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Full text of "Jahresbericht über die Fortschritte der klassischen Altertumswissenschaft"

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JAHRESBERICHT 

über 

die  Fortschritte  der  classisclieii 

Altertliumswissenscliaft 

begründet 

von 

Conrad   Bursian, 

herausgegeben 
von 

I^A^an  V.  Müller, 

ord.  öflfentl.  Prof.  der  classischen  Philologie  an  der  Universität  Erlangen. 


Vierundsechzigster  Band. 
Achtzehnter  Jahrgang.    1890. 

Dritte  Abtheilung. 

A  LT  ERTHUMSWISSEN  SCHAFT, 

Register  über  die  drei  Abtheilungen. 


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BERLIN    1891. 

VERLAG  VON  S.  CALVARY  &  CO. 

W.  Unter  den  Linden  21 


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Inhalts-Verzeichniss 

des  vierundsechzigstea  Bandes. 


Bericht  über  die  Litteratur  des  Jahres  1887,  welche  sich  auf 
Encyklopädie  und  Methodologie  der  klassischen 
Philologie,  Geschichte  der  Alterthumswissenschaft  und 
Bibliographie  bezieht  (nebst  Nachträgen  zu  den  früheren 
Jahren).  Von  Dr.  theol.  et  philol.  Karl  Hartfelder, 
Gymnasial-Professor  in  Heidelberg 1  — 113 

Zur  Geschichte  des  Humanismus.  Renaissance  in  Italien  1.  — 
Renaissance  in  Frankreich  11.45. —  Renaissance  in  Deutschland 
15.  —  Der  Humanismus  in  Polen  41. —  Geschichte  und  Methode 
der  altsprachlichen  Studien  47.  —  Mommenta  Germaniae  paeda- 
gogica  59.  —  Gelehrtengeschichte  66.  —  Buchdruckergeschichte 
97.  —  Pädagogik  und  Schulorganisation  99.  —  Anhang:  Dich- 
tungen 109. 

Die  Berichte  über  Paläographie  von  Bibliothekar  Dr.  Beer 
in  Wien;  alte  Geographie  und  Geographen  von  Oberlehrer 
Dr.  R.  Frick  in  Höxter,  und  Topographie  von  Attika  von 
Oberlehrer  Dr.  Chr.  'Beiger  in  Berlin  erscheinen  später. 

Jahresbericht  über  Geographie  von  Griechenland,  1874 
— 1890.  Von  Dr.  Eugen  Oberhummer,  Privatdozent 
an  der  Universität  München 347 — 446 

Allgemeiner  Theil  347.  —  Bibliographie  348.  —  Lehrbücher  349. 
—  Ortsnamenkunde  356.  —  Physikalische  Geographie  und  Geologie 
360.  —  Hydrographie  377.  —  Klimatologie  383.  —  Flora  384.  — 
Fauna388.  —  Anthropologie  390.  -  Ethnographie 391.  —  Statistik 
396.  —  Kulturbilder  401.  —  Topographische  Spezialwerke,  Reise- 
führer und  Beschreibungen  403.  —  Karten  427.  —  Nachträge  437. 

Die  Berichte  über  Geographie  von  Unter-Italien  und  Sicilien 
von  Prof.  Dr.  von  Duhn  in  Heidelberg;  über  Geographie 
von  Mittel-  und  Ober-Italien,  Gallien,  Britannien  und 
Hispanien  von  Dir.  Prof.  Dr.  D.  Detlefs en  in  Glückstadt; 
über  Topographie  der  Stadt  Rom  von  Prof.  Dr  0.  Richter 
in  Berlin,  und  über  griechische  Geschichte  von  Prof.  Dr. 
A.  Bauer  in  Graz  folgen  später. 


IV  Inhalts- Vcrzeichniss. 

Jahresbericht  über  römische  Geschichte  und  Chrono- 
logie für  1888.  Von  Geh.  Oberschulrat  Dr.  Hermann 
Schiller,  Gvmn.-Dir.  und  Universitäts-Prof.  in  Giefsen    1  14  — 185 

1.  Zusammenfassende  Werke  und  Abhandlungen  allgemeinen  In- 
halts 114  —  2.  Chronologie  IIa.  —  3.  Königszeit  und  Uebergan^ 
zur  Republik  120.  —  4.  Zeit  des  Ständekampfes  und  der  Erobe- 
rung Italiens  129.  --  r>.  Die  punischen  Kriege  130.  -  0.  Die  Re- 
volution lö3.  —  7.  Zeit  der  Julier,  Claudier,  Flavier  und  Anto- 
nine 139.  —  Die  germanischen  Kriege  141.  —  Anfänge  des 
Christenthums  160.  —  8.  Zeit  der  Verwirrung  169.  —  9.  Zeit 
der  Regeneration  173. 

Die  Berichte  über  griechische  Litteraturgeschichte  von  Dir. 
Dr.  Volkmann  in  Jauer;  römische  Litteraturgeschichte 
von  Prof.  Dr.  E.  Zarncke  in  Leipzig;  antike  Mythologie 
von  Dr.  Back  in  Berlin;  griechische  Staatsalterthümer 
von  Dr.  C.  Schäfer  in  Pforta;  griechische  Sacralalter- 
thümer  von  Prof.  Dr.  Aug.  Mommsen  in  Hamburg,  und 
griechische  Privatalterthümer  von  Prof.  Dr.  Iwan  v.  Müller 
in  Erlangen  folgen   später. 

Jahresbericht  über  die  römischen  Staatsaltertümer  für 
1888.  Von  Geh.  Oberschulrat  Dr.  Hermann  Schiller, 
Gvmn.-Dir.  und  Üniversitäts-Professor  in  Giefsen.     .   186 — 230 

A  Zusammenfassende  Darstellungen  186.  —  B  Die  Staatsgewalt. 

1.  Magistratur  186.  —  2.  Senat  204.  —  3.  Bürgerschaft  211.  — 
C.  Die    Staatsverwaltung.     1    Organisation   des  Keiches  212.    — 

2.  Finanzverwaltung  213.  —  3.  Militärwesen  218.  —  4.  Recht 
und  Gericht  227. 

Der  Bericht   über   scenische  Alterthümer   von  Studienrektor 
Prof.  Dr.  B.  Arnold  in  München  folgt  im  nächsten  Jahr- 
gang- 
Jahresbericht  über  Chemie,  beschreibende  Naturwissen- 
schaft, Technik,   Handel  und  Verkehr  im  Altertum. 
Von  Professor  Dr.  S.  Günther  in  München    .     .     .  231—304 
Allgemeines  231.    —    Masskunde   233.    —    Astrologie   und  Aber- 
glauben 236.  —  Alchemie  und  Chemie  242.  —  Anthropologie  und 
Prähistorik  245.    —   Thiere  252.   —   Pflanzen  253.  —  Land-  und 
Forstwirthschaft  257.    —  Mineralogie   und  Bergbau  258.  —  Nau- 
tik 263.  —  Handel  und  Verkehr  268.  —  Technik  und  Wasserbau 
273.  —  Papyrus  magicus  280. 

Der  Bericht  über  mathematische  Wissenschaften  im  Alterthum 
von  Oberlehrer  M.  Curtze  in  Thorn  folgt  später. 


Inhalts- Verzeichniss.  V 

Jahresbericht  über  die  Medicin  bei  den  Griechen  und 
Römern.  Von  Prof.  Dr.  Th.  Puschmann  in  Wien.  281—320 
I.  Geschichte  der  Medicin  im  Allgemeinen  281.  —  II.  Die  my- 
thische Zeit.  Heilkimst  in  den  Tempeln  284.  -  III.  Die  Me- 
dicin der  Griechen  und  Römer.  —  IV.  Die  medicinische  Litte- 
ratur  der  Griechen  und  Römer.  Allgemeines  292.  —  Hippokrates 
295.  —  Aristoteles  298.  —  Damokrates,  Soranus,  Scribonius  Lar- 
gus,  Marcellus  282.  —  Galenus  303.  —  Alexander  Trallianus  308. 
—  V.  Naturwissenschaften,  Anatomie  und  Physiologie  312.  — 
VI.  Arzneimittellehre,  Klimatologie,  öffentliche  Gesundheitspflege 
315.  _  VII.  Pathologie,  interne  Medicin,  Geisteskrankheiten, 
Seuchen  323.  —  VIII.  Chirurgie,  Augenheiikuude  und  Geburts- 
hülf'e  328.  —  IX.  Der  ärztliche  Stand.  Militärsanitätswesen.  Ge- 
richtliche Medicin.  Thierheilkunde  329.  —  X.  Beziehungen  der 
Medicin  der  Griechen  und  Römer  zu  derjenigen  anderer  Cultur- 
völker  342. 

Die  Berichte  über  griechische  Epigraphik  von  Dr.  W.  Lar- 
feld  in  Remscheid;  römische  Epigraphik  von  Direktor  Dr. 
F.  Hang  in  Mannheim;  Geschichte  der  alten  Kunst  von 
Dr.  Kroker  in  Leipzig;  vorgeschichtliche  Kunst,  Vasen- 
malerei etc.  von  Prof.  P.  Dümraler  in  Basel;  Baukunst 
von  Architekt  P.  Koldewey  in  Berlin;  Bildhauerkunst 
von  Dr.  F.  Kopp  in  Berlin;  Kunstmythologie  von  Dr. 
Back  in  Berlin;  Numismatik  von  Dr.  R.  Weil  in  Berlin; 
vergleichende  Sprachwissenschaft  von  Dr.  H.  Ziemer  in 
Colberg;  griechische  Grammatik  von  Prof.  Dr.  B.  Gerth 
in  Zwickau;  Kyprisch,  Pamphilisch  und  Messapisch  von 
Direktor  Prof.  Dr.  W.  Deecke  in  Mühlhausen  i.  E. ;  latei- 
nische Grammatik  und  Etruskisch  von  demselben;  Vulgär- 
latein von  Professor  Dr.  K.  Sittl  in  Würzburg;  lateinische 
Lexikographie  von  Prof.  Dr.  K.  E.  Georges  in  Gotha; 
Metrik  von  Professor  Dr.  R.  Klotz  in  Leipzig,  und  antike 
Musik  von  Dr.  H.  Reimann  in  Berlin  werden  später  er- 
scheinen. 


Register 447 — 463 

I    Register  über  die  besprochenen  Schriften 447 

II.  Register  der  behandelten  Stellen: 

Griechische  Autoren 458 

Römische  Autoren 459 

Generalregister  über  Band  XXV -LXV 461—463 


Bericht   über   die   Litteratur  des  Jahres   1887, 
welche  sich  auf  Encyklopädie  und  Methodologie 
der  klassischen  Philologie,  Geschichte  der  Alter- 
tumswissenschaft und  Bibliographie  bezieht 

(nebst  Nachträgen  zu  den  früheren  Jahi-en). 

Von 

Dr.  theol.  et  philol.  Karl  Hartfelder, 

Gymuasialprot'essor  in  Heidelberg. 


Wir  beginnen  unseren  diesjährigen  Bericht  mit  der  Besprechung 
der  litterarischen  Erscheinungen,  die  sich  auf  die  Geschichte  des  Hu- 
manismus beziehen.  Die  Zahl  der  gelehrten  Arbeiter  auf  diesem  Felde 
ist  in  Deutschland,  Frankreich  und  Italien  in  den  letzten  Jahren  bedeu- 
tend gewachsen.  Neben  selbständigen  Schriften  mehren  sich  besonders 
die  in  Zeitschriften  niedergelegten  kleineren  Arbeiten,  für  welche  in 
Deutschland  die  von  Max  Koch  und  Ludwig  Geiger  herausgegebene 
»Zeitschrift  für  vergleichende  Litteraturgeschichte  und  Renaissance-Litte- 
ratur«  ein  willkommener  Sammelpunkt  geworden  ist. 

Entsprechend  dem  Gange  der  Geschichte,  beginnen  wir  mit  Arbei- 
ten, welche  die  Erscheinung  der  Renaissance  in  Italien  behandeln. 

Den  Anfang  mögen  zwei  kleine  Arbeiten  über  Petrarca  bilden: 

Johannes  Übinger,  Die  angeblichen  Dialoge  Petrarcas  über  die 
wahre  Weisheit  (Geigers  Vierteljahrsschrift  für  Kultur  und  Litteratur 
der  Renaissance  II  57—70). 

Während  von  Petrarcas  Schriften  im  Laufe  der  Zeit  zahlreiche 
Spezialausgaben  erschienen,  gibt  es  von  den  beiden  Dialogen  ȟber  die 
wahre  Weisheit«  nur  eine  einzige  aus  dem  Jahre  1604,  und  während 
von  den  sonstigen  Schriften  Petrarcas  oft  Dutzende  von  Handschriften 
existieren,  läfst  sich  für  die  Dialoge  nicht  eine  einzige  bis  jetzt  nach- 
weisen. Doch  stehen  sie  bereits  in  der  ersten  Gesamtausgabe  Petrarcas 
von  1496,  die  zu  Basel  erschienen  ist. 

Der  Hauptinhalt  des  ersten  Dialogs,  eines  Gespräches  zwischen  dem 
Redner  und  Idioten  (=  einem  ungebildeten  Mann  mit   gesundem  Men- 

Jahresbericht  für  Alterthumswissenscbaft.  LXIV.  (1890.  III.)  1 


2  Geschichte  der  Philologie. 

schenverstand)  wird  mitgeteilt.  Der  Hauptgedanke  des  Gespräches  dreht 
sich  um  die  Möglichkeit,  die  Weisheit  zu  besitzen.  Eine  Untersuchung 
über  den  Dialog  führt  Übinger  zu  dem  Ergebnis,  »dafs  in  dem  ersten 
Stücke  des  Gesprächs  eine  völlig  andere  Gedankenreihe  vorwaltet  als  in 
dem  zweiten«.  Der  Dialog  besteht  nicht  aus  einem  Gusse,  sondern  drei 
verschiedene,  wenn  auch  verwandte  Gedankenkomplexe  sind  gewaltsam 
zusammengeschmiedet. 

Der  Dialog  ist  also  eine  Kompilation:  der  Anfang  des  Gespräches 
stammt  aus  dem  Dialoge  des  Nikolaus  Cusanus  »über  die  Weisheit«  vom 
Jahre  1450.  Das  Folgende  rührt  sodann  wirklich  von  Petrarca  her.  Es 
ist  der  zwölfte  Dialog  des  ersten  Buches  »Das  Heilmittel  gegen  Glück 
und  Unglück«.  Das  zweite  Mittelstück  kann  auch  von  Petrarca  sein, 
doch  hat  Übinger  diesen  Abschnitt  bei  Petrarca  nicht  gefunden.  Auch 
der  Schlufs  ist  Eigentum  des  Cusanus. 

Der  zweite  Dialog  bildet  ein  zusammenhängendes  Ganzes,  welches 
mit  dem  Schlufs  des  ersten  Gesprächs  eng  verknüpft  ist.  Aber  nicht 
ein  Wort  desselben  stammt  von  Petrarca,  sondern  alles  ist  aus  des  Cu- 
sanus erwähntem  Gespräche  entnommen. 

Jos.   Viktor  von  Scheffel,  Ein  Tag  am   Quell  von  Vaucluse. 
(Reisebilder.     Stuttgart  1887.     S.  289—355). 

Der  Dichter  des  »Ekkehard«  und  des  »Trompeter  von  Säckingen« 
hat  im  Jahre  1857  eine  Reise  in  das  südliche  Frankreich  gemacht  und 
dabei  von  Avignon  aus  die  einstige  Wohnstätte  Petrarcas  besucht.  Man 
wird  von  dem  launigen  und  humoristischen  Dichter  keine  neuen  wissen- 
schaftlichen Entdeckungen  über  den  Sänger  der  Laura  erwarten.  Er 
gibt  eine  anschauliche  und  poetische  Beschreibung  der  vielbesprochenen 
Örtlichkeiten,  ironisiert  auf  das  heiterste  mehrere  populäre  und  auch 
eine  gelehrte  Darstellung  über  Petrarca,  an  dessen  weltberühmten  rime 
er  sich  an  Ort  und  Stelle  ergötzte.  S.  319  teilt  er  eine  anmutige  Über- 
setzung von  Petrarcas  »Wanderlied«  mit,  die  er  an  der  klassischen  Stelle 
gefertigt:  »Im  Schatten  der  Gartenmauer  (von  Petrarcas  Hause)  gelagert, 
las  ich  wiederum  im  Buch  der  Reime,  und  weil  mir  das  Sonett:  per 
mezz'  i  boschi  inospiti  e  selvaggi  just  gut  gefiel,  begann  ichs  zur  Kurz- 
weil frei  zu  verdeutschen«.  Am  Schlüsse  des  anmutig  geschriebenen 
Reisebildes  folgen  noch  Übersetzungen  aus  Petrarcas  Dialogus  De  scrip- 
torum  fama  und  das  Schreiben  Petrarcas  an  den  Kardinal  Giovanni  Co- 
lonna,  worin  er  seine  Besteigung  des  Mont  Ventoux  erzählt. 

Zu  den  Städten,  wo  die  humanistische  Bedeutung  ihren  Sitz  auf- 
geschlagen, gehörte  neben  Florenz  besonders  Rom  mit  seiner  Vaticana, 
deren  Geschichte  und  fast  unerschöpflich  scheinenden  handschriftlichen 
Schätze  Gegenstand  folgender  zweier  Arbeiten  sind: 


Müntz  et  Fahre,  La  bibliotheque  du  Vatican.  3 

La  bibliotlieque  du  Vatican  au  XV.  siecle  d'apres  des  do- 
cuments  inedits.     Contributions  pour  servir  ä  l'histoire  de  rhumanisme 
par  Eugene  Müntz    et  Paul  Fabre   anciens  membres   de    l'ecole 
frangaise  de  Rome.     Paris,  Ernest  Thorin,  editeur,  libraire  des  ecoles 
frangaises  d'Athenes  et  de  Rome,  du  College  de  France  et  de   l'ecole 
normale  superieure.     1887.     S'^.    VIII  und   380p.     (Bibliotheque   des 
ecoles  frangaises  d'Athenes  et  de  Rome.     Fascicule  quarante-huitieme). 
In  der  Vorrede  berichtet  Müntz,  dafs  er  den  Grundstock  der  Do- 
kumente, welche  den  Hauptinhalt  des  Buches  ausmachen,  schon  vor  etwa 
zwölf  Jahren   während   seines  Aufenthaltes  an  der  Schule  zu  Rom  ge- 
sammelt habe,   dafs  er  jedoch  durch  andere  Arbeiten  bisher  an  deren 
Veröffentlichung  verhindert  gewesen,  ohne  dafs  er  das   bedauern  könne, 
da  ihm  dieser  Verzug  die  Beihilfe  Fabres  gebracht  habe,  von  dem  z.  B. 
neben  anderen  wichtigen  Aktenstücken  das  Inventar  der  Bibliothek  Eu- 
gens  IV.  und   das   Ausleiheregister  der  vatikanischen  Bibliothek  unter 
dem  Pontifikate  Sixtus  IV.,  angelegt  von  Piatina,  beigebracht  worden  sei. 
Müntz  versichert,   dafs  dieses  Werk  keine  vollständige  Geschichte 
der  vatikanischen  Bibliothek  deshalb  sei,  weil  er  eine  Identifikation  der 
in  den  abgedruckten  Verzeichnissen   enthaltenen  Handschriften  mit  den 
jetzt  in  der  Vaticana  befindlichen  Codices  nicht  vorgenommen  habe:  un 
tel  travail  eüt  präsente  les  plus  serieuses  difficultes  pour  des  etrangers ; 
il  ne  saurait  etre  entrepris  que  par  les  fonctionnaires  memes  attaches  ä 
cet  etablissement. 

Der  Verfasser  erkennt  sodann  dankbar  an,  dafs  bezüglich  des  von 
ihm  behandelten  Themas  die  zwei  Werke  seines  Lehrers  Rossi  (La  Bib- 
lioteca  della  Sede  apostolica  ed  i  cataloghi  dei  suoi  manoscritti  und  De 
origine,  historia,  iudicibus  scriuii  et  bibliothecae  sedis  apostolicae.  Rom 
1884  und  1886)  zahlreiche  neue  Aufschlüsse  gebracht  haben. 

Beachtenswert  bleibt  auch,  dafs  der  Mitarbeiter  Paul  Fabre  eine 
Anzahl  von  Handschriften  aus  den  alten  Verzeichnissen  mit  jetzt  noch 
vorhandenen  Manuskripten  der  Vaticana  identifiziert  hat.  Besonders 
wichtig  ist  folgende  Bemerkung:  On  n'hesitera  pas  non  plus  ä  iden- 
tifier  le  fameux  manuscrit  de  Virgile,  connu  sous  le  titre  de  Codex  Ro- 
manus, au  Virgile  mentionne  dans  l'inventaire  de  Sixte  IV  sous  le  titre 
de  Virgilius  in  majusculis  (p.  II). 

Während  von  der  Bibliothek  des  Papstes  Bonifaz  VHI.  nur  einzelne 
Bände  in  die  päpstliche  Bibliothek  zu  Rom  übergingen,  so  wuchs  diese 
trotzdem  im  Laufe  des  15.  Jahrhunderts  in  schnellem  Mafse.  Unter 
Papst  Eugen  IV.  zählte  sie  nur  340  Bände,  darunter  zwei  griechische, 
im  Jahre  1455  beim  Tode  Nikolaus  V.  bereits  1160,  worunter  353  grie- 
chische, und  1484  beim  Tode  Sixtus  IV.  ungefähr  3650,  wovon  vielleicht 
1000  griechisch  waren. 

Im  Anschlüsse  daran  produziert  Müntz  einige  Zeugnisse  über  die 
ersten  griechischen  Bibliotheken :  die  Bibliothek  des  Papstes  Bonifaz  VIII. 

1* 


4  Geschichte  der  Philologie. 

enthielt  im  Jahre  1311  nur  33  griechische  Handschriften.  In  der  be- 
rühmten Bibliothek  der  Visconti  zu  Pavia  waren  im  Jahre  1426  nur  vier 
griechische  Codices:  eine  Ilias,  ein  Plato  und  zwei  Bände,  bezeichnet 
»Liber  in  littera  greca  seu  hebraica«.  (!)  Die  Sammlung  des  Niccolo 
Niccoli  (t  1437)  zu  Florenz  dürfte  bis  auf  170  griechische  Handschriften 
angestiegen  sein.  Die  Bibliothek  des  Mediceers  Lorenzo  des  Prächtigen 
enthielt  laut  Inventar  von  1495  bereits  310  griechische  Bände.  Als  im 
Jahre  1468  der  Kardinal  Bessarion  seine  Bibliothek  der  Republik] Ve- 
nedig vermachte,  waren  darunter  mehr  als  600  griechische  Handschriften. 
Weniger  reich  an  solchen  war  die  Bibliothek  von  Papst  Pius  II.  Im 
Vatikan  befinden  sich  heute  davon  54  Bände,  darunter  sehr  alte  Hand- 
schriften. In  der  gegen  Ende  des  15.  Jahrhunderts  gegründeten  Biblio- 
thek von  Urbino  waren  unter  772  Handschriften  nur  93  griechische. 
Vei'hältnismäfsig  am  ärmsten  an  griechischen  Texten  dürfte  die  Bibliothek 
der  aragonesischen  Dynastie  in  Neapel  gewesen  sein.  Aber  ähnlich  stand 
es  mit  der  Bibliothek  des  Corvinus.  Nach  Fischers  Untersuchungen  war 
unter  62  sicher  authentischen  Handschriften  dieser  Bibliothek  nur  eine 
einzige  griechisch. 

Frankreich  hatte  zu  Avignon  schon  im  14.  Jahrhundert  griechische 
Bücher;  die  Bibliothek  des  Herzogs  von  Berry  (f  1316)  besafs  ein  ein- 
ziges griechisches  Werk.  Zahlreiche  griechische  Handschriften  gelangten 
nach  Frankreich,  erst  seitdem  Hermonymus  von  Sparta  1476  nach  Paris 
kam.  Aber  noch  1518  besafs  die  Bibliothek  der  französischen  Könige 
nur  40  griechische  Handschriften. 

Der  Stoff  des  Buches  ist  nach  der  Chronologie  der  Päpste  geord- 
net; Martin  V.  (1417—1431),  Eugen  IV.  (1431—1447),  woselbst  das  Inven- 
tarium  de  libris  von  diesem  Papste  mitgeteilt  wird,  Nikolaus  V.  (1447 — 
1455).  In  dem  diesem  Papste  gewidmeten  Abschnitte  finden  wir:  Pieces 
comptables  extraites  des  registres  de  depenses  de  Nicolas  V.,  Inventaire  de 
la  bibliotheque  latine  de  Nicolas  V.,  das  mir  besonders  wichtig  erscheint, 
und  ein  Brief  des  Nicolas  Perroti  ä  Nicolas  V.  Es  folgen  sodann  Calixtus  IL, 
Pius  II.,  PaulIL,  SixtusIV.,  Innocenz  VIII.  und  Alexander  VI.  (1492—1503). 

Der  eigentliche  Gründer  der  Vaticana  ist  nicht  Sixtus  IV.,  wie 
man  zu  lang  irrtümlich  behauptet  hat,  sondern  Nikolaus  V.  Kaum  ge- 
wählt, begann  er  seine  ehrgeizigen  Bestrebungen,  um  dem  Vatikan  die 
gröfste  Bibliothek  zu  verschaffen.  Dabei  haben  ihm  nützliche  Dienste 
gethan  sein  Bibliothekar  Giovanni  Tortello  von  Arezzo,  bekannt  als  Ver- 
fasser eines  Traktates  De  orthographia,  der  bekannte;; Reisende  Enoch 
d'Ascoli,  welcher  bei  seinem  Suchen  nach  Handschriften  bis  nach  Skan- 
dinavien gelangte.  Der  Papst  hatte  die  Absicht,  seine  Büchersammlung 
allen  gelehrten  Arbeitern  ohne  Unterschied  zur  Benutzung  zu  öffnen. 

Das  Inventar  der  lateinischen  Bücher  von  Nikolaus  V.  umfafst 
824  Bände;  das  ist  eine  Summe,  die  mit  den  reichsten  Bibliotheken  jener 
Zeit  wetteifert.     So   enthielt  die   Bibliothek  der  Viscontijzu  Pavia   im 


Müntz  et  Fabre,  La  bibliotheque  du  Vatican.  5 

Jahre  1426  im  ganzen  988  Werke,  die  berühmte  Bibliothek  Bessarions 
900,  die  Friedrichs  von  Urbino  772,  die  der  Medici  im  Jahre  1456 
nur  158. 

Bezüglich  des  Inhaltes  der  Bücher  sagen  die  Verfasser:  »Nicolas  V. 
raontra,  dans  la  composition  de  la  bibliotheque,  l'esprit  de  large  Sympa- 
thie qui  caracterisa  tous  ses  actes.  Cependant,  il  n'oublia  pas  qu'il 
etait  avant  tout  un  souverain  ecclesiastique:  la  theologie  occupe  la  place 
d'honneur  dans  l'inventaire  que  nous  publions«. 

So  wertvoll  die  Publikation  ist,  so  vermifst  man  doch  die  Konse- 
quenz in  der  Behandlung  der  publizierten  Aktenstücke.  So  sind  bei  dem 
Inventar  von  Nikolaus  V.  bald  Anmerkungen  gegeben,  bald  auch  nicht. 
Höchst  schwierige  Titel  sind  mit  keiner  Silbe  erläutert;  daneben  werden 
bekanntere  Bücher  noch  besonders  erklärt.  Im  ganzen  aber  wird  der 
Benutzer  diese  Anmerkungen  zu  spärlich  finden.  Ebenso  ungleich  ist 
die  Verwendung  eines  beigefügten  »sie«  oder  Fragezeichens,  wenn  der 
Name  in  seiner  gegebenen  Form  von  der  jetzt  üblichen  abweicht.  Wenn 
überhaupt  von  »sie«  Gebrauch  gemacht  werden  sollte,  so  mufste  z.  B. 
S.  98  das  Wort  Tremegestus  damit  versehen  werden,  weil  es  für  Tris- 
megistos  steht.  Ebenso  war  S.  98  Tholomeus  (für  Ptolemäus),  S.  102 
Coronensis  (für  Veronensis),  ebendaselbst  Cipionis  (für  Scipionis),  Pana- 
gericus  (für  Panegyricus),  S.  103  Zenophon  (für  Xenophon)  u.  s.  w.  zu 
behandeln.  Weitere  Beispiele  dafür  können  nahezu  auf  jeder  Seite  ge- 
wonnen werden. 

Ab  und  zu  ist  ein  Fragezeichen  bei  einem  Worte,  wo^gewifs  kei- 
nes hingehört.  So  ist  S.  88  in  dem  Titel  Hystorie  Ammaburgensis 
ecclesie  das  zweite  Wort  mit  einem  Fragezeichen  versehen,  ohne  dafs 
man  den  Grund  einsieht.  Das  fragliche  Werk  war  eine  Kirchenge- 
schichte Hamburgs.  Das  Gleiche  gilt  von  der  Bezweiflung  der  Bezeich- 
nung De  vilitate  fortune;  man  sieht  nicht  ein,  warum  nicht  ein  Traktat 
von  der  Verächtlichkeit  des  Glückes,  des  blinden  Zufalls  handeln  sollte. 

Zahlreiche  Ausstellungen  sind  an  dem  beigegebenen  Register  zu 
machen.  So  sind  unter  dem  Worte  Cato  ganz  verschiedene  Dinge  durch- 
einander gemengt:  Cato  der  ältere  und  die  sogenannte  proverbia  oder 
disticha  Catonis,  eine  vielbenützte  Schulschrift  des  Mittelalters.  Cato 
der  ältere  ist  gemeint  S.  218  und  226.  Dagegen  sind  S.  100,  105  (237) 
die  proverbia  Catonis  zu  verstehen.  —  Ebenso  sind  die  beiden  Plinius 
durcheinander  geworfen :  Plinius  der  ältere,  Verfasser  der  historiae  na- 
turalis, ist  S.  82  gemeint.  Dagegen  sind  S.  102.  104.  218.  220.  222.  223. 
271  und  272  auf  seinen  Neffen,  den  jüngeren  Plinius,  zu  deuten.  — 
Ferner  sind  unrichtiger  Weise  der  König  Ptolemäus  Lagi,  der  z.  B. 
S.  46  gemeint  ist,  und  der  Schriftsteller  Claudius  Ptolemaeus  in  einem 
Artikel  zusammengefafst.  Auch  hätte  die  Form  Tolemeus  mit  dem  nö- 
tigen Verweis  in  das  Register  aufgenommen  werden  müssen.  —  Da  das 
Register  angeblich  neben  den  Verfassern  auch  noch   die  Stoffe   angibt, 


6  Geschichte  der  Philologie. 

so  mufste  z.  B.  der  S.  217  verzeichnete  Macrobius  in  Somniura  Scipionis 
auch  unter  Somnium  oder  Scipio  notiert  sein.  Überhaupt  ist  dieser  Teil 
des  Registers,  d.  h.  die  Angabe  der  Stoffe,  ganz  besonders  lückenhaft.  — 
Auch  dürften  zu  den  Schriften,  deren  Verfasser  in  den  Inventaricn  nicht 
nachgewiesen  werden,  dieselben  wenigstens  im  Register  verzeichnet  sein.  So 
steht  z.  B.  S.  103:  Item  unus  über  parvus  ex  pergameno  cum  duabus  serra- 
turis  et  cum  ligni  postibus,  copertus  correo  sive  panno  violato,  nuncu- 
patus  Inter  terram,  solera  et  aurum  disputacio.  Der  Name  des  Ver- 
fassers fehlt,  aber  es  unterliegt  wohl  keinem  Zweifel,  dafs  es  die  bekannte 
Schrift  des  frommgewordenen  Humanisten  Mapheus  Vegius  ist,  was  ent- 
weder in  einer  Anmerkung  oder  im  Register  zu  sagen  war.  Über  Ma- 
pheus vgl.  G.  Voigt,  Die  Wiederbelebung  des  klassischen  Altertums 
(Berlin  1881)  II  43,  wo  auch  die  fragliche  Disputatio  verzeichnet  ist. 

Für  die  Geschichte  des  deutschen  Humanismus  läfst  sich  aus  der 
Schrift  wenig  gewinnen.  Einige  deutsche  Bücherabschreiber  werden  ge- 
nannt, und  der  S.  285  erwähnte  Petreius,  welcher  den  3.  Januar  1481 
vom  Bibliothekar  Piatina  einen  Euripides  und  Hesiod  entleiht,  könnte 
vielleicht  ein  deutscher  Eberbach  oder  Aperbachius  sein. 

Es  ist  wohl  kaum  nötig  zu  erklären,  dafs  trotz  der  gemachten 
Ausstellungen  das  Werk  eine  wertvolle  Quelle  für  historische  und  philo- 
gische  Forschungen  über  die  Zeit  der  Renaissance  bleibt. 

La  bibliotheque  deFulvioOrsini.  Contributions  ä  l'histoire  des 
collections  d'Italie  et  ä  l'etude  de  la  Renaissance,  par  Pierre  de 
Nolhac,  ancien  membre  de  l'ficole  frangaise  de  Rome,  Maitre  de  Con- 
ferences ä  l'J&cole  pratique  des  Hautes-£tudes.  Avec  une  planche  en 
photogravure.  Paris.  F.  Vieweg,  Libraire-fiditeur.  1887.  8°.  XVII 
und  489  p. 

Der  gelehrte  und  fleifsige  Verfasser  hat  sein  Werk  Leopold  De- 
lisle  mit  einer  bemerkenswerten  Vorrede  gewidmet.  Es  geht  daraus  her- 
vor, dafs  der  Plan  dieses  Buches  schon  1883  die  Billigung  des  berühmten 
französischen  Bibliographen  gefunden  hat. 

Die  Mehrzahl  der  Bände  aus  der  ehemaligen  Bibliothek  von  Ful- 
vio  Orsini  befindet  sich  jetzt  in  der  Vaticana.  Trotzdem  glaubt  der 
Verfasser,  dafs  seine  Arbeit  verdienstlich  sei,  da  noch  viele  Jahre  ver- 
gehen werden,  bis  die  unter  Leo  XIII.  wiederbegonnene  Katalogisierung 
genannter  Bibliothek  die  Abteilung  erreichen  wird,  worin  jetzt  die  Bücher 
der  Orsinischen  Bibliothek  sind.  Auch  hat  Nolhac  grofse  Sorgfalt  auf 
die  Erforschung  der  Provenienz  und  der  Schrift  verwendet,  wie  das  beim 
üblichen  Katalogisieren,  besonders  in  einer  solchen  Riesenbibliothek  wie 
die  Vaticana  ist,  nicht  geschehen  kann. 

Neben  den  Handschriften  hat  der  Verfasser  seine  Nachforschungen 
auch  auf  die  Sammlung  der  Incunabeln  und  seltenen  Bücher  ausdehnen 
können  und  dabei  die  Wahrheit  des  Wortes:  »Juvat  integros  accedere 
fontes«  empfunden. 


P.  de  Nolhac,  La  bibliotheque  de  Fulvio  Orsini.  7 

Nolhac  glaubt  zugleich  einen  nützlichen  Beitrag  zur  Geschichte  der 
Renaissance  geliefert  zu  haben:  Les  erudits,  trös  nombreux  hors  de 
France,  qui  s'occupent  de  ces  etudes,  trouveront  ici  soit  des'  faits  nou- 
veaux,  soit  des  indications  de  sources.  Le  livre  fait  mention ,  dans  le 
texte  et  dans  les  notes,  d'une  foule  de  personnages  du  XIV.  au  XVI. 
siecle,  qui  ont  marque  leur  place  dans  l'histoire  litteraire  de  la  Re- 
naissance DU  meriteraient  d'en  avoir  une.    (p.  IX). 

Da  für  die  Bibliographie  und  Litterargeschichte  nichts  unwichtig 
ist,  so  sind  in  diesem  Werke  auch  Dinge  mitgeteilt,  die  vielleicht  man- 
chen nicht  wichtig  erscheinen.  Aber  Delisle  habe  seine  Schüler  gelehrt, 
dafs  was  dem  einen  nicht  nützt,  einem  andern  dienen  kann. 

Zur  Biographie  Orsinis  und  zum  Zwecke  des  Nachweises  über  die 
Herkunft  sind  besonders  aus  verschiedenen  Sammlungen  handschriftliche 
Briefe  ausgebeutet,  deren  Nolhac  mehr  als  1000  benutzt  hat.  Einige 
werden  auch  im  Abdruck  mitgeteilt. 

Der  massenhafte  Stoff  des  inhaltreichen  Werkes  ist  in  folgende 
Abschnitte  gegliedert:  1.  Esquisse  biographique.  2.  Travaux  et  amities 
de  Fulvio  Orsini.  3.  Principales  acquisitions  d'Orsini.  4.  £tat  actuel 
de  la  bibliotheque  d'Orsini.  5.  Description  de  la  bibliotheque.  Le  fonds 
grec.  6.  Le  fonds  latin.  Bibliotheques  anterieures  au  seizieme  siecle. 
7.  Le  fonds  latin.  Bibliotheques  du  seizieme  siecle.  8.  Manuscrits  en 
langues  modernes. 

Fulvio  Orsini  gehört  zu  der  berühmten  römischen  Familie  dieses 
Namens,  aber  als  ein  natürlicher  Sohn  war  er  nie  öffentlich  durch  die 
Seinen  anerkannt.  Nicht  einmal  der  Name  seines  Vaters  ist  sicher. 
Vielleicht  ist  er  der  Sohn  eines  Komthurs  des  Malteserordens. 

Den  11.  Dezember  1529  geboren,  wurde  er  anfangs  durch  den 
Vater  erzogen  und  zwar  in  dem  Luxus,  wozu  ein  Orsini  berechtigt  war. 
Ein  Bruch  zwischen  Vater  und  Mutter  lieferte  die  letztere  der  öffent- 
lichen Wohlthätigkeit  aus.  Neun  Jahre  alt,  wird  er  Chorknabe  bei  dem 
Kapitel  S.  Giovanni  vom  Lateran.  Ein  Kanonikus  gewinnt  Interesse  für 
den  talentvollen  Knaben  und  sorgt  für  seine  Ausbildung.  Dieser  Wohl- 
thäter  ist  kein  geringerer  als  Gentile  Delfini,  seit  1525  Mitglied  des 
Kapitels,  einer  der  gebildetsten  römischen  Geistlichen. 

Einen  andern  Gönner  fand  er  in  Angelo  Colocci,  Bischof  von  No- 
cera,  der  ihn  bei  seinen  Studien  ermutigte.  Dem  1549  gestorbenen  Prä- 
laten bewahrte  Orsini  auch  noch  später  ein  dankbares  Andenken. 

Frühzeitig  regte  sich  in  dem  lernbegierigen  Schüler  der  Sinn  für 
Inschriften,  Denkmäler,  Münzen  und  dergl.  Die  Sammlungen  von  Delfini 
und  Colocci  lieferten  ihm  die  ersten  Gegenstände  für  seine  archäologi- 
schen Nachforschungen.  Einen  breiten  Raum  in  seinen  Studien  nahm 
das  Griechische  ein,  wie  auch  das  erste  Zeugnis  seiner  litterarischen 
Thätigkeit  griechische  Distichen  für  eine  Ausgabe  der  Bibliothek  des 
ApoUodor  sind. 

Den  24.  Dezember  1554  wurde  Orsini  ebenfalls  Kanonikus  im  Ka- 


3  Geschichte  der  Philologie. 

pitel  S.  Giovanni  im  Lateran;  1566  bekleidete  er  die  Funktionen  eines 
Sekretärs.  Dieses  Kanonikat,  das  er  liauptsäclilich  Gentile  Delfini  und 
dessen  Familie  verdankte,  verschaffte  dem  jungen  Gelehrten  eine  ziem- 
liche Unabhängigkeit,  so  dafs  er  sich  auch  in  Zukunft  seinen  Studien 
widmen  konnte. 

Von  gröfster  Bedeutung  für  Orsini  wurde  seine  Verbindnng  mit 
der  im  16.  Jahrhundert  rasch  emporkommenden  Familie  Farnese,  von 
der  Ottavio  Farnese  zu  Parma  regierte,  während  Alessandro  und  Ra- 
nuccio  Kardinäle  zu  Rom  waren.  Mit  dem  letzteren,  gewöhnlich  Kardi- 
nal von  Sant'  Angelo  genannt,  trat  Orsini  zuerst  in  nähere  Beziehung. 
Er  wurde  sein  Bibliothekar,  war  auch  sein  Sekretär  und  begleitete  ihn 
nach  seiner  Residenz  zu  Capranica-di-Sutri,  wie  auf  einer  Reise  nach 
Florenz.  Nachdem  er  hier  in  der  Laurentiana  Nachforschungen  ange- 
stellt, besuchte  er  den  Gelehrten  Piero  Vettori  in  der  Nachbarschaft. 
Auf  der  Fortsetzung  der  Reise  kamen  sie  nach  Bologna,  dessen  Klima 
aber  Orsinis  Gesundheit  schädigte.  Doch  lernte  er  hier  Carlo  Sigonio 
kennen  und  nachher  in  Parma  den  Cicero-Lexikographen  Marius  Nizolius. 

Als  der  Kardinal  S.  Angelo  den  29.  Oktober  1565  starb,  trat 
Orsini  in  den  Dienst  von  dessen  Bruder  Alessandro,  gewöhnlich  Kardi- 
nal Farnese  genannt.  Auch  hier  war  er  Bibliothekar  und  Sekretär,  zu- 
gleich das  gelehrte  Faktotum,  der  für  seinen  Gönner  die  gelehrten  und 
künstlerischen  Schätze  aufspürte  und  deren  Ankauf  vermittelte. 

Die  wertvollsten  Gegenstände  der  farnesischen  Sammlungen  reichen 
in  diese  Zeit  zurück,  und  Orsinis  Name  ist  häufig  mit  ihrer  Erwerbung 
verknüpft.  Auch  war  er  der  gelehrte  Ratgeber  für  die  Künstler,  welche 
für  die  Farneses  arbeiteten,  und  von  denen  nur  Vignole  und  Taddeo 
Zuccari  genannt  sein  mögen. 

Aber  auch  zu  den  Kardinälen  Sirleto,  Caraffa,  Colonna,  Borromeo, 
Granvella  etc.  gewinnt  Orsini  Beziehungen,  die  hier  nicht  alle  im  einzel- 
nen verfolgt  werden  können.  Den  21.  Januar  1600  verfafste  er  ein 
Testament,  das  er  bei  dem  Notar  Quintiliano  Gargari  deponierte.  Darin 
stiftete  er  eine  Kapelle  in  die  Laterankirche,  in  der  er  begraben  sein 
wollte.  Den  inventarisierten  Teil  seiner  Bibliothek  vermachte  er  der 
Vaticana,  seine  sonstigen  Sammlungen  aber  Odoardo  Farnese,  seinem 
Wohlthäter.  Sein  Tod  trat  den  18.  Mai  1600  ein.  Sein  Charakter  er- 
hält ein  fast  uneinschränktes  Lob  von  Nolhac,  der  ihn  auch  gegen  meh- 
rere Anklagen  zu  verteidigen  sucht.  Sein  Bild  zeigt  einen  ernsten,  wür- 
digen Mann. 

Seine  Bibliothek  galt  für  wertvoller  als  die  des  Papstes  und  war 
deshalb  eine  Erwerbung  ersten  Ranges  für  die  Vaticana.  Die  Schen- 
kung Orsinis  scheint  sodann  gleichsam  das  Signal  für  die  sehr  bedeu- 
tenden Bereicherungen  genannter  Bibliothek  im  17.  Jahrhundert  gewesen 
zu  sein.  Übrigens  ist  die  Schenkung  nicht  ohne  Entgeld  geschehen. 
Orsini  hatte  seine  Bibliothek  zuerst  Philipp  IL  von  Spanien  angeboten. 


P.  de  Nolhac,  La  bibliotheque  de  Fulvio  Orsini.  9 

welcher  damals  für  den  Escurial  sammelte.  Aber  durch  die  Bemühun- 
gen der  Kardinäle  Granvella,  Caraifa  und  Sirleto  blieben  diese  hand- 
schriftlichen Schätze  in  Rom.  Papst  Gregor  XIII.  wies  Orsini  eine 
Pension  von  200  Dukaten  an  und  versprach  ihm  Verwendungen,  die  be- 
zahlt wurden. 

Nolhac  hat  sich  die  Mühe  gegeben,  die  Nummern  des  von  Orsini 
aufgestellten  Inventars  mit  den  jetzigen  Nummern  der  Vaticana  zu  iden- 
tifizieren und  teilt  in  den  Tabellen  S.  125  ff.  die  mühsam  gewonnenen 
Ergebnisse  seiner  Nachforschungen  mit. 

Insbesonders  repräsentierte  die  Orsinische  Bibliothek  in  trefflicher 
Weise  den  italienischen  Humanismus,  für  dessen  Vertreter  der  sammelnde 
Gelehrte  eine  hohe  Verehrung  hatte,  obgleich  er  selbst  zu  jener  späte- 
ren Generation  geschulter  Philologen  und  Archäologen  gehörte ,  welche 
die  früheren  Humanisten  wissenschaftlich  in  den  meisten  Beziehungen 
weit  übertrafen.  Orsini  begriff,  welchen  Wert  die  Handschriften  und 
auch  die  Bücher  der  früheren  Humanistengeneration  hatten,  letztere 
schon  wegen  der  mancherlei  Zusätze  und  Notizen,  welche  die  Besitzer 
beigefügt  hatten. 

In  den  Kapiteln  V — VIII  weist  der  gelehrte  Verf.  auf  grund  des 
Inventars  die  verschiedenen  Handschriften  bezüglich  ihrer  Provenienz 
nach.  Da  finden  sich  Codices,  die  früher  im  Besitz  von  Petrarca,  Kon- 
stantinus  Laskaris,  Antonio  Panormita,  Pomponio  Laeto,  Angelo  Colocci, 
Carteromachos,  Ermolao  Barbaro,  Angelo  Poliziano,  Bernardo  und  Pietro 
Bembo,  Poggio  Filelfo  und  andern  gewesen  sind.  Diese  äufserst  wert- 
vollen Nachweisungen,  deren  Einzelheiten  hier  unmöglich  wiederholt 
werden  können,  sind  nicht  blofs  für  die  Geschichte  des  italienischen 
Humanismus,  sondern  ganz  besonders  für  die  Textgeschichte  der  Klassi- 
ker von  höchstem  Wert  und  verdienen  von  den  Editoren  berücksichtigt 
zu  werden. 

Von  S  333 — 396  ist  sodann  das  Inventar  Orsinis  selbst  abgedruckt. 
Die  erste  Abteilung,  die  griechischen  Handschriften,  enthält  162  Nummern, 
die  griechischen  Drucke  101,  die  lateinischen  Handschriften,  an  deren 
Spitze  ein  Terenz  in  Majuskel  steht,  der  einst  Bembo  gehört  hat,  300 
Nummern,  die  lateinischen  gedruckten  Bücher  128  Nummern.  Eine  Ab- 
teilung de  libri  vulgari  scritti  in  penna  (=  Handschriften  in  modernen 
Sprachen) ,  deren  erste  Nummer  ein  von  Petrarca  selbst  geschriebenes 
Exemplar  seiner  Canzonen  und  Sonette  bildet,  umfafst  33  Handschriften. 

Im  Anhang  sind  folgende  Aktenstücke  mitgeteilt:  1.  Inventaire  de 
livres  trouves  chez  Orsini  apres  sa  mort  (aus  Neapel  stammend  und  nicht 
sehr  zuverlässig).  —  2.  Briefe,  welche  sich  auf  die  Bibliothek  Orsinis 
beziehen,  von  1565 — 1585.  In  dieser  italienischen  Korrespondenz  sind 
gute  Namen  vertreten,  wie  Fortiguerra,  Dupuy,  Pinelli,  Bembo,  Sirleto. 
—  3.  Aus  Frankreich  stammende  Briefe  an  Orsini  (1584—1585).  — 
4.  Eine  Auswahl  lateinischer  Briefe,  die  an  Orsini  gerichtet  sind  (1567 


10  Geschichte  der  Philologie. 

— 1594).  Unter  den  Briefschreibern  befinden  sich  Falkenburg,  Justus 
Lipsius,  Car.  Langius,  Melissus,  Sylburg.  —  5.  Briefe  Orsinis  an  Odoardo 
Farnese  (1590). 

Den  Schhifs  des  Bandes  bildet  eine  Doppeltafel  mit  den  Facsimiles 
folgender  Gelehrton:  Petrarca,  Poggio  und  P.  Bembo,  Pomponio  Laeto, 
B.  Bembo,  Poliziano,  J.  Laskaris,  Colocci  und  Orsini. 

Leider  läfst  das  beigegebene  Namensregister  sehr  viel  zu  wünschen 
übrig,  wie  ich  schon  an  einer  andern  Stelle  (Sybels  Histor.  Zeitschrift 
Bd.  27  S.  169)  ausgesprochen  habe.  Bei  solchen  Nachschlagebüchern,  zu 
denen  Nolhacs  Werk  zu  rechnen  ist,  sollten  die  Namensregister  beson- 
ders sorgfältig  und  unbedingt  vollständig  sein. 

Im  übrigen  aber  haben  wir  allen  Grund,  dem  Verfasser  für  seine 
wertvolle  Arbeit  dankbar  zu  sein.  Der  Historiker  und  Philologe,  der 
Litterarhistoriker  und  Kunsthistoriker  können  aus  dieser  reichlich  fliefseu- 
den  Quelle  vielen  Stoff  schöpfen. 

Der  Humanismus  belebte  durch  die  Wiederauffindung  lateinischer 
Dramen  auch  diese  litterarische  Gattung,  die  sodann  reichliche  Pflege  fand. 

Johanes  Bolte,  Zwei  Humanistenkomödien  aus  Italien  (Zeitschr. 
für  vergleichende  Litteratur- Geschichte  und  Renaissance  -  Litteratur. 
Hrsg.  von  M.  Koch  und  L.  Geiger  T  77—84.  231—244). 

Die  erste  der  beiden  Komödien,  die  in  zwei  Münchener  Hand- 
schriften sich  erhalten  hat,  ist  schon  früher  gedruckt  worden.  Der  in 
dem  Stücke  auftretende  Pirckheimer  dürfte  allerdings  Johannes,  der 
Vater  des  berühmten  Willibald,  sein,  der  auch  in  Italien  studiert  hat. 
Vgl.  z.  B.  die  Notiz  in  den  Acta  nationis  Germanicae  universitatis  Bo- 
noniensis,  ed.  Friedländer  et  Malagola.  p.  194  zum  Jahre  1448:  Johan- 
nes Birckheimer  patricius  de  Nornbergk.  Wenn  aber  der  Herausgeber 
noch  auf  Aufschlüsse  aus  der  Paduaner  Matrikel  hofft,  so  ist  zu  bemer- 
ken, dafs  die  Matrikelbücher  von  Padua  sich  nicht  erhalten  haben.  So 
behauptet  wenigstens  K.  Morueweg,  Job.  v.  Dalberg  (Heidelberg  1887)  S.47 

Die  zweite  Komödie  ist  die  1497  in  Bologna  entstandene  Scornetta 
des  Hermann  Knuyt  von  Slyterhoven.  Der  Verfasser  ist  nach  eigener 
Angabe  aus  Vianen  bei  Utrecht  gebürtig  und  mit  Nikolaus  Stael,  dem 
Leibarzt  des  Herzogs  Philii^p  von  Burgund,  befreundet.  Scornetta  ist 
der  Name  eines  bei  Bologna  gelegenen  und  dem  Blanchinus  gehörigen 
Landgutes.  Der  Abdruck  ist  nach  dem  Exemplar  der  Leipziger  Univer- 
sitätsbibliothek hergestellt.  Das  Stück  selbst,  in  dem  zahlreiche  Derb- 
heiten sich  finden,  dürfte  nur  von  Männern  und  vor  Männern  gespielt 
worden  sein. 

Mehr  noch  als  die  Komödie  blühte  unter  den  Humanisten  die  la- 
teinische Rede: 


L.  Geiger,  Eine  lateinische  Rede.  H 

Ludwig  Geiger,  Eine  lateinische  Kede  über  die  Schlacht  bei 
Pavia  1525  (Zeitschrift  für  vergleichende  Litteratur- Geschichte  und 
Reuaissance-Litteratur.    Hrsg.  von  M.  Koch  und  L.  Geiger.    I  445). 

Deutsche  und  Franzosen  als  Nächstbeteiligte  behandelten  vielfach 
die  Schlacht  bei  Pavia.  Geiger  macht  nun  auch  auf  einen  Italiener,  mit 
Namen  Franciscus  Testa,  aufmerksam,  welcher,  von  einem  kaiserlichen 
Beamten  aufgefordert,  eine  lateinische  Rede  auf  das  berühmte  Ereignis 
gehalten  hat.  Die  Einführung  antiker  Götternamen,  die  Freude  an  Ver- 
gleichungen  mit  Helden  aus  dem  Altertum  beweisen  die  humanistische 
Bildung  des  Redners,  dessen  italienischer  Standpunkt  sogleich  am  An- 
fang hervortritt.     Doch  ist  er  ein  Feind  der  Venetianer. 

Von  Italien  wanderte  der  Humanismus  über  die  Alpen  nach  Frank- 
reich. Eine  Übersicht  über  die  verschiedenen  hierauf  bezüglichen  Ar- 
beiten finden  wir  bei: 

L.  Geiger,  Studien  zur  Geschichte  des  ft-anzösischen  Humanismus. 
(Geigers  Vierteljahrsschrift  f.  d.  Kultur  und  Litteratur  der  Renaissance 
II  189  —  228). 

Eine  Fortsetzung  der  Studien,  welche  Geiger  schon  im  ersten 
Bande  seiner  Zeitschrift  veröffentlicht  hatte.  Nr.  IV  enthält  eine  »kri- 
tische Übersicht  neuerer  Erscheinungen«.  Es  werden  besprochen  E. 
Müntz,  La  Renaissance  en  Italie  et  en  France  ä  l'epoque  de  Char- 
les VIII.,  Jul.  Philippe  Origine  de  l'imprimerie  ä  Paris  d'apres  les 
documents  inedits.  Neu  ist  hieraus  der  Hinweis,  dafs  Heynlin  de  La- 
pide,  welcher  1470  mit  Fichet  zusammen  zuerst  in  Paris  druckte,  kein 
Schweizer,  sondern  ein  Deutscher  war,  vielleicht  von  Stein  bei  Bretten. 
Die  beiden  druckten  zuerst  in  der  Sorbonne,  nach  zwei  Jahren  wurde 
die  Druckerei  in  die  Rue  St.  Jacques  verlegt.  Bezeichnend  ist,  dafs  sie 
neben  klassischen  Texten  hauptsächlich  humanistische  Schriften  herstellen. 

Daran  schliefsen  sich  F.  Lotheissen  Margaretha  von  Navarra 
(1492 — 1549),  H.  Omont  George  Hermonyme  de  Sparte,  maitre  de  Grec 
ä  Paris  et  copiste  de  manuscrits  1476,  Emile  Legrand  Bibliographie 
hellenique  ou  description  raisonnee  des  ouvrages  publies  en  grec  par  des 
Grecs  aux  XV.  et  XVI.  siecles,  Eugene  de  Bude  Vie  de  Guillaume 
Bude,  fondateur  du  College  de  France,  von  dem  Geiger  sagt,  dafs  er 
nirgends  Rebittes  Monographie  über  Bude  überholt  habe,  Omont  Notice 
sur  les  collections  des  manuscrits  de  Jean  et  Guillaume  Bude,  wonach 
aus  dem  Besitze  des  Vaters  Jean  41,  aus  dem  des  Sohnes  19  bekannt 
sind,  Rieh.  Copley  Christie  Etienne  Dolet,  le  martyr  de  la  Re- 
naissance, traduit  de  l'anglais  par  Casimir  Stryienski,  das  manche 
Verbesserungen  zu  dem  englischen  Original  bringt,  Ad.  Cheneviere 
Bonaventure  des  Perier,  w^orin  u.  a.  gezeigt  wird,  dafs  die  Bonaven- 
ture    zugeschriebene    Terenz- Übersetzung    nicht    von    diesem    herrührt, 


12  Geschichte  der  Philologie. 

Neudccker  das  Doktrinale  des  Alexander  de  Villa-Dci,  L.  Masse- 
bieau,  Schola  aquitanica,  Ed.  Frcmy  Memoires  inedits  de  Henri  de 
Mesmes,  L.  Massebiau  Dialogus  Jacobi  Fabri  Stapulensis  in  phisicam 
introductionem,  welche  Schrift  zuerst  in  Krakau  gedruckt  wurde,  Buisson 
Repertoire  des  ouvrages  pedagogiques  du  16  siecle,  bei  welchem  Werke 
aber  Geigers  Tadel,  so  berechtigt  er  ist,  doch  durch  eine  entschiedene 
Anerkennung  dieses  wertvollen  Buches  zu  ergänzen  war. 

Ein  Abschnitt  V  behandelt  »Englisch-französische  Beziehungen  (1512 
— 1518)«.  Der  Verfasser  geht  von  dem  Gedanken  aus,  dafs  wir  eine 
grofse  Anzahl  historischer  Gedichte  von  französischen  Humanisten  be- 
sitzen, dafs  aber  trotzdem  daraus  für  die  geschichtliche  Erkenntnis  wenig 
zu  gewinnen  sei.  Der  Patriotismus  oder  die  nationale  Eifersucht  trägt 
zum  Teil  an  diesem  Mangel  an  Objektivität  schuld. 

Den  Kampf  eines  englischen  und  französischen  Schiffes  schildern 
Germanus  Brixius,  dessen  Gedicht  von  Pierre  Choque  ins  Französische 
übersetzt  wurde,  und  Humbert  de  Montmoret;  daran  schliefst  sich  eine 
Erörterung  über  den  Streit  des  Brixius  mit  Monis,  welcher  schliefslich 
durch  des  Erasmus  Vermittelung  beigelegt  wurde. 

Die  Besprechung  einiger  Schriften  von  Humanisten  über  die  im 
Jahre  1518  erfolgte  Verlobung  Marias  von  England  mit  dem  französischen 
Dauphin  beschliefst  den  Aufsatz. 

Ludwig  Geiger,  Ein  Lobspruch  auf  Paris  1514  (Zeitschrift  für 
vergleichende  Litteratur-Geschichte  und  Renaissance-Litteratur.  Hrsg. 
von  M.  Koch  und  L.  Geiger  I  366—371). 

Anknüpfend  an  einen  Lobspruch  auf  Paris  von  Guillaume  Gueroult 
im  16.  Jahrhundert  erneuert  Geiger  die  Arbeit  eines  Humanisten  namens 
Jo.  Fr.  Quintianus  Stoa  Brixianus.  Der  Titel  des  in  Hexametern  ge- 
schriebenen Gedichtes  lautet:  De  celeberrimae  Parrhisiorum  urbis  lau- 
dibus  Sylva  cui  titulus  Cleopolis.  Die  an  Antonius  Pratensis  und  die 
Rectores  Parrhisiorum  urbis  gerichtete  Widmungsepistel  ist  von  1514 
datiert.  Geiger  gibt  mehrere  Proben  des  Gedichtes,  vermifst  aber  »greif- 
bare Einzelheiten«,  »charakteristische  Momente«  der  Schilderung. 

Hier  möge  eine  auf  Erasmus  bezügliche  Arbeit  sich  auschliefsen, 
da  sie  den  grofsen  Humanistenkönig,  der  seine  Bildung  in  Frankreich 
und  Italien  geholt  hat,  in  einer  seiner  zahlreichen  Beziehungen  zu  Frank- 
reich nachweist. 

;firasme  ou  Salignac?  fitude  sur  la  lettre  de  Fran^ois  Rabelais 
avec  un  Facsimile  de  l'original  de  la  bibliotheque  de  Zürich  par  Theo- 
dore Ziesing  agrege  ä  l'universite  de  Zürich.  Paris.  Felix  Alcan. 
1887.    8».    29p. 

Die  glänzend  ausgestattete  Broschüre  ist  eine  Vorläuferin  eines 
gröfseren  monographischen  Werkes,  welches  der  Verfasser   demnächst 


Th.  Ziesing,  firasme  ou  Salignac.  13 

über  FranQois  Rabelais  veröffentlichen  will.  Das  beigegebene  Facsimile, 
welches  sich  dem  Auge  sehr  leserlich  darbietet,  und  das  in  dem  gröfse- 
ren  Werke  Ziesings  keine  Aufnahme  finden  wird,  ist  die  Wiedergabe 
eines  lateinischen  Briefes,  von  Franciscus  Rabelesus  medicus  (datiert 
Lugduni  pridie  Cal.  Decembr.  1532)  aus  dem  Thesaurus  Hottingerianus, 
jener  bewundernswerten  Sammlung  von  Schriftstücken  aus  dem  16.  und 
17.  Jahrhundert,  Originalen  und  Kopien,  auf  der  Züricher  Bibliothek. 
Der  verstorbene  Horner  und  der  Verfasser  gewannen  nach  sorgfältiger 
Untersuchung  die  Überzeugung,  dafs  dieser  Brief  ein  Autograph  von 
Rabelais  ist. 

Der  Brief,  der  keinen  Adressaten  angiebt,  wurde  bis  jetzt  als  an 
einen  gewissen  Salignac  gerichtet  bezeichnet,  obgleich  man  diesen  nicht 
kannte.  Ziesing  sammelt  die  Zeugnisse,  aus  denen  hervorgeht,  dafs 
manche  Gelehrte  zwar  das  richtige  ahnten,  es  aber  nicht  genauer  ver- 
folgten oder  beweisen  konnten.  So  hat  z.  B.  A.  L.  Herminjard  (Corre- 
spondance  des  Reforraateurs  dans  les  pays  de  langue  frangalse)  den 
Brief  kurzweg  als  an  Erasmus  gerichtet  bezeichnet. 

In  dem  dritten  Teil  seiner  Arbeit  weist  Ziesing  mit  Hilfe  der 
Einzelheiten  des  Briefes  nach,  dafs  alle  Beziehungen  desselben  auf  Eras- 
mus passen,  so  z.  B.  die  Übersendung  einer  Handschrift  des  Flavius  Jo- 
sephus,  den  Erasmus  nach  einem  griechischen  Texte  dieses  Schriftstellers 
schon  im  Dezember  1531  an  Jean  de  Pins  geschrieben  hatte.  Zu  den 
Ausführungen  Ziesings  über  diesen  Punkt  darf  vielleicht  die  Vermutung 
hinzugefügt  werden,  dafs  der  durch  die  Vermittelung  des  Rabelais  dem 
Erasmus  zugeschickte  Codex  möglicherweise  der  erbetene  ist.  Da  Eras- 
mus damals  kirchlich  schon  sehr  anrüchig  war,  so  wählte  möglicherweise 
der  darum  angegangene  Bischof  von  Rieux  einen  indirekten  Weg  zur 
Übersendung  der  Handschrift. 

Wenn  aber  jemand  bis  hierher  an  Ziesings  Beweisführung  noch  zwei- 
feln könnte,  so  werden  ihn  die  Ausführungen  über  Aleander  von  der  Rich- 
tigkeit der  Behauptung  des  Verfassers  überzeugen.  Erasmus,  der  sih  mit 
dem  durch  den  Wormser  Reichstag  von  1521  übel  berüchtigten  Hieronymus 
Aleander,  dem  nunmehrigen  päpstUchen  Legaten,  der  einstens  in  Ve- 
nedig sein  vertrauter  Freund  gewesen,  überwerfen  hatte,  hielt  denselben 
für  den  Pseudonymen  Verfasser  einer  gegen  ihn  gerichteten  Rede,  welche 
der  ältere  Scaliger  geschrieben  hatte.  Trotz  aller  Belehrung  vonseiten 
der  Freunde  scheint  er  auch  später  diesen  Verdacht  nicht  ganz  aufge- 
geben zu  haben. 

Ziesing  stellt  am  Schlüsse  seines  Schriftchens  fünf  Sätze  auf,  um 
deren  Beweis  er  diejenigen  bittet,  welche  ihm  nicht  beistimmen.  Es 
wird  sich  schwerlich  jemand  finden,  der  diese  Sätze  auch  nur  zu  be- 
weisen versucht,  geschweige  denn  vermag. 

Aufgefallen  ist  mir,  dafs  der  Verfasser  die  Belegstellen  in  dem 
Streite  zwischen  Hütten  und  Erasmus  nicht  aus  der  besten  und  zuver- 


14  Geschichte  der  Philologie. 

lässigsten  Ausgabe  der  Werke  Huttens,  d.  h.  aus  der  Böckingschen 
citiert.  Seit  wir  die  musterhafte  Arbeit  Bockiugs  haben,  sollte  man 
keine  Citate  aus  dem  fehlerhaften  Münch  entlehnen. 

Das  Ergebnis  der  ansprechend  geschriebenen  Untersuchung  ist  also: 
Der  Verfasser  hat  eine  schon  früher  ausgesprochene  Vermutung  zu  un- 
bedingter Sicherheit  erhoben,  soweit  es  in  solchen  wissenschaftlichen  Fra- 
gen eine  unbedingte  Sicherheit  gibt. 

Erasmus  war  befreundet  mit  dem  grofsen  englischen  Humanisten, 
Thomas  Morus,  zu  dem  uns  folgende  Arbeit  führt: 

Georg  Ellin ger,  Thomas  Morus  und  Machiavelli  (Geigers  Vier- 
teljahrsschrift für  Kultur  und  Litteratur  der  Renaissance  II  17  —  26). 

Der  Verfasser  geht  von  dem  Gedanken  aus,  man  habe  bei  der 
Behandlung  des  Reformationszeitalters  bis  jetzt  eine  Art  der  Betrach- 
tung noch  nicht  genügend  berücksichtigt,  nach  der  gewisse,  dem  Zeitalter 
gemeinsame  Züge  aufzusuchen  seien,  unter  die  man  sodann  eine  Reihe  von 
Individualitäten  unterordnen  könne.  Ein  solches  Verfahren  empfehle  sich 
besonders  auf  dem  Gebiet  der  politischen  Theorieen  des  16.  Jahrhunderts. 

Auf  den  ersten  Anblick  bilden  die  Lehren  von  Machiavellis  Staats- 
lehre und  der  Utopia  des  Thomas  Morus  einen  schroffen  Gegensatz. 
Letzterer,  der  an  Plato  anknüpft,  entwirft  das  Bild  eines  Idealstaates, 
Machiavelli  dagegen,  von  Aristoteles  beeiuflufst,  trägt  den  gegebenen 
Verhältnissen  Rechnung.  Morus  z.  B.  sieht  im  Kriege  eine  greuelvolle 
Roheit,  Machiavelli  sieht  in  einem  gut  geordneten  Kriegswesen  die  eigent- 
liche Grundlage  des  gesamten  Staatslebens. 

Trotzdem  aber  sind  gemeinsame  Züge  bei  beiden  aufzufinden. 
Mehr  äufserlicher  Art  ist  die  gemeinsame  Benutzung  mancher  antiken 
Quellen.  Beide  finden  es  sodann  zulässig,  im  Kriege  Lug  und  Ti'ug  an- 
zuwenden, womit  keineswegs  die  kleinen  Künste  der  Kriegslist  gemeint 
sind.  Beide  sind  in  dem  Grundsatz  einig,  dafs  im  Staatsleben  der  Zweck 
die  Mittel  heiligt. 

Da  in  diesem  Punkte  der  Realist  Machiavelli  und  der  Idealist 
Morus  zusammenstimmen,  so  folgert  Ellinger  daraus,  dafs  diese  Theorie 
dem  ganzen  Zeitalter  der  Reformation  eigentümlich  ist. 

Den  tieferen  Grund  davon  sieht  der  Verfasser  in  den  religiösen 
Kämpfen  der  Zeit.  »Das  Zusammenplatzen  grofser  religiöser  Gegensätze 
und  die  erbitterten  Kämpfe,  die  sich  daraus  entspinnen,  erzeugen  jene 
Rücksichtslosigkeit  in  der  Wahl  der  Mittel  bei  der  Bekämpfung  des 
Gegners.  Und  auch  hier  werden  diese  Tendenzen  auf  andere  Verhält- 
nisse übertragen  und  verwirren  die  Moral  des  Privatlebenscf. 

Von  Italien  und  Frankreich  ist  der  deutsche  Humanismus 
abhängig,  über  den  zahlreiche  kleinere  und  gröfsere  Arbeiten  erschienen 
sind.  Beginnen  möge  ein  Vertreter  der  deutschen  Frührenaissance, 
Niklas  von  Wyle: 


J.  Baechtold,  Zu  Nikiaus  von  Wyle.  15 

Jakob  Baechtold,  Zu  Nikiaus  von  Wyle  (Zeitschrift  für  ver- 
gleichende Litteraturgeschichte  und  Renaissancelitteratur.  Herausg. 
von  Max  Koch  und  Ludwig  Geiger  I  348—350). 

Über  Nikiaus  von  Wyle  haben  neuerdings  Strauch  und  Baechtold 
am  besten  gehandelt.  Der  letztere  bringt  hier  zu  seiner  eigenen  Dar- 
stellung eine  Ergänzung  durch  einen  Fund  in  einer  Einsiedlerhandschrift. 
Dieselbe  enthält  nämlich  eine  lateinische  Rede,  welche  Nikiaus  im  Auf- 
trage des  Markgrafen  Karl  I.  von  Baden  auf  dem  Fürstenkongrefs  zu 
Mantua  vor  Papst  Pius  II.  gehalten  hat. 

Baechtold  teilt  dieselbe  im  Worlaute  mit.  Sie  ergänzt  unser  bis- 
heriges Wissen  von  des  Redners  Beziehungen.  Denn  es  war  schon  be- 
kannt, dafs  derselbe  seine  Übersetzung  der  Poggioschen  Schrift  »Von 
der  Wandelbarkeit  des  Glücks«  demselben  Markgrafen  gewidmet  hatte. 
Vgl.  Gödeke  Grundrifs  P  362. 

Zugleich  erfahren  wir  noch,  dafs  in  einer  St.  Galler  Handschrift 
neun  Briefe  des  Nikiaus  von  Wyle  an  Albert  von  Bonstetten  vorhanden, 
aber  sehr  schwer  nur  zu  entziffern  sind. 

Zur  älteren  deutschen  Huraanistengeneration  gehört  auch  der  be- 
rühmte Augsburger  Ratsherr  Konrad  Peutinger: 

L.  Geiger,  Gedichte  und  Briefe  an  Konrad  Peutinger  (Geigers 
Vierteljahrsschrift  für  die  Kultur  und  Litteratur  der  Renaissance  II 
262-264). 

Der  Herausgeber  Geiger  teilt  aus  einem  in  seinem  Besitze  befind- 
lichen Konvolut  handschriftlicher  Gedichte  und  Briefe,  die  Konrad  Peutin- 
ger gehörten  und  von  ihm  »Carmina  ad  rae«  überschrieben  wurden,  drei 
Proben  mit.  Es  sind  Gedichte  des  bekannten  Humanisten  Jakob  Locher 
Philomusos,  überschrieben:  Ad  laudem  Augustae  carraeu,  Munificentia 
principis  Bavariae  Guilhelmi  ducis  illustrissimi.  Ad  doctorem  Conradura 
Peutinger  Archigraramateum  Augustanum. 

Da  Geiger  blofs  Gedichte  und  keine  Briefe  mitteilt,  so  ist  die 
Überschrift  nicht  zutreffend. 

Seltsamer  Weise  rückt  Geiger  in  dem  ersten  Gedichte  den  Hexa- 
meter zurück  und  den  Pentameter  vor,  während  das  Übliche  das  Um- 
gekehrte ist. 

Das  Ausrufungszeichen  im  letzten  Verse  hinter  omnis  auf  S.  263 
ist  mir  nicht  verständlich,  denn  der  Text  gibt  einen  ganz  guten  Sinn, 
wenn  man  folgendermafsen  interpungiert : 

Sic,  Augusta,  tibi  sacratur  gloria  perpes, 
Sic  omnis  homines,  te  super  astra  ferunt. 

Omnis  und  astra  sind  Accusative,  abhängig  von  super.  Die  Nach- 
stellung der  Präposition  hat  in  der  Poesie  nichts  Auflallendes. 

Im  zweiten  Gedicht  ist  teris  Druckfehler  für  terris. 


16  Geschichte  der  Philologie. 

Zu  Peutingers  Freunden  und  Verehrern  gehörte  der  »Erzhuma- 
nist«  Celtis: 

Karl  Hartf eider,  Zu  Konrad  Celtis  (Geigers  Vierteljabrsschrift 
für  die  Kultur  und  Litteratur  der  Renaissance  II  253 — 262). 

Zur  Ergänzung  meiner  Sammlung  der  Epigramme  des  Celtis  durch- 
suchte ich  eine  Anzahl  von  Müncliener  Handschriften,  die  mir  von  der 
Verwaltung  der  Münchener  Hof-  und  Staatsbibliothek  in  freundlicher  Weise 
zur  Verfügung  gestellt  wurden.  Der  Erfolg  bewies,  dafs  meine  schon  frü- 
her ausgesprochene  Vermutung  richtig  war,  wonach  die  Nürnberger  Hand- 
schrift noch  manche  Vervollständigungen  finden  könne.  Nicht  blofs,  dafs 
sich  weitere  ungedruckte  Epigramme  ergaben,  auch  zu  den  schon  gedruck- 
ten fanden  sich  beachtenswerte  Verbesserungen  und  Erweiterungen.  Einen 
Teil  des  Gefundenen  fafste  ich  in  obige  Mitteilung  zusammen  und  fügte 
drei  Briefe  aus  dem  Codex  epistolaris  Celtis  hinzu,  die  inhaltlich  mit 
den  mitgeteilten  Epigrammen  zusammenhängen,  und  die  ich  der  Frei- 
burger Abschi-ift  des  Celtis'schen  Briefcodex  entnahm. 

Zu  Anm.  1  auf  S.  255  füge  ich  als  ei'gänzendes  Citat:  Serapeum 
21   (1880)  S.  235. 

Des  Celtis  Nachfolger  in  Ingolstadt  wurde  der  Schwabe  Jakob 
Locher  Philomusos: 

L.  Geiger,  Ein  ungedrucktes  humanistisches  Drama  (Zeitschrift 
für  vergleichende  Litteraturgeschichte  und  Renaissancelitteratur.  Hrsg. 
von  M.  Koch  und  L.  Geiger  N.  F.  I  72—77). 

Der  Verfasser  geht  von  dem  Gedanken  aus,  dafs  es  keine  bequeme 
Zusammenstellung  der  Leistungen  des  deutschen  Humanismus  für  die 
Wiederbelebung  des  Dramas  gebe.  Man  müsse  mühsam  aus  Gödekes 
Grundrifs  die  betreffenden  Notizen  zusammensuchen. 

Zu  den  Dramatikern  der  Humanistenzeit  gehört  Jakob  Locher,  ge- 
nannt Philomusus,  über  den  wir  die  sorgfältige  Arbeit  Hehles  besitzen. 
Zu  den  schon  bekannten  Leistungen  Lochers  fügt  Geiger  aus  der  latei- 
nischen Handschrift  nr.  11347  der  Pariser  Bibliothek,  einem  Sammel- 
band, der  aus  dem  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  stammt,  ein  bisher  un- 
bekanntes Stück  des  genannten  Dichters. 

Dasselbe  ist  ohne  Überschrift.  Am  Ende  steht:  Finit  libellus 
Jacobi  L.  Philomusi  dramaticus  novus  sed  non  musteus.  Voran  geht  ein 
Prologus,  welchen  Geiger  ganz  mitteilt. 

Das  Stück  selbst  ist  in  Prosa,  nur  die  Chöre  sind  Verse.  Geiger 
teilt  blofs  den  Inhalt  mit  unter  gelegentlicher  Einfügung  von  charakteri- 
stischen Proben  der  Darstellung. 

Die  sich  unterredenden  Personen  des  ersten  Aktes  sind  der  Papst 
und  ein  päpstlicher  Legat,  welcher  von  ersterem  den  Auftrag  erhält, 
nach  Deutschland  und  Frankreich  zur  Friedensstiftung  zu   ziehen.    Im 


L.  Geiger,    Ein  iingedrucktes  humanistisches  Drama  17 

zweiten  Akt  unterreden  sich  der  päpstliche  Legat,  der  Gesandte  des 
französischen  Königs,  Kaiser  Maximilian,  der  König  von  England  und 
Herzog  von  Mailand.  Den  dritten  Akt  bildet  ein  kurzes  Zwiegespräch 
zwischen  einem  schwäbischen  und  schweizerischen  Landsknecht,  wobei 
sich  letzterer  vorteilhafter  darstellt. 

Nach  dem  Inhalt  bestimmt  Geiger  1513  als  das  Jahr  der  Ab- 
fassung, nach  der  Schlacht  von  Ravenna  1512  und  vor  der  Schlacht  von 
Marignano.  Wahrscheinlich  hat  Locher,  der  damals  Lehrer  an  der 
Hochschule  zu  Ingolstadt  war,  das  Drama  für  seine  Schüler  geschrieben. 

Die  mitgeteilten  Proben  scheinen  ohne  jede  Veränderung  im  eng- 
sten Anschlufs  an  die  Handschrift  gegeben  zu  sein.  Aber  die  Inter- 
punktion in  ihrer  ganzen  Prinziplosigkeit  zu  reproduzieren,  lag  gewifs 
kein  Anlafs  vor.  Ohnehin  dürfte  es  empfehlenswert  sein,  durch  eine 
vernünftige  Interpunktion  dem  Leser  die  Lektüre  zu  erleichtern.  Ferner 
scheint  mir  in  Vers  drei  des  Prologs  se  moveat  besser  in  semoveat  zu 
vereinigen  zu  sein.  Das  soccum  Indult  einige  Verse  später  ist  eben- 
falls bedenklich.  Sollte  dafür  nicht  induat  stehen?  Auch  scheint  mir 
casu  monstrifico  quaedam  auf  derselben  Seite   in  quodara  zu  verändern. 

Die  glänzendste  Gestalt  in  dem  au  Individualitäten  so  reichen 
Kreise  der  süd-  und  westdeutschen  Humanisten  ist  Johann  von  Dalberg: 

Karl  Morneweg,  Johann  von  Dalberg,  ein  deutscher  Humanist 
und  Bischof  (geb.  1455,  Bischof  von  Worms,  gest.  1503).  Mit  Dalbergs 
Bildnis.     Heidelberg.     Winter  1887.     VII  und  375  S. 

Seit  Zapfs  dürftiger  Schrift  (1789)  hat  Johann  Dalberg  oder,  wie 
er  häufiger  genannt  wird,  Camerarius,  der  berühmte  Mäcen  des  Huma- 
nismus am  Mittelrhein,  keine  eingehendere  Behandlung  mehr  erfahren. 
Morneweg  legt  uns  in  seiner  umfangreichen  Monographie  die  Ergebnisse 
vieljährigen  Saramelns  und  Arbeiteus  vor.  Die  Archive  zu  München, 
Speyer,  Würzburg,  Aschaifenburg,  Darmstadt,  Worms,  Karlsruhe,  Stutt- 
gart und  Koblenz,  sowie  die  Bibliotheken  zu  München,  Stuttgart,  Darm- 
stadt, Heidelberg,  Würzburg  und  Bonn  lieferten  ungedrucktes  Material, 
mit  dem  der  Verfasser  ein  möglichst  vollständiges  Bild  dieses  ersten 
»modernen  Menschen  vom  Mittelrhein«  herzustellen  suchte. 

Das  erste  Kapitel:  »Familie,  Heimat,  Jugendjahre,  erste  Studien« 
führt  uns  zunächst  ein  Stück  Adelsgeschichte  vor.  Schon  1239  ist  ein 
Wormser  Ritter  Gerhard  d.  j.  mit  dem  Amte  eines  Kämmerers  der 
Bischöfe  von  Worms  nachweisbar.  Der  Vater  des  berühmten  Camera- 
rius, Wolfgang  von  Dalberg,  dessen  stattliches  Herrenhaus  zu  Oppen- 
heim am  Rheine  stand,  heiratete  eine  Gei'trud  von  Greifenklau  und  das 
älteste  Kind  aus  der  mit  Kindern  reich  gesegneten  Ehe  war  unser  Jo- 
hannes. Nachdem  der  Knabe  den  ersten  Unterricht  zu  Hause  genossen, 
bezog  er  1466  elfjährig  die  Universität  Erfurt,  wo  damals  der  Huma- 
nismus sich  bereits  festgesetzt  hatte  (Peter  Luder,  Jakob  Publicius  Ru- 
fus  aus  Florenz). 

Jahresbericht  für  Alterthumswiasenschaft  LXIV.  (1890  III.)  2 


18  Geschichte  der  Philologie. 

1470  zum  Bacoalauieus  inonioviert,  verlicfs  er  nach  weiteren  drei 
Semestern  Erfurt,  ohne  die  Magistervvürde  erworben  zu  haben.  Den 
15.  Februar  1472  wurde  er  in  Worms  als  Kleriker  aiigenonnnen  und  mit 
einem  Wormser  und  Speyer  Kanonikat  bedacht. 

Im  nächsten  Abschnitt:  »Aufenthalt  in  Italien«  erfahren  wir,  dafs 
der  junge  Domherr  spä,testens  im  Frühlinge  1473  über  die  Alpen  nach 
Italien  zog,  um  seine  in  Erfurt  erworbenen  Kenntnisse  zu  vervollkomm- 
nen und  zwar  zunächst  in  Pavia.  Hier  lernte  er  auch  den  Friesen  Ru- 
dolf Agricola  kennen,  der  ebenfalls  in  Erfurt  studiert  hatte.  1474  wurde 
Dalberg  Rektor  der  Universität,  und  der  schon  damals  hochangesehene 
Agricola  hielt  die  noch  erhaltene  Rektoratsrede  für  ihn,  von  welcher 
nach  der  Stuttgarter  Handschrift  ganze  Abschnitte  mitgeteilt  werden  und 
deren  Hauptinhalt  der  Preis  Dalbergs  und  seines  Geschlechtes  ist.  »So 
stellte  Agricola  seinen  jungen  Genossen  den  Italienern  dar.  Ein  schönes 
Denkmal  treuer  Freundschaft!  Mit  welcher  Liebe  hatte  er  sich  in  das 
Wesen  des  jungen  Freundes  vertieft.  Schon  in  der  Art,  wie  er  ihn  auf- 
fafste  und  der  Menschheit  (!)  vorführte,  liegt  ein  gut  Stück  Humanis- 
mus«.    (S.  38). 

Nach  Jahresfrist  kehrte  Dalberg  nach  der  Heimat  zurück,  während 
Agricola  nach  Ferrara  zog;  nur  die  beiden  schwäbischen  Freunde  Die- 
trich und  Johann  von  Pleningen  blieben  in  Pavia.  Aber  schon  1476 
zog  Dalberg  wieder  nach  Italien,  wo  er  sich  nach  Padua  wandte,  ob- 
gleich ihn  Agricola  nach  Ferrara  einlud.  Zu  Padua,  wo  die  Deutschen 
eine  grofse  Rolle  spielten,  trieb  er  auch  Griechisch.  Auf  der  im  Jahre 
1478  erfolgten  Heimkehr  machte  er  einen  kurzen  Aufenthalt  in  Ingol- 
stadt. Aber  noch  vor  Schlufs  des  Jahres  zog  er  weiter  in  die  rheinische 
Heimat. 

Nach  einem  nochmaligen  römischen  Aufenthalt,  wobei  er  sich  zu 
Rom  in  eine  Bruderschaft  der  Maria  de  anima  aufnehmen  liefs,  wurde 
er  1480  Dompropst  von  Worms  und  damit  Kanzler  der  Universität 
Heidelberg,  welches  Amt  einst  auch  Papst  Pius  II.  bekleidet  hatte. 
Um  diese  Zeit  war  Jakob  Wimpfeling  fast  der  einzige  Vertreter  des 
Humanismus  an  der  Hochschule,  der  aber  in  dem  Kurfürsten  Philipp 
dem  Aufrichtigen  (seit  1476)  einen  warmen  Patron  hatte.  Spätestens 
um  die  Jahreswende  von  1481 — 1482  wurde  Dalberg  auch  Kanzler  des 
Kurfürsten,  womit  die  Verlegung  seines  Wohnsitzes  nach  Heidelberg 
verbunden  war.  Zu  all  diesen  Würden  gesellte  sich  noch  die  eines 
Bischofs  von  Worms,  welche  Dalberg  1482 ,  vermutlich  durch  den  Ein- 
flufs  des  Kurfürsten,  ebenfalls  erlangte. 

Kaum  zum  Bischof  gewählt,  liefs  er  durch  den  gemeinsamen  Freund, 
den  kurfürstlichen  Rat  Dietrich  von  Pleningen,  den  in  Kampen  weilen- 
den Rudolf  Agricola  einladen,  nach  Heidelberg  zu  kommen,  wo  er  in 
freier,  von  ihm  selbst  bestimmter  Weise  leben  könne.  Dieser  Einladung 
entsprach  Agricola  und  kehrte,  freundlichst    empfangen  und  hoch  ausge- 


K.  Morneweg,    Johann  von  Dalberg.  19 

zeichnet,   erst  im   Oktober  wieder  in   die   Heimat  zurück,  nachdem   er 
versprochen  hatte,  im  nächsten  Frühjahr  wieder  zu  kommen. 

Die  bischöfliche  Thätigkeit  Dalbergs,  welche  Morneweg  eingehend 
behandelt,  und  über  die  er  vielerlei  Neues  mitteilt,  mufs  an  dieser  Stelle 
übergangen  werden,  wo  es  sich  ausschliefslich  um  den  Humanisten  und 
Mäcenas  Dalberg  handelt. 

Erst  am  2.  Mai  1484  traf  Agricola  in  Heidelberg  wieder  ein,  wo 
ihn  Dalberg  freundlichst  aufnahm,  hebräische  Bücher  für  ihn  kaufte, 
auch  seinen  hebräischen  Lehrer,  einen  getauften  Juden,  in  das  Haus  mit 
aufnahm.  Aber  Agricola  fühlte  sich  trotz  alledem  nicht  behaglich  und 
nicht  befriedigt.  In  diese  Zeit  fallen  allerlei  Funde  von  römischen  In- 
schriftensteinen, von  welchen  noch  manche  erhalten,  während  wir  von 
andern  nur  litterarische  Nachricht  haben. 

Überhaupt  pflegten  in  der  nächsten  Zeit  Dalberg  und  Agricola 
zusammen  eifrigen  geistigen  Verkehr.  Agricola  hielt  in  Worms  und 
Heidelberg  Vorträge,  woselbst  auch  der  berühmte  Konrad  Celtis  sein 
Schüler  wurde.  Aus  diesem  gelehrten  und  ästhetischen  Stillleben  rifs 
sie  eine  Reise  nach  Rom,  die  sie  1485  im  Auftrage  des  Kurfürsten  von 
der  Pfalz  machten.  Ob  die  daselbst  von  Dalberg  an  Papst  Innocenz  VIII. 
gehaltene  lateinische  Rede  sein  oder  Agricolas  Werk,  ist  nicht  sicher. 
Aber  die  Krankheit,  welche  Agricola  auf  der  Heimreise  ergriff,  und  die 
in  Heidelberg  mit  erneuter  Stärke  zurückkehrte,  raffte  den  trefflichen 
Mann  den  27.  Oktober  1485  hinweg.  Der  bischöfliche  Freund  hatte  den 
Sterbenden  in  seinen  Armen  gehalten,  »damit  ihn  der  Sterbende  nicht 
entbehre,  dem  er  im  Leben  alles  gewesen  war«.     (S.  101). 

Auf  dem  Fürsteulage  zu  Frankfurt  1486,  wohin  sich  Camerarius 
mit  dem  Kurfürsten  Philipp  von  der  Pfalz  begab,  machte  er  die  Be- 
kanntschaft von  Willibald  Pirkheimer,  der  sich  im  Gefolge  des  Her- 
zogs Albrecht  von  Bayern-München  befand,  und  wahrscheinlich  auch  von 
Johannes  Reuchlin,  dem  Begleiter  des  Grafen  Eberhard  von  Württem- 
berg. Ein  Besuch,  den  Kaiser  Friedrich  III.  (wahrscheinlich  1486)  im 
berühmten  Kloster  Maulbronn  machte,  gab  Camerarius  Anlafs  zu  einem 
lateinischen  Begrüfsungsgedicht,  von  dem  Morneweg  S.  110  eine  Über- 
setzung mitteilt.  Es  ist  das  einzige  gröfsere  Gedicht  Dalbergs,  das 
uns  erhalten  ist.  Wenn  aber  der  Verfasser  S.  111  sagt:  »An  Ver- 
gils  Aeneide  angelehnt,  gibt  dieses  Gelegenheitsgedicht  einen  Beweis  für 
Dalbergs  dichterisches  Könnnen,  wie  für  seine  Meisterschaft  im  Ausdruck. 
Rasch  entstanden  und  niedergeschrieben,  ist  seine  Sprache  edel  und  ge- 
wandt (Konstruktion!),  seine  Verse  von  musikalischem  Wohllaut  getragen. 
Eine  reiche  Phantasie,  wie  sie  der  italienische  Himmel  im  Verkehr  mit 
den  Meisterwerken  der  Alten  zeitigen  konnte,  tritt  uns  aus  diesem  Ge- 
dichte entgegen«,  so  scheinen  dies  doch  sehr  hyperbolische  Ausdrücke 
zu  sein,  zu  denen  die  paar  lateinischen  Distichen  schwerlich  ein  Recht 
geben.  Auch  ist  nirgends  angegeben,  worauf  sich  die  Behauptung  grün- 
det, dafs  das  Gedicht  rasch  entstanden  und  niedergeschrieben  ist. 

2* 


20  Geschichte  der  Philologie. 

Trotz  vielfacher  Abhaltungen  durch  mannichfache  Geschäfte  fand 
Dalberg  noch  Zeit  zu  griechischen  Studien,  die  er  gemeinsam  mit  Adolf 
Occo,  seit  1488  dem  humanistisch  gebildeten  Leibarzt  des  Kurfürsten, 
und  vermutlich  aucli  mit  Dietrich  von  Pleningen  betrieb.  Johannes 
Reuchlin  hat  dem  gelehrten  Bischof  zwei  seiner  auf  das  Griechische  be- 
züglichen Schriften  gewidmet,  Colloquia  graeca  und  eine  Schrift  De  qua- 
tuor  graecae  linguae  differentiis ,  die  neuerdings  Horawitz  aus  einer 
Stuttgarter  Handschrift  herausgegeben  hat. 

Auch  mit  einem  anderen  Humanisten,  der  in  Heidelberg  seit  1488 
Stellung  gewonnen  hatte,  mit  Adam  Werner  von  Themar,  entwickelte 
sich  ein  freundschaftliches  Verhältnis.  1491  richtete  Werner  ein  latei- 
nisches Gedicht  an  Camerarius,  ut  nova  bucolica  mittat  Carmen.  Darnach 
hatte  Dalberg  schon  früher  Bucolica  verfafst,  von  denen  aber  keine  ge- 
nauere Nachricht  erhalten  ist. 

Der  berühmte  Abt  Johann  Trithemius  von  Sponheim  widmete  sein 
im  Winter  1491  auf  1492  verfafstes  Buch  De  scriptoribus  ecclesiasticis 
Dalberg  mit  einem  sehr  verbindlichen  Schreiben,  worin  des  Bischofs 
Ruhm  in  etwas  überschwänglicher  Weise  verkündigt  wird.  Eine  weitere 
Widmung  machte  ihm  Sebastian  Murrho,  Kanoniker  zu  Kolmar,  der 
ihm  1494  seinen  Kommentar  zu  des  Baptista  Mautuanus  Gedicht  auf 
die  hl.  Katharina  dedizierte.  Bei  dieser  Gelegenheit  wird  zum  ersten 
Mal  die  nachmals  so  berühmt  gewordene  Dalbergsche  Bibliothek  erwähnt, 
die  an  lateinischen,  griechischen  und  hebräischen  Büchern  aufserordent- 
lich  reich  war,  und  deren  Benutzung  Dalberg  in  der  liberalsten  Weise 
gestattete,  wie  z.  B.  Reuchlin  mitteilt. 

Wenig  erfreulich  sind  die  Nachrichten  über  Dalbergs  Vei-hältnis 
zu  Konrad  Celtis  um  diese  Zeit.  Der  fahrige  Poet  hatte  eine  gröfsere 
Geldsumme  vom  Bischof  entlehnt  und  war  nun  in  der  Heimzahlung  so 
säumig,  dafs  er  erst  auf  ausdrückliche  Mahnung  des  gemeinsamen  Freun- 
des Tolophus  zahlte. 

Morneweg  wendet  sich  sodann  zu  einer  Untersuchung  des  Verhält- 
nisses von  Dalberg  zu  den  Sodalitates  litterariae,  den  gelehrten  Gesell- 
schaften, welche  Celtis  auf  seinen  Wanderungen  zur  Ausbreitung  des 
Humanismus  gegründet  hat.  Er  kommt  zu  dem  Ergebnis,  dafs  Dalberg 
Vorstand  einer  allgemeinen  deutschen  litterarischen  Sodalitas  gewesen, 
zu  welcher  sich  die  anderen  deutschen  Sodalitates  wie  Sektionen  verhiel- 
ten. Meines  Erachtens  denkt  sich  Morneweg  diese  Sodalitates  viel  fester 
organisiert,  als  sie  es  in  Wirklichkeit  je  gewesen  sind.  Was  wissen  wir 
denn  Zuverlässiges  von  denselben  aufser  den  Namen?  Wir  kennen 
weder  ihre  Statuten  nach  die  vollständige  Zahl  ihrer  Mitglieder  und 
vollends  die  angebliche  Sodalitas  litteraria  per  universam  Germaniam! 
Es  ist  das  gewifs  nichts  als  die  geistige  Gemeinschaft  aller  huma- 
nistisch Gebildeten  in  Deutschland,  als  deren  glänzendste  Persönlichkeit 
Dalberg  mit  princeps  bezeichnet  werden  soll.     Ich  habe  meine  Meinung 


K.  Morneweg,    Johann  von  Dalberg  21 

von  dem  sehr  lockereu  Verbände  der  Sodalitäten  schon  in  einem  Auf- 
satz in  der  Zeitschrift  für  Allgemeine  Geschichte  1885,  S.  682  ausge- 
sprochen. Auch  dürfte  zu  beachten  sein,  dafs  Celtis  das  erste  Epigramm 
seiner  Sammlung  (von  mir  ediert,  Berlin  1881)  überschreibt:  ad  quatuor 
sodalitates  litterarias  Germaniae,  aber  von  einer  über  diesen  vier  Soda- 
litates  stehenden  allgemeinen  Sodalität  Deutschlands  ist  nicht  die  Rede. 
Wenn  schon  von  den  erwähnten  vier  Sodalitäten  zwei  der  Phantasie  des 
Dichters  und  nicht  der  Wirklichkeit  angehören,  so  werden  wir  diese  all- 
gemein deutsche  Sodalitas  gewifs  in  das  Reich  der  Pläne,  die  nie  ver- 
wirklicht wurden,  verweisen. 

Welches  Ansehen  Dalberg  fortdauernd  bei  den  Humanisten  genofs, 
zeigen  die  verschiedenen  litterarischen  Dedikationen,  die  ihm  gemacht 
worden :  Celtis  feiert  den  Wormser  Bischof  in  einem  Archilochium  (so 
und  nicht  Archilogium  war  zu  schreiben,  welch  letztere  Orthographie 
nur  einem  Humanisten  des  15.  Jahrhunderts  verziehen  wird!),  der  be- 
rühmte Strafsburger  Sebastian  Brant  widmet  Dalberg  sein  Gedicht: 
»Über  das  Bündnis  des  Königs  mit  dem  römischen  Papste  und  den  treu- 
losen Italienern«,  Matthäus  Herben  seine  Schrift  De  natura  cantus  ac 
miraculis  vocis,  eine  philosophische  Betrachtung  über  die  Musik  ohne 
Instrument. 

Zumeist  auf  grund  des  handschriftlichen  Codex  epistolaris  des  Celtis 
wird  sodann  S.  186 ff.  das  anregende  und  muntere  Treiben  des  Heidel- 
berger Humanistenkreises  geschildert,  wobei  Johannes  Reuchlin,  Konrad 
Celtis,  Konradus  Leontorius,  Heinrich  Spiefs,  Jakob  Dracontius  und 
andere  eine  wichtige  Rolle  spielen.  Immer  wieder  mit  amtlichen  Auf- 
trägen vonseiten  des  Kurfürsten  oder  in  eigener  Sache  beschäftigt,  ist 
Dalberg  oft  von  Heidelberg  abwesend.  Von  dem  Reichstage  in  Lindau 
1496  heimkehrend,  wurde  er  durch  Dracontius  mit  einer  lateinischen 
Ode  begrüfst.  Den  7.  November  nahm  er  teil  an  einem  Feste  der  Hei- 
delberger Humanisten,  von  dem  Morneweg  vermutet,  dafs  es  zur  Erinne- 
rung an  Piatons  Geburts-  und  Todestag  gefeiert  wurde,  in  Nachahmung 
der  italienischen  Humanisten.  Vielleicht  las  man  dabei  auch  das  be- 
geisterte Lob  vor,  das  Wimpfeling  in  seinem  soeben  beendeten  Isidoneus 
dem  Bischöfe,  »dem  Ruhme  der  Deutschen,  dem  Glanz  seines  Geschlechts, 
des  Pfalzgrafen  höchster  Zier,  der  Krone  der  Bischöfe«  wegen  seiner 
griechischen  Kenntnisse  spendete.  Bei  solchen  Zusammenkünften  fanden 
sich  denn  die  humanistisch  gebildeten  Gesinnungsgenossen  aus  der  Nach- 
barschaft ein,  wie  z.  B.  Peter  Boland,  Pfarrer  zu  Schriesheim,  Johann 
von  Pleningen,  Domherr  zu  Worms,  Jakob  Köbel  aus  Oppenheim,  Theo- 
dor Gresemund  aus  Mainz  und  andere.  Bei  solchen  Festen  dürfte  auch 
tüchtig  gezecht  worden  sein.  Insbesonders  wurde  Dracontius  des  Bischofs 
Liebling,  der  sich  an  seinen  Liedern  gerne  aufheiterte. 

Den  31.  Januar  1497  wurde  in  Dalbergs  Hause  zu  Heidelberg  das 
von  Reuchlin  verfafste  Lustspiel  »Henno«   aufgeführt.     Morneweg  hätte 


22  Geschichte  der  Philologie. 

für  die  Einzelheiten  auch  noch  die  sorgfältige  Monographie  Gustav  Knods 
über  Jakob  Spiegel  benutzen  können,  da  dieser  sich  ebenfalls  unter  den 
die  Komödie  darstellenden  Studenten  befand. 

Eine  Mifshelligkeit,  die  nicht  ganz  aufgehellt  ist,  führte  im  Früh- 
ling des  Jahres  1407  dazu,  dafs  Dalberg  sein  Kanzleramt  am  pfälzischen 
Hofe  aufgab.  Vigilius  hatte  von  diesem  drohenden  Ereignis  dem  befreun- 
deten Celtis  Nachricht  gegeben  mit  dem  charakteristischen  Zusatz:  Quod 
si  fiet?  Heu  nobis,  ministris,  philosophis!  .  .  .  Dens  omnia  bene  ordinet, 
praesertim  pro  philosophis!     (S.  231). 

Ein  fünfter  Abschnitt  behandelt  »Letzte  Lebensjahre  und  Tod 
Dalbergs«  (S.  232—350).  Der  Fürstbischof  scheint  in  dem  zwei  Stun- 
den von  Heidelberg  entfernten  Ladenburg  seinen  Wohnsitz  genommen 
zu  haben,  wo  auch  seine  berühmte  Bibliothek  aufgestellt  war.  Reich 
an  griechischen,  lateinischen  und  hebräischen  Büchern,  wurde  sie  von 
den  gelehrten  Zeitgenossen  angestaunt  und  ein  einzig  dastehender  Schatz 
Deutschlands  (unus  Germaniae  nostrae  thesaurus)  genannt.  Morneweg 
gibt  eine  Anzahl  wertvoller  Notizen  über  Handschriften,  die  sich  in 
dieser  gepriesenen  Bibliothek  befunden  haben.  Wenn  aber  derselbe 
meint,  Dalbergs  Weggang  aus  Heidelberg  sei  auch  das  Ende  des  Hu- 
manismus daselbst  gewesen,  so  kann  ich  dem  nicht  ganz  beistimmen; 
denn  Reuchlin,  Wimpfeling,  Vigilius,  Werner  von  Themar  weilen  noch 
nachher  in  der  Pfälzer  Residenz. 

Übrigens  scheint  1498  eine  Aussöhnung  Dalbergs  mit  Philipp  von 
der  Pfalz  stattgefunden  zu  haben.  S.  Braut  und  Wimpfeling  rühmten 
von  neuem  um  diese  Zeit  den  durch  die  Kämpfe  mit  der  Stadt  Worms 
immer  noch  in  Anspruch  genommenen  Bischof.  Auch  das  Verhältnis  zu 
Kaiser  Max  gestaltete  sich  günstig  für  Dalberg,  so  dafs  er  mehrfach  als 
kaiserlicher  Bevollmächtigter  thätig  war. 

Der  Aufenthalt,  welchen  Dalberg  1501  wegen  des  Reichstages  in 
Nürnberg  nahm,  wurde  von  ihm  benutzt  zum  Verkehr  mit  dem  zahl- 
reichen Kreise  Nürnberger  Humauisten,  wie  Johann  Werner,  Pfarrer  in 
der  Nürnberger  Vorstadt  Wörth,  Willibald  Pirckheimer,  Johannes  Löffel- 
holz, Sebald  Schreier  (Clamosus) ,  Hieronymus  Monetarius  u.  a  Hier 
wurde  auch  der  Druck  der  Werke  der  Gandersheimer  Nonne  Roswitha 
endgültig  beschlossen. 

Von  den  Schriften  Dalbergs,  von  denen  sich  freilich  keine  gröfsere 
bis  jetzt  erhalten  hat,  sei  besonders  seine  Sammlung  von  mehr  als  3000 
Wörtern  hervorgehoben,  welche  darthun  soll,  dafs  die  griechische  und 
deutsche  Sprache  übereinstimmten.  Nach  dem  Stande  des  damaligen 
Wissens  kann  dies  nur  eine  Sammlung  von  Zufälligkeiten  und  Kuriosi- 
täten gewesen  sein,  wobei  Dalberg  der  bedenklichen  »Sirene  des  Gleich- 
klangs« nur  zu  willig  Gehör  geschenkt  haben  dürfte. 

Im  Juli  1503  starb  der  Bischof  eines  plötzlichen  Todes  in  Heidel- 
berg.    Die  humanistischen  Freunde,  allen  voran  Konrad  Celtis,  beklagten 


K.  Morueweg,    Johann  von  Dalberg.  23 

den  verlorenen  Freund  und  Gönner.  Aber  auch  Johann  Werner,  Tri- 
themius,  Wimpfeling,  Brant,  Thomas  Wolf  d.  j.  lassen  ihre  Klage  ertönen. 

In  einem  Schlufskapitel  »Rückblick  und  Würdigung«  skizziert  der 
Verfasser  nochmals  zusammenfassend  die  ganze  bedeutende  Persönlich- 
keit in  ihrer  Eigenschaft  als  Bischof,  Landesfürst,  Kanzler  der  Pfalz, 
Humanist.  Als  letzterer  bewährte  er  sich  als  Redner,  Altertumsforscher, 
Sprachkenner,  Kurator  der  Universität  Heidelberg,  Sammler  einer  grofsen 
Bibliothek. 

So  schön  und  ansprechend  diese  Charakteristik  ist,  so  scheint  mir 
doch  der  Altertumsforscher  Dalberg  zu  hell  beleuchtet  zu  sein. 
Wenn  man  ein  reges  Interesse  für  Handschriften,  römische  Inschriften 
und  Münzen  zeigt,  so  ist  man  deshalb  noch  kein  Forscher.  Da  uns  die 
hierher  gehörigen  Schriften  nicht  erhalten  sind,  so  wird  das  Urteil  da- 
rüber schwerlich  jemals  unbedingte  Sicherheit  gewinnen.  Dalberg  war 
zum  Mäcen  für  die  Wissenschaften  wie  geschaffen:  seine  Bildung,  An- 
lage und  Stellung  befähigten  ihn  dazu,  aber  er  war  kein  selbständiger 
Forscher.  In  wissenschaftlichen  Dingen  ist  er  eine  mehr  receptive, 
keine  produktive  Persönlichkeit,  ein  geniefsender,  kein  schöpferischer 
Geist.  Dieser  Gesichtspunkt  hätte  dem  Schlufskapitel  noch  eingefügt 
werden  dürfen. 

Ein  Anhang  mit  den  wenigen  erhaltenen  Gedichten  und  Briefen 
Dalbergs  sowie  ein  sorgfältiges  Register  beschliefsen  das  fleifsige  und 
verdienstliche  Buch. 

Von  mancherlei  verbesserungsdürftigen  Einzelheiten  mögen  einige 
notiert  sein:  auf  S.  18  Anm.  69  ist  sedet  aufzulösen  in  sed  et.  Im  glei- 
chen Citat  scheint  possit  in  posset  und  quanque  in  quaeque  zu  ver- 
wandeln. —  S.  24  ist  in  Anm.  82  wohl  artes  oder  litteras  ausgelassen. 
—  S.  35  Anm.  12  ist  das  unverständliche  culta  vermutlich  in  »calceo« 
zu  verändern. 

S.  20  ist  mit  der  Schrift  »Ciceros  von  der  Vorsehung«  nicht  De 
divinatione,  sondern  De  fato  gemeint. 

Wenn  S.  86  Anm.  75  die  Declamatio  De  vita  Agricolae  als  Rede 
Joh.  Saxos  bezeichnet  wird,  so  ist  das  schwerlich  richtig.  Der  Ver- 
fasser ist  gewifs  Melanchthon,  und  dessen  Schüler  Saxo  hat  die  von  dem 
Lehrer  verfertigte  Rede  in  Wittenberg  vorgetragen. 

Wenn  S.  23  Dalberg  als  Vorbild  aller  späteren  deutschen  Huma- 
nisten bezeichnet  wird,  so  ist  die  Übertreibung  des  Ausdrucks  unwider- 
sprechlich. 

Von  gröfserer  Bedeutung  scheint  mir  die  Anzweiflung  der  Nach- 
richt über  seine  Todesart  zu  sein  (S.  322),  der  ich  nicht  beistimmen 
kann.  Nach  der  Angabe  Melanchthons  stürzte  Dalberg  zu  Heidelberg 
im  Hause  einer  meretrix  in  den  Keller  und  starb  infolge  des  Sturzes. 
Für  die  Zuverlässigkeit  der  Angabe  spricht  zunächst  der  Umstand,  dafs 
Melanchthon  die  gleiche  Angabe  dreimal  macht,  einmal  in  einer  feier- 


24  Geschichte  der  Philologie. 

liehen  lateinischen  Rede  De  coniugio  vor  versammelter  Universität  und 
das  andere  Mal  vor  seinem  zahlreichen  Sonntagsauditorium,  dem  er 
die  hl.  Schrift  auslegte.  Melanchthon  kam  aber  schon  sechs  Jahre  nach 
Dalbergs  Tod  nach  Heidelberg,  wo  ein  solches  Ereignis  gevvifs  noch  in 
frischer  Erinnerung  stand.  Ohnedem  verkehrte  er  in  dem  indefs  freilich 
sehr  zusammengeschmolzenen  humanistischen  Kreise,  zu  dem  einst  Dal- 
berg  gehört  hatte.  Sodann  schmückt  Melanchthon  Dalberg  mit  sehr 
ehrenden  Prädikaten,  so  dafs  man  nicht  einsieht,  weshalb  er  dem  glei- 
chen Mann  unverbürgte  üble  Nachrede  hätte  bereiten  sollen.  Wenn  aber 
die  humanistischen  Freunde  Dalbergs  von  dessen  integritas  vitae  reden, 
so  ist  das  gewifs  kein  stichhaltiger  Gegengrund  gegen  Melanchthons 
Angaben. 

Das  Mornewegsche  Buch  ist  eine  fleifsige  und  auf  gründlichen 
Studien  beruhende  Arbeit,  mit  der  es  der  Verfasser  sich  nicht  leicht 
gemacht  hat.  Wertvolle  Angaben  in  ziemlicher  Anzahl  sind  hier  zum 
ersten  Mal  aus  den  Handschriften  und  seltenen  Büchern  ans  Licht  ge- 
zogen. Manche  geben  überraschende  Aufschlüsse  über  bisher  dunkel 
gewesene  Punkte.  Nur  bleibt  zu  bedauern,  dafs  der  Verfasser  statt  der 
rein  chronologischen  nicht  lieber  eine  sachliche  Ordnung  für  seinen  rei- 
chen Stoff  gewählt  hat.  So  werden  höchst  entlegene  Dinge  rein  äufser- 
lich  nach  der  Zeitfolge  an  einander  gereiht  und  stören  den  Genufs  dieser 
sonst  so  dankenswerten  Schrift. 

Zu  den  niederrheinischen  Humanisten  gehört  der  sogenannte  Wan- 
derprediger des  deutschen  Humanismus,  Hermann  von  dem  Busche. 

Oberlehrer  Dr.  Hermann  Joseph  Liessem,  Bibliographisches  Ver- 
zeichnis der  Schriften  Hermanns  van  dem  Busche.  Anhang.  4  Bl. 
(Wissenschaftliche  Beilage  zum  Programm  des  Kaiser  Wilhelms-Gym- 
nasiums in  Köln.     1887.     4*'.     Progr.  Nr.  402). 

Die  fleifsige  und  sorgfältige  Zusammenstellung  ist  der  Anhang  zu 
den  drei  Programmbeilagen,  welche  Liessem  dem  bekannten  humanisti- 
schen Wanderprediger  Buschius  gewidmet  hat  Die  verzeichneten  Drucke 
umfassen  13  Nummern  aus  den  Jahren  1496/97  bis  1504.  Der  Verfasser 
gibt  auch  die  späteren  Auflagen  oder  Wiederholungen  an,  von  denen  die 
der  Lipsica  bis  1802  herunterreichen. 

Die  einzelnen  Drucke  sind  mit  wünschenswerter  Genauigkeit  be- 
schrieben: Worttrennung  des  Titelblattes,  Angabe  der  Blätterzahl  und 
Signaturen,  der  einleitenden  oder  abschliefsenden  Dedikationsepisteln  und 
-gedichte,  Schriftform  (ob  gotisch  oder  nicht),  Nennung  einiger  Biblio- 
theken, wo  diese  seltenen  Bücher  vorhanden  sind.  Von  besonderem  In- 
teresse ist  die  Mitteilung  von  Randbemerkungen  und  sonstigen  Aufzeich- 
nungen, die  sich  in  manchen  Exemplaren  in  alter  Schrift  finden.  Selbst 
die  damals  üblichen  Abkürzungen  sind  urkundlich  wiedergegeben. 

Für  die  Geschichte  der  Philologie  kommen  in  betracht:    Nr.  VH. 


H.  J.  Liessem,    Hermann  v.  d.  Busche.  25 

Petronius  Arbiter  Poeta  Satyricus.  In  officina  Jacobi  Thanneri  Anno 
1500.  —  Nr.  VIII.  Hermannii  Buschii  Pasiphili  Monasteriensis  Anuo- 
tatioues  in  Petronii  Arbitri  Satyram  de  vitiis  Romanorum.  —  Nr.  XI. 
Empfehlungsgedicht  und  metrische  Inhaltsangaben  zu  Silius  Italiens  de 
hello  Punico  1504.  Karlsruher  Handschrift-  »Besonderen  Wert  besitzt 
die  Handschrift,  weil  sie  auch  Buschs  Argument  zu  dem  ersten  Buche 
mitteilt,  welches  in  den  sonstigen,  mit  den  Argumenten  Buschs  erschie- 
nenen Silius-Ansgabeu  fehlt.«  —  Silius  Italiens  cum  argumentis  Her- 
manni  Buschii.  Lipsiae  per  Martinum  Herbipolensem  1504.  Dazu  die 
folgenden  Ausgaben  Basel  1522  und  Genf  1607. 

Für  die  Fortsetzung  der  Arbeit  Liessems  darf  auf  die  in  unserem 
Jahresbericht  weiter  unten  erwähnte  Studie  Boots  hingewiesen  werden. 

Aus  dem  schönen  Eheinlande  nach  Schwaben  führen  zwei  Auf- 
sätze Benders: 

Dr.  Hermann  Bender,  Rektor  des  k  Gymnasiums  zu  Ulm.  Die 
Anfänge  der  humanistischen  Studien  an  der  Universität  Tübingen 
(Gymnasialreden  nebst  Beiträgen  zur  Geschichte  des  Huraanisums  und 
der  Pädagogik.     S.  171—189). 

Die  humanistischen  Studien  fassen  in  Tübingen  durch  die  Grün- 
dung eines  Lehrstuhles  für  Eloquenz  und  Poesie  im  Jahre  1496  (nicht 
1497),  der  Heinrich  Bebel  von  Justingen  übertragen  wurde,  festen  Boden. 
Um  1472  geboren,  studierte  er  unter  anderm  auch  in  Krakau  und  Basel, 
von  wo  er  wahrscheinlich  durch  den  gelehrten  Kanonikus  Hartmann  von 
Eptingen  an  seine  heimische  Hochschule  empfohlen  wurde.  Der  lebens- 
frohe Mann  unterhielt  Beziehungen  mit  einem  sehr  ausgedehnten  Freun- 
deskreis. Seine  Schriften  und  praktische  Thätigkeit  galten  der  Verbrei- 
tung der  humanae  litterae,  besonders  eines  besseren  Lateins.  Schon 
nach  wenigen  Jahren  merkte  man  die  Spuren  seiner  Thätigkeit.  Die 
Tübinger  Studenten,  die  früher  wegen  ihres  schlechten  Lateins  (vgl.  das 
Hechinger  Latein!)  berüchtigt  gewesen,  gelten  schon  1505  als  flotte,  all- 
seitig durchgebildete  Latinisten. 

Von  Bebeis  eigenen  lateinischen  Gedichten,  die  meist  in  elegischem 
Versmafse  abgefafst  sind,  wie  Lobgedichte  auf  hervorragende  Männer 
und  Freunde,  Epitaphien,  den  Triuniphus  Veneris  hält  Bender  nicht  viel. 
Seine  Facetiae,  die  keinen  moralischen  Yf  ert  haben,  machten  ihn  populär. 
An  Bebel  schlofs  sich  eine  Gesellschaft  gleichgestimmter  Männer 
an,  die  societas  Neccharana,  zum  Teil  aus  seinen  Schülern  bestehend. 
Zunächst  Georg  Simler  aus  Wimpfen  und  Johannes  Hiltebrand  aus 
Schwetzingen,  vor  ihrer  Übersiedelung  nach  Tübingen  Lehrer  an  der 
berühmten  Lateinschule  zu  Pforzheim,  wo  sie  Melanchthon  unterrichteten. 
Simler,  der  Verfasser  einer  humanistischen  Grammatik,  wird  von  Ca- 
merarius  als  primarius  graramaticus  gerühmt. 

Zu  den  Schülern  Bebeis   gehörte  Johann   Alteusteig  aus  Mindcl- 


26  Geschichte  der  Philologie. 

heim,  später  Lehrer  im  Kloster  Polling  in  Bayern  und  dann  durch 
Bischof  Stadion  von  Augshurg  Visitator  der  Diözese  Augsburg.  Er  hat 
u.  a.  einen  Vocabularius,  eine  Ars  epistolandi  und  einen  Kommentar  zu 
Bebeis  Triumphus  Veneris  geschrieben. 

Weitere  Schüler  waren  J.  Ileinrichmann  aus  Sindelfingen,  der  Ver- 
fasser der  1506  erschienenen  Institutiones  grammaticae,  sodann  Johann 
Brassicanus,  eigentlich  Köl  aus  Konstanz,  Lehrer  in  Urach  und  Tübin- 
gen, Vater  des  berühmten  Wiener  Brassicanus. 

Auch  für  das  Griechische,  welches  Bebel  nicht  verstand,  begann 
das  Interesse  durch  Simler  und  Melanchthon. 

Einige  Verbesserungen  zu  dem  Aufsatz  habe  ich  in  einer  Be- 
sprechung in  der  Berliner  philol.  Wochenschrift  1888  Nr.  25  gegeben. 
Es  würde  übrigens  eine  lohnende  Aufgabe  sein,  die  äufseren  Umrisse 
von  Benders  Arbeit  durch  die  zahlreichen  alten  Drucke,  welche  Karl 
Steiff  in  seiner  Monographie  über  die  alten  Tübinger  Buchdrucker  nach- 
gewiesen hat,  genauer  auszuführen. 

Dr.  Hermann  Bender,  Rektor  des  k.  Gymnasiums  zu  Ulm.  Hu- 
manismus und  Humanisten  zu  Tübingen  im  XVL  Jahrhundert  (Gym- 
nasialreden nebst  Beiträgen  zur  Geschichte  des  Humanisums  und  der 
Pädagogik).     (Tübingen  1887.     S.  190—217). 

Neben  Bebel  knüpfen  sich  die  Anfänge  des  Humanismus  zu  Tübin- 
gen an  die  Namen  Melanchthons,  der  1512  daselbst  immatrikuliert  und 
1514  zum  Magister  artium  liberarium  promoviert  wurde.  Eine  Vor- 
stellung seiner  damaligen  Bedeutung  erhalten  wir  aus  dem  Gedichte  des 
Magister  Schlauraif  in  den  Epistolae  obscurorum  virorum,  das  aber 
nicht  von  Melanchthon  verfafst  ist.  Um  Melanchthon  sammelte  sich  ein 
Kreis  gleichstrebender  Genossen,  »ein  griechisches  Kränzlein«,  dem  Sim- 
ler, Hiltebrand,  Aulber,  Oekolampad,  Knoder,  Secerus  (Setzer),  Kurrer 
u.  a.  angehörten.  Aus  diesem  Kreise  gingen  lateinische  Übersetzungen 
griechischer  Schriftsteller  hervor.  Noch  Gröfseres,  nämlich  eine  Ge- 
samtausgabe des  griechischen  Aristotelestextes,  war  geplant  und  zwar 
von  Melanchthon,  die  freilich  nicht  zu  Stande  kam,  aber  nicht  aus  Man- 
gel an  Hilfsmitteln,  wie  Bender  behauptet,  sondern  weil  Melanchthon 
durch  seine  Berufung  nach  Wittenberg  unter  Luthers  Einflufs  kam  und 
so  zu  einem  Gegner  des  Aristoteles  wurde.  Melanchthon,  der  später 
seinen  Tübinger  Aufenthalt  in  einem  unhistorischen  verklärten  Lichte 
ansah,  zog  1518  gerne  aus  Schwaben  ab,  da  er  den  »geschäftigen  Müfsig- 
gang« ,  wie  er  seine  Tübinger  Lehrthätigkeit  nannte ,  nicht  weiter  trei- 
ben wollte. 

Der  Vertreter  der  Humaniora  in  Tübingen  wurde  seit  1521  der 
berühmte  Johannes  Reuchlin,  der  Ingolstadt  wieder  verlassen  hatte, 
aber  schon  nach  kurzer  Lehrthätigkeit  starb. 

1535   wurde    sodann  Joachim   Camerarius,    der  vielleicht  die 


H.  Bender,    Humanismus  und  Humanisten.  27 

feinste  humanistische  Bildung  unter  Melanchthons  Schülern  besafs,  be- 
rufen, der  blofs  bis  1541  lehrte,  wo  er  nach  Leipzig  ging.  Seine  an- 
fänglich freudige  Stimmung  schlägt  bald  um;  denn  die  schwäbische  Na- 
tion ist  aiio'jGoq.  (3hne  Zweifel  beteiligte  er  sich  an  der  Neuorganisation 
des  Pädagogiums  und  der  Studienordnung  für  die  Artistenfakultät. 

Nach  ihm  kam,  von  Melanchthon  geschickt,  Matthias  Garbitius 
aus  Illyrien,  der  schon  in  Wittenberg  griechische  Vorlesungen  gehalten 
hatte.  24  Jahre  in  Tübingen  thätig,  stirbt  er  1559,  nachdem  er  sich 
grofse  Verdienste  um  das  Martinianum,  das  Martinsstift,  erworben  hatte. 

Von  den  folgenden  Lehrern  der  Humaniora  sind  zu  nennen  seit 
1541  Sigismund  Lupulus  aus  Rottenburg  und  Georg  Liebler,  nach 
Frischlins  Behauptung  ein  habitueller  Trunkenbold  (crapulosus  iste 
Lieblerus),  sodann  Melchior  Volmar  Ruf  us  (Rat)  aus  Rottweil  (f  1561), 
der  in  Bern  und  Frankreich  studiert  hatte,  auch  Beza  und  Calvin  kannte. 

Noch  mehr  Interesse  erweckt  Michael  Toxites  aus  Graubünden 
oder  Tirol,  schliefslich  Stadtarzt  in  Hagenau.  Unter  Herzog  Christoph 
ist  er  Pädagogarch  des  Herzogtums  Württemberg.  Er  war  früher  an 
der  Sturmschen  Anstalt  und  lebte  sich  ganz  in  die  ratio  Sturmiana  ein.  Als 
Pädagogarch  richtete  er  an  den  Herzog  die  Schrift :  De  emendandis  rec- 
teque  instituendis  literarum  ludis,  in  denen  er  eine  Schulreform  nach  Sturras 
Prinzipien  empfiehlt.    Für  die  Lehrer  beanspruclit  er  bonos  et  praeraium. 

Am  Pädagogium  war  seit  1562  auch  Leonhard  Engelhard,  vor- 
her Praeceptor  in  Eppingen,  thätig,  den  die  Calvinisten  von  da  ver- 
trieben hatten.     Kindisch  geworden,  starb  er  1604. 

Im  letzten  Drittel  des  Jahrhunderts  sind  sodann  noch  Martin 
Crusius  und  Nicodemus  Frischlin  zu  nennen.  In  dem  Streite  dieser 
beiden,  den  bekanntlich  D.  Fr.  Straufs  klassisch  geschildert  hat,  sucht 
Bender  Crusius  mehr  gerecht  zu  werden,  als  es  Straufs  gewesen  ist. 
»Frischlin  ist  eigentlich  ein  Nachzügler  des  früheren  stürmenden  und 
drängenden  Humanismus:  er  pafst  nicht  mehr  in  diese  Zeit«.  »Dafs  er 
so  spät  kam,  war  sein  Unglück,  und  äufserlich  mufste  er  unterliegen, 
weil  der  Geist  der  Zeit  wider  ihn  war.  Sein  Gegner  Crusius  blieb  als 
Sieger  auf  dem  Platz,  dank  seiner  festen  akademischen  Position,  aber 
auch  für  ihn  war  der  Kampf  und  Sieg  ein  Unglück:  Frischlin  hat  ihn 
mit  Hilfe  von  D.  Fr.  Straufs  noch  mehr  in  den  Augen  der  Nachwelt 
als  der  Zeitgenossen  um  den  grnfsten  Teil  seines  Ruhmes  gebracht». 

Mit  den  schwäbischen  Humanisten  verkehrte  der  Mann,  welchen 
man  typisch  für  die  deutsche  Renaissancebildung  bezeichnete,  und  über 
den  fast  jedes  Jahr  neue  Arbeiten  bringt,  Willibald  Pirkheimer. 

P.  Drews,  Willibald  Pirkheimers  Stellung  zur  Reformation.  Ein 
Beitrag  zur  Beurteilung  des  Verhältnisses  zwischen  Humanismus  und 
Reformation.    Leipzig.    Grunow.    1887.    8°.    V  und  138  S. 

Die  Tendenz  dieser  Schrift,  die  mit  Folgerichtigkeit  durchgeführt 
ist,  spricht  sich  schon  in  der  Vorrede  in  folgenden  Worten  aus:     »Die 


28  Geschichte  der  Philologie. 

geistigen  Mächte,  mit  denen  die  Reformation  sich  auseinander  zu  setzen 
hatte,  waren  nicht  nur  der  durch  Jahrhunderte  scheinbar  geheiligte  rö- 
mische Aberglaube,  Menschensatzung  und  Gewissenszwang,  nicht  nur  die 
von  revolutionärem  Geiste  erfüllte  Schwarmgeisterei  —  eine  in  vieler 
Beziehung  entgegengesetze  Macht  war  auch  der  Humanismus,  oder  besser 
die  Weltanschauung,  auf  welcher  der  ganze  Humanismus  beruhte,  der 
Geist  der  Renaissance.  Es  ist  anerkannt,  dafs  der  Humanisnms  der 
Reformation  ganz  wesentlich  vorgearbeitet  hat,  und  wir  begrüfsen  mit 
Freuden  manchen  Humanisten  als  treuen  Anhänger  Luthers.  Aber  es 
läfst  sich  doch  nicht  leugnen,  dafs  für  viele  gerade  ihre  humanistische 
Weltanschauung  ein  Hindernis  wurde,  zur  vollen  Würdigung  und  Er- 
kenntnis der  Reformation  hindurchzudringen«.  »Darin  sind  Reformation 
und  Humanismus  einig,  dafs  sie  beide  gegenüber  römischer  Knechtschaft 
das  Recht  der  freien  Persönlichkeit  geltend  machen.  Aber  während  der 
Humanismus  Freiheit  für  die  Welt  des  Geistes,  des  Verstandes  will, 
kämpft  die  Reformation  für  die  Freiheit  des  Gewissens«. 

Diese  Auseinandersetzung  ist  nicht  vollständig.  Denn  Reforma- 
tion und  Humanismus  sind  auch  noch  in  weiteren  Punkten  einig. 

Der  Stoff  ist  in  folgende  Abschnitte  gegliedert:  1.  Pirkheimers 
Persönlichkeit.  2.  Pirkheimers  Stellung  zur  katholischen  Kirche.  3.  Lu- 
thers Freund.  4.  Luthers  Leidensgefährte.  5.  Über  den  Parteien.  6.  Der 
Abendmahlsstreit.     7.  Die  letzten  Lebensjahre. 

Besonders  anmutig  ist  der  erste  Abschnitt  geschrieben.  Mit  gutem 
Verständnis  und  ausreichender  Quellenkenntnis  hat  Drews  sich  in  das 
Wesen  von  Pirkheimers  Persönlichkeit  zu  versenken  gesucht.  Er  rech- 
net ihn  zu  den  Universalmenschen,  den  Persönlichkeiten  von  überraschen- 
der Vielseitigkeit,  wie  deren  das  Zeitalter  der  Renaissance  manche  her- 
vorgebracht hat.  Aus  guter  und  wohlhabender  deutscher  Familie  findet 
er  seine  letzte  Bildung  durch  einen  siebenjährigen  Aufenthalt  in  Italien. 
Nach  Deutschland  zurückgekehrt,  kann  ihn  die  Heimat  doch  nicht  ganz 
für  die  schöne  Fremde  entschädigen.  Aber  trotz  mancher  Klagen  hat 
er  sich  in  Nürnberg  wohl  gefühlt.  Sein  luxuriös  und  künstlerisch  aus- 
gestattetes Haus  enthielt  eine  wertvolle  Bibliothek,  eine  seltene  Münz- 
sammlung. An  berühmten  Freunden  fehlt  es  ihm  nicht.  Sein  umfassen- 
der Geist  und  reiches  Wissen  erwerben  ihm  Anerkennung  und  Ruhm. 
»Alles  beherrschte  dieser  umfassende  Geist,  so  leicht  wie  ein  Dilettant, 
so  gründlich  wie  ein  Gelehrter«.  Neben  der  Arbeit  winkt  ihm  die 
Schönheit  des  Landlebens,  dessen  Schönheit  er  ganz  wie  ein  moderner 
Mensch  geniefst. 

Mit  dem  grofsen  Dürer  lebt  er  ein  vertrauliches  Freundesleben, 
worin  die  beiden  sich  gegenseitig  in  der  Arbeit  unterstützen.  Dabei 
wahrt  er  nach  allen  Seiten  seine  Unabhängigkeit.  Er  rühmt  von  sich: 
»Ich  habe  keine  Diszipul  oder  Anhänger,  bin  auch  hinwiederum  nie- 
mals Diszipul,  sondern  wer  Recht  hat,  dem  folg  ich  und  hänge  ich  an«. 


P.  Drews,   W.  Pirkheimer.  29 

Selbst  Reuchlin,  Hütten  und  Erasmus  hat  gelegentlich  sein  Tadel  ge- 
troffen. 

Mit  der  römisch-katholischen  Kirche  blieb  er  in  einer  konventio- 
nellen Übereinstimmung;  doch  hatte  er  mit  der  scholastischen  Theologie 
gänzlich  gebrochen,  wie  seine  scharfe  Kritik  der  herrschenden  Methode 
zeigt.  Das  Heil  der  Kirche  sieht  er  in  der  sittlichen  und  wissenschaft- 
lichen Bildung  des  Klerus.  Des  grofsen  inneren  Gegensatzes  zur  Kirche 
dürfte  er  sich  nicht  ganz  bewufst  geworden  sein.  In  der  Hauptsache 
ist  er 'mit  Erasmus  einig,  aber  Pirkheimer  hatte  mehr  Herz,  mehr  Ge- 
fühl.    Trotzdem  fehlt  ihm  das  tiefere  Verständnis  für  das  Religiöse. 

Der  1517  entstehende  kirchliche  Kampf  führte  Pii-kheimer  an 
Luthers  Seite.  Wie  er  früher  Reuchlins  Verteidiger,  so  wird  er  jetzt 
durch  seinen  1520  erschienene  Eccius  dedolatus  ein  Mitstreiter  Luthers 
gegen  Eck.  Letzterer  rächte  sich  dadurch,  dafs  er  auch  Pirkheimers 
Name  in  die  gegen  Luther  geschleuderte  Bannbulle  setzte.  Der  päpst- 
liche Kammerherr  Karl  von  Miltitz  teilte  zuerst  dem  Nürnberger  Freunde 
mit,  dafs  er  in  der  Bulle  stehe  als  »einer,  der  Martinus  Opinion  hält«. 
Anders  als  Luther,  dessen  Heldenmut  sich  jetzt  erst  recht  entfaltete, 
war  Pirkheimer  nicht  zweifelhaft,  dafs  es  am  besten  sei  dem  Kampf  aus 
dem  Weg  zu  gehen.  Er  wie  der  mitgebannte  Ratschreiber  Lazarus 
Spengler  sahen  in  der  ganzen  Sache  einen  Ehrenhandel.  Sie  gaben 
sich  dem  entsprechend  alle  Mühe,  durch  Unterhandlungen  und  Unter- 
würfigkeit aus  der  üblen  Lage  zu  kommen. 

Pirkheimer  zog  sich  mehr  und  mehr  zurück.  1523  schied  er  aus 
dem  Rat  aus.  Mifsstimmt  trennte  er  seine  Sache  von  den  Evangelischen 
und  klagte  vielfach  über  Luther  und  seine  Anhänger,  wie  man  u.  a. 
auch  aus  dem  Briefwechsel  mit  Erasmus  sieht.  Doch  suchte  er  noch 
zwischen  diesem  und  Luther  nach  Kräften  zu  vermitteln. 

Trotzdem  kam  er  später  in  den  Verdacht,  in  der  Abendsmahlslehre 
ein  Zwinglianer  zu  sein.  Davon  reinigte  er  sich  in  dem  Briefwechsel 
mit  Oekolampad  über  das  Abendmahl.  Er  will  nicht  katholisch  sein. 
Für  seine  Person  war  er  überzeugt  Luthers  Auffassung  zu  vertreten. 

Obgleich  er  gegen  das  Ende  seines  Lebens  katholisierte,  so  ist  er 
doch  nicht  wieder  katholisch  geworden.  »Er  ist  jeder  Zeit  Humanist 
geblieben.  Dieselben  Mafsstäbe  legt  er  an  vor  wie  nach  der  Reforma- 
tion: Moral  und  Wissenschaftlichkeit«.  »Ein  religiös  sittlicher  Charakter 
war  Pirkheimer  nicht.  Vivitur  ingenio,  caetera  mortis  erunt.  Diese 
Worte  hat  er  unter  sein  von  Dürer  gezeichnetes  Bild  gesetzt.  Sie  ent- 
halten das  Glaubensbekenntnis  Pirkheimers,  das  Geheimnis  seines  Lebens«. 

Der  Gedanke,  die  Verschiedenheit  der  Reformation  und  des  Hu- 
manismus in  ihrem  innersten  Kerne  nachzuweisen,  welchen  die  Arbeit 
von  Drews  verfolgt,  ist  seit  der  Schrift  Vorreiters  (Luthers  Ringen  mit 
den  antichristlichen  Prinzipien  der  Revolution,  Halle  1860)  nicht  mehr 
neu.     Doch  hat  der  Verfasser   sein  Ziel  mit  Umsicht  und  Sachkenntnis 


30  Geschichto  der  Philologie. 

vertreten.  Aber  gegen  solche  Untersuchungen,  die  doch  nur  auf  eine 
Entwertung'  des  Humanismus  hinstrebcn,  ist  denn  doch  zu  bemerken,  dafs 
Humanismus  nur  ein  anderes  Wort  ist  für  Wissenschaft  in  jener  Zeit. 
Die  Humanisten  sind  die  Vertreter  des  wissenschaftlichen  Prinzips  gegen 
Ignoranz  und  Unwissenschaftlichkeit.  Ob  es  da  von  so  hohem  Werte 
für  die  Evangelischen  und  die  Wertschätzung  ihrer  Sache  ist,  immer 
wieder  von  neuem  den  trotz  vieler  Berührungspunkte  doch  vorhandenen 
Gegensatz  im  innersten  Wesen  von  Luthers  Lehren  und  den  Humanisten 
hervorzuheben  und  zu  schärfen?  Dagegen  werden  die  einigenden  Punkte 
kaum  gelegentlich  berührt.  Luther  wufste  doch  seinen  Melanchthon  zu 
schätzen,  den  ihm  der  Humanismus  geschenkt  hatte. 

Wenn  der  Verfasser  S.  13  den  Gedanken  ausführt,  dafs  der  Hu- 
manist das  Gute  liebe,  weil  es  schön  ist,  die  Ästhetik  nehme  die  Ethik 
in  ihren  Dienst,  so  scheint  mir  das  ein  unberechtigtes  Generalisieren 
eines  einzelnen  Falles.  Bei  der  Mehrzehl  deutscher  Humanisten  trifft 
das  nicht  zu.  Unter  ihnen  sind  zahlreiche  ehrenwerte  Männer,  welchen 
das  Ethische  um  seiner  selbst  willen  am  Herzen  liegt  Sie  wollten  das 
Gute  und  Rechte  nicht  um  eines  ästhetischen  Schimmers  halber,  sondern 
weil  es  eben  das  Rechte  und  Gute  war. 

Dr.  Karl  Rück,  Ein  unedierter  Brief  Willibald  Pirkheimers  (Blätter 
für  das  bayerische  Gymnasialschul weseu  Jahrg.  22,  531  545).  Auch 
als  Separatabdruck  erschienen  (München,  Kutzner,  1886). 

Studien  über  Pirkheimer  führten  den  Herausgeber  auf  diesen  Brief, 
auf  welchen,  unter  Mitteilung  des  Anfangs  und  Endes,  Ruland  im  Bd. 
XVI  des  Serapeums  aufmerksam  gemacht  hat.  Er  ist  seinem  Hauptteil 
nach  noch  ungedruckt  und  bezieht  sich  auf  den  Feldzug  Karls  VIIL 
gegen  Neapel  im  Jahre  1494.  Derselbe  stammt  aus  Cod.  lat.  Monacen- 
sis  Nr.  428,  einem  jener  köstlichen  Sammelbäude  Hartmann  Schedels, 
welche  die  Münchener  Hof-  und  Staatsbibliothek  besitzt. 

Als  Pirkheimer  den  Brief  schrieb,  war  er  24 jähriger  Student  in 
Pavia.  Da  er  selbst  keinen  persönlichen  Anteil  an  dem  Kriege  nahm, 
so  hat  der  Brief  keinen  urkundlichen  Wert.  Doch  ist  er  eine  Quelle, 
weil  der  Schreiber  in  der  Nähe  des  Schauplatzes  der  Ereignisse  lebte 
und  kurz  nach  derselben  schrieb,  wie  er  auch  in  der  That  Ergänzungen 
und  Vei'besserungen  zu  den  schon  bekannten  Berichten  gibt. 

Adressat  ist  Johann  Pirkheimer,  der  Vater,   doctor  utriusque  iuris. 

»Dem  zukünftigen  Biographen  Pirkheimers  wird  der  Brief  will- 
kommen sein.  Denn  er  zeigt  uns  den  Verfasser  der  Beschreibung  Ger- 
maniens,  des  Schweizerkriegs  im  Anfang  seiner  Entwickelung,  nicht  min- 
der den  Humanisten,  der,  den  in  seiner  Familie  herkömmlichen  littera- 
rischen Neigungen  getreu,  mit  lebhaftem  Interesse  den  klassischen  Werken 
nachgeht«. 

Von  Franken  wenden  wir  uns  nach  Bayern: 


E.  V.  Oefele,   Aventiniana.  31 

Edmund   von  Oefele,    Aventiniana  (Oberbayerisches  Archiv    für 
vaterländische  Geschichte.     Bd.  44  (1887)  S.  1—32). 

Aus  Gesners  Bibliotheca  universalis  (1545,  fol.  386)  wufste  man, 
dafs  Aveutin  ein  Chronicon  emendatum  de  quatuor  monarchiis  orbis  ter- 
rarum,  ad  aemulationem  Eusebii  atque  divi  Hieronymi  geschrieben  hatte. 
Oefele  hat  nun  diese  Schrift  Aventins  in  der  Handschrift  b,  X.  35  des 
Beuediktinerstiftes  St.  Peter  zu  Salzburg  wieder  aufgefunden  Dasselbe 
ist  1531  begonnen  und  hat  nach  des  Herausgebers  Meinung  geringen 
Wert.     Das  kurze  Vorwort  wird  mitgeteilt. 

Aufserdem  enthält  die  Handschrift  eine  Germania  illustrata,  1531 
begonnen,  vermutlich  die  erste  Partie  des  vielgenannten  Werkes,  welches 
Aventin  auf  Kosten  des  Kardinals  Lang  abschreiben  liefs.  Ziemlich  eng 
schliefst  sich  daran  die  deutsche  Bearbeitung,  welche  Brusch  1541  her- 
ausgegeben hat;  der  Übersetzer  hat  mancherlei  gekürzt.  Doch  hält 
Oefele  eine  Edierung  des  Textes  nicht  für  nötig;  nur  die  Vorrede  ist 
der  Publikation  würdig,  »weil  sie  uns  zeigt,  wie  Aventin  über  Nutzen 
und  Reiz  der  Geschichte  im  allgemeinen,  den  hohen  Beruf  sie  zu  schrei- 
ben, die  Schwierigkeiten  und  die  Erfordernisse  ihrer  Darstellung  denkt«. 
So  ist  denn  auch  die  Praefatio  in  der  Arbeit  abgedruckt. 

Um  zu  beweisen,  dafs  er  für  seine  Aufgabe  geeignet  sei,  rückte 
Aventin  eine  Anzahl  Briefe  ein,  die  von  anderen  Gelehrten  an  ihn  ge- 
richtet wurden,  die  sich  aber  nur  zum  Teil  auf  die  Germania  beziehen. 
Sie  sind  hochwillkommen  als  litterarische  Zeugnisse  für  Aventins  Ver- 
kehr mit  gleichstrebenden  Zeitgenossen,  um  so  mehr,  da  der  bisher  be- 
kannte Briefwechsel  Aventins,  der  sich  in  der  von  der  Münchener  histo- 
rischen Kommission  herausgegebenen  Gesamtausgabe  Aventins  befindet, 
recht  dürftig  ist  und  keineswegs  der  Bedeutung  eines  solch  hervorragen- 
den Gelehrten  in  dem  epistelfrohen  16.  Jahrhundert  entspricht. 

Die  Briefe,  deren  es  22  sind,  und  die  der  Mehrzahl  nach  mitge- 
teilt werden,  rühren  her  von  Leouhard  Schmaus,  dem  Leibarzt  und  Ver- 
trauten des  Kardinals  Matthäus  Lang,  von  Konrad  Peutinger  und  Kon- 
rad Adelmann  von  Adelmannsfelden,  den  berühmten  Augsburger  Huma- 
nisten, von  Matthäus  Marschalk,  von  Beatus  Rhenanus,  Melchior  Soiter, 
dem  Kanzler  des  Pfalzgrafen  Friedrich,  von  Matthäus  Aurogallus,  von 
Sebastian  von  Rotenhan.  Auch  Briefe  von  hervorragenden  Gelehrten 
an  andere,  die  ihm  von  den  Adressaten  mitgeteilt  wurden,  sind  ein- 
gerückt. 

Die  Gedanken  der  erwähnten  Praefatio  erinnern  übrigens  sehr  an 
den  Inhalt  der  mit  Rhenanus  gewechselten  und  schon  gedruckten  Briefe. 
Beachtenswert  ist  der  Gedanke,  dafs  man  die  religiösen  Schwierigkeiten 
leichter  durch  die  Geschichte  als  durch  Strenge  beseitigen  könne:  Auda- 
cius  forsitan,  vere  tamen  dixero,  hisce  malis  (que  ex  sectis  denuo  repu- 
Uulantibus  ebulliunt)  longe  facilius  historia,  quam  aut  severitate  aut 
sacris  litteris  posse  mederi. 


32  Geschichte  der  Philologie 

Die  Briefe  sind  durch  Anmerkungen  verständlicher  gemacht.  Doch 
hätte  der  Verfasser  auch  das  Datum  auf  den  jetzigen  Kalender  redu- 
zieren sollen. 

Aber  auch  das  Bayern  benachbarte  Gebiet  der  jetzt  österreichi- 
schen Alpenlandschaften  nalnn  teil  an  der  neuen  Bildung. 

Zur  Geschichte  des  Humanismus  in  den  Alpenländern. 
III.  Leonhard  Schilling  von  Ilallstadt..  Von  Prof.  Dr.  Adalbert  Ho- 
rawitz,  korresp.  Mitglied  der  kaiserl.  Akademie  der  Wissenschaften. 
Wien.  1887.  In  Kommission  bei  Karl  Gerolds  Sohn.  8^.  60  S.  (Se- 
paratabdruck aus  Bd.  114,  Heft  2  der  Sitzungsberichte  der  phil.-hist. 
Klasse  der  kaiserlichen  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien). 

Die  kleine  Schrift,  welche  Richard  Heinzel  gewidmet  ist,  bildet  die 
Fortsetzung  der  von  mir  im  Band  52  des  »Jahresberichtes«  S.  183  be- 
sprochenen Arbeit  desselben  Verfassers.  Der  erste  Abschnitt  behandelt 
»Mondseer  litterarische  Strebungen«.  Das  von  Herzog  Odilo  mit  Mön- 
chen aus  Monte  Cassino  in  den  Jahren  739  —  748  gegründete  Kloster 
Maninseo,  jetzt  Mondsee  in  Oberösterreich,  war  als  Benediktinerabtei  ein 
Ausgangspunkt  der  Kultur  für  einen  weiten  Kreis  und  hatte  auch  das 
erste,  im  Jahre  1514  errichtete  Gymnasium  im  Lande  ob  der  Enns.  Über  die 
Bedeutung  des  Klosters  geben  auch  die  auf  der  Wiener  Hof  bibliothek  be- 
findlichen Handschriften  aus  Mondsee,  die  Codices  Lunelacenses  reich- 
lichen Aufschlufs.  Besonderen  Wert  hat  die  Wiener  Handschrift  3766, 
wo  fol.  163—178  ein  Bücherverzeichnis  steht  mit  dem  Titel:  Catalogus 
generalis  omnium  Librorum,  tum  Antiquissimae  tum  locupletissimae  Mon- 
seensis  Bibliothecae  denuo  renovatus  et  in  meliorem  ordinem  digestus. 
Anno  post  Christum  Natum  1632  per  Reverendum  Fratrem  Joannem 
Hörman,  hujus  monasterii  professum.  Unter  zahlreichen  Nummern  (Bü- 
cher oder  Handschriften?)  findet  sich  auch  eine  ziemliche  Anzahl  huma- 
nistischer Richtung:  Schriften  von  Faber  Stapulensis,  Erasmus  Rotoro- 
damus  (sie),  Nausea,  Zasii  luciibrationes  in  leges,  Laurentius  Valla 
(Vallensis)  de  Arbitrio  libero  et  Providentia,  Geiler  von  Kaiserperg  (sie) 
Navicula  poenitentiae,  Marsilii  Abbreviata  physicorum,  zwei  Bände  der 
Chronik  von  Johannes  Nauclerus,  auch  zahlreiche  Klassiker,  wie  Plu- 
tarch,  Cicero,  Euklid,  Aristoteles,  Orosius  u  s.  w.  —  So  beweist  auch 
diese  Mitteilung,  wie  der  Humanismus  mit  seiner  fast  unwiderstehlichen 
Kraft  in  die  Klöster  eingedrungen  ist. 

Der  zweite  Abschnitt  behandelt  die  Geschichte  eines  Benutzers 
dieses  Bücherschatzes,  des  »treufleifsigen«  Leonhard  Schilling  aus 
Hallstatt,  geboren  1474  als  Sohn  des  Küfermeisters  (cupator)  Schilling 
in  Hallstadt.  1486  wanderte  er  mit  seinen  Eltern  nach  Gmunden.  Im 
Jahre  1492  machte  er  mit  seiner  Mutter  eine  Wallfahrt  nach  Altötting 
zur  sogenannten  »schwarzen  Maria«.  Im  Juli  1495  zog  er  nach  Moud- 
see,  wo  er  im  September  des  gleichen  Jahres   ins  Kloster  aufgenommen 


Horawitz,    Zur  Geschichte  des  Humanismus.  33 

wurde.  Profefs  leistete  er  1496,  und  seine  Primiz  feierte  er  den  8.  April 
1498.  Bis  an  sein  Lebensende  blieb  er  im  Kloster.  Dieser  vom  Huma- 
nismus angehauchte  und  doch  noch  recht  mittelalterliche  Mönch  gleicht  noch 
jenen  mittelalterlichen  Standesgenossen,  »die  im  seligsten  Behagen  co- 
pieren,  liniieren,  rubrizieren  und  endlich  gar  Initialen  und  Bilder  kunst- 
voll in  ihre  Codices  malen«.  Mit  den  Jahren  wurde  ihm  das  Abschrei- 
ben zur  Gewohnheit,  ein  geistliches  Gegenstück  zu  dem  schreibwütigen 
humanistischen  Mediziner  Hartmann  Schedel  in  Nürnberg. 

»Er  ist  selig,  wenn  er  schreiben  kann,  nicht  blofs  seinem  Abte 
und  Berufsgenossen,  vielen  Freunden  und  Bekannten  hat  er  Bücher  ab- 
geschrieben und  Bildchen  hiueingemalt«.  (S.  11  [777]).  Mit  der  Zeit 
wurde  er  ein  Mann  mit  vielseitigen  Kenntnissen,  der  sogar  den  Neid 
mancher  Standesgenossen  herausforderte.  Kaiser  Maximilian  I.  hatte  ihm 
1506  ein  Bistum  versprochen,  worauf  er  aber  selbst  verzichtete.  Grofsen 
Schmerz  bereitete  ihm  der  Übertritt  seines  Bruders  Kaspar  zum  Luther- 
tum, der  auch  Mönch  in  Mondsee  gewesen:  »Vade  post  me,  Satanas, 
scandalum  mihi  es!  .  .  .  Lutheranus  factus  ecclesiasticas  Sanctiones  con- 
temnis:  excommuuicatus  et  irregularis  existens  etc.  Man  sieht  hier  wieder, 
wie  die  Trennung  zweier  Welten  in  die  Familienverhältnisse  eingreift, 
ohne  diese  festen  Bande  sofort  zu  zerreifsen«.  Bezeichnend  aber  ist, 
dafs  auch  der  Mönch  bleibende  Leonhard  Schilling  Söhne  hatte.  Im 
Kloster  selbst  wurde  ihm  übel  mitgespielt.  Die  Thatsachen,  welche  Hora- 
witz aus  den  Handschriften  anführt,  zeigen,  dafs  in  den  Klöstern  von  damals 
Sittenstrenge  und  Ernst  in  hohem  Grade  mangelten.  Den  11.  Februar 
1540  starb  Schilling,  dessen  Charakteristik  Horawitz  mit  folgenden  Wor- 
ten schliefst:  »Während  der  Lektüre  seiner  Handschriften,  bei  der  Be- 
trachtung seiner  schön  ausgeführten  Initialen  und  der  naiven  Bildnisse 
von  Mensch,  Thier  und  Pflanze,  ja  selbst  bei  der  Lesung  des  Poliel- 
klatsches  (Poliel  war  sein  Feind  im  Kloster)  ist  uns  der  gute  Mönch 
lieb  und  wert  geworden,  der  zwar  nicht  ohne  Fehl  war,  aber  doch  in 
eifriger  Weise  auch  geistigen  Interessen  huldigte  und  wenigstens  eine 
kräftige  Überzeugung  die  seine  nennen  konnte«. 

Ein  dritter  Abschnitt  behandelt  »Schillings  Handschriften«  (S.  31 
— 60).  Horawitz  gibt  eine  Inhaltsangabe  der  auf  der  Wiener  Hof-  und 
Staatsbibliothek  befindlichen  Miscellenhaudschriften,  welche  Schilling  ge- 
schrieben hat.  Es  sind  Cod.  4097,  4099,  4095,  3541,  3542,  3636,  3790, 
4060,  3543,  3553,  3791,  4092,  4112,  3544,  4091.  In  buntem  Durchein- 
ander wechseln  Briefe  von  und  an  Schilling,  Aufzeichnungen  gleichzeiti- 
ger Ereignisse,  kirchengeschichtliche  Notizen,  Zusammenstellungen  von 
Vokabeln,  die  aus  verschiedenen  Werken  gezogen  sind,  Excerpte  aus 
Scholastikern,  Notizen  aus  Klassikern,  z.  B.  aus  Seneca,  Plato,  eine  collec- 
tura  diversarum  plurium  materiarum.  wobei  Piatos  Timäus.  Ovids  Meta- 
morphosen, Boetius  und  Aristoteles  citiert  werden. 

Jahresbericht  für  Alterthuraswissenschaft.    LXIV.   (1890.  HI.)  3 


34  Geschichte  der  Altertumswissenschaft, 

Trotz  aller  neuerdings  erfolgten  Angriffe  wird  Ulrich  von  Hütten 
stets  zu  den  wichtigsten  Persönlichkeiten  seiner  Zeit  gehören. 

G.  Ellinger,  Noch  einmal  über  Huttens  Charakter  (Geigers  Vier- 
teljahrsschrift f.  die  Kultur  u.  Litteratur  der  Renaissance  II  107 — 109). 

Mit  Hilfe  des  »Karsthans«,  der  vielleicht  von  Oekolampad  verfafst 
ist,  und  der  von  Brieger  neu  herausgegebenen  Aleander-Depeschen  gibt 
Ellinger  seiner  schon  früher  vorgetragenen  Meinung  neue  Stützen,  wo- 
nach die  Annahme  einer  Pension  Karls  V.  durch  Hütten  keine  Charak- 
terlosigkeit war.  Sickingen,  dem  der  Kaiser  ein  Feldherrnmandat  anbot, 
und  Hütten  sahen  in  diesen  Anträgen  eine  Hinneigung  Karls  zur  Sache 
der  Reformpartei.  Bald  zeigte  sich  freilich,  dafs  sie  sich  getäuscht 
hatten.  »Mag  man  daher  immerhin  die  politische  Kurzsichtigkeit  dieser 
Männer  tadeln,  wenn  sie  von  Kaiser  Karl  V.  eine  Förderung  der  evan- 
gelischeu Gedanken  erwarteten,  an  ihrer  Ehrlichkeit  und  Überzeugungs- 
treue haben  wir  nicht  den  geringsten  Grund  zu  zweifeln«. 

Von  Hütten  wird  der  Humanist  Carbach  erwähnt: 

F.  Falk,  Der  Livius-Herausgeber  und  Übersetzer  Nicolaus  Car- 
bach zu  Mainz  (Hartwigs  Centralblatt  für  Bibliothekwesen  IV  (1887) 
S.  218-221). 

Der  in  den  Epistolae  obscurorum  virorum  erwähnte  Carbach  (Nico- 
laus Carbachius,  qui  legens  pro  scholaribus  exponit  Titum  Livium),  der 
auch  von  Hütten  in  einem  Briefe  von  1520  erwähnt  wird,  hat  1518  eine 
wichtige  Livius-Ausgabe  bei  Schöffer  in  Mainz  herausgegeben,  wobei  er 
einen  jetzt  verschwundenen  wertvollen  Codex  der  Mainzer  Dombibliothek 
benutzte.  Auch  eine  Übersetzung  von  Livius  Buch  41  und  42  erschien, 
gemeinsam  mit  einer  solchen  von  Jakob  Micyllus  herrührenden  der 
Bücher  43  —  45,  im  Jahre  1533  zum  ersten  Mal  bei  Ivo  Schöft'er  in 
Mainz.     Geburtsort,  -Jahr  sowie  Todesjahr  Carbachs  sind  nicht  bekannt. 

Hütten  hatte  vielfache  Beziehungen  zu  dem  mitteldeutschen  Hu- 
raanistenkreis : 

Epistolae  Langianae  a  viro  doctissimo  J.  K.  F.  Knaake 
coUectae,  emendatae,  annotationibus  ornatae,  editae  ab  Hermanne 
Hering.    Halis.    1886.    4°.    10  S.    (Festschrift  der  Universität  Halle). 

Von  den  zwölf  lateinischen  Briefen  aus  den  Jahren  1512 — 1516, 
die  sämtlich  an  den  Augustiner  Johannes  Lange  gerichtet  sind,  stammen 
sechs  von  Spalatin,  drei  von  Johannes  Hessus,  je  einer  von  Tilemann 
Schnabel,  Euricius  Cordus  und  Johannes  Staupitz. 

Die  Vorlagen,  aus  denen  Knaake,  der  bekannte  Lutherforscher, 
sie  abgeschrieben,  befinden  sich  in  der  Bibliothek  zu  Gotha. 

Die  Briefe  führen  uns  in  jenen  Kreis  Thüringer  Humanisten,  die 
uns    durch    die    Schilderungen    Kampschultes    und    Krauses    hinlänglich 


Knaake- Hering,    Epistolae  Langianae.  35 

vertraut  sind.  Beachtenswert  aber  bleibt,  mit  welcher  Achtung  in  diesen 
Briefen  von  Luther  geredet  wird,  schon  mehrere  Jahre,  ehe  er  seine 
95  Thesen  anschlug  Man  sieht,  wenn  Luther  auch  kein  Humanist  ge- 
wesen, worauf  neuerdings  unnötig  oft  hingewiesen  wird,  ein  guter  Freund 
der  »Poeten«,  der  vielgeschmähten,  ist  er  trotz  alledem. 

Die  Briefe  sind  ein  schcätzenswerter  Beitrag  zu  den  Quellen,  aus 
denen  wir  die  Kenntnis  der  der  Reformation  unmittelbar  vorangehenden 
Zustände  schöpfen.  Dagegen  läfst  sich  von  der  Art  der  Herausgabe 
nicht  viel  Rühmenswertes  sagen.  Der  Herausgeber  Hering  hat  sich  seine 
Aufgabe  in  der  That  sehr  leicht  gemacht. 

Wir  wollen  kein  besonderes  Gewicht  darauf  legen,  dafs  sich  für 
den  kleinen  Umfang  der  Schrift  ziemlich  viele  Druckfehler  finden,  wie 
wohl  man  doch  erwarten  konnte,  dafs  der  Editor,  da  er  sonst  fast  nichts 
für  die  Publikation  that,  wenigstens  darauf  sein  Augenmerk  richtete. 
S.  5,  2  stellt  hodic  für  hodie;  S.  5,  4  steht  hirtzhaimeros  und  zwei  Zeilen 
später  hirtzhameros,  wovon  eines  jedenfalls  falsch  ist,  wahrscheinlich  das 
zweite;  S.  8,  26  ist  der  Martinus  Juder  jedenfalls  Druckfehler  für  Mar- 
tinus  Luder!    S.  12,  20  ist  vountate  vermutlich  in  voluntate  zu  verbessern. 

Im  übrigen  ist  die  Arbeit  Herings  mehr  als  dürftig.  Da  ist  alles 
unterlassen,  was  man  von  einem  Herausgeber  verlangen  darf.  Weder 
die  klassischen  noch  die  biblischen  Citate  sind  nachgewiesen.  Nicht  ein- 
mal die  Verse  sind  augegeben,  wenn  das  Citat  etwa  den  Gesang  schon 
bezeichnete.  So  ist  die  Odysseestelle  auf  S.  2  in  />  218  zu  finden.  Ver- 
geblich sucht  man  nach  einer  Erklärung  von  Sachen  und  Persönlich- 
keiten, wie  sie  fast  in  jedem  Briefe  auftreten.  So  war  kurz  etwas  zu 
sagen  über  Pfeffinger  (S.  4),  über  die  S.  5  erwähnte  Schrift  Reuchlins, 
über  den  Strafsburger  Thomas  Wolf  (S.  5),  über  Vincentius  (S.  7),  über 
die  Meroge  (S.  12)  etc.  etc.  Doch  wozu  diese  Unterlassungssünden  noch 
häufen.  Zu  allen  den  nicht  erklärten  Persönlichkeiten  und  Sachen  liegt 
eine  ausgedehnte  und  zum  teil  vortreffliche  Litteratur  bereit.  Ja,  nicht 
einmal  die  Kaleuderdaten  sind  reduziert,  von  Inhaltsangaben  über  den 
Briefen  gar  nicht  zu  reden. 

Der  Herausgeber  könnte  bei  G.  Kawerau  und  Karl  Krause  lernen, 
wie  man  Texte  aus  dem  16.  Jahrhundert  heutzutage  ediert. 

Vom  Kreise  Luthers  und  Melanchthons  gelangen  wir  ungezwungen 
zu  der  Familie  Reiffenstein,  die  einen  Namen  in  der  Geschichte  des  Hu- 
manismus und  der  Reformation  zugleich  hat. 

Ed.  Jacobs,  Die  Humauistenfamilie  Reiffenstein  (Geigers  Viertel- 
jahrsschrift für  die  Kultur  und  Litteratur  der  Renaissance  II  70—96). 
In   Deutschland    blühte    die    Fürstenhuld    dem    Humanismus    weit 
weniger  als   südlich  der  Alpen.     Auch   die   Zahl   der  humanistenfreund- 
lichen Familien  der   grofsen  Reichsstädte   ist  nicht  allzu  grofs.     Zu  den 
Familien,  welche  der  neuen  Bildung  Verständnis  entgegenbrachten,  ohne 

3* 


36  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

schriftstellerisch  aufzutreten,  gehört  die  rheinfränkische,  später  harzische 
Familie  Reiffenstein. 

Der  Name  Reiffenstein  oder  Rieffenstein  ist  zu  deuten  als  Stein, 
Felsenschlofs  des  Ripho.  Doch  trotz  des  adeligen  Namens  ist  die  Fa- 
milie nach  allen  ihren  Nachrichten  von  niederer  Herkunft.  Erst  Kaiser 
Maximilian  I.  hat  ihr  Adel  und  Wappen  verliehen. 

Die  Reiffensteins  stammen  aus  der  östlichen  Taunusgegend,  der 
alten  Grafschaft  Königstein-Epstein.  Der  erste  näher  bekannte  ist  Wil- 
helm Curio  Reiffenstein  zu  Oberursel,  Schultheifs  zu  Bommersheim.  Sein 
Sohn  war  Philipp,  zu  dessen  gelehrten  Freunden  auch  sein  Landsmann, 
der  Dichter  und  Humanist  Erasmus  Alber  gehörte.  Gestorben  ist  er  im 
Stolhergschen  Dienst  1551. 

Seine  Söhne  Dietrich  und  Johann  bezogen  1525  und  1528  die 
Universität  Wittenberg,  wo  sie  an  Melanchthon  einen  trefflichen  Studien - 
leiter  fanden.  1532  empfiehlt  Melanchthon  den  Dietrich  an  Erasmus, 
da  er  die  Universität  Freiburg  bezog. 

Mit  Johann  Reiffenstein,  dem  Sohn  Georgs,  des  Pfarrers  in  Ursel, 
ist  Jakob  Micyllus,  der  berühmte  lateinische  Dichter,  in  treuer  Freund- 
schaft verbunden.  1506  oder  1507  geboren,  ist  Reiffenstein  nur  wenige 
Jahre  jünger  als  Micyll.  Zwischen  1520  und  1522  hörte  er  in  Löwen 
Erasmus  und  dessen  Amtsgeuossen  Goclenius  aus  Mengeringhausen. 
Doch  sei  hierzu  bemerkt,  dafs  der  Verkehr  mit  Erasmus  nicht  lange 
gedauert  haben  kann,  da  dieser  seit  1521  dauernd  seinen  Aufenthalt  in 
Basel  nahm. 

Im  Februar  1523  bezog  er  sodann  die  Hochschule  Wittenberg. 
Bald  ist  er  der  pietätsvolle  Schüler  Melanchthous,  dessen  Epigramme  er 
1528  bei  Secerius  in  Hagenau  herausgibt.  Ein  jäher  Tod  raffte  den 
hoffnungsvollen  Jüngling  hinweg,  als  er  im  heimischen  Taunus  mit  einem 
anderen  Schüler  Melauchthons,  dem  Grafen  Ludwig  zu  Stolberg,  auf  die 
Jagd  gegangen.  Micyll,  der  die  Leiche  des  vom  Schlage  Getroffenen 
zuerst  gefunden  hatte,  beklagte  in  einem  schönen  lateinischen  Gedichte 
den  so  rasch  entrissenen  Freund. 

Der  nächste  Abschnitt  handelt  vom  Rentmeister  Wilhelm  Reiffen- 
stein, dem  Bruder  des  so  früh  verstorbenen  Johannes,  sein  ganzes  langes 
Leben  ein  Freund  der  Reformation  und  des  Humanismus.  Um  1482  ge- 
boren, beginnt  er  1502  schon  seine  Beamtenlaufbahn.  Trotz  der  vielen 
amtlichen  Pflichten  bleibt  ihm  noch  Zeit  und  Interesse,  einen  lateinischen 
Briefwechsel  mit  Melanchthon,  Caesarius,  Gluspiefs  und  Burchard  zu  führen. 
Daneben  trieb  er  seit  1517  kaufmännische  Geschäfte  auf  eigene  Rechnung. 
Sehr  lebhaft  interessiert  er  sich  für  die  Reformation  und  läfst  sicTi 
darüber  aus  Wittenberg  berichten.  Besonders  die  Erziehung  seiner 
Söhne  Wilhelm,  Albrecht  und  Johann  bringt  ihn  in  nahe  Verbindung 
mit  Melanchthon  und  anderen  Gelehrten.  1533  beziehen  die  drei  jungen 
Reiffensteiue  gemeinsam  die  Hochschule  Wittenberg. 


H    Holstein,    Findlinge  aus  der  Reformationazeit.  37 

Der  freundschaftliche  Verkehr  rait  Melanchthon  und  Caesarius, 
der  viele  Jahre  dauerte,  wird  auf  gruud  des  Quellenmaterials  geschildert. 

Den  9.  Mai  1538  wurde  Reiffenstein  durch  einen  plötzlichen  Tod 
hinweggerafft.  Micsdlus,  der  schon  des  Bruders  Tod  poetisch  beklagt 
hatte,  weihte  auch  Wilhelm  ein  schönes  lateinisches  Gedicht,  worin  er 
von  ihm  sagte,  »dafs  er  mit  heiliger  Scheu  das  Recht  und  die  Treue  be- 
wahrte, auch  die  Muse  verehrt,  wo  sie  dem  Glauben  vermählt«. 

In  dieselbe  Zeit  des  deutschen  Humanismus  führen  einige  weitere 
Arbeiten : 

Prof.  Dr.  Hugo  Holstein,  Findlinge  aus  der  Reformationszeit 
(Beilage  zum  Programm  des  Königl.  Gymnasiums  zu  Wilhelmshaven. 
Ostern  1887.    4«.    20  S.). 

Der  Inhalt  dieser  Prograramarbeit ,  deren  Verfasser  als  fleifsiger 
und  kenntnisreicher  Gelehrter  durch  zahlreiche  litterarische  Arbeiten 
bekannt  ist,  besteht  aus  »Findlingen«,  d.  h.  aus  Funden,  die  Holstein 
gelegentlich  seiner  Studien  über  das  Drama  der  Reformationszeit  in 
Handschriften  und  seltenen,  oft  nur  in  einem  einzigen  Exemplar  erhal- 
tenen Druckwerken  gemacht  hat,  und  »welche  der  Veröffentlichung  wert 
sind,  da  sie  die  grofsen  reformatorischen  Gedanken,  von  denen  fast  das 
ganze  16.  Jahrhundert  getragen  wurde,  zum  lebendigen  Ausdruck  bringen«. 
Voranstehen:  I.  GedichteundLieder.  a)  Lux  Gemigger,  eine  Klage 
über  die  Verbrennung  der  Bücher  Luthers  (1521).  b)  Hans  Wallseer, 
Bericht  über  den  schweren  Handel  Luthers  (1521).  c)  Ein  bitt  zu  Gott. 
d)  Ein  schönes  Lied  von  der  Welt  Sitten. 

Sodann  folgen:  II.  Vorreden  und  Widmungen:  1)  Hans  Sachs' 
Vorrede  zur  Wittenbergisch  Nachtigall  (Nürnberg,  8.  Juli  1523).  2)  Tho- 
mas Naogeorgs  Widmung  seines  Pammachius  an  Luther.  3)  Eine  Vor- 
rede Luthers  zu  einer  Schrift  Melanchthons. 

Die  Abteilung  III  enthält  zehn  Briefe  aus  dem  16.  Jahrhundert, 
von  welchen  Nr.  2 — 7  für  die  uns  hier  gestellte  Aufgabe  von  besonderem 
Werte  sind,  weil  sie  die  für  die  Schulgeschichte  wichtige  Frage  von  dra- 
matischen Aufführungen  in  der  Schule  betreffen.  Mehrere  der  mitge- 
teilten Briefe  rühren  von  Melanchthon  her;  Nr.  9  und  10  sind  an  Chri- 
stoph Stymmel  gerichtet,  welcher  1545  als  zwanzigjähriger  Magister  eine 
Komödie  »Studentes  sive  de  vita  et  moribus  studiosorum«  schrieb  und 
1549  erscheinen  liefs,  die  nachher  sehr  oft  wieder  aufgelegt  wurde. 

Adalbert  Horawitz,  Johannes  Faber  und  Petrus  Paulus  Verge- 
rius  (Geigers  Vierteljahrsschrift  für  die  Kultur  und  Litteratur  der  Re- 
naissance II  244 — 253). 

Eine  der  letzten  Arbeiten  des  unermüdlichen  Arbeiters  auf  dem 
Felde  des  Humanismus.  —  Vergerius,  der  ehemalige  päpstliche  Legat 
und  spätere  Reformator,  wurde   wahrscheinlich  auf  dem  Reichstage  zu 


38  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

Augsburg  1530  mit  Faber  bekannt.  Letzterer  ging  dem  pcäpstlichen 
Legaten,  welcher  durch  Faber  auf  König  Ferdinand  einwirken  wollte, 
noch  nicht  weit  genug;  doch  entspann  sich  zwischen  den  beiden  ein 
Briefwechsel.  Von  diesen  Briefen  finden  sich  welche  in  dem  Cod.  Lat.  IX, 
cod.  66  der  Marciana  (Epistolae  variorum  ad  Petrum  Paulum  Vergerium), 
welche  Sixt,  dem  Biographen  des  Vergerius,  unbekannt  geblieben  sind. 
Von  diesen  Briefen  teilt  Horawitz  drei  mit,  wobei  er  in  einer  Ein- 
leitung und  Anmerkungen  die  sachlichen  Angaben  erläutert. 

Bibliographische  Mededeeling  van  J.  C  G.  Boot.  Over- 
gedrukt  uit  de  Verslagen  en  Mededeelingen  der  Koniuklijke  Akademie 
van  Wetenschappen,  Afdeeling  Letterkunde,  3  de  Reeks,  Deel  IV.  Am- 
sterdam.    Johannes  Müller.    1887.    80.    9  S.    (S.  332—340). 

Die  kleine  Untersuchung  beschäftigt  sich  mit  der  scherzhaften 
grammatischen  Schrift,  welche  1887  wieder  in  Göttingen  erschienen  ist 
unter  dem  Titel:  Johannis  Spangenbergii  Bellum  grammaticale  iterum 
edidit  Robertus  Schneider  Halberstadiensis.  Das  Verbum  Amo  und  das 
Substantiv  Poeta  kämpfen  einen  Kampf  miteinander,  wobei  es  grofse 
Verluste  auf  beiden  Seiten  gibt,  fore  und  inquara  verlieren  beinahe  alle 
ihre  Kameraden,  d.  h.  ihre  Formen,  ebenso  kommt  facio  um  facior  etc. 
Boot  gibt  nun  zunächst  einige  bibliographische  Ergänzungen  zu  den 
zahlreichen  Drucken  der  Schrift:  ein  Druck  von  Deventer  um  1520  von 
Theodoricus  de  Borne,  ein  solcher  von  Avignon  1526,  ein  Pariser  von 
Robert  Stephanus,  die  beiden  letzten  nach  Brunets  Manuel  du  libraire 
(5.  Aufl.)  II,  2,  1778;  der  Deventersche  Druck  findet  sich  in  der  Kgl. 
Bibliothek  zu  Amsterdam.  Auch  zu  den  Drucken  der  folgenden  Jahr- 
hunderte werden  einige  noch  hinzugefügt. 

Daran  schliefst  sich  eine  Inhaltsangabe  des  grammatischen  Scher- 
zes und  zwar  nach  der  Deventerschen  und  Zutphenschen  Ausgabe,  die 
vollständiger  sind  als  die  Wittenbergsche  von  1606,  nach  welcher  die 
neueste  Göttinger  hergestellt  ist. 

Aus  der  Inhaltsangabe  wird  wahrscheinlich,  dafs  das  Werkchen 
aus  Italien  stammt,  wie  auch  die  erste  Ausgabe  1511  in  Cremona  er- 
schienen sein  soll.  Auf  dem  Titelblatt  des  Deventerschen  Druckes  steht: 
Grammatice  opus  novum  mira  quadam  arte  et  compendiosa  compositum, 
darunter  ein  Gedicht  des  bekannten  Hermann  van  dem  Busche,  über  den 
bekanntlich  neuerdings  Liessem  gehandelt  hat.  Da  Buschius  sich  von 
1486 — 1491  in  Italien  aufgehalten  hat,  so  ist  wahrscheinlich,  dafs  er  in 
Cremona  die  Bekanntschaft  des  Verfassers  gemacht  hat.  Auf  der  Vor- 
derseite des  Titelblattes  steht  kein  Verfasser  angegeben;  auf  der  Rück- 
seite aber  ist  zu  lesen:  Paulo  Caesio  Jur.  U.  Consulto  Andreas 
Guarna  Salernitanus  Salu.  D.;  um  jeden  Zweifel  über  den  Verfasser 
auszuschliefsen,  so  folgt  noch  der  ausführliche  Titel  (ich  löse  hier  die 
Abkürzungen  des  alten  Druckes  auf):     Grammaticale  Vellum  (sie)  No- 


K.  V.  Reinhardtstöttuer,  Job.  Burmeister.  39 

minis  et  Verbi  Regum  de  principalitate  orationis  inter  se  contendentium: 
niiper  editum  a  Reve.  d.  Andrea  Salernitano  Patricio  Cremonensi. 

Auffallender  Weise  ist  in  den  Wittenberger  Ausgaben  von  1577 
und  1606  jede  Erwähnung  des  Namens  des  Verfassers  vermieden. 

Wie  aber  war  es  möglich,  dafs  ein  Werk  des  Italieners  Andreas 
Salernitanus  für  eine  Arbeit  des  deutschen  Melanchthoniauers  Spangen- 
berg ausgegeben  wurde?  Denn  Spangenberg  (geboren  1484)  ist  der- 
selbe, welcher  1520  Rektor  zu  Nordhausen  wurde  und  1550  daselbst 
als  Prediger  gestorben  ist.  Das  Rätsel  löst  Boot  überzeugend  auf  fol- 
gende Weise:  auf  der  Rückseite  des  Titelblattes  der  Wittenberger  Aus- 
gabe steht:  In  bellum  grammaticale  Johauuis  Spangenbergii  i^daTt^ov. 
Die  Worte  Johannis  Spangenbergii  waren  ein  Genetiv,  der  zum  folgenden 
Worte  gehörte.  Mifsverständlich  wurden  sie  aber  zu  den  zwei  vorher- 
gehenden bezogen,  und  der  Irrtum  war  fertig.  Spangenberg  hat  also 
nicht  das  bellum  grammaticale  geschrieben,  sondern  blofs  die  wenigen 
begleitenden  Verse  zur  ersten  Wittenberger  Ausgabe. 

Die  Darlegung  ist  so  überzeugend,  dafs  die  nächste  Ausgabe  des 
Buches  nicht  mehr  unter  dem  Namen  Spangenberg  wird  erscheinen  dürfen. 

Karl  von  Reinhardtstöttuer,  Johannes  Burmeisters  christlicher 
Martial  (Geigers  Vierteljahrsschrift  für  die  Kultur  und  Litteratur  der 
Renaissance  II  283—289). 

Zu  dem  imitatorum  servum  pecus  gehört  auch  Johannes  Burmeister, 
von  dem  nicht  viel  bekannt  ist.  Er  wird  als  »divini  verbi  apud  Gult- 
sovios  Saxonum  praeco«,  als  »poeta  laureatus«  und  »theologus«  bezeich- 
net. So  wie  er  den  Versuch  machte,  des  Plautus  Alkumena  in  ein 
christliches  Drama  umzuwandeln,  so  hat  er  auch  den  Martialis  christlich 
umgedichtet,  der  als  Martialis  renatus  1512  in  Goslar  erschienen  ist, 
und  aus  dem  charakteristische  Proben  mitgeteilt  werden. 

Hugo  Slevogt,  Technopaegnion  Poeticum  ex  Codice  MS.  (Bei- 
lage zum  Programm  des  gräflich  Gleichenschen  Gymnasiums  zu  Ohr- 
druf.     Gotha  1887.    8  S.) 

Der  Codex,  welcher  sich  jetzt  im  Privatbesitz  des  Herausgebers 
befindet,  stammt  aus  der  Bibliothek  des  Freiherrn  von  Schwedendorf 
»in  Villa  Doelitiana«  bei  Leipzig,  ging  hierauf  über  in  den  Besitz  von 
Karl  Schaedel  in  Ilfeld  und  dann  von  Ernst  Bachofen  in  Bremen.  Er 
besteht  aus  zwei  Teilen,  deren  erstem  Titel  und  Namen  des  Verfassers 
fehlen,  der  zweite  aber  überschrieben  ist:  De  Antiquitatibus  Romanis 
Libri  Decem  Autore  BC.  Patre  Nicoiao  Cosma  E  Societate  Jesu  Olomutii 
Eloquentiae  Professore  Anno  Domini  MDLXXXXIV.  Der  erste  Teil, 
eine  Art  von  Ars  versificandi,  dessen  Abdruck  Slevogt  beginnt  und  in 
dem  nächsten  Programm  fortsetzen  will,  ist  1584  oder  1585  verfafst 
worden.     Was  der  Herausgeber  S.  2  über  den  einseitigen  Kultus  der 


40  Geschichte  der  Altortumswissenschaft. 

Form  durch  die  Humanisten  sagt,  ist  in  dieser  Allgemeinheit  nicht  richtig. 
Der  Verfasser  hat  für  seine  Arbeit  den  auffallenden  Titel  Technopaeg- 
nion  im  Anschlufs  an  eine  von  Ausonius  gebrauchte  Bezeichnung  ge- 
wählt. —  Die  abgedruckten  Teile  der  Handschrift  haben  folgende  Über- 
schriften: In  Technopaegnion  poeticum  praefatio.  Artificium  primura 
Vergilianum.  De  litera  A.  Quibus  rebus  sit  apta.  A  et  J  alternatione 
mirum  Maronis  artificium  in  Hydra  describenda  De  litera  B.  De  litera 
C  cuius  uaturae  variae.     De  litera  D.     De  litera  E. 

Da  die  Monumenta  Germaniae  Paedagogica  derartige  Arbeiten 
sammeln  und  zusammenstellen  wollen,  so  mag  für  den  betreffenden  Ge- 
lehrten auf  die  kleine  Schrift  hiermit  aufmerksam  gemacht  sein. 

Friedrich  Kluge,    Von  Luther  bis  Lessing.     Sprachgeschichtliche 
Aufsätze.     Strafsburg.     Trübner  1887.    VHI  und  150  S. 

Nur  der  Abschnitt  »Latein  und  Humanismus«  (S.  112—127)  gehört 
hierher.  Obgleich  sich  unsere  deutsche  Sprache  seit  den  Tagen  des  Ario- 
vist  und  Arminius  nie  ganz  dem  Einflüsse  des  Latein  hat  entziehen  können, 
so  ist  das  Latein  doch  selten  so  übermächtig  gewesen  wie  in  den  Tagen 
des  Humanismus,  wie  man  an  dem  »teutschen  Dictionarius«  von  Simon 
Rot  (Augsburg  1571)  sehen  kann.  Einer  der  deutschesten  Schriftsteller 
der  Zeit  ist  Luther,  ganz  besonders  in  der  Bibelübersetzung.  Eck,  der 
katholische  Bibelübersetzer  und  Zeitgenosse  Luthers,  hat  beträchtlich 
mehr  aus  den  klassischen  Sprachen  stammende  Worte.  Ohne  Zweifel 
hat  Luther  mit  voller  Absicht  die  Fremdworte  gemieden. 

Das  ganze  Sprachmaterial,  welches  für  die  Zeit  der  Renaissance 
in  Deutschland  charakteristisch  ist,  stammt  aus  dem  Latein.  Auch  die 
Reformation  ist  den  lateinischen  Lehnworten  nicht  feindlich.  Besonders 
die  wissenschaftliche  Sprache  der  Zeit  strotzt  von  Fremdwörtern,  wie 
Antiquität,  Edition,  Eloquenz,  Disciplin  u.  s.  w.  Die  Kanzleisprache 
bleibt  hinter  der  wissenschaftlichen  nicht  zurück. 

»Es  wäre  eine  Ungerechtigkeit,  die  Humanisten  für  diesen  Schwall 
von  lateinischen  Wortmaterialien  und  Wortbildungen  verantwortlich  zu 
machen«.  Unsere  Humanisten  waren  keine  Feinde  der  deutschen  Volks- 
sprache, wie  man  aus  den  zahlreichen,  von  ihnen  gefertigten  Über- 
setzungen klassischer  Schriftsteller  sieht.  Zu  diesen  Vorkämpfern  für 
die  deutsche  Sprache  gehören  z.  B.  Johannes  Reuchlin,  Hütten,  R.  Agri- 
cola,  Pleningen,  Zwingli. 

Eine  unbestrittene  Herrschaft  aber  übte  das  Latein  an  den  Hoch- 
schulen, an  den  eigentlichen  Pflanzstätten  des  Humanismus.  Wegen  des 
Gebrauches  der  deutschen  Sprache  auf  dem  Katheder  wurden  mehrere 
Männer  der  Zeit  getadelt,  wie  Tilemann  Heverling,  Thomas  Murner; 
Theophrastus  Paracelsus,  Luther,  welcher  zur  Freude  der  Zuhörer 
deutsche  Worte  einmischte. 

Andererseits  übte  die  Renaissance  den  günstigsten  Einflufs  auf  die 


Kruczkiewicz,  Paulus  Crosnensis.  41 

Muttersprache.  Nachahmend  schuf  man  neue  Wortformen  und  Redewen- 
dungen. Man  denke  an  die  Einbürgerung  von  Redensarten  wie :  Eulen 
nach  Athen  tragen,  eine  Schwalbe  macht  noch  keinen  Frühling,  Schuster 
bleib'  bei  deinem  Leisten  u.  s.  w. 

In  diese  Zeit  fällt  auch  die  Latinisierung  und  Gräcisierung  vieler 
deutscher  Eigennamen:  Sapidus  (Witz),  Aurifaber  (Goldschmid),  Lato- 
mus  (Steinmetz),  Agricola  (Bauraann,  auch  Hausmann,  Schnitter,  Bauer), 
Chyträus  (nicht  Kochhoff,  sondern  Kochhafe),  Placotomus  (Bretschneider), 
Fabri  (Schmitz)  u.  s.  w. 

Da  der  Protestantismus  durch  Melauchthon  enger  mit  dem  Huma- 
nismus zusammenhing,  so  hat  auch  der  Protestantismus  mehr  solche 
Nam.en-Übersetzungen.  Die  Ansichten  der  Zeitgenosse'n  darüber  waren 
geteilt.  Aventin  nannte  die  Gewohnheit  der  Latinisierung  »ein  kindi- 
sches schülerhaftes  Possenreifsen«,  andere  stimmten  bei. 

Daneben  machte  man  auf  die  schönen  deutschen  Namen  aufmerk- 
sam, so  ein  Namensbüchlein,  das  1537  in  Wittenberg  erschien,  aber 
nicht  von  Luther  herrühren  dürfte ;  entschiedener  treten  Vadian  und 
Stumpf  auf.  Während  so  evangelische  Kreise  für  deutsche  Namen  wirk- 
ten, beförderte  die  katholische  Kirche  die  Wahl  der  lateinischen  Heili- 
gennamen. Charakteristisch  dafür  ist  das  1541  erschienene  Onomasticon 
Ecclesiae  von  Georg  Witzel,  der  die  deutschen  Eigennamen  ganz  beiseite 
läfst  und  dafür  die  katholischen  Heiligennamen  empfiehlt.  »So  kommen 
durch  die  protestantische  Bewegung  die  deutschen  Taufnamen  wieder 
in  Ansehen;  in  den  protestantischen  Landschaften  und  Kreisen  erfreuen 
sich  bis  heute  die  altgermanischen  Namen  einer  weit  gröfseren  Verbrei- 
tung als  in  den  katholischen«. 

Von  der  Geschichte  des  deutschen  Humanismus  wenden  wir  uns 
nun  nach  Polen: 

Pauli  Crosnensis  Rutheni  atque  Joannis  Vislicieusis  car- 
mina  edidit,  adnotationibus  illustravit,  praefatione,  utriusque  poetae 
vita,  indice  nominum  rerumque  memorabilium  instruxit  Dr.  Bronis- 
lavus  Kruczkiewicz.  Cracoviae  typis  universitatis  Jagellonicae  pro- 
visore  A.  M.  Kosterkiewicz.  1887.  XL  VI  und  234  p.  (Vol.  II  von 
Corpus  antiquissimorum  poetarum  Poloniae  Latinorum  usque  ad  Joan- 
nem  Cochanovium,  gehörig  zu  den  editiones  Academiae  litterarum 
Cracoviensis). 

Ein  erster  Teil  des  Buches,  De  editionis  ratione  atque  fontibus  prae- 
fatio,  berichtet  zunächst,  dafs  die  Gedichte  chronologisch  geordnet  wurden, 
dafs  der  Herausgeber  die  Orthographie  mit  der  uusrigen  vertauschte,  also 
Formen  wie  ocyus,  sylva,  faemina  etc.  veränderte  und  ebenso  zahlreiche 
Fehler  der  Drucke  verbesserte,  manche  auch  stillschweigend,  welch  letz- 
teres schwerlich  zu  billigen  ist.  Nachdem  sodann  kurz  über  die  Anmer- 
kungen und  den  Index  gesprochen,  werden  die  alten  Drucke  aufgezählt, 


42  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

denen  die  Gedichte  des  Paulus  Crosnensis  entnommen  sind,  und  welche 
sich  meist  in  der  Krakauer  Universitätsbibliothek  befinden- 

Teil  II  »De  Pauli  Crosnensis  vita  atque  scriptis«  stellt  zunächst 
fest,  dafs  man  von  der  Herkunft  dieses  neulateinischen  Dichters  nicht 
viel  mehr  weifs,  als  das  er  in  Krosno  im  heutigen  Galizien  in  der  zwei- 
ten Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  geboren  wurde.  Wo  er  seinen  ersten 
Unterricht  erhielt,  ist  unbekannt.  Wohl  aber  hat  er  ira  September  1499 
in  Greifswald  das  Baccalariatsexamen  bestanden,  wobei  der  berühmte 
Petrus  Raveunas  einer  der  Prüfungskommissäre  war.  1500  wurde  er  in 
Krakau  immatrikuliert;  1506  zum  Magister  Artium  promoviert,  begann 
er  1507  seine  Lehrthätigkeit,  welche  er  bis  zum  seinem  1517  erfolgten 
Tode  fortsetzte.  *  Als  Schüler  werden  unter  anderen  genannt  Joannes 
de  Curiis  Dantiscus,  episcopus  Varmiensis,  Rudolf  Agricola  aus  Wasser- 
burg, Christophorus  Suchtenius  und  Joannes  Vislicius.  Er  interpretierte 
dabei  folgende  Schriftsteller:  Persius,  Vergil,  Claudian  (De  raptu  Pro- 
serpinae),  Ovids  Herolden  und  Lucau. 

Seine  Lehrthätigkeit  wurde  durch  mehrere  Reisen  unterbrochen, 
wovon  eine  ihn  nach  Grofsvardein  (Varadinum)  in  das  gastfreundliche 
Haus  des  berühmten  Stanislaus  Thurzo,  des  bekannten  Humanisten- 
mäcens,  führte.  Nachher  machte  er  die  Bekanntschaft  von  Gabriel 
Perenaeus  zu  Szöllös  und  suchte  von  hier  aus  auch  Wien  auf.  Nach  Un- 
garn scheint  er  in  den  nächsten  Jahren  noch  öfters  gekommen  zu  sein. 

Die  noch  erhaltenen  Gedichte  umfassen  mehr  als  3400  Verse. 
Fast  die  Hälfte  der  Gedichte  ist  dem  Paulus  Perenaeus  dediziert.  Sehr 
viele  behandeln  religiöse  Stoffe,  obgleich  er  nicht  Kleriker  gewesen  ist. 
Von  der  Art  seiner  Gedichte  sagt  der  Herausgeber :  Musam  suam  molli- 
bus  iocis  quam  grandisono  cothurno  aptiorem  fuisse  ipse  recte  perspexit 
(p.  XXXVI).  In  der  Form  hat  er  sich  am  meisten  Ovid  zum  Vorbild 
genommen.  An  gelegentlichen  Barbarismen,  wie  splenditer,  poterim  u.  a. 
fehlt  es  nicht,  wie  die  Zusammenstellung  p.  XXXVIII.  Anm.  1  zeigt. 
Im  übrigen  handhabte  er  das  Latein  nach  Humanistenart  wie  eine  lebende 
Sprache. 

III.  De  Joannis  Visliciensis  vita  atque  scriptis  (p.  XXXVIII— XL  VI) 
behandelt  das  Leben  dieses  Schülers  von  Paulus  Crosnensis,  den  sein 
Lehrer  auch  Vislicius  nennt.  Von  seinem  Leben  wissen  wir  blofs  aus 
seinem  Bellum  prutenicum  (1516),  von  dem  sich  ein  einziges  Exemplar 
in  der  Krakauer  Bibliothek  erhalten  hat.  Doch  sind  die  Nachrichten 
dürftig  genug:  Pole  von  Geburt,  war  er  Schüler  des  Paulus  Crosnensis  und 
liefs  1516  sein  einziges  Buch  in  Krakau  drucken.  Wäre  dieses  verloren 
gegangen,  so  wüfste  die  Nachwelt  nichts  von  diesem  neulateinischen 
Dichter.  Wenn  aber  Kruczkiewicz  meint,  der  Joannes  de  Vislicia,  wel- 
cher 1505  und  1506  als  Baccalar  und  1510  als  Magister  in  den  Pro- 
motionsbüchern der  Universität  Krakau  vorkommt,  sei  nicht  identisch  mit 
unserem  Dichter,  weil  dieser  in  seiner  1516   erschieneneu  Schrift  dieser 


Kruczkiewicz,  Paulus  Crosnensis.  43 

akademischen  Titel  nicht  Erwähnung  thun,  so  ist  das  gewifs  kein  zwin- 
gender Grund;  denn  viele  Humanisten  legten  gar  keinen  Wert  auf  diese 
akademischen  Titel. 

Zur  Erholung  von  mancherlei  Sorgen  dichtete  er  ein  Epos,  worin 
er  den  Sieg  Polens  über  den  deutschen  Orden  bei  Tannenberg  feierte 
(bellum  Prutenum),  und  das  1515  zu  Krakau  bei  Haller  gedruckt  wurde. 

Bezüglich  des  dichterischen  Wortes  erhalten  wir  p.  XLII  folgendes 
Urteil:  Paulum  Crosnensem  Vislicius  ingenio  paene  superat,  rerura  an- 
tiquarum  multiplici  notitia  singulisque  locis  oratione  nitida  excolendis 
fere  aequiparat,  linguae  tarnen  latiuae  usu  atque  scientia,  sive  ad 
singularum  formarura  delectum,  sive  ad  enuntiatorum  structuram  nexum- 
que  spectas,  magistro  multo  inferior  est.  Ebendaselbst  sind  Fehler  gegen 
Quantität  und  Grammatik  verzeichnet,  von  denen  übrigens  manche  bei 
nahezu  allen  Neulateinern  des  15.  Jahrhunderts  sich  finden  dürften,  wie 
fore  =  esse.  Die  Vorliebe  des  Dichters  für  Relativverbindungen  wird 
auf  die  indoles  sermonis  poloni  ad  sententiarum  coordinationem  prona 
zurückgeführt.  Es  sind  also  Polonismen!  Unter  den  von  Paulus  be- 
nutzten Quellen  scheint  auch  Aeneas  Silvius  gewesen  zu  sein. 

Daran  schliefsen  sich  von  p.  1 — 159  die  Carmina  Pauli  Crosnensis, 
die  sehr  verschiedenen  Inhalts  sind,  wie  Panegyrici  ad  divum  Ladislaum 
Pannoniae  regem  victoriosissimum  et  sanctum  Stanislaum  praesulem  et 
martyrem  Poloniae  gloriosissimum,  Elegiacon  ad  sanctam  Barbaram  vir- 
ginem  victoriosissimam ,  sapphische  Oden  auf  Maria  und  die  hl.  Katha- 
rina etc.  Aber  auch  antike  Stoffe  sind  behandelt:  Ad  Janum  Deum 
bifrontem,  a  quo  Januarius  (p.  68),  Ad  Apollinem,  ut  sibi  poeticum  iu- 
spiret  furorem  (p.  75),  Ad  Thaliara  (p.  78). 

Viele  der  Gedichte  sind  humanistische  Gelegenheitsgedichte,  wie 
sie  die  damalige  Zeit  liebte:  der  Dichter  bedankt  sich  für  die  gast- 
freundliche Aufnahme  und  Bewirtung,  besonders  bei  Gabriel  Perenaeus, 
oder  er  gibt  einem  jungen  Freunde  ein  Propempticon  mit  auf  den  Weg; 
er  lädt  einen  andern  zu  sich  ein,  ein  Invitatorium ;  auch  eine  reich  be- 
setzte Tafel,  bei  dei  edler  Ungarwein  tiiefst,  vermag  den  Poeten  zu  la- 
teinischen Versen  zu  begeistern. 

Die  Persönlichkeiten,  welche  gefeiert  werden,  sind  anderwärts 
wenig  bekannt;  doch  fehlt  es  nicht  ganz  au  solchen  Namen,  die  wir  in  den 
Schriften  der  deutschen  Humanisten  wieder  finden,  z.  B.  der  Buchdrucker 
Johannes  Winterburger,  der  impressor  sollertissimus,  dem  die  sechs  Di- 
stichen auf  S.  100  gewidmet  sind,  wenn  es  auch  eine  starke  poetische 
Hyperbel  zu  nennen  ist,  dafs  dieser  Joannes  dictus  ab  hiberna  arce,  der 
ein  ganz  wackerer  Drucker  gewesen  ist,  mit  Phidias,  Lj-sippus,  Myron, 
Praxiteles,  Parrhasius  und  Pyrgoteles  auf  die  gleiche  Stufe  gestellt  wird. 
Die  bekannteste  unter  den  gefeierten  Persönlichkeiten  dürfte  Stanis- 
laus  Thurzo  S.  96  sein,  wenn  die  Vermutung  des  Herausgebers  richtig 
ist,  dafs  derselbe  identisch  ist  mit  dem  gleichnamigen  Humamstenmäcen, 


44  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

dem  späteren  Bischof  von  Olmlitz,  der  wie  sein  Bruder  Johannes,  Bischof 
von  Breslau,  für  Humanisten  stets  eine  offene  Hand  hatte.  Die  ausge- 
dehnte Litteratur  über  die  Thurzones,  von  welcher  Kruczkiewicz  blofs  die 
Schrift  des  Jod.  Ludov.  Decius  zu  kennen  scheint,  ist  jetzt  verzeichnet 
bei  G.  Bauch,  Caspar  Ursinus  Velins,  der  Hofhistoriograph  Ferdinands  I. 
und  Erzieher  Maximilians  II.  (Budapest  1886)  S.  8,  Anm.  4.  —  Auch 
ein  anderer  Mäcen,  Joannes  Lubrantius,  episcopus  Posnaniensis,  wird  in 
einem  längeren  elegischen  Gedichte  (S.  118  — 125)  gefeiert,  das  zuerst 
1512  in  Krakau  bei  Florianus  Unglerius  erschienen  ist. 

Andere  sind  Begleitgedichte  zu  Schriften  des  Paulus  Crosnensis, 
wie  die  alcäische  Ode  Ad  lectorem  (S.  131)  zu  L.  Aunai  Senecae  tra- 
goedia  sexta,  quae  Troas  inscribitur,  ex  Avautii  annotationibus  castiga- 
tissime  irapressa  und  die  sapphische  Ode  (p.  133)  zu:  L.  Annaei  Senecae 
tragoedia  secunda  Thyestes,  praeter  Philologi  emendationem  ex  annota- 
tionibus Hieronymi  Avantii  facta  quam  castigatissima. 

Daran  reihen  sich  von  p.  161  —  224  die  Carmina  Joannis  Vis- 
liciensis.  Das  wichtigste  darunter  sind  die  drei  Bücher  des  in  Hexa- 
metern geschriebeneu  Bellum  Pruteuum,  das  Sigismund  von  Polen  ge- 
widmet ist.  Auch  an  den  üblichen  Zuthaten,  womit  die  humanistischen 
Dichter  ihre  Arbeiten  in  die  Welt  schickten,  fehlt  es  nicht:  einleitende 
Distichen,  eine  lateinische  Epistel  an  den  Lehrer  des  Dichters,  den  ve- 
nerabilis  ac  (sie)  egregius  vir  magister  Paulus  de  Crosna  studii  Craco- 
viensis,  collegiatus  poela  praeceptorque  dignissimus,  worin  der  polnische 
Patriotismus  des  Verfassers  mit  Entschiedenheit,  wenn  auch  in  Anako- 
luthen  sich  ausspricht  (Sigismundus  ist  rex  Sarmatiae  Europae  invic- 
tissimus),  die  in  Distichen  abgefafsten  Argumente  der  drei  Bücher  (wo- 
von das  erste  oft  eine  so  verdrehte  Wortstellung  hat,  dafs  der  Heraus- 
geber mit  Recht  in  den  Anmerkungen  die  Konstruktion  angibt)  und  eine 
alcäische  Ode  an  den  Leser  schliefsend: 

Quae  nostra  fundet  gutture  Musula 
Donando  laudi  carmina  patriae, 
Precor  benigna  mente  parvi 
Lector  opus  legito  libelli. 

Auch  am  Schlüsse  fehlen  die  üblichen  poetischen  Beigaben  nicht, 
darunter  eine  Elegia  ad  deiparam  Virginem  Mariam  pro  sedanda  peste, 
ein  auch  bei  deutschen  Humanisten  beliebtes  Thema. 

Ein  Register  der  Eigennamen  und  der  wichtigsten  Sachen  schliefst 
die  Ausgabe  ab.  Eine  Anzahl  Ausstellungen  habe  ich  in  der  Berliner 
Philol.  Wochenschrift  1888  Nr.  44  gemacht. 

Das  hübsch  ausgestattete  Werk  ist  in  mehrfacher  Beziehung 
äufserst  lehrreich :  wir  ersehen  zunächst  daraus,  dafs  die  Wellen  der  ge- 
waltigen Geistesbewegung,  die  wir  mit  dem  Namen  Renaissance  bezeich- 
nen, auch  das  barbarische  Sarmatien  schliefslich  erreicht  haben.  Am  Ende 
des  Mittelalters  gab  es  im  entlegenen  Polen  gewandte  lateinische  Poeten, 


R.  Dernedde,  Über  die  epischen  Stoffe.  45 

die  trotz  den  gleichzeitigen  Italienern  den  lateinischen  Vers  beherrschen, 
als  ob  Latein  ihre  Muttersprache  wäre.  Sodann  sehen  wir  gerade  aus 
dieser  Publikation,  wie  unrichtig  es  ist,  wenn  man  dem  Humanismus 
vorgeworfen  hat,  er  sei  international,  es  fehle  ihm  an  Patriotismus. 
Diese  zwei  polnischen  Humanisten  sind  polnische  Patrioten,  wie  viele 
gleichzeitige  deutsche  Humanisten  deutsche  Patrioten  sind.  Stoff  und 
Denkweise  zeigen  jedem,  der  sehen  will,  dafs  Paulus  Crosnensis  und 
Paulus  Visliciensis  trotz  der  lateinischen  Sprache,  die  nun  einmal  Sprache 
der  Bildung  war,  himmelweit  von  einem  kosmopolitischen  Indifferentis- 
mns  entfernt  sind. 

Schliefslich  aber  sind  diese  Gedichte  ein  Beleg  dafür,  welch  innige 
Verbindung  der  Humanismus  mit  der  ReHgion  eingegangen  hat.  Die 
vulgäre  Vorstellung  von  dem  Gegensatz  des  Humanismus  und  der  Kirche 
ist  grundfalsch.  Weitaus  die  meisten  Humanisten  stehen  im  besten  Ein- 
vernehmen mit  der  römisch-katholischen  Kirche,  wie  auch  viele  derselben 
hohe  und  niedere  Kirchenämter  bekleiden  oder  Klosterinsassen  sind. 
Die  Gedichte  an  Heilige,  welche  unsere  Sammlung  enthält,  zeigen,  dafs 
es  damit  in  Polen  nicht  anders  als  in  Deutschland  bestellt  war. 

Zum  Schlüsse  aber  möge  der  Wunsch  gestattet  sein,  eine  deutsche 
gelehrte  Körperschaft  möchte  in  ähnlicher  Weise  die  kritische  Samm- 
lung und  Herausgabe  der  litterarischen  Erzeugnisse  unserer  deutschen 
Humanisten  in  die  Hand  nehmen.  Nur  durch  staatliche  oder  anderwei- 
tige Unterstützung  wird  es  möglich  sein,  für  ein  derartiges  Unternehmen 
einen  Verleger  zu  gewinnen. 

Zur  Geschichte  der  Alterturaswissenschaft  liefert  einen  Beitrag: 

Dr.  Robert  Dernedde.  Über  die  den  altfranzösischen  Dichtern 
bekannten  epischen  Stoffe  aus  dem  Altertum.  Erlangen.  Deichert. 
1887.     80.      158  S. 

Die  klassischen  Stoffe  lebten  bekanntlich  im  Mittelalter  weiter, 
und  in  mannigfaltigen  Veränderungen  wurden  immer  wieder  dieselben 
Gegenstände  behandelt.  Freilich  erfreuten  sich  nicht  alle  antiken  Dich- 
ter gleich  grofser  Beliebtheit.  Wir  haben  über  diese  Fragen  mehrere 
wertvolle  Arbeiten:  Dernedde  führt  selbst  folgende  an:  Comparetti. 
Virgilio  nel  medio  evo  (Livorno  1872),  welches  Werk  Haus  Dütschke  in 
deutscher  Sprache  bearbeitet  hat;  Bartsch  Albrecht  von  Halberstadt 
und  Ovid  im  Mittelalter  (Quedlinburg  1861),  Graf  Roma  nella  memoria 
del  medio  evo  (Torino  1882  und  1883). 

Der  Verfasser  erklärt,  durch  die  Untersuchung  von  Birch-Hirsch- 
feld  Ȇber  die  den  provenzalischen  Troubadours  bekannten  epischen 
Stoffe«  (Halle  1878)  augeregt  worden  zu  sein.  Er  will  eine  Art  von 
Weiterführung  zu  diesem  Werke  geben. 

Das  Altertum  war  für  die  mittelalterlichen  Franzosen  kein  fremdes 
Gebiet,  wenn  gleich  die  Anschauungen   der  alten  Heidenwelt  mit   dem 


4fi  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

Christentum  im  Widerspruch  standen  und  Geistliche  vielfach  vor  der 
Lektüre  der  Klassiker  warnten.  Besonders  eifrig  wurden  Lucan,  Statins, 
Vergil  und  Ovid  in  den  Schulen  gelesen.  Die  griechischen  Schriftsteller 
waren  freilich  im  Original  unbekannt.  Nur  durch  das  Medium  der  Rö- 
mer wurden  sie  benutzt.  Man  bewunderte  und  pries  Homer  vielfach 
und  kannte  ihn  doch  nur  aus  der  aus  1100  Versen  bestehenden  Ver- 
kürzung des  sog.  Pindarus  Thebanus.  »An  die  Stelle  Homers  traten 
die  jämmerlichen  Machwerke  eines  Dares  von  Phrygien  und  Diktys 
von  Kreta«. 

Auch  der  Geist  des  Altertums  blieb  den  mittelalterlichen  franzö- 
sischen Dichtern  verschlossen  Nur  für  die  moralische  Seite  der  heid- 
nischen Dichter  hatte  man  ein  Verständnis.  Daraus  erklärt  sich  auch, 
wie  man  durch  Übertragung  mittelalterlicher  Verhältnisse  auf  das  Alter- 
tum dieses  unbewufst  travestierte.  »Sehr  bezeichnend  dafür  sind  einige 
Miniaturen  einer  Turiner  Handschrift.  Hier  ti'aut  ein  Bischof  Juppiter 
und  Juno,  und  an  einer  anderen  Stelle  celebriert  ein  Bischof,  umgeben 
von  (christlichen)  Priestern  und  Mönchen,  bei  dem  Leichenbegängnis 
Hektors«. 

Zugleich  war  die  Benutzung  antiker  Stoffe  dadurch  denkbar,  dafs 
die  Franzosen,  wie  andere  Völker ,  ihren  Ursprung  auf  die  alten  Troer 
zurückführten.  »Schliefslich  sagten  die  epischen  Gedichte  des  Altertums 
wegen  ihres  Reichtums  an  wunderbaren  Ereignissen,  heroischen  Aben- 
teuern und  kriegerischen  Unternehmungen  dem  Mittelalter  sehr  zu,  wel- 
clies,  wie  Joly  sagt,  wie  ein  grofses  Kind  verlangt,  dafs  man  ihm  immer 
neue  Geschichten  erzählte«. 

Die  Quellenuntersuchung  beginnt  nun  mit  dem  Roman  de  Troie 
von  Benoit  de  Sainte-More,  deren  Einzelheiten  hier  nicht  wiedergegeben 
werden  können.  Es  werden  die  charakteristischen  Schilderungen  folgen- 
der Personen  behandelt:  Priamus,  Hektor,  Paris,  Deiphobos ,  Helenos, 
Troilos,  Antenor,  Polydamas,  Kalchas,  Aeneas,  Memnon,  Hecuba,  Andro- 
mache,  Kassandra,  Polyxena,  Penthesilea,  Briseida,  Helena,  Aias  der 
Telamonier,  Agamemnon,  Ulysses,  Diomedes,  Menelaus,  Patroklos,  Achilles, 
Nestor,  Palamedes,  Neoptolemos. 

Es  folgt  sodann  die  Untersuchung  des  Romans  von  Aeneas ,  des 
Romans  von  Theben,  der  Romaue  von  Julius  Caesar,  des  Cyclus  von 
Alexander  dem  Grofsen. 

Ein  zweiter  Teil  der  Abhandlung  beschäftigt  sich  mit  dem  Nach- 
weis einzelner  Anspielungen,  die  durch  die  ganze  altfranzösische  Litte- 
ratur  sich  finden.  Ein  Inhalts- Verzeichnis  am  Ende  dieses  Abschnittes 
orientiert  über  den  reichen  Inhalt. 

Der  gelehrte  Verfasser  würde  sich  den  Dank  derjenigen  seiner 
Leser,  welche  nicht  gerade  Fachmänner  sind,  erworben  haben,  wenn  er 
am  Schlüsse  die  allgemeinen  Ergebnisse  seiner  mühevollen  Untersuchung 
in  einer  Schlufsbetrachtung  zusammengefafst  hätte. 


Schmid,   Encyklopädie  des  Erziehungswesens.  47 

Wenden  wir  uns  nun  zu  solchen  Werken,  welche  die  Geschichte 
und  Methode  der  altsprachlichen  Studien  in  den  Schulen 
behandeln.  Den  Anfang  soll  ein  Werk  machen,  das  wohl  kaum  in  einer 
besser  ausgestatteten  Schulbibliothek  fehlt: 

Encyklopädie  des  gesamten  Erziehungs-  und  Unterrichtswesens, 
bearbeitet  von  einer  Anzahl  Schulmänner  und  Gelehrten,  herausgegeb. 
von  Prälat  Dr.  K.  A.  Schmid,  Gymnasial-Rektor  a.  D.  in  Stuttgart. 
Zweite  verbesserte  Auflage  fortgeführt  von  Geh.  Regierungsrat  D.  Dr. 
Wilh.  Schrader,  Kurator  der  Universität  Halle  a.  S.  Leipzig.  Fues' 
Verlag  (R.  Reisland).  1887.  Lex.  8°.  (Bd.  IX.  Spanien-Vives.  Bd.  X. 
Vokabellernen  —  Zwingli). 

Damit  schliefst  die  zweite  Auflage  des  bekannten  trefflichen  Wer- 
kes. Der  Herausgeber  Schrader  hat  sich  redlich  bemüht,  die  zweite  Auf- 
lage zu  einer  verbesserten  zu  machen  Vielfach  mufsten  neue  Mitarbei- 
ter gewonnen  werden,  um  die  verschiedenen  Artikel  einer  Revision  zu 
unterziehen,  da  die  Gelehrten,  welche  seiner  Zeit  den  Artikel  für  die 
erste  Ausgabe  geliefert  hatten,  seitdem  gestorben  waren. 

Für  die  Zwecke  des  »Jahresberichts«  kommen  aus  den  beiden 
Bänden  folgende  Artikel  in  betracht: 

Band  IX.  Sprache  (von  Lazarus),  Stadtschule  (Schrader),  Stilistik 
(Hoppe),  Stipendien  (Kämmel),  Stoiker  (Kämmel),  Johannes  Sturm  (Bofs- 
1er),  Thiersch  (Elsperger- Schrader),  Trotzendorf  (Hirzel),  Überbürdung 
(Schrader),  Unterricht,  Unterrichtsform,  Unterrichtskunst  (Palmer),  Un- 
terrichtsgegenstände (Kern),  Unterrichtssprache  (Schrader),  Unterrichts- 
zeit (Erler),  Vaterlandsliebe  (G.  Baur),  Vergerius  und  Vegius  (Kämmel), 
Vergnügungen  (Palmer,  Schrader),  Versetzung,  Versetzungsprüfungen 
(Wehrmann),  Vincenz  von  Beauvais  (Kämmel),  Visitation  (Hirzel), 
Vittoriuo  von  Feltre  und  Guarino  von  Verona  (Kämmel),  Vives  (A. 
Lange). 

