sich nun der Verfasser die Rede entstanden? Auffallen-
der Weise nicht viel anders als van den Es. Die Wahrnehmung, dafs
nicht nur mehrfach eine richtige Disposition in der Midiana vermifst
wird, sondern auch vieles, was schlechterdings nicht fehlen konnte, sich
nicht darin findet, führt ihn zu der Annahme, dafs Demosthenes zuerst
einzelne Abschnitte der gegenwärtigen Rede separatem niedergeschrieben
habe, um sie später in Ordnung zu bringen, dann aber, als er nach dem
wenig rühmlichen Vergleich mit seinem Gegner den Prozefs aufgegeben,
die Ausarbeitung und Herausgabe unterlassen habe; nach seinem Tode
habe man diese Zettel gefunden und neglegenter ac temere zusammen-
gestellt. Bastgen macht sogar den kühnen, aber eitlen Versuch, die-
jenige Disposition zu finden, welcher Demosthenes gefolgt wäre, wenn
er die Rede ausgearbeitet hätte. Dieses Experiment hätte er sich er-
sparen können. Hatte doch Blafs (Att. Bereds. III A S. 296 f.) richtig
hervorgehoben: »Man mufs dergleichen stehen lassen, ebenso wie sich
die Unordnung der Rede weder durch Streichungen noch durch Umstel-
Demosthenes. 219
lungen heben läfst; es ist unmöglich zu ermitteln, wie Demosthenes,
wenn er die Rede ausgearbeitet hätte, sie gestaltet haben würde.« Ebenso
orteilt E. Roseuberg, der die Dissertation in der Berliner philol.
Wochenschrift 1884 Sp. 1533 ff. bespricht.
38) Hermann Vieze, De Demosthenis in Androtionem et Timo-
cratem orationibus. Diss. inaug. philol. Halle 1885. 44 S. 8.
Es sind schwierige Fragen, die hier erörtert werden. Im ersten
Teile sucht der Verfasser die Frage , ob die Rede wider Androtion in
ihrem gegenwärtigen Zustande mit Taylor uud A. G. Becker als ver-
stümmelte?) oder mit Funkhänel als unversehrt und in jeder Hinsicht
vollendet anzusehen sei, endgiltig zu entscheiden. Das Ergebnis ist im
wesentlichen folgendes: An zwei Stellen (§ 20 und am Schlüsse des
Ganzen) ist die Rede verstümmelt. Eine dritte Stelle (§ 40 und 41) ist
zwar von Demosthenes verfafst, aber nicht von ihm der Rede einver-
leibt worden. Dies war jedoch, wie Vieze meint, schon vor der Heraus-
gabe der Rede geschehen. Die Rede scheint ihm so ziemlich in der
Gestalt, in der sie uns vorliegt, herausgegeben zu sein, jedoch nicht
von Demosthenes selbst, sondern vielleicht erst nach seinem Tode. —
Dafs der Text der Rede Ende § 20 unklar und lückenhaft ist, hatte be-
reits Harpokration erkannt und wird sich nicht wegleugnen lassen, wie
man auch den letzten Satz lesen und erklären mag. Vieze verlangt die
Lesart ahzfj gleich den Züricher Herausgebern und Beuseler. Seine Er-
klärung befriedigt indes weniger als die des letztgenannten Gelehrten,
auf dessen Anmerkung er hätte verweisen sollen. Über die angeblich
fehlende Peroratio läfst sich auch jetzt noch streiten. Neue Gründe
hat der Verfasser für seine Ansicht nicht beibringen können, überhaupt
die Frage, die er sich zur Untersuchung wählte, wenig oder gar nicht
gefördert. Mit Recht nimmt er die §§38 — 39 gegen Blafs in Schutz.
Er glaubt, dafs sie bereits vor gehaltener Rede geschrieben uud durch-
aus an ihren) Platze sind. Aber warum soll nicht dasselbe von den ^§ 40
und 41 gelten? Die Gründe, mit denen der Verfasser seine Ansicht zu
stützen sucht, dafs sie erst nach der Rede des Archias von Demosthenes
auf ein Blatt geschrieben und dieses von dem unbekannten Herausgeber
eingefügt worden , ohne dafs er sie dem Tone und dem Zusammenhang
anpafste, sind nicht beweiskräftig. Die Härte des Übergangs, welche in
dem Pronomen aörbv § 42 liegt, wird durch die Worte ohfiat rot'vuv
und durch die Paust1, welche vor diesen Worten eintreten mofs, wesent-
lich gemildert; vgl. Weil zur Stelle. Wie die Kritik au den zwei Stel-
len, die nicht in den Zusammenhang der Androtionea passen (§ »>7 und
74), zu verfahren habe, will der Verfasser nicht entscheiden Die Kon-
jektur, die er zu § 33 (rabvd. dt'xata) vorschlägt, wurde bereits L866 von
A. Westermann und unabhängig von diesem von Rud. Dahms ge-
macht und entsprich! Ilbrigeus der Lesart de- cod A.
220 Dcmosthenes.
Im zweiten Teile unt ersucJit Vieze die Komposition '1er Rede
wider Timokrates. Bensei er und A. Schäfer haben in dem ganzen
mittleren Teile von § lio 187 ein störendes und fremdartiges Element
erblickt; aber während jener vermutete, was nicht ans der Hede wider
Androtion herübergenommen sei (§ 160 18G), sei der Rede de- zweiten
Sprechers Euktcmon entlehnt, war Schäfer der Ansicht, dafs auch dieser
Teil von Dcmosthenes, aber von einem ersten Entwürfe desselben her-
rühre. Er nahm nämlich eine doppelte Rezension der Rede an, eine
kürzere von letzter Hand, in allen Teilen sorgsam ausgeführt, die an-
dere leicht, hingeworfen , aber voll wirksamer Ausfälle gegen Androtion
und seine Genossen. Diese beiden Rezensionen seien zusammengezogen
worden, sei es, dafs Diodoros selber aus Hafs gegen Androtion die Rede
in solcher Gestalt in Umlauf setzte, oder dafs ein anderer sich darüber
machte, sie so vollständig wie möglich herzustellen und von dem Ent-
würfe des Deraosthenes nichts preiszugeben. — Vergeblich versuchte
L. Spengel die Einheitlichkeit der Rede gegen Schäfer zu verteidigen.
Blafs entwickelte die Annahme Schäfers von zwei zusammengezogenen
Rezensionen weiter und glaubte auch in andern Abschnitten Spuren da-
von zu finden.
Vieze nun will mit der Untersuchung über den Zusammenhang und
die Stellung (collatione S. 25 ist wohl einer der vielen Druckfehler) der
einzelnen Teile die Frage verbinden, ob dieselben nach oder vor der
Zahlung der Summe, welche Androtion und seine Genossen dem Staate
schuldig waren , verfafst seien. Auch er nimmt also eine doppelte Re-
zension an. Dem ersten Entwurf teilt er zu: § 1-5; 6 — 8; 10 (ig dp-
X^S o?jv iv ßpa%£ot) — 13; 9 10 (ouvacfießa), dies das Proömium in der
hier angegebenen Reihenfolge. Sodann scheint ihm die echte Partitio
der Beweisführung verloren gegangen zu sein. Es folgen § 19 (r.piözuv
jjlsv ouv) — 109 als Argumentatio, § 110—143 als Confutatio. Von diesen
Abschnitten nahm der Redner nach Viezes Ansicht folgende in die vor
Gericht gehaltene Rede herüber: § 1-5; 6—8 (kaßecv); 10 (i$ dpxyQ
ouv) -13; dazu fügte er § 14—16. Diesem Proömium folgte die ver-
loren gegangene Partitio, darauf die Argumentatio § 19 — 109. An die
Stelle jener Confutatio des ersten Entwurfs setzte er eine andere, be-
stehend aus den §§ 187-214; 155 — 186; 215— Schlufs.
Die Begründung dieser Hypothese im einzelnen zu besprechen, ist
hier nicht der Ort. Referent gesteht, dafs er sich von der Richtigkeit
derselben nicht überzeugen konnte. Vieze sucht Schwierigkeiten und
Anstöfse, wo eine besonnene Interpretation keine findet. Nur ein Bei-
spiel! § 6 ff . giebt der Sprecher Diodoros die persönlichen Gründe an
für seine Beteiligung iv dyuxrc xal ypa<pacg or^uaiaiq. Dieser Abschnitt
reicht bis § 10 et ypa<pd/xevot rbv vop.ov xai eioayayovzes eis b/tas Maat
duvac'fie&a. Erst hier ist von der gegenwärtigen ypacprj napavö/icov die
Rede; r^ßov in3 abruv aber kann nur auf den ersten Angriff gegen
Demosthenes. 221
Androtion bezogen werden. Da Vieze dies nicht einsieht oder nicht ein-
sehen will, so nimmt er zuerst S. 27 an, dafs vor zoö ok Tzpäy/iazog der
erste Teil der Erzählung fehle, dann S. 28 f., dafs der Herausgeber der
ganzen Rede aus den hinterlassenen Papieren des Demosthenes den Satz
ßooXoijirjV o' av i/xe ze zuyeiv üjv ßoOXojxat, zoTjzov zs ita&eiv wv ä~tog
iazcv mit dem folgenden Abschnitt zoö ok npäy/iarog . . . dovcäfie&a voll-
ständig aufgenommen und überliefert habe, damit kein Wort des De-
mosthenes verloren gehe. Demosthenes aber war der Ansicht (censuit),
dafs der Satz ßot>Aoi/j.rjV 8' ftv . . . zu streichen sei und der folgende Ab-
schnitt nicht in die zweite Rede herübergenommen werden dürfe. Auch
in den Worten § 17 ff. iaziv iu ävdpeg 'Afyvaioi . . . &vdyva)&i findet
Vieze mehreres anstöfsig und macht wieder seltsame Enthüllungen über
die Absicht des Demosthenes: Itaque haec quidem verba neque priori
neque posteriori orationi destinata esse videntur, sed, cum in commen-
tariis relicta essent, ab editore orationis nobis tradita sunt (S. 31). An-
gesichts solcher Konjekturenmacherei fragt man billig: Cui bono? Der
Wissenschaft wird damit wenig gedient sein.
39) H. Weil, Etudes sur Demosthene II. — De l'authentieite du
premier discours contre Aristogiton. Revue de philologie VI (1882)
S. 1-21.
40) J. Hermann Lipsius, Über die Unechtheit der ersten Rede
gegen Aristogeiton. Leipziger Studien zur klassischen Philologie VI
(1883) S. 317-331.
41) Richard Wagner, De priore quae Demostheuis fertur ad-
versus Aristogitonem oratione. Diss. inaug. von Rostock. Hirschberg
1883. 49 S. 8.
42) Hugo Stier, De scriptore prioris adversus Aristogitonem ora-
tionis, quae Demosthenis esse fertur. Diss. inaug. Halle 1884. 37 S. 8.
Die beiden Reden wider Aristogeiton, welche unter Demosthenes'
Namen überliefert sind, waren schon im Altertum von Dionysios von
Halikarnasos und andern Kritikern dem Demosthenes abgesprochen wor-
den, und auch die Neueren haben sie fast einstimmig für unecht er-
klärt. Dagegen hat es Weil in obiger Abhandlung und in seiner Aus-
gabe Les plaidoyers politiques de Demosthene, II. Serie, Paris 188G,
unternommen, zunächst die Echtheit der ersten Rede mit grofsem Scharf-
sinn zu verteidigen. Er giebt zwar zu, dafs die Rede Stellen enthalte,
die einen aufmerksamen Leser des Demosthenes in Staunen versetzen;
aber sie sei auch voll Feuer und Lebendigkeit und in der rednerischen
Form vollendet. Die Unterschiede zwischen Ihr und andern Reden des
Demosthenes seien nur relativ, für alles, was in dieser Rede kühn oder
ungewöhnlich erscheinen könne, linden sich Analogion in den andern
222 Demosthenes.
Reden. Zudem lassen sich diese Unterschiede, soweit sie Dich! auf In-
terpolationen zurückzuführen seien (wie in den §§ n. ig, -.; n. ;■., .
durch die Natur der Rede, die Person des Angeklagten und die Zeit
des Prozesses erklären. Die Rede ist eine Deuterologie. Lykurgos
hatte in seiner Rede die strafbaren Bandlungen Aristogeitons darge-
than, die Zeugen aufgerufen, die von dem Angeschuldigten verletzten
Gesetze aufgezählt und erläutert. Die Aufgabe des zweiten Sprechers
war also darauf beschränkt, noch einiges Thatsslchliche, wus jener über-
sehen hatte, nachzutragen, die Vergehen zu steigern und auf die Ge-
sinnung der Richter einzuwirken. Die Rede dürfe deshalb nicht mit
vollständigen Reden des Demosthenes verglichen werden, sondern mit
den Epilogen. In diesen aber begegnen uns auch sonst, wie in der
Kranzrede, populäre, für den vorliegenden Fall erfundene oder in einem
besonderen Sinne gebrauchte Wörter, deren sich der Redner sonst nicht
bedient habe. Mit den politischen und gerichtlichen Einrichtungen Athens
aber zeige sich der Verfasser unserer Rede wohl vertraut. Weiter
sucht Weil zu erweiseu, dafs die Rede weder eine Schulrede noch das
Werk eines Zeitgenossen des Demosthenes, etwa des Hypereides, wie
Cobet neuerlich annahm, sein könne. Jedoch ist es ihm nicht gelungen,
die hinsichtlich der Echtheit der Rede bestehenden Bedenken anderer
zu beseitigen.
Lipsius wendet sich gegen die Behauptung Weils: II est incon-
testable que l'auteur de notre plaidoyer se montre bien informe des in-
stitutions politiques et judiciaires d'Athenes. II ne laisse echapper aueune
erreur ä ce sujet, il nous fait meine connaitre certains details que nous
ignorerons sans lui. Nach ihm ist das gerade Gegenteil von alle dem
richtig: Die Rede setzt sich fast überall, wo sie rechtliche Institutionen
berührt, in Widerspruch mit dem, was wir durch Überlieferung und For-
schung von attischem Recht und Gerichtswesen wissen. Sie kann des-
halb unmöglich das Werk eines Redners sein, der in der Praxis des
attischen Rechtslebens gestanden hat. Wenn anderwärts der Verfasser
mancher staatlicher Einrichtungen in einer Weise gedenkt, die zu Be-
denken keinen Anlafs giebt , worauf allein die gegnerische Ansicht sich
zu stützen vermag, so folgt daraus nur, dafs er von diesen Dingen eine
richtigere Vorstellung gewonnen hat.
Zu einem ähnlichen Resultat ist R. Wagner gelangt, welcher die
Rede nach Inhalt und Form einer äufserst gründlichen und sorgfältigen
Prüfung unterzogen hat. Die Rede sei von einem Menschen verfällst,
welcher die Beredsamkeit nicht auf dem Forum, sondern in der Studier-
stube erlernt habe. Wagner hält sie für ein Denkmal der asianischen
Beredsamkeit und verlegt ihre Entstehung in die Zeit von 320 - 250
v. Chr. Die zuerst von Blafs ausgesprochene Vermutung, dafs ein ge-
wisser alter, vielleicht demostheuischer Kern in dieser Rede, gleichwie
in den unechten Demegorien, enthalten sei, verwirft er und entdeckt
Demosthenes. 223
auch hier Spuren des alles übertreibenden Rhetors. Ein Versehen ist
dem Referenten S. 6 Z. 6 v. u. aufgestofsen, wo Aristone statt Aristogi-
tone zu lesen ist.
Neben dieser tüchtigen Dissertation erscheint die von H. Stier
als recht unbedeutend, wenn nicht als ganz wertlos. Was sie Gutes und
Beifälliges enthält, ist aus A. Schäfer meistens wörtlich übersetzt und
mit den von demselben beigebrachten Stellen belegt. Anderes wird der
Dissertation von R. Braun entlehnt sein, die dem Referenten leider
nicht zu Gebote steht. Weiter eignet er sich eine Vermutung von Blafs
an: Partes aliquas re vera a Demosthene scriptas auctori orationis
praesto fuisse suspicor (S. 36). Was er S. 10, wie es scheint de suo,
in sprachlicher Hinsicht Anstöfsiges hervorhebt, bedarf der Berichtigung.
Über xpivttv § 42 in der Bedeutung existimare vgl. P. Uhle, De prooem.
collect. S. 16. Desgleichen über oXwg §§ 84 und 95 ebenda S. 18. —
ojxdü § 51 statt iyyüg findet sich Dem. 36, 36, dcarpcßscv int xm § 51
auch Dem. 2, 16. Isokr. 3, 19; 4, 143; 11, 18. 23; 15, 18 (Lutz). Mit
rji <p'jyjj vergleicht Weil rr) <f"J%fj tout3 olds Mid. 201 (soll heifsen 221),
mit bzav § 68 Dem. 23, 62, mit dixata §1,3 etc. Dem. 18, 7 und 9.
Dazu 38, 20; 41, 7. — Überdies ist die Dissertation Stiers überreich
an Druckfehlern.
43) Joh. E. Kirchner, De litis instrumentis, quae exstant in De-
mosthenis quae fertur in Lacritum et priore adversus Stephanum ora-
tionibus. Diss. inaug. philol. Halle 1883. 40 S. 8.
44) Derselbe, Zur Frage über die Glaubwürdigkeit der in die
Demosthenischen Reden eingelegten Urkunden. Rhein. Museum XXXIX
(1884) S. 309-310.
45) Derselbe, Zur Glaubwürdigkeit der in die [Demosthenische]
Rede wider Neaira eingelegten Zeugenaussagen. Rhein. Museum XL
(1885) S. 377—386.
46) Otto Staeker, De litis instrumentis, quae exstant in De-
mosthenis quae feruntur posteriore adversus Stephanum et adversus
Neaeram orationibus. Diss. inaug. phil. Halle 1884. 58 S. 8.
Um die Echtheitsfrage der in die attischen Redner eingelegten
Urkunden zu lösen, kommt es darauf an, »die Urkunden selbst Stack
für Stück einer scharfen Kritik zu unterwerfen, ihren Inhalt Punkt für
Punkt sorgfältig zu prüfen und aus dessen Beschaffenheit, mit Ruck-
sicht auf die beglaubigten Staats- und Rechtszuständig des attischen Al-
tertums, ein Urteil für oder wider die Originalität zu abstrahieren«
(A. West ermann, Abhandl. d. K. S. Gescllsch. d. Wisscnsch II S. S).
Die Untersuchungen, welche Westennann selbst and andere Gelehrten
nach diesem Grundsatz anstellten, halten den Glauben an die Anthen-
224 Demosthenes.
tizität dieser Urkunden dermafsen erschüttert, dafs man sie fast allge-
mein tiir Fälschungen betrachtete. Dnrcfa Kirchhof! and l'. Köhler
wurde sodann die Präge neu angeregt. Darauf hat Ad. Wacbholtz
die Echtheit der in die pseudodemosthenische Rede wider Bfakarta
eingelegten Urkunden mit Geschiel: verteidigt; vgl. Blafs in diesem
Jahresbericht XXI (1880. I) S. 201 f. Den gleichen Versuch haben
Kirchner und Staeker in den vorliegenden Abhandlungen für die Bede
wider Lakritus (SS), die beiden ßedeu wider Stephanos (45 und 46) und
die Rede wider Neaira (59) gemacht.
Kirchner bemüht sich in seiner Dissertation sämtliche Urkunden
der Rede wider Lakritos uud der ersten Rode wider Stephanos und in
der Abhandlung No. 45 sämtliche Zeugenaussagen der Rede wider Neaira
als echt zu erweisen. In No. 44 weist er zwei in den Urkunden (35, 14
und 45, 46) vorkommende Namen inschriftlich nach: Qopfiuov Kryo
pwvzog üeipatBÜg in einer Inschrift vom Jahre 334/3 und %7toXA6dwpog
'Ayapvzog in einer Seeurkunde vom Jahre 356/5. Nach der ersteren
glaubt Kirchner Pseudodem. 35 , 14 Knjai^mvros für das handschrift-
liche krtfiooyujv-og einsetzen zu sollen. Was die Zeugenaussagen be-
trifft, so galt es hauptsächlich die von Westermann gegen die Authen-
tizität geäufserten Bedenken zu beseitigen. Dies ist dem Verfasser frei-
lich nicht immer gelungen und dürfte vielleicht auch nie gelingen.
Westermann scheint indes seine Anforderungen an die Form oder den
Inhalt dieser Dokumente bisweilen zu hoch gestellt haben , so wenn er
sämtliche Zeugenaussagen, in denen die Zeugen blofs mit ihrem eigenen
Namen oder mit Hinzufügung nur des väterlichen Namens oder des De-
mos angeführt werden, für unecht erklärte. Kirchner möchte dagegen
gerade in dem Fehlen dieses Zusatzes einen Beweis für die Echtheit
sehen; denn einem Fälscher wäre es ein Leichtes gewesen, nachdem er
so viele Namen ausgedacht, auch noch die übrigen beizufügen. (Ähn-
lich weist Staeker S. 38 diesen Verdachtsgrund Westermanns ab.)
Wenn derselbe ferner mehrmals bei Zeugnissen, besonders in der Rede
wider Neaira, die Armseligkeit und Dürftigkeit des Inhalts tadelte, so
entgegnet Kirchner, es sei unrecht, in den Aktenstücken etwas zu ver-
missen, was nicht absolut zur Sache gehört. Unklar erscheint dem Re-
ferenten die Erklärung der Lemmata 36, 7 (S. 7 und 22). Der Wort-
laut der npoxfyaee ist nicht erhalten; unter papzopiai ist wohl das 45, 8
verlesene Zeugnis des Stephanos , Endios und Skytkes zu verstehen, so
dafs also an dieser Stelle der Plural fiapropiat von einem einzigen Zeug-
nisse, das mehrere Personen zugleich ausgestellt haben, gebraucht ist,
was Kirchner S. 6 bestreitet; nap' ulg al du/.br/y.o.c xalvzac scheint eine
Interpolation zu sein. Unrichtig ist jedenfalls die Erklärung der Har-
pokrationstelle über die Diaiteten S. 24. Die dtairrjral, heifst es dort,
suchten vorher (ehe die Sache vor die otxaazal kam) die streitenden
Parteien zu versöhnen. Andere Versehen und Schwächeu der Beweis-
Demosthenes. 225
führung Kirchners in seiner Dissertation hat K. Seeliger, Philol. An-
zeiger XIV (1884) S. 385 — 392 namhaft gemacht. Wenn dieser über
die ganze Abhandlung das Urteil fällt, dafs sie die Frage nach der
Echtheit der eingelegten Urkunden nicht besonders gefördert habe, so
mufs doch mit W. Fox, Philol. Rundschau 1884 Sp. 1057 ff. anerkannt
werden, dafs durch sie mancher dunkle Punkt aufgehellt und im ganzen
hinlänglich dargethan ist, dafs auch kein Moment den Glauben an die
Echtheit der behandelten Urkunden entschieden ausschliefst. Aufser den
Zeugenaussagen finden sich in der Rede wider Lakritos eine Vertrags-
urkunde und eine Gesetzesformel, in der ersten Rede wider Stephanos
eine Antigraphe, ein Testament und ein Mietvertrag. Diese Urkunden
werden hier zum ersten Mal auf ihre Echtheit geprüft, und durch Verglei-
chung mit ähnlichen Dokumenten, soweit dies möglich ist, wird gezeigt,
dafs sie in der üblichen Form abgefafst sind und bezüglich ihres Inhalts
zu keinem Zweifel an der Originalität Anlafs geben; das Testament und
der Mietvertrag sind jedoch nicht vollständig überliefert. Dem. 45, 8
ist mit Sauppe ehac ok r«'d' dvrfypeqpa zu schreiben; der Name des
hier erwähnten Schiedsrichters lautet nach den Inschriften Tetaiag. Aufser-
dem lassen sich folgende in den Urkunden vorkommende Namen nach
Kirchner inschriftlich nachweisen: AnoXXwvidrjg ^AXixapvaasüg 35, 33,
lütfiaocpwv KeyaMwvog (dies der richtigere Name) A<pi8vacog 45, 19,
Acovutjcog KoXtovrj&ev 59, 23, Urepavog 'Epoiddyg, rXauxenrjg Krt<fiaieüg
und 'AfHozoxfjdrrjQ &aXrtpeüg 59, 40, die Namen der drei Schiedsrichter
59, 47, der Name des Genneten Ni'xmitog Kzyalrftzv 59, 61, der Name
des Zeugen äeivoptvrjg (so ist mit den codd. Y. 0. r. zu lesen) Ap%e-
Mou kooo.bijVaizbg 59, 123.
Staeker. dessen Dissertation, wie am Schlüsse derselben mitge-
teilt wird , bereits gedruckt war, als Kirchners Abhandlung über die in
die Rede wider Neaira eingelegten Zeugenaussagen erschien, gelangt
zum Teil zu anderen Ergebnissen. Der erste Teil seiner Untersuchung
gehört den Urkunden der zweiten Rede wider Stephanos. Die neun Ge-
setzesparagraphen werden eingehend erläutert; sie scheinen dem Ver-
fasser sämtlich echt, jedoch teilweise korrupt zu sein. Das einzige Zeug-
nis der Rede hält er mit Westermaun für unecht. Die Schwierigkeiten,
welche die Gesetzesformel § 14 (Dind. § 17) der Erklärung bietet, glaubt
er durch eine Textesänderung beseitigen zu können, indem er ou rtv
statt wäre zu schreiben vorschlägt. Viel Wahrscheinlichkeit hat übri-
gens diese Konjektur nicht. Wenn der Verfasser S. 10 behauptet, notetv
sei ohne den Zusatz von noXtvrjV oder 'A&yvdtov nicht von der Verleihung
des Bürgerrechts gebraucht worden, so verweist Referent auf Dem. 36,
47 ohv (iura a inotijaavro A&yvatot, und Lys. 13,91 a<rr:g pyot ;ü\> \mb
rov Bypou -srMLrjCTÜui; vgl. Frohbergcr-liebauer zu Lys. LS, 7ü. In »ler
Gesetzesformcl § 24 (31) gehört iav dno&dvwaiv . . . r/t3ä\> ohne Zweifel
zum nachfolgenden Hauptsatz. - Im /.weilen Teile nimmt Staeker zu-
Jahresberlcbt fUr A.lterthumd«rid8eiischkft L. (is^, i 15
Demosthenes.
ersl die drei Gesetzesformeln der Rede wider NY-aira gegen die Angriffe
des Holländers van den Eis in Schatz. Die Zeugenaussagen hält er
teils für echl teils für untergeschoben. Über den Volksbeschlufe in be-
treff der Platäer und über den Eid der Gerairen läfst sieb nach seiner
Ansicht eine sichere Entscheidung nicht treffen, weil diese Dokumente
sonst nirgends angeführt würden. - Viel gründlicher i->t die Untersu-
chnug von J. Riehemann, De litis instrumentis , quae exstant in De-
mosthenis quae fertur oratione adversus Neaeram, Diss. inaug. von Leip-
zig 188(3, welcher im Anhang S. 48 ff. die Dissertation Stacken und die
Abhandlung Kirchners eingehender bespricht und zum Teil berichtigt.
47) Paul Uhle, Quaestioues de orationum Demostheni falso ad-
dietarum scriptoribus. Particula prima. De orationum XXXV XXXXIII
XXXXVI. — L- LH. LIII. LIX. scriptoribus. Diss. inaug. von Leipzig.
Hagen in Westfalen 1883. 118 S. 8.
A.Schäfer, der zuerst die fälschlich unter Demosthenes' Namen
überlieferten Reden einer eingehenden Untersuchung und Vergleichung
unterzogen hat, war geneigt, die Reden wider Apaturios (33), wider Phor-
mion (34) und wider Dionysodoros (56) einem und demselben unbekann-
ten Verfasser beizulegen, einem und demselben ferner die Reden wider
Makartatos (43) und wider Olympiodoros (48), wieder einem andern die
Reden in Sachen des Apollodoros (45. 46. 49. 50. 52. 53. 59) nebst der
Rede wider Euergos und Mnesibulos (47); der Verfasser der letzten
Gruppe, vermutete er, sei wahrscheinlich Pasions Sohn Apollodoros sel-
ber. Fr. Blafs hält die Ideutität des Verfassers der Reden wider
Apaturios, Phormion und Dionysodoros für nicht ganz unwahrschein-
lich. Als den gemeinsamen Verfasser der sogenannten Apollodorischen
Reden 46. 49. 50. 52. 53. 59 — die 45. Rede gilt ihm für echt — be-
trachtet er jedoch nicht Apollodoros selber, sondern einen ungenannten
Logographen. »Diesem selben Manne, sagt er Att. Bereds. III A S.[527,
der in seinen Leistungen kaum je das Mittelmafs erreicht, gehören viel-
leicht auch die Reden gegen Euergos, Makartatos, Olympiodoros, Lakri-
tos an; die drei letzten haben jedenfalls unter sich eiuen gemeinsamen
Verfasser.« -- Der letzte Satz wird durch die vorliegende Untersuchung
Uhles bestätigt, während ihm der Nachweis, den er gegen Blafs führen
will, dafs der Verfasser der Reden 46. 47. 49. 50. 52. 53. 59 mit dem
gemeinsamen Verfasser der Reden 35. 43 und 48 nicht identisch sein
könne, trotz aller Gründlichkeit und Sorgfalt nicht gelungen ist. Von
geringem Belang und für die vorliegende Frage keineswegs entscheidend
ist das Ergebnis der ersten zwei Abschnitte (S. 7—50), worin die zehn
Reden nach der Argumentation, dem Ethos und Pathos wie nach ihrer
Disposition mit einander verglichen werden. Was soll es heifsen, wenn
die Wiederholungen in den Reden 35. 43 und 48 etwas häufiger sind
als in denen der andern Gruppe? Was über das Ethos und Pathos S. 40
Demosthenes. 227
zusammenfassend behauptet wird, steht zum Teil im Widerspruch mit des
Verfassers eigenen vorausgehenden Angaben. S- 37 findet er nämlich,
dafs der 35. Rede das Ethos gänzlich mangelt , in der 43. Rede mehr
Ethos angestrebt wird, S. 40 aber will er gezeigt haben, dafs in den
Reden 35. 43 und 48 sehr viel Ethos und Pathos sei (summos esse
effectus et compositos et concitatos). Die Entscheidung müfste also von
dem Unterschied in der elocutio abhängen; dies ist der umfangreichste
und wertvollste Teil der Abhandlung, welcher sich wieder in drei Unter-
teile gliedert: a) de ornatu (.S. 50 — 73), b) de sententiarum compositione
(S. 73 — 103), c) de singulis verbis, phrasibus, sententiis (S. 104 — 118).
Mit aufserordentlichem Fleifse geht der Verfasser alle ungewöhnlichen
und gewöhnlichen sprachlichen Erscheinungen der einzelnen Reden durch
und schafft damit, dafs er das gewonnene reiche Material übersichtlich,
wo möglich, tabellarisch zusammenstellt, eine wertvolle Fundgrube für
die Kenntnis des Sprachgebrauchs dieser Reden, aber was er eigentlich
beweisen will, wird nicht bewiesen. »Giebt es doch zwischen den beiden
Redeklassen auch Ähnlichkeiten und zwischen den einzelnen Reden der-
selben Klasse auch Unterschiede genug; und wie manches von dem, was
als Eigentümlichkeit der einen Gruppe im Gegensatze zur andern be-
zeichnet wird, ist ganz unwesentlich, rein zufällig oder der Art, dafs es
hinlänglich aus der besonderen Beschaffenheit der betreffenden Rechts-
sache, aus der Eigentümlichkeit des jeweiligen Sprechers, für den die
Rede geschrieben ward, selbst aus dem Umstände erklärt werden kann,
dafs der Logograph bei seiner Arbeit ein Glas Wasser weniger oder
ein Glas Wein mehr getrunken hat!« W. Fox in einer Rezension dieser
Schrift Piniol. Rundschau 1885 Sp. 641 -644. Eine andere, ausführ-
lichere Besprechung von II. Windel steht Wochenschrift für klassische
Philologie 1884 Sp. 1223-1229. Der inzwischen (Leipzig 1886) er-
schienene zweite Teil dieser Quaestiones richtet sich gegen A. Schäfer
und sucht darzuthun, dafs die 34. und die 56. Rede einen und den-
selben Verfasser haben, der jedoch von dem Verfasser der 33. Rede
verschieden sei.
4b) Conrad Rueger, Prolegomena in Demosthenis quae fertur
orationcm adversus Olympiodorum. Diss. inaug. philol. Leipzig 1885.
88 S. 8.
Zur Zeit , als der Verfasser diese Prolegomena zu schreiben be-
schlofs, war die Rede wider Olympiodoros noch nicht Gegenstand einer
besonderen Abhandlung gewesen. Inzwischen hat Uhle im ersten Teile
seiner Quaestiones de orationum Dcmostheni falso addictarum seriptori-
bus auch diese Rede einer eingehenderen Prüfung unterzogen, jedoch, wie
es der Zweck seiner Abhandlung gebot, mehr die sprachliche Seite be-
rücksichtigt. Es war deshalb für Rueger kein Grund vorhanden, nach
•lein Erscheinen obiger Untersuchungen seine eigene Dissertation zurüek-
lö*
228 Üemosthenes
zuhalten. Dieselbe geht im ersten Kapitel näher auf den Inhalt und
auf den Rechtsfall dei Rede ein, während im /weiten die Fra</e nach
dem Verfasser mit grofser Grundlichkeil erörtert wird. Den Sang der
Untersuchung im einzelnen anzugehen, erscheint uns hier nicht nötig,
da niemand, der sicli eingehender mit der Rede wider Olympiodoros be-
fassen will, die sorgfältige und in gewandtem Latein geschriebene Ab-
handlung unbenutzt lassen darf. Die Echtheitsfrage, wenn dieselbe nach
den Forschungen von A. Schäfer und F. BlaTs überhaupt noch zweifel-
haft sein konnte, dürfte nunmehr endgiltig gelöst sein. Im einzelnen
sei folgendes bemerkt: S. 4 wird der Titel der Rede ungenau angege-
ben, richtig S. 34. Aus § r>5 läfst sich nicht erweisen, dafs die in der
Rede, bez. Hypothesis erwähnten Brüder Kallistralos und Kallippos
nicht mit den von A. Schäfer inschriftlich nachgewiesenen Athenern
gleichen Namens identisch seien. An dieser Stelle heilst es nur, die
Frau und die Tochter des Sprechers ikallistratos) seien weniger gut
daran, als die mit reichem Goldschmuck und schönen Gewändern ge-
schmückte Hetäre Olympiodors. Wenn der Verfasser S. 42 sagt: Bcrip-
tor prooemii nostri causam quae agitur non breviter indicat, id quod
Demosthenes fere semper facit, so scheint mir das nicht ganz richtig zu
sein. Das Thema ist deutlich § 4 angegeben: dvayxatöv ia-t npbg (tpas
teystv 7ie[>\ ojv do cxoufxac bitb OXop-coocöpou. Auch der Tadel
S. 47, dafs der Epilog keine Rekapitulation enthalte, ist meines Erach-
tens unbegründet. Dieselbe ist in dem § 5G enthalten (vgl. püvov doixog
mit dem Thema der Rede), und nichts hindert, den Epilog schon mit
diesem Paragraphen zu beginnen; man vergleiche die Rede für Phor-
rnion § 57. Dann fällt auch der weitere Tadel, welchen Rueger S. 86
nach Blafs gegen den besonders schlechten Übergang zum Epilog er-
hebt. Überhaupt ist der Verfasser in seinem Eifer, Fehler und Nach-
lässigkeiten in der Rede aufzufinden, hier und da zu weit gegaugeu.
Dagegen ist die Schwurformel § 2 fiä rbv Ata rbv päycarov S. 47 nicht
genügend hervorgehoben; vgl. R. Kühnlein, De vi et usu precandi et
iurandi formularum apud decem oratores Atticos S. 33 und 74. Das
Verbum auvEmpeXaTaBat (S. 48) findet sich auch Pseudodem. 49, 40. S. 51
hält es Rueger für wahrscheinlich, dafs 43, 20 der Optativ ivo^XocujV
ausgefallen sei. Ich möchte vielmehr in unserer Rede § 7 £vo%Xoa]v für
ein Glossem zu npayfiara nape^otpu halten. S. 65 ff giebt der Verfasser
eine sehr sorgfältig angelegte Beispielsammluug zu der sogenannten figura
etymologica. Hier ist nachzutragen Ijj-oopyiaq Xjjroupyziv 20, 21, nofy-
aiv noisto&ai (nicht noczlv) 39, 20, Tzpdypa oiaxpaT~z<j$ai 22, 42, utm-
ayiaecg umayvsiaBat [7,] 33, if>rj<piopa ipytyt&o&at 20, 84 und [13] 33.
Von Druckfehlern erwähnen wir nur S. 43 Z. 1 inartificialis statt artifi-
cialis und S. 65 ixnXoüv statt ixitXouv.
Demosthenes. 2*29
49) Georg Hüttner, Demosthenis pro Phormione oratio adno-
tatione critica instructa et comraentario explanata. Diss. inaug. Er-
langen 1885. 104 S. 8. (Auch in den Acta semiuarii philol. Erlan-
gensis IV S. 59 — 160.)
Es ist in hohem Grade auffallend, dafs »die gefeiertste aller Pri-
vatreden des Demosthenes«, wofür die Einrede für Phormion gilt, bis-
läng weder kritisch noch exegetisch in einer Spezialarbeit behandelt
worden war; und doch konnte dies schwerlich für überflüssig oder zweck-
los gehalten werden. Zwar hat J. E. Sandys im zweiten Teil seiner
Select private orations of Demosthenes (Cambridge 1875. Zweite Auf-
lage 1886) auch diese Rede mit einem sehr sorgfältigen Kommentar
versehen; vergl. F. Blafs in diesem Jahresberichte XXI (1880. I)
S. 199 — aber diese Ausgabe ist in Deutschland sehr wenig gekannt
und wurde leider auch von dem Verfasser obiger Dissertation nicht be-
nützt. Letztere zerfällt, wie schon der Titel besagt, in einen kritischen
und iu einen erklärenden Teil. Vorausgeschickt ist ein längerer Ab-
schnitt über die Beziehungen Phormions zu Apollodoros, über die Dis-
position, die Vorzüge und Zeit der Rede. Ein Anhang enthält das Wis-
senswerteste über die athenischen Bankiers und deren sociale Stellung.
— Aus der Adnotatio critica heben wir hervor: § 7 seien die Worte
napy olg al dia&r/xou xelvzai interpoliert, § 13 xal u>g ~o damdor.^yslov
sc2sto mit H. Schäfer zu streichen , § 30 xal kzipiov tiXsiiu xz^craa&at
verdächtig und wohl zu streichen , desgleichen § 43 xal Jjv ipcurrjascv
eprjaHa, nüftev rä ovra xekTyrat <ßopp.ca>v, § 48 w? iysvszo fJaac'iov
'Ap^sazpdrou und § 61 xal xaxoh>yfr § 47 ist oia zu streichen, z^g
toütojv <piXav$pa>mag hängt von dnoXaijaag ab; es wäre dies die einzige
Stelle bei Demosthenes, wo dnoXaüetv absolut gesetzt wäre; vgl. Rueger
S. 57. § 8 wird mit Reiske der Lesart zouzoig igsXövzag rag dvrefiotr
ptag der Vorzug gegeben, § 34 cog d. /xsv, § 36 rä f/fifoea vorgeschlagen ;
zu den bereits angeführten Stellen füge ich hinzu Pseudodem. 48, 8;
Isae. 6, 38 und 11, 50, wo die Handschriften und die Herausgeber jy/x/-
nsa bieten. § 55 ist wohl hinter rpönov mit Reiske Xtye einzusetzen.
§ 56 wird "l&i drj xal rag zrjg Tiovrjptag vermutet, § 60 Xoyoog statt Xöyov
mit Reiske verlangt. § 45 hatte der Verfasser unabhängig von Cobet
nepcdyet statt des handschriftlichen mptäyetg vermutet nach Xen. Mem.
l, 7, 2. An einer andern Stelle, Cyrop. 2, 2, 28 liest Breitenbach nach
den Handschriften ■mfxdyetg^ Diudorf Ttspcdyse ex Zeunii coniectura. End-
lich steht Paulus 1. Korinth. 9, 5 dnskiprjv yovalxa zsptüyztv. AuI'mt-
dem glaubt der Verlässer Dem. 37, 35 das Verbum npoarjxst (zu § 25)
und 45, 33 die Worte xal oimxo'ivza (zu § 7) als Interpolationen strei-
chen zu müssen. Eine kurze Besprechung der Dissertation von W.
Nitschc steht Berliner philol. Wochenschrift 1886 8p. 679 f,
230 Demo thene
50) Karl Zink, Adnotationes ad Demosthenie oratiooem in Co-
iiouem. Diss. inaag. Erlangen 1883. 30 S. 8. (Auch in den Acta
scminarii philol. Erlangensis III S. 76 102.)
Die mit grofser Sorgfalt ausgearbeitete Dissertation enthalt mehr,
als ihr Titel erwarten läfst. Die Adnotationes machen Dämlicb nur die
zweite Hälfte der Schrift aus; in der ersten kommen einige schwierige
Fragen des attischen Strafprozesses zur Erörterung: Über den Begriff
der ßoüteoocQ und die Zuständigkeit der ypwffy ßoujLeöaewe, über Dem.
w. Konon § 28 et yap äxihavov, nap' ixeivotg (z<ng i~ 'Apetou ndrou)
äv rjv rj olxrj und § 25 el na&ecp tl fiot auvdßjj, <p6voo xo). vZv dsr/ozd-
tujv &v rjv unooexog, endlich über die ypatffy Zßpetog. Mit Recht ver-
wirft Zink die Ansicht Forchhammers und Philippis, dafs die ypa<ptj
ßooXeöaeujg überhaupt nicht beim Areopag angestellt wurde, wenn auch
die Unterscheidung der ßouXzuatg, die er selbst aufstellt, und deren Be-
gründung nicht unanfechtbar ist; vgl. hierüber W. Fox Philol. Rund-
schau 1885 Sp. 259 ff. Neuerdings wurde dieselbe Frage behandelt von
J. A. Heikel, Über die sogenannte ßouXeumg in Mordprozessen, Hel-
singfors 1886 und von W. Passow, De crimine ßouAeüaewg, Diss. von
Göttingeil 1886. — Dem. 54, 25 ist igißate wohl richtiger mit Zink von
der Verbannung zu verstehen als von der Ausstofsung aus dem Areo-
pag; letztere Ansicht wird neuerdings vertreten von Lipsius, Att. Pro-
zefs S. 247 und 377 und von Sandys in der unter voriger Xo. erwähn-
ten Ausgabe, welche dem Verfasser ebenfalls, wie aus den Adnotationes
ersichtlich ist, unbekannt geblieben war. Richtig ist jedenfalls , was er
im dritten Abschnitt über den in der Midiana § 48 überlieferten vupog
zrjg ußpewg sagt: Haec lex etiamsi non iutegra est, tarnen partes eius
quae restant genuinas esse censeo, ebenso dafs § 25 derselben Rede die
Negation xae der Verbindung von o-qpooiq xpiveiv auzbv und ziprtjm
endyeiv nicht im Wege steht. — Die Adnotationes, bis auf zwei (zu § 1,
wo die Konstruktion von eyxakeTv mit Genitiv durch Dem. 36, 9 geschützt
wird, und § 14 xazaaxeudaet) exegetischer Natur, haben offenbar den
Zweck , den Kommentar Westermanns zu ergänzen. § 5 konnte mit u>g
rjfiäg ecffeirrjSrjaav auch Dem. 21, 22 elan^o^aag Ttpög pe vuxzojp Msco/ag
und 21, 78 elazrLTjdrjaav äSeX<fbg o zoözou xal ouzog elg zrjv olxi'av an-
geführt werden; zu § 14 epzlv tug eialv . . . xa\ 8y xal rbv oluv zbv
kaozoü eevat zobzeuv Iva ist jetzt Kariowa, Bemerkungen zum Sprach-
gebrauch des Demosthenes S. 1 zu vergleichen. Dem. 18, 47 ist zoze
8r/, zoze xal piael eine Epanadiplosis oder Epizeuxis, durfte also nicht
mit der Anapher des § 28 unserer Rede verglichen werden; vgl. hier-
über Straub, De tropis et figuris S. 114 f. Bei den Citaten aus De-
mosthenes wird nur selten auf die Echtheit, bez. Unechtheit der Reden
Rücksicht genommen: Die 47. und die 58. Rede werden zwar zu § 1
und § 35 durch ein Fragezeichen, bez. Klammern als unecht bezeichnet'
Demostlieues. 231
nicht aber zu § 36 und § 1. Bei einem Citat der 44. Rede steht § 2
ein Fragezeichen, dagegen wird § 13 eine Stelle der 10. Rede, § 3 eine
der 32. Rede, § 1. 7. 11 Stellen der 48. Rede und § 2. 7 Stellen der
53. Rede angeführt, ohne dafs die Unechtheit derselben irgend bezeich-
net wird.
51) Paul Uhle, De prooemiorum collectionis quae Demosthenis
nomine fertur origine. Programm. Chemnitz 1885. 29 S. 4.
Wenn es im allgemeinen ein gewagtes Unternehmen ist, lediglich
auf Grund sprachlicher Beobachtungen über die Echtheit einer Schrift
entscheiden zu wollen, so mag dies doch in dem Falle hinlänglich ge-
rechtfertigt erscheinen , wenn eine derartige Untersuchung nur das Ur-
teil eines anderen näher begründen und bestätigen soll. Uhle teilt näm-
lich hinsichtlich der demosthenischen Proömiensammlung durchaus die
Ansicht von Blafs. Einleitungsweise giebt er eine gedrängte Übersicht
der verschiedenen Meinungen neuerer Gelehrten über die vorliegende
Frage. Hier konnten noch erwähnt werden L. Ranke in Ersch und
Grubers Encyclopädie Bd. XIV s. v. Demosthenes, Böckh Staatsh. d.
Athener I 3 14 f., Heitz in 0. Müllers Gesch. der griech. Litteratur II 2
S. 371, Boehnecke Forschungen S. 259 f., Westermann Gesch. der
Bereds. I 109 und 306, E. Müller Ausgewählte Reden des Demosthe-
nes 1875 S. 431. — Von den drei Kapiteln, in welche die Abhandlung
zerfällt, handelt das erste De prooemiis. quae conveniuut cum prooemiis
orationum Demosthenicarum, de singulis locis, sententiis, locutiouibus,
verbis verborumque structuris. Hier mufsteu die fünf Proömien, welche
fast wörtlich mit Exordien demostheuischer Reden übereinstimmen, voll-
ständiger abgedruckt werden, wenn anders sämtliche Abweichungen an-
gegeben werden sollten. Auch das sich daran anschliefsende Verzeich-
nis der Stellen und Gedanken, deren Wortlaut in den Proömien und in
den echten Reden des Demosthenes ganz oder teilweise übereinstimmt,
wäre noch einer bedeutenden Ergänzung fähig; vgl. die Rezension von
W. Nitsche Berliner philol. Wochenschrift 1885 Sp. 1419 f. und das
Programm von S. Reich euberger, Demosthenis de collectione prooe-
miorum, Landshut 1886 S. 23-33. Es folgt S. 6 — 22 ein mit grofsem
Fleifs angelegtes Wörterverzeichnis. Aber wenn der Verfasser damit
den Beweis geliefert zu haben glaubt nullam rcpcriri in prooemiis loeutio-
nem, quae non sit usurpata etiam a Demosthene, nullam vocem, quam non
possis etiam invenire in veris ac probatis summi Graecorum oratoria oratio-
nibus, nullam structuram, quae sit aliena Demosthenis sermoni - , so be-
findet er sich in einem grofseu Irrtum. Denn wir Bachen in dem Wör-
terverzeichnis gerade solche Ausdrücke und Wörter vergebens, die sich
nicht durch Parallclstellcn aus Demosthenes belegen lasscu oder die
sonst zu Bedenken Anlafs geben, wie dve%ecv und dtaXehtew pr. 41 (nach
Dindorfs Oxforder Ausgabe 1846), dpuAaxroc pr. 43, ßeßafout rät >,
232 Demosthe
pr. 39, womit Epist, III 2.°» zä; avfi<poph<, ßeßa/oue zu vergleichen, da-
gegon l, 7 ßeßaUav zrjv ty&pav und 10, LO elprjvrjv . . . ßeßaiav\ ixrte-
nhyyfievae pr. 39, xXivetv pr. 41, xoivtoveiv pr. 25, Aayft^v douvat pr. '_'.
napaZevyvij/j.Evot aiftcs>.\> pr. 55, napouata pr. 33 and 89, npooonivecv pr. 25,
ovvsyr^ pr. 55, rf'>/j.7:oÄ!ZEÜcöiia! pr. 21, jj //srä ror> %p6voo ßdaavoQ pr. 49,
womit Lutz (die Präpositionen bei den attischen Rednern, Programm
von Neustadt a. d. II. 1887 S. 84) Ant. V 71 //crü ro5 %p6vou ßcuravf-
Zeiv ra 7:pdy/j.a7a vergleicht, ferner TtepoJvetv n twi/ noi WoD pr. 34
(Lutz S. 61), cwff efc fltxpörarov au^äyowzz; pr. 36, raOr' iv ^oovr ""«"-
t£*i* owft' fi/üv pr. 28. Auch r>£yza>i'i.> -ni> navrög pr. 33, //erä xöfT/x'j'j
xa\ fftpjs axohaat pr. 4, Xiyziv jieza ßpa%ew\> Xoytov pr. 5 und //srü
zrjg (vjz^q yvwj).rtQ axo'jetv z>. pr. 25 (Lutz S. 86) sind ohne Beleg-
stellen. Kürzer und von geringerer Bedeutung sind die Untersuchun-
gen des zweiten Kapitels: de ornatu prooemiorum und des dritten: de
compositione. Der Hiatus ist meistens vermieden, auch das rhythmische
Gesetz beobachtet. Einige Stellen sucht Uhle durch Umstellung der
Wörter zu heilen. Gleicherweise zeigt der Gebrauch des substantivier-
ten Infinitivs und des absoluten Particips keine Besonderheiten. Die
äufseren Gründe, welche S. 27 für die Echtheit angeführt werden, mit
denen Uhle den Zweiflern jeden Skrupel zu benehmen hofft, waren be-
reits von A. G. Becker, Blafs u. a. vorgebracht worden. Viel gründ-
licher hat R. Swoboda, De Demosthenis quae fertur prooemiis, Wien
1887, diese Frage untersucht.
52) Albert Neup er t, De Demosthenicarum quae feruntur epi-
stularum fide et auetoritate. Diss. inaug. philol. Leipzig 1885. 78 S. 8.
Die Frage, ob die uns erhaltenen demosthenischen Briefe echt
sind oder nicht, gehört zu denen, auf welche sich nicht leicht eine be-
stimmte Antwort geben läfst; daher denn auch die Ansichten der Ge-
lehrten hierüber bis in unsere Zeit sehr geteilt waren. Während A.
Schäfer sämtliche Briefe für unecht erklärte, hält F. Blafs an der
Ansicht fest, dafs die umfangreichsten und bedeutsamsten Stücke der
Sammlung, der zweite und dritte Brief, jedenfalls dem Demosthenes an-
gehören; der kürzere erste Brief scheint ihm wenigstens kein vollende-
tes Werk desselben zu sein. Den vierten und fünften Brief hält er für
unecht; über den sechsten lasse sich bei der aufserordentlichen Kürze
desselben nicht urteilen. Es verdient somit Anerkennung, dafs Neupert
die schwierige Frage durch eine nochmalige Untersuchung, besonders in
sprachlicher Hinsicht, und durch Abwägung der Gründe und Gegen-
gründe ihrer Lösung näher zu bringen gesucht hat. Dafs dieselbe nuu-
mehr wirklich gelöst ist, will dem Referenten mehr als zweifelhaft er-
scheinen. Das Ergebnis der Abhandlung stimmt in der Hauptsache mit
A. Schäfers Urteil überein: Spero fore ut epistulas a Demo^fhene abiu-
dicandas esse peritioribus persuadeam (S. 77); weniger entschieden S. 47:
Demosthenes. 233
Reliquum est, ut de epistularum sermone disseramus; quo facto non
minus quam ex iis, quae adhuc protulimus, intellegi posse existimo epi-
stulas vix posse Demostheni vindicari. Selbstverständlich handelt es
sich hauptsächlich um den zweiten und dritten Brief, nicht nur wegen
des gröfseren Umfangs, sondern auch, weil diese bei weitem die vorzüg-
lichsten sind. Von untergeordneter Bedeutung für die Entscheidung
sind die Zeugnisse aus dem Altertum. Die Rhetoren wie die Gramma-
tiker, welche auf die Briefe Bezug nehmen, sprechen nie einen Zweifel
an der Echtheit derselben aus. Dafs Cicero übrigens gerade unsere
Briefsammlung gelesen hat, läfst sich ebenso wenig beweisen als das
Gegenteil. In der Überschrift der an den Rat und das Volk von Athen
gerichteten Briefe vermifst Neupert ohne Grund den Zusatz vaiv \M)rr
vaciov. Unrichtig ist auch, dafs man unter i] ßouty bei den attischen
Schriftstellern mit Ausnahme des Deinarchos und Hypereides immer
den Rat der Fünfhundert zu verstehen habe. Ich verweise nur auf die
7 Rede des Lysias. Auch der Inhalt des zweiten und dritten Briefes,
welcher S. 16 ff geprüft wird, liefert keine sicheren Indicien der Unecht-
heit. Der Verfasser der Briefe bekundet, wie auch Neupert zugesteht,
eine respektable Kenntnis der demosthenischen Zeit. Dagegen werden
S. 26 ff. mehrere Entlehnungen und Anklänge an andere Stellen hervor-
gehoben, auch das Bestreben getadelt, das Mitleid durch rhetorische
Mittel zu erwecken: die Briefe seien Reden in Briefform. Dafs der
Briefschreiber zweimal (II 10 und III 25) aus der Rolle gefallen sei,
kann Referent nicht finden. Ungleich wichtiger ist die Beobachtung,
dafs sowohl in einzelnen Wörtern als auch im Gebrauch der Präposi-
tionen und der Schwurformeln manches gegen den sonstigen Sprachge-
brauch des Demosthenes verstöfst. Doch bedarf gerade dieser Teil der
Abhandlung mehrfach der Ergänzung und Berichtigung. Für die Schwur-
formeln konnte das Programm von R. Kühn lein, De vi et usu pre-
candi et iurandi formularum, Neustadt a. d. H. 1882, benützt werden;
für die Präpositionen ist jetzt L. Lutz, Die Präpositionen bei den atti-
schen Rednern, Neustadt a. d. H. 1887, zu vergleichen. Wörter, welche
auch in den echten Reden des Demosthenes vorkommen, werden unter
die Raritäten gerechnet, wie fiia<fu?.v.T7£iv, iy-xaraXetnetv, er>£f>xz7ttJ jioi,
ddöpeo&at, das sieh auch 18, 41; 21.95; 36, 36; 37,48 findet, napeara-
rae fioi, nepmtmeiv, s'Xu^c'a, ^ffa, npo7t^Aax«Tp6{, nXiov oöSiv ianv;
dagegen werden 86&)Q imToyiävu) V 3, Xetxtöq II 20 und dSuvqpöe II 15
nicht erwähnt; auch //.et« r^c dpz&ije r6%ije I 1(5 scheint nach Lutz
S. 82 ungewöhnlich, äxoxft'veatla! mit dem Infinitiv III 16 ist nach Kar-
Iowa (oben No. 4) S. 2 eine vereinzelte Verbindung. Auch die Auf-
zählung der substantivierten Infinitive S. 71 ist nicht ganz vollständig.
Die Entstehung dov Briefe verleg! Neupert in eine Zeit, in welcher
die Prinzipien des demosthenischen Stils im ganzen noch im Bewufst-
sein lebten. Doch nimmt er nicht für alle sechs Einen Verfasser an.
234 Demostheues. Aischines.
wie H. Landwehr in der Besprechung der Dissertation Wochenschrift
für klass. Philologie 1880 Sp. 378 aogiebt, sondern nur für die drei
ersten. Üher den vierten und sechsten Brief äufsert er keine bestimmte
Ansicht; den fünften aber schreibt er einem andern Autor zu. Vergl.
auch W. Nitsche Berliner philo!. Wochenschrift 1887 Sp. 230 — 234,
der eine gröfsere Anzahl Entlehnungen oder Anklänge an echte Reden
des Demostheues nachträgt, von denen freilich manche recht geringe
Ähnlichkeit haben.
A i s c h i n e s.
53) G. F. Unger, Zu Aischines. Philologus XLI (1882) S. 159
bis 161.
Unger weist hier auf den Widerspruch hin , in welchem die aus
den Historikern geflossenen Berichte über die Vorgänge in Makedonien
nach dem Tode Alexanders II. im Jahre 368 mit der Darstellung des
Aischines de fals. legat. 26 ff. stehen, und nimmt deshalb im Texte des
Redners hinter den Worten 'Ate£;ävdpou toü TTpsaßord-oo zöjv äos/yaiv
eine Lücke an, welche er dem Sinne nach durch ne/A ~obg UXXuptobg
dcr/oXorj/idvou ergänzt.
54) Joh. Adam, De codieibus Aeschineis. Diss. iuaug. Berlin
1882. 46 S. 8.
55) Wilhelm Hardt, De Aeschinis emendatione. Diss. inaug.
Halle 1882. 66 S. 8.
Beide Dissertationen bringen schätzenswerte Beiträge zur Lösung
der schwierigen Frage nach dem Verhältnis der zahlreichen Aischines-
Handschriften zu einander und dem Wert der einzelnen Klassen und
Handschriften. Den Weg zur richtigen Klassifizierung hat Weidner
gezeigt, der zunächst für die dritte Rede des Aischines drei Klassen
unterschied: eklh = A, agmn = B und eine aus A und B kontaminierte
Klasse = M. Während demnach für die Textgestaltung nur zwei Klas-
sen in Betracht kämen, wies Büttner, Quaestiones Aeschineae, de co-
dicum Aeschinis generibus et auetoritate, 1878 (vergl. Blafs in diesem
Jahresbericht XXI (1880. I) S. 205 f.) nach, dafs die von Weidner ver-
worfenen Handschriften d f Barb. nicht aus A und B kontaminiert, son-
dern aus einer selbständigen Quelle geflossen und für die Rezension
des Aischinestextes nicht ganz wertlos seien. Büttner unterschied des-
halb drei selbständige Klassen A B M. Beide Aufstellungen verwirft
Adam, dessen Untersuchung übrigens nicht nur auf die Rede gegen
Ktesiphon beschränkt ist, sondern hier auch die Stellen aufser acht
läfst, an denen die Handschriften abweichende Wortstellungen bieten.
Adam hat durch Zählung gefunden, dafs die Handschrifteuklasse A an
Aisehines 235
etwa 500 Stellen, M an 66 Stellen und B an 9 bis 10 Stellen eine eigene,
von allen andern Handschriften abweichende Lesart biete, und zieht dar-
aus den Schlufs, dafs A nicht blofs eineu selbständigen, sondern auch
von allen übrigen Handschriften durchaus verschiedenen Ursprung habe.
Nach ihm zerfallen also die sämtlichen Handschriften in zwei Klassen:
A = e(h)kl uud C = ceteri Codices. Es fragt sich nun vor allem:
Was hat man von den -Stellen zu halten, an denen A von C abweicht?
Denn durch reinen Zufall, meint Adam, könne eine so beträchtliche Zahl
abweichender Lesarten nicht entstanden sein. Die Untersuchung dieser
Frage bildet den Inhalt der Abhandlung Adams. Aus den der ersten
Klasse eigentümlichen Fehlern geht hervor, dafs der Schreiber des Arche-
typus — auf diesen gehen nämlich die gemeinsamen Fehler zurück —
den Text nicht verstanden oder einfach Wort für Wort gedankenlos ab-
geschrieben habe. Die so entstandenen Fehler, wie das Überspringen
einzelner Wörter, die Verwechslung der Endsilben saßac und sr«.', seien
dem Aischines ungleich weniger verderblich gewesen als die Fehler der
Klasse C, deren Text von einem Grammatiker willkürlich geändert und
verderbt worden sei. Diese Änderungen erstrecken sich auf die Ver-
tauschung der Personen des Verbums , von r^ziQ und ufxsTg . besonders
auf die Vertauschung der Partikelu, Einsetzung von Pronomina, Ad-
verbia, Präpositionen, xcu, Wörtern, welche aus dem Vorausgehenden in
Gedanken zu ergänzen sind Auch der umgekehrte Fall kommt vor,
wiewohl seltener, dafs A ein oder mehr Wörter bietet, die in C nicht
stehen. Ein grofser Unterschied in den beiden von Adam aufgestellten
Klassen zeigt sich auch im Gebrauch des Artikels. An vielen Stellen
hat ferner C ein anderes Wort als A, eine andere Präposition, das Ver-
bum simplex für das compositum und umgekehrt, einen anderen Nume-
rus, ein anderes Tempus oder Genus verbi, was au zahlreichen Beispie-
len nachgewiesen wird. Eine Besprechung mehrerer Stellen, die der
Schreiber des Archetypus C durch Aufnahme einer Erklärung oder in
anderer Weise verderbt habe, bildet den Schlufs der sorgfältigen Ab-
handlung. Mag man auch im einzelnen dem Verfasser öfter nicht
beipflichten, da die Entscheidung für die eine oder die andere Lesart
vielfach recht schwierig ist, so wird man sich doch unbedenklich seinem
Endurteil anschliefsen, dafs die Klasse A (in der dritten Rede) im all-
gemeinen gröfseres Vertrauen verdient als die Klasse C; da sie aber
an mehreren Stellen lückenhaft und auch sonst nicht frei von Fehlern
sei, die von der Nachlässigkeit des Schreibers herrühren, so müsse mau
auch die Klasse C zu Rate zu ziehen, jedoch mit Vorsicht, damit mau
nicht die Emendationen des Grammatikers für echte Lesarten halte.
Hardt, dem bereits Adams Dissertation vorlag, geht im ersten
Teil seiner Untersuchung näher auf den Wert der ein/einen Hand-
schriften ein. Indem er die Einteilung sämtlicher Handschriften in die
zwei Klassen A und C acceptiert, sucht er zu erweisen, dafs cod. u. der
236 üschine
Klasse A allein aus dem Archetypus abgeschrieben Bei, während olh auf
eine sehr schlechte Abschrift von A zurückgehen. Von den codd. ein
verdiene e, nach Weidner der beste, da, wo er eigene Lesarten biete,
gar kein Vertrauen. Die Prüfung der Stellen, an denen die Familien
B und M der Klasse C abweichende Lesarten haben, ergiebt, dafs M
zwar mehr Fehler habe als B, jedoch weniger willkürliche Änderungen.
Für die zweite Rede statuiert Ilardt dasselbe Verhältnis der Hand-
schriften, dieselben zwei Klassen A = ekl und C, welche M und I> nm-
fafst, letztere weit mehr interpoliert. Über die erste Rede äufsert er
sich sehr kurz S. 39. — Im zweiten Teil erörtert er die Frage, wie die
Kritik da zu verfahren habe, wo die Lesarten von A und C hinlänglich
feststehen, und bespricht zum Schlufs die Stellen, die Weidncr für inter-
poliert hielt und die ihn zu Streichungen veranlafsten.
56) Theodor Freyer, Quaestiones de scholiorum Acschineorum
fontibus cum epimetro de Aelii Dionysii et Pausaniac atticistarum
formulis ol tto.Xo.iol, TMpa toTq nakacoTg, xaza rou* naXaiooQ. Diss.
inaug. Leipzig 1882. In den Leipziger Studien V S. 237—392.
Über den Ursprung und die Quellen der Aischines-Scholien schie-
nen nach der Abhandlung von Ferdinand Schultz in den Jahrb. für
klass. Philologie 93. Band (1866) S. 289 — 315 die Akten geschlossen.
Fr. Franke hatte sich über diese Abhandlung in denselben Jahrbüchern
93 S. 595—607 sehr anerkennend ausgesprochen. Freyer dagegen sagt:
Plane omittenda in hoc genere sunt, quae de origine scholiorum Aeschi-
neorum disputavit F. Schultz 1. 1., qui de principali eorura fönte, i. e.
de lexicis atticistarum nihil omnino cognitum habuit. Woher hat Freyer
diese neue Erkenntnis genommen? Den Weg bat ihm Ernst Schwabe
gezeigt, welcher in seinen Quaestiones de scholiorum Thucydideorum
fontibus, Leipzig 1881, sichere Gesetze aufgestellt habe, wie die Frag-
mente der Attikisten aus den Lexikographen zu bereichern seien, haupt-
sächlich aus Photios, Suidas, Eustathios, Hesychios, Bekkers Anekdota
und den Scholiasten. Nun werden freilich die Attikisten nur einmal in
den Scholien des Aischines (zu I 89) als Quelle genannt, und es galt
vor allem zu erweisen, dafs man hier unter ol 'AzTcxtazat nur die bei-
den Attikisten Ailios Dionysios und Pausanias zu verstehen habe. Diesen
Beweis hat der Verfasser, so sehr er sich bemüht, nicht erbracht. Re-
ferent ist auch nicht überzeugt worden, dafs der Zusatz <Jjg <paatv ol
'Arrixcarac sich auf das ganze Scholion beziehe. Da aber auf diese eine
Stelle fast die ganze, übrigens sehr fleifsige Untersuchung sich stützt,
so sind die wirklich gesicherten Resultate ziemlich unbedeutend, und es
ist sehr zu bedauern, dafs der Verfasser so viel Fleifs und Gelehrsam-
keit an eine so haltlose Sache gewendet bat. Wenn auch die rhetori-
schen Lexika der Attikisten eine Hauptquelle des Photios, Suidas, Eusta-
thios und der Bekkerschen Lexika sind, so berechtigt doch dies noch
Aischines. 237
nicht zu dem Schlüsse, dafs alle Scholien des Aischines, die mit Glossen
dieser Lexikographen mehr oder weniger Übereinstimmung zeigen, aus
Ailios Dionysios und Pausanias abgeschrieben oder exzerpiert sind. Vgl.
auch L. Cohn im Piniol. Anzeiger XV (1885) S. 49ff.
57) Georg Guttmann, De oratione, quae Aeschinis Ctesipbon-
teae cum eius commentariis intercedit, capita duo. Diss. inaug. philo!.
Breslau 1883. 45 S. 8.
Unter commentarii sind hier die verschiedenen Entwürfe, bez. Be-
arbeitungen der Ctesiphoutea zu verstehen, deren der Verfasser (mit
andern Gelehrten) drei annimmt: Der erste Entwurf sei bald nach der
Anklage 336 angefertigt, eine Bearbeitung desselben sei die sechs Jahre
später vor den Richtern gehaltene Rede; endlich habe Aischines die
letztere vor der Veröffentlichung in seiner freiwilligen Verbannung noch
einmal unter Benützung der demosthenischen Rede (anders Weidner,
Aeschines' Rede gegen Ktesiphon 1878 S. 14) erweitert und überarbeitet.
Der Zweck der Abhandlung ist nun, die Spuren dieser verschiedenen
Bearbeitungen in der uns erhalteneu Rede nachzuweisen, und zwar han-
delt das erste Kapitel über § l -31, das zweite über § 32 — 48. Am
eingehendsten beschäftigt sich der Verfasser mit dem ersten Teile, weil
nur in diesem Spuren von allen Bearbeitungen deutlich zu erkenneu
seien; der andere Abschnitt (§ 32 — 48) scheint ihm ganz dem ersten
Entwürfe anzugehören. Die Beweisführung ist mehr blendend als rich-
tig und zuverlässig. Sie geht von § 31 aus, woselbst der Redner eine
Rekapitulation des bisher Gesagten geben will. Diese enthält nach Gutt-
mann in den Worten 6 pkv votwd4v^g . . . dy/xoad-evyv die Zusammen-
fassung von § 13 — 16 und § 28-30; die folgenden Worte irepos . . .
eü&öväs beziehen sich auf § 9—12. Somit sind zwei sehr wichtige Ab-
schnitte, § 17 23 und § 24 — 27, ganz übersehen. Diese gehören also
einer späteren Bearbeitung an; und zwar sei der Abschnitt § 17 23,
welcher ein sogenanntes vaticinium ex eventu enthalte, erst bei der
dritten Bearbeitung hinzugekommen, der andere Abschnitt § 24 — 27
kurz vor der Verhandlung. Nun heifst es aber § 31 weiter iyw Sk
i^eXsy^u} tö nrxfjdvo/jLov (idprupas äpa ~oug vöpoug xal :« d>7)wtapara
xal zoug dvzcdc'xou* nape%6p.evoQ. In den £§ 9 12 und 28 30,
die aufs er § 31 allein schon in dem ersten Entwürfe gestanden haben
sollen, ist von dem Zeugnisse der Dekrete und der Gegner nicht die
Rede, vielmehr enthalten die bezeichneten Worte, wie auch der Ver-
fasser zugesteht, eine deutliche Beziehung auf § 27. Sie sind dun des-
halb erst später hinzugefügt worden. Dieselbe Ansicht hat er wohl auch
von der späteren, ausführlicheren Rekapitulation §208 f., von der er
durchaus schweigt. Dafs die Worte dieser Stelle x<r. ras iaoitevae npbs
xwjrn. npopdaetc etnov auf § 24 njoog fikv quv rät xeväe itpopdffsts ''-■
ohxot npopaoiouvTcu zurückweisen, läfsl sich jedenfalls nicht in Abrede
'238 Aisehini's.
stellen. Die erste xzvrj izpö<paatq aber ist § 17—23 widerlegt, gegen die
lindere (ßrepöv ro/a Xöyov § 18) wendet sich der Redner § L8 L6 (vgl.
unten No. <;o)- Übrigens gehören die §§ 17 — 23 notwendig zu dem Be-
weise, dal's Demosthenes rechenschaftspflichtig war: !> nk ;>/,-<»/> y£ypa<pz
■zov uneö&uvov oxeyavöOv § 31. Noch weniger Bind die weiteren Hy-
pothesen bewiesen, dal's das vorhandene Proömium im Jahre 330 ver-
fallt und an die Stelle eines älteren getreten Bei, und dafs die §§ 13 — 16
erst vor der Heraasgabe der Rede einverleibt worden Beien. Schwer
begreiflich ist es, wie der Verfasser einen Beweis für die Richtigkeit
seiner Annahme darin finden kann, dafs die Präsentia gerade in den
Stellen vorkommen (§§ 14. 17. 23), die er nach der Verhandlung ver-
fallt sein läfst. Alles in allem kann Referent nicht zugeben, dafs die
Frage nach den verschiedeneu Redaktionen der Ktesiphontea durch diese
Schrift irgendwie gefördert wurde. Auch über die Darstellung kann er
kein günstiges Urteil fällen; zum mindesten sollten Fehler wie incre-
passet und das oft wiederkehrende int'uisse vermieden sein.
58) M. Schanz, Zu griechischen Prosaikern. Rhein. Museum
XXXVIII (1883) S. 138-142.
Darin werden S. 140—142 zu folgenden Stellen des Aischines Ver-
besserungen vorgeschlagen: I 172 wird die handschriftliche Überliefe-
rung änoxpr^zig verteidigt; I 175 sei xae vor Stegcovra zu tilgen (wohl
nicht nötig), desgleichen I 176 dv-trzzdydat xae; npog tuöto. bedeute
ujg zoütojv oo~a>g iydvrcov, ojg wo' e~/6v~u>v. — III 14 und 52 ist Jrr
poatiiv^g als Interpolation zu streichen. An der ersteren Stelle hatte
bereits W. Fox (Kranzrede des Demostheues S. 310) die Tilgung des
Namens drjpocrttevrjg verlangt, an der zweiten hatte ihn bereits Weid-
ner getilgt.
59) G. Leue, ElprjVocpüXa-. Philologus XLII (1884) 8. 608— 614.
Aischines erhebt Ctesiph. § 159 unter anderem den Vorwurf gegen
Demostheues, dafs er, nachdem ihn die unverhoffte Rettung des Staates
nach Athen zurückgeführt (nach der Schlacht bei Chaironeia), zum Frie-
densrichter gewählt werdeu wollte: zcpr/vu^ü?Mxa upäg abzov zxzXzuz
yetjjozovsiv. Was hier unter eipr]Vo<p6Xa<; eigentlich zu versteheu sei,
weifs kein Erklärer des Aischines mit Sicherheit anzugeben.
Weidner hat wegen der verschiedenen Stellung des Pronomens
auTuv (so die Handschriften) mit dem cod. e das Pronomen gestrichen,
die Sache selbst aber als unbekannt bezeichnet. Es verdient darum
jeder Versuch, das Dunkel aufzuhellen, Anerkennung. Recht klar wird
die Sache freilich auch durch Leues Erklärung nicht: In der pseudo-
demosthenischen Rede nspl zwv rtpog 'AXz^avopov ouv&yxcuv § 15 ist von
zwei Behörden die Rede, welche nach der Schlacht bei Chaironeia über
die einzelnen Städte, die an der xotvrj slpyvy Teil hatten, gesetzt worden
Aischines. 239
waren ; die eine das »Synedrion«, die andere »die auf geraeinsame Wacht
Gestellten«. Da auch diese Einrichtung zu politischen Zwecken ausge-
nutzt worden sei, so hätten beide Parteien, die makedonische und die
patriotische, mit einander darnach gerungen, Leute aus ihrer Mitte in
das Synedrion, in das Kollegium der ine zfj xoivfj <puXaxfj zszaypivoi zu
bringen. »Die letzteren waren, wenn sie, wie wahrscheinlich ist, die
Befugnis hatten, die einlaufenden Beschwerden nach vorläufiger Beratung
entweder anzunehmen oder abzulehnen, dadurch sehr einflufsreich. Die
xoivrj <polaxij nun, auf welche sie gestellt waren, ist in diesem Bunde,
in dieser xoivrj scprjvrj selbstverständlich eine (poXaxrj z^g xoivrtg eipqvng.
Und ein Mitglied eben dieser im zfj xoivfj <pukaxfj z^g xomtg elpyvTje
zezaypivot , welche bald nach der Schlacht bei Chaironeia eingesetzt
wurden, wollte Dernosthenes werden, wenn er sich zoug npüzoog %pu\>oug
nach jener Schlacht zum slpr^oipuXaq wählen lassen wollte«.
60) Carl Troost, Zu Aischines' Rede gegen Ktesiphon. Jahr-
bücher für klass. Philologie 129. Bd. (1884) S. 101-107.
In der genannten Rede wendet sich Aischines § 13 zur Abfertigung
einer »zweiten Einrede« der Gegner, obgleich nach der jetzigen Über-
lieferung von einer ersten noch keine Rede war. Diese auffallende That-
sache erklärt sich Blafs Att. Bereds. III B. S. 184 so, dafs vor diesem
Stücke ursprünglich die Beantwortung einer ersten Einrede gestanden
habe und dafs mit der Entfernung derselben die Übergangsformel unver-
ändert geblieben sei. Diese Annahme wird überflüssig, wenn man mit
Troost § 13-16 hinter §17-23 (nicht 24!) stellt; dann besteht nicht
nur der Übergang des § 13 völlig zu Recht, sondern es erhalten auch
die Worte § 17 npbg Sk 8y . . . npoemsTv eine leichtere, zutreffende Er-
klärung. Der Fehler, meint Troost, ist durch eine Verwirrung von
Blättern entstanden und beweist, dafs alle unsere Aischines- Handschrif-
ten einer gemeinsamen Quelle entstammen. Neu ist übrigens diese Ver-
mutung, dafs § 13-16 ursprünglich hinter §23 gestanden habe, nicht,
sondern bereits von W. Fox (Kranzrede des Dernosthenes S. 308) aus-
gesprochen worden. Die erste von Aischines bekämpfte Einrede ist dem-
nach der ätpuxrog löyog § 17 — 23; dieser enthält zugleich den Nach-
weis, dafs Dernosthenes rechenschaftspflichtig war (pbdefg iaztv dw-zö-
buvog tujv xat unwoaüv npug rä xocvä izpoozX^Xu&üzwv § 17). Auf diesen
Xüyog beziehen sich die Worte § 13 zw apzaoq eiprjfievq). Weiter fol-
gert Troost aus § 159, wo nur die schedae Scrimgeri die einzige rich-
tige Lesart dpyupoAopjaag bieten, dafs diese Blätter aus einem andern
Codex stammen als alle übrigen Handschriften, und nimmt deshalb drei
Familien an a) die schedae Scrimgeri, b) ekl(h), c) ceteri Codices omues.
Die Dissertationen von Adam und Ilardt, welche, von den schedae Scrim-
geri absehend, ebenfalls zwei Handschriftenklassen annehmen, waren dem
Verfasser wohl nicht bekannt.
'In Aischines. Lykurgos.
61) Heinrich Wilhelm Reich, Die Beweisführung <i'^ Aeschi-
nes in seiner Rede gegen Ktesiphon. Ein Beitrag zum Verständnis
des Redners und seiner Zeit. Von der philosophischen l'akultät der
Universität München gekrönte Preisschrift. Erste Hälfte Nürnberg
(Fr. Campe & Sohn) 1884. 84 S. 8. Zweite Hälfte. Ebenda 1885.
68 S. 8.
Die durch Gründlichkeit und Gediegenheit der Untersuchung wie
durch schöne, lebendige Darstellung ausgezeichnete Schrift triebt sieh
schon durch ihren Titel als ein Seitenstück zu L. Sp engeis akademi-
schem Vortrag »Demosthenes' Verteidigung des Ktesiphon, ein Beitrag
zum Verständnis des Redners, München 1863« zu erkennen. Gegenüber
den heftigen Angriffen, welche in neuester Zeit mehrfach gegen die Po-
litik und den Charakter des Demosthenes unternommen wurden, findet
Reich in der Beweisführung des Aischines die stärksten Übertreibungen
und Entstellungen der Thatsachen und erhebt entschiedenen Einspruch
dagegen, dafs der Beurteilung des Demosthenes die Kritik seines Geg-
ners Aischines zu gründe gelegt werde. Von der ohne Zweifel richtigen
Anschauung des Prozesses als eines rein politischen Tendenzprozesses
ausgehend ist er seiner Aufgabe vollkommen gerecht geworden, wenn er
die Rechtsfrage mit geringerer Ausführlichkeit behandelt hat als den
politischen Teil der Rede; doch wird man auch in jenem ersten Teile
keine Frage von einiger Wichtigkeit unerörtert finden. Nirgends geht
der Verfasser Kontroversen aus dem Wege, seinem besonnenen Urteil
wird man in der Regel zustimmen müssen. Aufser dem eingehendsten
Studium der beiden Redner Aischines und Demosthenes verrät die wert-
volle Schrift zugleich völlige Vertrautheit mit der einschlägigen neueren
Litteratur, welche I 8 f. und II 3 übersichtlich zusammengestellt und be-
sprochen wird. Unter diesen Umständen sehen wir der in Aussicht ge-
stellten Untersuchung über die sogenannte zweite Redaktiou der Ktesi-
phontea mit den besten Erwartungen entgegen.
Lykurgos
62) Karl Schenkl, Zu Lykurgos gegen Leokrates § 15. Wiener
Studien V (1883) S. 328.
Hier vermutet Schenkl, dafs vor den Worten § 15 u'l Xaaai ein zu
dnrjyyeXkov gehöriger Dativ, etwa tmgiv, ausgefallen sei, worauf sich das
Relativ beziehe.
63) Lykurgos' Rede gegen Leokrates, erklärt von Adolph Niko-
lai. Zweite Auflage. Berlin (Weidmann) 1885. 83 S.
Dis Ausgabe ist, was sie nach dem Vorwort sein will, eine Schu-
le r ausgäbe, und dies in weit höherem Grade als die meisten der glei-
Lykurgos. 241
chen Sammlung. Einleitung, Text und Kommentar zeugen von der Er-
fahrung des kundigen Schulmannes, der mit den Bedürfnissen der Schule
vertraut denselben im ganzen wie im einzelnen Rechnung zu tragen be-
strebt ist. Die seit dem Erscheinen der ersten Auflage (1875) veröffent-
lichten Arbeiten anderer hat der Verfasser »zu Rate gezogen und an
mehreren Stellen den Wortlaut, die Interpunktion und die Erklärung
der Rede sowie auch einzelnes in der Einleitung geändert«. Für die
Einleitung erscheint die Überschrift »Leben des Lykurgos« nicht ganz
zutreffend. Die sachlichen Änderungen, welche § 4. 5. 8 und besonders
Ende 10 der Einleitung vorgenommen wurden, zeigen in der Zeitbestim-
mung der Thätigkeit Lykurgs als Staatsschatzmeister und seines Todes
wie in der Beurteilung der Schuldfrage des Leokrates und der Zeitbe-
stimmung der Rede engen Anschlufs an Blafs; indes stimmt die An-
gabe S. 8, dafs sich das Geschlecht Lykurgs bis in späte Zeiten fort-
pflanzte, nicht zu Blafs S. 88: »gleichwohl pflanzte sich das Geschlecht
im Mannesstamm nur durch Adoption noch eine Generation weiter fort«.
Auch der Text hat mehrfache Verbesserungen erfahren. So liefst man
jetzt § 4 napadoüoa statt napaocooücra, 9 ehai ysvrjGatT&a: statt shat, 22
Suneratova statt Eimezeujva, 28 npoijxaÄeffdfiyv statt rjj.pz.x<j.lzoäp.rl\>, 37
ä<pi£pEvot statt dpetpevoc, 38 zwv lepiatv hinter vaot eingesetzt, 52 <pt'j-
yovzag und kyxaxdktinovrag statt <pvy6vrag uud iyxatahn6vragt 55 el'acu
zoü Xipivog statt ix xoo fapsvog, 60 douAyv y' oüaav statt douhjv ovcrav,
71 hinter kxolaaav und 100, 24 hinter npoTapßoua ein Fragezeichen,
100, 11 oixfjarj noXcv statt cpxccrz' elg nofov, 108 bpoiatg statt b/ioi'utg,
110 npoyovoig statt itaXaiolg^ 132 die beiden Verse in Klammern (die
einzigen kritischen Klammern der Ausgabe). Dafs der Herausgeber,
dem Zwecke des Büchleins entsprechend, eine Aufzählung dieser Stellen
im Vorwort oder in einem Anhang nicht gegeben hat, gereicht ihm eher
zum Lobe als zum Vorwurf. Ebenso ist in den Anmerkungen die revi-
dierende Thätigkeit des Verfassers wahrnehmbar; vgl. zu 4 vöfiwv zdzig,
5 änaai Se zo7g yeypapp., 7 ob pcxpov, 13 auxopavzsTv, 36 'l'xspscSou,
67, 149 u. ö. Indes ist auch die zweite Auflage noch der Verbesserung
bedürftig. Eine Schülerausgabc mufs vor allem möglichst frei von Druck-
fehlern sein; solche sind aber nicht wenige stehen geblieben, zum Teil
sogar aus der ersten Auflage iu die zweite übergegangen. Wir notiren
§ 1 Aeoxpdroug, in den Noten Stxatag statt dixaeav uud slgrjyzXxa, 11
ou, bjioiog und o? statt tü\ 38 vaot statt vao}, 41 iv/jf' 78 nepeScuxe, 93
dxijoe statt dxyxoe, 100, 2 de statt de, 100, 45 naAatd und Note TtdAaea
statt Tialaia, 130 u7Toxecp.evyv , 132 neretvd statt nexetvä. Der Spiritus
oder Accent fehlt 10 j?, 43 und 51 aJ, 79 oör\ 91 oug, 122 8v, 123 unkp\
vgl. auch Aum. zu 2 bitb z?j ffnjptp, 77 is/>ä. — Statt der ziemlich zahl-
reichen Hinweisungeu auf Krüger würde wohl zeitgemäfser Kochs Gram-
matik citiert sein. In der Anwendung der Elision und Krasis sollte in
einer Schulausgabe mehr Konsequenz beobachtel werden; man vergleiche
Jahresbericht für Alturthumswisseiibchait L. (1887. I.) Iß
242 Hypereidea und Deinarchos
z.B. §22 und 24 rdvSpdnoSa mit §2.'', rä dvtipdnoda, g 11 tjvfy opäv
mit § 39 ijvixa ff. Warum wird ferner § 7 rote intytvopJvocs und g 9
rorg- ixiytyvoßi',,,' geschrieben? Ich würde auch §3 8t<unpZ
(hijkwnav, § 15 yxyxöeaav vorziehen; g 86 steht jetzt xaraxX^a&evreQ
statt xaraxXetaBevTet. Mit welchem Rechte stehl g Sl der "Opxoe im
Texte, nachdem der eiste § 77 in die Anmerkungen verwiesen ist? § 19
verdient /iz~s'/u» ab-rrje (seil nevTyxooirje) nach dem cod: Oxoniensis
entschieden den Vorzug vor pere^cuv aöroig, vgl. § 58; ebenso g 59 r<7,>
narptatv vopJpatv nach § 129; § 76 scheint mir npwpyaaea&e richtiger
als rtpuip-ijoeo&e, § 88 ^>a pe statt ö/wre, vgl. 7o '//"/. pe fipotov, Hfl
fy>d /-c öpoitos, 123 und Dem, 3, 27 c^oa j-' opotqig, 19, 63 äpd /-' ?/to«z.
Auch in den Anmerkungen bleibt manches zu bessern übrig. So erwartet
man eine Bemerkung zu § 16 nprfs re r^w Tro'ykv zt^ raiv Podfatv y.a\
vm ipnöpwv rote imdvjpjouaiv i/.zl und toutiov n/ietarov, § 23 xoUoj.
Eine Rezension der zweiten Auflage von J. Rohrmoser steht in der
Zeitschrift f. d. österr. Gymn. 1886 S. 820 - 824.
Hypereides und Deinarchos.
64) E. Piccolomini, Osservazioni sul testo dell' epitafio d' Ipe-
ride. Studi di Filologia Greca pubblicati da E. Piccolomini I (Turin
1883) S. 107—132.
Bei der Abfassung dieser textkritischeu Bemerkungen konnte der
Verfasser nur die erste, 1869 erschienene Ausgabe des Hypereides von
Blafs benutzen; doch hat die zweite nachträglich in den Anmerkungen,
soweit es nötig war, noch Berücksichtigung gefunden. Von den vorge-
schlagenen Konjekturen (zu I 9 ff. 27 ff. II 2ff. III 3 ff. 15. 23. 30. 32.
IV 38. V 8. VT 15 VII 37. VIII 40. IX 22. 34. X 25. 29. XII 37 nach
der zweiten Auflage von Blafs) erscheint dem Refereuteu keine besser
als die anderer Gelehrten. Eine Besprechung mit zahlreichen neuen
Vorschlägen hat J. Sitzler gegeben in der Piniol. Rundschau 1883
Sp. 1025 1029.
65) F. Blafs, Ad Hyperidis Demosthenicam. Revue de Philolo-
gie VIII (1884) S. 167—170 und S. 190-191.
In diesem Aufsatze giebt Blafs auf Grund einer persönlichen Be-
sichtigung einiger Blätter, welche Fragmente der Rede des Hypereides
gegen Demosthenes enthalten, nähere Auskunft über dieselben nebst
einigen neuen Ergäuzungsvorschiägen.
66) W. Tröbst, Quaestiones Hyperideae et Dinarcheae. Pars II.
Berlin (Mayer & Müller) 1882. 43 S. 8.
Hat sich der erste Teil dieser Quaestiones, welcher als Gymnasial
Programm von Hameln 1881 erschienen ist, vornehmlich auf Hypereides
Deinarchos. 943
c. Dem. frg. II col. III (VII) bezogen — vgl. F. Blafs in diesem Jahres-
berichte XXX (1882) S. 249 — , so dreht sich fast die ganze Untersu-
chung des zweiten Teils um Deinarchos I 4 f. Diese Stelle, zeigt Tröbst,
findet ihre beste Erklärung durch Hyp. c. Dem. frg. IX col. 33 (11).
Unter dem zuerst erwähnten Sixcuöv ffacapa, dessen Antragsteller jedoch
Demosthenes nicht sei, habe mau jenen Volksbeschlufs zu verstehen,
nach welchem an alle, welche von Harpalos sich hatten bestechen lassen,
mittels eines x^puypa die Aufforderung ergehen sollte, das Geld zurück-
zugeben, wofür ihnen ädeta zugesichert wurde. Nach diesem Volksbe-
schlufs habe Demosthenes im Verein mit andern, wie Philokles, die Unter-
suchung der Sache durch den Areopag beantragt. Es habe also nur
ein Psephisma von Demosthenes im harpalischen Prozesse gegeben, wie
deutlich aus Dein. I 40 xarä rö ko.uzwv <f>rjy>i<Tfia und 51 hervorgehe;
vgl. auch § 86 ypd<po.g zb tyrtfiapa xaft' iaurou , welche Worte jedoch
Tröbst für unecht hält (S. 36). Demnach seien die von Blafs in den Text
gesetzten Konjekturen ipyptfffiaTa und xarä aauzoo zu verwerfen und
nach dem Oxoniensis zu lesen xa\ Ttpbg zouzocg ^cpiapa ypdibavroq iL
dypöa&eveg goo xat, irspwv tmIIojv. Dieser Beweis ist dem Verfasser
nach der Ansicht des Referenten gelungen. Auch die neue Erklärung
von oux ix 7wv npoxtyaeaiv pa&oüaa zb dtxcuov dürfte Beachtung ver-
dienen. Die Worte I 61 äXXä puvog ab twv t.uj-ozs dzo~s<pa(T/j.d^cüv . . .
ysvicrßat jedoch sind wohl nur eine rhetorische Übertreibung, nicht eiu inaui-
festissimus error, der zu Zweifeln an der Echtheit der Rede Anlafs gäbe.
S. 23 ff. wiederholt Tröbst eine von ihm in den Miscellaneis philologis (Fest-
schrift des philol. Vereins zu Göttingen 1876) S. 1 aufgestellte Konjektur,
welcher Blafs nicht die verdiente Anerkennung gezollt hat; er streicht näm-
lich I 82 nspc Zr^azwg ra)v ^prjpjdrfov. Mit I 85 auzbv b<p^ kaozob . . .
iaXajxora vergleicht er treffend Hyp. frg. VIII unb zou (pw'apazoq
fjÄajxevat (iaXaßxevat?) aeauröv. Nebenbei bespricht er ausführlich frg. I
des Hypereides, dessen zweite Hälfte er iu den Jahrbüchern für klass.
Philologie 1876 S. 207 f. zum erstenmal richtig interpretiert habe (dies
gegen A. Cartault). Ob in dem Satze sypafev 3k auzä ... das Pro-
nomen abzä notwendig auf zä tyq<piep.a.Ta zob dr/pou bezogen werden
mufs, erscheint dem Referenten sehr fraglich.
67) Dinarchi orationes tres. Germanice reddidit et commentario
illustravit Theodorus Plaschke, gymnasii Waidhofensis professor.
Vol. I: orationes germanice redditas contineus. Programm des nieder-
österr. Landes-Realgymnasiums zu Waidhofen a. d. Taya 1885. 43 S. 8.
Es ist ein sehr verdienstliches Unternehmen, dessen erster Teil
hier vorliegt. Ein Kommentar zu Deinarchos ist seit Mätzners Aus-
gabe 1842 nicht mehr erschienen, eine vollständige deutsche Übersetzung
wird hier zum erstenmal geboten. Plaschkes Übersetzung zeugt von
richtigem Verständnis des Redners; sie ist zugleich korrekt und im all-
10'
244 Itciiiarcbos.
gemeinen in gutem Deutsch abgefafst. Dafa die oft mafslosen Perioden
des Deinarchos nichl selten in mehrere Sätze zerlegt sind, ist nur zu
billigen. Eine andere Eigentümlichkeil des Redners, die häufige An-
wendung der Epanalepsis, findet sich auch in der deutschen Dbertra-
gung meistens geschickt nachgeahmt, jedoch nicht l 28. 29. II 24. Im
Ausdruck hat der Übersetzer gröfsere Variierung erstrebt, als sie der
Grundtext aufweist; so gleich im Eingang der ersten Rede: »Der Führer
eures Volks . . . für den Fall, als (dafs?) man ihn irgend eines Anteils
an der Ilarpalischen Bestechung überweisen (statt überführen ) sollte,
ist nun vor euer aller Augen Überführt, dafs er Geschenke angenommen
hat (statt: der Bestechung überführt); I 25 und 72 übersetzt er oi ->>za-
ßurspot richtig »die älteren Leute«, I 75 dagegen "die Gedenkmänner«.
Zu beanstanden ist wohl »Bestechungen annehmen« (In. 26. 40. 60. 67.
II 7. 16. III 16) und »Bestecbungen nehmen« (I 47), »zur Gänge be-
gleichen« (II 18), »ihr müfst den Zorn der Väter in eurer Brust ent-
flammen« (I 77). I 4 mufs es beifsen »einen gerechten (nicht rechts-
kräftigen) Beschhifs in üblen Ruf (oder in Mifskredit) zu bringen«
(statt: in Schuld zu stürzen: ScaßoM) = ahia /xo^&rjpd § 5), § 5 »da
er . . . die Wahrheit nicht erfahren hatte« ; inl aou wohl richtiger »auf
deine Veranlassung«, § 15 »sondern auch auf Kosten des Staates sich
bereichert hat«, § 19 »die Mißhandlungen . . . anzusehen«, § 49 »ge-
stattet es ihm nicht«, § 59 »bezüglich seiner Anzeigen« (statt Anzeige),
§ 72 »was (statt wer) niemand anders«, § 85 »durch sich und durch
die von ihm beantragten Beschlüsse«. § 1 ist ijSy, § 4 xspi «Ora)v,
§ 12 rMVzag, § 43 xat ZdTopov, § 44 KaXXiou . . . nicht übersetzt, § 23 f.
nur teilweise, wie es scheint, des Inhalts wegen.
68) E. G. SiHler, A Study of Dinarchus. Extract from Trans-
actions of American Philological Association 1885 S. 120 — 132.
Der Aufsatz enthält nach einer biographischen Skizze Bemerkun-
gen über die stilistiseben Eigentümlichkeiten des Deinarchos, da »die
Behandlung des Redners dureb Blafs iu seiner Geschichte der attischen
Beredsamkeit noch Raum läfst für die detaillierte Untersuchung des
Textes und erschöpfende Gruppierung des Materials«. Neues freilich
bringt die Studie soviel wie nichts. Die Entlehnungen aus Aischines,
die an verschiedenen Stellen erwähnt werden, hat Blafs S. 287 n. 5 weit
vollständiger zusammengestellt. Über den Satzbau handelt derselbe
S. 295 f., über die Epanalepsis, die nach Sihler Aischines nie angewendet
hat — vgl. jedoch Blafs S. 212 — , S. 297, über die Anaphora S. 296,
überall mit vollständigerer Angabe der Stellen. Weiter werden die
Schimpfwörter bei Deinarchos mit denen des Aischines in Parallele ge-
setzt, xcvaoog findet sich auch Aescb. Ctes. 167, xdftappa 211, nicht
277, über S^piov vergleiche man Blafs III A S. 80; mit -zbv dk xard-
mua-ov toütov I 15 vgl. Dem. 21, 137. Nur teilweise richtig ist, was
Deinarchos und Demades. 245
der Verfasser über emphatische und abnorme Wortstellung des Deinar-
chos sagt, wie auch die hierfür beigebrachten Beispiele zum grofsen
Teile nicht zutreffen. Auch sonst ist den Anforderungen der Genauig-
keit nicht genügt: die dritte Rede des Deinarchos citiert Sihler konse-
quent als Rede gegen Phüokrates, die 19. Rede des Demosthenes hält
er S. 131 für die Kranzrede. Wie es kommt, dafs alle Citate aus
Volkmanns Rhetorik zweiter Auflage unrichtig sind, vermag ich nicht
zu erklären.
Demades.
69) A. Dalmartello, La vita di Demade, oratore ateniense, ed
il frammento dell' orazione bnkp ryg dwdexaszcag. Gymnasial -Pro-
gramm in Fiume 1883. 40 S. 8.
Der erste Teil der Abhandlung enthält eine klare Darstellung der
Herkunft, Bildung und politischen Thätigkeit des Demades, der zweite
eine kurze Würdigung seiner Beredsamkeit, eine Besprechung der ihm
zugeschriebenen Reden, endlich eine Übersetzung des längeren Frag-
ments aus der Rede bnkp zrtg dujosxaszcag. Neue Ergebnisse darf man
nicht erwarten; doch ist anzuerkennen, dafs der Verfasser die einschlä-
gige Littcratur vollständig kennt und sorgfältig benützt hat.
Druck von C. Foiclit in IUtIIii
JAHRESBERICHT
über
die Fortschritte der classischen
Altertimmswissenschaft
begründet
von
Conrad Bursian,
herausgegeben
Iwan Müller,
ord. öffenil. Prof. der classischen Philologie an der Universität Erlangen.
Einundfunfzigster Band.
Fünfzehnter Jahrgang. 1887.
Zweite Abtheilung.
LATEINISCHE KLASSIKER.
BERLIN 1889.
VERLAG VON S. CALVARY & CO.
W. Unter den Linden 17.
Inhalts- Verzeichniss
des einundfunfzigsten Bandes.
Die Litteraturberichte über Plautus von Prof. Dr. 0. Seyffert
in Berlin; Terenz von Direktor Dr. A. Spengel in Passau;
Vergil von Dr. Güthling in Liegnitz und über die anderen
römischen Epiker von Prof. Dr. Jeep in Königsberg; Lu-
cretius von Dr. A. Brieger in Halle; Horatius von Prof.
Dr. W. Hirschfelder in Berlin; Lucilius von Prof. Dr. Sto-
wasser in Wien, und Ovidius von Prof. Dr. R. Ehwald
in Gotha folgen nächstens.
Bericht über die Litteratur zu Ca tu 11 und Tibull für die
Jahre 1877—1886. Von Dr. Hugo Magnus in Berlin 145-372
1. Catull. A Ausgaben 146. — B. Beiträge zur Grammatik,
Sprachgebrauch und Metrik 185. — C. Beiträge zur handschrift-
lichen Ueberlieferung 198. — D. Litteraturgeschichte, Ordnung der
Gedichte, Biographisches 210. — Catull und Cicero 240. — Bei-
träge zur Erklärung und Textkritik 248. — E. Anthologieen 276.
F. Uebersetzungen 280. — G. Vermischtes 287 — IL Tibull.
A. Ausgaben 301. — B. Grammatik und Sprachgebrauch 308. —
C. Handschriftliche Ueberlieferung 311. — 1. Unvollständige Tex-
tesquellen, a) Fragmentum Cuiacianum 313. — b) Freisinger Ex-
cerpte 316. — c) Excerpta Parisina 318. — 2) Vollständige Hand-
schriften 320. — a) Ambrosianus und Vaticanus 321. — b) Lach-
manns Handschriften 328. — c) Codex Guelferbytanus 332. —
D. Litteraturgeschichte, Kritik und Erklärung 338. — E. Ueber-
setzungen 367.
Bericht über die Litteratur zu Propertius für die Jahre 1881
bis 1884. Von Dr. Eduard Hey den reich in Freiberg 83 -144
I. Ausgaben 83. — II. Monographien 88. — III. Uebersetzungen
115. — IV. Zerstreute Beiträge 118.
Die Berichte über die Litteratur zu den römischen Satirikern
von Prof. Dr. L. Friedländer in Königsberg und über
Phädrus von Dr. J. Draheim in Berlin, ferner die Berichte
IV Lahalte-Verzeichni
über Cicero von Dr. G. Landgraf in München, Rektor
\)v. J. S: on in Kaiserslautern , Dr. P. Schwenke in
Göttingen und Direktor Dr. .1. EL Schmalz in Tauber-
bischofsheim, über Tacitus von Prot Dr. G. Qelmreich
in Augsburg und über die übrigen römischen Historiker
von Prof. Dr. A. Eussner in Würzburg erscheinen später.
Bericht über die Litteratur zu Quintilian aus den Jahren
1880 — 1887. Von Oberlehrer Dr. Ferdinand De eher
in Ilfeld am Harz 1 — 82
Institutio oratoria. Zerstreute Beiträge 1. — Ausgaben von
über X, 31. — Ausgaben der ganzen inst. or. 49. — Declama-
tiones 62.
Die Berichte über Plinius maior von Prof. Dr. Urlichs in
Würzburg; über Plinius minor von Studienlehrer Dr. Strö-
bel in Kaiserslautern; über Seneca von Gvmnasial-Director
Prof. Dr. H. J. Müller in Berlin; die lateinischen Gram-
matiker von Prof. Dr. G. Götz in Jena und die spätlatei-
nischen Schriftsteller von Dr. K. Sittl in München folgen
im nächsten Jahrgang.
Bericht über die Litteratur zu Quintilian
aus den Jahren 1880-1887.
Von
Oberlehrer Dr. Ferdinand Becher
in Ufeld a. Harz.
Das Interesse für Quintilian ist gestiegen. Der folgende Jahres-
bericht hat es nicht nur mit fünf neuen Ausgaben des 10. Buches zu
thun, sondern — was einen Abschnitt in der Quintilianforschung be-
deutet mit einer neuen Ausgabe der ganzen institutio oratoria von
Meister und mit einer neuen Ausgabe der Declamationes von Ritter.
Indem icb mich zunächst zur
institutio oratoria
und zwar zur Besprechung derjenigen Forschungen wende, die in Zeit-
schriften zerstreut vorliegen oder in Dissertationen und Programmen
niedergelegt sind, ist es mir eine grofse Freude, mit Iwan Müller, dessen
Referate fortzusetzen ich übernommen, gleich zu Anfang meine Überein-
stimmung kundgeben zn können gegen
1. Fritz Scholl, Über Quintilian X, 1. Rhein. Mus. XXXV. 4
S. G39. Nachtrag zu XXXIV S. 84 - 89. Dieser Nachtrag ist durch
Müllers Polemik gegen die Behandlung von § 4. 15. 39. 72 hervorge-
rufen. Wählend Scholl sich nunmehr § 4 zu Müller bekennt, behauptet
er seinen isolierten Standpunkt in der Verteidigung der Conjecturen § 15
nam omnium quaeeunque docemus, haec (für hoc Regius) sunt exempla
potentiora quam (für etiam) ipsis quae traduntur artibus, § 39 fuit igitur
brevitas illa tutissima qua praeeipit Livius in epistula ad tili u m scripta
(für quae est apud Livium in e. a f. s.), § 72 si cum iudicio (für cum
venia) leguntur. Über cum venia s. nachher. Sonst habe icb zu Müllers
Rechtfertigung der gewöhnlichen Lesungen kein Wort hinzuzufügen.
2. Ch. Thur.it. Sur Quintilien X 1. 66. Revue de phil IV. 1. S. 24.
Weil § 67 folgt sed longe clarius inlustraverunt hoc opus Sophoclea at-
que Euripides, so müsse es, meint Thurot, § 66 lauten tragoediam (tra-
goedias die Bandschriften) primua in lucem Aeschylua protulit Zu hoc
opus ist /u ergänzen tragoedias in lucem proferendi, denn opus ist nach
Jahresbericht für Allerlhuinswisscnschait LI. Bd. (1887, II.) ]
2 Quintilian.
Doederlein dae Werl irgend einer produzierenden Thätigkeil {ipyov).
So läfsf -ich opus und tragoedias, Gattung, wie Thurol will, and ein-
zelne Tragoedien sehr wohl zusammenreimen.
:t. T)i. Froment, QuintUien avocat Annalee de la facult
lettre* de Bordeaux. II. 3 8. 224 240.
Man erwarte nichts Neues von diesen Blättern. Der reale Inhalt
gehl nicht viel über die bekannten Steiles der inst hinaus VII 2, 24;
IV 2, 86; IX 2, 73. Ti: IV 1. 19; VII 2, 5 u. a . aber die Staffage ist
schön and anmutig. Nachdem die Art der causidici geschildert i-t. zu
denen Quintilian in scharfen und bewufsten Gegensatz tritt, wird er ans
selbst vorgeführt, wie er für die Anwaltscarriere durch Geburt, Erzie-
hung und Unterricht sozusagen prädestiniert war. Es wird gezeigt, bei
welchen besonderen Gelegenheiten er sich als Advocat auf- und hervor-
gethan. wie er -eine Rolle vom Standpunkt des Ethetors und Juristen
ausgespielt, und schließlich, wie er trotz dieser und jener Befangenheit
im Zeitgeschmack doch an seinem Ideal festgehalten : vir probus, dicendi
peritus. cf. Hild S. X XIV. Näher auf den Aufsatz einzugehen ist
hier nicht vonnöten. Nur zwei Bemerkungen: S. 230 beifst es c'est vers
Tage de vingt-sept ans environ que notre orateur commence ä briller ä
Rome. Wenn der Rhetor um 35 herum geboren ward und 68 nach dem
Tode des Nero von Galba wieder nach Rom geführt wurde, so kann
seine Glanzperiode erst etwa in seinem 33. Jahre begonnen haben, und
»il souna la retraite« (S. 236) nicht im 47., wie Froment meint, sondern
im 53. Jahre. Auch wird er trotz Froment S. 239 und 240 zu Wohl-
stand gelangt sein. cf. luv. VII, 186 sq. Der Quintilian, welcher von
Plinius (ep. VI 32) wegen seiner bescheidenen Vermögensverhältnisse
durch einen Beitrag zur Mitgift seiner Tochter erfreut wurde, ist sicher-
lich nicht unser Quintilian gewesen, wie sich aus dem berühmten prooe-
miuni zu 1. VI coli. Plin. ep. II 14, 10; VI 6, 3 leicht nachweisen läfst.
4. Ch. Fierville, Etienne de Rouen, moine du Bec au XII. siecle
auteur du premier abrege connu de Quintilien et du Draco Normannicus
(2. partie) Bulletin de la Soc. des Antiqu. de Normandie VIII, 2 S- 421
—442 ist mir bis jetzt nicht zugegangen.
5. Gustav Lindner, Marcus Fabius Quintilianus. Rednerische
Unterweisungen. (Pädagogische Klassiker herausgeg. von Dr. G. A.
Lindner.) Wien 1881, Pichler 8. XXXVI. 241 S
Die philologische Wissenschaft braucht von dieser Schrift keine
Notiz zu nehmen. Nur so viel sei bemerkt, dafs die Einleitung sich
über Quintilian und seine Zeit ergeht, dafs sie recht viel von ihm und
aus ihm bringt, dafs S 1 185 eine ganz gute Übersetzung von 1. I II
X und XI, 2 liefert, und dafs ein Anhang mit Erläuterungen und Zu-
inst. or. 3
Sätzen zu einzelnen Stellen des Textes den Beschlufs macht. Ob wohl
dem Verfasser Halms Ausgabe bekannt gewesen?
6. A. Eussner handelt in seinen Adversarien (Bl. für das bayer.
Gymnasialschulw. XVII. Bd. 9. Heft 1881 S. 391 — 393) über Quintilian
X 1, 31; 33 coli. Plin. ep. V 8, 9 - 11, um gegen de la Berge (Biblio-
theque de l'ecole des hautes etudes, fasc. XXXII Paris 1877 S. 256)
darzuthun, dafs in den ungezogenen Stellen Meister und Jünger eine
gleiche Auffassung über den Unterschied zwischen oratio und historia
verraten haben. In der That ist die Interpretation des französischen
Gelehrten sprachlich wie sachlich gleich verkehrt und nur eine Con-
cession an seine falsche Ansicht, dafs der Begriff der Geschichte in der
Zeit von Quintilian bis zu Tacitus und Plinius sich geändert habe. Schon
Phil. Rundschau I No. 13 S. 415 hatte Eussner die richtige Beziehung
der Stelle des Plinius auf die des Quintilian angedeutet. Hier bestätigt
er die Übereinstimmung durch Vergleich von Quint. II 4, 2 mit Plin.
VII 33, 10, X 5, 15 mit VII 9, 8, X 1, 103 mit I 16, 4. »Wer den
Plinius im Widerspruch mit Quintilian vermutet, der mufs ihn auch des
Widerspruches mit sich selbst bezichtigen.« cf. Iwan Müllers Referat
im Jahresbericht über Plinius den Jüngern XXXV. (1883. II) S. 176 u. 177.
7. De coniunctionum causalium apud Quintilianum usu. Scripsit
Edmund us Guenther (Doctordissertation) Halis Saxonum typis
Kosmaelianis Krotoschini. 1881. 47 S. 8.
Ein lesbarer und lesenswerter Beitrag zur Grammatik des Quin-
tilian und indirekt zur historischen Syntax der lateinischen Sprache. Im
Anschlufs an C. Reufs cde coniunctionum causalium apud Tacitum usu'
(Halle 1876) behandelt Verfasser quia S. 6 — 19, quod — S. 40, quoniam
— S. 43, quando — S. 44, quatenus (oder quatmus?) - S. 45, siqui-
dem — S. 46, quippe, quippe qui, quippe cum, ut qiti S. 47. (Schlafe.)
Es versteht sich, dafs auch die einschlägigen Verbindungen bei den betreffen-
den Conjunctionen berücksichtigt sind z. Ii. ideo quia, non quia, cum eo
quod u. s. w. Warum fehlt aber cum causale, warum ut cum cf. VI 3. ;».
X 1, 76, warum si tarnen, was wenigstens zur Illustration von si quidem
hätte herangezogen werden können? Doch der Verfasser hat -ich engere
Grenzen gezogen als der Titel zu verraten scheint (S. 5): halten wir ans
an das. was er bietet. Da er an der Hand von Bonnells Lexikon und
auf Grund eigener Forschung das ganze Stellenmaterial überschaut. ->>
kann er an geeigneter Stelle sein Veto gegen Conjecturen einlegen, die
dem Gehrauch des Rhetors widersprechen, z. B. S. 1(5. wo mit Hecht an
der Lesart von MS XII ii, u; quod non eo dico quia si1 e B. t'estge-
halten wird, da Halms non eo d. quasi (G qua) in dieser Verbindung
bei Quintilian nicht vorkommt; non eo dico quia dagegen Lesen wir IX
4, 20. Schwieriger ist es über den Nachsatz von XII 11. L6 ins Heine
zu kommen, wo der wirkliche Grund mit folgenden Worten angegeben
1*
4 Quintilian.
wird: ged quia nun in nn;i it eins pecie consenescendum. Der Con-
junctiv widersprich! allen landläufigen Regeln and auch einigermafsen
den Gesetzen der Logik, welche imaginären and realen Grund folge-
richtig durch den Wechsel des Modu zu unterscheiden pflegt1), aber
da dieser Conjuncth durch fünf andere bei dem Rhetor gedeckl wird
IV l, 65; VI ::. 48; MI 3, 9; IX l, 23; i. L83, so wage ich es nicht
mit Halm n. a. zu corrigieren, sondern schliefse mich Günther an. der
5. i<) bemerkt, »lumr, usnin nullo modo prorsus e Quintiliani libris eicien-
dum, sed huius scriptoris proprium existimandura esse libenter mihi
persuaserim.« Oh freilich dieser Conjuuctiv durch Attraction zu er-
klären, ist, mir sein- zweifelhaft, und aoeh zweifelhafter, oh die Parallele
Cic. Brut. 2, 8 pafst, mir scheint es viel einfacher als Grund dieses
Modus eine gewisse modestia und urbanitas anzusehen, die bekanntlich
den Gonjunktiv oft bei Quintilian hervorgerufen, cf Bonnell Lex 8. LXI.
Entschiedenen Widerspruch mufs ich gegen die Interpretation folgender
Stellen erheben: I 8, 21 soll in den Worten adeo ut de libris totis men-
tiantur tuto, quia inveniri qui mimquam fuere non possunt, quin den
subjektiven Grund angeben, so dafs es = quoniam wäre. Warum denn
eigentlich? sie lügen sicher, d. h. ohne Gefahr entlarvt zu werden, weil
u. s. w , das tuto wird ganz objektiv begründet, ebenso nee facile III 1,
6, plurimum posse III 8, 36 u. s. w. Ich finde unter den 13 Beispielen,
die S. 8—9 aufgeführt werden, auch nicht ein einziges, was sich nicht
der gemeinen Regel über quia fügte. — Ebenso mufs ich gegen die Be-
handlung von nisi quod protestieren IV 2, 74, VIII 3, 33, IX 4, 110.
IX 4, 145. Warum denn eine Ellipse statuieren, wo dem Gedanken
nichts an seiner Integrität fehlt? Worte, wie diese IV 2, 74 neque
enim iureiurando opus fuisse, si alioqui hoc roentis habuissent, nee sorte,
nisi quod se quisque eximi voluerit' werden durch die Ergänzung von
sortiendi necessitatem attulerit zu nisi blofs unverständlich, nee sorte
opus fuisse nisi quod . . voluerit läfst dagegen nichts an Klarheit zu
wünschen übrig. Nun gar aber zu IX 4, 145 neque enim ullum (sc. ver-
bum) erit tarn difficile, quod non commode inse'ä possit, nisi quod in
evitandis eiusmodi verbis non decorem compositionis quaerimus, sed fa-
cilitatem zu ergänzen: »Allerdings verleitet uns der Umstand, dafs wir
Leichtigkeit der Wortfügung erstreben, zu der Ansicht, einige Worte
seien zu rauh« (S. 28), das macht die Rede nicht nur unverständlich,
sondern versteifst einfach gegen den Gedanken des Schriftstellers. Denn
der sagt: Von einer Schwierigkeit die Worte passend einzufügen wird
nur darum die Rede sein können, weil wir . . . suchen. Es fragt sich
aber nach § 144 fin. sehr, ob der Rhetor diese desidia dicentium et
•) II 4, 31. 17, 9 steht, wie schon Törnebladh S. 32 anmerkt, in beiden
Sätzen der lndicativ. V 10, 47 ist 7 war anders geartet, verdiente aher Berück-
sichtigung bei Günther S. 15,
inst. or. 5
scribentium so allgemein als Thatsache zugiebt. Sollte der Lehrer nicht
auf den einzelnen Fall und auf die einzelnen Redner oder Schriftsteller
exemplifizieren? jedes noch so rauhe Wort wird geschickt eingefügt
werden können, wenn wir nicht facilitas, sondern decor compositionis
suchen. Freilich würde dann statt nisi quod zu losen sein nisi cum,
wozu vorzüglich als Parallele pafste VIII 3, 48 cui natura contrarium,
sed errore par est. parvis dare excedentia modum nomina, nisi cum ex
industria risus inde eaptatur. — Dafs nach den Verbis sentiendi und
declarandi von nachklassischen Schriftstellern bisweilen quod statt des
Acc. c. Inf. gebraucht wird, findet Günther u. a. VI 3, 83 bestätigt. In-
dessen formulam scribere heifst nicht testari oder blofs scribere, wie
Verfasser meint, sondern ist dasselbe wie dicam scribere (Cic), d. h.
einen Procefs anstrengen, quod giebt den Grund an. Ebensowenig steht
quod nach dem Substantiv nuntius statt des Acc. c. Inf. XI 2, 12 Simo-
nides nuntio est excitus, quod eiun duo iuvenes equis advecti desiderare
maiorem in modum dicebantur. Der Acc. c. Inf wäre ganz falsch, ja
wenn dicebantur fehlte, aber so giebt quod blofs den Abi. causae nuntio
epexegetisch wieder. Was endlich ein Freund zu VIII 6, 64 vorgeschla-
gen quam quo (statt quod) = ut eo eum quoque (sc numerum) maxime
facere experiretur (S. 35), hilft uns so auch keinen Schritt weiter.
Haupt: quam quo eum, qui maxime y/«ceret, experiretur. s. Meister.
Wie ich über X 7, 13 (cf. S. 24 u. 25) denke, habe ich Phil. Rundsch. I
No. 51 S. 1628 und III Mo. 14 S. 435 — 436 auseinandergesetzt, und
wie XII 2, 31 (cf. S. 28 u. 29) lesbar zu machen, im Hermes XXII. 1
S. 142. Möchte Verlässer fortfahren im Quintilian zu arbeiten, das Ge-
schick dazu besitzt er, möchte er dann auch Törnebladh berücksichtigen:
'de usu particularum apud Quintilianum quaestiones.' Holmiae 1861.
8. Hermann Kraffcrt. Beiträge zur Kritik und Erklärung latei-
nischer Autoren. IL Teil. Aurich 1882. S. 103 u. 104 giebt einige kri-
tische Bemerkungen zu X l § 46 in der von Homer handelnden
Stelle wünscht er coli. XII 10, 23 latior (soll doch wohl beifsen latus)
statt laetus und gleich darauf (soll heifsen kurz vorher) in }>ar\i- varie-
/<<?<' statt proprietate. $ 47 vermutet er laudibus, exhortationibus, con-
Sttfoationibus statt consolationibus, § 52 utifw circa praecepta sententias-
que, levitas verborum (utiles c p. sententiae levitasque v. die Überliefe-
rung). § 56 hält er üngers Valgitw stätl Vergiliua noch für die relativ
beste Lesart. § 60 denkt er an quoquam oüior statt <j. minor und § 71
an iinur statt decor. § 91 zieht er Wölt'Hins proniua dem promptiua von
Halm vor, er selbst vermutet propüiae. $ 94 will er oon labor durch
tum laboro ersetzen. In der berühmten von Seneca handelnden Stelle
§ 129 u. 130 soll in concupissel dm- Lieblingsausdruck Quintilians >.*■-
cuasisset stecken. Notwendig ist keine einzige der vorgeschlageneu Ände-
rungen, ct. meine Bemerkungen Phil. Rundsch. III No. 11 S. 431; über
consultationibus § 46 und Valgius § 56 liefse sich allenfalls reden.
ß Quintilian
9 Gustafsson Phil. Rundgeh. III No. 9 s. 268 d. 270 wider-
li t'i treffend diese Kraffertschen ESmendationen, um- X l. 52 atüis <■. p.
sententiasque, levitae verborum nennt er »der drei Correcturen nngeach*
tet, vielleichl richtig.« Ich kann mich von der Richtigkeil resp. der
Notwendigkeil einer Änderung an dieser Stelle ebensowenig überzeugen,
wie X i. 46, wo Gustafsson nicht abgeneigl isl flatus ac pret q coli-
X 4, J zu schreiben. Wenn derselbe l. 91 noch pronku verteidigt, so
darf ieli wohl auf die Thatsache hinweisen, dafs meine Verteidigung des
handschriftlichen propius (Philolögus XXXIX s. i8i ) auch Wölffline
briefliche Anerkennung gefunden hat. Das -ei auch für Bchtttl (Neue
Phil. Rnndsch. 7 S. 102) gesagt. Zu X l, 130 bemerkl Gustafsson:
»Vielleicht ist hier mit Vergleichung von I •;, 20 (frivolae in parvis iaetan-
tiae) ganz einfach si aliqua contempsisset, <i /»n-m nun coneupisset zu
schreiben.« Ich bin der Meinung, dafs diese Stelle bis auf den henii-
gen Tag noch nicht geheilt ist.
10. C Bohlmann, De attractionis usu et progressn e. 8. dissert.
inaug. Vratislaviae 1882 (erste These) will X 5, 1 geschrieben wissen nam
id factum est et tum primo libro (etiam die Handschriften, iam Halm)
. . et seeundo. In demselben Mafse wie etiam zu schwach ist (sonst
etiam -et z. B. XI 3, 123), ist et iam (d. i. etiam) zu stark: et iam . .
et giebt dem Gedanken der erfolgten explicatio eine Wichtigkeit, die er
durchaus nicht beanspruchen kann. Das einzig Richtige sah Halm.
11. Ad. Bohlmann, Antiphontea. dissert. inaug. Vratislaviae 1882.
(fünfte These) conjiziert 1, 96 is erit Caesius Bassus, quem nuper amü
vidimus {videmus G) die Überlieferung — coli. § 90 multum in Valerio
Flacco nuper amisimus. Aber mufs denn ein Schriftsteller dieselben
Worte, die er § 90 setzt, auch § 96 setzen? nuper und vidimus (cf.
Seyffert-Müller Lael. S. 44) — beides ist in schönster Ordnung.
12. L. Havet, Quintilien VIII 3, 26. Revue de philologie 1882.
Livr. I S. 21 habe ich nicht einsehen können, ebensowenig L. Havet,
Quint. I 1, 30 ibid N. S. VI, 3 S. 188 und id. un passage de Quintilian
I 1, 24 ibid. VI 4 S. 203 U. 204.
13. P. Hirt, Quintilian Buch X. Jahresber. d. phil. Vereins zu
Berlin (Zeitschr. f. Gymnasialw. 1882. Heft 2. 3) S. 67 - 72. Bei der
Besprechung der quaestiones des Referenten teilt Hirt S. 69 zu X 3, 25
einen Vorschlag Möllers mit: ideoque lucubrantes silentium noctis et
clausuni cubiculum et lumen unum velut custos maxime teneat, und zu
X 1 , 4 macht er selbst S. 70 (in dem Bericht über Schölls kritische
Bemerkungen) den Vorschlag: (eum) instruamus qua exercitatiow (qua
ratione ed. Colon. , qua in oratione) quod didicerit facere . . possit. s.
meine Gegenbemerkungen über 3, 25 Philol. XLIII S. 204 und über l, 4
Phil. Rundsch. III 14 S. 428.
inst. or. 7
14. Th- Froment, La critique d'art dans Quintilien. Annales
de la faculte des lettres de Bordeaux IV 1. S. 1 15. ■
Ein interessanter Aufsatz in populär -wissenschaftlichem Gewände,
reichlich mit Citaten geschmückt, die durch- eine elegante Übersetzung
schmachhaft gemacht werden. — Quintilian spricht zu wiederholten Malen
über Malerei, Bildhauerkunst und Musik, aber ein selbständiges, durch
eingehende Studien erworbenes und befestigtes Urteil hat er in Sachen
der Kunst nicht: dans la critique d'art, comme dans la critique litte-
raire, il semble plutöt suivre une tradition consaeree qu'exprimer des
opinions personnelles sagt der Verfasser S. 2. Das ist, soweit es das kunst-
kritische Urteil angeht, ohne jede Einschränkung richtig. Z. B. was
Plinius Hist. nat. XXXV 10 über Parrhasius sagt, das reproduciert
Quintilian XII 10, 4. Cicero hatte or. 22, 73 u. 74 in betreff des de-
corum an die Gemälde des Timanthes und Apelles erinnert, Quintilian
macht es II 13, 12- 14 ebenso. Merkwürdig ist das II 19, 3 über Praxi-
teles Gesagte. -Doch möchte ich darin nicht so sehr einen Mangel an
künstlerischem Geschmack sehen, als vielmehr ein kühnes und schiefes
Bild, das der Rhetor gewagt, um den Wert der Naturanlage zu accen-
tuieren. Sehr erklärlich — wenigstens vom Standpunkt des Rhetors
aus — ist die abweisende Haltung, die der Advokat den Diensten des
Malers gegenüber vor Gericht einnehmen soll, cf. VI 1, 32. Also: Quin-
tilian ist kein Kunstkritiker, aber er hat ein gutes natürliches Verständ-
nis. "II a du goüt, ä defaut de competence1 S. 7. Er braucht keine
Anweisung, um die Majestät des olympischen Juppiter i,XII 10, 9) zu
begreifen oder den Diskuswerfer des Myron (II 13, 10) zu bewundern.
Und er ist nicht blofs ein laudator temporis acti. Trifft er Leute, die
die rohen Anfänge einer erst werdenden Kunst den gröfsten Meistern
der späteren Zeit vorziehen, so läfst er sie ziemlich hart an. indem er
ihnen proprius quidam intelligendi ambitus vorwirft. (XII 10, 3). Euer
huldigt er dem Fortschritt und räumt wirklichen Priestern der Kunst
nicht aber den luxuriae ministris gröfstmögliche Freiheit der Be-
wegung ein. Die Inspiration soll sich über die Regeln hinwegsetzen und
sieh nicht sklavisch an Meister oder Vorbild binden. — Iu der Musik
hafst er das Virtuosentum seiner Zeit mit seineu neuen Instrumenten
und seinen raftinements und niodnlations variees. Die Musik ist nicht
dazu da, um etwa marine ä la dause - die Ohren und Sinne zu
kitzeln, sie ist ihm eine hehre und ernste Kunst, ohne die es keine wahre
Erziehung giebt, grandia elate, iueunda dulciter, moderata leniter canil
(I 10, 24): so beschwört sie die Stürme der Seele, und im den natio-
nalen Schranken gehalten verschönt sie gleich der edlen Gabe des
Gesanges das Leben des einzelnen, wie sie dem Ganzen in Krieg und
Frieden Nutzen bringt. Die ganze Kunstkritik des Quintilian ist in die
sechs Worte gefafst (VIII 3, in uumquam yera species ah utilitate
dividitur.
g Quintilian.
15. A. Eussner will IX i. L29 iNeue Jahrb. im- Phil. 125. Bd.
lieft f> iiinl •'> S. 426) folgendermafsen emendieren: oamque omnia eine
im;, bistoriae) membra conexa Bunt ei quoniam Lubrica est, fertur (cf.
IX -i. 112) ac Unit (esl ac tluit A. et hac Unit G 8, hac atqoe illac Halm,
hac ei illac f. Meister beide nach Spalding) ul hominee qoi manibus
invicem adprehensis gradum firmant, continenl ei continentur, Auch auf
IX 4, 18 historia currere debel ac ferri hätte Eussner Doch verweisen
können, nm seine EmendatioD zu stutzen. Trotzdem halte ich dieselbe
nichl für richtig. Zwar dafs die gewöhnliche Lesung hac atqtu Ulai an-
haltbar ist, darin stimme ich Eussner vollkommen bei. Die angezogenen
Stellen zeigen, was der Rhetor von der historia verlangt: dafs sie fertur,
currit, fluit, nicht aber hac atque illac. Was Bollte denn auch das Bild
mit ut, das doch nur den continuierlichen Zusammenhang malt? Viel-
mehr — um der historia den orbis contextusque zu sichern und das
omnia eius membra conexa sunt recht einzuschärfen, bedient sich Quin-
tilian zweier Gleichnisse, von denen das eine mehr den äufseren glatten,
ungehinderten Ab- und Verlauf der Begebenheiten veranschaulicht und
fast in Form einer Parenthese auftritt, das andere mehr den inneren
Zusammenhang, den Gang und die Consequenz der Thatsachen sowie
die Kontinuität ihrer Entwicklung beleuchtet. Ist das aber richtig, so
ist et vor quoniam zu streichen, wie z. B. bei Spalding geschehen ist,
und lubrica est ac fluit gehört aufs engste zusammen, lubricus = glatt
dahinfliefsend, z. B. 1. et Simois. Hör. epod. XIII, 14. Beiläufig — was
ist denn IX 4, 127 an hie (Regius haec) enim lenis et fluens contextus
decet auszusetzen? Zu hie cf. z. B. IV 2, 39, zu decet VIII 3, 2u u. a.
16. Derselbe A. Eussner, spricht N. Jahrb. 127. Bd. S. 412 über
XII 10, 64 (Homerus) summam expressurus in Ulixe faeundiam et magni-
tudinem illi vocis et vim orationis nivibus hibernis copia verborum atque
impetu parem tribuit. Eussner glaubt in verborum mit Sicherheit ein
Einschiebsel zu erkennen, weil es nur zu dem einen Gliede des Ver-
gleiches vis orationis und nicht auch zu nivibus hibernis passe, und weil
zweitens copia verborum nicht die Fülle der Rede bei Quintilian be-
deute, sondern, wie aus X 1, 5 erhelle, deu Sprachschatz, über welchen
der Redner verfügt. Indessen copia und impetu sind nicht abl limita-
tionis, sondern instrumenta so dafs die alleinige Beziehung auf vis
orationis völlig gerechtfertigt ist. Und wenn copia verborum bei Quin-
tilian wirklich immer blofs den Sprachschatz des Redners bedeutet, so
ist doch so viel klar, dafs dem Ulixes durch den Zusammenhang ein
reicher Sprachschatz vindiziert wird, woraus sich denn die Fülle der
Rede von selber ergiebt.
17. Derselbe Eussner handelt N. Jahrb. 131. Bd. S. 615 617 (cf.
Litt. Centralblatt 1885 No. 22 Sp. 753f.) über X 1, 90. 1, 22. 1, 79.
2, 17. 7, 5. Dafs 1, 90 das überlieferte et ut dicam quod sentio, magis
inst. or. 9
oratoribus quam poetis imitändus sc. Lucanus das einzig richtige i-t. sah
schon Claussen: quaest. Quintilianeae S. 357 Anm.. was Eussner entgangen
ist, s. auch unter Hild. - 1, 22 will Eussner in den Worten quin etiam
si minus pares videbuntur aliquae das quin streichen. Es unterliegt
keinem Zweifel, dafs dadurch der Stil Quintilians verbessert wird, denn
ein doppeltes quin etiam in einem und demselben Paragraphen ist ent-
schieden anstöfsig, nur nicht bei Quintilian. cf. Bonneil- Meister S. 13.
Auch das ist zweifellos, dafs der chiastische Gegensatz zwischen utilis-
simum . . utrimque habitas legere actiones und easdem causas . . utile
erit scire durch diese Tilgung schärfer markiert wird. Ob aber deshalb
quin zu streichen, ist mir doch nicht so ganz zweifellos, denn was Eussner
als direkten Grund für die Tilgung beibringt, dafs nämlich »etiam durch
das folgende tarnen bedingt ist, was wieder durch quin verdunkelt wird.«
scheint mir nicht zutreffend. Warum mufs tarnen mit etiam in Bezie-
hung gesetzt werden? warum nimmt mau nicht si = etiamsi, dem es
durch ein gegenübertretendes tarnen nicht selten gleicht? cf. Cic. Pomp.
17, 50, pro Deiot. 9, 25, Sali. bell. lug. 85, 48 u. a. Quin etiam ist
deshalb gesagt, weil dieser Satz, der minus pares actiones zu lesen
empfiehlt, eine Ausnahme von der sonst konsequent befolgten Regel
bildet, dafs das Beste für den zukünftigen Rhetor grade gut genug isl
Also: so beachtenswert der Vorschlag Eussners ist und so sehr ich
wünschte, der Rhetor hätte geschrieben, wie Eussner will, für zwingend
halte ich die Änderung nicht Wie 1, 79 zu interpungieren ist. habe
ich Rhein. Mus. XLI1 S. 144 u. 14 5 dargethan. Damit fällt Eussners
Vorschlag die Worte so zu stellen: auditoriis enim so. non iudieiis eom-
pararat, honesti Studiosus: in inventione facilis, in compositione adeo dili-
gens e. s. s. auch unter Maehly. — Über 2, 17 werde ich mich bei Hild
aussprechen, und dafs es unnötig ist 7. 6 umzustellen quisquis autem
via ducetur1) </>'(■< t ante omnia rerum ipso serie velut duce, glaube ich
Phil. XEY 4 S. 722 u. 723 nachgewiesen zu haben. Da § 5 beginnt
nota sil primum dicendi via, so ist via dicet wenigstens vorbereitet, und
gerechtfertigt isl der Ausdruck durch die Parallele Cic. Brut. 12. 46
nam antea neminem solitum via nee arte sed aecurate tarnen ei de scripto
plerosque dicere. Die qualitative Verschiedenheil der Metapher ferner
denn duci ist sein- gewöhnlich (cf. XI 2, 39), serie velut duce sehr
kühn verbietet von einer Tautologie zu reden. Meister ist hier und
l, 22 Eussner gefolgt, auch l. 90 schreibt er mit Claussen und Eussner
et ut d.
18. Ferd. Meister giebt im Philologus XI, II. l S. 141 - 157
einen ausführlichen Jahresbericht zu Quintilian, in dem er sich nament-
lich mit Boettner, Becher, Schnell. Günther, v. Morawski, Ritter (Unter-
suchung über die Art und Herkunft der Quint. Decl.) und mit Beiner
•) dicet (.t 1. ducetur) schon in Bonn IIa Lex S
]0 Quintilian.
neuen Auflage des Bonnellscben 1. X beschäftigt. Wa Meister ^agt,
ihis ist alles aufs sorgfältigste and schärfste durchdacht and gegründet
auf eine seltene Vertrautheit mit dem Sprachgebranch des Rhetors.
19. E. Gruenwald, Quae ratio intercedere videatur inter Quin-
tiliani institutionem oratoriam et Taciti dialogum. Doctordissertation
von Berlin, Mayer & Muller. i««3. 57 S. 8. Reo.-. PhiL Rundschau
IV. Jahrg. No. 26 S. 785-787 von Eduard Wolff1).
In seiner Abhandlung (N. Jahrb. f. Phil. Supplementband 12) de
dialogi qui Taciti nomine fertur sermone indicium hatte Th. Vogel den
Nachweis zu erbringen versucht S. 254—266 ' Universum colorem (dialogi)
adeo esse Quintilianeum , ut non modo aequalem eius, sed amicum di-
scipulumve scriptorem fuisse statuendum sit'. Zu diesem Zweck druckt
er den Text vom Dial. XVIII — XXIII verbotenus ab und begleitet ihn
in den Anmerkungen mit Parallelen aus Quintilian. Gruenwald macht
sich den Gedanken Vogels zu eigen, ihn stützend resp. ergänzend. Kr
gliedert seinen Stoff folgendermafsen. § 1 S. 7- 27 de sermonis Dialogi
cum Quintiliano similitudine, § 2 S. 27 — 31 quae ex dictionibus modo
allatis etiam apud Ciceronem, Senecam, Plinium min. aliosque reperian-
tur, § 3 S. 31 41 de argumentorum et Dialogi et Institutionis oratoriae
similitudine, § 4 S. 41 — 49 de libello quem Quintiliauus de causis cor-
ruptae eloquentiae scripsisse se fateatur, § 5 S. 49—57 de Tacito Quin-
tiliani auditore. Um die Ähnlichkeit der Sprache des Dialogus mit der
Quintilians zu erweisen, folgt Gruenwald Schritt für Schritt dem Text
des Tacitus und zieht mit Ausschlufs jener von Vogel behandelten Capi-
tel alle Wendungen heraus, die er mit quintilianeischen belegen zu
können glaubt. Dafs diese Methode eine glückliche sei, läfst sich nicht
behaupten. Nicht Worte, Wendungen, Phrasen aufzuzählen genügt uns,
sondern die Erscheinungen abzuwägen, sie nach der lexikalischen, gram-
matischen und stilistischen Seite zu prüfen - darauf kam es an. Wir
haben wohl eine inventio des Stoffes, aber keine dispositio, es fehlt das
Systematische, und so geht der Blick für das Wesentliche verloren. Er-
scheinungen charakteristischer Art, wie z. B. ut sie dixerim dial. c. 34
cf. Quint I 6, 1, nempe enim c 35 cf. II 13, 9, non quia c. Conj. c. 37
cf. IV 1, 37, paratus in c. 41 cf. X 5, 12 — diese und ähnliche waren
auf ihren historischen Ursprung und ihre Entwickelung hin zu unter-
suchen, um daraus die schriftstellerische Individualität beider Männer
resp. die Abhängigkeit des Dialogus von Quintilian zu eruieren. Bei
Gruenwald steht ohne Wahl Wichtiges neben Unwichtigem, ja neben
i) Aus Wolff a, a. 0. S. 787 — 792 ersehe ich, dafs auch Ludovicus
Kleiber, Quid Tacitus in Dialogo prioribus scriptoribus debeat. Diss. inaug.
Halens Berlin, Mayer & Müller 1883. 90 ö. 8. das Verhältnis zwischen dem
Dialog und Quintilian, namentlich am Schlufs der Dissertation, bespricht. Mir
ist die Arbeit nicht bekannt.
inst. or. 1 1
Trivialem. Was soll es der Wissenschaft nützen, wenn er aufführt und
belegt S. 8 hercule, invenis admodnm S. 11 natus ad, iam vero (in tran-
situ) S. 14 refertas (c. Abi.), apud te S. 15 dignnm aliquid S. 16 non
magis quam u. s. vv. ? Noch Dutzende von Beispielen könnte ich nennen.
Wenn dies Verzeichnis also stark durch die nebensächlichsten und land-
läufigsten Dinge aufgeschwellt ist, so fehlt hinwiederum in der Tabelle
S. 28 29, wo die mit dem Sprachgebrauch Ciceros übereinstimmenden
Stellen erwähnt sind, so viel, dafs selbst elementaren Anforderungen
nicht Genüge geschieht. Nur einiges sei herausgehoben. C. 1 ex me
requiris, cf. z. B. Cic. pro Caelio XXVIII, 67, Iuste Fabi, cf. pro. Mil.
III 8. In den Briefen Ciceros wird das Cognomen dem Gentilnamen
bekanntlich sehr häufig vorgestellt, wenn auch in sorgfältiger republika-
nischer Prosa dergleichen Transposition nicht vorkommt (Mommsen).
C 5 mihi coniunctiorem cf. Brut XCII 317. C. 6 attulerit (fut. II) —
commendat cf. ad Att X 8, 5. C. 17 vel (ter rep.) cf. Lael. IV 13.
C. 25 quamvis (in sent. mutilata) cf. Tusc III 30, 73. C. 29 cuiquam
ministerio cf. Verr. II 6, 17 und meine quaest. S. 15 u. 16. C. 31 alie-
mim erit oratori cf. pro Caecina IX 24 u. s. w. - Im dritten Abschnitt,
der eine Fülle inhaltlich ähnlicher Stellen des Dialogus uud der Insti-
tutio nach Eckstein bietet csed altero tanto auctam', streift Verfasser
S. 33 auch die Interpretation der schwierigen Stelle dial. c. 12 nee ullis
aut gloria maior aut augustior honor, primum apud deos, quorum pro-
ferre responsa et interesse epulis ferebantur, deinde apud illos diis ge-
nitos sacrosque reges, inter quos neminem causidicum, sed Orphea et
Linum ac . . . ipsum Apollinem aeeepimus, indem er passend nach Vogel
a. a. O. S. 264 u. 265 Quintil. I 10, 9 vergleicht, unpassend inter quos
mit dem weit entfernten ullis verbindet. In der angezogenen Stelle c 28
lasse ich mir die Beziehung des coram qua auf propiDqua schon eher
gefallen, hier aber halte ich diese Auslegung resp. Verbindung für schier
unmöglich. Baehrens stellt quorum ferebantur hinter reges, aber durch
das in der Luft schwebende proferre responsa, welches schwerlich mit
deos verbunden werden kann, läl'st auch er mindestens eine ungelöste
Schwierigkeit zurück. — Der vierte Paragraph sucht darzuthun, dafs
die Annahme der Identität des Dialogus und des in der inst. or. mehr-
fach erwähnten quintilianeischen Buches de causis corruptae eloquentiae
darum unstatthaft sei, weil der Titel nicht für den Dialogus passe und
andererseits jenes Buch des Quintilian mehrere Jähre später (?) verfafst
zu sein scheine, cf Reuter. Im fünften Paragraphen endlich nennt
Verfasser in Übereinstimmung mit Vogel a. a. <>. S. 266 und 277 Taei-
tus einen Zuhörer des Quintilian wie Plinius diu Jüngeren, ohne jedoch
wirklich durchschlagende Gründe für diese gewifs richtige Behauptung
beizubringen Denn um um- das Wichtigste zu erwähnen: wenn Tacitus
im Dialogus durch die Sprache Ciceros stark beeinflufst erscheint, so
mufs das doch nicht darin seinen Grund haben, dal- er durch die viva
12 Quintilian.
\n\ des Qnintiliazi Liebe für Cicero, Hafs gegen Beneca i n bat. —
Der Druck der Arbeit hätte sorgfältiger Überwacht werden Bollen An-
der Menge der Fehler erwähne ich nur einen, weil er über das Mals des
Erlaubten resp. Verzeihlichen einigermafeen binausgreift: 8. 10 locuples
X i, 67 statt X l. 87. Anstatt den Texl einzusehen, hat Verla
einfach den Fehler de- Bonnellschen Lexikons weitergetragen.
•jo. J. Farkas, Quintilianus pälyavälasztäsa. Paedagogiai 616t-
k6p, Kolozsvar. Progr. d. kath. Gymn 8. 90 8. habe ich nicht zuge-
schickt erhalten
21. P. Hirt, Jahresbericht zu Quintilian,- Zeitschr. f. Gymnasialw.
1882. 8. S. 312 317 besprichl mit sicherem kritischem Urteil Bonnells
1. X 5. Auflage von Meister. Dabei findet des Referenten Recension der
Meistersehen Ausgabe Phil. Rundsch. III N<>. 14 und 15 eingehende Be-
rücksichtigung. Spezielbwird meiner Rechtfertigung des durch L 8 über-
lieferten secundum (i, 53) gedacht und meiner Erklärung der lactea
ubertas (1, 32) = der reinen lauteren Fülle.
22. Ferd. Becher, Phil. XXXIX S. 181 u. 182 zu X l. <Jl quem
praesidentes studiis deae propius audirent? Durch Vergleich von Verg. Aen.
I 526 parce ]>io generi et propius res aspice nostras weise ich nach,
dafs die handschriftliche Überlieferung unantastbar ist, so dafs es weder
des Halmschen promptius noch des Woeltfiinchen pronius bedarf. Pro-
pius heilst nicht nur aus gröfserer Nähe, sondern auch mit gröfserem
Interesse und bezieht sich auf die wohlwollende, gnädige Teilnahme der
Musen bei der Vorlesung der Gedichte ihres Günstlings. Wie in der
Vergilstelle das Organ des Auges, so vermittelt bin- das Ohr die innere
Nähe, die seelische Beteiligung, s. auch Phil. Rundsch. III 15 S. 464
und cf. Ovid. trist. I 2, 7.
23. Ibid. XLIII S. 203-205 bespreche ich X 3, 25 ideoque lucu-
brantes silentium noctis et clausuni cubiculum et lumen unum velut n
maxime teneat. rectos ist sinnlos , nichtsnutzig alle dafür vorgeschlage-
nen Conjecturen, nicht zum wenigsten meine eigene quaest. S. 26 mit-
geteilte. Nur tectos, was ed. Leid, bietet, trifft das Richtige. Formell
ist nichts gegen velut tectos einzuwenden, denn rectus und tectus ist
eine häutige, weil naheliegende Verwechselung in den Handschriften,
recteque statt /ecteque (d. h. tectaegäe) steht z. B. in M auch IX 1. 20
cf. C. F. W. Müller adn crit. S. XCVII zu Cic. pro Deiot. 6, 16. Und
den Sinn anlangend, so ist tectus ein Ausdruck der Gladiatoren- und
Soldatensprache, aus der bekanntlich viele Metaphern Quintilian- stam-
men, cf. Orelli zu Cic. pro Dejot. 6, 16. Gegensatz zu tectus ist aper-
tus, wie der taktische Ausdruck latus apertum beweist, cf. Heraeus zu
Tac. bist. II 21. Wenn es sich hier nicht um ein Bild des Kampfes,
sondern um ein iustum proelium handelte, so würde natürlich velut über-
flüssig sein, so aber ist es vor der Metapher völlig am Platz, s. Wollner.
inst or. 13
24. Ibid. XLV S. 722 — 725 werden X 1, 72. 7, 6. 7, 24 u. 25.
7, 31 und 5, 13 einer Besprechung von mir unterzogen. 1, 72 schlage
ich vor zu lesen: tarnen habent alii quoque comici, si cum ingenio legun-
tur, quaedam quae possis decerpere, in der Überzeugung, dafs das über-
lieferte cum venia nicht genügt, weil es hier — im Gegensatz zu der
Frotscherschen Parallele Ovid Trist. IV 1, 104 (cf. ib. I 1, 46) — nicht
sowohl auf das blofse legere als auf das decerpere ankommt, und weil
das decerpere nicht etwa ein nachsichtiges, sondern ein aufmerksames,
verständiges Lesen voraussetzt. Grade von Menander sagt der Rhe-
tor 1 , 69 - worauf mich Woelffiin brieflich ausdrücklich aufmerksam
macht — qui vel unus, meo quidem iudicio diligenter lectus ad cuncta,
quae praecipimus, effingenda sufficiat, cf. 1, 116 u. a.; 1, 69 drängt zu
cum diligentia, was mir gleichfalls in den Sinn gekommen, 1, 116 zu
cum iudicio, was Schoell eingesetzt wissen will: beide Vorschläge werden
durch das obige cum ingenio überflügelt, weil es handschriftlich viel
näher liegt (m = in) und dem Sinn volles Genüge bietet, denn cum in-
genio heifst »mit Verstand« (Georges) cf. Cic. ad fam. XIII 10, 2 und
Ulp. Dig. I 16, 9 patientem esse proconsulem oportet, sed cum ingenio,
ne contemptibilis videatur. Über 7, 6 siehe unter Eussner. — 7, 24 u.
25 nehme ich die Überlieferung von M. in Schutz: est alia (illa B, et
illa die Herausgeber mit Spalding) exercitatio cogitandi totasque mate-
rias vel silentio (dum tarnen quasi dicat intra se ipsum) persequendi e. s.
cf. IX 2, 57 est alia non quidem reticentia e. s. Was man immer
als Parallele anführt IX 3, 35 est et illud repetendi genus, quod simul
proposita iterat et dividit, pafst absolut nicht, weil jenes repetendi einem
in unserer Stelle zu ergänzenden dicendi entspricht, cogitandi e. s.
aber grammatisch jenem Satz mit quod gleicht. Cogitandi und perse-
quendi sind genetivi definitivi oder epexegetici, wie fines montium et
fluviorum, exitus mortis. - In den schwer zu erklärenden Worten 7, 31
fasse ich contraxit = gesammelt (cf. Tac. dial. c. 37). Tiro hat die
commentarii Ciceros gesammelt und veröffentlicht, ab ipso (sc. Cicerone)
in memoriam posteritatis non sunt compositi. — quos non ideo excuso e. s.
heifst: Diese Skizzen in ihrer durch den privaten /weck bedingten Ge-
stalt entschuldige und rechtfertige ich (excuso) nicht deshalb, als ob
sie mir nicht gefielen, sondern damit sie — auch in dieser Form — noch
gröfsere Bewunderung für den Genius des Verfassers erwecken. — Durch
Vergleich endlich von III 5, 10 Milo Clodium occidit, iure occidit insi-
diatorem: nonne hoc quacritur, an sit ins insidiatorem decidendi wird
die Überlieferung von 5, 13 verteidigt: aam quid interesl d Cornelius
tribunus plebis, quod codicem legerit, reus sit* an quaeramus: violeturne
maiestas, si magistratus rogationem suam populo ipse recitarit? e. s.
Die finita oder specialis causa zeigt hier wie III 5, 10 und VII l, 34
die Form der assertorischen Behauptung, denn reus sit ist blofa durch
die disjunktive Frage hervorgerufen, die infinita causa dagegen erscheint
14 Quintilian
in der Frageform, einer Form, die den Schriftsteller min nicht mehr in
den beides folgendes finitae und infinitae quaestionee rerläfst
25. P. Teichert, De fontibua Quintiliani rhetoricis. Diss. Königs-
berg (Beyer). 8. 58 S.
Der Zwick der Schrift wird 8. ] mit folgenden Worten angegeben:
eruere in animo est, quae ex Aristotelis. Etutilii, Cornificii libris rheto-
ricis sumpseril Fabius, Bumptis quomodo usus Bit, quod in rebus ambi-
guis \el controversis iudicium ostenderit, quae ex snis addiderit. Die
Ausführung hält nicht ganz, was die Einleitung verspricht: Rntilius wird
ausgemerzt und für die Zukunft aufgespart (cf. 8. 58), der Verfasser
handelt nur S. 2-35 de Aristotele Quintiliani auctore, 8. 36 — 58 quae
ex Cornificii libris rhetoricis habeal Quintilianus. Wenn .Meister jetzt
in dem index scriptorum a Quintiliano citatorum, qnorum opera extant
(S. 339) 21 Stellen des Quintilian unter Aristoteles angiebt . 30 werden
wir die erste de interpretatipne 2, 3, cf. Quint. 1, 6, 28 mit Teichert
S. 24 u. 25 ausscheiden, weil es mehr als wahrscheinlich ist, dafs diese
Stelle nicht aus Aristoteles, sondern aus Cic. Top. VIII 35 geflossen ist.
So bleiben 20 Stellen, dieselbe Zahl wenigstens wie bei Teichert (S 3):
»Duos tantum libros nominatim laudat Quintilianus: libros de arte rheto-
rica tres et Gryllum\ alios eum evolvisse coniectura modo assequi possu-
mus, quia ipsi libri interierunt: aüvaywyijv -syvwv, ao^caz^v, artem Theo-
decteam. Alios eum non evolvisse aut certum est ut librum de inter-
pretatione, aut vero proximum, ut illum de categoriis« S. 31. Wie steht
es nun mit der ~ixwl i>rt~opixi) als Quelle des RhetorsV Teichert ver-
gleicht beide Autoren hinsichtlich der definitio, materia, den partes rhe-
torices, genera causarum, Status und probationes, aber das Resultat ist
sehr kläglich: »hoc tenenduin est praeter definitionem artis rhetoricae
et nonnulla exempla nullam sententiam ad verba tarn similem esse Aristote-
leae ut inde originem duxisse manifestum sit« S. 32 u. 33. Wir sind eben
fast immer auf verschiedene Möglichkeiten angewiesen, und die Angabe
jener 20 Stellen — Halm bietet mehr und Teichert stimmt im einzelnen
nicht mit Meister — ist nur ein Notbehelf das ursprüngliche Eigentum
des Stagiriten auszusondern. Thatsächlich gilt von Quintilian dasselbe,
was Madvig de fin.2 exe VII S. 843 von Cicero sagt: multa Aristotelis
de multis rebus iudicia sie per aliorum libros sparsa fuisse ut ea Cicero
et ponere et ad Aristotelem auetorem referre posset, etiamsi ipse ea ex
eius libris non sumeret. Nun erwächst aber der Quellenforschung eine
grofse Schwierigkeit. Es giebt Stellen, wo Quintilian grofser Nachlässig-
keit (V 10, 17; III 6, 49; IV 2, 32; III 7, 1), ja der Unzulänglichkeit
(III 8, 63, III 9, 5) in der Benutzung des Aristoteles geziehen werden
kann, während andere II 17, 14; III 6, 60; III 6, 49; VIII 3, 37; III
8, 8; VIII 3, 6 geeignet scheinen, nicht nur eine genaue Kenntnis des
Stagiriten, sondern teilweise sogar Schärfe der Auffassung und der Com-
inst. or. 15
bination in der Wiedergabe der Vorschriften jenes zu bezeugen. Teichert
hilft sich auch hier, indem er behauptet, die Vertrautheit des Rhetors
mit Aristoteles sei nur scheinbar, in Wahrheit verdanke er vieles sekun-
dären Quellen, wie Cicero und Dionys von Halicarnass- Und dafs sehr
viele Lehren des Aristoteles Gemeingut der Ehetoren geworden, bezeugt
Philodem (vol. Hercul. tom. III S. 185) (zä nepl zä rAhrt) zohz pyzopag
ou; 06 npogrjxov kauzoTg obx iyyeiprßat ix za>v "Apiazozikoug jxzzs.vzy-
xecv zä XotTcä /iszsvrjvo^üzag. Jedenfalls ist Stahr (Aristoteles bei
den Römern) den Beweis schuldig geblieben, den wir nach seinen Wor-
ten S. 113 erwarten: »Wie genau und sorgfältig Quintilian diese (sc. die
Rhetorik des Aristoteles) benutzt hat, soll erst weiterhin nachgewiesen
werden.«
Im zweiten Abschnitt thut der Verfasser recht daran die vier
Bücher Rhetorica ad C. Herennium — nach dem entscheidenden Vorgang
von Kayser — dem Cornificius zu vindizieren. Ebenso richtig ist es,
wenn er Quintilian von dem Vorwurfe des malignum silentium (Kayser
praef. ed. S. 13) befreit, als habe unser Rhetor an verschiedenen Stellen
absichtlich den Namen des Cornificius verschwiegen, weil er fürchtete,
jene Bücher möchten dem Ruhme seines Werkes Abbruch thun. Ich
stelle mir mit Teichert den Quintilian als eine ehrenhafte, zum Aner-
kennen geneigte Persönlichkeit vor, der nichts ferner lag als kleinliche
invidia (cf. X 1 , 40). Die Stellen , welche Kayser als besonders be-
weiskräftig für seinen Vorwurf anführt, sind nicht aus Cornificius,
sondern aus Cicero de inv. geflossen. Man vergleiche z. B. inst. III 6,
13 mit de inv. I 10, 13 f., inst. IV 2, 83 mit de inv. I 20, 29, inst. IV 2,
44 mit I 20, 29 u. s. w. Benutzt ist nur 1. IV des Cornificius, wie denn
auch Meister in seinem index S. 345 nur zu diesem Buche ein Dutzend
Stellen angiebt. — »Exilia sane sunt quae invenit P. Teichertus in
Dissertatione, quam audacius quam rectius inscripsit de fontibus Quin-
tiliani rhetoricis. quamquam non homo doctus est arguendus sed Fabius,
qui fontes suos caute (!) occultavit,« sagt Reuter S. 71 Anm. mit Recht
(s. No. 62). - Der Druck ist nicht sorgfältig kontroliert, die Latinität
nicht korrekt genug. Von disertis verbis S. 20. 23. 32 statt diserte Liv.
(aperte Cic) will ich nicht viel reden, aber herausheben mufs ich doch
beispielsweise S. 9 quorum (sc. rhetorum) annon unus alterve aeque ac
Fabius ceterorum auctorum defimtiones perstrinxeriit, discerni non nun
potest, sed a verisimilitudine non abhorret. Der Verfasser meint im
perstrinxerit. Ebenso inkorrekt ist S. 48 quem ipse maxime acstiniabat
(s. Krebs-Schmalz S. 111) u. a. Warum ist nicht nach Halm citiert?
An die Erfüllung des S. 58 gegebenen Versprechens de Rutilio et Cice-
rone Fabii auetoribus zu handeln, wollen wir den Verfasser freundlichst
gemahnt haben.
26. M. Kiderlin, Zu Quintilianus. Jahrbücher für Philologie.
131. Bd. 2. Heft. S 113 138- (a).
Iß Qnintilian.
27. Derselbe, Zn Quintilianus ibid. 188. Bd. 8. H. B. 200 802. (b).
28. Derselbe, Kritische and exegetische Bemerkungen zn Quinti-
lian. Blätter f. d. bayr. Gymn, XXII l S. l L9, XXII 4 S. 199 —
215. XXII 6 S. 349- 877. (c).
20 Stellen aus den ersten f&nf Büchern werden in dein ersten Auf-
satz einer Besprechung unterzogen. Sie sind nicht nach der Reihenfolge
der Bücher und CapiteL, in denen sie vorkommen, geordnet, sondern nach
der Art der Fehler, die dem Verfasser vorzuliegen scheinen. Sieben Stellen
sucht er durch die Binzufügung, Beseitigung oder Veränderung eines
einzigen Buchstaben zu verbessern: III 5, 14; IV 1, 5G. l, 33. 2, 69;
I 5, 54; II 20, 5; V prooem. 4, anderen sieben glaubt er durch die Ein-
setzung eines Wortes beizukommen: II 11, 6. 15, 33; III 4, 2. 11, 9.
6, 26; IV 2, 70; I 12, 7. In drei Stellen scheint ihm mehr als ein Wort
ausgefallen: II 21, 7; III 6, 12; I 6, 5. Durch Interpunktionsänderung
heilt er I 5, 31. Nebenher finden IV 3, 3 und III 11, 9 ihre Erledi-
gung. Der zweite Aufsatz beschäftigt sich mit II 1, 4 und II 13, 2. -
Im dritten endlich werden über 50 Stellen aus den ersten drei Büchern
behandelt, sechs aus 1. III, die übrigen etwa in gleicher Anzahl aus
I und II. -
Gründliche Forschung, reicher Ertrag — das ist die Signatur die-
ser Kiderlinschen Arbeiten, für deren Güte am besten zeugt, dafs der
vorsichtig abwägende Meister eine ganze Reihe der hier mitgeteilten Ver-
besserungsvorschläge als gesichert in den Text seiner neuen Ausgabe
aufgenommen hat. KiderKn handhabt die Methode leicht und geschickt:
der Zusammenhang der Stelle wird klar analysiert, der Schade scharf-
sinnig aufgedeckt, die Heilung frischweg versucht, nicht selten mit Glück.
Wenn trotzdem bei zehn richtigen Diagnosen nur einmal etwa die Hei-
lung gelingt, so soll das kein Vorwurf und keine Einschränkung des
eben Gesagten sein. Glücklich der Kritiker, der mit scharfem Blick die
kranke Stelle findet, sie sogleich zu heilen wird er nicht immer imstande
sein, manche Krankheit spottet aller menschlichen Kunst, manche for-
dert einen langen Heilungsprocefs und dauert hartnäckig, bis die wissen-
schaftliche Forschung oder der Zufall neue Quellen der Erkenntnis er-
schlossen. Stellen freilich, wie die folgenden, sind gesund: Kiderlin hätte
sie unangetastet lassen sollen. III 5, 14 (cf. a S. 113 u. 114) sunt ta-
rnen inscripti nomine Hermagorae libri qui confirmant illam opinionem,
sive falsus est titulus sive alius hie Hermagoras fuit. nam eiusdem esse
quomodo possunt qui de hac arte mirabiliter multa composuit, cum . .
materiam rhetorices in thesis et causas diviserit? Es versteht sich, dafs
mit der opinio, welche die libri eines gewissen Hermagoras vertreten,
die Ansicht derjenigen gemeint ist, die inutiles oratori putant univer-
sales quaestiones (§ 12). Wenn nun der bekannte Hermagoras, qui de
hac arte sc. orandi (Kiderlin de hac parte) mirabiliter multa composuit,
Quintilian. 1 7
materiam rhetorices in thesia und causas teilt, so ist das dem Rhetor
ein Beweis, dafs er jene libri nicht verfafst bat, in denen die univer-
sales quaestiones verworfen sind. Qui de hac arte m. m. composuit dient
blofs zur näheren Bestimmung des bekannten Hermagoras, ist epexegetisch
zu eiusdem gesetzt; de hac parte ist durchaus überflüssig. -
Für ebenso überflüssig halte ich eine Änderung der Worte II 11, 6
(ib. S. 121 u. 122): qui plurimum videntur habere rationis, non in cau-
sas tamen laborem suum, sed in locos intendunt. (Kiderlin: sunt qui).
d. h. welche (unter den Naturalisten) noch die meiste Methode zu haben
scheinen, richten ihre Thätigkeit dennoch nicht, trotzdem sie ... schei-
nen, auf ganze Verhandlungen, sondern auf einzelne Teile: die übrigen
folgen dem vulgaris modus (11, 1), d. h. der gemeinen Methode, die noch
immer eine Art von Methode ist (der Naturalismus nämlich), trotzdem
sie = nulla ratio ist; nulla ratione adhibita (11, 4) ist sehr gut von
Baur übersetzt: sie folgen keiner vernünftigen Methode. Von denjenigen
aber, die noch die meiste Methode unter den Naturalisten haben, läfst
sich sehr gut »im allgemeinen« sagen, dafs sie ihre Bemühung nicht auf
ganze Verhandlungen richten, weil es eben Naturalisten sind. — Dafs
es II 21, 8 (ib. S. 131 u. 132) ausreicht mit dem Schriftsteller zu sagen:
nam de omni materia dicere eam fatentur, propriam habere materiam,
quia multiplicem habeat, negant und des Einschubes qvia in eadem ver-
setur et alius , finitam hinter materiam nicht bedarf, geht aus folgender
Erwägung hervor: Weil die materia eine multiplex, darum in eadem ver-
satur et alius, das zweite ist die Folge des ersten. Infinita, non propria
läuft auf denselben § 7 erwähnten Vorwurf hinaus: eamque artem circum-
currentem vocaverunt, quod in omni materia diceret. — I 6, 5 (ib. S. 134
— 136) sagt der Rhetor: comparatio in nominibus . . deprendit deelina-
tionem, ut si veniat in dubium, chac domu' dicendum sit an 'hac domo'
ot'domuum' an 'domorum' similia sint [domus] 'anus manus'. Der Ab-
lativ von domus heifst domo und domu — letzteres selbst cieeronia-
niscb - , der Genitiv domorum und domuum (s. Neue I S. 520 u. 521).
Quintilian setzt den Fall, dafs es zweifelhaft sei, ob hac domu oder hac
domo u. s. w. zu sagen, und um dies dubium zu entscheiden, greift er
zu den similia, de quibus non quaeritur: anus, manus. Fafst man die
Sache so theoretisch -abstrakt, so schwinden alle Bedenken. Wer die
ratio fragt und nicht beim usus Hilfe sucht, der thut ganz recht
anus und manus zum Vergleich heranzuziehen und würde unrecht thun
pomus ulmus als Analoga zu wählen, darum die Conjektur similia sint
pomua ulmus, von anus manus liberflüssig. Ich stimme dem Gedanken
nach durchaus mit Faber überein, sowie ich Meyer in der Tilgung von
domus recht gebe. Wenn nicht Uli vorherginge, Konnte domus allenfalls
von similia so Quintilian auch sonst abhängig gemacht werden,
vgl. Iw. Müller: Jahresb. 1876. II S. 273. — Denselben Fehler des Ver-
fahrens, wie an dieser Stelle, finde ich auch II !. t (b. S 200 u. 201):
Jahresbericht für Alterthnmawlaaenscbafl 1.1. 11.1 (1887. II.) 2
j g Quintilian
eine falsche Prämie e erzeugte einen falschen Schlafs, and der falsche
Schlafs brachte in kühner Consequenz eine ebenso gewagte, wie aber-
iiu ige Conjektur hervor. Weil Kiderlin II l. i die Überlieferung im
anzureichend erachtet and ihm die Verwischung des Bildes anzulässig
erscheint, so machl er aus aam tenuis ;i fönte adsumptü hiatoricorum
criticorumque (A) viribus pleno iam satis alveo iluit - mit Berücksichti-
gung der durch Bn pr. m. vertretenen Lesart bistoricorumque (ohne
criticorumque) — adsumptia tot rivorum fluviorumque viribus. Nun i-t
aber l. bei Quintilian die Confundierung von Bild and Gedanken durch-
aus nicht ungewöhnlich (s. X l, 4 und Voigtland de brevitate Quintilia-
aea S. 10) und 2. Bn corr. m. 2 und ßg bieten poetarum historicorum-
que, eine Lesart, aus der niclit nur die Corruptel der übrigen zu er-
klären, sondern die auch allen Anforderungen des Sinnes genügt, wie
I 4, 2 — 4 deutlich zeigt. Dort, wie hier in gleicher Sache derselbe Fort-
schritt: 1. poetae, 2. historici (denn diese Etappe liegt angedeutet in
den Worten a. a. 0. nee poetas legisse satis est: excutiendum omne
scriptorum genus non propter historiaa modo), 3. omniuni maximarum
artiura scientia. Übrigens bleibt auch bei der Kiderliiischen Conjectur
das Bild durch viribus unterbrochen, die Parallele IX 4, 7 totis viribus
fluit pafst nicht, weil (oratio) quae conexa est et vorhergeht. — Die
Anerkennung einer nicht nur bei Quintilian, sondern auch bei Cicero u. a.
vorkommenden Freiheit der Rede, der sogenannten Synesis, verbietet
es, in den Worten II 13, 2 (ib. S. 201 u. 202) atque ideo res in oratore
praeeipua consilium est, quia varie et ad rerum momenta convertitur vor
varie das Substantiv ratio mit Kiderlin einzusetzen. Wenn es IX 3, 4
ohne weiteres heifsen kann quodsi quis parce et, cum res poscet, utetur,
velut asperso quodam condimento iueundior erit, ohne dafs oratio ein-
geschoben wird, was Spalding wollte (cf. Yoigtland S. 5), so wird sich
auch hier aus orator das Subjekt oratio zu convertitur leicht ergäuzen
lassen (s. Seyffert-Müller Lael. S. 188), um so leichter, als mit der oratio
gewissermafsen doch auch orator varie et ad rerum momenta cuuvertitur,
beides natürlich durch eine Änderung der ratio veranlafst. — Durch
Synesis möchte ich auch I 3, 12 und auch I 3, 5 erklären (cf. c. S. 8 -
10). Wenn der Redner sagt mores quoque se inter ludendum simplicius
detegunt, modo nvlla videatur aetas tarn infirma, quae non protinus quid
rectum pravumque sit discat, tum vel maxime formanda, cum simulandi
nescia est et praeeipientibus facillime cedit, so ist es keine Frage, dafs
formanda grammatisch korrekt mit nulla aetas verbunden werden mufs,
und da das selbstverständlich nicht angeht, so korrigiert Kiderlin den
Text durch tum vel maxime mens est formanda. Aber wie, wenn die
Schriftsteller nicht immer grammatisch korrekt verfahren wären, wie,
wenn wir recht hätten einer gewissen grata negligentia mitunter das
Wort zu reden? Bei der Synesis geht nicht alles nach der Tabulatur,
sondern was dem Geiste des Schreibenden vorschwebt, ist entscheidend:
Qnintilian. 19
hiev ist es das Alter der Kleinen, und dazu pafst vortrefflich t. v. m.
formanda. Ebenso möchte ich I 3, 5 in den Worten non subest vera
vis nee penitus inmissis radieibus nititur nicht mit Kiderlin profectus
vor penitus einsetzen , sondern entweder vis als Subjekt von nititur be-
trachten oder ein allgemeines »-er«, »der betreffende cui non subest vera
vis . . So heifst es Cic. Tusc. IV 24, 54 ista bellatrix iraeundia, cum
domum rediit. qualis est cum uxore? — I 1, 34 (c. S. 6) liest Kiderlin
nam prospicere in dextrum, quod omnes praeeipiunt, et i^oxiina provi-
dere non rationis modo, sed usus quoque est. Indessen da prospicere
hier klärlich die mechanische Thätigkeit bezeichnet, so werden wir dem
providere die geistige Thätigkeit vindicieren und mit dieser Differen-
ziierung der Synoyma die überlieferte Lesart ohne das Kiderlinsche
proxima schützen, cf. X 7, 9 u. 10. — Das Futurum gebraucht Qninti-
lian häufig für den Conj. imperativus (cf. Bonneils Lex. S. LH und LI1I):
eine Änderung des handschriftlich feststehenden I 4, 7 (ib. S. 10) at
(M) grammatici saltem omnes in haue descendtnt rerum tennitatem (des-
cendr/nt Kiderlin) erscheint mir daher nicht vonnöten. — Auch II 4, 33
(ib. S. 209 u. 210) scheinen mir die Bedenken des Verfassers ungerecht-
fertigt Warum soll ich des Rhetors Worten quae quidem suasoriis an
controversiis magis aecommodata sit exercitatio, consuetudine et iure
civitatium differt nicht übersetzen: ob diese Übung sich mehr eignet
für die (Form der) suasoriae oder die controversiae , so dafs derselbe
Sinn herauskommt, den Kiderlin durch seine Konjektur aecommodanda
sit erreichen will? Drei Änderungen mufs sich II 10, 0 (ib. S. 213
215) gefallen lassen Während die Handschriften bieten: erit Optimum,
sed certe sint grandia et tumida, non stulta etiam et acrioribus oculis
intuen ti ridicula, ut si iam cedendum est, impleat se declamator ali-
quando dum sciat e. s., möchte Kiderlin schreiben et tontum tumida. für
ut — mit und für aliquando - aliquo modo, Macht nicht die dreifache
Änderung von vornherein stutzig? Gewifs, aber das darf der vorurteils-
losen Prüfung der Vorschläge keinen Eintrag thun. Der Rhetor liält
es für das Geratenste, dafs den jungen Leuten Keine poetischen, aher
die Grenze des Glaubwürdigen hinausgehenden Themata zur Behandlung
überlassen weiden. Wenn schon dann will er die Aufgaben wenig-
stens grofs und schwülstig (nicht auch albern und für den schärferen
Blick lächerlich) in der Weise (sc. grandia et tumida), dafs, wenn denn
doch einmal nachgegeben werden mufs, der Declamator sich anfüllt und
aufschwellt, wenn er nur weifs, dafs er die Hypertrophie wieder zu seiner
Zeit abthun mufs. certe sint grandia et tumida steht in der engsten
Verbindung mit dem consekutiven ut impleat se declamator aliquando,
dum sciat, impleat se fast = sit grandis et tumidus, tantum tumida darum
nicht nur überflüssig, sondern falsch . weil es den Gegensatz zu (bin
parenthetischen non stulta etiam et ridicula /u stark herauskehrt
und dadurch die Gedankenverbindung mit ut stört Dafs es dem Rhetor
2*
20 Qnintilian.
jchwer wird diese Concession der grandia and tamida Themata, die das
,(. implere des Declamators zur Folge haben, zu machen, isl klar, wird
iuf8erdem durch -i iam cedendum esl ausdrücklich bezeugt, die nahe-
liegende Änderung aber aut für ut, die ich mir schon vor Jahren notiert,
i i unstatthaft, weil 3ie noch andere Zugeständnisse involvieren wurde,
nämlich die noch übrig bleibenden Btulta e1 ridicula, was sich von Belbsl
verbietet. Warum grandia (cf. II 11,3) ei tnmida keine Steigerung ent-
halten Milieu, vermag ich oichl einzusehen, jedenfalls isl die Möglichkeil
derselben aus X 2, 16 klar: fiuntque pro grandibus tumidi. Zudem isl
tumida nichl weniger und nicht mehr tadelnswert vom Standpunkl des
Rhetors als se impleat (cf. § ß ut exspatientur e.1 gaudeanl materia et
quasi in corpus eant.) Äliquando endlich erklärt sich au- dem durch
erit Optimum indicierten Gegensatz numquam, 30 öfter auch bei Qninti-
lian s. Bonnells Lex., und si iam entsprich! dem griechischen e? ye, e?
ye 8rj cf. Hand. Turs. III S. 141. - II 15, 10 u. 11 (cf. C S. 354-356)
lesen wir: a quo non dissentit Theodectes, sive ipsius id opus est, sive,
ut creditum est, Aristotelis : in quo est finem esse rhetorices, ducere ho-
mines dicendo in id quod auctor velit. sed ne hoc quidem satis est com-
prehenwm: persuadent enim dicendo vel dncunt in id quod volunt alii
quoque ut meretrices e. s. auctor mit B statt actor oder orator (Spengel)
zu schreiben, halte icli für richtig, comprehensus sc. finis zu emendieren
für falsch, behaupte vielmehr, dafs derselbe Sinn in den Worten Quinti-
lians liegt, den Kiderlin wünscht: hoc bezieht sich xarä avveatv auf tinem,
cf. X 1, 68, Seyffert-Müller Lael. S. 194 und oben; damit ist alle Schwie-
rigkeit beseitigt. Sallust liebt bekanntlich diese Art, s. Schmalz: b.
Cat. 1, 2. — Dafs in den Worten II 17, 4 (ib. S. 360 u. 361) quamquam
is, quod bis dissimile non est (A) composuisse orationem, quae est ha-
bita contra Socraten, dicitur auf Grund von B esset-?** et composuisse
eingesetzt werden müsse, kann ich Kiderlin nicht zugeben. Das ganze
Satzgefüge quamquam is, quod b. d. n. e. composuisse o., q. est habita
bringt den Gegensatz zwischen der spielenden Übung der Geister und
dem Ernst der Wirklichkeit klar zur Anschauung, so klar, dafs et die
Wirkung nur abschwächte. — Wenn ich quaest. S. 22 u. 23 in dem
Satze II 17, 25 (ib. S. 363 - 365) et medicus sanitatem aegri petit: si
tarnen aut valetudinis vi aut intemperantia aegri aliove quo casu summa
non contingit, dum ipse omnia secundum rationem fecerit, medicinae fine
non excidet. ita oratori bene dixisse finis est — für aliove quo casu
summa vorschlug aliove quo casu humano, so gebe ich heute Kiderlin
vollständig recht, dafs die von Qnintilian beliebte Unterscheidung zwischen
summa und finis das erstere durchaus rechtfertige und Spaldings Vor-
schlag, summa zu streichen, sowohl wie den meinigen überflüssig mache,
summa ähnlich X 2, 9, XII 11, 26. Sonderbar, dafs Kiderlin diese
Rettung der Überlieferung in die Anmerkung verwiesen. Hätte er sie
doch in den Text gesetzt, alles übrige, was er zu den Worten sagt, hat
Quiutiliau 21
nicht meinen Beifall. Erstens ist excich't und contigü unnötig — grade
so gut heifst es vorher si tempestatc fuerit abreptus, non ideo minus
erit gubernator und konnte es heifsen si t. äbripitw cf. Draeger: H. S.
II S. 674 u. f. dum fecerit steht unter dem Einflufs des Fut. excidet.
Und für ita oratori bene dixisse finis est zu schreiben b. dixisse satis
est ist ebenso unnötig wie kühn. Natürlich müssen die Worte den von
Kiderlin geforderten Sinn haben, aber den haben sie auch, ohne dafs
man vom Auslegen ins Unterlegen zu verfallen brauchte; tendit ad victo-
riam, qui dicit, sagt der Rhetor kurz vorher, summa contigit, qui vicit,
sagen wir, zu siegen ist das höchste und letzte Ziel, die ideale Auf-
gabe des Redners. Hebt er zu reden an, so weifs er nicht, ob er dieses
höchste Ziel erreichen wird, ebensowenig wie der Steuermann beim Ver-
lassen des Hafens weifs, ob er durch Sturmes Gewalt wird verschlagen
werden, oder wie es dem Arzt, wenn er einen Patienten in Behandlung
nimmt, verborgen ist, ob er mit besonderen Zufällen wird zu rechnen
haben, die die Genesung des Kranken unmöglich machen. Was aber
auch kommen möge, sie werden, ut summa contingant, es als ihre nächst-
liegende Aufgabe ansehen clavum rectum tenere, omnia seeundum ratio-
uem f apere, bene dicere. Sind sie am Ende und haben das höchste
Ziel nicht erreicht (victoria, salva nave in portum pervenire, sanitas
aegri), nun, — so trösten sie sich mit dem Bewufstsein erfüllter Pflicht
und lassen sich genügen (satis est.), und Quintilian wenigstens macht
ihnen keine Vorwürfe, sondern ist milde und liebenswürdig genug zu
sagen: (quemadmodum gubernatori clavum rectum tenuisse et medico om-
nia seeundum rationem fecisse) ita oratori bene dixisse finis est. Ist schon
hieraus klar, warum der Rhetor gut that das Perf. dixisse zu wählen,
so wird es noch klarer, wenn wir dem Satze einfach die notwendige
Ergänzung geben oratori, etiamsi non vicerit, bene dixisse finis est. Der
Blick ist eben auf das Ende gerichtet, von wo die Thätigkeit des Redners
nach finis und eventus überblickt werden kann. — Ebensowenig vermag
ich Kiderlin beizustimmen in der Behandlung von III 5, 1 und 5, 4
(cf. c. S. 376 u. 377) omnis autem oratio constat aut ex iis quae signi-
ficantur, aut ex iis quae significant, id est rebus et verbis. Da es keine
Rede giebt, die nur aus Gedanken, und keine die nur aus Worten be-
steht, für jede vielmehr das eine ebenso absolut notwendig wie das andere
ist, so streicht Kiderlin das erste aut und verwandeil das zweite in e1
mit Berufung auf III 5, 4, wo A allerdings bietet, illud iam omnes faten-
tur esse quaestiones in scripto et in non scripto im Gegensatz zu der
sonstigen Überlieferung, die alle Herausgeber bevorzugen, aut in scripto
aut in non scripto. Anstatt hier A das Wort zu reden und auf Grund
dessen III 5, l zu emendieren, glaube ich vielmehr umgekehrt, dafs 5, i
zuhalten und die Skriptur von A 5, 4 als irrtümlich zurückzuweisen isl
und zwar aus folgenden Gründen: Kiderlin geht von der falschen Unter-
stellung aus — die allerdings von vielen geteilt wird, als oh durch aut
22 Quiutilian.
nur Begriffe verbunden würden, die -i«'li gegenseitig ausschliefeen. Es
kann Kein besseres Beispiel für die Unrichtigkeit dieser gewöhnlichen
Rege) geben als diesi aal ex ii- qua< significantur aut ex iis quae
äignificanl einfach durch id esl rebus ei verbis erklärt wird. Dem Schrift-
steller fälll eg nichl ein mit aut-aul nur eins zur Wahl zn Btellen,
sondern alle beide können nichl nur sehr wohl neben einander bestehen,
sondern sind Bogar gewöhnlich mit einander verbunden (cf. Seyffert-
Müller zu Oic. Lael. S. 470). Es kommt blofa darauf an, was ich oder
wer sonst jedes Mal herausheben will für meine Zwecke. Eine Bestäti-
gung für die Richtigkeit dieser Erklärung finde ich auch II 17. 30
(c. S- 365 u. 366), wo Kiderlin Ntatt item aut dicenda eam docere aut
min dicenda schreiben will item aut dicenda et contraria dicendü eam
docere aut e. s. Gewifs genügte et - et nicht für aut -aut, aber aut-
;mt in dem entwickelten Sinne pafst vortrefflich zu dem folgenden ita
vel per hoc non esse artem, quod non dicenda praecipiat, vel per
hoc, quod, cum dicenda praeceperit, etiam contraria his doceat, ja ich
wage zu behaupten, dafs der Rhetor sich kürzer und treffender, d. h.
besser kaum ausdrücken konnte. -- Diese Stellen und noch andere, auf
die ich hier nicht näher eingehen kann, sind gesund und bedürfen des
Arztes nicht, an andere wirklich kranke hat Kiderlin seine Kunst nicht
vergeblich gewandt. Als geheilt betrachte ich IV 2, 69 (cf. a S. 115 u.
116) verum in his quoque confessionibus est aliquid quo de invidia, quam
expositio adversarii fecit, detrahi possit (so auch Gertz), I 5, 54 (ib.