Band  X:  Vokabellernen,  Vokabularien  (Queck),  Winkelschulen 
(Firnhaber),  Wörterbuch  (Rieckher,  Schrader),  Fr.  A.  Wolf  (J.  Arnoldt 
und  Schrader),  Hieronymus  Wolf  (Bofsler),  Württemberg,  das  höhere 
Schulwesen  (von  Dorn),  Xenophon  und  Isokrates  (Kämmel),  Zeugnisse, 
Konduitenlisten  (Firnhaber). 

Das  Werk  ist  in  bezug  auf  Geschichte  der  Erziehung  und  des 
Unterrichts  nicht  blofs  der  Ergänzung  fähig,  sondern  auch  bedürftig.  So 
müfste  z.  B.  der  Artikel  Rudolf  Agricola  gänzlich  umgearbeitet  und  dem 
jetzigen  Stande  der  Frage  entsprechend  gestaltet  werden.  Dann  wären 
die  nichtdeutschen  Pädagogen  in  viel  gröfserer  Ausdehnung  heranzu- 
ziehen. Es  ist  ein  Mangel,  dafs  man  aus  Schmid  sich  z.  B.  über  Wil- 
helm Bude,  Aeneas  Sylvius,  Corraro,  Francesco  Filelfo  und  andere,  die 
doch  Systeme  der  Pädagogik  geschrieben  haben,  nicht  unterrichten  kann. 
Unbegreiflich  aber  bleibt,  dafs  Jakob  Wimpfeling,  der  wichtige  humani- 


48  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

stische  Pädagoge  ganz  ausgelassen  ist.  Aber  auch  Polizian,  ferner 
Wioso  sollten  nicht  fehlen.  Ein  ebenso  dringendes  Bedürfnis  ist  die  Er- 
gänzung der  Universiti'itsgeschiclite,  was  nach  den  Werken  von  Kämmel, 
Paulsen  und  Kaufmann  niemand  mehr  im  Ernste  bestreiten  wird. 

Hermann  Schiller,  Lehrbuch  der  Geschichte  der  Pädagogik. 
Für  Studierende  und  junge  Lehrer  höherer  Lehi'anstalten.  Leipzig. 
Fues'  Verlag  (R.  Reisland).    1887.    8".    IV  und  352  S. 

In  der  Vorrede  betont  der  Verfasser,  dafs  es  zur  Zeit  für  Studie- 
rende und  junge  Lehrer  an  einem  Buche  fehle,  woraus  man  den  Stand 
der  Kenntnisse  über  die  Geschichte  der  Pädagogik  in  knapper  und  aus- 
reichender Form  erkennen  könne.  Die  von  den  Kandidaten  des  höheren 
Lehramtes  benutzten  Bücher  sind  eigentlich  für  Volksschullehrer  ge- 
schrieben. 

Schillers  Buch  beruht  auf  langjährigen  Studien  und  Erfahrungen,  die 
er  bei  seinen  Vorlesungen  über  Geschichte  der  Pädagogik  gemacht  hat.  Ein 
Hauptzweck  der  Schrift  besteht  darin,  zu  zeigen,  dafs  man  nicht  »durch 
einfache  Konservierung  des  reformatorischen  oder  gar  durch  Zurück- 
schraubung des  modernen  Schulwesens  auf  einen  heute  unmöglichen 
Standpunkt«  den  Aufgaben  der  Gegenwart  gerecht  werden  kann.  Denn 
»die  Aufgabe,  welche  der  Pädagogik  in  unseren  Tagen  gestellt  ist,  be- 
steht darin,  das  höhere  Unterrichtswesen  mit  den  Bedürfnissen  der  Ge- 
genwart so  in  Einklang  zu  setzen,  wie  z.  B.  einst  das  mittelalterliche 
oder  das  reformatorische  Schulwesen  den  Anforderungen  ihrer  Zeit  ent- 
sprachen«. 

Der  Inhalt  des  Buches  ist  in  30  Abschnitte  eingeteilt,  deren  erster 
die  »Aufgabe  und  Litteratur«  behandelt.  Darnach  hat  die  Geschichte 
der  Pädagogik  die  Aufgabe,  alle  die  Veranstaltungen  darzustellen,  welche 
im  Laufe  der  Zeit  getroffen  worden  sind,  um  Ausbildung  des  Körpers, 
Unterricht  und  Zucht  zu  entwickeln.  Neben  der  pädagogischen  Praxis 
mufs  stets  die  pädagogische  Theorie  berücksichtigt  werden. 

Da  das  Buch,  wie  schon  auf  dem  Titelblatt  steht,  praktischen 
Zwecken  dient,  so  wird  das  sonst  fast  unübersehbare  Gebiet  beschränkt. 
Ohnedem  sind  wir  über  die  Kulturvölker  des  Ostens  und  ihre  Erziehungs- 
weise so  wenig  unterrichtet,  dafs  eine  Beschränkung  auf  das  klassische 
Altertum  und  die  davon  abhängigen  Gestaltungen  angezeigt  erschien. 
In  der  Hauptsache  wird  hier  die  Geschichte  der  deutschen  Pädagogik 
dargestellt  und  das  Ausland  nur  insoweit  berücksichtigt,  als  es  in  die 
deutsche  Entwickelung  hemmend  oder  fördernd  eingegriffen  hat.  Dem 
Lehrer  wird  sich  aus  der  Geschichte  der  Pädagogik  die  Überzeugung 
entwickeln,  »dafs  neue  Theorieen  stets  mit  Vorsicht  aufzunehmen  und 
regelmäfsig  zurückzuweisen  sind,  wenn  sie  die  historische  Continuität 
und  die  allgemeine  Entwickelung  unbeachtet  lassen«. 

Es  folgt  nun  eine  kurze  Charakteristik   der  Werke   von  Ruhkopf, 


H.  Schiller,   Geschichte  der  Pädagogik.  49 

Fr.  H.  Chr.  Schwarz,  A.  H.  Niemeyer,  Fr.  Gramer,  Karl  von  Raumer, 
Karl  Schmidt,  Albert  Stöckl,  Fr.  A.  Specht,  Lor.  von  Stein,  Kämmel 
und  Paulsen  sowie  des  Unternehmens  von  Karl  Kehrbach,  der  Monu- 
menta  Germaniae  paedagogica,  von  dem  übrigens  jetzt  schon  sieben 
Bände  erschienen  sind. 

Zum  Schlufs  wird  ein  beherzigenswerter  Rat  gegeben,  den  wir  hier 
wörtlich  anführen  wollen:  »Im  allgemeinen  fehlen  zuverlässige  Einzel- 
untersuchungen. Auf  diesem  Gebiete  könnte  auch  der  jüngere  Lehrer 
nützlichere  Thätigkeit  üben,  wenn  er  das  in  den  Registraturen  und  Ar- 
chiven der  Städte  und  Schulen  ruhende  Material  in  zuverlässiger  Be- 
handlung zugänglich  machte,  als  wenn  er  fachwissenschaftliches  und  pä- 
dagogisches Material,  das  schon  wiederholt  bearbeitet  ist,  von  neuem  in 
Zeitschriften  und  Programmen  durcheinander  wirft,  ohne  Nutzen  für  sich 
und  den  Leser«.  Zu  diesen  Worten  bleibt  nur  hinzuzufügen,  dafs  es 
an  zuverlässigen  Einzeluntersuchungen  doch  nicht  so  unbedingt  fehlt, 
wie  Schiller  behauptet;  zweitens  aber  müssten  solche  monographischen 
Arbeiten  immer  in  der  Weise  angestellt  werden,  dafs  die  Einzelheiten, 
welche  die  Archive  und  Bibliotheken  liefern,  eine  Darstellung  auf  dem 
Hintergrunde  der  allgemeinen  Zeitbildung  finden.  Sonst  wird  eine  solche 
Darstellung  zu  einer  geistlosen  Sammlung  »kurioser«  Einzelheiten,  die 
nicht  unterrichtend  sind. 

In  dem  Abschnitt  über  die  »Pädagogik  der  Griechen«  (S.  5  — 14) 
wird  die  Erziehung  in  Sparta  und  Athen  dargestellt.  Von  den  Erzie- 
hungstheoretikeni  finden  Plato  und  Aristoteles,  die  »beiden  bedeutend- 
sten Erziehungstheoretiker   des   Griechentums«,   eine  kurze  Darstellung. 

In  dem  Abschnitt  über  die  Römer,  wo  der  Unterricht  und  die 
Erziehung  in  der  republikanischen  und  der  Kaiserzeit  getrennt  behan- 
delt werden ,  findet  Quintilians  pädagogische  Theorie  eine  eingehende 
Würdigung;  denn  von  ihm  wird  zum  erstenmal  ein  auch  auf  die  Ein- 
zelheiten der  Methodik  eintretendes  System  aufgestellt. 

An  dem  »Unterrichtsmechanisraus«  der  alten  Welt  änderten  die 
beiden  Mächte,  welche  eine  neue  Zeit  heraufführten,  das  Germanen- 
tum und  das  Christentum,  gleich  wenig.  Durch  die  Germanen  wird 
übrigens  die  Familienerziehung  die  Grundlage  der  Erziehung  überhaupt. 
Die  Einrichtung  und  die  Methode  der  Schule  blieb  dieselbe,  wenn  auch 
einige  Kenntnis  der  christlichen  Lehre  aufgepfropft  wurde.  Die  Lehr- 
bücher des  Martianus  Capeila,  des  Beda  und  des  Alexander  de  Villa-dei 
werden  sachgemäfs  und  gerecht  besprochen. 

In  dem  Abschnitt  über  die  Klosterschulen  wird  zunächst  die  Ent- 
stehung des  Mönchtums  entwickelt,  das  ein  Gegengewicht  gegen  die 
schon  im  vierten  Jahrhundert  vorhandene  Verweltlichung  der  Kirche  sein 
sollte.  Die  Klosterschulen,  die  übrigens  trotz  ihrer  einförmigen  Lehr- 
einrichtung erhebliche  Unterschiede  aufweisen,  sind  nicht  Bildungsan- 
stalten im  gemeinen  Sinne ;  denn  die  Ziele  des  Klosterlebens  sind  weder 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft  LXIV.  (1890.  III.)  4 


50  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

Pflege  der  Wissenschaft  noch  Unterricht  und  Erziehung  der  Jugend. 
Man  unterschied  von  der  eigentlichen  Klosterschule  (schola  claustri  oder 
interior)  die  weltliche  Schule  (schola  canonica  oder  exterior),  welch 
letztere  auch  weltliche  Knaben  besuchen  konnten. 

Als  Lehrgegenstände  erscheinen  neben  Latein  (Griechisch  wurde 
nicht  gelehrt)  Rhetorik  und  Dialektik  (Logik)  in  geringem  Mafse,  mehr 
die  Anleitung  zur  Anfertigung  von  Geschäftsaufsätzen,  Briefen  und  Ur- 
kunden; das  Quadriviuni  dürfte  nur  von  Begabteren  getrieben  worden  sein. 
Der  Zweck  der  Lektüre  war  nicht  die  Versenkung  in  den  Geist 
des  klassischen  Altertums,  sondern  der  Nutzen  für  den  grammatisch- 
rhetorischen Unterricht  und  die  Bibelkenntnis.  Der  Religionsunterricht 
war  sehr  kümmerlich.  Die  stets  unveränderlich  bleibende  Methode  nahm 
besonders  das  Gedächtnis  in  Anspruch:  Vorsagen  und  Diktieren  des 
Lehrers,  Nachsagen  und  Nachschreiben  der  Schüler  waren  die  Hauptsache. 
Die  Blüte  der  Benediktinerschulen  ist  mit  dem  12.  Jahrhundert 
vorbei:  die  raonasteria  studiorum  erlagen  der  asketischen  Zeitrichtung. 
In  dem  folgenden  Abschnitt  »Kathedral-,  Dom-  und  Stiftsschulen« 
findet  zunächst  die  Thätigkeit  Karls  des  Grofsen  für  die  Schule  eine  Be- 
sprechung. Die  geistigen  Veranstaltungen  des  Kaisers  überlebten  ihn 
meist  nicht  lange.  In  Deutschland  bildeten  die  Abteien  zu  Fulda,  St. 
Gallen  und  Reichenau  geistige  Lichtpunkte. 

Die  Entstehung  und  das  Wesen  der  Kathedral-  oder  Domschulen, 
der  Parochial-  oder  Pfarrschulen  wird  kurz  besprochen,  ihre  Organisa- 
tion dargelegt.  Lehrer  war  in  der  älteren  Zeit  ein  Kanoniker,  magister 
scolarium  oder  didascalus,  der  Domscholaster,  später  ein  secundarius, 
magister  secundus,  der  nur  die  niederen  Weihen  und  keine  beneidens- 
werte Stellung  hatte.  Der  Scholaster  behielt  jetzt  nur  die  Oberleitung. 
Die  Methode  unterschied  sich  in  nichts  von  der  in  den  Klöstern 
herrschenden.  Auch  die  Zucht  wich  nicht  von  der  klösterlichen  ab. 
Von  den  Erziehungstheoretikern  wird  nur  Hrabanus  Maurus  besprochen. 
In  dem  Abschnitte  »Stadtschulen«  vertritt  der  Verfasser  die  An- 
sicht, dafs  bei  der  Gründung  der  Stadtschulen  keineswegs  ein  religiöser 
Gegensatz  sich  geltend  gemacht  habe.  Erst  im  14.  und  15.  Jahrhundert 
kamen  sie  zu  gröfserer  Entwickelung.  Der  Scholaster  hatte  das  Auf- 
sichtsrecht über  diese  Schulen.  Anfangs  sind  die  Lehrer  meist  Geist- 
liche, später  mehr  Weltliche.  Der  Hauptlehrer  bestellte  seine  Unter- 
lehrer. Die  Stelle  war  meist  materiell  nicht  glänzend,  aber  geachtet. 
Erst  allmählich  löste  sich  die  deutsche  Schule  von  der  lateinischen  los. 
Ein  Abschnitt  über  die  Universitäten  beschliefst  das  Bild  des 
mittelalterlichen  Schulwesens.  In  den  romanischen  Ländern  sind  die 
Universitäten  durch  Verbindung  der  kirchlichen  Kathedralschulen  mit 
weltlichen  Fachschulen  entstanden.  Nach  dem  Vorbild  der  romanischen 
sind  die  deutscheu  Hochschnlen  gebildet.  Die  Gründung  beruhte  auf 
den  Errichtungsbullen  der  Päpste.     Wittenberg  (1502)  ist  die  erste  Hoch- 


H.  Schiller,   Geschichte  der  Pädagogik.  51 

schule,  die  nicht  durch  päpstliche,  sondern  blofs  durch  kaiserliche  Auto- 
rität errichtet  wurde.  Die  Lehrer  sind  alle  Kleriker,  die  Studenten  zum 
gröfsten  Teile. 

Neben  den  Vorlesungen,  in  denen  die  Lehrbücher  erklärt  wurden, 
stehen  die  Disputationen.  Der  erste  Kurs,  der  mit  dem  Baccalariats- 
examen  abschlofs,  umfafste  das  Trivium,  d.  h.  Grammatik,  Dialektik  und 
Rhetorik,  denen  manchmal  noch  die  Elemente  von  Mathematik  und 
Physik  beigefügt  wurden.  Der  höhere  Kurs  umfafste  die  Philosophie, 
d.  h.  Psychologie,  Physik,  Metaphysik,  Ethik,  Politik,  öfter  auch  noch 
Astronomie  und  Geometrie. 

Nicht  selbständige  Forschung  ist  das  Ziel  des  akademischen  Leh- 
rens  und  Lernens ,  sondern  der  vorgeschriebene  Inhalt  der  Lehrbücher 
soll  durch  die  Schüler  angeeignet  werden. 

Die  ganze  Einrichtung  hatte  etwas  Zünftiges,  vom  Handwerk  Ent- 
lehntes. Vom  Baccalar  stieg  man  auf  zum  Magister  und  von  diesem 
zum  Doktor.  In  der  theologischen  Fakultät  gebrauchte  man  dazu  lange 
Zeit,  9 — 11  Jahre.  Lehrer  und  Schüler  wohnten  zusammen  in  den 
Kollegienhäusern  und  Bursen. 

Ein  neues  Leben  kam  in  das  Unterrichtswesen  des  Mittelalters 
durch  den  Humanismus  (§  9),  ohne  dafs  dadurch,  wie  der  Verfasser 
meint,  überall  etwas  Besseres  geschaffen  wurde.  Die  Wiederherstellung 
der  Wissenschaften  bestand  in  dem  Wiederbekanntwerden  der  griechi- 
schen und  römischen  Litteratur.  Das  neue  Leben  erblühte  zunächst  in 
Italien.  »Das  15.  Jahrhundert  zeigt  insbesondere  in  Italien  ein  so  reges 
litterarisches  Leben,  wie  man  seit  lange  nichts  mehr  erlebt  hatte«. 

Hier  entstanden  auch  die  ersten  Programme  des  Humanismus  über 
Erziehung  und  Unterricht,  die  sich  noch  sehr  eng  an  Quintilian  anleh- 
nen, zunächst  freilich  vorwiegend  die  Fürstenerziehung  im  Auge  haben. 
Die  Pädagogen  und  Erziehuugstheoretiker,  die  besprochen  worden,  sind 
Vittorino  von  Feltre  (1378  —  1477)   und  Mapheus  Vegius  (1407—1458). 

In  dem  Abschnitt  über  »das  humanistische  Schulwesen  vor  der 
Reformation«  hebt  der  Verfasser  zunächst  hervor,  dafs  die  neue  Rich- 
tung des  Humanismus  in  manchen  Lateinschulen  früher  zur  Herrschaft 
kam  als  an  den  Universitäten.  Die  Verdrängung  des  Doktrinale  von 
Alexander  de  Villa-dei  und  die  Einführung  von  Terenz  und  Vergil  sind 
dafür  bezeichnend.  Die  Schulen  der  Hieronymianer  oder  Fraterherren, 
die  humanistischen  Einflüsse  auf  dieselben,  die  mit  Wessel  und  Rudolf 
Agricola  (1443  1485)  begannen,  die  pädagogische  Theorie  des  auf  Quin- 
tilian zurückgehenden  Agricola,  bei  dessen  Schilderung  Schiller  die  kleine 
Schrift  von  Ernst  Laas  über  Sturm  benutzt,  werden  kurz  besprochen. 
Eine  kuappe  Schilderung  der  Schulmänner  Alexander  Hegius,  Johann 
Murmellius  und  der  an  der  Schule  zu  Münster  wirkenden  Humanisten 
bahnt  den  Übergang  zu  Desiderius  Erasmus,  der  in  D eventer  Schü- 
ler des  Hegius  war.     Seine  wichtigsten  Schriften  werden  genannt,  seine 

4* 


52  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

pädagogische  Theorie   in  ihrer  Abhängiglieit  von  Quintilian  kurz  nach- 
gewiesen. 

Es  folgt  nun  ein  kurzer  Abschnitt  über  die  Fraterherrenschule  zu 
Münster,  der  besser  auf  S.  77  oder  79  eingeschaltet  würde.  Über  diese 
Schule  brachte  übrigens  die  Festschrift  des  protestantischen  Gymnasiums 
zu  Strafsburg  von  1888  wertvolle  neue  Mitteilungen.  Eine  kurze  Dar- 
stellung des  oberdeutschen  Humanismus  (Johann  Reuchlin,  Konrad  Celtis, 
Aventin,  Bebel,  Jakob  Wimpfeling)  beschliefst  diesen  Abschnitt  (S.  85 — 88). 

Der  nächste  Abschnitt  behandelt  das  Schulwesen  der  Reformation 
(S.  89^ — 98).  Doch  bedürfen  die  einleitenden  Bemerkungen  vielfach  der 
Zurechtstellung.  Insbesondere  genügt  jetzt  ein  einfacher  Verweis  auf 
das  bekannte  Werk  Hagens  mit  seiner  schiefen  und  tendenziösen  Auf- 
fassung nicht  mehr,  um  irgend  eine  Auffassung  zu  stützen. 

Die  württembergische  Schulordnung  von  1559,  welche  Job.  Brenz 
ausgearbeitet  hat,  bezeichnet  den  gröfsten  Fortschritt,  der  seit  der  Re- 
formation auf  dem  Gebiete  des  Schulwesens  gemacht  wurde.  Schon 
Bugenhagen  war  in  seinen  Schulordnungen  für  die  niederdeutschen  Ge- 
bietewesentlich über  die  sächsische  Schulordnung  von  1528  hinausgegangen. 

Dem  protestantischen  Schulwesen,  wie  es  sich  in  der  Schweiz  durch 
Zwingli  und  im  südlichen  Deutschland  durch  Job.  Sturm  gestaltete,  folgt 
die  Schilderung  des  katholischen  Schulwesens,  wo  zunächst  Vives  und 
sodann  die  Jesuiten  gewürdigt  werden.  Von  S.  127 — 129  folgt  eine 
mafsvoUe  Beurteilung  der  Jesuitenpädagogik  wie  ihrer  Anstalten,  wobei 
Licht-  und  Schattenseiten  ruhig  und  sachgemäfs  erwogen  werden. 

Die  nächsten  Kapitel  schildern  die  »neuen  Strömungen«,  die  im 
Auslande  früher  sind  als  in  Deutschland,  die  »Opposition  des  nationalen 
Bewufstseins,  des  gesunden  Menschenverstandes  und  der  Psychologie  in 
Form  der  Hofmeistererziehung«,  die  »Reformbestrebungen  auf  dem  Ge- 
biete öffentlichen  Schulwesens«  (Ratichius,  Coraenius  werden  eingehend 
und  anschaulich  behandelt),  die  »Nachwirkungen  der  Reformbestrebuugen 
in  der  Scbulgesetzgebung« ,  das  »Erziehungideal  des  galant  homme  in 
den  Ritterakademieu« ,  den  »Pietismus«  (A.  H.  Franke),  die  »Anfänge 
der  Realschule«. 

Mit  dem  Regierungsantritt  Friedrichs  des  Gr.  (1740)  gelangte  die 
Aufklärung  zum  Siege.  Bezeichnend  für  den  zur  Herrschaft  gelangten 
Geist  ist  die  wenige  Tage  nach  dem  Regierungsantritt  angeordnete  Zu- 
rückberufung des  Philosophen  Christian  Wolff,  welchen  die  Pietisten  aus 
Halle  vertrieben  hatten.  Die  Berliner  Akademie  wird  nun  konstituiert 
und  wählt  das  Französische  statt  des  Lateinischen  als  Sprache  ihrer 
Publikationen. 

Einen  charakteristischen  Ausdruck  findet  die  in  der  Zeit  liegende 
Richtung  in  den  Philanthropisten,  welche  wieder  in  manchen  Punkten  mit 
Rousseau  zusammentreffen,  weshalb  an  dieser  Stelle  ein  Abrifs  des  Le- 
bens und  der  Pädagogik  Rousseaus  eingefügt  wird. 


H.  Schiller,   Geschichte  der  Pädagogik.  53 

Im  Jahre  1712  zu  Genf  geboren  und  von  Anfang  an  der  Mutter 
beraubt,  erhält  er  eine  höchst  ungenügende  Erziehung.  Unstet  und  un- 
sittlich, treibt  er  sich  in  bedenklichen  Verhältnissen  umher.  Die  Lösung 
einer  Preisfrage,  welche  die  Akademie  in  Dijon  gestellt  hatte,  machte 
ihn  schnell  berühmt.  Er  stellte  dabei  die  für  seine  ganze  Richtung 
charakteristische  Behauptung  auf,  dafs  die  sittliche  Verderbnis  durch 
die  wissenschaftliche  Bildung  und  Kultur  herbeigeführt  worden  sei.  »Der 
Schlufs  lag  nahe,  dafs  man  nur  die  Kultur  zu  vernichten  brauche,  um  die 
Tugend  wieder  zu  erringen«.  Bezüglich  seines  Verhaltens  zu  den  fünf 
mit  Therese  Levasseur  erzeugten  Kindern,  die  er  sämtlich  in  das  Findel- 
haus brachte,  sagt  Schiller:  »Dem  Gefühle  frei  zu  sein  von  Verpflich- 
tungen, welche  ihn  in  seiner  freien  Bewegung  gehemmt  hätten,  opferte 
er  die  einfachsten  und  ursprünglichsten  Menschentriebe«.     (S.  224). 

Sein  bedeutendstes  Werk  ist  fimile  ou  sur  l'education,  das  der 
Absicht  entsprungen  ist,  die  Verderbnis  der  Zeit  durch  Erziehung  zu 
heilen.  Wegen  der  darin  enthaltenen  Angriffe  auf  den  historischen  Glau- 
ben 1762  aus  Frankreich  flüchtig,  fand  Rousseau  in  Neufchätel  unter  dem 
Schutze  Friedrichs  IL  eine  Zufluchtsstätte.  Seiner  Selbstquälerei  machte 
der  Tod  1778  ein  Ende. 

Von  seiner  Pädagogik,  die  hauptsächlich  im  fimile  dargestellt  ist, 
sagt  der  Verfasser:  »So  schrieb  ein  Mann,  der  nie  sich  selbst  erzogen, 
eine  Theorie  der  Erziehung  für  seine  Zeit.  Trotz  unbestreitbarer  Ge- 
nialität mufste  dieselbe  ihre  Schwächen  haben«.  Der  Darstellung  der 
Pädagogik  folgt  eine  eingehende  und  objektive  Kritik.  »Rousseau  ist 
durchaus  nicht  überall  originell.  Er  hat  die  Grundsätze  seiner  Vorgän- 
ger, namentlich  Rabelais',  Montaignes  und  Lockes  genau  studiert  und 
zum  Teil  adoptiert;  namentlich  von  Locke  hat  er  vieles  entlehnt«.  Trotz- 
dem kann  aber  die  Originalität  seines  Denkens  nicht  bestritten  werden. 

In  dem  Abschnitte  über  den  »Philanthropinismus«  (S.  233  —  260) 
wird  zunächst  Einsprache  gegen  die  Meinung  erhoben,  wonach  derselbe 
blofs  ein  Ableger  der  Rousseauschen  Meinungen  gewesen.  In  manchen 
wichtigen  Punkten,  in  der  Überschätzung  der  modernen  Kultur  und  in 
ihrem  Optimismus,  stehen  die  Philanthropen  sogar  im  Gegensatze  zu 
Rousseau.  Basedow  und  seine  Gesinnungsgenossen  Campe,  Salzmann, 
Bahrdt  und  Trapp  finden  sodann  eine  ausführliche  Darstellung.  Bezüg- 
lich der  ganzen  Richtung  urteilt  Schiller:  »Es  ist  heute  leicht,  eine 
Reihe  von  Fehlern  und  Übertreibungen  in  der  philanthropischen  Bewegung 
zu  entdecken;  trotzdem  bleibt  ihr  Verdienst  bestehen.  Die  wichtige 
Frage  der  Emanzipation  der  Schule  von  der  Kirche,  von  einzelnen  schon 
lange  gedacht,  wurde  jetzt  in  die  Geister  geworfen  und  konnte  nicht 
mehr  verschwinden«.  »Erst  jetzt  wurde  die  Pädagogik  eine  Wissenschaft, 
und  die  Bemühungen  der  Philanthropinisten  um  die  Lehrerbildung  wer- 
den unvergessen  bleiben«. 

Die  Gedanken  der  pädagogischen  Aufklärung  drangen  unter  Frie- 


54  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

drich  d.  Gr.  in  das  staatliche  Schulwesen  ein.  Sein  Minister  von  Zed- 
litz,  ein  sehr  mafsvoUer  Mann,  stand  doch  entschieden  ,zu  der  neuen 
Richtung,  Selbst  die  katholischen  Teile  Deutschlands,  Österreich  und 
Bayern  nicht  ausgenommen,  konnten  sich  dem  Zuge  der  Zeit  nicht  ver- 
schliefsen. 

Wenn  die  klassischen  Sprachen  nicht  ganz  aus  der  Schule  ver- 
drcängt  wurden,  so  hat  das  Verdienst  davon  der  »neue  Humanismus«, 
dessen  Wiege  in  Göttiugen  gestanden  hat.  Zugleich  half  der  Aufschwung 
der  deutschen  Poesie  mit.  Klopstock  hatte  sich  schon  einen  »Lehrling 
der  Griechen«  genannt.  Winckelmann,  Lessing,  Herder,  Goethe,  Schiller 
und  Wilhelm  von  Humboldt  sahen  das  Bildungsideal  in  der  Vermählung 
des  griechischen  und  deutschen  Geistes.  Joh.  Math.  Gesner,  Christian 
Gottlob  Heyne,  Joh.  Aug.  Ernesti  behaupten  als  Vorläufer  des  herauf- 
dämmernden Neuhumanismus  eine  bedeutsame  Stellung  bei  der  Einrich- 
tung und  Gestaltung  des  höheren  Schulwesens  nach  den  die  Zeit  beherr- 
schenden Ideen.  Die  neuhumanistische  Richtung  gelangte  zum  vollstän- 
digen Sieg  durch  ihre  glänzenden  Vertreter  um  die  Wende  des  18.  Jahr- 
hunderts. Ihr  einflufsreichster  Vorläufer  ist  Fr.  Aug.  Wolf,  der  sein 
Ziel,  der  Altertumswissenschaft  eine  selbständige  und  geachtete  Stellung 
zu  verschaffen,  erreichte.  In  eingehender  Darstellung  sind  seine  Ver- 
dienste um  Erziehung  und  Schule  gewürdigt  (S.  288  -299). 

In  unverkennbarer  Anlehnung  an  Paulsen  und  mit  Benutzung 
hauptsächlich  von  Wiese  werden  sodann  die  neuhumanistischen  Gymna- 
sien und  ihre  Weiterentwickelung  geschildert.  Seit  1874  haben  die  Reife- 
zeugnisse  aller  deutschen  Gymnasien  gegenseitige  Anerkennung  erlangt. 

Der  §  29  behandelt  das  Realschulwesen.  Der  Verfasser  verspricht 
den  Realanstalten  mit  siebenjährigem  Kurs  eine  grofse  Zukunft,  wenn 
man  sich  entschliefsen  könnte,  ihnen  die  Einjährigenberechtigung  bei  der 
Pflege  einer  modernen  fremden  Sprache  zu  geben.  »Der  energische 
Betrieb  einer  fremden  Sprache  wird  allgemein  bessere  und  intensivere 
geistige  Schulung  und  sicherere  Kenntnisse  ermöglichen,  als  der  not- 
wendigerweise stümperhafte  Betrieb  zweier«. 

Der  letzte  Abschnitt  »Die  pädagogische  Theorie«  beschäftigt  sich 
mit  Pestalozzi  und  Herbart.  Von  besonderem  Interesse  ist  das,  was 
über  den  letzteren  gesagt  wird.  Das  Gesamturteil  lautet:  »Im  allgemei- 
nen ist  auch  bei  der  gerechten  Beurteilung  Herbarts  festzuhalten,  dafs 
er  viele  wichtige  und  brauchbare  Anregungen  und  Förderungen  der  Er- 
ziehungsfragen gegeben,  aber  damit  doch  noch  lange  nicht  einen  Abschlufs 
derselben  herbeigeführt  hat.  Man  wird  mehr  von  dem  ihm  wirklich  ori- 
ginellen Systeme  verwerfen  als  beibehalten  müssen,  wenn  nicht  Stagna- 
tion, d.  h.  Tod  des  wissenschaftlichen  Lebens  auf  dem  Erziehungsgebiete 
eintreten  soll.« 

Ein  Register,  das  nicht  allzu  ausführlich  ist,  schliefst  das  Lehrbuch 
ab,  das  sich  jetzt  schon  in  Studentenkreisen  eingebürgert  hat. 


H.  Schiller,   Geschichte  der  Pädagogik.  55 

Da  der  Verfasser  ausdrücklich  auf  dem  Titelblatt  seine  Schrift  als 
ein  Handbuch  für  Studierende  und  junge  Lehrer  bezeichnet,  so  ist  da- 
mit der  richtige  Standpunkt  für  die  Beurteilung  gegeben.  Der  Wert 
des  Werkes  besteht  nämlich  nicht  in  neuen  Ergebnissen  über  den 
behandelten  Stoff  oder  in  der  Aufstellung  neuer  Gesichtspunkte.  Das 
erwartet  kein  Verständiger  von  einem  für  die  Hand  der  Studenten  be- 
stimmten Lehrbuche. 

Dafür  hat  aber  dieser  Leitfaden  eine  Anzahl  entschiedener  Vor- 
züge. Zunächst  ist  der  Verfasser  ein  tüchtiger  Kenner  des  von  ihm  be- 
handelten Stoffes.  Er  hat  aus  den  sehr  zahlreichen  monographischen 
Arbeiten  die  besten  und  wichtigsten  gelesen  und  ihren  Inhalt,  kritisch 
gesichtet,  seinem  Buche  einverleibt.  Es  ist  das  bei  dem  grofsen  Umfang 
des  Gebietes  keine  kleine  Leistung. 

Zu  tüchtiger  Sachkenntnis  gesellt  sich  das  Streben  nach  ruhiger 
Würdigung  und  objektiver  Beurteilung.  Obgleich  der  Verfasser  sein 
Urteil  nicht  zurückhält,  wird  niemand  durch  die  Lektüre  sich  verletzt 
fühlen.  Man  kann  das  bekanntlich  nicht  allen  Darstellungen  der  Ge- 
schichte der  Pädagogik  nachrühmen.  Bei  Schiller  hat  man  den  Eindruck, 
dafs  ein  besonnener  Gelehrter  in  leidenschaftloser  Weise  Vorteile  und 
Nachteile  der  pädagogischen  Bestrebungen  und  Einrichtungen  abwägt, 
ohne  sich  einem  System  oder  einer  einzelnen  Persönlichkeit  gefangen  zu 
haben.  Überall  ist  das  Recht  der  eigenen  Meinung  gewahrt,  und  diese 
eigene  Meinung  wird  nirgends  zudringlich  vorgetragen. 

Auch  die  Anordnung  des  Stoffes  verdient  Beifall;  nur  wird  man 
vielleicht  Pestalozzi  im  letzten  Abschnitt  nicht  recht  am  Platze  finden, 
wie  er  ja  auch  aus  dem  zeitlichen  Zusammenhange  herausgeschoben  ist. 

Ein  besonderes  Lob  verdient  die  besonnene  Auswahl  des  Stoffes. 
Für  den  Zweck,  dem  das  Buch  dienen  will,  scheint  es  mir  die  richtige 
Mitte  zwischen  einem  Zuviel  und  einem  Zuwenig  zu  halten.  Ohne  ma- 
ger und  skelettartig  zu  sein,  gibt  es  doch  nur  das  Notwendige,  um  die 
Einzelerscheinung  und  doch  auch  wieder  den  Fortschritt  zu  begreifen. 

Möge  es  gestattet  sein ,  hier  noch  einige  Einzelheiten  richtig  zu 
stellen : 

Wenn  auf  S.  74  behauptet  ist,  der  Humanismus  erst  habe  Vergil 
in  die  Schule  eingeführt,  so  ist  das  nicht  richtig.  Vergil  dürfte  den 
gröfsten  Teil  des  Mittelalters  Schulschriftsteller  gewesen  sein,  wie  man 
aus  der  umfangreichen  Benutzung  desselben  durch  verschiedene  mittel- 
alterliche Historiker  ersieht. 

Wenn  S.  77  gesagt  wird,  dafs  auch  bei  Rudolf  Agricola  das  Va- 
gantentum  im  Blute  gelegen  habe,  so  scheint  mir  gerade  bei  diesem 
Manne  der  Vorwurf  nicht  gerecht  zu  sein.  Er  trifft  zu  bei  Männern 
wie  Luder,  Karoch,  Hermann  van  dem  Busche,  auch  Celtis,  aber  Agri- 
cola ist  nicht  viel  umhergezogen,  wie  er  überhaupt  eine  höchst  achtungs- 
werte Persönlichkeit  repräsentiert.    Ich  verweise  dafür  auf  die  gerechte 


56  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

und  verständnisvolle  Würdigung  des  Mannes  durch  Fr.  von  Bezold 
(R.  A. ,  ein  deutscher  Vertreter  der  italienischen  Renaissance.  Mün- 
chen 1884). 

Die  Angabe  auf  S.  81,  dafs  Desiderius  Erasmus  im  Jahre  1476 
geboren  sei,  mufs  ein  Druckfehler  sein.  Meines  Wissens  kann  man  bei 
dem  Geburtsjahr  des  berühmten  Humanisten  blofs  zwischen  1467  oder 
1469  schwanken. 

Wenn  auf  S.  82  von  Erasmus  gesagt  ist,  dafs  er  ein  unstätes  Ge- 
lehrtenleben in  Frankreich,  England,  Italien  und  Holland  geführt  habe, 
so  ist  letzteres  raifsverständlich  und  würde  besser  durch  die  Niederlande 
ersetzt.     Sodann  aber  mufs  auch  noch  Deutschland  hinzugefügt  werden. 

Das  Urteil  über  den  Vocabularius  latinus,  Breviloquus  dictus  des  Jo- 
hannes Reuchlin  auf  S.  86,  wonach  es  das  erste  gute  lateinische  Wörterbuch 
gewesen,  ist  viel  zu  günstig.  Solche,  welche  den  Breviloquus  mit  seinen 
Vorgängern  verglichen  haben,  sehen  in  ihm  geradezu  einen  Rückschritt. 
Vgl.  auch  Ludwig  Geigers  Urteil  in  seiner  Monographie  des  Reuchlin. 

Wenn  auf  S.  87  zu  lesen  ist,  dafs  Dringenberg  zwischen  1450  und 
1490  Rektor  der  Schule  zu  Schlettstadt  war,  so  ist  dagegen  zu  bemer- 
ken, dafs  Knod  mit  überzeugenden  Gründen  dargelegt  hat,  dafs  der  Ge- 
nannte die  Schule  von  1441  bis  1477  geleitet  hat. 

Die  Angabe  auf  S.  89,  wonach  es  nach  dem  Rückgang  der  Hoch- 
schulen in  der  Mitte  der  zwanziger  Jahre  des  16.  Jahrhunderts  bis  in 
die  40  er  Jahre  nicht  erheblich  besser  geworden  sei,  trifft  jedenfalls  bei 
Wittenberg  nicht  zu,  wo  die  Reform  des  Studienkurses  schon  in  die 
erste  Hälfte  der  30  er  Jahre  fällt.  Wie  erfolgreich  diese  Reform,  beweist 
ein  Blick  auf  die  grofse  Frequenz  in  den  30  er  Jahren  des  16.  Jahrhun- 
derts. Vgl.  Paulsen  Gesch.  d.  gelehrten  Unterrichts  S.  789  und  790. 
Ebenso  ist  die  dort  gemachte  Angabe,  dafs  Freiburg  viel  besser  daran 
war  als  die  anderen  Universitäten,  nicht  haltbar.  Das  Citat  aus  Paul- 
sen ist  deshalb  nicht  beweiskräftig,  weil  dessen  Angabe  den  Bericht  bei 
Schreiber  (Gesch.  d.  Universität  Freiburg  H  104)  nicht  genau  wiedergibt. 
Die  Immatrikulationen  zu  Freiburg  sind  auch  in  den  dreifsiger  Jahren 
trotz  des  streng  katholischen  Geistes  der  Hochschule  immer  noch  raäfsige 
zu  nennen. 

Gänzlich  schief  ist  die  Behauptung  S.  89,  dafs  Karlstadt  und  nicht 
Melanchthon  im  ersten  Jahrzehnt  der  Reformation  das  entscheidende 
Wort  gesprochen  habe.  Karlstadts  Bedeutung  ist  seit  1517  nie  so  grofs 
gewesen,  dafs  bei  ihm  die  letzte  Entscheidung  gelegen  hätte.  Die  Episode 
der  Schwarmgeister  ist  zu  rasch  vorbeigegangen,  und  seit  1525  vollends 
hat  er  an  der  Hochschule  Wittenberg  nichts  mehr  zu  sagen. 

Die  Einführung  der  Deklamationen  in  Wittenberg  (S.  91)  fällt  nicht 
erst  1525,  sondern  schon  1523.  Ich  verweise  dafür  auf  Krafft  Briefe 
und  Dokumente  etc.  S.  9. 

Über  die  Schriftsteller,  welche  nach  Melanchthons  Meinung  (S.  92) 


0.  Faulde,  Stellung  Miltons.  57 

obligatorisch  sein  sollten,  verweise  ich  auf  meine  ausführliche  Darstellung 
in  Band  VII  der  Monumenta  Germaniae  paedagogica,  wonach  sich  auch 
noch  eine  oder  die  andere  Behauptung  S.  92  ff.  ändern  oder  einschrän- 
ken dürfte. 

Ein  störender  Druckfehler  ist  S.  66  Cursen  für  Bursen. 

Die  Litteraturangaben  sollen  keineswegs  erschöpfend  sein.  Aber 
manchmal  vermifst  man  doch  ungern  ein  oder  das  andere  Buch.  Bei 
Wimpfeling  (und  auch  anderen  Humanisten)  sollte  jedenfalls  das  gedie- 
gene Werk  von  Ch.  Schmidt  (Histoire  litteraire  de  l'Alsace.  Paris  1879) 
nicht  fehlen,  welches  die  älteren  Arbeiten  über  Wimpfeling  und  seinen 
Kreis  in  sehr  zahlreichen  Punkten  berichtigt. 

Stellung  und  Bedeutung  Miltons  in  der  Geschichte  der  Pädago- 
gik, von  dem  wissenschaftlichen  Hilfslehrer  Dr.  Oswald  Faulde. 
Beilage  zum  Programm  des  Realprogymnasiums  zu  Ratibor  von  Ostern 
1886  bis  dahin  1887.     Ratibor  1887.     4°  (Progr.  Nr.  213). 

In  einer  Nachschrift  teilt  der  Verfasser  mit,  dafs  ihm  die  Arbeit 
von  Dr.  Hans  von  Dadelsen  »Milton  als  Pädagog«  (Gebweiler  1885)  erst 
bekannt  wurde,  als  er  seine  eigene  schon  in  Druck  gegeben  hatte.  Beide 
Arbeiten  sind  also  vollständig  unabhängig  von  einander,  und  Faulde 
meint,  die  beiden  Abhandlungen  dürften  sich  gegenseitig  ergänzen. 

Unter  den  benutzten  Quellen,  die  sonst  alle  gedruckt  sind,  wird 
auch  ein  bei  Dilthey  nachgeschriebenes  Kollegienheft  aus  dem  Breslauer 
Wintersemester  1877/78  genannt. 

Während  in  den  Darstellungen  der  Geschichte  der  Pädagogik  John 
Lockes  Bedeutung  stets  allseitig  hervorgehoben  ist,  wird  Miltons  in  der 
Regel  kaum  gedacht.  Er  wurde  mit  vorurteilsvoller  Abneigung  behan- 
delt, weil  die  auf  die  puritanische  Aera  folgende  Reaktion  ihn  vergessen 
machen  wollte.  Doch  sind  neuerdings  eine  Anzahl  wichtiger  Publika- 
tionen über  den  Dichter  und  Publizisten  erschienen,  die  S.  3  und  4  ver- 
zeichnet werden. 

Von  Milton  erschien  1664  ein  kleiner  Traktat  über  Erziehung  (On 
education),  seinem  Freunde  Samuel  Hartlib  gewidmet,  der  vielleicht  aus 
Preufsen  nach  England  gekommen  war  und  sich  für  Reform  des  Unter- 
richtswesens lebhaft  interessierte.  Milton  hatte  eine  tiefe  Abneigung 
gegen  die  Methode  des  damaligen  gelehrten  Unterrichts  in  England. 
Ohnedem  herrschte  in  diesem  Lande  eine  grofse  Unzufriedenheit  wegen 
der  damals  an  den  Universitäten  und  höheren  Schulen  üblichen  Lehr- 
methode. Der  kurze  Traktat,  zum  Teil  skizzenhaft  abgefafst,  gibt  nur 
einen  in  grofsen  Zügen  entworfenen  Plan,  der  mit  Unrecht  als  eine  in 
der  Luft  hängende  Idee  bezeichnet  worden  ist.  Milton  hatte  selbst  als 
Erzieher  Erfahrungen  gesammelt. 

Die  Vorschriften  des  Traktats  beschränken  sich  auf  die  geistige 
und  physische  Ausbildung  der  vornehmen  englischen  Jugend  (noble  and 


58  Geschichte  der  Ältertumswiss^schaft. 

gentle  youth)  im  Alter  von  12 — 21  Jahren;  dabei  kommen  aber  metho- 
dische Fragen  der  Pädagogik  in  betracht,  die  zum  teil  heute  noch  nicht 
gelöst  sind. 

Vorangestellt  ist  eine  Definition  des  Lernzweckes:  »Der  Zweck 
alles  Lernens  ist,  die  Schuld  unserer  Stammeltern  wieder  gut  zu  machen, 
dadurch,  dafs  wir  Gott  recht  erkennen,  ihn  lieben,  ihm  ähnlich  zu  wer- 
den suchen«.  Damit  ist  sofort  sein  puritanischer  Standpunkt  ausge- 
sprochen. Innerlich  und  äufserlich  mufs  die  Jugend  zur  Religion  ge- 
bildet werden. 

Als  Mittel  zum  Zweck  dient  die  Erlernung  verschiedener  Sprachen. 
Aber  Sach-  und  Sprachkenntnis  müssen  gleichen  Schritt  miteinander 
halten.  Aus  dem  bisherigen  Formalismus  leitet  Milton  alle  Irrtümer  ab, 
welche  das  Studium  unangenehm  und  erfolglos  machen:  »Er  wendet 
sich  hierbei  gegen  die  herrschende  Lehrmethode  auf  Schulen  und  Uni- 
versitäten. Man  bringe  sieben  oder  acht  Jahre  ausschliefslich  damit  zu, 
soviel  elendes  (miserable)  Latein  und  Griechisch  zusammenzukratzen 
(scrape),  als  man  bei  besserer  Methode  und  Zeitbenutzung  in  einem  ein- 
zigen Jahre  lernen  könne«.  Diese  Gedanken  kehren  in  ähnlicher  Form 
bei  Montaigne,  Locke  und  Comenius  wieder. 

Die  Miltonsche  Definition  von  Erziehung  lautet:  »Eine  vollstän- 
dige und  edle  Erziehung  nenne  ich  diejenige,  welche  den  Menschen  be- 
fähigt, in  gerechter,  geschickter  ,und  hochherziger  Weise  alle  Pflichten, 
öffentliche  und  private,  die  ihm  sein  Amt  in  Friedens-  oder  Kriegszeit 
auferlegt,  zu  erfüllen«. 

Um  das  zu  erreichen,  werden  sodann  die  Mittel  angegeben:  es 
sollen  an  geeigneten  Orten  im  Lande  grofse  Schulanstalten  errichtet  wer- 
den, von  denen  jede  ungefähr  130  Schüler  fafst.  Ihre  Zeit  soll  zwischen 
Studium,  körperlichen  Übungen,  Mahlzeiten  nebst  Erholung  geteilt  wer- 
den. Die  von  Milton  vorgeschlagene  Vereinigung  von  Universitäten  und 
Gymnasien  (Colleges)  ist  nicht  eingetroffen;  wohl  aber  sind  andere  sei- 
ner Vorschläge  durchgegangen. 

Von  der  in  Frankreich  herrschenden  Hofmeistererziehung  will  er 
nichts  wissen.  Die  Vorteile  gemeinsamer  Erziehung  erscheinen  ihm  sehr 
grofs.  Aber  nur  durch  Männer  in  des  Wortes  eigentlicher  Bedeutung 
kann  die  Jugend  erzogen  werden,  solche  müssen  an  die  Spitze  der  Er- 
ziehungsanstalten gestellt  werden. 

Obgleich  Milton  die  Mängel  der  herrschenden  Lehrmethode  scharf 
tadelt,  bleibt  er  doch  ein  Vertreter  des  Humanismus.  Die  unberechtig- 
ten Neuerungen  damaliger  Zeit,  die  ja  auch  in  Deutschland  auftraten, 
werden  von  ihm  nicht  gebilligt.  Er  will  eine  wahrhaft  humane  Bildung, 
aber  das  hauptsächlichste  Bildungsmittel  sind  und  bleiben  ihm  die 
klassischen  Sprachen.  Der  Muttersprache  geschieht  in  seinem  Traktate 
nicht  einmal  Erwähnung.  Trotzdem  leuchtet  aus  seiner  Anordnung  des 
Studienganges  ein  »echt  englischer  Utilitarismus«   entgegen.     »Das  non 


K.  Kehrbach,   Monum.  Germ.  Paedag.  ^^ 

scholae  sed  vitae  versteht  man  auch  jetzt  in  England  besser  zu  würdi- 
gen als  bei  uns«,  meint  der  Verfasser,  eine  Bemerkung,  die  zum  minde- 
stens sehr  anfechtbar  ist. 

Ein  wichtiger  Unterrichtsgegenstand  bleibt  ihm  die  Religion,  die 
ihm  zugleich  auch  Erziehungsmittel  ist.  Er  verlangt  tägliche  Morgen- 
und  Abendandacht,  verbunden  mit  Bibellesung,  am  Sonntag  religiöse  Dis- 
putation. Selbst  Hebräisch  und  Chaldäisch,  auch  Syrisch,  soll  gelernt 
werden,  um  in  den  oberen  Klassen  die  Bibel  in  der  Ursprache  lesen 
zu  können. 

Der  Verfasser  schliefst  seine  Darstellung:  »Fragen  wir  nun,  ob 
dieses,  abgesehen  von  Einzelheiten,  an  sich  so  treffliche  Erziehungs- 
system schon  in  jener  Periode  in  die  Praxis  umgesetzt  worden  sei,  so 
müssen  wir  leider  gestehen,  dafs  die  politischen  Wirren,  welche  England 
während  der  Republik  und  auch  in  der  Folgezeit  erfüllten,  es  nicht  zu 
der  von  allen  einsichtsvollen  Männern  so  sehr  erwünschten  Schulreform 
kommen  liefsen.  Die  Grundfehler  der  englischen  Universitäts-  und  Gym- 
nasialbildung, die  Milton  aus  eigener  Erfahrung  kannte,  blieben  bestehen, 
die  Reformen  aber,  welche  allmählich  sich  geltend  machten,  weisen  öfters 
auf  Miltonsche  Ideen  und  Vorschläge  hin«. 

Bezüglich  der  Form  der  Abhandlung  sei  bemerkt,  dafs  der  Ver- 
fasser vielleicht  besser  gethan  haben  würde,  wenn  er  zuerst  die  Milton- 
schen  Gedanken  im  Zusammenhang  gegeben  und  dann  erst  seine  Kritik 
und  Reflexionen  angeknüpft  hätte.  Die  beständige  Unterbrechung  der 
Darstellung  durch  an  sich  ganz  schätzenswerte  Betrachtungen  stören 
den  Genufs  wie  den  Ernst  der  Lektüre. 

Karl  Kehrbach,  Bericht  über  den  Stand  der  Editionsarbeiten 
der  Monumenta  Germaniae  Paedagogica  (Verhandlungen  der  39.  Ver- 
sammlung deutscher  Philologen  und  Schulmänner  in  Zürich  (Leipzig 
1888)  S.  361—364). 

In  Giefsen  (1885)  war  beschlossen  worden,  in  den  Bericht  jeder 
Versammlung  deutscher  Philologen  ein  Referat  über  den  Stand  der  Edi- 
tionsarbeiten der  Monumenta  Germaniae  Paedagogica  aufzunehmen. 

Der  Herausgeber  Karl  Kehrbach  teilt  mit,  dafs  folgende  Bände 
bereits  erschienen  sind: 

1.  F.  Koldewey,  Die  Braunschweigischen  Schulordnungen.    Bd.  I. 

2.  P.  Pachtler,  Ratio  studiorum  et  institutiones  scholasticae 
Societatis  Jesu.     Bd.  I. 

3.  S.  Günther,  Geschichte  des  mathematischen  Unterrichts  im 
deutschen  Mittelalter  bis  1525. 

Im  Druck  ziemlich  vollendet  sind: 

4.  J.  Müller,  Die  deutschen  Katechismen  der  böhmischen  Brüder, 
mit  dogmengeschichtlichen  Erläuterungen,  einer  Abhandlung  über  das 
Schulwesen  der  böhmischen  Brüder  und  fünf  Beilagen. 


60  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

5.  P.  Pachtler,  ein  zweiter  Band  Jesuitica,  welcher  die  erste  Ge- 
setzesvorlage des  Generals  Aquaviva  für  eine  Ratio  stud.  vom  Jahre 
1586,  ferner  die  endgiltige  Ratio  stud.  von  1599  und  die  neue  Redaktion 
derselben  von  1832  bringt. 

6.  Teutsch,  Die  siebenbürgisch-sächsischen  Schuldordnungen  von 
1543—1778.     Bd.  I. 

Im  Manuskripte  liegen  fertig  vor  die  Fortsetzungen  Koldeweys 
und  Pachtlers  und  von  K.  Hartfelder,  Melanchthon  als  Paeceptor 
Germaniae.^) 

Von  Schulordnungen  sind  jetzt  in  Angriff  genommen  die  von 

Anhalt,  Baden,  Bayern,  Hansastädte,  Nieder-Österreich,  Oldenburg, 
russische  Ostseeprovinzen,  Preufsen  (Brandenburg,  Hessen- Nassau,  Schles- 
wig-Holstein), Sachsen,  Schweiz. 

Trotz  der  oft  sehr  schwierigen  Sammlung  des  Materials,  das  häufig 
in  vielen  Archiven  zerstreut  ist,  kann  jetzt  schon  festgestellt  werden,  dafs 
für  diese  Publikationen  sich  viele  Inedita  ergeben. 

Für  die  Abteilung  Schulbücher  ist  Dr.  Reichling  seit  drei  Jah- 
ren beschäftigt,  das  Material  für  das  Doktrinale  des  Alexander  de  Villa- 
dei  zusammenzubringen.  Der  Abschlufs  der  Arbeit  ist  erst  dann  mög- 
lich, wenn  es  gelingt,  noch  die  Bibliotheken  Frankreichs,  Italiens  und 
Englands  für  diesen  Zweck  zu  durchforschen. 

Die  Vorarbeiten  zur  Edition  des  Fundamentum  scholarium  des 
Remigius  von  Auxerre,  der  Vokabularien  des  Mittelalters,  der  Artes  dic- 
taminis,  der  griechischen  Grammatiker,  wie  Gaza,  Chrysoloras  und  Las- 
karis,  der  deutschen  Grammatiker  des  16.  und  17.  Jahrhunderts  sind  im 
Fortschreiten.  Doch  ist  ohne  Studienreisen  in  Deutschland  und  ins 
Ausland  eine  gründliche  Ausführung  des  Werkes  nicht  möglich. 

Für  die  dritte  Abteilung  (Miscellaneen)  sind  in  Aussicht  ge- 
nommen die  Veröffentlichungen  von  Akten  über  Prinzen-  und  Prinzessin- 
nenerziehung bei  den  Habsburgern,  Hohenzollern,  Sachsen -Ernestinern 
und  Witteisbachern.  Doch  ist  es  bis  jetzt  nicht  gelungen,  einen  Bear- 
beiter für  die  entsprechende  Publikation  über  das  sächsisch-albertinische 
Haus  zu  finden. 

Die  Bearbeitungen  der  jesuitischen  Schulkomödien  sind  schon  weit 
vorgeschritten. 

Von  zusammenfassenden  Darstellungen  sind  in  Vorberei- 
tung, zum  Teil  schon  recht  gefördert: 

1.  Poten,  Geschichte  des  militärischen  Erziehungs-  und  Unter- 
richtswesens in  den  Ländern  deutscher  Zunge. 

2.  Güdemann,  Geschichte  des  Unterrichts-  und  Erziehungswesens 
bei  den  deutschen  Juden. 

3.  Votsch,  Geschichte  des  geographischen  Unterrichts. 


1)  Letzteres  Werk,  wie  auch  Nr.  4 — 6,  sind  seitdem  (1889)  im  Druck 
erschienen. 


J.  Neuwirth,  Verdeutschung  des  Cato.  61' 

Die  Redaktion  war  bemüht,  das  Interesse  für  das  grofse  Unter- 
nehmen in  die  weitesten  Kreise  zu  tragen.  Zahlreiche  Mitteilungen  an 
die  Mitarbeiter  wie  an  die  Leitung  der  Monumenta  zeigen,  dafs  diese 
Bemühungen  von  Erfolg  gekrönt  waren. 

Weitere  Aufgaben,  welche  dem  Unternehmen  nützlich  sein  könnten, 
wie  die  Anfertigung  eines  Verzeichnisses  sämtlicher  auf  Pädagogik  be- 
züglichen Schriften,  Durchforschung  der  verschiedensten  Zeitschriften 
nach  Aufsätzen  mit  pädagogischem  Inhalt  und  anderes  konnte  von  der 
Redaktion  aus  Mangel  an  Mitteln  nicht  geleistet  werden. 

Zu  den  am  meisten  gebrauchten  Schulbüchern  am  Ende  des  Mittel- 
alters gehören  die  bekannten  Disticha  Catonis ,  über  die  Zarncke  eine 
Monographie  veröffentlicht  hat.  Demselben  Thema  gilt  auch  folgende 
Arbeit: 

J.  Neuwirth,  Die  Z wettler  Verdeutschung  des  Cato  (Germania. 
Vierteljahrsschrift  für  deutsche  Alterturaskunde.  Jhrg.  32  [N.  R.  Bd.  20], 
1887,  S.  78—97). 

Unter  den  deutschen  Übersetzungen  der  Disticha  Catonis  scheint 
bis  jetzt  diejenige  unbekannt  geblieben  zu  sein,  welche  sich  in  einer 
Handschrift  der  Bibliothek  des  Cisterzienserstiftes  Zwettl  in  Niederöster- 
reich findet.  Die  aus  zehn  Pergamentblättern  bestehende  Handschrift, 
von  der  eine  Beschreibung  gegeben  wird,  dürfte  dem  14,  Jahrhundert 
angehören  und  enthält  den  lateinischen  und  deutschen  Text  nebenein- 
ander. 

Der  letztere  lehnt  sich  zumeist  an  den  der  älteren  deutschen  Hand- 
schriftenfamilie an  und  entbehrt  der  Kriterien  der  gesamten  jüngeren 
Familie.  Die  Zwettler  Übersetzung  »rückt  in  die  ältesten,  bisher  als 
vollständig  geltenden  Verdeutschungen  der  Distichen  Catos  ein,  deren 
für  die  Textrezension  wichtigste  A,  in  Melk  befindlich,  mit  vorstehendem 
Sprachdenkmale  vielleicht  in  gleichem  Lande  entstanden  ist«. 

Ein  vollständiger  Textabdruck  beschliefst  die  Arbeit. 

Oberlehrer  Dr.  C.  Fietz,  Prinzenunterricht  im  16.  und  17.  Jahr- 
hundert. Beilage  zum  Jahresbericht  des  Neustädter  Realgymnasiums 
zu  Dresden.    Dresden  1887  (Progr.  Nr.  516). 

Die  Gründung  der  sächsischen  Fürstenschulen  geht  auf  Kurfürst 
Moritz  von  Sachsen  zurück,  von  dem  L.  v.  Ranke  sagt:  »Er  gründete 
das  System  der  Schulen,  dafs  diesem  Lande  eine  so  eigentümliche,  alle 
Klassen  durchdringende  Kultur  verschafft  hat«.  Als  erster  Erzieher  von 
Moritz  wird  Balthasar  Rysche  genannt.  Aufser  Kost  und  Hofkleidung 
erhielt  der  »Zuchtmeister«  50  fl.  Ehrensold.  Moritzens  fünf  Jahre  jün- 
gerer Bruder  August  wurde  dem  Freiberger  Rektor  Rivius  zur  Ausbil- 
dung übergeben,  mit  dem  er  sodann  den  Hof  Ferdinands  I.  und  die 
Universität  besuchte.     Gelegentlich  soll  der  fürstliche  Zögling  geäufsert 


g2  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

haben,  er  würde  eine  Tonne  Goldes  darum  geben,  wenn  alle  lateinischen 
Wörter  auf  a  nach  der  ersten  Deklination  gingen.  Sein  Nachfolger  Chri- 
stian wurde  durch  Dr.  Paul  Vogler  erzogen.  Für  seine  gute  Bildung 
spricht  seine  Fürsorge  für  das  Schulwesen,  die  er  unter  anderem  auch 
durch  die  Schulordnung  vom  1.  Januar  1580  bewährt  hat. 

Über  die  Erziehung  von  Johann  Georg  III.  (geb.  1647,  f  1691) 
gibt  die  Handschrift  J.  447m  zu  Dresden  Aufschlufs.  Auf  Vorschlag 
der  beiden  Universitäten  Leipzig  und  Wittenberg  wurde  Dr.  Paul  Hoff- 
mann als  Erzieher  berufen,  der  zelin  Jahre  in  dieser  Stellung  verblieb. 
Die  Instruktion,  nach  der  er  verfahren  niufste,  hat  sich  leider  nicht  er- 
halten. Hofprediger  Jakob  Weller  war  Oberinspektor  der  Erziehung,  und 
nach  dessen  Tode  trat  Oberhofprediger  Martin  Geyer  in  diese  Stellung. 

Über  den  Unterricht  geben  eine  gröfsere  Anzahl  Arbeitsbücher 
und  das  »Vor  Zeichuus  der  Bücher,  welche  in  der  jungen  Herrschaft 
Studier  Stublein  in  drey  Tabulet  sein  gesetzet  worden«  ,  die  sich  eben- 
falls in  der  Dresdener  Handschriftensammlung  befinden ,  Aufschlufs.  In 
den  Arbeitsbüchern  merkt  man  den  Einflufs  Melanchthons,  der  dem  evan- 
gelischen Schulwesen  des  Reformationsjahrhunderts  seine  feste  Gestalt 
gegeben  hatte.  Für  das  17.  Jahrhunderts  ist  ein  aus  dem  Ende  desselben 
stammender  Entwurf  von  J.  F.  Reinhard  wertvoll,  der  den  Einflufs  einer 
neuen  Zeit  merken  läfst. 

Um  1600  waren  die  Lehrfächer:  Schreiben,  Rechnen,  Religion, 
Musik,  Dialektik,  Latein  und  etwas  Geographie  und  Geschichte. 

Als  Lehrbücher  gebrauchte  Christian  nach  dem  »Verzeichnufs  der 
Bücher,  welche  die  junge  Herrschaft  zum  Studieren  gebraucht« :  Bibel, 
Gesangbuch,  vier  Büchlein  von  Fragestücken  des  Katechismus,  Betbüch- 
lein des  Kurfürsten  Augusti,  Sonntagsevangelien,  Deutsch  Katechismus 
Dr.  Lutheri,  Taufpredigt  Dr.  Miri,  Klein  Spruchbüchlein,  Latein.  Catech. 
Lutheri,  Embleraata  Alciati,  Ofticia  Ciceronis  lateinisch  und  deutsch,  Fa- 
bulae  Aesopi  deutsch  mit  Figuren,  Fabulae  Aesopi  versibus  explicatae, 
Libellus  versificatorius,  elegantiarum  e  Plauto  et  Ter.  libri  G.  Fabricii, 
grammat.  Philipp! ,  Rechenbuch  Adam  Rieses,  Tabulaturbuch ,  Synopsis 
Geographica  deutsch  von  M.  Frenzel. 

Noch  charakteristischer  sind  die  Bücher,  welche  in  der  Bibliothek 
der  Hofmeister  standen:  Die  Chiliades  adagiorum  des  Erasmus  von 
Rotterdam,  Apparatus  verbb.  lg.  lat  Ciceronianus,  von  Rudolf  Agricola 
die  drei  Bücher  de  inventione  dialectica  (sogar  in  zwei  Exemplaren),  die 
griechische  Grammatik  des  Theodorus  Gaza,  welche  bekanntlich  Erasmus 
ins  Lateinische  übersetzt  hatte,  die  Elegantien  des  Laurentius  Valla,  von 
Johannes  Sturm  De  amissa  dicendi  ratione  et  de  litterarum  ludis,  schol. 
Fabric.  puer.  libri  XI,  ein  Rechenbuch,  Libellus  de  synonymis  Terent- 
et  commut.  phrasium  per  Basilium  Fabrum,  Lexicon  graeco-latinum, 
Thesaurus  graecae  linguae  Heurici  Stephaui  cum  appendice  Camerarii 
comm.  utriusque  linguae,  Donatus  germ.   in  zwei  Exemplaren  etc.    Die 


C.  Fietz,   Prinzenunterricht.  68 

665  Bücher,  welche  das  Ganze  bildeten,  sind  die  Bibliothek  eines  huma- 
nistisch gebildeten  Pädagogen. 

In  der  Fortsetzung  (S.  8  ff.)  werden  sodann  die  Arbeitsbücher  nach 
den  einzelnen  Fächern  besprochen.  Aus  denselben  läfst  sich  ein  ziem- 
lich vollständiges  Bild  dessen  gewinnen,  was  ein  sächsischer  Prinz  des 
16.  und  17.  Jahrhunderts  zu  lernen  hatte. 

Als  Hauptfächer  des  Unterrichts  im  16.  Jahrhundert  erscheinen 
Latein  und  Dialektik.  »Beide  zusammen  befähigten  den  Gelehrten  jener 
Zeit  zum  Glanzpunkt  des  Wissens,  den  Disputationen,  dem  Fürsten 
sollten  sie  die  wünschenswerte  Beredsamkeit  geben  und  ihn  in  Stand 
setzen,  die  Staatsschriften  zu  verstehen«.  Ein  Beispiel  aus  dem  Jahre 
1596  zeigt,  wie  man  auch  schon  damals  den  Reim  angewandt  hat,  um 
das  Lernen  zu  erleichtern,  und  zwar  speziell  für  das  Erlernen  der  Vo- 
kabeln. Auch  Übersetzungen  aus  dem  Deutschen  ins  Lateinische,  ar- 
gumenta genannt,  finden  sich,  Nachahmungen  von  Cornel,  Curtius  und 
Cicero. 

Wesentliche  Änderungen  im  Prinzenunterricht  lassen  die  aus  dem 
18.  Jahrhundert  vorhandenen  Arbeitsbücher  erkennen.  An  die  Stelle  des 
zurücktretenden  Latein  rückt  Französisch  und  Briefstil.  »Denn  die  jetzt 
aufgekommene  Bildung  des  galant  homme  erforderte  aufser  neuern  Spra- 
chen besonders  Gewandtheit  im  schriftlichen  Ausdruck«.  (S.  16).  Auch 
die  mathematischen  und  historischen  Disziplinen  fanden  eifrige  Pflege. 
Überall  merkt  man  den  Einflufs  des  Zeitalters  von  Ludwig  XIV.  Die 
erste  Anwendung  der  neuen  Prinzipien  auf  den  Prinzenunterricht  hat 
wahrscheinlich  Leibniz  gemacht  in  seinem  Projet  de  l'^ducation  d'un 
prince  (1693).  Für  den  sächsischen  Hof  verfafste  Johann  Friedrich 
Reinhard  ein  ähnliches  Gutachten,  das  sich  handschriftlich  erhalten  hat. 

Derselbe  war  1648  in  Berlin  geboren,  studierte  in  Helmstädt  und 
Strafsburg,  machte  dann  Reisen,  trat  unter  dem  grofsen  Kurfürsten  in 
brandenburgische  Dienste,  die  er  1697  mit  einer  Stelle  im  sächsischen 
Steuer-  und  Bergwerkskollegium  vertauschte.  Später  ist  er  Archivbeam- 
ter und  gibt  das  theatrura  prud.  eleg.  heraus.  Die  Künste,  welche  ein 
Prinz  zu  erlernen  hat,  teilt  er  ein  in  solche,  quae  pertinent  1.  ad  splen- 
dorem,  2.  ad  prudentiam,  3.  ad  virtutem,  4.  ad  oblectamentum.  Zur 
ersten  Klasse  gehört  eloquentia  et  linguarum  scientia.  Ein  Fürst  mufs 
die  Sprache  seiner  Grenznachbarn  verstehen.  Französisch  insbesonders 
mufs  er  mündlich  und  schriftlich  handhaben  können. 

Bei  einer  Vergleichung  des  Reinhardtschen  Entwurfes  mit  dem 
Projet  von  Leibniz  kommt  der  Verfasser  zu  folgendem  Ergebnis :  »Weit 
gröfser  (als  die  Ähnlichkeiten)  sind  die  Unterschiede  der  beiden  Ent- 
würfe. Leibniz  schreibt  in  elegantem  Französisch,  Reinhard  in  dem 
schwerfälligen  Gelehrtendeutsch,  jener  entwirft  den  Plan,  ohne  ein  Buch 
zu  benutzen,  dieser  wendet  grofse  Belesenheit  an,  um  jede  Forderung 
zu  beweisen.    Leibniz  ist  ganz  selbständig,  Reinhard  ganz  abhängig  von 


64  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

seinen  Vorgängern,  der  Plan  des  ersteren  ist  genial,  aber  undurchführ- 
bar, der  des  letztern  nüchtern,  aber  ausführbaro.     (S.  25). 

Die  fleifsige  Schrift  ist  eine  dankenswerte  Bereicherung  unserer 
pädagogischen  Litteratur.  Die  Benutzung  handschriftlicher  Quellen  ver- 
leiht ihr  einen  besonderen  Wert,  indem  die  aus  den  Handschriften  ge- 
machten Mitteilungen  hier  zum  ersten  Mal  einem  weiteren  Leserkreis 
zugänglich  gemacht  werden. 

Oberlehrer  Dr.  phil.  Woldemar  Boehne,  Die  Erziehung  der  Kin- 
der Ernsts  des  Frommen  von  Gotha.  Chemnitz  1887.  4.  (Beilage 
zum  Jahresbericht  des  städtischen  Realgymnasiums  zu  Chemnitz  für 
Ostern  1887.     Progr.  Nr.  513). 

Der  Verfasser,  welcher  für  seine  Arbeit  die  Akten  der  herzogl. 
Geheimen  Haus-  und  Staatsarchive  zu  Koburg  und  Gotha  benutzte,  will 
in  seiner  Monographie  einen  Beitrag  liefern  zur  pädagogischen  Littera- 
tur, aus  der  man  ersehen  kann,  wie  wahrhaft  grofse  Männer  ihre  Kin- 
der erzogen  haben.  »Von  diesem  Standpunkte  schildern  die  vorliegen- 
den Zeilen  die  Erziehung  der  Kinder  Ernsts  des  Froramen,  jenes  edlen 
und  begabten  Fürsten,  der  mitten  in  den  Wirren  des  dreifsigj ährigen 
Krieges  und  trotz  des  allgemeinen  Verfalls  der  folgenden  Zeit  die  go- 
thaischen Lande  zu  einer  Blüte  erhob,  die  mit  berechtigtem  Staunen  er- 
füllen mufs«. 

Von  dem  Bewufstsein  der  Pflicht  der  Eltern  für  die  Kindererzie- 
hung durchdrungen,  hatte  er  eine  hohe  Vorstellung  von  dem  Werte  der 
Erziehung.  An  Gelegenheit  zur  Bethätigung  seiner  Ansichten  fehlte  es 
ihm  nicht,  da  ihm  von  seiner  Gemahlin  Elisabeth  Sophia  18  Kinder  ge- 
schenkt wurden.  Für  die  Erziehung  kommen  nur  zwölf  in  betracht  we- 
gen des  frühen  Todes  der  andern.  Die  Inspektion  über  die  Erziehung, 
welche  nach  einer  gründlich  durchberatenen  Instruktion  geordnet  wurde, 
hatte  der  »Geheime  Rat«,  eine  Körperschaft,  welcher  die  höchsten  Be- 
amten des  Landes  angehörten.  Nur  während  der  ersten  Kinderjahre 
hatte  die  fürstliche  Mutter,  der  einige  dienende  Geister  zur  Seite  stan- 
den, einen  gröfseren  Einflufs  auf  die  Erziehung.  Auch  dafür  hatte  der 
Fürst  eine  Instruktion  entworfen.  Im  übrigen  waren  Vater  wie  Mutter 
ausgezeichnete  Vorbilder  für  die  heranwachsenden  Kinder. 

Die  ganze  Zeit  war  von  Morgen  bis  Abend  streng  geregelt.  Um 
sechs  Uhr  früh  mufsten  die  Kinder  aufstehen,  sobald  sie  das  sechste 
Lebensjahr  erreicht  hatten.  Um  V^H  Uhr  war  die  Hauptmahlzeit,  und 
um  acht  Uhr  begann  die  Vorbereitung  zum  Schlafengehen.  Den  Dienern 
und  Lehrern  wurde  eingeschärft,  die  Kinder  vor  »abergläubischen  alt- 
väterischen  Vorbildungen«  zu  bewahren.  Im  übrigen  aber  war  selbst 
den  Dienern  das  Recht  körperlicher  Züchtigung  eingeräumt.  Der  erste 
Unterricht  wurde  in  biblischer  Geschichte  mit  Hilfe  von  Bildern  erteilt. 

Überhaupt  war  dem  Religionsunterricht  ein  breiter  Raum  zur  Ver- 


W.  Boehne,   Erziehung  der  Kinder  Ernsts  des  Frommen.  65 

ftigung  gestellt.  Auch  auf  regelmäfsigen  Besuch  des  Gottesdienstes  wurde 
hoher  Wert  gelegt.  Ferien  hatten  die  Prinzen  die  gleichen  wie  die 
öffentlichen  Schulen. 

Die  Hofmeister,  die  meist  300  Thaler  bei  freier  Station  hatten, 
wurden  auf  gegenseitige  vierteljährliche  Kündigung  angestellt  und  hatten 
mitunter  ihr  Amt  nicht  lange  inne. 

Neben  der  Charakterbildung,  nach  welchen  der  Herzog  in  erster 
Linie  strebte,  wurde  auch  die  intellektuelle  Bildung  nicht  vernachlässigt. 
Neben  den  elementaren  Fächern  (Religion,  Lesen,  Schreiben  und  Singen) 
mufsten  die  Prinzen  noch  »Compendium  Theologiae,  linguam  Latinam, 
Rechnen,  Historica,  Ethica  und  Politica  axiomata  und  discursus,  nicht 
weniger  Malen,  Musik  und  dergleichen«  treiben.  Nur  selten  wurden  die 
Anfangsgründe  durch  junge  Lehrer  erteilt  und  im  ganzen  das  Fachlehrer- 
system beobachtet.  Die  Präceptoren  erhielten  ausnahmslos  besondere 
Instruktionen;  während  des  Unterrichts  war  ihnen  »eine  feine  geziemende 
gravitäta  vorgeschrieben.  Repititionen  mufsten  oft  stattfinden,  selbst  in 
der  schulfreien  Zeit,  z.  B.  auf  Spaziergängen. 

Mehr  als  ein  Drittel  sämtlicher  Unterrichtsstunden,  10—12  Lek- 
tionen in  der  Woche,  gehörten  dem  Latein.  Aufserdem  fanden  zahl- 
reiche Sprechübungen  statt:  auf  Spaziergängen,  beim  Spiele  und  bei  der 
Tafel  wurde  lateinisch  geredet.  Nur  beim  Essen  wurde  vor  einer  Über- 
treibung der  lateinischen  Konversation  gewarnt,  »damit  nicht  ein  Verdrufs 
der  lateinischen  Sprache  bei  Unseren  Kindern  möge  erwecket  werdena. 
Bei  den  älteren  Prinzen  war  Latein  auch  die  Unterrichtssprache,  die 
aber  später  durch  Französisch  ersetzt  wurde.  Doch  waren  die  Leistun- 
gen im  Lateinischen  nicht  immer  sehr  glänzend,  woran  die  mangelhafte 
Methode  einen  Teil  der  Schuld  tragen  mochte. 

Für  die  lateinische  Lektüre  wurden  neben  der  »Schola  Latinitatis« 
auch  Cornelius  Nepos,  Justinus,  Florus,  Curtius  und  Livius  benutzt.  Die 
Übungen  im  Übersetzen  galten  zugleich  als  Übungen  im  Deutschen,  wo- 
für sonst  nicht  viel  Zeit  verwendet  wurde. 

Das  Französisch  wurde  meist  erst  nach  dem  zwölften  Jahre  und 
auch  dann  nicht  immer  mit  Ernst  betrieben.  Ähnlich  wurde  auch  die 
Geschichte  erst  von  den  älteren  Prinzen  gelernt.  Neben  Sleidanus  und 
Boxhornius  war  auch  das  Theatrum  Europaeum  als  Lehrbuch  vorge- 
schrieben, worüber  sich  jeder  wundern  wird,  der  einmal  die  schweren 
Folianten  dieses  sonst  so  wertvollen  Werkes  benutzt  hat. 

Geographie,  Mathematik,  Logik,  Ethik  und  Rechtsgelehrsamkeit 
erscheinen  gleichfalls  unter  den  Lehrgegenständen,  unter  denen  auch  die 
Kriegskunst  und  ritterliche  Übungen  nicht  fehlten.  Ebenso  wurde  das 
übliche  Bildungsmittel  der  Reisen  nicht  verabsäumt. 

Die  Prinzen  Albrecht  und  Bernhard  besuchten  auch  das  Fürsten- 
kolleg in  Tübingen,  welches  der  Herzog  Ludwig  von  Württemberg  1589 
gegründet  hatte.     Diese  Anstalt  hatte  den   gleichen  Lehrkörper  wie  die 

Jahresbericht  für  Alterthumsirissenscbaft.  LXIV.  (1890.  III.)  5 


66  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

Universität.  Die  beiden  sächsischen  Prinzen  besuchten  daneben  die  Vor- 
Icsuiigou  des  Professor  Magnus  Hessenthal  über  Beredsamkeit  und  Stil, 
ualuiien  an  den  französischen  Übungen  bei  Professor  du  May  teil;  auch 
die  lateinischen  Übungen  wurden  fortgesetzt. 

Lektionstabellen  verschiedener  Prinzen  schliefsen  die  nützliche  und 
ganz  aus  den  ersten  Quellen  geflossene  Arbeit. 

Hier  sollte  sich  die  Geschichte  einzelner  Schulen  anreihen: 
mit  Rücksicht  auf  den  zur  Verfügung  stehenden  Raum  wurde  dieser  Ab- 
schnitt für  den  nächsten  Bericht  zurückgelegt. 

Wir  beginnen  deshalb  mit  der  Gelehrtengeschichte,  indem  wir 
auch  hier  Italien  voranstellen. 

Camillo  Antona-T  raversi,  professore  di  lettere  italiane  nel  r. 
collegio  militare  di  Roma,  Studj  su  Giacomo  Leopardi  con  notizie  e 
documenti  sconosciuti  e  inediti.  Napoli,  Enrico  Detken,  editore  1887. 
8.     VIII  und  363  p. 

Der  im  Jahre  1798  zu  Recanati  geborene  und  1837  zu  Neapel 
verstobene  Graf  Leopardi  reizt  die  italienischen  Gelehrten  immer  wieder 
zur  Darstellung,  trotzdem  dafs  in  früherer  Zeit  mehrfach  Arbeiten  über 
ihn  veröffentlicht  wurden,  von  denen  z.  B.  Montanari  (biografia  del  conte 
G.  L.  Roma  1838)  und  Fei.  Tocco  (Studi  critici  in  der  Rivista  Bolog- 
nes.  1886)  genannt  sein  mögen. 

Bezeichnend  sind  die  Worte  des  Verfassers  (S.  VI):  »Ma  dunque 
la  vita  compiuta  e  veritiera  di  Giacomo  Leopardi  non  s'ha  da  scrivere, 
0  dobbiamo  aspettare  che,  comme  per  Dante  e  per  il  Bocaccio,  ce  la 
scrivano  i  Tedeschi?« 

Gewidmet  ist  die  Schrift  »dem  süfsesten  Lehrer  und  Freunde«, 
dem  Professor  Alfonso  Cerquetti,  unter  dessen  Augen  diese  neuen  Studj 
leopardiani  entstanden  sind,  und  der  verstehen  würde  sie  gegen  die 
scharfen  und  heftigen  Kritiken,  wie  sie  in  dem  gegenwärtigen  Italien 
üblich  sind,  zu  verteidigen.  Überhaupt  ist  der  Verfasser  schlecht  auf 
die  italienischen  Kritiker  zu  sprechen.  So  lesen  wir  z.  B.  folgende 
Schilderung  von  dem  kritischen  Empfang,  den  er  für  sein  Werk  erwar- 
tet: »11  libro  sarä  appena  uscito,  che,  al  solito,  i  nostri  ipercritici  — 
maestri  e  donui  di  ciö  che  non  sanno  —  griderauno,  vuoi  allo  scandalo, 
per  la  franchezza  di  taluni  giudizj  e  la  nuda  veritä  di  molti  fatti;  vuoi 
alla  inutilitä  o  al  pettegolezzo,  per  la  mole  non  leggiera  delle  notizuole, 
della  cronaca  spicciola  leopardiana  e  degli  anedotti  da  me,  con  la  solita 
diligenza,  raccolti  e  annotati«.  Sollte  es  in  Italien  mit  der  litterarischen 
Kritik  wirklich  so  schlimm  bestellt  sein,  oder  sieht  der  Verfasser  zu 
düster  ? 

Der  Inhalt  des  Buches  zerfällt  in  folgende  Abschnitte: 

Giacomo  Leopardi  e  A.  Manzoni.  —  Notizie  e  aneddoti  sconos- 
ciuti intorno  a  G.  Leopardi  e  alla  sua  famiglia.   —  Una  lettera  iuedita 


C.  Antona-Traversi,    Studj  su  G.  Leopardi.  67 

di  Monaldi  Leopardi.  —  Recanati  e  Monaldo  Leopardi.  —  Un  capi- 
tolo  inedito  dell'  »Autobiografia«  di  Monaldo  Leopardi.  —  Pochi  cenni 
sul  Conte  Carlo  Leopardi.  —  Carlo  Leopardi.  —  Giacomo  Leopardi  fan- 
ciullo.  —  Giacomo  Leopardi  a  Pisa.  —   La  Salma  di  Giacomo  Leopardi. 

Der  Anhang  enthält  folgende  Kapitel:  Saggio  cronologico  di  una 
bibliografia  del  Leopardi  e  del  Manzoni.  —  Lati  nuovi  di  un  vecchio 
argomento.  —  Carlo  Leopardi.  —  Leopardiana.  —  Dal  »Vessillo 
delle  Marche«.    —    Appendice  alla  Salma  di  Giacomo  Leopardi. 

Der  gröfste  Teil  des  Inhaltes  dieses  Werkes  entzieht  sich  einer 
eingehenden  Besprechung  an  dieser  Stelle,  weil  er  aufserhalb  des  Rah- 
mens des  »Jahresberichtes«  liegt.  Doch  dürfen  wir  ganz  besonders  auf 
die  Anmut  der  zahlreichen,  hier  aufgenommenen  Briefe  hinweisen. 

Der  Verfasser,  welcher  schon  vier  andere  Publikationen  über  Leo- 
pardi gemacht  hat,  unter  denen  »Giacomo  Leopardi  e  i  Classici  (Parma 
1887)«  genannt  sein  möge,  stellt  noch  weitere  über  seineu  Lieblingsautor 
in  Aussicht. 

Cesare  Albicini  Giovanni  Gozzadini  (Estratto  dagli  —  Atti  e 
Memorie  della  R.  Deputazione  di  Storia  Patria  per  le  Provincie  di  Ro- 
raagna  —  IIL  Serie.     Vol.  V,  Fase.  III  e  IV).     VIII p. 

Den  25.  August  1887  starb  auf  seiner  Villa  bei  Ronzano  der  be- 
rühmte Altertumsforscher  Graf  Giovanni  Gozzadini.  Er  war  zu  Bologna 
geboren  als  Sohn  von  Giuseppe  Gozzadini  und  Laura,  geb.  Pappafava, 
aus  dem  Stamm  der  Carraras  zu  Padua.  Die  Familie  Gozzadini  ist 
eine  der  berühmtesten  von  ganz  Italien  und  reicht  hinauf  bis  in  das 
11.  Jahrhundert. 

Giovanni  Gozzadini,  anfangs  seiner  Ausbildung  als  Kavalier  lebend, 
wandte  sich  bald  den  Studien  zu,  unterstützt  von  einer  schönen  Bücher- 
sammlung seines  Vaters.  Das  erste  Werk  seiner  Feder  war  die  Vita 
di  Armaciotto  de'  Romazotti,  condottiero  del  secolo  XV,  von  Molini 
1835  in  Florenz  herausgegeben  und  gelobt.  Zufällig  auf  seiner  Besitzung 
zu  Villanova  im  Jahre  1844  gemachte  Funde  gaben  seinen  Studien  die 
Richtung  auf  die  Archäologie.  Bald  boten  die  Nekropolen  bei  Bologna 
einen  wahren  Schatz  von  Funden:  Qui  si  disseppellirono  vaste  necro- 
poli  con  armi,  vasi,  eiste,  armille,  idoletti,  fibule,  centuroni,  fittili  d'ogni 
specie,  mille  piccoli  avanzi  insomma  di  popoli,  dei  quali  fantasticando 
voremmo  pur  ricomporre  la  vita. 

Eine  treue  Begleiterin  für  das  Leben  fand  Gozzadini  in  Maria  Te- 
resa  di  Serego  Allighieri,  die  ihm  40  Jahre  zur  Seite  gestanden  (f  1881). 

Zahlreiche  Schriften  über  die  archäologischen  Fragen  und  Funde 
verschaffen  Gozzadini  einen  geachteten  Namen  unter  den  Gelehrten,  den 
er  auch  durch  seinen  Charakter  verdiente. 

Zwei  spanische  Arbeiten  sollen  wenigstens  verzeichnet  sein: 

5* 


68  Geschichte  der  Altertamswissenschaft. 

El  Maestro  Renallo,  escrittor  del  siglo  XI,  en  Barcelona.  Me- 
moria leida  en  la  sesiön  de  la  real  acadomia  de  la  historia  del  18  de 
Marzo  de  1887,  por  Rodolfo  Beer.     Madrid.  1887.  8".  12  S. 

Certdmen  cientifico,  litterario  y  artistico,  en  la  ciudad  de  Pam- 
pelona.     Imprenta  de  Joaquin  Lorda-Pamplona.     1887.     248  S. 

Diese  Schrift  enthält  u.  a.  eine  Biographie  von  P.  Joseph  de  Mo- 
rete,  cronista  de  Navarra,  p.  25 — 121. 

Von  Italien  und  Spanien  wenden  wir  uns  nach  dem  deutschen 
Boden: 

Dr.  Hermann  Bender,  Rektor  des  k.  Gymnasiums  zu  Ulm.  Jo- 
hann Valentin  Andreae  (Gymnasialrcden  nebst  Beiträgen  zur  Geschichte 
des  Humanisums  und  der  Pädagogik  (Tübingen  1887)  S-  256 — 275). 

J.  V.  Andreae,  wohl  zu  unterscheiden  von  seinem  Grofsvater  Jakob 
Andreae,  dem  Tübinger  Kanzler  und  Haupturheber  der  Konkordienfor- 
mel,  ist  schon  von  Herder  der  unverdienten  Vergessenheit  entrissen 
worden,  trotzdem  aber  ist  seine  pädagogische  Bedeutung  noch  nicht  hin- 
länglich gewürdigt. 

1586  in  Herrenberg  nahe  bei  Tübingen  geboren,  bezieht  er  1601 
nach  dem  Tode  des  Vaters  Tübingen,  macht  sodann  Reisen  durch  Frank- 
reich und  Italien  und  kehrt  26  Jahre  alt  nochmals  in  das  Tübinger  Stift 
zurück,  weil  er  trotz  seiner  »feinen  dona«  in  »lectione  biblica  nicht 
wohl  versieret«  war.  1614  wurde  er  Diakonus  in  Vaihingen  au  der 
Enz,  und  hier  entstanden  seine  meisten  Schriften.  1620  zum  Superin- 
tendenten in  Calw  befördert,  machte  er  hier  die  schweren  Greuel  des 
dreifsigjährigen  Krieges  durch,  wobei  er  sein  ganzes  Vermögen  verlor. 
1639  berief  ihn  Herzog  Eberhard  zu  seinem  Hofprediger  nach  Stuttgart, 
in  welcher  Stellung  er  zwar  viel  Nützliches  schuf,  aber  auch  schlimme 
Ei'fahrungen  machen  mufste.  1654  starb  er,  im  Begriff,  in  eine  weniger 
arbeitsvolle  Stelle  überzugehen. 

Aus  seinen  mehr  als  100  Schriften  ist  herauszuheben  der  1617 
erschienene  Menippus,  eine  Sammlung  von  100  Gesprächen,  durch  deren 
Inhalt  sich  die  Tübinger  Professoren  so  gekränkt  fühlten,  dafs  das  Buch 
verboten  und  von  einem  Tübinger  Professor  ein  sehr  grober  Anti- Me- 
nippus erschien. 

Seine  pädagogischen  Schriften  sind  eine  Opposition  gegen  die  herr- 
schende Methode,  gegen  die  damals  noch  bestehende  Melanchthonsche 
Schule,  nach  welcher  sich  manche  jetzt  noch  zurücksehnen.  Er  nimmt 
seine  Stellung  in  der  Nähe  von  A.  Comenius  und  J.  B.  Schupp.  An 
dem  Unterrichte  der  Zeit  vermifst  er  vernünftige  Methode,  praktischen 
Nutzen  und  religiöse  Gesinnung.  Im  Menippus  persifliert  er  die  Ma- 
gister, Grammatiker,  Dialektiker  und  Rhetoriker,  von  denen  mancher 
glaubt,  er  sei  so  gelehrt,  »dafs  er  von  Kunst  ganz  überging  und  ihm  der 
Witz  zum  Maul  raushing«.     Die  Magistri  erscheinen  ihm  als  Asiuicrea- 


H.  Bender,   Johann  Balthasar  Schupp.  69 

tores.  Von  drei  Dingen  will  man  auf  den  Universitäten  nichts  wissen: 
von  freiem  Denken,  von  wahrer  Gelehrsamkeit  und  echter  Frömmigkeit. 

1617  erschien  Andreaes  pädagogische  Hauptschrift:  Reipublicae 
christianopolitanae  descriptio,  Beschreibung  der  Republik  Christianstadt, 
worin  er  seine  Vorstellung  vom  vollkommenen  Staate  darstellt,  in  dem 
die  Schule  eine  wichtige  Rolle  spielt.  Sein  Idealstaat  liegt  angeblich 
auf  einer  kleinen  Insel  im  antarktischen  Meere;  in  der  Stadt  Christia- 
nopolis  haben  sich  Religion,  Wahrheit  und  Güte  niedergelassen.  Aufser 
moralischen  und  religiösen  Büchern  wird  wenig  gelesen  und  gedruckt. 
Für  jeden  einzelnen  Zweig  der  Wissenschaft,  Kunst  etc.  gibt  es  beson- 
dere Gebäude.  Es  wird  ein  Anschauungsunterricht  erteilt,  dessen  ein- 
zelne Züge  grofse  Ähnlichkeit  mit  der  heutigen  Methode  haben.  Für 
beide  Geschlechter  besteht  Schulzwang.  Gelernt  soll  nichts  werden,  das 
nicht  auch  verstanden  wird.  Lateinisch,  Griechisch  und  Hebräisch  wer- 
den nach  verbesserter  Methode  gelehrt,  so  dafs  man  hier  in  einem  Jahre 
mehr  lernt,  als  in  den  Schulen  der  Zeit  während  zehn  Jahren.  Latei- 
nisch dient  hauptsächlich  zur  Erlernung  des  Deutschen.  Alles  Lernen 
ist  in  fruchtbare  Verbindung  zum  Leben  zu  setzen,  und  der  letzte  Zweck 
bleibt  die  Frömmigkeit. 

Zur  Ergänzung  davon  dienen  die  Ansichten,  welche  Andreae  in 
seinem  1649  erschienenen  Theophilus  niedergelegt  hat.  Als  höchstes 
Ziel  erscheint  die  Heranbildung  der  Kinder  zu  Christen:  nicht  Cicero 
und  Demosthenes  sollen  Vorbild  sein,  sondern  Christus  und  Paulus. 
Aber  auch  die  weltliche  Wissenschaft  soll  nicht  versäumt  werden.  Jetzt 
lernt  man  vieles  Unnütze  und  zu  vierlerlei.  Doch  sind  Latein,  Grie- 
chisch und  Hebräisch  für  gründliche  Bildung  notwendig;  dann  kommt 
Mathematik,  dann  erst  Logik  und  Dialektik.  Der  »Neuerer«  Andreae 
gehört  somit  zu  den  Vorläufern  von  A.  H.  Francke. 

Dr.  Hermann  Bender,  Johann  Balthasar  Schupp  (Gymnasialreden 
nebst  Beiträgen  zur  Geschichte  des  Humanisums  und  Pädagogik  [Tü- 
bingen 1877]  S.  218—255). 

Das  kurze  Lebensbild  Schupps,  das  ebenso  sehr  in  die  Kirchen- 
geschichte wie  in  die  Geschichte  der  Pädagogik  gehört,  ist  nur  in  sei- 
nem zweiten  Teil  hier  zu  besprechen.  Schupp  gehört  neben  Ratke  und 
Comenius  zu  den  pädagogischen  Reformern  des  17.  Jahrhunderts.  1610 
in  Giefsen  geboren  und  auf  dem  dortigen  gymnasium  illustre  vorgebildet, 
studierte  er  in  Marburg,  mit  dem  Giefsen  kurz  vorher  verbunden  wor- 
den, zuerst  Philosophie  unter  Rudolf  Goclenius,  dem  »logikalischen  Feld- 
marschall«, und  sodann  Theologie.  Nach  grofsen  Wanderungen  in  dem 
mittleren  und  nördlichen  Europa  wurde  er  1635  Professor  der  Geschichte 
und  Beredsamkeit  in  Marburg,  1643  Prediger  an  der  Elisabethkirche, 
1646  Hofprediger  des  Landgrafen  Johann  in  Braubach  a.  Rh.,  der  von 
Schupp  sagte:    »er  hat  einen  hitzigen  Kopf  und   ein   deutsches  Maul, 


70  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

aber  er  hat  ein  ehrlich  Gemüt  und  Herz«.      1649  wurde  er  Prediger  in 
Hamburg,  wo  er  1G61  starb. 

Von  seiner  eigentümlichen  Predigtweise,  die  an  Abraham  a  St. 
Clara  erinnerte  und  ihm  viele  Gegner  unter  seinen  Amtsgenossen  zuzog, 
kann  hier  nicht  gehandelt  werden.  Dagegen  sind  seine  Verdienste 
um  Erziehung  und  Schule  kurz  zu  erwähnen  »Wir  erkennen  aus 
Schupps  Schriften  nicht  blofs  den  damaligen  Zustand  der  Schulen,  son- 
dern auch  die  Mittel,  welche  man  zur  Heilung  der  mannigfachen  Schä- 
den vorschlug«.  Wie  Comenius  wollte  auch  Schupp  unter  Verwerfung 
des  bisherigen  Formalismus  der  Schule  diese  mehr  den  Bedürfnissen  des 
praktischen  Lebens  anpassen.  Seine  Ansichten  hat  er  am  ausführlich- 
sten vorgetragen  in  der  Schrift  »Ambassadeur  Zipphusius  oder  Vom 
Schulwesen«. 

Die  Not  der  Schulen  leitet  er  daraus  ab,  dafs  sich  kein  grofses 
Ingenium,  kein  generöses  Gemüt  mehr  in  den  Schulen  brauchen  lassen 
wolle;  »denn  sie  sehen,  dafs  sie  weder  Ehr  noch  Brot  davon  haben. 
Grofse  Herren  lassen  sich  nennen  Pfleger  und  Patrone  der  Kirche  und  Schule 
und  erweisen  solches  gar  schlecht  in  der  That«.  Die  vier  Verba  Amo,  Do- 
ceo.  Lege,  Audio  enthalten  das,  was  ein  guter  Schulmeister  zu  thun  hat. 
Die  übliche  Verbindung  von  geistlichem  und  Schulamt  mifsbilligt  er. 
»So  lange  die  Einbildung  währet,  dafs  der  Status  scholiasticus  notwendig 
müsse  verbunden  sein  mit  dem  Statu  ecclesiastico,  so  lange  werden  keine 
guten  Schulen  in  Deutschland  sein«. 

Bedenkliche  Zustände  müssen  nach  Schupps  Schilderungen  auf  den 
deutschen  Universitäten  geherrscht  haben.  Den  Studenten  definiert  er: 
Studiosus  est  animal  nihil  aut  aliud  agens.  Besonders  zuwider  ist  ihm 
der  Pennalismus,  d.  h.  die  systematische  rohe  Unterdrückung  und  Mifs- 
handlung  der  jüngeren  Studenten  durch  die  älteren,  die  Schönsten 
hiefsen.  Ein  schlimmer  jMifsbrauch  ist  das  Vergeben  oder  Verkaufen 
akademischer  Würden. 

Wertlos  sind  die  Disputationen,  wo  die  Studenten  über  alles  Mög- 
liche sprechen  sollen,  z.  B.  darüber,  ob  die  Frauen  zur  Regierung  fähig 
seien.  Die  Sprachen  werden  vernachlässigt,  die  Gegenstände  der  einzel- 
nen Fakultäten  sind  zu  nutzlosen  Spitzfindigkeiten  herabgewürdigt.  Des- 
halb will  es  Schupp  scheinen,  dafs  nicht  alle  Weisheit  an  die  Universi- 
tät gebunden  ist.  Die  wahre  Schule  ist  die  Welt,  das  Leben.  Wenn 
er  nun  aber  den  Rat  erteilt,  die  jungen  Leute  sollten  sich  an  die  Höfe 
halten,  wo  man  die  Welt  erst  recht  kennen  lerne,  so  macht  dagegen 
Bender  geltend,  wie  gefährlich  dieser  Rat  sei:  »Die  Höfe  haben  schon 
während  der  ersten  Hälfte  des  11.  Jahrhunderts  nicht  gerade  bewiesen, 
dafs  sie  die  Pflegestätten  der  höheren  Bildung,  der  Sittlichkeit,  des  Pa- 
triotismus waren«. 

Der  bekannte  Thomasius  stimmte  Schupp  bei  und  bezeichnete  den- 
selben  als    »ein   sonderbares  Werkzeug,   dessen   sich  die  göttliche  Vor- 


C.  Dilthey,    Epistulae  Gottingenses.  71 

sehung  bedienet,  durch  die  von  ihm  vorgetragenen  Wahrheiten  den  Stu- 
dierenden, sowohl  Lehrern  als  Zuhörern,  die  Augen  aufzuthuncf.  Die 
Verdienste  Schupps  um  die  deutsche  Sprache,  die  er  schon  vor  Thoma- 
sius  als  Unterrichtssprache  den  Universitäten  empfahl,  mögen  hier  nur 
kurz  angedeutet  sein. 

Aber  weder  Andreae  noch  Schupp  sind  philologische  Namen. 
Erst  das  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  sah  in  Deutschland  eine  philo- 
logische Wissenschaft  erstehen,  welche  der  des  Auslandes  ebenbürtig 
war.  Über  diese  ältere  deutsche  Philologengeneration  sind  wertvolle 
Arbeiten  erschienen. 

Epistulae  Gottingenses  a  Carolo  Diltheyo  editae  (Index  schola- 
rum  in  Academia  Georgia  Augusta  per  semestre  hibernum  a.  d.  XV 
M.  Octobris  MDCCCLXXXVII  usque  ad  d.  XV  M.  Martis  A. 
MDCCCLXXXVIII  habendarum.  Gottingae  officina  academica  Diete- 
richiana  typis  expressit.     Wilh.  Fr.  Kaestner).    4^.    44  S. 

Eine  wertvolle  Sammlung  von  Philologenbriefen  aus  dem  Anfang 
des  Jahrhunderts,  die  aus  den  zu  Göttingen  (Universitätsbibliothek  und 
Akten  des  Kuratoriums),  Bonn  (Universitätsbibliothek),  Gotha  (Privat- 
besitz des  Rechtsanwaltes  Jacobs,  eines  Enkels  des  berühmten  Jacobs) 
und  Karlsruhe  (Hof-  und  Landesbibliothek)  befindlichen  handschriftlichen 
Originalien  mitgeteilt  werden. 

Die  ersten  Briefe,  sämtlich  aus  dem  Jahre  1812,  von  und  an 
Heeren  in  Göttingen,  Jacobs  in  Gotha  und  Leist  in  Cassel,  den  Unter- 
richtsdirektor des  Königreiches  Westfalen,  führen  uns  ein  in  die  Schwie- 
rigkeiten, welche  mit  der  Wiederbesetzung  der  Heyueschen  Professur 
verbunden  waren.  Den  14.  Juli  1812  war  der  berühmte  Hej-ne  in 
Göttingen  gestorben:  »Ein  Schlagflufs  befiel  ihn  beym  Ankleiden,  und 
versetzte  ihn  in  einem  Augenblick  in  eine  bessere  Welt.  So  hat  er  von 
den  Bitterkeiten  nichts  gefühlt  und  uns  die  Trauer  des  Abschiedes  er- 
spart. So  ward  sein  Wunsch  erhört,  mit  ungeschwächter  Geisteskraft 
abgerufen  zu  werden«.  Die  zahlreichen  Schüler  beklagten  den  Tod 
ihres  Meisters.  Sein  Lieblingsschüler  Jacobs,  damals  Bibliothekar  in 
Gotha,  klagt:  »Die  Art  seines  Todes  ist  seines  Lebens  Wert.  Nicht 
sobald  werden  wir  wieder  in  diesem  selbstsüchtigen  Jahrhunderte  einen 
ihm  Gleichen  sehn,  voll  so  reinen  und  heiligen  Eifers  für  das  Gute,  in 
welcher  Gestalt  es  sich  auch  zeigen  mochte,  von  so  weitgreifendem 
Geist,  einem  so  festen  und  gediegenen  Sinn,  in  einer  so  schönen  und 
treuen  Liebe  gegen  alles,  was  er  einmal  der  Liebe  würdig  gefunden  hatte«. 
Alsbald  begannen  die  Unterhandlungen  wegen  der  Wiederbesetzung 
des  Heyneschen  Lehrstuhles.  Heeren,  der  Schwiegersohn  Heynes,  war 
der  Vertrauensmann  der  Regierung,  die  in  Leist,  dem  Nachfolger  von 
Johannes  von  Müller,  einen  tüchtigen  Beamten  besafs.  Heyne  hatte  sich 
schon  bei  Lebzeiten  seinen  Lieblingsschüler  Jacobs  zum  Nachfolger  ge- 


72  Geschichte  der  Altertumswissenschaft, 

wünscht,  und  so  wird  er  auch  in  erster  Linie  neben  Creuzer  in  Heidel- 
berg und  Böttiger  in  Dresden  vorgeschlagen. 

Aber  die  von  Heeren  mit  Jacobs  geführten  Unterhandlungen  führ- 
ten nicht  zu  dem  gewünschten  Ergebnis.  Letzterer  machte  unter  an- 
derm  auch  seine  Harthörigkeit  geltend,  die  ihn  zu  Heynes  Nachfolger 
ungeeignet  mache.  Der  ausschlaggebende  Grund  aber  war  die  Meinung 
von  Jacobs,  er  sei  nicht  tüchtig  genug,  um  an  der  ersten  Universität  Euro- 
pas, wofür  Göttingen  in  diesen  Briefen  mehrmals  erklärt  wird,  der  Nachfol- 
ger eines  solchen  Mannes  zu  werden.  Den  25.  August  1812  schreibt  er  an 
Heeren:  »Es  fehlt  mir  der  Mut,  auf  eine  Stelle  zu  treten,  der  ihre  vorigen 
Besitzer  einen  so  grofsen  Glanz  gegeben  haben.  Wie  soll  ich  diesen  erhal- 
ten? Und  soll  die  erste  Universität  Deutschlands  durch  meine  Schuld  ihren 
alten  Ruhm  geschmälert  sehen?  Metiri  se  quemque  suo  modulo  ac  pede 
verum  est!«  (S.  11),  und  als  der  Antrag  erneuert  wird,  antwortet  Jacobs 
wiederum:  »Nun  kann  ich  mich  aber  weder  über  jenes,  noch  über  meine 
eignen  Kräfte  täuschen.  Ich  kann  mir  nicht  verbergen,  was  es  heifst 
in  Göttingen,  d.  h.  auf  der  ersten  Universität  von  Europa  für  die  Phi- 
lologie in  ihrem  ganzen  Umfange,  in  Theorie  und  Praxis,  zustehe,  und 
ich  habe  weder  die  Anmafsung  zu  glauben,  dafs  ich  so  viel  jetzt  schon 
umfafste,  noch  das  Vertrauen,  in  meinem  jetzigen  Alter  das,  was  mir 
mangelt,  leicht  und  schnell  genug  ersetzen  zu  können«.     (8.  15). 

Die  obigen  Mitteilungen  sind  wohl  geeignet,  die  Worte  Creuzers 
in  dessen  Autobiographie  (Aus  dem  Leben  eines  alten  Professors.  Dessen 
deutsche  Schriften.  Abth.  V.  I.  S.  95)  einzuschränken,  wenn  er  be- 
hauptet, Heyne  habe  ihm  brieflich  mitgeteilt,  er  denke  immer  an  ihn  als 
au  seinen  Nachfolger.  Zugleich  ist  es  eine  Ergänzung  zu  Creuzers  Werk, 
wenn  wir  hier  S.  19  erfahren,  dafs  Dissen  aus  Marburg  auf  Heynes 
Lehrkanzel  berufen  wurde. 

Die  Briefe  XVH — XX  geben  ein  Stück  Heidelberger  Gelehrtenge- 
schichte. Der  berühmte  Philologe  Creuzer  in  Heidelberg  schüttet  dem 
befreundeten  Heeren  sein  Herz  uns.  Wertvoll  sind  die  Mitteilungen 
über  Joh.  H.  Vofs,  der  damals  schon  in  Heidelberg  wohnte,  auf  die 
Universität  bedeutenden  Einflufs  übte,  wenn  er  auch  nicht  dem  Lehr- 
körper derselben  angehörte.  Der  mehr  als  derbe  Mecklenburger  scheute 
sich  vor  Scenen  nicht,  wie  sie  S.  25  hier  beschrieben  sind.  Der  weichere 
und  sensiblere  Ci'euzer,  der  sich  dabei  zwar  ehrenhaft  benahm,  hätte 
doch  gern  einen  andern  Boden  für  seine  Thätigkeit  in  einer  Göttinger 
Professur  gewonnen.  Zwar  stellte  sich  das  Kuratorium  der  Universität 
Heidelberg  auf  seine  Seite,  aber  »die  stillen  Kreise  seines  Wirkens« 
zu  Heidelberg  schienen  ihm  durch  Vofs  unwiderbringlich  zerstört.  Erst 
nach  der  verunglückten  Episode  der  Leydener  Berufung  fühlte  er  sich 
dauernd  an  Heidelberg  gefesselt  und  erklärte,  er  habe  niemals  den 
Wunsch  gehabt,  an  Heynes  Stelle  zu  kommen  (S.  30).  Auch  auf  die 
ersten  Anfänge  ß  öckhs,  der  sich  in  Heidelberg  habilitiert  hatte,  fällt  ein 


C.  Dilthey,   Epistulae  Gottingenses.  73 

Lichtstrahl;  Creuzer  schreibt  (S.  27):  »Der  nun  auch  hier  angestellte 
Professor  Extraord.  Boeckh,  mit  dem  ich  sehr  gut  stehe,  liest  mit  besse- 
rem Beifall  als  der  jüngere  Vofs,  der  einige  Vorlesungen  gar  nicht  zu 
Stande  brachte«. 

Die  nächste  Gruppe  (Brief  XXI — XXVI)  behandelt  die  Berufung 
Welckers  aus  Giefsen  nach  Göttingen  im  Jahre  1816,  nachdem  Creuzer 
abgelehnt  hatte.  Besonders  interessant  ist  der  Brief  von  Jacobs,  welcher 
der  Vertrauensmann  Heerens  war.  Letzterer  hatte  von  Boeckh,  der 
auch  wegen  Göttingen  genannt  worden  war,  geurteilt  (S.  37):  »Von 
Boeckh  habe  ich  einmal  die  Meinung,  dafs  er  kein  umfassender  Kopf 
ist,  und  nicht  viel  mehr  als  den  Pindar  grammatisch  kennt«.  Jacobs, 
der  aber  ein  besseres  Urteil  hatte,  schrieb  dagegen  zurück:  »Unter  den 
Candidaten  Ihrer  Liste  würde  ich  doch  in  Rücksicht  auf  Tiefe  und  Um- 
fang der  Gelehrsamkeit  dem  Professor  Boeckh  den  Vorzug  erteilen.  Er 
ist  voll  Geist,  von  unermüdlicher  Arbeitsamkeit,  und  mit  einer  seltenen 
Leichtigkeit  begabt,  in  jeden  Gegenstand  einzudringen,  auf  den  er  seine 
Studien  zu  richten  für  gut  findet.  Er  ist  in  den  Tragikern  und  im 
Plato  nicht  viel  weniger  zu  Hause  als  im  Pindar,  und  schon  die  Art, 
wie  er  den  letztern  behandelt,  die  Fülle  grammatischer,  metrischer,  mu- 
sikalischer Kenntnisse,  die  er  dabey  an  den  Tag  gelegt  hat,  läfst  er- 
warten, dafs  er  einen  ganz  vorzüglichen  Rang  unter  den  Humanisten 
unseres  Vaterlandes  einnehmen  werde  etc.« 

Aufserdem  waren  noch  Thiersch  und  Sickler  in  Frage  gekommen. 
Während  letzterem  es  nicht  gelang,  eine  akademische  Stellung  zu  erobern 
(er  ist  später  als  Direktor  des  Gymnasiums  in  Hildburghausen  gestorben 
und  hat  nicht  einmal  Aufnahme  in  das  Werk  Bursians  über  die  deutsche 
Philologie  gefunden),  hat  Thiersch  in  Manchen  ein  lohnendes  Feld  für 
seine  eifrige  Thätigkeit  und  seine  ausgedehnten  Kenntnisse  erworben. 
Über  ihn  hatte  Jacobs  folgend erraafsen  geurteilt:  »Thierschs  Talente  sind 
ganz  aufser  Zweifel,  aber  ihm  schadet  ein  allzustarkes  Selbstgefühl  und 
eine  allzu  rege  Ruhmbegierde.  Er  will  den  Ruhm  erstürmen,  und  nicht 
etwa  eine  Art  desselben  allein,  sondern  alle  zugleich.  Das  ist  sein 
gröfster  Fehler,  die  Quelle  seiner  Streitigkeiten  und  ein  Stein  des  An- 
stofses  bei  Vielen;  übrigens  ein  gewissenhafter  Lehrer,  unermüdlich  in 
jedem  Geschäft,  unerschrocken,  offenherzig  und  edelmütig.  Wirken  wird 
er  überall,  wo  er  auftritt;  aber  so  wie  er  nun  einmal  ist,  möchte  seine 
Wirksamkeit  vielleicht  mehr  für  Jena  als  für  Göttingen  taugen«. 

Der  einzige,  mit  dem  Unterhandlungen  angeknüpft  wurden,  die 
dann  auch  zum  gewünschten  Ziele  führten,  war  Welcker,  dessen  Beurtei- 
lung (S.  34)  ebenfalls  voll  Anerkennung  ist.  Welcker  blieb  aber  nur 
kurze  Zeit,  um  dann  nach  Bonn  überzusiedeln.  Sein  Nachfolger  wurde 
auf  Boeckhs  Empfehlung  der  damals  erst  22jährige  Otfried  Müller,  von 
dem  Dissen  (Brief  XXVIII.  16.  Jan.  1820)  an  Welcker  schreibt:  »An 
unserem  Müller  haben  wir  einen   fröhlichen,   kindlich  gutmütigen,  ge- 


74  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

schickten  Jüngling  gewonnen.  Er  hat  Liehe  und  Beifall  und  wird  gewifs 
viel  gutes  leisten.  Er  sitzt  am  Tische  hei  mir  und  ich  sehe  ihn  also 
alle  Tage«.  Die  Verehrung,  welche  er  in  den  letzten  Briefen  für  den  ihm 
entrückten  Freund  ausspricht,  zeugt  von  einem  weichen  und  begeiste- 
rungsfähigen Gemüt,  wie  z.  B.  wenn  er  schreibt:  »Die  Zartheit  und  un- 
aussprechliche Milde  Ihres  Gemütes,  die  Festigkeit  grofser  Überzeugungen 
und  doch  das  unvergleichliche  Maafs  in  ihrem  ganzen  Wesen  hat  mir 
immer  die  gröfste  Bewunderung  und  Anhänglichkeit  an  Sie  eingeflöfst«. 
(S.  43). 

Nachträge  zur  Geschichte  und  Kritik  der  Wolfschen  Prolegomena 
zu  Homer.  Zweiter  Teil.  Von  Direktor  Dr.  R.  Volkmann.  (Beil. 
z.  Progr.  des  Gymnasiums  zu  Jauer.  1887.  Progr.  Nr.  176.  16  S.). 

Im  Grunde  gehört  diese  Arbeit  weniger  hierher  als  vielmehr  in 
das  Referat  über  Homer.  Der  gelehrte  Verfasser  bietet  in  dieser  Fort- 
setzung seiner  Arbeit  Folgendes: 

VI.  Einige  Stellen  aus  Briefen  von  J.  H.  Vofs  an  Wolf,  worin 
u.  a.  die  Worte  vorkommen :  Über  den  Homer  habe  ich  mein  Bekennt- 
nis Ihnen  selbst  abgelegt.  Ich  glaube  einen  Homer!  Eine  Ilias!  Eine 
Odyssee!  Aber  ich  bin  kein  vei'stockter  Gläubiger,  der  nicht  Beweisen 
des  Gegenteils  nachgeben  könnte.     Diese  sind  Sie  noch  schuldig  etc.« 

VII.  Bernhardy  hatte  in  einer  akademischen  Gelegenheitsschrift 
der  Universität  Halle  (Epicrisis  disputationis  Wolfianae  de  carminibus 
Homericis)  seinen  Lehrer  Fr.  A.  Wolf  gegen  einen  Aufsehen  erregenden 
Angriff  seines  Hallenser  Kollegen  L.  Rofs,  welchen  dieser  in  seiner  Vor- 
rede zu  seinen  Hellenika  veröffentlichte,  verteidigt;  die  polemische  Stelle 
mufste  aber  auf  höhere  Weisung  unterdrückt  werden.  Volkmann  ver- 
öffentlicht nun  aus  dem  auf  der  Halleschen  Universitäts  -  Bibliothek  be- 
findlichen litterarischen  Nachlafs  Bernhardys  die  seiner  Zeit  unter- 
drückte Stelle,  in  der  es  übrigens  von  Rofs  heifst:  quem  ego  magni  facio 
propter  candorem  et  amoenum  ingenium  cuin  elegantissima  doctrina  con- 
iunctum. 

VIII.  Hier  setzt  sich  Volkmann  mit  Düntzer  auseinander  bezüg- 
lich der  Stelle  Cicero  de  orat.  III  34  (Pisistratus  angeblicher  Ordner 
der  homerischen  Gedichte).  Düntzer  hatte  behauptet,  Dikaiarchs  ßcog 
'  EUddog  sei  dafür  vermutlich  Quelle  gewesen,  was  Volkmann  bestreitet, 
indem  er  damit  seine  schon  vor  zwölf  Jahren  vorgetragene  Meinung  von 
neuem  bekräftigt 

Abteilung  IX — XI  müssen  in  einem  andern  Abschnitt  des  »Jahres- 
berichtes« eingehend  besprochen  werden,  da  sie  Auseinandersetzungen 
allgemeineren  Charakters  über  die  homerische  Frage  enthalten. 

Ein  Zeitgenosse  von  F.  Ä.  Wolf  ist  B.  G.  Niebuhr. 


Fr.  Eyssenhardt,   B,  G.  Niebuhr.  75 

Barthold  Georg  Niebuhr.  Ein  biographischer  Versuch  von 
Franz  Eyssenhardt.  Gotha.  Friedrich  Andreas  Perthes.  1886.  8j". 
IV  und  286  S. 

Der  Verfasser  will  keine  eigentliche  Lebensgeschichte  in  dem 
Sinne  geben,  »dafs  er  alle  äufseren  Lebensumstände  Niebuhrs  erzählen 
und  darstellen  will:  sein  Zweck  ist  vielmehr,  den  Begründer  der  kriti- 
schen Geschichtswissenschaft  in  seinem  Wesen  verstehen  und  daraus 
seine  Leistungen,  auch  in  ihren  Mängeln  und  ihrer  Beschränkung,  er- 
klären zu  wollen«.  Da  Niebuhrs  Freundin,  Frau  Hensler,  in  den  Ab- 
schnitten der  »Lebensnachrichten«  und  J.  Classen  in  seiner  Fest- 
schrift zu  der  100jährigen  Wiederkehr  von  Niebuhrs  Todestag  vieles 
Wichtige  über  dessen  Lebensgang  mitgeteilt  haben,  so  schien  Eyssen- 
hardt eine  Wiederholung  dessen  überflüssig.  Dagegen  will  der  Verfasser 
manche  Schriften  heranziehen,  welche  noch  der  Sohn  wegen  ihres  pole- 
mischen Charakters  nicht  in  die  nachgelassenen  Schriften  seines  Vaters 
mit  aufgenommen  hat.  Ob  der  Verfasser  aber  die  Lücken,  welche  der 
so  reiche  Briefwechsel  Niebuhrs  immer  noch  läfst,  durch  weitere  hand- 
schriftliche Quellen  ausfüllen  konnte,  darüber  erhält  man  auf  S.  2 
nicht  hinreichende  Klarheit. 

Niebuhr  wurde  den  27.  August  1776  in  Kopenhagen  geboren  und 
erhielt  seine  Erziehung  zu  Meldorf  in  Sunderdithmarschen,  wohin  der 
Vater  auf  seine  Bitte  als  Landschreiber  1778  versetzt  wurde.  Der  immer 
kränkliche  Knabe  hat  nur  die  Prima  in  Meldorf  besucht 

Der  Aufenthalt  im  Dithmarschenland  war  bedeutsam  für  Niebuhrs 
spätere  wissenschaftliche  Leistungen:  »Meine  Kenntnis  des  Landlebens 
und  Feldbaues  sowohl  als  meine  Bekanntschaft  mit  der  Geschichte  der 
Ditmarschen  haben  mir  in  meinen  historischen  Untersuchungen  grofse 
Hilfe  geleistet«.  (S.  7).  Aus  der  Erinnerung  an  die  historischen  Lie- 
der der  freien  Ditmarschen  entstand  Niebuhrs  Ansicht  über  die  römische 
Königslegende. 

Um  der  Vereinsamung  seines  Sohnes  entgegenzuarbeiten,  schickte 
ihn  der  Vater  auf  die  Handelsakademie  des  Professors  Busch  in  Ham- 
burg. Der  gröfste  Gewinn  dieses  Hamburger  Aufenthaltes  dürfte  die 
vertraute  Bekanntschaft  mit  Klopstock  gewesen  sein,  bei  dem  er  jede 
Woche  dreimal  einen  grofsen  Teil  des  Tages  zubrachte  und  der  sich  zu 
Niebuhrs  Bedauern  »gewöhnlich  mit  dem  allgemeinen  Eindruck  einer  Sache 
begnügte«,  ohne  das  Bedürfnis  zu  haben,  in  Einzelheiten  einzugehen. 
Mit  der  Kenntnis  der  20  Sprachen,  welche  der  gelehrte  Sohn  nach  des 
Vaters  Meinung  verstand,  ist  es  wohl  nicht  zu  ernst  zu  nehmen. 

1794  bezog  er  die  Universität  Kiel,  wo  er  juristische  Encyklopädie 
bei  Gramer,  Logik  und  Metaphysik  bei  Reinhold  und  Reichsgeschichte 
bei  Hegewisch  hörte.  Am  meisten  scheint  Reinhold  auf  ihn  gewirkt 
zu  haben;  bezüglich  Hegewischs  sagt  Eyssenhardt:  »Die  platte  Verstän- 
digkeit der  Vorlesungen  dieses  Historikers  mufs  dem  kritischen  Verstände 


76  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

Niebuhrs  ein  Greuel  gewesen  sein«.  Niebuhr  machte  sich  damals 
allerlei  Gedanken  über  die  Entstehung  des  Menschengeschlechtes,  der 
Sprache,  der  Völker,  die  mit  der  Bibel  nicht  sehr  im  Einklang  standen. 

Der  einzige  Lehrer  zu  Kiel,  von  dem  er  lernte,  war  Reinhold. 
Die  philologischen  Vorlesungen,  welche  durch  die  Brüder  Gramer  ge- 
halten wurden,  waren  so,  dafs  Niebuhr  sie  nicht  gehört  zu  haben  scheint. 
Das  Resultat  dieser  Verhältnisse  war  folgende  Äufserung:  »In  der  That, 
es  verdriefst  mich,  so  viele  durch  die  Vorlesungen  zerrissene  Stunden 
zu  verlieren«.  (S.  20).  Im  übrigen  hatte  er  kaum  studentischen  Ver- 
kehr, fühlte  sich  aber  jetzt  schon  zum  Geschichtschreiber,  Altertums- 
forscher und  Philologen  berufen.  Dabei  gewährte  ihm  die  Lektüre  von 
Vossens  Luise  einen  »so  gleichenlosen  Genufs«,  dafs  er  sogar  Thränen 
vergofs. 

Januar  1796  wurde  Niebuhr  Privatsekretär  des  Finanzministers 
Grafen  Schimmelmann  in  Kopenhagen,  sodann  Sekretär  an  der  Biblio- 
thek daselbst.  Im  Herbste  desselben  Jahres  verlobte  er  sich  und  wollte 
sich  jetzt  in  Italien  für  ein  Lehramt  in  Kiel  vorbereiten. 

1798  ging  er  jedoch  nach  England  und  Schottland,  besuchte  Lon- 
don und  Edinburg,  ohne  jedoch  das  zu  finden,  was  er  gehofft,  woran  er 
übrigens  zum  teile  selbst  die  Schuld  trug.  »Hier  kommt  offenbar  seine 
völlige  Unfähigkeit,  Witz  und  Scherz  zu  verstehen,  ins  Spiel;  alle  leich- 
teren Seiten  geistigen  Verkehrs  existierten  für  ihn  überhaupt  fast  nicht«. 
(S.  33). 

Mitte  April  1800  war  Niebuhr  wieder  in  Kopenhagen  und  wurde 
Assesor  im  Commerzcollegium  für  das  ostindische  Bureau.  Nach  seiner 
Verheiratung  verwendete  er  die  freie  Zeit,  die  ihm  sein  Beruf  liefs,  zu 
Studien  über  die  römischen  Ackergesetze  und  Arabisch.  Aber  eine  an- 
gebotene Professur  in  Kiel  lehnte  er  ab.  Wohl  aber  folgte  er  1806 
einem  Rufe  des  Freiherrn  von  Stein  als  Mitdirektor  der  Seehandlungs- 
sozietät  in  Berlin.  loNiebuhr  that  den  bedeutungsvollen  Schritt  keines- 
wegs gewissermafsen  ins  Dunkele;  er  wufste  ganz  genau,  dafs  er  einer 
schwierigen  Zeit  und  einer  grofsen  Entscheidung  entgegenging«.  Er 
kam  gerade  noch  recht  nach  Berlin,  um  sich  der  Flucht  der  preufsischen 
Behörden  aus  Berlin  nach  dem  Unglück  bei  Jena  anzuschliefsen.  Von 
jetzt  an  diente  Niebuhr  Preufsen.  Aber  das  Finanzministerium,  das 
man  ihm  antrug,  schlug  er  aus,  weil  er  Hardenbergs  Finanzpolitik  nicht 
billigte. 

1810  aus  dem  Staatsdienst  entlassen  und  zum  königlichen  Histo- 
riographen  ernannt,  hielt  er  auf  Verlangen  seiner  Freunde  Vorlesungen 
an  der  neueröffneten  Universität  Berlin.  Zu  diesen  Freunden  gehörte 
Fr.  A.  Wolf  nicht,  wohl  aber  Buttmann  und  Spalding.  Trotzdem  lebte 
er  in  der  Luft  des  Wölfischen  Gedankenkreises,  der  rasch  zu  einem  all- 
gemeinen Bildungselement  des  deutschen  Lebens  geworden  war. 

Von  diesen  Vorlesungen  können  wii*  uns  ein  Bild  nach  der  ersten 


Fr.  Eyssenhardt,    B.  G.  Niebuhr.  77 

Auflage  der  römischen  Geschichte  machen,  die  daraus  erwachsen  ist. 
Die  Grundgedanken  seiner  Auffassung,  die  aus  alten  Schriftstellern  selbst 
entlehnt  sind,  gipfeln  darin,  dafs  die  Römer  ein  Mustervolk  waren,  so 
lange  in  ihrer  strengen  republikanischen  auf  dem  Standpunkte  der  Be- 
wohner eines  kleinen  Landstädtchens  standen,  dafs  sie  aber  alsbald  in 
Verderben  versanken,  als  sie  die  Weltherrschaft  zu  erwerben  begannen. 
Die  Form  aber,  in  welcher  Eyssenhardt  S.  57  diese  Ansichten  kritisiert, 
scheint  wenig  angemessen.  Was  soll  das  auch  heifsen,  wenn  wir  da 
lesen:  »Noch  betrübender  ist  der  Satz,  in  welchem  Niebuhr  das  von 
ihm  vorausgesetzte  Epos  mit  Homer  vergleicht«,  »oder  man  wird  förm- 
lich bange  für  menschliches  Urteil« ,  »noch  —  man  möchte  fast  sagen 
schrecklicher  —  ist  die  Äufserung«  etc.  Es  ist  in  der  That  eine  leichte 
Arbeit,  vom  Standpunkt  heutiger  Wissenschaft  Niebuhr  zu  beurteilen. 
Ob  aber  dann  solche  Wendungen  zulässig  sind,  darf  mindestens  fraglich 
erscheinen. 

Sehr  dankenswert  sind  die  Mitteilungen  S.  55—71  über  verschie- 
dene Stellen  der  Römischen  Geschichte,  welche  in  späteren  Auflagen  ge- 
strichen oder  durch  andere  ersetzt  wurden.  Freilich  würde  der  Leser 
einen  gröfseren  Ertrag  davon  haben,  wenn  der  vorgetragene  Stoff  und 
die  jeweils  angefügte  Kritik  nicht  in  so  viele  kleine  Abschnitte  zerrissen 
wären. 

Von  der  Begeisterung  der  Freiheitskriege  blieb  auch  Niebuhr  nicht 
unberührt,  aber  seinem  Wunsche,  als  Freiwilliger  in  ein  Regiment  ein- 
treten zu  dürfen,  entsprach  der  König  nicht,  der  ihm  vielmehr  eine  an- 
dere Verwendung  als  Schriftsteller  im  Hauptquartier  zumafs.  So  inter- 
essant die  Mitteilungen  über  diese  journalistische  Thätigkeit  Niebuhrs 
S.  74  ff.  sind,  so  können  sie  doch  hier  als  dem  Zwecke  des  »Jahresberichts« 
fernliegend  nicht  eingehender  dargestellt  werden.  Nur  kurz  sei  bemerkt, 
dafs  Eyssenhardt  hier  mancherlei  mitteilt,  was  nicht  in  Niebuhrs  nach- 
gelassenen Schriften  aufgenommen  ist.  Von  besonderer  Wichtigkeit  ist 
die  Schrift:  »Preufsens  Recht  gegen  den  Sächsischen  Hof«,  aus  dem 
Jahre  1814  (S.   134—178). 

Das  Jahr  1816  brachte  Niebuhrs  Ernennung  zum  preufsischen 
Geschäftsträger  in  Rom,  eine  Stellung,  für  die  unser  Gelehrter, 
als  subjektiver  Protestant,  von  vornherein  wenig  geeignet  war.  Bezüg- 
lich der  Entdeckung  des  Gaius-Palimpsestes  durch  Niebuhr  in  Verona 
bei  seiner  Reise  nach  Rom  erwähnt  Eyssenhardt,  dafs  Savigny  in  späte- 
ren Jahren  zu  erzählen  pflegte,  er  habe  zu  dem  sich  verabschiedenden 
Freunde  gesagt:  »Liebster  Niebuhr,  finden  Sie  mir  in  Italien  nur  den 
Gaius  und  Cicero  de  republica!« 

Eine  in  Deutschland  schon  zurechtgemachte  Vorstellung  von  Land 
und  Leuten  in  Italien  begleitete  ihn  nach  diesem  Land  und  verhinderte 
sein  Verständnis  italienischen  Wesens. 

In  dem  Streite,  von  dem  uns  die  Schrift  »Buttmann  und  Schleier- 


78  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

niachor  über  Heindorf  und  Wolf«  berichtet,  beruft  sich  zwar  Buttmann 
auf  den  abAvesendcn  Freund  Niebuhr  als  mit  ihm  und  Schleiermacher 
einverstanden,  aber  Eyssenhardt  ist  der  Meinung,  dafs  er  speziell  mit 
der  Polemik  Schleiermachers  nicht  einverstanden  sein  konnte. 

Die  Unbehaglichkeit  Niebuhrs  in  Rom,  die  sich  in  zahlreichen 
brieflichen  Klagen  Luft  macht,  leitet  Eyssenhardt  hauptsächlich  aus  sei- 
nen wissenschaftlichen  Ansichten  ab.  Da  dieser  in  dem  Rom  der  letzten 
republikanisclien  und  kaiserlichen  Zeit  nur  einen  heruntergekommenen 
und  entarteten  Staat  sah,  so  vermochten  auch  die  überwiegend  aus  die- 
ser Zeit  stammenden  römischen  Denkmäler  ihm  kein  rechtes  Interesse 
abzugewinnen.  »So  überstand  er  die  wissenschaftliche  Krisis,  die  sein 
römischer  Aufenthalt  für  seine  Entwickeluug  bildete,  nicht,  er  erhob 
sich  nicht  zu  kosmopolitischer  Anschauung  des  wahren  Römertums,  dessen 
Vorbereitung  Roms  Geschichte  als  latinischen  Bundeshauptes  und  Be- 
herrscherin Italiens  lediglich  gewesen  war,  und  dessen  Abglanz  die 
Weltherrschaft  des  Papsttums  und  Roms  Stellung  zu  Niebuhrs  Zeit 
ebenfalls  war.  Dafs  er  zu  diesem  mittelalterlichen  und  modernen  Rom 
kein  Verhältnis  fassen  konnte,  entspringt  aus  denselben  Gründen,  aus 
welchen  er  die  Weltbeherrscherin  in  ihrer  historischen  Entwickeluug  nicht 
verfolgen  konnte  und  wollte«.  (S.  212).  Die  absprechenden  Urteile 
über  Goethes  italienische  Reise  und  viele  Kunsturteile  desselben  vonsei- 
ten Niebuhrs  werden  als  Erzeugnisse  seiner  subjektiven  Natur,  die  durch- 
aus unantik  und  modern  gewesen,  bezeichnet.  Er  fand  nicht  das  rich- 
tige Verständnis  für  die  Römer,  und  doch  wollte  er  ihre  Geschichte 
schreiben.  Die  daraus  entstehende  Mifsstimmung  suchte  er  oft  in  Ge- 
sellschaft deutscher  Künstler  zu  verscheuchen,  von  denen  Cornelius, 
Overbeck,  Schadow  und  Koch  die  bedeutendsten  waren. 

Aber  trotz  aller  Mifsstimmung  gingen  seine  Studien  weiter:  er 
wollte  eine  Abhandlung  über  die  Verfassung  der  griechischen  Provin- 
zen und  der  Städte  des  römischen  Reiches  bis  unter  die  späteren  Kai- 
ser schreiben.  Er  glaubte  entdeckt  zu  haben,  dafs  aus  sprachlichen 
Gründen  für  das  bellum  Africanum  und  Alexandrinum  verschiedene  Ver- 
fasser anzunehmen  seien.  »Lateinische  Sprachuntersuchungen  ziehen 
mich  schon  länger  sehr  an,  und  ich  hoffe,  wenn  ich  lebe,  in  diesem 
Zweige  noch  ein  Meister  zu  werden«.  (S.  239).  Auch  andere  Pläne 
beschäftigten  ihn :  »eine  Darstellung  des  goldenen  Zeitalters  Griechenlands, 
über  die  Entstehung  der  Wissenschaften,  über  die  unermefsliche  Kluft 
zwischen  dem  Zeitalter  des  Perikles  und  Demosthenes«,  und  noch  man- 
ches andere. 

Ein  besonderes  Interesse  hat  Abschnitt  60,  worin  eine  Schilde- 
rung seiner  Persönlichkeit  von  Lieber,  der  als  philhellenischer  Frei- 
williger von  Griechenland  heimkehrend  Niebuhr  in  Rom  aufgesucht  und 
kennen  gelernt  hatte.  Die  Schilderung  erstreckt  sich  auf  Äufserlichkei- 
ten    seiner  Lebensgewohnheiten  wie    auf   die   wichtigsten  Eigenschaften 


Fr.  Eyssenhardt,    B.  G.  Niebuhr.  79 

3es  grofsen  Gelehrten.  Merkwürdig  ist  die  Mitteilung  über  sein  vorzüg- 
liches Gedächtnis  und  seinen  Gerechtigkeitssinn:  »Kein  Gelehrter  war 
je  unparteiischer  als  er.  Er  liebte  die  Wissenschaft,  wo  sie  sich  nur 
zeigte«. 

1823  kehrte  er  nach  Deutschland  zurück.  Er  hatte  bei  seinem 
Abschiede  von  Rom  die  Empfindung,  daselbst  nicht  heimisch  geworden 
zu  sein.  In  St.  Gallen  entdeckte  er  bei  der  Heimreise  den  Palimpsest 
des  Merobaudes.  Während  seiner  Bonner  Lehrtliätigkeit,  in  die  er  jetzt 
eintrat,  trug  er  im  Winter  1826  auf  1827  die  römische  Geschichte  bis 
auf  Sulla  vor,  erst  im  Winter  1828  auf  1829  las  er  bis  zur  Entstehung 
des  Kaisertums. 

In  den  letzten  Abschnitten  legt  Eyssenhardt  dar,  wie  Niebuhr 
dazu  kam,  zum  teil  so  unzutreffende  Urteile  über  hervorragende  Erschei- 
nungen in  der  römischen  Geschichte,  am  Ende  der  Republik  und  am 
Anfang  der  Kaiserzeit  abzugeben.  Die  Charakteristik  Caesars,  des  Ho- 
raz  und  der  Kaiserzeit  werden  eingehend  besprochen  und  eingeschränkt. 
—  Den  2.  Januar  1831  überraschte  der  Tod  den  für  die  Gegenwart  mit 
ängstlichen  Befürchtungen  erfüllten  Gelehrten. 

Was  den  Gesamteindruck  des  Buches  betrifft,  so  könnte  man  das- 
selbe geistreich  nennen.  Eine  Menge  feiner  Einzelbeobachtungen  sind 
eingestreut,  und  der  offenbar  durch  Reisen  oder  langen  Aufenthalt  im 
Süden  gebildete  Geist  des  Verfassers  verfügt  über  eine  Fülle  verschie- 
denartigster Kenntnisse,  die  er  besonders  bei  der  Beurteilung  von  Nie- 
buhrs  Ansichten  verwertet. 

Aber  eben  in  dieser  Geistreichigkeit  beruht  ein  Mangel  des  Wer- 
kes. Es  bietet  zu  viel  Kritik,  Beurteilung,  Raisonnement,  zu  wenig 
Stoff.  In  vielen  Abschnitten  nimmt  das,  was  Eyssenhardt  über  Niebuhrs 
Ansichten  sagt,  ebensoviel  Raum  ein  als  diese  Ansicht  selbst.  Von  einer 
Biographie  verlaugt  man  aber,  dafs  sie  uns  mehr  das  Leben  und  die 
Ansichten  der  behandelten  Persönlichkeit  als  deren  Kritik  vorträgt. 
Letztere  kann  wirklich  für  die  mangelnde  Thatsächlichkeit,  für  den  feh- 
lenden Stoff  nicht  Ersatz  sein.  So  wäre  es  z.  B.  besser  gewesen,  wir 
würden  von  der  Bonner  Lehrthätigkeit  Niebuhrs  ein  anschauliches  Bild 
gewinnen  (was  durch  das  Buch  nicht  möglich  ist)  als  dafs  Eyssenhardt 
nochmals  Partieen  Niebuhrscher  Geschichtsdarstellung  einer  fast  auflösen- 
den Kritik  unterzieht.  Kurzum,  etwas  mehr  Wärme  und  Pietät  für 
Niebuhr,  etwas  weniger  Kritik  für  seine  Schwächen  hätten  dem  Buche 
nicht  geschadet. 

Sodann  hätten  die  persönlichen  Beziehungen  besonders  der  letzten 
Zeit  eine  genauere  Erforschung  verdient.  Wir  erfahren  nicht,  wer  Nie- 
buhrs Freunde  in  dieser  letzten  Periode  gewesen,  wie  er  mit  seinen 
Kollegen  gelebt,  wie  ihm  das  schöne  Rheinland  mit  seiner  berühmten 
und  doch  so  jungen  Universität  gefallen,  wie  er  sich  mit  der  Studenten- 
schaft gestellt  und  dergl.    Mau  könnte  fast  meinen   —   man  sieht,  wie 


gO  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

wenig  das  argumentum  ex  silentio  taugt  —  Niebuhr  hätte  ganz  einsam 
und  verwaist  gestanden,  ohne  innigere  Beziehungen  zu  den  gelehrten 
Zeitgenossen.  Auch  hätte  vielleicht  in  einem  Schlufskapitel  etwas  über 
die  bedeutsamen  Nachwirkungen  von  Niebuhrs  gelehrter  Thätigkeit  ge- 
sagt werden  dürfen,  worüber  gar  nichts  mitgeteilt  wird.  Gerade  da 
Eyssenhardt  so  grofsen  Wert  darauf  legt,  die  Bedeutung  des  grofsen 
Historikers  zu  erläutern,  so  würde  ein  solches  Schlufskapitel  doppelt  an- 
gezeigt gewesen  sein. 

Noch  ganz  in  dem  Boden  der  älteren  deutschen  Philologen  wurzelt 
der  Hallesche  Philologe  Bernhardy. 

Gottfried  Bernhardy.  Zur  Erinnerung  an  sein  Leben  und 
Wirken.  Von  Dr.  Richard  Volkmann,  Gymnasial-Direktor  in  Jauer. 
Mit  einem  Bildnis  Bernhardys  nach  einer  Photographie.  Halle,  Eduard 
Anton.    1887.    8".    VHI  und  160  S. 

»Ein  Lebens-  und  Charakterbild,  keine  erschöpfende  und  kunstge- 
rechte Biographie«,  sagt  der  Verfasser  selbst  von  seiner  eigenen  Schrift, 
mit  der  er  sich  nicht  blofs  an  den  engen  Kreis  der  Freunde,  sondern  an 
das  allgemeine  Forum  der  Gebildeten  wendet.  »Meine  Schrift  will  da- 
rum zunächst  als  ein  schlichtes  Monumentum  pietatis  betrachtet  und  ge- 
würdigt werden,  welches  ich  auf  dem  noch  schmucklos  dastehenden 
Grabe  meines  verehrten  Lehrers  zu  errichten  bemüht  war.  Aber  gerade 
um  dieser  Beschränkung  willen  bin  ich  darauf  bedacht  gewesen,  die 
Klippe  der  meisten  Biographien  und  biographischen  Skizzen  zu  vermei- 
den, als  welche  Bernhardy  selbst  einmal  sehr  richtig  »die  verführerische 
Lust«  bezeichnet  hat,  »in  das  Schrankenlose  hinein  zu  rühmen,  zu  deh- 
nen und  darüber  die  richtige  Auffassung  des  Verdienstes  aufzugeben, 
welches  doch  immer  bedingt  von  Vorgängern  und  Mitlebenden  und  als 
Wechselwirkung  von  Tugenden  und  Schwächen,  gleichsam  als  ein  aus 
Licht  und  Schatten  durchdrungenes  Gemälde  erscheint  —  und  mich  im 
übrigen  möglichster  Kürze  und  Objektivität  befleifsigen«.     (S.  IV). 

Dem  Verfasser  standen  neben  den  gedruckten  Quellen,  in  denen 
sich  Bernhardy  über  seinen  Bildungs-  und  Studiengang  geäufsert  hat, 
der  handschriftliche  Nachlafs  des  berühmten  Gelehrten  zur  Verfügung, 
der  sich  teilweise  auf  der  Bibliothek  in  Halle,  teilweise  noch  im  Besitze 
der  Familie  befindet.  Abgesehen  von  sehr  zahlreichen  Briefen  ist  noch 
ein  Tagebuch  über  Dekanats-  und  Rektoratsgeschäfte  vom  12  Juli  1841 
bis  15.  Dezember  1847  erhalten.  Auch  aktenmäfsiges  Material  aus 
Halle  und  Berlin  erweiterte  die  eigenen  Erinnerungen  Volkmanns. 

Bernhardy,  den  18.  März  1800  zu  Landsberg  an  der  Warthe  von 
jüdischen  Eltern  geboren,  kam  1811  auf  das  Joachimsthal  in  Berlin,  wo 
unter  seinen  Lehrern  besonders  C.  Schneider  zu  nennen  ist.  Visitator 
der  Anstalt  war  Fr.  A.  Wolf,  »der  sich  denn  auch,  mit  der  erforder- 
lichen geheimrätlichen   Würde  umkleidet,    ab  und  zu    in  derselben  zu 


R.  Volkmann,  Gottfried  Bernhardy.  81 

schaffen  machteor.  1816  zum  Christentum  übergetreten,  ging  er,  mit 
einem  Zeugnis  Nr.  II.  versehen,  1817  zur  Universität  ab,  um  in  Berlin 
Philologie  zu  studieren;  in  der  Mathematik  scheint  er  am  schwächsten 
gewesen  zu  sein. 

Unter  Imm.  Bekker  immatrikuliert,  wurde  er  hauptsächlich  Schü- 
ler Wolfs.  »Trotz  seiner  lockern  Stellung  zur  eigentlichen  Universität 
war  damals  F.  A.  Wolf  noch  immer  der  berühmteste  philologische  Do- 
cent.  Sein  Vortrag  war  bekanntlich  aufserordentlich  elementar,  fast  zu 
elementar  für  die  seit  Decennien  nicht  unerheblich  gestiegene  Vorbildung 
der  Studierenden,  aber  von  fesselnder  Lebendigkeit,  nachhaltig  anregend 
zu  eigenem  Studium,  sprühend  von  Geist  und  schlagendem  Witz«.  Zeit- 
lebens hat  sich  Bernhardy  als  Schüler  Wolfs  betrachtet,  wie  wohl  da- 
mals schon  Boeckh  in  Berlin  lehrte. 

Doch  hörte  Bernhardy  neben  Wolf  und  Boeckh  auch  Rühs,  Nean- 
der  (Kirchengeschichte),  Schleiermacher  (Dialektik),  Hegel  (Naturphilo- 
sophie). Seit  1819  war  er  fünf  Semester  Mitglied  des  philologischen 
Seminars  unter  Boeckh  und  Buttmann.  Zum  Hören  der  Vorlesungen 
kam  ein  Privatfleifs,  »wie  er  kaum  gröfser  gedacht  werden  kann«.  Das 
ergibt  sich  aus  den  massenhaften  Collectanea,  die  noch  erhalten  sind, 
und  die  allerdings  Beweise  eines  staunenswerten  Fleifses  sind,  »um 
so  bewundernswerter,  als  er  einerseits  ganz  offenbar  auf  keine  Anregung 
seiner  Lehrer  zurückgeht,  anderseits  in  demselben  Mafse  an  Umfang  und 
Tiefe  gewann,  als  sich  Bernhardys  Verhältnisse  immer  ungünstiger  und 
trüber  gestalteten«.  (S.  7).  Seit  seinem  zweiten  Semester  raufste  sich 
der  arme  und  verlassene  Student  selbst  weiter  helfen,  was  mit  Hilfe  von 
Privatstunden,  Korrekturen,  Seminarprämien  u.  s.  w.  ärmlich  genug  ge- 
schah. Es  bewährte  sich  an  ihm  »fecunda  virorum  paupertas«.  Diese 
Verhältnisse  legten  den  Grund  zu  vielen  seiner  Charaktereigenschaften: 
Sparsamkeit,  Ordnungsliebe,  Genügsamkeit  und  Anspruchslosigkeit.  »Da- 
mals lernte  er  aber  auch  sich  gegen  seine  Umgebung  zu  verschhefsen, 
alle  Äufserungen  tiefer  Empfindung  als  Anwandlung  sentimentaler  Schwäche 
zu  unterdrücken,  Ironie  und  Sarkasmus  als  Waffe  gegen  die  Widerwär- 
tigkeiten seines  Geschickes  und  die  Zudringlichkeit  Unberufener  zu  ge- 
brauchen«.    (S.  8). 

Den  15.  April  1820  bestand  er  sein  Examen.  Das  Zeugnis  rühmt 
seine  Kenntnisse  in  den  klassischen  Sprachen,  tadelt  aber  sein  Benehmen 
und  seine  Sprache  beim  Unterrichten;  »von  dem  Lehren  der  Mathema- 
tik ist  er  gänzlich  auszuschliefsen«. 

In  das  pädagogische  Seminar  aufgenommen,  raufste  er  wöchentlich 
acht  Lehrstunden  an  dem  Friedrich -Werderschen  Gymnasium  überneh- 
men, welche  Anstalt  damals  unter  Leitung  des  Mathematikers  Zimmer- 
mann im  vollen  Verfall  war.  Die  Übeln  Erfahrungen  der  ersten  Lehr- 
stuude,  Sophokles  in  Unterprima,  liefsen  einen  dauernden  Stachel  in 
seiner  Erinnerung  zurück,  wenn  gleich  er  der  Übermütigen  Herr  wurde- 

Jahresbericht  für  Alterthum.swissen^cüaft  LXIV.  U890  III.j  6 


82  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

Das  zweite  Kapitel  )'Der  Beginn  der  akademischen  und  litterari- 
schen Thätigkeit  in  Berlin«  S.  11  —  32.  Trotz  seiner  Armut  studierte 
der  von  der  Militärbehörde  als  untauglich  bezeichnete  »Oberlehrer« 
Bernhardy  unermüdlich  weiter.  »Zu  einer  eingehenden  Beschäftigung 
mit  den  eigentlich  realen  Fächern  der  Philologie  verspürte  er  dabei 
wenig  Neigung.  Es  war  in  der  That  der  Geist  des  Altertums,  wie  er 
in  der  Gedankenwelt  der  Autoren  sich  kundgibt,  der  ihn  fesselte«. 
»Umfangreiche,  ja  möglichst  vollständige  und  vollzählige  Lektüre  der 
Autoren  auf  grund  solider  grammatischer  Kenntnisse  ist  von  jener  Zeit 
ab  das  A  und  ß  seiner  Philologie  geblieben«. 

Der  vortreffliche  Ministerialrat  Johannes  Schulze,  der  die  Gei- 
ster zu  unterscheiden  vermochte,  veranlafste  ihn,  sich  der  akademischen 
Laufbahn  zuzuwenden.  1822  promovierte  er  mit  einer  Dissertation 
»Eratosthenicorum  specimeu« ,  die  ein  Abschnitt  seines  Werkes  über 
Eratosthenes  war.  Obgleich  die  Arbeit  ziemlichen  Beifall  fand,  sagte 
Bernhardy  später  darüber:  »Über  die  Mängel  dieser  rasch  hingeworfe- 
nen Arbeit,  wie  solche  durch  jugendliche  Begeisterung  für  den  Helden, 
durch  Eigensinn,  einsame  Studien,  ungelenke  Form  und  eigentümliche 
Lebensgeschichte  können  verschuldet  werden,  bin  ich  nach  wenigen 
Jahren  nicht  zweifelhaft  gewesen«. 

Sommer  1823  begann  Bernhardy  seine  Vorlesungen  an  der  Ber- 
liner Hochschule  mit  einem  vierstündigen  Kolleg  über  griechische  Syn- 
tax und  einem  zweistündigen  Exegeticum  über  Aristophanes'  Wolken. 
In  der  nächsten  Zeit  las  er  meist  Exegetica;  erst  später  versuchte  er 
es  auch  mit  Römischen  Antiquitäten  und  Römischer  Litteraturgeschichte. 
»Es  war  sofort  ersichtlich,  dafs  der  junge  Docent  durch  seine  unge- 
wöhnlich ausgedehnte  Gelehrsamkeit  und  seinen  kritischen  Scharfsinn, 
wie  die  knappe  Präcision  seines  Vortrages  zum  Universitätslehrer  im 
höchsten  Grade  geeignet  sei«. 

Schon  im  März  1825  wurde  Bernhardy  zum  aufserordentlichen 
Professor  ernannt,  bei  welcher  Gelegenheit  das  Ministerium  die  Erwar- 
tung aussprach,  dafs  er  sich  nicht  nur  als  Docent,  sondern  auch  als 
gelehrter  Schriftsteller  auszeichnen  werde.  Das  Gehalt  betrug  300  Thlr. 
Eine  Zeitlaug  dachte  er  nun  an  ein  Werk  über  Ovid,  bis  er  sich  ent- 
schlofs  die  »Geographi  Graeci  minores«  im  Reimerschen  Verlag  zu  über- 
nehmen, von  denen  auch  bereits  1828  Band  I  erschien.  Der  Schwer- 
punkt der  Arbeit  liegt  nicht  in  der  Textgestaltung,  sondern  im  zweiten 
Teile,  der  mit  einer  Commentatio  de  Dionysio  Periegete  eröffnet  wird, 
worin  sich  eine  Fülle  trefflicher  sachlicher  und  sprachlicher  Bemerkun- 
gen finden:  «Vergleicht  man  die  neue  Arbeit  mit  den  Eratosthenica, 
so  zeigt  sich  ein  bedeutender  Fortschritt  in  jeder  Hinsicht  Dort  haben 
wir  die  gelehrte,  viel  versprechende  Arbeit  eines  Anfängers,  hier  die 
tüchtige  Leistung  eines  kenntnisreichen  Philologen,  der  sich  für  die  In- 
terpretation der  Autoren  schon  eine  feste,  bestimmte  Methode  gebildet 


R.  Volkmann,   Gottfried  Bernhardy.  83 

hat,   der  mit  richtigem  Blick  das   vorhandene  Material  zu   sichten  und 
zweckentsprechend  zu  vervollständigen  versteht«. 

Auch  seine  gesellschaftliche  Stellung  verbesserte  sich:  er  wurde 
befreundet  mit  Fr.  A.  Wolf,  der  ihn  zu  Spaziergängen  aufforderte,  Mei- 
neke,  der  seit  1826  Direktor  des  Joachimsthals  war,  Buttmann,  Zumpt 
und  Lachmann,  der  1825  Extraordinarius  in  Berlin  geworden.  Seit 
1827  trat  Bernhardy  an  die  Stelle  Buttmanns  an  dem  unter  Boeckh 
stehenden  philologischen  Seminar.  Seine  Beiträge  für  die  »Berliner 
Jahrbücher«,  die  sog.  Hegel-Zeitung,  beginnen  mit  dem  Jahre  1828  und 
sind  zum  Teil  jetzt  noch  lesenswert. 

Den  20.  März  1829  wurde  Bernhardy  ordentlicher  Professor  der 
klassischen  Philologie  und  Mitdirektor  des  philologischen  Seminars  in 
Halle  mit  einem  Gehalt  von  800  Thlr.,  nachdem  Karl  Reisig  in  der 
Blüte  der  Jahre  auf  einer  italienischen  Reise  in  Venedig  gestorben. 
Kurz  vorher  hatte  Bernhardy  dem  Minister  seine  »Griechische  Syn- 
tax« überreichen  können,  die  bei  Duncker  und  Humblot  »in  einem  an- 
ständigen, vornehmen  Format  und  erstaunlich  korrekter  Drucklegung« 
erschienen.  »Diese  gröfsere  Erstlingsarbeit  zeigt  nun  die  geistige  Eigen- 
tümlichkeit Bernhardys,  der  er  sein  Leben  lang  treu  geblieben  ist,  und 
die  er  im  Laufe  der  Zeit  nur  noch  mehr  vertieft  und  von  fremden,  stö- 
renden Einflüssen  befreit  hat,  in  unverkennbarer  Deutlichkeit  ausgeprägt. 
Seiner  ganzen  Anlage  nach  war  er  eine  systematische,  encyklopädische 
Natur.  Darum  hat  die  Detailforschung  mit  ihren  Minutien  in  seinen 
Augen  keinen  Wert  um  ihrer  selbst  willen,  sondern  immer  nur  als 
Mittel  zu  einem  höheren  Zweck«.  »Er  war  ein  prinzipieller  Feind  aller 
isolierten,  atomistischen  Betrachtungsweise  Vielmehr  strebte  er  immer 
zum  Ganzen».  »So  fügte  sich  ihm  sein  Wissen,  das  im  Laufe  der  Zeit 
die  Form  einer  stupeuden  Gelehrsamkeit  annahm,  zu  einem  wohlgefügten 
klar  und  übersichtlich  geordneten  Gesamtbau«.  (S.  27).  »Im  übrigen 
aber  verrät  schon  die  Vorrede  der  Syntax  den  Hegelianer,  aber  der  Ge- 
fahr, die  Hegeische  Terminologie  zum  Fachwerk  der  Grammatik  zu 
machen,  ist  er  glücklich  entgangen«.  Volkmann  erklärt  es  für  Bernhar- 
dys Hauptverdienst,  die  Parole  historischer  Syntax  ausgegeben  zu  haben, 
»nur  dafs  er  darunter  nicht  den  auf  historischer  Grundlage  successive 
vorzunehmenden  Neubau,  sondern  nur  den  nach  historischen  Gesichts- 
punkten zu  regelnden  Umbau  dessen,  was  man  als  Syntax  bezeichnete, 
verstand«. 

Das  dritte  Kapitel  (»Hallische  Thätigkeit.  Erster  Abschnitt«) 
erzählt  uns  zunächst  von  Bernhardys  Ehe,  die  er  1829  mit  seiner  Jugend- 
freundin Henriette  Meyer  aus  Berlin  schlofs.  Volkmann  spendet  der 
feingebildeten  Frau  ein  reichliches  Lob. 

Als  Kollegen  fand  Bernhardy  in  Halle  Hofrat  Schütz,  den  Nach- 
folger Wolfs,  Herausgeber  des  Aeschylus  und  Cicero,  einen  damals  »ab- 
gestumpften Greis«,  sodann  den   gelehrten  M.  H.  E.  Meier,  einen  be- 

6* 


84  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

geisterten  Schüler  Boeckhs  und  treuen  Freund  von  0.  Müller  und  Ger- 
hard, der  aber  die  Zuhörer  nicht  zur  Arbeit  anregte,  und  endlich 
J.  A.  Jacobs,  damals  schwer  krank,  der  auch  bald  nachher  starb. 
Bernhardy  wollte  es  anfangs  nicht  gelingen,  die  tüchtigen  Reisigianer 
für  sich  zu  gewinnen.  Weder  sein  nüchterner  Vortrag  noch  seine  sarka- 
stische Art  behagte  ihnen.  Bald  aber  brach  das  Eis,  und  z.  B.  M. 
Seyffert  trat  in  intimere  Beziehungen  zu  dem  neuen  Lehrer. 

Reibungen  mit  dem  Kollegen  Meier  führten  1846  zu  einer  Auf- 
lösung der  bisherigen  Seminareinrichtung,  ohne  dafs  jedoch  alle  Wünsche 
und  Hoffnungen  Bernhardj-s  sich  dabei  erfüllt  hätten. 

Als  Examinator  (er  fragte  meist  nach  Litteraturgeschichte  und 
Antiquitäten,  nur  nebenbei  nach  Grammatik  und  Metrik)  war  er  streng  und 
gefürchtet,  aber  doch  human  bei  der  Beurteilung. 

Viele  Mühe  brachte  ihm  die  1844  erfolgte  Ernennung  zum  Ober- 
Bibliothekar,  welcher  Thätigkeit  er  täglich  zwei  Stunden  opfern  mufste, 
wofür  er  ein  Gehalt  von  400  Thlr.  erhielt.  »Er  hat  auf  diesem  Gebiete 
unter  beschränkten  Verhältnissen  das  möglichste  geleistet,  und  Johannes 
Schulze  hat  nicht  ohne  Grund  ihn  mehrfach  als  seinen  besten  Bibliothe- 
kar bezeichnet«. 

Daran  schliefst  sich  S.  42  ff.  eine  bis  ins  einzelne  gehende  Schil- 
derung der  Persönlichkeit  und  Lebensweise  Bernhardj-s.  Wie  in  allem, 
so  war  auch  seine  Lebensführung  ein  Muster  von  Ordnung  und  Regel- 
mäfsigkeit,  wodurch  er  sich  trotz  seines  grofsen  Fleifses   gesund  erhielt. 

1846  erlaubte  ihm  eine  Staatsunterstützung  eine  Reise  nach  den 
Niederlanden  und  Paris,  um  die  noch  ausstehenden  Kollationen  zur 
Fortsetzung  des  Suidas  zu  besorgen.  Aus  anschaulichen  Briefen  an 
seine  Frau  erhalten  wir  Kunde  über  die  mannigfachen  Eindrücke,  wel- 
che ihm  die  Reise  durch  bisher  nicht  gesehene  Länder  und  Städte  zu- 
führte. In  Paris,  wo  er  die  Bekanntschaft  mancher  französischer  Ge- 
lehrten machte,  gefiel  es  ihm  sehr  wohl,  und  der  briefliche  Verkehr 
dauerte  mit  einigen  auch  später  noch  fort.  Am  vertrautesten  verkehrte 
er  mit  Hase.  Das  Jahr  1848  mit  seinem  demokratischen  Maulheldentum 
forderte  nur  seinen  Spott  heraus,  obgleich  er  sich  auch  gegen  konser- 
vative Männer  die  Freiheit  des  Urteils  wahrte. 

Von  besonderer  Wichtigkeit  ist  sodann  das  4.  Kapitel  des  Buches, 
welches  die  litterarische  Thätigkeit  der  ersten  hellenischen  Zeit  schildert. 
Es  werden  aufgezählt  seine  Rezensionen,  von  denen  ausführlicher  erwähnt 
sind  die  über  Peerlkamps  Horaz,  über  Meinekes  Fragmenta  comicorum 
Graecorum  und  0.  Müllers  Geschichte  der  griechischen  Litteratur,  »die 
Krone  seiner  sämtlichen  Rezensionen«,  Pläne  zur  Fortsetzung  der  Geogra- 
phi  minores,  zu  einerneuen  kritisch-exegetischen  Bearbeitung  der  Scriptores 
Historiae  Augustae,  die  Ausgabe  des  Suidas  (seit  1834),  Plan  zu  einer 
Sammlung  kommentierter  Ausgaben  lateinischer  Klassiker,  die  römische 
Litteraturgeschichte,  die  Encyklopädie,  die  griechischeLitteraturgeschichte. 


R.  Volkmann,    Gottfried  Bernhardy.  85 

Volkmaun  gibt  über  die  nicht  verwirklichten  Pläne  wie  über  die  Werke 
selbst  eingehend  Auskunft:  die  Schriften  werden  besprochen  und  beur- 
teilt, auch  die  Aufnahme,  die  sie  bei  den  gelehrten  und  raitstrebenden 
Zeitgenossen  gefunden,  erwähnt.  Anerkennung  der  Tüchtigkeit  und  Er- 
wähnung der  Schwächen,  Lob  und  Tadel  wird  gespendet,  wobei  jedoch 
der  pietätsvolle  Schüler  nie  vergifst,  was  er  dem  verdienten  Lehrer 
schuldig  ist. 

Der  Würdigung  des  Schriftstellers  schliefst  sich  eine  Würdigung  des 
Lehrers  und  Seminarleiters  an,  die  niemand  für  eine  Schmeichelrede 
erklären  wird.  Insbesonders  werden  hier  die  Einseitigkeiten  und  Schwä- 
chen nachgewiesen,  weshalb  Bernhardy  trotz  aller  Tüchtigkeit  und  Ge- 
lehrsamkeit kein  Schulhaupt  geworden  ist.  Man  hat  bei  der  Lektüre 
die  Empfindung,  dafs  der  Verfasser  nur  der  Wahrheit  dienen  und '  des- 
halb nicht  zu  viel  und  nicht  zu  wenig  sagen  will.  Insbesonders  ist  der 
unerfreuliche  Streit  mit  Bergk  so  geschildert,  dafs  auch  die  Vorzüge  des 
letzteren  volle  Anerkennung  finden.  So  lesen  wir  S.  101:  »Dafür  war 
dieser  (d.  h.  Bergk)  Bernhardy  in  allen  kritischen  Fragen,  man  denke 
nur  an  die  erstaunliche  Leichtigkeit  seines  Konjekturaltalentes,  unleug- 
bar überlegen,  und  diese  kritische  Richtung  gewährte  auch  seinen  Vor- 
lesungen gerade  für  ältere  Studenten  etwas  ungemein  Frisches  und  Le- 
bendiges. Liefs  er  doch  in  ihnen  seine  Zuhörer  gleichsam  tiefe  Ein- 
blicke in  seine  eigne,  geistige  Werkstatt  thun.  Auch  in  seiner  Societät 
und  sonst  gab  er  sich  viel  mit  ihnen  ab,  was  Bernhardy,  schon  weil  er 
keine  Zeit  dazu  hatte,  nicht  mehr  konnte,  und  auch  früher  immer  nur 
einzelnen  Bevorzugten  gegenüber  gethan  hatte.  Dabei  wufste  Bergk  auf 
allen  möglichen  Gebieten  mit  dem  neuesten  Stand  der  philologischen  Con- 
troverse  vollständig  Bescheid.  In  der  Litteratur  wie  in  den  Antiquitäten, 
in  der  historischen  Grammatik  wie  in  der  Kunde  der  italischen  und  grie- 
chischen Dialekte,  in  der  Monatskunde  und  der  Metrologie,  Metrik,  kurz 
überall  war  er  zu  Hause;  alles,  was  er  sagte,  war  neu  oder  erschien 
wenigstens  so«. 

Nachdem  Bernhardy  1872  sein  fünfzigjähriges  Doktorjubiläum  be- 
gangen, wobei  er  von  vielen  Seiten  in  hohem  Grade  gefeiert  worden 
(Ritschis  lateinische  Zeitschrift  wird  im  Wortlaut  S.  109  mitgeteilt), 
starb  er  den  14.  Mai  1874.  Die  tiefempfundene  Grabrede  seines  Kolle- 
gen Beyschlag,  welche  ganz  mitabgedruckt  ist,  feiert  neben  den  Gelehr- 
ten ganz  besonders  den  edlen  und  reinen  Charakter  des  grofsen  Ge- 
lehrten. In  einem  Schufswort  fafst  Volkmann  nochmals  das  Wichtigste 
seiner  lesenswerten  und  gerechten  Darstellung  zusammen. 

Eine  anerkennende  Besprechung  hat  Volkmanns  Buch  zuerst  durch 
Muff  in  der  Berliner  philolog.  Wochenschrift  VII  (1887)  S.  1575-1577 
gefunden,  der  auch  einige  Ergänzungen  und  Ausstellungen  hinzugefügt 
hat.  Weitere  Besprechungen  sodann  von  M.  Hertz  (Deutsche  Littera- 
turztg.  1889.  Nr.  3),  PeppmüUer  (Wochenschrift  für  klass.  Philol.  V, 


86  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

11  p.  332),   G.  F.  Rettig  (Neue  philologische  Rundschau  1888  Nr.  1), 
G.  Lot  holz  (Jahrb.  f.  Philol.    Bd.  135.    Heft  12). 

Ein  Brief  Philipp  Buttnianns  (Rhein.  Museum.    N.  F.  Band  42, 
S.  627  —  633). 

Ein  ungenannter  X.  veröffentlicht  einen  vom  20.  Oktober  1817  an 
den  bekannten  Philologen  Näcke  gerichteten  Brief  Buttmanns,  der  sich 
handschriftlich  auf  der  Bonner  Bibliothek  befindet.  Der  Zweck  der  Ver- 
öffentlichung, der  in  der  anmutig  geschriebenen  Einleitung  klar  wird, 
steckt  in  folgender  Stelle  des  Briefes :  »Darf  ich  Ihnen  noch  einen  Rat 
geben,  so  geben  Sie  nicht  alles,  was  Ihnen  bei  der  Bearbeitung  freilich 
durch  Augen,  Kopf  und  Finger  hat  gehen  müssen,  auch  dem  Leser.  Es 
schwellt  wirklich  unsre  Litt(eratur)  gar  zu  sehr,  und  erschwert  auch  die 
erfreuliche  Übersicht  der  einzeln(en)  Abschnitte  in  Einem  Buche,  wenn 
man  den  ganzen  Gang  der  Untersuchung,  wie  man  sie  an  einem  Schreib- 
tische machen  mufste,  dem  Leser,  damit  dieser  sie  gleichsam  noch  ein- 
mal mache,  vorlegt«.  So  wird  diese  Mitteilung  zu  einem  Mahnruf  gegen 
die  litterarische  Massenproduktion  der  neuen  Zeit,  gegen  die  beständig 
anwachsende  Kleinlitteratur,  gegen  welche  schon  Bernhardy,  »dem  nie- 
mand ein  knappes  Mafs  litterarischen  Verdauungsvermögens  zusprechen 
wird«,  geeifert  hat.  Ein  ungenannter  Korrektor  Y  hat  sich  in  einer 
Nachbemerkung  der  litterarischen  »Kleinkinderbewahranstalten«  ange- 
nommen, in  welchen  angeblich  die  »hypertrophischen  Erzeugnisse«  der 
Doktoranden  vor  dem  Untergang  bewahrt  werden. 

Johannes  Flach,    Erinnerung  an  Karl  Lehrs   (Neue  Jahrbücher 
für  Philologie  und  Pädagogik.     Bd.  136.    S.  180—190). 

Kaufmann  oder,  wie  er  später  genannt  wurde,  Karl  Lehrs,  wurde 
den  14.  Januar  1802  zu  Königsberg  als  Sohn  jüdischer  Eltern  geboren. 
Erst  1822  trat  er  zum  Christentum  über.  Er  studierte  zu  Königsberg 
unter  Lobeck  klassische  Philologie,  wurde  1824  Gymnasiallehrer  in 
Marienwerder,  1825  Oberlehrer  am  Friedrichs-Collegium  zu  Königsberg, 
1835  aufserordentlicher  und  1845  ordentlicher  Professor  an  der  Univer- 
sität Königsberg.  Jetzt  erst  legte  er  sein  Schulamt  nieder,  das  er  neben- 
bei bekleidet  hatte.  Den  9.  Juni  1878  erlöste  ihn  der  Tod  von  einem 
qualvollen  Leiden.  Einen  ehrenvollen  Ruf  nach  Leipzig  als  Nachfolger 
Gottfried  Hermanns  hatte  er  abgelehnt.  Sein  eigener  Nachfolger  in  Kö- 
nigsberg wurde  Arthur  Ludwich. 

Obgleich  ein  Verehrer  des  weiblichen  Geschlechtes  blieb  er  doch 
unverheiratet.  Seine  Lebensgewohnheiten  waren  einfach  und  regelmäfsig. 
Der  Vormittag  war  der  Arbeit  oder  dem  Empfang  von  Freunden  und 
Schülern  gewidmet,  nachmittags  hielt  er  Vorlesungen  (übrigens  stets 
gratis)  und  erholte  sich  sodann. 

Zu    seinen    Freunden    gehörten    der   Philosoph    Rosenkranz,    die 


Johannes  Flach,   Erinnerung  an  Karl  Lehrs.  87 

Philologen  Friedländer,  Ludwich,  Arnold  und  der  Verfasser  des  Auf- 
satzes. 

Bei  einem  Vergleiche  mit  anderen  deutschen  Philologen  kommt 
Flach  zu  dem  Ergebnis,  dafs  Lehrs  von  M.  Haupt  in  der  Sicherheit  der 
textkritischen  Methode,  von  A.  Ritschi  in  der  gleichmäfsigen  Sicherheit 
der  Methode  übetroffen  worden  sei.  »Aber  Lehrs  übertraf  beide  an 
Genialität,  an  Geistreichigkeit,  an  scharfem  Urteil  und  an  ästhetischem 
Geschmack«.  Ob  Geistreichigkeit  ein  so  grofser  Vorzug  ist?  Die  ganze 
Charakteristik  ist  in  diesem  panegyrischen  Tone  gehalten.  So  lesen  wir 
wenige  Zeilen  später:  »So  war  Lehrs  unstreitig  der  bedeutendste  Helle- 
nist, der  auf  deutschem  Boden  erstanden  ist«. 

Gelegentlich  des  Gegensatzes  von  Lehrs  und  S.  Teuffei  in  der 
Horazkritik  sagt  Flach:  »Man  kann  ruhig  aussprechen,  dafs  die  süd- 
deutsche Selbstgenügsamkeit,  der  Egoismus  daselbst,  der  Erwerbungs- 
trieb niemals  imstande  gewesen  sind,  einen  so  intakten  und  grofsartig 
angelegten  Gelehrten,  wie  Lehrs,  zu  begreifen,  dessen  innerstes  "Wesen 
aus  dem  Aufgehen  in  einen  fremden  Geist,  aus  Selbstlosigkeit  und  Ent- 
sagung zusammengesetzt  war,  aber  ebensowenig  im  stände  gewesen  sind, 
das  wirkliche  Griechentum  zu  verstehen,  weil  hier  im  Süden  noch  das 
beschränkte  und  scholastische  Mittelalter  zu  deutliche  Spuren  hinter- 
lassen hat  u.  s.  w.«  Dafs  hier  jeder  Satz  angreifbar  ist,  dafs  hier  zum 
teil  übertreibende  Redensarten  mit  unterlaufen,  merkt  wohl  auch  der- 
jenige Leser,  welcher  ohne  Sachkenntnis  diese  »Erinnerung«  liest. 

Es  folgt  nun  eine  Charakteristik  der  philologischen  Arbeiten  von 
Lehrs:  De  Aristarchi  studiis  Homericis  (1833),  ein  Werk,  das  Flach 
über  Wolfs  Prolegomena  zum  Homer  zu  stellen  scheint;  Herodiani  scripta 
tria  emendatiora  (Königsberg  1848),  an  dessen  Ende  die  Analecta  gram- 
matica;  sodann  die  »populären  Aufsätze  aus  dem  Altertum«  (1856),  von 
denen  die  über  Helena,  über  die  Nymphen  und  über  Wahrheit  und 
Dichtung  in  der  Litteraturgeschichte  als  besonders  fesselnd  bezeichnet 
werden;  ferner  die  quaestiones  epicae  (1837),  gleichsam  eine  Ergänzung 
zum  Aristarch;  die  Pindarscholien  (1873),  von  Theodor  Bergk  heftig 
angegriffen;  sein  Horaz  (1869  und  Nachtrag  1871);  eine  Übersetzung 
des  platonischen  Phädrus  (1870),  die  nur  wenig  bekannt  geworden  ist. 

Lehrs'  Vorlesungen,  die  meist  frei  vorgetragen  wurden,  waren 
mehr  anregend  als  stoffreich.  Von  der  Litteratur  wurde  nur  das 
notwendigste  angeführt,  sehr  selten  nur  Aufsätze  aus  Zeitschriften. 
Ganz  besonders  anregend  war  Lehrs  im  philologischen  Seminar,  das  er 
in  seiner  Wohnung  abzuhalten  pflegte.  Besonders  nützlich  waren  dabei 
die  Übungen  über  Hesiod,  Aristophanes  und  Horaz.  Daneben  werden 
die  Besprechungen,  die  er  mit  den  einzelnen  Seminarmitgliedern  über 
ihre  Arbeiten  abzuhalten  pflegte,  als  sehr  instruktiv  gerühmt.  »Lehrs 
hatte  Zeit  für  seine  Schüler  und  scheute  seine  kostbaren  Stunden  nicht, 
fand   aber   trotzdem  Zeit  genug    für  seine  wissenschaftlichen  Arbeiten. 


gg  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

Ebenso  hatte  er  aber  noch  später  Zeit,  mit  seinen  Schülern,  wenn  sie 
die  Hochsclmle  verlassen  hatten,  zu  korrespondieren  und  in  ausführlichen 
Briefen  seine  Ansichten  klar  zu  legen«. 

Der  Aufsatz,  der  als  »Erinnerung«  bezeichnet  ist,  hat  etwas  Skizzen- 
haftes; vermutlich  wollte  der  Verfasser  nur  eine  Umrifszeichnung  und 
kein  ausgeführtes  Bild  geben.  Aber  zu  bedauern  bleiben  die  eingefügten 
Ausfälle  und  Angriffe,  die  in  ihrer  Allgemeinheit  auch  über  das  Ziel 
hinausschiefsen.  Es  ist  doch  nicht  nötig,  andere  zu  schelten,  wenn  man 
Lehrs  loben  will.  Der  Verfasser  würde  seinen  Lesern  gröfseren  Beifall 
abgewonnen  haben,  wenn  er  ohne  diese  überflüssigen  Einmischungen  sich 
fester  an  sein  Thema  angeschlossen  hätte.  Auch  durfte  der  allzu  pane- 
gyrische Ton  an  manchen  Stellen  gedämpft  werden,  ohne  dafs  dadurch 
dem  Genius  von  Lehrs  ein  Eintrag  geschah. 

Keiner  unter  den  lebenden  deutschen  Philologen  geniefst  allgemei- 
nere Anerkennung  auch  aufserhalb  Deutschland  als  Mommsen. 

Karl  Zangemeister  Theodor  Mommsen  als  Schriftsteller.  Ver- 
zeichnis seiner  bis  jetzt  erschienenen  Bücher  und  Abhandlungen.  Zum 
7o.  Geburtstag  am  30.  November  1887  überreicht.  Heidelberg.  Win- 
ter.   1887.    8».    VI  und  79  S. 

Dieses  Verzeichnis  Mommsenscher  Arbeiten  kann  als  Beischrift 
zu  der  Marmorbüste  aufgefast  werden,  womit  Freunde  und  Verehrer  den 
berühmten  Gelehrten  zu  seinem  70  Geburtstage  beschenkten.  Mommsen 
möge  diese  Liste  als  ein  »Monumentum  rerum  gestarum«  in  seinem 
Hausarchiv  aufbewahren  und  zugleich  für  die  beabsichtigte  Fortsetzung 
eine  Stelle  offen  halten. 

»Der  Katalog  dürfte  aber  zugleich  in  weitesten  Kreisen,  wo  immer 
der  Name  Mommsen  gefeiert  wird,  von  Interesse  sein.  Die  schlichte  Liste 
ist  in  der  That  an  sich  schon  beredt  genug  Wie  in  einem  Spiegelbilde 
zeigt  sie  das  geistige  Schaffen  des  grofsen  Gelehrten.  Jeder  Leser  wird 
den  fast  beispiellosen  Umfang  dieser  schriftstellerischen  Thätigkeit  be- 
wundern; Kundige,  welche  den  jetzigen  Standpunkt  unserer  Wissenschaft 
mit  dem  vor  Mommsens  Auftreten  zu  vergleichen  wissen,  werden  sich 
zugleich  deren  Bedeutung  vergegenwärtigen«. 

Die  chronologische  Anordnung  der  Arbeiten  bietet  den  Vorteil, 
dafs  man  die  Entwickelung  der  Forscherthätigkeit  überschauen  kann. 
So  sieht  man,  wie  Mommsen  mit  seiner  Vereinigung  juristischer  und 
historisch  -  philologischer  Forschung  sich  gleich  von  Anfang  an  den 
wissenschaftlichen  Wiederaufbau  der  Gröfse  Roms  zum  Ziele  gesetzt  hat. 
Bereits  eine  These  des  Doktorkandidaten  aus  dem  Jahre  1843  deutet 
dies  an:  Jurisconsultum  a  philologo  discere  posse;  au  possit  philologus 
ab  illo,  adhuc  dubitandum. 

Die  Anordnung  der  Arbeiten  innerhalb  der  einzelnen  Jahre  ist  so 
gemacht,  dafs  an  erster  Stelle   die  selbständigen  Werke   stehen,  sodann 


K.  Zangenieister,    Mommsen  als  Schriftsteller.  89 

die  in  Zeitschriften  erschienenen  Arbeiten  und  dann  die  Schriften  ande- 
rer, zu  denen  Mommsen  Beiträge  geliefert  hat. 

Der  Katalog,  welcher  bis  Mitte  November  1887  geführt  ist,  ent- 
hält 949  Nummern. 

Ein  Verzeichnis  der  Druckwerke,  welche  Beiträge  von  Th.  Momm- 
sen enthalten,  und  ein  ausführliches  Sach-  und  Namenregister  beschliefst 
das  Schrifteben,  das  eine  einzigartige  Huldigung  ist.  Schwerlich  besitzt 
Deutschland  einen  zweiten  Gelehrten,  dem  etwas  Ähnliches  dargebracht 
werden  könnte.  Eine  Durchmusterung  der  einzelnen  Titel  ist  auch  in- 
sofern äufserst  lehrreich,  indem  man  daraus  ersehen  kann,  wie  Momm- 
sen nicht  blofs  ein  grofser  Historiker  und  Philologe,  sondern  auch  ein 
Gelehrter  mit  ausgedehnten  sonstigen  Interessen  ist.  Man  achte  auf  die 
Reden  des  Abgeordneten  und  Akademikers  Mommsen.  Für  die  meisten 
Verehrer  des  genialen  Mannes  wird  aber  Nr.  4  etwas  ganz  Neues  bieten, 
wenn  sie  da  lesen:  »Liederbuch  dreier  Freunde.  —  Theodor  Mommsen. 
Theodor  Storra.     Tycho  Mommsen.     Kiel  1843«. 

Der  begeistertste  Pauegyrikus  auf  Mommsen  könnte  nicht  nach- 
haltiger und  durchschlagender  wirken  als  diese  einfache  Zusammen- 
stellung von  Titeln.  Deutschland  aber  darf  stolz  darauf  sein,  einen  sol- 
chen Gelehrten  zu  besitzen. 

Erinnerungen   aus    meinem    Leben.     Von    Gustav    Freytag. 
Leipzig.    Hirzel.    1887.    IV  und  377  S. 

Der  Verfasser  dieses  anziehenden  Werkes,  einer  der  gefeiertsten 
Schriftsteller  der  Gegenwart,  der  berühmte  Verfasser  der  »Bilder  aus 
der  deutschen  Vergangenheit«,  und  der  »Ahnen«,  ist  zwar  Germanist  und 
nicht  klassischer  Philologe.  Aber  trotzdem  verdient  seine  Autobiogra- 
phie auch  an  dieser  Stelle  eine  Erwähnung  Nicht  blofs,  dafs  er  pietäts- 
voll die  Männer  schildert,  denen  er  seine  Schulbildung  verdankt,  er  ist 
auch  im  späteren  Leben,  besonders  während  seines  Leipziger  Aufent- 
haltes, im  regen  Verkehr  mit  den  glänzendsten  Vertretern  der  klassischen 
Philologie  in  Deutschland. 

Nachdem  Freytag,  ein  geborener  Schlesier,  bei  seinem  Oheim,  der 
Pastor  war,  den  ersten  Unterricht  genossen  hatte,  kam  er  Ostern  1829 
nach  Öls  auf  das  Gymnasium.  Es  ist  erfreulich,  dafs  der  gefeierte 
Schriftsteller  die  nun  folgende  Periode  seines  Lebens  nicht,  wie  gewisse 
bekannte  Modeschriftsteller  als  eine  Art  Satyrspiel,  als  eine  pietätlose 
Schulhumoreske  mit  viel  Dichtung  und  wenig  Wahrheit  behandelt;  manche 
dii  minorum  gentium  auf  dem  deutschen  Parnass,  die  sich  nicht  genug  thun 
können,  ihre  Schulzeit  als  eine  Zeit  der  traurigsten  und  borniertesten  Quä- 
lerei darzustellen  und  ihre  Lehrer  fast  ausnahmslos  als  Halbnarren  oder 
lederne  Pedanten  zu  schildern,  könnten  sich  an  diesen  »Erinnerungen«  ein 
lehrreiches  Beispiel  dafür  nehmen,  wie  man  ein  sehr  geistvoller  Schrift- 
steller sein  und  doch  von  seiner  Gymnasialzeit  mit  Pietät  sprechen  kann. 


90  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

Wegen  der  Mangelhaftigkeit  seiner  Kenntnisse  kam  Freytag  nach 
Quarta,  wo  er  unter  meist  jüngeren  und  kleineren  Knaben  sitzen  mufste. 
»Von  da  stieg  ich  zu  den  unregelmäfsigen  griechischen  Zeitwörtern  der 
Tertia  auf«.  In  Prima  verweilte  Freytag  drittehalb  Jahr,  zwei  Jahr  als 
Primus;  das  letzte  halbe  Jahr  wurde  auf  Wunsch  des  Direktors  zuge- 
legt, und  der  Verfasser  versichert,  er  habe  nicht  Ursache  gehabt  dies  zu 
bereuen. 

Wohl  vorbereitet,  bezog  er  1835  die  Universität  Breslau.  »Als 
ich  zur  Universität  abging,  schrieben  die  wackeren  Lehrer  Rühmliches 
über  meinen  griechischen  und  lateinischen  Erwerb  in  das  Schulzeugnis; 
sie  waren,  wie  ich  selbst,  der  Meinung,  dafs  ich  auf  den  gebahnten 
Wegen  der  klassischen  Philologie  fortgehen  würde.    Doch  es  kam  anders«. 

Aber  warum  kam  es  anders?  Die  Vorlesung  von  Professor  Schnei- 
der in  Breslau  über  Plato  erschien  dem  jungen  Studenten  so  öde  und 
langweilig,  dafs  ihm  zeitlebens  die  Abneigung  gegen  diesen  »schönen 
Mann  der  griechischen  Philosophie«  geblieben  ist.  Dagegen  fesselten 
ihn  die  Vorlesungen  des  jugendlichen  Ambrosch  über  Privataltertümer 
und  antike  Kunst.  Bald  jedoch  zog  der  Germanist  Hoffmann  von  Fallers- 
leben  Freytag  in  seine  Kreise  und  gewann  ihn  für  die  deutsche  Philologie. 

In  einen  neuen  Kreis  trat  er  mit  der  Übersiedelung  nach  Berlin, 
wo  er  eine  Gesellschaft  von  Comilitouen  fand,  der  auch  der  Sanskretist 
Adalbert  Kuhn  angehörte:  er  war  es,  »welcher  am  sichersten  in  seinen 
Schuhen  stand  und  im  Wissen  am  weitesten  vorgedrungen  war«.  Eine 
ganz  neue  wissenschaftliche  Anregung  fand  er  sodann  durch  die  Vor- 
lesungen Karl  Lachmanns.  Freytag  rühmt  »das  feine  Lächeln,  mit 
dem  er  seine  Reden  anhörte,  seine  ruhige  nachdrückliche  Weise  zu 
sprechen,  den  klaren  Blick  seines  Auges.  Vollends  in  den  Vorlesungen. 
Er  war  damals  kein  gesuchter  Lehrer  und  hatte  nur  ein  kleines  Audi- 
torium, er  bot  auch  nicht,  was  die  Zuhörer  im  Anfange  fesselt,  glän- 
zende Einleitungen  und  grofse  Überblicke,  er  begann  mit  Einzelheiten 
und  setzte  willige  Hingabe  voraus.  Aber  was  er  gab:  erklärende  That- 
sachen,  kritische  Bemerkungen  zu  einzelnen  Stellen,  das  waren  lautere 
Goldkörner,  die  er  unablässig  ausstreute«.  Von  seinen  Vorlesungen  über 
klassische  Sprachen  hörte  Freytag  besonders  Catull ;  er  wurde  der  Mei- 
nung, dafs  zwei  Stunden  Lachmannscher  Vorlesungen  genügende  Tages- 
arbeit für  einen  Zuhörer  seien. 

Die  nächste  Zeit  liegt  aufserhalb  der  uns  hier  gestellten  Aufgabe. 
Nach  wohlbestandenem  Doktorexamen  kehrte  Freytag  in  die  schlesische 
Heimat  zurück,  wo  er  sich  auf  eine  germanistische  Professur  vorbereitete. 
Die  Zeit  seiner  Privatdozententhätigkeit  zu  Breslau  und  der  Dresdener 
Aufenthalt  kann  hier  nicht  besprochen  werden.  Erst  sein  Leipziger  Auf- 
enthalt, wo  er  als  Mitredakteur  an  dem  Grenzboten  lebte,  brachte  ihn 
wieder  in  Verbindung  mit  der  klassischen  Philologie;  er  wurde  der 
Freund   von  Moriz  Haupt,   Otto  Jahn  und  Theodor  Mommsen, 


G.  Freytag,    Erinnerung  aus  meinem  Leben.  91 

welche  Freundschaft  die  Gemeinsamkeit  der  politischen  Überzeugungen 
vermittelt  hatte:  »Die  Freundschaft,  in  welcher  die  drei  zusammen 
lebten,  und  die  vornehme  Gesinnung,  mit  der  sie  ihrer  Wissenschaft 
dienten,  waren  eine  ganz  einzige  Erscheinung«.     (S.  234). 

Alle  drei  waren  damals  der  sächsischen  Regierung  verdächtig  ge- 
worden und  durch  eine  Untersuchung  in  ihrer  Lehi^thätigkeit  gehemmt. 
Haupt,  der  älteste,  hielt  sich  seitdem  sehr  eingezogen,  liefs  sich  aber 
gern  von  Freytag  besuchen:  »zuweilen  gelang  es  auch  den  ernsten,  in 
sich  gekehrten  Mann  zu  geselliger  Unterhaltung  in  eine  stille  Ecke  zu 
verlocken«. 

Mit  Jahn  und  Mommsen  kam  es  bald  zu  einem  kameradschaft- 
lichen Einvernehmen:  »beide  wurden  hochgeschätzte  Mitarbeiter  der 
Grenzboten,  denen  sie  manchen  Prachtartikel  geliefert  haben«.  Auch 
nachdem  die  drei  nicht  mehr  in  Leipzig  waren,  dauerte  die  Freundschaft 
fort.  »Konnte  ich  nicht  selbst  Philologe  sein,  so  war  ich  doch  stolz 
darauf,  dafs  es  die  Freunde  auch  für  mich  waren,  und  ich  bin  seit  jener 
Zeit  auf  den  neuen  Bahnen,  welche  die  drei  Gelehrten  in  ihrer  umfang- 
reichen und  grofsartigen  Thätigkeit  eröffneten,  getreulich  nachgewandelt. 
Dies  bescheidene  Mitlehen  an  ihrer  Arbeit  verklärte  auch  den  persön- 
lichen Verkehr,  sie  gewöhnten  sich,  mich  als  einen  ihrer  Getreusten  zu 
betrachten.  Zwei  von  ihnen  sind  uns  verloren,  aber  der  jüngste  und 
genialste  ist  unermüdlich,  als  Häuptling  der  deutschen  Wissenschaft  neue 
Gebiete  botmäfsig  zu  machen«. 

Beachtenswert  ist,  dafs  die  Idee  zu  Freytags  berühmtem  Roman 
»Die  verlorene  Handschrift«  von  M.  Haupt  ausging.  Es  stimmte  mit 
stillen  Plänen  Freytags,  dafs  er  von  seinem  philologischen  Freunde 
plötzlich  aufgefordert  wurde,  einen  Roman  zu  schreiben.  Dieser  teilte 
ihm  einmal  in  vertrauter  Stunde  mit,  dafs  in  irgend  einer  kleinen 
westfälischen  Stadt  auf  dem  Boden  eines  alten  Hauses  sich  die  Reste 
einer  alten  Klosterbibliothek  fänden,  worunter  möglicherweise  noch  eine 
Handschrift  mit  verlorenen  Dekaden  des  Livius  stecke.  Eine  gemein- 
same Reise  dahin  wurde  verabredet  und  der  argwöhnische  Besitzer  der 
Handschrift  sollte  bei  einem  guten  Trünke  überlistet  werden.  »Aus  der 
Reise  wurde  nichts,  aber  die  Erinnerung  an  jene  beabsichtigte  Fahrt 
hat  der  Handlung  des  Romanes  geholfen«. 

Jugendeindrücke  und  Erlebnisse  von  Georg  Weber.  Ein  histo- 
risches Zeitbild.  Leipzig.  Wilhelm  Engelmann.  1887.  8°.  VHI  und 
295  S. 

Dieses  in  behaglicher  Breite  geschriebene  Werk  des  nunmehr  ver- 
storbenen Verfassers  der  »Allgemeinen  Weltgeschichte«  verdient  aus  zwei 
Gründen  an  dieser  Stelle  Erwähnung:  1.  schildert  Weber  seinen  eigenen 
Entwickelungsgang,  der  durch  die  Philologie  führte,  und  2.  charakteri- 
siert er  eine  ziemliche  Anzahl  hervorragender  Philologen,  mit  denen  er 


92  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

gesellig  und  wissenschaftlich  während  seines  langen  Lebens  verkehrt 
hat  Da  der  Verfasser  seit  1829  mit  kurzen  Unterbrechungen  immer  in 
Heidelberg  gelebt  hat,  so  ist  diese  Autobiographie  eine  wichtige  Quelle 
für  das  geistige  Leben  der  Rupcrto-Carola  wie  der  schönen  Neckarstadt. 

Den  10.  Februar  1808  zu  Bergzabern  in  der  bayerischen  Rhein- 
pfalz, die  aber  damals  französisch  war,  geboren,  kam  Weber  nach  dem 
ersten  höhern  Unterricht  in  seiner  Vaterstadt  nach  Speyer  auf  das  Gym- 
nasium, wo  ihn  sein  Lehrer  Anselm  Feuerbach,  der  bekannte  Archäologe, 
für  das  Studium  der  Geschichte  und  alten  Litteratur  begeisterte.  Mit 
wohlthuender  Pietät  urteilt  der  Schüler:  »Der  befreundete  Verkehr  mit 
diesem  geistreichen,  kunstsinnigen  Manne,  der  einige  Jahre  später  als 
Professor  der  Archäologie  nach  Freiburg  im  Breisgau  berufen  wurde, 
gehört  zu  den  schönsten  Errungenschaften  meines  jugendlichen  Lebens«. 
»Das  vortreffliche  Werk  über  den  vatikanischen  Apollo,  mit  welchem 
Feuerbach  damals  beschäftigt  war,  öffnete  seinem  Verehrer  zum  ersten 
mal  den  Blick  in  die  schöne  Welt  antiker  Kunst.  Die  Göttin  des 
Glückes  hatte  dem  trefflichen  Manne  in  seinem  Leben  nur  wenige  ihrer 
goldenen  Früchte  zugeteilt,  und  die  holde  Euphrosyne  schlug  nur  selten 
ihren  Sitz  in  seinem  Gemüte  auf;  aber  ich  habe  ihm  die  Gefühle  der 
Dankbarkeit  und  Liebe  über  das  Grab  hinaus  treu  bewahrt«.    (S.  50). 

Obgleich  sehr  arm,  bezog  Weber  die  Universität  Erlangen,  wo  er  ein 
Jahr  ( 1828/29)  verbrachte.  Hier  machte  er,  durch  den  Coramilitonen  Frie- 
drich Feuerbach  veranlafst,  Sanskritstudien  bei  dem  Dichter  und  Professor 
Fr.  Rückert,  der  damals  schon  als  Dichter  eines  ziemlichen  Rufes 
genofs.  »Der  Vortrag  und  die  Erklärung  waren  nicht  anziehend  und 
wurden  durch  seine  etwas  unbeholfene  Persönlichkeit  nicht  gehoben; 
dagegen  waren  die  Übersetzungen,  die  er  den  Zuhörern  in  die  Feder 
sagte,  lauter  Meisterstücke,  originell  in  der  Kraft  der  Ausdrücke«. 

Die  Studien  wurden  in  Heidelberg  fortgesetzt,  eine  akademische 
Preisfrage,  die  der  Verfasser  1832  löste,  wurde  später  zur  Doktordisser- 
tation gestaltet  unter  dem  Titel:  De  Gythio  et  rebus  navalibus  Lacc- 
daemoniorum.  Das  Gutachten  Grenzers  wufste  viele  gute  Eigenschaften 
an  der  Arbeit  zu  rühmen,  z.  B.  auch  die  äxpißeta  iudicandi.  Die 
Examinatoren  bei  der  Prüfung  waren  Schlosser,  Creuzer  und  Bahr. 
Zu  den  Büchern,  welche  Weber  besonders  eifrig  studierte,  gehörte 
Gibbon,  den  er  im  ganzen  dreimal  durchmachte  und  excerpierte.  Am 
liebsten  aber  studierte  er  die  Schriftsteller  der  Alten:  »Ich  las  fast 
alle  griechischen  und  römischen  Klassiker  in  chronologischer  Ord- 
nung und  machte  es  mir  dabei  zur  Aufgabe,  nach  der  Beendigung  eines 
Buches  oder  eines  gröfseren  Abschnittes  oder  poetischen  Stückes  aus 
dem  Gedächnis  den  Inhalt  und  Gedankengang  niederzuschreiben«. 

Unter  den  Heidelberger  Lehrern  wurde  für  Weber  besonders 
Karl  Friedrich  Hermann  von  Bedeutung  (,S.  78ff.).  Derselbe  war 
damals   Privatdozeut    und    »arbeitete    gerade    an    seinem    bedeutendsten 


G.  Weber,   Jugendeindrücke  und  Erlebnisse.  93 

Buche,  den  griechischen  Staatsaltertümern  und  hielt  zugleich  Yorlesungen 
über  denselben  Gegenstand«,  die  Weber  auch  besuchte.  Bald  kam  der 
fleifsige  Zuhörer  auf  vertrauten  Fufs  mit  dem  Lehrer  und  las  einen  Teil 
der  Korrekturbogen  genannten  Werkes.  Bezüglich  der  Platostudien  Her- 
manns, die  Schleiermacher  entgegengesetzt  wurden,  meint  Weber:  »Für 
Piatons  idealen  und  schwungvollen  Geistesflug  fehlte  dem  deutschen  Pro- 
fessor das  volle  Verständnis.  Ein  Mann  des  Verstandes  und  der  prak- 
tischen Gelehrsamkeit,  besafs  er  zu  wenig  poetische  Anlage  und  Phan- 
tasie, um  in  die  platonische  Ideenwelt  einzudringen«. 

Die  Hauptstärke  Hermanns  wird  trotz  aller  Gelehrsamkeit  in  sei- 
ner Lehr-  und  Erziehungsthätigkeit  gesucht.  So  las  er  für  zwei  Stu- 
denten ein  Privatissimum  über  Persius  und  ein  solches  für  Weber  allein 
über  Demosthenes  pro  Corona.  »Von  ihm  erhielt  ich  nicht  blofs  Be- 
lehrung und  Methode,  er  flöfste  mir  auch  die  heifse  Liebe  für  die  grie- 
chische und  römische  Litteratur  und  Kunst  ein,  die  mir  ein  Leitstern 
durch  das  ganze  Leben  geblieben  ist,  Als  ich  die  zweite  Auflage  mei- 
ner »Allgemeinen  Weltgeschichte«  in  neuer  Bearbeitung  der  Öffentlich- 
keit übergab,  konnte  ich  in  der  Dedikation  meinen  Dank  nur  den  Manen 
des  Verstorbenen  darbringen«. 

Jedenfalls  soll  hier  konstatiert  werden,  dafs  der  Universalhistoriker 
Weber  trotz  Schlosser  seine  methodische  Schulung  der  klassischen  Phi- 
lologie dankt,  und  das  Studium  der  Philologie  war  für  ihn  nach  eigenem 
Geständnis  nicht  blofs  Durchgangspunkt,  nicht  blofs  Mittel  zum  Zweck. 

Der  glänzende  philologische  Stern  Heidelbergs  in  der  ersten  Hälfte 
unseres  Jahrhundert  war  aber  Georg  Friedrich  Grenzer,  der  be- 
kannte Symboliker,  dem  Weber  eine  eingehende  Würdigung  zu  teil  wer- 
den läfst  (S.  81 — 89).  Sein  angeborener  »mystischer  Keim«,  seine  grofse 
Fertigkeit  im  Lateinsprechen,  seine  innige  Anhänglichkeit  an  Heidelberg, 
die  ihn  nach  kurzem  Aufenthalt  in  Leyden,  wo  er  keinen  mythologischen 
Gedanken  fassen  konnte,  wieder  nach  Heidelberg  zurückführte,  sein 
Schüler  Moser,  »der  erste  Grenadier  des  philologischen  Seminars«,  seine 
Hypothese  von  einer  Urreligion,  zu  der  sich  alle  späteren  Religionen  wie 
gebrochene  und  geschwächte  Ausstrahlungen  verhalten  sollten,  werden 
kurz  besprochen. 

Aber  bereits  war  Ottfried  Müllers  Ansicht  von  der  genuinen  Ent- 
wickelung  des  griechischen  Genius  verbreitet,  und  auch  Weber  mufste 
sich  mit  Creuzer  und  Müller  auseinandersetzen:  »Als  ich  nach  Heidel- 
berg kam,  war  Grenzers  Glanzperiode  vorüber,  doch  besuchte  ich  das 
philologische  Seminar,  das  unter  seiner  und  Bährs  Leitung  stand,  und 
wohnte  seinen  Vorlesungen  über  Mythologie  und  Symbolik,  über  Archäo- 
logie und  Kunstgeschichte,  sowie  über  die  verrinischen  Reden  Ciceros 
bei«.  Aber  gegen  die  Creuzerschen  Ansichten  verhielt  sich  der  Ver- 
fasser mit  vorsichtiger  Kritik,  indem  er,  Müller  und  Creuzer  als  Extreme 
betrachtend,  die  Wahrheit  in  der  Ausgleichung  beider  suchte. 


94  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

An  Creuzer  reiht  sich  sein  Antipode  in  Wissenschaft  und  Leben, 
Johann  Heinrich  Vofs  (S.  85if.),  der  durch  Markgraf  Karl  Friedrich 
von  Baden  und  seinen  intelligenten  Minister  Reitzenstein  nach  Heidelberg 
berufen  worden  war,  ohne  jedoch  Mitglied  des  akademischen  Lehrkörpers 
zu  werden.  »Der  Sohn  (von  Vofs),  Heinricii,  lebte  im  elterlichen  Hause 
wie  ein  Oberknecht  auf  dem  Gehöfte  eines  alttestamentlichen  Patriarchen. 
Er  kam  nie  zu  voller  Selbständigkeit,  und  seine  intime  Freundschaft  mit 
Jean  Paul  kann  als  Beweis  gelten,  dafs  er  von  weicherem  Metall  ge- 
schmiedet war«.  Das  ist  übrigens  derselbe  Vofs,  mit  dem  der  alternde 
Goethe  sophokleische  Tragödien  in  Weimar  gelesen  hatte.  Die  Antisym- 
bolik  von  Vofs,  welche  zwar  Creuzer  einen  Fackelzug  einbrachte,  war 
trotzdem  ein  schwerer  Schlag  für  diesen,  und  mit  seiner  bisherigen  Un- 
befangenheit und  Sicherheit  war  es  vorbei. 

Von  den  Schülern  Creuzers  wird  Kayser  (S.  88)  einer  ehrenvollen 
Erwähnung  gewürdigt.  Wenn  behauptet  wird,  die  von  Creuzer  ange- 
regte Ausgabe  des  Philostratus  sei  Kaisers  bekanntestes  Werk,  so  hätten 
die  mindestens  ebenso  bekannten  Cicero-Arbeiten  eine  kurze  Erwähnung 
verdient. 

Eingehende  Würdigung  findet  sodann  der  Uuiversalhistoriker  Fr. 
Chr.  Schlosser,  als  dessen  speziellen  Schüler  sich  der  Verfasser  be- 
kennt (S  89 — 96).  Von  der  Geschichte  wieder  zur  Philologie  führt  uns 
die  Charakteristik  Christian  Bährs,  bekannt  durch  seine  mehrbändige 
Geschichte  der  römischen  Litteratur  und  seine  Herodotausgabe.  Obgleich 
aus  einem  protestantischen  Pfarrhause  stammend,  neigte  der  pygraäen- 
hafte  und  nicht  mitteilsame  Gelehrte  zu  einem  romantisch  angehauchten 
Katholicismus.  Von  seinen  Leistungen  wird  nicht  viel  gerühmt:  »Er 
besafs  viele  Kenntnisse  in  allen  Zweigen  der  Altertumswissenschaft,  wel- 
che er  mit  bienenhaftem  Fleifs  gesammelt  hatte,  und  schrieb  ein  korrek- 
tes Latein.  Aber  er  war  ein  Mann  ohne  eigene  Ideen,  ohne  tieferes 
Urteil  und  ohne  eine  Spur  von  Genialität.  In  Verbindung  mit  Creuzer 
bearbeitete  er  eine  neue  Ausgabe  der  Geschichtsbücher  des  Herodot, 
welche  ausgezeichnet  war  durch  ein  reiches  Notenmaterial  und  sich  lange 
Zeit  als  die  brauchbarste  Bearbeitung  zum  Verständnis  des  Vaters  der 
Geschichte  erwies«. 

Auch  mit  dem  Philologen  T  hier  seh,  der  eine  so  grofse  Bedeu- 
tung für  das  gelehrte  Schulwesen  Bayerns  erhalten  bat,  ist  Weber  ge- 
legentlich zusammengetroffen  (S.  226).  »Er  war  ein  interessanter  Mann 
von  idealen  Bestrebungen,  ein  feuriger  Apostel  des  Humanismus  und 
von  groiser  Gewandtheit  der  Rede«. 

Am  liebevollsten  und  eingehendsten  neben  Schlosser  ist  Karl 
Bernhard  Stark,  der  bekannte  Archäologe,  gezeichnet  (S.  268-275). 
Man  merkt  dieser  Schilderung  recht  wohl  an,  dafs  sie  der  Freund  dem 
Freunde  geschrieben  hat.  Nachdem  Starks  Entwickelungsgang  bespro- 
chen   -    er  hatte  Göttling,  Gottfried  Hermann  und   August  Boeckh  zu 


Drewes,   C.  Th.  Gravenhorst.  95 

Lehrern  —  werden  seine  Scliriften  aufgezählt  und  seine  sonstigen  Ver- 
dienste, wie  die  Gründung  des  Heidelberger  archäologischen  Instituts, 
geschildert.  Von  den  Schriften  werden  namentlich  aufgezählt:  »Städte- 
leben, Kunst  und  Altertum  in  Frankreich«,  die  neue  Auflage  von  K.  Fr. 
Hermanns  »Gottesdienstlichen  und  Privataltertümern  der  Griechen«,  die 
Heidelberger  Festschrift  für  das  deutsche  archäologische  Institut  1879, 
»das  Heidelberger  Schlofs  in  seiner  kunst-  und  kulturgeschichtlichen  Be- 
deutung«, die  Monographie  über  die  Mithräen  und  Ladenburg,  und  be- 
sonders das  leider  Torso  gebliebene  »Handbuch  der  Archäologie  der 
Kunst«.  »Stark  war  kein  durch  Gedankenreichtum  und  Genialität  her- 
vorragender Gelehrter,  ein  Fachgenosse  nannte  ihn  einst  den  Dogmatiker 
der  Altertumsforscher.  Aber  er  war  ein  getreuer  Arbeiter  im  Weinberge 
der  Wissenschaft,  dessen  Grenzen  er  stets  weiter  ausdehnte,  dessen  Ge- 
biet er  fleifsig  und  sorgfältig  bestellte,  dessen  Früchte  er  behutsam  ein- 
heimste und  im  Hörsaale  und  auf  dem  Büchermarkte  verwertete«. 

So  ist  dieses  Werk  des  Heidelberger  Altmeisters  der  Universal- 
geschichte eine  wertvolle  Quelle  für  die  Gelehrtengeschichte  unseres 
Jahrhunderts  im  allgemeinen  und  die  Heidelberger  Universitätsgeschichte 
im  besonderen.  Die  Mitteilungen  haben  den  Reiz  des  unmittelbaren  Ein- 
druckes, wie  er  sich  nur  aus  persönlichem  Verkehre  ergibt. 

Neben  den  berühmten  Philologen  sei  auch  ein  hochgeachteter 
Schulmann  erwähnt: 

Drewes,  Carl  Theodor  Gravenhorst  (Neue  Jahrb.  f.  Philol.  und 
Pädagogik.    Bd.  136.     S.  37— 43.  65 -76). 

Der  durch  seine  schriftstellerischen  Leistungen  auch  aufserhalb 
der  Lehrerkreise  bekannte,  am  28.  Januar  1886  verstorbene  Oberschul- 
rat a.  D.  C.  Th.  Gravenhorst  war  am  1.  November  1810  in  Braunschweig 
geboren,  besuchte  die  Schulen  seiner  Vaterstadt,  um  sodann  in  Leipzig 
Philologie  zu  studieren.  Von  Gottfried  Hermann  wurde  er  zwar  geför- 
dert, aber  bei  seiner  früh  hervortretenden  Neigung  für  das  Ästhetische 
nicht  sehr  angezogen.  Sodann  nach  Göttingen  übersiedelnd,  wurde  er 
von  Grimm,  Dahlmann  und  besonders  von  Otfried  Müller  angeregt  und 
beeinflufst«.  Zu  seinen  Freunden  gehörten  Richard  Lepsius,  Bethmann, 
H.  L.  Ahrens  und  Schneidewin.  • 

Nachdem  er  Ostern  1838  die  Prüfung  bestanden  hatte,  bekleidete 
er  Lehrerstellen  zu  Göttingen  und  Lüneburg.  1847  wurde  ihm  das  In- 
spektorat,  d.  h.  die  Direktion  des  Alumnats  an  der  Ritterakademie  zu 
Lüneburg  übertragen,  eine  Stelle,  die  er  nicht  ohne  Bedenken  übernahm. 
Von  1849  —  1857  lehrte  er  sodann  alte  Sprachen  und  Geschichte  am  An- 
dreanum  zu  Hildesheim,  wobei  er  sich  die  begeisterte  Verehrung  seiner 
Schüler  erwarb,  obgleich  er  ihnen  gelegentlich  in  schroffer  Weise'  die 
Wahrheit  sagte. 

Nachdem  er  in  Bremen  eine  Direktorstelle  bekleidet  hatte,  wurde 


96  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

er  Ostern  1866  Direktor  des  Braunsclivveiger  Gymnasiums,  zugleich  auch 
Mitglied  der  Kommission  für  Schulsachen  und  der  Prüfungskommission 
für  Schulatiitskaiididaton  mit  dem  Titel  Schulrat.  Seit  1877  war  er 
Mitglied  der  Oberschulkommission  für  Braunschweig.  Damals  hörte  auch 
die  »wenig  würdige  Einrichtung  des  Ephorats«  an  den  Braunschweiger 
Gymnasien  auf.  Die  Gymnasialkuratorien,  in  denen  regelmäfsig  der 
Gymnasialdirektor  Sitz  und  Stimme  hat,  sind  der  Direktion  nicht  über-, 
sondern  beigeordnet.  Auf  diese  Behördenorganisation  wie  auf  die  Braun- 
schweiger Gymnasien  überhaupt  hat  Gravenhorst  einen  bedeutenden  Ein- 
flufs  ausgeübt. 

Während  Gravenhorst  dem  Publikum  gelegentlich  schroff  entgegen- 
trat, besonders  wenn  es  anmafsende  und  unberechtigte  Ansprüche  äufserte, 
hatte  er  eine  liebenswürdige  Rücksichtnahme  für  seine  Lehrer,  im  Ver- 
kehr mit  denen  er  nie  den  humanen  Ton  vermissen  liefs.  Für  Ostern 
1881  erbat  er  seine  Pensionierung.  Trotz  zunehmender  Krankheit  be- 
wahrte er  sich  zuerst  noch  ein  lebhaftes  Interesse  für  Schulangelegen- 
heiten und  wissenschaftliche  Thätigkeit.  Am  1.  Februar  1886  »geleite- 
ten zahlreiche  Kollegen,  Schüler  und  Freunde  die  Hülle  des  Dahinge- 
schiedenen zu  seiner  letzten  Ruhestätte  nach  dem  Magnifriedhofe ,  wo 
er  unfern  dem  Grabe  Lessings  unter  schattigen  alten  Bäumen  und  Cy- 
pressen  ausruht  von  seiner  Arbeit«. 

Seinem  Wesen  nach  war  Gravenhorst  ein  Idealist  und  Optimist; 
dazu  stimmte  seine  Religiosität;  »doch  widerstrebte  es  ihm,  seine  Reli- 
giosität irgend  zur  Schau  zu  tragen«.  Seinem  Ideallsmus  entsprach  es, 
dafs  er  höheren  Wert  auf  allgemeines,  als  auf  einzelnes  legte.  Der 
Gymnasialunterricht  erschien  ihm  nur  dann  wertvoll,  wenn  er  eine  hu- 
mane Gesinnung  erzeugte. 

Mit  seiner  grofsen  Empfänglichkeit  »für  alles  Schöne  und  mensch- 
lich Edle«  verband  sich  gelegentlich  ein  unsicheres  Schwanken  in  An- 
sichten und  Auftreten,  ein  Maugel  an  energischer  Geschlossenheit  seines 
Wesens,  darin  ein  Geistesverwandter  Ciceros,  den  er  auch  stets  gegen 
abfällige  Beurteilungen  in  Schutz  nahm. 

Seine  Gelehrsamkeit  ging  mehr  in  die  Breite  als  in  die  Tiefe. 
Doch  besafs  er  neben  einer  gründlichen  Kenntnis  der  griechischen  sce- 
nischen  Litteratur,  seiner  Spezialität,  auch  eine  tüchtigere  Kenntnis  des 
Lateinischen,  als  ihm  mancher  zutraute.  »Die  Leichtigkeit  der  Auempfin- 
dung,  verbunden  mit  der  Gabe  des  os  rotundum,  der  wohllautenden, 
durchsichtigen  und  abgerundeten  Rede,  insonderheit  auch  der  Herrschaft 
über  die  poetische  Form,  befähigte  ihn  in  aufsergewöhnlichem  Grade  zu 
denjenigen  Leistungen,  in  denen  der  Schwerpunkt  seiner  Lebensthätigkeit 
zu  suchen  ist,  zum  Übersetzer  der  griechischen  Tragödie  für  das  mo- 
derne Publikum  und  zum  Lehrer  der  Gymnasialprima«. 

Ein  Verzeichnis  von  Gravenhorsts  gedruckten  (9)  und  ungedruck- 
ten (11)  litterarischen  Arbeiten  beschliefst  den  Lebensabrifs.    Die  Über- 


Collilieux,   Deux  editeurs  de  Virgile.  97 

Setzungen  aus  dem  Griechischen  sind  am  reichsten  vertreten.  Genannt 
mögen  sein  Oedipus  auf  Kolonos  (Hannover  1853),  Iphigenia  in  Tauris 
von  Euripides,  Philoktet  von  Sophokles,  Phönikerinnen  von  Euripides, 
Prometheus  von  Äschylus  etc. 

Ein  Stück  französischer  Gelehrtengeschichte  bietet  folgen- 
des Schriftchen: 

Deux  6diteurs  de  Virgile  par  E.  Collilieux  Agr^ge  des  Lett- 
res,  Professeur  au  Lycee  de  Grenoble.     Grenoble  1887.    31p. 

Der  Verfasser,  welcher  sich  schon  durch  zwei  Werke  bekannt  ge- 
macht hat:  La  couleur  locale  dans  l'fineide  und  fitude  sur  Dictys  de 
Cr^te  et  Dares  de  Phrygie,  gibt  den  Inhalt  seiner  Schrift  folgender- 
mafsen  an:  I.  M.  Benoist.  —  II  M.  J.  Duvaux.  —  III.  Plan  d'une 
Edition  de  Virgile.  —  IV.  Replique  ä  un  article  de  la  Revue  de  l'ficole 
des  Chartes.  —  Benoist  und  Duvaux  sind  Herausgeber  Vergils  und 
kommen  ziemlich  schlecht  weg.  Auf  S.  3  steht,  was  bemerkt  sein  soll: 
Parmi  les  manuscrits,  Ribbeck,  le  grand  Ribbeck,  pref^re  le  Palatinus; 
M.  Benoist,  le  Mediceus.  Im  übrigen  gehört  eine  genaue  Besprechung 
dieser  Schrift  in  eine  andere  Abteilung  des  Jahresberichtes. 

Mit  der  Gelehrtengeschichte  älterer  Zeit  ist  unzertrennlich  die 
ältere  Bucbdruckergeschichte  verbunden,  aus  der  einige,  mir  zu- 
gängliche Arbeiten  hier  kurz  verzeichnet  sein  mögen: 

Dr.  K.  Steiff,  Universitätsbibliothekar  in  Tübingen.  Beiträge  zur 
ältesten  Buchdruckergeschichte.  4.  Der  erste  Buchdruck  in  Tübingen 
(1498 — 1534).  Nachträge  zu  der  vom  Verfasser  herausgegebenen  Schrift 
gleichen  Titels  (Tübingen.  H.  Laupp.  1881).  (Hartwigs  Centralblatt 
für  Bibliothekswesen.    IV,  Heft  2.    S.  49—60). 

Zu  seinem  1881  erschienenen  Werke,  als  dessen  dankbaren  Benutzer 
sich  auch  der  Schreiber  dieser  Zeilen  bekennt,  gibt  Steiff  eine  Anzahl 
Nachträge.  Dem  Gang  seiner  Schrift  folgend,  werden  zuerst  die  Drucker 
und  dann  die  nachzutragenden  Titel  behandelt. 

Weniger  erheblich  sind  die  Notizen  zu  Joh.  Otmar,  dem  frühesten 
der  Tübinger  Drucker,  und  Friedrich  Meynberger,  dessen  Verleger  in 
Tübingen.  Der  bekannte  Thomas  Anshelm  von  Baden  wird  mit  Hilfe 
seines  Monogramms  auch  als  Künstler,  als  Formschneider  nachgewiesen. 
Da  diese  Formschneider  meist  nicht  selbst  die  Zeichnungen  ihrer  Holz- 
schnitte entwarfen,  (vgl.  darüber  A.  Woltmann  Holbein  und  seine  Zeit 
[Leipzig  1874]  S.  189),  so  wird  es  mit  Anshelm  ähnlich  bestellt  sein. 

Von  den  verzeichneten  Drucken  sei  an  dieser  Stelle  besonders 
genannt:  Laur.  Corvinus  Latinum  idioma,  S.  a.  (1514—1516),  wegen 
des  vorkommenden  Accentes  (fere)  in  die  Zeit  versetzt,  da  Melanchthou 
bei  Anshelm  Korrektor  war. 

Jahresbericht  für  Alterthumswissenschaft.    LXIV.  fiaSO.  III.)  7 


98  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

Zur  Geschichte  des  Jesuiten-Kollegiums  zu  Braunsberg.  Verzeich- 
nis der  Braunsberger  Drucke.  Beilage  zu  dem  Jahresbericht  über 
das  Königliche  Gymnasium  zu  Braunsberg  1887  von  dem  Direktor 
Hermann  Gruchot.    Braunsberg.    4°.    Progr.  3.    30  S. 

Die  Braunsberger  Druckerei  hatte  seit  ihrem  Anfang  ein  nahes 
Verhältnis  zu  dem  1565  gegründeten  Jesuiten-Kollegium.  Ihre  meisten 
Erzeugnisse  standen  in  Beziehung  zu  dem  1579  errichteten  päpstlichen 
Seminar,  auch  schon  in  der  Zeit,  als  die  Druckerei  noch  nicht  im  Be- 
sitze der  Jesuiten  war. 

Gruchots  Arbeit  ist  eine  Erweiterung  der  von  Professor  Bender 
1865  verötfentlichten  Zusammenstellung,  der  auch  eine  Geschichte  der 
Buchdrucker  gegeben  hat.  Die  Namen  der  Drucker  sind  Johann  Sachse, 
Georg  Schönfels,  Kaspar  Weingärtner,  Heinrich  Schultz,  Witwe  Heinrich 
Schulz,  Peter  Rosenbüchler. 

Weitaus  die  meisten  der  verzeichneten  490  Drucke,  die  Gruchot 
als  noch  ergänzungsfähig  bezeichnet,  haben  theologischen  oder  kirchen- 
historischen Inhalt.  Aus  der  Zahl  der  für  den  »Jahresbericht«  in  Frage 
kommendan  mögen  folgende  hervorgehoben  werden: 

Nr.  4.  Simonis  Verepaei  de  epistolis  latiue  conscribendis  Libri 
V.  nunc  recens  meliori  Methodo  et  scholiis  illustrati  et  accessione  aliqua 
nova  postreraum  aucti.    Johannes  Saxo  1590. 

Nr.  44.  Jacobi  Pontani  de  S.  J.  Progymnasmatura  Latinitatis  sive 
dialogorum  selectorum  libri  duo.  Ad  usum  et  secundae  et  tertiae  Scholae 
Grammatices.     G.  Schönfels.    1610. 

Nr.  57.  Pie  docendi  pieque  studendi  ratio.  Cum  R.  P.  Joannis 
Argenti  S.  J.  serraone  de  Septem  B.  V.  Excellentiis  habitus  ad  Parthe- 
nios  Sodales  Vilnae,  quorum  leges  et  indulgentiae  subjiciuntur.  G.  Schon- 
fels.   1614. 

Nr.  99.     Publii  Ovidii  Nasonis  De  Tristibus  libri  V.    1640. 

Nr.  104.  Publii  Ovidii  Nasonis  Fastorum  libri  VI.  E  manu 
scriptis  antiquioribus  castigatiores  redditi.     Caspar  Weingärtner.     1644. 

Nr.  105.  Publii  Ovidii  Nasonis  Tristium  libri  V.  Caspar  Wein- 
gärtner.   1644. 

Nr.  106.     M.  Verinus.     Disticha  de  moribus.    1644. 

Nr.  107.  Publii  Ovidii  Nasonis  De  Ponto  libri  IV.  E.  manu  scr. 
antiquioribus  castigatiores  redditi.     Casp.  Weingärtner.    1645. 

Nr.  108.     Ciceronis  de  Officiis.  1.  III.    1645. 

Nr.  118.  Praxis  oratoria.  Sive  praecepta  artis  rhetoricae,  quae 
ad  componendam  orationem  scitu  necessaria  sunt  .  .  .  a  P.  Sigism.  Laux- 
min  e  S.  J.  etc.    1648. 

Nr.  119.     Horatius  ab  omni  obscoenitate  expurgatus  1648. 

Ferner  Nr.  120.  135  und  viele  andere. 


G.  Mollat,   Inkunabeln.  99 

G.  Mollat,  Mehrere  unbekannte  Inkunabeln  (Rhein.  Museum 
N.  F.  Bd.  42.    S.  639  und  640). 

Kurze  Beschreibung  dreier  alten  Drucke,  die  sich  in  der  ständischen 
Landesbibliothek  zu  Kassel  befinden  und  in  den  Nachschlagewerken  von 
Brunet,  Ebert,  Graesse,  Hain  und  Panzer  fehlen:  es  sind:  1.  Cicero, 
de  officiis.  S.  1.  e.  a.  fol.  65  Bl.  Gotische  Buchstaben.  —  Ex  biblio- 
theca  Rudolfi  II  de  Scheerenberg,  episcopi  Herbipolensis.  —  2.  Aeso- 
pus,  fabulae  XXXIII  trad.  Laurentius  Valla.  S.  a.  Impressum  Nurra- 
berg.  Johannes  Weyssenburger.  —  3.  Auctoritates  variorum. 
1497.    Deventer.    Jacobus  de  Breda.    4°.    53  Bl. 

Ad.  Hofmeister,  Die  Anfänge  des  Rostocker  Büchergewerbes. 
Vortrag,  gehalten  im  Verein  für  Rostocks  Altertümer  8.  Febr.  1887. 

Der  Verfasser  hat  nicht  die  Absicht,  »eine  in  sich  geschlossene, 
erschöpfende  Darstellung  aller  mit  der  technischen  Herstellung  und  dem 
Vertriebe  der  Bücher  in  Verbindung  stehenden  Gewerbszweige  zu  geben«  ; 
die  Geschichte  der  Buchdruckerkunst  in  Mecklenburg  hat  ohnehin  Lisch 
schon  vor  50  Jahren  in  mustergültiger  Weise  gegeben.  Der  Verfasser 
beschränkt  sich  vielmehr  auf  die  Zusammenstellung  einer  Anzahl  zer- 
streuter Notizen,  aus  denen  er  ein  ungefähres  Bild  der  weitverzweigten 
Industrie  zu  gestalten  sucht. 

Report  on  the  Mitchell  Library,  Glasgow.    1887.    Glasgow.    1888. 

Ein  Rechenschaftsbericht  dieser  schottischen  Bibliothek,  der  das 
erste  Jahrzehnt  ihres  Bestehens  abschliefst.  Mit  Befriedigung  verbreitet 
sich  das  Schriftchen  über  das  bisher  Erreichte  Zugleich  gibt  es  aus- 
giebige Aufklärung  über  die  Statuten  der  Anstalt,  ihre  Benutzung ,  ihre 
Anschaffungen  von  Büchern  und  Zeitschriften  u.  s.  w. 

Au  die  Spitze  der  Arbeiten,  welche  sich  mit  Pädagogik  und 
Schulorganisation  beschäftigen,  und  die  der  Mehrzahl  nach  aus 
Mangel  an  Raum  erst  später  besprochen  werden  können,  gehört  nach 
Umfang  und  Bedeutung: 

Handbuch  der  praktischen  Pädagogik  für  höhere  Lehr- 
anstalten. Von  Dr.  Hermann  Schiller,  Direktor  des  Gymnasiums 
und  des  pädagogischen  Seminars  und  Professor  der  Pädagogik  an  der 
Universität  Giessen.  Leipzig,  Fues'  Verlag  (R.  Reisland).  1886.  8°. 
XII  und  640  S. 

Laut  der  Vorrede  ist  dieses  nützliche  Buch  für  Anfänger  im  Lehr- 
amte bestimmt,  »welche  nach  Mafsgabe  der  bestehenden  Schulgesetz- 
gebung und  im  Rahmen  der  beutigen  Schuleinrichtungen  sich  über 
die  praktischen  Fragen  ihres  Berufs  orientieren  wollen«.  Es  will  mir 
aber  scheinen,  als  ob  auch  viele  ältere  Lehrer  aus  dem  reichhaltigen 
Buche  Anregung  und  Belehrung  schöpfen  könnten. 

7* 


lOQ  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

Dasselbe  ist  aus  der  Doppelpraxis  des  Verfassers  erwachsen,  wo- 
mit er  aber  nicht  den  Anspruch  erhebt,  alles,  was  er  mitteilt,  selbst  ge- 
funden zu  haben.  Soll  es  ein  Fortschreiten  der  Wissenschaft  geben,  so 
mufs  nicht  jeder  von  vorne  anfangen  wollen,  sondern  auch  früher  Auf- 
gestelltes nach  reiflicher  Prüfung  annehmen.  Aber  nichts  will  der  Ver- 
fasser empfehlen,  was  von  ihm  nicht  längere  Zeit  auf  seine  Brauchbar- 
keit geprüft  und  bewährt  gefunden. 

Sodann  wird  der  Mangel  einer  ausreichenden  und  handlichen  Zu- 
sammenstellung der  pädagogischen  Litteratur  für  höhere  Schulen  beklagt 
»und  doch  zeigt  ein  Blick  in  unsere  Programmlitteratur,  dafs  eine  solche 
nicht  überflüssig  ist:  manches  bliebe  ungeschrieben  oder  die  Arbeit  würde 
fruchtbarer  werden,  wenn  die  Verfasser  den  Stand  der  Litteratur  kennen 
würden.  Aber  auch  unsere  Lehrthätigkeit  würde  aus  dem  Gebiete  blofser 
Routine  und  wertlosen  Experimentierens  in  die  Bahnen  ruhiger  und  zu- 
sammenhängender Entwickelung  und  wertvoller  Erfahrung  gelangen,  wenn 
unsere  Lehrerwelt  zuei'st  einmal  sich  Kenntnis  verschaffte  von  dem,  was 
erfahrene  Berufsgenossen  gedacht  und  gefunden  haben;  kein  Volk  be- 
sitzt einen  ähnlichen  Schatz  an  tüchtigen  Arbeiten  wie  das  unserige«. 

Der  Inhalt  des  Werkes  zerfällt  in  vier  Teile:  1.  Schulen,  Schüler, 
und  Lehrer.  2.  Die  psychologische  Grundlage  der  Erziehung  und  des 
Unterrichts.     3.  Die  Schulzucht.     4.  Unterricht. 

Der  »Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft«  kann  keineswegs 
den  ganzen  Inhalt  dieses  gehaltreichen  Buches  vorführen,  sondern  wir 
müssen  uns  an  dieser  Stelle  mit  einer  Auswahl  dessen  begnügen,  was  in 
unmittelbarer  Beziehung  zu  unserem  Thema  steht. 

Die  Pädagogik  als  die  Wissenschaft  von  der  Erziehung  der  Jugend 
erhält  ihre  Aufgabe  durch  die  Civilisation  und  Kultur  der  Zeit  gestellt. 
Die  Aufgabe  der  heutigen  Erziehung  wird  so  definiert:  »Die  körper- 
lichen und  geistigen  Fähigkeiten  der  Jugend  allseitig  so  zu  entwickeln, 
dafs  dieselbe  mit  Unterordnung  ihres  Sonderiuteresses  an  der  Lösung 
der  Civilisation-  und  Kulturaufgaben  unserer  Zeit  und  der  Gesamtaufgabe 
der  Menschheit,  sittlich  zu  sein,  nach  den  Anforderungen  der  sittlichen 
Einsicht  mit  Erfolg  sich  beteiligen  kann«.  Da  nun  aber  Körper  und 
Geist  gebildet  werden,  so  bedarf  die  Pädagogik  der  Physiologie,  Psycho- 
logie und  Hygiene  als  Hilfswissenschaften.  Aber  auch  der  Ethik  und 
einiger  Kenntnis  des  socialen,  politischen  und  religiösen  Gebietes  kann 
sie  nicht  entraten. 

In  hochkultivierten  Gesellschaftszuständen  können  die  Aufgaben 
nicht  für  alle  gleich  sein,  und  so  ergibt  sich  nach  dem  Prinzip  der  Ar- 
beitsteilung eine  Differenzierung  nach  Anlage,  Ausbildungszeit,  Mittel  und 
Zielen.  Es  ist  eine  »gefährliche  Utopie,  für  alle  Individuen  eines  Volks 
gleiche  Bildung  oder  auch  nur  Vorbildung  anstreben  zu  wollen«.  Das 
schliefst  aber  einen  völlig  gleichen  Unterbau  der  Elementarbildung  für 
alle  Schüler  nicht  aus. 


H.  Schiller,   Handbuch  der  praktischen  Pädagogik.  IQl 

Nach  dem  Grade  und  der  Art,  wie  sich  die  einzelnen  Teile  der 
Bevölkerung  an  der  Lösung  der  Kulturaufgaben  beteiligen,  gliedern  sich 
die  Schulen  in  niedere,  mittlere  und  höhere.  Während  die  Er- 
ziehungsmittel wesentlich  dieselben  sind,  entsteht  aber  eine  Verschieden- 
heit durch  die  verschiedenen  Ziele,  welche  sodann  durch  die  Länge  der 
Schulzeit  und  der  Lehrmittel  bedingt  sind. 

Das  Bildungsideal  schwankt  mit  der  Kultur.  Das  christliche  Bil- 
dungsideal, »das  bei  seiner  Schlichtheit  doch  den  tiefsten  Gehalt  birgt 
und  bei  der  geistigen  Freiheit,  womit  es  der  wissenschaftlichen  Erkennt- 
nis Raum  läfst,  zugleich  die  höchsten  sittlichen  Grundsätze,  Tugend  und 
Liebe  zu  Gott  und  der  Natur,  enthält«,  hat  doch  im  Laufe  der  Zeit 
mehrfach  geschwankt.  Auch  die  Definition,  wonach  es  die  Aufgabe  der 
Erziehung  sei,  den  Menschen  gottähnlicher  zu  machen,  ist  nicht  brauch- 
bar, da  der  Gottesbegriff  nicht  immer  derselbe  gewesen,  auch  nicht  so 
scharf  gefafst  werden  kann,  dafs  man  sich  darunter  etwas  Unabänder- 
liches denken  kann.  Auch  so  gelangen  wir  zu  dem  Ergebnisse,  »dafs 
die  Erziehung  die  Aufgabe  hat,  den  Menschen  für  die  Mitarbeit  am 
Kulturleben  seiner  Zeit  und  an  der  Lösung  der  Aufgaben,  welche  dieses 
stellt,  zu  befähigen«.  Nur  ein  sittlich-religiöser  Charakter  kann  den  auf 
allen  Lebensgebieten  gestellten  Aufgaben  genügen. 

Es  werden  sodann  die  verschiedenen  Arten  von  Schulen  charakte- 
risiert: Gymnasium,  das  »für  sämtliche  höhere  Bildungsanstalten  und 
für  die  sofort  nach  der  Schule  eintretende  Berufsunterweisung«  nach 
der  bestehenden  gesetzlichen  Auffassung  die  Vorbildung  geben  kann,  das 
Realgymnasium  und  die  Oberrealschule,  die  »hierbei  zur  Zeit  noch 
gröfsere  oder  geringere  Beschränkungen  sich  gefallen  lassen  müssen«,  die 
Realschulen  ohne  Latein. 

Das  Gymnasium  mit  seiner  konzentrierten  Betreibung  der  alten 
Sprachen  und  der  Geschichte  verleiht  eine  Bildung,  die  notwendig  zur 
Universität  führt.  Überwiegend  den  historischen  Disziplinen  zugewandt, 
gibt  es  eine  solche  Schulung  wissenschaftlichen  Denkens,  die  als  Vor- 
bereitung für  die  Universitätswissenschaften  historischer  Richtung  gel- 
ten mufs. 

Das  Realgymnasium,  das  in  Süddeutschland  trotz  eines  tüchti- 
gen Bürgertums  nur  geringe  Verbreitung  gefunden  hat,  ist  die  Schule 
der  besitzenden  Bürgerklassen,  welche  eine  Vorbildung  für  die  Univer- 
sität zurückweisen  und  sich  doch  mit  der  Realschule  nicht  begnügen 
wollen.  Eine  weitere  Vermehrung  der  Berechtigungen  dieser  Schul- 
gattung würde  künftighin  eine  noch  gröfsere  Anzahl  von  Menschen  auf 
falsche  Bildungswege  locken. 

Die  Realschule  ohne  Latein  oder  noch  zielbewufster  die  Hof- 
mann sehe  Mittelschule  ist  für  die  Bedürfnisse  des  praktischen  Le- 
bens und  des  mittleren  Bürgerstandes  notwendig  und  zweckdienlich. 

Die  Oberrealschule,    die  mit  einer   unerklärlichen  Abneigung 


102  Geschichte  der  Alti;itumswissenschaft. 

dos  Publikums  zu  kämpfen  hat,  ist  aufgebaut  auf  einer  breiten,  der  mo- 
dernen Bildung  ausschliefslich  angebörigen  Grundlage  und  ist  die  kon- 
sequent durchgebildete  Schule  für  das  gebildete  Bürgertum,  das  keine 
Universitätsbildung  sucht. 

Vorhandene  konfessionelle  Anstalten  sind ,  wo  es  die  Verhältnisse 
gestatten,  zu  erhalten;  im  übrigen  aber  ist  der  Verfasser  für  kon- 
fessionslose Schulen,  jedoch  mit  konfessionellem  Religions- 
unterricht. 

In  dem  Streite  über  die  Vorschulen  zu  den  Mittelschulen  ist 
Schiller  auf  Seite  derjenigen,  die  für  dieselben  eintreten:  »In  der  That 
sind  die  Lehrerfolge  dieser  Vorschulen  meist  sehr  befriedigend  und  die 
öffentliche  Meinung  hat  zu  ihren  Gunsten  durch  den  immer  stärker  wer- 
denden Andrang  zu  denselben  entschieden«. 

Im  Abschnitt  »Lehrverfassung«  wird  zunächst  das  Gymnasium  mit 
seinen  neun  Jahreskursen  beschrieben.  Es  ergibt  sich  dabei,  dafs  auch 
in  diesem  Punkte  Bayern  und  Württemberg  eine  Separatstellung  haben. 
Die  Verschiedenheit  der  einzelnen  Lehrgegenstände  ist  in  den  einzelnen 
Fächern  recht  grofs:  so  differiert  die  wöchentliche  Stundenzahl  des  La- 
tein zwischen  102  (Württemberg)  und  73  (Bayern  und  Baden),  die  des 
Griechischen  zwischen  31 — 42,  die  des  Französischen  zwischen  8  (Bayern) 
und  21  (Preufsen)  etc. 

Trotz  dieser  Verschiedenheit  der  Lehrpläne  sind  infolge  einer  Ab- 
machung aller  deutschen  Regierungen  im  Jahre  1874  die  Reifeprüfungs- 
zeugnisse aller  deutschen  Anstalten  einander  gleichgestellt.  Die  Gymna- 
sien sind  in  Süddeutschland  durchaus,  in  Norddeutschland  vielfach  staat- 
liche Anstalten,  die  Realanstalten  meist  kommunale  Schulen. 

Bezüglich  der  Berechtigungen,  welche  die  einzelnen  Schulen 
verleihen,  meint  Schiller,  dafs  die  Berechtigungen  des  Gymnasiums  und 
Realgymnasiums  zwar  nicht  gleich  seien,  aber  doch  der  historischen 
Entwickelung  entsprechend  sich  verteilen.  Die  Vertreter  der  verschie- 
denen Anstalten  würden  »dem  deutschen  Volke  einen  besseren  Dienst 
leisten,  wenn  sie,  statt  um  Berechtigungen  zu  streiten,  darin  wetteifern 
würden,  diejenige  Vorbildung  ihren  Schülern  zu  verleihen,  welche  sie 
befähigte,  in  leitenden  Stellungen,  gleichviel  ob  im  Amte  oder  in  den 
Gebieten  des  Handels  und  der  Industrie,  edlen  und  unabhängigen  Cha- 
rakter, klares  Urteil,  gesunden  Menschenverstand,  tiefere  Lebensauf- 
fassung, richtige  Erkenntnis  der  Zeitverhältnisse  und  reinen  Geschmack 
zu  beweisen«. 

Ein  grofser  Teil  des  Stoffes  aus  diesem  inhaltsreichen  Buche  ent- 
zieht sich  der  Mitteilung  an  dieser  Stelle.  Der  zweite  Teil  handelt  von 
der  psychologischen  Grundlage  der  Erziehung  und  des  Unterrichts,  ein 
dritter  Teil  von  der  Schulzucht,  ein  vierter  vom  Unterricht.  In  diesem 
Abschnitt  geht  eine  allgemeine  Darstellung  über  allseitige  und  einheit- 
liche  Geistesbildung  und  über  allgemeine  Bestimmungen  bezüglich  des 


H.  Schiller,    Handbuch  der  praktischen  Pädagogik.  103 

Unterrichtsverfahrens  an  den  höheren  Schulen  voran.  Die  Methodik  der 
einzelnen  Unterrichtsfächer  wird  in  folgender  Anordnung  vorgeführt; 
Religionsunterricht,  Unterricht  in  der  Muttersprache,  der  fremdsprach- 
liche Unterricht  (Latein,  Griechisch ,  Hebräisch ,  Französisch ,  Englisch), 
Geschichte,  Geographie,  Mathematik,  Naturwissenschaften,  Zeichnen, 
Turnen. 

Für  die  Zwecke  des  »Jahresberichtes«  kommt  der  Abschnitt  über 
lateinischen  und  griechischen  Unterricht  in  Betracht  (S.  351 — 560),  der 
sich  in  folgender  Weise  gliedert:  Der  lateinische  Unterricht,  zerfallend 
in:  Der  Anfangsunterricht,  Grammatik,  Lesen  und  Sprechen,  Schreib- 
übungen, Verteilung  und  Verknüpfung  des  Unterrichts.  Konzentration 
des  Unterrichts  auf  der  Mittelstufe,  Schriftstellerlektüre  der  Mittelstufe, 
grammatisch-stilistische  Aufgabe  der  Oberstufe,  Schriftstellerlektüre  der 
Oberstufe.  Der  »Griechische  Unterricht«  ist  folgendermafsen  eingeteilt: 
der  grammatische  Unterricht  und  die  Schreibübungen,  die  Lektüre  der 
Prosaschriftsteller,  die  poetische  Lektüre. 

Das  Recht  der  alten  Sprachen  auf  eine  breite  Stelle  im  Unterricht 
der  leitenden  Stände  gründet  sich  auf  die  Notwendigkeit  einer  histori- 
schen Bildung  für  diese.  »Eine  volle  historische  Bildung  gewährt  blofs 
die  Kenntnis  des  Griechischen  und  Lateinischen«.  Denn  in  der  Sprache 
drückt  sich  der  Geist  eines  Volkes  am  deutlichsten  aus.  Der  Unterricht 
in  der  Sprache  mufs  sich  dabei  an  die  alte  Geschichte  anlehnen. 

Die  pädagogische  Verwendung  der  alten  Sprachen  im  höheren  Unter- 
richt unterscheidet  sich  einigermafsen  von  der  Muttersprache.  Die  frem- 
den Sprachen  schaffen  dem  Denkvermögen  eine  um  so  reichlichere  Übung, 
je  weiter  dieselben  von  der  Muttersprache  entfernt  sind.  Die  antiken 
Litteraturen,  und  insbesondere  die  griechische,  bieten  Typen,  die  »bei 
aller  Einfachheit  sich  für  die  Erfahrung  des  Schülers  eignen  und  alle 
Interessen  desselben  wachzurufen  und  zu  entwickeln  vermögen«. 

Von  prinzipieller  Bedeutung  ist  der  Abschnitt  über  die  Schreib- 
übungen  (S.  369ff.).  Ein  Teil  unserer  Lehrerwelt  ist  in  diesem  Punkte 
noch  in  Vorstellungen  einer  längst  vergangenen  Zeit  befangen,  welche 
den  schriftlichen  Verkehr  in  lateinischer  Sprache  als  ein  wesentliches 
Bildungsmittel  betrachten  mufste.  Wenn  die  Schulordnungen  Sturms 
mit  Recht  tägliche  Stilübungen  verlangten,  so  liegt  das  heute  doch  ganz 
anders.  Die  Übungen  im  Lateinschreiben  haben  jetzt  nur  noch  die  Be- 
deutung, die  Lektüre  zu  begleiten  und  deren  Ertrag  zur  Darstellung  zu 
bringen. 

Daher  soll  der  Sprachstoff  der  Übungen  der  Lektüre  entnommen 
sein.  Ferner  müssen  die  zur  Anwendung  gebrachten  Regeln  den  Schü- 
lern nicht  blofs  bekannt,  sondern  auch  eingeübt  sein.  Die  Unpopulari- 
tät  des  Extemporale  darf  nicht  zu  dessen  Abschaffung  führen. 

Das  Extemporale  aber  hat  seine  Grenzen  in  doppelter  Beziehung : 
da  es  von  dem  Schüler  eine   gröfsere  Anspannung  der  Kräfte  verlangt, 


104  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

als  gewöhnlich,  so  wirkt  es  erzieherisch.  Dann  sollen  aber  die  Schreib- 
übuugen  nicht  eine  Sammlung  von  Fufsangeln  sein;  »der  Schüler  ist  in 
der  lateinischen  Sprache,  wie  er  sie  erfahrungsgemäfs  kennen  gelernt 
hat,  an  solche  Tücke  nicht  gewöhnt  und  besitzt  auch  meist  nicht  die 
Kraft,  eine  so  kondensierte  Denkübung  völlig  erschöpfend  vorzunehmen, 
da  ihm  sonst  meist  durch  den  Lehrer  Winke  gegeben  werden«. 

Wenn  aber  die  Extemporalien  so  rationell  behandelt  werden,  dafs 
sie  nur  »der  Niederschlag  des  mündlichen  Unterrichts«  im  Lateinischen 
sind,  so  mufs  man  ihnen  auch  eine  wichtige  Stellung  bei  der  Beurteilung 
der  Reife  eines  Schülers  einräumen.  Hausarbeiten  im  Lateinschreiben 
werden  gänzlich  verworfen  wegen  der  grofsen  Unselbständigkeit  der 
Schüler  und  der  Verbreitung  privater  Nachhilfe. 

Da  nun  die  Schreibübungen  die  Vorstufen  zum  lateinischen  Aufsatz, 
dem  vielumstrittenen,  sind,  so  wird  sich  bei  dem  dargelegten  Charakter 
der  Schreibübungen  auch  das  Wesen  des  Aufsatzes  sehr  wesentlich  mo- 
difizieren. »Zunächst  besteht  die  Täuschung,  dafs  diese  Aufsätze  wirk- 
liches Latein  seien;  das  waren  sie  zu  keiner  Zeit,  und  heute  sind  sie 
es  erst  recht  nichto.  Auch  ist  eine  tüchtige  lateinische  Schulung  mög- 
lich ohne  lateinischen  Aufsatz,  wie  das  Beispiel  der  süddeutschen  Staa- 
ten beweist,  die  ohne  lateinischen  Aufsatz  »recht  respektable  Leistungen 
im  Lateinischen«  aufzuweisen  haben.  Trotzdem  ist  aber  Schiller  für 
den  lateinischen  Aufsatz,  da  er  der  natürliche  Abschlufs  für  die  von 
ihm  entwickelte  Art  des  lateinischen  Unterrichtes  sei:  »Denn  er  ist 
nur  eine  weiter  entwickelte  Form  der  Imitation,  welche  sich  strenge 
innerhalb  der  Grenzen  der  freieren  selbständigen  Reproduktion,  vielleicht 
auch  der  beschränkten  Produktion  hält«.  Darum  mufs  er  in  engste  Be- 
ziehung zur  lateinischen  Lektüre  treten,  sodafs  die  Themata  dieser  aus- 
schliefslich  entnommen  werden.  Man  fange  spätestens  in  Untersekunda 
mit  kleinen  Aufsätzen  an,  auf  welcher  Stufe  3  —  4  im  Jahre  genügen. 
Aber  auch  weiter  hinauf  dürften  sechs  Arbeiten  im  Jahre  genügen  schon 
wegen  des  Zeitaufwandes«.  Die  Korrektur  durch  den  Lehrer  erstreckt 
sich  hauptsächlich  auf  »die  Fehler  gegen  die  Korrektheit  der  Gedanken 
und  des  sprachlichen  Ausdrucks« ,  die  der  Schüler  sodann  verbessern 
mufs.  »Eine  völlige  Umarbeitung  ist  nicht  zu  verlangen,  da  dieselbe 
zu  viel  Zeit  in  Anspruch  nehmen  würde«.  Es  unterliegt  wohl  keinem 
Zweifel,  dafs  diese  Art  des  lateinischen  Aufsatzes,  wenn  das  in  Wahr- 
heit noch  ein  rechter  lateinischer  Aufsatz  ist,  in  grellem  Gegensatz  zu 
einer  weit  verbreiteten  Praxis  steht. 

Sehr  beherzigenswert  ist  auch  der  Abschnitt  »die  Schriftsteller- 
lektüre der  Oberstufe«  (§  44).  S.  410—429.  Schiller  ist  dafür,  dafs 
sämtliche  Schüler  den  gleichen  Text  haben.  Das  ganze  Verfahren  mufs 
darauf  gerichtet  sein,  den  Schülern  typische  Bilder  der  einzelnen  Litte- 
raturgattungen  zu  schaffen.  Die  Interpretation  soll  nicht  lateinisch  sein, 
weil  weder  Lehrer  noch  Schüler  der  Sprache  so  mächtig  sind,  dafs  dies 


H.  Schiller,    Handbuch  der  praktischen  Pädagogik.  105 

befriedigend  geschehen  kann.  »Der  Gewinn  für  das  Lateinische  wäre 
also  unerheblich,  der  Verlust  für  das  Verständnis  sehr  bedeutend«.  — 
Wenn  möglich,  nur  ein  Lehrer  für  Latein  oder  Griechisch  in  der  glei- 
chen Klasse.  Immer  nur  einen  Schriftsteller  lesen,  aber  mit  angemesse- 
ner Abwechslung  nach  dem  Semester.  —  Auch  Extemporieren  ist  auf 
dieser  Stufe  zulässig,  doch  mufs  stets  auf  gutes  Deutsch  und  völlige 
Klarheit  der  Gedanken  gesehen  werden.  Die  Vorschläge  Schillers,  die 
gleich  sehr  die  sprachliche  und  sachliche  Seite  der  Schriftstellerlektüre 
berücksichtigen,  sind  wohl  geeignet,  diesen  Zweig  des  Unterrichts  nutz- 
bringend zu  gestalten. 

In  den  §§  45  -47  ist  der  griechische  Unterricht  behandelt. 
Bei  dieser  Sprache  kommt  es  darauf  an,  neben  der  Erwerbung  eines 
ausreichenden  Wortvorrates  das  Charakteristische  dieser  Sprache  zur 
Kenntnis  der  Schüler  zu  bringen.  Ferner  hat  die  griechische  Litteratur 
in  ihren  wichtigsten  Erzeugnissen  einen  typischen  Wert  und  ist  für  un- 
sere deutsche  Nationallitteratur  mafsgebend  gewesen,  »dafs  letztere  ohne 
die  Kenntnis  der  ersteren  gar  nicht  zu  verstehen  und  in  ihren  tieferen 
Beziehungen  zu  erfassen  ist«.  Daraus  ergibt  sich  aber  die  Notwendig- 
keit, dafs  eine  tüchtige  Kennntnis  der  griechischen  Grammatik  und  des 
griechischen  Sprachschatzes  erworben  werden  mufs.  »Die  verführerischen 
Keden  über  das  Erfassen  des  antiken  Geistes  durch  massenhafte  Lek- 
türe ohne  grammatische  und  Vokabulare  Kenntnisse  werden  nur  Leute 
beirren,  die  von  diesen  Fragen  nichts  verstehen.  Leider  ist  das  Ideal 
mancher  dem  Gymnasium  nicht  feindlich  entgegenstehenden  Kreise  eine 
seichte  ästhetische  Schwärmerei,  welche  den  Lehrer  bewundernd  Sopho- 
kles, Äschylus  und  alle  möglichen  Dichter  übersetzen  läfst  und  hört, 
auch  ihm  darüber  zu  reden  gestattet  und  damit  um  so  mehr  einverstan- 
den ist,  je  mehr  Phrasen  dabei  zu  Tage  kommen,  dann  von  dem  Genüsse 
redet,  den  die  griechische  Litteratur  in  der  richtigen  Hand  gewähre  und  mit 
geringschätzigem  Bedauern  die  Kurzsichtigkeit  der  Philologen  beurteilt, 
welche  von  der  Jugend  verlangt  erst  zu  arbeiten  und  dann  zu  geniefsen«. 
Je  weiter  nach  oben,  desto  mehr  Raum  ist  für  die  griechische  Lektüre 
zu  schaffen. 

Schiller  spezialisiert  auch  hier,  wie  sonst,  seine  Auseinandersetzun- 
gen über  die  einzelnen  Schriftsteller:  Xenophon,  Herodot,  Thukydides, 
Lysias,  Demosthenes,  Plato,  Homer,  Tragiker.  Für  griechische  Privat- 
lektüre in  Sekunda  ist  der  Verfasser  nur  in  dem  Falle,  dafs  sie  vom 
Lehrer  kontrolliert  wird.  Für  Prima  aber  ist  den  Schülern,  welche  sich 
für  andere  Unterrichtsgebiete  interessieren,  Freiheit  in  der  Wahl  der 
Arbeiten  zu  gestatten.  Schüler,  deren  Neigung  auf  andere  Unterrichts- 
gebiete gerichtet  ist,  sollte  man  nicht  gegen  ihre  Neigung  zu  griechischer 
Privatlektüre  zwingen;  das  »würde  soviel  sein  als  den  Segen  freiwilliger 
und  selbstthätiger  Arbeit  zerstören«.     (S.  458). 

Sehr  beachtenswert  sind  die  Bemerkungen,  womit  Schiller  diesen 


106  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

Abschnitt  schliefst,  und  worin  er  die  Frage  behandelt,  wie  es  'kommt, 
dafs  die  meisten  Gymnasialabituricnten  nach  zurückgelegter  Schulzeit  sich 
nicht  mehr  mit  den  Schriftstellern  der  Alten  beschäftigen.  Es  ist  das 
ein  auch  von  sonst  verständigen  Leuten  unserer  heutigen  Schule  in  ihrer 
Methode  gemachter  Vorwurf;  denn  natürlich  sind  die  Lehrer  und  ihre 
Methode,  wie  an  den  meisten  andern  Übeln,  so  auch  daran  schuld.  Mit 
Recht  wird  dagegen  bemerkt,  dafs  es  mit  den  anderen  Wissenschaften, 
mit  Geschichte,  Mathematik,  mit  deutscher,  französischer  und  englischer 
Litteratur  nicht  anders  sich  verhält.  Ja  nicht  einmal  die  eigentlichen 
Berufsstudien  im  engeren  Sinne  werden  von  vielen  fortgesetzt,  nachdem 
der  Eintritt  in  den  Beruf  stattgefunden  hat. 

Zu  den  von  Schiller  angeführten  Gründen  läfst  sich  noch  ein  wei- 
terer hinzufügen:  das  veränderte  geistige  Interesse  unserer  Zeit.  Wenn 
das  ästhetische  Geschlecht  jetzt  vor  hundert  Jahren  »die  Tröster  der 
Schulen«  auch  nach  zurückgelegter  Schulzeit  nicht  aus  der  Hand  legte, 
sondern  bei  Homer  und  Cicero  auch  in  späteren  Jahren  seine  Erholung 
suchte,  so  hängt  das  mit  der  Zeitbildung,  dem  Zeitgeiste  zusammen. 
Die  Deutschen  von  damals  hatten  noch  kein  politisches  Leben,  sie  wufs- 
ten  noch  nichts  von  einer  sozialen  Frage.  Die  Litteratur  bildete  den 
Mittelpunkt  unseres  geistigen  Lebens.  Aber  seitdem  sind  die  Zeiten 
anders  geworden:  höchstens  noch  die  Musik  findet  neben  den  politischen, 
sozialen  und  nationalökonomischen  Fragen  ein  allgemeines  Interesse. 
Man  achte  doch  darauf,  worüber  sich  Leute,  die  nicht  Fachgenossen 
sind,  unterhalten,  wenn  sie  sich  zur  Erholung  und  Unterhaltung  ver- 
einigen. Wenn  einmal  das  litterarische  Interesse  wieder  stärker  wird 
als  das  politische  —  und  diese  Zeit  wird  auch  wieder  kommen  —  tritt 
gewifs  auch  hierin  eine  Änderung  bezüglich  der  alten  Schriftsteller  ein. 
So  gewifs  aber  als  die  Philologen  und  die  philologisch  gebildeten  Lehrer 
die  Zeit  nicht  gemacht  haben,  wie  sie  ist,  so  gewifs  ist  es  eine  Unge- 
rechtigkeit, sie  für  gewisse  Zeiterscheinungen  haftbar  macheu  zu  wollen. 

Was  aber  Schillers  Buch  als  Ganzes  betrifft,  so  verdient  es  warme 
Anerkennung.  Es  empfiehlt  sich  allen  Lesern  durch  sehr  schätzenswerte 
Eigenschaften,  als  da  sind:  Beherrschung  des  Stoffes  und  der  einschlägi- 
gen Litteratur,  die  unter  dem  Texte  verzeichnet  ist,  ein  praktischer  Sinn, 
der  sich  durch  keine  Parteiphrase  imponieren  läfst,  sondern  mit  kriti- 
scher Nüchternheit  Brauchbares  und  Unbrauchbares  scheidet,  eine 
offene  Empfänglichkeit  für  Tüchtiges,  gleichviel  von  welcher  Seite  es 
geboten  wird,  eine  Abneigung  gegen  leere  Allgemeinheiten,  womit  der 
Sache  doch  nicht  gedient  ist.  Eine  langjährige  praktische  Erfahrung 
macht  den  Verfasser  zum  Gegner  der  »pädagogischen  Hyperbel«,  die 
sich  bekanntlich  in  systematischen  Büchern  verwandten  Inhaltes  gelegent- 
lich noch  recht  breit  macht.  Kein  strebsamer  Lehrer,  der  das  Buch 
vorurteilsfrei  liest,  wird  es  ohne  Nutzen  aus  der  Hand  legen.  Statt  all- 
gemeiner theoretischer  Erörterungen,  die  gewifs  meist  recht  gut  geraeint 


H.  Bender,    Gymnasialreden.  107 

sind,  ohne  viel  zu  helfen,  erhalten  wir  hier  eine  Anzahl  praktischer 
Winke  und  Regeln,  deren  Befolgung  das  schwere  Geschäft  des  Lehrers 
und  des  Lernenden  wesentlich  erleichtern. 

Eine  Inhaltsangabe,  ein  Sachregister  und  Inhaltsangaben  am  Rande 
erleichtern  den  Gebrauch  des  empfehlenswerten  Buches. 

Ein  Wort  zu  der  jetzt  viel  verhandelten  Gymnasialfrage  ist  auch: 

Dr.  Hermann  Bender,  Rektor  des  k.  Gymnasiums  zu  Ulm.  Gym- 
nasialreden nebst  Beiträgen  zur  Geschichte  des  Humanisums  und  der 
Pädagogik.  Tübingen  1887.  Verlag  der  H.  Laupp'schen  Buchhand- 
lung.   80.    VI  und  275  S. 

Die  sechs  Gymnasialreden,  welche  den  gröfseren  Teil  dieses  Buches 
ausmachen  und  in  den  Jahren  1881 — 1886  in  den  Schlufsakten  des  Ul- 
mer Gymnasiums  gehalten  wurden,  führen  folgende  Titel:  »Über  Ana- 
lysis  und  Synthesis  in  Zeit  und  Schule« ,  »Über  historische  Bildung  im 
Gymnasium«,  »Über  Schule  und  Haus«,  »Über  ganze  und  halbe  Bildung«, 
»Das  Gymnasium  einst  und  jetzt«,  »Über  mechanisches  und  rationelles 
Verfahren  im  Gymnasialunterricht«.  Zahlreiche  der  jetzt  in  den  Kreisen 
der  Lehrer  verhandelten  Fragen  werden  hier  in  leidenschaftsloser  Weise 
von  einem  Fachmanne  besprochen,  der  durch  philosophische  Studien  sich 
einen  weiten  Blick  und  ein  unbefangenes  Urteil  erworben  hat. 

Die  erste  Rede  über  Analysis  und  Synthesis,  die  im  ersten  Teile 
durch  feine  Auseinandersetzung  dieser  beiden  Begriffe  anzieht,  endigt 
schliefslich  mit  dem  wenig  erfreulichen  Ergebnis,  dafs  unser  gegenwär- 
tiges Gymnasium  durch  das  Vielerlei  der  Lehrgegenstände  und  der  Me- 
thoden für  die  einzelnen  Fächer  zu  sehr  zur  Analysis  neige  und  der 
Synthesis  entbehre.  Ich  habe  in  einer  Besprechung  in  der  Berliner 
philol.  Wochenschrift  1888  Nr.  25  auf  die  pädagogischen  Bedenken  hin- 
gewiesen, welche  diese  Rede  hervorruft. 

Die  notwendige  Ergänzung  der  ersten  Rede,  Revers  zu  dem  Avers 
der  Münze,  ist  die  zweite  über  historische  Bildung  im  Gymnasium.  Die- 
selbe beantwortet  die  Frage:  »Wodurch  beweist  heutzutage  das  Gym- 
nasium das  Recht  seines  Seins  und  seines  Soseins?«  Der  historische 
Beweis,  wonach  das  jetzige  Gymnasium  als  ein  Produkt  der  historischen 
Entwickelung  vernünftig  sein  müsse,  genügt  nicht,  weil  eben  diese  Ver- 
nünftigkeit bezweifelt  wird.  Dagegen  ist  zu  bemerken,  dafs  die  Sprache 
das  edelste  Erzeugnis  des  menschlichen  Geistes  ist.  »Sprachkunde, 
lieber  Sohn,  ist  Grundlag'  allem  Wissem«,  sagt  der  Dichter  Rückert. 
Aber  die  alten  Sprachen  müssen  es  gerade  sein,  nicht  etwa,  weil  sie 
angeblich  den  Geist  des  Schülers  besser  entwickeln,  oder  weil  das  La- 
teinlernen die  beste  Vorbereitung  für  die  modernen  Sprachen  oder  weil 
zum  Verständnis  vieler  allgemein  gebräuchlichen  Ausdrücke  Kenntnis  der 
klassischen  Sprachen  wünschenswert  sei.  Diese  etwas  abgegriffenen 
Gründe  werden  zwar  angeführt,  aber  sie  sind  nicht  entscheidend:    »wo- 


108  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

her  Aneroid  und  Philatelismus  kommt,  müssen  auch  Philologen  sich  aus- 
drücklich sagen  lassen«. 

Der  letzte  Grund  für  die  beherrschende  Stellung  der  klassischen 
Sprachen  liegt  tiefer,  nämlich  darin,  »dafs  wir  das  klassische  Altertum 
in  seiner  geschichtlichen,  unleugbaren  und  unverrückbaren  Bedeutung 
auffassen  und  daraus  die  leitenden  Gesichtspunkte  für  Beurteilung  und 
Behandlung  der  klassischen  Studien  auch  in  der  Schule  zu  gewinnen 
suchen«.  Dieser  historische  Gesichtspunkt  beim  Betrieb  der  klassischen 
Studien  ist  erst  seit  100  Jahren,  seit  F.  A.  Wolf,  B.  G.  Niebuhr, 
A.  Boeckh  mafsgebend  geworden. 

Den  etwaigen  Einwand,  dafs  man  in  diesem  Falle  lieber  gleich  die 
Geschichte  in  den  Mittelpunkt  des  Gymnasialunterrichts  rücken  solle, 
weist  Bender  zurück  unter  Hinweis  auf  die  Unreife  des  Urteils  auch 
noch  in  den  obersten  Gymnasialkursen.  Dann  ist  auch  ein  Unterschied 
zwischen  »historischen  Kenntnissen«  und  »historischer  Bildung«  zu  machen. 
Die  Alten  aber  empfehlen  sich  schon  durch  ihre  Objektivität.  Die  Be- 
schäftigung mit  ihnen  ist,  wie  Hegel  sagt,  »ein  geistiges  Bad,  eine  profane 
Taufe,  welche  der  Seele  den  ersten  Ton,  die  unverlierbare  Tinktur  für 
Geschmack  und  Wissenschaft  gibt.  Wenn  das  erste  Paradies  das  Pa- 
radies der  Menschennatur  war,  so  ist  dies  das  zweite,  das  höhere,  das 
Paradies  des  Menschengeistes,  welcher  hier  in  seiner  schönen  Natürlich- 
keit, Freiheit,  Tiefe  und  Heiterkeit  hervortritt«. 

Objektiv  ist  aber  schon  die  Sprache  der  Alten,  sodann  ihre  Auf- 
fassung der  Dinge.  Wir  erhalten  dadurch  ein  heilsames  Gegengewicht 
gegen  den  Subjektivismus  und  Individualismus,  der  die  Signatur  unserer 
Zeit  bildet. 

Zugleich  ergänzen  sich  die  beiden  antiken  Völker  in  glücklichster 
Weise.  Wenn  die  Griechen  uns  das  Jugendalter  der  Menschheit  dar- 
stellen, so  sehen  wir  in  der  Geschichte  der  Römer  »die  saure  Arbeit 
des  Mannesalters  der  Geschichte«.  So  bilden  denn  auch  Latein  und 
Griechisch  ein  zusammenhängendes  Ganze  »dessen  innere  Geschlossen- 
heit auf  der  Sache  selbst  beruht«,  und  an  die  sich  denn  die  anderen 
Fächer  ansetzen  lassen.  Der  Verfasser  schliefst  mit  den  Worten  Goethes : 
»Wenn  unser  Schulunterricht  immer  auf  das  Altertum  hinweist,  das  Stu- 
dium der  lateinischen  und  griechischen  Sprache  fördert,  so  können  wir 
uns  Glück  wünschen,  dafs  diese  zu  einer  höheren  Kultur  so  notwendigen 
Studien  niemals  rückgängig  werden«. 

Die  Rede  über  das  Gymnasium  von  einst  und  jetzt,  der  man 
übrigens  die  Lektüre  Paulsens  anmerkt,  gibt  eine  kurze  Übersicht  über 
die  Entwickelung  dieser  Anstalt.  Doch  wäre  vielleicht  aus  pädagogischen 
Gründen  die  Stelle  über  die  bedenkliche  Moralität  mancher  Lehrer  im 
16.  Jahrhundert  besser  weggeblieben. 

Aus  dem  Inhalte  des  Ganzen  mögen  hier  noch  einige  Einzelheiten 
von    allgemeinerem    Interesse    hervorgehoben    werden:     S.   123   bekennt 


L.  Toldo,   Tre  poesie  antiche.  109 

sich  Bender  trotz  seines  gj'mnasialen  Standpunktes  als  Freund  des  Keal- 
gymnasiums :  »Die  Errichtung  solcher  Schwesteranstalten  (d.  h.  der 
Realschulen)  mufs  auch  vom  Standpunkt  des  Gymnasiums  aus  durchaus 
gutgeheifsen  werden;  es  mufs  aber  an  diese  Anerkennung  die  Forderung 
angeknüpft  werden,  dafs  jede  dieser  zwei  resp.  drei  Anstalten  ihr  be- 
sonderes Gebiet,  ihre  spezifischen  Lehrfächer  und  Lehrziele  mit  klarem 
ßewufstsein  und  reinlicher  Trennung  festhalte«.  Wenn  aber  S.  132  von 
den  Gründen,  welche  gegen  das  Abiturientenexaraen  sprechen,  gesagt 
wird,  das  klinge  alles  schön,  sei  aber  praktisch  nicht  durchführbar,  so 
sehe  ich  wenigstens  nicht  ein,  warum  dies  nicht  durchführbar  sein  soll. 
Warum  soll  denn  ein  Lehrer,  der  mehrere  Jahre  hindurch  einen  Schüler 
unterrichtet,  nicht  wissen  können,  ob  derselbe  für  den  von  diesem  Lehrer 
vorgetragenen  Gegenstand  Begabung  hat  oder  nicht?  Dazu  ist  doch 
wahrhaftig  keine  »Infallibilität«  notwendig  oder  »eine  über  menschliches 
Vermögen  hinausgehende  Prüfung  von  Herzen  und  Nieren«.  Mir  dage- 
gen scheinen  die  Gründe  für  Abschaffung  oder  wenigstens  Erleichterung 
des  Abiturientenexamens  auf  S.  131,  die  sich  noch  beträchtlich  vermeh- 
ren lassen,  so  einleuchtend,  dafs  ich  darin  einen  grofsen  Gewinn  für 
unsere  Mittelschulen  sehen  würde.  Sehr  verständig  dagegen  finde  ich, 
dafs  Bender  S.  134  nicht  in  das  wüste  Geschrei  vieler  Lehrer  wegen  der 
Berechtigungen  mit  einstimmt.  Den  nicht  wünschenswerten  Fall  ange- 
nommen, dafs  die  Berechtigungen  der  jetzigen  Mittelschule  fallen,  wür- 
den bald  die  lautesten  Rufe  nach  Berechtigungen  ertönen,  und  niemals 
werden  solche  Schüler  aus  den  Mittelschulen  verschwinden,  welche  den 
ganzen  Kursus  nicht  durchlaufen  oder  andere,  die,  obgleich  nur  mäfsig 
begabt,  doch  nach  dem  Abiturientenzeugnis  unentwegt  streben.  Es  ist  viel 
besser,  diesen  thatsächlichen  Verhältnissen  Rechnung  zu  tragen  als  in 
beständigen  nutzlosen  Protesten  sich  und  der  Schule  zu  schaden.  —  Die 
Auslassung  über  Examina  S.  168fl".  scheint  mir  in  dieser  Form  für 
Schülerohren  wenig  geeignet  zu  sein.  Einige  weitere  Ausstellungen  in 
meiner  Besprechung  der  Bei'liner  Philolog.  Wochenschrift  1888  Nr.  25. 
Im  übrigen  aber  hat  der  Verfasser  so  viel  Tüchtiges  gesagt,  dafs 
die  Lektüre  dieser  Schulreden  nur  empfohlen  werden  kann. 

Anhangsweise  mögen  zwei  Schriften  den  Bericht  für  1887  ab- 
schliefsen,  deren  Inhalt  selbst  dem  Leser  deutlich  machen  wird,  weshalb 
sie  hier  erwähnt  werden. 

Tre  poesie  antiche  de  donne  latine  da  Luigi  Toldo,  tradotte 
e  dedicate  ai  giovani  sposi  Teresa  Scarenzio  ed  Enrico  Comitti  con 
voti  di  perenne  letizia.  Piacenza,  tipografia  Marchesotti  e.  c.  1887. 
8°.    23  S. 

Eine  litterarische  Huldigung  für  ein  italienisches  Brautpaar,  die 
graziös  und  sehr  bezeichnend  ist. 

Die  erste  Nummer  ist  eine  Übersetzung  der  bekannten  Sulpicia- 


1 1 0  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

Satire  mit  kurzer  Einleitung.  Wenn  jedoch  Toldo  S.  5  angibt,  dafs  die- 
selbe als  Ekloge  bezeichnet  und  als  Anhang  zu  Vergil  von  Gugl.  Rovillio 
1573  zu  Lyon  und  als  Satire  bezeichnet  1590  zu  Heidelberg  erschienen 
ist,  so  sind  ihm  die  ältesten  Drucke  entgangen.  Schon  1498  wurde 
Sulpiciae  satira  zu  Venedig  gedruckt  und  1509  zu  Strafsburg  wiederholt. 
Auch  Ugoletus  hatte  sie  schon  1499  als  Anhang  zu  seinem  in  Parma 
erschienenen  Ausonius  gegeben,  wovon  in  Venedig  1501  eine  Wieder- 
holung erschien. 

Daran  schliefsen  sich  »La  Veglia  di  Venere  di  Vibia  Chelidone« 
und  die  »Elegia  di  Eucheria«.  Die  kurzen  beigefügten  Noten  machen 
keinen  Anspruch  darauf,  Ergebnisse  neuer  Forschung  zu  bieten,  was 
billigerweise  wohl  auch  niemand  von  einer  solchen  Gratulationschrift 
erwartet. 

Akanthusblätter.  Dichtungen  aus  Italien  und  Griechenland 
von  Heinrich  Vierordt.  Heidelberg.  Carl  Winters  Universitäts- 
buchhandlung.   1888.    119  S. 

Je  seltener  wir  unter  den  neueren  Lyrikern  einen  finden,  der  sich, 
wie  einst  Geibel,  ein  warmes  Interesse  für  die  Welt  des  klassischen 
Altertums  bewahrt  hat,  um  so  mehr  verdient  das  kleine  Bändchen  Ge- 
dichte Erwähnung,  mit  welchem  der  schon  durch  mehrere  lyrische  Lei- 
stungen bekannte  Dichter  Vierordt  neuerdings  in  die  Öffentlichkeit  ge- 
treten ist.  Solche  Publikationen  sind  ein  wertvoller  Gradmesser,  in  wie 
weit  die  Altertumswissenschaft  auch  aufserhalb  des  Kreises  der  zünftigen 
Fachgenossen  geachtet  wird  und  Boden  besitzt. 

Der  Dichter  der  »Akanthusblätter«  gehört  nicht  zu  jener  zahl- 
reichen Klasse  von  Zeitgenossen,  die  nach  zurückgelegter  Schulzeit  es 
eilig  haben,  »die  Tröster  der  Schulen«  von  sich  zu  werfen  und  ihr 
Interesse  von  da  an  dauernd  solchen  Gegenständen  zuwenden,  die  mit 
der  Schule  nichts  zu  thun  haben.  Die  Welt  klassischer  Gestalten  ver- 
webt sich  ihm  zwar  überall  mit  denen  des  Mittelalters  und  der  Neuzeit 
und  sein  vielseitiges  Interesse  ist  ebenso  rege  für  den  Ostgothen  Theo- 
dorich und  Napoleon  I.  wie  für  die  klassischen  Götter,  für  den  Hermes 
des  Praxiteles,  für  Augustus  und  seine  Dichterfreunde.  Er  sieht  überall 
in  dem  modernen  Italien  und  Griechenland  noch  die  deutlichen  und 
fortlebenden  Spuren  der  untergegangenen  Welt  des  Altertums: 

Jene  Kunst,  die  einst  verklärend 
Götter  aus  dem  Stein  gerafft. 
Offenbart  sich  noch,  bewährend 
Ihre  ewige  Schöpferkraft; 
Färb  und  Form  schmückt  nicht  vergebens 
Höchste  Lust  und  tiefstes  Leid, 
Nachtet  über  uns  des  Lebens 
Dunkle  Unvollkommenheit. 


H.  Vierordt,    Akanthusblätter.  111 

Die  »Akanthusblcätter«  sind  das  Ergebnis  einer  Reise,  die  der 
jugendliche  Dichter  durch  Italien  und  Hellas  gemacht  hat.  Pietätsvoll 
versenkt  sich  sein  gebildeter  und  kenntnisreicher  Geist  überall  in  die 
Überreste  der  griechisch-römischen  Welt  und  spinnt  mit  Hilfe  der  Phan- 
tasie und  einem  reichen  Vorrat  von  Kenntnissen  Fäden  bis  zur  neuesten 
Gegenwart.  Ganz  besonders  erfreut  sich  sein  Auge  an  den  plastischen 
und  architektonischen  Denkmälern.  Den  Hermes  des  Praxiteles,  dem  er 
das  einleitende  Gedicht  geweiht  hat,  begrüfst  er: 

Dieser  Nacken  kraftgedrungen, 
Dieses  Antlitz  stolz  bewufst, 
Diese  Schultern  kühn  geschwungen, 
Diese  machtvoll  breite  Brust: 
Der  Olympier  stille  Hehre 
Voll  aus  diesen  Zügen  bricht  — 
Selbst  Apoll  von  Belvedere 
Gleichet  dir  an  Schönheit  nicht. 

In  der  vatikanischen  Sammlung  fesselt  ihn  die  bisher  häufig  als 
Eros  des  Praxiteles  bezeichnete  Halbfigur,  die  man  jetzt  als  Todesgenius 
auffafst: 

Sanft  und  göttlich  blickend  steht  der  hohe 
Freudenspender,  dessen  Lippe  schweigt. 
Langsam  senkend  einer  Fackel  Lohe, 
Selig  träumend,  leicht  das  Haupt  geneigt. 

Auf  dem  Kapitole  erinnert  sich  der  Dichter  an  jene  »Götterheim- 
kehr« des  Jahres  1816,  wo  die  von  Napoleon  I.  geraubten  Kunstwerke 
wieder  ihren  Einzug  in  die  alten  Sammlungsräume  feierten: 

Auf  geschmücktem  Blumenwageu 
Fahren  sie  durchs  hohe  Thor, 
Des  Olymps  Gebieter  ragen 
Herrlich  übers  Volk  empor; 
Leuchtend  flattern  die  Gewänder 
Der  Gestalten  formensatt. 
Die  der  grofse  Tempelschänder 
Einst  entführt  der  heil'gen  Stadt. 

Allem  Volk  ist,  als  geschähe 
Wiederum  ein  Wunder  jetzt. 
Und  es  atmet  Götternähe, 
In  der  Schatten  Welt  versetzt; 
Fühlt  in  seiner  Seele  Tiefen, 
Dafs  Unsterbliche  genaht, 
Kränzt  mit  Zweigen  von  Oliven, 
Fromm  begrüfsend  ihren  Pfad. 


112  Geschichte  der  Altertumswissenschaft. 

In  Tivoli,  wo  »der  Ölliain  rauscht,  das  Wasser  schäumt,  im  Mon- 
denschein der  Garten  träumt«,  gedenkt  er  der  Zeiten  des  ersten  römi- 
schen Kaisers: 

Drei  Männer  ruhen  an  dem  Tisch 

In  Epheukränzen  atmend  frisch; 

Die  gröfsesten  des  Römerstaats: 
August,  Mäcenas  und  Horaz. 

Beim  Besuch  Capris,  der  Caesareninsel,  gedenkt  er  der  klassischen 
Schilderungen  des  Gregorovius  und  gestaltet  dessen  gefeierte  prosaische 
Darstellung  zu  zwei  schönen  Gedichten. 

Die  Reise  geht  weiter  nach  Sizilien.  In  dem  Gedichte  »Der  Fisch- 
zug« wird  anmutig  erzählt,  wie  sizilianische  Fischer  in  ihren  Netzen  ein 
Bild  der  Aphrodite  aus  dem  Meere  ziehen  und  die  Göttin  in  einer  Nische 
an  »Taorminas  Hängen«  aufstellen: 

Die  funkelnde  Flut  umflofs, 
Thront  in  des  Felsens  Spalten, 
Wo  den  Chören  des  Äschylos 
Vordem  gelauscht  die  Alten. 

Der  Felshang  ist  ihr  Altar, 
Dran  wilde  Vögel  nisten; 
Die  der  Heiden  Göttin  war, 
Ward  Mutter-Gottes  der  Christen. 

Am  Fufse  des  Ätna,  der  weifsen,  aus  blauem  Meere  aufsteigenden 
Felspyramide,  geniefst  der  Dichter  das  stille  Glück  der  Einsamkeit;  als 
die  Sonne  verglühend  ins  Meer  sinkt  und  »der  Ziegenhirt  im  Hage«  ihr 
ein  leises  Abschiedslied  bläst,  da  fühlt  er  den  Atem  des  goldenen  Zeit- 
alters eines  Theokrit.  Dann  geht  es  hinüber  nach  dem  uralten  Selinunt 
am  afrikanischen  Meere  mit  seinen  gigantischen  Tempelresten,  auf  welche 
der  Sänger  seine  müden  Glieder  hinstreckt: 

Uralt  hellenische  ßilderpracht 

Zerbröckelt  liegt  im  Staube  — 

Umsponnen  liebend  hält's  die  Nacht 

Von  grüngeschwelltem  Laube. 

Aus  Tempeltrümmern,  Friesgebälk, 
Dem  Leib  der  Säulenriesen, 
Aus  Steinaltären  morsch  und  welk 
Die  wilden  Blumen  spriefsen. 

Von  Italien  geht  die  Fahrt  nach  dem  schönen  Hellas.  Die  Ge- 
dichte »Venus  von  Knidos«,  »Ganyraed«,  »Der  Bildhauer  und  sein  Knabe«, 
»Ikarus«  zeigen,  wie  heimisch  der  Dichter  in  der  Welt  der  alten  Helle- 
nen ist.     Zu  Athen  steigt  er  in  stiller  Vollmondnacht  empor  zum  Trum- 


H.  Vierordt,    Akanthusblätter.  113 

merfeld  der  Akropolis  und  hört  da  trotz  des  Tempelfriedens  deu  schwe- 
sterlichen Trauergesang  der  Karyatiden  am  Erechtheustempel ,  welche 
klagen,  dafs  eine  ihrer  Schwestern,  vom  räuberischen  Bi'itten  entfuhrt, 
nicht  mehr  als  hohe  Tempelfrau  dienen  kann,  dafs  sie  im  fernen  feuch- 
ten Barbarenlande  weilen  mufs: 

Leis  verzitternd  in  die  Lüfte 
Stirbt's  wie  Aeolsharfenton ; 
Veilchen  atmen,  Thymiandüfte 
Weben  um  das  Parthenon. 
Aber  auch   am  Tage   zieht  es  ihn  zu  der  welthistorischen  Stätte: 
gelagert  vor  dem  Erechtheion,  den  Blick  auf  das  leuchtend  blaue  Meer 
gerichtet,  denkt  er' wehmütig  der  deutschen  Heimat: 

In  der  Heimat  schweigt  der  goldne  Reigen 
Und  es  schwindet  hin  der  hohe  Sang, 
Denn  sie  kränzen  dort  mit  Lorbeerzweigen 
Stirnen,  die  geweiht  dem  Untergang. 
Dabei  denkt  er  der  beiden  Dichter,  welche  in  der  Heimat  die  Pro- 
pheten der  schönen  Idealwelt,  die  Verkündiger  der  Schönheit  des  klassi- 
schen Altertums  gewesen  sind:     »Schiller  und  der  hohe  Hölderlin«. 

Auch  Sunion  wird  unter  allerlei  Abenteuern  besucht  und  in  einem 
schönen  Gedichte  gefeiert. 

Wir  glauben  dem  Dichter  gerne,  dafs  ihm  der  Abschied  aus  dem 
schönen  Lande  nicht  leicht  geworden.  In  dem  letzten  Gedichte  der 
Sammlung  »Abschied  von  Griechenland«  fafst  er  nochmals  seine  Eindrücke 
und  Empfindungen  zusammen,  die  ihn  beim  Scheiden  bewegten;  auf  dem 
Fahrzeuge  stehend,  das  ihn  durch  die  bewegten  Fluten  des  korinthischen 
Golfes  der  Heimat  entgegenträgt,  ruft  er  dem  farbenreichen  Hellas  den 
letzten  Grufs  zu: 

Du,  der  Schönheit  Morgenwiege, 
Du,  der  Menschheit  Jugendtraum, 
Land,  das  für  die  höchsten  Siege 
Gab  den  Zweig  vom  heiigen  Baum; 
Das,  wenn  Sorg'  und  Elend  nachten, 
Unsre  Seelen  aufwärts  trägt  — 
Jenes  Herz  ist  arm  zu  achten. 
Welches  nicht  für  Hellas  schlägt. 

Die  mitgeteilten  Stellen  sind  Proben  der  schwungvollen  und  edeln 
Sprache  des  Dichters,  über  die  er  meisterhaft  verfügt.  Das  ganze  Bänd- 
chen entläfst  den  Leser  mit  ungetrübtem  Gefühl.  Wir  aber  wünschen 
dem  ideal  gerichteten  Lyriker,  der  in  so  ergreifenden  Tönen  die  Schön- 
heit des  klassischen  Altertums  zu  preisen  versteht,  einen  litterarischen 
Erfolg,  der  dem  Werte  seiner  schönen  Gabe  entspricht. 

Jahresbericht  für  Alterthumswissenschaft.    LXIV.  Bd.   (1890.  III.)  8 


Jahresbericht    über    römische   Geschichte   und 
Chronologie  für  1888. 

Von 

Geh.  Oberschulrat  Dr.  Hermann  Schiller, 

Gymnasial-Direktor  und  Universitäts-Professor  in  Giefsen. 


1.    ZusammeiifasseiKle  Werke  und  Abhandlungen 
allgemeinen  Inhalts. 

Von  Duruy-Hertzberg  Geschichte  des  römischen  Kaiserreichs  sind 
bis  Ende  1888  86  Lieferungen  erschienen,  womit  der  vierte  Band  abge- 
schlossen wird.  Die  Zuverlässigkeit  des  Erscheinens  der  Fortsetzungen 
erhöht  den  Wert  des  nützlichen  Werkes. 

B.  Niese,  Abrifs  der  römischen  Geschichte.  In  Handb.  d.  klass. 
Alterturaswissenschaft  herausg.  v.  Iwan  Müller,  Nördlingen  1886.  Neun- 
ter Halbb.     S.  567—688. 

Der  Verfasser  teilt  seinen  Stoff  in  folgende  Teile:  1)  Einleitung 
in  die  römische  Geschichte,  2)  Italische  und  römische  Vorgeschichte, 
3)  1.  Periode  der  Geschichte  Roms:  bis  zur  Vereinigung  mit  den  Kam- 
panern 388  V.  Chr.,  4)  2.  Periode:   Unterwerfung  Italiens   (265  v.  Chr.), 

5)  3.  Periode:    bis    zur  Erlangung    der  Weltherrschaft    (167    v.    Chr.) 

6)  4.  Periode:  bis  zum  Untergange  der  Republik  (28  v.  Chr.),  7)  5.  Pe- 
riode: die  Kaiserzeit  bis  auf  Diokletian  (285  v.  Chr.),  8)  6.  Periode:  die 
Kaiserzeit  bis  zum  Ende  des  Reichs  im  Westen  (560  n.  Chr.).  Bis  jetzt 
sind  nur  die  sechs  ersten  Teile  vollendet,  mit  dem  Anfang  des  siebenten 
schliefst  der  Band. 

Die  Arbeit  wägt  überall  sorgfältig  ab  und  entspricht  so  durchaus 
der  Aufgabe  des  Handbuchs,  ein  übersichtliches  und  wissenschaftlich  zu- 
verlässiges, dabei  gründliches  Bild  der  einzelnen  Diziplin  zu  geben. 
Nur  die  Litteraturverzeichnisse  hätten  reichlicher  sein. dürfen,  da  man 
überall  auch  den  Gegner  zum  Worte  kommen  lassen  soll.     Von 

R.  Bonghi,  Storia  di  Roma,  Milano 
ist  der  zweite  Band  erschienen:  Cronologia  e  fonti  dcUa  storia  romana; 
rantichissirao  Lazio  e  origini  della  cittä. 


2.    Chronologie.  115 

In  demselben  werden  mit  eingehendster  Gründlichkeit  alle  Fragen 
erörtert,  welche  über  die  betreffenden  Materien  aufzuwerfen  sind.  Der 
Verfasser  kennt  die  neuere  Litteratur  überall,  doch  entscheidet  er  überall 
selbständig.  Zu  einem  Auszuge  eignet  sich  das  Buch  nicht,  da  man 
überall  den  Gang  der  Untersuchung  mitteilen  müfste.  Denn  völlig  neue 
Ergebnisse  sind  nur  selten  gefunden. 

laxctjßou   X.   Jpaydztrrj    [(jzopia  riöv  Pujiiaiiov  xal  toTj   Bu^avrca- 
xüo  hpdzuog  P-^Xf"^  "^^^  St^aaiiou  zoü  Puj/jLacxo~j  Kpdroug.    Athen  1888. 

Ein  Schulbuch  ohne  wissenschaftlichen  oder  pädagogischen  Wert. 

Arthur    C.   Jennings,    Chronological   Tables.     A    synchronistic 
arrangemeut  of  the  events  of  ancient  history.     London  1888. 

Der  Verfasser  giebt  synchronistische  Tabellen  von  753  v.  Chr.  bis 
auf  Christi  Geburt  mit  folgenden  Rubriken:  Political  History;  Jewish 
Churcb  History;  Wars,  Populär  movements,  Catastrophes ;  ßiography 
and  Topographie;  Inventions,  Discoveries,  Science,  Art;  Laws,  Littera- 
ture,  Drama,  Institutions.  Dafs  diese  Rubriken  sehr  logisch  seien,  kann 
man  nicht  behaupten.     Die  ganze  Arbeit  ist  um  50  Jahre  verspätet. 

2.   Chronologie. 

Triemel,  Zum   catonischen  Gründungsjahre  Roms.     Neue  Jahrb. 
f.  Philol.   137,  373.  379. 

In  steter  Polemik  gegen  Unger,  der  als  das  catonische  Gründungs- 
jahr das  J.  739  berechnete,  und  gegen  Soltau  (der  744  als  solches  an- 
nahm) und  Holzapfel,  welche  mit  jenem  die  Stelle  über  Cato  bei  Dionys. 
1,  74  nicht  richtig  verstanden,  sucht  der  Verfasser  zu  erweisen,  dafs 
das  eigentliche  catonische  Gründungsjahr  751/50  war.  Dionysios  hat 
zuerst  dieses  wahre  catonische  Gründungsdatum  überliefert. 

Soltau,   Chronologische   Vorurteile.     Neue  Jahrb.   f.  Philol.    137, 
299-304. 

Niese  hatte  in  einer  Beurteilung  von  Soltaus  Prolegomena  zu  einer 
römischen  Chronologie  einen  kleinen  Beitrag  zur  Chronologie  Diodors 
gegeben.  Soltau  weist  nun  nach,  dafs  der  erste  Teil,  den  Niese  als 
seine  Entdeckung  darlegt,  schon  von  Matzat  und  ihm  so  aufgefafst  wor- 
den sei.  Dagegen  wird  ihm  vorgeworfen,  dafs  er  das  wichtigste  Problem 
der  römischen  Chronologie,  die  üiktatorenjahre,  nur  nebenbei  gestreift 
habe.  Als  gleich  unbefriedigend  wird  die  Behandlung  der  Frage  hinge- 
stellt, weshalb  Diodor  in  der  ersten  Hälfte  des  vierten  Jahrb.  d.  St.  vier 
Tribunenkollegien  weniger  biete;  Soltau  ist  der  Ansicht,  dafs  Diodor  bei 
244jähriger  Königszeit  zwischen  507/6  und  504/3  geschwankt  habe.  Den 
Erklärungsversuch,  den  Niese  bezüglich  der  Wiederholung  der  Eponyraen 

8* 


116  Römische  Geschichte  und  Chronologie. 

von  Varr.  360-64  und  der  Übergehung  von  380—383.  387  durch  Diodor 
unternimmt ,  wird  zurückgewiesen,  weil  es  bei  dem  heutigen  Stande  der 
chronologischen  Forschung  nicht  mehr  möglich  sei,  mit  der  Eventualität 
von  Fälschungen  mehrerer  Jahre  oder  von  einer  Eintragung  von  Füll- 
jahreu  zu  rechnen. 

Soltau,  Zu  den  römischen  Tagen.     Eb.  833—842. 

1)  Die  verschiedenen  Bezeichnungen- der  dies  nefasti. 
Die  beiden  Noten  N  und  NP  bezw.  NF  sind  folgen dermafsen  zu  ver- 
stehen. Den  dies  uefasti  ohne  Namensbezeichnung  fehlte  das  öffentliche 
Sühnopfer  und  die  Feiertagsruhe  von  der  Arbeit,  wie  sie  nur  den  nefasti 
zukam,  die  zugleich  feriae  publicae  waren.  Diese  letzteren  wurden  in 
der  Regel  NP  (NF)  bezeichnet,  vereinzelt  sogar  FP.  Unter  Berück- 
sichtigung der  Thatsache,  dafs  die  Noten  ursprünglich  substantivische 
Bedeutung  hatten,  wird  die  Bezeichung  der  Note  NP  wahrscheinlich  als 
N(efas)  F(eriae)  P(ublicae)  zu  deuten  sein. 

2)  Die  dies  fasti  seit  dem  Decemvirat.  Abgesehen  von  den 
nundinae  waren  die  Kalendae,  Nonae,  Idus  sowie  ihre  Nachtage  dies 
fasti,  soweit  sie  nicht  in  die  längeren  Bufszeiten  des  Februar  (1  —  15) 
und  des  April  (4  20),  in  die  kürzeren  des  Juni  (5  14)  und  Juli  (1 — 9) 
fielen.  Eine  Ausnahme  von  dieser  Regel  bilden  Kai.  Juu.j  Kai.  Octobr., 
Kai.  Dec  und  postridie  Kai.  Dec,  welche  mit  dem  dritten  December 
eine  kurze  anomale  Frist  von  drei  nefasteu  Tagen  im  December  bilden. 
Soltau  nimmt  an,  dafs  auch  diese  Tage  schon  vor  Cäsar  nefast  waren  und 
dafs  speciell  die  Decembertage  den  kalendarischen  Reformen  der  lex 
Acilia  191  V.  Chr.  angehören.  Die  Herkunft  der  drei  als  dies  nefasti 
anomalen  Kaleuden  darf  nur  so  erklärt  werden,  dafs  früher  alle  dies 
fasti  von  nundinae  ferngehalten  werden  sollten. 

3)  Fiktive  dies  fasti.  Aufser  Kai.,  Non.,  Idus  und  ihren  Nach- 
tagen zählt  Mommsen  noch  sieben  anomale  dies  fasti  (drei  dies  fissi 
24.  März,  24.  Mai,  15.  Juni  und  21.  Febr.,  23.  Apr.,  19.  Aug.  und  23.  Sept.). 
Aber  die  drei  fissi  waren  sicher  keine  fasti,  und  die  vier  anderen  waren 
es  wahrscheinlich  auch  nicht. 

W.  Soltau,   Cato  und  Polybius.     Wochenschr.   f.  klass.  Philol.  5 
(1888),  373—382. 

Der  Verf.  polemisiert  gegen  Niese,  der  Gott.  Gelehrt.  Anz.  1887, 
828  Soltaus  Ansicht  bekämpfte,  nach  der  Polybios'  Bericht  über  die 
tumultus  Gallici  ein  Auszug  aus  Catos  Origines  sein  soll.  Zuerst  werden 
mehrere  allgemeine  Einwände  Nieses  zurückgewiesen;  die  Hauptsache 
ist  aber  nach  Soltaus  Ansicht  der  Beweis,  dafs  Polybios  2,  14  —  22  nur 
einer  lateinisch  schreibenden  Quelle  entnommen  sein  kann;  dafs  aber 
vor  151  V.  Chr.  andere  lateinisch  geschriebene  Annalenwerke  nicht 
existiert  haben,   scheint  ihm   ausgemacht.     Die  Abstammung  aus   einer 


2.    Chronologie.  117 

lateinischen  Quelle  ergiebt  sich  aus  manchen  Ausdrücken,  namentlich 
aus  der  Art  des  Gebrauchs  von  raXdzac.  Ergänzt  wird  dieses  Resul- 
tat durch  die  Thatsache,  dafs  Polybios  auch  sonst  in  den  wichtigsten 
chrouolügischen  Fragen  sich  vorzugsweise  auf  Catos  Origines  gestützt 
hat;  diese  Annahme  wird  durch  mehrere  Angaben  zu  erweisen  versucht. 
Ebenfalls  gegen  Niese  a.  a.  0.  ist  eine  weitere  Polemik  Soltaus 
gerichtet:  Chronologische  Vorurteile.  N.  Jahrb.  f.  Philol.  1888,  299.  In 
derselben  wird  zu  erweisen  versucht,  dafs  mehrere  Aufstellungen  von 
Niese  betreffs  der  Chronologie  Diodors  haltlos  seien. 

W.  Soltau,  Die  römischen  Amtsjahre  auf  ihren  natürlichen  Zeit- 
wert reduciert.     Freiburg  i.  B.  1888. 

Eines  der  Haui)tprobleme  der  römischen  Chronologie  ist  die  Frage 
nach  der  wahren  Zeit  aller  einzelnen  Amtsjahre  sowie  nach  der  Ge- 
samtdauer aller  Amtsjahre.  Der  ■  Verf.  versucht  die  Lösung  des  Pro- 
blems, indem  er  von  den  Verschiebungen  der  consularischen  Antritts- 
termine ausgeht.  Der  Verf.  sucht  zunächst  den  Satz  zu  erweisen,  dafs 
die  römischen  EponymenkoUegien  das  römische  Kalenderjahr  lediglich 
als  Maxiraalfrist  gehabt  haben,  und  dafs  nicht  selten  durch  vorzeitigen 
Rücktritt  der  Beamten  Verkürzungen  der  Amtsjahre  eingetreten  sind. 
Alsdann  versucht  der  Verf.  den  Nachweis,  dafs  die  Interregna  rechtlich 
einen  Teil  des  Amtsjahres  bildeten.  So  gilt  ihm  der  Satz  als  erwiesen, 
dafs  X  römische  Amtsjahre  =  x— y  römische  Kalenderjahre  waren.  Im 
Folgenden  werden  die  sicher  nachweisbaren  Antrittstermine  der  Konsuln 
seit  V.  305  zusammengestellt;  sie  ergeben  das  Resultat,  dafs,  abgesehen 
von  den  controversen  Diktatorenjahren  die  449  Amtsjahre  v.  Chr.  seit 
dem  Decemvirat  nur  wenig  mehr  als  445  Kalenderjahre  gewesen  sind. 
Der  Verfasser  glaubt  damit  gezeigt  zu  haben,  dafs  es  möglich  sei,  ab- 
gesehen von  den  Diktatoreujahren  die  Dauer  aller  republikanischen 
Amtsjahre  im  Einzelnen  wie  im  Ganzen  auf  wahre  Zeit  zu  reducieren. 
Aber  nun  ist  die  Frage  zu  beantworten:  Welchen  Zeitraum  umfafsten 
die  sog.  Diktatorenjahre?  Zu  diesem  Zwecke  wird  der  Synchronismus 
bei  Polyb.  1 ,  6  Alliaschlacht  =  Sommer  387  v.  Chr.  und  Besetzung 
Roms  =  Antalkidasfrieden  Herbst  oder  Winter  387  v.  Chr.  als  der 
annalistischen  Zählung  wie  den  Angaben  »aller  Autoren«  bei  Dionys. 
1,  74  zu  Grunde  liegend  erwiesen;  Cato  führte  ihn  in  die  römische 
Literatur  ein  und  war  die  Quelle  des  Polybios;  aufser  ihm  Timaeus, 
jeder  von  beiden  unbedingt  zuverlässig  in  chronologischen  Fragen.  Die 
Folgerung  für  die  Diktatorenjahre  lautet  nun  folgendermafsen.  Dieselben 
müssen  im  Wesentlichen  je  einem  Kalenderjahre  gleich  gewesen  sein. 
Sie  waren  ursprünglich  Konsulatsjahre,  die  um  des  chronologischen  Aus- 
gleichs willen  gestrichen  worden  sind,  und  zwar  aus  guten  Gründen: 
denn  bei  einer  synchronistischen  Geschichtschreibung  mufsten  vier  rö- 
mische Amtsjahre  mit  dem  Vorjahre  in  der  Zählung  combiniert  werden. 


11g  Römische  Geschichte  und  Chronologie. 

Dieses  Ergebnis  wird  durch  einen  vierfachen  Beweis  gestützt:  1)  In 
den  Friedensvertragszeiten  nach  Kalenderjahren  werden  die  Diktatoren- 
jahre mitgezählt,  2)  ebenso  in  Chroniknotizen  bei  Diodor  19,  10  und 
20,  101,  3)  die  Censurintervalle  zwischen  442,  447  (richtiger  446),  450, 
454  bedingen  ihre  Mitzählung,  4)  der  regelmäfsige  Wechsel  patrizischer 
und  plebeischer  Ädilenkollegien  zeigt  die  Annuität  der  Diktatorenjahre. 
Das  letzte  Kapitel  giebt  eine  Tabelle  über  die  wahre  Zeit  aller  römi- 
schen Amtsjahre  seit  V.  305  und  eine  hypothetische  Reconstruction  der 
vordecemviralcn  Aratsj abrüste  246—303. 

Die  Beweisführung  ist  klar  und  gewinnend;  aber  man  darf  nicht 
vergessen,  dafs  auch  hier  wieder  eine  Reihe  von  subjectiven  Annahmen 
nötig  ist,  mit  deren  Ablehnung  die  Beweisführung  einen  Teil  ihrer 
Grundlagen  verliert. 

W.  Soltau,  Die  chronologischen  Schwierigkeiten  des  Pyrrhus- 
krieges.  Wochenschr.  f.  Mass.  Philol.  5  (1888),  1497—1501;  1524— 
1526. 

Die  chronologischen  Schwierigkeiten  des  Pyrrhuskrieges  sind  nach 
des  Verf.'s  Ansicht  vielfach  übertrieben  worden.  Was  zunächst  die  zeit- 
lichen Angaben  über  Beginn,  Dauer  und  Ende  der  pyrrhischen  Kriege 
in  Italien  und  Sizilien  betrifft,  so  stehen  dieselben  völlig  fest.  280  März 
Ankunft  des  P.  in  Italien;  278  Juli  Überfahrt  des  P.  nach  Sizilien;  275 
Anf.  P.  Rückkehr  nach  Italien;  275  Juni  Zug  nach  Samniura;  275  Spät- 
sommer Schlacht  bei  Benevent;  275  Ende:  Rückkehr  nach  Epirus.  Die 
Verteilung  der  überlieferten  Kriegsereignisse  vom  März  280  —  Juli  278 
V.  Chr.  denkt  sich  der  Verf.  folgendermafsen:  die  Schlacht  bei  Heraklea 
fällt  etwa  in  den  September  280  v.  Chr.;  die  Waffenstillstandsverhand- 
lungen des  Kineas  fielen  in  den  Herbst  279  oder  Winter  279/78,  die 
Schlacht  bei  Asculum  Ende  des  Amtsjahres  V.  475,  etwa  in  den  April 
278  V.  Chr.  Vor,  zwischen  und  nach  diesen  Thatsachen  liegen  folgende 
Ereignisse:  279  Febr.  Ti.  Coruncanius  in  Rom;  279  Frühjahr:  Aemilius 
in  Samuium,  Laevinus  deckt  Capua  gegen  P)Trhus,  welcher  vor  Neapel 
rückt.  279  Juni:  Marsch  des  Pyrrhus  auf  Rom.  279  Juli:  Aemilius, 
der  zur  Deckung  Roms  herangezogen  war,  triumphiert  nach  Pyrrhus' 
Abzug  IV  id.  Quinct.  in  Rom,  Coruncanius  rückt  P.  nach  und  vereinigt 
sich  mit  Laevinus;  beide  nehmen  als  Prokonsuln  dem  P.  gegenüber 
Stellung;  279  Herbst:  Gesandtschaft  des  Fabricius.  278  März:  Einfall 
des  P.  in  Apulien.  278  Kai.  Mai:  Antritt  der  Konsuln  v.  V.  476  C- 
Fabricius.  L.  Aemilius  Papus.  Erfolg  derselben  gegen  P  Bundesge- 
nossen, ev.  bald  darauf  die  Vergiftungsgeschichte.  Die  von  Justin  18,  2 
bei'ichtete  karthagische  Flottenseudung  gehört  in  den  Sommer  279  v.  Chr. 

Derselbe,  Die   ersten  julianischen  Schaltjahre.     Wochenschr.   f. 
klass.  Philol.  5  (1888),  762-766,  794-798. 

Holzapfel  und  August  Mommsen  nehmen  den  2.  Januar  45  v.  Chr., 


2.    Chronologie.  119 

Matzat  den  1.  Januar  desselben  Jahres  als  Anfangstag  des  julianischen 
Kalenders  an.  Soltau  gelangt  auf  anderem  Wege  zu  demselben  Resul- 
tate wie  die  beiden  ersteren. 

H.  Matzat,  Der  Anfangstag  des  julianischen  Kaiendes.     Hermes 
23,  48—69. 

Die  Frage,  auf  welches  Datum  und  auf  welchen  Tag  der  altrörai- 
schen  achttägigen  Woche  die  Kai.  Jan.  des  ersten  juliauischen  Jahres 
V.  709  gefallen  sind,  ist  von  hervorragender  Wichtigkeit  für  die  gesamte 
römische  Chronologie.  Ohne  sie  beantwortet  zu  haben,  kann  man  kei- 
nen Schritt  in  die  dahinter  liegende  Zeit  thun. 

Matzat    hat    in    seiner    Rom.    Chronol.    1,    11  — 18    denselben    auf 

1.  Jan.  45  V.  Chr.  bestimmt  mit  dem  Nundinalbuchstaben  G  (d.  h.  als 
siebenten  Wochentag).    Dagegen  haben  Holzapfel  und  A    Mommsen  den 

2.  Jan.  45  V.  Chr.  bestimmt.  Matzat  erweist  nun  nochmals  seine  Rech- 
nung als  richtig  und  widerlegt  die  Argumente  seiner  Gegner.  Da  die 
Rechnungen  hier  nicht  reproduciert  werden  können,  mufs  auf  die  Ab- 
handlung selbst  verwiesen  werden. 

G.  Fr.  ünger.  Der  Gang  des  altrömischen   Kalenders.     Abh.  d. 
philos.-philol.  Cl.  d.  k.  bayr.  Akad.  d.  Wiss.  18,  281-397. 

Der  Verf.  will  nachweisen,  da  ['s  von  zwei  unzweifelhaften  längeren 
Störungen  abgesehen,  der  Kalender  des  römischen  Freistaates  allezeit 
den  ihm  vorgezeichneten  Gang  eingehalten  und  demgemäfs  die  Monate 
immer  zu  ihrer  Naturjahrzeit  gebracht  hat.  Für  die  Abgrenzung  der 
ersten  Störung  und  die  Reduction  ihrer  Neujahre,  welche  der  Verf.  in 
seiner  Zeitrechnung  der  Griechen  und  Römer  (I.  Müllers  Handb.  d.  klass. 
Altertumsw.  I  S.  77)  gegeben  hat,  soll  sie  die  Begründung  nachliefern 
und  die  in  Jahrbb.  f.  Philol.  1884  p.  578 ff.  mitgeteilte  Darstellung  der 
zweiten,  soweit  diese  Widerspruch  erfahren  hat,  rechtfertigen.  Ein  An- 
hang behandelt  die  Zeit  der  Amtswahlen.  Die  Art  der  Arbeit  mit  ihrem 
weitläufigen  Materiel  gestattet  keine  Wiedergabe. 

Fr.  Rühl,  Die  Konstantinischen  Indictionen.    Neu.  Jahrb.  f.  Philol. 
137,  789—792. 

Der  Verf.  ist  der  Ansicht,  es  müsse  einen  besonderen  Grund  haben, 
dafs  mit  1.  Sept.  312  eine  neue,  eigens  benannte  Reihe  von  Indictions- 
Jahren  beginne,  während  sich  die  Indictionen  vorher  und  nachher  an 
sich  nicht  im  mindesten  unterscheiden.  Fafst  man  das  Problem  rein 
chronologisch,  so  ist  die  nächstliegende  Annahme  die,  dafs  mit  dem  am 
1.  September  311  nach  Chr.  beginnenden  Indictionsjahre  irgend  eine 
grofse  Periode  ablief,  eine  Art  von  annus  magnus.  Rühl  betrachtet  nun 
das  Varronische  Gründungsdatum  (21.  April  753  v.  Chr.)  als  Ausgangs- 
punkt  der  Berechnung  und  findet,    dafs  mit  dem   31.  August   311   ein 


120  Römische  Geschichte  und  Chronologie. 

Indictionszirkol  scbliefse  d.  h.  es  fallen  in  diesem  Jahre  alle  Wochen- 
tage und  alle  Mondphasen  auf  dieselben  Monatstage  wie  im  Jahre  der 
Gründung  der  Stadt  Rom.  Diese  drei  Bedingungen  zusammen  aber 
hatte  in  der  ganzen  Zwischenzeit  kein  einziges  Jahr  erfüllt,  und  so 
konnte  diese  Periode  von  1065  Jahren  wirklich  als  ein  annus  magnus 
bezeichnet  werden.  Dazu  kam,  dafs  mit  dem  Jahre  312  ind.  XV  nicht 
nur  chronologisch,  sondern  auch  historisch  ein  Weltalter  schlofs;  denn 
bereits  in  den  Oktober  von  312  ind.  I  fällt  der  Sieg  des  Konstantin 
über  Maxentius  und  damit  der  Anbruch  einer  neuen  Epoche  für  das 
römische  Reich  und  speciell  für  die  Bekenner  des  christlichen  Glaubens. 
Wenn  das  Chron.  pasch,  die  dpy^ri  IvSixtuüwcov  auf  den  l.  Sept.  49 
V.  Chr.  ansetzt,  so  geschah  dies,  weil  dies  das  erste  Jahr  der  Cäsa- 
rischen Ära  war,  wie  sie  in  Antiocheia  galt,  und  zugleich  ein  erstes  In- 
dictionsjahr.  Wenn  es  nun  eine  Zeittafel  gab,  welche  nach  antiocheni- 
schen  Jahren  rechnete  und  die  Zeitcharaktere  angab,  so  mufste  bei  dem 
ersten  Jahre  notwendig  IvdtxTt'iuv  ä  beigeschrieben  sein,  was  dann  leicht 
ein  späterer  für  den  Anfang  der  Indiktionen  überhaupt  nehmen  konnte. 

3.    Königszeit  und  Übergang  zur  Republik. 

Job.   Gust.   Cuno,   Vorgeschichte  Roms.     2.  Teil.     Die  Etrusker 
und  ihre  Spuren  im  Volk  und  im  Staate  der  Römer.    Graudenz  1888. 

Nach  zehn  Jahren  erscheint  der  zweite  Teil  der  Vorgeschichte 
Roms  (,s.  Jahresb.  f.  1876—78,  439 ff.);  weiter  war  es  dem  Verf.  nicht 
vergönnt  seine  Arbeit  zu  führen,  da  er  bald  nach  Erscheinen  des  zwei- 
ten Bandes  gestorben  ist. 

In  Kap.  1  »Über  den  Ursprung  der  Etrusker«  werden  in  der 
gründlichen,  aber  weitschweifigen  und  wenig  anziehenden  Art,  die  schon 
am  ersten  Bande  getadelt  wurde,  die  Ansichten  von  Herodot,  Dionysios 
von  Halikarnafs  und  K.  0.  Müller  entwickelt.  Der  Fundamentalsatz, 
von  dem  die  Forschung  ausgehen  mufs,  ist  der  bereits  von  Dionys  aus- 
gesprochene, dafs  die  Etrusker  ein  autochthones  italisches  Volk  waren. 
Das  2.  Kap.  betrachtet  die  etruskischen  Eigennamen  und  ihre  Deklination, 
sowie  einige  auffällige  Erscheinungen  der  Sprache,  das  3.  die  Verbrei- 
tung des  etruskischen  Stammes  über  die  italische  Halbinsel;  dazu  kom- 
men im  4.  die  etruskischen  Ortsnamen,  deren  der  Verf.  eine  recht 
grofse  Zahl  in  allen  Teilen  Italiens  aufdeckt,  endlich  im  5.  die  etrus- 
kischen Götternamen,  deren  Bedeutung  der  Verf.  öfter  im  Anschlüsse 
an  Corssen  festzustellen  sucht.  Im  6.  Kap.  wird  die  römische  Grün- 
dungssage untersucht.  Die  Rea  Silvia  wird  als  Dea  Silvia  gefafst  Sil- 
via =  umbr.  Qerfia  oder  Serfia;  die  Griechen  machten  aus  Silvia  Ilia. 
Auch  die  Evandersage  ist  erst  allmählich  gräcisiert;  aus  ursprünglichem 
effandus  wird  ein  Evander;  überall  werden  etruskische  Elemente  gefun- 
den.    Das  6.  Kap.  ist  zum   Teil   schon  früher  veröffentlicht  worden;    es 


3.    Königszeit  und  Republik.  121 

untersucht  die  Kämpfe  der  Etrusker  mit  den  Hellenen.  Hier  werden 
die  phönikischen  Kolonieen  und  die  Anfänge  der  hellenischen  Koloni- 
sation gegenüber  gestellt,  die  Gründung  von  Cumae  und  die  etruskische 
Seeherrschaft,  der  Untergang  der  Etrusker  in  Kampanien  und  der  etrus- 
kische Söldnerdienst  zu  Land  und  zur  See  eingehend  erörtert.  Der 
Verf.  weist  nach,  dafs  insbesondere  über  eine  etruskische  Seeherrschaft 
—  für  einzelne  Städte  giebt  er  Seehandel  zu  und  über  die  Macht 
dieses  Volkes  in  Kampanien  viele  Übertreibungen  berichtet  sind.  In 
Kap.  8  betrachtet  der  Verf.  »etruskisch-römische  Könige  und  Helden« 
Natürlich  gehört  dazu  L.  Tarquinius  Priscus:  Priscus  ist  die  Übersetzung 
von  Lucumo.  Servius  ist  in  ähnlicher  Weise  die  Übersetzung  des  etrus- 
kischen  Mastarna;  beide  Namen  bedeuten  soviel  wie  Fürst.  Auch  das 
Wort  Classis,  welches  in  Servius  Tullius'  Regierung  eine  so  grofse  Rolle 
spielt,  ist  etruskischen  Ursprungs,  es  bedeutet  Volk.  Tanaquil-Caecilia 
ist  die  etruskische  Feuergöttin,  welche  vielleicht  als  die  Mutter  des  Ser- 
vius Tullius  galt.  Diese  etruskischen  Sagen  sind  von  etruskischen  Er- 
oberern und  Kolonisten  nach  dem  Gebiete  von  Rom  gebracht  worden. 
In  der  Porsennasage  sind  Mutius  Scaevola  und  Horatius  Codes  ebenfalls 
der  etruskischen  Heroengeschichte  entnommen.  Der  Verf.  ist  überhaupt 
von  dem  etruskischen  Ursprung  Roms  durchdrungen:  Servius  Tullius 
gilt  ihm  für  älter  als  Romulus;  die  gewaltigen  Bauten,  wie  die  Cloaca 
maxima  etc.,  können  nur  von  einem  festgefügten  etruskischen  Königtume 
ausgeführt  sein.  Die  Machthaber  einer  der.grofseu  benachbarten  etrus- 
kischen Städte  haben,  um  den  unteren  Tiber  in  ihre  Gewalt  zu  bringen, 
die  latinische  Bevölkerung  des  linken  Ufers  unterworfen  und  damit  den 
Anfang  zur  Unterwerfung  Latiums  gemacht;  sie  begannen  die  Gründung 
einer  Stadt,  nachdem  durch  einen  ungeheuren  Aufwand  von  Mitteln  die 
Abzugskanäle  gebaut  und  durch  die  Entwässerung  ein  weiter  Raum  ge- 
schaffen oder  bewohnbar  gemacht  worden  war.  Die  Könige  und  der 
Patriciat  waren  etruskisch,  die  Plebs  latiuisch,  von  hier  aus  wurden  die 
Eroberungen  weit  nach  Süden  ausgedehnt,  Latium  teilweise  erobert,  teils 
zu  mehr  oder  minder  freiwilliger  Anerkennung  der  römischen  Ober- 
hoheit gebracht.  Die  Gründung  Roms  kann  nur  von  Caere  oder  Veii 
ausgegangen  sein;  in  der  That  ist  sie  von  Caere  aus  erfolgt,  wo  das 
Grabmal  der  Tarquinier  aufgefunden  wurde.  Die  Werke  der  letzteren 
Capitolium,  Cloaca  verraten  sich  schon  durch  ihre  Namen  als  etruskisch. 
Kap.  9  behandelt  »die  servischen  Centuriatcoraitien«.  Patricier  und 
Plebeier  waren  zwei  gesonderte  Völker  von  verschiedener  Abstammung, 
Religion,  Gerichtsbarkeit,  ohne  Ehegemeinschaft.  Der  politische  Gedanke 
des  Servius  Tullius  war,  die  vermögenden  Klassen  der  Plebs  mit  dem 
Patriciat  zu  verbinden  und  die  werdende  Demokratie  zu  hindern.  Im 
Einzelnen  werden  von  dem  Verf.  vielfach  bestehende  Ansichten  bekämpft. 
Kap.  10  führt  »die  Erhebung  der  Plebs«  vor.  Der  Sturz  des  Köuigs- 
tums  vollzog   sich   durch  die  Verbindung  des  Patriciates   mit  der  Plebs, 


122  Römische  Geschichte  und  Chronologie. 

er  bedeutet  zugleich  den  Abfall  von  Etrurien,  als  dessen  Vorkämpfer 
Porsenna  in  der  Überlieferung  erscheint.  Er  hat  Rom  unterworfen  und 
den  Römern  einen  demütigenden  Frieden  auferlegt;  sonst  läfst  sich 
weder  sein  Verhältnis  zum  etruskischen  Bunde,  noch  seine  Stellung  zu 
Rom  näher  ergründen.  Der  Verf.  führt  nun  seine  Ansichten  über  Plebs 
und  Klienten  durch,  die  des  Polemischen  so  viel  enthält,  dafs  auf  eine 
Wiedergabe  der  Ausführungen  verzichtet  werden  mufs.  Eine  besondere 
Betrachtung  wird  dem  Wesen  der  Kuriatcomitien  gewidmet;  der  Verf.  ist 
überzeugt,  dafs  sie  ursijrünglich  der  Ausdruck  des  gesamten  römischen 
Volkes  waren.  Das  Tribunat  erscheint  als  ein  auf  dem  Wege  der  Re- 
volution den  Patriciern  entrungenes  Zugeständnis,  wobei  diese  sich  des 
Mafses  der  von  ihnen  verliehenen  Gewalt  nicht  voll  bewufst  waren.  Kap.  11 
enthält  eine  Untersuchung  über  die  Verfassungsformen  vom  Anfang  des 
4.  Jahrh.  d.  St.,  Kap.  12  die  Ausgleichung  der  Stände,  Kap.  13  das  Ver- 
hältnis von  Rom  und  Latium.  In  diesen  wie  in  den  vorhergenden  Ka- 
piteln übt  der  Verf.  an  der  Überlieferung  eine  schneidende  Kritik.  Und 
wenn  man  auch  oft  genug  zum  Widerspruch  gereizt  wird,  so  verdient 
doch  des  Verf.'s  Scharfsinn,  Vorurteilslosigkeit  und  geschichtlich-politische 
Bildung  unbedingte  Anerkennung.  Auch  ist  es  ein  Vergnügen,  seiner 
Entwickelung  zu  folgen,  die  nur  da  unerfreulich  wird,  wo  sie  in  sprach- 
liche Untersuchungen  eintritt.  Aber  wo  finden  sich  hier  Spuren  der 
Etrusker?  In  dieser  Zeit  vollzieht  sich  das  Zusammenwachsen  der 
Kaste  der  etruskischen  Eroberer  mit  den  uralten  Bewohnern  des  Lan- 
des. Die  etruskischen  Könige  in  Rom  hatten  bereits  den  gröfseren  Teil 
von  Latium  ihrer  Gewalt  unterworfen;  die  geschlossene  Macht  Roms 
beruhte  auf  besseren  Grundlagen  als  zuvor  die  der  etruskischen  Er- 
oberer, ihr  gelang,  was  jenen  raifslungen  war,  die  Unterwerfung  von 
ganz  Latium.  Bei  dieser  Gelegenheit  findet  auch  der  Verf.,  dafs  der 
Vertrag  mit  Karthago  in  etruskischer  Sprache  abgefafst  war.  Der  Nach- 
weis, dafs  die  Sprache  der  Etrusker  auf  die  römische  sehr  bedeutend 
eingewirkt  habe,  bildet  den  Schlufs  dieser  Abschnitte.  In  Kap.  14  wer- 
den wir  über  die  Meerenge  von  Messina  geführt  zu  den  hellenischen 
Tyrannen  in  Sicilien,  in  Kap.  15  zu  den  Ausonern,  Oinotrern  und  Hel- 
lenen in  Unteritalien,  von  denen  die  ersten  Etrusker  sind.  Mit  Kap.  16 
»die  Etrusker  in  der  römischen  Geschichte«  kehrt  der  Verf.  wieder 
zu  seinem  Hauptthema  zurück.  Wenngleich  die  Etrusker  uns  nur  durch 
die  Schilderungen  ihrer  Feinde  bekannt  werden,  so  will  der  Verf.  doch 
hier  Alles  zusammenstellen,  was  über  »ihre  weltgeschichtliche  Bedeutung 
sich  ahnen  läfst  aus  den  noch  vorhandenen  Spuren  ihres  Wirkens«. 
Sie  hatten  ihre  Handelsfaktoreien  im  Polande  und  in  den  Alpen  und 
versandten  die  Erzeugnisse  ihrer  Industrie  über  die  Alpen  (Bronze-, 
Erz-,  Goldarbeiten);  den  Bernstein  erhielten  die  Hellenen  erst  durch 
ihre  Vermittelung.  Die  keltischen  Bewohner  der  Alpenthäler  empfingen 
von  ihnen   die   Schrift  und  natürlich  auch   sonst  noch  bedeutenden  ßil- 


3     Königszeit  und  Republik.  123 

dungsstoif.  Andererseits  übten  die  Hellenen,  mit  denen  intensive  Han- 
delsbeziehungen bestanden,  einen  starken  Einflufs  auf  die  Bildung  der 
Etrusker;  der  Charakter  ihrer  Kunst  blieb  aber  stets  durch  das  praktisch 
Nützliche  bestimmt.  Etrurien  war  eine  uralte  Geld-  und  Handelsmacht; 
dagegen  beruhen  die  Vorstellungen  über  Seeraub  meist  auf  Verwechs- 
lungen mit  den  tyrrhenischen  Pelasgern.  Der  Städteflor  Etruriens  mit 
seinen  gewaltigen  Substructionen  und  Steinbauten  weist  auf  eine  dichte 
Bevölkerung,  auf  eine  uralte  Kultur  hin.  Wahrscheinlich  findet  sich  bei 
den  Etruskern  zuerst  in  Italien  das  Prinzip  des  Bogens  und  der  Kiel- 
stützung angewandt 

Staatlich  stellt  sich  die  Gesamtheit  der  Etrusker  dar  durch  den 
Bund  der  zwölf  Städte;  an  der  Spitze  einer  jeden  Stadt  stand  ein  König 
oder  Lucurao;  einer  der  Lucumoneu  war  das  Haupt  der  Gesamtheit; 
sie  sind  Häupter  der  bewaffneten  Macht.  Was  uns  über  das  Verhältnis 
einzelner  Lucumonen  zu  Rom  berichtet  wird,  läfst  sich  nur  begreifen, 
wenn  Rom  eine  etruskische  Stadt  war.  Doch  scheint  es  nur  selten  vor- 
gekommen zu  sein,  dafs  einer  dieser  Lucumonen  zur  Tyrannis  gelangte. 
Die  Nachrichten  über  Berührungen  der  früheren  Königszeit  mit  den 
Etruskern  sind  wertlose  Erfindungen;  erst  die  Erzählungen  von  Tar- 
quinius  Superbus  enthalten  allgemeine  Erinnerungen  aus  der  Königszeit, 
aber  sie  gehören  der  Geschichte  Etruriens  oder  der  Geschichte  Roms 
als  einer  etruskischeu  Stadt  an;  dasselbe  gilt  von  Porsenna.  Ein  etrus- 
kisches  Wandgemälde  aus  Vulci  zeigt  die  etruskische  Heldensage  von 
den  Siegen  ihres  Mastarna  gegen  die  Römer  unter  Guaeus  Tarquinius 
und  die  Befreiung  des  Caeles  Vivenna.  War  Rom  eine  etruskische 
Stadt,  so  stand  es  unter  Lucumonen.  Die  Familie  der  Tarquinier  be- 
safs  die  Lucumonie  eine  lange  Reihe  von  Jahren,  während  deren  sie 
eine  monarchische  Gewalt  usurpierten.  Hierfür  wirkten  von  noch  er- 
kennbaren Ursachen:  die  Menge  der  Mitglieder,  der  Reichtum  des  Ge- 
schlechtes, seine  Heimat  in  dem  nur  vier  geographische  Meilen  von 
Rom  entfernten  Caere. 

Mit  dem  Sturze  der  Tarquinier  begann  der  Kampf  der  Stände 
oder  der  Kampf  der  latinischen  Plebs  gegen  den  etruskischen  Patriziat. 
Dieser  war  nun  losgelöst  von  Etrurien,  seine  und  Roms  Existenz  be- 
ruhte auf  der  Teilnahme  der  Plebs  am  Kampfe  gegen  Volsker  und 
Etrusker,  gegen  Samniten  und  Latiner;  der  Preis  aber,  welchen  die 
Patrizier  zahlten,  ohne  es  zu  wollen  und  zu  wissen,  war  der  Verlust 
ihrer  etruskischen  Nationalität. 

Was  die  Kämpfe  gegen  Veii  betrifft,  so  hat  ein  Krieg  gewifs  statt- 
gefunden, aber  sein  Verlauf  war  anders,  als  er  berichtet  wird;  der  Vor- 
teil mufs  im  Wesentlichen  auf  der  Seite  Veiis  gewesen  sein.  Die  Über- 
lieferung über  die  1 0jährige  Belagerung  von  Veii  zeigt  die  Erinnerung 
an  schwere  Kämpfen  und  Gefahren;  die  Eroberung  erfolgte  erst  durch 
die  Bildung  eines  stehenden  Heeres.     Die  Römer  hatten  von  jeher  eine 


124  Römische  Geschichte  und  Chronologie. 

starke  Partei  in  Etrurien  aus  nationalen  Gründen;  dieselbe  wuchs  durch 
den  Untergang  Vciis  und  durch  die  von  Gallien  her  drohende  Gefahr. 
Durch  diese  Partei  gewann  Rom  in  Etrurien  eine  Stellung,  welche  viel- 
leicht ähnlich  war  der  in  Latium  zur  Königszeit.  Den  ersten  Stofs 
hatte  die  etruskische  Macht  weit  vor  dem  Falle  Veiis  im  Polande  durch 
die  Kelten  erlitten.  Die  Einbrüche  der  Kelten  in  Etrurien  waren  nur 
die  Folgen  jenes  Sturzes.  Durch  sie  litt  Etrurien  noch  mehr  als  Rom, 
das  bald  nachher  seine  Macht  im  südliclien  Etrurien  zu  befestigen  ver- 
mochte. Die  Berichte  über  die  späteren  Kämpfe  zwischen  Rom  und 
Etrurien  sind  wenig  wert  Nach  der  definitiven  Unterwerfung  des  Lan- 
des glimmte  die  Unzufriedenheit  noch  lange  fort;  aber  im  zweiten  pu- 
nischen  Kriege  mufs  das  Land  römisch  gewesen  sein,  denn  Hannibal 
suchte  und  fand  dort  keine   Bundesgenossenschaft. 

Im  17.  Kapitel  werden  die  Verdienste  von  L.  Lanzi  und  Corssen 
um  die  Entzifferung  der  etruskischen  Sprachdenkmäler  entwickelt;  überall 
werden  die  abweichenden  Ansichten  des  Verf.'s  begründet.  Und  sie 
weichen  vielfach  ab,  und  Corssen  wird  vorgeworfen,  dafs  er  keine  Spur 
von  Bescheidenheit  den  Sprachdenkmälern  gegenüber  besessen,  dafs  er 
mit  »roher  Willkür  hinter  der  Schanze  gelehrten  Apparates«  mit  gröfs- 
ter  Bestimmtheit  Gesetze  erlassen  hat.  Das  18.  Kap.  behandelt  »etrus- 
kische Inschriften  mit  Verbalformen« ;  ein  Glossar  bildet  den  Schlufs 
des  umfangreichen  Werkes  (899  S.) ,  in  dem  Deecke  nur  einmal  er- 
wähnt wird. 

Bei  dem  weitläufigen  Stoffe  wird  es  nicht  schwer  sein,  vieles  zu 
finden,  worin  der  Verf.  den  Leser  nicht  überzeugt.  Aber  einerseits  läfst 
sich  dies  erklären  durch  die  Wertlosigkeit  der  Überlieferung,  die  stets 
mehr  oder  minder  willkürlich  behandelt  wird,  und  durch  die  Notwendig- 
keit der  Hypothese.  Leichtfertige  Urteile  findet  man  nirgends.  Die 
Kritik  ist  oft  kühn,  aber  nirgends  läfst  sich  sagen,  dafs  die  Verhältnisse 
nicht  so  gewesen  sein  können,  wie  sie  dem  Verf  erscheinen.  Ein  tüch- 
tiges Stück  Arbeit  steckt  in  dem  Bande,  und  die  Forschung  ist  dem 
toten  Verfasser  es  schuldig,  seine  Aufstellungen  mit  Unbefangenheit  zu 
prüfen. 

Wilh.    Deecke,    Die    Falisker.      Eine    geschichtlich -sprachliche 
Untersuchung.     Strafsburg  1888. 

Der  Verf.  erörtert  zuerst  die  Geographie  des  Faliskerlandes,  so- 
dann die  Geschichte  der  Falisker,  ihre  Kultur  und  ihre  sonstigen  Spu- 
ren. Die  folgenden  Kapitel  beschäftigen  sich  mit  den  Alphabeten  und 
der  Sprache,  gehören  also,  gleich  dem  ersten  Kapitel,  nicht  in  den  Jahresb. 

Kap.  2  stellt  die  Geschichte  der  Falisker  dar.  Sie  sind  zunächst  ver- 
wandt mit  Latinern  und  Etruskern  und  sind  wohl  später  als  Osker,  Sabeller- 
Sabiner,  Volsker  und  Umbrer  in  die  Halbinsel  eingewandert.  Sie  zogen 
dann  durch   das  Thal  des  Nar  (Nera)   zum  Tiber  hinab,  überschritten 


3.    Königszeit  uud  Republik.  125 

ihn  und  besetzten  die  seither  von  Sabinern  bewohnte  Ebene  bis  zum 
Ciminus  und  zur  Treia  (später  ager  Faliscus),  darauf  auch  das  südlich 
daran  stofsende  Bergland  des  Soracte  mit  dem  Vorterrain  bis  zur  Gra- 
miccia  (später  ager  Capenas).  Mit  der  Zeit  unterlagen  die  Falisker 
den  sie  von  drei  Seiten  umgebenden  Etruskern  (Veii,  Volsinii,  Tarquinii); 
doch  behielten  sie  ihre  Sprache  und  ihr  Alphabet.  Die  Eroberung 
scheint  besonders  von  Veii  ausgegangen  zu  sein,  doch  behauptete  sich 
Falerii  selbständig  und  auch  Capena,  auf  es  gestützt,  gewann  seit  der 
Schwächung  Veiis  eine  ziemlich  unabhängige  Stellung.  Die  Falisker  be- 
gleiteten die  Etrusker  auf  dem  Eroberungszuge  nach  Kampanien  ungefähr 
50  Jahre  vor  Roms  Gründung,  und  ihre  Spuren  haben  sich  im  ager  Faler- 
nus,  campus  Stellas  und  anderen  Momenten  erhalten. 

In  die  Geschichte  treten  die  Falisker  durch  ihre  Kriege  mit  den 
Römern  ein,  die  anfangs,  wie  es  scheint,  zur  Unterstützung  von  Veii 
geführt  wurden.  Der  Verf.  begnügt  sich  die  erhaltene  Überlieferung 
mitzuteilen,  da  uns  jede  anderweitige  Kontrole  fehlt.  Sie  dauern  fast 
200  Jahre  und  es  sind  fünf  Kriege  zu  unterscheiden,  die  nach  Livius 
dargestellt,  durch  einzelne  Bemerkungen  Diodors  und  Plutarchs  ergänzt 
werden. 

Kap.  3  wird  der  Kulturzustand  der  Falisker  geschildert;  man  darf 
ihn  sich  nicht  zu  hoch  vorstellen;  den  Etruskern  standen  sie  weit  nach, 
und  auch  von  den  Römern  wurden  sie  bald  überholt.  Der  Kultus  zeigt 
überwiegenden  etruskischen  und  sabinischen  EinfluPs.  Die  Hauptgötter 
(imperatores  sunimi)  waren  Jupiter,  Juno  Quiritis  und  Minerva;  sonst 
werden  noch  der  Janus  Quadrifrons,  Mars,  Dis  Soranus,  Feronia,  vielleicht 
Neptun  und  Vulcan  gefunden.  Andere  Götter,  wie  Apollo,  Venus,  Hercules 
sind  aus  der  Fremde  eingeführt.  Die  Verfassung  war  aristokratisch-repu- 
blikanisch. Den  kriegerischen  Adel  bildeten  etruskische  Familien.  Die 
Stellung  der  Freigelassenen  scheint  ähnlich  wie  in  Etrurien,  patriarcha- 
lischer als  in  Rom  gewesen  zu  sein.  Hauptthätigkeit  war  der  Landbau, 
wobei  Kanalisierung  die  Fruchtbarkeit  des  Landes  vermehrte;  Flachsbau 
und  Rindviehzucht  blühten.  Obst-  und  Weinbau  gab  es,  auch  Oliveu- 
wälder.  Der  Festungsbau  war  schon  in  alter  Zeit  gut  entwickelt.  Metall- 
und  Thongeräte  sind  roh,  nur  in  Bereitung  der  Metallwaffen  zeigte  sich 
Kunstfertigkeit ;  auch  der  Handel  war  früh  entwickelt.  Alteinheimisch 
war  die  Dichtung  der  versus  Fescennini.  Spuren  der  Falisker  zeigen 
sich  im  Ager  Falernus,  im  Ager  Stellas,  der  an  einen  Teil  des  capenati- 
scheu  Gebietes  gemahnt,  in  Faleria  in  Etrurien  und  in  Falerio  in  Picenum. 

Benedictus  Niese,  Die  Sagen  von  der  Gründung  Roms.     Hist. 
Zeitschr.  N.  F.  23,  481—506. 

Die  Gründungsgeschichten  Roms  beginnen  mit  der  Zeit,  wo  die 
Römer  anfangen,  die  Aufmerksamkeit  der  Griechen  auf  sich  zu  ziehen; 
die   verschiedenen   Stufen    der  Macht  werden   von   den   Gründungssageu 


126  Kömische  Geschichte  und  Chronologie. 

begleitet,  aus  denen  man  zuweilen  sehen  kann,  wie  sich  Rom  darstellte, 
und  was  an  ihm  am  bemerkenswertesten  erschien.  Aufser  der  Grün- 
dung der  Stadt  waren  es  auch  die  Namen  von  Orten,  die  Ursprünge 
gewisser  merkwürdiger  Sitten  und  Gebräuche,  durch  welche  die  grie- 
chische Neugierde  angeregt  wurde  und  dadurch  cätiologische  Geschichten 
veranlafste,  die  wohl  mit  der  Gründungsgeschichte  selbst  verwebt  werden. 
Anderswo  wirkte  die  Eitelkeit  einzelner  Gemeinden,  da  es  ehrenvoll  und 
unter  Umständen  nützlich  war,  mit  den  Römer  verwandt  zu  sein,  was 
durch  eine  Gründungsgeschichte  am  leichtesten  zu  beglaubigen  war.  Ein 
Teil  dieser  Erzählungen  rührt  von  Historikern  her,  die  gelegentlich  die 
Origines  und  Merkwürdigkeiten  Roms  berichten,  andere  behandelten 
italische  und  römische  Dinge  besonders  und  ausschliefslich;  dazu  kamen 
vereinzelt  Dichter,  vor  allen  aber  die  römischen  Antiquare. 

Die  Griechen  pflegten  die  Bevölkerungen  der  bekannten  Welt  auch 
aufserhalb  ihrer  Heimat  durch  Genealogieen  und  Wanderungsagen  von 
sich  abzuleiten,  meist  durch  Vermittelung  der  Sagen  von  Herakles,  den 
Argonauten  und  dem  trojanischen  Kriege.  Auf  diesem  Wege  wurde 
auch  Italien,  dessen  Küsten  von  vielen  ansehnlichen  Griechenstädten  be- 
setzt waren,  mit  Hellas  verbunden,  wiederum  besonders  vermittelst  des 
trojanischen  Krieges.  Roms  Anfänge  sind  au  verschiedene  Teile  der 
griechischen  Sagenwelt  angeknüpft  worden.  Die  Sage  der  Gründung 
durch  den  Arkader  Euander  ist  sehr  alt.  Zu  dieser  Herleitung  gaben 
vielleicht  mancherlei  Ähnlichkeiten  Anlafs ,  die  man  zwischen  römischen 
und  arkadischen  Gebräuchen  zu  finden  glaubte.  Die  Neigung,  Rom  un- 
mittelbar aus  Griechenland  herzuleiten,  blieb  bei  allen  Wandlungen  der 
Sage  z.  B.  bei  Varro  und  Dionys  von  Halikarnafs.  Die  meisten  Grün- 
dungsgeschichten haben  aber  den  Umweg  der  Heldensage,  hier  wieder 
am  häufigsten  den  trojanischen  Krieg  gewählt  (Odysseus  und  Kirke, 
Aeneas  und  Odysseus).  In  manchen  Erzählungen  erhält  Rom  mit  an- 
deren italischen  Stämmen  oder  Gemeinden  gemeinsamen  Ursprung,  weil 
die  Italiker  mit  den  Römern  als  Waffenbrüder  und  Bundesgenossen  auf 
das  Engste  verbunden  erschienen;  so  z.  B.  die  Gründer  Roms  mit  denen 
Etruriens  zusammen,  wohl  zu  der  Zeit,  als  die  politische  Verbindung 
der  etruskischen  Städte  mit  Rom  sich  vollzog,  d.  h.  zur  Zeit  des  Pyrrhos- 
krieges.  Eine  andere  Version  giebt  Aeneas  drei  Söhne,  die  sich  in  das 
Reich  der  Latiner  teilen;  sie  ist  erst  nach  338  bezw.  334  v.  Chr.  ent- 
standen, als  Rom  und  Kapua  sich  enge  zusammengeschlossen  hatten. 
Die  Herleitung  Roms  von  Italos  und  Leukaria  {=  Luceria)  zeigt,  wie 
sich  die  Ausdehnung  des  Namens  und  Begriffes  Italien  auch  auf  Mittel- 
und  Norditalien  vollzog,  aber  auch  die  Bedeutung  von  Luceria  in  Unter- 
italien; sie  kann  erst  nach  31.5  v.  Chr.  entstanden  sein,  ist  aber  älter 
als  der  Bundesgenossenkrieg,  vielleicht  auch  älter  als  der  zweite  pu- 
nische.  Genauer  ausgeführt  ist  allein  die  Ableitung  Roms  von  Aeneas, 
der  um  200  v.  Chr.  allgemein  als  Uralin  der  Römer  anerkannt  ist.    Auch 


Königszeit  und  Republik.  127 

diese  Sage  hat  nur  die  Tendenz  durch  Vermittlung  der  Heldensage  Rom 
mit  Griechenland  zu  verbinden;  eine  Wanderung  des  Aphroditekultes 
ist  darin  nicht  zu  sehen.  Zu  allgemeiner  Anerkennung  gelangte  Aeueas 
dadurch,  dafs  er  zuerst  als  Gründer  Roms  Gegenstand  der  einheimischen 
Dichtung  (Naevius,  Ennius)  wurde  und  seine  Geschichte  sich  zuerst  in 
ausführlicher  Darstellung  mit  römischen  Orten  (Alba  Longa,  Lavinium) 
und  Institutionen  vermählte  und  dadurch  in  der  That  römisches  Eigentum 
wurde.  Doch  drang  erst  in  der  augusteischen  Zeit  die  in  Rom  herr- 
schende Gründungssage  allgemein  durch. 

Indessen  gab  es  verschiedene  Erzählungen,  von  denen  der  Verf.  einige 
betrachtet.  In  einer  derselben  wird  die  Stadt  nach  einem  Heiligtum 
der  Fides  {mazcs)  genannt;  diese  Sage  gehört  in  die  Zeit,  da  die  Hel- 
lenen zuerst  die  Zuverlässigkeit  des  gegebenen  Wortes  und  der  darauf 
gegründeten  Schutzverpflichtung  kennen  lernten.  Naevius,  dem  Vergil 
folgte,  brachte  Roms  und  Karthagos  Gründung  in  Verbindung;  er  folgte 
dem  Timäus,  zu  dessen  Zeit  beide  Städte  eng  verbündet  waren,  um 
Pyrrhos  aus  Italien  und  Sicilien  zu  vertreiben.  Die  Sage  von  Romulus 
und  Remus  (die  Namen  sind  nichts  anderes  als  die  Verdoppelung  des- 
selben Namens)  bezieht  sich  wahrscheinlich  auf  die  Kollegialität  des 
Konsulats.  Sie  heifsen  Söhne  oder  Enkel  des  Aeneas,  aber  auch  des 
Zeus,  gewöhnlich  des  Mars;  diese  Version  stammt  aus  einer  Zeit,  wo 
Rom  schon  seine  Überlegenheit  in  den  Waffen  bewiesen  hatte,  und  ist 
nicht  älter  als  etwa  300  v.  Chr.  Der  Name  der  Mutter  schwankt;  ein- 
mal keifst  sie  Aemilia,  mit  Rücksicht  auf  den  Sieger  von  Pydna.  Die 
Namen  sowohl  der  Gründer  als  ihrer  Eltern  sind  nicht  von  Alters  her 
überkommen,  sondern  bewufst  und  absichtlich  gebildet.  Die  leitenden 
Motive  finden  sich  auch  in  anderen  Sagen.  Auch  die  Tarpeia  ist  ein 
echt  griechisches  Motiv;  ursprünglich  waren  die  Feinde  Gallier.  Die 
Vereinigung  von  T.  Tatius  und  Romulus  hat  Anlafs  zu  vielen  Erklärun- 
gen über  den  Ursprung  der  Stadt  gegeben,  die  aber  alle  fehlerhaft  sind, 
weil  sie  die  Annahme  zur  Voraussetzung  haben,  dafs  sich  in  der  Grün- 
dungsgeschichte in  der  That  wirkliche  Erinnerungen  an  den  Gründungs- 
akt erhalten  hätten.  Die  Sage  von  dieser  Vereinigung  hat  keinen 
gröfseren  Wert  als  die  vom  Asyl;  sie  will  zeigen,  wie  eine  Stadt  aus 
dem  Nichts  entsteht.  Zugleich  will  sie  den  Ursprung  des  Namens  Qui- 
rites  erklären.  Will  man  mehr  darin  suchen,  so  schlägt  Niese  Folgen- 
des vor.  Die  Sabiner  sollten  die  Sabiner  oder  Samniten  in  der  älteren 
weiteren  Bedeutung  d.  h.  alle  sabellischen  Stämme  bezeichnen,  und  man 
hat  dabei  an  das  Bündnis  zu  denken,  das  die  Römer  im  J.  358  mit 
den  Samniten  schlössen.  Beide  handelten  mehrfach  gemeinsam,  unter- 
drückten z.  B.  die  Volsker.  Bedenklich  bleibt  freilich,  dafs  das  Zu- 
sammenwirken der  Römer  und  Samniten  in  der  Überlieferung  nur 
schwache  Spuren  hinterlassen  hat.  Schliefslich  verwirft  der  Verf.  die  An- 
sicht, die  Mommsen  über  diese  Sage  ausgesprochen  hat  (Jahrb.  1886,  284), 


128  Römische  Geschichte  und  Chronologie. 

da  die  Eröignisse  von  290  weder  nur  die  Sabiuer  betreffen,  noch  eine 
Union  sind;  sie  können  also  dem  Dichter  nicht  den  Anstofs  gegeben 
haben. 

Conrad  Trieber,  Die- Romulussage.    Rhein.  Mus.  43,  569 — 582. 

Ranke  vermutete,  dafs  Fabius  Piktor  bei  der  Darstellung  der  Ro- 
mulussage ein  wirkliches  Drama  benutzt  habe,  und  wollte  dieses  in  einem 
verlorenen  Stücke  des  Naevius  finden.  Im  Altertum  fiel  schon  Plutarch 
das  dramatische  der  Sage  auf.  Auffallender  ist  die  Ähnlichkeit  der  Ro- 
mulussage, wie  sie  Fabius  darstellt ,  mit  der  griechischen  Sage  von  der 
Tyro,  wie  der  Verf.  im  Einzelnen  nachweist.  Er  ist  überzeugt,  dafs  die 
sophokleische  Tyro  der  Romulussage  des  Fabius  zugrunde  liegt.  Doch 
hat  dieser  sie  nicht  direkt  dem  Sophokles  entlehnt,  sondern  durch  Ver- 
mittlung des  Diokles  von  Peparethos.  So  ist  die  Romulusfabel  von  dem 
Griechen  Diokles  und  zwar  nach  einem  griechischen  Drama  gebiMet 
worden;  ein  Beweis,  welchen  Einflufs  Griechen  auf  die  Gestaltung  der 
ältesten  römischen  Geschichte  mittelbar  und  unmittelbar  geübt  haben. 

Fr.  Marx,  De  capite  humano  invento  Tarquinio  Superbo  regnante. 
Ind.  lect.     Rostock  1888/9. 

Der  Verf.  untersucht  die  Sage  von  der  Auffindung  eines  mensch- 
lichen Kopfes  unter  der  Regierung  des  Tarquinius  Superbus.  Er  stellt 
in  Analogie  eine  ähnliche  Sage  über  die  Auffindung  eines  Menschen- 
hauptes bei  der  Gründung  von  Karthago.  Die  Deutung  wird  dahin  ge- 
geben, man  habe  darunter  die  für  jede  Stadtgründung  nötige,  aus  der 
Erde  hervorbrechende  Quelle  zu  verstehen,  welche  als  Kopf  des  Flusses 
die  Alten  gerne  mit  einem  Kopfe  verglichen  (vgl.   tlrjyaaoq^  xijrjvrj). 

4.   Zeit  des  Stäiulekampfes  und  der  Eroberung  Italiens. 

Wilh.    Lack n er,    De    incursionibus    a  Gallis    in    Italiam    factis. 
Pars  II.     Pr.  des  Gymn.  Gumbinnen  1888. 

Es  folgt  hier  der  zweite  Teil  der  Jahresb.  1887,  272  f.  angezeigten 
Abhandlung;  der  Verf.  fährt  fort,  in  demselben  den  Wert  der  Über- 
lieferung zu  untersuchen.  Bezüglich  Plutarchs  kommt  er  zu  dem  Ergeb- 
nisse, derselbe  habe  fast  seinen  ganzen  Bericht  über  die  gallischen  Ein- 
fälle aus  Livius  und  Dionysios  entnommen.  Ihre  Widersprüche  sucht 
er  auszugleichen,  zeigt  aber  dabei  Leichtsinn  und  Übereilung.  Dionysios 
stimmt  meist  mit  Diodor  überein;  in  der  Anordnung  von  Fragm.  12  nach 
Fragm.  19  hat  Peter  Unrecht.  Appian  hat  Plutarch  benützt.  Daneben 
hat  er  auch  Dionysios  eingesehen.  Dio  hat  die  gleiche  Quelle  wie  Li- 
vius vor  sich  gehabt,  wahrscheinlich  Claudius  Quadrigarius.  Zonaras 
hat  Plutarch  und  Dio  ausgezogen. 


Zeit  des  Ständekamptes.  129 

B.  Niese,  Das  sogenannte  licinisch-sextische  Ackergesetz.  Hermes 
23,  410—423. 

Die  Nachricht,  dafs  sich  unter  den  drei  von  den  Volkstribunen  C.  Li- 
cinius  Stolo  und  L.  Sextius  im  J.  367  v.  Chr.  durchgebrachten  Gesetzen 
auch  das  später  von  Ti.  Gracchus  erneuerte  Ackergesetz  befand  »ne  quis 
plus  quiugenta  iugera  agri  possideret«  geht  auf  Livius  und  einige  an- 
nähernd gleichartige  und  gleichaltrige  Erzählungen  zurück.  Dieser 
Überlieferung  steht  eine  andere,  ältere,  auf  Posidouius,  den  Fortsetzer 
des  Polybios  zurückgehende  gegenüber,  welche  Appian  und  Plutarch  er- 
halten haben.  Beide  erwähnen  auch  ein  vorgracchisches  Ackergesetz 
gleichen  Inhalts,  das  aber  nicht  soweit  zurückliegen  kann,  wie  Niese 
nachweist.  Es  setzt  die  Unterwerfung  Italiens  voraus,  und  hat  den  Zweck, 
die  Zahl  der  Wehrfähigen  zu  mehren  und  die  Bundesgenossen  geneigt 
zu  halten.  Und  zwar  kann  es  erst  eine  geraume  Zeit  nach  Italiens 
Unterwerfung  erlassen  sein;  denn  erst  allmählich  entwickeln  sich  aus 
der  Freigebung  des  unverteilten  und  unverpachteten  Gemeindelandes  die 
Übelstände,  und  es  bedarf  wieder  längerer  Zeit,  ehe  die  Römer  sich 
entschliefsen,  diesen  durch  das  Ackergesetz  zu  steuern.  Auch  die  Nach- 
richt führt  auf  solche  Annahme,  dafs  das  Ackergesetz  nur  kurze  Zeit  in 
Kraft  blieb ;  wäre  es  i.  J.  367  gegeben,  so  wäre  es  zu  Ti.  Gracchus  Zeit 
etwa  200  Jahre  aufser  Kraft  gewesen-  Dann  hätte  aber  doch  sicher  sich 
ein  Vorwurf  gegen  Gracchus  erhoben,  dafs  er  so  veraltete  Einrichtungen 
wiederbeleben  wolle.  Die  durch  das  Gesetz  bekämpften  Übelstände,  das 
Verdrängen  der  kleinen  Landbesitzer  und  freien  Arbeiter  durch  die  Grofs- 
grundbesitzer  und  ihre  Sklavenheerden  kommen  im  wesentlichen  erst 
nach  dem  zweiteu  punischen  Kriege  zur  Erscheinung.  Auch  setzt  das 
Ackergesetz  einen  so  bedeutenden  Umfang  des  Gemeindelandes  voraus, 
wie  man  ihn  für  das  Jahr  367  in  Rom  nicht  annehmen  darf.  Die  bessere 
vorlivianische  Überlieferung  weifs  in  der  That  nichts  von  dem  licinisch- 
sextischen  Ackergesetz.  Wahrscheinlich  ist  das  Ackergesetz  jünger  als 
das  flaminische  von  233  v.  Chr.;  sicher  ist  es  erlassen  vor  dem  Konsu- 
late des  C.  Laelius  Sapiens  (140  oder  145  v.  Chr.),  der  es  zu  erneuern 
gedachte.  In  Kraft  war  es  z  Z.  Katos  (um  167  v.  Chr.)  Der  Verf.  möchte 
es  nicht  weiter  als  150  v.  Chr.  hinanfrücken,  und  keinesfalls  ist  es  älter, 
als  das  Ende  des  hannibalischen  Krieges.  Dafs  Livius  es  in  seinen  bis 
167  so  vollständigen  Annalen  nicht  erwähnt,  ist  ohne  Belang;  denn  sie 
sind  weder  vollständig  noch  unverfälscht.  Auch  alle  übrigen  gleichzeitigen 
oder  früheren  demagogischen  Ackergesetze  sind  als  erdichtet  anzusehen. 
Verdächtig  sind  aber  auch  die  beiden  anderen  licinisch- sextischen  Ge- 
setze; nach  Diodor  war  das  Gesetz,  dafs  der  eine  Konsul  Plebeier  sein 
solle,  ein  feierliches  Abkommen  am  Ausgang  des  Decemvirats.  Auch 
das  dritte  Gesetz  ist  wahrscheinlich  erfunden  und  erst  aus  den  Bestre- 
bungen und  Anträgen  des  ersten  Jahrhunders  v.  Chr.,  wo  solche  Schuld- 
gesetze gelegentlich  auftauchten,  in  die  ältere  Zeit  versetzt. 

Jahresbericht  für  Alterthumswissenschaft  LXIV.  1890.  (III.  J  9 


130  Kömische  Geschichte  und  Chronologie. 

Die  Untersuchung  ist  mit  gewohntem  Scharfsinn  durchgeführt. 
Aber  das  Schweigen  des  Livius  einerseits  und  seine  direkte  Nachricht 
andererseits  wird  mau  schwerlich  sich  entschliefsen  so  gering  zu  achten, 
wie  es  der  Verf.  thut.  Die  Frage  dürfte  also  noch  nicht  im  Sinne  des 
Verf.'s  für  entschieden  gelten. 

5.   Die  pimisclieu  Kriege  uud  die  Unterwerfung  der 
Mittel  meerliiuder. 

Ben  ed.  Niese,  De  annalibus  Romanis  observationes  alterae.    Ind. 
lect.     Sommer  1884.    Marburg. 

Der  Verf.  liefert  weitere  Beiträge  zur  Unglaubwürdigkeit  der  römi- 
schen Annalisten,  indem  er  nach  Anführung  zweier  Beispiele  von  Namen- 
Dichtungen  die  Berichte  über  die  Prozesse  gegen  P.  Scipio  Africanus 
und  L.  Scipio  Asiaticus  einer  Prüfung  unterwirft.  An  Mommsens  Be- 
handlung wird  ausgesetzt,  dafs  er  die  Quellen  und  den  Wert  des  Livius 
verkannt  habe;  für  erstere  hält  er  Valerius  Antias  und  Claudius  Qua- 
drigarius ;  sodann  hat  er  die  Thatsache  selbst  nicht  richtig  erkannt.  Der 
Verf.  gibt  zuerst  den  Bericht  des  Polyb.  XXIII  fr.  14  und  die  damit 
übereinstimmende  Erzählung  des  Gellius,  der  sie  aus  Cornelius  Nepos 
entnahm,  sodann  den  von  Gellius  erhaltenen,  von  dem  Verf.  wieder  Cor- 
nelius Nepos  zugeschriebenen  Bericht  über  Scipio  Asiaticus,  der  teil- 
weise von  Cicero  bestätigt  wird.  Einen  weit  ausführlicheren  Bericht  gibt 
Livius  37,  43 — 57.  Mommsen  hält  denselben  für  innerlich  einheitlich  und 
zusammenhängend,  aufser  einigen  Widersprüchen  in  cc.  55 — 57,  und  be- 
zeichnet Valerius  Antias  als  Quelle,  womit  auch  Nissen  einverstanden  ist. 
Niese  glaubt  dies  aus  verschiedenen  Gründen  nicht;  er  sucht  vielmehr 
wahrscheinlich  zu  machen,  dafs  Livius  den  Valerius  mehrfach  nach  Corne- 
lius Nepos  corrigiert  und  erweitert  habe.  Glauben  verdient  bezüglich  des 
Africanus  nur,  was  in  dieser  Erzählung  mit  Polybios  übereinstimmt;  dieser 
hat  noch  keine  Zeitangaben,  welche  erst  von  Antias,  zum  Teil  ganz 
falsch,  eingefügt  wurden.  Der  Livianische  Bericht  über  Asiaticus  ist 
ganz  unglaubhaft;  auch  Nepos  verdient  keinen  Glauben,  nur  Cicero  und 
Valerius  Maximus.  Der  geringe  Wert  des  Livius  für  die  Zeit  des  puni- 
schen  Krieges  läfst  sich  darnach  bemessen,  dafs  er  über  einen  Mann 
wie  Scipio  Africanus  so  wenig  Zuverlässiges  berichten  konnte. 

V.  Pflugk-Hartung,  Hannibals  Übergang  über  die"  Rhone.   Von 
Fels  zum  Meer.    1883  No.  3. 

Eine  gemeinverständliche  Darstellung  ohne  wissenschaftliche  Be- 
deutung. 

Ed.  Wölfflin,  Die  Rettung  Scipios  am  Tessin.     Hermes  23,  307 
—310  und  479—480. 

Der  Verf.  knüpft  an  eine  von  Livius  erhaltene  Version  des  Coelius 
an,  wonach  Scipio  durch  einen  ligurischen  Sklaven  gerettet  wurde.     Da 


Zeit  der  punischen  Kriege.  131 

Polybios  3,  65,  11  bei  der  Schilderung  des  Gefechtes  nichts  von  der 
Heldenthat  des  Sohnes  weifs,  kennt  er  sie  10,  2,  8  durch  Laelius.  Man 
kann  vermuten,  dafs  Laelius  erst  dieselbe  hinterher  erfunden  und  Poly- 
bios beigebracht  hat.  Mindestens  hatte  der  junge  Sklave  Anteil  an  der 
Rettung;  dies  bestätigt  Plin.  nat.  bist.  16,  14,  wo  Scipio  die  ihm  für  des 
Vaters  Rettung  angebotene  Corona  civica  ausschlägt.  Anteil  an  dem 
Rettungswerke  hat  er  demnach  gehabt,  aber  ebenso  sicher  hat  er  es 
nicht  allein  vollbracht. 

Reu  seh.  Die  Schlacht  bei  Cannae.     Progr.  Altkirch.    1888. 

Der  Verf.  sucht  zuerst  zu  erweisen,  dafs  im  J.  216  v.  Chr.  die 
Möglichkeit  vorhanden  war,  die  Schlacht  sowohl  auf  dem  rechten  als  auf 
dem  linken  Ufer  des  Aufidus  zu  liefern.  Er  entscheidet  sich  für  das 
rechte.  Dazu  bestimmt  ihn  der  Ausdruck  Liv.  22,  44,  3  trans  Aufidum; 
denn  derartige  Ortsbestimmungen  werden  entweder  so  angewandt,  dafs 
der  Standpunkt  in  Rom  ist  oder  so,  dafs  der  Standpunkt  ein  bestimmter 
vorher  genannter  Ort  (hier  Gereonium)  ist.  In  beiden  Fällen  ist  trans 
Aufidum  auf  dem  rechten  Ufer.  Bei  Polyb.  3,  110,  10  ist  nepav  von 
dem  gröfseren  Lager  aus  zu  verstehen;  dieses  lag  aber  nach  der  Dar- 
stellung des  Schriftstellers  nördlich  vom  Aufidus.  Die  sämtlichen  An- 
gaben der  Quellen  über  die  Himmelsgegenden  lassen  sich  nur  anwenden 
auf  eine  Stellung  südlich  vom  Aufidus.  Die  Worte  bei  Polyb.  113,  7 
in  abzuv  zöv  7T0Trx/iav  bedeuten  »so  dafs  die  Front  gegen  den  Flufs  war«; 
hätte  die  Schlacht  auf  dem  linken  Ufer  stattgefunden,  so  hätte  Hannibal 
nicht  zugleich  Front  nach  dem  Aufidus  und  nach  Norden  (114,  8)  haben 
können.  Am  Tage  vor  der  Schlacht  stand  Hannibal  nach  Polyb.  111,  2 
nördlich  vom  Aufidus ;  denn  nur  hier  konnten  sich  in  der  grofsen  Ebene 
seine  Reitermassen  entfalten  (=  Liv.  44,  4).  Andererseits  haben  die 
Römer  sicherlich  nicht  den  Kampfplatz  so  gewählt,  dafs  Hannibal  seine 
Reiterei  möglichst  vorteilhaft  verwenden  konnte.  Auch  die  Schlacht- 
stellung selbst  (Liv.  43,  8  =  Polyb.  113,  3)  setzt  das  rechte  Ufer  voraus, 
wo  die  Massen  der  Römer  sich  nicht  so  entfalten  konnten,  wie  es  in 
der  Ebene  möglich  gewesen  wäre. 

Dieses  Resultat  wird  bestätigt  durch  die  Nachrichten  des  Polybios 
und  Livius  über  die  Lager  und  die  einzelnen  Truppenbewegungen  am 
Morgen  vor  der  Schlacht  und  am  Tage  der  Schlacht  selbst.  Polyb.  er- 
wähnt das  erste  Lager  Hannlbals  allerdings  nicht  genauer;  nach  Liv. 
43,  10  war  es  gegen  Südost  geschützt,  lag  also  südlich  vom  Flusse. 
Das  kleinere  Lager  der  Römer  sollte  nach  Polyb.  das  punische  bedrohen; 
das  war  nur  möglich,  wenn  es  auf  derselben  Seite  stand,  wie  das  des 
Hannibal.  Nach  Polyb.  schlug  Hannibal  am  Tage  vor  der  Schlacht  ein 
zweites  Lager  an  derselben  Seite  des  Flusses,  wo  das  grofse  römische 
lag,  d.  h.  auf  der  linken.  Livius  erwähnt  das  zweite  Lager  gar  nicht, 
aber  es  mufs  auch  in  seiner  Erzählung  angenommen  werden,  wenn  sie 
nicht  sinnlos  sein  soll. 

e* 


132  Römische  Geschiebte  iiud  Chronologie. 

Am  Schlüsse  gibt  der  Verf.  eine  zusammenhängende  Darstellung 
des  Verlaufs  der  Begebenheiten,  wie  er  sich  dieselben  denkt. 

Solbisky,  Die  Schlacht  bei  Cannae.    Pr.  Realgran.  Weimar  1888. 

Der  Verf.  gibt  zuerst  eine  Darstellung  nach  dem  Berichte  des 
Polybios,  den  er  anschaulich  und  klar  findet;  einige  kleinere  Versehen 
bezüglich  der  Zahlen  will  er  nach  dem  Vorgange  von  Hesselbarth  de 
pugna  Cannensi  Göttingeu  1874  S.  9.  10  beseitigen.  Alsdann  gibt  er 
den  livianischeu  Bericht  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Abwei- 
chungen von  Polybios.  Dann  sucht  er  nach  den  Quellen,  die  Livius 
benützt  hat,  und  findet,  dafs  die  Hauptquelle  für  Kap.  44 — 47  Coelius 
war,  woneben  teilweise  Polybios  benützt  worden  sein  mag.  Ebenso  ist 
coelianischen  Ursprungs  40,  5  —  6.  40,  79  —  93,  1  gehört  wohl  Valerius, 
der  Rest  von  43  wieder  dem  Coelius  an.  48.  50.  51  stammen  wieder  von 
Coelius,  49  von  Valerius. 

Die  Schlacht  fand  auf  dem  rechten  Ufer  des  Aufidus  statt. 

Th.  Zielinski,  Die  Schlacht  bei  Cirta  und  die  Chronologie  von 
203/202  in  Comment.  philol.  quibus  Ottoni  Ribbeckio  etc.  Leipzig 
1888.     S.  23—34. 

Man  hielt  bis  in  die  neueste  Zeit  24.  Juni  203  für  das  Datum  der 
Schlacht.  Für  dasselbe  ist  zuletzt  Soltau  eingetreten,  nachdem  andere 
Ansichten  darüber  von  Zielinski  und  Neumann  veröffentlicht  worden 
waren.  Gegen  Soltau  richtet  sich  die  Abhandlung.  Zielinski  und  Soltau 
sind  darin  einig,  dafs  die  ovidische  Datierung  als  urkundliches  Zeugnis 
den  Ausgangspunkt  der  Untersuchung  bilden  mufs.  Beide  behaupten 
weiter,  dafs  dieselbe  nur  mit  der  Chronologie  des  Polybios  combiniert 
werden  darf,  die  aber  durch  die  Quellenkritik  des  Livius  ergänzt  werden 
mufs.  Aber  nach  des  Verf.'s  Ansicht  hat  ein  M  ifsverständnis  Soltau 
irre  geführt..  Denn  dieser  hat  zwei  Angaben  des  Livius  (XXX,  11  und 
12,  37)  für  polybianisch  gehalten,  während  sie  Zielinski  als  unpolybia- 
uisch  und  unglaubwürdig  verwirft.  Er  sucht  zu  erweisen,  dafs  nach  Po- 
lybios ein  doppelter  Auszug  des  Masiuissa  nach  Numidien  anzunehmen 
ist;  die  ovidianische  Schlacht  mufs  in  den  zweiten  verlegt  werden.  Die 
Chronologie  ist  folgende:  Die  Schlacht  auf  den  grofsen  Feldern  fand  im 
Hochsommer,  der  Waffenstillstand  im  Spät-Herbst  203,  die  Schlacht  bei 
Cirta  im  Frühsommer,  die  bei  Zama  im  Hochsommer  -202  statt. 

Max  Koehn,  De  pugna  ad  Zamam  coramissa.     Diss.  Halle.  1888. 

Der  Verf.  erörtert  zunächst  das  Verhältnis  der  Quellen  zu  ein- 
ander. Livius  folgt  30,  29 — 35  Polybius  und  hat  nur  Einzelheiten  wahr- 
scheinlich dem  Valerias  Antias  entnommen.  Florus  folgt  Livius,  während 
Eutrop  teilweise  mit  Appian  übereinstimmt,  teilweise  aber  Valerius  An- 
tias benutzt  hat,  letzterer  lag  vielleicht  auch  Cornelius  Nepos  vor. 
Frontinus   schreibt  wörtlich  Livius  aus.     Dio  schöpft   aus  Livius    oder 


Die  Revolution.  133 

stimmt  mit  ihm  überein,  manches  hat  er  auch  selbständig  gefunden 
oder  von  einem  anderen  Gewährsmann  entnommen.  Appian  und  Poly- 
bios  haben  die  gleiche  Quelle  direkt  oder  indirekt  benutzt;  diese  Quelle 
ist  Silenus,  den  Appian  durch  Vermittlung  des  Coelius  benutzt  hat. 

Stofflich  bringt  Appian  viele  Erdichtungen  z.  B.  den  Zweikampf  der 
Feldherrn.  Die  eigentlich  zu  benutzenden  Quellen  für  den  Krieg  in  Afrika 
waren  Silenus,  Cato,  Ennius.  Polybios  hat  für  den  zweiten  punischen  Krieg 
Silenus  und  Fabius,  also  für  die  Schlacht  bei  Zama  nur  den  ersteren 
benützt,  an  Ort  und  Stelle  war  er  aber  nicht.  Dagegen  war  er  in 
Karthago  und  konnte  von  den  Karthagern  manches  über  die  Schlacht 
erfahren,  was  zur  Berichtigung  der  scipionischen  und  laelianischen  Be- 
richte diente.  Zugleich  hatte  er  ausreichende  militärische  Bildung.  Aus 
ihm  schöpfen  Livius  und  teilweise  Appian;  dieser  aber,  wie  Dio,  hatte 
als  Hauptquelle  Coelius  Antipater;  doch  ist  es  auch  möglich,  dafs  sie 
aus  Valerius  Antias  schöpften  oder  mit  diesem  dieselbe  Quelle  benutzten, 
der  Verfasser  hält  dies  aber  nicht  für  wahrscheinlich. 

Die  Arbeit  ist  ohne  Wert;  dazu  ist  sie  in  sehr  schlechtem  Latein 
abgefafst. 

6.  Die  Revolution. 

Theodor  Reinach,  Essai  sur  la  numismatique  des  rois  de  Pont 
(Dynastie  des  Mithridates)  Rev.  numismatique  1888,  232—263  und 
434-456. 

Wir  heben  aus  diesen  Untersuchungen  nur  die  Münzgeschichte 
des  Mithridates  Eupator  121  —  63  v.Chr.  hervor,  welche  manche  Auf- 
schlüsse über  politische  Pläne  und  Absichten  des  Königs  gibt. 

Conr.  Paape,  De  C.  Mario  quaestiones  selectae.  Diss.  Königs- 
berg 1888. 

Der  Verf.  hält  C.  Marius  durch  die  alte  Überlieferung  für  benach- 
teiligt und  will  für  die  Jahre  103 — 100  die  Wahrheit  feststellen.  Dabei 
geht  es  ohne  einige  Hiebe  auf  Bardey  nicht  ab.  Was  die  Quellen  be- 
trifft, so  waren  die  Zeitgenossen,  welche  Aufzeichnungen  hinterliefsen, 
Optimaten  und  Marius  bitterfeind.  Von  den  Späteren,  welche  aus  ihnen 
schöpften,  ist  Cicero  allein  erhalten  und,  obgleich  er  bisweilen  auch  un- 
gerecht ist,  doch  allen  anderen  vorzuziehen.  Livius  hat  dem  Marius 
feindliche  Quellen,  sicherlich  den  P.  Rutilius  Rufus  (bezw-  von  diesem 
abgeleitete  Quellen)  benutzt;  Orosius  hängt  ganz  von  Livius  ab.  Plu- 
tarch  nennt  als  seine  Quellen  Sulla  und  P.  Rutilius  Rufus,  kann  also 
nur  mit  äuferster  Vorsicht  benutzt  werden;  dasselbe  gilt  so  ziemlich  von 
Appian;  der  Verfasser  des  liber  de  viris  illustribus  ist  unparteiisch. 

Der  Verf.  untersucht  zunächst  die  Frage,  ob  Marius  zu  Saturninus 
und  Glaucia  nahe  Beziehungen  gehabt  habe;  er  verneint  sie  auf  Grund 
der  Zeitverhältnisse,  und  weil  Cicero  davon  nichts  erwähnt;  speziell  die 


134  Römische  Geschichte  und  Chronologie. 

Beteiligung  des  Marius  an  der  Verbannung  des  Metellus  wurde  von  den 
Optimaten  erfunden,  weil  diese  ihrer  Schwäche  zugeschrieben  und  das 
Verhalten  des  Metellus  allgemein  gepriesen  ward.  Die  nahen  Beziehun- 
gen zwischen  den  Tribunen  und  Marius  wurden  erfunden,  um  seinem  Clia- 
rakter  einen  hcäfslichen  Flecken  anzuhängen,  wenn  er  sie  später  im  Stiche 
liefs  und  niederwarf.  In  der  That  sprach  ja  manches  für  solche  An- 
nahme; denn  die  Tribunen  haben,  um  Marius  für  sich  zu  gewinnen,  ihm 
manchen  Gefallen  gethan.  Marius  aber  stand  stets  auf  der  Seite  der 
Ritter,  genofs  ihre  Unterstützung  und  trat  auch  im  Jahre  100  für  ihre 
Interessen  ein. 

Die  nächste  Untersuchung  gilt  den  Gesetzen  des  Appuleius.  Die 
erste  lex  agraria  zu  gunsten  der  marianischen  Veteranen  gehört  nicht 
in  das  erste  Tribunat  des  Saturninus;  ebensowenig  kann  sicher  erwiesen 
werden,  dafs  sie  im  Jahre  100  eingebracht  wurde.  Das  zweite  Acker- 
gesetz V.  J.  100  wollte  die  Gebiete  der  Tektosagen  und  anderer  Stämme 
in  Gallia  Narbonensis,  welche  zu  den  Cimbern  abgefallen  waren,  an  rö- 
mische Bürger  und  Italiker  aufteilen.  Die  Ritter  aber  hatten  gehofft, 
hier  vorteilhafte  Güterkäufe  machen  zu  können  und  machten  gegen  Sa- 
turninus und  seine  Genossen  mit  den  Optimaten  gemeinsame  Sache. 
Gleichzeitig  mit  dieser  zweiten  lex  agraria  brachte  Saturninus  seine  lex 
de  coloniis  deducendis  ein,  welche  Koloniegründungen  in  Sicilien,  Achaia 
und  Macedonien  verordnete  und  mit  dem  Gelde,  w^elches  durch  Q.  Servi- 
lius  Caepio  in  den  Staatsschatz  gekommen  war,  Landaukäufe  verfügte. 
Auch  hiergegen  kämpften  die  Ritter.  Die  lex  de  maiestate  hat  mit  dem 
Prozefs  gegen  Servilius  Caepio  nichts  zu  tliun;  sie  ist  mit  der  lex  frumen- 
taria  i.  J.  100  eingebracht  worden.  Alle  Gesetze  waren  nur  auf  augen- 
blickliche Abhilfe  berechnet;  an  eine  Verjüngung  des  Staates,  die  etwa 
Marius  mittels  derselben  geplant  haben  soll,  ist  nicht  zu  denken. 

Die  dritte  Untersuchung  will  erweisen,  dafs  C.  Memmius  bei  der 
Konsulwahl  i.  J.  100  der  Kandidat  der  Ritter  war,  mit  denen  Marius 
gemeinsame  Sache  hatte ;  deswegen  wurde  er  auf  Antrieb  von  Saturninus 
und  Glaucia  ermordet. 

Zwingend  ist  kein  einziger  der  geführten  Beweise. 

J.  Asbach,    Das  Volkstribunat   des  jüngeren  M.  Livius  Drusus. 
Progr.  Bonn  1888. 

Die  Abhandlung  gibt  ein  klares  Bild  des  Tribunen  und  enthält 
einige  interessante  Ausführungen.  Den  Eid  der  Bundesgenossen  bei 
Diodor  hält  der  Verf.  mit  Ihne  für  untergeschoben.  Bei  der  neuen  Or- 
ganisation der  Gerichte  handelte  es  sich  nicht  um  eine  Erweiterung  des 
Senats  durch  Aufnahme  von  300  Rittern,  sondern  um  die  Bildung  einer 
gemischten  Kommission  von  300  Senatoren  und  300  Rittern,  aus  denen 
in  Zukunft  die  Geschworenen  genommen  werden  sollten.  Der  Eintritt 
eines  Ritters  in  diese  Kommission  wurde  von  einer  Prüfung  der  bis- 
herigen richterlichen  Tbätigkeit  abhängig  gemacht. 


Die  Revolution.  135 

K.  Bure  seh,  Die  Quellen  zu  den  vorhandenen  Berichten  von  der 
Katilinarischen  Verschwörung.  Comment.  philol.  quibus  Ottoni  Rib- 
beckio  etc.     Leipzig  1888.     S.  219—234. 

Der  Verf.  findet  die  Quellenkritik  sehr  unbefriedigend.  Er  nimmt 
Weizsäckers  Beweis,  dafs  Plutarch  in  Cicero  Capp.  10-23  mit  Ausnahme 
einiger  wenigen  Stellen  ausschliefslich  Ciceros  uTioixvrjixa  zr^g  unarscag  be- 
nutzt habe,  für  zwingend  und  will  nur  die  betreffenden  Kapitel  nochraal 
einer  Prüfung  unterziehen.  Plut.  S.247,  23—25  Sint.  (kl.  Ausg.)  und  S.248, 
2 — 6  sind  aus  Sallust  16,5  und  14,5  entnommen.  Der  Verf.  wirft  den  bis- 
herigen Quellenkritikern  vor,  dafs  sie  Ciceros  Gedicht  über  sein  Konsulat 
nicht  die  nötige  Aufmerksamkeit  geschenkt  hätten,  das  dem  Inhalte  nach 
mit  dem  uTrö/ivr^ixa  identisch  sei,  aus  dem  doch  Dio  durch  Vermittlung 
des  Livius  geschöpt  habe.  Im  c  17  ist  wieder  eine  kleine  Einlage  an- 
derswoher übertragen,  »aber  sie  grenzt  sich  haarscharf  ab«.  Auch  in 
Caesar,  Crassus  und  Cato  hat  Plutarch  das  oirö/j.vy^/xa  benutzt.  Weiter 
sucht  der  Verf.  zu  erweisen,  dafs  auch  Appian  neben  Sallust  das  uttö/i- 
vrjfia  benützt  habe.  Der  Verf.  liest  den  Vorgängern  überall  gehörig 
den  Text;  er  selbst  stellt  eine  völlige  Umstofsung  der  bisherigen  Quellen- 
forschung in  Aussicht;  an  Zuversicht  fehlt  es  ihm  jedenfalls  nicht- 

C.John,  Der  Tag  der  ersten  Rede  Ciceros  gegen  Catilina.  Philol. 
46,  650—665. 

Der  Verf.  hält  als  Tag  der  ersten  Rede  gegen  Catilina  nach  seinen 
früheren  Ausführungen  8.  November  63  v.  Chr.  fest.  Da  nun  nach  dem 
Zeugnisse  des  Asconius  die  erste  katilinarische  Rede  auf  den  18.  Tag 
nach  dem  SC.  ultimum  fällt,  so  müfste  letzteres  auf  22.  Oktober  fallen, 
und  nicht,  wie  man  bisher  annahm,  auf  21.  Oktober. 

Aug.  Chambalu,  Das  Verhältnis  der  vierten  katilinarischen  Rede 
zu  den  von  Cicero  in  der  Senatssitzung  des  5.  Dezember  63  wirklich 
gehaltenen  Reden.     Neuwied  Progr.  1888. 

Der  Verf.  weist  zuerst  nach,  dafs  Cicero  am  5.  December  wenig- 
stens zweimal  das  Wort  ergriff,  einmal  zur  Einleitung  der  Verhandlun- 
gen, das  anderemal  zur  Beleuchtung  der  zwei  Gutachten  des  Silanus  und 
des  Cäsar.  Das  zweite  Auftreten  war  wenig  bedeutend  und  auf  die  Ver- 
handlungen und  das  schliefsliche  Urteil  ohne  Einflufs.  Die  erste  Rede 
hat  er  aufgezeichnet;  es  ist  die  vierte  katilinarische,  an  deren  Echtheit 
nicht  zu  zweifeln  ist  (vergl.  die  eigene  Äufserung  Ciceros  Philipp.  2, 
46,  119).  Der  Verf.  erbringt  aber  im  Einzelnen  scharfsinnig  den  Nach- 
weis, dafs  der  weitaus  gröfste  Teil  der  Rede  im  Senate  nicht  so  ge- 
sprochen worden  sein  kann,  wie  er  ihn  uns  schliefslich  überliefert  .hat. 
Aber  auch  von  den  sachlichen  Abschnitten  hat  er  wahrscheinlich  nicht 
alles  im  Senate  vorgebracht.  Jedenfalls  hat  er  im  Senate  nicht  die  streng 
disponierte  und  sorgfältig  ausgearbeitete  Ausführung  gegeben,  die  er  uns 


136  Römische  Geschichte  und  Chronologie. 

in  der  Rede  vorlegt.  Der  Verf.  macht  schliefslich  den  Versuch  das 
festzustellen,  was  Cicero  im  Senate  gesagt  haben  kann.  Der  Grund  für 
seine  Darstellung  der  Senatsverhandlung  war  in  der  Hauptsache  ein 
persönlicher:  er  wollte  als  der  Retter  des  Staates  erscheinen. 

Die  Rede  ist  wahrscheinlich  zwischen  Mai  und  Dezember  61  nieder- 
geschrieben; die  äufsersten  Grenzen  sind  Mai  61  und  Juni  60.  Doch 
hat  Cicero  sie  schwerlich  selbst  veröffentlicht,  sondern  sie  wurde  erst  aus 
seinem  Nachlasse  herausgegeben.  Der  sorgfältigen  und  überzeugenden 
Untersuchung  sind  viele  Leser  zu  wünschen. 

Die  Abhandlung  von 

M.  Antoine,  Une  seance  mömorable  du  senat  romain.  Mem. 
de  l'Acad.  de  Toulouse  9,  203.  232 

über  dieselbe  Frage  ist  mir  nicht  zugekommen. 

G.  Lacour-Gayet,  De  P.  Clodio  Pulchro  tribuno  plebis.  Diss. 
Paris  1888. 

Der  Verf.  schildert  zunächst  das  Vorleben  des  Clodius,  ehe  er 
zur  Quästur  gelangte,  sodann  seine  militärische  Laufbahn  im  Osten  und 
"Westen.  In  Kap.  2  wird  die  Quästur  und  die  transitio  ad  plebem  behan- 
delt. Der  Verf.  erzählt  nicht  ohne  Behagen  die  Scene  am  Feste  der  Bona 
Dea  und  die  daran  sich  anschliefsende  Anklage  auf  Incest.  Ziemlich 
weitläufig,  ohne  Neues  zu  sagen,  wird  die  transitio  ad  plebem  darge- 
stellt. Kap.  3  enthält  das  Tribunat  des  Clodius;  die  Verbindung  mit 
Pompeius,  Cäsar  und  Crassus  wird  sehr  klar  entwickelt.  Besondere  Auf- 
merksamkeit wird  den  von  ihm  eingebrachten  Gesetzen  gewidmet.  Kap.  4 
giebt  die  Überlieferung  über  die  Ädilität  des  Clodius  und  seine  Be- 
werbung um  die  Prätur;  die  Händel  mit  Milo  werden  wieder  ausführ- 
lich verfolgt. 

Das  Ergebnis  des  Buches  ist  gering;  es  giebt  eigentlich  nur  längst 
bekanntes.  Dafs  dieses  sorgfältig  und  verständig  aus  den  Quellen  ge- 
sammelt ist,  kann  kaum  ein  Lob  heifsen.  Die  Latinität  ist  im  Ganzen 
gewandt',  aber  doch  stellenweise  recht  modern;  namentlich  macht  den 
Verf.  die  Consecutio  temporum  oft  unsicher.  Das  Beste  ist  die  Zusam- 
menfassung am  Schlüsse,  die  knapp  und  scharf  ist. 

Valentin-Smith,  Fouilles  dans  la  vallee  du  Formans  (Ain)  en 
1862.  Documents  pour  servir  ä  l'histoire  de  la  campagne  de  Jules 
C6sar  contre  les  Helvetes.     Lyon  1888 

war  mir  nicht  zugänglich. 

Rud.  Schneider,  Portus  Itius.  Progr.  des  Königstädt.  Gymn. 
Berlin  1888. 

Bekanntlich  hat  Napolöon  HI.  den  portus  Itius  in  Boulogne,  Heller 
in  Wissant   erkannt;    für    erstere   Annahme    ist  Desjardius    eingetreten, 


6.   Die  Revolution.  137 

ohne  die  Gründe  Hellers  su  widerlegen,  der  Verf.  will  die  ganze  Frage 
nochmals  nachprüfen  und  thut  dies  in  musterhafter  Weise.  Man  darf 
deshalb  den  von  ihm  gefundenen  Resultaten  um  so  mehr  Vertrauen  be- 
weisen. Die  aus  den  Kommentarien  gezogenen  Schlüsse  für  den  einen 
oder  den  anderen  Hafen  erweisen  sich  sämtlich  als  unsicher,  und  man 
kommt  mit  denselben  nicht  weiter,  als  dafs  Cäsar  aus  irgend  einem 
Hafen  im  Morinerlande  abgefahren  ist.  Alle  Schriftsteller  der  Kaiser- 
zeit —  nach  Schneiders  Interpretation  sogar  Strabo  —  kennen  nur 
einen  Hafen  im  Lande  der  Moriner:  Gesoriacum.  Wenn  man  auch  an- 
nehmen wollte,  dafs  der  Verkehr  dahin  erst  durch  Agrippas  Strafsen- 
züge  veranlafst  worden  sei,  so  mufste  man  die  Frage  beantworten,  warum 
denn  Aprippa  gerade  hier  dieselben  ausmünden  liefs.  Denn  in  den 
30  Jahren  seit  Cäsars  Expeditionen  nach  Britannien  können  sich  die 
Verhältnisse  der  Häfen  unmöglich  so  verändert  haben,  dafs  ein  bedeu- 
tender Kriegshafen,  der  wegen  seiner  erheblich  gröfseren  Nähe  an  Bri- 
tannien doch  den  Vorzug  verdiente,  bereits  unbrauchbar  erschien;  aber 
ebenso  unmöglich  ist  es,  dafs  Cäsar  bei  seinen  beiden  Expeditoneu  einen 
Hafen  übersehen  hat,  den  Agrippa  und  die  Späteren  insgesamt  als  den 
einzigen  Überfahrtshafen  nach  Britannia  erkannten.  Die  Identificierung 
mit  Wissant  wird  verworfen  1)  weil  kein  Zeugnis  eines  alten  Schrift- 
stellers, keine  Strafse,  keine  römischen  Fundstücke  von  irgend  welcher 
Bedeutung,  keine  Spuren  römischer  Arbeiten  im  Erdreiche  kundgaben, 
dafs  Wissant  von  den  Alten  als  Hafen  benutzt  wurde,  und  2)  weil, 
auch  wenn  man  mit  Henry  und  Heller  grofse  Versandungen  annimmt, 
der  Platz  nie  ein  guter  Hafen  war,  da  er  völlig  blofsgestellt  ist  gegen 
die  Winde  aus  Westen,  Nordwesten  (Chorus  ventus)  und  Norden,  gegen 
welche  der  Schutz  am  notwendigsten  war.  Die  Bedeutung  des  Hafens 
von  Boulogne  in  der  Kaiserzeit  und  im  Mittelalter  steht  fest;  die  Un- 
tersuchungen von  Haignere  bezüglich  der  Flut  und  Strömung  haben 
unwiderleglich  bewiesen,  dafs  Boulogne  ein  vorzüglicher  Punkt  zur  Über- 
fahrt nach  England  ist.  Unerklärt  bleibt  nur  der  zweimalige  Namens- 
wechsel (portus  Itius,  Gesoriacum,  Bonouia). 
Die  Untersuchung  von 

H.  E.  Maiden,   Cesars   expedition   to  Britain.     Journ.   of  Philol. 
No.  34.  163 

war -mir  nicht  zugänglich. 

Victor  Pfannschmidt,  Zur  Geschichte  des  pompeianischen  Bür- 
gerkriegs.    Progr.  Weifsenfeis  1888. 

Der  Verf.  erörtert  zunächst  die  Abfassungszeit  von  Cäsars  Schrift 
über  den  Bürgerkrieg;  er  meint,  dieselbe  sei  nicht  45  oder  Anfang  44 
verfafst,  sondern  wahrscheinlich  in  der  Hauptsache  gleich  nach  dem 
alexandrinischen   Krieg  und  dann   bei  dem  Aufenthalte  des  Dictators  in 


138  Römische  Geschichte  und  Chronologie. 

Rom  veröffentlicht  worden,  jedenfalls  aber  vor  dem  Ausbruch  des  afri- 
kauiscben  Krieges.  Sodann  wendet  er  sich  zur  Prüfung  der  Angriffe 
auf  Cäsars  Glaubwürdigkeit  und  bemüht  sich,  »was  in  seiner  Darstellung 
fehlt,  nachzutragen  und  alles  auszusondern,  was  als  der  geschiclitlichen 
Richtigkeit  widerstreitend  mit  Recht  angesehen  werden  kann«. 

Verschwiegen  hat  Cäsar  absichtlich:  die  Sendung  des  jüngeren 
Baibus  an  den  Konsul  Lentulus  Crus,  um  diesen  zur  Rückkehr  nach 
Rom  zu  bewegen.  Der  Versuch  scheiterte.  Ferner  ist  verschwiegen 
die  Wegnahme  des  Staatsschatzes  Anfang  April.  Auf  die  Verschwei- 
gungen und  Entstellungen  in  Bezug  auf  Verwundete  und  Gefallene,  auf 
die  Entschuldigungen  und  Abschwächungen  erlittener  Niederlagen  oder 
Unfälle  geht  der  Verf.  nicht  tiefer  ein.  Dagegen  verschweigt  Cäsar,  wo 
er  von  seinen  Wohlthaten  gegen  die  Spanier  redet,  dafs  er  von  ihnen 
viel  Geld  aufbrachte;  ebenso  erzählt  er  nicht  von  der  Meuterei  der 
neunten  Legion  zu  Placentia. 

Was  die  Entstellungen  historischer  Begebenheiten  anlangt,  so  ver- 
teidigt der  Verf.  Cäsar  gegen  Gloede  und  Basirer,  welche  behauptet 
hatten,  Cäsar  habe  den  Äsinius  PoUio  in  seiner  Erzählung  von  der  Er- 
oberung Siciliens  einfach  übergangen  und  durch  Curio  ersetzt ;  es  scheint 
dies  eher  eine  Erfindung  des  Asinius  zu  sein,  den  der  Verf.  weder  als 
Soldat  noch  als  Schriftsteller  hochstellt.  Eine  falsche  Darstellung  findet 
sich  1,  11,  4,  wo  Cäsar  glauben  machen  will,  er  sei  in  Ariminum  ge- 
blieben und  habe  keine  weiteren  feindlichen  Schritte  gegen  Pompeius 
gethan,  während  wir  aus  Cicero  wissen,  dafs  er  Ancona,  Fanum,  Pisau- 
rum  etc.  besetzte.  Der  Bericht  l,  14,  4  über  Einstellung  von  Cäsars 
Gladiatoren  in  das  feindliche  Heer  ist  nicht  gegen  seine  Glaubwürdig- 
keit zu  verwenden.  Denn  auch  Cic.  ad  Att.  7,  14,  2  kennt  die  Version. 
Dagegen  entspricht  der  Bericht  3,  1,  4  nicht  ganz  der  Wahrheit;  denn  er 
hat  nicht  blofs  einige,  sondern  alle  lege  Ponipeia  Verurteilten  und  noch 
manche  andere  dazu  begnadigt.  Absichtlich  entstellt  ist  auch  der  Be- 
richt über  die  Friedensverhandlungen  1,  24,  4;  dagegen  scheint  der  Be- 
richt 1,  9  richtig,  aber  unrichtig  die  1,  10  berichtete  Antwort  des  Pom- 
peius und  des  Senates;  endlich  ist  auch  die  Erzählung  von  dem  dritten 
Ausgleichsversuch  3,  10  und  11  nicht  klar  und  Vertrauen  erweckend. 
Der  Verf.  will  nicht  an  die  Aufrichtigkeit  Cäsars  bei  diesen  Verhand- 
lungen glauben.  Etwas  völlig  Unwahrscheinliches  wird  3,  56  berichtet; 
die  Geschichte  von  dem  Abfall  der  Allobroger  3,  59.  60  ist  recht  frag- 
lich. Mannigfache  Unklarheiten,  vielleicht  auch  Entstellungen  zeigt  der 
spanische  Feldzug,  und  die  Katastrophe  des  Curio  enthält  auch  offen- 
bare Verdunklungen  des  wirklichen  Thatbestandes,  und  dasselbe  gilt  er- 
wiesenermafsen  von  den  Vorgängen  in  Corfinium  1,  16  ff. 

Man  mufs  bei  dem  Verf.  selbst  die  Beweise  nachlesen,  die  überall 
mit  sorgfältiger  Beachtung  der  sonstigen  Überlieferung  geführt  sind. 


7.   Zeit  der  Julier,  Claudier,  Flavier  und  Antonine.  139 

W.  Fabricius,  Theophanes  von  Mitylone  und  Q.  Dellius  als 
Quellen  der  Geographie  des  Strabo.     Strafsburg,  Heitz  1888. 

Der  Verf.  versucht  Theophanes  von  Mitylene  als  Quelle  Strabos 
für  die  Angaben  über  des  Pompeius  Feldzüge  im  Orient  im  7.  12.  und 
14.  Buche  nachzuweisen,  während  Q.  Dellius  die  gleiche  Stellung  einnimmt 
für  die  Partherkriege  des  Antonius  im  11.  und  16.  Ikiche.  Der  erste  Be- 
weis ist  ihm  nicht  unwiderleglich  gelungen;  man  kann  liöchsteus  zu- 
geben, dafs  die  Annahme  möglich  ist.  Bezüglich  des  Q.  Dellius  stimmt 
der  Verf.  mit  Krüger  und  Bürklein  überein;  doch  schadet  es  nicht,  dafs 
er  nochmals  deren  Annahmen  als  richtig  bestätigt.  Sorgfältig  ist  die 
Karte  über  die  von  Pompeius  64-62  geschaffenen  Länderverhältnisse, 
und  dasselbe  gilt  von  der  Sammlung  der  Überlieferung  über  den  Feld- 
zug des  Pompeius  gegen  Mithradates  66  v.  Chr. 

7.   Zeit  der  Jiilier,  Claudier,  Flayier  und  Antonine. 

Emmerich  Cornelius,  Quomodo  Tacitus,  historiarum  scriptor, 
in  hominum  memoria  versatus  sit  usque  ad  renascentes  literas  sae- 
culis  XIV  et  XV.     Progr.     Gymn.  Wetzlar  1888. 

Nur  der  erste  Teil  der  Abhandlung  gehört  in  den  Jahresbericht. 
In  demselben  stellt  der  Verf.  die  Benutzung  des  Tacitus  durch  die  la- 
teinischen Geschichtschreiher  der  fünf  ersten  Jahrhunderte  n.  Chr.  fest. 
Zunächst  benutzte  ihn  Plutarch;  der  Verf.  hat  dies  durch  seine  Aus- 
führungen so  wenig  bewiesen  wie  die  Vorgänger,  denen  er  folgt.  Sueton 
hat  vieles  aus  Anualen  und  Historien  wörtlich  abgeschrieben;  ebenso 
Dio  aus  den  Annalen.  Florus  hat  für  seine  Darstellung  die  Karten  von 
Tacitus  entlehnt;  auch  Justinus.  Gekannt  und  benutzt  haben  ihn  Pto- 
lemaeus,  Lucian  und  Eumenius,  auch  TertuUian.  Ammian,  der  ihn  fort- 
setzte, hat  ihn  vielfach  sachlich  und  sprachlich  benützt:  ebenso  Aurelius 
Victor  und  Hegesippus.  Orosius,  Sulpicius  Severus,  Ausonius,  Paulinus 
Nolanus,  Sidonius  Apollinaris,  der  Scholiast  des  Jitvenal,  Cassiodorius 
und  Jordanis  haben  ihn  alle  mehr  oder  minder  gekannt  und  benützt. 

Wie  bei  allen  diesen  Untersuchungen  werden  auch  in  der  vorlie- 
genden Übereinstimmungen  sachlicher  Natur,  welche  auch  ähnlich  sprach- 
lich benannt  "werden  müssen,  zu  Beweisen  direkter  Benutzung  und  Aus- 
schreibung gestempelt,  was  sie  an  und  für  sich  nicht  sind. 

Wallichs,  Die  Geschichtschreibung  des  Tacitus.  Progr.  Gymn. 
Rendsburg  1888. 

Der  Verf.  entwickelt  in  behaglicher  Breite  die  Gründe,  die  ihn 
zur  Verteidigung  des  Tacitus  veraulafst  haben:  er  ist  aufgewachsen  in 
der  Zeit,  in  welcher  derselbe  ein  kanonisches  Ansehen  genofs,  hat  diese 
Auffassung  während   der  Studienjahre  und  als  Lehrer  festgehalten,  kam 


140  Römische  Geschichte  und  Chronologie. 

lauge  nicht  dazu,  sich  mit  der  neueren  Litteratur  über  diese  Frage  zu  be- 
schäftigen; aber  endlich  mufste  er  lateinischen  Unterricht  in  der  Prima 
geben  und  sich  mit  derselben  bekannt  machen.  Da  gab  die  Äufserung 
eines  Kollegen,  der  sich  abschätzig  über  Tacitus  aussprach,  den  Aus- 
schlag; der  Yerf.  mufste  sich  über  die  Hauptstreitpunkte  Klarheit  ver- 
schaffen, und  berichtet  nun,  wie  er  sich  diese  Klarheit  verschafft  habe, 
darf  es  mir  aber  nicht  verübeln,  wenn  ich  den  von  ihm  gewählten  Weg 
nicht  gerade  bewundern  kann;  denn  er  schlägt  keine  direkten  Bahnen 
ein,  sondern  schlendert  wie  ein  müfsiger  Spaziergänger  con  amore  dahin 
und  dorthin,  betrachtet  hier  etwas  und  da  etwas,  ärgert  sich  über  den 
einen  Weg  und  freut  sich  über  den  andern  —  kurz  es  ist  eine  gemüt- 
liche Betrachtung  und  Causerie,  aber  kein  methodisches  Verfahren.  Auch 
kennt  der  Verf.  doch  die  Kaisergeschichte  in  ihrem  Zusammenhange  bei 
weitem  nicht  genug.  Dabei  zeigt  sich  sein  Standpunkt  bezeichnend  in 
dem  Worte:  »es  fragt  sich  doch  noch,  ob  nicht  die  Kulturgeschichte  nur 
eine  Nebenpartie  der  Weltgeschichte  ist,  und  das  für  die  Nachwelt  Lehr- 
reiche und  Interessante  vorzüglich  in  dem  bewegteren  Leben,  den  poli- 
tischen Kämpfen,  den  Veränderungen  der  Staatsgewalt,  dem  Kampf  der 
Parteien  mit  ihr  und  den  Völkerkämpfen  liegt«.  Der  Verf.  erörtert  nach 
einander  eine  Reihe  von  Ansichten,  welche  sich  in  den  letzten  40  Jahren 
gegen  die  »kanonische  Autorität«  des  Tacitus  gewandt  haben,  und  stellt 
ihnen  seine  eigenen  gegenüber;  öfter  werden  zur  Verstärkung  gegnerische 
Aussprüche,  insbesondere  von  Eanke,  angeführt.  Wie  es  kaum  zu  ver- 
meiden ist,  geben  diese  aus  dem  Zusammenhange  gerissenen  Stellen 
beiderseits  nicht  selten  ein  schiefes  Bild;  an  anderen  Stellen,  wo  auch 
die  Autoritäten  des  Verfassers  nicht  mit  der  »kanonischen  Autorität« 
übereinstimmen,  klammert  er  sich  an  die  Form  und  findet  wenigstens 
noch  das  Gute  an  ihnen,  dafs  sie  nicht  so  schroff  und  pietätlos  über 
Tacitus  sprechen  wie  die  Anderen.  Schliefslich  gelangt  der  Verf.  zu 
dem  Ergebnis,  dafs  man  auf  die  Angriffe  der  Tacitus-Gegner  hin  diesen 
nicht  aus  den  Schulen  zu  verbannen  brauche.  Ich  freue  mich  mit  dem 
Verf.  wenigstens  in  diesem  Punkte  ganz  gleicher  Ansicht  sein  zu  können, 
vorausgesetzt,  dafs  er  nicht  den  stadtrömischen  Klatsch  mit  seinen  Pri- 
manern lesen  will,  sondern  die  Tacituslektüre  ungefähr  so  gestaltet,  wie 
dies  Dettweiler  in  Fricks  Lehrproben  7,  39  ff.  dargelegt  hat; 

Carl  Pascal,    De  Cornelii  Galli  vita.     Rivista  de  filologia   16, 
399-413. 

Er  ist  geboren  685  und  gestorben  728  d.  St.  und  stammte  aus  niede- 
rem Stande.  Über  seine  Jugend  wissen  wir  nichts.  Später  wurde  er  Freund 
des  Vergil,  ob  auch  des  Properz,  ist  unsicher.  Lycoris,  die  Geliebte 
des  Gallus,  ist  mit  Volumuia-Cythei-is,  der  Maitresse  des  Antonius,  iden- 
tisch. Wahrscheinlich  veranlafste  ihn  die  Sehnsucht  nach  ihr,  die  mit 
einem  neuen  Geliebten  nach  dem  Rheine   gegangen  war,   716  oder  717 


7.  Zeit  der  Julier,  Claudier,  Flavier  und  Antonine.  141 

sich  dem  Agrippa,  der  nach  Gallien  zog,  anzuschliefsen.  724  erhielt  er 
die  Verwaltung  von  Ägypten,  wo  er  gegen  Antonius  und  Cleopatra  wert- 
volle Dienste  leistete;  ihr  Lohn  war  die  Präfektur  von  Ägypten.  Als 
Vice-König  machte  er  sich  um  die  Hebung  des  Landes  durch  Kanalbauteu 
etc.  verdient.  Als  er  eine  Revolte  in  Theben  sehr  hart  unterdrückte, 
wurde  er  unbegründeter  Vergehen  angeklagt  und  tötete  sich. 

Jul.  Asbach,    Die   Überlieferung   der   germanischen  Kriege    des 
Augustus.     Bonner  Jahrbb.  H.  85,  14  —  54. 

1.  Die  Feldzüge  des  Nero  Claudius  Drusus. 
Die  Niederlage  des  M.  Lollius  wird  mit  Jul.  Obsequens  c.  71  in 
das  Jahr  17  (statt  wie  gewöhnlich  16)  gesetzt.  Augustus  gründete  bei 
seiner  Anwesenheit  am  Rhein  in  den  Jahren  16  und  15  Vetera  Castra. 
Gleichzeitig  wurde  die  fossa  Drusiana  in  Angriff  genommen  und  im  Jahre 
13  vollendet.  Für  die  Feldzüge  des  Drusus  scheinen  dem  Verf.  die 
Nachrichten  des  Florus  Anspruch  auf  Glaubwürdigkeit  zu  haben,  während 
Dio  eine  sehr  späte,  durch  die  Volkssage  getrübte  Quelle  benutzt  hat. 

2.  Die  Feldzüge  des  Tiberius  in  den  Jahren  4  und  5  n.  Chr. 
Velleius  ist  für  dieselben  eine  im  Ganzen  zuverlässige  Quelle.  Das 
Winterlager  des  Tiberius  415  wird  zwischen  Borken,  Haltern  und  Dülmen 
gesucht.  Auch  liier  hat  Dio  entweder  äufserst  flüchtig  berichtet  oder 
eine  sehr  schlechte  Darstellung  der  germanischen  Kriege  benutzt. 

3.  Die  Varusschlacht. 
Für  die  Darstellung  dieser  Katastrophe  sind  die  Mitteilungen  des 
Velleius,  Tacitus  und  Florus  guter  Quelle  entnommen;  dagegen  besteht 
bei  ihnen  ein  Gegensatz  gegen  Dio,  dessen  Darstellung  lückenhaft  und 
unrichtig  ist.  Es  würde  also  der  Forschung  die  Aufgabe  gestellt  sein, 
an  der  Hand  der  drei-  ersten  Berichte  durch  Untersuchungen  an  Ort 
und  Stelle  den  Schauplatz  im  Einzelnen  zu  finden.  Bezüglich  des  Ortes 
der  Katastrophe  schliefst  sich  Asbach  an  Mommsen  an. 

Paul  Seyffert,   Quaestiones  ad  Augusti  bella  Germanorum   cri- 
ticae.    P.  I.  De  clade  Lolliana  et  de  Drusi  bellis.    Diss.  Erlangen  1887. 

Der  Verf.  will  die  Nachricht  des  Dio  LIV,  20  iv  r^  a^ezspa  zcväs 
abzwv  aoXXaßovreg  dvzardofjcuaav  mit  der  Nachi'icht  des  Florus  2,  30 
viginti  ceuturionibus  in  crucem  actis  und  Schol.  ad  Horat.  4,  2,  34  quia 
antea  centuriones  Romanos-tentos  crucibus  defixere  zusammenbringen 
und  als  Veranlassung  zum  Kriege  des  Lollius  gegen  Sugambrer,  Usipeter 
Tencterer  betrachten.  Florus  sagt  nun  freilieb,  dies  sei  bei  Sugambern, 
Cheruskern  und  Sueben  geschehen,  aber  der  Verf.  meint,  er  habe  die 
betreffenden  Nachrichten  durcheinander  geworfen.  Wer  nicht  der  An- 
sicht des  Verf.  sei,  müsse,  meint  er,  mit  Dederich  die  Nachricht  des 
Florus  auf  den  zweiten   Feldzug  des  Drusus,  nicht  mit  Mommsen  auf 


]4:2  Römische  Geschichte  und  Chronologie. 

den  ersten  beziehen.  Die  Worte  ad  stipendia  will  er  so  erklären,  Lol- 
lius  habe  die  Germanen,  weil  sie  seit  19  v.  Chr.  keine  Einfälle  mehr 
versucht  hatten,  für  so  gedemütigt  angesehen,  dafs  er  sie  leicht  tribut- 
pflichtig machen  zu  können  glaubte.  Nun  werden  Lollius  manche  Vor- 
würfe gemacht,  aber  den  völliger  Urteilslosigkeit  hat  Niemand  zu  erheben 
gewagt. 

Der  erste  Zug  des  Drusus  wird  nach  den  Berichten  des  Dio  LIV, 
32  und  Livius  ep.  137  geschildert.  Die  Schlacht  gegen  die  Bructerer 
kann  nur  unbedeutend  gewesen  sein,  da  Dio  sie  nicht  erwähnt.  Auf  den 
zweiten  Zug  bezieht  der  Verf.  die  Erzählung  des  Florus  2,  30,  da  die 
berichtete  Siegesgewifsheit  der  Germanen  nur  die  Folge  der  gefährlichen 
Lage  der  Römer  bei  Arbalo  hätte  sein  können.  Die  Chatten  standen 
anfänglich  auf  Seite  der  Römer,  wurden  aber  von  den  Sugambern  zur 
Heeresfolge  gezwungen;  denn  eine  Partei  der  Chatten  stand  auf  ihrer 
Seite.  Zu  deren  Bestrafung  errichtete  nachher  Drusus  ein  Kastell  im 
Chattenlande.  Die  Erscheinung  des  germanischen  Weibes  gehört  — 
gegen  Abraham  — ,  wenn  sie  nicht,  wie  wahrscheinlich,  eine  Fabel  ist, 
in  den  vierten  Zug.  Auf  dem  dritten  Zuge  wurden  die  Chatten  heimge- 
sucht, aber  auch  die  Marcomannen.  Auf  dem  vierten  Zuge  kam  Drusus 
bis  zur  Saale,  die  man  fälschlich  mit  der  oberen  Elbe  identificierte ;  sein 
Tod  erfolgte  in  der  Nähe  von  Mainz. 

G.  Aug.  B.  Schiere nb er g,  Die  Kriege  der  Römer  zwischen  Rhein, 
Weser  und  Elbe  unter  Augustus  und  Tiberius  und  Verwandtes.  Ver- 
vollständigung und  Berichtigung  der  ersten  Ausgabe  von:  Die  Römer 
im  Cheruskerlande.    1862.    Frankfurt  a.  M.  1888. 

In  dem  »Vorwort  zur  zweiten  Ausgabe«  polemisiert  der  Verf.  gegen 
eine  Reihe  von  Gelehrten,  von  denen  er  sich  als  schlecht  behandelt  be- 
trachtet. Sachlich  behauptet  der  Verf.  folgendes  ad  caput  Juliae  flu- 
niinis  bei  Velleius  bedeutet  die  Geule  westlich  von  Aachen,  wo  die 
Grenzen  der  Provinzen  Ober-  und  Unter-Germanien  sich  berührten.  Die 
Kriegsztige  des  Drusus  und  Tiberius  ostwärts  zur  Weser  und  Elbe  gingen 
nicht  von  Mainz,  sondern  von  Vetera  aus.  Aliso  war  nie  römische 
Festung,  sondern  nur  zweimal  Zufluchtsort  versprengter  römischer  Heere. 
Das  Kastell,  welches  Germanicus  im  Frühjahre  15  am  Berge  Taunus 
erbaute,  ist  nicht  in  der  Saalburg,  sondern  an  der  oberen  Lippe  zu 
suchen.  Varus  zog  über  den  Externstein  in  das  Cheruskerland;  »das 
Geschwätz  von  der  Dörenschlucht  ist  Faselei,  die  aller  Begründung  ent- 
behrt«. Am  Externsteine  hatte  er  sein  Sommerquartier,  eine  Stunde 
östlich  vom  heutigen  Detmold  hat  ihn  die  Katastrophe  ereilt. 

Der  zweite  Abschnitt  schildert  den  Rachekrieg  der  Römer  gegen 
die  Cherusker.  Der  Verf.  gefällt  sich  auch  hier,  alle  bisherigen  An- 
sichten auf  den  Kopf  zu  stellen.  So  wohnen  nach  seiner  Ansicht  die 
Chatten  an  der  unteren  Ruhr,  Thusnelda  war  weder  die  Tochter  Segests 


7.  Zeit  der  Julier,  Claudier,  Flavier  und  Antonine.  143 

noch  die  Gemahlin  Armins.  Bei  dem  Überfalle  auf  dem  varianischen 
Leichenfelde  macht  sich  Germauicus  davon  (aequis  manibus  abscessum 
heifst:  mit  angemessener  Mannschaft  macht  er  sich  davon!!),  die  pontes 
longi,  Dielbrücken  lagen  zwischen  Delbrück  und  Ringboke,  mit  dem 
Wasser  des  Haustenbachs  wurde  das  römische  Lager  überschwemmt. 
Die  Toten hügel  für  Varus  und  sein  Heer  waren  aber  kaum  angefangen, 
geschweige  vollendet  worden.  In  der  Schlacht  auf  dem  Idistavisusfelde 
wurde  Germanicus  thatsächlich  besiegt,  der  zweite  Kampf  fand  zwischen 
Venne  und  Engter  statt.  Der  Bericht  des  Tacitus  ist  teilweise  ironisch 
gehalten,  teilweise  ein  Zugeständnis  an  die  in  Rom  erlogene  Darstellung. 

Alsdann  folgen  Studien  zu  den  Annalen  des  Tacitus.  In  denselben 
wird  der  Versuch  gemacht,  die  vorstehenden  Ansichten  aus  Tacitus  zu 
begründen.  Der  Verfasser  sagt,  er  sei  44  Jahre  alt  geworden,  ehe  ihm 
das  erste  lateinische  Exemplar  des  Tacitus  in  die  Hände  gefallen  sei. 
An  und  für  sich  ist  es  ja  wahrhaftig  keine  Schande,  wenn  ein  Mann  in 
diesen  Jahren  sich  noch  auf  die  Erlernung  der  lateinischen  Sprache 
wirft.  Vorsichtig  wäre  es  aber,  wenn  er  sich  an  der  Interpretation  nicht 
versuchte;  sonst  kommen  Dinge  zutage,  wie  das  vorhererwähnte  aequis 
manibus  abscessum,  ja  noch  viel  schlimmere.  Es  ist  daher  besser,  von 
diesem  Teile  zu  schweigen;  denn  von  taciteischem  Sprachgebrauch  hat 
der  Verf.  keine  Ahnung. 

An  diese  Studien  schliefsen  sich  andere  zu  Tacitus'  Germania, 
welche  ebenfalls  meist  Polemik  enthalten.  Ein  weiterer  Artikel  »Zur 
Varusschlacht«  bekämpft  die  Ansicht  Mommsens.  Der  Verf.  sucht  das 
Sommerlager  des  Varus  östlich  vom  Externsteine,  und  dort  ist  auch  das 
Schlachtfeld  zu  suchen.  Eine  wichtige  Quelle  für  die  Varusschlacht  ent- 
deckt der.  Verf.  in  der  —  Edda,  deren  Hauptlieder  nach  seiner  Ansicht 
um  1100—1130  niedergeschrieben  sind  und  die  altheidnische  Tradition 
bewahi't  haben,  welche  in  Deutschland  durch  die  christliche  Geistlichkeit 
sorgfältig  ausgetilgt  wurde.  Der  Grund  von  Varus  Vernichtung  war  dar- 
nach die  Verletzung  der  religiösen  Heiligtümer  des  Volkes  durch  Varus; 
am  Externsteine  wurde  die  Mutter  Erde  als  Ostara  verehrt.  Siegfried 
ist  Armin,  der  Drache  Fafnir  die  römische  Weltherrschaft  etc.  Aus 
der  Edda  wird  abgeleitet,  dafs  Varus'  Sommerlager  auf  der  Moorlage 
bei  Hörn  stand ;  der  Totenhügel  fällt  nach  Detmold,  wo  der  Knochenbach 
auf  den  Namen  Lechthope  (Leichenhaufe)  führt.  Der  Varusberg  einige 
Stunden  südlich  von  Hörn  hat  seinen  Namen  von  einem  Wachtposten 
des  Varus,  um  den  Zugang  durch  den  Pafs  von  Altenbeken  nach  Höxter 
zu  decken.  Zwischen  Varusberg  und  Externstein  liegt  der  Banngarten 
d.  h.  Todesgarten,  nämlich  der  Reiterei  des  Numonius  Vala.  Hier  haben 
sich  viele  hunderte  von  Hufeisen  im  Boden  gefunden.  Der  Schlachttag 
war  der  19.  August.  Arminius  hat  nicht  im  römischen  Heere  gedient, 
sondern  befand  sich  blofs  im  Gefolge  des  Tiberius.  Die  Barenauer 
Münzfunde  will  Schierenberg  auf  die  Angrivarierschlacht  zurückführen. 


144  Römische  Geschichte  und  Chronologie. 

Ein  weiterer  Nachtrag  sucht  zu  erweisen,  dafs  die  Grotte  am 
Externsteine  von  Varus  als  Mithräum  geschaffen  wurde;  einige  weitere 
Nachträge  suchen  diese  Annahmen  zu  stützen.  Man  mufs  bei  dem  Verf- 
Interpretation  und  Autopsie  scheiden;  wo  letztere  besteht,  wird  seine 
Schritt  stets  einigen  Wert  haben;  dagegen  die  erstere  ist  teilweise  wegen 
der  unvollkommenen  Sprachkenntnis  wertlos,  teilweise  deswegen  bedenk- 
lich, weil  er,  wie  meist  Lokalantiquare,  die  Schriftstellen  seiner  Intui- 
tion anpafst. 

M.  von  Sondermühlen,  Spuren  der  Varusschlacht.    Berlin  1888. 

Der  Verf.  giebt  nach  einer  Einleitung  über  die  Quellen  eine  kurze 
Vorgeschichte  der  Römerzüge  in  Germanien.  Um  den  Ort  des  Varus- 
lagers  ausfindig  zu  machen,  geht  er  von  der  Erwägung  aus,  dafs  Varus' 
Aufmerksamkeit  auf  die  Gewinnung  eines  festen  Punktes  an  dem  von 
Aliso  aus  nächsten  schiffbaren  Teile  der  Weser  gerichtet  sein  mufste. 
Da  er  von  Süden  kam  und  dem  Laufe  des  sich  ihm  gegen  Norden  quer 
vorlegenden  Weserstromes  folgte,  so  sah  er  sich  genötigt,  sein  Lager  so 
weit  als  möglich  gegen  die  Mündung  des  Stromes  vorzuschieben.  Er 
konnte  es  aber  nicht  jenseits  der  Bergkette  verlegen,  die  der  Weserflufs 
bei  Porta  durchbricht,  weil  er  dann  von  Aliso  und  dem  Rheine  abge- 
schnitten worden  wäre.  Das  Sommerlager  ist  also  südlich  der  Porta 
zwischen  Rinteln  und  Rheme  zu  suchen.  Zwischen  Vetera  und  Amisia, 
der  Festung  an  der  Mündung  der  Ems,  bestanden  unzweifelhaft  ge- 
schützte Heereswege,  und  Varus'  Absicht  mufste  sein,  eine  sichere  Ver- 
bindung zwischen  dem  Lager  an  der  Weser  und  Amisia  herzustellen. 
In  der  Ausführung  dieser  Absicht  erblickten  die  Cherusker  eine  Be- 
drohung ihrer  Freiheit.  Varus  wird  von  dem  Verf.  als  ein  Mann  ge- 
schildert, der  unter  bedächtigem,  gutmütigem  Äufseren  klare  Überlegung 
und  grofse  Festigkeit  besafs,  die,  wenn  es  erforderlich  schien,  sich  auch 
in  rücksichtslose  Grausamkeit  verwandelte;  er  war  für  ein  dui'ch  die 
Umstände  gebotenes  langsames  Vorgehen  in  Deutschland  der  best  ge- 
eignete Mann.  Als  ein  besonderer  Grund  des  Hasses  wird  die  Sophistik 
des  römischen  Rechtsverfahrens  angeführt,  welches  immer  im  Auge  be- 
hielt, was  den  Römern  oder  der  ihnen  ergebenen  Partei  Vorteil  brachte. 
Das  Sommerlager  wurde  der  Sammelplatz  der  germanischen  Häuptlinge 
und  bildete  die  Bühne,  auf  der  sich  ein  gewaltiges  Drama  von  Treue 
und  Liebe,  Patriotismus,  Herrschsucht,  Arglist  und  Verschlagenheit, 
Freundschaft  und  Arglist  abspielte.  Dafs  die  Germanen  die  Legionen 
weder  auf  ihrem  Marsche  zur  Weser  noch  während  ihres  langen  Aufent- 
haltes an  diesem  Flusse  angriffen,  dazu  trugen  noch  des  Verf.'s  Ansicht 
die  Nähe  von  Aliso,  die  beiden  dort  unter  Asprenas  stehenden  Legio- 
nen (?)  so  wie  die  geschützte  Verbindung  zwischen  Aliso  und  dem  Rheine 
bei.  Diese  Verbindung  mit  Aliso  wurde  hergestellt  durch  eine  Strafse 
über  Wiedenbrück  und  Gütersloh,  die  bei  Bielefeld  die  Bergkette  durch- 


7.   Zeit  der  Julier,  Claudier,  Flavier  und  Antonine.  145 

brach.  Das  Sommerlager  selbst  war  bei  Varenholz.  Hier  würden  Nach- 
grabungen wohl  Reste  der  römischen  Umwallungen  ergeben.  Es  war 
so  fest,  dafs  die  Deutschen  nicht  wagten,  es  anzugreifen,  sondern  war- 
teten, bis  die  Römer,  vom  Sommerlager  abziehend,  ihre  feste  Stellung 
in  demselben  aufgaben.  Da  Varus  nach  Süden  eine  feste  Strafse  besafs, 
so  mufste  Armin  es  fertig  zu  bringen  suchen,  dafs  er  nicht  nach  Süden 
zog;  dies  war  der  Zweck  der  Scheinempörung.  Zugleich  mufste  sich 
aber  der  Marsch  gegen  die  Empörer  mit  dem  Abmarsch  zum  Rheine 
vereinigen  lassen,  da  Varus  nicht  gewagt  hätte,  bei  Beginn  des  Spät- 
herbstes in  unbekannte,  abgelegene  und  unsichere  Gegend  mit  dem  ganzen 
Heere  zu  marschieren.  Dies  traf  nur  zu,  wenn  die  empörten  Völker 
westlich  vom  Sommerlager  wohnten.  Zu  diesem  Zuge  konnte  Varus  sich 
um  so  mehr  entschliefsen,  wenn  er  etwa  von  dem  Sommerlager  die  Ver- 
bindung mit  der  Heerstrafse  von  Vetera  nach  Amisia  bei  Bentheim  her- 
stellen wollte.  Der  Verf.  will  in  den  im  Dosen-Moore,  bei  Vörden  und 
Ueffeln  aufgefundenen  Resten  alter  römischer  Bohlen-Wege  Spuren  der 
von  Varus  vorbereiteten  Strafsenzüge  erkennen.  Die  Cherusker  können 
sich  nur  in  den  Moorgegenden  zwischen  Weser,  Hase  und  Hunte  ge- 
sammelt haben.  Varus  hatte  zunächst  das  leichthügelige  Gebiet  zwischen 
Varenholz  und  Bünde  und  dabei  den  Flufslauf  der  Werre  zu  passieren; 
das  erste  Nachtlager  war  in  der  Gegend  von  Bünde,  jenseits  der  Werre. 
Durch  Aufstauung  ihrer  Wassermassen  wurde  die  ganze  Niederung  unter 
Wasser  gesetzt  und  durch  Abreifsen  der  Brücken  den  Römern  der  Rück- 
marsch zum  Sommerlager  oder  eine  Wendung  nach  Süden  unmöglich 
gemacht  Nun  blieb  den  Römern  nur  noch  ein  Weg  gegen  Westen  d,  h. 
das  Durchdringen  zum  Emsflusse  und  zu  dessen  gesicherten  linksseitigen 
Landstrecken.  Der  nächste  Weg  zur  Ems  führt  von  Bünde  aus  auf 
jene  Berge,  aus  welchen  weithin  sichtbar  die  Dietrichsburg  (Teutoburg) 
emporragte,  nach  der  Tacitus  den  saltus  Teutoburgensis  genannt  hat. 
An  diese  Teutoburg  knüpft  der  Verf.  phantastische  Betrachtungen  über 
die  Höhe  der  Kultur  unserer  Vorfahren.  Die  ganze  Combination  ist  ein 
sehr  schwacher  Punkt  der  Schrift;  diese  Burg  war  »höchstwahrschein- 
lich Besitz  und  Wohnsitz  des  arminischen  Fürstengeschlechts«,  zu  dem 
»das  Wittekindische  Geschlecht  wahrscheinlich  in  einer  direkten  Nach- 
kommenschaft stand«.  Von  dieser  Stelle  aus  haben  sich  die  germani- 
schen Heerführer  durch  Feuerzeichen  während  der  Nacht  und  optische 
Signale  am  Tage  verständigt  und  benachrichtigt.  Armin  liefs  zunächst 
die  Besatzung  des  Sommerlagers  niedermachen,  die  Varus  zurückgelassen 
hatte,  und  dieses  selbst  besetzen,  damit  Asprenas  nicht  zu  Hülfe  kommen 
konnte.  Der  Angriff  auf  das  erste  Nachtlager  des  Varus  bei  Bünde  er- 
folgte vor  dem  Aufbruche  der  Römer  von  Norden  her;  durch  ihn  wurde 
Varus  in  Unordnung  nach  Süden  und  in  die  Bruchgegendeu  südwestlich 
von  Bünde  gedrängt  (Winne-Brook  =  Siegestal).  Die  Legionen  mufsten 
sich  nun  über  Buer  in  die  Berglandschaft  der  Dietrichsburg  wenden,  um 

Jahresbericht  für  Alterthumswissenschaft.  LXIV.  Bd.  (1890  UI.)  10 


146  Römische  Geschichte  uud  Chronologie. 

die  flache  Moorebene  nördlich  des  Wiehengebirges  vermittels  des  Passes 
bei  Oster-Cappeln  oder  Engter  wieder  zu  gewiiinen.  Die  Verschanzungen 
des  zweiten  Lagers  will  der  Verf.  auf  einer  Berghöhe  »Wagenhorst«  bei 
Oberholsteu  erkennen;  die  Beweise  sind  aber  mindestens  sehr  unsicher. 
Am  dritten  Tage  stiegen  die  Legionen  am  westlichen  Abhänge  der  Wagen- 
horst hinab,  wo  sie  im  Thale,  dem  Laufe  des  Opkebaches  folgend,  zwischen 
Fledder  und  Dören,  den  Lehmhorst  südlich  lassend,  unterhalb  des  nach 
Norden  gelegenen  »dicken  Thumhorst«  auf  die  »Oberheide«  kamen  und 
dann  über  Jöstinghausen,  Hitzhausen,  Caldenhof  bei  Oster-Cappeln  die 
Bergschlucht  passierten,  durch  letztere  endlich  in  die  erstrebte  Ebene 
jenseits  der  Bergkette  kamen;  das  dritte  Nachtlager  ist  in  der  Gegend 
des  Dorfes  Venne  zu  vermuten.  Der  nächste  Marsch  führt  durch  eine 
weite  trockene  Ebene  bei  dem  Landgute  Niewedde  über  Ueffeln  oder 
über  Vörden  an  die  Ems.  In  der  Ebene,  ungefähr  zwei  Stunden  west- 
lich von  Venne,  zwischen  Vörden  und  der  Bergkette  bei  Engter,  auf 
dem  »Witte-  oder  Wyks-Feideo  erfolgte  die  Katastrophe.  Doch  pflanzte 
sich  der  Kampf  mit  einzelnen  römischen  Heeresabteilungen  in  den  Berg- 
gegenden südlich  des  Wittefeldes  und  nördlich  von  Osnabrück  über  ein 
gröfseres  Terrain  fort. 