S. 116 — 118) hactenus de soloecismo: neque enim artem grammaticam
componere adgressi sumus, sed cum in ordinem incurreret, inhonoratum
(sc. soloecismum) transire noluimus (inhonoratam die Haudschr.), III 11,
19 (ib. S. 129 u. 130) verius igitur et brevius ii, qui statum et conti-
nens et iudicationem [idem] esse voluerunt (idem Regius, om. Kiderlin
mit AB), I 5, 31 (ib. S. 136 138) est autem in omni voce utique acuta,
sed numquam plus una nee umquam ultima, ideoque in disyllabis prior,
praeterea numquam in eadem flexa et acuta [quoniam est in flexa et
acuta]: itaque neutra cludet vocem latinam (das Komma vor praeterea
von Kiderlin, die Athetese von Claussen u. a. s. Iw. Müller: Jahresb. 1876.
II S. 263 und Jahresb. 1879. II S. 165). 11,5 (cf. c S. 2 u. 3) nam bona fa-
cile mutantur in peius: quando (mit A, nam quando Bg) in bonum ver-
teris vitia. II, 15, 5—6 ib. S. 351 u. 352 Cicero pluribus locis scripsit
officium oratoris esse dicere adposite ad persuadendum, in Rhetoricis
tamen, quos sine dubio ipse non probat, finem facit persuadere. (etiam
die Handschr.) Man könnte auch an autem denken, was paläographisch
vielleicht noch näher liegt und öfter mit etiam verwechselt ist), II 15, 13
(ib. S. 356 u. 357) rhetorice est vis inveniendi (videndi Francius und Spengel)
omnia in oratione persuasibilia, II 15, 27 (ib. S. 357 — 359) Socrates . .
eam quidem, quae tum exercebatur, rhetoricen talem putat . . veram
autem [et] honestam intellegit, III 1, 12 (ib. S. 370 u. 371) horum primi
Quintilian. 23
communis locos tractasse dicuntur Protagoras, Gorgias, adfectas Proclicus,
Hippias, [et] idem Protagoras, Thrasymachus (kommt der Überlieferung
am nächsten). Wenn ich den Quintilian herausgebe, werde ich diese
Vorschläge als wirkliche Emendationen in den Text aufnehmen. Die
folgenden werde ich als höchst schätzbares Material unter dem Text
vermerken IV 1 , 56 (a S. 114) nee minus diligenter, ne suspecti simus
ulla arte (ulla parle libri , illa parte Regius) . . . quia videtur ars omnis
dicentis contra iudicem adhiberi. IV 2, 70 (ib. S. 127 u. 128) quaedam
enim quasi non defendamvs narrantes mitigabimus (der Gedanke richtig;
ob die Worte des Schriftstellers mit dem eingeschobenen defendamus ge-
troffen sind, ist eine andere Frage, es könnte auch in narrantes das
fragliche Verbum stecken). III 6, 12 (ib. S. 132 u. 133) nee in causa
Milonis circa primas quaestiones, quae sunt ante propositionem post prooe-
mium positae, iudicabo conflixisse causam (der Einschub von prop. p.
möglich, sinngemäfs jedenfalls). I 1, 36 (c. S. 6 u. 7) prosequitur haec
memoria in senectutem et impressa animo rudi usque ad mortem in mores
proficiet (usque ad mores die Handschr.). I 4, 8 (ib. S. 11 u. 12) non
enim [sie] coptumunT dieimus aut ' Optimum' = denn nicht sprechen wir
optwmus oder optmius — ganz probabel in der viel und von bedeutenden
Männern behandelten Stelle. I 8, 8 (ib S. 205 - 207) multum autem
veteres etiam Latini conferunt, quamquam plerique plus ingenio quam
arte valuerunt, [in primis copiam verborum] quorum in tragoediis gravi-
tas . . inveniri potest. I 12, 11 (ib S. 207 - 209) porro ut frequenter
experti sumus, minus adficit sensus fatigationis (fatigatio die Handschr.)
quam cogitatio cf. IV prooem. 7 et ipsa cogitatione suseepti muneris
fatigor. cogitatio, kritische Reflexion (= laboris iudicium) oft dem sen-
sus, dem Gefühl und der Empfindung entgegengesetzt, s. Seyffort-Müller
zu Lael. S. 194. Kein Zweifel übrigens, dafs Huet den Sinn der Worte
gefafst hat. II 14, 3 (ib. S. 349 u. 350) namque uno modo fit adposi-
tum, >/t ars rhetorica, navis piratica, altero nomen rei, qualis est philo-
sophia, amicitia (ars rhetorica ut navis piratica die Handschr.). Wenn
man nicht für ars rhetorica reyvaj jirjToptxv) einsetzen will, was mir in
den Sinn gekommen, so ist dies die beste Lösung der Schwierigkeit.
II 15, 6 — 9 (ib. S. 352 354) worden vier Änderungen vorgeschlagen,
probabel ist et vor Servium quidem Galbam . . einzusetzen, wodurch in
der That auf die leichteste Weise der Parallelismus zwischen et Bfanium
Aquilium und et Phrynen entsprechend dem vel recordatio meritorum
cuiusque vel facies aliqua miserabilis vel formae pulchritudo hergestellt
wird. Füge ich hierzu nocl diejenigen Stellen, denen Eiderlin durch
Interpunktionsänderung aufhilft, I l, 13 (c. S. 4), II 5. n u. 12 (ib.
S. 212), II 14, 2 u. 3 (ib. S. 350), II 14, 4 (iL. S. 351 vor profecto ist
aber ein Komma zu setzen), II 17. l I (ib. S. 362) III 3, i (ib. S. 372)
so habe ich getreulich diu Ertrag der Forschungen quantum
existimare possum - gebucht, und es bleibt mir blofs noch übrig, den
24 Quiniiliao
Wunsch auszusprechen, den jeder Kundige gerechtfertigt finden wird,
data der Verfasser Müsse finden möge, seinen Scharfsinn auch deu ron
ihm bisher Doch Dicht behandelten Büchern der institutio oratoria zu gute
kommen zu lassen
29. Fr. Scholl, Zu Ennius und Quintilian, Rhein Museum XL 2
5. 320 — 324 ist mir nicht zu Gesichte gekommen.
Ebensowenig
30. Delle istituzioni oratorie e dei giudizi letterarii sui poet latini
di M. Fabio Quintiliano. Per cura di A. Aldini. Livorno, tip. Griusti.
16. 105 S.
31. H. Nettleship behandelt in seinen conieetanea (Journal of
Philology N. 29 S. 22) zwei Stellen des Quint I 6, 1 und X 1, 83. Er
meint, die Anfangsworte von I 6 est etiam sua loquentibus observatio,
sua scribentibus seien an den Scblufs des 5. Cap. zu setzen hinter nam
ne'balare' quidem aut ' hinnire1 fortiter diceremus, nisi iudicio vetustatis
niterentur, und das 6. Cap. habe zu beginnen Sermo constat ratione,
vetustate, auetoritate, consuetudine. Dafs diese Meinung verkehrt ist,
zeigt der Anfang vom 7. Cap. Nunc quoniam diximus, quae sit loquendi
regula, dicendum, quae scribentibus custodienda, eine Recapitulation von
6, 1 in., wo das Programm für die beiden Cap. 6 und 7 aufgestellt ist.
— Beachtenswerter, ja blendend erscheint der Vorschlag X 1, 83 zu
schreiben quod de Pericle veteris comoediae testimonium est, in hunc
transferri iustissime possit, in labris eius sedisse Suadam [persuadendi
deamj statt quandam persuadendi deam, coli. Cic. Brut. XV 59 IIöSüj
quam vocant Graeci, cuius effector est orator, hanc Suadam appellavit
Ennius, ut, quam deam in Pericli labris scripsit Eupolis sessitavisse, huius
hie medullam nostrum oratorem fuisse dixerit. Indessen der Anstofs, den
Nettleship an der Überlieferung nimmt, schwindet, wenn man quandam
richtig versteht; quandam heifst eigentlich ein gewisses Etwas, was (als)
persuadendi dea (zu bezeichnen) ist, d. h. eine förmliche pers. dea oder
förmlich eine pers. dea, s. Seyffert-Müller, Lael. S. 467 uud quaest. S. 14.
cf. (gegen Halm) X 1, 81 quodam [Delphici] videatur oraculo dei in-
stinetus, X 1, 76, XII 10, 21 quadam eloquentiae frugalitate u. a.
32. Fr. Scholl, Zum Virgil des Probus und Quintilian. Rhein.
Mus. XLI S. 18-26.
Wenn auch der Vers Aen. I 109 'saxa vocant Itali mediis quae in
fluetibus Aras1 von den namhaftesten Kritikern längst verdammt ist. so
hat man ihn doch für altbezeugt gehalten , vor allem durch Quintilian
VIII 2, 14. Nun besagt aber der Rhetor. richtig verstanden, grade das
Gegenteil von dem, wofür man ihn geltend macht. Zunächst nennt Quintilian
den Verfasser des Verses nicht. Nachdem er ihn mit den Worten ein-
Quiutilian 25
geführt quibus adhuc peior est mixtura verborum, qualis in illo versu,
fährt er fort etiam interiectione e. s., während doch das vorhergehende
Beispiel, wie es in unserem Virgiltext steht, selbst eine interiectio ist.
Noch mehr spricht für die Annahme, dafs Quintilian den Vers nicht als
Virgilisch kannte, die Stellung der Worte (§ 15), die ein wirkliches Citat
aus Virgil bringen ' nam Virgilius illo loco' e. s. Und endlich tadelt
Quiutilian den Dichter nie so hart, wie hier mit einem 'quibus adhuc peior
est mixtura verborum' cf. I 5, 35 - Gründe genug für Scholl - und
uns zu der Behauptung, dafs ein aus der Rhetorschule bekannter Vers
eines Dichterlings als thörichte Erklärung zu Yirgils saxa latentia' bei-
geschrieben wurde und so in den Text kam. Interessant ist, wie
Scholl mit Berufung auf Quint. IX 3, 16 den Anstofs beseitigt, den
Ribbeck u. a. an Aen. IV 53 dum non tractabile caelum genommen
haben. Er setzt nach morandi ein Kolon und erklärt : » So lange der
Sturm und der wasserreiche Orion über dem Meere wütet und die Schiffe
noch schadhaft sind, so lange (dum = usque eo korrelativisch zu dem
vorhergehenden dum = quoad) darf man den Himmel nicht versuchen.«
Non tractabile c. ist vielleicht ein auguraler Ausdruck.
33. R. Sabbadini, Studi di Gasparino Barzizza su Quintiliano e
Cicerone. Livorno, Giusti. 8. 13 S. (Rec. Wochenschrift f. klass.
Phil. III 34 S. 1071- 1072 v. B. Kubier)
ist mir nicht zugegangen.
34. Die von der Beredsamkeit aus der Krieger- und Fechter-
sprache entlehnten Bildlichen Wendungen in den rhetorischen
Schriften des Cicero, Quintilian und Tacitus. Zusammengestellt von
David Wollner, K. Studienlehrer. Programm der K. Studienanstalt
zu Landau am Schlüsse des Studienjahres 1885/86. Landau 1886.
8. 44 S.
Wenn es den Römern, dem Volke der Eroberer, Überhaupi
war, Vergleiche und Bilder aus dem Gebiete des Kriegswesens zu wählen,
so mufste die Ähnlichkeit, welche der Redner mit einem Kämpfer hat.
namentlich wenn er vor Gericht als Ankläger oder Vertheidiger erscheint,
zum Vergleiche geradezu herausfordern. Verfasser unternimml es
unter Beschränkung auf die rhetorischen Schriften des Cicero, Quintilian
und Tacitus, einer Beschränkung, die den Stoff doch in gedrängter Form
bietet — solche vom Kriege für die Beredsamkeil entlehnten Bilder zu-
sammenzustellen. Ls ergeben sich ihm drei Hauptteile: der ersl
bis 16) umfafsl diejenigen Bilder, welche sich auf die Pflicht, den Cha-
rakter und die Person des Redners beziehen, zum zweiten (S. 16 29)
gehören diejenigen, welche die Redegewandtheil betreffen, der dritte
(S. 29—44) enthält diejenigen, in welchen die Thätigkeit des Redners
als Kampf aufgefafsl wird Dafs es nicht überall möglich war genau zu
26 Quintilian.
scheiden, weil in zahlreichen Beispielen da- Bild nicht anfeinem, son-
dern auf mehreren Worten beruht oder sieb auch über mehren Sfitzi
er treckt, thul der Sache keinen Abbruch. Interessant war es mir aus
den Ausführungen Wollners eine Bestätigung meiner Behandlung von
Quintil. inst. or. X 3, 25 (Philologus XI. III l 8. 208 205) herauslesen
zu können. Wollner selbst i t diese charakteristische Stelle entgangen.
Sie lautet: ideoque lucubrantes silentium noctis e1 clausum cubiculum et
lumen unum velut tectot maxime teneat. Tectus ist eine ganz gewöhnliche
Metapher aus der Gladiatoren- und Soldatensprache and bedarf des velut
an und für sich nicht, wie das die Beispiele zeigen, die ich a. a. <». bei-
gehracht. cf. Wollner S. 9. 14. 3G u. a. Dafs aber ea quae oculis vel
auribus ineursant — Vogelsang, der Flüsse und Wälder Bauschen and
was weis ich sonst, als Feinde des Menschen hingestellt werden, die
ihn an der Concentration seines Geistes hindern und gegen die er die
Waffen silentium noctis et clausum cubiculum et lumen unum als Schutz
benutzen mufs, das ist neu und verlangt einen Zusatz wie velut. »Eine
Art Mittelstufe bildet die Beifügung entschuldigender Worte zu einem
Bilde, das beim ersten Gebrauch noch als zu kühn erscheint«, S. 4.
Zuweilen verleitet den Verfasser Eifer für die Sache, Dinge hereinzuziehen,
die nicht der Kriegersprache entlehnt sind. Kann man bei aculeus (Cic.
de or. II 15, 64. Brut. 9, 38. or. 19, 62) denn im Ernst zweifeln, ob
an die Spitze einer Waffe oder an den Stachel eines Insektes zu denken
sei? cf. de fin. IV 3, 7, pro Sulla 16, 47 und Vogel zu Curtius IV
14, 54 temeritas est, quam adhuc pro virtute timuistis: quae ubi pri-
mum impetum effudit, velut quaedam animalia emisso aculeo, torpet.
Und ist es denn wirklich möglich bei insinuare und insiuuatio in erster
Linie den Gedanken an ein Überlisten aufkommen zu lassen? S. 29.
Doch dergleichen beeinträchtigt den Wert der Arbeit nicht. Ich gestehe,
dafs ich das Programm, das nur zum Teil in unseren Bericht gehört,
mit steigendem Interesse durchgelesen habe, und empfehle es allen , die
sich einen kurzen Überblick über diese Seite der römischen Sprache
verschaffen wollen, aus voller Überzeugung.
35. J. Maehly trägt in seiner Schrift 'Zur Kritik lateinischer
Texte' (der Alma Ruperto- Carolina zur Feier ihres fünfhundertjährigen
Bestehens gewidmet) — Basel, Schultzesche Universitäts- Buchhandlung,
1886 — S. 15 - 17 Conjecturen zu sechs Stellen aus Quintilian vor.
X 1, 3 vermutet er nam certe, cum sit in eloquendo positum oratoris
officium, dicere ante omnia opus esse atque hinc initium eius artis fluxis.se
manifestum est, proximum deinde imitationem, novissimum scribendi quo-
que diligentia™ sc. esse, fluxisse ist überflüssig, wie VIII 2, 7 zeigt
proprio tarnen unde initium est, cf. etiam VI prooem. 10 ut prorsus
posset hinc (Regius) esse tanti fulminis metus. Für opus esse schlug
Fr. Scholl (Rh. Mus. XXXIV S. 85) ante omnia uecesse est oder ante
Quintiliau. 27
omnia stat vor, was Maehly ebenso entgangen ist. wie meine Vermutung
ante omnia seiet (Phil. Rundschau III 14 S- 428), an der ich festhalte.
Imitationen! endlich hat Halm nach meiner Ansicht nicht olme Not in
imitatio korrigiert (diligentia hat G), nur est hinter imitatio halte ich für
unnötig, cf. I 3, l proximum imitatio. — Ibid. 11 liest Maehly: sunt
autem alia huius naturae ut idem pluribus voeibus declarent . . . alia
vero , etiamsi propria rerum aliquarum sint nomina vponixiog [quare]
tarnen ad eundem intellectum referuntur. Dafs tarnen von Halm mit Un-
recht in Klammern gesetzt sei, erkannten schon andere. /.. Li. Meister in
seiner Ausgabe. Die Art aber, wie Maehly die Entstehung des unver-
ständlichen quare erklären will — so nämlich, dafs im Archetypus die
erste Zeile mit alia vero quae endete, die zweite lautete etiamsi
re — und die dritte mit feruntur begann, ist umsoweniger überzeugend,
als er auf diese Hypothese die zweite baut, referuntur statt des über-
lieferten feruntur zu schreiben. Warum der Sinn gebieterisch das Com-
positum verlange, sehe ich nicht ein. Wie bei VI 3, 87 averti intellec-
tus et aliter solet, cum ab asperioribus ad leniora deflectitur und VIII 3,
44 in obscenum intellectum sermo detortus est die Idee eines Weges
vorschwebt, von dem zu einem andern Ziel abgewichen wird, so ist
es auch bei unserm ferri, wo zu einem Ziel vorgeschritten wird; ferri
wird in solchen Wendungen bekanntlich vielfach gebraucht, cf. X 3, 6.
Feruntur ist beizuhalten, quare zu tilgen. Ibid. 16 glaubt Maehly
excitat qui dicit spiritu suo, nee imagine ambitu (so G) rerum, sed rebus
incendit — imagine ambitu verschrieben aus imagine tantum. Ich halte
auch hier an meiner quaest. S. 23 vorgetragenen Auffassung fest, dafs
imagine als Glossem zu ambitu zu streichen ist. Weshalb Maehlys
Vorschlag zu ib. 79 in inventione facilis. disponendi studiosu> (Handschr.
honend st.), in compositione adeo diligens ut e. s. nicht zu billigen i^t.
habe ich Rhein. Mus. XLII S. 144 u. 145 nachgewiesen. — An der
Überlieferung des locus communis I 12, 7 adeo facilius est multa facere
quam diu hat nicht blofs Andresen Anstofs genommen, wie Maehly meint,
sondern auch Kiderlin. der Jahrb. für klasa Phil. 1885 Heft -2 s. L29
schreibt . . quam >n,,nn diu, Andresen Rhein. Mus. XXX S. 518) quam
midtwm, Maehly quam idem. Ich bin der Meinung, wir kommen mit dem,
was Iw. Müller (Jahresber. 1876. II S. 277) sagt, völlig aus: facilius esl multa
facere quam diu sc. unam rem, denn es gehl anmittelbar vorher quarum
nos* una res quaelibel nihil intermittentis fatigaret. Ahn- kann denn
gerade der Gegensatz zu multa fehlen? traut Kiderlin. Ich gebe die
Antwort mit Liv. XI A 20, 9 orantes, ne uova falsaque crimina plus
obesse Rhodiis aequum censerent quam antiqua merita, quorum ipsi
testes essent (cf. ib 24, 8). Wenn hier in dem mit quam beigefügten
Gliede aus obesse das contrarium prodesse zu ergänzen möglich ist, so
wird es auch in der Stelle Quintilians erlaubl sein aus multa — onum her-
auszuhören, umsomehr als una res noch dem Gedanken vorschwebt Das
yft Quintilian.
Gebiet der Brachylogie erstreckt sich in den alten Sprachen sehr weit
\ lll 3, 20 machl Maehlj aus der Lesart der Bandschriften prolem di-
cendi versü ei prosapiam (AG) »prolem« die, aon diversnm ei »prosa-
piam« insulsum im-, est dicere). Das liegl ja paläographisch nah'-, aber
selbst wenn non diversum ei adjektivisch so schlanfc weg zum Bubstan-
tivura — »idem significanso (Maehly) gesetzt werden könnte, so pafsl
doch prolem die schwerlich für Quintilian, ihn- das Wort selbst Dicht ge-
braucht, wohl aber zweimal I 6, 26 und III 7. 9 progenies. Zumpt nicht
iiln'l dicemus in versu, sed prosapia, Halm prolem dicere innsitatum est,
prosapiam insulsum »kaum richtig« (Maehly). Madvig (advers. crit. III
S. 214 u. 215 emendiert die ganze Stelle so: aerumna <iuid opus est, tam-
quam parum sit, si dicatur queo, horridum? . . . prolem dicendi in versu
j'ms est, prosapia insulsum.
36. Wölt'flin (Rhein. Mus. XLII S. 144) schreibt X 1 , 46 statt
des überlieferten ex Oceano dicit ipse (sc. Homerus) annium (GL) fon-
tiunique cursus initium capere — omnhim flmninum fontiumque c. (Osann,
Halm u. a. omnium amnium). Wölfflin vermeidet durch diese überzeu-
gende Emendation eine böse Kakophonie und das seltenere Wort am-
nium gewinnt einen in der Allitteration wohlklingenden Satz und das an
sich passendere fluminum (cf. X 1, 78), ohne die Homerische Parallele II. XXI,
196 zu vernachlässigen, cf. Archiv für Lexigr. III Heft 3. u. 4 S. 447. —
37. Becher (Rhein. Mus. ibid. S. 144 und 145). Die offenbare
Schwierigkeit in den Worten X 1, 79 in inventione facilis, honesti Studio-
sus, in compositione adeo diligens, ut cura eius reprehendatur (der ethi-
sche Gesichtspunkt gehört nicht in die Litteraturgeschichte und am aller-
wenigsten zwischen inventio und compositio) wird dadurch gehoben, dafs
ich interpungiere in inventione facilis, honesti studiosus in compositione,
adeo diligens, ut c. e. r. cf. IX 4, 146 u. 147 compositio debet esse ho-
nesta, iueunda, varia . . . cura ita magna, ut sentiendi atque eloquendi
prior sit; derselbe Chiasmus X 1, 97 (s. oben Eussner und Maehly).
38. Im Hermes XXII 1 S. 137 142 behandele ich 14 Stellen aus
dem zwölften Buche. 1, 7 entscheide ich mich für nam et cum insidia-
tur, spe, curis, labore distringitur, et, iam cum sceleris compos fuit, solli-
citudine torquetur, weil die Steigerung der Ängste, die alsbald nach voll-
brachter That eintritt, durch iam cum = alsbald wenn (cf. Liv. I 23, 9.
Cic. ad Att. III 22, l) gut zum Ausdruck kommt. — Wenn Davisius 6. 3
vorgeschlagen hatte dum et veniae spes (et venia et spes die Handschrif-
ten) et paratus favor, so mache ich daraus dum et veniaest. d. h. et
venire est spes. Nichts häufiger als die Verwechselung von et und est. —
7, 4 lese ich namque (so die Handschriften) defendet non omnes orator
idem, was den Vorzug vor der Schreibung der edd. vett. neque def. om-
nes o. i. aus zwiefachem Grunde verdient, weil es erstens der Form nach
vortrefflich zu dem folgenden non etiam piratis pafst, und weil zweitens
Quintilian 99
die Stellung des positiven defendet den beabsichtigten Gegensatz zu dem occv-
sare schroff herauskehrt. - Dafs Halm 8 , 7 liberum igitur demus ante om-
nia iis, quorum negotium erit, tempus ac locum exhortemurque ultro. ut
omnia quamlibet verbose et unde volent repetito tempore expunant mit seiner
Erklärung des repetito tempore = ab eo inde tempore unde volent repeten-
tes exponant in die Brüche geraten ist, halte ich nach meinen Ausführungen
für ausgemacht. Es läfst sich eben in diesem Satzgefüge ab-ulut nicht erklä-
ren. Ich denke, dafs ursprünglich blofs repetito dastand und dafs tempore,
eine leicht erklärliche Glosse zu unde volent, in den Text geraten ist und
die falsche Lesart in BM erzeugt hat. — Ebenso verunglückt ist Halms Ket-
tung der Überlieferung 10, 39 an non in privatis et acutus et indistinetus et
non super mocluni elatus M. Tullius? Er behauptet (Sitzungsber d. Bayr.
Akad. d. Wiss. 1869 II Heft 1 S. 19 u. 20), dafs indistinetus ein tech-
nischer Begriff sei und die Bedeutung habe luminibus oratoriis carens =
ohne rhetorischen Glanz und Flitter, aber den Beweis für diese Behaup-
tung ist er uns schuldig geblieben, wenigstens beweisen die Parallelen,
die Halm für distinetus in dieser Hinsicht beibringt Tac. dial. c. 18, Cic.
de or. II 36. 54, I 50, de inv. II 49, durchaus nicht, was sie sollen.
Aus Tac. ann. VI 8, Gellius praef. 2, X 20, 9. XIII 31, 5 und vor
allem aus Quint. VIII 2, 23 geht vielmehr hervor, dafs indistinetus nichts
anderes heifsen kann als »unklar, verworren«. Ist dies aber richtig, so
folgt, dafs in unserer Stelle entweder zu schreiben ist et non indistinetus
oder blofs et distinetus, wofür ich mich unter Berufung auf V 14, 33 ent-
scheide. — 10, 46 ist es mir nicht zweifelhaft, dafs der Rhetor schrieb
nempe enim (neque enim die Handschriften) fieri potest salva traetatiune
causae et dicendi auetoritate, si non crebra liaec lumina et continua
fuerint et invicem offecerint. cf. II 13, 9. VIII pr. 6 (Tac. dial. c. 35).
II 13, 9 in A dieselbe Corruptel. — 10, 50 ist teils nach Halm, teils
nach der Überlieferung so zu gestalten: at quod libris dedicatum in exem-
plum edatur et tersum {id Halm) ac limatum et ad legem ac regulam
compositum esse.oportere. Zu et-ac et-ac cf. /. I! XII m. 67.
lese ich mit Obrecht ac si unum est e duobus eligendum und 2, 31 mache
ich lesbar durch tantnm quod non cognitis de rebus admoneri (Spalding),
[<iui] non modo proximum tempus • . intueri >ati> credal bc. orator. Zur
handschriftlichen Lesart kehre ich gegen Halm zurück 2. 7 mit civilem
virum exhibeat; 3, 2 in discendo; 6, 6 ineipere ohne < (cf. IX t. 48.
X 7, 21); 7, 5 quorum certe pars est; 8, 1 n<-«|ii«' mini quisquam tarn
ingenio tenui reperietur. - Es ist mir eine grofse Freude und Genug-
thuung gewesen, dafs ich mit allen diesen Vorschlägen Meisters Zu-
stimmung (Buch XII der neuen Ausgabe) gefunden habe. Nur 7. ;. folgt
er der Überlieferung de- Voss. 1. der quorum certe ■' 1 pars est bietet,
und (.t, c, schliefsl er sieb mit Halm an I! M an aut si unum e duobus
eligendum. Wenn er ■_•. :ü in der verzweifelten st. dir mit Bonnell Liest
tantuni quod nun cognitis ilh rebus adquieverit, uni non und meine
30 Qaintilian.
Vermutung nichl in den Texl Betzt, sondern in der kritischen Note ver-
zeichnet, so isl das keine Differenz, und wenn er 10, 39 von den beiden
zur W'.ilil gestellten Wendungen ei non indistinctus und el distinctus die
ei tere vorzieht, so bedeutel das er I rechl keinen Zwiespall der Meinung.
39. Wölfflin, Zn Quintilian, Rhein. Mus. f. PhiloL N. F. XI. II
s. 310 318 handelt liher X l. 60 63. G5ff. l, 60 schlägt er vor
zu lesen: suninia in hoc (sc. Archilocho) vis elocutionis, cum validae tum
hreves vibrantesque sententiae, plurimum sanguinis atqne nervnrum. ade.,
nt videatur quibusdam, quod idem amarior esl (quoquam minor G) mate-
riae esse non ingenii vitium. Y<m dem Jambendichter verlangl man acer-
bitas nach § 96, das nimium des acerbum isl das amarum nach ij 117.
der Gedanke also vortrefflich und die Form § 113 angeglichen: in Asinio
Pollione summa diligentia adeo ul quibusdam etiam nimia videatur. In-
dessen so scharf die Beweisführung, so zwingend möchte ich fasl
sagen- die Schlufsfolgerung, mir macht der Obersatz Scrupel. quod
quoquam minor est drückt nach meiner Meinung nicht aus, »dafs Archi-
lochus diesem oder jenem nachstehe«, sondern dafs er überhaupt jemand
nachsteht, wenn das der Fall ist, denn quisquam stellt die Existenz in
Frage, ob der Jemand vorhanden ist oder nicht cf. Seyffert-Müller: Lael.
S. 43. Es ist klar, dafs damit dem ingenium das A. die höchste An-
erkennung gezollt wird: A. hatte ganz das Zeug dazu Nummer eins zu
werden und zwar als Dichter überhaupt, nicht blofs in der engeren
Sphäre der Jambendichtung. Dafs er es nicht geworden, dafs es mög-
lich ist von einem Vordermann bei ihm zu reden (Homer natürlich, denn
der schwebt immer als Nummer eins vor § 65), daran ist — so scheint es
einigen -- nicht sein ingenium, sondern die materia schuld. M. a. W.
die Meinung einiger ist die: Archilochus rangiert unmittelbar nach Homer,
wenn er nicht neben ihn zu setzen. Eine solche Rangordnung aufzu-
stellen ist ja durchaus im Geiste Quintilians cf. § 53. 85. 86. Von
Stesichoros keifst es § 62 si tenuisset modum videtur aemulari proximus
Homerum potuisse, sed redundat atque effunditur, quod ut est reprehen-
dendum, ita copiae vitium est. — 1, 63 liest Wölfflin (Alcaeus) in elo-
quendo quoque brevis et magnificus et elegans et (dicendi et G diligens
M diligens et Sc) plerumque oratori similis, während Halm dicendi vi
nach G konjicierte. Dem Urteile Quintilians liegen die Worte des Dionys
zu Grunde: 'AÄxatou Sk axonec zb i±£yaXo(pukg xa\ ßpa.%u xal rjob fierä
osivoTY]Tog, — xal npb &ndvt(uv zb zojv koXizixojv r.payjxdzwv ?j&og, von denen
juLsrä dsiv. Halm, rfiö Wölfflin beeinflufste. Mir will doch das in elo-
quendo diligens richtig überliefert scheinen, »diligens ist der, der
etwas mit Sorgfalt, Pünktlichkeit und Genauigkeit im Unterscheiden und
Auswählen betreibt und ausführt« (Krebs-Schmalz: Antibarb. S. 409, wo
aber in compositione adeo diUgons X I, 79 als Beispiel für diligens in
gestrichen werden mufs) So pafst das diligens durchaus zu in eloquendo
Quintilian. 3 1
— cum sit in eloquendo positum oratoris officium (X 1 , 3). Quintilian
hat sich auch sonst nicht sklavisch an den Wortlaut das Dionys gebun-
den, abgesehen davon, dafs sich elegans und r/Su nicht deckt. 1, 69
emendiert Wölfflin unter teilweiser Benutzung eines Wiegandschen Vor-
schlages (cf. Osann IV S. 20) sehr ansprechend hunc imitatus niaxime
est, ut saepe testatur, et secutus . . Menander cf. Ovid fast V, 157 158.
Ausgaben von über X.
40. M. Fabii Quintiliani institutions oratoriae über decimus. Er-
klärt von E. Bonneil. Fünfte Auflage von F. Meister. Berlin,
Weidmannsche Buchhandlung. 1882. 90 S. 8.
Die neue Auflage der bewährten Ausgabe ist in bewährte Hände
gelegt: sie bedeutet einen wirklichen Fortschritt in der Kritik so gut
wie in der Exegese. Wenn in letzterer — soweit sie dem Schüler zu
Hülfe kommen soll - vielleicht die Grenze des Notwendigen überschritten
ist, so wollen wir darüber mit dem Verfasser nicht lange rechten, um-
soweniger, als es immer darauf ankommt, wie weit oder wie eng der
Horizont derjenigen Schüler ist, denen man Quintilians 1. X zu inter-
pretieren hat. Das auf S. 89 u. 90 beigegebene Verzeichnis lehrt,
dafs Meister an 75 Stellen eine andere Constitution des Textes beliebt
hat als Halm, neun Stellen darunter sind von eigener Hand gebessert,
zweifellos richtig 2, 8 ac si omnia percenseas, nulla mansü (nulla sit die
Handschr.) ars, qualis inventa est, nee intra initium stetit. An das Fleck-
eisensche nulla est dachte schon Gensler analect. S. 45, wenngleich er
S. 46 fuit vorschlug und vorzog. - Unwahrscheinlich ist 1, 117 et ur-
banitas et sermo purm für das Bursiansche et fervor. — Im folgenden
erwähne ich kurz, wo ich mich von Meister entferne, indem ich zur Be-
gründung meiner entgegengesetzten Ansicht teils auf meine ausführliche
Recension dieser Ausgabe Phil. Rundschau III No. 14 S. 427 436;
No. 15 S. 457 - 470, teils auf die in Zeitschriften zerstreuten Bemer-
kungen verweise, die auch in diesem Jahresbericht ihre Berücksichtigung
finden. Ich lese: 1, 3 nam certe, cum sit in eloquendo positum orato-
ris officium, dicere ante omnia seiet, l, 7 et qaae idem significarenl
scio solitos ediscere, quo facilius sumerent aliud guod idem intellegi
posset. - 19 repetamus autem et tractemus. 23 quin etiam easdem
causas ut quisque egerit, utile erit scire. 40 neu est dissimulanda
nostri quoque iudicii summa. — 42 sed nun quidquid ad aliquam partem
scientiae pertinet, protinus ad phrasin, de qua loquimur, aecommoda-
tum. — 44 sunt etiam levis et nitidi et compositi generis nun pauci
amatorcs . . . Interim summatim quid et a qua lectione petere possint,
qui confirmare facultatem dicendi volent, attingam. P (sunl enim
eminentissimi) excerpere in animo est. 18 age vero, \wn atriusqae
operis sui ingressu. 54 quanto ^ii aliud proxiraum esse aliud
32 (Juintilian.
dum. 59 3ed dum adsequamur illam tirmam facilitatem. — G8 namque
i el sermone {quod ipmm reprchendunt. q 1 1 i t > u s </];i% ita - videtur
Bublimior) magis accedil oratorio generi 70 nisi forte aut illa [mala]
iudicia. 72 si cum ingenio leguntur. ibid. qui u1 pratu sui temporü
iudiciis Menandro saepe praelatus est. 76 ut nee quid desil in eo nee
quid redundet, invenias. 77 Plenior Aeschines el magie fusus et
grandi oratori similis. — 83 eloqucndi vi nc suavitate. — 106 omvia deni-
que, quae sunt inventionis. — 126 placere se in dicendo posse äs, qui-
bus illi placerent. 2, 17 Attici sunt scilicet; qui . . superant. .">. i:; nam
quid interest, Cornelius tribunus i>l* ■ 1 »i ^ . quod codicem legerit, reua sil
an quaeramus violeturne maiestas, si magistratus rogationem Buam po-
pulo ipse recitarit'. 7, 13 quem iurgantibus etiam mulierculis Buper-
fluere video\ quodsi calor ac spiritns tulit. frequenter aeeidit. 7, 24 vel
soli tarnen dicamus potius quam non omnino dicamüs. — 25 est alia
exercitatio cogitandi totasque materias vel silentio (dum tarnen quasi
dicat intra sc ipsum) persequendi. Andere Differenzen werden noch an
anderer Stelle ihre Erledigung finden: hier noch folgendes, l, 89 schreibt
Meister: Cornelius autem Severus. etiamsi sit versificator quam poeta
melior, si tarnen, ut est dictum, ad exemplar primi libri bellum Siculum
perscripsisset, vindicaret sibi iure seeundum locum. Hild (s. unten): poeta
melior. ut est dictum, tarnen si e. s. Dafs tarnen zu vindicaret gehöre,
gebe ich zu, dafs es deswegen vor si zu stellen, bestreite ich. Denn
wenn diese Einschiebung des zum Hauptsatz gehörenden tarnen in den
Nebensatz auch nicht »sehr häufig« bei Quintilian ist, wie Bonnell-
Meister meinen, die dieses si tarnen nicht gehörig von dem andern si
tarnen etwa = si modo (quidem) bei Cic. trennen, cf. IX 2, 55 in quo
est et illa si tarnen inter Schemata numerari debet . . . digressio, II 15.
4 u. a. s. Draeger: H. S. II S. 711, so giebt es doch wenigstens einige
Beispiele, die jene Änderung verbieten, cf. II 17, 24. 25, cum tarnen
ebenso XI 3, 91. Mifslicher wird das Hyperbaton durch das dem tarnen
beigefügte ut est dictum, was, wenn es überhaupt richtig und an richti-
ger Stelle überliefert ist, ebenfalls mehr zum Haupt- als zum Nebensatz
mit si gehört. Denkbar ist es immerhin, dafs in den Worten si tarnen,
ut est dictum e. s. auf eine sententia de Cornelio ab aliquo prolata hin-
gedeutet wird, wie Osann meinte Progr. V S. 1 1 nam ipsius Quintiliani
sententia inest in verbis etiamsi-melior'. Viel wahrscheinlicher aber ist
es, dafs umgekehrt der Satz mit si tarnen Quintilians Urteil wiedergiebt.
in etiamsi-melior aber die Meinung nescio cuius berücksichtigt wird. Ist
dies richtig — und auch die Form etiamsi sil versificator scheint dafür
zu sprechen, so folgt, dafs ut est dictum jedenfalls am unrechten Orte
steht. Schon Doederlein hat es deshalb, wie Hild, hinter poeta melior
gestellt, Fleckeisen sieht es lieber hinter etiamsi, wohl besonders wegen
versificator, ich stimme Halm bei, der es als Glosse zu etiamsi-melior
einklammert. — 3, 22 lesen Krüger. Meister, Bassi, Dosson, Hild mit
Quintilian (hb. X). 33
Halm: denique ut semel quod est potentissimura dicam, secretum quod
(B) dictando perit, atque liberum arbitris locum et quam altissimum
silentium scribentibus maxime convenire nemo dubitaverit. Wenn ich
trotz so vieler, zum Teil gewichtiger Stimmen die Lesart von Mb vor-
ziehe: secretum in dictando perit. Atque . . nemo dubitaverit, so ver-
anlafst mich dazu folgende Erwägung: Zu den Gründen, die der Rhetor
gegen das Diktieren aufführt, gehört als letzter, entscheidender und
abschliefsender, dafs das secretum dabei verloren gehe. Der Begriff des
secretum leitet zugleich zu dem folgenden Gedanken über. Nun ist kein
Zweifel, dafs zwischen den Sätzen denique ut semel quod est potentissi-
mum dicam und secretum quod dictando perit . . scribentibus maxime
convenire nemo dubitaverit ein Mifsverhältnis des Tones besteht, das durch
nichts motiviert ist. Gegen das schneidige ut semel q. e. potentissimum
dicam sticht und fällt das zaghaft schwankende nemo dubitaverit gradezu
ab: der energische Ausdruck der eigenen Willens-Meinung duldet nicht
den Appell an die vielleicht zweifelnde Ansicht anderer. Ob das quod
von B das quid vor est pot. hat verbessern sollen und ob es, an eine
falsche Stelle vom Rande in den Text geraten, das in verdrängt hat?
Atque in Übergängen macht keine Schwierigkeit cf. Seyffert Schob L. I
§ 14, nur darf man nicht, wie Meister mit Berufung auf 2, 20 thut, von
diesem atque reden, wenn man die Halmsche Lesung in den Text auf-
nimmt. Ist das aber immer noch verzeihlich, denn Meister hat aus
Bonnell4 die Anmerkung herübergenommen und nur übersehen, dafs
Bonnell im Text der Lesart in den Vorzug gegeben, so ist es gradezu
unverzeihlich, dafs Bassi und Dosson diesem Irrtum Meisters so zu sagen
die Weihe erteilen, dadurch dafs sie ihn blind wiedergeben. —
Zur Erklärung noch einige Bemerkungen und Beiträge: 1, 6 non
solum, sed = ob jiovov, dUd steht da, wo das zweite Glied dem Umfange
oder dem Grade nach stärker ist und das erste umfafst oder in sich schliefst
(Kühner- Schmalz bei Iw. Müller: Handbuch der klass. Alterthumsw. 2
S. 311). Diese Bedingung trifft zu 1, 6 non solum sed, 1, 46 nee modo
sed, 7, 8 non m., s., 3, 20 non tantum sed, 5, 5 neque t, s., sie trifft
aber auch bei Cic zu, der non //<<«/<< und non solum, sed so gebraucht
z. B. pro Sestio 20, 45 iecissem ipse me potius in profundum, ut ceteros
conservarem, quam Ulos mei tarn cupidos non modo ad certam mortem,
sed in magnum vitae discrimeo adducerem. Das »Herabsteigen!, wie die
Interpreten und Grammatiker sagen (auch Wolff: Progr. \. Ratibor 1856
S. 5), ist nur ein scheinbares, thatsächlich ist es auch hier ein
»Aufsteigen«, wie auch Cic. Pomp. 23, 66, div. in Caec 8, 27. Oder
ist der Opfermut nicht gröfser, wenn ich mich tun 1 1 • - — magnum vitae
discrimen, als wenn ich mich um der certa mors der Freunde willen
in die Tiefe stürze'.'' Beispiele für mm solum sed bei Cic. bietet aus-
reichend Merguet: Lex. :; S. 861 u. 362. — L, 21 ex integro und ex
Industrie hat doch auch, was die Herausgeber sämtlich vergessen, in dem
Jüliresbericlit fllr AlteriliuuiiiwisHeiisiluiU 1.1. Uil (1881 II. i y
34 Quiotilian dili. X)
ciceronianischen ex improviso (Verr. i. 112) seine Parallele, de impro-
u o pro Robc \xa. »2, 151. Ebenso giebl ea für alter ---■■ alterater
i. 26 chon beiCic. Belege: ad Att. XI L8, l, A.cad. II •»::. 132. Hild:
Ciceron dant ce cas emploie alteruter. Dber in alteram partem er-
rare cf. Nipperdey: quaest Caes. B, 52 — i, 4»; tum-tum wagte Quinti-
li.ni wieder in die Prosa einzuführen, auf Cic. zurückgehend. cf. Wölff-
lin: Archn f. Lexikogr. II S. 241. L, 64 beifsl in bac parte, wie ans
Nipperdey a- a. 0. zeigt "in dieser Beziehung, nach dieser Sichtung«
et'. I :',, 17. 7, 1'.). lo. 1. II 17. 1. III »;. 64. XII 1. 16. Es
könnte auch ab (ex) bac parte stehen. Danach isl quaesl v. i zu ver-
bessern. Dafs die Bemerkung über versificator i, B'.i in den Angaben
nicht ganz korrekt ist. zeigl Georges, dessen Fleifa noch drei Stellen
aufser [ust. VI 9 nachgewiesen bat - Ebensowenig genflgl für l, 101
supra quam enarvari potest eloquentia die Parallele Sali. Cat. 5, 3,
Bonneil- Meister gar: selten, nur noch Sali. Cat. 5, 3. Schon Krüger
hat bell. lug. 24, 5 hinzugefügt, und aus Cic. läfst sich or. XL 139 an-
führen (cf. de nat. deor. II 54, 136). Eine ganze Reihe von Stellen giebt
es naoh WöMfflin: Compar. S. 26. — Ähnlich steht es mit 1, 124 non parum
nmlta. "Während Hild sich mit VI 2, 3 als Parallele zufrieden giebt,
setzt Bonnell-Meister hinzu: »eine aufser bei Cic. nicht seltene Litotes«.
Icli bringe aus Cic. bei für non parum multi in Verr. III 9, 22 (cf. Phil.
VII 6, 18, pro Quinctio 3, 11, in Verr. IV 12, 29), für non parum saepe
de fin. II 4, 12. Der Gegensatz von non parum ist non nimis = nicht
sonderlich: interessant deshalb Liv. XXII 26, 4 haud parum callide mit
Cic. de nat. deor. I 25, 70 nihil horum nimis callide zu vergleichen. —
Merkwürdig, dafs niemand, aufser Dosson S. 129, et invisum quoqm 1, 125
notiert. Aus der klassischen Zeit kann ich als unbeanstandetes Beispiel
nur nennen de domo 18, 47 quoniam iam dialecticus es et haec quoque
liguris — nirgends für diese Verbindung, die bei Curtius, Tacitus, Quin-
tilian öfter vorkommt, citiert. Draegers in Verr. II 1, 4, 11 und de inv.
II 16, 50 (H. S. II1 S. 31) sind nicht sicher, und was Dosson sagt, be-
darf ebensosehr der Verbesserung, wie seine Bemerkung zu 2, 19 über
ne . . et . . et (s. Rem. 94, nicht 91). Diese Verbindung statt des ge-
wöhnlichen ne . . aut . . aut, dann gebraucht, wann hervorgehoben werden
soll, dafs das Zusammentreffen von beiden zugleich zu verhüten ist,
kommt nicht einmal bei Cic. vor, wie Bonnell-Meister meinen, sondern
fünfmal: de off. 1 14, 42, Tusc. I 15, 33, ad Att. III 7, 2, XII 40, 2,
ad fam. XI 7, 2 cf. C. F. W. Müller de off. a. a. 0. — Dafs que bei
Satzverbindungen nach vorangehender Negation häufig adversative Be-
deutung habe, liest man oft, und Bonnell-Meister wie Hild suchen dies
3, 4 durch Berufung auf Cic. de off. I 25, 861) zu erhärten. Aber diese
!) Von Bonnell hat sich der Fehler Cic. de off. I 25, 4 auf Meister ver-
erbt, bei Hild steht gar I 24, 4.
Quiutilian (lib. X'. 35
Regel haftet zu sehr an der Oberfläche. Nur dann kann que (et, atque)
nach einer Negation stellen , wenn der zweite positive Satz nicht mate-
riell, sondern nur formell das Gegenteil des vorhergehenden ist Der
Lateiner läfst sich durch den Gedanken leiten, während wir uns durch
die Form bestimmen lassen und deshalb »sondern« sagen. — Zu Bon-
nells Bemerkung 3, 7, dafs Quintilian nicht dummodo gebrauche, son-
dern dum oder modo, fugt Meister »oder si modo«, und Hild wie Bassi
pflanzen diesen Irrtum fort. Die Grenzen sind verwischt; si modo (si
quidem) drückt eine Beschränkung in der Voraussetzung aus. dummodo
u. s. w. enthält eine Forderung oder einen Wunsch, der den Inhalt des
Hauptsatzes einschränkt.
41. II libro decimo della instituzione oratoria di M. Fabio Quin-
tiliano commentato da Domenico Bassi. Torino, Ermanno Loescher,
1884. XXVIII, 92 S. 8. L 1,20. (Recensiert von Ferd. Becher:
Neue phil. Rundschau I 19 S. 292.
42. M. Fabii Quintiliani de iustitutione oratoria über deeimus.
Texte latin publie avec une notice sur la vie et les ouvrages de Quin-
tilien, des notes explicatives, des remarques grammaticales. un diction-
naire des nöms propres et des prineipaux termes de critique litteraire
et des illustrations'd'apres les monuments par S. Dosson. Paris 1884,
Hachette. XXXII, 204 S. IC cart. 1 fr. 50 c (Resensiert von
P. Hirt: Berliner phil. Wochenschrift V 20 S. G28— 630.)
43. M. Fabi Quintiliani institutionis oratoriae über deeimus. Texte
latin publie avec un Commentaire explicatif par J. A. Hild, Professeur
de Litterature latirie et Institutions romaines ä la Faculte des Lettres
de Poitiers. Paris, Librairie C. Klincksieck, 1885. XXVIII, 164 S.
8. 3 fr. 50 c. (Recensiert von II. J Müller: Wochenschrift für klass.
Phil. II 20 S. 626—627, von A. E.: Lit. Centralblatt Xo. 22 S. 753,
von I'. Hirt: Berliner phil. Wochenschrift VI 5 S. 140 142 und Schutt:
Neue phil. Rundschau Xo. 7 (1887) S. 101 — 103.)
Mit den beiden ersten Ausgaben ist wenig zu machen, am aller-
wenigsten mit der italieniM-hen. Zwar mul's ich gestehen, bei ßa>si nicht
überall nachgekommen zu sein, aber wer imstande ist, einen Druckfehler
aus Bonnell- Meister 5, 13 S. 74: Marcia lebte von 56—60 v. Chr. hei
Hortensius (Honneil4 ganz richtig 56 50 v. Chr.) folgendermaßen wieder-
zugeben S. 73: Dopo la raorte di Grtensio, con cui atette quattro anni
(56 60 av. Cr.) . ., der erweokl \"" vornherein den bedenklichen Arg-
wohn, dafs die alten Philologentugenden der Solidität and Akribie Beine
Vorzüge nicht sind, [nteressanl übrigens diese stelle auch bei andern.
Meister hat: 56 - 60 v. Chr.. Krüger8 S. 65: 5o 56 \. c. gleich als sollte
das ungeheuerliche Faktum, daß Cato Uticensis dem ihn schwärmerisch
verehrenden Q, Hortensius seine Gattin sechs Jahre überlief.-, ins Reich
3*
36 Quintilian Hib. X).
der Sage entrückt werden. Bassi giebt in einer Introduzione (8. X
bis XXVIII) das Notwendigste Über Quintilians Lehen and Schriften, über
Zweck und Bedeutung der inst. or. für die Erziehung and Im- die Kenntnis
der römischen Beredsamkeit, um in einem Schlufsabschnitl die sprach-
lichen Eigentümlichkeiten von Quint. 1. X in fasl wörtlicher Übereinstim-
mung mit Bonnell kurz zusammenzustellen. Da figuriert noch immer die
Auffassung von dem Fehlen des Relativums 3, 11, während es riel ein-
facher ist den Satz omnia mutare .... velint selbständig zu fassen und
velint als Conj. pot. zu erklären, s. Phil. Rundschau III 15 S. 468. Der
Text ist der von Halm, doch ist auch Bonnell und Kniger herangezogen
— ohne sicheres Urteil in Kritik und Exegese. Es gebricht dem Ver-
fasser an methodischer Schulung ebensosehr wie an gründlicher Kenntnis
des Schriftstellers. Die Resultate neuester Forschungen sind ihm verbor-
gen geblieben, nur bis Bonnell -Meister etwa reicht seine Wissenschaft.
Ich hebe einiges heraus, was die Weise Bassi's ausspricht. 1, 3 S. 3 ist
die sprachliche Unmöglichkeit des dicere ante omnia est dem Verfasser
nicht einmal erwähnenswert erschienen. 1, 27 S. 11 Anm. ist falsch aus
Bonnell-Meister nachgedruckt: pro Archia 6, 12 quia suppeditat (noraen
poetarum) statt homo. 1, 48 S. 18 hat Bassi die Claussensche Recht-
fertigung des blofsen ingressu nicht gekannt. 1 , 77 S. 30 scheint dem
Verfasser grandiori Neutrum zu sein, aber es kommt ihm vor, als sei
der Gedanke nicht glücklich ausgedrückt. 1, 82 S. 32 ist sicherlich mit
Frotscher zu lesen : sed quodam [Delphici] videatur oraculo dei instinctus,
wie ich unter der Zustimmung von Meister, Schmalz u. a. quaest. S. 14
dargethan habe. Schon Claussen hat das Halm sehe tamquarn Delphico
v. o. inst, angetastet, so dafs uns Bassi damit verschonen konnte. Auch
das von mir coli. Verg. Aen. I 5, 26, Ov. trist. I 2, 7 verteidigte hand-
schriftliche propius (1 , 91 S. 35) hätte er aufnehmen sollen. Er folgt
dem Harnischen promptius, weil ihm propius zu poetisch erscheint, als
ob nicht die Parallele grade aus Vergil die Richtigkeit der überlieferten
Lesart über allen Zweifel erhöbe. Dafs 3, 20 in intellegendo zu emen-
dieren sei, wird heute allgemein zugestanden. Bassi hält S. 63 im Text
und in der Anmerkung noch in legendo fest. 3, 25 S. 64 bietet er
richtig velut tectos, wenn er aber t. = custoditi erklärt, so bedeutet das
wieder einen Mangel an Schärfe des Urteils. Warum dann velut? tectus
ist ein Ausdruck der Gladiatorensprache, cf. Piniol. 43, 1 S. 203 — 205.
Etwas besser steht es mit der xiusgabe des Franzosen Dosson.
Ich bekenne, dafs ich gern in dem niedlichen Büchelchen blättere und
mir gern die Bilder des Homer, Sophokles, Euripides u. s. w. ansehe,
sonst aber erfüllt die Ausgabe nur zum geringen Teil die hohen Erwar-
tungen, die der reiche Titel erweckt. So z. B. , um das gleich vorweg-
zunehmen, alles, was ich an der Behandlung von 1, 3. 27. 48. 77. 82.
91; 3, 11. 20. 25 bei Bassi gerügt habe, pafst genau auf Dosson. Die
Einleitung (preface I — IV, notice sur Quintilien V -XXXII) giebt einen
Quintilian (Hb. X). 37
Lebensabrifs Quintilians, bezeichnet seine instit. orat. als une oenvre de
reaction contre le mauvais goüt de ses contemporains et les tendances
de Tecole nouvelle, bespricht an der Hand von Mercklin die Quellenfrage
zum zehnten Buch und übt kurze Kritik an dem von Quintilian über die
griechischen und römischen Schriftsteller abgegebenen Urteil. Nur eins
sei hier moniert. Durch Mommsens Untersuchung im Hermes XIII
S. 428—430 ist festgestellt, dafs der Freund, dem Quintilian seine inst.
or. widmete, nicht Vktorius Marcellus, wie Dosson noch meint, hiefs, son-
dern Vitorius Marcellus und dafs Gallus nur als ein dem Dichter Statius und
Marcellus gemeinschaftlicher Freund, nicht als der Sohn des letzteren
zu betrachten ist. Der hiefs vielmehr Geta. cf. Quint. pr. I 6, Statius
IV 4, 71. — Auf die Einleitung folgt der Text mit erklärenden. Anmer-
kungen (S. 3-- 105), in denen regelmäfsig auf die remarques sur la langue
de Quintilien (216 Paragraphen S. 116-145) verwiesen wird. Den Be-
scblufs macht ein index explicatif des noms propres u. s. w. Dafs Dosson
in der Textesrevision im ganzen Halm als Führer genommen, wird jeder
gutheifsen, auch das wird niemand tadeln, dafs er sich in seinem kriti-
schen Urteil stark von Meister beeinflussen läfst, zu bedauern aber bleibt
es, dafs auch Dosson von den neuesten Forschungen keine Notiz genom-
men. Wäre das geschehen, so würde Text und »Liste des passages dans
lesquels notre texte differe de celui de Halm« (S. 113 — 114) doch ein
anderes Antlitz zeigen wenigstens an manchen Stellen. Es war zu
schreiben: 1, 16 blofs ambitu; 1, 45 paucos (sunt enim eminentissimi);
1, 59 adsequamur; 1, 68 quod ipsum ohne quoque u. s. w. , vgl. oben
unter Bonuell-Meister. Mit Thurot 1, 66 tragoedias in tragoedia»/ zu
ändern und zwar ohne alle handschriftliche Gewähr, ist kein Grund, und
ob ibid. richtig permisere aus den verstümmelten Zügen der Handschriften
herausgelesen ist statt permiserunt (permiserr G), s. auch S. 120, ist mir
mehr als zweifelhaft, weil Quintilian die kürzere Form nicht gerade liebt,
s. Bonnell Proleg. de gramm. Q. S. XXVII. — 1, 91 ist sicherlich fami-
liäre numen Minervac zu schreiben, cf. z. B. Verg. Aen. I 447 u. Osann
V S. 16. Merkwürdig, dafs man 5, 23 noch immer der Regiusschen
Konjektur begegnet: una diligenter efieeta plus proderit quam plures
inchoatae et quasi degustatae. Entweder setze man una vor quam, wo
es leicht ausfallen konnte, oder man begnüge sich mit dem blofsen Sin-
gular, wofür ich mich um so unbedenklicher entscheide, als der Gegen-
satz nicht blofs quantitativer, sondern auch qualitativer Natur ist. Welcher
Lesart der Verfasser 7, 32 den Vorzug giebt, ob der Regiusschen ego
autem ne scribendum quidem puto, quod non simus memoria perseenturi
oder der handschriftlichen ohne non. habe ich nicht enträtseln können,
weil im Text die letztere, S. n I die erstere als die richtige bingestelll
wird, s. unter Hihi. Versehen, Druckfehler u. S. w. sind überhaupt in
erklecklicher Zahl vorhanden, S. 114 gerade bietet für diesen Tadel allen
Grund. Nicht nur dafs die Reihenfolge der Paragraphen chap. VIT ver-
:-jK QuiDlfFfaii (Mb. Xj
wint ist, &uch dfe Worte sind falsch gesetzt: 5, 13 recte de lurrectene,
7, 10 iiii.'ini tiir iiiki (was Btatl des Harnischen simul in den Text anfeu«
nehmen ist), 7, LS qnod eum eo für ctnfki eo qnod (wofür das Bahnsche
vddeo: qnod einzusetzen ist). Wenn eine halbe Seite soviel Fehler ent-
hält, ao wird man sich ober anderes kaum noch wundern, vielleicht auch
darüber nicht, dafs hier und da aus andern Ausgaben Falsches nach-
gedruckt ist, wie S. 36 aus Frotscher oder Krüger Ov. Tr. IV II. ioi
statt IV I, 104. Die remarques verfolgen den Zweck, den usus lo-
quendi des Quintilian mit Cicero zn vergleichen. Schade nur, dafs der
Verfasser mit seinen dünnen grammatischen Kenntnissen fast immer an
der Oberfläche haften bleibt und seine Bemerkungen mit Irrtümern
gröberer und feinerer Art zersetzt. Ein paar Proben: Ich will nicht
davon reden, dafs er S. 132 No. 109 von quamquam 1, 33 spricht als
von einer Conjunction, die direct ä un substantif sans verbe gesetzt sei
— das kann ein Versehen sein, wenn es auch stark genug ist, zumal
S. 141 No. 187 quamquam 1, 33 der Subjonctif zuerteilt wird. Auch das
will ich nicht besonders urgieren, dafs ihm S. 118, b zu caelestis 1, 86
die Parallelen aus Ciceros Scbriften entgangen sind Phil. V 11, 28 und
Ps. Cic ad Brut. II, 7, 2, ebensowenig will ich es dem Verfasser stark
anrechnen, dafs er S. 139 No. 177 in einem wunderbaren Irrtum befangen
behauptet 1, 92 si non equivaut ä püisque, cor. Aber — wer sous une forme
methodique plusieurs faits grammaticaux gruppieren will (S. 117), der
mufs wissen, dafs mutuo nicht egalement heifsen kann (S. 127 No. 66)
weder bei Quint 2, 15 noch bei Curtius IV 14, 21, s. Vogel2 S. 27 und
161, der sollte S. 129 No. 86 besseres thun als sagen: Caesar gebrauche
et — etiam nur einmal B. G. VIII 66 ('?), der darf zu 3, 31 nisi forte . .
exiget S. 139 No. 176 (im Text steht 76) nicht die Bemerkung machen:
le subjonctif serait plus correct. Nisi forte scheinbar mit dem §ubj. Sali,
bell. Jug. 14, 10 s. Schmalz z. d. St.; der läuft Gefahr von der Kritik
arg behandelt zu werden, wenn er S. 140 No. 185 schreibt: licet equivaut
ä etsi, (ßiamviü, ce qui n'est pas d'un usage classique: licet Varro . .
dicat X 1 , 99. Aus Cicero den Gegenbeweis mit einem Dutzend Pa-
rallelen zu bringen verschmähe ich. — Zum Index diese Bemerkung:
Wie der Titel der beiden Sallustischen Schriften S. 190 lauten sollte,
lehrt Quint. III 8, 9 C. Sallustius in bello Jugurthino et Catilinae, also
bellum Catilinae und bellum Jugurthinum, cf. "Wölfflin: Archiv I S. 277 ff.
mit Bonnell: lex S. LXXVIII.
Hild läfst die Bassi und Dosson weit hinter sich, denn er vereinigt
des Forschers Fleifs mit einem gesunden Urteil, so dafs von einer wirk-
lich wissenschaftlichen Leistung die Rede sein kann. Wie treffend z. B.
ist zu 1 , 40 die Bemerkung aus Spalding wieder hervorgehoben , die
unsere neuesten Herausgeber mit Stillschweigen übergehen, dafs vetusta-
tem perferre eigentlich vom Weine gesagt wurde. Nur hätte ich ge-
wünscht, dafs der Verfasser hinzugefügt: stehend ist vetustatem ferre,
Quintilian (üb. X) 39
cf. Cic. Lael. 67. Ovicl trist. V 9, 8. and annos t'erre, im gewöhnlichen
Leben häufig zur Bestimmung der Zeit, wie lange jemand gelebt, ge-
braucht, lesen wir bei Quint. II 4, 9 nee musta in lacu statim austera
sint: sie et annos ferent et vetustate proficient. »Haltbar« sagt man bei
uns vom Wein. Was Hild in der Introduction S. VII - XXVII über
Leben, Werke (de causis corruptae eloquentiae, inst, or.) und Charakter
des Quintilian sagt, zeigt, dafs er Bescheid weifs. Er betont mit Recht,
\tie Domitian auf die ganze Litteratur drückt. Nicht ausreichend ist
das S. XXI über die Declamationes Bemerkte, und S. XXIII figuriert
Marcellus Victorias wie bei Dosson als Name dessen, dem die institutio
gewidmet ist. — »Le texte de Halm a ete revise avec soin; tout en
restant fidele le plus possible ä ce travail monumental . . « Wo das
nicht anging, schliefst sich Hild an andere Kritiker an, die er gründlich
studiert hat, oder er folgt eigenen Eingebungen 1, 11. 15. 28. 89; 2,7;
(7, 13), s. S. XXVIII. Ich zähle die Stellen auf, an denen ich mich von
Hild entferne. 1, 2 lese ich et qui seiet quo quaeque sint modo dicenda,
cf. Osann I S. 14. Denn mit Halm das von GL gebotene guae quo
s. m. d. = quae et quomodo zu verstehen ist nicht blofs sprachlich be-
denklich (»copulae enim que in coniunetione talium membrorum relati-
vorum inter se discretorum non aptus esf locus« Osann), sondern auch
sachlich, weil der Nachdruck ohne Frage blofs auf dem quomodo liegt,
das wie die Theorie — der eloquentia in der Praxis gegenübergestellt wird.
Zudem ist nichts häufiger als eine Versehreibung dieser beiden Prono-
mina, wenn sie zusammenstehen, cf. 2, 26 Warum ist denn Halm in
den ganz ähnlichen Stellen I 6, 16 und 18,1 der Überlieferung nicht
treu geblieben? cf. etiam VII 1, 9. 16. — 1. 4 ist an qua ratione, ob-
wohl ratio unmittelbar vorhergeht, bei Quintilian nicht Anstofs zu nehmen.
1 , 10 hat Halm gewifs mit Recht propter quod infantes . . . tarnen
loquendi iacultate caruerunt aufgenommen (carueiv G-), caruerint, was
Hild mit FLST liest, bringt viel zu viel Unsicherheit in den Berieht.
der, wenn er auch mit einigen Abweichungen von Herodot II. 2 vor-
getragen wird, doch den Ton assertorischer GeWifsheit nicht verleugnet:
caruerunt propterea quod sermonem auribus primum nun aeeeperunt
Es ist nicht die Frage, ob die Erzählung dem Rhetor historisch be-
glaubigt erscheint, wohl aber, ob er sie für rationell begründet er-
achtet und dafür die Garantie übernimmt, und das thut er sonder Zweifel.
Was für ein Conjunctiv sollte caruerint auch sein, potentiali- oder con-
cessivus? 1, 11 würde ich mit der Umstellung rpomxms tnmm q
(quare tä GL) ganz einverstanden Bein, wenn quasi nur dein Sinne nach /u
ad eundem intellectum feruntnr pafste, aber ferrum und mucro kommen
in tropischer Bedeutung doch t ha t sächlich und nicht blofs g e w i sser-
massen oder ungefähr auf einerlei Sinn hinaus. Mir erscheint das
quare so verdächtig, dafs ich es. wie Meister in seiner Ausgabe mit er-
klärenden Anmerkungen auch gethan, kurzweg streiche: ich weifs nichts
40 Qointilian (üb. X).
Besseres. Die von Hild vorgeschlagene I mstellung hat übrigem schon
Gensler, Anal. S. 25, ausführlicher zu begründen versuchl und Begitu
wohl zuerst mit'- Tapet gebracht. Quasi seinem Beziehungswort oach-
gestellt auch Sali. bell. Jug. 48, 3. Warum in den Worten l, 15
. . eo qui discit perductus est iit intellegere ea sine demonstrante i— duce
Kühner Gramm. S. 17h et sequi iam suis viribus possil . . iam unnütz
sein und durch viam ersetzt werden mufs, Behe ich nicht ein ich finde im
Gegenteil, dafs iam den Contrasl zwischen 3onst und jetzt schön /um Au»-
druck bringt. Schon steht der Lernende auf eigenen Füfsen, schon bedarf
er keines Führers mehr. Oder hat Bild an dem ea 3equi Anstofs genom-
men? cf. Bonnell lex. s. sequor III b. — 1, 23 interpungiert Hild nach
dem Vorgang von Spalding und Bonnell quin etiam si minus pares vide-
buntur, aliquae tarnen ad cognoscendam litium quaestionem recte requi-
rentur. Aber wie stimmt dazu das vorhergehende quoties continget,
utrimque liabitas legere actiones? Verbieten diese Worte nicht mit aller
Entschiedenheit, an eine Auswahl unter den minus pares zu denken?
Ich folge unbedenklich Halm, der das Komma hinter aliquae setzt, wie
schon Schneidewin wollte. — Besondere Schwierigkeit macht 1, 28 me-
minerimus tarnen non per omnia poetas esse oratori sequendos nee liber-
tate nee licentia rigurarum ; geims ostentationi comparatum et praeter id.
quod . . . incredibilia seetatur, patrocinio quoque aliquo iuvari: quod ad-
ligata . . non uti propriis possit, sed depulsa . . confugiat. Warum man
alligata und depulsa so sehr perhorresciert, gestehe ich nicht einzusehen.
Natürlich beziehen sich die Worte auf ein dem Geiste des Schrift-
stellers vorschwebendes poesis statt auf poetas oder genus, aber eine
solche Synesis findet sich aller Orten, nicht nur bei Quintilian (cf. IX
2, 79- 3, 3 und s. Voigtland: de brevitate Quintilianea, Schleusingen
1846 S. 12), sondern bei allen Schriftstellern. »Synesiu hanc appellant
et opthnis scriptoribus usitatam dieunt; nos simplicius neglegentiae excu-
sationem quaerimus« Madwig de fin.2 S. 206 zu II 11, 35 una simplex
— »tamquam praecedat sententia, non finis«. Interessant dem Inhalt wie
der Form nach ist die Parallele, die ich aus Cic. or. XX, 68 hersetzen
will ego autem etiamsi quorundam grandis et ornata vox est poetarum,
tarnen in ea (sc. poesi) e. s. Viel härter erscheint genus ostentationi
comparatum, weil wir hinzudenken haben entweder: genus poeticum o. c.
(esse) oder hoc genus o. c. (esse) oder genus esse o. c. Durch die Hildsche
Umstellung et praeter id, quod, genus ostentationi comparatum, e. s.
kommen wir nicht weiter, weil auch in diesem Falle zu genus ein hoc
oder poeticum suppliert werden mufs, abgesehen davon, dafs man bei
der so erfolgten Trennung non poetas esse sequendos et iuvari nicht recht
weifs, was Subjekt zu iuvari sein soll, ob poetas oder genus oder das
aus poetas abzuleitende poesin. Ebensowenig nützen uns freilich die
Conjecturen, die von andern vorgetragen sind, sie siud allesamt zu kühn.
Das gilt von Philanders totumque illud studiorum genus ebensogut wie
Quintilian (lib. X). 41
von Spaldings gentem . comparatam, von Halms genus poeseos o. c. nicht
minder wie von Schoells poeticam . comparatam oder Hirts noajrtxqv. —
1, 38 würde das de omnibus aetatis suae quibuscum vivebat, was Hild ä
defaut de mieux beibehält, allenfalls zu erklären sein: mit denen er im
engen Verkehr stand (denn das heilst cum aliquo vivere häufig, cf. C. F.
W. Müller: Cic. off. 15, 46 S. 33), wenn es nur sicher überliefert wäre.
Aber da die Schreibung der Handschriften auf ein qui quidem convivebant
hinausläuft, so hat Bursian hier mit Recht eine Glosse erkannt, cf. Iwan
Müller: Jahresb. f. Alterthumsw. 1876 II S. 277. Iwan Müller folge ich
auch ibid., wenn er schreibt S. 266: . . et Graecos omnes persequamur?
Hild [et philosophos] mit Schmidt bei Halm, ohne das unentbehrliche per-
sequamur, wenngleich er anmerkt: il faut suppleer le verbe: persequar. —
Es ist ferner zu schreiben um das gleich hier anzufügen: 1, 107 in epistu-
lis quidem dialogisve, quibus nihil ille, nulla contentio est (cf. quaest. S. 19),
2, 13 cum et verba intercidant ... et compositio cum rebus accomodata
sit, tum ipsa varietate gratissima (quaest. S. 24), 3, 20 at idem si tardior
in scribendo aut incertior in intellegendo velut offensator fuit (ib. S. 25),
3, 25 ideoque lucubrantes silentium noctis et clausuni cubiculum et lumen
unum velut tectos maxime teneat (s. oben). — I, 48 entscheide ich mich
für dearum, quas praesidere vatibus creditum est, nicht blofs wegen der
Parallelen 4, 1. II 15. 7, sondern auch weil G, worauf sich Halms cre-
ditur allein stützt, creditur. m. e bietet, L S haben das logische Perfect.
— 1 , 69 ist für praecipuus est. Eum admiratus maxime est e. s.
kein Anhalt in der Überlieferung. Man lese praecipuus. Hunc imitatus
m. e s. unter Wölfflin. — 1, 80 durfte die Parallele aus Cic. Brut. 9, 38
hie primw.s- inrlexit nicht Veranlassung werden das handschriftliche is
primum (Halm- Hild primus) inclinasse eloquentiam dicitur aufzugeben,
denn Quintilian citiert klärlich aus dem Gedächtnis, wie öfter z. B. 1, 94.
— 1, 90 ist das handschriftliche et in den Worten Lucanus ardens ei
concitatus et sententiis clarissimus et (Halm- Hild Bed) at dieam quod
sentio, magis oratoribus quam poetis imitandus von Glaussen ( quaest.
Quintilianeae S. 357) mit Recht verteidigt: propter censurae consilium
Quintilianus Lucani elocutionem oratoriam laudat, sed ingenium poetienm
una reprehendit, s. Eussner. - 1, 96 halte ich mit Hahn für »probabilius« :
iambus non sane a Romanis celebratus est ut proprium opus, sed aliis
quibusdam interpositus. Übrigens rührt diese Ergänzung der Lücke von
Christ und nicht von Bonncll her. — Den Zweifel Spaldings and Halms
an der Richtigkeil der Oberlieferung l. 101 teile ich nichl trotz l. 69.
Commendare heilst in t\vn Worten atl'ectus . . ut pareissüne dieam. nemo
historicorum commendavil magis, aichts anderes als was es auch sonsl
bei Quintilian bedeutet, z. B. VIII prooem. 6; IX I. 13; approhare
lectoribus, und das pafst gerade zu ut parcissime dicara vortrefflich.
I, 103 lese ich mit Halm (s. .Meister Phil. 42 S. 163): Basses Aufidius
egregie, utique in libris belli Germanici, praestitit, genere ipso proba-
| - Qtrintilian (lib X)
Luis, in partibus quibusdam suis ipse viribus minor. i. in raufe ea
einfach mit BM beifsen ei illa (sc. oratio) qna nihil pulcbrius auditum
est. Das Spaldingsche nihil unquam bat so '-rut wie gar keine Gewähr.
Warum Balm-Hild i. 115 bi quid adiecturua fuil geben ohne den Znsatz,
auf den die Handschriften deutlich hinweisen: non -i qnid detracturus
fruit sc. nimia contra Be calumnia verstehe ich nicht. Ebensowenig
stehe ich den Anstofs, den man an castigata in den Worten vorher
nimmt: sed esl et saneta et gravis ei castigata et frequentier vehemens
quoque, cf. Krueger z. d. St. — Das 1, 131 überlieferte utrumque indi-
ciura ist nicht mit Halm in utcumque zu ändern, sondern in ntrimque,
wio 5, 20; G, 7, wo gleichfalls atrumque in den Bandschriften steht, and
ibid. zu schreiben digna enim fuil illa natura quae meliora vellet, quae
quod voluit, effecit liegt kein Grund vor: das von BM gebotene blofse
quod v. e. schliefst den Gedanken viel energischer ab. 2, 7 Nobis
usus aliarum rerum ad eruendas alias non proderit, sed nihil habebimus
nisi beneficii alieni? quemadmodum quidam pietores in id solum Student,
ut describere tabulas mensuris ac lineis sciant. turpe etiam illud est
contentum esse id consequi, quod imiteris. So die gewöhnliche Inter-
punktion: Hild setzt nach sciant ein Komma und will unter Ergänzung
von ita vor turpe est einen ausgeführten Vergleich zu stände bringen.
Das wird schwerlich Beifall finden. Der Rhetor gliedert, wenn das auch
blofs theoretischen Wert haben mag, den Gedanken so: 1) fas est reperiri
aliquid a nobis, quod ante non fuerit, wie die Urahnen es gethan haben.
Oder wollen wir uns begnügen nihil habere nisi beneficii alieni1)? d. h
nachahmend nur vom geistigen Erwerb anderer zu zehren, wie einige
blofs kopierende Maler. (Es versteht sich, dafs die imitatio den ganzen
Gedankenkomplex beherrscht und darum auch zu nihil habere nisi' bene-
ficii alieni zu ergänzen ist.) 2) Wir müssen plus efficere eo quem se-
quimur und dürfen nicht zufrieden sein id consequi quod imitamur. Sonst
wären wir über Livius Andronicus, über die annales pontificum nie hinaus-
gekommen, die Schiffahrt würde sich noch mit Flöfsen begnügen, und in
der Malerei gäbe es nur blofse Schattenrisse. Mit andern Worten: für
die Richtigkeit der an die Spitze gestellten Behauptung imitatio per se
ipsa non sufficit resp. für die Notwendigkeit des Fortschritts giebt das
erste Glied (§ 4—7) den rhetorischen Beweis positiv durch das er-
munternde oder beschämende Beispiel der neu schaffenden, erfinderischen
Altvordern, negativ durch das abschreckende Simile der blofs kopieren-
den Maler, das zweite Glied aber § 7 bringt den logischen Beweis ex
l) habere beneficii alieni ist eine Modifikation von beneficii esse, wie
habere tui muneris Tac. aun. XIV 55 von rauneris esse (Gen. der Angehörig-
keit), cf. Haase-Peter S 15; nihil habebimus nisi beneficii alieni ist also = n. h.
quod non sit oder nisi quod sit b. a. Daraus geht hervor, dafs Meisters Er-
klärung unannehmbar ist: »Ein Gen qualitatis abhängig von nihil«.
Quintiliau (lil> X;. 43
contrario aus der Dichtkunst, Historiographie, Nautik und Malerei. Beide.
Gedankengruppen bewegen sich in einem gewissen unschwer zu erkennen-
den Parallelismus der Form wie des Inhaltes. Dem pigri est ingenii e. s.
§ 4 entspricht turpe etiam illud est e. s. § 7, das quid enim futurum
erat wird durch nam rursus quid erat futurum wieder aufgenommen, und
die Malerei mufs für beide zeugen. Schon aus diesen Gründen ist die
Interpunktion Hilds mifslich, ganz abgesehen davon, dal's die Ergänzung
des ita vor turpe doch nicht so leicht ist, wie uns Hild glauben machen
will. Sein Vest la construction usuelle en pareil cas' möchte ich nicht
unterschreiben, vielmehr quemadmodum — sie bei Quint. III 6, 33. V 10.
125, IX 2, 46, quemadmodum - ita II 5, 1. Die Meistersche Conjectur
§ 8 nulla mansit ars erhält durch diese Entwicklung ihre glänzende
Rechtfertigung, wenn sie derselben überhaupt noch bedürfte. -. 17
ziehe ich jetzt mit Iw. Müller: Jahresber. 1879 II S. 162 quidlibet frigi-
dum et inane vor, Eussners neuester Vorschlag (N. Jahrb. 131 Bd. S. 616)
illud frigidum et inane als Spuren von Glossen zu § 16 zu streichen ist
mir zu radikal. - Was 2, 28 zu schreiben sei, ob quem nunc con^um-
mari oportet mit B oder q. n. c oportet mit Mb, ist schwer zu sagen:
beides giebt einen guten Sinn, denn oportebat heifst »hätte geschehen
sollen und sollte noch geschehen«, cf. VIII 4, 22, oporteat zu oportet
der Conj. pot. ( nicht dubitativus, wie Krüger sagt) heifst »sollte ge-
schehen«, cf. XI 2. 20. Besser gefällt mir — ut dicam quod sentio -
oportmr, weil der Ausdruck der unmittelbar gegenwärtigen Pflicht und
Schuldigkeit sich leichter mit dem folgenden nam erit e. s. zu vereinigen
scheint: für Genslers oportet (S. 51) ist ebensowenig ein zwingender
Grund wie für deewrit (ibid.) vorher. — 5, 10 ist gut beglaubigte Lesart
nur: nam illa (nicht in illa) diyersitate delitescel infirmitas, cf. XII in. 15,
was Hild selbst anführt. Zu personarum, causarum cf. III 5. 11. 18,
zu temporum, locorum, dictorum, factorum cf. Preuss: de bim. diss. usu
sollemni S. 37—38. - 7, 13 nee fortuiti sermonis contextura mirabor
unquam, quem etiam mulierculis videmus superfluere cum eo miu.m1i >i
calor ac spiritus tulit, frequenter accedit, ut successum extemporalem
consequi cura non possit. So Hild. Neu isl an diesem Vorschlage nur
accedit und die Einklammerung von quod, dagegen videmus superfluere
schon Meister. Ich folge Halm, der im engsten Anschlufs an UM (super-
fluere cum eo quod) schreibl s. video: quodsi (= wenn aber, ct. Cic. ad
fam. XII 20). Während cum eo quod dem durch calor uml Spiritus er-
zeugten successus extemporalis , den kenn' cura erreicht, denselben Er-
folg bei dein Rhetor garantierl wie dem sernto, von dem die zankenden
Weiber überfliefsen, nämlich: nicht bewundert zu werden, wird durch die
Harnische Lesung diese eine Ausnahme von dem nee fortuiti sermonia
contextum mirabor unquam Btatuiert, und das scheint mir das Richtige.
Hilds Verbindung aber cum co accedit halte ich für schier unmöglich:
Sprache und Gedanke protestieren gleichermafsen dagegen. 7, i •
44 Quintilian dib. X).
ich credendum enün Ciceroni esl in Klammern als Parenthese des Schrift-
stellers zu iit Antipater Sidonius et Licinine Archias, Beispiele, die zu
der halben Entschuldigung Veranlassung Bind aon quia ( ich will damit
nicht gesagt haben, dafs) nostris quoque temporifl aon ei fecerint quidam
hoc et i'aciiint. 7. 24 schreibt IIiI<l ars enim semel percepta aon . .
labitur mit der Anmerkung: je soupconne nne lacnne a cette place: animo
non ou mente aon labitur. Möglich-, aber unwahrscheinlich. — Zum
Schlufs dieses Abschnittes noch einige Worte über die schwierige Stelle
7, 32 ego autem ne scribendum quidem pnto, quod simns memoria p< r-
secuturi; quod simus Halm und Bild mit BM, non sirnus b, quod non
simus Regius, Frotscher, Meister u. a. Ob wir uns mit der Spalding-
schen Erklärung zufrieden geben dürfen: ubi satis fidere possumus me-
moriae, ne scribendum quidem esse censeo, mnfs die Betrachtung des
Zusammenhanges lehren. Der Rhetor sagt: Ich lasse mir eine brevis
adnotatio und libelli, qui vel manu teneantur et ad quos interim respi-
cere fas sit wohl gefallen. Nach der Art des Laenas aber den ganzen
Stoff auszuarbeiten (in bis quae scripserimus) und daneben noch einen
Extrakt der Hauptsachen anzufertigen und in das Gedenkbuch einzu-
tragen, das gefällt mir nicht. Denn das Vertrauen auf diesen Auszug
mindert den Eifer des Memorierens, und dies hemmt den Flufs der Rede
in demselben Grade wie es sie verunstaltet. Ich meine, dafs auch nicht
zu schreiben, ja was denn? was wir mit dem Gedächtnis beherrschen
können? Sprachlich würde dem nichts im Wege stehen weder von seiten
des Conj. Fut. noch von seiten der Verbindung memoria persequi, cf. 7, 25
und Cic. pro Sulla XIV 42. Aber was soll denn das Gedächtnis be-
herrschen? neben dem ganzen Opus noch die summae? Sollte Laenas
wirklich der memoria diese duplex cura (XI 2, 25) aufgebürdet haben?
Schwerlich. Und wenn Laenas so unvernünftig gewesen wäre, so würde
Quintilian sich dafür bedankt haben. Schon aus diesem Grunde ist es
mifslich Halm beizustimmen, geradezu unmöglich aber wird es, wenn
wir bedenken, dafs wir hier nicht eine Vorlesung über die memoria hören,
sondern über die ex tempore dicendi facultas. Ich meine, dafs auch
nicht zu schreiben ist, sagt Quintilian, quod non simus m. p., was wir
nicht gründlich memorieren, sondern wo wir uns der extemporalis faci-
litas überlassen wollen. Hier gilt es Vorschriften, quemadmodum extem-
poralis facilitas paretur et contineatur; wo das Gedächtnis im Mittelpunkt
der Untersuchung steht, heifst es mit sehr charakteristischer Änderung
XI 2, 45 nam si memoria suffragatur, tempus non defuit, nulla me velim
syllaba effugiat: alioqui etiam scribere sit supervacuum. Ich stimme also
mit Entschiedenheit Regius bei und lese quod non simus memoria perse-
cuturi, um so mehr, als diese Lesart durch die folgenden Worte gestützt
wird. Haben wir geschrieben, was wir nicht völlig in das Gedächtnis
aufzunehmen beabsichtigen, so passiert es, dafs die Erinnerung an das
Geschriebene (üla elaborata) die freie Bewegung der Gedanken hemmt
Quintilian (lib. X). 45
und eine bedenkliche Unsicherheit im Vortrage erzeugt. Was Hild in
der Anmerkung gegen die Einschiebung des non sagt: s'il disait qu'il ne
faut ecrire que ce que la memoire peut garder, il dirait une naivete, ist
nicht stichhaltig, inwiefern in dem persecuturi simus nicht blofs das
pouvoir, sondern ebensogut das vouloir garder liegt. Ne quidem endlich
bedeutet hier ein schlichtes »auch nicht«, ohne alle Steigerung, wie
häufig auch bei Cic. z. B. de nat. deor. III 12, 29, cf. Madvig de fin.2
S. 802-803.
Über die erklärenden Anmerkungen, die vielfach mit Citaten aus
der französischen Litteratur untermischt sind, nach ihrem ganzen Inhalt
und Umfang zu urteilen, mafse ich mir nicht an, weil ich nicht weifs, was
für die französischen Schulamtskandidaten, denen die Ausgabe dienen soll,
nötig, nützlich und angenehm ist. Ich begnüge mich Folgendes zu notieren :
1, 7 ist zu congregat und occupet-quod »statt des betreffenden. Menschen
mit nicht ungewöhnlicher Kühnheit Subject« cf. C. F. W. Müller Cic. off.
S. 12, 1 und Voigtland S. 5. Occupare heifst hier »erfassen, aufgreifen«
und nicht s'adresser ä, wie Hild unter Berufung auf Hör. sat. I 9, 6 meint.
»Numquid vis?« occupo = (p&dva> ipturibv. — Die Bemerkung zu 1. 18
über die Verba indiquant l'idee de defense, d'empechement kann mifs-
verstanden werden. »Plus frequemment (als der Inf.) ne et le subj.«
Und quominus? Übrigens würde es klassisch durchaus korrekt lauten
können: verecundia prohibemur, impedinmr (cf. Cic. pro Rab. Post 24),
deterremur plus nobis credere, da das Passivum gerade den Infinitiv
bevorzugt, der bekanntlich bei prohibere vorherrschend ist. Impedbr
mit dem Infinitiv nur bei sächlichem Subject von Cic. gebraucht de or.
I 35, 163, de off. II 2, 8, de nat. deor. I 31, 87 cf Draeger; H. S. II
S. 332, wo aber das letzte Beispiel zu verbessern ist. - I 30 würde ich
zu den Worten potius habenti periculosus nicht quam otilis ergänzen,
sondern quam adversario. - 1,51 verum = interea ist bedenklich, wenn
auch interea schon bei Cic. indessen bedeuten kann ad fam. V 12, 10,
besser heifst es : verum wird zu »aber« durch den Gegensatz »das Wahre
ist« cf. Haase-Eckstein IS. 115. — Wollte Hild zu 1, 67 genau sein, so
mufste er sagen, dafs das von Cic. pro Rose Amer. 33 geneuevte longo
audacissimus (pro Caec. 1, 3 longe alia ratione, wenn alius zu den Com-
parativen zu rechnen) von Quintilian bei Coraparativen, Superlativen und
superlativischen Positiven (z.B. X 1, 61 longe prineeps) gebraucht wird, ohne
multo zu verdrängen, z. B. I 2, 24, was Cic. namentlich hei maximns bei-
behielt cf. Wölfflin Comparation S. 38 u. I'1). Derselbe Wölfflin sprichl
!) Zu 3, 24 bemerkt Wölfflin: Über die alliterierenden Verb. d. lat. Sprache
S 33 u. 65 u. 66 Anm., dal's Quint. die all. Verb, longe lateque circomspicere
geflissentlich vermieden zu haben scheine er begnügt sich mit lato ciremn-
spiciendi libertas, wie Sali. b. lug. 5, Tac. Bist I, ">i» mit vultiim et oculos
VIII 3, 65 stillt, ora et oculos, er hat nur Batifi oder s;Uh itbumle Btatt BStia
4<; Quintilian (lib. X).
s. 36 auch im Zusammenhange über X 1. 94 multum <•* est tersior coli
XII c. 1 multum ante und zeigt durch Parallelen aus dem Altern Plinine
11. a, dafs multum durchaus oichl in der Lufl schwebl and zu 'lim Osann-
schen multo kein ausreichender Grund vorhanden ist. Ich habe also
nichts gegen die obige. Schreibung, obwohl ich nicht leugne, dafe Wölff-
lins ibid. bedingungsweis vorgeschlagenes multo tersior (coli. > '.'■:. 78, 77)
ohne Copula wegen der Unsicherheil der Überlieferung und auch wohl
wegen des unmittelbar folgenden multum ei verae gloriae . . rneruil manches
für sh-li hat. Am liebsten freilich lese ich grade wegen des folgenden
multum et mit Sc multum est tersior. Mir scheinl die Überlieferang auf
ein falsch eingeschobenes et hinzudeuten multum et est <>. etiam esl M.
Weil zu 1, 70 omnibua numeris von Meister und Bold als Parallele
aus Krüger falsch nachgedruckt ist de nat. deor. II 13, 31 statt II 13,
37, will ich den Aidafs benutzen auf die Schoemannsche Erklärung von
0. n. zu verweisen1) Über non dubitare mit Acc. c inf. (zu L, l'-'n
handelt nach Schmalz jetzt am besten Riemann: Etudes2 S 283 u f.
Für Cic. kommt eigentlich nur de rin. III 1 1, 38 in Betracht, denn oecon. »;
will als Übersetzung der Jugend nicht viel besagen, ad Att. VII 1. 3
(Kühner, auf den sich Hild bezieht) ist anders zu interpungieren. Fol-
gende eigentümliche Bemerkung steht 1, 86 zu lesen: ut signifie ici: ä
supposer que, en suppleant vel ita, mais le subj. n'est pas mis ä cause
de ui; il existe par lui-meme, comme formule d'affirmation adoucie. Ge-
setzt selbst ut sei hier concessiv, was soll denn ita bedeuten? Nein ut-
ita heifst hier, wie aller Orten wie-so, während-so {jjl£v-S£) cf. X 3. 1, 31.
— Wie 2, 4 vel = tout au moins sein soll, ist unklar. Der Sinn ist: si
velis cf. Wölfflin Comp. S. 40 u. f Wenn du willst, lasse ich diesen
Grund gelten, ich könnte auch andere (gewichtigere) anführen, vel ebenso
1, 80, 86. 5, 8 u. a. Kühner S. 713 hat Hild mit bell. civ. III 25, 4
irregeleitet. — 3, 14 kommt die Bedeutung omni labore = en depit,
malgre tout son travail nur durch den abl. modalis zustande cf. Naegels-
bach-Müller: Lat. Stil.7 S. 110 u. f. — 3, 31 läfst sich die Anm erkungüber
scribi optime ceris schärfer so fassen: optime giebt ein Urteil über die
Handlung an, drückt nicht die Art und Weise aus cf. 3, 33 optime, f. 72
prave, 1, 105 fortiter, 5, 13 rectene und honestene u. a. s. Phil. Rundsch.
III 15 S. 462. Dosson: optime = Optimum, er hätte sagen sollen =
superque. Aus Wölfflins Gemination S. 467 u. f. gehört hierher, dafs 5, 9 aliae
aliaeque nicht nur bedeutet »der eine und der andere,« sondern »immer wieder
andere,, neue.« Dadurch wird auch der Begriff von quam numerosissime schärfer
abgegrenzt, so dafs es nicht nur »so oft als möglich,« sondern auch »so reich,
so mannigfaltig als möglich« bedeutet cf. XI 2, 27. Übrigens gehört »die Ver-
knüpfung durch que wohl der silbernen Latinität an, Quint hat mit Ausnahme
von X 5, 9 das ciceronianische atque beibehalten.«
M 1, 72 ist wohl Frotscher die Veranlassung zu dem falschen Citat der
Herausgeber üvid. Trist. IV 2, 104 statt IV 1, 104
Quintilian (üb. X). 47
Optimum esse, wie schon Herbst S. 146. — 5,4 »et ipsa; pour ipsa
quoque cf. 1, 94 multum et verae gloriae; et plus bas 5, 20: et ipse.
Ici: par elle-meme.« Wunderbar falsche Combination aus Krüger und
Meister, cf. quaest. S. 12 und Phil. Rundsch. a. a. 0. S. 463, wo ein
Druckfehler so zu verbessern ist: Cic. nur ipse, auch ipse etiam (etiam
ipse), ipse quoque, Liv. besonders gern et ipse = xo.\ abroq. — 5, 18
accidere ut sowie 1 , 58 facere ut sind einfach pleonastiscb zu nehmen,
ibid. scheinen die Herausgeber zu vergessen, dafs opinio — existimatiu.
fama — womit es häutig verbunden — echt ciceronianisch und cäsaria-
nisch ist. Ursprünglich eine vox media steht es so. wenn man will.
passivisch = vorteilhafte Meinung, gutes Renommee, z. B. pro Sulla
3, 10, Lael. 9, 30, Caes. b. G. II 8, 1; IV 16, 7 cf. 7, 17. -- Dafs 6, 4
eo tandem pervenit (cf. 7. 19) »un impersonnel« sei, ist wühl nur ein
lapsus calami, es müfste ja das Passivum stehen. Natürlich ist 6. 4 vis
und 7, 19 facilitas extemporalis zu ergänzen. Ebensowenig ist es mög-
lich 7, 7 das erste ut = comment zu fassen: das letzte Satzglied ut
cum multa scripserimus, etiam multa dicamus widerspricht dein ganz
entschieden. — 7 , 26 vereri = sich scheuen c. Inf. ist doch aus Cic.
bekannt, ja es ist das unpersönliche v. c. Inf. aus de fin. II 13, 39
bekannt. —
An Druckfehlern u. s. w. ist auch Hilds Ausgabe nicht grade arm.
Ich habe mir an die 80 Stellen notiert, wo Inkorrektheiten statthaben.
Nur das notwendigste sei hier aufgeführt. S. 26 (1, 42) steht im Text
richtig ad ppäacv, in der Anmerkung wird ad faciendam . . . ppdatv er-
klärt. S. 96 Anm. mufs es zu dubitari quin so heifsen cf. 1, 81 et la
note 1, 73. S. 105 ist zu lesen Hör. A. P. 86 discriptas und 89 cena,
S. 106 Ciceron, de Orat. II 15, 64, S. 112 (zu die) Cic. pro Rose. Am.
46, 132 (auch bei Krüger und Meister falsch), S. 117 Theb. V 542 cf.
Archiv für Lexigr. I S. 482. S. 119 steht die aus Cic. beigebrachte
Parallele nicht de off. I 22, 77, sondern Tusc. V 21. 62 illild hat Kühner
nicht genau eingesehen), und zu de off. III 15, 61 fehlt ex. S. 122 ist
zu scribi ceris aus Frotscher falsch XII statt XI 2, 32 abgedruckt (par-
vum und facillima 3, 31 erwähne ich nebenbei). S. 133 stehl zweimal
dvaffxsijrj und xaraaxsor^ wie bei Dosson. S. 134 war nmninati >uu!
aus Cic. de or. III 27, 106 zu setzen, S. 152 fehlt 7, 18 id im Text,
nicht in der Anmerkung. Zur besseren Orientierung wäre es vorteilhaft
gewesen, wenn auf jeder Seite oben über dem Text die Zahl des Capi-
tels und der Paragraphen genau nach Halm vermerkt wäre.
Von Meisters Ausgabe des ganzen Quintiliao i>t separat erschienen:
44. M. Fabi Quintiliani institutionis oratoriae über deeimus
EdiditF erdin andus Meister. Lipsiae Pragae 1887. Xlll. LS S.
Die praefatio iS. Vll -XIII) giebl in lateinischer Sprache das
Wichtigste über Quintilians Lehen und Studien. Ritters Ansicht aber
48 Quintiliaa (lib X).
die Deklamationen wird kurz and bündig zurückgewiesen. Es folgt eine
gedrängte Übersicht über den Inhalt der inst, ot, nacb den Worten
des Rhetors zusammengestellt. Nachdem dann die Quellenfrage unter
Bezugnahme aufClaussen and die Handschriftenfrage anter Bezugnahme
auf Halm mit Betonung des Wesentlichen und Wi- senswerten berührt
ist, bringt der Herausgeber zum Schluß einige Emendationen, die im
Text nicht mehr Verwertung finden konnten: Wölfflins l, 46 hie enim,
quemadmodum ex Oceano dicit ipse omnium Hummum fontiumque cursua
initium capere, des Referenten l, 79 in inventione facili-. honesti Studio-
sus in compositione, adeo diligens, Wölfflins 1, 81 quodam [Delphici]
oraculo dei instinetus cf. Claussen: quaest. S. 356 Anm., Koehlers 1, 100
cum eam ne Graeci quidem in alio genere linguae sitae obtinuerint.
Wölfflins und Spaldings l , 106 [omniaj denique quae sunt inventionis.
cf. tarnen Phil. Rundsch. III 14 S. 434-435. Oh 1, 82 mit Nettleship
in lahris eius sedisse Suadam [persuadendi deamj oder Suadem persua-
dendi deam zu schreiben sei, läfst Meister unentschieden. Referent hält
an der Überlieferung fest: quandam p. d. s. o.
Von dem Text, wie ihn diese Ausgabe ohne Varianten bietet, läfst
sich mit gutem Fug sagen, dafs er an Treue und Sicherheit alle bisher
erschienenen übertrifft. Der Herausgeber hat die gesamte Litteratur
zum zehnten Buch mit bewunderungswürdiger Sorgfalt geprüft und das
Beste behalten. Besondere Anerkennung verdient die Objektivität, mit
der er, wenn stichhaltige Gründe vorlagen, seine Ansicht einer fremden
untergeordnet. Mir- speziell ist nicht nur die Widmung des Buches eine
grofse Ehre und Freude gewesen, sondern auch die Thatsache, dafs hier
von den Ausstellungen, die ich zu der fünften Auflage von Bonnells 1. X
in der Phil. Rundsch. a. a. 0. gemacht, eine ganze Reihe berücksichtigt
sind. Meister liest jetzt: 1, 23 quin etiam easdem causas ut quisque
egerit utile erit scire, Bonnell- Meister non inutüe erit sc. 1, 40 non est
dissimulanda nostri quoque iudicii summa, Bonnell-Meister non est tarnen
d. l , 44 interim summatim quid et a qua lectione possint . . attingam,
Bonnell-Meister a qua 1. (ohne quid et). 1, 45 paueos (sunt enim emi-
nentissimi) excerpere in animo est, Bonnell-Meister paueos enim. qui sunt
eminentissimi s. 1, 48 age vero, non utriusque operis sui ingressu . .
legem . . constituit? Bonnell-Meister in utriusque o. s. i. 1, 53 quanto
sit aliud proximum esse, aliud seeundum, Bonnell-Meister parem. 1, 59
sed dum adsequomur, Bonnell-Meister adsequnnur, 1, 68 quod ipsum
reprehendunt — Bonnell-Meister quod ipsum quoque r. (Halm: quem ip-
sum q. r.). 1, 126 cum . . placere se . . posse üs, quibus e. s. Bonnell-
Meister posse, quibus e. s. 7, 24 vel soli tarnen dicamus quam non
omnino dicamus. Bonnell-Meister quam omnino non d. Auch 5, 13 nam
quid interest »Cornelius tribunus plebis, quod codicem legerit, reus sit«
an quaeramus e. s. habe ich den Herausgeber durch meine Ausführungen
Philol. XLV, 4 S. 724 u. 725 von der Richtigkeit der handschriftlichen
Meister, inst. or. 49
Überlieferung überzeugt. Nicht gelungen ist mir dies mit zwei andern
Stellen, wo ich es zuversichtlich erwartet hatte: 1, 72 Philemon qui ut
prave (GM) sui temporis iudiciis Menandro saepe praelatus est und 7, 25
est alia (M) exercitatio cogitandi. Da ich die Codices für mich habe und
vonseiten der Grammatik wie des Sinnes , soviel ich sehe , nichts gegen
diese Lesarten eingewandt werden kann, so stelle ich sie mit andern
1, 7. 19. 44. 76. 83. 106. 2, 17. 7, 13 noch einmal zur Erwägung, aber
einem Meister gegenüber durchaus mit dem Vorbehalt der Bescheiden-
heit Quintilians IX 4, 2. — 7, 26 schreibt Meister mit Gertz diligentius
enim componitur quam in illa, in qua contextum dicendi intermittere
veremur. Ich halte diesen Einschub des in für überflüssig. Zu compo-
nitur ist Subjekt exercitatio cogitandi totasque materias vel silentio (dum
tarnen quasi dicat intra se ipsum) persequendi, d. h. dem Sinne nach tn-
cita oratio, wie dum t. q. dicat i. s. i. zeigt, zu illa ist Subjekt vera
oratio; componitur exercitatio aber ist nicht auffälliger als explicatur e.
— Was Meister veranlafst hat 2, 17 zu neuern: Atticis scilicet, qui prae-
cisis conclusionibus obscuri sunt, Sallustium . . superant, kann ich nicht
erkennen. Mir scheint es einfacher und richtiger aus Atticis (Mb Attici
sunt zu machen und den folgenden Relativsatz unangetastet zu lassen,
s. Phil. Rundsch. a. a. 0. S. 435. Ein sorgfältiger Index der Termini
und Namen (S. 38 — 45) beschliefst die Ausgabe, die sich auch durch
korrekten und schönen Druck empfiehlt.
Ausgabe der ganzen inst. or.
45. M. Fabi Quintiliani institutionis oratoriae libri duodecim. Edi-
dit Ferd. Meister. Vol. I lib. I — VI. X, 289 S. 1886. Vol. II
lib. VII XII. I, 363 S. 1887. Lipsiae et Pragae. Freytag &
Tempsky.
Von Meister, dem Kenner des Quiutilian, eine neue Ausgabe. Tritt
sie mit dem Anspruch in die Öffentlichkeit die grofse Ausgabe Halms
entbehrlich zu machen? Mit nichten. Das will sie weder noch kann
sie es. Wer sich kritisch mit Quintilian beschäftigen will, der kann
Halms und seines vollständigen kritischen Apparates nicht entraten. Zwar
giebt Meister eine Auswahl von Lesarten; aber diese genügt nicht, weil
kein Eklektizismus — und gründete er sich auf die vollkommenste Kennt-
nis des Schriftstellers — den Charakter der Subjektivität verleugnen
kann. Ein Beispiel zum Beweise. I 11, 10 heifst es bei Meister: vidi
multos, quorum supercilia ad singulos vocis conatus adlevarentur, alio-
rum constrieta, aliorum etiara dissidentia, cum alterum in verticem ten-
ierent, altero paene oculus ipse premeretur. Da unter dem Texl keine
Variante verzeichnet ist , mnfs jeder annehmen, dies sei die bandschrift-
lich gesicherte Überlieferung, lud doch belehii uns der Balmsche
apparatus criticus, dafs A alterum ■ . tenderei bietet. Alteruin haben
Jahresbericht ftti Alterthumawlssenaobaft 1 1 iis*r 11 1 1
50 Quintilian.
Halm and Meister statt altere BMS aufgenommen, tenderel haben sie
verschmäht Warum? Dafs tenderel das einzig richtige an dieser Stelle
ist, zeigt nicht nur da Passivum premeretur, sondern Beispiele wie l 12,
i tot disciplinis in diversum tendentibue oder \lll i. 9 haec amplifica-
tio in Buperiora tendit. cf. meine quaest. S. 21 a. 22. Also: Meister
nicht ohne Halm, aber auch umgekehii Balm oichl ohne Meister, denn
die Moistersc.be Ausgabe, gegen die Balmsche gehalten, zeigt an vielen
Stellen in der That eine wesentlich verbesserte Gestall Dank eigener
Forschung des Herausgebers und Dank den Studien anderer, deren Re-
sultate gewissenhaft berücksichtigt und verwertel sind. Pur den ersten
Teil standen Meister namentlich Kiderlins Arbeiten zu Gebote, für den
zweiten haben aufser Kiderlin namentlich Wölfflin, Schenk! und der
Referent Emendationen beigesteuert. Dem Herausgeber gebührt der
Löwenanteil, weit über 100. So darf also auch der Kritiker von Fach
sich dieser neuen Ausgabe freuen. Vollends aber — wer den Betrieb der
rednerischen Unterweisung bei den Römern studieren oder den Inhalt,
den uns der Rhetor in geschmackvoller Form bietet, geniefsen will, ohne
sich um die Divergenzen von A und B zu sorgen, der kann nichts Besse-
res thun, als sich diese Ausgabe anzuschaffen. Sie ist mit einer Sorg-
falt gearbeitet, die uneingeschränktes Lob verdient. Nach Druckfehlern
mufs man förmlich auf Suche gehen. Ich habe nur wenige gefunden:
S. 72 l adn. crit. etsi Spalding et AB statt et hie Ab, S. 86 l adn. crit.
libr. statt libri, S. 88 Z. 31 bv statt 8v, S. 95 adn. crit. efficit AB statt
Ab, S. 115 adn. crit. 1717 statt 17, S. 251 Z. 17 adpoenas statt ad
poenas, S. 8 n adn. crit. cumquam statt eumquam, S. 153 H adn. crit.
ere se statt fere se, S. 289 u Z. 33 fehlt hinter in Catil. 17, 1 7 ib. I 11,
27, adn. crit. ib. aliquandoque ut nos (Halm: ut addidit Obrecht. cf.
Phil. 35 S. 542). Add. et corrigenda S. 362 2, 11, 9 statt 2, 13, 9.
Equidem non mediocrem industriam in ea re nie collocavisse contiteor,
ut suum cuique tribuerem vel restituerem, sagt Meister praef. S. VII.
Auch in dieser Hinsicht kann ich nur ein Scherflein zur Verbesserung
beitragen: S. 140 n adn. crit. ita Christ, steht schon in Bonnells Lex.
S. 924, S. 202 adn. crit. velut Halm, steht gleichfalls in Bonnells Lex.
S. 139, S. 219 adn. crit. ei . . . impertire Spalding, <i rührt von Halm
her. — Aller Orten herrscht maxima cura ac diligentia. Ja, wenn man
die Treue im Kleinen mit einrechnet, wie sie sich z. B. in der Art offen-
bart, die einzelnen Buchstaben mancher Worte durch den Druck als
Werk der Conjekturalkritik zu kennzeichnen, so ist man versucht an
das Urteil Quintilians über Isocrates zu denken (X l, 79) adeo diligens,
ut cura eius reprehendatur, wenn nicht jenes Wort doch eine Manier
geifselte und wenn nicht die cura für einen Editor höchstes, bindendes
Gesetz wäre. — Die Einleitung belehrt uns, welche Quellen und Hülfs-
mittel Meister für die Konstituierung des Textes benutzt hat. Dafs es
in erster Linie der Ambrosianus I (A) s. XI und der Bernensis (Bn) s.
Meister, inst. or. 51
X sind, versteht sich nach Halm von selbst. Nicht so selbstverständlich
ist die Entscheidung über die Frage, wie man sich diesen beiden vor-
nehmen Zeugen gegenüber zu verhalten hat, wenn sie von einander ab-
weichen, so zwar, dafs beide Lesarten dem Rhetor zugetraut werden
können. Meister ist geneigt sich dann mehr für die Autorität von Bn
zu entscheiden. Ich besinne mich doch, ehe ich dieser prinzipiellen —
ich will nicht sagen Bevorzugung, aber Auszeichnung oder Berücksichti-
gung zustimme. Wenn es I 2, 5 heifst et amicum gravem virum aut
fidelem libertum lateri filii sui adiungere sc. licet, cuius adsiduus comi-
tatus etiam illos meliores faciat, qui timebtratur (Ab), so pafst, däucht
mir, das Imperfektum viel besser zu dem Potentialis faciat. als timelwn-
tur (B). Bonneil scheint das auch gefühlt zu haben, da er in seinem
Lexikon ungenau erklärt: timebuntur i. e. suspecti sunt. — I 12, 16
klagt der Rhetor, dafs die Beredtsamkeit nicht an und für sich selbst
erstrebt wird, weil sie ehrenvoll und die schönste der Künste, sed ad
venalem (Ab) usum et sordidum hierum accingimur. Ist nicht venalem
viel signifikanter als vilem, was Meister mit BMS vorzieht? cf. fides
venalis. Cic. Verr. III 62, 144. — II 12, 6 sehe ich nicht ein, warum
Halm sowohl wie Meister der Überlieferung von B folgen his accedit,
quod a cura docendi quod intenderin* recedunt. Der Indikativ inten-
derunt (Ab) ist nicht nur an und für sich besser und einfacher, sondern auch
durch Parallelen gestüzt wie I 10, 49 illud utique iam proprium ad
efficiendum quod intendimus cf. XII 10, 53. 72 u. a. V 11, 6 ad per-
suadendum id quod intendm* (Bonnells Lex. falsch intendimus) darf
nicht als Gegenbeweis gelten, weil die zweite Person für »man« in Neben-
sätzen bekanntlich ihre Eigenheiten hat. Dafs es II 20, 5 mit Ab
heifsen mufs si consonare sibi in faciendis ac non faciendis virtw* est
(virtutis B), ist mir deshalb unzweifelhaft, weil gleich darauf si virtutes
sunt folgt und in dem ganzen Cap. der Nom. resp. der Acc beliebt wird
1. 4. 7. 8. 9 (ter) 10; VI 5, 11 ist wegen des Zusatzes eiusdem anders
geartet. I^benso entscheide ich mich für A I 6, 15 quid vrero quod
e. s. Meister mit B quid vero? quae I 6, 29 nt M. Caelius-Meister nt cum,
cf. IX 2, 41. 42 und Kiderlin a. a. 0. S. 204, III 7, 20 et animo
Meister et aninu, III 8, 4 si quando ambigetur — Meister s. q. ambig*-
tur , IV prooem. 5 propitium numon — Meister proprium n., IV 2, 89
quod fingemus - Meister ting/mus cf. § 90 constabit, 91 debebit, finxe-
rit. Doch ich will hierbei nicht länger verweilen, weil sich an manchen
Stellen ein Überzeugender Beweis für die alleinige Richtigkeit der einen
Lesart nicht führen läfst, ich will lieber eine Stelle herausheben, wo
Meister ohne Zweifel recht gethan hat 1'» gegen A sich anzuschließen.
IV i, 76 schreibl er quotiens autem prooemio fuerimus asi, tum sive
ad expositionem transibimus sive protinus ad probationem ; Halm liest
mit A in expositionem und stützt sich auf Bonnells Lexikon, wo man
alier nach passenden Beispielen für dieses transire in vergeblich sucht.
4*
52 Quintilian.
Eis kommt dazu, daß das parallele ad probationem zu Gunsten von B
spricht. — A and B ergänzen Bich gegenseitig. Wo beide Quellen fliefsen
initium V 14,22, VIII 8,64 — VIII (i. 17. VIII 6, 67 IX 8, 2,)
»ad textum constituendum praeter hos alio libro rä opus i rideatur.«
Der Ambrosianus hört mit IX i. L85 auf und hat nur noch gegen das
Ende des NN «i kr- einige wenige Paragraphen von XII 11, 12 an. Dei
Bernensis isl durch den wiederholten Ausfall von Blfttterlagen etwa um
2/7 defekt. Aus ihm stammen Ambrosianua II and Bambergensis (Bg),
dessen von Ant. Linsmayer 185'2 gemachte (\dlation Bonnell sterbend
au Meister vermachte - hie illic konnte er ihr folgen. Was in Bg ur-
sprünglich fehlte, ist durch eine spätere Band (G bei Halm) au- einem
vollständigen Codex nachgetragen, in dessen Wertschätzung Meister TOD
Halm nicht ahweicht Sonst benutzte er noch den Parisinus Nostra-
damensis (N), zwei Vossiani (Voss.), drei I'arisini (Par.), um jüngerer
Handschriften von untergeordneter Bedeutung zu geschweigen. Die Pari-
sini, besonders Par. II, zog er im zweiten Teil mehr heran iisque, sag!
er, lectiones iam dudum in textum reeeptas, quae non solum mihi, sed
etiam aliis verae atque genuinae esse viderentur, tribui, cum adhuc aut
aliis codieibus tribuerentur aut etiam coniecturae haberentur. Zuweilen
boten auch des Julius Victor Compilation, die excerpta rhetorica und
excerpta Cassiodori Abhülfe — doch erinnert er daran non quiequid in
his praestare videatur continuo praeferendum, sed »cum libris Quintiliani
destituti sumus, ad ea configiendum esse.« An Ausgaben waren ihm an
die 40 zur Hand von der Venetiis 1493 per Bonetum Locatellum cum
annotationibus Raphaelis Regii bis zu Hilds lib. X. Paris 188-ri. Man
sieht, das Buch ruht auf breitester Grundlage der Forschung. Wenn
trotzdem der Text noch an vielen Stellen krankt, so wird kein Verstän-
diger dafür den Herausgeber verantwortlich machen wollen: nur die
vereinigte Arbeit aller Forscher kann den Autor relativ gesund machen.
Mir hat sich bei der Durchsicht des Buches folgendes ergeben:
Die Übereinstimmung der guten Handschriften AB erweckt einigen
Verdacht gegen die Überlieferung der Parisini 2 und 5 I 2, 30 maxima
enim pars eloquentiae constat animo. hunc adfici, hunc coneipere ima-
gines rerum et transformari quodam modo ad naturam eorum, de quibus
\oquimur (loquitur ABMS), necesse est. Halm liest loquitur und fügt
hinzu sc. animus. Er hätte sagen sollen: per synesin. Ebenso heifst
es bei Cic. Lael. IX 29 quid mirum est, si animi hominum moveantur,
cum eorum, quibuscum usu coniuneti esse possunt, virtutem perspicere
videantur? Subjekt zu possunt sind in der Wirklichkeit natürlich homi-
nes, nicht animi hominum, gerade so wie Subjekt zu loquitur nicht ani-
mus ist, sondern orator, s. oben. — I 11, 17 ist nach der Überlieferung
A ut, B in, L ut in kein ausreichender Grund ut* (statt ut) nomine ipso
declaratur zu schreiben; ut, vi, in sind oft verwechselt worden, cf. Madvig
Adv. crit. I S. löf.1), ut in L ist willkürliche Weiterbildung resp. Ditto-
i) Adv III S. 27") emendiert Madvig IX 2, 21 ebenso einfach wie treffend
si vos meo (in eo libri) loco essetis.
Meister, inst or. 53
graphie. II 10, 15 sed haec suo quoque (A, quorfque Meister) loco.
cf. IV 2, 62. Kiderlin (Neue phil. Rundschau No. 6 S. 88) will au beiden
Stelleu quaeque geschrieben wissen, weil die Überlieferung nicht zu erklären.
Indessen haec suo quoque loco = dies an seinem respektiven Orte — ist
echt lateinisch, wie Madvig de fin. V 17, 46 S. 689-690 ausführlich dar-
legt, suus quisque fast ein Begriff, cf. Cic. Tusc. IV 12, 28 haec pro-
clivitas ad suum quodque genus. II 20, 5 quod philosophi quidem
multis et acutis conclusionibus colligunt, mihi vero etiam planiore hac
proprieque nostra probatione videtur esse perspicuum. Dafs hac . . pro-
batione nicht die Worte des Rhetors sein können, hat Kiderlin N. Jahrb.
1885 Heft 2 S. 118 überzeugend nachgewiesen. In der That erwarten
wir nach hac pr. , dafs uns Quintilian in dem zunächst folgenden Ab-
schnitte seinen Beweis vorführe und nicht die Schlüsse der Philosophen,
denen er seine probatio erst § 8 gegenüberstellt. Was aber Kiderlin
vorschlägt planiore hoc proprieque nostra probatione, ist wegen der
Stellung des hoc zwischen den Ablativen verfehlt, §8 ist anderer Art.
Der Rhetor schrieb wohl planiore ac proprie nostra p. War einmal ac
in hac verderbt (b giebt ac), so konnte sich ein Abschreiber leicht ge-
müfsigt finden propriec/wc zu konjizieren. - III 1, 11 kommt man mit
der handschriftlichen Lesart nicht aus, wie oft hervorgehoben ist, zuerst
wohl von Claussen, der richtig einschiebt: Antiphon quoque qui et ora-
tionem primus omnium scripsit. Fortzufahren ist dann mit B et nihilo
minus artem et ipse composuit e. s. - Wie sehr eine kluge Scheu vor der
Überlieferung oft not thut, lehrt III 8, 9 quos secutus videlicet C. Sallustius
in bello Jugurthino et Catilinae (A), Catilinario ed. Aid, der Meister
gefolgt ist. Da heute kein Zweifel mehr ist — nach Wölfflins Darlegung
und Appell an die Herausgeber des Sallust Archiv I 2 S. 278 — , dafs
Sallust seine Schrift bellum Catilinae betitelte, so werden wir uns nicht
von A entfernen dürfen, ohne uns ebenso weit von der Wahrheit zu ent-
fernen. Auffallend, dafs kein Herausgeber bis jetzt an IV 2, 25 An-
stofs genommen: sed hoc quoque interim mutat condicio causarum. nisi
forte M. Tullius in oratione pulcherrima. quam pro Milone scriptam re-
liquit, male distulisse narrationem videtur tribus praepositis quaestioni-
bus: mit profuisset exponere. quo modo insidias Miloni fecisset Clodius.
si reum, qui a se hominem occisum fateretur, defendi omnino fas non
fuisset, aut si iam praeiudicio senatus damnatus esset Milo. aut si Cn.
Pompeius, qui praeter (A, propter B) aliam (Handschriften, aliquam edd.
vett.) gratiam iudicium [etiam] militibus armatis cluserat, bamquam ad-
versus ei timeretur. Da die Annahme und Voraussetzung des irrealis
im Widerspruch mit der Wirklichkeit steht, so halten wir zu denken:
nunc autem fas erat reum . . defendi, praeiudicio senatus damnatns non
erat, Cn. Pompeius tarn quam adversus ei non timebatur - und darum:
nmi proftlit exponere Aber das ist ja barer Unsinn. Oder voll auf pro-
fflisset exponere e. s. DOCh in den Satz mit nisi forte gezogen werden?
54 Quintilian.
dann wäre die Interpunktion vor anl zu ändern, aber gelbst wenn dae
geschähe, wurden die Sätze mil -i einer solchen Verbindung durchaus
widerstreben. Der Gedanke erforderte dann atatl des Gegensatzes der
Wirklichkeit, statt des irrealen Verhältnisses den Gegensatz des Grundes,
das concessive Verhältnis. Kurz, eine Möglichkeil die Überlieferung
zu retten, giebl es nicht. Der Fehler steckt in aut, <la~ entweder in
haud zu verändern ist, was mir in den Sinn gekommen, oder mil an zu
vertauschen ist, was, wie ich nachträglich Behe, Eberhard in der Ein-
leitung zur Miloniana 3. Aufl. 8. 21 Anin. 82 vorgeschlagen hat Der
Sinn ist derselbe, ob wir band oder an schreiben, und die Änderung ist
gleich leicht: haud ist oft genug mit aut verwechselt. 8. bei Halm IX 8,
20 S. 150, X 1, 86 S. 219, X 3, 20 S. 237, aber ebenso oft ist auch
wohl an und aut verschrieben, s. V 10, 44 S. 238, V 10, 69 8. 248, VII
4, 34 S. 39, das Mittelglied bildet an s. V 2, 1 S. 217, V 10, 12 S. 233.
Das Eberhardsche an scheint mir aber nach der ganzen Fügung des
vorhergehenden Satzes mehr für sich zu haben als mein eigenes haud,
zumal haud bei Quintilian nicht gerade beliebt ist, cf. Planer: Jenaer
Diss. 1886. War man an aut bisher anstandslos vorübergegangen, so
hatte man sich umsomehr abgequält das praeter oder propter aliam gra-
tiam zu erklären. Umsonst. Per te sapere aude! Da es pro Milone
heifst 8, 21 in communi omnium laetitia si etiam ipse gauderet, timuit
ne videretur intirmior fides reconciliatae gratiae, 29, 79 etiam si propter
amicitiam vellet illum ab inferis avocare, propter rempublicam non
fecisset, 32, 88 illum ipsum, qui obstare poterat, novo reditu in gratiam
quasi devinctum arbitrabatur sc Clodius, so wird es kein zu kühnes
Wagnis sein zu schreiben propter reconciliatam gratiam. Verkennen von
Compendien mag die falsche Lesart erzeugt haben, und etiam in Ab
wird durch praeter hervorgerufen sein: iudicium etiam om. B. — IV 2, 45
ändert Meister quare vitanda est etiam Sallustiana brevitas et abruptum
sermonis genus, quod otiosum fortasse lectorem minus fallat. audientem
transvolat, nee, dum pereipiatur (Handschrift repetatur) expeetat. perci-
piatur ist eine alte Konjektur Meisters, gegen die ich mich schon Phil.
Rundschau III 15 S. 469 Anm. ausgesprochen habe, jetzt auch nn-
abhäng von mir - Kiderlin Wochenschrift f. klass. Phil. 1887. 2. S. 48.
Wenn man zu dum repetatur ergänzt, wie es bei dem otiosus lector der
Fall ist, der wiederholen kann, so ist alles in Ordnung. — V 7, 13 lese
ich mit Halm: quod[cum| in iis quoque, qui ea, quae dicturi videntur.
esse (Meister, Handschrift re) vera soiunt, necessarium est praeeavere,
multo magis in iis, qui se dicturos, quae falsa sunt, pollicentur. Weil
dem cum quod vorhergeht, weil ferner cum A in ras. m. 2 und wegen
des quoque ziehe ich es vor cum mit Halm einzuklammern als mit den
edd. vett. , wie Meister thut, tum vor multo einzusetzen. Kein Zweifel
übrigens, dafs re vor vera unhaltbar, fraglich erscheint mir blofs, ob man
es mit Meister in esst zu verwandeln oder auszumerzen hat, das voran-
Meister, inst. or. 55
gehende r und das folgende vera, könnte zu dem letzteren verführen, um
so mehr als der Rhetor solche Wendungen mit scire liebt, cf. II 10, 8
quod omnes sciant falsum und XII 1, 41. 43. -- Warum man V 7, 19
nicht der Autorität von A folgt und schreibt: id si non contigit (Halm,
Meister contm^it, Meister: fort, contigerit), reliquum erit, ut eum nolle
dicere manifestum sit, verstehe ich nicht. Die mangelnde Corresponsion
der Tempora durfte das nicht hindern, denn die ist selbst klassisch,
cf. Cic. ad fam. VII 14, 1; Phil. IX 1 , 2. V 14, 30 quorum nihil
consequetur, si conclusionibus certis et in u/mm prope formam cadenti-
bus concisa et contemptum ex humilitate et odium ex quadam Ser-
vitute ( severitate ed. Aid. ) et ex copia satietatem et ex similitudine
fastidium tulerit Sowohl die Nachbarschaft von humilitas, gegen das
severitas entschieden abfällt, als auch die Parallele VII 3, 16 rarissime
apud eos reperitur illa ex consuetudine philosophorum ducta servitus
ad certa se verba adstringeudi zeigen, dafs man übereilt der Aldina ge-
folgt ist. Auch quadam d. h. etwas, was . . zu bezeichnen ist, hätte
davor bewahren sollen, denn zu severitas pafst es doch sehr schlecht,
während es sich bei dem starken und hyperbolischen servitus als mil-
derndes Beiwort sehr gut ausnimmt im Gegensatz zu humilitas, copia.
similitudo, die einer solchen Herabstimmung nicht bedürfen. VI 3, 64
tertium adhuc illud, si quidem (T m. 2, si quod A G) ut ne auctorem
ponam, verecundia ipsius facit: ' libidinosior es quam ullus spado'. Mit
Recht zweifelt H J. Müller in der Anzeige des ersten Bandes (Deutsche
Litteraturzeit. 1887 S. 10 — ll)1), ob das an sich schlecht beglaubigte
si quidem in diesem Zusammenhange dem Schriftsteller zugetraut werden
darf. Sein Vorschlag illud est oder sit quod ut citra (cic für ne) aucto-
rem ponam, v. i. f., trifft sicher den Sinn des Satzes, ob auch den Wort-
laut? Durch die Erwägnng, dafs dieses dritte Scherzwort den beiden
andern im übrigen ähnlich, nur insofern unähnlich ist, als es anonym
auftritt, bin ich auf die Vermutung geführt worden nisi quod statt si
quod zu schreiben. »Als drittes ist noch jenes übrig (den beiden andern
ähnlich), nur dafs ich den Namen nicht nenne.« Unmittelbar darauf
folgt et hoc ex eodem loco est, sed nulli priorum simile, quod dixit M.
Vestinus e. s. Dafs nisi quod dem Gedanken des Rhetors Genüge tliut.
kann ebenso wenig bestritten werden, wie dafs es grammatisch korrekt
isl : das restringierende, was es immer haben soll, cf. I 4, 9, hat es auch
hier. Zudem ist die Änderung leicht genug, denn si ist mit nisi (Mittel-
') Müllers ebenda ausgesprochene Ansicht, dafs IV 6, 24 so emendieren
sei nam est suus et in digestu modus, erinnert an Gertz, der lesen will et di-
gestui. Beide könnten sich auf XI 3, 114 berufen sive in digitos argumenta
digerimns, aber in digestu oder digestui sc. in digitos, das ist eben — nicht
ohne leisen Spott — der fji^tns, ganz abgesehen davon, dafs digeBtns, wie schon
Iw. Müller (Jahrb. IH76. II S. 281) hervorgehoben, in dieser Bedentnng nicht
nachweisbar ist.
56 Quintiliaii
glied in) ott verwechseil worden, s. Bahn I\ i. 70 >. 182, VII 10, 6
8. 51. Denselben Übergang von <il|{,|l in quiden haben wir in den Eland
schritten Vi :'.. 6 B. 310. - VI .;. L06 verum mihi etiam iocosa quaedam
videntur posse aon satis urban« referri 80 Meister mit T m -i. Meine]
bei Halm '» 11. 9. urbana r. ich folge anbedingt Meister, nur weif- ich
nicht, ob referri gehalten werden kann. Die Bedeutung, die Spalding
dem Worte mit Recht vindiziert zu V 1:',, 2'.r. referre esl oarrare, com
lectore communicare, cf. Madvig de fin.s II 30, 97 8. ::<i7 808, will liier
nicht passen; dasselbe, was exj ere oder dicere, bedeutet es nie. und
darum schlage ich vor efferri zu lesen, cf. I 5, <>4 in ceteris quae po-
terunt utroquo modo non indecenter efferri, Cic or. 44. 150 snaves gra-
vesque sententiae si meonditis verbie efferuntur, offendunt aures. Über die
Art der Verderbnis handelt Madvig adv. crit. I S. 18 u. f. — Wenn Meister
mit Teuffei (Jahrb. f. kiass. Phil. 89 S. 172) VII 3, 34 schreibt: qui
ergo puniri debent, in quibus omnia a&sunt (sunt die Handschriften) ho-
mieidae praeter manum?, so ist daran soviel richtig, dafs der Gedanke
unweigerlich die Ableugnung aller Merkmale eines homieida fordert mit
Ausnahme einen einzigen, scheinbaren, nämlich der rein äufserlichen
Thatsache, dafs die Jünglinge den tumulus errichteten und dafs dies den
Tod des Vaters zur Folge wenn auch nur ganz unbeabsichtigten Folge
— gehabt hat. Wie aber das einfache manus die rein äufserliche
Handanlegung (Thätigkeit), den blofsen Schein — denn daraufkommt
es an bezeichnen kann, vermag ich nicht einzusehen. Eher würde ich
noch die handschriftliche Lesart verteidigen und manum = vim setzen,
aber dagegen streitet, wie gesagt, der Gedanke. Die Stelle harrt noch
eines glücklichen Kritikers. Auch der Halmsche Vorschlag omnia absi-
milia (oder dissimilia) oder was mir eingefallen omnia aliena sunt hilft uns
nicht weiter. — VII 6, 4 — 5 in hoc altera pars scripto nititur, altera
voluntate. et (Meister, aed die Handschriften) contra scriptum tribus gene-
ribus oecurritur. Gewifs hätte der Rhetor das altera voluntate durch et
fortführen können , aber da oecurritur contra scriptum einen wirklichen
Gegensatz gegen das erste Glied — altera pars nititur scripta involviert,
so halte ich sed für unantastbar. VIII prooem. 26 haben die Hand-
schriften sed ille et durus atque ineruditus. Meister macht daraus sed
ille durus a. i., Spalding vermutet sed ille est durus, letzteres verdient
den Vorzug, denn et und est sind wer weifs wie oft verwechselt. Ebenso
folge ich Spalding, wenn er VIII 2, 19 schreibt quantum ad alios perti-
neat, nihih' putant (Meister nihil putant referre, nihil p. die Handschrift).
Zu dem, was Spalding vergleicht, füge Cic. pro Sestio 53, 114 ut auspicia
. . bonorum iudicium nihili putaret. VIII 3, 11 hat derselbe Spalding
sicher richtig erklärt: ita demum decet hie ornatus, si fuerit pro ma-
teriae genere variatus. wenn er aber mit Regius, dem auch Meister folgt,
schreibt hie ipse honestus ornatus pro materiae genere decet variatus. so
vermisse ich bei dieser Lesung das vom Gedanken geforderte ita demum,
Meister, inst or. 57
das durch die Schreibung der edd. vett. debet es.se (ohne das von Regius
hinzugefügte pro) deutlich hindurchklingt. Am Ende ist es aber wegen
der Überlieferung in AGM genere decidit doch noch geratener mit Halm
esse debebit zu schreiben. — »Vielleicht ist bei Quintilian VIII 3, 35
Caecilius a Sisenna — primum dictum putat — albenti coelo Caesellius zu
verbessern«, sagtBergk: op. phil. I S. 98. Ich bleibe bei Caecilius und
albente caelo, denn wahrscheinlich hat ßergk diese Verbesserung nicht
gemacht. Ebenso wenig kann Beifall finden, um das hier anzufügen,
was Bergk op. II S. 756 sagt: »queentia, was man bei Quintilian (II 14, 2)
hat herstellen wollen, ist eine Unform, es ist neque entia zu lesen«, cf.
Halm ad h. 1. Dagegen hätte Beachtung verdient op. I S. 378 IX 3, 77
Hecuba, hoc dolet, miseret, pudet, piget • es ist wahrscheinlich ein Wort
ausgefallen, da Quintilian Beispiele der viergliedrigen Rede anzuführen
beabsichtigt. Und wenn Bergk I 4, 10 schreibt (op. II S. 760) at quae
ut vocales iunguntur aut unam longam faciunt, ut veteres scripserunt,
qui geminatione earum velut apice utebantur, aut duas (individuas), nisi
quis putat etiam ex tribus vocalibus syllabam fieri, si non aliqu« officio
consonantium fungatur, wo man gewöhnlich aliquae fungemtur liest, so
halte ich zwar den Einschub von individuas wie alle Konjekturen zu
diesem Worte für unnötig, für nötig aber aliquot fungatur. So erklärt
schon Spalding I praef. LXXV - LXXVI, cf. Kiderlin bayr. Gymn. XXII
S. 13- 15, dem Bergks Emendation gleichfalls entgangen ist. — VIII 6, 32
macht Wölfflin (Archiv f. lat. Lexikographie III S. 86) den mir sehr ein-
leuchtenden Vorschlag qualia sunt illud (die Handschrift nur ut: die
Herausgeber lassen das Wort ganz weg) sullaturit' et 'proscripturif
coli. I 4, 11 conicit est ab illo (dnö ruü) iacit. »Vielleicht IX 3, 17
quäle est illud (die Handschrift vulgus) amat fieri'«. Meister liest mit
Francius 'vulgo amat fieri'1). — IX 2. 36 est et incerta persona et ficta
oratio: 'hie aliquis' et dicat aliquis'. est et iactus sine persona sermo.
Sowohl der Vergleich von III 8, 54 ficta personarum oratione und VI
1 , 25 fietae alienarum personarum orationes als auch der Gegensatz
iactus sine persona = nullius p. sermo beweisen, dafs Meister mit Un-
recht die durch ed. Camp, und Regius eingeführte Lesart est et incerta«
personae ficta o. verschmäht hat. — IX 3, 61 non enim obtieuit, lusit,
quia nihil aliud intellegi poterat, quam hoc: diadema imposuit. So die
Überlieferung, Spalding aut lusit. Halm nr.d Meister sed lusit. Letzteres
dem Gedanken nach zweifellos richtig, aber warum scheut man sich ein
•) In demselben Jahrgang 111 S. 560 — 561 weist Wölfflin Dach, wir recht
Quintilian hatte, wenn er sich flher die Partikel igitur tolgendennal-en linderte
I 5, 39: an sit initio Bermonis positum dubitari potest, quia maximos auetores
in diversa fuisse opinione video, cum apud alios sil etiam Frequens, apud alios
numqunm reperiatur, (Caesar z. B mit Ausnahme von hell. civ. I 85, t und
der Rhetor Seneca haben eine Antipathie gegen das Wort.)
58 Quintilian
Asyndeton zu statuieren? cf. Cic. de off. III 88, 118 non recipit istam
coniunctionem honestas, aspernatnr, repellit, .-5. Beyftert- Malier: Lael
8. ni 112. Eine der Bchwierigsten Stellen Lei IX i. 186 argumenta
acria et citata pedibua quoque ad hanc uaturain accomodatis atentur,
noa tarnen ita ut trochaeis qupque celeria quidem, sed sine viribus -int.
verum iis, qui sunt brevibus longisque mixti, non tarnen plnres longas
quam breves habent. Weil die Handschriften habentia bieten and teil-
weise mixta (LS), wo es klarlich mixti und habenl ohne Beziehung
auf argumenta heifsen mufs, so schliefst' ich mit einiger Sicherheit,
dafs auch die Lesart troceisque . . celeri" . . sunt GL einer falschen Be-
ziehung ihren Ursprung verdankt und schreibe mit Gallaeus trochaeis
qw celem q.f s. s. v. sunt quoque auch wegen des vorhergehenden q. be-
denklich wie non tarnen wegen des folgenden n. t. Für das handschrift-
liche nondum ita ut erwartet man etwa nach § 49 non dico continuis
oder nach § 91 non dico continuatis trochaeis oder non videlicet tr. Nur
Beispiele, keine paläographisch wahrscheinliche Lesart steht mir zu Ge-
bote. — X 7, 24 ') ars enim semel percepta non capitur (BM), labitur
ed. Gryph., animo non oder mente non 1. Hild, andere rapitur. Der
Sinn ist ja klar, (»la connaissance theorique une fois conquise ne se
perd pas« Hild), die Lesarten aber sind sämtlich so anstöfsig, dafs ich
zu abit gegriffen habe coli. IX 4, 14 abierit omnis vis, iucunditas, decor.
Petersens Bemerkungen zu dieser Stelle (Zeitschrift f. Altertumsw. 1836
S. 753) habe ich bis jetzt nicht einsehen können. — XI 1, 14 idem fere
in omni genere causarum et proderit et decebit. est autem, quod omnes
et semper et ubique deceat, facere ac dicere honeste, contraque nemi-
nem umquam ullo in loco turpiter. Halm hält mit Recht die Yulgata
für korrupt. Man schreibe deceb^. id est autem (cf. X 1, 120) und mache
hinter deceat ein Kolon, was etwa unserm nämlich gleichkommt, so ist
alles in bester Ordnung. — XI l, 72 liest man mit Regius hoc enim com-
mune remedium est, si (nisi GMS) tota actione aequaliter appareat non
honor modo eins, sed etiam Caritas. Wie erklärt man den Conj. appa-
reat? Ich denke, dafs nisi aus ni entstanden, was für ut verlesen ist,
oder dafs es blofse Dittogrophie des vorangegangenen mst (= nisi) ist
und das ursprüngliche ut verdrängt hat, was um so leichter geschehen
konnte als die Schriftzüge von ut in nisi aufgehen, cf. 1, 87 in quibus
omnibus commune remedium est ut traetare videaris. — XI 1. 88 liegt es
nach der Überlieferung si cupidunt rfedicasset GMS näher mit Spalding
i) XI 1, 17 schreibt Meister mit Regius cum interim et vitiosa pluribus
placeont et a conrogatis laudentur etiam quae non placent. placent — lau-
dantur S, placent — laudentur (laudetur G) GL. Giebt es sonst Beispiele im
Quintilian für cum interim mit conj. IV 2, 37 ist anders geartet. Dafs interim
hier = tarnen, ist weder sicher noch entscheidend, cf. Hoffmann: Lat. Zeit-
part. S. 145 u. f.
Meister, inst. or. 59
si (sie Sj)alding) cupidos milites dicas zu schreiben als mit Badius si
milites c. d. — XI 1, 91 hat non habet haec res mensuram keine hand-
schriftliche Gewähr: es genügt n. h. res m. , ebenso 2, 43 illud tempus,
illud ipsum t. Meister, 3, 154 conciliet (ut c. Meister). — XI 2, 17 klingt
idque credere suo quisque queat experimento (Meister) quisque e. potest
(Rollin) sehr nach einem Germanismus. VI 2, 3 und X 7, 9 ist queat
vollkräftiges Verbum. Ich ziehe Gesners Lesung vor idque credet suo
e. s. — XI 3, 3 nam cum haec omnia fecerimus, felices tarnen, si nostrum
illum ignem iudex coneeperit, nedum eum supini securique moveamus ac
non et ipse nostra oscitatione solvatur. Während Meister in dem XI. Buche
sonst ganz besonders glücklich in seinen Conjecturen gewesen ist (evident
sind z. B. 1, 21 se et, B se neget; 1, 28 si criminis loco poni negasset,
cf. Schlufs des Paragraphen; 1, 44 sedentem dicturus; 1, 77 ea de causa;
2, 2 neque quae scripseris; 2, 3 quid quod extemporalis oratio; 2, 32
rstque cum dicit), trägt er hier einen Fehler in den Quintilian hinein,
wenn er schreibt ac non et ipsi . . solvamus. Da dasselbe Subjekt bleibt
und das Verbum sich ändert, nicht aber umgekehrt, so ist et ipse un-
statthaft. Ich finde überhaupt nichts an den Worten auszusetzen. Glück-
lich, sagt der Rhetor, wenn wir es durch das lebendige Spiel aller un-
serer Kräfte erreichen, dafs der Richter unser Feuer in sich aufnimmt.
Setzen wir nicht alle Kräfte ein, so werden wir unsern Wunsch nicht
erfüllt sehen, geschweige denn, dafs wir supini securique auf ihn Ein-
druck machten und dafs er nicht durch unser Gähnen ebenso schläfrig
würde wie wir. (So ist et ipse zu erklären.) Das zweite non bildet den
Gegensatz zu dem mit nedum eingeleiteten negativen Gedanken, macht
also das solvatur positiv. Zu XI 3, 131 cf. Woelfflin Archiv 4
Jahrg. l S. 60-61 »Wenn auch sonst Quintilian usqut nicht mit dein
Akkusativ verbunden hat, so ist die Phrase u. limbos mit der Gewohn-
heit der Arzte entschuldigt«. - Unter den Vorschlägen Kidcrlins1) zu
1. XII cf. Addenda et Corrigenda S. 363, 1. 42 cui vera obictuntuT; 2. 23
neque sane (se die Handschriften) tanta iimquam in eo fuisset ubertas;
6, 4 nun oder nondum defervisse; 9, 10 bono grata; 9, n plane adversi;
10, 26 etiam eam, qua»' . . videtw billige ich den letzten nicht Wenn der
Rhetor sagt si quis ad eas Demosthenis virtutes, quas ille suramus orator
habuit, tarnen quas defuisse ei sive i]>Miis natura seu lege civitatis videntur,
adiecerit, so liegt in dem tarnen die höchste Anerkennung dir redneri-
schen Bedeutung des Demosthenes, die ein adicere quae ei defuisse
dentur (cf. VI 3, 2) fasl in den Bereich der Unmöglichkeit versetzt.
»Sollte jemand imstande sein über die menschenmögliche Vollendung
doch noch hinaus zu kommen« u. s. w. 2. 23 könnte mau auch m
hinter qw streichen, bei dem se fudissel von Badius weifs man nicht
') XII 1,32 »rrm retinendum es e monuil Kiderlin« Meister S -' ^ t ■ ; i Qerta
iStmecne dial. 1. XII 1886 8 415) spricht siefa ebenfalls für rem (B) aus
fjO Qaintilian.
recht, was m eo soll. Ist 9, 11 plane adversi Matt des aberlieferten p.
adversarii absolut nötig?
In dem index personarum ei rernm (8. 298 389) and dem index
scriptorum a Quintiliano citatorum, quorom opera extant1) <S 339 360),
sowie in der Übersichl aber die lectiones anius editionie ab editione
( Halmii discrepantea (8. 3R0 362 jpttrl man überall dieselbe Grtind-
lichkeil und Genauigkeit, die oben der Ausgabe nachgerühmt wurde.
46. P. Hirt, Recension von vol. I des Meisterschen Quintilian
(Berliner phil Wochenschr. VI 51 S. 1600 1603) machl mit Recht dar-
auf aufmerksam, dafs VI 1. 20 (coli. IV 2, 100 und X l. 22) mit Seh < 11
zu schreiben sei: Servium Sulpiciurw Meesa.'a contra Aufidiam ne . . discri
nioii obici-'/ sibi praemonet et', voll. II S. 355. Ebenso richtig wird
VI 1,25 Halms Verbesserung der Luenemannschen Conjectur litigatorum
ore dicit empfohlen. Nicht nur dafs die folgenden Pluralia ipsos, per-
sonis auch hier den Plural fordern: wie litigatorurn ore in litigatore
verderbt ist, so ipsorum ore G corr. ex ipsore s. Halm ibid. S. 297 (cf.
Gertz Senecae dial 8. 412-415).
47. M. Kiderlin unterzieht Neue Phil. Rundsch. No. 6 S. 86—
91 die ersten beiden Bücher des Meisterschen Quintilian einer sehr ein-
gehenden Besprechung. Ich stimme ihm bei, wenn er aufgenommen
wünscht: I 5, 0 spatio (Claussen), 7. 23 dice et facie (Halm), II 18, 3
vei (Gertz). Auch I 5, 7 und 9 barbarum und barbari (Claussen). I 6,
14 ut quamvis feminina (Halm nach Keil), 1 10, 39 geometrira (Christ)
und I 4. 28 et quaedam (Keil) hätten Berücksichtigung bei Meister ver-
dient. Ferner war zu schreiben: I 5, 1 blofs oratio (ohne omnis), I 6,
15 eunt (statt exeunt), II 8, 10 deserendum statt de/erendum. Mit Recht
schützt Kiderlin I 1, 5 qu" statt quae, I 1, 11 defuerwt statt defuerit
und I 10, 30 usque a Chirone atque Achille ad uostra tempora. Sehr
beachtenswert ist der neue Vorschlag adspirare / (ohne ut <p) solent. -
48. 1. III und IV ist von Kiderlin Wochenschrift für klassische
Philologie 1887 No, 2 S. 43 — 49 geprüft. Aus dieser Recension erwähne
ich die Zurückweisung des handschriftlich nicht beglaubigten eo vor
maiorem III 7, 13. Wenn auf eo kein Nachdruck liegt, kann es wegge-
lassen werden cf. Cic. riu. V 13, 37. Im Griechischen ist es ähnlich
cf. Plato Apol. 39 D. Ebenso richtig ist nach meiner Meinung abgelehnt
IV l, 32 rogatione statt oratione, IV 1, 72 si [sitj praeparatus (ich
glaube freilich, dafs est und eget zu schreiben ist s. Halm) IV 2, 22 tu
scias; III 8, 59 würde ich auch mit Regius furiose lesen. —
!) Der Ausspruch des Gallio dura, anime, dura: bere fortior fuisti steht
Seneca K S 184, 7 mit der unwesentlichen Variante eras statt fuisti. cf. Tra-
bandt S. 7 8 Anni 1.
inst. or. 61
49. Um zu beweisen, dafs vol. II der Meisterschen Ausgabe
(1. VII — XII) dem ersten Bande würdig und ebenbürtig an die Seite tritt,
fafst Kid erlin Neue Philol. Rundsch. No. 9 S. 134— 138 das zwölfte
Buch näher ins Auge. Nachdem er für die Benutzung der Handschrif-
ten zu 1. XII sieben Sätze als mafsgebend aufgestellt hat, bespricht er
die handschriftlichen Lesarten und die Schreibungen alter Ausgaben, die
sich Meister aufs neue zu nutze gemacht hat, um daran sein Crteil über
die neu aufgenommenen Conjectureu, über die Beseitigung früherer und
über neu aufzunehmende zu knüpfen. Ich hebe aus dieser Anzeige fol-
gendes heraus: 10, 14 ist das vor parum stehende et zu streichen (cf.
Halm Add. et corrigenda S. 369), 5, 4 ist mit Halm coloiv mutar* zu
schreiben und 2, 14 genügt campo deprehenduntur (ohne in). 11, 8 ist
schwer einzusehen, wie aus velint das überlieferte voluissent hätte werden
sollen. »Quintilian gebraucht das Plusqpf. , als hätte er seine Lehren
nicht schriftlich, sondern mündlich gegeben, als hätten diejenigen, für
welche sie bestimmt sind, dieselben hören können, als er sie nieder-
schrieb.« 10, 31 sollte von Halm in quam aufgenommen sein (ich würde
aber gegen Kiderlin auch mugiente m littera mit Halm schreiben), ebenso
10, 74 axLTibus und 11, 11 ea* statt easdem (ich ziehe Buttmanns eas
idem quae vor easdemque GMS). 10. 21 halte ich mit Kiderlin et
statt sed für das einzig richtige. Neu sind in dieser Anzeige folgende
Vorschläge: 11, 14 quod (statt quo) videtur esse, 1, 42 cui nunc (tone
BM) vera obiciuntur, 8, 7 repetita servoto tenore (coli. X 7, 6), 10, 77
nee oratorem . . . coquit ut aegre e. s., 10, 44 quod si non eveniret et
omnes pares essent, idem homines aliter de re alia locuntur (Vi. 10, 55
unter teilweiser Benutzung eines früheren Vorschlages von Meister (der
aber sed et, nicht blofs sed las cf. Philol. 35 S. 540) sed erunt quae
impediant: quam saepe iam brevitate . . . reeiderunt ! editio habebit om-
nia, quae scripta sunt, quae tarnen . . . dieta sunt, 11, 3 de M. Aqnilio,
wenn nicht illo als Dittographie von io zu streichen ist. 10, 22 quos ut
omnes (Halm) inter se genere sini sirailes (ut concessivum, ich hatte an
homines statt homines gedacht, natürlich ohne sint). 10, 66 u. (37 quonium
statt quorum nam, 11,4 Ins os statt hos, 11,25 alioqui (= sonst) quie-
quid .... posset, cum (= während doch) . . . habuissent; yor deniqne
(§ 26) ein Komma zu setzen, 10, 58 alii medium {namque est medium ex
duobus) alii e. s. (der Name des genus war nichl medium ex duobus,
sondern medium, /liaou) , 10, 61 aliquandoque dicenlem ipsum alloquelur,
ut Ciceronem (dice Ciceli . . . alloquttur, 11. 27 nee qui Homeri non
fuerunt, poetoe non faerunl cf Oic. or. i. 4. Die Begründung dieser Ver-
mutungen wird die Zeitschrift für die Osten*. Gymn. bringen, vor der
Hand erscheint mir io. 66 u. »17 quoniam der Beachtung wert.
62 Quintilian.
Declamationes.
60. K. v. Moräwski, Bemerkungen zu den sogenannten gninti-
lianeischen Declamationen. Zeitschrift für di>- österreichischen Gym-
nasien. 82. Jahrgang 1881. I.Heft. 8. i 12.
Peine sprachliche Bemerkungen, den i{.» grösseren Declamationen
gewidmet. Sie wollen darthun, dafa die Annahme Teuffels, als seien
diese Stücke von einem Schüler Quintilians verfafst, Bich nichl halten
lasse. Vielmehr zeige die Sammlung mehrere Eigentümlichkeiten, welche
auch andere Krzeugnisse der römischen Litteratur aus der Verfallzeil
nach 150 kennzeichnen, Eigentümlichkeiten, welche zum grofsen Teil
aus der Umgangssprache in die Schrittsprache gedrungen Bind. Die
Vermutung Burmanns, »welche volle Aufmerksamkeit and eine sorgfäl-
tige Prüfung verdient,« dal's nämlich die einzelnen Stücke verschiedenen
Verfassern angehören, weil sie sprachlich von einander abweichen, läfst
der Verfasser vorläufig aufser Acht. Er spricht zuerst über Abundanz
und Pleonasmus. Der grell hervortretende Hang zu starken und
übertriebenen Ausdrücken — eine Erbschaft aus der Volkssprache und
andererseits eine Frucht der rhetorischen Declamationen — zeigt
sich in dem Gebrauch des Wortes tumultus, ungefähr im Sinne von
magnus numerus — ich würde sagen: im Sinne des eigenartig ge-
brauchten »Spektakel« — (I 4 criminum tumultus, XVII 9 querelarum t.),
ferner in der Vorliebe für starke Epitheta, wie infinitus, inauditus, dann
in der Verwendung der Composita statt einfacher Verba wie immori =
mori (XVII 4) vineulis instringere = stringere (V 16), aecrescere (IV 8),
assimulare (I 5), collucere (IV 13), repromittere (XVII 20, X 18), re-
conducere (XII 18) u. a. Von Substantivis gehört hierher das Wort
corrivalis (XIV 12). Wenn die einzelnen Wörter an Wert und Gewicht
verlieren, mufs man breit werden und zu Synonymis seine Zuflucht
nehmen. Der oder die Verfasser unserer Stücke gebrauchen sehr häufig
quin immo. Ebenso verbunden erscheint vix aegre (VIII 21). Adverbia
werden den Verbis beigefügt: rursus revocare (IV 9), r. retorquere
(XIV 2), r. reddere (XIX 10), iterum revocare (XIV 8), ante praemittere
(IV 18) u. a. — Von der Comparation handelt der zweite Abschnitt:
er führt Beispiele für die Steigerung des Positivs durch bene (III 4).
multum (X 8), satis (XIII 3) auf, verzeichnet plus triste est (IV 1) und
giebt endlich als Beispiel der Doppelgradation V 11 utrum stringam
magis aretiore complexu. — Der dritte Abschnitt bespricht Eigentümlich-
keiten im Gebrauch der Präpositionen sub, per, circa, in (in bild-
licher (?) Bedeutung V 2), apud, trans, ad und namentlich der Präpo-
sition de, die einen fast unbestimmten Inhalt angenommen und darum
im gröfsten Umfange verwandt werden kann. Die Declamationen bieten
bereits ziemlich zahlreiche Beispiele von de c. abl. statt eines gen. part.
Auch die Umschreibung nichtpartitiver Genetivi kommt so vor V 13. 14,
Declamationes. 63
X 2, XV 6. Interessant ist, dafs wir ein Analogon zu dem französischen
ä force de vielleicht schon in dieser Sammlung in dem viribus zu suchen
haben, z. B. XV 14 sane tarnen viribus potionis effectum sit. — »Svn-
tactische Bemerkungen zur Satzlehre« ist der vierte Abschnitt
überschrieben. Indem der Verfasser die überaus häufige Vernachlässi-
gung der oratio obliqua nach verbis sentiendi et declarandi, die häufige
Anwendung des Indicatives in indirecten Fragen nur streift, weil diese
Erscheinungen alle zur vulgären Sprache hinneigeuden Schriftwerke
kennzeichnen, geht er zu quod nach verbis sent. et decl. über, führt dann
Wendungen mit ut auf, wo die klassische Sprache den acc c. inf. hat,
z. B. incredibile est (II 8. 10. 11. 19) credibile est (IV 8), spero (IV 4)
persevero ut (IX 2) und schliefst diesen Teil mit den Verbis, die mit
dem Inf. verbunden sind: capto, laboro, affecto, valeo, sufficio, sustineo,
scio, adigor, festino, contemno, horreo. — Im Schlufsabschnitt werden
einige eigentümliche Ausdrücke und Redensarten hervorgeho-
ben, welche den absonderlichen und stark vulgären Charakter der Sprache
dieser Declamationen noch mehr hervortreten lassen , z. B. accidentia
(neutr. plur.) Unfall, ein Vorläufer des französischen accident (IV 11 n.
sonst), figuratio = Einbildung (VI 4 u. s.) figura tibi = figure toi
(XII 7), frons = äufserer Schein (VIII 1 u. s.), genus = modus (XI 3
u. s.), Phrasen mit habere und facere, wo die classische Sprache sich
mit einem einfachen Verbum oder Adjectivum begnügt hätte, z. B. XVII
20 non habet gratiam suam toties genua complecti, exitum facere =
verenden, das Leben beschliefsen (IV 22 u. a.), häufig invidiam facere
alicui und contumeliam facere alicui (V 8), totus in Verbindung mit ver-
schiedenen Substantivis, wenn gesagt werden soll, dafs etwas im gestei-
gerten, vollen Mai'se oder mit dem gröfstmöglichen Kraftaufwand ge-
schieht, z. B. tota velocitate grassari (XIV 6), cf. de toute force, de
tout mon cceur, ferner in honorem = aus Rücksicht auf II 1 und end-
lich beneficio = durch Vermittelung, Hilfe, selbst mit schlimmen Dingen
zusammengestellt, z. B. I 1 parricidium non fecisso videatur beneficio
caecitatis. Die vorstehenden Beobachtungen sind dem Verfasser und —
uns Grund genug die 19 Declamationen in die Nähe des dritten Jahr-
hunderts hinabzurücken, v. Morawskis Bemerkungen sind wirklich gut,
auch deshalb, weil sie die sprachlichen Erscheinungen nicht ein/ein für
sich betrachten, sondern im Zusammenhang der Entwickelung dos latei-
nischen. Idioms zu verstehen suchen. Nur verläfst mich über den Be-
merkungen ein Gefühl der Unsicherheit nicht. Avelclus ;ms der Unsicher-
heit des Textes fiiefst. "Wenn es I 4 criminum tumultus heifst, so weifs
ich nicht, ob nicht etwa criminum cumulum zu lesen i>t. freilich spricht
XVII 9 dagegen — und wenn V 16 vineulis instringere aherlieferl wird,
so schwanke ich, ob nicht stringere zu emendieren ist. Bekanntlich nichts
häufiger in den Handschriften ;ils der Vorschlag eines i vor st, bc, sp
u. a. cf. quaest. S. 21. I>as Bild im ganzen wird ja nicht geändert, jeden-
64 Quintilian.
falls \-\ aber Vorsicht geboten, damit man nicht den Verfassern in die
Schuhe schiebe, was <i»-n Abschreibern zur Last fallt.
Kinen ähnlichen Gedanken Bpricht aus
61. [sidor Bilberg, Zur pseudo-quintilianischen Declamatio
IIIh. Zeitschr. f. österr. Gymn. 32. Jahrg. 1881. 12. Hefl B. 906, wo
zugleich III1' cap. *'■ statt his inductus miles illecebris et avaritiae -nuf
nihilo minus illaqueatus düciplina (cf. Ritter: Decl. S. ~j.:>) schön emendierl
wird • • decipula.
52. Felix Zverina, Aus den sogenannten quintilianischen De-
clamationen - Archiv für das Studium der neueren Sprachen LXX. Band,
a. und 4. Heft 1883 S. 351-354 begleitet die Bemerkungen v. Mo-
rawskis mit Parallelen aus dem Französischen und Italienischen. Zum
Teil hatte v. Morawski selbst schon die romanischen Anklänge ange-
deutet Zverina ergänzt ihn: infinitus. cum suo sibi scelere, bene und
multum beim Positiv, plus und magis beim Comparativ, in comparatione,
parricidam nou videt per virum fortem, cura circa reum, de zur Bezeich-
nung des Stoffes und zur Umschreibung des Genitivs. viribus, aeeidentia,
sibi figurare, totus, beneficio werden durch die Beleuchtung, in die sie
Zverina rückt, noch verständlicher. Übrigens erinnert Zverina daran,
dafs der Ausdruck 15, 14 toto terrore convenire nicht so auffällig ist,
wie v. Morawski S. 1 1 meint. Aus Georges, aus dem Zverina Cic. Verr.
2, 38 für convenire aliquo beibringt, hätte er notieren sollen, dafs con-
venire aliquem ein juristischer term. techn. ist = jem. gerichtlich an-
gehen, belangen. Wölfflins Vortrag »Über die Latinität des Afrikaners
Cassius Felix« (Sitzungsber. d. bayr. Akad. d. Wissensch. 1880 I. phil.
bist. Cl. Bd. I 4 S. 381 — 432) würde für v. Morawski wie Zverina sehr
instruktiv gewesen sein.
53. Coustantin Ritter, Die Quintilianischen Declamationen.
Untersuchung über Art und Herkunft derselben Mit zwei Facsimile-
Drucken in Holzschnitt und vier Tabellen. Freiburg i. B. und Tübingen
1881. Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr (Paul Sie-
beck). XIV, 272 S. 8. Rec: Litt. Centralbl. No. 5 S. 158 u. 159 v.
A. E.; Phil. Auzeiger No. 10. 11 S. 526 - 532 v. F. Meister; Revue
critique No. 46 S. 384-387 v. J. Le Coultre.
Die Quintilianischen Declamationen waren bislang so gut wie eine
terra incognita. Wurde über sie ein Urteil abgegeben, so geschah es
nach der Weise Teuffels (Littg. S. 653): »Bei den unter Quintilians
Namen erhaltenen 19 gröfseren und vollends den 145 kleineren decla-
mationes (den Resten einer Sammlung von 388 Stücken) spricht nichts
für ihre Abfassung durch den berühmten Rhetor, wohl aber ihre Unbe-
deutendheit dagegen.« So mufs man es der philosophischen Fakultät der
Tübinger Universität Dank wissen, dafs sie durch eine Preisaufgabe
Declamationes. 65
die erste Anregung zu neuer Untersuchung dieser Schriftwerke gegeben.
Ritters Arbeit über den Gegenstand ist mit dem Preise gekrönt worden.
Das war ihm ein Antrieb, was unfertig und zweifelhaft an seiner Unter-
suchung schien, zu vollenden und sicherzustellen. Das Resultat liegt in
dem oben genannten Buche vor, das sich durch schöne Ausstattung em-
pfiehlt. Ob auch durch den Inhalt, ist eine andere Frage. Mögen sich
aber auch die Ergebnisse als höchst zweifelhaft herausstellen, möge die
Untersuchung lückenhaft erscheinen, der Verfasser schenkt dem spröden
Gegenstand einen Fleifs und Ernst, den wirklich »keine Mühe bleicheto,
und das mufs aufs wärmste anerkannt werden. Eine wesentliche För-
derung in seinen Bemühungen erfuhr er durch den immer freundlich teil-
nehmenden Rat seines Lehrers E. Rohde1), ihm ist das Buch gewidmet.
I. Abschnitt ( S. 8 — 218) Untersuchung der gröfseren Declamationen.
II. Abschnitt (S. 219 — 256) Untersuchung der kleineren Declamationen.
III. Abschnitt (S. 257 — 270) Wiederaufnahme der im ersten Abschnitt
vorläufig beantworteten Frage nach den Verfassern der grofsen Decla-
mationen.
Durch Verwendung künstlicher Kriterien werden zunächst im ersten
Abschnitt die gröfseren Declamationen (bis S. 184) ohne Rücksicht auf
Quintilians inst, or., bis S. 203 mit Rücksicht auf dieselbe bezüglich der
elocutio, inventio und dispositio geprüft und mit einander verglichen.
Das Resultat ist: "Wenn wir III b aufser acht lassen, ein Stück wildester
Barbarei, das übrigens in den meisten Handschriften fehlt und im besten
Fall etwa dem 10. Jahrhundert angehört, vielleicht noch um ziemliche
Zeit später anzusetzen ist, so bilden II, IV, V, VII, VIII, XI, XIV bis
XIX eine Gruppe für sieh und gehören demselben Verfasser an, ebenso
III, VI. IX. XII, XIII, dagegen deck I und ebenso X steht vereinzelt da.
"Was die Gruppe von III betrifft, so ergiebt sich auch aus der Betrach-
tung der praktisch in der institutio gezeigten inventio und dispositio
Quintilians kein Gegengrund gegen die Annahme, dafs er der Verfasser
der ihr zugehörenden Stücke sei« (S. 199). Speziell III ist den andern
Stücken weil überlegen und wäre wirklich eines bedeutenden Rhetors
würdig. Bei der elocutio (S. 8 73) kommen drei verschiedene Mo-
mente in Betracht: Correctheit, Deutlichkeil and Redeschmuck. So an-
erkennenswert es ist, dafs Ritter sieh die blühe nicht hat verdriefsen
lassen, bei jeder einzelnen Declamation naeli diesen Kategorien zu fragen
und zu richten, so wird doch der subjektiven Auffassung auf diese Weise
ein breiter Spielraum gelassen. Die Begriffe sind zu schwankend. Was
heifst z. B. correct? Der eine wird dies, der andere jenes je nach
dem stände seiner sprachlichen Kenntnisse dafür erklären, lud dafs
') Die Randbemerkungen zu Ritters .Ms. von der Hand Rohdes sind
wörtlich in den Zusammenhang aufgenommen und durch Anführungaseichea
und beigesetztes (E B | gekennzeichnet.
•lahresbericht för Alterthumswissensobaft LI. ii^-1-:. II.)
ßß Quintilian
Ritters Stärke gerade nach dieser Seite hin läge, läfst »ich aach den
Proben dieses Buches uichl behaupten. So /■ B. uimml er wiederholt
Anstofs an dem ausgedehnten Gebrauch der Präposition de (cf. 8. 14, 28,
::i n. ;i.i. Er meint, dafs wenn et auch bei guten Schriftstellern ver-
einzell vorkommen möge, dafs diese Präposition gesetzt Bei an Stellen,
wo man eine bestimmte / B. accu atrvische Beziehung oder ein deut-
licher ausgeführtes S;it/'_fln'<i erwarten sollte, jedenfalls die Menj
Beispiele, in denen dies sich finde, auffällig sei. Nun ist aber grade
der Gebrauch transitiver Verba mit de ätatt des Objectes, wenn es nicht
seinem ganzen Umfange aach bezeichnet werden soll, selbst in klassische!
Sprache durchaus nicht verpönt, geradezu häufig bei Caesar, worüber
Heynacher zu vergleichen (Sprachgebr. Caesars im bell, C2 8.65 u. f ).
Blofs kühne Neuerungen wann zu notieren. Wenn aber Caesar sagt:
postulare de B. G. I 42, 1, significare de VII 26, 4 u. a., impe-
trare de IV 13, 5 u. a., de morte res in suspicionem venit VI 19, 3.
so steht das durchaus auf gleicher Stufe wie S. 43: (Burm.) de Bcelere,
in quo . . non explicuit ordinem quaestionis, S. 44 quae postulaverat de
veneno, S. 51 etiam ut de parricidio crediderit novercae, S. 53 qui modo
de parricidio suspicatus est u. s w. Ȇbertreibend ist S. 40 (und S. 39)
nefas gesetzt, a sagt Ritter S. 19. Indessen decl. II quod est summum
in rebus humanis nefas gleicht ganz und gar Quint. IX 2, 80 quia sum-
mum nefas suspicatus de uxore videatur, und quem sc. adfectum nefas
est optare de liberis ist durchaus nicht von X 2, 4 verschieden cf.
Spalding. nefas est = paene homini inconcessum (X 2, 26) schon Cic
Timaeus 1,6. — decl. II S. 59 heifst es nefas est ut reatus iste sen-
tiat debilitatis adversa; gewifs auffällig, wenn auch durchaus rationell,
wie alle andern S. 14 aufgeführten Verbindungen. »Der Fall, das
Faktum wäre ein Unrecht« cf. Seyffert-Müller Lael. S. 85. Wenn aber
Fütter als halbes Analogon Quint. XI 3, 181 annimmt neque illud tarnen
est nefas ut aüquem vel omnia vel plura deceant, so ist das falsch, weil
ut epexegetisch zu illud ist. cf. Cic de fin. II 33, 108, de div. II 31.
66 u. a. — Wie kann man nur im Ernst S. 6 ut heredem filium scri-
beret, non est res, quae imputetur = quod scripsit setzen und mit S. 9
iungunt his multo incredibiliora ut occiderit zusammenbringen wollen!
Wie kann man überhaupt diese Worte, so wie sie dastehen, erklären
wrollen! s. Ritter S. 10. Woher denn der Conj. Imperfecti? Es ist keine Frage,
dafs zu interpungieren ist: neque gravissimum patrem suprema sua iuveni
iactasse crediderim, ut heredem filium scriberet: non est res q. i. ut (dafs
nämlich) ist epexegetisch zu suprema sua und iactasse hat das Imperf.
veranlafst. Denselben Mangel an Schärfe der Auffassung in grammati-
schen Dingen dokumentiert die Interpretation von S. 64 neque illa libido fuit
saltem vitiis usitata, quae . . ., sed quidam perditus contumeliae amor
ac summa flagitiorum voluptas, inquinare honesta. Welche Ungeheuer-
lichkeit den Infinitiv hier als Acc. zu fassen, abhängig von voluptas fuit
Declamationes. 67
= cupivit! s. S. 21- -22. Das unbestimmte »es« ist Subj., illa libido, amor,
voluptas fuit sind Prädikate, der Inf. nimmt das Subj. erklärend auf. —Wenn
das Substantiv von dem Adjectiv durch ein anderes "Wort getrennt ist.
z. B. S. 12 inter sacronun infinita nominum pignora cf. S. 10- 16. 36 u. a.,
so macht Ritter die Anmerkung, dafs er dafür in Gründen des Wohl-
lautes eine Erklärung nicht zu finden vermag. Aber wie, wenn schon
Quintilian, der Gewohnheit der Dichter folgend, dies durchaus nicht ver-
schmäht hat? cf. X 1. 122 magnam eos qui nunc vigent, materiam vere
laudandi. Dafs at beim Einwand, nisi forte, porro, tandem (in der Frage),
steigerndes etiam, id est oder hoc est, non dico, atqui, alioqui (cf. Rib-
beck: Part. S. 20), hercle (im Unterschied von hercule, nie hercle und
nie hercule cf. Neue II S. 814—816) keine charakteristische Eigenheiten
sind, versteht sich von selbst. Ritter führt sie S. 60 u. 61 als solche
auf Nun gar aber was bringt er alles bei der Yergleichung an Ähn-
lichkeiten zwischen den einzelnen Declamationen. man traut manchmal
seinen Augen kaum. Das reiche Material, das Meister Phil. Anz. XII
S. 528 u. 529 in dieser Beziehung zusammengestellt hat, liefse sich leicht
vermehren, cf. Trabandt S. 27. — S. 79—181 werden die gröfseren
Declamationen genau analysiert nach prooemium, narratio, argumentatio.
refutatio and peroratio, um daraus den Wert der inventio und dispositio
/.a bestimmen und daran eine Yergleichung der übrigen Stücke zu fügen.
Hier zeigt sich der Fleifs des Verfassers in hellstem Lichte; jeder, der
sich fortan mit den Declamationen beschäftigt, wird es ihm danken, dafs
diese Arbeit gethan i-t. Dagegen fehlt es dem Abschnitt (S. 186 — 198),
wo die elocutio Quintilians zum Vergleich herangezogen wird, durchaus
an dem nötigen Unterbau. Gäbe es für Quintilian Zusammenstellungen.
wie sie Lupus zu Cornel oder Draeger zu Tacitus geliefert, so wäre
lütter sicherlich auf ganz andere Kategorien geführt worden, auch auf
charakteristische Einzelheiten. Wie steht es z. B. mit band, «'tu, tru-
stra, frustra est, -i morior exe. 17 f. incassum1), nempe enim, satis abunde-
que, equidem, cf. modo — repente (S. 181. 22 Ritter), alias — alias iS. 432,
13) u. s. w. Wir verlangen heute die Darstellung der schriftstellerischen
Individualität eines Autors, wie sie sich aus der bis ins kleinste Detail
gehenden Untersuchung des gesainten Sprachgebrauchs eruieren läfst
Mit mehr oder weniger allgemeinen Bemerkungen ist uns nicht geholfen,
liier ist Doch unendlich viel zu thun. Bonqells Prolegomena de graAma-
tiea Quintilianea sind nur Vorarbeit - Besser gefällt der Vergleich
bezüglich der inventio und dispositio (8. 198 204). — Nachdem der
äer au- der ganzen Vergleichuns nach ihren verschiedenen Punk-
l) »Quintilian erkennt den Ausdruck nicht an: die Stelle in den
Deklamationen l, 4 homo ferrnm missurua incassum (in casum codd.) kann
also nur g( gen die Urheberschaft des grofsen Rh( ad gemacht wer-
den.« Weithin im Archiv f. tat Lexikographie 11 S, l<'>.
68 Qnintilian.
ten die Summe gezogen (8.203), dafs nämlich II. IV. V, VII, VIII, XI.
XIV— XIX and X jedenfalls nicht, I Kaum von Quintilian Bind, dafs da-
gegen decl. III. VI, IX. XII, XIII in entschiedenem Zusammenhange mit
Quintilian stehen and ein innerlicher Grund gegen dessen Autorschaft
Für diese Stücke nicht vorliegt, gehl er S. 204 zur Verwendung der an-
künstlichen Kriterien d. h. za den Bandschriften über, die wenigstens
zum gröfsten Teil — die ganze Sammlung dem Quintilian zuschreiben.
Die ältesten dieser Handschriften führen ans bis ins zehnte Jahrhunderl
zurück, aber ooeh für weit frühere Zeil gewinnen wir ein vermitteltes
Zeugnis aus einer Subscription im Bambergensis *■} und im Parisinus
i(')230, durch die wir bis in das letzte Drittel oder die Mitte des vier-
ten Jahrhunderts gelangen und schliefsen können, dafs um jene /.fit ein
Gelehrter, mindestens die Mehrzahl der 19 Stücke, wahrscheinlich die
ganze Sammlung für echt quintilianisch hielt. Weitere bestimmte Zeug-
nisse, die sich auf einzelne Stinke uuserer Sammlung beziehen, finden
sich bei Hieronymus, Ennodius, in einem Lucanscholion, noch ändert
Oitate lassen sich im Original nicht mehr nachweisen. Die früheste,
aber ganz allgemein gehaltene Erwähnung von Declamationen Quinti-
lians ist die bei Trebellius Pollio XXX tyr. IV, 2 also ums Jahr 300,
aus der wir zugleich ersehen, dafs die Controversien eines l'ostumus
iunior »Quintiliano dicantur insertae.« Aus dieser Thatsache uud aus
der Angabe (des Casellius), dafs einige Handschriften nicht den Quinti-
lian, sondern einen M. Florus als Verfasser nennen, möchte Ritter
schliefsen, dafs während Gruppe III dem Quintilian zuzueignen, Gruppe II
dem Florus und I, X oder eine derselben dem Postumus angehöre. Das
heifst nun freilich mit andern Worten: Man giebt dem Kind einen Namen
und läfst es laufen. —
In der Untersuchung der kleineren Declamationen (II. Abschnitt
S. 219 — 256) ist neu die Gegenüberstellung vieler Stellen des 7. Buches
der inst, or., worüber bei Trabandt; sonst dieselbe Art der Beweis-
führung, dieselbe Art der Vergleichuug nach elocutio, inventio und dis-
positio, dieselbe Unverdrossenheit der Forschung — aber auch dieselbe
unerhörte Kühnheit in der Schlufsfolgerung. Die kleineren Declama-
tionen rühren sämtlich von Quintilian her, aber sie sind nicht von Quin-
tilian herausgegeben, nicht zur Herausgabe bestimmt, nicht einmal von
ihm selbst aufgezeichnet, sondern von Schülern nachgeschrieben, sie sind
wahrscheinlich vor der inst, veröffentlicht, und »es ist ziemlich sicher:
die und erhaltenen 145 kleinen Declamationen sind der Rest jenes auf
Quintilian zurückgehenden und von seinen Schülern herausgegebenen
gröfseren über artis rhetoricae«. S. 256. Dafs es ein bestimmtes äufseres
!) Meister teilt a. a. 0. mit, dafs die Übereinstimmung zwischen beiden
Codices noch gröfser ist als es nach Ritters Angabe den Anschein hat, inso-
fern als auch im Bamb. feliciter nach hieri nicht fehlt.
Declamationes. 69
Zeugnis für die Autorschaft Quiutilians — aufser der handschriftlichen
Bezeugung durch den Montepessulanus 126, saec. X — nicht giebt, will
angesichts der Sicherheit, mit der diese Resultate vorgetragen werden,
schlechterdings nichts besagen. —
Der III. Abschnitt stufst die Schlufsfolgerung des I. um, indem
er auf Grund einer Vergleichung der kleineren Declamationen mit
Gruppe III darthut, dafs jene 5 Stücke nicht zu dem liber artis rheto-
ricae (cf. inst. or. I pr. 7) gehören, überhaupt dem Quintilian abge-
sprochen und einem unmittelbaren Schüler desselben — in der Zeit zwi-
schen Quintilian und Septimius Severus lebend — zugesprochen werden
müssen. Gruppe II ist später anzusetzen. Möglich dafs die Stücke
noch vor Hadrian verfafst sind, möglich aber auch, dafs sie noch weiter
herabzurücken sind, bis zum Schluss des III. Jahrhunderts. Das letz-
tere gilt auch von X, decl. I scheint früher als deck II verfafst zu
sein. — Nach Druckfehlern braucht man nicht lange zu suchen, sie
linden sich in allen Schattierungen. Störend sind besonders falsche Citate
wie S. 267 Quint. inst. IX 3, 13 statt X 3, 13 oder falsche Namen wie
Arodius S. 272 statt Aerodius.
54. v. Morawski, »Zu lateinischen Schriftstellern«, "Wiener Studien,
4. Jahrgang 1882. 1 Heft. S. 166-167, Xo. II weist aus Tacitus An-
nalen nach, dafs wenn die Declamationen der römischen Kaiserzeit von
Liebes- und Hafselixieren überströmen, das nicht blofs Ergüsse einer
verwilderten Phantasie sind, sondern dafs die schauerlichsten und widrig-
sten Vergehen in den Criminalacten der Epoche, jenes corruptissimum
saeculum, wie es Tacitus gebrandmarkt, einen realen Hintergrund hatten.
Der saubere Plautius Silvanus ann. IV 22 erwürgte seine Gattin in der
Nacht und gab dann vor fest geschlafen zu haben. Spater prior oxor
eius accusata iniecisse carminibus et veneficiis vecordiam marito cf.
Pseudoquint. Decl. 14 und 15. Die rumores über Sejanus, Tiberius
und den ermordeten Drusus, welche nach dessen Tod in den Strafsen
Roms im Umlauf waren (ann. IV 10), haben in den Declamationen einen
Nachhall gefunden, wo ein Sohn vom eigenen Vater bei Zubereitung
des für diu Vater bestimmten Gifttrankes ertappt wird. (cf. decl. 17 >
Die Gerichtsrede bei Tacitus ann. XIV 44 endlich hat mit der ersten
Deck, namentlich c. 3. einige Berührungspunkte.
55. A. Traband t . De minoribus quae sub nomine Quintilianiferuntur
declamationibus. Greifswalder Doctordissertation. 1883. Typis V. u.
Kunike. 8. 42 s.
Trabandt lieht gegen Kitter, der ihm die besten Watten selbst in
die Hand giebt. I (S. 2—16). Ritter sagt ?on den gröTseren Declama-
tionen s. 216 »Es ist ganz gewifs: wenn diese Stücke von Quintilian
herrühren und vor der Herausgabe der instit. bekannt waren, so mufsten
70 Quintilian
sie in derselben Erwähnung finden« und von den kleineren 8. 2
«Wenn die Sammlung vor der inst, veröffentlichl ist, so isl auch hier
^,;inz bestimm 1 zu erwarten, dafs ihrer Erwähnung geschieht«, i
zweifelhaft richtig. Sie werden nicht erwähnt. Also? Aber sie können
unter einem anderen Namen verborgen Bein. Zufällig oder absichtlich?
Zu beidem liegl absolut kein Grund vor. Angenommen jedoch, das
wäre möglich, so müTsten jene Stellen I pr. 7; III 6, 68, auf die sich
Ritter beruft, dies klar und plan ausdrücken. Grade das Gegenteil ist
der Fall. 1. Der I pr. 7 erwähnte Titel libri artis rhetoricae pa
nicht. 2. Es ist unmöglich, dafs Schiller ein Werk von solchem Um-
fang1) in verhältnismäfsig so kurzer Zeit nachschrieben. 3. Eine Er-
wägung des Zusammenhanges von I pr. 7 wo der Rhetor durchaus
kein Verstecken spielt • ergieht, dafs in jenen libri nicht declama-
tiones, sondern praccepta de arte rhetorica enthalten gewesen Und
III 6, 68 coli. 65 bestätigt dies. Wie konnte nur Ritter auf den I
danken kommen dem sermo I pr. 7; III 6, 68 die sermones, welche den
Declamationen vorangestellt sind, gleichzusetzen! Also: im Qnintilian
selbst steht keine Silbe, dafs diese Declamationen von ihm verfafst sind.
Aber weiter. Quint. spricht IX 2, 90 über das Thema : raptor nisi intra
tricesimum diem et raptae patrem et suum exoraverit, pereat: qui exo-
rato raptae patre suum non exorat, agit cum eo dementiae. Dasselbe
Thema wird von Seneca II 3 und deck 349 behandelt. Ist es denkbar,
wenn die Declamationen von Quintilian waren und zwar vor der in^t.
veröffentlicht, dafs sich dieser, um die Befolgung seiner praecepta zu
illustrieren, auf Latro und Gallio a. a. 0. berufen und nicht auf sich
selbst? Umgekehrt — wenn die Declamationen nach der inst ver-
öffentlicht waren, sollte der Verfasser nicht in dem sermo auf die inst,
zurückgekommen sein? Weder das eine noch das andere ist der Fall:
putabimusne ullum vinculum cognationis inter auctores utriusque operis
esse? fragt Trabandt. Nein! würde die Antwort selbst dann lauten,
wenn Trabandt nicht noch mehrere Beispiele namentlich aus dem
VII. Buche beibrächte , wo wir eine Bezugnahme auf die decll. oder
andere aus ihnen entlehnte exempla entschieden erwarten. Uebrigens
verachtete Quintilian das modische Declamatorentum mit seinen leeren,
der Wirklichkeit entfremdeten Uebungen aufs gründlichste. (Siehe na-
mentlich V 12, 17.) Und derselbe Mann sollte die gleichen Sünden,
die er in den bittersten Ausdrücken geifselt, selbst auf sein Gewissen
geladen haben?
II S. 16- -32. Wenn Ritter unter teilweiser Berufung auf Paral-
*) Meister (Piniol. Anzeiger XVI S. 126) rechnet mehr als 1000 Seiten
oder 25000—30000 Zeilen für das ganze -Werk heraus, weun die uns erhal-
tenen Declamationen 441 Druckseiten bei Ritter füllen. Das soll Quintilian
seinen Schülern innerhalb weniger Tage vorgetragen haben?!
Declamationes. 71
lelen des Aerodius aus der Ähnlichkeit der Themen. Stoffe und Behand-
lungsweise einen Schlafs auf die Autorschaft des Quintilian machen zu
können meint, so ist das mehr als gewagt. Trabandt weist gleiche Ueber-
einstimmung z. B. mit Seneca, Cicero, Cornificius nach, so dafs von
einem ausschliefslichen geistigen Eigentum des Quintilian nicht die Bede
sein kann. Solche Fragen lagen so zu sagen in der Luft, wer sich mit
ihnen abgab, wurde auch wohl häufig genug auf dieselben oder ähnliche
Gedanken geführt. Lehrreich hierfür namentlich S. 24 die Gegenüber-
stellung von inst. VII 4, 37 mit Seneca. Dafs übrigens Bitter weit über
das Ziel hinausgeschossen und Ähnlichkeiten gesehen, wo ein vorurteils-
freier Blick nimmer welche entdeckt, dafs ferner Themata in den De-
clamationen behandelt werden, die Quintilian direkt verwirft, und dafs
He Behandlung an manchen Orten doch nicht so ganz dieselbe ist,
die wir an dem grofsen Ehetor gewohnt sind, wie uus Bitter glauben
machen will, das nachzuweisen bildet den Schlufs dieses interessanten
Kapitels.
III (S. 32 — 42) Jemand hat sich das Vergnügen gemacht die De-
clamationen nach Willkür zu kürzen und zwar je näher dem Schlüsse, um
so mehr; die letzte scheint intakt, ebenso 260, 267, 321. Ob dasselbe mit den
sermones geschehen, läfst sich nicht entscheiden, nur 261 und 316 scheinen
unter der Hand eines Excerptors gelitten zu haben. Sermones una cum de-
clamationibus conscripti sunt (die. Ausnahmen), ex schola originem
duxerunt hae declamationes, hoc corpus non uuo tempore exstitit quäle
nunc habemus, sed paullatim ita ut alius alius operi adderet dum corpus
nobis traditum confectum est, hae declamationes altcri parti primi p. Chr.
natum saeculi ascribi possunt — diese Sätze wollen nicht mehr sein als
Hypothesen. Dem positiven Besultate der ganzen Arbeit geschieht da-
durch kein Abbruch: Bitter ist geschlagen, das Facit ist mit Dank zu
buchen.
Um so mehr sind die formellen Gebrechen zu bedauern. Dafs
sich hier und da kleine Druckfehler finden, fällt nicht schwer in- Ge-
wicht. Warum ist aber nicht Halme Ausgabe der inst, zu Grande ge-
legt? Verhängnisvoll ist das VII i, 58 (S. Li), wo die richtige Lesart
rusticus statt scholasticus der ganzen Stelle die beweisende Kraft nimmt.
Überhaupt sind die Citate mit wunderbarer Sorglosigkeit behandelt bald
werden Worte verändert /. li. s. <i. bald werden welche ausgelassen
/. I!. S. li in quantum maxirm potest, S. 12 in scholis rh ■■■■ dieuntur,
bald fehlen die Kapitel und Paragraphen S. 11: II 5, 1 1 ; S 12: II LO,
l ii. a. — Das Latein der Arbeil müfste korrekter -ein s. 2 disertis
verbis ist unlateinisch cf. Naegelsbach-Müller: Stil7 s. 27;?. s. ii. 88
dubitare Dum i-t unklassisch cf. Schmalz in Krebs Antil> S IS2, mehr
aN unklassisch isl S. 15 decernitur num opus quoddam auetori cuidam
tribuendum sil uecne und S. :;7 -i hie particula quoque1 non prorsus
72 Quintilian.
'•ii m ca -'"" est: quae eiusmodi sunt at nemini imponant wttrde der Ver-
i.i er agen cf. 8. 27.
56. M. Fabii Quintiliani declamationes quae jupersunl CXLV.
Recensuil Constantinus Ritter. Lipsiae in aedibua \'>- <>• Teubneri
L884. XXXII and 524 8. 8°.
Rec: Deutsche Litteraturzeitung No. 8 S. 266 — 267 v. II. .1.
Müller; Blätter f. bayr. Gymn. XXI 7. 8 S. 419-420 \. br.
Der Titel erweckt Bedenken. Der Herausgeber ächeinl jelb
schwankt zu haben, welchen er wählen sollte. Zuerst bol sich divisionea 1 1
parenchireses ihn- aus der Überschrift der inst. II 6, wo Quintilian die beson-
dere Art unserer declamationes wohl im Auge ,ur<'h;ilii haben könnte. Allein
da diese Überschriften nicht echt sind »et ah Haimio e contextu verborum
in apparatum removeantur« S- V, so war von diesem Titel Abstand zu
nehmen. »Magis probabile illud, ut artis rhetoricae titulum demus.«
Nach der Theorie des Herausgebers durchaus richtig, denn er sieht eben in
diesen Declamationen die Fragmente jenes inst. I 7 8 erwähnten Buches.
Aber nun seiner kritischen Ausgabe diese Aufschrift zu geben konnte
er sich doch nicht entschliefsen. Vielmehr läfst er es beim Alten und
schreibt declamationes, nur dafs er minores oder quae putantur streicht.
Nun braucht man freilich kein Prophet zu sein, um zu sagen, dafs ein
zukünftiger editor diese Worte wieder in ihr Recht einsetzen wird, denn
so fest auch Ritter von der Richtigkeit seiner Ausführungen und von
der Unumstöfslichkeit seiner Resultate überzeugt sein mag - docui enim
et demonstravi esse haec Quintilianea sagt er S. V - kein Orakel fand
allzeit Glauben, und besonders in unseren aufgeklärten Tagen wird Ritter
die trübe Erfahrung nicht erspart bleiben, dafs die Menschen der Skepsis
eines Faust verfallen: Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der
Glaube. Indessen — da der Titel die Consequenz des principiellen
Standpunktes ist, so wollen wir nicht weiter mit Fingern auf ihn zeigen.
Wichtiger ist es zu konstatieren, dafs wir es nicht mit einer vollkommen
durchgearbeiteten Ausgabe zu thun haben. Welch ein Abstand z. B.
zwischen Meisters Quintilian und diesem Buche. Dort für 650 Seiten
kaum \l/2 Seiten Addenda et Corrigenda, hier für 514 Seiten 8 Seiten
Corrigenda und über zwei Seiten Addenda (handschriftliche Nachträge
namentlich aus A.) »Non sine pudore percensens quae scripsi cognovi
tot vitia, postquam inrepserunt, non habeo quod melius faciam, quam
ut nullum celem« S. 515. null um? praef. XXV Anm. steht «um für cum,
S. 45, 22 scilicit statt — et, S. 45, 35 fortiore pro nobis sacramento, pro-
niore animo stabunt (corr. Seh.) statt proniore pro nobis animo, fortiore
sacramento stabunt, S. 86 <me> reum Seh. statt reum <me>, S. 102 adn.
er. [paenitentiae] affectum statt affectum [paenitentiae], S. 339 adn. er.
cfs. 341, 11 statt cf. 341, 12, S. 377 adn. er. proximo AB statt proxüno
AB corr. Gr. (sc proxima, wie im Text steht) u. s. w. Nur Proben
Declamationes. 73
wollte ich geben, um zu beweisen, dafs dem Buche die letzte Feile fehlt.
Unfertiges aber zu Markt zu bringen, nur um die Herausgabe nicht zu
verzögern, statt die Herausgabe zu verzögern und nach Kräften Fertiges
zu liefern ist eine Art und Weise, von der bekanntlich schon Horaz
nichts wissen wollte. Freilich ist der Stoff spröde, rauh, unerquicklich:
dafs der Herausgeber ihm trotzdem Zeit und Kräfte jahrelang gewidmet,
soll ihm unvergessen sein, aber wenn schon — denn schon, er mufste
bis zum letzten Moment ausharren. Auch hätte ich gewünscht, dafs er
sich z. B. mit Trabandt auseinandergesetzt. Oder soll S. V eine Ab-
schlagszablung für die Gegner sein? Die wäre dann allerdings sehr
billig ausgefallen.
Hauptcodex für die kleineren Declamationen ist ein Montepessu-
lanus aus dem X. Jahrhundert (A), von Ritter im September 1880 selbst
verglichen. Als er diese Collation für die Constituierung des Textes
nutzbar machen wollte, erschien ihm manches zweifelhaft, so dafs er ge-
zwungen war M. Bonnet um Hülfe und Nachprüfung anzugehen. Ob
also die Ausbeute der Handschrift für die Kritik erschöpft ist, das ist
zweifelhaft. Ja, wenn man liest, was K. Schenkl Wochenschrift f. klass.
Piniol. 1886 No. 3 S. 73-78 über seine kontrolierende Nachvergleichung
mitteilt, so mufs man das entschieden verneinen und mit Schenkl den
Wunsch einer nochmaligen Collation des Montepessulanus aussprechen.
Bursians ungenaue Beschreibung des codex ist wiederholt. »Auch das.
was er über die Korrekturen und Hände S. VII bemerkt, ist nicht genau*
da sich aufser der ersten Hand noch drei andere erkennen lassen, von
denen die eine die des Revisors ist, der die Abschrift nach der Vorlage
verbesserte, während die zwei anderen einer späteren Zeit angehören.
Dazu kommt, dafs er auch die Korrekturen der ersten Hand z. B.
S. 4, 5 ostendemus, 6 istius, wie alle anderen mit Ab bezeichnet. End-
lich ist nicht weniges übergangen oder falsch angeführt Lesarten wie
S. 4, 26 rej (i m1), 9, 24 mariti bona, 12, 4 matrimonii, 28. 21 ante-
quarn . . videretur in mg. ml u. s. w. durften nicht übergangen werden.
Auch zeigt sich darin keine Konsequenz, dafs offenbare Verderbnisse
bald angeführt, bald wieder nicht verzeichnet werden. Ja es finden sich
ganz falsche Angaben, wie 8, 18 utrunque Aa (vielmehr utraque ni'i.
10, 23 plenä c A (plenum), nun Ah, om. Aa (non m1), 13, 31 piudia
Amg. (praeiudici) , 19, 17 pugnai /// it /// is A (pugnabitisis, das erste
is ausradiert, aus 1» durch Rasur u gemacht), 22. 1 perper. cit. Aa (re-
percit), 27, 26 iustitiae et Aa (iustitia et. was dieselbe Hand in iustitiae
verbesserte), 30, 21 immo nun ingratus A (immonemgratus, von der-
selben Band korrigiert immo oe ingratus) n. s. \\- Die Randnoten
rühren von verschiedenen Bänden her, die falls man von diesen Nuten
einen Gebrauch für die Kritik machen will, genau unterschieden werden
müssen«.
Als zweiter Codex kommt in Betrachl ein Monacensis (B) im
74 Quintiliaii
Jahre 1494 oder kurz vorher geschrieben, von Kitter [liehen.
Er beginnl mitten in decl. CCLH (8.82, 17 bei Bitter) mit den Worten
excutiamus. submisit, enthält also 8l/i Deklamationen weniger als A.
Direkte Entlehnung ans A ist nichl anzunehmen, Wie ist denn aber
das Verhältnis? — Der dritte Codex i-t ein Chigianus (C) aus dem-
selben Jahrhunderl wie I;. dasselbe enthaltend und ganz mit i; überein-
stimmend. Ltaque oon nimis neglegenter mihi visus -um facere, abi
integrum hunc quidera librura excutere nolui sagt Ritter 8. KI. Was
verglichen i t, liat A. Man besorgt: aufser ein/einen Stellen namentlich
das Stück von decl. OCLH und decl CCLXV1 CCLXXI. Von Aus-
gaben haben sieh Ritter besonders nützlich erwiesen die des Ugoletus,1)
Aerodius, Pithoeus, Obrecht and Burmann. INI ii- liegt die letztere vor.
Ein Blick in sie lehrt, was ooeh zu thun war und was gethan ist.
Ritter kann mit Recht von sich sagen 8. XW oe ipse quidem mihi
videor restituendis verbis prorsus defuisse nee nulla eorum, quae manum
emendatricem exspeetabanj;, pristinae sanitati restituisse. Aber die
Krone gebührt E. Rohde, fast keine Seite, die nicht von seinem divina-
torischen Scharfblick zeugte. Trotzdem stehen viele Kreuze in dem
Buche: die schwer verderbte Überlieferung spottet häufig aller Kunst.
Ich habe mir bei der Durchsicht folgendes angemerkt: S. 78, 14 lese
ich mit Burmann sententiam formalvV sc. religio vestra statt formahitis
(Rohde), S. 82, 22- 24 verteidige ich die Überlieferung verum ne ipse
quidem adversarius tantum in exempio (exempft'ora« Rohde) fiduciae habet
quantum in ipsa iniuriae interpretatione. exemplum bedeutet im Gegen-
satz zu dem Gesetzlich-gültigen das, was praktisch vorkommt (Naegels-
bach-Müller Stil.7 S. 39). Interessant also die Gegenüberstellung von
exemplum und interpretatio iniuriae. S. 83, 18 schreibe ich alio aliquo
loco cf S. 82, 19; 83, 22. Die Prolepsis bei alius ist bekannt. S. 84,
6 ist ergo si iuneta sunt ista richtig überliefert cf. Z. 2. - eiusd. S. 84,
22 hat Burmanns vis hostium metu ac (ac metus die Handschriften) reli-
gione templorum defenditur sehr viel für sich. S. 88, 10 11 ist kein
Grund zur Änderung der Überlieferung: non semper iudicum culpa est,
cum innocens damnatus erit (fuerit Rohde). S. 93, 13 schlage ich vor
ego enim mores nasci puto ex propria cuiusque naturae virtut« (et pro-
priam . . virtutem die Handschr.). S. 96, 15 --16 ist die thematische
Frage mit Ironie wiederholt quid ego dicam, quantum civitati profuerit
(AB, Ritter nocuerit) eloquentia? sibi noeuit cf. S. 95, 15—17. S. 97,
10 würde ich mit Ranconetus consuleris (consulaberis B) in den Text
setzen. S. 170, 21 — 22 vermute ich cuius famem tantum tu propitiüs
di^erebas (c. f. tantum tu (Rohde tu tantum) p. differebas, S. 187, 16
— 17 ist vielleicht zu lesen alieuius inhumanüatis (alioqui ius in nie
J) Diese editio pnneeps (Parmensis Ugoleti vom Jahr 1494) stammt
aus B und nicht, wie Ritter anfangs glaubte, aus dem von Jo. Ant. Campanus
erwähnten codex Germanicus. cf. S. XIV sq.
Declairüitionos 75
humanitatis die Handseh.) est nostra frugalitas, quae . . praebet? cf.
Z. 23 cenasti tarnen hilaris und für die Frage S. 284, 10. — S. 188, 30
will Meister Phil. Anz. XVI S. 130 schreiben ueque enim poterat non
dubitari. Da wäre es leichter nempe enim poterat dubitari zu conji-
zieren, positives dubitare quin Sen. contr. I 3, 1. von Georges ange-
nommen, wo aber eine negative Frage zu statuieren; über nempe enim
s. meinen Aufsatz Hermes XXII, 1 S. 140—141, aber alle Schwierigkeit
löst sich, wenn man hinter das erste raperes ein Punktum setzt und
invitavi bis zum zweiten raperes ironisch faf>t. S. 229, 6 könnte
man auch an seaeva (saeva AB, sera Gronow) inquisitio in praeterita
est denken. S. 245, 15 quautulum temporis spatium est quod (die
Handschr. qu« Ritter mit Aerodius) ist völlig geschützt durch Quint. X
3, 14. — S. 262, 22-23 scheint es mir einfacher und auch angemessener
zu emendieren ut mihi videatur rerum natura omnibus in hominem col-
latis bonis unum Vitium (unum metum A, summum metum B, unum
malum Rohde) opposuisse. cupiditas Z. 18 ist das vitium, vitium dem
bonum entgegengesetzt z. B. Cic Brut. 38, 141, de off. I 31, 114, Quint.
inst. I 1 , 5. — S. 272, 5 — 6 mache ich folgenden Vorschlag: quaeri
voluit, an quis opem tulisset dolo muh, animum (cf Z. 7 8) depre-
hendit et ferentem coarguit. S. 274, 18—19 ist richtig überliefert
nempe ne bellum h&beretis (habeatis Ritter) sc. si periret. -- S. 288, 9
läfsl sich vielleicht herstellen ut omnia facta causas aequiperarent (supe-
rarent die Handschr.) eiusd. Z. 19 halte ich an der Ueberlieferung,
fest cotidianis iurgiis forum strepere, assiduos lites (assidua Ute Rohde)
videmus, ebenso S. 338, 19 id cum fecistis e. s. (fecistis cum Rohde)
cf .Cic fam. XV 7, 1- — S. 343, 1 ist tanta renn,, (harum rerum Rohde)
differentia est in causis lihertatis echt lateinisch cf. Naegls.-Muller7 Stil.
S. 62—63. — S. 362, 24 25 reicht der Vorschlag des Aerodius aus
die, die quanti emeris, quod (quid AB) velis. Interessant S. 367, 9 die
Überlieferung nupsit alio (alii Rohde) marito. ebenso inst IX !. 23 cf.
Neue: II S. 217. — S. 368, 14 läfst sich adeo tnariti prioris etiam me-
moria abierat (obierat Rohde) halten durch Vergleichung von inst IX
4, 14 abierit omnis vis. ineunditas, decor. Meister und Schenkl geben
memoriam abiecerat (B) den Vorzug, Schenk! coli. Cic. Phil. I 12, 30,
VIII 11, 32; eiusd. S. Z. 23 ist wohl zu schreiben quic (qui ad AB)
domum meani induetus est, und Z. 26 ist üliasi mit A;i /u streichen. -
5, 37o, li ist die Conjectur des Aerodius provisum atque probatum (pro-
latum die Bandschr.) est, ut e. s. sehr beachtenswert (cf. S XI).
Warum soll es S. 372, 20 oichl ecquo (quo Ritter) animo Pecerit in in-
direkter Frage heifsen? cf. Cic. fam. VII 16, 3. S. 377, 12 hat
Brissonius petitor richtig eingesetzt, aber aas dem bandschriftlichen pe-
euniam ist noch peeuniae hinzuzufügen, wie S. 62, 16 16 zeigt, i 1 > 7. 20
bedarf es des sil von Rohde nicht, etiamsi adverbiell bei Quint- öfter
cf. inst. II 20 6 u. a. - S. 380, 14 wird die Überlieferung civem sedi-
76 Quintilian.
tiosura, omnibus sceleribua con/o im \ (confessum B, obsessum Rohde)
tützl durch stellen wie 8en. de rita beat. 27, 6, Val. Max. 8, l; il>.
Z. 21 Lese ich quod fere sceleratis pectorib«« usu tenial (pectoribus
veniat die Eandschr., evenial frühere ausgaben). _•. 2 i dürfen
keine Fragezeichen stehen, es Isl Ironie bis deprehendo, auch facta muß
flehen bleiben, weil es die Ironie verstärk! (als Gegensatz zu ficta);
ib. '/.. i; hätte Ritter an- misissem (AB) nichl mit Gronow imssem, son-
dern iissem oder issem machen sollen, isses /. 15. S. 169, Z 23 cf. Nene
II S. 515. ib. Z. tu isl es einfacher dives uobilisque (es t* »l<_^t cum)
zu vermuten als dives et uobilis mit Rohde. S. 383, 14—10 ziehe ich
vor zu lesen: hac victoria accensum, quasi in aemulationem gravi dolore
exarsisse ducem, cum diceret e. s. quasi in aemulationem d. h. der
väterlichen Freunde de- Reichen, die frementes und palam questi de
duce kamen und ihre Überredungskünste anwandten. Auf den Text
folgen drei Indices: index I, rerum, verborum et locutionum S. 442—508,
II legum et Romani, Graeci, scholastici iuris constitutionum. — S. 512,
III declamationum et institutionis oratoriae similes locos componens -
S. 514. Die Ähnlichkeit ist nun freilich manchmal nicht weit her, aber
das soll der Anerkennung des Fleifses, mit dem diese Indices ange-
fertigt sind, keinen Abbruch thun, wie denn überhaupt Ritters liebevolle
Hingabe an solchen Stoff wiederholter Anerkennung wert ist.
57. von Morawskis Recension (Berliner Piniol. Wochenschi'.
No. 35 S. 1099 — 1103) schützt mit Recht an folgenden Stellen die Über-
lieferung S. 178 Z. 18 nescio quid intactum (statt non int.), S. 288
Z. 19 assiduas lites (statt assidua lite) s. oben, S. 295 Z. 10 11 aliam
fuisse causam (statt alium fuisse in causa). - Änderungen werden fol-
gende vorgeschlagen: S. 128 Z. 13 ostenderet fecisse ohne et hinter ost.,
S. 244 Z. 19 fleo fortasse supervacu«« sc. lacrimas, S. 316 Z. 29 suffi-
cit (sufficit Ritter, suffecit Aa), S. 338 Z. 15 colore ac rumoribus (statt
dolore ac r.), S. 180 Z. 24—25 ultionis peragatur qualitas, S. 367
Z. 23 — 24 si non ignorassem, quod Aiceretur, non occidissem? Die erste
Änderung ist glücklich, die zweite, dritte und vierte unnötig, die beiden
letzten sehr zweifelhaft. -■ Wichtig sind die sprachlichen Bemerkungen,
die v. Morawski seiner Recension beigefügt hat. Post haec = postea,
civitas = urbs, genus = modus werden nebenher erwähnt. Betont wird
die pleonastisclie Ausdrucksweise invicem se Deck 305, S. 194 Z. 25
bis 26, D. 321 S. 258 Z. 6, die merkwürdige Steigerung des Positivs
infinitum potens D. 357 S. 390 Z. 2 — 3. Während in den 19 gröfseren
Declamationen das Überhandnehmen der Präposition de in verschiedenen
Verbindungen zu konstatieren ist, linden wir hier die Präposition in in
den mannigfachsten und zum Teil ungewöhnlichen Verwendungen z. B.
damnare in quadruplum S. 4 Z. 21-22, petere in deditionem S. 35
Z. 29-30, nocere in exemplum S. 16 Z. 3, sufficit in argumentum S. 234
Declamatioues. 77
Z. 27 — 28, in hoc (sechs mal gebraucht), in summara S. 247 Z. 27, in
tantum S. 268 Z. 22, in ultimo = zuletzt S. 393 Z. 2 und das sieben
mal gebrauchte in totum = ganz und gar, durchaus, ex toto so S. 383
Z. 28 und per omnia so S. 413 Z. IG. Merkwürdig ist S. 40 Z. 8 — 9
nunc in privatum sibi singuli consulunt. Zum Schlufs wird aufgeführt
S. 405 Z- 7 mendicandum habet cf. Archiv f. lat. Lex. II 1, 66. Die
Entstehungszeit dieser Declamationen wagt v. Morawski nicht genau zu
fixieren. Nur so viel behauptet er mit Entschiedenheit, dafs sie in das
erste Jahrhundert nicht gehören, während es andererseits nicht geraten
erscheint, das Datum über das zweite Jahrhundert weit hinauszuschieben.
58. Meister, (Phil. Anzeiger XVI S. 125 — 130) will 26, 11 mit
Pithoeus schreiben de eo (deo A), 31, 19 de ipsa legum natura mit
Burmann (de ipsa rerum natura A), 32, 16 ut ex parte fecerit mit Gro-
nov (ut ea p. f. A.), 40, 19 ubi lex est mit Schulung (ubi lex non est
AB), 177, 11 jAaißeat mit Gronov (placet A). Mit Ausnahme der letzten
Stelle, wo ich plaeered mit Rohde vorziehe, stimme ich Meister bei. Ich
stimme ihm ferner bei, wenn er die handschriftliche Überlieferung ver-
teidigt 4, 19 habuerit (abnuerit Rohde), 22, 14 contra (contraria Rohde),
26, 16 tum (tu Ritter) 31, 11 quod cum (qui c. Rohde), 36, 21 avium
(virium Ritter), 40, 15 non (nulhim Schulung) 159, 3 nee (haec Rohde)
160, 29 quod (qui Rohde). 161, 23 iuvenis, dum ohne tilius A, 169, 16
hoc (hinc Rohde), 171, 7 quod (ut Rohde), 188, 22 hie (hinc Rohde),
196, 19 temporis (contentionis Rohde), 202, 23 suspirat (suspiravit Rohde)
204, 17 inde (videte Rohde). 8, 11; 10, 23; 11, 15; 16, 9. 12; 18, 28;
42,7; 157, 28; 169, 25; 186, 13; 189, 16 und 18; 203, 11 kann ich
mich — abweichend von Meister — nicht von der Richtigkeit der Über-
lieferung überzeugen. Von eigenen Vermutungen werden folgende mit-
geteilt: 11, 13 sed non erit neecssarium i^ed adicit [excedit Ritter] ne-
cessarium), 22, 4 negaveris s< (n. possedisse A), 29, 13 et an male-
ticium? sed ohne sit. (sed fügte Rohde hinzu), 37, 14 perpetua posteri-
tatis immortalitate [(perpetuae p. i. A.), 197, 28 praesens U ac spectanU
(praestantis AB, praesente te Rohde), 204. 14 unde nobis tanta felicita«
est (unde nobis tantam felicitatew AB). Der let/te Vorschlag scheinl
mir besonderer Beachtung wert, die übrigen haben ihre Bedenken.
K. Schenk 1, (Wochenschr. f. klass. Phil. 1886 No. 3 S. 7:: 78)
folgt mit Recht der Überlieferung an folgenden Stellen, wo Ritter oder
Rohde ändern wollen: 123. 15 adversus t= in Binsichl auf) tyranni
ultionem coli. Cic. ad fam. 111 13, 2; 85, .". quod confessus >it (= da
er sich als ignominiosus bekannte, indem er ruhig deinen Schlag hin-
nahm); 92, 12 nihil quod e\ auiiuo SUO tantum referant; 96, •! an Q0-
centem; 122, 9 lex; 123, 13 potentissime (coli. 127. 6 Quint. VI 3. 83,
XU 10, 72); 178, 17 iniuria paed (AI!, iniurias pacisci nach A mg Rohde)
cf. Cic. off. 11 li, 40; L81j 12 in poena sua (coli. Cic. pro Rose. Am.
,S Quintiliau
26, 72). Durch Interpunktion, »die allerdings in dieser Au gäbe viel-
fach berichtig! worden ist«, hilft Schenkl, indem er schreibt: im, n
posita; >i: 122, 13 »sed tyrannu* fulmine ictus est« (coli 124, 3)5 123,
3 ff. iiiiinn (iramo würde ich gern missen: vielleicht ans /. 1 wiederholt)
tieque . . potuerunt. nee templa excepta sunt?; ■"••':!. 17 potuit: iromo;
338, 1 f. mihi, aliud est nutrix, e1 ancilla, ei torquente domino«. Zum
Schlufs verbessert Schenk! eine Reihe von korrupten Stellen, mit Glück,
wie mir scheint, folgende: L26, _i tenm-i statt temporis, 127, 1 eligendt
(cf. Oic. iliv. in Q. Caec. 11. 16), 11 electio(nem) aisi . . . esse (es
ne vor ai ausgefallen), L40, 19 et modus el color, 177. 17 »;it ego deli-
catus stun«. abdicenl te, L86, L3 maxima arte curavi, 334, 12 iunetum
statl inventum, 370, 19 scrupulose statl periculose. Anderes erscheinl
zweifelhaft und unsicher: 89, 22 »deo statt ad ea, 99, 11 multa (te>.
(Der Satz indignum putasti tarn multa passum esse ohne te würde ll>-t
in Ciceros Briefen nicht auffallen <•('• meine Bemerkungen Rhein. Mus.
37 B. S. r>80), 176, 24 hoc cum (mihi prae)dium obvenisset, 183, 27 illa
<(men*> magis <dum> apud, 186, 1 audebo <(modo> ne nos fastidiat, 189,
15 tuos species (doch giebt Schenkl gerne zu, dafs petisses durch das
folgende petisses in den Text gekommen sein kann), 193, 13 castra vin-
dico: disce tu, sacerdos, 199, 18 si non <id ageret ut) recusaretur, 203,
15 inter . . . memoria nach inpares annos Z. 17 zu stellen, 368, 11
auetorem statt amorem.
60. C. Hammer, Zu Quintilians Declamationes Philologus XI. V B.
1. H. S. 194-195, bespricht drei Stellen. CCCVIII S. 210-211 will er
schreiben intellegitis amici (Roh.de , a me Handschriften) signum? an
omni iure conscriptas velut intestati tabulas voliis damnare (an 0. i. con-
scriptae vel tabulis soletis damnare die Handschriften). Warum in dem
Rohdeschen an 0. i. conscripta velat (einfacher noch ut) rabulae sob'ti>
damnare, das viel näher liegt, »eine direkte Beziehung auf die getroffe-
nen gültigen Erbverfügungen nicht gefunden werden kann, gestehe ich
nicht einzusehen. Die Verallgemeinerung ist durch den individuellen Fall
veranlafst und dieser in der Allgemeinheit beschlossen. Nach damnare
will Hammer fortfahren: non id agunt ut meum non (utrum non AB)
fecerit testamentum. Das ist möglich, wahrscheinlicher aber Ritters Con-
jeetur ut omnino non cf. Z. 7. — Wenn CCCIX S. 215 Z. 6 bei illa op-
tare vult das von Aerodius vorgeschlagene iterum wegen des Zusammen-
hanges nötig ist, was allerdings so scheint, so ist es paläographisch am
einfachsten, es mit Hammer nach optare zu ergänzen. — CCCX S. 219
Z. 12 vermutet Hammer sed pericula (formula die Handschriften, foren-
ses von Morawski Berl. Philol. Wochenschrift V No. 35 S. 1101) inimi-
citiae tum valere possunt, cum de aliquo facto mentiri licet. Sollte wohl
frivolae dagestanden haben? cf. inst. VII 2, 34 levibus aut frivolis aut
manifesto falsis reum incessere, I 6, 20 u. a.
de causis corruptae eloqueutiae. 79
61. R. Novak, Ad Quint. declam. in den miscellanea critica. Listy
filologicke II 1 S. 12- 19 ist mir nicht zugegangen.
Zum Schlufs möge zur Besprechung gelangen:
Augustus Reuter, De Quintiliani libro qui fuit de causis corrup-
tae eloquentiae. (Doctor-Dissertation von;Göttingen). Vratislaviae apud
G. Koebner. 1887. 77 S. 8. (Rec: Wochenschrift f. kl. Piniol. 1887
No. 28 S. 882-885 von Y.i
IT. v. Wilamowitz-Moellendorff hatte es in seinen Vorlesungen als
ein verdienstliches Werk hingestellt si quis quem Fabius composuit de
causis corruptae eloquentiae librum quasi mortuum quodaramodo ab
inferis revocaturus esset ad lucem. Reuter ist dieser Anregung gefolgt
und hat das Werk mit Hilfe seines Lehrers zustande gebracht. Beiden
gebührt der warme Dank aller Freunde des Quintilian. Was nur über
das verloren gegangene Buch gesagt werden kann — mit weitem Aus-
und Uniblick und strenger Methode der Forschung, das ist hier gesagt.
Nur eins ist schade. Es erklingt mitunter in der Dissertation ein Ton,
der für mein Ohr und Empfinden wenigstens unangenehm ist. Ich will
nicht davon reden, dafs Pilz S. 44 wegen seines Buches c Quintilianus.
Ein Lehrerleben aus der römischen Kaiserzeit' mit unsanften Worten
bedacht wird. Das Buch verdient keine Beachtung seitens der Philolo-
gie, aber zu sagen' miram quandam et quam magis mulierculis et pueris
esse quam viris scriptam putares fabuhun composuit C. Pilzius5 würde
ich mich doch nicht unterfangen. Ritter hat die Frage der quintiliani-
schen Deklamationen wieder auf die Tagesordnung der Wissenschaft ge-
setzt. Männer wie Eussner, H. J. Müller, Schenkl, Meister haben seinem
Fleifs und seinen Forschungen trotz mancher Ausstellungen Worte der
Anerkennung gewidmet. Reuter hat S. 6 für ihn folgende^: tarn mirifica
nemo nisi re desperata adfirmare audebit. nemo opinor nisi qui Ritteri erit
similis. Was wird nun aber Reuter sagen, wenn Ritter ihm vorwirft.
dafs er ihn nicht einmal genau eingesehen? Ritter isl sich selbst durch-
aus nicht untreu geworden. Was in ed. praef. S. V steht, stimmt durch-
aus mit dem, was in dem Buch 'Die Quintilianischen Drei.' behauptet
ist. Reuter hätte zu S. 203 nur noch 8. 257 u. f lesen müssen, um das
zu erkennen. — Volkmann wird nach berühmten Mustern behandelt:
dormitavisse videtur bonus ille Eomerus, heifsl es gelegentlich S. 15.
Die Disposition des Buches isl folgende: c. 1 de Quintiliano libri de
causis corruptae eloquentiae conscripti auctore. de vocabulorum corrumpere
et corruptus usu Quintüianeo 8. 1—3, c. II de locis ex opere minore in
[nstitutionem translatis s. 1 10, c. 111 de comrpta eloquentia deque
eius causis quid senseril Quintilianus S. 11 27, c. IV de corruptis deque
eis oppositis S. 28— t2, c. 7 quo tempore de causis corruptae eloquen-
tiae über sit, conscriptus S. 43 52 (dazu excursus 1 de ratione qua pro-
diit Institutio S. 52 -53, exe. II de emendatione \l prooem. §§ 3 et L3
S. 53— 55), c. VI inter Quintiliani de causis corruptae eloquentiae librum
SO Quintilian.
ei Taciti de oratoribus dialogum quae intercedal ratio 9 c. VII
in memoria litterarum quem locum obtineai eloquentia Quintiliani 9 i l
72. Zwei indices, ein indes aominum ei auctoram 8.73 77 and ein
indes bominum doctorum quorum in hoc libro adferuntui ententiai E 77.
machen den Beschlufs der gehaltreichen Schrift. C. II bringl als
Fragmente der verlorenen Schrifl V L2, 17 28, II i. 1 1 m 42 m,
VIII 3, 56 58, VIII 6, 7:; 76. AI Fragmente? Wie wül Reuter da«
beweisen? Die Worte Quintilians besagen nur. dafs dieselbe M
dort behandell ist. Dafs e6 mil denselben Worten geschehen sei, i I
nicht nur oichl bezeugt, sondern auch an Bich unwahrscheinlich. Dil
Grundanschauungen freilich, von denen der Rhetor im Kampfe mil der
»Manierc der Gegner ausgeht, werden dadurch oichl berührt. Er wirft
ihnen vor — wie C. III des näheren ausfuhrt dafs sie oeglegunl res,
peccant elocutione (xaxogqAov), und er klagt, dafs die Lehrer der Rede-
kunst ihre Schüler nicht zur Belehrung, sondern zur Ergötzung der
Richter, überhaupt zu eitlem, unwahrem, der Wirklichkeit entfremdetem
Thun abrichten. C. IV nennt und behandelt als Gegner des Quintilian
d. h. als Vertreter der corrupta eloquentia Seneca. Cassius Severus, Fu-
scus Arellius, Papirius Fabinianus, (estius Pius, Junius Gallio, Curtius
Rufus, Julius Africanus, M. Aper. Diese konnte er offen oder versteckt
angreifen. Ob er es gethan. läfst sich nicht ermitteln. Über Seneca cf.
inst. X l, 125 u. f. Als Gleichgesinnte werden Julius Secundus, Vitorius
Marcellus, Vipstanus Alessala und Plinius Secundus aufgeführt.1) — Wenn
Reuter das Geburtsjahr des in Rede stehenden Buches berechnen wollte,
so konnte er diese Untersuchung nicht führen, ohne zu anderen wich-
tigen chronologischen Fragen in der vita des Quintilian Stellung zu neh-
men. Im C. V ist das mit ebensoviel Umsicht wie Klarheit geschehen.
Die Resultate sind folgende: Quintilian ist professor eloquentiae gewor-
den im Jahre 68 oder bald nachher, er hat das Amt niedergelegt um
88 (cf. pr. I, 1), die inst, ist herausgegeben 93 oder 94, ja auch 95
ist möglich. (Dodwell wird siegreich bekämpft). Das Buch de causis
ist zwischen 87 und 89 ans Licht getreten (cf. VI pr.), eodem fere tem-
pore Fabius munere se abdieavit et librum de causis corruptae eloquen-
tiae couscripsit (S. 52). Das VI. C. weist überzeugend nach - - gegen
Wölfflin und Grünwald — , dafs unser Buch vor dem dialogus de ora-
toribus geschrieben ist, uud schliefst mit den Worten von Wilamowitz,
die man als Überschrift über diesen Abschnitt setzen möchte: »Tacitus1
Dialog ist der Reflex der quintilianischen Kritik in der Seele eines Hi-
storikers«. Welchen Erfolg hatte das Vorgehen des Quintilian? Diese
Frage beantwortet C. VII. Aufhalten konnte selbst ein Quintilian den
Verfall der römischen Beredsamkeit nicht. Nach ihm tonangebende Rhe-
toren wie Fronto und Apulejus, der eine seinen Mangel an Geist und
i) V. a. a. 0. verniil'st mit Recht eine Einraugierung des Dominus Afer.
de causis corruptae eloquentiae. 81
Geschmack mit Fetzen aus der alten Litteratur deckend, der andere
überladen und schwülstig in »seiner aus allen Zeiten und Stilarten zu-
sammengesetzten Darstellung«, beide darin gleich, dafs sie dem Ideal-
bild eines Redners, wie es Quintilian vorschwebte, absolut nicht ent-
sprechen. In Asiana dici potest facundia desiisse Graeca, Romana in
corrupta. (S. 70). —
Im Verlauf der Untersuchung wünscht Verfasser hier und da einen
andern Text, als ihn die besten Ausgaben bieten. V 12, 17 möchte er
mit Philander lesen (S. 4) non alio medius fidius vitio docentiura (di-
centium die Handschriften) quam quo mancipiorum negotiatores formae
puerorum virilitate excisa lenocinantur. Warum docentium? zu dicen-
tium ist aus dem unmittelbar Vorhergehenden declamationes zu ergän-
zen, diese stehen im Mittelpunkt des Gedankens, und ihr Charakter —
ab illa vera imagine orandi recesserunt atque ad solam compositae vo-
luptatem nervis carent — wird vortrefflich durch das folgende Bild illu-
striert, ib. § 22 (S. 5) schlägt er vor nam ut ad peiora iuvenes malorum
(fehlt in den Handschriften) laude ducuntur, ita laudari in bonis mallent
(AB, malent Halm, Meister), nunc illud mali est e. s. Dafs malorum
nicht einzusetzen ist, sagt peiora, und dafs mallent in malent zu ändern,
dafür spricht der vorhergehende Satz, namentlich der Schlufs praecep-
tor id maxime exigat, inventum praecipue probet mit aller Entschie-
denheit. J) Wenn Reuter VIII 3, 58 conjiziert (S. 5) est autem omne
cacozelon utique falsum, etiam si non omne falsum cacozelon est:
{cacozelo enim res) dicitur aliter quam se natura habet et quam
oportet et quam sat est, so trifft er damit sicherlich den Gedanken
des Schriftstellers, aber den trifft auch die Überlieferung bei Julius
Victor. xaxoCyAov cacozelon vero est quod dicitur e. s. Vielleicht
ist einfach zu schreiben cacozelon est (et die Handschriften), cacozelo
dicitur aliter quam e. s. cf. IX 1, 12 itemque eadem figura dicitur cur-
sitare' qua lectitare', IX 1. 19 qua figura quidque dicatur. Früher
dachte ich an cacozelon. si (et, est, si oft vertauscht) cacozelon, dicitur
aliter e. s. — VIII pr. 12 (S. 11-12) will Reuter gelesen wissen: cre-
dere modo qui discel velil artem certam^ eloquentiam variam esse. Hätte
er Claussen quaest. S. 338 eingesehen, so würde er sich vielleicht über-
zeugt haben, dafs im engsten Anschlufs an die Überlieferung zu schrei-
ben ist: credere modo, qui discet, velit. certa guaedam via est. Zu cre-
dere vergleich! Claussen XII 11, 12 brevis est institutio vitae honestae
beataeque, si credas . natura e. s., wo es der Christschen Conjectur
si cedas naturae. natura nicht bedarf: beide Stellen Btützen sich gegen-
seitig. Der Gegensatz zu ereilen' ist repugnare cf. XII 11, 12. YI11 pr. :».
') Wenn das nicht der Kall wäre, wurde nunc = vuv 3i (nUUO von» oder
autoni) den Gegensatz gegen die Irrealitat bezeichnen et. ÜomielN Lex.
s 683 wo aller VIII ii, 48 Btatl 38 zu lesen ist
Jahresbericht für Alterthumswissenichafl 1.1 Bd. (1887 n i Ü
,-•' Quintilian
pugnare und credere tehen sich II 14, i gegenüber, und certa quae-
dam via est belegl Claus en mil einer ganzen Reihe von Parallelen z li.
V l, 3, X i, 15—16, II 17. n u.s. w., Spaldings Bedenken aber, er-
bärtel durch V 14, 31, MI pr. 4, VII io, 10 u. f., MI 2, 26, schwin-
den coli. VIII pr. 3. Während IX 8, LOO die Au gaben haben
ipii oeglecto rerum pondere ei viribus sententiaruro, -i vel inania verba
in hos modos depravarunt, iummos se iudicent artifices ideoque non
desinanl eas aectere quas äine substantia sectari tam est ridicnlnm quam
quaerere habitum gestumque sine corpore, empfiehll Reuter (8. LI
sumraos den Einschub von -figurarum. Er vergifst, data in dem ganzen
Abschnitt die figurae das Thema bilden und dafa unmittelbar vorher
ohne die Hinzufügung von figurae gesagl isl ego illud de ii etiam qaae
VIT-" sunt adiciam breviter, sicut ornanl orationem opportune positae,
ita ineptissün«« esse, cum immodice petantur. sunt qui e. s. I
steht sich, dafs damit auch eas nectere quas erklärt und gerechtfertigt
ist. M pr. 3 sah Meistejr das Richtige: non (nuni AGM, nunc S und
Reuter S. 53—54) igitur Optimum fuit infaustum opus . . flammis inicere
neque haue impiam vivacitatera oovis insuper curis fatigare? über non
in der Frage cf. Bonnells Lex. S. 573. VI pr. 13 endlich schreibt
Reuter S. 55 tc <non> teneo consulari nuper adoptione ad omnium jpes
honorum (propius) admotüm, . . . . te omnium (spe ac votis) eloquen-
tiae candidatum, superstes parens tantum (ad) poenas. <(sed) si non
cupido lucis, certe patientia vindicet (nie) reliqua<e> mea<e) aetat^i).
Dafs auf diese kühne Weise die Stelle geheilt sei, glaubt Reuter selbst
nicht, und wir glauben es ebenso wenig. Das Latein der Abhand-
lung ist klar und fliefsend. Dubitare num, «Ins auch hier S. 36 begeg-
net, ist wenigstens aus Quintilian zu belegen VI 1, 3 (cf. Plin. ep. VI
27, 1). Ein Satz wie dieser: totam ratiocinationem respicienti tenendum
est ut singulos annos certe definiri non posse, ita certam esse rationem
S. 51 ist durch Cicero pro A. Cluentio 50, 138 und Livius geschützt z. B.
II 13, 8. Druckfehler habe ich mir über ein Dutzend notiert, jedoch nur
solche, die kaum stören. Störend dagegen finde ich eine oft wiederkeh-
rende Art der Abkürzung wie diese S. 49 L Spengel Leb d Studium d
Rhetorik b d Alten.
Bericht über die Litteratur zu Propertius
für die Jahre 1881—1884
Von
Dr. phil. Eduard Heydenreich
in Freiberg.
I. Ausgaben.
1) Select elegies of Propertius edited with introduction,
notes, and appendices by J. P. Postgate. London. Macmilian
and Co. 1881.
Rec: R. Ebwald, Pliilol. Anz. 1883, 837 ff.; R. Ellis, Academy
1881 N. 479 S. 32 ff.; H. Magnus, Phil. Wochenschrift 1882 N. 36.
1123 ff; A. Palmer. Hermathena IV, 8, 326 ff.; Fr. Plessis, Etudes
crit. sur Properce 1884, 92; J P. Postgate, Transact. of the Cam-
bridge Piniol. Soc. II. 228. — Athenaeum 1881, N. 2810.
Diese Ausgabe eines auch sonst um Properz hochverdienten Gelehrten
ist eine sehr erfreuliche Erscheinung. Beweist sie doch, dafs Verfasser mit
umfassender Gelehrsamkeit, gebildetem Geschmacke und vielfach glück-
lichem Verständnis sich in seinen schwierigen Autor versenkt und dabei
die Resultate einheimischer und deutscher Forschung — mit einer unten
zu bemerkenden Ausnahme — verwendet hat. Allerdings ist die Kom-
position des ganzen Werkes insofern auffallend, als die Einleitung einen
generellen Charakter hat und auf sämtliche Lieder des Dichters bezug
nimmt, während nachher nur eine Auswahl von '29 Gedichten folgt. Das
bindert aber nicht, dafs die fünf Kapitel der Einleitung (I, Life and
Character; II. Works and Style; III. Graramar and Vocabulary; IV. Metre
and Prosody; V. Literary History) durchaus lesenswert und auch für
deutsche Leser instruktiv sind. Manches freilich bleibt zweifelhaft, so
die Richtigkeit der Gesamtwürdigung des Dichters bei Postgate S. 36
(vgl. M. Haupt, Op. III 206 f), so die Meinung, dafs das fünfte Buch
nach des Dichters Tod und /war nach 2 V. Chr. ediert sei. Anderes ist
irrig; so die Behauptung, dafs Paulus Silentiarius den Propen nach-
geahmt habe (siehe den letzten Bericht des Referenten S. 159 ff), so
die Kritik, welche der Verfasser S. L f. an der Lacbmannschen Einteilung
in fünf Bücher übt (vgl. darüber Maguus a. 0. S. 1124. 1125). Noch anderes
6*
84 Properz. Ausgabe von Postgate.
vermifsl man angern, so die Vermutung von Brizio (Annali dell' inst.
1873, S. 104 ff.), dafs ein Portrait des Properz in einer Doppelteste
enthalten sei. Unter die Nachahmer <lcs Properz (bei Postgate 8. CXLVf.)
kann man jetzt auch den CorippUfi rechnen, vgl. Pud. Ainann, De
Corippo priorum poetarum latinorum imitatore. Progr. Oldenburg 1885,
S. 15. Aber diese Ausstellungen einiger Einzelheiten hindern Dichl an-
zuerkennen, dafs Postgates Ausgabe eine der brauchbarsten i^t, die v>ir
besitzen. Der Herausgeber, schon durch seine Jahresberichte ober Pro-
perz in den «Cambridge Philological Transactions« als gründlicher Kenner
der Properz-Litteratur rühmlichst bekannt, wird bei einer zweiten Auf-
lage, welche hoffentlich nicht lange auf sich warten lassen wird, sich
die Gelegenheit zur Verbesserung und Ergänzung seiner Ausgabe wiener
nicht entgehen lassen.
Die Gedichte, welche Postgate in seine Auswahl aufgenommen
hat, sind I 1. 2. 5. 8. 9. 16. 20 22; II 5, 7; III 1. 2. 5. 21. 23. 29;
IV l. 3. 7. 9. 18. 23—25; V 2. 6. 11. Der Text derselben beruht
hauptsächlich auf Paley und Baehrens. Eine Verwertung der Ausgabe
von Haupt- Vahlen ist für eine neue Auflage unerläfslich. Ein Verzeichnis
der wichtigeren Abweichungen Postgates vom Text derselben hat Ehwald
in seiner Recension zusammengestellt. Darin, dafs die Arbeiten von
Lachmann, Haupt und Vahlen teils ungenügend, teils gar nicht ver-
wertet sind, liegt der schon oben angedeutete Hauptmangel von Post-
gates Ausgabe. Der auf den Text folgende Kommentar ist so einge-
richtet, dafs eine allgemeine Einführung der Detailerklärung voraus-
geht. Die Grundsätze, welche Verfasser bei der Kritik und im Zu-
sammenhang damit auch bei der Exegese des Dichters befolgt, fordern
vielfach zum Widerspruch heraus (vgl. Magnus a. 0. S. 1126 ff.), sodafs
Text und Erklärung in der vorliegenden ersten Auflage nicht auf der-
selben Höhe stehen, wie die Einleitung. Doch hat Verfasser im einzelnen
mancherlei nützliches Material gesammelt, viele interessante Parallel-
stellen herangezogen und überhaupt die Erklärung des Dichters gefördert.
Anhang A bespricht die Handschriftenfrage und bietet eine kurze
Vergleichung von Lesarten der Handschriften und der drei Ausgaben
von Postgate, Baehrens, Palmer. Es folgen Appendix B »On the mea-
uings of fuleire and its coguates« und ein Appendix C, in welcher die
Liederziffern der genannten Editionen und der von L. Müller neben-
einandergestellt sind. Ein Register zu dem Kommentar schliefst diese
auch äufserlich trefflich ausgestattete Ausgabe.
2) Bender, Hermann, Anthologie aus römischen Dichtern mit
Ausschlufs von Vergil und Horaz. Zum Gebrauch im Gymnasial-
Unterricht. Tübingen, Laupp, 1884.
Rec: G. Egelhaaf, Korrespondenzblatt f. Württemberg. Schulen
XXX11, S. 577; K. Jacoby, Phil. Rundschau V No. 23; H. Magnus,
Bender, Anthologie aus röm. Dichtern. 85
Jahresber. des Philo]. Vereins zu Berlin XII, 207; K. P. Schulze,
Berl. Phil. Wochenschr. 1884 No. 44; R. Steig, Wochenschr. f. klass.
Phil. II Sp. 589.
In dieser Anthologie, deren Texte sich an die »üblichsten«, leider
nicht näher bezeichneten Ausgaben anschliefsen, ist Properz mit 17 Stücken
vertreten. Da der Herausgeber auf eine selbständige Konstitution des
Textes verzichtet, auch lediglich pädagogischen Zwecken dient, so ge-
nüge es auf das Urteil von H. Magnus zu verweisen, wonach diese
Anthologie zwar keineswegs unbrauchbar ist, aber eine unbedingte Em-
pfehlung erst verdient, wenn sie eine gründliche Revision erfahren habe.
Die Ausstattung ist gut.
3) Brandt, Samuel, Eclogae poetarum latinorum in usum gym-
nasiorum. Lipsiae. B. G. Teubner. 1881. VIII, 146 S.
Rec: W. Gilbert, Piniol. Anzeiger XIII, 9. 10, S. 478 f.;
H. Magnus, Jahresber. des Philol. Vereins zu Berlin IX, 285 f.; Blätter
f. d. bayr. Gymnasialwesen XIX, 2. 3, S. 160 f.
Durch eine Versammlung Badenser Gymnasialdirektoren veranlafst,
bietet diese Sammlung u. a. 16 Stücke aus Properz unter Weglassung
sittlich anstöfsiger Stellen. Zur Erklärung dieses Dichters, der auch
für Primaner genug Schwierigkeiten enthält, wird so gut wie nichts ge-
boten; aber der Text ist gut, »die Eintagsfliegen allerneuester Konjek-
turen sind mit wohlthuender Entschiedenheit ferngehalten«.
4) Frigell, Andreas, Propertii elegiae duodecim. Suecicis ver-
sibus expressit adnotationibusque instruxit. Upsala. Univ. Arrskrift
1883. Filosofi, spräkvetenskap och historiska vetenskaper I. Upsala.
Akademiska Bokhandeln (C. J. Lundström). 22 S. fol.
Rec. : E. Heyden reich, Philol. Rundschau IV, S. 225—230.
Diese fleifsige Arbeit eines nordischen Gelehrten , dem leider die
einschlagende deutsche Litteratur nur teilweise bekannt ist, behandelt
die Elegien I 1—3. 6. 7. 8. 11. 14. 17. 18. 20. 22. Dieselben werden
zunächst metrisch übersetzt; als Probe mag der Anfang von I 1 dienen:
Cynthia först mig faltige grep med ögonens tjusning,
Mig, som aldrig förut varit af lidelser rörd.
Da min ständigt trotsiga blick af Amor tilljorden
Nedslogs, och med sin fot tryckte mitt hufoud hanncd,
Tills han hos mig väckt leda och hat mot dygdiga tlickor
Och dek stygge mig lärt lefva pi vinst och förtust:
Redan ett är har förgatt, och ynseln gifver ej vika,
Fastän gudarncs gunst ännu ej rüna jag tat t .
In den hieran von S. 13 — 22 sich anschließenden adnotationes
werden Frigells Abweichungen vom Texte L. Müllers begründet, nicht
86 Frigell, Propertii elegiae duodacim.
immer in überzeugender Weise. An 21 Stellen verteidigt dr:r Verfasser
handschriftliche Lesarten, an drei fremde, an zwei eigene Konjekturen.
5) Anthologie aus den Elegikern der Römer. Für den Scbul-
gebrauch erklärt von Carl Jacoby. Erstes Bändeben: Ovid und
Catull. Zweites Bändeben : Tibnll undProperz. Leipzig, B. G. Teubner.
132 und 122 S. 8°.
Rec.: W. Gilbert, Philol. Anz. XIII, 479 ff.; II. Magnus, Jahres-
bericht des Philol. Vereins zu Berlin IX, 278ff.
Dies Buch Jacobys ist ein sehr brauchbares Hilfsmittel für die
Einführung der römischen Elcgiker in die Schullektüre Das erste
Bändchen enthält eine allgemeine Einleitung, die auch bei der Lektüre
des zweiten verwendet werden kann. Aufserdem ist zu jedem Dichter
eine spezielle Einleitung gegeben. Aus Properz sind 24 Stücke auf-
genommen. Das Verhältnis des Virgil zu Properz konnte S. 50 näher
präcisiert werden, vgl. dazu Birt, Ad historiam hexametri latini sym-
bola 1877, S. 33. Der Schlufssatz der Einleitung enthält die sehr an-
fechtbaren, jedenfalls zu bestimmt hingestellten Behauptungen, dafs die
Mehrzahl der Gedichte des fünften Buches den Jahren 16 und 15 an-
gehöre, einige Jugendgedichte seien und dafs diese Properz selbst
demselben eingefügt habe; vgl. darüber z. B. K. Rofsberg, Neue Philol.
Rundschau 1886, 216. Das Buch macht keinen Anspruch darauf, die
Wissenschaft gefördert zu haben. Auf pädagogische Einzelheiten ein-
zugehen ist hier nicht der Ort. Dem bereits von H. Magnus a. 0. ge-
äufserten Wunsche, dafs einer neuen Auflage ein wissenschaftlicher An-
hang für den Lehrer beigegeben werde, pflichtet Referent um so mehr
bei, als leider Jacoby es nicht für nötig erachtet hat, von der Be-
schaffenheit seines Textes Rechenschaft abzulegen.
6) Mann, 0., Anthologie aus römischen Dichtern für die obersten
Klassen der Realgymnasien und ähnlicher Anstalten. Leipzig, Teubner.
1883. IV, 124 S. 8°.
Rec: H. Magnus, Jahresber. des Philol. Vereins zu Berlin XII,
207; K. P. Schulze, Wochenschr. f. kl. Phil. I No. 3.
Vorstehende Anthologie enthält aus Properz fünf Stücke nach der
Ausgabe von L. Müller. Dafs dabei , entgegen der sonst gewöhnlichen
Weise, die Liederziffern weggelassen sind, kann nicht gebilligt werden.
Auf Selbständigkeit in der Behandlung der Texte ist Verzicht geleistet.
Die kurze S. 111 abgedruckte Biographie des Properz ist sehr ungenau:
Der falsche Name Aurelius sollte doch endlich gänzlich verschwunden
sein. Es war weder schlechthin zu sagen, dafs Properz »fünf Bücher
Elegien schrieb«, noch ohne Einschränkung zu behaupten, dafs in den
vier ersten er »seine Liebe zur Cynthia (Hostia) schildert«: auch die
Fassung »er stirbt a. 15 a. Chr.« ist ungenau. Referent mufs daher
Mann, Anthologie aus röm. Dichtern. S7
dem ungünstigen Urteil von K. P. Schulze und H. Magnus beistimmen,
dafs diese Sammlung nicht von genügender Sachkenntnis des Heraus-
gebers zeugt. Unter dem wenig zutreffenden Titel »Anmerkungen« wird
ein erklärendes Verzeichnis von Eigennamen gegeben, wobei die allzu
grofse Kürze, wie »Achaemeuius = persisch« ohne jede Zuthat, keine
Billigung verdient. Referent hält, da ein Kommentar zu den Texten
nicht erschienen ist, das Buch für ungeeignet, seinem Zwecke zu dienen.
Vielleicht entschliefst sich die Verlagshandlung, einen Kommentar, etwa
in der Weise des, Properz leider gänzlich ausschließenden, Buches von
Hemme (Auswahl aus Horaz und den römischen Elegikeru. Berlin, Weid-
mann 1886), noch nachträglich den Texten separat folgen zu lassen.
Ein Schriftsteller wie Properz bietet selbst einem guten Gymnasial-
primaner soviele Schwierigkeiten, dafs ein Kommentar nötig ist. Vol-
lends aber an einem Realgymnasium hiefse es Zeit und Kraft vergeuden,
wollte man kommentarlose Texte, wie die von Mann, dem Unterrichte
zu Grunde legen, vgl. die Bemerkungen des Referenten in Zeitschr.
f. d. Gymnasial wesen XL 7. 8, S. 406 ff.
7) Schulze, K. P., Römische Elegiker. Eine Auswahl aus Catull,
Tibull, Properz und Ovid. Zweite Auflage. Berlin, Weidmann. 1884.
Die zweite Auflage dieser nützlichen Schulausgabe, über die Re-
ferent bereits im vorigen Bericht S. 152 f. sich ausgesprochen hat, ist
durch Benutzung der erschienenen Rezensionen und Heranziehung der
neueren Speziallitteratur vor der ersten ausgezeichnet. Dafs Schulze
sich gemüht hat, den von Vahlen gebilligten Standpunkt der Kritik,
soweit es irgend ging, durchzuführen, verdient volle Billigung. Ein An-
hang giebt die Stelleu an, in denen Schulze von dem Text der vierten
Auflage von Haupt-Vahlen abweicht. Möge der Herausgeber die reiche
Fülle der inzwischen neu erschienenen Arbeiten über Properz zu einer
dritten Auflage zu verwerten recht bald Gelegenheit haben.
8) Biblioteca scolastica di Scrittori Latini eonforme alle piü
accreditate edizioni moderne con note scelte dei migliori commentatori.
Q. Valerii Catulli et S. Propertii carmina selecta Ditta G. B.
Paravia e Comp. Torino-Roma-Firenze-Milano. 1882. 8°.
Rec: E. Heydenreich, Philol. Rundschau II. '.»33 — 936.
So erfreulich es au sich ist, dafs auch in Italien zu Schulzwecken
eine Auswahl aus den römischen Elegikern erschien, so ist es doch tief
zu beklagen, dafs es sich der Berausgeber über Gebühr leicht gemacht
bat. Nicht nur dafs über vieles, was in eine Schulausgabe gehört, gar
nichts beigebracht wird: die alte Fabel von dem doppelten Gentilnamen
des Dichters sollte Dicht wieder aufgetischt werden. Für den deutschen
Philologen und Schulmann i-i das Buch völlig wertlos.
HH Aken, Do fitfiirae dno xotvoG U8U
Unbekannt blieb dem Referenten
9) Crowell, E. I'., Belections from the Latin poets, Catullus
Lncretius, Tibullus, Propertius, Ovid and Lacan Boston, Ginn,
Beath & Co. VI, 300. (Rec.: Bat. Review 1882, N. 1387, S. 079.)
II. Monographien,
10) Aken, 0., De figurae äxo xotvou nsu apud Catullam Tibul-
lum Propertium pars I. Scbwerin. 1884. 10 S. 4.
Aken stellt zunäebst die griechischen Definitionen der Figur ä-<>
xoevoü zusammen, bespricht dann die neueren Arbeiten über diesen
Gegenstand und belegt, soweit ihm dies der knapp gemessene Raum
des Programms gestattete, die einzelnen Erscheinungsformen aus den
auf dem Titelblatt genannten Schriftstellern. Etwas Bemerkenswertes,
das die Kritik des Properz speziell zu fördern geeignet wäre, weifs
Referent nicht hervorzuheben. Die Fortsetzung dieser Studien ist er-
wünscht, da aus dem nur fragmentarischen kurzen Abrifs des vorliegenden
Programms Umfang und Art der Figur sich noch nicht genügend kon-
trollieren läfst. Vergl. auch den letzten Bericht des Referenten S. 185.
11) Heymann, Paulus, In Propertium quaestioues grammaticae
et orthographicae. Halis Saxonum 1883. 87 S. gr. 8°.
Rec: E. Heydenreich, Phil. Ruudschau IV, S. 905 -907.
Diese fleifsige und nützliche Haller Dissertation stellt in ihrem
ersten Teile fremde und römische, besonders griechische Eigennamen
auf ihre Kasusendungen hin zusammen, soweit sich dieselben aus den
vor und durch Baehrens bekannt gewordenen Handschriften ergeben.
Ihnen werden andere bemerkenswerte Flexionsformen angereiht. Mit
den Genetiven Deci Täti war S. 20 der non. plur. Gabi V, 1, 34 zu ver-
gleichen, worüber zu verweisen ist auf »Monumenti Gabini della villa
Pinciana« Roma 1797, S. 146 und auf die Quaestiones Prop. des Re-
ferenten S. 31.
Der zweite Teil der Heymannschen Arbeit stellt die in den Hand-
schriften vorkommenden orthographischen Altertümlichkeiten zusammen
und bietet einen Versuch, Normen für eine konsequentere Rechtschrei-
bung der Properzianischen Elegien zu gewinnen. Trotzdem die Unter-
suchung dadurch beeinträchtigt wird, dafs Heymann in der Handschriften-
frage auf dem teilweise irrigen Standpunkt von Leo steht, den derselbe
in seinen vindiciae Propertianae (Rhein. Mus. XXXV, 441 ff.) näher be-
gründet hat (vgl. aber Solbisky, De codieibus Propertianis in Diss.
Jenens. II, 139 ff.), sind doch diese orthographischen Zusammenstellungen
neu und mit Nutzen zu gebrauchen.
Kirchner, De Propertii libro quinto. 89
12) Kirchner, Karolus, Saxoborussus, De Propertii libro quinto
capita sex. Wismar. HinsdorfFsche Rats -Buchdruckerei (L. Eber-
hardt). 1882. 86 S. gr. 8°.
Rec. : R. Ehwald, Jahresber. für Altertumswissenschaft XLIII
(1885 II), 174 f.; E. Heydenr eich, Philol. Rundschau IV 1161 ff.
Kirchner geht von der Ansicht Heim reich 's Symb- Philol., Bonn,
S. 674 ff. aus, dafs das letzte Buch der auf uns gekommenen Properzi-
schen Liedersammlung mit Ausnahme des Schlufsgedichtes unecht sei
und mehrere Lieder von Passenus Paulus enthalte. Mit Recht weist
Kirchner zunächst darauf hin, dafs dieser in das zweite Jahrhundert ge-
hörende Dichter wenigstens für das fünfte Gedicht durch die von Haupt
(ind. lect. aestiv. Berol. 1856, S. 3 = opusc II 101) behandelte Pompe-
janische Inschrift = V 5, 47 f. als Verfasser ausgeschlossen ist. Eher
könnte man, wenn die Unechtheit bewiesen wäre, mit Carutti ed. praef.
S. XI an Sabinus, den Zeitgenossen des Ovid deuken. Aber die gegen
die Echtheit des Schlufsbuches vorgebrachten Gründe seien — abge-
sehen von Vi, 71- 150, vgl. unter No. 55 — sämtlich nicht stichhaltig.
Dies zu erweisen ist die Aufgabe der in sechs Kapitel zerfallenden Ar-
beit Kirchners.
In einem ersten Kapitel führt Verfasser aus, dafs kein Moment
vorhanden sei »propter vitae condiciones morumque eius qui eas com-
posuerit« die Elegien des Schlufsbuches für unecht zu erklären. Höch-
stens sei die fünfte Elegie auffällig; doch reichten die Unebenheiten
nicht hin, die Athetierung zu rechtfertigen. Dazu berechtigt' auch nicht
die Form der Gedichte, wie Verfasser, teilweise in Anschlufs an Voigt,
De quarto Prop. libro Helsiugfors 1872, im zweiten Kapitel näher dar-
legt. Ob er freilich Recht hat mit der Behauptung S. 10 »tot um cau-
sarum opus non perfectum esse sed ex singulis fragmentis constare«,
scheint fraglich.
In einem dritten Kapitel versucht es Kirchner, die Abfassuugszeit
der einzelnen Lieder des fünften Buches zu bestimmen. Nach Kirchner
sind V la, 2, 4, 9 und 10 zwischen 732 (22) und 738 (16) gedichtet.
V lb hält Kirchner für unecht. V 3 sei 733 (21) oder 734 (20), V 5
um 725 (29), V 6 erst 739 (15), V 7 nicht lange nach dem Tode der
Cynthia 725 (29), V8 vielleicht 726 (28). V ll aber 738 (16) abgefafst.
Die Chronologie der Properzischen Gedichte i^i nun freilich ein Gebiet,
auf dem bei Schritt und Tritt der Boden schwankt; und i^t es deshalb
doppelt beklagenswert, dafs Kirchner die Arbeil von Rob. Scharf
Quaestiones Propertianae, Balis Sax. 1881 (vgl. den Berichl des Re-
ferenten unten unter No. 18) nicht gekannt hat. Dennoch ist das Re-
sultat dieses dritten Kapitels »propter ternporis rationes ne iinum qui-
dem libri quinti Carmen spurium habendum esse« offenbar richtig«
Das vierte Kapitel zeigl auf Grund eines sehr reichen statistischen
90 Kirchner, Do PropertÜ lihro qu int o
Materiales, dessen Bammlang einen wahren Bienenfleifs \ I dafs
betreffs der Synaloephe, des Gebrauches der Daktylen und Spondeen
sowie der Cäsuren das fünfte Buch von <l!'n ersten der, I dem
Qäcbst vorhergehenden, oichl Behr verschieden ist, dafs jedoch eine
gröfsere metrische Strenge, die durch den Vorgang Ovids veranlafst
scheine, im letzten Buch des Properz anerkannl werden mufs. Auch
hier sei von V l1' abzusehen. Wenn nun auch die Litteratur nur teil-
weise benutzt, z. I!. die Dützlichen Arbeiten von Gebhardi, De Tibulli
Propertii Ovidii distichis quaestionura rum ipecimen 1870 und
Birt, Ad historiam hexametri latini symbola 1877 übergangen werden,
so sind doch die S. 29 ff. gebotenen statistischen Tabellen sehr instruktiv.
Mit Recht glaubt Verfasser die Frage, ob das fünfte Buch aus me-
trischen Gründen unechte Stücke enthalte, verneinen zu müssen; aber
auch die von ihm gegen die Ecbtheit von V lb vorgetragenen metrischen
Bedenken werden schwerlich irgend jemand überzeugen.
Nachdem Verfasser im fünften Kapitel die Ausdrucksweise des
fünften Buches als properzisch nachgewiesen, bietet er in dem S. 45 -84
ausgedehnten letzten Kapitel, zum Teil in Anschlufs an Ziugerle's
bekanntes Buch über Ovid und sein Verhältnis zu den Vorgängern und
gleichzeitigen Dichtern sowohl eine grofse Anzahl von Parallelstellen
aus Ovid zu Properz als insbesondere den Nachweis zahlreicher Anklänge
dieses fünften Buches an Callimachus. Hervorgehoben zu werden ver-
dient der S. 46 ff. vorgelegte ausführliche Vergleich von Prop. V 3 mit
Ovids Heroiden, wobei Jurenka's »Beiträge zur Kritik der Ovidischen
Heroiden« 1881 (vgl. den Bericht des Referenten unter No. 51) aller-
dings nicht benutzt sind. Kirchner entscheidet sich - nach der An-
sicht des Referenten mit Recht — dafür, dafs Ovid der Nachahmer des
Properz war: »facile fieri potuit; ut Ovidius libri quinti carmina fortasse
a. 740 nondum editi antea novisseU (S. 58). Auch durch die zahl-
reichen Parallelstellen wird die von Kirchner mit Glück verteidigte Echt-
heit des letzten Buches der Properzischen Gedichtsammlung bestätigt.
Die Arbeit Kirchners, deren Gebrauch allerdings durch den Mangel
eines Stellenregisters erheblich erschwert wird, bietet manche gute und
brauchbare Bemerkung. Es ist daher zu bedauern, dafs dieselbe nur
wenig bekannt, geworden ist: Plessis, der eine sehr ausgebreitete Kennt-
nis der deutschen Speziallitteratur zu Properz besitzt, erwähnt sie Etudes
crit. sur Properce an der zuständigen Stelle S. 245 nicht; auch dem
Referenten gelang es nur nach langer Mühe, ein Exemplar der Disser-
tation zu erlangen. Namentlich die metrischen Erörterungen Kirchners
mit ihrer reichen Statistik, sowie das Schlufskapitel mit seinen Nach-
weisen über Ovid und Callimachus machen es wünschenswert, dafs eine
Anzahl von Exemplaren durch eine unserer bekanntereu buchhäudlerischen
Firmen auch weiteren Kreisen zugänglich gemacht wird.
Mallet, Quaestiones Propertianae. 91
13) Mallet, Fridericus, Quaestiones Propertianae. Diss. philol.
Gottingae, apud Calvoerium. Druck der Dieterichschen Universitäts-
Buchdruckerei. W. Fr. Kästner. 68 S. 8°. 1882.
Rec. : K. Schenkl, Deutsche Litteraturztg. 1884 No 8 S. 271.
Diese Karl Dilthey gewidmete vortreffliche Untersuchung schliefst
sich den Arbeiten von Rohde, Heibig und Otto an (vgl. den letzten Be-
richt des Referenten unter No. 11). Während aber diese Gelehrten in
den von Properz verwendeten mythologischen Sagenstotfeu griechische
Einflüsse nachwiesen, thut dies Mallet im ersten Teil seiner Dissertation
S. 3 ff. mit einzelnen Wendungen. So begegnen sowohl bei Properz als
auch bei den Griechen: das Bild, dafs der Dichter aus einem Flusse
trinkt; der Vergleich der Dichtkunst entweder mit der Schiffahrt oder
mit einem Rossegespanu ; der Gedanke, dafs die Augen in der Liebe
Führer sind, dafs Cupido auf Haupt oder Nacken des in Liebe ent-
brannten Jünglings die Füfse gesetzt habe u. dgl. mehr. S. 33 ff. weist
Verfasser sodann nach, dafs auch »ipsa Propertii amatoriorum carminum
argumenta« auf alexandrinische Vorbilder zurückgehen, so bei den Ge-
dichten I 2. 3, III 12. 30- Mit Recht entscheidet sich Mallet S. 56 da-
für, die Ähnlichkeit des Properz mit Paulus Silentiarius aus gemein-
samer griechischer Quelle zu erklären. Am Schlufs S. 57 werden die
Epicedien (vgl. I 21; IV 7. 18; V 7. 11) auf ihre griechischen Anklänge
hin untersucht.
Die Arbeit zeugt von guter Methode und grofser Beherrschung
der einschlagenden Litteratur; besonders ist hervorzuheben, dafs auch
die bildende Kunst, wie die zahlreiche Verwertung archäologischer
Werke darthut, in umfangreicher Weise von Mallet zur Lösung seiner
Aufgabe herangezogen ist. Verfasser ist selbst so vorsichtig, nicht so-
fort aus jeder Übereinstimmung des Properz mit einem Griechen einen
sicheren Schlufs darauf ziehen zu wollen, dafs jeuer aus diesem schöpft.
So bemerkt er zu Prop. IV 18, 22 »est mala, sed cunctis ista terenda via
est«: »Fortasse hie (seil. Propertius) istano viam omnitras homiuibus
ex Graeco auetore mutuatus est poeta«. Aber nicht immer ist der
selbständigen poetischen Gestaltungskraft des Römers genügend Rech-
nung getragen: Dafs die Liebe bis in die innerste Brust eindringt, ist
ein so naheliegender Gedanke, dafs Properz 1 '.». 29 »media attigit ossa«
trotz ähnlicher Wendungen bei Theocrit, denselben nicht notwendig, wie
Mallet S. 18 meint, aus einem griechischen Original genommen haben
mufs. Auch wo mehrere Römer, wie Tibull und Ovid, denselben Ge-
danken wie Properz und die Alexandriner haben, i-i die Meinung Mal-
le ts S. 21, dafs nicht Tibull, sondern alexandrinisches Vorbild hier ent-
scheidend gewesen sei, nicht überzeugend begründet. Die Behauptung
S. 36 »Corte Paulus [seil Anth. Pal. V -j.vjj nun ex Propertio hausit a
quo id laseiviae genus alienum est« ist sein gewagt, vgl. Vahlen,
92 Mallet, QuaeBtiones Propertianae.
»Beiträge zur Berichtigung der Elegien des Proporz«, Monatsberichte
der Berliner Akademie 1881, 354. Im grofsen und ganzen aber sind
die Nachweise alexandrinischen Einflusses auf Properz woblgelungen,
woran der erfahrene Rat Dilthey's, den Verfasser einzuholen wieder-
holt in der glücklichen Lage war, gewifs viel beigetragen haben wird.
Eigene textkritikalische Vermutungen trägt Mallet nirgends vor;
dies wird ihm niemand zum Tadel anrechnen, der die Menge schlechter
Konjekturen kennt, welche das letztvergangene Jahrzehnt in Umlauf ge-
setzt hat. Bei der Besprechung von V 11 S. 63 war auf Hübner's
Aufsatz in den Comment. philol. in honorem Th. Mommseni S. 98 ff.
Bezug zu nehmen.
Verschiedene Formen des Druckes und ein ausführlicher index
locorum Propertianorum erleichtern die Übersicht dieser auch äufserlich
trefflich ausgestatteten Schrift. Dieselbe gehört zu dem Besten, was in
neuerer Zeit über Properz veröffentlicht worden ist.
14) Marx, Antonius, De S. Propertii vita et librorum ordine
temporibusque. Diss. iuaug. Lips. Kommission von Gustav Fock.
Leipzig. 1884. 84 S. 8°.
Rea: E. Heydenreich, Philol. Rundschau 1885, 741 f.
Bei der vielfach zerstreuten wissenschaftlichen Thätigkeit der
neuesten Zeit über das Leben, die Ordnung und Abfassungszeit der
Bücher des Properz würde eine zusammenfassende Darstellung, wie
sie Marx versucht, au sich erwünscht sein. Allein wer diese Lücke
befriedigend ausfüllen will, mufs besser ausgerüstet ans Werk gehen,
als dies dem Verfasser vorliegender Dissertation nachgerühmt werden
kann. Häufig genug begegnet ungenügende Verwendung der ein-
schlagenden Litteratur. Wenn Marx z. B. S. 10 bemerkt: »Originem
nominis Aurelii in nostri poetae Aureliisque Prudentii nominibus con-
fusis Hauptius invenisse sibi visus est« , so durfte nicht verschwiegen
werden', dafs Haupt diese Vermutung nicht für beweisbar hielt, vergl.
darüber Magnus, Berliner Philol. Wochenschr. 1886, 1280; und dann
war auch darauf hinzuweisen, dafs James Cranstoun, The Eleg. of
Prop. transl. into Engl, verse, London 1875 S. 13 Aurelius für eine
Korruption aus Amerinns hält, da Arneria von mehreren Gelehrten als
Heimatsort des Dichters angesehen wird. Vor einem litterarischen Weg-
führer aber, der, wie Marx über das Verhältnis des Properz zu den
alexandrinischen Vorbildern Otto's bahnbrechende Arbeiten (vgl. den
letzten Bericht des Referenten No. 11 und 12) nicht kennt und Zingerle's
vortreffliches Buch über das Verhältnis des Ovid zu den gleichzeitigen
Dichtern nicht nennt, mufs ausdrücklich gewarnt werden. Wer sich in
das Studium der einschlagenden Fragen einführen lassen will, kann die
Schrift von Marx ohne Schaden übergehen, er wird an den gleichzeitig
erschienenen gründlichen und einsichtsvollen »Etudes critiques sur Pro-
Marx, De Propertii vita. 93
perce et ses elegies« von Plessis (Paris 1884, siehe nachher unter
No. 16) einen zuverlässigen Katgeber finden.
Nun wird zwar von Marx auch einzelnes Neue beigebracht. Es
heilst aber die Geduld und Nachsicht des Lesers in arger Weise in
Anspruch nehmen, wenn man, wie Marx, einen Gegenstand, der in eine
grofse Anzahl einzelner Spezialuntersuchungen zerfällt, ohne jede Sonder-
überschrift, ohne Verschiedenheit des Druckes, ohne Eegister, überhaupt
ohne jeden Fingerzeig zur Orientierung in einem Umfang von nahezu
100 Seiten abhandelt.
Marx stellt die Vermutung auf, Properz habe wohl das erste,
dritte und vierte, nicht aber das zweite Buch selbst herausgegeben.
Die Gedichte des zweiten seien vielmehr von den Freunden des Dich-
ters nach seinem Tode ediert, die meisten unvollendet, wie sie im
Nachlasse aufgefunden seien — eine Ausicht, gegen die mit Recht
bereits Reisch, Wiener Studien IX 1887, S. 105 sich ausgesprochen
hat. Der Dichter habe in Absicht gehabt, mit dem elften Gedichte das
zweite Buch, dessen spätere Gedichte omnia augenda expolienda ab-
solvenda' gewesen seien, zu schliefsen, mit dem 12. Gedicht aber ein
neues Buch zu beginnen, von dem er nur sehr wenig Gedichte fertig
ausgearbeitet habe. Marx meint in die Arbeitsweise des Dichters einen
tiefen Blick thun zu können. Niemand habe bis jetzt erkannt, dafs
III 20 in I 3 doppelt erhalten sei: »In tota re carmina I 3 et 111 29
consentiunt et maturo tempore hoc carmen scriptum esse pentametrorum
exitus docent. Ergo poeta primum duas carminis III 29 partes compo-
suit, deiude unum pulcherrimum carmen 13 his partibus effecit, prio-
rem partem duobus versibus (13, 9 sq.) compressit, posteriorem auxiu
(S. 82). Dies soll ein Beweis dafür sein, dafs Properz das zweite Buch
überlieferter Zählung nicht selbst herausgegeben haben könne. Ähnlich
werden II 9, II 136, II 8 behandelt, um die Behauptung S. 81 zu recht-
fertigen: »si omnia quae non convcniunt secum carmina dirimimus, in-
tegre nova carmina hac opera non efficiuntur, fragmenta frustula effi-
ciuntur, immo aliquotiens sola enuntiata singulis distichis ex]
Eiusmodi enuutiatis distichisque poeta carmina sua pangere coepisse
credendus est plurima, paulatim ea auxit mutavit coniunxit, quaedam
intacta reliquit, alia contraxit compressit vel eiecil vel extinxitc. Wenn
Marx sich dafür ausspricht, dafs diese angebliche Veröffentlichung des
Nachlasses in einem einzigen Bach erfolgt sei, und dadurch der Lach-
mann'schen Zweiteilung entgegentritt, so hat er damit Ich Forschungen
Birts über das antike Buchwesen nicht Rechnung getragen. Ebenso
unbewiesen sind die Behauptungen ron Marx dafs Propere II 7, 111 10.
22. 23. 24. 29 selber gar nicht heranreichen haben würde und dafs
er einzelne Gedichte, die gegenwärtig im dritten Buche Lachmannscher
Zahlung stehen, dem von ihm angeblich beabsichtigten /weiten Buche
würde einverleibt haben. Auch Otto hat sich gegen die Marx -che
94 Marx, De Propertii vita
Auffassung dos zweiten Buches alter Zählung in seinem Aufsatz «die
Reihenfolge der Gedichte des Properza Hermes XX. 8.662 Anm. aus-
gesprochen, wobei er die Arbeit von Marx so beurteilt: "L'lierhaupt
kann ich hier die Bemerkung nicht unterdrücken, dafs Marx die Sache
in keinem Punkte gefördert, wohl aber die etwa schon vorhandene Ver-
wirrung und Ungewifsheil durch neue und wahrlich nichl bessere Ein-
fälle vermehrt hat.«
Interessanl isl es aus 8. 70 der Dissertation von Marx zu erfahren,
dafs Bücheier eine planmäfsige Anordnung des letzten Buches aner-
kannt wissen will. Marx sagt wörtlich: Carminum ordo ut in primo
lihro artificis curam sapit quam rem Huechelero duce enucleatam esse
gaudeo. Sepone primam elegiam, exordium totius lihri, et horoscopus
falsae rerum futurarum scientiae gloriosus venditor oppositus esse vide-
bitur Corneliae vera sua merita omnibus nota prodenti praeterita. Ver-
tumno respondet. Juppiter Feretrius, utriusque dei nomen a poeta expli-
catur. Arethusa coniugis de frigido amore queritur, Hercules respondet
mulierum duros animos increpans. Quarto carmine et oetavo Tarpeia
et Cynthia inter se opponuntur, utraque est perfida mulier, utraque
tarnen in carmine suo lectori non prorsus odiosa, illa tragicam haec co-
micam quandam personam induta. Restant lena et Cynthia, utraque
mortua, utraque tiebili et turpi ratione sepulta est, illa merita haec non
merita tut poetae quidam carminis tempore videbatur) illam mortuam
detestatur poeta hanc pulcherrimo carmine laudat celehratque. Mediam
totius lihri sedem Apollo oecupat Palatiuus eiusque Romae regni pro-
curator Augustus.« Dafs aber eine solche genaue Responsion, wie sie
im Einzelnen wohl mehr von Marx als von ßücheler (vgl. auch unten
unter No. 44) vertreten werden dürfte, eine gekünstelte ist, haben so-
wohl Otto, Herines XX, 567 als auch 0. Ribbeck, Rhein. Mus. f.
Philol. XL, 1885, S. 482 bereits bemerkt.
15) Otto, Die Versumstellungen bei Properz. Erster Teil. Grofs-
Glogau. Gymnasialprogramm. 1884. 25 S. gr. 4°.
Rec: H. Draheim, Wochenschrift für klassische Philologie 1885,
8 ff.; E. Heydenreich, Philolog. Rundschau 1884, 1160 ff.
Die Frage, in welchem Umfang in den Elegien des Properz Vers-
umstellungen zulässig sind, gehört zu den wichtigsten der Properziani-
schen Textkritik. Die sehr von einander abweichenden Zählungen, durch
welche die Vergleichung der Ausgaben erschwert wird, sind zu einem
ganz wesentlichen Teile in der Verschiedenheit begründet, mit welcher
eben diese Frage beantwortet wird. Die gröfste Kühnheit, die zuerst
von Scaliger geübt und vor kurzem durch Carutti und ßaehrens er-
neuert worden ist, steht einem übergrofsen Konservatismus gegenüber,
wie er speziell in der sonst so verdienstlichen Ausgabe Hertzbergs vor-
liegt; auch Haupt und Vahlen haben die Ansicht vertreten, dafs im
Otto, Versumstellungen bei Properz. 95
Properz nur au wenigen Stellen ein oder ein paar Distichen über einige
Verse hinwegzurücken seien. Ein Urteil über diese Frage war schon
aus dein Grunde ungemein erschwert, weil keine Sammlung des ein-
schlagenden Materiales vorhanden war. Otto stellt, mit Ausnahme der
Willkürlichkeiten Carutti's, alles zusammen, was an Versumstellungen
seit Scaliger gewagt wordeu ist, und geht mit wohlthuender Gründlich-
keit und Ruhe die einzelnen Stellen der Reihe nach durch; gesundes
Urteil und ausgebreitete Kenntnis der Litteratur zeichnen auch diese
Arbeit des um Properz bereits mehrfach verdienten Verfassers aus.
Referent kann in dem knappen Rahmen dieses Berichtes nicht
auf Spezialitäten näher eingehen. Da aber Otto es leider versäumt hat,
eine Übersicht der nach seiner Ansicht teils nötigen teils von anderen
irrtümlicher Weise aufgestellten Transpositionen zu geben, so mag eine
kurze Inhaltsangabe folgen.
Am wenigsten Anlafs, die überlieferte Ordnung der Verse in
Zweifel zu ziehen, hat das erste Buch, die sogenannte Monobiblos, ge-
boten, welches sich ja überhaupt besser als die übrigen erhalten hat.
Allein ganz intakt uud unbeschädigt ist doch auch dieses Buch nicht
geblieben. Otto statuiert aber nur an zwei Stellen die Notwendigkeit
der Umstellung: I 7. 25 nach V. 14 mit W. Fischer und I 15, 15. IG
eher nach V. 20 (so Markland, L. Müller, Baehrens u. a.) als nach X. 22
(Lachmann, Palmer). Dagegen sei I 7, 23. 24 nicht, wie Baehrens
wollte, mit umzusetzen. Auch I 8, 13 ff. seien in der überlieferten Ord-
nung zu belassen, V. 15 sei et nicht mit Vahlen in ut, sondern auferet
in auferat zu andern. I 8b 45. 46 sei nicht mit Fischer nach V. 36 zu
rücken. I 15, 11. 12 sei irrig von Baehrens mit dem vorhergehenden
Distichon umgestellt, vielmehr sei 11 und 12 als Parenthese zu fassen.
Auch der erste Teil des zweiten Buches Lachmannscher Zählung
wird von Otto fast unangetastet gelassen. Nur II 4, 25. 26 weiden
hinter V. 14 und II 6, 25. 26 hinler V. 36 gestellt. Im übrigen wird
die Überlieferung verteidigt; so wird die Hypothese Heimreichs, II l. 1 1 ff.
seieE umzustellen, als völlig verfehlt hingestellt; Otto schreibt Vers 5
mit den ältesten Heransgebern und Palmer: Sive illam Cois folgentem
incedere vidi, cogis für eine Dittographie aus Cois haltend (anders
Vahlen) und erklärt sich gegen Lachmann für Beibehaltung der über-
lieferten Versordnung. Ebenso wird die überlieferte Versordnung ver-
teidigt II :■., 29 ff. (gegen Starb und Lachmann) und V. 39 f.
Rofsberg), II 4, 17 — 24 (gegen Scaliger) und II 6, 41f. (gegen Scaliger
und Hetzel). Äufserst gewaltsam aber sind die von <>;t'> für II 8 und
II 9 S. 9 f. vorgeschlagenen Änderungen. Es soll II 8, l 6 mit 29—40
ein Gedicht bilden, 9, l 40 mit 11, l 6 ein zweites. 9, n 48 mit
8, 7-- 16 ein drittes und 8, 17 28 mit 9, i:. 62 das vierte, dem sich
mit 10, 1 — 26 das dritte Buch anschlofs. I >.i 1 >*■ i sind nach Otto noch
8, 7. 8 mit Scaliger nach V. 10 uud 9, 13. 14 mit Vahlen nach V. lo
96 Otto, Versumstollungen bei Properz.
zu setzen. Leider konnte Otto bei Abfassung dieser seiner Abhandlung
noch nicht auf Birt (Rhein. Mus. 1883 , 197 ff.) Rücksicht nehmen. Er
hat dies aber nachgeholt in dem Aufsatz: »Die ünvollständigkeil des
zweiten Buches des Propertius und ihre Entstehung« (Jahrb. f. kl
Philol. 1885, Dl ff.).
Das dritte Buch Lachmannscher Zählung ist gleich in seinem An-
fang sein- kühnen Kombinationsversuchen ausgesetzt gewesen. Allein
die diesbezüglichen Aufstellungen Heimreichs und Faltins sind heute be-
reits antiquieri (vergl. Heydenreich, Quaest. Prop. S. 22 ff. und Rich-
ter in dieser Zeitschrift 1877 II, S. 301). »Es wird sich kaum eine bes-
sere Erklärung, die dem Gedichte in allen Stücken gerecht würde, aus-
findig machen lassen, als diejenige, welche Heydenreich angebahnt und
zuletzt Birt (Das antike Buchwesen 8. 41 5 ff.) im einzelnen durchgefühlt
hat.« Auch von den übrigen Umstellungen, die im Laufe der Zeit in
diesem Buch vorgenommen sind, wird ungefähr die Hälfte zurückgewie-
sen: beizubehalten sei die überlieferte Ordnung II 16, 11. 12 (gegen
Fontaine und Baehrens); II 16, 41. 42 (gegen Fontaine und Hetzel);
II 17 (Umstellung durch Änderung von V. 15 beseitigt; Hetzels Verbin-
dung von 17, 1—16. 18, 5 — 20. 23- 38 wird abgelehnt, aber hinter
V. 18, 4 eine Lücke angenommen); II 20, 23. 24 (gegen Baehrens);
II 24, 35 — 38 und 47 f. (gegen Rofsberg); II 26, 5. 6 (gegen Burmann);
II 26, 31. 32 (gegen Brandt und Baehrens); II 28, 35 — 46 (gegen
Baehrens); II 29, 15-18 und 27. 28 (gegen Fontaine und Rofsberg);
II 31, 7. 8 (gegen Douza); II 32, 7. 8 (gegen Baehrens); II 33 sei
nicht mit Baehrens für lückenhaft zu halten; II 34, 23 ff. gegen Munro
(vgl. Richter in dieser Zeitschrift a. 0. S. 304); II 34, 81 82 (gegen
Brandt). Es bleiben aber noch genug Transpositionen übrig, welche Otto
billigt: II 14, 13 f. nach V. 11 (mit Fontaine); II 18, 11. 12 vor 9 (mit
Hertzberg); II 18b 31. 32 nach V. 28 (mit Baehrens); II 26, 11. 12
nach V. 18 (mit Bähreus); II 28, 33 f. nach V. 2 (mit Passeratius); II 30,
13— 18 vor V. 38 (mit Lindner und Rofsberg). »Ebenso kann die Schlufs-
folgerung in V. 31. 32 erst folgen, wenn die Aufzählung, auf welche sie
sich stützt (v. 27 — 30. 33 — 36) beendet ist, sie gehört also, wie Rofs-
berg eingesehen, ebenfalls in die Lücke nach V. 36 und vor V. 13. Das
enge Verhältnis dieser beiden auf diese Weise wieder vereinigten Par-
tien ist unverkennbar. Nur in einem Punkte weicht meine Ansicht von
der Rofsbergs ab, ich sehe nämlich in dem Erhaltenen ein vollständi-
ges, einheitlich iu sich abgeschlossenes Gedicht«; V. 19 will Otto S. 16
so herstellen: »nunc tarnen immerito Pkrygias paras ire per undas«
(vgl. Draheim a. 0. S. 9); II 31, 5. 6 (mit Douza) an den Schlufs des
Gedichtes; II 34, 47-50 nach V. 54 (mit L.Müller); V. 77—80 nach
66 (mit Ribbeck und Heydenreich). Diesen schon von früher her be-
kannten Transpositionen fügt Otto noch folgende neue, von ihm selbst
herrührende hinzu: II 13, 21. 22 vor V. 19; II 16, 29. 30v zwar nicht
Otto, Versumstelhmgen bei Properz. 9 ,
hinter V. 22, was Otto De fab. Prop. S. 11 proponiert, jetzt aber zurück-
nimmt, aber »vielleicht genügt es schon, wenn die Verse au V. 26 an-
geschlossen werden«; II' 27, 5. 6 hinter V. 8; II 28, 39. 40 und 41. 42
haben die. Stellung zu vertauschen.
Auch in dem vierten (dritten) Buche, dein letzten, welches Otto
in diesem ersten Teil behandelt, glaubt Verfasser für eine nicht uner-
hebliche Anzahl von Steilen die Notwendigkeit einer Versumstellung er-
härten zu können. Von diesen Stellen sind neu III 7, 13 -IG nach V. 24;
III 11, 59. 60 nach V. 68, III 14, 15. 16 nach V. 10 und V. 45. 46,
sowie 43. 44 hinter V. 2 resp. 10; III 22, 37. 38 nach V. 10 (so schon
De fab. Prop. S. 11). Dagegen rühren die folgenden von Otto gebillig-
ten von anderen Gelehrten her: III 8, 25. 26 nach V. 2 (mit Vahlen,
nur dir Konjektur Vahlens te für se widerspricht Otto) ; III 16, 19. 20
hinter V. 14 (mit W. Fischer, dagegen seien die übrigen Verse dieser
Elegie in der überlieferten Ordnung zu belassen); III 20, 11. 12 nach
V. 14 (mit Scaliger), V. )'.). 20 nach V. 12 und vor V. 15 (mit Lach-
maiiu); III 22, 19-22 vor V. 39 (mit Baehrens). Die übrigen Umstel-
lungsversuche werden zurückgewiesen: III 3, 8 und 12 sei nicht mit
Polster (Quaest. Prop. S. 2) zu vertauscheu, da nicht erwiesen, »dafs
Properz nur das chronologische und nicht vielmehr eiu sachliches Mo-
ment im Auge hatte«; im V. 8 sei übrigens nicht eine Anspielung auf
den Triumph des Aemilins Paullus über den makedonischen König Per-
seus zu erblicken; vielmehr sei der Sieg des L. Aemilius Regillus über
die asiatische Flotte und den König Antiochus von Syrien bei Myonne-
sus im Jahre 100 vor Chi', gemeint. — III 4, 17. 18 nicht mit Keil nach
V. 14, auch nicht V. 2!. 22 nach III 5, 6. -- III 6, 11 ff. nicht mit Su-
r in gar und Baehrens umzustellen. — Betreffs der Paetuselegie III 7 gelte
noch heute, was Lach manu von Scaliger schrieb: mirum omnia transpo-
nendo nihil effecit nisi ut minus quam antea eohaererent; die Beweis-
führung Ottos trifft in vielen Punkten mit der von Vahlen (SitZUDgsber.
du- lierl. Akad. der Wi6sensch. 1883, Heft 2 und ;;i zusammen, weicht
aber in der Beurteilung von 25 ff. und V. 13 ff. von diesem ab (s u.).
Sonst aber stimmt Otto dem Resultat der Abhandlung Vahlens bei. dafs
die überkommene Versfolge im ganzen wie im ein/einen richtig und alle
diesbezüglichen Emendationsversuche verfehlt sind. -- III «1 kann nach
Otto nicht durch Umstellung hergestellt weiden; die Umstellung Lach-
manns V. 59. 60 nach V. 47 sei unstatthaft: Entweder müsse man [II 9,
17 60 als für sich bestehend abscheiden, oder man nehme, und so
Otto mit Hertzberg, te duce = quod si tu praeires. 111 14, 18. 1 1
von Scaliger und Kanter mit Unrecht nach V. 16 gestellt. III ls
seien die Umstellungsversuche von Rofsberg und Baehrens verfehlt.
Verroifsl wird am Schlufs eine Besprechung der von Kalk mann. De
Bippolytis Euripideis quaestiones novae, Bonnae, 1881, 6. L9 in Anschluß
Jahn Bborlcbl ftlr Altsrtl i il j 7
cjg Otto, VerBnmstellungen bei Properz
an Buche ler vorgeschlagenen Umstellung von III (IV) 24, 11 - 14
nach V. 8.
Das Ziel, welches nach S. 3 Otto sich seihst bei dieser Arbeit ge-
setzt hat, »sowohl die starr konservative Richtung, die unbedingt sich
an der Überlieferung festklammert, als unhaltbar zu erweisen, als auch
die Lust an zwar blendenden uud geistreichen, aber ebenso unbegrün-
deten und willkürlichen Kombinationen zu zügeln nnd in Schranken zu
halten«, hat er ohne Zweifel erreicht. Seine Arbeit enthält wertvolle Bei-
träge zur Properzkritik und ist für jeden, der sich mit derselben be-
schäftigt, unentbehrlich. Eine höchst erwünschte Vorarbeit wird sie dem
Gelehrten sein, der vor der schwierigen Aufgabe nicht zurückschreckt,
einen dem gegenwärtigen Standpunkt der Wissenschaft entsprechenden
kritischen Kommentar zu den Gedichten des Properz zu schreiben.
Die Fortsetzung dieser Arbeit Ottos ist unter dem Titel »Die
Versumstellungen in den vier ersten Elegien des vierten Buches des
Properz« in den Commentationes in honorem Augusti Reifferscheidii
(1884), ihr Schlufs in der Berliner Philol. Wochenschrift 1885 No. 16
erschienen.
Referent hatte in seiner oben notierten Recension die Hoffnung
ausgesprochen, es würden sich aus Ottos Untersuchungen bestimmte
Folgerungen ziehen lassen über die wahrscheinliche Zahl der zu ver-
setzenden Distichen, d. h. über die Zeilenzahl der Kolumnen im codex
archetypus. Diesem Wunsche ist inzwischen Draheim a. 0. S. 9 f. nach-
gekommen; derselbe berechnete auf Grund der Untersuchungen von Otto
und Birt die Zeilenzahl jeder Seite auf 26. Otto hat ganz am Schlufs
seiner Abhandlung in der Berliner Philol. Wochenschrift diesem Ergeh
nis zugestimmt. Referent gesteht, dasselbe nicht als »feststehend« be-
trachten, sondern ihm nur einen gewissen Grad von Wahrscheinlichkeit
zugestehen zu können, allerdings einen gröfseren, als den Vermutungen
von Bährens proleg. p. XLI und Jahrb. f. klass. Philol. 1882, S. 785 ff.,
vgl. den letzten Bericht des Referenten in dieser Zeitschrift S. 145 und
das Referat weiter unten unter No. 37.
16) Plessis, Frederic, Etudes critiques sur Properce et
ses elegies. Ouvrage contenant le facsimile de six feuillets du Nea-
politanus. Paris. Hachette et Cie. 1884. Gr. 8. XVI, 331 S.
Rec: G. Boissier, Journal des Savants 1886 avril, S. 189ff. ;
R. Elli s, American Journal of Philology 1886 N. 26 S. 239 ff. und Aca-
demy 1886 N. 733, S. 366; H. Magnus, Berliner Philol. Wochenschrift
1886, S. 1276ff.; K. Rofsberg, Neue Philol. Rundschau, 1886, S. 209 ff.
Diese reife Frucht sorgfältiger und gründlicher Gelehrtenarbeit
will in erster Linie das schlummernde Interesse der Franzosen für Pro-
perz wecken und dieselben mit dem bekannt macheu, was das Ausland,
besonders Deutschland und England , für den Dichter in den letzten
Plessis, Etudes critiques sur Properce. 99
50 Jahren geleistet hat. Aber nicht allein den Dank seiner Landsleute
hat sich Plessis durch dieses, auch äufserlich trefflich ausgestattete
Buch verdient, sondern die eingehende Beachtung der Gelehrtenwelt
überhaupt. Denn dasselbe ist nicht nur in hohem Mafse geeignet, in
das Studium des Dichters einzuführen, sondern enthält auch eine erheb-
liche Anzahl selbständiger, neuer Gedanken, die, wenn sie auch nicht
immer das Richtige treffen, doch schon deshalb eine ernste Prüfung
verdienen, weil der Verfasser klares Urteil, gesunde Methode, ausge-
breitete Litteraturkenntnis und ein aufrichtiges Streben nach Unpartei-
lichkeit zeigt.
In dem' ersten Abschnitt dieser Studien über die Handschriften
wird zunächst die Erzählung des Alexander ab Alexandro, Genialium
dierum libri sex lib. II cap. 1 Ende (fol. 52b der Ausgabe, Frankfurt
1626), dafs die Gedichte des Properz c. 1440 zuerst in einem Weinkeller
in sehr verwahrlostem Zustande aufgefunden seien, für eine Fabel er-
klärt und dargethan, dafs bereits Petrarca eine Handschrift des Dich-
ters besesseu hat. Dafs freilich Properz im Mittelalter ganz vergessen
war, erhellt auch aus dem Umstand, dafs das Werk von Gustav Becker
(Catalogi bibliothecarum antiqui, Bonn 1885) keine einzige Properz-
handschrift erwähnt. Hierauf folgt bei Plessis die eingehende Beschrei-
bung und Beurteilung des Neapolitanus. Verfasser hat die Reise nach
Wolffenbüttel, wo bekanntlich der Kodex jetzt liegt, persönlich ausge-
führt, die Handschrift selbst untersucht und von ihr sechs Facsimile-
tafeln anfertigen lassen, welche eine höchst erwünschte Beilage seines
Buches bilden. Das Alter dieser wichtigsten aller Properzhandschriften
wird ja sehr verschieden beurteilt: Lachmann und Hertzberg setzen sie
ins 13. Jahrhundert, Keil ins 12., Lucian Müller ins 14. oder 15..
Baehrens ins 15. Baehrens fufst bei seiner Zeitansetzung darauf, dafs
der Name Mauetti auf der Handschrift stehe und dafs ein Janoötto
Manetti zu Neapel 1459 starb; allein nach Plessis weisen die wenig
lesbaren Schriftzüge eher auf einen Namen wie Mometti, wobei der
letzte Buchstabe auch ein anderer als i sein kann, und selbst wenn man
Manetti darin finden will, beweist dies nur, dafs sie demselben gehört
hat, nicht dafs sie zu dessen Zeit auch geschrieben ist, eine Bemerkung
von Plessis, gegen die Baehrens schwerlich etwas einwenden kann.
Plessis selbst setzt den Neapolitanus in den Anfang des 13. oder au das
Ende des 12 Jahrhunderts und beruft sich bei Erörterung dieser Prag«
auf das Urteil von Leopold Delisle und E. Chatelaiu, welche die Fac-
similes der Handschrift geprüft habeu. Als Beweisgründe werden aut-
geführt: Die grünen Initialen des Kodex, welche seit etwa 1220 nicht
mehr anzutreffen seien. § = ae, ii mit Accenten bei zwei aufeinander
folgenden i. wahrend hei ein/einem i kein Aeeent gesetzt wird, & für
die Schlufssilbe der Wörter z. B. habA:, f für schließende- s, das nur
100 Plessis, Etudee critiques -m Properce.
selten in gerundeter Gestalt auftritt, t mit dem Grundstrieb nicht über
den Querstrich hinaus.
Trotz der sehr gründlichen Auseinandersetzung von Plessis ist
aber die Sache noch immer nicht recht klar. .Man mufs daher wünschen,
dafs die von Plessis veröffentlichten Facsimiles weitere Gutachten palfto-
graphischer Autoritäten veranlassen. Weder Luc. Müller noch Baehrens
haben verkannt, dafs die Schriftzüge an sich auf eine frühere Zeit
schliefsen lassen, als sie dem Kodex zugestehen wollten. Jener aber
nimmt an, dafs die Handschrift mit Fleifs ältere Schriftzüge nachahme,
dieser , dafs dieselbe in einer Gegend geschrieben wurde^ wo noch eine
ältere Schreibweise in Gebrauch war. Gegen die Annahme von L. Müller
wendet Plessis mit Recht ein, dafs man das Geschick bewufster Nach-
ahmung fremder Schriftzüge nicht für alle Teile der Handschrift an-
nehmen könne, am wenigsten für den eilig und nachlässig geschriebenen
Schlufs. Aber auch gegen Baehrens, dem sich Rofsberg a. 0. S. 210
anschliefst, wendet sich Plessis S. 17 nicht ohne Grund: »pour lui, le
Neapolitanus a ete execute dans cette ville du vivant de Manetti; et
si, redige en plein quinzieme siecle, il offre les caracteres d'une epoque
bien anterieure, c'est que dans l'Italie meridionale, on etait ea retard
pour les formes de l'ecriture et pour l'omementatioa des manuscrits.
Eu retard de plus de deux siecle s? M. Baehrens en est-il bien
sür? Apres 1430, ecrivait-on ä Naples comme on avait ecrit ailleurs
de 1190 ä 1220?« Jedoch auch die eigene Ansicht von Plessis ruft ge-
wichtige Bedenken hervor. Sowohl L. Müller als Baehrens, denen doch
eine grofse Menge Handschriften vorgelegen haben, behaupten, dafs die
Beschaffenheit des Pergaments eine so frühe Ansetzung, wie sie Plessis
zu begründen sucht, ausschliefst. Es würde überhaupt, wie L. Müller
und Rofsberg a. 0. S. 211 mit Recht bemerkt haben, Verwunderung er-
regen, wenn zwar im Anfang des 13. Jahrhunderts eine Abschrift von
Properz genommen wurde in so deutlichen schönen Schriftzügen, wie
sie N aufweist, in einem für jene Zeiten so erträglichen Text, dennoch
aber jede Erwähnung, jede Spur einer Benutzung vom Anfang des 13.
bis zum letzten Viertel des 14. Jahrhunderts fehlt.
Im weiteren Verlauf seiner die Handschriften behandelnden Dar-
legungen wendet sich Plessis gegen Baehrens, der den von ihm hoch-
geschätzten codex Üttoboniano-Vaticanus in das Ende des 14. Jahrhun-
derts setzt. Plessis hat die Gutachten hervorragender Handschriften-
kenner Roms eingeholt: »M. Stevenson place la date de l'Ottoboniano-
Vaticanus aux alentours de 1450; le caractere des lettres ornees, d'une
elegance precise et un peu seche, ne permet pas d'avancer ni de reculer
cette date d'une maniere sensible. En France, le manuscrit serait evi-
demmeut de Ja fin du quinzieme siecle; mais les Raliens etaient beaueoup
plus avances que nous et M. Stevenson est dispose ä croire l'Ottohoniano-
Vaticanus de provenauce toscaue. MM. P"aucon et de Nolhac aboutisseut
Plessis, Etüde = critiques sur Proporce 101
aux memes conclusions.« (Plessis S. 21 f.) Mit Recht folgern Plessis
und Magnus a. 0. S. 1277 hieraus, dafs nunmehr auch die Angaben von
Baehrens über die Zeit seiner anderen Handschriften Zweifel verdienen.
Bemerkenswert sind die Mitteilungen, welche Plessis S. 28 über
die Properzhandschriften der Bibliotheque nationale zu Paris macht,
während er im übrigen nicht auf eine vollständige Aufzählung der bis
jetzt bekannten Properzhandschriften ausgeht: es fehlt z. B. eine Er-
örterung über den codex Dresdensis, der aus dem Apparat von Hertz-
berg bekannt ist. Neun Handschriften werden von Plessis für so hervor-
ragend angesehen, dafs ihre Lesarten für den kritischen Apparat einer
neuen Ausgabe Berücksichtigung verdienen: Neapolitanus (N), Vossia-
nus (A), Laurentianus (F), Daventriensis (D), Ottoboniano — Vaticauus
(V), Groninganus (G), Hamburgensis (H), Perusinus (P), Parisiensis
(No. 7989, Bibl. nat.) (B). Dies Verzeichnis dürfte sich im Interesse der
Entlastung des Apparates leicht verkürzen lassen: Die Varianten der
Pariser Handschrift, von der Plessis selbst S. 43 zugiebt, dafs sie wenig
Interesse biete, und wohl auch der Gröninger würden höchstens in Aus-
nahmefällen verzeichnet werden müssen. In dem wichtigen Kapitel
#aleur comparative S. 30 ff. wird dem Neapolitanus mit Recht der erste
Platz eingeräumt, auch, und zwar ebenfalls mit Recht, gegen Leo aus-
geführt, dafs die neun Handschriften von Baehrens nicht ganz wertlos
sind (vgl. darüber den letzten Bericht des Referenten in dieser Zeit-
schrift S. 190).
Einen förmlichen Stammbaum der Properzhandschriften aufzustellen
hat Plessis leider verabsäumt. Doch unterscheidet er S. 44 drei Gruppen:
Die erste aus zwei Zweigen, von der der eine durch N, der andere
durch AF gebildet werde. Die zweite Gruppe setze sich aus DV zu-
sammen, sei untergeordnet dem N, mit AF gleichwertig; die dritte
Gruppe aber werde von denjenigen Handschriften gebildet, welche die
Lesarten der beiden ersten vermengen; H schlösse sich trotzdem mehr
an die erste Gruppe an durch Fm 2; G werfe die beiden ersten Gruppen
mehr durcheinander, stehe aber der zweiten Gruppe näher durch die
Vermittelung von Vm2. Darin, dafs Plessis, gegen die Neuerungen von
Baehrens, N wieder in seine frühere Stellung als der wichtigsten Hand-
schrift einsetzt, befindet er sich in Übereinstimmung mit allen, die sich
über diese Frage in neuester Zeit geäufsert haben (vgl. den letzten Be-
richt des Referenten S. 145); doch ist die Abschätzung, welche Plessis
den übrigen Handschriften zu teil werden läfst, nicht überall richtig:
Nach den gründlichen, von Plessis nicht benutzten, Untersuchungen von
Solbisky, comm. Jenens. 1882, S. 139 — 194 hat die Properzkiitik im
Wesentlichen auf N und der Familie DV zu beruhen (vgl. auch unten
unter No. 20). —
In der zweiten Studie über die Ausgaben hat sich der Verfasser
nicht darauf beschränkt, dieselben aufzuzählen, sondern hat. etwa in der
102 PJee i | Etüde i ritiqoec ai Properes
Weise heutiger deutscher Universitätsvorlesungen, zu bestimmen gesucht,
wie weit die einzelnen Editionen die Bestellung und Erklärung des
Textes gefördert oder gestörl haben, durch welche wechselnden Ge.
schicke die Elegien des Properz bis auf unsere Zeil hindurchgegangen
sind und welches der Nutzen jeder einzelnen Ausgabe ist. Zwar wird
dieser Teil des Buches hauptsächlich Lernenden zu gute kommen, er
enthält aher zugleich einen auch für weitere Kreise instruktiven Beitrag
zur Geschichte des Humanismus. Die Beurteilung der einzelnen Leistungen
trifft im allgemeinen das Richtige. Für den freilich, der, wie Referent,
von Plessis nicht voll überzeugt ist, dafs eine schriftliche Fixierung des
Properztextes bereits vor Ende des H.Jahrhunderts erfolgte, werden
die ältesten Editionen ein grösseres Interesse haben, als ihnen Plessis
zugestehen will. Über die seltene Aldine von 1502 (vgl. Plessis S. 50),
von der Referent ein Exemplar in seiner Privatbibliothek besitzt, giebt
eine schriftliche Eintragung von moderner Hand in dasselbe folgende
Auskunft: »Expressam eam esse ex superiore Veneta 1500 liquido con-
stat pluribus lectionibus comparatis; correctiones tarnen viri docti seu
Avantii seu Aldi experta est, in Catullo utique Avantii, id quod in
praefatione ipse Aldus testatur. Idem ait nonnulla asterisco notata in
fine operis aliter atque aliter legi exeudenda curasse: quod tarnen
praestitum ab Aldo non videtur. Nam quae sub Catulli calcem sub-
jeetae sunt emendationes Avantii, Lucretium respiciunt. Exierunt prelo
Aldi ad tria millia (sie!) exemplaria hujus libri ut miraudum sit
eum non frequentius reperiri.« Eine zusammenhängende Untersuchung
über den handschriftlichen Wert der ältesten Ausgaben fehlt zur
Zeit. Mit Unrecht wird von Plessis S. 62 über die Ausgabn Broek-
huyzens nur gerühmt, dafs sie denen seiner Zeitgenossen vorzuziehen
sei und dafs sich darauf das Gute beschränke, welches man von ihr
sagen könne; durch ihren index verborum ist die Ausgabe noch heute
von grofsem Nutzen. Bei der Erörterung des Zweckes (Plessis S. 73),
welchen Lachmann mit seiner zweiten Ausgabe verfolgte, war statt auf
L. Müller vielmehr auf Lachmann selbst, Hall. Allg. Litteraturztg. 1836
N. 109 Bd. II S. 251, zu verweisen; die Ausgabe von 1829 war nicht
die Folge von »defiance de ses propres forces« ; trotzdem dafs Lach-
mann absichtlich die meisten seiner früheren Konjekturen verschwieg,
hielt er viele doch noch immer für richtig und hatte im Sinne, bei
einer neuen Ausgabe ihnen ihr Recht angedeihen zu lassen. Richtiger
hätte Plessis über Lachmann geurteilt, wenn ihm die ausführliche Beur-
teilung von dessen Properzarbeiten bekannt geworden wäre in: »Karl
Lachmann, Eine Biographie von Martin Hertz«, Berlin 1851, S. 19 ff.,
120 ff. Auch auf Belger's Buch über »Moritz Haupt als akademischer
Lehrer«, Berlin 1879, S. 254 hätte bezug genommen werden können.
Die S. 97 — 112 folgende Studie »Division en quatre ou en cinq
livres« ist eine der wenigst gelungenen. Mit einer Leidenschaftlichkeit,
Pl><-is, Etüde- critiques >ur Propere^. 103
die zu der sonst in dem ganzen Buch auftretenden objektiven Ruhe im
unangenehmen Gegensatz steht, wird hier die Lachmannsche Teilung
des zweiten Buches verworfen und denjenigen Herausgebern, welche
fünf statt vier Bücher zählen, Mangel an Kritik und an Aufmerksamkeit
zugeschrieben. Es ist aber keineswegs richtig, was Plessis S. 111 sagt:
»avec un peu plus de sens critique et surtout d'attention, ils auraient
vu qu'elle est insoutenable«. Ganz falsch ist ferner, was er den eben
citierten Worten anfügt: »La distribution en cinq livres donne ä l'oeuvre
de Properce une fausse physiouomie«. Diese Studie war bereits ge-
schrieben, als das scharfsinnige Buch von Birt über das antike Buch-
wesen (vgl. weiter unten unter No. 40) erschien, welches diese Frage
von einem neuen und weiteren Gesichtspunkt aus behandelt, und es
wäre Pflicht von Plessis gewesen, die bereits abgeschlossene Studie mit
Rücksicht auf Birt umzuarbeiten. Leider aber hat er sich mit der Be-
merkung begnügt: »je ne crois pas que le Systeme de M. Birt ait
beaueoup de chances de succes. II est tout d'imagination, et comme
resultat, n'offre que peu d'interet.« Aber ganz im Gegenteil kann die
Frage der Lachmannschen Zweiteilung nur in Zusammenhang mit den
allgemeinen Buchverhältnissen der Alten beantwortet werden, da das
zweite Gedichtbuch alter Zählung nach Birt die gewöhnliche Länge
ganz bedeutend übersteigt. Was die Polemik von Plessis gegen Lach-
mann selbst betrifft, so ist allerdings zuzugeben, dafs nicht alle Gründe
des letztgenannten überzeugend sind und dafs gegen einige Gründe des-
selben von Plessis Richtiges eingewendet wird. Aber in der Haupt-
sache, der Interpretation des berühmten sat mea sat magna est si tres
sint pompa libelli II 13, 25, ist die Polemik von Plessis weder neu noch
glücklich. Plessis beruhigt sich bei der auch von Faltin (zur Properz-
kritik S. 19) gegebenen Erklärung: »je n'y vois rien de plus que le desir
de porter ä trois le nombre de ses livres de poesiesa. Aber, wie
Magnus bereits Piniol. Wochenschr. II 1882, 1125 hervorgehoben hat,
wäre es wunderlich, wenn Properz mitten in trüben Todesgedanken,
während er düster von seinen Begräbuisfeierlichkeiten spricht, ganz bei-
läufig den Wunsch einfliefsen liefse, noch ein Buch Gedichte zu schreiben.
Auch die vou Nobbe und Voigt aufgestellte, von Plessis für »aeeep-
table« erklärte Deutung von tres im Sinne einer kleinen Anzahl über-
haupt pafst nur da, wo die Dreizahl an sich schon eine sehr kleine An-
zahl bedeutet; von Büchern, wie hier hat auch Reisch (Wiener Stu-
dien IX, 1887, 96), der tres ebenfalls »im übertragenen Sinne versteht*,
Beispiele nicht vorgebracht.
Die folgende Studie »Questiou des interpolations« enthält nicht,
wie der unzutreffende Titel vermuten läfst, eine zusammenhängende Er-
örterung über Art und Umfang der Interpolationen bei Properz, nimmt
auch nicht Stellung zu der Abhandlung von Theodor Korsch, De
interpolationibus Propertianis in Nord, tidskr. for Hlol. Ny raekke V.
] 0 1 Plee i Etüde critiquea ur Properce
257—271» (vgl. den letzten Beriohl des Referenten 8. 186 f.), «reiche
dem Verfasser unbekannt geblieben ist, bietel vielmehr eine zwar allzu
weitschweifige, aber nicht unntttzliche Erörterung über folgende einzelne
Stellen: 11 l, 17 38, wobei auf Hübner in Comment. in honorem
Th. Momraseni (Berlin 1877) 8. 98 ff. hätte bezug genommen werden
sollen; II l, 5. 6. 18. li (gegen Gruppe); II 10, 7. h (besonders gegen
Heimreich); II 14 (Uli; L.Müller), 11. lu (gegen Guyet und Gruppe);
II •_'.",, 21 wird tili anecht erklärt; das ganze Gedicht II 24 (nicht nur
l — 8, wie Heimreich wollte» wird athetiert, wogegen bereits Magnus
a. 0. S. 1279 Einspruch erhoben hat; II 26 (III 2h; II 28b 19. 60 (gegen
Ileimreich und Weber); II 30 (III 28 L. Müller), 19 22 »sont tellemenl
deligures qu'il laut les ecarter coinme inexplicables et san-> intCri
wobei Knauth, Herrn., Quaest. Prop. 1878, S. 33 unberücksichtigt ge-
blieben ist; neuerdings hat auch Otto, Versumstellungen I. 16 über die
Stelle gehandelt (vgl. oben unter No. 15); eine ausführliche Interpre-
tation der Lobpreisung Virgils II 34, 61 ff., die für echt befunden wird,
bildet den Schlufs.
Die folgende Studie cnom et patrie de Properce' enthält zwar
nichts Neues, aber im allgemeinen Richtiges. Den Irrtum S. 173, Haupt
habe nicht gewufst, dafs das dem Dichter in interpolierten Handschriften
zugeschriebene nomen Aurelius vielleicht aus einer Verwechselung mit
Prudentius entstanden sei, bat Magnus a. 0. S. 1280 berichtigt. Das
Verzeichnis der Orte, welche sich um das Recht streiten, dafs in ihnen
der Dichter geboren sei, bei Plessis S. 174 ist unvollständig; vgl. Giulio
Urbini, La vita i tempi e l'elegie di Sesto Properzio I, Foligno 1883,
S. 30 ff. Plessis entscheidet sich für Asisium als Vaterstadt des Pro-
perz; Magnus dagegen a. 0. S. 1280 meint, dafs der Dichter wohl nicht
in sondern bei Asisium geboren sei und dafs sich auf diese Weise die
unbestimmten Ausdrücke erklären, in denen der Dichter von seinem
Geburtsorte spricht.
In der folgenden Studie »Chronologie« bespricht Verfasser zu-
nächst das System Lachmanns, sowie die Modifikationen desselben durch
Eschenburg und Lütjohann, ferner die Berechnungen Hertzbergs und
Barths, sodann die bekannte Ovidstelle -Trist. IV, 10, 51-54 und bietet
schliefslich S. 208 ff. »renseignements tires de l'ceuvre meme de Pro-
perce«. Das Resultat dieser Darlegung wird S. 225 durch folgende
Tabelle gegeben:
Naissance de Properce 47 707 ou 46 70s
II prend la toge virile 30 724
Liaison avec Lycinne premiers mois de 29 725
Liaison avec Cynthie milieu de 29 725 — fin de 24 7311
Discidium fin de 29 725 — flu de 28 726
Mort de Properce 16 738 ou 15 739.
Plessis. Etudes critiques sur Properem. ' 105
Mit einer lobenswerten ars nesciendi setzt er aber hinzu, dafs dies
nur eine Reihe von Hypothesen wiedergebe und dafs es das Beste
ist, sich an folgende Schlufsfblgerung zu halten: Properz ist zwischen
54 und 43 geboren, wahrscheinlich näher au 43 als an 54, er hat wenig-
stens bis 16 gelebt; er ist vermutlich in diesem oder dem folgenden
Jahre gestorben. Wenn somit Plessis auch zu einem fast völlig negativen
Resultat gelangt, so mufs man doch seinem Hinweis darauf, dafs man
nirgends einen sicheren Anhalt gewinnt, und seinem Urteil über die
Möglichkeit, aus unbestimmten vieldeutigen Dichterworten chronologische
Schlüsse zu ziehen, grofse Anerkennung zuteil werden lassen. Das
zweite Kapitel dieser Studie »ordre chronologique des elegies du premier
lione« sucht die Anordnung der Elegien des ersten Buches als eine im
grofsen und ganzen chronologische zu erweisen. Nach Plessis ist die
chronologische Reihe dieser Gedichte: 3, 4, 2, 5 15, 17-19, 1. Auf
Rol'sberg dagegen a. 0. S. 214 macht die erste Elegie der überlieferten
Reihenfolge den Eindruck, al» sei sie wirklich einer der ersten schüch-
ternen Versuche des Properz auf dem Gebiete erotischer Dichtung. Vgl.
darüber auch den letzten Bericht des Referenten S. 164 ff.
Die wenigen Thatsachen, welche sich über das Leben des Properz
gewinnen lassen, hat Plessis in der nächsten Studie »Biographie« zu-
sammengestellt. Eine »Etüde sur le caractere"et l'histoire de l'elegie.
Talent de Propercea bildet den Schlufs. Beigegeben ist S. 307 ff. eine
Receusion der drei Elegien I, 2 Quid juvat ornato procedere , vita ca-
pillo; III 12 Postume plorantem potuisti linquere Gallam, und der »Kö-
nigin der Elegien« V ilY), 11. Dieselben sind kaum anders denn als
Probe der vom Verfasser vorbereiteten Ausgabe anzusehen. Für eine
solche aber ist betreffs der Angaben von Lesarten der A von
denen die wichtigeren doch in den Händen der Spezialforscher sich be-'
finden, gröfsere Zurückhaltung zu empfehlen, da sonsl die V >ifig-
keit des Apparates gar zu entsetzlich wird. Dafs auch in den hand-
schriftlichen Varianten gespart werden kann, wurde schon oben ange-
deutet. Dahingegen i-t eine noch vollständigere Ausnutzung der zum
teil schwer zugänglichen Speziallitteratur zu wünschen. Nach dem. was
Rol'sberg a. 0. S. 217 über die Konjekturalkritik des Verfassers bemerkt
hat. ist der Wunsch, dafs Plessis seinen eigenen Kindern nicht zu
viel Platz im Texte einräume, nicht überflüssig.
Von dem ernsten Streben des Verfassers zeugt auch die inzwischen
erschienene Fortsetzung seiner Studien : Propertiana, Extrait du Bulletin
de la Faeulte des Lettres de Poitiers. Paris 1886, Leroux, L6 S., -'■
über welche Referent sieh eingehenden Bericht vorbehält. Der ange-
kündigten Properzausgabe von Plessis, zu welcher die fitudes critiq
eine Art Einleitung darstellen, darf man mit lebhaftem [nteresse ent-
gegen sehci,.
106 Polster, Qoaesl Propert. pecimen.
17) Polster, Ludovicus, Quaestionum Propertianarum speeimen.
Ostrowo. 17 S. 4°.
Rec: Konrad Rofsberg, Philol. Rundschau II 873 877.
Dieses Gyraoasialprogramm sucht zunächst folgende Versumstel-
lungeu zu begründen: In IV 2 Beien V. 8 and 12 zu tauschen, damit
eine chronologische Folge der aufgezahlten Thatsachen erzielt werde.
Aber auch sonst hat sieh l'ropcrz nicht so streng an die chronologische
Ordnung gehalten, vgl. die Bemerkungen von Otto, Versumatellungcn
hei Properz I 1884, 18. IV 11 soll so geordnet werden: 46. 57. 58.
67. 68. 59-65. 47- 57. 65. 66. 69-72, die Pätuselegie IV 7 aber so:
1 — 20. 29-36. 21-24. 39-43. 37. 38. 43 70. 25-29. 71. 72; doch
vgl. Vahlen, Sitzungsber. der Berliner Akademie der Wissensch. 1883,
Heft 2 und 3. — Die Darstellung des Verfassers ist in diesem ganzen
ersten Abschnitt insofern sehr unpraktisch, als er die Verse nicht in
der von ihm gewünschten Reihenfolge, sondern in der der L. Müller'schen
Ausgabe citiert.
Hierauf werden die folgenden Konjekturen vorgetragen und zwar
in folgender Ordnung: III 26, 53 morans für vocans (vacans ex
coniectura Ayrmanni L. Müller): »nee umquam Alternante morans vasta
Charybdis aqua« (vgl. über dieses Distichon auch Observ. miscell. Am-
stel. V, 3, 1735, S. lff.); V 3, 7 mitratos für iteratos: »te modo
videruut mitratos Bactra per ortus«; V 4, 39 seuos für saevos: »can-
didaque in senos inguina versa canes«. Während zu dieseu drei Kon-
jekturen Rofsberg a. 0. seiue Zustimmung aussprechen kounte, enthält
der Vorschlag V 11, 24 »Fallax Tantale e o corripiare liquor« einen
bösen Verstofs gegeu die Prosodie, vgl. Luc. Müllers Orthogr. et prosod.
lat. summarium S. 70 und Praef. ad Prop. S. L. Das zu V. 50 ver-
mutete accessu für assensu steht schon in einem cod. Vatic. (vgl.
Burmann-Santen); anstatt des ebenda V. 53 von Polster vorgeschlagenen
vel cui sacratos möchte Rofsberg a. a. 0. 873 noch lieber cuius
sacros lesen, vgl. auch Brandt, Quaest Prop. 1880, 7; I 17, 3 sto-
lido für solito: »Nee mihi Cassiope stolido visura carinam«; so schon
Fischer, De locis qbsd. Prop. 1863, 14; I 16, 17 torpidus für tur-
pis et: »torpidus in tepido limine somuus erit« mit Recht von Rofsberg
S. 875 zurückgewiesen; auch torpida (statt turbida) saxa I 20, 13
ist schwerlich richtig, da dies Wort von den Elegikern gemieden ist,
sich auch bei Virgil und Horaz nicht findet; IV 13, 10 ferunt statt
terunt zwar schon im cod. Askewianus, aber gegen den gewöhnlichen
Sprachgebrauch, vgl. Rofsberg S. 875; IV 13, 20 virgatos, alte Lesart,
schon frühzeitig augezweifelt; IV 21, 28 verborumque [L. Müller:
libaboquej . . sales; V 2, 44 decet für notat, wegen decenter V. 45
zweifelhaft; V 3, 33 »Et Tyria in radios vellera serta suos«, von Rofs-
berg S. 876 mit gewichtigen Gründen bekämpft, der seine frühere An-
sicht Lucubr. Prop. 26 f. dahin modifiziert , dafs er das überlieferte i n
Polster. Quaest. Proper' specialen 107
gladios (Rofsberg schreibt »Et Tyria in gladios vellera secta suo«)
jetzt auffafst als quae gladiis secentur«, also: »und ich nähe purpurne
Lederstreifen als Ziel für die Streiche der (feindlichen) Schwerter« ;
V 6, 79 foedera für foedere hat schon Heinsius; V 8, 13 tulerint
für fuerint; I 8, 19 iusta für tuta; IV 22, 18 cluet für fuit.
Schliefslich wird Tib. II 1, 67 vorgeschlagen: »Ipse quoque int er
ägnos«, was aus metrischem Grunde völlig unmöglich ist. Vgl. Luc.
Müller, Orthogr. et pros. lat. summ. S. 27, und Tib. IV 5, 11 Mane
Geni nach den Handschriften, wobei Manus = bonus gefafst wird vgl.
Varro L. L. VI, 4.
18) Scharf, Robert, Quaestiones Propertianae. Diss. inaug.
Götting. 73 S. gr. 8. — Halis. Sax.. formis Ploetzianis (R. Nietschmann).
Göttingen. Verlag von Vandeuhoeck u. Ruprecht.
Rec: R. Ehwald, Philol. Anz. XII, 1882, 389 ff., E. Heyden-
reich, Philol. Rundschau II 532-537.
Das erste Kapitel dieser weitschweifigen, vieles Bekannte referie-
renden Dissertation enthält nur in der Anmerkung S. 7- 9 Neues. Hier
wird III 1 Lachmannscher Zählung für ungeeignet erklärt, als Einlei-
tungsgedicht zum dritten Buche zu dienen aus Gründen, die den Refe-
renten (vgl. Phil. Rundschau II 532 ff.) nicht überzeugt haben. Dafs das«
eigentliche Proömiumsgedicht vor III 1 verloren gegangen sei, wie
Scharf S. 9 glaubt, ist auch neuerdings wieder vermutet worden, vergl.
Otto, Berliner Philol. Wochenschrift 1886, No. 42, S. 1310. In dem
zweiten Kapitel Discrimiua quae intercedunt inter singulos elegiarum libros
wird insbesondere die Ansicht begründet, dafs in den ersten drei Bü-
chern aufser I 21. 22 alle Gedichte in direkter oder indirekter Verbin-
dung mit des Dichters Liebe zu Cyuthia stehen. Trotz der Zustimmung
von R. Ehwald a. 0. bleibt Referent bei seinem a. 0. S. 534 erhobenen Wi-
derspruch : Auch Ribbeck hat Rhein. Mus. N. F. XL, 497 ilarauf hin-
gewiesen, dafs nicht überall, wo aufserhalb des ersten Buches bei Pro-
perz von Liebe die Rede ist, durchaus an Cynthia zu denken i>t ; neuer-
dings hat E Reisch, Wiener Studien IX 1887, S. 111 in Anschlufs an
Ribbecks Untersuchungen es für recht gut möglich erklärt, dafs wir
zwei oder drei Empfängerinnen der poetischen Huldigungen des Properz
zu unterscheiden haben. Trotz der Verschiedenheit des fünften Buches
von den früheren findet Scharf doch einen engen Zusammenhang, nicht
ohne dabei auf metrische und chronologische Einzelfragen Daher einzu-
gehen; hervorgehoben zu werden verdient die ausführliche Erläuterung
der Komposition von V2 bei Scharf S. 62ff. Diese Erörterungen ober
das fünfte Buch sind das Wichtigste der ganzen Arbeit.
Nach Seh .rf wurde das fünfte Buch vom Lichter weder vollendet
noch herausgegeben; die beiden Lieder 5 und s seien von dm ul
zu trennen und zeitlich zum vierten Buch zu rechnen. Die erste Klegie
[0g Scharf, Quai tiones Propertianac.
trennt auch Scharf in zwei: V. 1 — 70 und V. 71 L50 (vergl. dagegen
Ehwald ;■•.<).). Die neun, dem fünften Buch nach Scharf verbleibenden
Elegien seien sowohl ihrer 8toffe als auch ihrer metrischen Beschaffen-
heil wegen in die letzte '/.< il des Dichters zu setzen; alle Hedenken
gegen ihre Echtheil seien unbegründet; ebenso sei die Ansichl irrig,
welche in diesen Liedern Jugendprodukte erblickt.
Gegen die Trennung der Lieder 5 und 8 von dem fünften Buch
hat sich mit Entschiedenheil bereits K. Ehwald ausgesprochen. Dafs
der Dichter das fünfte Buch nicht selbst ediert habe, kann weder mit
der Mannigfaltigkeit noch der scheinbaren Unordnung seiner Stoffe be-
gründet weiden: Die planvolle Anordnung dieser Gedichte des letzten
Buches, die allem Anschein nach auf Properz selbst zurückgeht, ist
aul'ser von Ehwald auch von Birt, Das antike Buchwesen S. 425 Aum.,
Buche ler (vgl. A. Marx, De Sex. Propertii vita et librorum ordine
temporibusque Leipzig 1,884, 70) und Otto (Die Reihenfolge der Ge-
dichte des Properz, Hermes XX, 568) neuerdings betont worden. Die
von Scharf so sehr in den Vordergrund der Diskussion gerückte metri-
sche Vollkommenheit der in Rede stehenden Gedichte beweist nichts
gegen die von Rofsberg (Neue philol. Rundschau 1886, 216) vorgetra-
gene Ansieht, wonach es trotzdem Jugendprodukte sind, die nur später
metrisch durchgefeilt wurden.
Die einschlagende Litteratur ist nicht genügend verwertet, das
Latein bei den inhaltlich oft verwickelten Gegenständen nicht immer
klar und durchsichtig genug, die Korrektur recht mangelhaft, der Preis
von 1 Mark 80 Pf. unverhältnismäfsig hoch, weder die Übersicht durch
den Druck genügend erleichtert, noch irgend ein Register beigegeben.
19) Schneemann, Carolus, De verborum cum praepositionibus
compositorum apud Catullum Tibullum Propertium struetura. Diss.
inaug. philol. Halis Saxonum 1881. 54 S. 8.
Diese Haller Dissertation berücksichtigt sämtliche iu ihrem Titel
bezeichnete Verba und ist durch grofse Übersichtlichkeit ausgezeichnet.
Im grofsen und ganzen schliefst sich Schneemann an L. Müller an, ohne
jedoch bei textkritikalischen Kontroversen kritischen Erwägungen aus
dem Wege zu gehen. Eigene Konjekturen werden nirgends aufgestellt.
20) Solbisky. Ricard us, De codieibus Propertianis. Diss. in-
aug. Jenens. 1882. gr. 8. = Dissertationes Jeaenses H' 139 -195.
Rec: E. Hey den reich, Philol. Rundschau II 1615 - 1622; J. P.
Postgate, Transact. of the Cambridge Philol. Soc. II 235 f.
Diese ebenso zeitgemäfse als tüchtige Dissertation giebt zunächst
einen kurzen Rückblick über die Untersuchungen, welche die Properz-
handschriften zum Gegenstande haben. Von den Arbeiten Palm er 's
konnte Verfasser nur die Ausgabe von 1880 benutzen; dagegen ist Pal-
Solbisky, De condiribus Propertianis. 109
mers Aufsatz »Baehrens and the codex Neapolitanus« Hermathena VI*-,
1881, S. 40 — 72 ihm unbekannt geblieben; vennifst hat Referent aufser-
dem die Bemerkungen von Kiefsling in seiner Anzeige der Ausgabe
von Baehrens in der Deutschen Litteraturzeit. 1880, 231 und das, was
Referent selbst in der Philologischen Rundschau I 16 f. 436 bemerkt
hat. Sonst aber zeichnet sich die Arbeit von Solbisky ebenso durch
ausgebreitete Litteraturkenntnis als durch gute Methode ans.
Unter Beibehaltung der von Baehrens eingeführten Abkürzungen
handelt Verfasser zunächst über die Familie AF und zeigt wiederum
1. »(A)FN verum servaverunt prae DV gravioribus corruptelis aut inter-
polationibus deformatis« S. 141 ff.; es folgt S. 147 ff. eine Besprechung
von Stellen »ubi vestigia tantum veri servata sunt in (A)FN altera fa-
milia ab integritate magis deflexa«; 2. »DVN praeferendi sunt libris AF
aut corruptis aut interpolatis« S. 153ff., wobei S. 155 zu II 29, 21 ed.
Baehrens unabhängig von Leo Rhein. Mus. 1880, 439 Laxarunt vor-
geschlagen wird; der Schlufs dieses Abschuittes besteht darin, dafs die
Behauptung »nonnullis locis aut D aut V ad alteram stirpem A F pra-
vam scripturam exhibentem deflexus est« 'S. 158 durch fünf Stellen er-
örtert wird; 3. »F solus paucissimis locis genuinam lectionem perhibet«
S. 159ff.
Aus dieser ganzen Untersuchung Solbiskys erhellt, dafs die Fa-
milie (A)F an vielen Stellen zwar entweder selbst das Richtige erhalten
oder den Weg dazu gewiesen hat, aber so, dafs N überall zustimmt,
dafs (A)F an anderen Stellen von der ursprünglichen Reinheit der
Überlieferung abgewichen ist und nur an ganz wenigen für sich allein
das Richtige bewahrt hat. An diesen ganz wenigen Stellen ist aber die
handschriftliche Differenz so klein, dafs auch ohne F die Wahrheit sich
darbietet. Es kommt dazu, dafs es nicht einmal feststeht, ob F hier
mit A gestimmt hat, welche Handschrift für diese Stellen fehlt; es han-
delt sich also hier möglicher Weise um glückliche Schreibfehler. Baeh-
rens hat aus diesem Codex ursprüngliche Lesarten zu entnehmen mit
Unrecht geglaubt. AF ist demnach so gut wie wertlos.
In dem zweiten Kapitel »De auctoritate Neapolitani et familiae
DV« behandelt Solbisky zunächst solche Stellen, in denen N gegen die
übrigen Handschriften das Richtige hat. Hier konnte sich Verfas
kurz fassen, da Haupt, Vahlen, Leo, Brandt u. a einen Teil des Stoffes
bereits vorweg genommen hatten; es folgen s. 165 Stellen wo »N in ge-
nuina lectione couspiral cum F-' V-'«, S. 1 70 solche, wo X com V - solo
verum perhibet«, S. 171 solche, wo »N com F- in vera lectione consen-
tit.« Das Resultat S. 1 7_: o actum igitur est de sententia Baehrensii qui
Neapolitanum quasi agmen ducere codicum [talorum coniecturis inter-
polatorum putat« i>t unzweifelbafl richtig. Ebenso hall Referenl aber
auch den Nachweis für erbracht, dafs Leo u. a. in Verteidigung von N
über die rechten Grenzen hinausgegangen (vgl. den letzten Bericht des
]]0 Solbisky, De condicibu Properti&nii
Referenten s. 190) Der Beweis wird von Solbisky so geführt, daß ei
S. 17211. nachweist, wie an einer Anzahl voii 8 teilen iDV(A)F antefe-
rendi sunl Neapolitano aul corrupto aot interpolato« ; Stellen, an denen
Spuren des Richtigen in DVF erhalten sind oder über die dem 7er
Zweifel bestehen, folgen S. 175. Hierbei trägt Solbisky 8. 171
die eigene Konjektur vor: II L8, 5, »Quid si iam canis aetas mea ce
deret. iinnis«. Besonders schwierig Bind die Stellen, an denen N Lücken
hat; hier gelang! Solbisky S. 183 zu dem Resultat: »Haec si vere di^>-
putata sunt, sequitur nimiis laudibus viros doctos extulisse Neapolitani
praestantiam compluribus locis, ubi in co nonnulla desunt Aut enim
errore aut legendi difficultate aut aliis cansis factum esse- demonstrari
potest, ut librarius vocabula omitte.ret, quae in archetypo extitisse pro-
babile est.o Dann wird erörtert, »familia DV verum servavit prae N
(AF)«. Den Schlufs der Abhandlung bilden Stellen, wo V allein das Rich-
tige bietet und »duo loci, ubi libri DV super an t F defieiente Neapoli-
tano.« S. 193.
Die von Heimreich, Leo u. a. vertretene Ansicht, dafs von allen
Properzhandschriften lediglich N zu Grunde zu legeu sei, die anderen
Codices aber völlig bei Seite gelassen werden müfsten, ist durch die
Arbeit von Solbisky ein für allemal als irrig nachgewiesen. Vielmehr
hat die Properzkritik in Zukunft sowohl auf N als auch auf der Familie
DV zu beruhen. Das Stemma der Properzhandschriften ist demnach:
Die Resultate der trefflichen, durch ein ausführliches Register
auch leicht nutzbar gemachten Arbeit von Solbisky hält Referent für
sicher und auch Postgate bezeichnet dieselbe a. 0. als »well abreast of
recent critism and well coorthy of consideratiou«. Dafs im Einzelnen
manches zweifelhaft, sogar einiges irrig ist, kann bei der Unmasse der
von Solbisky behandelten Lesarten nicht wunderbar erscheinen ; über
einige Stellen hat Referent seine abweichende Ansicht in seiner oben
citierten Recension ausführlich begründet, worauf es genügen mag, zu
verweisen.
21) Urbini, Giulio, La vita i tempi e l'elegie di Sesto
Properzio. Vol. I. Foligno 1883. 108 S. gr. 8.
Rec: G. in Cultura V 6, S. 230-234.
Urbini, La vita i tempi e l'degie di Properzio. 1 1 1
22) Urbini, Giulio, Properziana. Perugia, 1884. 40 S. Kl. 8.
23) Urbini, Giulio, Per i natali di Sesto Properzio. An-
cona 1884. 12 S. gr. 8 = »Preludio« VIII. N. 13. 14. S. 132 -135.
Diese Arbeiten Urbinis beweisen, dafs ein gründliches Studium
der gesamten, insbesondere auch der deutschen Fachliteratur zu Pro-
perz in Italien vorhanden ist. Das in der erstgenannten Schrift S. 103 ff.
gegebene Verzeichnis von Arbeiten zur Properzkritik ist zwar keines-
wegs erschöpfend, aber immerhin in anerkennenswerter Weise lang aus-
gefallen. Auch dem deutschen Spezialforscher werden die Arbeiten von
Urbini nutzbringend sein, obgleich ihm natürlich gar manches, z. B. die
Übersicht über die Handschriften und Ausgaben des Properz bis inclus.
Baehrens (La vita etc. S. 14ff.) nichts Neues bieten wird. Insbesondere
sind die fieifsigen Zusammenstellungen ebenda S. 30 ff. darüber, welche
Gelehrte an einzelne Orte (Amelia, Assisi, Bettona, Bevagua, Perugia,
Spelio, Spoleto, Todi, Trevi, Trebbia- Stellatina) als an die Heimat des
Dichters gedacht haben, sowie ebenda S. 61 ff. über die auf Properz be-
züglichen Inschriften willkommen. Hoffentlich läfst es Verfasser nicht
mit den beiden kurzen Nachträgen, die in Perugia und Ancona 1884
erschienen sind (oben No. 21 und No. 22), bewenden, sondern erfreut
uns recht bald mit einem umfänglicheren vol. II.
24) Vahlen, J., Über zwei Elegien des Propertius. Aus den
Sitzungsberichten der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin
vom Jahre 1882. Berlin. 20 S. Lex.
Rec: F. Gustafson, Phil. Wochenschr. II 24, 746f.; E. Hey-
den reich, Philol. Rundschau II 1034 ff.; H. Magnus, Jahresber. des
Philol. Vereins zu Berlin IX, 260ff.; J. P. Postgate, Transact. of the
Cambridge Philol. Soc. II 232 f.
Wie die im vorigen Bericht des Referenten besprochenen »Bei-
träge zur Berichtigung der Elegien des Propertiusa (Bericht der Ber-
liner Akad. 1881, 335ff), so sind auch diese Erörterungen desselben
Verfassers über zwei schwierige Lieder nicht nur um ihrer Mdbst willen
wichtig und für jeden, der sich mit den einschlagenden Gedichten be-
schäftigt, unentbehrlich, sondern zugleich auch dazu bestimmt, die von
Vahleu besorgte Revision des Hauptscheü Properztextes zu recht-
fertigen.
Mit Glück weist Vahlen nach, dafs es sich nicht empfiehlt, in
VIII a die Verse 13. 14 hinter V. 16 zu stellen. Durch die Umstellung
würde der Wunsch herausgebracht werden, dafs, wenn Cynthia reist, die
jetzt wehenden ungünstigen Winde Meli nicht legen mögen. Es kommt,
wie Otto, Versumstellungen bei Properz I 1884, l ausführt, hinzu, dafs
mau in der handschriftlichen Reihe der Verse liberal] verfolgen kann,
I j ■_> Vablen, Zwei EClegien de Proparti
wir .in Gedanke aas dem anderen Bich entwickelt und jecfe« Mal den
vorhergebenden zur Voraussetzung bat.
Schwierig isl <Ii<- Präge, welche Änderung sich am meisten em
pfiehlt, damit die Verse einen angemes enen Sinn erhalten. Vahleu
ändert V. 15 ei in ut: »Möge ich nicht sehen, dafs solche Winde sich
legen, damit das '1er Erfolg sei, dal-, wenn 'lieh dein Fahrzeug davon-
. ich am Ufer gebannt, dir um- nachrufen könnte« ; Magnus S. 266
und oiio a. 0. äufseru Zweilei darüber; der letztgenannte möc
auferet in auferat ändern: »Möchten nie d rarl le sich !'■-
und damit die Zeil kommen, wo du absegelst und mich in Einsamkeil
verzweifelnd zurückläfst.«
Im Folgenden weist Vahlen nach, dafs in V. 19 nicht mit Lach-
mann vites zu schreiben, sondern ut te beizubehalten ist, dafs dem
Properz die freiere Anwendung des Vocativs in Partizipialformen, zumal
im unmittelbaren Anschlufs an da-, Pronomen te nicht zu entziehen i-t
Zu der Argumentation Vahlens kommt hinzu, dafs, wießernh Rieb
(De nonnullis Propertii locis difficilioribus commentationes, Festschrift
zum 25 jährigen Amtsjubiläum von Prof. Klotz-Leipzig i>s5ü, 13 f.) richtig
bemerkt, jenes te für V. 20 nicht füglich entbehrt werden kann.
Die Verteidigung des allein stehenden verba querar V. 22 mit
2, 15, 3 und 4, 1, 134 (ed. Vahlen) ist nicht recht überzeugend; gegen
Haupts Änderung von vita in fida (vgl. Haupt, Opp. 3, 516) wendet
Vahlen mit Recht ein, dafs vita als schmeichelnde Anrede auch soist
dem Properz geläufig und au dieser Stelle nicht ohne fühlbare Wirkung
ist. Es wird wohl mit Passerutius vera oder mit Keil multa zu
schreiben -ein.
Noch in dem ersten Gedichte des zweiten BucLes hat sich Vahlen
der überlieferten Versfolge angenommen und überzeugend dargethau,
dafs die Disticha 5. 6 und 9. 10 nicht, wie Lachmann wollte, die Plätze
zu tauschen haben. Vahlen hat bei den genannten Kecensenten und
bei Otto, Versumstellungen I 6 hierin Zustimmung gefunden. Auch
cogis V. 5 verteidigt Vahlen, und zwar damit, dafs er allerdings den
Nachweis führt, wie cogere mitunter nur eine lose Spur des Zwanges
bewahrt hat, und auch Magnus erklärt a. 0. S. 266 cogis für tadellos.
Referent hat sich a. 0. S. 1037 dahin ausgesprochen, dafs im ersten
Gliede dieser mit seu-seu eingeleiteten Gedankenreihe es sich empfehlen
möchte, auch eine solche leise Spur des Zwanges zu vermeiden. Otto
hält a. 0. S. 6 cogis für nichts weiter als eine Dittographie von Cois,
welche das ursprünglich hier gestandene Verbum vidi verdrängte; aufser
au vidi könnte auch an novi (Huschke, Ep. crit. 13) oder, wie Palda-
mus wollte, au cernis gedacht werden. Wenn H. Magnus a. 0. S. 267
bemerkt, dafs Haupt zu Gunsten von Lachmanns Versversetzung auf die
schöne Steigerung aufmerksam machte : Miratur — laudat volumen
conficit mille causas iuvenit totas Iliadas coudit, so konnte eben-
Vahlen, Zwei Elegien des Propertius. 113
sogut Paldamus Obs. crit. S. 262 seiner Ausgabe die sinnreiche gradatio
der Überlieferung hervorheben.
Das Gesamtresultat, die Beibehaltung der überlieferten Versord-
nung, hält Referent für zweifellos durch Vahlens Untersuchung gesichert,
die auch da, wo, wie z. B. betreffs der dem Gedichte II, 1 zukommenden
Stellung in der Liedersammlung des Properz, der Leser nicht überzeugt
wird, durch Klarheit und fesselnde Darstellung erfreut.
25) Vahlen, J., Über die Paetus-Elegie des Propertius. Sitzungs-
berichte der Königl. Preufsischen Akademie der Wissenschaften zu
Berlin. Sitzung der philos.-philol. Klasse vom 18. Januar 1883, III.
(S. 69 -90.) 22 S. fol.
Rec: E. Heydenreich, Philol. Rundschau IV, S. 97—102.
Vahlen wendet sich in dieser Monographie gegen die Umstellungen,
welche Scaliger und Baehrens in der Pätus- Elegie, der siebenten des
dritten Buches alter Zählung, vorgenommen haben, und zeigt, dafs die
Fugen der Gedankenbewegung in der überlieferten Versordnung deut-
lich erkennbar sind. Referent hält, wie er bereits a. 0. näher ausge-
führt hat, die Ausführungen Vahlens für überzeugend. Diese Pätus-
Elegie ist für die Gänge und Irrgänge philologischer Kritik bezeichnend,
daher die Lektüre der Schrift von Vahlen auch denen, welche nicht
speziell in Properzischer Textkritik arbeiten, eine willkommene Gabe
sein wird. Für die Kritik und Erklärung der Pätus-Elegie ist dieselbe
in Zukunft unentbehrlich.
26 und 27) Weidgen, J., Quaestiones Propertiane. I. 1881.
15 S 4°. — II. 1882. 14 S. 4°.
Rec: R. Ehwald, Philol. Anz. XIII, 374ff.; E. Heydenreich,
Philol. Rundschau II, 1289 ff.; H. Magnus, Jahresber. des Philol. Ver-
eins zu Berlin IX, 295; J. P. Postgate, Transact. of the Cambridge
Philol. Soc. II, 233.,
Das erste dieser beiden Programme des Gymnasiums zu Koblenz
bietet folgende Konjekturen: I 11, 16 ecce pia für das tadellose ac-
cepta. — II 7, 15 »quod si vera meae constarent castra puellae«
gegen den Sprachgebrauch der augusteischen Dichter. — II 12, 6
(III 3, 6) »fecit et hunc vario corde volare deuni« für f. e. humano
c. v. d.; »vario corde unvereinbar mit fecit« Ehwald. - Die vielbehau-
delte (vgl. jetzt auch Solbisky, De codieibus Prop. 1882, 154) Stelle
III 13, 23 wird von Weidgen so geschrieben:
Interca nobis nun quam non ianua mollis
Non unqiiam lecti copia facta alii.
III 27, 7 sed nitidi. — III 30, 2 »facti tu mihi crimen babes« oder
»facti crimina tu mihi habes« schwerlich richtig, vgl. über das Bfetrnm
Eschenburg im Lib. niisc. Bonn. 86f.; m demselben Gedicht wird
.Jahresbericht l'Ur Altui thiim.iwisNonsohaft LI (IssT. II.» 8
]14 Weidgen, Quai- tkraec Propertianae
eine dialogische Komposition angenommen; aber das »geht nicht an
wegen V. 27 und 45; das tu V. 25 ist zu erklären, wie V. 49; die Kon-
jektur zu V. 7 Hoc ut iam spatiere loco, quocunque vagaris,
Cynthia* ist unverständlich und V. 41 in tanto Baperiorum exa-
mine unhaltbar wegen V. 42a Ehwald. - IV l, 23 »fama post obi-
tum cingit maiore vetustaso oder ufama post ob. — vetusta«,
aber famac ist Glossem, wie bereits Ehwald und Solbisky De cod. S. 175
bemerkt haben. IV 10 (11) 5 f. wird die Richtigkeit der jetzigen
Fassung angezweifelt, worin Ehwald insoweit zustimmt, als dieser meint,
es sei hinter mortem und metum ein Fragezeichen zu setzen; die
Änderung »venturamne levis« für »venturam meliusa hält aber
auch Ehwald für unnötig; die Änderung von ista in stulta ist mit
Recht von Ehwald und Maguus zurückgewiesen: ista verba sind Worte,
wie du sie sprichst. — Nicht überzeugend ist der Vorschlag Weidgens,
V. 59. 60 derselben Elegie so zu schreiben:
Hannibalis spolia et vidi lamenta Syphacis
Est Pyrrhi ad nostros gloria fraeta pedes,
ebensowenig Weidgens Fassung von V. 69 ebenda »Leucadius vestras
acies tenuabit Apollo«. — IV 15, 11 wird für testis erit, das
Ehwald für »notwendig« erklärt, »da das Beispiel der Dirce, das Pro-
perz anführen will, eine Mahnung für Cynthia sein soll«, rescierat
vermutet. - Ganz verunglückt ist Weidgeus Versuch, IV 17, 29 f. in
die Fassung zu vergewaltigen:
Hie olim Mavors luctu populavit Achivos,
Atridae magno clam stetit ultor Amor.
Das zweite Programm enthält folgende Vorschläge: IV 17, 31 ff. sei zu
schreiben
At tibi — (nauta sinas, hominum qui traicit umbras) —
Hac animae portent corpus inane citae,
Qua Siculae victor telluris Claudius et qua
Caesar ab humana cessit in astra via,
wogegen Ehwald einwendet, dafs Marcellus in der ganzen Elegie nicht
angeredet wird. — IV 25, 9 temere für tarnen. — V 1, 81 nee . .
aut für nunc et . . und im folgenden Verse itero alta anstatt ite-
rata; in derselben Elegie V. 87 dicant und 88 canant mit astra als
Subjekt. — V 3, 7 intrantes Bactra plerosa. — V 4, 55 Si capies, pa-
tria metuar regina sub aula. — V 4, 93 werden nicht weniger als vier
Worte geändert:
Hac vice turpe Jovis mons est cognomen adeptus:
0 vigil, iniustae praemia sortis habes.
V 7, 57 »Una Clytemnestrae stuprumve in Tartara«, »wo schon die
Disjunktiv -Partikel die Konjektur unmöglich macht« (Ehwald), ebenda
V. 59 carpta phaselo. — V 9, 24 Lucus ubi umbroso segregat orbe
Weidgen, Quaestiones Propertianae. 115
nemus«, wo Lucus ubi von Heinsius herrührt, segreg at nach Magnus
vielleicht die einzige, dem Sinne nach befriedigende Konjektur Weidgens
ist; dem unechten Verse V 9, 42 soll aufgeholfen sein mit dem Vor-
schlag: »Aspicite! haec fesso vix mihi tecta patent«; V. 66 nunc
statt vix, zwar nach Ehwald »die einzige Änderung, die plausibel
scheint«, aber unnötig, vgl. Voigt, De quarto Propertii libro S. 101.
28) Wolff, Oscarus, De enuntiatis interrogativis apud Catullum,
Tibullum, Propertiura. Diss. inaug. Halis Sax. 1883. 62 S. gr. 8°.
Rec: Edm. Hau ler, Archiv f. lat. Lexikogr. I 1884, 140 f.
Diese wohlgelungene Haller Dissertation behandelt zunächst die
Einleitungsformen und Modi der direkten und der indirekten Wort- und
Satzfragen und bietet sodann Beobachtungen über die dichterische Ver-
wendung der Fragen zur Einkleidung negativer oder positiver Gedanken,
wie ihren Gebrauch für Kondizional-, Konzessiv-, Adversativ- und Be-
fehlssätze, ferner über die dem Ausrufe nahestehende Frage und die
rhetorische Antwort mit den Figuren sermocinatio und subiectio. Die
fast immer treffenden Parallelstellen sind nicht nur der antiken, sondern
auch der mittel-, und neuhochdeutschen Litteratur entnommen. Text-
kritische Fragen werden nur wenig berührt; so S. 47, wo mit C Brandt,
Quaest. Prop. 1881 (vgl. den letzten Bericht des Referenten S. 158)
II (III) 22, 44 geschrieben wird: »Quid iuvat haec nullo ponere verba
loco?« Nur eine einzige eigene Konjektur zu Properz trägt der Verfasser
S. 31 vor, und zwar zu dem vielumstrittenen Verse III 34, 53: »Nee si
post Stygias aliquis restat timor undas.«
III. Übersetzungen.
29) Geibel, Emanuel, Klassisches Liederbuch. Griechen und
Römer in deutscher Nachbildung. 3. Aufl. 1879. — 5. Aufl. 1888.
Berlin, Wilh. Hertz. 243 S. 8°.
Wie sehr sich diese vortrefflichen Übersetzungen Geibels der Gunst
des deutschen Publikums zu erfreuen gehabt haben , zeigt die rasche
Aufeinanderfolge neuer Auflagen. Noch die zweite Auflage des Jahres
1876 war auf nur 185 Seiten beschränkt, aber schon die dritte erschien
in erweiterter Gestalt. Für den vorliegenden Bericht kommen die Ver-
deutschungen griechischer Lyriker, des Kallinos, Tyrtäos, Solon, Mim-
nermos, Theognis, Archiloehos, Alkman, Sappho, Alkäos, Stesichoros,
Ibykos, Auakreon, Simonides, Bakchylidcs u.a. ebensowenig in betiacht,
als die zahlreichen Übersetzungen aus Iloraz. Aber auch die römische
Elegie ist durch Tibull, Properz und Ovid vertreten, während t'atull
merkwürdiger Weise fehlt. Die geschmackvolle, echt poetische Art
dieser Übersetzungen ist mit Recht allgemein geschätzt und die Häutig-
]jfj Geifu'l. Kli sieches Liederbuch.
keil der Auflagen ein erfreuliches Zeichen dafür, daß nicht nur die
Zunft der Philologen, welche diese Sammlung stet» mit neuem Vergnügen
in die Hand nehmen werden, Bondern auch die Gesamtheit unseres deut-
schen Volkes in den Geist dieser Dichtungen sich gern einführen Iftfst
Für eine abermalige Auflage ist das Weglassen des falschen Namen
Aurelius' zu wünschen, da der Dichter bekanntlich nui Sextus Pro-
pertius liiol's. Auch ist die Hinzufügnng der Liederziffern nach den
gangbarsten Ausgaben angezeigt, damit denen, welche die Urtexte ver-
gleichen wollen, das Nachschlagen erleichtert werde. Properz ist durch
vier Proben vertreten: An Tullus': »Ob du, in üppiger Kuh am Tiber-
stade gelagert« (114). ' Cynthia': »Frei sebon dacht ich zu sein und
verschwur auf immer die Mädchen« (II 2). — An sich selbst': »Der
du noch eben geprahlt, kein Mädchen bestricke dich wieder« (II 3). —
Triumph der Liebe': »Nicht so freudig beging den Dardanertriumph
der Atride« (II 14 = III 6 L. Müller). Der Schlufs dieser letzten Über-
setzung (III 6, 21 — 28) mag als Probe hier folgen:
Andere pochten am Laden umsonst und riefen sie: Herrin!
Aber an mich voll Ruh schmiegte sie zärtlich das Haupt.
Das ist gröfserer Sieg, als bätt' ich die Parther bezwuugen;
Köuige, Beute, Triumph acht' ich dagegen gering.
Nun soll köstlicher Schmuck, Cytherea, die Säule dir kränzen,
Und mit goldener Schrift nenne den Geber das Lied:
»Diese Trophäen erhöht vor deinem Tempel o Göttin,
Weil er die seligste Nacht liebend verschwärmte, Properz«.
30) Elegien des Properz. Von Karl Ludwig von Knebel.
Neue Ausgabe. Leipzig, Reclam. 1882. 128 S. kl. 8°.
Unter No. 1730 der bekannten Reclam'scheu Universal- Bibliothek
ist diese von Ludwig Holla ender besorgte neue Ausgabe der Knebei-
schen Übersetzung Properzischer Elegien erschienen. Referent begrüfst
dies deshalb mit Freude, weil auf solche Weise diese Übersetzung, an
denen kein geringerer als Goethe regen Anteil genommen hat, und da-
mit der Inhalt der Properzischen Muse Aussicht hat, Gemeingut unseres
Volkes zu werden. Sie ist zuerst 1796 in den von Schiller redigierten
Hören, dann 1798 in Buchform erschienen. Die vorliegende Ausgabe
hat es sich zur Aufgabe gemacht, dieselbe gemäi's den Errungenschaften
der neueren Textkritik zu redigieren. Dafs sich dabei Hollaender im
Grofsen und Ganzen an den Haupt- Vahlenschen Text gewendet, wird auf
Zustimmung zu rechneu haben. Vorliegende Ausgabe enthält die Vor-
rede Knebels und sodann die einzelnen Elegien mit den Anmerkungen,
diese letzteren aber nur insoweit, als sie gegenwärtig noch haltbar sind.
Der Schlufs der Cornelia Elegie diene als Probe:
Lafs dir die Nächte genügen zu deinen Klagen, mein Paulus!
Und dafs meine Gestalt oft dir im Traume sich zeigt.
von Knohel Hollat nder, Elegien des Properz. 117
Und wenn du in geheim mein Bild anredest, so lege
Hin ihm die Worte, als gab' jedes ich wieder zurück.
Stellt sich jedoch ein anderes Bett der Thüre genüber,
Ein Stiefmütterchen sitzt schlau an der Stelle von mir;
Segnet, ihr Kinder, und tragt des Vaters neue Verbindung!
Von dem Betragen gerührt reicht -ie euch willig die Hand.
Seid vorsichtig im Lobe der Mutter! Bei freier Vergleichung
Könnte die Worte sie leicht sich zur Beleidigung ziehn.
Sollte doch euer Vater an meines Schattens Gedächtnis
Sich begnügen, ihm so theuer die Asche noch sein;
Lernet gefällig schon jetzt das kommende Alter empfinden,
Seinem einsamen Stand lasset die Sorge nicht uahn!
Leg' euch das Schicksal zu, was es mir an Jahren entzogen;
Gern, um der Kinder von mir, werde mein Paulus nun alt.
Heil mir! Das Trauergewand hab' ich um keines getragen,
Und mein ganzer Trupp folget zur Leiche mir nach.
Meine Sach' ist gesprochen! Ihr thränenden Zeugen erhebt euch!
Während des Lebens Preis dankbar die Erde belohnt.
Sitten erheben zum Himmel! Es führen bekräuzete Rosse,
Hab' ich solches verdient, meine Gebeine zum Grab.
31) Wittauer, A. , Blätter für d. bayer. Gymnasialschulwesen
XIX 1883, S. 110 f.
bietet eine »Übersetzungsprobe aus Properz«. Dämlich die dritte Elegie
des ersten Buches in deutschen Distichen. Der Anfang derselben lautet:
Gleich wie die Gnosische Maid entschlummert am öden Gestade
Ruhte, da Theseus' Schiff sich in die Ferne verlor;
Gleich wie des Cepheus Tochter Andromeda, erst von der Klippe
Starrenden Zacken erlöst, lag in erquickendem Schlaf;
Wie die Mänade zuletzt todmatt vom beharrlichen Reigen
An des Apidanus Bord sank in das schwellende Gras
Liebste, so däuchtest du mir, willkommene Ruhe nur atmend,
Als auf schwankendem Arm lehnte dein liebliches Haupt.
In Vers IG liest Wittauer Man da für das handschriftliche et
arma und übersetzt demgemäß: »Sollt' ich mit leisem Arm die Ruhende
kosend umfangen, Nehmen umschlingend ihr Haupt lockende Küsse
zum Raub?«; ähnlich war Rofsbergs Vorschlag Lucubr. s. 6: grata und
der auch von L.Müller in den Text gesetzte Vorschlag Kochs: cara.
Aber die handschriftliche Überlieferung, die eine Obscönität bezeichnet,
ist festzuhalten, vgl. Vählen, Beiträge zur Berichtigung der Elegien des
Propertius S. 354 ; auch die übrigen Vorschläge, die im Lauf «ler Zeit
gemacht sind, ad ora, ab ore, rapta, earpta, avara (amota) ab aure,
sind daher überflüssig. Der Übersetzer kommt hier allerdings in \ er-
118 Wittauer, Übersi tzungsprobe aus Properz.
legenheit: denn mit Recht meinte Haupt (bei Beiger S. 254), dafs das
ganze Bild /arter und schöner sei, wenn mir Küsse erwähnt wurden.
32) Wittauer, A., Der Raub des Hylas. Blätter für das bayer.
Gymnasialschulwesen XX, 1884, S. 202 f.
bietet eine Übersetzung von Prop. I, 20 in deutschen Distichen. Der
Anfang derselben mag als Probe folgen:
Hör' ein ermahnendes Wort aus Freundesmunde, mein Gallus,
Schreibe die Warnung ins Herz, dafs du sie nimmer vergifst!
Vorsicht frommt in der Lieb'; sonst droht dir ein tückisches Schicksal,
Wie des Askanius Quell Minyas' Enkeln bewies.
Gleich in des Namens Klang, nicht minder berückend an Schöne,
Steht des Thiodamas Sohn, Hylas, dein Liebling zunächst.
In den angefügten Noten trägt Wittauer folgende Vermutungen
vor: V. 7 Umbrae cita flumina silvae; V. 48 Tum comitem rapto cor-
pore adegit Hylas; in V. 49 Cui proeul Aleides iterat: responsa sed
illi mit Veränderung der herkömmlichen Interpunktion.
Unbekannt blieben dem Referenten:
33) Propertius. Elegies. With notes. Translated by J. F. Gan-
tillan, with metrical versions by Nott and Elton. London 1884.
Bell & Sons.
34) Catullus, Tibullus, Propertius. Poesie voltate da Z. Carini.
Torino. Paravia (,Rec: Rassegna Settimanale N. 155).
35) Czengeri, J., Ungarische Übersetzung von Properz II, 3.
Egyetemes philol.-közlöny. N. 3. S. 393 f.
Über die deutsche Übersetzung Büchelers von einigen Elegien s.
unten unter No. 43 , über die schwedische Frigells s. oben unter No. 4.
IV. Zerstreute Beiträge.
36) Baehrens, E., »Zu lateinischen Dichtern«, N. Jahrb. f. Philol.,
21. Jahrg., 1881
giebt von S. 408- 410 einen textkritikalischen Nachtrag zu seiner Aus-
gabe. Von jeher seien ihm ob ihres Rhythmus verdächtig gewesen
III 31 (33) V. 9
cum te iussit habere puellam cornua Juno
und IV 6, 25
non me moribus illa sed herbis improba vicit.
Indem Baehrens die Beweisführung auf einen anderen Zusammenhang
verschiebt, behauptet er: »Die caesura xazä zpc'-ov -rpoXaTov ist nur
Baehrens, Zu lateinischen Dichtern. U9
eine griechischen Vorbildern entnommene Erfindung späterer Gramma-
tiker: ein lateinischer Hexameter, der blofs diesen und keinen anderen
Einschnitt hat, ist seit Catulls und seiner Genossen Zeit ein Unding. a
III 33, 9 sei durch Umstellung zu emendieren in »cum iussit te habere« ;
den zweiten der angegebenen Verse zu heilen, überläfst Baehrens an-
deren, da die einzige mögliche Umstellung, weil zu gewaltsam, keinen
Anspruch auf Wahrscheinlichkeit hat; ein dritter Vers der Art V 7, 41,
wo früher gelesen wurde »et graviora rependit iniquis pensa quasillis«,
»ist jetzt durch meine besseren Handschriften, welche fundit für repen-
dit lesen, entfernt; ich habe dafür das den behandelten Verhältnissen
entsprechende iniungit eingesetzt; ich hätte noch beifügen können, dafs
vielleicht auch affundit genügt«. Die zweite der von Baehrens berührten
Stellen ist übrigens wiederholt für unecht erklärt worden, vgl. Gruppe,
Rom. Elegie I 303 und Eschenburg, Obs. crit. in Prop. 1865, 28 ff.
Schliefslich schlägt Baehrens IV 22, 6 statt meo vor tuae seil, urbis
(vgl. den vorhergehenden Vers): »nee desiderio Tülle movere tuaeV«
37) Baehrens, E., Das antike Buchformat der römischen Elegiker.
Jahrb. f. klass. Philol. 1882, S. 785—790.
Verfasser handelt zunächst im allgemeinen über die Buchformate
der Alten, speziell über Isidorus orig. VI 12 im Gegensatz zu Birts
Buch über das antike Buchwesen. Das Poesiebuch könne nicht, wie
Birt angenommen, 43 Zeilen auf der Kolumne gehabt haben; es folge
dies aus der Beschaffenheit der Herkulanensischen Rollen. Besonderes
Gewicht legt Baehrens auf die Abbildung einer Papyrusrolle auf einem
pompejanischeu Gemälde, vgl Zaugemeister CLL. IV, Tafel XVIII, l
und Jordan im Hermes XIV 279; vier Verse habe die Seite enthalten;
doch seien auf den schmäleren Selides nicht immer nur so wenig Verse
geschrieben worden. Verfasser habe »für Propertius festgestellt« »par-
ticulas illas (transponendas) quattuor versibus constare« (praef. seiner
Ausgabe S. XVI); es sei aber nicht, wie Baehrens selbst a. 0. früher
geglaubt, an den Archetypus des Mittelalters, sondern an eine Papyrus-
rolle des antiken Buchhandels zu denken.
Referent hat bereits in seinem letzten Bericht S. 145 darauf hin-
gewiesen, dafs die Behauptung von Baehrens, es seien gerade vier Verse
häufig an falsche Stellen geraten, durchaus nicht von ihm »für Properz
festgestellt« ist; vielmehr haben, wie Referent a. 0. ebenfalls bereits
bemerkte, die neueren Arbeiten auf eine weit höhere Ziffer geführt.
Ein weiteres Eingehen auf die Ansichten von Birt, die inzwischen be-
reits wiederholt der Gegenstand wissenschaftlicher Debatte gewesen Bind
und die Anerkennung, die Kritik des Properz gefördert zu haben, ge-
funden haben (vgl. z. B. A. Otto, Die Unvollständigkeil des zweiten
Buches des Propertius und ihre Entstehung, Jahrb. f. klass. Philol. 1886,
S. 411 ff.), verschiebt Baehrens auf die Zeit, wo Birt die Buchweseu
]20 Bachnn . Da antike Bucbformat
S. 413 in Aussicht gestellte Kritik seiner Ansichten veröffentlicht haben
werde (inzwischen im Rhein. Museum 188.°,, S. rj7 ff. erschienen, vgl.
den Bericht des Referenten unten unter No. 41 1.
38) Biese, Alfred, Die Entwicklang des Naturgeftthla bei den
Römern. Kiel. 1884. gr. 8. VI, 210 S.
Rec: B. Cultura V 17 8. 75Sf.; L. Friedländer, Berliner Philol.
Wochcnschr. IV '21, 655 ff.; G. Hofs, Philol. Rundschau L884, N. 38,
S. 1050 ff.; J. Renner, Deutsche Litteraturztg. 1884, N. 22, S. 708;
G. A. Saalfeld, Blätter für bayr. Gymn. XXI 1. 2, S. 57 f.; C. S(chaar-
schmidt), Philos. Monatshefte XXII 4. 5, S. 305; U. Litt. Centralbl.
1884 N. 52, S. 1838 f.; K. Woermann, Phil. Anzeiger XIV 7, S. 402 ff.;
Saturday Review 1884 N. 1486.
behandelt Seite 96- 105 Properz. Das elegische Moment seiner
Dichtungen beruhe »auf dem mit moderner Sentimentalität empfunde-
nen Gegensatz von Kultur und Natur und der elegischen Betrach-
tung einer verderbten Gegenwart im Vergleich zu einer glücklicheren
Vergangenheit«. Von höchster Vollendung seien bei ihm diejenigen
Gedichte, wo er sich nicht von mythologischen Floskeln hemmen läfst
und wo »die Empfindung der leidenschaftlichen Liebe zur Cynthia sich
in freiem Strom ergiefst und mit einem tiefen, fast modernen Gefühl
für das Stilleleben und das Reizvolle in der Natur sich paart«. Wenn
auch in all den einschlagenden zahlreichen Stellen des Properz man
leicht den Schüler der griechischen Dichter hellenistischer Zeit wieder
erkennen könne, so sei doch der Farbenglanz, der über den Elegien
des Properz liege, echt römisch. »Die Kultur des Hellenismus ist ein
Ferment der innerlich verwandten römischen geworden und dient im
allgemeinen Entwickelungsprozesse des menschlichen Geistes als ein zum
spezifisch Modernen hintreibendes Moment.« Aus dem reichen Inhalt
der fesselnden Darlegungen dieses Buches mag noch die auf Properz
bezügliche Stelle des »Rückblickes« S. 189 f. hier folgen: »Das empfind-
sam Modernste bieten in sympathetischer Naturauffassung sowie in dem
Zusammenspiel von Liebe und Landschaft Properz und Ovid. Der Wald
mit seinen Bäumen und Vögeln wird der Trost in der Einsamkeit des
Verlassenen, oder die Sterne und der Frühtau werden zu Zeugen für
die Wahrheit des Empfindens; ja die Bäume selbst kennen, was Liebe
ist und wie verlorne Liebe schmerzt ; die Rinde trägt den Namen der
Geliebten; Hügel müssen sich vor ihr neigen, Ströme im Lauf inne-
halten; oder gar das Laub soll trauernd sinken, dort, wo das geknickte
Gras noch von der süfsen Liebesstunde kündet und wo nun die Ein-
same weint.«
Biese, De iteratis syliabis. 121
39) Biese, Alfredus, De iteratis syliabis observatiuncula. Rhein.
Mus. 1883, S. 634-637
behandelt Buchstabenwiederholungen wie Prop. I 6, 33 carpere remis;
II 1, 18 arma manus; II 10, 10 nie mea u. a, sowie reimähnliche Ver-
bindungen wie IV 12, 29 ff. mugisse iuvencos: fugisse puellae; natasse
dies: intrasse silentum. Vgl. auch besonders Ed. Wölfflin, »Der Reim
im Lateinischen«, Archiv f. lat. Lexikographie I, 1884, 350 ff., speziell
S. 358 f.
40) Birt, Theod. , Das antike Buchwesen in seinem Verhältnis
zur Litteratur. Mit Beiträgen zur Textgeschichte des Theocrit, Ca-
tull, Properz und anderer Autoren. Berlin, Hertz. 1882. 8°. VIII, 518 S.
In dem achten Kapitel, worin S. 371 ff. die Störungen der antiken
Buchform abgehandelt werden, spricht Birt S- 413-426 ausschliefslich
über Properz.
Verfasser geht aus von der handschriftlichen Überlieferung des
ersten Buches: »Incipit monobiblos propertii aurelii naute ad Tullum«
oder »Propertii . . monobiblos incipit«. Diese Benennung monobiblos
Propertii sei »nicht etwa unursprünglich, sondern für die eigenartige
Fassung der Werke des Properz im Altertum selbst ein getreuer Zeuge«,
da auch Martial eine monobiblos Propertii verzeichnet.
Die übrigen Bücher hätten eine Syntaxis von vier Büchern ge-
bildet; denn an der Teilung des zweiten Buches der handschriftlichen
Überlieferung sei schon mit Rücksicht auf dessen übergrofse Verszahl
(1362 Verse, dagegen Buch III mit 990 und Buch IV mit 952 Versen)
festzuhalten. Aber diese Syntaxis von vier Büchern sei von den römi-
schen Bibliothekaren als Buch I— IV gerechnet worden; die Monobiblos
habe nebenher separat im Buchhandel bestanden und sei vermutlich bei
einem anderen Bibliopolen erschienen. Nonius citiert nun bekanntlich
S. 169 s. v. secundare den Vers Iam liquidum nautis aura secundat
iter IV 21, 14 als aus dem dritten Buch. Nach Lachmann hätte er im
vierten Buch antiker Zählung gestanden. Die Alten aber haben nach
Birt nie fünf Bücher gezählt; das Zeugnis des Nonius sei nicht ein
Zeugnis gegen die Zweiteilung des zweiten Buches überlieferter Zahlung,
als vielmehr eine Bestätigung.
Die Tetrabiblos sei gelesener und bekannter gewesen als die Mo-
nobiblos; denn aus jener seien elf Grammatikeranführungen, au- dieser
keine einzige auf uns gekommen« Nur unter den Wandkritzeleien Pom-
pejis finde sich auf Monob. l. 6 eine Anspielung ('. I. L. IV 1520. ^Dieser
Umstand dient uns zur Erläuterung der Thateache, dafs Martial, wenn
er eine bibliothekarische Rarität nennen will, nicht wie Tetrabiblos, son-
dern gerade die Monobiblos auswählt.«
Die Tetrabiblos scheine so entstanden zu sein, »dafs zunächst
zwei Bücher vom Dichter gleichzeitig ediert and hernach erst die zwei
122 N'rf- Da« antike BuchwcM-n
weiteren hinzugefügt wurden«. Tetr. II habe mit II 10 der handschrift-
lichen Überlieferang, also in der von Lachmann angenommenen Weise
begonnen. Das erste Buch der Tettabiblos sei im Mittelalter ^tark ver-
kürzt worden (vgl. hierüber Hirt im Rhein. Mus. 1883. XXXVIII, 107
und den Bericht des Referenten unten unter No. 41). Die beiden letzten
Bücher habe Pronerz noch selbst herausgegeben, das vorletzte eher als
das letzte.
Diese die Lachmann'sche Zweiteilung des zweiten Buches von
einem ganz neuen Standpunkt aus betrachtende, dieselbe teils modi-
fizierende, teils neubegründende Aufstellung von Birt zeichnet sich durch
grofsen Scharfsinn aus und erklärt die vorhandenen Schwierigkeiten in
einer beachtenswerten Weise. Die neueste Forschung hat daher wieder-
holt an diese Ausführungen angeknüpft. Allein trotz allen Scharfsinns
kann Referent - abgesehen von Einzelheiten - auch in der Haupt-
sache Birts Ansichten nicht für erwiesen ansehen. Es bleibt immerhin
wunderbar, dafs es im Altertum nie eine Gesamtausgabe der Gedichte
des Properz gegeben haben, eine solche vollständige Sammlung vielmehr
nur in unsern Handschriften und gedruckten Ausgaben und zwar mit
falschen Büchertiteln existieren soll. Die Thatsache freilich, dafs das
zweite Buch der Überlieferung den gewöhnlichen Maximalumfang eines
Poesiebuches der damaligen Zeit um volle 300 Verse übersteigt, ist
auch weder von J. de Pruzsinsky, De Propertii carminibus in libros
distribuendis, Budapest, Kilian 1886, noch von E. Reisch, »Properz-
Studien«, Wiener Studien IX, 1887, 102 ff. in ihrer Beweiskraft völlig
erschüttert worden; darauf, dafs die jungen, fehlerhaften Handschriften
vier Bücher zählen, dürfte nicht mit Reisch a. 0. S. 105 ein so starkes
Gewicht zu legen sein, dafs wir deswegen »dieses Ungewöhnliche als
einmal überliefert anerkennen« müfsten. Für eine gesonderte Veröffent-
lichung des zweiten und dritten Buches ist Otto eingetreten, Berliner
Philol. Wochenschrift 1886, No. 42, S. 1308; gegen Birts Auffassung von
Libellus (vgl. auch Birts Vortrag Ȇber den Begriff des Buchs bei den
Alten« , Verhandlungen der 34. Versammlung Deutscher Philologen in
Trier, Leipzig, Teubner, S. 91 100) bei Properz spricht sich aus Plessis,
Etudes crit. sur Prop. 1884, S. 102, Anm. 2, vgl. ebenda S. 112. Noch
anders zieht in Zweifel E. Baehrens, »Das antike Buchformat der rö-
mischen Elegiker«, Jahrb. f. klass. Philol. 1882, 785 ff., vgl. den Bericht
des Referenten unter No. 37, sowie auch Hugo Magnus in Philol.
Wochenschrift 1882, No. 36, S. 1126 und ganz besonders Erwin Rohde
in seiner inhaltreichen Rezension des Birt'schen Buches, Göttinger ge-
lehrte Anzeigen 1882, Stück 49, S. 1537— 1563. Vgl. auch H.Land-
wehr, Philol. Anz. 1884, S. 357; K.Hamann, Philol. Rundschau 1884,
S. 1177 f.; Louis Haenny, Schriftsteller und Buchhändler in Rom.
Halle a. S. 1884.