Die  Spitze  der  Angriffe  des  Germanicus  ist  stets  gegen  die  Che- 
rusker gerichtet,  welche  westlich  der  Weser  bis  zu  den  jenseits  der 
Hase  zwischen  Meppen  und  der  Stadt  Rheine  gelegenen  Bruchgegenden 
ausdehnten,  andererseits  von  den  Mooren  am  Dümmer-See  uud  den  Ebe- 
nen des  Münsterlandes  und  der  Senner  Heide  eingeschlossen  waren.  Dafs 
Germanicus  stets  den  Versuch  machte,  von  Norden  aus  in  dieses  Land 
einzudringen,  erklärt  sich  nach  des  Verf.'s  Ansicht  nur  dadurch,  dafs 
das  Bergland  gegen  Angriffe  von  Süden  her  durch  zahlreiche  starke 
Festungen  geschützt  war  Deshalb  liefs  Germanicus  durch  die  Moor- 
gegenden die  unter  dem  Namen  pontes  longi  bekannten  Bohlenwege  an- 
legen. Der  Verf.  hat  es  nicht  unterlassen,  eine  Anzahl  seiner  Ansicht 
nach  cheruskischer  Burgen  aufzuführen  Germanicus  und  seine  Feld- 
züge werden  von  dem  Verf.  mit  grofser  Antipathie  behandelt,  was  sie 
schwerlich  verdienen;  der  »tapfere  Prinz«  erscheint  alle  Augenblicke, 
und  seine  Siege  sind  lauter  Niederlagen. 

Die  übrigen  Teile,  die  sich  mit  Armin  und  seiner  Familie  und 
der  Verherrlichung  der  deutschen  Thatkraft  befassen,  kommen  für  die 
eigentliche  Frage  nicht  in  Betracht. 

Auch  in  dieser  Arbeit  hat  nur  das  Wert,  was  der  Autopsie  und 
der  Lokalkenutnis  entnommen  ist  Sonst  ist  vielfach  »Dichtung  und 
Wahrheit«  gemischt. 

Paul  Höfer,  Die  Varusschlacht,  ihr  Verlauf  und  ihr  Schauplatz. 
Leipzig  1888. 

Im  ersten  Teile  bespricht  der  Verf.  die  Quellen  über  die  Gegend 
der  Varusschlacht.     In  steter  Polemik   gegen  Mommsen  gelangt  er  zu 


7.   Zeit  der  Julier,  Claudier,  Flavier  und  Antonine.  147 

folgenden  Ergebnissen.  Die  Schlacht  hat  sich  jeuseit  Aliso,  vom  Rhein 
aus  gerechnet,  zugetragen,  also  östlich  oder  nordöstlich  oder  süd- 
östlich von  diesem  Platze.  An  der  Ostgrenze  der  Brukterer,  also  im 
Quellgebiete  der  Ems  und  Lippe  stehend,  raufste  man  sowohl  von  der 
Emsstrafse  als  auch  von  der  Lippestrafse  dorthin  gelangen  können ;  das 
Vordringen  war  aber  mit  Schwierigkeiten  verbunden.  Schon  aus  diesen 
Bestimmungen  läfst  sich  mit  grol'ser  Wahrscheinlichkeit  erkennen,  dafs 
das  Gebirge,  hinter  welchem  das  Schlachtfeld  lag,  in  der  östlichen  Ver- 
längerung der  Lippe-  und  der  Emsstrafse  lag.  Denn  wollte  man  glau- 
ben, es  habe  südlich  von  der  Lippe  gelegen  im  Haarstrang  oder  an  der 
Möne,  so  müfste  mau  zugestehen,  dafs  Germanicus,  bei  seinem  Feldzuge 
gegen  die  Chatten  und  besonders  bei  seiner  Befreiung  des  Sogest,  dieser 
Örtlichkeit  viel  näher  gekommen  sein  würde,  als  bei  dem  Feldzuge  ent- 
lang der  Ems.  Dasselbe  würde  der  Fall  sein,  wenn  man  die  Sumpf- 
und  Waldgegend  bei  Beckum,  die  zwischen  Ems  und  Lippe  liegt,  für 
den  Teutoburgiensis  saltus  halten  wollte.  In  beiden  Fällen  würde  fer- 
ner der  Rückmarsch  vom  Schlachtfelde  im  Jahre  15  sich  anders  ge- 
staltet haben,  als  er  ann.  l,  63  ff.  erzählt  wird.  Caecina,  der  sein  Heer 
auf  dem  Landwege  nach  Vetera  und  Köln  bringen  sollte,  würde,  falls 
das  Scl)lachtfeld  südlich  der  Lippe  lag,  die  Lippestrafse  eher  erreicht 
haben  als  die  Ems,  und  zwar  noch  mit  Germanicus  vereinigt.  Lag  das 
Schlachtfeld  nördlich  der  Lippe,  bei  Beckum,  so  war  ihm  ebenfalls  die 
Lippestrafse  leicht  erreichbar;  denn  die  Beckumer  Berggegend  liegt  nur 
eine  Meile  von  derselben  entfernt;  auch  in  diesem  Falle  würde  er  nicht 
erst  au  die  Ems  mit  marschiert  sein,  und  falls  er  dennoch  das  Heer 
des  Germanicus  bis  zur  Ems  begleitet  hätte,  so  hätte  er  bei  dem  Rück- 
marsch zur  Lippestrafse  nicht  auf  einen  halb  verfallenen,  lange  Zeit 
unbenutzten  Weg  (des  Domitius)  zu  gerathen  brauchen,  sondern  er  konnte 
denselben  Weg  wählen,  welchen  er  soeben  mit  dem  gesamten  Heere 
passiert  hatte.  Die  Lippestrafse  selbst  aber  hatte  Caecina  erst  im  Früh- 
jahre desselben  Jahres  wiederholt  beschritten,  als  er  dem  gegen  die 
Chatten  operierenden  Germanicus  den  Rücken  gegen  die  Cherusker  und 
Marsen  deckte  oder  den  Segestes  befreite.  Auch  hier  konnte  er  den 
verfallenen  Weg  des  Domitius  nicht  antreffen.  Die  Situation  des  Cae- 
cina auf  seinem  Rückmarsche  von  der  Ems  zur  Lippe  (oder  nach  Vetera) 
verbietet  also,  das  Schlachtfeld  südlich  der  Lippe  oder  zwischen  Lippe 
und  Ems  anzujetzten;  ebenso  macht  der  Umstand,  dafs  Caecina  und 
Germanicus  wiederholt  in  dieser  Gegend  operiert  hatten,  ohne  in  die 
Nähe  des  Varusschlachtfeldes  zu  kommen,  beide  Annahmen  unmöglich. 
Nur  das  östliche  Gebirge,  der  Teil  des  Osnig  zwischen  dem  Bielefelder 
und  dem  Altenbekener  Passe,  auf  welches  die  Lippe-  und  die  Ems- 
strafse in  ihrer  Verlängerung  führen,  entspricht  genau  allen  Angaben 
über  die  Lage  des  Teutoburgiensis  saltus  und  den  damit  in  Verbindung 
stehenden   historischen  Vorgängen.     Aufser   diesem  Theile  des  Gebirges 

10* 


148  Römische  Geschichte  und  Chronologie. 

kann  nur  noch  die  westliche  Fortsetzung  zwischen  Bielefeld  und  Iburg, 
also  der  nördlich  von  der  Ems  gelegene  Teil  des  Osnig  in  Betracht 
kommen,  aber  nur  dann,  wenn  Aliso  so  weit .  westlich  lag,  dafs  von  die- 
sem Gebirge  die  nächste  Verbindung  mit  dem  Rhein  ebenfalls  über  Aliso 
führte,  etwa  bei  Haltern.  Die  Unmöglichkeit  einer  solchen  Lage,  nur 
fünf  Meilen  vom  Rhein  entfernt,  ergiebt  sich  aus  der  Länge  des  Mar- 
sches, welchen  die  flüchtige  Besatzung  (im  Winter  9/10)  zu  machen 
hatte,  ferner  aus  dem  Umstände,  dafs  Asprenas  den  Eingeschlossenen 
nicht  zuhilfe  kam,  obwohl  ihn  kein  feindliches  Heer  daran  hinderte.  Dafs 
Aliso  nur  an  der  oberen  Lippe  gelegen  haben  kann,  sucht  der  Verf.  im 
zweiten  Teile  »Aliso«  zu  erweisen.  Er  untersucht  den  Bericht  über  die 
Gründung  und  entnimmt  diesem,  dafs  der  Ort  nahe  dem  Cheruskerlande 
d.  h.  an  der  oberen  Lippe  so  weit  östlich  wie  möglich  gesucht  werden 
müsse.  Alsdann  widerlegt  er  die  Einwendungen ,  welche  im  Interesse 
anderer  Hypothesen  gegen  diese  Lage  vorgebracht  wurden;  dieselben 
zerfallen  teils  in  nichts,  zum  Teil  beruhen  sie  auf  irrtümlichen  Voraus- 
setzungen. Endlich  zieht  er,  an  der  Lippe  aufwärts  gehend,  alle  Punkte 
in  Betracht,  welche  bisher  für  Aliso  vorgeschlagen  sind;  denn  mit  den 
bisherigen  Vorschlägen  ist  auch  die  Reihe  der  Möglichkeiten  erschöpft. 
Keiner  entspricht  so  den  Angaben  wie  der  Ort  Neuhaus  an  der  Lippe- 
Alme-Münduug.  Denn  von  ihm  gilt  das  acpiaiv  imzEiyJaat^  das  Winter- 
lager ad  Caput  Lupiae,  es  ist  der  äufserste  Punkt  römischer  Befesti- 
gungen (cuncta  inter  castellura  Alisonem  ac  Rhenum  novis  limitibus 
aggeribusque  permunita),  der  Name  Aliso -Elsen,  '£-^«Ta>v- Eller;  seine 
Lage  ist  unangreifbar,  es  wird  nach  den  Operationen  gegen  die  Cherus- 
ker aufs  neue  besetzt,  der  LTnwille  der  Cherusker  über  neue  Kolonieen, 
endlich  die  Richtung  der  alten  Strafsen  von  Mainz,  Köln,  Vetera.  Wenn 
aber  Aliso  an  dieser  Stelle  zu  suchen  ist,  dann  ist  auch  der  Lippische 
Wald  als  Teutoburgiensis  saltus  mit  voller  Bestimmtheit  erwiesen. 

Im  dritten  Teile  werden  die  Münzfunde  von  Barenau  kritisiert. 
Der  Verf.  bringt  eine  Reihe  erheblicher  Einwände  gegen  Mommsen  vor 
und  gelangt  zu  dem  Ergebnisse:  Es  geht  also  nicht  an,  die  Münzfunde 
bei  Vennen,  Barenau  u.  s.  w.  als  die  Spuren  einer  römischen  Niederlage 
anzusehen.  Höfer  ist  eher  geneigt  anzunehmen,  dafs  die  Auffindung  der 
Münzen  auf  einem  weiten  Räume,  ohne  andere  Metallreste,  speciell  ohne 
andere  römische  Spuren  aus  einem  feindlichen  Überfall  einer  Hütten-An- 
siedluug  mit  Mord,  Plünderung  und  Brand  zu  erklären  sei.  Da  er  der 
Ansicht  ist,  dafs  die  Gegend  imi  Barenau,  in  welche  Mommsen  das  Va- 
russchlachtfeld verlegte,  in  das  Angrivarengebiet  gehört,  so  will  er  jenen 
Überfall  mit  Brand  und  Mord  dem  Stertinius  (ann.  2,  8)  zuschreiben, 
der  auch  noch  einmal  nachher  gegen  sie  Krieg  führte.  Das  Geld  der 
erschlagenen  Angrivaren,  das  unter  der  Asche  der  verbrannten  Hütten 
liegen  blieb,  ist  es,  welches  hin  und  wieder  zutage  kommt.  Sehr  wahr- 
scheinlich  ist   gerade    diese   Darstellung  des   Hergangs   nicht,   wenn  sie 


7.    Zeit  der  Julier,  Claudier,  Flavier  und  Antonine.  149 

auch  nicht  als  unmöglich  bezeichnet  werden  kann.  Lesenswert  ist  in 
diesem  Abschnitt  auch,  was  der  Verf.  über  die  eine  grofse  Rolle  spie- 
lenden Bohlbrücken  sagt. 

Der  vierte  Teil  erörtert  die  »Quellen  zur  Varusschlacht«.  Der 
Verf.  stellt  sich  hier  auf  den  Standpunkt  von  Schierenberg  und  von 
Ranke,  indem  er  Florus,  Velleius,  Frontin  und  Tacitus  allein  als  Quellen 
berücksichtigen  will  und  den  Bericht  des  Dio  völlig  verwirft.  In  aus- 
führlicher Untersuchung  vergleicht  er  den  Inhalt  der  einzelnen  Quellen 
und  betont  besonders  die  unlösbaren  Widersprüche,  welche  Dio  mit  den 
Angaben  der  älteren  römischen  Schriftsteller  enthält.  Dieser  Teil  ist 
nicht  von  Willkürlichkeiteu  frei,  und  insbesondere  für  den  Vorschlag  das 
taciteische  prima  Vari  castra  als  dasjenige  Lager  aufzufassen,  »welches 
Varus  ursprünglich  inne  gehabt« ,  wird  der  Verf.  keine  grofse  Zustim- 
mung erwarten  dürfen. 

Nach  diesem  Ergebnisse  der  Quellenkritik  wird  im  fünften  Teile 
»der  wahre  Hergang  der  Varusschlacht«  geschildert.  Danach  standen 
die  Cherusker  in  einem  Bundesgenossenverhältnisse  zu  den  Römern,  das 
Varus  in  ein  tributäres  umwandeln  wollte,  indem  er  zugleich  die  höchste 
Gerichtsbarkeit  für  sich  beanspruchte.  In  diesem  Versuche,  servitus  an 
Stelle  des  Bündnisse  zu  setzen,*  erkannten  die  Cherusker  Bruch  des 
Bündnisses  und  Mifsbrauch  des  Vertrauens:  die  Römer  waren  fortan 
ihre  Feinde.  Die  Cherusker,  von  Armin  beraten,  beschlossen,  sich  des 
Varus,  der  durch  Vertrauensbruch  eine  feste  Stellung  mit  gesicherten 
Verbindungen  mitten  in  ihrem  Lande  erlangt  hatte,  so  rasch  als  mög- 
lich zu  entledigen.  Man  baute  den  Plan  dazu  auf  die  Unvorsichtigkeit 
des  Varus,  Zuhörer  und  Zuschauer  zu  seinen  Oerichtssitzungen  zuzu- 
lassen. Indem  die  Germanen  auch  ihre  eigenen  Rechtshändel  dem  Statt- 
halter zur  Entscheidung  vortrugen,  verführten  sie  ihn  zu  der  höchsten 
Sorglosigkeit.  Er  berief  entweder  selbst  die  Cherusker  zusammen  oder 
entbot  ihre  regelmäfsige  Versammlung  vor  seinen  Richterstuhl,  in  der 
die  Männer  bewaffnet  zu  erscheinen  pflegten.  Bei  dieser  Gelegenheit 
sollte  der  Überfall  ausgeführt  werden.  Trotz  der  Warnung  des  Segest 
zögerte  Varus  mit  der  Verhaftung  Armins  und  hielt  am  Tage  nach  der 
Warnung  einen  Gerichtstag  ab.  Bei  dem  Heroldsrufe  stürzten  sich  die 
Germanen  auf  die  römischen  Offiziere,  töteten  die  drei  Legaten  und  ver- 
wundeten Varus;  bald  war  das  Lager  genommen.  Man  kann  dem  Verf. 
zugeben,  dafs  er  gezeigt  hat,  wie  viel  die  Überlieferung  wert  ist;  aber 
dafs  er  ein  wahrscheinliches  Bild  des  Hergangs  geschaffen  habe,  kann 
man  nicht  behaupten.  Ungefähr  30,000  Mann  standen  in  dem  Lager. 
Wenn  man  nun  auch  es  für  möglich  hält,  dafs  die  Cherusker  dem  Ge- 
richtstage beiwohnten,  wenn  man  auch  annehmen  will,  dafs  keinerlei 
Vorsichtsmafsregeln  für  eine  so  grofse  Versammlung  getroffen  gewesen 
seien  —  lauter  Unwahrscheinlichkeiten  —  wie  soll  man  es  für  möglich 
halten,  dafs    vonseiten    der  römischen   Soldaten    gar  kein  Versuch  ge- 


150  Römische  Geschichte  und  Chronologie. 

macht  wurde,  die  Letzteren,  die  doch  im  besten  Falle  nur  einige  Tau- 
send waren,  niederzumachen  oder  aus  dem  Lager  zu  vertreiben?  Wo 
waren  diese  30,000  Mann  unterdessen?  Gaben  sie  ohne  Bedenken  das 
sichere  Lager  für  eine  unsichere  Flucht  auf?  Und  der  Verf.  nimmt 
doch  selbst  an,  dafs  Varus  noch  einen  Teil  der  Truppen  gesammelt  und 
aus  dem  Lager  geführt  habe.  Kurz  die  Zahl  der  Unmöglichkeiten, 
mindestens  aber  der  Unwahrscheinlichkeiten  ist  so  grofs,  dafs  wohl 
wenige  Leute  sich  entschliefsen  werden,  diesen  Hergang  als  den  wirk- 
lichen anzunehmen.  Es  geht  dem  Verf.  eben,  wie  bis  jetzt  so  ziemlich 
allen,  die  es  unternommen  haben,  aus  den  Quellen  den  wirklichen  Vor- 
gang in  Einzelheiten  darstellen  zu  wollen;  es  fehlt  hierzu  an  jedem  An- 
halt. Die  negative  Kritik  ist  immer  das  wertvollste  an  diesen  Unter- 
suchungen, da  sie  allmählich  den  Kreis  der  Möglichkeiten  immer  mehr 
einengt.  Diejenigen  werden  recht  behalten,  welche  behaupten,  dafs  ohne 
eine  sorgfältige  Beschreibung  und  Zusammenstellung  aller  Funde  und 
ohne  neue  wichtige  Funde  ein  endgiltiges  Ergebnis  nicht  zu  erreichen 
ist.  Der  Verf.  hat  gerade  nach  der  letzterwähnten  Richtung  sich  un- 
zweifelhaft Verdienste  erworben.  Seine  Sammlungen  von  Münzfunden 
sind  recht  verdienstlich,  und  auch  der  sechste  und  letzte  Teil  seiner 
Schrift  »Erforschung  des  Schauplatzes«  darf  in  dieser  Richtung  nicht 
übersehen  werden.  Als  Ergebnis  der  früheren  Kapitel  stellt  der  Verf. 
den  Satz  auf:  der  Schauplatz  der  Varusschlacht  mufs  in  der  östlichen 
oder  nordöstlichen  Verlängerung  des  Raumes  gesucht  werden,  welcher 
zwischen  der  oberen  Ems  und  der  oberen  Lippe  liegt.  Um  nun  die 
Stätte  zu  bestimmen,  schlägt  der  Verf.  Nachgrabungen  vor.  Von  Münz- 
funden allein  erwartet  er  nicht  viel  Aufklärung.  Dagegen  hat  man  im 
Lippeschen  Walde  menschliche  Gebeine,  Waffen  und  Münzen  gefunden, 
und  nach  solchen  vereinigten  Fundzeugnisseu  müfste  zielbewufst  ge- 
forscht werden.  Dazu  kann  die  Kenntnis  der  alten  Strafsenzüge  hülf- 
reich werden.  Der  Verf.  stellt  eine  Anzahl  von  Fundberichten  aus  dem 
Lippischen  zusammen  und  deduciert  aus  der  Vergleichung  der  alten 
Strafsenzüge,  das  Sommerlager  des  Varus  sei  an  der  von  Aliso  durch 
die  Dörenschlucht  führenden  Strafse  gelegen  gewesen,  und  zwar  in  der 
Gegend  von  Heerse  gegenüber  von  Schötmar,  genauer  auf  der  Strecke 
zwischen  Heerse  bis  Iggenhausen  und  Pottenhausen  (allenfalls  bis  Lage) 
wahrscheinlich  auf  der  linken  Seite  der  Werre;  das  ist  eine  Strecke  von 
3/4  Meilen  Länge.  Hier  hat  man  einen  Bohlweg  gefunden,  ein  römisches 
Schwert  und  einen  Steinmeifsel,  am  Ausgange  des  Thaies  Römermün- 
zen aus  der  Zeit  des  Augustus;  auch  der  Name  »in  den  Welschen«  weist 
auf  römischen  Zusammenhang.  Hier  hält  der  Verf.  weitere  Nachgra- 
bungen für  angezeigt.  Von  der  Expedition  des  Germanicus  entwirft  er 
folgendes  Bild.  Caecina  wurde  von  der  oberen  Ems  bei  Rietberg  vor- 
ausgeschickt, um  den  Weg  zur  Unglücksstätte  zu  ermitteln,  die  Strafse 
auch  für  Reiterei  und  Wagenpark  zugänglich  zu  machen  und  Mafsregeln 


7.    Zeit  der  Julier,  Claudier,  Flavier  und  Antonine.  1 5 1 

gegen  etwaige  Überraschungen  zu  ergreifen.  Da  die  Absicht  war,  die 
Gebeine  der  Gefallenen  zu  bestatten,  mufste  man  den  Weg  der  Schlacht 
und  der  Flucht  von  Anfang  bis  zu  Ende  verfolgen.  Caecina  mufste  des- 
halb zunächst  den  Weg  bis  zum  Varuslager  herstellen,  und  schon  hier 
wird  er  Brücken  und  Dämme  über  Sümpfe  und  trügerische  Felder  haben 
legen  müssen..  Denn  zwischen  dem  Pafs  und  der  Werre  befindet  sich 
noch  jetzt  der  Mackenbruch,  der  Ehlenbruch,  die  Geesterlacke,  die  Sumpf- 
niederung bei  Heipke.  Der  Weg  vom  Gebirge  bis  zum  Unglückslager 
ging  nach  Nordosten  und  betrug  etwa  eine  Meile.  Hier  traf  man  die 
alte  Strafse  von  der  Weser  nach  Aliso.  Indem  man  die  deutlichen 
Spuren  des  Kampfes  und  der  Flucht  nach  Süden  zu  durch  offenes  Feld 
verfolgte,  näherte  man  sich  wieder  dem  Gebirge,  welches  von  Nord- 
westen nach  Südosten  streicht,  und  traf  nach  l^/a  Meilen  bei  den  ge- 
nannten Sümpfen  (in  der  Gegend  von  Stapelage)  die  zweite  Verschan- 
zung. Die  Untersuchung  des  Gebirges  hatte  ergeben,  dal's  mau  von 
diesem  Punkte  in  iVa  Stunden  zu  dem  Pafs  von  Örlinghausen  und  auf 
die  dortige  Strafse  zurückkehren  könne,  wenn  man  durch  jenes  sumpfige 
Thal  zwischen  Tönsberg  und  Barkliauser  Berg  »in  den  Welschen«  einen 
Weg  herstellte.  Diesem  Zwecke  verdankte  der  Bohlweg  seine  Entstehung, 
der  besonders  für  die  Reiterei  und  den  Wagentrofs  berechnet  war.  Ich 
möchte  mir  die  Frage  erlauben,  ob  es  wohl  wahrscheinlich  ist,  dafs 
Caecina,  um  dem  Heere  einen  Umweg  von  2V3  Meilen  zu  ersparen,  einen 
Bohlweg  herstellte,  der  mindestens  einige  Tage  zu  seiner  Herstellung 
erforderte?  Der  Kampf,  den  Caecina  bei  seinem  Rückmarsch  über  die 
pontes  longi  des  Domitius  zu  bestehen  hatte,  trug  sich  zwischen  der 
Ems  und  der  Lippestrafse  zu,  wahrscheinlich  zwischen  Rietberg  und 
Liesborn  oder  zwischen  Wiedenbrück  und  Dolberg.  Ähnlich  wie  Schie- 
renberg  verwendet  auch  Höfer  die  Edda  zur  Bestätigung  seiner  Hypo- 
thesen: die  Gnitaheide,  wo  Sigard  den  Fafnir  erschlug,  erkennt  er  in 
der  Knetterheide,  die  von  dem  isländischen  Abte  Nicolaus  damit  in  Ver- 
bindung gebrachten  Orte  Horns  und  Kilian  findet  er  in  dem  Orte  Hören- 
trup  und  Schötmar  bei  Heerse,  auch  er  erblickt  in  der  Sage  die  Nieder- 
schläge des  Kampfes  der  Germanen  gegen  die  Römer. 

In  einem  Anhange  wird  einzelnes  begründet,  sonst  hauptsächlich 
Polemik  geübt  gegen  dem  Verf.  entgegentretende  Ansichten,  besonders 
gegen  Mommsen  und  Zangemeister.  xVuch  einige  Einwände,  die  ich 
Jahrb.  1885,  262  ff.  erhoben  habe,  werden  piquiert  zurückgewiesen.  Doch 
haben  mich  die  Gegengründe  nicht  überzeugt.  1)  Glaube  ich  auch  jetzt 
noch  nicht,  dafs  bei  militärischen  Expeditionen  Worte  wie  Caesar 
transgressus  Visurgim  auf  den  Übergang  des  Einzelnen,  hier  des 
Germanicus,  bezogen  werden  können,  sondern  ich  behaupte,  dafs  hier 
unbedingt  an  das  Heer  gedacht  werden  mufs.  2)  Auch  die  Anführung 
Frontins  2,  3,  23  beweist  nicht,  dafs  Germanicus  die  Reiterei  zur  Nacht- 
zeit in  unbekanntem  Hochwalde  bergan  vorgehen  liefs;  seine  Notiz 


152  Römische  Geschichte  und  Chronologie. 

bestätigt  nur,  dafs  die  Verwendung  der  Reiterei  zu  Fufs  ein  singu- 
läres  Ereignis  war;  sonst  hätte  Froutin  nicht  die  Mafsregel  des  Augustus 
als  etwas  Besonderes  angeführt.  Aber  das  erwähnt  er  nicht,  dafs  die 
Reiterei  durch  den  Hochwald  auf  den  Kamm  des  Gebirges  reiten 
mufste;  in  solchen  Fällen  hätte  Froutin  jedenfalls  nicht  etwas  Singuläres, 
sondern  etwas  Unerhörtes  gefunden.  3)  Der  Verf.  entnimmt  aus  den 
Worten  Tacitus  anu.  2,  16  editis  in  altum  ramis  et  pura  humo  inter 
arborura  truncos,  mein  Einwand,  dafs  auch  der  Hochwald  Unterholz 
enthalte,  sei  gegeustandlos.  Germanicus  konnte  aber  doch,  als  er  die 
Reiterei  zur  Nachtzeit  absandte,  gar  nicht  wissen,  wie  die  Situation 
im  Innern  des  Waldes  war;  dies  enthüllte  sich  erst  später;  ein  Feldherr 
in  Germanien  mufste  aber  doch  auch  auf  Unterholz  gefafst  sein.  Denn 
wie  Tacitus  ann.  2,  14  zeigt,  waren  nach  Germanicus  eigener  Ansicht 
enata  humo  virgulta  im  germanischen  Walde  etwas  Gewöhnliches,  ja 
Regelmäfsiges. 

So  ist  auch  diese  Schrift  da,  wo  sie  lokale  Anschauung  verwertet 
und  Zusammenstellung  von  Funden  liefert,  wertvoll ;  dagegen  wird  man 
die  positiven  Konstruktionen  nur  mit  gröfster  Vorsicht  aufnehmen  dürfen. 
Eine  Lösung  der  Frage,  wo  das  Varusschlachtfeld  zu  suchen  sei,  bringt 
sie  in  unbedingt  überzeugender  Weise  auch  nicht. 

Otto  Dahm,  Die  Hermannschlacht.     Vortrag  gehalten  im  Februar 
1886  im  Geschichtsverein  zu  Hanau.     Hanau  1888. 

Der  Verf.  hat  schon  die  Hauptpunkte  im  Jahre  1886  veröffentlicht 
(Jahresb.  1887,  312).  In  dieser  Schrift  werden  ausführlichere  Entwick- 
lungen gegeben. 

v.  Sondermühlen  verlegte  die  Schiacht  zwei  Meilen  nöi'dlich  von 
Osnabrück  auf  das  sogenannte  Wittefeld,  Mommsen  in  die  unmittelbare 
Nachbarschaft  des  von  jenem  angenommenen  Schlachtfeldes.  Der  Verf. 
rekognoscierte  im  Jahre  1885  die  ganze  in  Frage  kommende  Gegend 
(Egge-Gebirge  und  die  lippischen  Berge,  die  Gegend  von  Detmold,  Hörn, 
Paderborn,  Elsen,  Lippstadt  und  Haltern,  den  Lauf  der  Ems,  die  Senne, 
die  Dören-  und  die  Bielefelder  Schlucht,  das  Flufsgebiet  der  Werre,  Ala, 
Hase  und  Else,  sowie  endlich  die  Umgegend  von  Rehme,  Minden,  ßücke- 
burg  und  Osnabrück).  Dabei  fiel  ihm  namentlich  auf,  wie  wenig  die 
meisten  Forscher  bei  ihren  Hypothesen  der  Beschaffenheit  des  in  Frage 
kommenden  Terrains  Rechnung  getragen  haben.  Bei  der  Beschaffenheit 
der  germanischen  Wege  ist  nur  denkbar,  dafs  die  Züge  der  Römer  fast 
ausschliefslich  in  den  Flufsthälern  erfolgten.  Hält  man  dies  fest,  so  ist 
die  Zahl  der  möglichen  Marschlinien  sehr  beschränkt.  Der  Verf.  giebt 
alsdann  eine  kurze  Darstellung  über  die  Beziehungen  der  Römer  und 
Germanen  und  stellt  die  Quellennachrichten  zusammen,  unter  denen  er 
Dio  die  gröfste  Bedeutung  beilegt.  Der  Weg  von  der  oberen  Lippe  zur 
Weser   führte  nach  der  Werremündung,   und  hier  ist  das  Sommerlager 


7.  Zeit  der  Julier,  Claudier,  Flavier  und  Antonine.  153 

des  Varus  zu  suchen;  doch  kann  es  auch  bei  Vlotho,  Varenholz  oder 
noch  eine  Strecke  weiter  aufwärts  gewesen  sein.  Von  hier  richtete  nun 
Varus  seinen  Zug  in  die  Gegend  von  Barenau;  bezüglich  des  Ortes  der 
Katastrophe  stimmt  Dahm  Mommsen  bei,  obgleich  er  Einzelheiten  nicht 
anerkennen  kann.  Aliso  sucht  der  Verf.  am  unteren  Laufe  der  Lippe, 
weder  an  der  Glenne-Mündung,  noch  bei  Elsen.  Er  erwartet  hierüber, 
wie  über  den  Ort  der  Varusschlacht  von  systematischer  Durchforschung 
der  römischen  und  germanischen  Befestigungen  und  Strafsenzüge  weitere 
Aufklärung. 

PaulBaehr,  Die  Örtlichkeit  der  Schlacht  auf  Idistaviso.  Halle  1888. 

Der  Verf.  verlegt  mit  Knoke  die  Varusschlacht  in  die  Gegend  von 
Iburg.  Auch  darin  ist  er  mit  jenem  einverstanden,  dafs  Germanicus  von 
Iburg  nordostwärts  weiterzog  und  nach  Überschreitung  des  Wiehengebirges 
an  dessen  Nordrande  mit  Armin  kämpfen  mufste ;  dieser  Kampf  fand 
wahrscheinlich  in  der  Gegend  von  Lübbecke  statt,  während  Caecinas 
Kampf  wohl  in  der  Gegend  von  Barenau  zu  verlegen  ist.  Germanicus 
ging  über  Brägel  zurück,  während  Caecina  den  Weg  durch  und  um  das 
Dammer  Moor  einschlug.     Hier  wurde  er  von  den  Germauen  überfallen. 

Um  nun  zu  entscheiden,  ob  Idistaviso  auf  dem  rechten  oder  linken 
Ufer  der  Weser,  oberhalb  oder  unterhalb  der  Porta  zu  suchen  ist,  mufs 
man  den  Weg  nachweisen,  auf  dem  die  Römer  von  der  Ems  bis  zur 
Weser  marschiert  sind.  Germanicus  hatte  als  nächstes  gröfseres  Ziel 
die  Weser  zwischen  Minden  und  der  Porta  im  Auge;  die  Hauptrichtung 
des  Marsches  mufs  also  von  Nordwesten  nach  Südosten  gewesen  sein, 
wobei  man  das  Gebirgsland,  soweit  es  die  militärische  Situation  erlaubte, 
zu  vermeiden  suchte.  Die  Römer  zogen  auf  dem  rechten  Ufer  der  Ems 
bis  Lathen,  überschritten  dann  das  Dosen -Moor  bei  Sprakel,  drangen 
bis  Löningen  vor  und  marschierten  an  der  Hase  aufwärts  bis  Essen, 
wo  die  Flotte  höchstwahrscheinlich  den  Proviant  und  das  Armeematerial 
gelandet  hatte.  Von  diesem  Magaziuplatze  wird  Germanicus  über  das 
Daramer  Moor,  Hunteburg,  Levern,  Lübbecke  nach  Minden  gelangt  sein. 
Ein  kürzerer  Weg  wurde  bis  jetzt  nicht  in  Vorschlag  gebracht,  ist  auch 
wohl  nicht  gut  denkbar.  Den  Teil  bis  Essen  hatte  schon  Knoke  in 
Vorschlag  gebracht.  Dafs  der  Verf.  sich  ihm  für  die  Fortsetzung  des 
Weges  nicht  anschliefst,  dazu  bewegen  ihn  die  »unzweifelhaft  echten 
römischen  Brücken  (pontes  longi)  zwischen  Damme  und  Hunteburg,  die 
1887  gefunden  worden  sind«. 

Idistaviso  ist  die  Ebene,  welche  von  der  damals  in  Windungen 
sich  hinschlängelnden  Weser  zwischen  Porta  und  Minden  im  Westen 
und  von  den  Nammer  Bergen  und  dem  Hügelrücken,  auf  dem  Röcke 
liegt,  im  Osten  begrenzt  wird.  Der  Harri  würde  der  Wald  sein,  der 
sich  im  Rücken  noch  über  die  Hügel  erhob.  Die  römische  Schlacht- 
linie,   deren  Front  sich   nach  Südosten   richten  mufste,   lehnte   sich  mit 


154  Römische  Geschichte  und  Chronologie. 

dem  rechten  Flügel  an  die  Weser,  südlich  von  den  Befestigungen  (prae- 
sidiis)  an,  der  linke  Flügel  reichte  etwa  bis  Dankersen.  Die  Germanen 
hatten  ihre  Schlachtordnung  etwa  von  Lerbeck  bis  zur  Klus.  Zum 
Schlüsse  widerlegt  der  Verf.  noch  einige  Hypothesen  von  Knoke. 

Giebl  mau  dem  Verf.  zu,  dafs  Germanicus  als  Ziel  Minden  im 
Auge  hatte,  so  wird  man  seiner  Beweisführung  beitreten  müssen;  aber 
woher  weifs  man,  dafs  dies  in  der  That  der  Fall  war? 

Hettner,  Römische  Inschrift  aus  Trier.    Korr.-Bl.  d.  Westd.  Z.  7, 
166—173. 

Der  Verf.  hat  eine  Inschrift  entdeckt,  die  er  ergänzt:  |  pro  salute  ! 
L.  CAESARIS  AV(g.  f.  auguris.  cos.  design.)  PRINCIPIS  (inventutis). 
Sic  wäre,  wenn  die  Deutung  richtig  ist,  die  älteste  Trierer  Inschrift  und 
würde  beweisen,  dafs  die  römische  Neugründung  der  Stadt  noch  unter 
Augustus  erfolgte. 

Chr.  Hülsen,   Neues   Fragment   der   Arvalakten.     Berl.   philol. 

Wochenschr.   1889  S.  42. 

Einen  lehrreichen  Beitrag  zur  verfassungsmäfsigen  Regierung  des 
Tiberius  liefert  ein  1888  in  einer  Vigna  an  der  via  Flaminia  gefundenes 
Fragment  der  Arvalakten  aus  den  Jahren  20  und  21  n.  Chr.  Hier  steht 
in  der  Formel,  mit  welcher  der  magister  collegii  die  Jahresfeste  indi- 
ciert,  der  Name  des  Kaisers  erst  nach  dem  des  Priesterkollegiums,  wäh- 
rend er  sich  seit  Gaius  Caesar  an  erster  Stelle  befindet. 

Die  Abhandlung  von 

Dumeril,   Tibere.     Ann.   de  la  faculte  des  lettres   de  Bordeaux 
1888  No.  2 

ist  mir  nicht  erreichbar  gewesen. 

Fritz    Abraham,    Tiberius    und    Sejan.      Progr.  d.  Falk-Real-G. 
Berlin  1888. 

Der  Verf.  stellt  in  einer  kurzen  Einleitung  die  staatsrechtlichen 
Verhältnisse  beim  Tode  des  Augustus  dar.  Wie  Fürst  und  Senat  sich 
zu  einander  stellen  würden,  davon  hing  die  künftige  Entwicklung  ab. 
Da  hierbei  die  Person  des  ersteren  von  entscheidendem  Einflufs  war,  so 
giebt  Abraham  eine  Darstellung  der  persönlichen  Eigenschaften  des  Ti- 
berius. Wir  heben  daraus  hervor,  dafs,  wenn  die  Nachrichten  über 
spätere  Ausschweifungen  desselben  teilweise  begründet  sind,  letztere 
jedenfalls  keinen  Einflufs  auf  seine  Regcntenthätigkeit  geübt  haben.  So- 
dann wird  betont,  dafs  er  keine  oder  nur  geringe  Erfahrung  in  den 
inneren  Angelegenheiten,  sowie  in  den  Verhandlungen  mit  dem  Senat 
gehabt  habe. 


7.  Zeit  der  Julier,  Claudier,  Flavier  und  Antonine.  1 55 

Diese  Ungewandtheit  zeigte  er  sofort  bei  dem  Regierungsantritte, 
wo  er  durch  sein  Zögern  bei  der  Übernahme  der  Regierung  den  Senat 
veranlassen  wollte,  ihm  die  Regierung  durch  einen  besonderen  ßeschlufs 
zu  übertragen.  Aber  der  Senat  wollte  diese  Absicht  nicht  verstehen; 
dies  war  die  Signatur  seiner  Haltung  während  der  ganzen  Regierung: 
unterwürfig  gegen  Befehle,  widerspenstig,  wenn  die  Zügel  nachgelassen 
wurden.  Dazu  wankte  der  Gehorsam  des  Heeres;  seine  Mutter  erhob 
Anspruch  auf  Mitregierung.  Diese  Schwierigkeiten  wurden  gesteigert  durch 
die  Prätendentenstellung  der  Familie  des  Gernianicus,  und  sie  wurden 
nicht  gemindert  durch  das  Verhalten  der  kaiserlichen  Anhänger,  die  -  wie 
Abraham  nach  seiner  früheren  Arbeit  für  feststehend  hält  (vgl  Jahresb. 
1885,  269)  —  sich  gegenseitig  befehdeten.  Die  grofsen  Verdienste  des 
Kaisers  in  der  Provinzial-,  Finanz-  und  Heeresverwaltung  blieben  bei 
der  stadfrömischen  Aristokratie  unbeachtet.  Zwar  brachte  der  Kaiser 
in  den  ersten  Jahren  seiner  Regierung  alles  an  den  Senat  und  liefs 
demselben  freie  Entscheidung,  nach  Abrahams  Vermutung,  um  ein  Gegen- 
gewicht gegen  die  aufrührerischen  Legionen  zu  gewinnen.  Aber  er  that 
dies  widerwillig,  weil  er  sah,  dafs  seine  Stellung  dadurch  nicht  besser, 
seine  Person  nicht  beliebter  wurde. 

Sejan  benutzte  diese  Stimmung,  um  dem  Kaiser  zur  Vereinigung 
der  Garde  in  Rom  zu  raten,  wodurch  er  selbst  der  zweite  Mann  im 
Staate  ward.  Die  Entfernung  aus  Rom  um  26  war  wohl  Tiberius' 
eigenster  Entschlufs ,  der  sich  dadurch  seiner  Mutter  und  den  Klagen 
der  Agrippina  entzog,  zugleich  aber  auf  dem  Wege  schriftlichen  Ver- 
kehrs den  Senat  entweder  zum  Gehorsam  oder  zur  offenen  Opposition 
nötigte.  Die  um  dieselbe  Zeit  eintretende  häufigere  Anwendung  des 
Majestäts-Gesetzes  ist  Sejans  Werk,  der  kühn  und  rücksichtslos  war. 
Derselbe  ging  jetzt  auf  den  Thron  los,  beseitigte  Drusus  und  wufste  be- 
züglich der  Familie  des  Gernianicus  den  Kaiser  zu  überzeugen,  dafs 
seine  eigene  Herrschaft  durch  dieselbe  bedroht  sei.  Diese  Insinuation 
war  teilweise  begründet.  Nach  dem  Sturze  der  julischen  Familie  hatte 
Sejan  thatsächlich  die  Herrschaft,  und  da  Tiberius  ihm  die  Nachfolge 
nicht  zuwenden  wollte,  gedachte  er  sie  mit  Gewalt  zu  erringen.  Als  ihn 
der  durch  Antonia  gewarnte  Kaiser  mit  List  gestürzt  hatte,  da  liefs  er 
sich  zu  erbarmungslosem  Wüten  gegen  alle  Hochgestellten  hinreifsen. 
Unter  dem  Eindrucke  der  letzten  Jahre  wurde  sein  Bild  für  die  Nach- 
welt gezeichnet. 

Die  Ergebnisse  stimmen  in  allen  wesentlichen  Punkten  mit  der 
von  mir  in  der  Römischen  Kaisergeschichte  gegebeneu  Darstellung  überein. 

W.  Ribbeck,  Der  Sturz  der  Messalina  und  die  Phädra  dos  Se- 
neca.  Zeitschr.  f.  Gesch.  und  Polit.  1888  S.  608  —  615  und  Rhein. 
Mus.  43,  636. 

Nach  des  Verf.'s  Ansicht  haben  wir  ein  gleichzeitiges  Zeugnis  über 
den  Eindruck,   den  das  wahnsinnige  Unternehmen  der  Messalina,  sich 


156  Römische  Geschichte  und  Chronologie. 

bei  Lebzeiten  des  Claudius  mit  C.  Silius  zu  verheiraten,  auf  die  Mitwelt 
hervorbrachte,  in  Seneca's  Bearbeitung  der  Euripideischen  Phcädra,  wel- 
che als  ein  Pamphlet  des  durch  Messalinas  Einflufs  nach  Korsika  ver" 
bannten  Philosophen  zu  betrachten  ist.  Der  Chorgesang  v.  967  RP 
wird  direkt  auf  die  Ehe  der  Messaliua  bezogen  und  soll  zu  einer  Zeit 
entstanden  sein,  wo  sie  sich  noch  im  Vollbesitze  der  Macht  befand. 
Andere  Stellen  scheinen  erst  nach  ihrem  Sturze  gedichtet  zu  sein. 

Callegari,  Fonti  per  la  storia  di  Nerone.    Atti  dell' Istit.  Veneto 
1888  N.  8.  9. 

Bringt  nur  Bekanntes. 

K.  Zangemeister,  Zur  Geschichte  der  civitas  Treverorum.  Korr. 
Bl.  d    Westd-Z.  7,  50—55. 

Auf  einer  Mainzer  Legions-Inschrift,  die  nach  dem  19.  Februar  197 
errichtet  ist,  wird  die  civitas  Treverorum  in  obsidione  ab  ea  defensa  er- 
wähnt; wahrscheinlich  fällt  ihre  Errichtung  Ende  197  oder  Anfang  198. 
Man  hat  die  civitas  Treverorum  auf  die  Stadt  Trier  bezogen.  Zange- 
raeister  sucht  nachzuweisen,  dafs  dies  nicht  möglich  sei,  sondern  es  sei 
hier  das  Gebiet  der  Treveri  zu  verstehen.  Den  Hergang  denkt  er  sich 
so :  Li  dem  Bürgerkriege  zwischen  Severus  und  Albinus  drangen  Ger- 
manen über  den  Rhein  vor.  Die  Treveri  verteidigten  ihr  Gebiet  und 
verschanzten  sich  wie  einst  im  Jahre  69/70,  benutzten  auch  die  vielleicht 
damals  (Tac.  bist.  4,  37)  angelegten  Linien.  Ihre  Verschanzungen  wurden 
angegriffen,  sie  wurden  in  die  Lage  einer  Blokade  versetzt.  In  dieser 
Bedrängnis  kam  ihnen  die  22.  Legion  zu  Hilfe,  welche  vermutlich  nach 
der  am  19.  Februar  167  erfolgten  Niederwerfung  des  Albinus  nach 
dem  Rheine  zurückkehrte.  Für  diese  Hilfeleistung  brachte  die  Treverer- 
Gemeiude  ihre  Dankbarkeit  zum  Ausdruck  durch  das  in  Mainz  errich- 
tete Denkmal. 

A.  Die  penbrock,    L.  Annaeus  Seneca.     Diss.  Amsterdam    1888. 

Die  Schrift  enthält  folgende  Kapitel:  Origo,  tirocinium  et  iuventus, 
Seneca  Senator,  Seneca  exul,  Educator  Neronis,  Seneca  et  Agrippina, 
Quinquennium  Neronis,  Discidium  et  discessus,  finis.  Bezüglich  der  Lebens- 
daten und  der  chronologischen  Ansetzung  der  Schriften  schliefst  sich 
der  Verf.  bisweilen  an  Lehmann  an.  Doch  hat  er  selbständig  die  Quellen 
durchforscht  und  nicht  ohne  Scharfsinn  verwertet.  Dies  zeigt  sich  an 
dem  grundsätzlichen  Unterschiede,  dafs  er  nicht  mit  Lehmann  glaubt, 
Senecas  wirkliche  Denkweise  lasse  sich  aus  seinen  Schriften  illustrieren. 
Im  Gegenteile,  er  hält  Leben  und  Schriften  für  sehr  verschiedene  Dinge. 
Schon  im  Jahre  39  stand  Seneca  auf  Seite  der  Agrippina,  die  damals 
durch  ihren  Buhlen  Lepidus  die  Herrschaft  zu  erlangen  gedachte.  Die 
Verbannung  nach  Korsika   (Ende  41)  hält  der  Verf.   ebenfalls   für  ver- 


7   Zeit  der  Julier,  Claudier,  Flavier  und  Antonine.  157 

dient,  da  er  an  ein  unerlaubtes  Verhältnis  Senecas  zu  Livilla  glaubt.  Als 
Neros  Lehrer  leitete  er  wesentlich  dessen  rednerische  Bildung,  während  die 
philosophischen  Studien  dem  Chaeremon  und  Alexander  überlassen  blieben; 
die  unrömische  Denk-  und  Handlungsweise  ist  Senecas  Werk,  der  ein 
Spanier  war  und  blieb.  Um  den  Mord  des  Claudius  wufste  er;  gleich 
nachher  begann  er  den  Kampf  gegen  die  Herrschergelüste  der  Agrippina 
durch  Begünstigung  der  Liebschaft  mit  Acte.  Nach  Brittanicus'  Ermor- 
dung schrieb  er  die  kaiserliche  Bekanntmachung,  und  zehn  Monate 
später  widmete  er  Nero  die  Schrift  de  dementia.  An  Agrippinas  Er- 
mordung trifft  ihn  sicherlich  die  Schuld  der  Mitwisserschaft;  ebenso  ist 
er  an  der  Pisonischen  Verschwörung  beteiligt  gewesen. 

Der  Verf.  ist  überall  bemüht,  den  Gegensatz  zwischen  Worten 
und  Thaten  Senecas  hervorzuheben;  vielleicht  geht  er  darin  zu  weit. 
Wertvoller  sind  seine  Versuche,  aus  der  Geschichte  die  einzelnen  Schriften 
zu  bestimmen;  doch  dies  gehört  mehr  in  die  Litteratur-  als  in  die  politi- 
sche Geschichte.  Die  eigentümliche  Latinität  erleichtert  das  Studium  der 
fleifsigen  Schrift  nicht. 

E.  Klebs,  Die  Vita  des  Avidius  Cassius.    Rhein.  Mus.  43,  321  — 346. 

Die  Vita  des  Avidius  Cassius  ist  für  die  Komposition  der  Kaiser- 
biographieen  und  die  Art  ihrer  Quellen  sehr  lehrreich.  Den  historischen 
Kern  bildet  ein  kurzer  Bericht  über  den  Aufstand  des  Avidius,  welcher 
zum  gröfsten  Teil  mit  wörtlichen  Übereinstimmungen  sich  in  der  Vita 
Marci  (c.  24,  6  =  c.  26)  findet.  Aber  beide  Verf.  haben  nicht  mehr  Ma- 
rius  Maximus  selbst,  sondern  nur  noch  einen  Auszug  aus  ihm  benutzt, 
den  sie  im  engsten  Anschlufs  an  den  Wortlaut  und  den  Umfang  fast 
unverändert  abschrieben.  Überhaupt  gilt  für  die  Kaiserbiographieen, 
dafs  sie  eine  reine  Excerptenlitteratur  darstellen,  aber  meist  laufen  sehr 
verschiedenartige  Excerptreihen  neben  und  durcheinander.  Man  darf 
Marius  Maxiraus  nicht  auf  gleiche  Stufe  für  die  Benutzung  durch  diese 
Späteren  stellen,  wie  etwa  Livius  und  Dio ;  ja  selbst  mit  Sueton  ist  er 
kaum  zu  vergleichen.  Der  Rest  der  Vita,  der  nach  Ausscheidung  jener 
Partie  verbleibt,  besteht  zum  gröfseren  Teil  aus  angeblichen  Aktenstücken, 
Briefen  und  Acclamatiouen  des  Senats.  Man  hält  sie  allgemein  für 
Fälschungen;  der  Verf.  versucht  aber  den  Nachweis,  dafs  dieselben  sämt- 
lich von  einem  einzigen  Fälscher  herrühren.  Er  verfolgt  die  sachlichen 
und  sprachlichen  Anzeichen  und  erkennt  in  der  Arbeit  die  Phantasie 
eines  Rhetors  über  das  Thema:  Avidius  Cassius,  der  strenge  republi- 
kanische Staatsmann,  und  Marcus,  der  milde  Philosoph  auf  dem  Thron; 
den  ersten  Anlafs  zu  der  Antithese  gab  natürlich  der  Name  (Cassius 
Severus) ;  dazu  kam  die  traditionelle  Verwilderung  und  Verlotterung  des 
syrischen  Heeres.  Die  ganze  Fälschung  ist  der  zweiten  Hälfte  des 
dritten  Jahrhunderts  zuzuweisen;  ihr  Urheber  war  Lollius  Urbicus. 
Manche    dieser  Fälschungen   in   den  Kaiserbiographieen   zeigen  Einwir- 


158  Röiuiscbe  üescbichte  und  Cbronologie. 

kung  oder  Darstolhiiig  politischer  Ideen  z.  ß.  des  Soldatenkaisertums, 
des  Gegensatzes  einer  Seiiatsherrschaft  u.  s.  w.;  die  Fälschungen  der 
Vita  des  Avidius  Cassius  zeigen  keine  Spur  derartiger  Anschauungen. 
So  sicher,  wie  der  Verf.  meint,  ist  die  Einheit  der  Person  des  Fäl- 
schers noch  nicht  erwiesen;  er  selbst  mufs  zugeben,  dafs  mitunter  eine 
andere  Schablone  erscheint ;  man  kann  mit  ebensoviel  Recht  sagen,  eine 
andere  Hand,  ein  anderer  Geist,  eine  andere  Quelle.  Die  Mache  mag 
ja  vielfach  ähnlich  sein  ;  aber  gerade  in  einer  ideenarmen  Zeit  wird  die- 
selbe bei  ganz  verschiedenen  Persönlichkeiten  übereinstimmen.  Über- 
haupt wollen  alle  diese  Quellenuntersuchuugen  zu  viel  beweisen,  und 
deshalb  kommt  jede  zu  einem  anderen  Resultate;  die  Subjectivität  spielt 
eine  zu  grofse  Rolle. 

G.  Lacour- Gayet,  Antonin  le  Pieux  et  son  temps.  Essai  sur 
l'histoire  de  l'Empire  Romain  au  milieu  du  deuxieme  siecle.  (138 — 161). 
Diss.  Paris  1888. 

Der  Verfasser  vermifste  eine  Monographie  über  Antoninus  Pius 
und  will  diese  geben;  wie  es  fast  stets  der  Fall  sein  wird,  ist  ein  Zeit- 
gemälde daraus  geworden,  dessen  gröfster  Teil  auch  auf  andere  Regie- 
rungen sich  erstreckt.  Die  Bibliographie  und  die  Quellenkritik  geben 
nur  Bekanntes.  In  Kap.  1  wird  die  Vorgeschichte  des  Kaisers  bis  zu 
seiner  Thronbesteigung  dargestellt,  man  wird  auch  nicht  die  unwesent- 
lichste Kleinigkeit  der  Überlieferung  darin  vermissen.  In  Kap.  2  wird 
der  Charakter  der  Regierung  des  Pius  im  allgemeinen  dargestellt.  Der 
Kaiser  wird  als  ein  einfacher  Mann,  voll  Hingebung  an  seine  Aufgabe 
und  conservativ  geschildert  Aus  der  Erwähnung  der  Vota  soluta  und 
suscepta  deceunalia  zieht  der  Verf.  den  Schlufs,  der  Kaiser  habe  da- 
durch dem  kaiserlichen  Regimente  republikanischen  Anstrich  geben 
wollen;  wäre  dies  der  Sinn,  so  hätten  die  absolutistischen  Regierungen 
der  Folgezeit  sicher  den  Brauch  nicht  beibehalten.  Der  Beiname  Pius 
soll  der  Tugendhafte,  der  Gute  bedeuten.  Die  freundliche  Haltung 
gegenüber  dem  Senate  wird  durch  den  Umstand  erklärt,  dafs  Pius  selbst 
zwanzig  Jahre  Senator  gewesen  war.  Doch  konnte  sie  den  unaufhalt- 
samen Verfall  der  Körperschaft  nicht  hemmen.  Den  Grund  erblickt  der 
Verf.  in  der  Aufnahme  von  Leuten  aller  Provinzen  in  den  Senat,  wo- 
durch diesem  seine  Tradition  verloren  ging.  Unter  den  Überschi'iften, 
Le  prince,  le  senat,  le  conseil  du  prince  et  la  chancellerie  imperiale,  les 
grauds  fonctionnaires  trägt  der  Verf.  einen  reichen  Stoff  zusammen;  dafs 
die  Kaisergeschichte  im  allgemeinen  dadurch  gefördert  wäre,  kann  man 
nicht  sagen;  denn  es  handelt  sich  überall  um  Einzelfälle,  welche  nur 
Bekanntes  belegen.  Dasselbe  gilt  von  dem  dritten  Kapitel  »Le  peuple 
de  Rorae  et  l'approvisionnement  de  la  capitale« ,  von  dem  vierten  Ka- 
pitel »les  financesö,  von  dem  fünften  Kapitel  »l'armee«,  worin  eine  ganz 
eingehende,  fleifsige  Nachvveisung  über  die  Truppenbestände  unter  Pius 


7.  Zeit  der  Julier,  Claudier,  Flavier  und  Antonine.  159 

gegeben  ist.  In  Kapitel  6  giebt  der  Verf.  eine  Darstellung  der  Kriege 
und  der  Barbaren  unter  dieser  Regierung.  Über  Germanien  spricht 
er  einige  Hypothesen  aus;  bezüglich  Dakiens  will  er  an  die  Nieder- 
werfung eines  Aufstandes  durch  den  Kaiser  denken,  dem  eine  neue  Tei- 
lung des  Landes  folgte  (Porolissensis,  Apulensis,  Malvensis);  erst  weitere 
Funde  können  über  die  Berechtigung  der  Annahme  entscheiden,  ße  •  . 
züglich  der  ägyptischen  Erhebung  nimmt  der  Verf.,  wie  die  Berichte  von 
Aristides  und  Malalas  an,  dafs  unter  Pius  zweimal  solche  stattfanden, 
das  erstemal  vor  145  in  unbedeutendem  Umfange,  das  zweitemal  um  154 
so  bedeutend,  dafs  der  Kaiser  selbst  sich  zur  Bekämpfung  aufmachte. 
Das  Ansehen  des  Kaisers  bei  den  Nachbarvölkern  wird  von  dem  Verf. 
doch  wohl  zu  hoch  angeschlagen.  Kapitel  7.  Travaux  publics,  giebt 
eine  sehr  sorgfältige  Zusammenstellung  aller  baulichen  Unternehmungen 
des  Kaisers,  die  in  Rom,  Italien  und  den  Provinzen  nachweisbar  sind; 
die  Zahl  derselben  ist  allerdings  recht  erheblich.  Auch  die  Schilderungen 
der  wirthschaftlichen  Zustände  des  Reiches  sind  vielfach  interessant,  da 
es  gerade  auf  diesem  Gebiete  nicht  an  Nachrichten  fehlt.  Die  Verwal- 
tungsverhältnisse von  Italien  und  den  Provinzen  werden  in  Kap.  9  und 
10  dargelegt;  hier  bieten  die  Inschriften  ein  reiches  Material,  aus  dem 
der  Verf.  freilich  bisweilen  mehr  herausliest,  als  darinnen  steht.  Das 
11.  Kapitel.  »La  cour  imperiale  et  la  societe  Romaine«  enthält  nur  in 
der  Darstellung  der  Familienverhältnisse  interessante  und  individuelle 
Verhältnisse;  die  übrigen  Ausführungen  über  den  Hof,  Sklaven  und  Freie, 
Schauspiele,  sind  eigentlich  nach  Friedländers  Darstellungen  wertlos. 
Das  12.  Kapitel.  »Les  arts«  zeigt  wieder  etwas  mehr  individuelle  Fär- 
bung, indem  es  bestimmte  Denkmäler  aus  der  Zeit  dieser  Regierung  ins 
Auge  fafst.  In  geringerem  Mafse  gilt  dies  vom  13.  Kapitel,  in  welchem 
die  Verhältnisse  in  Litteratur,  Philosophie  und  Wissenschaften  geschildert 
werden.  Die  beiden  folgenden  Kapitel  14  und  15  beschäftigen  sich  mit 
den  religiösen  Zuständen.  Auf  dem  Gebiete  der  heidnischen  Religion 
deren  treuer  Anhänger  Pius  war,  vermag  der  Verf.  nichts  besonderes 
zu  bringen.  Dagegen  hält  er  ihn  für  einen  Freund  der  Juden,  deren 
Religion  er  die  rabbinische  Restauration  gestattete.  Die  Christen  hat 
er  nicht  verfolgt;  doch  ist  das  Schreiben  an  das  xocvhv  /imag  unecht. 
Die  allgemeinen  Ausführungen  über  Stellung  und  Zustände  der  christ- 
lichen Kirche  enthalten  nur  Bekanntes.  Kapitel  16  giebt  eine  sorgfältige 
Darstellung  des  Rechtswesens.  Mit  Kap.  17  »Details  personuels  sur  An- 
tonin. Sa  mort«  findet  die  Untersuchung  ihren  Abschlufs;  ihre  Ergeb- 
nisse fafst  ein  Schlufswort  zusammen.  Man  kann  dem  Verf.  nur  bei- 
stimmen, wenn  er  sagt:  Cette  etude  —  ne  nous  a  pas  conduit  ä  reviser 
le  jugement  qui  a  ete  porte  par  les  contemporains  d'Antonin  et  par  la 
posterite;  eile  nous  a  permis  d'en  contröler  l'exactitude,  en  l'appuyant 
sur  un  grand  nombre  de  faits  de  tout  genre. 

Zwei  Anhänge  enthalten  weitere  Ausführungen  über  die  kaiserliche 


160  Römische  Geschichte  und  Chronologie. 

Familie  und  die  Konsulavfastcn.  Die  Arbeit  ist  für  die  Kaisergescliichte 
wertvoll,  wenn  sie  auch,  wie  das  bei  jeder  Monographie  der  Fall  ist, 
manches  Überflüssige  enthält, 

Gust.  Ad.  Müller,   Pontius  Pilatus,  der  fünfte  Prokurator  von 
Judäa  und  Richter  Jesus'  von  Nazareth.     Stuttgart  1888.    59  S. 

Der  Arbeit  vorausgeschickt  ist  eine  Zusammenstellung  der  Pilatus- 
Litteratur.  In  dem  ersten  Kapitel  »Herkunft  und  Laufbahn  des  Pontius 
Pilatus«  erfährt  man  nichts  Neues,  obgleich  mit  ziemlicher  Breite  hun- 
^  dertmal  gesagte  Dinge  nochmals  gesagt  werden.  Neu  ist  folgender  Ver- 
such, Tertullian  Apolog.  21  zu  erklären:  Pontio  Pilato  Syriam  tunc  ex 
parte  Romana  procuranti  soll  bedeuten:  »Pilatus,  sonst  ein  Unterbe- 
amter des  syrischen  Statthalters,  hatte  tunc  d.  h.  im  Todesjahre  Christi 
Rechte,  wie  sie  bei  gewöhnlicher  Lage  der  Dinge  nur  dem  Syriam  pro- 
curanti zustanden«.  Der  Verf.  hätte  sich  diese  unglaubliche  Konjektur 
ersparen  können,  die  durch  die  Billigung  des  Herrn  Franklin  Arnold 
nicht  besser  wird,  wenn  er  gewufst  hätte,  dafs  Judaea  seit  Vespasian 
Syria  Palaestiua  hiefs  und  seit  Severus  die  Provinz  Syrien  in  Syria 
Magna  (Coele)  und  Syria  Phoenice  zerfiel,  welch  letztere  auch  die  ehe- 
maligen Bestandteile  von  Judäa  enthielt,  dafs  sich  also  Tertullian  ganz 
korrekt  für  seine  Zeit  ausdrückte.  Gleich  breit  und  ergebnislos  ist  das 
zweite  Kapitel  »Pontius  Pilatus  in  Judäa  bis  zum  Prozesse  Christi.«  Der 
Verf.  hält  es  für  nötig  eine  lange  Auseinandersetzung  zu  geben,  dafs 
der  Procurator  griechisch  ^ys/xcvv  heifsen  könne;  offenbar  war  für  ihn 
diese  Entdeckung  neu.  Über  Pilatus  wird  mancherlei  geredet ;  er  besafs 
einen  grausamen  Zug,  er  war  rücksichtslos,  unüberlegt.  Und  die  Juden 
waren  die  reinen  Engel.  Freilich  heifsen  sie  schliefslich  auch  heim- 
tückische Gegner.  Kapitel  3  handelt  von  der  Residenz  des  Pontius 
Pilatus.  Eine  lange  Erörterung  über  Caesarea  hat  nur  den  Wert  einer 
historisch-geographischen  Notizcnsammlung.  Dann  wird  untersucht,  wo 
Pilatus  Christus  in  Jerusalem  verurteilt  hat.  Nach  längerem  Hin-  und 
Herreden  und  einem  längeren  Citat  eines  neueren  Reisewerkes  von 
Rückert  findet  der  Verf.,  dafs  man  eigentlich  doch  nichts  Sicheres  da- 
rüber sagen  kann.  Kapitel  4.  »Pilatus  und  die  messianische  Bewegung« 
sucht  zu  erweisen,  dafs  Pilatus  in  Christus  keinen  politischen  Revolutio- 
när erblickt  habe;  ebenso  wenig  kann  er  sich  um  den  Vorwurf  der 
Gotteslästerung  bekümmert  haben.  Längere  Erörterung  erfährt  die  Frage, 
ob  Pilatus  Christus  habe  malen  lassen;  sie  wird  bejaht.  Auch  einen 
Brief  des  Pilatus  an  Tiberius  oder  den  Senat  hält  der  Verf.  für  wahr- 
scheinlich, die  vorhandenen  Briefe  aber  verwirft  er.  Kapitel  5  behan- 
delt »Die  Motive  des  Pilatus  bei  seinem  Urtheilsspruch«.  Der  Verf. 
findet,  dafs  es  die  Drohung  der  Juden  mit  einer  Anzeige  bei  Tiberius 
war,  die  den  an  und  für  sich  der  Bestrafung  abgeneigten  Pilatus  will- 
fährig machte.     Dabei  wird  angenommen,  der  Kaiser  habe  sein  ihm  zur 


7.  Zeit  der  Julior,  Claudier,  Flavier  und  Antonine.  IQ\ 

zweiten  Natur  gewordenes  Mifstrauen  vornehmlich  gegen  die  draufsen 
waltenden  Beamten  gerichtet,  wenn  sie  Geschick  mit  Einflufs  zu  verbinden 
wufsten«.  Wie  soll  das  erwiesen  werden  und  vor  allem  wo  lag  denn 
der  dem  Kaiser  verdächtige  Einflufs  des  Pilatus?«  Kapitel  6.  »Pontius 
Pilatus  vom  Tode  Jesu  bis  zu  seinem  Ende«  enthält  meist  Phantasieen 
über  das  Ende  des  Pilatus  und  bildet  so  den  passenden  Übergang  zu 
dem  Anhang  über  die  Pilatus -Sagen.  Ein  weiterer  Anhang  giebt  den 
angeblichen  Brief  des  Pilatus  an  den  rex  Claudius;  man  begreift  nicht, 
wie  der  Verf.  es  der  Mühe  wert  halten  konnte,  diesen  handgreiflichen 
Unsinn  drucken  zu  lassen;  ein  dritter  Anhang  handelt  von  der  offiziellen 
Sprache  der  Prokuratoren  Judäas;  natürlich  kann  hier  der  Verf.  nichts 
weiter  sagen  ,  als  was  längst  in  jedem  Handbuch  der  Staatsaltertümer 
steht. 

Der  Verf.  hebt  in  dem  Vorworte  hervor,  manche  Auffassung  werde 
des  Neuen  nicht  entbehren;  es  kommt  nur  darauf  an,  was  man  unter 
»neu«  versteht.  Es  thut  mir  leid,  dafs  ich  nur  einiges  neue  fand,  was 
nicht  gut  war,  und  weniges  gute,  was  schon  recht  alt  ist. 

Wie  kommt  der  Verf.  zu  der  Schreibweise  »apogiyphisch«?  Sollte 
sie  aus  dem  badischeu  Regel-  und  Wörterverzeichnis  für  die  deutsche 
Rechtschreibung  entlehnt  sein? 

Florenz  Hernekamp,  Darstellung  und  Beurteilung  der  neueren 
Verhandlungen  über  den  Todestag  Jesu.  1.  Teil.  Progr.  Neustadt  in 
Westpr.  1888. 

Der  Verf  stellt  nach  einer  kurzen  Besprechung  der  historischen 
Entwicklung  der  Frage  als  feststehend  hin:  1)  Der  gesetzliche  Tag  des 
Passahmahles  war  der  14.  Nisan.  2)  Der  15.  Nisan,  der  erste  Tag  des 
Festes,  hatte  selbständige  Sabbathheiligkeit  und  stand  höher  als  die  nach- 
folgenden Tage.  Als  Differenzpunkt  stellt  er  hin:  Die  Differenz  zwischen 
Johannes  und  den  Synoptikern  betrifft  nur  die  jüdischen  Ritus-  und  Mo- 
uatstage  und  ihre  Congruenz  mit  den  Wochen-  und  Heilstagen  der  christ- 
lichen Kirche.  Nach  dem  Berichte  des  Johannes  soll  der  Freitag  der 
14.  Nisan  gewesen  sein,  nach  den  Synoptikern  dagegen  der  Donnerstag- 
in einer  kritischen  Betrachtung  der  gegebenen  Interpretationsversuche 
gelangt  der  Verf.  zu  dem  Ergebnisse,  dafs  Johannes  Kapitel  13  in  den 
Worten  npo  zr^g  ioozr^g  zou  Tida^^a  an  ein  gewöhnliches,  am  Abend  des 
13.  Nisan  gehaltenes  Mahl  gedacht  hat,  bei  dem  Jesus  seineu  Jüngern 
den  letzten  Liebesbeweis  gab.  Für  Job.  13,  29  erscheint  es  sehr  wahr- 
scheinlich ,  dafs  die  Jünger  ihre  Mutmafsungen  über  die  Mahnung  von 
Judas  o  r.ocsTs  7To:r^aüv  xdiiov  am  Abend  des  13.  Nisan  ausgesprochen 
haben.  Auch  Job.  18,  28  führt  auf  den  14.  Nisan  als  Todestag  Christi; 
denn  die  Juden  wären  durch  das  Betreten  des  heidnischen  Hauses  am 
Genüsse  des  Passahmahles  gehindert  worden.  Dagegen  beweist  18,  39 
für   den  Todestag  Jesu   nichts.     In    19,  4   r^v  dk  Trapaaxeur)   toU   ndaya^ 

Jahresbericht  für  Alterthumswissenscliaft.  LXIV.  Bd.  (1890  m.)  \  \ 


1  fi2  Römische  Geschichte  und  Chronologi«. 

wpa  (U  w(T£}  ixTrj  kann  nur  der  14.  Nisan  genannt  sein,  da  Tiapaax.  r.  IMc. 
nur  den  Riisttag  zum  Passali  bezeichnen  kann;  der  14.  Nisan  hatte  keinen 
sabbathlichen  Charakter,  wie  der  15.  Nisan,  und  wird  deshalb  im  Talmud 
immer  als  ereb  bezeichnet.  Der  Job.  19,  31  erwähnte  grofse  Sabbathtag 
war  der  erste  Festtag,  der  15.  Nisan,  der  in  diesem  Jahre  Doppelsabbath 
war.     Endlich  spricht  noch  Job.  19,  36  für  den   14.  Nisan  als  Todestag. 

C.Franklin  Arnold,  Die  neronische  Christenverfolgung.  Leipzig 
1888. 

Der  Verf.  hofft  eine  abschliefsende  Untersuchung  über  sein  Thema 
zu  liefern.  Zu  diesem  Zwecke  will  er  zuei'st  den  richtigen  Text  der 
Tacitusstelle  feststellen;  das  Ergebnis  ist  die  Coniectur:  aut  crucibus 
adfixi  sunt  flaramandi  utque,  ubi  defecisset  dies,  in  usum  nocturni  lu- 
minis  urerentur.  Die  Änderung  ist  für  die  Hauptsache  gänzlich  gleicb- 
giltig.  Es  folgt  sodann  die  Worterklärung.  Der  Verf.  findet  an  den 
bisherigen  Erklärungen  auszusetzen,  dafs  sie  nicht  beachtet  hätten,  in 
welchem  Zusammenhange  die  Erzählung'  mit  dem  Vorhergehenden  und 
Nachfolgenden  stehe,  welche  logische  Disposition  der  Darstellung  zu 
gründe  liege  und  wie  sich  der  Schriftsteller  den  Hergang  gedacht  habe. 
Diesen  Anforderungen  wird  seine  Erklärung  Rechnung  tragen.  »Die 
ganze  von  Täcitus  mit  den  Worten  Ei'go  abolendo  rumori  —  Christianos 
berichtete  Mafsregel  hatte  also  nur  den  Zweck,  den  Kaiser  von  dem 
schim.pflichen  Verdacht  der  Brandstiftung  zu  entlasten«.  Subdidit  reos 
kann  sich  also  nur  auf  die  Brandstiftung  beziehen;  mit  subdere  sagt 
Tacitus,  dafs  er  die  Christen  derselben  nicht  schuldig  hielt.  Der  Aus- 
druck abolendo  rumori  bezieht  sich  aber  auch  auf  quaesitissimis  poenis 
affecit  d.  h.  der  Kaiser  erreichte  seinen  Zweck,  die  gegen  ihn  erhobene 
Nachrede  auf  die  Christen  abzuwälzen,  auch  wenn  die  Leute  über  den 
Strafen  der  Verurteilten  ihren  Argwohn  gegen  den  Kaiser  zwar  nicht 
abbaten,  aber  doch  vergafsen.  Die  Christen  wählte  Nero  als  Abieiter, 
weil  sie  wegen  ihrer  flagitia  allgemein  verhafst  waren;  unter  flagitia  sind 
die  Ooiarsta  SsTrrva  und  OcScTiodsco:  /n'^sig  gemeint.  Die  durch  die  Pa- 
renthese über  Erklärung  des  Christennamens  unterbrochene  Erzählung 
wird  wieder  aufgenommen  mit  igitur.  Correpti  heifst  »es  wurden  in 
Anklagezustand  versetzt«;  das  Subiect  dazu  ist  qui  fatebantur:  dazu  ist 
zu  ergänzen  se  incendium  fecisse  oder  incendium.  Unter  genus  humanum 
ist  die  ganze  Menschenwelt  des  römischen  Reiches  verstanden,  odium 
g.  h.  ist  »prinzipieller  Widerstand  gegen  die  römische  Staatsoranipotenz«.' 
Auch  indicio  eorum  kann  nur  auf  die  Brandstiftung  bezogen  werden; 
denn  das  religiöfe  Bekenntnis  war  weder  unbekannt,  wenn  die  ersten 
Angeklagten  deshalb  ergriffen  wurden,  noch  hatte  man  es  bis  dahin  als 
Verbrechen  betrachtet,  wie  die  bisherige  Straflosigkeit  zeigt.  Die  Worte 
adversus  sontes  et  novissima  excempla  meritos  bedeuten:  An  und  für 
ich  war   man  überzeugt,  dafs   diese  Menschen    die    strengsten   Strafen 


7.  Zeit  der  Julier,  Claudier,  Flavier  und  Antonine.  163 

verdient  hatten;  man  wäre  auch  ganz  zufrieden  gewesen,  wenn  sie  bei 
einer  anderen  Gelegenheit  zu  ganz  denselben  Strafen  verurteilt  worden 
wäi'en. 

Im  Anschlufs  daran  legt  der  Verf.  dar,  welche  Geschichte  die 
historische  Kritik  dieses  Abschnittes  gehabt  hat;  ich  werde  darauf  zurück- 
kommen. Alsdann  wird  die  aufsertaciteische  Überlieferung  über  das 
Ereignis  vorgeführt;  nur  drei  Berichte  erwähnen  dieselbe,  die  Apologie 
des  Melito,  der  Brief  des  Clemens  Romanus  und  Sueton.  Freilich  ist 
mit  diesen  drei  Berichten  nicht  viel  anzufangen.  Sueton  sagt,  die  Christen 
seien  wegen  ihrer  Religion  verfolgt  worden;  das  glaubt  heute  kaum  ein 
ernsthafter  Forscher;  Melito  nennt  als  Verfolger  der  Christen  Nero  und 
Domitian;  wenn  die  Angabe  über  Nero  so  gut  beglaubigt  ist,  wie  die 
über  Domitian,  so  ist  sie  wertlos.  Aus  dem  Briefe  des  Clemens  Romanus 
kann  man  nur  indirekt  die  neronische  Verfolgung  erschliefsen,  er  nennt 
sie  nicht.  Aber  lasse  man  diese  Zeugnisse  gelten,  so  geht  aus  ihnen  nur 
hervor,  dafs  im  zweiten  Jahrhundert  n.  Chr.  so  gut  wie  an  den  Märtyrertod 
von  Petrus  und  Paulus,  in  Rom  an  Verfolgungen  durch  Nero  und  Do- 
mitian geglaubt  wurde;  dafs  sie  historische  Thatsachen  sind,  ist  damit 
noch  lange  nicht  erwiesen. 

Der  Verfasser  unterwirft  nun  den  Bericht  des  Tacitus  einer_  histo- 
rischen Kritik  und  giebt  eine  Darstellung  des  geschichtlichen  Herganges. 
Übertreibung  erkennt  der  Verf.  in  der  multitudo  ingens,  auch  in  der 
Schilderung  der  Folgen  des  Brandes.  Bezüglich  der  neronischen  Ur- 
heberschaft des  Brandes  will  er  wenigstens  ein  Non  liquet  zulassen. 
Dagegen  polemisiert  er  gegen  mich,  dafs  ich  einen  Ghetto  angenommen 
hätte,  »wo  Juden  und  Christen  durcheinander  wohnten  mit  denselben  Sy- 
nagogen, Feiertagen  und  Speisegesetzen«.  Ich  weifs  zwar  nicht,  wo  ich 
das  gethan  haben  soll,  werde  aber  trotzdem  weiter  unten  auf  diese  Frage 
näher  eingehen.  Dort  werde  ich  auch  dem  Verf.  zeigen,  woher  wir 
wissen,  dafs  orientalische  und  zwar  jüdische  Händler  am  Cirkus  maxi- 
mus  wohnten  und  liandelten;  er  meint  nämlich;  »wir  wissen  nicht,  ob 
unter  den  Händlern  am  Cirkus  auch  Juden  waren«.  Nach  des  Verf.'s 
Ansicht  verstand  Tacitus  ganz  gut,  zwischen  Juden  und  Christen  zu 
unterscheiden,  obgleich  er  ihren  gemeinsamen  Ursprung  nicht  kannte. 
Dies  wird  erwiesen  aus  einer  Stelle  in  der  Chronik  des  Sulpic.  Severus 
2,  30,  6,  die  ohne  weiteres  als  taciteisch  angesehen  wird.  Zur  Stütze 
dieser  Ansicht  werden  noch  einige  weitere  Stellen  angeführt,  die  weiter 
unten  berücksichtigt  werden  sollen.  Bezüglich  des  Namens  Christiani 
tritt  der  Verf.  allerdings  den  Untersuchungen  von  Lipsius  bei,  aber  er 
will  zum  Beweis,  wie  früh  diese  Bezeichnung  in  Italien  Eingang  fand 
die  bekannte  Rätselinschrift  von  Pompei  verwenden.  Dafs  die  Juden 
nicht  verfolgt  wurden,  wohl  aber  die  Christen,  will  der  Verf.  mit  dem 
jüdischen  Einflüsse  am  Hofe  erklären.  Die  Annahme,  dafs  die  Juden 
durch  Denunziationen    die    Verfolgung   der   Christen    veranlafst   hätten, 

11* 


]ß4  Römische  Geschichte  und  Chronologio. 

weist  der  Verf.  ab  als  nicht  mit  dem  Berichte  des  Tacitus  vereinbar ; 
aber  nacliliei-  will  er  sie  doch  nicht  von  alle  Schuld  freisprechen:  »dafs 
sie  an  eintiufsreiclior  Stolle  dem  Unglücke  zusahen,  ohne  die  Hände  zu 
rühren,  läfst  sich  ja  ohnehin  nicht  leugnen«;  sogar  an  Existenz  des 
Volkshasses  gegen  die  Christen  infolge  jüdischer  P^inwirkung  glaubt  er. 
Den  Christen  wurden  Geständnisse  durch  die  Folter  erprefst.  Als  Ver- 
mittlung zur  Verurteilung  wegen  odiuni  generis  humani  will  er  magische 
Künste  und  Zauberei  ansehen,  welche  in  engem  Zusammenhange  mit 
Brandstiftung  standen.  Der  Prozefs  fand  vor  dem  Stadtpräfekten  und 
dem  praefectus  vigilum  statt;  die  Anstifter  der  Klage  waren  parteiver- 
blendete Christen;  die  eschatologische  Erwartung,  die  Welt  werde  in 
Feuer  aufgehen,  bot  den  nächsten  Anhalt. 

Die  folgenden  Abschnitte  sind  eigentlich  nur  für  die  Kirchenge- 
schichte wichtig.  Zunächst  legt  der  Verf.  dar,  wie  wenig  die  jüngst 
von  Beyschlag  für  seine  Ansicht  über  die  Apokalypse  und  ihren  Zu- 
sammenhang mit  der  neronischen  Verfolgung  verwerteten  sibyllinischen 
Orakel  zu  bedeuten  haben:  ein  unverkennbarer  Hinweis  auf  dieselbe 
findet  sich  nirgends.  Ähnliches  gilt  von  der  neronischen  Verfolgung  in 
der  Darstellung  der  Kirchenväter.  Auch  hiernach  kann  derselben  eine 
prinzipielle  Bedeutung  nicht  zukommen,  sondern  nur  eine  lokale  und 
ephemere. 

Weiter  untersucht  der  Verf.  die  Frage,  ob  die  römische  Gemeinde 
beiden-  oder  judenchristlich  gewesen  sei,  und  entscheidet  sich  im  ersteren 
Sinne.  Endlich  ist  die  Erzählung  des  Tacitus  von  dem  Pliniusbriefe 
ganz  unabhängig.  Beide  Darstellungen  zeigen  nicht  die  verschiedene 
Auffassung  zweier  Epochen  von  Christentum,  sondern  sie  beruhen  auf 
denselben  Vorurteilen,  welche  bei  Plinius  durch  Naturanlage  und  per- 
sönliche Erfahrung  gemildert  w^erden,  bei  Tacitus  aber  mit  aller  Schärfe 
zum  Ausdruck  gelangen. 

Der  Verf.  hat  meine  Hauptbeweise  zwar  überall  benutzt,  belehrt 
mich  aber  vielfach,  dafs  ich  Unrecht  habe,  teilweise,  w^eil  er  meine  In- 
terpretation nicht  verstanden,  teilweise  weil  er  nicht  die  nötigen  Kennt- 
nisse hat.     Diesen  Beweis  will  ich  ihm  nun  erbringen. 

S.  19  macht  der  Verf.  die  wichtige  Entdeckung:  Man  kann  wohl 
nicht,  wie  Schiller  für  möglich  hält,  aus  den  Worten  Ergo  Nero  abolendo 
rumori  subdidit  reos  ein  rei  als  Subjekt  ergänzen,  sondern  qui  fate- 
bantur  bietet  sich  als  solches«.  Der  Verf.  kann  noch  nicht  Subject  und 
Prädicatsnomen  unterscheiden.  Denn  ich  hatte  gesagt,  nachdem  ich 
eine  Reihe  von  Stellen  aus  Tacitus  angeführt  hatte,  aus  denen  die  Be- 
deutung von  corripere  (mit  und  ohne  reum)  festgestellt  wird:  »man  könnte 
ohne  Zwang  aus  dem  vorhergehenden  subdidit  reos  ein  rei  ergänzen; 
doch  ist  dies  nicht  nötig;  auch  an  unserer  Stelle  bezeichnet  correpti 
(allein)  die  Einleitung  des  Verfahrens  vor  einer  kompetenten  Behörde«. 
Dafs  auch  ich  qui  fatebantur  als  Subjekt  erkannte,  beweist  meine  Über- 


7.  Zeit  der  Julier,  Claudier,  Flavicr  und  Autonine.  165 

Setzung  S.  43:  »Das  Strafverfahren  wurde  gegen  Leute  eröffnet,  welche 
geständig  waren«.  S.  23  werde  ich  belehrt,  dafs  odio  generis  humani 
nicht  heii'sen  könne  »Exclusivität  gegen  Andersgläubige«,  wie  ich  S.  46 
übersetzt  hatte,  sondern  »prinzipieller  Widerstand  gegen  die  römische 
Staatsoranipotenz«.  Worauf  die  letztere  Erklärung  begründet  ist,  läfst 
sich  leider  nicht  ersehen.  Da  ich  minder  phantasievoll  als  der  Verf. 
bin,  bleibe  ich  auch  heute  bei  meiner  Erklärung,  die  ich  nach  der  Pa- 
rallelstelle Tacitus  h.  5,  5  adversos  omnes  alios  hostile  odium  gegeben 
habe.  Die  Stelle  unde  quaraquam  adversus  sontes  et  novissima  exempla 
meritos  miseratio  oriebatur,  tanquam  non  utilitate  publica  sed  in  saevi- 
tiam  unius  absumerentur  ist  nach  des  Yerf.'s  Ansicht  zu  erklären:  »Man 
fand,  dafs  die  Christen  in  diesem  Falle  Unrecht  litlen,  dafs  sie  Opfer 
der  Tyrannei  eines  Einzelnen  waren,  der  erst  eine  Reihe  römischer 
Bürger  obdachlos  gemacht  habe  und  nun  auch  noch  eine  grofse  Zahl 
von  Peregrinen  unglücklich  mache  Insoweit  bedauerte  man  die  Hinge- 
richteten, aber  auch  nur  insoweit.  An  und  für  sich  war  man  überzeugt? 
dafs  diese  Menschen  die  strengste  Strafe  verdient  hatten ;  man  wäre  auch 
ganz  zufrieden  gewesen,  wenn  sie  bei  anderen  Gelegenheiten  zu  ganz 
denselben  Strafen  verurteilt  worden  wären«.  Tacitus  würde  sich  über 
sich  selbst  entsetzen,  wenn  er  lesen  könnte,  welcher  Wortmenge  es  be- 
darf, um  seine  einfache  Ausdrucksweise  klar  zu  machen.  Er  sagt  quara- 
quam adversus  sontes  etc.  d.  h.  er  drückt  ausdrücklich  aus,  obgleich 
diese  Leute  sontes  waren  und  novissima  exempla  meriti ;  was  sonst  quam- 
quam  heifsen  sollte,  uuifste  der  Verf.  erst  noch  entdecken.  Sontes  heifst 
nun  einmal  straffällig,  schuldig,  und  alles  Deuten  kann  daran  nichts 
ändern.  Den  Schlüssel  zum  Verständnis  der  Stelle  bietet  tanquam;  da- 
mit wird  die  subjective  Meinung  der  Beurteiler  eingeführt:  so  legte  man 
sich  die  Sache  zurecht:  schuldig  sind  sie  und  man  mufste  sie  mit  den 
novissima  supplicia  belegen;  das  erforderte  das  öffentliche  Wohl.  Aber 
nicht  einverstanden  war  man  damit,  dafs  Nero  ein  Cirkusspiel  veran- 
staltete, sich  als  Wagenlenker  unter  die  Masse  mischte,  die  Schuldigen 
dabei  brennen  liefs  etc.  und  dazu  seinen  Park  hergab:  man  schob  dies 
auf  seine  saevitia.  Bei  wem  die  miseratio  entstand,  wird  nicht  gesagt, 
ich  habe  die  Bemerkung  so  gedeutet,  dieselbe  habe  den  Zweck  Nero  zu 
belasten;  ich  bin  auch  durch  die  Ausführungen  des  Verf.'s  keines  anderen 
belehrt  worden:  denn  die  Pointe  ist  tanquam  in  saevitiam  unius  absu- 
merentur der  Verf.  wird  nicht  zweifeln,  dafs  damit  nur  Nero  gemeint 
sein  kann. 

S.  42  steht  folgendes  zu  lesen:  »Nach  H  Schiller  gab  es  nämlich 
im  alten  Rom  einen  Ghetto,  wo  Juden  und  Christen  durch  einander 
wohnten,  mit  denselben  Synagogen,  Feiertagen  und  Speisegesetzen.  Da- 
mit behauptet  er  also,  oline  Beweise  anzuführen,  die  römischen  Christen 
hätten  noch  nicht  den  Sonntag  gefeiert«.  Dafür  wird  -  S.  487  meines 
Buches  über  Nero  angeführt,  wo  keine  Zeilen  von  Juden,  Ghetto,  Syna- 


166  Römische  Geschichte  und  Chronologie. 

gogen  etc.  steht.  Ich  nehme  an,  er  hat  S.  434  f.  gemeint,  wo  zwar  auch 
keine  Silbe  von  einem  Ghetto  etc.  steht,  wohl  aber  folgendes :  Der  Brand 
war  am  Cirkus  Maximus  bei  den  teilweise  von  orientalischen  Händlern 
besetzten  Buden  ausgebrochen.  Wohin  sonst  mufsten  sich  die  Blicke 
richten  als  nach  den  verhafsten  Quartieren  der  Orientalen«?  Ich  hatte 
nun  allerdings  die  Belege  nicht  angeführt,  und  der  Verf.  kennt  Horaz 
zu  wenig,  um  sie  selbst  zu  finden.  Ep.  2,  1,  269  wird  der  vicus  Tuscus 
genannt  vicus  vendens  tus  et  odores  et  piper;  man  wird  doch  wohl  das 
Recht  haben,  hier  an  orientalische  Händler  zu  denken-  Mehr  Licht 
erhält  die  Stelle  noch  durch  Sat.  1,  9,  70,  wenn  man  hier  sich  nicht  mit 
der  gewöhnlichen,  keine  Beziehung  gebenden  Erklärung  begnügt,  sondern 
an  die  vor  ihren  Häusern  sitzenden  Juden  (curti  Judaei)  denkt.  Sat. 
1,  6,  113  wird  der  circus  fallax  genannt  und  Cic.  de  divin.  1,  58,  132 
spricht  von  den  de  circo  astrologi,  Juvenal  6,  582  von  den  Sortilegi,  die 
dort  hausen.  Dafs  diese  Leute  meist  Orientalen  waren,  wird  der  Verf. 
schwerlich  bestreiten.  Ich  habe  nun  allerdings  die  ketzei-ische  Vor- 
stellung ,  dafs  es  den  Römern  sehr  einerlei  war,  ob  die  betreffenden 
Leute  Sabbath  oder  Sonntag  feierten;  das  Charakteristische  war  und 
blieb  die  äufsere  Erscheinung,  infolge  deren  man  Syrer,  Juden  und  Juden- 
christen in  einen  Topf  warf. 

Zum  Beweis,  dafs  Tacitus  über  Juden  und  Christen  wesentlich  die 
gleichen  Dinge  berichte,  hatte  ich  als  Erklärung  zu  Ann.  15,  42  per 
flagitia  invisos  bist.  5,  5  angeführt,  wo  allerdings  von  den  Proselyten  ge- 
redet wird.  Aber  nach  Tacitus  Ansicht  sind  Proselyten  und  Juden  durch- 
aus identisch:  transgressi  in  morem  eorum  idem  usurpant.  Nun 
fährt  der  Bericht  fort:  nee  quicquam  prius  imbuuntur  quam  contemoere 
deos,  exuere  patriam,  parentes  liberos  fratres  vilia  habere;  aufserdem 
inter  se  nihil  innicitum  und  proiectissima  ad  libidines  gens.  Die  flagitia 
sind  eben  nichts  anderes  als  contemnere  deos  etc.  d.  h.  Hafs  und  Ver- 
achtung gegen  alles  Nicht-Jüdische,  Geilheit  etc.  hätten  aber  die  Juden 
ihre  Proselyten  vor  allem  in  diese  Anschauungen  eingeweiht,  wenn  sie 
dieselben  nicht  auch  gehabt  hätten?  Was  soll  also  des  Verf.'s  empha- 
tische Versicherung,  ich  citierte  eine  Stelle,  die  gar  nicht  von  dem  jüdi- 
schen Volke  und  seinem  Gesetz  handelt?  Will  er  von  Tacitus  verlangen, 
dafs  er  die  Kenntnis  eines  Theologen  des  19.  Jahrhunderts  über  diese 
Dinge  besafs? 

Weiter  auf  die  mehr  theologische  Frage  einzugehen  gestattet  der 
Raum  nicht. 

Edmond  Le  Blant,  Les  chretiens  dans  la   societe  paienne  aux 
Premiers  äges  de  l'figlise.     Mel.  d'archeol.  et  d'hist.  VIII  46 — 53. 

Der  Verf.  weist  nach,  wie  die  Christen  der  ersten  Jahrhunderte 
oft  genug  Concessionen  an  das  Heidentum  machen  mufsten,  um  über- 
haupt existieren  zu   können.     Die   Theorie   verwarf   diese   strenge    und 


7.  Zeit  der  Julier,  Claudier,  Flavier  und  Antonine.  167 

war  uuerbittlich ;  aber  die  Praxis  fand  Hinterthüren,  um  die  Theorie  zu 
umgehen.  Er  entwickelt  dies  für  das  Verfahren  bei  Eidesleistungen,  bei 
heidnischen  Festen  aller  Art.  Christliche  Handwerker  malen  und  ver- 
fertigen heidnische  Gottheiten,  die  christlichen  Lehrer  mufsten  von  diesen 
in  den  Schulen  reden.  Besonderen  Schwierigkeiten  begegneten  christ- 
liche Soldaten  und  Beamten,  namentlich  die  Municipalbeamten  und  die 
ratsfähigen  Geschlechter  (curiales). 

Edmoud  Le  Blant,   D'un  nouveau  monument  relatif  aux  fils  de 
Sainte  Felicite.     Mel.  d'arch.  et  d'histoire  VIII  292-296. 

Der  Verf.  stellt  zuerst  die  Zeugnisse  für  die  Richtigkeit  der  Mär- 
tyrerakten der  heiligen  Feiicitas  und  ihrer  Söhne  zusammen  und  ver- 
öffentlicht dann  ihm  mitgeteilte  Bruchstücke  einer  Inschrift : 

(^.^?t°Adus)  IVLIAS  MARTYRUM  VITA'.l^s) 

(natal .  .  .  s)  ANCT  (orum)  FILICIS    FILIPPI  MAR  («aUs) 

Nach  der  Buchstabenform  soll  dieselbe  nicht  jünger  sein  als  die 
ersten  Jahre  des  fünften  Jahrhunderts.  Wahrscheinlich  stammt  der  Stein 
von  einer  Säulenbasis  eines  ciborium.  Die  Namen  erscheinen  in  der- 
selben Reihenfolge  wie  im  Caleuder  von  354,  im  Sacramentarium  Leo- 
uianum  und  im  Calendariura  romanum  bei  Ruinart. 

Ch.  de  Smedt,  S.  J.  L'organisation   des  eglises   chretiennes  jus- 
qu'au  milieu  du  III©  siecle.     Rev.  de  quest.  bist.  44,  329 — 384. 

Der  Verf.  ist  von  den  neueren  Arbeiten  über  den  in  seinem  Auf- 
satze behandelten  Gegenstand  wenig  erbaut  und  wirft  ihnen  vor,  dafs 
sie  zu  wenig  auf  die  Entwickelung  Rücksicht  nehmen.  Leider  hat  er 
nicht  gesagt,  welche  Arbeiten  er  im  Auge  hat;  denn  die  deutschen  Unter- 
suchungen über  diese  Frage  trifft  seine  Anklage  nicht.  Er  scheidet  drei 
Perioden  1)  bis  zum  Ende  des  ersten  Jahrhunderts,  2)  bis  zur  Verfol- 
gung des  Decius,  3)  bis  zu  dem  Toleranzedikt  von  313. 

Als  Quellen  für  die  Geschichte  der  ersten  Periode  gelten  dem  Verf. 
die  Schriften  des  neuen  Testaments,  der  erste  Clemensbrief  und  die  Acöa^rj. 
In  der  ältesten  Christengemeinde  zu  Jerusalem  konstatiert  der  Verf.  als 
Würdenträger  die  npeaßürzpot.  und  die  dtdxovot\  diese  werden  auch  an  an- 
deren Orten  nachgewiesen,  auch  werden  sie  bereits  im'axonoc  genannt.  Die 
npecrßuzepoc  —  imaxonoc  werden  nicht  durch  den  Willen  der  Gemeinde 
bestellt,  sondern  durch  die  Handauflegung  der  Apostel  zu  ihrem  Amte 
berufen.  Ihre  Autorität  ist  absolut  und  souverän,  die  Gemeinde  ist  ihr 
unterworfen.  Sie  hatten  priesterlichen  Charakter,  und  die  Feier  des 
Abendmahls,  c'est-ä-dire  du  sacrifice  eucharistique  gebührte  nur  ihnen. 
Die  Seelsorge  mittels  Lehre  ist  eine  ihrer  wichtigsten  Aufgaben.  Mit 
der  Vermögensverwaltung  hatten  sie  eigentlich  nichts  zu  thun,  sondern 
diese  kam  den  Diakonen  zu  Besonders  wichtig  ist  für  den  Verf.  die 
Frage,  ob  wirklich  npeaßürepoc  und  incaxonoc  in  dieser  Periode  nur  ver- 


168  Römische  Geschichte  und  Chronologie. 

scbiedcne  Bezeichnungen  für  dieselbe  Sache  sind.  Beide  Bezeichnungen 
wurden,  ohne  dafs  ein  Beschlufs  der  Apostel  oder  eines  Concils  dies 
anordnete,  aus  dem  gewöhnlichen  Gebrauche  entlehnt  und  auch  ohne 
Unterschied  längere  Zeit  angewandt.  Aber  seine  besondere  Färbung 
hatte  jeder  von  beiden  Ausdrücken.  Nach  dem  Gefühle  des  Verf.'s  — 
einen  Beweis  hat  er  nicht  erbracht  —  bezeichnet  Tzpsaßüzzpog  die  Ehren- 
stellung, im'axoTzog  das  Amt.  Die  erstere  Bezeichnung  ist  allgemein  und 
umfafst  alle,  welche  am  Kirchenregimente  teilnahmen  ohne  persönliche 
Jurisdiction,  während  die  letztere  gerade  die  Übung  dieser  Befugnis  be- 
tont =  (jifjeaßüzepog  T.potaTÜixevog  zr^g  ixxXrjaiag).  Wo  soll  aber  auch 
nur  ein  Schatten  von  Anhalt  für  diese  Erklärung  sich  finden,  welche  in 
nuce  die  Lehre  von  der  bischöflichen  Gewalt  enthält?  Auch  die  An- 
schauung, welche  sich  sogar  auf  die  Autorität  des  heiligen  Hieronymus 
zu  stützen  vermag,  dafs  alle  Tiptoßö-tpoi  einer  Kirche  gleich  waren,  will 
der  Verf.  nur  für  die  Lebenszeit  der  Apostel  zugeben,  die  stets  die  Lei- 
tung in  ihren  Händen  behielten  —  an  einer  Stelle  heifsen  sie  pontifes 
supremes  — ,  während  dieses  Verhältnis  sofort  mit  dem  Tode  der  Apostel 
sich  änderte,  indem  die  Bischöfe  ihre  Nachfolger  wurden. 

Am  Anfange  der  zweiten  Periode  bestätigt  Iguatius  von  Antiochien 
den  monarchischen  Charakter  des  Kirchenregimeuts:  Der  Bischof  allein 
war  an  erster  Stelle,  die  Presbyter  und  Diakonen  seine  Mitarbeiter, 
aber  eine  Stufe  tiefer;  sie  sind  ihm  gerade  so  unterworfen,  wie  die  ein- 
fachen Gläubigen.  Dem  Bischof  gehört  der  Vorsitz  in  den  Versamm- 
lungen der  Gläubigen,  er  allein  darf  das  Abendmahl  erteilen,  andere  nur 
in  seinem  Auftrag,  er  hat  das  Recht  der  Lehre,  alles  kraft  der  aposto- 
lischen Nachfolge.  Dagegen  erfährt  man  über  die  Befugnisse  der  Priester 
nichts.  Diese  monarchische  Stellung  des  Bischofs  wird  durch  die  aposto- 
lischen Constitutionen  völlig  bestätigt;  die  Diakonen  werden  hier  einfach 
zu  Gehilfen  des  Bischofs.  Sie  sind  von  ihm  völlig  abhängig.  Die  Priester 
haben  einzig  das  Lehramt  zu  besorgen  und  besitzen  eine  höhere  Stellung 
als  die  Diakonen.  Es  lag  nahe,  nach  Mafsgabe  des  alten  Testaments 
den  Bischof  als  den  Hohenpriester,  die  Presbyter  als  Priester  und  die 
Diakone  als  Leviten  aufzufassen.  In  dieser  Auffassung  beengt  es  den 
Verf.  nicht,  dafs  die  Hauptstellen  sich  in  dem  achten  Buche  der  Const. 
apost.  finden,  welches  im  günstigsten  Falle  im  vierten  Jahrhundert  den 
früheren  angeklebt  wurde.  Natürlich  werden  diese  Anschauungen  durch 
so  wertlose  Schriften  wie  die  Recognitiones  S.  Clementis,  die  Klemens- 
briefe,  die  Canones  ecclesiastici  SS.  apostol.  ganz  nach  Wunsch  des 
Verf.'s  bestätigt.  Und  da  Clemens  von  Alexandreia  und  Origenes  so  gut 
wie  nichts  über  die  Aufgaben  der  Priester  sagen,  dienen  sie  ebenfalls 
zum  Beweise,  dafs  es  auch  in  der  alexandrinischen  Kirche  so  war,  wie 
der  Verf.  darlegt.  Aber  auch  für  den  Westen  beweisen  die  Klemens- 
briefe,  der  Hirte  des  Hermas,  die  Schriften  des  Justin  und  Hippolytus 
sowie  die  Philosophumena  das  Gleiche,  besonders  aber  lassen   sich  Ire- 


8.  Zeit  der  Verwirrung.  169 

naeus  und  Tertullian  für  die  bischöfliche  Machtstellung  verwenden.  In 
einer  Schlufsbetrachtung  hält  der  Verf.  die  monarchische  Gestaltung  der 
Kirche  für  die  ursprüngliche,  von  Christus  bestimmte.  Denn,  meint  er, 
wie  sollte  man  denn  die  Umgestaltung  erklären?  An  einen  Consensus 
der  einzelnen  Kirchen  ist  nicht  zu  denken,  Synoden  gab  es  bis  zum  Ende 
des  zweiten  Jahrhunderts  nicht.  Hätte  eine  solche  von  den  Priestern 
ausgehen  können,  die  in  diesem  Falle  freiwillig  abdanken  hätten  müssen? 
oder  von  den  Gläubigen,  welche  die  Priester  dazu  nötigten,  nachdem 
unter  deren  Leitung  die  Kirche  zur  Blüte  gelangt  war? 

Ich  meine,  der  Verf.  hätte  kaum  eine  schneidendere  Kritik  seiner 
Ergebnisse  erwarten  können,  als  er  sie  wider  Willen  übt.  Er  vermag 
für  den  monarchischen  Charakter  der  Kirche  in  der  ersten  Periode  keinen 
einzigen  Beweis  zu  erbringen.  Dann  stellt  er  die  sophistische  Frage, 
wie  man  die  monarchische  Gestaltung  im  dritten  Jahrhundert  erklären 
wolle.  Als  ob  dem  Verf.  die  Thätigkeit  des  Irenaeus,  des  Cyprian,  des 
Justin  und  Ignatius  unbekannt  wäre.  Als  ob  er  nicht  wüfste,  dafs  gerade 
Irenaeus  als  einer  der  ersten  dem  Episkopate  die  apostolische  Nachfolge 
als  Titel  seiner  Ansprüche  vindiziert  hat.  Auf  so  plumpe  Listen,  wenn 
sie  sich  auch  mit  dem  Scheine  objektiver  Geschichtsforschung  ausstaffieren, 
fällt  heute  kein  Mensch  mehr  herein. 

Kleinen,    Die   Einführung    des   Christentums    in   Köln   und   Um- 
gegend.    Teil  I.    Progr.  Ober-Realsch.  Köln  1888. 

Der  Verf.  will  den  Namen  des  ersten  Bischofs  von  Köln  feststellen 
und  prüft  die  Urkunden,  welche  zu  erweisen  suchen,  dafs  ein  Maternus 
die  Kölner  Kirche  gestiftet  habe,  der  ein  Schüler  des  Apostels  Petrus 
gewesen  und  von  diesem  zur  Bekehrung  der  germanischeu  Völkerschaften 
am  Rheine  von  Rom  aus  gesandt  worden  sei.  Die  Prüfung  ergiebt,  dafs 
die  dafür  vorgebrachten  Beweise  der  historischen  Kritik  nicht  wider- 
stehen können. 

8.  Die  Zeit  der  A'^erwirrung. 

Alb  recht  Wirth,  Quaestiones  Severianae.     Bonner  Dissertat. 
Leipzig  1888. 

Der  Verf.  giebt  zunächst  eine  Zusammenstellung  der  Ereignisse  von 
193  235;  einige  seiner  Ausätze  erörtert  er  in  besonderen  Untersuchungen. 
Der  Geburtstag  des  Caracalla  fällt  darnacii  auf  4.  April  186.  Die  Nach- 
richt von  einem  Hochverratsprozesse  gegen  Severus  ist  unbegründet; 
Cos.  suff.  war  er  189.  Die  imperatorischen  Regrül'sungen  werden  folgen- 
dermafsen  bestimmt:  I.  13.  April  193;  II  Frühling  194;  III.  Sommer 
194;  IV.  November  194;  V.  Sommer  195;  VI  und  Vll.  Herbst  195; 
VIII.  196;  IX.  19.  Februar  197;  X.  Herbst  197;  XI  Ende  Sommers  198; 
XII    208.     Unter    den    im  Jahre    195    bekämpften  Arabes   Eudaemones 


170  Römische  Geschichte  und  Chronologie. 

verstellt  der  Verf.  die  skenitischen  Araber,  was  ich  bereits  in  meiner 
Geschichte  des  römischen  Kaisserreiches  angenommen  habe.  Der  Fall 
von  Byzanz  wird  in  den  Juli  196  gesetzt,  der  Krieg  gegen  Juden  und 
Samniter  Anfang  196.  Caracalla  erhielt  den  Augustustitel  Ausgang  des 
Sommers  198  (August  oder  September);  dies  wufste  man  indessen  schon 
lange,  und  klüger  sind  wir  jetzt  auch  nicht,  als  dafs  die  Verleihung  vor 

15.  Oktober  198  stattgefunden  haben  mufs.  Die  Christenverfolgung  wird 
200/201  gesetzt.  Der  armenische  Krieg  fand  Anfang  198  statt,  der 
Alaueneinfall    196.     Der  Abfall    des  Elagabulus   von  Macrinus  erfolgte 

16.  April  218;  der  Geburtstag  des  Alexander  Severus  ist  l.  Oktober  208, 
sein  Todestag  der  12.  (?)  März  235. 

In  einem  dritten  Teile  bespricht  der  Verf.  einige  Fragen  der 
Reichsverwaltung.  Auf  eine  vierfache  Verstärkung  der  stadtrömischen 
Truppen  schliest  der  Verf.  aus  der  Zahl  der  Verabschiedungen.  Die 
Stelle  Ulpian  Dig.  I,  12,  1  hält  er  für  interpoliert;  doch  ist  die  Frage 
nicht  so  einfach  zu  entscheiden,  wie  es  hier  geschieht.  Endlich  werden 
für  einige  Proconsule  von  Afrika  von  Pertinex-Dio  die  Verwaltungsjahre 
zu  eruieren  versucht. 

In  dem  letzten  Teile  untersucht  der  Verf.  Dios  Leben  und  Schriften. 
Darnach  ist  er  164  geboren  und  erreichte  194  die  Prätur,  206  das  Kon- 
sulat. 218 — 220  ist  er  Curator  von  Pergamon  uud  Smyrna,  222-224 
Statthalter  von  Afrika,  224  -226  von  Dalmatien,  226  -228  von  Panno- 
nia;  229  erhält  er  fern  von  Rom  das  zweite  Konsulat;  gestorben  ist  er 
vor  dem  Jahre  235. 

Alfred  Sommer,    Die   Ereignisse    des  Jahres    238  n.Chr.   und 
ihre  Chronologie.     Progr.  Gymn.  Görlitz  1888. 

Der  Verf.  wendet  sich  gegen  die  Ansicht  Seecks  über  die  Haloan- 
drischen  Subscriptionen,  speziell  gegen  dessen  Ansetzung  des  Regierungs- 
antritts Gordians  III  nach  etwa  23.  Juli  238  (Jahresb.  1886,  327  ff.).  Er 
selbst  setzt  die  Erhebung  dieses  Kaisers  um  8.  Juni  238;  freilich  sind 
die  Grundlagen  dieser  Ansetzung,  eine  verstümmelte  Arval  -  Inschrift 
(Henzen  Acta  fr.  Arv.  S.  223>  und  eine  römische  Inschrift  ohne  Kaiser- 
name, unsicher.  Im  Anschlufs  hieran  wird  die  Erhebung  der  Gordiane 
in  Afrika  einige  Tage  vor  8.  Februar  238,  (etwa  zweite  Hälfte  des  Ja- 
nuar) ihre  Proklamierung  in  Rom  etwa  um  den  8.  Februar  gesetzt;  auch 
hier  liegen  natürlich  zuverlässig  überlieferte  Daten  nicht  vor.  Die  fol- 
gende Darstellung  sucht  den  Beweis  zu  erbringen,  dafs  die  einzelnen  Vor- 
gänge in  diesen  Rahmen  passen.  Dabei  wird  der  Bericht  Herödians 
über  die  afrikanischen  und  römischen  Verhältnisse  als  sehr  ungenau  ver- 
worfen und  Capitolinus  bevorzugt;  dagegen  beruhen  Herödians  Berichte 
über  den  Zug  Maximins  auf  sehr  guten  Quellen.  Gegen  das  von  Seeck 
angenommene  Einverständnis  zwischen  Gordian  I  und  Capellianus  erklärt 
sich  auch  der  Verf.     Seine  Darstellung  dieser  Ereignisse  ist  sorgfältig. 


8.  Zeit  der  Verwirrung.  171 

Für  die  Datierung  findet  er  folgende  Ergebnisse:  Maximin  bricht  Ende 
Februar  aus  Sirmium  auf;  die  Wahl  der  beiden  Kaiser  Maximus  und 
Balbiuus  fällt  Anfang  März,  der  Abzug  des  ersteren  von  Rom  etwa  Ende 
März.  Maximin  kommt  ungefähr  Mitte  April  in  der  Umgebung  von 
Emona  an,  Ende  April  in  der  von  Aquileia;  um  Mitte  Mai  fällt  sein  Tod. 
Bei  der  grofseu  Unsicherheit  aller  zeitlichen  Angaben  und  der  Un- 
klarheit der  Berichte  ist  jeder  neue  Versuch  zur  Aufhellung  willkommen ; 
der  Verf.  hat  sich  die  Sache  nicht  leicht  gemacht,  er  verfährt  durchweg 
gründlich  und  besitzt  die  Kenntnis  der  Thatsachen.  Besonders  bedenk- 
lich ist  in  seiner  Datierung  die  kurze  Zeit,  welche  nach  seinen  An- 
setzungen  zwischen  dem  Tode  Maximins  und  dem  Sturze  der  Senatskaiser 
in  Rom  verfliefst.  Jedenfalls  können  wir  auch  die  Ergebnisse  dieser 
fleifsigen  Arbeit  noch  nicht  als  sicher  ansehen. 

U.  Wilken,  Die  Titulatur  des  Vaballathus.  Zeitschr.  für  Numism. 
15,  330-333. 

Mommsen  und  v.  Sallet  haben  die  Legende  der  syrischen  Vaballath- 
Münzen  VCRIMDR  gedeutet:  v(ir)  c(onsularis)  R(omanorum)  im(perator) 
d(ux)  R(omauorum).  Für  das  erste  Romanorum  hat  v.  Sallet  später 
r(ex)  eingesetzt.  Die  Legende  der  alexandrinischen  Münzen  wurde  von 
denselben  Gelehrten  gedeutet:  YACP  oder  YAYTCPI2  =  b{naxtxog  | 
auT{oxprizu)p)  <r(rpü.TrjYog  'Pa)(jj.(Miov).  Wilken  hat  nun  auf  einem  grie- 
chischen Papyrus  die  Bestätigung  dieser  Deutung  gefunden :  \_ß\\Too  xo- 
ptou  rj/xa)[v  A<j}prjkavou  Zzß[a.)aTou  xai  s<,  ||  roü  xopioo  rjp.(vv  EeTzzip-cotj 
OuaßaUd&oo  'ABrjvo8u>pou  rou  XafiTtpordToo  ßaadiiog  abroxprizopog  arpa- 
■zrifou  "Pojpxuajv:  Die  letzten  vier  Worte  entsprechen  genau  dem  rex 
Imperator  dux  Romanorum.  Nur  den  Anfang  ihrer  Erklärung,  den  vir 
consularis  wird  man  in  vir  clarissimus  verändern,  entsprechend  dem  6 
Xajx-mpora-zog.  Am  Ende  der  Inschrift  stehen  die  Worte  Ms^^lp  xc  d.  h. 
26.  Mechir  des  zweiten  Jahres  des  Aurelian  und  des  fünften  Jahres  des 
Vallabath  =  20.  Februar  271.  Wir  sehen  daraus,  dafs  noch  Ende  Fe- 
bruar 271  die  Herrschaft  Vaballaths  in  Ägypten  bestand.  Zu  dieser  Zeit 
hatte  er  den  Augustustitel  noch  nicht  usurpiert.  Also  sind  die  Usur- 
pationsmünzen aus  dem  fünften  Jahre  des  Vaballath  nach  20.  Februar 
271  geprägt.  In  der  Inschrift  von  Byblos  (CIG.  3,  4503^' S.  1174)  ist 
nach  jJ-rjTpc  rou  nichts  zu  ergänzen,  da  sonst  die  Zeilenlänge  überschritten 
würde ;  das  zweite  rou  ist  Versehen  des  Steinmetzen. 

Raffaele  Mariano,  Le  apologie  nei  primi  tre  secoli  della  chiesa. 
Napoli  1888. 

Der  Verf.  giebt,  im  Anschlüsse  an  die  Arbeiten  der  Tübinger 
Schule,  eine  teilweise  philosophisch  gehaltene  Darstellung  der  Augriffe 
gegen  das  Christentum  in  den  ersten  drei  Jahrhunderten,  als  deren  Ver- 
treter Lucian  und  Celsus  erscheinen.     Der  gröfsere  Teil  der  Schrift  be- 


172  Römische  Geschieht!»  niid  Chrouuljgie, 

schäftigt  sich  mit  der  Abwehr  der  Christen.  Doch  begnügt  sich  der 
Verf.  eine  Anzahl  allgemeiner  Sätze  hier  aufzustellen,  ohne  tiefer  in  die 
einzelnen  Schriften  einzugehen.  Neues  bietet  für  die  deutsche  Wissen- 
schaft die  Schrift  nicht. 

E  Noeldechen,  Tertullian  und  die  Kaiser.    Historisches  Taschen- 
buch 7,  157—193. 

Tertullian  gewährt  in  seinen  Schriften  deutliches  Zeugnis,  wie  die 
Herrscherbilder  der  Römer  von  den  Tagen  Augusts  bis  auf  Varius  — 
so  nennt  der  Verf.  Elogabalus  —  in  seinem  Geiste  sich  abmalen.  Frei- 
lich sind  es  meist  sebr  allgemeine  und  verschwommene  Züge,  um  die  es 
sich  handelt,   und   meist  bedarf  es   eines  neuen  Daniel,  der  sie  auslegt. 

Augustus  wird  belobt,  Tiberius  erscheint  als  christenfreundlich, 
wie  er  in  den  Acta  Pilati  dargestellt  wird;  Domitian  und  Nero  treten 
einander  gesellt  auf;  doch  scheint  die  Anklage  der  Christen  auf  Mord- 
brennerei schon  ziemlich  vergessen  zu  sein  Bei  Traian  wiegt  die  Be- 
lobung vor,  dafs  die  tolle  feindliche  Menge  durch  den  mafsvoUen  Herr- 
scher gebändigt  und  gewisse  Gesetze  gemildert  seien.  Von  Hadrian 
weifs  er  nichts,  das  dem  Christenhafs  ähnlich  sähe;  Pius  hat  nie  die 
Christen  geängstet,  er  wird  als  Nichtverfolger  gefeiert,  aber  nie  als  Gön- 
ner der  Sekte  gerühmt,  von  dem  Schreiben  des  Kaisers  an  das  xoivuv 
'Aacag  weifs  er  offenbar  nichts.  Bei  Marcus  merkt  man  den  Zeitgenossen ; 
er  kennt  Peregrinus'  Tod  in  Olympia  ( 165),  die  Pest  (167),  den  Kaiser  Mar- 
cus als  Mediker  (166),  die  Revolte  Isidors  im  Delta  (170),  den  Aufstand 
des  Avidius  Cassius  (172),  die  Not  im  Quadenlande  (174),  den  Tod  des 
Marcus  (180").  Er  nennt  ihn  einen  äufserst  besonnenen  Herrscher,  und 
die  Drangsale,  die  unter  diesem  Kaiser  in  Ost  und  West  die  Christen 
betrafen,  treten  zurück,  der  Kaiser  erscheint  als  Christenfreund,  die  Er- 
scheinung des  Kreuzeszeichens  im  Quadenlande  wird  gefeiert,  Marcus 
erfährt  die  Macht  des  Christengebetes,  und  ein  den  Christen  günstiges 
Reskript  des  Kaisers  wird  angerufen.  Die  Selbstbetrachtungen  des  Kaisers 
kennt  er  so  wenig  wie  den  Christenhafs  seiner  Umgebung.  Commodus 
wird  als  »Keulpfeilfellmann«  gegeifselt,  das  Herkulesidol  wird  immer  mit 
Hindeutung  auf  diesen  Kaiser  zertrümmert.  Die  Revolte,  in  der  Klean- 
der  fällt,  der  Mörder  des  Commodus,  Narcifs,  werden  erwähnt.  Severus 
—  Julian,  Albinus  und  Niger  werden  nicht  als  Kaiser  gezählt  —  er- 
scheint als  charaktervoll;  die  Mafsregeln  des  Kaisers  zur  Handhabung 
gerechter  und  strenger  Justiz,  seine  Gesetze  gegen  den  Ehebruch,  die 
Abtreibung  der  Leibesfrucht,  zur  Sicherung  der  Mündel,  seine  Reform 
der  papischen  Gesetze  finden  Tertullians  Beifall.  An  der  Grausamkeit 
des  Kaisers  gegen  die  Anhänger  seiner  Gegenkaiser  nimmt  er  keinen 
Anstofs:  sie  sind  alle  Majestätsverbrecher.  In  Rom  bewundert  er  die 
Kriegserfolge  des  Kaisers  im  Osten,  und  wenn  er  dabei  etwas  neidisch 
ist,  weil  Karthago  Mangel  an  Wasser  leidet,  so  wird  er  bald  durch  die 


9.  Zeit  der  Eegeneration.  173 

Sorge  des  Severus  befriedigt,  der  die  Stadt  mit  dem  herrlichsten  Wasser 
versorgt.  Einige  Schatten  fallen  in  das  Licht:  die  Hinrichtung  des  Plau- 
tianus,  dem  schon  in  Asien  Laetus  vorangegangen  war,  und  dem  mancher 
Edle  folgte:  ein  Opfer  dieser  Tage  war  ein  Gönner  der  Christen.  Der 
Verf.  betrachtet  die  beiden  ersten  Kapitel  »Von  der  Bufse«  als  Antwort 
auf  die  Rede,  die  Severus  bei  dieser  Gelegenheit  im  Senate  hielt.  Aber 
ein  halbes  Jahrzehnt  später,  als  die  Schrift  »Von  dem  Mantel«  ausgeht, 
lautet  das  Urteil  wieder  ganz  anders;  da  wird  Plautianus'  Schuld  auch 
in  Afrika  angenommen,  des  Kaisers  civilisatorische  Arbeit  gefeiert.  Ca- 
racalla  dagegen  wird  als  Alexander  und  halber  Nero  gegeifselt.  Nach 
dem  Tode  des  Severus  erscheint  dieser  als  Beschützer  der  Christen;  dafs 
ein  feindliches  Edikt  von  ihm  ausgegangen  war,  wird  verschwiegen.  Die 
Feinde  Severs  waren  Christenfeinde.  Das  Andenken  des  Kaisers  soll 
den  Christen  Gönner  erwecken.  Von  Caracallas  Regierung  spiegeln  sich 
der  Brudermord,  die  Verleihung  des  Bürgerrechts  und  die  dadurch  er- 
öffnete Finanzquelle  und  der  Festjubel  in  Afrika,  als  der  Kaiser  den 
pythischen  Agon  und  das  Odeum  in  Karthago  stiftete.  Auf  die  Regie- 
rung des  Elagabal  deutet  nur  allgemeiner  Ekel,  den  der  alternde  Schrift- 
steller gegen  alles  zeigt. 

9.  Zeit  der  Regeneration. 

Fr.  Rühl,  Die  Zeit  des  Vopiscus.     Rhein.  Mus.  43,  597—604. 

Die  Abfassung  der  V.  Aureliani  wird  gewöhnlich  in  die  Zeit  des 
Imperiums  des  Constantius  Chlorus  gesetzt  Der  Verf.  glaubt  das  aus 
mehrfachen  Andeutungen  der  vita  nicht  annehmen  zu  dürfen,  namentlich 
aus  der  Stelle  v.  Prob.  22,  3.  Andererseits  ist  es  aber  sehr  schwer, 
Daten  zu  finden,  aus  denen  sich  klar  ergiebt,  wann  Vopiscus  geschrieben 
hat.  Nur  die  Abfassungszeit  der  v.  Prob,  läfst  sich  bestimmen;  sie  ge- 
hört in  das  Jahr  322  oder  323,  vor  den  Ausbruch  des  letzten  Krieges 
zwischen  Constantin  und  Licinius.  Mommsen  Herrn.  25,  259  bestreitet 
dies  und  setzt  die  Abfassung  nach  1.  Mai  305  und  vor  24.  Juli  306. 

B.  Klebs,  Das  valesische  Bruchstück  zur  Geschichte  Constantius. 
Philol.  47,  53     80. 

Der  Verf.  unterzieht  den  Bericht  des  Anon.  Val.  de  Constantino 
einer  eingehenden  Untersuchung  Die  Stücke,  welche  eine  Benutzung 
des  Orosius  durch  den  Anon.  vermuten  liefsen,  sind  durch  eine  mecha- 
nische, rohe  Interpolation  hereingekommen.  In  Bezug  auf  die  Liciniani- 
sche  Christenverfolgiing  erwachsen  aus  der  Verkennung  dieses  Verhält- 
nisses falsche  Aufstellungen,  die  der  Verf.  richtig  stellt.  Nach  Ausschei- 
dung der  aus  Orosius  eingelegten  Stücke  bleibt,  trotz  der  zu  Tage  tre- 
tenden Parteinahme  für  Constantin  ein  sehr  wertvoller  Bericht  übrig. 
Dafs  im  Anon.  ein  Auszug  aus  Ammian  vorliege,  weist  der  Verf.  zurück, 


]  74  Römische  Geschichte  und  Chronologie. 

ebenso  die  Annahme  von  Obnesorge,  diese  sei  von  Polemius  Silvias  in 
seinem  Laterculus  benutzt.  Die  angeblichen  Berührungen  mit  christ- 
lichen Schriftstellern  gründen  sich  nur  auf  Orosius-Stellen.  Nach  Klebs' 
Ansicht,  der  hierin  mit  Ohnesorge  übereinstimmt,  haben  wir  es  mit 
dem  Bruchstücke  einer  biographisch  angelegten  Kaisergeschichte  zu  thun. 
Nach  der  eingehenden  Untersuchung  des  sprachlichen  Charakters  der 
Schrift  haben  wir  in  dem  Anon.  einen  Zeitgenossen  Constantins  zu  er- 
blicken, der  sicher  kein  Christ  war.  Der  christliche  Interpolator  mufs 
nach  Orosius  geschrieben  haben. 

Th.  Mommsen,  Equitius.     Zeitschr.  f.  Numism.   15,  251—252. 

Die  von  Missong  auf  den  Münzen  des  Kaisers  Probus  gefundene 
Aufschrift  AEQVITI,  AEQVIT  oder  EQVITI,  welche  dieser  als  Abkür- 
zung für  aequitati  ansah,  will  Mommsen  als  den  Namen  des  Beamten 
betrachten,  der  unter  Probus  das  Münzwesen  leitete.  Dieser  Equitius 
mag  ein  Vorfahr  des  gleichnamigen  Konsuls  des  Jahres  374  sein. 

0.  Seeck,  Studien  zur  Geschichte  Diokletians  und  Constantins  I. 
Die  Reden  des  Eumenius.  Neue  Jahrb.  f.  Philol.  137,  713—726. 
.  Der  Verf.  beweist  zuerst,  dafs  die  letzten  acht  Reden  der  Pane- 
gyriker,  die  uns  durch  die  Abschriften  des  verlorenen  Mainzer  Cod.  er- 
halten sind,  ursprünglich  in  einer  besonderen  Handschrift  bei  einander 
standen;  den  Inhalt  dieser  gallischen  Sammlung  unterwirft  er  einer  ein- 
gehenderen Untersuchung.  Die  Ergebnisse  sind  folgende.  Der  Geneth- 
liacus  (III)  ist  Ende  290  oder  spätestens  Anfang  291  gehalten.  Der 
zweite  Panegyrikus  auf  Maximian  (II)  wurde  21.  April  289  vorgetragen. 
Der  Panegyrikus  auf  Constantins  (V)  ist  von  demselben  Manne  gehalten 
wie  die  beiden  erwähnten,  und  dieser  war  Eumenius.  Gehalten  wurde 
die  Rede  Anfang  Sommer  297.  Die  Rede  pro  restaurandis  scholis  folgte 
ihr  wahrscheinlich  einige  Monate  später.  Auch  der  siebente  Panegyri- 
kus gehört  Eumenius  an,  wahrscheinlich  auch  der  achte.  Von  dem  sechsten 
und  neunten  läfst  sich  dies  nicht  so  sicher  beweisen,  weil  der  Verf.  über 
seine  persönlichen  Verhältnisse  keine  Andeutung  macht.  Wahrschein- 
lich ist  es  aber  nach  manchen  Beziehungen.  So  erkennt  Seeck  in  dem 
zweiten  Teil  der  Mainzer  Handschrift  eine  Sammlung  der  Reden  des 
Eumenius. 

Ich  halte  das  Gesamtresultat  auch  für  wahrscheinlich.  Doch  kann 
ich  im  Einzelnen  mehrfach  nicht  Seeck  zustimmen,  namentlich  in  seiner 
Polemik  gegen  Brandt.  Zunächst  halte  ich  es  für  einen  mindestens  sehr 
hinkenden  Vergleich,  wenn  Seeck  sagt:  »die  Autoren  dieser  Zeit  schrei- 
ben nicht,  wie  sie  sprechen,  sondern  sie  hatten  ihr  Latein,  wie  wir,  aus 
Büchern  gelernt.«  Ich  dachte,  Seeck  wollte  sagen,  wie  wir  unser  Schrift- 
deutsch —  aber  wirklich  er  meint,  wie  wir  unser  Latein.  Das  soll  her- 
vorgehen aus  der  Stelle  pan.  IX,  1:  siquidem  latine  et  diserte  loqui 
illis  ingeneratum  est,  nobis  elaboratum,  et  si  quid  foi'te   comraode  dici- 


9.    Zeit  der  Regeneration.  175 

raus,  ex  illo  fönte  et  capite  facundiae  imitatio  nostra  derivat.  Dann 
müfste  aber  schon  Tacitus  nicht  mehr  Latein  als  Muttersprache,  son- 
dern aus  Büchern  gelernt  haben,  da  er  seine  Zeitgenossen  von  Cicero 
ganz  ähnlich  reden  läfst.  Brandt  hatte  gesagt,  Eumenius  sei  vor  der 
Rede  pro  rest.  schol.  noch  nie  öffentlich  aufgeti^eten  und  führte  dafür 
IV,  1 — 3  an.  .  Seeck  meint,  der  Redner  sage  hier  nur,  dafs  er  auch 
nie  auf  dem  Forum  gesprochen  habe  d.  h.  »dafs  ihm  die  contentiöse  Be- 
redsamkeit der  Advokaten  fremd  sei«.  Dies  soll  sich  aus  den  Worten 
ergeben:  quod  non  modo  contradicendo  nemo  audeat  impedire, 
sed  omnes  potius  .  .  summo  gaudio  et  favore  suscipiant.  Jeder  unbe- 
fangene Leser  wird  aber  in  dieser  Stelle  nur  finden,  dafs  der  Redner 
in  feiner  Weise  seine  Forderung  als  eine  allgemeine  hinstellt;  an  Ad- 
vokaten-Widerspruch denkt  sicherlich  niemand.  Die  ganze  Einleitung 
ist  der  Rede  de  imp.  Pomp,  bisweilen  wörtlich  nachgebildet.  Der  Red- 
ner sagt  allerdings,  er  habe  noch  nie  auf  dem  Forum  gesprochen,  aber 
er  fügt  hinzu:  nunc  demum  sero  quodam  tirocinio  ad  insolitum  mihi 
tribunal  aspirem;  d.  h.  doch  wohl,  dafs  er  noch  nie  in  ähnlicher 
Angelegenheit  vor  gleicher  Instanz  geredet  habe,  wie  jetzt;  die  Rede  pro 
restaur.  scholis  ist  aber  doch  keine  Gerichtsrede.  Dies  versichert  er 
mehrmals  ausdrücklich:  et  hoc  ipso  in  tempore,  quamvis  diversissi- 
mum  a  contentione  litium  genus  orationis  habiturum;  ja  noch 
nicht  zufrieden  damit,  erklärt  er  nochmals  c.  2  —  volo  temporarium  me 
dicendi  genus  atque  id  ipsum  meis  studiis  peculiariter  commodum  involare, 
non  ad  incognitam  mihi  sectam  forensium  patronorum  —  tran- 
sire.  Endlich  versichert  er  ausdrücklich  quamquam  —  loci  tantummodo 
insolentia,  non  dicendi  novitate  perturber,  siquidem  id  probabo  quod  non 
modo  contradicendo  etc.  Also  ganz  unzweideutig  wird  gesagt:  1)  auf 
dem  Forum  habe  ich  noch  nie  gesprochen,  2)  ich  rede  jetzt  zum  ersten- 
mal vor  dieser  Instanz,  3)  eine  gerichtliche  Rede  habe  ich  nie  gehalten 
und  werde  auch  jetzt  keine  halten,  überhaupt  nie.  So  hat  Brandt  doch 
nicht  so  Unrecht  gehabt.  Aus  den  Worten  IV,  15  mens  ex  otio  iacens  ad 
pristinas  artes  animus  attolli  soll  nach  Seeck  hervorgehen,  dafs  Eumenius 
schon  seit  recht  langer  Zeit  sein  Amt  niedergelegt  habe  »da  man  von 
einer  kurzen  Mufse  unmöglich  sagen  kann,  dafs  sie  die  Geisteskräfte 
abstumpfe«.  Seit  wann  heifst  iaceo  abgestumpft  sein?  Die  Bedeu- 
tung ist  klar;  der  Gegensatz  attolli  hat  das  iaceo  hervorgerufen,  und 
otium  ist  nichts  anderes,  wie  Seeck  mit  Recht  bemerkt,  als  das  Auf- 
geben der  früheren  Thätigkeit  am  Hofe ;  pristinae  artes  ist  die  Rhetor- 
thätigkeit,  sie  galt  Eumenius  für  hoch,  wie  attolli  beweist;  natürlich 
denkt  der  Rhetor  nicht  gering  von  seiner  Kunst  (vgl.  4,  15),  dadurch 
wurde  für  die  Zeit,  in  welcher  sie  ruhte,  der  Gegensatz  des  iacere  ge- 
schaffen. Also  dafs  Eumenius  seit  langer  Zeit  sein  Amt  niederge- 
legt habe,  geht  sicherlich  aus  dieser  Stelle  nicht  hervor.  Ob  er  erheb- 
lich früher  den  Hofdienst    verlassen  habe,    als  er  seine  Lehrthätigkeit 


176  Römische  Geschichte  und  Chronologie. 

wiedor  aufnahm,  läfst  sicli  nicht  entscheiden;  4,  15  heifst  es  palatini 
honoris  Privilegium  oratoriae  professioni  salvum  et  incolume  servantes. 
4,  16  si  ita  salvo  honoris  mei  privilegio  doceam  etc  ;  aber  alle  diese 
Stollen  beweisen  für  die  Zeit  nichts.  Auch  .5,  1  nicht,  wenn  man  hier, 
was  wahrscheinlich  ist,  an  Eumenius  denken  will;  denn  Studium  ruris 
und  indulta  quies  sind  ebenso  allgemeine  Angaben  wie  jene.  Wozu 
Sceck  eine  lange  Auseinandersetzung  macht,  dafs  man  das  kaiserliche 
Schreiben  4,  14  als  einen  Erlafs  der  vier  Regenten  anzusehen  habe,  ist 
nicht  zu  sehen;  es  steht  ja  ausdrücklich  da  4,  15  in  his  imperatorum 
et  Caesarum  literis;  4,  16  quod  lovii  Herculiique  pronuntiaut;  4,  17 
nisi  ipsis  imperatoribus  Caesaribusque  nostris  gratum  esse  confiderem. 

F.  Hettner,  Römische  Münzfunde  in  den  Rheinlanden.  Westd. 
Zeitschr.  f.  Gesch.  u.  Kunst  7,  117—163. 

Der  Verf.  setzt  seine  verdienstlichen  Untersuchungen  über  Rö- 
mische Münzfunde  in  den  Rheinlanden  fort;  ich  hebe  die  geschichtlich 
wichtigen  Ergebnisse  heraus. 

Die  Münzen  mit  Sarmatia  devicta  werden  Anfang  323  gesetzt;  zu 
dieser  Zeit  treten  auch  die  Münzen  der  Fausta  und  Helena  auf;  Hett- 
ner vermutet,  dafs  mit  der  Erhebung  des  Constantius  zum  Cäsar  Ver- 
anlassung gegeben  gewesen  sei,  auch  Fausta,  die  Mutterstelle  vertrat, 
zu  ehren,  und  Constantin  habe  diese  Gelegenheit  ergriffen,  auch  seine 
Mutter  zu  ehren.  Ich  vermag  zwischen  diesen  drei  Thatsachen  irgend 
eine  Notwendigkeit  des  Zusammenhangs  nicht  zu  entdecken.  Ob  nun 
Fausta  Mutterstelle  vertrat,  natürliche  oder  Adoptivmutter  war,  lag 
zweierlei  nahe,  entweder  ihr  diese  Ehre  zu  erweisen,  als  Constantin  II 
Cäsar  wurde  oder  aber  sie  zu  verschieben,  bis  der  jüngste  diese  Ehre 
erhielt.  Warum  bei  Constantius'  Erhebung  auch  die  beiden  Frauen  ge- 
ehrt wurden,  ist  einstweilen  nicht  zu  sehen,  die  Thatsache  wie  die  Be- 
gründung können  nicht  als  sicher  gelten.  An  Faustas  Ermordung  im 
Jahre  327  hält  Hettner  gegen  Ranke  und  seine  Nachtreter  Schnitze  und 
Görres  fest,  indem  er  bibliographisch  den  Unwert  der  sog.  Monodie  auf 
Constantin  11  erweist.  Aus  der  verhältnismäfsigen  Seltenheit  von  Stücken 
des  Crispus  in  der  Emission  PTRo  wird  geschlossen,  dafs  der  Tod  des- 
selben in  den  Anfang  dieser  fällt.  Aus  dem  gleichzeitigen  Erscheinen 
der  Münzen  auf  Delmatius  und  der  Restitutionsmünzen  der  Theodora 
und  Helena  schliefst  Hettner  mit  Senckler  und  Marchant,  dafs  die  auf 
Theodora  geschlagen  worden  seien,  um  seine  Stiefmutter  zu  ehren,  als 
Constantin  d.  Gr.  seine  Stiefneffen  zur  Theilnahme  an  der  Regierung 
heranzog.  Zugleich  ehrte  er  aber  auch  seine  Mutter  auf  gleiche  Weise. 
Bezüglich  des  Verhältnisses  von  Arles  und  Constautiua  stellt  Hettner 
die  Ansicht  auf,  die  Namensänderung  habe  327  bei  Gelegenheit  der  Cä- 
sar-Decennalienfeier  des  Constantinus  II  stattgefunden;  nach  seinem  Tode 
340  verschwindet  der  Name  Constantina,  der  erst  nach  Besiegung  des 
Magnentius  durch  Constantius  II  wieder  aufgenommen  wird. 


9.   Zeit  der  Regeneration.  177 

Mit  dem  Jahre  330  treten  in  den  gallischen  Münzstätten  mannich- 
fache  Veränderungen  ein.  Arles  behielt  von  seinen  bisherigen  vier  Offi- 
zinen nur  zwei;  Lyon  erhält  statt  einer  Offizin  zwei.  Gänzlich  aufgeho- 
ben wurden  London  mit  einer  und  Tarraco  mit  vier  Offizinen. 

Ein  wichtiges  Gesetz  stellt  Hettner  S.  144  auf.  Danach  wurde 
der  Augustus  desjenigen  Länderbezirkes,  in  dem  die  betreffende  Präge 
liegt,  immer  mit  Diadem  gebildet,  die  Augusti  der  anderen  Bezirke  bald 
mit  Diadem,  bald  mit  Kranz.  Es  wird  bei  allen  Funden  danach  zu 
sehen  sein,  in  wie  weit  dasselbe  bestätig  wird. 

Es  liegt  in  der  Natur  des  Materials,  dafs  manche  Annahmen  Hett- 
ners  erst  noch  weiterer  Bestätigung  bedürfen.  So  kann  seine  Ansicht 
über  die  Aufeinanderfolge  der  Emissionen  leicht,  wie  es  schon  gesche- 
hen ist,  durch  weitere  Funde  berichtigt  werden;  auch  die  Annahme, 
dafs  die  Dauer  einer  Emission  in  der  Regel  ein  Jahr  betragen  habe, 
ist  einstweilen  Hypothese;  denn  wir  wissen  zu  wenig  Sicheres  darüber, 
wie  viele  Emissionen  neben  einander  herliefen.  Weiter  kann  die  Auf- 
stellung, dafs  in  Rom  von  den  fünf  Offizinen  eine  für  Constantin  d.  Gr., 
eine  für  Constantin  II,  eine  dritte  für  Constantius,  eine  vierte  für  Rom, 
eine  fünfte  für  Konstantinupel  prägten,  während  für  Constans  und  Del- 
matius  in  verschiedenen  Offizinen  geprägt  wurde,  nicht  auf  Sicherheit 
Anspruch  machen,  da  wir  von  dem  ganzen  Münzbetriebe  viel  zu  wenig 
wissen  und  weitere  Funde  schwerlich  uns  viel  mehr  lehren  werden. 

An  diese  Untersuchungen  schliefst  sich  eine  für  den  Numismatiker 
und  Historiker  sehr  wertvolle  Uebersicht  über  die  rheinischen  Schatzfunde. 

Wilh.  Schwarz,  De  vita  et  scriptis  Julian!  imperatoris.  Bonn. 
Diss.   1888. 

Der  Verf.  giebt  eine  sehr  eingehende  Zusammenstellung  aller  von 
ihm  gefundenen  Datierungen  für  Leben  und  Schriften  des  Kaiser  Julian. 
Wenn  auch  nicht  alle  sicher  sind,  so  hat  die  Schrift  doch  unzweifelhaft 
ein  recht  grofses  Verdienst,  indem  sie  teils  Zerstreutes  bequem  vereinigt, 
teils  Neues  und  oft  Besseres  als  die  Vorgänger  fand. 

Das  Geburtsjahr  ist  331  (Mitte  November  bis  Mitte  Dezember); 
seine  Cäsarernennung  fällt  6.  November  355,  seine  Erhebung  zum  Au- 
gustus Anfang  Mai  360.  Der  Aufbruch  gegen  Constantius  erfolgte  Juli 
361,  der  Tod  des  letzteren  am  3.  November  361.  Die  Ankunft  Julians 
in  Antiochia  fällt  vor  Mitte  Juli  362,  sein  Aufbruch  gegen  die  Perser 
5.  März  363,  sein  Tod  26.  Juni  363. 

Der  gröfsere  Teil  der  fleifsigen  Schrift  enthält  Untersuchungen 
über  Datierung  und  Beschaffenheit  julianischer  Schriften. 

Zock  1er,  Julian  und  seine  christlichen  Gegner.  Beweis  d.  Glaub.  9, 
(1888)  No.  2.  3. 

bringt  nichts  Neues,  da  nur  eine  Zusammenstellung  der  julianischen 
Epoche  der  Apologetik  gegeben  wird. 

Jahresbericht  für  Alterthumswissenschaft.    LXIV.  Bd.    (1890.  III.)  12 


178  Römische  Geschieht!»  und  Chronologie. 

Giuseppe   Sounino,  Di  uuo  scisma  iu  Roma  a'tempi  cli  Valen- 
tiniano  I.  Studio  storico.     Livonio  1888. 

Der  Verf.  beschäftigt  sich  mit  Studien  über  die  Religionspolitik 
Valentinians  I.  und  veröffentlicht  hier  ein  Bruchstück,  nämlich  das  Schisma 
durch  Damasus  und  Ursinus.  Im  ersten  Kapitel  schildert  er  die  Be- 
ziehungen zwischen  Staat  und  Kirche  im  Abcndlande  während  des  vierten 
Jahrhunderts,  ohne  mehr  als  Bekanntes  zu  sagen.  Kap.  2  schildert  Ver- 
bannung, Rückkelir  und  Tod  des  Liberius  und  die  Wahl  des  Damasus. 
Der  Verf.  deutet  hier  überall  die  Widersprüche  der  Überlieferung  an^ 
unternimmt  aber  nirgends  den  Versuch,  dieselben  befriedigend  zu  er- 
klären. Denn  die  von  ihm  versuchte  Fixierung  der  verschiedenen  Kämpfe 
zwischen  Damasianern  und  Ursinianern  ist  meist  willkürlich.  Im  dritten 
Kapitel  wird  die  Rückberufung  und  zweite  Verbannung  des  Ursinus  er- 
zählt und  die  Religionspolitik  Valentinians  kurz  dargelegt.  Kapitel  4 
bespricht  die  letzten  Ereignisse  des  Schismas,  die  Concilien  von  Rom 
(378)  und  Aquileia  (381).  Gegen  die  Richtigkeit  der  Darstellung  ist 
nichts  einzuwenden.  In  Deutschland  wäre  die  Arbeit  ohne  Wert,  in 
Italien  ist  eine  solch'  unbefangene  Darstellung  einer  wichtigen  Epoche 
der  Kirchengeschichte  nicht  ohne  Verdienst  Möge  der  Verf.  seine  Ab- 
sicht erreichen,  die  Aufmerksamkeit  der  italienischen  Jugend  auf  die 
Entstehung  des  Papsttums  zu  lenken! 

Karl  Christ,  Römisclie  Feldzüge  in  der  Pfalz,  insbesondere  die 
Befestigungsanlagen  des  Kaisers  Valentinian  gegen  die  Alamannen. 
Sammlungen  von  Vorträgen  gehalten  im  Mannheimer  Altertums-Verein. 
Zweite  Serie.     Mannheim  1888.     S.  31— 61. 

Symmachus  laud.  in  Gratian  ed.  Seeck  p.  322  §  18  spricht  von  zwei 
Schlachten,  welche  Valentiuian  den  Alamannen  lieferte;  die  eine  fand 
nach  des  Verf. 's  Ansicht  bei  Solicinium  (Rottenburg)  in  der  Gegend  der 
Donauquelle  im  Jahre  368  statt,  die  andere  bei  Lopodunum  (Ladeuburg) 
am  Neckar.  Letztere  scheint  früher  als  die  erstere  zu  fallen.  Auf  dem 
ersten  Zuge  legte  Valentinian  im  Winkel  zwischen  Rhein  und  Neckar 
eine  hochgemauerte  und  sichere  Feste  an.  Sicher  bestimmen  läfst  sich 
der  Ort  derselben  nicht;  der  Verf.  will  sie  am  ersten  bei  Mannheim 
finden.  Die  Absicht  des  Kaisers  war,  durch  einen  festen  Punkt  am 
Neckar  sowohl  dessen  Mündung  bei  Mannheim  zu  beherrschen  als  auch 
Altrip  jenseits  des  Rheines  zu  decken.  Wir  dürfen  denselben  darum 
weder  zu  weit  aufwärts  am  Neckar,  noch  scheints  unmittelbar  an  seiner 
Mündung,  sondern  im  Winkel  zwischen  beiden  Flüssen,  und  die  Ablei- 
tung bei  der  Stelle  suchen,  von  wo  ab  der  Neckar  seinen  früheren  uu- 
stäten,  vielfach  gekrümmten  Lauf  begann,  also  bei  Feudenhcira.  Von 
hier  ab  flofs  er  auch  an  dem,  an  der  Schwetzinger  Landstrafse  gelege- 
nen,  alten  Rheinhausen  vorbei,   um   dann  wieder  in  seine  jetzige  Müu- 


9,  Zeit  der  Regneration.  179 

düng  zu  fallen.  In  der  Gegend  aber  bei  Eichelsheim,  dieser  längst 
verschwundenen  Burg  am  Rhein  scheint  das  Kastell  gesucht  werden  zu 
müssen. 

Heinr.  Maurer,  Valentiniaus  Feldzug  gegen  die  Alamannen.  Zeit- 
schrift für  die  Geschichte  des  Oberrheins.    N.  F.  3,  303—328. 

Der  Feldzug  d.  J.  369  zerfällt  in  zwei  zeitlich  und  inhaltlich  scharf 
gesonderte  Abschnitte.  Der  erste  enthält  den  ßheinübergang,  den  Friedens- 
schlufs  mit  den  Alamannen  am  unteren  Neckar,  infolge  dessen  diese  ein 
Stück  Land  auf  dem  rechten  Rheinufer  dem  Kaiser  abtreten ,  und  die 
Erbauung  der  Feste  Alta  Ripa  in  dem  abgetretenen  Lande  auf  dem  Hoch- 
gestade  zwischen  Rhein  und  Neckar.  Der  zweite  beginnt  mit  dem  Feld- 
zug an  den  oberen  Neckar  zur  Zeit,  als  das  Getreide  reif  war,  und 
endigt  mit  dem  Rückzug  des  Kaisers  nach  der  Schlacht  bei  Solicinium. 
Der  erste  umfafst  die  Monate  Mai  bis  Juli,  der  zweite  die  Monate  August 
und  September.  Der  Rheinübergang  auf  dem  ersten  Zuge  ist  dem  Julians 
genau  nachgebildet;  er  erfolgte  wohl  an  derselben  Stelle,  iu  der  Nähe 
des  heutigen  Dorfes  Altrip;  am  folgenden  Tage  wurde  trotz  des  Hoch- 
wassers eine  Schiffbrücke  geschlagen.  Die  überraschten  Alamannen  liefsen 
sich  in  kein  Gefecht  ein,  sondern  flohen  über  den  Neckar  und  Lopodu- 
num.  Auf  dem  rechten  Ufer  nahmen  sie,  wie  es  scheint,  wieder  Stellung, 
aber  der  Kaiser  griif  nicht  an,  und  sie  traten  einen  Teil  ihres  Gebietes 
ab.  Es  handelte  sich  dabei  nur  um  den  Teil  der  Alamannen  zwischen 
Neckar  und  Main.  Das  abgetretene  Land  war  im  Norden  vom  Neckar 
begrenzt;  im  Osten  war  wahrscheinlich  das  nahe  Gebirge  die  Grenze; 
nach  Süden  erstreckte  sich  das  abgetretene  Gebiet  ebenfalls  nicht  weit. 

Bevor  Valentinian  den  zweiten  Zug  antrat,  begann  man  den  Brücken- 
kopf auf  dem  rechten  Rheinufer  zu  einer  regelrechten  Festung  auszu- 
bauen. Dieselbe  lag  auf  dem  Hochgestade  in  dem  Winkel  zwischen  dem 
Rhein  und  dem  ehemaligen  südlichen  Neckararm,  der  noch  im  Mittel- 
alter bei  dem  Dorfe  Neckarau  sich  in  den  Rhein  ergofs.  Der  Rhein 
flofs  damals,  wie  wiederum  heute,  dicht  am  Hochgestade  des  rechten 
Ufers  vorbei,  das  sich  etwa  6  m  über  die  Niederung  des  Flusses  erhebt, 
während  das  linksrheinische  Hochgestade  6  — 7  km  vom  Flufs  entfernt 
ist ;  das  Hochgestade  des  linken  Neckarufers,  welches  vom  Rhein  an  eine 
nordöstliche  Richtung  einhält,  bildet  mit  dem  des  Rheins  ungefähr  einen 
rechten  Winkel.  Aus  der  Schilderung  des  Symmachus  zieht  der  Verf. 
den  Schlufs,  dafs  der  Kaiser  wirklich  die  Stadt  Alta  Ripa  mit  Sorgfalt 
befestigt  hat.  Das  Baumaterial  wurde  von  der  zerstörten  Stadt  Lopo- 
dunum  entnommen,  die  zuletzt  wieder  von  Julian  hergestellt,  von  den 
Alamannen  neuerdings  zerstört  worden  war.  An  die  Stelle  Lopodunums 
trat  jetzt  Alta  Ripa. 

Erst  im  Sommer  begann  der  Vormarsch  ins  Innere  Alamanniens 
an  den  oberen  Neckar.     Der  Kaiser  wählte   den  Weg  die  Rheinstrafse 

12* 


130  Römische  Geschichte   iiud  Chronologie. 

aufwärts  und  dann  seitwärts  über  Ettlingen  und  Pforzheim  an  den  oberen 
Neckar.  Bei  Solicinium  (li.  Rottenburg)  stiefs  er  auf  den  Feind;  der 
Sieg  war  scliwer,  an  eine  Verfolgung  der  Alamannen  nicht  zu  denken. 
Der  Rückzug  erfolgte  auf  demselben  Wege,  den  man  gekommen  war. 

Das  munimcntum  cclsum  et  tutum.  auch  castra  praesidiaria  Am- 
mians  v.  J.  370  ist  nichts  anderes  als  Alta  Ripa,  doch  handelt  es  sich 
nicht  um  Ableitung  des  Flusses,  sondern  um  eine  Uferbefestigung,  wobei 
die  Strömung  auf  die  Seite  zu  drängen  war.  Die  Arbeiten  fallen  wahr- 
scheinlich in  den  Juli,  da  der  Kaiser  am  20.  Juli  sich  in  Alta  Ripa  auf- 
hielt. Die  Zerstörung  der  Festung  erfolgte  durch  den  Rhein,  der  ein 
Stuck  von  etwa  400  m  Breite  wegrifs,  samt  den  darauf  befindlichen 
Festungsbauten;  ihr  Name  lebt  fort  in  dem  des  in  der  Niederung  des 
linken  Ufers  liegenden  Dorfes  Altrip.  Versunkene  Mauerreste  kommen 
noch  hier  und  da  bei  niederem  W^asserstand  zum  Vorschein.  Ein  An- 
hang erklärt  die  beigegebene  Karte  insbesondere  für  die  Beschaffenheit 
der  ehemaligen  Neckararme. 

L.  Cantarelli,   II  cursus   bonorum    doli'   imperatore   Petronio 
Massimo.     Bull,  della  archeol.  comunale  di  Roma  16,47 — 60. 

Von  Petronius  Maximus  heifst  es  auf  der  bekannten  Florentiner 
Inschrift:  a  proavis  atabisque  nobilitas  ornatur.  Der  Verf.  will  ihn  des- 
halb der  Familie  der  Anicier  zuweisen.  Was  seine  Ämterlaufbahn  be- 
trifft, so  will  Cantarelli  annehmen,  dafs  er  durch  adlectio  inter  consu- 
lares  in  den  Senat  gelangte,  dem  er  mit  19  Jahren  (geb.  395)  schon  an- 
gehörte. Sein  erstes  Amt,  das  er  mit  19  Jahren  bekleidete,  war  das 
eines  tribunus  et  notarius  in  consistorio  sacro ;  er  gehörte  zu  der  Rang- 
klasse der  Clarissimi.  Dann  wurde  er  comes  sacrarum  remunerationum 
(largitionum),  welclie  Stellung  er  drei  Jahre  (416 — 418?)  verwaltete.  Ob 
er  vorher  comes  rerum  privatarum  (415?)  war,  ist  nicht  sicher  zu  ent- 
scheiden. Noch  nicht  25  jährig  erhielt  er  die  Stadtpräfektur  (Ende  419 
— 421).  Er  hatte  damit  Anspruch  auf  den  Illustrat,  heifst  aber,  dem 
Gebrauche  des  vierten  und  fünften  Jahrhunderts  entsprechend,  vir  cla- 
rissimus.  Über  das  Jahr  421  gehen  die  Angaben  dieser  Inschriften  nicht 
hinaus.  Aber  zwei  andere  Inschriften  (CIL  VI,  1197  und  1198)  machen 
wahrscheinlich,  dafs  er  viermal  Präfekt  und  zweimal  cons.  Ordinarius 
war  (433  und  443);  die  beiden  Inschriften  gehören  den  Jahren  443  und 
444  an.  Die  vier  Präfekturen  haben  Corsiui  und  Henzen  sämtlich  als 
Stadtpräfekturen  gefafst,  Zirardini  und  Rossi  widersprechen.  Der  Verf- 
weist  zuerst  nach,  dafs  Maximus  diese  Präfekturen  vor  443  bekleidet 
haben  mufs;  sonst  nimmt  er  mit  Rossi  an,  dafs  zu  diesen  Präfekturen 
auch  zwei  prätorianische  und  zwar  von  Italien  zu  rechnen  sind  (435  und 
439  —  441).  Die  letzte  Erhebung  des  Maximus  zeigt  sein  Titel  patricius 
(445).     Kaiser  wurde  er  17.  März  455. 


9.  Zeit  der  Regneration.  181 

Alb.  Duncker,  Geschichte  der  Chatten.  Aus  dem  litterarischen 
Nachlasse  herausgegeben  von  G.  Wolff.  Zeitschr.  d.  Ver.  f.  hess.  Gesch. 
und  Landesk.     N.  F.  13,  225  -397. 

Aus  dieser  nachgelassenen  Arbeit  des  früh  geschiedenen  Forschers 
kommt  für  den  Jahresbericht  nur  ein  Teil  in  Betracht. 

Auch  im  nachmaligen  Hessen  gingen  keltische  Siedelungen  den  ger- 
manischen voraus.  Aber  die  germanischen  Stämme  überwältigen  schliefs- 
lich  die  östlich  des  Rheins  bis  an  den  Main  hin  wohnenden  Kelten  und 
trieben  ihre  Überreste,  soweit  diese  es  nicht  vorzogen,  sich  den  Siegern 
zu  unterwerfen,  über  den  Strom,  der  nun  auf  lange  Zeit  im  nördlichen 
Teil  seines  Laufes,  etwa  bis  zur  Maiulinie  hin,  die  Grenzscheide  zwischen 
beiden  grofsen  Völkern  bildete.  Südlich  des  Mains  und  im  oberen  Donau- 
gebiet blieben  noch  keltische  Stämme  sitzen.  Der  Abschlufs  dieser  Ent- 
wicklung fällt  in  das  dritte  oder  vierte  Jahrhundert  v.  Chr. 

Cäsar  kennt  den  Namen  der  Chatten  noch  nicht,  sondern  ihm  ver- 
schwinden sie  noch  unter  der  grofsen  Völkermasse  der  Sueven;  Strabo 
nennt  ihn  zuerst;  dann  erscheint  er  häufig.  Tacitus  stellt  sie  schon  zu 
zu  den  Sueven  im  Gegensatz.  Bei  ihm  wohnen  sie  bis  zu  den  Ufern 
der  Werra.  Die  Verwandlung  des  Namens  Chatti  in  Hessi  (die  Feind- 
seligen) hält  D.  durch  Kögel  für  erwiesen;  doch  will  er,  wenn  auch  an 
der  gleichen  Wurzel  festhaltend,  den  Namen  lieber  als  »die  Anstürmen- 
dena,  »Ungestümena  erklären.  Die  Bataver  hatten  sich  schon  lange  vor 
Cäsars  Ankunft  von  den  Chatten,  von  denen  sie  einen  Teil  bildeten,  ge- 
trennt; auch  Chattuarier  und  Mattiaker  -waren  wohl  Gaue  des  grofsen 
Chattenvolkes.  Über  das  Land  der  Chatten  läfst  sich  bezüglich  der 
Grenzen  nichts  Sicheres  ermitteln,  es  war  sehr  waldreich,  hatte  ein 
rauhes  Klima,  in  dem  jedoch  noch  Hafer  und  Gerste,  Rüben,  Hülsenfrüchte 
und  Beeren  reiften  und  hatte  keine  Städte;  Mattium  war  nur  ein  Kom- 
plex von  Höfen.  Was  der  Verf.  sonst  für  das  Leben  der  Chatten  bei- 
bringt, konnte  so  ziemlich  über  jeden  Stamm  gesagt  werden.  Die  kriege- 
rische Tüchtigkeit  der  Chatten  wird  allgemein  gefeiert. 

Die  Darstellung  der  Kämpfe  mit  den  Römern  bis  zum  Zerfalle  des 
weströmischen  Reiches  und  dem  Emporkommen  der  Frankenmacht  füllt 
den  gröfsten  Teil  der  Abhandlung.  Die  ersten  Kämpfe  soll  Drusus  den 
Chatten  im  Jahre  12  geliefert  haben.  Ein  zweites  Mal  kämpfte  er  gegen 
die  mit  Cheruskern  und  Sugambern  verbündeten  Chatten  im  Jahre  11  und 
erlitt  bei  Arbalo  eine  Niederlage.  Deshalb  wurde  der  Feldzug  des  Jahres 
10  gegen  dieses  Volk  gerichtet;  aber  er  erreichte  nur  die  Unterwerfung 
der  Mattiaker,  und  die  Anlage  der  Saalburg,  Friedbergs  in  der  Wetterau, 
des  Kastells  bei  Heddernheim  und  der  Befestigung  auf  dem  Heidenberge 
bei  Wiesbaden.  Ob  er  im  Jahre  9  die  Unterwerfung  vollendet  habe,  ist 
nicht  festzustellen.  Nach  dem  Abzug  der  Markomannen  nach  Böhmen 
überliefs  wahrscheinlich  Tiberius  einen  Teil  des  ehemals  sugambrischen 
Gebietes  den  Chatten  und  gestattete  ihnen  nach  Südosten  sich  bis  zur 


182  Römische  Geschichte  unrl  Chronologie. 

frünkischen  Saale  auszudehnen.  Vielleicht  unterstützten  sie  dafür  die 
Römer  gegen  Marobod,  mindestens  liiclten  sie  sich  neutral.  An  dem 
Kriegsbündnisse  gegen  die  Römer  unter  Armin  nahmen  sie  wahrscheinlich 
von  vornherein  teil  und  trugen  nachher  zur  Ausnutzung  des  Sieges  ent- 
schieden bei :  die  Taunuskastelle  fielen  in  ihre  Hände.  Germanicus  stellte 
dieselben  wieder  her  und  zog  gegen  die  Chatten  über  Friedberg,  Butz- 
bach, Giefsen,  durch  den  Ebsdorfer  Grund,  Kirchhain,  Treysa,  nördlich 
von  Wabern  an  die  Edder  und  nach  Zerstörung  von  Mattium  durch 
Edder-  und  Siegthal  nach  Bonn.  Bei  den  Kämpfen  des  Armin  in  den 
Jahren  15  und  16  waren  sicherlich  Chatten  beteiligt.  Im  Jahre  16 
schickte  Germanicus  den  C  Silius  in  ihr  Land.  In  den  folgenden  Jahr- 
zehnten wahrten  die  Chatten  ihre  Unabhängigkeit;  im  Jahre  41  trug  S.  Sul- 
picius  Galba  einige  Vorteile  über  sie  davon,  neun  Jahre  später  wurden 
Chatteneinfälle  von  dem  Legaten  P.  Pomponius  Secundus  mit  Glück  zu- 
rückgewiesen. Im  Jahre  58  fand  zwischen  Chatten  und  Hermunduren 
ein  Kampf  um  Salzquellen  statt.  In  den  Stürmen  des  Vierkaiserjahres 
hatten  die  Chatten  Einfälle  in  das  Reich  gemacht  und  sogar  Mogontia- 
cum  berannt.  Im  Jahre  81  trugen  die  Chatten  über  die  Cherusker 
einen  entscheidenden  Sieg  davon.  Nach  dem  Kampfe  Domitians  mit  den 
Chatten  83/84  wurde  der  Plan  einer  befestigten  Grenze  ausgearbeitet; 
die  Ausführung  erfolgte  durch  Traian  und  Hadrian.  50  Jahre  lang  be- 
standen jetzt  friedliche  Zustände.  Erst  unter  Kaiser  Marcus  hört  man 
wieder  von  Krieg  zwischen  Römern  und  Chatten.  Ob  südlich  vorhan- 
dene Teile  dieses  Volkes  sich  mit  dem  Alamanuenbunde  verschmolzen, 
wissen  wir  nicht.  Caracalla  wies  213  Alamannen  und  Chatten  vom  römi- 
schen Gebiete  zurück  und  stellte  sichere  Besitzverhältuisse  für  Rom  auf 
zwei  Jahrzehnte  wieder  her.  In  dem  nächsten  Jahrhundert  verschwinden 
die  Chatten  vor  Alamannen  und  Franken,  doch  drang  wahrscheinlich 
Julian  in  die  Taunusgegendeu  ein.  Im  Jahre  392  wird  der  Name  der 
Chatten  zum  letzten  Male  genannt,  als  Ärbogast  über  den  Rhein  ging; 
mehr  als  drei  Jahrhunderte  verschwindet  er  ganz,  um  gegen  720  in  der 
Form  Hessi  wieder  aufzutauchen.  Sie  bilden  den  Kern  der  südlichsten 
Frankengruppe,  der  Oberfranken;  ein  Teil  des  Volkes  war  über  den 
Rhein  in  das  Moselgebiet  gewandert. 

Der  Verf.  versucht  dann  noch  ein  Bild  der  Kultur  des  Hessen- 
landes unter  römischer  Herrschaft  zu  zeichnen;  es  enthält  nur  allgemeine 
Züge;  geistiges  Leben  bestand  nur  in  sehr  geringem  Mafse.  Aber  selbst 
diese  Keime  wurden  mit  der  dauernden  Besitzergreifung  des  Limeslandes 
durch  die  Germanen  vernichtet. 

Beckurts,  Die  Kriege  der  Römer  in  Afrika  nach  dem  Unter- 
gange der  vandalischen  Herrschaft  in  den  Jahren  534  —  547.  1.  Teil. 
Progr.    Wolfenbüttel  1888. 

Nach  der  Niederwerfung  desVandalenreichs  durch  Belisar  wurde  Afrika 
eine  besondere  prätorianiscbe  Präfectur  mit  7  Provinzen  und  4  duces  in 


9.   Zeit  der  Regeneration.  ]83 

Leptis  magna,  Kapsa  und  Leptis  minor,  Constantine,  Caesarea.  Die 
neue  byzantinische  Herrschaft  wurde  rasch  durch  ihr  drückendes  Fiuanz- 
system  verhafst;  die  äufseren  Feinde  waren  die  Mauren.  Die  von  den 
Römern  betriebene  Kolonisation  derselben  wurde  von  den  Vandalen  nicht 
fortgesetzt;  vielmehr  waren  sie  in  dem  Niedergänge  der  vandalisclien 
Herrschaft  wieder  zu  ihrem  alten  nomadischen  Treiben  zurückgekehrt, 
und  damit  zu  ihrem  alten  Räuberleben.  Meist  auf  ihren  raschen  Pfer- 
den den  Gegnern  unerreichbar,  erschienen  sie  raubend  und  plündernd 
in  allen  Provinzen,  unterstützt  von  ihrer  genauen  Kenntnis  der  Natur 
des  Landes.  Für  die  germanischen  Söldner  erwies  sich  das  Klima  des 
Landes  ebenso  verderblich  wie  seine  Sittenlosigkeit  und  Genufssucht. 

Sofort  nach  Belisars  Abfahrt  brachen  die  Mauren  in  die  Provinz 
Byzacium  ein,  und  bald  standen  an  50  000  Mauren  unter  vier  Fürsten 
den  Römern  gegenüber.  Salomon,  Belisars  Nachfolger,  versuchte  zuerst 
zu  unterhandeln,  nachher  griff  er  sie  (535)  bei  Mamma  an  und  schlug 
sie.  Sofort  erschienen  die  Feinde  aber  wieder  mit  gröfsereu  Streit- 
kräften, und  Salomon  brachte  ihnen  in  einer  zweiten  Schlacht  am  Berge 
Burgaon  (Djebel-bu-Ghanem?)  eine  äufserst  verlustreiche  Niederlage  bei, 
durch  welche  die  Provinz  Byzacium  vom  Feinde  frei  wurde.  Im  gleichen 
Jahre  waren  in  Numidien  zahlreiche  Horden  des  Königs  Jaudas  am  Ge- 
birge von  Aurez  erschienen.  Salomon  machte  noch  vor  dem  Winter 
des  Jahres  einen  Vorstofs  gegen  dieses  Gebirge,  konnte  aber  die  Feinde 
nicht  zum  Entscheidungskampfe  bringen.  Ehe  er  den  Kampf  fortsetzen 
konnte,  brach  ein  Aufstand  der  Soldaten  23.  März  536  aus,  der  zum 
Teil  aus  religösen  Motiven  entsprang,  weil  Justinian  die  Unterdrückung 
der  Arianer  befohlen  hatte,  zum  anderen  aber  der  Nichtbefriedigung  der 
Forderung  der  Soldaten,  Landbesitz  zu  erhalten.  Salomon  mufste  nach 
Syrakus  entfliehen.  Der  von  ihm  herbeigerufene  ßelisar  rettete  zwar 
Karthago,  konnte  aber  Numidien  nicht  behaupten.  Justinian  sandte  jetzt 
seinen  Neffen  Germanus,  dem  die  Beschwichtigung  der  Soldaten  gelang; 
den  Anführer  der  Meuterer  Stutias  besiegte  er  bei  Cellas  Vatari.  Das 
Heer  wurde  nachher  von  Salomon  reorganisiert,  der  das  Aurez-Gebirge 
wieder  gewann,  die  Provinz  Sitifis  eroberte  und  unter  seiner  gerechten 
Verwaltung  Afrika  eine  kurze  Zeit  des  Friedens  und  der  Ruhe  sicherte. 

P.  Allard,  Diocletieu  et  les  chretiens  avant  l'etablissement  de  la 
tetrarchie.     (285—293).     Rev.  des  questions  historiques  44,  51 — 9L 

Nach  des  Verf.'s  Ansicht  hatte  Diokletian  im  Jahre  285  keine  be- 
stimmte Politik  gegen  die  Christen  beschlossen,  sondern  er  duldete  sie 
in  seiner  Umgebung  und  liefs  sie  auch  verfolgen.  Um  die  Märtyrer- 
akten des  h.  Genesius  unterzubringen,  nimmt  der  Verf.  gegen  alle  Über- 
lieferung au,  Diokletian  sei  sofort  nach  seiner  Erhebung  nach  Rom  ge- 
gangen, und  hier  habe  sich  das  Martyrium  des  Heiligen  vollzogen.  Als 
Herkulius  zum  Mit-Augustus  erhoben  war,  begann  dieser  schon  auf  sei- 


184  Römische  Geschichte  und  Chronologie. 

nem  Marsche  nach  Italien  die  Verfolgung,  wobei  wieder  einige  Märtyrer- 
akten zu  Ehren  gebracht  werden,  und  in  Rom  erweckte  er  wieder  die 
ganze  Härte  der  Verfolgung.  Auf  dem  Marsche  nach  Gallien  erfolgte 
die  Niedcrmctzclung  der  »thebäisclicn  Legion«,  deren  Name  schon  sehr 
glaubwürdig  klingt.  Auf  Grund  ganz  später  und  nichtsnutziger  Mär- 
tyrerakten wird  angenommen,  er  habe  auch  bei  Unterdrückung  des  Be- 
gaudenaufstandes  die  Christen  besonders  verfolgt.  Datianus  spielte  hier- 
bei in  Südwesten  schon  die  gleiche  Rolle,  wie  später  in  Spanien.  Im 
Juli  287  wird  wieder  auf  ganz  wertlose  Angaben  hin  angenommen,  er 
habe  sich  in  Massilia  aufgehalten,  bevor  er  seine  Residenz  in  Trier  auf- 
schlug; natürlich  gab  es  auch  in  Marseille  Märtyrer. 

Die  Zustände  des  Christentums  im  Osten  werden  stark  übertrieben 
geschildert.  Als  Diokletian  nach  Nikomedien  kam,  wich  der  Fanatismus, 
den  er  in  Rom  gezeigt,  schnell  dem  Einflufs  seiner  Gemahlin  und  Toch- 
ter. Am  Hofe,  in  den  Staats-  und  Gemeindeämtern  waren  Christen, 
da  die  Wortführer  über  derartige  Thätigkeit  gemäfsigte  Ansichten  ver- 
breiteten. Diokletian  befreite  sie  von  der  Pflicht  zu  opfern,  und  selbst 
die  Stellen  der  Flamines  konnten  von  Christen  übernommen  werden. 
Die  Beamten  folgten  des  Kaisers  Beispiel.  Die  Bischöfe,  schon  längst 
einflufsreich,  fühlten  sich  jetzt  sicher  und  erbauten  schöne  neue  Kirchen. 
Auch  die  Katakomben  werden  mit  gröfserer  Sorgfallt  behandelt,  das 
Beispiel  des  Ostens  wirkte  auch  auf  den  Westen,  und  speciell  in  Rom 
zeigen  sich  ihre  Folgen.  Allerdings  wirkte  die  Ruhe  auch  auf  Sitten 
und  Zucht  manichfach  erschlaffend.  Die  Heiden  benutzten  dies,  um 
den  Versuch  zu  machen,  die  Christen  für  das  geläuterte  Heidentum 
zu  gewinnen.  Dieses  richtete  sich  am  Neuplatonismus  auf,  und  als  die 
Versuche  erfolglos  blieben,  begann  von  hier  aus  die  Bekämpfung  des 
Christentums. 

F.  Görres,  Rictius  Varus  (oder  Rictiovarus)  der  berüchtigte  my- 
thische Verfolger  der  gallischen  und  zumal  der  trierischeu  Kirche. 
Westd.  Zeitschr.  7,  23—35. 

Der  Verf.  beweist  wieder  mit  Aufwand  einer  breiten  Citatensamm- 
lung,  dafs  Rictius  Varus  in  der  diokletianischen  Zeit  keine  Stelle  finden 
kann.  Dagegen  sucht  er  ihm  einen  Doppelgänger  nachzuweisen  in  dem 
Statthalter  von  Spanien  Daciauus,  der  sich  als  Verfolger  der  christlichen 
Kirche  304/5  hervorthat,  und  dessen  Existenz  durch  eine  Inschrift  bei 
Gruter.  199,  4  bestätig  wird. 

Leider  ist  diese  Inschrift  unecht,  wie 

Zangemeister,  Korr.  Bl.  d.  Westd.  Zeitschr.  7,  91  —  93  nach- 
weist. In  diesem  Zusammenhange  weist  Zangemeister  darauf  hin,  dafs 
der  Wareswald  bei  Tholey  fälschlich  nach  dem  mythischen  Varus  Varus- 
wald  heifst. 


9.   Zeit  der  Regeneration.  185 

Adolf  Harnack,  Augustins  Konfessionen.   Ein  Vortrag.    Giefsen 


1{ 


In  der  Zeit  von  Constantins  Tod  bis  zur  Plünderung  Roms  durch 
die  Vandalen  (c-  340 — 450)  ist  von  den  Kirchenvätern  das  geistige  Ka- 
jiital  zusammengebracht  worden,  das  sich  in  Religion  und  Theologie, 
Wissenschaft  und  Politik  als  die  Überlieferung  des  Altertums  an  das 
Mittelalter  ergiebt.  Das  Abendland  ist  im  Mittelalter  mehr  als  sieben 
Jahrhunderte  laug  auf  diesen  Besitz  beschränkt  geblieben;  aber  daneben 
hatte  es  doch  einen  Mann,  der  am  Schlüsse  der  alten  Zeit  gelebt  und 
sein  Leben  über  die  folgenden  Jahrhunderte  ausgeschüttet  hat,  Augustin, 
dem  an  umfassender  Wirkung  kein  Anderer  gleichkommt.  Die  Kirche 
des  Abendlands  verdankt  ihr  Leben  und  Bewegung,  die  Spannungen 
mächtiger  Kräfte,  wertvolle  Probleme  und  grofse  Ziele.  An  ihm  haben 
sich  Petrarca  und  die  grofsen  Meister  der  Renaissance  gebildet,  und 
Luther  ist  ohne  ihn  nicht  zu  verstehen.  Wir  reden  heute  noch  die  re- 
ligiöse Sprache,  die  uns  vertraut  ist  aus  Liedern,  Gebeten  und  Er- 
bauungsbüchern, in  seineu  Worten,  bezüglich  des  Wesens  der  Religion 
und  der  tiefsten  Probleme  der  Sittlichkeit  verehren  wir  ihn  noch  als 
unseren  Lehrer. 

Näher  betrachten  will  der  Verf.  nur  die  Konfessionen.  Dieselben 
waren  eine  literarische  That.  Denn  Augustin  hatte  hier  zuerst  gewagt, 
die  genaueste  Selbstschilderuug  seiner  Entwickelung  von  der  Kindheit 
bis  zum  Mannesalter  mit  allen  seinen  Trieben,  Gefühlen,  Zielen  und 
Irrungen  zu  geben.  Seine  Stärke  ist  die  Beobachtung.  Aber  auch  die 
Kraft  der  Darstellung  ist  bewundernswert.  Doch  weder  die  wunderbare 
Form  noch  der  Zauber  der  Sprache  sind  das  Wichtigste.  Der  Inhalt 
ist  es,  die  Geschichte,  die  er  uns  erzählt.  An  äufseren  Thatsachen  ist 
allerdings  das  Buch  arm,  um  so  reicher  an  solchen  des  Seelenlebens. 
Einerseits  eine  Entwickelung  aus  dem  Innern  heraus  durch  unablässige 
Arbeit,  ein  Aufsteigen  von  einem  gebundenen  und  zerspaltenen  Leben 
zur  Freiheit  und  Kraft  in  Gott,  andererseits  die  Entwickelung  zum 
Autoritätsglauben,  das  Ausruhen  in  der  Autorität  der  Kirche  und  die 
mönchische  Auifassung  der  Ehe  und  des  Berufs.  Was  sich  in  seinen 
Erfahrungen  und  in  seinem  Lebensgang  untrennbar  verkettet  hatte,  hat 
durch  ihn  genau  so  fortgewirkt  auf  die  Kirche:  seine  Bedeutung  für  die 
Ausbildung  des  katholischen  Kircheutums  und  für  die  Herrschaft  der 
Kirche  ist  nicht  geringer  als  seine  kritische  Bedeutung  und  als  die  Kraft, 
die  ihm  verliehen  war,  individuelle  Frömmigkeit  und  persönliches  Christen- 
tum zu  erwecken. 

Bei  aller  Kürze  ist  die  Arbeit  vortrefflich  und  auch  ihr  Thema 
erschöpfend. 


Jahresbericht  über   die  römischen  Staatsalter- 
tümer für  1888. 

Von 

Geh.  Oberschulrat  Dr.  Hermann  Schiller, 

Gyniiiasial-Dircktor  uud  Üuiversitäts-Professor  iu  Giefsen. 


A.   Zusammenfassende  Darstellungen. 

F.  Robiou  et  F.  Delaunay,  Les  institutions  de  Tancienne  Rome. 
P.  III.  i^conoraie  politique  et  lois  agraires,  gouveruemeut  et  adrai- 
nistration  de  FEmpire.     Paris  1888. 

Der  dritte  Band  des  Jaliresb.  1884  S.  275  besprochenen  Werkes 
und  damit  der  Schliifs  desselben  liegt  hier  vor. 

Der  erste  Teil  desselben:  notious  sur  Teconomie  politique  des 
Romains  und  Lois  agraires  ist  selbständiger  gehalten  als  der  erste  Band, 
obgleich  das  Material  auch  hier  auf  Marquardt  zurückgeht.  Die  Dar- 
stellung ist  gefällig  und  auch  für  den  Laien  anziehend.  Der  zweite  Teil, 
die  Darstellung  der  Verwaltung  der  Kaiserzeit,  ist  ganz  von  Mommsen 
und  Marquardt  abhängig.  Auch  hier  ist  das  Buch  für  Deutschland  keine 
Bereicherung  der  Wissenschaft. 

Th.  Mommsen,  Römisches  Staatsrecht.  3.  Band.  2.  Abteilung 
s.  unter  »Der  Senat«. 

B.   Die  Staatsgewalt. 

1.     Die    Magistratur. 

Job.  Merkel,  Über  die  Entstehung  des  römischen  Bearatenge- 
haltes  und  über  römische  Gerichtsgebühren.  In  Abhandl.  aus  d.  Geb. 
d.  röm.  Rechts.    Heft  3.    Halle  1888. 

Der  Verf.  unterscheidet  drei  Perioden:  die  republikanische,  die 
erste  und  die  zweite  kaiserliche  Epoche.  In  der  Republik  giebt  der 
Staat  Ersatz  bezw.  Vorschufs  für  die  im  öffentlichen  Interesse  der  Staats- 


B.   Die  Staatsgewalt,     1.   Die  Magistratur.  187 

Verwaltung  gemachten  bezw.  zu  machenden  Auslagen.  1)  militiae,  da 
hier,  entfernt  von  der  Heimat,  solche  Auslagen  unvermeidlich  sind,  den 
Legionaren,  Centurionen  und  equites,  den  Feldherren,  den  Agrarma- 
gistraten,  den  Gesandten,  den  Provinzialstatthaltern.  2)  domi,  obgleich 
hier  im  allgemeinen  die  Anschauung  gegolten  haben  wird,  dafs  zu  er- 
setzende Auslagen  nicht  vorkommen,  den  Priesterschaften,  welche  sacra 
publica  vollbrachten  —  genannt  werden  nur  Curionen  und  Vestalen  — , 
den  Magistraten  zum  Zweck  der  Veranstaltung  öffentlicher  Spiele;  voller 
Ersatz  war  hier  indessen  nicht  die  Regel;  endlich  das  aes  hordearium 
an  den  eques.  Nicht  einen  direkten  Bezug  aus  der  Staatskasse,  aber 
einen  aus  derselben  geschöpften  Unterhalt  empfangen  die  Begleiter  der 
militiae  fungierenden  Magistrate  —  wir  hören  in  dieser  Beziehung  im 
wesentlichen  nur  von  dem  Provinzialstatthalter  — ,  nämlich  der  quaestor, 
die  Legaten,  die  amici  und  die  Präfekten.  Sie  müssen  zu  diesem  Zwecke 
im  Rom  angemeldet  werden  und  sind  nur  in  bestimmter  Zeit  zulässig. 
Diese  Bezüge  werden  zur  Bestreitung  des  Lebensunterhaltes  gegeben 
und  heifsen  cibaria  oder  sportulae,  vestiaria,  diaria,  calciaria,  alimenta 
commoda,  salaria.  Die  Apparitoren  der  Magistrate  sind  die  einzigen 
öii'entlichen  Funktionäre,  von  denen  der  Empfang  einer  merces  bestätigt 
wird.  Sie  standen  lediglich  in  einem  privatrechtlichen  Lohnverhältnis 
zu  ihrem  Chef.  Noch  eine  Veränderung  tritt  in  der  republikanischen 
Epoche  ein,  indem  das  Stipendium  der  Soldaten  zu  merces  herabsinkt. 
Die  Kleidung  und  die  Naturalien  werden  nicht  mehr  abgezogen,  und  so 
entwickelt  sich  der  halb-  und  ganzjährige  Sold  zu  einem  selbständigen 
Summenbegriff:  das  Stipendium  semestre  wird  z.  B.  voll  bezahlt,  wenn 
auch  der  Feldzug  kein  ganzes  Halbjahr  gedauert  hat,  während  die  Ge- 
treidelieferung daneben  nur  auf  so  lange  erfolgt,  als  das  Kriegsbedürfnis 
dieselbe  erheischt. 

In  der  ersten  kaiserlichen  Epoche  wird  von  Augustus  die  Reise- 
ausrüstung der  Provinzialstatthalter  in  Geld  angeschlagen  und  gewährt. 
Eine  Neuerung  war  dies  nur  für  die  bereits  vorhandenen  Statthalter- 
schaften; von  den  neuen  kaiserlichen  wird  nichts  gesagt.  Den  Prokon- 
suln der  Provinzen  Asien  und  Afrika  wirft  der  Kaiser  eine  bestimmte 
Summe  aus  als  Ehren-,  man  darf  vielleicht  sagen,  als  Repräsentations- 
Gelder.  Sie  beträgt  in  der  ersten  Hälfte  des  dritten  Jahrhunderts  an- 
geblich 100  000  Sest.  Diese  letztere  Summe  wird  die  bisher  und  fort- 
dauernd üblichen  Naturalienbezüge,  welche  jene  Statthalter  aus  ihrem 
Verwaltungsbezirke  (i'rumentura  in  cellam)  und  den  sumptus  annuus, 
welchen  sie  vom  Staate  entnahmen,  grundsätzlich  nicht  beeinflufst  haben. 

Ein  wirkliches  Beamtentum,  das  auf  dem  Treuverhältnis  zwischen 
Herrn  und  Sklaven,  Patron  und  Freigelassenen  beruht,  ist  das  Proku- 
ratorentum.  Mit  demselben  ist  in  26  nachweisbaren  Beamtungen  der 
Gehaltsbezug  verbunden;  doch  läfst  es  sich  nicht  erweisen,  dafs  dieser 
den  höheren  Präfekten  und  den  Statthaltern  der  kaiserlichen  Provinzen 


188  Römische  Staatsaltertümer. 

(Icgati  Aug.  pr.  \n:)  zukam.  Der  Verf.  nimmt  nun  an,  dafs  die  Gelder 
den  Charakter  der  Alimentation  hatten ;  den  Ansiu'uch  auf  eine  solche 
bcsafs  gerade  der  aus  dem  Hause  des  bisherigen  Herrn  durch  Frei- 
lassung ausscheidende  Sklave.  Als  der  Kaiser  seine  Beamten  nicht  mehr 
blofs  aus  seinen  Freigelassenen  entnahm,  gingen  nichtsdestoweniger  die 
mit  den  Stellen  verbundenen  Gehalte  auf  die  neuen  Inhaber  über.  Die 
Gehalte  büfsten  dadurch  ihren  ursprünglichen  Charakter  ein,  und  eine 
Verwechselung  mit  den  Salarien,  wie  sie  der  rrokonsul  erhielt,  war 
grundsätzlich  nicht  mehr  ausgeschlossen.  Wir  halten  an  dieser  Auf- 
fassung folgende  Punkte  für  unerwiesen  und  unwahrscheinlich:  1)  dafs 
nur  Freigelassene  diese  Procuratorengehalte  von  Anfang  an  bezogen, 
2)  dafs  die  höheren  Präfekten  und  die  kaiserlichen  Legaten  keine  Ge- 
halte bezogen.     Damit  sind  alle  daran  geknüpften  Schlüsse  unsicher. 

Die  Epoche  Hadrians,  welcher  die  Stellen  der  Prokuratur  mit 
Rittern  besetzt,  ist  der  Anfangspunkt  wahrer  kaiserlicher  Bearatenge- 
halte.  Diese  wurden  ausgedehnt  auf  die  consiliarii  und  advocati  fisci, 
nicht  aber  auf  die  comites.  Eine  Neuerung  dieser  Epoche  ist  schliefs- 
lich  noch  die  Umwandlung  der  von  der  Besoldung  hergenommenen  Be- 
zeichnung kaiserlicher  Beamter  in  Amtstitel  (ducenarii,  centenarii,  sexa- 
genarii. 

Für  die  diokletianiscli-constantinische  Epoche  ergeben  sich  dem 
Verf.  zwei  Gruppen  von  besoldeten  Beamten.  Die  einen  erhielten  Na- 
turallieferungen  in  fixiertem  Quantum,  Geld  nur  nebenher:  dies  war  der 
Fall  bei  den  Provinzialstatthaltern  und  Offizieren.  Von  den  Adsessores 
läfst  es  sich  nicht  sicher  sagen,  für  frühere  Verhältnisse  spricht  die 
Analogie  der  comites.  Die  anderen  empfingen  nur  Geld;  so  die  Mit- 
glieder des  kaiserlichen  Consilium  und  der  Scrinien,  die  advocati  fisci, 
die  exceptores.  Für  die  Emolumente  der  Soldaten  war  noch  am  Ende 
des  fünften  Jahrhunderts  ein  allgemein  übereinstimmender  Rechtszustand 
nicht  geschaffen  worden,  und  nur  die  annonae  der  Officialen  in  den  officia 
palatina  waren  seit  einem  Gesetze  vom  Jahre  423,  sowie  die  aller  Pro- 
vinzialstatthalter  und  ihrer  Adsessoreu,  einschliefslich  dreier  besonders 
namhaft  gemachter  kaiserlicher  Finanzbearaten  in  Geld  umgesetzt  wor- 
den. Der  Mafsstab  der  Adaeration  war  im  ersteren  Falle  dem  praef. 
praet.  überlassen;  in  dem  zweiten  Gesetze  wird  dieselbe  nicht  ange- 
geben, sondern  »partikulärer«  Festsetzung  anheimgestellt. 

Carolina   Amadori,    Roma   sotto   i   patrizi   e   della   dittatura. 
Alessandria  1888. 

Der  erste  Aufsatz  handelt  von  den  Kämpfen  zwischen  Patriziern 
und  Plebeiern  in  den  Jahren  d.  St.  245  —  388,  in  einseitig  plebeischer 
Parteinahme.  Der  zweite  behandelt  Ursprung,  Wesen,  Einflufs  und  Wir- 
kungen der  Diktatur  in  der  römischen  Geschichte.  Wissenschaftlich  ohne 
Wert  und  nicht  von  Irrtümern  frei. 


B.    Die  Staatsgewalt.     1.    Die  Magistratur.  189 

Wojciech  Niemiec,  De  quaestoribus  Romanis.  Progr.  Kolo- 
nien 1887. 

Eine  in  entsetzlichem  Latein  geschriebene  reine  Kompilation  ohne 
irgend  welchen  Wert. 

Christian  Werner,  De  feriis  latinis.     Diss.     Leipzig  1888. 

Über  die  Fasten  des  Latinischen  Festes  ist  der  Verf.  zwar  mit 
Mommsen  der  Ansicht,  dafs  ihre  Aufzeichnung  auf  decemvirale  An- 
ordnung zurückgeht;  aber  abweichend  von  ihm  nimmt  er  an,  dafs  auch 
die  Ausführung  dieser  Anordnung  sofort  eingetreten  sei. 

In  dem  ersten  Teile  legt  der  Verf.  den  Anteil  von  Latinern  und 
Römern  am  Latinischen  Feste  dar;  derselbe  gehört  so  wenig  wie  der 
zweite,  der  die  Art  der  Feier  entwickelt,  in  diesen  Jahresbericht.  Wohl 
aber  der  dritte  Teil,  der  von  den  praefecti  Urbis  handelt.  Derselbe 
bietet  nur  darin  etwas  Neues,  dafs  er  Mommsens  Annahme,  diese  prae- 
fecti hätten  bezüglich  ihrer  Amtshandlungen  sämtliche  Befugnisse  des 
Oberamts  mit  Ausnahme  derjenigen  der  Präfektenernennung  besessen, 
bestreitet  und  die  Crirainaljustiz  ihnen  abspricht.  Auch  wird  ein  Ver- 
zeichnis der  bekannten  praefecti  Urbis  feriarum  latinarum  gegeben. 

L.  Cantarelli,  Intorno  ad  alcuni  prefetti  di  Roma  della  serie 
Corsiniana.    Bull,  della  Comm.  archeol.  comunale  di  Roma  16,  189 — 203. 

Die  von  Corsini  aufgestellte  Reihenfolge  der  Stadtpräfekten  ist 
längst  antiquiert  und  hat  bereits  mehrfach  von  Cardinali,  de  Rossi,  Borg- 
hesi,  Seeck  Ergänzungen  erhalten;  der  Verf.  will  eine  Nachlese  für  die 
Jahre  455 — 476  liefern. 

Die  Resultate  sind:  Von  der  Corsinischen  Reihe  bleiben  blofs: 
458  Aemilianus,  468  C.  Sollius  Apollinaris  Sidonius  und  474  Audax. 
Dagegen  fallen  nach  455  Castalius  Innocentius  Audax,  nach  462  und 
vor  466  Plotinus  Eustathius;  nach  467  (vielleicht  470?)  Publius  Rufinus 
Valerius;  nach  469  Flavius  Eugenius  Asellus;  nach  472  und  vor  474 
Valentinus. 

Lechat  et  Radet,  Note  sur  deux  proconsuls  de  la  province 
Asie.     Bull,  de  Corr.  hellen.  12,  63  —  69. 

Die  Verf.  veröffentlichen  zwei  Inschriften  aus  der  Gegend  von 
Kyzikos  und  Panderma.  Nach  der  ersten  war  Vettius  Proconsul  115/6 
n.  Chr. ;  zugleich  erfahren  wir  aus  derselben,  dafs  Traian  bereits  offiziell 
Parthicus  hiefs,  als  er  noch  imp.  XI  war.  Nach  der  zweiten  war  LoUia- 
nus  Gentianus  209  n.  Chr.  Proconsul  von  Asien. 

J.  M.  Klein,  M.  Asinius  Sabinianus.    Rhein.  Mus.  43,  159--160. 

Auf  einer  Grabschrift  findet  sich  der  Name  eines  neuen  Statthalters 
von  Asien;  der  Verf.  will  denselben  erkennen  in  dem  Asinius  CIL  6, 
1067,  der  Elagabal  im  Jahre  214  gehuldigt  hat. 


190  Römische  Staatsaltertümer. 

II.  Kellner,  Die  römischen  Statthalter  von  Syrien  und  Judaea 
zur  Zeit  Christi  und  der  Apostel.  Z.  f.  Kath.  Theol.  12.  4G0  —  486; 
630— G55. 

Der  Verf.  giebt  zunächst  einen  Auszug  aus  Mommsens  Staatsrecht; 
der  freilich  nicht  überall  klar  ist  z.  TJ.  bei  den  legati  proconsulari  po- 
testate  (sie!).  Anschliefsend  an  Mommsens  Ansicht,  dafs  Judaea  nach 
Absetzung  des  Archelaus  eine  prokuratorische  Provinz  geworden  sei,  nimmt 
er  an,  auch  Samaria  sei  eine  selbständige  Provinz  gewesen;  nachher  be- 
schränkt er  diese  Ansicht  insoweit,  dafs  er  wenigstens  zeitweilig  eine 
selbständige  Organisation  dieser  Provinz  festhält. 

Sodann  stellt  der  Verf.  die  Liste  der  römischen  Statthalter  von 
Syrien  und  Judaea  auf.  Weniges  ist  daraus  hervorzuheben,  da  mehr 
Bekanntes  nach  Schürer  u.a.  zusammengestellt,  als  eine  neue  Unter-" 
suchung  geführt  wird.  C  Caesar  hat  nach  Momrasen  res  g.  p.  166^  nicht 
die  Statthalterschaft  von  Syrien  bekleidet;  der  Verf.  nimmt  nach  Ana- 
logie des  Agrippa  das  Gegenteil  an;  freilich  steht  die  Thatsache  auch 
nicht  für  Agrippa  fest.  Wie  der  Verf.  für  P.  Quintilius  Varus  die  Jahre 
748 — 753  festhält  und  damit  das  Geburtsjahr  Christi  unter  seine  Statt- 
halterschaft setzt,  so  will  er  auch  den  Census  des  Quirinius  nach  Luc. 
2,  1  vor  759/60  festhalten.  »Ein  solcher  kann  ganz  gut  zur  Zeit  der 
Geburt  Christi  unter  seiner  Leitung  ausgeführt  worden  sein«. 

In  der  Liste  der  Prokuratoreu  wird  angenommen,  Felix  sei  vor 
52  Procurator  von  Samaria  gewesen;  seine  Amtszeit  in  Judaea  ist  auf 
die  Jahre  Ende  52  bis  November  54  zu  beschränken;  die  des  Festus 
dauerte  von  Ende  54  bis  Anfang  60;  Albinus  trat  Anfang  61  sein  Amt  an. 

In  einem  Anhang  werden  die  jüdischen  Hohenpriester  dieser  Zeit 
behandelt. 

W.  Liebe nam,  Forschungen  zur  Verwaltungsgeschichte  des  römi- 
schen Kaiserreichs.  1.  Band:  Die  Legaten  in  den  römischen  Provinzen 
von  Augustus  bis  Diokletian.     Leipzig  1888. 

Im  ersten  Teile  giebt  der  Verf.  eine  Bearbeitung  der  Legatenfasten. 
Ob  dieselben  vollständig  sind,  wieviele  und  welche  Namen  fehlen,  kann 
nur  eine  Nacharbeit  feststellen.  Dieselbe  ist  teilweise  von  Dessau  nicht 
zum  Vorteile  der  Zuverlässigkeit  vorliegender  Arbeit  vollzogen  worden. 
(Deutche  Lit.  Ztg.)  Die  zweite  Abteilung  giebt  eine  Besprechung  einiger 
Fragen,  welche  sich  auf  die  kaiserlichen  Legaten  beziehen.  Hier  werden 
die  Teilung  der  Provinzen,  die  Bedeutung  und  Gefahr  der  grofsen  Kom- 
mandos, die  Stellung  der  Legaten  in  den  kaiserlichen  Provinzen,  das 
Verhältnis  der  Statthalter  zu  den  Provinzialen,  die  Befugnisse  und  die 
Ernennung  durch  den  Kaiser,  das  Verhältnis  zum  Prokurator,  die  Dauer 
der  Statthalterschaft,  der  Rang  der  Legationen  und  die  Titel  der  Le- 
gaten erörtert.  Ich  habe  eigentlich  keinen  Grund  für  diese  Ausführun- 
gen finden  können;  denn  sie  enthalten  fast  durchweg  nur  bekannte  Dinge. 


ß.  Die  Staatsgewalt.     Die  Magistratur.  191 

Cl.  Pallu  de  Lessert;  Les  fastes  de  la  Nuraidie.    Paris  1888. 

Die  Arbeit  über  die  numidischen  Statthalter  zeigt  sorgfältige  Quellen- 
studien und  liefert  manche  Korrekturen  zu  dem  CIL,  da  der  Verf.  in  der 
Lage  war,  durch  Autopsie  die  Inschriften  zu  kontrolieren.  Cagnat  weist 
dem  Verf.  einzelne  Irrtümer  nach,  die  ihm  infolge  zu  grofser  Kühnheit 
in  der  Verwertung  begegnet  sind. 

Joh.  Kromayer,  Die  rechtliche  Begründung  des  Prinzipats.  Diss. 
Strafsburg  1888. 

Der  Verf.  will  das  Prinzipat  nach  seinen  rechtlichen  Formen  unter 
Berücksichtigung  der  genetischen  Entwicklung  zu  verstehen  suchen.  Dies 
geschieht  in  vier  Abschnitten,  welche  je  die  Zeit  des  Triumvirats  vom 
Jahre  43  —  33,  die  Übergangsperiode  vom  Jahre  32—27,  die  ältere  an 
das  Consulat  angelehnte  Form  vom  Jahre  27  — 13  und  endlich  die  ab- 
schliefsende  Umgestaltung  vom  Jahre  23  umfassen. 

Die  auf  Grund  der  lex  Titia  bestehende  Triumviralgewalt  erlosch 
mit  dem  81.  Dezember  38;  von  da  an  ist  die  Grundlage  der  Stellung 
von  Antonius  und  Octavianus  unklar.  Mommsen  hat  die  hieraus  ent- 
stehenden Schwierigkeiten  dadurch  zu  beseitigen  gesucht,  dafs  er  die 
Theorie  aufstellte,  bei  constituierenden  Gewalten  sei  die  Zeitgrenze  ohne 
rechtsverbindliche  Kraft.  Darnach  konnten  also  die  Gewalthaber  auch 
ohne  Genehmigung  der  Komitien  ihr  Amt  von  Rechtswegen  weiter  führen. 
Der  Verf.  bestreitet,  dafs  sich  dieser  Rechtssatz  aus  der  Erzählung  vom 
Dezemvirate  des  Jahres  449  v.  Chr.  ableiten  lasse,  hält  es  aber  anderer- 
seits nicht  für  denkbar  anzunehmen,  dafs  Antonius  über  sieben,  Octavian 
zehn  Jahre  lang  ohne  gesetzliche  Befugnis  an  der  Spitze  des  römischen 
Staates  gestanden  haben  sollten;  nach  den  Quellennachrichteu  ist  dies 
aber  auch  gar  nicht  nötig.  Der  Verf.  nimmt  an,  dafs  beide  Triumvirn 
nach  31.  Dezember  38  zunächst  als  Promagistrate  im  Amtskreise  militiae 
das  Kommaudo  behielten ;  zu  diesem  Zwecke  blieben  sie  aufserhalb  Roms. 
Der  Tarentiner  Vertrag,  welcher  die  Fortführung  des  Triumvirats  be- 
stimmte, wurde  nur  rechtskräftig,  wenn  das  Volk  ihn  bestätigte-  Der 
Verf.  nimmt  nach  Appian  Illyr.  28  an,  dafs  dies  geschehen  sei.  Die 
Ernennung  für  das  zweite  Triumvirat  erfolgte  mit  rückwirkender  Ki'aft 
bis  zum  1.  Januar  37,  so  dafs  als  gesetzlicher  Endtermin  der  31.  Dezem- 
ber 33  anzusehen  ist;  dieses  Datum  bezeichnet  zugleich  den  Endtermin 
des  Triumvirates  überhaupt. 

Mit  dem  Abiauf  des  Jahres  33  trat  derselbe  Zustand  ein,  wie  fünf 
Jahre  vorher;  der  magistratische  Charakter  der  Triumvirn  und  ihre  Be- 
fugnisse in  Rom  erloschen,  der  promagistratische  Charakter  bestand  bis 
auf  weiteres  fort.  Aber  im  Jahre  32  verlor  Antonius  das  Imperium  in- 
folge der  Abrogation  durch  die  Komitien,  Octavian  durch  das  Betreten 
der  Stadt  Rom.  Keiner  von  beiden  erhob  mehr  Anspruch  auf  das  Trium- 
virat; denn  die  Münzen  des  Antonius  mit  III  vir  r.  p.  c.  nach  dem  Jahre 


192  Römische  Staatsaltertümer. 

33  will  der  Verf.  so  eikliiron ,  dafs  auch  schon  damals  auf  den  Münzen 
verflossono  Ämter  genannt  werden.  Jedenfalls  aber  kennt  die  Überliefe- 
rung hei  Octavian  üher  das  Jalir  33  hinausgehende  Ansprüche  an  das 
Trinmvirnt  nicht ,  und  dies  steht  vollkommen  im  Einklang  mit  dem  Be- 
richte des  Kaisers  selbst,  nach  dem  dieses  Amt  nur  zehn  Jahre  ge- 
dauert hat. 

Im  Jahre  32  führte  Octavian  einen  Staatsstreich  aus;  die  einzige 
rechtliche  Quelle  seiner  Stellung  ist  von  jetzt  an  der  Notstand.  Derselbe 
wurde  anerkannt  durch  den  Eid  des  Gehorsams,  den  das  römische  Volk 
dem  Octavian  leistete.  Sueton  hat  diesen  Akt  mit  Recht  als  coniuratio 
bezeichnet;  es  ist  wirklich  ein  Soldateneid,  und  jeder,  der  ihn  schwor, 
stellte  sich  unter  militärisches  Kommando  und  wurde  Soldat.  Die  eige- 
nen Angaben  des  Octavian  stimmen  mit  dieser  Auffassung  durchaus  über- 
ein. Dieses  Notstands -Regiment  wurde  erst  in  den  Jahren  28  und  27 
durch  stückweise  Übertragung  der  einzelnen  Verwaltungszweige  an  Senat 
und  Volk  allmählich  beseitigt;  die  verfassungsmäfsigen  Gewalten  treten 
13.  Januar  27  wieder  in  den  Besitz  des  ganzen  Reiches. 

Die  dritte  Ei)Oche  dauert  vom  Jahre  27 — 23 ;  in  dieser  bildete  das 
Konsulat  zusammen  mit  einem  festbegrenzten  militärischen  Kommando 
den  Mittelpunkt  der  Machtstellung  des  Herrschers.  In  diesem  Zusammen- 
hange werden  mehrere  streitige  Fragen  erörtert.  Zunächst  die  des  Im- 
peratortitels. Der  Verf.  findet  in  der  Verleihung  bezw.  Bestätigung 
des  ständigen  Imperatornamens  im  Jahre  29  vor  allem  das  Beispiel  Cä- 
sars  im  Jahre  45  mafsgebend.  Was  die  Bedeutung  des  Namens  betrifft, 
so  will  der  Verf.  keine  anderen  an  dem  ständigen  Imperatornamen  haften- 
den Rechte  anerkennen,  als  sie  mit  dem  gewöhnlichen  Siegestitel  ver- 
bunden waren,  er  ist  also  nichts  anderes  als  der  titulare  Ausdruck  des- 
jenigen Imperiums,  welches  der  betreifende  Machthaber  zur  Zeit  der 
Verleihung  gerade  besafs.  Da  aber  die  Imperien  Cäsars  und  Octavians 
zeitlich  begrenzt  waren,  so  blieb,  wenn  sie  ohne  erneuert  zu  werden, 
abliefen,  nur  der  Imperatorname  übrig.  Die  grofse  politische  Wichtig- 
keit des  Senatsschlusses  vom  Jahre  29  liegt  darin,  dafs  er,  gleich  dem 
vom  Jahre  45,  diesem  Titel  eine  selbständige  Existenzfähigkeit  gab  und 
mit  der  Erlaubnis  zur  Führung  des  dauernden  Titels  implicite  auch  ein 
dauerndes  Imperium  verlieh.  Dasselbe  gab  seinem  Inhaber  zunächst 
allerdings  nur  gewisse,  von  dem  imperium  untrennbare  Ehrenrechte,  ver- 
lieh ihm  aber  die  Befähigung  nach  einfachem  Senatsbeschlusse  ohne  weitere 
Förmlichkeit  jedwedes  Kommando  zu  übernehmen.  Damit  glaubt  der 
Verf.  alle  Nachrichten  und  Ansichten  in  Einklang  bringen  zu  können. 
An  sich  war  der  Imperatortitel  nur  Ehre  und  kein  Recht.  Aber  zu- 
sammen mit  dem  von  Augustus  auf  Grund  des  Notstands -Kommandos, 
später  auf  Grund  einer  anderen  speziellen  Verleihung  geführten  Ober- 
befehle über  das  Heer  und  die  wichtigsten  Provinzen  trat  der  vorgesetzte 
Imperatorname  als  titularer  Ausdruck  dieses   Imperiums  auf.     Da  aber 


B.  Die  Staatsgewalt.     1.  Die  Magistratur.  193 

auf  dem  militärischen  Oberbefehle  die  faktische  Macht  des  Kaisers  be- 
ruhte, der  vorgesetzte,  ständige  Imperatorname  aber  Jahrhunderte  lang 
das  ausschliefsliche  Vorrecht  des  regierenden  Fürsten  war,  so  hat  Dio 
recht,  wenn  er  den  Imperatornamen  der  Kaiser  als  dritte  Kategorie  von 
den  beiden  anderen  in  der  Republik  gebräuchlichen  ausscheidet  und  ihn 
als  eigentliche  Herrscherbezeichnung  auffafst. 

Aber  die  Übernahme  des  Imperatoruamens  ist  durchaus  nicht  iden- 
tisch mit  der  der  prokonsularischen  Gewalt;  Augustus  erhielt  beide  zu 
verschiedenen  Zeiten  und  den  erstereu  auf  Lebenszeit,  die  letztere  nur 
befristet.  Dasselbe  Verhältnis  gilt  für  die  Folgezeit.  Die  Armee  konnte 
einen  Imperator  ausrufen,  aber  ein  Recht  auf  Verleihung  der  prokonsu- 
larischeu  Gewalt  besafs  sie  nie:  dafür  waren  allein  die  Komitien  kom- 
petent. 

Der  Name,  unter  dem  Augustus  in  den  Jahren  27 — 23  sein  militä- 
risclies  Kommando  gehandhabt  hat,  sowie  die  Formulierung  des  Impe- 
riums ist  nicht  mehr  festzustellen.  An  die  Bezeichnung  Imperium  pro- 
consulare  ist  nicht  zu  denken,  eher  dürfte  das  Imperium  in  den  Provinzen 
in  den  Jahren  27 — 23  als  konsularisches  zu  definieren  sein.  Nach  Dio 
erfolgte  die  Übertragung  des  prokonsularischen  Lnperiums  erst  23.  Sei- 
nem Wesen  nach  läfst  sich  der  kaiserliche  Oberbefehl  in  mehrfacher 
Beziehung  mit  den  grofsen  aufserordentlichen  Imperien  der  schwindenden 
Republik  vergleichen.  Es  ist  daher  von  vornherein  wahrscheinlich,  dafs 
die  Übertragung  durch  eine  lex  erfolgte;  Dio  53,  12,  1  berichtet  dies 
ausdrücklich,  und  Modificationen  des  kaiserlichen  Kommandos  wurden 
ebenfalls  durch  Gesetze  sanktioniert  (Dio  53,  32,  6).  Die  Teilnahme  der 
Komitien  an  der  Übertragung  des  kaiserlichen,  gewöhnlich  als  prokon- 
sularisch bezeichneten  Imperiums  steht  sowohl  für  Augustus  als  für  seine 
Nachfolger  bis  ins  dritte  Jahrhundert  hinein  fest. 

Die  im  Jahre  23  festgestellte  Form  der  Herrschaft  bestand  im 
Grofsen  und  Ganzen  unverändert  bis  zum  Tode  des  Augustus  und  noch 
über  denselben  hinaus.  Die  Verleihung  der  vollen  tribunicischen  Gewalt 
mit  dem  Namen  derselben  erfolgte  erst  23  Im  Jahre  36  hatte  Octavian 
nur  die  sacrosauctitas  und  das  Recht,  auf  der  Bank  der  Tribunen  zu 
sitzen,  erhalten,  im  Jahre  30  war  das  ins  auxilii  dazu  gekommen;  im 
Jahre  23  erhielt  er  aber  das  Recht  der  Intercession  und  der  Verhand- 
lung mit  Senat  und  Volk,  welche  nach  Niederlegung  des  dauernden  Kon- 
sulats unentbehrlich  waren.  Der  Umfang  der  tribunicischen  Gewalt  ist 
bei  Augustus  kein  anderer  als  bei  den  eigentlichen  Volkstribunen;  ins- 
besondere sind  die  einzelnen  demselben  verliehenen  persönlichen  Vor- 
rechte ,  welche  zum  Teil  in  dem  Yespasianischen  Bestallungsgesetze  ent- 
halten sind,  weder  in  begrifflichen  noch  in  chronologischen  Zusammen- 
hang mit  ihr  zu  bringen.  Wahrscheinlich  war  sogar  der  Übertragungs- 
modus der  einzelnen  Befugnisse  je  nach  ihrer  Natur  ein  verschiedener, 
so  dafs  in   einem  Falle   das  Volk,  im  andern  der  Senat  die  Verleihung 

Jahresbericht  für  Alterthumswissenschaft.  LXIV.  Bd.  (1890  III.)  13 


194  Römische  Staatsaltertdmer. 

vollzog.  Später  drängte  das  praktische  Bedürfnis  dazu  hin,  die  vielen 
einzelnen  ohne  bestimmten  Namen  auftretenden  Befugnisse  zusammenzu- 
fassen und  auf  einmal  zu  übertragen  (lex  de  imperio).  Dieses  geschah 
in  den  conütia  imperii  im  Anschlüsse  an  die  Übertx'agung  des  Imperium 
sofort  nach  dem  Senatsbeschlusse  durch  das  Volk;  dies  ist  der  dies 
imperii. 