Birt, Bemerkungen zum »ersten Buchet des Properz. 123
41) Birt, Th., Bemerkungen zum »ersten Buche« des Properz.
Rhein. Mus. 1883, N. F. XXXVIII, 2, S. 197—221.
Birt wendet sich zunächst, und mit Recht, gegen die Ansicht von
Baehrens, dafs die Elegien II 7 bis II 13 in das III. (IV. Lachmann)
Buch gehören, eine Meinung , auf deren ungenügende Begründung auch
Referent in seinem letzten Bericht S. 146 f. aufmerksam gemacht hat.
Sodann verweist Birt auf die Ausführungen seines Buches »Das antike
Buchwesen« S. 413 ff. und bezeichnet die Elegien II 1 — 9 über-
lieferter Zählung als ein Excerpt aus Buch I antiker Be-
zeichnung in der Syntaxis tetrabilos (vgl. den Bericht des Referenten
oben unter No. 40). »Dies Excerpt ist von dem Abschreiber, auf den
unsere Tradition zurückgeht, als zu winzig zum Buch II hinzugeschlagen
worden, mit Voranstellung der Monobiblos. Es folgt hieraus nun, dafs
uns nicht wenige Elegien des Properz verloren sein müssen.« Verfasser
sucht nun die Frage zu beantworten, ob es sich diesem ' ersten Buche'
der antiken Tetrabiblos noch jetzt anmerken lasse, dafs es einst voll-
ständiger war.
Wenig oder gar nichts könne uns der Nachweis kleiner Lücken
helfen. Eine solche finde sich gleich in der ersten Nummer Tetrab. I 1
an Mäcenas, wo dem Distichon 39 f.
Theseus infernis, superis testatur Achilles
Hie Ixioniden ille Menoetiaden.
in der handschriftlichen Überlieferung jeder rechte Zusammenbang fehle.
Indem Birt bei Ausfüllung der Lücke zugleich eine Versverschreibung
annimmt, schlägt er vor:
Te mea Musa Ulis semper contexeret armis
Et sumpta et posita pace fidele caput.
Theseus infernis, superis praestabat Achilles,
Hie Ixioniden, ille Menoetiaden:
Te magnus magnae Caesar non deseret urbi
Confirmans comitem marte togaque suum.
Für ganz komplet sei die letzte der neun Elegien zu halten;
V. 13 hält Birt gegen Vahlen (Monatsber. der Berl. Akad. 1881, S. 358)
die Emendation »Foedavitque comas siccans tibi corpus, Achille« auf-
recht; V. 18 sei zu schreiben:
Tunc aestum felix inter et arma pudor.
Auch das vierte und fünfte Gedicht Bei intakt; in No. 7 sei ein
Distichon ausgefallen; eine Ergänzung dieser Lücke war vom Verfasser
bereits Ad hist. hex. lat. symb. vorgeschlagen (vgl. den loteten Bericht
des Referenten S. I7(.u; jetzt bietet er S. 205 folgenden glatteren Vers:
Unde mihi dulcis contemnere gandia lecti?
Nulla hos amplexus solvere castra valeut.
124 M|rt< Bemerkungen zum »ersten Buchet d< • Propere.
Auch No. VI liält Birt, entgegen der gewöhnlichen Ansicht, nicht
für lückenhaft, glaubt es vielmehr durch folgende Versordnung her-
stellen zu können: I 26. 35. 36. 27 80. 33. 34. 31. 82. :;7— 42.
Wirklich den Eindruck dee Excerptea mache nur die No. \ lll
V. 12 seien mit Wahrscheinlichkeit zwei mehr oder weniger umfang-
reiche Ausfälle anzunehmen; vier Gedichte seien zu scheiden, von Jürt
mit VIIIa, V1II'\ VIII' und VIII'1 bezeichnet Der grofee Ausfall aber
habe nicht an dieser .Stelle, sondern im Bucbinnern' stattgefunden; der
Anfang (No. I— III) und der Schlufs (No. VIII IX) liege der Haupt-
sache nach unverkürzt vor.
Grundverschieden von seiner Umgebung sei das vierte Gedicht:
es habe uicht die Liebe zur Cynthia zum Gegenstande; statt des Eigen-
tones der Liebe sei dasselbe durch Lehrton charakterisiert; drittens
aber bestehe das Rezept in der Empfehlung der Knabenliebe, die dem
Properz sonst so gut wie fremd sei. Es sei daraus zu folgern, dafs
das vierte Gedicht sich ursprünglich in anderer Umgebung befand. Das-
selbe sei erotodidaktischen Inhaltes und mau dürfe vermuten, dal- es
ursprünglich von einer Reihe ähnlicher umgeben stand, in denen Pro-
perz (vgl. Ovid, Trist. II 461) auch vom furtum uud dem faliere viros
gehandelt habe.
Die No. XI der Überlieferung »Scribant de te alii« etc., welche
den Eindruck eines durchaus in sich fertigen, schneidigen Epigrammes
bilde, sei um eine Seite, »oder um eine Kolumne iu dem Codex arche-
typus, nämlich um 26 Zeilen«, verstellt und habe in ihrer klaren Kürze
einen effektvollen Abschlufs des Buches I der Tetrabiblos auf die dura
puella gebildet.
Diese Aufstellungen von Birt sind ohne Zweifel scharfsinnig und
für jeden unentbehrlich, der sich mit dem sogenannten »ersten Buche«
der von Birt angenommenen Tetrabiblos näher beschäftigen will; sie
enthalten eine Reihe beachtenswerter Einzelbemerkungen, über die hier
zu referieren zu weit führen würde. Trotzdem mufs Referent betonen,
dafs vieles in dem, was Birt vorträgt, zu gewichtigen Zweifeln Anlafs
bietet und dafs dem Verfasser die Hauptsache, sein erstes Buch' als
»Excerpt« zu erweisen, nicht geglückt ist. Wenn Birt S. 211 bemerkt:
»Eine Buchverkürzuug um fast zwei Dritteile wird auch nicht durch
Ausfall, sonderu als bewufste Auslese eines Excerptors erklärt werden
müssen«, so ist das weder von vornherein einzusehen, noch durch die
Einzelkritik Birts bestätigt. Auch der Versuch von Birt, den Haupt-
verlust in die Mitte des Buches, in die Nachbarschaft der vierten Elegie
zu verlegen, unterliegt schwerwiegenden Bedenken, vgl. A. Otto, »Die
Unvollständigkeit des zweiten Buches des Propertius und ihre Ent-
stehung«, Jahrb. f. klass. Philol. 1885, S. 411 ff.
Bitschofsky, Zu Properz. 125
42) Bitschofsky, R. »Zu Prop. II 21, 11 f.«, Wiener Studien
III 1881, 303.
Verfasser wendet sich zunächst gegen die Fassung dieser Verse in
der Ausgabe von Baehrens:
Colchida sie hospes quondam deeepit Jason:
Electa est tenuis namque Creusa toro.
Mit vollem Recht wird diese Fassung, die Baehrens Mise. crit.
1878, 91 ohne Glück zu begründen versuchte, zurückgewiesen. Die
Überlieferung eieeta est ist in der That nicht zu verlassen und der
Sinn der ganzen Stelle wird durch Parallelstellen aus Euripides (vergl.
z. B. Androm. 15 f. ab o ouaa doöty xae oopuxrrjTog yuvy oo/j.o>j? xara-
ayelv ixßaXoü <x' rj;w.q Uilzig) gut erläutert. Wenn aber Bitschofsky vor-
schlägt: »eieeta est, tenuit namque Creusa domo s«, also tenuit in
beibehält und domo in domos ändert, so kann Referent nur betreffs
tenuit beistimmen. Auch domo ist nicht zu ändern; eher als domos
würde sich domum empfehlen, das wenigstens in G überliefert ist und
wofür sich Voss Anrnerkungeu und Randglossen zu Griechen und Rö-
mern 1838, S. 258 entscheidet (eieeta est tenuit — domum). Es ist
aber auch hier die Lesung der guten codd. zu behalten und nur mit
Rofsberg Lucubr. Prop. 1877 S. 33 richtig zu interpungieren:
Eieeta est, tenuit namque Creusa, domo.
43) Bücheier, Franz, Properz, Deutsche Revue, herausgegeben
von Fleischer, 8. Jahrg., Heft 8, August 1883, S- 187—199.
Bücheier wendet sich mit diesem Aufsatz an das grofse Publikum
und schildert in wannen Worten und poetischem Schwung Leben und
Dichtung des Properz auf dem Hintergründe der damaligen Zeitan-
schauungen, welche mit inhaltreicher Kürze und doch allgemeiner Ver-
ständlichkeit und völliger Klarheit vorgeführt werden. Das Wichtigste
aus den Ergebnissen der einschlagenden Spezialforschungen, deren in-
timste Kenntnis überall durchblickt, aber nirgends stört, ist in die meister-
hafte Darstellung verwoben. Dem Referenten ist keine Arbeit bekannt,
die gleich dieser geeignet wäre, den weitesten Kreisen unserer Nation
ein Bild des Properz zu geben und Begeisterung für seine Lieder zu
erwecken. Dazu tragen die wohlgelungenen Übersetzungen wesentlich
mit bei, welche Bücheier von einzelnen Stellen und speziell von den
Liedern I 18 »Oed ist der Ort und höret stumm die Klage, dem Wohn
des Wests gehört der weite Wald« u. s. f., V 11 »Wenn erst in den
unterird'schen Bann der Tote eingezogen, steht von Diamant verschlos-
sen jeder Weg« u. s. f. und von 11 12 giebt Das Letztgenannte Gedieht
ist von Bücheier folgendermafsen übersetzt worden:
126 Blichfler, Properz
Wer uns zuerst den Amor malt als Knaben,
war dessen Hand nicht minderbar geschickt?
Er sah wie ohne Sinnen die Verliebten,
wie leichten Spiels sie grofses Gut verthun.
Mit Recht gah er dem Gotte luft'ge Flügel,
damit er flattere aus dem Menschenherz.
Denn auf- und abwärts schaukelt uns die Woge,
und stätig nirgends leidet uns der Wind.
Gab in die Hand ihm spitze Pfeil' als Waffen,
den Kücher auf die Schultern wohlbedacht.
Trifft er doch, ehe wir den Feind gewahren,
und von der Wunde Niemand ganz genest.
Bei mir bewähret Amor sich als Schütze,
als Kind auch, doch die Flügel er verlor,
Da er aus meiner Brust nicht will entweichen
und ewig Krieg mit meinem Blute führt.
Welche Lust hast du in dürrem Mark zu hausen?
sei klug und rieht auf Andre dein Geschofs.
Gesunde treffe jenes Gift: Du schlagest
nicht mich, den schwachen Schatten nur von mir.
Vernichtest diesen du, wer soll dann singen —
ist doch mein schwaches Lied dein mächt'ger Ruhm —
Wer singt das Köpfchen und die schwarzen Augen
des Mädchens, ihrer Füfse leisen Tritt V
Auch für den, der nicht das Glück hat, dem hochverehrten Ver-
fasser näher getreten zu sein, hat derselbe durch solche Proben bewie-
sen, dafs er selbst zu den Männern gehört, »welche« — um seine eige-
nen Worte zu gebrauchen, mit denen er auf der Philologen -Versamm-
lung in Trier zu methodischer Vervollkommnung von Übersetzungen auf-
forderte (vergl. Verhandlungen der 34. Versammlung deutscher Philol.,
Leipzig, Teubner 1880, S. 11) — »zugleich wissenschaftliche Kenntnis
und künstlerisches Talent besitzen, um als Übersetzer sowohl dem Ge-
schmack wie der Gelehrsamkeit genug zu thun«. An jener Stelle sagte
Bücheier mit Recht: »Wie wenig mustergiltige Übersetzungen besitzen
wir ! Für die Vielen, welche z. B. den Properz im Urtext nicht geniefsen
können, bleibt ein bestes Stück römischer und aller Poesie in Lethes
Fluth begraben!« Möchte Verfasser Zeit finden, den oben genannten
Übersetzungen andere hinzuzufügen. Möchte sein Beispiel zahlreiche
Nachahmung finden. Da die Befürchtung nahe liegt, dafs vom grofsen
Publikum viele, die sich für das klassische Altertum interessieren, Büche-
lers kurzen Aufsatz in der Deutschen Revue übersehen werden, möchte
Referent noch den Wunsch hinzufügen, dafs Bücheier denselben Gegen-
stand in erweiterter Gestalt durch eine Monographie unserem deutschen
Volk darbieten möchte.
Bücheier, Coniectanea. 127
44) Bücheier, Fraucisci, Coniectanea, Ind. schol. Bonn. hib.
1878/9. 26 S. 4.
In diesem Universitäts-Programm, das dem Referenten bei seinem
letzten Bericht noch nicht vorgelegen hat, macht Bücheier S. 13 darauf
aufmerksam, dafs das Gedicht des Properz auf den princeps und seinen
Schützer Apollo V 6 »Sacra facit vates« die Mitte des Buches einnimmt,
und vergleicht damit die Epoden des Horaz, in deren Centrum (9) das
Gedicht auf die Schlacht von Actium steht. Die Centralstellung jenes
Properzischen Liedes scheint allerdings beabsichtigt, wie jetzt auch
Reisch, Wiener Studien IX 1887, 130 anerkennt. Sonst freilich deu-
tet die Anordnung des letzten Buches nicht gerade auf überlegene Weis-
heit des Dichters, wie Reisch mit Recht betont, und ist daher das,
was Marx, De S. Propertii vita etc. 1884, S. 70, angeblich als Büche-
lers Ansicht, vorträgt, künstlich gemacht vgl. oben unter No. 14.
45) Bücheier, Fr., Coniectanea, No. VII, Rhein. Mus. f. Philol.
N. F. 36. Bd. 1881, 337f.
schreibt V 11, 72 jugum für rogum: haec est feminei merces extrema
triumphi, laudat ubi emeritum libera fama iugum.« Damit steht in
Übereinstimmung Büchelers Übersetzung in: Deutsche Revue 1883, VIII,
3, 199: »Das ist weiblichen Triumphes höchster Lohn, wenn freie Rede
Rühmt, wie bis zum Eud' getragen ward das Joch.«
46) Buche ler, F., Rhein. Mus. XXXIX, 4, 1884 S. 621 ff. schreibt
III 18 (IV, 17 L. Müller) 5 ff. so:
hie ubi mortales, dexter cum quaereret urbes,
cymbala Thebano concrepuere deo —
at nunc, iuvisae magno cum crimine Baiae,
quis deus in vestra constitit hostis aqua?
his pressus Stygias voltum demisit in uudas.
47) Cumpfe, K., Kriticke a exegeticke pfispevky k Pro-
pertiovi, in: Listy filologicke a paedagogicke, (redigiert von Kvicala
und Gebauer Prag) 1884, S. 224 - 229.
Anknüpfend au Ottos Abhandlung in der Berliner Philol. Wochen-
schrift 1884 No. 9 ff. über eine Reihe einzelner Stellen des Properz be-
spricht Cumpfe: I 1, 19; 4, 15; 5, 7; 8, 33; 11, 21; 15, 29; 17, 3. —
II 1, 47; 5, 27; 20, 35; 32, 50. — III 7, 45; 13, 41 der Zählung von
Baehrens.
48) Ellis, R., Propertianum, Journal of philol. XI, 1882, S. 174
vermutet IV 7, 81 »Ramosis Anio qua pomifef inenbat arvist, wo ilif
Emendation Broukhuysens »Pomosis spumifer« allgemeinen Anklang ge-
]28 Ellis, Propertianum.
fanden (so z.B. auch bei Schneidewiti Gott. Gel. Ans. L866 II), für
Ramosis vielmehr Lamosis »boggyc Dagegen sei -pumifer durch
Ovid Amor. III <;. 16 »Tiburis Argei spumifer arva rigas« sicher gestellt
49) Ellis, K., »Note oh Propertiugc, hat Journal of Philol. XII,
24 S. 267 Prop. IV, 5. 61. 62 behandelt; dem Referenten ist
Beitrag zur Properzkritik nicht zugegangen.
50) Ellis, R., Transactions of the Oxford Philologie al Society.
Heft 1880/81. eröffnet die Reihe der Vorträge diese-, Heftes, dessen In-
halt dem Referenten nur aus Kraffcrts Besprechung Philol. Rundschau
IV 1884, 237 ff. bekannt geworden ist, mit Mitteilungen über den Nea-
politanus des Properz; es wird ausgeführt, dafs N der Gruppe AEDV
gegenüber oft allein das Richtige hat oder darauf hinführt, vgl. darüber
Solbisky in Dissert. Jenens. II 139 ff. und oben unter No. 20. Kraffert
a. 0. S. 239 unterschreibt, was Ellis über Prop. V 4, 71 f. von Strymo-
nis sagt »und dafs wir mit Rücksicht auf Schob Apollon. Rhod. II 946
und Herod. VII, 45 an eine Amazone zu denken haben«.
51) Gow, Note on Propertius II 2. 3, 4 Transactions of the Cam-
bridge Philological Society, vol. II. 1883, 157.
Da die vorgenannte Zeitschrift in Deutschland nur wenig Verbrei-
tung hat, so mag gleich aus den Proceedings of the Cambridge Philol.
Soc. 1881 der Wortlaut der Bemerkung folgen zu dem Text:
cur haec in terris facies humana moratur?
Juppiter, ignoro pristina furta tua.
»The pentameter only requires a note of interrogation at the end
to make it intelligible. »An I ignorant of your old amours Jupiter?« is
Propertius' way of saying, »Were those amours realities?« The argu-
ment is that Jupiter's allowiug Cynthia to remain on earth among men
(humana) is a reason for doubting the truth of the stories of his attach-
ment to the heroines of old.«
52) Holland, Geo. Ric, De Polyphemo et Galatea, Diss. Lips.,
Leipziger Studien VII, 1884, S. 139—312
erwähnt S. 276 die zuerst bei Properz IV 1, 45 f. (.III 2, 5 f.) nachweis-
bare Fassung, dafs Polyphems Liebe von Galatea erwiedert wird. Nach
Holland geht dieselbe nicht sowohl auf ein dichterisches Original, als
auf ein Wandgemälde zurück »propter rorantium cquorum insigne simile
delphinis, quibuscum semper feie Galatea in picturis comparet«. Vergl.
dazu R. Ehwald in dieser Zeitschrift XLII, 1885, II, S. 160.
53) Jurenka, Hugo, Beiträge zur Kritik der Ovidischen He-
roiden. Progr. Wien 1881.
Rec: Heinrich Löwner, Philol. Rundschau II. 1366ff. — Alex.
Riese, Jahresber, f. Altertumsw. XXVII (1881 II), 76f.
Jurenka, Beiträge zur Kritik der Ovidischen Heroiden. 129
Dieses Programm des k. k. Staatsgymuasiums im achten Bezirke
Wiens behandelt in seiner ersten Hälfte bis S. 20 »das Verhältnis der
Heroiden zu den Dichtungen der Vorgänger Ovids, insbesondere des
Properz«. Ausgehend von der vielerörterten Stelle Ov. A. A. III 346,
»Ignotum hoc aliis ille novavit opus«, sucht Jurenka durch eine ziem-
lich weitläufige Besprechung zu erweisen, dafs Ovid in allem und jedem
den Ruhm des Erfinders der Dichtungsart der Heroiden in Anspruch
nehmen kann. Properz habe seine Arethusaepistel erst nach der Ver-
öffentlichung einer Anzahl dieser Episteln Ovids geschrieben, »vielleicht
um dem befreundeten Ovid damit seinen Beifall für die schöne Erfindung
auszudrücken.« »Es war ihm in diesem Falle gewifs auch gestattet, seiner
Epistel das Aussehen einer Blumenlese der geläufigsten Gedanken aus
den Heroiden zu geben.«
Trotz der Zustimmung von Löwner kann Referent nicht zugeben,
dafs Jurenka den Beweis für diese seine Ansichten erbracht hat. Schon
die chronologischen Verhältnisse lassen erhebliche Zweifel zurück. Ju-
renka macht es sich in dieser Beziehung über Gebühr leicht, indem er
sich mit der Ansicht beruhigt, dafs das fünfte Buch der Elegien des
Properz, also auch der diesem angehörige Arethusabrief, erst nach dem
Tode des Dichters herausgegeben wurde. Allein abgesehen davon, dafs
diese Zeit der Veröffentlichung höchst zweifelhaft ist, kommt es hier
auf das Alter der Abfassung, aber nicht der Veröffentlichung um so
mehr an, als Properz dem Ovid seine Liebesgeschichte vorzulesen pflegte,
die Arethusaepistel aber hiervon mit Jurenka auszunehmen bedenklich
ist. Nun gehört nach Rofsberg, N. Philol. Rundschau 1886, 216 die
Arethusaepistel zu den Jügeudgedichten des Properz. Der Chronologie
nach liegt es also näher anzunehmen, dafs Ovid durch Properz angeregt
wurde, als umgekehrt.
Dafs Jurenka, wie Löwner behauptet, »den Nachweis der Abhängig-
keit des Properz von Ovid erbracht« habe, ist ebenfalls in Abrede zu
stellen. Die S. 13 ff. zusammengestellten Parallelen der Arethusaepistel
mit Ovids Heroiden erklären sich aus der gemeinsamen Situation, teil-
weise wohl auch aus der Benutzung gleicher alexandriuischer Muster, und
kehren teilweise, wie die Verfluchung desjenigen, der den Krieg erfun-
den, oder die Befürchtung der Untreue, auch sonst häufig genug wieder.
Eingehender handelt darüber, aber ohne Jurenkas Namen zu nennen Ka-
rolus Kirchner, De Propertii libro quinto capita sex 1882, 47ff; vgl.
auch Zingerle, Ovid und sein Verhältnis zu den Vorgängern und
gleichzeitigen Dichtern, Heft 1, S. 119 f.
Dafs es Ovid mit positiven Angaben nicht genau nahm, ist be-
kannt. Referent vermag daher auch die Worte »ignotum hoc aliis ille
novavit opus« nur insofern als sachlich berechtigt anzusehen , als Ovid
die Erfiuduug des Propertius modifizierte. Auch R. Bhwald Bprichl sich
Jahresbericht für Alierthuiiiswi-.seiisoh.ill LI. (1887. II. • 'J
130 Jurenka, Beiträge zur Kritik der Ovidischen Heroiden.
in vorliegender Zeitschrift 43. Bd. 1887, 175 dahin aus, dafs Ovid, nicht
Properz, als Nachahmer anzusehen ist.
Das Verhältnis des Ovid zu Properz ist neuerdings von Reisch
Wiener Studien IX 1887 behandelt worden. In AosehlnCa an Lach-
mann (Kl. Sehr. II L20) wird liier bemerkt, dafe Ovid den Axethosa-
brief in unzähligen Stellen der Heroiden »berupft« hat. »Wer sich vor
Augen hält«, heifst es bei Reisch S. 143, »wie Ovid in seinen Amores
die Gedichte des Properz geplündert hat, wie oft er ein von Properz
kurz angedeutetes Motiv des längern ausgesponnen, der wird keinen
Augenblick zweifelhaft sein, dafs zwischen Heroiden und Arethusabrief
dasselbe Verhältnis obwaltet«.
Dem Referat von Bodenstein Philol. Rundschau V, 1159 ff. ent-
nehme ich, dafs neuerdings auch Carl Dilthey, Observationum in epi-
stulas heroidum Ovidianas particula I (Index scholarum der Göttinger
Universität für das Wintersemester 1884/85. Göttingen, Dieterich'sche
Verlagsbuchhandlung 22 S. 4. — bei Abschlufs dieses Berichtes nicht
gleich zu beschaffen, soll das nächste Mal eingehend besprochen werden)
gezeigt hat, »dafs Ovid das Recht der Originalität für die Heroiden nur
in beschränktem Mafse in Anspruch nehmen kann«.
54) Kalkraann, De Hippolytis Euripideis quaestiones novae- Diss.
inaug. Bonn 1881.
Diese der Hauptsache nach ganz andere Gegenstände behandelnde
Dissertation enthält an drei Stellen Beiträge zu Properz. Zunächst be-
spricht Kalkmann S 18—20 Prop. II 1, 51 ff. (seu mihi sunt tangenda
novercae pocula Phaedrae etc.), wobei er S. 18 in V. 54 Colchiacis ver-
teidigt und S. 19 in Anschlufs an seinen Lehrer Bücheier 11 — 14 nach
V. 8 stellt (vergl. über diese Elegie jetzt besonders Otto, Die Versum-
stellungen bei Properz I 1884, S. 6 f.); sodann bringt er S. 25 zu I 1, 3
und III 13, 25 (tres libelli) Parallelstellen bei und behauptet schliefs-
lich S. 46 (sententiae controv. VI), dafs das Distichon II 6, 41. 42 an
das Ende der folgenden Elegie zu setzen sei.
55) Kan, J. B., Epistula critica, Mnemosyne IX 1881
bietet S. 345 an Stelle von V 11, 15 »Damnatae noctes et vos vada
lenta paludes« unter Verwerfung der früheren Vermutung vos atrae
für damnatae desselben Verfassers die Lesung »Damnatae noctes
festes et vos vada lenta«. Zur Erklärung von damnatae verweist
Kan auf Virg. Aen. 1. IV 693 ff. In der Anmerkung S. 346 wird V. 69 f.
so geschrieben: »Et serie fuleite genus: mihi cymba volenti solvitur
aueturis tot mea fata satis«; das ist aber nicht neu vgl. Paldamus obs.
S. 301 seiner Ausgabe.
Kiefsling, Zu Augusteischen Dichtern. 131
56) Philologische Untersuchungen, Herausgegeben von A. Kiefs-
ling und U- v. Wilamowitz-Möllendorff. Zweites Heft: Zu Augu-
steischen Dichtern. Berlin. Weidmann 1881.
Dieses Heft behandelt zwar kein Gedicht des Properz, sondern
enthält einen Aufsatz von F. Leo über einige Elegien Tibulls und eine
Arbeit über Horaz von A. Kiefsling. Doch sei Kiefsliugs Ansicht über
das letzte Buch des Properz registriert, die er S. 73 Anra. mit folgen-
den Worten mitteilt: »Auch anderen Dichtern der Zeit ist diese Rück-
sicht auf runde Zahlen nicht fremd. In Properz fünftem Buche sind die
zehn gröfseren Elegien, wie V 6 sacra facit vates lehrt, in zwei Hälften
gruppiert; die Corneliaelegie ist dann als dvTmpoaojnov rr^aoyig viel-
leicht erst später von fremder Hand angefügt.« Aber das Haschen nach
runden Zahlen gewährt nicht den leisesten Beweis für die ganz in der
Luft hängende Vermutung, der mit Unrecht K. P. Schulze (Über das
Princip der variatio bei römischen Dichtern, Jahrb. f. klass. Philol. 1885,
S. 867) beistimmt, dafs die Elegie auf den Tod der Cornelia erst später
von fremder Hand angefügt worden sei. Am wenigsten bietet gerade dies
fünfte Buch Anlafs, runde Zahlen vermuten zu lassen. Denn alle Ver-
suche der Neueren, eine auf höheres Dichtergenie beruhende Anordnung
sämtlicher Gedichte des Schlufsbuches nachzuweisen, hält Referent, wie
er dies in seinem nächsten Bericht ausführlich darzulegen gedenkt, für
verunglückt. Wenn irgend etwas in der Anordnung des Schlufsbuches
auf bewufste Absicht des Dichters hinweist, so ist dies aufser der Cen-
tralstellung des patriotischen Hymnus auf Apollo (6) (s. o. unter No. 41)
der Schlufs mit »der Königin der Elegien«). Vergl. Otto Die Reihen-
folge der Gedichte des Properz. Hermes XX, 570). Mit Recht sagt
Ribbeck, Zur Erklärung und Kritik des Properz, Rhein. Mus. XL,
1885, S. 482: »Die ganze Sammlung konnte durch keinen schöneren
Schlufs gekrönt werden als durch die regina«. Diese ausgezeichnete
Schlufsstelluug blofs wegen der Rücksicht auf runde Zahlen dem Dichter
abzusprechen und einer späteren fremdeu Hand zuzuschreiben, sieht
Referent keinen Grund.
57) Kirchner, K., behandelt in der Festgabe für Wilhelm Cre-
celius (Elberfeld 1881), welche Referent zwar bei dem Verleger des vor-
liegenden Berichtes bestellt, aber nicht erhalten hat, S. 62-64 Prop. V
1, 71-150. Wie aus der Dissertation desselben Verfassers zu ersehen
ist, glaubt derselbe, dafs diese Verse nicht von Properz selbst, sondern
von einem Freunde desselben herrühren vgl. oben No. 12.
58) Kraffert. Herrn., lleiträge zur Kritik und Erklärung lateini-
scher Autoren. Aurich. In Kommission bei R. Reents. 1883.
Rec: A. E., Lit. Centralbl 1883, No. 47, S 1641; E. Beyden-
reich, Phil. Rundschau IV. -17—220; K Menge, Philol. An/. Xlll,
Suppl. 1., S. 723f.
y*
132 Kraffert, Beitrage zur Kritik lateinischer Autoreo.
enthält S. 139 ff. über Properz aufser aphoristischen Bemerkungen zur
Erklärung folgende Vermutungen: 3, 20 nti natis oder ut in natis; 4, 26
decus für deus; 5, 32 non impune irritata venit; 10, 21 tristis pug-
nare puellaeV; 11, 6 restat amare loco; 12, 2 Pontice Roma mo-
ram (so auch, unabhängig von Kraffert, von Wilamowitz-Moellen-
dorff im Göttinger Index schol. 1884 S. 5; vergl. unten unter No. 73);
12, 11. 12 mutat via longa; puellae — fugit amor; 13, 29 .luve
digna et proxima, Leda et Ledae gratior; 14, 6 »Nach diesem Verse
kann eine Lücke statuiert werden«; 15, v. 39 40 »gehören schwerlich
an diese Stelle«; 16, 7 corollas; v. 38 iugrato dicere tuta loco; V. 45
miseri — amantis?; 17, 3. 4. solido = in solido, wie schon früher
Philol. XXI, 684; 19, 24 adsiduis viris; 20, 5 infra specie; 21, 5 ff.
»ich streiche V. 5 ut, setze es aber statt nee in V. 6 ein«; 22, 6 sed
mihi praeeipue. Diesen Vermutungen, welche sämtlich dem ersten Buch
angehören, reihen sich folgende aus dem zweiten an: II 1, 37. 38 »am
ehesten würde sich noch dafür nach V. 58 ein Platz finden,« V. 47. 48
salvus statt solus »und so kommt der verständliche Sinn heraus: Ster-
ben um der Liebe willen ist schön, eben so schön ist's, seiner Liebe sich
erfreuen; möchte ich leben und meiner Liebe mich erfreuen«; 3,41 si-
quis vult famae tabulas anteire venustas; 7, 11 caneret mihi; 8,21
— 24 vor 29. — Aus Buch III: 13, 14 iam statt nam; V. 48 bellicus —
miles, »16, 11 — 12 und V. 13-14 scheinen einer Umstellung zu bedür-
fen«; 18 b, 25 laedis, wie schon Phil. XXII, 343, V. 29 deine (desine
Baehr.); 19, 12 addueta, nicht doeta; 22 b 48 non noverit ille; hinter
24, 11 und hinter 25, 34 eine Lücke; 32, 23 allisit ad aures; V. 59
statt hesternis: in vernis. — Aus Buch IV: 3, 3 — 4 »Wenn mau die
Verse nicht als überflüssig streichen will, so ist vielleicht regum facta
duorum zu lesen«; Lücke nach 5, 2; V. 6 misera aera; 8, 3 furi-
bunde; V. 22 me discat livor; 9, 37 in cineres arcem sedisse pater-
nam; 11,46 statuas inter et arma fori; 12, 15 Ismara Calpe saeva
Malea, wie früher Phil. XXII, 343f.; 14, 14 turba levatur equis;
18, 31 f. : at tibi nauta, — qui traicit umbras, huc animae portet
corpus; 24, 14 versa angemessener als vera; V. 13 iugo veneris tor-
quebar aheno ; 25, 1 positis inter convivia amicis. — Aus Buch V:
1, 83 stellae; V. 87 Roma cades; 2, 19 mendax fama noces aliis,
mihi nominis index vgl. Phil. XXI, 354 f.; 3, 11 haecne marita fides et
paetae hae mihi noctes; 3, 48 Arcticus; 4, 1 Tarpeiae scelus; 4, 17.
18 nach V. 92; 4, 55: sim hospes (patiare!) tua regina sub aula;
V. 69 Venus für Vesta; 7, 23 non oculos quisquam inclinavit euntis?
10, 43 *ille virgatis iaculanti ante agmina braccis«; 11, 9 sit,
maestae, wie schon früher Philol. XXL 355.
Kühlewein, Kritische Bemerkungen zu Propertius. 133
59) Kühlewein, Guido, Kritische Bemerkungen zu Propertius,
Im Festgrufs für Heerwagen. 1883. Erlangen, Deichert S. 1 — 17. 8.
Rec.: R. Ehwald, Philol. Anz. XIII, 12, 599ff.; E. Heyden-
reich, Philol. Rundschau 1883, 49, 1555 ff.; J. P. Postgate, Transact.
of the Cambridge Philol. Soc II 233.
Kühlewein trägt in Anschlufs an L. Müllers Ausgabe folgende
Konjekturen der Reihe nach vor: I 1, 19 sollertia (vgl. Rofsberg,
Lucubr. Prop. 1877, S. 4 ff. und den letzten Bericht des Referenten
S. 168 f.); I 13, 12 amatus für amicus, wozu Ehwald auf IV 19 (20), 9 und
I 18, 20 verweist: I 14, 5 Utque nemus tantas, ganz unnötig vgl. Fri-
gell, Upsala universitets arsskrift 1883 filos- etc. vetensk. I, S. 17;
I 17, 3 »nee mihi Cassiopes saltum visura carina, aber carina ist
durch G sehr schlecht gestützt; I 21, 5. 6. »Sic te servato possint
gaudere parentes, Ut soror Acca tuis sentiet e lacrimis« vergl. aber
Lachmann, Ausgabe von 1816, S. 87; II 1,5 unter Beibehaltung der über-
lieferten Versfolge compsi für cogis; aber das Verbum heifst nicht
»sich schmücken«, auch nicht Plaut. Stich. V. 4, 19, die Argumentation
gegen Lachmann ist sehr ungenügend vgl. Vahlen, Über zwei Elegien
des Properz 1882, 272 (12); direkt falsch ist die Behauptung von Kühle-
wein, dafs gegen vidi die Wiederholung des gleichen Wortes spreche,
s. Vahlen, Beiträge zur Berichtigung der Elegien des Properz 1881,
342 vergl. auch die Bemerkungen des Referenten unter No. 15; die
neunte Elegie wird in teilweise beachtenswerter Argumentation so re-
konstruiert: IX 1-40, VIII 17-24, IX 47—48, VIII 25—28, IX 49-52,
worüber aufser den Bemerkungen von Vahlen, Ehwald und Birt
(Rhein. Mus. 1883, 202 ff. ) besonders die eingehende Kritik von Otto Vers-
umstellungen bei Properz I 1884, 9 f. zu vergleichen ist; III 4, 1 arma-
tur A tossa (statt Etrusca); auch die Schreibung Kühleweins III 32, 33ff.
Ipsa Venus fertur corrupta libidine Martis
Nee minus in coelo semper honesta fuit
Quamquam Idaea parens pastorem dicat amasse
Atque inter peeudes aceubuisse deam
ist ganz verfehlt, worüber Referent in seiner Recension S. 1557 bereits
ausführlich gehandelt hat, vgl. Vahlen, Beiträge zur Berichtigung 1881,
358 und Kor seh, Nord, tidskr. for filol. V, 264 ff.; III 34, 26 stultum
für das handschriftliche so Iura, doch dürfte Bergk's Vermutung serura
(vgl. auch Rofsberg, Luc. Prop. S. 33), gegen die auch Kühlewein nichts
vorzubringen weifs, den Vorzug verdienen; IV 11, 7 int ext a lacerna,
wozu Ehwald mit Recht fragt, ob dies die von der Band der Gattin
verzierte 1. bedeuten könne; V l, 57 munia statt moenia, vgl. Schip-
pers, Obs. crit. in Prop. librum quartum 1818, 10 und llertzberg,
Quaest. S. 157; V. 8, 7. 8 »iteratos Bactra per ictus«, was sich
auf Pfeilschüsse beziehen soll; V LI, 4 vices für viae der Handschriften,
\'M Lau.' illimachi aetiis.
das, wenn überhaupt, eher noch mit Heinsius durch fores oder serae
zu ersetzen wäre.
60) Lange, Guilelmus, De Callimachi aetiis. Diss. philol.
46 S. 8°. 1882 Leipzig. J. C. Hinrich'sche Buchhandlung.
Rec. : Eduard Hey den reich. Philol. Rundschau III, 88 39.
Diese sich mehrfach mit der vom Verfasser Dicht genannten Bres-
lauer Dissertation von Otto, De fäbulis Propertianis ibho inhaltlich '
deckende, flcilsige Leipziger Doktorarbeit bietet zunächst eine ziemlich
ausführliche Besprechung von Prop. II (III) 34, die Seite 5 mit Casp.
Barth, Adv. lib. XXV c. IV S. 1218 in zwei geteilt wird; doch ist die
Verwunderung des Verfassers, dafs mit Ausnahme von Baehrens jene
Zweiteilung keine Zustimmung gefunden habe, nicht gerechtfertigt, vgl.
Heimreich, Quaest. Prop. S. 46; Ribbeck, proll. Verg. S. 57 und
Carutti, Ausgabe S. 111. Auch Richter in dieser Zeitschr. 1877 II 305
hebt den Widerspruch in den beiden Teilen hervor. Betreffs des Disti-
chons 31 f. entscheidet sich Verfasser für die Interpretation Scaligers,
der non zu imitere, aber nicht zu inflati bezog. Vers 33 sei mit Scaliger
zu lesen »Non rursus licet Aetoli referas Acheloi«, wobei Lange mit
Unrecht den Ausführungen von Leo, Rhein. Mus. 35, S. 441 ff. völlig
beipflichtet (vgl. den letzten Bericht des Referenten No. 34). Hl, 40;
III (IV) 9, 43 und III (IV) 1 seien auf Elegien des Callimachus zu be-
ziehen, nicht auf die Aetia. Das Verhältnis des Properz zu Callimachus
konnte weit eingehender charakterisiert werden, worüber es genüge, auf
die ausführliche Receusion des Referenten a. 0. zu verweisen.
61) Onorato Occioni, La Cintia di Properzio. Nuova Anto-
logia Vol. XXX, Serie II, 15 Dicembre 1881, S. 581-604
stellt unter eingehender Berücksichtigung der deutschen Speziallitteratur
die Beziehungen der Cynthia zu Properz zusammen. Die Arbeit giebt
für die Verbreitung philologischer Studien in Italien ein erfreuliches
Zeugnis.
62) Otto, A., Die Versumstellungen in den vier ersten Elegien
des vierten Buches des Properz. Commentationes philologae in ho-
norem August! Reifferscheidii scripserunt discipuli pientissimi. Vratis-
laviae apud Guil. Koebnerum 1884, S. 10—21.
In dieser ersten Fortsetzung seiner Abhandlung über die Vers-
umstellungen bei Properz (Progr. Glogau 1884, vgl. oben No. 15) be-
handelt Otto den Anfang des letzten Buches, welches bekanntlich unter
den Elegien dieses Dichters eine eigentümliche und besondere Stellung
einnimmt. Nirgeuds treten die Gegensätze der kritischen Behandlung,
über die Otto schon im ersten Teil seiner Arbeit gehandelt, schärfer
hervor als hier, sodafs eine epikritische Revision der bisher vorgetragenen
Ansichten und Erklärungen keineswegs überflüssig war.
Otto, Versumstellungen in d. Eleg. des vierten Buches. 135
Otto weist sieben Umstellungen zurück, billigt zwei der bisheri-
gen und sucht zwei neue zu begründen. Nicht zu versetzen seien
El. I 55. 56 hinter V. 38 (gegen den Referenten; ich nehme meine Ver-
setzung hierdurch ausdrücklich zurück und bemerke auch, dafs Ritschi,
der über diese schwierige Anfangselegie sich bereits früher geäufsert
hatte, im mündlichen Verkehr sich mit Entschiedenheit gegen diese meine
Transposition aussprach); I 87. 88 nicht mit Scaliger nach V. 68, nicht
mit L Müller hinter V. 52, nicht mit Baehrens nach V. 54, vielmehr in
handschriftlicher Ordnung zu belassen; I 141 f. nicht mit Lütjohadn nach
V. 138; II 41—46 weder mit Schrader nach V. 18, noch mit Lütjohann
nach V. 12 zu stellen; III 43—50 nicht mit Lütjohann umzustellen;
IV 7—14 nicht mit Baehrens nach V. 2; IV 71. 72 nicht mit Lütjohann
nach V. 26. Dahingegen billigt Otto die Vertauschung von I 34 und 36
(so L. Müller und Heydenreich) und IV 17. 18 hinter V. 92 mit Broukhus
und Rofsberg. Neu von Otto proponiert sind: I 37. 38. nach V. 54 und
IV 13. 14 vor V. 11.
63) A. Otto, Propertiana, Berliner Philol. Wochenschrift, 1884,
No. 9 ff.
In sechs Artikeln bespricht Verfasser eine Anzahl schwieriger Stellen:
I. No. 9: I 1, 20 f. wird die Überlieferung verteidigt gegen L. Müller:
»fallacia beinahe dasselbe als fallax labor«, piare mit M. Haupt = piando
facere, vgl. aber den Bericht dieser Zeitschrift 1886 II 168; I 1, 35
neque assueto mutet amore torum (für lorum); I 4, 16 hoc magis et
(oder at) certa [für accepta] fallit uterque fide.
II. No. 10: I 5, 8 Molliter irasci non solet illa mihi, gegen
Baehrens, Mise crit. 73 und Brandt, Quaest. Prop. S. 10; I 8\ 33 Quam
sibi dotari regnum vetus Hippodamiae (dotari für dotatae); I 9, 33 si
pudor est erklärt gegen Hertzberg mit: »Wenn du dich deines jetzigen
Zustandes und deiner Liebe schämst und von ihr befreit sein möchtest« ;
I 11, 21 »An mihi nunc maior carae custodia matris, Aut sine te vitae
cura sit ulla meae?«; I 14, 5 Vulgata verteidigt gegen Lachmann.
III. No. 11: Multa prius vasto labentur tiumina ponto, erklärt mit:
»Eher werden viele Ströme ins weite Meer verfliefsen (sie!) und natür-
lich vertrocknen und schwinden, als die Sorge um dich in meiner Brust
schwindet«; I 17, 3 Nee mihi Casiope stulto visura carinam, gegen
Polster, Quaest. Prop. 1881; I 20, 13 Ne tibi sint duri montes et frigida
saxa, Galle, neque experto semper adire lacus; II 1, 47
Laus in amore mori, laus altera, si datur, unum
Posse frui: fruar 0 solus amore meo!
II 2, 5 zwischen 6 und 7 ein Distichon ausgefallen derart, dal's die
eigentliche Lücke V. 6 zwischen die beiden Worte digna und soror
fällt«; 113, 19 anders als gewöhnlich zu interpungieren; II 5, 27 Scri-
bam igitur, quod non umquam tibi (statt tua) deleat aetas, so bereits
Leo, Rhein. Mus. 1880, 440.
13fi r)t"»-, I'n.prrtiana
IV. No. 12: II ♦;. 11 laedet, nicht laodit ; II 7. 15 qnod mea si
vero comitaront castra paellae; II B, 84 iacere von Baehrens mit Un-
recht beanstandet; II 8, .".4 veria natis verteidigt; II 9, 28 Hie abi tum,
pro<li. perfida, quidve foit? (qnidve für qaisqne); II 18, 26 Bai mea
sed magnast; III 18 dl 20), 35 Hoc mihi perpetoo t'as est (fas Förjus);
III 16 (II 22), 48 Cum reeipi, quem non noverit, ille putat
V. No. 13: III 18 (II 24), 8 Aut pndor iDgennis, aul reticendns
amor; III 20 (II 25, 33) semel ire memento verteidigt; III 30 (II 32», 50
dclicere für deripere, aber so schon Kind seh er, Rhein. Mus. 1862,
226; ebenda V. 23 Nuper enim de te nostras impleverat aures Ru-
mor-, V. 32 Et sine delicto viva redueta domum est; IV 6, 9 Sic tu
eam; IV 6, 22 Et qualem null am dicere habere domi; ebenda V. 28
Et leeta ex sectis anguibus ossa trahunt; IV 7, 29 Ite. rates curvate,
et leti texite causas; ebenda V. 46 in terra, Dil ubi fleret opes.
VI. No. 16: IV 8, 27 Odi ego quam nunquam pungunt suspiria
somno; IV 12 (III 13), 39 die statt dei; ebenda V. 42 Dique deaeque
omnes Praebebant nostris (d. h. humanis) verba benigna focis;
IV 13 (III 14), 31 Nee quae sint faciles, V l, 61 facta für dieta;
V 1, 97 amarae für avarae; V 5, 29 stimulare für simulare, aber so
schon in der Ausgabe von L. Müller; V8, 13 fuerunt; V 11, 39 Te
Perseu; V 11, 65 Vidimus et fratrem sellam gemuisse curulem.
In Auschlufs an diese Abhandlung hat eine Anzahl Stellen
K. Cumpfe behandelt in: Listy filologicke a paedagogicke 1884, 224 ff.
64) A. Palm er, Propertiana: Baehrens and the codex Neapoli-
tanus. Hermathena VII, 1881, S. 40—72.
Nach einem Rückblick auf die bisherigen Untersuchungen über
die Properzhandschriften spricht Palmer über die codicalen Entdeckungen
von Baehrens und über die von diesem vorgelegte Wertschätzung des
Neapolitanus (N). Ohne den Vorteil zu verkennen, der sich aus der
durch Baehrens ermöglichten Vermehrung des kritischen Apparates er-
giebt, spricht sich doch Palmer, der (vgl. Piessis , Etudes critiques sur
Properce 1884, S. 18) N 1878 in Wolfenbüttel selber eingesehen hat,
mit Entschiedenheit gegen die von Baehrens versuchte chronologische
Fixierung dieses codex aus (vgl. den letzten Bericht des Referenten
S. 145). Die Gründe, mit denen Baehrens N nach 1430 geschrieben
sein läfst (praef. S. VIII), seien »three utterly futile arguments«. Nach
Palmer ist der Neapolitanus vor dem Ende des 14. Jahrhunderts ge-
schrieben. Als einen Beitrag zu der Untersuchung über das Wechsel-
verhältnis von N zu den von Baehrens neu bekannt gegebenen hand-
schriftlichen Lesarten giebt dann Palmer von S. 46 an textkritikalische
Erwägungen über folgende Stellen der Ausgabe von Baehrens: I 8, 21. 22.
— II 7, 3; 15, 49; 18, 5; 23, 21. 22; 24, 45. 46; 25, 2; 27, 7; 29, 1. 41;
30, 19; 32, 5. 22. 33 ff.; 33, 37 f.; 34, 3 f. - III 1. 23 f.: 6, 22; 7,46;
9, 9; 10, 25; 14, 11 ff.; 15, 3; 15, 33; 21, 19 ff. — IV 4, 29 f.; 4, 55 f.
Palmer, PropertiaDa: Baehrens and the codex N. 137
Eine ausführliche Würdigung aller der neuen Lesarten von Baehrens
in Vergleich mit der bisher bekannten Überlieferung lag zwar aufser-
halb der Grenzen, die sich Palmer für diesen Artikel gesetzt. Doch
spricht er seine diesbezüglichen Ansichten, ohne die Beweise vorzulegen,
S. 67 dahin aus: 1. Dafs N die beste unserer Properzhandschriften ist,
obgleich gelegentlich interpoliert, aber im ganzen nur, wenn der Arche-
typus verstümmelt oder lückenhaft war; 2. dafs die Übereinstimmung
von 0 äufserst wertvoll ist, wenn sie gleich viel gröfsere Interpolation
als N aufweist; 3. dafs die Familie AF weit besser ist als die Familie
DV. Aus der Familie DV seien zwar ein oder zwei gute Lesarten ab-
leitbar, diese seien aber nicht sicher; und wenn sie sicher wären, so
könnten sie nur Korrekturen sein. Die Anschauungen von Baehrens
über die Properzhandschriften seien falsch im Allgemeinen, falsch im
Besonderen. Die Stellung von N habe er angegriffen, dieselbe sei aber
aus seinem Angriff nur um so gesicherter hervorgegangen. Den hohen
Wert von D und V habe Baehrens zwar behauptet, dennoch aber seien
diese Handschriften in einem wirklich bedeutenden Grade interpoliert.
Trotz alledem habe Baehrens eine Beihe acceptabler Emendationen in
den Text eingeführt.
Was die Art von Baehrens1 emendatio betrifft , mit der Palmer
seinen Aufsatz schliefst, so genüge es auf den letzten Bericht des Re-
ferenten in dieser Zeitschrift S. 149 zu verweisen. Wenn aber Palraer
über die handschriftlichen Anschauungen von Baehrens S. 68 sich dahin
ausspricht: »Baehrens' theory is, in fact, false generally, and false in
detail«, so stimmt das mit den übrigen Untersuchungen überein, welche
durch die neuen Funde von Baehrens veränlafst wurden. Dagegen sind
die Anschauungen von Palmer über die gegenseitigen Verhältnisse der
beiden Familien AF und DV ebenso falsch, als unbewiesen. Es ist
irrig, wenn Palmer S. 67 behauptet »that the AF family is much more
honest thau the DV family«; und wenn er S. 68 sagt: »I challenge
Baehrens to produce a Single instance in the DV family where the true
reading is preserved against the other family through an unintelligible
corruption« , so hat dieser Aufforderung zwar nicht Baehrens selbst,
wohl aber in der gründlichsten Weise Solbisky durch seine Disser-
tation De codieibus Propertianis (Lipsiae 1882, abgedruckt in den Disser-
tationes Jenenses II S. 139— 194) entsprochen, welche, unabhängig von
dem Aufsatz Palmers in Hermath. VH, S. 183 sqq. den Nachweis fuhrt:
»familia DV verum servavit prae NAF« und welche zu dorn Resultat
gelangt, dafs die Properzkritik in Zukunft auf N und der Familie DV
zu beruhen habe. Vgl. den Bericht des Referenten oben unter No. 20.
65) Postgate, J. P., Propertiana, Journal of Philology. Vol. IX.
62-70.
]38 Postgate, Propertiana, Of the genuinenes* of Tib. IV, 13.
66) Postgate, J. P., Of thc genuineness of Tibullus IV 13 in:
Journal of Philology vol. IX, 280—286.
Verfasser sucht folgende Schreibungen zu begründen:
I 1, 33 voces für noctei: in me nostra Venus voces exercet amores.
Aber Venus ist nicht = darling; nostra Venus, womit Magnus, Piniol.
Wochenschr. 1882, 1126 nostra Dione Nemes. ecl. II 56 vergleicht, heifst:
Venus, der wir Liebenden dienen. Die Stelle ist nicht zu ändern; der
Ausdruck noctex amarae kommt auch sonst bei Properz und anderen rö-
mischen Dichtern vor, vgl. Zingerle, Ovidius und sein Verhältni- zu
den Vorgängern und gleichzeitigen römischen Dichtern I 91. — I 2, 25. 26
mit veränderter Interpunktion, vgl. Ausgabe Seite 3. 57. — I 6, 20 socis
d. i. sociis. — 18, 7 zu fulcire verglichen Celsus 1. 7. 18 und Verg.
Ecl. 6, 53. — 19, 34 quo für qua. — I 20 Anfang, mit veränderter
Interpunktion, vgl. Ausgabe S. 10, 91. — I 20, 52 tutus für »-wm«, vgl.
dazu Voss, Anmerkungen und Randglossen 1838, 257. — I 21, 4 proxima
militiae erklärt unter Verweis auf Just. 32, 2; ebenda V. 9 quicunque. —
II 1, 47 uno: »Here the MSS. reading uno has been changed without
reason to uni, or misinterpreted as the ablative. It is dative.« — II 2, 4
ignaro für ignoro:
cur haec in terris facies humana moratur?
Juppiter, ignaro pristina furta tua
erklärt mit: »To the ignorant with your old intrigues, Jupiter! They
are tales which canuot impose on me.« — II 7, 20 nomine für sanguine,
unter Verweis auf Lucr. 1 , 95. — II 9, 12 erläutert unter Hinweis auf
Non. 207, 7. 8. — III 32, 29 lecti für lecta. - IV l , 3. 4 erläutert in
Vergleich mit Catull 64, 260 (Ellis) und Virg. Aen. 6, 515. - IV 2 (3), 33
jura für rura. — IV 6 (7), 46: pauper at in terra, nil ubi flere sat est;
IV 10 (11), 5 ventorum (für venturam). - IV 16 (17), 27. 28
et tibi per raediam bene olentia flumina Naxon
unde tuum potat Naxia turba merum.
»Et tibi per Diam . . saxis is Mr. Palmer's brilliant conjecture for the
MS- reading (see Hermath. I S. 162). To make it perfect, \ve should
read saxo, which is nearer the MSS., and is more appropriate than
the plural, »gushed from the rock«, cf. Prop. I 16. 29, III 8, 3 saxo . .
Cerauno.« — IV 20, 8 (18) testis sidereae torta Corona deae (torta für
tota). — V 5, 61 odoratum Paestum, acc statt gen.; aber ebenso, was
Postgate entgangen ist, bereits im Jahre 1818 Schippers, Observ. crit.
in Propertii librum quartum, Groningae, S. 48. — V 11, 70 facta für
/ata. — Der Aufsatz über die Echtheit von Tibull IV 13 knüpft an die
Tibullischen Blätter von Baehrens (Jena 1876) an und enthält Beiträge
zum Verhältnis des Properz zu Tibull. Das schon oben zu I 1 , 33
citierte Buch von Zingerle scheint dem Verfasser vollständig unbe-
kannt geblieben zu sein; auch in der Ausgabe wird es am zuständigen
Rofsberg, Zur Kritik des Propertius. 139
Orte S. LXXVII ff. nicht erwähnt. Postgate hätte aus der Schrift von
Zingerle S. 103 ersehen, dafs die von ihm S. 282 mit Recht hervorge-
hobene Ähnlichkeit von Tib. IV 13, 3 und Prop. II 7 , 19 auf einer fast
stereotypen Formel beruht.
67) K. Rofsberg, »Zur Kritik des Propertius.« Jahrb. f. klass.
Philol. 1883. Heft 1, S. 65—77.
Verfasser geht von der neuen Properzausgabe von Baehrens aus
und teilt mit, was sich ihm »aus langer sorgfältiger Vergleichung der
Lesarten in den fünf Handschriften ergeben: 1. dafs es mit unseren
kritischen Hilfsmitteln für Properz nach wie vor kläglich aussieht;
2. dafs N nicht mehr für frei von Interpolationen gelten kann; 3. dafs
aber die übrigen Handschriften ebenfalls interpoliert sind, nur meist
viel ungeschickter als N; 4. dafs, wenn die Lesart von N der aller
übrigen Handschriften gegenübersteht, in ersterem oft eine Korrektur
oder Interpolation vorliegt; 5. dafs die zweiten Hände in F und V deut-
lich unter dem Einflüsse von N stehen, also keinen selbständigen Wert
beanspruchen können; 6. dafs N in der Zahl guter Lesarten jedem ein-
zelnen der übrigen sehr überlegen ist und daher auch jetzt noch für
den besten Kodex gelten mufs; 7. dafs aber die übrigen Handschriften
AFDV bei der Kritik des Properz nicht ohne Schaden unberücksichtigt
bleiben«. Diese Ansichten, sowie die weitere Vermutung desselben Ge-
lehrten , elafs die fünf Baehrens'schen Handschriften nicht zwei, sondern
drei Familien angehören und dafs die gemeinsame Quellschrift 0 mit
Varianten versehen war, näher auszuführen verzichtet Rofsberg, »da eine
solche sehr viel mehr Zeit und Raum erfordern würde als mir zur Ver-
fügung steht«. Durch die umfängliche und erschöpfende Arbeit von
Solbisky, De codicibus Propertianis, Diss. Jenenses II 139 — 195 ist
das Meiste der vorstehenden Anschauungen bestätigt worden, s. oben
unter No. 20.
Hierauf werden folgende Vermutungen zu einzelnen Stellen unter
besonderer Rücksichtnahme auf die Ausgabe von Baehrens vorgetragen:
I 1, 7 ei mihi, iam toto furor hie non deficit anno; I 1. 13 robore für
arbore; I 3, 37
iamque, ubi longa meae consumpsti tempora noctis,
languidus exaetis eis mihi sideribus?
I 4, 7 formosi corporis aetas; V. 13 f. et quae gandia subtacita
dicere voce übet«; 1 6, 24 otia für omnia; I 7, 16 qui valuit nostros
et violasse deos; I 8, 40 carmiuis obsequio beizubehalten nach Ausonius
parent. 21, 6; I 8, 45 firmos für certos in N; I 9, G quaeque beizube-
halten; 19, 13 Überlieferung verteidigt; I 11, 6 ecquid in extremo
restat amare loco?; I 19, 10 verterat; I 19, 26 quarr, dam licet in
terris, laetemur amantes; 120, 25 ff. nunc Buperat Zetes, nunc BU-
perat Calais; II l, f. vielleicht mox totuiu oder actutum; II ;:, 22 Bchreibt
] 40 Rofsberg, Zur Kritik des Fropertius.
Rofsberg, indem er seinen früheren Heilungsversuch aufgiebt, jetzt car-
minaque ullius; II 3, 39. 40 nach V. 34; II 5, 10 si dolos afuerit mit
einer Pompejanischen Wandinschrift, vgl. C. Winterberg, »Die neuesten
Ausgrabungen in Pompeji« in »Unsere Zeit« 1881, S. 857; II G, 32 tur-
pia für iurgia, V. 34 tinctus; II 7, 11 BChlofs mit rhyUimns; II 9, LI. L2
nach V. 14 mit. Vahlen, V. 16 dubio für viduo; V. 17 miris natis;
II 13, 28 tu nee eris; II 15, 16 nudus aus V. 16 passend wiederholt;
II 16, 41. 42 »von Properz erst später eingeschaltet, als er durch Mae-
cenas mit Augustus näher bekannt geworden war«, II 18 »kein einheit-
liches Gedicht, V. 1- 4 sind ein irgend woher stammender Fetzen, der
Rest das Bruchstück eines andern Gedichtes«; II 28, 40 iufernos lacus
zu belassen; II 29, 7 semidei fuerunt, V. 21 atque ita me in tectum
duxerunt rursus amicae; seine frühere Autfassung des Gedichtes II 29,
wonach es aus zwei selbständigen Gedichten zusammengeflossen, giebt
Rofsberg auf; II 34, 7 nave für nonne (nocte Baehrens); II 34, 22 membra
für verba; II 34, 91 haec für et; II 34, 93 quin et erit; III 1, 35
meque inter sacros laudabit Roma poetas; III 12, 14 die Vulgate sie
redeunt beizubehalten; III 13, 8 praestat für pastor; III 17, 12 animo
cursat utroque meo; III 19, 4 cupidae für captae; III 21, 18 undicolas
für undisonos; III 22, 30 Argolicas; III 24, 30 nee semel; IV 2, 52 viel-
leicht ausa für das wiederholte arma; IV 3, 60 seu voluit spargi parca
lucerna mero; IV 4, 47 tota potabitur urbe, V. 48 tum für tu, V. 49 f.
quippe latentes i fallaci celat limite supter aquas; IV 4, 85 omnia
praebebant somno se: Juppiter unus; IV 5, 69 tabernae; IV 6, 28
quam tulit irato mobilis uuda Noto; IV 6, 33 vultum, V. 35 quali;
IV 6, 64 illa petit Nilum cymba male nixa fugaci , hoc animo: iusso non
moritura die; IV 7 , 2 extruetos für evinetos; IV 7, 19 f. corpora für
pectora; IV 7, 36 in cyathis; IV 7, 37 ut für aut; IV 7, 63 marita;
IV 8, 37 uterque mit 0 V F, »man verstehe nur üter, ' der Weinschlauch « ;
IV 9, 28 putris odorato luxerat igne casa »die baufällige Hütte hatte
zu leuchten angefangen (d. h. war eben erleuchtet worden) durch Feuer
von wohlriechendem Holz«. IV 10, 5
indiges exemplum primus tu Romule palmae
huius es: exuvio plenus ab hoste redis.
IV, 39 et, Persem proavi simulantem pectus Achilli
quique reas proavo fregit Achille domos.
IV 11, 86 casta noverca. —
Wie Verfasser mir brieflich mitzuteilen die Güte hatte, hat er für
einzelne dieser Vorschläge noch stützende Parallelen gefunden, so z. B.
zu I 8, 45, wo er firmos amores vermutet, Ovid a. a. II 385 Hoc bene
compositos, hoc firmos solvit amores«. »Zu den Stellen, wo ich jetzt
anderer Ansicht geworden bin, gehört u. a. I 4, 14, zu dessen Consti-
tuirung vielleicht Ovid am. III 2, 35 f. beitragen kann, HI 1, 35 für
dessen richtige Überlieferung serös nepotes eintreten Ovid ex. P. III 2, 35
Rofsberg, Zur Kritik des Propertius. 141
Vos etiam seri laudabant saepe nepotes. Sil. Ital. IV 401 serosque
videre nepotes. Dracont. de deo II 386 serosque nepotes«. Zugleich
macht mich Rofsberg auf folgende Druckfehler aufmerksam, welche in
meinem letzten Referate stehen geblieben sind: S. 141 Z. 10 mufs es
statt »Leistungen« vielmehr »Lesarten« heifsen, ferner steht auf S. 172
Z. 4 für secta — serta, Z. 14 Saxonam statt Saxosam, Z. 6 von unten
probo für probra, Z. 2 von unten Domo für domo.
68) Schäfler, J. , Die sogenannten syntaktischen Gräcismen bei
den Augusteischen Dichtern. Amberg 1884.
Rec: R. Ehwald, Jahresber. f. Altertumsw. XXXXIII (1885 II),
S. 190 ff.; Th. Fritzsche, Phil. Anz. XV 7. 8 S. 389—391; J. Haas,
Blätter f. d. bayr. Gymn. XXI 1. 2 S. 66 f.; F. Piger, Neue phil. Rund-
schau 1887 N. 10 S. 152 ff.; H. Ziemer, Zeitschr. f. d. Gymn. XXXX l,
S. 23-25.
Diese in ihrer Totalität nicht in dieses Referat gehörende Schrift
bespricht eine Anzahl einzelner Properzstellen in Parallele lateinischer
und griechischer Autoreu. Wie bei Ovid, so seien auch noch in der
Sprache des Properz Reste der archaischen Sprache zu finden; so z. B.
in Sätzen wie I 1, 12 ibat et hirsutas ille videre feras (vgl. Schäfler
S. 68). Ein besonders starker Gräcismus sei von Properz, der ja aller-
dings seine griechische Gelehrsamkeit gern zur Schau trägt, gewagt
worden, indem er die Verbindung des singularen Hilfszeitwortes mit
einem pluralischen Relativsatz (iariv wv, olg, oug) in die lateinische
Poesie verpflanzte. Der scheue Versuch IV 8, 17 f. est quibus Eleae
concurrit palma quadrigae, est quibus in celeres gloria nata pedes habe
in Plautus, Pseud. 245 keinen Vorläufer, worüber auf Usener in Fleck-
eisens Jahrb. 107 (1873), S. 399 verwiesen wird.
69) Heinrich Schenkl, Eine Properzhandschrift. Wiener Stu-
dien III 1, 160
bespricht unter Anlehnung an die teilweise irrigen (vgl. den letzten Be-
richt des Referenten Seite 190) Anschauungen von F. Leo über die
Properzhandschriften im Rhein. Mus. XXXV 441 ff. den Codex Corsinianus
(C) 43 E 8, der nach dem Katalog dem 14., nach Schenkl erst dem
15. Jahrhundert angehört. Nach der von Sedlraayer vorgenommenen
Kollation des ersten Buches zeigt C zwar schon Interpolation, aber noch
nicht in solchem Mafse wie DV. Ob es richtig ist, was Schenkl be-
hauptet: »Somit ist die Existenz eines Kodex nachgewiesen, der einer-
seits der Quelle von V2 sehr nahe verwandt ist und deutlich zeigt, dafs
die Verbesserungen der zweiten Hand in V merklich auf handschrift-
liche Tradition zurückgehen, andererseits aber zwischen N und V in der
Mitte steht«, mufs erst auf Grund einer Kollation aller vier Bücher be-
wiesen werden. Bei der Mangelhaftigkeit unserer Handschriften mufs
142 Schenkl, Kine Properzhandscbrift.
diese Untersuchung als recht wünschenswert bezeichnet werden. Wenn
aber Schenkl behauptet: "Diese Handschrift stimmt im allgemeinen mit
DV, ist also für die Herstellung des Texte- wertlos«, so ist das irrig;
denn Solbisky hat in seiner sorgfältigen Dissertation De cod. Pro-
pertianis 1882 überzeugend nachgewiesen, dafs die Properzkritik aufser
auf dem Neapolitaner gerade auf diesen beiden Handschriften DV zu
beruhen hat.
70) Tappe, 0., Analecta critica et exegetica ad Sex. Propertii
elegiarum librum primum. Particula prima. Festschrift der Königs-
städtischen Realschule zu Berlin 1882, S. 75 — 101.
Tappe bietet zunächst eine kurze Einleitung, in welcher gegen die
Lachmannsche Zweiteilung von Buch II die bekannte Stelle I 11, 19 f.
ins Treffen geführt und tres libelli III (II) 13, 25 damit erklärt wird,
»quod hie numerus pariter apud Romanos atque zpzTg apud Graecos
sacer erat«. Hierauf wird erläutert: 1, 2 nullis cupidinibus, 1. 12 rä-
dere; 2, 4 peregrinis muneribus; 2, 9 summittit formosa; 2, 13 collu-
cent verteidigt; 2, 15 sim tibi; 3, 16 sumere et arma manu; 2, 36 clau-
sis expulit e foribus; 2, 43 graviter; 4, 3 ducere; 4, 13 mit Jacob calor
statt des überlieferten color; 4, 14 dicere, nicht ducere; 4, 23 contem-
net fletibus; 5, 8 seiet nicht solet; 5, 20 domum; 6, 9 irato; 6, 23 f.
ultima vota; 6, 33 f. et aeeepti pars eris imperii; 7, 3 primo; 7, 6 quae-
rimus in dominam; 7, 15 coneusserit; 7, 16 wird evigilasse konjiziert
(S. 14 des Separat- Abzuges) im Sinne von meditatos esse; 8, 4 vento
quo übet ire; 8, 7 pedibus teneris positas fuleire pruinas; 8, 13 atqui
für atque konjiziert (Tappe S. 16 des SA); 8, 15 f. in überlieferter Vers-
folge V. 15 patietur; 8, 19 ut te felici praeveeta remo; das Distichon
8, 21 f. soll nach Tappe S. 17 des SA unecht sein (vgl. über dies Di-
stichon Vahlen; Über zwei Elegien des Properz 1882, S. 269 und Sol-
bisky De codieibus Prop. S. 166f.); 9, 3 quaevis; 9, 30 wird tu fuge
konjiziert (S. 18 des SA); 9, 33 si pudor; 10, 25 irritata venit; 11, 1. 25
ecquid, iacet, adducere; 11, 6 extremo; 11, 17 timetur; 11, 21 at mihi
non; 11, 24 omnia tempora; 12, 2 conscia Roma; 12, 6 dulcis sonat;
12, 9 nunc, nicht num oder non; 13, 7 lapsus abire; 13, 9 poena; 13, 10
nives; 13, 17 verbis; 13, 21 mixtus; 13, 30 una tribus.
Die Arbeit bietet dem Erklärer des Properz nützliches Material;
es gereicht ihr aber zum Nachteil, dafs sie weder zu der Ausgabe von
Baehrens noch zu der Handschriftenfrage Stellung nimmt. Die Kritik
gegen Lachmann S. 9 des SA ist verfehlt (vgl. oben S. 103). Eine Fort-
setzung der Arbeit ist dem Referenten nicht bekannt geworden.
71) Vahlen, J., Ind. lect. Univ. Berol. aest. 1881
behandelt zunächst zwar den Taciteischen Dialog, aber in der Form
einer längeren Abschweifung S. 5 die viel umstrittene Stelle V 4, 55,
Vahlen, Ind. lect. Berol. 1881. 143
welche geschrieben wird: »Si posces pariamve tua regina sub aulaa.
Ferner würde zwar III 8, 19 ed. Vahlen die Schreibung »Non est certa
fides, quam non iniuria versat«, wenn sie in den Handschriften überlie-
fert wäre, kaum den Verdacht einer Fälschung erwecken. Allein der
Neapolitanus, »cui plurimum tribuere nos nondura desiimus«, habe nicht
iniuria, sondern iniurgia, und dies führe auf die richtige Lesung:
»Non est certa fides, quam non in iurgia vertas«. Vergl. auch den
letzten Bericht des Referenten S. 141, wo (in Anschlufs an Vahlens Selbst-
citat »Beiträge zur Berichtigung der Elegien des Prop. S. 354) das Jahr
1880 anstatt 1881 irrtümlich angegeben ist.
72) Washietl, Joannes Andreas, De similitudinibus imagini-
busque Ovidianis. Diss. inaug. Vindobonae. Gerold 1883. VI, 193 S. 8.
Rec: R. Ehwald, Jahresber. f. Alterturasw. XLIII 1885 II, 177 f.;
H. Magnus, Jahresber. des Berl. Philol. Vereins XII, 194ff.
In dieser fleifsigen Materialiensammlung über die Gleichnisse des
Ovid werden auch folgende Stellen des Properz besprochen: I 16, 29 f.
(ed. Baehrens); II 3, 9 ff.; 3, 1 2 ff . ; 4, 3ff.; 5, 1 1 ff . ; 9, 33ff.; 15, 51ff.;
25, 15 f.; 28, 8; 34 \ 47 ff.; IV 5, 19 f.; 8, 55 f. Interessante Parallel-
stellen aus Ovid werden allerdings beigebracht. Wenn jedoch der Ver-
fasser, besonders von S. 160 an, fast überall darauf ausgeht, eine Ab-
hängigkeit des Ovid von Properz nachzuweisen, »quem Ovidium permul-
tis locis imitatum esse inter omnes constat«, so befindet er sich damit
auf einem Irrwege: Weder vermag er dem selbständigen poetischen
Gestaltungstalent des Ovid noch der Möglichkeit gebührende Rechnung
zu tragen, dafs Ovid aus anderen Quellen schöpfte. So soll das Bild
vom Davontragen des Windes und der Welle zur Bezeichnung alles Un-
beständigen, Ungiltigen, Vergeblichen und zum Ausdrucke nicht gehal-
tener Versprechungen (vergl. z. B. Ovid Am. II 16, 45, Fast. III 481 f.
und Prop. I 9, 33ff.; II 3, 12; II 5, llff.; II 15, 51 ff.) von Ovid dem
Properz entlehnt sein; und doch kommt dasselbe auch bei Catull, Tibull,
Virgil, sowie bei Homer und anderen griechischen Dichtern vor; vergl.
z. B. Zingerle, Ovidius und sein Verhältnis zu den Vorgängern I, S. 39.
Für einen Teil der von Wasbietl behandelten Properzstellen hatte die
demselben, wie es scheint, unbekannte Dissertation von Mallet, Quae-
stiones Propertianae (Göttingen 1882, s. oben unter No. 13) glücklicher
gehandelt: s. Mallet S. 19 im Vergleich mit Washietl S 151 f.; Mallet S. 28
Anm. 3 verglichen mit Washietl S 119; Mallet S. 30ff. verglichen mit
Washietl S. 162 f.
73) Von Wilamowitz-Moellendorff, U., Coniectanea. Index
schol. Göttingen 1884. 18 S. 4.
bespricht S. 5 I 12, 1. 2 »Quid mihi desidiae non cessas fingere cri-
men, quod faciat nobis conscia Roma moram?« Für den, allem An-
144 Von Wilaniowitz-Moellendoiff, Coniectanea.
schein nach verdorbenen Pentameter schreibt Verfasser q. f. n. Pontice
R. m.; dies ist sehr ansprechend, aber schon von Kraffert, Beiträge
zur Kritik und Erklärung latein. Autoren III 1883, 140 (vcrgl. Philol.
XXI, 084) vorgeschlagen. Die Begründung des Verfassen i-t bemer-
kenswert: Im ersten Buch siod ;tlle Gedichte an eine bestimmte Person
gerichtet, deren Namen in den Versen vorkommt, an Cynthia ri. :;. ^.
11. 15. 17. 18. 19), Tullus (1. 6. 14. 22), Gallus (5. 10. 18. 20), PoD-
ticus (7. 9), Bassus (4) »accedit ianua (16) et epitymbion Galli epi-
gramma (21)«. Gewöhnlich findet man die Namen der Cynthia in der
Überlieferung, was Verfasser durch den Hinweis auf V. 6 als irrig er-
weisen zu können meint; auch der Beweis, dafs Roma nicht geändert
werden dürfe, scheint dem Referenten nicht zwingend. Überdem ist es
nicht ganz richtig, was Verfasser sagt: »alterum versum corruptum esse
constat«; denn Tappe, Analecta critica et exegetica ad Sex. Pro-
pertii elegiarum librum primum, (Festschrift der Königsstädtischen Real-
schule zu Berlin 1882, 75 ff.) hat S. 22 des Separat- Abzuges conscia
Roma als Parenthese mit ausgelassenem est verteidigt. Verbesserungs-
vorschläge von anderen Gelehrten sind: Cynthia rara, Cynthia uostra,
Cynthia amore, conscio amore.
Unbekannt blieben dem Referenten:
74) Bernocco, S., Sopra aleuni passi di poeti latini: Giovenale,
Orazio . . . Properzio, Lucrezio, Virgilio. Ragusa 97 S. 1881.
75) Gildersleeve, Propertius III (IV) 7, 47 50. American Jour-
nal of Philol. IV, 2, S. 208-210.
76) Kallenbach, J. H., Propercyusza krölowa elegiij; (Die Kö-
nigin der Elegien des Properz). Przcgtad akad. 1881. I, 3. S. 192-197
77) Palmer, A., Emendations (Aristoph., Plautus , Cic. , Prop.)
Hermathena 1883. N. IX, S. 446-452.
Bericht über die Litteratur zu Catull und Tibull
für die Jahre 1877—1886.
Von
Dr. Hugo Magnus.
in Berlin.
Obwohl die zu behandelnde Litteratur sich als geradezu riesig
herausstellte, musste Ref. doch von einer Teilung absehen, da andere
Arbeiten drängten. Er bittet daher seine Leser um Nachsicht, wenn es
ihm nicht gelungen sein sollte, die Vollständigkeit zu erreichen, die er
ehrlich erstrebt hat. Manche zu spät bemerkte Lücken werden im
nächsten Berichte nachträglich ausgefüllt werden.
Gewisse Schwierigkeiten bot die Disposition. Eine rein stoffliche
Anordnung erwies sich als unausführbar. Die meisten der besprochenen
Arbeiten behandeln nicht ein bestimmtes Thema, sondern mehrere ver-
wandte wie Grammatik, Kritik, Exegese, Quellen, Chronologie zusammen.
Der Ref. also, welcher jede von ihnen in ihre einzelnen Bestandteile
auflösen und den einen hier, den andern da untersuchen wollte, würde
den Lesern nicht mehr lebendige Organismen, sondern säuberlich sor-
tierte Haufen von Gliedmafsen vor Augen führen. So ist nur insofern
eine bestimmte Disposition durchgeführt, als sachlich Zusammengehöriges
möglichst zusammengestellt wurde. Daneben waren natürlich noch die
verschiedensten Erwägungen für die Wahl des Platzes, der den einzelnen
Publikationen angewiesen wurde, mafsgebend. Die zahlreichen zer-
streuten Bemerkungen sind unter besonderer Rubrik, nach dein Namen
ihrer Verfasser alphabetisch geordnet, zusammengestellt.
Recensionen als solche zu erwähnen schien mit Rücksicht auf den
beschränkten Raum nicht ratsam. Dagegen wurden wertvolle sachliche
Beiträge, wie sie an Kritiken nicht selten sich anschliefsen, an gehöriger
Stelle registriert. Übrigens verhehlt sich Ref. nicht, dafs gerade hier
die Gefahr etwas \\ ichtiges zu übersehen besonders nahe lag.
Zitiert habe ich (wo «las Gegenteil nicht entweder selbstverständlich
ist oder ausdrücklich bemerkt wird) nach llaupt-Yahlens Text von 1885.
Jahresbericht fm Aiterthumswisseiuchaft 11 ü887 11 I 10
146 Catull. Rieses Ausgabe.
I. Catull, sowie die auf Catull und TibulJ genninsam
bezüglichen Schriften.
A. Ausgaben und dazu gehörige Schriften.
1. Die Gedichte des Catullus. — Herausgegeben und er-
klärt von Alexander Riese. Leipzig, B. G. Teubner. 1884. XLIII
u. 288 S.
In einer Recension wird dieser ersten Catullausgabe mit deutschen
erklärenden Anmerkungen vor allem Solidität' nachgerühmt und ihr
Charakter damit richtig bezeichnet. Der Kommentar (und in diesem
liegt offenbar der Schwerpunkt des Buches) enthält bei knapper Fassung
alles für das Verständnis des Dichters Wesentliche und eignet sich eben-
sowohl für den Anfänger zur Einführung iu das Studium Catulls wie für
den Fachmann zur schnellen Orientierung über das kritische und exege-
tische Material. Ref. erkennt das unumwunden an, obgleich er in Bezug
auf eine grofse Reihe Fragen, namentlich in der Beurteilung einzelner
Stellen, anders urteilt. Verf. verfährt immer durchaus ehrlich, sucht
auch der bekämpften Ansicht immer gerecht zu werden : nie wird er
eine ihm unsympathische Anschauung mit einer hochfahrenden Redensart
abfertigen oder gar totschweigen, wie dies bei E. Baehrens zu rügen
ist. Mitunter ist die Vorsicht sogar zu weit getrieben: Verf. zeigt sich
mehrfach auch da schwankend und unsicher, wo die Zweifel füglich
schweigen sollten. Neue Resultate für Kritik und Exegese fehlen zwar
nicht, treten aber gegenüber den gerühmten Vorzügen zurück (womit
durchaus kein Tadel ausgesprochen werden soll): das Buch hat eben
seinen Hauptwert als sorgsames mit Fleifs und Sachkenntnis gearbeitetes
Kompendium.
Riese's Text beruht auf OG, deren Übereinstimmung nach seiner
Ansicht den verschollenen Veronensis repräsentiert. Die jüngeren Hand-
schriften stammen wahrscheinlich aus einem verlorenen Originale, das
ebenfalls auf V zurück geht. Die von seinem Texte abweichenden Les-
arten in GO hat Verf. zwischen Text und Kommentar auf jeder Seite
verzeichnet. Zwischen der durch Lachmann, Haupt, Vahlen bezeichneten
konservativen Richtung der Texteskritik und Baehrens' Interpolationen
steht Riese etwa in der Mitte. Auch er verläfst meines Erachtens bis-
weilen ohne Not die Handschriften, um eigene oder von Andern vor-
geschlagene Konjekturen aufzunehmen, aber dafs es nie ohne Über-
legung geschehen ist, zeigt die Begründung seines Verfahrens im Kom-
mentare. Anerkennung verdient es, dafs Verf. eine Anzahl früherer
Vorschläge, die in der That nicht befriedigen konnten, ohne Weiteres
zurück nimmt. Von eigenen Konjekturen Rieses seien folgende genannt:
6, 12 nil celare valet, nihil tacere. 21, 9 atquei si faceret satur(coll. C 110). 55, 9
Catull. Rieses Ausgabe. 147
averiistis' saepe flagitabam. 55,11 nudum sinum recludens. 64, 16 illa felici
(vgl. Riese, N. Jahrbb. 1882, 880). 64, 109 lateque ruiniz obvia frangit. 67, 12
verum isto in populo ianua quid faciett 68, 69 cum qua (nicht im Texte).
68, 118 qui tum te indomitam. 76, 5 longa pietate, Catulle. 25, 5 cum luna
balnearios. 63, 5 icta acute- sibi pondera. 64, 287 variis. 114, 6 dum
bono ipse egeat. 04, 205 quo tonuit ttllus (nicbt im Texte).
Da das nützliche Buch ohne Zweifel neue Auflagen erleben wird,
so möchte Ref. mit einer Reihe von Wünschen resp. Verbesserungsvor-
schlägen nicht zurückhalten in der Annahme, dafs die eine oder andere
Notiz vielleicht Berücksichtigung findet. Weder konsequent noch recht
praktisch scheint das Verfahren des Herausgebers in seinen Angaben
aus der zum grossen Teil in Zeitschriften zerstreuten, oft in Recensiouen
versteckten und schwer zugänglichen Litteratur des Dichters. »Die Ur-
heber aller einzelnen Ansichten zu nennen«, so heifst es in der Vorrede,
»was nur da geschah wo es zweckmäfsig schien, konnte an anderen Stellen
aus verschiedenen Gründen unterbleiben, und so hat der Herausgeber
auch das von ihm aufgestellte Neue nicht überall als solches kenntlich
gemacht.« Dieses Verfahren läfst zwar fast immer den Kundigen er-
kennen, welche Stellung die Ausgabe zu den einzelnen Fragen nimmt,
aber das Bedürfnis des Lernenden wird durch die Nennung eines Namens
oder durch ein ' nach Anderen' nicht befriedigt. Dem liefse sich leicht
durch einen kurzen litterarischen und bibliographischen Anhang ab-
helfen. Au der Spitze jedes Gedichtes könnte seine Litteratur ver-
zeichnet stehen, nicht blos katalogmäfsig, sondern über Inhalt und Wert
orientierend. Ebenso könnten zu jeder einzelnen umstrittenen Stelle die
Publikationen genau nachgewiesen werden, in denen für ihre Kritik
und Erklärung Wertvolles geleistet ist. Alles dies liefse sich auf
wenige Blätter zusammendrängen und würde zugleich das Wegfallen
mancher gelegentlichen bibliographischen Notiz unter dem Texte ermög-
lichen. -- S. VI, Anna, l wird der Datanus wieder als kritisch wertlos
bezeichnet. Das läfst sieb noch der tüchtigen Dissertation von Sydow
(De recensendis Catnlli carminibus Berol. 1881), die ich bei Riese über-
haupt nicht verwertet finde, kaum aufrecht halten (vgl. auch Jahresber.
d. Piniol. Vereins V S. 313). — S. IX Schon hatte er sich traurig zu
ihr (sie) gesehnt1 u s. w. Der Satz ist formell verunglückt. — S. XIV c . .
die ihm vielleicht nach den römischen Jahren nötig war1, unverständlich.
— S. XVI Auch ich halte mit Haupt den Ruins in 69, 77 und wühl 71
für den Redner Caelius Rufus. Ich hatte nur Jahrbb. 1876, S. 404 darauf
hin gewiesen, dafs die Identität heider nicht an abhängig von der
Lesbia-Clodiafrage zu erweisen sei. S. XXIX Die AUitteration
ist in den Gedichten erhabenen Stils durchaus nicht selten1 (ebenso
unrichtig p. XXYI). Ich füge zu den -i aus c. 64 angeführten Beispielen
noch aus demselben Gedichte: V. 1. 28. 59. 70. 79. 92. 101. 155. L59.
262. 281. 309. — S. XXXV. Zu dem Epigramm de.- B. Campesani de
10*
148 Catull. Rieses Ausgabe.
resurectione Catulli' sei noch bemerkt, dafe Haupt in seinen Vorlesungen
die hübsche Vermutung aussprach, der glückliche Finder sei nach v. .'. 4
vielleicht ein Schreiber (nach a calamis == Schreiber ist zu interpungieren)
namens Francesco Notapassanti gewesen. - Unbestimmte, seh wankende
Fassung von Anmerkungen fällt besonders in 1 - 60 mitunter auf. Nach
2, 10 ist z. 13. im Texte die Lücke eines Verses angenommen, die Anm.
aber scheint dem zu widersprechen. Zu 14, 3 odio Vatiniano werden vier
verschiedene Erklärungen ohne Kritik neben einander gestellt. Ili< r
möchte ich Baehrens' Note entschieden vorziehen. — 14, 21 valete abite.
Text und Kommentar nicht im Einklänge, ib. 22 unde malum pedem
attulistis. Zu verstehen offenbar malas in oras cf. 33, 5. — 21, 9 atque
id si faceres satur heifst wohl einfach: Wenn du nicht ein so elender
Hungerleider wärest'. — 26, 1 'C gebraucht vester nie für tuus.' Das
ist jetzt allerdings Dogma, läfst sich aber ohne Gewalt nicht durch-
führen. So kann 68, 151 vestrum nicht heifsen 'dein und deiner Ge-
liebten'. Denn die Geliebte des Allius wird nirgends mit Namen ge-
nannt (ne . . . tangat rubigine nomen!). Ja, vor der Stelle, wo C. diese
Verheifsung ausspricht, ist sie überhaupt noch nicht erwähnt worden.
Endlich wird vester = tuus auch erwiesen durch 48 notescatque magis
mortuus atque magis. Auch 99, 6 ist vestrae = tuae nötig, jede andere
Erklärung sehr gezwungen. — 29, 20 timere bezieht sich immer auf die
Zukunft'. Das kann doch nur gelten, wenn ein abhängiger Satz folgt.
Man fürchtet Jemanden, dessen Macht und bösen Willen man kennen
gelernt hat und dem man daher auch für die Zukunft nicht traut. Ma-
murra hat die Provinzen ausgesogen, sie wissen also wessen sie sich
künftig von ihm zu versehen haben. Man kann dabei an eine zweite
Ausplünderung denken, braucht es aber nicht. Diese doppelte Bedeu-
tung von timere mag Ovid Metam. 8, 70 veranschaulichen. — 47, 2 fa-
mesque erkläre ich: cihr verkörperte Hungerleiderei des unendlichen
Weltalls', cf. Ov. Metam. 12, 178 o faeunde senex, aevi prudentia nostri
und Riese zu Cat. 17, 21. Das erhabene Wort mundus wird durch das
komische Pathos der Stelle erklärt. — 51, 2 gemina teguntur lumina
nocte vielleicht so zu halten: 'zwillingsgleiche d. h. gleichmäfsig dunkele
oder tiefe Nacht deckt die Augen' cf. Silius Pun. IV 99 geminusque
cupido Laudis et ad pugnas Martemque insania Concors. Man könnte
auch an Ov. Metam. XIV 725 geminaque simul mihi luce carendum
denken, vgl. XI 550 duplicataque noctis imago est und 521 nox premitur
tenebris hiemisque suisque. Doch wäre hier die Pointe des gemina nocte
nicht recht klar. — 54, 5. Der Schlufssatz ist zu streichen. — 55, 4 zu
libelli = Buchläden vgl. Philol. Wochenschr. 1883 Nr. 14. ib. 11 recludens
pafst schwerlich zu nudum; recludere heifst zwar etwas Verborgenes er-
schliefsen und dadurch dem Auge zeigen, aber nicht ohne Weiteres
= monstrare. — 61, 27 perge linquere heifst wohl wörtlich fahre fort zu
verlassen' d. h. verlafs vollends. Nach der ersten Aufforderung v. 9 huc
Catull. Rieses Ausgabe. 149
veni hat sich der Gott zum Aufbruche gerüstet. Vgl. 191 und dann
200 perge, ne reroorare. — 26. Darauf, dafs Vorbild zu diesem Scherze
wohl Callim. epigr. 47 Mein. %eefuovag /j.syäÄo>jg . . . davetov war, habe
ich schon früher aufmerksam gemacht. — 61, 124. Die in der Anm.
vorgetragene Lehre, dafs Catull das h 'unbekannt nach welcher Theorie',
wie einen Konsonanten verwendet habe, um Position zu bilden, scheint
denn doch höchst abenteuerlich. Die dafür zitierten Beispiele (so 66, 11
auctüs hymenaeo) erklären sich sehr einfach, wie Ov. Metam. II 247
Taenariüs Eurotas und ähnliche Stellen. Die Polemik gegen Haupt's Teilung
der Perikope in zwei Perioden steht daher anf schwachen Füfsen und
ist ebenso mifslungen wie Munro's einsilbiges jo. — 63, 63 das über-
lieferte mulier habe ich ZfGW. XXXII 495 verteidigt. Auch Vahlen
interpungiert jetzt richtig ego, mulier, ego adulescens sq. 63, 93 rapidos.
Diese Tautologie ist aber doch unerträglich. Die affektvolle, durch vaga
pecora und den folgenden Relativsatz aliena quae petentes vom Vorher-
gehenden sich wirksam abhebende Wiederholung in v. 13 ist damit nicht
zu vergleichen. — 64, 102 'die Vulgata oppeteret (G) pafst nur zu mor-
tem'. Spricht diese Thatsache wirklich gegen oppeteret? Vgl. Sydow 1. c.
p. 48: ' appetere mortem est mori cupere; iam autem sententia non ea est,
ut Ariadne expalluisse dicatur, cum Theseus contra Minotaurum pugnare
cupiens aut mori aut praemia laudis adipisci cuperet, sed cum Mino-
taurum occidere cupiens aut morti obviam iret aut praemia laudis adep-
turus esset'. — 64, 144. Die 'Verallgemeinerung' ist sehr unschön. Ist
eine solche constructio ad intellectum viri quis wirklich anstöfsig? Da
viri 'des Mannes' dem Sinne nach virorum, ist der folgende Plural nicht
auffällig. Vgl. 64, 32 tota frequentat Thessalia . . ferunt declarant.
64, 132. In welcher Beziehung soll ab aris zur Ariadne stehen? Riese's
Parallelstellen Verg. Aen. 3, 332. Ov. Metam. 15, 723 zeigen deutlich,
wann solche Ausdrucksweise nur statthaft wäre. — 64, 105 succendit
vota. Wie pafst das zu tacito labello. Dafs dies nicht lediglich von
promittens abhängen kann, zeigt doch die Wortstellung unwidersprech-
lich. — 64, 227 ' Lachmanns ut — decet pafst nicht, weil es nicht final
ist'. Warum ist aber ein Finalsatz nötig, ist der Kausalsatz etwa nicht
sinngcmäfs? — 64, 275 procul gehört zu nantes: die in der Ferne
rollenden Wogen färben sich purpurn, nicht in der Nähe. Die Sache ver-
hält sich wirklich so! — 64,351 variabunt vielmehr ' werden blau (nicht
blutig), schlagen', vgl. Ov. Metam. 8, 536 liventia pectora tundunt u. a.
- 64, 401 nuptae neben novercae ist sinnlos. Nach Riese ist ut in-
nuptae in den codd. unmöglich, weil innupta bei C. stets = virgo steht'.
Also weil C. nur an dieser Stelle innuptus in der ursprünglichen
adjektivischen Bedeutung = jungfräulich, nicht in der abgeleiteten
substantivischen = Jungfrau gebraucht ( «las ist doch der ganze l'nter-
schied!) sollen wir eine wohl pointierte handschriftliche Lesart einer nichts-
sagenden Konjektur opfern? Um ungestört die Blüte der jungfräulichen
150 Catull. Rieses Ausgabe
Stiefmutter pflücken zu können'. r>;i f's die junge Frau vor dem flore
potiri 'jungfräulich beifst, kann doch nichl auffallen. Nbverca beifst sie
mit Beziehung auf primaevi funera oati. Etwas anders B. Schmidt praef.
ed. mai. p. CXXIV. Warum sucht übrigens Verf. in dieser ganzen A.usn alung
des entarteten Zeitalters überall spezielle mythologische Zöge? 65, 9
alloquar audiero namquam tua . . loquentem. Seil wann sind harte Kon-
struktion, unverständliches Put, exact., Lückenhaftigkeit Zeichen eines
interpolierten Verses? Die vers- und sprachgewandten [tali machten es
sonst anders, wenn sie einen Vers ergänzten. — 65,22 die Anrn. zu
streichen. — 66, 22 Wenn Ptolemaeus und Bcrenice Geschwister beifsen,
so konnte auf Ov. Metam. l, 351 o soror (Deucalion und Pyrrha) ver-
wiesen werden. - 66, 20 die Anm. nicht zu halten. 66, 83 Riese
Colitis mit GO. Aber diese La. ist sinnwidrig, denn liier ist von Bräuten
die Rede (optato quas iunxit lumine taeda non prius coniugibus tradite
corpora), nicht von Matronen. Es pafst also nur das petitü des viel-
geschmähten Datanus. Vgl. Sydow 1. c. p. 9- 10. 67, 10 culpa mea
est im Texte zu lesen. - 67,27 über die Provenienz des is erfährt
man nichts.
Eigentümlich und interessant ist Riese's Stellung zu dem viel um-
strittenen c. 68. Er nimmt zwischen den Verteidigern der Einheit und
den Chorizonten eine vermittelnde Stellung ein. Zwar erkennt er enge,
noch von Niemandem widerlegte Beziehungen zwischen den beiden Stücken
an (149 verglichen mit 10, 32, 12), aber zählt dann sieben Gründe auf, die
uns angeblich hindern, im ganzen c. 68 ein einheitliches, von Anfang bis
Ende dieselbe Situation schilderndes Gedicht zu erblicken. D Das poe-
tische munus wird 14 und 32 verweigert, dann aber in 68b gegeben.
2) Dort entsagt C. der Liebe (19.25.), hier huldigt er ihr (bis 160).
3) Zu v. 1 und lecto caelibe in 6 pafst der Glückwunsch in 155 nicht. 4) Die
fast völlige Gleichheit der Klage v. 20-24 und 92-96 in einem und
demselben Gedicht ist unzulässig; 5) der Name heifst dort Malius (?),
hier Allius; 6) 41 schliefst sich uicht an 40 an, 7) 1—40 ist in der ein-
fachen Sprache des gewöhnlichen Verkehrs, 41 ff. aber überwiegend in
erhabenem oder ge'ziertem Ausdruck geschrieben. Es sind das Ausfüh-
rungen , die zweifellos eine sehr dankenswerte Präzisierung der Streit-
frage enthalten. Auf folgende Weise sucht Riese die Schwierigkeiten
zu heben: 1-40 ablehnende Antwort auf die Bitte des Freundes, ihn
durch heitere Gedichte fröhlich zu stimmen: er sei selbst unglücklich;
heiteres könne er daher jetzt nicht dichten; passende Dichtungen aber
die schon vorhanden seien, könne er nicht schicken, da er in Verona
keine mit sich führe: so müsse er utrumque zu seinem Bedauern ver-
sagen. Doch so läfst sich der Freund nicht abfinden. Er wird noch-
mals an 0. geschrieben und ihn eindringlich gebeten haben, ihm wenn
nicht ein heiteres Liebeslied, so doch irgend eine poetische Leistung
zukommen zu lassen; dabei mag er auch mitgeteilt haben, dafs sein
Catull. Rieses Ausgabe. 151
Liebesunglück beseitigt, dafs er wieder glücklich sei. Als Antwort auf
einen derartigen Brief ist dann das c. 68 b, ein kunstvolles Gedicht, zu
denken. Ihm fügt C. noch ein Begleitschreiben V. 149—160 bei = c 68 c.
Man sieht, die Frage ist damit in ein neues Stadium getreten. Das
überlieferte c. 68 besteht nicht aus einem Gedichte, nicht aus zweien,
sondern aus dreien. Aber wunderlich genug: dieselbe Theorie, die an-
scheinend im Zerstören noch einen Schritt weiter geht als die Chorizonten
von Ramler abwärts wagten, lenkt fast unbewufst in richtige Bahnen
zurück und entpuppt sich als Verteidigung der Einheit. Anderseits
werden auch die eifrigsten Verteidiger der Einheit, zu denen sich Ref.
rechnet, zugeben dürfen, dafs manche der Gründe die uns zwingen in
den 41—160. losgelöst von den ersten 40 Versen, ein wahres Monstrum
zu sehen, bei der von Riese befürworteten Dreiteilung wegfallen. Sie
ist an sich möglich, sie läfst sich nicht so wie die Zweiteilung direkt
als irrig erweisen. Hätte nur Riese seine Theorie konsequenter durch-
geführt: Ich fürchte, der Lernende wird nunmehr nicht recht wissen, ob
er in c. 68 ein, zwei oder drei Gedichte sehen soll. Auch verwickelt
uns die Annahme einer Dreiteilung wieder in neue Schwierigkeiten. Ist
c. 68a die ablehnende Antwort auf eine erste Bitte des Freundes,
68 b und c die zusagende auf eine zweite, so ist nicht recht abzusehen,
wie C. sich in dem Begleitschreiben (c. 68 c) auf einen früheren Brief
ablehnenden Inhalts (68a), der unter ganz anderen Bedingungen ent-
standen ist , beziehen konnte. Wenn Allius in dem zweiten Briefe ' an
seine officia für C. bescheiden erinnert hat', so bezieht sich 149 — 150
eben auf diesen Passus, nicht aber auf v. 12 hospitis officium. Ferner:
Wenn Allius in eben diesem zweiten Briefe schrieb, sein Liebesunglück
sei beseitigt, er sei wieder glücklich, wie kam er dazu seine frühere
Bitte um munera musarum et Veneris unter so veränderten Verhältnissen
zu wiederholen? Konnte er wirklich schreiben: Zwar ist mein Kummer
von mir gewichen, zwar habe ich Trost durch ein heiteres Liebeslied
nicht mehr nötig, aber trotzdem würde ich dir sehr dankbar sein, wenn
du mir irgend eine poetische Leistung aus deiner Feder schicken woll-
test? (notabene: Obgleich du mir, selbst tief betrübt, meine Bitte
um Liebeslieder schon einmal abgeschlagen hast, obgleich der Grund,
der mich diese Bitte aussprechen liefs, jetzt ganz weggefallen ist!). Und
schliefslich : Ist Riese's Hypothese nicht gar sehr künstlich, stürzt das
ganze Gebäude nicht in sich zusammen, wenn die sieben Gründe für Trennung
von 1 — 40 sich als hinfällig erweisen? Eine Verständigung mit einem
so einsichtigen, streng sachlich verfahrenden Gegner wie Riese scheint
mir ebenso möglich wie wünschenswert. Gehen wir also die sieben Punkte
noch einmal durch, ad 1) Dasjenige poetische munus, das der Freund
erbeten hatte, wird verweigert und wird nicht gegeben] Statt dessen
sendet der Dichter ein begeistertes Loblied auf den lieben Freund.
ad 2) In 19 und 25 sagt C, sein Kummer um des Bruders Tod habe
|52 Catnll. Ripsen Ausgabe.
ihm die Stimmung zu poetischen Tändeleien erotischer Färbung (etwa
im Stile des passer deliciae meae puellae) genommen. Soll darum auch
seine glühende Leidenschaft für die Geliebte erstorben sein? Durch
Stellen wie Ov. ex P. I. 10, '.v.i nee vires adimil Veneria damnosa volnptas:
non solet in maestos illa venire toroa wird man dies doch nicht etwa
erweisen wollen?! Über lecto caelibe in v. 6 ist von mir und Harnecker
gesprochen. Ich habe schon früher auf c. 6, 8 ridnaa noctes verwiesen.
Im Uebrigen wiederhole ich Harnecker's treffende Worte (Programm von
Friedeberg 1881 S. 4): Nicht das Fehlen der Venus raubt dem Mün-
den Schlaf, sondern selbst sie die heilige Venus gar, die doch sonst so
gnädig wirkt, hier versagt ihr Dienst. Durch neque-neque sind beide
Glieder als parallel und gleichwertig erwiesen; in einem derselben
(saneta Venus) kann also das Unglück gar nicht stecken, denn
beide Glieder sind erst vollkommen parallele Folgen aus
dem einen uns unbekannten Unglücke, gleichsam Symptome
des Leidens. Also es ist ganz unmöglich anzunehmen, die Liebe sei
bei dem Mifsgeschicke im Spiele'. Vgl. auch Jahrbb. 1877 S. 416.
Und wie soll 155 Sitis felices et tu simul et tua vita mit v. l casuque
oppressus acerbo im Widerspruch stehen? Mit seiner Geliebten lebte A.
ein glückliches Liebesleben und hatte es auch vorher gelebt. Konnte
ihn denn aber darum (z. B. im öffentlichen Leben) überhaupt kein Un-
glück treffen? Nun konnte ja Catull auf das unbekannte Unglück des
Freundes noch einmal zurück kommen und etwa schreiben : ' Möget ihr
wie bisher liebebeseligt leben. Dies dein ungestörtes Liebesglück, mein
Allius, wird dir leicht über den Schlag, der dich jetzt betroffen hat, hin-
weghelfen'. Er konnte es, aber es wäre nicht sonderlich taktvoll. Man
tröstet einen Betrübten besser mit dem einfachen Hinweise darauf, wie
Vieles und Schönes ihm geblieben, als durch wiederholtes Berühren der
Wunde. — ad 4) Dieser Einwand ist unverständlich. Nach welchem Ge-
setze der Poesie ist das unzulässig? Ref. findet in dieser Wiederholung
gerade einen wunderbar rührenden Ausdruck der Trauer, die den lieben-
den Bruder verzehrt. Unwillkürlich strömen ihm dieselben Klagetöne
zu: dieselben Gefühle kleiden sich dem einfachen Dichter in dieselben
Worte. Vermag nicht auch ein Tondichter durch die Wiederholung der
Melodie, die seinem Gefühle besonders rührenden und treffenden Aus-
druck giebt, wundersam zu wirken und zu ergreifen? Vgl. das Wagner-
sche Leitmotiv! Man wende nicht ein, dergleichen sei Gefühls- und
Herzenssache, dürfe daher zur Beantwortung einer kritischen Frage nicht
ins Feld geführt werden. Die Chorizonten finden etwas anstöfsig, was
den Verteidigern der Einheit besonders schön und wirkungsvoll er-
scheint. Die Partie steht also gleich. — ad 5) Auch für Riese ist dies
in Wirklichkeit gar kein Einwand, da ja nach S. 219 auch er in 68a
und b zwei Namen für dieselbe Person findet. Ob man nun besser
mit Lachmann Vorname und Gentilname herstellt oder mit Riese (nach
Catull. Rieses Ausgabe. 153
Scaliger) Gentilname und Adoptionsname, kann hier unerörtert bleiben,
denn es ist für die uns interessierende Frage ohne Belang. Nur sei be-
merkt, dafs die Beobachtung, Catull rede nie mit dem blofsen Pränomen
an (S. 219) nicht gegen Lachmanns Moni sprieht. Catull redet eben in
c 68 den Freund nicht mit dem blofsen praenomen. sondern einmal
mit dem Vornamen, ein andermal mit dem Gentilnamen an. Dafs in
Catulls kleinen Gedichten, wo die Anrede nur einmal steht, das Pränomen
keinen Platz hatte, weil es allein den Angeredeten nicht genug bezeich-
nete, ist ja selbstverständlich. Über den naturgemäfs selteneren Ge-
brauch des Pränomens in der poetischen Anrede bei alten wie neuen
Dichtern vgl. Harnecker 1. c. p. 2 und Jahresber. d. Philol. Vereins VII
S. 363 364. Mit welchem Rechte aber leitet man daraus ein obliga-
torisches Gesetz her? Gewöhnlich inspirieren die Musen den Dichter, in
68, 45 findet bekanntlich mit gutem Grunde das Umgekehrte statt. Der-
gleichen darf eben nicht nach einer Schablone behandelt werden. — ad 6)
41 schliefst sich ganz vorzüglich an 40 an' Es fehlt nur die gramma-
tische Verbindung, weil das Gedicht sich zu neuem Fluge erhebt, weil
das eigentliche Lobgedicht hier beginnt. Auf v. 40 folgt eine Gedanken-
pause, ähnlich wie in einem Tonwerke nach der Introduktion: die Auf-
merksamkeit des Zuhörers wird gespannt, erwartungsvoll harrt er des
Grossen, Erhabnen, das da kommen soll, bis die vollen Klänge daher
brausen. So hier: Wie, fragt sich Catull, meinem Allius mufs ich mich
ganz versagen, ihm, meinem lieben Freunde? Nein, trotz alledem, tausend-
mal nein: denn: non possum reticere, deae. — ad 7) In noch schärfere
Form wird dieser Einwurf zu v. 1 gefafst: ' v. 1-40 ist fast durchweg
in Satzbau, Wortschatz, Wortstellung u. a. versifizierte Prosa'. Man
höre diese Prosa: conscriptum hoc lacrimis mittis epistolium. uaufragum
ut eiectum spumantibus aequoris undis sublevem et a mortis limine resti-
tuam u. s. w. bis v. 10. Dann v. 16 iucundum cum aetas florida ver
ageret, 18 quae dulcem curis miscet amaritiem, 21 — 26, 34 illa domus.
illa mihi sedes, illic mea carpitur aetas. Dagegen halte man folgende
'erhabene1 Poesie in 68b: 48 notcscatque magis mortuus atque magis,
80 docta est amisso Laudamia viro, 82 quam veniens una atque altera
rursus hiems, 41 iuverit auf quantis iuverit officiis, v. 135 u. f. u. a. Die
Sache steht vielmehr so: Catull hat im ganzen c 68 noch keinen
strengen, konsequent ausgebildeten Stil. Neben Wörtern, Wendungen
und Bildern der erhabenen Poesie stehen überall Ausdrücke die sich
der Prosa nähern. Am häufigsten sind dieselben notwendigerweise
im Proömium und im Epilog, weil hier Form und Sprache des Briefes
festgehalten sind und das persönliche Element vorwaltet, weil endlich
die laudatio Allii sich von ihnen bedeutungsvoll abheben soll.
68, 30 Datanus hatte ursprünglich Manil — 68, 39 im Texte
est, im Lemma facta estl — 68,52 in quo me torrueril genere. Dann
mutete aber der Dichter doch fortfahren ut tantum arderem. 68, 67
154 Catull. Rieses Ausgabe.
'lato limite ist Abi. qualitatis: Das bisher verschlossene, weite (weit-
umgrenzte) Feld'. Schwerlich richtig. Dieser Abi. quäl, wäre doch sehr
kahl und wird durch die zu 64, 17 citierten Parallelstelleo nicht ge-
Bchtitzt. Noch mehr dagegen spricht folgendes: es ist zwar denkbar,
dal's ein weitumgrenztes Feld gleichwohl verschlossen ist. Aber so
nebeneinander gestelll passen die bilden Begriffe nicht recht zu-
sammen, ja schliefsen sich nahezu aus; mit lato 1. verbindet man un-
willkürlich den Begriff 'offen, von allen Seiten Bichtbar und leicht zu-
gänglich'. Ich ziehe daher lato 1. zu patefecit und erkläre es als
Abi. iustrum. oder besser Ablativ der näheren Bestimmung: er öffnete
die Bahn durch weite Grenzen (indem er die Grenzen erweiterte, so dafs
die Grenzen weit wurden). Dieser Gebrauch des Abi. bei den römischen
Dichtern ist ja sehr verbreitet. So Ov. Metam. IX 222 spissa glomerari
grandine. V 673 rigido concrescere rostro. II 453 cornua nono orbe re-
surgebant u. a. — Die Verse 93 - 96 streichen heilst nach dem oben
Bemerkten Catullum tollere e Catullo! — 68, 118 die Konjektur qui te
unum comitem ferro iugum doeuit, welche Riese mir zuschreibt, ist von
C. Jacoby vorgeschlagen und ward vielmehr von mir Jahresber. d. Phil-
V. IX 279—280 bekämpft. — 68, 160 Nicht der Liebe hatte Catull in
68 a Valet gesagt, sondern tändelnden Liebesgedichten. 76, 5 das hsl.
in longa aetate ist wohl nicht anzutasten. Multa und longa korrespon-
dieren: 'Viele Freuden stehen dir noch während eines langen Lebens
bevor' d. h dein Leben wird lang und an Freuden reich sein. — 83, 6
ist das in seiner Tautologie vollständig sinnlose uritur et loquitur nicht
glücklich verteidigt: quod ganuit et obloquitur . . irata est, hoc est:
uritur, et loquitur ist undenkbar. Das Komma hinter uritur ändert
die Sache auch nicht: uritur allein ist kahl und nicht selbständig genug;
et kann an dieser Stelle des Epigramms nicht heifsen cund darum',
sondern uritur und coquitur müssen sich gegenseitig erklären. Loquitur
endlich läfst gegenüber dem mala plurima dicit etwas sehr Wesentliches
vermissen (zu taceret in v. 3 bildet es mit nichten den Gegensatz, son-
dern gannit et obloquitur). Kurz in diesem Epigramme wäre Alles wind-
schief. Riese's Einwurf, coquere könne so nicht ohne erklärenden Zu-
satz stehen, trifft nicht. Denn sowohl die Nachbarschaft von uritur, wie
der Gegensatz sana esset sind deutliche Erläuterung. — 92, 3 totidem
mea ist wohl nicht verderbt. Den richtigen Gedanken trafen die Itali
mit der Konj. mala in v. 1. Doch ist die Änderung selbst unnötig.
Vgl. 0. Aken: De figurae ävb xoivoü usu apud Catullum, Tibullum,
Propertium. Pars I. Schwerin 1884 p. 9: ' »mea« dicit, tanquam in primo
versu substantivum posuisset. At non iterum cogitandum est substan-
tivum, sed dnb xoivou supplendum est ex »dicit male« maledicta. Con-
feras illud Thucydideum (I 109) ort. rer^erat xai ü^og ijdij Xafißdvei sc.
zu reiyog'. — 94, 2 der Schlufssatz 'Wie matt wäre der Witz, wenn
Catull selbst ihm erst den Namen gäbe und ihn dann darum verspottete
Catull. Rieses Ausgabe. 155
entspricht nicht der naiven und darum kindlich-liebenswürdigen Freude
Catulls darüber, dafs ein bon mot von ihm Beifall gefunden und ge-
flügeltes Wort geworden war. — 110, 1 zur Erklärung von bonae durfte
wohl nicht auf 111, 1 viro contentam vivere solo verwiesen werden. Die
Begriffe nuptae und amicae schliefsen sich aus. Ist nicht überhaupt
bonus hier besser wie 89, 1 zu erklären? — 110, 4 saepe ist wohl nicht
anzutasten, sondern mit Haupt zu interpungieren nee das et fers saepe.
— 113, 2 'solebant Mucilla sc. uti'. Selbst wenn es Belege für diesen
obscuren Gebrauch von uti aliquo gäbe, erhielten wir doch nicht die
richtige Nuance des Ausdruckes. Mucillam sc. futuere scheint unzweifel-
haft. — 116, 4 tela infesta meura oder mihi. Die La. ist, denke ich, von
Muret. — 81, 3. Man kann zugeben, dafs moribundus nicht die aktive
Bedeutung tötend = langweilig hat, ohne doch Riese's Erklärung ctot
= langweilig' zu billigen, denn diese pafst nicht zum folgenden pallidior,
das offenbar in Beziehung zu Pisaurum steht (vgl. 6, 4 febriculosi). Pi-
saurum war demnach eine hinsterbende d. h. aussterbende Stadt, weil
es, wie viele italienische Ortschaften, durch Fieber allmählich verödete.
So kommen wir auf anderem Wege doch wieder zu der Bedeutung un-
gesund'.
Möge die tüchtige Ausgabe weite Verbreitung und dem liebens-
würdigen Dichter neue Freunde in grofser Zahl gewinnen. —
Aus Harnecker's anerkennender Recension (N. Jahrbb. 1884,
769 — 772) seien zwei allgemeinere Erörterungen hervorgehoben. Mit
Unrecht setzt Riese (Einl. S XIX, vgl. S. VII) den Tod des Bruders
etwa ins 17. Lebensjahr des Dichters und kurz darauf c. 68, 65, 66,
und zwar weil es 68, 15 f. heifst tempore quo primum vestis mihi tradita
pura est, iueundum cum aetas florida ver ageret . . sed totum hoc
Studium luctu fraterna mihi mors abstulit! Man darf aber nicht über-
setzen rzu der Zeit, da ich die topa viiilis erhielt, dichtete ich viel'.
Denn primum in Verbindung mit tempore quo ersetzt natürlich das ubi
primum der Prosa und tempore quo ist aufzulösen = ex eo tempore
quo; und dieser ganze Zeitraum ist hinterher durch v. 16 charakterisiert.
Es ist also nicht von einem Zeitpunkte, sondern vou einer ganzen
Lebeusperiode die Rede. Nicht in meinem 16. oder 17. Lebensjahre
habe ich gar viel gescherzt', sondern seit meinem 16. Lebensjahre habe
ich meinen ganzen blühenden Lebensfrühling hindurch viel
gedichtet; jetzt aber' n. s. w. So hätte der Dichter auch in seinem
40. Jahre von sich sprechen können. Übrigeos ist es an sich oichl glaub-
lich, dafs ein 18- oder 19 jähriger Jüngling Gedicht) wie 68, 65, 66
(und wohlfiemerkt gleichsam auf einen Wurf) geschaffen haben soll.
[Harnecker konstruiert also, wenn Ref. recht versteht, bo: tempore, iu-
eundum cum aetas Borida ver ageret, ex quo vestis mihi tradita pura
est. Aber freilich ist quo und selbst ubi primum nicht = ex quo. Ausser-
dem gehört offenbar tempore quo eng zusammen und darf nicht getrennt
laß Catull Baehrens' Kommentar.
werden. In der Sache bat Harnecker dagegen offenbar recht. Aber der
Ausdruck tempore quo . . pura est ist gewählt al charakteristischer
Zeitpunkt der florida aetas, des LebensfrUhlings. Gemeinl ist natürlich
eine Lebensperiode. Catnll sagt: Schon als ich die Kinderschuhe aus-
zog, dichtete icli Liebeslieder und natürlich von da an bis zu dem
Momente, wo mir des Bruders Tod den Sinti für solche Beberze nahm'.]
— Harnecker meint sodann, eine allegorische Auffassung einzelner Na-
men hei Catullus sei nicht ohne Weiteres abzuweisen. Juventius z. B.
ein Pseudonym sein (etwa 'Jugendschön, Jugendblüte'). Denn
hätte Catull wirklich einen Juventius mit Milchen Kui-liedchen öffentlich
beglückt, so mnfste sich ein stolzer, steifer Römer, ein Juventier (und
zwar jeder junge Träger des Namens) kompromittiert fühlen. Ist dem-
nach Camerius in 55 einer der sich im Kämmerlein verborgen hält und
nicht aufzutreiben ist? Aquinius =■ 'Poet Wässerung'? [Ref. hält auf
diesem Gebiete grofse Vorsicht für ratsam. Der Boden ist doch gar zu un-
sicher]. — Auch andere Recensionen, (Biese, Cr., K. P. Schulze, K. Rofs-
berg, Schäfler u. a.) bringen nützliche Nachträge zu einzelnen Stellen.
2. Catulli Veronensis liber. Recensuit et interpretatus est
Aemilius Baehrens. Volumen alterum [CommentariusJ. Lipsiae,
B. G. Teubner. 1885. XVI und 619 S. 8.
Zwischen dem kritischen und dem erklärenden Teile von Baehrens'
Catullausgabe liegt ein Zeitraum von neun Jahren. Zweifel, ob der längst
versprochene Kommentar je erscheinen würde, erschienen somit nicht un-
begründet, haben doch auch Haupt und Schwabe ihren Plan den Catull
zu kommentieren, nicht ausgeführt. Überdies schien es eine schwere,
wenn nicht unmögliche Aufgabe für Baehrens den von ihm konstruierten,
höchst willkürlichen, von ebenso überflüssigen wie tollkühnen Änderungen
wimmelnden Text zu begründen und zu rechtfertigen. Aber die erstaun-
liche Arbeitskraft des Verf. hat das Unmögliche möglich zu macheu ge-
wufst. Die Praefatio belehrt uns, dafs er bei allen andern Arbeiten (Aus-
gaben von Tibull, Properz, Statius, den Poetae Latini minores) den
Catullkommentar immer im Auge behielt und endlich das gesammelte
Material in der kurzen Zeit vom Oktober 1883 bis zum August 1884
druckfertig stellte. Um seiner Arbeit gerecht zu werden, ist vor Allem
anzuerkennenjdafs sie eine von sehr respektablem Fleifse zeugende, neben
den Kommentaren von EUis und Riese volle Selbständigkeit wahrende
Leistung ist, die zur Erklärung der catulliseheu Poesie beizutragen ge-
eignet scheint. Namentlich durch die grofse Belesenheit des Verf. in der
römischen Poesie nach Catull ist manches Brauchbare herangezogen
worden; weniger ist er in der griechischen Litteratur zu Hause. Die
Arbeiten früherer Erklärer sind sorgsam, wenn auch einseitig und wenig
objektiv benutzt. Vgl. darüber praef. p. XIII: :illud unura adicio, quid-
quid priorum interpretum curis debeo, me sub eorum nomine adtulisse
Catull. Baehrens' Kommentar 157
summa cum religione, cetera omnia memet ipsum collegisse (et in his
sane nonnulla, quae postea iam apud Mos extantia vidi)'. Doch ist dieser
Grundsatz nicht immer streng durchgeführt. So sind zu c. 49 und 68, 10
offenbar 0. Harnecker's Arbeiten benutzt, ohne dafs sein Name je citiert
würde. Auch die praktische, leicht übersichtliche und klare Fassung
der Noten ist zu rühmen: Baehrens sagt immer gerade heraus was er
will. Endlich zeigt er bisweilen da, wo er unbefangen urteilt, im Gegen-
satze zu Ellis ein gesundes und offenes Auge für das Einfache und
Richtige. Man vergleiche z. B. die Anm. zu 64, 23 heroum salvete
deum genus, o bona mater bei ihm und Ellis. Die unten näher zu er-
örternden Prolegomena sind endlich durchaus dankenswert.
Wenn nur Verf. seinen Lesern den Dank für empfangene Beleh-
rung nicht gar so schwer machen wollte! Höchst unerquicklichen Ein-
druck machen die zahlreichen persönlichen Ausfälle des Verf. gegen
andere Gelehrte. Fast jede sachliche Diskussion wird durch dergleichen
Gehässigkeiten vergiftet. Der Anfänger, der diesen Kommentar benutzt,
mufs Baehrens' Gegner sämtlich für bornierte Menschen halten. Hand
in Hand damit geht eine naive, für den Geschmack unserer Zeit geradezu
verblüffende Selbstüberhebung. So heifst es auf S. IX: retiam in emen-
datione me plane adaequasse Lachmanni merita, probi simulque pru-
dentes iudices candide agnoverunt, inimici omni modo negavere atque
dissimulavere'. Wer sind diese probi simulque prudentes iudices? Ebenso
naiv ist die Klage, dafs Bursian in seiner Geschichte der klassischen
Philologie nicht günstig genug über ihn urteile, er, der doch selbst kein
Kritiker sei und zum Catull überhaupt nur eine Konjektur gemacht
habe! S. IX heifst es dann: . . . 'Catullum mihi videor restituisse in eura
statum habitumque, quem eis quibus utimur subsidiis recuperare licet'!
Verhängnisvoll für den Kommentar ist ferner die leichtfertige Konjektural-
kritik des ersten Bandes geworden. Wie verhält sich Baehrens zu
seinem willkürlich interpolierten Texte? In zahlreichen Fällen werden
die früheren Vermutungen (und daraus ist wahrlich dem Verf. kein Vor-
wurf zu machen!) einfach aufgegeben, bisweilen zu Gunsten der Tradi-
tion, oft aber auch nur um neuen Konjekturen zu weichen (so 12. 7
furta fuste lento\ 25, 5 cum dira vinulenties] 31, 9 peregrino ab orbe\ 55, 11
velum sinu reducens; 62,9 canent quo irincere cura est] 63, 74 sonitus gemens
abeit; 64, 127 pertenderet ; 64, 287 Meliasin . . . duris?\ 66, 15 arme /«'-
ventes; 67, 12 ianua cuncta fach; 68, 39 peteiti copia aperta est\ 93, 1
96,4 et quei discissas; 115, 5 tractusque paludesque u. a.). Manches wird
gar nicht erwähnt (66,31 tantumf febrtii an <in<><h. Einen greisen Teil
seiner Vorschläge aber hält Baehrens unter z. T. sehr ausführlicher,
doch selten gelungener Begründung aufrecht. Endlich werden zahlreiche
neue Einfälle vorgebracht und verteidigt. Aus alledem ergibt sich, dafs
die Textkritik auch in diesem Bande eine sehr grofse Rolle spielt.
Beinahe Vers für Vers begegnet mau kritischen Erörterungen. Auch
158 Catull. Baehrens' Kommentar.
die Paläographic wird häufig herangezogen. Es it in dieser Beziehung
des Guten etwas zu viel geschehen im Gegen atze zu Ellis, dessen Kom-
mentar allerdings durch fast gänzliche A.usschliefsung der Kritik ein-
seitig geworden ist. Baehrens' Textkritik trägt zwei Gesichter. Sie isl
skeptisch gegenüber den Vorschlages anderer Kritiker: und es mufe an-
erkannl werden, dafs Baehrens iu der Polemik gegeu solche manches
richtige uüd treffende Wort gelungen i.^t. Sic isl gänzlich haltlos und
befangen gegenüber den eigenen Einfällen. Mitunter bleibt unklar, was
Baehrens eigentlich an der Überlieferung tadelt, wenn nicht etwa der
Wunsch bestimmend war, eine früher ausgesprochene Konjektur unter
allen Umständen zu halten. So werden geflissentlich S. 520 zu 68 b, 59
Troia obscena, S. 530 zu 68'', 100 plurima furta Iovis Schwierigkeiten
herausgeklügelt, die für den Unbefangenen nicht vorhanden sind. Er
scheut vor argen Geschmackswidrigkeiten nicht zurück, die, von einem
Andern begangen, seinen Spott herausfordern würden. So wird in 68, 2
das wunderschöne conscriptum lacrimis epistolium ersetzt durch eon-
strictum ec lacrimis mit folgender Motivierung: umor constringit ua-
turaliter papyrum, quae ita prodit lacrimas'. Was Baehrens selbst für
streng verboten erklärt, wird erlaubt, sobald er selbst mit einer Kon-
jektur beteiligt ist. Zu 71, 1 wird Palladius Konj. 'iure b<mo' mit Rück-
sicht auf den Sprachgebrauch abgewiesen, der iure optimo verlange: nam
usum in huiusmodi coniccturis anxie observandum esse patet'. Dagegen
führt er 76, 11 ein unerhörtes tepte oder tele unbedenklich durch Kon-
jektur ein: (nam huius usus exemplum sane uon indulsit nobis casus'!
Ja, Bauer, das ist ganz was anderes! Die Litteratur des c. 68 wird
einfach unterdrückt und so dem Lernenden jede Möglichkeit genommen,
sich ein eigenes Urteil in der Sache zu bilden. Es heifst einfach, es seien
erstanden ' acerrimi placitorum Lachmannianorum defensores . . quorum
explicatioues, quoniam (ut fieri aliter nequit) absurdae sunt omues, si-
lentio premere praestat'. Das ist Alles. Baehrens hat seinen Kommentar
nach p. XI 'tarn virorum doctorum quam adulescentium studiis philolo-
gicis operam navantium usui' bestimmt. Es bedarf nach dem Gesagten
kaum der Versicherung, dass er bei aller Anerkennung gelungener Einzel-
heiten für den letzteren Zweck nicht geeignet ist, ebensowenig wie Ellis'
Commentary. Denn das Studium des Buches fordert die Fähigkeit die
Spreu von den vereinzelten edlen Körnern zu sondern, fordert das feste
Urteil und den geübten Blick des sachkundigen Gelehrten. In der Hand
des Anfängers kann es leicht Schaden anrichten, denn dieser wird über
Ziele und Methode der Textkritik, über das was hier erlaubt und ver-
boten ist, ganz falsche Vorstellungen schöpfen. Es wird Aufgabe der
Universitätslehrer sein die Lernenden über den Charakter des Buches
aufzuklären.
Ref. versucht nun in kurzer Musterung eine Übersicht des Neuen
und Wertvollen zu geben, das dieser Catullkommentar bietet. Auch die
Catull. Baehrens' Kommentar. 159
neuen Konjekturen von Baehrens werden möglichst vollständig ver-
zeichnet, um dem Vorwurfe zu entgehen, als sei Wichtiges übergangen.
Dem Ref. ist nur wenig davon brauchbar erschienen. Die vorausge-
schickten Prolegomena sind dankenswert: sie verbreiten sich, lebendig
geschrieben und von grofser Belesenheit zeugend, über die verschie-
densten Seiten des litterarischen Lebens in Rom vor und nach Catulls
Zeit, legen gleichsam den Boden, aus dem die catullische Poesie erwuchs,
blos, und füllen entschieden eine Lücke aus. So wird in cap. I S. 8 14
gut erläutert wie die alexandrinische Poesie auf die römische ihren un-
geheueren Einflufs erlangen konnte, sowie auf S. 16 --20 manches Cha-
rakteristische für die novi poetae beigebracht. Vgl. S. 17: eam construc-
tionem , quam vulgo vocant accusativum graecum, introduxerunt primi
cantores Euphorionis in carminibus doctis . . nam falsum est quod
alius alium exscribentes adfirmant vulgo, usus illius iam apud Plau-
tum Enniumque inveniri exempla'. [Doch vgl. die Bemerkungen bei
Schäfler Gräcismen S. 26.] — In cap. II wird über Catulls Leben ge-
handelt. Es bedarf kaum der Erwähnung, dafs auch Baehrens Lesbia
für die Schwester des P. Clodius hält. Der Beweis dafür ist mit wenigen
Abweichungen aus den Analecta Catulliana wiederholt. Auf S. 34 wird
der Spitzname quadrantaria so erklärt (nach Cicero p. Cael. 20, 62):
' lavabantur Romae quadrante viri, videturque Clodia aliquaudo uua cum
viris lavasse: quae res sub Caesarum imperio non ita rara tum novitate
sua ita offendere potuit, ut hinc feminae procaci lascivaeque cognomen
illud inditum esse non sit veri dissimile'. Mancherlei ist sehr zweifel-
haft. Nach S. 36 sammelte Catull den Stoff zu c 63 auf der bithynischen
Reise und arbeitete es vielleicht im Winter 57/56 zu Nicaea aus. Nach
S. 38 suchten Furius und Aurelius den Dichter beim Juventius zuerst da-
durch auszustechen, dafs sie ihn als parum pudicus hiustellten Als
dies nicht gelang, suchten sie ihn dadurch auf gute Manier ('amicitiae
specie usi') los zu werden, dafs sie ihn mit Lesbia wieder aussöhnten!
Ihre guten Dienste weist C. mit dem beifsendeu c. 1 1 zurück. Doch
ist zuzugeben, dafs manches ganz artig kombiniert ist. Es folgt in
cap. III die Charakteristik Catulls. Das auf S. 40 - 42 über das
Naturell des jugendlichen Dichters Gesagte ist richtig, doch in keiner
Beziehung originell. Aus der formelhaften, von Catull in fast mechani-
scher Nachahmung beibehaltenen Anrufung 64, 22-25 Heroes . . . vos
ego saepe meo, vos carmine compellabo wird S. 44 unrichtig gefolgert,
Catull habe den Plan gehabt ein Epo> Argonautica zu verfassen Die
Bemerkungen über die Sprache des Dichters S. 45-52 sind Lesenswert.
Über die Responsion bei Catull heifst es S. 57 richtig: Alias autem
strophas quam (sie) quae fiunt aut systematis aut versa intercaiari . .
non adhibuit Catullus, cui sine ullo iuris aut verisimilitudinis specie docti
nonnulli obtrusere illas recentioram philologoram delicias oec iueunditatis
quidquam nee fruetum haben tes'. Den Beschlufs machen in cap. IV
160 Catull. Baehrens' Kommentar.
meist richtige und besonnene Bemerkungen aber Anordnung, Heraus-
gabe, Nachahmung und Überlieferung der Catallischeii Gedichte. Die
uns erhaltene Gedichtsammlung kann Bchon wegen ihres Umfang«- (2
Verse) nicht ein einziges Buch (libellus) im antiken Sinne gewesen sein. Der
dem Cornelius Nepos dedicierte und muh Dichter selbst edierte libellus
bestand aus c. l — 60. ' Congregata autem antiquitas in anicum rolumeo
carmina minuta ad medium aevum pervenisse statuimus in exemplari
quodam, cuius pars extrema eademque externa cum perisset, nunc exitus
carminis LX una cum eis poematis, ad quae pertinent fragmenta I IV.
desideratur. bis quae perierunt ex probabili computatione adiectis hoc
volumen coutiuuit fere versus 900'. Die Gedichte 61 — 116 sind erst
nach Catulls Tode von Freundeshand gesammelt und wahrscheinlich in
zwei Büchern ediert, von denen das erste c. 61-64 (= 840 Verse), das
zweite c. 65 116 (= 660 Verse) enthielt. Gegen die Edition dieser
beiden Bücher durch den Dichter selbst sprechen angeblich das Fehleu
eines Widmungsgedichtes, die Aufnahme des debile atque elumbe
poema 68 u ' (!) und einiger ungeeigneter Epigramme. Die Akten über diese
Frage sind noch nicht abgeschlossen. Vgl. die neue Hypothese von B. Schmidt
ed. p. LXXXIX. Erwähnt sei noch, dafs direkte Benutzung eines vollstän-
digen Catullexemplares durch Ausonius, Sidonius Apollinaris, Dracontius,
Luxorius, Boethius, Maximianus in Abrede gestellt wird. — Aus dem Kom-
mentare sei folgendes erwähnt: Carm. ad Cornelium 8 — 10 Baehrens: Quare,
mel, tibi habe quidem hoc libelli; Qualecumque quod est, patrona virgo, Plus
uno maneat peremne saeclo. 1 (2), 8 Baehrens: karum nescio quid lubet
iocique et solaciolum sui doloris (choc est, cum puellae placet res aliqua
grata, quae ei sit et ioco et solacio'). Abweichend von allen bisherigen
Erklärungsversuchen wird c. 4 interpretiert: Es bezieht sich nicht auf
die bitbynische Reise Catulls (vgl. zu 25 sed haec prius fuere: 'quo-
modo haec in Catullum a. 56 reversum mortuumque a. 54 quadrant'?).
Der lacus limpidus ist nicht der Gardasee: 'optime interpretabimur de
staguis pertinentibus ad divitis cuiusdam Transpadani villam ad oram
Hadriae positara'. Das Gedicht hat mit Catull nichts zu thun, der
erus des Phaselus wird ein Freund und Landsmann des Dichters sein.
Für ihn und auf seine Bestellung schrieb Catull diese Dedikatiou for-
tasse longo ante ipsius iter Bithynicum tempore'. Baehrens stützt sich
dabei auf die Notiz des Berner Scholiasten zu Verg. Georg. IV 289
quem [phasellum] habuit hospes Serenus. Dieser sonst ganz unbekannte
Serenus sei der Redende. — 6, 17 Baehrens: ad cenam lepido vocare
versu (!). Zu 8, 16-18 wird gut bemerkt: ' . . . qui sie demum per-
spicui sunt, si hoc Carmen missum statuimus ad matronam scilicet hone-
stam (quam quidem poeta putabat), cui certi quos transilire non lieuit
fiues obiecti essent quaeque utpote viro iuamato nupta amatore misso
iam tristem vitam peragere videretur'. 9, 1 Baehrens omnibus o meis
amicis (Dat.). 10, 32 Baehrens: quam ipse si pararim. Ganz ansprechend.
Catull. Baehrens' Kommentar. 161
11,6 wird die Schreibung Sagas empfohlen. Zu c. 13 wird bemerkt, dafs
Flavius und Fabullus eine Person seien (also Flavius Fabullus). Zu
15, 12 heifit es: cpenem illum t.uum semper ad Veneris posticae opera
promptum expeditumque, ubicumque porta patebit. 'foru igitur sub-
stantivum de npiux-w accipio'. 15, 16 B.: ut carum insidiis. 15, 19 ß.: per-
rumpent oder pervellent. 17, 10 B. : putida eque palude lividissima. 21, 1 B.:
Furei, praecipua emritionum. 21, 9 B.: atquei si. 22, 6 — 8 ß.: novi libri
[recens ex Alexandrinorum officinis advecti, nihil dum situs atque putre-
dinis passi] lana rubra membranae [membrana in parte exteriore habet
lanam fuco inbutam], derecta plumbo [sc. omnia]. 22, 13 B.: aut siqnid
est acutius videbatur. 23, 22 B.: si manibus teras friesque. 25, 5 B.:
cum diva Mulcebris pures [h. e. aequales]. Eratne Romanis inter turbara
illam deorum minorum quorum saepe mero casu ad nos pervenit notitia,
etiam dea quaedam Mulcebris?'. 25,7 catagraphosque Thynos, B.: pugil-
larium membraneorum opercula e buxo facta, quibus varias figuras breviter
delineatas censeo fuisse insculptas'. Zu c. 26 wird bemerkt: 'Furius
centum sestertia a poeta rogans in piguus ei villulam suam obtulerat,
cuius virtutes ceteras extollens laudibus etiam de situ ab oranibus ventis
tuto verba fecerat', 29, 23 B.: usu opum levissimei h. e. qui levitate
vestra tarn sinistrum divitiarum usum facitis. 35, 23 B.: c Romuli ante
usque ut solita es. 36, 12 B. : Hudr iosque apertan' [qnamquam mim possint
cHydrii' dici terrae Hydruntinae incolae in incerto relinqueudum est mihi].
37, 5 B. : et patrare ceteros hircos' h. e. sie efficere ut ceteri tamquam
hirci a puellis refugiantur. 37, 11 B.: puella nam, quae de meo sinn
fugit. 38, 6 B.: aic tuos amoresf 'significans nimirum se ipsum, quem
'amores suos' Corniticius appellare soleret'. 39,2 B.: sei ad rei pendent.
45, 8 B. : sinistra et ante (die Konj. ist überflüssig, doch in der Erklä-
rung der Stelle manches Richtige). 50, 16 B.: semimortua lectulo levavi.
51, 11- 12 B.: gelida teyuntur lumina miete. 47, 1 B.: Scabies fanu
nummi h. e. qui cupiditate peeuniae tamquam morbo taetro affecti estis.
55, 8 - 9 B : quaa vultu vigili, tarnen acreno, lustrans te sie ipse flagitabam. 55, 12
B. : midum reduc amicum : ' femella mala usa ambiguitate et spoliatum a malis
puellis Camerium fingens et reieeta tunica libidini servientem'. 55, 18 wird
so umgedichtet: ventorumque simul require cursum: qüos vinetos (mihi tradat
Aeolus rex: haec si inquainy Cameri^ mihi dicares. 55, 17 it<m te lacteolae.
55, 22 dam fausti oder dextri amoris. (Aber der tadellose Sinn der hsl.
La. ist Schweige gegen Jedermann, wenD ich nur Mitwisser eures Ge-
heimnisses bin'). 56.5- Q pupulum puellae crusantem : ' puerulus tainquam
mulier supra se positam babuit puellam ut virum eique crisavit . . hoc
c crusare' vel 'ciisare', quod adhibetur de feminis toter coneubitum nates
vibrantibus construitur cum dativo cf. Priap. 1 9, 4 '. 61,32 B.: Coniugia
cupidi novam. 61. 64 B.: quia knie deua. 61, 126 1!-: iubet (oacb Bcbrader)
iani sereirc Talusin \w\ Talasio' iani sit oomtoativus). 61, 216 B.: rto-
scitetur avonculeia (!). 62, 9 B.: canent quod eivere pur est ü. e. quod nie-
Jahresbericht für Altertumswissenschaft LI. (1887. II. 1 11
1(52 Catull. Baehrens' Kommentar
retur, ut el hunc in annum vivat ei plures. 62, 22 B.: eonpleasu matrit
retinente. Zu 62,32 bemerkt B. : Pleriqae consentiunt in quioque
cantus puellaris versibue et ano antistropha imissia. quod equidem
propterea probo, quod verisimillimum est puellaa illud abstaut stabili«
taras (cf. v. 21) perrexißBe per namque', quod iuvenea more buo (cf. 27)
repetierint. hinc et de numero vereuum interlapsornra plane constat et
de origine vitii: a priore namque' ad alternm aberravit librarius arche
typi* . 62, 58 B. : cara suis magia et. Zu 68, 1 wird ohne Angabe von
Gründen behauptet, Catulls Attia habe mit «lern pbrygischen Lieblinge
der Cybele nichts gemeinsam. Warum denn nicht? Etwa nur, weil die
Sage bei Catull in etwas abweichender Gestalt auftritt? 63, 2 — 3 B.:
Phrygium ut solum . . . viditque npaca. 63, 9 B : typanum, tubatn Cy-
belles furinntis [oder turbantis] initia (?). 63, 14 B.: aliena quae petentes
celere (adv.) exuhs loca. Zu 63, 16 wird gut gegen die Verteidiger der
La. truculentaque pelagi (coli, acuta belli, porrecta camporum u. dgl.) be-
merkt: hi neque illud observant, usum eum demum inde ab Augusti
principatu increbuisse, et neglegunt, sie denotari partem totius. 63, 28 B.:
thiasis repente litus trepidantibus ululat. 63, 31—32 B.: vadit anitnum
agens comitum ante tympano Attis coli. Hör. a. p. animum auditoris agunto.
63,37 B.: gravante languore. 63, 54 B.: earum ad ima adirem. 63, 62 B.;
quod enim genus ßguraest? ego enim in quid abii heri? 63, 74 B.: roseis
ut hie labeltis sonus editus adiit matrem deorum, ad. 63, 77 B. : orseU
(h. e. verbis) Stimulans. 63, 78 B. : ferox fac, percellat hunc pavor. 63. 79 B. :
fac ut vi pavoris ictus. 63, 84 B.: relevatquc iuga. 64, 24 B.: salvele iter
(u7u nunc: post modo digne) vos ego xoepe meo vos carmine conpellabo. 64, 31
die hsl. La. optato finitae tempore luces wird verteidigt: luces finitae sunt
constituti nuptiarum dies, qui liberiore illo ablativi usu Romanis tarn
dilecto vocantur tempus optatum', 64, 40 B. : proso vomere h. e. in
rectum vadente. 64, 64 B.: non conlecta levi. Amictus ist von einer
leichten Tunika zu verstehen: non conlecta = recineta. Non cinxerat
Ariadne pectus levi tunica velatum, ut tiuitaret iam amictus hie tenuis'.
64, 83 B. : funera Cecropia = e Cecropia. 64, 89 Europae Phaesti dant
flumina myrtos. Europae ist Dativ und bezieht sich auf die in Kreta
verehrte Europa, der ein Myrtenkranz dargebracht wurde. Nach 64, 102
Lücke angenommen. 64, 106 B.: fundenti vortice b. e. se fundente
sive diffundente. 64, 109 B.: quaecumque habet obria frangens. 64,118
Heinsius' Konj. ut consanguineas, complexum ut empfohlen. 64, 127 B. :
aciem p. vastos per tenderet aestus. 64, 157 B- : talia quod reddis. 64, 178 B. :
Sidoneosne petam montes (Was sollen das für Berge sein?). 64, 184 B. :
nullo reeipit sola insula tecto h. e. hospitio me suseipit. 64, 212 B. : galeatae
moenia divae. 64, 237 B. : dea prospera oder trabs (= navis) prospera
sistet. 64, 242 B. : absumens lumina visus. 64,267 B. : pulvinar complexa
suom h. e. pulvinar, ad quod pertinuit. 64, 288 B. : namque inde tulit.
64, 300 B. : eultricem montibus Istri. 64, 301 — 3o2 B.: asptmata nee
Catull. Baehreus' Kommentar. 163
(= ne . . quidem ) Thetidis. 64 , 304 B. : sunt extructae dope mensae.
64, 315 B : atque ibi. 64, 320 B.: pellentes stamina (oder licia). 64, 324 B. :
carissime notis b. e. eis qui te noverunt. 64, 330 B.: quae tibi flexo
animo mentis profundcU (oder defandat) amorem. 64, 346 B.: longi/iquo
moenia fine h. e. in belli exitu longe remoto. 64, 353 B.: densas praecae-
dens (oder praeeeidens). 64, 359 cuius iter ccUis. 64, 372 B.: quare agite
o tontos; c quanti ante descripti sunt vv. 330 sq.'. 64, 381 B.: Peleo.
64, 407 B.: lumin e claros coli. Hom Od. XV 164 Beol <patvo\>zai ivapyscQ.
65, 4 B.: dukis simul harum espromere fetus h. e eodem tempore, quo
cura nie angit. 65, 6 B.: alligat unda jtedes. 65, 17 B. : nequnquam
credita ventis: !ne forte me putes oblitum esse verborum tuoruni, quae
tamen bercle minime es ventis locutus'. 66, 7 B.: caelesti m limine: csi
quidem caer' ex sensu Alexandriiiorum sie ut mihi videtur distinguentium
recte dicitur ccaeli limen". 66. 15 16 B.: anne parumper Frustantur.
66, 27 28 B.: quo regia/n adoptas coniugium, quod non ausit. alis mulier.
66, 35 B.: sei reditum tetulisset ovans. is tempore longo. 66, 63 B.: tur-
bidulam ab luctu. 66. 66 Callisto taeta Lycaonia: 'quae ut pote supra
virginem et leonem posita hos taugit, ea ipsa tangitur a superiore ursa\
66, 74 B : condita quae veri pectoris evolvo: 'me, quae tamen nihil aliud
facio quam ut arcana mentis verum amantis sensa aperiam' (Aber das
ist in 72 schon gesagt!). 66, 77 mit Heinsius omnibus expersa ( = madens)
unguentis [versu scilicet hypermetro|. 66, 93 B.: sidera vi retinent. 67, 6 B.:
postquam est (seil, nata) porrecto facta era rite sene. 67, 23 sed pater illnsi.
67, 31-34 Baehrens : equidem inrisionem agnosco lepidissimam nescio
cuius docti Brixiani, qui nimio patriae amore duetus satis ridicule huius
originem et situm explieaverat cum detreetatione Veronae, inter quam
et Brixiarn fortasse simultas quaedam extiterat'. 67, 32 liest B. mit
Zanchi Cycnea svpposita in specula und erklärt: cquae ibi, ubi olim erat
Ligurum (die einst Cycnus beherrschte) specula, loco eius postea est
posita. quo iure ita statuerit antiquarius quem sumimus Brixianus, nobis
nimirum diiudicare iam non licet'. 68 \ 29 B.: torpescit membra. 68 a, 39 B. :
copia prompta est. 68 b, 29 B.: ad quem h. e. apud eum, in eius domo.
68 b, 53 B.: ei misero aelatis ioeundo in limine adempte. 68 b, 78 B.: quine
tuum domitum (tuum = amatorem, coli. Prop. I 9, 22 posse negare tuae).
68 b, 108 B. verteidigt seine La. quem lapide illa notut candidiore, dies.
Doch vgl. Vahlen Hermes 17, 598. 68b, 117 B. citiert Stellen wie Seneca
epigr. 15, 14 (P. L. M. IV, S. 60) Orispe, naufragio Hins tutatque terra
men und meint 'terram alicui dare' non male quidem dici de auxilio
praebito, sed tarnen oecessario exemplia omnibus admonentibus adicien-
dum esse, quo agi de naufrago appareat. Der Sinn müsse also sein: et
sit felix is qui ante Album terram sive salutein dedit mihi, qui saevo
amoris aestu absorptus oaufragiumque passus paene perii. Er vermutet
also für aufert: haustis. Diese Konj. ist ja schwerlich richtig, schon
weil mau zu haust is eine nähere Bestimmung erwartet. Aber die Er-
11*
164 I atuil. baehn-ris' Kommentar.
klärung von terram dedil Bcheint sehr plausibel. 68b, HB B.: a <juo .sunt
//•uro. 89j 8 !<•: """ ■' illam ''um. 71, I B. : aiquui, vir bo
butitit hircua. Angeredel .-^oll mit vir bom Bein Metellas, der damals
schon verstorbene Gemahl dei Lesbia i bone accipiendom est prosollemni
mortuorum appellatione). \ Metello hircam podagramqoe in novnm
Lesbiae fututorem transmigrasse acerbo com ioco 1 u<li t poeta . 71, 3 B. :
aetnulus inte, tuo gut cei amoretn, 76, 11 15- : quin mm, mm offirma$.
Das rätselhafte Epigramm 79 bezieh! Baehrens mit Lipsius wiedei
Sextus Clodius und stützt diese Annahme mit Behr beachtenswertes
Gründen. War Sextus Clodius auffallend häfslich, su wird der Spott
um so bitterer; hatte er nicht den Beinamen Pulcher, als Plebejer
und vielleicht als Nachkömmling eines Freigelassenen der geus Claudia
— tarnen iterum acerba cum inrisione boc poüit poeta, euni ad
Pulcbrorum familiam pertinere' . Die Pointe des Epigramms ist also
nach B. folgende: Sex. Clodius siue dubio homo formosissimus est et ex
nobili Pulchrorum farailia, cum eum Clodia malit quam te, Catulle foede,
tuamque gentem rusticam! hoc cum acerrima ecpwvsca positum iam dil-
uitur: sed ecce formosus iste nobilisque Sextus est cuuuilingus! 80,8 B. :
clamant Victoris ilia, ab emulso labra nutata (sc. esse) sero. 90, 5 B.:
gnarus ut accepto h. e. postquam disciplinam didicit. 95, 7 Paduam
morientur ad ipsam. Daraus folgert B , die Padua müsse zu Volusius
Aunalen in derselben Beziehung gestanden haben wie der Satrachus zu
Cinna's Zmyrna. Den Stoff der ersteren müssen also wenigstens teil-
weise die Kriege der Römer in Gallia Cisalpina hergegeben haben.
96, 4 B.: olim iunctas (oder nexas, mixtas.) 97, 7 B.: qtvdem dis\
coli. Lucr. VI 599 distracta suum late dispandat hiatum. 97, HB.:
quem siqua admittit. 99, 7 multis deluta. 99,9 B.: contractu oder con-
tacta ex ore: csaliva igitur cum deleto commate debeat esse enuutiati
subiectum, quicquam' hie quoque vice adverbii (= omnino vel minimum)
fungi apparet'. 101, 1 B.: adveni has, miser o frate>\ ad inferias. 101, 7 B. :
nunc tarnen, interea ec prisco quae. 102, 1 B. : ßdo ut amico. 102, 3 B. :
Indorum iure sacratum (!). 107, 6 B.: o lucem e cemdidiore nota. 107, 7 — 8 B. :
aut raagis hace optandam vitam degere quis potent. 109, 5 B. : tota tra-
pucere vita oder totam per ducere vitam. 109, 6 B. : altcrnae hoc aanete.
110, 3 B. : tu, promisisti mihi ij_uod mentita, inimica es. 113, 3 — 4 B. :
sed creverunt t/iilia in horum Singula {feeundum seinen!) adulterio. 115, 2 B. :
cetera fine carent. 116, 1 B.: conversa requirens. 116, 7 tela ista tua evita-
bimus acta.
Der Kommentar ist leicht verständlich und fliefsend geschrieben.
Aber das Latein ist sehr inkorrekt, sowohl durch manche Verstöfse
gegen die mustergültige lateinische Grammatik (S. 312 das plautini-
sche servibit, S. 11 poetaudi, S. 15 aiemus, S. 109 rediet, iubeo
mit ut, viam a Statio et Vossio ingressam u. s. w. ) wie durch Bar-
barismen labt auf jeder Seite (vgl. z. B. S. 253 ut est in seusis
Catull. Schwabes Ausgabe. 165
declarandis niroius!) Übrigens ist die Sprache ohne jedes individuelle
Gepräge und unterscheidet sich nicht von dem bekannten farblosen Noten-
latein. Der Druck ist sorgfältig (Kleinigkeiten, wie Vertauschungen von u
und n sind kaum störend), die Ausstattung des Teubner'schen Verlages
würdig.
3. Ca t ulli Veronensis liber ad optimos Codices denuo colla-
tos Ludovicus Schwabius recognovit. Indices testimoniorum et
verborum Catullianorum adiecti sunt. Berlin, Weidmann. 1886.
XXIIII und 156 S. 8.
Schwabes neue Catullausgabe eignet sich in hohem Grade für den
Handgebrauch und wird vermöge ihrer praktischen Einrichtung, ihrer
bei aller Kürze sehr reichhaltigen Angaben Jedem, der nicht etwa ganz
specielle Untersuchungen vornehmen will, vollständig .genügen. Dem
Texte ist erstens vorangeschickt eine kurze Praefatio, die über die Hand-
schriften, deren Kollationen, die angewandten Abkürzungen orientiert.
Von den wertvollsten Handschriften Sangermanensis und Oxoniensis
(G und 0) publiziert Schwabe eigene neue Kollationen; den cod. Thuaneus
(T), der c. 62 enthält, hat M. Bonnet für ihn verglichen. Über andere,
als sekundär betrachtete Textesquellen heifst es S. V: 'Sicubi e re esse
videbatur singulis locis varias lectiones ex aliis praeter G et 0 libris
addidi'. Jede Erörterung über den Wert der einzelnen Handschriften,
ihre charakteristischen Unterschiede, ihre Abhängigkeit von einander ist
sorgsam vermieden. Es wird lediglich eine rein objektive Zusammen-
stellung des vorliegenden Materials geboten. Es folgt ein Index loco-
rum , quibus scriptores alii a poetae aetate ad annum MCCCLXXV p. Chr.
n. Catullum nominaverunt aut eius versus citaverunt'. Es enthält
diese nützliche und sehr fleifsige Sammlung zugleich eine kurze Ge-
schichte der imitatio Catulliana, da Verf. nicht nur die Namen der Auto-
ren, welche Catull lasen und nachahmten, verzeichnet, sondern auch durch
eigentümliche Zeichen den Grad der Nachahmung veranschaulicht. Ver-
mifst habe ich hier die Berücksichtigung einer Notiz von mir (Berl-
Phil. W. 1885 No. 19). Wenn Paulus Diaconus (Waitz, Script, rec.
Longob. S 17) an Petrus Pisanus schreibt: Tibi quoque, Veronensis
o Tibulle, conferor', so gehen ihm höchst wahrscheinlich Catull und Tibull
durcheinander. Hat doch selbst Servius beide einmal verwechselt (vgl.
frgmt. 12 bei Schwabe). Der Znsatz Veronensis ist geradezu typisch:
Vgl. Birt Buchwesen S. 406 Anm. 2 Es folgen S. XVI— XXIIII 'testi-
mouia selecta ex annis MCCCLXXV — MD', die neben Bekanntem anch
mancherlei enthalten, das wenigstens dem Ref. neu war. Dom Texte
sind untergesetzt die kritischen Noten sämtlich, d. b. handschriftliche
Varianten, Konjekturen neuerer Kritiker, Citate aus antiken Schrift-
stellern, die sich auf Stellen im darüber stehenden Texte beziehen. Un-
zweifelhaft ist diese Einrichtung praktischer als in Schwabe's Giefsener
]ßß Catull. Bcbwabea Ausgabe.
Auspabe von 1866, wo man dies alles an drei verschiedenen Orten suchen
und zusammenstellen mufte. Aber freilich ist jetzt in der Fülle von
Noten verschiedenster Art oft die Dbersichtlichkeit verloren gegangen.
Durch Vergrößerung dos Spatium zwischen den Noten zu jedem Vi
durch Wahl fetter Buchstaben zur Bezeichnung der Handschriften, Ste!-
hing der testimonia zwischen Text und Noten und ähnliche kleine Mittel
hätte sich dieser Übelstand nach dem Muster von Baehrens' kritischen
Ausgaben vermeiden lassen. Die Angaben aua den Handschriften
(namentlich G und 0) weichen von Baehrens und Ellis nicht unerheblich
ab (Vgl. zu 21, 11. 25, 5. 32, 2. 37, 3 38. 5 und 7 44, 4. 45, 1. 54, 2.
56,7. 55, 9 und 11. 61.83. 61.204 63,31. 63,49. 63 75. 63.77 63.85.
64,11. 64,232 65,7.97,8. 103,3. 107,7. 116, 8), da Schwabe nicht
nur seine eigenen Kollationen, sondern auch die Nachträge von M Bonnet
und K. P. Schulze zu Baehrens' Apparate verwettet bat. Er bemerkt
selbst praef. S- IUI über diesen Punkt: ' Si quis animadvei terit ex G
et 0 a me enotata saepius ab eis discrepare quae alii inde exeripserunt,
is scito me horum benegnarum codieibus aecurate examinatis
mea dedisse'. In der That machen seine Angaben durchweg den Ein-
druck der Glaubwürdigkeit. Sein Apparat ist daher für Jeden, der die
Textgeschichte des catullischen über studieren will, unentbehrlich um
die früheren Herausgeber zu k'ontroliercn. - Über die Auswahl der mit-
geteilten Konjekturen werden naturgemäfs die Ansichten geteilt sein.
Der Eine wird dies überflüssig finden, der Andere jenes vermissen. Im
Ganzen ist nach Ansicht des Ref. eher zu viel als zu wenig gethan.
Ihren Zweck aber erfüllt die Auswahl vollständig: es fehlt weder eine
richtige, noch wahrscheinliche noch mögliche Konjektur. — Schwabe's
Text unterscheidet sich von dem der Giefsener Ausgabe durch eine noch
schärfer ausgeprägte konservative Tendenz. An einer ganzen Reihe von
Stellen, wo früher Konjekturen aufgenommen waren, steht jetzt die kor-
rupte handschriftliche Lesart, mit einem Kreuze versehen, im Texte. So
Ko. 55, 9 und 11. 63, 75. 64, 16. 64, 73. 64, 109. 64, 254. 66, 54. 66, 59.
67, 32. 114, 6 u. a. Auch sonst findet man bisweilen Rückkehr zur Über-
lieferung ( z. B. 62,35 comprendis nomine eosdem. 63, 15 eeetam meam
executae. Die Verse non cvstos si fivgar ilie Cretvm sind nicht mehr hinter
55, 14 eingeschoben u. s. w ). Ergänzte oder geänderte Buchstaben sind
auch jetzt wieder durch kursive Lettern bezeichnet. Kurz, der Heraus-
geber will durch seinen Text offenbar ein möglichst getreues Bild des
alten Veronensis geben, — mehr beansprucht er nicht. Freilich ist
dieses Bestreben nicht überall konsequent durchgeführt. Besonders hat
Schwabe der Versuchung nicht widerstehen können, eigene Konjek-
turen in den Text zu setzen, die nichts weniger als sicher sind. Geradezu
unrichtig sind 64, 64 levi nvdaium pectus amictu (denn das überlieferte
velahim bedarf nicht erst der gekünstelten Erklärung von Baehrens im
Kommentare, um als tadellos zu gelten) und 110, 7 fraudando est ficti
Catull. Schwabes Ausgabe. iß7
plus quam meretricis avarae (denn eine meretrix avara, wie sie in v. 1 — 2
als offen und ehrlich gerühmt wird, kann man des 'fingere' überhaupt
nicht beschuldigen). Überhaupt ist an ziemlich viel Stellen meines Er-
achtens nicht die richtige Wahl getroffen. Dafs mit 68, 41 auch hier
wieder ein neues Gedicht angefangen wird, war ja bei Schwabe's Stel-
lung in dieser viel debattierten Streitfrage zu erwarten. Befremden
aber mufs, dafs ihre Existenz vollständig verschwiegen wird. Die
Verse 65,9 — 14 findet man zwar jetzt an ihrer richtigen Stelle, aber
eingeklammert und von folgender Note begleitet: Ab hoc carmine alie-
nos esse Rossbachius intellexit: quos post 101, 6 inserendos esse ingeuiosa
Frid. Haasii est coniectura'. 66, 77—78 ist Vahlen's Interpunktion, die
mir sehr beachtenswert scheint, nicht erwähnt. 66, 15 ist das sinnlose
atque wieder im Texte zu lesen. Dafs diese und andere Mängel bei der
vortrefflichen praktischen Anlage des Buches nicht erheblich stören, sei
ausdrücklich anerkannt. — Neue eigene Konjekturen von Schwabe (d. h.
solche, die in der Giefsener Ausgabe noch nicht publiziert waren) hat
Ref. im Texte nicht gefunden. In den Noten sind einige vorgeschlagen.
So 42, 9 ringentem. 51, 11 gemina obteguntur. 55, 9 hau vellens. 64, 3
aeetios. 64, 270 procurvas. 64, 323 aucte. 64, 402 innupto. 66, 32 valent.
102, Sputum. 115, 7 maximus alter. Davon scheint dem Ref. nur der Vor-
schlag zu 66. 32 ansprechend, den übrigens schon Baehrens in der Adn. crit.
seiner Ausgabe gemacht hat. Aber- freilich konstruiert Catull valeo
sonst noch nicht in dieser Weise mit dem Inf., denn 6, 12 ist etwas
anderes (ebensowenig Tibull und sein Kreis, vgl. Ehwald, in dieser Zeit-
schrift 1885 II. S. 197). Die wesentlicheren Abweichungen vom Texte
der Giefsener Ausgabe sind folgende. Orthographisches ist dabei nur
in besonderen Fällen berücksichtigt. 2, 6 kämm. 2, 11 — 13 nicht mehr
mit 14, 24 verbunden. 4, 1 phasellus. 10, 3 tunc. 10, 13 nee faceret.
10, 26 istos commoda. 11, 6 Sagas. 12, 9 differtus. 21, 1 esuritionum
u. s. w. 21, 9 atque id. 22, 9 membranae mit folgendem Komma. 23, 23
posses. 27, 4 ebrioso acino. 29, 4 habebat ante. 29, 23-24 jetzt nicht
umgestellt. 29, 13 diffututa. 29, 15 alit. 31, 5 Thuniam atque bithunos.
36, 12 Uriosque apertos, 37, 10 sopionibus. 39, 9 monendum est tc mihi.
39, 11 fartvs. 42, 14 potes (unrichtig, vgl. Sydow, De. rec Cat. c. S. 9).
50, 21 vehemenn. 51, 11 — 12 gemina teguntur Lumina nocte. (So auch
Ellis, Vahlen, Palmer Hermath. VI. 337). 55, 2 demonstres. 55, 4 qua-
druviti. 61, 16 Vinia (fehlt im index verborum). 61, 98 vidi ui fuces.
61, 168 ras8Üemque. 63, 60 gumituuiis, 63, 79 fac uti. 64, 102 appe-
teret. 64, 139 — 140 blanda proinis.su dediati Voce mihi, non haec miscram
sperare iubebas. 64, 148 meminere. 64, 153 iniaeta. 64, 174 in Crcta.
64, 177 nitor. 64, 178 Idaeosne. 64, 273 leviterque sonant. 64, 309 At
roseae niveo. 64, 334 coniexit. 64, 350 cum incuüwn cano. 64, 378 ein-
geklammert. 64, 392 locus corruptus'. 66, 6 guro. 66, 78 unguentis,
una, 66, 83 colüis (unrichtig, cf. Sydow 1. c. S. 9—10). 67, 27 </ qua»-
| fift Ca tul 1 und Tibull. Vahlena Ausgaben und Abhandlungen
rendits is muh. (;7, 'M r/iiitJf tu iataec. <»H. 60 <!• • iplorata.
Oft, (17 clveeum. OH. OK dominae, 68, 85 eciratU. 08. 105 pulcerrima.
68, 185 tamenetei. 68, 1 •''.'.) concoquit. 68, 156 wi '/"" no». 87 und 75
nicht mehr verbunden. 75, i ff«c. 70, io cur /» te. 7ü. \h ip»a in
morte, 76, 28 <""//•'/ /// wie. 77, 1 amice. 77, 5 und 8 6Äan (unrichtig,
Vgl. Jabresber. des phil. Vor. 1*7!» S. .*',1 1 ). 79, -1 notorum, 81, 8 '"""'-
A////r/». r</». 82, 4 s^tt. 84. 6 Über statt Liber B8, l ecquid. 90, r> Gratus.
96, 5 dolor ei 8t. 07, .''. nihiloque. 101, 8 fr»»/t mmn er. 1 07, 1 cupidoque,
112, 1—2 lammst ij/n'n Te 8cindat. 116, H dabis.
Die Orthographie bat manche Eigentümlichkeiten, die Bef nicht
als Vorzüge bezeichnen kann wie humida, heri, berifugae, brachiolum.
Dagegen era 03, 92. Sollen in dergleichen Dingen wirklich die Launen
und Felder der Handschriften massgebend sein? 86, 3 ist zu lesen ' fnr-
mosa', zu i)0 felilt die Überschrift. In der Note zu 96, 4 mufs es heifen
'Et quei Baebrensius'. Als Finder der Emendation Rufulum 59, 1 ist
bei Schwabe Pleitner genannt, bei Baebrens dagegen Palladius.
Den Schlufs des Buches bilden die geringen Fragmente und ein
Index verborum. Der letztere, sehr sorgfältig gearbeitet, wird das nütz-
liche Buch für weite Kreise besonders wertvoll machen, da die bereits
existierenden indices in den älteren Ausgaben und bei Ellis nicht Jedem
zugänglich sind.
4. Catulli Tibulli Propertii carmina a Mauricio Hauptio
recognita. Editio quarta ab Johanne Vahleno curata. Leipzig,
Ilirzel. 1879. 372 S. 12.
5. J. Vahlen, Über drei Elegien des Tibullus. Monatsber.
der Berl. Akademie 1878. S. 343 — 356.
6 J. Vahlen, (De Catullo) Index lectionum Berol. aest. 1882.
S. 1-8.
Ref. hat diese Arbeiten bereits früher (Jahresber. d. Phil. Ver.
IX. 260-264) in ausführlicher Besprechung nach Verdienst gewürdigt
als das Beste und Gediegenste, was seit Jahrzehnten über die römischen
Elegikcr gesagt ist. Er beschränkt sich daher hier auf die einfache
Registrierung des Geleisteten, das nur selten Widerspruch gestattet.
1 Catullus. Baehrens' Ausgabe mit ihrer Kollation und Bevor-
zugung des Oxoniensis ist auf den Text der vierten Auflage fast ohne
jeden Einflnfs geblieben. Die wichtigsten Abweichungen von der dritten
Auflage (sie bedeuten meist Rückkehr zur Überlieferung) sind folgende:
1,8—10 ohne 4- so geschrieben und interpungiert: quidquid hoc Ubelli
qualerumque qvod, o pafrona virgo, plvs vno maneat perenne saeclo. ^ gl.
zu dieser Interpunktion A. Palmer, Hermathena VI, 298. — Nach 10, 27
keine Lücke. — 61, 204 qund cupis cupis. — 64, 68 etc. — 64, 107 in-
domitns turbo. — 64, 148 dieta nihil memmere. — 64, 179 discernens. -
Catull und Tibull Vahlpns Ausgaben und Abbandlungen. 169
64, 212 clossi. - 64, 287 wieder mit +• — 64, 296 süiei. — 64, 320
vellentes. - 64, 334 contexit. — 65, 4. 66, 72 den Sinn nicht alterierende
Interpunktionsänderungen. — 68, 60 densi. — 68, 149 quod potui. — 68, 158
mi gestrichen. — 73, 4 taedet zweimal. — 96, 4 olim missas. — 101, 7
interea haec. — 107, 3 nolis qunque carius auro. — 110, 7 fraudando
nimio. — 90, 5 gratus [gnatus nicht glücklich verteidigt von Rettig, Ca-
tulliana III S. 6 Anm.]. In der Abhandlung No. 6 empfiehlt Vahlen zu-
nächst quod potui in 68, 149 [vgl. dazu K. Rofsberg N. Jahrbb. 1884,
645f.]. Zu 68, 157 wird konjiziert: dum qui principio nobis terram dedit,
avftrt d. h. 'Sitis felices, ait Catullus, tu et tua vita et domus et do-
mina usque dum vita finitur, hoc est, dum qui principio nobis hominibus
terram ad vivendum vitaeque dulcedine fruendum dedit eam quam dedit
aufert, is ex cuius benignitate nata sunt omnia', nämlich Juppiter. Der
Versanfang et qui principio ist angeblich aus 66, 49 interpoliert [Vgl.
dagegen die Bedenken des Ref. a. 0. S. 262 und Ov. Met. I 256.
Vahlen hat denn auch seine Konj. jetzt in der fünften Auflage nicht re-
zipiert].
2. Tibullus. I 1 , 25 iam modo ivers possim [vgl. unten]. —
I 1, 67 tu manes ne laede meos. — II 5, 4 nunc precor ad laudes tiec-
tere verba novos [vgl. unten]. I 7, 13 tacitis qui leniter undis. - seu
nil peccavimus. — III 4, 26 humanuni nee, videt, illud opus. — IV 1, 1 — 2
quamquam tun cognita virtus terret, ne. — IV 2, 23 wie früher sacrum
multos hoc sumite in annos, aber mit veränderter Interpunktion [jetzt in
ed. V: multos haec sumet in annos].
In der schönen Abhandlung Nr. 5 bespricht Vahlen mit gewohnter
Feinheit Plan und Gliederung von II 5, I 4, I 1. In II 5, 4 schlägt er
novas für das überlieferte meas (Lachmann- Haupt mea) vor. Phoebus
soll kommen mit der Cither und mit Gesang, soll die Saiten schlageu
und soll singen (nicht den Dichter zum Gesaug begeistern). Das neue
Loblied gilt dem Messalla. War dessen Triumph nicht gar lange vorher
gegangen, so war es nicht unschicklich, bei dem Einweihungsfest des
Sohnes an des Vaters Sieg zu erinnern — aber eben nur zu erinnern,
denn nicht Messalla's Siegesfest wird begangen. [Gegen noras vgl. Leo
Über einige Elegien TibullV S. 4 f., einen Versuch n,cn zu verteidigen
beim Ref. a. 0. S. 264; vgl. Tank, De trist. Ov. rec. seilt controv. V:
'Phoebe . . ad tuaa laudes vorba mea flecte. sc orat poeta, ut Apollo
divino sese (poetam) spiritu impleat, ne indigne <uas (Apollinis, non
Augusti aut Messalae) laudes cantet']. I 4, 15 schlägt Vahlen vor:
Sin: ne te capiant coli. Priap. 31, 3 [doch vgl Vahlen Sitzungsber. der
Berl. Ak. 1882 S. 267 (7)|. RitscbTs Umstellangsversuche in diesem
Gedichte [Kgl. Sachs. Soc. d. Wissensch. 26 Mai L866] werden in ein-
gehender Analyse als unrichtig nachgewiesen Der Poesie des Dibullus,
in dessen Elegien sich hin und wieder gleichzeitige Versgruppen ohne
Schwierigkeit absondern lassen, ist Alexandrinische Symmetrie fremd,
170 Catull und Tibull. Vahlens Ausgaben und Abhandlungen.
Bfe beweg! Bich wie ein sanfter Wellenschlag, dessen Auf und Ab man
noch empfindet, .'Mich wenn einmal eine Welle weiter ausgreift'. Vgl.
E. Hübner, Hermes 14, 807f.— Auch in 1 i beruhen alle Umstelluogs-
yersucbe auf unrichtiger Auffassung des Gedankenganges. Der 1:
rung bedarf v. 25. Die Lesarten von Lacbmann und ron Haupt lassen
ein Bedenken ungelöst: Der 8atz modo possim (si possum) contentos
vivere parvo drückt nur die eine Hälfte dessen aus, was Tibull füi
Leben wünscht, und nicht diejenige Hälfte, welcher der Gegensatz des
nächsten Verses dient, nee semper longae deditus osse viae, und die in
den weiter folgenden anschaulicher ausgeführt wird. Zu Lesen ist: iam
modo inera possim contentus vivere parvo. Da die Analyse des Ge-
dichtes, durch die alle Umstellungen mit Evidenz als falsch erwiesen
werden [Nachträge bei Leo a. 0. S. 29 1, sich nicht mit kurzen Worten
skizzieren Infst, so sei nochmals die Lektüre dieser bahnbrechenden
Arbeit allen Freunden Tibulls dringend empfohlen.
7. Ca t ulli Tibulli Propertii carminaaMauricio Haupt io
recognita. Editio quinta ab Johanne Vahleno curata. Lipsiae. Hirzel.
MDCCCLXXXV. 12. 372 S.
8. J. Vahlen, (De Propertio et Tibullo) Ind. leett. Berol.
hib. 1886/87. 18 S. 4.
Über den aufserordentlicben Wert der neuesten Leistung dieses
grofsen Kritikeis sind alle Freunde römischer Poesie einig. Vahlen ist wahr-
lich von Gottes Gnaden Nachfolger Haupts: in seinem Geiste hat er das
Werk weiter geführt, ja an Feinheit und Schärfe der Interpretation ihn
zuweilen übertroffen. War schon in der vierten Auflage Vahlens Kritik
bestrebt, sich noch enger an die Überlieferung anzuschliefsen, als selbst
Haupt für möglich bielt, so tritt diese Tendenz in der fünften noch viel
deutlicher und konsequenter hervor. Dafs Vahlen übrigens von aber-
gläubischer Verehrung des Buchstabens weit entfernt ist, hat er wieder-
holt gezeigt: mancher inveterierte Scbaden, den Niemand beachtet hatte,
ist mit sicherer Hand gebeilt. Indem ich die Aufzählung der neuen
Lesarten im Properz dem Herrn Ref. überlasse, der für mich einzutreten
die Güte hatte, wende ich mich zu Catull und Tibull. Änderungen der
Interpunktion sind nur berücksichtigt, wenn sie den Gedanken ändern.
1. Catull. Dafs Vahlen dem cod. Oxoniensis gegenüber eine im
Ganzen reservierte Haltung beibehalten hat, ist unbedingt zu billigen.
An einigen Stellen wird man bescheidene Zweifel äufsern dürfen. Dafs
Vahlens Entscheidung stets sorgsam erwogen und nie kurzer Hand ab-
zuweisen ist, bedarf kaum der Versicherung. — 4, 20 vocaret aura
(f. vagaret, vgl. ind. lect. aest. Berol. 1882. S. 6 sq. Für vocaret auch
Munro Crit. S. 17 u. 23. Palmer Hermath. VI 304.). - 21, 1. 10; 23, 14
esuritionum , esurire, esuritione (essuritionurn u s. w. ). 30 die Verse
Catull und Tibull. Vahlens Ausgaben und Abhandlungen 171
4 — 5 sind jetzt als an den Scblufs gestellt bezeichnet. 37, 10 sopionibus
(scorpionibus). — 51, 11 — 12 gtmina tegtmtur lumina nocte (geminae,
1. 1. n.). — 55,2 demovstres (demostres). 55, 22 vestri (vostri, aber cf. 61,209.
66, 87). — 63, 63 Komma vor mulier (vgl. oben zu Riese's Ausgabe).
— 64, 109 omnia frangens (obvia). — 64, 179 pontl (pontum). - - 64
quae tum prospectans (quae tarnen adspectans). 64, 273 leviterque so-
nant ( leni resonant). — 64, 276 sie tum (sie ibi). — 66, 59 4- hi dii
ven ibi vario (ardui ibi vario). — 66 , 77 quicura ego, dum virgo quon-
dam fuit, omnilus expers Unguenth, una milia multa bibi (quicum ego,
dum virgo quondam fuit + omnibus expers, uuguenti Syrii milia multa
bibi, cf. Hermes 1880 S. 269). — 66, 91 ne siris (non siris). — 67, 12
verum istis populis ianua quieque facit (verum istud populi fabula, Quinte,
facit); quieque Itali. — 68, 28 quod hie quisquis iquivis). — 68, 43 ne fu-
giens, mit veränderter Interpunktion in 42 und 44 (nee fugiens). —
68, 141 atqui nee (at, quia uec). — 68, 142 tremidi tolle (tremulist illa).
— 68, 145 mira munuscula (rara). — 76. 11 animo offirmas (adfirmas),
107, 8 Zeichen des Ausrufs statt dessen der Frage.
2. Tibull. I l, 46 contiruässe (detiuuisse, cf. Rothstein, de Tibulli
codd. S. 41). — I 1, 72 capite (capiti). — I 6, 66 Ula tum (ille tuus).
— 19. 31 non uUo divitis auri coni. Vahlen (nullius divitis auri). —
I 10, 46 sub iuga enrva (panda, cf. Rothstein S. 95 und meine Bern, in
Berl. Phil. W. 1885 No. 19). I 10, 47 Pax (pax). — II 1, 47 rtire
terunt messes coni. Vahlen (rura ferunt messes). — II 2, 17 vota cadunt:
utinam (vota cadant utinam). — II 3, 54 Komma nach texuit. — II 5,
21—38 nicht in Parenthese. - II 5, 68 Grata quod admonuü (Graiaque
quod moiiuit). - II 5, 76 eqnos (equo, Druckfehler). — Lygdam. 2, 24
dives et Assyria (pinguis et Assyria). Lygd. 4, 1 mihi somnia (in-
somnia). — Lygd. 4, 3 vani (vanum). - Lygd. 4, 4 in vanis coni. Mure-
tus (in nobis). — Lygd. 4, 64 tende fide (prece). — Lygd. 4, 66 ver-
bera saeva (verbera posse.). — Lygd. 6, 45 »e, vorher Kolon (nee).
Lygd. 6, 46 fide (prece). - IV 1, 92 possit et (possitve). — IV 1, 96
venia t gravis (grandis venit). — IV 1, 112 b namque senex longae pe-
ragit dum tempora vitae aus Baehrens' codd. aufgenommen. IV 2, 23
haec sumet in annos (hoc sumite in annos). I\' 4. 6 paüida memhra
(Candida). - IV 6, 15 praeeipit et (praeeipiat). — IV 6, 18 statt, des
Kommas hinter velit ein Punkt. I^T 6, 19 sit iuveni grata, ei (für si,
iuveni gratae, nach Heyne's ansprechender Konj., cf. Rothstein S. 15 not.
Ähnlich A. Otto ZfGW. 1885 S. 225 Sit iuveni grata, ut . . . -- Vor
VIII ist die Überschrift 8ulpicia weg gelassen.
Die meisten Änderungen im Tiboll beruhen auf Losarten der von
Baehrens benutzten Handschriften (0). Einige von ihnen sind im Ind.
leett. Berol. hib. 1886/87 (No. 8) eingebend und. wie nicht anders zu
erwarten war, meisterhaft begründet worden.
Nach Behandlung verschiedener Stellen im Propertius, wo di«
172 Cat.ull und Tiball. Vahleni Ausgaben and Abhandlungen
Wiederholung desselben Wortes eicht für anstöfsig erachtet werden darf.
wendet sich Verfasser ähnlichen Erscheinungen bei Tibull zu iVgl. des
Ref. Studien zu Ovids Metamorphosen. Berlin. ibk7 s. 28). Lygdam.
•1, 66 ist mit dem frgmt. Cuiacianum zn Lesen:
Saovns Amor doenil validos temptare labores.
Sapvu^ Amol' doeuit verbera saeva pati.
Das verbera potse pati der übrigen Handschriften, an sich tadel-
los, ist Interpolation [cf. Rothstein. De Tib. codd. S. 5]. Im vorher-
gehenden Verse 64 mufs mit der guten I berliefernng gelegen worden
fide (nicht, prece), und ebenso 6, 47, (obwohl hier die Pariser Kxzerpte
iwece bieten). Fides steht hier wie Prop. I 18, 18. Verg Aen. 6, 459.
Ilor. c. III 24, 59 = obseciatio Beteuerung. Lygd. 4, 3- 4 liest Vablen:
Ite proeul, vani (so die besseren Handschriften und Lachmann), falsum-
que avertite visum. Desinite in vani* (Muret) quaerere velle fidem. Mit
vani sind somni angeredet. Dafs die Anrede in der Formel ite proeul
oder este proeul nie fehlt, wird durch Beispiele erwiesen. Zu in vanis
heilst es: quippe poeta iubet homiues desinere (id quod facere solent)
fidem quaerere in vanis, quae fidem non habent' [Freilich ist dabei die
Anrede vani an ein aus somnia zu entnehmendes somni und der neue
Subjektswechsel in Desinite bedenklich: Di meliora ferent — ite proeul
(somni). — Desinite (homines)]. - In IV 4, 23 verteidigt Vahlen das
handschriftliche iam celeber, iam laetus eris gegen Haupt's Konj. lautus
obwohl nicht mit voller Entschiedenheit | Ref. ist hier noch nicht über-
zeugt: laetus führt doch wohl ein fremdes Element in den Gedanken
ein und pafst nicht recht zu celeber]. Mit Recht wird in v. 6 das
handschriftliche neu notet informis pallida membra color gegen das
interpolierte Candida gehalten: nam quod pallida membra informi co-
lore, qui ipse pallor est, notari dicit, poetarum more loquitur, qui id
quod efficitur tamquam effectum epitheto designant'. — Tib. I 7, 13
das handschr. tacitis leniter undis mit Glück gegen Lachmanns
tactis . . ulvis geschützt coli. Prop. II 25, 23. Ov. Metam. XI 46. Tib.
IV 2, 17. — Lygdam. 4, 25 wird die schon in der vierten Auflage
rezipierte handschr. Lesart verteidigt: non illo quiequam formosius
ulla priorum Aetas, humanuni nee, videt, illvd 01ms. Es ist zu kon-
struieren: non illo quiequam formosius ulla priorum aetas videt, nee
humanuni illud opus. Zum Praesens videt wird verglichen Prop. IV 4, 54.
IV 1, 77. Verg. Aen. VII 363. IX 264, zu der ungewöhnlichen Stellung
des zum ersten Gliede gehörigen Verbums ins zweite Catull 44, 9. Lucr.
VI 176. Hör. ep. II 2, 21. Ov. fast. III 384. Metam. XI. 536. Aa. I 399.
Rem. am. 641. Ref gesteht in aller Bescheidenheit, dafs er noch nicht
überzeugt ist: 1) Es ist nicht die Verstellung des Verbums allein, die
Anstofs erregt , sondern eine Kumulation von Seltsamkeiten ( die Ver-
stellung, das Praesens, das Fehleu eines Verbums im zweiten Gliede),
die den Ausdruck ganz unverständlich macht. In allen andern zitierten
Catull. Ellis' Ausgabe. 173
Beispielen kann über die Absiebt des Schriftstellers kein Zweifel sein.
2) Die Ausdrucksweise des Lygdamus ist, übereinstimmend mit der Dürf-
tigkeit des Inhaltes, durchaus plan und einfach, jedem höheren Fluge
abhold. Es gibt bei ihm sonst kein Beispiel einer nur entfernt ähn-
lichen Kühnheit in der Wortstellung. 3) Das zweite Glied scheint min-
destens ebenso bedenklich wie das erste (Vahlen berührt diesen Punkt gar
nicht}. Zu nee humanuni illud opus ist doch wohl est zu ergänzen — oder was
sonst? Wie kann denn aber von dem wunderschönen lorbeerbekränzten Jüng-
linge gesagt werden nee humanuni illud opus'? Der Jüngling ist kein
Meuschenwerk! heifst das er ist nicht von Menschen gezeugt'? Aber
wer hat je so gesagt? Wer mag sagen, ob Lachmanns geniales heroum
nee tulit ulla domus die Hand des Dichters trifft? Aber selbst wenn
dem nicht so wäre, würde dadurch die Richtigkeit der Überlieferung
noch nicht erwiesen. Vgl. Vahleus schöne Worte (S. 16): c Difficillimura
videtur dicere quid in talibus genuinum haberi oporteat, quid non opor-
teat: nisi quis quae probabili modo corrigi possunt , non ferenda, quae
non possunt, ea ferenda instat'.
9. Catulli Veronensis über, iterum recognovit, apparatum
criticum prolegomeua appendices addidit R. Ellis. Oxford 1878.
LXXVII und 410 S. 8.
K. P. Schulze, Anzeige von Ellis' Ausgabe, N. Jahrbb. 1880,
S. 125-135.
Die erste Auflage von Ellis' voluminöser Ausgabe darf als bekannt
vorausgesetzt werden. Die Abweichungen der zweiten sind nicht so be-
deutend, wie man, nachdem inzwischen Baehreus' Ausgabe erschienen
war, annehmen durfte Mit Baehreus vornehmlich setzt sich Ellis denn
auch in der Praef. zu ed. II auseinander. Der Vorwurf vou Baehrens,
fast keine Seite in Ellis erster Ausgabe sei ohne falsche Lesarten aus Ü,
wird als in erregtem Tone als unbegründet bezeichnet und nachgewiesen,
dafs auch des Ersteren Kollation Unrichtigkeiten enthalt. Baehrens
habe nur das Verdienst als cprimus Germanorum' den Oxoniensis ge-
bührend beachtet zu haben u. s. w. Unerquickliche Polemik über die
Prioritätsfrage zwischen R. Ellis u. H. Nettleship Academy Nu. 315,
440--441. 316, 365. 317, 489. Es folgen mit Zusätzen und Änderungen
die Prolegomena der ersten Ausgabe. Fast ganz neu sind die Er-
örterungen auf S. XXI — XXX. Es werden Stellen verzeichnet, au denen
G und 0 ' contra ceteros Codices ita conspirant, ut maiorem antiquitatem
testentur', sowie Stellen, wo 0 Besseres bietet ah Gr. Vorzüge von Ü
bestehen auch darin, dafs er die vv. t>7, 21 languidior tenera cui pen-
deus sicula beta und 68, 16 ioeundum cum aetas florida ver ageret nur
einmal (au falscher Stelle) enthält, dafs 92, 3—1 nicht, wie in ti und
den meisten andern Handschriften, ausgelassen sind. Aus dein Fehleu
]74 Catull. E1IU' Ausgabe.
der Überschriften in 0 ist dagegen nichts zu folgern, da die Spatia für
elben vorbanden sind: Der Schreiber hatte sie absichtlich über-
gangen, um sie farbig zu malen, unterlieft dies aber Bpäter ;nh irgend
einem Grunde. Au andern Stellen wieder ist 0 entschieden weiter vom
Richtigen entfernt als G und andere Handschriften (vgl. 10, 26. 25, 2.
64, lü. 77. 139. 270. 273. 355. 66, 3. 80, 6. 18, 8). Alsdann werden
besprochen die duplices Bcripturae in 0 und G (sive altera alteri Buper«
scriptae Bive in contextu appositae sive denique in margine adscriptac
fuerunt'). Solche Varianten sind in 0 viel seltener als in G | vgl. M.
Bonnet, rev. crit. 1877 No. 4. 1$. Schmidt, Jenaer LZ. 1878 No. 14].
Demnach stammen angeblich 0 und G aus zwei Abschriften von V, sind
also nicht unmittelbar aus V abgeschrieben. Die Doppellesarten standen
in V noch gar nicht. Sie sind als Konjekturen der Schreiber anzu-
sehen, als Leseversuche schwer zu entziffernder Worte. Die Vorlage von 0
hatte nur wenige solcher duplices scripturae, die von G viel mehr Das
Original von G ist jünger und weniger zuverlässig [vgl. übrigens F. Scholl.
N. Jahrbb. 1880 S. 494-495]. Dafs G nicht Quelle der jüngeren
Handschriften ist, wie Baehrens glaubte, wird S. XXIX aus einer Reihe
von selbständigen Lesarten in den letzteren nachgewiesen. — Der Text
ist nicht wesentlich verändert. Im kritischen Apparate sind jetzt die
Lesarten von 0, von denen früher nur eine Auswahl geboten wurde,
fast vollständig aufgeführt [nicht ganz; vgl. K. P. Schulze 1. c. S. 135
und jetzt Schwabens Angaben [. Leider hat der Herausgeber nicht ver-
sucht, ihn einfacher zu gestalten: Haufen wertloser Varianten aus wert-
losen Handschriften erschweren die Übersicht ungemein. Von Konjek-
turen neuerer Kritiker ist Manches nachgetragen, anderes nicht. Ein
bestimmter Plan in der Auswahl scheint dem Herausgeber nicht vor-
geschwebt zu haben. Auf die verunglückte Abhandlung de aequabili
partitione carminum Catullianorum', die aus der ersten Auflage sattsam
bekannt ist, folgen die Exkurse, hin und wieder mit Änderungen und
Zusätzen (namentlich werden Munro's Ansichten registriert resp. be-
kämpft ). Neu ist ein sorgfältiger iudex verborum und das Faksimile
eines Blattes vom Oxoniensis (mit den Versen 64. 336 — 366). — Ref.
glaubt, dafs diese neue Ausgabe trotz ihres gewaltigen Apparates, trotz
der auf den ersten Blick imponierenden Gelehrsamkeit des englischen
Forschers doch nur einen kleinen Fortschritt in der Kritik des Catullus
bezeichnet.
K. P. Schulze erklärt sich in seiner Rezension gegeu Ellis' An-
nahme, dafs 0 und G aus zwei verschiedenen Kopien von V stammten,
und meint, sie seien direkt aus V abgeschrieben. Die meisten Doppel-
lesarten standen schon in V. 'Wie sollten sonst 0 und G zu denselben
Varianten kommen? cf. 10, 9. 12, 4. 15, 11. 23, 2. Auch 64. 145 wird
die duplex scriptura apisci adipisci schon in V gestanden haben'. [Aber
Schwabe bemerkt zu St. litteras di suppuuxit et superscripsit pro adi-
Catull. Die Handschriften nach Ellis' Ausgabe. 175
pisci manus altera]. c0 Dahm im Allgemeinen nur das im Text selbst
Stehende aus V herüber. Am Anfang begann er auch Randglossen mit
abzuschreiben; dies ward ihm aber bald zu viel, so dafs er es nach den
ersten Gedichten vorläufig aufgab, um es etwa später nachzutragen.
0 macht überhaupt einen unfertigen Eindruck', [cf. Baehrens prolegg.
S. XXXVIIL] Der Schreiber von G schrieb dagegen nicht nur alle Varianten
aus V ab, sondern fügte auch neue aus eigener Erfindung hinzu. [Hiernach
stünde also nur für die wenigen Fälle, wo 0 und G übereinstimmende duplices
scripturae haben — namentlich für 23, 2; vgl. B. Schmidt Jen. Litz. 1878,
210 — die Provenienz aus V fest. Über die nur in G vorhandenen bliebe Alles
unsicher. War übrigens der Schreiber von 0 wirklich der rein mecha-
nische Kopist, für den man ihn ausgibt, würde er schwerlich so selbst-
ständig verfahren sein.] Die Verse 67, 21 und 68, 16 standen in V
zweimal, an ihrer richtigen Stelle und hinter 64, 386 resp. 68, 49. 0 hat
sie nur einmal au falscher Stelle. Den ersten liefs der bedächtige
Schreiber vun 0 weg, weil er sich erinnerte den Vers bereits früher
geschrieben zu haben, den zweiten übersah er an seiner richtigen Stelle
vielleicht weil er am Ende einer Seite stand. Zum Zeichen, dafs etwas
fehle, malte er beide Male ein Kreuz an den Rand [Aber wie reimt
sich das mit der kurz vorher gegebenen Charakteristik eben dieses
Schreibers cer malte ruhig ab was dastand, mochte es Sinn geben oder
nicht'? Und wenn er einen Vers übersah, warum malte er — nachträg-
lich, nachdem er seinen Fehler bemerkt hatte? — ein Kreuz an den
Rand und trug den übersehenen Vers nicht lieber nach? Viel wahr-
scheinlicher ist es doch, dafs wir in diesem Kreuze, von dem übrigens
Schwabe gänzlich schweigt, das Zeichen eines Lesers zu sehen haben,
der 67, 21 und 68, 16 das Verhandensein einer Lücke bemerkte]. —
Ellis war der Ansicht, die jüngeren Handschriften (deteriores) stammten
nicht alle aus G (wie Baehrens wollte), G und viele derselben gingen
vielmehr nur auf eine gemeinschaftliche Abschrift von V zurück. Im
Gegensatze dazu behauptet Schulze: 'Ich bin mit Baehrens der Ansicht,
dafs G und 0 aus einer Quelle stammen, und dafs die deteriores sämt-
lich auf G zurückgehen und deshalb die ihnen eigentümlichen Lesarten
nur den Wert von Konjekturen haben'. Um dies zu erweisen, wird ver-
sucht die von Ellis S. XXIX citierten Stellen, wo die deteriores gegen
0 zusammen stehen, teils zu einfachen Schreibfehlern, teils zu Interpo-
lationen des in G vorliegenden Textes zu stempeln. Eine offenbare
Interpolation soll z. B. 15, 16 noatrorum sein. Der Schreiber [der Kopie
von G, ans welcher die deteriores stammen?] verstand das nostrum nicht
und änderte deshalb in nostrorum. [? Übrigens hat auch (> nogtrorum.
Hat sich nun der mechanisch die Schriftzüge seines Originales nach-
malende Schreiber von 0 eine so offenbare Interpolation gestattet?)
Auch die dem Datanus eigentümlichen Lesarten sind angeblich teils
Schreibfehler, teils Interpolationen. [Aber gerade die wichtigsten der-
176 Catuli. Aasgabe von üigli.
selben Bind unbesprochen geblieben, z. I*. 66, 83 petüit fttr Colitis; vgl.
auch Jahresb d. Ph 7er. V B. 818 und Sydow de rec. Cat. carm. S. 74 f . j .
Seine Sätze über die deteriores hall übrigens Schulz: aiiM-heim-nd selbst
nicht mehr aufrecht. Vgl. Rom. Eleg.8 8. VI.] Erwähnt Bei bei dii
Gelegenheit eine Notiz von R. Ellis Academj No. 268, 659—660 über
die langsame Verbreitung des wiedergefundenen über Catulli. A. Bei
delli's Hermapbroditus ist wahrscheinlich 1410—1416 geschrieben ediert
nach Schwabe ed.a S. XVII erst 1426). Hier steht in IIb. II ein Ge-
dicht ad Galeaz, welches beweist, dafs Abschriften von Catulls Gedichten
damals sehr schwer, mitunter gar nicht zu erlangen waren. Abgedruckt
jetzt bei Schwabe a. 0. Ebenda auch verschiedene Catullreminiszeuzen
aus dem Hermaphroditus.
10. I carmi di C. Valerie- Catuli o Veronese noveliamente
espurgati, tradotti ed illuslrati per uso delle scuole Italiane da Angelo
Gigü. Roma. 1880. VIII und 268 S. 8.
Die Ausgabe ist für den Gebrauch in italienischen höheren Schulen
bestimmt, sie hofft (nach Vorrede S. VII) zu sein ' una edizione espur-
gata la piü abbondante, la meglio ordinata, la piü corretta di quante
fin qui videro la luce in Italia'. Unseren Vorstellungen von einer Schul-
alisgabe entspricht sie jedoch in keiner Weise. Wir suchen in einer
solchen nicht eine dem lateinischen Texte gegenüberstehende Über-
setzung, die uns hier geboten wird; wir suchen dagegen sprachliche und
sachliche Erläuterungen, und diese fehlen gänzlich. — Auf die Vorrede
folgen Prolegomeua über Catulls Leben, seine Gedichte, seine Zeitge-
nossen. Neue Resultate für die Wissenschaft enthalten sie nicht. Nur
eins sei erwähnt. Verf. vermutet, dafs den Dichter ein schweres Zer-
würfnis mit seinem Vater aus der Heimat trieb. Näheres darüber sagen
angeblich die Verse 64, 400-401 optavit genitor primae vi funera nati
Liber ut innuptae poteretur flore novercae. Das sei eine Vorstellung
ccosi determiuata, cosi speciale e poco comune, che la si direbbe sug-
gerita al poeta da casi avvenuti sotto i suoi occhi e nella stessa sua
famiglia'. Dadurch finde auch die auffällige Thatsache, dafs Catuli sei-
nen Vater nie nenne, ihre Erklärung. Nun mag dies Schweigen des
Dichters befremden; die Schlüsse, welche hier daraus gezogen werden,
sind sicher unzulässig. Weder ist jene Ausmalung speciale e poco co-
mune (man denke au Theseus und Hippolytus), noch ist die frühe
Übersiedlung des Dichters nach Rom im Geringsten auffällig. Ungern
sieht man auf S. 6 uud sonst noch immer den Prätor Memmius Ge-
m eil us spuken. Es folgt der Text in zwei Abteilungen gesondert:
I. poesie maggiori. A Sülle nozze di Peleo e di Teti. Poemetto di
genere epico. B. Elegie. C Liriche. II. Epigramm i. A. Amorosi
B. Scherzevoli e famigliari. C. Mordaci. D. Varii. Die überlieferte
Ordnung ist also umgestofseu. Zwar sind die alten Nummern der ein-
Catull. Gigli's Ausgabe. 177
zelnen Gedichte angegeben, aber unbegreiflicher Weise nicht die
Versziffern, selbst in Gedichten gröfseren Umfanges, selbst in c 64.
nicht. Es ist daher nur mit Hilfe anderer Ausgaben möglich sich zu
orientieren, und auch das mühsam genug. Zahlreiche Nuditäten und.
Obszönitäten liefsen bisher immer nur einen kleinen Teil von Catulls
Gedichten als geeignet für die Schule erscheinen. Verf. erklärt dagegen
mit Stolz, es sei ihm gelungen von den 116 Nummern des über Catul-
lianus nicht weniger als 90 für die Schule lesbar zu machen. Das ist
wahr. Aber um welchen Preis! Der Text ist durch eine Unzahl keuscher
Verbesserungen (die übrigens sämtlich durch fette Schrift kenntlich ge-
macht sind) förmlich kastriert, abgesehen von Auslassungen ganzer Verse
und Versgruppeu. Aus 24, 1 o qui flosculus es Iuventiorum ist ge-
worden o q u a e flosculus es p u e 1 1 u 1 a r u m. c. 83, 1 heifst bei Gigli Lesbia
mi coram patruo mala plurima dicit. Fabullus soll in c 13 mitbringen
bonam atque magnam Cenam, non sine candido sodali! In c. 42 klagt
der Dichter 'Iocum me putat esse saga turpis u. s. f. In c 103 wird.
Silo ermahnt aufzuhören für esse atque idern saevus et indomitus (sind
diese Eigenschaften wirklich mit dem Diebshandwerk unvereinbar?). In
c. 25 wird jener diebische Lüstling so apostrophiert 'Venuste Thalle,
mollior cuniculi capillo . . . Vel pelle languida senis'! Manches
klingt wie Parodie. Aus der Einladung, mit der Catull in c. 32 ein
lüderliches Dirnlein beehrt (Amabo, mea dulcis Ipsitilla) ist geworden:
Amabo, pater omnium leporum, meae deliciae, diserte Calve, . . .
paresque nobis quod ludamus identidem et bibamus'. Die vier ersten
Verse von 56 (0 rem ridiculam, Cato, et iocosam . . . Res est ridicula
et nimis iocosa) sind Einleitung von c. 10 Varus me meus ad suos
amores! Koch toller ist die Zusammenziehung von 59 und 60: Bono-
niensis rui'a
Cum devolutum ex igne prosequens pauem
Ab semiraso tunderetur ustore
His lacrimalis est misera vocibutt questa:
cNum te leaena montibus Libystinis,
Aut Scylla latrans ventris infima parte sq.
Soll man über den Unfug lachen oder sich ärgern? — Bisweilen
ist der Herausgeber aunh wieder auffallend wenig skrupulös. Wenn es
68, 83 statt noctibus in longis avidum saturasset amorem heilst nexi-
bus in longis, so ist es doch fraglich, ob dadurch die Sache besser wird.
Auch in c. 61 a. E. ist Manches stehen geblieben, das sich nicht eben
für die Jugend empfiehlt. Und die Entmannung des Attis im Anfange
von 63 gehört nicht in Jugendscbriften. Sogar c 23 Furi , cui neque
servus est neque arca ist abgedruckt, ein Gedicht, dessen grandiose
Komik nur reife Männer mit abgeschlossener Bildung verstehen und
würdigen köi n.
Ein von solchen Verkehrtheiten wimmelndes Buch könnte in dieser
Jahresbericht für Alterthumswissenschaft LI. (iü87. II.) 12
178 Cafull. Ausgabe von (Jigli.
Zeitschrift [inbesprochen bleiben, wenn die Textesgestaltung Dicht bin
und wieder Interesse einzuflößen vermöchte. Nicht als ob sie beson-
deres Lob verdiente. Die Kritik des Herausgebers zeugt weder von ge-
nügender Kenntnis des catullischen Sprachgebrauches Doch der ein-
schlägigen Litteratur (anscheinend sind ihm nur Ellirf und Bchwabe's
Arbeiten bekannt). Ebenso ist er i. J. 1880 über die Handschriftenfrage
durchaus nicht orientiert und steht auf dem eklektischen Standpunkte
früherer Zeiten. Allein er bemüht sich doch eine selbständige Haltung
einzunehmen, und einige seiner Aufstellungen verdienen wenigstens eine
Prüfung. Folgende Konjekturen werden vom Herausgeber vorgeschla-
gen: 64, 23b wird ergänzt progenies salvete animumque advertiie, quando.
64, 73 illa tempestate, ferox qua (ex tempore = improwisamente). 64, 75
attigit infesti. 64, 178 anne tneos repetam montes. 64, 205 quo motant
tellus. 64, 227 carbasus obscura volget (schlecht). 64, 300 eultricem
movtivm, adire Pelea. 64, 387 templo in fulgente residens (so Baehrens.
Am Schlüsse des Buches wird die Konjektur als Druckfehler bezeichnet!
Baehrens' Ausgabe ist dem Herausgeber anscheinend nicht bekannt :
67, 5 heifst es zu natae servisse 'io leggo'). 66, 78 unguenti n iam.
66, 50 ferri effringere duritiem. 68, 47 wird ergänzt laudibus ut toto dum
vivit clareat orbe. Der Schlufs des c. 68 von 149 an wird als 68 c be-
zeichnet und erhält die Überschrift 'Epistola aecompagnatoria della pre-
cedente elegia' (Auf dieselbe Annahme ist jüngst Riese gekommen).
68, 157 nobis te iam dedit auclor. 76, 21 ei nimis obrepens. 63, 54 et
earum ut omne adirem furibunda latibulum. 63, 70 ego trhtis algida
Idae. 62, 32 f. folgende Strophen hergestellt:
Puellae.
Hesperus e nobis, aequales, abstulit unam.
Noctivagun qui sis für, Hespere, iure putaris\
Namque tuo adventu vigilat custodia semper.
At iuvenum coetus te eunetis praetulit astris.
Quid tum si laudent sibi quem novere faventemf
Hymen o Hymenaee, Hymen ades o Hymenaee.
Juvenes.
Ten furti insimident, cuius male lumine in ipsa
Nocte latent fures? sq.
62, 41. Danach folgender Vers ergänzt Spiret uti suaves circum
bene pictus odores. Die nach 62, 58 b folgenden Verse wurden der cCa-
terva' zugewiesen und im Anfange durch folgenden Vers ergänzt: Te
petit ecce tuo conivnx incensus amore; At. 61 , 32 — 33 Nach voca inter-
pungiert, nach novi Interpunktion gestrichen. 55, 7 femellas omnes
manu prehmdi. 61, 156 ut potens et beata als Ausruf in Parenthese.
55, 9 avelletis. 102, 1 commissum et fido ab amico est. 91, 3 quin te
rognoasem bene. 30, 10 ventos irrita ferre ut nebulas. 22, 13 aut si
quid hoc argutius, 29, 15 quod obtulit sinistra (vorher keiue Interpunk.
Catnll. Ausgaben von Gigli und Toldo. 1 79
lion). 29, 20 nunc Galliae teaeiUur (wie einst Ribbeck). 95, 5 Zmyrna
turnen Satrachi patrias mittetur. 27, 4 ebrioso acina ebriosiora ('all'
ebbro date vino piü inebbriante'). 59, 1 Bononiensis rufa, r vfa, ni fallor
(rufa nicht, nom. propr., sondern Adj.). In c 67 (dieses Gedicht in einer
Auswahl für die Jugend!) führt den Dialog mit der Thür nicht der
Dichter, sondern allgemein 'cives = alcuni cittadini' (wie verträgt sich
aber mit dieser Annahme v. 12 verum isti populo ianua quidque facit?).
An vielen Stellen sind Konjekturen älterer Kritiker (bes. der Itali, so-
wohl aus geschriebenen wie aus gedruckten Ausgaben) in den Text ge-
setzt, bisweilen solche, die heute fast vergessen waren. So 64, 16 illa,
ri/que haud alia. 94, 94 immiti corda furore. 64, 104 suspendit. 64, 139
at. non haec quondam, tum haec (Statius). 64, 249 quae tarnen aspectans.
61, 81 tardat. 51, 11 tinniunt (Muret). 2, 8 tarn gravis. 75, 3 queam.
109, 6 alternum. 96, 4 olim amissas. 39, 9 monendus es mihi. 22, 5 in
palimpsestum. 55, 13 Herculis. (Heinsius). 64, 273 leni et resonaut.
64, 280 quotcumque . . . qvot. 66, 35—36 si reditum tetulisset is haud in
tempore longo et . . . addiderit. 68, 91 quae nempe et (Aldine v. 1502).
63, 50 o mea creatrix. 68, 5 isti populo ianua quidque facit. Selten
(und dann fast immer unrichtig) ist die beste Überlieferung im Gegen-
satze zu den neueren Herausgebern gehalten: 64, 28 Neptvnine. 64, 143
Tum iam. 64, 334 contexit. 63, 2 Phrygium nemus (Caesius Bassus) . .
4 u/n. 63, 16 truculentaque pelagi. 61, 67 adest. 2, 11 tarn gratum id
mihi (Muret). 66, 9 multis illa dearum. Ebenso sind Konjekturen
Neuerer nur selten rezipiert. Ich vermute, zuweilen deshalb, weil (nach
den Anmerkungen zu schliefsen) die Litteratur der letzten Jahrzehnte
dem Herausgeber ungenügend bekannt ist. Ich habe mir notiert fulvore
(Ritschi). 64, 287 Magnessum. c. 101 ist nach Haase's Transpositionen
konstituiert. — An verschiedenen Stellen ist's dem Ref. nicht möglich
gewesen, die Provenienz der aufgenommenen Lesarten zu ergründen. Ich
notiere 66, 83 casti petilis quae iura, culrilis. 62, 44 nulli ipsum pueri (Druck-
fehler?). 3, 15 lum bellum (Druckfehler?). 114, 3 omnigenos pisces.
Sorgfalt und Akribie vermifst man in vielen Einzelheiten. Es wird
von Roberto Ellis, von Ritschel, von He/se, von Haas gesprochen. Der
Vers 64, 127 ist im Texte nachlässigerweise ausgefallen. D;is lange Ver-
zeichnis sinnentstellender Druckfehler am Schlüsse des Buches ist bei
weitem nicht vollständig. So steht z. B. S. 68 in lncu für incola. In
der Orthographie finden sich viele veraltete Schreibungen wie moesta,
coelestumque, coeca.
11. I carmi di Valerio Catullo tradotti ed annotati dal Prof.
Luigi Toldo con alcuni cenni di biografia e di bibliografia premi-
ati dall' accademia dei lincei. Imola. Galeati. L883. 8 LXIX u.
Der quantitativ sehr reiche Inhalt des Buches besteht aus (olgen-
den Teilen: 1. Biographie des Dichters, 2. Geschichte des Textes, :\. v.>r-
12*
180 Catull. Ausgabe von Rostend •Benoist.
zeichnis der Ausgaben, Monograpbieen, Übersetzungen and Nachahmun-
gen, 4. der lateinische Text, 5. gegenObersteheode italienische Über-
setzung, 6. kurze Bemerkungen Ober die Metra, 7. allgemein orientie-
rende Einleitungen (vorwiegend historischen Inhaltes) zu den einzelnen
Gedichten, 8. Verzeichnis von Varianten und Konjekturen, '.). erklärende
Anmerkungen, 10. Verzeichnis der 'parole proprio di Catullo'. (Jelungen
ist von alledem besonders ilie Übersetzung: sie ist dem Ref. treu,
fliefsend, in schöner Sprache and glücklich gewählten metrischen Formen
abgefafsl erschienen. Sonst entsprechen die Resultate dem grofsen Appa-
rate nicht im entferntesten. Das Buch bietet dein Philologen weder
etwas Neues, noch ist es als zuverlässiges Kompendium des bishi
leisteten anzusehen. Viele Angaben (besonders über handschriftliche
Lesarten) sind unrichtig resp. unvollständig und ungenau. Der Text
steht nicht auf dem heutigen Standpunkte der Wissenschaft; er ist teils
veraltet, teils durch Aufnahme von willkürlichen Interpolationen (\ov
Itali (die nicht immer als solche kenntlich gemacht sind) verunstaltet.
Einige zwanzig Gedichte obszönen oder derben Inhaltes werden nicht
nur nicht übersetzt (dies möchte sich rechtfertigen lassen), sondern blei-
ben sogar unabgedruckt. Es wäre zu wünschen, dafs Verf. sich ent-
schlösse, seiner hübschen Übersetzung durch eine Separatausgabe weitere
Verbreitung zu sichern. Vgl. für die Einzelheiten des Ref. Anzeige in der
Berl. Ph. Wocheuschr. 1887 No. 44.
12. C Valeri Catulli liber. Les poesies de Catulle. Traduc-
tion en vers fran^ais par Eugene Rostand. Texte revu d'apies les
travaux les plus reeents de la philologie avec un commentaire critique
et explicatif par E. Benoist. Ouvrage couroune par l'Acaciemie fran-
caise. Paris. 1882. Hachette. Tome premier LXX1X und 337 S.,
tome second XIV 338-516 S. 8.
Betreffs der französischen Übersetzung, welche der erste Band
dieses fleifsigen und wohl gemeinten Buches enthält, sei nur bemerkt.
dafs sie natürlich in modernen Rhythmen abgefafst ist und dafs sie den
Beifall competenter Beurteiler gefunden hat. Von der Hand des Über-
setzers ist noch eine vornehmlich auf deutschen Monographieen beruhende,
lebendig geschriebene cvie de Catulle1. Nur selten stöfst man an (S. L'XI
C. Memmius Gemellus). Die Übersetzung steht gegenüber dem von
Benoist revidierten Texte. Dieser bietet im Wesentlichen nichts Neues.
Doch sind die textkritischen Arbeiten von Schwabe, Ellis, ßaehrens,
Bonnet verständig und sorgsam benutzt. Grundlage der Textgestaltung
sind 0 und G. Doch glaubt Benoist nicht, dafs die jüngeren Hand-
schriften alle aus G abzuleiten seien (wie Baehrens wollte). Mehrere
charakteristische Lesarten sind aus 0 aufgenommen z. B. 64, 103. 140.
180. 101. 7. Wohl unrichtig ist 64, 355 mesaor. Ohne Grund ist da-
gegen 61, 204 cupis cupis verschmäht. Überhaupt finden sich Mifsgriffe
Catull. Ausgabe von Rostand -Benoist. 181
in der Auswahl der Lesarten nicht ganz selten, so 64, 24 die Ergän-
zung placidiquefavete; 64, 65 nvdatvm pectus; 64, 206 motu\ 64, 237 die
Einfügung des Verses lucida — mnli\ 68, 119 Anser; 65,9-14 ine 101
transponiert; 2, 11 f. hinter c 14b gestellt u. a.
Der zweite Teil enthält nach einer über die Handschriftenfrage
orientierenden Einleitung den Kommentar zu c. 1 — 63. Der Schlufs-
band des ganzen Werkes ist bisher nicht erschienen. Benoist' Kom-
mentar kommt dem Ellis'schen an Reichhaltigkeit des Materiales bei
weitem nicht gleich. Er ist in Deutschland jetzt durch die Arbeiten
von Riese und Baehrens längst überholt, hat auch die Erklärung fast
nirgends durch selbständig gefundene neue Resultate gefördert. Die
in Zeitschriften, Programmen, Dissertationen, Rezensionen zerstreuten
Beiträge zur Kritik und Erklärung des Dichters sind zwar fleifsig be-
nutzt und werden oft citiert. Aber es fehlt häufig der rechte Überblick,
zwischen Wichtigem und Unwichtigem wird nicht, gesondert. Auf ganz
unbedeutende und wertlose Bemerkungen der Fachliteratur wird immer
wieder mit lästiger Umständlichkeit verwiesen: der gutwillige Leser schlägt
die citierten Stellen nach und findet oft nichts der Rede wertes. Die
einzelnen Noten bestehen im Wesentlichen aus Reproductionen und Kri-
tiken fremder Ansichten, nicht aus Ergebnissen eigener Forschung. Dies
alles zugegeben: es wäre sehr zu wünschen, dafs der Kommentar von
berufener Hand zu Ende geführt würde. In Deutschland würde er frei-
lich nach den neuesten Fortschritten, die hier gerade auf diesem Ge-
biete gemacht sind, nicht mehr viel Leser finden. Aber in Frankreich
wird die fleifsige. grundehrliche und ohne alle Prätensionen auftretende
Arbeit, auch ferner ein gutes und nützliches Hilfsmittel zur Einführung
in das Studium Catulls sein, — vorausgesetzt, dal's durch geeignete Nach-
träge am Schlüsse des Werkes auch die erste bis jetzt vorliegende Hälfte
des Kommentares auf den heutigen Standpunkt der Wissenschaft ge-
bracht wird. — Äusserlich ist der Kommentar so eingerichtet, dafs zu
jedem Gedichte an erster Stelle "notes critiques' zusammengestellt sind
d. h. die wichtigsten Varianten von G und 0. Die ersteren sind mit-
geteilt nach eigener Kollation und den Angaben von Schwal>e, Ellis uud
Bonnet, die letzteren nach den Apparaten von Ellis und Baehrens Hier
werden sich, wie Schwahe's neue Ausgabe zeigt, ziemlich viel Berichti-
gungen als notwendig herausstellen. Diese Variantenverzeiehnisse sind
mit kritischen Bemerkungen verschiedener An vermischt. Auf die notes
critiques folgt dann jedesmal der eigentliche 'commentaire' zu dem be-
treffenden Gedichte. Von Einzelheiten sei erwähnt die eigentümliche
Deutung von c. 4, die Benoist im Anschlüsse an Patin gibt. Ea ist an-
geblich folgende dichterische Fiktion anzunehmen: 'Catulle voit uue vi-
eille carcasse de navire; c'cst lä le poinl de d6patt de soo iiua^ination;
il se demande co qu'a ete ce bätiment , et le lui fail dire lui-meme . . .
Puis par uue assimilation naturelle, 1' idee d'une navigation lointaiue ro-
182 Simpson, Select poems of Catullus.
porte Catullc ä cellc qu'il vicnt de faire lui-meme . . . Eutin il est bOB
de remarquer que le navire se dedie lui-möme par une figure poötique,
niais qu'il nVst anllement question d'un ex voto formel du po6t€ . Eine
ausführliche Besprechung des Buches mit verschiedenen sachlichen Nach-
trägen und Berichtigungen (z. B zu 68, ß; 11, 7 qua; 15, 11 paratvm%
vgl. auch Ov. Met. V 603; 44, 21 l«;gi; 51 ; 59, :> rapere de rogo cenam;
61,27 perge linquere; 63,89) hat Ref. Phil. Wochenscbr. 1883 8p. 420— 426
geliefert. — Erwähnt sei seh liefslich, dafs Text und Kommentar von c. 29
bereits Rev. Archeol. XXXIX (1880) 38—50 abgedruckt Bind.
Nützliche Nachträge zu einzelnen Stellen des Kommentares von
M. Bonnet Revue crit. 1883, 313-351.
13. Select poems of Catullus edited, with introduetions, note»
and appondices, by J. P. Simpson. New editiou revised. London.
1886. Macmillan.
Das hübsche kleine Buch gehört derselben Sammlung antiker Klas-
siker an wie Postgates Auswahl aus Properz und Simmons' jüngst er-
schienene Ausgabe des 13. und 14. Buches von Ovid's Metamorphosen.
Während das Titelblatt die Jahreszahl 1886 zeigt, ist die Vorrede auf-
fälligerweise aus dem Jahre 1879 datiert Ihr zufolge ist diese Auflage
(die frühere oder die früheren kennt Ref. nicht) 'carefully revised . . .
in order to render tbis volume of selections from Catullus perfectly sui-
table for school reading'. Dafs wir es trotzdem nicht mit einer Schul-
ausgabe nach deutschen Begriffen zu thun haben, wird die Charakteristik
des Buches ergeben. — Die Auswahl umfafst den bei weitem gröfsten
Teil des über Catullianus. Es sind nur vollständige Gedichte aufge-
nommen (von c. 61 fehlen allerdings einige Strophen). Unterdrückt sind
lediglich einige von Nuditäten wimmelnden Stücke. Soll also wirklich die
furchtbare Entmanuungsgeschichte des Attis in Schulen gelesen werden ?
Die Textesgestaltung ist aufs erordentlich konservativ. Sehr oft stehen
sinnlose Korrupteleu der Handschriften im Texte, selbst da wo plausible
Emendationen längst gefunden sind wie 62, 9; 66, 91; 95, 9 und soust.
Meist schliefst Verf. sich an Ellis' Text an, doch sind Abweichungen
nicht gerade selten. Bisweilen ist ganz ohne Not die beste Tradition
verlassen (1, 9 quidem). Die aufgenommenen Konjekturen sind keines-
wegs, wie man dies bei der konservativen Richtung des Herausgebers
erwarten sollte, sämtlich evident (64, 10 huudque alia Schwabe; 64, 110
comis obit uud 73, 4 iam iuvat Munro; 77, 4 mi Itali). Der Kommentar
ist mit unleugbarem Geschick geschrieben. Aber wie knapp und klar
auch die Noten gehalten sind, für Schüler scheinen sie nicht geeignet.
Viele enthalten rein textkritische Bemerkungen. Vgl. zu 12, 14; 61, 223;
63, 74 und 75; 64, 16; 64, 110; 64, 288; 68, 91 und sonst. Doch die
pädagogische Brauchbarkeit des Kommentares ist hier nicht Gegen-
stand der Erörterung. Betont aber mufs werden, dafs der wissen-
Catull. Nachträge zu Ellis' Kommentare. 183
schaftliche Wert des ganzen Buches erheblich durch die Unbekannt-
schaft des Verf. mit der deutschen Facblitteratur beeinträchtigt wird.
Er kennt und citiert eigentlich nur Ellis und Munro. Selbst in den selte-
nen Fällen, wo der Name eines Ausländers genannt wird, schöpft er
anscheinend wieder nur aus Ellis und Munro. Simpson hat durch
diese Einseitigkeit seinem Buche sehr geschadet. Er geht hierin so
weit, dafs er diesen seineu Landsleuteu Emendationen zuschreibt,
die, wie er aus Ellis' Ausgabe ersehen konnte, von andern herrühren.
So ist 64, 14 freti, 116, 1 sludiose nicht von Munro; 95, 9 die Er-
gänzung sodalis nicht von Ellis. Neues bietet der Kommentar sehr
wenig. Zu 36, 9 hat Munro eine unerhebliche Note geliefert, ebenso zu
64, 203 (cone in Lucan and one in Claudiau are the only other exam-
ples of profundere'). Eigene Konj. des Herausgebers scheint 66, 59
Dive, tibi. Annehmbar ist sie nicht. Schwerlich könnte diese Anrede,
wie Simpson will, dem Bacchus gelten. Beachtenswert ist die zu 68, 68
und 156 im Anschlüsse an Munro gegebene Erklärung von dominant, ad
quam: The connection oi domum-dominam, and also the parallel words in
the adieu 156 show that dominam is not Lesbia, who is never apparently
so called, but the lady of the house , whose assistance was all impor-
tant'. Zu c. 49 heifst es: To find here sarcasm and an imitation of
Cicero's style and a logical sophism is an occupatiou liav dztvuTj xal
inmovuu xal ob ndvu euTu^oüg dv8p6g\
In der Einleitung sind nicht ohne Interesse die Kapitel 'Catullus
in relation to Greek literature' und 'Catullus' position in latin literature'.
Nicht als ob Neues oder das Bekannte vollständig geboten würde. Aber
die übersichtlichen Tabellen der Nachahmungen aus Kallimachus, Apol-
lonius, Theokrit, Homer, Euripides u. s. w. (S. XXX— XXXIII), sowie der
Beziehungen zu Plautus, Terenz, Lucretius (dessen Nachahmung durch
Catull wegen der bekannten chronologischen Schwierigkeiten geleugnet
wird), Horaz, Vergil, Properz, Tibull, Ovid (S. XXXV — XL) sind für eine
schnelle Orientierung ungemein bequem. Ebenso praktisch sind in Ap-
pendix II die Tabellen über 'the diction of Catullus' (S. 182—198). Sie
können als Ergänzungen zu Riese's nützlichen Zusammenstellungen (Ausg.
S. XXIV f.) betrachtet werdeu. Auch für einzelne Stelleu fällt manches
dabei ab. Ein Blick z. B. auf die Tubelle der Adj. auf — osus bei
Catull (S. 192) zeigt die Echtheit des verdächtigten euniculosae 37, 18.
14. Ellis' umfangreicher Commentury od Catullus Oxford
1876 (über ihn vgl R. Richter in dieser Zeitschr. 1876 II S. 326 f.)
ist in verschiedenen Rezensionen besprochen worden. Aus ihrer Zahl
seien folgende noch erwähnt, weil sie sachliche Nachträge bringen:
K. P. Schulze in d.Z. f. d. G.W. 1887, S. 690-708.
L. Schwabe in N. Jahibb. 1878, S. 257 268.
H. Magnus in d. Z. f.d. G.W. 1878, S. 492-506.
]g4 Catull und Tibull. Carmina selecta.
Diese Nachträge bestehen in vielen vereinzelten Notizen, wie das
die Natur der Bache mit sich brachte. Sie enthalten meist oeue Parallel-
stellen und sind in den Bpftter erschienenen Kommentaren von Riese
und Baebrens bereits verwertet. Ihre Aufzählung kann daher biet unter-
bleiben. Aus Schwabe's Anzeige Bei indessen hervorgehoben der reich-
haltige Exkurs zu 63,8 cüata, ('der Dichter bebandelt von hier an den
Attis auch grammatisch als Weih'), die Bemerkungen zn <;h, 142 (tolle
als Selbst anrede), zu 14. 19 {Svfenum als Genetiv des Plurals). — Aus
dem Artikel des Ref. mag erwähnt werden die Verteidigung von ego
wilicr (63, 63), die Bemerkungen über die Einheit von c. 68, welche
seine Aufsätze über das gleiche Thema (N. Jahrbb. 1875 und 1877) er-
gänzen sollen. Doch ist einzuräumen, dafs das über munera Musarum
ri Veneria Gesagte nach 0. Barnecker's Ausführungen nicht haltbar er-
scheint. AufS. 500 wird durch Hinweis auf Mommsen Rom. Münzwesen
S. 597, Borghesi oeuvres II S. 354, P. Wehrmann fasti praetorii S. 62,
die La. des Mediceus bei Cic. Qu. fratr. 1, 2, 16 erwiesen, dafs der
Prätor Memmius, in dessen cohors Catull nach Biihynien reiste, nicht
den Beinamen Gemellus hatte. Dieses Ergebnis ist von den neueren
Herausgebern (jetzt auch von B. Schmidt prolegg. S. XXV) einfach
aeeeptiert worden, ohne dafs sie ihre Quelle bezeichneten. — Aus der
Anzeige von K. P. Schulze endlich sei hingewiesen auf ein Verzeichnis
von Phrasen und formelhaften Ausdrücken, welche Catull mit den Ko-
mikern gemein hat (S. 692). —
Einige italienische Schulausgaben mit erklärendem Text werden am
besten hier im Zusammenhange kurz besproehen, obwohl die beiden
letzten bereits dem Jahre 1887 angehören. Die Herausgeber machen
sich leider die Sache über Gebühr leicht. Sie kennen die Fachliteratur
so gut wie gar nicht. Sie geben keine litterarhistorischen Einleitungen,
sie geben nirgends Auskunft über ihren teils willkürlichen teils ganz
veralteten Text, ja nicht einmal eine vergleichende Tabelle der aufge-
nommenen Gedichte mit den Nummern irgend einer kritischen Ausgabe.
Die Anmerkungen sind öde und trivial, erklären geschwätzig die elemen-
tarsten Dinge und schweigen über wirkliche Schwierigkeiten.
15. Q. Valerii Catulli et S Propertii carmina selecta.
Torino. Paravia. 1882.
16. Albii Tibulli carmina selecta curante 0. Berrinio.
Torino. Paravia. 1887.
17. Albii Tibulli carmina castigata cum notis. Ed. V. Aug.
Taurinorum. Off. Salesiana. 1887.
Der Herausgeber der Auswahl aus Catull und Properz ist nach
dem Umschlage der Tibullausgabe ebenfalls 0. Berrini. In den Stücken
aus Catull (über die aus Properz vgl. E. Heydenreich Ph. R. II No. 30)
Catull. Grammatik und Sprachgebrauch. 185
ist der Text ziemlich genau der von L. Müller. Doch sind hin und
wieder Lesarten älterer Ausgaben, namentlich derjenigen von Döring re-
zipiert. Mit wieviel Kritik dabei zu Werke gegangen wird, mag ein
Beispiel zeigen. Der Adressat des ganzen c. 68 ist wie bei Döring der
Manlius Torquatus aus 61. Aber in v. 62 (= 66) ist L. Müllers Ma-
nius ruhig stehen geblieben. Der einzige selbständige kritische Versuch.
66, 57 (59) Hie dira , in vario ist schmerzlich verunglückt. Die Anmer-
kungen scheinen, soweit sich bei ihrem Charakter urteilen läTst, aus
Döring's Ausgabe kompiliert. Aber 68, 10 und damit das ganze Gedicht
ist trotz Döring's leidlicher Note nicht erklärt und so oft.
Desselben Geistes Kind ist die Tibullausgabe. Nur ganz wenige
Abweichungen von L. Müller's Texte stofsen auf. So II 5, 71 hne —
cometem (!) statt haec — cometen. III 2, 13 fehlt das -\-. I 10, 67 ah
statt at soll wohl keine kritische Änderung sein, sondern nur den
durch Auslassung einiger Distichen gestörten Zusammenhang herstellen.
I 1, 46 steht statt des Tibullischen Pentameters die alberne Interpola-
tion aequore ab indoinito dum sihi nauta timet. Von den Anmerkungen
gilt das oben Gesagte. Erklärung des Gedankenganges, die bei Tibull
vor allem not tut, wird nirgends auch nur versucht.
Immerhin ist es wenigstens noch möglich die Elegiker in den Ber-
rini'schen Ausgaben zu lesen. Bei No. 17 geht das nicht mehr an. Der
Text ist willkürlich verunstaltet und förmlich kastriert. Wer wird Verse
wie die folgenden noch für Ti bullisch erklären 'Ferreus ille fuit, qui,
rüg qnum posset habere', Muueribus taeüis est captus miser' (?!), cauro
n e pollue mores', 'Tu proeul hinc, scelerate, fidem cui vendere cura est',
' celer in patrios ipse recurre lares', ' teueri morbos expeile puelli'. Die
in lateinischer Sprache geschriebenen Anmerkungen sind über alle Be-
griffe kläglich. Und das erlebt nach Angabe des Titelblattes eine fünfte
Aurlage! Begreife es wer es kann.
B. Beiträge zu Grammatik, Sprachgebrauch und
Metrik.
18. B. Ziegler, De G. Valeri Catulli sermone quaestioues
selectae. Diss. inaug. Freiburg i. Breisgau. 1879. 35 S. 8.
Grammatik und Sprache Oatulla sind schon in einer ganzen Reihe
von Dissertationen behandelt worden (erinnert sei namentlich an die Ar-
beiten von Heussner und Overhelthaus). Doch bat Zieglers Arbeit da-
neben einige Bemerkungen, die ihr Existenzberechtigung sichern. Im
ersten Kapitel 'de forma externa sermonis Catulli.ini' wird der
Nachweis versucht 'CatuHum, quamvis magnum eins esset oovitatis ele-
gantiaeque Studium, vel in externa orationis specie conformanda per-
multas priscorum poetarura proprietates, idque band r»ro magno cum
vigoris atque veritatis commodo, tamquam oescientem interiniaisse', Den
]86 Catull und Tibull. Grammatik und Sprachgebrauch.
Inhalt bildet hauptsächlich ein Verzeichnis der Allitterationeo und Asso-
nanzen bei Catull, das freilich neben der reichhaltigeren und besser ge-
ordneten Abhandlung von Ziwsa Ober denselben Gegenstand (die Eurhyth-
mische Technik des Catullus, 8. 5 sq.) nberflössig erscheint Unrichtig
wird auf S. 15 behauptet, die P\>rm dulei dulcins ambrosia n. ftfanl. finde
sich aufser im Catull nur noch Plaut. Asin. HI 8, 24 und Martial \ 111
76, 7. Vgl. z. B. Üv. Metam. XII 236 vastum vastior. -- Auch im zweiten
Kapitel 'De syntaxi libri Catulliani' wird immer wieder betont,
dafs viele Eigentümlichkeiten aus der Anlehnung an die Sprache der
alten Komiker zu erklären seien. Aus der Lehre vom Substantiv seien
hervorgehoben Sammlungen über den Gebrauch der Abstrakta für Kon-
kreta (deliciae, detiderium, amores = amica, Stupor u. s. w ). Der Unter-
schied zwischen potia (masc. und fem.) und pole (neutr. und adv.) ist,
wie schon bei den alten Komikern, so auch bei Catull nicht durchge-
führt. Gelegentlich wird der Versuch gemacht zur Kritik und Erklärung
des Textes beizutragen, doch ohne nennenswerten Erfolg. 12, 7 soll mit
Pluygers gelesen werden vite lenta (lnulla plane relinquitnr dubitatio,
quin verum viderit Pluygersius'! Was ist an der Überlieferung auszu-
setzen ?). 47, 2 tnundi zu halten. 14, 18 Svffcnvm soll lieber Accus.
Sing, sein (der Sing, denn 'Suffeni scilicet nemo poterat inveniri').
22, 13 tersius mit Munro und Baehrens. 64, 139 blanda promissa dedisti
voce mit cod. Oxoniensis. 8, 5 amata nobu gegen Baehrens gehalten.
1, 8 quidquid hoc libelli ( libello suo libelli ipsum nomeu indere non ausus
de re loquatur, quae aliqua solum ex parte libello similis possit videri ;.
19. 0. Wolff, de enuntiatis interrogativis apud Catullum,
Tibullum, Propertium. Diss. Hai. 1883. 62 S. 8.
Verf. behandelt seinen Stoff in zwei Abschnitten: l. de gramma-
tica in t errogationum forma, 2. de usu rhetorico poeticove.
Die Schrift ist als Materialsammlung willkommen, namentlich für den
Grammatiker. Zur Kritik und Erklärung der Elegiker trägt sie nichts
Wesentliches bei. Durch zahlreiche Citate aus anderen Dichtern (auch
aus Walther v. d. Vogelweide, Goethe etc.) gibt Verf. Proben seiner Be-
lesenheit. Hervorgehoben seien auf S. 29 f. Sammlungen der Formen
für die Fragen nach Herkunft, Eltern u. s. w. bei verschiedenen Autoreu,
S. 40 die Stellen mit viden und dem Indikativ, S. 47 die Stellen für den
Gebrauch von quid iuvat, quid prodest u. ähnl. (in querelis de praepostera
et perversa re vel de pravitate consilii). — Hin und wieder finden sich
selbständige kritische Versuche. In Cat. 81 will Verf. S. 17 in v. 4 nach
statua die Interpunktion tilgen, hinter audes in v. 6 ein Fragezeichen
setzen und für das hiernach überlieferte et setzen ah. Aber dies ver-
muteten schon die Bali des 15. Jahrh.; Baehrens schlägt jetzt en vor.
Zu Catull 66, 31 wird Peipers ganz unpassendes quis te mutavit tantus
dolor (S. 20) empfohlen. Welchen Sinn hat dann die durch an quod ein-
Catull und Tibull. Fragesätze, Infinitiv. 187
geführte Alternative? Eingehend spricht Verf. auf S. 33 - 35 über Lygdam.
1, 19. Er verwirft die gewöhnliche Annahme, dafs si hier Fragewort
und eine Dreiteilung si-an-an zu statuieren sei. Eine solche sei beispiellos,
überhaupt gebrauche von den Elegikem nur Properz au einigen Stellen
(S. 31) si für num (= et). Vielmehr habe »i die gewöhnliche coudizio-
uale Bedeutung und der Sinn sei: 'Si cura nostri mutua est. Neaera
referet, quae responsio mihi exspectanda sit , utrum aliquem numerum
apud eam habeam an omnino nullus factus sim'; cura aber sei etwa =
Teilnahme, Interesse, denn da Neaera dem Lygdamus einen Andern vor-
gezogen habe, könne hier von Liebe nicht mehr die Rede sein. Aber
mit dieser Auffassung steht im Widerspruche v. 27 sed potius coniunx sq.,
ebenso v. 6. Ferner läfst sich mutua cura in -diesem abgeschwächten
Sinne nicht vereinigen mit v. 25 teque suis iurat caram magis esse rae-
dullis. Und endlich die Hauptsache: an minor heifst ganz und gar nicht
'utrum aliquem numerum apud eam habeam'. Grammatisch auffällig
wäre auch das Präsens est nach referet. Man wird also bei der Drei-
teilung (die von Haupt durch Weglassung des Kommas hinter est fein
angedeutet ist) bleiben müssen. Ob sie besonders schön und geschmack-
voll ist, darauf kommt hier nichts an. Und wenn Martial X 20, 9 (so
ist im Citate zu lesen) wirklich si kondizional gefafst haben sollte (die
Übereinstimmung kann auch zufällig sein), so ändert das nichts an
der Sachlage. Merkwürdiger Weise weist übrigens Verf. die Interpola-
tion des Guelferhytanus an maneam , durch welche das schwerste Be-
denken gegen den kondizionalen Gebrauch von si beseitigt wird (offenbar
ißt sie auch zu diesem Zwecke ersonnen), ausdrücklich zurück. Vgl.
über diese La. den Ref. in den Jahresb. des Ph. Ver. IX (1883) S. 272-
20. J. Senger, Über den Infinitiv bei Catull, Tibull und
Properz. 1886. (Programm, Speier). 44 S. 8.
Eine sehr brauchbare und (soweit Ref. prüfen konnte) vollständige
liaterialsammlung, die mehrfach wertvolle Nachtläge zu Draegers histo-
rischer Syntax liefert. Den gröfsten Raum nimmt natürlich der Inf. nach
Verben ein. Die bezüglichen Verben werden dem Sinne nach in ver-
schiedene Gruppen gesondert (Verba des Wollens, Könnens, Müssens,
der Affekte, sentiendi und declarandi, Impersonalia, est mit dem Neutrum
eines Adjektiv ums oder einem abstrakten Substantivum). Kurz (S. 40 42)
ist der Inf. nach Partizipien und Adjektiven behandelt. Von Einzel-
heiten sei noch folgendes erwähnt. Feto ist mit dein blofseo Inf ge-
braucht zuerst Prop. IV 6, 47 nun taut stridorem audire procellae. Meno
ebenfalls bei Prop. II 5, 3 (haec merui sperare). Preeor mit Acc i. inf.
ist nicht von Ovid, wie Draeger will, zuerst gebraucht, sondern von
Tibull II 5, 4. Wenn Catull 35, 10 royo mit dem Inf. verbindet, so ist
ihm darin kein späterer Dichter nachgefolgt. Pottulo ist seit Plautus
und Terenz wieder durch Catull 66,42 iu die Poesie aufgenommen. S. 9
188 Präpositionen bei CatulL
wird zu Catnll 73. l desine bene >,ih mereri bemerkt, L. Müllers Ände-
rung beVe erscheine Überflüssig. Hier muffe ein Irrtom vorliegen. Ver-
mutlich ist nach 73, i das Citat '.»3, i Btudeo tiln volle placere ausge-
fallen. Volo mit acc. c. inf. hei gleichem Subjekt findet siofa nur einmal
bei Tibull IV 14, 2. Nolo komm) bei Tibull überhaupt nicht vor. Labort
scheint von den Dichtern Catull ti7, 12 zum crst.enmale angewendet zu
haben. Auf 8. 13 wird bemeikt 'nüor gehört vorherrschend der Prosa an'.
Doch vgl. allein aus Ovids Metamorphosen II 618. V 849. VIII 694
XI 702. Das Verb. cts*are mit inf. steht immer negiert. Duüto steht
aufser bei Catnll 87, 8 immer am Anfange des Hexameters und Penta-
meters. Für maereo mit Inf. blieben bei Draeger unbeachtet Tibull I
4, 34. Sil. Ital. VIII 18. Specto mit einem Partizipium und einem acc
inf. bei Proporz III 12, 11. IV 10, 53; invenio mit acc. c. inf. bei Catull
102. 3. Unter eäo (S. 28) heilst es Catull 68, 85 liest Müller xdrant
an Stelle des überlieferten seibant'. Diese Form soll aber von scisco
abgeleitet werden!
21. E. Duderstadt, De particularum usu apud Catullum.
Diss. Halle 1881. 64 S. 8.
Der Titel ist unrichtig. Es werden nur die Präpositionen bei Ca-
tull behandelt, diese aber vollständig und gut. Anzuerkennen ist auch,
dafs Verf. die handschr. Überlieferung fast immer sorgfältig berücksich-
tigt. Die textkritischen Bemerkungen, welche dadurch nötig wurden,
bringen nicht gerade Neues, zeugen aber meist von verständigem Urteil.
Die Disposition ist die durch den Stoff geforderte. Besonders aufmerk-
sam gemacht sei hiermit auf die nützlichen Sammlungen in den Ab-
schnitten ' De collocatione et iteratione praepositionum' und 'Comparatur
usus Praepositionum apud Catullum et Lucretium'. Das Resultat des
letzteren ist das zu erwartende: Lucretium magis anxie priscorum poeta-
rum vestigia pressisse quam Catullum. Studium des älteren Lateins
macht sich auch sonst vorteilhaft bemerkbar. Zum Schlüsse werden die
mit Präpositionen zusammengesetzten Verba behandelt. Zu einem jeden
wird die Konstruktion (einfacher Kasus oder Präposition) bei Catull ver-
zeichnet und der Sprachgebrauch des Lucrez (bisweilen auch des Plautus)
verglichen. Nur wenige Einzelheiten seien hier gestreift. Über das
schwierige ad quam 68, 69 wird zwar ausführlich gehandelt, aber ohne
Erfolg. Verf. beruhigt sich schliefslich bei Froehlichs dominae. Die
Verbb. adire und advenire verbindet Catull nicht mit der Praep. ad.
denu 101, 2 advenio ad inferias heifst eo consilio, ut inferias absolvam.
100, 6 ist die schöne Emendation per facta exhibita est von Lachmann,
nicht von Schwabe. 64, 405 wird wohl richtig noiis, 64. 5 Colchis als
Dativ betrachtet wegen 68, 20 und 92. Auf S. 25 durfte zu 111, 4
nicht verschwiegen werden, dafs susci^ere nur eine ganz unsichere Kon-
jektur ist. Neu war dem Ref. auf S. 33 die Erklärung von 97, 7 de-
Catull und Tibull. Grammatik und Sprachgebrauch. 189
feeeus in aestu 'durch Liebesbrunst erschlafft'. Annehmbar ist sie nicht.
Auf S. 37 wird Baehrens' Konj. incuUum 64, 350, die mit Unrecht Beifall
gefunden hat, gut zurückgewiesen.
22. K. Schneemann, De verborum cum praep osit ionibus
compositorum apud Catullum Tibullum Proper tium struc-
tura. Diss. Halle 1881. 54 S. 8.
Über den bezüglichen Sprachgebrauch Catulls wird man sich besser
aus Duderstadts im Ganzen gründlicherer Arbeit orientieren. Für Tibull
sind die Sammlungen des Verf. nicht ganz ohne Nutzen. Namentlich
wird dem Grammatiker und Lexikographen (nennenswerte Beiträge zur
Kritik und Erklärung der behandelten Dichter sind dem Ref. nicht auf-
gestofsen) das alphabetische Verzeichnis der Verba composita bei Catull,
Tibull, Properz mit genauer Angabe der jedesmaligen Konstruktion will-
kommen sein. Die Richtigkeit früherer Beobachtungen (antiquiores
scriptores praepositionem iteratam, posteriores casus solos imprimis da-
tivum praetulisse) bestätigt sich auch hier, obwohl die Differenzen na-
türlich nicht grofssiud: Catull bevorzugt entschieden die Konstruktion mit
der Präposition. — Den Wert der Arbeit beeinträchtigt einigermafsen
die Unzuverlässigkeit des zu Grunde gelegten Textes. Die Angabe in
versuum numeris indicendis adhibui editionem Luciani Muelleri' scheint
sich leider nur auf die Ziffern zu beziehen. Wenigstens wird mit Baeh-
rens citiert Catull 63, 74 sonitus gemens abiit (abeit?); 66, 77 omnibus
exstans ohne weitere Bemerkung. Notizen, welche über die Tradition
orientieren, fehlen nicht ganz, aber sie sind unvollständig und viel zu selten.
23. E.Clemens, De Catulli periodis. Wolfenbüttel. 1885.
61 S. 8.
Der Verf. dieser Göttinger Dissertation hat viel Fleifs auf eine sehr
undankbare Aufgabe verwendet. Durch umfassende Sammlungen wird
nachgewiesen, dafs Catull einfachere Perioden bevorzugte, dafs er ziem.
lieh häufig Periodenbau durch Anwendung des parataktibchen Satzgefüges
ganz vermied, dafs er im Gebrauche des Asyndetons und der verschie-
denen Arten von Partizipien mit der Gewohnheit der übrigen lateini-
schen Schriftsteller übereinstimmt, Das Ergebnis steht zu dem grofsen
Apparate in keinem rechten Verhältnisse. Um die Komposition der ein-
zelnen Perioden zu veranschaulichen, bedient sich Verf. eines eigentüm-
lichen Schemas. Die Periode 68, 51 — 62 sieht z. B. so aus
A (a) A
b
ß
2
] 90 Catull und Tibull Die Figara dttb ttotvoB,
So scheinen manche Seiten der Arbeit anf den ersten Blieb einem
fonnelreicben Lebrbuche der Algebra entnommen. Hervorgehoben sei,
dafs S. 26 zu 28, 22 statt des Überlieferten quod vorgeschlagen wird quo.
24. F. Koldewey, Die Figara dn& xoivou bei Catnll, Ti-
bull, Proporz und Boraz, Z f. d. G.W. XXXI (1877), 837 — 858.
Von den mannigfaltigen Formen, in welchen die Fi iura iitb xotvoo
auftritt (vgl. darüber Aken S. 2), behandelt Verf. nur diejenige, welche
dem gemeinsamen Gliede einen Platz im Anfange des zweiten, resp.
des dritten oder vierten Gliedes zuweist und zwar so, dafs es entweder
unmittelbar hinter das verknüpfende Wort tritt oder dieses als Bncliticon
an sich zieht. Als Musterbeispiele für diesen Fall werden angeführt
Horaz carm. I 11,4 Seu plures hiemes, seu Iribuit Juppiter ultimum und
III 5, 7 Pro curia inveraique mores. Es ist ebenso bedauerlich, daTs
Verf. sein Thema so eng gefafst, wie dafs er den Ovid ausgeschlossen
hat, der reiche Ausbeute gewährt hätte. Der Löwenanteil der auch in
ihrer vorliegenden Gestalt dankenswert en Untersuchung kommt auf Horaz,
der für diese Figur eine besondere Vorliebe hatte (vgl. das Referat von
W. Mewes, Jahresb. d. Phil. Ver. V 107 in Z. f. G.W. 1879). Im Fol-
genden wird nur das auf Catull und Tibull Bezügliche hervorgehoben. —
A) Am häufigsten ist das xotvbv ein Verb um. Bei Catull finden sich drei
Fälle dieser Art (30, 3; 08, 68; 95, 2), bei Tibull 11 (I 4, 2; I 4, 57;
I 4. 66; I 8, 2; I 8, 13; I 9, 30; II 5, 4; II 6. 23; III 1, 26; IV 1, 66;
IV 3, 2). — B) Das gemeinsame Glied ist ein Nomen, welches indessen
nicht als gemeinsames Attribut verwendet ist. Hier ist ebensowenig wie
bei dem gemeinsamen Verbum Anlafs zu Mißverständnissen vorhanden.
Bei Catull nur ein Beispiel (64, 33 6), bei Tibull fünf (I 2, 40; I 5, 34;
I 6, 81-82; I 7, 49. Doch ist letztere Stelle unsicher) - C) Das ge-
meinsame Attribut. Dies ist 1) ein Epitheton ornans. Bei Catull kein
Beispiel. Bei Tibull drei: I 5, 43 teneris. II 5,86 magni. II 5, 99 feslas.
Doch hält Ref. an diesen Stellen ein äxb xoivou nicht für wahrscheinlich.
Schwerlich hätte Tibull tenera facie verbunden. Vgl. I 9, 69. Bei den
erotischen Dichtern heifst eben fades wie forma schlechtweg 'schöne
Gestalt, Schönheit'. 2) Das Attribut ist ein für das Verständnis not-
wendiges (ein logisches). Bei Catull ein Beispiel: 56, 2; bei Tibull
drei: I 1, 24 bona; II 5, 22 ardentes; II 5, 112 iustos. Auch hier wird
indessen das erste Beispiel zu streichen sein. — D) Adv erbium und ad-
verbiale Bestimmung als xoi vo v. Das für den ersteren Fall (Adverb)
zitierte Beispiel Catull 51, 14 niminm ist offenbar zu streichen, das Ti-
bullische I 1, 51 potius nicht ganz sicher. Das einzige Beispiel für den
zweiten Fall aus Catull 100. 8 in amore ist entschieden nicht anzuer-
kennen. — E) Präposition als xotvov. Catull 55, 3 in (doch mufste
erwähnt werden, dafs die La. ganz unsicher ist; vgl. Duderstadt S. 47).
33, 5 in. Bei Tibull kein Beispiel. — Um die koordinierten Glieder, in
Catull und Tibull. Die Figura dnö xotvou. 191
denen die Figur vorkommt, mit einander zu verknüpfen, gebraucht Catull
zweimal Konjunktionen (et, que), sechsmal die Anapher. Tibull wählt
24 Mal konjunktionale Verknüpfung (et, que, atque, aut, sive-sive), neun-
mal die Anapher. Bezüglich Tibulls vgl. übrigens noch Streifinger, De
synt. Tib. S. 47.
25. 0. Aken, De figurae dnb xoivou usu apud Catullum,
Tibullum, Propertium. Pars I. 1884. (Progr. d. Gymn. Frid. zu
Schwerin). 10 S. 4.
Nach Anleitung der alten Grammatiker und Rhetoren wird so de-
finiert: 'dnb xowo~) dici solere docemur, si quod verbum (ßrj[Ld\ et suo
loco positum sit et continuata structura subaudiendum'. (Enger zieht
Boldt, De liberiore linguae Graecao et latinae collocatione verborum
S. 69, die Grenzen). Verf. macht darauf aufmerksam, dafs nicht immer
dasselbe Wort, welches vorangeht oder folgt, zu ergänzen ist, sondern
bisweilen nur ein ähnliches [durch Ideenassoziation eng mit jenem in
Verbindung stehendes], wie in dem homerischen eSouai ze m'ova /i^Xa
oivöv T'iqrxcrov (sc. ruvovat) oder in dem Satze 'Macedones Alexandrum
non ut civem (sc. amissum lugebant), verum ut hostem amissum gaude-
bant'. Zwischen der Fig. «7:0 xoivo~> und den verwandten Ellipse. Brachy-
logie und Aposiopese ist zu unterscheiden. So besteht z. B. bei der
Ellipse die Kürze in der einfachen Auslassung eines Wortes, das sich
aus dem Sprachgebrauche ergänzen läfst (z. B. rex habitabat ad Iovis
Statoris). In der Fig. dnb xoivo'j besteht die Kürze darin, dafs ein
wiederholt gedachtes Wort nur einmal gesetzt ist; ergänzen läfst sich
also das fehlende aus den vorangehenden oder folgenden Worten. Die
Beispiele (eigentliche Sammlungen werden leider nicht gegeben)
aus den Elegikern beziehen sich hauptsächlich auf zu ergänzende
Verba und Substantiva. Als beachtenswert für die Exegese sei folgendes
hervorgehoben. Prop. II 1, 44 ist aus dem enumerat des vorigen Verses
einfach 'enumeramus' zu ergänzen, quo iocose poeta pro verbo canendi
usus est'. Prop. V 11, 30 Altera materuos exaequat turba Libones 'sc.
Numantinis avis exaequat'. Catull 64, 110 soll sich saevum, das wegen
iactantem im nächsten Verse masc. sein mufs, auf das dem Dichter noch
vorschwebende Minotauro in v. 79 beziehen. [Unrichtig! saevus steht
substantivisch, wie häufig ferus; vgl. Riese z. St.]. Durch Annahme
einer Figur, in welcher ' vox vooujiivrj non nisi genere ein- similis sit
quae praecedit' wird die verzweifelte Stelle Catull 92, 3 quo siguoV
quia sunt totidem mea plausibel erklärt: »mea« dicit, tan quam in primo
versu substantiviim posuisset. At non herum COgitandum est substan-
tivum, sed dnb xm\><>~> Bupplendum est ex »dicit male« maledicta. Be-
kanntlich schrieben einige Iiali in v. 1 Lesbia mi dicit Bemper mala
(statt male). Diese Änderung ist also nicht nötig (abgesehen davon,
dafs sie auch Dicht sinngemäß ist: nicht mala, sondern maledicta i-t
192 Catull. Tropen und Redcfiguron
eben in v. 3 zu mea zu ergänzen. — Zu vergleichen sind neben '1er Ab-
handlung die einen weiteren Kreis umfassenden Sammlungen von Boldt
1. c. 8. 69 78.
26. K Ziwsa, Die enrbytbmische Technik des Catalina
I. Teil. Wien 1879. 2«) S. 8. (Jahresber. des Gymn. in Bernais). —
II. Teil. Wien 1883. 40 S. 8. (Jahresber. des Leopoldstädter Com-
munal- Real- und Obergymnasiums in Wien).
Der erste Teil dieser nützlichen, nicht nur von Sammelfleil'., son-
dern auch von Verständnis der Catullischen Poesie zeugenden Unter-
suchung handelte sein- ausführlich von der Alliteration und den ihr ver-
wandten Figuren annominatio, Conduplicatio und revocatio, in deren An-
nahme Verf. freilich mitunter zu weit geht. Vgl. Jahresber. d. Piniol.
Vereins VII 366 f. (Bei dieser Gelegenheit sei verwiesen auf den ge-
haltreichen Aufsatz Wölfflins Über die alliterierenden Verbindungen
der lateinischen Sprache', Sitzungsber. der Manch. Ak. 1881 S. 1 — 94.
Namentlich in dem alphabetischen Verzeichnisse der allitterierenden
Verbindungen, welches den Schlufs bildet, ist öfters Catull berücksich-
tigt). Nicht ohne Grund hat man den Titel getadelt und als passender
vorgeschlagen Über den Gebrauch der Tropen und Redefiguren bei Ca-
tullus'. — Im zweiten Teile werden besprochen die Figuren der Repe-
titio (dmpopd, inavapopd), Conversio \jtm<pop&, dvrearfw^rj), Redditio (xu-
xAog). Die erste wird nach Cicero, dem auetor ad Herennium und Quin-
tilian so definiert: c Das Wesen der Anaphora besteht in der Wieder-
holung desselben Wortes am Anfange der Sätze oder Verszeilen; ihr
Zweck beruht in der nachdrücklichen Hervorhebung ähnlicher oder ver-
schiedener Gedanken'. Mit einer erschöpfenden Beispielsammlung geht
Hand in Hand der Nachweis, dafs die Figur dem Gedanken dienstbar
ist, dafs Form und Inhalt der Rede sich in echt künstlerischer Weise
decken. Catull hat sich dieser Figur mit Vorliebe bedient. Der Repe-
titio nahe verwandt und sehr oft mit ihr verbunden ist die Conversio.
Die eine hat ihre Stelle am Anfange, die andere am Schlufs; cund eben
darin besteht der Unterschied, dafs bei der Anaphora gleichsam der
Flufs der Rede von demselben Ursprung anhebt, während bei der Epi-
phora Wort um Wort, Fufs um Fufs nach dem gleichlautenden Ende
des Verses hineilt'. In c. 39 ist z. B. die Epiphora dentes-dentes-dens
est (v. 1, 14, 20) verbunden mit der dreimaligen Anaphora Renidet:
'Gerade die beiden Hauptbegriffe sind an markanten Stellen des Verses
wiederholt eingesetzt und entsprechen in ihrer Verwendung als rhetori-
sche P'iguren den Anforderungen bewufster Eurhythmie'. Viel seltener
ist die Figur der Redditio: Gleichheit des Anfanges und des Schlusses
von einem Satze. Als klassisches Beispiel dafür wird citiert: Cic. in
Verr. act. II, lib. V, 45, 119 Multi et graves dolores inventi parenti-
bus et propinquis multi. Catull bietet z. B. c. 42, 1 Adeste, hendeca-
syllabi, quot estis omnes undique, quotquot estis oranes.
Der Intercalar bei Catullus. 193
Neue Resultate für Kritik und Erklärung enthält die verdienst-
liche Abhandlung nicht. Sehr natürlich. Denn sie spricht ja eben nur
das aus, was der aufmerksame Leser bei der Lektüre empfindet und oft
unbewufst auf sich einwirken läfst. Ref. schliefst seine Besprechung mit
folgenden treffenden Worten des Verf.: 'Catulls Gestaltungsvermögen
weifs die den einzelnen Figuren der Wiederholung innewohnende Eigen-
tümlichkeit in charakteristischer Weise dem Gedanken dienstbar zu
machen; er versteht es, dergleichen eurhythmische Kuustmittel in reichem
Mafse, manchmal sogar mit verschwenderischer Hand zu formalem Schmuck
zu verwenden, und insbesondere in der Verbindung zweier, dem Wesen
nach verwandter Figuren, wie Anaphora und Epiphora, bekundet er fei-
nen Geschmack und richtiges Gefühl für formale Wirkung. Für ge-
wisse Figuren wie Alliteration, durch deren fast verschwenderischen Ge-
brauch er mit der archaisierenden Poesie seiner Landsleute in Fühlung
trat, oder Anapher bekundet er entschieden mehr Vorliebe als die spä-
teren streng kunstmäfsigen Lyriker der augusteischen und nachauguste-
ischen Zeit'. (S. 38).
In gewissem Zusammenhange mit den oben besprochenen Abhand-
lungen stehen folgende Aufsätze desselben Verfassers:
27. K. Ziwsa, Der Intercalar bei Catullus. I. Wiener
Studien 111(1881) 298 302. — II. Wiener Studien IV (1882), 271—291.
An Untersuchung der Stellen, wo Catull den Intercalar verwendet
hat, wird die Behandlung einiger kritisch kontroverser Fragen geknüpft.
In 16, 36, 52, 57 enthält gerade der Intercalar den Hauptgedanken, er
bildet den Anfang und Schlufs des Gedichtes. In c. 8 haben wir eine
Zweiteilung des Ganzen, nämlich 1 8, 9—19; in beiden Stücken stehen
die Intercalare im dritten Verse ihres Abschnittes (3 u. 11) und beide
beschliefsen ihren Abschnitt. [Die erstere Thatsache scheint aber doch
reiner Zufall, denn die beiden Gruppen l — 3 uud 9 — 11 korrespondieren
nicht im Geringsten]. In c. 29 ist dem Parallelismus zuliebe das es in-
pudicus et vorux et aleo aus v. 10 hinter 5 als 5b nach dem Vorgänge
der Aldina von 1602 einzuschalten. lAuch hier ist Ref. nicht überzeugt,
wie bestechend immer der Vorschlag ist. Jenen Vers sprudelt eben nur
die höchste Empörung heraus. In v. 6 ist aber der Gipfelpunkt noch
nicht erreicht; noch weifs der Dichter Schlimmeres hinzuzufügen, das
die Zukunft bringen wird|. Aus c 68 wird die Wiederholung der Klage
verse über des Bruders Tod 20-24, 92-96 besprochen. Mit Unrecht
an dieser Stelle, denn von einem Intercalaris kann hier gar nicht die
Rede sein. Seltsam genug wird daraus, dafs die Wiederholung nicht
ganz wörtlich ist (21 und 93 sind nicht identische gefolgert, das Gedicht
sei nach 40 zu teilen, da ' Catull, bewufste Absichtliehkeit vorausgesetzt,
jene beiden verschiedenen Verse ohne Störung des Gedankengauges hätte
auslassen können'. Wird denn die wunderbar rührende Wirkung der
Jahresbericht für Altertumswissenschaft LI. ( 1887. II ) 13
J94 Der Iutorcalar bei Catullus.
wiederholten Klage dadurch beeinträchtigt? Ist nicht sogar der Eindruck
jetzt reiner, weil er weniger beabsichtigt scheint? In c 8 haben die
Verse 11 u. 19 nur das eine Wort obdura gemeinsam, und doch isl die
Beziehung deutlich erkennbar, ja Verf. findet hier sogar regelrechte Inter-
calare (allerdings nicht mit Recht, wie das anknüpfende iam Catullus
obdurat in v. 12 lehrt). Übrigens vgl. oben S. 152.
Der zweite Teil des Aufsatzes behandelt den Intercalar in c. 04,
61, 62, die sämtlich zur Gattung der Hochzeitslieder gehören. Für 64
gilt dies wenigstens von dem hier in Frage kommenden Parzengesange
v. 323-381. Der Intercalar currite ducentes subtegmina, currite, J/isi tritt
immer da ein, wo ein Gedanke erschöpft ist, d. h. wo mit Bezug auf
die Zukunft des Brautpaares ein Stück Leben symbolisch durch das
Werk der Spindel bestimmt und vorhergesagt ist. Daraus wird nicht
ohne Wahrscheinlichkeit gefolgert, dafs der Intercalar 378 mit den Itali
zu streichen ist. Denn der eine Gedanke von 376-380 (Amme und
Mutter wird die junge Frau fortan in ihrer veränderten Lebensstellung
missen) kann nicht wohl durch den Intercalar in zwei Strophen zerrissen
werden. Alle Versuche zahlenmäfsige Responsion der einzelnen Strophen
zu gewinnen sind verfehlt. — In c. 61 kann man vier resp. fünf ver-
schiedene Intercalare unterscheiden. Dieser Wechsel ist in dem
fingierten Fortschreiten der Festfeier begründet. Der Kehr-
vers steht, wie im Einzelnen nachgewiesen wird, auch wirklich stets lo-
gisch im Abhängigkeitsverhältnisse zu dem Strophenganzen, das er als
Ausdruck der Stimmung beschliefst. In der verstümmelten 16. Strophe
(v. 76 f.) folgt Verf. L. Müller d. h. vermutet, nach 81 tardet ingenuus
pudor sei der Schlufsvers der Strophe ausgefallen, während die Verse
quem tarnen magis audiens Flet quod ire necesse est das Ende der gröfsten-
teils verlorenen Strophe 17 bildeten. Der ausgefallene Schlufs-
vers aber der Strophe 16 sei höchst wahrscheinlich der
III. Kehrvers Prodeas, nova nupta [derselbe Gedanke, nur gewalt-
samer durchgeführt bei Peiper Q. Valerius Catullus S. 5]. Ungenauig-
keiten im Kehrverse z. B. abit dies in 94 (90) statt sed abit dies oder
at queat in 73 statt at potest seien nicht anstöfsig, sondern für Catulls
Manier charakteristisch. — In c 62 hat nach Z. der Intercalar wahr-
scheinlich den Ausfall einer Reihe von Versen veranlafst (die bekannte
Lücke nach 32). Vor 32 Hesperus e nobis sq. sei ebenfalls eine Lücke
zu statuieren. Denn auf die Frage v. 30 konnten angeblich die Mädchen
nur erwidern : Nicht glücklich ist das Licht des Hesperus (vgl. 26), noch
ersehnt ist seine Stunde (vgl. 30); dann erst setzen unsere Texte ein
Hesperus e nobis . . . Von der folgenden Strophe der Jünglinge sei nur
ein Vers unmittelbar vor 33 namque . . . semper ausgefallen. Danach
würde die Strophe der Jünglinge, den Intercalar mitgerechnet, aus sieben
Versen bestehen, und von der vorhergehenden Strophe der Mädchen
müfsten samt dem Kehrverse sechs Verse verloren gegangen sein, von
Gräcismen bei den Augusteischen Dichtern. 195
denen mindestens zwei vor Hesperus e nolis sq. einzusetzen wären, so
dafs also die ganze Lücke sich auf sieben Zeilen erstrecken würde.
Nach 41 wird mit Spengel Ausfall eines Verses angenommen. So kommt
Verf. (den Intercalar nicht mitgerechnet) zu folgendem Schema:
4 + 4, 8, 5 + 5, 6 + 6, 10 + 10, 7.
In Catulls Epithalamien sei der Intercalar Ausdruck der das
Ganze illustrierenden Stimmung, die Signatur des Liedes. Gleichmäfsig-
keit im Umfange der durch den Schaltvers abgeschlossenen Strophen
ist nicht vorhanden, selbst in c. 62 hat sich der Dichter nur innerhalb
der logisch zusammengehörigen Strophen paare der gleichen Verszahl
bedient.
28. J. Schäfler, Die sogenannten syntaktischen Gräcis-
men bei den Augusteischen Dichtern. Münchener Inaugural-
diss. Amberg. 1884. 95 S. 8.
Diese Schrift hat mit Recht vielseitigen Beifall gefunden. Verf.
hat es verstanden reichen Stoff anregend und fesselnd darzustellen.
Von eingehender Besprechung kann indessen hier abgesehen werden, da
R. Ehwald eine solche in dieser Zeitschr. Bd. XLIII S. I90f gegeben
und wertvolle Nachträge und Berichtigungen angeschlossen hat. Ref. be-
gnügt sich mit wenigen Bemerkungen. Verf. kommt zu dem Resultate,
' dafs die lateinische Sprache in viel höherem Grade ihre selbständige
Entwicklung genommen, und dafs die römischen Schriftsteller im Ge-
fühle ihres Nationalstolzes weit mehr ihre Originalität gewahrt haben,
als man gemeiniglich anzunehmen pflegt'. Nur wo Strukturen sich zeigen,
die bei den älteren Dichtern und in der klassischen Prosa konsequent
fehlen, ist man berechtigt von Gräcismen zu reden. Vgl. zu diesen rich-
tigen Gesichtspunkten M. Haupt bei Beiger S. 232. Zu folgenden Stellen
in Catull und Tibull liefert Verf. kritisch- exegetische Beiträge. Catull
64, 64 verteidigt er mit Recht das überlieferte velatum pectus. Doch
scheint die Übersetzung 'nicht vollständig bedeckt die sonst leicht ver-
hüllte Brust' kaum glücklich: sonst 'leicht verhüllt', jetzt 'nicht voll-
ständig bedeckt' ist kein Gegensatz. Contecta ist nichts als ein ver-
stärktes tecta; non contecta schwächt die Negation also nicht ab, son-
dern verstärkt sie: gar nicht, nicht im Geringsten bedeckt. Auch Ref.
hält im Gegensatze zu Biese uud Baehrens velatum nach contecta für
einfach abundierend: Catull hätte vermutlich velanti vorgezogen, wenn
nicht levi voran ginge. Auf üvids (a. a. I 529) tunica volata reciucta
ist wohl kaum etwas zu geben, zumal da recincta einerseits Behr wohl auf
65 non . . . vincta gehen kann, anderseits Zweifel erlaubt sind, ob Ovid
sich hier auf Catull bezieht. Denn dieses tunica volata recincta ist
nichts als eine poetische Phrase, mit der Ovid /u klingeln liebte, also
für unsere Stelle nicht charakteristisch. Vgl. Am. I 5, 9. fast. 111 645.
13*
196 Griicismen bei den Augusteischen Dichtern.
Am. III 7, 81 tunica velata soluta. Met. VII 182 vestes induta recinc-
tas. Auch ist die Situation nicht dieselbe: Bei Ovid ist Ariadne's Klei-
dung ungeordnet vom Schlummer her (e snmno tunica v. r.), Catulls Ariadne
hat den Schmuck ihres Gewandes durch einen Akt der Verzweiflung zer-
stört (vgl. 63 non retinens). Ferner geht es nicht an zwischen tunica
und amictus so zu unterscheiden : Die Brust war zwar velatum sc. tunica,
aber nicht contectum amictu (= palla). Denn dies hätte der Dichter eben
deutlich machen müssen, indem er velatum näher bestimmte und für
amictus den eigentlichen Ausdruck wählte. Ganz folgerichtig suchte
daher Baehrens den Fehler in conteda und konjiziert jetzt conlecta, ^eriit
aber so mit v. 65 in Konflikt. Denn unklar ist die Unterscheidung zwi-
schen cingulum vestem cohibens und strophium = fascia, unschön die
Tautologie non conlecta = non vincta, unverständlich v. 66-68. Wenn
die Brust noch tunica velatum ist, welchen Sinn hat dann omnia quae
toto delapsa e corpore passim ipsius ante pedes fluctus salis adlude-
bant ? Jedes einzelne Wort predigt förmlich, dafs fiuitantis 68 in
erster Bedeutung zu fassen ist. Die gezeichnete Situation ist dieselbe
wie bei Eur. Hecuba 557 f. Gegen Biese - Baehrens spricht auch die
Thatsache, dafs velare nicht im Gegensatze zu tegere stehen kann, son-
dern genau dasselbe bedeutet. Vgl. 64, 266 vestis pulvinar suo velabat
amictu mit 49 quod tincta tegit roseo conchyli purpura fuco Ebenso
Ov. Am. I 5, 9 und 14. Dafs non den ganzen Satz negiert wie 103, ist
längst bemerkt. Zu der Abundanz contecta velatum, einer Art Prolepsis,
vgl. Tibull I 7, 13 — 14 tacitis leniter undis placidis serpis aquis. I 6, 67
quamvis non vitta ligatos impediat crines. Tibull I 2, 2 occupet ut fessi
lumina victa sopor. Tibull II 3, 61 dura seges persolvat nulla semina
certa fide. Tibull IV 4, 6 notet informis pallida membra color (Vgl.
oben S. 172). Prop. I 3, 36 iniuria te expulit clausis e foribus.
Juven. 8, 145 tempora velas adoperta cucullo (Auf die ähnliche Stelle
Aen. III 405 wies bereits Schäfler hin). Silius 13, 106 coniuuctas trabes
adstringere nodis. ib. 477 exhausto instituit vacuare cerebro ora. Ovid
Met. I 37 iussit freta ambitae circumdare litora terrae XI 215 capit su-
peratae moenia Troiae. Met. 6, 664 emersa viscera egerere. Met. 6, 248
laniata pectora plangens u. a. — Ferner weist Schäfler darauf hin, dafs
die fünf Beispiele für den fälschlich sogenannten Accus. Graecus bei
Catull sich sämtlich in dem nach alexandrinischem Muster gedichteten
c. 64 finden (z. B. 207. 122 65). — Für das altertümliche omne genus
piscis bei Catull 114, 3 werden die Beispiele gesammelt. Cat. 12, 8 le-
porum disertus durch Hinweis auf Hör. sat. II 3, 3 epist. I 14, 34 ver-
teidigt. Tibull 17,9 Verteidigung des überlieferten non sine me est
tibi partus bonos gegen Baehrens. — Zur Erläuterung der auf S. 56 ver-
zeichneten Konstruktionen wie Ov. Met. XV 96 aetas, cui fecimus aurea
nomen konnte Catull 86, 3 totum illud formosa nego herangezogen wer-
Catulls Metrik. 197
den. — Nach S. 62 hat es fast den Anschein, als hielte Verf. das unice
bei Catull 29, 11. 54 b, 2 für das Adverbiura.
29. J. Bauraann, De arte metrica Catulli, 22. S. 4. Lands-
berg a W. 1881. Progr.
Aus den einleitenden Bemerkungen dieser nützlichen Schrift seien
hervorgehoben die Worte über die auffallende und singulare Abstossung
des Schlufs -s bei Catull in dem Verse 116, 8 at fixus nostris tu dabi'
supplicium : c qui tarnen versus talis est, ut antiquioris poetae cuiusdam
verba »tu dabi' supplicium«, quae Catullo in mentem venerunt, magis
quam Catulli ipsius verba continere videatur'. Im ersten Abschnitte 'De
metris' geht Verf. die einzelnen Versmafse Catulls durch, giebt histo-
rische Notizen über ihre angeblichen Erfinder, ihre Einführung in die
römische Poesie u. s. w. Das Verzeichnis der vorkommenden Besonder-
heiten z. B. der Cäsuren, der Auflösungen ist vollständig und zuverlässig.
Der Text, den Verf. zugrunde legt, ist fast durchweg der Lachmann-
Haupt'sche. Zu 55,8 vermifst man eine Bemerkung über den auf-
fallenden Spondeus. Besonders eingehend ist der Hexameter behandelt.
Lesenswert ist, was Verf. über die aTtovoecd^ovres sagt (z. B/extremum illud
est, ut in c. 62 et in c. 67 et c. 64 inter versus 132 — 201, qui Ariadnes
lamentationem continent, Aegeique in verbis 64, 215 — 237 omnino deesse
spondiacos dicamus'). Die zojx/j xara -pixov rpo^aTov wird gegenüber
L. Müller zu Ehren gebracht und mit Recht angenommen, dafs sie in
Versen wie 64, 146 nil metuunt iurare, nihil promittere parcunt, 64, 195
huc huc adventate, meas audite querellas Hauptcäsur sei. Zweifel-
haft scheint dieselbe Annahme 64, 405 omuia fanda nefanda malo per-
mixta furore. Vgl. übrigens Haupt bei Beiger S. 240 f. — Im zweiten
Abschnitte wird gehandelt 'de rebus, quae ad prosodiam pertinent'.
67, 23 sed pater illius soll wegen der beispiellosen Messung des i ver-
derbt sein. Ein wunderliches Versehen ist dem Verf. auf S. XVIII wider-
fahren: ' semel vocalem brevem arsi intentam invenimus (LXVI 84 sed
quae se impuro dedit adulterio)'. Aber dedit ist nicht Perf. von do»
sondern Praes. von dedo! Auf S. XX u. f. wird über die Elisionen ge-
sprochen (in Ausführung des Satzes 'variae sunt causae, quae ad eli-
dendas vocales poetam commovere vel elisiones omnino prohibere possint,
et mensura et ambitus verbi, et locus, quem hoc usurpat in versu, et
syllaba subsequens et arsis thesisve'). 66, 69 durfte die unsichere Kon-
jektur ardui ibi vario nicht ohne Weiteres als bezeugte La. ausgegeben
werden. Der Hiatus in der Diärese des Pentameters ist nicht anzuer-
kennen, sondern 68, 158; 66, 48; 67, 44; 97, 2 zu beseitigen.
Die verdienstliche Zusammenstellung sei hiermit nochmals em-
pfohlen.
198 Catullus. Die handschriftliche Überlieferung.
C. Beiträge zur Geschichte der handschriftlichen
Überlieferung.
30. M. Bonnet (Über den cod. Sangermanen sis desCatulI)
Revue crit. 1887. No. 4 S. 57—65.
Diese verständige Anzeige des ersten Bandes von Baehrens' Aus-
gabe hat dauernden Wert für die Textesgeschichte Catulls , weil Verf.
auf Grund eigener Kollation eingehend über G handelt. Er weist nach,
dafs Baehrens in seinem Apparate eine grofse Zahl der variae lectiones
von G übersehen hat, dafs auch mehrere Lesarten erster Hand fehlen, dafs
überhaupt seine Angaben über G viele Ungenauigkeiten resp. Irrtümer
enthalten. Während Baehrens sich der Ansicht zuneigte, die variae lectio-
nes habe der Schreiber von G sämtlich mit eigener Hand geschrieben (praef.
ed. S. XIV), unterscheidet ßonnet mit Sicherheit drei verschiedene Hände
(ebenso jetzt Schwabe2 praef. S. III). Bei weitem die meisten sind nichts
als glückliche oder unglückliche Konjekturen. Doch finden sich angeb-
lich einige Stelleu, wo G2 eine andere Handschrift vor sich hatte. Verf.
kommt S. 62 zu dem Resultate: fIl faut croire que G2atire les titres,
de memes que ses meilleures lec,ons, et probablement aussi une partie
de ses mauvaises conjeetures, d'une autre copie de V, dejä elle-meme
assez interpolee, mais qui avait conserve quelques lecons authentiques
negligees par G, ou par G et 0, comme collocat 66, 56, tutamen opis 04,
324, et tres- probablement aussi les notes marginales sur les metres'-
Die Sache ist noch nicht aufgeklärt. Jedenfalls nicht genügend, um die
Provenienz aller bezeichneten variae lectiones aus V zu sichern. Namentlich
collocat 66, 56 konnte leicht durch Konjektur gefunden werden. Und
selbst, wenn man die Möglichkeit für einzelne Fälle zugiebt, so ändert
dies (da ein Beweis nicht zu erbringen ist) nichts an der Thatsache,
dafs jene Varianten an sich keine Autorität sondern nur den Wert von
Konjekturen haben. Dies ist im Grunde auch Bonnets Ansicht: cOn ne
peut prendre en toute securite comme derive directement de V que le
texte lui-meme, sans corrections ni variantes' (S. 63). Im Folgenden
wird der Wert von 0 richtig und ohne die häufige Übertreibung beur-
teilt und richtig hervorgehoben, dafs Baehrens' Ansicht die jüngeren
Handschriften stammten sämtlich aus G gegründeten Bedenken unterliegt.
31. K. P. Schulze, Zum Codex Oxoniensis des Catull,
Hermes XIII (1878) S. 50- 58.
Verf. hat sich die Aufgabe gestellt die Lesarten des wichtigen
Oxoniensis zu revidieren, eine dankbare Aufgabe, weil zwischen den Vari-
anten von Ellis und Baehrens sich mehrfach Widersprüche finden. Er
bietet uns an etwa 60 Stellen Berichtigungen (einige andere noch bei
Ellis ed. II S. XII— XIII) von Baehrens Apparate — ein Resultat, wel-
Catullus. Der codex Oxoniensis. 199
ches, da die Handschrift schwer lesbar ist und es sich meist nur um
Kleinigkeiten handelt, diesem durchaus nicht zur Unehre gereicht. Einige
Male steht übrigens die richtige La. auch schon bei Baehrens (64, 364
perculse. 88, 6 occeanus). An andern wie 96, 3 renovarh = renovamus
schweigt Baehrens wohl absichtlich, und eigentlich mit Recht. Hin und
wieder scheint nach Schwabe's neuer Kollation, in der dieser Aufsatz
doch mit benutzt ist, vielmehr Verf. geirrt zu haben. So hat nach
Schwabe 0 62, 7 K eos = hoc eos, 64, 11 ein Kompendium = post eam.
64, 145 die Punkte unter di und die Glosse pro adipisci rühren von einer
andern Hand her. 64, 394 in letifero. An den meisten Stellen hat aber
Verf. entschieden richtig gelesen. Er widerlegt sodann überzeugend die
Ansicht von Baehrens, welcher (praef. S. XLV) daraus, dafs in 0 und G
sich vielfach einfache Consonanz statt der üblichen doppelten finde, ge-
folgert hatte, dafs ein Grammatiker zur Zeit des Fronto diese altertüm-
liche Orthographie eingeführt habe. Die doppelte Consonanz ist viel-
mehr in den meisten Fällen dem V fremd. Denn: 1) G hat in der Regel
zwei Consonanten, wo 0 sich mit einem begnügt. 2) 0 schreibt gegen
die Regel sehr viele Wörter mit doppelter Consonanz wie dissertus, pus-
silli, 'Occeano, digittis u. s. w. 3) Oft weist angeblich die überlieferte ver-
derbte La. auf doppelte Consonanz in V hin z. B. Citeorio auf Cittorio,
recomdüa auf reconndita , berve auf benne, lecti auf letti u. s. w. [Das
letzte Moment hat freilich geringe Beweiskraft. Die citierten Korrupteleu
lassen sich doch sehr verschieden erklären]. Einige Glossen wie 23, 2
sind schon auf V zurückzuführen, vgl. 3, 14, wo G und 0 dieselbe Glosse
pulcra über bella haben. [Über 45, 8 hat Verf. später seine Ansicht ge-
ändert: hier empfiehlt und erklärt er das einister ante von Voss, während
er N. Jahrbb. 1884, 184 sinistra ut ante lesen will]. Altes ei statt i will
Verf. herstellen aus Lesarten wie 6, 15 bonique, 66, 50 ferris. 68, 150
aliis (= allci) u. a. [Auch hier ist grofse Vorsicht ratsam. Wir haben
es mit Schreibfehlern zu thuu, die sich auf sehr verschiedene Weise er-
klären lassen. So ist offenbar bonique in 6, 15 nicht aus altem b
sondern durch Anpassung an das folgende maligne zu erklären. VgL
Ellis ed. II S. XXVI not. Und aliis steht einem unverstandenen- all» viel
näher als allei.\ — Verf. macht sodann darauf aufmerksam, dafs in U
oft ein Zeichen am Rande steht, durch das der Schreiber der Hand
schritt (in welcher nur selten eine Zeile zwischen zwei Gedichten frei
gelassen ist) den Anfang eines neuen Gedichte- bezeichnete. Hier sollte
offenbar später ein buntes Zeichen gemalt werden, wie dies 81, l der
Fall ist. Das Zeichen besteht in zwei Strichen//. [? Andere (Angabe
Catulltorsehungen S. 13]. Es findet sich auch bei 2, 1 1 tani gratum est mihi
quam ferunt puellae. Dreimal steht das /eichen an talscher Stelle:
37, 17; 53, 5 und 54, »i. Verf. glaubt, da- Versehen müsse Bcbon in V
gewesen sein, weil G ebenso abteile. Diese Vermutung i-t aber un-
richtig, da nach den neuesten Kollationen die Überschriften an den drei
200 Catullus. Die Handschriften.
fraglichen Stellen in G von jüngerer Hand (g) herrühren. Überhaupt
ist es sehr auffällig, dafs Schwabe von jenen Zeichen gänzlich schweigt,
(Ellis in ed. II erwähnt sie nur zu 53, 5 und 54, 6) und ausdrücklich
an allen citierten Stellen bemerkt toberttüium rmiikun V. Unter diesen
Umständen hat das Zeichen 2, 11 nicht mehr Anspruch auf Beachtung
als 37, 17; 53, 54, 6. Die Angabe, dafs 0 4, 1 pkaaeUm habe (nicht
Hasellus) scheint sich nach Ellis ed. II und Schwabe nicht zu bestätigen.
32. A. Gehrmann, De ratione critica inde a Lachmanno
in emendando Catulli libro usque ad hunc annum adhibita.
1879. 40 S- 4. (Programm des Gyran. zu Braunsberg).
Die Abhandlung enthält mehr als der Titel verspricht, nämlich
eine fleifsige, auf viele Einzelheiten genau eingehende Untersuchung der
Handschriftenfrage. Mit ihren Resultaten kann sich Ref., obgleich manche
Bemerkungen gut und richtig sind, nicht einverstanden erklären. Die
Arbeit stammt aus jener Zeit, wo die neu erschlossene Bekanntschaft
mit dem cod. Oxoniensis manche Catullkritiker in einen förmlichen Taumel
versetzt hatte, wo man geneigt war an den Beginn einer neuen Ära für
den Catulltext zu glauben. Die Ernüchterung ist schnell genug gefolgt:
abgesehen etwa von einem halben Dutzend Stellen (wenn es hoch kommt!)
ist in den konservativen Texten alles beim Alten geblieben. Die An-
schauungen des Verf., der in seiner Verehrung des Oxoniensis noch über
Baehrens hinausgeht, sind somit veraltet und besonders durch Sydows
treffliche Arbeit in den wesentlichsten Punkten widerlegt. In der fol-
genden Inhaltsangabe betont Ref. nur ausnahmsweise seinen Dissensus.
Den unmittelbaren Anstofs zur Abfassung des Aufsatzes gab anscheinend
Pleituer mit seiner Schrift 'Studien zu Catullus' (Dillingeu 1876), deren
phantastische Hypothesen meist treffend zurückgewiesen werden. Im
ersten Kapitel De codicibus qui extant' wird auch das bekannte Epi-
gramm über die Wiederentdeckuug Catulls behandelt und aus v. 3 Sci-
licet a calamis tribuit cui Francia nomen gefolgert, der Mann, welcher
den Dichter nach Verona zurück brachte, habe Francia geheifsen. [Doch
vgl. oben S. 148]. Die jüngeren Handschriften stammen zwar nicht aus
dem Sangermanensis (G) selbst, wohl aber aus einer interpolierten Ab-
schrift von G. [So nach Baehrens, doch vgl. B. Schmidt Jen. Litz. 1878
S. 209. Sydow S. 13. Riese praef. ed. S. XXXVII]. In dem Briefe
des Coluccio Salutati an Benvenuto de Imola (abgedruckt bei Haupt,
Ber. der K. S. Gesellschaft d. Wissenschaften 1849 S. 259 = Opusc. I
279) aus d. J. 1374 ist statt des verderbten dyomianes zu lesen duos
vates. In einem andern Briefe desselben Gelehrten aus demselben Jahre
(bei Haupt ebd ) folgt auf die Worte c Catullum, quem credo parvum li-
bellum, aut exemplatum aut exemplandum rogo transmitte' der Satz:
'tenent ibi Florentini, qui totum terrarum orbem discurrendo terunt, pro
mercibus apothecas: in ballis quas faciunt illum iubere potes alligari,
Catullus. Die Handschriften. 201
quem ad me, ut arbitror, libenter quilibet destinabit', die bisher nicht
beachtet worden sind. Aus ihnen ergiebt sich, dafs damals aufser in
Verona nirgends ein Catullcodex aufzutreiben war, dafs Coluccio alles
daran setzte des einzigen existierenden habhaft zu werden, dafs er be-
stimmt glaubte, jeder in Verona ansässige Florentiner werde ihn in die-
sem Vorhaben unterstützen. Man vergleiche damit die Subscriptio von G,
in welcher sich der Schreiber wegen etwaiger Fehler entschuldigt: . . .
quoniam a corruptissimo exemplari transcripsit. uon enim quodpiam
aliud extabat uude posset libelli hujus habere copiara exemplandi' [und
oben S. 176]. Selbst G wird an Güte durch 0 übertroffen: cEgo censeo
Oxoniensem adeo anno 1374 attribuendum verisimillimum esse, ergo ad
reliquas ejus virtutes etiam accedere quod uno anno ante G et fortasse
a Benevenuto ipso exaratus sit'. [? Diese Behauptung hängt mit dem
Vorhergehenden nur lose zusammen und ist durch nichts begründet].
Der unvergleichliche Wert von 0 erhellt aus 92, 3-4, die 0 fast allein
bewahrt, während sie sogar in G ausgelassen sind, ein schlagender Be-
weis, dafs alle Handschriften aufser 0 auf G zurück gehen. [Dafs neben
dieser Hypothese noch verschiedene andere Möglichkeiten Platz haben,
zeigt Sydow 1. c. S. 28]. - Der Datanus gehört unter die jüngsten und
am stärksten interpolierten Handschriften. Zu 68, 83 heilst es z. B. 'quia
quaeritis metri causa legi non posse intellegebat , scriba libri D petitü
interpolavit'. Woher die dritte Variante quaeritis stammt, gesteht Verf.
nicht zu wissen. [Vgl. Sydow 1. c. S. 9 , über den Datanus im Allge-
meinen ib. S. 52, Jahresber. d. Phil. Ver. V S. 313j. 66, 28 wird die
La. von GO quod non fortior ausit aus verteidigt und erklärt 'oder hast
du vielleicht die grofse That vergessen, durch die du die Ehe mit dem
Könige erlangt hast, weil kein Anderer wegen seiner gröfsereu
Tapferkeit sie wagte?' [?]. 101, 8 wird Pleitner's Vorschlag maUo
für multum empfohlen. [Kann neben fraterno nicht bestehen; ebenso,
wenig 97, 3 die empfohlene La. von 0 'nilo mundius hoc nihiloque im-
mundius illud' neben dem folgenden Verse]. 66, 79 wird, angeblich als
La. von 0 vinxit empfohlen. Dies ist nicht siungemäfs; vgl. den Ref
N. Jahrbb. 1887 S. 138. Die ganze Notiz ist wahrscheinlich unrichtig,
denn dieses vmxii findet sich nur in Lllis Apparate, nicht bei Uaehrens
und Schwabe3.
Im zweiten Kapitel wird von den in manchen Handschriften über-
geschriebenen variae lectiones und den erhaltenen tituli der einzel-
nen Gedichte gesprochen. Über die in G teils zwischen den Zeilen,
teils am Rande stehenden variae lectiones stehen sich zwei Ansichten
gegenüber. Die einen il hiebner, Schwabe) geben zwar /u, dafs die Hand
des Schreibers von 0 viele dieser variae lectionea schrieb, unterscheiden
aber davon mehrere andere korrigierende Hände Die Andern (Woelfflin,
Haehrens) behaupten, alle variae lectiones rührten VOD einer Hand her,
derselben, die den cod. G schrieb. Die durch den Platz iwischea den
202 Catullus. Die Handschriften.
Zeilen bedingte Kleinheit der Buchstaben habe die Vertreter der ent-
gegengesetzten Ansicht getäuscht. [Doch gegen Baehrens vgl. Bonnet
a. 0., B. Schmidt Jen. Litz. 1878, 208, Sydow 1. c. S. 13f.J. Nicht alle
variae lectiones in G stammen aus V. Manche hat der BCriba soo in-
genio' gesetzt. 'Primum enim voccs singulas legens lihrarius aut litteram
earum aliquam perperam legerat aut compendiurn aliquod peri)eram re-
solverat, quo cognito id quod rectum erat transcribehat'. Dieser Art
sind die zweiten Lesarten zu 7, 9. 14, 17. 28, 14. 31, 5. 64, 232. [Ähn-
lich Sydow 1. c. S. 16 haud paucae inde videntur ortae esse, quod
librarius, cum duobus modis archetypi scriptura legi posset, incertus
utrum adhiberet, utrumque posuit itaque ipse duplicem procrcavit scrip-
turam']. — Von S. 30 an wird zunächst erörtert die Frage, inwieweit V
schon die einzelnen Gedichte durch Intervalle von einander trennte. Aus
der Übereinstimmung von G und 0 läfst sich folgern, dafs V an folgen-
den Stellen trennte: 1-2, 3—4, 4-5, 6-7, 7—8, 8—9, 12—13, 13—14,
17-21, 48—49,50-51-52, 55-56, 60-61, 61-62, 63-64, 67— 68a,
68b-69, 71-72, 76-77, 79—80, 88-89. — Die Überschriften standen
angeblich in V noch nicht im Spatium zwischen je zwei Gedichten, son-
dern, soweit V sie überhaupt enthielt, am Rande. In die Zwischenräume
setzte sie zuerst der Schreiber von G (S. 32). Im zweiten Teile des
Catullischen über von c. 64 an hat V in den allermeisten Fällen Über-
schriften nicht gehabt (ccertum et manifestum est prope omnes defuisse').
Auch vor c. 64 werden die Überschriften in V bisweilen gefehlt haben,
nämlich zu 10, 16, 24, 33, 39, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 53, 54,
55, 57, 58, 60, weil cnec 0 signa [//] neque G titulos^exhibet'. Es ist
wahrscheinlich, dafs der Schreiber von G manche Überschriften in V
änderte, manche selbst erfand.
Das Schlufskapitel bandelt über das Thema ' Virorum doctorum con-
jecturae, quae ad historiam, scripturam, circuitum codicum quam 0 et G
vetustiorum pertinent'. Dafs der im 14. Jahrh. in Verona zum Vorschein
gekommene Codex aus Gallien gebracht sei, wird ohne Weiteres als er-
wiesen angenommen. Baehrens Ansicht, dafs der Archetypus aus der
Recension eines Grammatikers im Zeitalter Fronto's hervorgegangen sei
(Baehrens proll. S. LI), ist mit K. P. Schulze zurück zu weisen. Hervor-
gehoben sei noch das Schlufswort der Abhandlung: c Nihil restat nisi ut
illustretur quid Ellisius quaestione editioni addita, quae est de aequabili
partitione carminum, Catullo profuerit. Sed, ut paucis dicam, — nam
pluribus non licet -, nihil fere profuit'.
33. B. Schmidt, (Über unsere Catullhandschrifteu), Jenaer
Litz. 1878, 207—212.
Diese gehaltvolle Recension behandelt, von Baehrens' ed. critiea
ausgehend, fast alle für die Geschichte und Klassifikation unserer Textes-
quellen wichtigen Fragen. Folgendes sei als beachtenswert hervorgehoben.
Catullus. Die Handschriften. 203
1. Die Varianten und Korrekturen im Sangerraanensis (G).
Die in grofser Zahl zwischen den Zeilen oder am Rande stehenden
variae lectiones rühren nicht, wie Baehrens praef. S- XIII behauptet
hatte, sämtlich von dem Schreiber des Codex her. Dies ist von Bonnet
nachgewiesen, der drei verschiedene Schriftzüge erkannte. Es läfst sich
aber bei manchen Varianten auch durch ihren Inhalt wahrscheinlich
machen, dafs sie erst hinterher von anderer Hand beigeschrieben wur-
den. Mitunter ist nämlich gerade dasjenige, was ursprünglich in G ge-
standen hat, aber dann ausradiert wurde, wiederum als Variante hinzu-
gesetzt. Vgl. 23, 19 cuius culus\ 25, 5 aries aves; 28, 14 nobis vobis;
10, 1 meus mens. Auch in den Fällen, wo die Varianten in G von der
Hand des ersten Schreibers selbst herrühren, darf man nicht alles über
einen Leisten schlagen. Manches übergeschriebene Wort ist keine eigent-
liche Variante (trotz jenes vorgesetzten cd') sondern ein neuer Versuch
des Schreibers den schwer leserlichen Text seiner Vorlage richtig zu
entziffern. So besonders 31, 5 [hier ist aber noch Schwabe2 das über-
geschriebene credens von jüngerer Hand, und ebenso 14, 17 das überge-
schriebene x; die Untersuchung müfste auf Grund der jetzt eher mög-
lichen Scheidung von G und g noch einmal gemacht werden]; 9, 14.
Allerdings gab es schon in V Varianten und zwar im Texte selbst.
Das zeigen die sechs bei Baehrens praef. XXXVII f. verglichenen Stelleu
(12, 4; 15, 11; 22, 15; 23, 2; 68 \ 26; 95, 10) wo auch 0 duplices
scripturae im Texte aufweist. Hier lehrt die Vergleichung von 0 mit G,
dafs der Schreiber von G einige der im Texte von V beigesehriebenen
Varianten nicht wiedergegeben, und zweitens, dafs er hie und da viel-
mehr die voranstehende La. weggelassen und nur die dahinter stehende
Variante aufgenommen hat. Aber derselbe Vergleich zwischen G und 0
zeigt, dafs ebenso der Schreiber von 0 eine Reihe Varianten im Texte
von V übergangen oder auch zwischen der eigentlichen Texteslesart und
der Variante beim Kopieren gewählt hat. Vgl. 2, 6; 15, 13; 25, 3;
33, 4; 34, 15, 21; 40, 8; 50, 13; 61, 120, 225; 64, 28, 298; 60, 57.
Einige gröfsere Differenzen zwischen G und 0, namentlich 64, L39 und
353, lassen sich endlich nach Schmidt nur durch die Annahme erklären,
dafs schon in V doppelte Lesarten vorhanden waren, von denen G gegen
seine sonstige Gewohnheit nur die eine wiedergegeben hat. Vgl. hierzu
und zu andern Punkten B. Schmidt prölegg. ed. S. CHI. Doch lassen
sich jene Differenzen auch anders erklären. Namentlich kann messor in
353 dadurch entstanden sein, dafs Augen und Gedanken des Schreibers
von 0 auf das folgende demetit abirrten.
2. Die Provenienz der jüngeren Handschriften (del oriores = c).
Baehrens Annahme, dafs sämtliche c aus dein schon durohkorri-
gierten G geflossen seien, ist unhaltbar. Denn bisweilen stimmen alle c
oder wenigstens die Mehrzahl sowohl im Fehlerhaften wie im Richtigen
204 Catullus. Die Handschriften.
mit 0 gegen G überein (s. die 18 Beispiele bei Baebrens praef S. XXII;
vgl. aufserdem 100, 2 treronensum in 0 und vielen c). Mitunter geben
wiederum wenigstens einige <r mit 0, und zwar fast durchgängig in
der korrupten Lesart. Vgl. 40, 3. 43, 8. 64, 7, 25.3. 59, l. Noch be-
weiskräftiger gegen Baebrens sind 89, 2 (ein Laurentianus mit 0 »«, in
G und den übrigen c seu); 68 b, 79 (tum Datanus und einige andere mit 0,
G und die übrigen r causa)\ 97, 3 [nihüoque 0, nihloque a, nihilque ein
Laurent., nihilo Datanus, aber nobisque G und die übrigen. [Vgl. über
die Stelle Sydow, De rec. Cat. carm. S. 33]. Dafs die 7 zum grofsen
Teil gemeinsamen Ursprung haben, ist allerdings wahrscheinlich (vgl.
bes. 11, 3 das interpolierte ubi für ut). Aber dafs diese gemeinsame
Vorlage eine Kopie von G war, ist sehr wenig glaublich. Zu diesem
Resultate führt auch noch folgende Erwägung. Es giebt Stellen, an
denen sämtliche Handschr. korrupt sind, aber die Korruptelen in einem
Teile von c der Hand des Dichters entschieden näher kommen als die-
jenigen in G sowohl wie in 0. Vgl. 65, 14. 66, 5. Anderseits ist Baeh-
rens einzuräumen, dafs die c samt und sonders stark interpoliert und
darum im höchsten Grade unzuverlässig siud. Man kann daher ihnen
gegenüber kaum vorsichtig genug sein.
34. R. Sydow, De recensendis Catulli carminibus. Berlin.
1881. Mayer und Müller. 76 S. 8.
Diese sehr tüchtige und gehaltvolle Dissertation ist aus Vahlens
Schule hervorgegangen und verdient ganz abgesehen von ihrem Inhalte
ganz besondere Beachtung, weil sie anscheinend die Ansichten dieses
grofsen Catullkeuners im Ganzen wiedergiebt. — Auf S. 1—24 wird das
Verhältnis der Lachmannschen Handschriften zum Sangermanensis (G)
mit Benutzung der oben besprochenen Abhandlungen von Bonnet und
Gehrmann erörtert. G ist älter als Lachmanns D L und direkte Ab-
schrift von V. An 23 Stellen hat G bessere Lesarten als D L. Doch
betont Verf. mit Recht, dafs es sich überall um Schreibfehler handelt;
nur 11, 3 ist ubi statt ut handgreifliche Interpolation. Übrigens ist
Lachmann nur an zwei Stellen durch seine Handschriften zu Irrtümern
verleitet worden: 73, 4 ist mit Avantius zu schreiben immo etiam taedet,
taedtt obestque magis (so jetzt Haupt -Vahlen) und 76, 11 mit GO quin
tu animo offirmas (animo offirmare = sich in seinem Gemüte verhärten).
Über beide Stellen giebt Verf. sehr lesenswerte Auseinandersetzungen.
Anderseits bieten DL au zwei Stellen das Richtige, wo G schwer ver-
derbt ist. Überzeugend wird nämlich nachgewiesen, dafs 42, 13 potes
und 66, 83 petitis zu schreiben ist {colitis in GO ist Interpolation). Im
Anschlüsse an Bonnet weist Verf. darauf hin, dafs die zahlreichen meist
auf Rasuren stehendeu Correctiones in G nicht Konjekturen (mifs-
lungeue zum gröfsteu Teile) des Schreibers von G selbst sind (so Baeh-
rens praef. S. XIV und XVII). Es sind vielmehr Lesarten aus einer
Catullus. Die Handschritten. 205
andern Handschrift von anderer Hand eingetragen. Die durch die Notiz
aV zu der ersten La. hinzugefügten scripturae duplices in G sind aus V
in G übergegangen. G ist daher das treuesle Bild des Archet. Doch
bleibt zweifelhaft, ob alle duplices scripturae schon in V vorhanden waren
[und wohl auch, ob G die doppelten Lesarten immer beide aufnahm;
vgl. B. Schmidt Jen. Litz. 1878, 21 lj. Manche scheinen nämlich da-
durch entstanden, dafs der Schreiber ccum duobus modis archetypi scrip-
tura legi posset, incertus utrum adhiberet, utrumcpue posuit itaque ipse
duplicera procreavit scripturam' z. B. 7, 6. 23, 19. 25, 5. 64, 288.
[Dabei wäre freilich auffällig, dafs der Schreiber seine Leseversuche
von den doppelten Lesarten, die er in V schon vorfand, durch nichts
unterschied]. Unter keinen Umständen sind die jüngeren Handschriften,
wie Baehrens wollte, sämtlich aus G geflossen. Von Einzelheiten sei
nur weniges hervorgehoben 61, 204 ist mit G1 (cf. Bonnet a. 0.) und
und D cupis cupis zu schreiben. 64, 249 wird nach den Spuren von G1
und 0 zu lesen sein quae tum prospectans. 10, 13 wird nee faceret durch
Parallelstellen als lateinisch erwieseu. 14, 16 ist sähe in G richtig über-
liefert. Aus allen diesen Stellen geht übrigens hervor, dafs die du-
plices scripturae für die Feststellung des Textes fast nirgends brauch-
bar sind; nur über die Beschaffenheit von V gestatten sie uns ein voll-
ständigeres Urteil. - Im zweiten Abschnitte (S. 25 — 51) wird über
den Oxoniensis gesprochen. 0 bietet mit G übereinstimmend an 36 Stellen
Besseres als Lachmanns Handschriften (ihr Verzeichnis S. 25). Ganz
singulär, also gegen GDL, hat er das Bessere 3, 12; 4, 17; 17, 25;
29, 19; 55, 11 ; 63, 38; 63, 52; 63, 81; 64, 25; 64, 165; 64, 231; 66, 72;
77, 9; 114, 6; 66, 55. An diesen Stellen kannte Lachmann das Richtige
aus Konjekturen älterer Kritiker, an folgenden aus Varianten junger
interpolierter Handschriften: 30, 9; 39, 2; 42, 7; 59, 1; 64, 10; 73, 6:
68, 130; 68, 50; 25, 2; 61, 183 (176); 64, 183; 67, 8; 68, 67; 92; 3— 4
(omissi in DLG). Bisweilen ist 0 immerhin weniger verderbt alsDLG:
63, 46; 64, 138; 67, 42; 76, 11; 77 (78), 10. Ebenso zeigt sich (S. 30f.)
sein Wert wiederholt darin, dafs Abkürzungen des Arch. geuau wieder-
gegeben sind, welche die übrigen Schreiber mifsverstanden und falsch
aufgelöst hatten. [Dahin gehören entschieden auch mehrere der S. 26 ver-
zeichneten Stellen]. 71, 1 wird das sacer alarum der Itali durch sacra-
torum in 0 offenbar bestätigt; vgl. auch die Bemerkungen zu 97, 3. Ver-
bessern läfst sich Lachmanns Text aus 0 nur an zwei Stellen : 62, 63
Tertia pars patri est, jiars est data tertia matri (= Haupt quaest. Cat. S. 30)
und 101, 7 nunc tarnen iutrrea kaec {= Schwabe quaest. Cat. S. 276).
Die vom Verf. noch citierte Stelle 24, 4 ist zu streichen, da Lachmann
Midae in den Text, der späteren Auflagen aufnahm. Endlich ist anzu-
erkennen , dafs 0 von den Interpolationen frei ist, welche DL an fol-
genden Stellen enthalten: 5, 8; 11, 3; 44, 11; 45, 10; 62, 8. 40 — 63;
73, 4. — Dem steht gegenüber eine Menge falscher Lesarten (S. 36 f.).
s>Ofi Catullus. Die Handschriften.
Es fehll zun liehst nicht, an Interpolationen der schlimmsten Art. Dahin
gehören, abgesehen von 66, 83 und 42, 14 ( s. oben): 64, 353 m
61, 106 Lenta »ed. 64, 139 blandu (dabei ein lesenswerter Exkurs
über den Wechsel des Numerus beim Personalpronomen). 64, 273 lern-
terque sonant. 64, 11 proram imbuit. 64, 15 equore monalrorum (in marg.).
Betreffs 57, 7 uno in lecticulo wird man wenigstens Zweifel hegen dürfen.
Doch ist dem Verf. der Nachweis, dafs diese Stellen interpoliert sein
müssen, nicht gelungen (vgl. Jahresb. d. Ph. Ver. IX 295 in Z.f. d. G.W.
1883 und neuerdings ß. Schmidt prolegg. ed. S. CII). So erklären sich
61, 106 sed und 64, 11 proram wohl als Schreibfehler (vgl. Schwabes
Apparat in ed. II). 64, 353 läfst sich das unrichtige messor auch ohne
Annahme einer Interpolation erklären; vgl. oben S. 203. 64, 139 bleibt
es trotz der lesenswerten Ausführungen des Verf. sehr fraglich, ob blanda
in 0 nicht echt ist (die Sache stünde ja anders, wenn es in einer jungen,
von den Itali nachweislich stark interpolierten Handschrift auftauchte).
64, 273 kann der Vers durch que in 0 gefüllt sein, aber beweisen läfst
es sich nicht, denn die La. leviterque sonant ist möglicherweise richtig
(so jetzt Vahlen und Schwabe). 64, 15 endlich ist ohne Belang. So
schiefst der Satz (S. 36): cNullus est locus, quo codex 0 bonam scrip-
turam novam et virorum doctorum coniecturis antea non repertam prae-
beat' doch etwas über das Ziel hinaus. Viel eher könnte man 64, 102
appeteret für eine absichtliche Änderung halten, eine La., über welche
S. sonst richtig urteilt (S. 48). Andere Fehler in 0 sind nach S. auf
Versehen des Schreibers zurück zu führen, wie 68, 61 viatorum; 66, 50
ferris fingere; 65, 1 defectum; 64, 175 in Cretam. Reichhaltiges Register
anderer Fehler auf S. 50. Obwohl 0 zu den besten Catullhandschriften
gehört, so thut bei seiner Benutzung grofse Vorsicht not.
Im dritten Abschnitte S. 51 — 65 spricht Verf. speciell über
den cod. Datanus. Derselbe ist unzweifelhaft mehrfach interpoliert. Aber
viele seiner richtigen Lesarten lassen sich nicht durch Annahme von
Interpolationen erklären: 66, 45 cumque (denn der Schreiber las in seiner
Vorlage das unsinnige propere, konnte also den Vers weder skaudieren
noch verstehen, c sed tarnen divina qua erat animi sagacitate cumque illud
recte pro atque reposuit'). 68, 119 nam nee tarn (die Stelle beweist zu-
gleich, dafs D nicht aus G geflossen ist). 97, 3 scheint D die echte La.
von V ebenfalls bewahrt zu haben. Vgl. 80, 6; 76, 26; 61, 200 (193);
64, 291; 68, 2; 64, 377. Ganz oder fast singulare echte Lesarten bietet
D an folgenden Stellen: 66, 83; 88, 2; 62, 12; 65, 9. Sydows Be-
sprechung des wichtigen Verses 65, 9 ist sehr lesenswert. Zum Wechsel
des Fut. I und II wird verwiesen auf Prop. II 5, 21 — 22 und Verg.
Aen. IX 297 — 298. Verf. glaubt 'versum illum in V, fortasse in mar-
gine, adscriptum fuisse et a plerisque librariis neglectum, ab uno fide-
liter exaratum esse'. 97, 5 dentis hos (= os). 65, 14 Daunias. Aus
verschiedenen der genannten Stellen ergiebt sich, dafs D nicht aus G
Catullus. Handschriften. Zeilenzahl des Archetypus. 207
geflossen ist. Vgl. S. 62. Diese Ausführungen sind meist überzeugend,
doch berücksichtigt Verf. nicht immer die Möglichkeit, dafs die richtige
La. in D durch Konjektur gefunden wurde. — Dafs die D eigentüm-
lichen archaistischen Formen nicht immer auf Interpolationen beruhen,
wird mehrfach durch das Zeugnis von 0 erwiesen (S. 63f.), so 1, 10
peremne, 35, 18 incohata, 11, 23 posquam, 64, 326 secuntur. Man wird
daher auch anderes nur durch D Bezeugte unverdächtig finden wie 55, 2
demostres, 23, 8 conquoquitis, 61, 127 (120) Fascennina. — Doch ist zu-
zugeben (S. 65 f.), dafs Lachmann dem Datanus bisweilen zu viel ver-
traute: Der Vorname Quintus in der Inscriptio ist unrichtig. Auch 107, 1;
76, 10 (beachtenswert sind die Bemerkungen über den Hiatus bei Catull
S. 68—69); 108, 1; 101, 7; 64, 107 (lesenswerte Auseinandersetzung
über indomitum turben) hätte ihm Lachmann nicht folgen sollen. Auf
S. 74—75 werden viele der angeblichen Archaismen in D, welche Ellis
(praef. ed. II S. XXX f.) aufzählt, als einfache Schreibfehler erwiesen.
Dagegen findet Ref. seine Andeutungen über den Wert von D Jahresb.
d. Ph. Ver. V 313 Anm. nicht verwertet. Das Gesamtergebnis, zu dem
die Untersuchung des Verf. gelangt: ' Datanum sua via ac ratione ad
Veronense Archetypon redire atque non sine fruetu in recensendis Ca-
tulli carminibus adhiberi' hält Ref. für richtig.
35. R. Fisch, Zur Geschichte der handschriftlichen Über-
lieferung des Catull. Wochenschr. f. kl. Phil. I 1884 Sp. 152—156.
180—188.
Verf. bemüht sich durch verwickelte Berechnungen die Zeilenzahl
auf den Seiten des Archetypus festzustellen. Seine Resultate sind fol-
gende. Die Urhandschrift hatte auf jeder Seite 21 Zeilen.
Alle Gedichte folgten unmittelbar auf einander, waren also nicht durch
tituli getrennt. Diesem Codex wurde als er noch in verhältnismäfsig
gutem Zustande war, für eine lateinische Anthologie c. 62 entnommen (cod.
Thuaneus). Ihn besafs Ratherius und nahm ihn in die Fremde mit.
Dann blieb er bis zum Anfange des saec. XIV verschollen und mufs in
dieser Zeit arg beschädigt worden sein. Nach Verona zurückgebracht
ward er sofort abgeschrieben. Der so neu entstandene Verouensis ist
die Quelle für alle übrigen Catullhandschriften und bewirkte aufserdem,
dafs der alte Urkodex zum zweiten Male der Vergessenheit anheimfiel.
— Zu jener Zeilenzahl 21 kommt Verf., indem er Textverderbnisse, Aus-
lassungen, Nachträge, Mifsverständnisse durch Seitenschlufs oder
Seitenanfang seines Urkodex zu erklären sucht. Diese Lrklürungen
sind aber oft so künstlich (vgl. z. ß. Sp. 154), stellen so willkürlich eine
vage Möglichkeit als Gewißheit hin und operieren wie mit einer solchen,
während doch daneben hundert andere Fälle denkbar sind, dafs sie
schwerlich Jemanden überzeugen können (vgl. Riese. Ausg. 8. XXXVII).
Mifstraueu erweckt auch, dafs Verf. es unterläßt sich mit Lachmann
208 Catullos. Handschriften. Guarinus' Receusion.
und Haupt auseinander zu setzen. Haupt hielt Lachmanns Annahme
eines 30zei)igen Archetypus für absolut sicher und hat sie Quaest. Cat.
S. 38-49 (Opusc. I 27 — 36) scharfsinnig begründet. Nun sind es aber
zum grofsen Teil dieselben Lücken und Verderbnisse, die nach
Haupt den 30 zeiligen, nach Fisch den 21 zeiligen Archetypus erweisen
sollen! Es hätte also doch vor allen Dingen die ältere Hypothese wider-
legt werden müssen. Aber Haupts Berechnungen sind offenbar ein-
facher und haben die gröfsere Wahrscheinlichkeit für sich : Zweifel blei-
ben freilich auch hier. Manches was Verf. vorbringt, ist offenbar nur
erdacht, um die 21 Zeilen-Theorie zu stützen. Die Auslassung von 64,
334 — 337 in manchen Handschriften erklärt sich auch ohne sie auf den
ersten Blick. Sind 30, 4 — 5 wirklich an den Schlufs zu stellen? Wenn
nicht, was wird dann aus der Hypothese? Auffallend ist, dafs Sp. 187
behauptet wird, der Urkodex 'geriet zuletzt an einem seiner unwür-
digen Orte in volle Vergessenheit'. Der unwürdige Ort ist doch nicht
etwa wieder der Speicher, auf dem die Handschrift unter dem famosen
Scheffel lag?? — In 63, 78 wird gelesen: Agedum, inquit, age ferox i,
face ut hucfuga, celer »', Face uti sq. Der erste Satz face . . . fuga
wird angeblich nicht zu Ende geführt, vielmehr durch eine neue Auf-
forderung, celer i, unterbrochen, schliefslich aber doch durch den ganzen
folgenden Vers inhaltlich wiedergegeben.
36. E. Abel, Die Catullusrecension des Guarinus. Zeitschr.
f. d. Ö. G. XXXIV (1883), 161-166.
37. R. Sabbadini, Se Guarino Verouese abbia fatto una
recensione di Catullo. Rivista di filol. XIII (1884), 266—269.
38. R. Sabbadini, Ancora di Catullo e di Guarino Vero-
nese. Rivista di filol. XIV (1885), 179-181.
Ist unter dem Guarinus, welcher den Catullus edierte, der ältere
Guarinus Veronensis oder dessen Sohn Baptista Guarinus zu verstehen?
Zur Beantwortung dieser Frage reproduziert und bespricht Abel einen
schon von G. Voigt Wiederbelebung des classischen Alterthums II 389
erwähnten Brief aus Ferrara ohne Angabe des Schreibers und des Adres-
saten (vom 26. Juli 1456), jetzt in der Gräflich Apponyischen Bibliothek
zu Nagy-Appony. Gegen Schlufs dieses Briefes stehen die Worte 'Ca-
tullum ubi meliorem fecero, ad proprios laresremeare cora-
pellam'. Mit Unrecht zweifelt Abel ob dieses ad proprios lares bedeute
'zurück an den Adressaten' oder in seine Heimat nach Verona'. Offen-
bar ist das Letztere der Fall. Wir haben hier jedenfalls eine Anspie-
lung auf das Epigramm des B. Campesani Ad patriam venio sq , das, in
falscher Interpretation, mehrfach gerade mit Guarinus in Verbindung ge-
bracht wurde (Abel S. 161). Wie Abel zu dem Schlüsse kommt, bei
Catullus Handschriften. Guarinus' Recension. 209
dieser Auffassung müsse der Adressat, notwendigerweise in Verona ge-
wohnt haben, ist nicht recht verständlich. Sonst haben seine Ausfüh-
rungen grofse Wahrscheinlichkeit. Der Verfasser des Briefes ist ein
Guarinus (dafür spricht besonders das Datum 1456, sowie die Umge-
bung in welcher er steht; über die Schriftzüge äufsert sich Abel nicht),
aber Baptista (der Apponyische Codex enthält nur Briefe von diesem;
von einer Catullrezension des älteren Guarinus ist überdies sonst nichts
bekannt). Schwabes Annahme Baptistam intra annos fere 1450 ad 1470
Catulli librum a se emendatum edidisse' (d. h. durch handschriftliche
Kopien, nicht durch den Druck; vgl. Schwabe2 S. XXI) wird also durch
den Brief bestätigt und die Zeit der Edition näher bestimmt. Vgl. auch
B. Schmidt prolegg. S. C.
Aber wie ansprechend auch Abels Ausführungen sind, wie gut
sie zu den sonstigen Angaben über die Catullstudien des Baptista
Guarinus passen (vgl. Schwabe2 S. XVIIII, XX), seine Vermutung ver-
wickelt uns in gewisse Schwierigkeiten. Dies betont Sabbadini. Aus
Andeutungen des Briefes geht hervor, dafs der Adressat Octavianus hiefs
und Bruder eines dux Federicus war. Ein dux Federicus von grofser
Gelehrsamkeit i. J. 1456 kann schwerlich ein Anderer sein als Federico,
duca di Urbino. Dies zugegeben, spricht der Umstand, dafs Guarino
Vater v. J. 1451 an in nahen Beziehungen und Briefwechsel mit dem
duca di Urbino stand, anscheinend für seine Autorschaft. Aufserdem
lehrte Baptista Guarinus 1455-1457 in Bologna (Malagola, Urceo
Codro, S. 61, 72). Indessen ist ein wirklicher Beweis, dafs Baptista der
Schreiber nicht gewesen sein kann, damit offenbar nicht geliefert. Und
Guarino Vater erwähnt zwar den Catull öfters, aber nirgends finden sich
sonst Spuren , dafs er eine Ausgabe des Dichters vorbereitete. Dies
räumt auch Sabbadini ein. — Über das Epigramm des B. de Campesani
bemerkt Sabbadini, dafs (was übrigens Niemandem zweifelhaft sein kann)
compatriata in v. 2 nicht auf Guarinus Veronensis gehen kann (die sub-
scriptio in G stammt aus 1375, Guarinus ist 1370 geboren!). Die
sonstige Interpretation ist mehrfach unrichtig, wird auch im zweiten
Aufsatze teilweise von Sabbadini selbst zurückgenommen. Dafs v. 4 den
Stand des Finders meine, nachdem in v. 8 " calamis vorangegangen und
dann tribuit cui Francia nomen dazwischen getreten ist, glaubt Ref. nicht.
Wie die Anknüpfung mit que zeigt, ist die Lösung des Rätsels der Zu-
name jenes Francesco (vgl. oben S. 148). Zu dem bildlichen (vgl. Ev.
Lucae 11, 33; Marci 4, 21) ȟb modio in v. 6 bringt Sabbadini (a 0.
S. 180) eine hübsche Parallelstell e ans einem nnedierten Briefe Gnarinos
bei: 'Laudanda profecto religiös! ei sapientissimi viri Timothei liberali-
tas, quae hunc repertaro thesaurura nun defoderit, sed in lucem et in
christianorum conspectum eduxerit, nee sub modio Bed Bnper can-
dclabro ad Christi gloriam collocavit, ut coram bominibns suaruin vir-
tutum nitorem diffunderel
Jahresbericht für Alterthiimswissenschaii LI. (i887. II.) 14
210 Zur Litteraturge8ch. Catulls u. seiner Zeit. Ordnung d. Gedichte.
D. Beiträge zur Literaturgeschichte, Kritik und
Erklärung.
Mehrere Publikationen beschäftigten sich mit der Frage nach Aus-
gabe, Umfang und Anordnung des über Catullianus. Das letzte Wort
über alle diese Punkte scheint noch nicht gesprochen.
3V. J. Sufs, Catulliana. Erlangen. 1877. 48. 8. 8.
Diese fleifsige Arbeit ist durch brauchbare Materialsammlungen
noch heute wertvoll, obwohl der Verf. in der Behandlung kritischer Fra-
gen vielfach irre geht. Die ersten 31 Seiten waren schon 187G als
Erlanger Inauguraldissertation erschienen und sind von R. Richter in
dieser Zeitschr. 1876 II, 3 10 f. besprochen. Doch wird hier auf den In-
halt auch der ersten Abschnitte nochmals hingewiesen — der Vollstän-
digkeit halber und weil die inzwischen erschienene Litteratur mehrfach
Anlafs zu anderer Auffassung giebt. — Behandelt werden in acht Ka-
piteln folgende Themata. 1) Die beiden Widmungsgedichte, c. 14b
si qui forte mearum ineptiarum wird wieder mit c 2, 11 tarn gratum
est mihi quam ferunt puellae zu einem zweiten Vorworte verbunden [Un-
richtig. Vgl. besonders Birt Buchw. 411 Anm. 1. F. Scholl. N. Jahrbb.
121, 494. R. Richter Catulliana S. 1]. Bezüglich des doppelten Vor-
wortes verweist Verf. auf die beiden Einleitungsgedichte der Priapea
und stellt die Anklänge dieser Gedichte an Catull und Ovid zusammen
(S. 4—5). Speziell das o patrona virgo (1, 9) wird angeblich durch
Priap. 2, 4—5 geschützt. — 2) Nachklänge Catullischer Poesie.
Verf. versucht mehrfach Reminiszenzen in der späteren Poesie als Hilfs-
mittel zur Feststellung des Textes zu verwerten. So entscheidet er sich
29, 24 für gener soccrque wegen Catalept. 3, 6 und Mart. IX 70, 3. Vgl.
auch Birt Buchw. S. 409. Mit Rücksicht auf Ciris 170 non niveo reti-
nens bacata monilia collo wird Catull 64, 64 velatum für korrupt er-
klärt und mit Benutzung von Vorschlägen Anderer vermutet non niveum
contecta levi per pectus amiäu. Doch erklärt Verf. eine im Anhange S. 48
mitgeteilte Vermutung Wölfflins für cnoch richtiger': non niveum velata
levi tum pectus amictu [Beides vielmehr gleich unrichtig. Die Ähnlichkeit
der Cirisstelle ist ganz geringfügig, velatum echt; vgl. oben S. 195 - 196]. Ca-
tull 101 , 7 will Verf. nach Ciris 44 emendieren haee tarnen interea. Ciris
352 spricht angeblich für die Richtigkeit von Schraders Eons in 62, 35.
Es folgen die Reminiszenzen im Culex, den Dirae, dem Martial (Pauck-
stadts Dissertation ist dem Verf. anscheinend erst nachträglich bekannt
geworden). Den Schlufs bilden lesenswerte sprachliche Bemerkungen zu
1, 8—9. — 3) Die Fragmente und der Umfang des über Ca-
tull i. Von sonst als acht anerkannten Fragmenten beanstandet Verf.
Fragm. 1 at non effugies meos iambos wegen Catull 40, 3. Doch vgl.
Birt Buchw. 403 Anm. 3. Über Ov. Trist. U 427 f. wird richtig ge-
Zur Litteraturgesch. Catulls u. seiner Zeit. Ordnung d. Gedichte. 211
sprachen. Plinius Angabe bist. nat. 28, 2 hinc Theocriti apud Graecos,
Catulli apud nos proxumeque Vergilii incantaraentorum amatoria imitatio
wird mit Peiper auf die Refrainverse bei Tbeokr. Idyll 2. Verg. ecl. 8,
im Parzenliede bei Cat. 64 bezogen. Doch vgl. Birt Buchw. 404 Anm. 1.
Fragment 2 bei Baehrens ist zu streichen. Bei Servius zu Verg. Georg.
2, 95 und Varro de 1. 1. S. 74 M. ist von Lutatius Catulus die Rede.
Die Schlufsbetrachtungen über den Umfang des heutigen über Catulli
('Man könnte sich wohl versucht fühlen anzunehmen. Catulls Gedichte
hätten im Altertume drei Bücher gebildet') sind jetzt durch Birts For-
schungen überholt. — 4) Die drei Teile des über Catulli. Aus-
drücke der hochpoetischen Sprache finden sich vorzugsweise und manch-
mal ausschliefslich in der Mittelpartie. Z.B. wird in 1 — 60' schön' stets durch
bellus bezeichnet, nie durch pulcher, in 61- 63 dagegen konsequent durch
pulcher, nie durch bellus u. s. w. Im Vorbeigehen verlangt Verf. in 95, 3
Tanusius statt des überlieferten Hortensius. Andere Einzelheiten jetzt
bei A. Seitz, De Catulli carmiuihus in tres partes distribuendis. Rastatt.
1887. _ 5) Die Anordnung der Gedichte. Da die Metriker ihre
Musterbeispiele dem ersten betreffenden Gedichte Catulls zu entnehmen
pflegten und da sie als Muster des priapeischen Verses anführen Hunc
lucum tibi dedico consecroque, Priape, nicht 17, 1 0 colonia, so folgert
Verf., dafs jenes Gedicht auf Priapus vor 17 stand, etwa nach 14. [Doch
bleibt zu erwägen, ob jenes Gedicht an den Priapus den Metrikern nicht
wegen seines Inhaltes als sehr geeignetes Musterbeispiel für den
Priapeischen Vers erschien.] In selteneren Versmafsen abgefafste Ge-
dichte pflegen sich nicht zu folgen, sondern durch verschiedenartige ge-
trennt zu werden. Verf. ei kennt darin das nämliche Prinzip der Variatio,
welches auch den Horaz bei der Anordnung seiner Oden geleitet hat.
[Vgl. unten zu No- 41]. Der Dichter gewinnt so ein Mittel, durch
welches benachbarte Gedichte sich gegenseitig erklären und ergänzen'.
Diese Theorie erweist sich angeblich fruchtbringend für die Interpretation
von c. 49, d. h. für die sogenannte ironische Auffassung dieses Ge-
dichtes. 'Diesen Pfeil schleuderte Catull gegen Cicero, als dieser sich
auf Zureden Cäsars dazu hergab, den nämlichen Vatinias im Jahre 54
gegen die Anklage des Calvus zu verteidigen, den er sich selbst rühmte
zwei Jahre vorher in die Pfanne gehauen zu haben'. [Doch vgl. gegen
diese Sätze unten zur Litteratur des c. 49.] - 6) Einflufs der Me-
trik auf die Sprache. Bemerkungen über Freiheiten der Wortstel-
lung (z. B. Nachstellung von valde, male, nimis; sod und at an zweiter
Stelle ; namque an fünfter Stelle 66, 65; das Auffällige in 66, 18). Bei
den Komparativformen 3, 2; 5, 2; 9, 10; 10, 17, J 1 : 12, ."•; 'JT. 2 be-
nutzt Catull nur in den munteren HendekasyllabeD eine Freiheit der
Umgaugssprachc, die ihm für den Versbau gelegen kommt. 7t Griechi-
sche Studien und Gräcismus. Eingehende Behandlang von c. 66.
Dies ist eins der ältesten Gedichte Catulls Die Behandlung des Disti-
14*
212 Die Anordnung der Gedichte Catulls
chons wird der Komposition sapphischer Oden oder der schwierigen
Galiiamben vorausgegangen sein. Das Gedieht ist reich an Archaismen
(28. 35. 48. 94) und anderen Licenzen, wie die Nachstellung von nam-
que; es ist einem Originale, und zwar recht getreu ohne Beimischung
eigener Zusätze, nachgebildet. Schlüsse für die Chronologie sind hieraus
nicht zu ziehen. Denn wenn auch die Absendung des Gedichtes an
Hortensius (65, 1) dem Tode des Bruders bald nachgefolgt sein mufs,
so kann der Dichter offenbar, um sein früher gegebenes Wort zu halten,
ein auf Lager vorrätiges Gedicht älteren Datums dem hohen Gönner
übermittelt haben. Nach Bemerkungen über 51 und 62 werden einzelne
Gräzismen verzeichnet: leaena 60, 1. 64, 83 f antra nee funera wie Toapug
ärapoz, yd/xog ayajnog. 64, 18 nutricum wie rcrDq. Amphitrite 64, 11.
Der Nom. c inf. 68, 11. Ebenso 4, 1 — 2. Der Geu. exclamationis 9, 5
nuntii beati. Der Dativ nach Analogie von [xäyea&a'. 62, 64. Über den
Akkusativ bei medialen Passivis (64, 64 conteeta pectus amictu), über
die figura etymologica basiu badare u. s. w. findet mau jetzt Genaueres
in Schäflers Schrift über die Gräzismen (No. 28). 8) Provinzialis-
mus oder Gallicismus. Es steht fest, dafs Catull mehrere gallische
Wörter zuerst in die römische Litteratur eingeführt hat. Über jjloxenum,
basium wird sorgfältig, wenn auch ohne wesentliche neue Ergebnisse, ge-
handelt. Auch grabatus ist Verf. geneigt für gallisch zu halten 00, 22).
Über salaputium oder salaputtium wagt er kein bestimmtes Urteil, ebenso-
wenig über cuniculus, euniculosus (25, 1; 37, 18).
38. R. Richter, Catulliana. Leipzig. 1881. 26 8. 4. (Pro-
gramm des Königl. Gymnasiums zu Leipzig).
Die Abhandlung beschäftigt sich mit der Anordnung der Catulli-
schen Gedichte 1-60. Verf. geht von den Voraussetzungen aus, dafs
Catull diese Sammlung (den über ad Cornelium Nepotem) selbst edierte
und dafs die Reihenfolge unserer Texte durchweg die ursprüngliche ist.
Die Darstelluug ist fesselnd und geistvoll, die eingestreuten Übersetzungs-
proben (c. 50. 8. 27. 31) gelungen, die Resultate aber, wie das in der
Natur der Sache liegt, problematisch (vgl. Jahresb. d. Phil. Ver. IX
289, Z.f.G.W. 1883). Verf. unterscheidet folgende vom Dichter beab-
sichtigte Gruppen, angeblich mehrfach mit korrespondierenden Schlufs-
gedichten: I) 1—14. cDie Lieder vor XIV b sind ein Ganzes von einer
gewissen berechneten Abgeschlossenheit'. Verf. versucht bis ins Einzelne
nachzuweisen, warum jedes Gedicht gerade diesen Platz erhalten mufste,
und berührt sich hierbei mehrfach mit den Anschauungen von K. P.
Schulze in No. 39. So hält auch er 2, 11 — 13 für den Rest eines die
Sperlingslieder trennenden Gedichtes von anderem Inhalte. Den Grund-
ton der ganzen Gruppe bestimmen die Lesbialieder. — II) 14 b — 36,
Zu Grunde gelegt sind die sechs zusammengehörigen Gedichte an Furius
und Aurelius. Die scheinbar versprengten Verse 14 b sind bestimmt die
Anordnung der Gedichte Catulls. 213
neue Gruppe einzuleiten, eine Gruppe rücksichtslosester Äufserungen
des Übermutes und Unmutes, (horrere weist auf die Möglichkeit von
Widerwillen und Abscheu hin). 'Catull wufste, dafs zum Genufs des
nunmehr Darzubietenden ein anderer Geschmack gehöre als für die bis-
her gereichte Zuckerkost der Sentimentalität'. — III) 37-50. Nr. 14
und 50, die Schlufsgedichte der ersten und dritten Gruppe korrespon-
dieren. Catull schliefst zweimal mit Calvus, beide Male die Gemeinsam-
keit ihrer litterarischen Neigungen und Bestrebungen berührend, c 35
und 36 sind als Bild und Gegenbild zusammengestellt. In der letzten
Partie 51 60 sieht Verf. einen Anhang, eine Nachlese, bestehend aus
den Überbleibseln und Abfällen des bisherigen Einordnungsverfahrens.
Hier ward auch die Ode Ille mi esse deo videtur untergebracht, denn
als Ganzes ist sie wegen der Schlufsstrophe Otium, Catullc ein mifs-
ratenes Gedicht. Textkritische und erklärende Bemerkungen werden
beiläufig zu folgenden Stellen gemacht. 11, 21 respectet soll heifsen:
Nach dem Abfall von mir in der ersten Periode ihrer Lüderlichkeit hat
L. mich immer im Auge behalten, um zu mir , dem scheinbar Getreuen
zurückzukehren, wenn sie des wilden Treibens und meine Nebenbuhler
ihrer müde sein werden; aber auf diesen Rückhalt an meiner Treue, den
sie bisher (ante) zu haben meinte, mag sie verzichten. Zu 30, 5 wird
das quos der Bali empfohlen. 46, 11 diversos. 10, 10 nee ipsis nunc
praetoribus esse. 10, 32 ' Zu paratim ist nur das unbestimmte octo ho-
mines rectos zu ergänzen (ich könnte mir welche anschaffen), statt die
bestimmten acht des Cinna zu suppliereu'. 6, 12 iion ista ipae vales mihi
tacere.
39. K. P. Schulze, Catullforschungen (in der Festschrift des
Friedrichs-Werderschen Gymnasiums zu Berlin). Berlin. Weidmann.
1881. 20 S. im Separatabzuge. 8.
Gegen die gewöhnliche Annahme, dafs Catull die unter seinem
Namen erhaltene Gedichtsammlung selbst veröffentlicht habe, kann man
Bedenken verschiedener Art geltend machen. Besonders läfst sich durch-
aus kein durchgehendes Prinzip der Ordnung aufdecken, denn das von
Wcstphal aufgestellte, von Süfs etwas modifizierte Prinzip der Variatio
('zwei zusammengehörige Gedichte weiden durch ein heterogeues von
einander getrennt') ist nicht für die ganze Sammlung durchführbar. An
einigen Stellen pafst die Theorie, für die Mehrzahl der Gedichte aber
läfst sie uns im Stich'. Verf. stimmt den negativen Ausführungen Brauen
(acta soc. Fennicae. 1863. VII 601 656) bei: Die Widmung an den
Cornelius Nepos kann sich weder auf die ganze Sammlang, noch auch
nur auf sämtliche kleinere Lieder (c. 1—60) beziehen. Bruners posi-
tive Ansicht über drei vom Dichter selbst veranstaltete Sammlungen ist
dagegen zu verwerfen. Vielmehr reichte der dem Nepos gewidmete,
vom Dichter selbst edierte und nach dem Principe der Variatio geord-
214 Ordnung und Herausgabe der Gedichte Catulls.
riete Libcllus nur bis c. 14. Als Epilog desselben ist 14 b anzusehen.
Aufscr dieser Sammlung hat der Dichter keine mehr veranstaltet. Die
Auswahl, welche er in l 14 getroffen hat, können wir nur loben; sie
enthält die schönsten Perlen Catullischer Poesie. Die jetzt bestehende
Anordnung des über Catulli ist wahrscheinlich nicht unmittelbar nach
des Dichters Tode entstanden. Denn die mit den Schicksalen des Dich-
ters wohl vertrauten Freunde werden nicht ein solches Chaos geschaffen
haben. [Vgl. für diese Sätze 0. Harnecker, Phil. R. 1882 No. 10; re-
serviert äufsert sich Ellis Academy No. 497, 368. Dagegen s. Riese
Ausg. S. XXX-XXXII, Baehrens Comm. S. 58—59. H. Magnus Jahresb.
d. Phil. Ver. IX Z.f.d. G.W. 1883 S. 286—289, sowie unten S. 218; s.
auch neuerdings B. Schmidt prolegg. ed. S. LXXXIXf. ] Baehrens'
Sammlung von Parallelstellen zu Catull aus der Ciris wird berichtigt
und ergänzt. In c. 31 ist uterque Neptunus = Meer des Ostens und
Westens [vgl. Jahresb. d. Phil. Ver. VII S. 357]. Catull 64, 139 wird
das in 0 überlieferte Manila durch Ennius Ann. I 34, 51 gestützt.
40. Theodor Birt, Das antike Buch wesen in seinem Ver-
hältnis zurLitteratur, mit Beiträgen zur Textgeschichte des Theo-
krit, Catull, Properz und anderer Autoren. Berlin 1882. Hertz. VII
und 518 S. 8.
Dieses bedeutende, von viel Scharfsinn und Gelehrsamkeit zeugende
Werk hat bekanntlich ebensoviel Beifall wie Widerspruch gefunden.
Schwerlich ist heute schon ein unbefangenes Urteil über das Ganze
möglich. Unter allen Umständen wird Jeder, der die Schicksale der
antiken Autoren von ihrer Edition an verfolgen will, zu den geistreichen
Kombinationen des Verf. Stellung nehmen müssen.
Speziell über die Geschichte und Komposition des uns erhaltenen
Catullischen über wird S. 401—413 gehandelt. Gewichtige Gründe machen
es sehr unwahrscheinlich, dafs diese unsere Catullsammlung im antiken
Sinne ein 'Buch' ist. 1) Es giebt kein anderes antikes Buch, das
aus so ungleichartigen Bestandteilen zusammengesetzt wäre. Niemals
fehlt eine begriffliche Einheit (metrisch-formale, sachliche Einheit, gleich-
mäfsiger Umfang der Stücke). 2) Der Umfang dieses Sammelbuches ist
ganz anormal (2276 Verse). 3) Dieses anormale c Buch' ist obendrein
inkomplet: Kleinere Lücken im Texte, unzweifelhaft verloren gegangene
Gedichte. Eins der letzteren, cein erotisches Gedicht, die Zauberbeschwö-
rungen eines Liebenden enthaltend, ohne Frage eine Nachbildung der
Pharmakeutriai Theokrits, die Plinius hist. nat. XXVIII 19 mit ihm zu-
sammenstellt', wird wie sein Vorbild etwa 166 Verse gehabt haben. 4) Bei
Martial IV 14, XI 6 wird eine Bucheinheit des Catull nach den beiden
ersten Nummern derselben passer Catulli benannt. In ihr konnten
Kunstwerke ernsten uud grofsen Stiles wie c. 63, 64 nicht mit enthalten
sein. Denn Martial vindiziert dem betreffenden Buche den nämlichen
UmfaDg und Herausgabe des über Catulli. 215
Charakter wie seinen Epigrammen; man las es seposita severüate, es war
madidus iocis lascivis und so dem Saturnalienfeste angemessen. Daher
auch das Prädikat teuer. Martials Catullbuch begann also zwar mit
unseren Anfaugsnummern 1, 2 und 3, enthielt aber nicht No. 64 und
die sonstigen Dichtungen verwandten Tones. 5) In dem Widmungsge-
dichte an Nepos spricht Catull selbst von seinem libellus d. li. einer Ge-
dichtrolle mit höchstens 1000 Zeilen, er bezeichnet diesen libellus als
lepidus, nett, drollig, liebenswürdig, er nennt seinen Inhalt migae oder
inejjtiae. ' Dafs man für »Possen« und »Bagatell« auch die Elaborate
seines sauersten Dichterfleifses nehmen würde, dies hat Catull sich ge-
wifs nicht träumen lassen. Das Proöm Catulls ignoriert, wie
Jeder sieht, jedenfalls die Nummern 62 bis 68 sowie die
Pharmakeutriai'. Die Summe dieser Thatsachen führt zu dem nach
Ansicht des Ref. überzeugenden Schlüsse, dafs unsere Sammlung durch
Kontraktion mehrerer normaler CaUillbücher entstanden ist. Die Grenzen
dieser libelH versucht Birt (natürlich bleibt hier vieles problematisch) zu
bestimmen. Catull edierte vier Mouobibla verschiedeneu Inhaltes, a) Ein
poematorum liber ad Nepotem mit über 738 Versen. Das Buch
enthielt die Nummern 1—60. Die Anordnung vieler Gedichte ist noch
die ursprüngliche. Das Bruchstück No. 14 ist vielleicht nur hierher ver-
sprengt und ein Teil des Schi ufs Wortes: so galten Catulls letzte Verse
dem Publikum, die ersten dem speziellen Adressaten Nepos. [Doch vgl.
des Ref. Bedenken Jahresb. d. Phil. Ver. IX, 1883, S. 289]. b) Das
Epyllion Nuptiae Pelei et Thetidis mit 407 Verseu. Ein so grofses
Gedicht findet sich nie als Buchteil. Auch als monobiblos sind die
Nuptiae das Vorbild gewesen für die Ciris, und nicht anders ist die
Smyrna des Cinna, nicht anders werden der Glaukos des Cornificius, die
Jo des Calvus erschienen sein. [Über den Letzteren und seine Jo vgl.
jetzt F. Plessis, Essai sur Calvus, Caen, 1885 S. 23 und sonstj. c) Ein
carminum liber als Miscellanbuch von Gedichten höherer Gattung, in
der Sache an des Properz letztes Buch, in seiner metrischen Mannig-
faltigkeit besonders an die Silvae des Statius erinnernd, enthaltend unter
Separattiteln c. 61, 62,63, 65, 66, 68b die Laodamiastudie, die grofse
Gloritizierung Lesbias', die Nachahmung der Pharmakeutriai, zusammen
etwa 790 Verse, d) Ein Epigrammatum liber, No. 67 — 116 cxcl.
68 b, in welchem sich einige Stücke (wie ja c. 7G lehrt), zum Umfange
kürzerer Elegien ausdehnten. In der Artungleichheit der vier Catull-
bücher, welche eine Buchzählung verschmähte, sieht Birt die Ilaupt-
ursache ihrer Entstellung. In den Noten zu diesen Ausführungen rindet
der Leser noch manche interessante Einzelheiten. Sehr willkürlich wird
über c 54 gehandelt, das Birt in zwei Gedichte zerlegt. In dem Citat
aus c 4 (scholia Berncns. ad Verg. georg. IV 289) versucht Birt eimeto-
rinn statt des überlieferten auetorm (vulg. auctoris). Anklang an 60, 2
bei Apulcius de deo Socr. 12 gui signorum ortus ei obitu» comptrU. In
216 Ordnung der Gedichte Catulls. Prinzip der Variatio.
No. 51 ist das Otium Catulle nicht mit der Supphoübersctzung zu ver-
binden u. a.
Kürzere Behandlung erfährt S. 426-429 die unter Tibulls Namen
überlieferte Sammlung. Diu Excerpta Parisina kennen nur zwei Tibull
bücher. Das dritte Buch gilt als Teil des zweiten. Auch das Altf-rtum
wird nur zwei Tibullrollen normaler Gröfse gehabt haben: Bnöb I zu 820,
Buch II (unser II + III) zu 718 Versen. Die sechs Gedichte des Lyg
damus traten vermutlich in der Weise in den Buchhandel ein, dufs sie
von den Sosii in die noch halb leer stehende zweite Tibullrolle hinten
eingetragen wurden und so zu einem Bestandteile des zweiten Tibull-
buches herabsanken. So ging auch die Autorschaft des Lygdamus sehr
früh auf Tibull über, dessen Name auf dem Protokoll stand. Ovid weifs
noch, dafs nur Delia und Nemesis die Gefeierten seines Freundes waren,
aber das ganze weitere Altertum kennt einen Dichter Lygdamus nicht.
Derselbe Anlafs machte später Nemesiauus' Eclogen zum Eigentum des
Calpurnius. Zu beurteilen, in welcher Form die so disparate Appendix
Tibulliana (unser Buch IV) im Altertum umging, fehlt uns jeder Anhalt.
41. K. P. Schulze, Über das Princip der Variatio bei Rö-
mischen Dichtern, N. Jahrbb. f. Phil. 1885, 857-879.
Verf. verteidigt zunächst das Resultat seiner oben S. 213 — 214f. be-
sprochenen Catullforschungen (' dafs Catullus die ersten 14 Gedichte
unserer Sammlung nach dem Princip der Variatio kunstvoll augeordnet
hat, während in den folgenden Gedichten unseres über Catulli eine der-
artige künstlerische Anordnung sich nicht nachweisen läfst, und dafs wir
deshalb wohl annehmen dürfen, nur l — 14 seien von Catull selbst zu
einem Ganzen vereint herausgegeben worden) gegen den Widerspruch
des Ref. Z.f d.G.W. 1883 Jahresber. IX 8. 286 f. Er versucht sodann
nachzuweisen , dafs auch andere römische Dichter der klassischen Zeit
dasselbe Princip angewandt haben. So sind die Sulpiciaelegien Tib. IV
2 — 6 kunstvoll in der Weise gruppiert, dafs in der zweiten, vierten und
sechsten Elegie Tibull selbst von der Liebe der Sulpicia berichtet, wäh-
rend in den dazwischentretenden drei und fünf der Dichter die Sulpicia
redend einführt. Diese Anordnung rührt jedenfalls von Tibull selbst her,
obwohl die Gedichte erst aus seinem Nachlasse veröffentlicht sein werden.
Im ersten Buche von Tibulls Elegieen, 'das unzweifelhaft vom Dichter
selbst herausgegeben ist', findet Verl' folgendes Schema:
1 divitias alius fulvo sibi congerat auro (Messalla und Delia).
2 adele merum vinoque novos compesce dolores (Delia).
(3 ibitis Aegaeas sine nie, Messalla, per tindas (Messalla und Delia).
4 sie umbrosa tibi contingant teeta, Priape (Marathus).
5 asper eram et bene diseidhnn nie ferre loqucbar (Messalla u. Delia).
6 semper, ut inducar, blandos offers mihi vultus (Delia).
Catull und Tibull. Prinzip der Variatio in de»- Anordnung. 217
7 hanc ceeinere diem Parcae fatalia nentes (Messalla).
8 non ego celari possum, quid mdus amantis (Marathus).
9 quid mihi, si fuerns miseros laesurus amores (Marathus).
10 quis fuit, hurrendos primus qui protulit ense.i?
'So hat auch Tibull in diesem Buch Delia die Gedichte nach dem
Princip der Variatio geordnet'. [? Richtiger: Spuren des Strebens nach
Variatio lassen sich einige Male erkennen. Durchgeführt ist das Princip
offenbar nicht. Das zeigt schon obiges Schema, c. 9 bezieht sich, wie
Verf. selbst betont, auf das vorhergehende Gedicht. Einige Seiten vor-
her hiefs es: 'Die Kunst des Dichters, der seine Lieder herausgiebt,
zeigt sich auch darin, dafs er die Gedichte verwandten Inhalts
nicht einfach plump an einander fügt, sondern sie trennt'.
Übrigens ist das Schema selbst keineswegs unanfechtbar. Das Thema
der fünften Elegie ist nicht 'Messalla und Delia1: Messalla wird nebenbei
in vier Versen als Staffage ländlicher Szenerie erwähnt. Dafs dieses
kurze beiläufige Kompliment für Messalla bei der Anordnung bestimmend
mitgewirkt habe, glaube wer will. Über die Stellung von I 4 vgl. Dou-
cieux, De Tib. am. S. 61 not.: 'Si poeta elegiarum de Delia tractum
ita dividere voluisset, certe in medio el. I 7 collocavisset, quae una per
se constat, non alteros alteris amores permiscuisset'. Wiederum anders
Ribbeck Rh. Mus. 32, 449: Jenes discidiura aber, welches Tibull sich
gerühmt hatte leicht ertragen zu wollen (5, 1), mag durch Eintiechtung
des frechen Priapeums an Marathus (4) angedeutet sein'. Endlich ist
zu konstatieren, dafs die inneren Beziehungen zwischen den einzelnen
Elegien, die Verf. mehrfach treffend nachweist (freilich ist unrichtig, dafs
in c. 2 die ' erste Zeit glücklicher Liebe' geschildert werde), sich ebenso
gut zwischen zusammenstehenden wie getrennten Gedichten linden, dafs
sie auch bei anderer Anordnung vorhanden sein würden, d. h. dafs sie
mit dem Princip der Variatio nicht das geringste zu thun
haben |. 'Im zweiten Buche, das, wie es scheint, vom Dichter anvoll-
endet und noch nicht für die Herausgabe vorbereitet ans seinem Nach-
lasse herausgegeben worden ist, vermögen wir eine derartige kunstvolle
Anordnung der Gedichte nicht nachzuweisen'. [Hierbei bliebe die Frage
offen, ob die Stoffe der Elegieen des zweiten Baches eine ähnliche An-
ordnung wie im ersten Buche gestatteten, ferner ob es dem Dichter oder
dem Herausgeber (Ref. geht auf diese Frage hier nicht ein) auch nur
wünschenswert erscheinen konnte jene einfach zu wiederholen. Ein wohl
bedachter Plan in der Anordnung läfsl sich an verschiedenen Stellen
jedenfalls deutlich erkennen. Liefe sich wohl ein passenderes Gedicht
als 'Ouvertüre' an die Spitze des neuen Buches Stellen, als II 1 mit
seiner anmutigen Schilderung des ländlichen Festes mit seiner begeister-
ten Anrufung des Messalla. der wie ein Gott gebeten wird huc tuUt "</-
spiraque mihi (v. 35). c. 2 und 3 sind nicht nur durch die Person des
218 Catull und Tibull. Prinzip der Variatio in der Anordnung.
angeredeten Cornutus verbunden, sondern stehen durch ihren Inhalt in
wirksamem Gegensätze: hier innige treue Gattenliebe, dort die Herr-
schaft der herzlosen Bnhlerio. Noch deutlicher sind die Beziehungen
von 4 auf 3 (ob sie plump' oder kunstvoll sind, werden freilich Andere
entscheiden müssen). Hatte Tibull in 8 geklagt heu heu divitibus >•;,/,,,
gaudere pvellas und war endlich zu dem Entschlüsse gekommen: Trotz
alledem ducite: ad impf rinnt dominae sulcabimtu fir/rox: non e<jo tat vinclis
verberibusqiu nego, so wird dieses Thema in 4 näher ausgeführt. Vgl.
Hie mihi servitium video dominamque paratam sq.. vgl. 53 — 54 quin eUam
sedes iübeat si venderi avitas, ile aub imperium sub titulumque, lares und
59 - 60- Ob in der Zusammenstellung von 5 und 6 eine bevvufste Ab-
sicht obwaltet, mag dahin gestellt bleiben'. Der Dichter oder der Heraus-
geber mufste eben mit dem ihm zur Verfügung stehenden, etwas dispa-
raten Materiale rechnen. Dafs innere Beziehungen zwischen beiden Ge-
dichten nicht fehlen, ist offenbar. Vgl. 5, 105 sq. pnee tun pereant arcus
jyereantqve sagittae, Phocbe . modo in terrin erret inermis Amor, ars bona:
sed postqtcam sumpsit sibi tcla Cupido sq. mit 6, 1 Castro. Macer sequitur:
tenero quid fiet Amorit Sit comes et collo fortiter arma gerat? . . . cum telis
ad latus ire volet.] 'Ebensowenig hat der Nachahmer Lygdamus es ver-
standen seine Gedichte so kunstvoll zu ordnen, obwohl sich hier eine
beabsichtigte Aufeinanderfolge der Gedichte nicht verkennen läfst'. [c. 5
gehört offenbar gar nicht in den Cyklus. Gehörte es hinein , so müfste
es hinter 2 stehen]. 'Ebensowenig ist in den Elegien der Sulpicia
(IV 7 — 12) eine bestimmte Anordnung zu erkennen'. [? Auf der fol-
genden Seite heifst es: 'Die Gedichte der Sulpicia sind übrigens
chronologisch geordnet']. Gemäfs demselben Prinzipe ordneten
angeblich auch Horatius [Angewandt hat Horaz das Prinzip wohl, aber
keineswegs durchgeführt. Gerade darum dreht sich aber der Streit.
Vgl. übrigens gegen die Überschätzung der Variatio bei Horaz auch
Th. Kock Rh. Mus. 1886, 315], Vergilius in den eclogae, Propertius
im letzten und vor Allem im ersten Buche, über das eingehend ge-
handelt wird. 'Von deu alten aber lernten es unsere klassischen Dichter'.
Für die Anordnung von Herders Volksliedern und Goethes Gedichten
werden im Anschlüsse an diese Behauptung manche interessante aber
der Theorie des Verf. nicht selten widersprechende Einzelheiten angeführt.
Wenn Ref. noch kurz auf die recht unnötig gereizte Polemik
gegen seine Person zurück kommt, mit der Verf. seine Arbeit ein-
leitet, so geschieht das lediglich im Interesse der Sache. Zunächst
mufs Verwahrung eingelegt werden gegen eine Verdunkelung des That-
bestandes. Wer die gegen ihn gerichteten Bemerkungen liest, mufs
glauben, er habe behauptet das Prinzip der Variatio sei den römischen
Dichtern unbekannt. Er hat gesagt, die variatio sei nicht das ein-
zige Prinzip, das die römischen Dichter bei der Anordnung anwandten,
es sei daher auch nirgends konsequent durchgeführt. Diese Ansicht
Ordnung der Gedichte Catulls. Prinzip der Variatio. 219
ist durch die besprochene Abhandlung durchweg bestätigt
(in dem kleinen Sulpiciacyklus, wo abwechselnd der Dichter und das
Mädchen reden, liegt ja ein ganz eigenartiger Fall vor). — Verf. sagt:
Es handelt sich nicht um ein starres logisches Verfahren, um eine Ab-
wechslung in dem Sinne, wie beim Marschieren auf den linken Fufs
immer der rechte folgt'. Ref. konstatiert mit Genugthuung, dafs diese
Worte einen Fortschritt gegen den Standpunkt der ' Catullforschungen'
(nach denen auf S. 5 das Prinzip der Variatio darin bestand, dafs immer
'zwei offenbar zusammengehörige Gedichte durch ein dazwischen gescho-
benes getrennt sind' und zugleich eine erfreuliche Annäherung au den
Standpunkt des Ref. bezeichnen, der S. 288 ausdrücklich sagte: 'Das
Streben nach einer anmutigen ungezwungenen Mannigfaltigkeit ist in der
fraglichen Gruppe unverkennbar'. Aber freilich hat sich Verf. die Trag-
weite seines Zugeständnisses nicht völlig klar gemacht. Mit ihm
fällt nämlich der ganze Beweis für die Sonderausgabe von 1 — 14, soweit
er auf das Prinzip der Variatio gestützt ist. Denn Gruppen, wo sich
die Variatio in dem Sinne gefafst, den jetzt Verf. übereinstimmend mit
dem Ref. annimmt, erkennen läfst, giebt es mehrere, wie Westphal, Süfs
und R. Richter gezeigt haben. Verf. behauptet zwar Westphals Versuch
auch in andern Gruppen das Prinzip der Variatio nachzuweisen in seinen
Catullforschungen widerlegt zu haben. Mit dieser Behauptung vergleiche
man S. 5 der citierten Abhandlung, wo zugegeben wird, dafs Westphals
Prinzip auf folgende Gedichtpaare passe: 16, 21, 23; 37 und 39; 41 und
43; 69 und 71; 70 und 72; 107 und 169. Vgl. Catullforschungen S. 16:
' Wir finden zwar auch sonst Spuren desselben Prinzips der Anorduung
wie in den ersten vierzehn Gedichten'. Dazu lassen sich vielleicht 35
und 36 u. a. fügen. Irrig war allerdings Westphals Versuch, das Prinzip
durch die ganze Sammlung durchzuführen — darin mufs mau dem
Verf. beistimmen. (Vgl. Ilarnecker Progr. 187'.) S. 6.) Nur glaube mau
darum nicht, Catull sei seinem Plane aus Nachlässigkeit untreu' ge-
worden, oder habe ihn gar 'verlernt'. Er hat eben mit vollem Bewußt-
sein nach mehreren Prinzipien geordnet. Das ist auch eine Variatio!
Auf ein zweites derartiges Prinzip hat bereits Süfs aufmerksam gemacht.
Verwandte Gedichte werden bisweilen zusammengestellt um sich gegen-
seitig zu erklären und zu ergänzen. Ich vergleiche besonders c. 2. u, 3,
15 und 16, 24 und 25 (wir wissen nun, wer Thallus ist), 41—43 (Schwer-
lich kann über die Person der moecha in 42 noch ein Zweifel sein)
87 und 76, 95 und 95'', 97 und 98. Über die planmäfsige und sweck-
entsprechende Ordnung der Epigramme auf Gellius s. Rettitj Catulliana III
S. 9. Verf. selbst bemerkt N. Jahrbb. 1887, 640, auch bei Martial finde
sich häufig Trennung von zwei Gedichten durch ein dazwischen tretendes
heterogeues und belegt diese offenbar rieh t i _r- * Beobachtung mit fünf Bei-
spielen. Dann fährt er fort: 'Mitunter treten zwei andere dazwischen3
(5 Beispiele!). Bisweilen stehen zwei Gedichte verwandten Inhalts neben
220 Ordnung der Gedichte Catulk Prinzip der Variatio.
einander (12 Beispiele!), auch drei und vier' (4 Beispiele!). Das ist die
Variatio, die Ref. auch für Catull annimmt. Ausdrücklich sei übrigens
anerkannt, dafs diese Erwägungen noch kein Beweis für die Identität
des libellus ad Nepotem mit c. 1 — 60 sind. Sie lehren nur, (tafe die
angeblich vermifste Ordnung der Gedichte nicht etwa den Gegenbeweis
liefert. Wie steht es denn nun mit der Variatio in 1 14V Ref. hatte
darauf hingewiesen, dafs in c. 7 und 8 zwei Lesbialieder nebeneinander
stehen und dafs somit das Schema der Variatio im engeren Sinne nicht
durchgeführt sei. Verf. repliziert: Ich habe Dachgewiesen, dafs diesen
beiden Lesbialiedern zwei Lieder heterogenen Inhalts zur Seite stehen:
so plump, wie es von Magnus geschieht, ist das Prinzip der Variatio
allerdings nicht aufzufassen'. Zu dieser Auffassung hat aber leider Verf.
selbst den Anlafs gegeben. Auf S. 5 und 13 seiner Catullforschuugen
und sonst erklärt er sich mit Westphals Prinzip Zwei zusammenge-
hörige Gedichte werden durch ein heterogenes voneinander
getrennt', soweit es sich auf 1-14 beziehe, einverstanden. Nirgends
deutet er, wie oben gesagt, in den Catullforschungen an, dafs er unter
dem Prinzipe der Variatio etwas Anderes verstehe. Sodann hätte er
[Ref.] nicht sagen sollen, dafs auch in 2 und 3 zwei Lesbialieder neben
einander stehen; will sich Magnus durchaus nicht belehren lassen, dafs
nach dem Ausweis unseres besten Catullcodex die Verse c 2, 11 — 13 vom
zweiten Gedicht abzusondern sind'? Nein, er will nicht! Nach Catull-
forschungen S. 13 steht im cod 0 bei tarn am Rande ein Zeichen V,
welches, wie öfter, wenn kein Zwischenraum gelassen ist, den Anfang
eines neuen Gedichtes andeutet'. Aber dieses Zeichen kennt hier weder
Baehrens, noch Ellis, noch Schwabe in seiner neuesten auf eigene Kollation
gestützten und von peinlicher Akribie zeugenden Ausgabe. Ja Letzterer
bemerkt sogar ausdrücklich zu 11 13 cohaerent cum praecedentibus V.
Vgl. damit Schwabe2 praef. S. IUI unten. Verf. darf hiernach nicht
beanspruchen, dafs man seiner Beobachtung besonderen Wert beimifst.
Ist das Zeichen am Rande wirklich vorhanden, so wird es von jüngerer
Hand herrühren und deutet auf das schon von den Itali ( vgl. Lach-
mann z. St.) bemerkte Vorhandensein einer Lücke hin. Auf die Frage,
ob die Verse 11 — 13 zu c. 2 gehören müssen, soll hier nicht eingegangen
werden. Ref. konstatiert nur, dafs Verf. lediglich um zu verhüten, dafs
in c. 2 und 3 zwei Lesbialieder neben einander stehen und so die Variatio
wiederum unterbrochen wird, sich gezwungeu sieht 1) Die vv. 11-13 von
c. 2, zu dem sie nach dem einstimmigen Zeugnisse der Handschriften
gehören, zu trennen und für ein herrenloses Fragment zu erklären,
2) ohne ein Wort der Begründung als feststehend anzunehmen, dieses
angeblich zwischen die beiden Lesbialieder tretende Gedicht, von dem
nur drei Verse erbalten sind, sei nicht etwa ein Gedicht verwandten,
sondern unbedingt heterogenen Inhaltes gewesen. Ref. hatte ferner
darauf hingewiesen, dafs, unvereinbar mit der Variatio, in 12 — 14 drei
Ordnung der Gedichte Catulls. Prinzip der Variatio. 221
Gedichte verwandten Inhalts an Bekannte zusammengestellt seien. Verf.
hat darauf nicht geantwortet. Doch sei nicht verschwiegen, wie er (in den
Catullf.) die Variatio dadurch gewahrt rindet, dafs in c. 13 ein Mädchen
erwähnt wird (v. 11 meae puellae), in 12 und 14 dagegen nicht!! Ref.
hält also an seiner Behauptung fest: Spuren des Strebens nach einer
ungezwungenen Abwechslung sind in 1-14 an einigen Stellen erkennbar
ebenso gut wie in andern Gruppen der Sammlung, durchgeführt ist das
Prinzip hier ebensowenig wie dort. Gegen die Bemerkung des Ref.
1 — 14 könne nicht figurieren als Auswahl des Besten, was der Dichter
überhaupt zu geben hatte, und den Hinweis auf die Mittelmäfsigkeit
von c. 10, 12, 14 wendet Verf. lakonisch ein: ' Derartige ästhetische Be-
denken sind nichtig. Was für Gründe den Dichter bewogen haben mögen,
diese Gedichte gerade mit in die Sammlung aufzunehmen, läfst sich nicht
erraten'. Damit erklärt er also auch seine Behauptung Catullf. S. 14.
'DieAuswahl, welche derDichter getroffen hat, können wir
nur loben; sie enthält die schönsten Perlen Catullischer
Poesie* für nichtig. Übrigens ist die Bemerkung nicht zutreffend. Sie
würde es hier nur sein, wenn uns die Sonderausgabe von 1 — 14
durch den Dichter als solche überliefert und ausdrücklich
bezeugt, wenn jenes Bedenken das einzige wäre, das sich geltend
machen liefse. Ästhetische Rücksichten haben in der Kritik sicherlich
einen Platz, wenn auch nicht den ersten und einzigen. Worauf beruht
denn zum grofsen Teil die höhere Kritik Homers? Warum verwirft die
Kritik den Panegyricus Messallae als unecht? Auf die Frage des
Ref.: 'Ist es denkbar, dafs in Catulls Nachlafs sich die heutige auMoyr}
mit Ausschlufs von 1 - 14unediert vorfand?', giebt Verf. eine gewundene Ant-
wort die auf ein Ja' herauskommt. Die Zeit wird lehren, ob ihm in dieser
Annahme Jemand folgen wird oder nicht. - - Auf den Einwurf des Ref.,
c. 14 b passe wegen des Ausdrucks non korrebitis durchaus nicht als
Epilog zu der angeblichen Auswahl, antwortet Verf.: Einmal ist das
Gedicht unvollendet [? unvollständig erbalten?]; wir wissen demnach
nicht, was Catull sagen wollte'. Wenn Verf. das glaubt, konnte er es
ebensowenig als geeigneten Epilog ansehen. Dann i-t es eine unbe-
kannte Gröfse, die aus der Rechnung ausscheiden mul's. Indessen steht
die Sache nicht so. Man kann ergänzen wie man will (es ist nach An-
leitung von c. IG und Martial I l nicht schwer zu erraten, was Catull
ungefähr sagen wollte) non horrebilis bleibt unangemessen. Die folgende
Äufserung 'die Worte scheinen in scherzhafter Übertreibung vom Dichter
gebraucht zu sein' darf man wohl auf sich beruhen lassen. Vielleicht
auch befürchtete er, dafs zartere Seelen an etwas derberen Stellen wie
c. 6, 4—14; c. 10; c. li, l7 — 2o Anstofa nehmen Konnten. Dafs er
damit Recht hatte, lehrt C. 16'. Mau lese die eitierten Stellen, man
lese was Catull sonst an Derbheit sich erlaubt bat. man erwäge, was
für Licenzen die Dichter und Leser erotischer Poesieen im damaligen
222 Ordnung der Gedichte Catulls. Priuzip der Variatio.
Rom für gestattet hielten, und man ermesse danach die Wahrscheinlich-
keit dieser Annahme. Und ist es gestattet c. 16 angesehen von der An-
spielung auf 6, ohne Weiteres auf die vorhergehenden Gedichte 1 — 14
zu beziehen? Eine andere Verteidigung des manusque veatraa uon horre-
MUß admovere nobis, auf das Vorhergehende bezogen, hätte sich eher mit
einem Scheine des Rechten versuchen lassen: Heyse übersetzte mit un-
ziemlicher Hand mich anzutasten'. Dafs aber auch sie unzulässig ist,
zeigt einmal der Ausdruck ai gut lectorea eritis, durch den das manus admo-
vere ergänzt wird, und dann der feststehende Sprachgebrauch: Ov. Met. X
254 manus operi temptantes admovet. X 510 Lucina admovit manus.
XV 218 artifices natura manus admovit', vgl. Ov. Met. XIII 403. XI 115.
Heroid. XX 194. Aa. III 134. ex P. I 3, 16. Tibull II 1, 10. Priap. 15, 2
non modestas manus afferre agello ist natürlich nicht heranzuziehen. Wo
existiert aufserdem in der antiken Litteratur ein so winziger Libellus
vermischter Gedichte (es wäre etwas Anderes, wenn es sich um eine
monobiblos oder um einen zusammenhängenden Cyklus wie die Sulpicia-
elegien handelte) noch dazu grofsartig ausgestattet mit Prolog und Epi-
log? Er ist meines Wissens in der römischen Litteratur nicht nachweis-
bar. Und ein solches Unicum sollte Catullus in seiner letzten Lebens-
zeit (vgl. c. 11) zusammengestellt haben, als er sein Pult voll (z. T. sehr
wertvoller) Lieder hatte, genügend um mehrere libelli des gewöhnlichen
und feststehenden Umfanges zu füllen? - Verf. beschwert sich end-
lich, dafs Ref. a. 0. auf andere Erwägungen, die seine Ansicht angeb-
lich stützen, nicht eingegangen sei. Das darin liegende Ansinnen ist un-
billig. Wie soll es in einem Jahresberichte möglich sein jede Erwägung,
jede Beweisstelle eines Autors anzuführen und event. zu widerlegen?