Ein  Exkurs  beschäftigt  sich  mit  der  chronologischen  Bestimmung 
des  Vertrages  von  Tarent;  das  Ergebnis  ist,  dafs  der  Vertragsabschlufs 
etwa  September  oder  Oktober  37  zu  setzen  ist. 

Die  Untersuchung  ist  mit  Scharfsinn  und  grofser  Folgerichtigkeit  ge- 
führt. Und  wenn  wir  die  Zusammenfassung  der  genetischen  Entwicklung 
lesen,  so  erhalten  wir  den  Eindruck,  dafs  eigentlich  Augustus  mit  einer 
raffinierten  Sj'stematik,  welche  einem  modernen  Staatsrechtslehrer  Ehre 
machen  würde,  die  ganze  Konstruktion  dieser  Entwicklung  ausgetüftelt 
hat;  so  genau  hängt  ein  Glied  am  anderen  Verdächtig  wird  dem  Kenner 
dieser  Dinge  gerade  dieses  merkwürdige  Ineinanderpassen  sein;  denn  das 
Leben  verläuft  einmal  nicht,  wie  die  nachträgliche  Konstruktion  es  aus- 
klügelt.   Wir  wollen  wenigstens  zwei  Bedenken  hier  mafsgeltend  machen. 

Dafs  Antonius  sich  nach  dem  Jahre  33  regelmäfsig  auf  den 
Münzen  III  vir  r.  p.  c.  nennt,  soll  nach  des  Verf.'s  Ansicht  nicht  be- 
weisen, dafs  er  Anspruch  auf  das  Triumvirat  erhob;  »denn  es  kommt 
schon  damals  wiewohl  vereinzelt  vor,  dafs  auch  auf  Münzen  ver- 
verflossene Ämter  genannt  werden«.  Die  hervorgehobenen  Worte  ent- 
scheiden über  den  Wert  des  Arguments;  aus  vereinzelt  vorkommenden 
und  sich-  vielleicht  sehr  natürlich  erklärenden  Aufschriften,  wenn  wir  nur 
stets  die  Zeit  der  betreffenden  Münze  oder  Inschrift  genau  wüfsten,  kann 
selbst  im  günstigsten  Falle  nicht  abgeleitet  werden,  dafs  auch  die  regel- 
mäfsig gebrauchte  Aufschrift  lediglich  abusiv  zu  erklären  sei.  Meines 
Erachtens  hat  Mommsen  durchaus  das  Richtige  getroffen,  wenn  er  die 
um  die  Niederlegung  des  Imperiums  sich  drehenden  Verhandlungen  der 
letzten  Zeit  des  Bürgerkrieges  nicht  aus  dem  Notstands-Commando  ab- 
leiten zu  sollen  glaubt. 

Der  Verf.  meint,  mit  seiner  Auffassung  des  Imperatortitels  als  einer 
an  und  für  sich  bedeutungslosen  Benennung,  die  aber  die  Befähigung 
enthielt,  nach  einfachem  Senatsbeschlusse  ohne  weitere  Förmlichkeit  jed- 
wedes Kommando  zu  übernehmen,  die  Mommsen'sche  Auffassung  vom 
imp.  proconsulare  beseitigt  zu  haben.  Die  ganze  Konstruktion  ist  un- 
zweifelhaft scharfsinnig  und  streng  logisch:  der  Imperatortitel  verleiht 
eine  facultas,  die  aber  erst  durch  den  Senat  effektiven  Wert  erhält.  Aber 
dieser  Auffassung  steht  doch  die  Dios  direkt  entgegen.  Dieser  nennt 
diese  imxhjcrcs  geradezu  zo  xpd-og  Siaa^ixacvooaa^  xpdrog  bezeichnet 
aber  doch  nie  die  blofse  facultas,  das  »blofs  formale  Imperium«,  sondern 
die  effektive  Gewalt,  die  er  an  einer  anderen  Stelle  sogar  au-o-sXrjg 
h^ouata  nennt,  was  doch  gerade  das  Gegenteil  von  einer  Gewalt  ist,  die 


B.    Die  Staatsgewalt.     1.    Die  Magistratur.  195 

erst  durch  den  Senat  mit  Inhalt  und  Wirkungskraft  ausgestattet  werden 
raufs.  Und  sollte  sich  wirklich  in  der  ganzen  Litteratur  gar  keine  Spur 
einer  dahin  gehenden  Überlieferung  erhalten  haben?  Was  wollte  ferner 
Tiberius  damit  sagen,  dafs  er  auroxpa-aip  rwv  öTpaziojvoJv  sei,  wenn  der 
Titel  jenen  allgemeinen  Inhalt  hatte,  der  die  Füllung  durch  den  Senat 
erhielt;  der  Senat  hatte  ihm,  wenn  das  Soldatencommando,  doch  sicher- 
lich auch  den  Proconsulat  über  die  Provinzen  verliehen ;  Tiberius  hat 
auch  den  letzteren  ohne  Bedenken  geübt.  Endlich  spricht  gegen  die 
Annahme,  dafs  der  kaiserliche  Imperatortitel  unter  Augustus  nichts 
anderes  als  der  republikanische,  inhaltslose  Titel  gewesen  sei,  die  schon 
unter  diesem  Kaiser  erscheinende  Verbindung  des  neuen  Titels  mit  dem 
alten,  der  iteriert  wird.  Noch  weniger  erfahren  wir  irgendwo  etwas 
über  die  Verleihung  der  im  Imperium  enthaltenen  Rechtsprechung;  auch 
sie  hätte  nach  der  Theorie  des  Verf. 's  durch  den  Senat  in  das  »blofs 
formale  Imperium«  besonders   hineingetragen  werden  müssen. 

H.  Pelham,   On  some  disputed  points  connected  with  the  »Impe- 
rium« of  Augustus  and  bis  successors.    Journ.  of  Philol.  No.  33,  27  —  52. 

Der  Verf.  erörtert  folgende  Streitfragen,  die  das  kaiserliche  Im- 
perium betreffen:  die  Erneuerung  des  Imperiums  sowie  die  dazu  ge- 
liörigen  Regierungshandlungeu;  das  konsulare  oder  prokonsulare  Impe- 
rium, die  Bestimmungen  des  Jahres  23  v.  Chr.,  die  lex  de  imperio,  das 
konsularische  Imperium  in  Rom. 

Jul.  Asbach,  Römisches  Kaisertum   und  Verfassung  bis  zur  Er- 
hebung Vespasians.    Hist.  Taschenbuch  7,  107 — 155. 

Nach  allgemeinen  Ausführungen  über  die  Entstehung  der  Monar- 
chie will  der  Verf.  den  Prinzipat  in  die  Mitte  stellen  zwischen  der  grie- 
chischen Tyrannis,  welche  die  Macht  der  Geschlechter  stürzte  und  ge- 
stützt auf  ein  stehendes  Soldheer  und  den  jetzt  erst  zur  Mündigkeit  ge- 
langenden Demos  emporkam,  und  andererseits  dem  Kaisertume  der  Bo- 
naparte, das  als  Quelle  seiner  Gewalt  die  Volkssouveränität  anerkennt 
und  ein  Berufsheer  zu  seiner  Stütze  gemacht  hat.  •  Eine  schrankenlose 
und  unbestimmte  Gewalt  haben  die  Napoleoniden,  als  die  einzigen  Ver- 
treter des  Volkes,  ausgeübt.  Schrankenlos  und  unbestimmt  war  die  Macht- 
stellung des  Prinzipats,  wenn  auch  jedes  einzelne,  ihm  vom  Senat  über- 
tragene Amt  wohl  umgrenzt  war.  Die  römische  Verfassung  ist  eine  ge- 
mischte, der  Regent  König  ohne  Scepter  und  Diadem,  seine  Herrschaft  die 
vollendete  Reaktion  der  römischen  Demokratie  gegen  die  Ausschliefslich- 
keit  einer  aristokratischen  Regierung  und  der  Provinzen  gegen  die  Herr- 
schaft einer  Stadtgemeinde.  Die  Nobilität  ist  nicht  beseitigt,  aber  ihre 
Macht  unschädlich,  weil  sie  dieselbe  mit  einem  Höheren,  von  dem  ihr 
Thun  und  Lassen  im  Interesse  des  Ganzen  überwacht  wird,  teilen  mufs. 
Indem  Augustus  den   historischen  Charakter  des  römischen  Staates  mit 

13* 


196  Römische  Staatsaltertümer. 

den  inonarchischeu  Ideen  in  Einklang  setzte,  hat  er  seinem  Werk  für 
drei  Jahrhunderte  Dauer  verliehen. 

Ohne  sich  selbst  für  einen  Gott  auf  Erden  zu  halten,  wollte  Okta- 
vian  sein  Werk  als  ein  göttliches  betrachtet  wissen;  das  Endergebnis 
dieser  Entwickelung  war  die  neue  Staatsreligion  des  Augustus  und  der 
Roma,  welche  die  Stämme  am  Rhone,  am  Rhein,  an  der  Donau  und  am 
Euphrat  verband.  An  die  verbreitete  Idee  der  Wiederkehr  des  golde- 
nen Zeitalters  knüpfte  das  neue  Saeculum  an,  das  mit  dem  26.  Juni  23 
V.  Chr.  begann;  in  diesem  Akte  und  den  Säkularspielen  des  Jahres  17 
fand  die  Konstituierung  des  Prinzipats  ihren  Abschlufs.  Auch  der  ihm 
2  V.  Chr.  verliehene  Titel  »Vater  des  Vaterlands«  bezeichnet  den  Kaiser 
als  ein  göttliches  Wesen,  als  den  Genius  des  Reiches.  Die  Ersetzung 
des  Jahreskonsulats  durch  das  halbjährige  im  Jahre  1  v.  Chr.  sollte  die 
Macht  der  Aristokratie  weiter  schwächen,  und  demselben  Zwecke  diente 
die  Begründung  neuer  kaiserlicher  Ämter,  die  Verfügung  über  die  öffent- 
lichen Kassen  und  die  Minderung  der  Bedeutung  der  grofsen  Amter. 
Der  Rechenschaftsbericht,  den  Augustus  hinterliefs,  erinnert  an  die  mo- 
numentale Geschichtschreibung  der  Monarchieen  des  Ostens,  seine  Grab- 
stätte an  die  Königsgräber  der  Ptolemäer. 

Unter  Tiberius  wurde  das  Imperium  zur  lebenslänglichen  Gewalt 
und  vollendete  sich  auch  äufserlich  zur  Monarchie.  Seine  Absicht  war 
im  Sinne  und  nach  dem  Beispiele  des  Augustus  zu  regieren,  und  in  den 
ersten  Jahren  hat  er  sie  auch  durchgeführt.  Durch  das  Treiben  der 
Parteien  in  der  Aristokratie  wurde  er  im  Jahre  26  zur  Entfernung  aus 
Rom  bewogen;  damit  war  der  Schritt  von  dem  constitutionellen  Prin- 
zipat zur  Militärmonarchie  vollzogen.  Wenn  uns  auch  der  Zusammen- 
hang im  Einzelnen  vielfach  unklar  bleibt,  so  lassen  sich  doch  die  Er- 
gebnisse feststellen.  Am  1.  Januar  31  übernahm  Tiberius  mit  Seian  das 
Konsulat  auf  fünf  Jahre.  Es  war  der  höchste  Triumph  der  antirepubli- 
kanischen Politik  der  letzten  Jahre,  (iafs  ein  Ritter  zum  höchsten  Staats- 
amte gelangte.  Nach  Seians  Sturz  wurden  neue  Schläge  gegen  den  Se- 
nat geführt:  Verkürzung  der  Fristen,  willkürliche  Besetzung  der  freien 
Stellen,  Majestätsanklagen,  mafsloses  Mifstrauen.  Aber  in  der  Verwal- 
tung der  Provinzen  äufserte  sich  dieses  nicht. 

Gaius  hob  bald  nach  seiner  Regierung  den  Ritterstand  und  drückte 
den  Senat;  ja  er  dachte  daran  das  Diadem  anzunehmen  und  die  Zeichen 
des  Prinzipats  mit  denen  der  Königswürde  zu  vertauschen. 

Unter  Claudius  regierten  die  Inhaber  der  hohen  Hofämter  a  ratio - 
nibus,  ab  epistulis  und  a  studiis.  In  der  Verleihung  des  Konsulats 
herrscht  reine  Willkür.  Besonders  schroff  wurden  die  Beziehungen  zum 
Senat  nach  Erhebung  der  Agrippina  zur  Augusta,  und  damit  zur  Mit- 
regentin.  An  35  Senatoren  wurden  hingerichtet ;  die  Auflösung  derReste 
der  alten  Nobilität  schreitet  unter  dem  Regimente  des  Gaius  und  Clau- 
dius unaufhaltsam  voran.     Auf  dem  Verwaltungsgebiete,   namentlich  der 


B.   Die  Staatsgewalt.     1.   Die  Magistratur.  197 

Finanzen,  wurde  die  Thätigkeit  der  Nobilität  zu  gunsten  der  Kitter  und 
Freigelassenen  lahm  gelegt.  Das  Wohl  der  Massen  wurde  gefördert, 
die  Polizei  energisch  gehandhabt,  für  eine  solide  und  gute  Justiz  ge- 
sorgt. Der  Gegensatz  zwischen  Italien  und  den  Provinzen  wird  durch 
Verleihung  des  Bürgerrechts  und  Kolouiegründung  auszugleichen  ver- 
sucht. Trotz  aller  äufseren  Rücksicht  gegen  den  Senat  ist  die  Regie- 
rung des  Claudius  ebenso  antiaristokratisch  als  die  des  Tiberius.  Das 
Volk  hing  an  dein  Kaiser,  die  Aristokratie  verabscheute  ihn,  wie  ver- 
schiedene Verschwörungen  zeigen;  seine  schliefsliche  Apotheose  zeigt 
nur,  wie  fest  Agrippina  und  Pallas  das  Heft  in  der  Hand  hatten. 

Im  Anfange  der  Regierung  des  Nero  lenkten  dessen  Ratgeber  wie- 
der zu  Augustus'  Politik  zurück,  wie  das  Wiederaufkommen  des  halb- 
jährigen Konsulats  zeigt.  Hier  war  der  Einflufs  des  Seneca  mafsgebend, 
welcher  der  Theoretiker  des  Prinzipats  ist.  Nach  ihm  ist  der  Fürst 
der  Diener  Aller;  die  Monarchie  ist  eine  Notwendigkeit;  aber  Dauer 
kann  ihr  nur  mafsvolle  Beschränkung  verleihen,  darum  ist  der  Prin- 
zipat des  Augustus,  die  zwischen  Regent  und  Senat  geteilte  Herrschaft, 
die  beste  Regierungsform.  Nach  diesen  Grundsätzen  wurde  von  Burrus 
und  Seneca  regiert.  So  lange  war  der  Senat  zufrieden.  Seit  62  wuchs 
die  Unzufriedenheit  der  Aristokratie,  die  in  der  Pisonischen  Verschwö- 
rung ihren  Ausdruck  fand.  Sollte  Seneca  wirklich  auf  den  Thron  er- 
hoben werden,  so  bedeutete  dies  die  Herstellung  des  Zustandes,  wie  er 
in  den  ersten  sechs  Jahren  Neros  gewesen  w^ar.  Bald  darauf  wurde 
eine  zweite  Verschwörung  entdeckt.  Die  Katastrophe  des  Nero  war  nicht 
durch  den  Wunsch  einer  republikanischen  Restauration  herbeigeführt 
worden.  Vindex  schrieb  nicht  den  Sturz  der  Monarchie,  sondern  den 
des  Monarchen  auf  seine  Fahne;  es  handelte  sich  um  einen  blofsen  Ab- 
fall, der  erst  durch  die  Verbindung  mit  Galba  die  Bedeutung  eines  Bür- 
gerkrieges gewann.  Verginius  und  Galba  dachten  beide  an  die  Her- 
stellung der  Dyarchie,  während  sie  die  Personalfrage  der  Entscheidung 
des  Senats  vorbehielten.  In  Rom  selbst  war  die  Fortdauer  des  Prinzi- 
pats keinen  Augenblick  in  Frage  gestellt.  Die  libertas  restituta  auf  Gal- 
bas Münzen  bringt  den  Anspruch  zum  Ausdruck,  den  der  Senat  auf  Teil- 
nahme am  Regimente  hatte. 

Galbas  Regiment  ist  durchaus  durch  die  Rücksicht  auf  den  Adel 
geleitet,  für  den  jetzt  die  Stunde  der  Rache  gekommen  war.  Aber  durch 
die  Ausführung  dieser  Absicht  verlor  Galba  bald  allen  Boden,  und  sein 
Sturz  wurde  durch  die  Nachfolgefrage  herbeigeführt,  die  er  so  entschied, 
dafs  er  sich  die  Sympathie  des  Senats  sicherte.  Otho  suchte  ebenfalls 
den  ihm  mifstrauisch  entgegentretenden  Senat  zu  gewinnen;  aber  mit 
seinem  Falle  geriet  der  Staat  in  die  Hände  fremder  Eroberer;  wie  Vi- 
tellius  die  Anknüpfung  an  die  Dynastie  verschmähte,  so  hatte  das  ganze 
Regiment  ein  unröniisches  Gepräge. 

Bei  Vespasians  Erhebung  fand  das  Verhältnis  zwischen  den  beiden 


198  Römische  Staatsaltertümer. 

Faktoren  der  Reicbsregierung  in  oinoni  mit  Gesetzeskraft  ausgestatte- 
ten Senatsbesclilusse  seinen  Ausdruck.  Alle  persönlichen  Gewaltsam- 
keiten des  Machthabers  sollten  für  die  Zukunft  ausgeschlossen  bleiben. 
Der  Prinzipat  verstand  sich  zu  den  Formen  eines  legalen  Amtes. 

An  epigraphical  journey  in  Asia  Minor  und  The  Wolfe  Expedition 
to  Asia  Minor.  By  J.  R.  Sitlington  Stcrrett  in  Papers  of  the 
American  School  of  Classical  Studies  at  Athens.  Vol.  II  und  III. 
Boston  1888. 

Der  zweite  Band  des  amerikanischen  Archäologischen  Instituts  in 
Athen  enthält  die  inschriftlichen  Ergebnisse  einer  Reise  in  Kleinasien, 
welche  der  Verf.  im  Sommer  1884  auf  seine  Kosten  unternahm.  Darun- 
ter befinden  sich  teils  neue  Funde,  teils  berichtigte  Lesarten  früher  ver- 
öffentlichter Inschriften.  Besonders  ergiebig  war  die  Reise  für  die  Kaiser- 
inschriften. 

Der  dritte  Band  enthält  die  epigraphischen  Ergebnisse  einer  zwei- 
ten 1885  unternommenen  Reise  nach  Kleinasien,  welche  Prof.  Sterrett 
mit  Unterstützung  einer  Miss  Wolfe  ausführte.  Auch  dieser  Band  giebt 
viele  neue  Inschriften,  darunter  wieder  zahlreiche  Kaiseriuschriften,  aber 
auch  sonst  manchen  interessanten  Fund. 

Die  Veröffentlichung  verdient  besondere  Anerkennung  wegen  der 
Sorgfalt  und  Genauigkeit  sowie  der  schönen  typographischen  Ausstattung. 

Paul  Habel,  De  pontificum  Romanorura  inde  ab  Augusto  usque 
ad  Aurelianura  condicione  publica.  Cap.  I.  Fasti  pontificum  maxi- 
morum  et  pontificum.     Diss.     Breslau  1888. 

Der  Verf.  will  eine  Fortsetzung  der  Untersuchung  von  C.  Bardt 
die  Priester  der  vier  grofsen  Kollegien  aus  römisch-republikanischer  Zeit 
liefern.  Der  hier  veröffentlichte  erste  Teil  enthält  zunächst  eine  höchst 
sorgfältige  Sammlung  derjenigen  Persönlichkeiten,  welche  als  Träger  des 
Ober-Pontifikats  oder  der  vier  grofsen  Priestertümer  bekannt  sind.  Man 
darf  der  Fortsetzung  mit  Spannung  entgegensehen. 

0.  Hirschfeld,  Zur  Geschichte  des  römischen  Kaiserkultus.  Sitz.- 
Ber.  d.  Berl.  Akad.  d.  Wiss.  phil.  bist.  Classe  1888,  833—862. 

Der  Verf.  weist  zunächst  nach,  wie  der  Kaiserkult  in  dem  Königs- 
kulte der  Ptolemäer,  Seleuciden  und  Attaliden  und  in  dem  Kulte  der 
Göttin  Roma  Vorbilder  fand,  die  noch  gesteigert  wurden  durch  die  Sitte, 
den  römischen  Prokonsuln  gemeinsam  mit  Göttern  oder  der  dea  Roma 
Tempel  zu  weihen.  Besonders  reichlich  war  die  Sitte  bei  Pompeius  und 
Caesar  geübt  worden,  und  Antonius  als  Beherrscher  des  Orients  hat  die 
den  Ptoleraäern  erzeigten  göttlichen  Ehren  und  mehr  als  diese  unver- 
hohlen für  sich  in  Anspruch  genommen. 

Augustus    schied   anfangs  strenge  zwischen  Orient  und  römischen 


B.   Die  Staatsgewalt.     1.   Die  Magistratur.  199 

Unterthanen,  indem  er  letzteren  nur  den  Kult  seines  zum  Gott  erkLärten 
Vaters,  ersteren  dagegen  seine  eigene  göttliche  Verehrung  gestattete, 
und  zwar  zuerst  in  Pergamou,  wo  bereits  der  Attalidenkult  frühe  zu 
hoher  Entwicklung  gelangt  war.  In  der  späteren  Zeit  seiner  Regierung 
hat  sich  Augustus  auch  von  den  Römern,  und  zwar  selbst  in  Italien, 
mit  alleiniger  Ausnahme  der  Hauptstadt,  göttliche  Verehrung  gefallen 
lassen ;  doch  läfst  sich  dieselbe  nur  in  Städten  nachweisen ,  die  von 
ihm  ausgeführte  Kolonieen  sind  oder  nnter  seinem  besonderen  Schutze 
stehen.  Eine  gewisse  Ergänzung  bildete  die  Einrichtung  der  Augusta- 
lität,  welche  dem  Kaiserkulte  ihre  Entstehung  verdankt.  Aber  neben 
den  mannichfachen  aus  munizipaler  Initiative  hervorgegangenen  Kult- 
formen erscheint  bereits  in  angustischer  Zeit  auch  im  Westen  der  von 
vornherein  in  festen  Formen  auftretende  Kaiserkult  der  ganzen  Provinz, 
so  in  Lyon,  Narbonne,  Tarragona.  Doch  nicht  in  allen  Provinzen;  so 
wurde  der  provinziale  Kaiserkult  in  Afrika  erst  unter  Vespasian,  in 
Britannien  unter  Claudius  organisiert.  Tiberius  gestattete  nur  im  Orient 
die  Errichtung  von  Tempeln,  in  Gemeinschaft  mit  seiner  Mutter  und 
dem  Senate.  Im  Occident  lehnte  er  diese  Ehre  entschieden  ab  und 
wollte  sie  auf  Augustus  beschränkt  sehen.  Mit  Ausnahme  von  Gaius 
Caesar,  Nero,  Domitian  haben  die  Kaiser,  wenigstens  in  Italien  und  dem 
Westen,  bis  auf  Marcus  nur  die  Verehrung  in  Anspruch  genommen,  die 
ihnen  innerhalb  des  Rahmens  des  bereits  seit  Augustus  zu  einem  inte- 
grierenden Teile  der  Reichsverfassung  gewordenen  Kaiserkults,  in  dem 
das  persönliche  Element  fast  ganz  zurücktritt,  als  Zeichen  der  Loyalität 
dargebracht  werden  mufste.  Dagegen  erhielt  der  Kult  der  Göttin  Roma, 
der  mehr  und  mehr  gegen  den  mit  ihr  gemeinsam  verehrten  Herrscher 
in  den  Hintergrund  getreten  war,  durch  Hadrian  einen  neuen  Impuls 
in  Italien  und  den  Provinzen  des  Westens.  Auch  bezüglich  der  übrigen 
Mitglieder  der  Kaiserfamilien,  denen  die  Apotheose  zuteil  wurde,  macht 
Hirschfeld  die  erforderlichen  Zusammenstellungen. 

Das  Obiect  des  Provinzialkultes  war  zu  Augustus'  Lebzeiten  der 
regierende  Kaiser  im  Verein  mit  der  römischen  Stadtgöttin,  während 
der  Kult  des  Divus  Julius  nirgends  mit  demselben  combiniert  worden 
ist  und  im  Westen  anscheinend  nur  geringe  Verbreitung  gefunden  hat. 
Auch  nach  dem  Tode  des  Augustus  scheint  das  Verhältnis  so  gewesen 
zu  sein,  dafs  der  Provinzialkult  dem  regierenden  Herrscher  reserviert 
blieb,  während  die  Verehrung  der  Divi  den  einzelnen  Gemeinden  über- 
lassen wurde.  Der  Titel  des  Provinzialpriesters  lautet  flamen  oder  sa- 
cerdos,  in  seinen  Rechten  und  Pflichten  ist  derselbe  dem  flamen  Dialis 
in  Rom  nachgebildet.  Doch  finden  sich  Provinzialpriesterinnen  nur  im 
Orient,  in  Spanien  und  in  Gallia  Narbonensis.  In  den  westlichen  Pro- 
vinzen war  der  Kaiserkult  von  vornherein  für  römische  Bürger  bestimmt, 
und  die  Priesterstellen  wurden  ausschliefslich  mit  solchen  besetzt. 

Die  Wahlart  des  Provinzialpriesters   ist  nicht  genau  bekannt,   das 


200  Römische  Staatsaltertümer. 

Konzil  der  Provinz  hatte  eine  Mitwirknnp;,  wohl  aber  nur  eine  formale 
Bestätigung  der  von  einer  der  zum  Landtage  berechtigten  Städte  in  be- 
stimmtem Turnus  vollzogenen  Wahl.  Das  Amt  ist  jährig,  worin  sich  eben- 
falls der  Ursprung  desselben  aus  dem  Oriente  verrät.  Die  Provinzial- 
pricster  haben  den  Untergang  des  Heidentums  überdauert,  nachdem  der 
von  jelier  geringe  religiöse  Gehalt  gänzlich  verschwunden  war. 

Wilh.  Büchner,  De  neocoria.     Dissertat.  Giefsen  1888. 

Wir  können  in  diesem  Teile  des  Jahresberichtes  aus  der  fleifsigen 
und  verdienstlichen  Abhandlung  nur  das  hervorheben,  was  sich  auf 
das  Staatsrecht  bezieht.  Der  Neokorat  des  Kaiserkultes  erscheint  früher 
auf  den  öffentlichen  Denkmälern  als  der  der  einheimischen  Gottheiten; 
wo  der  Neokorat  ohne  Zusatz  erscheint,  ist  an  den  Kaiserkult  zu  denken. 
In  allen  Städten,  welche  sich  als  vswxöpm  der  Kaiser  bezeichnen,  be- 
fanden sich  Kaisertempel  und  wurden  Spiele  gefeiert,  beides  auf  Grund 
eines  Senatsbeschlusses.  Jeder  derartige  Tempel  begründet  den  Anspruch 
auf  Neokorat.  wenn  er  zugleich  eine  Einrichtung  für  die  ganze  Provinz 
ist.  Der  Kult  der  dea  Roma  war  nicht  in  allen  diesen  Tempeln  mit 
dem  Kaiserkult  verbunden,  wurde  teilweise  auch  später  von  letzterem 
getrennt.  Die  mit  dem  Neokorat  verbundenen  Spiele  tragen  den  Namen 
des  Kaisers,  dem  der  Tempel  geweiht  ist.  Erhielt  die  Stadt  durch  eine 
Kaisertempelanlage  die  Stellung  der  Metropolis,  so  konnten  die  Spiele  als 
xoivd  {Aacag^  BiBuvlag)  bezeichnet  werden.  Die  Errichtung  eines  Kaiser- 
tempels konnte  nur  mit  Genehmigung  des  Senates  erfolgen. 

Theod.  Mommsen,  Ostgotische  Studien.     Neues  Archiv  d.  Ges. 
f.  alt.  deutsche  Geschichtskunde  Bd.  XIV. 

Der  Verf.  will  in  einer  Reihe  von  Abhandlungen  die  wichtigeren 
staatlichen  Ordnungen  darlegen,  welche  in  Italien  und  den  damals  dazu 
gehörenden  Gebieten  unter  den  germanischen  Königen  von  dem  Auftre- 
ten Odovacars  im  Jahre  476  bis  zu  der  Gefangennahme  des  Witiges  im 
Jahre  540  gegolten  haben  und  nicht  einfach  als  Fortsetzung  der  früheren 
Verhältnisse  sich  darstellen.  Diese  Länder  bildeten  einen  Bestandteil 
des  römischen  Reichs,  und  was  von  germanischen  Institutionen  sich  da- 
selbst vorfindet,  mufs  innerhalb  dieses  Rahmens  erwogen  werden.  Er 
behandelt 

1)  Die  Konsulardatierung  des  geteilten  Reiches.  Die 
Konsuln  sind,  so  lange  sie  bestanden,  immer  Beamte  des  Gesamtreiches 
geblieben.  Wenn  es  nur  einen  Kaiser  gab,  ernannte  dieser  beide  Konsuln; 
bei  coordinierten  Kaisergewalten  mufs  die  Ernennung  entweder  einem 
Praecipualrecht  zugewiesen  oder  Alternierung  oder  auch  Teilung  und 
Kooperierung  dabei  eingetreten  sein.  Festsetzungen  darüber  wird  es 
wohl  gegeben  haben,  aber  wir  kennen  sie  nicht.  Seit  399  wurde  die 
Ernennung  regelmäfsig  durch  Kooperation  der  beiden  Reiche  vollzogen, 


B.  Die  Staatsgewalt,     1.  Die  Magistratur.  201 

doch  giebt  es  zahlreiche  Ausnahmen.  Die  Publikation  kann  nicht  an- 
ders erfolgt  sein  als  durch  Erlasse  der  Regierung  an  die  höchsten  Reichs- 
beamten und  wohl  auch  an  das  Publikum  im  Wege  des  Edikts;  bei  ge- 
teilter höchster  Gewalt  mufs  sie  in  jedem  Reichsteil  von  dessen  Regie- 
rung vorgenommen  oder  angeordnet  worden  sein,  und  Spuren  weisen 
deutlich  auf  dieses  Verfahren  hin.  Jede  Regierung  konnte  sich  weigern, 
der  Ernennung  der  anderen  Folge  zu  geben,  und  wenn  sie  dazu  schritt 
bestimmte  sie  auch  zugleich,  was  dafür  eintreten  sollte.  Im  allgemeinen 
lag  es  im  Wesen  des  Instituts  die  Konsulpaare  in  jedem  Reichsteile 
gleichmäfsig  zu  ordnen,  und  diese  Regel  wurde  bis  zum  Anfang  des 
fünften  Jahrhunderts  beobachtet.  Später  trat  an  die  Stelle  der  paarweise 
erfolgten  Publikation  die  successive  Veröffentlichung  erst  des  selbst  er- 
nannten und  dann  des  aus  dem  anderen  Reiche  gemeldeten  Konsuls; 
wahrscheinlich  ist  diese  Änderung  auf  den  tiefen  Rifs  zurückzuführen, 
der  in  Stilichos  Zeit  zwischen  den  beiden  Reichshälften  eintrat.  Aber 
auch  jetzt  hält  man  noch  bis  zum  Zusammenbruch  des  Westreiches  in 
der  lecralen  Datierung  an  der  Gemeinschaftlichkeit  des  Konsulates  fest. 
Für  den  Zeitraum,  der  zwischen  der  Publication  des  ersten  und  des  zwei- 
ten Konsuls  verflofs,  entstand  sogar  eine  eigene  Formel:  illo  consule  et 
qui  de  Oriente  (oder  de  Occidente)  fuerit  nuntiatus  oder  kurz  et  qui 
fuerit  nuntiatus. 

Auch  die  offizielle  Folge  der  beiden  Namen  ändert  sich  nicht;  sie 
wird  im  allgemeinen  durch  das  Rangverhältnis  bestimmt,  so  dafs  also  der 
eigene  Konsul  ebenso  gut  an  die  zweite  wie  an  die  erste  Stelle  kommen 
konnte.  Doch  galten  diese  Sätze  in  vollem  Umfange  nur  für  die  Regie- 
rungserlasse. Die  Jahresbezeichnung  der  römischen  Bischöfe,  in  den 
Listen  und  den  Grabschriften  ergeben  andere  Verhältnisse;  hier  steht 
der  Konsul  der  betreffenden  Reichshälfte  voran  oder  er  wird  sogar  allein 
genannt;  die  Formel  et  qui  fuerit  nuntiatus  findet  sich  in  keinem  Papst- 
schreiben. Wahrscheinlich  gilt,  was  für  den  römischen  Sprengel  nach- 
zuweisen ist,  auch  für  Italien  und  Gallien.  In  den  Listen  sind  infolge 
von  Überarbeitungen,  Vervollständigungen  infolge  nachträglicher  Publi- 
cation und  Umstellung  mannichfache  Ungenauigkeiten,  deren  Quelle  oft 
Nachlässigkeit  war;  die  Folge  der  Namen  bei  Privaten  ist  in  denselben 
unzuverlässig.  Die  christlichen  Grabschriften  folgen  im  allgemeinen  der 
vulgären  Jahresbezeichnung;  der  nachträglich  publicierte  Konsul  wird 
oft  übergangen,  und  Rücksicht  auf  die  Rangfolge  fehlt. 

Von  Anfang  des  fünften  Jahrhunderts  bildet  die  successive  Publica- 
tion die  Regel;  infolge  von  Verschleppung  der  Nuntiation  konnte  die  Publi- 
cation des  zweiten  Konsuls  sich  sehr  spät  erst  vollziehen,  doch  mag  auch 
Eifersucht  und  das  Bestreben,  den  Reichsteil  als  selbständiges  Reich 
hinzustellen,  hier  mitgewirkt  haben.  Aber  neben  der  Regel  steht  die 
Ausnahme  der  gleichzeitigen  Publication  beider  Konsuln ;  Mommsen  stellt 
eine  Anzahl  Fälle  zusammen.    In  manchen  dieser  Fälle  wird  wohl  der 


202  Römische  StaatsatttTtuiuor. 

eine  Herrscher  zugunsten  des  anderen  auf  sein  Ernennungsrecht  ver- 
zichtet haben;  auch  mag  es  bei  der  Kostsi)ieligkeit  schwer  gewesen  sein, 
stets  geeignete  rersönliclikeitcn  zu  finden,  und  aus  diesem  letzteren 
Grunde  konnten  zwei  sich  nahe  stehende  Personen  sich  nur  gemein- 
schaftlich zur  Übernahme  bereit  erklären. 

Unter  den  deutschen  Königen  wurde  Italien  fortwährend  als  in- 
tegrierender Teil  des  römischen  Staates  nicht  blofs  in  Byzanz,  sondern 
auch  in  Kom  und  Ravenna  aufgefafst.  Dafs  fortgesetzt  nach  den  Kon- 
suln des  römischen  Reiches  datiert  wird,  beweist  für  die  Reichsangehö- 
rigkeit nichts,  da  dies  auch  in  den  Gebieten  der  nicht  reichsaugehörigen 
Burgunder,  der  Westgoten,  der  Franken,  der  Vandalen  geschieht.  Be- 
weiskräftiger ist  in  dieser  Beziehung,  dafs  in  Italien  nie,  weder  unter 
Odovacar,  noch  unter  den  Gotheukönigen  nach  den  Jahren  der  Herrscher 
datiert  wird.  Für  die  Frage,  welcher  Stelle  in  dieser  Epoche  die  Er- 
nennung der  Konsuln  zustand,  fehlt  in  der  Überlieferung  für  Odovacar 
jede  Antwort.  Doch  wird  nach  den  für  Theodorich  und  seine  Nach- 
folger überlieferten  Zeugnissen  daran  festgehalten  werden  müssen,  dafs 
die  Konsularernennung  für  das  Gesamtreich,  insoweit  sie  dem  Kaiser 
des  Occidents  zugestanden  hatte,  ebenso  auf  Odovacar  und  weiter  auf 
Theodorich  übertragen  worden  ist,  wie  die  der  occideutalischen  Beamten. 
Das  System  der  regelmäfsig  geteilten,  ausnahmsweise  von  derselben  Stelle 
vollzogenen  Ernennung  der  Konsulpaare  bestand  auch  in  dieser  Epoche. 
Prinzipiell  ist  also  die  Ordnung  von  der  früheren  nicht  verschieden; 
thatsächlich  unterscheidet  sie  sich  dadurch  vou  ihr,  dafs  die  Konsular- 
ernennung häufiger  ausfällt  und  infolge  dessen  die  Jahresbezeichnung 
durch  einen  Konsul  mehr  und  mehr  um  sich  greift  und  auch  die  offi- 
zielle Ausdrucksweise  beeinflufst,  wenigstens  in  dem  Verschwinden  des 
et  qui  de  Oriente  (oder  de  Occidente)  nuntiatus  fuerit  aus  den  Urkunden. 
Nach  dem  Jahre  461  ist  der  Beisatz  nicht  nachweisbar.  In  den  offi- 
ziellen Erlassen  hat  der  occidentalische  Konsul  sich  behauptet ;  ob  auch 
der  orientalische  in  denen  des  Westreichs,  läfst  sich  bei  dem  Mangel 
datierter  Erlasse  nicht  entscheiden.  Die  aus  einseitiger  Ernennung  her- 
vorgegangenen Konsulpaare  gehören  mit  einer  Ausnahme  dem  Ostreiche 
an;  in  dem  einen  Falle  wird  jedenfalls  die  Zustimmung  des  Kaisers 
Justinus  eingeholt  worden  sein.  Dem  Odovacar  wurde  wahrscheinlich 
schon  von  Zeno  die  Konsularernennung,  wie  sie  später  Theodorich  voll- 
zogen hat,  zugestanden.  Überhaupt  hat  sich  die  Aufrichtung  des  itali- 
schen Königtums  in  der  Form  der  Wiederherstellung  der  Reichseinheit 
vollzogen,  und  das  römisch-germanische  Italien,  welches  uns  als  ostgothi- 
sches  Reich  und  Schöpfung  des  Theodorich  zu  gelten  pflegt,  ist  in  seiner 
Eigenart  vielmehr  eine  Schöpfung  Odovacars,  der  Eintritt  Theodorichs 
in  dessen  Stellung  lediglich  ein  Personenwechsel.  Die  Anerkennung  der 
Konsularernennung  des  einen  Reichs  durch  das  andere  gestattet  einen 
Schlufs  auf  den  legitimen  Friedenszustand  zwischen  beiden  Herrschern. 


B.  Die  Staatsgewalt.     1.  Die  Mas^istratur.  203 

"Wir  können  daraus  schliefsen,  dafs  Theodorich,  der  sich  wohl  der  Form, 
nicht  der  Sache  nach  selbständig  gestellt  hat,  der  Datierung  nach  den 
Konsuln  des  Ostreichs  zu  keiner  Zeit  feindlich  entgegengetreten  ist. 
Wenn  im  Westreich  die  orientahschen  Konsuln  nur  vereinzelt  erscheinen, 
so  kann  der  Grund  dieser  Erscheinung  nur  darin  gefunden  werden,  dafs 
die  geordnete  Publication  des  in  dem  anderen  Reich  ernannten  Konsuls 
im  Oriente  fortbestand,  im  Occident  aber  nach  der  Katastrophe  des 
Westreichs  sich  nicht  wieder  hergestellt  hat.  Die  von  Odovacar  und 
Theodorich  ernannten  Konsuln  sind  regelmäfsig  nach  Konstantinopel  ge- 
meldet und,  wenn  die  politischen  Verhältnisse  nicht  entgegenstanden, 
dort  ordnungsmäfsig  publiciert  worden.  Als  es  im  Occident  einen  von 
dem  Osten  anerkannten  Reichsverweser,  wieder  gab,  wird  die  Nuntiation 
aus  dem  Osten  nach  Rom  ebenfalls  wieder  aufgenommen  worden  sein. 
Aber  eine  officielle  Publication  der  neuen  Konsuln  kann  für  die  in 
Gallien  bestehenden  Königreiche  füglich  nicht  angenommen  werden; 
wenn  sie  auch  in  Italien  unter  dessen  Königen  unterblieb,  erklärt  sich 
die  Beschaffenheit  der  Konsulardatierungen  nach  dem  Falle  des  west- 
lichen Kaisertums  in  befriedigender  Weise.  Bei  dem  Antritt  des  Kon- 
sulats in  Ravenna  konnte  schon  wegen  der  mit  demselben  verbundenen 
Feierlichkeiten  eine  von  der  Regierung  des  Westens  ausgehende  öffent- 
liche Benachrichtigung  nicht  fehlen.  Darum  datiert  Italien  ebenso  wie 
Gallien  regelmäfsig  allein  nach  den  Konsuln,  die  in  Ravenna  ihr  Amt 
angetreten  hatten.  Dafs  die  Legitimität  der  Konsuln  des  Ostens  auch 
für  den  Westen  nicht  bestritten  werden  sollte,  zeigen  aufer  dem  Zeug- 
nisse des  Prokop  teils  die  vereinzelten  Ausnahmen,  teils  die  occidenta- 
lischen  Konsulartafeln,  deren  Verfasser  —  insbesondere  Cassiodor  — 
natürlich  in  gröfserem  Umfang  als  die  der  einzelnen  Grabschriften 
über  einzelne  Konsuln  des  Ostens  unterrichtet  waren.  Wenn  also  die 
durchgängige  Anerkennung  des  orientalischen  Konsuls  seitens  des  Theo- 
dorich festzuhalten  ist,  so  gab  es  doch  Zeiten,  in  denen  die  des  west- 
lichen Konsuls  im  Ostreiche  nicht  erfolgte,  nämlich  die,  in  welcher  die 
Legitimität  Theodoricbs  selbst  von  oströmischer  Seite  nicht  anerkannt 
wurde.  Dies  war  bis  um  498  der  Fall;  von  494 — 497  zeigen  die  Fasten 
nur  orientalische  Konsuln;  Theodorich  hat  also  in  dieser  Zeit  das  ihm 
nicht  zugestandene  Recht  auch  nicht  geübt.  Von  498  erscheinen  beide 
Creierungen  in  voller  Parität.  Von  dem  späteren  Zerwürfnis,  das  an  die 
Wiederbesetzung  Sirmiuras  durch  die  Truppen  Theodorichs  im  Jahre  504 
anknüpft  und  508  zu  einer  Brandschatzung  der  italischen  Küsten  durch 
die  Byzantiner  führte,  zeigen  die  Fasten  keine  Spur;  allem  Anschein 
war  es  wenig  mehr  als  eine  Störung  des  guten  Einvernehmens. 

Bei  der  schlechten  Beschaffenheit  der  Überlieferung  mufste  viel- 
fach zu  Hj'pothesen  gegriffen  werden,  die  nicht  als  erwiesene  That  Sachen 
zu  betrachten  sind. 


204  Römische  Staatsalter. üincr. 


2.  Der  Senat. 

Th.  Monirnscn,  Römisches  Staatsrecht.     3.  Band.     2.  Abteilung. 
Der  Senat.     Leipzig  1888. 

Mit  dem  vorliegenden  zweiten  Teile  ist  das  Staatsrecht  abge- 
schlossen. Zunächst  wird  die  Benennung  erörtert.  Für  die  Bildung 
der  Ausdrücke  senatus,  Senator,  senaculum  mufs  ein  verschollenes  Ver- 
bum  senare  angenommen  werden.  In  der  patricischen  Gemeinde  kann 
der  Senat  nicht  mit  dem  Worte  patres  bezeichnet  worden  sein,  da  diese 
Bezeichnung  noch  im  Zwölftafelrecht  die  Patricier  insgemein  bezeichnet. 
Aber  in  der  patricisch-plebeischen  Gemeinde  wurde  der  patricische  Ge- 
"raeinderat  als  die  patres,  der  patricisch-plebeische  als  patres  (et)  con- 
scripti  bezeichnet.  Die  Bezeichnung  senatus  mag  von  jeher  auch  der 
patricisch-plebeischen  Versammlung  beigelegt  worden  sein;  aber  dem 
plebeischen  Mitgliede  ist  die  Bezeichnung  in  älterer  Zeit  nicht  einge- 
räumt worden.  Deshalb  wird  sie  nie  titular  verwendet;  dagegen  wird 
in  nicht  titularem  Ausdrucke  das  plebeische  Mitglied  ebenfalls  Senator 
genannt.  Wo  solche  im  Gegensatz  zu  den  patricischen  patres  genannt 
werden  sollen,  heifsen  sie  adlecti  oder  conscripti.  Aber  diese  Bezeich- 
nung findet  sich  nur  in  der  Ladung  und  in  der  Anrede ;  darum  hat  das 
Ratsmitglied  der  römischen  Gemeinde  erst  durch  die  Rangordnung  der 
Kaiser  Marcus  und  Verus  eine  eigentliche  Titulatur  in  dem  Clarissimat 
erhalten.  Griechisch  heifst  der  römische  Senat  ij  aöyxXrjTog  ^  eine  Be- 
zeichnung, die  den  Westhellenen  eigen  war  und  zunächst  von  den  Kam- 
panern entlehnt  wurde.  Erst  im  dritten  Jahrhundert  n.  Chr.  tritt  yspou- 
aia  auf;  centumviri  und  decurio  begegnen  nur  in  den  municipalen  Ein- 
richtungen, ordo  kann  wie  von  jeder  Kategorie  der  Bürgerschaft,  so 
auch  von  der  vornehmsten  der  Senatoren  gebraucht  werden ;  immer  aber 
ist  eine  nähere  Bestimmung  erforderlich.  Die  unter  dem  Principat  auf- 
kommende Verwendung  für  den  Gemeinderat  beschränkt  sich  auf  den 
municipalen  Kreis.  Ein  Collegium  bildet  der  Senat  nicht;  die  Ent- 
scheidung durch  die  Mehrzahl  gehört  zum  Wesen  dieser  Institution. 

Die  feste  Zahl  der  Mitglieder  gehört  zum  Wesen  des  Senats.  In 
der  ältesten  Zeit  betrug  sie  100,  später  300,  seit  666  d.  St.  600.  Sulla 
wollte  diese  Zahl  durch  die  Vermehrung  der  Quästorstellen  thatsächlich 
beseitigen,  aber  man  hielt  sie  im  Ganzen  doch  fest,  erst  Cäsar  beseitigte 
praktisch  jede  Normalzahl.  Augustus  ging  zur  sullanischen  Einrichtung 
zurück,  und  für  die  nachaugustische  Zeit  mufs  die  Normalzahl  als  that- 
sächlich beseitigt  angesehen  werden.  In  der  vorsuUanischen  Zeit  wird 
die  Effectivzahl  sich  regelmäfsig  nicht  bedeutend  von  der  normalen  ent- 
fernt haben;  nach  Sulla  hat  die  Effectivzahl  sich  von  der  normalen  mehr 
und  mehr  gelöst  und  diese  schliefslich  wenigstens  thatsächlich  beseitigt. 
Ursprünglich   gelangten    regelmäfsig    alle   Mitglieder  zur  Ausübung   des 


B.    Die  Staatsgewalt.     2    Der  Senat.  205 

Stimmrechts,  während  in  der  Republik  eine  verhältnismäsig  sehr  grofse 
Zahl  von  Senatoren  nicht  zum  Gebrauch  ihres  Stimmrechts  gelangte. 
Eine  eigentliche  Gliederung  des  Senates  giebt  es  nicht;  aber  in  nach- 
suUanischer  Zeit  und  unter  dem  Prinzipat  werden  die  magistratischen 
Abstufungen,  namentlich  infolge  des  durch  Sulla  abgeänderten  Vorstimm- 
rechtes, als  förmliche  Klassen  des  Senats  behandelt. 

Der  Eintritt  in  den  Senat,  den  wir  kennen,  beruht  imnun- auf- 
der  Wahl  des  Senates  durch  ein  Organ  der  Gemeinde  (Ol)erniagistrat 
in  der  älteren  Epoche,  Bürgerschaft  in  der  mittleren  republikanischen 
Zeit,  Senat  seit  Tiherius);  die  verschiedenen  Fälle  werden  au  einem 
reichen  INIateriale  nachgewiesen.  In  älterer  Zeit  wird  die  magistratische 
Einwahl  in  den  Senat  für  den  Bürger  verptiichtend  gewesen  sein,  wäh- 
rend in  der  späteren  Zeit  der  Senatssitz  vermutlicli  sowenig  wie  das 
Amt  einem  Bürger  wider  seinen  Willen  zugeteilt  worden  ist.  Nach  der 
Einführung  des  erblichen  Senatorenstandes  unter  Augustus  waren  die 
diesem  angehörigen  und  sonst  qualiticierten  Personen  verpflichtet,  durch 
Übernahme  des  Gemeindeamtes  in  den  Senat  selber  einzutreten.  Ein 
eigener  Abschnitt  stellt  die  Bedingungen  für  die  Qualification  für  die 
Fälle  zusammen,  in  denen  der  Senator  von  einem  Magistrat  ernannt 
wird.  Die  Dauer  der  Funktion  ist  die  Lebenszeit  des  Mitgliedes. 
Doch  ist  Ausscheidung  aus  dem  Senate  möglich  entweder  durch  einen 
Akt  magistratischer  Willkür  oder  in  Folge  des  Wegfalls  der  Qualification 
oder  nach  si)ecieller  gesetzlicher  Vorschrift;  auch  hier  geht  der  Verf. 
allen  Einzelheiten  mit  eindringender  Schärfe  nach.  Der  folgende  Ab- 
schnitt stellt  die  Sonderrechte  und  die  Sonderpflichten  des  Se- 
nators zusammen. 

Eine  formulierte  Geschäftsordnung  hat  erst  Augustus  im  Jahre 
745  dem  Senate  gegeben.  Ohne  magistratischen  Vorsitz  ist  keine  Senats- 
verhandlung denkbar;  für  Collision  verschiedener  berufender  Magistrate 
gelten  bestimmte  Ordnungen.  Um  die  Berufung  der  Senatoren  zu  er- 
möglichen, mufste  Rom  das  Domicil  sein,  das  nicht  ohne  Urlaub  ver- 
lassen werden  durfte;  erst  in  der  Kaiserzeit  wurden  die  Ordnungen  hierin 
laxer,  während  sie  z.  B.  für  den  Zwang,  im  Senate  zu  erscheinen,  durch 
Augustus  verschärft  wurden.  Was  die  Incompatibilität  der  Komitial-  und 
der  Senatssitzungstage  betrifft,  so  wird  die  Erlassung  des  pupischen  Ge- 
setzes um  das  Jahr  600  angesetzt.  Von  besonderem  Werte  sind  die 
Untersuchungen  über  Vertagung  und  Vortrag  seitens  des  berufenden 
bezw.  Vorsitzenden  Magistrats,  über  die  Umfrage,  die  Fragestellung  und 
die  Abstimmung;  die  zahlreichen  verwickelten  Fragen,  welche  sich  hier 
ergeben,  sind  mit  juristischer  Schärfe  und  lichtvoller  Klarheit  behandelt. 
Sie  können  dem  mannichfach  thörichten  Gerede,  welches  sich  herkömm- 
lich darüber  tindet,  ein  Ende  zu  machen. 

Auch  der  Abschnitt  über  Aufzeichnung  und  Aufbewalirung  der  Se- 
natsbeschlüsse und  der  Senatsprotokolle  giebt  ein  aufserordentlich  reich- 


206  Römische  Staatsaltertütner. 

haltiges  Material,  das  den  umfassondcn  Sammlungen  Mommsens  ent- 
nommen und  mit  einer  bewundernswerten  Kenntnis  der  Thatsachen  ver- 
wertet ist;  es  liegt  in  der  Natur  der  Überlieferung,  dal's  hier  insbeson- 
dere die  Inschriften  die  wertvollste  und  zuverlässigste  Kenntnis  ver- 
mitteln; freilich  bedarf  es  der  einzig  dastehenden  staatsrechtlichen  Bil- 
dung des  Verfassers,  um  diese  Sprache  richtig  zu  deuten.  Dieselbe 
.zeigt  sich  in  der  glänzendsten  Weise  in  der  Darlegung  der  Kompe- 
tenz des  Senates.  Die  Ausftihrungen  über  die  Entwickelung  dieser  Körper- 
schaft aus  dem  Consiliura  verbreiten  manichfach  neues  Licht  über  dunkle 
Verhältnisse,  und  nicht  am  wenigsten  wertvoll  ist  die  klare  Präzisierung 
der  Grenzen,  die  unserm  Wissen  hier  gesteckt  sind.  Der  Abschnitt  über 
Bestätigung  und  Vorberatung  der  Volksbeschlüsse  giebt  dem 
Verf.  Gelegenheit,  insbesondere  gegen  Willems  seine  Ansicht  über  die 
patrum  autoritas  von  neuem  zu  begründen.  Der  Abschnitt  über  das 
Sacralwesen  bietet  wenig  Neues,  aber  eine  vollständige  Zusammen- 
stellung des  bekannten  Materials;  der  über  die  Rechtspflege  mufs 
manichfach  schon  an  anderen  Stellen  Behandeltes  in  den  Zusammenhang 
einordnen.  Meisterhaft  ist  die  Darstellung  der  Beteiligung  des  Senats 
an  dem  Kriegswesen;  sie  erstreckte  sich  auf  die  Truppenbildung,  die 
Verteilung  der  konsularischen  Kommandos ,  die  Erstreckung  der  Impe- 
rien, die  Einrichtung  aufserordentlicher  Nebenkommandos,  die  Verteilung 
der  Truppen  unter  die  verschiedenen  Träger  des  Imperiums,  die  Be- 
willigung der  Gelder  und  der  sonstigen  Bedürfnisse  für  militärische 
Zwecke.  Dagegen  griff  der  Senat  in  das  Gebiet  der  militärischen  Exe- 
kutive gar  nicht  oder  doch  nur  secuudär  ein,  indem  er  zur  Zeit  der 
Senatsherrschaft  Boten  und  ständige  Legaten  abordnete,  deren  Einflufs 
sicherlich  recht  bedeutend  war,  oder  indem  er  für  gewisse  Fälle  z.  ß. 
Militärstrafen,  Behandlung  der  Gefangenen  Weisungen  gab. 

Den  Anteil  des  Senats  an  der  Leitung  des  Finanzwesens  ver- 
mag die  Forschung  nur  in  unvollkommener  Weise  darzustellen;  der 
Grund  ist,  dafs  die  Bürgersteuer  in  der  uns  besser  bekannten  Epoche 
faktisch  beseitigt  war  und  wir  von  dieser  tief  eingreifenden  Einrichtung 
fast  nichts  erfahren.  Doch  geben  auch  hier  die  Abschnitte  über  die 
Verwaltung  des  Gemeindeguts,  die  Besteuerung  der  Bürgerschaft,  die 
Ausgabenbewilligung  und  die  finanzielle  Exekutive  ein  vollständiges  Bild 
unseres  heutigen  Wissens  über  diese  Fragen.  Wertvolle  Beleuchtung 
durch  die  Inschriften  enthält  wieder  der  Abschnitt  über  die  auswär- 
tigen Verhältnisse,  wenngleich  auch  hier  vielfach  früher  Erwähntes 
wiederkehrt.  Ganz  neu,  wenn  auch  inhaltlich  wieder  mit  früher  behan- 
deltem sich  berühernd,  sind  die  Abschnitte  über  die  Verwaltung  der 
Stadt  Rom  und  der  Bürgerschaft  überhaupt  sowie  über  das 
Regiment  über  Italien  und  die  autonomen  Reichsangehöri- 
gen überhaupt;  in  ihnen  feiert  Mommsens  Methode  ihre  schönsten 
Triumphe.    Und  wenn  vielleicht  auch  hier,   wie  anderwärts,   zu  streng 


B.   Die  Staatsgewalt.    2.   Der  Senat.  207 

juristisch  systematisiert  ist,  so  berührt  doch  die  Ordnung  an  Stelle  der 
früheren  Häufung  unverbundener  und  unverständlicher  Einzelheiten  sehr 
wohlthuend.  Dasselbe  gilt  von  der  Ausführung  über  das  Regiment 
über  die  Provinzen. 

Der  Einflufs  des  Senats  auf  Creirung  der  Magistrate  und 
Erweiterung  ihrer  Kompetenz  ist  wieder  mehr  eine  Zusammen- 
fassung von  Einzelthatsachen,  die  zum  Teil  schon  in  den  früheren  Bän- 
den erörtert  werden  mufsten;  der  grofse  Zusammenhang  gewinnt  dabei 
um  so  mehr.  Eine  sehr  dornige  Materie  ist  der  Anteil  des  Senats  an 
der  Gesetzgebung.  Die  Regeln,  nach  denen  der  Senat  ein  Gesetz 
für  den  einzelnen  Fall  erlassen  konnte,  sind  nicht  auf  uns  gekommen, 
und  sie  müssen  mangelhaft  und  unsicher  aus  den  einzelnen  in  diesen 
Kreis  gehörigen  Vorgängen  erschlossen  werden.  Aber  auch  hier  hat 
der  Verf.  geleistet,  was  bis  jetzt  noch  nicht  erreicht  war,  indem  er 
auch  hier  eine  Reihe  fester  Thatsachen  feststellt.  Der  Abschnitt  über 
das  consularisch-senatorische  Kriegsstandsrecht  erörtert  be- 
sonders eingehend  die  Stellung  des  Senates  bei  der  Notlage ,  in  die 
die  Gemeinde  durch  Bürgerkrieg  versetzt  wird.  Der  letzte  Abschnitt 
»der  souveräne  Senat  des  Prinzipats«  enthält  in  der  Hauptsache 
wieder  nur  prinzipielle  Zusammenfassung  von  Einzelthatsachen,  die  schon 
in  früheren  Teilen  ihre  Darstellung  und  Erklärung  gefunden  haben. 

Ist  auch  dieser  letzte  Band  des  Staatsrechts  scheinbar  nicht  so 
reich  an  neuen  Aufschlüssen,  wie  die  früheren,  so  scheint  dies  doch 
mehr,  als  in  der  That  der  Fall  ist.  Denn  erst  mit  diesem  Teile  steht 
das  ganze  Gebäude  des  römischen  Staatsrechts  fertig  vor  uns.  Erst 
jetzt  können  wir  die  feste  Fügung  des  gewaltigen  Gebäudes  und  seine 
strenge  Gliederung  überschauen.  Erscheint  dabei  manche  Lücke,  stört 
uns  mancher  Stein,  so  werden  wir  doch  alle  darin  übereinstimmen,  dafs 
das  Werk  den  Meister  lobt.  Und  trotz  vielfachen  Widerspruchs,  den 
der  Einzelne  zu  erheben  geneigt  ist,  sind  alle  einig,  dafs  für  lange  Zeit 
hier  die  Bahnen  vorgezeichnet  sind,  welche  die  Forschung  auf  diesem 
Gebiete  zu    wandeln  hat. 

•  Ch.   Lecrivain,  Le   senat  roraain  depuis   Diocletien  ä  Rorae  et 
ä  Constantiuople.     Diss.  Paris  1888. 

Der  Verf.  giebt  im  ersten  Kapitel  einen  Überblick  über  die  poli- 
tische Rolle  des  Senats  im  dritten  Jahrhundert,  die  nichts  Neues  ent- 
hält. Das  zweite  Kapitel  beschäftigt  sich  mit  der  Ergänzung  und  Zu- 
sammensetzung des  Senats.  Der  Verf.  gelangt  zu  der  Ansicht,  dafs  der 
Eintritt  von  Senatorensöhnen  in  den  Senat  in  der  diokletianisch-constan- 
tinischen  Epoche  erst  durch  die  Bekleidung  der  Prätur  erfolgte.  Der 
Kaiser  konnte  aber  durch  adlectio  ohne  Bekleidung  der  Prätur  Nicht- 
Senatoren in  den  Senatorenstand  aufnehmen.  Die  Einführung  nicht- 
senatorischer  Persönlichkeiten  in  den  Senatorenstand  und  in  den  Senat 


'208  Römische  Staatsaltertümer. 

konnte  auf  vierfache  Weise  erfolgen:  1)  Durch  specielle  Verleihung  des 
Kaisers  (Coilicilli  clarissiiiiatus).  2)  Durch  einen  Senatsbeschlufs  mit 
gleicher  Wirkung.  3)  Durch  Erhebung  zu  einem  Amte,  welches  den 
Clarissimat,  die  Spectabilität  oder  den  Illustrissimat  verlieh.  4)  Durch 
Verleihung  des  Clarissimates  oder  einer  höheren  Rangstufe  an  eine  ganze 
Klasse  von  Beamten.  Eigentlich  mufste  in  allen  diesen  vier  Fällen,  um 
Eintritt  in  den  Senat  zu  erlangen,  auch  die  Prätur  bekleidet  werden;  aber 
diese  Pflicht  wurde  erlassen:  l)  Durch  die  codicilli  senatorii;  sie  wer- 
den besonders  Curialen  erteilt,  welche  in  den  Seuatorenstand  eintreten; 
hierbei  bleibt  aber  im  allgemeinen  die  Bekleidung  der  Prätur  Voraus- 
setzung, wenn  sie  Mitglieder  des  Senats  werden  wollen.  2)  Dasselbe 
gilt  von  der  Kooptation  durch  den  Senat;  sie  genügt  für  den  Eintritt 
in  den  Stand;  um  aber  Mitglied  des  Senats  zu  werden,  mufs  ebenfalls 
die  Prätur  bekleidet  werden.  Aufserdem  bedarf  es  der  kaiserlichen  Be- 
stätigung. 3)  Ebenso  ist  es  bei  der  Erhebung  zum  Clarissimat  etc. 
durch  Amtsstelliing;  zahlreiche,  ja  fast  regelmäfsige  Ausnahmen  bezüg- 
lich des  Präturzwanges  erhalten  hier  die  Palastbeamten.  4)  Diejenigen 
Beamten,  welche  den  Clarissimat  erst  nach  langen  Dienstjahren  oder 
bei  der  Verabschiedung  erreichen,  erhalten  Befreiung  von  der  Prätur. 
Letztere  heifst  jetzt  gradezu  adlectio  und  der  adlectus  nennt  sich  immu- 
nis.  Am  häufigsten  wird  die  adlectio  verbunden  mit  der  Verleihung  der 
Consularität.  Sie  ist  die  niederste  Rangklasse  der  senatorischen  Hierar- 
chie und  darf  mit  der  Raugstellung  eines  cons.  ord.  oder  auch  eines 
diesem  gleichgestellten  Honorar-Konsuls  nicht  verwechselt  werden. 

Kapitel  3  behandelt  die  neue  Beamtenhierarchie.  Der  Verf.  wirft 
die  Frage  auf,  woher  sich  die  kaiserlichen  Beamten  rekrutierten,  und 
findet,  dafs  dies  aus  dem  frühereu  Ritterstande  geschah.  Er  identifi- 
ziert ihn  mit  dem  Perfectissimat  und  stellt  diejenigen  Beamten  und  Mili- 
tärs zusammen,  welche  dieser  Rangklasse  angehörten.  Von  einem  Cen- 
sus  ist  jetzt  so  wenig  die  Rede,  dafs  die  Ersetzung  des  Beamtenstandes 
wesentlich  aus  den  unteren  Ständen  erfolgt;  die  reichen  Curialen  suchte 
man  iu  den  Landstädten  festzuhalten,  freilich  nicht  mit  grofsem  Erfolge, 
da  auch  die  strengsten  Verbote  der  Kaiser  beständig  umgangen  wurden. 
Während  Diokletian  die  Zahl  der  Ämter,  welche  Eintritt  in  den  Senat 
verliehen,  innerhalb  der  früheren  Grenzen  hielt,  vermehrten  sie  Con- 
stantin  und  seine  Nachfolger  beträchtlich.  Erst  dadurch  erfolgte  die 
beständige  Erneuerung  der  Aristokratie  aus  den  unteren  Schichten.  Da 
jetzt  auch  die  früheren  ritterlichen  Ämter  den  Senatorensöhnen  offen- 
stehen, so  wird  die  Carriere  der  senatorischen  Beamten  ziemlich  bunt; 
der  Verf.  hat  sich  das  Verdienst  erworben,  die  verschiedenen  hier  in 
Betracht  kommenden  Ämter  zusammenzustellen.  Die  republikanischen 
Rangklassen  im  Senate  verschwinden,  und  an  ihre  Stelle  treten  die  der 
Clarissimi,  Spectabiles  und  Illustres  mit  Unterabteilungen,  welche  durch 
die  Rangstellung  der  einzelneu  Ämter  veraulafst  werden;   princeps  sena- 


B.   Die  Staatsgewalt.    2.    Der  Senat.  209 

tus  ist  der  angesehenste  Mann  aus  der  Klasse  der  Illustres.  Kapitel  4 
entwickelt  die  Ansichten  des  Verf/s  über  den  Senatorenstand;  er  schei- 
det hierbei  zwei  Perioden,  die  erste  bis  ungefähr  zur  Mitte  des  fünften 
Jahrhunderts,  die  zweite  bis  zum  Ende  des  Reiches.  In  der  ersten  Pe- 
riode wird  die  strenge  Erblichkeit  der  Senatoreneigenschaft  durchge- 
führt; doch  fällt  damit  der  Sitz  im  Senate  immer  weniger  zusammen; 
seit  dem  vierten  Jahrhundert  bleiben  immer  mehr  Senatoren  auf  ihren 
grofsen  Landgütern  in  den  Provinzen  und  erscheinen  nie  im  Senate, 
selbst  wenn  sie  die  Lasten  der  Prätur  übernommen  haben.  In  der 
zweiten  Periode  verlieren  die  Clarissimi  und  Spectabiles  den  Sitz  und 
die  Stimme  im  Senate,  der  blofs  den  Illustres  vorbehalten  bleibt;  damit 
ist  der  Senat  eine  Versammlung  hoher  Reichsbeamten.  Im  fünften  Ka- 
pitel werden  die  Rechte  des  Senats  dargestellt  die  sämtlich  geringwertig 
sind.  Zunächst  hat  er  das  Wahlrecht  für  die  immer  unbedeutenderen, 
fast  nur  noch  munizipalen  Ämter;  die  Kooptation  übt  er  mit  Zustim- 
mung des  Kaisers,  bei  den  besonderen  Auflagen  seines  Standes  fafst 
er  Beschlüsse  und  äufsert  Wünsche,  endlich  ist  er  der  eigentliche  Ge- 
meinderat der  beiden  Hauptstädte.  Als  solcher  mufs  er  namentlich  die 
Verproviantierung  der  Hauptstadt  übernehmen  und  zum  Teil  dafür  ein- 
treten; die  Oberaufsicht  über  die  hohe  Schule  gebührt  ihm.  Seine 
Kanzlei  ist  die  Gemeindekanzlei,  und  Senatskommissarien  unterstützen 
den  Stadtpräfekten  und  den  Vormundschaftsprätor  in  der  Ernennung 
von  Vormündern.  Der  Anteil  der  Körperschaft  an  der  Gesetzgebung 
ist  nicht  mit  Sicherheit  bekannt;  vielleicht  war  er  aber  bei  der  Vorbe- 
reitung von  Gesetzen  gröfser,  als  man  gemeinhin  glaubt.  Bei  der  defini- 
tiven Erlassung  von  Gesetzen  ist  der  Senat  häufig  beteiligt  worden.  Die 
Criminalgerichtsbarkeit  übte  er,  wie  es  scheint,  nur  auf  kaiserlichen 
Auftrag.  Die  Aburteilung  von  Senatoren  erfolgte  durch  den  Stadtprä- 
fekten und  ein  senatorisches  Consilium.  Kapitel  6  behandelt  die  Vor- 
rechte des  Senatorenstandes.  Der  Senatorenstand  hatte  zwei  besondere 
Lasten  zu  tragen:  die  Prätur,  eine  Personalsteuer  und  den  Follis,  eine 
Grundsteuer,  die  450  abgeschafft  wurde;  dazu  kam  beim  Regierungs- 
antritt eines  Kaisers  das  aurum  oblaticium.  Dafür  geniefsen  die  Sena- 
toren sehr  wertvolle  Befreiung  von  aufserordentlichen  Leistungen,  die 
der  Verf.  sorgfältig  zusammenstellt.  Die  Palastbeamten  sind  auch  hier 
wieder  besonders  bevorzugt;  auch  die  Privilegien  auf  dem  Gebiete  des 
Gerichtswesens  hat  der  Verf.  fleifsig  gesammelt.  Diesen  Vorrechten 
stellt  Kapitel  7  die  Mifsbräuche  zur  Seite,  welche  der  Senatorenstand 
sich  zuschulden  kommen  liefs.  Dieselben  waren  die  gewöhnlichen,  welche 
die  Mächtigen  Wehrlosen  gegenüber  sich  erlauben,  Bedrückung,  Wucher 
u.  s.  w.  In  dem  Zustande  der  Gerichte  fanden  die  Schwachen  keine 
Hilfe,  und  alle  Versuche  der  Kaiser  zu  helfen  erweisen  sich  wir- 
kungslos. Noch  schlimmer  wurden  diese  Verhältnisse  durch  das  Auf- 
kommen  bezw.   die  Ausdehnung  der  privaten   Gerichtsbarkeit,    mit  der 

Jahresbericht  für  Alterthiimswissenschaft  LXIV.  1890.  (III.;  14 


210  Römische  Staatsaltertümer. 

sich  Kapitel  8  beschäftigt,  und  welche  wiederum  nur  den  Mächtigen  zu- 
gute kam.  Im  neunton  Kapitel  stellt  der  Verf.  die  politische  Geschichte 
des  Senates  in  Rom  dar,  an  welche  Kapitel  10  die  religiöse  anknüpft. 
Beide  Kapitel  sind  nützliche  Zusammenfassungen,  wenn  sie  auch  dem 
Kenner  nichts  Neues  berichten  können. 

Der  zweite  Teil  der  Schrift  entwickelt  die  Stellung  des  Senats 
unter  den  Ostgoten.  Die  politische  Bedeutung  wächst  eher,  da  Theodo- 
rich und  seine  Nachfolger  den  Glauben  erwecken  wollen,  dafs  sich  in 
Italien  nichts  Erhebliches  geändert  habe.  Aus  der  Mitte  des  römischen 
Adels  gehen  die  hohen  Würdenträger  hervor,  seine  Vorrechte  bleiben 
erhalten,  und  die  Versuche  der  Ostgoten-Könige,  auch  gegen  die  bevor- 
rechteten Klassen  Gerechtigkeit  zu  ermöglichen,  sind  nicht  von  Erfolg 
gekrönt.  Auch  jetzt  beschränkt  sich  der  Senat  auf  die  Rangklasse  der 
Illustres;  man  gelangt  hinein  durch  Erhebung  zu  einem  Amte  dieser 
Rangstufe,  durch  Wahl  des  Senats,  endlich  auf  Vorschlag  des  Königs. 
Die  Verwaltung  Roms  bleibt  ganz  der  Körperschaft  überlassen.  Theo- 
retisch behält  diese  auch  das  Recht  der  Gesetzgebung,  und  praktisch 
übt  sie  das  Bestätigungsrecht  für  königliche  Verordnungen.  Der  Verf. 
teilt  den  Gotenkönigen  volles  Gesetzgebungsrecht  zu,  ganz  in  dem  Um- 
fange, in  dem  es  die  römischen  Kaiser  geübt  haben.  Ebenso  bleibt  der 
Senat  Staatsgerichtshof  für  Criminalsacheu  gegen  Senatoren.  Im  zweiten 
Kapitel  bestreitet  der  Verf.  die  geläufige  Anschauung,  wonach  die  Ost- 
goten ein  Dritteil  des  Landes  aufteilten,  und  nimmt  an,  man  habe  bei 
der  Einwanderung  die  fiskalischen  Ländereien  und  das  Oedland  ver- 
einigt und  davon  einen  Teil  den  Goten  zu  Eigentum  gegeben,  einen  an- 
deren an  die  kaiserlichen  Pächter  oder  an  die  städtischen  Gemeinden 
zu  einem  Dritteil  des  Ertrags  verpachtet.  Der  Beweis  für  diese  An- 
nahme ist  dem  Verf.  nicht  gelungen;  er  legt  zuviel  Gewicht  auf  die 
Nachrichten,  wonach  Italien  die  Ansiedelung  der  Goten  kaum  gewahr 
geworden  sein  soll.  Die  Abwälzung  jeder  Militärleistung  bildete  eine 
so  grofse  Erleichterung,  dafs  die  Italiker  und  vor  allem  die  possessores 
sich  eine  Beschränkung  ihres  Grundbesitzes  gefallen  lassen  konnten,  da 
die  Rente  der  letzten  Jahrzehnte  ohnedies  nicht  hoch  gewesen  sein  kann. 
Auf  dem  Rechtsgebiete  bleiben  alle  Privilegien  des  Senatorenstandes  er- 
halten. Ausführlich  wird  die  tuitio  regii  nomiuis  verfolgt,  die  aber  auch 
nichts  an  den  früheren  Verhältnissen  zu  Ungunsten  des  Adels  änderte. 
Natürlich  bestehen  auch  dieselben  Mifsbräuche  fort,  wie  der  Verf.  ein- 
gehend nachweist.  Kapitel  3  beschäftigt  sich  mit  der  religiösen  Rolle 
des  Senats  in  der  Gotenzeit;  er  vertritt  hier  die  katholischen  Interessen 
und  nimmt  an  den  religiösen  Streitigkeiten  der  katholischen  Kirche 
energisch  Teil.  Noch  bedeutender  war  der  politische  Einflufs  des  Se- 
nats unter  den  Nachfolgern  von  Theodorich,  welcher  in  Kapitel  4  dar- 
gestellt wird.  Ein  Schlufskapitel  fafst  die  Hauptergebnisse  der  Unter- 
suchung zusammen. 


B.   Die  Staatsgewalt.    3.    Die  Bürgerschaft.  211 

Der  dritte  Teil  behandelt  den  Senat  von  Konstantinopel.  Nur 
das  erste  Kapitel  gehört  noch  in  diesen  Jahresbericht,  die  Vorgeschichte 
bis  auf  Justinian,  dessen  Reform  das  zweite  Kapitel  darstellt. 

Die  Untersuchung  ist  für  die  Kenntnis  der  Kaiserzeit  recht  wertvoll. 

3.    Die    Bürgerschaft. 

Hugo  Krüger,  Geschichte  der  capitis  deminutio.     1.  Band.     Zu- 
gleich eine  Neubearbeitung  des  Legisaktionenrechts.     Breslau  1887. 

Der  Verf.  entwickelt  in  seiner  Schrift  die  Ansicht,  dafs  das  In- 
stitut der  cap.  dem.  eine  historische  Entwicklung  durchgemacht  hat. 
Das  ursprüngliche  Gebild  ist  in  der  cap.  dem.  minima  zu  erblicken; 
erst  in  einem  späteren  Stadium  trat  zu  dieser  die  cap.  dem.  magna 
hinzu,  und  in  dem  letzten  Eutwicklungsstadium  schied  sich  die  cap. 
dem.  magna  in  zwei  selbständige  Klassen  mit  besonderen  Kriterien.  Ne- 
ben dieser  giebt  es  noch  eine  eigene  innere  Entwicklung  der  cap.  dem. 
minima  und  ihres  Begriffes  nebenher,  deren  verschiedene  Stufen  sich 
noch  erkennen  lassen.  Hingegen  war  die  cap.  dem.  magna  von  Anfang 
an  ein  fertiges,  abgeschlossenes,  nicht  weiter  entwicklungsfähiges  Be- 
griffsganzes, nur  dafs  sich  innerhalb  ihres  Gebietes  eine  äul'sere  Schei- 
dung vollzog.  Eine  eingehendere  Analyse  des  wesentHch  juristischen 
Werkes  kann  hier  nicht  gegeben  werden.  Im  vorhegenden  Bande  ist 
der  erste  Abschnitt  der  ganzen  Arbeit  enthalten,  der  sich  mit  der  Ge- 
schichte der  cap.  dem.  minima  beschäftigt.  In  ihm  wird  der  Nachweis 
geführt,  dafs  das  Institut  der  cap.  dem.  mit  der  sog.  minima  ins  Leben 
trat;  im  Anschlufs  daran  wird  die  Bestimmung  des  ursprünglichen  Be- 
griffes der  cap.  dem.  minima  und  seine  weitere  Entwicklung  bis  in  das 
spätere  Recht  gegeben. 

Reinhold  Macke,   Die  römischen  Eigennamen   bei   Tacitus. 
II.  Progr.  Gymn.  Hadersleben  1888. 

Der  Verf.  giebt  hier  die  Fortsetzung  seiner  Arbeit  von  1886.  Eine 
umfangreiche  Zusammenstellung  ergiebt  das  Resultat,  dafs  Tacitus  kein 
Gentile  gleichzeitig  mit  zwei  Cognomina,  das  sog.  agnomen  mit  einge- 
schlossen, verbindet.  Abwechselndes  Cognomen  bei  ebendemselben  Na- 
men findet  sich  nur  bei  L.  Salvius  Otho  Titianus.  Doppeltes  Gentile 
findet  sich  sehr  selten  und  wahrscheinlich  nur,  weil  entweder  kein 
Cognomen  vorhanden  oder  dasselbe  durch  das  zweite  Gentile  verdrängt 
war;  doppeltes  Cognomen  wird  dagegen  durchaus  nicht  zu  vermeiden 
gesucht. 

14* 


212  Römische  Staatsaltertümer. 

C.   Die  Staatsverwaltung. 

1.    Organisation    des    Reichs. 

Etienne  Micliou,    L'administration   de  la  Corse   sous  la   domi- 
nation  romaine.     Mü.  d'arehöol.  et  d'histoire  VIII,  411  —  425. 

Corsica  wurde  zwar  im  ersten  punischen  Kriege  von  dem  Consul 
L.  Cornelius  Scipio  angegriffen  und  die  Stadt  Aleria  wurde  genommen 
und  zerstört;  aber  im  Frieden  wurde  es  nicht  abgetreten.  Erst  als  Sar- 
dinien 516  besetzt  wurde,  hatte  Corsica  das  gleiche  Schicksal.  Aber  in 
den  nächsten  Jahren  (518.  520.  522)  mufsten  immer  wieder  römische 
Heere  um  den  Besitz  der  Insel  kämpfen,  und  erst  523  gelang  dem  Consul 
C.  Papirius  Maso  die  Unterwerfung.  Doch  gab  es  jetzt  auch  noch  Auf- 
stände, und  die  Bewohner  des  Inneren  beugten  sich  nicht  unter  das  rö- 
mische Joch,  doch  blieb  die  Insel  römischer  Besitz.  527  erhielt  Sardinien- 
Corsica  einen  eigenen  Prätor,  und  bis  zum  Ende  der  Republik  blieb  diese 
Ordnung.  Als  580  und  581  Aufstände  einen  eigenen  Prätor  in  Corsica 
notwendig  machten,  prorogierte  man  dem  Prätor  von  Sardinien  M.  Atilius 
sein  Amt,  und  die  beiden  für  die  ganze  Provinz  bestimmten  Prätoren  ver- 
walteten nur  Sardinien.  Die  Ordnung  wurde  erst  wieder  in  den  Bürger- 
kriegen gestört;  Cäsar  brachte  zu  gleicher  Zeit  wie  Sardinien  auch  Cor- 
sica an  sich.  Im  Triumvirate  erhielt  Octavian  die  Insel,  dem  sie  Menas 
entrifs;  im  Vertrag  von  Miscnum  erhielt  sie  S.  Pompeius;  doch  lieferte 
sie  Menas  später  Octavian  aus.  Nach  Herstellung  des  Friedens  beliefs 
Augustus  die  gleiche  Verwaltung,  wie  in  der  Republik.  727  erhielt  sie 
der  Senat,  der  sie  wieder  bei  Sardinien  beliefs.  6  n.  Chr.  erhielt  der 
Kaiser  beide  Inseln,  der  sie  einem  Procurator  unterstellte.  Nero  gab 
G7  die  Insel  Sardinien  dem  Senate  wieder.  "Wahrscheinlich  wurden  beide 
Inseln  in  ihrer  Verwaltung  getrennt,  doch  läfst  sich  die  Frage  jetzt  noch 
nicht  entscheiden.    Jedenfalls  sind  sie  seit  Diocletian  getrennt  geblieben. 

Über  die  Verhältnisse  der  Provinz  Gallia  Narbonensis  hat 

0.  Hirschfeld,  Inscriptiones  Galliae  Narbonensis  Latinae.    (Corp. 
Inscr.  Lat.  Bd.  XII) 

gesprochen. 

Die  Einrichtung  und  Romanisierung  der  Provinz  ist  das  Werk  des 
Caesar,  der  nach  Massilias  Fall  auf  dem  Gebiete  der  Stadt  die  Kolo- 
nieen  Forum  Julii,  Arausio,  Arelate  und  Baeterrae  für  seine  Veteranen 
errichtete  und  zahlreichen  Städten,  wie  Antipolis,  Reii,  Aquae  Sextiae, 
Avennio,  Apta,  Carpentorate,  Vasio,  Vienna,  Nemausus,  vielleicht  auch 
Cabellio  mit  der  Latinität  begabte.  Da  allein  Nemausus  jenseits  des 
Rhone  liegt,  so  scheint  es,  als  ob  die  Gebiete  der  Helver  und  Volcer 
noch  nicht  so  weit  romauisiert  waren,  um  ihnen  latinisches  Recht  zu 
gewähren.     Caesar  wollte    also  die  Provinz  nicht  durch  Waffengewalt, 


C.    Die  Staatsverwaltung.    2.    Die  Finanzverwaltung  213 

sondern  durch  völlige  Romanisierung  den  Römern  sichern.  Augustus 
folgte  diesem  Vorgange.  Im  Jahre  27  v.  Chr.  nahm  er  die  Provinz  mit 
Ausnahme  der  Rürgerkolonieen  in  die  tribus  Voltinia  auf,  einige  lati- 
nische Städte  wie  Reii,  Aquae  Sextiae  und  vielleicht  Avennio  erhielten 
volles  Bürgerrecht;  Soldatenkolonieen  kamen  vielleicht  nach  Forum  Julii 
und  Nemausus;  jenseits  des  Rhone  erhielten  Alba  Helvorum,  Luteva, 
Carcaso,  Ruscina,  Tolosa  die  Latinität,  und  der  Ausbau  des  Strafsen- 
netzes  sollte  die  Provinz  fest  an  Italien  ketten.  Unter  den  folgenden 
Kaisern  wurde  wenig  geändert;  nur  erhielten  Narbo  und  Luteva  den 
Beinamen  Claudius  und  Avennio  vielleicht  den  Beinamen  Hadriana.  Auch 
die  von  Augustus  eingeführte  Verwaltungsreform  blieb;  die  Provinz 
stand  bis  zu  Diokletian  unter  Proconsuln,  die  bis  auf  Antoninus  Pius 
zu  Narbo,  später  vielleicht  zu  Nemausus  residierten.  Besatzung  hatte 
sie  keine,  nicht  einmal  auxilia;  ob  die  Flottenstation  in  Forum  Julii 
über  die  flavische  Zeit  hinaus  bestand,  ist  unsicher.  Sie  wurde  weder 
von  auswärtigen  noch  —  68  und  69  ausgenommen  -  von  Bürgerkrie- 
gen heimgesucht.  Die  Romanisierung  war  namentlich  in  den  Städten 
vollständig;  keltische  Inschriften  gehen  nicht  über  die  erste  Kaiserzeit 
hinaus. 

H.  Dübi,  Die  alten  Berner  und  die  römischen  Altertümer.  Bern  1888. 

Der  Verf.  wollte  ursprünglich  blofs  eine  Verteidigung  gegen  eine 
Reihe  von  schweren  Beschuldigungen  schreiben,  die  der  Präsident  der 
Association  pro  Aventico,  Eugen  Secretan,  gegen  die  alten  Berner  er- 
hoben, und  worin  er  sie  namentlich  den  Ruinen  von  Avenches  gegen- 
über des  Vandalismus  bezüchtigt  hatte.  Daraus  wurde  aber  eine  verdienst- 
volle Studie  zur  Geschichte  der  römischen  Altertümer  in  der  Schweiz. 
Zunächst  giebt  der  Verf.  eine  Zusammenstellung  der  auf  das  Schicksal 
von  Aventicum  bezüglichen  Nachrichten,  die  manches  Interessante  bietet. 
Die  Berner  stehen  von  den  schweren  Vorwürfen  in  allen  Hauptpunkten 
gereinigt  da. 

2.    Die    Finanzverwaltung. 

G.  Hoff  mann,  Der  römische  ager  publicus  vor  dem  Auftreten 
der  Gracchen.     2.  Teil.     Progr.  Kattowitz  1888. 

Der  Verf.  stellt  zunächst  die  ursprüngliche  Ackerverfassung  La- 
tiums  und  Roms  dar.  Er  ist  der  Ansicht,  dafs  in  der  Zeit,  in  welche 
die  Sage  die  Regierung  des  Romulus  verlegt,  sich  der  Übergang  des 
Landeigentums  vom  Staate  auf  dessen  einzelne  Teile  Tribus,  Kurien  und 
Geschlechter  vollzog.  Eben  damals  wurde  auch  schon  der  Grund  zum 
JJinzeleigentum  am  Boden  gelegt,  indem  jedem  Hausvater  aus  der  Kurien- 
oder Geschlechtsmark  ein  Stück  Gartenland  von  zwei  iugera  als  erb- 
liches Eigentum,  über  das  er  frei  verfügen  konnte,  überlassen  wurde. 
Die  Viehweide,    auf  welcher   das  Zahlungsmittel  erzogen  wurde,    blieb 


2 1 4  Römische  Staatsaltertümer. 

Staatslaud.  Aber  auch  Ackerland  stand  dem  Bürger  aufserdera  zur 
Verfügung  entweder  auf  der  Geschlechtsmark  oder  auf  dem  Gebiete  der 
Kurie.  Zur  Zeit  des  Servius  waren  die  Geschlechtsgüter  bereits  auf- 
gelöst und  in  Einzeleigentum  übergegangen;  seine  Verfassung  ruht  be- 
reits auf  letzterem. 

In  der  Königszeit  hatten    allein   die  Patricier  als   vollberechtigte 
Bürger  Anspruch  auf  den  ager  publicus,  während  die  Plebeier  nur  durch 
die    Gnade   der  Könige   Anteil  erhalten  konnten.     Sobald  aber  die  Ple- 
beier zum  Kriegsdienst  herangezogen  wurden,   waren  sie  berechtigt,   an 
der  Beute  teilzunehmen,  mochte  sie  in  Land  oder  in  beweglichen  Gegen- 
ständen bestehen,  und  es  scheint,  als  hätten  sie  in  der  That  seit  Servius 
das  Recht  erhalten,    Staatsland  in  Besitz   zu  nehmen.     x\ber   nach  Ver- 
treibung der  Könige  ging  den  Römern  in  den  Septem  pagi  am  rechten 
Tiberufer,    wahrscheinlich  auch  in  Latium    ein  beträchtlicher  Teil  des 
ager  publicus  verloren.     Die   Patricier   aber  hielten  sich  schadlos  durch 
Verdrängung  der  Plebeier  aus  den  von  diesen  occupierten  Teilen.     Da- 
her erklären  sich  die  Versuche,  den  Plebeiern  in  Form  der  Assignation 
Stücke  des  Staatslandes   als  Eigentum  zuzuwenden.     Dies  versuchte  Sp. 
Cassius  486  v.  Chr.,  indem   er  den  Antrag  stellte,   eine   entsprechende 
Menge    des    occupierten   Staatslandes   einzuziehen    und   den  bedürftigen 
Plebeiern  zu  assignieren.     "Wahrscheinlich  ging  der  Antrag  noch  weiter, 
nämlich  dahin,  von  dem  als  Gemeingut  zurückbehaltenen  Teile  des  Staats- 
ackers das  Vectigal,    den  Fünften   oder  Zehnten,   zu  erheben  und   zur 
Soldzahlung  zu  verwenden.    Die  Anträge  erlangten  aber  nicht  Gesetzes- 
kraft.    Da  Kolonisationen,  wie  die  in  Antium  467,  nicht  helfen  konnten, 
erfolgte  456  die  lex  de  Aventino  publicando.  Dieselbe  betraf  Staatsgut  und 
versorgte  die  städtische  Plebs;  die  bisherigen  Nutzniefser  wurden  zu  deren 
Gunsten  vom  Staatslande  vertrieben.    Verminderung  der  Patrizier  durch 
unglückliche  Kriege  hatten  diesen  Erfolg  erleichtert.    Da  auch  die  Plebs 
durch  Seuchen  decimiert  war,   so   reichte  in  den  nächsten  Jahrzehnten 
das  Land  aus.     Seit  424  wiederholen   sich  aber  die  Anträge   auf  neue 
Verteilung  des  Staatslandes,  aber  der  Erfolg  war  sehr  gering.    Im  Jahre 
406  wurde  beschlossen,  den  Soldaten  Sold  aus  der  Staatskasse  zu  zahlen. 
Wahrscheinlich  wurde  dieser  dadurch  aufgebracht,  dafs  jetzt  wieder  von 
dem  Staatslande   das  Vectigal  erhoben  wurde.     Nach  Veiis  Eroberung 
wurde  nach  längereu  Kämpfen  sein  Gebiet  an  die  Plebs  aufgeteilt,   vier 
iugera  auf  den  Mann.     Nach   den  Verheerungen  der  Gallier  suchte  der 
Senat    das  Elend    der  Plebs    durch  Kolonieengründung    zu  erleichtern; 
aber  teils  weil  diese  latinisch  waren,  teils  weil  ihre  Zahl  zu  gering  war, 
wurden  die  licinisch-sextischen  Gesetzesvorschläge  gemacht. 

Der  Verf.  ist  gegen  die  Überlieferung  zu  konservativ;  doch  ist 
sein  Versuch  gerade  nach  dieser  Richtung  lehrreich.  Denn  auch  er 
kann  nicht  ohne  Deutung  ev.  auch  ohne  Verwerfung  von  Nachrichten  zu 
seinem  Ziele  gelangen. 


C.    Die  Staatsverwaltung.    2.    Die  Finanzverwaltung.  215 

Ch.    Lecrivain,    De    agris    publicis    imperatoriisque    ab   Augusti 
tempore  usque  ad  finem  imperii  Romani.     Diss.  Paris  1887. 

Der  Verf.  teilt  seinen  Stoff  zeitlich  in  zwei  Perioden:  1)  von  Au- 
gustus  bis  Diokletian,  2)  von  Diokletian  bis  zum  Ende  des  Reichs. 

Der  Verf.  nimmt  an,  bei  der  Teilung  des  Reichs  zwischen  Augustus 
und  dem  Senate  sei  der  ager  publicus  der  kaiserlichen  Provinzen  und 
Privatdomänen  (Aegypten)  dem  Fiscus,  dagegen  in  den  Senatsprovinzen 
dem  aerarium  bis  auf  Traian  vorbehalten  worden.  Thatsächlich  habe 
aber  der  Kaiser  über  den  ager  publicus  überall  verfügt.  Ob  es  des- 
halb wahrscheinlich  ist,  dafs  wirklich  eine  solche  theoretische  Teilung 
stattfand,  um  sie  praktisch  stets  umzustofsen?  Seit  Hadrian  giebt  es 
nur  loca  fiscalia  und  fundi  fiscales,  die  in  den  Gesetzsammlungen  häufig 
erwähnt  werden.  Sie  vermehrten  sich  durch  bona  vacantia  et  caduca, 
wenn  auch  diese  meist  verkauft  wurden.  In  den  Provinzen  des  Senats 
fielen  sie  bis  auf  Marcus  dem  Ärar,  von  da  an  dem  Fiscus  heim.  Über- 
schüsse des  Fiscus  wurden  zu  Landankäufen  verwandt.  Wie  es  in  neu- 
eroberten Ländern  gehalten  wurde,  steht  nicht  fest.  Die  meisten  Län- 
dereien wurden  den  Eigentümern  belassen,  tributär  gemacht,  oder  zu 
Soldatenkolonien  verwandt;  Weiden,  Bergwerke,  Steinbrüche  blieben  dem 
Fiscus  vorbehalten. 

Im  zweiten  Kapitel  wird  das  Patrimonium  principis  dargestellt. 
Darunter  ist  das  Familiengut  des  Kaisers  zu  verstehen,  das  er  durch 
Erbschaft  seines  Hauses,  durch  Erbeinsetzung  seitens  Privater,  durch 
Beerbung  der  P'reigelassenen  des  kaiserlichen  Hauses  und  durch  Teil- 
nahme an  dem  Ertrage  der  bona  damuatorum  begründete  und  vermehrte. 
In  Kapitel  3  wird  die  Vererbung  des  Patrimonium  besprochen;  neues 
erfährt  man  dabei  nicht,  im  Ganzen  folgt  der  Verf.  Hirschfeld.  Ka- 
pitel 4  behandelt  die  res  privata,  die  von  Septimius  Severus  aus  den 
grofsen  Konfiskationen  geschaffen,  aber  nach  dem  Aussterben  der  Dy- 
nastie wie  das  Patrimonium  vererbt  wurde;  doch  gewinnt  sie  nach  Dio- 
kletian die  Bedeutung  eines  Krongutes,  dem  mannichfach  bisheriger  Be- 
sitz und  Einkünfte  des  Patrimonium  zugewiesen  wurden.  In  Kapitel  5 
stellt  der  Verf.  den  Landbesitz  (praedia)  der  ratio  privata  und  des  Pa- 
trimonium zusammen;  freilich  ist  die  Entscheidung  über  die  Zugehörig- 
keit oft  unsicher.  Dasselbe  gilt  vom  Kapitel  6  de  Augustarum  iuvenum- 
que  principum  fundis,  der  Versuch  mufste  bei  der  Beschaffenheit  der 
Quellen  recht  unvollkommen  ausfallen.  Kapitel  7  erörtert  die  Frage,  ob 
die  Constantinischen  Schenkungen  an  die  Kirche  mit  diesen  praedia  der 
res  privata  oder  des  Patrimonium  zusammenhängen.  Der  Verf.  glaubt 
sie  bejahen  zu  müssen.  Kapitel  8  handelt  von  der  Verwaltung  der  kai- 
serlichen Güter.  Im  Ganzen  stimmt  auch  hier  der  Verf  mit  Hirschfeld 
überein,  von  dem  er  sich  nur  in  untergeordneten  Fragen  entfernt.  Ka- 
pitel 9  betrachtet  den  technischen  Betrieb,  die  Zeit-  und  Erbpacht;  die 


210  Römische  Staatsaltertümcr. 

IctztfM-e   existierte    schon  vor  Diokletian.     Mannichfach   war  bei   diesen 
Einrichtungen  das  Beispiel  Ägyptens  mafsgebend. 

Im  zweiten  Teile,  der  die  nachdiokletianischen  Verhältnisse  be- 
handelt, wird  zunäclist  das  Anwachsen  des  Besitzes  nachgewiesen;  die 
Quelle  bildeten  die  zalilreichen  Konfiskationen,  namentlich  auch  die  Ein- 
ziehung der  Tenipelgüter,  Erbeinsetzungen  u.  s.  w.  Diese  Neuerwer- 
bungen werden  gewöhnlich  der  res  privata  zugeführt,  welche  jetzt  auch 
die  meisten  ehemaligen  fiskalischen  Güter  besafs.  Daneben  entstand  die 
domus  divina,  deren  Verwaltung  unter  dem  praopositus  sacri  cubiculi 
steht.  Doch  scheint  der  Besitz  beider  Verwaltungen  häufig  gewechselt 
zu  haben.  Besondere  Vermögensverwaltungen  hatten  die  Kaiserinnen  und 
die  Prinzessinnen.  Die  ehemaligen  Güter  des  Patrimonium  gehören  jetzt 
der  res  privata;  sie  sind  alle  in  Erbpacht.  In  Kapitel  3  wird  das  Erb- 
pachtsverhältnis dargelegt.  In  nachdiokletiauischer  Zeit  umfafst  die  res 
privata  alles,  was  nicht  zur  Staatskasse  (sacrae  largitioues)  gehört,  d.  h. 
die  alte  res  privata,  die  fundi  fiscales  und  patrimoniales  und  die  domus 
divina;  fast  alle  die  hierher  gehörigen  Güter  waren  in  Erbpacht  gege- 
ben, doch  kommen  auch  andere  Arten  der  Ausbeutung  vor,  wie  in  Ka- 
pitel 4  nachgewiesen  wird;  Zeitpacht  und  Selbstbewirtschaftung  kommen 
immer  mehr  ab.  Kapitel  5  bespricht  die  Verwaltung  der  Güter,  ohne 
etwas  neues  zu  bringen.  In  Kapitel  6  wird  die  Frage  der  praedia  regia 
bei  Cassiodorius  und  der  Kirchengüter  bei  Gregor  d.  Gr.  erörtert.  Die 
Ostgoten  ändern  wenig  an  dem  Hergebrachten;  bei  den  Kirchengütern 
kommen  meist  Selbstbetrieb  und  Zeitpacht  in  Anwendung.  Zwei  Appen- 
dices  bringen  Specialfragen  zur  Behandlung. 

Im  Grofsen  und  Ganzen  wird  unsere  Kenntnis  der  römischen  Fi- 
nanzverwaltung nicht  viel  durch  die  Arbeit  gefördert. 

E.  Thibaut,  Les  douanes  chez  les  Romains.     Paris  1888. 
war  mir  nicht  zugänglich. 

E.  de  Ruggiero,  Intorno  ai  XVI  ab  aerario  et  arka  salinarum  Ro- 
manarum.   (Bull,  deir  Istituto  di  diritto  Romano.)    Roma  1888.    13  S. 

Der  Verf.  bespricht  eine  im  Campo  salino  gefundene,  von  Lanciani 
Bull,  della  Commiss.  archeol.  comm.  di  Roma  1888  p.  83  publicierte  und 
erläuterte  Inschrift,  in  welcher  unter  den  Kaisern  Severus  und  Autoni- 
nus  ein  Restitutianus  Cornelianus  de  XVI  ab  aer(ario)  et  ark(a)  sal(ina- 
rum)  Romanarum  dem  Genius  saccariorum  salarior(um)  totius  urbis 
camp(i)  sal(iuarum)  Rom(anarum)  eine  Schenkung  macht.  Wer  sind 
diese  XVI  ab  aer.  et  ark.  sal.  Rom.?  Nach  Lanciani  ein  Consilium 
aus  kaiserlichen  Sklaven,  denen  die  Finanzverwaltung  der  städtischen 
Salzregie  übertragen  war.  Der  Verf.  hält  dies  aus  dem  Grunde  für  un- 
wahrscheinlich, weil  in  diesem  Falle  die  Bezeichnung  ab  aerario  ganz 
unerklärt  bliebe;  denn  die  Einkünfte  aus  dem  Salzregale  flössen  zu  der 


C.   Die  Staatsverwaltung.    2.    Die  Finanzverwaltung.  217 

Zeit,  welcher  die  Inschrift  entstammt,  d.  h.  nach  Septimius  Severus,  sicher- 
lich in  denFisciis;  sodann  ist  aber  bis  jetzt  kein  Beispiel  bekannt,  dafs 
ein  procurator  Augusti  ein  Consilium  znr  Seite  gehabt  hätte  mit  mehr 
oder  minder  weitgehenden  Befugnissen;  auch  hätte  ein  solches  Consilium 
nach  Hadrian  nicht  aus  kaiserlichen  Sklaven  bestehen  können. 

Vielmehr  müssen  diese  XVI  ab  aerario  etc.  in  Verbindung  getreten 
sein  mit  dem  Collegium  saccariorum,  über  das  nach  dem  Ausweise  der 
Inschrift  die  kaiserlichen  Procuratoren  ein  Aufsichtsrecht  besafsen.  Diese 
XVI  ab  aerario  et  arca  sind  nichts  anderes  als  eine  besondere  Körper- 
schaft —  vielleicht  etwas  höher  gestellter  Kassendiener  —  in  dem  coli, 
saccariorum.  Wir  erfahren  aus  der  Inschrift  zuerst  die  Existenz  einer 
besonderen  Prokuratur  für  die  Salinen  des  Tiber,  welche  von  Pacht» 
gcsellschaften  ausgebeutet  wurden. 

U.  Wilcken,  Zu  den  arsinoitischen  Tempelrechnungen.  Hermes  23, 
629—630. 

Der  Verf.  hat  gefunden,  dafs  die  kaiserliche  Regierung,  wenn  es 
sich  um  Aufstellung  einer  Statue  für  einen  römischen  Kaiser  handelte, 
dem  Volke  eine  Statuensteuer  auflegte.  Sie  wurde  wie  die  Kopf-  und 
Gewerbesteuer  von  den  npdy.ropeg  dpYOfjixrjg  'EXefavTcvrjg  erhoben  und 
war  wie  eine  Kopfsteuer  für  alle  Unterthanen  in  gleicher  Höhe  normiert. 

Th.  Mommsen,  Die  fünfzehn  Münzstätten  der  fünfzehn  diokle- 
tianischen Diöcesen.    Zeitschr.  f.  Numism.  15,  239 — 250. 

Von  einer  Beziehung  der  Münzprägung  zur  administrativen  Reichs- 
teilung kann  erst  seit  Diokletians  Diöceseneinrichtung  die  Rede  sein. 
Den  folgenden  Diöcesen  entsprechen  die  gegenüberstehenden  Münzstätten. 
Orientis        A(ntiochia)  Italiae  AQ(uileia) 

Aegypti        ALE(xandrea)  Urbis  Romae  ROM(a)   oder  R(oma) 

Asiana  KV(zicus)  Pannoniarum  S(is)  C(ia)  od.  SlS(cia) 

Pontica         N(icomedia)  od.  lUyrici 

Thraciarum  H(eraclea)  T(hracum)     Africae  K(arthago) 

oder  H(eraclea)  Hispaniae  T(arraco) 

Macedoniae  T(hes)S(alonica)  Galliarum  TR(everi) 

Daciae  S(er)  D(ica)  L(ugudunum  od.  L(u)G(u)dunum 

Viennensis 
Britanniae         L(ondinium) 

Heraclea  ist  das  alte  Perinthos,  welches  zu  Ehren  des  Herculius 
in  Heraclea  Thracum  umgenannt  wurde.  Viennensis  hat  keine  Münz- 
stätte, sondern  Lugudunum  prägte  für  diese  Diöcese,  die  von  Constantin 
in  AR(e)L(ate)  eine  eigene  Münzstätte  erhielt;  derselbe  Kaiser  hat  auch 
eine  Verschiebung  des  ursprünglichen  Verhältnisses  in  Illyricum  vorge- 
nommen, wo  SIRM(ium)  Münzstätte  wird.  Die  meisten  Münzstätten  prä- 
gen in  allen  drei  Metallen;  Herakleia  hat  nur  Silber  und  Kupfer,  Kyzi- 


218  Römische  Staatsaltertümer. 

kos  und  Lugudunum  nur  Kupfer  geschlagen.  Vermutlich  wurden  im  Occi- 
dcnt  neben  Maximians  umfassender  Prägung  in  Trier  die  Münze  von 
Lyon,  im  Orient  neben  der  umfassenden  Prägung  Diokletians  in  Niko- 
media  die  benachbarten  Münzen  von  Ilerakleia  und  Kyzikos  als  Neben- 
nuinzstätten  behandelt.  Die  Buchstabensetzung  ist  offenbar  aus  einem 
Gufs.  Wo  der  erste  Buchstabe  zur  Unterscheidung  genügt,  wird  er 
allein  gesetzt,  nur  dafs  bei  den  Namen  der  Reichshauptstadt  nahezu 
Vollschreibung  eintritt.  Wo  er  nicht  genügt,  wird  meist  der  erste  Buch- 
stabe allein  konventionell  auf  eine  der  Münzstätten  beschränkt,  vielleicht 
auf  diejenige,  die  schon  vor  Diokletian  im  Betrieb  war.  Im  Übrigen 
werden  entweder  die  ersten  zwei  oder  drei  Buchstaben  gesetzt,  oder  es 
wird  dem  Initialbuchstaben  der  ersten  der  der  zweiten  Silbe  hinzugefügt. 

3.    M  i  1  i  t  ä  r  w  e  s  e  n. 

H.    Delbrück,    Triarier    und    Leichtbewaffnete.      Hist.    Zeitschr. 
N.  F.   24,  238-254. 

Der  Verf.  unterwirft  zunächst  die  Ansichten  von  Kuthe- Soltau - 
Fröhlich  und  von  Bruncke  einer  Kritik. 

Die  ersteren  nahmen  an,  dafs  die  Manipel  schachbrettartig  an- 
rückten, aber  vor  dem  Beginn  des  Gefechts  die  Mannschaften  durch 
weiteres  Abstandnehmen  die  Intervalle  ausfüllten.  Durch  Zusammen- 
ziehen wurden  die  Intervalle  wiederhergestellt,  wenn  das  zweite  Treffen 
das  erste  ablösen  sollte.  Das  zweite  Treffen  rückte  in  geschlossenen 
Manipeln  durch  die  Intervalle  vor,  das  erste  ging  zurück,  und  das  zweite 
stellte  durch  Abstandnehmen  die  kontinuierliche  Linie  wieder  her.  Die- 
ses Manöver  ist  unmöglich ;  denn  Truppen  können  im  Handgemenge  nicht 
abgelöst  werden,  da  der  Feind  die  Abzulösenden  nicht  ziehen  lassen, 
sondern  gerade  die  hülflose  Situation,  in  die  sie  sich  durch  Zusammen- 
drängen und  Lückenlasseu  selbst  setzen,  benutzen  würde,  sie  zu  vernichten. 
Speziell  wird  Soltau  (Deutsche  Literatur-Zeitung  1888  S.  177  f.)  nochmals 
vollständig  widerlegt.  Bruncke  läfst  die  Ablösung  der  Treffen  durch  die 
Intervalle  fallen,  fafst  die  Bedeutung  der  Intervalle  für  die  Marschfähig- 
keit und  das  Vorrücken  der  Legionen  richtig  auf,  sucht  aber  doch  noch 
eine  Trcffenablösung  zu  konstruieren,  wobei  das  vorderste  Treffen  rechts 
und  links  seitwärts  sich  abzieht,  um  dem  nächsten  Platz  zu  machen. 
Auch  das  ist  unmöglich,  da  Soldaten  im  Nahkampf  viel  zu  viel  zu  thun 
haben,  sich  ihres  unmittelbar  vor  ihnen  befindlichen  Gegners  zu  erweh- 
ren, um  an  taktische  Bewegungen  denken  zu  können.  Doch  steckt  in 
Brunckes  Vorstellung  eine  Annäherung  an  die  Wahrheit,  indem  sie  die 
Wirksamkeit  der  spezifisch  römischen  Taktik  in  der  Möglichkeit  einer 
Bewegung  nach  der  Flanke  sucht,  die  freilich  nicht  das  vorderste,  son- 
dern gerade  die  hinteren  Treffen  ausführen. 

Delbrück    (ergänzt  in  einem  Punkte   durch    Schneider  s.  Jahres- 


C.    Die  Staatsverwaltung.     3.    Militärwesen.  219 

bericht  1887)  unterscheidet  vier  Perioden:  1)  Phalanx  bestehend  aus 
zwei  Abteilungen,  hastati  und  principes,  jede  zu  15  Centurien  (Ma- 
nipeln),  aufgestellt  mit  ganz  kleinen  Intervallen,  die  Centurien  der  prin- 
cipes gerichtet  auf  die  Intervalle  der  hastati;  den  15  Centurien  (Mani- 
peln)  der  ersten  Abteilung  je  20  Leichte  beigegeben;  900  andere  Leicht- 
bewaffnete aufserhalb  der  Phalanx.  Die  Einrichtung  stammt  vielleicht 
aus  der  Zeit  der  Samniterkriege.  2)  Phalanx  bestehend  aus  drei  Ab- 
teilungen hastati,  principes  und  triarii,  jede  zu  10  Manipel,  jeder  Mani- 
pel  zu  120  (bei  den  Triariern  nur  60)  Schweren  und  je  40  Leichten. 
Die  Manipel  aufgestellt  wie  vorher,  nur  etwas  lockerer.  Diese  Phalanx 
bestand  im  Jahre  216  3)  Zerlegung  der  vorigen  Phalanx  in  drei  Treffen 
durch  Scipio  Afrikanus  Major.  4)  Einteilung  der  Legion  in  zehn  gleich- 
mäfsig  bewaffnete  Kohorten,  vielleicht  durch  Marius. 

Zu  diesen  früheren  Aufstellungen  bringt  er  einige  Ergänzungen. 
Um  seine  Ansetzung  einer  wesentlichen  Abwandlung  der  römischen  Tak- 
tik im  zweiten  punischen  Krieg  zu  begründen,  weist  er  nach,  dafs  Po- 
lybius  allerdings  einer  solchen  Reform  Erwähnung  thue;  denn  er  meldet 
Scipio  habe  in  der  Schlacht  bei  Cannae  die  drei  Abteilungen  mit  Ab- 
stand (£v  oLTMazdaet)  aufgestellt;  er  berichtet  weiter,  dafs  die  Römer 
nicht  ihre  ganze  Macht  mit  einem  Male  ins  Gefecht  führten,  sondern 
r«  jxkv  e<p£8peÖ£c  ru)V  p.sp(üv  aoroTg,'  ra  ok  ao/JL/icaysc  roTg  TtoXspcotg.  Er 
sagt  uns  also  positiv  Alles,  was  wir  zu  wissen  brauchen. 

Auch  vor  der  Erhebung  der  drei  Legionsabteilungen  zu  Treffen 
hatten  diese  Abteilungen  schon  eine  sehr  grofse  Bedeutung.  Eine  Unter- 
scheidung nach  Altersstufen  bildet  sich  in  Heeren,  die  wie  das  römische 
der  älteren  Republik  und  das  heutige  deutsche  auf  bürgerlicher  Grund- 
lage gebildet,  doch  durch  starke  Friedensübung  oder  permanente  Feldzüge 
die  militärischen  Eigenschaften  der  Berufsheere  bis  auf  einen  gewissen 
Gi'ad  angenommen  haben.  Der  Veteran,  der  sich  zugleich  noch  als 
Bürger  fühlt,  kann  ohne  Minderung  seiner  Ehre  dem  Jüngeren  den  Vor- 
kampf lassen.  Nichts  natürlicher  also,  als  dafs  man,  sobald  die  Zer- 
legung der  Legion  in  die  drei  Abteilungen  die  Gelegenheit  gab,  diese 
Abteilungen  nach  Jahrgängen  formierte,  und  wenn  sie  einmal  danach 
formiert,  so  bildete  sich  auch  bald  in  den  höheren  Abteilungen  ein  star- 
kes Corps-Bewufstsein. 

Ein  Moment,  das  gegen  Delbrücks  Aufstellungen  sprechen  könnte, 
ist  das  numerische  Verhältnis  der  Schwer-  zu  den  Leichtbewaffneten. 
1200  Leichte  kommen  auf  3000  Schwere  und  sollen  durch  die  Intervalle 
oder  um  die  Flügel  herum  vorwärts-  und  zurückfluten.  Das  ist  denk- 
bar bei  einem  Heere  von  zwei  Legionen;  da  werden  die  2400  Leich- 
ten meistens  um  die  Flügel  herumgehen;  denn  durch  die  Intervalle 
kann  sich  nur  ein  kleiner  Teil  zurückziehen,  weil  die  Zeit,  die  ihnen 
bis  zum  Zusammenstofs  der  beiden  Hoplitenniassen  bleibt,  zu  kurz  ist 
und    sie   in  Schlangenwindungen   durch    die  Phalanx  hindurch  müssen. 


220  Römische  Staatsaltertümer. 

Bei  gröfsercn  Heeren  ist  das  nicht  mehr  möglich.  Wir  wissen  aber  auch 
nichts  über  die  Tiefe  der  Aiifstelhing  bei  den  Alten  und  doch  hängt 
von  ihr  die  Länge  der  Front,  also  die  Möglichkeit  einer  Übcrflügelung 
und  Umklammerung  des  Gegners  ab  Wahrsclieinlich  wurden  kleine 
Heere  flacher,  grofso  tiefer  aufgestellt.  Rüstow  nimmt  bei  Cäsar  eine 
Kohortentiefe  von  10  Mann,  somit  bei  drei  Treffen  eine  Gesamttiefe 
von  30  Mann  an.  Delbrück  nimmt  in  der  Schlacht  bei  Cannae  eine 
Tiefe  von  36 — 44  Hoi)liton  an;  dabei  ergiebt  sich  für  die  Leichten  eine 
Tiefe  von  14--18  Mann.  Aber  eine  so  dicke  Masse  von  Speerschützen 
und  Schleuderern  ist  unfähig,  ihre  Waffen  zu  gebrauchen;  mehr  als  vier, 
vielleicht  nur  zwei  Glieder,  die  abwechselnd  schleudern,  können  gewifs 
keine  Wirksamkeit  üben.  Wozu  schleppen  die  Römer  nur  eine  so  un- 
geheure Menge  von  Leichtbewaffneten  mit,  die  in  der  Schlacht  selbst 
ihre  Bestimmung  nicht  erfüllten  und  beim  Zurückfluten  unter  den  Hopli- 
ten  die  gefährlichste  Unordnung  anrichten  konnten?  Die  Antwort  giebt 
Liv.  VIII,  8.  Die  rorarii  und  accensi  waren  keine  Schlachttruppen,  son- 
dern man  gebrauchte  sie  zum  Fouragieren,  Verfolgen,  Schanzen,  Be- 
wachen des  Lagers  während  der  Schlacht,  in  der  Schlacht  aber  nur  einen 
geringeren  Teil,  so  viel  als  Platz  hatten  vor  der  Front  und  auf  den  Flanken 
auszuschwärmen  und  man  hoffen  konnte,  ohne  Schwierigkeit  im  letzten 
Augenblicke  durch  die  Intervalle  zurückziehen  zu  können.  Deshalb  wer- 
den bei  Liv.  mit  Recht  die  rorarii  ins  Hintertreffen  gestellt.  Man  hat 
verschiedene  Perioden  der  römischen  Taktik  in  eine  Schilderung  zusam- 
mengezogen. Daher  die  15  Manipeln  der  Triarier  und  die  völlig  un- 
glaubwürdige Zahl  186  für  jeden  ordo  sub  signis.  Delbrück  giebt  an 
dieser  Stelle  nochmals  eine  Zusammenstellung  dessen,  was  er  bei  Livius 
für  echte  Überlieferung  hält.  Ursprünglich  fechten  die  Römer  in  der 
Phalanx,  später  in  Manipelstellung,  zuletzt  in  mehreren  Treffen.  Die 
Manipel  standen  mit  mäfsigen  Zwischenräumen;  die  hastati  und  principes 
hatten  einmal  je  15  Manipel;  den  Hastatenmanipeln  waren  je  20  Leichte 
beigegeben,  den  principes  nicht.  Das  Gros  der  Leichten,  die  rorarii 
(und  accensi)  standen  hinter  der  Hoplitenphalanx.  [Als  auch  die  dritte 
Abteilung  der  Triarier  eingerichtet  war,  die  Abteilungen  mit  Treffenin- 
stanzen standen,  jede  Abteilung  auf  10  Manipel  gesetzt  war],  nannte 
man  die  Triarier,  bei  denen  die  überflüssigen  Leichtbewaffneten  standen 
(und  zu  denen  sich  nach  Beendigung  des  Plänklergefechtes  alle  Leichten 
sammelten)  die  Truppen  sub  signis;  jedes  Triarierfähnlein  mit  den  Leich- 
ten zusammen  zählte  186  Mann.  Das  zweite  und  dritte  Treffen  waren 
bestimmt,  das  erste  im  Kampfe  zu  unterstützen,  so  dafs,  wenn  der  Feind 
glaubte,  das  erste  Treffen  besiegt  zu  haben,  er  sofort  einem  neuen, 
noch  stärkeren  Widersacher  begegnete.  Weil  nun  die  Triarier  das  dritte 
Treffen  bildeten,  so  sagt,  wenn  es  hart  hergeht,  das  Sprichwort:  »jetzt 
gehts  an  die  Triarier«. 

Die    Verwendung    der    Leichtbewaffneten    bei    Zama    bedarf    be- 


C.   Die  Staatsverwaltung.    3.   Militärwesen.  221 

sonderer  Erklärung.  Polybios  erzählt,  Scipio  habe  die  Intervalle  zwischen 
den  Manipeln  des  ersten  Treifens  mit  den  velites  ausgefüllt,  mit  dem 
Befehl,  das  Gefecht  einzuleiten  und  vor  den  Elephanten  durch  die  Ma- 
nipel-  und  Treffenintervalle  auszuweichen.  Hier  sind  mehrere  Wider- 
sprüche vorhanden  —  die  Intervalle  ausfüllen,  plänkeln  und  sich  durch 
die  Intervalle  zurückziehen  d.  h.  nicht  in  ihnen  bleiben.  Delbrück  er- 
klärt das  so.  Scipio  wagte  es,  das  Treffenintervall  zwischen  die  hastati 
und  pi'incipes  zu  legen.  Da  war  es  jenen  sehr  unbehaglich,  dafs  ihre 
Hintermänner  so  weit  zurückblieben.  Die  gröfste  Besorgnis  der  Sol- 
daten war  immer  das  Zerreifsen  der  Linie,  so  dafs  der  Feind  eindrin- 
gen und  rechts  und  links  die  Manipel  in  der  Flanke  packen  konnte. 
Das  zweite  Treffen  war  nun  so  fern,  dafs  es  eine  entstehende  Lücke 
nicht  auf  der  Stelle  zustopfen  konnte.  Um  etwaige  gröfsere  Lücken  zu 
füllen,  bis  die  Verstärkungen  aus  dem  zweiten  Treffen  ankommen  konn- 
ten, bestimmte  Scipio  die  velites. 

Fr.  Giesing,   Verstärkung  und  Ablösung  in  der  Kohortenlegion. 
Neu.  Jahrb.  f.  Phil.   137,  849—862. 

Der  Verfasser  ist  mit  Fröhlich  (Jahresbericht  1887)  darin  einver- 
standen, dafs  die  Annahme,  in  der  acies  des  Cäsar  hätten  die  taktischen 
Einheiten,  die  Kohorten,  getrennt  von  einander  gekämpft  und  zwar  in 
Abständen  von  Kohortenfronten,  ebenso  sachlich  widersinnig  sei,  wie  sie 
jeglichen  quellenmäfsigen  Anhalts  und  Belegs  entbehre  Aber  er  meint, 
Fröhlich  hätte  die  Frage  beantworten  müssen;  wie  erfolgte,  wenn  das 
erste  Treffen  jeder  Legion  als  Phalanx  kämpfte,  die  Ablösung  desselben 
durch  das  zweite?  Er  hat  dies  versucht,  aber  es  ist  ihm  mifslungen;  denn 
er  nahm  an,  dafs  die  Ablösung,  wenn  irgend  möglich,  von  den  Flanken 
her  stattgefunden  habe.  Aber  in  der  Stelle,  die  Fröhlich  hierfür  an- 
führt, b.  c  1,  45  handelt  es  sich  lediglich  um  eine  Unterstützung.  In 
anderen  Fällen  mufs  er  wieder  zu  Intervallen  seine  Zuflucht  nehmen, 
die  schlimmer  als  die  früheren,  weil  militärisch  undenkbar  sind;  denn 
sie  haben  die  Hauptsache  nicht  berücksichtigt:  den  Feind.  Fröhlich 
hat  den  Fehler  gemacht,  dafs  er  stets  die  taktische  Einheit  wahren 
wollte ;  die  Wahrung  der  taktischen  Einheit  wird  stets  eins  der  obersten 
Gesetze  der  Taktik  bleiben,  aber  sie  erleidet  zahlreiche  Ausnahmen  im 
Altertum,  wie  heute.  Hier  entscheidet  eben  die  Notlage,  und  anders  als 
in  der  äufsersten  Notlage  wird  die  Massenablösung  d.  h.  die  Ersetzung 
eines  Treffens  durch  ein  zweites  auch  nicht  eintreten.  Auch  bei  der 
Verstärkung  wollte  Fröhlich  stets  die  taktischen  Einheiten  wahren,  und 
zu  diesem  Zwecke  mufs  er  auch  wieder  mitten  im  Kampfe  zu  bildende 
Intervalle  annehmen.  Die  Verstärkung  der  Gefechtslinie  kann  stattfin- 
den durch  Verlängerung  der  Front  und  Flankieren  der  feindlichen  Stel- 
lung; dann  sind  die  taktischen  Einheiten  mit  Leichtigkeit  zu  wahren. 
Aber  es  giebt  auch  eine  weitere  Art,  densere  oder  densare  ordines  bei 


222  Römische  Staatsaltertümer. 

Sallust  und  Livius.  Frölilich  erklärt  dies  so,  dafs  das  erste  Treffen 
durch  Einführen  der  Kohorten  des  zweiten  verstärkt  worden  sei.  Bei 
Sallust  kann  diese  Bedeutung  aber  nach  Giesing  niclit  angenommen  werden, 
sondern  hier  heifst  densere  frontem  nichts  weiter  als  die  Zahl  der  im 
ersten  Treffen  stehenden  mehren  und  so  die  Front  verdichten.  Die 
Stopfung  der  im  Gefechte  entstandenen  Lücken  erfolgte  stets  aus  dem 
nächsten  Hintergliede;  ging  dadurch  aber  schliefslich  die  übrige  Tiefe 
der  Stellung  verloren,  so  xnufsteu  die  Reserven  zur  Verstärkung  ge- 
schickt werden.  "Wurde  zugleich  ein  engeres  Anschliefsen  der  Rotten 
an  einander  nötig,  so  wurde  nach  der  Mitte  der  Front  zu  der  Abstand 
von  Mann  zu  Mann  verkleinert,  jedenfalls  aber,  wenn  nicht  das  Andrin- 
gen des  Feindes  von  den  Flanken  her  dazu  zwang,  nie  so  sehr,  dafs 
die  Kampffähigkeit  der  Truppen  verloren  ging. 

Der  Verf.  geht  nun  auf  die  Frage  der  Ablösung  ein  und  stellt 
als  völlig  sicher  den  Satz  hin,  dafs  die  Reserven  gar  nicht  für  die  Ab- 
lösung eines  ganzen  Treffens  berechnet  waren.  Er  erweist  dies  haupt- 
sächlich aus  den  Berichten  über  die  Schlachten  von  Pharsalus  (b.  c.  3, 
94)  und  Ilerda,  wo  unter  der  Ablösung  der  defessi  nur  einzelne  Leute, 
nicht  ganze  Kohorten  oder  gar  die  ganze  Truppe  im  Vordertreffen  ge- 
meint sein  könne.  Er  weist  nun  auch  im  Einzelnen  nach,  wie  dieses 
Manöver  ausgeführt  werden  konnte. 

Zur  Unterstützung  von  Delbrücks  und  Fröhlichs  Ansicht  über  die 
Unmöglickeit  von  Kampfintervallen  von  Frontenlänge  zum  Zwecke  der 
Ablösung  führt  der  Verf.  noch  Folgendes  an:  1)  das  allgemeine  Gesetz, 
dafs,  je  gröfser  die  taktischen  Grundeinheiten  werden,  desto  widersinni- 
ger regelmäfsig  wiederkehrende  Kampfintervalle  von  Frontenlänge  dieser 
Einheiten  erscheinen  müssen.  2)  Von  Traian  ab  ist  das  Fechten  der  Ko- 
horten des  Vordertreffens  in  geschlossener  Front  bezeugt;  eine  Änderung, 
die  aber  in  der  Kaiserzeit  erst  eingetreten  wäre,  würde  uns  überliefert 
sein.  3)  Cäsar  legt  den  gröfsten  Wert  auf  die  Sicherung  der  Flanken 
seiner  Aufstellung;  wie  sollte  er  eine  Gefahr,  die  er  an  zwei  Punkten 
peinlich  zu  meiden  suchte,  an  vielleicht  20  anderen  Slellen  verachten? 

H.  Judson,  Caesars  Array.     Boston  1888 
war  mir  nicht  erreichbar. 

Th.  Mommsen,  Bronzetafeln  von  Cremona.     Korr.  Bl.  d.  Westd. 
Z.  7,  55—60. 

Bei  Cremona  wurden  Trümmer  mehrerer  Kasten  gefunden;  die 
Inschrift  des  einen  zeigt,  dafs  er  der  vierten  Legion  (Maced.)  angehörte 
und  im  Jahre  45  gefertigt  ist;  der  zweite  stammt  aus  dem  Jahre  56. 
Beide  gehören  den  Ereignissen  des  Jahres  69  an,  wo  unter  den  Mauern 
von  Cremona  der  Kampf  für  Vespasian  entschieden  wurde.  Der  eben- 
falls erwähnte   Centurio   (princeps  praetorii)  beweist,    dafs    der  Kasten 


C.   Die  Staatsverwaltung.    3.   Militärwesen.  223 

demselben  diente.  Mommsen  vermutet,  dafs  darin  die  Listen  und  die 
sonstigen  Papiere  der  Legion  aufbewahrt  wurden,  da  dieser  nach  Vege- 
tius  die  allgemeine  Administration  der  Legion  führte. 

Alb.  Müller,  Die  neueren  Arbeiten  über  die  Tracht  und  Bewaff- 
nung des  römischen  Heeres  in  der  Kaiserzeit.     Philol.  47,  514.  721. 

Der  Verf.  giebt  eine  sehr  wertvolle  Darstellung  und  Beurteilung 
der  in  dem  erwähnten  Gebiete  in  den  letzten  Jahren  erzielten  Ergeb- 
nisse.    Wir  begnügen  uns  Folgendes  herauszuheben. 

Der  Verf.  hält  es  für  möglich,  dafs  im  römischen  Heere  bei  ein- 
zelnen Truppenteilen  Visier-  bezw.  Maskenhelme  vorgekommen  sind. 
Das  Nähere  bleibt  noch  dunkel;  doch  ist  zunächst  an  die  spanischen 
und  gallischen  Auxiliarkohorten  und  an  die  Panzerreiter  zu  denken. 
Bezüglich  der  römischen  Schildbuckel  schliefst  sich  der  Verf.  ganz  Hüb- 
ner, Arch.  epigr.  Mitt.  aus  Oesterreich  2,  105 — 119  an.  Bezüglich  des 
Pilums  ist  er  im  Allgemeinen  mit  Lindenschmit's  Ausführungen  (Alterth. 
u.  heidn.  Vorz.  HI,  6  zu  Taf.  7)  einverstanden.  Für  die  Frage  der 
Schleuderbleie  gilt  Zangemeisters  Untersuchung  in  Eph.  epigr.  VI  als 
abschliefsend,  für  die  Fahnenfrage  wird  das  grofse  Verdienst  von  Do- 
maszewski's  lobend  anerkannt. 

Metellus  Meyer,  Geschichte  der  legio  XIV  gemina.  Philol.  47, 
653—677. 

Der  Verf.  findet,  dafs  durch  die  bisherigen  Darstellungen  die  Ge- 
schichte der  römischen  Legionen  eine  allseitige  genügende  Behandlung 
noch  nicht  erfahren  habe,  und  will  durch  die  Geschichte  der  XIV.  Legion 
versuchen,  einen  Beitrag  und  eine  Vorarbeit  zu  einer  vollständigen  und 
erschöpfenden  Gesamtlegionsgeschichte  zu  geben. 

Gegen  Mommsen  verlegt  der  Verf.  die  Errichtung  der  Legion  in 
die  Zeit  der  Bürgerkriege  oder  sofort  nach  Beendigung  derselben;  viel- 
leicht war  die  cäsarische  leg.  XIV  (Caes.  BG.  6,  32)  die  Stammutter  der 
leg.  XIV  gem.  Die  Beinamen  Martia  Victrix  knüpfen  an  die  Besiegung 
der  Königin  Boudica  an.  Unter  und  nach  Caracalla  führte  sie  die  ge- 
wöhnliche Benennung  nach  dem  regierenden  Kaiser.  Das  Legionszeichen 
ist  der  Steinbock,  in  der  Not.  Big.  ein  weifser  Schild,  in  der  Mitte  eine 
rot  umfafste  goldene  Kugel,  die  von  einem  darüberschwebenden  hell- 
blauen Adler  getragen  wird. 

Der  erste  Standort  war  Mogontiacum,  das  sie  wahrscheinlich  in 
den  Jahren  12—9  v.  Chr.  erbaute;  auch  an  dem  Bau  der  Brücke  von 
Mainz  nach  Castel  war  sie  beteiligt;  bis  zum  Jahre  43  n.  Chr.,  wo  sie 
Germanien  zum  ersten  Male  verliefs,  waren  von  ihr  die  Kastelle  und 
Lager  in  und  bei  Wiesbaden,  Heddernheim,  Nied,  Hofheim,  Rarabach, 
Höchst,  Friedberg,  Rheinzabern  besetzt.  Im  Jahre  43  ging  sie  unter 
Aulus  Plautius  nach  Britannien,  wo  sie  ihr  Hauptquartier  zuerst  in  Ca- 
malodunum,  seit  50  in  Virocinium  hatte.    Bis  67  blieb  die  Legion  in 


224  Römische  Staatsaltertümer. 

Britannien;  dann  rief  sie  Nero  zu  dem  Feldzuge  gegen  die  Albaner; 
auf  dem  Marsclie  wurde  sie  von  Galba  nach  Dalmatien  geschickt,  das 
sie  Frülijahr  09  verliefs,  um  Otho  zu  helfen.  Vitellius  schickte  sie  nach 
Britannien  zurück.  Vespasian  wies  sie  wieder  dem  germanischen  Heere 
zu;  sie  gehörte  zum  obergermanischen  Teile  und  bezog  wieder  Mainz 
und  die  oben  erwähnten  vorliegenden  Kastelle  und  Lager.  Die  Ziegel 
von  Mircbcau-sur-Beze  können  nicht  aus  der  Zeit  des  Bataveraufstandes 
stammen,  wie  Mommsen  anninmit,  sondern  werden  vor  dem  Aufstand 
des  Saturninus  gefertigt  sein.  Gleich  nach  Niederwerfung  des  Aufstan- 
des des  Saturninus  scheint  die  Legion  (90  n.  Clir.)  an  die  Donau  ver- 
setzt zu  sein;  wahrscheinlich  stand  sie  in  Pannonia  inf.,  in  der  Nähe  der 
Mündung  des  Karasch  in  die  Donau.  Im  Jahre  107  kam  sie  nach  Vin- 
dobona;  vor  dem  Jahre  150  wurde  sie  nach  Carnuntum  verlegt;  wahr- 
scheinlich geschah  es  im  Jahre  114.  In  Carnuntum  blieb  sie  bis  in 
Diokletians  Zeit.  Der  Verf.  stellt  die  während  des  Aufenthalts  in  Car- 
nuntum bekannten  Legaten  und  Legionspräfekten  zusammen. 

Sie  hat  die  Feldzüge  des  Drusus  ohne  Zweifel  mitgemacht,  doch 
ist  darüber  nichts  weiter  bekannt;  sie  war  ferner  sicher  eine  der  beiden 
Legionen  das  L.  Nouius  Asprenas.  An  den  Zügen  des  Germanicus  hat 
die  XIV  Legion  bedeutenden  Anteil.  In  Britannien  hat  sie  jedenfalls  an 
den  Kämpfen  des  Jahres  50  gegen  die  Silurer  und  Ordoviker  und  an  ihrer 
schliefslichen  Unterwerfung  den  Hauptanteil  gehabt.  Den  Glanzpunkt  ihrer 
Geschichte  bildet  das  Jahr  61 ;  für  ihren  glänzenden  Sieg  bei  Colchester 
erhielt  sie  die  Beinamen  Martia  Victrix.  In  den  Stürmen  des  Jahres  68 
blieb  sie  Nero  treu,  dem  sie  aber  nicht  zuhilfe  eilen  konnte,  weil  die 
Bataver  die  Pässe  besetzt  hatten.  An  der  Schlacht  bei  Betriacum  nahm 
sie  nur  mit  2000  Vexillariern  teil.  In  dem  Bataverkriege  beteiligte  sie 
sich  an  der  Entscheidungsschlacht.  Im  Jahre  88  empörte  sie  sich  mit  Sa- 
turninus, worauf  sie  nach  Pannonia  kam.  Beteiligt  haben  sich  Abteilungen 
der  Legion  an  den  dakischen  Kriegen  und  am  Partherkriege,  selbst- 
verständlich auch  am  Markomannenkriege.  An  der  Erhebung  des  Sep- 
timius  Severus  zum  römischen  Kaiser  hat  sie  jedenfalls  grofsen  Anteil 
gehabt.  Unter  Alexander  Severus  nahmen  Vexillationen  an  den  Parther- 
kriegen teil;  dem  Maximinus  war  die  Legion  ergeben  und  nahm  jeden- 
falls an  seinem  Zuge  nach  Italien  teil.  Später  stand  sie  auf  Seite  des 
Gordian;  in  den  gallischen  Kämpfen  des  dritten  Jahrhunderts  hat  sie 
zuerst  der  Partei  des  Victorinus  angehört,  dann  ist  sie  zu  Gallienus 
übergetreten. 

Es  ist  zu  wünschen,  dafs  der  Verf.  in  ähnlicher  Weise  die  Ge- 
schichte der  übrigen  Legionen  bearbeitet. 

J.  Jung,   Die  Lagerbeschreibung   des  sog.  Hygin  und  die  Provin- 
zialmilizen.     Wiener  Studien  11,  153 — 160. 

Der  Verf.  bringt  einige  Berichtigungen  und  Nachträge  zu  v.  Do- 
maszewskis  Ausgabe  des  sog.  Hygin.   Die  in  der  Lagerbeschreibung  als 


I 


C.   Die  Staatsverwaltung.    3.   Militärwesen.  225 

nationes  bezeichneten  Truppen  rekrutierten  sich  aus  den  Völkerschaften, 
welche  der  nivellierenden  Civilisation  gegenüber  die  meiste  Widerstands- 
kraft bewährt  hatten  (Kaeter,  Cantabrer,  Daker,  Brittones  (Britten  aus 
Britannien),  Mauren;  sie  dienten  in  ihrer  nationalen  Bewaffnung.  Und 
während  diese  provinzialen  Milizen  nach  der  Augustischen  Organisation 
nur  lokalen  Zwecken  der  Grenzverteidigung  oder  der  Sicherung  der 
Kommunikationen  dienten,  wurden  sie  seit  Hadrian  nach  auswärts  ver- 
wendet. Dabei  wurde  die  nationale  Art  dieser  Truppengattung  nicht 
nur  nicht  mifstrauisch  vermerkt,  sondern  vielmehr  gehegt  und  gefördert. 
Das  Feldgeschrei  ertönte  in  der  betreffenden  Sprache,  und  selbst  bei  der 
Befehlgebung  wurde  darauf  Rücksicht  genommen.  Der  Verf.  zieht  aus 
der  letzten  Angabe  der  Lagerbeschreibung  den  Schlufs,  dafs  sie  nicht 
vor  Hadrian  verfafst  sein  kann.  Auch  andere  Anzeichen  weisen  auf  die 
die  Zeit  zwischen  Hadrian  und  der  Mitte  des  dritten  Jahrhunderts  n.  Chr. 
z.  B.  die  Combinationen,  in  welchen  die  Nationaltruppen  mit  anderen 
Truppenkörpern  erscheinen,  wenn  man  diese  mit  den  auf  der  Inschrift 
erscheinenden  Combinationen  vergleicht.  Deshalb  glaubt  der  Verf.,  dafs 
man  es  in  der  Lagerbeschreibung  mit  einem  Teile  von  Hadrians  für 
lange  Zeit  grundlegender  Heeresorganisation  zu  thun  habe.  Über  die 
Mitte  des  dritten  Jahrhunderts  darf  die  Zeit  nicht  hinausgeschoben  wer- 
den, da  der  Legionskommandant  in  der  Lagerbeschreibung  legatus,  nicht 
praefectus  heifst  und  Einrichtungen  des  späteren  dritten  Jahrhunderts, 
wie  die  Protectores,  nicht  vorkommen.  Auch  weist  auf  diese  Zeit  die 
Verwendung  der  Gaesati  aufserhalb  ihrer  rätischen  Heimat;  denn  jeden- 
falls seit  Gallienus  mufsten  diese  zuhause  verwendet  werden,  da  sie  die 
lokale  Kriegführung,  namentlich  im  Gebirge,  besser  verstanden  als  fremde 
Truppen.  In  der  That  sind  auch  vom  Ausgange  der  römischen  Herr- 
schaft die  Breonen  in  Raetien  als  Miliz  organisiert  und  hatten  die  von 
Augusta  Vindelicorum  südwärts  führenden  Alpenpässe  zu  bewachen  Die 
Rücksichtnahme  auf  Kameele  weist  auf  orientalische  Kämpfe  d.  h.  auf 
Septimius  Severus  und  seine  Nachfolger. 

0.  Dahm,   Übergang  des  Limes  über  den  Doppelbiergrabensumpf 
in  der  Bulau  bei  Hanau.     Westd.  Z.  7,  61-62. 

Der  Pfahlgraben  war  auf  der  Strecke  Grofs-Krotzenburg-Rückingen 
unterbrochen,  wo  er  das  sog.  Torfbruch  und  den  Doppelbiergrabensumpf 
überschreitet.  An  letzteren  tritt  der  Wall  sowohl  von  Norden  als  von 
Süden  mit  einer  eigentümlichen  Flankenbildung  heran,  und  auch  auf  der 
nördlichen  Seite  des  Torfbruchs  findet  sich  ein  solcher  flankenartiger 
Ansatz  vor.  An  allen  drei  Stellen  ist  der  Wall  durch  doppelte  Brechung 
bis  unmittelbar  an  die  etwa  40  m  hinter  dem  Pfahlgraben  herziehende 
und  auch  die  beiden  genannten  Sümpfe  überschreitende  Militärstrafse 
herangezogen.  Erst  im  Jahre  1887  konnte  der  Zweck  der  Anlage  fest- 
gestellt werden.    Es  wurden  nämlich  an  dem  Wege,  welcher  in  der  Rich- 

Jahresbericht  für   Alterthumswissenschaft.    LXIV.  Bd.    (1890.  HI.)  15 


226  Römische  Staatsaltertümer. 

tung  des  Pfahlgrabens  den  Doppelbiergrabensumpf  überschreitet,  meh- 
rere tiefsclnvarze  eichene  Pfahlstümpfe  gefunden,  welche  einst  einem 
Zaune  angehört  haben,  der  hier  auf  der  dem  Feinde  zugekehrten  (öst- 
lichen) Seite  der  römischen  Militärstrafse  behufs  ihrer  Sicherung  er- 
richtet war.  Diese  Pftähle  standen  in  gerader  Linie,  welche  die  an  den 
Sumpf  herantretenden  kurzen  Anschlufslinien  des  Walles  verband.  Der 
Zweck  der  erwähnten  Flanken  war  also,  den  Wall  bis  an  die  Militär- 
strafse zurückzuziehen  und  so  eine  geschlossene  Verbindung  des  dicht 
neben  der  Strafse  herziehenden  Zauns  mit  dem  Pfahlgraben  zu  ermög- 
lichen. Wahrscheinlich  waren  die  Pfähle  durch  Flechtwerk  zu  einem 
Zaune  verbunden.  Die  Militärstrafse  erwies  sich  durchschnittlich  TVa  m 
breit;  die  Herstellung  erwies  sich  nach  der  Bodenbeschaffenheit  verschie- 
den. Auf  der  tiefsten  Stelle  des  Sumpfes  war  die  aus  Kies  bestehende 
Strafsenbahn  auf  einen  sehr  starken  Kuppeldamm  aufgeschüttet.  An  an- 
deren Stellen  fehlt  die  Holzschicht ,  und  auf  dem  gewachsenen  Boden 
befindet  sich  eine  10  cm  starke  Lettschicht,  auf  der  die  Kiesschüttung 
des  Strafsendammes  aufgetragen  ist.  Von  Rädern  ausgefahrene  Stellen 
beweisen,  dafs  die  hinter  dem  Limes  herziehende  Militärstrafse  nicht  nur 
zur  Kommunikation  der  Truppen  diente,  sondern  dafs  auf  ihr  auch  die 
Bedarfsgegenstände,  wie  Baumaterialien,  Proviant  etc.  befördert  wurden. 
Dafs  die  sumpfige  Beschaffenheit  der  Niederung  nicht  ausreichend  er- 
schien, den  Pfahlgraben  an  dieser  Stelle  entbehrlich  zu  machen,  ist  ein 
neuer  Beweis,  dafs  es  den  Kömern  darauf  ankam,  die  Reichsgrenze  mög- 
lichst hermetisch  abzuschliefsen.  Daraus  dürfte  weiter  gefolgert  werden 
können,  »dafs  eine  ähnliche  Einrichtung,  wie  dieser  Zaun,  auf  dem  Grenz- 
wall angebracht  war,  da  letzterer  seiner  Beschaffenheit  nach  zweiffellos 
weniger  geeignet  war,  eine  Überschreitung  der  Reichsgrenze  zu  hindern 
als  das  sumpfige  Terrain  der  Doppelbiergraben-Niederung. 

J.  Na  eher.  Die  römischen  Militärstrafsen  und  Handelswege  in 
der  Schweiz  und  in  Südwestdeutschland,  insbesondere  in  Elsafs-Lothrin- 
gen.     2.  Aufl.     In  Commission  bei  J.  Noiriel  Strafsburg  1888. 

Der  Verf.  giebt  hier  weitere  »auf  grund  von  lokalen  Studien  und 
Ausforschungen  im  Elsasse  gemachte  Erfahrungen  über  das  Vorhanden- 
sein der  durch  die  römischen  Itinerarien  beglaubigten  Heerstrafsen«. 
Er  beschreibt  die  Strafsen:  von  Augusta  Praetoria  nach  Vienna  und 
nach  Angusta  Rauracorum,  die  Strafsen  von  Mediolanum  über  die  räti- 
schen Alpen  nach  Brigantio  (über  den  Splügen  und  Septimer)  und  Han- 
delswege über  den  Julier  und  Bernhardiu,  die  Strafsen  von  Verona  nach 
Augusta  Vindelicorum  über  den  Arlberg  und  Brenner,  von  Vibiscum  über 
Genava  nach  Lugdunum,  von  Lousanna  nach  Vesontio  (Anhang:  die 
Handelswege  der  romanischen  Schweiz  und  im  Schweizer  Jura),  von  Vin- 
donissa  nach  Moguntia  (Anhang:  die  Handelswege  der  linksrheinischen 
Thalebene),  von  Vesontio  nach  Cambete  und  Argentoratum,  von  Argen- 


4.   Recht  und  Gericht.  227 

toratum  nach  Dividorum,  von  Dividorum  nach  Augusta  Trevirorura,  von 
Vindonissa  nach  Reginum  (Anhang:  die  Handelswege  in  der  rechtsseiti- 
gen Thalebene),  von  Vindonissa  nach  Augusta  Vindel,  und  von  Augusta 
Vindel.  nach  Brigantium.  Die  Untersuchungen  sind  recht  eingehend; 
aber  man  wird  gut  thun,  namentlich  den  zahlreichen  Hypothesen  betreffs 
der  Handelswege  gegenüber  sehr  zurückhaltend  zu  sein.  Nur  wo  der 
Verf.  die  Zusammenstellung  von  Thatsachen  giebt,  hat  seine  Arbeit  für 
jeden  Foi'scher  Wert. 

4.    Recht    und    Gericht. 

Moritz  Wlassak,  Römische  Prozefsgesetze.  Ein  Beitrag  zur 
Geschichte  des  Formularverfahrens.     1.  Abteilung.     Leipzig  1888. 

In  einer  Einleitung  behandelt  der  Verf.  den  Prätor  und  das  Volks- 
gesetz, deren  Verhältnis  er  kurz  dahin  präcisiert,  das  Wesentliche  der 
römischen  Anschauung  sei  das  Verschwinden.  Das  erste  Kapitel  be- 
schäftigt sich  mit  den  iudicia  legitima,  es  sind  diejenigen,  welche  der 
Magistrat  nach  den  Vorschriften  eines  Volksgesetzes  instruiert.  Lex, 
wovon  legitimus  abzuleiten  ist,  bedeutet  hier  Gerichtsordnung  d.  h.  ein 
Gesetz,  welches  die  Gerichtsverfassung  und  den  Civilprozefs  regelt. 

Im  zweiten  Kapitel  wird  das  Prozefsrecht  der  lex  Aebutia  darge- 
stellt. Diese  lex  mufs  bahnbrechend  und  von  grofser  Tragweite  gewesen 
sein;  sie  ist  älter  als  die  Julische  und  älter  als  Cicero.  Die  durch  sie 
herbeigeführte  Reform  bezog  sich  auf  alle  Civilklagen  und  auch  auf 
alle  modi  agendi.  Wörtliche  Legisactionen  sind  schon  durch  dieses  Ge- 
setz aufgehoben  (sublatae),  freilich  nur  insofern,  als  die  Spruchformeln 
und  sonstigen  Solennitäten  seitdem  nicht  mehr  obligat  waren.  Das  Ju- 
lische Gesetz  hat  dann  die  Umwandlung  des  Prozefsrechtes  zum  Ab- 
schlüsse gebracht,  indem  es  —  von  zwei  Ausnahmefällen  abgesehen  — 
die  Legisaction  auch  als  facultative  Prozefsform  beseitigte  und  den  schrift- 
lichen verba  concepta  die  Alleinherrschaft  sicherte.  Die  lex  Aebutia  ist 
die  Quelle  der  ältesten  iudicia  legitima,  des  »gesetzlichen«  Verfahrens 
und  des  »gesetzlichen«  Gerichtes. 

Kapitel  3  handelt  von  den  Julischen  Gesetzen  und  dem  Prozefs 
nach  der  stadtrömischen  Gerichtsordnung  des  Augustus.  Nach  Gaius 
ist  die  Neugestaltung  des  römischen  Civilprozesses  fortgeführt  und  voll- 
endet durch  zwei  Julische  Gesetze  (duae  Juliae).  Allem  Anschein  nach 
hat  keine  von  beiden  den  Dictator  Cäsar  zum  Urheber;  vielmehr  rühren 
beide  von  Augustus  her.  Die  eine  bezog  sich  ebenso  wie  die  Aebutia 
nur  auf  das  Verfahren  vor  dem  Stadtprätor;  die  andere  wurde  erlassen 
für  die  auswärtigen  römischen  Bürgergemeinden.  Durch  letztere  An- 
nahme wird  es  wahrscheinlich,  dafs  seit  737  die  einzelnen  Municipien 
und  die  Bürgerkolonien,  italische  und  aufseritalische ,  keine  besonderen 
Gerichtsordnungen  mehr  hatten.     Beide   Gesetze   beseitigten  die  Legis- 

15* 


228  Römische  Staatsaltertümer. 

actionen.  Wahrscheinlich  wurde  auch  durch  die  altera  Julia  die  Be- 
schränkung der  Munizipalgerichte  auf  die  Niedergerichtsbarkeit  bereits 
durchgeführt. 

Wahrscheinlich  war  auch  in  der  lex  Julia  die  Kompetenz  des  neu 
organisierten,  vielleicht  wesentlich  umgestalteten  Gerichtshofs  der  centum- 
viri  geregelt.  Dieselben  waren  durchaus  nur  konkurrierende  Richter 
in  allen  Sachen;  ihre  Kompetenz  blieb  durch  die  lex  Julia  ungeändert, 
so  dafs  sie  nach  wie  vor  die  Vindikation  der  Gewaltrechte,  des  Eigen- 
tums, der  Dienstbarkeiten  und  der  Erbschaft  umfafste.  Thatsächlich  wer- 
den die  Parteien  es  vermieden  haben,  diesem  Gerichtshofe  andere  Rechts- 
sachen wegen  der  langsamen  Erledigung  zuzuweisen  als  Beschwerden 
über  lieblose  Testamente.  Jedenfalls  wurden  ihnen  Kleinigkeiten  ge- 
wöhnlich nicht  zur  Entscheidung  vorgelegt,  aber  eine  ausschliefsende 
Streitwertgrenze  gab  es  nie;  vielmehr  hatte  der  Magistrat  das  Recht  die 
Genehmigung  zu  versagen,  wenn  die  Parteien  unpassender  Weise  ihre 
Streitsache  vor  diesen  Gerichtshof  bringen  wollten. 

Dies  wenige  mag  genügen,  um  den  Hauptgedankengang  der  reich- 
haltigen Arbeit  vorzuführen.  Vieles  wird  controvers  bleiben;  aber  überall 
versteht  es  der  Verf.  auch  dem  Nichtjuristen  Teilnahme  an  seinem  Ge- 
genstande zu  erwecken  und  die  Aufgaben  so  zu  stellen,  dafs  sie  völlig 
klar  werden. 

P.  Walther  Weihmayr,    Über  lex  Plautia  de  vi  und  lex  Luta- 
tia.     Progr.  Kath.  Studienanst.  St.  Stephan.     Augsburg  1888. 

Der  Verf.,  der  in  seiner  Schrift  wenig  Neues  vorbringt,  erklärt 
sich  für  die  Ansicht,  nach  der  lex  Plautia  und  lex  Lutatia  verschiedene 
Gesetze  de  vi  sind.  Die  Ansicht  des  Verf.'s,  dafs  lex  Lutatia  sich  auf 
coniuratio  bezogen  habe,  kann  nicht  für  erwiesen  gelten;  denn  aus  den 
zwei  Fällen  ihrer  Anwendung  kann  dieser  Schlufs  nicht  gezogen  werden, 
und  die  entgegenstehenden  Bedenken  sind  nicht  widerlegt.  Auch  die 
Scheidung  bekannter  Prozesse  nach  beiden  Gesetzen  enthält  viele  uner- 
wiesene  Annahmen.  Ganz  unsicher  ist  auch  die  Hypothese,  dafs  lex 
Plautia  in  den  70  er  Jahren,  jedenfalls  nicht  vor  76  entstanden  sei. 

Raoul  Bompard,  Le  crime  de  löse-majeste.    Diss.    Paris  1888. 

Der  Verf.  weist  in  der  Einleitung  darauf  hin,  dafs  das  Verfahren  in 
Majestätsprozessen  in  den  Staaten  des  Altertums  zwar  richterliche  For- 
men besafs,  in  der  That  aber  den  Charakter  einer  Verwaltungsmafsregel 
besafs.  Deshalb  sucht  das  Gesetz  nicht  nach  einem  unparteiischen  Rich- 
ter: das  verletzte  Volk  entscheidet  in  eigener  Sache;  das  Gesetz  selbst 
besafs  eine  so  vage  Formulierung,  dafs  das  Belieben  des  Volkes  völlig 
freien  Spielraum  hatte;  endlich  ist  die  Strafe  nicht  genau  bestimmt. 
Aber  auch  eine  genaue  Abgrenzung  der  Kompetenz  für  die  Aburteilung 
fehlt.    Das  Volk  konnte  teils  auf  direktem  Wege,  teils  auf  Umwegen 


C.   Die  Staatsverwaltung.    4.   Recht  und  Gericht.  229 

die  Aburteilung  erlangen.  Aber  auch  der  Senat,  der  eigentlich  nur  über 
Aufruhr  in  den  Provinzen  abzuurteilen  hat,  übt  doch  bisweilen  als  Wäch- 
ter der  Republik  in  dem  SC.  ultimum  thatScächlich  eine  Criminaljustiz ; 
indirekt  erhielt  er  sie  durch  die  Besetzung  der  Quaestiones  perpetuae 
mit  Senatoren.  Noch  schlimmer  war  es,  dafs  die  politische  Anklage 
den  Zugang  zum  politischen  Loben  erschlofs.  Für  den  Angeklagten  war 
zwar  eine  Reihe  von  Rechtsmitteln  vorhanden,  um  der  Anklage  entgegen- 
zutreten, aber  gegen  ein  Urteil  blieb  ihm  keine  Berufung.  Erschwerend 
trat  oft  genug  der  religiöse  Charakter  des  Staates  ein,  den  die  leges 
sacratae  mit  ihren  Folgen  zeigen. 

Im  zweiten  Teile  erörtert  der  Verf.  die  Geschichte  des  Majestäts- 
gesetzes unter  seinen  beiden  Formen  perdnellio  und  maiestas  imminuta. 
Er  unterwirft  die  verschiedenen  Ansichten  über  das  Verhältnis  dieser 
beiden  einer  eingehenden  Kritik,  die  aber  nicht  zu  überzeugenden  Er- 
gebnissen gelangt.  ^ 

Im  dritten  Teile  wird  das  Majestätsgesetz  in  der  Kaiserzeit  dar- 
gestellt, aber  auch  hier  ohne  neue  Resultate  zu  gewinnen. 

Charles  Lecrivain,  L'appel  des  juges-jures  sous  le  Haut- 
Empire.     Mel.  d'Archeol.  et  Hist.  VIII,  187—212. 

Der  Verf.  will  untersuchen,  ob  es  unter  dem  Prinzipat  eine  Ap- 
pellation von  dem  iudex  privatus  gab.  Mommsen  ist  der  Ansicht,  dafs 
es  bis  zum  Verschwinden  des  ius  ordinarium  eine  solche  nicht  gegeben 
habe;  wo  bei  den  Juristen  diese  erwähnt  wird,  will  er  an  einen  iudex 
datus  denken,  der  magistratischer  Mandatar  und  somit  appellabel  war. 
Die  letzte  Ansicht  ist  auch  von  Pernice  gebilligt.  Der  Verf.  dagegen 
hält  die  Appellation  vom  iudex  privatus  schon  seit  Augustus  für  mög- 
lich. Der  Verf.  scheidet  zunächst  alle  die  Fälle  aus,  in  denen  es  sich 
um  einen  Mandatar-Richter  handelt;  diesen  stellt  er  die  Fälle  gegen- 
über, in  denen  der  iudex  datus  ebenso  sicher  kein  Mandatar  ist.  Dem 
ius  ordinarium  schreibt  er  den  Bestand  während  des  ganzen  dritten  Jahr- 
hunderts zu.  Sogar  in  den  kaiserlichen  Provinzen  giebt  es  den  iudex 
datus,  der  nicht  Mandatar  ist;  der  Verf.  weist  aus  Gesetzesstellen  und 
Rescripten  bis  auf  Valerian  den  judex  privatus  nach.  Aber  in  densel- 
ben Stellen  läfst  sich  auch  die  Appellation  nachweisen.  Seit  Marcus 
geht  sie  an  den  Prätor  oder  an  den  Statthalter,  von  da  an  besondere 
Consulare,  die  zu  diesem  Behufe  bestellt  waren.  Ob  es  zu  Augustus 
Zeit  ebenfalls  so  war,  läfst  sich  nicht  sicher  nachweisen,  aber  es  ist 
wahrscheinlich.  Jedenfalls  verwischt  sich  jetzt  leicht  der  Unterschied 
zwischen  dem  judex,  der  Mandatar,  und  der  nicht  Mandatar  war;  denn 
gegen  beide  ist  Appellation  zulässig. 

Joh.  Merkel,  Über  römische  Gerichtsgebühren.    In  Abbandl.  aus 
dem  Gebiete  d.  röm.  Rechts.     Heft  3.     S.  123-172.     Halle  1888. 
Sportein   und  Kanzleigebühren   waren   dem  älteren  Rechte    nicht 


230  Römische  Staatsaltertümer. 

fremd;  aber  sie  galten  nicht,  wie  in  der  späteren  Zeit,  für  erlaubt  und 
wurden  nicht  gesetzlich  reguliert.  Das  Wort  sportulae  kommt  im  tech- 
nischen Sprachgebrauch  für  Gerichtsgebühren  nicht  vor  dem  fünften  Jahr- 
hundert unserer  Zeitrechnung  vor;  früher  heifst  es  commoda  oder  con- 
suetudo  {auvrjdeia).  Aber  schon  der  ältere  Prozefs  kennt  eine  Entgelt- 
lichkeit in  der  summa  sacramenti,  und  Spuren  von  sportulae  finden  sich 
Cic  in  Verr.  II,  78,  181,  184.  Positive  Nachrichten  über  Gerichtsspor- 
teln  der  Apparitoren  finden  wir  allerdings  bis  ins  vierte  Jahrhundert 
n.  Chr.  nicht.  Hier  stellen  Gesetze  Constantins  fest,  dafs  Mifsbräuche 
vorlagen.  Es  scheint  danach,  dafs  in  der  Kaiserzeit  infolge  der  Ver- 
drängung der  alten  Apparitores  durch  die  militärisch  organisierten  Offi- 
cialen  der  Grundsatz  der  Unentgeltlichkeit  des  Gerichtsverfahrens  wieder 
verschwand;  auf  dem  Wege  allgemeiner  Übung  stellte  sich  die  Zahlung 
von  Gerichtssporteln  an  die  Officialen  fest.  Es  wurden  im  Civilprozefs 
Sportelu  bezahlt:  für  den  Zutritt  bei  Gericht  an  den  princeps  officii, 
für  die  Ausfertigung  der  den  Prozefs  betreffenden  Schriftstücke  (acta) 
an  die  exceptores  bezw.  adiutores,  endlich  an  den  intercessor  oder  exse- 
cutor  bei  Ausführung  der  Zwangsvollstreckung. 

Dafs  sich  ein  gesetzliches  Normativ  für  Gerichtsgebühren  aber  eben- 
falls im  vierten  Jahrhundert  findet,  ist  seit  der  Entdeckung  der  Inschrift 
von  Timghäd  (1882)  bekannt  geworden.  Der  Verf.  erörtert  hierbei  eine 
Reihe  von  Rechtsfragen,  die  noch  controvers  sind.  Die  regelmäfsigen 
Sportein  im  Civilprozefs  fallen  nach  der  numidischen  Inschrift  nur  den 
scolastici  und  exceptores  zu. 

Mit  der  Mitte  des  fünften  Jahrhunderts  beginnt  eine  bis  auf  Justi- 
nian  sich  fortsetzende  Reihe  von  Gesetzen,  welche  zugunsten  gewisser 
Personen-Kategorien  die  üblichen  Gebühren  herabsetzen.  Sie  stellen  sich 
als  Privilegien  gewisser  Klassen  dar  und  haben  die  Einrichtung  der  Ge- 
richtssporteln als  eine  fest  bestehende  zur  Voraussetzung.  Die  eigent- 
liche Norm  erfährt  man  durch  sie  nicht;  denn  die  festgesetzten  Summen 
sind  Maximalbeträge.  Die  Ansätze  sind  verschieden  nach  den  Gerichts- 
höfen, bei  denen  sie  erhoben  werden,  verschieden  nach  der  Art  des  Ver- 
fahrens; sie  variieren  nach  der  Person  des  Zahlungspflichtigen  und  für 
dieselbe  Kategorie  nach  der  Verschiedenheit  der  Zeiten.  Im  einzelnen 
weist  alsdann  der  Verf.  die  Unterschiede  gegen  das  vierte  und  den  An- 
fang des  fünften  Jahrhunderts  nach;  dieselben  haben  lediglich  juristi- 
sches Interesse.  Ein  allgemeines  Sportelgesetz  hat  selbst  Justinian  nicht 
erlassen,  sondern  er  hat  —  nicht  später  als  530  —  nur  die  Sportein 
der  exsecutores  allgemein,  d.  h.  für  alle  Gerichte  geordnet,  so  dafs  die 
Höhe  des  Prozefsgegenstandes  für  den  Sporteisatz  mafsgebend  war,  und 
dem  exsecutor  bei  Übertretung  des  Gesetzes  die  Strafe  des  quadruplura 
angedroht  wurde. 

Die  späteren  Verhältnisse  fallen  nicht  mehr  in  den  Rahmen  des 
Jahresberichts. 


Jahresbericht  über  Chemie, 

beschreibende  Naturwissenschaft,  Technik, 

Handel  und  Verkehr  im  Altertum. 


Von 

Professor  Dr.  S.  Güntliei' 

in  München. 


Der  diesmalige  Bericht,  welcher  auch  noch  nach  Möglichkeit  die 
ersten  Monate  des  Jahres  1890  miteinbegreift,  ist  wesentlich  nach  den- 
selben Gesichtspunkten  eingerichtet,  welche  auch  für  die  früheren  Be- 
richte von  Blümner,  Keller  und  dem  Verf.  mafsgebend  gewesen  sind.- 
Wir  stellen  an  die  Spitze  diejenigen  Schriften  und  Abhandlungen,  welche 
für  die  Naturwissenschaft  im  allgemeinen  von  Bedeutung  sind,  und  wen- 
den uns  sodann  der  Metrologie  zu,  einerlei  ob  Zeit-  oder  Raumgröfseu 
dabei  in  Frage  kommen;  nunmehr  glauben  wir  einen  Abschnitt  einschal- 
ten zu  sollen,  welcher  den  in  alter  Zeit  so  verbreiteten  naturwissen- 
schaftlichen Aberglauben  zur  Geltung  kommen  läfst.  Die  Alchemie  führt 
uns  naturgemäfs  hinüber  zur  Chemie.  Vor  die  Naturgeschichte  im  en- 
geren Sinne  stellen  wir  die  Anthropologie  im  weitesten  Wortsiune,  in- 
dem wir  hier  auch  der  prähistorischen  Forschungen  gedenken,  allerdings 
nur,  insofern  sie  sich  mit  dem  klassischen  oder  vorklassischen  Altertum 
in  Beziehung  setzen  lassen,  und  insofern  die  erst  später  zu  behandelnde 
Technik  ausgeschieden  wird.  Die  Zoologie  wird  uns  Gelegenheit  bieten, 
die  Jagd  nebenher  zu  behandeln,  ebenso  wie  mit  der  Botanik,  Land- 
und  Forstwirtschaft,  mit  der  Mineralogie  und  Geologie  auch  Bergbau 
und  Metallurgie  Hand  in  Hand  gehen.  Hieran  wird  die  sich  Nautik  — 
eingeschlofsen  die  Schiffsbaukuust  —  anreihen,  Handel  und  Verkehr  wer- 
den folgen.  Die  eigentliche  Technik  endlich  bildet  den  Schlufs,  indem  bei 
letzterer  auch  Kanal-  und  Strafsenbauwesen  mit  ihre  Berücksichtigung 
finden. 

Hiernach  wird  sich  die  Aufeinanderfolge  der  einzelnen  Nummern 
leicht  übersehen  lassen.  Wir  treten  in  die  Berichterstattung  selbst  ein 
und  beginnen  mit  einem  geschichtlich-philosophischen  Werke: 

1)  Matiere  et  forme  en  presence  des  sciences  modernes  par  Al- 
bert F arges,  Paris  1888.  222  S.  (auch  unter  dem  Titel:  Etudes 
philosophiques,  pour  vulgariser  les  theories  d'Aristote  et  de  S.  Tho- 
mas et  leur  accord  avec  les  sciences,  tome  HI). 

Nachdem  Thomas  Aquinas  von  autoritativer  Seite  aufs  neue  zum 
Philosophen  der  katholischen  Kirche  erklärt  worden  ist,  mufs  sich  ganz 


232  Allgemeine  Naturwissenschaft. 

natürlich  das  Bedürfnis  einstellen,  die  Grundsätze  der  von  ihm  vertrete- 
nen pcripatetischen  Naturphilosophie  mit  den  nicht  zu  beseitigenden  Er- 
rungenschaften der  exakten  Forschung  in  Einklang  zu  setzen.  Diesem 
Bestreben  dankt  auch  die  vorliegende  Schrift  ihre  Entstehung.  Zu  dem 
Ende  kritisiert  der  Verf.  sowohl  die  atomistische  wie  auch  die  dynamische 
Weltanschauung  und  sucht  darzuthun,  dafs  jede  derselben  auf  logische 
Widersprüche  führen  müfse.  Nur  Aristoteles  mit  seiner  scharfen  Gegen- 
überstellung der  Begriffe  Materie  und  Form  vermöge  die  Rätsel  zu  lösen. 
Es  ist  nicht  ohne  Interesse,  zu  sehen,  wie  die  schwierigen  Theorien  der 
chemischen  Isomerie  und  Allotropie  auf  den  erwähnten  fundamentalen 
Gegensatz  zurückgeführt  werden;  dafs  diese  Art  der  Erklärung  aller- 
dings eine  befriedigende  sei,  wird  so  leicht  kein  moderner  Naturforscher 
zugeben. 

Dem  Lehrer  des  Aristoteles  ist  die  folgende  Arbeit  gewidmet,  von 
deren  erstem  Teile  wir  schon  in  unserem  ersten  Berichte  Kenntnis  zu 
uehmne  hatten: 

2)  Die  Physik  Piatos,  eine  Studie  auf  Grund  seiner  Werke,  2.  Teil. 
Von  Benedikt  Rothlauf.     München  1888  (Realschulprogramm). 

Das,  was  wir  von  der  ersten  Abteilung  zu  sagen  hatten,  dafs  sie 
nämlich  auf  tiefgehendem  Studium  des  grofsen  Philosophen  beruhe,  das 
dürfen  wir  auch  von  dieser  Forsetzung  wiederholen.  Auf  das,  was  an- 
dere Gelehrte  auf  gleichem  Gebiete  geleistet,  wird  diesmal  gebührend 
bedacht  genommen,  und  es  ist  dadurch  die  originale  Arbeit  des  Verf. 
gewifs  umsoweniger  geschädigt  worden,  als  jene  älteren  Bohrversuche 
meistens  zu  keiner  grofsen  Tiefe  gelangt  sind.  Die  Vorlage  behandelt 
Akustik  und  Astronomie  gemeinsam,  weil  in  der  That  bei  Plato  —  wie 
später  bei  Kepler  —  zwischen  den  Gröfsenverhältnissen  im  Kosmos  und 
den  arithmetischen  Tonintervallen  Analogien  vorausgesetzt  werden.  Plato 
war  mit  astronomischen  Dingen  besser  vertraut,  als  man  es  vielleicht 
erwarten  möchte;  ob  er  in  seinen  späteren  Lebensjahren  wirklich  bis 
zur  Erkenntnis  der  Achsendrehung  der  Erde  durchgedrungen  sei,  wird, 
wie  auch  die  eingehende  Darstellung  Rothlaufs  ersehen  läfst,  niemals 
mit  aller  Sicherheit  aufgeklärt  werden  können.  Sehr  merkwürdig  und 
früher  noch  nicht  so  klar  erkannt  ist  Piatos  Lehre  vom  Sehen,  welche 
sich  als  ein  Kompromifs  zwischen  den  beiden  Anschauungen,  dafs  die 
Strahlen  vom  Auge  und  von  den  leuchtenden  Körpern  ausgingen  —  Be- 
tastuugstheorie,  Emissionstheorie  —  herausstellt.  Die  Platonische  Farben- 
lehre hat  einige  Ähnlichkeit  mit  derjenigen  von  Goethe.  Bezüglich  der 
Wärme  scheint  Plato  schon  eine  ganz  rationelle  Auffassung  besessen  zu 
haben,  indem  er  annimmt,  dafs  dieselbe  mit  einer  schwingenden  Bewe- 
gung der  kleinsten  Körperteile  identisch  sei.  Auch  die  Geschichte  der 
Mathematik  geht  nicht  leer  aus,  denn  sie  wird  von  dem  Akt  zu  aeh- 


Mafskunde.  233 

men  haben,  was  der  Verf.  über  Piatos  Stellung  zu  der  sogenannten  har- 
monischen Reihe  beibringt. 

An  die  Spitze  der  Mafse  stellen  wir  das  Zeitmafs  und  besprechen 
demzufolge : 

3)   Die   babylonische   Doppelstunde.      Eine    chronologische   Unter- 
suchung von  G.  Bilfinger').     Stuttgart  1888. 

Man  führt  gemeiniglich  —  wie  die  des  Kreises,  so  auch  —  die  Sexa- 
gesimalteilung  der  gröfseren  Zeiteinheit  auf  die  Babylonier  zurück,  allein 
tbatsächlich  läfst  sich  diese  letztere  mit  Sicherheit  erst  bei  Albiruni 
(1000  n.  Chr.)  nachweisen.  Die  früher  viel  verbreitete,  auf  Herodot 
beruhende  Ansicht,  dafs  die  Babylonier  je  Tag  und  Nacht  für  sich  in 
zwölf  Stunden  geteilt  hätten,  ward  von  Ideler  verworfen,  von  Letronne 
aber  wieder  aufgenommen.  Die  Keilschriftforschung  scheint  zu  gunsteu 
der  Doppelstunde  (haspu,  asla)  zu  sprechen.  Nach  Sayce  war  der  haspu 
zwei  Stunden  der  Neuzeit  an  Länge  gleich  und  zerfiel  in  sechzig  gleiche 
Teile,  zu  deren  Abmessung  die  Wasseruhr  diente.  Auch  in  der  klassi- 
schen Litteratur  mangelt  es  nicht  an  Anzeichen  dafür,  dafs  ojpo.  den 
zwölften  Teil  der  Umdrehungsdauer  des  Himmels  bedeutet  habe.  Zuerst 
nämlich  kommt  der  sogenannte  Eudoxische  Papyrus  in  betracht  und 
ferner  vermochte  der  Verf.  bei  dem  Bischoffe  Epiphanius  (IV.  Jahrhun- 
dert n.  Chr.)  die  Doppelstunde  au  nicht  weniger  denn  fünf  verschiedenen 
Stellen  zu  erkennen.  Im  Chronicon  paschale  wird  gesagt,  das  tropische 
Jahr,  welches  bekanntlich  ungefähr  365V4  Tage  umfafst,  sei  um  drei  (!) 
Stunden  gröfser  als  365 '^^  Unsicherer  sind  Anspielungen  bei  Hyginus 
und  Ausonius,  während  Beda  Venerabilis  sich  wieder  bestimmter  aus- 
spricht. Allerdings  scheint  die  Erweiterung  des  Begriffes  »Stunde«  ganz 
in  derselben  Weise  vor  sich  gegangen  zu  sein,  wie  die  des  Begriffes 
»Tag«  ,  der  zuerst  nur  Lichttag  war  und  nach  und  nach  für  die  Um- 
drehung des  Himmels  (resp.  der  Erde)  das  Mafs  abgeben  mufste.  In 
Europa  ist  wohl  das  Rechnen  nach  Doppelstunden  zu  keiner  Zeit  hei- 
misch gewesen;  Laurentius  Lydus  und  der  Anonymus  in  den  »Anecdota 
Parisiensia«  weisen  direkt  auf  Mesopotamien  hin,  und  zu  den  mesopota- 
mischen  Gnostikern  gehörte  auch  die  (s.  o.)  von  Epiphanius  erwähnte 
Sekte  der  Markosiner,  welche  eine  Stunde  = '/i2''  gesetzt  zu  haben 
scheinen.  Endlich  wäre  auch  an  das  zu  erinnern,  was  Achilles  Tatius, 
ohne  sich  offenbar  über  die  Sache  selbst  vollständig  klar  zu  sein,  von 


1)  Die  anderweiten ,  durchaus  sehr  beachtenswerthen  chronologischen 
Studien  Bilfingers  gehören  nach  unserer  Überzeugung  nicht  in  unseren  Ge- 
schäftsbereich, sondern  in  den  des  Referenten  für  Geschichte  der  exakten 
Wissenschaften. 


234  Mafskunde. 

der  den   Chaldäcrn  geläufigen  Einerleiheit  der  Zeit-  und  Längenmafse 
mitteilt. 

Auch  in  Ägypten  und  Vorderasien  sind  Si)urcn  der  Doppelstunde 
aufgefunden  worden;  desgleichen  zerfällt  der  altchinesische  Volltag  in 
z^Yülf  gleiche  —  unveränderliche,  nicht  wie  bei  den  späteren  Griechen 
mit  den  Jahreszeiten  veränderliche  -  Teile,  wobei  allerdings  die  »Stunde« 
schon  zu  einer  Zeit,  da  das  Reich  der  Mitte  mit  Europa  noch  in  gar 
keinö  nähere  Berührung  getreten  war,  in  zwei  gleiche  Hälften  zerlegt 
wurde.  Ob  man  mit  Gaubil  diese  chinesische  Stundeneinteilung  1100 
Jahre  vor  den  Beginn  unserer  Ära  zurückzuverlegen  ein  Recht  hat,  mufs 
allerdings  dahingesteltt  bleiben.  Bilfinger  ist  der  Ansicht,  dafs  die  ma- 
thematischen und  astronomischen  Kenntnisse  der  Chinesen  in  letzter 
Instanz  aus  dem  Westen,  grossenteils  aus  Alexandria,  stammten,  und 
dafs  auch  der  Stundenbegriff  von  Babylon  aus  seinen  Weg  nach  dem 
Osten  genommen  habe;  bis  zu  einem  gewissen  Grade  stimmen  wir  dem 
bei,  obwohl  wir  nicht  verkennen,  dafs  zumal  die  chinesische  Arithmetik 
ein  ganz  uuhellenisches ,  auf  autochthone  Entstehung  hinweisendes  Ge- 
präge an  sich  trägt.  Aber  das  kann  man  wohl  zugeben,  dafs  die  Doppel- 
stunde von  den  Ufern  des  Euphrat  aus  ihren  Weg  gleichmäfsig  nach 
West  und  Ost  hin  gemacht  hat. 

4)  i2/^J  =  Stande  bei  Pytheas?    Von  Max  C.  P.  Schmidt.    (Jahrb. 
f.  Philol.  u.  Pädagogik,  Jahrgang  826—828). 

Während  wpa  ursprünglich  blos  den  »Zeitpunkt«  bezeichnete,  sehen 
wir  es  bei  Hipparch  in  der  Bedeutung  als  Zeitmafs  verwendet.  Bilfinger 
allerdings  hatte  in  seiner  bekannten  Programmabhandlung  von  1886  den- 
selben Gebrauch  von  wpa  auch  bei  Pytheas  nachweisen  zu  können  ge- 
glaubt, allein  gegen  diese  Behauptung  nimmt  der  vorliegende  Aufsatz 
Stellung.  Zunächst  macht  derselbe  es  wahrscheinlich,  dafs  die  Stelle, 
auf  welche  sich  Bilfingers  Auslegung  stützt,  und  die  sich  in  der  Elaaycuyrj 
des  Geminus  findet,  gar  nicht  von  Pytheas  herrührt,  und  weiterhin  führt 
er  aus  ,  dafs  jener  Satz  auch  inhaltlich  schwerlich  auf  den  Geographen 
von  Massilia  zurückweise.  Es  wird  dort  nämlich  die  Länge  eines  Tages 
in  Stunden  angegeben,  allein  zur  Zeit  des  Genannten  fehlte  es  an  allen 
Mitteln,  Stundenmessungen  vorzunehmen,  zumal  auf  dem  Schiffe  oder 
bei  vorübergehender  Laudung  an  fremder  Küste.  Obwohl  es  also  keines- 
falls ausgeschlossen  ist,  dafs  noch  vor  Hipparch  der  später  üblich  ge- 
wordene Wortsinn  von  wpa  sich  Eingang  bei  den  Griechen  verschafft 
hatte,  so  wird  doch  dessen  Kommentar  zum  Aratus  bis  auf  weiteres  als 
die  erste  antike  Schrift  betrachtet  werden  müssen,  worin  sich  fraglicher 
Sinn  klar  und  deutlich  ausspricht. 

Zur  Metrologie  im  engeren  Wortsinne  tibergehend,  haben  wir 
über   gewisse  Untersuchungen  zur  assyrischen  Mafskunde  zu  berichten: 


Mafskunde.  235 

5)  Rapport  sur  ime  publication  de  M.  J,  Oppert  relative  aux 
raesures  assyrieunes  de  superficie,  par  M.  A.  Aures.  I.  partie. 
Nimes  1887. 

In  einer  Polemik  gegen  den  Altmeister  der  Keilschriftforschung, 
den  berühmten  Pariser  Akademiker  Oj^pert ,  seinerseits  Partei  ergreifen 
zu  wollen ,  kann  dem  Berichterstatter  nicht  einfallen ,  der  sich  vielmehr 
auf  eine  Hervorhebung  der  thatsächlichen  Momente  beschränken  muCs. 
Als  wahre  Mafseinheit  wird  der  »Uban,«  als  secLzigster  Teil  des  Kubi- 
tus,  hingestellt;  »Sofs«  soll  60  und  »Sar«  soll  602  =  3600  Kubitus  ent- 
halten. Im  Ganzen  scheint  die  Schwierigkeit,  geeignete,  den  modernen 
Mafsen  angepafste  Namen  für  die  assyrischen  Längen  zu  finden,  bei 
dem  Zwiespalte  zwischen  Aures  und  Oppert  eine  grofse  Rolle  zu  spielen. 

6)  Notes  relatives  ä  la  determination  des  contenances  des  mesures 
assyriennes  de  capacite,  par  M.  A.  Aures,  Recueil  de  travaux  rela- 
tifs  ä  la  Philologie  et  ä  l'archeologie  egyptiennes  et  assyriennes, 
9.  Jahrgang,  64—80. 

Der  Verf.  will  in  diesem  an  den  Herausgeber  der  gedachten  Zeit- 
schrift gerichteten  Sendschreiben  erweisen,  dafs  die  Assyrer  fünf  ver- 
schiedene Hohlmafse  hatten,  drei  wirkliche,  deren  Einheiten  durch  obrig- 
keitlich verifizierte  Würfel  dargestellt  waren,  und  zwei  nominelle,  die 
dem  entsprachen,  was  heute  im  Münzwesen  etwa  ein  Pfund  Sterling 
bedeutet.  Setzen  wir  die  Länge  des  Kubitus  =  a,  so  gehören  in  die 
erste  der  aufgestellten  Klassen 


1  qa  =  1  hin  =  I  —  I  =  5,832  Liter, 

1  sephel  =  (l  empan)3  =  l  — j=  19,683  Liter, 

a3 
1  bar  =  1  bath  =  1  epha  =  —  =  39,366  Liter, 

imd  in  die  zweite  derselben 

a3 
1  izbar  =  1  tama  =  —  =  78,733  Liter, 

1  ap  =  a3=  157,466  Liter. 
"Wir  gehen  zur  Geschichte  der  naturwissenschaftlichen  Mythen  und 
Wahnvorstellungen    über,    welche    uns    eine    ziemlich    reiche    Ausbeute 
gewähren  wird. 

7)  The  Euphratean  Kosmological  Theogony  Preserved  by  Damas- 
kios,  by  Robert  Brown.  The  Piatonist,  an  Exponent  of  Philolosophic 
Truth,  4.  Band.     113—119. 

Im  125.  Kapitel  der  »Zweifel  bezüglich  der  ersten  Anfänge  und 
deren  Lösung«  betitelten  Schrift  des  Daraascius  wird  einer  altbabyloni- 
schen  Genealogie   Erwähnung   gethan,   welche    von    Sige,    dem    Welt- 


236  Naturwissen  seh  at'ton  und  Mystik. 

Schöpfer,  durch  das  erste  Ehepaar  Apason-Tauthe  hindurch  bis  zu  Belus 
führt.  Sayce  hat  die  mesopotamischen  Namen  ermittelt,  welche  Damas- 
cius  in  gräzisierender  Verketzerung  anführt:  Sige  heifst  Ziku,  Apasan 
heifst  Apzu,  Tauthe  heifst  Tiamat,  Belus  heifst  Bilu  u.  s.  w.  Der  Verf. 
glaubt  nun,  jeden  dieser  Eigennamen  abstrakt  deuten  und  auf  eine  In- 
telligenz oder  Gottheit  im  höheren  Sinne  beziehen  zu  sollen,  was  freilich 
zum  teile  den  Eindruck  des  Gekünstelten  hervorruft. 

8)  Zu  den  Kyraniden  des  Hermes  Trismegistos.  Von  Hermann 
Haupt,  (Philologus  XLVIII  2  p.  371-374). 

Die  Mvr^/j.eTa  'EUrjvcxr^g  'laxopcag  des  Sathas  enthalten  u.  a.  ein  zur 
Zauberlitteratur  der  sogenannten  »Kyraniden«  gehöriges  Fragment,  wel- 
ches allerdings  alldort  in  nichts  weniger  denn  korrekter  Weise  abgedruckt 
wurde.  Der  Titel  ist  nach  der  von  Haupt  mit  Rücksicht  auf  ein  gleich- 
benanntes Manuskript  der  Amploniana  in  Erfurt  vollzogenen  Richtig- 
stellung dieser:  Tractatus  de  Septem  herbis  Septem  planetis  attributis. 
Als  Verfasser  wird  ein  sonst  nicht  bekannter  Flaccius  Africanus  namhaft 
gemacht.  Der  Inhalt  ergiebt,  dafs  der  Autor  mit  den  älteren  astrologisch- 
medizinischen  Zauberbüchern  wohl  vertraut  gewesen  sein  mufs,  doch 
sind  seine  magischen  Rezepte  von  jenen  vielfach  unbeeinflufst.  Man 
darf  wohl  annehmen,  dafs  man  es  mit  einer  späteren  mittelalterlichen, 
mit  selbständigen  Zuthaten  versetzten  Bearbeitung  jener  Originalsamm- 
luug  der  hellenistischen  Periode  zu  thun  hat,  welche  man  zur  Erhöhung 
ihres  Rufes  von  dem  grofsen  Hermes  —  der  altägyptischen  Gottheit 
Thot  —  und  von  einem  sagenhaften  Perserkönige  Cyranus  ihren  Aus- 
gang nehmen  liefs. 

9)  Hephaestion  von  Theben  und  sein  astrologisches  Kompendium. 
Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  griechischen  Astrologie  von  August 
Engelbrecht.     Wien  1887.     102  S. 

Nicht  ohne  Grund  erhebt  der  Herausgeber  Klage  darüber,  dafs 
für  die  Kenntnis  der  griechisch-römischen  Astrologie ,  insbesondere  für 
eine,  den  kritischen  Anforderungen  der  Gegenwart  entsprechende  Edi- 
tion der  Hauptwerke,  noch  so  wenig  geschehen  sei.  Bruchstücke  des 
Hephaestion  haben  allerdings  Camerarius  und  Ludwich  bekannt  gemacht, 
doch  konnten  diese  Veröffentlichungen  natürlich  nur  den  Wunsch  rege 
machen,  die  vielfach  interessante  Schrift  näher  kennen  zu  lernen.  Dieser 
Wunsch  wird  uns  nun  wenigstens  grofsenteils  erfüllt,  indem  wir  eine 
nach  den  besten  Quellen  bearbeitete  Ausgabe  einstweilen  des  ersten 
Buches  erhalten.  Den  Text  des  Ganzen  enthalten  drei  Pariser  Kodizes, 
die  aber  keineswegs  gleich  vollständig  sind;  andere  Pariser  und  nicht 
minder  mehrere  in  Florenz  verwahrte  Handschriften  bieten  wenigstens 
Auszüge  aus  Hephaestion,  »eine  Art  von  astrologischer  Anthologie.« 
Den  als  Archetypus  zu  betrachtenden  Cod.  Par.  gr.  2417  hat  der  Her- 


Naturwissenschaften  und  Mystik.  237 

ausgebe!  vorwiegend  benutzt.  Von  der  Person  und  den  sonstigen  Lei-- 
stungen  des  griechischen  Astrologen  weifs  man  nicht  sehr  viel;  dafs 
er  aus  Tlioben  stammt,  ist  bezeugt,  aber  es  ist  nicht  einmal  gewifs,  wie- 
wohl wahrscheinlich,  dafs  dies  die  gleichnamige  Stadt  in  Oberägypten 
gewesen  sei  Dafür,  dafs  Hephaestion  Ciirist  war,  sprechen  manche 
Anzeichen,  wie  denn  der  Freund,  welchem  er  die  in  Rede  stehende 
Schrift  y>r.ef)\  y.arapyujvd  widmete,  als  rtüauoxa-o^  ^AbavaGtoqv.  bezeichnet 
wird.  Aus  einer  dem  Texte  entnommenen  Angabe  schliefst  Engelbrecht, 
dafs  der  Mathematiker  Hephaestion  etwa  ein  halbes  Jahrhundert  später 
als  Firmicus  Maternus  anzusetzen  und  sein  Kompendium  etwa  um  380  n. 
Chr.  abgefafst  worden  sei.  Als  Quellen  für  letzteres  sind  nachzuweisen 
Ptolemaeus  (Opus  quadripartitum),  Dorotheus  von  Sidon,  ein  besonders 
bei  den  Arabern  angesehener  und  deshalb  späterhin  vielfach  selbst  für 
einen  Araber  gehaltener  Schriftsteller,  ein  Hipparchus  und  ein  Odapsus, 
deren  erster  kaum  der  treffliche  Astronom  von  Nicaea  ist,  Petosiris  der 
Ägypter,  Antiochus  der  Athener,  jener  Manetho,  dessen  Existenz  resp. 
dessen  Thätigkeit  als  astrologischer  Dichter  Köchly  hat  gänzlich  in  ab- 
rede stellen  wollen,  endlich  zwei  Astrologen  Protagoras  und  Annubion, 
die  aufser  von  Hephaestion  nur  noch  von  dem  Byzantiner  Tzetzes 
zitiert  werden. 

Das  im  Urtexte  mitgeteilte  erste  Buch  umfafst  25  Kapitel  und 
würde  sich  wohl  als  eine  allgemeine  theoretische  Einleitung  in  die  Stern- 
deutekunst kennzeichnen  lassen;  der  überwiegende  Theil  ist  in  Prosa, 
einige  dem  Sidonier  entnommene  Abschnitte  sind  in  gebundener  Rede 
gehalten.  Von  Interesse  sind  die  Erörterungen  über  das,  was  Häbler 
glücklich  als  »astrologische  Geographie«  bezeichnet  hat,  nämlich  über 
die  Frage,  welchen  Einflufs  gewifse  Sternbilder,  ja  sogar  einzelne  Par- 
tien derselben,  auf  bestimmte  Gegenden  der  Erde  ausüben. 

10)  Menschen  und  Tiere  im  Aberglauben  der  Griechen  und  Römer 
von  P.  Schwarz.     Celle  (Gymnasialprogramm). 

Von  Tieren  werden  die  nachstehend  aufgezählten  besprochen. 
Erstlich  die  Eule;  das  Käuzchen  soll  dem  Statins  zufolge  Glück,  der 
Uhu  aber  Unglück  verkündigen.  Sodann  die  Schwalbe,  nach  Aelian  und 
Dio  Cassius  eine  Unglücksprophetin,  der  Hahn,  der  sich  mit  Zukunfts- 
ahnungen beschäftigen  und  u.  a.  den  Ausgang  der  Schlacht  bei  Leuctra 
prophezeit  haben  soll,  die  Henne,  der  Geier  (Romulus  und  Remus),  der 
Adler,  den  gesehen,  ja  von  dem  man  nur  geträumt  zu  haben,  schon  die 
ältesten  Dichter  als  Glück  priesen,  der  dem  Apollo  heilige  Rabe,  dessen 
Flug  nach  rechts  vom  Augur  ebenso,  wie  der  Flug  der  Krähe  nach  links 
als  günstig  gedeutet  wurde,  der  Reiher,  welcher  in  der  Hiade  als  Glück 
verheifsender  Bote  Athens  auftritt,  das  ganze  Geschlecht  der  Habichte 
und  Falken,  die  Biene,  deren  Schwärme  (Schlacht  bei  Philippij  ein 
schlimmes  Orakel  sein  sollten,  während  sie,  auf  den  Lippen  eines  Kindes 


238  Naturwissenschaften  und  Mystik. 

sich  niederlassend,  diesem  das  Prognostikon  zukünftiger  Beredsamkeit 
zubrachten.  Von  Säugetieren  spielen  eine  Rolle  der  Hase,  der  bei  sämt- 
lichen arischen  Völkern  in  keinem  guten  Kufe  steht,  der  Affe,  den  Sueto- 
nius  als  Unglücksproi)heten  für  Nero  auftreten  läfst,  die  Maus,  welche  sich 
mit  dem  "Wiesel  in  die  Stellung  eines  Erdbebenprognosten  teilt  (Aelians 
Erzählung  von  den  achäischen  Städten  Ilelice  und  Bura),  der  Wolf, 
dessen  Geheul  kommendes  Unheil  verriet,  und  endlich  der  Hund,  von 
dem  im  ganzen  Altertum  ein  gleiches  galt.  Sonst  verdienen  noch  ge- 
nannt zu  werden  die  Spinne  und  die  Schlange,  welcher  kein  Reisen- 
der gerne  begegnete,  in  der  man  aber  doch  auch  wiederum  ab  und  zu 
(Cicero,  De  divinin.  I,  36)  ein  Glückstier  erblickte. 

Weit  weniger  Ausbeute  gewährt  die  antike  Prodigienlitteratur  be- 
züglich des  Menschen.  Als  unerfreuliche  Begegnungen,  denen  man  aus 
Aberglauben  möglichst  auswich,  werden  die  mit  Spindel-drehenden  Wei- 
bern, mit  Lahmen,  Epileptischen,  Verschnittenen,  wohl  auch  mit  Mohren 
(Septimius  Severus)  genannt. 

11)  Magnet  und  Knoblauch  von  A.  Schmidt.    (Korrespondenblatt 
für  die  Gelehrten-  und  Realschulen  Württembergs,  1887,  9.  Heft.) 

Zu  den  der  Gegenwart  unverständlichen  Dingen  gehören  vor  allem 
die  zahlreichen  Fabeln  des  Altertums  über  den  Magnet,  zu  deren  Kennt- 
nis in  den  Abhandlungen  von  Henri  Martin  (Rom  1865)  und  G.  A.  Palm 
(Maulbronn  1867)  ein  sehr  reichhaltiges  Material  beigebracht  ist.  Unter 
diesen  Fabeln  vielleicht  die  allersonderbarste  scheint  diejenige  über 
die  Antipathie  zwischen  dem  Magnet  und  der  Knoblauchpflanze  zu  sein. 
Man  zweifelte  nicht  an  der  W\ahrheit  dieser  wie  mancher  ähnlicher  Mon- 
strosität, bis  Gilbert  in  seiner  berühmten  »Physiologia  nova«  (1600)  mit 
diesen  Märchen  erbarmungslos  ins  Gericht  ging.  Schmidt  äufsert  nun  die 
Vermutung,  dafs  vielleicht  die  Sache  nicht  so  sinnlos  war,  als  man  ge- 
Avöhnlich  glaubt,  dafs  es  sich  vielmehr  um  eine  sinnbildliche  Ausdrucks- 
weise gehandelt  haben  kann,  deren  wahre  Bedeutung  später  abhanden 
kam.  Der  Querschnitt  eines  Knoblauchknollens  bildet  eine  Rosette  von 
an  einander  gereihten  Ovalen;  wenn  man  also  eine  Anzahl  gleicher 
Magnete  so  anordnen  will,  dafs  ihre  Wirksamkeit  nach  aufsen  gänzlich 
aufgehoben  wird,  so  braucht  man  eben  nur  die  Magnete  »knoblauch- 
förmiga  zusamrazulegen.  Die  Thatsache  selbst  liegt  völlig  im  Bereiche 
dessen,  was  die  Alten  vom  Magnetismus  überhaupt  wufsten,  wie  die  in 
Piatos  »Jon«  beschriebene  magnetische  Brücke  beweist.  Man  wird  ge- 
stehen müssen,  dafs  diese  eine  Ehrenrettung  der  antiken  Naturwissen- 
schaft involvierende  Hypothese  sehr  geistreich  ist,  allein  die  Neigung  zu- 
mal der  späteren  römischen  Kaiserzeit,  möglichst  unwahrscheinliche  Dinge 
eben  deshalb  für  wahr  zu  halten,  war  eine  solche,  dafs  man  deren  lit- 
terarischen Vertretern  wohl  zutrauen  darf,  sie  hätten  fest  an  die  Mög- 
lichkeit, mit  Pflanzensäften  die  magnetische  Kraft  zu  neutralisieren,  ge- 


Naturwissenschaften  und  Mystik.  239 

glaubt.     Denn  woran  wären  ein  Plinius,  ein  Solinus,  ein  Isidorus  Hispa- 
lensis  nicht  zu  glauben  bereit  gewesen? 

12)  Tierorakel  und  Orakeltiere  in  alter  und  neuer  Zeit.  Eine 
ethnographisch-zoologische  Studie  von  Ludwig  Hopf-  Stuttgart  1888. 
XL     271  S. 

Soweit  diese  Schrift  sich  mit  dem  Altertum  beschäftigt,  berührt 
sie  sich  nach  Tendenz  und  Ausführung  sehr  nahe  mit  der  oben  ange- 
zeigten Programmabhandlung  von  Schwarz.  Da  jedoch  der  ethnologische 
Gesichtspunkt  für  den  Verf.  der  mafsgebende  ist,  so  wird  Griechen-  und 
Römertum  naturgemäfs  nur  auf  gleichem  Fufse  mit  anderen  Völkern,  also 
ohne  besondere  Bevorzugung  behandelt,  und  es  wird  nur  das  Wesen 
der  Augurthätigkeit,  zumal  bei  der  Begründung  eines  Templum,  näher 
ins  Auge  gefafst,  so  dafs  also  das  Buch  den  Sakralaltertümeru  näher 
als  der  Real-Archäologie  stehen  dürfte.  Wichtig  und  weniger  bekannt 
ist,  dafs  der  Astrolog  Nigidius  Figulus  der  Nachteule  neun  verschiedene, 
jeweils  vom  Ausleger  besonders  zu  beachtende  Stimmen  zuschreibt.  Wäh- 
rend Schwarz  zumal  die  Vögel  und  niederen  Tiere  berücksichtigte,  wer- 
den von  Hopf  auch  Rind,  Pferd,  Esel  und  Schwein,  sowie  das  über  den 
Weg  laufende  Wiesel  als  orakelgebende  Tiere  namhaft  gemacht.  Der 
zweite  Teil  der  Schrift  stellt  alle  die  Tiere  zusammen,  welche  irgend- 
wann und  in  irgend  einem  Teile  der  Erde  als  Boten  des  Schicksales 
angesehen  worden  sind  resp.  noch  werden,  und  auch  bei  dieser  Über- 
sicht wird  den  antiken  Mythen  der  verdiente  Platz  eingeräumt.  So  sei 
beispielsweise  angeführt,  dafs  der  Specht  den  Römern  als  Unglücksvogel 
galt,  dafs  das  Erscheinen  von  Ameisen  dem  Cimon  wie  dem  Tiberius 
bedenkliche  Vorahnungen  erweckte,  u.  dergl.  m. 

13)  Die  Mystik  der  alten  Griechen  von  Karl  du  Prel.  Leip- 
zig 1888. 

Der  Verf.  dieses  Buches  ist  bekannt  als  der  eifrigste  Förderer 
einer  neuen  wissenschaftlichen  Disziplin,  die  von  ihren  Anhängern  selbst 
als  »transzendentale  Phychologie«  bezeichnet  wird  und  ein  Grenzgebiet 
zwischen  der  Naturwissenschaft  und  Seelenlehre  darstellen  soll.  Eine 
Reihe  von  Erscheinungen,  die  man  früher  einfacli  auf  Aberglauben  und 
Wahnvorstellungen  exaltierter  Menschen  zurückführen  zu  können  ver- 
meinte, hat  sich  der  tiefer  gehenden  Forschung  gegenüber  allerdings  bis 
zu  einem  gewissen  Grade  als  reell  herausgestellt,  und  so  glaubt  sich  Du 
Prei  folgerichtig  auch  dazu  berechtigt,  die  Magie  alter  Zeiten  mit  diesen 
neueren  Errungenschaften  der  Phychophysik  in  ursächlichen  Zusammen- 
hang zu  bringen.  Vier  Erscheinungsgruppen  sind  es,  die  er  zu  analy- 
sieren und  ihrem  wahren  Wesen  nach  aufzudecken  unternimmt. 

An  der  Spitze  steht  der  bekannte  Tempelschlaf,  den  die  ägyptische 
Heilkunde  unter  ihre  Rezepte  aufgenommen  hatte,  den  aber  auch  die 


240  Naturwissenschaften  und  Mystik. 

Hippokratikcr  iind  die  späteren  Griechen  durchaus  nicht  verschmähten. 
Man  liefs  den  Kranken  eine  Nacht  im  Äskulaptenipel  zubringen,  und 
da  wurde  ihm,  wenn  alles  gut  ging,  von  dem  Gotte  im  Traume  das  Mittel 
angegeben,  welches  ihm  wieder  zur  Gesundheit  verhelfen  sollte.  Nach 
Du  Prel  war  aber  dieser  Tempelschlaf,  wie  er  durch  zahlreiche,  mit 
grofser  Belesenheit  gesammelte  Zeugnisse  zu  bewahrheiten  sucht,  nichts 
anderes  als  ein  durch  magnetische  Behandlung  hervorgerufener  Som- 
nambulismus. Weiter  kommen  die  Orakel  an  die  Reihe,  deren  Aus- 
sprüche durchaus  nicht  auf  Priesterbetrug,  sondern  auf  einem  thatsäch- 
lichen  Hintergründe  des  »zweiten  Gesichtes«,  des  Sehens  in  die  Ferne, 
beruht  haben  sollen.  Plutarch  war  mit  den  Bedingungen  dieses  Hell- 
sehens sehr  wohl  vertraut  und  wufste  ganz  gut,  dafs  für  die  mensch- 
liche Seele,  um  jener  Eigenschaft  teilhaftig  zu  werden  die  Versetzung  in 
einen  anormalen  Zustand  notwendig  war.  Der  aus  der  delphischen  Erd- 
spalte aufsteigende  Dunst  konnte  an  und  für  sich  nichts  wirken,  wenn 
keine  visionäre  Prädisposition  vorhanden  war;  aber  die  Pythia  hatte 
eben  eine  solche  Anlage,  und  dann  wirkten  die  Dämpfe  auslösend.  Die 
Mysterien  ferner  rationalistisch  auszulegen,  verbiete  sich  aus  den  ver- 
schiedensten Gründen;  in  diesen  Geheimversammlungen  sollen  vielmehr 
spiritistische  Vorstellungen  gegeben  worden  sein,  und  deshalb  ist  es  be- 
greiflich, inwiefern  durch  die  Mysterien  das  Wesen  der  Seelenwanderung 
verdeutlicht  werden  sollte.  Eigentliche  »Medien«  scheint  man  allerdings 
nicht  zur  Verfügung  gehabt  zu  haben,  doch  läfst  sich  der  Verf.  durch  die 
Lückenhaftigkeit  der  bezüglichen  Berichte  nicht  abschrecken,  zieht  viel- 
mehr aus  den  Angaben  des  Ovid,  Jamblichus  u.  s.  w.  den  Schlufs,  dafs 
man  die  »Materialisation  der  Geister«  eben  auf  andere  Art  bewirkt  ha- 
ben werde.  Zum  Schlufs  vertieft  sich  der  Verf.  in  das  Studium  der 
Frage,  was  man  wohl  unter  dem  »Dämon  des  Socrates«  sich  zu  denken 
habe;  für  ihn  hat  es  keinen  Zweifel,  dafs  da  eine  »dramatische  Spaltung 
des  Ich«  vorlag.  Ein  Teil  der  Seele  jedes  Menschen,  so  wurde  schon 
dem  in  die  Unterwelt  hinabgestiegenen  Timarchus  eröffnet,  führt  ein 
Sonderdasein  aufserhalb  des  Körpers,  macht  aber  in  gewissen  Augen- 
blicken sein  Existenzrecht  als  »Gewissen«,  als  »innere  Stimme«,  als  »Dä- 
mon« geltend. 

Wir  sind  persönlich  überzeugt,  dafs  auch  die  Altertumswissen- 
schaft, um  zu  richtiger  Interpretation  mancher  geheimnisvoller,  aber  ver- 
trauenswert bezeugter  Vorgänge  zu  gelangen,  nicht  umhin  können  wird, 
von  den  rätselvollen  Erscheinungen  des  tierischen  Magnetismus,  des 
Hypnotismus  und  der  Suggestion  Notiz  zu  nehmen.  Du  Preis  Buch  ge- 
währt nach  dieser  Seite  hin  manchen  nützlichen  Fingerzeig  und  verdient 
allseitiger  Beachtung  empfohlen  zu  werden.  Soweit  freilich  darf  die  Rück- 
sichtnahme nicht  gehen,  dafs  man  nun  gleich  alle  Ausgeburten  wüster 
Mystagogie  als  Wahrheiten  annimmt;  wer  vielmehr  auf  diesem  schwieri- 
gen Arbeitsfelde  Erfolge  erzielen  will,  wird  dazu  ein  ganz  ungleich  gröfse- 


Naturwissenschaften  und  Mystik.  241 

res  Mafs  von  Kritik  und  Skeptizismus  mitbringen  müssen,  als  der  ge- 
wifs  überzeuguiigstreue  und  hoclibegabte,  aber  vom  Banne  der  Geister- 
klüpferei  umfangene  Scbriftsteller,  über  dessen  ganz  eigenartiges  und  von 
einem  Nicbt-Gesinuungsgeuossen  scbwer  richtig  zu  beurteilendes  Werk 
wir  soeben  ein  möglichst  objektiv  gehaltenes  Referat  abzustatten  ver- 
sucht haben. 

14)  Über  den  Planetenkultus  des  vorrömischen  Daciens  von  Sofia 
von  Torma-Broos  (Korrespondenzblatt  der  deutschen  Gesellschaft 
für  Anthropologie,  Ethnologie  und  Urgeschichte  M,  18.  Jahrgang.    8  —  9. 

Ebenso  wie  auf  den  von  Schliemann  in  Hissarlik  ausgegrabenen 
Thonperlen,  finden  sich  auch  auf  dacischen  Thonrädern  oder  »Sonnen- 
scheiben«, die  an  der  unteren  Donau  aufgefunden  und  von  den  Fach- 
kreisen der  sogenannten  Hallstatt-Periode  zugewiesen  wurden,  Spuren 
von  Planetenkultus.  Dieselben  weisen  auf  asiatischen  Ursprung,  auf 
Nachbildungen  gewisser  Keilschriftzeichen  hin.  Ob  die  Deutungen  und 
Allegorisierungen  der  um  süduugarische  und  rumänische  Prähistorie  sehr 
verdienten  Verfasserin  nicht  doch  mitunter  allzu  gewagte  sind,  mögen 
genauere  Kenner  der  Urgeschichte  entscheiden. 

15)  Geologie  und  Mythologie  in  Kleinasien  von  J.  Partsch.  Bres- 
lau 1888.     16  S.  (Separatabzug). 

Der  in  der  älteren  griechischen  Sage  so  häufig  vorkommende  Gi- 
gant Typhoeus,  ein  Ungeheuer  von  teilweiser  Schlangengestalt,  ist  als 
Personifizierung  eines  Vulkanausbruches  zu  denken.  Für  Pindars  und 
Aeschylus',  vielleicht  auch  für  Hesiods  Schilderung  des  gegen  den  Him- 
mel ankämpfenden  Riesen  gab  vermutlich  der  Feuer  speiende  Ätna  das 
Vorbild  ab.  Allein  Partsch  erachtet  damit  die  Frage  nicht  gelöst,  auf 
welchem  den  Alten  bekannten  Vulkangebiete  denn  eigentlich  der  Mythus 
entstanden  sei ;  die  homerische  Dichtung  kennt  und  verwendet  denselben 
bereits,  während  doch  zweifellos  Italien  noch  ganz  aufserhalb  des  geo- 
graphischen Gesichtskreises  des  Dichters  resp.  der  Dichter  gelegen  war. 
Eine  Gegend  ''Apcfia,  in  deren  Bereich  die  "Aptiioi  wohnen  sollten,  wird 
schon  frühe  als  die  eigentliche  Heimat  des  Typhoeus  bezeichnet;  die 
römischen  Autoren  haben  später  den  Ortsnamen  so  verketzert,  dafs  er 
jetzt  »Inarime«  hiefs.  Posidouius  hielt  diese  Arimer  für  einerlei  mit 
den  Aramäern  und  liefs  den  Riesen  im  Thale  des  Orontes  wohnen,  an- 
dere haben  sogar  den  Sitz  in  den  Golf  von  Neapel  verlegt,  während 
Xanthus  und  nach  ihm  Strabo  das  Basaltfeld  am  Fufse  des  lydischen 
Tmolus,  die  yrj  xazaxexaujisvrj^  ins  Auge  fafsten.  Von  neueren  Forschern 
hat  sich  A.  v.  Gutschmidt  dieser  letzteren  Auffassung  zugeneigt.  Allein 
wenn  auch  die  vulkanische  Natur  dieses  Landsti-iches   eine  augenfällige 


1)  Künftig  stets  durch  K.  A.  angedeutet. 

Jahresbericht  für  Alterthumswissenschaft.  LXIV.  Bd.  (.1890  HI.)  IQ 


242  Chemie. 

ist,  60  liabcu  dort  gleichwohl  in  geschichtlicher  Zeit  ganz  gewifs  keine 
Eruptionen  mehr  stattgefunden,  und  andererseits  verlegen  glaubwürdige 
Zeugnisse  den  Ursprung  des  Mythus  ins  östliche  Kleinasien.  Cilicien 
freilich,  worauf  l'indar  hinweist,  ist  ein  ganz  unvulkanisches  Territorium, 
dafür  aber  besitzt  Cappadocien  einen  bis  vor  ganz  kurzer  Zeit  noch  thätig 
gewesenen  Vulkan,  den  Argäus  oder  Erdschias-Dagh,  für  dessen  Haupt, 
das  die  ganze  Landschaft  beherrscht,  alle  die  angeführten  Kriterien  zu- 
zutreffen scheinen.  Partsch  begründet  diese  seine  Ansicht  in  eingehender 
Weise.  Die  Arimer  freilich,  bezüglich  deren  er  die  Erklärung  des  Posi- 
donius  akzeptiert,  waren  dann  Cappadocier  und  keine  wirklichen  Ara- 
mäer,  allein  es  ist  gewifs,  dafs  der  ältere  Grieche  zwischen  den  Syrern 
und  den  Bewohnern  des  inneren  Kleinasiens  kaum  einen  Unterschied 
machte,  beide  vielmehr  als  sehr  eng  verwandte  Volksstämme  betrachtete. 
Zum  Schlüsse  wird  nachgewiesen,  dafs  der  Moschylus  auf  Limno  nie- 
mals ein  wirklicher  Feuerberg  gewesen  ist,  wenn  auch  Kohlenwasser- 
stoffgase dortselbst  den  Boden  euströmten.  Ähnliche  Exhalationen  schie- 
nen in  Lycien  beobachtet  worden  zu  sein,  und  deshalb  war  dort  ein 
Heiligtum  des  Hephästus  errichtet,  der  ursprünglich  nur  ein  segensreich 
wirkender  Feuergott  war  und  erst  nach  und  nach  in  einen  Schutzgeist 
der  unterirdischen,  unheimlichen  Kräfte  sich  verwandelte,  welche  die 
Jetztzeit  mit  seinem  lateinischen  Namen  als  vulkanische  bezeichnet. 

16)  Collection  des  anciens  alchimistes  grecs  publiee  sous  les 
auspices  du  ministere  de  l'instruction  publique  par  Berthelot  avec 
la  collaboration  de  Ch.  Em.  Ruelle.  Premiere  livraison.  Paris  1887. 
XXVIII.     491  S. 