Doch sei einmal eine Ausnahme gemacht. Verf. fragt: 'Wie erklärt M.
es, wenn Catull c. 1-60 zusammen herausgab, dafs er Epigramme gegen
Cäsar in seine Sammlung mit aufnahm, mit dem er sich doch ausgesöhnt
hatte? ' Ist es denn aber so ausgemacht, dafs die Aussöhnung mit Cäsar
der Edition des dem Cornelius Nepos gewidmeten libellus zeitlich voran-
ging? Catull starb nach der gewöhnlichen Annahme i. J. 54 (nach Baeh-
rens Comm. S. 40 sogar 'anno 54 ineunte'), die Versöhnung mit Cäsar
setzt Schwabe quaest. Catull S. 237 cintra menses anni 700/54 priores'.
Aus 11 , 10 ist natürlich nicht zu folgern, dafs die Aussöhnung schon
vorangegangen war (vgl. 29, 11. 54, 7). Doch sehen wir einmal von dieser
Möglichkeit ab. Glaubt man im Ernste von einem so furchtlosen, so
selbstbewufsten und von dem Werte seiner Poesieen durchdrungenen, oft
leidenschaftlich unklugen Dichter, er werde gerade diejenigen beiden
Gedichte, die ihn nicht zum mindesten berühmt gemacht hatten, aus
denen geflügelte Worte von Mund zu Mund gingen (socer generque, per-
didistis omnia!), nämlich c. 29 und 57 (denn um diese beiden handelt es
sich nur) bei der Herausgabe unterdrücken, blos weil er befürchtete
Cäsar könne sich sonst ärgern? Cäsar war berechtigt zu fordern, dafs
Ordnung der Gedichte Catulls. Prinzip der Variatio, 223
Catull nach der Versöhnung seine Angriffe gegen ihn einstelle, aber zu
verlangen, dafs Catull zwei seiner bekanntesten Gedichte, die Jedermann
halb auswendig wufste, ausmerze, dazu war er zu klug. Denn durch ein
solches Ansinnen hätte er sich lächerlich gemacht, mochte sich nun Catull
fügen und jeder Leser, der nicht fand was er suchte, seine boshaften
Glossen über Cäsars Empfindlichkeit machen, oder nicht (und das letz-
tere ist bei Catulls Eitelkeit und seinem bittern Hasse gegen Mamurra,
auf den doch in erster Linie beide Gedichte gemünzt waren, wahrschein-
licher). Der alte Fritz liefs ein gegen ihn gerichtetes Pasquill niedriger
hängen — soll man von dem grofsen Cäsar geringer denken? Also:
freiwillig liefs Catull diese Gedichte nicht weg; das ging gegen seine
Natur. Und Cäsar hätte es nimmermehr durch Schmeicheleien oder
Drohungen zu erreichen gesucht, denn er hatte als eminent praktischer
Staatsmann an der Unterdrückung gar kein Interesse. Die Gedichte
waren einmal da und hatten ihre Wirkung längst gethan. Jetzt konnten
sie keinen Schaden mehr anrichten. Summa: Weder dem Angreifer noch
dem Angegriffeneu gereicht es zur Unehre, dafs wir c 29 und 57 in dem
libellus an Nepos nicht vergeblich suchen. (Vgl. auch Baehreus comm.
S. 58). — Verf. fragt endlich: 'Wie erklärt er [Magnus] c. 16, 13 legistisf
Die Frage ist seltsam. Waren denn diese kleinen Gedichte nur
mündlich verbreitet worden V Wird sich nicht gar Mancher, dem sie
gefielen, eine Abschrift genommen haben. Warum sollten sie denn Furius
und Aurelius nicht gelesen haben? Man hört oder liest irgendwo ein
hübsches Gedicht, man schreibt es sich ab, diese Abschrift wird von
einem andern Liebhaber wieder kopiert u. s. w. Die zudringlichen
Burschen konnten ja sogar die Liedchen in des Dichters Schreibtafel
gesehen haben. Man denke nur an das zornige redde codicillos in 42!
Ref. hat die skizzierte Abhandlung mit Interesse, mehrfach auch
(besonders in ihrem letzten Teile) mit Beifall gelesen. Jedoch Anlaß
seine früher ausgesprochenen Ansichten wesentlich zu modifizieren, hat
er nicht finden können. Er sieht im Gegenteil in der Arbeit
einen sehr erwünschten Kommentar zu seinen Behauptungen.
Mit welchem Rechte, mögen noch einige Citate erweisen. Ref. hatte a. 0.
S. 287 und 288 betont, dafs ebensowenig wie Catull andere Dichter bei
der Anordnung ein bestimmtes Prinzip, auch nicht das der Variatio*),
streng schematisch von a bis z durchführten, sondern dafs die verschie-
densten Prinzipien wie Rücksicht auf Abwechslung (variatio), Chrono-
logie, Metrum, Zusammenstellung von Gedichten verwandten Inhaltes behufs
gegenseitiger Erläuterung, der Wunsch einerseits mit einigen gelungenen
*) Vgl. jetzt E. Reisen, Properzatudien, Wiener Btudien 1887 S. i;;o
Anm.: In Wirklichkeit nimmt dieses banausische Prinzip [der Variatio], dessen
Bedeutung man so einseitig zu betonen liebt, unter den verschiedenen Ge-
sichtspunkten, welche bei nichtchronologischer Ordnung für den Dichter nafih
gebend sind, nur eine ganz untergeordnete Stellung ein'.
224 M. Haupt als Catullerklflrer.
Gedichten als dp%ofi4vou ipyou npötratnov TyAauydc zn beginnen, anderseits
nach einer Reihe unbedeutender Verse wieder einen glänzenden Beweis von
Können zu gehen, nach freiem Belieben zur Anwendung kommen. Da-
mit vgl. folgende Sätze der Abhandlung. 'Die erste an Messalla ge-
lichtete Elegie ist recht, eigentlich eine Ouvertüre Tibullischer Poesie,
welche die beiden Lieblingsthemata seiner Dichtung, das Liebes- und das
Landleben umfafst. Die hier angeschlagenen Klänge werden dann im
Folgenden fortgeführt und anmutig variiert1. ' Diese Untreue wird in
den beiden folgenden Marathuselegien 8 und 9 näher begründet \ So
wechseln in den zehn ersten Gedichten des zweiten Buches der Oden al-
cäische und sapphisebe Strophen regelmäfsig ab' |aber weiter nicht!]
Doch ist es fraglich, ob Properz dieses Buch, wie es uns vorliegt, selbst
zusammengestellt hat' [die gefundene Variatio würde also vom Heraus-
geber herrühren) 'Wir lesen in dem Gedicht von der Liebe zu Cynthia
und von der Freundschaft mit Tullus, und darum bildet es sehr passend
den Anfang der Sammlung, obwohl es der Zeit nach sicher nicht das
erste ist'. 'Die Gedichte des ersten Buches sind mit Ausnahme des
ersten chronologisch geordnet'. ' Dazwischen aber treten wieder der Variatio
zu Liebe die Elegien 11 und 12'. Herder ordnete seine Volkslieder
nach dem oben erwiesenen Prinzip: Verbindung des in Stimmung und
Wirkung Gleichartigen u. s. w.\ 'Um ein Lied, in dem sich der höchste
Grad einer Empfindung darstellt, sind Lieder verwandter Stimmung
gruppiert; bisweilen folgt, wenn in einem Liede die Woge des Gefühls,
der Leidenschaft den Höhepunkt erreicht hat, sofort der ausgleichende,
beschwichtigende Gegenschlag'. 'Gedichte mit gleichem Motiv, werden
nicht nur an einander gefügt, sondern ihre Zusammengehörigkeit auch
dadurch kenntlich gemacht, dafs sie im Buch einander gegenüber stehen'
u. s. w.
Es mögen sich hier anreihen die Beiträge zur Literaturgeschichte.
42. Chr. Beiger, Moriz Haupt als aca demischer Lehrer.
Berlin. 1879. Weber.
Unter Haupts Vorlesungen nahmen bekanntlich die über Catull eine
hervorragende Stelle ein. Das Lob dieses liebenswürdigen Dichters in
begeisterten Worten aus so beredtem Munde strömend hat bei manchen
Zuhörern (zu denen Ref. zählt) Eindrücke hinterlassen, die nur mit dem
Leben vergehen. Ohne Zweifel hat Beiger sich grofses Verdienst er-
worben, wenn er S. 238—246 alles Wesentliche aus der Einleitung,
die Haupt seiner Interpretation voran zu schicken pflegte, mitteilt. Nur
glaube man nicht, das diese Ausführungen das lebendige Wort des
Meisters im Entferntesten ersetzen. Haupt sprach hier über Ca-
tulls dichterische Eigenart, seine Stellung zu den Alexandrinern, Di-
gressionen, sein Verhältnis zu Lesbia u. a. Im Einzelnen sind hervor-
zuheben die Bemerkungen über c. 68, obwohl nicht alle streitigen
Darstellungen von Leben und Werken Catulls (Nettleship). 225
Punkte mit voller Klarheit und Schärfe beleuchtet werden. Unter diese
gehört z. B. Folgendes 'M'. Allius ist von einem Mifsgeschick befallen
worden , das als ein Liebesunglück deutlich bezeichnet ist'. — Zu Catull
7, 11 sprach Haupt (Beiger S. 104) über den alten Volksglauben, dafs
Zählen Unheil bringe. Über das Adjektiv nulla statt des Adverbs bei
Catull 8, 14 s. S. 95. Über 11, 24 s. S. 133: 'fractus ist elend, matt
und schwach; tactus hingegen sinnlich und stark (denn es steht mit ultimi
prati in einer Anschauung'. Sehr lesenswert ist auch S. 157 der Ab-
schnitt über die Gleichnisse bei Catull 68, 53 f. (wo auch die freilich
nicht unbedingt notwendige Konj. sensim in v. 60 glänzend verteidigt wird).
Die zerstreuten und zum teil sehr schwer zugänglichen Abhand-
lungen Haupts zu Catull und Tibull liegen jetzt vereinigt vor in den drei
Bänden der Opuscula Mauricii Hauptii (Leipzig, Hirzel, 1875 bis
1876), einer wahren Fundgrube für die Kritik und Erklärung nament-
lich des ersteren Dichters. Hin und wieder (z. B. I S. 9, 35, 84 u. sonst)
hat der Herausgeber Wilamowitz sehr wertvolle Mitteilungen aus Haupts
Vorlesungen beigegeben. Vgl. R. Richter in dieser Zeitschr. 1876 II S. 330.
43. H. Nettleship, Catullus. (Separatabdruck aus Fortnightly
Review, May, 1878. In Lectures and Essays by Henry Nettleship.
Oxford. 1885. Clarendon Press. S. 84—96).
Eine knappe Skizze, in manchen Beziehungen unvollständig, aber
mit Geist und Sachkenntnis geschrieben. Die Einleitung macht auf die
Fruchtbarkeit an litterarischen Produkten aufmerksam, welche, die mit
146 beginnende und bis in den Beginn der christlichen Ära reichende
Periode der römischen Geschichte auszeichnet. Studium der griechischen
Litteratur geht Hand in Hand mit Ausbildung der Muttersprache. Cha-
rakteristisch ist ferner die grofse Rolle, welche Nichtrömer im litterari-
schen Leben dieser Zeit spielen. (Cicero, Catullus, Cornelius Nepos u. a.).
Das Leben des Dichters wird nach den gewöhnlichen Darstellungen er-
zählt. Kritische Analysen einzelner Gedichte werden nicht gegeben. Im
Anschlüsse au Munro wird davor gewarnt, Catulls Invektiven gegeu
Cäsar übertriebene Bedeutung beizulegen, werde mau doch auch den
modernen Staatsmann nicht nach seinem Portrait im Punch beurteilen.
Das Verhältnis Ciceros zu Catullus ist entschieden nicht richtig aufge-
fafst. Auf S. 92 heifst es: 'In politics his friends and eneniies are ou the
whole those of Cicero; his friends are Calvus, Sextius and Horteusius. his ene-
mies Piso, Vatinius, Clodius, and Julius Caesar himself. [Jnd weiter
auf S. 95: His style in poetry is very analogons to the prose style of
Cicero, with whom, though the orator was soine twentv years his senior,
Catullus was probably on terms of greal friendship' Hier hätten doch
für den Wiederabdruck der Skizze die einschlägigen Arbeiten von 0. Har-
necker (namentlich der Aufsatz 'Cicero uud Catullus' Piniol. XLI
S. 465 f.) benutzt werden müssen. Einige kürzere Gedichte sind in der
Jahresbericht für Alterthumswissenschaft LI. (1887 II I 15
226 Catulls Leben und Werke (nach Martini, Stocchi).
wohlgelungenen Übersetzung von Ellis mitgeteilt. Auf S. 90 wird 85, 1
in folgender Fassung zitiert: odi et amo: <mr id fiat fortasse requiris.
Woher stammt dieses cur id fiat statt des überlieferten quare id faciam.
Oder liegt vielleicht ein einfacher Gedächtnisfehler zugrunde V
44. Caio Valerio Catullo. Monografia di Feiice Martini.
Parma. Battei. 1880. XVII und 79 8. 8.
Verf. behandelt im ersten Teile seiner Schrift i carmi di Catullo in
rapporto coi fatti della sua vita' und bespricht hier u. a. die Lesbia-
Clodiafrage im Anschlüsse an Schwabes quaestiones Catullianae. Der
zweite kürzere Teil ist überschrieben critica letteraria'. Er will nach
S- 45 cscoprire in aleuni de' carmi di lui quali fossero il suo gusto e
le sue opinioni in fatto di poesia' . Hier wird z. B. gesprochen über
Ciceros Verhältnis zu Catull im Anschlüsse an c. 49, über attizistische
und asiatische Beredtsamkeit, über die poetae novi. An einigen Beispielen
zeigt Verf. 'questo felice aecordo della forma metrica e dell' argomento '.
Die zitierten Gedichte resp. Verse werden gewöhnlich ins Italienische
übersetzt.
Die kleine Skizze ist (soweit Ref. das zu beurteilen vermag) nicht
übel geschrieben und scheint wohl geeignet das Interesse für Catull in
Italien zu fördern. Deutschen Lesern ist sie nicht zu empfehlen, da
ihr Inhalt ganz aus Schwabes quaestiones, Westphals bekanntem Buche
und Ribbecks kleiner Schrift über Catull geschöpft ist (aufserdem wird
nur Heyses Übersetzung noch bisweilen zitiert). Übrigens zeigt das
Titelblatt zwar die Jahreszahl 1880, am Ende des Buches steht aber die
Notiz 'Pisa, 1 Giugno 1874'.
45. Vita e carmi di C. Valerio Catullo. — Indagini storico-
critiche di Giuseppe Stocchi. Firenze. Tipografia della gazzetta
d' Italia 1875. 149 S. 8.
Die Arbeit ist in ihrer ganzen Anlage der eben besprochenen
ähnlich, doch gründlicher und selbständiger. Namentlich die chronolo-
gischen Untersuchungen des zweiten Teiles werden auch in Deutschland
von Bearbeitern der einschlägigen Fragen wenigstens beachtet werden
müssen, obwohl sie auf sehr unsicheren Voraussetzungen beruhen. Zwar
der erste Teil cLa vita di Catullo' ist mehr feuilletonistisch gehalten,
wie schon die Kapitelüberschriften l'idillio, il dramma, la catastrofe zeigen.
Zahlreiche Stellen sind ganz im Stile einer Novelle gehalten. Oder
könnte man vermuten, dafs folgender Passus einer kritischen Unter-
suchung angehöre: Nel palazzo appunto dei Manlii, una sera dell' anno
694 di Roma s' incontrarono per la prima volta un giovane provinciale,
che il padrone di casa avea condotto a Roma dalla Verona nativa, e una
tra le piü belle, se non la piü bella addiritura, e tra le piü pericolose dame
della cittä eterna'. Auf S. 13 heifst es von der lüderlichen Dirne
Catulls Leben. Verhältnis zu Lesbia. 227
des c. 32 :' La povera Ipsitilla, la fanciulla veronese, che da lontano sospirava
per il suo Catullo . . fu in un instante dimenticata, e dimenticata per sempre'.
Sentimentale und unwahre Phrasen! - Im ersten Kapitel des zweiten
Teiles (der indagini critiche') spricht Verf. für die rIdentitä di Lesbia
con la Clodia quadrantaria im engen Anschlüsse an Schwabes Quaestio-
nes und Baekrens' Bemerkungen in den Analecta Catulliana. Den Auf-
satz von K. P. Schulze in der Zeitschrift für Gymnasialwesen 1874 kennt
er anscheinend nicht: überhaupt sind ihm die deutschen Fachzeitschriften
fast fremd. Das wenige Neue, das dem Ref. aufgestofsen ist, scheint
unwesentlich. Properz' Worte Lesbia quis ipsa notior est Helena werden
mit Ciceros Worten (pr. Cael. XIII 31) zusammengestellt c. . cum Clodia,
muliere non solum nobili sed etiam nota\ Catulls 'quos simul complexa
tenet trecentos' ist angeblich ' la versione poetica della fräse cicero-
niana' (nämlich Omnes semper amicam omnium potius quam cuiusquam
inimicam putaverunt' pr. Cael. XIII 32). Catulls glubit magnanimos Remi
nepoies in c. 58 wird zusammengestellt mit Ciceros (ib. XXI 52) >>po-
liatricem ceterorum. Anderes ist noch schwächer. Unter der Ariadue
des c. 64 ist angeblich Lesbia dargestellt. Von ihr also heifst es v. 91
non prius ex ille flagrantia declinavit lumina, Cicero spricht in der Cae-
liana von Clodias flagrantia oculorum — folglich Clodia = Lesbia! Lesbia
'furtiva dedit mira munuscula nocte\ ebenso pflegte Clodia nach Cicero
zu suchen 'solitudinem ac teuebras atque haec flagitiorum iutegumenta'Ü
— Kap. II II carme 68 b c la morte del fratello di Catullo'. In dem
Verhältnisse Catulls zu Lesbia werden 5 Perioden unterschieden: 1) amore
ricambiato e felice, 2) dubbio intermittente, 3) adiramento, 4) riconcilia-
zione, 5) distacco irrevocabile. Verf. beginnt mit 68, 41 gleich vielen
Andern ein neues Gedicht. Er versucht (S. 68 f.) den Nachweis, dafs
der als 68b bezeichnete Teil dem sogenannten 68a zeitlich vorangehe.
Das letztere ist verfafst während der letzten Periode nach dem defi-
nitiven Bruche zwischen Catull und Lesbia (vgl. besonders v. 27 — 30,
v. 2 im Gegensatze zu 157—158). Dagegeu 68b ist verfafst in der
vierten Periode (riconciliazione) d. h. im Ausgange d. J. 696/58 (oder
im Beginne d. J. 697/57). Jeder Versuch es in einer andern unterzu-
bringen begegnet unüberwindlichen Schwierigkeiten. Die heutige ver-
kehrte Stellung in den Handschriften mag daher kommen, dafs die
ersten Verse von 68 a scheinbar einen leidlichen Anfang, die letzten von
68 b scheinbar einen leidlichen Schlufs der als Ganzes gedachten Elegie
bildeten. — Zu demselben Resultate kommt Verf. im dritten Abschnitte
la lettera a Ortalo e la traduzione della Chioma di Berenice'. Aus
v. 17 18 ne tua diota vagis nequiquam credita ventis Effluxisst tneo fortt
putea un'nno wird gefolgert, zwischen dem Versprechen und der Er-
füllung liege ein beträchtlicher Zeitraum die lange dritte Periode
von Catulls Liebe- Jedenfalls gehöre c. 86 nicht in die eiste oder zweite
Periode, in welcher der tändelnde Dichter sicherlich nicht so künstliche
15*
228 Catulls Lesbia. Chronologie des c. 68 nach Stocchi.
und gelehrte Arbeiten wie die Übersetzung der coma Berenices verfafst
habe, in eine Zeit, wo er einmal nach dem Bausche zur Besinnung kom-
mend auslief: utitnn, Catulle, tibi molestum est'. Es gehört vielmehr in
die vierte Periode und ist etwas vor 68 h verfafst — Eine vierte Unter-
suchung behandelt die Frage Allio o Manlio?'. Der Adressat von 68 b
soll Manlius, nicht Allius, heifsen und mit dem Manlius in c. 61 und
68 * identisch sein. Es liegt angeblich kein Grund vor einen Allius ein-
zuführen, 68 a und 68'' müssen unbedingt an dieselbe Person gerichtet
sein u. s. w. Offenbar schwebt das Alles völlig in der Luft. Soll man
etwa in 41 aus dem handschr. quam fallius gewaltsam ein qua Manlius
herstellen noch dazu mit fehlendem Objekte nie? Soli man in 50 will-
kürlich transponieren deserto in Maniit Und soll man in 150 statt des
überlieferten äliis ganz einfach Manli schreiben? Verf. antwortet auf
diese Fragen mit keinem Worte. Er hat, wie aus seinen Ausführungen
S. 113 hervorgeht, gar keine Ahnung davon, um was es sich hier eigent-
lich handelt (vgl. meine Bern. Jahrbb. f. Phil. 1875 S. 850). — Im fünf-
ten Kapitel zieht Verf. nun seine Schlüsse. Der Tod des Bruders, der
dem c. 68 b nur wenig voran geht, fällt in das J. 696/58 und zwar wahr-
scheinlich in die zweite Hälfte. Viel Kopfzerbrechen bereitet Stocchi
die Wiederholung der Verse über des Bruders Tod in 68b, 91-96 und
68 a, 19 — 26. Wie ist sie überhaupt möglich, zumal da beide Gedichte
an ein und dieselbe Person gerichtet sind? Wo ist hier die Eleganz,
die Frische, die Originalität Catulls? Er mufste mannigfaltig sein, durfte
nicht immer wieder dieselben Phrasen ableiern, wenn er dem Verdachte
entgehen wollte, der Schmerz um den Toten sei am Ende gar
nicht aufrichtig (!!). Verf. denkt sich die Sache nun so. Nach der
Wiederaussöhnung mit Lesbia schrieb Catull das c. 68 b an Manlius, um
ihm zu danken für seine Freundesdienste, durch die er die Geliebte
wieder gewann. Es sollte seine ganze Liebesgeschichte enthalten und
ein umfangreiches opus werden. Aber die Periode ' riconciliazione' war
kurz. Der endgültige Bruch mit Lesbia erfolgte, als das Gedicht
noch nicht vollendet war. Bei so veränderter Sachlage konnte es
der Dichter nicht absenden. Um die Ungetreue zu meiden ( er traut
sich selbst nicht), flieht er nach Verona. Hier empfängt er von Manlius
das consriptum lacrimis epistolium, — die Kunde vom Tode seiner ge-
liebten Gattin. Ein Trauriger spricht zum Traurigen: Catull mufste von
seinem Bruder sprechen. Auch in dem nicht abgesandten c. 68 h war
von diesem die Rede. Da ist es doch die natürlichste Sache von der
Welt, dafs Catull es aus seinen Papieren hervorsuchte und die betref-
fenden Verse entlehnte. Ref. vermutet, dafs auch die Chorizouten an
dieser Erklärung kaum Geschmack finden werden. Den Schlufs des
Buches bilden chronologische Tabellen und Anmerkungen dazu. Aus
letzteren sei noch erwähnt eine Konjektur zu 73, 4 immo etiam, Caeli,
taedet obestque. [Schwerlich ist neben dem allgemeinen de&ine in v. 1
Catulls Leben. Lesbia-Clodia 229
die Anrede an eine bestimmte Person zulässig.] Dies vermutete übri-
gens schon Schwabe quaest. Cat. S. 85.
46. C. M. Francken, Lesbia-Clodia, Bijdrage tot Verklaring
van Catullus. Overgedrukt uit de Verslagen en Mededeelingen der
Koninklijke Akademie van Wetenschappen, Afdeeling Letterkunde, 2de
Reeks, Deel IX. Amsterdam. 1879. 8. 36 S.
Da Verf. für seine Publikation die holländische Sprache gewählt
hat, ist sie in der philologischen Welt Deutschlands unbeachtet geblie-
ben. Auch Ref. mufs bekennen, dafs er den Ausführungen Franckeus
nicht überall zu folgen vermochte, und enthält sich jedes allgemeinen
Urteils über ihren Wert. Verf. betrachtet zunächst die Lesbia Catulls,
danach die Clodia der Geschichte. Das Material, mit dem im ersten
Teile operiert wird, ist das bekannte. — Der zweite Teil beginnt mit
einem historischen Exkurse über die Claudier, dessen Resultate dem
Ref. nicht völlig klar geworden sind. Die Zusammenstellung der auf
Lesbia und die historische Clodia bezüglichen Daten führt zunächst auf
ein negatives Resultat: c. . . Maar er kunnen twee of meer vrouwen te
Rome gewest zijn, die in dese omstandigheden verkeerden; er moeten
bijzondere trekken gevonden worden, die niet licht meer dan eens voor-
komen'. Diese findet denn Verf. auch vor allem in c. 79 Leslius est
pukcr (so, nicht pulcher, schrieb angeblich Catull nach dem berühmten
Epigramm 84). Wenn in c. 83 Lesbias Gemahl angeredet wird 'mulc,
nihil sentis', so wird gefragt: stemt niet deze scheldnaara op merkwaar-
dige wijze met het kinderlooze huwelijk van Metellus?' Einen wichtigen
Beweis für Lesbia = Clodia findet Verf. sodann in der Identität von
Catulls Rufus (c. 69. 77) mit dem Redner Caelius Rufus, dem notori-
schen Liebhaber der historischen Clodia. Versteht Ref. die Worte des
Verf. recht, so sollen sich nicht nur die Rufus- (69- 77), sondern auch
die Caeliusgedichte (58. 100) auf den Redner beziehen. Dieser kann
trotz Cic. Cael. 2, 5 recht wohl ein Veroneser sein. Denn im Anschlüsse
an den Parisinus, welcher nicht Puteolani , sondern praetoriani bietet, ist
vielleicht zu lesen prae. p. romani d. h. nemini unquam praetori populi
Romani maiores honores habuerunt, quam abseuti M. Caelio - näml.
municipes. [Ganz unwahrscheinlich: 0. Harnecker, der Wochenschr.
für Klass. Philol. III 1886 Sp. 1099 eingehend über die Stelle handelt,
vermutet nemini umquam praesenti poimlares , - jedenfalls sinngem&Ts.
Das Verhältnis zwischen Caelius Rufus und dem Dichter hat sich im
Laufe einiger Jahre gewandelt. (Verwiesen wird dazu auf Ciceros Stel-
lung zu Gabinius, die des Aristophanes zu Socratcs nach I'latos Sym-
posion). Zu 69, 3 non si illam raren labefactes munere vestie wird er-
innert an Quintilians in triclinio Coam', denn ' Rara vestis is hetzelfde
als Coo, dun, pellucida'. Wenn Catull der tief gesunkenen Lesbia \ ir-
wirft in quadriviis et angiportia glubit magnemimos Rani nepoies, so erinnert
•230 Ciceros Beziehungen zu Clodia nach <; Retl
Francken wieder an das was Sencea de Benef. VI 32 von der Julia er-
zählt: admissos gregatim adulteros, pererratam nocturnis comessationi-
bus civitatem, forum ipsum ac rostra, ex quibus pater legem de adul-
teriis tulerat, filiae in stupra placuisse, cotidianum ad Marsyam coneur-
sum, cum ex adultera in quaestuariam versa ius omnis licentiae sub
ignoto adultero peteret. Bündige Zusammenstellung der Gründe für die
Gleichung Lesbia = Clodia quadrantaria s. noch bei Palmer Hermath.
VI 356 f.
47. G. Rettig, Catulliana. I. 12 S. 4. (Ind. leett. aest. Ber-
nens. 1878). — II. 18 S. 4 (Sollemnia anniversaria conditae universi-
tatis Bernens. 1880). — III. De epigrammatis in Gellium scriptis.
15 S. 4. (Soll. ann. cond. univ. Bernens. 1881).
Diese lesenswerten Abhandlungen sind anscheinend angeregt durch
die Lektüre von R. Westphals bekanntem Buche c Catulls Gedichte in
ihrem geschichtlichen Zusammenhange übersetzt und erläutert. Breslau.
1867'. Die erste beschäftigt sich mit Westphals phantastischen Kom-
binationen über Ciceros Beziehungen zu Clodia, der angeblichen Lieb-
schaft beider, dem von beiden gehegten Vorsatze einer Scheidung, die ihnen
eine Heirat ermöglichen sollte. Vgl. Westphal S. 35 f., S. 100 f., S. 239 f.
Neuerdings hat Westphal seine Theorie fast mit denselben Worten
wiederholt, ohne etwas Neues beizubringen (denn einige gereizte Bemer-
kungen gegen Rettig sind von sachlicher Widerlegung weit entfernt).
Vgl. Catulls Buch der Lieder, deutsch von R. Westphal. 1884. S. 137f.
Dem gegenüber betont Rettig etwa Folgendes. Dafs Cicero in einem
Falle (denn nur von einem braucht ad. Fam. V 2 die Rede zu sein)
die Clodia aufsuchte und sie um ihre Vermittelung anging, ist nicht auf-
fällig, zumal er selbst ihren abwesenden Gemahl von dem Besuche in
Kenntnis setzt. Auch scheint eine erotische Liaison mit Ciceros Cha-
rakter nicht im Einklänge. Plutarchs Erzählung (Cic. c. 28 — 29), auf
die sich Westphal vornehmlich stützt, ist schwerlich mehr als Klatsch,
wie so viele der hier aus Ciceros Leben erzählten Daten. So urteilt
auch Drumann mehrfach über Plutarchs Glaubwürdigkeit. [Gegen West-
phals Behauptung, Plutarchs Quelle sei auch für alles in c. 28—29 Er-
zählte Tiros Werk über Cicero gewesen, s. 0. Harnecker Berl. Ph. W.
1884 Sp. 226]. Die Annahme Cicero habe, von der rachsüchtigen Terentia
gezwungen, Zeugnis gegen Clodius abgelegt, läfst sich nicht mit Stellen
wie Cic. ad Att. I 13, 3. I 12, 3. I 16, 1 vereinigen. — Ebenso unhalt-
bar ist die Ansicht Westphals, dafs c. 49 schou in das Jahr 62 gehöre,
d. h. in eine Zeit, wo Catull noch fast unbekannt war (daher angeblich
das schüchterne pessimus omnium jioeta), dafs 'proxirnum locum in amore
Clodiae ante Catullum oecupasse Ciceronem', dafs Catull mit c. 49 dem
Cicero danke, weil er ihn bei der Clodia eingeführt habe. Denn mit
ihr ist unvereinbar die Kürze, der schmucklose und frostige Charakter
Westphals Nomostheorie für Catull nicht haltbar. 231
des Gedichtes. Für einen solchen Liebesdienst pflegte Catull ganz an-
ders zu danken; vgl. 68, 41-70. 149. Richtig und durch spätere Unter-
suchungen (vgl. unten zu c. 49) bestätigt ist der Satz: Catullum ne in
carminibus quidem brevissimis quae epigrammatici argumenti sunt tacere
solere quorsum ea spectent et pertineant'. Leider steht damit die Be-
hauptung auf S 12, c. 49 sei 'epigrammatici generis' im Widerspruche.
Zu schwer nimmt Rettig das pessimus omnium poeta: Das horazische
ego apis Matinae more modoque gehört schwerlich hierher. Am besten
hat über diese Phrase 0. Harnecker gehandelt.
Die zweite Abhandlung bekämpft Westphals (S. 48) Erklärung der
vielumstrittenen Schlufstrophe von c. 51 Otium, Catulle, tibi molestum est.
Er meint z. B. non de otio, sed de amore queri debebat Catullus, et
graviter queri, non ita ut otium sibi molestum non periculosum esse di-
ceret' u. s. w. Verf. findet in der Strophe nur Ironie und Spott. Aber
' Catullum se ipsum his ridere non posse, concedent omnes qui animum
eius veri et sinceri amoris impetu abreptum norunt. Cfr. c. 76. Ca-
tullus ab amore se ipse dehortans ferri posset, sed Catullus, ita ut fit,
de otio querens ferri non potest'. Die Worte sind also nicht von Catull
selbst, sie sollen seine sentimentale Liebe verspotten, sie sind gedichtet
nach dem Vorbilde von Ov. rem. Am. 135 sq. [Schwerlich werden dem
Viele zustimmen. Und schwerlich wird das Verhältnis dieser Strophe
zum Vorhergehenden je völlig aufgeklärt werden , denn es sind der un-
bekannten Gröfsen zu viele, mit denen wir zu rechnen hahen|. - c. 65.
Die drei letzten Disticha sind nicht mit Rofsbach und Westphal von dem
Gedichte abzutrennen. Dies wird S. 8 — 10 richtig dargelegt. Doch
irrt Verf., wenn er vor dem letzten Distichon stark iuterpungiert und
in dieses das Tertium des Vergleiches legt: Ut virgo prodito amore
gravi dolore obruatur, ita se nunc acerbissimum sentire dolorem propter
obitum fratris'. Denn das ertappte Mädchen schämt sich (manat ort
rubor), non gravi dolore obruitur. Die ebenfalls erwähnte Deutung ('qua
ad Homeri aliorumque poetarum exemplum provocare possemus, qui in
comparationibus saepe multa addunt poetice, quae ad rem quae agitur
necessaria non sunt') ist natürlich die richtige. — Auf S. 10—14 wird
treffend die abenteuerliche Ansicht Westphals zurückgewiesen, dafs Ca-
tull c. 68 nach Art des Terpandrischen Nomos gegliedert habe (vgl.
Westphal a. 0. S. 23 u. f. und jetzt Catulls Buch der Lieder S. 151 f.).
Bei Catull ist einfach Alles anders wie es im Nomos sein sollte: Die
xazaTponä und /izraxaTarpond, die Westphal herausfindet, sind -ehr lang
und epischen Inhaltes, der 6fj^paX6g sehr kurz und lyrischer Natur u. s. w.
Der ungleichmäfsige (manche haben gesagt »monströse..) Hau des Ge-
dichtes erklärt sich einfach durch die den alexandrinischeD Vorbildern
abgelauschte Neigung zu Digressionen. Für die ganze Nomostheorie
liegt auch nicht der Schatten eines Grundes vor. Ref. Btimml dem rück'
232 Catnlla Gelliusopigrammc
haltlos bei*). Dafs übrigens Cur alle, welche au der Einheit von c. 68
festhalten, sich Westphals wunderlicher Einfall von selbst erledigt, be-
darf kaum der Erwähnung. — Zum Schlüsse (S. 14 -17) wird West-
phals Restitution von c. 55 (Westphal S. 216f.) behandelt. Weil der
zweite Teil des Gedichtes (58b= 23—32) nicht distichisch ist (d. h. weil
nicht versus vere Phalaeceus versum Phalaeceum spondiacum sequitur),
kann es auch der erste nicht sein (vgl. auch v. 8 und 13). Das von
Westphal nach v. 5 gesetzte Komma ist falsch; dieses würde ein Te
in Magni simul ambulatione verlangen. Ebenso ist v. 16 die Verbin-
dung uudacter committe abzuweisen. Westphals Ordnung 23, 25, 24, 26
ist unrichtig, niveae citaeque bigae als Nom. anzusehen mit Auslassung
des Participium verbi substantivi. Dagegen ist Westphals Erklärung
der Schlufsworte dum nostri s. p. amoris fein und gut. Rieses Gründe
gegen die Eiuschiebung von 23 - 32 an dieser Stelle sind nicht stich-
haltig : ' Tarn diu, poeta ait sc per totam urbem currentem amicum frustra
quaesivisse , ut etiamsi wxüraTos esset et optime pedibus uteretur, ta-
rnen fessus nunc esset frustra suseepto labore'.
Einige der bissigsten Epigramme Catulls (74, 80, 88 — 91, 116)
gelten einem gewissen Gellius. Wer war dieser Mann? Vgl. Schwabe
quaest. S. 101 f. Zwei Personen kommen in Frage, Oheim und Neffe.
Der erstere, ein eifriger Anhänger des Clodius, ist der Bruder jenes be-
kannten L. Gellius Publicola, der im J. 72 v. Chr. Konsul, im J. 70
Censor war. Der Sohn dieses Letzteren ist die andere Persönlichkeit,
an die man bei Catull denken kann. Für den Neffen hatte sich nach
eingehender Untersuchung Schwabe entschieden, besonders wegen Val.
Max. V 9, 1. [Ihm folgen auch die neueren Erklärer, Riese allerdings
unter Reserve]. Dagegen hatte Westphal (Catulls Ged- S. 119 f.) be-
hauptet, nur die zusammenstehenden Gedichte 88—91 bezögen sich auf
den Neffen Gellius und zwar genau in umgekehrter Reihenfolge. In
74, 80, 116 hingegen werde der Oheim Gellius gegeifselt. Diese Ansicht
Westphals wird in besonnener und überzeugender Beweisführung Punkt
für Punkt widerlegt. Die 7 Epigramme beziehen sich höchst wahrschein-
*) Vgl. über Westphals Theorie noch Macan Transact. of the Oxf. Phil.
Soc 1882— 1883 S. 16f Christ Metrik S 644: 'Auch die Versuche Westphals
jene alten musikalischen Gliederungen in der Composition pindarischer Oden,
äsebylischer Tragödien und catullischer Gedichte nachzuweisen, halten wir für
blofse Phantastereien eines erfindungsreichen Kopfes'. S. auch die verständi-
gen Ausführungen von A. Croiset, Annuaire de 1' Association pour l'encou-
ragement des etudes Grecques en France. Paris 1880. S. 99 f. und Cr. im
Lit. Centralbl. 1887, 44, Sp. 1502. 46, Sp. 1564. Der jüngste Versuch die
Gliederung des echten Nomos als eine Art Kompositionsschema für kalli-
machische Hymnen und den Pauegyricus ad Messallam zu betrachten , hat mit
Westphals Pseudonomos nichts zu thua. Ehe man ihn beurteilt, wird nähere
Begründung abzuwarten sein
Catulls Gclliusepigramme. Tanusius und Volu3ius. 233
lieh alle auf den Neffen. Nur auf wenige Einzelheiten kann hier ein-
gegangen werden. Zu 80, 1 wird richtig bemerkt, dafs rosea labella besser
auf den tener adulescens Gellius als auf den Oheim pafst. Verwiesen
hätte hier auf 63, 74 werden sollen, wo von den roseis labellis der ent-
mannten Attis die Rede ist. In 80. 8 schreibt Rettig Ilia, et emulso
hm'c labra notata sero. Die Konj. ist mit Unrecht von den Herausgebern
nicht beachtet worden. Aber notwendig ist sie wohl nicht. Gewifs ist
es hart, dafs lahro notata nicht zu Victoris gehören soll (denn es mufs
doch nach v. 1 und folg. von den labella des Gellius die Rede sein), aber
es ist, wenn man nach ilia interpungiert , wohl nicht gerade unerträg-
lich. Ferner will Rettig in v. 7 statt des wunderlich unmotiviert herein-
gezogenen Eigennamens Victoris lesen victoris und bezieht dies auf den
patruus in 74 [vgl. 89, 3]: Oheim und Neffe waren abwechselnd irru-
mantes et irrumati! Auch dies hält Ref. für beachtenswert: victor
heifst Einer der das Erstrebte erreicht hat'. Hier wäre es der bei
dem ekelhaften Akte Obenliegende, die Rolle des stärkeren Mannes
Spielende, im Gegensatze zu dem das Glied in sich Aufnehmenden, dem
suecumbens. Vgl. Ov. Met. II 437. VII 836. Verg. Aen. II 329. X 409.
XI 565.
48. R. v. Braitenberg, Über das Verhältnis Catulls zu
seiner Zeit. 20 S. 8. Progr. des Obergymnasiums der Kleinseite
Prag. 1882.
Die Abhandlung bietet keine neuen Gesichtspunkte. Das Gegebene
ist im Wesentlichen korrekt.
49. V. Kosztka, C. Valerius Catullus. Ungar. Neudorf. 1884.
38 S. 8. Progr.
Der Verf. dieser magyarisch geschriebenen Abhandlung zeichnet
ein anscheinend für das grofse Publikum bestimmtes Bild von Lebeu
und Werken des Dichters. Nähere Angaben zu machen ist Ref. aufser
stände.
50. P. E. Sonnenburg, Der Historiker Tanusius Gemi-
nus und die annales Volusi. Ein Catullianum. (Historische Unter-
suchungen. Arnold Schaefer gewidmet. Bonn. 1882. 8 S. 158 - 165.)
51. L.Schwabe, DieAnnalen desTanusius undVolusius.
N. Jahrbb. 1884, 380—386.
Sonnenburg leugnet die Identität der Annalen des Volusius bei
Catull c. 36 u. 95 mit den Annalen des Tanusius, die seit Muret ge-
wöhnlich angenommen und zuletzt von M. Haupt quaest. Cat. S. 98 =
opusc. I 71 und L. Schwabe quaest. Cat. 28o eingehend begründet wor-
den war. Die Identifizierung stutzte sich besonders auf Senec. ep. 98, 1 1
' et paueorum versuum über est et qnidem laudandus atque utilis: annaUa
234 Catull. Volusius = Tanusius
Tanusii ecis quam ponderosi sini et quid voceniur. hoc est vita quorum-
dam longa, et quod Tanusii sequitur annalcs', verglichen mit Catulls be-
rühmtem annales Volusi, cacata charta 36, 1. Von diesem Tanusius wird
aurserdem (Suet. Jul. 9, Plut. Caes. 22) ein Geschichtswerk mit dem
Titel historia erwähnt. Von den in der Senecastelle citierten Annalen
bemerkt Sonnenburg ohne jede Begründung: ein Werk, welches wir
doch wohl mit jener von Suetonius genannten historia zu identifizieren
das Recht haben werden'. Wer dem zustimmt, stöfst nun auf eine
Schwierigkeit. Die Annales Volusi waren in Versen geschrieben ( Ca-
tull 36, 6 electissima pessimi poetae scripta). Es ist aber höchst unwahr-
scheinlich, dafs Suetonius und Plutarchos ein poetisches Annalenwerk
als Quelle für die Cäsarische Zeit benutzt haben sollten. Aufserdem
kann die dem Cäsar so feindliche historia des Tanusius, 'ein Buch, worin
ausführlich über seine Teilnahme an Verschwörungen zum Umsturz der
Verfassung und über seinen Treubruch an fremden Gesandten berichtet
war', erst nach Cäsars Ermordung, also sehr lange nach Catulls
Tode, veröffentlicht worden sein. Auch andere Gründe machen angeb-
lich die Identität des Tanusius mit Catulls Volusius unwahrscheinlich :
dafs Catullus Pseudonyma angewandt habe, wissen wir sicher nur bei
drei Persönlichkeiten Clodia, Clodius und Mamurra, und hierbei liegen
die Gründe auf der Hand. Den Namen Volusia führte eine in Rom
angesehene, vornehme gens u. s. w.
Der Beifall, der diesen Ausführungen von mehreren Recensenten
[auch neuerdings haben sich Riese und Baehrens beeinflussen lassen] ge-
zollt worden war, veranlafste L. S c h w a b e sie zu bekämpfen und mit schnei-
diger Logik vollständig zu widerlegen. Die ganze Beweisführung Sonnen-
burgs beruht auf einer argen petitio prineipii : Es mufste vor allem seine
Aufgabe sein zu beweisen, dafs die annales und die historia des
Tanusius ein Werk gewesen. Statt dessen setzt er die Identität beider ohne
Weiteres voraus. Schwabe weist sodann nach, dafs für die Gleichung
Volusius = Tanusius folgende gewichtige Gründe bestehen bleiben:
1) Tanusius hat Annalen geschrieben, aber auch Volusius.
2) Tanusius' Annalen waren weitläufig, aber auch die des Volusius.
3) Tanusius lebte in der Zeit des Cäsar und Catullus, aber auch
Volusius.
4) Über die Annalen des Tanusius ging ein derbes, Verachtung be-
zeugendes Witzwort um, aber auch über die des Volusius.
5) Tanusius wird bei Strabon, Seneca, Plutarch und Sueton erwähnt,
Volusius bei dem einen Catull.
6) Von den je acht Buchstaben der beiden Namen dieser merkwür-
digen Doppelgänger sind je fünf ganz gleich, auch die Quantität der
Silben ist gewifs identisch. Man wird sich also mit Schwabe die Sache
etwa so vorzustellen haben. Tanusius Geminus (das cognomen bei
Suetonius) aus der Pogegend (Cat. 95, 7) gebürtig, verfafste in jungen
Catull. Volusius = Tanusius. Gedicht 95. 235
Jahren umfangreiche poetische Annales wie vor ihm Q. Ennius, L. Accius
und A. Furius. Catullus, der Heifssporn der jungrömischen Dichter,
verhöhnt diese Leistung eines schulfremden pessimus poeta (36, 6) — er
nennt ihn mit leiser Namensänderung Volusius — , prophezeit den
Annalen baldiges Vergessensein und zeichnet sie als pleni ruris et in-
ficetiarum mit derbem Witzwort: cacata charta. Auf dieses Prädikat,
welches für immer an jenen Annalen haften blieb, spielt an Seneca ep.
93, 11. Später wandte sich Tanusius, vielleicht gewitzigt durch die
schlimmen Erfahrungen, welche er mit seinem poetischen Versuche ge-
macht hatte, oder durch eigene Einsicht belehrt, dafs er nicht zum
Dichter geboren sei, zur Geschichtschreibung und gab nach Cäsars Tod
eine historia heraus, in welcher er die jüngste Vergangenheit des römi-
schen Staats behaudelte. Während das poetische Jugendwerk des Ta-
nusius früh verschollen war und nur in Catulls wenig schmeichelhafter
Charakteristik weiter lebte, gewann die historia Ansehen und wurde viel
benutzt, z. B. von Strabon, Plutarch, Sueton und Appian. — Alle diese
Sätze, die B. Schmidt jetzt wieder mit unzureichenden Gründen be-
kämpft (prolegg. ed. S. XLV), unterschreibt Ref. Nur über c. 95 hat
Schwabe nicht ganz richtig geurteilt. Er versteht unter dem tu-
midus Antimachus in v. 10 wieder den Volusius: 'Kann Catull nach Hor-
tensius und Volusius seinen Landsleuten und Zeitgenossen, ganz unver-
mittelt Antimachus nenuen, den Griechen der vor mehr als 300 Jahren
lebte? Wie viele Leser hatte wohl damals in Rom Antimachos?' Aber
wie passen dann 9 — 10 zum ersten Teile des Gedichtes? Ref. bemerkte
schon früher (N. Jahrbb. 1876, 414): »Eben hat Catull dem Gedichte
seines Freundes Cinna allgemeinen Beifall, ewigen Ruhm prophezeit: in
den fernsten Ländern wird es gelesen werden, die Nachwelt wird es
immerdar bewundern: dagegen des Volusius Annalen werden nur als
Makulatur Verwendung finden. Und nun soll er das gerade Gegenteil
dessen hinzufügen: Mir soll es teuer sein, des Freundes Büchlein: die
Welt mag sich am Volusius erfreuen'. Ist das auch nur denkbar ?«
Ähnliches jetzt bei B. Schmidt prolegg. S. XLIV. Man wird also mit
Lachmann, Haupt, Vahlen v. 9—10 vom Vorhergehenden trennen und
als selbständiges Epigramm fassen müssen. Auch so ist Antimachus =
Volusius. Ein ctumidus Antimachus' mochte Volusius in Catulls Kreise
genannt worden sein. Die Beziehung war daher hier Niemandem dunkel.
- Über den Tanusius vgl. noch B. Niese Rh. Mus. 38, 600 f. Ellis,
Academy 1883, 12 Mai.
5'2. I]. Linke, Tibullus quantum in poesi elegiaca pro-
fecerit comparato Catullo. Progr. Luckau. 19 3. 4.
Es ist zu bedauern, dafs der Verfasser dieser Beifügen und ver-
ständigen Arbeit sich zu viele und grofsc Aufgaben gestellt hat. Auf-
gaben, die nur durch eine Reihe ganz spezieller Untersuchungen zu lösen
23fJ Tibulls Verhältnis zu Catull Nachahmung der Alexandriner
waren und inzwischen teilweise gelöst sind. So wird manches interes-
sante Thema nur oberflächlich berührt, z. B. der Gebrauch von at bei
Tibull, der Parallelismus in seinen Distichen, die Stellung von zwei
Substantiven mit dazu gehörigen Adjektiven im Pentameter u. a.
Auf S. 1 — 7 wird einiges für Catull Charakteristische, teilweise
anscheinend im Anschlüsse an Haupts Vorlesungen zusammengestellt
(Vgl. z. B. Haupt bei Beiger S. 241 und sonst). Verf. illustriert Ca-
tulls Abhängigkeit von den Alexandrinern in der Elegie durch näheres
Eingehen auf c. G6 und 68, ohne dafs gerade etwas Neues geboten
würde. Auf S. 5—7 wird endlich über Catulls Metrik, über Altertüm-
liches, sowie über die Natürlichkeit und Einfachheit seiner Sprache, über
Mangel an einheitlichem Stile gesprochen. — Im zweiten Teile der Ab-
handlung (S. 7—19) handelt Verf. zunächst über Tibulls Sprache und
Stil. Tibull ist in seiner Sprache freier von Archaismen, überhaupt
reiner als selbst Vergil und Horaz. Gräcismen werden nur vorsichtig
und in bestimmten Grenzeu zugelassen. Höhere Vollendung gegenüber
Catull zeigt sich auch in der Metrik (Lesenswertes über Elisionen,
Cäsuren, Hexameter- und PentameterschlufsJ. Nicht minder in den be-
handelten Stoffen. 'Fere anxie fugit omnem doctrinam, quae apud Ca-
tullum in fabulis exemplisque longius petitis parumque ad ipsum argu
mentum aptis cerni poterat'. Doch gilt dieser Satz nicht ohne Ein-
schränkung, wie Maafs später gezeigt hat. Auf S. 16 ist erwähnenswert,
dafs Tibull '' ubique cum amore coniunxit querimoniam nescio an magis
natura sua duetus quam quod originem vocabuli elegiae speetavit . . .
semper habet cur queratur vel de ianua, qua ab amata puella exeluditur
(I 2, 5; I 1, 56; I 5, 67; II 3, 74; II 4, 22 und 31; II 6, 47) vel de
avaritia puellae et qui amorem vendere docuerit (II 4, 14, 25, 33, 39;
II 2, 49; I 9, 11, 51, 77 u. a.) vel denique de deo, qui amantes cruciet
(I 2, 98; I 6, 1 sq.; I 8, 5; II 1, 70, 82; II 5, 107 sq.; II 6, 15)'.
Bemerkungen über I 7 und II 5 verteidigen diese Gedichte gegen Teuffels
Angriffe.
53. G. Henkel, DeCatulloAlexandrinorumimitatore com-
mentatio philologica. 17 S. 4. 1883 (Programm des Gyran. Carolo-
Alexandr. zu Jena).
Die Arbeit ist eigentlich nur die Einleitung zu einer Untersuchung,
wie sie der Titel verspricht Gehandelt wird über den römischen National-
charakter, über die besonders durch Korinths Eroberung erschlossene
nähere Bekanntschaft mit der griechischen Litteratur, über die Gründe,
warum die Alexandriner von den Römern bevorzugt wurden. Als Haupt-
vertreter des Alexandrinismus und Vorbild für Catull und Properz wird
sodann Kallimachus besprochen und , soweit es die dürftigen Überreste
gestatten, ein Bild seiner Poesie gezeichnet. Verf. geht dabei fast immer
nicht vom historischen, soudern vom ästhetischen Standpunkte aus. Man
Catulls Galliamben (c 63) Nachahmung des Kallimachos? 237
sieht selten das Bemühen eine litterarische Erscheinung aus der Be-
sonderheit der Zeiten und Verhältnisse, die sie in das Dasein riefen, zu
verstehen; im Vordergrunde steht ihm vielmehr immer die Frage: Ist
dies und das schön oder häfslich? Ref. ist fern da-von dieser Anschau-
ungsweise ihre Berechtigung abzusprechen , aber für wissenschaftliche
Untersuchungen ist sie, so ausschliefslich angewendet, schwerlich geeignet.
— Auf die Charakteristik des Kallimachus folgt eine, ebenfalls ästheti-
sierende, Analyse der coma Berenices. Ist hier folgender Satz ganz
ernst zu nehmen : ' Maxime autem in carmine quod castitati patrocinatur
quodque reginae modo nuptae oblatum recitatumque vel ab ipsa perlec-
tum est, nimis offendimur poetae circa singula haerentis lascivia, quae
tarn late patet, ut haud inepte conicere possis hos poematis versus
non a bibliothecario regio confictos sed ab ipso Clodiae
adultero esse interpolatos' V Wunderlich ist die Behauptung
(S. 17), Catull werde sich erst nach schwerem inneren Kampfe (quanto-
pere putas talem virum esse luctatum?) entschlossen haben die Alexan-
driner nachzuahmen, um die herrschende Mode mitzumachen.
Wie schon aus der Inhaltsangabe hervorgeht, enthält die Abhand-
lung nichts, was die Sache fördern kann. Doch soll gern anerkannt
werden, dafs sie in fliefsendem, stellenweise in elegantem Latein geschrie-
ben ist und sich ganz gut liest. In einem zweiten Teile soll 'cum de
aliis Veronensis carminibus, tum de vexatissima elegia sexagesima octava'
gehandelt werden. Vorangeschickt ist das Facsimile von einem Blatte
des cod. Oxoniensis, enthaltend die v. 41 105 von c 68. Während eines
Aufenthaltes zu Oxford i. J. 1875 hatte Verf., wie er angiebt, c. 68 aus
der Handschrift kopiert.
54. U. v. Wilamowitz-Möllendorf, Die Galliamben des
Kallimachos und Catullus. Hermes 14 (1879), 194—201.
1) Der Erfinder der Galliamben ist Kallimachos. Dies folgert
Wilamowitz aus Hephaestion Cap. 12 S. 39 Westphal. Aber die citierte
Stelle zusammengehalten mit der Notiz eines Scholiasten besagt nur,
dafs Kallimachos Galliamben anwandte. — 2) Dem Kallimachus ge-
hören die von Hephaestion a. 0. citierten Verse FaAÄdl pyjrpbg dpeüje
<piX6Bt)ftaui 8pofid8ec, ./?,• zvzea natayetTat xa\ ydXxea xporaXa. Aber
auch das ist schwerlich mehr als möglich, allenfalls wahrscheinlich. Ref.
möchte sogar aus jener Notiz des Scholiasten w xa\ KodXtp.a%oe xe-
yj>f,~<i-i herauslesen, dafs dieser wenigstens die Verse nicht dem Kalli-
machos zuschrieb. Welchen Sinn hat jenes xa£ sonst? 3) Catullus'
Attis ist Nachahmung (nicht Übersetzung) Kallimacheischer Galliamben.
Dies beweist angeblich die Übereinstimmung von Kallimachos' FaXXai
jitjvpbe ipsbji ptkö&upoot Spopd8ee mit Catullus (>3, 12 agäet üe ml alta,
Gallae, Cybeles, nemora rimul. Besonders beweiskräftig, weil Singular,
soll sein, dafs Catull den Geschlechtswechsel, den Beine Personen durch
238 Catull. Galliamben. Juventiuslieder.
die Entmannung erleiden, ebenfalls auf das grammatische Geschlecht
ihrer Namen überträgt. Aber das ganze Gebäude ruht, wie sich aus
dem Obigen ergiebt, auf unsicherem Fundamente, obwohl die Möglich-
keit, dafs Catulls Vorbild Kallimachos war, nicht bestritten werden »11.
Speciell über v. 12 vgl. Baehrens1 Note. - Den Charakter des catulli-
schen Gedichtes beurteilt Wilamowitz so: Anzuerkennen isl bei Catullus
ein lediglich formales Interesse. Seine Attis ist kein Dokument für den
religiösen Sinn ihres Verfassers oder ihrer Zeit, sie ist vielmehr ein
Meisterstück der Nachahmung alexandrinischer Kunst in Metrum. Sprache
und Stil'. Wenn aber Wilamowitz findet, Catull beuge sieh hier' schal k -
haft' vor der Göttermutter, so hat er den Sinn der naiven, aber sehr
ernst gemeinten Schlufsworte (91-93) gewaltig mifsverstanden. 4) Ein-
zelheiten. In v. G4 will Wilamowitz hinter fui /los ein Punktum setzen;
mulier in 63 wird mit Recht gehalten. -■• 66, 77 vindiziert sich Wila-
mowitz die Priorität der Konj. hymenis eepers (doch vgl. S. 479) und be-
zeichnet Syrii in 78 als beziehungsloses Füllwort, das im Originale nicht
stand. Doch steht jetzt wohl fest, dafs Catullus weder hymenis noch
Syrii schrieb. Vgl. Vahlen Hermes 15, 269 und Riese z. St. — Für
den Teil des c. 64, in dem Prometheus auftritt, benutzte nach Wilamo-
witz Catull vielleicht (vgl. Robert, Eratosthenes 223) den Hermippos.
Wenn in v. 300 Apollo nicht zum Feste kommt, so ist das bewufste
Opposition gegen Aeschyl. fg. 340, das wiederum aus 42 63 genommen ist.
55. 0. Harnecker, Des Catullus Juventiuslieder, N.Jahrbb.
1886, 273—279.
Verf. zieht eine interessante Parallele zwischen dem tändelnden
Epigramme des Cicero auf Tiro, das Plinius der Jüngere in dem Buche
'de comparatione patris et Ciceronis' des Asinius Gallus fand und das
er seinem wesentlichen Inhalte nach ep. VII 4, 6 wieder gibt, und Ca-
tulls c 99 surripui tibi, dum ludis, mellite Juventi. Plinius sagt von
jenem Epigramme . . . queritur quod fraude mala frustratus amantem pau-
cula cenato sibi debita savia Tiro tempore nocturno subtraxerit. Darin ist
nur ein neuer Beweis zu sehen, dafs auch Cicero der Mode gehuldigt
und in müfsigen Stunden sich in der Übertragung und Bearbeitung
griechischer Vorbilder, besonders alexandrinischer Modestücklein geübt
habe'. Die Ähnlichkeit beider Gedichte ist überraschend. An Juventius
ist ferner das reizende c. 48 mit seiner absichtlichen Wiederholung der
berühmten Catullischen Küsse für Lesbia (c 5 u. 7) gerichtet {meüüos
oculos tuos, Juventi). Es macht den Eindruck als sollte c. 99 eine heitere
Antwort sein auf die überschwängliche Sehnsucht von 48. Der Kontrast
usque ad milia basiem trecenta, nee umquam videar satur futurus zu dem
numquam iam posthac basia surripiam! Auch C 24 und 81 (die einzigen
in denen Juventius noch vorkommt) haben ein ganz allgemeines Motiv :
cder schöne Knabe ist in den Armen des Unwürdigen'. [Aber freilich
Catulls Nachahmer. 239
werden die beiden Unwürdigen scharf auseinander gehalten, ihre Perso-
nen sind deutlich bezeichnet, von Jedem werden ganz individuelle Züge
angeführt !]. Verf. kommt zu dem Schlüsse, dafs dem Catullus der Knabe
Juventius genau das war, was dem Cicero sein Tiro in dem oben erwähn-
ten Epigramm. Wollte Catull seine alexandrinischen Vorbilder erreichen,
so durfte auch bei ihm die Moüaa natStxi) nicht fehlen : Es ist mir trotz
ehrlichen Suchens nicht möglich gewesen in Catulls Juventiusliedern wirk-
liches Leben, wahres Empfinden zu entdecken, und ich kann in dem
Knaben Juventius nichts sehen als eine stehende Figur , ein Phantom,
wie der Ligurinus bei Horatius und — sei es auch hier gleich gesagt,
der Marathus bei Tibullus'.
56. Nachahmer.
Für unsere Kenntnis von Catulls Fortleben im späteren Alter-
tume bieten jetzt die Kommentare von Riese und Baehrens reiche
Ausbeute. (Vergl. im Allgemeinen Riese S. XXXIII f., Baehrens pro-
legg. comm. S. 62 f.). Über Nachahmung Catulls durch Properz vergl.
den Referenten Neue Jahrbücher 1887, 418 f. Anderes ist bei verschie-
denen Gelegenheiten schon notiert worden; über Süfs' Catulliana z. B.
s. oben No. 37. Wenige Andeutungen werden daher an dieser Stelle
genügen. Ganz besonderes Interesse hat immer das Verhältnis Mar tials
zu seinem Vorbilde Catull erweckt. Vgl. die tüchtige Dissertation von
R. Paukstadt, De Martiale Catulli imitatore, Halle 1876. Ein sehr
reichhaltiges unter dem Texte fortlaufendes Verzeichnis der Anklänge an
Catull bietet jetzt L. Friedländers erklärende Martialausgabe (Leipzig,
Hirzel, 1886). Nachträge dazu ganz neuerdings von K. P. Schulze,
N. Jahrbb. 1887 S. 637-640. Sehr geringfügig und überhaupt zweifel-
haft sind die Spuren einer Benutzung Catulls in Calpurnius Bucolica.
Vgl. in H. SchenkTs nützlicher Ausgabe den Index S. 73. Entlehnun-
gen aus Tibull sind dagegen anzuerkennen. Vgl. ebenda S. 76. Be-
nutzung Catulls in der Epitome des Siliüs Italicus hat Ref. in
Berl. Ph.W. 1886 Sp. 1501-1502 nachgewiesen. Vgl. z. B. Epitom. 384
Sanguine Dardanii manabant undique campi mit Catull 64, 344. Epitom.
885 rura colunt alii, sulcant gravia arva iuvenci mit Catull 64, 38 u.a. —
Corippus (vgl. R. Amann, De Corippo priorum poctarum latiiionun
imitatore. Oldenburg. 1885 S. 6) kannte Catulls c. 64. Vgl. mit Catull
64, 110 f. Cor. Joh. IV OO'J und 606 tento revoccma vestigia ji/<> . . . Non
labyrintheis Minoia cura latebris ßexerai ancipitea tantu arrfractibua orbaa,
Benutzung Tibulls scheint trotz der von Amann a. 0. S. 14 verzeich-
neten Parallelstelleu zweifelhaft. Die Ähnlichkeit von Stellen wie Tibull
II 5, 5 mit Just. IV 80 Ounota triumphalia pendentia culmma laurua
Comit ist doch gar zu geringfügig. — Nachahmung Catulls durch Auso-
nius nahm K. Scheu kl in seiner schönen Ausgabe (Berlin 1883) auf
Grund folgender Parallelen an : Catull 1, 1 = Ausou. XX1I1 l XXVI 1, 4.
iMO Catulls Nachahmer. Gedicht 40.
Catull 1, 3 = XXVI 1, 1. Oatull 63, 21 = Ep. XX IUI 21. Catull 68, 40
= Ep. XXIIII 48. Catull fragm. 3 Baehrens = IUI 7, 42. Trotzdem
leugnet ßaehrens conim. 8. 65, dafs Ausonius den ganzen Catull las.
Das wörtliche Citat Oui d<mo lepidum novum libdlum erkläre sich dadurch,
dafs Ausouius das Widmungsgedicht an Nepos aus einer Anthologie
kannte. Das ist an sich nicht wahrscheinlich. Die Worte Veronenti
uü poeta quondam (XXIII 2), die Einsetzung von Nepoti fiir Cornea bei
Catull, das Wort ineptias in v. 5 beweist, dafs er mebr kannte als das
Eingangsgedicht und bei seinen Lesern mehr voraussetzte. Dafs er c. 03,
vielleicht auch 68 gelesen hatte, zeigen Schenkls Citate. Dafs er noch
andere Gedichte Catulls kannte, hat Ref. Berl. Phil. W. 1884 Sp. 877
nachgewiesen. Catull 101, 9 accipe . . . atgue in perpetuum, frater , ave
atque vale = Aus. XVI 25, 15 accipe . . . Glalrio in aeternum comme-
morate vale ist ganz sicher. Nachahmung Tibulls macht Schenkl durch
folgende Parallelen wahrscheinlich. Tibull I 1, 59 = IUI 3, 72. Tibull
I 7, 53 = IUI 2, 11. Tibull II 1, 10 = XV 4, 4; 18, 4. II 6, 19 =
XXVII 3, 2. Tibull IV 1, 121 = epigr. 26, 1. Tibull IV 13, 5 = epigr.
80, 4. Dazu hat Ref. a. 0. noch gefügt Tibull I 1, 9 nee Spes destituat
= XXVII 7, 13 et numquam . . . deutitnens Spes.
Folgende Schriften beschäftigen sich mit der Deutung von c. 49
und dem Verhältnisse Catulls zu Cicero:
57. 0. Harnecker, Catulls Carmen XLIX, Zeitschr. f. d. G. W.
XXXIII (1879), 72-80.
58. 0. Harnecker, Beitrag zur Erklärung des Catull.
Friedeberger Progr. 1879. 22 S. 4.
59. K. P. Schulze, Drei Catullfragen, Z.f.d.G.W. XXXIV
(1880), 353-392.
60. 0. Harnecker, Qua necessitudine coniunetus fuerit
cum Cicerone Catullus. Progr. Friedeberg 1882. 8 S. 4.
61. 0. Harnecker, Cicero und Catullus, Philol. 41, 465 — 481.
Die sonstige Litteratur des Gedichtes verzeichnet Harnecker in
einer Vorbemerkung zu No. 61; vgl. auch K. P. Schulze No. 59 S. 369 f.
Dazu noch G. Rettig, Catulliana I S. 8. und K. Jacoby Philol. 44,
178—182. B. Schmidt prolegg. ed. XLf. — Schulze untersucht den
Gebrauch der Eigennamen (Praenomen, Nomen gentilicium und Cognomen)
bei Catull und den Augusteischen Dichtern. Daraus ergeben sich ihm
für die Catullkritik folgende Resultate:
1) In 49, 2 lehrt die feierliche Anrede Marc e Tulli, dafs dieses
Gedicht nicht ernst sein kann. fNur so erklärt sich diese sonst aus-
schliefslich in Aktenstücken übliche, äufserst förmliche Benennung, zu
der sich bei den übrigen Dichtern der Zeit keine Analogie findet1.
Catulls Gedicht 49. Die Klagen um des Bruders Tod. 241
2) Die Konjektur Quinte Scaligers zu 67, 12 erweist sich als un-
möglich. Statt derselben befürwortet Verf. Munros Vorschlag: verum
isti populo ianua guippe facit.
3) Ebenso unmöglich soll es sein mit Lachmann, Haupt und L. Müller
[und Vahlen] in c. 68, 11; 30; 66 Mani resp. Manius zu lesen, so dafs
dieses Gedicht an einen Manius Allius gerichtet wäre. Eine derartige
Trennung des Pränomens von seinem Gentilnamen sei ohne Beispiel in
der gleichzeitigen römischen Litteratur. In längerer Ausführung tritt
Verf. sodann denen bei, die c. 68 in zwei Gedichte zerlegen. Neue
Gründe werden dafür nicht beigebracht. Denn warum es unmöglich
sein soll, dafs der Tod des Bruders zweimal und zwar mit denselben
Worten in e i n e m G e d i c h t e (20 f, 90 f.) erwähnt würde, ist durchaus nicht
abzusehen. Gerade die Wiederholung mehrerer Verse in zwei verschie-
denen Gedichten köunte vielleicht den Leser über die Absichtlichkeit
der Repetition im Zweifel lassen und als Gedankenarmut ausgelegt wer-
den. (Die Sache liefse sich auch keineswegs durch die wohlgefällige
Wiederholung eines Ausdrucks wie decoctoris amica Formiani in 41, 4
und 43, 5 erklären). Jetzt aber ist diese Möglichkeit ausgeschlossen. Vgl.
auch Kiefsling Anal. Cat. S. 17; Palmer Hermath. VI 350. Es giebt
also nur zwei Fälle: 1) Mau leugnet überhaupt, dafs Catull sich wieder-
holen konnte, und streicht die Verse an einer von beiden Stellen. 2) Man
giebt die Möglichkeit der Repetition zu. In diesem Falle giebt man
auch zu, dafs die Wiederholung in demselben Gedichte viel schöner
und ergreifender, viel ursprünglicher wirkt. Verf. äufsert sich nicht
darüber, inwiefern denn eigentlich dieser rührende zweimalige Klageruf
gegen die Einheit des Gedichtes sprechen soll. (Vgl. übrigens oben S. 152.)
Die Bemerkungen über den Gebrauch des Pränomens endlich, von denen
ausgehend Verf. seine zweite und dritte ' Catullfrage' beantwortet, hält
Ref. nicht für zutreffend und hat darüber in dem Jahresb. des Phil.
Ver. VII 363 (Z f.d. G.W. 1881) gesprochen. Übrigens sei nochmals be-
tont, dafs man über die Schreibung des Namens in v. ll und 30 sehr
wohl anderer Ansicht als Lachmann und doch von der Einheit des Ge-
dichtes überzeugt sein kann. Vgl. in dem einen c 61 die doppelte Be-
zeichnung der Braut mit Vinia und Arunculeia. Lachmanns Herstellung
ist ein — nach des Ret', persönlicher Ansichl - sehr wahrscheinlicher
Versuch die Schwierigkeit zu heseitigen, aber es haben daneben andere
Möglichkeiten Platz. Eingehendere Würdigung verdienen die über
c. 49 entwickelten Anschauungen. Denn Verf. geht liier viel gründlicher
zu Werke und versteh! sein Material geschickt und wirksam zu grup-
pieren. Zunächst wiid richtig bemerkt, dafs aber Catulls Verhältnis zu
Cicero das c. 49 unser einziges Zeugnis ist, denn Büchelera Vermutung
im Greifswalder Lektionskatalog l868/c>'.i S. 16, derCic ad Qu. fr. II 13, 4
vorkommende Ausdruck auricula infuma molliorem stamme aus dein soeben
erschienenen Büchlein catullischer Poesie, also sei bereits vor diesem
Jahresbericht ftlr Alterthumswissensohaft LI. (1887. II.) lg
242 ( icwro und Catuiin«. Gedicht 49.
im Juni d. J. 54 geschriebenen Briefe Catulls Buch der Lieder veröffent-
licht gewesen, scheine unrichtig. Die in & 25 gebrauchten Vergleiche
(zum teil sprichwörtliche Redensarten) babe Catull vielmehr der Volks-
sprache entlehnt'*). Verf. gehl Bodana zu seinem eigentlichen Thema
über, erinnert daran, dafa Cicero bedeutende Widersacher hatte (die
Attiker), unter ihnen besonders Catulls intimsten Freund Culvus. Auf
litterarischem Gebiete trat Cicero für die alten römischen Nationaldichter
ein und bekämpfte die uewrepoi, welche sich die Alexandriner zum Vor-
bilde nahmen d. h. Catull und seine Parteigenossen. Hieraus wird ge-
schlossen, Catull werde in den litterarischen Kämpfen treu zur Fahne
seiner Freunde gehalten haben. Ein interessantes Überbleibsel aus diesen
Fehden sei c. 49. Zu demselben Resultate führt angeblich die Wort-
erklärung des Gedichtes, a) disertus habe oft einen gewissen tadeln-
den Nebeusinn wie unser 'redselig'. Hingewiesen wird auf Gr. 5, 18
disertos se vidisse multos, eloquentem omnino neminem; de Or. I 21, 95
u. s. w. Noch deutlicher werde die Ironie durch den Superlativ, der
vielleicht nebenbei den mit Superlativen stark gewürzten Stil Ciceros
parodiere, b) Auch die Worte Romuli nepotum sollen dem Gedichte
eine ironische Färbung geben, cf. 28, 15. 23, 5 und 9. 58, 5 u. a. c) Die
Redensart quot sunt ... in annis ist eine der Umgangssprache ent-
lehnte Phrase der Komödie. Dies wird durch reiche Stellensammlung
nachgewiesen, d) Die feierliche Anrede Marce Tulli. e) Auch die
Redensart gratias tibi maximas agit findet sich bisweilen ironisch
und scherzhaft gebraucht wie bei Catull 44, 16 f! Welche Redensart
oder welches Wort kann man nicht unter Umständen scherzhaft ge-
brauchen?], f) Catull nannte sich nicht im Ernste pessimus omnium
poeta. Eine solche Bescheidenheit im Urteile über eigene dichterische
Leistungen war dem Altertum völlig fremd. Dies wird sowohl im All-
gemeinen, wie speziell von Catull gut dargelegt, zum ironischen Ge-
brauche von pessimus auf 36, 9 u. a. verwiesen, g) Cicero ward angeb-
lich wiederholt teils scherzhaft, teils mit bitterem Spott von seinen Zeit-
genossen omnium patronus genannt. A. Caecina ad. fam. 6, 7, 4
schreibt an ihn: ubi hoc omnium patronus facis, quid me, veterem tuum,
nunc omnium clientem, sentire oportet?' u. s. w. h) Fast alle Gedichte
in Hendekasyllaben sind entweder erotischen Inhalts oder harmlose Ge-
legenheitsgedichte an intime Freunde oder beifsende Spottgedichte Hätte
also Catull den Cicero ernstlich preisen und ihm wirklich Dank abstatten
wollen, so hätte er gewifs ein ernsteres, feierlicheres Metrum dazu ge-
wählt. Nach alledem erklärt Verf. c. 49 für ein Spottgedicht folgenden
Inhalts: »So wenig ich, Catull, der schlechteste der römischen Dichter
bin, so wenig bist du, Cicero, der bedeutendste Redner Roms; dies sei
*) Verf. sammelt bei dieser Gelegecheit (S. 367—368) Anklänge an Ca-
tull aus den Priapea und dem Culex, ebenso auf S. 390 solche bei St atius.
Cicero und Catullus. Gedicht 49. 243
mein Dank, meine Erwiderung auf deinen Angriff«. Verf. hält es für
wahrscheinlich, dafs Catull hiermit auf Angriffe antwortete, welche Cicero
gegen ihn und seine Freunde, die vsujrapoc, gerichtet hatte. — Anhangs-
weise werden noch einige Konjekturen vorgetragen. Auf Catull beziehen
sich folgende: 64, 287 Naiasin linquens solis (als Dativ mit naiasin zu
verbinden. Gewifs unrichtig; vgl. Jahresb. d. Ph. Ver. VII 363). c. 25
soll sich nach 12, 4 und 14 auf den Asinius beziehen, SdXXog eine Über-
setzung von Polio sein (ßäktetv = pollere). 29, 20 wird nach dem Vor-
gänge Anderer vorgeschlagen nunc Galliae timent, timet Britannia.
Die oben entwickelte ironische' Auffassung des c 49 hat 0. Har-
necker bekämpft in einer Reihe von Abhandlungen, die sich gegenseitig
ergänzen (vgl. auch die gelegentlichen Bemerkungen Z.f.d.G.W. 1881
S. 606—610. Berl. Ph. Wochenschr. 1884 Sp. 1573—1574). Näheres
Eingehen auf seine in den Hauptpunkten überzeugenden Ausführungen
ist um so mehr geboten, als sie von Riese nicht gebührend beachtet,
von Baehrens zwar benutzt, aber im Übrigen tot geschwiegen werden.
In No. 57 beschränkt sich Harnecker auf ein mehr allgemein gehaltenes
Raisonnement über Ton und Charakter des Gedichtes (gegen gelegent-
liche Bemerkungen von K. P. Schulze Z.f.d.G.W. 1877 S. 100 f.). Er
weist u. a. darauf hin, dafs disertus selbst bei Cicero niemals tadelnde
Bedeutung habe. Das Wort könne höchstens einen ironischen Beige-
schmack bekommen, wenn ein Neider oder Gegner etwa den Cicero di-
sertus nannte, dabei darauf hinweisend, dafs jener selbst zwar sich für
eloquens halte, aber blos disertus sei. Das c. 49 sei ein graziöses, launig
gehaltenes Dankbillet an Cicero. Hielten sich diese Betrachtungen, wenn
auch an sich richtig, mehr auf der Überfläche, so wird schon in No- 58
wenigstens eine Seite der Streitfrage gründlich und klar behandelt.
Suis, Catulliana S. 31, hatte nach Wölfflins Vorlesungen über c. 49 fol-
gendes behauptet: Diesen Pfeil schleuderte Catull gegen Cicero, als
dieser auf Zureden Cäsars sich dazu hergab, den nämlichen Vatinius
im J. 54 gegen die Anklage des Calvus zu verteidigen, den er sich selbst
rühmte zwei Jahre vorher in die Pfanne gehauen zu haben'. [Vgl. auch
F. Scholl, N. Jahrbb. 1880 S. 481 A. 45. B. Schmidt prolegg. ed.
S. XLIJ. Süfs war dabei von der an sich richtigeu Beobachtung ausge-
gangen, dafs in der Anordnung der Gedichte häufig das Prinzip der
Variatio obgewaltet habe. Er schliefst, weil c. 50 die poetische und
und c 53 die rednerische Trefflichkeit des Calvus feiere, c. 52 au des
Dichters Abscheu gegen Vatinius erinnere, sei c. 49 auf deu Prozefs des
Vatinius und Ciceros Verteidigung dieses 'zweifelhaftes Klirenmauues'
zu beziehen, und es könne Catull dem Cicero kein Kompliment machen.
Dem gegenüber wird betont, dafs die zwei oder mehr Umgebungsgedichte
nicht das dazwischen liegende erklären und ergänzen können. ' Wie
können z. B. die beiden Kufslieder an die Lesbia (6 und 7) dazu dieuen,
das dazwischen liegende von dos Flavius Liebchen in ein helleres Licht
16*
244 Cicero und Catullus. Gedicht 49.
zu setzen? Einzig und allein der Schiufa hat Berechtigung: c. 6 han-
delt von etwas ganz anderem als 5 und 7'. Also Namen, ja blofse Epi-
theta von Namen, einzelne Worte, kleine Teile ganz oebensachlicher Art
sollen auf die Auffassungsweise eines ganzen Gedichtes (das ohne alles
das gar keine Schwierigkeiten bietet) einwirken! Weil r.» und 53 <li-
sertus, 52 und 53 den Namen Vatinius (58 eigentlich nur crimina Va-
tiniana) gemein haben, deshalb wandert Vatinius von 53 Dach 191 Endlich
konnte Catull dem Cicero die Verteidigung des Vatinius ^o brflsk gar
nicht zum Vorwurfe machen: Cicero übernahm sie nur gezwungen, wen-
dete sich vorher und nachher um von der Sache und ihrem odium los-
zukommen u. s. w. Als Hauptstellen darüber werden verzeichnet cp. ad.
Fam. I. 9; ad. Qu. fr. II, 16; ad. Att. XI 5. Manche andere gute Be-
merkungen gegen Suis kehren verbessert und vermehrt in den unten zu
besprechenden Abhandlungen wieder. Daher sei hier nur Weniges noch
erwähnt. S. 15. Anm. ' elorjuens mit seiner Sippe' gehört überhaupt nicht
der Dichtersprache an. Ist es auch nur möglich, dafs Cicero Ironie
argwöhnen konnte, wenn ihn Jemand disertus nannte?' Wenn das Ge-
dicht wirklich ein dem Cicero versetzter Hieb, wenn das was anerkennend
über ihn gesprochen wird, ironisch zu fassen ist, so heifst tanto pessimus
poeta, quanto tu optimus patronus: sosehr der trefflichste Dichter,
wie du der elendeste Sachwalter. Aber so etwas konnte Catull
doch im Ernst weder von sich noch von Cicero aussagen. Vgl. das be-
scheidene c. 1. Und den Cicero als erbärmlichsten Sachwalter ironisie-
ren durfte er nimmermehr, denn er war es eben nicbt, auch seine ver-
bissensten Neider und Gegner konnten ihm doch wenigstens Erfolge nicht
absprechen. — Eine die gegnerischen Ansichten ( namentlich No. 59)
Punkt für Punkt widerlegende, nach des Ref. Ansicht abschliefsende Be-
handlung des Themas hat endlich Harnecker in No. 60 und 61 gegeben.
Ref. berücksichtigt vornehmlich die letztere Abhandlung wegen ihrer klaren
Disposition und präzisen Fassung. Der reiche Stoff wird in folgenden
Kapiteln behandelt: I) Die litterarischen Ansichten und Bestre-
bungen. Verf. weist nach, dafs keine der Stellen, an welchen Cicero
über die novi poetae (zu denen Catull gehörte) spottet, zu Catulls Leb-
zeiten geschrieben ist. Die früheste ad Att. VII 2, 1 fällt in d. J. 704.
Freilich war Catulls Herzensfreund Licinius Calvus ein Vertreter des
genus Atticum, dessen Verehrer von Cicero eifrig bekämpft wurden.
Aber auch hieraus kann man nicht auf ein gespauntes Verhältnis zwi-
schen Cicero und Catull schliefsen, denn Letzterer kann den Begiun
dieses Kampfes gar nicht mehr erlebt haben.*) Übrigens waren Cicero
*) Die genauere chronologische Datierung des Streites hat 0. Harnecker
in dem Aufsatze 'Cicero und die Attiker' N. Jahrbb. 1882 S. 601-611 ge-
geben. In den 699/55 herausgegebenen Büchern de oratore findet sich noch
keine Spur des Streites, ebensowenig in den zahlreichen Briefen aus den Jah-
ren 56-48. Verf. setzt schliefslicb die Blüte des Atticismus in die Jahre 51
Cicero und Catullus. Gedicht 49. 245
und Calvus gar nicht unversöhnliche Feinde. Vgl. darüber Progr. 1879
S. 12. Über einen Briefwechsel beider aus späterer Zeit, rhetorische
Fragen betreffend, s. Harnecker N. Jahrbb. 1882 S. 604f. Mit nach-
weisbaren litterarischen Fehden des Cicero läfst sich also Catull absolut
nicht in Zusammenhang bringen. Denn auch die Stelle Tusc. III 19, 45,
wo es nach einigen Versen des Ennius heifst co poetam egregium, quam-
quam ah his cantoribus Evphorionis contemnitur' läfst sich schwerlich auf
Catull beziehen. Es ist nicht nachgewiesen, auch gar nicht wahrschein-
lich, dafs Catull den Euphorion nachgeahmt hat. Selbst 64, 30 Oceanus-
que muri totum qui amplectitur orbem ist ein poetischer Gemeinplatz, der
mit Euphorion fg. 158 (Meineke Anal. AI.) nichts zu thun hat. [Vgl.
Berl.Ph.W. 1884 8p. 1573—1574. S. auch Merkel prolus. ad Ibin S. 354].
Ferner wird anscheinend durch his angedeutet, dafs Cicero von noch
lebenden modernen Tagespoeten spreche. Nun lebten aber zur Abfas-
sungszeit der Tusc. 45/44 weder Catull noch Calvus. Und schliefslich
meinte Cicero an jener Stelle vornehmlich, vielleicht ausschliefslich den
Cornelius Gallus. Vgl. Haupt Opusc. II 206. Programm 1882 S. 3.
Auch wird mit Unrecht behauptet (Schulze a. 0. S. 379), Catull sei der
intimste Freund derjenigen Redner und Dichter, welche von Cicero be-
kämpft werden, und befehde anderseits dessen Freunde. Beide hatten
vielmehr verschiedene gemeinsame Freunde: Cornelius Nepos (vgl.
Gell. XV 28, 1; Att. XVI 5, 5; 14, 4. Cornificius (Farn. XII 17, 1;
18, 1 und 2; 19, 3 Ende), M. Caelius Rufus [?J. Gemeinsame Feinde:
Caesar, Gellius, Mamurra (cf. Cic. Att. VII 7, 6). Beide begegnen
sich in ihrem Urteile über des Sestius geschmacklose Rede und Schrift-
stellerei (vgl. c. 44 mit Att. VII 17, 2. Fam. VII 32, 1. Plut. Cic. c 26).
S. noch Schwabe quaest. Cat. 246 und 339. - II) Cicero als Anwalt
und Politiker. Eine bestimmte Gelegenheit in der öffentlichen Thä-
tigkeit Ciceros, die beide Männer zusammenbrachte, ist nicht aufzu-
spüren. [Der Satz ist nicht unbedingt richtig. Die Verteidigung des
Vatinius durch Cicero konnte die Gelegenheit bieten. Vgl. oben S. 243].
Ja auch in Ciceros Schriften giebt es nichts, was mit Catull oder seinen
Dichtungen in Beziehung zu bringen wäre. (Höchstens etwa die versus
obscaenüsimi in Clodiam et Clodium, von denen Qu. fr. II 3, 2 gesprochen
wird, sind auszunehmen), speziell die 0 aeli an a kann gar nicht irgend-
welche klare Beziehungen zu Catull bieten. Denn Caelius wurde ge-
schädigt und der Lächerlichkeit preisgegeben, wenn der Gedanke an
Catull und seine beifsenden Epigramme den Richtern vor die Seele trat
Daher irrte vermutlich Scholl (s. unten S.254], wenn er in g 69 der Caeliana
bis 50. Den definitiven litterarischen Austrag des Streites bezeichnen Brutus
und Orator, beide aus dein Jahre 16. Catull aber ist wahrscheinlich 700
oder 701 gestorben! Auch chronologische Qründe verbieten demnach mit Suis
a. 0. aus Catull 12, '•• zu folgern , dafs Catull den Asinius Polio als Redner
verehrte. Vgl. Ilarneeker Progr. ls7'.t S. LO— 11.
246 Cicero und Catullus. Gedicht 49.
einen direkten Hinweis auf Catull finden wollte, f 1 1 > Catulls c. 49.
Man darf nicht von einer »ernsten« und einer dazu im Gegensatze
stehenden »ironischen c Auffassung dos Gedichtes reden. Vielmehr ist
zu fragen: Was war das c. 49, ein Dankgedicht oder ein Epigramm?
Auf den Versuch nachzuweisen, dafs alle Worte and Wendungen des
c. 49 von Catull oder anderen Schriftstellern ironisch gebraucht worden
seien, antwortet Verf.: Jedes Wort in jeder Sprache kann ironisch
gebraucht werden; die Ironie liegt im Tone, nicht im Worte, oder in
einem augenfälligen oder im bestimmten Falle bekannten Gegensatze
zur Wahrheit'. Für unseren Fall kann also nur behauptet werden: die
und die Wendung im Munde des Catull, gerichtet an einen Cicero zu
der und der Zeit, ist notwendig ironisch. Der Deweis ist also wiederum
auf das gegenseitige litterarische und persönliche Verhältnis reduziert,
das, wie oben ausgeführt, für die ironische Fassung keinen Anhalt bot.
Trotzdem werden die dem Sprachgebrauche entnommenen Argumente
der Gegner einzeln geprüft, a) disertissime. Z. f.d. G.W. 1879 S. 77.
Progr. 1879 S. 15. Anm., 1882 S. 6, Philol. 41, 474. Cicero selbst hat
den Unterschied zwischen eloquens und disertus nicht anerkannt und
durchgeführt, auch in der späteren Rhetorik findet man ihn niemals
in Geltung. An der Hauptstelle, die ins Feld geführt wird, de Or. I 21, 94
spricht gar nicht Cicero, sondern M. Antonius (vgl. Or. 5, 18 M. An-
tonius disertos se vidisse multos, eloquentem omnino neminem), der Erfinder
dieser Unterscheidung, welche in der dichterischen Sprache und der des
gewöhnlichen Lebehs nicht bekannt ist. De or. ist 699/55 geschrieben,
Catull starb 54. Soll in höchstens einem Jahre diese Distinktion zum
Gemeingut geworden sein, so dafs Catull verständlich war, wenn er an-
spielte? Wenn Schulze a. 0. 381 vermutet, Catull wähle dieses Wort
hier absichtlich im Hinblick darauf, dafs Cicero ad Att. XIII 46, 2 sich
selbst im Vergleiche zu der neuen Rednerschule disertua nannte (' Bruti
Catone se sibi visum disertum'), so irrt er sehr. Cicero schrieb dieses
cse sibi' natürlich nicht von sich, er schrieb es von Julius Cäsar — und
zwar 9 Jahre nach Catulls Tode! — b) Romuli nepotes und quot
sunt etc. ist lässige Ausdrucksweise eines wortreichen, weil gutgelaunten
Sprechers, der Umgangssprache entlehnt. Süfsa. 0- wies gar auf den
Doppelsinn von nepotes hin! Nun, nepos kann Schlemmer, Wüstling heifsen,
aber an dergleichen hat selbst bei dem viel verleumdeten Cicero noch
Keiner zu denken gewagt! Vgl. darüber und über Stellen wie 28, 15.
29, 5. 58, 5 die treffenden Bemerkungen im Progr. 1879 S. 9 — 10. —
c) MarceTulli. Vgl. Progr. 1879 S. 10; 1882, S. 6. 'Marcus Tullius'
lag dem Römer angenehm im Ohr, wie hunderte von Stellen beweisen,
es pafste sehr gut ins Metrum der Hendekasyllaben. Auch bei uns
kann ' aktenmäfsige ' Bezeichnung in sehr verschiedenem Sinne, höflich
anerkennend und hämisch ärgernd gebraucht werden; die Situation be-
dingt die Auffassung. Vgl. Cicero in Cat. I 11, 27 u. a. — d) pessi-
Cicero und Catullus. Gedicht 49 247
raus poeta. Philo]. 41,474-475. Sehr mit Unrecht wird denen, die
c. 49 für ein Dankbillet ansehen, die Vorstellung imputiert, Catull be-
zeichne sich im Ernste als pessimus poeta. Es ist hier durchaus nicht
besonders bescheiden, nur ein kleiner Schalk gegenüber dem berühm-
ten Anwalt im reifen Alter, dem gewesenen Konsul. Auch 36, 6 be-
zeichnet sich Catull launig als pessimus poeta. [Vgl. unten zu c. 36] und citiert
sich nicht absichtslos selbst: wahrscheinlich nimmt Lesbia in 36 auf 49 Be-
zug. — e) Omnium patronus. Progr. 1879, S. 13. Z.f.d.G.W. 1881
S. 607 f. Progr. 1882, S. 7. Philol. 41, 475-476. Die Behauptung, Ci-
cero sei wiederholt teils scherzhaft, teils mit bitterem Spott von seinen
Zeitgenossen omnium patronus genannt worden, ist gänzlich unerwiesen.
Die bezüglichen Stellen ad Farn. VI 7, 4. Brutus 97, 332 sind anders
zu interpretieren. Im Allgemeinen: Will Catull dem Cicero etwas am
Zeuge flicken, so schreibt er nicht ein Epigramm, das man, weil inhaltslos
und aus sich nicht verständlich, auch als ein mehr oder weniger poin-
tiertes Dankbillet auffassen kann. Ein Epigrammatiker wie Catull läfst
sich nicht Pointen entgehen, wie wir sie heute noch ihm massenhaft an
die Hand geben können (ein reiches, sehr belustigendes Verzeichnis
siehe Progr. 1879, S. 15. 1882, S. 8. Philol. 41, 478-479. - IV) Zu-
sammenfassende Ergebnisse. In Ciceros Stellung als Schriftsteller
und Politiker bis z. J. 54 lag für Catull kein Grund zur Feindschaft,
ebensowenig allerdings zur Freundschaft. Catull anderseits war als
Dichter von Tändeleien dem vielbeschäftigten Cicero eben so gewifs
bekannt, wie gleichgültig, als Epigrammatiker gegen socer gcncrque
und Clodius mit seiner Sippe gewifs nicht unwillkommen (wenn er auch
zu vorsichtig war öffentlich für diese etwas kompromittierende Litteratur
einzutreten). Catull als Alexandriner endlich war dem Cicero bis zum
Jahre 700 schwerlich irgendwie unbequem. Zeigte sich doch Cicero, wie
allein schon seine Übersetzungen des Arat beweisen, zeitweise sicher
den Alexandrinern nicht abhold. Seine Polemik aber gegen die novi
poetac aber gehört einer späteren Zeit an und ist nur durch das Vor-
gehen der Attiker bestimmt und veranlafst. Als Menschen haben die
beiden schwerlich an einander Gefallen gefunden. Sie begegneten sich
sicher, ohne jedoch in engere Berührung zu kommen. Irgend einer ge-
legentlichen Aufmerksamkeit oder Gefälligkeit über wird der glänzende
junge Mann mit der spitzigen Feder dem eitlen KuiHularon doch wohl
wert erschienen sein. Und dieser quittierte darüber, höflich wie es -ich
gehört, aber Dhne besondere Verbindlichkeit, leise scherzend, unmerk-
lich unter Verbeugungen lächelnd: «Verbindlichsten Dank sagt Catullus,
das 'kleine Dichterlein' dem greisen Anwalt". [Vgl. Rettig Catnlüana 1
S. 12. Hier wird vermutet, da Catull den Cicero disertisaimum^ patro-
vuiii omnium optimum nenne, so danke er propter oratorias virtntes et
propter oratoris aliquod meritum' mit dem bemerkenswerten Zusätze in
re tarnen non ita gravi'.] Ref. hat diesen Ausführungen Jahresb.
248 riccro und Catullus. — Die Einheit von c
d.Ph.Ver.IX290f. Z.f.d.G.W. 1883 zugestimmt. Nor kann ernichl finden,
dafs durcli die Bkizzierte Deutung von c. 19 die Möglichkeit
schlössen würde, jene gelegentliche Aufmerksamkeit oder Höflichkeit,
für welche Catull dankt, sei vielleicht ein anerkennendes, aber (wie na-
türlich bei dem ' grofsen Staatsmann, dem gewaltigen Redner, dem feinen
Stilisten') etwas gönnerhaftes, gnädig herablassendes Urteil über den
jungen Dichter gewesen: Ganz niedliche 8äch eichen das, die der junge
Mann auf seinem kleinen Gebiete macht — nun pessimua in sno g
poeta'. Dann begreift man, warum bei den gutgelaunten Worten des
Dichters ' der Schalk lächelt'.
Dagegen vermag lief, den Bemerkungen über c 2 nicht zuzustim-
men, welche S. 1 6 des Progr. 1879 füllen. Neben der geschickt und
lebendig vorgetragenen Auffassung des Verf. bleiben entschieden andere
Möglichkeiten offen. Er bekämpft die früheren Rekonstruktions versuche
des anscheinend so einfachen Gedichtchens, erkennt c. 2 so wie es ist
(d. h. wenn der eigentliche Gedanke des Ganzen in v. 9 10 liegen soll)
nicht als antikes Gedicht an [? in dem eben besprochenen c. 49 hätten
wir ein Analogon dieser Form], nimmt an, dafs mit v. 10 das Gedicht
abgeschlossen sei (dafs also die folgenden Verse 11—13 zu einem an-
deren Gedichte heterogenen Inhaltes gehörten, welches c. 2 und 3 gemäfs
dem Prinzipe der Variatio trennte), schreibt in v. 7 mit Jacobs es und
in 8 mit jüngeren Handschriften tum, interpungiert endlich hinter doloria,
so dafs der eigentliche Gedanke des Liedchens in v. 7 steckt:
Passer, deliciae meae pnellae ....
Cum desiderio meo nitenti
Carum nescio quid übet iocari,
Es solaciolum sui doloris.
Credo, ut tum gravis acquiescet ardor!
Tecum sq.
Der versuchte Beweis, dafs die drei Verse von der Atalaiite nicht
zu c. 2 gehörten, ist kaum gelungen. Die Argumentation cwas konnte
überhaupt noch erwähnt oder ausgeführt sein von dem passer oder der
Lesbia oder Catull?' vermag Ref. nicht anzuerkennen. Über andere Ver-
mutungen s. unten S. 255, sowie A. Palm er Hermathena VI 300 f.
Speziell mit Catulls c. 68 (vgl. über dies vielumstrittene Gedicht
auch oben S. 150 f.) beschäftigten sich folgende Schriften:
62. A. Kiefsling, Analecta Catulliana. Ind. leett. Gryphisw.
aest. 1877. 20. S. 4.
63. 0. Harnecker, Das 68. Gedicht des Catullus. Friede-
berger Progr. 1881. 14. S. 4.
A. Kiefsling behandelt im ersten Teile seiner Abhandlung die Sage
Die Laodamiasage bei Catull. Einheit des c. 68. 249
von Laodamia. (Die mit der vulgären Aussprache übereinstimmende
Schreibung Laudamia wird S. 3 Anm. als prosodisch unrichtig zurück-
gewiesen). Er geht aus von den betreffenden Versen bei Homer (B 7001.)
und der Anmerkung des Eustathius. Die Erzählung des Hyginus (103
und 104) ist eine Kontamination des Inhaltes zweier Tragödien. Es
werden sodann (um die Notiz bei Eustathius dv£Ä&wv aupsv ixeivyv
dydljia-t aoTou Trspixetjxivr^ zu erklären) die bildlichen Darstellungen
von der Rückkehr des Protesilaus aus der Unterwelt aufgezählt (S. 9).
Es folgen die Fragmente der Euripideischen Tragödie Protesilaus (aus
welcher angeblich Eustathius schöpfte) geordnet und erläutert. Verf.
kommt endlich ziemlich unvermittelt zu dem Resultate: ' Catullus ex
Euripidea tragoedia pendet' (vgl. dem gegenüber die Abhandlung von
Baehrens unten No. 68). In v. 118 findet Kiefsling wegen 107 — 116 und
besonders wegen des Plusquamperfektums detulerat in 108, eine Anspie-
lung auf das zweite Wiedersehen nach dem Tode und konjiziert qui
viduam domini ferre iugum docuit. Doch s. den Ref. Jahresber. des
Phil. Ver. IX (Z.f.d.G.W. 1883), 280 und Baehrens a. 0. — Der zweite
Teil (S. 13—20) ist eine Verteidigung der Einheit von c 68. Er ist
(was im Interesse der Sache zu bedauern) ohne Kenntnis der betreffenden
Abhandl. des Ref. N. Jahrbb. 1875, S. 849 f. geschrieben. Das Unglück
des Allius bestand nach Kiefsling einfach in einem Zwiste mit seiner
Geliebten. Bei dieser Annahme ist es besonders fein, wenn der Dichter
lqui amicum Musarum munere consolari studet, in extrema votorum pro
Allii eiusque pueliae salute nuncupatione (155 Suis felices et tu simul et
tua vita) consolatione sua non opus esse auguratur'. Der Adressat
hiefs M' Allius. In 11 und 30 ist der Vokativ Moni herzustellen. An der
verschiedenen Bezeichnung des Freundes (50, 65, 41. 150) ist kein An-
stofs zu nehmen, weil im ersten Teile (1 — 40) der Dichter den Allius
selbst, 'cuius molles auriculae gaudebant praenomine', anrede. Im
zweiten dagegen, wo Catull die Musen anrufe und ihnen den Allius wie
einen Abwesenden empfehle, sei die Bezeichnung durch das nomeu durch-
aus notwendig. Vgl. dazu Jahresb. d. Ph. Ver. VII 364. (Z.f.d.G.W.
1881). In v. 39 ist non utriusque zu betonen. Der Freund hatte nach
v. 10 zwei Geschenke erbeten. Catull kann bei seiner trüben Stimmung
nur eins senden, ein munus Mtisarum\ und auch dieses verlangt nach
33—36 nachsichtige Beurteilung. Die Einheit des c. 68 folgt auch aus
den engen Beziehungen von 12-13, 68 — 69 zu 155 -156, aus der Wieder-
holung der Klagen über des Bruders Tod 19 f. und 93 f., endlich aus
den vv. 135-140, die angeblich nicht zu verstehen sind, wenn man Dicht
an den Anfang der Elegie zurückdenkt: 'Nam Allio de amicae perfidia,
quae ipsum deseruerit, graviter conquesto respondet semel ipsum similia
patieuter tolerarc. Talia, dummodo rara Binl hirta vereeundae erae, inter
amautes esse ferenda, sicut et ipsa Juno plurima Jovia furta tolerare
neque ei irasci debuerit'. Am Schlüsse der Abhandlung wird in v. 68 da-
250 "io Einheit von Catalina Gedicht 68.
veluti der Itali, in 39 und 68 Froehliche praestoat and dommae, in 102
L. Muellers Grata empfohlen; Baebrens Konjekturen zu c. ch werden
dagegen mit berechtigtem Sarkasmus zurückgewiesen.
0. Harnecker hatte sich in seinem Aue-at/.e da- Ziel g<<>teckt
eine endgültige Einigung über c. 68, die Bchönste Blüte römischer Poesie,
anzubahnen, jedenfalls eine Menge übler Vermutungen zurückzuweisen.
Die ersterc Hoffnung ist nicht in Erfüllung gegangen. Noch immer wird
die Einheil des Gedichtes von vielen Kritikern bezweifelt, leider auch
von einigen wirklichen Catullkennern. — Das Studium von Harneckers ge-
diegener Arbeit ist für Jeden, der c. 68 studieren will, unentbehrlich.
Verf. steht natürlich auf dem vom Ref. und von Kiefsling befestigten
Boden, aber er zeigt durchweg selbständiges Urteil, er kennt den Dich-
ter, er kennt auch die einschlägige Litteratur (nur die Abhandlung von
E. Eich ler, Progr. von Obcrhollabrunn 1872 ist nicht berücksichtigt).
Alle gegen die Einheit vorgebrachten Gründe sind widerlegt (anhangs-
weise auch die von M. Schmidt N. Jahrbb. 1880, S. 780 f.). Verf.
bebandelt nach einigen treffenden Bemerkungen über den Gebrauch des
Pränomens bei den römischen Dichtern (vgl. oben S. 241 f.) den reichen
Stoff in folgenden Abschnitten: l) Das Unglück des Allius. Der
casus acerbus der den Allius getroffen hatte, ist ein kompromittierendes
Unglück öffentlicher bürgerlicher Art, z. B. eine Zurückweisung bei einer
Bewerbung, etwa mit einer kleinen Skandalgeschichte verknüpft. Damit
wird nun sehr hübsch kombiniert v. 41—50 und 151. Denn wenn der
Name, der makellose Ruf des Allius in Gefahr war, so gewinnt das Ver-
sprechen des Dichters : c Ich will durch mein Lied dafür sorgen , dafs
Spinnweben und Rost den Glai>z deines Namens nicht verdunkeln', eine
tiefe Bedeutung. [Diese Vermutung ist gewifs sehr ansprechend, aber
offenbar nicht so zwingend , dafs daneben nicht andere Möglichkeiten
offen blieben. Vgl. B. Schmidt prolegg. ed. CXXIX]. 2) Die Munera
et Musarum et Veneris. Verf. prüft die von Ellis gesammelten
Stellen über owpa 'Appodcnye u. ähnl., vervollständigt sie und weist über-
zeugend nach, dafs der Ausdruck keineswegs immer sinnlich -erotische
Bedeutung hat (= Liebesgenufs, Geliebte). Entscheidend ist hierfür
Anakreon No. 94 Bergk. Es bezeichnen demnach derartige Ausdrücke
nur das, was der Gott am Menschen und für den Menschen wirkt, die
Genüsse, die er ihm schafft. Wir werden an der alten Erklärung mu-
nera Veneris = erotische Tändeleien, Liebesgedichte festhalten. Der
Freund hatte hiernach zwar um Lektüre gebeten, wie man schon früher
annahm, aber speziell um catulli sehe Poesie (denn veterum scriptorum
Musae helfen ihm eben nicht; etwa so: 'Schicke mir, was Du hast, es
ist mir gleich ob es gelehrte Arbeit (nach griechischen Mustern) ist, ob
Tändelei — das sind ja doch deine beiden gleichsam starkeu Seiten,
die Fächer, in denen du brillierst'. Diese Bitte gewährt auch der Dichter
liebenswürdig sich entschuldigend: so wie der Freund es vielleicht
Die Einheit von Catullus Gedicht 68. 251
wünsche und zu erwarten ein Recht habe, könne er der Bitte jetzt nicht
nachkommen, weder in der einen noch in der andern Richtung. 3) Die
Einheit des c. 68. Hervorzuheben ist hier namentlich die Erklärung
des nam in 33 durch Annahme einer Gedankenpause. Der Gedanken-
zusammenhang zwischen 32 33 ist folgender: [Damit also kann ich dich
nicht erfreuen. Aber auch in meinem andern Fach kann ich dir nicht so
recht dienen,] denn mein eigentliches Heim ist doch nun einmal Rom
u. s. w. Für diesen Gebrauch von nam verglich Ref. schon früher Stellen
wie Ov. Met. VI 271, VIII 531. — Die nach Fröhlichs Vorschlage em-
pfohlene Umstellung in 43-50:41. 42. 45. 46. 43. 44. 49. 50. 47. 48
scheint nicht notwendig. Der unverkennbare Vergleich der Lesbia mit
Laodamia ist S. 12 wohl zu sehr auf Einzelheiten ausgedehnt. Der Satz:
cTroja, das böse Troja raubte der Laodamia den blühenden Gatten, dem
Dichter den Bruder — so auch der Lesbia den Catullus' ist in
seinem letzten Teile nicht verständlich. Ebenso sind die chronologischen
Erörterungen am Schlüsse, die auf Seh ölls unsicheren Hypothesen über
M. Caelius Rufus basieren, schwerlich überzeugend. Über die Einheit
des c. 68 im Allgemeinen vgl. noch A. Palm er Hermathena VI 346 f.,
B. Schmidt ed. mai. S. CXXVI und oben des Ref. Bemerkungen S. 150f.
64. M. Schmidt, Zu Catullus. N. Jahrbb. 1880 S. 777-785.
Die Verse 9—14 sind mit Haase hinter 101, 7 zu setzen. V 65, 9
alloquar, audiero numquam tua . . loquentem ist wahrscheinlich echt. Denn
einerseits ist sehr wohl die Möglichkeit vorhanden, dal's ein in der Ur-
handschrift unleserlich gewordener Vers in einer Abschrift auch ohne
Zeichen der Lücke weggelassen, in einer andern, soweit er eben lesbar
schien, fortgepflanzt wurde. Anderseits entspricht der Vers den An-
forderungen der Grammatik und des Metrums so wenig, dafs man nicht
begreift, was ein Interpolator damit, bezweckt haben sollte. Die Ver-
bindung alloquar, audiern ist unzulässig. Mit Benutzung von Westphals
Konjektur te suave für tua ist zu schreiben: ergo auscultabo numqnam U
suave loquentem. Die beiden Disticha 68h, 53 56 sind zu
streichen. Sie sind ursprünglich als Parallelstelle dem Verse attulit,
ei misero f rater adempte mihi am Rande beigeschrieben von einem, dem
hierbei 68", 20f. einfiel. Später wurden sie irrtümlich als ausgefallene
und hier einzutragende Verse betrachtet; der vermeintlich fehlende Hexa-
meter 53 wurde dann einfach aus 52 schlecht genug fabriziert. | l>ic
Athetese ist von Riese gebilligt Fröhlich in d. Aldi. d. kgl. Bay. Ak. d.
Wissensch. V 3 S 263 und 265 wollte die Verse an beiden stellen strei-
chen und verwies sie in c. 65]. ~ 68R -+- 68b sind nicht ein Gedicht,
sondern zwei, gerichtet an dieselbe Person, den Manius Allius. [An
der Einheit der Person des Adressaten wird also festgehalten und z. B.
in v. 11 geschrieben sed tibi ne mea sint ignota incommoda, Mani}.
Es wäre, worauf schon Westphal hinwies, der Gipfel aller Geschmack-
252 I atullua Gedieh! W
losigkeit, wenn in den zwei Teilen 1—40,41 160 Stücke <h
densten Stiles zusammengekoppelt würden, ein zum teil im
Briefstil geschriebenes Billel und ein mit denkbarster Sorgfall a
arbeitetes Enkomion oach griechischem Vorbilde Welcher üntei
im Stile mag aber wohl zwischen l 40 und 149—160 bestehen?) Ufo
in 39 bezieht sich nicht aui min, im musarum et Vem rnaofzwei
bestimmte Brochüren, welche der Freund in seinem Briefe aufser einem
Trostgedichte noeli ausdrücklich erbeten hatte. Auf diesen V,
lediglich beziehen sich die Verse 33 40. [Vgl. die schlagende Wider-
legung dieser ganz unhaltbaren Ansicht von o. Barnecker im Friede-
berger Programm von 1881 S. 14J. in v. 40 kann nitro nicht richtig
sein. 'Wie konnte denn Catnll versichern, er würde Allius Bitte zuvor-
gekommen sein, die gar nicht zu erraten war?5 [vgl. dagegen Riese zu tu.
Was Objekt zu deferrem ist, sagt etwa v. 3—4]. Da Catull von den
beiden gewünschten Dingen nur eins schickt, wird er versichert haben,
dafs er gern sogar ein drittes und viertes gewähren würde, wenn es in
seiner Macht stünde [Also eine dritte und vierte Brochüre!]. Es ist
daher zu lesen ultra (numerum a te petitum). — Ref. glaubt, dafs in
diesen Ausführungen nichts ist, das nicht durch Kiefsling, Harnecker
und ihn selbst seine Erledigung gefunden hätte.
65. II. A. J. Munro, Catullus' 68th poem, journ. of philol.
VIII (16), 333-336.
Munro berichtigt seine in den Criticisms and Elucidations vorge-
tragene Erklärung von zwei Stellen des c 68. In v. 68 ist mit Ellis
das handschr. dominant zu halten. Der Sinn ist: he gave to me a house,
hc gave to me the lady of that house'. Das folgende ad quam heifst
(so ebenfalls Ellis) 'in whose mausion'. Für ad aliquem = apud citiert
Munro noch Plaut. Asin. 825 und Ciceros 'fuit ad me' in Cumano ad
te'. Offenbar hat diese Erklärung viel für sich, einmal wegen der so
hergestellten Beziehung des ad quam und wegen 156, wo es Schwierig-
keiten macht domina = Geliebte zu setzen (denn von dieser ist erst 159
bis 160 die Eede). Vgl. auch B. Schmidt prolegg. ed. S. CXXVI.
Übrigens ist die Erklärung wohl nicht neu. M. Haupt interpungierte
schon 1868 in 156 vor et domina. Und Heyse (der freilich v. 68 anders
auffafst) übersetzte: Beglückt sei . . . das Haus selbst und die Herrin
im Haus'. Aber geben 68 — 69 ohne Künstelei den von Ellis hinein
gelegten Sinn 'Allius allowed me to meet Lesbia in a house the
mistress of which was favourable to our love'? Und die daun
geforderte Erklärung von communes amores ist nicht ohne sprachliche Be-
denken.
Von Munros Bemerkungen zu dem heillosen 157 sei als sehr be-
achtenswert hervorgehoben der Versuch das überlieferte terram zu halten:
terra ='firm ground'. ' raa-bv yrt, arua-ov BdAacoa, says Thaies'. Munro
Die Einheit von Catullus Gedicht 68. 253
citiert Plaut, mercat. 195 equidem me iam censebam esse in terra atque
in tuto loco, aufserdem Most. 737. Eudens 824. Cicero pr. Mur. 4. An-
scheinend schrieb Munro noch ohne Kenntnis von Baehrens' Kommen-
tare. Hier findet man S. 535 dieselbe Ansicht vorgetragen und mit an-
deren Beispielen begründet. Gewagte Hypothesen hat hieran geknüpft
B. Schmidt Adn. crit. S. CXXVIHf.
64. F. Scholl, Zu Catullus. N. Jahrbb. 1880 S. 471-496.
Verf. dieses inhaltreichen Aufsatzes behandelt eine ganze Reihe
wichtiger Fragen mit» Scharfsinn und Gelehrsamkeit.
I. Die Einheit des c. 68 ist für jeden Philologen entschieden.
Wenn Catull v. 39 sagt quod tibi non utriusque petiti copia praestost,
so heifst dies im Latein der Chorizonten quod tibi neutrius petiti c. p.
[Dasselbe hat Ref. schon früher geltend gemacht Z. f.d. G.W. 1878.
S. 496 Anm. Übrigens wäre die Gleichung non utriusque = neutrius, wenn
sie sich beweisen liefse, dem Ref. ganz sympathisch. Die Einheit würde
durch sie nicht in Frage gestellt. Vgl. oben S. 151 am Ende. Ref.
hält seine obigen Ausführungen auch nach der neuesten Behandlung
der Frage durch F. Hermes (Beiträge zur Kritik und Erklärung des
Catull. Frankfurt 1888) in allen Punkten aufrecht], c. 68 giebt sich
als munus Musarum nicht nur durch den Charakter, die — natürlich der
una Capsula v. 36 entnommene — Laodamiasage und durch die aus-
drückliche Anrede an die Musen v. 41 kund. Die Alten liefsen sich bei
solchen Einteilungen nicht vom Inhalt (z. B. Liebe), sondern von der Form
bestimmen. Die Ausdrücke casus acerbus, mortis Urnen, mens anxia per-
vigilat deuten darauf hin, dafs des Freundes Unglück in schwerer Krank-
heit bestand. [Vgl. dagegen Harnecker, Friedeberger Progr. 1881
S. 4]. Um Gleichheit der Anrede herzustellen wird v. 30 geschrieben id im,
Alli, non est turpe, in v. 11 ignota incommoda, amtce, so dafs Mali hier eiue
Glosse wäre [Vgl. Jahresber. d. Phil. Ver. VII, 364; mit mehr Wahr-
scheinlichkeit vermutet jetzt B. Schmidt in 150 Mani]. — In v. 118 ist,
was schon Kiefsling betonte, die Rede von der Zeit nach dem Tode
des Gatten. Lies: qui Diti domitum ferre iugum docuit [Vgl. aber deu
Ref. Jahresber. d. Phil. Ver. IX, 279 und jetzt Baehrens im Komm. z. d.
St.]. 68, 68 ut dam communes exerceremus amores. 68, 143 claustria
deducta paternis. 68, 143. Wir haben hier eine Aufzählung von Gründen,
mit denen Catull sich selbst zu beschwichtigen sucht. Der tremulus
parens ist aus 61, r>l interpoliert. Hier kann nur von dem ängstlich
verfolgenden Liebhaber die Rede sein, der stultorum more molestus ist. Lies
etwa: nee gratum (sc. est) tremuli tollere amantis onus. [Aber das folgende
tarnen deutet doch auf einen Gegensatz zum Vorhergehenden]. ■■ Der
Hexameter 48 ist vielleicht eine zu den bildlich gemeinten Versen 49f. beige-
Bchriebene Parallelstelle. — In dem verzweifelten Verse 157 isl Rnfns be-
zeichnet. Korrigiert man in 158 nostra statt des unpassenden nata, so
254 Lesbia: Ciodia. Caelioe i.c68u. LOOident. m.d. Red. Caelius Rufus?
wird die Beziehung auf 77, 4 ei misero f;rij>uist i omuia nostra bona deut-
lich. Lies:
et qni, priocipio nobia era quae dedit, aafert —
ii l i/imi sunt permissa omuia nostra bona!
In diesen Worten reicht der Dichter gleichsam mit abgewandtem
Antlitz dein ehemaligen Freund die Hand zur Verhöhnung. | !V |
II. Catulla Lesbia-Clodia ist ganz gewifa identisch mit der
berüchtigten Schwester des P. Clodins. Einige bisher übersehen'' Mo-
mente für die Identität liefert noch Ciceros Caeliana. Wie gut dort § 69
die Worte adulescens non tarn msulsu» quam non vereeundus im Munde
Ciceros den Catull charakterisieren würden, liegt auf der Hand [doch
vgl. Harnecker, Piniol. XLI, 3, 470 Anm.] Das Zusammentreffen auf
beiden Seiten in dem intimen Verhältnis zu einem Kufus und dem un-
züchtigen Umgang mit einem Clodius! In dem wichtigen Epigramme 79
ist v. 4 zu schreiben si tria nostrorum basia reppererit (' Wer denkt dabei
nicht gleich an die berühmten tausend und aber tausend basia des Ca-
tull?'). — Für die Identität des Caelius (c. 100) mit dem Redner M.
Caelius Rufus spricht c. 58 Caeli, Lesbia nostra, Lesbia illa u. s. w.
Denn bei der Thatsache, dafs ein Caelius einst die Clodia geliebt hatte,
bei dem weiteren Zusätze illa - amavit ist es unmöglich, dafs nostra anders
zu fassen als im eigentlichen Sinn: an Caelius gerade wendet sich dieser
Aufschrei, weil auch er bei dieser Herabgekommenheit der früheren
Zeit ihrer Liebe denken mufste. Aber der Redner Caelius Rufus stammte
nach Cicero pr. Cael. 2, 5 aus einem munieipium, Catulls Caelius war
nach c. 100 ein Veroneser. Darauf ist zu erwidern, dafs in c. 100 der
Plural depereunt auf flos bezüglich nicht zu rechtfertigen, dafs depereunt
auch gar nicht sicher (G depereret, 0 deperet), dafs vielleicht zu lesen ist
flos Veronensurn deperit, ei, iuvenum. (Diese Interjektion ist angeblich
von Lachmann unrichtig 70, 21 hergestellt; lies hier sensim subrepens.
In demselben Gedichte ist v. 10 vor te ein tu einzuschieben). Dann be-
zieht sich flos V. i. nur auf Quiutius. [Offenbar unrichtig, da Caelius, ab-
gesehen von der unpassenden Interjektion nicht ohne Epitheton bleiben
darf. Vgl. übrigens die Bemerkungen von 0. Harnecker, Berl. Ph.
Wochenschr. 1884 Sp. 225—229. Wochenschr. f. Kl. Phil. 1886 No. 35
Sp. 1099 f., der an letzterer Stelle Scliölls Ausführungen zustimmt und
sie vervollständigt]. In 100, 5 ist nach den Spuren der Überlieferung
zu lesen perfecta ex ignest ['i perspeeta ex igni tum Palmer Hermath. VI
361]. Ebenda v. 1 Caelius Aufilenam et Quiutius Aufilenwm (denn in 110
und 111 führt Catull die Sache des Caelius, nicht seine eigene). —
c. 71, 4 lies mirificest apte [Aber dies kann man doch durch die Zu-
sammenstellung sinnverwandter Adverbia wie 36, 10 nicht entschul-
digen]. 29, 20 lies: nunc Gallia est et ultima Britannia. In 71, 3 lies:
Cat. 62, 64 nach Scholl interpoliert. Zu c. 2. 255
aeraulus iste putus (vgl. Catal. IX me perdidit iste putus. Rufus war
klein nach Atratinus bei Fortunatianus III 7).
III. 8, 5 ist nach 37, 12. 87, 1 zu lesen amata tantum quantum
amabitur nulla. Nobis ist Füllung für ausgefallenes tantum, ähnlich wie
64, 139 nobis für ausgefallenes blanda. — 107, 3 lies fuhoque est carius
auro [doch cf. Tibull I 8, 31 carior est auro iuvenis]. — 107, 7—8 et
magis koras optandas vita dicere quis poterit mit Beziehung auf 62, 30
felici optatius hora.
IV. Der Vers 62, 64 tertia pars patrist, pars est data tertia matri
ist eine 'manifesta interpretatio et interpolatio '. Auch die
Messung pätri ist bei Catull unerhört. Dadurch wird allerdings diese
Epodos 60-67, für die man Responsion mit 11 — 19 annahm (indem man
gewöhnlich den Ausfall eines Verses hinter 66 vermutete), jenen Versen
noch ungleicher. Aber es ist hier auch gar keine Responsion vorhanden :
es käme höchstens eine äufsere und äulserliche Zahlengleichheit ohne
Wert heraus. In den übrigen Strophen und Antistrophen ist nicht nur
der Urnfang gleich, sondern es sind auch durchgängige Gedankenbezie-
hungen und Wortentsprechungen vorhanden. [Vgl. oben S 195 J.
V. Das erste Gedicht an den Passer (2) ist bisher in seinem
Baue verkannt worden. Es ist mit geringer Änderung der handschrift-
lichen Lesart so zu konstruieren:
passer, deliciae meae puellae,
quicum ludere, quem in sinu tenere,
quoi primum digitura dare adpetenti
et acris solet incitare morsus:
cum desiderio meo nitenti
carum uescio quid lubet iocari,
est solaciolum sui doloris
(a-edo) et tum gravis acquiescet ardor.
tecum ludere sicut ipsa possem
et tristis animi levare curas!
[Dieser Restitutionsversuch hat manches, wie die grammatische Trennung
der beiden letzten Verse vom Vorhergehenden, mit 0. Harn eckers
Ausführungen im Progr. 1879 (s. oben S. 248) gemeinsam. Anscheinend
schrieb Scholl ohne deren Kenntnis. Sein Versuch ist in manchen Be-
ziehungen gefällig. Doch spricht Anderes dagegen, die Stellung des tum,
das in den vorhergehenden Vers gehört, der Wechsel des Tempus in
est—aeguieseet; vgl. auch Riese zum Verse]. Die folgenden /eilen tum
gratum est mihi ligatam gehören nicht mit zum Gedichte. [Man*
wird diese Behauptung bezweifeln dürfen, da Catull seine Gedichte gern
mit Vergleichen schliefst; vgl. oben S. 220 und Kiese zu v. 11 — 13].
Die handschr. Lesart quod zonam solvit diu negatam ist beizubehalten,
'weil gerade für Atalante, das lange Versagen, nicht nur Geschlossensein
256 Catullus und Propertius. Laodamiasage und c 68.
des Gürtels charakteristisch ist' [?]. Die Variante ligatam in G ist
chen aus Prisciau hinzugefügt. Die Varianten in (• und 0 sind über-
haupt teils niif LeseversDChe, teils Verbesserungsversuche, an dem schwer
ZU entziffernden Veronensis von den Gelehrten des vierzehnten Jahr-
hunderts angestellt. 0 wurde früher aus V kopiert, in dem erst v
Varianten eingetragen waren. [Vgl. oben S. L98t]. Die drei Zeilen
sind übrigens nicht mit Pleitner, Klotz u. a. an c. 14b zu fügen. —
37, 10 ist nach Marius Plotius Sacerdos S. 462, 2 K. und Petronius 22
zu schreiben sopionibus. Auch bei »Sacerdos ist statt ropio zu setzen
(nicht umgekehrt bei Catull und Petron ropio), also nön homost, sed
söpio. Nach Osthoff kommt ein Nomen sdpa = penis schon in den brAh-
mauas vor. [Baehrens erklärt jetzt im Kommentare sopio mit fututor
und verbindet sopionibus als Dativ mit vobis],
67. H. Magnus, Zu Catullus und Propertius, N. Jahrbb.
1877, 415-419.
Ref. giebt hier zunächst einige Nachträge zu seinem Aufsatze über
die Einheit von Catullus Gedicht 68 (N. Jahrbb. 1875, 849 — 854). In
v. 5 kann nicht das Unglück selbst bezeichnet sein, welches den Allius
getroffen: denn wir würden dann zu der Annahme genötigt, dafs auch
in v. 7 der casus acerbus des Allius geschildert sei; die beiden mit
nee verbundenen Sätze stehen ja doch parallel. In v. 5—8 mufs viel-
mehr der trostlose Zustand des Freundes, wie er jenem schweren Schick-
salsschlage gefolgt ist, ausgemalt sein. Ein Widerspruch mit v. 155
ist also durchaus nicht vorhanden. — Durch viele Stellen wird erwiesen,
dafs bei Propertius sich zahlreiche Anklänge an Catull finden, dafs diese
Anklänge sich namentlich bei Prop. I, 20 häufen. Die zu Catull 64,
287 vorgeschlagenen Konjekturen befriedigen sämtlich dem Sinne nach
nicht vollständig. Haupts Naiasin ist richtig [vgl. Röscher N. Jahrbb.
1880, 785], doris noch zu emeudieren. Vielleicht ist zu lesen : Naiasin
linquens solitis celebranda choreis, coli. Prop. I 20, 45 Dryades . . puellae
miratae solitos destituere choros. Vgl. E. Heydenreich in dieser Zeit-
schrift 1886 II S. 190.
68. E. Baehrens, Die Laodamiasage und Catullus 68.
Gedicht. N. Jahrbb. 1877, 409 — 415.
Eine leidenschaftliche Polemik gegen Kiefslings Analecta Catulliana.
— Die Einheit von c. 68 läfst sich nimmermehr erweisen. Man darf beide
Gaben, die der Freund erbittet, nicht scharf trennen; munera et Musa-
rum et Veneris ist ein einheitlicher Begriff = munera, in quibus con-
ficiendis pariter Musae et Venus elaboraruut = carmen et doctum et
amatorium. Catull erklärt sich unfähig sowohl das gewünschte Liebes-
lied zu verfassen, wie dasselbe zu einem wahren Kunstprodukt, zu einem
Carmen doctum, zu machen. cWas soll denn aber diese Erörterung in
Cat. 22, 7 — 9. Helvius Cinna ein Landsmann Catulls? 257
v. 33—36, wenn nun trotzdem in 68b das Carmen doctum folgt?' [Alles
Bedenken, die von den Verteidigern der Einheit längst erledigt sind!].
Wenn es schliefslich heifst cdie übrigen Argumente für die Einheit und
Einwände gegen die Trennung stehen auf noch schwächeren Füfsen,
worüber später im Kommentar mehr', so hat Baehrens dieses
Versprechen nicht gehalten. Das Resultat von Kiefslings Untersuchung
der Laodamiasage (Euripides sei Catulls Quelle) wird wohl mit Recht
bekämpft. Die hierauf bezüglichen Ausführungen sind jetzt fast wört-
lich in Baehrens' Kommentare wiederholt. Kiefslings Konjektur zu 68, 118
qui viduam domini ferre iugum docuit ist verfehlt. Baehrens nützliche
Sammlungen über die Bedeutung des iugum ferre bei den römischen Dich-
tern sind jetzt ebenfalls im Kommentare zu finden.
68. E. Benoist, SurCatulle. Revue de Phil. III 1879, 26—27.
Catull 55, 29 ist nach den Spuren der besten Überlieferung vinctos
zu lesen (Anspielung auf Odyss. X 20 — 26). Doch vgl. M. Bonnet
Rev. critique 1883, 349 'Catulle enumere tout ce qui pourrait häter ou
soutenir sa coursc; comment, dans ce nombre, mettre les vents lies?
Dans le cas d'Ulysse un vent, le vent favorable, est excepte'.
22, 7—9 wird, teilweise im Anschlüsse an Munro, gelesen:
Novi umbilici, lora rubra, membranae,
Derecta plumbo et pumice omnia aequata.
Haec cum legas tu sq.
Die Vulg. sei unhaltbar, denn man wisse nicht ccomment, sur cette
couverture, des lignes peuvent avoir ete tracees ä la regle'. Aber das
isolierte membranae ist doch solange sinnlos, bis nachgewiesen wird, dafs
schon der Umschlag aus membrana allein die Rollen des Suffenus als
Prachtexemplare charakterisierte. Auch bei uns sind doch Einbände
nicht ohne Weiteres = Prachteinbände. Über diese Schwierigkeit
kommt auch B. Schmidt prolegg. ed. S. CXII nicht hinweg. Vgl.
übrigens Riese z. St. und Birt Buchwesen S. 67. Benoist bemerkte
später im Kommentare S. 417: cOn peut suppleer avec ce mot [mem-
branae] rubrae, tire de rubra applique- ä lora - ' aber wer mag das
glauben? Abgesehen von diesem Bedenken ist übrigens die vorgeschlagene
Interpunktion sehr ansprechend.
Als Beitrag zur Literaturgeschichte Catulls und zur Erklärung
des c. 30 ist auch zu erwähnen:
70. A. Kiefsling, De C. Ilclvio Cinna poeta (Comment.
philol. in honorem Th. Mommscni S. 351-355). Berlin. 1877. Weid-
mann.
Verf. glaubt, Cinna sei ein Landsmann Catolla und stamme aus
Brixia (wegen frgmt. l und 6 bei L. Müller ed. Cat. S. 87, und weil
Jahresbericht für AltertamawisBensohaft, LI. (1887. 0 | 17
•258 Allcim Vmii- im l Catullus lil i| 30.
'Eelviae gentis Qomen in titulis Brixiensibus in ipso Cenomannorum ca*
pite saepius occurrit |. Diese Vermutung ist gefällig, aber schwerlich
mit IJ. Schmidt prolegg. S. KLD als erwiesen anzusehen. Zum Freundes-
krei e der Transpadani gehörte angeblich auch der Rechtsgelebrte Alfe«
uns Wims, der, wie Verf. als sicher ansieh! (wegen Porphyrio zu Hör.
Sat. I"-, L30?), aus Cremona stammte. An ihn sind c. 10, 22 und 30
gerichtet. Die Beziehung auf den Stand des vielbeschäftigten Rechts-
gelehrten, welche Verf. in 10, i 2 findel (Varu« me duxerat
eforo otio8vm) ist jedoch nicht vorhanden: Varus tritt ja hier als Lebe-
mann auf {ad 8U08 Union» visUTTl (IllXOl'at, ScOTtÜlum S<|. ! I. Hoil.it. ahi.T
bat die Identifizierung beider viel für sich. Durch Alfenus ward wohl
Catull bei Clodia eingeführt (vgl. c. 30). Quem cum Alfenus Clodiae
haud displicere prior animadvertisset, persuasit amico ut omni iara po-
sita liaesitationc amorem siiiim libere fateretur. At Clodia cum non
statim poetae preeibus vieta propter audaciam importunam Bohirasci
videretur Alfeuusque ipse dominae animum Catullo reconciliare detrec-
taret, asclepiadeis iliis ... in perüdiam sodalis invectus est Catullus'.
[Ebenso ß. Schmidt prolegg. S. IX]. Auf Alfenus soll sich auch 68, 158
beziehen. Alles gefällige, aber unsichere Vermutungen!
71. II. Blümner, Zu Catullus, N. Jahrbb. 1885, 879 881.
Auch hier wird c. 30 besprochen. Das nee in v. 4 ist unerklärbar.
Aber Lachmaun- Haupts Umstellung von 4-5 an den Schlufs des Ge-
dichtes scheint nicht glücklich, da 11-12 einen trefflichen Abschlufs
des Gedichtes geben. Das im Anfange von v. 5 überlieferte quae kann
sich nicht wohl auf das vorhergehende facta impia beziehen. Auch ist
nicht wahrscheinlich, dafs es schlechtweg 'das' bedeute, - nämlich die
Thatsache, dafs impia facta fallacum hominum caelicolis non placent.
[Warum? Munro konjiziert übrigens quom und verbindet 5 mit 6]. Diese
Schwierigkeiten sucht Verf. zu beseitigen, indem er 4 und 5 in umge-
kehrter Reihenfolge hinter 10 stellt und in 4 non für nee schreibt:
idem nunc retrahis te ac tua dieta omnia faetaque
ventos irrita ferre ac nebulas aerias sinis;
quae tu neglegis ac me miserum deseris in malis.
non facta impia fallacum hominum caelicolis placent.
Für das ganze Gedicht wird also Teilung in vier dreizeilige Strophen
angenommen. Quae in v. 5 bezieht sich nun auf tua dieta omnia faeta-
que. Aber die ganze Operation ist doch kaum zulässig: Zwei Trans-
positionen und eine Konjektur! Aufserdem ist neglegis nach dem voran-
gehenden ventos irrita ferre ac nebulas aerias sinis matt und fast tauto-
logisch.
72. A.Arlt, Catulls3G. Gedicht. Progr. Wohlau. 1883. S. 1- 6. 4.
Catullus' Gedicht 36. 259
73. 0. Harnecker, Zum 36. Gedicht des Catullus, Blätter
f. d. bayer. Gymnasialschulw. XXI S. 556—558.
Baekrens hatte schon in den Analecta Catulliaua S. 15 die Ver-
mutung geäufsert, pessimi poetae in 36, 6 beziehe sich auf Catull selbst.
Dieselbe Ausieht sucht Arlt zu verteidigen, ohne anscheinend von Baeh-
rens [und Anderer, vgl. Harnecker a. 0. S. 556] Vorgange Kenntnis zu
haben. Wie Catull seine geliebte Lesbia (mit der er sich versöhnen
will oder schon versöhnt hat) mit pessima puella bezeichnet, so versteht
unter pessimus poeta Lesbia den Catull (2)essinuts in ähnlichem Sinne ge-
nommen, wie er sie pessima nennt). Die electissima scripta d. h. die aus-
gesucht schärfsten Schmähgedichte, waren ein Greuel in den Augen der
Göttin; ihre Vernichtung mufste ihr wohlgefällig sein. Aufserdem wird
noch vorgeschlagen in 9 nee statt et zu schreiben, so dafs sich dann
folgender Gedankengang ergäbe: 'Annalen des Volusius, wandert ins
Feuer zufolge des Gelübdes meiner Geliebten! Sie hat nämlich gelobt:
»Wenn Catull mir wiedergeschenkt wird und aufhört seine Schmähge-
dichte gegen mich zu richten, so will ich die erlesensten (ausgesucht
schönsten) Gedichte des ganz abscheulichen Dichters dir, Venus, statt
des dir sonst wohlgefälligen Weihrauchs als Opfer darbringen.« Ge-
meint hat sie freilich meine schönsten Liebeslieder, von ihnen will sie
sich trennen, sie vernichten, das abscheuliche Mädchen; aber sie hat
dabei nicht {nee) gemerkt, dafs man mit Witz einen Doppelsinn in ihren
Worten finden kann , wie ich es jetzt thue. Ich bringe dir Venus die
erlesensten (ausgesucht schlechtesten) Gedichte des ganz abscheu-
lichen Dichters Volusius, würdige den guten Witz und lafs Dir an ihnen
genügen \
Eine bessere Begründung erfährt der dem zu gründe liegende Ge-
danke durch die Bemerkungen 0. Harne ckers. Er paraphrasiert
9 16 so: 'Das war wirklich (vidit) ein feines Scherzgelübde des losen
Mädchens. Jetzt (da wir nun wieder versöhnt sind), Venus, lafs das Ge-
lübde erfüllt sein. [Unklar. Inwiefern V] At vos interea heifst Aber
ihr, — nicht die electissima scripta des obigen pessimus poeta — inzwi-
schen (d. h. solange wir vereint sind, sind meine Schöpfungen nicht
dazu da). Das Ganze also: »Inzwischen (vorerst) aber mit euch ins
Feuer, ihr, Volusius Zeiten, Dreckpapiere«. [Vgl. die unter No. 74 fol-
gende Abhandlung]. — Auch dem Ref. scheint die Beziehung des p • -
vins poeta auf Catull plausibel uud der daraus für die Interpretation <!<'•-
Gedichtes entspringende Vorteil einleuchtend. Nur das Gelübde der
Lesbia kommt auch so nicht zu seinem Rechte. Zur Zeit des Zerwürf-
nisses kann Lesbia etwas Derartiges nicht gelobt haben. Man stelle
sich die Situation doch nur einmal vor! Wohl aber kann sie nach der
Versöhnung im zärtlichen tete ä tete im Scherze geäufsert haben, dafs
sie dies - und viele andere Gelübde! — gethau.
17»
2fiO Beiträge zur Erklärung von Cat c 2 36 u. a
74. II. Monse, Zu Catull. 15 S. 4. (Programm des Gymn. zu
Waidenburg i. Schles. 1884).
Die Abhandlung enthält eine Reihe von kritischen und exegetischen
Bemerkungen, die von liebevollem Verständnis des Dichters zeugen, aber
freilich durch die Kommentare von Kiese und Baehrens heute teilweise
überholt sind. c. 2. Verf. teilt die Bedenken Harneckers (Progr. 1879,
S. 1 — 6), gegen die gewöhnliche Interpunktion, nach der das ganze Ge-
dicht bis v. 10 eigentlich nichts ist, als ein an einen Vokativ ange-
schlossener Stofsseufzer. Bedenken werden geäufsert gegen v. 8. Die
Wiederholung des Gedankens: 'Du bist ihr ein Trösterlein für
ihre Schmerzen' durch die Worte Ich glaube es, wie wird der
schwere Drang nachlassen' ist, zumal in so schwerfälliger Form, ent-
schieden störend. (Dasselbe gilt angeblich auch von Schölls Restitu-
tion, s. oben S. 255). Verf. will in 7 et solaciolum halten und in 8 et tum
gravis acquiescet schreiben: 'Wenn meiner herrlichen Ersehnten ein
artiger Zeitvertreib und ein kleiner Trost für ihren Schmerz beliebt, so
glaube ich, wird dann (nämlich wenn sie mit dir scherzt u. s. w.) selbst
heftige Pein verschwinden'. [Sehr unwahrscheinlich. Zwischen Vorder-
und Nachsatz besteht keine rechte Verbindung, selbst wenn man hinter
morsus stark interpungiert. Die ungenaue Stellung des et ist bei Catull
beispiellos. Es ist auch an sich nicht denkbar, dafs ein so stark hervor-
gehobenes gravis an ganz unbetonter Stelle im Verse stehen und von et
durch ein ganz ungebührlich betontes tum getrennt sein soll]. — c. 3, 6
'Ich vermute statt suamque ein Attribut zu passer, etwa piusque\ [? piusque
soll doch wohl präd ikative Bestimmung zxxnorat sein? Ipsa puella ist
übrigens wohl nicht cdas Mädchen selbst', sondern 'als sogar ein
Kind die Mutter'.] — c. 4, 15 die von Klotz vorgeschlagene Inter-
punktion hinter origine ist abzuweisen. — c. 6, 7 nequicquam zu halten.
— c. 8, 14 Rossbergs nullei unrichtig. — c. 31, 2 — 3 werden richtig so
erklärt: 'Sirmio, du Perle von allen Halbinseln und Inseln, die in klaren
Seeen und im weiten Ocean zu Neptuns Reich im Osten und Westen
gehören' [Vgl. oben S. 214]. — c. 36. pessimi poetae in v. 6 geht aller-
dings auf Catull. Electissima scripta sind die auserlesensten d. h. aus-
gesucht schönsten (cman verpflichtet sich, um das Wohlwollen der
Götter zu erwerben, zum Verluste von etwas einem ganz besonders An-
genehmen'); pessimi-, abscheulich, wegen der oben genannten truces
iambi. — 37, 10 mit Peiper ropionibus zu lesen und, ebenso wie Petron.
Sat. 21 S. 23 Bücheier, in ursprünglicher Bedeutung zu fassen: mit
roter Farbe werden bei Petron dem Ascyltos Lippen und Schultern be-
malt, hier beifsende Witze an die Mauer der Kneipe geschrieben. [Besser
Scholl, s. oben S. 256. Über die Petronstelle noch Bücheier Rh. Mus. 35,
400]. — C 46, 11 diversae vai-iae richtig. — C 50, 2 'Ich meine, in
meis ist entstanden aus aemulis\ — c. 51, 11 Lambins gemina integuntur
lumina nocte empfohlen. — c. 87, 4 der Sinn ist: cEs ist gröfsere Treue
Catullus' Gedicht 45. 261
nicht denkbar als die, welche gefunden worden ist in meiner Liebe zu
dir'. Das »meiner« ist so stark, nämlich durch ex parte mea ausgedrückt,
um seine Treue der der mancherlei anderen Liebhaber, die Lesbia in-
zwischen gehabt, entgegen zu stellen.
75. K. P. Schulze, Zu Catullus, N. Jahrbb. 1884, 182—184.
Gehandelt wird über 45, 8 und 17 sinistra ut ante, dextra stemmt
approbationem. Die Erklärung: 'Amor nieste erst zur Linken, dann
zur Rechten Beifall' (die auch Ref. befürwortet hatte Phil. Wochenschrift
1883 No. 14, vgl. Jahresb. d. Phil. Ver. IX, 256- 257) ist angeblich un-
richtig wegen des offenbar beabsichtigten Gegensatzes zwischen ante in
v. 8 und 17 und nunc v. 19. (S. darüber auch K. P. Schulze, Zeit-
schrift f. d. G. W. 31, 700). Die Liebe der Acme und des Septimius war
vielmehr bis zu dem in v. 8 geschilderten Momente ganz unglücklich,
der Liebesgott war ihnen nicht hold. Aber ihre Treue rührte den Gott.
Das drückt der Dichter so aus: Während Amor früher links geniest
hatte, nieste er nun zur Rechten, d. h. während er früher ihrer
Liebe un'günstig war, wendet er ihr nunmehr, nachdem er
wieder einmal ihre Liebesschwüre belauscht hatte, seine
Gunst zu. Niesen ist zwar gewöhnlich an sich ein gutes Omen. Doch
spricht Plut. Them. 13 von einem glückverheifsenden Tzzap/xög ix ot^cwv,
anderseits wird bei Plut. de gen. Socr. 11 gesagt . . orc rö lu>xpd-
roug daijiovtov nzappog rjV . . ezdpao pr^v zzafxi^zog ix o£t~iäg atz' umo&av
£tri epjnpoalhv, Sp/xäv auzuv ine ~yv npägtv. Sinistra ist hier nach Art der
Griechen = unglückverkündend; auch sonst finden sich in dem Gedichte
Anklänge an griechische Dichter. Über ut iu Gegensätzen Kühner, Lat.
Gr. II 964. — Ref. mufs diesen Ausführungen widersprechen. 1) Die
skizzierte Auffassung des Gedichtes ist durchaus unautik. 'Acme und
Septimius liebten sich zärtlich. Aber Amor war ihnen nicht hold'.
Warum? Wie war das gekommen? Von der Feindseligkeit Amors und
ihren Gründen müfste doch die Rede sein; vgl. Haehreus z. St. 'Ihre
Liebe war ganz unglücklich'. Wirklich? Man lese die ersten Verse
Acmen Septimius suos amores teuens in gremio u. s. w. ! Ist das ein un-
glückliches Liebespaar?! Ein antiker Dichter würde um unglücklich
Liebende vor Augen zu führen, das Mädchen unter der Hut eines strengen
Vaters oder eifersüchtigen Gatten seufzen und den Jüngling vor der ver-
schlossenen Thür sein Klagelied singen lassen. Ein antiker Dichter sagt
was er will; er mutet uns nicht zu, dafs wir aus einer beiläufigen Wen-
dung Dinge erraten sollen, die gar nicht im Rahmen des Gedichtes
liegen. Ein antikes Gedicht hat eben seine Erklärung in sich selbst.
Mit andern Worten: Catullus hat uns hier in einem einfachen reizenden
Genrebildchcn das Glück zweier Liebenden gezeichnet : Der Verf. will
einen ganzen Roman herauslesen - und zwar einen schlechten! 2) In-
wiefern nunc v. 19 in beabsichtigtem Gegensätze zu ante v. 8 und 17
262 Catalina' Ged. 15. Cerinthna Coroutai bei 'I'iljull
stehen soll, ist nicht ersichtlich. Bei jeder Interpretation hat ante an
heiden Stellen seinen Gegensatz nunc im folgenden Verse. Man mufs
doch konstruieren: Amor sinistra ut ante, (nunc) dextra Bternuit, I '
es denn auch nur denkbar, dafs auf dieses zu ergänzende nunc gleich
im nächsten Verse ein ganz identisches, ebenfalls mit antt korrespon-
dierendes nunc folgen soll'.-' Nunc heifst natürlich jetzt, nun, somit' —
nach allem vorher Erzählten und steht genan wie 86, 11. Tihull II 5, 55.
3) Nach der gewöhnlichen, bei Griechen und Römern herrschenden Vor-
stellung ist jedes Niesen ein glückverheifsendes Omen. Die zweite
Plutarchstelle beweist ja eben, dafs man die entgegengesetzte Anschau-
ung als etwas Ungewöhnliches und Auffalliges notierte. 4) ut mit fol-
gendem oder zu ergänzendem sie im Sinne eines Gegensatzes = zwar —
aber ist zwar bei Ovid beliebt, bei andern Dichtern nicht unerhört, bei
Catull aber nirgends nachweisbar. Endlich führt diese Interpretation
hier noch auf die höchst unpassende Vorstellung, als habe Amor wah-
rend der früheren Periode, wo er dem Liebespaare gram war, fortwäh-
rend links geniest (sinistra ut ante - nämlich sternuerat). 5) In den
Worten sinistra ut ante, dextra stemmt mufs der unbefangene Leser ent-
schieden auch zum ersten Gliede approbationem ergänzen. Verf. hat
zwar später (Wochenschr. f. kl. Phil. II Nr. 4) bemerkt, zu sinistra sei
nur sternuit zu ergänzen: 'Amor, ut ante sinistra sinistrum omen dedit,
nunc dextra sternuit approbationem'. Aber wie gekünstelt ist das! Aus
allen diesen Gründen hält Ref. unbedingt an seiner früheren Erklärung
fest. Über die Wiederholung des Niesens sagt Verf. selbst S. 184
Richtiges. Noch einmal sei übrigens erinnert an 68, 133 quam cir-
cumeursans hinc illinc saepe Cupido. Auch in c. 45 umgaukelt Amor
scherzend das zärtliche Paar und sendet ihm von hier und dort glück-
verheifsende Zeichen. Welch reizendes Bild! Unbegreiflicher Weise er-
klärt jetzt B. Schmidt Adn. crit. S. CXVII die Stelle wieder für korrupt.
76. A. Zingerle, Kleine Philologische Abhandlungen.
IL Heft. Innsbruck. 1877. 127 S. 8. — III. Heft. 1882. 82 S. 8.
Der unermüdliche Gelehrte behandelt im zweiten und dritten Hefte
seiner gehaltvollen Abhandlungen (Heft I und IV liegen zeitlich aufser-
halb des Rahmens dieser Berichte) auch verschiedene Catull und Tibull
betreffende Fragen — mit Nutzen für die Sache auch da, wo Ref. ihm
im Resultate nicht beistimmen kann. -- Im ersten Hefte S. 22-30 war
Verf. für die Ansicht Teuffels eingetreten, dafs in Tibull II 2 der wirk-
liche Name Cornutus für den fingierten Cerinthus eingetreten und
auch II 3, 1 Comutc für die richtige La. zu halten sei [ohne Belang ist,
was Knappe, De Tib. 1. IV elegiis S. 7 dagegen einwendet]. Er hatte
ferner wohl mit Recht darauf hingewiesen, dafs IV 7 nicht zu den eige-
nen Briefchen der Sulpicia, sondern noch zu dem Tibullischen Lieder-
kranze gehöre. (Vgl. dazu R. Ehwald Ph. Anz. XV 593, der für den
Echtheil dor Sulpiciaelegieen Zingerle zu Tib 1, 4, 54. 263
Tibullischen Ursprung von IV 7 auf eine sprachliche Eigentümlichkeit
hinweist, den Gebrauch von que im vierten Verse. S. Leo, Über einige
Eleg. Tib. S. 27). In Heft II S. 45-91 erfahren wir nun ' Weiteres
zu den Sulpiciaelcgieen des Tibullus'. Um den Tibullischen Ur-
sprung von IV 2 — 7 zu erweisen untersucht Zingerle den Sprachgebrauch
in diesen Gedichten und denjenigen in Tibull I und II (beide Bücher
unterscheiden sich sprachlich nicht unerheblich) und vergleicht ihn im
Anschlüsse an die Spezialuntersuchungen von Kleemann, Lierse u. a. mit
dem des Lygdamus. Wörter wie teuer, sanetus, celer liebt Tibull auf-
fallend, meidet Lygdamus ganz oder fast ganz. Im ersten Buche herrscht
qmcunque, im zweiten qtdsquis vor. Mit jenem stimmen die Sulpicia-
clegieen, qui&quis fehlt bei Lygdamus ganz. Zu ähnlichen Resultaten führt
die Beobachtung der Verba Impersonalia pudet, pi'get etc., des Gebrauchs
der Konjunktion ät, der Wortanklänge in IV 2-7 an die Gedichte un-
bezweifelter Echtheit. [Bemängelung von Einzelheiten bei Birt, De
Hai. Ov. poet. falso adscr. S. 194 f.] Die Sulpiciaelcgieen sind mehrfach
von Properz nachgeahmt. [ W. Olsen Comm. phil. Gryphisw. 1887
S. 27 f. vermutet jetzt, Properz habe auf Tibull Einflufs ausgeübt].
Es ist klar, dafs dergleichen Beobachtungen nicht entscheidend sind: der
Verf. von IV 2— 7 konnte eben ein begabterer und mit Tibulls Kunst besser
vertrauter Nachahmer sein als Lygdamus. Aber gegen die vorsichtigen
Worte, in welche Verf. sein Resultat zusammenfafst, wird sich nichts
einwenden lassen: Weder Sprachgebrauch, noch Metrisches, noch Berüh-
rungen mit anderen Dichtern geben irgend etwas von Bedeutung gegen
die Echtheit an die Hand, vielmehr findet man in IV 2 — 7 gerade die
feineren, einem Nachahmer fern liegenden Eigentümlichkeiten Tibulls
wieder.
Im dritten Hefte S. 16 f. wird Catull 45, 8 besprochen und für
das angeblich verderbte ut ante vermutet: Hoc ut dixit, Amor sinistra
abunde dextram sternuit approbationem. Ref. vermag dem nicht beizu-
stimmen und hält die Überlieferung für heil. Vgl. Jahresb. d. Philol.
Ver. IX (Z f.d. G.W. 1883) 255f. und oben unter No. 75. — Tibull I 4, 54
nimmt Zingerle au apta Anstofs. Denn die einzig mögliche Bedeutung
von oscvlu apta sei nach Epist. Sapph. 13o cbene iuneta, diu durantia,
lasciva', und diese passe hier (vgl. 155 rapta dabit primo) noch nicht
in den Zusammenhang: er wird sich sträuben, aber wenn seine Küsse
apta sind, wird er sich auch wieder nicht sträuben! Zingerle stützt sieh
nun darauf, dafs oscula rapta darc sonst immer = oscula rapere ist (Ov.
Am. II 4, 26) und vermutet ansprechend apta dabis. Rapta dabis (für
dabit). Doch möchte Ref. für die Oberlieferang eintreten. Apta. bene
iuneta oscula sind solche, welche beiden Teilen zweckdienlich scheinen,
ihnen zusagen, erfreulich sind. Das gilt auch vom puer: es heifst ja
ausdrücklich tum tibi mitia frit. Gerade die von Zingerle zitierte Stelle
Ov a. a. I 665 pugnabit primo . , . pugnando vinci 86 tarnen illa volel
2(;4 Catullus' Ged. 62 (Vorbilder Elesponsion).
(Vgl. das berühmte facüi sacvitia nogat, quae posccnte magis gaudeat
eripi bei Hör. c. II 12, 26) spricht für die Überlieferung. Audi führt
die Koiij. doch zu Inkonvenienzen : Bed tarnen apt&dabi* hat nach raj
tum cara licobit oscula keine rechte Pointe. Und für dabü in .oö for-
dert doch wohl der Gegensatz offerei die eigentliche Bedentang.
77. A. Bonin, UnterBuchungen aber das 62. Gedicht von
Catull. 18 S. 4. 1885. (Programm des Realgymnasiums zu Brom-
berg).
Das erste Kapitel dieser lesenswerten Abhandlung bespricht das
Verhältnis des c. 62 zu den griechischen Vorbildern. Abhängigkeit von
den Hymcnäen der Sappho wird nicht geleugnet, obschon die Vcrgleichung
der vorhandenen Fragmente zu keinem sicheren Ergebnisse führt. Rö-
mischer Hochzeitsbrauch wird darin erkannt, dafs man sich als Schau-
platz das Haus des Bräutigams zu denken hübe. Trotzdem heif^t es
gleich nachher: 'Unser Gedicht macht den Eindruck, als habe Catull
die schönsten Gedanken, die er bei Hochzeitsliedern doch wohl immer
wiederkehren sah, losgelöst von allen persönlichen Beziehungen zusammen-
fassen wollen, habe dazu die Form des Wechselgesanges gewählt und
sie, so gut es ging, den römischen Hochzeitsgebräuchen angepafst . . .
Unser Lied erinnert entschieden an die Art und Weise, wie Theokrit
die originellen Wechselgesänge der sicilischen Hirten dem überfeinerten
griechischen Publikum mundgerecht machte.« [So hat man auch auf die
Ähnlichkeit mit Vergils eclogae verwiesen]. Das Gedicht ist ein phan-
tastisches Gebilde und steht mit seinen Voraussetzungen nicht auf dem
Boden der Wirklichkeit. Trotzdem ist griechischer Einflufs in Diktion
und Szenerie unverkennbar. Dafs der Vergleich vom Ulmbaume und der
Rebe 49 — 58 nicht römisch ist, wird im Anschlüsse an Leutsch betont
[vgl. des Ref. Bemerkungen Jahresber. d. Phil. Ver. XII S. 197. Viel-
leicht setzte Catull dieses Gleichnis an Stelle des Sapphischen Fragm. 94,
dessen Sinn Bonin auf S. 5 wohl richtig deutet]. Verwiesen wird noch
passend auf das Epigramm des Antipater Sidonius in der Anthologie IX
231. — Das zweite Kapitel behandelt die strophische Responsion. Köchlys
Restitutionen (Akadem. Reden und Vorträge I S. 192) werden zurück-
gewiesen. Die Lücke von einem Verse in der Strophe 39 — 47 ist un-
bestreitbar. Ebenso zwischen 32- 33. Verf. denkt sich die letztere sehr
grofs. Da das erste Strophenpaar aus je fünf, das zweite aus je sechs,
das dritte uns ganz erhaltene aus je elf Versen besteht, so schlägt er
vor besagte Lücke durch Strophenpaare zu sieben, acht, neun und zehn
Versen auszufüllen. Diese enthalten zusammen 68 Verse. Zieht man
davon v. 32 als den Anfang der siebenzeiligen und 33—38 als Ende der
zehnzeiligen Strophen ab, so bleiben 61 Verse, also ein Vers mehr, als
uach Lachmanns Berechnung auf einem Blatte Platz faud. Nimmt man
den Ausfall eines Verses im Archetypus au, so ist diese Restitution eine
Strophische Responsion in Catullus' Ged. 62. 265
Stütze für Lachmanns Hypothese. Die letzte Strophe von 60 an soll
man sich von den Mädchen gesungen denken. Ein Vers ist ausgefallen
etwa des Inhaltes: »Wir sind besiegt und durchschaut (vgl. v. 37), des-
halb wollen wir nur aufhören, aber du weigere nicht u. s. w.« Dann
enthält auch diese Strophe neun Verse, sie steht in schönster Respon-
sion mit der dritten, und der Wechsel zwischen Knaben und Mädchen
wird nicht unterbrochen. So ergiebt sich (wenn man die erhaltenen
Strophen mit deutschen, die ausgefallenen mit römischen Ziffern be-
zeichnet) folgendes Schema:
5. 5.-9.- 6:6. 1 + VI : VII. VIII : VIII. IX : IX. X : IV + 6. - 11 : 11. 9.
Schwerlich werden diese Versuche viel Beifall finden. Die Res-
ponsion (und zwar durchgeführte Responsion) darf man in diesem Ge-
dichte freilich nicht verkennen. Denn da wir in der letzten Strophe
einen Nachgesang haben, mufs ihr wohl ein Vorgesang entsprechen,
und dies ist natürlich die dritte Strophe. In der Epodos ist also ein
Vers ausgefallen. Dann sieht dies Verhältnis in Zahlen ausgedrückt so
aus (denlntercalaris nicht mit eingerechnet) 4 : 4. — 8. — 5 : 5. 1 + x : x-j-5.
10 : 10. — 8. Weiter wissen wir gar nichts. (Ziwsa, Wiener Studien IV
287, dessen Abhandlung ßoniu anscheinend nicht kennt, leugnet — wohl
mit Unrecht -- sogar Responsion der dritten und letzten Strophe, ebenso
Scholl. Vgl. oben S. 195 und 255 ) Sodann ist in keinem Falle
die Epodos von den Mädchen gesungen, in deren Munde sie geradezu
frech klingen würde. — In Bezug auf den Bau der Verse hebt Verf.
hervor, wie kunstvoll Catull die Elisionen auf die Versstellen zu be-
schränken wufste, wo sie am wenigsten störten, auf den ersten Choriam-
bus und den vierten Versfufs (mit drei Ausnahmen: 45. 50. 56). Für sehr
viele Fälle, wo Wechsel der Cäsur eintritt , ist eine bestimmte Absicht
nachzuweisen (z. B. 64, 146. 148. 141. 152. 21). - Den Schlufs bilden
Bemerkungen zu einzelnen Stellen. Die Art, wie Olympus und Oeta in
1 und 7 erwähnt werden, zeigt, dafs der Dichter sich keine bestimmte
Gegend als Schauplatz dachte. Denn Olympus meint den Himmel und
Oetaeos ignes ist geflügeltes Wort, | Richtig! Die Lokrer, denen wirklich
der Abendstern über dem Oeta aufging, führten den Ilesperus im Wappen.
Keyx, der Sohn des Lucifer, wohnte am Oeta. Kurz, man hatte sich
eben gewöhnt, den Oeta als Wohnsitz des Gottes zu betrachten. So
ging die eigentliche Bedeutung des Ausdrucks oft verloren. Übrigens
empfiehlt Verf. Statius' Konj. Oetaeaa oblendü . . umbras.] In v. 30 ist
angeblich hora nicht Stunde, sondern die heitere, Gaben spendende Göttin.
78. K. P. Schulze, Zu Catullus N. Jahrbb. 1882, 205- 214.
Ellis' Annahme, der Plural Venerea bei Catull 3, l sei durch Assi-
milation an öupidineaque zu erklären wird gebilligt und durch einige
weitere Parallelstellen (Hör. ep. l, 3, 8. 11 l, 102. Catull 15, 2) ge-
stützt. |Doch vgl. Riese z. Sl.J. Unter Dia bat Bich Catull in c 64
266 Dia Naxos. Cat. c, <»i nicht Übersetzung am Kalüinachos.
nicht Naxos vorgestellt (trotz Kallim. frg. 163 iv dfy, rb yhp lirxe -<i-
Xalrepov ouvojia Nd£(p), sondern die gleichnamige kleine Insel nördlich
von Kreta. Dafür sprich! angeblicb besonders: L) Dia ist nach Catull
ein kleines ödes Eiland ohne Bewohner (vgl. 188. 152. 184. 187. 164.
168-170). 2) Wäre Theseus von Kreta über NTaxos nacb Athen zu-
rückgekehrt, so hätte er einen bedeutenden Umweg gemacht- 3) Auch
das kretische Dia stand mit dem Dionysoskult in Verbindung (Diony-
siaden heifst bekanntlich eine Inselgruppe hei Kreta). Ref. i-t durch diese
Ausführungen nicht überzeugt. Gegen l ist zu sagen, dafs die Klagen
der verstofsenen auf unbekanntem Strande zurückgelassenen Jungfrau
sich ahsolut nicht für die geographische Fixierung der Örtlichkeit ver-
werten lassen. Lag es etwa im Interesse der das eigene Schicksal Be-
klagenden und den ungetreuen Mann Verwünschenden die Insel als wohl
angebaut und von freundlichen Menschen bewohnt, kurz als ganz ange-
nehmen Aufenthaltsort zu schildern? Der zweite Grund ist kaum ernst
zu nehmen. Catull wird beim Schreiben doch nicht den Atlas antiquus
vor sich gehabt haben! Dafs in der ältesten Form der Ariadnesage das
kretische Dia figurierte, ist möglich. Ein direktes Zeugnis dafür
existiert jedoch nicht , alle alten Schriftsteller verlegen vielmehr den
Schauplatz auf Dia = Naxos, vgl. Stoll s. v. Ariadne in Boschers
Lexikon. Namentlich über die Auffassung der römischen Dichter kann
kein Zweifel sein. Wenn z. B. Ovid Met. III 636 sagt ivaajon, ait
Liber, cursus advertite vestros. illu mihi domus est, wenn es dann ebd.
690 heifst Diamque tene, und wenn man damit verbindet VIII 174 pro-
tinus Aegides rapta Minoidc Diam vela dedit , so kann man sich einen
zwingenderen Beweis kaum denken. Ovid setzt ausdrücklich Dia = Naxos,
nach Dia läfst er den Theseus mit der Ariadne von Kreta segeln, und
läfst sie hier von Theseus verlassen, von Bacchus gerettet werden. Das
durch Dionysoskult hochberühmte Naxos galt allgemein als Schauplatz
der Ariadnesage. Verstand also Ovid unter Dia nicht Naxos, so mufste
er das zu erkennen geben. Die Form Dia für Naxos scheint bei den
Alexandrinern beliebt gewesen zu sein (vgl. das citierte Zeugnis des
Kallimachus), darum gab ihr Catull den Vorzug. Das Bewufstsein sich
unklar ausgedrückt zu haben, konnte ihm gar nicht kommen, da er
wie alle römischen Dichter keinen andern Schauplatz der
Sage kannte als eben Dia = Naxos.
Beistimmen darf man dagegen dem zweiten Hauptteile des Auf-
satzes: c. 64 ist nicht wie Riese früher glaubte [Rh. Mus. 1866, 468f.,
vgl. aber jetzt Rieses Ausg. S. 154] aus Kallimachus übersetzt.
Es ist ein selbständiges Werk Catulls, nach alexandrinischer Art ge-
dichtet, aber mit Reminiszenzen aus Homer, Euripides, Theokritos, Apol-
lonios und Euphorion. Dies wird durch eine Reihe von Parallelstellen,
die noch nicht alle bekannt waren, nachgewiesen. Zu 66, 16 carmina
Baltiaäae vgl. auch Süfs Catulliana S. 16.
Litteratur von Catulls Gedicht 64. -_'67
An den eben besprochenen Aufsalz knüpft vielfach folgende Ab-
handlung an:
79. K. Cumpfe, Exegeticke piispevky k 64. basui Catullove. Listy
filologicke a paedagogicke. IX, 3 u. 4, S. 269-286.
Eine genaue Inhaltsangabe dieser exegetischen Beiträge zum 64. Ge-
dicht steht Phil. Wochenschr. 1883 Sp 429 430. Aus ihr ist mit ver-
schiedenen Abkürzungen das folgende Referat entnommen. — Gegen
Riese, der früher c. 64 für eine Übersetzung eines verlorenen Gedichtes
von Kallimachos hielt, wird Haupts Ansicht, dafs dieses Gedicht ein
selbständiges, den Alexandrinern nach Form und Inhalt nachgebildetes
Produkt des römischen Dichters sei, verteidigt. Denn: l) Der Plural
carmina 66, 16 kann von einem einzigen Gedichte gelten. 2) Die von
Riese angeführten Fragmente des Kallimachos haben keine grofse Ähn-
lichkeit mit den angeblich entsprechenden Versen Catulls. 3) Viele
Stellen in c. 64 sind deutliche Nachbildung anderer Dichter. — In23b
wird ergänzt salvete, beati. Die dreifache Wiederholung des salvete wird
durch Hinweis auf Theokr. 20, 4; 17, 3. Kallim. hymn. Jov. 91 f.. Ca-
tull 63, 12 f. ; Ciris 195 f. gestützt. - In v. 24 wird das zweite vos durch
Analogieen wie Ciris 407. Catull 63, 91. 21. 63. 69 verteidigt. Zu
v. 52 wird gegen K. P. Schulze (s. oben) die Identität der Insel Dia
mit Naxos behauptet. In 243 ist infecti zu lesen. — In 320 verdient
Fruters Konj. vellentes vellera Beifall. Beispiele der mit der figura ety-
mologica verbundenen Alliteration sind auch bei Catull nicht selten, wie
7, 9; 14, 3; 40, 7; 61, 113; 81, 6; 110, 4 [Aber keins dieser Beispiele
findet sich freilich in dem kunstvoll gefeilten, gräzisierenden c. 64].
Andere Beispiele von Alliteration aus dem 63. und 64. Gedicht werden
aufgezählt. — 64, 14 Schraders freu canenti e gurgite für richtig er-
klärt, obwohl v. 18 wiederum steht e gurgite cano. Als Beispiele der-
artiger Wiederholungen bei Catull citiert Verf. 64, 27 und 29. 32 und 37.
4, 6 und 7. 68, 42. —
Ref. registriert zum Schlüsse dieses Kapitels noch eine Reihe von
Beiträgen, die ganz oder überwiegend der Emendation einzelner
Stellen gewidmet sind Natürlich konnte nicht jede raifslungene Ver-
mutung als solche charakterisiert werden. Aus seiner Überzeugung, dafs
die moderne Konjekturalkritik im Catull und im Tibull vollständig Schiff-
bruch gelitten hat (nur ganz wenige Vorschlage sind überhaupt disku-
tabel), macht Ref. übrigens kein Hehl.
80. II. A. J. Munro, Criticisms aod elueidations of Ca-
tull us. Cambridge. 1878. VIII. und 243 8. 8.
Umfangreiche Partien dieses Buches sind unveränderte Abdrücke
von Aufsätzen, die Verf. früher im Journal of Philologe veröffent-
licht hatte: so die Bemerkungen zu c. 2. 4. 22. 29. Jedem von ihnen
208 Munro, Criticisnis and elucidationfl ot Catullus.
folgen anhangsweise Zusätze und Besserungen, die dem Verf. nachträg-
lich besonders durch die Publikation von Ellis1 Catullkommentare, (auf
den fortlaufend berichtigend, ergänzend, zustimmend Rücksichi genom-
men wird), notwendig erschienen. Das Ganze bat dadurch ein <'twas
buntscheckiges Aussehen erhalten. Alles Wertvolle in diesen Ausfüh-
rungen (man findet nicht eben viel) ist inzwischen den Kommentaren von
Riese und Bachrens zu gute gekommen. Ref. begnügt sich daher mit
einer kurzen Inhaltsangabe und sieht von jeder Polemik ab. I Kinige
sachliche Gegenbemerkungen s. Jahresb. d. Phil. Ver. V 314—317). —
Die Introduction behandelt die Handschriftenfrage im Sinne von
Baehrens: 0 und G sind die beiden einzigen direkten Abschriften von V.
— c. 1 Bergks Konj. qualecumque quidem patronei ut ergo empfohlen.
— c. 2, 8 — 9 lies: credo ut, cum gravis acquicscet ardor, sit solaciolum
sui doloris. - - c. 4 Polemik gegen Westphals Erklärungsversuch und
kritische Bemerkungen über Einzelheiten z. B. v. 20 vocaret aura [Vgl.
oben S. 170 und Th. Bergk Kl. Sehr. I 297 Anm.|. - c G, 6—7 inter-
pungiert: noctes — ncquiquam tacitum — cubile clamat ( tnritum is not an
adjeetive here, but the passive participle'). v. 12 lies: Mani, stupra
vales nihil tacere. — c. 10. Nach cohorti in v. 10 mit einem Punktum,
nach referret iu v. 11 mit einem Fragezeichen interpungiert. v. 27 lies:
' meminei inquio. — c. 12, 8 — 9 leporum ducentum puer coli. Hör. c. IV
1, 15 centuni puer artium. c Ducentum may bei either tbe gen. plural,
which oecurs also in Varro: or eise the indecliuable Ducentum, which
is fouud in Lucilius'. Polemik gegen Ellis' Datierung der Reisen
des Veraunius und Fabullus. — c. 21, 11 lies: a te mei puer coli. 77, 3.
[Vielleicht richtig. Dieselbe Konfusion Ov. Met. XI 701]. — c. 22, 7
nach membranac ein Punktum. [Vgl. oben S. 257.] v. 13 lies: tersius.
— C 25 , 5 conclave com vicarios oder cum Diva mi vicarios oder Cum
Diva iam vicarios oder Cum diva Murcia atrieisU [Vgl. Postgate Trans, of
the Cambridge Phil. Soc. I 1: mm Murcia atriarios]. — c.2 9. Mau mufs die
Schmähungen gegen Cäsar und seinen Günstling nicht allzu ernst nehmen.
[Doch vgl. v. Leu t seh Phil. 41, 283]. Sie stehen etwa auf einer Linie mit
jenen Spottversen in Triumphliedern der Soldaten: Gallias Caesar subegit,
Nicoraedes Caesarem und Urbaui, servate uxores, moechum calvum ad-
dueimus. In v. 20 lies: Et huiene Gallia et metet Britannia. [metit jetzt
B. Schmidt]. Iu 24 lies: eone nomine, urbis ob luem ipsimae (d. h. ob
Mamurram, istam pestem dominae urbis). — c. 30. Alle Umstellungen
sind abzuweisen. In v. 4 steht nee altertümlich für non (Munro zu
Lucr. II 23). Nach placent ist ein Punktum zu setzen, v. 5 — 6 so zu
verbinden: quom (V que) . . in malis , eheu (Baehrens im Kommentare
z. St. hält diesen Vorschlag für richtig; doch vgl. R. Richter Catulliana
S. 5 not.). — 31, 13 lies: vosque, o vividae lacus undae. — 37, 10 vobis
frontem tabernae pusionibus scribam. Vobis zu pusionibtts als Ablativ :
' both with their names and caricatures of their persons'. — 42, 16 — 18
Munro, Criticisms and elucidations of Catullus. 269
quod si non aliud pote, ut ruborem . . . ore, conclamate. — 45, 8 lies:
manu sinistra oder sinister astans. Ersteres gebilligt von Palmer Her-
math. VI 335. — c. 54. Das Gedicht ist weder lückenhaft, noch aus
mehreren Fragmenten zusammengesetzt. In v. 1 — 2 lies: Othonis caput
(oppido est pusillum) et, trirusiice, semilauta crura. Zu si non omnia in
v. 4 wird verglichen Cic. pr. Sest. § 7 Lucr. III 406. II 1017. Lucil I
33 Mueller. Cic. epist. XVI 24, 1. — 55, 9 lies: sie usque flagitabam.
— c. 59, 1. Entweder Bonouiensis rufet rufulum fellat uxor Meneni (nicht
Rufa Rufulum) oder Rufum anus fellat. — c. 61. Die Annahme von
Lachmann— Haupt , dafs die Strophe oder Perikope aus zwei Perioden
bestehe, von denen die erste drei, die zweite zwei Kola umfasse, ist ab-
zuweisen. Denn es sei nicht richtig, dafs einige Male (vgl. darüber
Haupt opusc. I 18—19) die Freiheiten des Versschlusses (Hiatus und
syllaba aneeps) sich fänden. Die <jüvd<psta sei durchgeführt. Den von
v. 121 an scheinbar auftretenden Hiatus müsse man beseitigen, indem man
das überlieferte einsilbige io vor Hymen wieder einführe. Die kurze
Silbe in omnibus 223 beweise nichts: entweder habe Catull us einfach
laug gebraucht cas Virgil has so often done with - ?/*'(!!), oder eine
der Konjekturen obvüs resp. advenis treffe das Richtige. — 63, 9 typa-
num ac typum Cybelles. — 63, 74 sonus excitus. — 63, 75 deae tarn ad
auris nova nuntia d. h. tidings so stränge and novel'. — 64, 61 lies:
illac (quaque alia?). — 64, 23 b salvete iterumque iterumque, bonorum. —
64, 109 lateque comeis obit. — 64, 273. Für das levitergue sonant in 0
wird Senec. Ag. 680 verglichen. — 66, 9. Mit Verschmähung des Da-
tanus SO ergänzt : numquam ego te primae mihi ademptum in flore iuventae.
— 66, 15 an quod avenhim. — c 67. In ausführlicher Darlegung ver-
sucht Munro nachzuweisen, das Gedicht sei cquite simple and intelli-
gible'. v. 12 verum astu populi ianua quippe facit. — c. 68. 'Nearly
every commentator of Catullus is now agreed that this 68 th poem forms
two entirely distinet poems, addressed respectively to two quite different
persons, 1 — 40 to a Manlius, 41 — 160 to an Allius'. Manlius schrieb
an Catull nicht von Rom, sondern von Baiae aus. In v. 27 liest Munro
daher (mit codd.) Catidle, in v. 29 tepefecit. v. 65 implorald ist angeb-
lich nom. sing. v. 75 ineepto a! frustra. v. 91 quae taetrt id. v. 157
nobis te et eram dedit Afer. Im Anschlüsse an c. 68 handelt ein be-
sonderer Abschuitt über Lesbia (S. 194—202). Munro tritt sehr ent-
schieden für die Identität von Lesbia mit Clodia quadrantaria ein, ohne
neue Momente vorzubringen. Erwähnt sei der Hinweis auf die Sera-
pronia bei Sali. Cat. 25 und Augustus Tochter Julia. — c. 71, 1—2
' Siqua iure bono sacer, >> Rufe, obstitit hircus aut siqua merito tarda Po-
dagra secat (siqua = in any way'). — c. 73, 4 iam iuvati immo etiani.
— 76, 5 manent iam in longa, v. io cur te iam a! amplius. — Zu
92, 3 totidem nun wird auf Hör. sat. II 3, 298 7erwie8en. — 95, 3 — 4 //</-
trianns in uno veratculorum aimo putidua evomuü (llatrianus =s ' t he native
270 Catull. Hiiiiiit,"- zur Kritik und Erklärung (Pulmei
of Batria ' ist Volusius). 1 1 o, 8 tu, promisisti mihi guod. v. 7 frau-
dando est fviru — plus (|iiiini meretricis avarae. The asyodeton seems
here emphatic: est furis - |cst, inquam,] plus quam <:et.' - 114, 3
aueupia omne genus, piscis. v. •; modo ist Ablativ (doppelsinnig: l) in
der hei »Jen Grammatikern Üblichen Bedeutung, ~±) — ratio, moderatio).
- 115, 1 Mentula haltet tonai. v. U cetera sunt nemoris. v. 4 tot qui
in saltu uno commoda possideat. v. 7 tarnen i|>^:-»t maximus ut re nou
liomo, sed vero. Eine gut geschriebene, ästhetisch- litterarische Pa-
rallele Catullus and lloraee' bildet den Schlaft des Bnche8.
81. A. Palmer, Ellis's Catullus, Ilcrmathena VI (1879),
293-3G3.
Aufser einer lobenden Besprechung von Ellis' Werke (die Behaup-
tung auf S. 363, das luscheinen von dessen erstem Bande bezeichne eine
neue Ära für Catull, läfst sich schwerlich aufrecht halten ) bietet der
Aufsatz kritische und exegetische Bemerkungen in grofser Zahl. Die
Polemik des Verf. richtet sich vielfach gegen Munro, dessen Criti-
cisms and Elucidations er sich formell zum Muster genommen hat.
Unter den folgenden Konjekturen befindet sich manches geistreich Er-
dachte, aber keine sichere Emendation. Von der neueren deutschen
Litteratur über Catull kennt Verf. sehr zu seinem Schaden aufser B a eh-
ren s' Ausgabe anscheinend gar nichts. — c. 1. Sehr plausibel ist die
ungefähr gleichzeitig von Vahlcn in den Hauptschen Text eingeführte
Interpunktion hinter libelli. Geführt ward Palmer auf diese Änderung
durch Munro z. St., besonders durch die dort citierten Stellen Tac.
Ann. XIV 55. Martial V 60, 5. — c. 2, 5-11:
Cum desiderio meo nitenti
Carum uescio quid übet iocari
Et solaciolum sui doloris
Cordt est, cum gravis acquiescit ardor,
Tecum ludere sicut ipsa possem,
Et tristis animi levare curas!
Gratum sit mihi quam ferunt puellae sq.
Zwischen dolor und ardor sei nach Munros Vorgange scharf zu
unterscheiden. — c. 4 Bemerkungen ohne Belang. — c. 6, 11 neun ista
stupra valet nihil tacere. — 8, 14 — 15 cum rogaberis nullä, Scelesta,
■nocte mit Scaliger. Offenbar unrichtig. Die Änderung setzt anstatt des
exquisiten nülla (vgl. Beiger, M. Haupt S. 95) das platte mala nocte,
führt das hier unangemessene nocte ein und zerstört vor Allem das fol-
gende quae tibi manet vita. — c. 10 Unerhebliches. — c. 11, 11 horri-
bilesque vitro inusque Britannos mit Beziehung auf Caes. b. g. V 14 und
die Variante Vitimosque in 0. Sehr unglücklich: ultimosque ist nicht nur
tadellos, sondern hier absolut notwendig, wo die äufserste Grenze des
Catnil. Beiträge z>ir Kritik und Erklärung (Palmer). 271
bekannten Erdkreises bezeichnet werden soll (vgl. das Fortschreiten in
Alpes, Rhenum, aequor, Britannos). — 12, 9 leporum disertus puer ac
facetiarum wird (doch mit Bedenken) übersetzt ' the eloquent child of
pleasantry and wit' und auf 21, 1 pater esurilionum verwiesen. — 14, 14
continuo ist Adj. — 22, 7 membranae mit codd. und Munro, danach ein
Doppelpunkt. In v. 13 wird trüius richtig verteidigt durch Hinweis auf
Cic. fam. IX 16, 4 und das griechische rpißat , rpc/x/ia, mpczpc/ifjLa. —
25, 5 Simul Laverna vemulas ostendit oscitantes oder Convivium simul
viros o. o. — 36, 10 Jocosis lepide vovere divis. — 46, 11 diverse maria
et viae reportant. An den citierten Stellen Hör. c. II, 6, 7 und Epist. I
11, 6 bedeutet mare neben viae in ganz anderem Sinne die Mühsale und
Gefahren des Meeres und der Seefahrt. Die einem maria, reportant ali-
quem zu Grunde liegende Vorstellung hätte vielmehr erst belegt werden
müssen. Am nächsten kommt wohl Tibull II 6, 3 seu longa virum terrae
via seu vaga dueent aequora, aber auch hier werden die aequora durch
den scharfen Gegensatz terrae via viel deutlicher als Strafse bezeichnet.
— 38, 6 Sic meos amarel 'Is it thus tliat my friends love rae!'. —
41, 1 In dem Ameana der codd. steckt kein Eigenname, neben dem
puella stören würde. In v. 8 wird Fröhlichs aes imaginosum durch Gell. XVI
18, 3 ut speculum in loco certo positum nihil imaginet' gestützt. —
44, 20 Zum frigus Sestianum cf. Arist. Acharn. 138 f. — An lesens-
werte metrische Bemerkungen über die Galliamben in 63 reihen sich
einige kritische. Wegen des Jonicus a minore ist in 18 zu lesen conci-
tatia [so bereits ItalüJ, in 53 opaca, in 60 guminaaiis. Vgl. übrigens
L. Müller praef. ed. S- XXV. 64, 16 illac aequalis viderunt, coli.
Verg. Georg. IV 460. Ciris 435. Aber welche unmögliche Syntax:
aequalis marinas nudato corpore nymphas extantes! 21 suasit. 23'' sal-
vete herum, sah-ete, bonorum. So hat aber längst Peerlkamp vermutet.
Vgl. übrigens den Ref. in N. Jahrbb. 1876,409. 24 ma-» statt meo [!]. 119
quae misera in gremio gnatam deperdita alebat. Aber das absolute deperdita
ist unmöglich und braucht, um verständlich zu sein eben den Zusatz in
gnata. Übrigens verdirbt die Konj. den schönen Gegensatz misera . . laeta-
batur, den Lachmanns glänzende Emeudation herstellt. 120-122: amorem,
Atthide vecta rati spumosa ad litora Diae?
Aut ut eam Dia» devinetam sq.
184 praetcrea nullo colitur sola insula tecto, coli. Her. X 59. 97. [Aber
welche Redeweise ist insula colitur tecto!] — Ganz interessant, obwohl
von Irrtümern nicht frei, sind Palm er s Betrachtungen über c. 68. Er
ist von der Einheit des Gedichtes überzeugt; mitunter u. I>- S. 3»7»
stimmt er fast wörtlich mit der Abhandlung des Ref. N. Jahrbb. i ^ 7 r.
S. 849 f. übercin, obgleich er sie anscheinend oichl kennt. Aber da er
ohue jeden Grund in dem angeredeten Freunde den Maulius Tor-
quatus aus 61 und in dem teetua caeleba in v. 6 einen Hinweis aut den
272 Catull. Heitrage zur Textkritik (Palmer, Postgate).
Tod der Viuia sieht, so verwickelt, ersieh in unlösbare Schwierigkeiten.
Er vermutet, der Name All ins im zweiten Teile von v. 41 an sei ein
absichtlich gewähltes Pseudonym fürManlius im ersten Teile (S. :mh).
Nur der zweite Teil sei nämlich zur Veröffentlichung bestimmt gewesen;
Manlius habe ja doch schwerlich gewünscht, dafs die Welt von seiner Kappler-
rollc bei dem Liebespaare Catull und Lesbia erfahre. Den hiermit im
Widerspräche stehenden v. 155 versucht Palmer so zu erklären, dafia
tua vita lediglich Umschreibung von te sei: so habe ja auch Catull das
kallimacheische t^v re xdprjv aj/xooa <toi> te ßlov durch adiuro tequt tu-
umque Caput wiedergegeben. Jeder der den Vers unbefangen liest, sieht,
dafs diese Deutung unrichtig ist, ebenso wie im folgenden Verse die
Konj. dominae (' our ladies, your Aurunculcia, my Lesbia'). Aber schön
und von poetischem Verständnis zeugend ist die allgemeine Würdigung
des herrlichen Gedichtes, die den Schlufs macht. — 77, G Vitae, heu
non verae pectus amicitiae ' 0 thou who art the cruel poison of my life,
and not, a|s I once thougbt, a heart of faithful friendship'. Unrichtig,
wie, abgesehen von Anderem, schon die Einschwärzung der gesperrt ge-
druckten Worte zeigt. — 83, 6 uritur et queritur [!]. — 88, 7 quiequam,
unrichtig. — 66, 59 Ellis' iuveni Ismario mit Recht bekämpft, statt solum
sei sola [so früher G. Hermann] zu lesen. 77 quicum ego dum virgo
quondam fuit omnibue et spes coli. Ov. Metam. IX 10, obwohl gleich darauf
zugegeben wird, dafs diese Stellung des et uncatulliscb sei. — 100, 6
perspeeta est igni tum coli. Cic post red. IX 23 amicitias igne per-
speetas. Unrichtig wegen der Elision des Flickwortes tum. — 114, 6
dum modo homo ipse egeat. Darauf spiele an das non homo im letzten
Verse von 115: CI called him contemptuously homo; but after all, that
is not true appellation '. — 115, 7 maximus auetor. 'Auetor meant the
person who had the right to seil a thing; bence the legal owner'.
82. J. P. Postgate, Catulliana, Muemos. N. S. XIV (1886),
433-439.
Verf. behandelt folgende Stellen. 2, 8 credit [mit Änderung von
cum in tum?]. — 6, 10 cassa. cTremere lectum C. dicit etiam tum cum
nulla sit, quae quidem cernatur, tremendi causa. Hie lectuli motus Om-
nibus cassus esse videtur, illo excepto qui veram eius causam intellexit1.
Unrichtig: cassus heilst gar nicht 'grundlos' oder 'unmotiviert'. Der
Gedanke ist, wie die vorhergehenden Verse zeigen, hier fremdartig und
unpassend. Die Überlieferung ist heil, c 29, 20 hüicne Galliae ultima
et Britanniae d. h. huiene Galliae et. Britanniae praeda ultima conce-
detur? — 29 , 23 urbis o putamina = xaftäppaza, coli. Non- 2, 685.
Curt. 10, 2). — 61, 224-225 (217) pudicitiam suo matris indicet ore.
[Aber 220 sit suo similis patrü] — 62, 22 complexum matris retinentem.
— 64, 11 illa rüdem cursu prora inbuit Amphitritem. [Aber ohne prima
bat der Vers gar keinen Sinn. Über das Paläographische vgl. jetzt
Catull. Beiträge zur Textkritik (Cumpfe, Markland). 273
Schwabe z. St.)- — 110, 3 mihi quod mentire, inimica es. — Interessant
sind Postgates Bemerkungen zu c. 115. In v. 7 ist nach maximus zu
interpungieren, für das verderbte ultor zu schreiben alter (so jetzt auch
Schwabe) und mit dem folgenden non homo zu verbinden. Catull spielt
auf den bei Sacerdos überlieferten Spottvers (Keil VI S. 461) auf Pom-
pejus an cquem non pudet et rubet, non est homo sed ropio'. Also:
'Innuit Catullus Mamurram tantum apud Pompeium Magnum gratia va-
lere ui ipse alter Magnus sit, cum acerbissima idem amborum irrisione
qui non homines sed mentulas magnas appellet'. Dadurch wird angeb-
lich auch die Übertreibung in 5—6 erklärlich: 'terrarum, puto, dominos
quosdam tangebat, Europae atque Asiae victores'. Aber freilich ent-
stehen nun wieder neue Schwierigkeiten ! In dem minax sucht Verf. offenbar
zu viel. Catull vergleicht die mentula magna mit einer drohenden Waffe,
vgl. 56, 6 rigida mea cecidi.
83. K. Cumpfe, Kriticke a exegeticke prispevky ke Ca-
tullovi. Listy filologicke a paedagogicke. 1883 (III a IV), 183—202.
Auf eingehende Besprechung dieses Aufsatzes mufs Ref. bei seiner
Unbekanntschaft mit der Sprache verzichten. Der Verf. behandelt fol-
gende Stellen: Catull 51, besonders v. 2 superare divos (coli. Prop. II
14, 9. Anth. Pal. V 94, 3-4), 6-7, 9-12 (coli. Lucr. III 155. Hör.
carm. I 13, 5), 13—16 (coli. 68, 103. Ov. Rem. 139 f.); c. 1, besonders
v. 2 arido pumice, v. 8 — 9 quidquid hoc libelli qualecumque (coli. Priap. 2, 9.
Martialis III 1, 1. I 70, 17. VII 26, 3 Hör. sat. I 10, 88. Stat. Silv. II
praef. 25. Lucr. III l, 135. Ov. a. a. II 283 — 284. Paneg. Mess. 24.
Phaedr. III prol. 27). In v. 9 wird anscheinend statt o patrona virgo
vermutet o patrone vere. Es folgen Bemerkungen zu 55, 6 — 13. Zu
v. 11 vermutet Verf. anscheinend mundum sinum reducens.
84. A. Stachelscheid, Unedited conjectures of Mark-
land. Hermathena VII (1881) 153-156.
Markland hatte Vermutungen zu Catull und Tibull an den Raud
einer (nicht näher bezeichneten) Pariser Ausgabe der Elegiker von 1723
(in dem betreffenden Exemplare fehlte jedoch Propertius) beigeschrie-
ben. Der Herausgeber bemerkt dazu: 'Exemplar istud nunc in Museo
Britannico adservatur sign. 834. K. 1 (olim Gal. 10 Sd. )\ Es sind
folgende :
1) Catullus. 28, 5 verpa (coli. v. 12 und 47, 4). — 48, 5 Africis
aristis (schon bekannt durch Ep. crit. S. 157). — 64, 21 sanxii (= Itali).
— 64, 94 miseroa agitans. Der Rat Marklands 'forte hie versus cum
sequentibus coniuugendus est' wird in den heutigen Texten meist be-
folgt. — 64, 111 vaeuis (so jetzt Baehrens). — 64, 287 Nerddum (so
die Aldinen). — 64, 362 debita (Markland fand in seinem Texte Morets
Konjektur dedlta statt des überlieferten reddita), — 66, 44 Thiae (so auch
Jahresbericht für AlterthuiuswisHenschaft LI. (1887. II.) 18
274 Catull. Beiträge zur Textkritik (Markland, Noväk).
Vossius). Bent. Schul. Hom. II. 9. v. 480'. — 68, 65 face (so Dorville).
'Scriptum fuit phnce, unde istud prece. Sen. Herc. Für. v. 38'. — 86, 2
liaec ego, « singula, confiteor. — 94, 1 moechatur Mentula? Certe Hoc
est. — 101, 2 has scras.
2) Tibullus. I 1, 3 quem pavor. — I i, 55 retinet •■ etwa. —
I 2, 19 descendere. — 12, 02 magicos — focos. 'Proport. I l' (d. h.
I 1, 20). — I 3, 32 debcat] ' debitrix sit, 6y>etX£n)<: el'r/. — I 3, 86 Feftj
statt Tellus, coli. Val. Flacc. I 169. Pind. Pyth. V 88. Sen. Suas 3.
Stat. Achill. Anth. lib. I S. 123. Philo de Monarch, lib. II 8. 564 ed.
Turneb. Aristid. Isthm. in Nept. S. 19 ed. Jebb. — I 3, 47 non rabiee
(so auch Burmann). — I 3, 49 saevum nunc mare. — I 3, 51 parce preeor
(Sehr beachtenswert, die Anrede an Juppiter wäre nach v. 49 recht un-
passend; Mors ist zu weit entfernt, kann auch nicht mit pater angeredet
werden. Zu einem parce preeor würde fac in 54 passen). — I 3, 75
per iugera matris, 'cuius glossa fuit zb terrae'. — I 4, 72 supplicis, et
miseri. — I 4, 12 hie facilem. — I 5, 6 fortia verba. — I 5, 38 cf.
Heliod. Aethiop. V 33. — I 5, 69 mea furta. — I 5, 70 Fors nicht fors
(so unsere Ausgaben). — I 7, 16 alat (so unsere Ausgaben). — I 7, 47
dulei (so Itali). — I 7, 49 ' 1. Gemum : ludis, cf. M. remarks on the
epistles of Cicero to Brutus, London 1745 pag. 68.' — I 10, 43 hie ego.
Horat. nimirum hie ego dum. Propert. hie ego Pelides. — II 5, 21 cer-
nebat. — II 5, 46 veni. 'Above 6, 25. cf. M. ad Stat. Silv. I 4, 55'.
— III 4, 21 'Alibi conieceram Oeta et ita legendum puto ap. Senecam
Troad. 170. Summa iam Titan iuga stringebat Oetae : vicerat noctem
dies, cf. M. Stat. silv. II 2, 45.' — III 4, 83 nostrü contraria vota.
— III 5, 10 dedi. — IV 1 , 32 futuris (so die gute Überlieferung.) —
IV 1, 37 victus. — IV 2, 10 comptis stat. 'Ita ap. Auson. Mosell. v. 321
ed. Stoer. Haec est nativi sublimis in aggere saxi : lege Haec stat \ (Von
Schenkl notiert). — IV 13, 9 teeum ego. cCf. M. ad Stat. Silv. V
3, 213.'
Manches hiervon ist längst anderswoher bekannt. In anderem er-
kennt man leicht den flüchtigen Einfall des Augenblicks. Einiges aber
ist fein erdacht und eingehender Prüfung wert, namentlich in den Be-
merkungen zu Tibull. Von den neuesten Herausgebern des Catull und
Tibull ist die ganze Publikation anscheinend übersehen worden.
85. R. Noväk, Ad Catullum, Listy filologicke a paedagogicke'
1886, 337-340.
Verf. bemerkt zu Catull 6, 12 cSane desideratur sententia, qua
dicat Catullus omnia sibi sive a cubili sive a lecto enuntiari excepto no-
mine Flaviignium' und schlägt vor: nomen is pote, alid nihil tacere. Die
Korruptel ist angeblich dadurch entstanden, dafs pote in post über-
ging, und die Zeichen für post und prae verwechselt wurden. — 22, 12
teilweise im Anschlüsse an Baehrens: aut si quid est acutius videbatur.
Catull. Beiträge zur Textkritik (Noväk, Kraffert). 275
— 54, 2 Macri rustica sq. — 64, 16 Mac atque Mac coli. 6, 9. 61, 34.
68, 133. — 64, 109 late quae sunt ei obvia frangens [das einsilbige ei
ist in diesem Gedichte offenbar unstatthaft und läfst sich nicht durch
82, 3 stützen. Verf. berührt dieses schwere Bedenken gar nicht]. —
64, 205 conrnotast tellus. Verf. macht für diese Konj. besonders die
Alliteration mit contremuerunt . . concussitque geltend. — 64, 345 mana-
bunt sanguine fines. — 66, 59 ut vidit, vario i. e. ' dea ut me (comam)
adlatam conspexit, ne . . . foret . . . , posuit'. Die Korruptel ist an-
geblich durch die duplex scriptura ^ entstanden. — 66, 93 sidera per-
mütant, iterum. — 67, 11 verum istvd populus, ianua rite facit. [Aber
rite ist sinnlos und wird durch 64, 310 nicht gestützt]. — 92, 3 quot
signa eins sunt, totidem mea. — 107, 7 aut magis istac. —
86. H. Kraffert, Beiträge zur Kritik und Erklärung
lateinischer Autoren. III. Teil. Aurich 1883.
AufS. 138 — 139 dieser Schrift finden sich einige Bemerkungen zu
Catull und Tibull. Catull 11, 21 nee meum respectet, ut ante, amorem.
— 64, 9 volitantem flamine cursvm (?). — 64, 89 — 90 'sind ganz hübsch,
aber doch vielleicht nur ein Einschiebsel'. 64, 102 appeteret (Verf. scheint
Baehrens Ausgabe nicht zu kennen). — 64, 161 qua tibi ioeuudo.
— 67, 3 benigno (coli. Hör. Sat. I 2, 4). — 67, 5 nato servisse (so schon
Fröhlich). — 68, 21—24 vielleicht aus 65 interpoliert'. — 68, 64 veluti
nigro (so schon die Itali des 15. Jahrhunderts!). — 116, 1 veneranda re-
quirens. Eine Sammlung der äna£ elprjp.£va Catulls, wie sie Verf. als
wünschenswert bezeichnet, existiert längst (von Teufel).
Tibull I 5, 20 hinter deo ein Kolon zu setzen (beachtenswert). —
I 5, 31—34 sind mit Anführungszeichen zu versehen (?). — I 5, 65 de-
ducet amores. — I 6, 7 et credere durum est. — I 6, 69 at mihi sint.
— I 8, 59 media quavis (od. quo vis) obrepere nocte. — I 8, 63 nach
fallit ein Fragezeichen. — II 1, 24 extruet arte casas. — II 2, 18 das
Epitheton flava nicht angemessen. — II 3, 50 iam venient praedae. —
II 4, 29 — 31 hie .... causas, set Coa puellis .... man', haec fecere
malas. — II 5, 31 — 32 'Ausmalung der fistula, namentlich im zweiten
Verse, verdächtig'. — II 6, 9—10 in Anführungszeichen, hinter
aquam in v. 8 ein Kolon. — III 3, 35 aut mit geringeren Hand-
schriften. — III 4, 20 Sovmus, nicht aomnus (coli. v. 55). — III 5, 3
tunc autem 'jetzt (in der kühleren Jahreszeit) seid ihr bei den fontes
Etrusci, dann aber, wenn der Frühling Kommt, in Bajae' [Wo Steht das
im Texte?]. — III 6, 20 vina iocosa colant. — IV 1, 27 von, im- Charta
(mit G). — IV 1, 43 utrimque 'ist zum Dächst eo Verse zu ziehen und
davor zu interpungicren'. — IV 6, 19 sie iuveni gratum: venict. — IV 8,8
arbitrio quam vis, iion miu's esse meo. — IV 10, 2 Dach cadam eiu
Fragezeichen.
18*
276 Beiträge zur Textkritik Catulls (Tartara). — Authologieea.
Die meisten dieser Vermutungen sind flüchtige Einfälle. Auch
fehlt genügende Kenntnis der neueren Litteratur.
87. A. Tartara, Animadversiones in locoa nonnnllos
Valeri Catulli (etTitiLivi). Iterum emendatiores editae. Born. 1882.
Obwohl die in sehr bedenklichem Latein geschriebene Arbeit wenig
Lehrreiches enthält, sei ihr Hauptinhalt hier Bkizziert, weil .-de in Deutsch-
land nicht viel Leser finden dürfte. Die neuere Catulllitteratur von
Baehrens Analecta Catulliana an ist übrigens dem Verl. anscheinend nur
teilweise bekannt. I. Die Verse 2, 1 1 — 13 sind von dem Vorhergehenden
zu trennen. 2, 8 credo uti gravis adquiescat ardor soll unecht sein, vor-
nehmlich wegen des Gebrauches von ardor. Und von v. 7 wird zwar
zugestanden 'Catullum videtur redolere sententiamque aptam efficere' —
aber verdächtig ist er doch!! — II. Auseinandersetzung über 6, 12 — 14.
Alle früheren Konjekturen werden mit unerträglicher Breite bekämpft.
Zu lesen ist: Nam nil isla valent, nihil tacere (näml. cubile, pulvinus,
lectus), tum non tarn latera sq. (tum = deinde, denique). — III. Be-
sprechung von 29, 20: Fiuntque quarta Galliae et Britanniae oder Nunc
Galliae timent, timmt Britanniae (so schon Puccius!). — IV. 66, 59
Sidus ibi vario ne solum. — V. 68, 60 densi gegen Haupt verteidigt. Der
Vergleich 68, 57 f. bezieht sich auf 55 — 56, nicht auf das Folgende (an-
geblich wegen Reminiszenz an Homers II. II, 2). — VI. 95, 7 'Cum
Tanusio Gemino, cuius historias legerunt Suetonius et Plutarchus, nihil
Volusius Catulli: neque enim constat Volusium historiis scribendis operam
dedisse, neque Tanusium Geminum aequalem Catulli fuisse'. (Vgl. oben
S. 233 f.). — VI. 114, 6 zu lesen dum domus ipsa egeat. — VIII. 116, 4
Tela infesta meum mittere in usque caput (= Muret).
E. Anthologieen.
Rücksicht auf den beschränkten Raum macht dem Ref. in diesem
Abschnitt Kürze zur ersten Pflicht. Wer sich für die Einzelheiten in
den Texten und Kommentaren interessiert, wird in den hier ausnahms-
weise citierten Rezensionen, die oft sachlich wertvolle Bemerkungen ent-
halten, Gelegenheit finden sich zu orientieren. Im Allgemeinen vergl.
E. Heydenreich in dieser Zeitschr. 1886 II S. 152f. 1887 II S. 84f.
R. Ehwald 1885 II S. 278 f.
88. Römische Elegiker. Eine Auswahl aus Catull, Tibull,
Properz, für den Schulgebrauch bearbeitet von Dr. K. P. Schulze.
Berlin. 1879. Weidmannsche Buchh. X und 194 S. 8.
Rec. von 0. Harnecker, Z. f.d. G.W. 1881, 600—615; von
H. Magnus Jahresb. d. Philol. Ver. 1881 (VII), 354-362.
Anthologieen aus den Rom. Elegikern (K. P. Schulze). 277
89. Römische Elegiker. Eine Auswahl aus Catull, Tibull,
Properz und Ovid. Für den Schulgebrauch bearbeitet von Dr. K.P.
Schulze. Zweite Auflage. Berlin. 1884. Weidmannsche Buchh. XII
und 250 S. 8.
Rec. von 0. Harnecker Berl. Phil. W. 1884 No. 50 und 51, von
A. Zingerle Z.f.d.Ö.G. 1885, 99-101, von A. Otto Z.f.d.G.W.
1885, 220-230. R. Steig Wochenschr. f. klass. Phil. I Sp. 1509 bis
1512. Vgl. des Ref. Bemerkungen Jahresber. d. Phil. Ver. XII 212— 214.
Die erste Auflage dieses Buches bezeichnete zwar einen entschie-
denen Fortschritt gegen die Vorgänger und hat, da Besseres eben nicht
existierte, sicherlich Nutzen gebracht. Aber sie wurde den Forderungen,
die man an eine derartige Arbeit stellen mufs, in manchen Beziehungen
entschieden nicht gerecht. Gerade aus dem für die Schule in erster
Linie passenden Dichter, aus Ovid, fehlten Lesestücke. Dagegen sind
dem für diesen Zweck ungeeignetsten Dichter, dem Properz, von 194 Seiten
nicht weniger als 114 gewidmet. Aufserdem findet sich durch den Kom-
mentar hin verstreut eine grofse Reihe von Fehlern und Versehen, wie
a. a. 0. vom Referenten nachgewiesen ist. Der Text schliefst sich meist
an Haupts Ausgabe der Elegiker an; nur in den Stücken aus Catull
findet man häufiger Abweichungen, weil mehrfach Lesarten aus dem
Oxoniensis nach Baehrens Vorgange aufgenommen sind. Sachliche Nach-
träge zu einzelnen Stellen geben Harnecker und der Ref. in ihren Re-
zensionen. Aus der Besprechung des Ersteren sei hervorgehoben der
Passus über Catull e. 49 (S. 606—609), der die späteren eingehenden
Arbeiten über das gleiche Thema schon in nuce enthält. Vgl. oben S. 240.
Die zweite Auflage des Buches ist in jeder Beziehung besser
geworden. Die Texte sind sorgsam revidiert. Schon dadurch, dafs von
Ovid 19 Elegieen (aus Amores, Tristia, ex Ponto) Aufnahme fanden, hat
das Buch an Brauchbarkeit sehr gewonnen. Auch die Stücke aus Ca-
tull und Tibull sind etwas vermehrt. Dafür sind weggelassen mehrere
Gedichte des Propcrtius und drei Elegieen des Lygdamus. Am Schlüsse
der Sammlung werden die Abweichungen von Haupt Vahleu (4. Aufl.
1879) und Rieses Ovidausgaben verzeichnet. Für die Verbesserung des
Kommentares st anden dem Verf. aufser zahlreichen Monographieen die
eingehenden Rezensionen zu Gebote, welche sich mit der ersten Auflage
seines Buches sowie mit der Anthologie von Jacob; beschäftigten. Er
hat diese Vorarbeiten gewissenhaft und mit Nutzen zu Kate gezogen,
wenn er auch im Einzelnen oft nicht das Richtige trifft. Harneckers
Nachträge beziehen sich meist auf die neu aas Ovid aufgenommenen
Stücke.
278 Antliologieen aus den Rom. Elegikern (Jacoby, Bender).
90. Anthologie aus den Elegikern der Römer. Für den
Schulgcbrauch erklärt von Dr. Carl Jacoby. Erstes Bändchen: Ovid
und Catull. Zweites Bändchen: Tibull und Properz. Leipzig.
1882. B. G. Teubner.
Rec. u. a. von 0. Ilarnecker N. Jahrbb. 1882, 261-272, von
H. Magnus Jahresber. d. Phil. Vor. IX 278—285.
Die Arbeit ist durchaus brauchbar. Sie übertrifft die erste Auf-
lage von Schulzes Elegikern bedeutend und ist der zweiten ebenbürtig.
Die Auswahl ist angemessen. Nur sieht man nicht recht, warum Ovid
mit Catull zusammengestellt wird: chronologische wie innere Gründe
weisen ihm offenbar seinen Platz an vierter Stelle hinter Properz an.
Die Texte sind sorgfältig durchgesehen und zeugen von verständiger
Überlegung. Seinen Widerspruch gegen manche Einzelheiten hat Ref. a. 0.
begründet. Die Einleitungen in die römische Elegie, in Leben und
Poesie der einzelneu Autoren sind nicht immer geschickt und geschmack-
voll abgefafst (vgl. Harnecker a. 0. S. 262). Die Erklärung verdient
meist uneingeschränktes Lob. Gröfsere Selbständigkeit gegenüber den
Vorgängern wäre mitunter zu wünschen. Rechenschaft über die Konsti-
tuierung des Textes, sowie über die für die Erklärung benutzten Vor-
arbeiten wird leider nicht gegeben. Dergleichen wird bei einer neuen
Auflage, die das nützliche Buch gewifs erleben wird , hoffentlich nach-
geholt werden. — Aus Harneckers Nachträgen sei folgendes erwähnt.
Zu Catull I, 9 wird vorgeschlagen: qualecuiique ; tua patrone voce. Zu
Catull 4: Nicht das ganze, geteerte uud geflickte Schiff, auch nicht das
blofse Vorderteil, sondern etwa ein zierliches Modell war in einem Tempel
geweiht. Noch besser nimmt man an, dafs es Catull in seinem Sirraia-
num an einem passenden Platze am See aufgestellt hatte, daneben einen
Altar oder eine Kapelle für die Dioskuren mit c. 4 als Weihinschrift.
Hospites sind dann Freunde des Dichters, Besucher des Dichterheims.
Beachtenswert sind die Bemerkungen über das Motiv von des Bruders
Tode in c. 65 und 68 auf S. 266—267, über infecti veli Catull 64, 243
(gegen K. P. Schulze). Zu Prop. IV 9, 37 wird für sedisse vorgeschlagen
cecidisse. Doch vgl. v. 60 und Burmann z. St.
91. Anthologie aus römischen Dichtern mit Ausschlufs
von Vergil und Horaz. Zum Gebrauch im Gymnasialunterricht. Von
Hermann Bender. Tübingen. 1884. Laupp. VIII und 156 S. 8.
Rec. von K. P. Schulze, Berl. Piniol. W. 1884 Nr. 44, von
R. Steig W. f. kl. Phil. II Sp. 489, von K. Jacoby Phil. R. V Nr. 23.
Benders Anthologie unterscheidet sich von den eben genannten
Büchern dadurch, dafs die Grenzen der Auswahl weiter gezogen sind.
Sie enthält Lesestücke aus Ennius, Lucilius, Lucretius, Catullus, Tibullus,
Propertius , Ovidius, Lucanus, Statius, Martialis, Juvenalis, Ausonius,
Anthologieen aus den Elegikern (Brandt, Mann, Franke). 279
Namatianus. Schwerlich ist mit einer derartigen Zersplitterung des
Stoffes den Interessen der Schule gedient. Die Texte schliefsen sich
den 'üblichsten, meist Teubnerschen' Ausgaben an, die jedoch
leider nicht namhaft gemacht werden. Die hie und da in den Anmer-
kungen vorgeschlagenen Konjekturen sind abzuweisen. Die Erklärung
beschränkt sich auf das dem Schüler Nötigste und ist angemessen.
92. Eclogae poetarum Latinorum in usum gymnasiorum com-
posuit Samuel Brandt. Lipsiae. 1881. B. G. Teubner. VIII und
146 S. 8.
Die Auswahl umfafst Ennius, Lucilius, Lucretius, Tibullus, Pro-
pertius, Ovidius, Martialis und Juvenalis (V 37— 154). Die Konstitution
der Text verdient alles Lob und zeugt von den gründlichen Studien des
Herausgebers. Erklärungen fehlen ganz und gar (vgl. praef. : 'hoc
euim genus editionum, quo munus interpretis magistro integrum servatur,
merito nunc ad usum scholarum a plerisque maxime probatur'). Ob
hierin ein Vorzug des Buches besteht, läfst sich bezweifeln. Aufser den
Texten findet man also nur kurze biographische Notizen, eine descriptio
metrorum und eine ' explicatio vocabulorum et formarum in Eclogis occur-
rentium, quae in lexicis minoribus explanari non solent'. Vgl. Jahres-
bericht d. Phil. Ver. IX 285-28G.
93. Anthologie aus römischen Dichtern für die obersten
Klassen der Realgymnasien und ähnlicher Anstalten zusammengestellt
von 0. Mann. Leipzig, 1883. B. G. Teubner, VIII und 124 S. 8.
Besonders reichlich ist die Auswahl aus Horaz' Oden. Leider
zeugt die Sammlung nicht von genügender Sachkenntnis des Heraus-
gebers. Vgl. K. P. Schulze, Wochenschrift f. kl. Phil. I Nr. 3. Jahres-
ber. d. Phil. Ver. XII. 210-211.
94. Chrestomathie aus Römi sehen Dichtern für mittlere
Gymnasialklassen von R. Franke. Leipzig. 1886. Braudstetter.
Das Buch ist zur Einführung in die poetische Lektüre durchaus
zu empfehlen. Sowohl die Auswahl der Lesestücke wie die Anmerkun-
gen zeugen von pädagogischem Takte. Berücksichtigt sind in erster
Linie Ovid und Phädrus. Doch begegnet man auch kleineren Ab-
schnitten (selten ganzen Gedichten) aus Tibull (die Überschrift von I 10
Klage eines Rekruten ' klingt wie Travestie) und Proporz, BOWie Epi-
grammen Martials und der Anthologia latina. Recht praktisch sind auch
die versus memoriales des Anhanges. Wissenschaftlich Beachtenswertes
ist dem lief in Text und Anmerkungen nicht aufgestofsen. Bei einer
neuen Auflage des nützlichen Buches wäre wünschenswert: 1) Revision
des mehrfach veralteten Textes nach den neuesten Ausgaben, 2) Ver-
mehrung der zusammenhängenden stucke resp. der vollständigen Ge-
280 Anthologieen. — Catullübersetzungen (Westphal).
dichte. Namentlich mufs die Auswahl aus den Metamorphosen viel
reichlicher bemessen werden, wenn das Buch von Quarta (resp. Unter-
tertia) bis Untersekunda der norddeutschen Gymnasien ausreichen soll.
95. OvidLessons, being easy passages selected from the elegiac
poems of Ovid and Tibullus with explanatory notes by H. G.
Wintle. London. 1886. Murray.
86 Bruchstücke aus Elegieen Ovids und Tibulls. Bei der Auswahl
war das wunderliche Prinzip mafsgebend, dafs ein jedes Stück gerade
10 Distichen zählte und gerade eine Seite füllte! Weder Text noch Anmer-
kungen vermögen irgend welches Interesse zu erwecken. Ausstattung
sehr schön.
96. Lesestücke aus griechischen und lateinischen
Schriftstellern von Moritz Seyffert. Sechste, durchgesehene
Auflage. Leipzig. 1880. Holtze.
Seyfferts Lesestücke sind ein allbekanntes, mit Recht beliebtes
Buch. Die sechste Auflage scheint im wesentlichen unverändert. Es
läfst sich nicht verkennen, dafs die Ovid, Tibull und Martial be-
treffenden Partieen in Text und Anmerkungen eine der neueren
Fachlitteratur Rechnung tragende, doch vorsichtige Revi-
sion nötig haben.
97. Auswahl aus Horaz und den römischen Elegikern
für den Gebrauch auf Realgymnasien herausgegeben und erklärt von
Ad. Hemme. Berlin. 1886. Weidmann.
Rec. von K. P. S chulze, Wochenschr. f. klass. Phil. III. Sp. 619
bis 622, E. Heydenreich, Zeitschrift für das Gymnasialw. XXXX.
S. 406-410, F. Müller, N. Jahrbb. f. Pädag. 1886 S. 317-320.
Das Buch ist für den im Titel angegebenen speziellen Zweck wohl-
geeignet. Praktisch ist besonders die Verweisung von Text und Kom-
mentar in zwei getrennte Hefte. Den Löwenanteil bei der Auswahl
(93 von 123 Seiten Text) hat natürlich Horaz davongetragen. Aufserdem
sind vertreten Catull, Tibull, Ovid, nicht Properz. Die knapp und
präzis gefafsten Anmerkungen sind fleifsig ausgearbeitet und werden
dem Schüler gewifs nützlich sein. Übersetzungen werden vielleicht etwas
zu reichlich gegeben. Wissenschaftlich Beachtenswertes scheint das
Buch nicht zu enthalten.
F. Catullübersetzungen.
98. Catuils Buch der Lieder. Deutsch von Rudolf West-
phal. Leipzig. 1884. Leuckart. VIII, 167 S. 8.
Der Titel leitet nach verschiedenen Richtungen hin irre. Man er-
wartet zunächst eine neue Übersetzung und findet bei genauerem Zu-
Catullübersetzungen (Westphal). 281
sehen in dem wesentlichen Inhalte des Buches die Wiederholung der
Gedichte 'Catulls in ihrem geschichtlichen Zusammenhange übersetzt und
erläutert von R. Westphal' (erschienen i. J. 1867). Bekanntlich ist aber
in diesem früheren Werke Westphals nur ein Teil von Catulls Gedichten
übersetzt. Einige weitere Übertragungen aus unserem Dichter enthielt
die 'humoristische Lyrik des klassischen Alterthums' desselben Verf.
(Halle, Barthel). Diese sind dem vorliegenden Buche eingefügt. Einen
dritten Bestandteil bilden endlich neue Übersetzungen. Man erwartet
ferner eine vollständige Übersetzung — und findet, dafs ein sehr
erheblicher Teil des über Catulli fehlt, nämlich c. 61 und 64 gröfsten-
teils, c. 27, 33, 34, 38, 60, 62, 63, 66, 67, 73, 95-99, 102, 103, 108,
112 sowie sämtliche Gedichte an Gellius Oheim und Neffe ganz. Manche
der bezeichneten Auslassungen erklären sich vielleicht aus Rücksichten
der Moral und des Anstandes (obwohl sich Verf. anderwärts nicht über-
mäfsig skrupulös in diesem Punkte zeigt) , andere bleiben unverständ-
lich. Man fragt verwundert, warum nicht wenigstens im Vorworte eine
Aufklärung gegeben wird, was dieses Versteckenspielen eigentlich be-
zweckt.
Westphals Übersetzung von 1867 und somit die grofse Mehr-
zahl der Nummern des neuen Buches ist den Fachgenossen bekannt.
Hie und da ist am Ausdrucke geändert, nicht immer gebessert. So liest
man jetzt erstaunt (S. 57), dafs in Rufus' Achselhöhlung 'ein trotz'ger
Feind, ein Teufel' wohnt. Soll das lat. hircus dadurch salonfähiger
werden oder kennt der moderne Mensch jene mala bestia nicht mehr?
Eher rechtfertigt sich vielleicht näheres Eingehen auf die Gedichte der
zweiten Gruppe, da Westphals 'humoristische Lyrik' anscheinend wenig
Leser gefunden hat. Der Übers, hat auch hier durchweg moderne Vers-
maße gewählt. Ref. ist weit entfernt, mit ihm darüber zu rechten. Er
meint, das Wort eines berühmten Historikers: 'Es giebt viele Arten Ge-
schichte zu schreiben, und jede ist berechtigt, wenn sie nur ihren Stil
rein und streng einhält' gilt auch vom Übersetzen: es kommt eben alles
darauf au, wie es gemacht wird. Er ist überzeugt, dafs gerade Catulls
Gedichte — abgesehen von den Elegieen gröfseren Umfanges, für die
auch im Deutschen das Distichon als Kunstform fest steht — sich sehr
wohl in moderne Form umgiefsen lassen. Den Beweis hat denn auch hier
wieder Westphal durch mehrere wahrhaft geniale Treffer vollgültig ge-
führt. Hervorragend an Umfang und Bedeutung ist in seiner Übertra-
gung ein Teil des Hochzeitsliedes auf Manlins und Vinia Aruncoleia
(v. 75 — 190). Hier sind ihm einige Strophen wohl gelangen. I>as ist
nichts Kleines; denn an diesem Gedichte waren alle anderen Übersetzer
gescheitert — seihst Ileyse. — Die grofsen Vorzüge der Westphalschen
Übersetzung, anmutig ungezwungene Sprache, glattfliefsende Verse, witzig
treffender Ausdruck, grofse Kunst in Wiedergabe des Grandtones und
282 Catullübersetzungen (Westphal).
der Farbe, sind leider verdunkelt durch grofse Mängel, die sämtlich
einer Wurzel entstammen: es ist dem Verfasser im Grunde
nicht Ernst um die Sache. Der Aussicht, einen schlechten Witz
anbringen oder irgend einen wohlfeilen Effekt erzielen zu können,
opfert er kaltblütig die ersten Pflichten eines gewissenhaften Übersetzers.
Neben schönen, von feinstem poetischen Gefühle zeugenden Worten spreizt
sich die widerwärtigste Plattheit und Salopperie, die armselige verwäs-
sernde Phrase. In dem wundervollen, Bonnig-heitern Hochzeitsliede (o. 61)
stehen (v. 126 u. f.) einige Strophen, welche an die Fescenninenscherze
und ihre alten Gebräuche er in nein sollen und darum in mutwillig
neckendem Tone gehalten sind. Dass aber in ihnen nicht etwa wirklich
eine rohe Fescennina locutio zu sehen ist, dafs sie, dem Charakter des
ganzen Liedes entsprechend, durchaus zart und dezent sind, — davon
mag man sich im Originale überzeugen. Westphal giebt dem betref-
fenden Abschnitte die Überschrift Hochzeitskalauer' und redet u. a.
den maritus folgendermafsen an: Du Ehekrüppel, . . • jetzt kommts
Pantoffelregiment ....
Noch gestern durftest du und beut
ein Zottelbärtchen haben,
doch jetzt halbiert dich der Rasör
Unseliger, Unseliger!
Die Nüsse für die Knaben!
Warum nicht Unselig ör, da doch offenbar Zwickauer redet? Sind die
Schwierigkeiten dieser Strophen dem Nachdichter unüberwindlich, —
nun wohl, so mag man sie unübersetzt lassen, aber man soll sie nicht
travestieren. Denn dafs von diesen faden Späfsen im Liede nichts
steht, das weifs ein Mann wie Westphal besser als Ref. — und doch
schickt er dergleichen in die Welt!
Auch in der dritten Gruppe, den neuen Übersetzungen, werden
uns einzelne Proben glänzenden Könnens gegeben. Wie prachtvoll hebt
C. 57 (Pulcre convenit inprobis cinaedis, Mamurrae pathicoque Caesarique) an :
Vortrefflich für einander pafst
das Paar der Päderasten,
Mamurra und sein General,
die beiden gottverhafsten.
Bezüglich der Gedichte, die angeblich einer Übersetzung in mo-
derne Form widerstreben (warum, bleibt unklar) wird im Vorwort be-
merkt: 'Soweit es irgend anging, hatte ich mich hier an Heyses
Übertragung zu halten'. Wie weit es anging, möge ein Beispiel
zeigen (Catull c. 53):
Catullübersetzungen (Westphal, Pressel). 283
Heyse: Westphal:
Lachen machte mich einer auf dem Forum, Lachen machte mich einer auf dem Forum,
Der, als meisterlich eben unser Calvus der, als meisterlich eben unser Calvus
Dargethan des Vatinius Schurkereien, dargethan des Vatinius Schurkereien,
Staunensvoll mit erhobenen Händen ausrief : staunensvoll mit erhobenen Händen ausrief:
»Grofse Götter! ein grundgescheites- »Groi'se Götter! ein grundgescheites
Käuzlein« Zwergleine
Wer noch nicht im Klaren ist, wie weit es anging, lese c 30,
48, 16, 24, 86, 28, 47 bei beiden Übersetzern. Vgl. mit diesem — naiven
Verfahren Mähly Rom. Lyriker S. VI: 'Ich habe Geibel weder zu, noch
nach meinen Übersetzungen benutzt; dafs letzteres oft von Vortheil ge-
wesen wäre, weifs ich natürlich wohl, aber — ich mufste auf eigenen
Füfsen stehen. So hab ich es auch . . . mit Th. Heyse bei Catull ge-
halten, obschon gerade bei Heyse besser machen ein schweres Stück
Arbeit sein möchte'.
»Erläuterungen zu Catulls Gedichten« machen den Beschlufs. Sie
enthalten nichts als die Wiederholung zweier Hypothesen aus d. J. 1867.
Wir hören von neuem die Geschichte von dem sträfllichen Verhältnisse
Ciceros zu Clodia-Lesbia, von neuem werden wir belehrt, dafs die Verse
41 — 160 der Elegie an Allius ein selbständiges Gedicht bilden und 'in
der Weise altgriechischer Lyrik nach der siebenteiligen Compositions-
norm Terpanders angeordnet siud'. Vgl. oben S. 231 f. Neues von Be-
lang wird nicht vorgebracht. Kenntnis der neueren Litteratur zu c. 68
verrät sich nirgends (nur eiumal S. 155 Anm. ist gegen Rettig ein fehl
gehender Seitenhieb geführt).
Das sehr elegant ausgestattete Büchlein ist dem Dichter F. von
Bodenstedt, 'dem unerreichbaren Meister deutscher Über-
setzungskunst' zugeeignet. Vielleicht ist die Frage erlaubt, wo in
Westphals Kanon Rückeit, Geibel und Freiligrath rangieren.
R. Westphal war wie wenig andere berufen uns den deutschen
Catull zu schenken: er hat es vorgezogen, ein Buch zu schreiben, das
manches Gelungene und Interessante enthält, aber als Ganzes betrachtet
dem Freunde des Dichters einen höchst unerfreulichen Eindruck zurück-
läfst.
99. Catulls Ausgewählte Gedichte. Verdeutscht in den
Versweiseu der Urschrift von F. Pressel. 3 Lieferungen. Zweite voll-
ständig umgearbeitete Auilage. VIII und 116 S. Kl. 8. Berlin.
Langenscheidt (ohne Jahreszahl, die Einleitung ist vom Februar 1885
datiert).
Die erste nach S. VIII der Vorrede i. J. 1860 erschienene Auf-
lage dieser Übersetzung hat Ref. niemale in Händen gehabt. Er ist
daher nicht imstande über das Verhältnis der beiden Auflagen zu
sprechen. In der Vorrede heifst es ebenda über diesen Punkt:'. . . die
284 CatulJübersetzungftn (Pressel)
auf den Wunsch der Verlagsbuchhandlung übernommene Durchsicht der
vergriffenen ersten Auflage nahm daher die Gestall einer vollstand
Umarbeitung an'. — Die Bezeichnung des Titels Verdeutscht in
den Versweisen der Urschrift', ist unrichtig. Die Versmslse des
Originals sind in vielen Fällen nicht beibehalten. Au die Stelle der
Asklepiadeischen, der Priapeischen Verse, der Clioliamben und der Galli-
amben sind andere Rhythmen getreten. Gelungen scheinl nur die Form
von c. 0.3; sie thut der Sprache keinen Zwang an und wahrt doch den
Eindruck des Schauerlichen und Unheimlichen:
Auf raschem Kiel fuhr Attis hin über das weite Meer,
In den Ilain der Phrygischen Göttin zog mächtig ihn die Begier.
Und sowie er in der Waldnacht geweihte Stätte dringt,
Schlägt ihn des Wahnsinns Geifsel, ins Leere schweift sein Geist u. s.w.
Warum aber auch in einer Reihe von Gedichten der Hendekasyllabus
aufgegeben wurde, ist nicht ersichtlich. Der Übersetzer hat sich dadurch
empfindlich geschadet. Wie viel besser klingt doch Ileyses Sperling,
meiner Geliebten kleiner Liebling' als Presseis Sperling, meines Mäd-
chens Liebling'! — Von den l IG Nummern des Catullischen über sind
72 übersetzt. Die Auswahl ist im Ganzen angemessen. Die schlimmsten
Nuditäten bleiben ausgeschlossen. Warum sucht man aber c. 10 Varus me
meus ad suos amores vergeblich? Es ist keineswegs sittlich bedenklicher
als andere Gedichte, die übersetzt wurden, dabei für des Dichters Leben
in der Grofsstadt äufserst charakteristisch.
Die vorliegende Übersetzung ist eine wohlgemeinte, fleifsige, von
Selbständigkeit zeugende Arbeit. Manches ist auch ganz leidlich ge-
raten. So c. 17 0 colouia, quae cupis. Die dritte Strophe von c. 54
lautet so:
Du der Berge Gebieterin
Und der grünenden Waldesnacht
Und der Triften am stillen Hang
Und der rauschenden Bäche.
So.liefse sich noch Einzelnes anerkennen. Aber Alles in Allem ist der
Übersetzer seiner Aufgabe nicht gewachsen. Er ist dem Dichter nicht
geistesverwandt. Er hat, wie tausend Einzelheiten zeigen, kein feines
Ohr für die zarten Nuancen der Sprache, für den Klang des Verses.
So ist der altertümliche Ton des c. 64, den Heyse in Sprache und Vers
so wunderschön wiedergegeben hat, bei Pressel völlig verfehlt. Die
Sprache verfällt sehr häufig in den bekannten fürchterlichen Übersetzer-
jargon, über den sich ein höchst lehrreicher Essai schreiben liefse. Fast
auf jeder Seite begegnen undeutsche, schiefe, nichtssagende, unverständ-
liche, dem Charakter des Originales widersprechende Wendungen. Einige
Beispiele mögen das illustrieren, c. I, 3 — 4 Dir, der stets mir etwas
Catullübersetzungen (Pressel). 285
gelten Liefs mein Spiel (?). c 2, 5 — 8. Wenn solch artig Scherzen
Mag mein holdes Kind ergötzen, Um ein Weilchen, ja, zu schweigen
Ihr beklommen Herz , das heifse [Welcher auch noch so gründlich ge-
bildete Leser, der das Original nicht kennt, versteht das wohl?]. 13, 9
Aber bare Liebe dafür auch wird dir. 30, 10 Gibst den Winden du,
den grauen Lüften preis. 48, 1 Deine Augen, die süfsen Lichter,
c. 49, 5 Er der schlimmste von sämtlichen Poeten. 62, 13 Gebt acht,
es kommen besondere Dinge. 63,23 Wo das Epheuhaupt umher-
wirft die Mänade. 63, 81, Auf, peitsche dir geduldig mit dem Schweife
deinen Leib. 106 ist bei Pressel unverständlich. Ein Vergleich von
Heyses und Presseis Übersetzung fällt fast durchweg zu Ungunsten der
letzteren aus.
Heyse. Pressel.
61, 192 f.
Darfst nun kommen, o Bräutigam; Jetzo darfst du dich nah' n, die Braut
Bräutchen liegt dir im Bette schon, Ist im Stübchen, o Bräutigam,
Draus das Blumengesichtchen schaut, Mit des rosigen Mündleins Zier
Wie der Lilie Schnee so weifs, Auzuschaun der Kamille gleich
Wie der rosige Mohn glüht. Und dem rötlichen Mohne.
64, 7 H. : Fegend mit tannenen Rudern der Seebahn blauende Weite.
P.: Schlagend mit Tannenhänden des Meeres tief bläuliche Fläche. 64, 29
H.: Dich hielt Thetis im Arm, die entzückende NereustochterV P. : Schlofs
dich die schönste der Töchter des Nereus nicht in die Arme? 64, 127 H. :
Und angstvoll itzt klomm sie empor am steilen Gebirgshang. P : Klimmte
mit Wehmut [!] jetzo hinan die erhabensten Kuppen. 68, 38 H. :
Beschuldige nicht die Gesinnung Als unedel und falsch oder au Treue
verarmt. P.: Denke du nicht, es geschehe Von mir aus Kärglichkeit
oder aus Falschheit, dafs ich. 68 , 95 Mit dir welkten sie alle, die
Frühlingsblüten der Freude , die dein Lieben allein lieblich im Leben
gepflegt. P.: Tot ist all mein Freuen mit dir, o Bruder, von dessen
Lieb' es, so lange mir du lebtest, die Nahrung erhielt. 78, 1 — 2 IL:
Rufus, dem ich umsonst in der Freundschaft Namen vertraute, — Sagt'
ich »umsonst«? o nein! theuer bezahlt ich dafür. P. : Rufus, dem ich
umsonst und fruchtlos lieh mein Vertrauen — fruchtlos, sag' ich? 0 Gott,
theuer bezahlt ich dafür! [fruchtlos und teuer können doch nicht in
Gegensatz gestellt werden H. Auch 109 zeigt die Überlegenheit Heyses
in besonders hellem Lichte . Das Bestreben die Diminutivs und den
tändelnden Ton des Originals nachzuahmen, hat mehrfach zu ganz ver-
fehlten Wendungen geführt, c. 8, 1 Catullchcn, armer Freund, werd'
endlich klug. 31, 1 0 Sirmio, du Perlchon alles dessen, was. 45, 13
Mein Septimchen, o du mein Leben.
Den Schiufa bilden kurze Erläuterungen zu den einzelnen Gedich-
ten, die im Gauzeu korrekt und angemessen sind. Was soll zu S. 4
286 Catullübcrsetzungcn (Mähly, Bruch).
folgender geistreich sein sollende unverständliche Satz: Unter dem See
denken wir uns wohl den Gardasee, zu dem ein Dichterschiff noch heute
wie damals vom Meere aus gelangen kann, wenn auch der Mincio erst
von Mantua an schiffbar wird? Wenn 86, .'5 nam sanetae Veneri Cupi-
dinique übersetzt wird denn bei Ven us und Gott Cupido schwur sie hoch
und teuer', so läfst sich nichts dagegen einwenden: soviel Freiheit hat
der Übersetzer. Aber warum heilst es in den Krl. 'die Übersetzung las
für sanetae = saneie und verband es mit vovit' ? Es soll doch nicht etwa
gar eine Konjektur seinV Ebenso ist die Anm. zu S. 100 ' Cominius,
Name zweier Ankläger' unverständlich. Ebensowenig hilft zu S. 82 (c. 80)
die Notiz Lesbius soll nach vielen der berüchtigte Bruder der Lesbia
(Clodia) sein' dem Leser nicht viel weiter, c. CG (coma Berenices) mufs
für den modernen Leser ästhetisch ungeniefsbar bleiben. Der Versuch
es in den Erläuterungen auf historischem Wege wenigstens dem Ver-
ständnisse näher zu führen ist nicht gemacht.
Von Übersetzungen einzelner Gedichte oder Bruchstücke Ca-
tulls sind dem Ref. folgende bekannt geworden:
100. J. Mähly übersetzt in seinen Römischen Lyrikern
(Leipzig, Bibliographisches Institut) nach den Versmafsen des Originals
Cat. c. 2, 3, 14, 31, 22, 44, 46, 50, 101. Die Sprache ist würdig und
geschmackvoll, der Vers fliefsend. Eine kurze Probe mag dies Urteil
rechtfertigen (c. 22):
Suffenus, den du, Varus, ja gar wohl kennest,
Ist Schöngeist, weifs zu sprechen, ist nicht unwitzig
Und macht daneben auch ein ganzes Schock Verse.
Ich glaub', er hat zehntausend fabricirt oder
Noch mehr, und nicht, wie sonst geschieht, Conceptbogen
Genommen, nein, Royal mit neuen Schutzdecken
Und neuen Stäben, rothen Schnürchen, Querlinien,
Mit Blei gezogen, alles glatt vom Bimssteine.
101. C. Bruch (Roma, Minden 1884) übersetzt Catull c. 73, 5, 64
v. 323—381, 7, 3, 27, 70, 85) in den antiken Versmafsen. Auch diese
Übertragungen sind sehr lesbar und gewandt, c. 7 beginnt so:
Wie viel Küsse von deinen süfsen Lippen
Mir genügen, um satt zu sein des Küssens?
So viel Körner du zählst im Wüstensande
Um Cyrene mit seinen Wunderblumen,
Von des Jupiter sandumwogtem Tempel
Bis zur heiligen Gruft des alten Battus;
So viel Sterne bei Nacht in stummem Schweigen
Auf der Menschen geheimes Lieben schauen.
Catullübersetzungen (Richter u. a.) — Vermischte Bemerkungen. 287
102- R. Richter übersetzt (Catulliana S. 18 - 19) Catull 50, 8,
27, 31 — mit einer gewissen Kongenialität in moderne Rhythmen. Cha-
rakteristisch ist das Trinklied (27):
Mundschenk giefs' ein !
Aber zum schärferen Trünke vom Alten
Lafs der Postumia Zechgesetz walten ;
Heifs ist das Traubenblut,
Heifser ihr trunkener Muth.
Weg, du Verderben der Bacchusgabe,
Brunnenwasser, Philisterlabe!
Hier wird geopfert mit lauterem Wein —
Mundschenk, giefs ein!
103. A. Englert endlich übersetzt in den Bl. f. d. Bayer. Gyra-
nasialw. XV (1879) 52- 53 Catull c. 2, 3, 5, 13.
Von Übersetzungen in fremde moderne Sprachen sei (abge-
sehen von den oben S. 176 f. aufgezählten Ausgaben, die Text und Über-
setzung bringen) noch erwähnt:
104. Poesie scelte di Catullo, Tibullo e Properzio.
Voltate in lingua Italiana e corredate di note storiche, filologiche,
geografiche e mitologiche da Z. Carini. Torino. 1880. Paravia.
Der Titel des Buches darf als richtige Inhaltsangabe bezeichnet
werden. Doch sei bemerkt, dafs die Übersetzung in Prosa geschrieben
ist — übrigens in einer fliefsenden sinngetreuen Prosa, die sich (soweit
Ref. urteilen kann) gar nicht übel liest. Schlimmere Versehen machten
sich bei flüchtiger Durchsicht auch in den Anmerkungen nicht bemerk-
lich. Über die benutzten Ausgaben und sonstigen Hilfsmittel wird leider
nirgends Rechenschaft abgelegt.
G. Zerstreute Bemerkungen vermischten Inhaltes.
105. E. Baehrens, N. Jahrbb. 1883, 860 — 862: Über das Epi-
gramm vilicus aerari quondam, das dem Tibull zugeschrieben wird, hat
angeblich E. Hiller im Hermes XVIII 349 nicht richtig gesprochen. Die
von Mommsen und Hiller gebilligte La. in v. 6 tcnto ist sinnlos [? das
sed ist zu erklären wie II 5, 7 und oft, vgl. Vahlen, Monatsb. d. B. Ak.
1878, 346], tuceo vortrefflich. Das Epigramm ist keine Inschrift, son-
dern durch das fragment. Cui. in die schedac italienischer Humanisten
gekommen. Eine fehlerhafte Abschrift mit der La. tcnto [Woher ist
diese aber gekommen?] benutzte der, welcher das Gedicht als eine in
agro Patavino gefundene Inschrift den Sammlern jener Zeit aufschwatzte.
Scaliger hat zu taceo nichts angemerkt, weil seine Handschrift mit dem
Drucke (der cd. Plant.) übereinstimmte. — Die von Maal's und seinen
288 Vermischte Bemerkungen zu Catull u. Tiboll (Baehrens, Biese).
Freunden [s. weiter unten] vorgeschlagene Konjektur zu Tibnll II l, 58
dux pecoris: vüe$ roaerat ille nova» is1 unrichtig, weil sie eine Beimen-
gung verschiedener Motive der Sage enthält. Unmöglich kann Tibnllns
verbinden > der Landmann bekam als Preis seine-, Gesäuge* einen Hock,
denn derselbe hatte die jungen Reben zerstört. Für das Letztere wird
dieser geschlachtet; dafür dafs er als praemium dient ist das kein
Grund'. Zu lesen ist vielmehr dux pecori scaenat causa erat hircus avis.
106. E. Haehrens, N. Jahrbb. 1881,407, kdnjiziert zu Catullus
68, 143 nee tarnen illa mihi de aula dedueta paterna. Die Konj. ist
metrisch sehr bedenklich und sachlich überflüssig; vgl. Kiese z. St.
107. E. Baehrens (N. Jahrbb. 1878, 769-770) liest Catull 51, 11
gelida teguntur luinina nocte [offenbar unpassend, da das vorangehende
tenuis sub artus flamma demanat soebeu ein anderes Bild vor die Augen
geführt hat]. 68 b, 21 aaUo in sudore [so auch Riese] . ib. 28 29 isque
dedit dominae [mit Fröhlich] , ad quem communes exerceremus arnores.
d. h. ' er gab eine Stätte mir und meiner Herrin, damit wir bei ihm
(in seinem Hause) unserer gemeinsamen Liebe nachgingen'; ad soll ge-
braucht sein, wie in cenare ad aliquem u. ähnl. [doch vgl. Scholl, N.
Jahrbb. 1880, 476J. 87, 4 quanta in amore illo ex parte reperta mea
est (statt luo; so auch Riese).
108. A. Biese verteidigt im Rh. Mus. 36 (1881), 322—324 das
Catull 64, 64 überlieferte velatum in eigentümlicher Weise. Der Inhalt
von v. 64 wird bei Ovid in seiner entsprechenden Schilderung A. a. I 529
angeblich durch tunica velata recineta wieder gegeben. An beiden Stellen
bezeichne velare im Gegensatze zu dem festen Anschlüsse des Gewandes
nur die leichte Umhüllung. Ariadne steht preisgegeben dem Winde,
vom Winde gebläht löst sich das Obergewand und verhüllt flatternd nur
leicht die Brust, ohne sie fest anschmiegend zu bedecken. Ref. hält
diese Deutung für unrichtig (vgl. oben S. 195 f.). Nicht dem Winde ist
das Werk der Zerstörung zuzuschreiben (dies müfste doch erwähnt sein,
pafst auch nicht recht zu dem Bilde in v. 61), mit eigener Hand hat
Ariadne Gewand und Haar verwüstet: Kleider zerreifsen und Haar zer-
raufen sind ja die gewöhnlichen Zeichen der Trauer. Auf den wilden
Ausbruch der Verzweiflung ist nunmehr die steinerne Ruhe düsteren
Schmerzes gefolgt. Auch irrt wohl Verf., wenn er meint, in jenen drei Versen
Catulls sei eine fortschreitende Handlung erkennbar. Es wird ein Bild
gezeichnet, wie zum Überflusse der Vergleich saxea ut effigies deutlich sagt.
Zu dem Bilde von Wind und Wellen (v. 59) werden in einer Anm.
eine Anzahl Parallelstellen citiert, Nachträge zu seinen Ausfüh-
führungen giebt Verf. im Philol. Anz. 15, 328. An derselben Stelle
(S. 324. 327) werden interessante Parallelen zwischen der alexan-
drinischen Technik und der des c. 64 gezogen (Anapher, Einschachte-
lungen).
Catull und Tibull Beiträge zur Textkritik (Birt, Boldt). 289
109. Th. Birt konjiziert in der Dissertation Ad historiam hexa-
metri Latini symbola. Bonn. 1876' zu Catull 64, 109 prona cadit la-
teque ruineis obvia frangens, und zu 66, 59 mit Benutzung von Haupts
Konj. Ardui ibi vario ne solum in culmine caeli. Lygdam. 6, 3 lies pa-
tera medicare. Gegen Wyngards allgemein gebilligtes patera medicante
spricht angeblich der Umstand cquod medicantes nunquam res dice-
bantur. sed aut homines aut immortales '. Aber gegen Birts Konj.
zeugt sowohl die unpassende Verbindung aufer et medicare wie die
Stellung von ipse. Zu patera medicante cf. Tib. IV 4, 4. Von dem-
selben Gelehrten werden in dem Buche (De Halieuticis 0 vid io poe-
tae falso adscriptis. Berlin 1878' einige Stellen aus Catull und Ti-
bull kritisch behandelt. Cat. 64, 309 atro sed niveae. Cat. 38, 2—3
Male est me hercule et est laboriose Ei magis magis in dies et horas.
— S. 62 — 63 wird über Tib. I 7, 49 gesprochen. An der vulg. ist der
Sing, ludo statt ludis sehr auffällig. Die handschr. La. huc ades et cen-
tum ludos geniumque choreis ist zu halten. Denn man kann sowohl cele-
brare ludos wie natalem (genium) sagen. Centum ist angeblich mit choreis
zu verbinden. Aber das scheint unmöglich , denn an den für eine der-
artige Trennung citierten Stellen läfst ja der Sinn über die notwendige
Beziehung keinen Zweifel, so bei Martial II 14, 19 inde petit centum
pendentia tecta columnis. (Ramsay in seinen Selections from Tibullus
vermuthet jetzt wenig überzeugend Genium ludo centumque choreis con-
celebra).
110. Th. Birt, Buchwesen S. 66 — 69, bespricht den bei Catull
22, 5—8 sich findenden locus classicus über das antike Buchwesen. Er
schlägt vor:
. . . nee sie ut fit in palimpsesto
celata : chartae regiae novae libri;
novi umbilici; coria rubra membranae;
et reeta plumbo et pumice omnia aequata.
Vgl. oben S. 257.
111. Boldt (De liberiore linguae Graecae et latinae collocatione
verborum diss. Götting. 1884) citiert in dem Kapitel 'de hyperbato enun-
tiati relativi' zahlreiche Beispiele für die freiere Verbindung des Rela-
tivums mit entfernteren Beziehungsworten und folgert daraus (S. 128)
für Catull 68, 68 die Beziehung des ad quam auf dotnum sei durchaus
unbedenklich [vgl. übrigens auch Lachmann zu Proporz S. 242]. Doch
ad quam für in qua hält Verf. für verdächtig und scheint Schölls Kon-
jektur ut dam zuzustimmen. Ebenda S. 158 spricht Verf. über Lygd.
4, 25—26 wo Vahlen [nicht Haupt] die handschr. La. wieder herstellte:
non illo quiequam formosius nlla priorum Aetas, humanuni pwc, videt, iüud
opiis. Er hält die Transposition von videt für kaum möglich : Ad haue
insolcntissimam traiectionem, qua verbum tiiiitum prioris enuntiati post
Jahresbericht für Alu-rthumswissenscliaft LI. (1887. 11) 19
290 Catull. Vermischte Beitrüge zu Kritik und Erklärung.
particulam nee sedem oecupavit, defendendam aliud exemplura non sup-
petit nec praesens tempae offeosione caret . [VgL oben S. 172].
112. M. Bonnet (Revue crit. 1883, 348) liest Cat. 37, 5 putare
ceteros hmno8, weil der Sinn sei: Vous vous imaginez i'tre seuls des
hommes et avoir droit, par consequent, sur toutes les femrnes; vous
croyez les autres impuissants; je vous prouverai, s'il le laut, que vous
vous trompez'.
113. Bu[rsian] vermutet im Lit. Centralbl. 187G Sp. 1133 zu
Cat. 3G, 9-10: Et hoc pessima me puella vidit Joco sc lepido vovere
divis. Hierbei wäre me als Accus, objeeti zu vovere im Sinne von car-
mina mea aufzufassen und eine scherzhafte Anspielung auf Catull als
'pessimus omnium poeta' (c. 49, 5) anzunehmen. Vgl. oben S. 259.
114. B. Bury (Bezzenbergers Beiträge zur Kunde d. Indogerman.
Sprachen VIII 1884, 329) bemerkt zu dem rätselhaften multtu bei Ca-
tull 112< cEs liegt nahe zu vermuten, dafs uns hier ein altes Parti-
cipium von mokre vorliegt, das in früheren Zeiten in Nichtgebrauch ge-
raten ist, aber sich ausnahmsweise in obseönem Sinne ( = fututus ) er-
hielt. Multus wäre das von molere regelmäfsig abgeleitete Participium,
wie eultus von colere, adultus von adolescere'. Ref. glaubt, dafs diese
von Niemandem beachtete Notiz uns auf den richtigen Weg weist, und
wird auf ihr fufsend an anderer Stelle eingehend über das rätselhafte
Gedicht handeln.
115. B. Bury (Hermathena XI 1885, 271-273) liest Catull 8, 15
scelesta, anenti quae tibi manet vita! coli. Plaut. Merc. IV 4, 15 Ritschi
verum hercle anet. 68, 69 qua nos communes exerceremus amores wegen
156, wo in qua nos zu lesen sei. 'The m may be a trace of an abbre-
viated nos\ 68, 142 ingratum est mulier perfida amantia onus ohne Lücke.
Keine dieser Vermutungen ist annehmbar.
116. J. J. Cornelissen (Mnemosyne N. S. VI 1878, 305-307)
liest Cat. 10, 27 — 29 c minime' inquio puellae 'Est id quod modo dixerara
me habere; Fugit me ratio', [minime schon Pontanus]. — 39, 10 si
Irpinus. ibid. V. 13 quoque adiungam. — 44, 15 allioque et Urtica (coli.
Celsus IV 4, 4. Plin. N. H. 19, 6, 32). — 48, 5 horridis aristis (= Peiper).
— 66, 7 caelesti in eulmine (= Mähly und Birt). — 68, 42 foverit offieiis.
117. R. Ellis, Transactions of the Oxford Philological
society 1883 — 1884 liest S. 11 Catull 66, 78 nunc iam milia multa bibi
statt des überlieferten una. Der Gedanke ist folgender: cThough I was
kept during her girlhood aloof from unguents, now at last, since her
elevation to the throne of Ptolemy, I have been allowed my füll indul-
gence in those essences which belong to a married woman and a queen'.
Ellis befürwortet also anscheinend die Interpunktion von Haupt-Vahlen
in der fünften Auflage. Mit der Änderung nunc iam kann sich Ref.
Catull und Tibull. Vermischte Beiträge zur Textkritik.- 291
nicht einverstanden erklären. Wie pafst dazu das Perf. bibi? Auch
müfste sich nunc iam doch auf die wirkliche Gegenwart beziehen. —
Auf S. 12 ib. wird beiläufig die Vermutung ausgesprochen, Catull habe
115, 1 vielleicht geschrieben: Mentula habet bostar (dieses Wort wird
cin the Phillips Glossary' erklärt mit cboum statio' oder boum pastus'»
118. R. Ellis betont im Journ. of. Philol. XIV (1885) 81 u. f.
nochmals die Wichtigkeit des Gloss. Phillips 4626 (vgl. ebenda VIII 71)
es sei bei aller Übereinstimmung vollständiger als Paulus Diaconus. Er
knüpft daran textkritische Bemerkungen zu Catull. Cat. 68, 155 sei zu
lesen: et qui principio nobis dextram dedit hospes (hospes sei der owner
of the house). Unrichtig. Denn abgesehen von der unmethodischen
Änderung von aufert in hospes haben Baehrens und Munro terram dedit
als wahrscheinlich richtig überliefert nachgewiesen. Vgl. oben S. 252.
Zu Catull 61, 102 adsitas arbores heilst es in Gloss. Phill. 'Adsita arbor
dicitur cum aliud aliquid quod sustentet adiungitur quemadmodum vitis
ulmo vel populo. unde oratius quo populus adsita surgit (Epp. II 2, 170)
quod videlicet vitibus maritetur quas'. -- 61, 150 (158) die La. quae
tibi sine serviat wird angeblich gestützt durch eine Glosse zu Apollinaris
Sidonius ' pronuba est illa quae cum nova nupta domum viri nupti petit
ut eam custodiat et ei serviat'. [Vgl. Anecdota Oxon. V S. 39.]. -
Gl, 156 verteidigt Ellis die La. amnuit = abnuit, gegen die er sich im
Komment, erklärt hatte: the shaking head of the old woman seems to
say 'fie' or'Don't' to all; a sort of general protest, which youth knows
well how to understand. Wunderlicher Mifsgriff!
119. R. Ellis bespricht Journ. of. philol. XV (29) 7 Cat. 63, 9.
Er bemerkt: 'In reading Hesychius it Struck me that his gloss zaßdXa- za-
ßr^Xa und Ildpbwv ouzu> xakeirat opyavov xpißdvw iflpepkg, wyjituvzai iv zoT$
TiuXepoiQ dvzi adXmyyog possibly conceal sorae form of the real word
used by Catullus'. So sei auch Senec. epist. 56, 4 tabalas zu lesen.
Für tubum sei also tabal oder tablam einzusetzen. Dieselbe Ansicht aus-
führlicher begründet s. Transactions of the Oxford. Phil. Soc. 1885 bis
1886 S. 7. Aber abgesehen davon, dafs es sehr bedenklich ist ein Wort
so zweifelhaften Charakters dem Dichter zuzumuten, läfst Ellis einen
wichtigen Punkt im unklaren. Ersetzt mau einfach tubam durch tabal,
so bleibt der Unsinn derselbe. Schiebt man aber vorher ac oder et ein,
so wird die herrliche doppelte Epanalepsis (typanum . . typanum, tuom
. . tua) total verdorben. Warum beruhigt man sich nicht endlich bei
Lachmanns glänzender Emendation?
120. G. Goetz (Ind. leett. aest. Jenens 1883 S. 5-G) nimmt An-
stofs an Tib. I 3, 69 impexa feros pro crinibus angnes und vermutet
impexa gerena (od. ferena). Aber die Überlieferung ist tadellos. Tisi-
phone mit zottigen Schlangen - nicht Haaren. Vgl. bes. Hoschke
19*
292 Catull und Tibull. Vermischte Beiträge zur Textkritik.
z. St. Das auch von SchäHcr Graecismen S. 12 verteidigte implexa weist
Goetz mit Recht zurück.
121. Goldbacher (Wiener St. VII 1885 S. 163-164) bespricht
Tibull I 3, 17- 18. Er versucht das überlieferte Saturni sacram durch
folgende Interpunktion zu halten:
Aut ego sum causatus aves aut — omina dira! —
Saturni sacram me tenuisse diem.
Dazu wird bemerkt: 'omina dira! cum ironia quadam scripsisse Tibullum
ex eo colligimus, quod Saturni diem i. e. Judaeorum sabbata nequaquam
cum inter omina dira habuisse consentaneum est'. Man sieht zunächst
nicht, worin hier der Vorteil gegenüber der verworfenen Auffassung be-
stehen soll, nach der omina dira als Apposition zum Folgenden zwischen
Kommas zu stellen wäre. Gegen beide Auffassungen sprechen dieselben
Bedenken. Erstens der Plural omina dira. Denn die Stellung der Pa-
renthese hinter aut zeigt, dafs der Ausruf nur dem durch aut begonne-
nen Satze Saturni sacram me tenuisse diem gelten kann. Ganz abge-
sehen aber von dem Plural würde omen dirura weder als Apposition
noch als Ausruf zum Inhalt von v. 18 recht passen. Diese richtige
Erkenntnis bewog offenbar Baehrens zu seiner Konjektur omine diro Sa-
turni sacram und Francken (Mnemosyne N. S. VI 183) zu seinem omina
dira Saturni mcra me tenuisse die. Endlich ist die Ironie hier nicht am
Platze. Ein Seitenhieb auf den Sabbat der Juden kann nicht von Tibull
beabsichtigt sein. Dafs die hier hervortretende Anschauung über den
dies Saturni allgemein verbreitet war und von den römischen Autoren
keineswegs zu den c res levissimae' gerechnet wurde, zeigen viele Stellen
aus römischen Dichtern wie Ov. Aa. 1, 415. Rem. 219. Juven. 14, 96 u. a.
Die Zusammenstellung. aves, omina dira, Saturni sacram verliert ihr Auf-
fälliges und pafst sich genau dem dichterischen Sprachgebrauche an,
wenn man, wie dies in den besten Ausgaben geschieht, in v. 17 nicht
tenuisse ergänzt, sondern nach dira interpuugiert.
120. T. J. Halbertsma (Mnemos. N. S. V 333-335) liest Catull
42, 13 facit (vielleicht richtig). 46, 11 reportent ist eine Verschlechte-
rung, a queis nicht neu. Lachmanns munerarios 25 , 5 soll wegen Quintil.
Inst. Or. VIII 3, 34 unrichtig sein.
123. E. Holzer behauptet im Korrespondenz-Blatte f. d. Gel und
Realschulen Württembergs XXXIV (1887) 32-33, dafs die Verse Tib. II
5, 91—94 da, wo sie stehen, den Zusammenhang zwischen 87—90 und
95 f. empfindlich unterbrechen, und will sie hinter 86 oder 84 stellen.
Offenbar unrichtig. Weder dürfen Ceres und Bacchus Gaben (84 -85 f.)
getrennt werden, noch hat madidus Baccho in 87 und potus in 89 eine
Beziehung, wenn nicht 85 — 86 voran gehen. Schwerlich hätte Verf. hier
Anstofs genommen, wenn ihm Vahlens und Leos Beobachtungen über
Catull. Vermischte Beiträge zur Textkritik. 293
Tibulls Kunst bekannt gewesen wären. Der Dichter wünscht vom Gotte
ein gesegnetes Friedensjahr. Ein solches ist fruchtbar an Feldfrüchten
(84), an Wein (85 f.), an Kindersegen (91 f.)- Dafs der Dichter sich einen
Augenblick im Ausmalen der seine Phantasie anziehenden Bilder von
Weinsegen und Weinlaune, von Kindersegen und Familienglück träume-
risch verliert, entspricht ganz seiner Eigenart. Tunc in 95 heifst: in
diesem eben geschilderten Segensjahre. Etwas anders Lachmann Kl.
Sehr. S. 159.
124. C. B. Huleatt (Journ. of. Phil. XIII 1885, 303) liest Catull
61, 227 (234) mutue assiduei. ' Perhaps MVTVE ASSIDVEI was by con-
fusion of TV and N read as MVNE ASSIDVEI'.
125. K. Jacoby, N. Jahrbb. 1882, 143—144, versteht Catull 68, 118
von der Zeit nach dem Tode des Protesilaos und konjiziert mit Bezug
auf Ov. Her. 13, 159. amor. II 18, 38. ex P. III 1, 110: qui te unum
comitem ferre iugum doeuit [Vgl. dagegen die Bemerkungen des Ref.
Jahresber. des Phil. Ver. IX 279].
126. A. Kiefsling konjiziert in den cGamelia nuptiis U. de Wila-
mowitz' (Greifswald) zu Catull 96, 3 et quo dimissas.
127. E. v. Leutsch behandelt eine Reihe von Catullstellen in
zerstreuten Bemerkungen des P hilologus, doch ohne im Grunde sach-
lich Neues zu sagen. So wird Phil. 37, 161 die Überlieferung von Ca-
tull 69, 3 nos illa mare aus no s ülam are (non si illam rarae) erklärt.
Zu labefaetare wird 7iXrjy£vTeg ddtpotg Herod. VIII 5, sowie das dort von
den Auslegern citierte xdpTtTscv verglichen.
128. Th. Maguire verteidigt Hermath. XIII 165 mit Recht die
La. at bei Catull 66, 21. Nur hätte er sie nicht als handschriftliche
Überlieferung bezeichnen dürfen.
129. J. Mowat (Journ. of Philol. XIV 1885, 252—256) liest Ca-
tull 25, 5 cum diva mater horias ostendit aestaantes und findet in 12
bis 13 nicht eine Widerlegung, sondern eine Stütze seiner Konj.! Diva
mater sei TethysI Ref. hält jede Vermutung für unrichtig, die in dem
Verse eine breite Ausmalung von turbida rapacior procella sieht. —
66, 59 Hie (lumen vario ne solum in numine caeli . . . exuviae); ibi sei
Glosse zu hie (!) 67, 32 Brixia, Tyrrhena suppositura in specula, 'where
suppositum is au extension of cognitum and is to bc understood of what
the Bresciaus might see at their fect, if they stood on the old Tuscau
watchtovver which I assume to have crowned the neighbouriug hilT. (!).
— 67, 12 soll Scaligers Quinte richtig sein, aber auf den Hausherrn
Quintus Caccilius Baibus gehen. Übrigens sei nach einer Konj. von
Van Sittart der Vers zu lesen; Verbwn istuc popnlj iaiuia, Qutnfe, facit.
130. L. Müller Rh. Mus. 31 (1876), 476 liest Catull 64, 402
über uti nuptae (so früher bereits Mähly).
294 Catull und Tihull. Vermischte Beiträge zur Textkritik.
131. II. A. J. Munro liest journ. of philol. XI (21), 124 Catull
64, 276 Sic tum, vertu ubi, linquent.es sq [!| and ebenda S. 1 41 bei Ca-
tull 63, 18 Hilaratc pr<><-itatis <1. li. nach Phil. Gloss. und Paul. Fest.
S. 225, 7 certatim citatis, provocatis.
132. II. A. J. Munro liest (journ. of philol. IX No. 18 8. 185)
Cat. 107, 7-8 aut magis aevum Optandum hac vita ducere quis poterit
coli. Culex 79. Sicher unrichtig, wie schon der verschrobene Ausdruck
aevum magü u. h. v. ducere zeigt. Warum macht man an dieser Stelle
noch Konjekturen?
133. A. Otto (Z.f.d.G.W. 1885, S. 225) versucht die beste Über-
lieferung bei Tibull I 1, 14 libatum ayricolae ponitur ante deum zu
stützen : der Dativ agricolae sei = ab agricola = a me. Doch erweist
sich diese Vermutung abgesehen von sprachlichen Gründen darum als
unrichtig, weil so deum ganz unverständlich bliebe. — Zu Tibull II 1, 65
wird mit teilweiser Benutzung einer Konj von Polster ( Quaest. Prop.
Ostrowo 1881) vermutet: Ipse interque agnos interque armeuta Cupido
(s. Z.f.d.G.W. 1885 S. 388). Endlich liest Otto bei Tibull IV 6, 19—20:
Sit iuveni grata, ut, veniet cum proximus annus,
Hie idem votis iam vetus adsit amor.
Ebenso liest jetzt (bis auf et statt ut) Vahlen in Ed. V. K.P.Schulze
dagegen verteidigt (Wochenschr. f. kl. Ph. 1885 Nr. 19 die Verlängerung
grata und ändert v. 20 votis in iunetis.
134. P. Pabst, N. Jahrbb. 1882, 612, will mit dem Oxoniensis
lesen exagitaus in miti corde furores und das Punktum erst hinter
furores setzen , so dafs exagitans und in miti corde auf Ariadae
ginge. Diese nach Ansicht des Ref. unrichtige Beziehung auf Ariadne
haben die alten Ausgaben fast sämtlich. Dagegen erklärt sich auch
A. Biese Rh. Mus. 38, 637 in einer Untersuchung über Wiederholun-
gen derselben Wörter und Silben bei den römischen Dichtern.
135. A. Palmer macht im journ. of philol. XV (29) S. 142—143
folgende Emendationsvorschläge zu Tibull. I 5, 33 tantum venerata
virum se sedula curet oder virum huic se (coli. Tib. IV 6, 3. Plaut. Cist.
1, 1, 15. — I 3, 71 per centum Cerberus ora (entschieden beachtens-
wert). — I 2, 50 aestivas convocat aere nives. (Die Kouj. ist schon
darum abzuweisen, weil sie auf interpolierter La. beruht). — I 4, 41
teilweise nach Baehrens venturam ineutiat nubifer ortus aquam (coli. Ov.
trist. II 11, 12. Curt. 8, 4). Doch s. weiter unten.
136. A. Palmer schreibt auf S. 24 seiner rEmendations'. 1881.
Cat. 54, 1—2:
Othonis caput oppido pusillum, os
Airius pke, semilauta crura.
Catull und Tibull. Vermischte Beiträge zur Textkritik. 295
Für atrius pice wird verglichen Ov. a. a. II 658. Met. XII 402. ex. P.
IV 14, 45. der Komparativ atrior findet sich Plaut. Poen. V 5, 11.
137. A. Palmer (Hermathena XI 1885, 306) liest Cat. 116, 1—2:
Saepe tibi studioso animo vemada requirens
Carmina uti possem verlere Battiadae
i.e. vernacula (vocabula) requirens : c seeking for words of our native tongue
to translate for you the poems of Callimachus '. Aus den verschiedensten
Gründen abzuweisen.
138. A. Palmer liest (Hermath. VII 148—149) Cat. 71, 1 si quoi
iure bonae scortatorum obstitit hircus. ' Bona is used of a woman who
is not chary of her favours'. — Catull 115, 1 Mentula habet rigid tri-
ginta sq.
139. R. Peiper Rh. Mus. 32 (1877), 522 bespricht den Spottvers auf
Pompeius bei Marius Plotius Sacerdos S. 461, 30 K, quem non pudet et
rubet, non est homo, sed ropio, in dem Pompeius offenbar als non homo,
sed mentula magna minax bezeichnet wird. Hiernach ist Catull 37, 10
angeblich ropionibua einzusetzen. Dies Symbol der Unkeuschheit soll
also unkeuschen Leuten zur Schmach an die Thür ihres Hauses oder
ihres Kasinos gemalt werdeu. Damit ist zwar der Sinn aber nicht die
richtige La. getroffen, denn das haudschr. sopionibus ist richtig. S. Riese
und Baehrens z. St. (Vgl. übrigens oben S. 256 und 260).
140. F. Polle, N. Jahrbb. 1886, 80, will bei Tibull II 1, 83 inter-
pungieren :
Vos celebrem cantate deum pecorique vocate,
voce palam pecori, clam sibi quisque vocet.
[So liest Hiller. Und schon Heyne bemerkte z. St.: 'Ceterum ambiguum
esse potest, sitne interpungendum: pecorique vocate; Voce palam pecori,
clam sibi'. Aber es sprechen doch gewichtige Gründe dagegen; vor Allem
die bei Anrufungen an Götter feststehende Formel voce vocare, vgl.
Sydow, de rec. Cat. carm. S. 40. Auch die folgende Wiederholung aut
etiam sibi quisque palam deutet an, dafs palam weiter keinen Zusatz
hatte. Dasselbe fordert der einfache Gegensatz clam].
141. L. Quicherat, Rev. de Phil. X (1886) S. 157-160 be-
spricht Catull 61, 206. Er vermifst zu pulveris 'un adjeetif qui ait le
sens de volante1 — und seblägt für das überlieferte ericei vor o-uti.
' Celui - lä pourra compter les grains d'un nuage de poussiere'. Für
diesen Sinn von entere beruft er sich auf Ov. Met. XV 111. Ileroid. 5, 54.
Am. III 8, 43. Trist. I 4, 6.
142. A. Riese weist im Rh. Mus. 32 (1877), 319 darauf hin, dafs
auch Horaz in den Epoden, seiuen frühesten Gedichten, mehrfach An-
klänge an Catull zeigt. Von Interesse ist es, dafs dem noch Jugend-
296 Catull. Vermischte Beiträge zur Textkritik und Erklärung.
liehen Iloraz in diesen jedenfalls unabsichtlichen Anklängen gerade die
heftigsten unter den Catullischen Gedichten ( die Jamben gegen Cäsar
und Mamurra) vor die Seele traten. Catull 29, 6 wird verglichen mit
epod. 17, 41. (cf. Catull 42, 24). 5, G9. 4, 5. Catull 29, 21 mit epod.
5, 3. 49. An Catull 29, 1 quie polest pati klingt vielleicht an im Prologe
des Laberius (107 Ribb.) quis posset pati.
143. A. Riese (Berl. Piniol. Wochenschr. 1885 Sp. 1552) ver-
mutet zu Catull I 9-10:
qualecunque: tun, patrone, cura
plus uno maneat perenne saeclo.
Die cura besteht in dem Lobe durch Nepos, in dessen 'esse aliquid pu
tare'. Doch gelangt man durch Bergks patroni ut ergo weniger gewalt-
sam zu demselben ansprechenden Gedanken.
144. W. H. Röscher (N. Jahrbb. 1880 S. 785—787) spricht über
den verzweifelten Vers Catull 64, 285 Minosim linquens doris celebranda
choreis. Er verteidigt mit Recht Haupts Emendation Naiasin und bringt
zwei Parallelstellen bei, wo Nymphen als Bewohnerinnen des Tempe-
thales und Töchter des Flufsgottes Peneios auftreten, nämlich Theokr.
1, 66 und besonders Kallim. Hymn. auf Delos 109 f. vüjx^ai BsffaaXc'dee,
nora/xotf ysvog, eYnars narp] (Ilyveiäi) xutp^aat jxiya %£Üp.a. Das über-
lieferte doris dagegen soll richtig sein. Röscher erinnert au die weit
verbreitete Tradition, nach der das Peneiosthal dereinst von Doriern be-
wohnt war und geradezu Doris hiefs; er vergleicht Herod. I 56. Diod.
IV 37. Steph. Byz. unter dwpcov; Pausanias X 37, 2. Bursian Geogr.
v. Gr. I 51. Müller Orchomenos S. 198, Dorier I 27 f. Dies doris ist
angeblich Epitheton zu Naiasin, das eben den Wohnsitz jener Göttinnen
näher bezeichnen sollte. Grammatisch ist die Form doris [die Haupt
opusc. I 142 für unmöglich ansah] zu erklären entweder durch Zu-
sammenziehung aus doriis (nach Lachmann zu Lucr. S. 280), oder sie
ist abzuleiten von einem Nom. sing, dorus — dorius (wies doch Lach-
mann die Form Dori bei Servius z. Aen. II 27. Festus S. 206, 3. Isidor.
orig. IX 2, 80 nach). Bedenklich bleibt trotz dieser Ausführungen immer
noch zweierlei: 1) die Adjektivform doris ist, wie man sie auch erklärt,
doch singulär, 2) es ist nicht wahrscheinlich, dafs doris zu Naiasin ge-
hört: choreis ohne Epitheton wäre doch gar zu kahl. Vollends die Cäsur
läfst über die Beziehung des Wortes kaum einen Zweifel. Baehrens
hält jetzt im Kommentare ebenfalls doris, aber als Epitheton zu choreis,
und erinnert an dajptd&cv = abieeta veste choreas ducere bei Hesychius
und an Anacr. fragm. 60 Bergk. Aber was soll das hier? Baehrens ver-
mutet zwar, c abseute Penio nymphas privas sibi choreas duxisse licentius,
quas illo praesente non ausae sint ducere', aber welch lächerlicher Ge
danke (vor dem Ref. einst ausdrücklich warnte, vgl. S. 256) wird da
dem Dichter imputiert : die Najaden benutzen die Abwesenheit des sitten-
Catull und Tibull. Vermischte Beiträge zur Textkritik. 297
strengen Erzeugers um sofort über die Stränge zu schlagen und leicht-
fertige Tänze aufzuführen! So bleibt Alles unsicher.
145. K. Rossberg, N. Jahrbb. 1877, 127—128, 841—845 bietet
Konjekturen zu Catullus. Die Strophe 61 , 114—118 ist zwischen 35 bis
36 zu stellen, in v. 115 für flammeum zu schreiben flaminem [Beides schla-
gend widerlegt von 0. Harnecker, Friedeberger Progr. 1879 S. 20 — 21
und Friedeberger Progr. 1881 S. 14]. 61, 46 zu schreiben quis deus
magis ante alis [Widerlegt von 0. Harnecker 1879 S. 21]. — 2, 6—8
hinter v. 6 ein Punktum zu setzen, 7—8 enthalten eine Parenthese, in
7 zu schreiben est solaciolum, in 8 mit B. Guarinus tum gravis acquiescat
[Widerlegt von Harnecker 1879 S. 1]. 6, 7 lies nequaquam [so bereits
Heinsius]. 8, 14 lies nvllei. 31, 13 lies nach den Spuren von 0 gaudete
vos quoque hoc die lacus undae. 46, 11 diversae Italiae (als Dativ der
Richtung). 50, 2 nach tabellis ein Punktum zu setzen; für meis mit
Schwabe tueis zu schreiben. 55, 15 lies ede hoc (wegen der handschr.
La. in v. 16). 55, 22 lies dum veri sis particeps amoris. 59, 1 lies
Rufa Rufum edax fellat. «7, 27, lies nervosius ile. 68, 59 praeceps est
olpe volutus. 115, 7 lies maximu cultor (= possessor). 116, 7 lies tela
ista tua evitaUmus kta (d. h. tela ista tua contra nos icta evitabimus).
Diese Vorschläge sind fast alle zurückzuweisen.
146. M. Rothstein (De Tib. codd. Berlin 1880 Thes.) liest Ca-
tull 57, 3 maculae pares utrique (codd. utrisque), Cat. 64, 323 0 decus
eximium, magnis virtutibus augens, Emathiae tutamen, opes.
147. A. Schaube (N. Jahrbb. 1880 S. 496) will in der vita Ti-
bulli, der er anscheinend mit Baehrens selbständigen Wert beimifst, unter
Benutzung einer Konjektur von Baehrens schreiben: Albius Tibullus,
eques R., e Gabiis originem duxit, insignis forma cultuque corporis obser-
vabilis, ante alios Corvinum Messalam dilexit, cuius u. s. w. Offenbar
gerät aber durch diese Änderung die Apposition insignis - observabilis
an eine falsche Stelle.
148. K. Schenkl (Wiener Studien V 1883, 165) liest Paueg.
Mess. 142 mit Benutzung von Heinsius' und Lachmanus Vorschlägen:
aret Arecteis haut uda per ostia campis coli. Ov. fast. VI 401- [cf. auch
Metam. I 418]. ' Gyndem rluviura describit poeta a Cyro in rivos tre-
centos sexagiuta dispersum, qui facile hareua hauriuntur1.
149. A. Schoenc vermutet nach Mitteilung von R. Ehwald Ph.
Anz. XV 391 zu Tibull II 4, 60 mille mala* herbas (coli. I ü. 61 inalas
Medeac herbas). Doch ist alias gewifs richtig. In 55 sind anter den
venena der Circe und Medea gramina oder hcrbae zu verstehen , in 56
ist geradezu von den herbae Thessaliens die Rede, in 60 wird endlich
summarisch gesagt, der Gifttranfa könne noch auffordern aus mille aUae
herbae zusammengebraut sein. Vgl. Ov. Metam VII 275 nach einer
298 Catull. Vermischte Beiträge zur Textkritik und Erklärung.
ganz ähnlichen Aufzählung: his et mille alita postquam sine nomine
rebus instruxit munus. Anstofs aber zu nehmen an der v. 58 dazwischen
tretenden Erwähnung der hippomanee scheint unzulässiges Aufzwängen
der logischen Schablone.
150. K. P. Schulze, Z. f.d. G.W. 32 (1878), 6G7, konjiziert zu
Tibull I 4, 54 arte für apta und vergleicht I 3, 48; 4, 76; 5, 4; 6, 10;
6, 39; 7, 60; 8, 16; 9, 66; II 1, 56. Doch würde oscula arte dare nicht, wie
Verf. meint, bedeuten Mistig nachgebend' küssen, sondern auf eine
besonders künstliche, raffinierte Art' küssen. Das eine scheint hier so
unrichtig wie das andere.
151. L. Schwabe, N. Jahrbb. 1885 S. 803-804, weist nach, dafs
3 von den 7 Glossen bei M. Haupt, opusc. III 643 aus der Sammlung
des C. Labbaeus (Paris 1679), welche gewöhnlich auf Catullus bezogen
werden, nicht antik sind: imaginosm slxovwSyg Labb. S. 87 c (vgl. Cat.
41, 8), lintino äXaMZat Labb. S. 185 a (vgl. Cat. 51, 11), multivolus nokü-
ßoutog Labb. 117C (vgl. Cat. 68, 128). Sie stammen vielmehr aus dem
Onomasticon vocum latinograecarum oder der Vocum mere Latinarum
Graeca nomenclatura, womit Jacob Spiegel aus Schlettstadt die von ihm
1537 in Strafsburg veröffentlichte Ausgabe von Calepini lexicon aus-
stattete. Diese nomenclatura wurde als Onomasticon vetus latinograe-
cum von B. Yulcanius seinem Thesaurus utriusque linguae Leiden 1600
angehängt: daraus hat den ganzen (vermeintlich antiken) Bestand C. Lab-
baeus in seine Sammlung übernommen und in die aus dem Altertum
stammenden Glossarien hineingearbeitet.
152. L. Schwabe giebt Hermes 20 (1885), 495 einen Beitrag
zur Kenntnis Catulls im Mittelalter — freilich mit rein negativem Er-
gebnisse. In einem Briefe des franz. Abtes Servatus Lupus f um 862
(epist. 5 S. 22 ed. Baluzius, Antw. 1710) sollten sich nach G. Voigt
Spuren von Bekanntschaft mit Catull finden. Es handelt sich an jener
Stelle aber nicht um die Person des Dichters, sondern um die Aussprache
des Wortes '' Catullus'.
153. F. Seitz (De adjectivis poetarum Latinorum compositis.
Diss. Bonn. 1878, Thesen) will Cat. 64, 200 qualei; 68, 29 cubilei her-
stellen, Cat. 72, 22 corpore in V halten, Tib. I 1, 46 lesen dam tenuisse.
Keiner dieser Vorschläge ist annehmbar.
154. L. Traube liest in seinen Varia libamenta critica (München
1883, S. 4—7) Catull 10, 9—10 mihi neque ipsi Hoc praetore fuisse nee
cohorti. Cat. 22, 13 aut siquid hoc venustius videbatur (so auch Riese).
Übrigens sei das überlieferte hac oder ac vielleicht in est zu ändern
(coli. 13, 11; 23, 14; 42, 14; 82, 2). Endlich soll Cat. 31, 7 quid solutis
est beatius curis sein = quid est beatius quam qui curis soluti sunt.
Catull und Tibull. Beiträge zur Textkritik. 299
155. J. Vahlen (Index lectt. Berol. aest. 1880, S. 4. 10. 17) be-
spricht die Interpunktion an folgenden Catullst eilen. 57, 6 ist das
Komma hinter pariter zu tilgen : morbusi pariter gemelli utrique {gemelli
ist Apposition = utpote gemelli). — In 76 ist hinter v. 20 ein Punktum
zu setzen. In v. 21 ist das ut exclamativum zu statuieren wie in 66, 30
ut tristi luraina saepe manu! — Die verschränkte Stellung nullo Utas,
sola insula, tecto wird durch zahlreiche Parallelstellen gestützt, (z. B.
Prop. II 3, 14 oculi, geminae, sidera nostra, faces).
156. J. Vahlen spricht im Hermes 15 (1880), 268 — 269 zuerst
über Ellipsen wie aspicit hanc torvis Ov. Met. 6, 34 und kommt so auf
Cat. 66, 77. Die handschr. Lesart ist hier zu halten und in 78 zu una
aus Ubi zu ergänzen potione. Zu milia multa sc. unguenti wird ver-
glichen 61, 210 qui vostri numerare volt multa milia ludi und 48, 3.
Wann die coma einmal Salböl in Fülle getrunken hatte, sagen 79 — 82
verglichen mit 13 — 14. Der Sinn ist also: 'A dominae vertice me afore
seraper discrucior : quicum ego, quae, dum quondam virgo l'uit illa, Om-
nibus expers eram unguentis, una (potione) milia multa bibi : quare,
quoniam illa me illo die uno unxit largiter, nunc vos ne semota a meae
vertice caream unguentis , optato quo iunxit luraiue taeda non prius
unanimis coniugibus corpora tradite, quam munera übet onyx'. Aber
freilich bleibt bei alledem das dum virgo quondam j'uit, omnibus expers
unguentis im Grunde doch unerklärt, wenn man auch die Möglichkeit zu-
geben kann, Kallimachus habe, um die in 82 bezeichnete Sitte zu mo-
tivieren und eine Pointe anzubringen, einfach etwas fingiert.
157. E. Wölfflinkonjiziert im Rh. Mus. 41 (1886), 472 Tibull 1 3, 47
non macies statt acies. cDem saturnischen Zeitalter werden die zum teil
durch verfeinerte Ernährung hervorgerufenen Krankheiten abgesprochen,
woran sich ira, als eine seelische Krankheit, passend anschliefst\ Ver-
glichen wird Hör. carm. I 3, 30. — Ref. sieht keinen Grund die Über-
lieferung zu verlassen.
158. E. Wölffliu empfiehlt Hermes 17 (1882), 173 das von Süfs
vorgeschlagene, auf der La. lecti des Oxouiensis beruhende leeli (für Uti)
mit Berufung auf Cat. 64, 113. 116. Verg. Aen. 6, 29. Ov. Metam.
8, 161. Doch vgl. Riese und Baehrens z. St. und Jahresb. d. Phil. Ver.
XII 213 (Z.f.d.G.W. 1886).
159. E. Wolf Hin will im Archiv, f. lat. Lex. I 330 f. das inter-
polierte panda bei Tib. I 10, 46 stützen. Doch s. weiter unten den von
der Tibullüberlieferuug handelnden Abschnitt und R. Eliwald in dieser
Zeitschr. 1885 II S. 203.
300 Catull und Tibull. Verzeichnis nicht besprochener Schriften.
Folgende Publikationen waren bis zum Schlüsse dieses Berichtes
dem Ref. nicht zugegangen:
160. Catullus, Tibullus, Propertius. Zwanzig Gedichte
von Catull, Tibull, Properz. Russische Schulausgabe von G. Lange.
Moskau.
161. V. Vaccaro, Catullo e la poesia latina. Palermo. 1885.
162. Hierro, La vita di Catullo. Rassegna Settimanale.
No. 126.
163. L. Toldo, Studi intorno Catullo. Piacenza.
164. Catullus, Selected poems. With notes by H. A. Strong.
London. 1879.
165. G. Trezza, Catullo e Lesbia. Nuovi studi critici (1881)
S. 47— 53.
166. A nthologie des poetes latins par E. Fallex. Paris. 1878
167. Poetarum aliquot Latinorum carmina selecta car-
minumve partes Cur. J. N. Madvigius. Quartum ed. J. L. Ussing.
168. M. Ardizzoue, Studi sopra Catullo, Tibullo e Pro-
perzio, estratti dalle lezioni dittate nella Regia Universitä di Pa-
lermo nell' anno scolastico 1874—1875. Palermo. 1876.
169. L. Commencini, studio su Caio Valerio Catullo.
Benevent. 1877.
170. E. Rostand, Catulle et Alfred de Musset. Paris. 1877.
171. Bernocco, Sopra alcuni passi di poeti latini. Ra-
gusa 1881.
172. De la Ville de Mirmont, De Phexametre spondai-
que dans Catulle. Annales de la Faculte des lettres de Bordeaux.
1884. No. 3.
173. Isler, Ein codex Corvinianus in der Hamburger
Stadtbibliothek (Tibull, Properz, Catull). Centralblatt f. Bibliotheks-
wesen I No. 11 S. 444—447.
174. E. P. Crowell, Selections from the Latin poets Ca-
tullus, Lucretius, Tibullus, Propertius, Ovid and Lucan.
Boston. 1881.
175. Lesbia. Rassegna Settimanale No. 87.
176. Catullo e Lesbia. Rassegna Settimanale No. 99.
177. J. Bernardini, De virtutibus quibus nitent Catul-
liana carmina. Frosinone. 1878.
Tibull. Ausgaben (Baehrens). 301
II. Tibullus.
A. Ausgaben und dazu gehörige Schriften.
178. AlbiiTibulliElegiarumlibriduo. AcceduntPseudo-
tibulliana. Recensuit Aemilius Baehrens. Lipsiae. 1878. B. G.
Teubner. XXVI und 88 S. 8.
Der bleibende Wert dieser Ausgabe besteht darin, dafs Kollatio-
nen wichtiger, bis dahin unbekannter Handschriften publiziert werden.
Über die Handschriftenfrage aber mit allen ihren Einzelheiten wird weiter
unten in zusammenhängender Darstellung eingehend gesprochen werden,
so dafs an dieser Stelle ein kurzer Überblick zur vorläufigen Orientie-
rung genügt. (Vgl. auch Jahresber. d. Phil. Ver. V S. 309f.). Auf
Prolegomena folgt der Text mit testimonia und varietas lectionis. Äufer-
lich fällt auf, dafs die bisherige Bucheinteilung aufgegeben ist. Gemäfs
den Ansichten, die Baehreus schon früher dargelegt hatte (Tibullische
Blätter 1876. cap. V) folgt auf lib. I — II alles bisher in lib. III— IV Zer-
legte, unter die Bezeichnung Pseudotibulliana zusammengefafst. Das
stellt den Sachverhalt ziemlich richtig dar (obwohl bekanntlich lib. IV
einige echt Tibullische Stücke enthält). Aber scharf zu verurteilen ist
es, dafs der Herausgeber die alte Einteilung daneben nicht beibehält. Der
Besitzer einer andern Ausgabe kann Citate nach der neuen Zählung
nicht aufschlagen, und ebenso ergeht es dem Besitzer der neuen Aus-
gabe mit der alten Zählung. Die vollständigen neuen Handschriften,
auf die B. seinen Text gründet, sind folgende: 1) A, Ambrosianus
R. 26 sup., einst im Besitze des bekannten Coluccio Salutato, um 1374
geschrieben. 2) V, Vaticanus, einst im Besitze des Fulvio Orsini,
geprüft von G. Loewe, verglichen von A. Mau. Verschiedene Korrek-
toren haben Varianten beigeschrieben. Geschrieben ist er eher gegen
das Ende des 14. als im Anfange des 15. Jahrhunderts. 3) G, Guelfer-
bytanus. Der Schreiber ahmt die langobardische Schrift des 10. oder
11. Jahrhunderts nach. Doch ist die Handschrift wohl gegen 1425
geschrieben. Es ist dies dieselbe, aus welcher einst Puccius ihm
wertvoll erscheinende Lesarten am Rande der Aldina von 1502 no-
tierte. Aufser diesen vollständigen Handschriften werden von Baehrens
noch verwertet das alte fragm. Cuiacianum Scaligers (F), die Freisinger
(Fris.) und die Pariser Exzerpte (Par.), letztere aus einem Florilegium
stammend, das während saec. XI in Frankreich zusammengestellt wurde.
Die Freisinger Exzerpte und F scheinen von dem Archetypus der voll-
ständigen Handschriften (0) unabhängig zu sein. AV einerseits, G und
Par. anderseits sind Repräsentanten zweier Familien. Keine dieser
Handschriften ist direkt aus 0 abgeschrieben, (i Par. ist die bei weitem
wertvollere Klasse. Die jüngeren interpolierten Handschritten stammen
meist aus der Familie AV. — Von diesen Ausführungen ist grundfalsch
302 Tibull. Ausgaben (Baebrens). Rofsberg über G.
das günstige Urteil über G, wie aus mehreren später zu besprechenden
Publikationen hervorgeht. Aber durch die Entdeckung und Verwertung
von A hat sich B. um die Kritik des Tibullus unzweifelhaftes Verdienst
erworben, obwohl sich neue sichere Emendationen des Textes auf diese
Handschrift fast gar nicht gründen lassen.
Der Text in Baebrens' Ausgabe ist sehr schlecht. Ungerechte
Bevorzugung der Lesarten von G, zahlreiche unnötige und gewaltsame,
oft recht geschmacklose Konjekturen, willkürliche Operationen mit Vers-
umstellungen und Lücken machen die Lektüre sehr unerfreulich. Jeder
Genufs der Schönheiten Tibullischer Poesie ist absolut ausgeschlossen.
Von den Konjekturen seien hier nur einige erwähnt, die allenfalls noch
ernsthaft zu nehmen sind; auf Wahrscheinlichkeit haben selbst diese
nicht den geringsten Anspruch. I 1, 48 imbre sonante. I 4, 54 sed tibi
rapta dabit. I 2, 90 mox tibi non mitis. Paneg. Mess. 116 Salussus.
Übersichtliche und bequeme Einrichtung des handschriftlichen
Apparates ist wie bei allen von Baehrens besorgten Ausgaben, so auch
bei dieser zu rühmen. — —
Durch Baehrens eben besprochene Leistung ist eine umfangreiche
Litteratur hervorgerufen worden, sowohl direkt in Form von Recensio-
nen, wie indirekt in Gestalt von Aufsätzen in Zeitschriften, von Programmen
und Dissertationen, die Baehrens' Aufstellungen berichtigen oder wider-
legen. Von den ersteren ist als sachlich wertvoll besonders hervorzuheben:
179. K. Rofsberg, Anzeige v. Tibulli elegiae rec. E. Baeh-
rens. N. Jahrbb. 1879 S. 71-79.
Verf. äufsert sich sehr anerkennend über Baehrens Verdienste um
die Erweiterung des handschr. Apparates, erhebt aber in einem Punkte
entschiedenen Widerspruch: 'Der Guelferbytanus (G) besitzt nicht den
hohen Wert, welchen B. ihm beimifst, ja bei seiner Benutzung ist die
höchste Vorsicht anzuwenden. Die Handschriftenklasse A V ist bei weitem
die bessere, ungetrübtere Quelle'. Die Verderbnisse in AV bestehen
gröfstenteils in Schreibfehlern und machen den Eindruck der Unabsicht-
lichkeit. Dagegen hat der Stammvater der Familie G Par. (vermutlich
schon in karolingischer Zeit, jedenfalls vor dem elften Jahrhundert) eine
Überarbeitung erfahren, durch welche eine grofse Anzahl von Schreib-
fehlern verbessert, mehrere Stellen glücklich geheilt, nicht wenige aber
nach Ovidischem Vorbilde oder nach dem Geschmack des Überarbeiters
umgestaltet wurden. Zum Beweise dessen weist Rofsberg auf folgende Punkte
hin. Oft ist die Diskrepanz zwischen G und AV nur dadurch hervor-
gerufen , dafs sich in ersterem von zweiter Hand Rasuren finden z. B.
I 2, 23. 8, 58. 10, 43. II 4, 63. Paneg. 104. 200 u. a. An vielen
Stellen, wo die Verschiedenheit der Lesarten von AV und G nicht aus
Schreiberirrtum, sondern nur aus willkürlichem Verfahren des Korrektors
der Vorlage von G zu erklären ist, hat Baehrens selbst die La. von G
Tibull. Rofsberg über G. — Hillers Ausgabe. 303
gegen die von AV mit Recht einfach verworfen, so I 4, 6. 6, 8. 8, 60.
II 1, 15. 6, 3. 28. Lygd. 2, 8. 15. Paneg. 139. de Sulp. et. Cer. am.
2, 20. Sulp. ep. 4, 1. Solche Beispiele handgreiflicher Interpolation neh-
men gegen G da ein, wo sich in AV gleichwertige Varianten finden, so
I 1, 29 [doch cf. Hillers Adn.crit.]. I 1, 48 [?]. 2, 6. 5, 27. 10, 40. II 3, 8.
2, 27. Weitere Merkmale willkürlicher Änderung lassen sich in Wort-
umstellungen erblicken: I 1, 78. 3, 9. 30. 8, 9. 9, 53. II 6, 49. de Sulp,
et. Cer. am. 4, 8. G füllt Lücken aus, die sich in AV finden. De Sulp,
et. Cer. am. 4, 16 [IV 5, 16] ist die Lücke nach posthac in G durch nos
ergänzt. Vielmehr ist nach Rofsberg wegen der Ähnlichkeit der voran-
gehenden Buchstaben haue ausgefallen. Eine vermeintliche Lücke ist
auch II 1, 76 durch Einschiebung von in vor tenebris fälschlich ergänzt.
— I 6, 72 hält Rofsberg das properans in G nicht für richtig und pro-
prias in AV für einen verfehlten Ansatz zu proripiur, so dafs eine Lücke
zu konstatieren wäre [cf. Rothstein de Tib. codd. S. 92 und Hillers Adn.
z. St.]. Lygd. 4, 82 ist mit AV zu lesen a ego ne possim, da der Vers
eine Nachahmung von Tib. II 4, 7 ist. — Rofsberg gebührt das Ver-
dienst zuerst auf den höchst dubiösen Charakter von G hingewiesen zu
haben, — obwohl er über das Verhältnis von G zu Par. nicht richtig
urteilt und der entscheidende Angriff erst später von Rothstein, Goetz
und Hiller unternommen worden ist.
Nur im Vorübergehen sei bemerkt, dafs Baehrens (N. Jahrbb.
1879, S. 473—474) in einem besonderen Artikel G gegen Rofsbergs Be-
denken verteidigt. Es heifst da: 'Ich glaubte und glaube noch jetzt,
dafs für die Kritik des Tibull kein gröfserer Gewinn erwachsen konnte
als durch den Nachweis des bisher unbeachteten Guelferbytanus als der
besten aller existierenden (resp. bekannten) Handschr. dieses Elegikers'.
Etwas Sachliches zur Begründung dieser Ansicht wird nicht beigebracht.
180. Albii Tibulli elegiae cum carminibus pseudoti-
bullianis. Edidit Eduard us Hill er. Accedit index verborum.
Lipsiae. 1885. Tauchnitz. XXIV, 105 S. 8.
Hillers Stellung in der Handschriftenfragc, zu deren Klärung er
sehr wesentlich beigetragen hat, wird weiter unten ausführlich erörtert
werden. Es genüge also der kurze Hinweis, dafs er in A die einzige
getreue, von Interpolationen ganz fieie Kopie des verloreneu
Arch. der vollständigen Handschriften sieht. Auf ihn allein sei
daher (abgesehen von den fragmentarischen Textesquellen fragm, Cuiac,
exe. Fris. und Par.) der Text zu basieren. Zur konsequenten Durch-
führung dieser Sätze ist nach Angabc der praef. und nach Kh. Mus.
37, 572 der vorliegende Text bestimmt Kot'- (reicht von diesen An-
schauungen in zwei Punkten ab: 1) A ist Dicht ganz frei von Interpola-
tionen. 2) Es sprechen gewisse Anzeichen dafür, dafs anfser A (resp.
der Kopie des Arch., aus welcher A geflossen ist) noch mindestens zwei
304 Tibull. Hillers Ausgabe.
Abschriften vom Arch. genommen wurden, deren Nachkommen uns be-
kannt sind. Ist das richtig, so läfst sich nicht bestreiten, dafs die Aus-
gabe ein nicht ganz vollständiges Bild der Tradition bietet. Da aber
anderseits anerkannt werden mufs, dafs A, als von Interpolationen am
wenigsten durchsetzt, die beste und älteste Überlieferung repräsentiert,
da die übrigen auf eigenem Wege aus dem Arch. herzuleitenden Hand-
schriften (YC) uns nur an wenigen Stellen Neues über den Arch. lehren, da
sie anderweitig noch nicht bekannte richtige Lesarten, die nicht auf Kon-
jektur beruhen können, vielleicht gar nicht bieten, so ist offenbar der
Schade sehr gering, — zumal bei einer für den praktischen Handge-
brauch bestimmten Ausgabe. Man darf sich daher rückhaltlos des Guten
und Wertvollen, das sie in Fülle bringt, freuen.
In der Praefatio wird bündig Rechenschaft abgelegt über die
handschriftlichen Grundlagen des Textes. Mit wenig Worten ist alles
Wesentliche in den Hauptmomenten klar dargelegt. Zum Schlüsse wer-
den diejenigen Publikationen verzeichnet, die in der Adn. crit. wieder-
holt erwähnt sind. Ein vollständiges Register der Tibulllitteratur ist
dagegen nicht beabsichtigt, wie gegenüber der Thatsache, dafs man hier
Lücken finden wollte, betont werden mufs. — Die folgende Adnotatio
criticaist ein treffliches, umsichtig eingerichtetes Hilfsmittel zum Studium
Tibulls. Sie enthält aufser den orientierenden Angaben über die älteren
(unvollständigen) Textesquellen die Lesarten von A nach eigener Kolla-
tion , durch welche diejenige von Baehrens mehrfach berichtigt wird
(Ref. hat die betreffenden Stellen Berl. Ph. W. 1885 Sp. 585 verzeich-
net). Auch die wichtigeren Varianten von V werden notiert. Als Haupt-
repräsentant der jungen stark interpolierten Handschriften erscheint G
nach der neuen Kollation von G. Loewe, die auch Goetz benutzt hat.
Hin und wieder findet man vereinzelte Angaben aus Lachmanns Hand-
schriften. Am Kopfe der Adn. zu jedem Gedichte ist ferner öfters
seine Litteratur verzeichnet; doch sehen wir diese praktische und dan-
kenswerte Einrichtung nicht vollständig durchgeführt. Die mitgeteilte
Sammlung von Konjekturen alter und neuer Zeit ist eher zu reichlich
als zu sparsam bemessen. Auch haben mehrere eigene Vermutungen
Hillers, die in den Text nicht aufgenommen wurden, hier eine Stelle
gefunden. So I 5, 11 ipseque ter lectum lustravi coli. Ov. a. a. II 329.
Zu I 5, 33 vermutet er, um den Hiatus zu beseitigen, es sei das Hexa-
meterende, der Pentameter und ein Hexameteranfang ausgefallen. Doch
mit Recht verweist R. Ehwald in seiner gehaltvollen Rec von Hillers
Ausgabe Ph. Anz. XV 592 auf L. Müller praef. S. XXXI und Hiller
zu I 7, 61. Palmer schlägt jetzt vor: virum se sedula curet. Nach I 7, 2
wird Ausfall eines Distichons vermutet. II 1, 67 ipse quoque inter oves.
Angefügt sind der Adn. crit. 'de Tibulli vita et poesi testimonia antiqua'.
Ein Zeugnis aus Karls des Grofsen Zeit siehe in des Ref. Rezension d.
Ausgabe a. 0. Sp. 584. Einige andere Nachträge bei Ehwald a. 0. S. 592.
Tibull. Hillers Ausgabe. 305
Hillers Textkritik ist bedingt durch das umsichtige Bestreben die
Worte ,des Dichters nach der erreichbar besten handschriftlichen Grund-
lage zu geben , daher entschieden konservativ. Nach Ehwalds Bemer-
kung a. 0. S. 589 weicht Hiller im ersten Buche von Lachmann (Ver-
schiedenheiten wie tum-tunc mitgerechnet) an ca. 56, von Haupt- Vahlen5
an ungefähr ebensoviel, dagegen von Baehrens an fast 100 Stellen und
zwar von ihm in den allerwichtigsten Punkten ab. Von Versumstel-
lungen und Athetesen hält sich die Ausgabe ganz frei; hierin ist
Vahlens und Leos Einflufs nicht zu verkennen. An mehreren Stellen
ist es Hiller gelungen der besten Überlieferung wieder zu ihrem Rechte
zu verhelfen. Er schreibt I 1 , 46 continuisse (so jetzt auch Vahlen in
ed. V; Ehwald vermutet, detinuisse sei aus Ov. Am. II 17, 16 interpoliert,
vgl. auch Stehle, de Tib. puri serm. poet. cultore S. 21 not. I 4, 56
vclit. (Zu dem von Hiller Ph. Anz. XIV 29 für den Wechsel von Fut. I
und Konj. praes. Beigebrachten vergleicht Ehwald noch I 5, 21 sq., 29).
I 7, 12 Carnutis et. III 6, 59 fugit (so auch Vahlen in ed. V). An letz-
terer Stelle glaubt Ref. jetzt auch an die Richtigkeit des in A (und C)
überlieferten fügit. Das fugiat, resp. fugtet ist Interpolatorenweisheit,
die einen vermeintlichen prosodischen Schnitzer beseitigen wollte. IV 5, 9
Mane geni, vom altertümlichen manus = bonus. Heyne und Dissen
fanden darin ein Wort cascae antiquitatis, aliena ab elegantia huius
carminis'. Seitdem schrieb man allgemein magne. Aber das altertüm-
liche mane giebt der Anrufung einen feierlichen, fast sakralen Charakter
der schön zu dem heiligen Eifer des liebeglühenden Mädcheus pafst.
Schwieriger ist die Entscheidung Priap. I 6, wo Hiller hunc tu, sed tento
schreibt. (Ehwald a. 0. meint, lacco sei Reminiszenz aus der an-
geblich Ovidischen Ep. Acont 53). Dasselbe gilt von I 7, 61 te canit
agricolä magna. Möglich, dafs sich die Verlängerung des ä mit Ehwald
a. 0. S. 586 und K. P. Schulze Wochenschr. f. kl. Phil. 1885 No. 19
verteidigen läfst, aber vielleicht äfft uns ein ganz dummer Schreibfehler.
Die citierten Stellen I 5, 28. 6, 34. 10, 13 sind jedenfalls nicht ganz
adäquat. Wer hier die Überlieferung verteidigt, wird auch I 4, 44 im-
brifer arcus in den Kauf nehmen müssen; vgl. Stat. Theb. 9, 405 im-
brifer arcus. Auch für Prop. III 13 h, 25 ist unsere Stelle von Bedeu-
tung - (sat mea sit magna, si?). Vgl. darüber Birt Rh. Mus. 38,21'.»
Anm. E. Heydenreich in dieser Zeitschi. 1880 II 155. Mit Unrecht
wird dagegen wohl I 3, 14 respueretque für Haupts deqmeretqut geschrie-
ben, um von dem überlieferten respicereique noch einen Buchstaben zu
retten. Vgl. Stehle, De Tib. puri serm. poet. cultore S. 20. Nicht
minder unrichtig scheint I 2, :'■ permuawn für pafumtm^ vgl. ebenfalls
Stehle S. 39. 36. Jährest», d. Phil Vor. V 310. Die meisten dieser
Stelleu sind weiter unten zu besprechen, ebenso die wenigen, wo Ililler
sonst noch ohne hinreichenden Qrond von der besten Tradition abweicht.
So ist bedenklich IV 1, lTr» poacent. I 7. U» geiüum Indo genium-
Jahresbericht für Alteitluirnswissenscriaft LI. (l887. II ) JQ
306 Tibull. Hillers Ausgabe.
que choreis ist jedenfalls der Sing, ktdo statt ludu sehr auffällig, wie
Birt, de Halieut. S. 62 bemerkt. — III 1, 12 änderte Hiller das über-
lieferte tuum in meum. Ersteres will Ehwald a. 0. S. 588 halten: 'v. 7
enthält die Antwort der Pieriden auf die Frage des Dichters, v. 8 die
Erklärung des Dichters auf die allgemeine Weisung im speziellen Fall
eingehen zu wollen, v. 9—12 [9 — 14 ?J geben die Musen die durch sed
deutlich hervorgehobene weitere Anweisung'. Es ist dies also eine Neu-
gestaltung der Ansicht, dafs 7-14 Worte der Musen seien. Schwerlich
ist dieser Versuch gelungen. Ein derartiger Dialog, in welchem Rede
und Gegenrede epigrammatisch zugespitzt ohne Angabe der sprechenden
Personen hin- und herfliegen und an deren Stelle die modernen »Gänse-
füfschen« ein Verständnis überhaupt erst ermöglichen müfsten, scheint
in der elegischen wie epischen Poesie der Römer nicht erhört. In einem
antiken Gedichte wäre auch der Sprung von 14 zu 15, den diese Erklä-
rung fordert, kaum möglich ; da müfste die Versicherung des Dichters
folgen, dafs er dem Rate der Musen gehorchen werde. Und wenn Lyg-
damus in v. 5 die Musen anruft, so ist das schablonenmäfsig und dem
damaligen poetischen Jargon entsprechend. Dafs aber die Musen darauf
— im Chor vermutlich — antworten, wäre eine kühne Neuerung dieses
sonst so armen Poeten; dafs sie mit einem vereinzelten abgebrochenen
Verse antworten, der gar nicht als Autwort bezeichnet wird, ist nicht
einmal möglich. Musterbeispiel für die Dialogform ist I 4. Beachtens-
wert ist dagegen Ehwalds Rat, nach v. 10 ein Komma zu setzen, nach
v. 11 aber nicht, weil littera facta (vgl. III 2, 27) Subjekt zu prae-
texat sei. Andere Schwierigkeiten der Stelle bespricht Birt Buchw.
S. 66 — 67. Er nimmt Anstofs an der Wortstellung in v. 11, erklärt
tenuis für abundierend und vermutet dafür titulus. Dagegen bemerkte
Ref. in den Jahresb. d. Ph. V. IX 275 (Z. f.d. G.W. 1883) chartae be-
zeichne die beschriebenen Blätter der Rolle, tenuis chartae entspreche
genau unserem 'feinen Papier, Luxuspapier', passe also trefflich zu dem
prachtvoll ausgestatteten Büchlein. Über III 5,11 sacrilegos ist unten zu spre-
chen. IV 1,83 war wohl das überlief, nam zu halten, vgl. B.Ph.W. 1885 Sp.589.
Selten findet man, entsprechend dem konservativen Charakter von
Hillers Kritik, Annahme von Lücken. I 10, 50 wird geschrieben militis
in tenebris occupat arma situs . . . ., ebenso II 3, 34 imperat, ut nostra
sint tua castra domo .... Da in der Adn. crit. zu diesen Stellen bemerkt
wird 'distichon excidisse statuit Haupt opusc. 3 S. 38 sqq.' resp. cla-
cunae Signum posuit Lachmann', so mufs man annehmen, dafs eine Lücke
von Hiller eben durch derartige Punkte bezeichnet wird. Wenn der
Leser nun II 5, 38 findet 'caseus et niveae candidus agnus ovis. — ', so
mufs er zunächst glauben, es liege hier die bei den Modernen üb-
liche Anwendung des Gedankenstriches vor, aber er wird stutzig bei der
Notiz 'unum distichon hie excidisse censuit Haupt'. Diese Zweifel müssen
sich verstärken, wenn er demselben Striche begegnet am Schlüsse von
Tibull. Hillers Ausgabe. 307
II 5, 70 und in der Adn. zu 67 den Worten ego potius ante vs. 71
distichon omissum esse puto'. (Vgl. übrigens dagegen Ehwald a. 0. S.
591). Demnach bezeichnet also wohl der fragliche Strich ebenfalls eine
Lücke? Welcher Unterschied besteht aber zwischen beiden Zeichen?
Hier liegt eine für den Durchschnittsleser nicht unerhebliche Erschwe-
rung des Verständnisses vor. Lücken sollten wie bei Baehrens oder
Haupt- Vahlen bezeichnet sein. I 10, 25 ist, wohl mit Recht, keine
Lücke statuiert. Hinter teln ist wie bei Haupt- Vahlen ein Komma ge-
setzt. Demnach wäre der Pentameter Nachsatz und erit zu ergänzen,
der Imperativ depelliie würde einen hypothetischen Vordersatz vertreten.
Zu dem auffälligen -que vergleicht Ehwald (a. 0. S. 590) sehr treffend
Ov. Met. 13, 254 arma negate mihi, fueritque beniguior Aiax. — Zwi-
schen II 3, 58—59, wo seit Lachmanu gewöhnlich eine Lücke ange-
nommen wird, versucht Hiller durch Aufnahme von Rofsbachs Konj. vana
loquor Zusammenhang herzustellen. Doch vgl. Ehwald a. 0. und den
Ref. B. Ph.W. 1885 Sp. 589. Gegen Annahme einer Lücke überhaupt
Wunderlich z. St. Man könnte ihm, da sich nota loquor an 49 anknüpfen
liefse, beistimmen, wenn nicht die isolierte Stellung des Distichons un-
tibullisch schiene.
Zwei eigene Konjekturen, welche Hiller in den Text gesetzt hat,
sind beachtenswert, aber nicht überzeugend. I 2. 88 in me. Sonst schrie-
ben für das überlieferte unus die Itali vmi (= in unum), Leo in nos.
I 6, 7 illa quidem mihi euneta negat. Doch vgl. Ehwald a. 0. S. 591,
Magnus B.Ph.W. 1885 Sp. 589.
In Bezug auf Äufserlichkciten ist noch Folgendes zu bemerken.
Wörter oder Buchstaben im Texte, welche die gute Überlieferung nicht
hat, sind kursiv gedruckt. Buch III- IV sind, entsprechend der Tra-
dition, als ' über tertius' zusammengefafst, Es wird also von III 1—20
durchgezählt. Das mühelose Nachschlagen von Citaten ist indessen da-
durch ermöglicht, dafs die alte Zählung am Bande angegeben ist. Zu wün-
schen bliebe freilich, dies wäre auch in der Adn. crit. geschehen.
No. XIII = IV 7 ist nach dem Vorgange von Rol'sbach und L. Müller
der Sulpicia zugewiesen. Dagegen macht Ehwald a 0. S. 593 auf die
echt tibullische Stellung dos que in v. I attulit in nostrum deposuüque
sinum aufmerksam mit Beziehung auf Leo, Über einige El. Tib. S. 27.
Vgl. oben S. 262.
Ein sehr sorgfältiger index verborum erhöbt noch den Weit der
empfehlenswerten Ausgabe.
181. Die Elegi oen dos Albius Tibullus u od eini ger Zeit-
genossen erklärt von B. Fabricius. Berlin. L881. Nicolai. XI und
149 S. 8.
Die Ausgabe ist wissenschaftlich ganz wertlos, den Anfänger vor-
wirrend und irre führend, daher auch /ur Einführung in das Studium
120*
308 Tibull. Grammatik und Sprachgebrauch.
des Dichters gar nicht zu empfehlen. Den Beweis für dieses harte Ur-
teil hat Ref. Jahrcsb. des Ph. Ver. IX (Z. f.d. G.W. 1883) S. 269- 275
erbracht. Vgl. auch K. Schenkl D. Litztg. 1881 Sp. 1372 1373.
B. Beiträge zu Grammatik und Sprachgebrauch.
Über die Catull und Tibull zusammen behandelnden Schriften siehe
oben S. 185 f.
182. B. Ehrlich, De Tibulli elocutione quaestiones.
Diss. inaug. Halle. 1880. 40 S. 8.
Diese nützliche Arbeit schliefst sich in der Anordnung des Stoffes
genau an Kuttners Dissertation 'De Propertii elocutione quaestiones
Halle 1878' an (vergl. über diese Jahresbericht des Philol. Vereins V
S. 318). Freilich war dort bei der Eigentümlichkeit Properzischer Dik-
tion die Ausbeute viel reicher. In fünf Kapiteln wird gehandelt de
verbis, de substantivis, de adiectivis, de pronominibus, de particulis.
Die Stellen sind anscheinend vollständig verzeichnet. Vieles scheint
dem Ref. etwas flach aufgefafst. II 3, 73 ist habuisse satos nicht ein-
fach = sevisse. Manche interessante Parallelen mit Properz' Sprach-
gebrauch werden richtig hervorgehoben. So Tib. I 2, 45 hanc ego de
caelo ducentem sidera vidi = Prop. I 1, 23 tunc ego crediderim vobis
et sidera et amnes Posse Cytaines ducere carminibus. Auch der Ge-
brauch von venire, ferre, dare zeigt bei beiden Dichtern manche Über-
einstimmung. Dafs Verf. einen so unzuverlässigen , auch in den Vers-
ziffern oft von der Vulgata abweichenden Text wie den von Baehrens
seinen Sammlungen zugrunde legt, ist nicht zu billigen (vgl. S. 17 not.),
um so mehr als Verf. sich jeder Kritik des so beschaffenen Textes ent-
hält. So wird S. 35 gesagt 'heu vel elieu" komme bei Tibull 'saepius'
vor. Aber an den citierten Stellen (I 4, 81. I 6, 10. II 3, 2. II 3, 52.
H 5, 108. IV 13, 17) ist gar nicht eheu, sondern, mit unwesentlichen
Varianten, heu heu überliefert. Ebensowenig ist der Versuch gemacht
das gesammelte Material für die Interpretation auszunutzen. - In den
angehängten sententiae controversae wird zu I 1, 25 bemerkt: 'exhiben-
dum esse censeo dum modo iam possim, Dafs dies eine längst bekannte
Konjektur von R. Richter ist und in Baehrens' Texte steht, erwähnt
Verf. auffälligerweise nicht. Die Zahl der Konjekturen zu Prop. III 30, 20
wird um eine vermehrt: et petere Hyrcani littora sola maris (die Überl.
nota = berüchtigt, vielbesprochen ist tadellos). Prop. IV 7 (6), 42 soll
gelesen werden: in mari cui noti non valuere doli. Sinn und Paläo-
graphie würden die Vulg. soliti gewifs mehr empfehlen. Aber das über-
lieferte soll ist wohl nicht anzutasten (Vahlen, Monatsber. der Berl.
Akad. 1881 S. 343).
Tibull. Grammatik und Sprachgebrauch. 309
183. J. Streifinger, De syntaxi Tibulliana. Würzburg.
1881. 49 S. 8.
Diese Würzburger Dissertation gehört zu den vielen nützlichen
Spezialuntersuchungen , die durch Drägers historische Syntax angeregt
sind. In einer Praefatio setzt Verf. seine Ansichten über die Zusammen-
setzung des corpus Tibullianum auseinander, die mit der herrschenden
übereinstimmen. Über die Autorschaft der Sulpiciaelegieen IV 2 — 7
wagt er kein be stimmtes Urteil, die Disposition ist die durch den Stoff
gebotene: De numerorum usu, de casuum usu u. s. w. Die Abschnitte
'De collocatione verborum' und 'de periodo Tibulliana' machen den ße-
schlufs. Im ersteren berühren sich die Ausführungen des Verf. über
die Stellung zweier mit Adjektiven verbundener Substantiva (wie facili
grandia poma manu) mit denjenigen von Knappe, De Tib. 1. IV elegiis
S. 18 f. Auf sprachwissenschaftliche Erklärungen läfst sich Verf. im
Ganzen nicht ein. Dem Gräcismus wird, wie jetzt aus Schäflers (vgl.
oben S. 195) Untersuchungen erhellt, wohl ein zu grofses Feld einge-
räumt. Über Einzelheiten läfst sich streiten. I 4, 33 vidi iam iuvenem
gehört wohl nicht unter die Beispiele von kollektivem Gebrauche des
Singulars. In I 5, 7 furtivi foedera lecti vertritt der Gen. gewifs nicht
einen Abi. loci. In I 9, 43 saepe insperanti venit tibi ist der Dativ
offenbar nicht als Dativ der Richtung, sondern als Dat. coram. zu er-
klären u. s. w.
Schade, dafs die fleifsigen Sammlungen der verdienstlichen Arbeit
nicht vollkommen zuverlässig und von dem sie exzerpierenden Grammatiker
immer erst durch Prüfung der Citate zu berichtigen sind. Verf. berück-
sichtigt nämlich nur ßaehrens' Text, und so ist die behandelte Syntax
mehrfach nicht eine Tibulliana, sondern Baehrensiana! ßei zweifelhaften
oder korrupten Stellen durften entschieden textkritische Untersuchungen
nicht fehlen. Mindestens mufsten ßaehrens' Konjekturen als solche
kenntlich gemacht und die handschriftliche La. notiert werden. Vgl.
folgende Citate : I 2, 90 mox tibi non mitis saeviet usque deus, I 6, 32
latrabat tota cui tua nocte canis. II 3, 36 — 37 at tu . . . domo soll
ein Anakoluth sein. I 1, 41 fructusve requiro. Lygd. 4, 20 humanuni
nee tulit ille decus. Paneg. 115 gaudet. Lygd. 4, 9 et vanum even-
tura hominum genus omina noctis. Und doch konnte Verf., da er Koth-
steins Dissertation bereits kennt, über den bedenklichen Charakter von
ßaehrens' Texte kaum im Unklaren sein. Auch dafs er ßaehrens' vor-
wirrende und dabei ganz zwecklose Neuzählung adoptiert , ist nicht zu
billigen. Erwähnt sei gleich bei dieser Gelegenheit, dafs der Abschnitt
über die Kasuslehre vervollständigt wird durch die tüchtige Dissertation
von A. Hocrle, Do casuum usu Propertiano (Halle 1887), in deren
Noten durchweg der von Proper/, vielfach abweichende Sprachgebrauch
Tibulls berücksichtigt wird.
310 Tibull. Sprachgebrauch, Kcih-figurcu
184. M. Hansen, De tropis et figuris apud Tibullum.
Diss. inaug. Kil. 1881. 51 S. 8.
Der Behandlung des Themas ist auf S. 3 6 eine Art praefatio
über die Handschriftcnfrage vorausgeschickt. Man sieht nicht, zu wel-
chem Zwecke, da Verf. nirgends versucht seine Materialsammluogea für
Kritik oder Erklärung des Textes zu verwerten. Neues enthalten diese
Bemerkungen nicht, ja sie sind, da unter den nova subsidia' seit Lach-
manns Ausgabe Baehrens' Guelferbytanus als wertvoll hervorgehoben
wird, nicht einmal ganz korrekt. Im ersten Hauptabschnitte wird ge-
handelt de tropis, im zweiten de figuris. Tibulls Diktion ist reicher au
Tropen und Figuren als man glaubt. Als Summe der ersteren ergiebt
sich in den echten Gedichten 489, der letzteren 467. Trotzdem nennt
man Tibulls Sprache mit Recht einfach, weil seine rhetorischen Figuren,
seine Bilder und bildlichen Ausdrücke im Ganzen nicht kühn sind und
häufig gar nicht als Übertragungen vom Leser empfunden werden. Frei-
lich geht Verf. in der Annahme solcher viel zu weit. So findet er
II 2, 17 eine ' translatio ', weil es vom Amor heifse viden ut strepitan-
tibus advolet alis, obgleich doch Amor kein Vogel sei! Aber der Gott
hat doch Flügel und fliegt wirklich! Inwiefern ist I 6, 18 neve cubet
laxo pectus aperta sinu das Adj. laxus trauslate' gebraucht? I 2, 86
miserum saneto tundere poste caput ist angeblich 'pars pro toto'! Kann
man I 3, 61 fert casiam non eulta seges als Litotes betrachten? Und
III 1, 26 sive sibi coniunx sive futura soror: Sed potius coniunx als
conduplicatio? Interessant sind (S. 30 f.) die Sammlungen für die
Anaphora, diese beliebteste Figur Tibulls. IV 1, 72 spricht nach
S. 35 auch die Anastrophe von inter für die Richtigkeit der jetzt rezi-
pierten Lesart cum canibus rabidas inter fera serperet undas. Bedauer
lieh ist, dafs S. 36 die Beispiele der gerade für Tibull so charakteristi-
schen Stellung von que beim Verbum nach dem zweiten oder dritten
Worte des Satzes (wie I 1, 40 pocula, de facili composuitque luto) nicht
vollständig gesammelt sind. Vgl. hierüber oben S. 307.
185. R. Stehle, De Tibullo puri sermonis poetici cul-
tore. Diss. inaug. Strafsburg. 1886. 74 S. 8.
Verf. weist im Eingange der Abb. darauf hin, dafs ein einheit-
licher, mit der jedesmaligen Dichtungsart in Harmonie stehender Stil
sich bei den römischen Dichtern nur sehr allmählich entwickelt habe
(cf. H. Ploen, de copiae verborum differentiis inter varia poesis Ro-
manae antiquioris geuera iutercedentibus; diss. phil. Arg. VII 1882),
ja dafs die Sprache der Dichter vor Lucrez und Catull ein buntes Ge-
mengsei aus allen möglichen Stilarten sei. Besonderes Verdienst um
die Schöpfung einer reinen, einheitlichen, von jenen buntscheckigen
Flecken gesäuberten Dichtersprache hat Tibull. Die angebliche paupertas
seiner Sprache ist daher vielmehr eine kluge Auswahl und weise Be-
Tibull. Sprachgebrauch. Die Handschriftenfrage. 311
schränkung auf das Beste. Um dies zu beweisen, bespricht Verf. den
Gebrauch der verba composita bei Tibull, verglichen mit dem bei Catull,
Properz und Ovid. In cap. I wird iu alphabetischer Reihenfolge über
diejenigen verba composita gehandelt, welche Tibull, abweichend von den
andern Dichtern, nur im eigentlichen (nicht übertragenen oder figür-
lichen) Sinne anwendet (S. 9 - 49). Es folgen in cap. II diejenigen,
welche Tibull singulärer Weise nur im übertragenen Sinne kennt
(S. 50-62). Den Schlufs bilden die, welche sowohl im eigentlichen
wie im übertragenen Sinne vorkommen (S. 62 — 74). Die Ergebnisse
der nützlichen Untersuchung sind entschieden beachtenswert. Durchweg
zeigt sich, wie schon äufserlich aus dem Umfange des ersten Teiles
hervorgeht, das Bestreben die Wörter im ersten und eigent-
lichen Sinne, wie er der Komposition entspricht, zu gebrauchen
oft in schroffem Gegensatze zu Cat. Prop. Ov. So heifst perfero eben
nur 'ad aliquem locum vel finem fero', praefero nur 'vorantragen'.
Vgl. Artikel wie colligo, condo, sustineo u. a. Bequemt sich aber Tibull
dazu, ein Wort iu übertragenem Sinne zu gebrauchen, so führt er diese
Übertragung (und nur diese eine) meist konsequent durch und behilft
sich da, wo man dasselbe Wort -im eigentlichen Sinne erwartet, lieber
mit anderen Verben. So ist abeo immer = evanesco; 'weggehen' (von
Personen) heifst discedere. Committo kommt nur vor in der Über-
tragung == trado oder concredo, nicht = peeco. Conferre ist nur 'aus-
tauschen ', consilia communicare. Nun gibt es zwar einige Wörter, die
Tib et proprie et translate' gebraucht, aber auch hier läfst sich weises
Mafshalten erkennen , denn diese Wörter haben bei den anderen Dich-
tern gewöhnlich mehrere eigentliche und übertragene Bedeutungen.
So ist refero in übertragenem Sinne nur = dico, narro, nicht auch
= memoria repeto. Mehrfach sind diese sprachlichen Beobachtungen
auch für die Textkritik von Nutzen. II 1, 18 ist toüite in G unmöglich,
denn Tib. kennt tollere nur im eigentlichen Sinne (I 3, 11; I 8, 45).
I 3, 14 lies despueretque. I l, 46 däinuisse läfst sich mit dem Sprach-
gebrauche nicht vereinigen. I 2, 3 lies perfusum. I 4, 43 admittai ist
wahrscheinlich. — Ein unangeuehmer lapsus ist dem Verf. S. 16 be-
gegnet : er leitet nämlich das bei Cat. 64 , 334 überlieferte contexit von
contexo ab!
C. Beiträge zur Geschichte der handschriftlichen
Überlieferung.
Baehrens' Ausgabe hat ohne Zweifel in der Geschichte des Tibull-
textes epochemachende Bedeutung, nicht durch ihren Text, sondern
durch ihren neuen kritischen Apparat und durch die Fülle gediegener
Spezialuntersuchungen über die handschriftliche Tradition, zu denen sie
den unmittelbaren Anstofs gegeben hat:
312 Tibull. Litteratur der Ilandschriftenfrage.
186. F. Widder, Ue Tibulli codicum fi de atque aueto-
ritate. Gymn. Progr. Lahr. 1884. 37 S. 4 (Rec. v. E. Hiller.
Berl. Phil. W. 1880 Nr. 13 Sp. 390—393).
187. M. Rothstein, De Tibulli codieibus. Diss. inaug.
Berol. 1880. 107 S. 8.
188. R. Leonhard, De codieibus Tibu llianis capita tria.
Diss. inaug. Friburg. München 1882. 65 S. 8 [Rec. v. E. Hiller.
Phil. Anz. XIV 1884. S. 24— 32J.
189. G. Goetz, Über den codex G uelferbytanus des Ti-
bull. Rh. Mus. 37 (1882), S. 141-146.
190. E. Hiller, Zur handschriftlichen Überlieferung des
Tibull. Rh. Mus. 37 (1882), S. 567 575.
191. E. Hiller, Das Fragmentum Cuiacianum des Ti-
bullus. N. Jahrbb. 1883, 273—274.
192. Ph. Illmann, De Tibulli codicis Ambrosiani aueto-
ritate. Diss. inaug. Hai. Berlin. Mayer und Müller. 1886. 65 S. 8.
[Rec. v. H. Magnus, Berl. Ph. W. 1888 No. 11 S. Sp. 328f.]
Widders Abh. ist ohne Kenntnis der früher erschienenen Arbeiten
geschrieben und war darum schon bei ihrem Erscheinen in wesentlichen
Punkten veraltet. Auch sind nur Baehrens' Handschriften , nicht auch
die von Lachmann behandelt. Doch enthält sie manche (besonders durch
Heranziehung des Sprachgebrauches der römischen Dichter) schätzens-
werte Bemerkungen. Anhangsweise handelt Widder (S. 35 f.) noch de
Propertio Tibulli imitatore\ Vgl. oben S. 263. Die sorgfältig
verzeichneten Anklänge in Thema oder in einzelnen Wenduugen beziehen
sich fast sämtlich auf das erste Buch Tibulls (die anscheinende Über-
einstimmung von Prop. V 5, 17 mit Tib. II 5, 57-60 erklärt sich durch
den Zusammenhang beider Stellen mit Verg. Georg. III 280 f.). Verf.
sieht darin, vielleicht richtig, eine Bestätigung der Ansicht, dafs Tibulls
zweites Buch von ihm selbst nicht vollendet und erst nach seinem Tode
herausgegeben sei. Auch Leonhard bespricht in einem Anhange einige
spezielle kritische Fragen. Er verteidigt mit Recht die überlieferte
Versfolge in I 1, teilweise zusammentreffend mit Francken Mnemos.
N. S VI 181 — 182, doch anscheinend ohne Kenntnis von Vahlens vor-
trefflicher Abhandlung in den Monatsber. der Berl. Ak. 1878 S. 352.
I 4, 15 wird übereinstimmend mit Vahlen sin vermutet (doch vgl. oben
S. 169). Es folgen Bemerkungen zu I 6, 16 I 4, 43 III 1, 8 endlich
über Baehrens' Versumstellungen aus I 9 in I 8. Von allen Bearbeitern
des Themas stehen nur Widder und Leonhard noch in den meisten
Punkten auf Baehrens' Standpunkte. Die Übrigen sind ihnen gegen-
über einig in der Verurteilung des cod. Guelferbytauus, auf dem Baehrens'
Tibull. Handschriften. Fragmentum Cuiacianum. 313
Text in erster Linie basierte. Auch in anderen wesentlichen Punkten
zeigt sich eine erfreuliche Übereinstimmung, namentlich in der Beurtei-
lung des Ambrosianus. Daneben bestehen freilich grofse Meinungsver-
schiedenheiten; es ist mitunter ergötzlich zu sehen, wie sich aus den-
selben Thatsachen nach dem jeweiligen Standpunkte des Kritikers dia-
metral entgegengesetzte Schlüsse ziehen lassen. Um lästige Wieder-
holungen zu vermeiden, mufsten die behandelten Stoffe bei der Be-
sprechung mafsgebend für die Disposition sein.
1. Die unvollständigen (älteren) Textesquellen.
a) Das Fragmentum Cuiacianum (F).
Dieses von Scaliger benutzte und unter dem Namen 'scheda op-
tima', 'fragmentum pervetustum' , fragmentum peroptimum
et quam emendatissimumaquarta elegia libritertiiadfinem
usque' bekannte Fragment ist verschollen und nicht zu verwechseln mit
dem jüngeren über Cujacianus, einer vollständigen Catull, Tibull,
Properz enthaltenden Handschrift, die Scaliger ebenfalls von Jakob Cujas
geliehen erhalten hatte (er bezeichnet sie selbst als codex infimae
vetustatis' und paullo ante ineuntem typographicam artem
scriptus'). Diese ist es, welche jüngst in England wieder zum Vor-
schein kam. (Vgl. darüber A. Palm er und R. Ell i s Hermathena III
(1875), 124-158). Sie ist im Jahre 1467 geschrieben, sehr stark inter-
poliert und heute wertlos (Vgl. Ellis prolegg. in Cat. ed. II: 'Ipsum
codicem non magni pretii habeo'). Über die aufserdem noch von Sca-
liger benutzte, jetzt ebenfalls wertlose Anthologie (excerpta perve-
tusta') wird bei Betrachtung der excerpta Parisina zu handeln sein.
Die Varianten des ehrwürdigen Fragmentes notierte Scaliger (neben
denen des jüngeren Cuiacianus und der Exzerpte) in ein Exemplar der
1569 in Antwerpen bei Plantin erschienenen Ausgabe, welches sich gegen-
wärtig in der Leidener Bibliothek befindet. Nicht diese Kollation be-
nutzte aber Lachmann für den Apparat seiner Ausgabe, sondern aufscr
den vereinzelten Angaben Scaligers in den Castigationes nur die Auf-
zeichnungen, welche Heinsius aus der Kollation in ein Exemplar der
Aldine von 1515 eingetragen hatte. Erst in neuester Zeit ist jenes
Handexemplar Scaligers mit der Originalkollation zugänglich geworden
und hat für den Apparat der Ausgaben von Baehrens (doch vgl. Roth-
stein S. 4) und Hiller manche Berichtigungen gebracht Vgl. E. Hiller
Rh. Mus. 29 (1874) S. 97—106. Baehrens praef. ed. 8. MX. Das
Fragment begann etwa mit III 4, 65 (oder einige Verse vorher, Tgl.
Hill er Phil. Anz. XIV 26). Über seinen unvergleichlichen Wert i es
repräsentiert eine ganz andere Überlieferung als die vollständigen Hand-
schriften) giebt es keine Meinungsverschiedenheil mehr. Eine ganze
Reihe richtiger Lesarten sind nur durch 1'' erhalten. Dahin worden fol-
314 Tibull. Handschriften Fragmenttim Cuiacianum.
gcndo zu rechnen sein: III 4, 65 Dieser iu unsern Handschriften feh-
lende und durch Interpolation verschieden ergänzte Vers ist nur in P
erhalten: Saevua Amin- docu.it validoe temptare labores : (Bothstein s. 5.).
Auch der folgende Vera ist mil F zu schreiben Saevus Amor doeuit
verbera saeva pati; die Handsehr. posee pati (Bothstein a. 0., 111-
mann S. 13 not., Vahlon ind. lect. bib. 1886 S. 11 — TJ; vgl. zu saeui-
Baeva noch das sicher nicht geschmackvollere qualee bis poenas gualis
III 6, 23). — III 4, 80 felix hoc (Rothstein S. 7—8). — III 4, 80
cineta figuram. — III 5, 10 trita venena. — III 6, 23 qualis quanhuque.
— III 6, 62 Tu puer i. — III 6, 44 cavere (Kotbstein S. 8— 11). IV
1, 30 quid quaque index. — IV 1, 39 nam quü te (Hiller Rh. Mus.
37, 568). — IV 1, 55 lothos capto« (mit geringer Korrupte] für coeptoi.
Leonhard S. 8 meint , capto» optime in viros loti /xeka^fee xapntp retentos
quadrare' und schlägt vor: Nee valuit lotos capto» avertere cursu. Dies ist
mit Hiller Ph. Anz. XIV 25 abzuweisen). — IV l, 70-71 Illum toter
geminae . . impetus ore. — IV 1, 110 ariqnnis. — IV l, 142 ardet Areo
tais mit unda perhospita campis (dem Richtigen wenigstens nahe kommend,
Rothstein S. 12). — IV 1, 185 ad deßeientia messis. — IV 1, 180 memor
ante ados (trotz Baehrens Tib. Bl. S. 63). — IV 1,200 vmeere cartas.
— IV 1, 210 quandoeunque (Leonhard S. 8). IV 1, 205 dies celerem.
IV 3, 3 aeuisse in praelia. — IV 5, 1 qui mihi te (Rothstein S. 13).
— IV 6, 7 neu quis divellat. — IV 7, 6 habuisse ma. — IV 9, 2 iam
licet esse tuo. (Leonhard S. 6). — IV 11, 5 — 6 at mihi . . . lento
pectore. — IV 12, 17 — 18 pignora cedo . . . proderat. — Auch au fol-
genden Stellen wird die La. von F den Vorzug verdienen, obwohl sich
die Frage nicht durch innere Gründe entscheiden läfst : IV 1, 78 er-
roris. IV 1, 161 non igitur. - IV 1, 175 ierint (die Stelle ist sehr
unsicher. Hill er Ph. Anz. XIV S. 24—25 verteidigt die La. der Hand-
schriften poscent. Doch vgl. Illmann S. 15, der seine Ausführungen
mit den Worten schliefst: lSive Scaligeri sive Lachmanni emendationem
probamus, non video cur hoc loco a F scriptura, quae levissimas tantum
mutationes exigit, recedamus codicumque recentiorum, qui tot locis inter-
polationibus manifestissimis depravati sunt, lectionem reeipiamus'. Für
ierint und Scaligers per claros tritt auch Ehwald Ph. Anz. XV 587 ein:
1 Wenn deine Thaten iu herrlichem Triumph ( per triumphum , s. Cic.
accus, in Verr. V 26, 67. 30, 77) einhergeschritten sind d..h. wenn die
tituli oder noch besser, wenn die simulacra deiner Thaten (Ov. trist.
IV 2, 37. Tac. aun. II 41) im Triumphzug einhergetragen sind. [Vgl.
A. Zingerle Z.f.Ö.G. 1885 S. 98 und Kl. Phil. Abh. IV 14—15]. Für
ire per vgl. Ov. a. a. III 387. trist. V 9, 32. Fast. I 15. II 16'. Ref.
fügt noch hinzu, dafs praeclarw bei Catull, Tibull, L}gdamus, Properz,
Ovid (denn trist. III 5, 40 ist jetzt Dareique emendiert) nicht vorkommt
und auch darum im Panegyricus sehr unwahrscheinlich ist. - Vielleicht
auch IV, 2, 23 haec sumet (Vahlen ed. V). — Dem stehen gegenüber
Tibull. Handschi iftfn. Fragmentum Cuiacianum. 315
weilige kleine Irrtümer wie III 6 , 44. IV 1, 3. IV 1, 60. IV 1, 168.
193. 198. IV 3, 21. Nun hat freilich Baehrens Tib. Bl. S. 63 f. ver-
schiedene Lesarten von F als willkürliche Änderungen verdächtigt. Doch
vgl. dagegen Rothstein S. 7 not. Nur an einer Stelle nimmt Roth-
stein selbst eine Interpolation an: IV 5, 10 bieten unsere Handschr. statt
des richtigen calet die leichte Korruptel valet, F aber volet 'ut sensus
qualiscuinque in hunc versum inferretur' . Indessen ist auch da eine
absichtliche Fälschung sehr unwahrscheinlich. Einen sensus qualiscun-
que giebt hier, zumal in einem Geburtstagsgedichte und nach v. 9, der
überlieferte Fehler volet immer noch eher als die angebliche Konjektur
volet. Wie unglaublich also, dafs (notab. in uralter Zeit!) der Librarius
einer sonst absolut iuterpolationsfreien Handschrift auf den Gedanken
verfallen sein sollte zu ändern! Schwieriger ist die Entscheidung bei
IV 1, 2 wo das nequeant von F gegen vakant der Handschriften steht.
Leonhards Annahme (S. 7): 'Librarius cum verbum terrendi cum par-
ticula ut coniunctum intellegere non posset, vocem quae est vakant in
mqueant illud falso commutavit' ist geradezu ungeheuerlich. Man hat
zwei Traditionen vor sich: eine sehr alte im Übrigen ganz interpola-
tionsfreie und eine sehr junge durch und durch interpolierte. Metho-
discherweise mufs man also bis auf Weiteres die zweite für verdächtig
halten, um so mehr, da es sich um eine tief einschneidende, von höch-
stem Raffinement zeugende Änderung handelt , wie man sie nur den
dreisten, im Interpolieren geübten Itali späterer Zeit zutrauen kann,
d. h. der Ersatz von valeant durch nequeant in dem ehrwürdigen Frag-
mente wäre ein unbegreifliches Uuicum , der Ersatz von nequeant durch
valeant in dem Archet. unserer codd. etwas ganz Gewöhnliches und All-
tägliches. Dazu kommt, dafs sich auch die Veranlassung der Interpo-
lation deutlich erkennen läfst, wie Ref. schon Berl. Ph. W. 1885 Sp. 586
bemerkte. Der Fälscher verband, wozu man allerdings leicht versucht
ist, ut, austatt es konzessiv zu fassen, mit tei-ret und verstand es = ne
non (Auf das terruit gentes, grave ue rediret Saeculuni Pyrrhae bei
Hör. c I 2, 5 ist längst hingewiesen) Da nun nequeant gerade das
Gegenteil von dem was der Sinn fordert, bedeutete, so konnte er ver-
ständigerweise gar nichts anderes als valeant schreiben. Hiernach er-
scheint Rothsteius Konj. (S. 14 not.) quaniquaui mt et cognita virtus Tenet
et infirmac nequeant überflüssig. Hill er stimmte trüber (Ph.Anz. \l\ 24)
Leonbard bei, ist aber jetzt mit Reclit in der Tauchcitzausgabe EU -
queant zurückgekehrt. Hier ist aueb zuerst Dach terret die richtige ver-
stärkte Interpunktion angewendet worden, Für nequeant noch Ehwald
Ph. Anz. XV 589. Birts ansprechende Konj. (De Bai. S. 88) "" intir-
mae valeant i>t hiernach abzuweisen. — Aus alledem ergiebl sich, dafs, ab-
gesehen von einigen Schreibfehlern, uns in den charakteristischen Les-
arten von V ohne Ausnahme das Richtige oder Joch das dem Rich-
tiges am nächsten Kommende erhalten i-t.
816 Tibull. Handschriften. Frgmt, Cuiac. Exe. Frisingensia.
Schlicfslich sei noch bemerkt, dafs E. Biller in tfo. 191 überzcu-
gend nachweist, wie F schon ron den Italienern des saec. XV benutzt wor-
den ist. Denn weitaus die meisten Lesarten in F, welche von unseren
ältesten vollständigen Quellen abweichen, werden auch aus interpo-
lierten Handschriften, aus alten Ausgaben und aus alten Kollationen an-
geführt, in den folgenden Verzeichnisse lassen sich allerdings manche
Übereinstimmungen nach Ililler dadurch erklären, dafs die Itali durch
Konjektur auf dieselbe La. verfielen, die F bietet. An anderen Stellen
hält Ref. mit Ililler diese Annahme für unmöglich. So III 4, 65 F.
Der Vers fehlt in 0, wird aber angeführt aus cod. Corvin., Voss., 1., cxc.
Pucci, exe. Perrei. IV 1, 39 nam quis te st. nam quique tibi: cod. Ursini,
exe Perrei. IV 1, 96 veniat gravis st. grandis venu: Voss 1. IV 1, 110
Arupinü st. et arpinis: Ambr. m. 2, g {Ampi, ms Guelf. 1 und 4, sowie
mehrere alte Ausgaben) — u. a. Diejenigen Lesarten von F, die eben
nur Scaliger verzeichnet, sind meist Versehen, deren Notierung den Itali
zwecklos schien (vgl. z. B. III 6, 44. IV 1, 55. 60. 168 u. a.). Von
wichtigen Varianten sind nur III 5, 10 trüa st. certa (vgl. Hiller, Rh.
Mus. XXIX 103) und IV 3, 3 praelia st. pectore allein durch Scaligers
Kollation bekannt. Entscheidend für die Benutzung von F ist endlich
der Umstand, dafs auch die durch F aufbewahrte Autorbezeichnung
Domitii Marsi für das Epigramm auf Tibulls Tod den Italienern nicht
unbekannt war (exe. Perrei). Möglicherweise haben sich noch andere
von Scaliger übergangene Varianten von F in interpolierten Handschriften
erhalten, aber für die Kritik ist diese Möglichkeit wertlos, da derartige
echte Lesarten unter den massenhaften Konjekturen der Itali nicht mehr
heraus gefunden werden können.
b) Die Freisinger Exzerpte (Fris.; bei Hiller mit M bezeichnet,
weil die Handschrift sich jetzt in München befindet. Ihm folgt Ref.)
Vgl. über sie aus der älteren Litteratur Lach manu praef. S. VI.
Kleinere Schriften S. 146. E.Protzen, de excerptis Tibullianis. Greifs-
wald 1869. L. Müller N. Jahrbb. 1869, 63f. Derselbe praef. ed. S. VIII.
Über Plan und Zweck der Exzerpte hat Rothstein S. 17f. gut und
erschöpfend gehandelt. Sie enthalten Stellen, die ihrem Sammler ent-
weder aus Rücksichten der Grammatik beachtenswert schienen (z. B. I
6, 49), allgemeine Sentenzen, endlich Stellen, die ihm wegen ihrer poe-
tischen Schönheit gefielen. Über die Frage, wie M mit F, wie sie mit
dem Archetypus unserer Haudschrifteu zusammenhängen, wissen wir
nichts (vgl. Baehrens praef. S. XXI). Dafs sie aus einer lückenhaften,
dem Archetypus ähnlichen Handschrift exzerpiert sind, folgert Leonhard
S. 53 daraus, dafs sie den Hexameter vor III 4, 66 nicht haben. Es
ist in der That nicht anzunehmen, dafs die Exzerpte ihn weggelassen
hätten, wenn er in ihrer Vorlage stand. Auch spricht für jene Ansicht
der Umstand, dafs in v. 66 M übereinstimmend mit den Handschriften
Tibull. Handschriften. Excerpta Frisingensia. 317
die La. verbera posse pati haben. — Auch über die Wichtigkeit der
singulären Lesarten von M ist jetzt (trotz Lachmann a. 0. S. 146) kein
Streit mehr: der codex, aus dem M abgeschrieben sind, mufs von hohem
Werte gewesen sein. Für richtig sind also anzusehen: I 3, 86 colu.
II 3, 10 pussula. III 6, 44 cavere tuo (Rothstein S. 8). — I 2, 19 haben
M sehr bestechend molli furtim derepere. Aber freilich ist die Vorstel-
lung, aufweiche so die Phantasie gelenkt wird, nicht eben schön (Francken
Mnemos. N. S. XIII 182). Vahlen bleibt daher bei dem handschr. de-
cedere. Die Entscheidung ist sehr schwer. — I 7, 11. Nach Hiller Ph.
Anz. XIV 26 hat Tibull wohl Garunna geschrieben, so dafs sowohl in
der Lesart von M (Garonna) wie in derjenigen der besseren Handschriften
(Garumna) ein Teil des Ursprünglichen erhalten ist. I 7, 12 bieten M
Camutis, die Handschriften Camoti resp. Camuti. Darüber handelt gründ-
lich LeonhardS. 13 — 14. Nach dem Zeugnisse Cäsars und nach Liv.V 34
war zu den Zeiten der Republik die Form Camutes die übliche. Hiller
a. 0. macht darauf aufmerksam, dafs auch Plin. nat. hist. IV § lu7 die
Form Camuti statt Camutes von Detlefsen auf Grund der Überlieferung
beseitigt ist. Dafs Paulinus Petrocorius in saec. V n. Chr. (vit. S. Mart.
IV 225) Camötina mifst, ist natürlich ohne Belang. So ist denn Carnutü
von Hiller mit Recht rezipiert. Ebenso weist Leonhard auf Grund
eigener Prüfung auf S. 12 nach, dafs durch die Schreibung hämatis IV
3, 10 lediglich die Quantität des a verdeutlicht werden sollte, dafs also
die Form hammatis den Exzerpten ohne Grund zugeschoben wurde. Und
Rothstein S. 33 betont, dafs III 6, 33 in dem et mihi von M das
später durch Itali richtig gefundene ei mihi (codd. s» mihi) stecke. —
I 1, 2 M: iugera multa, codd.: magna. Dafs sich letzteres verteidigen
läfst, sahen schon die alten Ausleger (vgl. Huschke z. St.). Aber das
Zeugnis von M wird durch Diomedes S. 484 Keil, durch die Nachahmung
Ovids Fasti III 192 (vgl. III 3, 5) so glänzend bestätigt, dafs an der
Richtigkeit von multa nicht zu zweifeln ist (vgl. Illmann S. 22, unrichtig
urteilt Widder S. 6, s. Hiller ßerl.Ph.W. 1886 Sp. 392). Richtig,
obwohl nicht singulär ist auch I 1, "> vüa (Illmann S. 23). I 1, 25 M :
iam modo iam possim, codd.: tarn modo non possum. Ref stimmt mit
Rothstein S. 20, Illmann S. 20 in der Ansicht oberem, dafs Bf wahr-
scheinlich das Richtige erhalten hat Selbst Yahlens scharfsinnige Kouj.
iam modo iners possim scheint nicht notwendig. I 1, 34 ist dagegen e$t
wohl nicht mit M weg zu lassen (Hiller Phil. Anz. XIV 27). Hat
sich derExzerptor gestattet beim Abschreiben aus seiner
Vorlage willkürlich zu lindern? Rothstein S. 18 bejaht dies für
eine Stelle. I 9, 45 bieten M: o miser interii, statt tum. Die in tum
liegende Beziehung auf das Vorhergehende sollte hier, wo «Jas Distichon
aus dem Zusammenhange gerissen war, vermieden werden (Illmann
S. 18 widerspricht dem und sieht in dem o eine einfache Konuptel der
Vorlage von M). Eine Interpolation findet Rothstein S. 19 auch 111
;}|ft Tibull. Handschriften. Excerpta Fris. und Parisina.
3, 21- 22 wo M mc Fortuna für nam Fortuna bietet: Iis enim qui in
fortunae verbo , sivc id pro nomine proprio sive pro appcllativo acci-
piebant, de fortunis maxime cogitaverunt, facile poterat peotametro plane
contrarium eornm dictum esse videri quae priori vcrsu Bignificata erant'.
Doch bleibt hier die Möglichkeit olh'ii , dafa schon die Vorlage von U
interpoliert war freilich nur an dieser einen Stelle. (Doch vgl. Illmann
S. 18: ' Scriptura Fris. facile compendio prave intellecto rel alt excerp-
tore ipso vel a nescio quo, qui postea eclogas descripsit, nasci potuit').
Das gerit von M für regit ist (trotz Leonhard S. 11 ) ein harmloser,
sehr gewöhnlicher Schreibfehler. Das Gleiche gilt offenbar von IV 14, 2
(te statt me). Dagegen ist. I 4, 9 die Möglichkeit nicht zu leugnen, dafs
fugite in M für fvge te durch Interpolation entstanden ist (Illmann
S. 19). Doch vgl. Lachmann Kl. Sehr. S. 146.
c) Die Excerpta Parisina (Par. od. P.).
Vergl. über die so bezeichneten Exzerpte Baehrens praef. ed.
S. XI -XIII. Hiller Eh. Mus. 29, 102, Rothsteiu S. 23 25, Leon-
hard S. 15—16. Wir kennen diese während des Mittelalters in Frank-
reich sehr verbreitete Anthologie am besten durch zwei Pariser Hand-
schriften, den cod. Nostradamensis (n) und den Thuaneus (}>)•
Beide weichen nur unwesentlich von einander ab , doch ist die letztere
älter und wertvoller. Ein Manuscript, welches ebendieselben Exzerpte
enthielt, nicht eine vollständige Tibullhandschrift (Leonhard S. 15) be-
nutzte für sein speculum doctrinale Vincenz von Beauvaisca. 1250.
Seine Angaben sind heute, wo wir in den Pariser Handschriften die von
ihm ausgeschriebene Vorlage besitzen, wertlos. Dafs auch Seal ig er s
eclogae, die sogenannten excerpta pervetusta mit unseren Parisina iden-
tisch sind, hat nach Hiller a. 0. Leonhard S. 16 bewiesen. Ja, seine
Vermutung, die Handschrift Scaligers sei eben unser Thuaneus hat viel
für sich und wird von Hill er Ph. Anz. XIV 27 gebilligt. Unter allen
Umständen sind auch Scaligers Exzerpte, da wir ihr Original besitzen,
aus unseren Textesquellen auszuscheiden. -- Über die Zwecke, welche
der Exzerptor (offenbar ein mittelalterlicher Mönch) bei seiner Auswahl
verfolgte, hat Rothstein S. 25 f. vortrefflich gehandelt und sein Ver-
fahren an II 3, 35—48 deutlich gemacht, wo überall ersichtlich ist,
warum ihm diese oder jene willkürliche Änderung beliebte. Mit Recht
weist aber Leonhard S. 17 not. darauf hin, dafs sich aus der Über-
schrift 'de nimio dico dolore' zu II 4, 11 nicht mit Rothsteiu irgendwelche
Schlüsse ziehen lassen, da höchst wahrscheinlich 'de immodico dolore' zu
schreiben sei. Im Ganzen schrieb er besonders die Stellen ab ' quae ad
hominum mores corrigendos maxime idonea ei videbantur1. Damit im
Widerspruche Stehendes änderte er oder liefs es weg. Andere Ände-
rungen schienen ihm nötig, um aus dem Zusammenhange gerissene Verse
verständlich zu machen. So erklären sich z. B. die Lesarten I 6, 75 ne
Tibull. Handschriften. Die Excerpta Parisina 319
saevo. III 3, 11 quid prodesse potest. II 1, 13 pura cum mente u. a.
— Wie steht es nun aber mit denjenigen unrichtigen Abweichungen
von unsern Handschriften in P, wo weder Interpolationen des Ex-
zerptors (die nach obigen Gesichtspunkten meist leicht erkennbar
sind, vgl. auch Leonhard S. 18), noch einfache Schreibfehler anzu-
nehmen scheinen? Mit anderen Worten: Enthielt die vollstän-
dige dem Exzerptor vorliegende Tibullhandschrift bereits
Interpolationen? Leonhard verneint die Frage im Allgemeinen
(S. 18); bejaht sie aber für I 1, 43 und IV l, 39 (die Reihenfolge
und nee quisquam), an der ersten Stelle übereinstimmend mit Roth-
stein S. 31. Hier haben P statt des zweiten (nach des Ref. An-
sicht im Archetyp, unserer codd. fehlenden) satt* est die Interpolation
uno. In der Wendung nun uno requiescere lecto finden Rothstein und
Leonhard eine erotische Beziehung auf Delia und meinen, sie könne
gar nicht von dem streng moralischen Exzerptor ausgehen, der ja gerade
das folgende Distichon wegen seines bedenklichen Inhaltes auslasse. Aber
sehr plausibel vermutet Hiller Ph. Anz. XIV 28 (und nach ihm 111-
mann S. 25), die Interpolation uno lecto bezeichne vielmehr die Genüg-
samkeit des Dichters, ebenso wie I 1, 6 assiduo in exiguo geändert sei.
Man könne sie daher sehr wohl dem Exzerptor zutraueu. Wenn nun
Hill er wegen dieser Stelle (zumal da auch in der zweitbesten Hand-
schrift V satis est von erster Hand nur einmal geschrieben sei) meint,
der Annahme, dal's der unmittelbarste Archetypus unserer Handschriften
aus der Tibullhandschrift des Exzerptors stamme, stehe nichts im Wege,
so ist das einzuräumen, läfst sich aber mit den Anschauungen desselben
Gelehrten über die ausschlaggebende Bedeutung des Ambr. nicht ver-
einigen. Denn Illmanns (S. 39 — 40) Erklärungsversuch ist nach seinem
eigenen Geständnisse (fnegari non potest, hanc explicationem satis tor-
tuosam esse1) sehr unwahrscheinlich. Auch über IV 1, 39 wird man mit
Hill er Rh. Mus. 37, 573. Ph. Anz. XIV 27 anders urteilen müssen als
Leonhard.
Noch weiter als dieser geht Rothstein, welcher S. 31 f. au zehn
Stellen die Handschrift des Exzerptors für interpoliert erklärt: I 1, 6
exiyuu. I 1, 43 uno. I 4, 30 sed furnuie nulluni. I 5, 01 praesto semper.
I 8, 14 colligut. I 10, 5 forsan et die nihil meruit. II 3, 30 adoperta
malis. III 0, 33 heu quam difficile est. IV 1, 40 huec aut haec. IV I, 40
nemo magis sedare queat. Man mul's zugeben, dafs die Interpolation klar
zu Tage liegt. Aber sämtliche Änderungen haben die Tendenz Unver-
ständliches verständlich zu machen. Werden wir sie also nicht lieber
dem Exzerptor, der ja gerade hiernach strebte (Manches event. sogar
dem Schreiber des Archet. von P) zutrauen als sie bis zum Jahre 1000,
vielleicht noch höher hinaufiiickenV
Trotzdem wird allgemein anerkannt, daß wir 1' eine grofse Zahl
unverdächtiger trefflicher Lesarten verdanken. (Über die Fälle, wo die
320 Tibull. Die Excorpta Par. und die vollständigen Handschriften.
jungen interpolierten Handschriften, namentlich der Guelfer bytanus,
gerade in richtigen Lesarten mit P übereil) timmen, wird später zu reden
sein). Die betreffenden Stellen bespricht Rothstein S. 33 f. I 1, 2 iu-
gera multa, I 1, 5 vüa inerü werden durch M bestätigt. Aufserdem sind
eingehend behandelt I l, 29 bidentem (vgl. Widder S. IG). I 9, 23
celandi xpes est (vgl. Ulm an n S. 27). II 4, 12 omnia tarne. III 6, 44 rarere. IV
1, 89 castrisve. IV l, 96 veniat gravis mit 1 ' (vgl. Illmann S 28). Zweifelhaft
kann man sein über III 5, Iß venit taeüo (der Anonymus im Ph.Anz. X185 ver-
gleicht dafür Ov. a. a. II 6, 70. Tib. I 9, 4. 1 10, 34) und III 6, 45 voa dedpiomt.
I 1, 48 imbre iuvante gegen igne der codd. Roth st ein fragt naiv: Quo
modo is qui dormit imbre aut igne iuvari potestV' und konjiziert igne
crepemte. Widder S. 21 entscheidet sich für die handschr. La. igtu iu-
vante. Doch ist imbre offenbar richtig, wie in v. 45 das parallele iuvat
ventos audire cubantem zeigt. Zu den von Broukhusius für imbre
beigebrachten Stellen fügt Ehwald Ph. Anz. XV 585 noch die schöne
Parallele Liv. 24, 46, 5. Andere Stellen, wo sich eine sichere Entschei-
dung nicht treffen läfst, bei Rothstein S. 37. Über I 1 , 78 des-
piciam dites vgl. Widder S. 10.
Über das Verhältnis vonP zuM und F läfst sich nichts
Bestimmtes sagen. Leonkard S. 20 meint, 'propiore coguationis gradu
fiorilegium Gallicum contingere Codices nostros recentiores quam eclogas
Frisingenses'. Dagegen stünden P dem fragmt. Cuiac näher als unseren
Handschriften, weil sie nur zweimal Korruptelen mit den Handschriften
teilten (IV 1, 39. 40), aber viermal gute Lesarten mit F gemeinschaftlich
haben (III 6, 44. IV 1, 96. 102. 104). cf. Leonhard S. 49.
2. Die vollständigen Handschriften.
Alle unsere vollständigen Handschriften sind abgeleitet aus einem
Archetypus, welchen Baehrens (praef. S.XIX), ohne bestimmte Gründe
anzugeben, dem saec. 9 v. Chr. zuweist.*) Entweder er selbst oder,
was wahrscheinlicher ist, eine Kopie mufs sich aus dem Mittelalter in
saec. 14 hinübergerettet haben. Denn in der ersten Hälfte von saec. XIV
ist nachweislich Tibull in Italien gelesen worden (vgl. Baehrens praef.
ed. S. VI). Auf diesem einen Codex beruht unser Text bis ungefähr III
4, 65, wo das fragmt. Cuiac. helfend eintritt (Lachmann Kl. Sehr.
5. 146). Er ist uns verloren. Wir kennen ihn nur aus sehr jungen
Abschriften (die älteste etwa aus 1374), die mehr oder minder von Inter-
polationen der Itali durchsetzt sind. Aber auch jener im saec. XIV ge-
fundene und wieder verlorene unmittelbare Archetypus unserer Hand-
*) 0. Korn stellte, von den Lücken in I 10 und II 3 ausgehend, im
Rhein. Mus. 20, 167 f die Hypothese auf, er habe auf jeder Seite 28 Zeilen
gehabt.
Tibull. Archetypus unserer Handschriften. A und V. 321
Schriften wimmelte schon von Fehlern. Er enthielt Interpolationen,
die aus ihm natürlich in alle unsere Handschriften übergegangen sind
(vgl. die vom Ref. gesammelten Beispiele Berl. Ph. W. 1885 Sp. 586),
— soweit sie nicht etwa von einzelnen gelehrten Itali des saec. XV als falsch
erkannt und durch Konjektur wieder beseitigt wurden. Er zeigte ferner
Lücken. Ganze Verse fehlten nach I 2, 25; H 3, 15. 75; III 4, 64,
an deren Stelle in den am schlimmsten interpolierten Handschriften meh-
rere Verse eingeschwärzt wurden. R. Ehwald Ph. Anz. XV 584 ver-
mutet, besonders wegen des Abstandes der beiden Lücken in II, 3, der
Arch. habe Seiten von 21 Zeilen gehabt. — An anderen Stellen wie I
1, 43; I 3, 4; II 4, 10 fehlten nach Ansicht des Ref. einzelne Wörter.
Hier ward auch schon in den älteren Abschriften die weniger schwierig
scheinende Ergänzung versucht, mituuter nicht ohne Glück. Bei der
Klassifikation der Handschriften werden also folgende Fragen zu beant-
worten sein: Wie können wir die La. des Archetypus ermitteln?
Welche codd. überlief ern am treuesten und ohne willkürliche
Änderungen? Welche codd. sind, wenn auch durch mehrere
unbekannte Zwischenglieder direkt aus dem Archet. (0) ab-
zuleiten? Denn es leuchtet ein, dafs selbst interpolierte Hand-
schriften wichtig sind, wenn es sich nachweisen läfst, dafs sie aus
einer sonsther nicht bekannten Abschrift von 0 stammen.
a) Ambrosianus und Vaticanus (AV).
Die Bekanntschaft mit beiden verdanken wir Baehrens. Vgl. im
Allgemeinen Baehrens praef. ed. S. Vllf. Leonhard S. 21 f , Illmann
S. 7f. Revision von Baehrens' Kollation in Hillers Tauchnitzausgabe
von 1885. A ist nach Baehrens a. 0. um 1374 geschrieben. V wird
zwar von Baehrens ins Ende von saec. XIV gesetzt, gehört aber wohl
erst dem 15. Jahrhundert au. Vgl. A. Zingerle Kl. Phil. Abb. I 28.
Z. f. Ö. G. 1879 S. 345. Den ersten Platz nimmt unbedingt A ein. Er
ist nach Ansicht der meisten Kritiker nicht nur die älteste, sondern auch
die einzige von Interpolationen freie Handschrift, welche uns
die Lesarten von 0 ganz treu überliefert. Vgl. Baehrens a. 0.:
'Archetypi lectiones propagavit fideliter nee ulla fere facta mutatione,
nisi quod hie illic librarius leniter peceavit'. Ebenso Hiller Rh. Sias.
37, 567. Derselbe praef. ed. S. V: ' Qui solus archetypi scripturas uulla
addita interpolatione propagavit". Ebenso 111 mann S. 11. 48 u. sonst.
Auf A hat Hiller denn auch seinen Text basiert. (Nicht ganz so weit
gehen Leonhard (S. 29—30) und Roth st ein, wie die folgende Dar-
stellung zeigen wird). Welche Gründe bringen nun jene Kritiker für
ihre Ansicht vor? Es nimmt zunächst sehr für A ein , dafs er die oben
bezeichneten Lücken im Archetypus nicht durch neufabrizierte Verse
auszufüllen sucht, wie dies sämtliche Handschriften Lachmanns thon.
Jahresbericht l'Ur AltertliumswUsouacliiilt LI. (ltW7. ]I). 21
322 Tibull. Die Handschriften. Ambrosianoi and Vaticanus.
111 mann S. 10 will aus dem Umstände, dars in A die fehlenden Verse
nirgends durch ein Interstitium bezeichnet sind, folgern, der Librarius
habe gar nicht einen Hexameter von einem Pentameter unterscheiden
können, habe also absolut nicht gewufst , was er schrieb. Fallen diese
Thatsachen schwer für A ins Gewicht, so darf man sie doch nicht miß-
brauchen (so Baehrens praef. 8. V ), um den Lachmannachen Hand-
schriften allen Wert abzusprechen, sie etwa gar aus A stammen zu
lassen. Vgl. darüber Rothsteil] S. 61. Die Verse fehlten ja nicht
blos in der unmittelbaren Vorlage von A, sondern auch in allen übrigen
Abschriften von 0, die etwa genommen wurden. In der älteren Zeit
liefsen sich die Leser und Abschreiber den Defekt gefallen. Später
aber, als man mit gröl'serer Gelehrsamkeit ausgerüstet versuchte das
Überlieferte zu verbessern, erfanden kühne Kritiker jene Ergänzungen,
die dann wieder von Anderen aufgenommen wurden. Man ist also
nicht berechtigt, Lachmanns Handschriften wegen dieser
Ergänzungen aus Baehrens Codices ab zuleiten. Aber freilich ist
Illmann S. 10 einzuräumen, dafs derartige Interpolationen immerhin Mifs-
trauen gegen Lachmanns codd. erwecken. Denn der Argwohn liegt nahe,
dafs die Abschreiber, welche jene interpolierten Verse aufnahmen, auch
anderen Ergänzungen und Änderungen renommierter Kritiker, die ihnen
gerade bekannt wurden, Eingang in ihre Texte gestatteten. — Von ge-
ringem Belang ist es, wenn Illmann a. 0. als Beweis für die Zuver-
lässigkeit von A einzelne Verstöfse gegen das Metrum, wie I 3, 25;
I 7, 6; I 8, 57; III 2, 7; III 5, 29; IV 1, 56 oder das Vorkommen von
sinnlosen Buchstabenkompositionen oder Wortungeheuern wie I 3, 50;
I 4, 29; I 8, 51 (wo übrigens Hillers Note zu vergleichen) geltend
macht. An dergleichen Versehen fehlt es in wenigen Handschriften.
Man kann doch diese Librarii nicht wie Böcke und Schafe sondern in
die Klasse derer, die nichts verstanden von dem was sie schrieben, und
demnach nichts änderten, und in die Klasse derer, die alles zu ver-
stehen glaubten und demnach überall änderten, wo sie an etwas An-
stofs nahmen. Zwischen diesen Extremen giebt es natürlich zahllose
Mittelstufen. So auch hier. Vernachlässigt A an einer Stelle das Me-
trum , so interpoliert er dafür an einer anderen eben dem Metrum zu-
liebe. Übrigens teilt A die meisten jener Verstöfse mit Laeh-
manns Handschriften, namentlich mit dem von Interpolationen wim-
melnden B. Schon daraus ist ersichtlich, dafs metrische Schnitzer und
monströse Buchstabenkompositionen ganz wohl neben Interpolationen Platz
haben. — Den entscheidenden Beweis für die mafsgebende Bedeutung,
welche A zugeschrieben wird, mufs natürlich die Güte seiner Lesarten
liefern. Vor Allem wird mau fragen: An welchen Stellen läfst sich
unser Text ausA verbessern? Die Ausbeute ist nicht grofs Roth-
stein S. 50 verzeichnet im Ganzen sechs derartige Stellen In erster
Tibull. Die Handschriften Ambrosianus und Vaticanus. 323
Linie stehen die eben besprochenen vier Fälle, wo A im Gegensatze zu
den Lachmann sehen Handschriften, die Lücken des Archetypus getreu
bewahrt hat. Dazu tritt noch II 1, 33 Aquitanae, wofür in LachrnaDus
codd. equüanae. Indessen ist gerade diese Stelle nicht geeignet die Zu-
verlässigkeit von A zu verbürgen. War das richtige Aquitanae in 0
überliefert, woher kamen alle andern codd. zu ihrem fehlerhaften equi-
tanae. In einem Schreibfehler könnten sie doch, als unter sich teilweise
ganz verschiedenartig und nimmermehr aus einer Abschrift von 0 ge-
flossen (Niemand hat dies je behauptet), nicht sämtlich übereinstimmen.