Von  der  allerseits  mit  Spannung  erwarteten  Sammlung,  die  Ber- 
tbelot  von  den  spätgriechischen  Alchymisten  veranzustalten  beabsichtigt, 
und  von  welcher  auch  bereits  in  unserem  früheren  Berichte  die  Rede 
war,  liegt  nunmehr  die  erste  Lieferung  vor,  die  sich  aber  gleich  als 
ein  sehr  stattlicher  Band  in  Grofsquart  darstellt.  Einem  Vorberichte, 
welcher  die  Geschichte  des  grofsen  Unternehmens  und  die  bei  dessen 
Durchführung  mafsgebend  gewesenen  Grundsätze  darlegt,  folgt  als 
erste  Abteilung  eine  Untersuchung  über  die  Papyrushandschriften  von 
Leyden,  welche  in  Theben  gefunden  wurden  und  uns  einen  genauen 
Einblick  in  die  chemische  Denkweise  und  Operationstechnik  der  helle- 
nistischen und  byzantinischen  Periode  ermöglichen.  Die  drei  Manu- 
skripte führen  die  bibliothekarische  Bezeichnung  V,  W  und  X.  Pa- 
pyrus V  ist  doppelsprachig,  griechisch  und  demotisch  und  enthält 
hauptsächlich  Zauberformeln;  Papyrus  W,  blos  griechisch,  ist  wichtig 
für  die  Beziehungen  zwischen  der  Magie  und  dem  jüdischen  Gnosti- 
zismus;  den  für  die  Geschichte  der  Chemie  bedeutsamsten  Inhalt 
besitzt  jedoch  Papyrus  X,  der  hauptsächlich  von  Metallverbindungen 
handelt,    aber   auch   pharmazeutische    Vorschriften    aus  Dioscorides   in 


Chemie.  243 

sich  schliefst.  Im  ganzen  sind  in  diesem  letzteren  Kodex  101  Rezepte 
zur  Herstellung  aller  möglicher  Stoffe  enthalten.  Um  das  Sachverständ- 
nis zu  erleichtern,  schaltet  Berthelot  einen  Exkurs  über  die  das  ganze 
Mittelalter  beherrschende  Verkupijelung  der  Metalle  und  Planeten  ein 
(Quecksilber-Merkur  u.  s.  w.)-  Hierauf  giebt  er  den  Text  der  in  Papyrus 
V  zu  findenden  »Sphäre  des  Democrit«,  einer  Zahlentafel,  durch  deren 
Betrachtung  der  Arzt  sich  über  den  Ausgang  einer  Krankheit  ver- 
gewissern konnte,  und  daran  reiht  sich  eine  Zusammenstellung  der 
alchymistischen  Fachbezeichnungen,  wie  sie  für  die  Lektüre  solcher 
Schriften  unentbehrlich  ist.  Von  besonderem  Interesse  aber  ist  die  von 
Erklärungen  begleitete  Reproduktion  der  alchymistischen  Zeichnungen, 
wie  sie  da  und  dort  angetroffen  werden,  und  zwar  stammt  das  Material 
zu  diesem  umfangreichen  Abschnitte  nicht  lediglich  aus  den  beiden  Ley- 
dener  Handschriften  W  und  X,  sondern  es  sind  auch  die  Pariser  National- 
bibliothek und  die  Vatikana  für  diesen  Zweck  ausgenützt  worden.  Da 
sehen  wir  vor  uns  die  sehr  verschiedenen  Formen  der  Destillationsapparate 
und  Erhitzungsvorrichtungen,  in  denen  wir  den  Keim  zum  modernen 
Sandbade  und  zu  dem  vielberufenen  »faulen  Heinz«  des  Mittelalters  zu 
erblicken  haben;  insbesondere  verdient  der  »Alembik«  des  Synesius  her- 
vorgehoben zu  werden,  sowie  der  »Aludel«  der  Araber,  der  dem  Subli- 
mationsprozesse gewidmet  war,  von  den  arabischen  Chemikern  aber  nicht 
erfunden,  sondern  von  den  westlichen  Nachbarn  übernommen  und  aller- 
dings vervollkommnet  wurde.  Hierauf  giebt  der  Herausgeber,  gestützt 
auf  Kopps  und  seine  eigenen  Vorarbeiten,  eine  Übersicht  über  die  in 
den  verschiedenen  Bibliotheken  Europas  aufbewahrten  alchymistischen 
Handschriften,  welche  für  den  als  sehr  wertvoll  bezeichnet  werden  mufs, 
der  selbst  auf  diesem  Gebiete  zu  arbeiten  gedenkt.  Auf  ein  wesentlich 
anderes  Arbeitsfeld  führt  der  Essay  über  die  von  den  Chaldäern  ge- 
kannten Metalle  und  Miueralstoffe  (vgl.  in  unserem  früheren  Berichte 
die  Bemerkungen  über  das  Täfelchen  von  Korsabad).  Eine  Reihe  ge- 
schichtlich-metallurgischer Einzelnacliweisungen  schliefst  diese  erste, 
durch  ihren  allzu  wechselvollen  Inhalt  der  Übersichtlichkeit  einigermafsen 
entbehrende  Hauptabteilung  ab. 

Die  zweite  Hauptabteilung,  besonders  paginiert,  giebt  die  griechi- 
schen Originaltexte,  Pseudo- Democrit,  Olympiodor  u.  s.  w ,  und  ebenso 
begegnen  wir  in  der  ihre  eigenen  Seitenzahlen  tragenden  der  französi- 
schen Übersetzung  dieser  Texte.  Bei  der  Fülle  der  Einzelheiten  ist  die 
Hervorhebung  einzelner  Punkte  kaum  thunlich,  und  es  wird  dieselbe 
auch  um  so  eher  entbehrt  werden  können,  als  das  wertvolle  Werk 
binnen  kurzem  in  den  Händen  keines  Geschichtsforschers  der  Naturwissen- 
schaften fehlen  wird. 

Von  der  Alchymie  ist,  zumal  wenn  die  Vergangenheit  in  Frage 
kommt,  nur  ein  Schritt  zur  eigentlichen  Chemie. 

16* 


244  Chemie. 

17)  Geschichte  der  Chemie  von  den  ältesten  Zeiten  bis  zur  Ge- 
genwart von  E.  V.  Meyer.     Leipzig  1889. 

Nur  der  erste  Teil  dieser  sehr  angenehm  und  lesbar  geschriebenen 
Schrift  (Seite  6  bis  28)  giebt  an  dieser  Stelle  Anlafs  zur  Besprechung, 
und  es  ist  die  Schilderung  der  antiken  Chemie  nur  ganz  summarisch 
gehalten.  Aristoteles,  Theophrast,  Plinius  und  Dioscorides  werden  als 
diejenigen  Autoren  namhaft  gemacht,  aus  deren  Elaboraten  man  sich 
am  besten  über  den  Gegenstaud  unterrichten  könne.  Die  Atomeulehre 
des  Stagiriten  wird  kurz  erörtert  und  dabei  betont,  dafs  der  Schöpfer 
der  Lehre  von  den  vier  Elementen  doch  selbst  mit  diesen  nicht  in  allen 
Fällen  auszukommen  vermochte,  sondern  mehrfach  eine  »quinta  esseutia« 
beizuziehen  sich  gezwungen  sah.  Verständnis  für  den  Begriff  der  chemi. 
sehen  Verbindung  habe  dem  eigentlichen  Altertum  gänzlich  gemangelt- 
Erst  die  Anforderungen  der  praktischen  Metallurgie,  sowie  die  vielfachen 
Berührungen  mit  den  in  der  Scheidekunst  erfahreneren  Bewohnern  des 
Landes  »Kemi«  (Ägypten)  haben  einen  Fortschritt  bedingt;  man  lernte 
die  Metalle  von  fremden  Beimengungen  reinigen,  wie  denn  Agarthides 
(IL  nachchristliches  Jahrhundert)  ein  Kuppellationsverfahren  für  Gold  in 
Vorschlag  brachte.  Man  bereitete  »Kadmia«  (s.  den  vorigen  Bericht), 
konstruierte  (s.  o.)  Destillierkolben,  bildete  die  für  die  Herstellung  von 
Glas,  Seife,  Farben,  Medizinen  unentbehrlichen  Manipulationen  aus. 
Dioscorides  stellte  aus  Weizen  das  a-jj-olov  dar.  Auch  der  Alchymie 
gedenkt  die  Vorlage;  die  Schriften  des  Zosimus,  Synesius,  Olympiodorus, 
sowie  die  (puatxa  xat  fxuarcxd  des  augeblichen  Democritus  bildeten  die 
Rezeptsammlungen  derer,  die  Gold  und  den  Stein  der  Weisen  zu  machen 
bestrebt  waren.  —  Die  Arbeiten  neuerer  Forscher,  Berthelot,  Hofmann 
u.  s.  w.  scheinen  uns  vom  Verf.  zu  wenig  berücksichtigt  worden  zu  sein, 
doch  darf  man  nicht  verkennen,  dafs  bei  den  Zielen,  die  sich  v.  Meyers 
Buch  gesteckt  hat,  eine  gedrängte,  nur  das  durchaus  unentbehrliche  auf- 
nehmende Charakteristik  der  älteren  Zeiten  geboten  war. 

18)  Technologisches  (Schwefel,  Alaun  und  Asphalt  im  Altertum) 
von  Hugo  Blümner  (Festschrift  zur  Begrüfsung  der  XXXIX.  Ver- 
sammlung deutscher  Philologen  und  Schulmänner,  dargeboten  von  der 
Universität  Zürich.     Ebenda  1887.     23  -  39). 

Von  den  drei  erwähnten  Mineralien  war  der  Schwefel  am  frühe- 
sten, schon  im  homerischen  Zeitalter,  den  Griechen  bekannt.  Mau  holte 
ihn  von  den  vulkanischen  Inseln  Melos  und  Nisyros;  für  Italien  waren 
die  Lipareu  und  gewifse  Gegenden  Campaniens  die  Bezugsstätten.  Bei 
Capua  gewann  man  den  Schwefel  bergmännisch  und  stellte  mit  ihm 
einen  Reinigungsprozefs  an.  Verwendet  wurde  er  zu  Räucheruugen  in 
Tempeln,  aber  auch  zu  Desinfektionszwecken,  nicht  blos  für  mensch- 
liche Wohnungen,  sondern  auch  für  Weinfässer.  Schwefelfaden  diente  im 
alten  Rom  ebenso,  wie  im  übrigen  Europa  noch  vor   dreifsig  Jahren, 


Anthropologie.  245 

zum  Feueranmachen.  Ferner  kittete  man  damit,  bediente  sich  seiner 
beim  Bleichen  wollener  Gewänder,  mischte  ihn  mit  Silber  und  Kupfer 
für  die  Niello- Arbeit  des  Goldschmiedes.  Die  Wirkung  der  heifsen 
Schwefelquellen  (Bajä,  Ardea)  war  den  Ärzten  wohlbekannt.  Was  den 
Alaun  anlangt,  so  steht  es  minder  fest,  dafs  er  den  Alten  bekannt  war, 
und  Beckmann  wollte  die  Worte  alumen  und  a-umrjpia  nicht  mit  Alaun, 
sondern  mit  Vitriol  identifizieren.  Jedenfalls  holte  mau  das  Alumen  haupt- 
säclilich  aus  Ägypten,  doch  gab  es  allenthalben  im  ganzen  Mittelmeer- 
becken Fundorte  dieses  Stoffes.  Wahrscheinlich  schwitzte  die  Salzlösung 
aus  dem  Boden  aus,  so  dass,  wenn  noch  die  Sonne  das  Wasser  zum 
Verdunsten  gebracht  hatte,  die  Mitarbeit  des  Menschen  lediglich  im  Auf- 
sammeln der  Krystalle  bestand.  Das  alumen  scissile  war  nicht  eigent- 
licher Alaun,  sondern  vielmehr  schwefelsaure  Thonerde,  das  alumen 
rotundum  war  anscheinend  ein  Gemenge  aller  möglichen  Sulfate,  und 
auch  vom  alumen  liquidum  läfst  sich  nicht  mit  Bestimmtheit  die  Iden- 
tität mit  dem,  was  wir  heutzutage  als  Alaun  kennen,  erweisen.  Seine 
wichtigste  Anwendung  fand  Alumen  in  der  Arzneikunde,  aber  auch  in 
der  Färberei  und  Gerberei  spielte  es  eine  recht  wichtige  Rolle,  dem  Weine 
wurde  es  zur  Milderung  seiner  natürlichen  Schärfe  zugesetzt,  und  alle 
Arten  von  Handwerken  bedienten  sich  des  Minerales  in  ihrem  Wirkungs- 
kreise. Von  Asphalt  wufste  man,  dafs  ihn  das  Tote  Meer  Palästinas 
in  grofsen  Mengen  liefere;  seine  Gewinnung  wird  von  Diodor  ausführ- 
lich, vielleicht  nicht  ohne  einige  romantische  Zuthaten,  beschrieben. 
Auch  Babylonien,  Arabien,  Susiana,  Cilicien,  die  Inseln  Zante  und  Sici- 
lien  brachten  Erdpech  in  den  Handel.  Die  Ägypter  konsumirten  davon 
am  meisten,  weil  man  beim  Einbalsamieren  der  Leichen  die  um  diese 
geschlungenen  Binden  mit  Asphalt  festzumachen  pflegte,  aber  man  wufste 
auch,  dafs  derselbe  einen  guten  Mörtel  abgebe  und  dem  damit  bestriche- 
nen Gebälke  einen  gewifsen  Schutz  gegen  Feuersgefahr  verleihe.  Der 
Landwirthschaft  von  damals  endlich  war  Asphalt  dasjenige,  was  ihr 
gegenwärtig  der  Theer  ist.  —  Es  versteht  sich  von  selbst,  dafs  alle 
die  zahlreichen  Detailangaben  dieser  Abhandlung  durch  Belegstellen  ge- 
stützt sind. 

Unserem  Programme  gemäfs  kommt  nach  der  Chemie  die  physi- 
sche Anthropologie  als  Überleitung  zur  Naturgeschichte  an  die  Reihe. 
Zwei  von  unseren  sechs  Nummern  entfallen  unter  diese  Kategorie. 

19)  Das  Aristotelische  Räthsel  der  mit  den  gekreuzten  Finger- 
spitzen gefühlten  Kugel  von  J.  J.  Hoppe.  (Wiener  Medizinische  Presse, 
29.  Jahrgang,  785  ff.  827ff.). 

Die  Beschreibung  des  Vexierversuches,  der  übrigens,  beiläufig  be- 
merkt, an  der  eigenen  Nase  weit  besser  als  an  einer  Kugel  gelingt,  hat 
Aristoteles  in  seiner  Diatribe  »Über  den  Traum«  gegeben.  Legt  man 
Zeige-  und  Mittelfinger  über  einander  und  berührt  gleichzeitig  einen  nach 


246  Anthropologie. 

allen  Seiten  konvexen  Gegenstand,  so  hat  man  das  Gefühl,  als  sei  letzte- 
rer doppelt  vorhanden ,  als  habe  jeder  Finger  sein  besonderes  Objekt 
vor  sich.  Aristoteles  selbst  vergleicht,  ohne  aber  damit  den  Kern  der 
Sache  zu  treffen,  die  Erscheinung  mit  der  Bewegung,  in  welcher  sich 
dem  auf  ruhiger  Wasserfläche  Dahinsegelnden  das  Ufer  zu  befinden 
scheint.  Der  Vorgang  des  Doppeltfühlens  hat  in  Wirklichkeit  Ähnlich- 
keit mit  dem  des  Doppeltsehens;  die  beiden  Fühlbilder  der  gekreuzt 
tastenden  Finger  fallen  im  Gehirne  nicht  zusammen,  decken  sich  nicht. 
Wer  seine  Augenmuskeln  so  in  der  Gewalt  hat,  dafs  er  künstlich  schie- 
len kann,  der  ist  auf  diese  Weise  auch  imstande,  ein  doppeltes  Sehbild 
hervorzurufen.  Unnatürliche  gequälte  Einstellung  der  Muskeln  scheint 
die  Vorbedingung  für  die  Erzeugung  einer  zwiefachen  Vorstellung 
zu  sein. 

20)  Geschichte  der  griechischen  Farbenlehre.  Das  Farbenunter- 
scheidungsvermögen. Die  Farbenbezeichnungen  der  griechischen  Epi- 
ker von  Homer  bis  Quintus  Smj'rnaeus.  Von  Edm.  Veckenstedt. 
Paderborn-Münster-Osnabrück  1888.     XV.     204  S. 

Die  drei  Unterabteilungen,  in  welche  die  Schrift  schon  dem  Titel- 
blatte nach  zerfällt,  sind  auch  inhaltlich  ziemlich  von  einander  unter- 
schieden, und  vor  allem  ist  auch  der  wissenschaftliche  Wert  derselben 
kein  ganz  gleicher.  Für  die  entschieden  wertvollste  Partie  hält  Refe- 
rent die  übersichtliche  Darstellung  der  Farbennomenklatur  bei  den  helle- 
nischen Dichtern.  Wir  sagen  »Dichtern«,  denn  obwohl  der  Verf.  eigent- 
lich nur  die  Epiker  berücksichtigt  und  in  einem  besonderen  Kapitel  die 
Verzichtleistung  auf  Lyriker  und  Dramatiker  motiviert  hat,  so  haben 
doch  eben  die  ersteren  so  ungleich  viel  mehr  Veranlassung  dazu,  Far- 
ben zu  schildern  und  zu  vergleichen,  dafs  jener  Verzicht  kaum  einer 
eigentlichen  Einschränkung  der  Untersuchung  gleichkommt.  Diese  auf 
gründlicher  Litteraturkenntnis  beruhende  Zusammenstellung  kann  folg- 
lich als  ein  wirkliches  Verdienst  bezeichnet  werden. 

Was  die  Geschichte  der  griechisch-römischen  Farbenlehre  anlangt, 
so  ist  auch  hier  der  Verf.  bemüht  gewesen,  Vollständigkeit  mit  richtigem 
Urteile  zu  verbinden;  das  ihm  letzteres  nicht  stets  zur  Seite  steht,  be- 
weist u.  a.  der  kurze,  aber  von  merkwürdigen  Behauptungen  strotzende 
Exkurs  auf  Seneca;  was  über  diesen  gesagt  ist,  mufs  jeden  befremden, 
der  in  Seneca  den  vielleicht  exaktest  denkenden  Naturphilosophen  des 
Altertums  verehrt.  Am  wenigsten  aber  ist  der  zweite  Teil  als  gelungen 
zu  erachten,  worin  der  Verf.  gegen  die  Ansicht  derer  zu  Felde  zieht, 
welche  eine  allmählige  Entwickelung  des  menschlichen  Farbensinnes  für 
möglich  halten.  Die  allerdings  extremen  Ansichten  von  L.  Geiger  und 
Gladstone  haben  denn  doch,  nachdem  auch  Magnus  seinen  Staudpunkt 
in  durchaus  einleuchtender  und  loyaler  Weise  im  Sinne  fortschreitender 
Forschung  modifizirt  hat,  heute  kaum  mehr  einen  Anhängerkreis;  wozu 


Anthropologie.  247 

also  denn  noch  mit  solcher  Vehemenz  oftene  Thüren  einstofsen?  Die 
Thatsache  ,  dafs  viele  Naturvölker  für  langwellige  Farben  empfänglicher 
sind,  als  für  kurzwellige,  wird  nun  einmal  nicht  mehr  aus  der  Welt  ge- 
schafft, auch  nicht  durch  die  zänkische  Manier  des  Verf.,  welcher  sich 
gegen  die  »Augendarwinisten«  in  einen  gelinden  Fanatismus  hineingear- 
beitet hat.  Für  die  Aufgabe,  auch  beim  wissenschaftlichen  Gegner  die 
für  dessen  Anschauung  mafsgebenden  Gründe  möglichst  herauszufinden, 
demselben  so  gerecht  zu  werden  und  sich  vor  der  gefährlichen  Über- 
schätzung des  eigenen  Wissens  und  Könnens  zu  schützen,  scheint  dem 
Verf.  der  Sinn  zu  fehlen ;  man  lese  nur,  was  da  und  dort  über  Männer, 
wie  Gladstone,  Virchow,  Magnus  gesagt  ist,  und  vergleiche  damit  die 
Bemerkungen  auf  Seite  VIII,  aus  denen  hervorgehen  dürfte,  dafs  dem 
Verf.  nachher  selbst  Bedenken  über  die  Art  und  Weise  seiner  Polemik 
aufgestiegen  sind  (vgl.  auch  unsere  Rezension  in  Jahrgang  1889  der 
»Philolog.  Wochenschrift«). 

Der  Philologe  wird  aus  dem  Veckenstedtschen  Buche  für  das,  was 
die  Alten  thatsächlich  unter  Farben  verstanden,  und  wie  sie  deren  ein- 
zelne Abstufungen  sprachlich  trennten,  sehr  vieles  zu  lernen  vermögen. 
Die  Frage  des  »Augendarwinismus«  freilich,  um  dieses  unschöne  Wort 
zu  adoptieren  ,  wird  nicht  erheblich  gefördert ;  nach  dieser,  d.  h.  nach 
der  psychologischen  Seite  hin  steht  das  im  vorigen  Berichte  näherer 
Prüfung  unterzogene  Werkchen  von  Hochegger  zweifellos  höber,  obwohl 
wir,  wie  erinnerlich,  auch  mit  dessen  durchweg  ablehnenden  Ergebnissen 
uns  nicht  so  ganz  einverstanden  erklären  konnten. 

Von  der  Stellung  des  hervorragendsten  griechischen  Naturforschers 
speziell  zur  Anthropologie  handelt 

21)  Die  naturwissenschaftlichen  Schriften  des  Aristoteles  in  ihrem 
Verhältnis  zu  den  Büchern  der  Hippocratischen  Sammlung  von 
Poschenrieder,  Bamberg  1887  (Gymnasialprogramm). 

Aristoteles  nennt  den  Namen  des  Hippocrates  in  seinen  uns  er- 
haltenen Schriften  nur  ein  einziges  mal,  allein  er  raufs  dessen  Werke  doch 
genau  gekannt  haben,  und  mit  dem  Zitieren,  überhaupt  mit  dem  Aner- 
kennen fremden  Verdienstes,  war  es  ja  im  Alterthum  so  eine  eigene 
Sache.  Die  Angaben  des  Stagiriten  über  den  menschlichen  Vorderkopf 
und  insonderheit  über  die  Lage  des  Gehirnes  stammen  fast  wörtlich  mit 
den  in  der  Schrift  »Von  den  Kopfwunden«  des  kölschen  Arztes  enthaltenen 
überein.  In  der  allerdings  wohl  nicht  von  Aristoteles  selbst  geschriebe- 
nen, aber  doch  aus  seiner  Schule  stammenden  Schrift  »De  locis  in  ho- 
minect  ist  die  Beschreibung  der  das  Gehirn  einschliessenden  Häute  eine 
ganz  hippocratische,  und  auch  die  Anatomie  des  Auges  scheint  Aristo- 
teles ganz  nach  diesem  Vorbilde  bearbeitet  zu  haben;  das  innere  Auge 
schildert  das  zweite  Kapitel  des  Buches  »De  sensu  et  sensibili«  ganz 
ebenso,  wie  der  Verfasser  der  Schrift  »De  carnibus«.    Auch  die  Aristo- 


248  Anthropologie 

telischc  Behauptung,  Eunuchen  seien  niemals  Kahlköpfe,  kommt  schon 
in  den  »Aijhorismen«  vor  Nicht  minder  scheint  Aristoteles  die  »Epi- 
demien« ,  sowie  die  eigentlich  pathologischen  Monographieen  des  Koers 
gekannt  und  in  seiner  Weise  ausgenützt  zu  haben,  wie  der  Verf  an  der 
Hand  zahlreicher,  von  ihm  ermittelter  Text-Konkordanzen  nachweist. 
E.  Richter  (De  Aristotelis  problematis,  Bonn  1885)  hatte  seinerseits  be- 
reits betont,  dafs  die  »Probleme«,  deren  Ächtheit  man  ohne  genügenden 
Grund  hat  anzweifeln  wollen,  sich  mehrfach  auf  Hippocrates  stützen,  und 
dafs  darin  zum  öfteren  auf  das  Grundbuch  der  medicinischen  Geographie 
(De  aere,  aquis  et  locis)  bezug  genommen  sei. 

Anthropologisch-archäologischen  Inhaltes  sind  weiterhin  die  in  den 
nun  folgenden  vier  Nummern  zusammengefafsten  Arbeiten. 

22)  Eröffnungsrede  zur  XVIII,  allgemeinen  Versammlung  der  deut- 
schen anthropologischen  Gesellschaft  zu  Nürnberg,  gehalten  von  Ru- 
dolf Virchow  (K.  A.,  18.  Jahrgang.     73—84). 

Von  diesem  an  grofsen  Gesichtspunkten  und  wichtigen  Mitteilungen 
reichen  Vortrage  kommen  für  uns  hier  natürlich  nur  einzelne  Partien  in 
betracht.  Besonders  wichtig  sind  die  Erörterungen  über  das  geschicht- 
liclie  Auftreten  der  Metalle.  Während  man  früher  kritiklos  allenthalben 
Kupfergegenstände  sah,  ist  man  diesen  Angaben  gegenüber  mehr  und 
mehr  zurückhaltend  geworden;  und  durch  wirkliche  Untersuchung  ist 
jetzt  eigentlich  erst  für  zwei  europäische  Länder  die  ehemalige  Existenz 
einer  Kupferperiode  aufser  Zweifel  gesetzt:  für  Ungarn  und  für  die  ibe- 
rische Halbinsel  (s.  u.  No.  35).  Das  erste  Auftreten  des  Kupfers  fällt 
in  die  neolithische  Periode.  Schwieriger  noch  ist  das  plötzliche  unver- 
mittelte Auftreten  der  Bronze,  einer  Legierung  aus  Zinn  und  Kupfer, 
zu  deuten,  denn  die  Hoffnung,  Indien  als  das  Ursprungsland  des  hiezu 
verwendeten  Zinnes  nachweisen  zu  können,  hat  wieder  aufgegeben  wer- 
den müssen.  Virchow  hält  dafür,  dafs  doch  wohl  Spanien  bei  näherer 
Durchforschung  als  das  hauptsächlichste  Zinnland  der  alten  Zeit  werde 
erkannt  werden,  und  erklärt  sich  gegen  die  von  Berthelot  vertretene 
Meinung,  der  zufolge  aus  asiatischen  Zinngruben  (in  Afghanistan  oder 
Khorassan)  das  Metall  nach  dem  Westen  gekommen  sei.  Die  Rede 
schliefst  mit  dem  Hinweise  darauf,  dafs  die  assyrischen  und  trojanischen 
Ausgrabungen  wohl  am  ersten  uns  Aufschlüsse  über  die  Streitfrage  lie- 
fern können,  wann  und  unter  welchen  Umständen  der  Mensch  erstmalig 
vom  reinen  Kupfer  zu  Kupferlegierungen  übergegangen  ist. 

23)  Les  Pygmees  par  A.  de  Quatrefages.  Paris  1887.  VII. 
350  S. 

An  und  für  sich  fällt  innerhalb  der  diesem  Berichte  gezogenen 
Grenzen  nur  ein  kleiner  Bestandteil  des  auf  ein  weit  umfassenderes  Ziel 
gerichteten  Buches,  denn  dasselbe  will  überhaupt  eine  Ethnographie  der 


Anthropologie.  249 

Zwergstcämme  liefern,  und  da  den  Alten  von  diesen  nicht  eben  viel  be- 
kannt war,  so  können  die  geschichtlichen  Darlegungen  der  Natur  der 
Sache  nach  keinen  sehr  grofeen  Raum  einnehmen.  Immerhin  sind  die- 
selben recht  interessant.  Schon  bei  Homer  sind  die  Pygmäen  erwähnt, 
nach  deren  Lande  die  Kraniche  ihren  Flug  nehmen,  und  ganz  im  Geiste 
dieser  damals  nur  ganz  sagenhaften  Erzählung  läfst  Aristoteles  diese 
Pygmäen  nahe  den  Nilquellen  als  Troglodyten  hausen.  Quatrefages  meint, 
diese  letztere  Behauptung  sei  doch  vielleicht  bereits  aus  einer  gewissen 
Kenntnis  der  wirklichen  Sachlage  hervorgegangen,  und  wenn  am  gleichen 
Orte  auch  die  Pferde  der  afrikanischen  Zwerge  für  winzig  klein  erklärt 
würden,  so  stimme  das  ganz  gut  zu  den  Wahrnehmungen  Bakers,  der  bei 
den  Baris,  unweit  von  Gondokoro,  Reittiere  »von  liliputanischen  Dimen- 
sionen« gefunden  haben  will.  Plinius  weifs  aufser  den  in  den  Nilsümpfen 
wohnenden  Pygmäen  auch  von  anderen  Zwergvölkern  in  den  verschie- 
densten Teilen  der  Erde,  und  Ctesias  verlegt  die  kleinen  Menschen, 
denen  er  auch  eine  schwarze  Hautfarbe  zuschreibt,  in  den  äufsersten 
Osten  (Bandra  =  Loks  nach  Rousselet?).  Die  ursprünglich  rein  geo- 
graphischen Beziehungen  zwischen  Pygmäen  und  Kranichen  haben  bei 
den  späteren  antiken  Nachrichtensammeln  sich  bereits  zu  einem  ste- 
ten Kampfe  zwischen  Menschen  und  Vögeln  verdichtet;  ja  Pomponius 
Mela  weifs  bereits  zu  bericliten,  dafs  die  Zwerge  durch  diesen  Krieg 
allmählig  ganz  aufgerieben  worden  seien.  Ein  Körnchen  Wahrheit  mag 
auch  in  diesem  von  den  grofsen  Kindern  des  Altertums  gerne  geglaub- 
ten Märchen  enthalten  sein:  vor  einigen  Jahren  tötete  man  an  der  Ost- 
seeküste einen  Zugvogel,  in  dessen  Leibe  noch  der  abgebrochene  Rohr- 
pfeil eines  Negerschützen  steckte.  Dafs  dieser  Schütze  aber  ein  Pygmäe 
war,  ist  so  gut  wie  sicher,  wie  wir  gleich  hören  werden. 

Die  weitaus  zuverlässigste  antike  Meldung  über  das  Dasein  von  Ne- 
gervölkern sehr  niedrigen  Wuchses  ist,  wie  wir  von  Quatrefages  (S.  18  ff.) 
erfahren,  bei  Herodot  zu  finden.  Er  erzählt,  dafs  einige  Nordlybier 
nach  Durchschreitung  der  Wüste  zu  solchen  schwarzen  Leuten  gekom- 
men seien.  Sehr  möglich,  dafs  dies  die  Akkas  waren,  ein  überaus  klein 
gewachsenes  nomadisierendes  Negervolk,  welches  das  Quellgebiet  des 
weifsen  Nil  durchstreift  und  uns  erst  durch  Junker  und  Emin  Pascha 
näher  bekannt  geworden  ist,  obwohl  der  Name  des  Volkes  bereits  auf 
altägyptischen  Monumentalbauten  vermerkt  sein  soll.  Bezeichnend  für  die 
Akkas  ist  der  Umstand,  dafs  sie  —  im  Gegensatze  zu  allen  umwohnenden, 
Speer  und  Schild  führenden  Völkerschaften  -  als  Trutzwaffe  ausschliefs- 
lich  Bogen  und  Pfeil  gebrauchen. 

24)  Etudes  sur  les  temps  antehistoriques  par  E.  Carette.  Deuxieme 
etude.     Les  migrations.     Paris  1888.     H.  346  S. 

Die  etwas  phantastisch  geschriebene  Schrift  will  über  die  grofsen 
Völkerbewegungen  der  grauen  Vorzeit  Klarheit  verbreiten.     Für  diesen 


250  Anthropologie, 

Bericht  ist  dem  Biiclie  wenig  zu  entnehmen;  das  wichtigste  wäre  jeden- 
falls der  Nachweis,  dafs  die  Ägypter  bereits  Amerika  gekannt  und  zur 
Zeit  der  achtzehnten  Dynastie  den  Isthmus  von  Darien  überschritten 
hätten.  Leider  wird  die  Beweisführung  dafür  ebensowenig  als  über- 
zeugend anerkannt  werden  können,  wie  für  die  anderweiten  Hypothesen, 
die  über  Daedalus,  Talus  und  andere  mythische  Personen  aufgestellt 
werden,  durchweg  mit  dem  Bestreben,  die  Mythen  des  Altertums  geo- 
graphisch zur  interpretieren. 

25)  Moeurs  et  monuments  des  peuples  prehistoriques  par  le  Mar- 
chis  de  Nadaillac.     Paris  1888.     II.     312  S. 

Der  Autor  ist  als  prähistorischer  Forscher  bekannt  genug,  um  die- 
sem seinem  neuen,  reich  ausgestatteten  und  113  gut  ausgeführte  Figuren 
enthaltenden  Werke  von  vornherein  die  allgemeine  Beachtung  gesichert 
erscheinen  zu  lassen.  Es  erörtert  in  gemeinverständlicher  Sprache  alle 
von  der  geschichtlichen  Anthropologie  der  Neuzeit  als  spruchreif  er- 
kannten Fragen:  Die  Wohnplätze  des  Urmenschen,  die  Stoffe,  aus  denen 
sich  derselbe  Waffen  und  Geräte  verfertigte,  die  Anthropophagie,  Jagd, 
Fischfang  und  Seefahrt,  den  Hausrat  und  dessen  dekorative  Ausschmückung, 
Kjökkenmöddinger  und  Phalbauten,  Befestigungsplätze,  Monolithendenk- 
mäler (Dolmen)  und  Begräbnisstätten  und  verweilt,  nachdem  zuvor  noch 
der  chirurgische  Eingriff  der  Trepanation  als  ein  vorgeschichtlicher  nach- 
gewiesen ist,  bei  den  grofsen  Ausgrabungen  im  alten  Troas  Wer  sich 
über  den  Reichtum  der  von  Schliemann  zu  tage  geförderten  Schätze  rasch 
und  sicher  informieren  will,  findet  in  Nadaillacs  Buche,  was  er  sucht. 
Die  Altertumskunde  als  solche  wird  ferner  noch  besonders  berührt  durch 
die  Mitteilungen  über  die  Funde  auf  der  Vulkaninsel  Santorin ;  Fouque, 
Lenormant  und  andere  französische  Gelehrte  hatten  von  den  Spuren, 
welche  von  der  Urbevölkerung  dieser  östlichsten  der  Cycladen  unter 
dem  Schutze  einer  bis  zu  30  m  dicken  Bimsteindecke  sich  erhalten  hat- 
ten, anziehende  Mitteilungen  gemacht,  und  die  dort  gemeldeten  That- 
sachen  sind  hier  zu  einem  Gesamtbilde  vereinigt.  Wer  die  Leute  waren, 
die  vor  dem  vernichtenden  Ausbruche,  den  man  ohne  zureichende  Be- 
rechtigung auf  das  Jahr  2000  v.  Chr.  zu  fixieren  versucht  hat  (vgl.  Neu- 
mann-Partsch ,  Physik.  Geogr.  v.  Griechenland,  Breslau  1885.  S.  278), 
auf  dem  für  den  Seeverkehr  günstig  gelegenen  Eilande  Ackerbau,  Vieh- 
zucht und  Handel  trieben,  das  wird  wohl  für  immer  unaufgeklärt  bleiben. 

Wie  wir  eingangs  bestimmten,  soll  jetzt  die  Naturgeschichte  im 
engeren  Sinne  an  die  Reihe  kommen.  Die  Zoologie  führe  den  Reigen, 
und  zwar  wollen  wir  diejenige  Beschäftigung  an  die  Spitze  stellen,  welche 
für  die  Erforschung  der  Tierwelt  ganz  sicherlich  den  mächtigsten  Anreiz 
dargeboten  hat:  die  Jagd. 


Zoologie.  251 

26)  Über  die  Jagd  bei  den  Griechen  von  Manns.     Kassel  1888 
und  1889  (Zwei  Gymnasialprograrame). 

Es  wird  dargethan,  dafs  das  Jagdwesen  in  der  Mythologie,  im 
Kultus  und  in  der  bildenden  Kunst  des  Hellenentums  eine  nicht  unbe- 
deutende Rolle  spielte,  dafs  man  ihm  in  den  homerischen  Liedern  gerne 
die  Vergleiche  zu  Ruhm  und  Preis  berülimter  Männer  entnahm,  und 
dafs  die  Verfolgung  der  Tiere  zumal  in  der  älteren  Zeit  als  ritterliche 
Übung  hochgeschätzt  ward.  Das  Jagdrecht  war  ein  sehr  wenig  ausge- 
bildetes, denn  im  allgemeinen  durfte  jeder  jagen,  wann  und  wo  er  wollte, 
und  nur  gewisse  Gegenden  waren  geschützt,  so  das  unmittelbare  Gebiet 
von  Athen  und  —  aus  Gründen  religiöser  Pietät  —  die  Insel  Delos. 
Der  Verf.  giebt  sodann  eine  Schilderung  des  vor  zweitausend  und  mehr 
Jahren  in  Griechenland  heimisch  gewesenen  Wildes,  wobei  ihm  vorwie- 
gend Aristoteles  zum  Führer  dient,  und  geht  dann  zur  Charakteristik 
der  Jagdhunde  über,  die  den  wissenschaftliche  wertvollsten  Teil  der  Dar- 
stellung bildet.  Auf  gute  Jagdhunde  wurde,  wie  aus  den  sachverstän- 
digen Überlieferungen  eines  Xenophon  und  Arrian  sich  ergiebt,  sehr  viel 
gehalten;  der  letztgenannte  führt  sogar  gebräuchliclie  Rufnamen  dieser 
Tiere  an,  und  beide  Schriftsteller  suchen  für  die  Hunderassen,  die  sich 
für  gedachten  Zweck  am  besten  eignen,  die  richtigen  äufseren  Kenn- 
zeichen ausfindig  zu  machen,  wobei  sie  sehr  ins  Detail  gehen.  Lako- 
nische, kretische,  indische,  molossische  Jagdhunde  werden  uns  besonders 
bezeichnet.  Der  Verf.  hat  sich  auch  dadurch  ein  Verdienst  erworben, 
dafs  er  uns  nach  Vasenzeichnungen  und  anderen  Bildern  von  erprobter 
Originalität  Typen  dieser  vom  antiken  wie  vom  modernen  Jäger  gleich 
unzertrennlichen  Geschöpfe  vorführt. 

Zoologischen  Inhaltes  sind  zwei  uns  vorliegende  Litteraturprodukte, 
das  eine  eine  Specialstudie  linguistisch-antiquarischer  Tendenz,  das  an- 
dere ein  Realwerk  grofsen  Stiles. 

27)  Zur  Geschichte  der  Hauskatze    von   Sittl   (Archiv  für  latei- 
nische Lexikographie  und  Grammatik,  5  Jahrgang.     133     134). 

Der  Verf.  hat,  um  den  Zeitpunkt  der  Einwanderung  der  im  Nil- 
lande seit  unvordenklichen  Zeiten  heilig  gehaltenen  zahmen  Katze  nach 
Europa  schärfer  zu  bestimmen,  neues  Material  herangezogen.  Nicht 
Palladius  ist  es,  der  zuerst  dieses  Tieres  erwähnt,  denn  wenn  derselbe 
von  den  zur  Jagd  auf  Maulwürfe  abzurichtenden  »catti«  spricht,  so  meint 
er  damit  nicht  unsere  Katze,  sondern  das  Frettchen.  Erst  ein  Diakon 
Johannes  gedenkt  um  600  n.  Chr.  mit  Sicherheit  einer  Katze,  welche 
Papst  Gregor  der  Grofse  sehr  lieb  gehabt  habe.  Später  erschienen  im 
mittelalterlichen  Latein  statt  »cattus«  oder  »catta«  die  in  dieser  Form 
jeden  Zweifel  an  der  Identität  ausschliefseuden  Bezeichnungen  »musiusa 
und  »murilegus«. 


252  Zoologie. 

28)  Tiere   des  klassischen   Altertums  in  kulturgeschichtlicher  Be- 
ziehung von  Otto  Keller.     Innsbruck  1887.     IX.     488  S. 

Eine  nur  einigermafsen  dem  Autor  und  dem,  was  er  bietet,  ge- 
recht werdende  Analyse  ist  nur  in  einem  Berichte  möglich,  der  hinsicht- 
lich dos  Raumes  mit  keinen  Beschränkungen  zu  rechnen  liat.  Nicht  von 
sämtlichen  Tieren,  die  etwa  in  einer  antiken  Tierbeschreibung  Platz 
gefunden  hätten,  will  der  Verf.  allerdings  sprechen,  sondern  er  betrach- 
tet seine  Gabe  nur  als  eine  Abschlagszahlung,  als  einen  Vorläufer,  dem 
noch  mehrere  Fortsetzungen  nachfolgen  werden.  Trotzdem  behandelt 
er  diesmal  schon  »etwa  ein  Drittel  der  kulturgeschichtlich  wichtigen 
Tiere  des  klassischen  Altertums«,  und  zwar  eben  diejenigen,  welche  bei 
der  Lesung  alter  Schriftsteller  am  häufigsten  begegnen.  Die  einzelnen 
Hauptabschnitte  haben  es  mit  folgenden  Tieren,  bezüglich  Tiergruppen 
zu  thun:  Affe,  Kamel,  Steinbock,  Gemse  und  Wildziege,  Büffel,  (Auer- 
ochs,  Grunzochse,  Zebu),  Dam- M  nnd  Edelhirsch,  Reh,  Bär,  Katzenraub- 
tiere (Tiger,  Panther,  Jagdleopard),  Hyänenhund,  Wolf,  Fuchs,  Schakal, 
Seehund,  Hippopotamus,  Delphin,  Adler,  Specht,  Gans  und  Nachtigal. 

Bei  jeder  Tierart  wird  festgestellt,  in  welcher  Weise  und  mit  wel- 
chen Namen  dieselbe  in  der  Litteratur  auftritt,  es  wird  aber  auch  der 
Darstellung  in  Bildwerken,  auf  Münzen  und  Vasen  gedacht,  und  es  hat 
sich  da  ein  oft  unerwartet  reicher  Belegstoif  zusammengefunden,  wie  bei- 
spielsweise für  den  Hirsch,  der  auf  assyrischen  Hautreliefs,  auf  einem 
mycenischen  Siegelringe,  auf  dem  Mosaik  von  Utica  uud  anderswo  leicht 
kenntlich  abgebildet  ist.  Der  Nutzen,  den  die  ^Menschheit  von  je  aus 
getöteten  Tieren  für  Ernährung,  Gewerbe,  Herstellung  von  Arzneimitteln 
zu  ziehen  verstanden  hat,  wird  ebenfalls  an  Beispielen  illustriert;  die 
Beziehungen  des  Tieres  zur  Religion  und  Symbolik  finden  ihre  Stelle, 
und  dann  findet  sich  auch  Gelegenheit,  die  mancherlei  abergläubischen 
oder  doch  sonderbaren  Ideen  zu  streifen,  welche  das  Volk  über  diese 
und  jene  Species  hegte.  Von  den  vielen  hierher  gehörigen  Darlegun- 
gen möchten  wir  besonders  die  über  den  Werwolf  hervorheben,  an  dessen 
gespenstiges  Dasein  noch  heute  weite  Kreise  ebenso  fest  glauben,  wie 
die  Römer  der  Kaiserzeit  an  ihre  »versipelles«.  Beim  Nilpferd  wird 
daran  erinnert,  dafs  dieses  Tier  —  ebenso  wie  der  Kranich,  s.  o.  den 
Bericht  über  Quatrefages  -  als  im  Kriegszustande  mit  den  Pygmäen 
befindlich  galt,  worauf  ein  an  der  vatikanischen  Nilstatue  befindliches 
Fries  hinweist.  Archäologisch  sehr  merkwürdig  sind  die  Aufschlüsse 
über  die  gradezu  abenteuerliche  Manigfaltigkeit ,  in  welcher  die  alte 
Kunst  die  Gestalt  des  Delphines  ornamental  verwertete,  wie   denn  über- 


1)  In  seiner  sonst  wesentlich  blos  referierenden  Anzeige  des  Kellerschen 
Werkes  (Wochenschr.  f.  klass.  Philol.,  5.  Band.  Sp.  228  ff.  Sp.  258  ff.)  erinnert 
Hergl  gegen  den  Verf.,  dafs  Plinus  mit  damma  nur  eine  Unterart  der  caprae 
bezeichnen  wollte. 


Pflanzenkunde.  253 

haupt  dieses  Fisclisäugetier  die  Phantasie  der  Griechen  mächtig  ange- 
regt zu  haben  scheint.  Wenn  wir  im  Vorstehenden  aus  der  Fülle  der 
Mitteilungen  einzelnes  herausgehoben  haben,  so  sollten  damit  nicht  etwa 
hervorragend  wichtige  Punkte  getroffen  werden,  vielmehr  kam  es  uns 
wesentlich  nur  darauf  an,  Stichproben  zu  geben,  welche  von  der  Fülle 
des  Inhaltes  eine  ungefähre  Vorstellung  zu  vermitteln  geeignet  wären, 
"Wir  geben  uns  der  Hoffnung  hin,  dafs  der  Verf.,  wie  beabsichtigt,  seine 
Studien  bald  weiter  fortführen  und  so  eine  feste  Grundlage  für  eine 
systematische  Bearbeitung  der  antiken  Tierkunde  legen  werde. 

Die  Botanik  nimmt  an  unserem  Berichte  teil  mit  einer  auf  das 
alte  Ägypten  bezüglichen  Veröffentlichung  und  mit  drei  Schriften,  die 
sich  mit  dem  klassischen  Altertum  beschäftigen.  Letztere  rühren  von 
einem  und  demselben  Verfasser  her. 

29)  Über  die  in  altägyptischen  Texten  erwähnten  Bäume  und  deren 
Verwertung  von  Charles  E.  Moldenke.  Leipzig  1887  (Inaugural- 
dissertation). 

Diese  Arbeit  wendet  sich,  schon  durch  die  überall  eingestreuten 
hieroglyphischen  Texte  wird  dies  angezeigt,  in  erster  Linie  an  die  Ägyp- 
tologen  von  Fach  und  kann  darum  selbstredend  an  diesem  Orte  keiner 
meritorischen  Würdigung  teilhaftig  werden.  Als  die  drei  zu  allen  Zei- 
ten im  Nilthale  gepflegten  Bäume  wei'den  Palme,  Sykomore  und  Akazie 
bezeichnet,  und  diesen  wird  deshalb  eine  eingehende  Behandlung  zu  teil. 
Benrä,  so  war  der  altägyptische  Name  für  die  Dattelpalme,  bedeutet 
wörtlich  »der  süfse  Frucht  tragende«  (seil.  Baum).  Dies  ist  also  eine 
spezifisch  ägyptische  Benennung,  wogegen  bei  den  aus  dem  Auslande 
eingeführten  Nutzbäumen  stets  auch  deren  fremder  Name  in  den  ein- 
heimischen Wortschatz  mit  herüber  genommen  ward;  Datteln  scheinen 
demgemäfs  schon  in  der  allerältesten  Zeit  am  Nil  gegessen  worden  zu 
sein,  wie  auch  noch  heute  v.  Stephan  die  Dattelpalme  für  die  wichtigste 
aller  ägyptischen  Pflanzen  erklärt.  Doch  ist  dieselbe  unter  den  Pha- 
raonen gewifs  noch  kein  so  häufig  vorkommender  Baum  gewesen,  wie 
heutigen  Tages,  vielmehr  bildete  sie  mehr  den  Schmuck  der  Gärten, 
und  die  landschaftliche  Physiognomie  war  weit  mehr  durch  die  Syko- 
more bestimmt.  Vom  Dattelbaume  verstand  man  übrigens  nicht  nur  die 
Früchte,  sondern  so  ziemlich  jeden  Bestandteil  nutzbar  zu  machen;  er 
war  dem  Ägypter,  was  dem  Chinesen  der  Bambus  ist.  Ähnlich  der 
Dattelpalme  ist  die  nur  im  oberen  Nilthale  gedeihende  Dumpalme,  der 
die  Bezeichnung  mama,  »der  sich  in  zwei  Hälften  spaltende«,  beigelegt 
war;  eine  Spielart  derselben  hatte  und  hat  besonders  in  Nubien  ihren 
Sitz.  Die  Akanthus- Akazie  hiefs  sent,  »der  Dornbaum«;  ihr  Holz 
diente  hauptsächlich  zur  Verfertigung  der  Fahrzeuge  zur  Binnenschiff- 
fahrt.    Auch   der   Name   der  Sykomore  war  ein  gut  gewählter:   neha.  t, 


254  Pflanzenkunde. 

»die  Schutz  gewährende« ;  war  sie  doch  für  Tausende,  den  Bildern  nach 
zu  schliefsen  in  weit  höherem  Grade  als  jetzt,  die  Schatteuspcnderin. 

Die  (ihrigen  Bäume,  mit  denen  sich  unsere  Vorlage  beschäftigt, 
können  eine  gleich  hohe  Bedeutung  nicht  beanspruchen,  wie  die  bisher 
besprochenen.  Bemerkenswert  erscheint,  dafs  die  Feige  schon  unter 
den  ersten  Dynastien  uns  in  den  Texten  begegnet,  während  doch  Graf 
Solms-Laubach  als  deren  Heimat  das  südliche  Arabien  bestimmt  hat: 
ein  neuer  Beleg  für  die  auch  anderweit  (s.  unseren  vorigen  Bericht)  er- 
wiesenen engen  Beziehungen  zwischen  Ägypten  und  »Fun«.  Den  bisher 
unerkannt  gebliebenen  Baum  änhraen  indentifiziert  der  Verf.  mit  dem 
Granatapfelbaum.  Für  den  Olivenbaum  scheinen  drei  verschiedene  Be- 
zeichnungen im  Gebrauche  gewesen  zu  sein.  Immerhin  bleiben  in  der 
altägyptischen  Dendrologie  noch  Unklarheiten  mancherlei  Art  übrig,  denen 
zunächst  nur  auf  dem  Wege  der  Hypothese  beizukommen  ist ;  auf  dem 
vom  Verf.  eingeschlageneu  Wege  werden  sich  gewifs  noch  weitere  Er- 
folge erzielen  lassen. 

30)  Beiträge  zur  Kenntnis  der  altklassischen  Botanik  von  J.  Murr. 
Innsbruck  1888  (Gymnasialprogramm). 

Der  erste  Teil  dieser  Abhandlung  hat  es  mit  der  Identitätsbestim- 
mung der  Blume  zu  thun,  welche  die  Griechen  bäxn&og  nannten.  Linne 
dachte  an  unsere  gegenwärtig  so  genannte  Garten-Hyazinthe,  doch  schon 
im  vorigen  Jahrhundert  erhob  sich  Opposition  gegen  diese  Annahme, 
und  da  V.  Hehn  erklärte,  jene  moderne  Hyazinthe  sei  erst  gegen  Ende 
des  Mittelalters  aus  dem  Osten  importiert  worden,  so  schien  Linne  end- 
giltig  widerlegt.  Dem  gegenüber  vertrat  Bissinger  (Erlanger  Programm 
1880)  den  richtigen  Standpunkt,  alle  auf  udxvf^og  bezüglichen  Stellen 
der  alten  Litteratur  unter  einander  zu  vergleichen  und  dabei  besonderes 
Gewicht  auf  den  Naturhistoriker  Dioscorides  zu  legen.  Thut  mau  dies 
und  hält  sich  an  die  von  diesem  aufgestellten  botanischen  Kennzeichen, 
so  gwinnt  die  ältere  Ansicht  wieder  an  Wahrscheinlichkeit;  der  Verf. 
zieht  auch  neuere  Florenwerke  zu  rate  und  kommt  zu  dem  Schlüsse, 
dafs  in  der  That  an  die  Garten-Hyazinthe  in  erster  Linie  zu  denken 
sei;  allerdings  scheinen  die  Angaben  über  die  Blütenfarbe  ein  Hinder- 
nis zu  bieten,  das  aber  bei  der  bekannten  Unsicherheit  und  Vieldeutig- 
keit der  antiken  Farbennomenklatur  als  kein  sehr  ernstes  betrachtet 
werden  kann,  und  auch  in  morphologischer  Hinsicht  sind  einige  Beden- 
ken vorhanden,  die  aber  nicht  ausreichen,  der  früheren  Auffassung  trotz 
Hehn  die  Geltung  zu  bestreiten.  Der  Rittersporn  wird  nicht  selten  mit 
udxv&og  durcheindergebracht.  Im  zweiten  Teile  wird  der  Sinn  des 
Wortes  ^r^yo?  der  Erörterung  unterstellt,  das  von  verschiedenen  Schrift- 
stellern auch  verschieden  als  Speiseeiche,  Knopperneiche,  Rotbuche,  Kasta- 
nie gedeutet  worden  ist.  Letztere  gilt  allerdings  den  Botanikern  allge- 
mein   als    indigener  Baum,    während  wiederum  Hehn   aus    sprachlichen 


Pflanzenkunde.  255 

Gründen  die  Einführung  des  angeblich  aus  Kleinasien  stammenden  Kasta- 
nienbauraes  nach  Nordgriechenlaud  als  eine  erst  in  späterer  Zeit  geschehene 
gelten  lassen  will.  Hauptsächlich  auf  Theophrast  sich  stützend,  führt 
der  Verf.  aus,  dafs  (frß'oQ  nicht  der  Kastanie,  sondern  Linne's  Quercus 
Aesculus  entspreche.  Zum  Schlufse  wird  untersucht,  welche  Bezeich- 
nungen der  Grieche  für  Kastanie,  Wallnufsbaum,  Haselnufs  und  Mandeln 
hatte ;  was  nachmals  Cato,  Coluniella,  Plinius  die  »nux  Graeca«  nannten, 
war  nichts  anderes,  als  die  Frucht  des  Maudelbauraes ,  deren  feinste 
Sorte  als  »nux  Thasia«  bekannt  war. 

31)  Die  geographischen  und  mythologischen  Namen  der  altgriechi- 
schen Welt  in  ihrer  Verwertung  für  antike  Pflanzengeographie  von 
J.  Murr.     Innsbruck  1889  (Gymnasialprogramm). 

Angeregt  durch  die  Arbeiten  von  Hehn,  Fraas,  De  CandoUe,  sucht 
der  Verf.  alle  die  Örtlichkeiten  innerhalb  des  geographischen  Gesichts- 
kreises der  Griechen  auszumitteln,  welchen  ein  Pfianzenname  eignet, 
um  auf  diese  Art  auch  Anhaltspunkte  für  die  Verbreitung  der  einzelnen 
Kulturgewächse  zu  gewinnen.  Die  Zusammenstellung,  die  nur  auf  grund 
mühevollen  Studiums  erfolgen  konnte,  bezieht  sich  im  ganzen  auf  56  Pflan- 
zenarten: Ölbaum,  Feigenbaum,  Kastanienbaum,  Haseluufsstrauch,  Man- 
delbaum, Korneliuskirsche,  Erdbeerbaum,  Kirschbaum,  Pistazie,  Mastyx, 
Styrax,  Sumach,  Maulbeerbaum,  Sykomore,  Granate,  Apfelbaum,  Quitte, 
Birnbaum,  griech.  Hagedorn,  Zitronenbaum,  Dattelpalme,  Pinie,  Zypresse, 
Buxbaum,  Lorbeer,  Myrte,  Rose,  Weinrebe,  Weizen,  Gerste,  Einkorn, 
Spelt,  Hirse,  Saubohne,  Linse,  Erbse,  Bohne,  Mohn,  Gurke,  Kohl,  Kresse, 
Runkelrübe,  Spargel,  Fenchel,  Eppich,  Kümmel,  Sauerampfer,  Lein, 
Espartogras,  die  drei  Laucharten,  welche  die  Helleneu  als  r.pdaov^  ax6- 
pudüv  und  ßoXßuQ  unterschieden,  endlich  von  Blumen  Hyazinthe,  Lilie  und 
Safranpflanze.  Um  am  konkreten  Falle  Arbeitsmethode  und  Resultate 
des  Verf  zu  erläutern,  greifen  wir  den  Kohl  heraus,  xpdußr]  r^/iepog  bei 
Dioscorides,  pdipawq  bei  Theophrast,  genannt;  Anklänge  an  dieses  Ge- 
müse weist  Murr  vierfach  nach:  Kpdpßouaa  kommt  in  Kleinasien,  mut- 
mafslich  der  Heimat  der  Pflanze,  dreimal  vor,  nämlich  als  ein  pamphi- 
lisches  Vorgebirge,  als  eine  lycische  Stadt,  und  als  eine  cilicische  Küsten- 
insel, und  in  Syrien  gab  es  eine  Stadt  'Pa^avrxta.  Die  schöne  Mono- 
graphie des  wilden  und  domestizierten  Feigenbaumes,  die  Graf  Sohns 
(s.  0.)  geschrieben  hat,  ist  dem  Verf.  anscheinend  entgangen,  weshalb 
auch  das  (Seite  7)  hierüber  Gesagte,  wenigstens  soweit  das  Ursprungs- 
land in  betracht  kommt,  der  Richtigstellung  bedarf. 

32)  Die  Pflanzenwelt  in  der  griechischen  Mythologie  von  J.  Murr. 
Innsbruck  1890.     VIII.    324  S. 

In  mancher  Beziehung  ähnelt  dieses  umfafsende  Werk  der  soeben 
besprochenen  Studie,  indem  nämlich  die  Pflanzen   —  nur  ist  es  diesmal 


256  Pflauzeukunde. 

nicht  eine  beschränkte  Anzalil  von  Arten,  sondern  es  wird  möglichst 
nach  Vollständigkeit  gestrebt  —  diesmal  nicht  mit  geographischen  Namen, 
sondern  mit  Göttern  niid  Heroen  in  Verbindung  gebracht  werden.  Offen- 
bar hat  man  es  mit  der  Frucht  langjähriger,  planmäfsiger  DurchCor- 
schung  der  Litteratur  zu  thun,  denn  die  Fülle  der  auf  mythologische 
Botanik  zu  beziehenden  Stellen  ist  eine  überaus  grofse.  Das  Buch  wird 
dem  wirklichen  Gebrauche  erst  erschlofsen  durch  seine  drei,  soweit  wir 
sahen,  sehr  sorgsam  ausgeführten  Indizes,  ohne  welche  natürlich  eine 
Orientierung  kaum  möglich  wäre.  Der  erste  Index  enthält  die  mytholo- 
gischen Eigennamen,  und  bei  jedem  derselben  ist  zugleich  angegeben, 
welche  Bäume,  Gesträuche  u.  s.  w.  irgendwie  in  Verbindung  mit  diesen 
Namen  genannt  werden;  der  zweite  Index  giebt  an,  auf  welcher  Seite 
eine  bestimmte  Pflanze  erwähnt  wird,  so  jedoch,  dafs  nur  die  griechi- 
sche Bezeichnung  derselben  angeführt  ist,  und  im  dritten  Register  end- 
lich kann  man  die  modernen  (lateinischen)  Pflanzenbezeichnungen  nach- 
schlagen. 

Wiederum  möge  an  einem  willkürlich  gewählten  Beispiele  das 
Verfahren  des  Verf.  klargelegt  werden.  Wir  greifen  die  Meerzwiebel 
{(TxcUa)  heraus.  Wie  allen  Laucharten  wohnte  ihr  nach  hellenischem 
Volksglauben  die  Kraft  bei,  Übel  abwehren  zu  können,  und  so  sah  man 
dieselbe  häufig  als  Amulet  an  den  Thüren  der  Wohnhäuser  befestigt. 
Der  Zaubergöttin  Hecate  heilig,  wurde  dieses  Knollengewächs  auch  gerne 
auf  Grabhügeln  augepflanzt,  und  in  Arcadien  bewarf  man  in  den  Zeiten 
des  Mifswachses  das  Bild  des  Gottes  Pau  mit  Meerzwiebeln  —  ein  Ge- 
brauch, über  dessen  Entstehungsursache  ein  gewifses  Dunkel  waltet. 
Mit  solchen  Zwiebeln  entsündigte  Epimenides  die  Athener  vom  Frevel 
der  Alcmaeoniden,  und  der  Scillus,  den  die  Bewohner  der  Stadt  Alesium 
in  Elis  als  ihren  Lokalschutzheiligen  verehrten,  trug  ebenso  wie  eine 
andere  eleische  Stadt  {l'xt?iXubi)  ihren  Namen  von  dieser  Feldfrucht. 

Wenn  schon  bei  einer,  man  möchte  sagen,  so  hausbackenen  Pflanze 
so  viele  Beziehungen  sich  nachweisen  lassen,  so  kann  man  sich  leicht 
denken ,  wie  sich  letztere  häufen ,  wenn  es  sich  um  den  Weinstock,  den 
Mohn,  die  Lilie  u.  dgl.  handelt.  Gewifs  werden  sich  an  einzelnen 
Punkten  auch  noch  Nachträge  zu  dem  reichen,  vom  Verf.  zusammenge- 
brachten Stoffe  beibringen  lassen.  Bezüglich  des  Keuschbauraes  {?iuyu^) 
würde  man  dem  schon  zitierten  Werke  von  Neumann -Partsch  (,Phys. 
Geogr.  V.  Griechenland,  S.  396 ff')  noch  einiges  weitere  über  die  diesem 
Strauche  beigelegten  wunderthätigen  Eigenschaften  entnehmen  können, 
wie  denn  überhaupt  der  phytologische  Teil  dieses  schönen  Werkes  sich 
nahe  mit  Murrs  Untersuchungsgebiete  berührt.  —  Wenige  der  nicht 
ganz  seltenen  Druckfehler  sind  störend,  so  z.  B.  der  auf  Seite  212, 
Z.  7.  V.  u.  (Gaedechus  statt  Gaedechens). 

Land-  und  Forstwirthschaft  sind  durch  zwei  Spezialschriften  ver- 
treten: 


Land-  und  Forstwirtschaft.  257 

33)  De  Columellae  vita  et  scriptis  thesim  facultati  litterarum  Pa- 
risiensi  propouebat  V.  ßarberet.    Nancy  1887.     129  S. 

Diese  »These«  die  etwa  unserer  deutschen  Doktordissertation  gleich 
zu  achten  ist,  zerfällt  in  fünf  Kapitel,  deren  erstes  die  Biographie 
Columellas  behandelt.  Die  Quellen  darüber  sind  gut  benützt,  wichtige 
neue  Aufschlüsse  jedoch  nicht  gegeben.  Das  zweite  Kapitel  betrachtet  den 
Stil  des  römischen  Schriftstellers  und  fällt  damit  aufserhalb  des  Rahmens 
unserer  Aufgabe,  und  auch  das  dritte  hat  zu  der  hier  in  frage  kommen- 
den naturwissenschaftlichen  Seite  des  Ackerbaues  nur  eine  mehr  äufser- 
liche  Beziehung,  indem  nämlich  Columellas  Ansichten  über  das  Land- 
leben überhaupt  zum  Gegenstande  der  Besprechung  gemacht  werden, 
wobei  auf  die  philosophischen  und  religiösen  Überzeugungen  des  klar 
denkenden  Mannes  manche  ganz  interessante  Streiflichter  fallen.  An 
vierter  Stelle  schildert  der  Verf.  Columellas  Fachkenntnisse  und  an 
fünfter  die  Fortschritte,  welche  der  Landbau  in  Rom  seit  den  ältesten 
Zeiten  bis  zum  Auftreten  seines  Helden  gemacht  hat;  eine  dankenswerte 
geschichtliche  Entwicklung,  bei  der  insbesondere  auch  die  Agrargesetze 
und  die  Besiedlung  der  italischen  Länder  mit  römischen  Kolonisten 
erörtert  werden.  Eine  »Clausulaa  ist  der  Abwehr  der  Versuche  gewid- 
met, Columella  als  durch  spätere  Argronomen  der  römischen  Zeit  über- 
holt erscheinen  zu  lassen;  nur  in  einzelnen  Punkten  seien  Gargilius 
Martialis  und  Palladius,  stets  an  die  Arbeiten  ihres  Vorgängers  an- 
knüpfend, über  ihn  hinausgegangen;  im  ganzen  aber  stehe  derselbe  un- 
erreicht im  ganzen  Altertum  da. 

34)  Die    Waldwirthschaft    der    Römer   von   J.    T rubrig.     Wien 
1888.     70  S. 

Neben  dem  gar  zu  voluminösen  und  durch  seine  Stoffmasse  er- 
drückend wirkenden  Buche  von  Seidensticker  (vgl.  unseren  vorigen  Be- 
richt) verdient  diese  ungleich  kürzere,  aber  doch  alle  wichtigen  Punkte 
berücksichtigende  und  von  guter  Quellenkenntnis  getragenen  Arbeit, 
welche  ursprünglich  in  der  »Vierteljahrsschrift  für  Forstwesen«  er- 
schienen war,  im  Separatabdrucke  aber  manche  Vermehrung  erfahren 
hat,  alle  Beachtung  der  Fachmänner.  Nach  einigen  einleitenden  Bemer- 
kungen über  die  volkswirtschaftlichen  Verhältnisse  des  alten  Italien,  so- 
wie über  die  naturwissenschaftlichen  Kenntnisse  der  Römer  führt  der 
Verf.  die  Namen  und  Werke  derjenigen  antiken  und  modernen  Schrift- 
steller an,  bei  welchen  er  sich  für  seine  Studie  Rats  erholt  hat;  die 
Eutstehungszeit  der  »Geoponica«  wird  allerdings  nach  den  Untersuchun- 
gen von  Gemoll  (vgl.  unseren  vorigen  Bericht)  erheblich  später  anzu- 
setzen sein,  als  es  hier  geschieht.  Von  dem  Flächeninhalte  des  römi- 
schen Kaiserreiches  zu  Augustus'  Zeit  nimmt  der  Verf.  etwa  den  vierten 
Theil  (112  000  qkm)  als  mit  Wald  bedeckt  an,  wobei  natürlich  die  Ver- 
teilung der  bestockten  Flächen   eine   sehr  ungleiche  war.     Waldbetrieb 

Jahresbericht  für  Alterthumswissenschaft  LXIV.  Bd.     (1890  III-)  17 


258  Metallurgio. 

im  modern -forstwissenschaftlichon  Sinne  kannte  der  Römer  nur  in  so- 
weit, als  es  sich  um  »Ausschlagswald«  handelte ;  die  Weidenkultur  wurde 
ganz  rationell  betrieben.  Die  Ilarzausnutzung  fand,  sehr  zum  Nachteile 
der  Waldungen  freilich,  ebenfalls  im  Grofsen  statt.  Sehr  wichtig  war 
der  Wildgartenbetrieb,  den  Columella  sehr  einläfslich  schildert.  Mit 
der  Fortpflanzung  der  B.äume,  mit  der  Anlegung  von  Forsten  durch 
Saat  und  Pflanzung  und  mit  der  Hegung  von  Baumschulen  wufste  man 
gut  bescheid,  allein  es  handelte  sich  da  immer  nur  um  kleine  Bestände, 
und  an  die  künstliche  Anlage  eines  Hochwaldes  ist  niemals  gedacht 
worden.  Auch  Waldpflege  und  Waldschutz^  wollten  nicht  viel  bedeuten, 
doch  kannte  man  wenigstens  die  Schädlinge  des  Tierreiches,  unter 
denen  die  Ziegen  nicht  den  letzten  Rang  einnahmen,  und  wandte  gegen 
Baumkrankheiten  gewifse  Schutzmittel  an.  Die  Gewinnung  des  Nutz- 
holzes war,  wie  besonders  aus  den  Vorschriften  der  geoponischen  Samm- 
lung zu  ersehen,  schon  in  eine  Art  von  System  gebracht  worden;  zur 
Fortbringung  des  geschlagenen  Holzes  war  auf  einzelnen  Wasserläufen 
bereits  die  Flöfserei  eingeführt.  Auch  die  Jagd  der  Römerzeit  wird, 
zunächst  nach  Nemesianus,  geschildert,  welcher  Autor  u.  a.  die  soge- 
nannte Lappenjagd,  die  auf  der  Einschüchterung  der  Tiere  durch  auf- 
gehängte Tücher  beruht,  sehr  anschaulich  zu  schildern  versteht.  Was 
die  Verwertung  der  Waldprodukte  anbetrifft,  so  bespricht  der  Verf. 
dessen  Anwendung  zum  Feuermacheu,  zur  Fackelbereitung,  zu  den  ver- 
schiedensten technischen  Zwecken  (Schiffbau,  Wagner-  und  Drechsler- 
gewerbe); allgemeinen  Beifall  wird  es  finden,  dafs  mehrfach  auch  die 
Preise  namhaft  gemacht  werden,  welche  man  für  Brennholz  oder  für 
die  aus  dem  Holze  gewisser  Bäume  angefertigten  Gegenstände  zu  zahlen 
hatte.  Auch  Rinde,  ßaumbast  und  vor  allem  die  Harze  fanden  willige 
Abnehmer,  das  Laub  hatte  von  vornherein  seine  Bestimmung  als  Vieh- 
futter, und  die  Waldfrüchte  nicht  minder  wie  Fell  und  Fleisch  der  er- 
legten Jagdtiere  besafsen  für  den  römischen  Haushalt  eine  weit  höhere 
Bedeutung,  als  für  einen  solchen  der  Gegenwart.  Aus  dem  allen  geht 
hervor,  dafs  auch  der  Römer  aus  seinem  Walde  etwas  zu  machen  in 
der  Lage  war,  wenn  er  sich  auch  von  der  Wirksamkeit  eines  nach  den 
Anforderungen  des  XIX.  Jahrhunderts  herangebildeten  Oberförsters 
schwerlich  eine  Vorstellung  hätte  machen  können. 

Die  beschreibende  Naturwissenschaft  soll  die  Mineralogie  abschlie- 
fsen,  der  wir,  wie  erwähnt,  auch  metallurgische  Technik,  Geognosie  und 
Geschichte  des  Bergbaues  zurechnen.  Von  allen  diesen  Unterabteilungen 
ist  jede  mindestens  durch  eine  Nummer  vertreten. 

35)  Les  Premiers  ages  du  metal  dans  le  Sud-Est  de  l'Espagne  par 
Henri  et  Louis  Siret.     Brüssel  1888.     110  S. 

Der  Forschungen  der  Gebrüder  Siret  am  Rio  Tinto  und  in  einigen 
anderen  Landschaften  Spaniens  gedenkt   bereits  der  oben  besprochene 


Metallurgie.  259 

Vortrag  Virchöws  mit  Anerkennung.  Das  Territorium,  welches  die  meiste 
Ausbeute  ergab ,  streckt  sich  am  Ufer  des  Mittelmeeres  Y5  km  weit 
zwischen  Carthagena  und  Almeria  hin,  und  auf  demselben  sind  den  Aus- 
grabungen zufolge  drei  Zivilisationen  einander  in  oifenbar  langen  Zeit- 
räumen gefolgt.  Dem  neolithischen  Zeitalter  gehören  von  den  aufge- 
deckten Wohnsitzen  15,  dem  Übergangszeitalter  7,  der  eigentlichen  Me- 
tallperiode endlich  gehört  die  Mehrzahl  derselben  an.  Während  in  dem  er- 
sten Zeiträume  die  schon  übrigens  ziemlich  entwickelte  Technik  ausschliefs- 
lich  an  das  ziemlich  spröde  Material  des  Feuersteines  sich  halten  mufste, 
weist  die  zweite  Periode  Bronzekostbarkeiten  auf,  die  ersichtlich  von 
Händlern  eingefülirt  waren,  aber  daneben  tritt  doch  schon  auch  eine 
einheimische  Gewerbethätigkeit  auf,  indem  man  die  Werkzeuge  und 
Waffen,  die  man  bisher  nur  aus  Flint  gefertigt  hatte,  in  Kupfer  nach- 
zubilden bestrebt  war.  Die  Geräte  der  Metallzeit,  von  denen  uns  zahl- 
reiche Proben  im  Bilde  vorgeführt  werden,  ähneln  vielfach  denen,  die 
in  Hissarlik,  in  Mycene,  auf  der  Insel  Rhodos,  im  südlichen  Ungarn 
aufgefunden  worden  sind.  Das  Kupfer  wird  übrigens  viel  häufiger  an- 
getroffen, als  die  Bronze.  Die  ethnographischen  Schlüsse,  welche  in  der 
Abhandlung  aus  den  Überresten  verschwundener  Menschengeschlechter 
gezogen  werden,  zeichnen  sich  durch  Vorsicht  und  Kritik  aus  und  ver- 
dienen deshalb  von  der  vorgeschichtlichen  Forschung  wohl  beachtet  zu 
werden,  stehen  jedoch  zu  den  Zwecken  dieses  Berichtes  nicht  in  näherer 
Beziehung. 

36)   Sur  le  nom  de  bronce  chez  les   alchiraistes  grecs  par  Ber- 
thelot.    (Revue  archeologique,  2.  Serie,  12.  Band). 

Die  Worte  ^aXxug  und  aes  sind  nichts  weniger  als  eindeutig, 
fassen  vielmehr  alle  möglichen  reinen  Metalle  und  Legierungen  zusam- 
men. Was  das  Wort  laiton  anlangt,  so  teilt  Berthelot  die  Meinung  von 
Ducange,  dafs  dasselbe  von  electrum  herrühre,  einer  Mischung  von  Gold 
und  Silber,  welche  bei  den  Ägyptern  asem  hiefs.  Die  Bezeichnungen 
bronzium  und  bronzinum  begegnen  dem  Forscher  nicht  früher,  als  in 
einer  lateinischen  Chronik  des  beginnenden  XV.  Jahrhunderts.  Ob  das 
englische  brass  dieselbe  Etymologie  hat,  ist  nicht  aufgeklärt.  Der  Auf- 
satz giebt  dann  einen  Überberblick  über  die  etymologischen  Hypothesen, 
die  sich  ausnahmslos  als  ungenügend  erweisen,  und  stellt  weiterhin  eine 
neue  Vermutung  auf,!  die  nämlich,  dafs  entweder  an  ßpvxrj  oder  an  die 
Stadt  Brundusium  (Brindisi)  zu  denken  sei.  Für  beide  Möglichkeiten 
spricht  der  Umstand,  dafs  in  einem  Fragmente  des  XI.  Jahrhunderts, 
das  aus  einem  byzantinischen  alchymistischen  Handbuche  des  VIII. 
oder  IX.  Jahrhunderts  stammt,  für  eine  Metallegierung  der  Name  ßpov- 
rijacov  gebraucht  wird;  der  geographischen  Konjektur  im  besonderen 
stehen   zur  Seite  zwei  Plinianische  Stellen,  in  welchen  Brundusium  als 

17* 


260  Bergbau. 

Fabrikationsort  der  besten  Zinnspicgel  erwäbnt  wird.    Bronze  wäre  dem- 
genijifs  eine  Verstümmlung  von  Aes  Brundisinum. 

37)  Sur  quehjues  metaux  et  minöraux  provenant  de  l'antique  Clial- 
dee  par  Bcrthclot.     Rev.  arch.  (2.  Serie,  O.Band). 

Im  Louvro  befinden  sich  vier  ld(>ine  Gedächtnistäfelclicn  aus  dem 
Sargon-Pallasto,  die  aus  Zinn  und  Kupfer  zusammengesetzt  sind.  Die 
Proportion,  in  welcher  beide  Metalle  in  die  Legierung  eingegangen  sind, 
würde  derjenigen  der  Goldbronze  entsprechen,  allein  dies  ist  äufserlich 
nicht  mehr  zu  erkennen,  weil  der  Oxydationsprozefs  die  Farbe  zu  sehr 
beeinträchtigt  hat.  Ein  fünftes  Täfelchen  dagegen  besteht  aus  reinem, 
krystallisiertem  Magnesiumkarbonat,  also  aus  einem  sehr  seltenen  Me- 
talle, auf  welches  aller  Wahrscheinlich  die  früher  irrig  auf  Zinn  bezo- 
gene Metallbezeichnung  a-bar  hindeutet.  Ein  Vasenfragment  endlich, 
das  gleichfalls  in  den  Ruinen  jenes  Ballastes  ausgegraben  wurde,  bestand 
aus  fast  ganz  reinem  metallischem  Antimon.  Die  Ansicht,  dafs  das  An- 
timon erst  im  XV.  Jahrhundert  bekannt  geworden  sei,  mufs  hiernach  auf- 
gegeben werden;  das  Altertum  war  bereits  im  Besitze  dieses  Metalles, 
auf  welches  der  Verf.  nunmehr  auch  eine  Angabe  bei  Dioscorides  be- 
ziehen zu  können  glaubt. 

38)  Der  Bergbau  der  Etrusker,  dargestellt  nach  Erfahrungen,  direk- 
ten geschichtlichen  Nachrichten  und  mittelalterlichen  Folgerungen  von 
Th.  Haupt  (Berg-  und  hüttenmännische  Zeitung,  47.  Jahrgang.  41  ff. 
5lff.  6ltf.  95ff.    107ff.    123ff.    14lff.    161ff.   I79ff.    I89ff.    199ff). 

Der  Verf.  dieser  geologisch  archäologischen  Studie  ist  seit  langen 
Jahren  Direktor  des  toscanischen  Bergwesens  und  war  in  dieser  Stellung 
mehr  denn  andere  befähigt,  die  Spuren  uralter  bergmännischer  Arbeit 
in  den  früher  von  den  Etruskern  bewohnten  Gebirgsländern  zu  erfor- 
schen. In  der  tuskischen  Metalltechnik,  so  führt  er  aus,  spielten  sicher- 
lich Silber,  Gold,  Blei,  Galmei  und  Zinnstein  —  nicht  eigentliches  Zinn 
—  die  Hauptrolle;  manches  spricht  dafür,  dafs  man  auch  mit  dem 
Quecksilber  und  dessen  Beziehungen  zum  Zinnober  vertraut  war.  Kupfer- 
erz ,  wie  es  zur  Bronzebereitung  dient,  wurde  in  solcher  Menge  verar- 
beitet, dafs  man  gar  nicht  daran  denken  kann,  es  seien  diese  Vorräte 
einzig  und  allein  aus  dem  Auslande  bezogen  worden.  Deshalb  glaubte 
vor  hundert  Jahren  schon  Targioui  Tozzetti,  dafs  die  Etrusker  selbst 
Bergbau  betrieben  haben  müfsten.  Über  die  Zeit,  da  dies  geschah,  ist 
freilich  nichts  zu  ermitteln,  denn  es  giebt  auf  diesem  Gebiete  auch  keine 
zeitliche  Schranke  zwischen  Bronze-  und  Eisenzeit,  und  es  kommen  beide 
Metalle  untermengt  unter  den  aufgefundenen  Gebrauchsartikeln  vor.  Die 
wichtigste  Bezugsquelle  der  alten  Toscaner  für  Eisenerze  war  zwei- 
fellos die  Insel  Elba,  deren  in  diesem  Sinne  in  dem  Buche  »De  mira- 
bilibus  auscultationibus«  Erwähnung  geschieht,  und  von  der  Rutilius  singt: 


Geologie.  261 

»Occurrit  Chalybuiii  nieiiiorabilis  Ilva  metallis,  qua  uiliil  ubcrius  Norica 
gleba  tulit.«  Der  Verf.  bat  die  Erzlager  fachnicänuiscb  geprüft  und  gefun- 
den, dafs  sie  allerdings  nicht  annähernd  so  mächtig  und  reichhaltig  sind, 
wie  das  Altertum  glaubte,  dafs  aber  die  Qualität  wirklich  eine  treffliche 
ist.  Nahe  der  Überfahrtsstelle,  fand  in  Poi)ulonia  die  Ausschmelzung 
der  Erze  statt,  welche  von  hier  aus  in  gestalt  grofser  Klumpen,  Bade- 
schwämmen nicht  unähnlich,  in  den  Verkehr  gelangten.  Auch  in  den 
Maremmen  sollten  nach  Strabos  Aussage  Eiseugruben  gewesen  sein,  doch 
läfst  sich  eine  Erinnerung  an  solche  in  den  allerdings  sehr  guten  Braun- 
eisensteinlagern des  apenninischen  Jurakalkes  nicht  mehr  nachweisen. 
Sollte  nicht  Strabo  vielleicht  Raseneisenstein  (Bohnerz)  gemeint  haben, 
von  dem  in  den  Küstensümpfen  sich  wohl  ziemlich  viel  vorfinden  mochte? 
Unzweideutige  Spuren  uralter  Schürfungsarbeit  finden  sich  in  den 
Kupfergruben  von  Campiglia,  sowie  im  massetanischen  Erzreviere  und 
bei  Batignano;  auch  Reyer  hält  den  Betrieb  der  Grube  Monte  Catini 
für  sehr  alt.  Kupfer  kam  auch  aus  Elba,  vielleicht  auch,  wenn  Otfried 
Müller  im  Rechte  ist,  aus  Umbrien  und  aus  der  Umgegend  von  Volterra. 
Auch  etwas  Silber  und  Blei  konnte  das  Inland  hergeben,  melir  freilich 
die  Insel  Sardinien,  aber  den  nicht  unbeträchtlichen  Mehrbedarf  mufste 
doch  der  orientalische  Tauschhandel  decken.  Ganz  sicher  erkannte. der 
Verf.  auch  die  Kennzeichen  tuskischer  Erzförderung  in  den  Kupferminen 
von  Rocca  Tederighi,  in  denen  sogar  das  hydrostatische  Waschverfahren 
zur  Anwendung  gekommen  sein  mufs;  ebenso  ist  tuskischer  Bergbau 
sichergestellt  bei  Gerfalco,  wo  die  Schlackenhaldeu  den  Beweis  dafür 
liefern,  dafs  gleich  an  Ort  und  Stelle  die  Verhüttung  der  Erze  stattge- 
funden hat.  Die  ausgedehnten  Schlufsbetrachtungen  des  Verf.  stützen 
sich  nur  auf  geschichtliche  Kombination,  nicht  auf  die  jedenfalls  ungleich 
wertvolleren  eigenen  Wahrnehmungen  und  können  infolge  dessen  auch 
nur  bedingten  Wert  beanspruchen. 

39)  Le  Musee    de  l'Empereur   Auguste   par  Salomon  Rein  ach 
(Rev.  arch.,  3.  Serie,  4.  Band). 

Die  Nachricht  von  dem  paläontologischen  Museum  des  Kaisers  Au- 
gustus,  die  aus  Sueton  stammt,  zieht  sich  durch  die  Geschichtswerke  als 
eine  Art  von  Seeschlange  hindurch,  und  es  ist  deshalb  recht  gut,  dafs 
ihr  einmal  ernstlich  näher  getreten  wird.  Der  Kaiser  sollte  aus  den 
Höhlen  der  Insel  Capri  die  Überi-este  riesiger  Tiere  und  die  Steinwaffen 
einer  ebenfalls  riesigen  Menschengeneration  (Heroen)  haben  sammeln  und 
in  seinem  Palaste  zur  Schau  stellen  lafsen.  Zunächst  sagt  Sueton,  wie 
Reinach  richtig  bemerkt,  nicht,  dafs  jene  Insel  das  Material  zu  der 
Sammlung  geliefert  habe,  er  sagt  vielmehr  blos,  dafs  das  unterirdische 
Capri  ähnliche  Dinge  berge,  wie  man  sie  in  jeuer  Sammlung]  sehen 
könne.  Auch  war  der  Ort,  dessen  Sueton  gedenkt,  keineswegs  der  Kai- 
serpallast, sondern  ein  praetorium,  ein  Landhaus.    Der  Auslegung  Rei- 


262  Geologie. 

iiaclis  zufolge  beziehen  sich  die  Worte  (Teubnersche  Ausgabe  des  Histo. 
rikors  von  liotli ,  188G.  S.  71)  »gigaiituni  ossa  et  arma  heroum«  nicht 
auf  zwei  verschiedene  Bestandteile  des  Kabinettes ,  sondern  mit  beiden 
Bezeichnungen  sollen  die  nämlichen  Sachen  getroffen  werden,  Sachen, 
von  deren  Art  und  Herkunft  man  gar  nichts  wufste,  und  die  man  des- 
halb mit  Giganten  und  Heroen  ganz  passend  in  Verbindung  brachte. 
Die  Thatsache  bleibt  also  bestehen,  daPs  Augustus,  wahrscheinlich  in 
seiner  auf  Capri  belegenen  Villa,  einige  Raritäten  hatte  aufstellen  lassen, 
und  dafs  dabei  Knochen  sich  befanden,  welche  der  landläufige  Volks- 
glaube für  menschliche,  resp.  von  Halbgöttern  abstammende  ansah,  die 
aber  kundigere  Beurteiler,  darunter  Sueton  selbst,  als  Tierknochen  er- 
kannten. Soviel  scheint  also  zugegeben  werden  zu  müssen,  dafs  in  dem 
fraglichen  Museum  Überreste  tertiärer  und  diluvialer  Tiere  vorhanden 
waren,  aber  sonst  ist  weder  an  Versteinerungen  im  gewöhnlichen  Sinne 
noch  auch  —  mit  De  Rossi,  Nadaillac  u.  a.  —  au  Waffen  und  Geräte 
der  Steinzeit  zu  denken. 

40)  Das  Problem  des  Serapeums  von  Pozzuoli  von  D.  Brauns 
(Leopoldina,  amtliches  Organ  der  kaiserl.  leopold.-karolin.  deutschen 
Akademie  der  Naturforscher,  24.  Heft). 

Seitdem  im  Jahre  1580  ein  Neapolitaner  Loffredo  zuerst  auf  die 
merkwürdigen  Säulen  des  angeblichen  Serapistempels  im  alten  Puteoli 
aufmerksam  gemacht  hat,  wurden  dieselben  von  den  Geologen  nicht  mehr 
aus  dem  Auge  verloren.  Das  merkwürdige  an  den  Säulen  ist,  kurz  ge- 
sagt, dieses:  Sie  stehen  mit  ihrem  Fufse  im  Meere,  ragen  aber  mit 
ihren  weitaus  gröfseren  Teile  in  die  freie  Luft,  und  trotzdem  sind  sie 
bis  zu  ziemlicher  Höhe  über  und  über  bedeckt  mit  Löchern,  welche  eine 
Bohrmuschel  (Lithodanus  Lithophagus  L)  ausgehöhlt  hat.  Dafs  keine 
andere  Ursache  dies  bewirkt  hat,  ergiebt  sich  aus  dem  Umstände,  dafs 
in  einzelnen  Bohrlöchern  das  Tier  stecken  geblieben  ist  und  noch  heute 
steckt.  Wenn  man  nun  überlegt,  dafs  die  fragliche  Muschel  nur  im 
Meerwasser  leben  kann,  dafs  aber  andererseits  ein  Tempel  doch  gewifs 
nicht  in  das  Wasser  hineingebaut  w^orden  ist,  so  bleibt  unter  der  Vor- 
aussetzung, man  habe  es  wirklich  mit  einem  Tempel  zu  thun,  kaum  ein 
anderer  Schlufs  möglich,  als  der  folgende:  Nach  Erbauung  des  Gebäu- 
des trat  eine  beträchtliche  Ufersenkung  ein,  kraft  deren  der  untere  Teil 
jener  Säulen  unter  das  Meeresniveau  hinabtauchte,  und  in  späterer  Zeit 
hob  sich  das  Ufer  wieder,  so  dafs  die  Zerstörungsarbeit  der  Bohrmu- 
scheln nunmehr  aufserhalb  des  Wassers  sichtbar  wurde.  Mit  der  älte- 
ren Kataklysmentheorie  L.  v.  Buchs  vertrug  sich  diese  Erklärung  umso 
besser,  als  ja  das  ganze  Hinterland  von  Pozzuoli  durch  und  durch  vulka- 
nisch und  häufig  von  Erderschütterungen  heimgesucht  ist,  allein  die  später 
herrschend  gewordene  geologische  Schule  Lyells  wurde  durch  die  er- 
wähnte Thatsache   in  Verlegenheit  gesetzt,  denn  sie  erkennt  im  allge- 


Nautik.  263 

meinen  nur  langsame,  allmählig  sich  vollziehende  Verlegungen  der  Grenz- 
linie zwischen  dem  festen  und  flüssigen  Elemente  an,  und  solche  ver- 
mögen in  der  relativ  so  kurzen  Zeit,  um  welche  es  sich  im  vorliegenden 
Falle  handelt,  keine  so  bedeutenden  Verschiebungen  des  Niveaus  zu 
bewirken. 

Der  Verf.  bespricht,  worauf  wir  hier  nicht  eingehen  können,  die 
geologischen  Argumente,  welche  für  eine  wechselnde  positive  und  nega- 
tive Küstenschwankuug  angeführt  werden  können,  und  zeigt,  dafs  die- 
selben mit  schlimmen  inneren  Widersprüchen  behaftet  sind.  Er  selbst 
unternimmt  es  demzufolge,  diesen  gordischen  Knoten  nicht  etwa  zu  losem 
sondern  zu  durchhauen.  Das  sogenannte  Serapeum  ist  nämlich  seiner 
am  Orte  selbst  verifizierten  Überzeugung  zufolge  gar  kein  Tempel,  son- 
dern von  Anfang  an  ein  Profangebäude  gewesen,  und  zwar  eine  Piszine, 
»ein  Bassin  für  vorrätig  gehaltene  Seetiere«.  Das  System  der  Umfassungs- 
mauern, die  Öffnungen  für  ehemals  eingelegte  Röhren,  die  Anordnung 
der  beiden  Böden  scheinen  dem  Verf.  für  seine  Auffassung  zu  sprechen. 
Möglich,  das  man  die  Lithodanen,  welche  sich  an  den  Steinsäulen  ver- 
sündigten ,  absichtlich  kultiviert  hat,  denn  sie  gleichen  im  Geschmacke 
ganz  den  Miesmuscheln  und  werden  heute  noch  auf  der  Insel  Menorca 
künstlich  gezogen.  Wir  müssen  den  Kennern  der  römischen  Privatalter- 
tümer das  endgiltige  Urteil  darüber  überlassen,  ob  die  Braunssche  Hypo- 
these sich  in  jeder  Hinsicht  mit  den  Thatsachen  verträgt,  leugnen  aber 
nicht,  dafs  es  erwünscht  wäre,  das  seit  vielen  Jahren  umstrittene  gedy- 
namische Paradoxon  so  einfach  aus  der  Welt  geschafft  zu  sehen. 

Der  Naturgeschichte  haben  wir  oben  das  Seewesen  des  Altertums 
zunächst  auszugliedern  beschlofsen  und  wenden  uns  jetzt  also  diesem  zu. 

41)  Ovidius  Nauticus.  Amples  citations  avec  explications  sommai- 
res  des  passages  de  tous  les  poemes  d'Ovide  qui  ont  rapport  ä  la 
marine  par  A.  Guichon  de  Grandpont.     Brest  1887.     54  S. 

Eine  sehr  fleifsige  Zusammenstellung,  anscheinend  lückenlos  und 
für  denjenigen  wertvoll,  welcher  sich  mit  dem  Dichter  irgenwie  eingehen- 
der zu  beschäftigen  beabsichtigt.  Für  unsere  Kenntnis  der  antiken  Schiff- 
fahrt und  Navigationskunde  ist  jedoch  wenig  dieser  Sammlung  dichte- 
rischer Ergüsse  zu  entnehmen.  Ovid  hat,  wie  der  Verf.  in  seinem  Schlufs- 
worte  bemerkt,  lange  Zeit  an  den  Ufern  verschiedener  Meere  gelebt,  und 
aus  seinen  Gedichten  spricht  vieffach  das  lebhafte  Interesse,  welches  er 
für  Wind  und  Wellenschlag,  sowie  für  das  Treiben  der  Schiffleute  ge- 
wonnen hatte.  Sachliche  Aufschlüsse  will  er  weder  direkt  bieten,  noch 
sind  sie  indirekt,  wie  bei  manchem  anderen  Schriftsteller,  durch  Inter- 
pretation seiner  Worte  zu  erhalten. 

42)  Zur  Nautik  des  Altertums,  contra  Breusing,  von  E.  Assmann 
(Berl.  Philologische  Wochenschr.,  8.  Jahrgang.  Sp.  26—28,  Sp.  58—68). 

Gegen  die  von  uns  im  früheren  Berichte  anerkennend  besprochene 


264  Nautik. 

Breusiiigschc  Darstellung  des  Schiffes  der  Griechen  wird  von  Assmann 
ein  lieftiger  Angriff  gcriclitct,  ein  Angriff,  dessen  Ileftiglccit  wir  selbst 
dann  nicht  billigen  würden,  wenn  die  Darlegungen  des  Verf.  uns  von 
der  Unrichtigkeit  unser  damals  ausgesprochenen  Ansicht  überzeugt  hätten. 
Allein  dies  ist  nicht  der  Fall,  vielmehr  hält  der  Berichterstatter  für  sei- 
nen Teil  nach  wie  vor  daran  fest,  dafs  Breusing  durch  seine  Publikation 
der  "Wissenschaft  einen  grofseu  Dienst  geleistet  hat.  Die  Beanstandung 
richtet  sich  zunächst  dagegen,  dafs  an  gedachtem  Orte  die  Bewegung 
eines  Ruders  mit  derjenigen  eines  Pendels  verglichen  ward ;  der  Kriti- 
ker meint,  da  das  einemal  die  Schwere,  das  anderemal  menschliche  Mus- 
kelanstrengung die  bewegende  Kraft  darstelle,  so  sei  ein  solcher  Ver- 
gleich unzulässig.  So  ganz  doch  nicht,  die  Beziehungen  zwischen  Pen- 
delläuge  und  Schwingungsdauer  werden  durch  die  erwähnte  Verschie- 
denheit durchaus  nicht  in  dem  Mafse  beeinflufst,  dafs  daraus  die  Feh- 
lerhaftigkeit der  Breusingschen  Behauptung,  eine  obere  Ruderbank  ver- 
möge niemals  mit  einer  unteren  Takt  zu  halten,  entflöfse.  Wer  einem 
Breusing,  diesem  verdienstvollen  Mathematiker  und  Historiker,  nachsagt, 
er  habe  »Elementarschnitzer«  gegen  Physik  und  Marinegeschichte  be- 
gangen, darf  sich  wohl  nicht  wundern,  wenn  die  von  dem  Angegriffenen 
ausgehende  Antikritik  so  ausfällt,  wie  sie  (s.  u.)  ausgefallen  ist.  Die 
Thatsache,  dafs  die  verschiedenen  Ruderreihen,  aufser  vielleicht  bei 
Parade-Schaustellungen,  niemals  oder  ganz  gewifs  nicht  dann  gleichzeitig 
in  Verwendung  kommen,  wenn  das  Fahrzeug  eine  namhafte  Geschwin- 
digkeit erhalten  sollte,  scheint  dem  Referenten  sicher  gestellt.  Weiter 
wird  Breusing  zum  Vorwürfe  gemacht,  dafs  er  die  Bildwerke  viel  zu 
wenig  berücksichtigt,  dafür  aber  zu  viel  Zeit  auf  unwichtige  Fragen  ver- 
wendet habe.  Letzteres  zu  entscheiden  ist  schwer,  denn  das  subjektive 
Empfinden  mischt  sich  da  viel  zu  leicht  ein;  bezüglich  der  Kunstdenk- 
mäler aber  verdient  die  Ansicht  volle  Würdigung,  dafs  solche  nicht  sel- 
ten von  wenig  sachkundigen  Leuten  ausgeführt  worden  seien,  die  auf 
ihnen  angegebenen  Einzelheiten  sonach  nicht  immer  Vertrauen  verdienen. 
Kurz,  auch  wenn  man,  worüber  wir  uns  selbst  kein  endgiltiges  Urteil 
zutrauen,  Assmanns  Erklärung  der  einen  Schiff'szweikampf  schildernden 
Stelle  bei  Polyaen  für  zutreffender  hält,  als  die  von  Breusing  gegebene, 
so  wird  man  doch  nicht  geneigt  sein,  das  Kind  mit  dem  Bade  auszu- 
schütten und  einen  Schriftsteller  für  einen  Stümper  zu  erklären,  der  in 
einem  langen  Leben  der  Wissenschaft  so  viele  Dienste  geleistet  hat. 
Materiell  hat  uns  der  Assmannsche  Artikel  nur  darüber  noch  mehr 
vergewissert,  dafs  unser  Wissen  von  Beschaffenheit  und  Führung  des 
alten  Schiffes  noch  gar  manchen  zweifelhaften  Punkt  aufweist ;  die  Form 
dieses  Artikels  aber  bedauern  wir.  Lassen  wir  den,  dem  jener  Vorstofs 
galt,  nunmehr  selber  zum  Worte  kommen. 


Nautik.  265 

43)  Die  Lösung  des  Trierenrätsels,  die  Irrfahrten  dos  Odysseiis, 
nebst  Ergänzungen  und  Berichtigungen  zur  Nautik  der  Alten  von  A. 
Breusing.     Bremen  18ö9.     YII.     124  S, 

Der  erste  der  drei  Abschnitte  dieser  Schrift  enthält  wesentlich  eine 
Abrechnung  des  Verf.  mit  seinen  Kritikern  Herbst  und  Afsmann*).  Wir 
können,  da  es  sich  hier  noch  nicht  um  die  Hauptfrage  handelt,  den  Er- 
örterungen, die  sich  vielfach  um  richtige  Worterklärungen  drehen,  nicht 
im  einzelnen  folgen,  glauben  aber  im  Zweifelsfalle,  dafs  Breusings  These, 
wer  nautische  Terminologie  verstehen  will,  mufs  mit  den  Manövern  des 
Schiffes  praktisch  vertraut  sein,  nicht  angefochten  werden  kann.  Die 
scharfsinnigste  Hypothese  fällt  unseres  Erachtens,  wenn  der  erfahrene 
Seemann  einwendet,  dafs  sie  mit  den  unabänderlichen  Regeln  der  Schiff- 
fahrtskunst, die  zur  Griechenzeit  keine  anderen  als  später  gewesen  sein 
können,  sich  nicht  vereinbaren  lasse. 

Im  zweiten  Abschnitt  erhalten  wir  Betrachtungen  »zur  nautischen 
Geographie  Homers«.  Der  Verf.  erinnert  daran,  dafs  alle  Versuche,  aus 
den  Angaben  über  die  Windrichtung  den  Schiffskurs  rekonstruieren  zu 
wollen,  vergeblich  sind,  weil  ja  doch  das  Schiff  nur  ausnahmlos  direkt 
vor  dem  Winde  hergelaufen  sein,  für  gewöhnlich  aber  die  Windrichtung  mit 
der  Fahrtrichtung  einen  gewissen  Winkel  gebildet  haben  wird.  Besser 
würden  die  gesegelten  Distanzen  zu  verwenden  sein ,  wenn  sie  in  ver- 
läfsiger  Weise  angegeben  wären.  Die  Länder  der  Cyklopen,  der  Lästry- 
gonen  u.  s.  w.  wirklich  nachzuweisen,  hält  der  Verf.  für  unmöglich,  erst 
die  Insel  der  Circo  scheint  ein  wirklich  geographisches  Objekt  zu  sein, 
das  in  den  äufsersten  Westen  des  damals  bekaunten  Erdkreises  zu  ver- 
legen ist.  Und  dieser  Westen  wäre  nach  Breusing,  der  sich  überzeugt 
hält,  dafs  die  Komponisten  der  homerischen  Gesänge  von  den  Entdeckungs- 
reisen der  Phöniker  Kenntnis  gehabt  haben  müfsten,  mit  einer  der  In- 
selgruppen jenseits  der  Säulen  des  Hercules  zu  indentifizieren.  Dann 
würde  auch  der  Sitz  der  Scylla  und  der  Charybdes  aus  der  Meerenge 
von  Messina  heraus  und  in  diejenige  von  Gibraltar  hinein  zu  verlegen 
sein.  Hier  folgen  wir  dem  Verf.  nicht  mit  jener  Zuversicht,  welche  uns 
seinen  technisch-nautischen  Aufklärungen  gegenüber  beseelt,  denn  im  all- 
gemeinen zwar  haben  auch  in  diesem  Falle  seine  Hypothesen  Hand  und 
Fufs,  allein  es  sind  eben  doch  nur  Hypothesen,  und  dafs  z.  B.  die  Scylla 
ein  Riesenpolyp  gewesen  sei,  wird  nicht  Jedermann  so  sicher  einleuchten, 
wie  dem  Verf.  (S  67).  Die  geographischen  Konstructionen  v.  Bars,  der 
fast  die  ganze  Odyssee  im  Schwarzen  Meere  sich  abspielen  lassen  wollte, 


*)  Die  Besprechung  des  älteren  Breusiugscben  Buches  durch  Herbst  ist 
uns  nicht  bekannt  geworden,  und  so  konnten  wir  auf  sie  auch  nicht  bezug 
nehmen.  Auch  der  Assmanusche  Artikel  »Seewesen«  in  Baumeisters  »Denk- 
mälern« ist,  weil  letzteres  Werk  sicherlich  von  dem  Berichterstatter  für  Ar- 
chäologie als  eine  Einheit  betrachtet  wird,  von  uns  nicht  berücksichtigt  werden. 


266  Nautik. 

liat  Brcusing  siegreich  zurückgewiesen,  ob  aber  auch  die  seinigen  als  sicher 
genug  fundiert  sicli  erweisen  werden,  mag  in  Zweifel  gezogen  werden. 

Die  »Lösung  des  Trierenrätsels«  wird  uns  endlich  im  dritten  Ab- 
schnitte dargeboten.  Breusing  weist  nach,  dafs  einer  der  allerkompetente- 
sten  Seeleute,  Barras  de  la  Penne,  der  unter  Ludwig  XIV.  dessen  Galeeren- 
flotte befehltigte*),  schon  mit  aller  Bestimmtheit  sich  dahin  aussprach, 
die  Thraniten,  Zygiten  und  Thalamiten  hätten  niemals  in  verschiedenen 
Horizonten,  sondern  stets  nur  in  demselben  Horizonte  ihren  Sitz  gehabt. 
Und  wenn  ein  Seemann  sich  auf  Rudertechnik  verstand,  so  war  es  ge- 
wifs  dieser  Oberherr  von  lausenden  von  Galeerensklaven.  Das  Hauptar- 
gument Breusings  ist  natürlich  wieder  das  schon  oben  zitierte,  dafs  näm- 
lich ein  Gleichschlag  bei  vertikal  verteilten  Ruderreihen  sich  unmöglich 
erzielen  lasse,  und  aus  gleichem  Grunde  wird  auch  die  Hypothese  der 
»Breitpolyeren«  abgelelint,  welcher  zufolge  die  Ruderknechte  auf  einer 
zur  Achsenrichtung  des  Schiffes  schief  verlaufenden  Bank  Platz  genom- 
men gehabt  hätten.  Allerdings  besafs  jedes  Schiff  eine  Anzahl  von  pa- 
rallel zur  Wasserfläche  angeordneten  Öffnungen  für  die  Ruder,  aber  im 
Einzelfalle  wurde  stets  nur  eine  bestimmte  dieser  Reihen  wirklich  be- 
nützt, und  zwar  möchte  sich  die  Auswahl  nach  dem  herrschenden  See- 
gange gerichtet  haben.  Neu  und  einleuchtend  ist  die  Konjektur  (S.  90), 
dafs  die  Thraniten  die  befahrendsten  und  kundigsten  Matrosen  waren, 
die  eigentlichen  Steurer,  denen  der  die  Aufsicht  führende  Steuermann 
seine  Befehle  zu  erteilen  hatte,  während  die  Thalamiten  aus  Rekruten 
bestanden.  Die  Ruderer  der  mittleren  Reihen  waren  die  Zygiten;  ihre 
Sitze  waren  nach  Breusing  nicht  fest,  sondern  beweglich;  diese  bmpijata 
konnten  nach  Bedarf  höher  oder  niedriger  gehängt  werden. 

Im  ganzen  können  wir  nur  wiederholen,  dafs  die  Art  und  Weise, 
wie  hier  die  Aufgaben  einer  jeden  Abteilung  der  Schift'sraannschaft  auf- 
gefafst  und  bis  ins  einzelne  gekennzeichnet  werden,  uns  einen  guten  und 
vertrauenswürdigen  Eindruck  macht.  Ein  erfahrener  Seemann  führt  uns 
ins  Detail  des  Schiffbaus  und  Schiffdienstes  ein,  indem  er  uns  weder 
physikalische  Unmöglichkeiten  zumutet,  noch  auch  den  Berichten  der 
alten  Autoren  Zwang  anthut.  Und  darum  begrüfsen  wir  die  Breusingsche 
Schrift  als  eine  inhaltlich  erfreuliche  Leistung.  Die  Art  der  Polemik 
freilich  macht  uns  auch  bei  ihr  keine  Freude,  allein  es  gilt  da  eben  das 
alte  Sprichwort:  Wie  man  in  den  Wald  hineinruft,  so  schallt  es  heraus. 


*)  Genauere  Nachforschungen  über  diese  französische  Galeeren  würden 
gewifs  auf  manchen  hinsichtlich  des  alten  Seewesens  noch  dunklen  Punkt  eini- 
ges Licht  werfen  können  Macaulay,  dessen  kulturgeschichthche  Nachrichten 
womöglich  ein  noch  höheres  Vertrauen  verdienen,  als  die  auf  politische  Ge- 
schichte bezüglichen,  sagt  hierüber  (Geschichte  von  England,  deutsch  von  Be- 
seler,  7.  Band.  S.  173):  »Jede  Galeere  ward  durch  fünfzig  bis  sechzig  grofse 
Ruder  in  Bewegung  gesetzt,  und  jedes  Ruder  ward  von  fünf  bis  sechs  Skla- 
ven gebandhabt«. 


Nautik.  267 

44)  Die  Kriegsschiffe  der  Alten  von  A.  Bauer  (Beilage  zur  Allge- 
meinen Zeitung,   1890.     No.  110  und  111). 

Dafs  Bauer  der  soeben  dargelegten  Theorie  Breusings  im  Haupt- 
punkte beipflichtet,  ist  um  so  bemerkenswerter,  da  er  sich  kurz  zuvor 
in  seiner  Bearbeitung  der  Kriegsaltertümer  für  J.  v.  Müllers  »Hand- 
buch« *)  wesentlich  auf  den  althergebrachten,  neuerdings  besonders  durch 
Graser  vertretenen  Standtpunkt  gestellt  hatte.  Den  Beweis,  dafs  die 
Vertikalanordnung  der  Ruderbänke  unmögliches  von  den  Kräften  der 
Arbeiter  verlangte,  und  zwar  in  dem  Mafse  mehr,  je  weiter  sie  vom 
Wasserspiegel  entfernt  gewesen  wären  —  diesen  Beweis  erachtet  Bauer, 
ebenso  wie  der  Bericbterstatter,  für  erbracht.  Aber  mit  dem  Gedanken, 
dafs  die  drei  Abtlieilungen  nicht  gemeinsam,  sondern  jeweils  nur  die 
eine  und  die  andere,  zur  Arbeit  herangezogen  worden  seien,  kann  sich 
der  Verf.  nicht  befreunden,  und  er  ergreift  deshalb  ein  Auskunftsmittel, 
auf  welches  ihn  allerdings  die  Betrachtung  antiker  Bildwerke  geführt 
hat.  Er  nimmt  nämlich  an,  dafs  die  Ruderpforten  schräg  angebracht 
waren;  die  Zygiten  safsen  nach  dieser  Ansicht  allerdings  etwas  höher 
und  zugleich  weiter  zurück,  als  die  Thalamiten,  und  die  Thraniten  wie- 
derum safsen  rückwärts  von  den  Zygiten,  und  ihre  Plätze  waren  gegen- 
über denen  der  letzteren  etwas  erhöht.  Die  erwähnten  beiden  Vertikal- 
unterschiede aber  denkt  er  sich  so  gering,  dafs  die  gröfsere  Übung  und 
Muskelkraft,  welche  die  Vollmatrosen  (Thraniten)  vor  den  Zygiten  und 
diese  wieder  vor  den  Anfängern  voraus  hatten,  die  Schwierigkeiten  aus- 
glich, welche  aus  der  etwas  —  aber  nicht  sehr  viel  —  gröfsereu  Länge 
der  Ruderstangen  entspringen  mufsten.  Dafs  innerhalb  gewisser  enger 
Grenzen  ein  solcher  Ausgleich  stattfinden  könne,  habe  ja  auch  Breusing 
selbst  zugegeben.  Dies  ist  wahr,  und  überhaupt  widerstreitet  die  Auf- 
fassung Bauers  nicht  denjenigen  Nonnen,  welche  von  Breusing  aufge- 
stellt sind  und  ohne  Verstofs  gegen  physikaUsche  Wahrheiten  nicht  aufser 
acht  gelassen  werden  dürfen.  Aber  plausibler  erscheint  uns  doch  Breu- 
sings eigene  Interpretation  der  den  drei  Matrosenklassen  zugewiesenen 
Geschäfte:  bei  schönem  Wetter  reichte  Kraft  und  Kunst  der  Thalamiten 
aus,  bei  rauher  See  trat  die  Ablösung  durch  die  Zygiten  ein,  und  der 
Sturm  rief  die  Triarier  des  Seewesens,  die  Thraniten,  ans  Ruder.  Res 
ad  thranitas  devenit. 

Der  Nautik  schliefst  sich  Handel  und  Verkehr  aufs  ungezwungenste 
an.  Namentlich,  soweit  letzterer  in  frage  kommt,  hat  der  dreijährige 
Zeitraum,  welcher  zwischen  diesem  und  dem  vorhergehenden  Zeitraum 
sich  hinzieht,  viel  gutes  erstehen  lassen. 


*)  Zur  Müllerschen  Enzylilopädie  glauben  wir  mit  diesem  unserem  Be- 
richte dieselbe  Stellung  einnehmen  zu  sollen,  wie  zu  derjenigen  von  Bau- 
meister (s.  0.). 


268  Handel  und  Verkehr. 

45)  Römische  Si)iclinaikon  mit  Darstellung  des  Fingerreehens  von 
Fröhner.  München  1888  (Separat  aus  der  Zeitsclnift  des  Münche- 
ncr  Altertumsvereines), 

Einen  Essay  über  antike  Si)ielniarken  glauben  wir  am  besten  unter 
die  Rubrik  des  Handels  mit  einbeziehen  zu  können.  Man  kennt  der- 
gleichen dem  Verf.  zufolge  aus  allen  möglichen  Stoffen,  aus  Elfenbein, 
Glas,  Bronze,  Marmor,  Kieselstein  und  Terrakotta,  und  auch  die  For- 
men, bezüglich  deren  heutzutage  die  gröfste  Einförmigkeit  obwaltet,  sind 
so  mannigfaltig  gewesen,  wie  nur  möglich.  Da  sie  meist  zweisprachige 
Legenden  aufweisen  (lateinisch  und  griechisch),  so  war  der  Fabrikations- 
ort gewifs  eine  Stadt  von  mehr  internationalem  Charakter,  und  in  der 
That  weisen  auch  manche  Anzeichen  auf  Alexandria  hin.  Besonders 
merkwürdig  sind  nun  die  vom  Verf.  abgebildeten  Jetons,  welche  auf  der 
Vorderseite  eine  römische  Ziffer  und  auf  der  Rückseite  jene  Stellung  der 
Finger  dargestellt  aufweisen,  welche  in  dem  für  das  Altertum  gleichmäfsig 
wie  für  das  Mittelalter  charakteristischen  Digitalkalkul  der  fraglichen 
Zahl  entsprechen.  Der  Verf.  hat  die  Bilder  auf  den  Rechenpfennigen 
mit  jener  eingehenden  Schilderung  des  Fingerrechens  verglichen,  welche 
in  dem  Lehrbuche  dieser  Kunst  von  Nicolaus  Rhabdas  enthalten  ist,  und 
da  hat  sich  eine  vollständige  Übereinstimmung  herausgestellt.  Beiläufig 
sei  bemerkt,  dafs  mit  den  Fingern  nicht  im  eigentlichen  Sinne  gerechnet 
wurde,  vielmehr  diente  die  erwähnte  oft  recht  sonderbare  Handstellung 
—  zumal  VH  erfordert  ein  gewisses  gymnastisches  Geschick  —  nur  als 
mnemotechnisches  Hilfsmittel  zur  leichteren  Festhaltung  einer  bestimm- 
ten Zahl.  Der  Verf.  erwähnt  noch,  dafs  der  Sinn  eines  bisher  für  un- 
lösbar gehaltenen  Rätsels  des  Symfosius  deutlich  wird,  sobald  man  an- 
nimmt, dafs  der  Autor  auf  die  Bewegungen  der  Hand  beim  Fingerrech- 
nen anspielen  wollte. 

46)  Kultureinflüsse  und  Handel  in  ältester  Zeit  von  v.  Schweiger- 
Lerchenfeld  (Österreich.  Monatsschrift  f.  d.  Orient,  13.  Jahrgang. 
24 ff.  44 ff.  57 ff'.) 

Der  Aufsatz  bewegt  sich  wesentlich  in  prähistorischer  Spekulation 
und  kommt  zu  Resultaten,  welche  die  Wissenschaft  nicht  eben  berei- 
chern. Die  Gründungszeit  der  grofseu  phönikischen  Handelsstätte  ver- 
legt der  Verf.  in  das  XV.  Jahrhundert  v.  Chr.  Santorin,  Thasos,  Seri- 
phos  waren  die  Inseln,  welche  durch  ihren  Reichtum  an  Kupfererzen 
die  Phöniker  zuerst  nach  dem  Westen  lockten.  Dafs  jenes  Tarschisch, 
welches  die  semitischen  Handelsflotten  aufsuchten,  in  Spanien  zu  suchen 
sei,  wird  jetzt  wohl  allgemein  angenommen;  die  Gründung  von  Gadira 
oder  Gades  soll  ins  XH.  vorchristliche  Jahrhundert  fallen.  Die  Tyrrhe- 
ner  erklärt  der  Verf.  für  Peloponnesier. 


Handel  und  Verkehr.  269 

47)  Über  "Welthandelsstrafsen  in  der  Geschichte  des  Abendlandes 
von  Jastrovv,  Berlin  1887  (Aus  der  durch  die  volkswirtschaftliche 
Gesellschaft  in  Berlin  herausgegebenen  Sammlung  von  Abhandlungen). 

Auch  diese  Studie  bewegt  sich,  ähnlich  wie  diejenige  v.  Schweiger- 
Lerchenfelds ,  auf  dem  wenig  erhellten  Gebiete  der  Urgeschichte,  allein 
unter  der  Hand  des  gewiegten  Historikers  gewinnen  die  Dinge,  wie  von 
selbst,  eine  festere  Gestaltung.  Bei  den  Phönikern,  so  beginnt  der  Verf., 
tritt  uns  der  Begriff  der  Welthandelsstrafse  in  seiner  ganzen  ursprüng- 
lichen Einfachheit  entgegen;  die  Inseln  des  Archipelagus  wirken  (s.  o.) 
eine  nach  der  anderen  anziehend  auf  jenes  Handelsvolk,  bis  sich  das- 
selbe endlich  der  Purpurschuecke  halber  bis  an  das  griechische  Fest- 
land selbst  heranwagt.  So  entstand  allmählig  im  weiteren  Drängen  nach 
Westen  die  Pflanzstadt  Karthago,  man  durchfuhr  die  Säulen  des  Her- 
cules und  errichtete  Faktoreien  in  Tartessus  (Tarschisch).  Die  Haupt- 
richtung der  Welthandelsstrafse,  samt  ihren  seitlichen  Abzweigungen,  liegt 
damit  klar  bezeichnet  vor.  Zuerst  waren  die  Phöniker  jedenfalls  See- 
räuber, bis  allmählig  aus  dem  einfachen  Wegnehmen  heraus  sich  der  in 
letzter  Instanz  leichtere  und  lukrativere  Tauschhandel  entwickelte;  den 
Zweck,  sich  einen  monopolisierten  Handelsweg  zu  sichern,  erreichte  der 
Händler  weit  eher  als  durch  Gewalt  durch  die  Ausstreuung  geographi- 
scher Gerüchte  von  der  Unzugänglichkeit  und  Gefährlichkeit  der  Wasser- 
wege. Strafsenmonopol  und  staatliche  Geschlossenheit  der  Verkehrswege 
sind  die  Signatur  des  phönikischen  Handels,  der  ganz  allein  imstande  ist, 
anderen  Völkern  das  zu  liefern,  was  für  das  Leben  notwendig  und  ange- 
nehm ersclieint.  Die  Stadt,  in  der  die  Kaufherren  enge  an  einander  woh- 
nen, erscheint  als  die  alles  beherrschende  dem  übrigen  Lande  gegenüber, 
ein  Verhältnis,  welches  den  Propheten  Hesekiel  den  bekannten  agrari- 
schen Klageruf  ausprefst.  Und  als  die  babylonischen,  indischen,  per- 
sischen Despoten  die  Küstenstädte  nominell  ihrer  Botmäfsigkeit  unter- 
than  machen,  ändert  sich  dieses  Verhältnis  darum  doch  nicht,  denn  kom- 
merziell und  als  die  einzigen  seefahrtskundigen  Unterthanen  können  sie 
den  Grofskönigen  ihre  Macht  so  deutlich  fühlen  lassen,  dafs  diese  sich 
mit  einem  Scheine  von  Oberherrlichkeit  begnügen  müssen.  Erst  ein  wirk- 
liches Kulturvolk  vermochte  das  phönikische  Weltmonopol  zu  brechen, 
und  das  war  das  hellenische.  Auch  die  Griechen  suchten  nach  einer 
Welthandelsstrafse  aus  dem  Westen  nach  dem  Osten,  und  griechische 
Kolonien  schoben  sich  immer  weiter  in  dieser  Richtung  vor,  um  den 
innerasiatischen  Karawanen  bequemer  die  Hand  reichen  zu  können.  In 
Sogdiana  und  Bactra,  auf  der  noch  jetzt  handelspolitisch  so  wichtigen 
Oase  Merw,  berührten  sich  griechische  und  mongolische  Handelsinteressen, 
und  nun  konnten  die  Gaben  des  Orients  ohne  punische  Vermittlung  in 
den  Besitz  des  Abendlandes  gelangen.  Diese  neue  Verkehrsstrafse  brach 
die  Machtstellung  der  Phöniker,  ebenso  wie  später  die  Auffindung  des 
Seeweges  nach  Indien  Venedigs  Niedergang  zur  Folge  hatte.    Das  Römer- 


270  Handel  und  Verkehr. 

tum  setzte,  freilich  zunächst  durch  ganz  andere  Beweggründe  geleitet, 
an  die  Stelle  der  einzelnen  Ilandelswege  das  Strafsennetz;  im  frühesten 
Mittelalter  wurde  dann  Byzanz  das  Emporium  des  Weltverkehrs  und 
damit  auch  der  Mittelpunkt  eines  von  vier  Welthandelsstrafsen  gebilde- 
ten Viereckes. 

48)  Zur  Geschichte  des  antiken  Orienthandels.  Vortrag,  gehalten 
in  der  Berliner  Gesellschaft  für  p]rdkunde  am  8.  Dezember  1888  von 
Friedrich  Hirt h  (Verhandl.  d.  Ges.  f.  Erdkunde  zu  Berlin,  1889.  No.  1). 

Der  Verf.,  einer  der  wenigen  ausgezeichneten  Sinologen,  deren  sich 
Deutschland  rühmen  kann,  macht  in  diesem  Vortrage  den  sehr  gelunge- 
nen Versuch,  über  die  Beziehungen,  welche  China  in  den  ersten  nach- 
christliclien  Jahrhunderten  mit  dem  Okzident  und  namentlich  mit  dem 
Rümerreiche  verknüpften,  Klarheit  zu  verbreiten.  Dafs  ein  bis  in  die 
Gegend  des  Aralsees  vorgedrungener  Heerführer  des  Reiches  der  Mitte, 
namens  Pan  Chao,  einen  Offizier  durch  Parthien  nach  dem  Lande  Ta- 
ts'in  abgesandt  hatte  (98  n.  Chr.),  war  schon  seit  längerer  Zeit  bekannt, 
aber  über  die  näheren  Umstände  dieser  merkwürdigen  Mission  werden 
wir  jetzt  zum  erstenmale  unterrichtet.  Der  Gesandte  wollte  nach  jenem 
Lande  von  An-hsi  aus  segeln,  liefs  sich  aber  von  dieser  Reise  durch  die 
übertriebenen  Darstellungen  der  Seeleute  abhalten,  und  so  kam  er  un- 
verrichteter  Dinge  wieder  zurück.  Den  Namen  An-hsi  identifiziert  der 
Verf.,  gemäfs  den  bei  den  Chinesen  herrschend  gewordenen  Lautver- 
schiebungsgesetzen, mitAr-sak;  das  Land  also,  in  welches  der  Delegierte 
zuerst  gelangt  war,  ist  das  Reich  der  Arsaciden,  Parthien  gewesen,  da 
man  in  China  gerne  den  Bewohner  irgend  einer  Gegend  den  Namen  der 
Herrscherfamilie  beilegt.  Alle  übrigen  Angaben  stimmen  vortrefflich 
zu  dieser  Annahme.  Die  Römerhauptstadt,  welche  der  Gesandte  auf 
dem  Seewege  hätte  aufsuchen  sollen,  war  übrigens  nicht  Rom,  von 
dessen  Existenz  die  östlichen  Asiaten  kaum  etwas  wufsten,  sondern  An- 
tiochia,  die  merkantile  Beherrscherin  der  Ostprovinzen,  der  Hauptort  des 
Gebietes,  welches  der  Chinese  Ta-ts'in  zubenannte.  Als  Hauptgegenstand 
des  Handels,  dem  Pan  Chao  durch  seinen  Versuch  direkter  Verkehrsan- 
knüpfung dem  Vermuten  nach  Vorschub  leisten  wollte,  haben  wir  uns 
die  Seide  zu  denken,  deren  Horaz  und  Plinius  mehrfach  gedenken;  den 
Weg,  den  die  Seidenkarawanen  nahmen,  glaubt  der  Verf.  wenigstens  teil- 
weise rekonstruieren  zu  können,  indem  er  die  Euphrat-Brücke  von  Zeugma 
als  Durchgangspunkt  hinstellt.  Neben  der  Seide  spielte  die  Wolle  des 
sogenannten  »Wasserschafes«  eine  Rolle,  eines  Tieres,  das  der  Beschrei- 
bung nach  zu  den  Pflanzentieren,  den  Polypen,  gehört  haben  mufs,  aber 
vielleicht  auf  die  Byssusmuschel  bezogen  werden  darf.  Aufser  gewebten 
Stoffen  und  Rohseide  brachte  China  auf  den  westlichen  Markt  noch  Glas, 
verarbeitete  und  unverarbeitete  Metalle,  Jadeit-Gegenstände  und  Droguen, 
während  umgekehrt  von  diesen  letzteren  auch  ziemlich  viel  nach  China 


Handel  und  Verkehr.  271 

eingeführt  wurde,  wie  denn  sogar  die  chinesische  Bezeichnung  für  Weih- 
rauch von  St.  Julien  für  ein  Tnrki-Wort  erklärt  wurde.  Den  Seeweg 
scheinen  die  syrischen  und  mesopotamischen  Kaufleute  erst  verhältnis- 
mäfsig  spät  eingeschlagen  zu  liaben.  Erst  im  .Jahre  166  n.  Chr.  wissen  die 
chinesischen  Annalen  von  Schiffen  zu  erzählen,  die  aus  dem  Lande  Ta-ts 'in 
direkt  angelangt  seien,  und  zwar  sei  dies  deshalb  geschehen,  weil  die 
eifersüchtigen  Parther  dem  Überlandverkehr  Schwierigkeiten  in  den  Weg 
gelegt  hätten.  Diese  Händler  hätten  auch  den  Tribut  des  Kaisers  von 
Ta-ts'in,  Antun  (Antoninus  Pius),  überbraclit.  Daran  ist  natürlich  kein 
wahres  Wort,  aber  sehr  denkbar  ist  es,  dafs  die  schlauen  Syrer,  indem 
sie  den  römischen  Herrscher  als  der  Suzeränkrone  China  unterthan  schil- 
derten, der  Eigenliebe  der  Chinesen  schmeicheln  und  dadurch  bessere 
Geschäfte  machen  zu  können  glaubten.  Seit  dem  genannten  Jahre  ist  der 
Schiffsverkehr  mit  China  nicht  mehr  dauernd  unterbrochen  worden.  Aus- 
gangs- resp.  Endpunkt  desselben  war  die  halb  sagenhafte  Stadt  Kattigara 
des  Ptolemaeus,  ein  Ort,  der  eigentlich  Kati  oder  Kattik  hiefs  und  wahr- 
scheinlich au  die  Grenze  von  China  und  Annam  zu  verlegen  wäre.  Die 
für  ein  Märchen  gehaltene  Chroniknotiz,  dafs  unweit  Kattigara s  die  chi- 
nesische Grenze  mit  ehernen  Schranken  verwahrt  gewesen  wäre,  erläu- 
tert Hirtli  sehr  geschickt  durch  die  geschichtlich  beglaubigte  Thatsache, 
dafs  ein  General  Ma  Yüan,  nachdem  er  um  40  n.  Chr.  die  Bewohner 
von  Annam  und  Tongkin  zu  paaren  getrieben  hatte,  zum  Gedächtnis 
seiner  Siege  zwei  Säulen  von  Erz  in  dem  von  einer  ständigen  Garnison 
besetzt  gehaltenen  Grenzpasse  aufrichten  liefs. 

49)  Die  Verkehrswege  im  Dienste  des  Welthandels.  Eine  geschicht- 
lich-geograpische  Untersuchung  von  Wilhelm  Goetz.  Stuttgart  1888. 
VHI.  806  S. 

Dieses  Werk  ist  in  erster  Linie  ein  geographisches,  aber  der  Um- 
stand, dafs  in  ihm  mit  Vorbedacht  die  Neuzeit  kürzer  als  das  Mittel- 
alter und  dieses  dann  wieder  kürzer  als  das  Altertum  behandelt  worden 
ist,  erklärt  es,  weshalb  wir  ihm  auch  in  diesem  Berichte  einen  Platz, 
und  zwar  einen  ziemlich  ausgedehnten,  einräumen.  Von  geographischer 
Seite  ist  das  Werk  sehr  günstig  aufgenommen  und  demgemäfs  auch  in 
der  Presse  besprochen  worden,  so  von  Ratzel  in  den  »Grenzboten«,  von 
Th.  Fischer  im  »Litterar.  Zentralblatt«,  von  Penck  in  der  »D.  Rundschau 
f.  Geographie  u.  Statistik«,  vom  Unterzeichneten  in  der  »Beil.  z.  Allgera. 
Zeitung«  und  von  anderen  mehr.  Wenn  dem  gegenüber  in  einigen  mehr 
den  rein-philologischen  Gesichtspunkt  vertretenden  Anzeigen  gegen  ein- 
zelne Aufstellungen  des  Verf.  Einwände  erhoben  worden  sind  (Oberhum- 
mer in  der  »Wochenschr.  f.  klass.  Philologie«,  Hirschfeld  in  Wagners 
»Geogr.  Jahrbuch«),  so  soll  den  letzteren  nicht  etwa  die  Berechtigung 
abgesprochen  werden.  Wohl  aber  möchten  wir  betonen,  dafs  bei  einem 
Buche,  wie  dem  vorliegenden,  der  Schwerpunkt  nicht  in  den  Einzelresul- 


272  Handel  und  Verkehr. 

taten,  sondern  einzig  in  der  Metliode  und  den  neu  in  die  Wissenschaft 
liineingetragenen  Gedanken  zu  suchen  ist.  Diese  seine  Anschauung  wird 
auch  den  Berichterstatter  rechtfertigen,  wenn  er  nicht  einzelne  Differenz- 
punkte  namhaft  gemacht  liat,  obwohl  jeder,  der  selbst  auf  verwandtem 
Gebiete  arbeitet,  naturgemäfs  auf  diesen  oder  jenen  wird  stofsen  müssen, 
sondern  wenn  er  sich  begnügte,  dem  Leser  ein  übersichtliches  Bild  von 
dem  zu  entwerfen,  was  der  Verf.  angestrebt  und  auch  wirklich  erreicht  hat. 
p]ingeleitet  wird  das  Goetzsche  Buch  durch  den  Versuch,  das  We- 
sen und  die  Grenzlinien  einer  in  dieser  Form  neu  zu  bildenden  »Wissen- 
schaft der  geographischen  Entfernungen«  zu  bestimmen.  Ohne  uns  in 
allgemeine  Diskussionen  zu  verlieren,  heben  wir  das  wichtigste  Ergeb- 
nis dieses  Abschnittes  gleich  heraus.  Es  wird  die  Frage  gestellt  und 
nach  Möglichkeit  gelöst:  Wie  viel  Zeit  brauchten  Menschen  und  Güter- 
sendungen, um  zu  einer  bestimmten  historischen  Epoche  von  einem  Orte 
A  zu  einem  anderen  Orte  B  zu  gelangen.  Dafs  bei  der  Lösung  solcher 
Aufgaben  eine  Fülle  von  Nebenfragen  sich  der  Erwägung  darbietet,  leuch- 
tet von  selbst  ein;  man  mufs  wissen,  welche  Wege  von  A  nach  B  führ- 
ten, wie  diese  Wege  beschaffen  waren,  ob  sie  über  Gebirge  und  Gewässer 
hinweggingen,  ob  diesen  Hindernissen  durch  bequeme  Pässe,  Brücken 
und  Fähren  beizukommen  war,  welche  Fortschaffungsmittel  (Pferde,  an- 
derweite Tragtiere,  Wagen,  Schiffe)  dem  Gütertransporteur  zur  Verfü- 
gung standen,  welche  Erleichterung  dem  Reisenden  durch  staatliche  und 
private  Fürsorge  gewährt  war  u.  s.  w.  Damit  ist  also,  wie  man  sieht, 
das  Gebiet  einer  als  »Verkehrsgeographie«  zu  bezeichnenden  Teildisziplin 
der  Erdkunde  erkennbar  umschrieben.  Wenn  die  skizzierte  Aufgabe  für 
ein  gegebenes  Verkehrszentrum  gelöst  ist,  so  kann  man  das  Ergebnis 
der  Lösung  im  Bilde  graphisch  wiedergeben  durch  Kurven,  welche  frü- 
here Forscher  »Isochronen«  genannt  haben,  während  Goetz  sie  als  »Iso- 
hemeren«  spezialisiert.  Alle  Orte  B  nämlich,  welche  von  A  aus  im  Ver- 
laufe von  n  Tagen  zu  erreichen  sind,  erfüllen  den  Umfang  einer  ge- 
schlossenen Linie,  der  Iten,  2ten  .  .  .  nten  Isohemere.  Man  sieht,  dafs 
wenn  es  keine  Verkehrsschwierigkeiten  gäbe,  alle  Isohemeren  konzen- 
trische Kreise  mit  dem  gemeinsamen  Mittelpunkte  A  sein  müfsten,  und 
die  Abweichung  der  Kurve  von  der  Kreisgestalt  orientiert  den  Beschauer 
somit  beim  ersten  Blick,  nach  welcher  Seite  von  A  aus  die  gröfsten, 
nach  welcher  die  kleinsten  Verkehrsschwierigkeiten  erwachsen.  Goetz 
hat  fünf  Isohemerenkarten  entworfen,  wovon  zwei  dem  Altertum  ange- 
hören, und  es  ist  sehr  belehrend,  sich  dieselben  genau  anzusehen.  So 
konstatiert  man,  dafs  von  den  neunzehn  Zentren,  welche  die  Verkehrs- 
karte des  römischen  Kaisereiches  uns  vorführt,  Palmyra  den  meisten 
Anspruch  darauf,  ein  wirkliches  geometrisches  Zentrum  zu  sein,  erheben 
darf  —  kein  Wunder,  denn  das  alte  Tadmor  lag  in  der  Wüste,  und  im 
Wüstenterraiu  kommt  es  am  wenigsten  darauf  an,  nach  welcher  Richtung 
der  Wanderer  sich  bewegt. 


Technik  273 

Die  erste  der  sechs  in  unserer  Vorlage  unterschiedenen  Perioden 
reicht  bis  zum  Jahre  850  v.  Chr.  und  behandelt  sehr  eingehend  die  Ver- 
kehrsverhältnisse bei  den  Ägyiitern,  Phönikern,  Suraero-Akkadern,  Indern 
und,  mit  Zuziehung  neuen,  noch  unverwerteten  Materiales,  bei  den  Chi- 
nesen. Die  Perser  eröffnen  die  zweite  Periode;  hier  hat  der  Verf.  ins- 
besondere auf  die  Bestimmung  der  von  der  grofsen  Reichspoststrafse 
Susa-Sardes  eingehaltenen  Trace  Wert  gelegt;  natürlich  aber  werden  hier 
auch  Griechenland  und  das  ältere  Rom  mit  berücksichtigt.  Von  den  pu- 
nischen  Kriegen  datiert  die  dritte  Periode,  welche  mit  dem  Hinsinken 
der  Kaisermacht  abschliefst  und  uns  mit  den  grofsen  Umwälzungen,  welche 
Roms  Herrschaft  in  dem  Verkehrswesen  und  speziell  in  der  »Verkür- 
zung geographischer  Distanzen«  zuwege  gebracht  hat,  in  vorzüglicher 
Weise  bekannt  macht.  Von  der  vierten  Periode  endlich,  welche  das  frü- 
here Mittelalter  umfafst,  fallen  nur  noch  die  Anfänge  in  unseren  Bereich, 
nämlich  die  Byzantinerzeit  und  die  Verdrängung  der  Römer  durch  die 
Germanen.  Dafs  letztere  die  Vorteile,  welche  Roms  kluge  Begünstigung 
jeder  Verkehrserleichterung  dem  Staate  brachte,  nicht  durchweg  verkann- 
ten, beweist  der  Verf.  u.  a.  mittelst  der  Bemühungen,  welche  die  Fran- 
keukönige  machten,  um  sich  das  zu  erhalten,  was  bei  ihrer  Besitzer- 
greifung Galliens  von  dem  alten  Cursus  publicus  noch  vorhanden  war. 

Mit  der  Geschichte  der  Technik  schliefsen  wir  unsere  Aufgabe  ab. 
Die  Zubereitung  pflanzlicher  Stoffe  soll  den  Anfang  des  Schlusses  machen, 
die  der  Metalle  und  anderweiten  Mineralien  soll  darauf  folgen,  und  end- 
lich soll  auch  noch  auf  das  Baugewerbe  und  die  Bauthätigkeit,  soweit 
dabei  blos  der  rein  technische  Gesichtspunkt  mafsgebend  ist,  eingegan- 
gen werden. 

50)  Histoire  du  pain  ä  toutes  les  epoches  et  chez  tous  les  peuples, 
d'apres  un  manuscrit  de  G.  Hussou.     Tours  1887.     215  S. 

Das  kleine  Buch  verfolgt  keine  eigentlich  wissenschaftlichen  Zwecke, 
wie  schon  der  Mangel  jeden  gelehrten  Apparates  darthut,  sondern  es 
soll  in  populärer  Weise  gezeigt  w^erden,  dafs  Pflanzenkost  bei  allen  Völ- 
kern aller  Zeiten  eine  grofse  Rolle  spielte  und  noch  spielt.  So  werden 
auch  den  Ägyptern,  ludern,  Chinesen,  Griechen  und  Römern  je  einige 
Seiten  in  anschaulicher  Darstellung  gewidmet,  aus  denen  der  Fachmann 
jedoch  selbstredend  nichts  neues  lernt.  Für  die  Griechenzeit  dient  haupt- 
sächlich zur  Folie  das  »Gastmahl  des  Dinias«. 

51)  Technik  der  praehistorischen   Gewebe  von  Buschan  (K.  A., 
19.  Jahrgang.    43). 

Kurze  Notiz  über  einen  auf  der  dritten  Hauptversammlung  der 
Niederlausitzer  Gesellschaft  für  Anthropologie  und  Urgeschichte  gehal- 
tenen Vortrag.  Köper  ist  unter  diesen  ältesten  Geweben  am  häufigsten 
vertreten.  Auf  die  ägyptischen  Gobelins,  von  denen  die  übernächste 
Nummer  handelt,  machte  der  Vortragende  besonders  aufmerksam. 

Jahreübericlit  l'ur  AltenhumswiasenscUaft.  LXIV.  Bd.  (.1890  lU.)  ig 


274  Technik. 

52)  Über  die  Anfänge  und  die  Entwicklung  der  Weberei  in  der  Vor- 
zeit von  Buscban  (K.  A.,  20.  Jabrgang.    38 — 39). 

Auch  diesmal  liegt  uns  nur  ein  kurzer  Auszug  aus  Buscbans  im 
Breslauer  Museum  sclilesischer  Altertümer  gehaltenen  Vortrage  vor.  Die 
ältesten  Gewebe  und  Geflechte  stammen  aus  schweizerischen  und  öster- 
reichischen Pt'alilbautea,  während  die  in  verschiedenen  Sammlungen  zu 
findenden  Gewebeproben  der  Eisenzeit  ins  II.  bis  IV.  Jahrhundert  n.  Chr. 
zu  verlegen  sind.  Der  wagerechte  Webstuhl  ist  der  ältere,  denn  seiner 
bedienten  sich  schon  die  alten  Ägypter,  während  die  Römer  als  die  Er- 
finder der  Weblade  und  des  Weberschiffchens  anzuerkennen  sind.  Die 
Erfindung  der  Gobelinarbeit  will  der  Redner  nicht  den  Franzosen,  son- 
dern den  südlichen  Persern  zuschreiben,  und  erst  durch  die  Kreuzzüge 
sei  diese  Technik  nach  Europa  gekommen. 

53)  Über  altaegyptische  Textilfunde  von  Fritz  Hasselmann 
(K.  A.,  20.  Jahrgang.    45  —  48.  51  —  52,   auch  separat,  München  1888). 

Der  Verf.  hat  in  einer  am  21.  Februar  1888  vor  den  Mitgliedern 
der  Münchner  anthropologischen  Gesellschaft  gehaltenen  Vortrage,  wel- 
chem auch  der  Berichterstatter  beiwohnte,  eine  grofse  Auswahl  von  Proben 
ägyptischer  Webkunst  vorgezeigt  und  beschrieben,  unter  der  sich  u.  a. 
zwölf  ganze  Gewänder  befanden.  Diese  wertvollen  Überreste  einer  unter- 
gegangenen Kunstfertigkeit  stammen  aus  Gräbern,  welche  Dr.  Bock  in  den 
Jahren  1886  —  87  systematisch  auf  solche  Fundstücke  durchforscht  hat. 
Das  Gräberfeld  findet  sich  beim  ersten  Katarakte,  nahe  der  jetzigen 
Stadt  Aknim,  und  enthält  die  Leichen  armer  wie  reicher  Leute,  durchweg 
aus  den  ersten  Jahrhunderten  der  christlichen  Aera.  Die  bekehrten  Ägyp- 
ter liefsen  trotz  ihres  Christentums  nicht  von  der  heimischen  Sitte,  die 
Toten  in  Mumien  zu  verwandeln,  nur  pflegte  man  über  die  Natronschicht, 
welche  die  eigentlichen  Leichenbinden  zusammenhielt,  noch  die  besten 
Gewänder  als  bedeckende  Hülle  zu  legen,  und  eben  diese  Hüllen  liefer- 
ten den  Stoff  zu  der  Hasselmannschen  Sammlung.  Durch  diese  wird 
nun  der  Beweis  geliefert,  dafs  in  der  römisch-ägyptischen  Periode  die 
Anfertigung  von  Nadelwirkereien  in  Gobelin-Manier  durch  das  ganze  Nil- 
thal hindurch  im  Gange  war;  Leinen,  Hanf,  Byssus,  Papyrus,  Wolle,  sel- 
ten nur  Seide  wurden  verarbeitet.  Was  die  Fäi'bung  anlangt,  so  bean- 
sprucht Purpur  in  seinen  verschiedenen  Abstufungen  den  Löwenanteil; 
hiezu  wird  die  interessante  Bemerkung  gemacht,  dafs  Dr.  Bock  bei  Bei- 
rut in  Syrien,  also  auf  alt-phönikischem  Gebiete,  grofsartige  Mengen  von 
Schalen  der  Purpur-  und  Trompeterschnecke  aufgefunden  hat,  welche 
zur  Gewinnung  des  Saftes  sämtlich  an  derselben  Stelle  angebohrt  waren. 
Die  vielfach  angezweifelten  Nachrichten  des  Plinius  über  Purpurgewinnung 
erhalten  damit  ihre  Bestätigung.  Die  eingewebten  Bildwerke  lassen 
heidnische  und  christliche  Ideenverbindungen  in  bunter  Mengung  erken- 
nen ;  Kreuz,  Zentauren,  Anspielungen  auf  das  Osirische  Totengericht  und 


Technik.  275 

die  Seelenwanderung  wechseln  mit  einander  ab.  Auch  über  die  Technik 
selbst  verbreitet  sich  der  Entdecker  in  seinen  Briefen  an  den  Verf.  und 
weist  nach,  dafs  die  Haute-lisse  vor  der  Basse-lisse  bei  weitem  vorwiegt. 
Die  reich  verzierten  Obergewänder  der  Sammlung  dürften  identisch  sein 
mit  jenen  »togae  inconsutiles«,  welche  nach  Karabacek  Jahrhunderte 
lang  in  der  Stadt  Tiuius  für  den  Welthandel  gewebt  wurden.  Auch 
Fufsbekleidungen  wurden  auf  dem  Bebräbnisplatze  in  Menge  angetroffen  ; 
dieselben  kennzeichnen  gut  die  Fortschritte,  welche  das  Schusterhand- 
werk machen  mufste,  um  von  der  einfachen  Sandale  der  älteren  Zeit  zu 
den  zierlichen,  durchbrochen  gearbeiteten  Schuhen  der  byzantinischen 
Epoche  aufzusteigen. 

54)  De  l'emploi  des  bijoux  et  de  l'argenterie  comme  prix  d'achat 
en  Irlande  avant  l'introduction  de  la  monnaie  par  D'Arbois  de 
Jubainville.     (Rev.  arch.,  3.  Serie,  12.  Band). 

Der  Verf.  ist  der  Ansicht ,  dafs  bei  den  alten  Kelten  in  Irland, 
ähnlich  wie  es  Diodor  von  den  Galliern  erzählt,  vor  Einführung  der 
Metalltauschartikel  Kühe  und  Ochsen  den  Preis  einer  Waare  bestimmt 
hätten.  Später  sei  das  Silber  auf  der  Wage  abgewogen  worden.  Wage, 
römisches  Gewicht  und  gemünztes  Geld  sollen  im  ersten  nachchristlichen 
Jahrhundert  auf  die  grüne  Insel  gekommen  sein. 

55)  Über  Aggry-Perlen  und  über  die  Herstellung  farbiger  Gläser 
im  Altertum  von  Tischler,  Königsberg  1886;  besprochen  von  Sal. 
Reinach  (Rev.  arch.,  3.  Serie,  12.  Band). 

Perlen  der  erwähnten  Art  bestehen  aus  sieben,  abwechselnd  hell 
und  dunkel  gefärbten  Zonen;  man  hat  dergleichen  allenthalben  auf  der 
Erde,  in  Deutschland,  Dänemark,  England,  Amerika  ebenso  wie  in 
Aegypten,  Nubien,  Guinea,  am  Kongo  und  auf  den  Inseln  Ozeaniens 
gefunden.  Zuerst  dachte  man  an  aegyptische  Provenienz  und  phoenikische 
Verbreitung,  andere  wieder  wollten  letztere  den  Normannen  zugeschrie- 
ben wissen,  allein  Tischler  ermittelte,  dafs  diese  Perlen  Erzeugnisse  der 
venetianischen  Feinglasfabrikation  aus  dem  XV.  und  XVI.  Jahrhundert 
sind,  so  dafs  ihre  weite  Verbreitung  alles  überraschende  verliert. 

56)  Die  Bronzezeit  Aegypteus  von  0.  Montelius  (K.  A.,  18.  Jahr- 
gang.    111—113). 

Die  Frage,  ob  das  Eisen  oder  die  Bronze  die  Grundlage  der  ur- 
alten Kultur  im  Nillande  gewesen  sei,  ist  von  den  Aegyptologeu  unbe- 
antwortet gelassen  worden.  Die  von  Lepsius  u.  a.  vertretene  Ansicht, 
dafs  schon  die  Pyramidenerbauer  eiserne  Werkzeuge  gehabt  und  benützt 
hätten,  entbehrt  des  befriedigenden  Beweises;  weder  Eisen  noch  Rost 
hat  sich  in  den  älteren  Gräbern  befunden,  und  eine  Hieroglyphe,  welche 

18* 


276  Technik. 

zweifellos  unserem  Eisen  entspräche,  giebt  es  ebenfalls  niclit.  Auf  den 
Denkmälern  des  neuen  Keiclies  worden  grundsätzlich  eiserne  Instrumente 
blau  ausgemalt ,  aber  für  die  Zeit  vor  den  II)ksos  gilt  dieser  Gebrauch 
nicht.  Montelius  kommt  zu  dem  Schlüsse,  dafs  das  Eisen  als  Nutzmetall 
erst  etwa  seit  dem  Jahre  1500  v.  Chr.  bei  den  Aegyptern  in  Aufnahme 
gekommen  ist,  dafs  aber  noch  mehrere  Jahrhunderte  lang  die  Bronze 
sich  nicht  aus  ihrer  Suprematie  vertreiben  lassen  wollte,  und  dafs  erst 
um  1000  V.  Chr.  die  aus  dieser  Legierung  gefertigten  Gerätschaften  gänz- 
lich verschwinden. 

57)  Über    die    vorklassische    Zeit  in   Italien   von   0-   Montelius 
(K.  A.,  18.  Jahrgang.     126—127). 

Während  noch  Mommsen  geglaubt  hatte,  dafs  Italien  niemals  eine 
Steinzeit  gesehen  hätte,  fehlt  es  jetzt  nicht  mehr  an  Belegen  für  deren 
dereinstiges  Vorhandensein,  und  auch  die  Bronzezeit  scheint  sich  nicht 
nur  der  älteren  Ansicht  gemäfs  über  den  nördlichen  Teil  des  Landes, 
sondern  über  die  ganze  Halbinsel  erstreckt  zu  haben.  Sogar  für  eine 
reine  Kupferperiode  sind  Anzeichen  nachzuweisen,  und  sehr  lange  hat 
die  Übergangszeit  von  der  Bronze  zum  Eisen  gewährt.  Folgendes 
Schema  läfst  ersehen,  dafs  in  altersgrauer  Vorzeit  die  Kulturentwicklung 
für  Nord-  und  Mittelitalien  sich  völlig  auf  gleicher  Höhe  hielt,  dafs  aber 
dieser  Parallelismus  vielleicht  im  zweiten  oder  dritten  Jahrhundert  nach 
Erbauung  der  Stadt  Rom  eine  Störung  erfuhr.  Hier  das  Schema  (das 
Gleichheitszeichen  bezieht  sich  auf  zeitliche  Übereinstimmung): 

Norditalien.  Mittelitalien. 

Steinzeit                        =  Steinzeit 

Ältere  Bronzezeit                 =  Ältere  Bronzezeit 

Jüngere  Bronzezeit               =  Jüngere  Bronzezeit 

Übergangszeit  zur  Aera  des  Eisens  =  Übergangszeit  zur  Aera  des  Eisens 

Ältere  Eisenzeit  (Benaccei-Gräber)  =  Ältere  Eisenzeit  I 

Ältere  Eisenzeit  (Arnaldi-Gräber)    =  Etruskische  Zeit  I 

Etruskische  Zeit                 =  Etruskische  Zeit  II 

58)  Altertümer  aus  Transkaukasien  von  Rudolf  Virchow.     (K. 
A.,  20.  Jahrgang.     137-139). 

Von  den  wertvollen  Früchten  der  Virchowschen  Studienreise  in 
die  Länder  jenseits  des  Kaukasus  interessiert  uns  hier  am  meisten  die 
früher  noch  nicht  gleich  klar  erkannte  Thatsache,  dafs  das  Antimon 
(s.  0.  37)  den  Hauptbestandteil  vieler  in  den  dortigen  Gräbern  aufgefun- 
dener Artefakte  bildet;  besonders  Knöpfe  wurden  aus  diesem  regulini- 
schen Antimon  gemacht.  Ebenso  wie  der  Geognost  diejenigen  Verstei- 
nerungen,  mit  deren  Hilfe   er  am  leichtesten  und  unzweideutigsten  das 


Technik.  277 

Alter  einer  gewissen  Sedimentbildung  bestimmt,  als  »Leitfossilien«  be- 
zeichnet, betrachtet  Virchow  das  genannte  Metall  als  »Leitmetall«  für 
eine  gewisse  prähistorische  Periode. 

59)  Die   Hügelgräber    zwischen   Ammer-  und   Staffelsee,   geöffnet, 
untersucht  und  beschrieben  von  J.  Naue.     Stuttgart  1887. 

Die  in  diesem  sehr  verdienstlichen  Buche  abgehandelten  Gegen- 
stände liegen  unserem  Berichte  im  allgemeinen  fern.  Doch  verdient  als 
ein  Seitenstück  zu  dem  in  den  eigentlich  klassischen  Ländern  gewonne- 
nen kulturgeschichtlichen  Resultaten  immerhin  bemerkt  zu  werden,  dafs 
nach  Naue  die  sogenannte  Hallstadt-Periode  Oberbayerns  bereits  in  das 
X.  Säkulum  v.  Chr.  zu  verlegen  und  der  Beginn  der  Bronzezeit  für  die- 
sen  Teil  Deutschlands   sogar  noch   4—500  Jahre  früher  anzusetzen  ist, 

60)  Die  Bronzezeit  in  Cypern  von  J.  Naue  (K.  A.,  19.  Jahrgang. 
123—127). 

Die  von  Ohnefalsch -Richter  auf  der  genannten  Insel  ausgeführten 
Ausgrabungen  setzen  darüber  ins  klare,  dafs  eine  vorphönikische  Bronze- 
zeit angenommen  werden  mufs,  die  jedoch  wieder  in  zwei  deutlich  aus- 
gesprochene Perioden  zerfällt.  Während  der  ersten  derselben  legten  die 
Insulaner  lediglich  flache  Erdgräber  an,  wogegen  sie  in  der  zweiten  den 
Stollengräbern  den  Vorzug  gaben.  Schon  in  der  erstgenannten  kamen 
Gegenstände  vor,  die  deutlich  ihren  babylonischen  Ursprung  bekunden, 
während  in  dem  späteren  Zeiträume  ein  massenhafter  Import  von  Ge- 
fäfsen,  Waffen  u.  s.  w.  aus  Aegypten  und  Griechenland  (Mycene)  stattge- 
funden zu  haben  scheint.  Die  Keilschriftzylinder  ermöglichen  eine  un- 
gefähre Altersbestimmung,  und  es  findet  sich,  dafs  die  erste  Periode  bis 
nahe  an  das  Jahr  4000  v.  Chr.  (Sargon  von  Akkad)  hinaufreicht,  wäh- 
rend für  die  zweite  vielleicht  die  Zeit  2500—1000  v.  Chr.  übrig  bleiben 
würde. 

61)  Les    travaux    hydrauliques   en  Babylonie    par   A.   Delattre. 
Brüssel  1888.     59  S. 

Diese  Arbeit  knüpft  an  an  die  Berichte  Herodots  über  Mesopota- 
mien, der  das  Land  als  fruchtbar  schildert,  und  wirklich  mufs  es  auch 
dies  gewesen  sein,  da  Berosus  und  Ammianus  Marcellinus  ausdrücklich 
das  Vorhandensein  zahlreicher  Palmen  bezeugen,  und  da  Xenophon  aus 
seineu  Feldzugserinnerungen  einen  überaus  dichten  Hain  in  der  Nähe 
von  Babylon  beschreibt.  Der  hohe  Tribut,  den  die  Satrapie  Babylon 
später  zu  entrichten  hatte,  wäre  auch  unerklärlich,  wenn  sich  in  der  Perser- 
zeit das  Zweistromland  in  dem  sterilen  Zustande  von  heute  befunden 
hätte.  Regen  fiel  damals  gewifs  nicht  mehr  als  jetzt,  so  dafs  eben  die 
künstliche   Bewässerung  helfend  eintreten  mufste.     Diese  war   noch  im 


278  Technik. 

porsiscli-priocliischon  Zoitaltor  eine  sehr  ausgiebige  und  wird  von  Xeno- 
})lion  im  ganzen  riclitig  charakterisiert;  nur  irrt  derselbe,  wenn  er  sagt, 
das  "Wasser  sei  vom  Tigris  zum  Euphrat  hin  geflossen,  da  die  Strömungs- 
richtung die  umgekehrte  war. 

Der  gröfste  der  Kanäle  war  der  »königliche«  (Naharmalcha),  wel- 
cher HO  km  oberhalb  der  Hauptstadt  vom  Euphrat  sich  abzweigte,  längere 
Zeit  annäliernd  i)arallel  diesem  Flusse  sich  hinzog,  dann  zuerst  nord- 
uud  hierauf  südöstlich  sich  wendete,  um  bei  Ktesiphon  den  Tigris  zu 
erreichen.  Dieser  Kanal  ist  noch  heute  erkennbar.  Vor  Ktesiphon  ging 
vom  Naharmalcha  ein  Zweiggraben  ab,  in  dessen  Nähe  nach  E.  Reclus 
noch  jetzt  eine  klinstliche  Bewässerung  wahrgenommen  wird.  Jeder 
dieser  Kanäle  war  anscheinend  wieder  mannigfach  verästelt,  und  auch 
Reservoirs  fehlten  nicht,  um  bei  Wassermangel  auszuhelfen,  so  dasjenige 
von  Sippara,  das  allerdings  kaum  die  ihm  von  einzelneu  Autoren  bei- 
gelegten ungeheuerlichen  Dimensionen  besessen  haben  wird.  Die  nach 
Herodot  zur  Yerlangsamung  der  Schiffahrt  angebrachten  Katarakte  haben, 
wie  mehr  noch  aus  einer  Inschrift  des  Sancherib  als  aus  anderweiteu 
griechischen  Bestätigungen  erhellt,  in  Wahrheit  existiert.  Die  an  und 
für  sich  schwierige  Unterhaltung  der  Wasserwege  ward  in  der  Diadochen- 
zeit  vernachlässigt,  und  so  verfiel  allmählig  das  ganze  Kanalsystem. 

Die  Keilschriftdenkmäler  haben  in  neuerer  Zeit  auch  manchen  be- 
züglichen Aufschlufs  erteilt.  So  rühmt  sich  König  Sinidinna  (um  2000 
V.  Chr.),  einen  künstlichen  Flufs  (när)  gegraben  zu  haben,  ein  gleiches 
behaupten  seine  Nachfolger  Rimsin  und  Khammurabi,  welch  letzterer 
jedenfalls  der  Erbauer  des  Arakthu,  vielleicht  sogar  auch  des  Nahar- 
malcha gewesen  ist.  Wie  hoch  man  den  Werth  solcher  Bauwerke  für 
Binnenverkehr  und  Drainierung  der  Felder  schätzte,  das  lehrt  eine  In- 
schrift Nabuchodonosors  I:  »Wer  diese  Schrift  zerstört,  dem  soll  der 
Gott  des  Wassers  seine  Kanäle  verfallen  und  ihn  damit  Hungers  ster- 
ben lassen.«  Von  einer  Anzahl  anderer  ähnlicher  Inschriften  erstattet 
Delattre  Bericht.  So  befindet  sich  in  der  sogenannten  »Bibliothek  des 
Asurbanipal«  ein  reichhaltiger  Katalog  aller  babylonischer  Wasserstrassen, 
und  auch  manche  spätere  Stelen  assyrischer  Herrscher,  vorab  des  Tiglat- 
pileser,  geben  Kunde  von  den  Kanälen  des  oberen  Mesopotamien,  deren 
einer,  die  »Wasserleitung  des  Sancherib,«  ein  aus  Hausteinen  aufge- 
mauerter Aequaedukt  gewesen  sein  dürfte.  Jener  König  läfst  fernerhin 
zu  seinem  Lobe  verkünden,  dafs  er  den  När  Tibilti,  welcher  die  Stadt 
Niniveh  mit  Schlammassen  überschüttete,  reguliert  und  durch  Anweisung 
eines  neuen  Bettes  unschädlich  gemacht  habe.  Diese  künstlich  geschaffene 
Vorflutrinne  ging  vom  Khusur  (Tigris)  aus,  umging  die  Residenz  und 
vereinigte  sich  unterhalb  derselben  wider  mit  jenem  Strome,  indem  zu- 
gleich die  Umgebung  durch  diesen  Bewässerungskanal  reich  befruchtet 
wurde. 


Technik.  279 

62)  Bemerkungen  über  Bau-  und  Pflasterraaterial  in  Pompeji  von 
W.  De  ecke  (Mitteil,  aus  dem  naturwissensch.  Verein  f.  Neuvorpom- 
mern und  Rügen  zu  Greifswald,  17.  Jahrgang.     166—182). 

Die  alte  Stadt  Pompeji  stand  auf  einem  in  vorgeschichtlicher  Zeit 
vom  Vesuv  niedergegangenen  Lavastrom,  und  dieser  hat  auch  wesent- 
lich das  Material  zu  den  Bauten  der  Pompejaner  hergegeben.  Die 
eigentliche  Lava,  welche  den  inneren  Kern  des  erstarrten  Glutraantels 
ausmachte,  wurde  nur  in  geringerem  Mafse  verwendet,  umsomehr  aber 
wurden  dies  die  Schlacken,  die  glasig  erstarrten  Bestandteile  der  ober- 
flächlichen Partien  des  Ergusses.  Doch  stammen  die  Schlacken,  aus 
denen  man  die  Bausteine  gewann,  auch  von  anderen  entfernteren  Lava- 
strömen her.  Bimsstein  dagegen  kommt,  wie  Deecke  im  Gegensatz  zu 
Nissen  feststellt,  nur  sehr  spärlich  vor.  Wirkliche  Lava  ist  es,  aus  der 
Treppen,  Thürschwellen  und  Strafsenpflaster  besteht,  und  aus  einer  ge- 
wissen grobkörnigen,  leuzit-  und  olivinreichen  Lava  waren  die  durch 
Haltbarkeit  ausgezeichneten  Mühlsteine  verfertigt.  Für  den  Hausbau 
eignete  sich  sehr  gut  der  Tuff,  dessen  graue  Varietät  in  Pompeji,  dessen 
gelbe  Varietät  dagegen  in  Herculanum  am  meisten  verbreitet  ist,  und 
auch  Kalktuff  kommt  nicht  selten  vor.  Die  Ziegel  hat  man  dem  An- 
scheine nach  mit  Vorliebe  aus  der  Puzzolanerde  der  benachbarten  phle- 
graeischen  Felder  gebrannt,  weshalb  dieselben  zahlreiche  Splitter  von 
vulkanischen  Gesteinen  in  sich  enthalten.  Man  sieht,  dafs  diese  römi- 
schen Provinzialen  sich  an  die  Baustoffe  hielten,  welche  ihnen  die  Natur 
sozusagen  von  selbst  darbot,  allein  das  hatte  auch  zur  Folge,  dafs  die 
Bauart  aller  dieser  Wohnhäuser  nur  eine  sehr  unsolide  sein  konnte. 

63)  Die  römische  Wasserleitung  im  Dome  zu  Köln;  Fundbericht 
von  Voigtel  (Jahrbücher  des  Vereins  von  Altertumsfreunden  der 
ßheinlande,  82.  Heft.     75—81). 

Der  im  Volk  lebenden  Tradition  zufolge  ist  der  Kölner  Dom  über 
einer  alten  römischen  Wasserleitung  erbaut,  und  diese  Überlieferung  ist 
durch  die  von  dem  Dombaumeister  Voigtel  angeordnete  Aufgrabung  voll- 
auf bestätigt  worden.  Man  fand  27*  Meter  unter  dem  Platteuboden 
einen  Kanal,  in  welchem  ein  längeres  Bleirohr  mit  einem  dazu  recht- 
winkligen Ansatzrohre  eingebettet  lag.  Die  Gefällverhältnisse  des  Haupt- 
stranges und  dessen  wesentlich  nordsüdliche  Richtung  stellte  eine  nähere 
Untersuchung  fest;  auch  über  die  technische  Ausführung,  über  die  Art 
und  Weise,  wie  die  ursprünglich  platt  gewalzten  Bleiplatten  in  eine 
Zylinderform  gebracht  wurden,  liefs  sich  ein  Urteil  gewinnen.  Bezeich- 
nend für  die  Solidität  der  römischen  Arbeit  ist' der  Umstand,  dafs  die 
aufgedeckte  Röhre,  die,  wie  gesagt,  aus  Blei  besteht  und  mit  einer 
Mischung  von  Zinn  und  Zink  verlötet  worden  war,  nach  einem  Zeit- 
räume von  15 — 1800  Jahren  »eine  so  vollkommene  Erhaltung  und  Dich- 


280  Nachtrag. 

tigkeit  zeigte,  dafs  das  Bleilot  ohne  jede  Reparatur  noch  heute  zur 
Wasserleitung  benutzt  werden  könnte.«  Nachträglich  ist  dem  Referen- 
ten noch  bekannt  geworden: 

64)  Prolegomena  ad  papyrum  niagicam  musei  Lugdumensis  Batavi 
von  Albrecht  Dieterich.     Leipzig  1888  (Inauguraldissertation). 

Die  Arbeit  ist  ein  Teil  einer  gröfseren  Untersuchung  über  den 
erwähnten  Papyrus ,  welche  von  der  Bonner  philosophischen  Fakultät 
einen  Preis  erhielt  und  als  selbständige  Schrift  im  Teubnerschen  Ver- 
lage erscheinen  soll.  Acht  Papyrushandschriften  magischen  Inhaltes  sind 
dem  Verf.  zufolge  jetzt  bekannt,  die  namentlich  für  die  Geschichte  der 
gnostischeu  Lehren  grofse  Bedeutung  besitzen.  Der  hier  in  Rede  stehende, 
von  Leemanns  herausgegebene  Papyrus  (No.  384  Leyden)  scheint  aus 
der  Nekropolis  Thebens  zu  stammen  und  ist  zum  gröfseren  Teile  in 
griechischer,  zum  kleineren  in  demotischer  Schrift  geschrieben.  Zauber- 
formeln, alchymistische  und  astrologische  Verse  machen  den  Hauptinhalt 
aus.  Die  Autoren,  deren  Erwähnung  gethan  wird,  sind  teilweise  unbe- 
kannt, teilweise  zwar  sehr  bekannt,  aber  nur  als  halbmythische  oder  vor- 
geschichtliche Persönlichkeiten,  wie  Dardanus,  Zoroaster  u.  a-,  was  offen- 
bar davon  herrührt,  dafs  die  »abergläubischen  Kompilatoren,i  welche  in 
den  ersten  Jahrhunderten  der  Christenzeit  in  Ägypten  als  in  einem  für 
mystische  Bestrebungen  besonders  geeigneten  Lande  zusammenströmten, 
ohne  Wahl  glänzende  Namen  aus  allen  Zeiten  und  Erdgegenden  für  ihre 
Zwecke  nutzbar  zu  machen  sucüten.  Mit  ihnen  schmückte  man  die  Pro- 
dukte der  eigenen  schriftstellerischen  Laune  aus.  Weiterhin  führt  der 
Verf.  eine  Reihe  von  Stellen  an,  welche  dafür  sprechen,  dafs  die  einzel- 
nen Manuskripte  auf  gemeinsamer  Grundlage  stehen,  resp.  nicht  unab- 
hängig von  einander  entstanden  sind,  und  hierauf  macht  er  sich  an  die 
Aufgabe,  Ursprung  und  Quellen  des  Leemannsschen  Papyrus  näher  fest- 
zustellen. Die  wesentlich  philologisch  gehaltene  Textprüfung  führt  denn 
auch  dazu,  gewisse  Bestandtheile  rein  ägyptischer  Provenienz  und  dann 
auch  wieder  andere  auszuscheiden,  welche  aus  dem  gnostischeu  Heer- 
lager und  dem  orphischen  Sagenkreise  hervorgegangen  sind.  Man  wird 
dem  fertigen  gröfseren  Werke  mit  Interesse  entgegegensehen  dürfen. 

Der  Unterzeichnete  beschliefst  hiermit  die  ihm  übertragene  Bericht- 
erstattung. Zu  seinem  lebhaften  Bedauern  nötigen  ihn  anderweite,  sei- 
nem gegenwärtigen  Berufe  näher  liegende  Arbeiten,  dieses  Amt  in  andere, 
hierzu  vorzüglich  geeignete  Hände  zu  geben.  Er  dankt  zugleich  der 
Verlagsbuchhandlung  und  verschiedenen  Autoren  dafür,  dafs  sie  ihn  in 
den  Stand  gesetzt  haben,  seiner  Aufgabe  mit  wenigstens  annähernder 
Vollständigkeit  gerecht  zu  werden. 


Jahresbericht  über  die  Medicin  bei  den 
Griechen  und  Römern. 

Von 

Professor   Dr.   T  li.   P  u  s  c  h  m  a  i»  ii 

in  Wien. 


I.   Gescliiclite  €ler  Medicin  im  Allgemeinen. 

1)  S.  Günther:  Geschichte  der  antiken  Naturwissenschaft.  Iwan 
Müllers  Handbuch  der  klassischen  Altertumswissenschaft.  1888.  Bd.  V. 
Abth.  1.    S.  1—114.    Nördlingen. 

Der  Verf.  hat  die  Aufgabe,  die  wichtigsten  Ereignisse  aus  der  Ge- 
schichte der  Heilkunde  des  Altertums  in  gedrängter  Weise  vorzutragen, 
musterhaft  gelöst.  Die  wenigen  Seiten  (S.  103 — 114),  welche  der  Medi- 
cin gewidmet  sind,  enthalten  eine  überraschende  Fülle  von  Thatsachen, 
die  mit  ricbtiger  Erkenntniss  ihrer  Bedeutung  für  die  wissenschaftliche 
Entwickelung  der  Heilkunde  ausgewählt  worden  sind. 

2)  J.B.Hamilton:  History  of  medicine.  N.  Engl.  Med.  Month. 
Bridgeport.  Conn.  1886/87.    VI,  149  u.  ff. 

3)  H.  Haeser:  Grundriss  der  Geschichte  der  Medicin.  Jena  1884. 
80.    418  S. 

Dieses  Schulbuch  bildet  einen  Auszug  aus  des  Verf.'s  dreibändigem 
Lehrbuch  der  Geschichte  der  Medicin.  Es  zeigt  die  gleiche  Anordnung 
des  Stoffes  und  bringt  die  wesentlichen  Thatsachen  und  Fortschritte, 
welche  die  Entwickelung  der  Heilkunde  herbeigeführt  oder  beeinflusst 
haben.  Das  Alterthum  unifasst  S.  1  —  70,  das  Mittelalter  S.  73  153.  Das 
Buch  kann  denen,  welche  sich  rasch  mit  dem  Gegenstande  bekannt 
machen  wollen,  sehr  empfohlen  werden;  es  ist  der  beste  Leitfaden  der 
Geschichte  der  Medicin. 

4)  C.  A.  Gordon:  Notes  from  the  history  of  medicine  and  of 
medical  opinion  from  the  earliest  times.  Med.  Press.  &  Circ.  Lon- 
don 1887.    p.  25  u.  ff. 


282  Geschichte  der  Medicin. 

5)  Dignat:    Histoirc  de  la  medeciue   et  des  medecins  ä  travers 
les  ages.     Paris  1888. 

Der  Verf.  erklärt  selbst  in  der  Vorrede,  dass  seine  Arbeit  keine 
qnellenmässige  Darstellung  der  Geschichte  der  Medicin,  sondern  eine 
populäre  TTebersicht  ihrer  allgemeinen  Entwickelung  ist.  Sie  scheint  mehr 
für  Laien  als  für  Fachmänner  berechnet  zu  sein,  bietet  aber  Jenen  zu 
viel  und  Diesen  zu  wenig,  und  sondert  nicht  das  Wesentliche  von  dem 
Unwesentlichen. 

6)  Barbillon:    Historia  de  la  medicina.     Madrid.    1886.    142  p. 

Mit  vielem  Geschick  ist  dieser  kleine  Grundriss  der  Geschichte 
der  Medicin  aus  den  grösseren  historisch-medicinischen  Werken,  beson- 
ders der  spanischen  und  französischen  Litteratur,  kompilirt  worden. 
Auf  seinen  142  Seiten  werden  die  wichtigsten  Ereignisse  erzählt  und 
die  Leistungen  der  hervorragendsten  Aerzte  und  medicinischen  Forscher, 
welche  ihren  Namen  in  der  Geschichte  verewigt  haben,  in  grossen  Zü- 
gen skizzirt. 

7)  Risorius  Santorini: 

Der  Medicin  Historia 

kurzweilig  und  in  Verslein  da 

man  sie  in  Prosa,  wie  bekannt 

nicht  stark  goutiert  im  deutschen  Land. 
Mit  44  lieblichen  Illustrationen  verzieret  von   Dr.  Corrugator  Super- 
cilii.    Leipzig  1887.    100  S. 

8)  Th.  Pu  seh  mann:    Geschichte  des   medicinischen  Unterrichts 
von  den  ältesten  Zeiten  bis  zur  Gegenwart.    Leipzig  1889.    8^.    530  S. 

»Die  vorliegende  Arbeit  ist  der  erste  Versuch  einer  zusammen- 
hängenden Darstellung  der  Geschichte  des  medicinischen  Unterrichts. 
In  der  Litteratur  wurden  bisher  nur  Bruchstücke  derselben  niedergelegt, 
welche  die  Entstehung  und  Entwickelung  einzelner  medicinischer  Schu- 
len und  Anstalten,  die  Lehr-Meinungen  und  Unterrichts-Methoden,  die 
dabei  wirkenden  Personen  und  ihre  Leistungen  behandeln«,  heifst  es  in 
der  Vorrede. 

Ich  habe  die  darüber  vorhandenen  Nachrichten  gesammelt,  geprüft, 
mit  einander  verglichen  und  dabei  manchen  Irrthum  berichtigt  manche 
bisher  wenig  beachtete  oder  unbekannte  Thatsache  ans  Licht  gezogen. 
Bei  allen  Angaben  habe  ich  die  litterarischen  Quellen  genannt,  auf  wel- 
che sie  sich  stützen,  sodass  sie  kontroliert  und,  wenn  meine  Deutung 
derselben  falsch  sein  sollte,  richtig  gestellt  werden  können.  Bei  dieser 
Gelegenheit  möchte  ich  bemerken,  dass  durch  ein  Versehen  des  Abschrei- 
bers auf  S.  89,  Anra.  5  anstatt  Galen  IV,  487  fälschlich  Galen  III,  412 
citirt  wird. 


Geschichte  der  Medicin.  283 

Die  zahlreichen  Beziehungen,  welche  mein  Thema  zur  Geschichte 
des  Erziehungswesens  wie  zur  allgemeinen  Kulturgeschichte  darbietet, 
wurden  sorgsam  verfolgt  und  in  gebührender  Weise  hervorgehoben.  Da 
der  Inhalt  dessen,  was  zu  einer  bestimmten  Zeit  gelehrt  wurde,  in  der 
Geschichte  des  Unterrichts  einen  Platz  finden  muss,  so  hat  sich  meine 
Arbeit  zu  einer  Geschichte  der  Medicin  erweitert,  die  das  Wissen  und 
die  Leistungen  der  Aerzte  durch  ihre  Erziehung  und  Ausbildung  zu  er- 
klären versucht.  Selbstverständlich  wurden  die  dem  medicinischen  Un- 
terricht dienenden  Einrichtungen  und  Anstalten,  ihre  Ausstattung  mit 
Lehrmitteln  und  Lehrkräften  und  ihre  Beziehungen  zum  Fortschritt  der 
Wissenschaften  und  Künste,  zu  den  religiösen,  politischen  und  sozialen 
Verhältnissen  ausführlich  erörtert  und  dem  Ganzen  somit  eine  breite 
kulturliistorische  Grundlage  gegeben. 

In  der  Einleitung  wird  der  zweifache  Ursprung  der  Heilkunde  ent- 
wickelt, nämlich  aus  der  Erfahrung  einerseits,  welche  heilsame  Kräuter 
zu  entdecken  und  Wunden  und  Knochenbrüche  zu  heilen  suchte,  und 
aus  der  Mystik  andererseits,  die  in  den  Krankheiten,  besonders  den 
Seuchen,  Schickungen  der  Gottheit  erblickte  und  dieselben  durch  Ge- 
bete und  Opfer  zu  beseitigen  trachtete.  Der  erste  Theil  (S.  1 — 112)  be- 
schäftigt sich  mit  dem  Alterthum  und  behandelt  in  den  einzelnen  Kapi- 
teln den  medicinischen  Unterricht  in  Indien,  Aegypten,  bei  den  Israeli- 
ten, Parsen,  bei  den  Griechen  vor  Hippokrates  und  zur  Zeit  des  Hippo- 
krates,  in  Alexandria ,  ferner  die  Medicin  in  Rom ,  den  medicinischen 
Unterricht  und  den  ärztlichen  Stand  in  Rom.  Das  Mittelalter  umfasst 
S.  113—238,  die  Neuzeit  S.  239  —  364,  die  neueste  Zeit  S.  365—494;  in 
den  Schlussbetrachtungen  werden  einige  Fragen  besprochen,  welche  in 
der  Oeffentlichkeit  gegenwärtig  lebhaft  erörtert  werden,  wie  die  Vorbil- 
dung der  Mediciner,  die  Zusammensetzung  der  Fakultäten,  die  Besetzung 
der  Lehrkanzeln  u.  ä.  m.  Das  Buch  ist  nicht  blos  für  die  ärztlichen 
Berufsgenossen,  sondern  für  jeden  Gebildeten  verständlich. 

9)  Tb.  Puschmanu:  Geschichte  des  klinischen  Unterrichts.  Kli- 
nisches Jahrbuch  herg.  v.  A.  Guttstadt.  1889.  Berlin.  Bd.  I,  S.  9—66. 
[beschäftigt  sich  mit  der  Ausbildung  in  der  praktischen  Heilkunde  bei 
den  alten  Indern,  Aegyptern,  Griechen,  Römern  und  im  Mittelalter  und 
in  der  Neuzeit,  sowie  mit  den  Anstalten,  welche  für  diesen  Zweck  ins 
Leben  gerufen  wurden]. 

10)  Th.  Puschmann:  Die  Bedeutung  der  Geschichte  für  die 
Medicin  und  die  Naturwissenschaften.  Deutsche  med.  Wuchenschr. 
1889.    No.  40. 

Diese  Rede  wurde  in  der  allgemeinen  Sitzung  der  Versammlung 
deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  Heidelberg  (1889)  gehalten  und 
entwickelt  die  Bedeutung  und  den  Nutzen,  welchen  das  Studium  der 
Geschichte  der  Medicin  und  der  Naturwissenschaften   für  den  Naturfor- 


284  Geschichte  der  Medicin. 

scher  und  Arzt  hat,  beklagt  die  Vernachlässigung  desselben  und  giebt 
die  Mittel  an,  durch  welche  es  gehoben  und  fruchtbringend  gestaltet 
werden  kann. 

11)  B.  P.  Wright:  Medical  numismatics.  Med.  Standard. 
Chicago  1889.    VI,  141. 

12)  S.  Gill:  A  chapter  of  medical  archeology;  the  ring  in  me- 
dical lore.     New  Orleans  Med.  &  Surg.     Journ.  XII,  p.  735. 

II.  Die  mythische  Zeit.    Die  Heilkunst  in  den  Tempeln. 

1)  M.  A.  Rust:  Mysticisra  in  the  developraent  of  medicine. 
Gaillards  Med.  Journ.  New-York.     T.  48.    p.  9  u.  ff. 

2)  G.  A.  Stock  well:  Curiosities  of  therapeutics.  III.  Pre- 
historic  and  mystical  medicine.  Therap.  Gaz.  Detroit  1887.  III.  p.  525 
und  ff. 

3)  W.  Schwartz:  Die  rossgestaltigen  Himmelsärzte  bei  Indern 
und  Griechen.  Zeitschr.  f.  Ethnol.  Berlin.  1888.  Bd.  20.  S.  221  u.  ff'. 
[Verf.  weist  auf  die  Aehnlichkeit  zwischen  dem  ludischen  Mythos  der 
rossgestaltigen  Agvinen  und  der  Keutaurensage  der  Griechen  hin]. 

4)  W.  H.  Röscher:  Die  sogenannten  Pharmakiden  des  Kyp- 
selos  -  Kastens.  Philologus  1889.  N.  F.  Bd.  i.  H.  4.  [Die  beiden 
Frauen  auf  der  Kypselos-Lade  werden  für  zwei  Moiren  erklärt,  »die 
als  Pharmakiden  gefasst,  in  ihren  Mörsern  dem  Menschen  Heil  und 
Unheil  bereiten«]. 

5)  K.  du  Prel:  Die  Mystik  der  alten  Griechen.  Leipzig  1888. 
80.    170  S. 

Der  Verf.  versucht  aus  den  literarischen  Quellen  nachzuweisen,  dass 
der  Tempelschlaf  und  die  Orakel  der  Griechen  mit  den  Zuständen  der 
Hypnose  und  des  Somnambulismus  identisch  waren,  dass  die  Vorgänge 
bei  den  Mysterien  Aehnlichkeit  hatten  mit  den  Erscheinungen,  welche 
man  in  den  spiritistischen  Sitzungen  beobachten  kann,  und  dass  der 
Dämon  des  Sokrates  sich  am  besten  durch  die  Annahme  erklärt,  dass 
der  Letztere  die  Eigenschaften  eines  Mediums  besass.  Zur  Stütze  sei- 
ner Behauptungen  zieht  er  die  Schriften  über  den  Hypnotismus  und  den 
Spiritismus  heran.  Da  er  ein  überzeugter  Anhänger  desselben  ist,  so 
nimmt  er  die  Richtigkeit  der  Angaben,  die  darüber  gemacht  werden,  an 
und  baut  darauf  seine  Schlüsse  und  Folgerungen.  Er  zeigt  zu  wenig 
Vorsicht  in  der  Auswahl  seiner  Gewährsmänner  und  zu  wenig  Strenge 
in  der  Kritik  ihrer  Mittheilungen.  Baron  du  Prel,  welchen  ich  seit  zwei 
Jahrzehnten  persönlich  kenne  und  hochachte,  war  früher  Offizier  in  der 


Mythische  Zeit,     Heilkunst  in  den  Tempeln.  285 

deutschen  Armee.  Er  besitzt  ein  reiches  Wissen,  einen  scharfen  Ver- 
stand, wie  seine  philosophischen  Arbeiten  beweisen,  und  selbstloses 
Streben  nach  der  Wahrheit,  nach  der  Erkenntniss;  aber  er  hält  jeden 
Menschen  für  ebenso  ehrlich,  als  er  selbst  ist,  und  glaubt  Jedem. 

6)     Herrn.   Diels;    Antike    Heilwunder.     Nord    und   Süd.     1888. 
Bd.  44.    H.  130. 

Der  Verf.  beginnt  mit  einer  scharfen  Polemik  gegen  du  Frei  und 
andere  Vertreter  des  Spiritismus,  verspottet  deren  Erklärung  des  Tem- 
pelschlafes und  der  Tempelkuren  und  macht  den  Versuch,  diese  That- 
sachen  zu  deuten,  ohne  dass  dabei  transcendentale  Einflüsse  zu  Hilfe 
gezogen  werden.  Er  führt  zu  diesem  Zweck  mehrere  Berichte  von 
Krankenheilungen  an,  die  im  Asklepios  Tempel  zu  Epidauros  stattgefun- 
den haben  sollen  und  durch  die  in  den  letzten  Jahren  erfolgten  Ausgra- 
bungen desselben  bekannt  geworden  sind,  und  bemerkt,  dass  sie  eigent- 
lich nicht  viel  mehr  enthalten  als  absurde  Behauptungen  und  abgeschmackte 
Erfindungen.  Aber  Niemand  wird  glauben,  dass  damit  die  Aufgabe, 
welche  sich  der  Verf.  gestellt  hat,  gelöst  ist. 

Allerdings  sind  die  Krankengeschichten  der  griechischen  Tempel- 
Medicin  zum  grossen  Theile  nichts  weiter  als  fromme  Legenden,  die  von 
den  Priestern  ersonnen  wurden,  um  die  Macht  und  die  Weisheit  ihres 
Gottes  zu  preisen.  Auch  sind  die  plumpen  Schwindeleien,  welche  sich 
die  Priester  bei  den  Tempelkuren  gelegentlich  erlaubten,  allgemein  be- 
kannt; Aristophanes  und  Philostratus  in  der  Biographie  des  Apollonius 
von  Tyana  haben  dies  in  ergötzlicher  Weise  geschildert.  Aber  berech- 
tigt dies  zu  der  Annahme,  dass  Alles,  was  über  die  Tempelkuren  und 
die  dadurch  erzielten  Heilerfolge  erzählt  wird,  Humbug  und  Märchen 
ist?  Ist  es  denkbar,  dass  das  geistig  hochstehende  Volk  der  Griechen 
einer  solchen  Sache  durch  Jahrhunderte  Vertrauen  und  Achtung  gezollt 
hätte,  wenn  ihr  nicht  einige  Thatsachen  zu  Grunde  lagen?  —  Wenn 
man  an  die  Prüfung  dieser  Dinge  herangeht,  so  muss  man  das  Wesent- 
liche von  dem  Unwesentlichen  scheiden,  die  zweckentsprechenden  Ver- 
ordnungen aus  dem  mystischen  Beiwerk,  in  welches  sie  gehüllt  sind, 
herausschälen.  Dazu  gehören  nicht  blos  philologische  und  archäologische 
Kenntnisse,  sondern  auch  medicinisches  Wissen.  Das  Urtheil  wird  dann 
ganz  anders  lauten  als  dasjenige,  zu  welchem  Diels  gelangt  ist.  Man 
erkennt  dabei,  dass  die  Kraukenbehandlung  in  den  Tempeln  häufig  im 
Gebrauch  wirksamer  Medicamente  und  in  der  Anwendung  diätetischer  und 
und  psychischer  Heilmethoden  bestand  und  wohl  geeignet  war,  die  Hei- 
lung herbeizuführen.  Ich  erinnere  an  die  Behandlung  des  M.  J.  Apellas 
(v.  Wilamowitz  -  Moellendorf  in  philol.  Untersuchungen.  Berlin  1886. 
H.  9.  S.  116),  möchte  aber  vor  allem  daraufhinweisen,  dass  doch  eigent- 
lich fast  die  ganze  wissenschaftliche  Gestaltung  der  griechischen  Heil- 
kunde   auf   dem    Boden    der    Tempelmedicin    geschah.      Inwieweit    sich 


2g6  Mythische  Zeit.     Heilkunst  in  den  Tempeln. 

manche  räthselhafte  Erscheinung,  die  bei  den  Tenipolkuren  zu  Tage  trat, 
durch  die  erst  in  neuester  Zeit  beobachteten  übei'raschenden  Thatsachen 
der  Suggestion  und  des  Hypnotismus,  der  übrigens,  wie  ich  hier  beiläufig 
bemerke,  von  dem  Spiritismus  sehr  verschieden  ist,  erklären  lässt,  muss 
speciellen  Untersuchungen  vorbehalten  bleiben. 

7)  Vercoutre:  La  medecine  sacerdotale  dans  Tantiquite  grecque. 
Rev.  archeol.  Paris  1885.  ser.  III.  T.  6.  p.  273  und  ff.  1886.  T.  7. 
p.  106  n.  ff.  und  separ.  Angers.    1886. 

Eine  vorzügliche,  durchaus  quellenmässige  Darstellung  der  Askle- 
pieen,  in  welcher  namentlich  die  hygienische  Bedeutung  derselben  her- 
vorgehoben wird.  Ihre  Lage  auf  Bergen  und  in  Wäldern  oder  in  der 
Nähe  heilkräftiger  Quellen  und  die  diätetischen  und  psychischen  Mittel, 
welche  man  dort  zur  Anwendung  brachte,  geben  den  Asklepieen  den 
Charakter  von  Sanatorien  in  unserm  Sinne.  Der  Verf.  beschreibt  aus- 
führlich den  Vorgang,  wie  die  Träume  zu  Stande  kamen  und  welche 
Rolle  die  Priester  dabei  spielten,  unterzieht  die  ärztlichen  Verordnungen, 
die  in  den  Tempeln  getroffen  wurden,  einer  Kritik  und  zeigt,  dass  sie 
in  vielen  Fällen  ganz  rationell  und  zweckentsprechend  waren.  Am 
Schluss  bespricht  er  die  Ursachen  des  Verfalls  der  Tempelmedicin,  zu 
denen  er  hauptsächlich  ihre  Misserfolge  auf  therapeutischem  Gebiete, 
die  zunehmende  Concurrenz,  die  Fortschritte  der  wissenschaftlichen  Heil- 
kunde und  die  Abnahme  des  Aberglaubens  unter  den  Menschen  rechnet. 
Uebrigens  fand  die  Tempelmedicin  mit  dem  Untergange  des  Heidenthums 
nicht  ihr  Ende,  sondern  blieb  unter  einer  etwas  veränderten  Form  auch 
unter  der  Herrschaft  des  Christenthums  bestehen. 

8)  A.  E  seh  weil  er:  Ueber  den  Namen  und  das  Wesen  des  grie- 
chischen Heilgottes.     Progr.  d.  Gymnas.  zu  Brühl.    1885. 

9)  H.  L.  Urlichs:  Asklepios  und  die  Eleusinischen  Gottheiten. 
Jahrb.  d.  Ver.  d.  Alterth.  im  Rheinl.  1889.  H.  87.  [Besprechung  eini- 
ger Attischer  Reliefs,  auf  denen  Asklepios  erscheint]. 

10)  A.  C.  Merriam:  Aesculapia  as  revealed  by  inscriptions. 
Gaillards  Med.  Journ.  1885.    p.  355  u.  ff. 

11)  A.  C.  Merriam:  The  treatment  of  patiens  in  the  temples 
of  Aesculapius.     Boston  Med.  &  Surg.  Journ.    T.  112.    p.  304  u.  ff. 

12)  J.  Anderson:  The  temple  of  Aesculapius.  Brit.  Med. 
Journ.     London  1887.    II,  904  u.  ff. 

13)  The  Statue  of  Asklepios  at  Epidauros.  The  American  Journ. 
of  archeol.  1887.    111,  2. 


Mythische  Zeit.     Ilpükunst  in  den  Tempeln.  287 

14)  S.  Reinach:  La  seconde  stele  des  guörisons  miraculeuses, 
decouverte  ä  Epidaure.  Rev.  archeol.  Paris  1885.  ser.  III.  T.  5. 
p.   265  u.  ff. 

In  der  Nähe  des  Tempels  von  Epidaurus  wurden  1883  zwei  mit 
Inschriften  bedeckte  Säulen  gefunden,  welche  über  Heilungen  von  Kran- 
ken bericliten,  die  in  dem  dortigen  Asklepieion  erfolgt  sind.  Es  werden 
die  Namen  derselben,  die  Art  der  Erkrankung  und  die  Heilmethode  ge- 
schildert. Ueber  die  eine  Säule,  dereu  Inschriften  besser  erhalten  sind, 
wurden  in  der  Revue  archeol.  Paris.  1884.  ser.  III.  T.  4.  p.  78  aus- 
führliche Mittheilungen  gemacht;  mit  der  zweiten  Säule  beschäftigt  sich 
der  vorliegende  Artikel. 

15)  K.  Zacher:  Zu  den  Heilurkunden  von  Epidauros.  Hermes. 
Bd.  21.    S.  467—474. 

Der  Verf.  giebt  eine  annehmbare  Conjektur  zu  einer  Stelle  auf 
Tafel  I.  Z.  74  der  von  Kabbadias  in  der  i<frjixe(Ag  dp^/^acoXoycxrj  (1883. 
S.  197  u.  ff.  und  1885  S.  1  u.  ff.)  publicirten  Inschriften  von  Epidauros 
und  geht  bei  dieser  Gelegenheit  auch  auf  das  Verhältniss  der  Asklepia- 
den  zu  den  Asklepios-Priestern  ein.  Er  glaubt,  dass  es  in  den  Askle- 
pios-Tempeln  zwei  Klassen  von  Beamten  gab,  nämlich  1)  die  Priester 
und  Cultusdiener,  und  2)  die  Aerzte,  welche  als  Nachkommen  des  Gottes, 
als  Asklepiaden,  das  Heilgeschäft  besorgten.  Diese  Ansicht  hat  durch 
P.  Girard  (L'asclepieion  d'Athenes  d'apres  de  recentes  decouvertes  in 
Fase.  23  der  Bibliotheque  des  ecoles  frauQaises  d'Athenes  et  de  Rome. 
Paris  1881)  einige  Einschränkungen  und  Berichtigungen  erfahren. 

16)  H.  Göll:  Heilige  Curorte  im  Alterthum.  Ausland.  Jahrg.  58. 
No.  10. 

Auf  eine  unterhaltende  Schilderung  des  Lebens  und  Treibens  in 
den  Asklepieen  folgt  die  Beschreibung  der  durch  die  Ausgrabungen  von 
1881  blos  gelegten  Trümmerreste  des  Heiligthums  zu  Epidauros.  Von 
den  sechs  Steinpfeilern,  welche  noch  Pausanias  sah,  sind  zwei  aufgefun- 
den worden;  der  eine  von  ihnen  ist  freilich  nur  in  Bruchstücken  vor- 
handen, der  andere  dagegen,  welcher  zum  Bau  eines  mittelalterlichen 
Gebäudes  verwendet  worden  war,  ist  vollständig  erhalten.  Er  soll  aus 
dem  dritten  Jahrh.  v.  Chr.  stammen  und  ist  mit  Krankengeschichten  be- 
schrieben, von  denen  der  Verf.  einige  mittheilt. 

17)  Entdeckung  des  Aeskulap- Tempels  auf  der  Insel  Kos.  Ber- 
liner philolog.  Wochenschr.  1887. 

III.   Die  Medicin  der  Griechen  und  Römer. 

1)  A.  Kums:  Les  choses  medicales  dans  Homere.  Ann.  de  la 
soc.  de  med.  d'Anvers.    1889.    II.  p.  11  u.  ff. 


288  Medicin  der  Griochon  und  Römer. 

2)  Mahl  er:  Die  Medicin  und  dor  ärztliche  Standpunkt  der  alten 
Griechen.  Wiener  AUg.  med.  Zeitung.  1887.  No.  33.  34.  [Werthlose 
Conipilation]. 

3)  II.  Di  eis:  Leukippos  und  Diogenes  von  ApoUonia.  Rhein. 
Mus.  1887.    Bd.  42.    H.  1. 

4)  L.  M.  Cowley:  Escuela  de  Pitagoras,  secta  de  los  legumi- 
nistas  y  vegetaristas.    Cron.  med.  quir.  de  la  Habana.    T.  X.  p.  23.  71. 

5)  E.  Pivion:  Etüde  sur  le  regime  de  Pythagore.  Le  vegeta- 
risme  et  ses  avantages.    Paris  1885.    8^.    215  p. 

6)  Pantelides:  Inscriptions  de  l'isle  de  Cos.  Bull,  de  corresp. 
hellen.    1887.    No.  1.  2. 

7)  M.  Dubois:  De  Co  insula.  Inaug.-Diss.  1884.  Paris.  73  p. 
et  3  cartes. 

Der  Verf.  wurde  von  der  französischen  Regierung  nach  der  Insel 
Kos  geschickt,  um  dort  Forschungen  über  die  Lage  der  verschiedenen 
Städte,  welche  in  der  Geschichte  derselben  eine  Rolle  spielen,  über  die 
Gestalt  und  Ausdehnung  der  alten  Hauptstadt,  und  über  die  Stelle,  auf 
welcher  der  alte  Asklepios-Tempel  gelegen  war,  anzustellen.  Er  theilt 
hier  die  Ergebnisse  dieser  Studien  mit  und  schildert  dabei  den  Cultus 
und  die  Heiligthümer  der  Koer.  Seine  Angaben  stützen  sich  auf  zahl- 
reiche Inschriften,  welche  er  aufgefunden  oder  wenigstens  zuerst  ent- 
ziffert hat.  Wir  wollen  hier  nur  auf  diejenigen  aufmerksam  machen, 
welche  sich  auf  den  Asklepiosdienst  und  die  Heilkunst  beziehen.  So 
wird  in  einer  aus  dem  dritten  Jahrh.  v.  Chr.  stammenden  Inschrift  ein 
Arzt  Xenotimos,  Sohn  des  Timoxenos,  wegen  der  Verdienste,  die  er  sich 
während  einer  Pestepidemie  erworben  hatte ,  gepriesen  und  berichtet, 
dafs  er  durch  Verleihung  eines  goldenen  Kranzes  ausgezeichnet  wurde. 
Der  Verf.  folgert  daraus  mit  Hilfe  einer  sprachlichen  Conjektur,  dafs  es 
zu  jener  Zeit  Gemeinde-Aerzte  auf  der  Insel  gegeben  hat. 

8)  L.  M.  J.  Mouclier:  Essai  sur  l'histoire  chronologique  de  la 
medecine  grecque  depuis  les  temps  les  plus  recules  jusqu'  ä  Hippo- 
crate.     Bordeaux  1887.    Inaug.-Diss.    4°.    106  p. 

9)  Dem.  Gregoras:  Kritische  Bemerkungen  über  das  Leben 
und  die  Lehren  des  Hippokrates.  Erlangen  1885.  Inaug.-Diss.  8**. 
27  S. 

Diese  »kritischen  Bemerkungen«  sind  sehr  wenig  kritisch.  Der 
Yerf.  behauptet  z.  B.  dafs  Hippokrates  ein  Alter  von  114  Jahren  er- 
reicht habe,  ohne  dafs  er  irgend  welche  Beweise  dafür  beibringt.  Er 
kennt  nicht  die  über  sein  Thema  vorhandene  Literatur,  hat  die  wichti- 
gen Arbeiten  von  Ermerins,  Littre,  Küblewein  u.  A.   nicht  studiert  und 


Medicin  der  Griechen  und  Römer.  289 

bringt  daher  über  das  Leben  und  die  Lehren  des  Hippokrates  nicht 
einmal  Das,  was  in  den  gebräuchlichen  Lehrbüchern  der  Geschichte  der 
Medicin  steht. 

10)  Petersen:  Ueber  den  Hippokratismus.  Verhandl.  d.  Congr. 
f.  inn.  Med.    Wiesbaden  1889.    S.  230-241. 

Der  Verf.  erklärt  in  dieser  formvollendeten  Rede  das  Wesen  des 
Hippokratismus,  der  im  Gegensatz  zu  dem  einseitigen  Specialismus  der 
späteren  Zeit  über  der  lokalen  Erkrankung  niemals  die  Totalität  des 
Organismus  übersieht,  mehr  das  kranke  Individuum  als  die  Krankheit 
ins  Auge  fasst,  die  Erfahrung  für  die  beste  Lehrerin  der  Medicin  er- 
klärt, nicht  blofs  die  wissenschaftliche  Bearbeitung  der  Heilkunde,  son- 
dern auch  die  Heilkunst  pflegt,  die  Heilung  durch  die  einfachsten  Mittel, 
vor  Allem  durch  eine  vernuuftgemässe  Diätetik  anstrebt,  und  stets  der 
ethischen  Aufgaben  des  ärztlichen  Berufes  gedenkt,  und  sagt,  dass  der 
Hippokratismus  »nicht  eine  Lehre,  sondern  eine  ganze  Geistesrichtung, 
ein  Leben«  bedeutet. 

11)  L.  Shapter:  An  adress  on  the  science  of  medicine ;  a  study 
of  the  Hippocratic  and  present  epochs.  Brit  Med.  Journ.  Lon- 
don 1884.    No.  2.    p.  10-13. 

12)  Hippokrates.    Portrait.  Med.  Class.  Publ.  Comp.    N.-Y.  1888. 

13)  A.  M.  Levin:  Aretei  Kappadok.  Vrach  St.  Petersburg  1887. 
Vm.    p.  845.  872.  932.  944. 

14)  Rene  Briau:  Sur  l'introduction  de  la  raedecine  dans  le 
Latium  et  ä  Rome.  Paris.  Rev.  archeol.  1885.  scr.  HL  T.  5.  p.  385 
u.  ff.    T.  6.    p.  192  u.  ff. 

Der  Verf.  widerlegt  die  in  dieser  Schroffheit  wohl  von  Niemandem 
vertheidigte  Ansicht,  dass  Italien  erst  durch  die  Griechen  mit  der  Heil- 
kunst bekannt  gemacht  worden  sei.  Zahlreiche  Thatsachen  weisen  da- 
rauf hin,  dass  sich  schon  vor  der  griechischen  Einwanderung  auf  itali- 
schem Boden  aus  heimischen  Elementen  eine  Heilkunde  entwickelte,  an 
welcher  die  Etrusker  einen  hervorragenden  Antheil  nahmen.  Der  Verf. 
liefert  dafür  aus  den  Belegstellen  überzeugende  Beweise  und  glaubt  dies 
auch  daraus  folgern  zu  dürfen,  dass  ein  grosser  Theil  der  medicinischen 
Terminologie  nicht  griechischen,  sondern  lateinischen  Ursprungs  ist. 
Wenn  er  dabei  das  Wort  medicus  mit  dem  Oscischen  meddix  tuticus 
(curator  publicus)  in  Verbindung  bringt,  so  mag  er  die  Verantwortung 
dafür  selbst  übernehmen. 

15)  Saalfeld:  Wie  kamen  die  ersten  Vertreter  der  Medicin  nach 
Rom?    Virchows  Archiv.    1889.    Bd.  116.    S.  191  u.  ff. 

Der  Verf.  trägt  die  allgemein  bekannten  Thatsachen  vor,  welche 
in  jedem  Lehrbuch  der  Geschichte  der  Medicin  zu  finden  sind,  und  giebt 

Jahresbericht  für  Alterthumswissenschaft.  LXIV.  Bd.  (1890.  HI.)  19 


290  Medicin  der  Griechen  und  Römer. 

dann  ein  Verzeichniss  medicinischer  Technicismen  der  lateinischen  Sprache, 
die  aus  dem  Griechischen  stammen.  Leider  hat  er  es  versäumt,  die  über 
sein  Thema  vorhandene  Literatur  vorher  durchzuarbeiten,  und  einzelne 
wichtige  Schriften  gänzlich  übersehen. 

16)  M.  Well  mann:  Zur  Geschichte  der  Medicin  im  Alterthum. 
Hermes.    Bd.  23.    S.  556  u.  ff. 

In  dem  ersten  Artikel  wird  die  Lebenszeit  des  Heraklides  von 
Tarent  auf  Grund  einer  Menge  von  Thatsachen,  die  der  Verf.  aus  der 
Literatur  zusammengetragen  hat,  um  das  Jahr  100  v.  Chr.  bestimmt 
und  die  schriftstellerische  Thätigkeit  desselben  besprochen.  —  Der 
zweite  Aufsatz  handelt  über  den  von  verschiedenen  Autoren,  z.  B.  von 
Heraklides,  citirten  Arzt  Andreas,  welchen  Wellmann  für  den  unglück- 
lichen Leibarzt  des  Ptolemaeus  Philopator  hält,  der  vor  der  Schlacht 
bei  Raphia  im  Jahre  217  v.  Chr.  aus  Versehen  anstatt  seines  Herrn  er- 
mordet wurde.  Von  ihm  rühren  nach  des  Verf.'s  Meinung  die  pharma- 
kologischen Schriften  her,  welche  Dioskorides  und  Plinius  erwähnten, 
wenn  sie  sie  auch  nicht  im  Original  kannten.  Leider  unterlässt  es 
Wellmann,  auf  das  literarische  Verhältniss  dieses  Andreas  zu  Andreas 
von  Karystus  einzugehen.  —  Im  folgenden  Abschnitt  sucht  er  zu  bewei- 
sen, dass  die  beiden  Aerzte,  Namens  Philonides,  von  denen  der  eine 
angeblich  aus  Dyrrachium,  der  andere  aus  Sicilien  stammte,  wahrschein- 
lich identisch  waren.  Dieser  Philonides  lebte  um  das  Jahr  30  v.  Chr. 
und  war  ein  Schüler  des  Asklepiades  und  Lehrer  des  Paccius  Antio- 
chus.  —  Im  letzten  Artikel  setzt  der  Verf.  auseinander,  dass  Vieles 
wahrscheinlich  auf  Apollonios  Mys  zu  beziehen  ist,  was  Apollonios,  dem 
Herophileer,  zugeschrieben  wird. 

17)  M.  Wellmann:  Analecta  medica.  1888.  Jahrb.  f.  Philol. 
Bd.  137.    H.  3.    S.  153—158. 

Zwei  kleine  Artikel,  von  denen  der  eine  einen  wenig  bekannten 
Arzt  des  vierten  Jahrhunderts  v.  Chr.,  Petrou  oder  Petrichus  betrifft, 
der  andere  die  gemeinsame  Quelle  für  Dioskorides  und  den  Scholiasten 
des  Nikander  zum  Gegenstande  hat  und  als  solche  den  Sextius  Niger 
bezeichnet. 

18)  F.  Küchenmeister:  Die  beiden  Plinius  und  ihre  Besitzun- 
gen und  Sommerfrischen  am  Comersee.  Wissenschaftl.  Beil.  der  Leip- 
ziger Zeitung  1887.    No.  60. 

19)  Laboulbene:  Celse  et  ses  oeuvres.  Paris.  Rev.  scient. 
T.  34.    p.  681—686.  718—724.  739-746. 

20)  Laboulbene:  Celse  et  la  medicine  ä  Rome.  Paris.  Union 
laM.    1885.    No.  29. 


Medicin  der  Griechen  und  Römer.  291 

21)  Stan.  Smolenski:  Fizyczne  sposoby  leczenia  Korneliusza 
Celsa  (Physikalische  Heilproceduren  des  Cornelius  Celsus).  Przeglad 
lekarski.    1885.    No.  27.  29.  30.  33. 

22)  Overbeck:    Pomiieji.     Leipzig  1884.    4.  Aufl. 

23)  R.  Lupine:  Une  page  d'histoire  de  la  medicine.  La  thera- 
peutique  sous  les  premiers  Cesars  Lyon  med.  1889.  No.  46.  47. 
[Lebhafte  Schilderung  der  Medicin  im  alten  Rom]. 

24)  Dupouy:  Medecine  et  moeurs  de  l'ancienne  Roma  d'apres 
les  poetes  latins.    Paris.    1885.    8^.    432  p. 

Zusammenstellung  aller  auf  die  Aerzte,  die  Medicin  und  die  sani- 
tären Zustände  bezüglichen  Stellen  aus  Ovid,  Horaz,  Catull,  Properz, 
Virgil,  Lucan,  Lucrez,  Lucilius,  Persius,  Juveual,  Martial,  dem  Tragiker 
Seneca,  aus  Plautus  und  Publius  Syrus.  Die  Erklärungen,  welche  Du- 
pouy dazu  giebt,  haben  eine  anmuthige  Form,  sodass  das  Buch  eine  ge- 
nussreiche Lektüre  darbietet. 

25)  Dupouy:  La  medecine  dans  les  poetes  latins.  Paris.  M6- 
de  ein.    1884.    No.  15. 

26)  Amari:  Sul  supposto  sepolcro  di  Galeno  alla  Cannita.  Pa- 
lermo.   1887.    8°.    15  p. 

27)  A.  Corlieu:  Les  medecins  grecs  depuis  la  mort  de  Galien 
jusqu'ä  la  chute  de  l'empire  d'Orient.  Paris  med.  1884.  p.  1.  49.  73. 
169.  217.  229.  289  u.  ff.  u.  separat. 

Der  Verf.  beginnt  damit,  dass  er  zunächst  die  Summe  des  medi- 
cinischen  Wissens  feststellt,  welches  die  Aerzte  bei  Galens  Tode  besassen; 
dabei  geht  er  namentlich  auf  die  Anschauungen  und  Theorien  ein,  die 
sich  damals  in  Betreff  des  Wesens  und  der  Behandlung  der  verschiede- 
nen Krankheiten  geltend  machten.  Hierauf  schildert  er  die  Entwicke- 
lung  der  Heilkunde  in  der  Nach-Galeuischen  Zeit  und  während  der  By- 
zantinischen Periode.  Die  hervorragenden  Aerzte  und  medicinischen 
Autoren  werden  genannt,  ihre  Lebensschicksale  erzählt,  ihre  wissenschaft- 
lichen Leistungen  und  ihre  Schriften  aufgezählt  und  der  Inhalt  der  letz- 
teren mit  wenigen  Worten  angegeben.  —  Im  Anhang  folgen  zwei  Ab- 
handlungen, die  eigentlich  nicht  hierher  gehören.  Die  eine  handelt  über 
die  Pest  von  Athen  und  wurde  zuerst  in  der  Revue  scientifique  (22.  März 
1884)  veröffentlicht;  der  Verf.  erklärt  die  von  Thukydides  beschriebene 
Krankheit  mit  Recht  als  eine  Epidemie  des  Kriegs-Typhus.  Die  zweite 
Abhandlung  beschäftigt  sich  mit  den  sanitären  Zuständen  bei  dem  Rück- 
zuge der  Zehntausend  unter  Xenophon  und  enthält  eine  Menge  werth- 
voller  Bemerkungen  über  das  Militär-Medicinalwesen  bei  den  Griechen; 
sie  erschien  ebenfalls  schon  früher  (1879).  — 

19* 


292  Medicinische  Literatur  dor  Griechen  und  Römer. 

28)  A.  Cor  Heu:  Michel  Psellos  ou  le  bögue.  Paris  möd.  1884. 
p.  325—327. 

IV.  Die  medicinisclie  Literatur  der  Griechen  und  Römer. 

1)  A.  G.  Kostomiris:  Sur  les  öcrits  inedits  des  anciens  mede- 
cins  grecs  et  ceux  dont  le  texte  original  est  perdu,  niais  qui  existent 
en  latin  ou  eu  arabe.  Rev.  des  etud.  grecques  u.  Gaz.  med.  de 
Paris.    1889. 

Kostomiris  weist,  wie  schon  viele  Andere  vor  ihm,  darauf  hin,  wie 
wenig  noch  für  die  Herstellung  guter  Ausgaben  der  medicinischen  Auto- 
ren der  griechischen  Literatur  geschehen  ist.  Wir  besitzen  noch  keine 
korrekte  griechische  Ausgabe  des  Galen,  noch  keine  vollständige  Origi- 
nal-Ausgabe des  Aetius,  obwohl  sie  nicht  blos  für  die  Geschichte  der 
Medicin,  sondern  auch  für  diejenige  der  Philosophie  und  für  die  ge- 
sammte  Culturgeschichte  des  Alterthums  eine  grofse  Bedeutung  haben. 
—  Der  Verf.  giebt  dann  ein  Verzeichniss  von  medicinischen  Schriften 
der  alten  Griechen,  deren  Original-Text  bisher  noch  nicht  veröffentlicht 
worden  ist.  Er  nennt  hier  zunächst  mehrere  Abhandlungen,  welche 
fälschlich  dem  Hippokrates  zugeschrieben  werden,  nämlich  1)  "InrMxpd-oog 
voTjiid  re  xal  ar^fjLacwacg  Tzepc  ^ojr^g  xa\  &avdzou.  2)  'InTToxpdroug  rzpog 
FaXrjvov  Tispl  a^uypwv  xal  xpdazcov.  3)  ' Imxoxpdzoug  nepi  otatpopag  xal 
TzavToicuv  Tpocpojv.  4)  Tiepl  oupojv.  5)  Ttpeaßeuvcxog.  ferner  6)  laTpoaötptov 
ex  zoü  'InnoxpaTOug  ßißXcou.  7)  Auaecg  sig  zd  TipoßXrjd^ivza  '^Imtoxpazsca 
lazpcxä  xal  (poatxa  Zfjzrjpaza.  8)  Egrjyyjacg  ziöv  d^opcap.a>v  ' iTiTtoxpdzoug 
(Commentare  des  Theophilus,  Meletius  und  Damascius).  9)  Die  Frag- 
mente aus  der  Arzneimittellehre  des  Kratevas.  10)  Mehrere  Schriften 
des  Aelius  Promotus,  nämlich  das  /luvaiiepuv  (Arzneimittellehre),  die 
'lazpixd,  (foatxd  xal  dvzmad^rjzixd  und  Tzapl  loßuXojv  xal  drjXTjzrjpciov  (pap- 
p.dxujv.  —  Hierauf  folgt  eine  Anzahl  von  Abhandlungen,  welche  Galens 
Namen  tragen.  Einige  sind  wahrscheinlich  acht,  die  meisten  aber  apo- 
kryph. Zu  den  ersten  gehören:  11)  Ilspl  Xenzuvoüarig  dcaczrjg  xal  za^u- 
vuuar^g.  12)  IJpug  Faupov  mpl  zuu  r.ujg  i/i(pu^ou\^zac  zd  ipßpua.  (An 
Gauros  über  die  Frage,  wie  die  Embryonen  beseelt  werden).  13)  liepl 
zöjv  a<fuyiiwv  zotg  elaayopevocg  (zum  Theil  in  der  Kühn'schen  Ausgabe 
gedruckt).  14)  Drei  Schriften  mpl  /xuwv,  nepl  oazuJv  und  Tzspl  ^XaßuJv, 
die,  wie  Kostomiris  glaubt,  keineswegs  mit  den  unter  ähnlichen  Titein 
veröffentlichten  Arbeiten  in  der  Kühn'schen  Ausgabe  übereinstimmen. 
15)  Ihpl  voü  oAoo  voarj/xazog ,  welches  vielleicht  identisch  ist  mit  einer 
Abhandlung,  die  bei  Kühn  T.  VU.  p.  440—462  steht.  —  Zu  den  letzte- 
ren müssen  folgende  Abhandlungen  gerechnet  werden:  16)  Ilspl  dm- 
(plag  TipayiiazeLa.  17)  Hein  dtaczTjg  xal  ^zpamtujv  npög  'Avzixivaopa 
TMzpcxcov  xal  iztpa  npoß Xrjjxaza  <pcX6ao(fa  tpoaixd  7is.pl  luzpcxr^g.  18)  'Ex 
zoü  npug   llazpoffdov   nzpl   nXeupczidug.     19)  Ein  griechisches  Verzeich- 


Medicinische  Literatur  der  Griechen  und  Römer.  293 

niss  der  einfachen  Arzneistoife.  20)  üepl  ^etpoopy/jatcbv  rahjvoo  xal 
TTSpc  xrj.TaxXr^aea)g  voaotjvzcüv .  21)  'larpojxa&rjiiarcxd  (vielleicht  identisch 
mit  einer  Abhandlung  der  Kühnschen  Ausgabe  Bd.  19.  S.  529  und  if.). 
22)  'laTpoaoiptov  exXsXeyfisvov  ix  zoü  fahjvou  xrx\  'InnoxpaToug  xai  äXXujv 
rcvuJv  noXXä  doxijiioraTov.  23)  ' Innoxpdroug  re  xal  VaXrjVoo  xal  irdpcuv 
(fiXoaoifiuv  jlaTcvojv  xai  Fpexuiv  nspc  ^ecopr^judrojv  re  xai  ema-dcEujv 
dXrjBoug  dr.üSet^sojg.  24)  FaXrjVoTt  Trpoyvaxrzcxov  rcspl  dvßpiUTrou.  25)  flpo- 
Xeyufxtva  elg  zu  zoü  IdkrjVou  nspl  azof^etojv.  26)  raXrjVou  za  kpitizrifiaza 
zr^g  lazptxrß.  27)  Alte  handschriftliche  Inhaltsangaben  mehrerer  Werke 
Galens  und  Verzeiclinisse  der  von  ihm  citirten  Autoren.  28)  lazpoao- 
(ptüv  raXrjVou  xa& '  InTioxpdzoug.  29)  Tou  'Imioxpdzoog  elg  t«  dvaXo- 
zcxd,  ßtßXta  oExaziaaapa-  xal  iqrjysizat  aozd  6  IdXrjVog.  —  Der  Verf. 
führt  hierauf  30)  die  Schriften  einer  Aerztin  Metrodora  an,  deren  Le- 
benszeit unbekannt  ist.  Sie  betreffen  die  Krankheiten  der  Frauen,  die 
Erkrankungen  des  Uterus,  der  weiblichen  Brüste,  des  Magens  u.  a.  m. 
31)  Die  specielle  Pathologie  eines  anonymen  Arztes,  welcher  der  Verf. 
ein  hohes  Alter  und  einen  werthvoUen  Inhalt  zuschreibt.  32)  Die  '0<p^al- 
pnxd.  des  Oribasius.  33)  Die  Züvoipig  elg  zr]v  (pöatv  zoo  dvBpdijTiou  des 
Philosophen  Leo  (886  n.  Chr.).  35)  Mehrere  medicinische  Schriften  von 
Autoren  der  Byzantinischen  und  neugriechischen  Periode,  z.  B.  von 
Theophanes  Nonnus,  Micliael  Psellus,  Theodor  Laskaris,  Nikolaus  Myrep- 
sus,  Johannes  Aktuarius,  Nikol.  Kerameus,  Nikaeus,  einen  Theil  der 
Hippiatrika,  einige  Abhandlungen,  welche  den  Namen  des  mythischen 
Hermes  tragen,  einen  Theil  der  Ephodia,  medicinische  Schriften  von 
Johannes,  dem  Sohne  Michaels,  vom  Archiater  Johannes,  von  Stephanus 
Magnetes  u.  A.  —  Im  nächsten  Abschnitt  spricht  Kostomiris  über  einige 
medicinische  Werke  der  Griechen,  deren  Original- Text  verloren  gegan- 
gen ist,  von  denen  aber  noch  lateinische  oder  arabische  Uebersetzungen 
vorhanden  sind.  Er  citirt  hier  des  Hippokrates  Ttepl  eßSofidoujv ,  von 
der  übrigens  nicht  blos  eine  lateinische,  sondern  auch  eine  arabische 
Uebersetzung  (München  No.  802)  existirt,  die  Lib.  IX — XV  von  Galens 
Anatomie,  einen  Theil  der  Commentare  Galens  zu  den  Epidemien  des 
Hippokrates,  mehrere  Schriften,  die  unter  Galens  Namen  vorkommen, 
aber  einen  zweifelhaften  Ursprung  besitzen,  und  zum  Theil  bei  Chartier 
veröffentlicht  worden  sind,  z.  B.  nepl  zwv  Tipoxazapxzixujv  aizccov, 
zr^g  i/imcpcxr^g  dywyrjg  unozÜTicoacg,  Tiepl  Swpaxög  ze  xal  Tivaöpovog  xivij- 
aeojg,  sc  ndvza  zd  jxopca  zoo  ysvvwjjiivou  ^wou  (xuyycvezac,  Tzspl  zr^g  zwv 
ipojvtjivzüjv  dpydvüjv  dvarofi^g,  nept  ^(uv^g  zs  xal  dvanvo^g,  nepl  zrjg  zatv 
^(uvzwv  dvazoprjC^  nepl  xtVTjaeoJV  yvcorrzuiv  ze  xal  dTiopujv,  nepl  zr^g  zwv 
b<p&aXjiu)v  dvazopr^g,  nepl  l)fBaXp.wv,  sowie  die  durch  Caelius  Aurelianus 
bekannte  specielle  Pathologie  und  Therapie  der  acuten  und  chronischen 
Krankheiten  von  Sorauus  und  die  Werke  des  Theodorus  Priscianus.  — 
Der  Verf.  giebt  an,  wo  sich  die  einzelnen  Handschriften  befinden,  macht 
einige  Mittheilungen  über  ihre  gegenseitigen  Beziehungen  und  ihr  Alter, 


294  Medicinische  Literatur  der  Griechen  und  Römer. 

skizzirt  den  Inhalt  der  Werke,  soweit  er  davon  Kenntniss  genommen 
hat,  und  kündigt  schliesslich  an,  dass  er  damit  beschäftigt  ist,  die  wich- 
tigsten der  von  ihm  aufgezählten  Schriften  im  griechischen  Original-Texte 
herauszugeben.  Er  hat  mit  den  ungedruckten  Büchern  des  Actius  be- 
gonnen, welche  demnächst  erscheinen  werden,  wie  ich  von  Kostomiris 
selbst  erfahren  habe.  Seine  ausgezeichneten  Sprachkenntnisse,  seine  um- 
fassende allgemeine  und  fachwissenschaftliche  Bildung,  seine  unermüd- 
liche Arbeitskraft  und  selbstlose  Begeisterung  für  die  Sache  berechtigen 
zu  der  Erwartung,  dass  sein  Unternehmen  erfolgreich  sein  wird.  Die 
griechische  Regierung  hat  ihm  eine  namhafte  finanzielle  Unterstützung  für 
seine  Arbeiten  zugesichert  und  damit  wieder  gezeigt,  dass  man  im  heu- 
tigen Griechenland  wie  einst  in  den  Zeiten  des  Alterthums  den  höchsten 
Ruhm  darin  sucht,  Kunst  und  Wissenschaft  zu  fördern. 

/ 

2)  Th.  Gomperz:  Die  Apologie  der  Heilkunst.  Eine  griechi- 
sche Sophistenrede  des  fünften  Jahrhunderts  v.  Chr.  Sitzungsber.  d. 
K.  Akad.  d.  Wiss.  zu  Wien.    1890.    Philos.  bist.  Kl.    Bd.  120.    H.  9. 

Die  in  der  Hippokratischen  Sammlung  enthaltene  Schrift  ȟber  die 
ärztliche  Kunst«  besitzt  die  Form  einer  Rede  und  rührt  nicht  von  einem 
Arzt,  sondern  von  einem  Sophisten  her  und  zwar  von  einem  hervorra- 
genden Vertreter  dieses  Standes.  Die  Zeit  ihrer  Abfassung  fällt,  wie 
der  stylistische  Ausdruck  und  die  Denkweise  vermuthen  lassen,  wahr- 
scheinlich in  die  letzten  Jahrzehnte  des  fünften  Jahrhunderts  v.  Chr. 
Die  Bezugnahme  auf  andere  Schriften  desselben  Autors,  die  Polemik 
gegen  Melissos  von  Samos,  die  Eigenthümlichkeiten  der  Sprache  und 
andere  Gründe  weisen  auf  Protagoras  als  den  Verfasser  der  Abhandlung 
hin,  wie  Gomperz  in  überzeugender  Weise  auseinandersetzt. 

Derselbe  giebt  dann  (S.  41 — 65)  den  auf  Grund  der  Handschriften 
kritisch  gesichteten  griechischen  Text  des  Buches  nepl  riyyr^q  nebst  den 
Text- Varianten  und  einer  vorzüglichen  deutschen  Uebersetzung.  Bei 
den  Handschriften  lassen  sich  drei  Stadien  fortschreitender  Verschlechte- 
rung unterscheiden.  Die  älteste  und  beste  Lesart  zeigt  der  Pariser  Codex 
No.  2553;  hierauf  folgt  der  Codex  Marcianus  No.  269  und  dann  kom- 
men die  Handschriften  der  späteren  Zeit.  Geringe  Ausbeute  liefern  die 
Varianten-Sammlungen  von  Job.  Sambucus,  Th.  Zwinger,  Mercuriale, 
Foes,  Servin  und  Fevre.  Die  Ausgaben  von  Littre,  Ermerins  und  Rein- 
hold enthalten  zahlreiche  Unrichtigkeiten  und  Unklarheiten  und  bedürfen 
mancher  Berichtigung  und  Verbesserung.  Gomperz  entwickelt  den  Auf- 
bau der  Rede,  bespricht  die  sprachliche  Form  derselben,  ihre  Dialekt- 
Eigenthümlichkeiten  und  deren  Verhältniss  zu  den  übrigen  Schriften  der 
Hippokratischen  Sammlung  und  zum  Jonismus  überhaupt  und  erläutert 
den  von  ihm  festgestellten  griechischen  Text  durch  eine  grosse  Anzahl 
von  Erklärungen  und  Anmerkungen,  welche  durch  die  überzeugende  Lo- 
gik der  Beweisführung,  durch  den  Reichthum  an  historischen  und  lite- 


Medicinische  Literatur  der  Griechen  und  Römer.  295 

rarischem  Material  und  durch   die  Classicität  des  Ausdrucks   ebensoviel 
Genuss  als  Belehrung  gewähren. 

3)  J.   IIb  er  g:    Zur  Ueberlieferung  des  Hippokratischen  Corpus. 
Rhein.  Mus.  1887.     Bd.  42.    H.  3.    S.  436—461. 

In  diesem  Aufsatz  werden  die  Handschriften  der  Hippokratischen 
Sammlung  nach  ihrem  Wert  und  ihrer  verwandtschaftlichen  Zusammen- 
gehörigkeit geordnet  und  in  drei  Klassen  eingetheilt.  Zu  der  ersten 
rechnet  der  Verf.:  1)  Cod.  Vindobon.  med.  IV  und  2)  Cod.  Parisinus 
2253,  welche  beide  dem  10.  Jahrh.  angehören.  3)  Cod.  Laurent. 
74,  7,  der  aus  dem  11.  oder  12.  Jahrh.  stammt.  In  die  zweite 
Klasse  stellt  er:  4)  Cod.  Vaticanus  276  aus  dem  Ende  des  12.  Jahr- 
hunderts. 5)  Cod.  Parisinus  2146  aus  dem  16.  Jahrb.,  der  eine 
Abschrift  des  vorigen  Codex  ist,  ebenso  wie  6)  Cod.  Vatican.  Palatinus 
192,  der  im  15.  Jahrh.  geschrieben  wurde.  Von  der  dritten  Klasse 
unterscheidet  er  drei  Gruppen,  von  denen  die  erste:  7j  den  Cod.  Mar- 
cianus  269  aus  dem  11.  Jahrh.  und  8)  Cod.  Ambrosianus  85,  wel- 
cher um  das  Jahr  1500  angefertigt  wurde  und  dem  vorigen  sehr  nahe 
steht,  die  zweite:  9)  Cod.  Paris.  2254  und  2255,  der  dem  14.  Jahrh. 
angehört,  10)  Cod.  Vatican.  277  aus  dem  14.  Jahrb.,  11)  Cod. 
Urbinas  68  aus  dem  15.  Jahrh.  12)  Cod.  Paris.  2142  aus  dem 
13.  Jahrh.  13)  Cod.  Paris.  2145  aus  dem  14.  Jahrh.  und  14)  Cod. 
Havniensis  224  aus  dem  15.  Jahrb.,  und  die  dritte:  15)  Cod. 
Paris.  2144.  16)  Cod.  Paris.  2140.  17)  Cod.  Paris.  2143,  welche 
sämmtlich  aus  dem  14.  Jahrh.  stammen.  18)  Cod.  Laurentian.  74, 
1,  welcher  im  Jahre  1500  geschrieben  worden  ist.  19)  und  20) 
Zwei  Leydener  Handschriften,  die  von  Ermerins  benutzt  wurden. 
21)  Cod.  Oxford  204,  welcher  von  Coxe  beschrieben  wurde,  und  22)  die 
Münchener  Handschrift  vom  Jahre  1531,  die  Cornarius  seiner  Ausgabe 
zu  Grunde  legte,  umfasst.  Der  Verf.  beschreibt  die  einzelnen  Codices, 
schildert  ihre  Bedeutung  und  zeigt,  welche  von  ihnen  bei  einer  neuen 
Ausgabe  der  Hippokratischen  Sammlung  zu  Rathe  gezogen  werden 
müssen.  Er  empfiehlt  dafür  namentlich  die  unter  No.  1  und  2  aufge- 
führten Codices,  durch  deren  Vergleichung  der  Text  der  Littreschen 
Ausgabe  manche  Verbesserungen  erfahren  würde,  wie  er  durch  einige 
Beispiele  erläutert. 

4)  J.  Ilberg:    lieber  das   Hippokratische   Corpus.     Verhandl.  d. 
Philologen- Versammlung  in  Görlitz.    1889. 

Der  Redner  schildert  in  diesem  Vortrage  in  gedrängter  Kürze  die 
Entstehung  und  die  Schicksale  der  Hippokratischen  Sammlung,  berührt 
das  Verhältniss  der  ältesten  Herausgeber  Artemidoros  Kapiton  und  Dios- 
kurides  zur  Textes-Ueberlieferung  und  die  Beziehungen  der  Galen'schen 
Commeutare  zur  heutigen  Gestalt  des  Werkes,  bespricht  die  lateinischen 


296  Medicinische  Literatur  der  Griechen  und  Römer. 

ITebersetziingen,  den  Einfluss  der  Salernitanischen  Schule  und  die  Ueber- 
setzungen  der  Araber  und  hebt  endlich  die  Bedeutung  hervor,  welche 
einzelne  Handschriften  für  den  Text  besitzen. 

6)  J.  IIb  arg:  Die  Hippokrates- Ausgaben  des  Arteniidoros  Ka- 
piton  und  Dioskurides.    Rhein.  Mus.  N.  F.  Bd.  45.   S.  111— 13Y.    1890. 

Artcmidoros  Kapiton  und  Dioskurides,  welche  unter  dem  Kaiser 
Hadrian  lebten,  waren  die  Ersten,  welche  die  Herausgabe  der  Hippokra- 
tischen  Werke  unternahmen.  Sie  benutzten  dabei  wahrscheinlich  das 
Material,  welches  die  zahlreichen  Commentatoren  vor  ihnen  hinter- 
lassen hatten.  Sie  arbeiteten  von  einander  unabhängig,  scheinen  aber 
in  vieler  Beziehung  zu  den  gleichen  Ergebnissen  gelangt  zu  sein.  Was 
wir  von  ihrer  Thätigkeit  wissen,  verdanken  wir  den  Mittheilungen  Ga- 
lens,  welcher  die  von  ihnen  vorgenommenen  Aenderungen  des  Hippokra- 
tischen  Textes  angiebt  und  dabei  berichtet,  dass  Dioskurides  gewissen- 
hafter war  als  Artemidoros  und  nicht  wie  jener,  die  Varianten  unmittel- 
bar in  den  Text  stellte ,  sondern  nur  am  Rande  anmerkte.  Der  Verf. 
stellt  in  diesem  Aufsatz  die  von  Galen  bezeugten  Lesarten  der  beiden 
Ausgaben  zusammen,  erörtert  dann  die  Frage,  welche  Spuren  sie  in  un- 
serer handschritftlichen  Tradition  hinterlassen  haben,  und  zeigt,  dass  sie 
darauf  weder  einen  solchen  massgebenden  Einfluss  ausgeübt  haben,  wie 
Christ  annimmt,  noch  ohne  jede  nachhaltige  Wirkung  waren,  wie  Littre 
glaubte,  sondern  ohne  Zweifel  an  einigen  Stellen  die  Form  bestimmt 
haben. 

6)  Schneider:  Quaestionum  Hippocratearum  specimen.  Bonn. 
1885.  8*'.  31  S.  Inaug. -Diss.  [Der  Verf.  versucht  auf  Grund  des 
Gebrauches  einiger  Partikeln  die  Frage  der  Aechtheit  mehrerer  Hip- 
pokratischer  Schriften  zu  lösen]. 

7)  Kühlewein:  Zur  Ueberlieferung  der  Hippokratischen  Schrift 
xaz    h^zpecov.     Hermes.     1888.    Bd.  23.    S.  259 — 267. 

Die  kleine  Schrift  über  die  Werkstatt  des  Arztes  macht  den  Her- 
ausgebern und  Erklärern  grosse  Schwierigkeiten,  weil  der  Text  dersel- 
ben sehr  verdorben  und  lückenhaft  ist  und  grösstenteils  in  abgerissenen 
unvollständigen  Sätzen  besteht,  denen  die  nothwendige  Verbindung  und 
Durcharbeitung  fehlt.  Kühlewein  hat  nun  die  Handschriften  einer  ge- 
nauen Durchsicht  unterzogen  und  zwar  die  beiden  ältesten,  nämlich  den 
Cod.  Laurent.  74,  7  und  Marcianus  269,  welche  dem  11.  Jahrundert 
angehören,  und  dabei  gefunden,  dass  sich  mit  deren  Hilfe  A'iele  Mängel 
und  Irrthümer  des  Textes  der  bisherigen  Ausgaben  verbessern  lassen. 
Er  liefert  dafür  zahlreiche  Belege  und  bemerkt,  dass  Littre  nur  eine 
schlechte  CoUation  des  Cod.  Laurent.  74,  7  und  die  Pariser  Handschrift 
2146  aus  dem  16.  Jahrhundert,  die  eine  Abschrift  des  Cod.  Vatican.  276 


Medicinische  Literatur  dpr  Griechen  und  Römer.  297 

ist,  benutzt  hat,  während  Petrequin  eine  fehlerhafte  Collation  des  Cod. 
Marcianus  269  hatte. 

8)  Kühlewein:  Die  handschriftliche  Grundlage  des  Hippokrati- 
schen  Prognostikons.    Hermes.    1890.    Bd.  25.    S.  113 — 140. 

Schon  früher  (De  Prognostici  Hipp,  libris  manuscr.  Lips.  1876) 
hat  der  Verf.  die  verschiedenen  Handschriften,  von  denen  siebzehn  in 
Paris,  zwei  in  Wien,  eine  in  Mailand,  eine  im  Vatikan,  eine  in  Florenz, 
eine  in  Venedig  und  eine  in  München  sind,  beschrieben  und  dabei  be- 
merkt, dass  sie  in  zwei  Gruppen  zerfallen,  von  denen  diejenige,  welche 
die  Galen'schen  Lesarten  besitzt  und  hauptsächlich  durch  Cod.  Vindo- 
bon.  20  und  Parisin.  446  repräsentirt  wird,  den  besseren  Text  aufweist. 
Kühlewein  hat  nun  neuerdings  noch  vier  Handschriften  verglichen  und 
erstattet  hier  darüber  Bericht.  Es  sind  dies:  1)  Cod.  Barberin.  I,  11, 
welcher  dem  14.  Jahrh.  angehört  und  mit  Cod.  Marcianus  269  und  Pari- 
sinus 2142  übereinstimmt.  2)  Cod.  Laurent.  74,  1  aus  dem  15.  Jahrb., 
welcher  der  Münchener  Handschrift  71  nahe  steht.  3)  Cod.  Laurent.  74, 
11  aus  dem  13.  Jahrb.,  der  ebenso  wie  der  folgende  Codex  zur  besseren 
Klasse  der  Handschriften  gehört.  4)  Codex  Vaticanus  2254,  der  aus 
dem  10.  Jahrh.  stammt.  Die  beiden  zuerst  genannten  Handschriften 
sind  für  die  Feststellung  des  Textes  nahezu  entbehrlich,  die  beiden  letz- 
ten dagegen  sehr  werthvoll  und  nothwendig.  Kühlewein  spricht  dann 
über  eine  lateinische  Uebersetzung  des  Prognostikons,  welche  in  der 
Pergament -Hand Schrift  G  108  der  Ambrosianischen  Bibliothek  zu  Mai- 
land enthalten  ist  und  um  das  Jahr  900  in  Ravenna  geschrieben  wurde. 
Die  Uebersetzung  selbst  ist  vielleicht  schon  im  fünften  Jahrhundert, 
jedenfalls  aber  nicht  später  als  im  Anfang  des  sechsten  Jahrhunderts 
entstanden,  wie  sich  aus  dem  Charakter  der  Latinität  ergiebt.  Hierauf 
folgt  der  lateinische  Text  derselben.  Am  Schluss  seiner  Arbeit  macht 
der  Verf.  einige  Vorschläge  zur  Verbesserung  des  griechischen  Textes, 
welche  durch  die  Durchsicht  der  griechischen  Handschriften  und  der 
alten  lateinischen  Uebersetzung  hervorgerufen  wurden. 

9)  Kühlewein:  Die  Textesüberlieferung  der  angeblich  Hippo- 
kratischen  Schrift  über  die  alte  Heilkunde.  Hermes.  1887.  Bd.  22. 
H.  2.   S.  179  u.  ff. 

Der  älteste  Codex,  welcher  die  Abhandlung  mpl  dp;(a:rjg  hjzptxr^g 
enthält,  ist  der  Pariser  No.  2253;  in  dem  Vindobon.  med.  IV  fehlt  sie. 
Die  Pariser  Handschrift  hat  den  besten  Text;  an  manchen  Stellen  bietet 
nur  sie  allein  eine  richtige  und  vernünftige  Lesart.  Wo  sie  fehlerhaft 
erscheint ,  muss  der  Cod.  Marcian.  No.  269  zu  Rathe  gezogen  werden, 
was  die  frühereu  Herausgeber  gar  nicht  oder  doch  nicht  in  genügender 
Weise  gethan  haben.  Kühlewein  hat  diese  Handschrift  zu  zwei  Dritt- 
theilen  coUationirt  und  berichtet,  dass  sie  nicht  blos  die  guten  Lesarten 


298  Medicinische  Literatur  der  Griechen  und  Römer. 

der  Pariser  bestätigt,  sondern  an  einzelnen  Stellen  sogar  den  Vorzug 
vor  ihr  verdient.  Er  weist  ferner  auf  den  Cod.  Laurent.  74,  1  hin, 
welcher  ebenfalls  einige  beachtenswerthe  Varianten  besitzt,  und  zeigt  an 
einigen  Beispielen,  wie  der  Text  der  Littreschen  Ausgabe  durch  die 
Venetiancr  und  Florentiner  Handschrift  verbessert  werden  kanu. 

10)  Kühlewein:  Der  Text  des  Hippokratischen  Buches  über  die 
Kopfwunden  und  der  Mediceus  B.    Hermes.    Bd.  20.    H.  2.    1886. 

Der  Cod.  Laurentianus  74,  7,  welchen  Laskaris  aus  Konstantino- 
pel nach  Florenz  brachte,  enthält  ausser  acht  anderen  Schriften  anato- 
mischen und  chirurgischen  Inhalts  auch  die  Hippokratische  Abhandlung 
über  die  Verletzungen  des  Kopfes;  er  ist  mit  colorirten  Zeichnungen 
ausgestattet  und  bildet  einen  Theil  der  Sammlung  des  Niketas.  Leider 
reicht  der  Text  der  Abhandlung  nur  bis  Cap.  16;  er  diente  den  beiden 
Pariser  Handschriften  derselben,  die  aber  vollständig  sind,  als  Vorlage. 
Littre  benutzte  bei  seiner  Ausgabe  eine  von  Foesius  hinterlassene  Colla- 
tion.  Kühlewein  hat  dieselbe  nochmals  mit  dem  Cod.  Laurent,  verglichen 
und  liefert  auf  Grund  dessen  eine  Menge  von  Berichtigungen,  Ergänzun- 
gen und  Verbesserungsvorschlägen. 

11)  F.  Poschen  rieder:  Die  naturwissenschaftlichen  Schriften 
des  Aristoteles  in  ihrem  Verhältniss  zu  den  Büchern  der  Hippokrati- 
schen Sammlung.     Progr.  d.  Studienanst.  zu  Bamberg.     1888.    67  S. 

Der  Verf.  untersucht,  welche  Schriften  der  Hippokratiker  dem 
Aristoteles  bekannt  waren,  und  kommt  zu  dem  Ergebniss,  dass  sich  dies 
vom  Lib.  VHI  des  Werkes  de  aere,  aquis  et  locis,  den  Aphorismen, 
Lib.  II  de  diaeta,  Lib.  I  und  II  de  morbis,  Lib.  II  und  VI  der  Epide- 
mien, der  Schrift  über  die  Kopfverletzungen,  dem  Buche  über  die  hei- 
lige Krankheit,  von  den  Abhandlungen  de  locis  in  homine,  de  carnibus, 
de  natura  ossium,  de  natura  hominis,  de  articulis  u.  a.  nachweisen  lässt. 
Er  stellt  zu  diesem  Zweck  die  betreffenden  Stellen  aus  Aristoteles  den 
entsprechenden  Sätzen  der  Hippokratiker  gegenüber. 

12)  L.  Dittmeyer:  Die  Unächtheit  des  neunten  Buches  der 
Aristotelischen  Thiergeschichte  Blatt,  für  d.  Bayr.  Gymnas.  1887. 
Bd.  23.    H.  4. 

13)  W.  Studemund:  Damocratis  peetae  medici  fragmenta  se- 
lecta  im  Index  lection.  in  univers.  literar.  Vratisl.  Breslau.  1889. 
40.    33  p. 

Der  Arzt  Damokrates  lebte  unter  der  Regierung  des  Kaisers  Nero. 
Von  seinen  Schriften  haben  sich  einige  Fragmente  erhalten:  Recepte, 
welche  dem  Geschmack  jener  Zeit  entsprechend  eine  poetische  Form 
zeigen.     Sie  finden  sich  grösstentheils  in  den  Werken  Galens  r.epl  auv- 


Medicinische  Literatur  der  Griechen  und  Römer.  299 

dea£(ug  (papiidxüjv  tujv  xarä  roTcoog  und  tcuv  xarä  yivq  und  7iEp\  avTi- 
86züjv.  Studemund  hat  sich  hier  nur  mit  diesen  beschäftigt  und  ist  auf 
die  übrigen  Fragmente  des  Damokrates,  z.  B.  auf  diejenigen  bei  Alex- 
ander Trallianus,  nicht  eingegangen.  Er  bespricht  die  Codices  des  Ga- 
len, in  denen  sie  enthalten  sind,  ihren  Werth  und  ihre  gegenseitigen 
Beziehungen,  sowie  die  verschiedenen  Ausgaben  und  unterzieht  den  Text 
einer  sorgfältigen  Durchsicht.  Diese  Bruchstücke  stehen  in  der  Kühn'- 
schen  Ausgabe  T.  Xll,  p.  889—892.  XIII.  p.  40-  42.  220-227.  349  —  354. 

14)  L.  Scheele:    De  Sorano  Ephesio  medico  etymologo.    Strass- 
burg  1884     8^.    40  S.    Inaug.-Diss. 

Der  Verf.  sucht  nachzuweisen,  dass  die  von  Hesychius  erwähnten 
beiden  medicinischen  Autoren,  die  den  Namen  Soranus  führen,  eine  und 
dieselbe  Person  sind,  berichtigt  einige  falsche  Angaben  des  Tzetzes  über 
Soranus  und  zeigt,  dass  der  Text  der  dem  Soranus  zugeschriebenen 
hoiiokoyiat  roh  (Tcu/xrxTog  to~>  dvd^pcvnoo  aus  dem  Etymologicum  Orionis 
Thebani,  dem  Etymologicum  magnum,  Gudianum,  Zonarae,  den  Schollen 
zu  der  Schrift  des  Rufus  von  Ephesus  r.spl  uvoixaac'ag  twv  zu~j  auj[iaTOQ 
fiupiwv^  den  Schollen  des  Tzetzes  zur  Ilias,  den  Schollen  des  Soranus 
zu  Aeschylus  und  anderen  Dichtern,  dem  Onomasticum  des  Julius  PoUux 
und  vor  Allem  aus  dem  Buche  des  Meletius  Tispl  rrjQ  zoo  äv^pumou  xa- 
zaax£orjg  wiederhergestellt  werden  kann.  Unter  den  ärztlichen  Autoren, 
welche  Meletius,  wie  er  schreibt,  benutzt  hat,  wird  Sokrates  anstatt 
Soranus  genannt,  was  Scheele  auf  einen  Schreibfehler  der  Codices  zu- 
rückführt. Er  glaubt  ferner,  dass  der  Titel  des  Werkes  ursprünglich 
mp\  (füazujg  dvi^pcuTTou  gelautet  hat.  In  den  beiden  letzten  Kapiteln 
werden  die  Vorzüge,  welche  das  Buch  des  Meletius  vor  den  übrigen 
literarischen  Quellen,  die  oben  angeführt  wurden,  entwickelt,  und  die 
in  der  Schrift  des  Soranus  citirten  Dichter  und  Grammatiker  aufgezählt. 

15)  G.  Helmreich:    Scribonii  Largi  compositiones.    Lips.    1887. 
8«.     123  S. 

Scribonius  Largus  übte  in  Rom  die  ärztliche  Praxis  aus  und  be- 
gleitete den  Kaiser  Claudius  im  Jahre  43  nach  Britannien.  Er  ist  der 
Verfasser  eines  Receptenbuches,  welches  er  seinem  Gönner,  dem  Frei- 
gelassenen Cajus  Julius  Callistus,  widmete,  der  es  dem  Kaiser  vorlegte. 
Als  seine  Lehrer  nennt  er  den  Apulejus  Celsus  von  Centuripae  und  den 
Tryphon,  als  seinen  Mitschüler  den  durch  seinen  ehebrecherischen  Ver- 
kehr mit  der  Messalina  berüchtigten  Vettius  Valens  In  seinem  Buch 
citirt  er  die  Aerzte  Andren,  Julius  Bassus,  Cassius,  Marcianus,  Anto- 
nius Musa,  Paccius  Antiochus,  Zopyrus  und  die  Chirurgen  Aristus,  Dio- 
nysius,  Euelpistus,  Glycon,  Meges  und  Thraseas.  Die  schlechte  Latini- 
tät  der  Sprache  in  seinem  Werke  und  die  vielen  Aehnlichkeiten  und 
Uebereinstimmungen,  die  es  mit  der  Recepten  -  Sammlung  des  Marcellus 


300  Mcdicinischo  Literatur  der  Griocben   und  Römer. 

Erapiricus  aufweist,  erweckten  in  Cornarius  die  Vermiithung,  dass  es 
ursprünglich  in  griechischer  Sprache  abgefasst  und  erst  später  in  die 
lateinische  übertragen  worden  sei.  Schon  Rhodius  trat  dieser  Ansicht 
entgegen,  und  Hclmreich  bemerkt,  dass  der  lateinische  Styl  des  Scribo- 
nius  Largus  zwar  weit  entfernt  ist  von  der  Eleganz  eines  A.  Cornelius 
Celsus,  aber  keine  Ausdrücke  enthält,  welche  zu  seiner  Zeit  nicht  ge- 
bräuchlich waren.  Marcellus  Empiricus  plünderte  das  Buch  des  Scribo- 
uius  Largus,  ohne  dessen  Namen  zu  erwähnen;  dagegen  citirte  er  einen 
gewissen  Designatianus  und  gab  dadurch  Veranlassung  zu  dem  Irrthum, 
dass  derselbe  mit  Scribonius  Largus  identisch  sei. 

Die  Recepten-Sammlung  des  Letzteren  ist  uns  nur  in  einer  einzi- 
gen Handschrift  überliefert  worden,  welche  der  erste  Herausgeber  der- 
selben, Ruellius  (Paris  1529),  als  Vorlage  benutzt  hat.  Diese  Handschrift 
ist  seit  jener  Zeit  leider  verschwunden  und  wurde  bisher  nicht  wieder 
aufgefunden,  ebenso  wenig  als  irgend  ein  anderer  Codex  des  Scribonius 
Largus.  Die  späteren  Herausgeber  mussten  sich  daher  auf  einzelne 
Verbesserungen  oder  Conjekturen  des  Textes  beschränken.  Eine  sorg- 
fältige kritische  Durchsicht  desselben  von  einem  in  der  medicinischen 
Literatur  der  Alten  erfahrenen  Philologen  war  bisher,  wie  schon 
E.  Meyer  beklagte,  niemals  geschehen.  Helmreich  hat  sich  dieser  Auf- 
gabe unterzogen,  und  den  Text  von  Fehlern  gereinigt,  au  vielen  Stellen 
verbessert  und  für  den  Gebrauch  hergerichtet.  Die  literarischen  Hilfs- 
mittel, welche  er  dabei  benutzte,  waren  ausser  der  Ausgabe  des  Ruellius : 
1)  Das  Receptenbuch  des  Marcellus  Empiricus  nach  der  Baseler  Aus- 
gabe des  J.  Cornarius  vom  Jahre  1536  und  nach  dem  zu  Laon  befind- 
lichen Codex  desselben.  2)  Die  Randbemerkungen,  welche  C.  A.  Boetti- 
ger  in  ein  ihm  gehöriges  Exemplar  des  Scribonius  Largus  eingezeichnet 
hat.  3)  Die  Notizen  0.  Sperlings,  soweit  sie  durch  C.  G.  Kühn  dem 
Druck  übergeben  worden  sind.  Es  ist  bedauerlich,  dass  ihm  nicht  der 
gesammte  handschriftliche  Commentar  zu  Scribonius  Largus,  welchen 
Sperling,  der  durch  sein  unglückliches  Schicksal  bekannte  Leibarzt  und 
Freund  des  dänischen  Reichskanzlers  Corfiz  Uhlfeld  hinterlassen  hat, 
zugänglich  gemacht  wurde.  Er  befindet  sich  in  der  königl.  Bibliothek 
zu  Kopenhagen  und  enthält  viele  sachliche  Erklärungen. 

Helmreichs  Ausgabe  zeichnet  sich  durch  jene  peinliche  Sorgfalt 
und  gründliche  Sachkenntniss  aus,  welche  allen  Arbeiten  dieses  Gelehr- 
ten eigenthümlich  sind. 

16)    G.  Helmreich:    Marcelli  de  medicamentis  über.   Lips.    1889. 
80.    415  S. 

Marcellus  mit  dem  Beinamen  Empiricus,  um  ihn  von  Marcellus 
aus  Sida  zu  unterscheiden,  lebte  in  der  zweiten  Hälfte  des  vierten  und 
im  Beginn  des  fünften  Jahrhunderts  n.  Chr.,  bekleidete  hohe  Staats- 
ämter unter  den  Kaisern  Theodosius  l.  und  Arcadius  und   stammte  aus 


Medicinische  Literatur  der  Griechen  und  Römer.  301 

Gallien,  wie  er  selbst  erzählt  und  auch  aus  seiner  Sprache  hervorgeht. 
Einige  vermutheten,  dass  Bordeaux  sein  Geburtsort  sei,  und  bezeichneten 
ihn  deshalb  als  Burdigalensis ;  doch  lassen  sich  dafür  keine  Beweise 
bringen.  Dass  er  sich  zum  Christenthum  bekannte,  zeigen  mehrere  Be- 
schwörungs-Formeln in  seinem  Buche.  Von  dem  letzteren  ist  jetzt  nur 
noch  eine  einzige  Handschrift  vorhanden,  welche  in  Laon  aufbewahrt 
wird.  Sie  stammt  aus  dem  neunten  Jahrhundert,  ist  auf  Pergament  ge- 
schrieben, enthält  198  Blätter,  zeigt  aber  am  Anfange  ebenso  wie  am 
Ende  einige  Beschädigungen.  Val.  Rose  glaubte,  dass  dieser  Codex  der 
ersten  gedruckten  Ausgabe,  welche  Janus  Cornarius  1536  bei  Frohen  in 
Basel  ^veranstaltete,  als  Vorlage  gedient  habe;  aber  Helmreich  macht 
darauf  aufmerksam,  dass  sich  bei  einer  Vergleichung  des  Textes  der 
Ausgabe  mit  demjenigen  der  Handschriften  manche  Verschiedenheiten 
ergeben  und  in  dem  einen  Worte  gebraucht  werden,  welche  in  dem  an- 
dern fehlen,  und  gelangt  zu  dem  Schluss,  dass  Cornarius  nicht  den  Co- 
dex von  Laon,  sondern  eine  demselben  nahe  stehende  Handschrift  be- 
nutzt hat.  Die  späteren  Ausgaben  des  Werkes  in  der  Aldina  (1547) 
und  in  der  Stephan'schen  Sammlung  (1567)  bildeten  unveränderte  Ab- 
drücke der  Baseler  Ausgabe.  Die  sachverständige  Verwerthung  des 
vorhandenen  handschriftlichen  Materials  für  eine  den  heutigen  Ansprüchen 
der  Wissenschaft  entsprechende  Ausgabe,  welche  einen  von  Fehlern  ge- 
reinigten Text  bietet,  war  daher  ein  dringendes  Bedürfniss.  Helmreich 
hat  sich  ein  grosses  Verdienst  erworben,  indem  er  sich  dieser  Aufgabe 
widmete. 

Seine  Ausgabe  beginnt  mit  dem  Briefe  des  Marcellus  an  seine 
Söhne,  in  welchen  er  den  Inhalt  und  Zweck  seines  Werkes  erläutert. 
Hierauf  folgen  einige  Notizen  über  die  Maasse  und  Gewichte  der  medi- 
cinischen  Autoren  der  Griechen  und  eine  Anzahl  von  apokryphen  Brie- 
fen, die  aber  jedenfalls  ein  hohes  Alter  haben  und  daher  ein  literatur- 
geschichtliches Interesse  erregen. 

Der  erste  ist  angeblich  von  Largius  Designatianus  an  seine  Söhne, 
der  zweite  von  Hippokrates  aus  Kos  an  den  König  Antiochus,  der  dritte 
von  demselben  an  Maecenas,  der  vierte  von  Plinius  Secundus  an  seine 
Freunde,  der  fünfte  von  Cornelius  Celsus  an  Julius  Callistus,  der  sechste 
von  demselben  an  Pullius  Natalis  und  der  siebente  von  Vindicianus,  dem 
Comes  archiatrorum,  an  den  Kaiser  Valentinian  gerichtet.  Sie  beziehen 
sich  sämmtlich  auf  das  Wesen  und  den  Nutzen  der  Heilkunst.  Dann 
kommt  der  Text  des  Werkes  des  Marcellus  über  die  Heilmittel,  welches 
in  36  Kapiteln  die  specielle  Therapie  aller  Leiden  mit  Ausnahme  der 
Chirurgie,  Augenheilkunde  und  Geburtshilfe  umfasst  und  in  der  Ausgabe 
von  S.  26—382  reicht.  Die  einzelnen  Krankheiten  und  Krankheitszu- 
stände  werden  in  der  damals  üblichen  topographischen  Reihenfolge  vom 
Kopfe  zu  den  Füssen  aufgezählt  und  dabei  die  Heilmittel  genannt,  welche 
sich  dagegen  wirksam   erwiesen  haben.     Die  letzteren  sind  theils  diäte- 


302  Medicinische  Liftoratiir  der  Griechon  und  Römer. 

tische,  theils  arzneilicho ;  theils  bestehen  sie  in  mystischen  und  sympa- 
thetischen Kuren.  Die  Pathologie  der  Krankheiten  bleibt  unberück- 
sichtigt. — 

Das  Buch  des  Marcellus  ist  zum  grössten  Theile  aus  den  Schrif- 
ten des  Pseudo-Plinius  und  Scribonius  Largus  compilirt,  zum  kleineren 
Theile  aus  der  Volksmedicin  entlehnt.  Es  ist  eine  für  Laien  bestimmte, 
populär  geschriebene  Recepten-Sammlung.  Sie  hat  mehr  Werth  für  die 
Geschichte  der  Botanik  und  der  vergleichenden  Linguistik  als  für  die- 
jenige der  Mediciu.  Marcellus  hat  darin  eine  Menge  von  Pflanzen  er- 
wähnt, einige  derselben  auch  beschrieben  und  damit  gleichsam  den 
ersten  Versuch  gemacht,  eine  Flora  von  Frankreich  zusammenzustellen. 
Meyer  erklärte  in  seiner  Geschichte  der  Botanik  (II,  304),  dass  das 
Buch  »die  au  sich  besseren  Werke  vieler  anderen  Aerzte  des  Alterthums 
aufwiegt«.  Da  Marcellus  den  Namen  der  Pflanzen  und  Heilmittel  auch 
die  keltischen  Bezeichnungen  beigefügt  hat,  so  hat  das  Werk  auch  eine 
sprachgeschichtliche  Bedeutung. 

An  den  Text  schliessen  sich  (S.  382  —  384)  78  Hexameter  an,  welche 
von  Einigen  dem  Vindicianus,  von  Anderen  dem  Q.  Serenus  Samonicus 
zugeschrieben  werden.  Sie  sind  von  Marcellus  verfasst,  wenn  dessen 
Brief  an  seine  Söhne  acht  ist,  in  welchem  er,  wie  schon  Meyer  hervor- 
hebt, erklärt,  dass  er  auch  in  Versen  über  die  Zusammensetzung  der 
Arzneien  geschrieben  habe,  um  die  Leser  durch  Poesie  anzulocken,  und 
dass  dieses  Gedicht  den  Schluss  seines  Werkes  bilde.  —  Helmreich  hat 
seine  Ausgabe  des  Marcellus,  ebenso  wie  diejenige  des  Scribonius  Lar- 
gus mit  einem  vortrefflichen  Namens-  und  Sachregister  ausgestattet. 

17)     M.   Schneider:    Marcelli  Sidetae  medici  fragmeuta.     Com- 
ment.  philolog.  Leipzig.    1888. 

Der  aus  Sida  in  Pamphylien  gebürtige  Arzt  Marcellus  lebte  zur 
Zeit  der  Kaiser  Hadrian  und  Antoninus  Pius.  Er  hat  ein  aus  42  Bü- 
chern bestehendes  Gedicht,  die  la-pixä.^  verfasst,  von  welchem  aber  nur 
noch  einige  Bruchstücke  vorhanden  sind.  Sie  handeln  über  die  Heil- 
mittel und  Heilkräfte,  welche  manche  Fische  besitzen,  und  schliessen 
sich  an  ähnliche  literarische  Produkte  des  Marcellus  über  den  Nutzen, 
welchen  die  Pflanzen,  Steine  und  Vögel  für  die  Heilkunde  haben,  au; 
die  letzteren  sind  jedoch  verloren  gegangen.  Schneider  giebt  hier  den 
nach  den  handschriftlichen  Quellen  revidirten  griechischen  Text  der 
Fragmente  der  larpcxd  und  erörtert  dabei  die  sprachlichen  Eigeuthüni- 
lichkeiten  des  Marcellus  Sideta.  Der  Letztere  hat  auch  eine  Abhand- 
lung über  die  Lykanthropie  geschrieben,  von  welcher  ein  Bruchstück 
durch  Aetius  (L.  VI  c.  11)  überliefert  worden  ist.  Ferner  gilt  er  als 
Verfasser  von  zwei  Gedichten  über  die  auf  der  Via  Appia  zu  Rom  ge- 
fundenen Steine ;  in  der  Ueberschrift  des  einen  wird  er  sogar  direkt  als 
solcher  bezeichnet. 


Medicinische  Literatur  der  Griechen  und  Römer.  303 

18)  M.  Wellmann:    Sextius  Niger.    Eine  Quellen-Untersuchung 
zu  Dioskorides.    Hermes.    Bd.  24.    S.  530     569. 

Der  Verf.  weist  auf  die  vielen  übereiastiraraendeu  Stellen  bei  Dios- 
korides und  Plinius  hin  und  erörtert  dann  die  oft  besprochene  Frage, 
welches  Werk  die  gemeinsame  Quelle  ist,  aus  der  die  Beiden  geschöpft 
haben.  Er  zeigt,  dass  es  in  griechischer  Sprache  geschrieben  und  un- 
gefähr in  der  ersten  Hälfte  des  ersten  Jahrh.  n.  Chr.  veröffentlicht  wor- 
den war,  und  liefert  durch  zahlreiche  Belegstellen  den  überzeugenden 
Beweis,  dass  die  Arzneimittellehre  des  Sextius  Niger  darunter  zu  ver- 
stehen ist,  wie  man  dies  schon  längst  vermuthet  hatte.  Plinius  giebt 
den  Text  des  Originals  wörtlicher  wieder  als  Dioskorides,  weil  er 
bei  seiner  Compilation  kritikloser  und  unselbstständiger  vorging  als  der 
letztere.  Der  Verf.  untersucht  ferner,  ob  Dioskorides  und  Plinius  die 
anderen  von  ihnen  citirten  Autoren  im  Original  oder  durch  die  Bearbei- 
tung des  Sextius  Niger  kennen  gelernt  haben,  und  kommt  zu  dem  Re- 
sultat, dass  das  Letztere  anzunehmen  ist.  Als  Quellen  für  Sextius  Ni- 
ger nennt  er  die  botanischen  Schriften  des  Theophrastus,  und  die  raedi- 
cinischen  Werke  des  Hippokrates,  Diokles  von  Karystus,  Philistion  von 
Lokri,  Chrysippus  von  Knidus,  Apollodor,  Nikander,  Sostratus,  Ophion, 
Erasistratus,  Jollas  von  Bithynien,  Dieuches,  Andreas,  Epikles,  Kratevas, 
von  dem  sich  ganze  Capitel  bei  Dioskorides  finden  sollen,  Hikesius,  As- 
klepiades  und  seine  Schule,  Pythagoras,  Demokrit,  Bolus  von  Mendes, 
Phanias,  die  Magi,  Juba  und  Anaxilaus. 

19)  J.  Ilberg:    lieber  die  Schriftstellerei  des  Kl.  Galenos.    Rhein. 
Mus.  1889.     Bd.  44.     S.  205—239. 

Der  Verf.  stellt  sich  die  Aufgabe  festzustellen,  in  welcher  Reihen- 
folge die  einzelnen  Schriften  Galens  entstanden  sind.  Er  stützt  sich  da- 
bei auf  die  Angaben,  welche  sich  darüber  in  den  Werken  Galens  finden. 
So  heisst  es  in  der  an  Eugenianus  gerichteten  Abhandlung  nep\  r^g 
id^ecog  tüjv  lotwv  ßißh'wv  (Edit.  Kühn.  T.  XIX.  p.  49 — 61),  dass  Galen 
seine  Schriften  tlieils  auf  Wunsch  von  Freunden,  die  seinen  ärztlichen 
Rath  suchten,  theils  für  junge  Leute,  welche  sich  der  Heilkuust  widmeten, 
verfasst  habe.  Hierauf  folgt  eine  Anleitung,  wie  und  in  welcher  Reihen- 
folge man  seine  Schriften  studieren  soll.  Es  wird  dort  den  Lesern 
empfohlen,  mit  den  Abhandlungen  r^zpl  dptazrjg  alpiasiog  und  nspl 
dnudei^ewg,  in  welchen  die  allgemeinen  Methoden  des  Studiums  der  Me- 
dicin  erörtert  werden,  zu  beginnen  und  dann  zu  den  Schriften  überzu- 
gehen, welche  über  Anatomie,  Physiologie,  Pharmakologie,  Diätetik  und 
die  Erklärung  Hippokratischer  Werke  handeln.  Die  Bücher  über  Patho- 
logie und  Therapie  werden  dabei  nicht  erwähnt.  Ob  sie  damals  noch 
nicht  geschrieben  waren,  oder  ob  die  Bemerkungen  darüber  durch  eine 
Nachlässigkeit  des  Abschreibers  weggelassen  worden  sind,   ist  ungewiss. 

Auch    die  dem  Bassus  gewidmete,    später   verfasste  Schrift  tispl 


304  Medicinische  liiteratur  der  Griechen  und  Römer. 

ISl'cüv  ßtßh'iüv  (Ed.  Kühn.  T.  XTX.  p.  8-48)  bietot  manche  Anhalts- 
punkte für  die  Zeit  und  die  Umstände,  unter  denen  Galens  Werke 
entstanden  sind.  Es  wird  darin  erzählt,  dass  Galen  während  seines 
ersten  Aufenthalts  in  Rom  neben  der  ärztlichen  Praxis  eine  reiche 
Lehrthätigkeit  ausgeübt,  öffentliche  Vorträge  und  Demonstrationen  ver- 
anstaltet und  verschiedene  Theile  der  Heilkunde  schriftstellerisch  be- 
arbeitet habe,  dass  er  dann,  während  er  in  seiner  Heimath  Pergamon 
verweilte,  mehrere  Abhandlungen,  die  er  früher  dort  geschrieben  und 
seineu  Freunden  übergeben  hatte,  ergänzt  und  verbessert  und  nach  sei- 
ner Rückkehr  nach  Rom  seine  literarische  Wirksamkeit  fortgesetzt  und 
die  meisten  seiner  Werke  geschaffen  habe,  während  er  gleichzeitig  auch 
wieder  öffentliche  Vorlesungen  hielt  und  den  ärztlichen  Fachgeuossen 
die  Ergebnisse  seiner  Fachgenossen  vortrug.  Leider  widerfuhr  ihm  das 
Missgeschick,  dass  ein  Theil  seiner  Manuscripte  durch  Brand  vernichtet 
wurde.  Galen  giebt  dann  ein  sachlich  geordnetes  Verzeichniss  seiner 
sämmtlichen  Schriften;  dabei  werden  die  anatomischen  in  die  erste,  die 
pathologischen  in  die  zweite  und  die  therapeutischen  in  die  dritte  Klasse 
gestellt.  Die  Arbeiten  über  die  Diagnostik  und  Prognostik  werden  eben- 
falls erwähnt,  einige  erläuternde  Worte  über  die  Commentare  zu  Hippo- 
krates,  Erasistratus  und  Asklepiades  hinzugefügt,  die  Abhandlungen  über 
die  Lehren  der  Empiriker  und  Methodiker,  welche  Galen  selbst  verfasst 
hat,  citirt  und  seine  philosophischen  und  linguistischen  Schriften  aufge- 
zählt. Mit  Hilfe  dieses  Katalogs  und  einiger  auf  die  früheren  Arbeiten 
Galens  bezüglichen  Stellen  weist  Ilberg  nach,  dass  der  Zeit  seines  ersten 
Aufenthalts  in  Rom  (164 — 168)  folgende  Werke  angehören:  ])  Die  erste 
Bearbeitung  der  dvaToixixal  ey^y^etpYjaetg ,  welche  ursprünglich  nur  zwei 
Bücher  umfassten  und  durch  die  öffentlichen  Vorträge,  die  Galen  in  Gegen- 
wart des  Consuls  Boethus  und  anderer  vornehmen  Herren  gehalten  hatte, 
veranlasst  wurden.  2)  Die  ersten  sechs  Bücher  des  Werkes  r.spl  tujv 
"^Imroxparoug  xal  UMzcovog  doyixaTujv.  3)  Das  erste  Buch  von  mpl 
y^pecag  ixopiujv. 

Nach  seiner  Rückkehr  nach  Rom  und  zwar  unter  der  Regierung 
des  Kaisers  Marcus  Aurelius  (f  180)  schrieb  Galen:  4)  Lib.  II— XVH 
von  Tiepl  ipdaQ  pLoptujv.  5)  Die  Abhandlungen  über  die  Pulslehre,  näm- 
lich nepl  Siacpopäg  aipoYP-uiV,  nepl  dtayvuxjsojg  acpojiiujv^  mpl  tujv  iv  zoig 
Cipuynolg  ahccov  und  nepl  Trpoyvutasojg  a(fuynu)\i^  von  denen  jede  aus  vier 
Büchern  besteht,  und  den  für  Anfänger  berechneten  kleinen  Grundriss 
•nept  TüJv  (j(puyixü)v  roTg  el<Tayop.svocg.  Ungefähr  aus  der  gleichen  Zeit 
stammt  auch  die  aüvofpig  rrsp}  a^oyfxajv  und  die  Schrift  nepl  ^pscag  a<fuy- 
p-wv.  6)  Die  letzten  drei  Bücher  des  Werkes  über  die  Lehren  des  Hip- 
pokrates  und  Piaton.  7)  Die  ersten  acht  Bücher  von  nepl  xpdazwg  xal 
öuvdpswg  zcüv  anlojv  (pappdxiuv.  8)  Die  zweite  Bearbeitung  des  anato- 
mischen Werkes  (dvazoptxal  iy^Etprjcrecg) ,  welches  aus  15  Büchern  be- 
stand, von  denen  sich  aber  nur  die  ersten  acht  und  ein  Theil  des  neun- 


MedicJnische  Literatur  der  Griechen  und  Römer.  805 

ten  im  griechischen  Originaltext  erhalten  haben.  Das  fehlende  Stück  des 
neunten  Buches  und  der  Schluss  des  Werkes  sind  bekanntlich  in  einer 
arabischen  Uebersetzung  vorhanden,  die  bisher  leider  noch  nicht  gedruckt 
worden  ist.  9)  Die  ersten  sechs  Bücher  der  ßspansDztxrj  /xd&odos. 
10)  Die  uycscm,  ein  Lehrbuch  der  Diätetik. 

Unter  dem  Kaiser  Septimius  Severus  (vom  Jahre  193  ab)  entstan- 
den: 11)  Das  Werk  Tispl  zcuv  nsTiovdo-ojv  zottwv.  12)  Lib.  VII— XIV  der 
&spanetjzcxi]  /xs&ooog.  13)  Lib.  IX — XI  von  nspl  xpdaeojg  xal  ouva/ieojg 
Tojv  anXuJv  (papp.axüjv.  14)  Die  beiden  pharmakologischen  Schriften 
Tiep\  (juv&icTZcüi;  (pappdxujv  tujv  xa~ä  yivrj  xal  raiv  xarä  TÖnoog. 

Ilberg  führt  dann  die  Commentare  zu  den  Werken  der  Hippokra- 
tiker  in  ihrer  zeitlichen  Aufeinanderfolge  auf  und  bemerkt  dabei,  dass 
sie  wahrscheinlich  erst  in  der  zweiten  Hälfte  seines  Lebens  entstanden 
sind.  Den  seltsamen  Umstand,  dass  keine  einzige  Schrift  Galens  nach- 
weisbar aus  der  Zeit  des  Kaisers  Commodus  stammt,  sucht  er  durch 
die  Annahme  zu  erklären,  dass  die  Arbeiten  dieser  Periode  zu  denjeni- 
gen gehörten,  welche  durch  Feuer  zerstört  wurden. 

20)  J.  Ilberg:  De  Galeni  vocum  Hippocraticarum  glossario. 
Comment.  philolog.    Lips.    1888.    S.  327—354. 

Diese  Arbeit  beschäftigt  sich  mit  den  Handschriften,  Ausgaben 
und  literarischen  Quellen  der  Galenschen  Schrift  zajv  Irnioxpavoog 
yXiuaaujv  z^Tjyriatg.  Unter  den  Handschriften  lassen  sich  zwei  Ueberlie- 
ferungen  unterscheiden,  nämlich  eine  ältere,  welche  durch  den  Cod. 
Laurentianus  74,  3,  Vaticanus  277,  Urbinas  68,  Parisinus  2254  E  und 
Paris.  2142  H  vertreten  wird,  und  eine  jüngere,  die  sich  im  Cod.  Mar- 
cianus  269,  Paris.  2144  F,  2141  G,  2143  J,  und  Laurent.  74,  1  erhal- 
ten hat.  Ilberg  macht  ausfuhrliche  Mittheilungen  über  diese  Handschrif- 
ten, zeigt  durch  zahlreiche  Beispiele,  wie  mit  ihrer  Hilfe  der  Text  der 
Kühnschen  Ausgabe  an  vielen  Stellen  richtig  gestellt  werden  kann,  und 
sagt,  dass  bei  einer  neuen  Ausgabe  der  Schrift  hauptsächlich  der  Cod. 
Laurent.  74,  3  und  Marcianus  269  in  Betracht  kommen.  Im  zweiten 
Theile  untersucht  er  die  Quellen  des  Werkes  und  nennt  unter  densel- 
ben neben  den  Commentaren  Galens  zu  Hippokrates  einzelne  Schriften 
von  Dioskorides,  Erotian  und  Aelius  Diogenianus. 

21)  J.  Ilberg:  Galeniana.  Philologus.  1889.  N.  F.  Bd.  2.  H.  1. 
S.  57-66. 

22)  L.  0.  Broker:  Die  Methoden  Galens  in  der  literarischen 
Kritik.  Rhein.  Mus.  N.  F.  Bd.  40.  H.  3.  1885.  [Dieser  Artikel 
handelt  über  die  kritischen  Methoden,  welche  Galen  anwandte,  um 
die  Aechtheit  der  Ilippokratischen  Schriften  zu  bestimmen]. 

Jahresbericht  für  Alterthumswissenschaft.  LXIV.  (1890.  III.)  20 


306  Medicinische  Literatur  der  Griechen  und  Römer. 

23)  Iwan  Mueller:  Ad  Galenum  vol.  I,  S.  58.  Z.  12.  Ed.  Kühn. 
Acta  semin.  philolog.    Erlangen  1886.    Vol.  IV.  p.  222. 

Der  Verf.  glaubt,  dass  in  der  angegebenen  Stelle  der  Kühnschen 
Ausgabe:  dno^s/tl'sc  8s  Kwocg  fxkv  To7g  noki~aig  [loXußov  re  xal  Toug 
äXkou^  jULaf^r^rag,  ar>r6»c  8e  näaav  dkwfisvog  i<pi$ec  rrjv  '^EXXdSa  anstatt 
i(fi^zc,  welches  er  in  seiner  eigenen  Ausgabe  in  if-q-et  umgeändert  hatte, 
besser  i^s^r/g  8c8d$sc  gelesen  wird. 

24)  Iwan  Mueller:  Galenus  Piatonis  Imitator.  Acta  serainar. 
philolog.  Erlangen  1886.  Vol.  IV.  p.  260.  [Verf.  weist  auf  die  Aehn- 
lichkeit  des  Ausdrucks  in  Platons  Rep.  VI,  494  C.  D.  und  Galens  T.  X. 
p.  4.    Edit.  Kühn  hin]. 

25)  Iwan  Mueller:  Specimen  alterum  novae  editionis  libri  Ga- 
leniani  qui  inscribitur:  orc  zalg  roü  acü/ia-og  xpdaeatv  al  rrjg  (/'u^^g 
Suvdfxscg  enovrat.     Rector.    Progr.  Erlangen  1885.    4*^.     19  p. 

26)  Iwan  Mueller:  Specimen  tertium  novae  editionis  libri  Ga- 
leniani  qui  inscribitur:  ort  ralg  roo  aä>n.a-:og  xpäaEOiv  al  rr^g  (l'oyjjg 
SuvdjjLScg  inovzac.    Rector.    Progr.  Erlangen  1887.    4*^.    17  p. 

Fortsetzung  der  in  meinem  vorigen  Jahresbericht  (S.  63)  bespro- 
chenen Ausgabe.  Die  erste  Arbeit  enthält  den  Text  von  Cap.  5 — 8,  die 
folgende  Cap.  9  —  11  der  genannten  Galenschen  Schrift. 

27)  G.  Helmreich:  Galeni  de  utilitate  partium  primus.  Progr. 
d.  St.  Anna-Gymnas.  zu  Augsburg.     1886. 

Diese  Arbeit  unifasst  das  vierte  Buch  des  Galenschen  Werkes  über 
den  Nutzen  der  einzelnen  Organe  des  Menschen.  Helmreich  beabsich- 
tigt, später  auch  die  übrigen  Theile  desselben  herauszugeben.  Für  die 
Feststellung  und  Kritik  des  griechisclien  Textes  hat  er  den  Codex  Ur- 
bin.  69,  der  dem  10.  Jahrh.  angehört,  den  Cod.  Paris.  2154  (14.  Jahrb.), 
die  Edit  Aldina,  die  Baseler  Ausgabe,  sowie  die  Ausgaben  von  Charte- 
rius  und  Kühn  und  den  Text  des  Oribasius  verwerthet. 

28)  Galeni  Pergameni  scripta  minora  recens.  Marquardt,  Iw. 
Mueller  et  G  Helmreich.  Vol.  I.  mpl  (/"jyr^g  naßujv  xal  ä/iap-rj/xd- 
Twv  7t£.p\  rrjg  a^ia-r^g  oioaaxaXiag-  nspc  ruh  8tä  zr^g  ap-ixpag  acpaipag 
yufivaffcüu-  nporpenTcxog.  Ex  recogn.  J.  Marquardt.  Lips.  1884.  8°. 
LXVI.     129  p. 

Eine  auf  kritischer  Durchsicht  der  Handschriften  und  fachmänni- 
scher Beurtheilung  ihres  Inhalts  gegründete  Ausgabe  der  Werke  Galens 
ist  ein  längst  gefühltes  und  oft  genug  betontes  Bedürfniss.  Aber  wer 
kann  sich  an  dieses,  die  Kräfte  eines  Einzelnen  weit  übersteigendes 
Unternehmen   wagen?    Und  wo  findet  sich  ein  Buchhändler,    der    den 


Medicinische  Litteratur  der  Griechen  und  Kömer.  307 

Verlag  eines  solchen  Werkes  übernehmen  möchte,  das  ihm  bei  der  ge- 
ringen Kauflust  der  betheiligten  Kreise  sicherlich  keinen  finanziellen  Ge- 
winn, sondern  wahrscheinlich  noch  Verlust  bringen  wird?  —  Eine  allen 
Ansprüchen  genügende  Galen-Ausgabe  ist  nur  möglich,  wenn  sich  meh- 
rere Philologen,  Orientalisten  und  Historiker  der  Medicin  zu  diesem 
Zweck  vereinigen,  und  wenn  eine  Regierung,  Akademie  oder  gelehrte  Ge- 
sellschaft die  dafür  erforderlichen  Geldmittel  zur  Verfügung  stellt.  Werth- 
volle  Vorarbeiten  dazu  liefern  Iwan  Mueller,  G.  Helmreich,  Joh.  Mar- 
quardt  u.  A.  Der  vorliegende  Band  wurde  von  dem  Letzteren  redigirt 
und  stützt  sich  hauptsächlich  auf  Cod.  Laurent.  74,  3. 

29)  Nauck:  A  propos  d  l'ouvrage  Claudii  Galeni  Pergam.  scripta 
minora.  Bull,  de  l'acad.  imp.  des  sciences  de  St.  Petersburg.  1887. 
T.  31.  3.  p.  396  u.  ff.  [Textkritische  Bemerkungen  zu  der  vorher  ge- 
nannten Ausgabe.  Nauck  schlägt  an  einigen  Stellen  andere  Lesarten 
vor  und  fordert  eine  vollständigere  Mittheilung  des  handschriftlichen 
Materials]. 

30)  E.  Pernice:  Galeni  de  ponderibus  et  mensuris  testimonia. 
Bonn.    1888.    64  S.    Inaug.-Diss. 

31)  R.  Foerster:  De  Adamantii  physiognomicis  recensendis. 
Philolog.   1887.    Bd.  46.    S.  250  u.  ff. 

Codices  dieser  Schrift  befinden  sich,  wie  der  Verf.  mittheilt,  in  der 
Marciana  zu  Venedig,  der  Laurentiana  zu  Florenz,  der  Ambrosiana  zu 
Mailand,  im  Vatikan,  in  Paris,  in  London,  München,  Leyden  und  Kon- 
stantinopel. Auch  wird  der  Cod.  Philippsianus,  der  früher  im  Besitz 
der  bischöflichen  Bibliothek  zu  Montpellier  war,  und  die  von  F.  Sylburg 
beschriebene  Handschrift  erwähnt.  Sie  stammen  sämmtlich  aus  dem 
15.  und  16.  Jahrb.  Foerster  beschreibt  die  einzelnen  Handschriften  und 
bespricht  ihren  Werth  und  ihre  Verwandtschaftsverhältnisse. 

32)  C.  Holzinger:  Nemesii  Emeseni  libri  mpc  (puazujq  dv&po)- 
nou  versio  Latina.     Leipzig  und  Prag.     1887. 

33)  L.  C.  Lane:  Things  old  and  new  with  a  chapter  from  Cae- 
lius  Aurelianus.  Pacific  Med.  &  Surg.  Journ.  S.  Francisco.  T.  29. 
p.  397-402. 

34)  H.  Köberl:  De  Pseudo  -  Apuleji  herbarum  medicaminibus. 
Progr.  d.  Studienanst.  zu  Bayreuth.    1888. 

Der  Verf.  des  Herbarius  wird  bald  Apulejus  Platonicus,  bald  Apu- 
lejus  Barbarus  oder  auch  Lucius  Apulejus  Madaurensis  genannt,  ist  aber 
nicht  mit  dem  gleichnamigen  Dichter  identisch.  Er  scheint,  wie  Meyer 
aus  der  Schreibweise  entnahm,  ein  Afrikaner  gewesen  zu  sein  und  im 
5.  Jahrh.  n.  Chr.  gelebt  zu  haben.    Sein  Werk  handelt  über  die  Pflanzen, 

20* 


308  Medicinische  Literatur  dor  Griecheu  und  Römer. 

welche  in  der  Heilkunde  angewendet  werden.  Es  werden  darin  die  ver- 
schiedenen Bezeichnungen,  die  sie  führen,  und  ihre  Fundorte  angegeben, 
die  Jahreszeit,  in  der  sie  gesammelt  werden,  mitgetheilt  und  die  einzel- 
nen Krankheiten  aufgezählt,  bei  welchen  sie  heilkräftig  wirken. 

Dieses  Buch  ist  in  mehreren  Handschriften  überliefert  worden, 
welche  von  einander  vielfach  abweichen.  Köberl  bespricht  den  Werth 
derselben  und  ihre  gegenseitigen  Beziehungen  und  geht  dabei  besonders 
auf  die  Codices  zu  München,  Breslau  und  Monte  Casino  ein.  Er  zeigt, 
dass  sie  sämmtlich  von  einem  nicht  mehr  vorhandenen  Codex  abstam- 
men, welchen  die  Münchener  Handschrift,  die  dem  6.  oder  7.  Jahrh.  an- 
gehört, am  nächsten  steht.  Da  in  ihr  die  Synonyme  der  Pflanzen  feh- 
len, welche  in  den  andern  Codices  vorhanden  sind,  so  glaubt  Köberl, 
dass  sie  spätere  Zusätze  sind.  Er  untersucht  ferner,  aus  welchen 
Quellen  Apulejus  geschöpft  hat,  und  kommt  dabei  zu  dem  Ergebniss, 
dass  er  weder  dem  Dioskorides  noch  den  Plinius  direkt  excerpirt,  son- 
dern mit  diesem  und  dem  Interpolator  des  Ersteren  das  gleiche  Werk 
benutzt  habe;  er  vermuthet  eine  auf  griechische  Quellen,  namentlich  auf 
Kratevas,  sich  stützende  lateinische  Compilation.  Am  Schluss  macht 
Köberl  eine  Menge  von  Vorschlägen  zur  Verbesserung  des  Textes  des 
Herbarius. 

35)  Ph.  Puschmann:  Nachträge  zu  Alexander  Trallianus.  Frag- 
mente aus  Pliihimenus  und  Philagrius  nebst  einer  bisher  noch  unge- 
druckten Abhandlung  über  Augenkrankheiten.    Berlin  1887.     189  S. 

Ich  habe  für  meine  Ausgabe  der  Werke  des  Alexander  von  Tralles 
nahezu  sämmtliche  griechische  Handschriften  derselben  coUationiert;  in 
keiner  einzigen  fand  ich  die  Abschnitte  über  die  Unterleibsleiden  und 
Milzerkrankungen,  welche  sich  angeblich  auf  Pliiluinenus  und  Philagrius 
stützen.  Sie  fehlen  auch  in  der  ersten  griechischen  Ausgabe  (Paris  1548), 
sind  dagegen  in  der  zweiten,  der  Baseler  vom  Jahre  1556,  welche  Guin- 
ter  von  Andernach  besorgt  hat,  enthalten.  Im  lateinischen  Wortlaut 
stehen  sie  in  sämmtlichen  lateinischen  Uebersetzungen,  welche  uns  hand- 
schriftlich überliefert  worden  sind. 

Es  drängte  sich  mir  nun  die  Frage  auf:  Woher  hat  Guinter  den 
griechischen  Text  dieser  Abhandlungen  genommen?  Hat  er  dafür  eine 
Handschrift  benutzt,  welclie  uns  unbekannt  geblieben  oder  seitdem  ver- 
loren gegangen  ist?  —  Er  sagt  weder  in  der  Vorrede  zu  seiner  Aus- 
gabe, dass  er  dabei  einen  griechischen  Codex  als  Vorlage  gehabt  habe, 
noch  giebt  er  darüber  im  Text  oder  in  den  zahlreichen  Anmerkungen 
eine  Andeutung;  er  schreibt  nur,  dass  er  den  Text  veteri  interprete  ad- 
juvante hergestellt  habe.  Wenn  man  denselben  einer  genauen  Durch- 
siclit  unterzieht,  so  erkennt  man,  dass  er  in  Bezug  auf  den  Styl  und 
die  Wahl  der  Worte  von  demjenigen  des  Alexander  Trallianus  abweicht, 
Ausdrücke  enthält,  welche  in  der  griechischen  Sprache  ungewöhnlich  und 


Medicinische  Literatur  der  Griechen  und  Römer.  309 

seltsam  sind,  und  sogar  orthographische  und  stylistische  Fehler  zeigt. 
Ich  kam  dadurch  zu  der  Ueberzeugung,  dass  der  von  Guinter  veröffent- 
lichte griechische  Text  gar  nicht  aus  dem  Alterthura  stammt,  sondern 
wahrscheinlich  das  Werk  eines  gelehrten  Graecisten  der  späteren  Zeit 
ist.  Gründe  verschiedener  Art  führten  mich  zu  der  Vermutung,  dass 
Guinter  von  Andernach  der  Urheber  ist.  Selbstverständlich  lag  mir  da- 
bei der  Gedanke  fern,  denselben  der  bewussteu  Fälschung  anzuklagen. 
Er  betrachtete  sein  Vorgehen  von  einem  andern  Standpunkt  als  es 
heute  üblich  ist.  Er  verfolgte  mit  seiner  Ausgabe  nicht  einen  histori- 
schen oder  philologischen  Zweck,  bei  welchem  das  strenge  Festhalten  an 
der  wörtlichen  Ueberlieferung  ein  unumgängliches  Gesetz  ist,  sondern 
wollte  seinen  ärztlichen  Fachgenossen  ein  auf  der  Autorität  des  Alter- 
thums  begründetes  Lehrbuch  der  speciellen  Pathologie  und  Therapie  der 
inneren  Krankheiten  übergeben.  Wenn  dasselbe  an  einzelnen  Stellen 
Lücken  darbot,  so  trachtete  er,  sie,  soweit  es  möglich  war,  zu  ergänzen. 
Wesentlich  erleichtert  wurde  ihm  in  diesem  Falle  die  Arbeit,  indem  die 
lateinischen  Handschriften  des  Alexander  Trallianus  die  Abschnitte  ent- 
halten, welche  in  den  griechischen  fehlen,  und  zahlreiche  griechische 
Ausdrücke  und  Satzwendungen  aus  dem  Original  übernommen  haben. 
Guinter  fertigte  auf  dieser  Grundlage  und  mit  Heranziehung  der  be- 
treffenden Parallelstellen  aus  Galen,  Aetius  und  Paulus  Aegineta  einen 
griechischen  Text  an,  den  er  ohne  Bedenken  in  seine  Ausgabe  aufnahm. 

Der  griechische  Originaltext  der  aus  Philumenus  und  Pliilagrius 
entlehnten  Abliandlungen  ist  also  nicht  mehr  vorhanden.  Die  lateinische 
Uebersetzung  ist  aber  sehr  alt;  sie  stammt  aus  der  Periode  des  Ueber- 
ganges  des  Lateinischen  in  das  Romanische,  wie  aus  einzelnen  in  den 
Text  eingestreuten  Worten  uiid  manchen  grammatikalischen  Eigenthüm- 
lichkeiten  hervorgeht.  Der  lateinische  Text  wurde  zum  ersten  Male  im 
Jahre  1504  veröffentliclit;  doch  ist  diese  Ausgabe  ebenso  wie  die  späte- 
ren, welche  grösstentheils  nur  Wiederabdrücke  waren,  reich  an  Fehlern 
und  stellenweise  ganz  unverständlich.  Ich  habe  deshalb  mit  Hilfe  des 
Codex  No.  97  zu  Monte-Casino,  der  dem  Ende  des  9.  oder  Anfang  des 
10.  Jahrb.  angehört  und  der  beiden  Pariser  Handschriften  6681  und 
6682  den  lateinischen  Text  revidirt  und  eine  brauchbare  Form  des- 
selben herzustellen  versucht.  Er  enthält:  I.  Die  Fragmente  aus  Philu- 
menus (1.  Jahrb.  n.  Chr.)  über  den  Unterleibsfluss  iS.  16  30)  die 
fluxinäre  Ruhr  (S.  30 — 64),  die  Unterleibsleiden  (S  64-70),  und  den 
Stuhlzwang  (S.  70-73),  und  II.  die  Fragmente  aus  Philagrius  (4  Jahrh. 
n.  Chr.)  über  die  Milzleiden  (S.  74 — 82),  die  Auftreibung  der  Milz 
(S.  82  86),  die  Entzündung  der  Milz  (S.  86-106)  und  die  Verhärtung 
der  Milz  (S.  106 — 129).  In  den  Anmerkungen  zum  lateinischen  Text 
habe  ich  die  wichtigeren  Varianten  der  Handschriften  beigefügt  und  die 
Gründe  verschiedener  Conjekturen  erörtert. 

Der  zweite  Theil  meines  Buches  bringt  den  griechischen  Wortlaut 


310  Mediciüische  Literatnr  der  Griechen  und  Römer. 

einer  Handschrift  üher  die  Augenkrankheiten,  welche  ich  im  Cod.  IX 
Cl.  V  der  St  Marcus-Bibliothek  zu  Venedig  fand.  Sie  ist  in  einer 
Handschrift  des  Alexander  Trallianus  eingeschaltet  oder  bildet  vielmehr 
einen  Theil  derselben;  denn  sie  schliesst  sich  unmittelbar  an  das  zweite 
Buch  des  Alexander  an,  beginnt  auf  derselben  Seite,  wo  jenes  aufhört, 
und  ist  von  derselben  Hand  geschrieben,  wie  das  Werk  des  Alexander. 
Diese  Verbindung  mit  den  Schriften  des  Alexander  Trallianus  deutet 
darauf  hin,  dass  ihn  der  Schreiber  des  Codex  als  den  Verfasser  der 
Schrift  über  die  Augenkrankheiten  betrachtet  hat.  Eine  wesentliche 
Stütze  erhält  diese  Annahme  durch  die  Mittheilung  Alexanders  (s.  meine 
Ausgabe  Bd.  II  S.  2),  dass  er  »bereits  drei  Bücher  über  die  Krankheiten 
der  Augen  geschrieben  und  sich  darin  über  die  Diagnose  derselben,  ihre 
Ursachen  und  die  Heilmethoden,  sowie  über  verschiedene  Salben,  die 
Art  ihres  Gebrauches  und  ihrer  Zubereitung  ausgesprochen  habe«.  Die 
Handschrift  über  die  Augenkrankheiten  hat  nur  zwei  Bücher,  aber  ihr 
Verfasser  erklärt  in  der  Einleitung  ausdrücklich ,  dass  sie  aus  drei 
Büchern  bestehe;  das  dritte  Buch  fehlt  in  der  Handschrift.  Die  ein- 
zelnen Theile  des  Themas  werden  darin  genau  in  derselben  Reihenfolge 
abgehandelt,  welche  Alexander  in  der  erwähnten  Stelle  angiebt.  Manche 
Aehnlichkeiten  in  den  Ansichten  und  Citaten  zwischen  der  Handschrift 
und  den  W^erken  des  Alexander  vermehren  die  Wahrscheinlichkeit,  dass 
er  der  Verfasser  der  Abhandlung  über  die  Augenkrankheiten  ist.  Auch 
die  Sprache  gehört  der  Zeit  an,  in  welcher  Alexander  lebte;  doch  weicht 
der  Styl  in  mancher  Hinsicht  von  dem  des  Letzteren  ab.  In  der  Be- 
handlung des  Stoffes  zeigt  der  Verf.  grosse  Abhängigkeit  von  Galen. 
An  mehreren  Stellen  nähert  sich  der  Text  den  Pseudo-Galenischen  De- 
finitionen und  der  Epitome  des  Theophanes  Nonnus;  die  gemeinsame 
Quelle  bildete  wahrscheinlich  ein  Werk  Galens.  Es  scheint,  dass  wir  in 
der  Abhandlung  über  die  Augenkrankheiten  eine  Jugendarbeit  Alexanders 
vor  uns  haben. 

Sie  beginnt  mit  einigen  anatomischen  und  physiologischen  Bemer- 
kungen über  den  Bau  und  die  Funktionen  des  Auges  und  seiner  Theile, 
liefert  dann  eine  ausführliche  Beschreibung  der  verschiedenen  Erkrankun- 
gen dieses  Organs  und  ihrer  Erscheinungen  und  erörtert  zuletzt  die  Behand- 
lung. Auf  die  Augen- Operationen  geht  der  Verfasser  leider  nicht  ein. 
Der  Werth  der  Abhandlung  liegt  in  der  kurzen  und  treffenden  Schilde- 
rung der  Symptome  und  der  übersichtlichen  Klarheit,  in  welcher  die 
Vorstellungen,  welche  die  Aerzte  jener  Zeit  von  dem  Wesen  der  einzel- 
nen Krankheiten  hatten,  dargestellt  werden.  Es  ist  ihr  grosser  Vorzug, 
dass  sie  nicht,  wie  viele  andere  Produkte  der  medicinischen  Literatur 
dieser  Periode,  eine  blosse  Recepten- Sammlung,  sondern  eine  wirkliche 
Pathologie  des  Auges  ist.     Sie  umfasst  S.  134—179  meines  Buches. 

Dem  lateinischen  und  dem  griechischen  Text  habe  ich  eine  deutsche 
Uebersetzung  beigegeben,    damit  den  Philologen    das   Verständniss    der 


Medicinische  Literatur  der  Griechen  und  Eömer.  311 

fachmännischen  Ausdrücke  erleichtert  und  den  Medicinern  das  Studium 
des  Inhalts  der  vorliegenden  Schriften  ermöglicht  wird.  Im  Anhange 
folgen  genaue  Verzeichnisse  der  darin  vorkommenden  Arznei-  und  Nah- 
rungsmittel. 

36)  D.  L.  Danelius:  Beitrag  zur  Augenheilkunde  des  Äetius. 
Inaug.-Diss.    Berlin.    S».    76  S.    1889. 

Der  von  Fehlern  gereinigte  griechische  Text  von  Cap.  1 — 29  des 
Lib.  VII  des  Aetius  wird  hier  nach  der  fragmentarischen  Ausgabe  von 
1534  veröffentlicht;  Handschriften  wurden  nicht  zu  Rathe  gezogen.  Da- 
nelius hat  dem  Text  eine  lesbare  deutsche  Uebersetzung  beigegeben. 

37)  E.  Zarncke:  Symbolae  ad  Julii  Pollucis  tractatum  de  par- 
tibus  corporis  humani.     Leipzig  1884. 

Der  Verf.  zeigt,  dass  sich  Julius  Pollux  auf  die  Schrift  des  Rufus 
von  Ephesus  Tzspl  ovojxaaiag  raiv  tou  dvf^pcünoo  jxopiujv  stützt,  wie  schon 
Goupyl  bemerkt  hat,  und  ausserdem  die  Tabula  medicinalis  eines  Un- 
genannten, von  welcher  Greaves  ein  Fragment  veröffentlicht  hat,  die 
Pseudo-Galenischen  Definitionen  und  einige  anatomische  Werke,  welche 
verloren  gegangen  sind,  benutzt  hat. 

38)  K.  Hofmann  und  T.  M.  Auracher:  Der  Longobardische 
Dioskorides  des  Marcellus  Virgilius.  Roman.  Forschungen,  herausg. 
v.  K.  Vollmöller.    1884.    Bd.  I.    51  —  105. 

Es  wird  hier  das  erste  Buch  des  Textes  nach  dem  Cod.  latin.  337 
zu  München,  welcher  wahrscheinlich  identisch  ist  mit  der  Handschrift, 
welche  Marcellus  Virgilius  in  der  Vorrede  zu  seiner  1518  erschienenen 
Uebersetzung  erwähnt,  veröffentlicht. 

39)  H.  Rönsch:  Textkritische  Bemerkungen  zum  Longobardi- 
schen  Dioskorides.  Roman.  Forschungen.  1884.  Bd.  I.  S.  413  —  414 
[bringt  einige  annehmbare  Verbesserungs- Vorschläge  zu  dem  vorher 
besprochenen  Text]. 

40)  Y.  V.  Rosen:  Remarques  sur  les  manuscrits  orientaux  de 
la  collection  Marsigli  ä  Bologne,  suivies  de  la  liste  complete  des  ma- 
nuscrits arabes  de  la  meme  collection.  Atti  della  R.  acad.  dei  Lin- 
cei.  Roma.  1885.  4°.  135  p.  [Es  wird  darin  auf  eine  mit  wohler- 
haltenen Zeichnungen  und  vielen  Glossen  und  Zusätzen  ausgesattete 
arabische  Handschrift  des  Dioskorides  vom  Jahre  642  d.  H.  aufmerk- 
sam gemacht]. 


312  Naturwissenschaften,  Anatomie  und  Physiologie. 

V.  Naturwissenschaften,  Anatomie  und  Physiologie. 

1)  F.  Woenig:  Die  Pflanzen  im  alten  Aegypten.  Ihre  Heimatb, 
Geschichte,  Ciiltur  und  ihre  mannigfache  Verwendung  im  socialen  Le- 
ben, in  Cultus,  Sitten,  Gebräuchen,  Medicin  und  Kunst.  Nach  den 
bildlichen  Darstellungen,  Pflanzenresten  aus  Gräberfunden,  Zeugnissen 
alter  Schriftsteller  u.  s.  w.     Leipzig  1886.    S".    425  S. 

Der  Berichterstatter  über  die  Naturwissenschaften  hat  dieses  Werk 
bereits  ausführlich  besprochen.  Der  medicinische  Abschnitt  beschränkt 
sich  nicht  darauf,  die  Arzneipflanzen  vorzuführen,  sondern  enthält  eine 
vollständige  Geschichte  der  aegyptischen  Heilkunde.  Der  Verf.  gedenkt 
der  Heilgötter,  der  Ausübung  der  ärztlichen  Praxis  in  den  Tempeln,  der 
medicinischen  Literatur  der  Aegypter,  ihrer  Kenntnisse  auf  den  einzel- 
nen Gebieten  der  Medicin,  ihrer  Heilmittel  u.  a.  m. 

2)  V.  Loret:  La  flore  pharaonique  d'apres  les  documents.  hie- 
roglyphiques  et  les  specimens  decouverts  dans  les  tombes.  Paris  1887. 
80.    164  p. 

3)  Ch.  Moldenke:  lieber  die  in  altaegyptischen  Texten  er- 
wähnten Bäume  und  deren  Verwerthuug.  Leipzig  1887.  Inaug.-Diss. 
8°.    149  S. 

4)  Seeler:  Weitere  botanische  Funde  in  den  Gräbern  des  alten 
Aegyptens.    Biolog.  Centralbl.  her.  v.  Rosenthal  1884.    Bd.  IV.    No.  15. 

5)  Br.  Arnold:  De  Graecis  florum  et  arborum  amantissimus. 
Göttingen  1885. 

6)  J.  Murr:  Beiträge  zur  Kenntniss  der  altclassischen  Botanik. 
Innsbruck  1889.    8».    30  S. 

7)  Imhof,  Blum  er  und  0.  Keller:  Thier-  und  Pflanzenbilder 
auf  Münzen  und  Gemmen  des  classischen  Alterthums.  Leipzig  1889. 
40.    168  S.  mit  26  Taf.  und  1352  Abbild. 

8)  0.  Keller:  Thiere  des  classischen  Alterthums.  Innsbruck  1887. 
8°.    488  S. 

9)  Susemihl:  Kritische  Studien  zu  den  zoologischen  Schriften 
des  Aristoteles.     Rhein.  Mus.  1885.    Bd.  40.    H.  4. 

10)  L.  Carreau:  La  Zoologie  d'Aristote  d'apres  de  recents  tra- 
vaux.    Rev.  des  deux  mondes.    T.  63.    1.  1. 

11)  Berthelot  et  Ruelle:  Collection  des  anciens  alchimistes 
grecs.    PariSjl888. 


Naturwissensohaften,  Anatomie  und  Physiologie.  313 

12)  Berthelot:  Les  manuscrits  alchymiques  grecs.  Paris.  Rev. 
•     scient.    T.  35.    No.  6. 

13)  Berthelot:  Sur  les  commentateurs  des  vieux  alchimistes 
grecs.    Jouru.  des  savants.    1889.    Feur.  p.  106 — 114. 

14)  Berthelot:  Les  papyrus  alchymiqnes  de  l'Egypte.  Paris. 
Rev.  scient.    T.  35.    No.  3. 

15)  Berthelot:  Les  procedes  authentiques  des  alchimistes  egyp- 
tiens.     Paris.     Rev.  scieut.    T.  38.  No.  14. 

16)  Berthelot:  Introduction  ä  l'etude  de  la  chiraie  des  anciens 
et  du  moyen-äge.     Paris  1889. 

17)  S.  Günther:  Beobachtung  und  Experiment  im  Alterthum. 
Gaea.    1887.    Bd.  23.  No.  10. 

18)  F.  Blaas:  Naturalismus  und  Materialismus  in  Griechenland 
zu  Piatons  Zeit.    Kiel  1888.    8°.    19  S.    (Rede). 

19)  Jos.  Schwertschlager:  Die  Entstehung  der  Organismen 
nach  den  Philosophen  des  Alterthums  und  des  Mittelalters.  Progr.  d. 
bischöfl.  Lyceums  in  Eichstädt.    1885. 

20)  Em.  Chauvet:  La  philosophie  des  medecins  grecs.  Paris. 
1886.    601  p. 

21)  A.  Bertrand:  Histoire  de  la  philosophie  chez  les  medecins. 
Paris.    Rev.  scient.    T.  33.    p.  137-144. 

22)  Masson:  The  atomic  theory  of  Lucretius  contrasted  with 
modern  doctrines  of  atoms  and  evolution.     London  1884.    12  p. 

23)  H.  Schütte:  Theorie  der  Sinnesempfindung  bei  Lucrez. 
Progr.  d   Realgymnas.  ?.u  Dauzig  1888. 

24)  C.  Peyrani:  La  biologia nell' epoca  Aristotelica.  Parma  1886. 
8".    30  p. 

25)  Rud.  Hochegger:  Die  geschichtliche  Entwickelung  des  Far- 
bensinns.    Innsbruck  1884.    8°.     134  S. 

Der  Verf.  beginnt  mit  einer  kurzen  Recapitulation  der  verschie- 
denen Theorien,  die  in  Betreff  der  Entwickelung  des  Farbensinns  beim 
Menschen  aufgestellt  worden  sind,  bekämpft  dann  die  von  H.  Magnus 
vertheidigte  Hypothese  der  Latenz  des  Farbensinns  und  allmäligen  Ent- 
wickelung desselben,  weist  darauf  hin ,  dass  auf  altaegyptischen  Wand- 
malereien und  griechischen  Denkmälern  des  5.  Jahrh.  v.  Chr.  neben  der 


314  Naturwissenschaften,  An.itomie  und  Physiologie. 

rothen  und  golbon  auch  die  blaue  und  grüne  Farbe  auftritt,  und  erör- 
tert die  Meinung,  dass  die  |angebliche  Rmpfindungs -Trägheit  gegenüber 
den  letzteren,  den  kurzweiligen  Farben,  wie  sie  in  einer  früheren  Cul- 
turperiode  des  Alterthums  bestanden  haben  soll  und  bei  einzelnen  Natur- 
völkern heute  noch  beobachtet  wird,  nicht  in  dem  empfindenden  Organ 
ihren  Grund  hat.  sondern  auf  einer  mangelhaften  Entwickelung  des 
sprachlichen  Ausdrucks  beruht,  für  deren  Erklärung  verschiedene  Ur- 
sachen angeführt  werden  können. 

26)  E.  Veckenstedt:    Geschichte  der  griechischen  Farbenlehre. 
Paderborn  1888. 

27)  0.  Weise:    Die  Farbenbezeichnungen  bei  den  Griechen  und 
Römern.    Philologus.     1889.    Bd.  46.    S.  593—605. 

28)  A.  de  Keersmaeker:    Le  sens  des  couleurs  chez  Homere: 
Paris  1886. 

29)  Lauchert:    Geschichte  des  Physiologus.    Strassburg  i.  Eis. 
1889. 

Diese  Naturgeschichte  der  ältesten  christlichen  Zeit  ist  mit  vielen 
religiösen  Allegorien  und  wenigen  medicinischen  Bemerkungen  durch- 
setzt. Lauchert  liefert  eine  ausführliche  Inhaltsangabe  des  Buches,  unter- 
sucht, auf  welche  literarische  Quellen  des  Alterthums  die  Mittheilungen 
über  die  verschiedenen  Thiere,  Pflanzen  und  Mineralien  zurückgeführt 
werden  können,  berichtet,  dass  man  bald  den  weisen  Salomou,  bald 
Aristoteles  oder  einen  der  Kirchenväter,  wie  den  heiligen  Ambrosius, 
für  den  Verfasser  gehalten  hat.  und  zeigt,  dass  es  wahrscheinlich  im 
ersten  Drittel  des  zweiten  Jahrh.  n.  Chr.  entstanden  und  vielleicht  als 
Schulbuch  benutzt  worden  ist.  Er  erörtert  dann  den  Werth  und  die 
gegenseitigen  Beziehungen  der  griechischen  Handschriften,  weist  auf  die 
Spuren  des  Physiologus  in  der  älteren  patristischen  Literatur  hin,  ge- 
denkt der  alten  Uebersetzungen  ins  Aethiopische,  Armenische ,  Syrische 
und  Arabische,  beschreibt  die  lateinischen  Bearbeitungen  und  ihre  Schick- 
sale und  spricht  über  den  Einfluss,  den  der  Physiologus  auf  die  byzan- 
tinischen Schriften  und  die  Werke  des  Isidor  von  Sevilla,  Thomas  von 
Cantimpre,  Vincenz  von  Beauvais,  Albertus  Magnus  und  Bartholomaeus 
Anglicus  ausgeübt  hat.  -~  Im  zweiten  Theile  des  Werkes  erzählt  Lau- 
chert die  Geschichte  des  Physiologus  während  des  germanischen  und 
romanischen  Mittelalters;  der  Bericht  darüber  liegt  ausserhalb  des 
Rahmens  dieser  Besprechung.  Im  Anhang  folgt  der  Text  des  griechi- 
schen Physiologus  und  seiner  jüngeren  deutschen  Bearbeitung,  welche 
vor  der  Mitte  des  12.  Jahrh.  auf  österreichischem  Boden  entstanden  ist. 


Naturwissenschaften,  Anatomie  und  Physiologie.  315 

30)  D.  Kaufmann:  Die  Sinne.  Beiträge  zur  Geschichte  der 
Physiologie  und  Psychologie  im  Mittelalter  aus  hebräischen  und  ara- 
bischen Quellen.  Jahresber.  d.  Landes -Rabbinerschule  in  Budapest. 
1884.    S.  1     199. 

Eine  auf  umfassender  Literatur-Kenntniss  beruhende  erschöpfende 
Darstellung  der  Vorstellungen,  welche  die  Juden  im  Mittelalter  über  den 
Bau  und  die  Thätigkeit  der  einzelnen  Sinnesorgane,  sowie  über  verschie- 
dene Erkrankungen  derselben  hatten.  Der  Verf.  weist  dabei  nach,  dass 
sich  ihr  anatomisches  V^^issen  hauptsächlich  auf  Galen  stützte,  während 
auf  ihre  physiologischen  Anschauungen  neben  Galen  vorzugsweise  Aristo- 
teles Einfluss  nahm,  und  berichtigt  einige  der  mittelalterlichen  hebräi- 
schen Bezeichnungen  für  Augenleiden. 

31)  R.  Fe  erster:  Die  Physiognomik  der  Griechen.  Festrede. 
Kiel.     1884.    8°.    23  S. 

Geistvolle  Erörterungen  über  die  fein  entwickelte  Beobachtungsgabe 
der  Griechen,  welche  sie  befähigte,  Beziehungen  zu  finden  zwischen  be- 
stimmten Charakter-Eigenthümlichkeiten  und  dem  Ausdruck  der  äusseren 
Erscheinung.  Der  Verf.  zeigt,  wie  sich  dies  in  der  Kunst,  besonders  in 
der  Bildhauerei,  geltend  machte. 

32)  W.  Joest:  Körperbemalen  und  Tättowieren  bei  den  Völkern 
des  Alterthums.  Verhandl  d.  Berlin  Ges.  f.  Anthropol.  Berlin  1888. 
S.  412  u.  ff.  [Das  Tättowieren  war  namentlich  bei  den  Britanniern 
und  den  Völkern  der  unteren  Donau  üblich]. 

33)  Em.  Schmidt:  Die  antiken  Schädel  Pompejis.  Archiv  f. 
Anthropolog.    Bd.  15.    H.  3.    S.  229—258. 

34)  Lietard:  Notice  sur  les  connaissances  anatomiques  des  In- 
dous.  L'anatomie  et  la  physiologie  dans  l'Ayur-Veda  de  Susruta. 
Rev.  med.  de  Test.    Nancy.    Bd.  16.    p.  236     24u. 

35)  A.  Macalister:  Anatomical  and  medical  knowledge  of  an- 
cient  Egypt.  Not.  Proc.  Roy.  Inst.  Gr.  Brit.  1884/86.  London.  T.  XL 
p.  378  u.  ff. 

Tl.  Arzneimittellehre,  Klimatologie,  öttentliche 
Oesimdheitspflege. 

1)  Rud.  V.  Grot:  Ueber  die  in  der  Hippokratischen  Schriften- 
Sammlung  enthaltenen  pharmakologischen  Kenntnisse.  Dorpat  1887. 
Inaug.-Diss.    8°.    87  S. 

Der  Verf.  dieser  sehr  fleissigen  Arbeit  weist  zunächst  auf  die  aus 
der  Vor-Hippokratischen  Zeit  überlieferten,  besonders  auf  die  bei  Homer 


316        Arzneimittellehre,  Klimatologie,  öffrntliche  Gesundheitspflege. 

vorkommenden  Nacln-ichten  über  Arzneistoffe  und  Gifte  hin,  stellt  dann 
die  in  den  llippokratiscbeu  Schriften  erwähnten  Medicamente  zusammen, 
ordnet  sie  nach  ihren  vermeintlichen  Wirkungen  in  Abführmittel,  An- 
tholminthica,  Brechmittel,  Expectorantliia,  Gurgelmittel,  auf  den  Urin 
wirkende,  Schweiss  treibende,  stopfende,  Niesen  erregende,  ätzende,  auf 
die  Haut  wirkende,  bei  der  Heilung  der  Wunden,  der  Behandlung  der 
Augen  und  der  Gebärmutter  gebräuchliche,  Blutungen  zum  Stillstand 
bringende  Mittel  und  Gifte,  und  untersucht  die  Gründe,  auf  denen  der 
Glaube  an  ihre  Kräfte  beruhte.  Unrichtig  ist  seine  Ansicht,  dass  die 
Hippokratiker  die  Spulwürmer  wahrscheinlich  noch  nicht  von  den  Band- 
würmern unterschieden  hätten,  wie  aus  Hipp.  Edit.  Littre  T.  V.  p.  72 
und  T.  Vn,  594  hervorgeht. 

Im  Anhang  trägt  er  die  Hypothese  seines  Lehrers  Kobert  vor,  dass 
unter  dem  Struthium  der  Alten  drei  verschiedene  Pflanzen  zu  verstehen 
seien,  nämlich  Saponaria  officinalis  L.,  eine  Gypsophila  und  eine  dritte 
noch  jetzt  in  Arabien  häufig  vorkommende  und  von  den  Beduinen  als 
Seifenbaum,  Wuschnan  oder  Kundisi  bezeichnete  Pflanze,  während  das 
Melanthium  auf  Nigella  sativa  und  das  Mutterkorn  bezogen  wird. 

2)  Rud.  Kobert:  Ueber  den  Zustand  der  Arzneikunde  vor 
18  Jahrhunderten.  Halle  1887.  8°.  33  S.  [Uebersicht  der  von  Dios- 
korides  beschriebenen  Arzneien]. 

3)  Rud.  Kobert:  Historische  Studien  aus  dem  pharmakologi- 
schen Institute  der  K.  Universität  Dorpat.    Halle  188ü.    8^.    266  S. 

Die  erste  der  in  diesem  Werke  enthaltenen  Arbeiten  handelt  über 
die  Geschichte  des  Mutterkorns.  In  den  Hippokratischen  Schriften  ist 
von  Kranken  die  Rede,  deren  Glieder  ohne  erkennbare  Ursache  vom 
Brande  ergriffen  wurden  und  abfielen.  Der  Verf.  bezieht  diese  Fälle  auf 
chronische  Vergiftung  durch  Mutterkorn  (Ergotismus  gangraenosus)  und 
bringt  für  seine  Ansicht  eine  Menge  überzeugender  Gründe  Während 
der  Seuchen  der  Jahre  437  und  436  v.  Chr.  trat  diese  Erscheinung 
massenhaft  unter  der  Bevölkerung  auf;  Kobert  erklärt  dies  damit,  dass 
dieselbe  durch  den  fortgesetzten  Genuss  eines  mutterkornhaltigen  Brotes 
inficirt  war,  als  sich  die  Epidemieen  des  exanthematischen  und  abdomi- 
nalen Thyphns,  der  Pocken,  Ruhr  u.  ä.  m.  entwickelten.  Ebenso  deutet 
er  auch  die  von  Thukydides  beschriebene  sogenannte  Atheniensische  Pest 
als  eine  mit  Ergotismus  verbundene  Blattern-Epidemie.  Für  seine  Hy- 
pothese, dass  die  Vergiftung  durch  Mutterkorn  in  der  Krankheitsgeschichte 
jener  Zeit  eine  grosse  Rolle  spielte,  führt  er  an,  1)  dass  die  von  den 
Autoren  geschilderten  Witterungs- Verhältnisse  der  Entwickelung  von 
Mutterkorn  günstig  waren,  2)  dass  sich  die  Krankheit  auf  die  Athener 
beschränkte  und  nicht  die  Spartaner  ergriff,  weil  die  letzteren  ihr  Ge- 
treide wahrscheinlich  aus  einer  andern  Gegend  bezogen,  wo  es  nicht  mit 


Arzneimittellehre,  Klimatologie,  öifentliche  Gesundheitspflege.        317 

Mutterkorn  verunreinigt  war,  3)  dass  auch  die  Thiere,  selbst  die  |Vögel, 
der  Erkrankung  ausgesetzt  waren,  4)  dass  die  Kranken  an  grosser  Hitze 
und  Unruhe  litten,  und  ihre  Hautdecken  zur  Verschwärung  neigten, 
5)  dass  ihr  Körper  abmagerte,  6)  dass  Darmentzündungen  und  Durch- 
fälle hinzutraten,  7)  dass  die  Spitzen  der  P'inger  oder  Zehen  oder  die 
Schamtheile  brandig  wurden  und  abfielen,  8)  dass  in  manchen  Fällen 
Erblindungen  zurückblieben ,  also  Trübungeu  der  Linse,  die  wahrschein- 
lich durch  Spacelin-Vergiftung  hervorgebracht  worden  waren,  9)  dass  Er- 
krankungen des  Gehirns  und  Rückenmarks  und  Geistesstörungen  als 
Folgezustände  beobachtet  wurden.  Wenn  auch  jede  dieser  Thatsachen, 
wenn  sie  einzeln  für  sich  betrachtet  wird,  noch  andere  Erklärungen  zu- 
lässt,  so  sprechen  sie  in  ihrem  Zusammenhange  allerdings  sehr  für  die  von 
Kobert  angenommene  Betheiligung  des  Ergotismus  an  der  herrschenden 
Epidemie.  Wenn  die  letztere  den  Pocken  zugeschrieben  wird,  so  kann 
ich  dem  Verf.  nicht  beistimmen;  denn  neben  den  Pocken  haben  ohne 
Zweifel  der  Kriegs-  oder  Lager-Typhus,  der  Unterleibs-Typhus,  die  Ruhr 
und  andere  Leiden  bestanden  und  zu  dem  Proteus  ähnlichen  Bilde  der 
Atheniensischen  Seuche  beigetragen. 

Der  Verf.  erörtert  dann  die  Frage,  ob  die  Hippokratiker  das 
Mutterkorn  selbst  gekannt  und  zu  arzneilichen  Zwecken  gebraucht  haben, 
und  fühlt  sich  durch  einige  Thatsachen  veranlasst,  dieselbe  zu  bejahen; 
doch  scheint  die  Verordnung  desselben  nur  zufällig  und  ohne  Kenntniss 
ihrer  arzneilichen  Kräfte  geschehen  zu  sein.  Er  gedenkt  hierauf  der 
Mittheilungen  über  das  Mutterkorn,  welche  sich  bei  Dioskorides  und 
Galen,  sowie  in  der  römischen  Literatur  finden.  In  einem  der  folgenden 
Abschnitte  wird  die  von  v.  Grot  veröffentlichte  Doktor- Dissertation  (s, 
oben)  nochmals  abgedruckt;  Kobert  hat  sie  vollständig  umgearbeitet,  er- 
weitert und  mit  Zusätzen  bereichert,  so  dass  sie  eigentlich  als  eine  ganz 
neue  Arbeit  erscheint.  Sie  liefert  eine  erschöpfende  Darstellung  der 
Hippokratischen  Therapie. 

4)  S.  Krysinski:  Pathologische  und  kritische  Beiträge  zur  Mutter- 
kornfrage. Jena  1888.  8^.  274  S  [beginnt  mit  der  Geschichte  des 
Mutterkorns  und  den  Ergotismus-Epidemien  im  Alterthumej. 

5)  Berendes:  Pharmacie  bei  den  alten  Culturvölkern.  Archiv 
f.  Pharmacie.  Bd.  24.  S.  109— 127.  201  -216.  Bd.  25.  S.  937— 958. 
1001—1012. 

.  Zusammenstellung  der  Arzneistoffe,  Arzneien  und  Gifte,  welche 
nach  Susruta  den  alten  Indern  bekannt  waren,  nebst  Nachrichten  über 
deren  Gewinnung  oder  künstliche  Darstellung.  Hierauf  folgt  eine  vor- 
treffliche Schilderung  der  Medicamente  und  ai'zneilichen  Verordnungen 
der  alten  Aegypter  nebst  einer  Erörterung  des  Ursprunges  der  Alchymie 
und  der  Lehre  vom  sogenannten  Stein  der  Weisen. 


318        Arzneimittellehre,  Klimatologie,  öffentliche  Gesundheitspflege. 

6)  V.  Loret:  Lc  Kyplii,  parfum  sacre  des  anciens  Egyptiens. 
Journ.  asiat.  X,  1.    S.  76  u.  ff.    1887. 

Der  Verf.  vergleicht  die  von  Dioskorides  (I.  c  24),  Plutarch  (de 
Isid.  et  Osir.  80)  und  Galen  (Ed.  Kühn.  T.  XIV.  p.  117)  gegebenen  Re- 
cepte  zur  Bereitung  des  Kyphi  mit  drei  in  aegyptischen  Hieroglyphen 
überlieferten  Rcceptvorschriften  der  Ptolemaeischen  Periode,  die  theils 
von  Dümichen,  theils  von  Champollion  und  Brugsch  beschrieben  worden 
sind,  hebt  ihre  Verschiedenheiton  hervor  und  versucht,  die  aegyptischen 
Bezeichnungen  durch  die  griechischen  zu  erklären.  Nach  Dioskorides 
bestand  das  Kyphi  aus  11,  nach  Plutarch  und  Galen  aus  16  Substanzen, 
die  aegyptischen  Recepte  zählen  ebenfalls  16  Substanzen  auf.  Sie  schrei- 
ben vor,  dass  man  von  Acorus  Calamus  L,  Andropogon  Schoenanthus  L, 
Pistacia  Lentiscus  L,  Lauras  Cassia  L,  Laurus  Cinnamomum  Andr., 
Mentha  piperita  L  und  Convolvulus  scoparius  L  je  270  Gramm  —  Lo- 
ret hat  das  alte  aegyptische  Gewicht  in  Grammgewicht  umgerechnet  — 
nehmen,  zu  einem  feinen  Pulver  zerreiben  und  durch  ein  Sieb  schütten, 
hierauf  von  dieser  Masse  etwa  zwei  Fünftel  und  zwar  die  am  stärksten 
duftenden  und  am  stärksten  zerriebenen  Partien  auswählen,  mit  je  270 
Gramm  von  Junipera  plioenicea  L,  Acacia  Farnesiana  L,  Lawsonia  iner- 
mis  L  und  Cyperus  longus  L  vermischen.  Alles  zerstossen,  in  1125  Gramm 
Wein  aufweichen  und  einen  Tag  stehen  lassen  soll.  Dazu  kommen  1260 
Gramm  vom  Fleisch  getrockneter  und  gereinigter  Rosinen  und  1440  Gramm 
Oasenwein.  Diese  Masse  wird  durcheinander  gemischt  und  bleibt  fünf 
Tage  stehen.  Hierauf  werden  1200  Gramm  Terpeuthinharz  und  3000 
Gramm  Honig,  nachdem  sie  mit  einander  gemischt  und  auf  vier  Fünftel 
ihres  Gewichtes  eingekocht  worden  sind,  hinzugethan  und  zuletzt  noch 
1143  Gramm  fein  zerriebener  Myrrhe  hinzugefügt.  Das  Ganze  beträgt 
jetzt  10  164  Gramm. 

7)  K.  ß.  Hofmann:  Ueber  vermeintliche  antike  Seife.  Deut- 
sches Arch.  f.  Gesch.  d.  Med.  1885.    Bd.  VHI.    H.  2. 

In  einer  Walkerei  zu  Pompeji  wurde  zwischen  den  Scherben  eines 
grossen  irdenen  Gcfässes  eine  Masse  gefunden,  die  man  für  Seife  hielt. 
Durch  Presuhns  Vermittlung  erhielt  Hofmann  davon  eine  Probe,  welche 
er  chemisch  untersuchte  und  dabei  feststellte,  dass  es  Walkererde,  kei- 
neswegs aber  Seife  war.  Er  wurde  dadurch  zu  der  Frage  veranlasst, 
ob  die  Alten  die  Seife  als  Reinigungsmittel  gekannt  haben,  und  studierte 
zu  diesem  Zweck  die  Angaben  der  alten  Autoren  Seine  Antwort  lautet 
nur  für  die  spätere  Zeit  bejahend,  für  die  ältere  dagegen  unentschieden. 

8)  R.  Sigismund:  Die  Aromata  in  ihrer  Bedeutung  für  Reli- 
gion, Sitten,  Handel  und  Geographie  des  Alterthums  bis  zu  den  er- 
sten Jahrhunderten  unserer  Zeitrechnung.     Leipzig  1884.     8**.    234  S. 


Arzneimittellehre,  Klimatologie,  öffentliche  Gesundheitspflege.        319 

9)  G.  Her  gel:  Die  Rhizotomen.  Progr.  d.  Gymnas.  zu  Pilsen. 
1887.     8«.     21  S. 

10)  H.  Peters:  Mithridat  und  Theriak.  Mitth.  aus  d.  gerraan. 
Mus.  1887.    H.  30—33. 

11)  F.  Borsari:  Geografia  etnologica  e  storica  della  Tripoli- 
tania,  Cirenaica  e  Fezzan  con  cenni  sulla  storia  dl  queste  regioni  e 
sul  silfio  della  Cirenaica.    Torino.    1888.    8".    278  p. 

12)  N.  Wulfsberg:  Geschichtliche  Notizen  über  Oesypum  und 
therapeutische  Versuche  mit  dem  reiuen  wasserfreien  Lanolin.  Thera- 
peuth.  Monatsh.  1887.    I.    H.  3.    S.  92  u.  ff. 

13)  G.  Vulpius:  Zur  Geschichte  des  Lanolins.  Arch.  f.  Phar- 
macie.    1888.    Bd  26.  S.  489  u.  ff. 

Das  aus  der  schweissigen  Wolle  der  Schafe  gewonnene  Fett  wird 
in  der  Literatur  des  Alterthums  als  Heilmittel  bei  der  Behandlung  der 
Wunden  und  Geschwüre  häufig  empfohlen.  Dioskorides  (II.  c.  84)  und 
Plinius  (Lib.  29.  c.  10  u.  a.  0)  haben  ausführliche  Nachrichten  über 
die  Bereitung  und  Verwendung  desselben  hinterlassen.  Leider  wurde 
das  Wort  ol'auTMQ  durch  unverständige  oder  leichtfertige  Abschreiber  in 
manchen  Schriften  in  uaaojTiog  verdorben  und  dadurch  der  Inhalt  der 
betreffenden  Stellen  verändert.  Das  Wollfett  stand  auch  später  in 
grossem  Ansehen  und  erhielt  sich  unter  dem  Namen  Hyssopus  humida 
bis  ins  18.  Jahrh.  in  den  Pharmakopoeen.  Erst  die  neuere  Medicin  ent- 
fernte es  daraus,  weil  man  sich  nicht  denken  konnte,  dass  »der  schmutzige 
Schweiss  der  Schafe  heilend  wirke«.  Aber  die  Arbeiten  Chevreuils  und 
Berthelotä  über  die  Cholesterin-Verbindungen  lenkten  die  Aufmerksamkeit 
wieder  darauf,  und  Liebreich,  welcbem  es  gelang,  die  Darstellung  eines 
durch  geringen  Wassergehalt  und  grosse  Reinheit  ausgezeichneten  Prä- 
parates des  Wollfettes,  des  Lanolins,  zu  entdecken,  bestätigte  die  Er- 
fahrungen der  alten  Aerzte. 

14)  M.  Mendolsohn:  Das  Opium.  Eine  historische  Skizze.  Zeit- 
schr.  f.  klin.  Medicin.  Bd.  16.  S.  193  u.  ff.  [Anmuthige  Darstellung 
einiger  Thatsachen  aus  der  Geschichte  des  Opiums,  aber  ohne  genaue 
Angabe  der  literarischen  Quellen]. 

15)  J.  Jaeggi:  Die  Wassernuss,  Trapa  natans,  und  der  Tribu- 
lus  der  Alten.    Zürich  1883.    8°.    34  S.  u.  1  Taf. 

16)  Imbert-Gourbeyre:  Recherches  sur  les  Solanum  des  an- 
ciens.    Clermont  (Oise).    1884.    8*^.     140  p. 

17)  J.  Phustanos:  laxopia  xoo  oTvoo.  Hestia.  Athen  1884. 
No.  45.     p.  437-441. 


3'20        Arzneimittellehrp,  Klimatologie,  öffciitiicbe  Gesundheitspflege. 

18)  F.  Olck:  Hat  sich  das  Klima  Italiens  seit  dem  Alterthum 
geändert?  Neue  Jahrb.  f.  Philol.  u.  Pädag.  1887.  Bd.  135/136.  H.  7. 
S.  465  u.  ff. 

Der  Verf.  wendet  sich  gegen  H.  Nissen,  welcher  behauptet  hat 
(Ital.  Landeskunde,  1883.  I,  396 — 402),  dass  das  Klima  von  Italien  sich 
seit  den  Zeiten  des  Alterthums  geändert  habe,  prüft  die  von  ihm  vorge- 
tragenen Gründe  und  Belegstellen  aus  den  Schriften  der  Alten  und 
sucht  sie  zu  widerlegen.  Er  bemerkt  zunächst,  dass  Columella  und 
Palladius  nicht,  wie  Nissen  glaubte,  die  klimatischen  Verhältnisse  Anda- 
lusiens oder  Süd-Italiens,  sondern  diejenigen  Mittel-Italiens,  wo  sie  be- 
gütert waren,  bei  ihren  Schilderungen  vor  Augen  hatten.  Wenn  Nissen 
sagt,  dass  die  Regenzeit  des  Sommers  im  Alterthum  nur  1  -  iVs  Monate 
gedauert  habe,  während  sie  jetzt  3-4  Monate  währe,  so  bestreitet  Olck 
auf  Grund  der  meteorologischen  Mittheilungen  die  Richtigkeit  der  letz- 
teren Angabe  und  zeigt,  dass  sich  die  Dauer  der  Regenzeit,  wie  es 
scheint,  nicht  wesentlich  geändert  hat.  Plinius  schreibt,  dass  Sicilien  im 
Alterthum  häufig  von  Ueberschwemmungen  heimgesucht  wurde,  während 
dies  jetzt  nicht  mehr  der  Fall  ist;  Olck  erklärt  dies  dadurch,  dass  das 
Bett  der  Flüsse  dort  breiter  geworden  ist.  Wenn  die  Erntezeit  in 
Mittel-Italien  während  des  Alterthums  in  den  Juni,  jetzt  dagegen  in  den 
Mai  fällt,  so  muss  daran  erinnert  werden,  dass  der  Kalender  der  Alten 
dem  unsern  um  einige  Tage  voraus  war,  und  dass  die  Angaben  der 
Autoren  des  Alterthums  über  den  Zeitpunkt  der  Ernte  verschieden  sind 
und  sich  zwischen  den  letzten  Tagen  des  Mai  und  den  ersten  Tagen  des 
Juni  bewegen.  Es  gilt  dies  namentlich  für  die  Heu-  und  die  Weizen- 
Ernte;  dabei  ist  noch  zu  berücksichtigen,  dass  man  im  Alterthum  die 
Wiesen  während  der  ersten  Monate  des  Jahres  zur  Hutung  verwendete. 
In  Betreff  der  Weinlese  und  der  Oliven-Ernte  stimmen  die  Zeitangaben 
des  Alterthums  mit  denen  der  Gegenwart  überein.  Gegen  Nissens  Be- 
hauptung, dass  der  römische  Winter  im  Alterthum  kälter  gewesen  sei 
als  jetzt,  führt  Olck  die  niedrigen  Winter-Temperaturen  der  letzten  Jahre 
an,  in  Folge  deren  es  in  Rom  nicht  an  Schnee  und  Eis  fehlte.  Er  zeigt 
dann,  dass  der  Verbreitungsbezirk  des  Oelbaums  im  Alterthum  der  gleiche 
war  wie  heute,  dass  es  sich  mit  der  Blüthezeit  verschiedener  Pflanzen 
ebenso  verhält,  und  dass  auch  die  Cultur  des  Granatbaums,  des  Mandel- 
baums und  der  Dattelpalme  keine  klimatischen  Veränderungen  erkennen 
lässt,  und  kommt  zu  dem  Schluss,  »dass  alle  überlieferten  Naturphäuo- 
mene  nur  auf  die  Stabilität  des  Klimas  in  historischen  Zeiten  hindeuten«. 

19)  Marchetti:  Sülle  acque  di  Roma  antiche  e  moderne.  Roma 
1887.    80.    428  p. 

20)  v.  Veith:  Das  Römerbad  Bertrich  und  seine  alten  Wege. 
Jahrb.  d.  Ver.  v.  Alterth.  im  Rheinlaude.    1888.    H.  85. 


Arzneimittellehre,  Klitnatologie,  öffentliche  Gesundheitspflege.        321 

21)  V.  Veith:  Die  römische  Wasserleitung  aus  der  Eifel  zum 
Rhein.     Jahrb.  d.  Ver.  v.  Alterth.  im  Rheinlande  1886.    H.  80. 

22)  F.  Küchenmeister:  Die  verschiedenen  Bestattungsarten 
menschlicher  Leichname  vom  Anfang  der  Geschichte  bis  heute.  Eulen- 
bergs Vierteljahrsschrift  für  gerichtl.  Medicin.  Bd.  42.  N.  F.  H.  2. 
Bd.  43.    H.  1.  2. 

23)  D.  A.  Lianopoulos:  üefA  xo.pr/z(jGt(jjQ  r.apa  zoTq  dp-^aiotg. 
rahjvog.    Athen.     T.  19.    p.  66,  83,  99. 

24)  Manzi:  L'igiene  rurale  degli  antichi  Romani  in  relazione 
ai  moderni.  Studii  fatti  sul  bonificamento  dell'  agro  Romano.  Roma  1885. 

25)  A.  Hirsch:  lieber  die  historische  Entwickelung  der  öffent- 
lichen Gesundheitspflege.    Berlin  1889.    S«'.    46  S. 

Es  wird  hier  der  frühesten  Anfänge  der  öffentlichen  Gesundheits- 
pflege bei  den  alten  Indern  und  Aegyptern,  ihrer  Fürsorge  für  gesunde 
Wohnungen,  reines  Trinkwasser  und  unverdorbene  Nahrungsmittel  ge- 
dacht, an  die  Reiuigung-^gesetze  des  israelitischen  Volkes  und  an  die 
Verordnungen  erinnert,  welche  Moses  für  die  Untersuchung  der  Lebens- 
mittel, die  Reinhaltung  der  Wohnungen,  für  den  geschlechtlichen  Verkehr 
und  zur  Verhütung  der  Verbreitung  des  Aussatzes  erliess,  und  darauf  hin- 
gewiesen, dass  die  Griechen,  obwohl  sie  in  der  theoretischen  Erkenntuiss 
der  Forderungen  der  Hygiene  bereits  ziemlich  weit  vorgeschritten  waren, 
in  der  praktischen  Ausführung  derselben  doch  von  den  Römern  übertroffen 
wurden.  Schon  Dionys  von  Halikarnass  erkannte  diese  Thatsache  an, 
indem  er  erklärte:  »Mir  fallen  drei  Gegenstände  auf,  in  welchen  ich 
die  Grösse  des  römischen  Volkes  bewundere,  nämlich  die  Wasserleitun- 
gen, die  öffentlichen  Strassen  und  die  Kloaken«.  Die  grossartigen  Wasser- 
leitungen, von  denen  man  in  Rom  und  anderen  Städten  noch  Ueberreste 
sieht,  führten  ein  gesundes  frisches  Trinkwasser  und  das  nothwendige 
Nutzwasser  in  die  Wohnungen,  die  mit  denselben  durch  Röhren  verbun- 
den waren.  Die  Wasserzufuhr  war  so  reichlich,  dass  man  davon  häufig 
sogar  die  Bäder  versorgen  und  die  Strassen  besprengen  konnte.  Ein 
vortreffliches  Canalisationssystem  umfasste  die  meisten  Häuser  Roms  und 
brachte  sie  mit  dem  Hauptcanal  in  Verbindung;  dadurch  konnten  die 
Abfälle  und  Unreinigkeiten,  die  sich  auf  den  Strassen,  in  den  Gossen, 
in  den  öffentlichen  und  privaten  Latrinen  und  Aborten  angesammelt 
hatten,  von  einer  rasch  strömenden  Wassermenge  fortgeschwemmt,  in 
den  Tiber  getrieben  und  zur  Berieselung  der  Gärten  und  Felder  in  der 
Umgebung  der  Stadt  benutzt  werden.  Daneben  bestand  in  manchen 
Häusern  das  Abfuhrsystem.  Es  wurde  darüber  gewacht,  dass  die  Ab- 
trittsgrubeu  regelmässig  geräumt  wurden;  doch  durfte  dies  nur  bei  Nacht 
und  bei  kühlem  Wetter  geschehen.  Die  ausgezeichneten  Drainage -Ein- 
richtungen, durch  welche  man  das  Auftreten  von  Malaria  vorliütete  und 
die   Assanirung    der  römischen   Campagna    zu  bewirken    suchte,    haben 

Jahresbericht  für  Alterthumswissenschaft.  LXIV.  Bd.  (1890  III.)  21 


322        Arzueiniittellehre,  Klimatologio,  öffontliche  Gesundheitspflege. 

Toinniasi-Crudcli  uiul  R.  de  la  Blanchere  vor  einigen  Jahren  beschrie- 
ben. Im  Mittehüter  \Yurdcn  diese  bewunderungswürdigen  Schöpfungen 
der  Römer  leider  dem  Verfall  und  der  Vergessenheit  überlassen. 

20)    R.  Pölilmann:    Die  Uebervölkerung  der  antiken  Grossstädte. 
Gekrönte  Pi-eisschrift.     Leipzig  1884. 

Sclion  mehrere  Jahre  vor  der  soeben  besprochenen  Abhandlung  er- 
schien Pöldmanns  ausgezeichnete  Arbeit,  welche  im  IV.  Abschnitt  die 
öffentliche  Gesundheitspflege  in  den  grossen  Städten  des  Alterthums  be- 
handelt. Der  Verf.  fasst  vorzugsweise  die  Zustände  Roms  ins  Auge, 
zieht  aber  auch  andere  Grossstädte,  wie  Alexandria,  Antiochia,  Smyrna 
und  Byzanz,  in  Betracht  und  führt  für  jede  seiner  Behauptungen  die 
eiuschlägige  Belegstelle  an.  Er  weist  darauf  hin,  dass  im  Stadtrecht 
Caesars  den  Hauseigenthümern  die  Verpflichtung  auferlegt  wurde,  für 
die  Reinlichkeit  und  Instandhaltung  der  an  ihr  Grundstück  angränzen- 
den  öffentlichen  Wege  zu  sorgen.  Wurde  dies  versäumt;  so  durften  die 
Aedilen  die  uothwendigen  Arbeiten  auf  Kosten  der  Hausbesitzer  ausfüh- 
ren lassen;  auch  die  Miether  des  Hauses  waren  dazu  berechtigt.  Es 
handelte  sich  dabei  hauptsächlich  darum,  die  Ansammlung  von  Wasser- 
massen zu  verhüten  und  das  schadhaft  gewordene  Pflaster  des  Trottoirs 
wieder  auszubessern.  Die  ursprüngliche  Herstellung  des  letzteren,  so- 
wie die  Pflasterung  der  Strassen  geschah  auf  öffentliche  Kosten.  Ferner 
musste,  wie  aus  späteren  Erläuterungen  hervorgeht,  der  Unrath  besei- 
tigt und  die  Gosse  gesäubert  werden.  Der  Verf.  schildert  dann  das 
vortreffliche  Schwemmsystera  und  die  Canalisatiou  in  ausführlicher  Weise 
und  erörtert  dabei  ihre  Vorzüge,  hebt  aber  auch  einzelne  Mängel  her- 
vor, welche  diese  Einrichtungen  zeigten.  Er  gedenkt  der  überreichlichen 
Wasserzufuhr,  durch  welclie  Rom  alle  modernen  Grossstädte  übertraf. 
Sie  ermöglichte  es,  dass  nicht  nur  die  öffentlichen  und  privaten  Gebäude 
und  die  gewerblichen  Anlagen  mit  dem  uothwendigen  Wasser  versorgt, 
sondern  auch  Hunderte  von  Bädein  und  Fontaiuen  gespeist  und  die 
Fortschwemmung  der  Abfälle  und  Excremente  bewirkt  werden  konnte. 
Das  Abfuhrsystem  hatte  sich  nur  in  vereinzelten  Fällen  aus  früherer 
Zeit  erhalten.  Verwunderung  erregt  es,  dass  die  Bau-Hygiene  und  das 
Bestattungswesen  vernachlässigt  wurden  und  kaum  den  bescheidensten 
Anforderungnn  genügten.  Die  Beerdigung  der  armen  Leute  in  Massen- 
gräbern und  die  primitive  Art  der  Feuerbestattung,  bei  welcher  nur  eine 
unvollkommene  Verbrennung  der  Leichentheile  stattfand,  hatten  sicher- 
lich Nachtheile  für  das  körperliche  Befinden  und  die  Gesundheit  der  in 
der  Nähe  wohnenden  Menschen  im  Gefolge.  Ebensowenig  wurden  die 
hygienischen  Bedingungen  bei  der  Anlage  von  Strassen,  öffentlichen  Bau- 
ten und  Wolinliäusern  berücksichtigt,  obgleich  Vitruv  manche  darauf 
hinzielende  Beobachtung  gemacht  und  z.  B.  auf  den  Nutzen  von  Garten- 
anlagen und  freien  Plätze  innerhalb  der  Städte  hingewiesen  hat. 


Pathologie,  interne  Medicir,  Geisteskrankheiten,  Seuchen.  323 


VII.  Pathologie,  interne  Medicin,  (xeisteskrankheiten,  Seuchen. 

1)     J.  M.  Cliarcot  et  P.  Rieh  er:    Les  difformes  et  las  malades 
dans  l'art.    Paris  1889.    4°.    168  p. 

Die  Verf.  dieses  Werkes  stellen  sich  die  Aufgabe,  an  den  Gemäl- 
den und  Kunstdenkmälern  zu  zeigen,  wie  die  Krankheiten  und  Missbil- 
dungen von  der  bildenden  Kunst  dargestellt  worden  sind.  Sie  haben 
dabei  die  Werke  aller  Zeiten  und  Schulen  mit  Ausnahme  der  Gegenwart 
in  Betracht  gezogen.  Auch  das  Alterthum  bietet  ihnen  eine  Fülle  von 
Material,  dass  sie  in  geeigneter  Weise  verwerthen. 

Sie  erklären,  dass  manche  Fratzen,  wie  die  Ungeheuer  auf  einzel- 
nen römischen  Säulen-Kapitalen,  welche  gleich  dem  Gorgonenhaupte  das 
Hässliche,  das  Grauenerregende  veranschaulichen  sollten,  durchaus  nicht 
blosse  Erfindungen  der  Phantasie  des  Künstlers,  sondern,  wenigstens  in 
einigen  Zügen,  nach  lebenden  Modellen  geschaffen  worden  sind.  Der 
berühmte  Pariser  Nervenarzt  Charcot  macht  auf  eine  Terracotta  der 
Collection  Campana  im  Louvre  aufmerksam:  einen  Kopf,  dessen  linke 
Gesichtshälfte  contrahirt  ist,  wobei  das  linke  Auge  geschlossen,  der 
Nasenflügel  gehoben,  die  Nase  seitwärts  gedreht,  die  Commissura  labia- 
lis ebenfalls  verschoben  und  die  linke  Wange  von  Falten  und  Runzeln 
durchzogen  erscheint,  während  das  rechte  Auge  weit  offen  steht  und 
überhaupt  die  ganze  rechte  Seite  des  Gesichts  keine  pathologischen 
Veränderungen  zeigt,  und  schreibt,  dass  er  Krankheitsfälle  dieser  Art 
häufig  beobachtet  habe.  Aehnliche  Verhältnisse  weist  eine  in  Myriua 
aufgefundene  Terra  cotta  des  Louvre  (No.  77  des  Katalogs)  auf.  Eine 
andere  Terra  cotta  der  gleichen  Sammlung  (No.  769  des  Katalogs)  lie- 
fert den  Beweis,  dass  die  kleinasiatischeu  Künstler  der  Zeit,  welcher  sie 
angehört,  die  krankhaften  Verbildungeu  des  Schädels  beachteten  und  für 
ihre  Darstellungen  verwendeten,  um  den  Eindruck  des  Grotesken,  des 
Komischen  hervorzurufen.  Solche  Köpfe  findet  man  auch  auf  Figuren, 
deren  Körper  und  Glieder  die  Zeichen  der  Rachitis  an  sich  tragen;  es 
geht  daraus  deutlich  hervor,  dass  der  Künstler  nach  der  Natur  gearbei- 
tet hat.  Eine  seltsame  pathologische  Schädelbildung  kann  man  auch 
auf  einem  der  zu  Fayum  entdeckten  aegyptischen  Porträts  der  Graaf- 
schen Sammlung  beobachten,  welche  hier  nicht  erwähnt  wird.  —  Auch 
die  Fettleibigkeit  wurde  von  den  Künstlern  benutzt,  um  die  Lachlust 
des  Publikums  zu  befriedigen.  Hierher  gehört  eine  Terra  cotta  von  Ta- 
nagra,  welche  eine  kleine  nackte  weibliche  Figur  mit  üppigem  Fettpol- 
ster und  starkem  Hängebauch  darstellt,  die  sich  wie  eine  keusche  Jung" 
frau  ziert.  Noch  derber  in  der  Auffassung  ist  das  nackte  buckelige  fette 
alte  Weib,  welches  sich  unter  den  aus  Kittion  auf  Cypern  stammenden 
Terra  cotta-Figuren  des  Louvre  befindet.  —  Im  folgenden  Abschnitt  wer- 
den die  Darstellungen  der  Zwerge,  Narren  und  Cretins  besprochen  und 

21* 


324  Pathologie,  interne  Medicin,  Geisteskrankkeiten,  Seuchen. 

dabei  auf  die  Statue  des  altaegyptischen  Zwerges  Khnumhotpu  im  Museum 
zu  lUilai'k  bei  Kairo,  sowie  auf  eine  au  dem  gleichen  Orte  befindliche 
von  ]\lari('tte  beschriebene  Basrelief- Darstellung  einer  Zwergin,  welche 
nach  Quatrefages  die  Repräsentantin  eines  afrikanischen  Zwergvolkes  zu 
sein  scheint,  hingewiesen,  der  Bilder  von  zwei  andern  Zwergen  auf  Rosse- 
linis  Tafeln,  von  denen  der  eine  Klunipfüsse  hat,  gedacht  und  an  die 
Statuetten  des  aegyptischen  Gottes  Bes  erinnert,  der  als  Zwerg  darge- 
stellt wurde  und  zwar  bisweilen  auf  den  Schultern  einer  weiblichen  Ge- 
stalt, die  gleich  ihm  rachitisch  verkrümmte  Beine  hat.  Auch  der  Gott 
Ptah  tritt  uns  in  manchen  Darstellungen  als  Zwerg  entgegen;  Parrot 
fand  in  der  eigcntliümlichen  Form  des  Schädels  und  seinem  V'erhältniss 
zum  übrigen  Körper  den  Typus  jenes  Leidens,  welches  er  als  Malforma- 
tion achondroplasique  beschrieben  hat.  Ferner  wird  au  die  zahlreichen 
Figuren  von  Zwergen  und  Verwachsenen  in  Terra  cotta  und  Bronce  er- 
inneit,  die  uus  aus  dem  Alterthum  überliefert  worden  sind,  und  die 
Marmorbüste  des  buckeligen  Aesop  in  der  Villa  Albani  zu  Rom,  welche 
die  charakteristischen  Merkmale  der  Kyphosis  zur  Anschauung  biingt, 
beschrieben.  —  Die  Verf.  wenden  sich  dann  zur  Besprechung  der  übri- 
gen Leiden,  erwähnen  die  Büste  des  blinden  Homer,  betrachten  die 
Lähmungen,  Verkrümmungen  und  Missbildungen  und  erörtern  zuletzt  die 
Art,  wie  die  Verstorbenen  dargestellt  wurden.  Die  Alten  sahen  in  dem 
Tode  einen  schmerzlosen  Abschied  vom  irdischen  Leben,  wie  der  ster- 
bende Adonis,  der  Tod  der  Alceste,  der  sterbende  Gallier,  der  Tod  des 
Kriegers,  die  sterbende  Amazone,  der  Tod  des  Meleager  und  andere 
Statuen  und  Bildnisse  auf  Sarkophagen  beweisen.  Nur  in  der  Laokoon- 
Gruppe  kam  der  physische  Schmerz  zum  mächtigen  Ausdruck;  aber  hier 
handelte  es  sich  nicht  um  ein  friedliches  Ende,  sondern  um  einen  qual- 
vollen gewaltsamen  Tod.  Sonst  pflegte  man  dem  todten  Körper  die  fried- 
lichen Züge  eines  Schlummernden  zu  geben,  oder  man  stellte  ihn  in  der 
vollen  Frische  und  Kraft  des  Lebens  dar,  während  er  seinem  Lebens- 
beruf oder  seiner  Lieblings-Neigung  nachging. 

Das  Werk  ist  mit  87  Illustrationen  ausgestattet,  die  leider  zum 
Theil  sehr  undeutlich  und  verschwommen,  zum  Theil  sogar  gänzlich  miss- 
lungen  sind.  Für  die  Geschichte  der  Medicin,  der  bildenden  Kunst  und 
der  allgemeinen  Culturenlwickelung  ist  das  Buch  sehr  werthvoU.  Den 
Aerzten  werden  in  den  bildlichen  Darstellungen  Zeugnisse  der  medicini- 
schen  Meinungen  und  Kenntnisse  vorgelegt,  die  keiner  Missdeutung  fä- 
hig und  leicht  verständlich  sind,  und  der  Kunstkritik  in  dem  Urtheil 
der  exakten  Wissenschaft  ein  neues  Hilfsmittel  überliefert. 

2)    De  Quatrefages;     Les  Pygmees   des  anciens.     Paris   1887. 
8".     352  p. 


Pathologie,  interne  Medicin,  Geisteskrankheiten,  Seuchen.  325 

3)  Moreau  (de  Tours):  Fous  et  bouffons.  Etüde  physiologique, 
psychologique  et  historiqne.  Paris  1885.  8°.  243  p.  [Es  ist  hier 
ausser  Anderem  auch  von  den  Zwergen,  welche  an  den  Höfen  der 
römischen  Kaiser  gehalten  wurden,  von  der  künstlichen  Herstellung 
der  Zwerge  und  von  den  Riesen  des  Alterthums  die  Rede.  Der  Verf. 
spricht  ferner  über  Aesop  und  die  sogenannten  lustigen  Narren,  von 
denen  einige  an  psj-chischen  Defekten  litten,  während  andere  reiche 
intellektuelle  Fähigkeiten  besassen  und  sich  unzureclinungsfähig  stell- 
ten, um  das  einträgliche  Geschäft  eines  Hofnarren  ausüben  zu  können, 
und  zeigt,  dass  alle  diese  Leute  in  Folge  rachitischer,  skrophulöser 
und  anderer  pathologischer  Processe  körperlich  missgestaltet  waren. 

4)  E.  Sauer:  Das  Dainionium  des  Sokrates.  Progr.  des  Karls- 
Gymnasiums  zu  Heilbronn.    1884. 

Den  Dämon  des  Sokrates  hat  man  auf  verschiedene  Arten  zu  er- 
klären versucht  Die  Kirchenväter  waren  der  Meinung,  dass  Sokrates 
von  einem  persönlichen  Geiste  überall  begleitet  wurde,  und  wussten  nur 
nicht  sicher,  ob  dies  ein  guter  oder  böser,  ein  schwarzer  oder  weisser 
Geist  war.  Die  Anhänger  der  mystisch- romantischen  Schule  huldigten 
einer  ähnlichen  Ansicht,  und  Lasaulx  schrieb,  dass  Sokrates  »mit  allem 
Besseren  in  der  Welt  in  substanzielle  Verbindung  getreten  sei,  nicht 
blos  mit  dem  Gegenwärtigen  und  mit  dem  Vergangenen,  sondern  auch 
mit  dem  Zukünftigen«.  Denselben  Standpunkt  nehmen  ungefähr  die 
Spiritisten  ein,  wenn  sie  in  Sokrates  ein  sehr  befähigtes  Medium  sehen 
und  seinen  Dämon  für  ein  transcendentales  Wesen  erklären.  —  Ganz 
anders  deuteten  einige  Aerzte,  wie  Lelut,  die  Sache,  indem  sie  aus  den 
Mittheilungen  des  Sokrates  folgerten,  dass  er  an  Hallucinationen  gelitten 
habe.  Andere  glaubten,  dass  die  Angaben  über  das  Dämonion  nichts 
weiter  als  eine  ironische  Redeform  seien,  durch  welche  Sokrates  seine 
geistige  üeberlegenheit  zum  Ausdruck  bringen  wollte.  Die  meiste  Be- 
rechtigung dürfte  die  Annahme  besitzen,  dass  sich  Sokrates  selbst  täuschte, 
und  das,  was  ein  innerer  Vorgang  seiner  Seele  war,  als  ein  göttliches 
Zeichen  betrachtete,  üebrigens  sind  seine  Aeusserungen  über  die  Art, 
wie  es  sich  ihm  kundgab  —  ob  in  jedem  Falle  als  Stimme  oder  auch 
auf  andere  Weise  —  zu  mangelhaft  und  unbestimmt,  als  dass  eine  be- 
friedigende Erklärung  möglich  wäre. 

5)  J.  Soury:  Pathology  in  history  (the  family  of  Augustus). 
St.  Louis  Alien,  and  Neurol.    T.  V,  p.  260—276. 

6)  David  Leistle:  Die  Besessenheit  mit  besonderer  Berück- 
sichtigung der  Lehre  der  heiligen  Väter.  Progr.  d.  Gymnasiums  zu 
Dillingen.    1887.    8».    178  S. 


326  Pathologie,  interne  Medicin,  Geisteskrankheiten,  Seuchen. 

7)  Ire] and:  Herrsebermacht  und  Geisteskrankheit.  Aus  dem 
Englischen  übers.     Stuttgart  1887.    S». 

Eine  Reihe  von  Feuilletons  über  Geisteskranke  auf  Herrscher- 
Thronen.  Der  Verf.  nennt  darunter  auch  mehrere  römische  Kaiser  und 
ihre  Angehörigen,  nämlich  Drusus,  Julia,  Tiberius,  Caligula,  Claudius, 
Messalina,  Agrippina,  Nero,  Commodus  und  Heliogabalus,  unterlässt  es 
aber,  die  geistige  Störung  derselben  nachzuweisen,  obwohl  dies  in  ein- 
zelnen Fällen  bei  sorgfältiger  Durchforschung  der  historischen  Quellen 
möglich  wäre,  und  beschränkt  sich  auf  ziemlich  dürftige  oberflächliche 
Mittheilungen,  welche  eine  Uebersetzung  ins  Deutsche   nicht  verdienten. 

8)  L.  Kotelmann:  Der  Bacillus  Malariae  im  Alterthum.  Vir- 
chows  Archiv.  1884.  Bd.  97.  H.  2.  S.  361-364.  [Verf.  weist  darauf 
hin,  dass  Terentius  Varro  bereits  die  Existenz  der  mikroskopischen 
Malaria-Träger  geahnt  hat,  als  er  schrieb  (De  re  rustica  I  c.  12):  »Si 
qua  erunt  loca  palustria,  crecsunt  animalia  quaedara  minuta,  quae  non 
possunt  oculi  consequi ,  et  per  aera  intus  in  corpus  per  os  et  nares 
perveniunt  atque  efficiunt  difficiles  morbos«.  Selbstverständlich  sind 
diese  Worte  noch  weit  von  einer  wissenschaftlichen  Kenntniss  dieser 
kleinen  Organismen  entfernt]. 

9)  L.  Ali  Cohen:  Kleine  bydragen  tot  de  geschiedenls  der  ge- 
neeskunde.  Weekblad  van  het  Neederland.  Tydschrift  v.  Geneesk. 
1887.  No.  20  [bespricht  in  einem  der  Artikel  ebenfalls  die  Notiz  aus 
Ter.  Varro]. 

10)  N.  A.  Lallot:  Le  typhus  ou  peste  d'Athenes.  Paris  1884. 
Inaug.-Diss.  4".  50  p.  [Der  Verf.  giebt  eine  französische  Ueber- 
setzung der  von  Thukydides  hinterlassenen  Beschreibung  der  Athe- 
niensischen  Seuche  und  vertheidigt  dann  die  Ansicht,  dass  sie  dem 
exanthematischen  Typhus  angehört  habe]. 

11)  A.  Corlieu:  La  peste  d'Athenes.  Paris.  Rev.  scient.  1884. 
No.  12. 

12)  Wulfs berg:  Den  attiske  Pest  Tidsskr.  f.  pract.  Med.  1884. 
p.  104. 

13)  La  dengue  et  la  maladie  de  Perinthe.  Gaz.  hebd.  de  med. 
et  de  chir.  Paris.  1886.  No.  33.  [Verf.  sucht  nachzuweisen,  dass 
die  von  Hippokrates  (Ed.  Littre  T.  V.  p.  331)  beschriebene  Seuche  in 
Perinthos  eine  Epidemie  des  Dengue-Fiebers  war]. 

14)  Predöhl:  Geschichte  der  Tuberkulose.  Hamburg  1888.  [Das 
Alterthum  wird  leider  nur  mit  wenigen  Worten  berührt,  obwohl  es 
manchen  werthvollen  Beitrag  für  die  Bearbeitung  des  Themas  bietet]. 


Pathologie,  interne  Medicin,  Geisteskrankheiten,  Seuchen.  327 

15)  J.  H.:  Documents  anciens  sur  la  rage  et  son  traitement. 
Paris.    Rev.  scient.    T.  37.    No.  14. 

16)  Lamm  er  t:  Zur  Geschichte  der  Therapie  der  Lyssa.  Mün- 
chener  medicin.  Wochenschr.  1887.  No.  1.  [Verf.  gedenkt  hier  auch 
der  im  Alterthura  gebräuchlichen  und  von  A.  C.  Celsus  erwähnten 
Mittel  gegen  die  Hundswuth]. 

17)  St.  Hubert  and  Hydrophobia.  Athenäum.  London  1887. 
No.  3117. 

18)  G.  Holmes:  Zur  Geschichte  der  Laryngologie  von  den  frü- 
hesten Zeiten  bis  zur  Gegenwart.  Aus  dem  Engl,  übers.  Berlin  1887. 
[Die  Notizen  aus  der  medicinischen  Literatur  des  Alterthums  sind  sehr 
lückenhaft  und  bedürfen  mancher  Berichtigung]. 

19)  0.  Braus:  Die  Diphtherie,  ihre  Geschichte,  ihr  Wesen  und 
ihre  Bedeutung.    Essen  1884.    2.  Aufl.    52  S. 

20)  B.  Schuchardt:  Zur  Geschichte  der  Tracheotomie  bei  Croup 
und  Diphtherie.  Langenbccks  Archiv  f.  Chir.  1887.  Bd.  36.  H.  3. 
[Verf.  beginnt  mit  den  Nachrichten  über  die  Erkrankungen  des  Kehl- 
kopfes, die  uns  aus  dem  Alterthum  überliefert  worden  sind,  und  geht 
dann  auf  die  Berichte  über  die  Ausführung  der  Tracheotomie  durch 
Asclepiades  und  später  durch  Antyllus  über]. 

21)  P.  Hämo  nie:  Des  maladies  veneriennes  chez  les  Hebreux 
ä  l'epoque  biblique  Paris.  Annal.  de  dermat.  1886.  T.  VH.  No.  9. 
[Verf.  bespricht  auf  Grund  der  einschlägigen  Stellen,  die  er  hier  auch 
citirt,  die  Onanie,  Sodomie,  Päderastie  und  ihre  Folgezustände,  die 
Spermatorrhoe  und  Blenorragie,  welche,  wie  er  glaubte,  von  den  alten 
Hebräern  streng  gesondert  wurden,  sowie  die  Anschwellungen  und  lo- 
kalen Erkrankungen  der  Geschlechtstheile,  z.  B.  das  einfache  Schan- 
kergeschwür]. 

22)  J  Rosenbaum:  Geschichte  der  Lustseuche  im  Alterthum. 
Halle  1888.    4.  Aufl. 

23)  R.  Töply:  Die  Syphilis  im  Alterthura.  Wiener  klin  Wochen- 
schr. 1889.  No.  29.  30.  [Der  Verf.  erörtert  im  Anschluss  an  das  vor- 
her genannte  classische  Werk  Rosenbaums  die  Frage,  ob  die  Syphilis 
im  heutigen  Sinne  des  Wortes  im  Alterthum  existiert  hat  und  erkannt 
worden  ist,  und  kommt  nach  einer  strengen,  bisweilen  vielleicht  zu  ri- 
gorosen Kritik  der  literarischen  Quellen  zu  dem  Schluss,  dass  sie 
wahrscheinlich  bestanden  hat,  keineswegs  aber  mit  voller  Sicherheit 
nachgewiesen  werden  kann,  und  jedenfalls  nicht  in  ihren  genetischen 
Beziehungen  zu  den  primären  Affektionen  erkannt  worden  ist]. 


328  Pathologie,  interne  Modicin,  Geisteskrankheiten,  Seuchen. 

24)  E.  Dupouy:    La  Prostitution  dans  Tantiquite.  Paris  1887.  8*'. 

25)  V.  Janovsky:  Beiträge  zur  Geschichte  der  Dermatologie. 
I.  Das  Altorthum.  Deutsches  Arch.  f.  Gesch.  d.  Med.  1885.  Bd.  VIII. 
H.  1.  [Floissigo  Zusammenstellung  der  dermatologischen  Kenntnisse, 
welche  die  Inder,  Aegypter,  Israeliten  und  andere  alte  Culturvölker 
besassen.     Der  Artikel  reicht  bis  Hippokrates]. 

26)  G.  Muleur:  Essai  historique  sur  l'alfection  calculeuse  du 
foie  depuis  Hippocrate  jusqu'ä  Fourcroy  et  Pujol.  Paris  1884.  Inaug.- 
Diss.    40. 

27)  W.  Ebstein:  Ueber  Wasserentziehung  und  anstrengende 
Muskelbewegung  bei  Fettsucht,  Fettherz,  Kraftabnahrae  des  Herzmus- 
kels u.  s.  w.  Eine  historisch-kritische  Studie.  Wiesbaden  1885.  S**. 
33  S. 

Während  in  der  Presse  und  vom  Publikum  der  Prof.  Schweninger 
als  Erfinder  der  Curmethode,  die  er  beim  Fürsten  Bismarck  mit  glück- 
lichem Erfolg  angewendet  hat,  gefeiert  wurde,  erklärte  sein  ehemaliger 
Lehrer  Oertel,  dass  Schweninger  die  Principien  derselben  von  ihm  ent- 
lehnt habe.  Noch  mehr  Anspruch  auf  die  Priorität  hat  in  diesem  Falle 
Plinius,  welcher  schreibt  (Hist.  nat.  Lib.  23.  cap.  23):  »Corpus  augere 
volentibus  aut  mollire  alvum  conducit  inter  cibos  bibere,  contra  minuen- 
tibus  alvumque  cohibentibus  sitire  in  edendo,  postea  parum  bibere«. 
Auch  in  den  Fragmenten  des  Philumenus  wird  dieses  Heilverfahren  an- 
gedeutet. Ebenso  haben  in  der  Neuzeit  mehrere  Aerzte  vor  Oertel  dessen 
Curmethode  angewendet,  wie  Ebstein,  der  dieselbe  bekämpft,  nachweist. 

28)  J.  Ch.  Hub  er:  Zur  älteren  Geschichte  der  klinischen  Hel- 
minthologie. Deutsches  Archiv  f.  klin.  Med.  1889.  Bd.  45.  S.  354— 
362.  1890.  Bd.  46.  S.  187  —  202.  [Sammlung  aller  Stellen  in  den 
Schriften  der  Alten,  welche  über  Eingeweidewürmer  handeln]. 

29)  M.  Wertner:  Alexander  der  Grosse  als  Kranker.  Pester 
medicin -chirur.  Presse  1883.    No.  37. 

30)  M.  Wertner:  Eine  parthische  Kurgeschichte.  Deutsches 
Archiv  f.  Gesch.  d.  Med.  Bd.  VIII.  H.  3  [betrifft  die  unbeabsichtigte 
Heilung  des  wassersüchtigen  Königs  Orodes  durch  Aconit]. 

VIII.  Chirurgie,  Augenlieilkimde  und  Gelburtsliilfe. 

1)  Prehistoric  surgery.  The  Westminster  Review  1887.  August- 
Heft.    S.  538—548. 

Dieser  Artikel  beschäftigt  sich  mit  der  Trepanation  des  Schädels 
in  praehistorischer  Zeit  und  erörtert,   zu  welchem  Zweck  sie  unternom- 


Chirurgie,  Augenheilkunde  und  Geburt?hhllfe.  329 

men  wurde.  Es  wird  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  bei  einigen 
wilden  Völkern  noch  heute  die  Sitte  herrscht,  die  trepanirten  Knochen- 
stücke als  Amulette  zu  tragen,  weil  man  dadurch  sich  vor  der  Epilep- 
sie zu  schützen  glaubt. 

2)  A.  F.  Le  Double:  La  medecine  et  la  Chirurgie  dans  les 
temps  prehistoriques.    Discours.    Tours.    1889.    8^.    24  p. 

Der  Redner  giebt  eine  Uebersicht  der  wichtigsten  Thatsachen, 
welche  über  die  Krankheiten  und  die  Heilkunst  der  praehistorischen 
Zeit  bekannt  sind,  berichtet,  dass  Syphilis,  Rachitis  und  Hydrocephalus 
in  den  noch  vorhandenen  Knochenresten  ihre  Spuren  hinterlassen  haben, 
dass  gut  und  schlecht  geheilte  Knochenbrüche,  cariöse  und  nekrotische 
Processe  der  Knochen,  Exostosen  und  Osteophyten,  Ankylose  und  andere 
Leiden  der  Gelenke,  Verwundungen  und  Verletzungen  verschiedener  Art 
zu  erkennen  sind,  und  dass  die  Zahnheilkunde  bereits  einen  hohen  Grad 
der  Entwickelung  erreichte,  und  beschreibt  die  Ausführung  und  Bedeu- 
tung der  Trepanation  des  Schädels,  welche  sowohl  während  des  Lebens 
als  nach  dem  Tode  vorgenommen  wurde. 

3)  L.  Maggi:  Antichitä  delle  sinostosi.  Boll.  scientif.  Pavia  1888. 
X.  p.  82  u.  ff. 

4)  G.  Lagneau:  De  quelques  anesthesiques  anciennement  em- 
ployes  en  Chirurgie.     Bull,  de  l'acad.   de  med.    Paris.    1885-    No.  25. 

5)  Dutertre:  Des  anesthesiques  dans  l'antiquite.  Paris  188.5. 
S'^.  23  p.  [Notizen  über  den  Gebrauch  der  schmerzstillenden  Mittel 
bei  den  Hebräern,  Assyriern,  Aegyptern,  Persern,  Skythen,  Indern» 
Chinesen,  Griechen  und  Römern]. 

6)  A.  A  n a g n  0  s  t  a  k  i  s :  '//  dvT'ar—ry.rj  /xz&ooog  T:apä  zo7g  äpyatotg. 
Auch  französisch:  La  methode  antiseptique  chez  les  anciens.  Athen. 
1889.    40.    14  p. 

Auch  die  antiseptische  Wundbehandlung,  welche  man  als  die 
grösste  Errungenschaft  der  Chirurgie  in  der  zweiten  Hälfte  des  19.  Jahrb. 
betrachtet,  hat  im  Alterthum  ihre  Vorläufer.  Der  Verf.  weist  auf  die 
zahlreichen  Stellen  in  den  mediciuischen  Schriften  der  Griechen  und 
Römer,  in  denen  die  strenge  Reinhaltung  der  Wunden  und  Waschen 
derselben  mit  gekochtem,  also  sterilisirtem  Regenwasser  empfohlen  wird, 
und  auf  den  Gebrauch  der  »trocken  machenden«  Mittel  hin,  durch  welche 
man  die  Eiterung  und  Fäulniss  der  Wunden  zu  verhüten  oder  beseitigen 
hoffte.  Zu  diesem  Zweck  wurden  verwendet:  1)  heisser  Wein,  der  die 
Stelle  unseres  Alkohols  vertrat.  Man  wusch  die  Operationswunde  da- 
mit und  tauchte  die  Compressen  und  das  Verbandmaterial  hinein;  es 
wurden  Weinsorten  dazu  genommen,  die  mit  Harzen,  Pech  oder  aroma- 


330  Chirurgie,  Augonheilkiinde  und  Geburtshilfe. 

tischen  Substanzen  versetzt  waren,  2)  fein  zerriebenes  Salz,  namentlich 
Meersalz,  mit  welchem  die  Wunden  bestreut  wurden,  3)  Theer,  der  in 
der  Form  von  Salben  oder  Pflastern  aufgestrichen  wurde,  4)  der  blaue 
Kupfervitriol  und  andere  metallische  Praeparate,  5)  verschiedene  Harze, 
Judenpeoli  und  aromatische  Substanzen,  ß)  das  Glüheisen  und  überhaupt 
starke  Hitze.  Auagnostakis  macht  ferner  auf  eine  Stelle  bei  Galen 
(Method.  mcdendi  L.  XIII  c  22.  Edit.  Kühn  T.  X.  p  942)  aufmerksam, 
welche  darauf  hindeutet,  dass  man  sogar  schon  das  Catgut  kannte;  es 
ist  dort  von  getrockneten  Darmsaiten  die  Rede,  die  anstatt  der  Seiden- 
fäden zur  Unterbindung  gebraucht  wurden. 

7)  Kartulis:  Die  antiseptische  Methode  bei  den  alten  Griechen. 
Deutsche  med  Wochenschr.  1889.  No.  49.  [Besprechung  der  vorher 
genannten  Arbeit]. 

8)  Alberts:  Das  Carcinom  in  historischer  und  experimentell- 
pathologischer Beziehung.    Jena  1887. 

9)  Wölfler:  Die  chirurgische  Behandlung  des  Kropfes.  Berlin 
1887.     80.    90  S. 

Der  Verf.  zeichnet  ein  vollständiges  Bild  der  historischen  Entwicke- 
lung  dieser  Frage.  Er  beginnt  mit  Celsus ,  dessen  Bemerkungen  sich 
nur  auf  Cystenkröpfe  oder  circumscripte  Kropf  knoten  beziehen,  berichtet 
dann,  dass  Galen  bereits  auf  die  bei  der  Kropf- Operation  vorkommende 
Verletzung  des  Nervus  recurrens  und  dadurch  bewirkte  Stimmlosigkeit 
aufmerksam  machte,  citirt  die  Mittheilungen  von  Antyllus,  Leonides, 
Oribasius  und  Paulus  Aegineta  und  wendet  sich  dann  zum  Mittelalter 
und  zur  Neuzeit. 

10)  F.  Fuhr:  Der  Kropf  im  Alterthum.  Virchows  Archiv.  1888 
Bd.  112.    H.  2.    S.  317  -341. 

Der  Verf.  berichtigt  und  ergänzt  einige  Angaben  in  Wölflers  Ar- 
beit und  erklärt,  dass  die  Aerzte  des  Alterthums  den  Kropf  nicht  blos 
kannten,  sondern  auch  von  andern  Drüsenanschwellungen  zu  unterschei- 
den verstanden,  und  griechisch  als  ßpoyyoyJjXr^,  lateinisch  als  guttur  tu- 
midum  bezeichneten.  Doch  erlangten  sie  keine  Einsicht  in  die  Beziehun- 
gen des  Kropfes  zur  Schilddrüse. 

11)  B  Schuchardt:  Ueber  Darstellungen  von  chirurgischen  Ope- 
rationen und  Verbänden  aus  dem  Alterthum.  Archiv,  f.  klin.  Chirur- 
gie 1884.    Bd.  30.    H.  3.    S.  681-683. 

Es  haben  sich  nur  wenige  Darstellungen  von  chirurgischen  Ope- 
rationen und  Verbänden  aus  dem  Alterthum  erhalten.  Hierher  gehört 
die  im  5.  Jahrh.  v.  Chr.  von  Sosias  angefertigte,  jetzt  im  Berliner  Mu- 
seum befindliche  Schale,  die  auf  der  inneren  Fläche  des  Bodens  das  Bild 


Chirurgip,  Augenheilkunde  und  Geburtshilfe.  331 

des  Achill  trägt,  wie  er  dem  durch  einen  Pfeil  am  Ellenbogen  verwun- 
deten Patroklus  einen  Verband  anlegt.  Ferner  erwähnt  der  Verf.  das 
von  0.  Rayet  beschriebene  Goldgofäss,  welches  mit  andern  Gegenstän- 
den in  dem  Grabe  eines  Skythen-Königs  zu  Kuloba  bei  Kertsoh  in  Süd- 
Russland  gefunden  wurde,  aus  dem  3.  oder  4.  Jahrh.  v.  Chr.  stammt, 
gegenwärtig  in  der  Eremitage  zu  Petersburg  aufbewahrt  wird  nnd  mit 
zwei  bildlichen  Darstellungen  geschmückt  ist,  von  denen  die  eine  das 
Ausziehen  eines  Zahnes,  die  andere  die  Anlegung  eines  Verbandes  bei 
einer  Verwundung  des  linken  Beines  veranschaulicht. 

12)  L.  Neugebauer:  Ueber  die  Pincetten  der  alten  Völker. 
Corresp.-Bl.  d.  deutschen  anthropol.  Ges.    München  1884. 

13)  J.  Habeis:  Ueber  einige  zu  Mastricht  gefundene  chirurgi- 
sche Instrumente  aus  der  Römerzeit.  Verhandl.  d.  Akad.  zu  Amster- 
dam.    1884.     T.  III.    No.  2.     p    133-154. 

14)  Gurlt:  Ueber  antike  Instrumente.  Berliner  klin.  Wocheu- 
schr.  1888,    S.  976  u.  ff. 

15)  Jos.  Smits:  Hippokrates  und  der  Steinschnitt.  Centralbl. 
f.  Chir.    Bd.  16.    No.  51.     (Kurze  Replik  gegen  Sentinon). 

16)  C.  Letourneau:  La  phallotomie  chez  les  Egyptiens.  Bull, 
de  la  soc.  d'antrop.  de  Paris  1888.  3  s.  T.  XL  p.  718—720  [bespricht 
die  Sitte  der  alten  Aegypter,  den  im  Kriege  erschlagenen  Feinden 
die  Hände  und  den  Penis  abzuschneiden]. 

17)  F.  Bergmann:  Origine,  signification  et  histoire  de  la  ca- 
stration,  de  l'eunuchisme  et  de  la  circoncision  Palerrae  1883.  [Verf. 
betrachtet  die  Entmannung  als  Zeichen  der  Unterwerfung,  der  Sklaverei]. 

18)  H.  Ploss:  Geschichtliches  und  Ethnologisches  über  Knaben- 
beschneidung.   Deutsches  Archiv  f.  Gesch.  d.  Med.  1885.  Bd.  VHI.  H.  3. 

Zu  den  merkwürdigsten  Problemen  der  allgemeinen  Culturgeschichte 
gehört  die  Entstehung  und  Verbreitung  der  Beschneidung.  Ihre  Ge- 
schichte reicht  bis  in  die  frühesten  Zeiten  des  Alterthuras  zurück.  Die 
Aegypter  übten  sie  schon  unter  dem  Könige  Thutmes  III.,  also  im 
17.  Jahrh.  v.  Chr  aus,  wie  ein  von  G.  Ebers  mitgebrachter  Mumien- 
Penis  aus  jener  Zeit  beweist.  Bei  den  Juden  scheint  sie  schon  vor  der 
aegyptischen  Gefangenschaft  bestanden  zu  haben;  doch  ist  sie  nicht  alt- 
hebräischen Ursprungs.  In  Abessynien  war  sie  schon  zur  Zeit  Herodots 
gebräuchlich ;  in  Arabia  felix  kannte  man  sie  jedensfalls  im  Jahre  342 
V.  Chr.  Sie  ist  bei  den  Arabern  also  nicht  erst  durch  Muhammed  ein 
geführt  worden. 

Welchen  Ursachen  verdankt  diese  Sitte   ihre  Entstehung?        Da- 


332  Chirurgie,  Augenheilkunde  und  Geburtshilfe. 

ruber  sind  die  Meinungen  sehr  verschieden.  Einige  sahen  darin  ein  der 
Gottheit,  dargebrachtes  Oi)fer,  welclies  glciclisam  einen  Ersatz  für  die 
Menschenopfer  darstellen  sollte.  Andere  erklärten  es  für  ein  Zeichen 
der  Unterwerfung,  welches  der  König  von  seinen  Uuterthanen  fordern 
dürfe,  und  beriefen  sich  dabei  auf  eine  Stelle  im  zweiten  Buch  Samuel, 
Cap.  18.  V.  25,  in  welcher  dem  David  vom  Könige  Saul  befohlen  wird, 
ihm  hundert  Philister  -  Häute  zu  bringen.  Die  Meisten  huldigten  der 
Ansicht,  dass  die  Beschneidung  durch  hygienische  Erwägungen  hervor- 
gerufen worden  sei,  indem  man  dadurch  eine  sorgfältige  Reinigung  der 
männlichen  Geschlechtstheile  ermöglichen  und  auf  diese  Weise  Erkran- 
kungen derselben  verhüten  wollte;  es  rauss  dabei  noch  berücksichtigt 
werden,  dass  in  südlichen  Ländern  entzündliche  und  geschwürige  Pro- 
cesse  auf  der  inneren  Fläche  der  Vorhaut  und  Hypertrophien  derselben 
sehr  häufig  sind  und  Phimosis  herbeiführen.  Gegen  diese  Erklärung 
lässt  sich  nur  das  Bedenken  geltend  machen,  dass  sie  bei  den  Natur- 
völkern ein  Verständniss  der  Bedingungen  der  Gesundheitspflege  voraus- 
setzt, wie  es  kaum  in  den  Zeiten  einer  hochentwickelten  Cultur  vorban- 
den ist.  —  Eine  dem  Vorstellungskreise  eines  Naturvolkes  näjier  liegende 
Theorie  entwickelt  Ploss,  indem  er  erklärt,  dass  man  durch  die  Beschnei- 
dung die  männliche  Zeugungsfähigkeit  erleichtern  und  dadurch  die  Ver- 
mehrung und  politische  Macht  des  eigenen  Stammes  erhöhen  wollte. 
Man  machte  die  Beobachtung,  dass  sich  die  Vorhaut  vor  dem  Begattungs- 
Akt,  wenn  sich  der  Penis  im  Zustande  der  Erection  befand,  hinter  die 
Eichel  zurückzog,  und  wurde  dadurch  veranlasst,  in  der  Vorhaut  etwas 
Ueberflüssiges  und  Unnützes  zu  sehen,  welches  die  Zeugung  erschwert. 
Was  war  natürlicher,  als  dass  man  in  dem  Bestreben,  die  Bemühun- 
gen der  Natur  zu  unterstützen  und  die  männliche  Geschlechtsthätig- 
keit  zu  erleichtern,  auf  den  Gedanken  kam,  diesen  Theil  zu  beseitigen? 
Vielleicht  hoffte  man  dadurch  auch  die  Onanie,  die  unnütze  Vergeudung 
des  männlichen  Samens,  zu  verhüten?  —  Der  leitende  Beweggrund  bei 
der  Einführung  der  Beschneidung  war  darnach  der  Wunsch,  die  Zahl 
der  Mitglieder  des  Volkes  zu  vermehren,  damit  es  den  benachbarten 
Stämmen  im  Kriege  überlegen  sei.  Erst  später  mag  sich  die  Erkennt- 
niss,  dass  dieser  Gebrauch  einen  hohen  Werth  für  die  Gesundheit  be- 
sitzt, Bahn  gebrochen  und  zur  Befestigung  desselben  im  öffentlichen 
Leben  gedient  haben.  Ploss  führt  für  diese  Auffassung  der  Dinge  eine 
Menge  beachtenswerther  Thatsachen  an.  Es  spricht  dafür  namentlich, 
dass  die  Beschneidung  bei  vielen  Völkern  erst  beim  Eintritt  in  das  mann- 
bare Alter  ausgeführt  wird  und  mit  Gebräuchen  und  Feierlichkeiten  ver- 
bunden ist,  welche  darauf  hindeuten,  dass  der  Beschnittene  in  die  Reihe 
der  Männer  tritt  und  die  Pflicht  übernimmt,  Nachkommenschaft  zu  er- 
zeugen. Auch  die  Geschichte  Abrahams  lehrt,  dass  die  Beschneidung 
als  ein  Mittel  zur  leichteren  und  erfolgreicheren  Ausübung  der  sexuellen 
Funktion  betrachtet  wurde;  die  Anschauung,  dass  ihr  eine  sanitäre  Be- 


Chirurgie,  Augenheilkunde  und  Geburtshilfe.  333 

deutung  zu  Grunde  liege,  machte  sich  in  der  Geschichte  der  Juden  erst 
seit  Philo  geltend.  Bei  einigen  Volksstämmen  Afrikas  und  Asiens  ist 
heute  noch  der  Glaube  verbreitet,  dass  durch  die  Beschneidimg  die 
männliche  Zeugungsfähigkeit  angeregt  und  erhöht  wird,  und  Ploss  liefert 
dafür  drastische  Beweise. 

Im  Folgenden  werden  die  verschiedeneu  Methoden  der  Operation, 
wie  sie  im  Alterthum  und  in  der  Gegenwart  üblich  sind,  geschildert. 

19)  M.  Pogorelski:  Circumcisio  ritualis  Hebraeorura.  Die  ri- 
tuelle Beschneidungscerenionie  bei  den  Israeliten.  St.  Petersburger 
med.  Wochenschr.  1888.    No.  39.  40. 

Der  Verf.  beschäftigt  sich  nur  mit  der  Geschichte  und  Ausführung 
der  Beschneidung  bei  den  Juden,  bringt  aber  nichts  Neues.  Er  ist  ein 
begeisterter  Lobredner  dieser  Einrichtung  und  verlangt,  dass  sie  gleich 
der  Blattern -Impfung  überall  eingeführt  werde.  Wenn  er  aber  unter 
den  Gründen,  mit  denen  er  sie  empfiehlt,  angiebt,  dass  sie  »die  sexuelle 
Erregbarkeit  vermindere,  die  Humanität  fördere  und  zum  Mitleid  stimme«, 
so  wird  er  damit  wohl  nur  Wenige  überzeugen. 

20)  M.  Stranz:  Geschichte  der  Ligatur.  Berlin  1884  Inaug.- 
Diss.    ßo.    28  S. 

21)  Der  Papyrus  Ebers.  Monatsschr.  d.  Ver.  deutscher  Zahn- 
künstler. Jahrg.  5.  No.  7.  [Darstellung  der  zahnärztlichen  Kennt- 
nisse der  Aegypter,  welche  schon  künstliche  Zähne  zur  Verwendung 
brachten]. 

22)  Th.  David:  Les  origines  de  l'art  dentaire.  Rev.  scient. 
Paris.    T.  37.     No.  5. 

23)  G.  Ebers:  Das  Kapitel  über  die  Augenkrankheiten  im  Pa- 
pyrus Ebers.  Bd.  XI  der  Abhandl.  der  philolog.-histor.  Classe  der  K, 
Sachs.  Ges.  d.  Wiss.    H.  3.    S.  201  —  336. 

Ebers  veröffentlicht  hier  eine  mit  sachlichen  Erklärungen  ausge- 
stattete deutsche  Uebersetzung  des  Kapitels  über  die  Augenkrankheiten 
in  dem  nach  ihm  genannten  Papyrus.  Dasselbe  besteht  in  einer  Samm- 
lung von  Recepten  gegen  die  verschiedenen  Augenleiden,  die  in  wenig 
geordneter  unsystematischer  Weise  auf  einander  folgen.  Es  werden  die 
Namen  der  Krankheit  genannt  und  die  Salben  und  sonstigen  Mittel  an- 
geführt, welche  dagegen  verordnet  werden.  Auf  das  Wesen  und  die  Er- 
scheinungen des  Leidens  geht  der  Verf.  nur  selten  ein;  ebenso  wenig 
zieht  er  die  chirurgischen  Eingriffe  und  Operationen  in  Betracht. 

Der  Text  beginnt  mit  dem  »Wachsen  des  Krankhaften  im  Blute 
in  dem  Auge«,  »dem  Wasser  in  dem  Auge«  und  der  »Krankheit  des 
Wachsens«,    was    Ebers    auf  Hydrophthalmus    und  Staphylom    bezieht. 


334  Chirurgie.  Augenheilkunde  und  Geburtshilfe. 

Näher  liegt  es,  wie  Hirschberg  bemerkt,  anstatt  an  diese  complicirten 
Vorgänge  dabei  an  den  Bindehautkatarrh  und  die  damit  verbundene 
Röthung,  Schwellung  und  Absonderung  zu  denken.  Vielleicht  hätte 
Ebers  den  Sinn  dieser  Stelle  besser  getruffen,  wenn  er  in  seiner  Ueber- 
setzung  die  Worte  »die  krankhafte  Vermehrung  des  Blutes  im  Auge« 
und  «die  Anschwellung  des  Auges«  gebraucht  hätte?  —  Es  ist  dann 
von  der  »Verschleierung  im  Auge«  die  Rede,  welche  Ebers  als  Infiltra- 
tion der  Hornhaut,  Affektion  der  Iris,  beginnenden  Staar  oder  dergl. 
deutet;  dabei  wurde  bisweilen  Blutaustritt  oder  reichliche  Thränensekre- 
tion  beobachtet.  Hierauf  folgen  Mittel  »zum  Vertreiben  der  Lippitudo 
oder  des  Eitertiusses«,  wobei  es  sich  wohl  um  Blenorrhoe  der  Bindehaut 
gehandelt  haben  mag,  »gegen  Schmerzen  des  Auges«  und  »zum  Eröffnen 
des  Gesichts,  nachdem  man  geschlafen  hat«.  Die  Uebersetzung  »Stilli- 
cidiuni  der  Pupille  oder  Hypopyon«  ist  sowohl  aus  sachlichen  als  aus 
sprachlichen  Gründen  unhaltbar;  denn  der  Verf.  meint  nach  S.  224 
Anm.  39a  das  »Zusammenziehen  der  Pupille«,  also  die  Verengerung  der 
Pupille:  ein  Leiden,  welches  unter  der  Bezeichnung  Phthisis  pupillae 
von  den  Autoren  des  Alterthums  oft  erwähnt  wird.  Die  Verhärtungen 
an  den  Augen,  von  denen  gesprochen  wird,  könuen  als  Verkalkungen 
der  Meibomschen  Diüsen  gedeutet  werden.  Das  »Vertreiben  des  Blutes 
in  den  Augen«  soll  wohl  nur  darauf  hinweisen,  dass  das  Auge  blutig 
unterlaufen  war,  ohne  dass  mau,  wie  Ebers,  einen  vorausgegangenen 
Bluterguss  in  die  vordere  Augeakammer  anzunehmen  braucht.  Das  »Um- 
drehleiden« kann  ebenso  gut  als  Schielen  wie  als  Ectropium  und  Entro- 
pium erklärt  werden,  Das  »Fett  in  den  Augen«  lässt  sich  auf  die  Pin- 
guecula, das  Lipom,  die  fettig  aussehenden  Talgdrüseugeschwülste  u.  ä.  m. 
beziehen.  Das  »Kügelchen  im  Auge«  deutet  auf  das  Gerstenkorn  und 
Hagelkorn  hin;  die  Erklärung  als  Granulationen  erscheint  etwas  gesucht. 
Hierauf  folgt  der  Abschnitt  über  die  »Blindheit  und  Blödsichtigkeit«  und 
die  Stelle  über  »die  Blindheit  an  den  Augen  an  dem  Rundkörper«,  bei 
welclier  Ebers  an  den  Pupillenverschluss  oder  den  Staar  denkt,  indem 
er  die  Linse  unter  dem  Ruudkörper  versteht.  Da  das  Wort  auch  mit 
Pille  oder  Kügelchen  übersetzt  werden  kann,  wie  er  sagt,  so  gehört  es 
vielleicht  zum  folgenden  Recept,  und  die  schwierige  Frage,  ob  die 
Aegypter  die  Linse  gekannt  haben,  wird  umgangen.  Unter  der  Erkran- 
kung des  »Randes  der  Augen»  ist  ohne  Zweifel  die  Entzündung  des 
Lidrandes,  Blepharitis  ciliaris,  zu  verstehen.  Das  »Krokodil  im  Auge« 
erklärt  Ebers  als  Pterygium,  weil  zwischen  diesem  und  dem  Kopfe  des 
Krokodils  eine  gewisse  Aehnlichkeit  erkennbar  sei.  Die  Bezeichnung 
»Krokodil«  hatte  bei  den  Aegypteru,  wie  bei  den  Griechen  und  bei  uns 
das  Wort  »Krebs«  die  Bedeutung  »grässlicli,  bösartig,  wüthend« ;  es 
würde  also  nur  heissen:  »das  bösartige  fressende  Leiden«,  und  Hirsch- 
berg wies  dabei  auf  den  gefährlichen  Hornhautabscess  hin.  Die  Krank- 
heit »Bade«   übersetzt  Ebers  mit  Chemosis;  es  ist  eine  mit  Anschwellun- 


Chirurgie,  Augenheilkunde   und  Geburtshilfe.  335 

gen  verbundene  heftige  Augenentzündung  gemeint.  Bei  der  Stelle,  »dass 
sich  das  Wasser  über  die  Augen  breitet«,  wurde  Ebers  an  die  Aus- 
drücke Hypochysis,  Suffusio,  Aquae  descensus  erinnert,  die  man  später 
zur  Bezeichnung  des  grauen  Staares  gebrauchte,  und  diese  Gleichartig- 
keit der  Worte  veranlasste  ihn  zu  der  Annahme,  dass  es  sich  auch  hier 
um  dieses  Leiden  handelt.  H.  Magnus  hat  sich  dieser  Ansicht  ange- 
schlossen. Aber  ist  es  nicht  gewagt,  lediglich  auf  eine  sprachliche  Aehn- 
lichkeit  eine  solche  Hypothese  zu  begründen?  —  Auf  S.  276  wird  ein 
Mittel  empfohlen,  um  »zu  heilen  die  Gefässe  des  Blutes  in  den  Augen«. 
Eber  bezieht  dies  auf  den  subconjunctivalen  Blutaustritt,  während  Hirsch- 
berg auf  den  im  Gefolge  des  Trachoms  auftretenden  Pannus  ^verweist, 
bei  welchem  die  starke  Gefässentwickelung  Jedem  sofort  auffällt.  Dann 
werden  Recepte  »zum  Abwehren  der  Schmerzen  in  den  Augen«,  »zum 
Vertreiben  einer  Geschwulst  am  Kopfe  (Balggeschwulst?)«,  »um  zu 
schärfen  die  Sehkraft«,  »zum  Oeffnen  des  Gesichts«  und  »zum  Vertrei- 
ben der  Nebel  und  der  Röthe  in  den  Augen  oder  der  bösen  typhoni- 
schen  Nebel  in  den  Augen«,  angeführt,  welche  Ebers  als  Trübungen  der 
Hornhaut  deutet,  die  mit  Reizerscheinungen  verbunden  sind.  Die  »Ge- 
schwulst an  der  Nase«  erklärt  er  als  Entzündung  des  Thränensackes. 
Wenn  er  auf  S.  295  die  »Hindernisse  an  den  Augen«  als  Lähmungen 
der  Augenmuskeln  deutet,  so  macht  Hirschberg  darauf  aufmerksam,  dass 
dabei  auch  die  Bewegungsstörungen  der  Lider  in  Betracht  kommen. 
Kurz  und  treffend  wird  die  Trichiasis  als  Leiden  »der  Einstülpung  der 
Haare  im  Auge«  beschrieben;  der  Verf.  trifft  die  zweckmässige  Verord- 
nung, »die  Haare  auszuziehen  und  das  Mittel  darauf  zu  thun«;  ausser- 
dem empfiehlt  er  Arzneistoffe,  welche  verhindern  sollen,  dass  die  Haare 
(Wimpern)  wieder  wachsen,  nachdem  sie  ausgezogen  worden  sind.  — 
Die  Recepte  sind  im  Allgemeinen  nicht  so  lang  und  complicirt  als  die- 
jenigen der  Griechen  und  Römer.  Sie  enthalten  weniger  Arzneistoffe 
und  zeigen  einfache  Maassverhältnisse.  Unter  den  Substanzen,  welche 
verwendet  werden,  befinden  sich  mehrere  Arten  des  Natrons,  die  grüne 
Bleierde,  rothe  Mennigerde,  der  Rotheisenstein,  Atramentstein,  Lapis 
Lazuli,  Flintstein,  Grünspan,  Schwefel,  Kupferkies,  das  Sägemehl  vom 
Ebenholz,  der  Weihrauch,  die  Myrrhe,  der  Kümmel,  Knoblauch,  Kalmus, 
die  Zwiebel,  die  Papyruspflanze,  das  Gummi  verschiedener  Akazien,  das 
Mastixharz,  die  Wachholderbeeren,  die  Datteln,  die  Blätter  von  Ricinus, 
das  Schöllkraut,  das  Durrhakorn,  das  Behenöl,  Wachs,  der  Honig,  die 
Milch,  eine  Menge  thierischer  Stoffe,  z.  B.  das  Gehirn,  die  Leber,  Lunge, 
das  Blut  und  die  Excremente  des  Krokodils,  der  Gazelle,  der  Eidechse, 
des  Menschen  u.  a.  m.  Auch  das  Antimon  wird  darunter  genannt;  aber 
Ebers  berichtigt  dies  am  Schluss  dahin,  dass  es  sich  wohl  um  Schwefel- 
blei gehandelt  haben  dürfte,  nachdem  die  chemische  Untersuchung  der 
noch  vorhandenen  Reste  aegyp tischer  Augeuschminke  gezeigt  hat,  dass 
dieselbe  keinen  Spiessglanz  enthielt. 


33C)  Chirurgie,  Augenheilkunde  und  Geburtshilfe. 

Wenn  man  die  Kecepte  des  Papyrus  Ebers  mit  denjenigen  der 
Griecben  und  Kömer  vergleicht,  so  ist  man  erstaunt,  wie  sehr  sie  in 
Bezug  auf  die  Wald  der  Arzneistofie  und  die  Zusammensetzung  mit  ein- 
ander übereinstimmen,  wie  stabil  die  Heilkunst  in  dem  langen  Zeiträume, 
der  die  altaegyptische  Medicin  von  Galen  und  seinen  Nachfolgern  trennt, 
geblieben  ist.  Diese  Thatsache  wird  bei  der  Erklärung  des  Inhalts  des 
Pap.  Ebers  werthvolle  Dienste  leisten,  da  manche  technischen  Ausdrücke, 
manche  schwer  verständliche  Stelle  desselben  durch  -  die  medicinische 
Literatur  der  späteren  Griechen  und  Römer  aufgehellt  wird. 

24)  J.  Hirsch berg:  Ueber  die  Augenheilkunde  der  alten  Aegyp- 
ter.  Deutsche  med.  Wocheuschr.  1889.  No.  38.  [Gründliche  sachver- 
ständige Kritik  der  vorher  besprochenen  Veröffentlichung  von  G.  Ebers, 
sowie  einer  Arbeit  Lürings,  von  der  unten  die  Rede  sein  wird]. 

25)  G.  Kostom iris:  lUpl  (xpBaXiiuXüycag  xai  ojroXoyiaQ  röJv 
dpyatujv  ' EXXrjvojv  dnu  tüjv  äjj^^dtoTäzujv  ^fjuvüjv  jii-^pcg  ' iTinoxfjdrous. 
Athen  1887.    8".    248  S. 

Dieses  Buch  bildet  den  ersten  Theil  einer  Geschichte  der  Leistun- 
gen der  Griechen  in  der  Augen-  und  Ohrenlieilkunde  und  umfasst  die 
Zeit  vor  Hippokrates.  Mit  bewunderungswürdigem  Fleiss  hat  der  Verf. 
alle  hierher  gehörigen  Nachrichten,  welche  in  der  Literatur  niedergelegt 
sind,  gesammelt;  in  den  folgenden  Bänden  will  er  das  Werk  bis  zur 
Gegenwart  fortsetzen.  Den  ersten  Theil  hat  er  in  altgriechischer  Sprache 
geschrieben,  um  dadurch  auch  den  ausserhalb  Griechenlands  lebenden 
Gelehrten  das  Verständniss  seiner  Arbeit  zu  erleichtern. 

Er  beginnt  mit  einer  kritischen  Erörterung  der  technischen  Be- 
zeichnungen, welche  von  den  Griechen  zu  den  verschiedenen  Zeiten  und 
in  den  einzelnen  Gegenden  für  Auge,  Ohr,  Sehvermögen,  Gehör,  Augen- 
und  Ohrenarzt  gebraucht  wurden,  und  schildert  dann  die  Pflege  der 
Anaton)ie  und  die  ältesten  Anschauungen  über  den  Bau  des  Auges  und 
des  Gehörorgans.  Er  erinnert  an  die  hermetischen  Bücher  der  Aegyp- 
ter  von  denen  das  37.  bekanntlich  der  Anatomie  gewidmet  war.  Seiner 
Ansicht,  dass  die  Einbalsamirung  der  Leichen  Gelegenheit  zu  anatomi- 
schen Untersuchungen  bot,  möchte  ich  entgegenhalten,  dass  dieselbe 
sicherlich  nur  ganz  ausnahmsweise  einmal  dazu  benutzt  wurde;  die  Leute, 
denen  dieses  Geschäft  oblag,  hatten  keine  wissenschaftlichen  Interessen  und 
wurden  durch  die  religiösen  und  socialen  Vorurtheile  von  anatomischen 
Untersuchungen  abgehalten.  Auch  sprechen  die  geringen  und  mangelli äf- 
fen anatomischen  Kenntnisse  der  Aegypter  dagegen,  dass  sie  Studien  auf 
diesem  Gebiete  unternommen  haben.  Wenn  Kostomiris  auf  eine  Bemer- 
kung des  Gellius  hinweist,  dass  die  Aegypter  einen  feinen  Nerven  be- 
schrieben hätten,  welcher  vom  vierten  Finger  zum  Herzen  gehe,  so  zeigt 
er  damit  gerade,  dass  sie  keine  praktischen  Beobachtungen  in  der  Ana- 


Chirurgie,  Augenheilkunde  und  Geburtshilfe.  337 

tomie  gemacht  haben.  Ferner  begeht  er  den  Fehler,  dass  er  die  Nach- 
richten aus  den  verschiedenen  Zeitperioden  durch  einander  wirft ;  gerade 
hier  müssen  sie  streng  auseinandergehalten  werden,  da  die  Anatomie 
unter  Herophilus  und  Erasistratus  in  Aegypten  sehr  fleissig  getrieben, 
in  der  älteren  Zeit  dagegen  vollständig  vernachlässigt  wurde. 

Der  Verf.  beschreibt  hierauf  die  Anfänge  der  Augen-  und  Ohren- 
heilkunde, entwickelt  die  Vorstellungen,  die  man  in  der  ältesten  Zeit 
von  den  einzelnen  Leiden  hatte,  und  zählt  die  Heilmittel  auf,  welche  da- 
gegen verordnet  wurden.  Er  zieht  dabei  auch  die  Mittheilungen  Jer  in- 
dischen und  althebräischen  Medicin,  z.  B.  die  Heilung  des  Tobias,  in 
Betracht,  geht  dann  auf  die  Beziehungen  der  griechischen  Heilgottheiten 
zur  Behandlung  der  kranken  Augen  und  Ohren  ein  und  berichtet  über 
die  Angaben,  welche  in  Betreff  der  Erkrankungen  und  Verletzungen  der 
Augen  und  Ohren  bei  Homer  sowie  in  den  Werken  des  Hesiod,  Ana- 
kreon,  Pindar,  Aeschylus,  Sophokles,  Euripides,  Aristophanes ,  Herodot, 
Thukydides,  Xenophon  und  anderer  Autoren  vor  Hippokrates  zu  finden 
sind,  oder  durch  die  Inschriften,  welche  man  bei  den  Tempel- Ausgra- 
bungen entdeckt  hat,  bekannt  wurden. 

Das  Buch  bringt  ein  reiches  Material.  Leider  ist  dasselbe  nicht 
tibersichtlich  geordnet,  und  die  Darstellung  zu  breit  und  ermüdend. 

26)  J.    Hirsch berg:    Die    Augenheilkunde    bei    den    Griechen. 
Archiv,  f.  Ophthalm.     1887.    Bd.  33.    S.  47—78. 

Hirschberg  veröffentlicht  hier  den  griechischen  Text  des  Cap.  VII 
Lib.  II  der  Diagnostik  des  Joh.  Actuarius:  nepl  dtajvwaecug  dipf^al}j.iaQ 
(bei  Ideler:  Phys.  et  med.  Graeci  minor.  T.  I.  p.  444 — 449)  mit  einer 
vortrefflichen  deutschen  Uebersetzung  und  knüpft  daran  sachliche  Er- 
örterungen über  das  Wesen  der  einzelnen  Krankheitserscheinungen, 
welche  besondere  Beachtung  verdienen,  da  der  Verf.  ebenso  erfahren  in 
der  praktischen  Ausübung  der  Augenheilkunde  als  mit  ihrer  Geschichte 
vertraut  ist. 

27)  J.   Hirschberg:    Wörterbuch    der  Augenheilkunde.     Leip- 
zig 1887.    8^.    116  S. 

Der  Verf.  unterwirft  die  Terminologie  der  Augenheilkunde  einer 
Kritik,  untersucht,  wie  die  verschiedenen  technischen  Ausdrücke  ent- 
standen sind  und  sich  im  Verlauf  der  Zeit  verändert  haben  und  welchen 
Wandelungen  die  Begriffe,  zu  deren  Bezeichnung  sie  dienten,  unterwor- 
fen waren,  und  prüft  darnach  ihre  sachliche  und  linguistische  Berechti- 
gung. Er  will  dadurch  die  Anregung  geben,  dass  die  Kunstwörter 
richtig  gebraucht  und  geschrieben,  geschmacklose  und  falsche  Bezeich- 
nungen beseitigt  und  überflüssige,  schädliche  und  irrthümliche  Fremd- 
wörter durch  deutsche  Namen  ersetzt  werden.  Es  ist  wünschenswerth, 
dass  die  gesamrate  medicinische  Terminologie  in  dieser  Weise  bear- 
beitet wird. 

Jahresbericht  für  Alterthumswissenschaft.  LXIV.  Bd.  (1890.  III.)  22 


338  Chirurgie,  Augenheilkunde  und  Geburtshilfe. 

28)  Kobert:  La  d6couverte  de  Taction  mydriatique  des  sola- 
n6es.     Presse  m^d.  Beige.    1885.    No.  61  [beginnt  mit  Galen]. 

29)  R.  Virchow:  Ueber  aegyptische  und  andere  Augenschrainke. 
Verhandl.  d.  Berliner  Ges.  f.  Anthropol.  1888.  S.  417  u.  ff.  [Bei  den 
chemischen  Untersuchungen  wurde  ßleiglanz,  Mangansuperoxyd,  Holz- 
kohle, aber  kein  Antimon  gefunden]. 

30)  R.  Mowat:  Cachets  d'oculistes.  Bulletin  des  antiq.  de 
France.    1883.    p.  122-123. 

31)  A.  Danicourt:  Note  sur  deux  cachets  d'oculistes  romains, 
trouves  ä  Amiens  en  1884  et  ä  Lyon  en  1880.  Paris  1884.  9  p. 
avec  fig. 

32)  H6ron  de  Villefosse  et  Thedenat:  Inscriptions  romai- 
nes  de  Fröjus.    Paris  1885.    8°.    196  p.  avec  1  pl.  et  15  fig. 

33)  A.  Trousseau:  Le  traitement  des  granulations  au  deuxi^mc 
si^cle.  Union  med.  1889.  No.  98.  [Beschreibung  verschiedener  CoUy- 
rien  und  Augenmittel  des  AlterthumsJ. 

34)  Witkowski:  Histoire  des  accouchements  chez  tous  les 
peuples.    Paris.    1888.    8°.    715  p.  avec  1584  fig. 

35)  Albertus:  Les  accouchements  devant  l'histoire.  Gaz.  mM. 
de  Paris.    1889.    No.  47. 

36)  H.  Ploss:  Das  Weib  in  der  Natur-  und  Völkerkunde.  Leip- 
zig 1884.    2.  Aufl.    1887,    2  Bde. 

Dieses  Werk  ast  die  vollständigste  Naturgeschichte  des  Weibes, 
welche  bisher  geschrieben  worden  ist.  Der  Yerf.  beleuchtet  die  körper- 
lichen Eigenthümlichkeiten  und  psychologischen  Aufgaben  des  weiblichen 
Geschlechts,  seine  sexuale  Reife  und  Beziehungen  zum  männlichen  Ge- 
schlecht, die  Zeugung  und  Befruchtung,  die  Schwangerschaft  und  Ge- 
burt, sowie  die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  verschiedenen  Völ- 
kern und  in  den  einzelnen  Zeitperioden  und  erläutert  seine  Mittheilun- 
gen durch  eine  Fülle  von  Thatsachen,  die  er  aus  der  Geschichte  und 
vergleichenden  Ethnologie  und  Anthropologie  zusammengetragen  hat. 

37)  J.  Ch.  Huber:  Zur  Geschichte  des  Versehens  der  Schwan- 
geren. Friedreichs  Blätter  f.  gerichtl.  Med.  1886.  H.  5.  S.  321  u.  ff. 
[Verf.  knüpft  an  die  Erzählung  an,  dass  Hippokrates  die  Geburt  eines 
schwarz  gefärbten  Kindes  von  einer  weissen  Mutter  durch  Versehen 
während  der  Schwangerschaft  erklärt  habe]. 

38)  A.  R.  Simpson:  A  lecture  on  the  history  of  embryulcia. 
Brit.  Med.  Journ.  1884.    13.  Decbr.    p.  1178. 


Aerztl.  Stand.    Militär-Sanitätswesen.   Gerichtl.  Medicin.   Thierheilkunde.    339 

39)  Lallemand:    Histoire  des  enfants  abandonnös  et  delaiss6s. 
Paris.    1886.    8".    793  p. 

40)  E.    Toulouze:     L'allaitement    artificiel    k   l'epoque    gallo- 
romaine.     Paris.     Union  med.  1884.    No.  99. 


IX.  Der  ärztliche  Stand.   Militär-Sanitätswesen.   Gerichtliche 
Medicin.    Thierheilkunde. 

1)  H.  Magnus:  Culturgeschichtliche  Bilder  aus  der  Entwicke- 
lung  des  ärztlichen  Standes.    Breslau  1890.    8°.    54  S. 

Der  Verf.  gedenkt  in  dieser  Arbeit,  welche  aus  einem  populären 
Vortrage  hervorgegangen  ist,  auch  der  Priester- Aerzte  des  Alterthums 
und  besonders  ihrer  Thätigkeit  auf  dem  Gebiete  der  Augenheilkunde, 
schildert  dann  die  Entwickelung  des  Standes  der  Augenärzte  und  wirft 
dabei  einen  Blick  auf  das  Specialistenthura  und  die  Curpfuscherei  im 
Alterthum. 

2)  M.  Wertner:  lieber  die  Stellung  des  ärztlichen  Standes  im 
Alterthum.    Deutsches  Archiv  f.  Gesch.  d.  Med.  1885.    Bd.  VIII.    H.  2. 

3)  Th.  Puschmann:  Der  ärztliche  Stand  in  Rom.  Monatsbl. 
d.  wissenschaftl.  Clubs  in  Wien  1890.    15.  September. 

4)  Dupouy:  Les  femmes-medecins  dans  l'antiquite.  Paris.  M6- 
decin.    T.  XI.    No.  15. 

5)  Scoutetten:  Histoire  des  femmes-medecins  depuis  lantiquitö 
jusqu'ä  nos  jours.  Gaz.  heb.  de  Bordeaux.  1889.  T.  X.  p.  73.  109. 
157.  169. 

6)  Hefke:  Der  Arzt  im  römischen  und  heutigen  Recht.  Archiv 
f.  prakt.  Rechtswissenschaft  1884.    III.    N.  1. 

7)  Th.  Loewenfeld:  Inaestimabilität  und  Honorirung  der  artes 
liberales  nach  römischem  Recht.  Festgabe  der  Münchener  Juristen- 
Facultät.  München  1887.  8».  S.  365— 467.  [Abschnitt  V.  S.  419— 441 
enthält  interessante  Erläuterungen  über  die  Honorar-Klagen  der  Aerzte 
und  die  extraordinaria  cognitio]. 

8)  H.  Fr  öl  ich:  Ueber  die  ersten  Anfänge  eines  Militär-Gesund- 
heitsdienstes im  Alterthum  und  im  Mittelalter.  Militärarzt.  Wien  1887. 
No.  2.  [Verf.  hat  die  darauf  bezüglichen  Stellen  aus  der  griechisch- 
römischen Literatur  gesammelt  und  weist  auf  Rhazes  und  Arnald  von 
Viilanova  hin]. 

22* 


340     Aerztl.  Stand.    Militftr-Sanitätswesen.    Gerichtl.  Medicin.   Thierheilkande. 

9)  H.  Moli^rc:  Le  Service  de  sante  militaire  chez  les  Grecs 
et  les  Romains.  Lyon  med.  1888.  No.  29.  30  [stützt  sich  hauptsäch- 
lich auf  die  Schriften  von  Malgaigne  und  R.  Briau  über  diesen  Ge- 
genstand]. 

10)  H.  Frölich:  Galen  über  Krankheitsvortäuschungen.  Fried- 
reichs Bl.  f.  gerichtl.  Medicin.    1889.    H.  l.    S.  21 — 26. 

Deutsche  Uebersetzung  der  kleinen  Abhandlung  Galens,  wie  man 
Diejenigen,  welche  Krankheiten  simulieren,  entlarven  kann.  Sie  steht  in 
der  Kühnschen  Ausgabe  Bd.  19.    S.  1 — 7. 

11)  J.  Ch.  Hub  er:  Historische  Notizen  über  den  Lathyrisraus. 
Friedreichs  Bl.  f.  gerichtl.  Med.    1886.    H.  1.    S.  34. 

Verf.  weist  darauf  hin,  dass  bei  Hippokrates  (Ed.  Littrö.  T.  V. 
p.  126.  310)  von  Lähmungserscheinungen  die  Rede  ist,  welche  wahrschein- 
lich auf  Vergiftung  durch  Lathyrus-Arten  und  Ervum  ervilia  L.  beruhen. 

12)  Jacob:  Charlatanisme  de  la  medecine,  son  ignorance  et  ses 
dangers,  app.  par  les  assertions  des  celebrites  medicales  et  scientifi- 
ques  (Hippocrate,  Aristote,  Galien,  Pline  etc.).  Paris  1884.  26  Ed. 
8".    89  p. 

13)  A.  Baransky:  Die  Thierzucht  im  Alterthum.  Beil.  der 
oesterr.  Monatsschr.  f.  Thierheilkunde.  1885.  Bd.  7.  No.  11.  Bd.  8. 
No.  1—4. 

In  diesem  Aufsatz  werden  nach  P.  Vegetius  Renatus  und  Colu- 
mella  die  Ansichten  der  Alten  über  die  Abstammung  der  Hausthiere  von 
ungezähmten  Rassen  der  gleichen  Art,  über  die  bauliche  Anlage  der 
Stallungen,  die  Fütterung,  Pflege  der  Haut  und  der  Hufe,  die  Paarung 
und  das  Züchten  und  Veredeln  der  Nutzthiere  vorgetragen.  Es  ergiebt 
sich  daraus,  dass  man  auch  auf  diesem  Gebiete  im  Alterthum  bereits 
eine  bemerkenswerthe  Summe  von  Kenntnissen  besass. 

14)  A.  Baransky:  Die  Thiermedicin  im  Alterthum.  Oesterr. 
Vierteljahrsschr.  f.  wissenschaftl.  Veterinärkunde.  1885.  Bd.  62.  H.  2. 
Bd.  63.    H.  2. 

Eine  auf  gewissenhaftem  gründlichem  Quellenstudium  beruhende  Ge- 
schichte der  Thierheilkunde  im  Alterthum.  Der  Vei'f.  beginnt  mit  den 
dürftigen  Angaben,  welche  über  die  Pflege  dieser  Wissenschaft  bei  den 
alten  Aegyptern,  Israeliten,  Indern  und  Persern  auf  uns  gekommen  sind, 
gedenkt  der  Mittheilungen  in  der  Ilias  über  den  Genickstich  und  andere 
Verletzungen  des  Pferdes  und  über  eine  Seuche,  welche  Pferde,  Esel 
und  Hunde  hinwegraffte,  verweist  auf  Hesiods  Bemerkungen  über  die 
Castration   der  Thiere,    erinnert  an   die   Kenntnisse,    welche  Xenophon 


Aerztl.  Stand.    Militär-Sanitätswesen.    Gerichtl.  Medicin.   Thierheilkünde.     341 

vom  Abrichten,  der  Pflege  und  den  Krankheiten  der  Pferde  und  der 
Jagdhunde  in  seinen  Schriften  niederlegte,  bespricht  die  Bedeutung  der 
Hippokratischen  Werke  für  die  Thierheilkünde,  erörtert  die  Verdienste, 
die  sich  Aristoteles  um  die  Zootomie  und  vergleichende  Anatomie,  sowie 
um  die  Pathologie  der  Schweine,  Hunde,  Rinder,  Pferde,  Esel  und 
Fische  erworben  hat,  und  seine  Ansichten  in  Betreff  der  Befruchtung, 
der  Bastarderzeugung  und  der  Vererbung  der  Eigenschaften  der  Er- 
zeuger und  geht  dann  auf  die  Arbeiten  der  Alexandrinischen  Anatomen 
ein.  Im  folgenden  Abschnitt  werden  die  Autoren  der  römischen  Periode, 
welche  über  Thierheilkünde  geschrieben  haben,  vorgeführt  und  der  In- 
halt ihrer  Schriften  besprochen.  Der  Verf.  nennt  hier  M.  Porcius  Cato, 
Mago  den  Karthager,  M.  Terentiup  Varro,  Virgilius,  der  in  seiner  Geor- 
gica  auch  über  verschiedene  Thierseuchen  handelt,  Columella,  Galen, 
Palladius,  Apsyrtus,  Hierokles,  Theomnestus  und  P.  Vegetius  Renatus, 
welcher  das  beste  Werk  über  Thierheilkünde  hinterlassen  hat.  Im 
letzten  Theile  zeichnet  Baransky  ein  abgerundetes  Bild  des  thierärzt- 
lichen  Wissens  jener  Zeit.  Dabei  zeigt  er,  dass  man  sich  in  der  Ana- 
tomie und  Physiologie,  welche  sehr  vernachlässigt  wurden,  hauptsächlich 
auf  die  Bearbeitung  dieser  Disciplinen  durch  die  Menschenärzte  verliess, 
dass  man  in  der  Hygiene  und  Therapie  schon  fast  den  heutigen  Stand- 
punkt erreicht  hatte,  in  der  inneren  Medicin,  Seuchenlehre  und  Yeteri- 
närpolizei  bemerkenswerthe  Kenntnisse  besass,  auch  einige  chirurgische 
Erfahrungen  erworben  hatte  und  das  Einrichten  von  Verrenkungen,  die 
operative  Entfernung  von  Neubildungen,  mehrere  Methoden  der  Castra- 
tion,  die  Behandlung  der  Wunden,  Abscesse  und  Fisteln  und  die  Hei- 
lung der  Knochenbrüche  verstand. 

15)  A.  Baransky:  Die  Hippiatrica  und  Geoponica.  Oesterr. 
Vierteljahrsschrift  für  wissenschaftliche  Veterinärkunde.  1886.  Bd.  64. 
Heft  2. 

16)  Eichbaum:  Grundriss  der  Geschichte  der  Thierheilkünde. 
Berlin  1885. 

Durch  die  Prüfungsordnung  vom  Jahre  1878  wurde  die  Geschichte 
der  Thierheilkünde  zum  obligatorischen  Unterrichtsfach  an  den  thier- 
ärztlicheu  Lehranstalten  des  deutschen  Reiches  gemacht.  Der  Verf. 
fühlte  sich  dadurch  veranlasst,  ein  Lehrbuch  dieses  Gegenstandes  zu 
schreiben.  Auf  S.  1—35  wird  das  Alterthum  abgehandelt  und  ungefähr 
das  gleiche  Material  vorgetragen,  wie  in  der  vorher  genannten  Abhand- 
lung. Hervorzuheben  ist  nur,  dass  der  Verf.  auch  die  Thierseuchen  des 
Alterthums,  besonders  des  Milzbrandes,  in  Betracht  zieht. 


342    Beüiehnngen  der  Medicin  der  Griechen  u.  Römer  za  anderen  CulturTÖlkem. 

X.   Die  Beziehungen  der  Medicin  der  Griechen  und  Römer 
zu  derjenigen  anderer  Culturvölker. 

1)  W.  ßennett:  The  diseases  of  the  bible.  London  1887.  8°. 
143  p. 

2)  A.  H.  Sayce:  An  ancient  Babylonian  work  ofmedicine.  Zeit- 
schr.  f.  Keilschriftforschung.  Leipzig  1885.  IL  S.  2 — 3.  [Proben  aus 
einem  alten  Babylonischen  Receptenbuche,  welches  im  British  Museum 
aufbewahrt  wird]. 

3)  H-  C.  Bolton:  The  Papyrus  Ebers,  the  earliest  medical 
work.    Newyork  1884, 

4)  G.  Ebers:  Die  Gewichte  und  Hohlmaasse  im  Papyrus  Ebers. 
Abhandl.  der  philol.-histor.  Klasse  der  K.  Sachs.  Ges.  d.  Wiss.  1889. 
Bd.  XL    H.  2.    S.  135-198. 

Den  Gewichten,  welche  beim  Abwägen  der  Arzneistoffe  gebraucht 
wurden,  lag  die  Einheit  von  6,064  Gramm  zu  Grunde;  es  wurden  Bruch- 
theile  davon  verordnet,  deren  Zähler  1,  deren  Nenner  Potenzen  von  2 
waren,  also  ^/2,  V4,  V»,  Vis^  V32  und  Ve^.  Eine  weitere  Theilung  wurde 
nicht  versucht.  Unter  den  Hohlmaassen  unterschied  man  das  Hin,  Dnat 
und  Ro.  Das  erste  konnte  leicht  festgestellt  werden,  da  noch  aegypti- 
sche  Krüge  vorhanden  sind,  auf  denen  angegeben  ist,  wieviele  Hin  sie 
fassten;  darnach  betrug  das  Hin  etwa  0,456  Liter.  Schwieriger  war  es, 
die  beiden  andern  Maasse  zu  bestimmen.  Nach  Ebers  enthielt  Dnat  un- 
gefähr 0,608  Liter,  vielleicht  auch  nur  0,255  Liter,  Ro  Vsa  Hin  d.  i. 
0,0142  Liter. 

5)  Lüring:  Die  über  die  medicinischen  Kenntnisse  der  alten 
Aegypter  berichtenden  Papyri,  ver-glicheu  mit  den  medicinischen  Schrif- 
ten griechischer  und  römischer  Autoren.  Leipzig  1888.  Inaug.-Diss. 
8°.    170  S. 

Der  Verf.  beschäftigt  sich  zunächst  mit  dem  Verhältniss  zwischen 
dem  Pap.  Ebers  und  dem  Pap.  Berolin.  med.  major  und  der  Zeit  ihrer 
Entstehung,  erklärt,  dass  der  Berliner  Papyrus  die  ältere  und  weitläu- 
figere Fassung  hat,  aber  später  geschrieben  ist  als  der  Pap.  Ebers,  der 
den  Inhalt  des  ersteren  an  manchen  Stellen  ergänzt  und  berichtigt. 
Die  Handschrift  des  Pap.  Ebers  stammt  wahrscheinlich  aus  den  Jahren 
1553  —  1550  V.  Chr.,  wie  sich  aus  einem  auf  der  Rückseite  des  ersten 
Blattes  angebrachten  Kalender  entnehmen  lässt.  Die  Sorgfalt  der  Schrift, 
die  unsystematische  und  mangelhafte  Zusammenstellung  des  Inhalts,  die 
zahlreichen  Wiederholungen  und  Lücken  und  andere  Ursachen  führen 
zu  der  Vermuthung,    dass  er  nicht   ein  Originalentwurf,    sondern    eine 


Beziehungen  der  Medicin  der  Griechen  u.  Römer  zu  anderen  Cultnrvölkern.     343 

Abschrift  ist.  Ebers  hat  bekanntlich  behauptet,  dass  er  mit  dem  vierten 
der  von  Clemens  Alexandrinus  erwähnten  hermetischen  Bücher,  welche 
die  Medicin  behandeln,  identisch  sei.  Lüring  wendet  dagegen  ein,  dass 
die  sogenannten  hermetischen  Bücher  der  Aegypter  erst  in  einer  ver- 
hältnissmässig  späten  Zeit  zusammengestellt  worden  seien,  liefert  für  diese 
Ansicht  aber  keine  überzeugenden  Beweise.  Immerhin  spricht  die  That- 
sache,  dass  der  Papyrus  Ebers  keineswegs  eine  Arzneimittellehre,  wie 
sie  das  vierte  hermetische  Buch  über  die  Heilkunde  enthielt,  sondern  ein 
vollständiges  Compendium  der  gesammten  Medicin  ist,  gegen  die  An- 
nahme von  Ebers. 