Ebensowenig ist denkbar, es sei absichtlich in equüanae geändert worden
— etwa um der ungeheuerlichen Idee willen equüanae hänge mit eques
zusammen und es sei hier vom Ritterstande Messallas die Rede (die
Möglichkeit, dafs ein konfuser Librarius mit Rücksicht auf die Angaben
der Vita auf derartiges verfiel, könnte man einräumen). Hill er Rh.
Mus. 37, 571 bemerkt dazu ganz einfach, die Übereinstimmung sei ohne
Belang'. Aber wer mag sich dabei beruhigen? Nach allen Regeln me-
thodischer Kritik mufs equüanae als das ursprüngliche gelten. Vgl. Roth-
stein S. 61. III 4,45 dagegen scheint allerdings Semele = Semelae das
Ursprüngliche zu sein, das später in Semeies geändert wurde. Viel-
leicht gehört hierher I 4, 56 velü statt der vulg. volet. Ersteres wird
gut verteidigt von Hill er Ph. Anz. XIV 29. Vgl. auch Wolff, de
enunt. interr. ap. Cat. Tib.- Prop. S. 26 und Streifinger, De synt.
Tib. S. 30. IV 13, 15 wird das in A überlieferte, durch Lachmanns BC
bestätigte hoc wohl das Echte sein (vgl. Rothsteiu S. 48. Ulmann
S. 41). III 6, 59 ist fugü jetzt aus A von Hiller und Vahlen aufge-
nommen. Eine Stelle, wo, wie Hiller Rh. Mus. 37,567 und Illmann
S. 37 mit Recht hervorheben, A allein von den uns bekannten Hand-
schriften die La. des Arch. treu bewahrt hat, ist II 2, 19, wo man deutlich
sieht, wie aus vinculaq. maneant in A das interpolierte vinculaque et hervor-
ging. Die Sache liegt hier wesentlich anders als II 1, 33: man begreift,
wie die dem Sinne scheinbar genügende Änderung cinculaque et die un-
verständliche La. des Archetypus vinculaq. allmählich verdrängte. Es
wufste eben kein Abschreiber Besseres. Dafs übrigens rineula quae
maneant echt ist, zeigt zum Überflusse die Nachahmung Ovids ex P. IV
8, 10 vineula . . quae semper maneant. — Gerade diese Stelle aber macht
wahrscheinlich, dafs Hill er a. 0 über I 7, 57 nicht richtig urteilt.
Denn das in A überlieferte que ist offenbar identisch mit der vulgata
quae. Über IV 1 , 55 bemerkt Hiller Ph. Anz. XIV 29: Es kann
keinem Zweifel unterliegen, dafs im Archetypus ebenso wie in A vertere
gestanden hat und dafs sowohl das falsche convertere oder adetrtett wie
das richtige avertere Änderungen der Italiener Bind'. Auch II 4, 10 (so
glaubt Hiller Rh. Mus. 37, 568) fehlte im Arch. das Epitheton von
marü (wenigstens war nur der Anfangsbuchstabe v noch sichtbar ) und
wurde in den anderen Handschriften perschieden ergänzt. Zweifelhaft
21*
324 Tibull. Die Handschriften Ambrosianua und Vaticanus.
bleibt II 5, 112, wo dem reperire in A ein reperitae der meisten anderen
codd. gegenüber steht, Vgl. Roth stein S. Gl 62. 111 mann S. 36.
I 8, 14 scheint urcta in a und Beiner Sippe richtig überliefert, das an
sich mögliche arte der Übrigen Interpolation, die durch Stellen, wie sie
Ref. Studien z. Ov. Metam. S. 6 gesammelt hat, veranlafst sein
mag. III 4, 9 natum maturas wird ebenfalls schon im Arch. gestanden
haben. Zusammenstellungen von charakteristischen Lesarten in A gegen-
über Lachmanns codd. s. bei Rothstein S. 55, Leonhard S. 37 38.
Hiller Rh. Mus. 37, 571. 111 mann S. 29. 41. 51 f. Auf manche wird
sich Gelegenheit bieten zurück zu kommen.
Stehen nun dem gegenüber Stellen, an denen sich nachweisen läfst,
dafs die Lesart des Arch. nicht getreu fortgepflanzt ist d. h.: Ist A
wirklich ganz frei von Interpolationen? Die Frage wird von Baehrens,
Hiller, Illmann rundweg bejaht. Rothstein behandelt sie nicht
im Zusammenhange, doch geht aus gelegentlichen Aufserungen hervor,
dafs er A nicht für ganz intakt hält. Leonhard allein spricht S. 29
bis 30 geradezu aus, der Librarius von A habe sich an einigen Stellen
willkürliche Änderungen erlaubt. Doch ist sein Beweis nicht gelungen;
vgl. Hiller Rh. Mus. 37, 575. Ph. Anz. XIV 29. Selbst II 1, 67 (vgl.
über die Stelle aufser Leonhard noch Widder S. 7—9. Hiller Berl.
Phil. W. 1886 Sp. 391. Illmann S. 34) wird ipse quoque inter agros
die richtige La. des Archet. sein. R. Ehwald in der Rec. von Hillers
Ausgabe Ph. Anz. 1885 S. 585 vergleicht dazu Priap. 83, 16 iacebis
inter arva pallidus situ. Tac. ann. IV 2. Hand Turs. III S. 387. Pervig.
Ven. 77 (Bücheier z. St.). Aber wenn diese Verdächtigungen von A
sich als unbegründet herausgestellt haben, so ist damit natürlich noch
nicht erwiesen, dafs gegen die Treue von A überhaupt keine Bedenken
vorliegen. Ref. hat Berl. Ph. W. 1885 Sp. 586 — 588 auf verschiedene
Umstände aufmerksam gemacht, die entschiedeu gegen die Annahme
sprechen, A habe die Lesarten eines fehlerhaften Archetypus mit un-
bedingter Treue fortgepflanzt, und benutzt das dort Gesagte in den
folgenden Ausführungen. Ausdrücklich sei hervorgehoben, dafs auch
diejenigen interpolierten Lesarten, welche A mit seinem Trabanten V
teilt, als Änderungen des im Arch. Überlieferten gelten müssen. Denn
man mag sich das Verhältnis beider denken wie man will (vgl. Illmann
S. 31), man nehme an, V stamme nicht aus A, sondern aus einer gemein-
samen Vorlage, so erreicht man damit nur dies, dafs die beiden Brü-
dern gemeinsamen Interpolationen eben jener Vorlage zur Last fallen.
Es ist aber für uns gleichgiltig, ob der Librarius von A oder der seiner
unmittelbaren Vorlage die Lesarten des Arch. willkürlich änderte. Ein
merkwürdiges Gegenstück zu II 2, 19 vineula quae maneant (s. S. 323) ist
III 3, 17. Lygdamus schrieb hier legitur quae litore concha. Ebenso
sicher ist, dafs im Arch. stand legitur que litore, wie auch durch P be-
stätigt wird. In AV steht gegen alle andern codd. legitur q; in. Inter-
Tibull. Die Handschriften. Ambrosianus und Vaticanus. 325
polation und Ursache ihrer Entstehung sind handgreiflich. Der umge-
kehrte Fall, legitur q; in sei eine Interpolation des Archetypus, sei in
sämtlichen codd. aufser AV als Interpolation erkannt und überein-
stimmend richtig verbessert worden, ist geradezu undenkbar. (I 5, 28
liegt die Sache anders: hier ist pro segete et wahrscheinlich schon im
Arch. interpoliert). I 1, 43 das zweite satis est mufs in A durch Kon-
jektur ergänzt sein. I 9, 31 Im Arch. stand nullo (d. h. non ullo, cf.
Vahlen ed. V) divitis auri: nullius, nullu te, nullo tibi sind willkürliche
Ergänzungen (trotz Widder S. 17). Ob I 9, 19 das richtige Divitiis
von A zu verdächtigen ist, bleibt trotz Rothstein S. 59 zweifelhaft,
ebenso steht es II 1, 22 mit inyeret. Aber I 3, 4 mufs im Arch. das
Ende des Verses oder mindestens das zwischen mors und manus stehende
Wort (resp. die dazwischen stehenden Worte) lückenhaft oder verstüm-
melt gewesen sein. Die Lücke ward in den drei verschiedenen Ab-
schriften, von denen wir Kuude haben, verschieden ergänzt (vgl. übri-
gens Rothstein S. 62. Illmann S. 55). Stand im Arch. das mors
modo nigra manus, so durfte kein Librarius daran Anstofs nehmen.
Schwierigkeiten konnte die Ausfüllung der Lücke, da sowohl manus, wie
ein Epitheton zu Mors durch den Zusammenhang gefordert waren, nicht
machen. Die Frage, welche dieser Ergänzungen richtig ist, hat für
die Beurteilung der Handschriften natürlich keinen Belang. Doch ist
es charakteristisch, dafs A V mit seinem mors modo nigra sich am un-
geschicktesten zeigt. Welchen Sinn soll es haben, wenn nigra durch
atra abgelöst wird? Und das Eintreten von modo für das nötige precor
erklärt sich nur dadurch, dafs dieses nun nicht mehr in den Vers pafste.
Wahrscheinlich ist mit dem schönen mors precor atra die Hand des
Dichters getroffen (vgl. Broukhusius z. St.). II 3, 11 ist armenti in
A sehr verdächtig. Dafs nämlich das richtige Admeti in fast allen an-
dern codd. übereinstimmend durch Konj. eingesetzt sein sollte, wenn im
Arch. die plane und den Abschreibern neben tauros sicherlich sehr ein-
leuchtende La. armenti stand, ist höchst unwahrscheinlich an sich und
wird noch unwahrscheinlicher, wenn man V beachtet (armeti ex Admeti
corr.). Der Librarius von A kannte die Sage , auf welche Admeti sich
bezieht, nicht, er setzte dafür armenti und war jedenfalls sehr stolz auf
seine glänzende Emeudation. II 5, 95 ist Illmann S. 37 die Möglich-
keit zuzugeben, dafs operta deo infolge eines Schreibfehlers schon im
Archetypus stand und aus ihm in A überging, während in den meisten
andern das richtige operata durch Konjektur gefunden ward. Betrachtet
man aber den folgenden Vers arboris antiquae qua levis umbra cadä, so
wird man, statt in der offenbaren Beziehung von operta zu umbra das
wunderbare Walten des Zufalls zu erkennen, vielmehr operta für absicht-
liche Änderung des gewählten operata haiton. Dafs der Librarius von A
ein beschränkter Kopf war, der nicht viel Latein verstand, zeigt II 3, 33
sein is est statt des überlieferten u es. I ti, 18 scheint lauo Interpola-
32ß Tibull. Die Handschriften. Ambrosfanai und Vaticanus.
tion, voranlafst durch Stollen wie I 9, 55. Auch I 10, 39 ist quin in A
kaum ein Schreibfehler: der Interpokitor verstand quin potitu = immo.
II 5, 35 ülaque mufs absichtliche Änderung lein (et illa puella, cum qua).
II 4, 33 die La. incerta est ist, wie Baehrens richtig bemerkt, ans einen
mifsverstandenen uicta est = vincta est hervorgegangen. Stand die falsche
Auflösung incerta <-.v/ bereits im Arch. (oder stammten unsere Hand-
schriften sämtlich aus AV), so wäre es kaum glaublich, dafJa die Schreiber
dafür übereinstimmend victa est einsetzten: in manchen codd. würde
sich das zur Not verständliche incerta est behauptet haben, in anderen
würden sich verschiedene Besserungen finden, unter denen das näher
liegende, anschauliche caeca est jedenfalls beliebter sein müfste als victa
est. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dafs die La. des Arch. in A mifs-
verstanden und willkürlich geändert ward. (Das vereinzelte caeca est in
Lachmanns B ist aus incerta est konjiziert). II 4, 59 ist non kecke
Interpolation. Der Fälscher meinte: Wenn Nemesis mich nicht mehr
freundlich anschaut, will ich Gift nehmen. III 1, 26 ist tibi wohl durch
Mifsverständnis des folgenden coniunx entstanden.
Resümieren wir: A ist nicht interpolationsfrei (ebensowenigwie
irgend eine andere Tibullhandschrift). Dieses Resultat war bei der fehler-
haften Beschaffenheit des Arch. und den Gewohnheiten der Zeit, aus
welcher die Handschrift stammt, zu erwarten. Aber die Interpolation
tritt schüchtern auf: der Fälscher getraut sich noch nicht ganze Verse
einzuschwärzen, er läfst im Bewufstsein seiner Schwäche an erfolgreicher
Emendation verzweifelnd viele Stellen intakt, an denen in allen oder
fast allen andern codd. klaffende Wunden bepflastert sind. Er überliefert
daher die Lesarten des Arch. am treuesten und ist unzweifelhaft die
beste Tibullhandschrift. Ganz richtig urteilte Baehrens selbst früher
(Tib. Blätter S. 61, vgl. Rothstein S. 49) über A: 'Aber freilich darf
man nicht glauben, dafs er nun allein genügt, um uns den Archetypus
zu ersetzen. Von diesem sind offenbar mehrere Abschriften gemacht
worden , die dann wiederum vervielfältigt die verschiedenen Klassen
unserer jungen Handschriften erzeugten'.
Grofse Ähnlichkeit mit A zeigen zwei Handschriften, deren Ver-
wandtschaftsverhältnis zu jenem mehrfach erörtert worden ist. Die
erste ist der schon genannte Vaticanus (V), dessen vollständige
Kollation Baehrens in seinem Apparate mitgeteilt hat (vgl. dessen
praef. S. VII— VIII). Die Übereinstimmung von AV ist geradezu über-
raschend. (Vgl. die Verzeichnisse bei Rothstein S. 55 Leonhard
S. 26—28. Illmann S. 29). Wie ist sie zu erklären? Gegen die Mög-
lichkeit, V sei aus A abgeschrieben (der umgekehrte Fall ist überhaupt
nicht denkbar), erklären sich Rothstein S. 60. Leonhard S. 28— 29.
Illmann S. 30f. Und wohl mit Recht. Denn die immerhin erheblichen
Diskrepanzen zwischen A und V (ihr Verzeichnis bei Leonhard und
Illmann a. 0.) würden sich bei dieser Annahme nicht alle erklären
Tibull. Die Handschriften. Ambrosianns, Vaticanue, Parisinus (B). 327
lassen. Hill er praef. ed. S. 5 meint einfach: CV descriptus esse videtur
ex codice libro A simillimo, in quo nonnullis locis Italorum commenta
lectionibus archetypi sive apposita fuerunt sive substituta'. Baehrens
praef. S. XVIII und Leonhard S. 28 stellen sich AV als Söhne des-
selben Vaters , als Brüder vor. Rothstein dagegen nimmt für A noch
ein Zwischenglied an, so dafs der Vater von A der Bruder von V wäre.
Offenbar ist diese Vermutung sowohl mit Rücksicht auf die späte Ent-
stehungszeit von V wie auf das stärkere Eindringen von Interpolationen
nicht wahrscheinlich ( solche Interpolationen erkennen Leonhard und 111-
mann z. B. I 5, 27. I 10, 27. II 1, 25. III 5, 29. II 2, 19. II 4, 10.
II 5, 95. IV 1, 55). Umgekehrt hält Illmann S. 36 A für den Oheim
von V, polemisiert gegen Leonhards (S. 30) Behauptung 'libros A et V
auctoritate fere pares esse' und kommt zu dem Resultate codici A plus
auctoritatis adiungendum esse quam V (S. 41) durch Vergleichung von
Stellen wie III 6, 26. I 2, 97. I 3, 13. II 4, 43. I 7, 57. Und schon
vorher bemerkte Hill er Rh. Mus. 37, 568: 'Übrigens giebt es keine
Stelle, wo wir über die Lesart des Archetypus mit Sicherheit durch V
bessere Belehrung gewännen als durch A, abgesehen natürlich von offen-
baren Versehen von A, deren Verbesserung ohne Weiteres einleuchtet
(wie z. B. I 1, 19. I 1, 29. I 1, 73. I 2, 54. I 2, 81. I 4, 53. I 5, 2.
I 5, 16)'. Dies ist entschieden die Hauptsache. Und da hierüber kein
Zweifel möglich scheint, so ist die Frage nach der Verwandtschaft zwi-
schen A und V von untergeordneter Bedeutung. — Auch unter Lach-
manns Handschriften befindet sich eine, die mit A auffällig überein-
stimmt, der Pari sinus (B), geschrieben i. J. 1423. Verzeichnisse der
bezüglichen Stellen bei Leonhard S. 31—33. Illmann S. 41—42.
Diese Übereinstimmung erstreckt sich auch auf die Stellen, wo V sich
von A trennt. (Nur I 9, 19 hat B mit V den merkwürdigen Fehler 0
viciis gemeinsam; vgl. darüber Roth st ein S. 59, Illmann S. 32. Von
geringerem Belang sind I 6, 38. I 8, 2. I 8, 41. II 4, 10. IV 1, 18).
Rothstein S. 60 glaubt diese Übereinstimmung so erklären zu sollen,
dafs A und B nicht nur derselben Klasse angehören, sondern auch aus
derselben Vorlage abgeschrieben sind. Doch soll B von dieser Vorlage
durch ein oder mehrere Zwischenglieder weiter entfernt sein. Gegen
diese Annahme erklärt sich Illmann S. 44. Leonhard S. 33 leitet
B aus A her. Da aber B die meisten Lesarten von jüngerer Hand in
A (Aa) wiederholt (nicht alle, vgl. II 3, 2. IV 1, 110. 169), so meint
Leonhard, 'codicem B ex Ambrosiano descriptum esse eo tempore . quo
hie iam alterius manus emendationes expertus erat'. Aber dagegen be-
merkte schon Hiller Ph. Anz XIV 30, diese Vermutung stehe im
Widerspruche mit der Angabe von Baehrens praef S. VII, dafs die
zweite Hand von A etwa um fünf Dezennien jünger ist als die erste:
denn B sei im Jahre 1423 geschrieben. Und Illmann S. 43 betont,
dafs von allen Stellen, wo 13 = A3 (I 7, 6. I 8, Ol. II 2, 19. II 4, 10.
328 Tibull. Die Bandschriften. Verhältnis von B zu AV.
II 6, 95. III G, 50. IV 1, 70. IV 1, 110 IV 4, 8) eigentlich nur die erste
von Belang sei. Und selbst liier wäre die Möglichkeit nicht ausge-
schlossen, dafs der Librarius von 15 auf eigene Faust das thörichte "<-
vinctos schrieb, um den Vers zu fidlen. Illmanns eigene Ansicht ent-
hält folgender Satz: Videtur mihi codex B ex A fluxisse hac ratione,
ut apographa nonnulla inter hos librofi iotercedant, magis magiaqne inter-
polationibus depravata'. Er begründet dies mit dem Hinweis darauf,
dafs nicht füglich alle die schweren Interpolationen, von *\ci\en B wim-
mele, einem einzigen Librarius in die Schuhe geschoben werden könnten,
der überdies anscheinend unwissend wäre. Treffend wird S. 45 bemerkt :
' Imaginem interpolationis nascentis V per unum tantum apographum ut
videtur a codice X remotus nobis praebet : paucis tantummodo locis mu-
tationes consulto faetas deprehendimus; exemplum interpolationis latius
latiusque grassantis B edit, qui corruptelis scatet'. Illmann führt dann
S. 46 f. näher aus, wie die Schreiber der zwischen A und B liegenden
Handschriften bemüht waren ihre Vorlagen zu korrigieren. Sie ergänz-
ten die in A fehlenden Verse, sie füllten den Vers, wenn in A einzelne
Wörter ausgelassen waren (wie III 2, 7. IV 1, 56. IV 1, 200. IV 5, 16),
sie suchten durch willkürliche Änderungen die Rede zu verschönern (wie
I 3, 34. I 2, 18), dichteten was sie nicht verstanden förmlich um (z. B.
III 6, 41), sie benutzten hin und wieder auch die Exe. Parisina. Es
scheint nicht, als stünde diesen Anschauungen etwas Erhebliches im
Wege. Denn selbst das merkwürdige equitanae II 1, 33 (AV richtig
aquitanae) kann absichtlich aus einer andern Handschriftenklasse in B
eingeführt sein, weil man einen — wie oben gesagt, recht thörichten —
Sinn hinein legte. Die zahlreichen Interpolationen wie I 3, 37 conspexerat.
I 9, 67 corpus III 4, 16 magicos III 3, 47 euieunque III 6, 41 minor
ante u. a. sind handgreiflich. Von annehmbaren singulären Lesarten be-
gegnen nur drei: III 5, 23 ßrmaverat (Rothstein 8. 64), IV 1, 73 more.
IV 13, 3 mihi. Sie können sämtlich Konjekturen sein; von den beiden
ersten scheint dies nahezu gewifs. So ist man jetzt wohl einstimmig der
Ansicht, dafs B nach dem Bekanntwerden von AV völlig wert-
los und aus den uns interessierenden Tibullhandschriften
auszuscheiden ist. Selbst Rothstein (S. 54) räumt ein: 'Dubitari
non potest quin ea textus forma quae seeundae classis propria est in
codieibus Baehrensianis multo sincerius tradita sit quam in Lachmanni B'.
b) Lachmanns Handschriften (ABC. Doch wird im Folgenden
statt des Zeichens A, welches jetzt dem Ambrosianus gebührt, mit Hiller
das Zeichen Y gewählt werden).
Lachmnnn nahm an, dafs vom Archetypus drei direkte Abschriften
genommen wurden. Aus diesen drei sind alle unsere vollständigen Hand-
schriften geflossen. Dementsprechend zerfallen sie in drei Klassen. Zum
Repräsentanten der zweiten hatte Lachmann den Parisinus (B) gewählt,
Tibull. Die Yorker Handschrift (Y). 329
der nunmehr nach den obigen Bemerkungen durch AV zu ersetzen ist.
Vertreter der ersten Klasse war der cod. Eboracensis, die Yorker Hand-
schrift (A = Y), geschrieben im Jahre 1425. Die Handschrift selbst ist
verschollen (cf. Rothstein S. 40 not.). Auch Lachmann kannte sie nur
aus einer Kollation, die N. Heinsius in ein Exemplar von Murets Aus-
gabe eingetragen hatte. Dieser Umstand ist für die Beurteilung der
Handschrift sehr unbequem. Denn Heinsius hat vermutlich nach der
Sitte seiner Zeit nur die wichtigsten ihm besonders auffällig dünkenden
Abweichungen von Murets Texte notiert. Man darf daher aus seinem
Schweigen (vgl. Hiller Ph. Anz. XIV 31. II lmann S. 48) keine Schlüsse
ziehen: nur diejenigen Lesarten, welche in Lachmanns Appa-
rate (zwei Irrtümer in ihm bei I 6, 46 und I 9, 48 berichtigt Roth-
stein a. 0.), ausdrücklich aus Y angeführt werden, können
als sicher bezeugt gelten. Vgl. übrigens die unbeachtet gebliebene
Bemerkung von Lachmann Kl. Sehr. S. 190 zu II 3, 42: cDafs dies (tn-
numeram ovem) die Yorker Handschrift gebe, habe ich aus N. Heinsius
Stillschweigen mit Unrecht geschlossen'. Sehr wahrscheinlich geschieht
der Handschrift damit Unrecht, denn es ist anzunehmen, dai's Heinsius
mitunter richtige Lesarten aus Y nur darum nicht erwähnte, weil sie
mit seinem Texte übereinstimmten (so steht es z. B. wohl II 2, 19 vin-
cula quae maneant), aber trotzdem bleibt, wenn wir nicht den Boden unter
den Füfsen verlieren wollen, kein anderer Weg übrig. Unter C end-
lich verstand Lachmann den Consensus dreier sehr junger und stark
interpolierter Handschriften, des Wittianus (c), des Datanus (d), des
Askewianus (e). Vgl. Lachmann praef. ed. S. V: cTribus recentissimis
usus sum, quorum consensus magni faciendus est, quamquam in singulis
nihil ridei est aut ponderis'. Mit Recht bemerken aber Hill er Rh.
Mus. 37, 571 und 111 mann S. 48, dafs zu diesem 'consensus magui
faciendus' auch wirklich die Übereinstimmung aller drei Handschriften
gehöre, nicht blos die von zweien. Denn es gebe Stellen, an denen
eine jener drei Handschriften, gegenüber der Interpolation in den bei-
den andern das ursprünglichere bieten, wie 12,35 15,6 16, 11
I 6, 71 I 9, 31 (Illmann S. 33 not. 28 rechnet dahin auch I 4, 44). —
An dieser Lachmannscheu Theorie von den drei Klassen hält nur noch
Roth stein fest. Er meint also, dafs Y und C (C = gemeinsame Vor-
lage von c d e) auf andere Abschriften des Archetypus zurückgehen als
A V ß. Ja, auf S. 54 sagt er sogar: ' Vcrisimilc mihi videtur utrumque
codicem ex ipso archetypo descriptum esse' (womit freilich das Stemma
S. 60 nicht stimmt). Doch dies ist im Hinblicke auf die starke Inter-
polation in Y und C, die schwerlich von einem Librarios ausgegangen
sein kann, sowie auf die Unwahrscheinlichkcit, dafs im Jahre 1 125 der
Archetypus selbst dem Schreiber von V sollte vorgelegen haben, ent-
schieden abzuweisen. Aber Rothsteil] hat überhaupt einen strengen Be-
weis für seine Ansicht nicht gegeben (die Bemerkungen auf S. 51 und
330 Tilmll. Lachmann Bandschriften Y und C.
5:5 sind ganz allgemeiner Art). Sondern, indem er durch eine starke
petitio prineipii das zu Beweisende al bewiesen setzt d.h. die Existenz
von drei Abschriften des Archetypus, aus denen Lachmanne Klassen A B C
herzuleiten seien, stellt er den Satz auf (8. 42, cf. 8. 54): Iis locis
quibus duae lectiones in codieibus traditae Bunt, quarum utra \era Bit
per sc diiudicari üod potest, eam praeferendam esse quae duorum codi-
cum consensu nititur' , einen Satz, dci in iiic-cr Allgemeinheit doch nur
Geltung verdiente erstens, wenn vorher erwiesen wäre, dafs jeder der
drei Codices aus einer besonderen Abschrift vom Archetypus geflossen ist,
zweitens, wenn sie nur durch Schreibfehler, nicht auch durch Inter-
polationen entstellt wären. Wo also der nur wenig interpolierte A von
den stark gefälschten VC abweicht, würden nach Rothstein unter allen
Umständen letztere den Archetypus repräsentieren. Da müfste man
doch Fall für Fall genau prüfen. Wie bewährt sich also die Theorie
in der Praxis? Rothstein S. 42 f. zählt viele Lesarten auf, die ihre
Richtigkeit beweisen sollen. Aber einmal läfst sich über manche von
ihnen sehr verschieden urteilen, anderseits wird ihre Zuverlässigkeit
dadurch sehr problematisch, dafs Rothstein häufig aus Lachmanns Schwei-
gen über C, und besonders über Y, bestimmte Schlüsse zieht. Endlich
macht Hill er Rh. Mus 37, 571 darauf aufmerksam, dafs wir zur Aus-
füllung der Lücken nach II 3, 15. 77 III 4, 65 dieselben von den
Italienern herrührenden Verse sowohl in Y wie in C vorfinden. (Natür-
lich folgt aber daraus nicht die Provenienz von YC aus einer Vor-
lage, wogegen die verschiedene Ergänzung nach I, 2, 25 spricht). Aufser-
dem legt Hiller Wert darauf, dafs an mehreren Stellen A gegenüber
YC das Bessere biete (I 3, 29. I 8, 14. II 1, 82. II 6, 17. IV 11, 4.
IV 12, 1). Wie man über diese Stellen auch denke, darüber kann kein
Zweifel sein, dafs hier der wunde Punkt in Rothsteins sonst so vortreff-
lichen Ausführungen liegt. Leonhard dagegen S. 40-42 hält sowohl
Y wie C, als derselben Familie wie A V angehörig und arg interpoliert,
für ganz wertlos. Ihm stimmt Hiller a. 0., vgl. Ph. Anz. XIV 31.
praef. ed. S. V rückhaltslos bei. Ulm an n S. 52 hat das Verdienst die
Sache noch einmal gründlich untersucht zu haben. Er präzisiert zu-
nächst die Streitfrage: Stammen Y C wirklich von AV (resp. deren un-
mittelbarer gemeinsamer Vorlage = X) ab, so mufs sich erweisen lassen
'scripturas codd. Y et C adeo cum X consentire, ut nisi e X fluxisse
non potuerint, quaeque ab illo discrepent, sive erroribus sive coniecturis
librariorum ortas esse.' Das Resultat der angestellten Prüfung ist rein
negativ für C : Videntur mihi scripturae a X discrepantes omnes ita
comparatae esse, ut ab nomine paullo doctiore inveniri potuerint'. Be-
züglich Y dagegen kommt Illmann zu dem Ergebnisse, es lasse sich trotz
einer Menge grober Interpolationen (Aufzählung S. 49, vgl. Leonhard
S. 36. 40) kaum bezweifeln, dafs Y nicht aus X, sondern aus einer an-
deren Abschrift des Archetypus herzuleiten sei. Dieses Urteil gründet
Tibull. Lachmanns Handschriften Y und C. 331
sich auf folgende La. in Y: III 3, 17 in ericteo, I 4, 22 freta lonya, (vgl.
über d. St. Rothstein S. 73. Leonhard S. 36. Illraann S. 54. Ge-
gen des Ersteren Bemerkungen über den angeblich unpassenden Ge-
brauch von per vgl. Ov. ex P. III 2, 63 und des Ref. Studien zu Ovids
Metam. S. 24), I 3, 4 mors precor atra (die beiden ersten sind als nicht
beweiskräftig auszuscheiden, vgl. die Bemerkung des Ref. Berl. Phil.W.
1888 Sp. 330; entscheidend ist die dritte, s. den Ref. in Berl. Phil. W.
1885 Sp. 587). Daraus ergiebt sich die kritische Norm , dafs wir zwei
durch A Y repräsentierte Handschriftenklassen anzunehmen haben. Ihr
Consensus ist die La. des Archetypus, auch da wo diese fehlerhaft ist
(Verzeichnis solcher Irrtümer S. 60). Ihre erheblicheren Diskrepanzen
werden S. 62 zusammengestellt. 111 mann meint, an einigen Stellen
habe Y die La. des Archetypus treuer bewahrt als A (z. B. IV 7, 1
pudori). Bezüglich I 2, 7, wo A mit domini gegen Y mit dominae steht,
wird S. 63 unpassend vermutet, es sei domino zuschreiben ('i. e. poetae
ipsi, qui prius limina quasi dominus intrare potuit, nunc autem exclusus
in ianuam quae ei difficilis est, graviter invebitur"). Anderseits räumt Illmann
S. 57 ein, dafs A im Ganzen gröfsere Autorität beanspruche als Y, da
letzterer eben arg durch Interpolationen entstellt sei. — Die Sache ist
wohl noch nicht völlig spruchreif. Doch läfst sich schon jetzt sagen,
dafs die direkte und unabhängige Herleitung von Y aus dem Archetypus
wenn auch durch mehrere Zwischenglieder, viel Wahrscheinlichkeit für
sich hat. Dazu führt nicht nur die Betrachtung von I 3, 4 mors precor
atra manus, sondern auch Anderes. I 9, 31 scheint das singulare nullius
in Y Versfüllung für das unmetrische nullo divitis auri des Archetypus
(vgl. S. 325). Auch IV 112h spricht nach Roth st eins Notiz S. 57 für
alte gute Überlieferung in Y. I 1, 43 kann parva satis mensa est nur
aus einer unvollständigen Form des Verses, nicht aus dem richtigen satis
est, satis est in A hervorgegangen sein, obwohl hier die Möglichkeit nicht
ausgeschlossen ist, dafs die richtige La. durch Konjektur gefunden und
später zum zweiten Male per haplographiam korrumpiert wurde. Auch
dem Verdammungsurteile über C vermag sich Ref. noch nicht anzu-
schliefsen. Wenn z. B. I 3, 4 in rf r sich die Varianten mors precor
atra manus und mors viulenta manus (violanda in t ist wohl nur ein simpler
Schreibfehler) finden, so ist die einfachste Erklärung doch wohl die, dafs
in der gemeinsamen Vorlage der Vers ebenfalls lückenhaft war und von
dem einen Librarius durch eine selbstfabrizierte, von dem andern durch
eine aus A entlehnte (c d e bieten überhaupt mehrfach einen gemischten
Text, vgl. Leonhard S. 40f.) Ergänzung gefüllt wurde. I 1. 54 Btand
im Archetypus wahrscheinlich, wie ooeh jetzt Spuren in den Ilandschr.
zeigen ostiles, danach C richtig hostiles, A.\ exiles. Schwerlich wäre ein
Librarius darauf verfallen ein überliefertes etiles, «las dein flüchtigen
Leser einen ganz erträglichen Sinn giebt (vgl. 51 und \. 6 exiguo in P),
zu ändern. IV 6, 7 ist nevi id in c offenbar das Ursprünglichere (im
332 Tibnll Lachmanne Handschriften Y und C.
nos AV). Im Archetypus mag das durch F gesicherte gttü etwa dareb
die Schreibung fd vellat ausgefallen Bein. III 4, 63 i-,t die Äuderung
des echten Ulis (so 0), das anscheinend keine Beziehung hatte, in HU
mit Rücksicht auf das vorangehende pereai^ didicü foltert siqua trirum
viel wahrscheinlicher als der umgekehrte Fall. II 5, 98 ante 0, ipst A V.
Für ante entscheiden sich die neuesten Beransgeber Vahlen und Hiller-
Mit Recht. Denn einerseits vermifst man nichl gern die Angabe, dafs
der calix vor den Ruhenden = ante toros stand, noch konnte der Dichter
tüglich sertis vineta = coronata setzen und coronatus et ipse anschliefsen,
abgesehen davon, dafs calix durch ipse wohl zu schwer betont würde.
Ist aber ante richtig, dann stand es auch im Archetypus. Denn kein
Italus wäre darauf verfallen, das klare, scharf pointierte dem Sprach-
gebrauche anscheinend ausgezeichnet entsprechende et ipse (vgl. I 9, 39
I 10, 28 1 10, 55 II 4, 34 II 5, 18 III 6, 3) zu ändern. Wie die
Interpolation et ipse entstand, ergiebt sich aus dem eben Gesagten. —
Wer also künftig eine Ausgabe mit vollständigem kritischen Apparate
d. h. eine Ausgabe, die ein genaues und treues Bild der Geschichte des
Textes geben will, veranstaltet, wird die Thatsache, dafs von dem Arche-
typus drei Abschriften genommen wurden und demnach drei Klassen
von Handschriften zu erkennen und unterscheiden sind, zum Ausdrucke
bringen müssen*). Für die Feststellung des Textes liegt die Sache ja
anders. Bei der dreisten Interpolation, durch welche Y wie C durch-
setzt sind, wird es selten möglich sein fest zu stellen, ob alte echte
Überlieferung oder gelungene Konjektur vorliegt. Abgesehen also von
den Fällen, wo innere Gründe den Ausschlag geben (einige davon
sind im Vorangehenden aufgezählt), wird man schwerlich lediglich auf
die Autorität von Y C hin den Text ändern dürfen — bis dereinst zu-
verlässigere, von Interpolationen annähernd freie Repräsentanten der
betreffenden beiden Klassen gefunden sein werden.
c) Der cod. Guelferbytanus (G).
Nach Baehrens, der diese Handschrift zuerst hervorzog und kolla-
tionierte, geschrieben um 1425. Einige Jahrzehnte später hat eine zweite
Hand Varianten eingetragen, die nach Baehrens ausdrücklicher Angabe
sämtlich wertlos sind, weil sie entweder in Konjekturen oder Les-
*) Vgl. Rothstein S. 50 über Baehrens' Ausgabe: 'Cum beeret Lach-
manni apparaturo meliorem reddere , eo quod sine idoneis causis omnes Lach-
mauni Codices e suis derivatos esse posuit ob eamque sententiam etiam Y et
C Lachmanni Codices prorsus neglexit, apparatum coraposuit Lachmanuiano
non modo non meliorem sed multo etiam deteriorem.' Dies Urteil gilt nicht
von Hillers Handausgabe, die ihren Zweck über die beste von Interpolationen
am wenigsten verunstaltete Überlieferung zu orientieren durch genaue Wieder-
gabe der Lesarten von A entschieden erreicht hat.
Tibull. Codex Guelferbytanus (G). 333
arten anderer bekannter Handschriften bestehen. G selbst aber {g =
manus secunda) wird von Baehrens ungemein hoch geschätzt, höher sogar
als die Familie AV. Denn er stammt angeblich gar nicht aus dem
Archetypus der andern vollständigen Handschriften , sondern ist herzu-
leiten aus der Tibullhandscbrift des 9. Jahrhunderts, aus welcher auch
jener Archetypus geflossen ist; dieser und die Abschrift, durch
welche G mit jener uralten Handschrift des saec. IX zusammenhängt,
wären Brüder (vgl. das Sterama bei Baehrens prolegg. S. XVIII). Es
hätten sich also aus dem Mittelalter ins 14. Jahrhundert nicht, wie Lach-
mann (Kl. Sehr. S. 146) annahm, eine, sondern zwei Handschriften des
vollständigen corpus Tibullianum hinübergerettet. G ist dieselbe Hand-
schrift, welche (vgl. Lachmann praef. VII) seiner Zeit Puccius benutzte.
Aus der Vorlage von G sind auch die Excerpta Parisina geflossen —
so folgert Baehrens aus der Thatsache, dafs G oft dieselbe Lesart hat
wie P (Verzeichnis solcher Fälle bei Baehrens prolegg. S. XIV. Leon-
hard S. 45). Danach stellt Baehrens den Satz auf, in dem man, wenn
er sich bewährte, eine sehr bequeme Norm sehen könnte: Die mit G
übereinstimmenden Lesarten von Psind echt, die abweichen-
den (z. B. I 9, 28 celandi spes est, doch cf. Roth stein S. 34) sind
nichts als Interpolationen resp. Konjekturen. (Zusammen-
stellung der besseren von ihnen bei Hill er Rh. Mus. 37, 574). Man
sieht, es handelt sich um eine förmliche Revolution in der Handschriften-
frage. Wenn sich die Theorie bewährte, so durfte Baehrens wohl das
stolze Wort wagen (prolegg. S. XVI): 'Sine arrogantiae periculo hoc
possum contendere , inde a Scaligeri editione non maius emolumentum
reduudasse in crisin Tibull ianam quam reeiperato a nobis libro Guelferby-
tano'. Nur schüchtern regte sich anfänglich der Widerspruch. K. Rofs-
berg in der oben erwähnten Rezension von Baehrens Ausgabe (vgl.
oben S. 302) und Widder S. 18 sprachen zuerst die Ansicht aus, G
sei an verschiedenen Stellen interpoliert. Die Kardinalfrage (ob G Re-
präsentant einer besonderen wertvollen Handschriftenklasse sei oder
nicht) liefsen beide unberührt. Fast ganz auf Baehrens' Standpunkte
steht auch noch Leonhard. Vgl. S. 44: 'Tantam optimarum lectionum
multitudinem tradit, quae in familia codicum A et V nusquam inveni-
untur et quas omnes coniectura grammatici cuiusdam vel doctissimi et
artis criticac peritissimi ortas esse vix credibile est'. Das folgende Ver-
zeichnis von solchen ist indessen mehrfach unrichtig, weil zwischen G
und (j nicht gesondert ist. Wenn Leonhard fiör die Abstammung von G P aus
einer gemeinsamen Vorlage die Übereinstimmung IV 1, 39 47 in der
Reihenfolge der Verse und der La. nee quUquam v. 39 geltend macht,
so ist das von Hiller Rh. Mus. 37, 572 573 widerlegt worden (cf.
Illmann S. 26). Auch für die Benutzung von (\ durch Puccius sucht
er S. 43f. noch einige Momente beianbringen, doch vergl. dagegen
die Notiz von Rothstein S. 80. Das Vorhandensein von Interpolatio-
334 Til.ull. Der ood. (HiHf.-rhyUnus (Q).
neu in Q leugnet Lconhard nicht; doch sollen diese (vgl. S. 51) nicht
dem Schreiber von G, sondern der gerneinsamen Vorlage von G P zur
Last fallen. Den kritischen Grundsatz von Bachrens, bei Diskrepanzen
zwischen A V und G müsse man im Allgemeinen die La. von G für die
echte, alt überlieferte halten, aeeeptiert Leonhard (S. 52), wenn auch
mit gewissen Einschränkungen. — Den entscheidenden Schlag gegen G
haben Roth st ein und Goetz geführt. Der G behandelnde Abschnitt
(S. 67f.) ist wohl der gelungenste in Rotbsteins ausgezeichneter Ar-
beit und verdient fast durchweg unbedingte Zustimmung. Baehrens
hatte betont, dafs an den vier Stellen, wo im Archetypus Verse fehlten
(I 2, 25; II 3, 15; II 3, 77; III 4,64), sich in G die von den Italienern
interpolierten Verse nicht rinden. Dagegen macht Rothstein S. G8
geltend, dafs G sicher nicht vor Lachmanns Y und und B, in welche
jene Interpolationen bereits eingedrungen waren, geschrieben ist. Das
Fehlen dieser Fälschungen in G sei also keineswegs von derselben Trag-
weite wie etwa in A. Der Librarius von G wufste sehr wohl, dafs an
den bezeichneten Stellen der Text lückenhaft war (wie sich schon daraus
ergiebt, dafs er Interstitia liefs), er kannte wahrscheinlich auch die
interpolierten Verse, war aber zu klug um sie aufzunehmen. Treffend
bemerkt Rothstein a. 0.: ' Suspicari fortasse licet librarium iu bis supple-
mentis omittendis idem consilium secutum fuisse atque iu imitanda scrip-
tura longobardica, ut codici suo vetustatis speciem arrogaret'. — Wie
ist die oben berührte Übereinstimmung zwischen G und P zu erklären?
Der Erklärung von Baehrens stellt Rothstein eine andere gegenüber.
Der Librarius von G hat die Exe Parisina (die ja im Mittelalter sehr
verbreitet und bekannt waren, vgl. Rotbstein S. 72—74) benutzt und
eine Reihe von Lesarten aus ihnen entnommen ; und zwar entweder aus
einem Exemplare der Exzerpte selbst oder, was R. für wahrscheinlicher
hält, aus einer Handschrift, in welcher sie zwischen den Zeilen und am
Rande beigeschrieben waren. Von den Beweisen bierfür sei nur einer
erwähnt. Wenn wirklich G und P aus einer und derselben Handschrift
geflossen waren, so könnten sich offenbar an den Stellen, wo der Ex-
zerptor, dem besonderen Zwecke seiner Anthologie zu Liebe, sich will-
kürliche Änderungen am Texte der ihm vorliegenden vollständigen Hand-
schrift erlaubte, keine Übereinstimmungen zwischen G und P rinden —
es sei denn durch einen vereinzelten Zufall. Nun giebt es aber doch
drei solcher Fälle. In I 8 machte der Exzerptor aus v. 9—14 und 43
bis 46 ein Epigramm mit der Überschrift cAd anum luxuriosam et quae-
rentem placere' und änderte das nun ohne Beziehung dastehende tum
(v. 43) zweimal in nunc. Dieses nunc aber steht auch in G. Aus dem
Distichon II 1, 29—30 machte der moralische Exzerptor eine Strafpre-
digt1 in nefarios illos homines, qui, ut ait ipse titulo supra scripto »in
festis (i. e. sacris diebus) operam dant luxuriae«' und mufste darum
celebrent in celebrant ändern. Auch diesen Indikativ hat G. Die Verse
Tibull. Der codex Guelferbytanus (G) 335
III 6, 13 und 16 schwerste der Exzerptor zu einem Distichon zusammen
und schrieb statt des ihm nunmehr zwischen dües und indomitis an-
stöfsigen Sing, ferocem den Plural — ebenso G! Dafs es nicht noch
mehr ähnliche Beispiele giebt, ist ganz in der Ordnung, denn in den
meisten Fällen erkannte natürlich der gelehrte Librarius von G die
Änderungen des Excerptors als sinnwidrig und den Zusammenhang stö-
rend nnd vermied sie. An der Benutzung von P durch G zweifelt heut-
zutage wohl Niemand. Die an sich belanglosen Gründe, welche Leon-
hard S. 49 dagegen vorbringt, erledigen sich durch die Bemerkungen
Hillers Rh. Mus. 37, 573. Erwähnt sei noch, dafs Rothstein sich
gegen die Ansicht Lachmanns erklärt, nach der Puccius eine wertvolle alte
Handschrift besessen habe: 'Nihil enim a Puccio affertur quod non a
quinti decimi saeculi viro docto coniectura inveniri potuerit.' Das S. 81
stehende Verzeichnis scheint diesen Satz zu bestätigen. — Ferner weist
Rothstein S. 83 darauf hin, dafs es keine Stelle gebe (aufser
etwa IV 1, 40, wo aber der Fehler in G durch Konj. oder — fügt Ref.
hinzu — durch Kenntnisnahme der La. von F verbessert werden konnte),
an der G zusammen mitF das Richtige bietet gegen dieübri-
gen Handschriften. Und doch sollte man dies erwarten, da sehr
viele Fehler der übrigen codd. offenbar aus ihrem unmittelbaren Arch.,
mit dem G angeblich nichts zu thun hat, stammen. Da vielmehr G sehr
oft (cf. S. 84) in schlechten La. mit den andern codd. gegen F zusam-
mengeht, mufs er aus demselben Arch. stammen. Und zwar ist sein
Text ein besonders aus der ersten (Y) und der zweiten (A V) gemischter:
es ist nicht einmal anzunehmen, dafs er aus einer vierten direkten Ab-
schrift des Arch. geflossen sei. Daraus würde der Satz folgen: Abge-
sehen von Schreibfehlern sind alle vom Arch. abweichenden
Lesarten in G, sie seieu richtig oder falsch, nichts alsKon-
jekturen resp. Interpolationen. Ist das wahr, so mufs sich die
Probe an allen bezüglichen Stellen machen lassen. Denn mag immer-
hin G von Interpolationen wimmeln, die Möglichkeit, dafs er daneben
echte, alt überlieferte Lesarten aufweise, wird dadurch nicht ausge-
schlossen. Dieser Probe hat sich denn auch Rothsteiu S. 86 mit voll-
ständigem Erfolge unterzogen. Er verzeichnet zuerst die Stellen , an
denen G nach seiner Ansicht das — übrigens durchweg sonsther be-
kannte — Richtige bietet. (Dahin hätte R. aber nicht II 1, 67 ip*e
interque grcges, wohl auch nicht II 6, 45 lena necat miserum Phryne rech-
nen dürfen; an anderen Stellen wie I 5, 7 I 8, 1 u. a. hat nicht G,
sondern <j das Richtige; vgl. weiter unten). Das Resultat ist: 'Omnibus
bis locis verum hominis docti coniectura inveniri potuisse apparet. '
Ebenso Hiller Rh. Mus. 37, 574: 'Die meisten dieser Lesarten sind,
wie man sieht, Berichtigungen von Schreibfehlern; zur Annahme einer
vom Arch. von AV unabhängigen Überlieferung nötigt ans keine ein-
zige. 3 Von den nun folgenden Stellen, an denen Dach Kothsteins (S. 87f.)
336 Tibull. Der cod. Guclferbytanus (G)
Ansicht G trotz des Beifalles von Baehrens Unrichtiges bietet, sollen
hier nur die wichtigsten mit Angabe ihrer Littcratur aufgezählt werden.
I l , 78 G deapiciam dites. It. enthält sich eines bestimmten Urteiles.
Doch hat G wohl Recht, vgl. Leonhard S. 44. Widder S. 10. Der
anonyme Rezensent v. Baehrens' Tibull Ph. Anz. X 181. I '2, 6 ianua
j'ulia scra in G als interpoliert naebgewiesen. (Schwankend Widder
S. 29—30). Vgl. auch des Ref. Studien zu Ov. Metam. S. 9 not.
I 2, 21 vultua als interpoliert aus Ovid erwiesen. Mifslungen Widder*
Verteidigung S. 15. Vgl. noch Heroid. XVII 84 signa supercilio paene
loquente dari. I 2, 50 G uesiivas convocat ore nives, von R. nicht un-
bedingt abgelehnt, ist freche Interpolation, vgl. Widder S. 22-23.
Der Anonymus im Ph. Anz. X 179 vergleicht für A V Ov. am. I 8, 9 - 10.
Pan. Mess. 158 — 160. I 5, 27 pro fructibus uvam von R. überzeugend
als unrichtig nachgewiesen. I G, 42 atque in G und Baehrens daran an-
knüpfende Konj. se aufemt sind unrichtig. I 6, 72 properans m G un-
richtig. Vielleicht ist mit R. z. T. nach Änderungen der Itali so zu
schreiben: Et siquid peccasse putet, ducarque eapillis Immerito in me-
dian proripiarque vias (so jetzt Hill er). Widder S. 27- 28 hält sehr
unwahrscheinlich das ganze Distichon für interpoliert, vgl. Hill er Berl.
Ph.W. 1886, Sp. 393. Ehvvald Phil. Anz. XV 591 tritt für das mehr-
fach vorgeschlagene pronus (A proprias\ pronos vulg.) ein. I 7,47 gegen
dulei in G spricht richtig Widder S. 24. I 7, 54 libtm et Mopsopio
dulcia mella favo von R. als thörichte Interpolation erwiesen. Vgl.
WidderS. 23. Über die Lesart vgl. G. G oetz Rh. Mus. 37, 143. I 9, 33
Campania tota iu G ist neben Falernus ager geradezu Unsinn; vgl. auch
Widder S. 28. I 9, 53 donis puerum in G als unrichtig erwiesen vom
Anonymus im Phil. Anz. X 180. I 10, 46 G: sub iuga yanda boves.
Das curva von AV verdient den Vorzug, vgl. auch Leonhard S. 34.
Widder S. 29. R. Ehvvald in dieser Zeitschr. Bd. XLIII S. 203.
Pandus kommt sonst nirgends bei Tibull vor und scheint Interpolation
aus Ov. am. I 13, 16. Ref. vermutete Berl. Ph. W. 1885 Sp. 588, so-
wohl curva wie panda seien Konjekturen, die ein fehlendes Wort ergänzen
sollen. Eingehend handelt Rothstein S. 96 über H 2,21—22. G hat
irrig haec veniat. Baehrens darauf fufsende Konj. haec veniat genialis avis
ist mifslungen. Anstöfsig sei aber die handschr. Lesart Hie veniat na-
talis avis wirklich: cSi enim a deo natali petitur ut veniat et prolem
ministret, hoc mihi aliter non posse aeeipi videtur nisi ita ut primum
veniat et deinde prolem ministret, quod sane de avis ineptum est'. R.
vermutet daher:
Hie veniat natalis avis, prolesque ministret,
Ludat et ante tuos turba novella pedes.
cSic ministrandi verbum intellegendum est de rebus sacris quae fieri
solent hoc die quaeque initio huius ipsius carminis a poeta commemo-
Tibull. Der codex Guelferbytanus (G). 337
rantur'. Doch scheint die getadelte Ausdrucksweise sich verteidigen zu
lassen. Durch prolemque- pedes wird das prägnante natalis veniat avü
(der Geburtstag soll noch zu ihnen kommen, wenn sie schon Grofseltern
sind) nur näher erläutert. Natürlich ist proles ebenfalls von den Enkeln
zu verstehen. Hill er schreibt jetzt mit Benutzung einer Konj. von
Heinsius hac veniat natalis avi. — II 3, 3 wird laetos in G als unrichtig
nachgewiesen ('Cum dives amator Nemesim rus abduxerit, Tibullus non
solum in illum amatorem sed in ipsam vitam rusticam invehitur'). —
II 3, 8 colenda in G ist unpassend. Hoc enim ita dictum est quasi
arva prius bubus subigantur et deiude colantur, cum tarnen illud subi-
gere re vera partem culturae efficiat'. — II 6, 8 das Epitheton levi zu
yaka in G ist nicht angemessen. Die Vulg. levem aquam erklärt R. so:
Videtur 'levis' perpetuum aquae epitheton esse, quo id significatur quod
non consistit sed facile movetur, quo sensu II 5, 96 levis umbra dici-
tur'. — III 2, 27 casum in G ist nach R. geradezu Unsinn. ' Lygdamum
adeo ineptum fuisse ut optare se ut in sepulcro suo raortuum se esse
inscriberetur expressis verbis diceret credi non potest'. — III 4, 64 und
III 6, 46 ist prece in G Interpolation, das sonst überlieferte fide richtig,
denn es sei nicht wahrscheinlich 'bis in eodem scriptore verbum prorsus
perspicuum gravissimo errore ita depravatum esse ut difficultas aliqua
ultro inferretur'. Ähnlich urteilt jetzt Vahlen ind. lect. hib. Berol.
1886 S. 11, weicht aber in der Interpretation ab. Vgl. oben S. 172. —
III 4, 82 ist das von Baehrens aus G aufgenommene non possum geradezu
Unsiuu, denn nun mufs man unbedingt tanta mala auf die Erscheinung
des Apollo beziehen, nicht, was doch der Sinn erfordert, auf das pro-
phezeite Unglück. — III 5, 11 G sacrikyos. Rothstein entscheidet sich
für die auf dem sonst überlieferten sacnlegis fufsende Konj. der Itali
sacrilegi. Dafs sich auch für sacrilegos Manches sagen läfst, zeigt Widder
S. 17 — 18. Offenbar steht Konjektur gegen Konjektur. IV 1, 33 ac
in G ist interpoliert von einem , der den Tibullischen Gebrauch von at
nicht kannte. — IV 8, 8 wird quamvu gegen das quoniam in G richtig
verteidigt. Vgl. die davon unabhängigen Bemerkungen des Ref. Jahresb.
d. Phil. Ver. 1X272. Rothsteius treffende Schlufsworte lauten so: 'Satis
perspicue iam ex omnium horum locorum contemplationc apparere mihi
videtur codicem G a librario aliquo non iiulucto ita scriptum esse ut
obiter iuspicienti plerumque offensionom non praebeat; non nulla in eo
esse recte emendata, quae tarnen aut oinnia aut maximam partem ex
aliis codieibus videntur sumpta esse; ea deuique quae huius codicis pro-
pria sunt plerumque apertissima interpolatiouis signa prae se ferre. Est
igitur hie über unus e deterrimis, ea sola re a ceteris libria interpolatis
discrepans quod in eo maiore etiam libidine, fortasse etiam feliciore suc-
cessu poetae verba immutata sunt. Quae autem de seeunda codicum
familia hoc solo libro repraesentata investigasse sibi visttS est Uaehren-
sius ea prorsus nihil! facienda sunt'. Ähnlich lllmann S. 61.
fahresbericht für Alterthumbwi.s.scuschufc LI. (1887. II.) k22
338 'Jüuill. Det eodei Guelferbytanus (G).
Der letzte Zweifel wird durch die Ausführungen von Goetz ge-
hohen, dem eine durch G. Loewe besorgte Kollation von G zu I
böte stand. Danach verringert sich die Zahl der Fälle, wo nach Ba-h-
rena G mit P übereinstimmt, um zwei wichtige Beispiele: I l , 48 ist
nur i von G, rubre von g und stebl auf Ka-.ur. III 8, 20 stammt m-
vidia est von g, Auch BOiist wird das Verzeichnis der Stellen wo G die
falsche La. mit AV gemein hat (vgl. Roths tein 8. 84) erheblich ver-
mehrt. Unter den besseren selbständigen Lesarten in G sind viel mehr
als sich aus Baehrens Kollation ergiebt von g geschrieben, haben also
selbst nach Baehrens Ansicht nur Wert als Konjekturen. So Btammen
von g: I 8, 1 edari II 6, 45 necat III 1, 10 pumex et I 2, 52 ore I 2, 7G
in I 7, 54 libem . . .furo. Umgekehrt giebt es verschiedene falsche Les-
arten in G, die Baehrens nicht notiert: I 1, 57 cupio IV 1 , 46 jdacare.
I 6, 16 stammt nihil von g und steht auf Rasur. Steckt darunter nicht
vielleicht gar das aus Ovid interpolierte minus? Vgl dazu I 2, 21 die
vultus loquaces] Zu I 6, 25 f. ist am Rande von g notiert 'Ovidius allu-
dit ad hos versus'! Anderseits stehen manche der guteu Lesarten von
G auch in den Lachmannschen Handschriften. Rothstein hatte, wie
erwähnt, Beispiele von solchen Übereinstimmungen zwischen G und P
verzeichnet, wo die gemeinsame La. der ändernden, zurecht stutzenden
Thätigkeit des Exzerptors ihre Entstehung verdankt. Goetz findet die-
selbe Erscheinung noch iu einigen Fällen: IV l, 39 nee quisquam I 1, 6
exiguo. Bei der weiten Verbreitung von Tibullexzerpten , wofür weitere
Belege beigebracht werden, ist daher die Benutzung eiuer Exzerpthand-
schrift nicht zu bezweifeln. Was G sonst noch Singuläres bietet, ist
durch Konj. gefunden. 'Für die Kritik ist diese Handschrift
mithin die denkbar unsicherste Grundlage'.
Bemerkt sei noch, dafs die zuverlässigste Gesamtkollation von G
iu der Adn. crit. von Hillers Tauchnitzausgabe zu finden ist. Mittei-
lungen aus dem jungen und interpolierten cod. Magliabecchianus VII,
1053 in Florenz giebt nach einer Kollation Studemunds der Anonymus
im Ph. Anz. X 182—183. Die Handschrift ist wertlos.
D. Beiträge zur Literaturgeschichte, Kritik und
Erklärung.
193. E. Hiller, Die Tibullische Elegiensammlung. Hermes
XVHI S. 343—361.
E. Hiller behandelt in diesem Aufsatze mit gewohnter Besonnen-
heit die Frage, welche Bestandteile der unter dem Namen des Tibullus
uns erhaltenen Sammlung bereits im Archetypus standen und wie die
einzelnen Stücke in unsere Sammlung gerieten. Zunächst ist die Rede
von den beiden Tibull zugeschriebenen Priapea (bei Baehrens S. 85,
jetzt bei Hiller S. 58), den Distichen (Vüicus aerari quondam, nunc eultor
Die Tibullische Elegiensammlung und die beiden Priapea. 339
agelli) und den Jamben {quid hoc novi est? quid ira nuntiat deumt). Das
erstere ist eine zu einem kleinen Heiligtum des Priapus gehörige In-
schrift, aufgefunden in der Nähe von Padua; als solche nicht mehr vor-
handen. Das zweite steht in mehreren mittelalterlichen Handschriften der
pseudo-vergilischen Gedichte. Während des 15. Jahrhunderts wurden beide in
Handschriften und in Drucken der Sammlung der Priapea einverleibt.
Über die Jamben schreibt dann im Jahre 1558 Muret an Paul Ma-
nutius: !In carminibus, quibus celebratur hortorum deus, iambica quae-
dam sunt, quae ab omnibus tribuuntur Tibullo'. Da Scaliger
(in der Appendix Virgilii 1572) von eben den Jamben ausdrücklich sagt,
sie fänden sich in dem alten Fragmentum Cuiacianum (das den Schlufs-
teil der Tibullischen Sammlung etwa von III 4, 65 an enthielt), da er
aus demselben auch einige vortreffliche Lesarten [vgl. 28, 29, 42] mit-
teilt, so kann kein Zweifel darüber sein, dafs dem sich so verhält. Mu-
rets Worte quae ab omnibus tribuuntur Tibullo sind einerseits
offenbar stark übertrieben, anderseits mochte ja auch schon vor dem
Erscheinen von Scaligers Appendix Virgilii auf dem Wege privater Mit-
teilung bekannt geworden sein, dafs dies Gedicht in einer alten Tibull-
handschrift stehe. Daraus folgt aber nicht, dafs die Jamben wirklich
von Tibull verfafst sind, selbst wenn es. sich erweisen liefse, dafs sie
schon im Altertume den Schlufs der Sammlung bildeten (vgl. die ebenda
stehenden Gedichte von Lygdamus und Sulpicia). Es folgt auch noch nicht,
dafs sie im Archetypus standen : ein mittelalterlicher Abschreiber des Tibull
kann sehr wohl ein leeres Blatt mit einem ihm vorliegenden Gedichte ausge-
füllt haben. Anders steht die Sache beim Epigramme. Zwar erklärt Scali-
ger ebenda: ' Quod nomine Tibulli in antiquis Tibulli codicibus iuveniri,
et alii in editionibus suis admonuerunt , et nos inter opera Tibnlliana in
optima scheda reperimus' und bemerkt zu v. 6 die optima scheda habe
nicht hunc tu sed tetito, sondern taceo. Mit der optima scheda kann
wieder nur das fragm. Cuiacianum gemeint sein. [Vgl. Ellis, Hermath.
III 1875. S. 157J. Aber, wie schon Mommseu (Corpus inscr. lat. VI l
S. 274) betonte, Scaligers Angabe mul's unrichtig sein: 1) Scaliger no-
tiert aus der scheda keine einzige eigentümliche La. 2) in v. 6 hat die
scheda nach seinem ausdrücklichen Zeugnisse die zweifellos interpolierte
La- taceo für tento. Diesen Widerspruch [Einen ähnlichen Fall bespricht
Buecheler Rh. Mus. 1881 S. 329] sucht Hiller durch Annahme eines
Gedächtnisfchlers von Scaliger zu erklären. In einer Tibullhandschrift
des 15. Jahrhunderts war ein leerer Kaum am Schlüsse benutzt worden,
um das kleine Gedicht einzutragen; aus der einen Tibullhandschrift
mochte es vielleicht noch in einige andere abergegangen sein. So geriet
es in die ed. Plantina von 1669. In ein Exemplar notierte Bicfa Sealiger
die Lesarten des fragm. Cuiacianum. spater nun. als er die Bemerkun-
gen zur appendix Virgilii niederschrieb, bildete er Bich ein, nicht nur
das eine der in die cd. Plant, aufgenommenen Priapea (das Epigramm
22*
340 Tibull. Priapea. Epigramm de Domilios Marsus. Vita Tibulli.
stand unmittelbar vor den Jamben) habe er aucb im fragm. Cuiacianam
vorgefunden, Bondern beide. In \. <; hatte die ed Plant taeeo. Da
sieli nun 8caliger zu diesem Gedichte aue dem fragm. Cuiacianam nichts
aotierl hatte (natürlich, denn dae Epigramm stand ja gar nicht darin),
so folgerte er ans seinem eigenen Schweigen später, die La. des fragm.
stimme mit dem Texte der Plantina Uberein. Die Bypotbese ist <<tti-nbar
ganz hübsch. Doch möchte Ref. darauf hinweisen, dafs Bich aus E
ligers Schweigen über Varianten im fragm. wohl keine Schlüsse ziehen
lassen. Die Worte sind klar und einfach, das Gedicht ist sehr kurz
und zirkulierte nicht lange in den Handschriften. Wo sollen da viel Varian-
ten her kommen? Um Scaligers Annahme über laceo zu erklären könnte
man ebenso leicht vermuten, Scaliger habe die Variante tento des fragm.
in der Eile übersehen und sei einfach dadurch in den von Hiller ver-
muteten Irrtum geraten. Vgl. übrigens Baehrens N. Jabrbb. 1883, 860
und oben S. 287. Adhuc sub iudice lis est. Das Epigramm auf
den Tod Tibulls stand bereits im Archetypus. Da Scaliger
Castigg. in Tibullum S. 158) dazu bemerkt: In pervetusto illo schedio
(d. h. im fragm. Cuiacianum) titulus huic epigrammatio erat DO-
MITII MARSI ' und da in Scaligers Handexemplare der ed. Plant,
links neben der Überschrift EPITAPHION TIBVLLI von seiner Hand
die Worte stehen DOMITII MARSI V. D. oder V. 0., so vermutet Hiller,
die letzten Buchstaben seien richtig und bedeuteten vetus optimus.
Eine andere Deutung vir doctus oder viri docti stöfst angeblich auf
Schwierigkeiten. [Würde eine Untersuchung von Scaligers Manier in
dieser Hinsiebt nicht Klarheit schaffen?] — Die Vita Tibulls in den
ältesten unserer Handschriften ist zwar nicht aus Sueton entnommen (wie
Baehrens wollte), stammt aber doch nicht aus der Humauistenzeit; da-
gegen sprechen die ebenso schweren wie seltsamen Korruptelen eques
regalis und Corvinum Messalam originem. Sie ist vielmehr dem späteren
Altertume zuzuweisen und stand im Archetypus. Die beiden sonsther
nicht bekannten Angaben, dafs Tibull eques gewesen und dona mili-
taria erhalten habe, gehen vielleicht auf gute Überlieferung zurück.
[? Beide sind wohl aus Stellen wie I 7, 9. I 1, 19. 41—42 fabriziert].
— Im Archetypus unserer vollständigen Handschriften war die Samm-
lung in drei Bücher geteilt, d. h. Alles auf das zweite Buch folgende
bildete in unserer Überlieferung ein drittes Buch. Schon das zweite
ist nach dem Tode des Dichters herausgegeben. In einer späteren Zeit
wurden alle folgenden Stücke, die sich noch im Besitze des Messalli-
schen Hauses befanden, als ein drittes Buch hinzugefügt (so nach
Baehrens Tib. Blätter S. 36 f.) Dadurch erklärt es sich, dafs auf die
Lygdamuselegieeu Gedichte von drei verschiedenen Verfassern folgen,
die sämtlich zu Messalla in Beziehung stehen. Ja selbst die alte Ver-
mutung, dafs sich in dem Namen Lygdamus der Name Albius ver-
stecke, ist keineswegs zu verwerfen. Warum sollte dieser Dichterling
Tibull. Lygdaraus' Verhältnis zu Ovid. 341
nicht ein jüngerer Verwandter Tibulls gewesen sein? IV 7 weist Hiller
jetzt der Sulpicia zu [ docli vgl. oben S. 262). -- Die durch ihr eigen-
tümliches Verhältnis zu Ovid (Ars. am. II 669. Trist. IV 10, 5. Am.
II 14, 23) merkwürdige Stelle III 5, 15 — 20 wird eingehend besprochen.
Ovid hat natürlich den Lygdamus nicht nachgeahmt. Aber auch der
umgekehrte Fall ist nicht denkbar: Lygdamus wäre geradezu verrückt
gewesen, wenn er nach Veröffentlichung von Ov. Trist. IV, also min-
destens 56 Jahre alt, sich als iuvenis bezeichnet und mit crescentea uvae
und modo natu mala verglichen hätte. Hiller hält v. 15—20 für einen
nachträglichen Zusatz des Dichters selbst. Lygdamus hatte das Gedicht
ohne diese Verse, ebenso wie die Neäraelegien, in seinen jungen Jah-
ren verfafst. In späterer Zeit (nach dem Bekanntwerden von Trist. IV)
liefs er von diesen sechs Jugendgedichten für einen Freund oder Gönner
eine neue Abschrift anfertigen. Nun war Lygdamus wirklich in dem-
selben Jahre geboren wie Ovid; dies in seinem Büchlein anzubringen
erschien ihm nicht unpassend; die Art, wie das Geburtsjahr in den Tristien
bezeichnet war, hatte ihm gefallen und veranlafste ihn zur Entlohnung.
[Aber diese Vermutung ist doch eben nur eine Möglichkeit neben vielen
andern. Ref. möchte jetzt eher der Annahme des anonymen Kritikers
im Ph. Anz. X 183 (vgl. S. Kleemann, De libri tertii carminibus quae
Tibulli nomini circumferuntur. 1876) beitreten , dafs III 5 auch in Be-
zug auf den Verfasser von den Neaeraelegieen zu trennen ist].
194. L. Grasberger, Zur Würdigung dos Dichters Ti-
bull us. N. Jahrbb. 1882, 838-848.
In seinen Tibullischen Blättern (S. 7—11) war E. Baehrens zu
dem Resultate gekommen: Der Horazische Albius [in carm. I 33.
Epist. I 4] ist nicht der Dichter Albius Tibull us'. R. Richter in
dieser Zeitschr. 1877 II S. 286 äufsert darüber u. a. : 'Einige der Be-
denken gegen die Identität teilen wir; die Überzeugung, dafs die Nicht-
Identität nunmehr erwiesen sei, teilen wir nicht'. Vgl. über die Sache
schon vor Baehrens Lierse im Bromberger Progr. 1875 S. 5. Gegen
Baehrens II Härtung S. 13t'., K. P. Schulze Z. f.d. G.W. 32, 659 bis
661. Grasbergers Aufsatz ist nun eine förmliche Widerlegung der Baeh-
rensschen Ausführungen, die dem Ref. in allen wesentlichen Punkten
gelungen scheint. Baehrens hatte argumentiert: In Hör. c. I 38 werde
eine Glycera als Geliebte des angeredeten Albius genannt Allein aus
dem Dichter selbst, dann ans dem Nachruf des Ovidius (am. III 9) kenne
man nur zwei anders benannte, Delia und Nemesis. Dies spreche gegen
die Identität. Dagegen Grasberger: Muts denn durchaus ein näheres
Verhältnis dos Dichters zur Glycera bestanden haben? Sagt denn nicht
Tibull von sich selber I 5, 39 saepe aliam tenui vgl, das -eher/halte 11, >-
ratianum müh pueüarum^ puerorum mxlh furore»f Soll denn das liora/i-
schc Gedicht auf einen anderen verliebten Elegiker Albius gehen (n«u
342 Albius boi Horaz identisch mit dorn Dichter Tibullus
miserabiles decantea elegos), den wir sonst absolut nicht kennen? Eine so
flüchtige Beziehung Tibulla brauchte Ovid nicht zu erwähnen, wie ja
auch der Marathuslieder bei ihm nicht gedacht wird. Es a\ daher
gar nicht nötig aus Tiball IV 18 und 11 ein Buch Glycera zu Kon-
struieren, wie Gruppe gethau hat Mau halte also fest: Nach einer An-
zahl guter horazischer Handschriften, dann nach der vita Tibulli, die
wohl auf das Suetonische Werk depoetis zurückgeht [?], endlich nach
Porphyrio ist die betreffende Ode des Iloraz adressiert an Albius Ti-
bullus. In der Zusammenstellung inmitis Glycerae ist ein Wortspiel
(Oxymoron) zu sehen. Ob übrigens Iloraz auf die jener habsüchtigen Ne-
mesis gewidmeten Lieder des Tibull anspielt, oder ob ein Verhältnis
mit einer nicht blos fingierten Glycera gemeint ist, läfst sich nicht mehr
entscheiden. Auch der Albius in Epist. I 4 kann sehr wohl der
Dichter Tibullus sein. Baehrens charakterisiert ihn falsch. Einen sol-
chen öden pessimistischen Genufsmenschen, wie diesen Albius nach Baeh-
rens, sollte Horaz einer freundlichen Zuschrift und sogar wohlmeinender
Rathschläge für das Leben gewürdigt haben?' Auch dafs dem horazi-
schen Albius divitiae zugeschrieben werden ( vgl. v. 11 et mundus victus
non deßeiente crumena 'ein behagliches Sein bei nie leer werdendem Beutel'),
spricht nicht gegen die Identität. Horaz sagt weiter nichts, als dafs
Tibull unter dem Schutze des Messalla, in leidlichen Verhältnissen lebe
d. h. ein vornehmes und dem ritterlichen Stande angemessenes Leben
führe, welches dennoch seine Kasse nicht erschöpfe. Baehrens: Wenn
der horazische Albius unser Tibullus wäre, so mufste der in jener Epistel
genannte Cassius ein bekannter Elegiker gewesen sein, da Albius nach
Horaz verfasse quod Cassi Parmmsis opuscula vincat. Dieser Cassius war
aber (so Porphyrio) ein Tragödiendichter. Schrieb Horaz an Tibull,
so konnte er passend nur sagen: Corneli Galli quod opuscula vincat.
Dagegen Grasberger: 1) Von einem solchen Albius bei Horaz, wie ihn
Baehrens fingiert, spricht kein anderer römischer Autor. Und doch mufste
er Proben eines beachtenswerten Talentes abgelegt haben, wenn die Zu-
schrift des Horaz einen Sinn haben soll. 2) Von diesem Cassius heifst
es bei Porphyrio (S. 393 Hauthal): 'In partibus Cassii et Bruti cum
Horatio tribunus militum militavit'. Acro (S. 390): 'Epicureus fuit et
poeta . . satiras scripsit . . aliquot generibus stilum exereuit. inter quae
opera ehgiae et epigrammata eius laudantur'. Er ward nach Actium von
Augustus hingerichtet. Trotzdem schreckt Horaz nicht zurück ihn ehren-
voll zu nennen. Aber schon Welcker Gr. Trag. S. 1407 bemerkte: cDer
heroische Zorn über Cäsars genialen Übermut, den er mit dem Leben
büfste (cf. Suet. Aug. 4), läfst sich als Ursache denken, dafs die Dichter
der Augusteischen Zeit, weniger freisinnig und selbständig als
Horaz seinen Namen nicht nannten, und dafs seine Werke sich
weniger behaupteten und verbreiteten als sie verdienten'. Übrigens ist
Tibull. Leo über II 5. 343
es wohl möglich, dafs Tibullus sich auch auf dem Gebiete der Tragödie
versuchte. Man denke an Ovids Medea.
195. F. Leo, Über einige Elegieen Tibulls (Philologische
Untersuchungen, herausgegeben von A. Kiefsling und U. v. W Hä-
mo witz- Mollen dor ff. Zweites Heft: Zu Augusteischen Dich-
tern S. 1 47. Berlin 1881. Weidmann.)
Verf. dieser sehr interessanten und gediegenen Abhandlung baut
auf Vahlens bahnbrechenden Arbeiten weiter und hat sich auf diesem
Wege um die Erklärung Tibulls grofse Verdienste erworben. Lach-
mann hatte in seiner Recension von Dissens Tibull (Kl. Sehr. S. 148)
geäufsert: 'Durch feinere Auffassung des Gefühls oder des Gedankens
dürfte noch in mehreren Stellen das Wahre sich finden lassen'. Durch
Vahlen und Leo ist die Richtigkeit dieses Satzes glänzend erwiesen
worden. Der Letztere handelt nach einer orientierenden Einleitung über
II 5. I 4. I 3. I l. I 2. I 5. 1 6. Kap. IV hat die Überschrift 'Tibull
und Delia'. Kap. X, betitelt 'Zur Beurteilung Tibulls', giebt ein
feingezeichnetes Charakterbild des Dichters. — II 5 ist weder unvollendet
noch interpoliert. Das Gedicht ist, wie Lachmaun wollte, 'ein Fest-
un d Ehren gedieht in der Form eines Gebets'. In v. 4 ist das
überlieferte meas unmöglich: 'Der Dichter singt wohl dem Gotte ein Lied
nach, aber dafs Gott und Dichter gleichzeitig singen ist keine mögliche
Vorstellung'. Mit Zurückweisung von Vahlens novus konjiziert Leo saa-as
[doch vgl. über die Stelle den Ref. in Z. f. d. G.W. 1883 Jahresber. IX
S. 264 und oben S. 169. Zum Ausdrucke Ov. Trist. V 1 , 23 numeros
ad publica carmina flexi.} Unter den laudes, welche der Dichter in v. 4
von Apollo erbittet, ist ein Lied zum Preise der ewigen Stadt zu
verstehen. Ort der Weissagung in 19 ist, übereinstimmend mit der herr-
schenden Anschauung, Cumae. In 21, wo Rom noch nicht genannt sein
darf, mufs der Gedanke stecken 'er glaubte nicht, dafs Troja wieder er-
stehen würde, eine Zukunft habe'. Demnach ist zu lesen nee fore cre-
debat Troiam [doch vgl. dagegen die gewichtigen Bedenken von Maafs
unten S. 349]. V. 67, der sich an die Rede der von Rom prophezeien-
den Sibylle anschliefst, mufs hiernach den Sinn haben viel wunder-
barer noch ist, was die anderen Sibyllen Bangen'. Leo schlägt daher
vor in 67 zu schreiben quid quod Amaltheä, quid quod Marpessia clix.it
und hinter sinu in 70 ein Fragezeichen zu setzen. In 83 ist zu inter-
pungicren: laurus ubi bona Bigna dedit (gaudett coloni), distendet Bq.,
v. no zu schreiben iaeeo cum saucius annum et faveo morbo (quin iuvat
ipse dolor), usque sq. Das Gedicht beginnt mit der Berbeirufung des
Gottes als des Zukunftkünders und endet in dein prophetischen Hinweis
auf des jungen Mcssalinus einstigen Triumph. — In der Deutung der
Priapuselegie I 4 schliefst sich Leo eng au Vahlens meisterhalte
Untersuchung an. Er charakterisiert das Gedicht als "durch Empfindung,
344 Tibull. Interpretation von I 4, 43—44
Bilderfülle und einen, von der elegisch leidenschaftlichen Schlufswendung
eigentümlich Überschatteten keck humoristischen Grundzug ausgezeichnet'.
Das Distichon 71 — 72 will Leo so schreiben:
Blanditiis vult esse locum Venus: illa querellis
Bupplicibus, miseris Qetibus illa favet
Bei der früheren Fassimg, da der Ton auf ipea lag, empfindet
man blanditiae u. s. w. als etwas Selbstverständliches, etwas das bis da-
hin schon in Rede gewesen, während doch die bkmdüiat querellae /■
dem materiellen Liebespreise gegenüber gestellt werden. Die schwieri-
gen Verse 43—44 will Leo nach den Handschriften so schreiben:
quamvis praetexens pieta ferrugine caelum
venturam admittat nimbifer arcua aquam.
1 Die eintönige Rostfarbe des Himmels vor dem Regengufs (/er-
rugo) wird von den Farben des Regenbogens bemalt; der Bogen führt
das Wasser heran (admittat) ganz entsprechend der Beschreibung Se-
necas Nat. quaest. I 6. 1 \ Die Stelle ist vielbesprochen. Vgl. vor
Allem Haupt opusc. I 345. Für das von Ritschi empfohlene picea tre-
ten ein Zingerle Z.f.d.Ö.G 1879 S. 347. Leonhard S. 64. Hiller
Ph. Anz. XIV 32. Illmann S. 33. Dagegen Ehwald Ph. Anz. XV
587 verteidigt ebenfalls pieta und übersetzt: 'Der Regenbogen, der die
Rostfarbe (des Himmels) bemalt und den Himmel verbrämt (oder um-
säumt), führt das Wasser heran'. Demnach soll man wohl pieta ferru-
gine als Abi. abs. fassen? Für das in dem Sinne Zuführen' = adferre
sonst nicht nachweisbare admittere (Zingerle Z.f.d.Ö.G. 1885 S. 99 =
Kl. Ph. Abb. IV 13 vermutet dafür alliciat, Palmer journ. of philol. XV
143 ineutiat. Vgl. Francken Mnemos. N. S VI 184) spricht übrigens
die Neigung Tibulls die Wörter im ersten, eigentlichen Sinne zu ge-
brauchen. Vgl. Stehle, de Tib. puri serm. poet eultore S. 62. Für
eurus vergleicht Zingerle a. 0. passend Ov. Heroid. 7, 42. Aber an
der Richtigkeit von arcus lassen doch Stelleu wie Ov. Metam. I 270 nuntia
Iunonis varios induta colores coneipit Iris aquas alimentaque nubibus ad-
fert Prop. IV 5, 32 purpureus pluvias cur bibit arcus aquas (vgl. Passera-
tius ad Prop. S. 430) kaum zweifeln. Daraus folgt wieder, dafs pieta
in den Handschriften ebenfalls echt ist. Vgl. die von Broukhusius
gesammelten Stellen. Der Begriff des Wortes ferrttgo ist sehr weit.
Vgl. noch Ov. Met. 13, 960 vwidem ferrugine barbam. Auch als Syno-
nym von purpura ist es nicht selten. Verg. Aeu. 11, 772 peregrina
ferrugine clarus et ostro. 9, 581 pictus acu chlamydem et ferrugine clarus
Hibera u a. Nun kann natürlich ferrugo auch eine düstere dunkle
Farbe bezeichnen (welcher Nuancen ist z. B. auch caendeus fähig 1), aber
dann erhält es einen bestimmenden Zusatz wie obscura, atra (vgl. Cat.
64, 227 carbasus obscurata ferrugine Hibera im Gegensatze zur weifsen
Tibull und Delia nach Leo. Analyse von I 3. 345
Farbe). Umgekehrt werden hier durch das Attribut jnda die lebhaften
Farben des Regenbogens mit einer Deutlichkeit bezeichnet, die nichts
zu wünschen übrig läfst. Das Verb, praetexere stünde dann genau wie
III 1, 11. Aber selbst wer an der Verbindung picta ferrugine Anstofs
nimmt und das picea der Itali einsetzt braucht darum arcus nicht preis-
zugeben. Tibull konnte sagen arcus praetexit caelum picea ferrugine
(obwohl Haupt es für unmöglich erklärte). Das heifst nach dem Sprach-
gebrauche der römischen Dichter einfach: 'Der Regenbogen steht an
dem mit schwarzen Wolken bedeckten Himmel'. So wird Gleichzeitiges
und in inneren Beziehungen Stehendes oft, um die Darstellung zu be-
leben, in ein kausales Verhältnis gesetzt. Die Beispiele sind unzählig.
Vgl. Ov. Fast. II 235. Metam. 4, 108. 8, 709. 7, 528. Prop. III 20, 18
Prop. IV 11, 35 u. a. In v. 28 bleibt Leo auch nach Vahlens Einwendungen
(Mouatsb. 1878 S. 348) bei Lachmanns Erklärung von quam cito non
segnis stat remeatqne, dies (Lucr. S- 207): quam cito non stat gehört zu-
sammen. Verglichen wird Prop. II 9, 35, zu remeat Senec Phaedr. 315.
('remeat cum post noctem redit'). — In dem Kapitel Tibull und
Delia' spricht Verf. die Ansicht über Delia aus, dafs ihr Vorbild zwar
ein Wesen von Fleisch und Blut ist, in den Gedichten aber weder ihre
wirklichen Verhältnisse, noch die Momente eines Liebesverhältnisses in
ihrem wirklichen Verlauf geschildert sind. Die Delialieder erwecken in
uns (dies gegen 0. Korn Rh. Mus. XXV S. 518) die Vorstellung, dafs
Delia frei und ledig sei, sie sind mithin selbst aus dieser Vorstellung
heraus gedichtet . . . Delia hat von Tibull nicht viel charakteristische
Züge erhalten. Sulpicia steht leibhaftig vor unseren Augen, Lesbia-
Clodia desgleichen . . . Nemesis hat überhaupt keine persönlichen Züge
|? Vgl. dagegen II 6, 29 f. 39 — 40]. Besonders sei noch hingewiesen
auf die Warnung vor dem Hinübertragen von Erklärungsmomenten aus
einem Gedicht ins andere, dem Erschliefsen historischer Daten
aus der dichterischen Fiction. 'Was zum Verständnis eines Ge-
dichts nötig ist, das bringt der Dichter im Verlauf desselben allgemach;
wenn er Beziehung des einen auf das andere beabsichtigt, so giebt er
irgendwie deutlich zu erkennen, dafs er einen Cyclus dichtet.' Verf.
verzichtet also darauf, den Gedichten historisch -chronologische Kombi-
nationen zu entlocken und geht zur Analyse der einzelnen Gedichte über.
— I 3. Der Dichter, krank und einsam von den weiterziehenden Kriegs-
gefährten auf der fremden Insel zurückgelassen, hängt den Gedanken
an Heimat und Geliebte nach und reiht wie im matten Fiebertraum
traurige und tröstliche Vorstellungen, Erinnerungs- und Phantasiebilder
aneinander - das ist die dichterische Fiction. Denn da die re-
signierte Stimmung sich jedesmal in zuversichtlicheren Tönen auflöst,
waltet das traurige Element nur scheinbar vor. Thatsächlich hinterlälsl
die Elegie den Kindruck, in glücklichem Lebensgenuf s, vielleicht
im Hinblick auf die aberstandene Möhsal gedichtet IQ ->ein In v. 50
346 Leo zu Tibull. Analyse von I 1. I 2.
wird gegen die Überlieferung nunc mare, nunc leti mille repentc viae
eingewendet, das für caedes ml, um viae zu ergänzende Verbum gebe bei
mare keinen Sinn, aufserdem sei repenU anpassend, weil die tausend
Todes wege sich all m ab lieb geöffnet hätten; es Bei daher zu lesen nunc
leti mille patentqm viae [Für die Menschen des goldenen Zeitalters war
es so gut, als existierte das Meer nicht, da Bie nichts von Schiffahrt
wufsten. Über das zweite Bedenken vgl. den Ref. Phil. Wochenschr. 1883 Nr. 8
Sp. 171]. An diese Kon.j. knüpft Leo wertvolle Bemerkungen über den
irregulären Gebrauch von que bei Tibull (wie in [Hon ardentes respiceret-
que deos). An samtlichen Stellen gehtgu« einem den Pentameter schliefsen-
den jambischen Worte voraus. Diese Beobachtung spricht angeblich
gegen folgende Lesarten: I 5, 47 hoc nocwtqiu mihi quod adest buic
dives amator II 5 , 68 Phyto Graiaque quod monuit I 10, 51 rusticus e
lucoque vehit. Mit jeuer Regel stehen I 4, 26 und II 5, 53 nur schein-
bar im Widerstreit, denn an der ersten gereicht das entsprechende
perque zur Entschuldigung, an der zweiten gehört furtim grammatisch
freilich nur zu iacentes, aber dem Gedanken nach auch zu coneubüua.
|Doch vgl. Stellen wie Ov. Met. VII 204. X 144. Heroid. VI 91. Na-
mentlich an der letzten Tibullstelle I 10, 51 ist es doch mifslich zu än-
dern]. -- Es folgt, ebenfalls im Anschlüsse an Vahlen, eine Analyse von
I 1. Man kann in dem Gedicht zwei Teile unterscheiden. Der zweite
beginnt mit dem Distichon 45 — 46, in welchem zuerst die Herrin ge-
nannt ist, der nunmehr die Herrschaft über die Gedanken des Dichters
verbleibt. Die gröTsere Hälfte des Gedichtes gliedert sich etwa so:
1—14; 15- 3«; 3711'. In 15 trennt sich die Variation vom Thema: Der
Gedanke an die Götter erinnert deu Dichter an die Gaben, die er jedem
von ihnen bei Gelegenheit des uun beginnenden neuen Lebens zu bringen
hat. Was im Allgemeinen und ohne Beziehung auf bestimmte Zeit und
Verhältnisse angedeutet war, wird in drei einzelnen Bildern im Hinblick
auf die nächste Zukunft ausgeführt. In 35 wird die Vermutung Diet-
richs hunc ego für hie ego gebilligt: 'Es kommt nicht auf den Ort au,
sondern auf die Thatsache der Sühnung und zwar der Herde vielmehr
als des Hirten'. [Über I l handelt neuerdings, leider anscheinend ohue
Kenntnis der Untersuchungen von Vahlen und Leo, H. T. Karsten
Mnemos. N. S. XV 1887 S. 211 f.] — In I 2 kommt es besonders darauf
an die Situation richtig zu erfassen. Weder wird der Wein an die Thür
der Geliebten gebracht , noch wechselt die Szenerie. Richtig bemerkte
schon Wunderlich: 'Recordatio custodiae saevae et ianuae clausae animum
ita accendit amantis, ut ianuam ipsam alloquatur seque ante eam stare
ringat'. Er ist von Delias verschlossener Thür zu den Zechgenossen
zurückgekehrt (diese werden in v. 3 aufgefordert ihn in seinem dumpfen
Brüten nicht zu stören). Kaum hat er den Grund seiner Verzweiflung
(posita est nostrae custodia saeva puellae, clauditur et dura ianua firma
sera) genannt, so fühlt er sich durch seine lebhafte Phantasie wiederum
Leo zu Tibull. Analyse von I 2. 347
vor die Thür der Geliebten versetzt, wiederum vergeblich klopfend,
bittend und verwünschend (v. 7 f.)- Diese Fiktion dauert ununterbrochen
bis v. 87 fort. Unbegreiflicherweise wollte Vofs mit 65 ein neues Ge-
dicht anfangen. Der Zusammenhang ist vielmehr folgender: .... Nun
sollt' ich beten, dafs die Liebe von mir genommen werde, aber non
ego totus abesset amor, sed mutuus esset orabam nee te posse carere
velim (63). So vereitelte ich die Heilung, die mir frei stand, aus eige-
nem Willen noch im letzten Moment und die Liebe ist heftiger als zu-
vor (vgl. Ov. Met. XIV 24. Catull 76, 23. Tib. IV 5, 13 Anth. Pal. V
88). Daran schliefst sich 65: cIch möchte dich nicht entbehren können.
Der hat ein eisernes Herz, der dich entbehren kann , selbst um reicher
Beute und glänzenden Kriegsruhms willen', {llle meint nicht eine be-
stimmte Persönlichkeit. Gedanke: 'Der mufste eisernen Sinnes sein,
der es vermocht hätte' u. s. w.). Mit v. 86 ist die Fiktion zu Ende.
Man glaubt zu sehen, wie der Dichter aus seinem wüsten Traum er-
wachend auffährt und sich im Kreise der lachenden Zechgenossen findet:
at tu, qui laetus rides. mala nostra, caveto
mox tibi: non uni saeviet usque deus.
Der mit v. 87 beginnende Schlufsteil greift offenbar auf die Situation
des Anfangs zurück. Von Einzelheiten ist hervorzuheben in v. 7 die
Interpunktion ianua difficilis, domini te verberet imber, rso dafs domini
erst durch Jovis seine nähere Bestimmung erhält'. Unwahrscheinlich,
trotz Ov. Met. 8, 173. Ref. hat früher a. 0. (Santen ist ihm darin, wie
er jetzt findet, vorangegangen) vorgeschlagen dominae als Dativ zu fassen
und hält daran trotz des Widerspruchs von Illmann (de Tibulli codicis
Ambrosiani auetoritate S 63) fest. Delia erscheint ja doch als scharf
bewachte Gefangene in diesem Gedichte vgl. 5, 15, 31. Gerade nach
5 — 6 scheint diese Erklärung möglich. Das Distichon 87 88 schreibt
Leo so:
at tu, qui laetus rides mala nostra, caveto:
mox tibi — non in noa saeviet usque deus.
Hierin ist das elliptische mox tibi sehr ansprechend. Dagegen scheint
in uns keine Verbesserung des exquisiten und dem überlieferten unu.«
viel näher stehenden uni der Itaii. Für I 5 ist es entscheidend, wel-
chen Sinn man der Schlufswendnng beilegt. Unter dem <ini<l<un v. 71
haben Ovid trist. II 460 u. a. den Dichter selbst verstanden. Nicht
richtig. Ein solches Gebahren, in wegwerfendem Tone geschildert, kommt
nicht dem Dichter zu, sondern dem Wüstling, der keine röhrenden Lieder
hat, aber Gold um den Einlafs zu erkaufen. Der Dichter sagt: "Nur
Gold öffnet die Pforte; du wirst verdrängt werden wie ich: Bchoo wartet
ein anderer nicht vergeblich« d. Ii. einer der plena manu anklopfen wird,
ein dritter. Es ist das alte »bald kommen ihrer meine dran.t \
348 Leo zu Tibull. Analyse von I 6.
glichen wird Ilor. cpod. 15, 17. Prop. II 9, 1. V. 00 donis viucitur om-
ii is amor wird mit Lachniann erklärt Gold tötet die Liebe'. In 47 geht
haec nocuere mihi |= Ov. Metatn. '.i, 618] auf Deliae Reize; quodramator
gehört zum folgenden venu in exitium, welches die Steigerung zu nocuen
bildet [quod soll also wohl, wie auch ans der beigefügten griech. Dber-
setzung ei hervorgeht, = 'was anbetrifft, dafsJ sein]. V. 66 pauper ad
oecultos furtim deducet amicoa d. h. der Arme hat auch den Vorzug, dal'-,
seine Freunde nicht in prunkender Öffentlichkeit ihre Gelage halten;
in meiner Verborgenheit entgehst du dem Gerede. In 11 wird das ter
der Itali (in dreimaligem Umgange' coli. Verg. Aon. VI 229) geschützt,
ebenso 42 das überlieferte et pudet et norrat coli. Ovid. am. III 7, 84.
Petron. S. 182, 13 B. [zur Redeform vgl. noch Ov. Met XIV 279
pudet et referatn], — Am wenigsten gelungen scheint die Analyse von
I 6: 'Des Dichters Stimmung ist mutwillig, sein Ton leicht und von der
Art wie man Hetären besingt. Der Ernst ist ironisch und der Scherz
frivol. Keine Äufserung wahren Gefühls begegnet: in der Eifersucht zu
Anfang ist weder Grimm noch Schmerz, in dem Liebespakt am Schlufs
keine sehnsüchtige Hoffnung'. Damit wollen sich doch die Schlufsworte
»os, Delia, amoris exemplum cana simus uterque coma gar nicht recht ver-
einigen lassen. Unklar ist auch die Rolle, welche Verf. die alte Kupp-
lerin, 'das süfse Mütterchen', in diesem Gedichte spielen läfst. Tritt
Delias Mutter und die Kupplerin oder nur eine von Beiden auf? Nach
Leos Äufserungen auf S 21 mül'ste das Erstere der Fall sein ('So hat
Delia im 6. Gedicht eine Mutter, die ihr den Dichter heimlich zuführt,
eine wirkliche Mutter: sanguis est tarnen lila tuus'). Und doch ist es
unmöglich beide auseinander zu halten. Wie kann in 57 tua matcr mc
movet auf die Mutter gehen, das folgende iras aurea vincit anus auf die
Kupplerin? Auch das folgende (vgl. 63 dulcis anus) bezieht sich also
auf die Kupplerin, ihr will der Dichter die eigenen Lebensjahre zulegen
(v. 64). Aber in 65 soll ohne jeden Übergang und ohne jede Nuance
des Tones wieder die Mutter angeredet werden (65 natamque tuam, 66
sanguis est tarnen illa tuus), die Mutter soll ihre Tochter zur Keuschheit
erziehen. Das geht doch nicht. Die mater und die aurea anus sind
offenbar identisch: es ist lediglich von Delias Mutter die Rede. Dar-
aus folgt wiederum, dafs Leos obige Charakteristik des Gedichtes nicht
richtig ist. Sie pafst auf den ersten Teil bis 55. Dann aber gewinnen
wieder weiche zärtliche Empfindungen in der Brust des Dichters die
Oberhand. — Aus dem schönen Schlufsabschnitte 'Zur Beurteilung
Ti bull s' seien noch folgende Sätze hervorgehoben '. . . Der Hörer hat
jedesmal den Eindruck unmittelbarer Gefühlsäußerung. Diese Wirkung
wird wesentlich erzielt durch die im Verlaufe meiner Erörterungen mehr-
fach hervorgehobene, Tibull ganz eigene Neigung, träumerisch einem
Gedanken , einer Empfindung nachzuhängen und nun wie willenlos von
der Phantasie getragen weiterzudichteu bis zum plötzlichen Erwachen
Maate über die Sibylle bei Tibull II 5, 19 f. 349
oder allmählichen Verfliegen der Traumbilder' . Vgl. jetzt H. T.Karsten,
De Tibulli Elegiarum structura Mnemos. N. S. XV (1887) 21lf.
XVI 3 9 f.
Es liegt in der Natur der Sache, dafs gerade die besten Teile der
Abhandlung, die feinen Bemerkungen über Tibullische Poesie, über An-
lage, Gedankengang und Ton der einzelnen Gedichte in obiger Skizze
am schlechtesten wegkommen mufsten. Sie hat ihren Zweck erfüllt,
wenn sie der vortrefflichen Arbeit zahlreiche Leser zuführt.
196. E. Maafs, Tibullische Sagen, Hermes XVIII S. 321
bis 342 (ib. S. 480).
Verf. handelt in dieser sehr scharfsinnigen und lehrreichen Unter-
suchung über Fälle, wo die Mythologie des sonst so einfachen Tibull
Buchgelehrsamkeit und nicht Volksreligion ist, wo er also dem spezifi-
schen Charakter der hellenistischen Poesie ganz nahe kommt. Dabei
sei sehr wohl möglich, dafs der Dichter von dem wirklichen Ursprung
der fraglichen Sagen nichts ahnte, die primären Quellen für jene Rari-
täten nicht kannte, dafs er vielmehr eine Hypothesensammlung oder ein
mythologisches Handbuch benutzte. II 5, 19 sq. heifst es von der
Sibylla: Haec dedit Aeneae sortes, postquam ille parentem dicitur et
raptos sustinuisse lares: nee fort crethbat Romam, cum maestus ab alto
Ilion ardentes respiceretque deos. Romulus aetemae nondutn formaverat
urbis moenia. Die Verse 20 — 21 können sich nur auf den Moment be-
ziehen, wo Aeneas von der troischen Küste abfährt. Wenn er also vom
Meere auf das brennende Ilion zurück schauend nicht glaubte, dafs Rom
entstehen werde, so folgt aus diesem Unglauben, dafs er vorher (noch
in Troas selbst) von der Sibylle die auf Roms Gründung bezüglichen
Orakel erhalten hat; sie sind es eben, denen er beim Anblick
der brennenden Stadt raifs traut. Leos Konj. Troiam für Romain
(Über einige El. Tibulls S. 11) befriedigt nicht: statt 'er glaubte nicht,
dafs Troja entstehen werde' müfste es heifsen 'wieder entstehen werde'.
Daraus folgt (was auch die grammatische Interpretation von 19-20
wahrscheinlich macht), dafs als Ort der Weissagung Troas, als
Moment die Abfahrt von der troischen Küste zu denken ist.
Die Sibylle ist also die troische (Herophile aus Marpessos), nicht
die kumanische am Avernersee. f Vgl. übrigens schon Heyue z. St.].
Jene verdankt ihre Entstehung lediglich dem Lokalpatriotismus des De-
metrius aus Skepsis in Troas (Maafs, de Sibyll. ind. 8. 22f.] und wird
weil sie ipu&pa/a (von dem troischen Dorfe ipv&pi) Mapmjffaöe) und
Herophile heifst, von Dionys I 55 mit der älteren Sibylle Ilero-
phile aus der ionischen Stadt Erythrae verwechselt (was ja De-
metrius gerade bezweckte). Aber mit Aeneas' Fahrt Dach Italien und
vollends mit der Gründung von Laviniiun und Koni hatte die troische
Sibylle des Demetrius noch nichts zu schaffen, denn nach seiner Dar-
350 Maars über die Sibylle bei Tibull II 5, 19 f.
Stellung wanderte Aencas gar nicht aus, sondern regierte ruhig in Skepsis
fort. Trotzdem findet sich die Verknüpfung der troischen Sibylle mit
der Gründung Roms aufser bei Tibull noch bei drei unabhängigen Zeu-
gen : 1) eben bei Dionys I 55. 2) bei Liv. I 1,4 wird erzählt. Aeneas
sei von Sicilien direkt nach Latium gesegelt. | Aus dem Schweigen
über die Befragung der kamanischen Sibylle und Livius' sonstiger Über-
einstimmung mit Dionys wird also gefolgert, auch nach seiner Auffassung
sei die Sibylle bereits in der Troas befragt. Ist dieser Schlufs aber
ohne Weiteres berechtigt?]. 3) Zu Hom. T 307 bemerkt ein Scholion
des Townleianus : . . . ol pkv dtä'Pwfiaeoue <pa(ji\>, Susp eldivai zbv map
ri)v ix t<ov StßüXhjs xpyopwv, und von demselben Verf. herrührend
heifst es zu A' 460 dtä touto luefi^vtev Alvettfa ii6rt napd tüu w3v ftdv-
■zewv r,xo>jocv, äig fierä rrtv äÄcomv vife Tpotas fiiXXet x-lao.'. nöhv. (An
die kumanische Sibylle hier zu denken verbietet einmal die Chrono-
logie - sie lebt 400 Jahre nach Trojas Fall - und zweitens, die
Situation: Priamus hat sie selbst befragt, und Priamus hat in Italien
nichts zu schaffen). Alle diese Darstellungen gehen also direkt oder
indirekt auf denselben Autor über römische Gründuugsgeschichte zu-
rück. Verf. kommt dann durch Kombination verschiedener Indizien zu
dem Resultate, dafs der Autor, auf den die vier identischen Berichte
zurückgehen (den übrigens Tibull direkt schwerlich benutzt hat), zu
suchen ist in Sullas Freigelassenen L. Cornelius Alexander mit dem
Beinamen Polyhistor aus Milet (er ist Anhänger des Krates, er hat
nachweislich das Werk des Demetrius benutzt; sein Buch Über Rom'
ist auch sonst von Livius und Dionys verwertet). Nun zählt freilich
Tibull v. 67 — 70 noch vier Sibyllen auf, die von der in v. 15 f. weissagen-
gen Prophetin offenbar zu unterscheiden sind. Und doch ist die unter
diesen vier auch Marpesia Herophile genannt, die eben mit der
troischen Sibylle identisch ist. Diesen Widerspruch mufs man
einfach anerkennen. Es gab zwei Sibyllen namens Herophile,
beide haben auch die Bezeichnung Erythraea: die eine von Erythrae,
die andere (die troische) von ipu&py Mapnrjaaog. Der Dichter hat in
v. 67 beide verwechselt. Er mochte in seiner Quelle etwa finden Hero-
phile erythraea Marpessi natu und dachte dabei, wie es Jedem ergehen
würde, der von der Zugehörigkeit des obskuren Dorfes Marpessus zur
Troas nichts weifs, an die allbekannte und hochberühmte Hero-
phile aus Erythrae in Jonien (es wäre ja auch sehr auffallend,
wenn gerade diese bei Tibull nicht erwähnt würde). Alle diese Aus-
führungen sind ungemein plausibel. Den Ref. hält nur noch ein letztes
Bedenken ab rückhaltslos beizustimmen. Wie passen die Verse 15 bis
16 te duce Romanos numquam frustrata Sibylla, abdita quae senis fata
canit pedibus, zu der obskuren troischen Prophetin, die doch nur ein-
mal in einer entlegenen Sage mit Roms Gründung in Zusammenhang
gebracht wird? —
Maars zu Tibull II 1, 57—58. 351
Die zweite Sage findet Maafs in der ersten Elegie des zweiten
Buches, wo auf 57 — 58 huic dalus a pleno, memorabile munus, ovili dux
pecoris die verderbten Worte Mrcus auxerat*) hircus oves folgen. In die-
sen sucht Maafs die Begründung des Vorhergehenden, fragt:
"Was also hat der Bock verbrochen, dafs er es sich gefallen lassen mufs,
als Preis für tragische Siege zu dienen?' und beantwortet die Frage
mit dem Hinweis auf Hyginus Astron. II 4. Varro bei Diomedes III
487 Keil. Vergilius Georg. II 376 f. Ovid Fast. I 353. (Vgl. außer-
dem Ov. Metam. XV 114 vite caper morsu Bacchi mactatus ad aras und
Martial III 24; memorabile munus wie Metam. XIV 225]. In den Worten
mufs also der Gedanke stecken 'der Bock hatte die Reben abge-
fressen'. Hiernach vermutete Maafs anfänglich: vites hauserat hircus
olens, obwohl er selbst das Beiwort ölena als müßig bezeichnet. [Es ist
sogar störend]. In einem Nachtrage wird dann eine Konj. von Robert
und Knaack vites roserat ille novas für den einzigen sachlich wie for-
mell befriedigenden Herstellungsversuch erklärt. — Es leuchtet ein, dafs
der Wortlaut dieser Dreimännerkonjektur keinen Anspruch auf Proba-
bilität hat: vier Änderungen in vier Worten! Anderseits wird man ein-
räumen (trotz Baehrens Jahrbb. 1883 S. 862), dafs eine solche Be-
ziehung auf die gangbare Sage ganz wohl am Platze war. Aber nötig
ist sie nicht. Aufserdem ist das kausale Verhältnis zwischen den Sätzen
'der Laudmann, welcher den Festreigen geführt hatte, erhielt als Be-
lohnung einen Bock, weil der Bock die Reben benagt hatte' ebenso
undeutlich, wie es deutlich ist, wenn man sagt der Bock wurde an
Bacchus' Altare geschlachtet, weil er die Reben benagt hatte*. Vgl. die
oben citierten Stellen aus Ovid und Martial. Maafs tadelt an Waarden-
burgs Konj. curtas auxerat hircus oves die i)latte Selbstverständlichkeit'.
Aber Waardenburg schrieb opesl So sagt der Zusatz curtas . . . opes
sehr deutlich, warum der Bock memorabile munus heifst : er ist ein wahrer
Schatz für den Landmann und wird auch den Empfänger reich machen.
(Ref. bekennt, dafs ihm Hillers Interpunktion nicht recht verständlich
ist). Waardenburgs Konj. erscheint daher immer noch am erträg-
lichsten - ut in re dubia. Gegen vites roserat ille novas polemisiert
Baehrens a. 0. Vgl. oben S. 288.
197. J. Ricmann, De compositione strophica carminum
Tibulli. Koburger Progr. 1878. 1(5 S. 4.
Priens Strophentheorie (die Symmetrie und Responsion der Köm.
Elegie. Lübeck. 1867 und N. Jahrbb. 101, 6S9f.) bewährt sich bei ge-
*) Denn auxerat nicht hauserat (wie Maats will) ist die La , v.m der man
ausgehen mufs. Wenn im Ambrosianus Dach Millers Angaben stein 'mu-erat
corr ex hauxerat\ so ist hauxerai in mittelalterlicher Orthographie weiter
nichts als auxerat. Vgl. des Ref. Studien zu Ov. Metam 3. 17. Bfi
ist klar, dal's auch durch diese Erwägung die (i lau 1» würdigkeil der VOO MaaK
von Robert und von Knaack vorgeschlagenen Konjekturen sehr vermindert wird.
352 Tibull. liesponsion. Deliaelegieen.
naueror Prüfung nirgends. Auch Bubendey ^uaestiones Tibullianae
Bonn ih<;4 gehen in der Annahme einer durchgeführten ßeeponsion viel
zu weit. | Bubendey selbst äufsert sich übrigens in seiner Abb. die
Symmetrie der römischen Elegie, Hamburg, 187G viel besonnener
als in seiner Dissertation |. Das Resultat des Verf. ( S. 16; 'quamquam
negari non potest, interdum hanc Tibullnm in componendu carminibus
rationem secutum esse, ut sententia sententiae pari versuum Domero
responderet, tarnen cum in nullo carmine aequabilitas per omnes partes
servata sit, ex ea re certam ac manifestam compositionis legem colli-
gendam esse nego' ist richtig, vou Leo aber (a. 0. S. IG) wohl in tref-
fendere Worte gekleidet. Vgl. auch des Ref. Bern. Jahresb. d. Phil.
Ver. IV 109. Folgende Gedichte werden kritisch besprochen. I l. Pri cns
Athetescu von 7—8, 33—34 gut abgewiesen, IJ aases Transposition von
25 — 34 hinter 6 mit Unrecht gebilligt. Dafs Priens und Bubendeys
Theorieen sich nicht durchführen lassen, wird sodann nachgewiesen durch
Analyse von I 5 (Bubendeys Athetese von 45 40 widerlegt), 17, II 1,
IV 2, IV 3, IV 6.
198. 0. Ribbeck, Über die Deliaelegieen bei Tibull. Rh.
Mus. 32 (1877), 445-449.
199. G. Goetz, Zu den Deliaelegieen. Rh. Mus. 33 (1878),
145-150.
Beide Gelehrte behandeln die Frage, in welchen Gedichten Delia
verheirathet erscheint, in welchen ledig, und versuchen ihre Ergebnisse
für die Fixierung der chronologischen Reihenfolge in den Delialiedern
zu verwerten. Vgl. aus der früheren Litteratur über dieses Thema Lach-
mann: Über Dissens Tibull Kl. Schriften S. 151 f. 0. Korn Rh.
Mus. 25, 518. Baehrens Tib. Bl. S. 16f. Ribbeck weist u. a. darauf
hin, dafs in die Situation am Schlüsse von I 3 eine verheiratete
Delia nicht passe. Dafs Delia in I 2 dagegen wirklich verheiratet
sei, folge aus 41 coniunx Ums. Der ferreus ille in 65 f. sei aber nicht
der Gatte, sondern ein früher begünstigter Rival [Unrichtig, vgl. Leo
S. 37]. In der fünften Elegie sieht Ribbeck ein rührendes Gegenstück
zur dritten: hier der Dichter selbst schwer erkrankt, an der Schwelle
des Todes von der Wonne des Wiedersehens träumend; dort um das
Leben der Geliebten besorgt, ihre Genesung erflehend und in Bildern
künftigen Glückes schwelgend. Das Endresultat ist: Nur die zweite
und sechste Elegie gehören der verheirateten Delia. Diese
Ansicht ist jetzt wohl die herrschende, entspricht auch der fingierten
Situation am besten. Doch mufs man sich einerseits hüten aus der Fik-
tion Schlüsse auf die Wirklichkeit zu ziehen, anderseits sind die in I 2
und 6 geschilderten Situationen auch verständlich, wenn wir in dem
coniunx (I 2, 41) den Liebhaber sehen, der Delia unterhält, vou dessen
Tibull Delialipder. Priapuselegie. 353
Gnade sie lebt. (Vgl. noch Riese N. Jahrbb. 1872 S. 747— 756). Auch
sonst liest Ribbeck bisweilen mehr ans den Worten des Dichters heraus
als darin steht. Aus I 5, 39 saepe aliam tenui folgert er z. B.: Län-
gereZeit mufsdas discidium gedauert haben, wenn der Dichter
oft versucht hat sich iu den Armen einer Andern zu trösten'.!
Goetz stimmt im Wesentlichen Ribbeck bei und beschäftigt sich
mit der Chronologie von 2 und 6. In beiden Gedichten erscheint Delia
verheiratet, in den andern nicht; die Annahme liegt mithin nahe, dafs
diese Gedichte die letzten seien. Aber, fragt er, ist die umgekehrte
Annahme so ganz undenkbar, dafs der Dichter seine Liebe der ver-
heirateten Delia widmete, die später frei wurde, sei es durch das Gesetz
des Staates oder der Natur? Wie konnte der Dichter, wenn die 3. Elegie
vor der zweiten gedichtet ist. dermafsen sein eigenes Verschulden igno-
rieren, dafs er einem Andern (2, 65 f.) Vorwürfe macht für eine That,
die er ebenfalls begangen hatte? [Gewi 'onnte er das. Die Antwort
ist I 4, 21 — 22 zu lesen]. Aus 6,5- "d gefolgert, dafs 6 vor 5
gedichtet sei. Einem Abschiedsliede sieht angeblich Elegie 6 durchaus
nicht ähnlich. Goetz ist also entschieden der Ansicht, Tibull habe die
verheiratete Delia kennen gelernt und mit ihr ein Liebesverhältnis
angeknüpft, das aber durch die Wachsamkeit des Gatten gestört wird
u. s. w. — Gegenüber diesen Ausführungen warnt Leo a. 0. S. 23 mit
Recht vor dem Hinübertragen von Erklärungsmomenten aus einem Ge-
dicht ins andere , dem Erschliefsen historischer Daten aus der dichte-
rischen Fiktion.
200- E. Hübn er, Die Priaposelegie des Tibullus. Hermes
14 (1879), 307-312.
Verf. verwirft mit Recht jeden der zahlreichen Umstellungsversuche
und sucht einzelne Argumente Ritschis zu entkräften. Der Titius in
73 und 74 ist nicht ein beliebiger N. N., sondern ein Freund des Dich-
ters und selbst ein Dichter, nämlich der von Horaz epist. I 3, 9 als
Romana brevi venturus in ora gepriesene Titius. So erst erhalte v. 60
Pieridas, pueri, doctos et amate poelos seine richtige Beziehung. Sed
in v. 15 soll nicht anknüpfen an 9—10, sondern an das unmittelbar
vorhergehende Uli Virgineus teneras s/m' pudor ante genas. An! diesen
Schamhaften bezieht sich primo forte rt>;/n/,it. Mit Recht bemerkt da
gegen Vahlen, Über zwei Elegicen des Proper Uns Sitzungsber.
(1. Herl. Akad. S. 267: 'Es war kein glücklicher Erklärungsversuch,
den mit Sed eingeführten Gegensatz an das letzt vorangegangene "t Uli
(jenas, das nur ein Glied ist in der geschilderten Mannigfaltigkeil der
Reize der Knaben, anzuschliefsen , wie wenn es Bicfa nin diesen allein
und nicht, wohin gleicherweise Frage des Dichters und Antwort des
Gottes zielte, um Gewinnung der Knaben überhaupt gehandelt hätte'.
Der Gedanke wird von Vahlen so fixiert: Lafs dich mit Knaben nicht
Jahresbericht für A.lUrthamawlssenaoh»il LI, (iss; II).
354 I ibnll. Die Priapusele<ne.
ein. Wenn aber doch (eed, wofür Valilen früher Monatsb. 1878 S. 347
$in lesen wollte), so möge, wenn einer nichl gleich Bich fügt, nicht Dber
drufs dich beschrieben '. - Bitschi wollte an \ 20 den v. 27 eti
tardueris, errabiei trottetet aetat anscbliefsen. Dadurch entsteht Dach
Hühner ein förmlicher Widerspruch : 17 20 malen eindringlich den vom
Warten sicher zu erhoffenden Erfolg, darauf kann nicht unmittelbar der
Gedanke folgen: Aber wenn du dich aufs Zögern legst, wirst du zu
nichts kommen. In 80 wird domum statt des überlieferten eenem als
Konj. Scaligers empfohlen. Aber lempue erü weht entschieden auf eine
ferne Zeit. Auch zeichnet uns eenem ein Bchöne9 Bild: der greise, ge-
reifte, lebenskluge Lehrer der Weisheit umgehen von andächtig lau-
schenden Jüngern. Die Konj. domum ist übrigens von Santen. Gegen
sie äufsert sich auch Lachmann Kl. Sehr. S. 46.
201. Westphal, Über Ritschis Umstellungen in der vier-
ten Elegie des Tibull. Cöslin. 1880. 9 S. 4. Progr.
Der Aufsatz ist ohne Kenntnis von Vahlens Abb. in den Monats-
ber. 1878, 343—356 (vgl. oben S. 168) geschrieben. Man darf das be-
dauern, auch einräumen, dafs von Vahlen und später von Leo mancher
Punkt schärfer und heller beleuchtet ist, und doch seine Freude haben
an den verständigen Ausführungen des Verf., die im Wesentlichen zu
durchaus richtigen Ergebnissen führen. 1) Die überlieferte Reihenfolge
ist tadellos. In v. 15 ist hinter sed ein Gedankenstrich zu setzen als
Andeutung der elliptischen Rede: Hüte dich vor den Knaben; aber —
wenn du meinem Rate nicht folgen willst, so wisse, alle sind zu fangen
u. s. w.' [Der richtige Sinn ist getroffen, aber der Gedankenstrich kein
glücklicher Notbehelf; s. Vahlen Sitzungsber. 1882, 267 = S. 7J. Zur
Anknüpfung der speziellen Vorschriften 21 26, an die allgemeinen in
15—20 wird bemerkt: 'Wie in einem musikalischen Satze das Haupt-
thema zeitweise zurücktritt, dann variirt wiederkehrt, um abermals zu
verschwinden, so auch in der Poesie des TibulT. Der Zusammenhang
ist: Lafs dich nicht vom Überdrufs befallen, sondern sei geduldig und
scheue keinen Weg, der dich ans Ziel führen kann; trage nicht
einmal Bedenken zu schwören u. s. w. Mit v. 56 ist der Gott mit sei-
nen Lehren, was recht und erlaubt ist, zu Eude. Durch die Antithese
im Folgenden will er seine Vorschriften als die einzig löblichen her-
vorheben gegenüber den verderbten Sitten der Zeit. [Mehr über die-
sen Punkt bei Leo a. 0. S. 17—18]. Dafs aus den Worten des Pria-
pus hier überall des Dichters eigene Gedanken hervorbrechen, darf man
einräumen, - wenn man will, auch tadeln (Nicht einmal dies! Vgl. Leo
a. 0.: Der Humor liegt schon in der Fiction des Gedichtes' u. s. w.],
aber nicht deswegen die Anordnung der Verse ändern. Die wehmüthi-
gen vv. 35-38, welche Ritschi unangetastet liefs, passen ganz ebenso-
wenig in den Mund des Priapus. Mit 71 72 kehrt der Gott nach der
Tibull. Die Priapuselegie. Lygdamu3. 355
Abschweifung 57—70 zu seinem Thema (v. 40 f.) zurück. Denn was er
in Betreff des obsequium vorschreibt, was ist das Anderes als eben blan-
ditiae, querelae supplices, miseri flelus? [Besser Vahlen 1878, 351 blan-
ditÜ8 (non muneribus) vult esse locum Venus ipsa] 2) Das Gedicht
wird durch Kitschis Um Stellungen sogar geschädigt. Ref. hebt
hier nur einige Punkte hervor. Die Verse 53 — 56 gehören an das
Ende der Vorschriften, weil sie den Lohn für alle Bewerbungen
und Mühen aussprechen. Priapus kann keine »Freuden der Erhörung«
versprechen, bevor Alles befolgt ist, was er lehrt. Bei Ritschi folgen
39 — 56 gleich auf 14! Ebenso ist das Distichon 71-72 an seiner Stelle
in der überlieferten Reihenfolge ein sehr passender, Alles zusammen-
fassender Abschlufs , bei Ritschi (zwischen 56 und 21) einfach über-
flüssig [Sogar unmöglich! Vahlen 1878, 351 weist auf das Unverträg-
liche von Venus ipsa (71), Veneris (21), pater ipse (23) in diesem Zu-
sammenhange hin].
202. K. Boehlau, De Lygdami carminibus Neustettin.
1876. 8 S. 4. Progr.
Nach einem kurzen Rückblicke auf die Geschichte der Lygdamus-
frage (auf S. 2 wird es für erwiesen erklärt l Lygdamum et post Ovidium
fuisse et eius carmina ante oculos habuisse') versucht Verf. den Nach-
weis, dafs die Schilderung des Verhältnisses zwischen Lyg-
damus und Neaera reich an Widersprüchen sei und dafs sie
den Leser zu keinem klaren Bilde der Situation kommen
lasse. Aus 6, 60; 3, 23 und dem ganzen c. 2 müsse man folgern,
Lygdamus sei ein edler und reicher Römer. Damit stehe im Wider-
spruche der Name. Fingierte Namen waren zwar für die besungenen
Mädchen, aber nicht für die Liebesdichter selbst üblich. Mindestens
mufste in der Grabschrift 2, 29-30 der wahre Name stehen. Daraus
folgert Verf. sehr voreilig (man braucht nur an den Cerinthus in Hb. IV
zu erinnern) 'verum lim um carminum anderem, si Romanus fuerit, non
suum ipsius amorem celebravisse1. — Widerspruchsvoll ist angeblich
auch die Schilderung der Neaera. Nach 4, 91—93; 1 5—8, 27 müsse
man sie für eine edelgeborene Römerin halten. An anderen Stellen wie
4, 57-60, 63—64 scheine sie eine Libcrtine. Ebenso unklar sei das
Verhältnis geschildert. Nach _'. 1.; 14, 29 — 30; 1. 23 war Neaera
einmal Lygdamus' legitime Gattin, aber 4. 79—80; .:. 31 32 ist von
einer künftigen Ehe die Rede. Was trennte endlich den Bund? Nach
2, 4 und 30 ein Nebenbuhler, nach 2, l 2 vielleicht ein Kuppler, da-
gegen nach 4, 58 und 6, 58 :>'.> der freie Entschlufs de- Mädchens.
[Aber alle diese Stellen Bind wohl zu vereinigen: ignolum cupiens uana
i>ihii<> torum deutet doch auch auf einen Nebenbuhler]. Veit, folgert
aus alledem, man müsse zwischen dem Liebhaber Lygdamus und
dem Dichter scharf unterscheiden: Poeta nescio quis consiliura cepe*
356 Tibull. Panegyricus ad Mev->allam.
rat amorem fictum narrare talis quidem vi i i , qui a coniuge divortio se-
iunctus omnibus precibus frustra elaboraret, al com es in gratiam re-
diret'. Offenbar sind manche der gerügten Unklarheiten wirklich ror-
handen, Verf. hat vielleicht ;mc\\ rech! mil der Annahme, dafa der Dich-
ter quominus consilium institntom aecurate sibiqne donstanter pertrac-
taret, impediebatnr reliquorum poetarum memoria atque notitia, qui
amorem libertinarum atque iuvenum Romanorum, oon mariti atque oxoris
inter se seiunetorum traetabant'. Aber darum braucht doch nicht Alles
fingiert zu sein, darum kann der anonyme Dichter sehr wohl an ein
Ereignis aus seinem Leben angeknüpft haben. Die Figur der Neaera
ist freilich anscheinend verzeichnet infolge des Kontrast der realen Ver-
hältnisse mit den angelernten poetischen Phrasen.
203. H. Härtung, De panegyrico ad Messallam Pseudo-
Tibulliauo. Diss. Halle. 1880. 46 S. 8.
Widerlegung der Abhandlung von F. Ilankel, De panegyrico
in Messalam Tibulliano (Acta soc. philol. Lips. V 79 sq.), in wel-
cher zuletzt mit viel Fleifs und Mühe Tibulls Autorschaft verteidigt
worden war. Das Resultat der vorliegenden Arbeit Tibullum . . .
opusculum tarn vile tamque inepta eruditionis iaetatioue
abundans non composuisse' ist gewifs richtig. Im Einzelnen aber
ist Manches mifslungen. Dahin gehören vor allem die langen chronolo-
gischen Erörterungen S. 19 f., nach denen der Panegyricus später
als 723 = 31, nich t in diesem J ahre selbst, verfafst sein soll.
Er ist nicht vor Messallas Konsulat (723) geschrieben, wahrschein-
lich in demselben Jahre - dabei wird man sich wohl beruhigen müssen.
Die Kardinalfrage wird hierdurch natürlich nicht berührt. Denn es ist
nimmermehr glaublich, dafs Tibull in demselben Jahre den schülerhaften
Panegyricus und Elegie I 10 (über deren Datierung wohl jetzt kein
Zweifel mehr ist; vgl. Lachmann Kl. Schriften S. 151. Haupt opusc.
III 37. Leo a. 0. S. 19) geschrieben habe, nicht einmal glaublich, dafs
(wie Hankel will) zwischen dem Panegyricus und der Elegie drei Jahre
liegen. An dieser Unmöglichkeit scheitert auch der Rettungsversuch
von Teuf fei in der Einleitung zu seiner Übersetzung. Vergleiche
auch B. Linke a. 0. S. 18. (Nachträglich scheint übrigens selbst
Teuffei schwankend geworden zu sein, wenigstens spricht er Studien
und Charakteristiken S. 353 Anm. nur den bescheidenen Wunsch
aus, dafs 'obiger Rechtfertigungsversuch wenigstens zu weiterer Ver-
handlung anrege'). In der Fachlitteratur hat sich Verf. fleifsig um-
geschaut (vgl. S. 17). Doch scheint er R. Richters treffende Be-
merkungen in dieser Zeitschr. 1877 II 281 - 282 nicht zu kennen. Auf
S. 12 wird gegen Baehrens' Behauptungen über den horazischeu Albius
Tib. Blätter S. 7 f. polemisiert. Vgl. oben S. 341. S. 23 f. wird gegen Hankel
der Nachweis versucht, dafs der Verf. des Paneg. die Augusteischen
Tibull. Der Panegyricus und die übrigen Bestandteile des Lib. IV. 357
Dichter gekannt und gelesen habe. Von S. 27 an zählt Verf. die
charakteristischen Unterschiede zwischen dem Panegyricus und den
echten Gedichten Tibulls auf. Der Passus von v. 54 an giebt S. 32
zu folgender Bemerkung AnJafs: ' Seimus in scholis Romanorum in usum
diseipulorum tabulas exstitisse, imaginibus et brevibus inscriptionibus
exornatas, quae argumenta Iliadis aut Odysseae continebant; nonne inde
a v. 54 usque ad, v. 78 tabulam Iliacam aut potius Odysseae nos perle-
gere putamus?' Wörter des Paneg., die Tibull nicht hat, wie xubsistere,
conditor, carta u. a. S. S. 44. Vermutet wird schliefslich (S 46), disci-
pulum artis rhetoricae, cui cuiusque sodalibus laudes M. Valerii Messallae
egregii oratoris vineto et soluto pede canere praescriptum erat, panegyri-
cum conscripsisse'. Das stimmt ungefähr mit Lach mann, der sogar
an Lygdamus dachte: cAls die Arbeit eines Zwölfjährigen wird es seinen
Lehrern in der Poetik und Rhetorik alle Ehre machen' Kl. Sehr. S. 149.
204. G. Larroumet, De quarto Tibulli libro. Paris. 1882.
Hachette. 77 S. 8. Diss. inaug.
Verf. untersucht die drei deutlich erkennbaren Bestandteile des
vierten Buches: den Panegyricus, die beiden Sulpiciacyklen, endlich IV 13
(Nu IIa tuum nobis subducet femina lectum) und IV 14 {Rumor ait crebro
nosiram peccare puellam). Seine Argumente sind im Wesentlichen die
bekannten. Neues und Selbständiges enthält die Schrift sehr wenig. Zu
rühmen ist die Kenntnis der einschlägigen Litteratur: deutsche Disser-
tationen werden sogar im Übermafse citiert. Baehreus ' Tibullische
Blätter' und Tibullausgabe werden nirgends erwähnt, obwohl es an Ge-
legenheit dazu nicht fehlte. Absichtlich? Schlimmer ist, dafs Verf. Leos
schöne Abhandlung 'Über einige Elegien Tibulls' in den Piniol. Unters.
1881 noch nicht zu keimen scheint. Namentlich das feine Schlufskapitel
würde ihm vielfach förderlich gewesen sein. Aus dem Inhalte der Schrift
sei Folgendes hervorgehoben. Von Tibull selbst ist nur da? erste Buch
ediert: 'Post eius mortem quidam e coetu Messala fautore carmina ad-
huc inedita collegit et publicavit'. (So im Wesentlichen nach Lach-
mann und Haase, vgl. übrigens Baehrens Tibullische Bl. S. 48 f.).
Aufser den Briefchen der Sulpicia (als solche bezeichnet Verf. IV 7—12)
ist der gesamte Inhalt von lib. IV Tibullisch. Messalac panegyricus,
opus iuvenile, poetae initia. nisus, dubitationes ostendit et multa de eius
vita, indole, primo ingenii dtictu indicia praebet'. Einen Beweis für die
Echtheit glaubt Verf. in der siebenten Elegie des eisten Buches gefunden
zu haben, die angeblich alle EigeDtOralichkeiten und Mängel des Pane-
gyricus, wenn auch in geringerem Mal'se, teilt. In beiden findet man
ungleichrnäfsige und verworrene Darstellung ('multa Bunt verba aon propria,
nunc niniis certa, nunc incerta; oratio interdura exilis, interdum redundans;
verborum cireuitus incondite saepius vertitur, Ais versuum paugendo-
rum iisdeni vitiis peceat; sunt cnim cannine in utroque verba inauia, ad
358 Tilnill. Die Bestandteile des viert, n l',u.
nurncrum tantimi necessaria; multa asperius sonant'. Hätte Verf. di
Charakteristik nur durch konkrete Beispiele beleg) , sie schein! für <li<:
Elegie gar nicht zutreffend. Es isl überhaupt ein Mangel <1<m- ganzen
Arbeit, dal's weniger mit thatsfichlichem Material als mit allgemeinen
Behauptungen operiert wird). Ciemeinsam haben ferner beide geogra-
phische Digressionen i'llinc, enim Ulyssis errores, illinc eultus Osiridis,
Line regionum, illinc populorum enumeratio, hinc librae, illinc sacrificii
descriptio maiorem totius carminis partem obtinent et tenuissirao filo
arguinento iuneta sunt'). Aus alledem wird der Schlufs gezogen: 8i
igitur Tibullo panegyricum abiudieaveris, non est causa cur eidem elegiam
tribuas'. Ganz dasselbe hat bekanntlich Teuffei, Studien und Cbar.
S. 352 f., geltend gemacht. Über die Briefchen der Sulpicia, ihre Vor-
züge und Mängel, ihr 'weibliches Latein' (propinquej iter ex animo sub-
latum, necopinanti, de m< permitlis, mea corpora u. s. w.) finden sich auf
S. 46 f. ganz hübsche Bemerkungen. II 2 wird nach Zingerle u. a.
(vgl. oben S. 262) auf Ceriuthus und Sulpicia bezogen, deren Verhältnis
in einer legitimen Ehe seinen Abschlufs fand: 'Cerinthum igitur cense-
mus fictum nomen fuisse, quo Romanus quidam velabatur iuvenis, cuius
verum nomen in tertia seeundi libri elegia invenitur'. (Die bezüglichen
Ausführungen bleiben leider sehr auf der Oberfläche). Über Ceriuthus
heifst es auch hier wieder: 'Forsan idem est de quo Flaccus dicebat:
Nee magis huic, inter niveos viridesque lapillos,
Sit licet, hoc, Cerinthe, tuo tenerum est femur aut crus
Rectius sq.
(cTextum sequimur a professore E. Benoist in praelectionibus datuinY
II 2 war von Tibull selbst zur Aufnahme iu das zweite Buch bestimmt, weil
dieses Gedicht im Gegensatze zu IV 2 6 salva Cornuti reverentia,
Messalae tunc coniugio propinquus {sie!) facti, edi poterat'. Manches
warme, von der Schönheit der behandelten Lieder begeisterte Wort er-
freut den Leser (vgl. z. B. S. 67). Aber es fehlt auch nicht an Galli-
cismen, ja sogar grammatischen Schnitzern. S. 17 studuit (cil etudia'i).
S. 39 c ei poetica metalla summo solo se non offtrebanV. S. 55 'quis vero
Cornutus erat nunc requirendum'. S. 60 Numquam amor fervidioribus
verbis usa est . . . et professa est'! S. 71 cpost de Delia et ante de
Nemesi carmina'. S. 43 ist cse excusat quod amantem febrim dissimulare
cupiens, solum reliquerit' eiu gröbliches Mifsverständnis von IV 12, 6-
205. Chr. Knappe, De Tibulli libri IV elegiis inde ab
altera usque ad duodeeimam disputatio. Duderstadt. 1880.
44 S. 8.
Der Verf. dieser Göttinger Dissertation hat sich im ersten umfang-
reicheren Teile seiner Arbeit die Aufgabe gestellt, Tibulls Autorschaft
für die Ged. IV 2 — 7 zu erweisen, indem er poetische Kunst, Sprache
Tibull. Sulpiciacyklus. Echtheit von IV 13. 359
und Metrik untersucht. Dafs die Frage zu bejahen ist, wird jetzt kaum
noch bestritten. Auch sind neue Gesichtspunkte von wirklicher Bedeu-
tung nicht hervorgehoben. Doch fehlt es nicht ganz an nützlichen Ein-
zelbeobachtungen, z. B. auf S. 13 über Tibulls Gleichnisse. Mit Recht
werden die beiden in den behandelten Gedichten vorkommenden Gleich-
nisse IV 2, 13 und IV 6, 17 zusammengestellt mit I 5, 3. I 5, 45. I 6,
53. II 5, 9. Lesenswert sind auch S. 18 die Bemerkungen über die
Stellung der Adjektiv a in solchen Pentametern, wo sich zwei Ad-
jektiva mit zwei Substantiven verbunden finden. Ohne rechtes Resultat
bleiben die metrischen Untersuchungen S. 24f. In dem über die Stel-
lung einzelner Wörter im Verse handelnden Abschnitte (S. 32f.) schliefst
sich Verf. an Zingerle Kl. Ph. Abb. II S. 48 an. Wie dieser nimmt
er an, dafs II 2 den Abschlufs des Cyklus bilde. Vgl. oben S. 263.
Treffend zeigt uns die Note S. 34, wie übereinstimmend Tibull in den
beiden ersten Büchern und im Sulpiciacyklus körperliche Schönheit malt.
Eine ganz neue Theorie entwickelt Verf. summarisch auf S. 41 — 44.
Die Ged. 8—12 sind angeblich nicht mit Gruppe u. a. als Liebes-
briefchen der Sulpicia anzusehen. Mehreren von ihnen fehle voll-
ständig der Charakter des Briefes in Anbetracht ihrer metrischen Form:
'Si essent epistolae amatoriae, versibus non scripta essent'. So gemeine
Worte wie in IV 10 könne die hochgeborene Sulpicia nicht ausgespro-
chen haben. Vielmehr stellt Verf. folgende Behauptung auf: 'Tibullum
cum sibi proposuerit amorem Cerinthi Sulpiciaeque mutuum carmine
celebrare, priusquam elegias inde ab altera usque ad septimam scrip-
serit, amorem illum adumbrasse, ea, quae in amore illo magni erant
momenti, in sc heda breviter descripsisse'. Also 8 — 12 sind Ti-
bulls Brouillon von 2—7; beide Gruppen verhalten sich, wie die rohe
Skizze zum ausgeführten Gemälde. Ref. hält diesen Versuch für raifs-
lungen. Daraus, dafs die Briefchen wesentliche Abweichungen von Ti-
bulls Metrik nicht zeigen, läfst sich natürlich nichts schliefseu. Die Beden-
ken gegen die Autorschaft der Sulpicia sind einigermafsen philiströs. Mag
sein, dafs die Gedichtchen nicht alle als wirkliche Briefe an den Cerin-
thus geschickt sind. Einige (besonders IV 10) sind wohl Herzeuser-
giefsungen aus dem Tagebuche des leidenschaftlichen Mädchens. Und
warum sollen diese nicht in Versen geschrieben sein'? Es geht nun ein-
mal manchen Leuten, namentlich Verliebten so, dafs alles was den Geist
beschäftigt, in Versen zum Ausdrucke kommt. Übrigens hat Verf. zu
seinem Schaden Lachmanns Bemerkungen Kl. Sehr. S. 150 unbeachtet
gelassen.
206. J. I'. Postgate, Of the genuineness of Tibullus IV
13. Journ. o\>. philol. IX No. 18 S. 280-286.
Das Gedicht ist angeblich eine Fälschung und /war wegen Tibullo
v. 13 eine bcwul'stc und beabsichtigte. Die Gründe des Verf. sind fol-
360 TiblÜJ. Die Echtheit von IV 13.
gcndc. l) Diu Nachbarschaft (d. h. die ?oraogehendea Gedichte) erweckt
Verdacht. 2) l > « * 1 1 Autornamen Tibull in \. L8 konnte der dttmmste Fäl-
scher einschwärzen, übrigens gebrauchl Tibull sonst seinen Namen nicht
in dieser Weise, vgl. I 3, öö. 1 9, H3. 8) Das Gedicht ist steif, schal,
mager, ohne Originalität, prosaisch. 4) Es ist aus Properzischen Phra-
sen mühsam zusammengeflickt. Zwar fehlt es daneben nicht ganz an
Tibullischen Wendungen, doch sie erscheinen abgeblafst und entwertet.
So erinnert v. 8 in tacito gaudeat ilU sinn an Prop. III (II) 20 (18), 80
in tacito cohibe gaudia clausa sinn. v. U4 i^t eine schwache Nachahmung
von Tib. I 4, 71 — 72 u. s. w.
Das Verzeichnis der Entlehnungen ist sicherlich dankenswert und
zeugt von der Belesenheit des gelehrten Verf., aber was er beweisen
wollte, bat er nicht bewiesen. Über den poetischen Wert des Gedichtes
nur wenig Worte: derartiges gehört in das Kapitel der Geschmackssachen
und hat für sich allein schwache Beweiskraft. Das Gedicht ist aller-
dings keine hervorragende Leistung und läfst sich mit den Prachtstücken
des ersten Buches nicht vergleichen. Aber mit II 2 und einigen der
Sulpiciaelegieen kann es sich sehr wohl messen. Und warum soll Tibull
nur Vollendetes, nur Elegieen gröfsten Stiles geschaffen haben? Und
wie kann man diesen Mafsstab hier anlegen, wo es sich um ein von Tibull
gar nicht ediertes, sondern in den Papieren des Messallischen Hauses
zufällig vorgefundenes Produkt handelt? Übrigens fehlt es nicht an grofsen
Schönheiten. Dahin gehören das prachtvolle Distichon 11 — 12 (wo frei-
lich Postgate 'prosaic imagination' findet!), der Schlufs von 17, die
echt tibullischen vv 19, 23. Und nun die Anklänge resp. Entlehnungen!
Vieles davon beruht einfach auf Selbsttäuschung. So der Vergleich von
Prop. I 8, 45 IV (III) 20—21 mit v. 1 — 2. Was soll es heifsen, wenn
gesagt wird femina nvlla finde sich sonst nirgends bei Tibull, wohl aber
bei Properz? Oder, wenn man zu v. 6 notiert findet, die Zusammenstel-
lung lutus ero komme auch bei Prop. III 4, 14 vor? Was soll zu 20
garrula Lingua der Hinweis auf Ov. Am. II 2, 44? Das tu mihi sola pla-
ces in v. 3 hat natürlich mit Prop. II 7, 19 nichts zu thun, denn es ist
die stereotype Formel der Liebeserklärung bei den Elegikern. Das zeigt
deutlich (vgl. auch Zingerle Ovid I 103, E. Heydenreich in dieser
Zeitschr. 1887 II S. 138) Ov. aa I 42 elige cui dicas tu mihi sola place*.
Wenn in zwei deutschen Liebesgedichteu ich liebe dich', in zwei eng-
lischen 'I love you' steht, wer denkt denn dabei an Entlehnung? Kurz,
auf die vom Verf. beliebte Manier wird man bei vielen Elegieen der
Augusteischen Periode den Nachweis führen können, dafs sie aus lauter
Reminiszenzen zusammengestellt seien. In Bezug auf Tibull IV 5 ist
dies auch wirklich von R. Richter geschehen. Die Anklänge an andere
Tibullische Stellen (v. 13 = I 3, 90; v. 24 = I 4, 71-72) sind natür-
lich da ohne Beweiskraft, wo der Beweis der Unechtheit erst geführt
werden soll. Ist dies geschehen, dann mag man aus der Unechtheit
Tibull. Echtheit von IV 13. Panegyricus u. Elegia ad Messallam. 361
schliefsen, dafs es sich nicht um Lieblingswendungen des Autors,
sondern um Entlehnungen ein es Nachahmers handelt. Nicht ein-
mal der Lygdamus-Ovidfrage ist auf diesem Wege recht beizukommen.
Auch IV 2, 15 — 20 besteht nur aus Wendungen, die schon an verschie-
denen Stellen des zweiten Buches vorkommen (II 4, 27. II 2, 3. II 4,
30). Einige Anklänge an Properz sind anzuerkennen : 8 = Prop. III
(II) 20 (18), 30; v. 23 vielleicht = Prop. IV (III) 24, 13 — 14 (alles
andere ist ganz unsicher). Aber sie sind weder an Zahl noch Bedeutung
mit denjenigen zu vergleichen, welche A. Zingerle (Kl. Phil. Abb.. II S.85)
und neuerdings W. Olsen (Comm. philol. Gryphisw. S. 27 f.) in den
Sulpiciaelegieen nachgewiesen haben. So Tibull IV 2, 9 f. = Properz
II 1, 7f. IV 3, 24 = Properz IV 19, 10. IV 4 = Properz II 28. IV
4, 15 = Properz IV 15, 11. IV 5, 15-16 = Properz II 15, 25 u. a. Sollen
nun die Sulpiciaelegieen wegen dieser Anklänge ebenfalls unecht sein?
Auch äufsere Gründe machen eine Fälschung sehr unwahrscheinlich.
Wer war der Fälscher? Offenbar der Herausgeber der ganzen Samm-
lung, die sich im Messallischeu Hause vorfand. Es wäre das ein Fal-
sum, welches von den übrigen Pseudotibullianis grundwesentlich
verschieden ist. Diese geben sich nirgends für Tibullisch aus,
Lygdamus nennt sich sogar. Wir hätten also den merkwürdigen Fall,
dafs der Herausgeber im Übrigen alles, was er vorfand, gewissenhaft und
ehrlich edierte, nichts änderte und zuthat, dafs er aber von unbegreif-
lichem Kitzel getrieben ein einziges Gedicht selbst fabrizierte und sogar
den in der ganzen Sammlung sonst nicht vorkommenden Namen Tibulls
einschwärzte! Einfacher ist jedenfalls die Annahme, dafs dieses nicht
hervorragende, aber sehr achtbare Gedicht Tibulls unter jenen Papieren
war, und so mit ihnen an die Öffentlichkeit kam. — Vgl. übrigens die
richtigen, wenn auch mehr allgemein gehaltenen Bemerkungen von Baeh-
rens, die Postgate a. 0. S. 285 aus einem Briefe mitteilt.
207. M. Latköczy, »Die neueste Tibullusliteratur«, Egye-
temes Phil. Közlöny II 1878 S. 379—406, 461-473. [magyarisch].
Nach einer für diese Zeitschrift gefertigten Inhaltsangabe enthält
der Aufsatz aufser dem eigentlichen Referate folgende sachliche Bemer-
kungen. Der Panegyricus in Messallam und die Elegia ad Messallam
(Verg. Catalept. XI) sind angeblich von demselben Dichter verfafst
Beide stimmen besonders darin überein, dafs sie die nach d. J. a. u. c.
723 eingetretenen Ereignisse nicht kennen | ? Doch vgl. Her t /borg.
Virgils Werke II 123 f. J. Die Phraseologie ist in beiden dieselbo; vgl.
aliua = alter Paneg. 180. El. 21 [An letzterer Stelle ist die La. un-
sicher], Pi/lius sat es — Nestor Paueg. 48. 112. El. 15 charta =s Carmen
Paneg. 200. El. 13 u. s. w. Auch inhaltlich linden sich in beiden Ge-
dichten übereinstimmende Stellen, Tgl. Paneg. 82 f. und El. 41 f. Es fehlt
in der Elegie nicht au Vergilischeu Anklängen, vgl. besonders v. 17.
362 Tümll. Budapester Handschriften, Kritische Beitrage.
Doch wird in diesem Falle nicht der Verf. der Elegie, sondern Messalla
der Nachahmer gewesen Bein. |Auf die geistige Verwandtschaft der bei-
den Produkte wies bereits Ribb eck praef. 8. 12 hin. Dafs aber beide
Gedichte von demselben Verf. herrühren, wird sich schwer erweisen lassen,
ist nach dem vorliegenden Auszuge auch vom Verf. nicht erwiesen wor-
den]. — Hierauf werden zwei Budapester Tibullhandschriften
kurz besprochen; die eine, ein Codex Corvinianns im Ungar. National*
muscum stimmt meist mit der ed. prrneeps 1472 überein. Die nächsten
Verwandten des andern ebenfalls interpolierten Codex (Universitätsbibl.
A. 165, saec. XV) kann man aut Grund des jetzigen Apparates nicht
angeben. Schlief/such meint Verf., dafs zu einem vollständigen Apparatur
criticus eine umfassendere Untersuchung und Verwertung der interpolier-
ten Handschriften nötig scheine, da in ihnen zuweilen wertvolle Les-
arten überliefert seien. Als solche werden bezeichnet im Corvinianus:
faveat II l, l ; a magna I 7, 61; ab ignava III 3, 38; im andern Codex:
at tibi I 4, 59, cara II 3, 34, iurarit III 6, 47, hyems III 5, 4, tota tua
est IV 6, 2. [Aber das sind offenbar (fast sämtlich auch sonsther be-
kannte) Interpolationen].
Erwähnt sei hier, dafs in derselben Zeitschrift VI (1882) 482 f.
Ernö Finäczy über die Trägerinnen des Namens Sulpicia in der
röm. Litteratur spricht. Näheres vermag Ref., der magyarischen Sprache
gänzlich unkundig, nicht anzugeben. —
Zum Schlüsse dieses Abschnittes seien noch Beiträge verzeichnet,
welche angeblich verderbte Stellen mit Hilfe der Konjekturalkritik zu
heilen suchen. Der positive Ertrag dieser Vorschläge ist, wie im Catull
so auch hier, äufserst gering.
208. H. Graef, Aunotationes ad Tibullum ( Particula al-
tera). Memel. 1885. 14 S. 4.
Verf. tadelt L. Müller und Baehrens, weil sie in IV 4 auf v. 16
salva puclla tibi est folgen lassen at nunc tota tua est sq. (v. 17). Die Um-
stellung sei verkehrt. Aber hier liegt ein Irrtum vor: Die bemängelte
Reihenfolge ist vielmehr die in den Haudschriften überlieferte. Beide
Herausgeber haben mit Recht die schon von manchem Itali vorgeschla-
gene Umstellung (21—22 vor 17) rezipiert. — Es folgen Bemerkungen
über die Priapuselegie (I 4), deren Grundlage Ritschis bekannte Unter-
suchung (Ber. der Königl. Sachs. Societät der Wissenschaften 1866)
bildet. Ja die Bezeichnung der einzelnen Kola, wie sie diesem Gelehr-
ten beliebte, ist sogar beibehalten, so dafs der Leser nur folgen kann,
wenn er Ritschis Abhandlung vor Augen hat. Verf. hält dessen Trans-
positionen für unsicher und rät bei der überlieferten Reihenfolge zu
bleiben, deren Zusammenhangslosigkeit er lieber der noch mangel-
haften Kunst des Dichters zuschiebt. Nur Ritschis G (71 — 72) will
er hinter 56 stellen, aufserdem aber in 54 schreiben sed tarnen aueta
Tibull. Kritische Beiträge (Graef, Cornelissen). 363
dabit. Nichts davon scheint begründet. Dem Verf. ist leider Vahlens
Untersuchung, die alle Umstellungen Ritschis über den Haufen wirft,
unbekannt geblieben (Vahlen, Monatsber. der Berl. Akademie 1878
S. 346, vgl. dess Sitzungsber. 1882 S. 267 und Leo, Über einige Elegien
Tibulls, Phil. Unters. 1881 S. 16, vgl. oben S. 168, 343, 354.). — I 6, 21
soll man lesen si visere dicet. Durch diese Konj. wird angeblich die
Annahme einer Lücke hinter 22 (Baehrens) unnötig [doch vgl. über seu
= vel si Heyne-Wunderlich und Dissen z. St.]. Aufserdem ist 29-30
vor 31 zu stellen. (Nam poetam non prius veniam a marito petere
potuisse, quam clandestina sua consilia ei aperuisset, iam antea exposui').
I 9, 39 haec facerem, nisi et ipse fores in amore puellae? Hoc est: cre-
disne me ad tale officium (genarum sc. tergendarum) descensurum fuisse»
nisi' sq. I 9, 70 Tyrio prodeat aucta sinu [vgl. dagegen des Ref. Stud.
z. Ov. Metam. S. 27]. - II 1, 53—54 Et saturam . . . luderei ante deos [!].
II 1, 57 Eine datus (poeta exponit, unde ille mos ortus sit'). II 1,65
qualoque assiduae textrix operata Minervae. II 1, 47 rure ferunt messes
[vgl. Vahlen in ed. Y:rure terunt]. Am Schlüsse sind einige Sulpicia-
elegien abgedruckt, die sich angeblich zur Lektüre für reifere Schüler
eignen. (IV 2, 4, 6, II 2) Im Texte ist dem Ref. Folgendes aufge-
fallen: IV 2, 13—14 ausgelassen (Eberz). IV 2, 23 multis celehrabitis
(wohl im Anschlüsse an das interpolierte cehbretur der Itali). IV 6, 9
ulli non ille puellae (codd. detcrr.). IV 6, 19 Sis, Juno, grata: ac (Gruppe),
ib. 20 iam ratus adsit amor (Baehrens). II 2, 9 Cerinthe (codd. deterr.).
II 2, 21 Interea, Natalis, ave [eigene Konj. Dann bezieht sich also tuös
in 22 auch auf den Natalis?]. Druckfehler sind zahlreich und bisweilen
störend.
209. J. J. Cornelissen, Ad Tibull um, Mnemosyne N.S. VII
1879, 221—224.
Verf. macht folgende Vorschlage. I L, 44 et solido (die Notiz,
diese La. finde sich auch in P ist nicht ganz richtig. Vgl. Hillers Adn.
crit.). — I 3, 3 ingratü . . . tellus. — I 3, 28 ji.ru docet. — I 4, 9 fe-
rnere puerorum [!]. — I 4, 33 segnior aetas. -■ I 4, 65 robora saltus. —
I 5, 8 compositumque latus. I 8, 16 nitidum nardo. — I 8, 45 tol-
lere tunc (coli. Prop. III 25, 13). I '.», l faeras noatroa. — I 10, 16
curarer vestros. II 5, 82 aatur aiiuus. III 5, 84 flava ("eres. —
II 6, io. >/"/<> tubast — Paneg. Mess. ht> tum, nee. Paneg. Mass.
156 lentam in glaciemque. — Paneg. Mess. 184 online (resp. nach Hein-
Bios horrea) culmi. Paneg. Mess. 207 ririi/,.i percurrere. W l. 6
membra calor. Im Einzelnen aachznweisen, dafs diese Konjekturen ent-
weder überflüssig, oder geradezu mutwillig Bind, wäre leicht und den-
noch die Mühe nicht lohnend.
304 Tibull. Textkritische Beiträge (Francken).
um. CM. Francken, Ad Ti bull um, Mncmos. N.8. VI 1878,
174 189.
Besprochen werden zunäcfasl Kau and Gedankengang von I 4 and »;.
Verf. erklärt die Umstellungen von Sealiger, Ritschi und Baebrens in I 4
für unnötig, nimmt jedoch, dem Letzteren folgend, zwischen 1 1 15 eine
Lücke an. Der Zusammenhang soll folgender sein: ' Ne ]durea Biraul
amaveris: unns tc capiat; hunc autem omni studio amplectere; sed
ne te capiant' sq. Es ist klar, dafs dieser Gedanke dem Priapus durch-
aus fern liegt. Vgl. oben S. 363. Die Ausführungen des Verf. sind über«
haupt jetzt durch Vahlen, Leo, Westphal überholt. In I 6 finde!
Francken unlösbare Widersprüche: ' Se esse amatorem Deliae ingenue
poeta fatetur eius marito, idem ab eo petit ut Deliam tibi eustodiendam
tradat; laedit coniugem simuhjue ab eo beneficium petit'. Indessen er-
ledigen sich diese Bedenken [ebenso wie die von Korn Rh. Mus. 19,
497; 20, 471. Vgl. W. Wagner ib. 20, 314f. | durch Leos Bemer-
kungen a. 0. S. 41 f. (Vgl. oben S. 348). Gegen Baehrens Besprechung
von üv. Trist. II 457 sq. und die damit in Verbindung stehende Schrei-
bung te in v. 16 wird mit Recht eingewendet: . . . Interpretatio puguat
cum mente Ovidii, ex qua haec confessionem eulpae ipsius Tibulli con-
tinere debent: ab incauto petit ut caveat a se, Tibullo, eoque confitetur
se illicito amori indulgere'. — Von den folgenden Konjekturen Franckens
ist richtig nach Ansicht des Ref. keine einzige, obwohl einige gefällig
klingen. 11,5 vitae detrudat inerti. I 1 , 14 libandum i e. ut aliquid
ex iis libetur. Über die I 1, 14-37 vorgeschlagenen Transpositionen
wird gesagt, 'remotis versibus 11 — 14, qui fortasse contra poetae consi-
lium inserti hoc loco sint, omnia recte procedere'. — 13, 17—18 aut
omina dira Saturni sacra me tenuisse die (s. oben S. 292). I 3, 25
pureque lavaris, te (memini) puro s. t 13, 93 hunc, precor, hunc. —
Zu I 5, 65 heifst es richtig: ' Communes familiäres signiricantur, ubi se-
cura posset amori indulgere, ipsum etiam amplecti, aut clandestini Deliae
amici, nam ne hoc quidem in Tibullo mirum debet videri. Cf. I 8, 41 sq.
In hoc ipso carmine v. 75 fingit se amoribus Deliae favere'. [Vgl. Leo
a. 0. S. 40 Anm.]. - I 6, 21 exibit quom saepe. I 6, 71—72 Et si
quid peccasse puter, dueterque (Scaliger) capillis Imperito pronus per rar
piarque (Heinsius) vias. — I 7, 3 Aquitanas posset quo frangere geutes
— näml. ille, quem . . . Atax. I 7, 49 huc ades ad cantum; ludis ge-
uiumque choreis Concelebra. I 7, 53 sie venias hodieme deus, tibi . . .
Libem et . . favo. [Doch vgl. oben S. 336]. — I 8, 14 corrigit arta pe-
des i. e. ad optatam gracilitatem et tenuitatem pedes nimis crassos re-
ducit. — I 9, 25 — 26 mit Benutzung von Riglers Kouj.: permisit oerba
ministro Ederet . . lingua mero. Dativus nunc iungendus non cum per-
misit, sed cum lingua '. — I 9, 60 'emeruisse viros non videtur sollicitan-
dum, sed significare: gratiam iniisse a viris, iis gratificata esse,
Tibull. Textkritische Beiträge (Fraucken). 365
se dedisse'. — I 10, 51 'Rusticus ipse male sobrius opponatur aliis
inale sobriis necesse fere est". Daher zu schreiben im Anschlüsse an
Scaliger elucosque — nämlich uxorem progeniemque. coli. Paulus S. 75 elucum
significat languidum ac semisomnum u. ähnl. — II 1, 43 tunc victus
('. . . intellegitur successionem tantum forma tum significari = porro')
. . . tunc insita pomus. II l, 62 raolle gerens . . ovis i. e. rure est ovis,
gereus. II 3, 43 urbique tremenda.
211. C M. Francken, Ad Tibullum, Mnemos. N. S. XIII.
1885. S. 176—187.
Glossen zu Hillers Tauchnitzausgabe des Tibull. Aus den ein-
leitenden Worten sei folgende Charakteristik der Tibullischeu Poesie
hervorgehoben: Magna simplicitate ac dictionis flumine se commendant
singula, universi carminis nexus est saepe obscurus, ut Tibullus festi-
nanti lectori planus esse videatur, intellegenti et docto intricatus sit'.
An anderer Stelle wird erinnert: 'Potest aliquis uno in carmiue dicere
ea, quae horao omni affectu vacuus et sedatus contenderet non convenire
inter se, nee tarnen desinit esse poeta'. Sehen wir, wie die kritischen
Erörterungen des Verf. zu diesen Sätzen stimmen. Eingehend wird über
I 8 gehandelt, ein Gedicht, das Dissen angeblich total mifsverstanden
hat. Das in v. 15 bezeichnete Mädchen wird nicht zu einem Knaben,
sondern zu einem andern in den vorhergehenden Versen angeredeten
Mädchen, einer alternden Kokette, in Gegensatz gestellt: 'Comtus qui
describitur est muliebris, non puerf. Marathus kann nicht, wie man
gewöhnlich meint, angeredet sein, weil ' fatali aliquo malo cörreptus de-
scribitur Marathus v. 17 sq., cum potius amor, quo Marathus nunc arde-
ret, poetae, olim spreto amatori, causa exultantis gaudii esse deberet'
und weil der verschmähte Liebhaber den nunmehr selbst von der Ge-
liebten abgewiesenen Knaben nicht durch Spott und Hohn bestraft, son-
dern grofsmütig tröstet (v. 67 sq.). Aus solcher Auffassung ergeben sieh
nun die seltsamsten Widersprüche. Das angeredete Mädchen ist bald
eine alternde Kokette (9 16), bald jung und blühend (47), bald hat
sie sich dem Liebhaber hingegeben (25 26), bald ist sie spröde und
schläft allein. Dieser Thatbestand belehrt aber den Veit, nicht etwa,
dafs seine Anschauung irrig ist (wie man erwarten sollte!), sondern bringt
ihn im Gegenteil auf folgende Vermutungen. Die ?v. 40 [41?] 7s sind
von dem Vorhergehenden [doch wohl als selbständiges Gedicht] abzu-
trennen, ebenso i—i7 [16 Vj vom Folgenden. Die Verse 18 [17?]— 40
sind als ein Fragment aufzufassen und in :r> mit Baehrens ac für <>t zu
lesen. Verf. rechtfertigt sein Verfahren durch ein Gleichnis: Si statua
composita est ex fragminibus male consutis, nihil antiquius erit, quam
caput et manum male agglutinata separare, etiamsi perfeetam non possia
redintegrare '. Ja wohl! Aber wer ein Kunstwerk, das er nicht versteht,
mutwillig in Stücke schlag! handelt wie ein Barbar Gewifs hat Dissens
3ßß TibulL Textkritische Kftiträge (Franck.n,
[nterpretation in manchen Einzelheiten nicht das Richtige getroffen.
Keineswegs sind die Worte quid tibi nunc molL \ capillo»
eine 'irrisio', keineswegs ist die Tendenz des Gedichtes wirklich di<
Maratlius olim aspernatus uunc Bpernitur el irridetur'. Die Fiktion
(denn offenbar ist th<-, Gedieh) nur ein lusus ingenii, eine poetische
Übung) i^t vielmehr folgende: Der schöne, spröde Marathus wird von
einer Kokette, der es durch raffinierte Verführangsknoste (v. 25) gelangen
ist ihn an sich zu fesseln, genasffihrt und leidet schwer. An dem
Verhalten dieser Pholoe soll Bfarathns Behen, wie schwer er selbst
sich einst gegen Tiball vergangen. Dies Spiegelbild soll ihn znr
Selbsterkenntnis und Reue bringen. Die an Pholoe gerichteten Mahnun-
gen soll er auf sieh selbst beziehen. So nimmt der Dichter, wenn er
in dein Handel Partei für Marathus ergreift, seinen eigenen Vorteil und
nur diesen wahr. Eine irrisio' würde mit diesem Zwecke in direktem
Widerspruche stehen. - Gelegentlich werden noch folgende Vermutun-
gen geäufsert: v. 15 statt illa vielleicht bella zu schreiben [!J. v. 35 timet
und consent zu halten ('lila de Venere quae dieuntur pertinent ad Ado-
nidem, aut alium quendam puerum, qui metu plenus in siuum Veueris
fugerat et ab hac fovetur'). In v. 39 bezieht Verf. harte auf Venus [?J
und will lesen nee frigore sola (frigore zu verstehen wie Hör. Sat. II 1, 62).
Prop. II 18 siud die ersten vier Verse von den folgenden zu trennen.
Das Eingaugsdistichon der letzteren wird ohne Erläuterung in dieser
Form gegeben:
Quid? si iam canis aetas candesceret et mi
iam faceret scissas languida ruga genas.
Es folgen zu einer Reihe von Stellen Bemerkungen vermischten Inhaltes,
die teilweise längst Bekanntes repetieren. I 1-50 und 51 78 sind zu
trennen. — I 2, 19 decedere nicht derepere ('puella tauquam mus derepit
lecto; num nos philologi, ut^auetoritati Frisingensium excerptorum satis-
fiat, oninem elegantiam abieeimus'?' Vgl. Francken, Mnemos. N. S. VI
182). — I 2, 71 ipse boves, mea, sim tecum modo, Delia, possum iungere.
I 2, 88 Hillers in me saeviet usque deus gebilligt [doch vgl. Ov. Heroid.
4, 148 qui mihi nunc saevit, sie tibi parcat Amor]. — I 4, 28 Riglers
non segni gebilligt. [Mit Unrecht, wie die Stellung des non und der Ge-
danke zeigt: nicht nur 'segni1 non stat remeatque dies, sondern Jedem].
— I 4, 54 rapta, tarnen dederit (cusu noto coniunetionis tarnen, relatae ad
unum vocabulum: quamvis rapta, tarnen'. Aber vgl. Zingerle. Kl. Phil.
Abb. III S. 31-35). — I 5, 11 'fortasse ipse ego\ I 5, 27 fructibus
aus G, nicht vitibus. [Unrichtig, vgl. Roth stein, de Tib. codd. S. 90].
I 5, 30 me iuvet in tota, me nihil esse domo- — I 5, 34 ferat mit Bur-
mann zu lesen. I 5, 49 edit (von der gut bezeugten Form edim, Neue 2
II 441) zu leseu. I 5, 57 evenient. - I 6,3 quid tibi saevitiae, puer, est?
i. e. quae tua saevitia est? I 5, 35—36 loco alieni sunt'. I 8, Ol
Tibull. Textkritische Beiträge. — Übersetzungen. 367
et mihi nox multis est vigilanda maus. — II 5, 15 Sibyllast. II 5, 79
c concessivus fuerint de incredibilibus illis monstris aptus est'. -• III 4, 2
Scaligers extrema statt hesterna mit Rücksicht auf v. 21 gebilligt, wohl
mit Recht. — IV 1,44 alterno instabilis rndat depressior orbe. IV l, 93
contendere prosum [aber derecto?J IV 1, 94 cur com brevius convertere
gyrum. - IV G, extr. 'Ego talem sententiam desidero: sie iuveni gratae,
veniet cum proximus annus, Ins pälam [sie!] votis arbiter adsit Amor'.
— IV 7 hier wird mit Recht gegen Hiller geltend gemacht, dafs seine
La. qualem texisse pudore . . . fama magis gerade das Gegenteil von
dem bedeute, was der Sinn verlangt. Wer pudore schreibt, mufs
offenbar im nächsten Verse das fama minor der Itali rezipieren. Sed
pudori et magis satisfacere videntur: Pudori sit {v'rt a\>) mihi magis
prior fama (quod abscondiderim amorem) quam altera (quod prodiderim)'.
| Besser und klarer gefafst ist die Erklärung in Heyue-Wunderlichs obss.
z. St.]. — IV 8, 6 non tempestivae pa?-ce, propiuque, viae. 'Messalla
propinquus erat Sulpiciae, ut notum'. IV 8, 8 entweder arbitrii quam
tu non sinis esse sui [der Genetiv arbitrii übrigens schon in den älteren
Ausgaben] oder besser arbitrium quoniam non sinis esse meum. — Carmen
IV 9 est poetae sive Tibulli sive alius ad Cerinthum de die natali Sul-
piciae; si haec Sulpiciae ipsi adscribas, intolerabilis arrogantiae sunt ex-
tremi versus'. Daher ist in v. 2 zu lesen suo [= Itali]. 'Puellae licet suo
natali Romae esse'.
E. Tib uliübe rsetzu ngen.
212. Die Elegieen des Albi us Tibullus. In modernen Rhyth-
men von G. Fischer. Ulm, Kerler, 1882. VII und 144 S.
Ref. hat diese sehr achtbare Arbeit früher in den Jahresb. d. Ph.
Ver. IX 275 f. ausführlich besprochen und seinem Bedauern Ausdruck
gegeben, dafs der wohlmeinende und sprachgewandte Übersetzer die
Versmafse des Originales verschmäht hat. Er wäre wohl im Stande ge-
wesen uns einen deutschen Tibull zu schenken; das hat er bei 1 6 und
I to bewiesen, wo 'in pietätsvoller Konzession' die antike Form beibe-
halten ist. Der Anfang des zweiten Gedichtes lautet so:
"Wer doch war's, der zuerst die grimmigen Schwerter geschmiedet?
Traun, ein trutziger Mensch war es, mit ehernem Sinn.
Da kam über die Welt der Moni, da wütheten Schlachten,
Thaten dem finsteren Tod kürzere Wege sich auf.
Doch nicht ihn klagt an! Er gab für reifsendes Wild uns
Waffen, daraus wir selbst sehnten das eigene Leid.
Fluch des bereichernden Golds I - Da hat kein Krieg Doch gewüthet,
Ms noch die Buche den Keleh spendete Iflndlichem Mahl:
Nirgends erhob sieh ein Wall, noch Bollwerk; heiter inmitten
Der buntwolligen Schar suchte den Schlummer der Hirt.
Damals wonniges Sein! Vom wrhal'sten Getümmel der Wallen
Wulste ich nichts, mein Her/ schreckte die l'iiha mir nicht-
368 1 ihullübf rsetzungen (Fischer, Binder;.
Diese Gedichte sind wirklich recht gut übertragen und dürfen als
würdige Seitenstücke zu Geibels Properzttbersetzungen im Klassischen
Liederbuche bezeichnet weiden. Man begreift nicht recht, wie Verf. auf
seinen Irrweg geraten, da doch für die Elegie auch im Deutschen das
Distichon durch unsere Dichter, allen voran Goethe, als Kunstform festge-
stellt ist. Dagegen Gedichte dieses Charakters und [nhaltea in gereimten
Versen, wie sie uns die Übersetzung bietet, kennt weder die moderne dein
sehe Litteratur noch weifs die Poetik sie unterzubringen. Man mag
antike Chorlieder in moderne Rhythmen übertragen (Dochmien mit Auf-
lösungen bringen wir freilich nicht fertig), man mag catullische Tände-
leien in gereimte Verse umgiel'sen, aber man thut schon nicht wohl daran im
Epos den Hexameter durch die Stanze zu ersetzen , noch weniger darf
man das Distichon durch den Reim verdrängen. Eines schickt sich nicht
für Alles! Der Widerspruch zwischen Form und Inhalt hat fast allen
Gedichten ihr Kolorit genommen. Der Ton ist überall derselbe, selbst
in der Priapuselegie und den Delialiedern. Sogar von der heifsen Glut
in den süfsen Briefchen der Sulpicia merkt man nichts mehr. Schade!
Hat der Verf. nicht vielleicht Selbstverleugnung genug die lohnende und
für ihn, wie er glänzend bewiesen hat, nicht übermäfsig schwere Auf-
gabe noch einmal mit sicher besserem Erfolge zu lösen?
213. Albius Tibullus. Deutsch in der Versweise der Urschrift
von W. Binder. Zweite Auflage. Berlin. Langenscheidt. 1885.
Die erste Auflage von Binders Übersetzung erschien, soviel Ref.
weifs, Stuttgart 1862 in der Hoffmannschen Sammlung, die nunmehr in
den Langenscheidtschen Verlag übergegangen ist. Über das Verhältnis
der beiden Auflagen kann Ref., dem die erste nicht zur Hand ist, nur
vermutungsweise urteilen. Weder in der Einleitung noch in den An-
merkungen findet sich die geringste Spur von Kenntuis der Tibull litteratur
seit 1862 Der übersetzte Text z B. ist nach S. 30 noch immer der
Heyne-Wund erlichsche, hin und wieder ersetzt durch einzelne Les-
arten der Lachmann - Dissenschen Rezension! Wir haben es also
anscheinend mit einem wenig oder gar nicht veränderten Abdrucke der
ersten Auflage zu thun. Die Einleitung, im Wesentlichen wohl nach der
von Teuffei gearbeitet, enthält ungefähr das, was man hier zu finden
erwartet. Geradezu Unrichtiges ist selten (doch nach S. 9 war Ti-
bulls Geburtsort die Stadt Rom), häufiger Geschmacklosigkeiten (nach
S. 12 war z. B. Delia 'eine von jenen weiblichen Freigelassenen oder
Plebejerinnen, welche durch gefällige Umgangsformen und eine
nicht allzu züchtig gehaltene Klei düng anzuziehen und zu fesseln
wüteten'), Mangel an poetischem Verständnis (S. 15: 'da Delia bei einem
Besuche, den ihr Tibull machen wollte, ihre Wächter nicht zu täuschen
wagte, sondern ihn vergeblich schmachten liefs, so gab ihm dies Veran-
lassung zu Elegie 2 des ersten Buchest. Die Anmerkungen am Schlüsse
Tibullübersetzungen (Binder, Bernstädt). 369
des Ganzen geben die für ein ungefähres Verständnis der Gedichte nötigen
Realien. Doch hätte S. 143 Neaera nicht für eine Geliebte Tibulls
erklärt werden sollen. — Die Übersetzung ist Fabrikware, nicht schlech-
ter, aber auch nicht besser als die meisten Erscheinungen auf diesem
Gebiete, welche alljährlich auf den Büchermarkt kommen. Die Sprache
ist der bekannte wunderliche Übersetzerjargon. Wenn der Übersetzer
im lat. Texte findet multo perfusum tempora Baccho , so sucht er nicht
etwa die gleichwertige Wendung, nein, er radebrecht 'wenn triefen die
Schläfe von Bachus Reichlicher Gabe'. Und so ist sehr oft die Über-
setzung nur verständlich, wenn man das Original daneben hält. Tibull
I 2, 18 'Wenn mit gezahnetem Stahl öffnet das Mädchen die Thür'
— also offenbar mit einer Säge! Dasselbe Gedicht beginnt 'Lautern
noch mehr!1 I 4, 46 'Treibe den schwankenden Kahn selbst durch
die Engen hinab'. Vgl. 'des Mädchens. .Magd mitten zu stellen
am Markt'. 'Dir . . . drücke der Stein zur Schmach . . das
Gebein' 'beim Haupt mit dem Haupte vereint' 'nicht traurige
Waffen des Pöbels'. Eine schlechte Rolle spielt auch das unholde
Wort 'derselbe'. Einzelne treffende Ausdrücke wie 'vielsagende
Winke '= nutus loquaces hat bereits Teuffei. Überhaupt fällt ein Ver-
gleich mit Gruppe« und Teuffels Übersetzungen überwiegend ungünstig
für die vorliegende aus.
214- Tibulls Elegieen. In das Deutsche übersetzt von Alfred
Bernstädt. Leipzig. Nr. 1534 der Reclam'schen Sammlung. 79 S. 12.
Die bündige Einleitung enthält das für ein gröfseres Publikum
Wissenswerteste über Leben und Gedichte Tibulls. Die neuere Litte-
ratur ist benutzt — vielleicht mehr als nötig: der eques R. e Oabüa
konnte uns erspart bleiben. Nach S. 4 mufs der Leser glauben das Epi-
gramm des Domitius bestehe eben nur aus dem mitgeteilten Distichon.
Auf S. 6 ist der Ausdruck in den im zweiten Gedichte (I 2) ver-
einigten drei einzelnen Gedichten' sehr unglücklich und irre
leitend. S. 10 ist die Behauptung, auch das erste Buch sei aus des
Dichters Nachlasse herausgegeben, nicht haltbar. — Der Verf. hat sich
nach S. 11 zum teil 'auf eine Modernisierung der Vossischen
Übersetzung beschränkt'. Indessen hat er sich die Sache nicht
leicht gemacht und ist eifrig bemüht gewesen zu bessern und zu glatten.
Als Probe des Verhältnisses von Original und Überarbeitung mag der
Anfang von II 5 dienen.
Voss.
Phöbus, sei hold! Dir wandelt ein Neulingspriester zum Tempel 1
Auf! mit der Lyra komm und mit Gesänge daher!
Nun hellstimmige Saiten, wohlan! mit den Daumen gerühret!
Nun mir Worte zum Lob in Melodieen gebeugt!
Jahresbericht für Alterthum.swissenschaft 1.1. ( 1887 II ) 24
370 Tibullübersctzunf,'en (Hernsiiidt, Oi-iliel. Mäbly).
Bernstädt.
Phöbus, sei gnädig gestimmt, es naht dir ein neuer Geweihter
Drum mit der Leier komm und mit Gesängen daher.
Jetzt, so lieh' ich dich an, lafs hell die Saiten mir tönen,
Und lal's mild sich mein Wort fügen zum Lobesgesang.
Nicht, überall ist offenbar geändert Boviel wie gebessert. Aber im Ganzen
darf man sagen, dafs die vorliegende Übersetzung entschieden zu ilen
besseren Leistungen auf diesem Gebiete gehört and meist lesbar ist.
Steine des Anstofses fehlen nun freilich nicht. I 1 ist verunstaltet durch
Umstellungen, durch Ausdrücke wie unschei u 1 iche Heerde', 'Rinder
zu feihen'. I 5, 42 'Und, o Scham, sie droht, alles erfahre mein Herz
ist vollständig verballhornt. II 3, 3 'lachende Fluren' isl falsche Les-
art. 11 4, 4 läfst nicht Amor die Bande zurück' ist ganz mifs
verstanden u. s. w. Der Versbau ist mehrfach holprig, besonders im
Hexameter. Die Ausstattung ist die in den älteren Reclamschen Aus-
gaben übliche — also ziemlich dürftig.
Aufserdem hat Ref. noch folgende Übersetzungen einzelner Ge-
dichte oder Bruchstücke gesehen:
215. E. Geibel (Klassisches Liederbuch. Berlin. Hcrtzi
übersetzt mit gewohnter Meisterschaft Tib. I 3, IV 2, IV 3. Die Verse
sind wundervoll. Doch sie mögen selbst für sich sprechen (IV 2. Auf.) :
Festlich schmückt sich, o Mars, zu deinen Kaienden die Juugfrau,
Weifst du was schön ist, so komm selbst vom Olymp, sie zu schau 'n!
Venus wird es verzeihn; doch magst du dich, Stürmischer, hüten,
Dafs vor Bewunderung dir schmählich der Schild nicht entfällt.
Denn will Amor das Herz unsterblicher Götter entzünden,
Ihr am Auge zuvor steckt er die Fackel in Brand.
216. J. Mähly, Römische Lyriker S. 85 f., übersetzt Tib. IV 2,
IV 4, IV 3, IV 5, I 3, Lygdam. 5, Tib. I 1. Er kommt Geibel nicht ganz
gleich, wie die Vergleichung der beiden Übersetzern gemeinsamen Num-
mern zeigt, aber bleibt nicht weit hinter ihm zurück. Die Sprache ist
wirklich deutsch, und doch nirgends trivial, die Verse fliefsend. Die be-
rühmten Verse I 45 f. lauten hier so:
0 des Genusses, im Bette das Toben des Windes zu hören,
Während das Liebchen sich zart dir an den Busen sich schmiegt!
Oder beim Takte des Regens sich drinnen in Schlummer zu wiegen,
Während in Strömen der Süd draufsen die Fluten entleert!
Das ist's, was ich mir wünsche: mag reich dann werden (ich gönns ihm),
Wen auf tobendem Meer Wetter und Sturm nicht bewegt.
Tibullübersetzungen (Bruch, Legerlotz u. a.) 371
217. C. Bruch bietet in seiner Roma' Tib. I 1, IV 13, IV 12.
IV 3, IV 11, IV 14, I 10, Lygdam. 2, I 3 v. 57—82. Auch diese Ar-
beit verdient Lob. Verf. ist ein sehr gewandter Nachdichter, der die
Sprache beherrscht und hübsche, leicht fliefsende Verse (die Metra der
Originale sind beibehalten) zu bauen versteht. Der Sprache fehlt es
bisweilen an wuchtigen schweren Accenten , an sinnlicher Anschaulich-
keit. Als Probe mag die Schilderung des Elysiums (Tib. I 3, 59f.)
dienen:
Da herrscht Reigen und Sang, da fliegen die Vögel und schmettern,
Munter von Zweig zu Zweig hüpfend, ihr liebliches Lied.
Da schenkt edles Gewürz die Natur und die Düfte der Rosen
Wallen in würzigem Hauch über das blühende Land.
Knaben und liebliche Mädchen vereint ein lustiges Treiben,
Und Gott Amor betreibt selber das neckische Spiel.
218. G. Legerlotz übersetzt gewandt und geschmackvoll im
Versmafse des Originals I 1 (Festschrift zur Feier der Einweihung des
Neuen Gymnasiums. Salzwedel. 1882 S. 4—5), sowie I 2 im Salzwedeler
Programm 1884 S. 3—4. Vgl. 'Aus guten Stunden'. Dichtungen und
Nachdichtungen von G. Legerlotz. Salzwedel. 1886.
219. Hultgren überträgt (N. Jahrbb. 116, 110 f.) Tib. I 2 und 6 in
moderne Rhythmen (vgl. die treffenden Bemerkungen von R. Richter in
dieser Zeitschr. 1877 II S. 295), Ludwig einen Teil der dritten Elegie
des Lygdamus (Korrespoudenzbl. f. d. Gelehrten- und Realschulen Würt-
tembergs XXVIII (1881 S. 525—526).
Übersetzungen Tibulls in fremde moderne Sprachen blieben ent-
sprechend dem für Catull durchgeführten Grundsatze ausgeschlossen. Doch
sei als Merkwürdigkeit erwähnt:
220. T i b u 1 1 o — Urica amorosa versione barbaro-dattilica di P i e t r u
Casorati. Verona. Münster. 1885.
Elegische Distichen in italienischer Sprache ohne Rücksicht auf
den natürlichen Wortaccent waren dein Ref. etwas ganz Neues. Ob der-
artige Experimente mit dem Geiste dieser Sprache vereinbar Bind, kann
ein Ausländer nicht entscheiden. Zweifel werden gestattet sein. Der
Anfang von 1 1 lautet so:
Altri in forzieri calchi ricchezza fnlgida d'oro
E tli fiorenti messi anmeri molti solchi:
Ma il coro gli limi Toste, che presse s'aeeampa.
E lo dissonni il cenno <li militare squillo.
Ausgestattet ist das Bttohlein sehr zierlich.
9*
372 Tibull. Verzeichnis nicht besprochener Schriften.
Folgende Tibulliana bat Ref. bis zum Abschlüsse seines Berichtes
nicht einsehen können:
221. V. Vaccaro, De auHevtiyi Tibulli in Messallarn pa-
negyrici. Palermo.
222. S. Vacirca, Albio Tibullo. Roma. 1879.
223. C. Biuso, La questione del terzo libro di Tibullo.
Rieti. 1883.
224. T i b u 1 1 u s. Book I adapted for schools by F. and E. B ü 1 m e r.
Cambridge.
225. L. Englmann, Anthologie aus Ovid, Tibull und
Phädrus. 5. Aufl. Bamberg. Buchner.
226. P. Frost, Florilegium poeticum. Elegiacs extracts
from Ovid and Tibullus. London. 1877.
»e«
Druck von C. Feicht in Berlin.
PA Jahresbericht über die Fort-
3 schritte der klassischen
J3 Altertumswissenschaft
Bd. pO-51
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