Der  Verf.  giebt  dann  eine  ausführliche  Schilderung  des  Inhalts 
der  einzelnen  Abschnitte  des  Papyrus  Ebers.  In  demselben  werden  zu- 
erst die  Krankheiten  des  Unterleibes  mit  den  Abführmitteln,  Stuhlzäpf- 
chen und  Wurmmitteln,  die  dagegen  empfohlen  wurden,  dann  die  An- 
schwellungen, welche  Ebers  und  Stern  als  Steinbildung  deuteten,  die 
Leiden  des  Afters  und  der  Geschlechtstheile  besprochen,  hierauf  Recepte 
gegen  Kopfleiden,  halbseitigen  Kopfschmerz,  Harnbeschwerden,  zum  Par- 
fümiren des  Mundes,  zum  Reizen  des  Appetites,  gegen  Geschwüre  in 
den  Hüften,  bei  denen  man  an  Bubonen  denken  muss,  gegen  Geschwülste 
am  Halse,  Uebelkeit  und  Brechreiz,  Augenleiden,  Krankheiten  der  Haare, 
offene  Wunden,  Leiden  der  Beine,  wobei  auch  der  Filaria  medinensis 
Erwähnung  geschieht,  gegen  Quetschungen,  Zittern  der  Finger,  Erkran- 
kungen der  Zunge  und  der  Haut.  Kopfgrind,  Zahnleiden,  Leberentzün- 
dungen, Schnupfen,  Ohrenleiden  und  Frauenkrankheiten  aufgezählt  und 
eine  Abhandlung  ȟber  die  Kenutniss  des  Ganges  des  Herzens  und  die 
Kenntniss  des  Herzens  selbst«,  sowie  eine  chirurgische  Erörterung  über 
die  Behandlung  der  Geschwüre  vorgelegt.  —  Nun  folgen  die  Benennun- 
gen der  einzelnen  Theile  und  Organe  des  Körpers  und  eine  Auseinander- 
setzung über  die  räthselhaften  Metu,  die  Gänge,  Canäle,  welche  nach 
der  Meinung  der  Aegypter  die  Säfte  führen  und  etwa  den  Blutgefässen 
und  Nerven  entsprechen  dürften.  —  Das  dritte  Kapitel  ist  der  Augen- 
heilkunde gewidmet.  Lüring  zeigt  bei  dieser  Gelegenheit,  wie  abhängig 
die  Griechen  von  den  Aegyptern  bei  der  Wahl  und  Zusammensetzung 
der  Heilmittel  waren.  —  Der  folgende  Abschnitt  handelt  über  die  Pflege 
und  Behandlung  der  Haare.  Lüring  citirt  hier  die  unter  dem  Namen 
der  Königin  Kleopatra  bekannten  Fragmente  über  Kosmetik,  welche  sich 
bei  Galen,  Aetius  und  Paulus  Aegineta  finden.  Im  nächsten  Theile  wird 
die  Behandlung  der  Frauenkrankheiten  geschildert:  auch  hier  weist  Lü- 
ring die  Aehnlichkeit  zwischen  den  Verordnungen  der  Aegypter  und 
denen  der  Griechen  nach.  Unter  den  Merkmalen  der  Schwangerschaft 
wird  auch  das  Aussehen  des  Urins  erwähnt,  der,  »wie  vom  Sturm  ge- 
peitschtes Wasser«,  nämlich  schäumend  erscheint.  —  Die  im  Text  ge- 
nannten Arzneistoffe  bezieht  Lüring  auf  Lactuca,  Mentha,  Punica  Gra- 
natum  L.,   Sesamum  Orientale  L,    Cordia  Myxa  L,   die  Cypresse,    die 


344     Beziehungen  der  Medicin  der  Gritcben  u.  Römer  zu  anderen  Culturvölkern. 

Wassermelone,  das  Sägemehl  von  Pinus  halepensis  Mill.  oder  Juniperus 
excelsa  M.  Bieb,  den  Safran,  Zizyphus  Lotus  W,  Pistacia  terebinthus 
L,  Carthamus  tinctorius  L,  die  Wachholderbeeren,  Nymphaea  Lotus  L, 
Nymphaea  coerulea  Sav.,  die  Malve,  Mimosa  milotica  L,  Indigofera  ar- 
gentea  L,  den  Mohn  und  von  den  mineralischen  Substanzen  auf  Galmei, 
Kupferstein,  Alabaster  u.  a.  ra.  —  Im  letzten  Theile  werden  die  Formen 
beschrieben,  in  welchen  die  Arzneien  angewendet  wurden.  Man  kannte 
eine  Menge  von  Manipulationen;  die  einzelnen  Substanzen  wurden  fein 
zerrieben,  zerstossen,  gekocht,  ausgepresst,  durchgeseiht  oder  durchge- 
siebt, mit  einander  gemischt  und  zu  einer  Masse  vereinigt.  Manchmal 
nahm  die  Zubereitung  des  Medicaments  längere  Zeit  in  Anspruch;  zu- 
weilen musste  es  vor  dem  Gebrauche  lange  in  Büchsen  aufbewahrt  wer- 
den. Die  Heilmittel  wurden  als  Pillen,  Pastillen  oder  Getränke  inner- 
lich gereicht  oder  im  Klystier,  als  Salben  und  Einreibungen  äusserlich 
angewendet.  Auch  wusste  man  von  Inhalationen,  Einträufelungen  in  die 
Ohren  und  Augen,  Einspritzungen,  Räucherungen,  Umschlägen  und  Fon- 
tanellen Gebrauch  zu  machen. 

6)  K.  B.  Hof  mann:  Die  Medicin  der  alten  Aegypter.  Mitth. 
des  Vereins  der  Aerzte  f.  Steyermark.  Graz  1886.  S.  20  —  26.  [Ge- 
drängte Uebersicht  der  wichtigsten  Thatsachen]. 

7)  V.  Loret:    L'Egypte  au  temps  des  Pharaons.    Paris  1889. 

In  dem  Capitel:  Medecine  et  sorcellerie  (S.  205 — 256)  wird  der 
Zusammenhang  der  Heilkunst  mit  der  Zauberei  erörtert  und  der  mysti- 
sche Ursprung  der  ersteren  dargelegt.  Werthvoll  sind  die  Ueber- 
setzungen  einzelner  Stellen  aus  den  Papyrus-Handschriften,  welche  Loret 
beifügt.  Es  wird  darin  auch  der  geburtshilflichen  Schule  zu  Sais  ge- 
dacht, an  der  Hebammen  Unterricht  ertheilten. 

8)  A.  Erman:  Aegypten  und  aegyptisches  Leben.  Tübingen  1888. 
Th.  IL    S.  351—738.     [S.  477  u.  ff.  handelt  über  die  Medicin]. 

9)  J.  Hirschberg:  Aegypten.  Geschichtliche  Studien  eines  Augen- 
arztes. Leipzig  1890.  8".  116  S.  [Drei  an  historischen  Notizen  reiche 
Abhandlungen  über  1)  Aegypten  als  klimatischer  Curort.  2)  Ueber 
die  Augenheilkunde  der  alten  Aegypter.  3)  Ueber  die  aegyptische 
Augenentzündung]. 

10)  G.  Liötard:  Une  nouvelle  traduction  d'Ayur-Veda  de  Sus- 
ruta.  Gaz.  hebd.  de  med.  Paris  1884.  No.  91.  [Verf.  macht  auf  die 
von  Udoy  Chand  Dutt  angefertigte,  in  der  Bibliotheca  Indica  erschei- 
nende Uebersetzung  des  Susruta  aufmerksam]. 


Beziehungen  der  Medicin  der  Griechen  u.  Römer  zu  anderen  Culturvölkeru.     345 

11)  F.  Hessler:  lieber  Naturgeschichte  der  alten  Inder.  Sitzungs- 
ber.  d.  K.  Bayr.  Akad.  d  Wiss.  zu  München.  Math.-physikal.  Klasse. 
1887.  H.  1.  S.  43 — 51.  [Zusammenstellung  der  naturwissenschaftlichen 
Kenntnisse  der  alten  Inder  nach  dem  Ayur-Veda  des  Susruta,  nach 
Charaka  und  dem  Amarakoscha  des  Amarusinka  und  Verzeichniss  der 
darin  erwähnten  Pflanzen,  Thiere  und  Mineralien]. 

12)  F.  Hessler:  Allgemeine  Uebersicht  der  Heilkunde  der  alten 
Inder.  Sitzungsber.  d.  K.  Bayr.  Akad  d.  Wiss.  zu  München.  Math.- 
physikal.  Klasse  1887.  S.  137 — 149.  [Kurze  Inhaltsangabe  des  Ayur- 
Veda  des  Susruta  und  Charaka  und  Nachweis,  dass  sie  den  späteren 
medicinischen  Werken  der  Sanskrit-Literatur  als  Vorlage  dienten]. 

13)  F.  Hess  1er:  Beiträge  zur  Naturphilosophie  der  alten  Hindu. 
Sitzungsber.  d.  K.  Bayr.  Akad.  d.  Wiss.  zu  München.  Math.-physikal. 
Klasse.     1888.    H.  2.    S.  267-276. 

Sie  betrachteten  das  Brahniuni  als  Urgrund  alles  Seins,  als  das 
Unzerstörbare,  Ewige,  Unsichtbare,  welches  im  Lichtäther  in  die  äussere 
Erscheinung  tritt  und  durch  Umwandlungen  die  sinnlich  wahrnehmbare 
Welt  und  alle  Wesen  der  Natur,  die  es  gleichsam  in  sich  enthält,  ent- 
stehen lässt.  Der  Verf.  zeigt,  dass  viele  Theorien,  welche  von  den  spä- 
teren Naturphilosophen  aufgestellt  wurden,  schon  in  der  Sanskrit -Lite- 
ratur angedeutet  werden. 

14)  F.  Hessler:  Generelle  Uebersicht  der  Heilmittel  in  dem 
Ayur-Veda  des  Susruta.  Sitzungsber.  d.  K.  Bayr.  Akad.  d.  Wiss.  zu 
München.  Math-phys.  Kl.  1889.  Bd.  19.  S.  153  166.  [Der  Verf. 
bespricht  nicht  blos  die  pharmaceutischen  Heilmittel,  sondern  auch  die 
chirurgischen  Manipulationen,  z.  B.  die  Pflege  und  Auswahl  der  Blut- 
egel, und  die  Zaubermittel  und  Zaubergesänge.  Susruta  führt  760 
Arzneipflanzen  an,  welche  nach  den  Krankheiten,  gegen  welche  sie 
angeblich  helfen,  eingetheilt  werden]. 

15)  E.  Verrier:  La  medecine  dans  l'Avesta  ou  traite  de  rae- 
decine  mazdeenne,  traduit  du  Pehlewi.  Journ.  de  m^d.  1887.  XIII, 
p.  141-152. 

16)  A.  Marignan:  La  medecine  dans  l'öglise  au  sixieme  si^cle. 
Paris.    1887.    8».    38  p. 

Der  Verf.  liefert  den  quellenmässigen  Nachweis,  dass  der  Askle- 
pios-Dienst,  wie  er  im  Alterthum  in  den  Asklepios-Tempeln  geübt  wurde, 
im  christlichen  Gewände  noch  lange  Zeit  unter  der  Herrschaft  des  Chri- 
stenthums  bestand.  Wie  einst  in  den  heidnischen  Tempeln,  so  suchten 
die  Kranken  jetzt  in  den  christlichen  Kirchen  Heilung  von  ihren  Leiden. 
Sie   hielten   sich   zu  diesem  Zweck   während    der  Nacht    dort    auf   und 


346     Beziehungen  der  Medicin  der  Griechen  u.  Römer  zu  anderen  Culturvölkern. 

glaubten  in  ihren  Träumen,  Hallucinationen  und  Visionen  die  Stimme 
Gottes  oder  eines  Heiligen  zu  hören,  der  ihnen  die  wirksamen  Heilmittel 
verkündete.  Dieselben  bestanden  hauptsächlich  in  Fasten,  Gebeten, 
Wallfahrten,  Salbungen  mit  geweiiitcm  Oel,  der  Betrachtung  oder  Be- 
rührung von  Reliquien  oder  Gegenständen,  welche  ein  Heiliger  benutzt 
hatte  u.  ä.  m.  Auch  gaben  die  Priester  den  Kranken  zuweilen  ärztliche 
Rathschläge  und  schrieben  die  Geschichte  der  Heilungen  nieder,  die  in 
ihren  Kirchen  stattfanden,  und  die  Patienten  widmeten  zur  Erinnerung 
an  ihre  Genesung  Weihgeschenke,  die  dort  aufbewahrt  wurden,  gerade 
wie  in  den  Zeiten  des  Alterthums. 

17)  J.  P.  Rossignol:  Diseussion  sur  Tauthencite  d'une  clochette 
d'or  lettree,  decouverte  ä  Rome  et  prise  pour  une  amulette,  suivie  de 
questions  sur  le  mauvais  oeil,  sur  les  amulettes,  les  cloches  amulettes 
et  leur  origine.  Paris  1883.  8°.  71  p.  [Im  Alterthum  dienten  die 
kleinen  Glöckchen  vorzugsweise  als  Schmuckgegenstände;  erst  in  der 
christlichen  Zeit  wurden  sie  als  Amulette  gebraucht.  Das  vorliegende 
Exemplar  wird  für  gefälscht  oder  wenigstens  sehr  verdächtig  erklärtj. 


Jahresbericht  über  Geographie  von  Griechenland. 

Von 

Dr.  Eagen  Oberlinmmer, 

Privatdocent  an  der  Universität  München. 


I.  Allgemeiner  Teil. 

1874  —  90. 

Als  vor  geraumer  Zeit  von  der  Redaktion  die  Aufforderung  zur 
Übernahme  des  so  lange  verwaisten  Berichtes  über  Geographie  von 
Griechenland  an  mich  erging,  konnte  ich  mir  das  Mifsliche  einer  der- 
artigen Aufgabe  nicht  verhehlen;  denn  einerseits  raufste,  wenn  der  Rah- 
men nicht  ganz  willkürlich  gezogen  sein  sollte,  bis  zum  Beginn  dieses 
Jahresberichts  zurückgegriffen  werden,  in  dessen  erstem  Jahrgange  Kurt 
Wachsmuth  den  bislang  einzigen  Bericht  über  diesen  Zweig  der  Alter- 
tumswissenschaft veröffentlicht  hatte  (Bd.  II  S.  1077—96),  anderseits 
mufste  ich  mich  fragen,  ob  nach  dem  Erscheinen  der  anerkannt  vortreff- 
lichen Berichte  Hirschfelds  im  Geographischen  Jahrbuch  (s.  u.)  ein 
ähnliches  Unternehmen  noch  am  Platze  sei.  Ein  solcher  Versuch  mag 
indessen  schon  durch  die  Rücksicht  auf  die  äufsere  Vollständigkeit  des 
»Jahresberichts«  einigermafsen  entschuldigt  werden.  Wenn  fernerhin  die 
Berichte  des  »Jahrbuchs«  in  erster  Linie  dazu  bestimmt  sind,  die  Geo- 
graphen darüber  aufzuklären,  was  vorzugsweise  von  philologischer  und 
archäologischer  Seite  zur  Kenntnis  der  Länder  griechischer  Kultur  ge- 
leistet worden  ist,  so  handelt  es  sich  hier  zunächst  darum,  philologische 
Kreise  auf  Litteraturerscheinungen  aufmerksam  zu  machen,  die,  wenig- 
stens zum  Teil,  dem  Arbeitsfelde  derselben  ferner  stehen.  Denn,  ge- 
stehen wir  uns  es  offen,  bei  der  grolsen  Mehrzahl  der  Philologen  ist  das 
Interesse  und  Verständnis  für  geographische  Fragen,  auch  nur  so  weit 
sie  in  den  Bereich  des  klassischen  Altertums  fallen,  noch  ein  betrübend 
geringes  1),  und   Bücher   wie   die    »Physikalische   Geographie«    von  Neu- 


1)  Ich  begegne  mich  hier  vollständig  mit  der  von  G  Hirschfeld  iu  sei- 
nem Artikel  »Zur  Umgestaltung  des  erdkundlichen  und  naturwissenschaftlichen 
Unterrichts«  (Deutf^ches  Wochenblatt  111   1890  S.  385)  geäufserten  Auffassung. 


348  Geographie  von  Griechenland. 

mann-Partsch  sind  noch  weit  entfernt,  in  diesen  Kreisen  die  allgemeine 
Würdigung  zu  finden,  die  sie  verdienen.  Eben  deshalb  schien  es  mir 
zweckmäfsig,  wenigstens  für  Griechenland  den  Rahmen  möglichst  weit  zu 
stecken,  und  auch  Kartenwerke  sowie  Erscheinungen  der  naturwissen- 
schaftlichen Litteratur  heranzuziehen,  soweit  sie  zur  Kenntnis  eines  Lan- 
des dienen,  in  dem  wie  kaum  in  einem  andern  die  geschichtliche  Ent- 
wickelung  mit  der  Landesnatur  auf  das  Innigste  verflochten  ist.  Selbst- 
verständlich kann  hierbei  nicht  jede  einzelne  Schrift  ausführlich  bespro- 
chenwerden,  was  bei  der  aufserordentlichen  Stoffanhäufung  für  dieses  Mal 
überhaupt  nur  bei  den  allerwichtigsteu  Erscheinungen  möglich  ist;  ebenso- 
wenig kann  bei  der  Vielseitigkeit  des  Gegenstandes  und  der  Länge  des  Zeit- 
raumes, über  den  sich  der  Bericht  erstreckt,  nach  irgend  einer  Seite  hin  un- 
bedingte Vollständigkeit  erwartet  worden.  Weiterhin  erschien  es  mir  zweck- 
mäfsig, um  eine  allzu  grofse  Ausdehnung  und  weitere  Verzögerung  des 
Berichtes  zu  vermeiden,  mich  für  dieses  Mal  auf  diejenigen  Werke  u.  s.  w. 
zu  beschränken,  welche  Griechenland  im  Ganzen  oder  doch  gröfsere 
Teile  desselben  (d.  h.  mindestens  mehr  als  eine  Landschaft)  betreffen 
und  dann  in  einem  späteren  Berichte  die  monographische  Litteratur  über 
die  einzelnen  Landschaften  und  Inseln  folgen  zu  lassen. 

Ich  stelle  an  die  Spitze  einige  bibliographische  Arbeiten  und 
beginne  mit  den  bereits  erwähnten  Berichten  von  Gustav  Hirschfeld: 

1)  Der  Standpunkt  unserer  heutigen  Kenntnis  der  Geographie  der 
alten  Kulturländer,  insbesondere  der  Balkanhalbinsel,  Griechenlands 
und  von  Kleinasien.    Geographisches  Jahrbuch  Bd.  X  (1884)  S.  401 — 44. 

2)  Bericht  über  unsere  geographische  Kenntnis  der  alten  griechi- 
schen Welt.     Ebd.  Bd.  XII  (1888)  S.  241—308. 

3)  Bericht  über  die  Fortschritte  in  der  geographischen  und  topo- 
graphischen Kenntnis  der  alten  griechischen  Welt.  Ebd.  Bd.  XIV 
(1890)  S.  145—84. 

Die  ursprüngliche  Erwartung,  dafs  Hirschfelds  Berichte  sich  all- 
mählich über  den  ganzen  antiken  Erdkreis  ausdehnen  würden  (vgl.  X 
403\  hat  sich  nicht  verwirklicht,  vielmehr  hat  sich  der  Verfasser  bereits 
im  zweiten  Bericht  endgültig  auf  die  Länder  griechischer  Kultur  be- 
schränkt, was  gewifs  von  Vielen  bedauert  wird.  Denn  Phrasen  wie 
»Was  Mommsenschem  Gesichtskreise  nahe  liegt,  kommt  überhaupt  nicht 
leicht  in  Gefahr  übersehen  zu  werden«  (XII  241)  und  der  Hinweis  auf 
Organe  wie  die  (in  ihrer  Art  einzigen)  Notizie  degli  scavi  können  uns 
über  den  Mangel  einer  rasch  orientierenden  Übersicht  über  die 
topographische  Litteratur  der  weströmischen  Länder  nicht  hinweg  helfen. 
Indessen  sind  die  Schwierigkeiten  einer  derartigen  Ausdehnung  der  Be- 
richte nicht  zu  verkennen  und  müssen  wir  daher  dem  Verfasser  für  das 
Gebotene  vollauf  dankbar  sein.    Als  ein  besonderer  Vorzug  von  Hirsch- 


Bibliographie.  349 

felds  Berichten,  die  sich  ebensosehr  durch  knappe  Fassung,  als  durch 
Schärfe  des  Urteils  auszeichnen,  mufs  die  liebevolle  Berücksichtigung 
der  im  Ausland  so  wenig  gekannten  griechischen  Lokallitteratur  hervor- 
gehoben werden.  Eine  wertvolle  Zugabe  bildet  ferner  (vom  XII.  Bande 
an)  die  Ausdehnung  des  Berichtes  auf  die  Geschichte  der  alten  Geographie. 
Bei  der  Schwierigkeit,  sich  über  die  einheimische  Litteratur  der 
Griechen,  insbesondere  so  weit  sie  in  lokalen  Zeitschriften  niedergelegt 
ist,  eine  Übersicht  zu  verschaffen,  ist  es  mit  hoher  Genugthuung  zu  be- 
grüfsen,  dafs  Herr  Ant.  Miliarakis,  wohl  die  tüchtigste  Kraft,  welche 
Griechenland  gegenwärtig  im  geographischen  Fache  besitzt,  sich  der 
mühevollen  Aufgabe  einer  Zusammenstellung  der  von  Griechen  (auch  in 
fremden  Sprachen)  verfafsten  geographischen  Bücher,  Abhandlungen  u.  s.  w. 
unterzogen  hat.     Dieselbe  erschien  u.  d.  T. 

NeoeXXrjViXTj  yeajypaipLx-^  (fdoXoyca  ^zot  xardXoyog  rwv  dnb  roü 
1800 — 1889  ytojypa<prßiv-iüv  und  'EUrjvcuv.  Tnb  'Avzoiviou  MrjXca- 
pdxTj.  '£V  'A&rjvacg.  BißXionojXelov  rr^g  'Earcag.  1889.  8'  128  S. 
M.  4. 

Ich  verweise  des  Näheren  auf  meine  Besprechung  in  der  Wochen- 
schr.  f.  kl.  Phil.  1890  Sp.  1329—32  und  auf  den  Artikel  von  G.  Hirsch- 
feld, dessen  Anregung  die  Herausgabe  des  Buches  zu  verdanken  ist, 
»Zur  Geschichte  der  Geographie  bei  den  Neugriechen«  in  der  Berliner 
Philol.  Wochenschr.  1890  Sp.  288  —  92,  322-24,  wo  man  auch  beachtens- 
werte Mitteilungen  über  ältere  geographische  Werke  der  neugriechischen 
Litteratur  sowie  einige  Ergänzungen  zu  Miliarakis  findet.    Vgl.  Nachtrag. 

Wenden  wir  uns  nun  zunächst  den  systematischen  Bearbei- 
tungen der  Geographie  von  Griechenland  (bezw.  Kleinasien)  zu,  so  ist, 
so  weit  die  alte  Geographie  in  Frage  kommt,  der  Zeitfolge  nach^)  zu- 
erst die  Neuauflage  des  dritten  Bandes  von  Forbigers  Handbuch  zu  er- 
wähnen, welche  unter  dem  Titel  erschien : 

Handbuch  der  alten  Geographie  von  Europa  von  Albert  Forbi- 
ger.     Zweite  umgearbeitete   und  vielfach  verbesserte  Auflage.     Ham- 
burg.   Verlag  von  Haendcke  &  Lemkuhl.    1877.    VIII  808  S.  M.  25 
Ich  würde  dieses  Werk,  über  das  vom  Standpunkt  der  modernen 
Wissenschaft  längst  der  Stab  gebrochen  ist,   hier   nicht  anführen,  wenn 
es  nicht  gerade  in  philologischen  Kreisen  noch   ein   altererbtes  Ansehen 
besäfse  und  wegen  der  beträchtlichen  Stoffanhäufung  thatsächlich  bis  zu 
einem    gewissen    Grade    unentbehrlich    wäre.      Für    Griechenland    wird 
man  es  ja  wohl  am  seltensten  zu  Rate  ziehen,  da  hier  Bursians  Werk 


1)  Die  trefflichen  DLectures  on  the  geography  of  GreeceiX  von  H.  F.  To- 
zer  (London  1873),  auf  deren  in  Deutschland  viel  zu  wenig  gewürdigte  Be- 
deutung auch  Hirschfeld  hingewiesen  hat  (Geogr.  Jahrb.  X  408  f.),  wurden  in 
diesem  Jahresbericht  bereits  von  Wachsmuth  (11  1081  f.)  besprochen. 


350  Geographie  von  Griechenland. 

weit  bessere  Auskunft  giebt.  Da  man  aber  für  andere  Gebiete  der 
alten  Welt  —  ich  erinnere  nur  an  Kleinasien  —  mangels  neuerer  er- 
schöpfender Darstellungen  vielfach  noch  auf  Forbiger  zurückgreifen 
mufs,  so  mag  zur  Orientierung  bemerkt  sein,  dafs  die  neue  Auflage 
gegen  den  entsprechenden  (dritten)  Band  der  ersten  Ausgabe  (VIII  1180 
S.!)  wesentlich  an  Umfang  verloren  hat,  was  zum  Teil  auf  engeren 
Druck,  zum  Teil  aber  auch  auf  Kürzung  des  Textes  zurückzuführen  ist. 
Zu  letzterem  Zwecke  wurden  eine  Reihe  minder  wichtiger  Namen  samt 
den  dazu  gehörigen  Belegen  gestrichen,  wodurch  das  Buch  den  wesent- 
lichsten Vorzug  der  früheren  Auflage,  nämlich  den  der  Vollständigkeit, 
verloren  hat.  Hinzugekommen  sind  zahlreiche  neue  Citate,  doch  be- 
treflen  dieselben  durchgängig  bekannte  Hauptwerke,  wie  Corp.  inser.  Lai.^ 
Bursians  Geographie  u.  s.  w. ,  während  neuere  Einzelschriften  und  die 
periodische  Litteratur  nur  sehr  spärlich  angeführt  sind.*) 

In  direktem  Gegensatz  zu  dem  fleifsigen  und  stoffreichen,  aber 
jeder  Anmut  der  Darstellung  und  lebendigen  Auffassung  entbehrenden 
Werke  Forbigers  steht 

Heinrich  Kiepert,  Lehrbuch  der  alten  Geographie.  Berlin,  Ver- 
lag von  Dietrich  Reimer.     1878.    XVI  544  S.    M.  6. 

Der  Zweck  eines  Lehrbuches  schlofs  von  vornherein  eine  stofflich 
erschöpfende  Behandlung  des  Gegenstandes  aus;  es  handelte  sich  hier 
vielmehr  um  eine  Zusammenfassung  der  Ergebnisse  wissenschaftlicher 
Forschung  in  knapper,  übersichtlicher  Darstellung  mit  Hinweglassung 
aller  unwesentlichen  Einzelheiten.  Dieser  Aufgabe  ist  der  Verfasser  in 
meisterhafter  Weise  gerecht  geworden  und  gehört  das  Buch  unstreitig 
zu  den  reifsten  und  abgeklärtesten  Leistungen  der  historisch-geographi- 
schen Litteratur.  Es  möchte  überflüssig  erscheinen,  für  ein  längst  als 
vortrefflich  anerkanntes  Hilfsmittel,  das  zur  Einführung  in  das  Studium 
in  seltenem  Grade  geeignet  ist,  jetzt  noch  eine  besondere  Empfehlung 
auszusprechen,  wenn  nicht  die  Thatsache,  dafs  in  zwölf  Jahren  keine 
Neuauflage  erfolgt  ist,  für  eine  bedauerliche  Gleichgiltigkeit  und  Unkennt- 
nis der  meisten  Philologen  in  einem  so  wichtigen  Zweige  der  Altertums- 
wissenschaft zeugen  würde. 

Ein  wesentlicher  Nachteil  von  Kieperts  Lehrbuch  liegt  in  dem 
Mangel  eines  Registers,  für  welches  weder  das  Inhaltsverzeichnis,  noch 
der  Index  zum  Atlas  antiquus  genügenden  Ersatz  zu  bieten  vermag. 
Diesem  Mangel,  dessen  Beseitigung  bei  einer  zweiten  Auflage  zu  erhoffen 
ist,  hat  der  Verfasser  einigermafsen  abgeholfen  in  dem  bald  nach  dem 
»Lehrbuch«  erschienenen 


1;  Um  etwaigen  Misverständnissen  vorzubeugen,  möchte  ich  bemerken, 
dals  die  von  der  Verlagshandlung  augekündigte  zweite  Auflage  des  gan- 
zen Werkes  in  Bezug  auf  den  ersten  und  zweiten  Band  nur  eine  Titel  auf- 
läge ist;  neu  gedruckt  wurde  lediglich  der  dritte  Band. 


Alte  Geographie.  351 

Leitfaden  der  alten  Geographie  für  die  mittleren  Gymnasialklassen. 
Berlin,  Verlag  von  Dietrich  Reimer.    1879.    VIII  220  S.    M.  1.60. 

Der  »Leitfaden«,  welchem  ein  Register  beigegeben  ist,  schliefst  sich 
in  Einteilung  und  Darstellungsweise  eng  an  das  »Lehrbucha  an,  gegen 
das  derselbe  nur  im  Inhalt  verkürzt  ist.  Berichterstatter  möchte  übri- 
gens bezweifeln,  ob  der  »Leitfaden«,  seinem  Titel  entsprechend,  irgend 
wo  als  Schulbuch  zur  allgemeinen  Einführung  gelangt  ist,  wenngleich 
einzelne  strebsame  Schüler  denselben  mit  Erfolg  benützen  mögen;  für 
den  Durchschnittsgymnasiasten  ist  das  Gebotene  noch  entschieden  zu 
viel,  Referent  würde  es  vielmehr  schon  als  höchst  erfreulich  erachten, 
wenn  alle  Studierende  der  Philologie  sich  annähernd  das  Mafs  von 
Kenntnissen  in  alter  Geographie  aneignen  würden,  welches  hier  in  klarer 
und  anziehender  Form  geboten  wird. 

Etwas  anders  angelegt,  doch  in  ihrer  Art  ebenso  vortrefflich  ist  die 

Hellenische  Landeskunde  und  Topographie  von  H.  G.  Lolling  in 
Iwan  Müllers  Handbuch  d.  klass.  Altertumswiss.  Bd.  III  (Nördlingen 
18891)  S.  99—352. 

LoUings  Abrifs  umfafst  aufser  dem  eigentlichen  Griechenland  (S.  99 
— 222)  auch  die  Balkanländer,  Kleinasien  (mit  Cypern)  und  Sici- 
lien  (S.  222 — 89)  und  widmet  zuletzt  noch  einen  besonderen  Abschnitt  der 
Topographie  von  Athen  (S.  290-352).  Vorausgeschickt  ist  eine  Einlei- 
tung über  die  Quellen,  welche  jedoch  nur  für  das  Altertum  ganz  befrie- 
digt; bei  der  allzu  summarischen  Übersicht  der  neueren  Litteratur  wäre 
eine  kurze  Charakteristik  der  Hauptwerke  sowie  ein  Hinweis  auf  die 
wichtigsten  Originalkarten  erwünscht.  Nach  einer  kurzen  Skizze  der 
physikalischen  Geographie  wird  sogleich,  mit  Attika  beginnend,  auf  die 
einzelnen  Landschaften  eingegangen,  bei  denen  wiederum  ein  Überblick 
der  orohydrographischen  Verhältnisse  der  Ortsbeschreibung  vorangeht. 
Beim  Vergleich  mit  Kieperts  Lehrbuch  läfst  sich  Lollings  Behandlungs- 
weise  dahin  charakterisieren,  dafs  hier  mehr  der  archäologisch-topogra- 
phische, bei  Kiepert  der  rein  geographische  Standpunkt  vorherrscht,  so 
dafs  beide  Darstellungen  sich  in  diesem  Sinne  ergänzen.  Während  fer- 
ner bei  Kiepert,  dem  Charakter  eines  »Lehrbuches«  entsprechend,  Litte- 
raturangaben  nur  sehr  sparsam  mitgeteilt  werden,  findet  man  solche  bei 
Lolling  in  reichlichem  Mafse,  wodurch  der  Wert  dieses  Abrisses  wesent- 
lich erhöht  wird.  Insbesondere  wird  hiermit  für  Kleinasien  und  die 
kleinasiatischen  Inseln  eine  längst  schmerzlich  empfundene  Lücke  aus- 
gefüllt, während  auch  für  Griechenland,  wo  in  Bursians  Werk  ein  Ab- 
schlufs  vorlag,  die  Ergänzung  der  Litteratur  bis  auf  die  neueste  Zeit  mit 
Dank  zn  begrüfsen  ist.  Für  die  Litteraturnachweise,  deren  bibliogra- 
phische Genauigkeit  übrigens  mitunter  eine  gröfsere  sein  könnte,   kam 


1)  Der  von  Lolling  bearbeitete  Abschnitt  erechien  bereits  1887. 


352  Geographie  von  Griechenland. 

dem  Verf.  besonders  die  Benützung  der  geographischen  Lokallitteratur  zu 
statten,  welche  in  Athen  besser  als  irgend  wo  anders  ermöglicht  ist. 
Noch  wertvoller  ist  indessen  des  Verfassers  gründliche  Autopsie,  welche 
ihm,  wenigstens  für  das  griechische  Festland,  in  einem  Mafse  zu  Gebote 
steht,  wie  sie  nur  selten  einem  Gelehrten  zu  teil  wurde,  und  welche 
sicher  nicht  wenig  zur  Belebung  des  gewandt  geschriebenen  Abrisses  bei- 
getragen hat. 

In  die  Form  eines  Lesebuches  kleidete  den  Stoff 

H.  W.  St  oll,  Wanderungen  durch  Alt-Griechenland.  1.  Teil.  Der 
Peloponnes.  VI  368  S.  2.  Teil.  Mittel-  und  Nord-Griechenland.  VI 
410  S.    Leipzig,  B.  G.  Teubner.    1888.    M.  10. 

Vorstehendes  Buch,  welches  sich  den  im  besten  Sinne  des  Wortes 
populären  Darstellungen  der  Altertumswissenschaft  seitens  desselben 
Verfassers  würdig  anreiht,  ist  aus  den  vorzüglichsten  alten  und  neuen 
Quellen  geschöpft  und  auch  mit  einer  Anzahl  von  Plänen  und  Bildern 
ausgestattet,  in  denen  uns  meist  alte  Bekannte  aus  Bursians  Geographie, 
Lübkers  Reallexikon  und  Bädekers  Griechenland  wieder  begegnen.  Ob- 
wohl ohne  Anspruch  auf  wissenschaftliche  Originalität  und  gelehrten 
Apparat  vermeidend,  sind  Stolls  »Wanderungen«  als  Beispiel  lesbarer 
Darstellung  eines  spröden  und  trockenen  Stoffes  nicht  ohne  methodi- 
sches Interesse  Die  Lektüre  des  Buches  empfiehlt. sich  in  erster  Linie 
für  bessere  Schüler  der  höheren  Gymnasialklassen,  würde  aber  nach 
Überzeugung  des  Referenten   auch   manchem  Philologen  nichts   schaden. 

Diesen  systematischen  Werken  über  alte  Geographie  mag  mit 
Rücksicht  auf  die  räumliche  Zerstreutheit  der  behandelten  Lokalitäten 
beigefügt  sein 

Schliemanns  Ausgrabungen  in  Troja,  Tiryns,  Mykenä,  Orcho- 
menos,  Ithaka  im  Lichte  der  heutigen  Wissenschaft.  Dargestellt  von 
Karl  Schuchhardt.  Mit  zwei  Portrats,  sechs  Karten  und  Plänen 
und  290  Abbildungen.  Leipzig,  F.  A.  Brockhaus.  1890.  XII  371  S. 
M.  8. 

Obwohl  die  Archäologie  an  dem  Buche  den  Hauptanteil  hat,  kann 
es  doch  wegen  der  Bedeutung  von  Schliemanns  Ausgrabungen  für  die 
Topographie  hier  nicht  unerwähnt  bleiben.  Der  von  der  Verlangshand- 
lung  ausgegangene  Gedanke,  die  Ergebnisse  der  Thätigkeit  Schliemanns 
in  einem  gemeinverständlichen  und  dabei  wohlfeilen  Buche  zusammen- 
zufassen, ist  um  so  dankbarer  anzuerkennen ,  als  nicht  Jedermann  Zeit 
und  Lust  hat,  sich  durch  die  meist  umfänglichen  Originalwerke  durchzuar- 
beiten, die  im  Preise  überdies  mehr  für  englisches  und  amerikanisches, 
als  deutsches  Publikum  berechnet  sind  und  schon  dadurch  eine  weitere 
Verbreitung  erschweren.  Aus  diesem  Grunde  wird  Schuchhardts  Buch 
auch    manchem    Fachmann    erwünscht    sein,    der    darin    die    bekannten 


Alte  Geographie.  353 

Pläne  von  Troia,  Tiryns  und  Mykenä  sowie  eine  Auswahl  der  wichtig- 
sten Abbildungen  (darunter  auch  einzelne  neue)  nebst  Bildnissen  von 
Herrn  und  Frau  Dr.  Scbliemann  findet. 

Ich  schliefse  hieran  ferner  einige  Schriften  über  Alt-Griechenland, 
in  denen  allgemeine  geographische  Gesichtspunkte  zur  Geltung  kommen. 
Hierher  gehören 

Konrad  Bursian,  Über  den  Einflufs  der  Natur  des  griechischen 
Landes  auf  den  Charakter  seiner  Bewoliner.  6.  u.  7.  Jahresber.  der 
Geograph.  Ges.  in  München  (1877)  S.  63  —  71. 

Dieser  Vortrag  wiederholt  im  Wesentlichen  die  Ausführungen, 
welche  der  Verfasser  bereits  in  seiner  akademischen  Antrittsrede  in  Zü- 
rich niedergelegt  hatte  i),  und  welche  hier  teils  in  etwas  gekürzter  Form, 
teils  mit  einigen  Zusätzen  wieder  erscheinen.  Zu  bedauern  ist  nur,  dafs 
Bursian  sich  nicht  zu  einer  wesentlich  erweiterten  Behandlung  dieses 
Themas,  die  in  dem  engen  Rahmen  eines  Vortrages  nur  eine  skizzen- 
hafte sein  konnte,  sowie  zu  einer  eingehendenXharakteristik  aller  grie- 
chischen Landschaften  entschlofs. 

In  demselben  Forschungskreis  bewegt  sich  ferner  die  sehr  ver- 
dienstliche Schrift  von 

Robert  Pöhlmann,  Hellenische  Anschauungen  über  den  Zu- 
sammenhang zwischen  Natur  und  Geschichte.  (Habilitationsschrift). 
Leipzig,  Verlag  von  S.  Hirzel.    1879.    93  S.    M.  1.60- 

Da  es  sich  indessen  hier,  wie  schon  der  Titel  besagt,  nicht  sowohl 
um  eine  objektive  Erörterung  der  thatsächlichen  Beziehungen  als  um  die 
subjektive  Auffassung  der  Alten  handelt,  so  gehört  eine  ausführliche  Be- 
sprechung der  anziehenden  Schrift  nicht  hierher,  sondern  in  den  Bericht 
über  Geschichte  der  Geographie. 

Dagegen  wird  das  von  Bursian  behandelte  Thema,  jedoch  mehr  mit 
Berücksichtigung  des  politischen  als  des  kulturellen  Elementes,  wieder 
aufgenommen  von 

Dondorff,  Das  hellenische  Land  als  Schauplatz  der  althelleni- 
schen Geschichte.  Hamburg.  Verlangsanstalt  A.-G.  (vorm.  J.  F.  Rich- 
ter). 1889.  42  S.  M.  0.80.  (Samml.  gemeinverständl.  wissenschaftl. 
Vortr.    N.  F.  III.  Ser.  H.  72). 

Derselbe  Übelstand  wie  bei  Bursian  macht  sich  auch  hier  geltend, 
der  überreiche  Stoff  konnte  in  den  Grenzen  eines  Vortrages  nicht  er" 
schöpft  werden  und  die  Charakteristik  der  Landschaften  mufs   sich    da- 


1)  Ȇber  die  Gliederung  des  griechischen  Landes  und  den  Einflufs  der- 
selben auf  den  Charakter  und  die  Kulturentwicklung  der  verschiedenen  grie- 
chischen Volksstämme«.     Neues  Schweiz.  Mus.  IV  (1864)  S.  259—68. 

Jahresbericht  für  Alterthumswissenschaft  LXIV.  Bd.  (1890.  III.)  23 


854  Geographie  von  Griechenland. 

her  auch  hier  auf  einzehie  Beispiele  beschränken.  Bei  dem  Mangel 
einer  Inhaltsübersicht  verniifst  man  eine  Hervorhebung  der  Schlagwör- 
ter durch  den  Druck ;  im  Übrigen  vgl.  über  die  verstcändig  geschriebene 
und  von  Übertreibungen  freie  Abhandlung  die  Anzeige  von  G.  Hertzberg 
in  der  Berl.  philol.  Wochenschr.  1890  Sp.  21 7  f. 

Eine  methodologisch  höchst  bedeutsame  Abhandlung,  welche  hoffent- 
lich zu  weiteren  Forschungen  in  dieser  Richtung  anregen  wird,  bringt 

Gustav  Hirschfeld,  Zur  Typologie  griechischer  Ansiedelungen 
im  Altertum.  Histor.  u.  philol.  Aufsätze  E.  Curtius  gewidmet  (Berlin 
1884)  S.  353—73. 

Verf.  hebt  mit  Recht  hervor,  dafs  er  hier  ein  fast  noch  unberühr- 
tes Gebiet  betritt,  für  welches  selbst  der  Name  erst  zu  ersinnen  wai*, 
obwohl  bereits  bei  alten  Schriftstellern  sich  einzelne  Anläufe  zu  derar- 
tigen Betrachtungen  finden  (z.  B.  Thuc.  I  7,  Plat.  leg  III  p.  677  s., 
Str.  XIII  p.  592  s. ,  Aristot.  pol.  VII  10).  Die  antiken,  insbesondere 
die  griechischen  Ortslagen  bieten  bei  einer  vergleichenden  Betrachtung 
scharfe,  charakteristische  Züge,  welche  allerdings  durch  die  heutige  Be- 
siedelung  mehrfach  verwischt  sind.  Im  Laufe  des  Altertums  kommen 
bei  der  Wahl  von  Ansiedelungsplätzen  nach  einander  dreiei'lei  Typen 
zur  Geltung:  Die  älteste  Zeit  verlangt  nach  möglichster  Sicherheit  und 
Festigkeit,  die  Periode  des  Aufschwunges  fordert  vor  allem  Verkehrs- 
tüclitigkeit,  das  hellenische  und  römische  Zeitalter  Bequemlichkeit  der 
Lage.  Besonders  beliebt  für  Ansiedelungen  im  Binnenlande  ist  die  von 
Hirschfeld  sogenannte  »Kaplage«,  d.  h  die  Lage  eines  Ortes  im  (spitzen) 
Winkel  zweier  Wasseradern  oder  Schluchten  (»Landkap«),  welche  sich 
durch  natürliche  Festigkeit  auszeichnet.  Zahlreiche  Beispiele  werden 
für  diesen  Typus  und  seine  verschiedenen  Modificationen  angeführt. 
Auch  in  der  Anordnung  von  Ortsgruppen  sind  charakteristische  Eigentüm- 
lichkeiten nachzuweisen;  so  ist  für  das  griechische  Altertum  die  Besie- 
delung  der  Gebirgsränder  bezeichnend,  während  in  der  Neuzeit  die 
Städte  in  das  Tlial  herabrücken.  Bei  den  Seestädten  sind  die  Lagen 
auf  einer  Landspitze,  auf  einer  Landenge  (Doppelhäfen!)  und  an  einer 
von  Landzungen  eingeschlossenen  Bucht,  hervorzuheben;  auch  hierfür 
wird  wiederum  eine  erstaunliche  Fülle  von  Beispielen  genannt.  Wo  die 
älteren  Siedelungsformen  mit  jüngeren  in  Widerstreit  geraten,  kommt  es 
häufig  zu  einer  Verbindung  beider  (Athen,  Korinth,  Megara);  in  ande- 
ren Fällen  unterliegt  der  ältere  (Krisa  und  Kirrha).  Die  gröfseren 
Binnenstädte  Kleinasiens  gehören  vorwiegend  der  dritten  Siedelungsform 
(Zeitalter  der  Diadochen)  an;  sie  bezeichnen  hauptsächlich  die  grofsen 
Verkehrsstrafsen.  Ein  weiterer  Fortschritt  in  der  Eutwickelung  fand 
nicht  mehr  statt;  häufig  gingen  die  Wohnplätze  später  wieder  auf  den 
ältesten,  den  festen  binnenländischen  Typus  zurück,  welcher  dann  der 
Ausgangspunkt  einer  neuen  Entwicklung  wurde. 


Alte  Geographie,  355 

Vorstehender  Auszug  mag  genügen,  um  den  reichen  Inhalt  von 
Hirschfelds  Abhandlung  anzudeuten,  zu  deren  vollem  Verständnis  frei- 
lich eine  solche  Menge  von  Spezialkarten  erforderlich  wäre,  wie  sie  nur 
den  wenigsten  Lesern  zu  Gebote  stehen  dürften  Um  so  mehr  ist  es  zu 
bedauern,  dafs  nicht  auf  ein  oder  zwei  Tafeln  eine  Auswahl  der  auf- 
fälligsten Siedelungsformen  in  Spezialplänen  vorgeführt  wurde. 

Diesem  Mangel  wird  einigermafsen  abgeholfen  in  einem  neuen 
Aufsatze  Hirschfelds,  der  mir  eben  nach  Niederschrift  der  obigen  Worte 
zugeht, 

Die  Entwickelung  des  Stadtbildes.  Am  Altertum  nachgewiesen  von 
Gustav  Hirschfeld.  Ztschr.  d.  Ges.  f.  Erdk.  z.  Berlin  1«90  S.  277 
—302. 

Nach  einigen  einleitenden  Betrachtungen  über  die  Wahl  von  Orts- 
lagen für  Ansiedelungen  wird  zunächst  der  grundsätzliche  Unterschied 
dargelegt,  welcher  zwischen  künstlich  geschaft'enen  und  durch  die  Gunst 
der  Lage  von  selbst  gewordenen  Städten  besteht.  Zu  ersteren  gehören 
die  weitläufigen  Riesenstädte  Ägyptens  und  Mesopotamiens  mit  regel- 
raäfsigem  Grundplau,  wie  Memphis  und  Babylon;  zu  letzteren  die  Wohn- 
plätze in  Syrien  und  Phönizien,  sowie  insbesondere  in  Griechenland,  wo 
das  natürlich  geschlossene  Stadtbild  am  reinsten  ausgeprägt  erscheint. 
Nur  diese  zweite  Art  der  Ansiedelungen,  welche  gewissermafsen  mit 
ihrem  Boden  eng  verwachsen  sind,  hat  Aussicht  auf  dauernden  Bestand, 
während  die  künstlich  geschaffenen  Städte,  einmal  dem  Verfalle  preis- 
gegeben, sich  nicht  wieder  zu  erheben  vermögen.^)     Die  Charakteristik 


1)  Obwohl  Referent  Erörterungen,  wie  sie  Hirschfeld  in  den  beiden  be- 
sprocheneu Aufsätzen  niedergelegt  hat,  wegen  ihrer  Originalität  auf  das  leb- 
hafteste begrüfst  und  iu  ihnen  tien  Keim  zu  zahlreichen  fruchtbaren  Anregun- 
gen erblickt,  kann  derselbe  doch  nicht  umhin,  auf  das  Missliche  einer  dogma- 
tischen Formuiieruijg  anthropogeographischer  Betrachtungen  hinzuweisen,  die 
eben  nicht  selten  auch  einer  anderen  Auffassung  Raum  geben.  So  läfst  sich 
gegen  die  obige  Gegenüberstellung  geschaffener  (vergänglicher)  und  geworde- 
ner (dauerhafter)  Ansiedelungen  wohl  einwenden,  dafs  ja  doch  z.  B.  Memphis, 
dessen  Lage  übrigens  (am  Scheitel  des  Nildelta)  auch  von  Natur  aus  keines- 
wegs bedeutungslos  war,  -doch  in  Fostat  und  Kairo  eine  recbt  bemerkenswerte 
Wiedergeburt  gefeiert  hat,  wie  ja  Verfasser  dies  selbst  (S.  288)  mit  Beziehung 
auf  Ninive  —  Mossul  und  Babylon  —  Bagdad  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
zugibt.  Die  verhältnismälsig  geringe  Verschiebung  der  ürtslage  kann  hierbei 
um  so  weniger  ins  Gewicht  iallen,  als  ja  Hirschfeld  gerade  bezüglich  der  »na- 
türUch  gewordenen«  Städte  des  griechischen  Altertums  diu  Verschiedenheit 
der  Anforderungen  nachgewiesen  hat,  welche  in  verschiedenen  Perioden  an 
die  Ortslage  gestellt  wurden,  und  welche  demgemäfs  auch  eine  entsprechende 
Verschiebung  der  Bevölkerungscentren  zur  Folge  hatten.  Und  ist  hinwieder- 
um  nicht   z    B    Alexandrien,   eine   doch  gewifs   künstlich,    wenn   auch   unter 

23* 


35f>  Qpographio  von  Oriochonland 

der  griechischon  Sipdolunf^^en  fufst  im  Wcsontlichon  anf  des  Verfassers 
früherer  Abhandlung.  Beigegeben  sind  diesem  Aufsatze  Planskizzen  von 
Babylon,  Jerusalem,  Karthago,  Eira,  Korinth,  Knidos,  Kelainai  — 
Apameia. 

Im  Anschlufs  an  diese  beiden  Aufsätze  mag  liier  auch  der  Artikel 
»Stadtanlage«  von  Otto  Richter  in  Baumeisters  Denkmälern  des  klassi- 
schen Altertums  Bd.  III  S.  1694—1704  erwähnt  sein,  welcher  sich  in 
der  Hauptsache  an  Ilirschfeld  anlehnt,  aber  dessen  Beobachtung  auch 
auf  italische  Städte  iiberträgt,  aufserdem  auch  von  Illustrationen  be- 
gleitet ist. 

Eine  gröfsere  Regsamkeit  der  Forschung  zeigt  sich  in  den  letzten 
Dezennien  auch  auf  dem  Gebiete  griechischer  Ortsnamenkunde, 
auf  welchem  die  anregende  Studie  von  Ernst  Curtius  über  die  Na- 
men der  griechischen  Vorgebirge  lange  Zeit  vereinzelt  geblieben  ist.') 
Der  hübsche  Abschnitt  »O/t  the  etymology  of  Greek  names  of  placesa, 
welcher  das  letzte  Kapitel  der  o.  (S.  349  A.  1)  erwähnten  »Lectures  an 
the  Geography  of  Greecet)  von  H.  F.  Tozer  bildet,  scheint,  wie  das  ganze 
Buch,  in  Deutschland  sehr  wenig  bekannt  geworden  zu  sein,  weshalb  hier 
nochmals  ausdrücklich  darauf  hingewiesen  sein  mag. 

Zum  grofsen  Teile  onomatologischen  Erörterungen  gewidmet  ist 
die  Schrift 

Phönizier  in  Akarnanien.  Untersuchungen  zur  phönizischen  Ko- 
lonial- und  Handelsgeschichte  mit  besonderer  Rücksicht  auf  das  west- 
liche Griechenland  von  Eugen  Ober  hu  ramer.  München,  Theodor 
Ackermann.     1882.    84  S.    M.  1.80. 

Es  handelt  sich  hier  um  eine  Reihe  von  Ortsnamen,  für  welche 
Referent   semitischen  Ursprung  nachzuweisen   versucht  hat.     Besonders 

wohlerwogener  Rücksicht  auf  die  natürlichen  Vorteile  der  Lage  geschaffene 
Stadt,  sich  bis  heute  treu  geblieben,  bezw.  nach  tiefem  Verfalle  wieder  genau 
an  derselben  Stelle  cmporgeblüht,  während  das  durch  seine  typische  Halb- 
insellage ausgezeichnete  Kathago  verödet  ist  und  seine  Rolle  an  das  im 
Altertum  unbedeutende  Tunis  abgegeben  hat?  Glaubt  Verfasser  ferner,  dafs 
Athen  (vgl.  S.  301)  durch  die  blofse  Gunst  der  Lage  wieder  erstanden  wäre, 
ohne  den  mächtigen  Zwang,  welchen  die  Verlegung  der  Residenz  des  König- 
reichs dorthin  ausübte?  (Man  vgl.  die  Entwicklung  Roms  als  Residenz  des 
Königreichs  Italien).  Nicht  um  das  Verdienstliche  von  Hirschfelds  Unter- 
suchungen zu  schmälern,  sollen  diese  Gegenbemerkungen  hier  gemacht  sein, 
sondern  nur  um  darauf  hinzuweisen,  wie  grol'se  Vorsicht  und  Zurückhaltung 
bei  der  Erörterung  anthropogeographischer  Probleme  geboten  ist,  deren  zu 
einseitige  Betonung  auch  P'orscher  wie  Karl  Ritter  auf  Abwege  geraten  liefs. 
•)  Beiträge  zur  geographischen  Onomat  ologie  der  griechischen  Sprache. 
Gott.  Nachr   1861  N.  11  S.  143—62. 


Oiioniatologic  357 

eingebend  werden  die  vom  Stamme  maraih  gebildeten  Namen  (Mara- 
thon u.  s.  w)  behandelt,  welche  hier  mit  möglichster  Vollständigkeit 
(z.  T.  aus  bisher  nnbenützten  Quellen)  zusammengestellt  sind. 

Einen  durchaus  ablehnenden  Standpunkt  gegen  die  Herleituug 
griechischer  Ortsnamen  aus  fremden,  insbesondere  semitischen  Sprachen, 
behauptet 

Konstantin  Angermann,  Geographische  Namen  Altgriechen- 
lands. Jahresber.  d.  Fürsten-  und  Landesschule  St.  Afra  in  Meifsen. 
1883.    40.     S.  1-31. 

Die  mit  besonnener  Kritik  geschriebene  Abhandlung  zerfällt  in 
vier  Kapitel,  von  denen  I.  die  Bedeutung  des  geographischen  Namen- 
studiums darlegt,  II.  die  ethnologischen  Verhältnisse  Altgriechenlands  im 
Allgemeinen  bespricht,  was  dem  Verfasser  Gelegenheit  gibt,  seine  An- 
sicht von  dem  hellenischen  Ursprung  der  überwiegenden  Mehrheit  der 
griechischen  Ortsnamen  (hauptsächlich  Kiepert  gegenüber)  zu  begründen; 
III.  behandelt  die  Flufsnamen,  IV.  die  Städtenamen  nach  den  Katego- 
rieen  ihrer  Ableitung. 

Neuerdings  hat  auch  der  Altmeister  auf  dem  Gebiete  griechischer 
Onomatologie,  Ernst  Curtius,  seine  früheren  Untersuchungen  wieder 
aufgenommen  in  seinen 

Beiträgen   zur  Terminologie   und  Onomatologie   der   alten  Geogra- 
phie.    Sitzungsber.    der  k.    preufs.   Akad.    der   Wiss.     Bd.  47   (1888) 
S.  1209  '29, 
welche  in  überaus  feinsinniger  V\^eise  die  Beziehungen  für  das  fliefsende 
Wasser  im  Griechischen  behandeln. 

Einen  Versuch,  die  Gesammtheit  der  griechischen  Ortsnamen  zu- 
sammenzufassen und  übersichtlich  zu  gliedern,  unternahm 

Lorenz  Grasberger,  Studien  zu  den  griechischen  Ortsnamen. 
Mit  einem  Nachtrag  zu  den  griechischen  Stichnamen.  Würzburg,  Sta- 
hel.    1888.    X  392  S.    M.  8. 

Trotz  der  ungünstigen  Beurteilungen,  welche  das  Buch  mehrfach 
von  berufener  Seite  erfahren  hat,  i)  glaubt  der  Berichterstatter  in  dem- 
selben doch  ein  wegen  der  Reichhaltigkeit  des  zusammengetrageneu 
Stoffes  brauchbares  Hilfsmittel  zu  erkennen,  das  freilich  dem  Benutzer 
im  einzelnen  Falle  die  Pflicht  der  Nachprüfung  auferlegt  Auch  Refe- 
rent kann  sich  der  Ansicht  nicht  verschliefsen,  dafs  die  Veröffentlichung 


1)  K.  Agnermann  in  N.  Jahrb  f.  Philol.  Bd.  139  S.  177-86,  G.  Hirsch- 
teld  in  Beil.  philol.  Wochenschr.  1889  Sp.  215—9,  0.  Crusius  in  Wochenschr. 
f.  klass.  Philol.  1890  Sp.  622—8;  vgl.  dagegen  J.  J.  Egli  im  üeogr.  Jahrb.  XIV 
S.  17. 


358  Geographie  vou  Griechenland. 

des  vom  Verfasser  gesammelten  Materials  in  mancher  Hinsicht  übereilt 
war  und  ein  längeres  Zurückhalten  wie  nochmaliges  Überarbeiten  etwas 
Vollkommeneres  ergeben  hätte.  Zum  mindesten  wäre  dann  ein  grofser 
Teil  der  Flüchtigkeiten  und  Irrtümer  vermieden  worden,  welche  dem 
Verfasser  in  den  angeführten  Besprechungen,  auf  welche  ich  in  dieser 
Beziehung  verweise,  vorgehalten  werden.  Doch  wird  das  Buch  auch  in 
dieser  unvollkommenen  Gestalt  vielen  willkommen  sein  und  durch  das 
reiche  Material  künftige  Spezialuntersuchungen  wesentlich  erleichtern. 

Zum  Schlufs  möchte  ich  noch  darauf  hinweisen,  dafs  J.  J.  Egli, 
der  durch  seine  Nomina  (jtographica^)  der  Begründer  der  Onomatologie 
als  einer  besonderen  geographischen  Disciplin  geworden  ist  und  uns  in- 
zwischen mit  einer  von  umfassender  Litteraturkenntnis  zeugenden  »Ge- 
schichte der  geographischen  Namenkunde« 2)  beschenkt  hat,  im  »Geo- 
graphischen Jahrbuch«  (vom  IX.  Bande  an)  regelmäfsig  über  die  Fort- 
schritte auf  diesem  Gebiete  Bericht  erstattet. 

Endlich  sei  im  .\iischlufs  an  die  Litteratur  über  alte  Geographie 
von  Griechenland  noch  zweier  Versuche  gedacht,  die  ß e Völker ungs- 
dichtigkeit  der  griechischen  Landschaften  im  Altertum  zu  ermitteln. 
Der  eine  rührt  von  einem  griechischen  Gelehrten,  EuH.  haaröp'/rjg, 
her,  welcher  einer  Abhandlung  über  die  »Bevölkerung  und  Bodenkultur 
Attikas^)  im  Altertum  und  jetzt«  eine  zweite  über  die  Bevölkerung  Alt- 
griechenlands folgen  liefs  u.  d.  T. 

IJep}  Tou  Tilri^ou^  zuiv  xrjq  üp-j^ataQ  'EXXaboQ  xarocxwv.  \'{tHjvaiov 
Bd.  IV  (1875)  S.  421—53,  Bd.  V  (1876)  S.  111—43. 

Kastorchis  hat  das  Verdienst,  seit  Clinton,  abgesehen  von  den  Un- 
tersuchungen über  die  Bevölkerung  des  römischen  Reiches,  das  schwie- 
lige Thema  zuerst  wieder  in  Angriff  genommen  zu  haben,  wenn  auch 
nicht  in  jeder  Beziehung  mit  Glück.  Mehr  Vertrauen  verdienen  die 
Ergebnisse  von 

Julius  Beloch,  Die  Bevölkerung  der  griechisch-römischen  Welt. 
Leipzig,  Verlag  von  Duncker  &  Humblot  1886.  XVI  520  S.  M.  11. 
(Historische  Beiträge  zur  Bevölkcrungslelire,  Erster  Teil). 

Nach  einer  kritischen  Einleitung  über  Quellen  und  Hilfsmittel 
wird  S.  54—108  Attika,  S.  109—60  der  Peloponnes,  S.  161—222  Mittel- 
und   Nordgriechenland   (mit  einem  Anhang  über  das  Heer  Alexanders) 


1)  Leipzig  1871/2.  VIII  928  S.  Der  lexikalische  Teil  hiervon  (644  S.) 
erschien  1880  in  Sonderausgabe  u.  d.  T.  »Etymologisch  -  geographisches 
Lexikont. 

2)  Leipzig  1886.     Brandstetter.     IV  430  S.    M.  10. 

3)  Ilepi  Toü  nkrjitoui  täv  rrjq  'Amx^q  xarocxcuv  xai  toö  xar'  iviaurüv 
■napays.vo[ii\ioü  iv  «^^,^  nöauu  xwv  diqfirjTpiaxwv  xupTtmv  rö  ndlai  xai  >üv. 
'A^iivawv  Bd   III  (1874)  s.  91-125. 


Alte  Geographie.  359 

und  S.  223 — 43  Kleinasicn  behandelt.  Bei  der  Mangelhaftigkeit  unseres 
Quellenmaterials  bleibt  ,natürlich  auch  bei  Beloch  Vieles  hypothetisch 
und  einzelne  Ziffern  können  nur  als  mehr  oder  weniger  willkürliche  An- 
nahmen gelten;  doch  ist  der  Leser  durch  die  Mitteilung  der  Quellenan- 
gaben in  jedem  Falle  in  den  Stand  gesetzt,  sich  über  den  Wert  der  Be- 
rechnung ein  Urteil  zu  bilden  und  wird  es  dem  Verfasser  Dank  wissen, 
dafs  derselbe  den  Standpunkt  der  Frage  in  übersichtlicher  Weise  dar- 
gelegt und  die  Grenzen  unseres  Wissens  bezeichnet  hat. 

Wir  haben  es  im  Vorstehenden  durchweg  mit  Arbeiten  zu  thun 
gehabt,  welche  ihre  Aufgaben  im  Wesentlichen  auf  das  Altertum  be- 
schränkten, und  von  einem  engherzigen  Standpunkte  aus  könnten  wir  es 
dabei  bewenden  lassen.  Wie  indessen  auf  anderen  Gebieten  der  Alter- 
tumswissenschaft längst  die  beengenden  Schranken  durchbrochen  sind, 
die  ehedem  für  so  manchen  Philologen  das  klassische  Altertum  gegen 
übrige  Welt  hermetisch  abschlössen;  wie  das  Studium  der  lateinischen 
und  griechischen  Sprache  heute  durch  die  allgemeine  und  vergleichende 
Sprachwissenschaft  einen  ganz  neuen  Aufschwung  genommen  hat,  die  poli- 
tische und  Kulturgeschichte  sowie  die  Archäologie  mehr  und  mehr  von  der 
fortschreitenden  Entwicklung  der  allgemeinen  Geschichte,  der  Staatslehre 
und  Kunstgeschiclite  beeinfluFst  werden  und  endlich  die  Beziehungen  des 
klassischen  zum  orientalischen  Altertum  von  Tag  zu  Tag  an  Wichtigkeit 
gewinnen,  so  ist  auch  die  alte  Erdkunde  erst  durch  die  moderne  Entwick- 
lung der  geographischen  Wissenschaft  aus  dem  unfruchtbaren  Zustande 
einer  dürren  Nomenklatur  befreit  worden.  Es  ist  noch  nicht  gar  lange  her 
—  und  für  manche  ist  der  Standpunkt  heute  noch  nicht  überwunden  — , 
dafs  man  »alte«  und  »neue«  Geographie  als  zwei  ganz  verschiedenartige 
Dinge  betrachtete  ;  die  eine  galt  lediglich  als  ein  Rüstzeug  des  Philolo- 
gen, das  von  diesem  gewissermafsen  als  ein  notwendiges  Übel  mit  in 
den  Kauf  genommen  wurde,  während  die  andere  überhaupt  kaum  wissen- 
schaftlicher Behandlung  fähig  schien,  bis  Karl  Ritter  mit  einem  ge- 
waltigen Ruck  die  Erdkunde  in  den  Kreis  der  akademischen  Wissen- 
schaften einführte.  Es  ist  hier  nicht  meine  Absicht,  Gemeinplätze  zu 
wiederholen,  durch  welche  die  Bedeutung  Ritters  bezeichnet  werden  soll ; 
aber  eines  kann  ich  doch  nicht  unterlassen,  gerade  hier  ausdrücklich 
zu  betonen:  Ritter  war  es,  der  zuerst  die  »alte  Geographie«  aus  ihrer 
vereinsamten  Stellung  erlöst  und  in  seiner  »Erdkunde«  praktisch  gezeigt 
hat,  dafs  die  Verbreitung  des  Menschen  und  seiner  Ansiedelungen  über 
die  Erde  ihrer  gesammten  Entwickelung  nach  begriffen  werden  müsse; 
nicht  auf  die  Gegenwart  allein,  sondern  auch  auf  die  Vergangenheit  und 
zwar  in  ihrem  ganzen  geschichtlichen  Verlaufe  geht  Ritters  Bestreben, 
die  Abhängigkeit  des  Menschen  von  der  ihn  umgebenden  Natur  zu  er- 
gründen, und  es  ergibt  sich  hieraus  von  selbst,  wie  ungerechtfertigt  es 
ist,  der  Erdkunde  an  und  für  sich  eine  »alte  Geographie«  als  etwas 
aufserhalb  stehendes  gegenüberzustellen.    Freilich  hat  gerade  dieses  Be- 


360  Geographie  von  Griochonland. 

mühen  Ritters,  eine  wahrhaft  weltgeschichtliche  Auffassung  der  Geogra- 
phie des  Menschen  anzubahnen,  am  wenigsten  Nachfolger  gefunden ;  denn 
die  Erdkunde  als  akademische  Wissenschaft  hat  sich  seitdem  überhaupt 
in  einer  ganz  anderen  Richtung  entwickelt,  und  die  kleine  Gemeinde,  in 
welcher  der  historische  Sinn  Ritters  fortlebte,  hat  doch  vorzugsweise 
wieder  auf  das  Altertum  ihr  Augenmerk  gerichtet.  Werke  wie  Curtius' 
Peloponnesos  und  Bursians  Geographie  von  Griechenland  stehen  ganz 
auf  dem  Boden  Ritters,  nur  dafs  der  Natur  der  Sache  nach  hier 
das  Altertum  noch  weit  mehr  in  den  Mittelpunkt  des  Interesses  tritt  als 
es  in  Ritters  Erdkunde  irgendwo  der  Fall  ist.  Aber  wie  verschieden  ist 
in  diesen  Werken  dennoch  die  Behandlung  des  Stoifes  von  denjenigen 
in  den  altern  »Handbüchern« ;  das  dürre  Gerippe  von  ehemals  ist  hier 
mit  Fleisch  und  Blut  bekleidet,  aus  trockenen,  geistlosen  Anhäufungen 
von  Namen  und  Citaten  ist  eine  zusammenhängende,  lesbare  Darstellung 
geworden.  Man  würde  indessen  sehr  irren,  wenn  man  die  Behandlungs- 
weise,  welche  Ritter  und  seine  unmittelbaren  Nachfolger  der  historischen 
Länderkunde  angedeihen  liefsen,  keiner  weiteren  Ausbildung  für  fähig 
hielte.  Gerade  an  den  beiden  klassischen  Kulturländern,  Italien  und 
Griechenland,  wurde  uns  in  jüngster  Zeit  gezeigt,  dafs  durch  entspre- 
chende Beachtung  der  physikalischen  Verhältnisse  auch  für  das  Alter- 
tum ganz  neue  Gesichtspunkte  gewonnen  werden  können,  die  auf  die 
ganze  antike  Kulturentwicklung  die  überraschendsten  Streiflichter  werfen. 
Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  auf  das  bahnbrechende  Buch  von  Heinrich 
Nissen^)  näher  einzugehen;  dagegen  schien  es  mir  angemessen,  ehe  ich 
auf  Spezialarbeiten  zur  physikalischen  Geographie  von  Griechenland 
übergehe,  demjenigen  Werke  eine  etwas  ausführlichere  Besprechung  zu 
widmen,  das  seit  Bursian  den  bedeutendsten  Fortschritt  in  unserer  Kennt- 
nis Griechenlands  bezeichnet;  es  ist  die 

Physikalische  Geographie  von  Griechenland  mit  besonderer  Rück- 
sicht auf  das  Altertum  bearbeitet  von  C.  Neumann  und  J.  Bartsch. 
Breslau.    Verlag  von  Wilhelm  Koebner.    1885.    XII  476  S.    M.  9. 

Das  Buch  ist  hervorgegangen  aus  Vorlesungen,  welche  Karl  Neu- 
mann, der  Verfasser  des  bekannten  Buches  »Die  Hellenen  im  Skythen- 
lande« (Bd.  I,  Berlin  1855),  an  der  Universität  Breslau  in  den  Jahren 
1867,  1872  und  1877  gehalten  hat.  Seit  Beginn  seiner  akademischen 
Lehrthätigkeit  hatte  Neumann  ganz  auf  litterarische  Produktion  verzichtet 
und  seine  gesammte  Kraft  den  unmittelbaren  Berufspflichten  gewidmet  2); 
um  so  mehr  schien  der  Wunsch  seiner  Schüler  gerechtfertigt,  nach  sei- 
nem Tode  (1880)  wenigstens  einen  Teil  der  aufsergewöhnlichen  Arbeits- 


1)  Italische  Landeskunde.    1.  Land  und  Leute.    Berliu,  Weidmann  1883. 

2)  Vgl.  über   die  Persönlichkeit  Neumanns  J.  Partscb,  Zur  Erinnerung 
an  Karl  Neumann.    Ztschr.  d.  Ges.  f.  Erdk.  1882  S.  81-111. 


Neumann-Partsch,  Physikal.  Geographie.  361 

leistung,  welche  er  in  seinen  Vorlesungen  niederlegte,  zum  Gemeingut 
der  Wissenschaft  zu  machen.  Zuerst  wurde  ein  Teil  der  Vorlesungen 
über  römische  Geschichte  der  Öffentlichkeit  übergeben, i)  die,  wenn  sie 
auch  nicht  gerade  vieles  Neue  bieten,  doch  durch  die  Selbständigkeit 
der  Auffassung  wertvoll  sind.  Von  weit  gröfserer  Tragweite  ist  die  Her- 
ausgabe der  Vorlesungen  über  physikalische  Geographie  von  Griechen- 
land, in  denen  sich  die  Eigenart  Neumanns  wohl  am  tiefsten  ausprägte. 
Die  hauptsächliche  Bedeutung  derselben  liegt  in  den  feinsinnigen,  oft 
überraschenden  Beobachtungen  über  den  Zusammenhang  hellenischer 
Kultur  und  Geschichte  mit  der  griechischen  Landesnatnr,  die  hier  zu 
einem  durch  Originalität  des  Inhalts  und  Meisterschaft  der  Form  gleich 
anziehenden  Gesammtbilde  vereinigt  sind.  Wir  haben  hier,  um  mit 
Hermann  Wagner  zu  reden, ''^)  »eine  Musterleistung  der  Länderkunde  im 
Ritterschen  Sinne«,  wie  wir  sie  in  dieser  vollendeten  Durchführung  in 
Ritters  eigenen  Werken  vergeblich  suchen. 

Indessen  ist  die  »Physikalische  Geographie« ,  so  wie  sie  uns  vor- 
liegt, nicht  Neumanns  Werk.  Von  letzterem  lediglich  für  die  Vorlesung 
bestimmt,  bedurfte  der  Entwurf  für  die  Drucklegung  von  vornherein  in 
mancher  Hinsicht  der  Ergänzung,  während  die  wesentliche  Vermehrung 
des  klimatologischen  und  geologischen  Materials  eine  völlige  Umgestal- 
tung der  betreffenden  Teile  notwendig  machte.  So  ist  das  Buch  in  der 
uns  vorliegenden  Form  mindestens  zur  Hälfte  das  Werk  des  Heraus- 
gebers, Josef  Partsch,  des  Schülers  und  Nachfolgers  von  Neumann 
auf  dem  Lehrstuhl  von  Geographie.  Ihm  ist  es  zu  verdanken,  dafs  die 
»Physikalische  Geographie«  in  jeder  Hinsicht  dem  Standpunkt  der  For- 
schung zur  Zeit  des  Erscheinens  angepafst  wurde,  während  anderseits 
die  geistreichen  chorosophischen  Ausführungen  Neumanns  mit  anerken- 
nenswerter Pietät  fast  unverändert  beibehalten  wurden. 

Nach  der  Gliederung  des  Stoffes  zerfällt  das  Buch  in  eine  Einlei- 
tung und  folgende  Hauptabschnitte:  L  Das  Klima,  S.  13 — 126;  II.  das 
Verhältnis  von  Land  und  Meer,  S.  127—51;  III.  das  Relief  des  Landes, 
S.  152  —  205;  IV.  die  geologischen  Verhältnisse,  S.  206—355;  V.  die  Ve- 
getation, S.  356—456. 

Die  sehr  anregend  geschriebene  Einleitung,  welche  nach  Neu- 
manns Niederschrift  unverändert  beibehalten  wei'den  konnte,  erörtert  die 
Natur  des  griechischen  Landes  als  Faktor  der  Kulturentwicklung  im 
Allgemeinen.     Etwas  befremdlich  erscheint  mit  Rücksicht  auf  die  sonst 


1)  Geschichte  Roms  während  des  Verfalles  der  Republik.  I.  Bd.  Vom 
Zeitalter  des  Seipio  Aemilianus  bis  zu  Sullas  Tode.  Herausg.  v.  E.  Gothein. 
Breslau.  1881.  11.  Bd.  Von  Sullas  Tode  bis  zum  Ausgange  der  catilmari- 
schen  Verschwörung.  Herausg.  v.  G.  Faltin.  Breslau.  1884.  —  Das  Zeit- 
alter der  punischen  Kriege.  Herausg.  v.  G.  Faltin.  Breslau.  1883.  Vgl. 
H.  Schiller  in  diesem  Jahresbericht  Bd.  28  S.  301  f.,  Bd.  32  S.  501,  Bd  44  S.  43. 

2j  Geogr.  Jahrb.  X  603.    Vgl.  Hirschfeld  ebd.  XII  268  f. 


362  Geographie  von  Griechenland. 

übliche  Anordnung  des  Stoffes  in  länderkundlichen  Darstellungen  die 
Voranstellung  des  Klimas;  doch  erkennt  der  Leser  bald,  dafs  gerade 
dieser  Abschnitt  mit  besonderer  Liebe  ausgearbeitet  und  deshalb  wohl 
auch  gewissermafsen  als  Glanzpartie  vorangestellt  wurde.  Gründliche 
Kenntnis  der  klassischen  Litteratur  uud  kritische  Verarbeitung  des  mo- 
dernen Beobaclitungsmaterials  vereinigen  sich  hier  mit  formgewandter 
Darstellung  zu  einer  Schilderung  des  griechischen  Klimas,  welche  wohl 
geeignet  ist,  auch  Fernerstehenden  in  überraschender  Weise  zu  zeigen, 
welcher  geistvollen  und  anregenden  Behandlung  ein  anscheinend  so 
trockenes  Wissensgebiet  wie  die  »alte  Geographie«  fähig  ist  Man  wird 
in  diesem  Sinne  den  methodologischen  Wert  dieses  Kapitels  vollauf  an- 
erkennen müssen,  wenn  man  auch  den  mythologischen  Erklärungen  nicht 
immer  beistimmen  kann.  Am  meisten  tritt  die  chorosophische  Tendenz 
des  Abschnittes  im  ersten  Teile  des  Abschnittes  hervor,  welcher  vom  Klima 
Attikas  handelt;  denn  nur  hier  lag  durch  das  Verdienst  des  unermüd- 
lichen Forsches  Jul.  Schmidt  das  exakte  Beobachtungsniaterial  in  solchem 
Umfange  vor,  dafs  eine  abgerundete,  den  Anforderungen  der  meteorolo- 
gischen Wissenschaft  entsprechende  Behandlung  des  Klimas  möglich  war. 
Die  wenigen  in  anderen  Teilen  Griechenlands  (hauptsächlich  in  Korfu 
und  Jannina)  gemachten  Beobachtungen  gestatteten  zwar  manche  wert- 
volle Schiufsfolgerung  bezüglich  der  Verschiebung  der  klimatischen  Fak- 
toren nach  W  und  N,  aber  der  festen  Punkte  sind  eben  noch  zu  we- 
nige, die  Lücken  zu  grofs,  um  schon  jetzt  eine  Gesammtdarstellung  des 
griechischen  Klimas  zu  ermöglichen.  Mit  Staunen  erfährt  der  Leser, 
wie  gering  unsere  Kenntnis  der  physikalischen  Verhältnisse  eines  so  viel 
erforschten  Landes  in  mancher  Hinsicht  noch  ist,  und  erkennt  es  als 
eines  der  Hauptverdienste  des  Buches  an,  die  Lücken  unseres  Wissens 
rückhaltlos  aufgedeckt  zu  haben 

Das  IL  Kapitel  über  »Das  Verhältnis  von  Land  und  Meer«  bie- 
tet, wie  sich  von  vornherein  erwarten  läfst,  ebenfalls  zu  manchen  inter- 
essanten Erläuterungen  Anlafs,  so  über  die  erste  Entwicklung  der 
Schifffahrt  und  die  kulturellen  Anregungen .  welche  Griechenland  durch 
den  Seeverkehr  mit  anderen  Völkern  erhielt.  Dagegen  läfst  die  Anord- 
nung des  Stoffes  manches  zu  wünschen  übrig;  denn  die  Übersicht  leidet 
entschieden  durch  die  Scheidung  in  die  Gliederung  der  Halbinsel  (S.  128 
33)  und  die  eigentliche  Küstenbeschreibung  (S.  138—46),  zumal  in  den 
beiden  Abschnitten  nicht  die  gleiche  geographische  Folge  eingehalten 
wird.  Aber  auch  dem  Inhalt  nach  scheint  uns  hier  das  Gebotene  zu 
eng  begrenzt  zu  sein;  denn  der  Hinweis  auf  den  doch  nicht  jedem  Leser 
zugänglichen  Mediterrancan  Pilot  (S.  138  A.  1)  entschädigt  keineswegs  für 
den  Mangel  einer  im  Einzelnen  ausgeführten  Küstenbeschreibung,  welche 
man  hier  mit  Recht  zu  finden  erwarten  durfte. 

Im  in.  Kapitel  wird  die  vertikale  Gliederung  des  Landes 
in  gedrängter,    iuhaltreicher  Übersicht  behandelt.     Wiewohl    dieser   in 


Neumann-Partsch,  Physika!.  Geographie.  363 

geographischer  Hinsicht  so  wichtige  Abschnitt  an  sich  trockener  ist,  als 
die  beiden  vorhergehenden  und  den  vollen  Ernst  eines  nach  wissen- 
schaftlicher Belehrung  strebenden  Lesers  voraussetzt ,  hat  der  Verfasser 
es  doch  verstanden,  auch  diesem  spröden  Stoffe  eine  Seite  von  allge- 
meinerem Interesse  abzugewinnen  und  in  einer  ausführlichen  Erläute- 
rung den  Einflufs  der  Bodengestaltung  auf  die  militärische  und  politi- 
sche Geschichte  (Verteidigungslinien  und  Kleinstaaterei)  darzulegen. 

Das  umfangreichste  Kapitel  ist  den  geologischen  Verhältnissen 
gewidmet.  Es  zerfällt  wieder  in  vier  Abschnitte,  von  denen  der  erste 
(S.  209—36)  von  den  »krystallinischen  Scliiefergesteinen,  ihren  Marmor- 
lagern und  ihrer  Erzführung«  handelt,  und  wie  schon  die  Überschrift 
andeutet,  aufser  dem  geologischen  Bau  auch  die  wichtigsten  nutzbaren 
Mineralien  Griechenlands  berücksichtigt.  Gänzlich  umgestaltet  wurde 
vom  Herausgecer  der  zweite  Abschnitt  über  »Kreideformation  und  Ter- 
tiär«, für  welchen  durch  die  Untersuchungen  der  österreichischen  Geologen 
(s.  u.)  eine  durchaus  neue  Grundlage  geschaffen  war.  Der  geograi)hisch 
interessanteste  Teil  dieses  Abschnittes  ist  die  Darstellung  der  für  das  Ant- 
litz des  griechischen  Bodens  so  überaus  charakteristischen  Karstbildung. 
Der  dritte  Abschnitt  (S.  272 — 346):  »Vulkanische  Erscheinungen,  Erd- 
beben und  Thermen«  ist  durch  die  Überschrift  hini'eichend  gekennzeich- 
net; die  letzte  Abteilung  endlich:  »Verwitterungskrume  und  Schwemm- 
land« (S.  346  55)  handelt  von  der  Bildung  der  Ackererde,  Gerolle  und 
Deltas. 

So  verdienstvoll  und  dankenswert  die  im  IV.  Kapitel  niedergelegte 
Bearbeitung  der  geologischen  Verhältnisse  ist,  so  werden  doch  viele 
Leser  die  Empfindung  nicht  unterdrücken  können,  dafs  dieselbe  im  Ver- 
gleich zum  Gesammtwerke  einen  allzu  breiten  Raum  beansprucht.  Es 
ist  ja  schwer,  eine  Grenze  festzustellen,  bis  zu  welcher  geologische  Un- 
tersuchungen in  den  Bereich  einer  geographischen  Darstellung  hereinzu- 
ziehen sind,  und  die  persönliche  Befähigung  oder  Neigung  des  Verfassers 
zur  Behandlung  solcher  Fragen  wird  hierfür  stets  in  erster  Linie  mafs- 
gebend  sein;  aber  es  scheint  doch  des  Guten  zu  viel  gethan,  wenn  in 
einer  landeskundlichen  Monographie  der  Geologie  als  solcher  ein  eigenes 
Kapitel,  und  noch  dazu  das  umfänglichste  des  ganzen  Buches  eingeräumt 
wird.^)  Bei  aller  Wichtigkeit  der  Geologie  für  das  Verständnis  vieler 
geographischer  Thatsachen  darf  man  eben  doch  nicht  vergessen,  dafs  die 
letzteren  in  einem  geographischen  Werke  die  Hauptsache  sind;  so  ein- 
gehende   geologische    Eröterungen ,    wie    die    Gliederung    des    Tertiärs 


1)  Um  mich  gegen  den  Verdacht  einseitig  historischer  Auffassung  zu 
verwahren,  bemerke  ich,  dafs  dieses  Misverhältnis  auch  von  geographischer 
Seite  getadelt  wurde,  so  von  Supan  in  Petermanus  Mitteiiungou  1885  S.  195; 
neuerdings  von  0.  Ankel,  Grundzüge  der  Landesnatur  des  Westjordaniandes 
(P^ankfurt  a.  M.  1887)  S.  46  A.  1. 


364  Geographir  von  Griochtnland. 

(S.  257  ff.)  gehen  entschieden  über  den  geographischen  Rahmen  hinaus. 
Nach  Ansicht  des  Berichterstatters  würde  die  Verteihing  der  geologischen 
Foriiiationon  am  besten  in  unmittelbarem  Zusamiiieuhange  mit  dem  Ge- 
birgsbau,  also  im  orographischeu  Abschnitt  erörtert,  während  die  nutz- 
baren Gesteine,  die  ja  in  der  Geugraithie  nicht  nach  ihrem  geognosti- 
schen,  sondern  lediglich  nach  ihrem  ökonomischen  und  kulturhistorischen 
Werte  in  Betracht  kommen,  gleich  der  Flora  und  Fauna  in  einem  be- 
sondern Kapitel  abzuhandeln  wären;  ebenso  wäre  den  seismischen  und 
vulkanischen  Erscheinungen  ein  besonderer  Abschnitt  zu  widmen. 

Als  ein  gelungener  Wurf  mufs  das  Schlufskapitel  über  die  Vege- 
tation bezeichnet  werden,  welches  von  Neumann  ebenfalls  mit  beson- 
derer Vorliebe  behandelt  worden  ist.  Mit  Hecht  wird  hier  eine  pflan- 
zen-geograpliische  Aufzählung  nach  Gattungen  und  Arten  vermieden,  die 
weit  mehr  dem  Botaniker  als  dem  Geographen  zusteht,  und  das  Haupt- 
gewicht auf  diejenigen  Vegetationsersciieinungen  legt,  welche  den  Cha- 
rakter der  Landschaft  bestimmen  oder  in  volkswirtschaftlicher  Hinsicht 
von  Bedeutung  sind.  Von  diesem  Standpunkte  aus  werden  nach  ein- 
ander Wald-  und  Buschwerk  (S.  351 — 403),  Wiesen-  und  Weideland 
(S.  404-10),  Fruchtbäume  (S.  410-37),  Feldfrüchte  (S.  437-  50)  und 
die  technisch  wichtigen  Pflanzen  (S.  450  —  57)  in  so  anziehender  Weise 
besprochen ,  dafs  kaum  jemand  diesen  Abschnitt  ohne  Genufs  und  Be- 
friedigung lesen  wird.  Im  Einzelnen  wäre  zu  bemerken,  dafs  die  Er- 
örterung über  Anpflanzung  und  Pflege  des  Ölbaumes  (S.  416ff.)  für 
ein  geographisches  Werk  wohl  zu  weit  in  das  Technische  eingeht  wäh- 
rend anderseits  die  für  Griechenland  nicht  minder  wichtige  Weinkul- 
tur verhältnismäfsig  kurz  abgefertigt  wird;  statt  des  Hinweises  auf  Her- 
mann -  Blümners  Privataltertümer  (S.  435  A.  3)  würde  man  gern  eine 
ausführlichere  Übersicht  der  berühmtesten  Weinsorten  des  Altertums  und 
der  Neuzeit  nach  ihren  Standplätzen  entgegennehmen. 

Als  eine  fühlbare  Lücke  mufs  es  bezeichnet  werden,  dafs  nicht 
auch  der  Tierwelt  Griechenlands  ein  besonderer  Abschnitt  gewidmet 
worden  ist.  Allerdings  scheint  sich  Neumann  selbst  gegen  die  Hereinzie- 
hung dieses  Elementes  in  die  Geographie  ablehnend  verhalten  zu  haben, i) 
■wie  auch  in  Nissens  Buch  die  Fauna  des  Landes  keine  Stelle  gefunden 
hat;  aber  wenn  auch  zugegeben  werden  mufs,  dafs  die  Beziehungen  der 
Tierwelt  zur  geographischen  Lidividualität  eines  Landes  wesentlich  losere 
sind  als  diejenigen  der  Vegetation,  und  dafs  insbesondere  für  die  meisten 
Länder  der  Erde  unser  Thatsachen-Material  nicht  ausreicht,  um  die  fauni- 
stische  Eigenart  derselben  zu  erfassen,  2)  so  knüpft  sich  doch  in  den  alten 
Kulturländern  an  die  Tierwelt  in  wirtschaftlicher  und  kulturgeschicht- 
licher  Hinsicht    kaum    ein   minderes    Interesse    als    an   die    Vegetation. 


1)  Vgl.  Ztschr.  d.  Ges.  f.  Erdk.  1882  S.  103  f. 

2;  Vgl.  hierüber  H.  Wagner  im  Geogr.  Jahrb.  X  598,  606. 


Neumann-Partsch,  Physikal.  Geographie.  365 

Man  denke,  abgesehen  von  der  Verschiebung  im  Verbreitungsgebiet  ge- 
wisser Tiere  (vgl.  z.  B.  mein  »Akarnauien«  S.  237  f.  über  die  einstige 
Verbreitung  des  Löwen  auf  der  Balkanhalbinsel),  u.  A.  nur  an  die 
Pferdezucht  in  Thessalien  und  deren  Bedeutung  für  die  Kriegsgeschichte, 
an  die  Jagd  in  ihrer  Abhängigkeit  von  Berg-  und  Waldlandschaft  und 
ihre  vielfachen  Beziehungen  zu  Religion  und  Mythos,  an  die  Zucht  und 
Einführung  verschiedener  Haustiere,  an  den  hoch  entwickelten  Fisch- 
fang mit  Einschlufs  der  Perlen-  und  Purpurfischerei,  an  die  Bienenzucht, 
dann  an  die  Verwüstungen  der  Heuschrecken  u.  s.  w.  Ich  brauche  fer- 
ner kaum  an  Bücher  wie  V.  Hehns  »Kulturpflanzen  und  Haustiere«  oder 
die  neuen  Arbeiten  von  0.  Keller i)  zu  erinnern,  um  auf  die  Möglich- 
keit einer  geographisch -kulturhistorischen  Behandlung  der  Fauna  Grie- 
chenlands hinzuweisen,  und  möchte  deshalb  dem  Herausgeber  dringend 
ans  Herz  legen,  bei  einer  etwaigen  neuen  Auflage,  die  hoffentlich  nicht 
zu  lange  auf  sich  warten  läfst,  die  Beigabe  eines  entsprechenden  Ab- 
schnittes in  Erwägung  zu  ziehen. 

Diese  Hoffnung,  dafs  das  treffliche  Buch  auf  lange  hinaus  ein 
Standard  work  bleibe  und  von  Zeit  zu  Zeit  in  erneuerter  Gestalt  er- 
scheine, veranlafst  mich,  hier  auch  zu  einigen  Ausstellungen  im  Einzel- 
nen, die  gegebenen  Falls  berücksichtigt  werden  mögen. 

S.  57  wird  die  Höhenlage  des  Sees  von  Janniua  mit  478  m, 
S.  157  mit  520  m  angegeben,  beide  Male  ohne  Quellennachweis.  Erstere 
Ziffer  ist  wohl  Bössers  Angabe  (bei  A.  Mommsen,  Griech.  Jahreszeiten 
IV  393  A.)  zu  1570  engl.  Fufs  (=  478.53  m)  entnommen,  die  letztere 
(520)  findet  sich  auf  den  Karten  von  Kiepert  und  Chrysochoos,  während 
die  Wiener  Karte  484,  Gubernatis  451  m  ergibt.  Bei  der  Wichtigkeit, 
welcbe  gerade  Jannina  für  die  griechische  Klimatologie  besitzt  (s.  o. 
S.  362)  wäre  eine  prüfende  Vergleichung  sämmtlicher  Angaben  sehr 
erwünscht. 

Was  S.  61  und  166  über  die  Schneebedeckung  des  Parnafs  ge- 
sagt ist,  kann  ich  nach  meiner  eigenen  Erfahrung  dahiu  ergänzen,  dafs 
ich  bei  meiner  Besteigung  des  Gipfels  am  28.  Juni  1887  keine  eigent- 
lichen Schneefelder,  wohl  aber  in  der  Mulde  unter  den  beiden  Hoch- 
gipfeln noch  einzelne  Schneeflecke  vorfand,  den  tiefsten  etwa  V*  St.  unter 
dem  Gipfel  Likeri. 

S.  98  A.  3:  Polyb.  V  5  bezieht  sich  nicht  auf  Kerkyra,  sondern 
auf  Kephallenia. 

S.  128  Z.  8  V.  u.  ist  Singos  st    Singis  zu  schreiben. 

S.  131  ist  von  dem  »weithin  sichtbaren  Tempel  des  Zeus  Panhelle- 
nios«  auf  Aegina  die  Rede;  doch  trug  der  Gros  keinen  Tempel,  son- 


1)  Tiere  des  klassischen  Altertums  in  kulturgeschichtlicher  Beziehung. 
Innsbruck.  1887.  Vgl.  auch  Imhof-Blumer  und  0.  Keller,  Tier-  und  Pflanzen- 
bilder auf  Münzen  und  Gemmen  des  klassischen  Altertums.    Leipzig.    1889. 


36n  Geographie  von  Griechenland. 

dem  nur  eine  halbkreisförmige  Altaranlage,  über  welche  Bursian  II  85;  L. 
Rofs,  Erinnerimgen  und  Mitteilungen  aus  Griechenland  S.   141  f.  zu  vgl. 

S.  167.  Dafs  die  Alten,  wenn  sie  vom  »zweigipfligen  Parnafs« 
sprechen,  nicht  die  beiden  Kulminationspunkte  (Likeri  und  (iei'ontovrachos) 
im  Auge  hatten,  sondern  die  beiden  jedem  Besucher  Delphis  bekannten 
Kuppen  der  0ac8fjcd3sg  nir/jac  (Bursian  I  170),  ist  eine  ansprechende 
Vermutung.  Doch  möchte  ich  hervorheben,  dafs  der  Parnafs  von  SO, 
etwa  aus  der  Gegend  der  (j/icrrrj  uoög  gesehen ,  wo  er  sich  in  imponie- 
render Majestät  aus  der  Thalsohle  erhebt,  eine  auffallend  doppelgipflige 
Gestalt  zeigt,  die  sich  jedem  der  von  Theben  her  des  Wegs  nach  Delphi 
zog,  einprägen  mufste,  und  wohl  auch  zu  der  angeführten  Bezeichnung 
Anlafs  gegeben  haben  kann. 

S.  172.  Die  Behauptung,  dafs  sich  zwischen  Ilissos  und  Kephissos 
vom  Brilessos  her  ein  mehrmals  unterbrochener  Felsrücken  »gerade  auf 
Athen  hinzieht«,  dürfte  doch  in  dieser  Fassung  nicht  ganz  zutreffend 
sein,  da  der  Auchesmos  durch  eine  tiefe  Einsenkung  (bis  140  m)  vom 
Massiv  des  Pentelikon  getrennt  ist.  Vgl.  S.  171  die  Bemerkung  über 
die  Einsattelung  zwischen  Pentelikon  und  Hymettos. 

S.  172  wird  ferner  die  Höhe  der  Sternwarte  zu  88  m  angege- 
ben. Aber  die  Ziffer  88,  welche  auf  dem  Bl.  I  der  »Karten  von  Attika« 
allerdings  irreführend  neben  der  Sternwarte  steht,  bezieht  sich  nicht 
auf  diese,  sondern  auf  die  Abdachung  zur  sogenannten  Marina,  während, 
wie  aus  Bl.  III  des  »Atlas  von  Athen«  deutlicher  zu  erkennen  ist,  zur 
Sternwarte  die  Ziffer  104.8  m  gehört;  so  wird  auch  die  öfters  betonte 
annähernd  gleiche  Höhe  des  Nympheuhügels  und  der  Pnyx  verständlicher. 

S.  180.  Bei  der  sonst  so  klaren  und  vollständigen  Übersicht  der 
senkrechten  Gliederung  Arkadiens  vermifst  man  hier  die  deutliche 
Unterscheidung  der  Thäler  von  Kaphyai  und  Elymia,  während  der  die- 
selben trennende  Querriegel,  auf  dessen  Abhang  Orcliomeuos  erbaut  war, 
erwähnt  ist.  Bei  Curtius  Pel.  I  219  und  Bursian  II  203  war  das  Ver- 
hältnis bereits  ganz  richtig  geschildert.  Ebenso  fehlt,  wohl  nur  aus 
Versehen,  die  wichtige  Höheuziffer  von  Orchomenos  (936  m),  einer  der 
höchst  gelegenen  Städte  Griechenlands;  dagegen  könnte  nach  dem  vor- 
liegenden Wortlaut  die  den  Thalboden  von  Kaphyai  betreffende  Ziffer 
(650  m)  von  manchem  Leser  irrtümlich  auf  Orchomenos  selbst  bezogen 
werden. 

S.  182  vermifst  man  die  charakteristische  antike  Bezeichnung  Aulon, 
welche  Curtius  II  289  und  Bursian  II  107  nach  Polyaen.  II  14,  1  mit 
grofser  Wahrscheinlichkeit  für  das  Durchbruchsthal  des  Eurotas  zwi- 
schen den  Ausläufern  des  Taygetos  und  Parnon  angenommen  haben. 

S.  190.  Neben  den  drei  Wegen,  welche  eine  Umgehung  des  Tempe- 
passes  ermöglichten,  verdient  der  Übergang  Erwähnung,  welchen  Alex- 
ander d.  Gr.  bei  seinem  ersten  Zuge  nach  Griechenland  (Herbst  336  v. 
Chr.)  nach  Polyaen.  IV  3,  23  sich  über  die  Steilhänge  der  Ossa  erzwang, 


Neumann-Partsch,  Physikal.  Geographie.  367 

und  welcher  davon  den  Namen  "AXe^dvdpo'j  xXiixaq  erhielt;  vgl.  Droysen, 
Gesch.  d.  Hell.  I  1»  107;  Schäfer,  Demosthenes  IIP  93  A.  2. 

S.  215  sollte  unter  den  berühmten  Marmorsorten  Griechenlands 
auch  des  thasischeu')  gedacht  werden,  zumal  derselbe  gewifs  auch  eine 
äufsere  Vorbedingung  für  die  Entwicklung  der  sogenannten  nordgriechi- 
schen Kunstrichtung  war. 

S.  219  wird  das  Cap  Matapan  (36«  23'  N.  B.)  irrtümlich  die 
»äufserste  Südspitze  Europas«  genannt;  es  bedarf  nur  der  Erinnerung, 
dafs  diese  Eigenschaft  vielmehr  dem  Cap  Tarifa  in  Spanien  (36 ^  N. 
B.)  zukommt 

S.  225f.  A.  3.  Zur  Litteratur  über  Laurion  ist  die  bedeutende 
Abhandlung  von  Rangabe,  Du  Laurium  in  Mem.  pres.  ä  l'Ac.  d.  Inscr. 
VIII  2  (1874)  S.  297—346  nachzutragen.  Die  Hauptschrift  von  Kor- 
dellas erschien  u.  d.  T.:  A.  Cordella,  Le  Laurium.  Marseille.  1869. 
120  S.,  mit  Karte  und  drei  Tafeln.  Eine  spätere  Schrift  desselben  Ver- 
fassers: Description  des  produits  des  miues  de  Laurium  et  d'Oropos 
(Athenes  1875)  ist  mir  nur  dem  Titel  nach  bekannt;  ebenso  die  Publi- 
kation eines  französischen  Ingenieurs.  2) 

Als  eine  Gesammtdarstelluug  der  physikalischen  Verhältnisse  Grie- 
chenlands wäre  nächst  Neumann-Partsch  der  inhaltreiche  Artikel  von 
Klon  Stephanos  anzuführen;  da  derselbe  aber  nur  im  anthropologisch- 
medizinischen  Teile  auf  selbständiger  Forschung  beruht,  werden  wir 
später  bei  denjenigen  Schriften  darauf  zurückkommen,  welche  sich  mit 
der  Bevölkerung  Griechenlands  befassen. 

Überblicken  wir  die  einzelnen  Zweige  physikalisch-geographischer 
Forschung,  so  tritt  uns  eine  erfreuliche  Thätigkeit  auf  dem  Felde  der 
Geologie  entgegen.  Eine  kritische  Übersicht  der  früheren  Leistungen 
und  des  gegenwärtigen  Standes  unserer  Kenntnis  für  die  Balkanländer 
hat  Franz  Toula,  gegenwärtig  wohl  der  gründlichste  Kenner  dieses 
Gebietes  in  geologischer  Hinsicht,  in  mehreren  Arbeiten  gegeben: 

1)  Geologische  Übersichtskarte  der  Balkanhalbinsel  in  Petermanns 
Mitteilungen  1882  T.  16  (Text  hierzu  S.  361—69). 

2)  Die  im   Bereiche   der  Balkanhalbinsel  geologisch   untersuchten 
Routen.    Mitteil.  d.  k.  k.  geogr.  Ges.  in  Wien  1883  S.  25—34  mit  Karte. 

3)  Materialien  zu  einer  Geologie   der  Balkanhalbinsel.     Jahrb.  d. 
geol.  Reichsanstalt  1883  S.  61—114. 

Leider  schliefsen  diese  Zusammenstellungen,  von  denen  besonders 


1)  Vitr.  X  7,  15;  Fun.  u  h.  XXXVI  44;  Sen.  ep.  nior.  XIII  1  (86)  6; 
Stat.  silv.  I  5,  34s.;  II  2,  92s  ;  Suet.  VI  50;  Plut.  Cat.  min.  II;  Paus.   1   18,  6. 

2j  Heut,  Deuxieme  memoire  sur  le  Laurium,  in  Mem  de  la  Soc.  d.  In- 
genieurs ä  Paris.  1887.  Apr.  Zahlreiche  Nachrichten  über  Laurion  finden 
sich  auch  in  den  unten  besprochenen  »Mitteilungen«  von  Landerer  und  bei 
Mitzopulos  (3   u.j. 


368  Geographie  vou  Griechenland. 

die  Rontonkarto  zu  No.  2  geeignet  ist,  die  Lückenhaftigkeit  unseres 
Quellenmatoriales  zu  zeigen,  mit  der  alten  Grenze  des  Königreichs  Grie- 
chenland ab,  so  dafs  sie  also  hier  eigentlich  nur  für  Epirus  und  Thessalien 
in  Betracht  kommen.  Ob  eine  später  erschioneno  geologische  Biblio- 
graphie der  Balkanhalbinsel  von  J.  M.  Zujovic  (bis  1886)  auch  Grie- 
chenland mit  umfafst,  kann  ich  nicht  sagen,  da  ich  dieselbe  bisher  nicht 
auffinden  konnte.^) 

Eine  zusammenfassende  Darstellung  der  geognostischen  Verhält- 
nisse Griechenlands  verdankt  man  einem  einheimischen  Gelehrten,  dessen 
Hauptwerk  in  doppelter  Gestalt  erschien: 

'/l.  KopSiXXag^  7/  'EUäg  i^zzaCojxivrj  YSioXoytxwQ  xai  dpux-oXo- 
yixcug.     MrjVTjai.      1878.     189  S. 

A.  Cordella,  La  Grece  sous  le  rapport  geologique  et  min^ralo- 
gique.    Paris.    1878.    188  S. 

Näheres  über  dieses  mir  erst  vor  kurzem  zugänglich  gewordene 
Buch  s.  im  Nachtrag. 

Derselbe  Verfasser  veröffentlichte 

Mineralogisch  -  geologische  Reiseskizzen  aus  Griechenland.  Berg- 
und  hüttenmännische  Zeitung  Bd.  42  (1883)  S.  21  —  23,  33—36,  41— 
44,  57—59. 

Dieselben  enthalten  (L)  Mitteilungen  über  den  Bergwerksbetrieb 
zu  Laurion  (vgl.  o.  S.  367),  (II.)  Bericht  über  eine  geologische  Reise 
durch  den  Euripos  nach  Volo,  (III.)  desgl.  von  Volo  über  die  ziragioti- 
schen  Berge  und  den  Kara  Dag  durch  die  tliessalische  Ebene  an  die 
türkische  Grenze  bei  Tyrnavo,  (IV.)  Mitteilungen  über  das  östliche 
Thessalien,  besonders  die  Umgegend  von  Tempe. 

Eine  weitere  Arbeit  des  Verfassers  über  die  Mineralquellen  Grie- 
chenlands 

üzpl  Tojv   aöTocpuuiV  jj.tzaXXixu)V    uddzojv   tTjQ   EXXdSog.     JeKrtov  r. 
im  r.  i/x(p!j^.  rrjg  iBv.  ßco/xv}^.     'Emzponrjg  1877   S.  114 — 35 
ist  mir  nur  aus  Miliarakis  (N.  111)  bekannt. 

Ein  deutscher,  aber  in  Griechenland  heimisch  gewordener  Gelehr- 
ter, Xaver  Landerer  (f  1885),  veröffentlichte  in  seinen 

Mittheilungen  aus  Griechenland.     Berg-  und  hüttenmännische  Zei- 
tung 1875—78 
eine  Reihe  von  meist   kurzen  Nachrichten,  welche   neben  manchem  Ne- 
bensächlichen  und    Unbedeutenden    auch    vieles    Brauchbare    enthalten. 


1)  Nach  Toula,  Geogr  Jahrb.  XIII  256  steht  dieselbe  im  »Annuairea 
1887  S.  556 — 63;  was  ist  das  für  ein  »Annuaire?«  Das  Verzeichnis  auf 
S.  221f.  gibt  hierüber  keinen    Aufschlufs. 


Geologie.  369 

Die  Form,  in  welcher  uns  diese  Notizen  geboten  werden,  läfst  allerdings 
ziemlich  viel  zu  wünschen  übrig;  die  Zusammenstellung  ist  ganz  willkür- 
lich, mehrmals  wird  schon  Gesagtes  wiederholt  und  insbesondere  wimmelt 
die  ganze  Serie  von  orthographischen^)  und  Druckfehlern,  welche  aller- 
dings einigermafsen  durch  die  Entfernung  des  damals  schon  hochbetag- 
ten Verfassers  vom  Druckorte  entschuldigt  werden.  Der  Hauptzweck 
der  Mitteilungen  liegt  in  dem  Nachweis,  dafs  Griechenland  über  eine 
Menge  ungenützter  oder  doch  zu  wenig  ausgebeuteter  Mineralschätze 
verfügt.  Wir  wollen  hier  aus  der  bunten  Mannigfaltigkeit  der  von  Lan- 
derer mitgeteilten  Nachrichten  nur  die  wichtigeren  herausgreifen,  insbe- 
sondere soweit  dieselben  von  geographischem  oder  archäologischem  In- 
teresse sind. 

Der  I.  Artikel,  1875  S.  429 f.,  handelt  u.  A.  über  das  Bergöl  auf 
Zante,  über  die  lithographischen  Steine  Griechenlands  und  über  das 
homerische  Metall  xüavog,  welches  Verfasser  für  Schwefelkupfer  erklärt ; 
vgl.  dagegen  die  auf  die  sorgfältigen  Forschungen  von  Lepsius  gegrün- 
deten Ausführungen  bei  Heibig,  Homer.  Epos^  S.  100 ff. 

Artikel  H,  1876  S.  94—96,  handelt  über  »Mineralogisches  von  Siph- 
nos«  (Goldgruben,  lapis  Siphnius),  über  Magnesit,  Chromerze  und  Schwe- 
fel in  Griechenland,  sowie  über  eine  »Dampfschwitzhöhle«  auf  Melos. 

HI.  Artikel  1876  S.  189-92:  Gewinnung  von  Meersalz,  das 
Glas  der  alten  Hellenen  (interessante  Mitteilungen  über  dessen  Zusam- 
mensetzung), eine  schöne,  aber  schwer  zugängliche  Stalaktitenhöhle  im 
La  Urion,  2)  Schwerspath  auf  Mykonos,  Baumaterialien  Griechenlands 
u.  A. 

IV  Artikel  1876  S.  285 f.:  Meerschaum  in  Griechenland  und  Klein- 
asien, früheres  Quecksilbervorkoramen  in  Griechenland ,  Auffindung  von 
ärztlichen  Kupfergeräten  in  alten  Gräbern  (Werkzeuge  zum  Steinschnitt 
und  zur  Geburtshilfe). 

V.  Artikel  1876  S.  309 f.:  Schleudersteine  der  alten  Griechen  und 
Perser,  Zinkerze  im  Laurion,  Eisenerze  auf  Seriphos,  Smirgel  auf 
Naxos.3) 

VI.  Artikel  1876  S.  407 f.:  Braunkohlen  und  Zinkerze  in  Griechen- 
land, »Bergmännisch-archäologische  Gegenstände«  (meist  aus  Kupfer,  doch 
im  Laurion  auch  solche  aus  Rohstahl),  Gypsen  der  Weine,  Kupfer  im 
Othrysgebirge,  Antimonerze  auf  Chios,  Bleierz  im  Laurion. 

VII.  Artikel  1877  S  37f.:  Schwefelkohlenstoffindustrie,  Marmor- 
arten, Thermen  in  Griechenland  und  Kleinasien  u.  A. 


1)  Verf.  schreibt  z.  B.  fortwährend  Mylos  f.  Milos  [M^Xoq]  u.  Ä. 

2)  Die  noch  schönere  Grotte  von  Antiparos  (Bursian  II  483)  soll  Dach 
Landerer  der  Gewinnsucht  der  dortigen  Hirten  zum  Opfer  getallen  sein. 

3)  Hierüber  findet  sich  eine  Notiz  des  Verfassers  bereits  im  »Ausland« 
1858  S.  519f. 

Jahresbericht  für  Alterthumswissenschaft.  LXIV.  (1890.  III.)  24 


370  Geographie  von  Griechenland. 

VIII.  Artikel  1877  S.  121  f.:  Ein  angeblicher  alter  Ofen  auf  Sko- 
pelos,  antike  Spielwürfel  aus  FlnCsspath  (im  Laurion  gefunden),  Marmor- 
arteu,  antike  Streusandbüchse  ('?),  alter  Schmelztiegel  (Delos)  u.  A. 

IX.  Artikel  1877  S.  193 f.:  Lemnische  Erde  (eine  eisenoxyd- 
haltige  blutrote  Thonerde),  Gyps  auf  Kasos,  Amiant  in  Griechen- 
land u.  s.  w. 

X.  Artikel  1877  S.  409:  Alte  Gräber  aufSkopelos,  lilitzröhren, 
schlagende  Wetter,  Chromeisenstein. 

XI.  Artikel  1878  S.  40f.:  Vorkommen  von  Nickelblüthe,  Zinkerze, 
Fossilien  auf  Kiraolos,  Erzfunde  in  Makedonien  u.  A. 

Unzugänglich  ist  mir  ein  auf  amtliches  Material  gestützter  Be- 
richt u.  d.  T. 

2^raTiaTixai  -npoipopiat  iiepl  ~u)V  e^opuaaoiiiviov  dpuxrojv  yj  jxeraXkei)- 
/idrojv  iv  'EUddc  ünu  f.  IL  A.  {Fecopy.  U.  jhdcupcxrj),  Athen.  1875. 
xe'  22  S.  (Miliarakis  No.  95). 

Doch  wird  derselbe  auszugsweise  mitgeteilt  in  folgender  durch 
Knappheit  und  streng  sachliche  Behandlung  ausgezeichneten  Übersicht  von 

Nasse,  Statistische  Mitteilungen  über  die  ßergwerksproduktion i) 
des  Königreichs  Griechenland.  Ztsch.  f.  d.  Berg-,  Hütten-  u.  Salinen- 
wesen im  preufsischen  Staate.     XXV  (1877)  S.  169 — 76. 

Neuere  Angaben  findet  man  in  dem  Artikel  von 

Konstantin  Mitzopulos,  Berg-,  Hütten-  und  Salinenwesen  von 
Griechenland  in  der  National- Ausstellung  von  Athen  1888.  Dingler's 
Polytechnisches  Journal  Bd.  272  (1889)  S.  509—19,  551  —  61,  596-603. 

Enthält  Originalmitteilungen  über  die  geognostischen  Verhältnisse 
des  Laurion  und  des  Isthmos,  sowie  über  den  Bergwerksbetrieb  in 
ersterem  (auch  bezüglich  des  Bergbaues  im  Altertum). 

Eine  andere  Abhandlung  des  Verfassers 

IJepl  ruiv  upiujv  zr^g  'Ekkddog  unu   K,  Mr^zaunoüXuu.     l'ü/inav  II 
(1888)  No.  7/8,  10/11  (Miliarakis  No.  100) 
ist  mir  nicht  zugänglich. 

Weitaus  die  bedeutendste  Erscheinung  in  der  geologischen  Litte- 
ratur  über  Griechenland  ist  der  40.  Band  der  Denkschriften  d.  kais.  Ak. 
d.  Wiss.  zu  Wien,  Math.-naturwiss.  Kl.  1880  VIII  416  S.  4.  Mit  Ta- 
feln und  Karten.    M.  40.    Derselbe  enthält  folgende  Abhandlungen: 


1)  Einschliefslich  der  für  Griechenland  so  wichtigen  Meersalzgewinnung 
(S.  171  f.). 


Geologie.  371 

1)  Der  geologische  Bau  von  Attika,  Boeotien,  Lokris  und  Par- 
nassis  von  A.  Bittner.    S.  1-74. 

2)  Barometrische  Höhenmessungen  in  Nordgriechenland  von  Fr. 
Heger.    S.  75—90. 

3)  Der  geologische  Bau  des  westlichen  Mittelgriechenlands  von 
M.  Neuraayr.    S.  91—128. 

4)  Der  geologische  Bau  der  Insel  Euböa  von  Fr.  Teller.  S.  129 
—  182. 

5)  Geologische  Beschreibung  des  südöstlichen  Thessaliens  von  F  r. 
Teller.    S.  183—208. 

6)  Diluviale  Landschnecken  aus  Griechenland  von  V.  Hilber. 
S.  209-12. 

7)  Über  den  geologischen  Bau  der  Insel  Kos  und  über  die  Glie- 
derung der  jungtertiären  Binnenablagerungen  des  Archipels  von  M. 
Neumayr.    S.  213— 314. 

8)  Geologische  Beobachtungen  im  Gebiete  des  thessalischen  Olymp 
von  M.  Neumayr.    S.  315-20. 

9)  Geologische  Untersuchungen  im  südwestlichen  Teile  der  Halb- 
insel Chalkidike  von  L.  Burgerstein.    S.  321— 27. 

10)  Geologische  Untersuchungen  über  den  nördlichen  und  öst- 
lichen Teil  der  Halbinsel  Chalkidike  von  M.  Neumayr.     S.  328—39. 

11)  Geologische  Beobachtungen  auf  der  Insel  Chios  von  Fr.  Teller. 
S.  340     56. 

12)  Die  jungen  Ablagerungen  am  Hellespont  von  Frank  Cal- 
vert  und  M.  Neumayer.    S.  357  —  78. 

13)  Überblick  über  die  geologischen  Verhältnisse  eines  Teiles  der 
ägäischen  Küstenländer  von  A.  Bittner,  M.  Neumayr  u.  Fr.  Teller. 
S.  379     415.1) 

Selbstverständlich  kann  hier  auf  den  Inhalt  dieser  zu  einem  statt- 
lichen Quartbaud  vereinigten  Abhandlungen  nicht  im  Einzelnen  einge- 
gangen werden.  Nur  um  die  grundlegende  Wichtigkeit  der  hier  nieder- 
gelegten Forschungen  anzudeuten,  mag  daran  erinnert  sein,  dafs  man 
für  Mittelgriecheuland  vorher  fast  ganz  auf  Fiedlers  einst  sehr  brauch- 


1)  Letztere  Abhandlung  ist  auch  in  Sonderausgabe  zum  Preise  von  6  M. 
erschienen ,  woriurch  die  Anschaffung  der  wichtigen  dazu  gehörigen  Karten 
(Geolog.  Ühersicbtskarte  von  Mittelgriechenland  und  von  Thessalien  mit  Chal- 
kidike, sowie  eine  instruktive  tektonische  Übersichtskarte)  wesentlich  erleich- 
tert ist. 

24» 


372  Geographie  voc  Griechenland. 

bares,  jetzt  aber  ganz  veraltetes  Werk')  angewiesen  war,  während  auch 
für  den  Peloponnes  der  geologische  Teil  der  »Expedition  scientifique  de 
Moree«  nicht  entfernt  mehr  den  heutigen  Ansprüchen  genügen  kann.  Für 
die  Geographie  sind  die  Arbeiten  der  österreichischen  Geologen  aber 
deshalb  von  ganz  besonderer  Bedeutung,  weil  sie  uns  zum  ersten  Mal 
einen  klaren  Einblick  in  den  verwickelten  Gebirgsbau  von  Mittelgriechen- 
land gewährt  haben,  so  dafs  jede  Darstellung  desselben  künftighin  von 
dieser  neuen  Grundlage  auszugehen  hat;  in  der  That  sind  auch  die  ein- 
schlägigen Abschnitte  in  dem  Buche  von  Neumann  -  Partsch  vollständig 
darauf  gegründet.  2)  Leider  konnte,  da  Zeit  und  Mittel  beschränkt  wa- 
ren, die  Aufnahme  in  manchen  Teilen,  so  z.  B.  im  westlichen  Mittel- 
griechenland,  nur  ziemlich  flüchtig  gemacht  werden,  so  dafs  für  künftige 
Forscher  manches  zu  ergänzen  und  wohl  auch  zu  berichtigen  bleibt 
(vgl.  u.  S.  375);  ebenso  mufste  auch  der  politischen  Verhältnisse  halber^) 
die  Ausdehnung  der  Arbeiten  auf  Epirus  und  Albanien  unterbleiben. 
Von  den  graphischen  Beilagen  sind  hervorzuheben  die  »Geologische  Über- 
sichtskarte des  festländischen  Griechenlands  und  der  Insel  Euböa«  in 
1  :  400  000,  ferner  die  »Geologische  Übersichtskarte  der  nordwestlichen 
Küstenländer  des  ägäischen  Meeres«  in  1  :  500  000  (das  östliche 
Thessalien  und  die  Halbinsel  Chalkidike  umfassend),  die  geologische 
Karte  der  Insel  Kos  sowie  die  kleine  und  skizzenhafte,  aber  für  das 
Studium  des  Gebirgsbaues  lehrreiche  »Tektonische  Übersichtskarte  eines 
Teiles  der  Küstenländer  des  ägäischen  Meeres«  in  1  :  1850000,  welche 
sich  über  das  ganze  in  dem  Sammelbande  behandelte  Gebiet  erstreckt. 
Ein  lebhafter  Streit  hat  sich  um  die  bereits  von  Sauvage  aufge- 
stellte und  von  den  österreichischen  Geologen  neuerdings  aufgenommene 
und  weiter  begründete  Meinung  betreffend  das  Alter  und  die  Entstehung 
der  krystallinischen  Schiefer  und  ihrer  Marmorlager  in  Attika,  Süd- 
Euböa  und  Ost-Thessalien  entsponnen,  und  bis  heute  ist  derselbe  noch 
nicht  geschlichtet  Obwohl  die  Frage  für  die  Auffassung  des  Gebirgs- 
baues von  grofser  Wichtigkeit  und  deshalb  auch  in  geographischer  Hin- 
sicht von  Belang  ist,  würde  sie  uns  doch  zu  sehr  in  die  geologische 
Fachlitteratur  einführen  und  mag  es  daher  genügen,  die  Fundstellen  für 
letztere  zu  verzeichnen.*) 


1)  Karl  Gustav  Fiedler,  Reise  durch  alle  Teile  des  Königreiches  Grie- 
chenland. Zwei  Bände.  Leipzig.  1840/41.  Die  dem  Werke  beigegebene  geo- 
logische Übersichtskarte  ist  bis  heute  noch  die  einzige,  welche  das  ganze  Kö- 
nigreich umfafst,  hat  aber  selbstverständlich  nur  mehr  historischen  Wert.  Wo 
der  Verfasser  das  historisch-antiquarische  Gebiet  berührt,  gibt  er  sich  bedenk- 
liche Blöfsen;  vgl.  Bursian,  Gesch.  der  Philol.  S.  1127  A.  1. 

2)  Vgl.  besonders  S.  153. 

3)  Die  Ausführung  der  Untersuchungen  fällt  in  die  Jahre  1874  —  76. 
Vgl.  über  die  Geschichte  derselben  den  Bericht  von  M.  Neumayr  im  Vorwort. 

4}  Neumann-Partsch  S.  210  A.  1;  Geogr.  Jahrb.  IX  507;  XI  349. 


Geologie.  373 

Auch  eine  bedeutende  Arbeit  von 

Th.  Fuchs,  Studien  über  die  jüngeren  Tertiärbildungen  Griechen- 
lands.    Denkschr.   d.    k.  Akad.   d.  Wiss.   in  "Wien.     Math.-naturw.  Kl. 
Bd.  XXXVII  (1877).    42  S.    5T.,i) 
welche  sich  über  den  Isthmos  und  das  östliche  Mittelgriechenland 
(einschliefslich  Euböa)  erstreckt,  kann  hier   nur  erwähnt  werden.     Das 
Gleiche  gilt  von  den  Untersuchungen  von 

F.  Becke,    Gesteine  von  Griechenland.     Sitzungsber.   d.   k.   Ak. 
d.  Wissensch.  z.  Wien.     Math.-naturw.  Kl.  Bd.  78  (1878)  S.  417—30; 
Tschermaks   mineralogische   und   petographische   Mitteilungen  N.  F.  I 
(1878)  S.  459-64,  469-93;  II  (1879)  S.  17—77, 
die  sich  mit  den  Serpentinen,  den  Eruptivgesteinen  und  krystallinischen 
Schiefern  von  Nord-  und  Mittelgriechenland  beschäftigen. 
Nur  dem  Titel  nach  bekannt  ist  mir 

Schön,  Mitteilungen  in  topographisch-geologischer  Beziehung  über 
eine  Reise  längs  der  Küsten  Griechenlands  und  durch  die  europäische 
Türkei.     Brunn.     1873. 

Kurze  Mitteilungen  über  verschiedene  Teile  Griechenlands  gibt 

Gorceix,  Note  sur  l'lle  de  Cos  et  sur  quelques  bassins  tertiaires 
de  FEubee,  de  la  Thessalie  et  de  la  Macedoine.  Bull,  de  la  Soc.  g6ol. 
de  France  III.  S.    Vol.  II  (1873/74)  S.  398-402. 

Durch  die  Forschungen  der  österreichischen  Geologen  war  haupt- 
sächlich das  nördliche  Griechenland  und  das  Gebiet  des  ägäischen  Mee- 
res erschlossen  wurden.  In  Bezug  auf  den  Peloponnes  stand  man  jedoch 
bis  vor  Kurzem  im  Wesentlichen  noch  auf  dem  Standpunkt  Fiedlers  und 
der  Expedition  de  Moree.  Es  ist  daher  in  hohem  Grade  erfreulich,  dafs 
ein  jüngerer  deutscher  Geologe,  Alfred  Philipp son,  ein  Schüler 
V.  Richthofens,  mit  Unterstützung  der  Karl  Ritter-Stiftung  in  Berlin  sich 
in  den  letzten  Jahren  dieses  lange  vernachlässigten  Gebietes  angenommen 
hat.  Was  von  seinen  Forschungen  in  Druck  vorliegt,  sind  zumeist  erst 
vorläufige  Berichte,  denen  hoffentlich  später  eine  gröfsere  abschliefsende 
Arbeit  sammt  einer  so  dringend  benötigten  geologischen  Karte  des  Pe- 
loponnes folgen  wird.  Die  hierher  gehörigen  Arbeiten  von  Philipp- 
son  sind: 

Bericht  über  eine  Rekognoszierungsreise  im  Peloponnes.  Verhandl. 
d.  Ges.  f.  Erdk.  z.  Berlin  1887  S.  409—27. 

Die  Reise,  welche  der  Verf.  im  September  d.  J.  zur  Orientierung 
für  seine  späteren  Forschungen  unternahm,  erstreckte  sich  auf  den  nord- 

1)  Eine  vorläufige  Mitteilung  der  Forschungsergebnisse  unter  gleichem 
Titel  erschien  in  den  Sitzungsber.  ders.  Kl.  Bd.  73  (1876)  S.  75-88 


374  Geographie  von  Griechenland. 

Östlichen  Teil  der  Halbinsel  (Argolis,  das  arkadische  Hochland  und 
das  Hochgebirge  von  Acliaia).  Der  Bericht  behandelt  iin  Überblick 
die  »stratigraphische  Geologie«,  den  »Gebirgsbau«  und  die  »Oberflächen- 
fornien«  und  gibt  eine  gedrängte  »Reiseskizze«,  in  welcher  die  längs  der 
Route  gemachten  topographischen  und  geologischen  Beobachtungen,  wie 
auch  beachtenswerte  Bemerkungen  über  Ansiedelungsverhältnisse 
(vgl.  unten)  niedergelegt  sind.  Etwas  befremdlich  sind  mir  die  Ausstellun- 
gen, welche  der  Verf.  gegen  die  Carle  de  In.  Grhe  erhebt,  welche  we- 
nigstens in  bezug  auf  die  Terraindarstellung  in  diesem  Teile  Griechen- 
lands sonst  als  durchaus  zuverlässig  galt;  mau  vgl.  z  B.  S.  425  die  Be- 
merkung über  den  Chelmos  (Aroania). 

2.  Bericht  über  eine  Rekognoszierungsreise  im  Peloponnes.    A.  a.  0. 
S.  456—63. 

Behandelt  die  messenische  Halbinsel,  deren  Untersuchung  (Okt.) 
jedoch  in  Folge  anhaltender  Regengüsse  abgebrochen  werden  mufste. 
Hervorzuheben  ist  die  Erörterung  über  die  Entstehung  der  Bucht  von 
Navarin  (Pylos)  und  die  auf  der  Fahrt  gemachten  Beobachtungen 
über  die  kleine  Insel  Belopulo  (Kaimeni),  östl.  von  der  lakonischen 
Halbinsel,  welche  bisher  irrtümlich  für  vulkanisch  gehalten  wurde;  vgl. 
Bursian  H  349  f.,  502  A.  1;  Neuraann-Partsch  S.  306. 

3.  Bericht  über  seine  Reisen  im   Peloponnes      Der  Isthmos    von 
Korinth.     A.  a.  0.  1888  S.  201—7. 

Seine  Studien  über  den  Isthmos  hat  Philippson  inzwischen  zu 
einer  besonderen  Monographie i)  verarbeitet,  welche  bei  der  Berichter- 
stattung über  die  einzelnen  Landschaften  zur  Besprechung  kommen  wird. 

4.  Bericht  über  seine  Reisen  im  Peloponnes.    A.  a.  0    S.  314 — 21. 
Vollendet  die  Schilderung  der  messenischen  Halbinsel  und  gibt 

einige  Mitteilungen  zur  Klimatologie  des  westlichen  Griechenland. 

5.  Bericht   über    seine    Reisen    im    Peloponnes.      Das    arkadische 
Hochland  und  seine  nördlichen  Randgebirge.     A.  a    0.  S.  321 — 33. 

Enthält  eine  Skizze  der  Ergebnisse  einer  dreimonatlichen  Reise, 
durch  welche  unsere  Kenntnis  des  verwickelten  Gebirgsbaues  von  Achaia 
und  Nordarkadien  bereits  wesentlich  gefördert  wird;  aufserdem  wer- 
den einige  meteorologische  Beobachtungen  mitgeteilt. 

Bericht  über  seine  Reise  im  Peloponnes  im  Frühjahr  und  Sommer 
1889.     A.  a.  0.   1889  S.  328- 45. 

Vorläufige  Ergebnisse  der  letzten  Reise  Philippsons,  welche  seine 
Durchforschung    der    Halbinsel    zum    Abschlufs    brachte;   neben    bereits 


1)  In  der  Ztschr.  d.  Ges.  f.  Erdk.  1890. 


Geologie.  375 

früher  besuchten  Gebieten  im  Norden,  wurden  auch  die  Mai  na  und  das 
so  wenig  bekannte  Hochland  des  Parnon  in  die  Untersuchung  ein- 
bezogen. 

In  der  Abhandlung 

Über  die  Altersfolge  der  Sediraentformationen  in  Griechenland. 
Ztschr.  d.  deutsch,  geol.  Ges.  1890  S.  1.50  -  59 
hat  Philippson  seine  Untersuchungen  auch  auf  Nordgriechenland  ausge- 
dehnt, wo  er  in  der  Altersbestimmung  der  »oberen  Kalke«  von  Aeto- 
lien  und  Akarnanien  zu  einem  von  Neumayrs  Darstellung  wesentlich 
abweichenden  Ergebnisse  gelangt  ist,  dessen  nähere  Erörterung  indessen 
nicht  hierher  gehört.     Vgl.  Nachtrag. 

Wenn  durch  die  im  Vorigen  angeführten  Arbeiten,  insbesondere 
diejenigen  der  Österreicher  und  Philippsons  unsere  Kenntnis  des  inne- 
ren Gebirgsbaues  von  Griechenland  völlig  umgestaltet,  ja  zum  Teil 
erst  neu  geschaffen  wird,  so  sind  daneben  die  Ergebnisse  derselben  für  das 
äussere  Relief  keineswegs  zu  unterschätzen,  obgleich  das  morpho- 
logische Studium  des  Landes  durch  die  Carte  de  la  Grhe  von  vorn- 
herein auf  weit  sicherer  Grundlage  ruhte  als  das  te klonische  Hier- 
her gehören  in  erster  Linie  die  zahlreichen  Höhenmessungen,  welche 
sowohl  von  Heger  (s.  o.  S.  371  N.  2)  als  auch  von  Philippson  unternom- 
men worden  sind  Ersterem  verdanken  wir  die  Berechnung  von  224  Höhen 
im  östlichen  Mittelgriechenland.  Soweit  dieselben  mit  solchen  Punk- 
ten zusammenfallen,  deren  Höhenlage  bereits  auf  der  Carte  de  la  Grece 
eingetragen  ist,  zeigen  sie,  abgesehen  vom  Gipfel  des  Parnafs  (s.  u. 
S.  376),  meist  keine  beträchtlichen  Abweichungen.  Die  Ergebnisse  von 
Philippsons  Messungen  im  Peloponnes  liegen  in  folgender  Veröffent- 
lichung vor: 

A.  Philippsons  barometrische  Höhenmessungen  im  Peloponnes. 
Von  Andreas  Galle.  Ztschr.  d.  Gesellsch.  f.  Erdk.  XXIV  (1889) 
S.  331-46. 

Die  Beobachtungen  wurden  mit  zwei  (auf  der  ersten  Reise  mit 
einem)  Aneroidbarometer  angestellt,  deren  Korrektion  nicht  ganz  mit 
der  wünschenswerten  Sicherheit  bestimmt  werden  konnte.  Man  wird 
daher  trotz  der  auf  die  Berechnung  verwendeten  Sorgfalt  die  Ziffern  nur 
mit  demjenigen  Vorbehalt  annehmen  dürfen,  welcher  Aneroidbeobach- 
tungen  gegenüber  unter  allen  Umständen  geboten  ist.  i)  Die  Höhen- 
zahlen der  Carte  de  la  Grece  werden  als  vielfach  unzuverlässig  bezeich- 
net (S.  332,  vgl.  0.  S.  374),  mit  Ausnahme  der  trigonometrischen  Fix- 
punkte, von  welchen  auch  Philippson  ausgeht.     Jedenfalls  wird  die  Zahl 


1)  Heger  benutzte   ein  Heberbarometer,   weshalb   seinen  Messungen  ein 
grölseres  Mafs  von  Sicherheit  zukommt. 


376  Geographie  von  Griechenland. 

gemessener  Höhen  im  Peloponnes  durch  obige  Zusammenstellung  ganz 
beträchtlich  vermehrt  und  gewinnt  dadurch  auch  das  Terrainbild  der 
Halbinsel  an  Schärfe  und  Vollständigkeit.  Da  es  indessen  nicht  immer 
leicht  ist,  die  gemessenen  Punkte  auf  unseren  bisherigen  Karten  genau 
nachzuweisen,  erscheint  eine  baldige  Veröffentlichung  der  zu  erwarten- 
den geologisch-topographischen  Karte  des  Peloponnes  dringend  erwünscht. 
Einige  wichtige  hypsometrische  Beiträge  liefert  der  Aufsatz  des  be- 
kannten Alpensteigers 

F.  F.  Tuckett,  Mountain  Excursions  in  Greece.  Alpine  Journal 
IX  (1880)  S.  157-61, 
worin  der  Verfasser  leider  nur  sehr  kurz  über  mehrere  im  Jahre  1878 
in  Gemeinschaft  mit  F.  E.  ßlackstone  unternommene  Bergfahrten  in 
Griechenland  berichtet.  Mit  zwei  Kochthermometern  und  einem  guten 
Aneroid  ausgerüstet  nahm  der  Verf.  Höhenmessungen  vor,  welche  mehrfach 
von  der  französischen  Karte  beträchtlich  abweichende  Ziffern  ergaben. 
Auch  über  die  griechische  Gebirgsflora  werden  einige  Beobachtungen 
mitgeteilt.  Am  10.  Mai  bestiegen  die  Reisenden  die  Dirphys  (j.  Delph), 
deren  Höhe  sie  zu  5773  bezw.  5845  feet  (gegen  1745  m  =  5725  feet 
der  französischen  Karte)  berechneten;  am  16.  Mai  den  Parnasses,  bei 
welchem  die  Differenz  der  neuberechneten  Ziffer  (8259  feet  =  2517.4  m) 
von  der  französischen  Karte  (2459  m  =  8068  feet)  auffallend  grofs  ist, 
aber,  wie  es  scheint,  durch  Hegers  Berechnung  (a.  a.  0.  S  76)  zu 
2522  m  bestätigt  wird,  i)  Minderes  Vertrauen  dürfte  die  Messung  der 
Kylie ne  (Ziria)  mit  8025  feet  =  2446  m  (gegen  2374  m  =  7789  feet 
der  französischen  Karte)  beanspruchen,  da  der  Gipfel  derselben  zu  den 
trigonometrischen  Fixpunkten  der  Aufnahme  des  Peloponnes  gehört. 

Als  Anhang  zur  geologisch-orographischen  Litteratur  mag  hier 
auch  auf  die  Nachrichten  über  Erdbeben  hingewiesen  werden,  wobei 
jedoch  von  vornherein  nur  einige  wichtigere  Arbeiten  wissenschaftlichen 
Charakters  berücksichtigt  werden  können,  wogegen  eine  Zusammenstellung 
der  zahlreichen  einschlägigen  Artikel  in  Tagesblättern  u.  s.  w.,  die  nur 
zu  häufig  auch  für  das  wissenschaftliche  Studium  als  einzige  Quelle  die- 
nen müssen,  hier  weder  erreichbar  noch  angemessen  ist.  Der  erste 
Rang  unter  den  hierher  gehörigen  Arbeiten  gebührt  ohne  Zweifel  dem 
Buche  von 

J.  F.  Julius   Schmidt,    Studien  über  Erdbeben.     Leipzig  1875. 
Carl  Scholtze.     (XVI)  324  S.  6  T.2) 

Der  berühmte  Astronom  und  Geophysiker  (f  1884),  welcher  in 
seiner  Stellung  als  Direktor  der  Sternwarte  zu  Athen  sich  um  die  phy- 


1)  Vgl.  Neumaun-Partsch  S.  167  A.  1. 

2)  Die  zweite  Auflage  (Leipzig,  Georgi,  1879.  X  360  S.  M.  15),  welche 
die  Beobachtungen  noch  um  einige  Jahre  weiter  fortsetzt,  ist  mir  nicht  zu 
Gesicht  gekommen. 


Erdbeben.  377 

sikalische  Geographie  von  Griechenland  unvergängliche  Verdienste  er- 
worben hat,  gibt  hier  nach  einigen  allgemeinen  Untersuchungen  über  die 
Natur  der  Erdbeben  (S.  1-34)  23  Einzelbeschreibungen  orientalischer 
(meist  griechischer)  Erdbeben  zwischen  1837  und  1873  (S.  35—136),  fer- 
ner zahlreiche  Zusätze  zu  den  (auch  das  Altertum  umfassenden)  Erd- 
bebenkatalogen von  Perrey  und  Mallet^)  (S.  137 — 79),  sowie  ein  voll- 
ständiges Verzeichnis  der  Erdbeben  im  Oriente  von  1859 — 73  (mit  je- 
weiliger Quellenangabe,  S.  180  —  324).  Unter  den  beigefügten  Tafeln 
verdient  die  bildliche  und  kartographische  Darstellung  der  Küstenebene 
von  Achaia  (bei  Aigion)  nach  ihrer  Verwüstung  durch  das  Erdbeben  von 
1861  hervorgehoben  zu  werden,  da  sie  die  Stätte  einer  der  bekannte- 
sten Katastrophen  dts  Altertums,  des  Unterganges  von  Helike  (373  v. 
Chr.),  veranschaulicht. 

Von  neueren  Monographien  griechischer  Erdbeben  sind  mir  aus 
der  von  mir  berücksichtigten  Literatur  bekannt  (vgl.  Nachtrag): 

Beruh.  Ornstein,  Die  jüngste  westpeloponnesische  Erdbeben- 
katastrophe.    Ausland  1887  S.  221—24,  248     54. 

Betrifft  das  Erdbeben  vom  27. /28.  August  1886,  welches  einen 
grofsen  Teil  von  Morea  erschütterte.  Verf.  vergleicht  mit  demselben 
eine  Reihe  anderer  seismischer  Erscheinungen  aus  der  vorhergehenden 
und  nachfolgenden  Zeit;  seine  daran  geknüpften  theoretischen  Betrach- 
tungen sind  indessen  vom  heutigen  Standpunkt  der  Geophysik  nicht  als 
einwurfsfrei  zu  bezeichnen. 

A.  Philippson,  Über  die  jüngsten  Erdbeben  in  Griechenland. 
Petermanns  Mitteilungen  1889  S.  251  f. 

Die  jüngsten  Beobachtungen  bestätigen,  dafs  die  bedeutendste 
Schütterzone  durch  die  Bruchlinie  des  Golfs  vou  Korinth  gebildet  wird, 
längs  welcher  die  Epizentren  der  Beben  vom  Golf  von  Patras  bis  zum 
saronischen  Meerbusen  hin-  und  herwandern. 

Derselbe,  Das  Erdbeben  in  Griechenland  am  25.  August  1889. 
A.  a.  0.  S.  290  f. 

Das  hier  besprochene  Erdbeben  betrifft  hauptsächlich  das  nörd- 
liche Achaia  und  südliche  Aetolien. 

Eine  Zusammenstellung  der  Erdbeben  in  Griechenland  und  der 
Türkei  im  Jahre  1889  gibt  Kon  st.  Mitzopulos  in  Petermanns  Mittei- 
lungen 1890  S.  56 f. 

An  die  geologisch-orographische  Literatur  schliefse  ich  einige  Ar- 
beiten zur  Hydrographie   von  Griechenland,   welche   naturgemäfs  am 


1)  Vgl.  Neumann-Partsch  S.  319  A.  2. 


378  Geographie  von  Griechenland. 

meisten  nach  der  nautischen  Seite  hin  gepflegt  worden  ist.  Das  Haupt- 
werk in  dieser  Hinsicht  ist  das  vom  hydrographischen  Amt  der  engli- 
schen Admiralität  herausgegebene  Handbuch 

The  Mediterrane  an  Pilot.  Published  by  Order  of  the  Lords 
Commissioners  of  the  Admiralty.     London,  J.  D.  Potter. 

Vol.  n.  Comprising  Coast  of  France,  and  of  Italy  to  the  Adria- 
tic;  African  Coast  from  Serbah  to  El  Arish;  Coasts  of  Caramauia  and 
Syria.  Together  with  the  Tusean  Archipelago,  and  Islands  of  Corsica 
and  Cyprus.     Second  Edition.    1885.    X  384  S.    5  sh. 

Vol  HI.  Comprising  tlie  Adriatic  Sea,  Jonian  Islands,  the  Coasts 
of  Albania  and  Greece  to  Cape  Malea,  with  Cerigo  Island.  Including 
the  Gulfs  of  Patras  and  Corinth.     1880.    XII  392  S.  3  sh    6  d 

Vol.  IV.  Comprising  the  Archipelago  with  the  Adjacent  Coasts  of 
Greece  aud  Turkey;  including  also  the  Island  of  Candia  or  Crete. 
1882.    X  348  S.   3  sh.  6  d. 

Es  mag  nicht  überflüssig  sein.  Freunde  der  alten  Kulturländer  auf 
diese  wichtige  Veröffentlichung  hinzuweisen,  welche  zwar  an  unseren 
Bibliotheken  noch  wenig  verbreitet,  durch  ihren  billigen  Preis  aber  auch 
Privaten  leicht  zugänglich  ist.  Der  Pilot  enthält  die  ausführlichste  und 
genaueste  Beschreibung  der  griechischen  Küsten  und  erhebt  sich  bei 
kleineren  Inseln  geradezu  zu  einer  geographischen  Einzelschilderung. 
Hierdurch  so  wie  durch  die  Angaben  über  die  Beschaffenheit  des  Mee- 
resbodens, über  Meeresströmungen  und  Windrichtungen,  über  die  Küsten- 
plätze und  ihren  Seeverkehr  wird  der  Pilot  zu  einem  geographischen 
Quelleuwerk  ersten  Ranges.  Auch  für  die  archäologische  Topographie 
finden  sich  manche  brauchbare  Nachrichten  über  Ruinenstätten  an  den 
Küsten,  bei  deren  Beschreibung  sich  allerdings  mitunter  der  dilettanti- 
sche Standpunkt  der  Verfasser  in  antiquarischen  Dingen  geltend  macht. 

Unzugänglich  ist  mir 

A    Fran(^ois,  Mer  Mediterranee.     Instructions  nautiques  sur  les 
lies  Joniennes,   les  cotes   de  la  Grece  etc.     Paris.    1886.     Challamel. 
582  S  Fr.  13, 
ebenso    das    vom    griechischen   Marineministerium   herausgegebene  Ver- 
zeichnis der 

0dpot^  (pa\)o\  xac  arjjxaMvrjpsg  tojv  s^.^rjvcxajv  TxapaXuuv  xaTO,  zijv 
apxriv  zoT)  ezoug   1882.     Athen.     1882.     4.     15  S. 

Dazu  mehrere  Nachträge,  welche  Miliarakis  No.  79  verzeichnet  hat. 

Mit  einer  schon  im  Altertum  vielumstrittenenen  Frage  beschäftigen 
sich  folgende  Abhandlungen: 


Hydrographie.  379 

Forel,    Le   probleme  de  l'Euripe.    Comptes-Rendus  de  l'Ac.  d. 
Sc.     1879  Bd.  89,  2  S.  859     61.  i) 

üepc   rr^g   miXippoiaq    roü    Ehpmoo     bnu    'Avdpsou    'Avz.      M laoö  Xrj. 
'Ev  Wrjvatg  1882.    29  S.,  12  Taf.,  1  Karte. 

0.  Krümm el,    Zum   Problem   des   Euripus.     Petermauus  Mittei- 
lungen 1888  S.  334-38,  T.  20. 

Die  erste  wissenschaftlich  befriedigende  Erklärung  der  aufserge- 
wöhnlichen  Fluterscheinungen  im  Euripus,  deren  bei  zahlreichen  Schrift- 
stellern des  Altertums  gedacht  wird, 2)  hat  Foj|pl  geliefert,  welcher  die 
in  den  Schweizerseen  längst  bekannte,  von  ihm  aber  zum  Gegenstand 
besonderen  Studiums  gemachte  Erscheinung  der  »stehenden  Wellenot 
oder  seiches  (am  Bodensee  BGrundwellen«)^)  zur  Erklärung  heranzieht. 
Forel  führt  die  Strömungen  zur  Zeit  der  Syzygien  auf  die  Springfluten 
des  südlichen,  die  häufiger  umspringenden  Strömungen  zur  Zeit  der 
Quadraturen  auf  die  seühes  des  fast  wie  ein  Binnensee  abgeschlossenen 
nördlichen  Teiles  des  euböischen  Meeres  (des  Kanales  von  Talanti)  zu- 
rück.*) Doch  war  der  berühmte  Schweizer  Hydrograph  für  seinen  Er- 
klärungsversuch im  Wesentlichen  noch  auf  das  Beobachtungsmaterial  an- 
gewiesen, welches  der  Jesuit  J.  P.  Babin  im  17.  Jahrhundert  auf  Grund 
eines  zweijährigen  Aufenthaltes  in  Chalkis  geliefert  hatte ;5i  neuere  Rei- 
sende, die  sich  meist  nur  ganz  kurz  an  Ort  und  Stelle  aufhielten,  haben 
demselben  wenig  hinzuzufügen  vermocht.  Eine  wesentliche  Vermehrung 
dieses  Materials  verdanken  wir  nun  dem  Verfasser  der  oben  an  zweiter 
Stelle  genannten  Schrift,  einem  griechischen  Seeoffizier  {brMnkutap-/oi), 
welcher  schon  im  Jahre  1866  unter  Leitung  des  um  die  Kartographie 
der  Mittelmeerküsten  hochverdienten  englischen  Hydrographen  Admiral 
A.  Man  seil  seine  Beobachtungen  begonnen  und  später  mehrere  Jahre 
hindurch  fortgesetzt  hat.  Miaulis,  dessen  Abhandlung  mir  nur  aus 
dem  Aufsatz  von  Krümmel  sowie  aus  des  Letzteren  Handbuch^)  bekannt 
ist,  zieht  aus  seinem  Materiale  Schlufsfolgerungen,  welche  von  denjeni- 
gen Foreis  zum  Teil   nicht  unerheblich   abweichen.     Dieser  Auffassung, 


1)  Der  Aufsatz  von  H.  de  Parville,  Le  probleme  d'Euripo.  Bull,  de  la 
Soc.  beige  dp  geogr.  1880  S.  202—5  wiederholt  lediglich  die  Abhandlung  von 
Forel 

2)  S.  die  Nachweise  bei  Forbiger  I  588  Dazu  H.  N.  Ulrichs,  Reisen 
u.  Forsch,  in  Griechenl.  II  219 ff 

3)  Vgl.  hierüber  im  Allgemeinen  S.  Günther,  Geophysik  11  373—76  und 
die  dort  angeführte  Literatur,  sowie  G.  v.  Bogiislawski  und  0.  v.  Krümmel, 
Handbuch  der  Ozeanographie  II  143—53. 

*j  S.  die  Darlegung  bei  Neumann-Partsch  Ö.  150 f. 

5)  Bei  Spon  u.  Wheler,  Vogage  d'Italie  etc.     (Lyon  1678)  II  328     44. 

6)  A.  a.  0.  S.  144  ff. 


380  Geographie  von  Griecheuland. 

die  nicht  ohne  nationale  Voreingenommenheit  auch  von  Miaulis'  Lands- 
mann Kordollas  verteidigt  wird,  1)  tritt  nun  Krümmel  in  dem  angeführ- 
ten Aufsatze  entgegen,  indem  er  nachweist,  dafs  Foreis  Annahme  einer 
Störung  der  Gezeiten  des  südlichen  euböischen  Meeres  durch  die  seiches 
des  Kanals  von  Talanti  (zur  Zeit  der  Quadraturen)  auch  auf  Grund  des 
erweiterten  Beobachtungsmaterials  noch  richtig  erscheint  und  nur  dahin 
ergänzt  werden  niufs,  dafs  die  Störung  unter  gewissen  Windverhält- 
nissen auch  auf  die  Springfluten  (zur  Zeit  der  Sj'zygien)  sich  geltend 
machen  kann.  Über  die  Entstehung  der  ^-eiches  im  Euripos  bemerkt 
Krümmel  (S.  337b)  folgendes:  »Die  Ursache  dieser  Wellen  dürfte  im 
Wesentlichen  eine  meteca'ologische  sein.  Die  hier  herrschenden  Nord- 
und  Nordostwinde  nehmen  sehr  oft  einen  stürmischen  Charakter  an,  und 
uamentlicli  in  Lee  des  hohen  und  schroffen  Kandiligebirges,  wie  im  Sü- 
den der  Höhen,  welche  östlich  vom  alten  Eretria  die  Insel  Euböa  gegen 
den  Euripos  hin  begrenzen,  sind  die  dann  auftretenden  Fallwiude  {xa- 
ratyt'dcg)  heute  wie  einst  im  Altertum  von  den  Küstenfahrern  sehr  ge- 
fürchtet«. 2)  Ich  habe  diese  Stelle  absichtlich  im  Wortlaut  hierher  ge- 
setzt, weil  sie  besonders  lehrreich  ist  im  Vergleich  mit  einer  von  Li- 
vius  gegebenen  Erklärung  des  Euriposproblems,  die  von  den  neueren 
Forschern,  wie  mir  scheint,  nicht  gehörig  gewürdigt  worden  ist..  Die 
Stelle  lautet  (XXVIII  6,  9  S.):  Ex  patenti  atrimque  coactum  in  angustias 
mare  speciem  intuenti  prinio  gemini  portus  in  ora  duo  versi  praebuerit ;  sed 
haud  facile  alia  infestior  classi  stalio  est;  nam  et  venti  ab  utriusque  terrae 
praealtis  montibus  snbiti  oe  procellosi  se  deicizint,  et  fretuni  ipsum  Euripi 
non  septiens  die,  sicut  fania  J'ert,  temporibus  statis  reciprocat ,  sed  temere  in 
modum  i^enti  nunc  hnc  nunc  illuc  verso  mari  velut  monte  praecipiti  devolu- 
tus  torrens  rapitar.  Hier  wird  also  unter  Zurückweisung  der  irrigen  An- 
nahme eines  ganz  regelmäfsigen  Wechsels  der  Strömung  bereits  auf  die 
Wirkung  hingewiesen,  welche  den  plötzlichen  Störungen  des  atmosphä- 
rischen Gleichgewichtes  für  die  Entstehung  seicAes-artiger  Bewegungen 
in  abgeschlossenen  Wasserbecken  zukommt,  ein  ursächlicher  Zusammen- 
hang, der  seitdem  erst  durch  Forel  wieder  erkannt  worden  ist.  Es  ver- 
steht sich  von  selbst,  dafs  diese  feinsinnige  Bemerkung  nicht  geistiges 
Eigentum  des  Livius  ist,  sondern  von  ihm  lediglich  aus  seiner  Vorlage 
hertibergenommen  wurde,  als  welche  wir  hier  mit  Sicherheit  Polybios 
bezeichnen  dürfen,  den  einzigen  Quellenschriftsteller  des  Livius,  der  für 
geographische  Fragen  überhaupt  ein  Verständnis  hatte.  Wenn  Polybios 
mit  seiner  Erklärung,  die  den  regelmäfsigen  Flutwechsel  gänzlich  ab- 
weist, etwas  über  das  Ziel  hinausschofs,  so  thut  diefs  seinem  Verdienste 
keinen  Eintrag,  zur  Lösung  des  Euriposproblems  wie  der  Frage  der 
seiches  überhaupt  zuerst  den  richtigen  Weg  betreten   zu   haben.     Übri- 


1)  Berg-  u.  hüttenmänn.  Zeitung  1883  S.  34. 

2)  Vgl.  Neumanu-Partsch  S.  105  f. 


Hydrographie.  3g  ] 

gens  kann  auch  heute,  wie  Krümmel  a.  E.  ausdrücklich  bemerkt,  die 
Erklärung  dieser  Erscheinung  noch  keineswegs  für  abgeschlossen  gelten, 
und  bleibt  für  weitere  Beobachtungen  noch  ein  dankbares  Feld. 

Zum  Schlufs  will  ich  noch  beifügen,  dafs  Krümmeis  Aufsatz  von 
einer  auf  die  Aufnahmen  der  englischen  Admiralität  basierten  Tiefen- 
karte des  euböischen  Meeres  in  1:314000  nebst  einem  Spezialkärt- 
chen  des  eigentlichen  Euripos  in  1:72000  begleitet  ist,  auf  welchen 
durch  Anwendung  einer  blauen  Farbenabstufung  die  Tiefenverhältnisse 
noch  deutlicher  und  lehrreicher  zum  Ausdruck  kommen  als  im  englischen 
Original. 

Ausschliefslich  historisch-geographischen  Charakters  ist 

MsXerrj  ns.p]  zr^g  &e(reajg  zoü  Uovioo  neXdyoug  ev  zfj  apyatq.  xa\ 
via  YS.wYpa(piq.  bno  'Avtojvcou  MrjAcapdxrj.  'Ev  'Aßrjva:g.  BißXcoTiu)- 
Xelov  'Eariag.     1888.    88  S. 

Dafs  die  Bezeichnung  »Ionisches  Meer«  im  früheren  Altertum  nicht 
im  heutigen  Sinne  gebraucht  wurde,  ist  schon  öfter  bemerkt  worden,  in- 
dem eine  Anzahl  Stellen  aus  älteren  griechischen  Schriftstellern  darüber 
keinen  Zweifel  zuläfst.  Indessen  war  es  niemals  versucht  worden,  die 
Anwendung  des  Ausdruckes  in  der  Literatur  und  die  Wandlungen  sei- 
ner Bedeutung  erschöpfend  darzulegen,  i)  Diese  Aufgabe  hat  sich  Mi- 
liarakis  in  obiger  Schrift  gestellt,  welche  in  gründlicher,  wenn  auch  etwas 
weitschweifiger  Weise  die  Stellen  der  Alten,  in  welchen  vom  »Ionischen 
Meer«  die  Rede  ist,  chronologisch  ordnet  und  prüfend  vergleicht.  Das 
Ergebnis  der  Untersuchung  ist  im  Wesentlichen  Folgendes:  Der  Name 
haftet  ursprünglich  speziell  an  dem  Meeresteil,  wo  Italien  sich  am  mei- 
sten der  ßalkanhalbinsel  nähert,  also  zwischen  dem  alten  Kalabrien 
einerseits  und  der  epirotischen  Küste  von  den  akrokeraunischen  Bergen 
bis  Epidamnos  andrerseits.  Daneben  dehnte  man  jedoch  frühzeitig  den 
Ausdruck  »ionisch«  auf  das  ganze  adriatiscbe  Meer  aus.  Letzterer 
Name  war  damals  nur  für  den  innersten  Winkel  dieses  Meeresteiles  in 
Gebrauch,  erfuhr  aber  schon  seit  dem  vierten  Jahrh.  v.  Chr.  eine  erwei- 
terte Anwendung,  so  dafs  als  das  »Ionische  Meer«  vorzugsweise  die 
Strafse  von  Otranto  und  der  daran  stofsende  südliche  Teil  des  jetzt  so- 
genannten adriatischen  Meeres  galt.  Das  »Ionische  Meer«  im  heutigen 
Sinne  hiefs  bei  den  Griechen  »Sikelisches  Meer«. 2) 

Anders  bei  den  Römern.  Die  Erinnerung  an  die  ursprüngliche 
Bedeutung  des  Namens     —    eine  Frage,  welcher  übrigens  auch  Milia- 


1)  Die  beste  Erörterung  hierüber  in  der  früheren  Literatur  finde  ich  in 
Will.  Smith's  Dictionary  of  Greek  u.  Roman  Geography  II  61  f.  (von  E.  H. 
B[unbury]). 

2)  Der  Unterschied  beider  Ausdrücke  erhellt  u.  A.  besonders  aus  der 
Rede  des  Nikias  bei  Thuc.  VI  13. 


382  Geographie  von  Griechenland. 

rakis  nicht  genügend  scharf  zu  lieibe  geht^)  —  war  für  sie  längst  ent- 
schwunden, das  »Ionische  Meer«  war  ihnen  dasjenige,  an  dessen  Ge- 
staden Griechen  (lonier)  wohnten,  woraus  sicli  von  selbst,  unter  gleich- 
zeitiger Ausdehnung  des  Begriffes  bis  zur  Str.  v.  Otrauto,  eine  Verschie- 
bung nach  Süden  ergab.  Dieser  Weciisel  des  Gebrauches  hat  sich  im 
Laufe  des  letzten  Jahrhunderts  v.  Chr.  vollzogen,  kam  aber  nur  in  der 
"römischen  Literatur  zur  allgemeinen  Geltung.  Die  griechischen  Schrift- 
steller hielten,  mit  wenigen  Ausnahmen,  nach  wie  vor  an  der  richtigen 
Überlieferung  fest,  ja  suchten  sogar,  unter  bewufster  Anlehnung  an 
ältere  Vorbilder,  den  Namen  wieder  über  das  ganze  adriatische  Meer 
auszudehnen.  Erst  seit  dem  zweiten  Jahrh.  n.  Chr.  kommt  die  Bezeich- 
nung »sikelisches  Meer«  aufser  Gebrauch  und  wird  dafür  auch  bei  grie- 
chischen Schriftstellern  vom  »ionischen  Meer«  gesprochen,  während  an- 
dere dasselbe  noch  unter  dem  »adriatischen  Meer«  mit  inbegriffen. 

Von  Interesse  ist  es  zu  sehen,  dafs  auch  die  byzantischen  Schrift- 
steller, welche  der  Verf.  erfreulicher  Weise  ebenfalls  berücksichtigt  hat, 
und  zwar  bis  in  die  letzten  Zeiten  des  Reiches  herab,  sich  der  Bezeich- 
nung »ionisches  Meer«  im  Sinne  der  ältesten  Schriftsteller,  also  auch 
für  das  adriatische  Meer,  bedienen,  was  von  Miliarakis  mit  Recht  als 
ein  gesuchter  Archaismus  hingestellt  wird;  denn  aus  der  Umgangs-  und 
Schiffersprache  war  der  Ausdruck  längst  verschwunden.  Derselbe 
wurde  erst  durch  neuere,  vorzugsweise  italienische  Geographen  (seit  Bon- 
delmonte)  wieder  künstlich  zum  Leben  erweckt  und  zwar,  da  diese 
Schriftsteller  meist  nur  die  römische  Literatur  berücksichtigten,  im  rö- 
mischen Sinne,  also  gleichbedeutend  mit  dem  »sikelischen  Meere«  der 
alten  Griechen.  Der  Name  »ionische  Inseln«  vollends  scheint  nicht  vor 
dem  Ende  des  18.  Jahrhunderts  nachweisbar  zu  sein. 

Einige  Beobachtungen  zur  Hydrographie  von  Griechenland  hat 
Referent  niedergelegt  in  der  kleinen  Abhandlung 

Zur  Geographie  von  Griechenland      Von  Eugen  Oberhummer. 
Jahresber.  d.  Geogr.  Ges.  z.  München  für  1885  (10.  Heft)  S.  115—25. 

Dieselben  betreffen  den  trichonischen  See  in  Ae tollen,  in  wel- 
chem eine  Anzahl  Lothungen  gemacht  wurden,  die  Entstehungsgeschichte 
der  aetolischen  ßinnenebene,  das  Thal  Limnaea  in  Akarnauien^),  die 
sogenannten  Cisternen  bei  Oiniadai,  den  See  von  Aetoliko,  dessen  Bil- 
dung von  derjenigen  der  anstofsendeu  Lagune  von  Missolunghi  wesent- 
lich verschieden  zu  sein  scheint,  den  See  von  Januina  und  seinen  unter- 


1)  Vgl.  S.  17  f.  unter  den  Neueren  hat  sich  tür  den  Zusammeuhang  mit 
den   loniern  besonders   E.  Curtius   ausgesprochen  (Griech.  Gesch.  1^  59,  639). 

2)  Die  von  mir  vorgefundene  Ausdehnung  des  Sees  der  Limnaea  ist  auf 
der  meinem  Buche  »Akaruauiena  u.  s.  w.  beigegebenen  Karte  zum  Ausdruck 
gekommeo. 


Klima.  383 

irdischen  Abflufs,  endlich  des  Itinerar  von  Arta  nach  Jannina  und  die 
Seehöhe  von  Thaies  von  Dodona,  welche  zu  annähernd  142  ni  höher 
als  diejenige  von  Jannina  (s.  o.  S.  365)  berechnet  wurde.  Die  Ergeb- 
nisse der  Lothungen  im  See  von  Jannina  stimmen,  wie  ich  nachträglich 
sah,  im  Wesentlichen  überein  mit  den  von  Guido  Cora  im  Jahre  1874 
gefundenen  Ziffern  (mittlere  und  gröfste  Tiefe  5  bezw.  9'/a  m).  >) 

Das  einzige  selbständig  erschienene  Werk,  welches  sich  mit  dem 
Klima  Griechenlands  beschäftigt,  ist 

Griechische  Jahreszeiten.  Unter  Mitwirkung  Sachkundiger,  heraus- 
gegeben von  August  Momrasen  Fünf  Hefte.  Schleswig,  Julius 
Bergas.     1873—77.    598  S.    M.  18.30. 

1.  H.  Neugriechische  Bauernregeln,  geordnet  nach  Monaten  alten 
Stils.     Vom  Herausgeber.     1873.    S.  1  —  96. 

2.  H.  Das  Klima  von  Athen.  Von  L.  Matthiesse n.  1873. 
S.  97-154. 

3.  H.  Zeiten  des  Gehens  und  Kommens  und  des  Brütens  der  Vö- 
gel in  Griechenland  und  lonien.  Katalog  von  Krüper,  mit  Citaten  und 
Zusätzen  von  Hartlaub  —  Kalender  vom  Herausgeber.  —  Literatur 
von  Hartlaub.    1875.    S.  155-330. 

4.  H.    Klima  von  Korfu,  Jannina  und  Smyrna.     Von  F.  Bossen 

1876.  S.  331  -  470. 

5.  H.    Pflanzen    der    attischen  Ebene.     Von  Th.   v.   Hei  drei  eh. 

1877.  S.  471     597. 

Das  eigenartige  Interesse  dieser  Publikation  und  ihre  hohe  Be- 
deutung für  die  physikalische  Geographie  Griechenlands  erhellt  zur  Ge- 
nüge aus  obiger  Inhaltsangabe.  Ich  kann  deshalb  um  so  mehr  darauf 
verzichten,  auf  die  einzelnen  Hefte  näher  einzugehen  als  die  Haupter- 
gebnisse, insbesondere  in  meteorologischer  Hinsicht,  bereits  bei  Neumann- 
Partsch  verarbeitet  sind. 

Das  Gleiche  gilt  von 

J.  Partsch,  Beiträge  zur  Klimatologie  der  griechischen  Halbinsel. 
Ztschr.  d.  österr.  Ges.  f.  Meteor.  Bd.  XIX  (1884)  S.  223—28:  I.  Das 
Klima  von  Korfu.  —  S.  473-81:    II.  Das  Klima  von  Athen. 

Die  zweite  der  beiden  wertvollen  Abhandlungen  enthält  in  der 
Hauptsache  eine  Würdigung  der  Verdienste  von  J.  F.  Jul.  Schmidt, 
des  1884  verstorbenen  langjährigen  Leiters  der  Sternwarte  zu  Athen. 

Aus  den  letzten  Jahren  sind  die  gelegentlichen  meteorologischen 
Beobachtungen  anzuführen,  welche  A.  Philippson  seinen  Reiseberich- 


1)  Cenni  generali  intorno  ad  un  viaggio  nella  Bassa  Albania  ed  a  Tri- 
poli  di  Barberia  (Torino  1875,  4°)  S.  8;  vgl  Petermanns  Mitteilungen  1876 
S,  38  und  Markbam's  Geographica}  Magazine  II  (1875)  S.  356, 


384  Geographie  von  Griechenland. 

ten  eingefügt  hat  (o.  S.  374),  sowie  eine  interessante  kleine  Studie  des- 
selben Verfassers 

Über  den  Schnee  in  Griechenland.  Meteor.  Ztschr.  1889  S.  59  — 
61,  390f. 

Dieselbe  gibt  eine  Zusammenstellung  der  von  ihm  gemachten  Be- 
obachtungen über  Schneefälle  und  die  Schneedecke  im  Gebirge.  Die 
untere  Grenze  der  dauernden  Schneedecke  im  Winter  liegt  bei  etwa 
1500  m.  Gegen  Ende  des  Sommers  sind  alle  Gebirge  des  Peloponnes 
schneefrei.  Vgl.  o.  S.  365  meine  Bemerkung  über  den  Parnafs  und  den 
Nachtrag. 

Die  in  religiösen  Vorstellungen,  in  Mythos  und  Aberglauben  sowie 
zahlreichen  Redewendungen  sich  wiederspiegelnde  volkstümliche  Auf- 
fassung von  Naturerscheinungen  (Blitz,  Donner,  St.  Elmsfeuer,  Regen, 
Regenbogen,  Winde,  Stürme  u.  s.  w.)  ist  der  Gegenstand  einer  von  viel- 
seitiger Belesenheit  zeugenden  Abhandlung  von 

A'.  /'.  IloXtxrjq^  ärjjidijdecg  iie-eiopokoycxol  fxoBoc.  'Af^rjvr^m.  1880. 
52  S.  S.-^A.  a.   Uapvaaa6^  1880  S.  585—608,  665-78,  762—73. 

Unter  den  auf  die  Flora  Griechenlands  bezüglichen  Arbeiten  ist, 
wie  übrigens  auch  bei  der  geognostischen  Literatur,  zwischen  solchen 
rein  wissenschaftlicher  (botanischer)  Richtung  und  solchen  von  mehr 
praktischem  Interesse  zu  unterscheiden,  welche  sich  mit  den  Fragen  der 
Landwirtschaft  u.  s.  w.  beschäftigen.  Unter  den  ersteren  wäre  in  erster 
Linie  Boissiers  grundlegendes  Werk^)  zu  nennen;  da  dasselbe  indessen 
nach  streng  systematischer  Anordnung  verfährt,  also  keinen  Überblick 
über  die  in  einem  abgegrenzten  Gebiete,  wie  Griechenland,  vorkommen- 
den Pflanzen  gewährt,  kommt  es  hier  nicht  weiter  in  Betracht. 

Von  floristischen  Einzelarbeiten  ist  mir  bekannt 

C.  G.  Spreitzenhofer,  Beitrag  zur  Flora  der  ionischen  Inseln 
Korfu,  Cephalonia  und  Ithaka.  Verhandl.  d.  k.  k.  zool.-botan.  Ges. 
in  Wien  XXVII  (1877)  711—34. 

Den  Nachlafs  desselben  Sammlers  bearbeitete 

Fr.  Ostermeyer,  Beitrag  zur  Flora  der  ionischen  Inseln  Korfu, 
St.  Maura,  Zante  und  Cerigo.     A.  a.  0.  XXXVII  (1887)  651—72. 

Eine  von  Spreitzenhofer  gesammelte  Rosenart,  welche  in  der  Ge- 
gend von  Amaxichi  auf  Leukas  vorkommt,  wurde  als  besondere  Spe- 
zies (Rosa  Leucadia)  von  Heinrich  Braun   beschrieben.  2)     Andere,  von 


1)  Flora  Orientalis   sive  enumeratio   plantarum   in   Oriente  a  Graecia  et 
Aegypto  ad  Indiae  fines  hucusque  observatarum.   Fünf  Bände.  Basel.  1867—84. 

2)  Beiträge  zur  Kenntnis    der  Arten  und   Formen    der  Gattung  Rosa. 
A.  a.  0.  XXXV  (1885)  S.  126—28. 


Flora.  385 

Spreitzenhofer   auf    Corfu   und    Cerigo   gesammelte    Arten    beschrieb 
Th.  V.  Heldreich.i) 

Letzterer  Forscher,  einer  der  gründlichsten  Kenner  der  Flora 
Griechenlands,  behandelte  die  Vegetations Verhältnisse  Attikas  sowohl  in 
der  oben  S.  383  angeführten  Schrift  als  auch  in  der  kürzeren  Ab- 
handlung 

L'Attique  au  point  de  vue  des  caracteres  de  sa  Vegetation.  Compte- 
Rendu  stenogr.  du  Congres  Internat,  de  Botanique  et  d'Horticulture. 
Paris.    1880  (Extrait).    16  S. 

Bruchstück  blieb  bis  jetzt  sein 

Catalogus  systematicus  herbarii  Th.  G.  Orphanidis  etc.  Fase.  I. 
Leguminosae.     Florent.    1877.    VIII  79  S. 

Neben  einigen  kleinen  Artikeln  desselben  Forschers  2)  nenne  ich 
hier,  auch  des  antiquarischen  Interesses  halber,  seine  Abhandlung  über 
die  im  Altertum  sehr  volkstümliche  Pflanze  vdpbrj^  (Ferula  communis 
L.),2)  sowie  die 

Beiträge    zur  Kenntnis   des   Vaterlandes   und   der  geographischen 
Verbreitung  der  Rofskastanie,  des  Nussbaums  und  der  Buche.   Sitzungs- 
ber.  d.  botan.  Ver.  d.  Provinz  Brandenburg  XXI  (1879)   S.   139—53, 
Nachtr.  ebd.  XXIV  20, 
worin  Held  reich  die  ursprüngliche  Verbreitung  dieser  Bäume  in  Nord- 
griechenland (aetol.  Bergland,  Epirus  und  Thessalien)  nachweist.    Seinen 
Ausführungen  schliefst  sich  an 

K.  Bolle,  Die  Rofskastanie,  ihr  Ursprung  und  ihre  Einbürgerung 
bei  uns.  Monatsschr.  d.  Ver.  z.  Beförd.  d.  Gartenbaues  u.  d.  Ges.  d. 
Gartenfreunde  Berlins.    XXIII  (1880)  84     92,  139-47  (bes.  S.  142 ff.). 

Einen  wichtigen  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Gebirgsflora  von  Mittel- 
griechenland liefert 


')  Zwei  neue  Pflanzenarten  von  den  ionischen  Inseln  (RanunculusSpreitzen- 
hoferi  und  Muscari  Mordoanuni)  Österr.  botan.  Ztschr.  1878  S.  50-53.  — 
Über  Silene  Ungeri  Fenzel  {—  S.  aetolica  Heldr.).  Ebd.  27-29.  —  Stachys 
Spreitzenhoferi.  Eine  neue  Stachysart  der  griechischen  Flora.  Ebd.  1880 
S.  344-46. 

2)  Pflanzengeographische  Notizen  über  drei  neue  Arten  der  europäi- 
schen Flora  (Sinaria  longipes,  Ancbusa  Aegyptiaca  und  Asphodelus  tenuitor- 
mis,  von  der  Insel  Salamis).  A.  a.  0.  1877  S.  I56f.  -  Anderes  bei  den  ein- 
zelnen Landschatten.     Vgl    Nachtrag. 

3j  Die  Ferulastaude.  Verhandl.  d.  botan.  Ver.  d.  Provinz  Brandenburg. 
XXllI  1881  S.  XX— XXVII.  Ein  griechischer  Artikel  über  denselben  Gegen- 
stand {nspi  vdp^Tjxoq)  in  EaTia  1882  N.  334  S.  331  (nach  Miiiarakia  N.  122) 
ist  mir  nicht  zugänglich. 

Jahresbericht  für  Alterthumswissenschaft  LXIV.  Bd.  (1890.  III.)  25 


38fi  Geographie  von  Griechenland. 

PJugcu  V.  Haläcsy,  Beiträge  zur  Flora  der  Landschaft  Doris, 
insbesondere  des  Gebirges  Kiona  in  Griechenland. •)  Verhandl.  d.  k. 
k.  zool.-bot.  Ges.  in  Wien  XXXVIII  (1888)  745-64  T.  XXII. 

worilber  Geogr.  Jahrb.  XIII  331  zu  vgl. 

Nur  erwähnt  seien  die  kleineren  floristischen  Mitteilungen  von 
E.  Hackel,2)  J.  Freyn^)  und  C.  Haufs  knecht.*) 

Eine  Reihe  von  Arbeiten  liegt  über  die  in  volkswirtschaftlicher 
Hinsicht  so  wichtigen  Wald  Verhältnisse  vor.  Es  würden  hier  zu- 
nächst die  den  Philologen  vor  Allem  interessierenden  bedeutenden  Werke 
von  Karl  Koch^)  und  A.  Seidensticker^)  zu  nennen  sein;  doch  ha- 
ben dieselben  bereits  an  anderer  Stelle  dieses  Jahresberichtes  eine  ein- 
gehende Würdigung  gefunden. '') 

Unbedeutend  im  historischen  Teil,  aber  von  Interesse  für  die 
Kenntnis  der  waldbildenden  Bäume  sowie  der  leider  noch  wenig  ent- 
wickelten Forstverwaltung  in  Griechenland  ist  der  Aufsatz  von 

Leo  An  der  lind,  Mitteilungen  über  die  Waldverhältnisse  Grie- 
chenlands. Allgemeine  Forst-  und  Jagd  -  Zeitung.  N.  F.  LX  1884 
S.   175-86. 

Eine  noch  umfassendere  Arbeit  über  dasselbe  Thema  verdanken 
wir  einem  einheimischen  Forstbeamten,  der  in  Deutschland  (München) 
seine  Studien  gemacht  hat.     Es  ist  die  Inaugural-Dissertation  von 

Nik.  A.  Chloros,  Waldverhältnisse  Griechenlands.  München. 
1884.  45  S.  Vgl.  Petermanns  Mitteil.  1885  S.  39;  Geogr.  Jahrb.  XII  270. 

Die  einleitenden  Kapitel  behandeln  die  allgemeinen  geographischen 
und  geologischen  Verhältnisse  Griechenlands  sowie  das  Klima  (S.  11 — 21), 
letzteres  auf  Grund  der  amtlichen  Beobachtungen  an  der  Sternwarte  zu 


1)  Im  Widerspruch  mit  dem  Titel  führe  ich  die  Abhandlung  bereits  hier 
an,  da  das  Kionagebirge  (I'xcöva,  /iwvae,  daher  gewöhnlich  Giona  geschr.) 
keineswegs  auf  Doris  beschränkt  ist,  sondern  gerade  mit  seinem  mächtigsten 
Teile  nach  Lokris  und  Aetolien,  teilweise  auch  noch  zur  Oitaia  gehört 

2)  Zwei  kritische  Gräser  der  griechi^cben  Flora.  (Schismus  minutus 
und  Festuca  dactyloides).     Ost.  botan.  Ztschr  1878  S.  189—92. 

3)  Muscari  Weissii  (Syra).  Ebd.  1878  S.  87  f  —  Trifolium  xanthinum. 
Botan.  Centralblatt  I  1880  S.  308—10. 

4)  Über  neue  Pflanzenarten  der  griechischen  Flora.  Mitteil.  d.  geogr. 
Ges.  (f.  Thüringen)  z.  Jena  1887  S.  85-88 

5)  Die  Bäume  und  Sträucher  des  alten  Griechenlands.  Stuttgart,  Enke. 
1879.    XX  270  S.    Zweite  (Titel.)Aufl.     Berlin,  Jacobsthal.    1884.     M.  6. 

6)  Waldgeschichte  des  Altertums.  Zwei  Bände.  Frankfurt  a.  M.  1886. 
XU  403;  IX  460  S.  M.  15. 

T)  0.  Keller  Bd.  40  S.  393-407;  S.  Günther  Bd.  52  S.  116—19. 


Flora.  387 

Athen,  deren  Giltigkeit  der  Verf.  jedoch  mit  allzu  grofser  Zuversicht 
tiuf  ganz  Griechenland  ausdehnt;  neben  der  Darstellung  von  Neuraanu- 
Partsch  ist  dieser  Abschnitt  jetzt  kaum  noch  von  Wert,  abgesehen  von 
den  phänologischen  Bemerkungen. 

Das  IV.  Kapitel  (S.  22-38)  ist  das  wichtigste  der  ganzen  Arbeit. 
Es  enthält  eine  Aufzählung  der  Holzarten  Griechenlands,  mit  Beifügung 
der  neugriechischen  und,  so  weit  möglich,  der  antiken  Bezeichnung,  so- 
wie des  Standortes,  soweit  das  Verbreitungsgebiet  ein  örtlich  beschränk- 
tes ist.  1)  Als  Beitrag  zur  botanischen  Nomenklatur  ist  dieser  Abschnitt 
auch  von  sprachlichem  und  antiquarischem  Interesse;  man  erinnere  sich 
nur,  welche  Verwirrung  z.  B.  bezüglich  der  alten  Bezeichnungen  für  die 
Arten  von  Pinus  und  Quercus  herrscht! 

Kap.  V  und  VI  enthalten  statistische  Angaben  über  die  Flächen- 
ausdehnung und  die  Verteilung  des  Waldes  in  Griechenland  sowie  Mit- 
teilungen über  die  Versuche  zur  Einführung  einer  zweckmässigen  Wald- 
wirtschaft und  die  Hindernisse,  welche  denselben  begegnen. 

Leider  scheinen  diese  Versuche,  trotz  der  Bemühungen  des  Ver- 
fassers, welcher  die  Stelle  eines  Oberforstinspektors  {imßsojpr^T^g  töjv 
oaaojv)  bekleidet,  und  sich  aufser  obiger  Schrift  auch  durch  eine  Unter- 
suchung über  antiken  Forstschutz  bekannt  gemacht  hat, 2)  bisher  noch 
zu  keinem  nennenswerten  Ergebnis  gefuhrt  zu  iiaben.  Denn  mehr  als 
je  tönen  aus  neuester  Zeit  die  Klagen  von  Reisenden  über  die  empören- 
den Waldverwüstungen  an  unser  Ohr,  welche  aus  frechem  Mutwillen 
oder  grober  Nachlässigkeit,  in  den  meisten  Fällen  aber  wohl  aus  schnö- 
der Gewinnsucht  der  Ziegenhirten  entspringen,  die,  um  neue  Weide- 
gründe für  ihre  Herden  ,  den  Fluch  aller  südeuropäischen  Länder,  zu 
erhalten,  grofse  Strecken  der  schönsten  Waldbestände  rücksichtslos  nie- 
derbrennen Freilich,  eine  Besserung  ist  kaum  zu  erhoifen,  so  lange 
nicht  dafür  gesorgt  wird,  das  Verständnis  für  die  volkswirtschaftliche  Be- 
deutung des  Waldes  in  die  weitesten  Kreise  der  Bevölkerung  zu  tragen 
und  die  allgemeine  Entrüstung  gegen  ein  ebenso  ruchloses  als  barbari- 
sches Vorgehen  zu  wecken,  durch  welches  eine  der  wichtigsten  Stützen 
des  Nationalwohlstandes  zerstört  wird.  Denn  noch  immer  sind  im  Innern 
des  Peloponnes  sowie  im  westlichen  Mittelgriechenland  ausgedehnte 
Waldbestände  vorhanden,  von  denen  derjenige  keine  Ahnung  hat,  der 
nur  die  Küstenlandschaften  und  die  kahlen  Berge  Attikas  kennt.  Diese 
Waldbestände  und  die  Art  ihrer  Zusammensetzung  schildert  kurz 


1)  Diese  Liste  erschien  auch  (mit  Voranstellung  der  neugriechischen 
Bezeichnungen  in  alphabetischer  Folge)  u.  d.  T.  lliva^  riüv  ii-  'EkXddi  <puo- 
fxivwv  ^uXcüdü>v  (puTÜiv  m  'Earta   188.5  S    301 — 4,  314  —  16. 

2)  Forstwissenschaftlichc  Leistungen  der  Altgriechen.  Forstwissenschaft!. 
Centralblatt  VII  1885  S.  15-23.  Vgl.  hierüber  in  diesem  Jahresbericht  ü. 
Keller  Bd.  40  S.  407  f   nud  S    Günther  Bd   .-)-2  S   116. 

26* 


388  Geographie  von  Griechenland. 

A.  Philipp son,  Der  Wald  in  Griechenland.  Naturwiss.  Wochen- 
schrift V  1890  S.  334—36. 

Nur  dem  Titel  nach  bekannt  sind  mir  einige  Arbeiten,  welche  die 
landwirtschaftlichen  Zustände  betreffen,  nämlich 

A.  Tombazis  (7.  /'.  TofindCTj?),  La  Grece  au  point  de  vue  agri- 
cole.  Athen.  1878.  50  S.  Auch  u.  d.  T.  7/  'KUa;:  onu  yzojpyixrjv 
i-noipiv.     S.  Miliarakis  No.  71. 

P.  J.  Chalkiopoulos,  Sur  Tamelioration  et  Tencouragement  de 
l'agriculture  en  Grece.  Auch  u.  d.  T.  Ikpl  ßshcajascug  xat  ifKpu^o}- 
asüjg  r^c  iv  'EUdSi  yeojrjycag.  Athen.  1880.  362  S.  (Fehlt  bei  Mi- 
liarakis). 

JHav.  9.  Xacpsrrjg,  KaXXiifjyeia  rr^g  aTaipioajmi'hoo.  Athen.  1883. 
16.     540  S.  (Bd.  II  der  Zdmteiog   BtßkoHrjXrj). 

Dem  Titel  nach  sowohl  botanischen  als  zoologischen  Inhaltes  ist 
die  Schrift 

Ilepl  jiezavaazzüaeujv  (purujv  xal  ^umjv  unu  Ikiupy.  X.  flupkaTzd. 
1888.     114  S. 

Nach  Miliarakis  No.  131,  dem  ich  allein  Kenntnis  hiervon  ver- 
danke, umfafst  dieselbe  Nachrichten  mpl  /xeravaaTsüaecuv  ribv  l^&ücuv  iv 
'EXXdoc,  nspl  iy^wpüov  kpnsTcov  xal  ßarpaykuv  xat  mpc  ixs-avaaxsü- 
ascuv  nzTjvcüV  und  über  za  revdyrj  zoü  MeaoXoyyLOi)  xal  o  xökTiug  ruu 
Aizujhxoü. 

Aufser  dieser  und  der  oben  S.  383  angeführten  Abhandlung  von 
Krüper  und  Hartlaub  sind  mir  über  die  Fauna  Griechenlands  folgende 
Schriften  bekannt: 

Exposition  universelle  de  Paris  en  1878.  La  Faune  de  Grece. 
Raport  sur  les  travaux  et  recherches  zoologiques  faites  en  Grece  et 
revue  sommaire  des  animaux  qui  s'y  trouvent  naturellement  ou  ä  Tetat 
de  domesticite  par   Th.   de  Heldreich.     Athenes.    1878.    8.    116  S. 

Enthält  nur  die  Wirbeltiere  in  systematischer  Anordnung.  Von 
sprachlichem  Wert  ist  die  Beifügung  der  antiken  und  vulgären  Bezeich- 
nungen, soweit  dieselben  bekannt  sind.  In  letzterer  Hinsicht  liefert  zu 
Heldreichs  Schrift  dankenswerte  Ergänzungen 

D.  Bikelas,  Sur  la  nomenclature  moderne  de  la  faune  grecque. 
Ann.  de  l'assoc  pour  l'encourag.  d  et.  grecques  XII  1878  S.  208  —  31. 

Umfassende  Arbeiten  liegen  über  einen  wichtigen  Teil  der  grie- 
chischen Tierwelt  (mit  Einschlufs  der  Inseln  des  Archipels)  vor  in  den 
beiden  Abhandlungen  von 


Fauna.  389 

J.  V.  Bedriaga,  Die  Amphibien  und  Reptilien  Griechenlands. 
Bull,  de  la  Soc.  Imp.  des  Natuialistes  de  Moscou  Bd.  56  (1881)  I.  Tl. 
S.  242     310,  II.  Tl.  S.  43—103,  278—344,1)  und 

0.  Boettger,  Verzeichnis  der  von  Herrn  E.  v.  Oertzen  aus  Grie- 
clienlaiid  und  aus  Kleinasien  mitgebrachten  Batrachier  und  Reptilien. 
Sitzungsbcv.  d.  k.  preufs    Ak.  d.  Wiss.   1888  I  S.  139—86. 

Die  Publikationen  von  E.  v.  Oertzen^)  und  V.  v.  Röder^)  konnte 
ich  nacJj  dem  Citat  von  Schmarda  (Geogr.  Jahrb.  XIII  387)  nicht  auf- 
finden. 

Unzugänglich  ist  mir  die  aus  Anlafs  der  internationalen  Fischerei- 
ausstellung in  London  auf  Veranlassung  der  griechischen  Regierung  ver- 
fafste  Schrift  von 

Nie  Chr.  Apostolidis,  La  peche  eu  Grece.  Ichthyologie,  mir 
grations,  cngins  et  manieres  de  peche,  produits,  statistique  et  legisla- 
tion.     Athen.     1883.    87  S.    Vgl.  l/apvaaaoc  VII  266—69. 

Sehr  mannigfaltig  ist  natürlich  die  Literatur  über  die  Bevölke- 
rung Griechenlands.  Um  auch  hier,  anknüpfend  au  das  Vorhergehende, 
mit  der  naturwissenschaftlichen  Seite  zu  beginnen,  sei,  da  die  Publika- 
tion des  italienischeu  Anthropologen  Giust.  Nicolucci*)  bereits  vor 
dem  hier  zu  besprechenden  Zeitraum  liegt,  zunächst  der  anthropometri- 
schen  Studien  des  eben  erwähnten  N.  Ch.  Apostolidis  gedacht,  welche 
u.  d.  T. 

Quelques  mesures  sur  le  vivant   prises   en  Grece  im  Bull,    de  la 
Soc.  d'anthrop.  de  Paris  III.  S.  VI  (1883)  614-16, 
und  als  Fortsetzung  u.  d.  T. 

lojxßuXal  slg  r^v  'E?<ÄrjVcxrjV  di/BpujTToXoytav  im  JsATi'ov  z.  larop.  x. 
s&voÄ.  iratpcas  r.  "EUäoo?  I  (1883)  365—67  erschienen  sind. 

Mit  besonderem  Eifer  hat  sich  unser  im  griechischen  Staatsdienste 
als  Oberarzt  der  Armee  wirkender  Landsmann  Bernhard  Ornsteiu, 
dem  wir  schon  oben  S.  377   bei  der  seismologischen  Literatur  begegnet 


1)  In  demselben  Organ  Bd.  54  (1879)  II.  Teil  S.  22-52  veröfiFentlichte 
der  Verfasser  ein  iVerzeichnis  der  Reptilien  und  Amphibien  Vorderasiens. a 

2)  Verzeichnis  der  Coleopteren  Griechenlands  und  Kretas,  nebst  Bemer- 
kungen über  ihre  geographische  Verbreitung.  Berlin.  Entom.  Ztschr.  XXX  1887. 

3)  Dipteren,  von  Oertzen  auf  Kreta  gesammelt.    Ebd.  XXI  (?) 

4)  Suir  autropologia  della  Grecia.  Napoli.  1867.  4.  100  S.  5  T.  S.-A. 
a.  Atti  della  R.  Accademia  delle  scienze  lis.  e  matera.  Bd.  III.  Diese  Ab- 
handlung, welche  sich  in  den  einleitenden  Kapiteln  mit  der  ältesten  Bevölke- 
rung Griechenlands  (vom  Standpunkt  eines  historischen  Dilettanten),  in  ihrem 
Hauptteile  mit  kraniologischen  Untersuchungen  befafst,  ist  meines  Wissens 
die  erste  anthropologische   Arbeit   über  Griechenland. 


390  Geographie  von  Griechenland 

sind,  um  die  anthropologischen  Studien  angenommen  und  die  Ergebnisse 
derselben  sowohl  in  verschiedenen  kleineren  Beiträgen  wie 

Über  die  Farbe  der  Augen.  Haare  und  Haut  der  heutigen  Bewoh- 
ner Griechenlands.     Verband!,  d    Berl.  Ges.  f.  Anthrop   1879  S.  305  f. 
als  auch  in  folgender  gröfseren  Abhandlung  niedergelegt: 

Über  die  physischen  Verhältnisse  Griechenlands  und  seiner  Be- 
wohner mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Langlebigkeit  der  letz- 
teren und  deren  Ursachen.  Ztschr.  f.  Ethnologie  XVI  (1881)  11 — 95. 
Der  erste  und  umfänglichste  Abschnitt  (S.  13  —  75)  behandelt  die 
Ergebnisse  des  Census  1838  -  74  und  die  Bevölkerungsbewegung  1864—73, 
die  Sterblichkeitsverhältnisse.  P^ndemien  und  Epidemien,  sowie  die  Lang- 
lebigkeit der  Griechen,  welche  nach  der  Ansicht  des  Verfassers  das 
Durchschnittsmafs  wesentlich  übersteigt.')  Von  besonderem  geographi- 
schen Interesse  sind  die  Bemerkungen  über  die  Abhängigkeit  dieser 
Erscheinung  von  Boden  und  Klima,  ebenso  die  Ausführungen  über  die 
lokalen  Bedingungen  der  Malaria.  Makrobiotisehen  Mitteilungen  ist 
auch  der  vierte  Abschnitt  (S.  92  95)  gewidmet,  während  der  dritte 
(S.  80 — 92)  -  der  zweite  berichtet  nur  kurz  über  die  Volkszählungser- 
gebnisse —  die  etwas  sonderbar  stilisierte  Überschrift  trägt:  »Die  Mor- 
talitätsstatistik Athens  vom  Jahre  1879  und  die  in  den  Monaten  Januar 
und  Februar  1880  mit  Namhaftmachung  der  im  Alter  von  85  Jahren 
und  darüber  Verstorbenen«. 

Eine  förmliche  anthropologisch-medizinische  Monograjjhic  über  Grie- 
chenland verdanken  wir  einem  der  hervurragendsten  unter  den  jetztigen 
Vertretern  der  medizinischen  Wissenschaft  in  Griechenland,  Klon  Ste- 
phanos,  im 

Dictionnaire  encyclopedique  des  sciences  medicales.  IV.  Serie. 
F—K.  T.  X.  Gou-Gro.  Paris.  1884.  Art.  Grec<:  S.  363—581.  (Auch 
als  S.-A.  erschienen). 

Dieser  selbst  für  die  bändereiche  Encyklopädie,  welche  von  einer 
Reihe  französischer  Ärzte  unter  Direktion  von  A.  Dechambre  lieraus- 
gegeben  wird,  aulsergewöhnlich  umfangreiche  Artikel,  umfafst,  wie  schon 
früher  (.S.  367)  angedeutet,  eigentlich  die  ganze  physikalische  Geographie 
von  Griechenland:  I.  Urographie  und  Hydrographie  S.  364  70.  IL  Klima 
S.  570-88,  HI.  Geologie  S.  388—97,  IV.  Flora  S  397  401.  V.  Fauna 
S.  401—3.  Diese  Abschnitte,  von  denen  derjenige  über  das  Klima  noch 
heute  selbständigen  Wert  hätte,  wenn  er   nicht  durch   die  weit  vortreff- 


1)  Über  Fälle  von  Makrobiotik  in  Griechenland  berichtete  der  Veit. 
auch  in  Vircbows  Archiv  t.  pathol.  Anat.  und  Physiol.  Bd  75  (1879)  S.  177— 
83.  Auch  sonst  kommt  der  Verf.  häufig  auf  dieses  sein  Lieblingsthema  zurück. 
Vgl.  unten  Ö.  398. 


Bevölkerung.  39:1 

lichere  Darstellung  bei  Neumann-Partsch  ersetzt  wäre,  dienen  mehr  zur 
orientierenden  Einleitung  und  können  auf  die  Bedeutung  von  Original- 
arbeiten  keinen  Anspruch  machen,  obwohl  die  beigefügten  Literaturüber- 
sichten von  den  gründlichen  Studien  des  Verfassers  auch  nach  dieser 
Richtung  hin  Zeugnis  geben.  Das  Gleiche  gilt  von  Kap.  VI  »Ethnolo- 
gie« (S.  406-32),  einer  historischen  Übersicht,  welche  jedoch  für  die 
Urzeit  selbständige  Kritik  und  für  das  Mittelalter  nationale  Unbefangen- 
heit vermissen  läfst.  In  Kap.  VII  »Antliropologie«  (S.  432 — 40)  kommt 
der  Verf.  in  sein  eigentliches  Forschungsgebiet  und  teilt  hier  nebst  einer 
Übersicht  der  bisher  an  antiken  und  modernen  Schädeln  vorgenommenen 
Messungen  auch  die  Ergebnisse  eigener  Untersuchungen  mit.  Kap.  VIII 
»Demographie«  (S.  440 — 79)  behandelt  übersichtlich  Stand  und  Bewe- 
gung der  Bevölkerung  und  die  Sterblichkeitsverhältnisse.  Kap.  IX  »Hy- 
giene« (S.  479 — 88)  enthält  interessante  Ausführungen  über  Wohnungen, 
Heizung,  Beleuchtung,  Nahrungs-  und  Genufsmittel,  Tracht  und  Lebens- 
weise der  heutigen  Griechen.  Den  wertvollsten  Teil  der  Arbeit  bildet 
Kap.  X  Pathologie  (nosologische  und  epidemiologische  Geographie), 
S.  488  551.  Besonders  ausführlich  werden,  unter  häufiger  Beziehung 
auf  die  Äi'zte  des  Altertums,  die  endemischen  Übel,  wie  Sumpffieber, 
und  die  wichtigsten  Volkskrankheiten,  Pest  (chronologische  Übersicht 
aller  Epidemien  seit  dem  Ausgang  des  Altertums,  letzte  auf  der  Insel 
Porös  1837),  Cholera,  Pocken,  Scharlach,  Typhus,  Diphtherie  (zahlreiche 
Epidemien  in  den  letzten  Jahrzehnten)  und  x\ussatz  behandelt.  Im 
letzten  (XL)  Kap.  wird  (S.  552 — 70)  die  medizinische  Geographie  der 
griechischen  Inseln  sowie  die  Literatur  über  Pathologie  (S.  570—76)  und 
über  Griechenland  im  Allgemeinen  (Reisewerke  u.  s.  w.,  S.  576  80)  ge- 
geben. Der  erstere  Teil  dieses  Literaturverzeichnisses  ist  als  fachmänni- 
sche Zusammenstellung  von  Wert,  der  letztere  ist  eine  zwar  reichhaltige, 
aber  kritiklose  und  vielfach  ungenaue  Aneinanderreihung  von  Büchertiteln. 
Fassen  wir  die  Bevölkerungsverhältnisse,  die  in  den  letztgenannten 
Schriften  wesentlich  vom  anthropologischen  Standpunkt  aus  behan- 
delt worden  sind,  nach  der  historisch-ethnologischen  Seite  in  das 
Auge,  so  sind  zunächst  einige  graphische  Darstellungen  zu  erwähnen,  in 
denen  sich  allerdings  das  Hauptinteresse  auf  die  nördlichen  Balkanlän- 
der konzentriert.     Hierher  geliört  in  erster  Linie  die 

Ethnographische  Übersicht  des  europäischen  Orients  zusammenge- 
stellt von  H.  Kiepert.  Berlin,  D  Reimer.  1876.  Neue  Ausg.  1878 
U.   1882. 1)      1:3000000.    M.  1,60. 

Diese  Karte ,  welche  die  gesamte  Balkanhalbinsel  nebst  Rumä- 
nien  und  dem    gröfsten   Teile  Ungarns    sowie   das  westliche  Kleinasien 


1)  In  den  späteren  Ausgaben  sind  lediglich  die  politischen  Grenzen  nach 
den  Bestimmungen  des  Berliner  Kongresses  bezw.  der  ßerlmer  Konferenz  be- 
richtigt, im  Übrigen  sind  sie  eine  unveränderte  Wiederholung  der  ersten. 


392  Geographie  von  Griechenland. 

unifafst,  gibt  gegenwärtig  noch  immer  die  beste  Übersicht  über  das  ganze 
Gebiet,  wodurch  die  ältere,  für  ihre  Zeit  verdienstvolle  Karte  von  Lc- 
jean*)  ersetzt  wird.  Allerdings  ist  die  Grundlage,  auf  welcher  die 
Karte  beruht,  in  vielen  Teilen  eine  höchst  unsichere,  und  herrschen  be- 
kanntlich z.  B.  über  die  Ausdehnung  der  griechischen,  bulgarischen  und 
serbischen  Bevölkerung  in  Macedonien  die  allergröfsten  Meinungsver- 
schiedenheiten. Da  uns  jedoch  die  letzteren  hier  nicht  mehr  berühren, 
mag  die  hierauf  bezügliche,  meist  von  politischen  Rücksichten  beein- 
flufste  Literatur  übergangen  werden.  Nur  ist  wegen  der  Ausdehnung 
über  Griechenland  eine  von  einem  ungenannten  Engländer  »bei  Stanford 
in  Berlin«  (soll  wohl  heifsen  London)  veröffentlichte  Ethmlogicnl  Map 
vf  European  Turkqi  A  (Jrcere  zu  nennen,  welche  ich  jedoch  nur  aus 
einer  gelegentlichen  Erwähnung  in  Petermanns  Mitteil.  1877  S.  74  kenne, 
woraus  hervorgeht,  dafs  dieselbe,  im  ausdrücklichen  Gegensatz  zu  Kie- 
pert, dem  griechischen  Element  eine  ganz  unberechtigte  Ausdehnung  nach 
Norden  gibt.    Auf  nicht  minder  parteiischer  Schätzung  scheint  zu  beruhen 

A.  Synvet,  Carte  ethnographique  de  la  Turquie  d'Europe  et  de- 
nombrement  de  la  population  grecque  de  l'Empire  Ottoman.  Constan- 
tinople,  S.  H.  Weiss.  1877.  4.  VIII  56  S.  mit  Karte  in  1:3400  000. 
M.  4.  Vgl.  hierüber  H.  Kiepert  in  Zeitschr.  der  Gesellsch.  für  Erdk. 
1878.    S.  253  ff. 

Originell,  nur  leider  in  zu  kleinem  Mafsstabe  (1:4  000000)  aus- 
geführt ist  die 

Ethnographische  Karte  der  europäischen  Türkei  und  ilirer  Depen- 
denzen  zu  Anfang  des  Jahres  1877  von  Karl  Sax,  in  Mitteil.  d.  k. 
k.  Geogr.  Ges.  in  Wien  1878  T.  III,  nebst  »Erläuterungen«  8.  177-91. 

Der  Bearbeiter,  welcher  durch  seine  amtliche  Stellung  als  Konsul 
in  Adrianopel  gewifs  über  wertvolle  Materialien  verfügte,  macht  hier 
den  Versuch,  gleichzeitig  die  sprachlichen  und  konfessionellen  Unter- 
schiede zum  Ausdruck  zu  bringen.  Übrigens  kommt  auch  diese  Karte 
gleich  den  unten  (s.  Anmerk.)  genannten  Blättern  in  ihrer  Beschränkung 
auf  die  Türkei  nur  für  Nordgriechenland  in  Betracht. 

Im  Gegensatz  zu  diesen  mehr  auf  die  Balkanhalbinsel  im  Ganzen 
gerichteten  Arbeiten  sind  nun  aus  der  historisch  -  ethnologischen  Litera- 


1)  Ethnographie  de  la  Turquie  d'Europe  par  G.  Lejean  (franz.  und 
deutscher  Text).  Gotha.  1861.  4.  38  S.  Ergänzungsheft  No  4  zu  Peter- 
manns  Mitteilungen  Die  beigegebene  Karte  (1:2500000)  erstreckt  sich  nur 
auf  die  eigentliche  Türkei  und  ihre  Nebenländer  (ohne  Griechenland) ;  das 
Gleiche  gilt  von  den  Karten  in  Petermanns  Mitteil.  1869  T.  22  und  1876 
T.  13,  von  denen  übrigens  die  letztere  wegen  der  Berücksichtigung  des  kon- 
fessionellen Elementes  besonderes  Interesse  verdient.     Vgl.  Nachtrag. 


Bevölkerung.  393 

tur  1)  noch  einige  speziell  auf  Griechenland  bezügliche  Untersuchungeii 
anzuführen,  unter  denen  ich  nenne 

G.  Hertzberg,  Die  Entstehung  der  neugriechischen  Nationalität. 
Mitteil.  d.  Ver.  f.  Erdk,  z.  Halle  1877  S.  68-80. 

Diese  anscheinend  für  einen  Vortrag  ausgearbeitete  Skizze  fafst  in 
Bezug  auf  das  in  der  Überschrift  genannte  Thema  die  Forschungen  zu- 
sammen, welche  Karl  Hopf  und  in  Anlehnung  an  letzteren  der  Ver- 
fasser selbst  in  seinem  bekannten  Werk  über  die  mittel-  und  neugrie- 
chische Geschichte,  2)  wo  auch  die  hier  mangelnden  Quellennachweise  zu 
suchen  sind,  darüber  angestellt  haben  und  welche  in  dem  Ergebnis 
gipfeln,  dafs  zwar  eine  starke  Vermischung  des  griechischen  Volkstums 
mit  fremden,  besonders  slavischen  Elementen  stattgefunden  hat,  der  Zu- 
sammenhang mit  der  althellenischen  Nationalität  aber  keineswegs,  wie 
Fallmayer  meinte,  völlig  unterbrochen  wurde. 

Ein  besonderer  Aufsatz  von 

Hertzberg,  Die  Ethnographie  der  Balkanhalbinscl  im  M.  und 
15.  Jahrb.     Petermanns  Mitteil.  1878  S.  125-  36  T.  VIII 

schliefst  sich  an  die  Neubearbeitung  der  einschlägigen  Blätter  des  grofsen 
Sprunerschen  Atlasses  (No.  88-89)  an  und  behandelt  das  eigentliche 
Griechenland  nur  nebenbei. 

Durch  grofsen  Reichtum  an  Literaturnachrichten  und  Sprachge- 
lehrsamkeit ausgezeichnet  ist  das  bedeutende  Werk 

Völkerkunde  Osteuropas,  insbesondere  der  Haemoshalbinsel  und 
der  unteren  Donaugebiete  von  Lorenz  Diefenbach.  Zwei  Bände. 
Darmstadt,  L.  Brill.    1880.    XXH  318;  XII  414  S.  M.  6  und  9.3) 

Den  Griechen  ist  hier  ein  umfänglicher  Abschnitt  (I  129  -224)  ge- 
widmet, in  welche)u  von  den  Namen  (Griechen,  Jonier,  Hellenen),  der 
Sprache  und  den  Mundarten,  Körperbeschaffenheit  und  Volkscharakter, 
Volksglauben,  Volkslied  und  Tanz,  Tracht,  Lebensweise  u.  s.  w.,  sodann 
den  Eigentümlichkeiten  des  Griechentums  in  den  einzelnen  Landschaften 
gehandelt  wird.     Für  das  Einzelne  mufs   der  Leser  auf  das  reichhaltige 


1)  Unberücksicbtigt  lasse  ich  hier  die  mehr  iu  deu  Bericht  über  grie- 
chische Geschichte  gehörige  Literatur  betr.  die  älteste  Bevölkerung  von  Grie- 
chenland (Pelasger  u.  s.  W  ).  Ferner  erinnere  ich  auch  hier  daran,  dafs  Spe- 
zialarbeiten  wie  diejenige  von  Kiepert  über  Epirus  erst  im  zweiten  Bericht 
unter  den  einzelnen  Landschaften  zur  Sprache  kommen. 

2)  Geschichti^  Griechenlands  seit  dem  Absterben  des  antiken  Lebens  bis 
zur  Gegenwart.     Vier  Bände.     Gotha     1876 — 79. 

3)  Früher  erschien  von  demselben  Verfasser:  »Die  Volksstämme  der 
europäischen  Türkei«.    Frankfurt,  Winter.    1877.    120  S.    (Griechen  S.  37  -54), 


394  Geographie  von  Griechenland. 

Werk  selbst  verwiesen  werden;   eine   bt-quemo  Lektüre   bibict    dasselbe 
allerdings  nicht. 

Aus  jüiijj;ster  Zeit  haben   wir   folgenden   bemerkenswerten  Beitrag 
zu  verzeichnen: 

Zur  Ethnographie    des    Peloponnes.     Von    Alfred    rhilii)pson. 
Petermanns  Mitteil   1890  S.  1  —  11,  33-41,  T.  III. 

Die  Abhandlung  zerfällt  in  zwei  Teile  von  ungleichem  Werte.  Der 
erste:  »Abrifs  der  Geschichte  der  Einwanderungen  in  den  Peloponnes 
seit  dem  Ende  des  Altertums«  (S.  2 — 11)  gründet  sich  auf  die  bekann- 
ten Werke  von  Fallmerayer,  Finlay,  Hahn,  Hopf  und  Hertzberg  und  er- 
füllt hauptsnchlich  den  Zweck  einer  orientierenden  Übersicht.  Im  zwei- 
ten Abschnitt  dagegen:  »Die  heutigen  ethnographischen  Verhältnisse 
des  Peloponnes«  legt  der  Verfasser  zunächst  die  ziffermäfsigen  Ergeb- 
nisse seiner  Erhebungen  über  die  albanesische  Bevölkerung  vor, 
welche  bekanntlich  einen  nicht  unbeträchtlichen  Bruchteil  der  Bewohner 
Griechenlands  ausmacht  und  in  einzelnen  Landstrichen,  z.  B.  aufserhalb 
des  Peloponnes  im  gröfsten  Teile  von  Attika  sowie  auf  den  Inseln  Hy- 
dra und  Spezzia,  fast  ausschliefslich  herrscht.  Aber  man  war  bisher 
ziemlich  allgemein  der  Ansicht,  dafs  dieses  albanesische  Element  in 
einem  raschen  Aufsaugungsprozefs  begriffen  sei  und  bald  ganz  von  der 
Bildfläche  verschwinden  werde;  dieser  Meinung  tritt  nun  Philippson  ent- 
schieden entgegen,  indem  er  nachweist,  dafs  die  albanesischen  Bewohner 
Griechenlands  mit  Zähigkeit  an  ihrer  Umgangsprache  festhalten  und  dafs 
gerade  in  der  letzten  Zeit  keine  nennenswerten  Fortschritte  der  griechi- 
schen Sprache  gegenüber  der  albanesischen  zu  konstatieren  sind.  Noch 
weniger  als  über  diese  Thatsache  war  man  bisher  über  Zahl  und  Ver- 
breitung der  Albanesen  in  Griechenland  unterrichtet,  da  es  die  griechi- 
sche Regierung  bisher  geflissentlich  vermieden  hat,  über  die  Umgangs- 
sprache Erhebungen  anzustellen,  wie  dies  sonst  in  allen  Kulturstaaten 
mit  gemischter  Bevölkerung  der  Fall  ist.^)  Der  Grund  liegt  auf  der 
Hand,  man  will  eben  in  Griechenland  das  Vorhandensein  eines  fremden 
Bevölkerungselementes  nicht  Wort  haben  und  sucht,  da  man  es  doch 
nicht  vollständig  ableugnen  kann,  die  Bedeutung  desselben  möglichst  ab- 
zuschwächen. Daher  der  Mangel  amtlicher  Angaben  hierüber,  daher  die 
Unsicherheit  in  der  Abgrenzung  des  von  Albanesen  bevölkerten  Gebie- 
tes. Hier  hat  nun  Philippson  einen  Avesentlichen  Schritt  zu  genauerer 
Kenntnis  gemacht,  indem  er  durch  persönliche  Erkundigung  in  sämt- 
lichen (?)  Gemeinden  des  Peloponnes  festzustellen  suchte,  in  welchen 
Dörfern    noch   albanesisch    gesprochen   wird.     Durch  Zusammenstellung 


1)  Ein  nachahmenswertes  Beispiel  dieser  Art  bietet  der  englische  Census 
von  Cyperu.  wovon  ich  in  meiner  geographischen  Skizze  der  Insel  (Jahresber. 
d.  Geogr.  Gas   z.  München  f.   1888/89)  S.  87f.  einen  Auszug  gegeben  habe. 


Bevölkerung.  395 

der  Bevölkerungziffern  dieser  Dörfer  nach  dem  amtlichen  Census  ergibt 
sich  dann  die  Gesamnitzahl  von  90  000  Albanesen  für  den  Peloponnes 
bei  einer  Einwohnerzalil  von  im  Ganzen  730  000,  oder  1 2,3  Prozent  der 
Gesammtbevölkerung,  ein  Ergebnis,  das  mit  früheren  Schätzungen  (Hahn 
72  000)  wenigstens  aniicähernd  übereinstimmt.  Allerdings  wird  hierbei 
vorausgesetzt.  —  abgesehen  von  der  zweifelhaften  Zuverlässigkeit  der 
Censuszahlen  — ,  dafs  die  betreffenden  Dörfer  ausschlieFslich  von  Alba- 
nesen, die  übrigen  ebenso  ausschliefslich  von  Griechen  bewohnt  seien; 
doch  mögen  sich  die  hierdurch  etwa  entstandenen  Fehler  gegenseitig  auf- 
heben. Als  Hauptverbreitungsgebiet  der  Albanesen  sind  die  Landschaft 
Argolis,  sowie  Teile  von  Westachaia  und  Nordmessenien  und  das  östliche 
Lakonien  zu  bezeichnen,  wie  am  deutlichsten  aus  der  beigegebenen  »Eth- 
nographischen Karte  des  Peloponnes«  (1:  1000000)  zu  ersehen  ist. 

Trotz  etwaiger  Irrtümer,  die  bei  der  angegebenen  Art  der  Ermitt- 
lung mit  unterlaufen  sein  mögen,  ist  das  hier  gegebene  Material  doch 
als  erste  annähernd  sichere  Aufstellung  über  die  albanesische  Bevölke- 
rung des  Peloponnes  dankbar  zu  begrüfsen.  Wenn  sich  hierbei  das  Ver- 
hältnis für  das  Griechentum  etwas  ungünstiger  darstellt,  als  man  sonst 
gewöhnlich  annahm,  so  liegt  darin  dennoch  kaum  ein  Grund  zu  natio- 
naler Besorgnis  und  Gereiztheit;  denn  es  ist  eine  längst  beobachtete  und 
auch  von  Philippson  wieder  bestätigte  Thatsache,  dafs  die  Albanesen 
Griechenlands  sich  politisch  durchaus  als  Griechen  fühlen,  und  trotz  ihrer 
Muttersprache,  die  sich  wie  ein  Familienstück  unter  ihnen  forterbt,  wäh- 
rend daneben  wenigstens  die  Männer  sänimtlich  auch  griechisch  verste- 
hen, von  einer  Rivalität  beider  Nationen,  wie  man  sie  anderwärts  unter 
ähnlichen  Verhältnissen  beobachtet,  nicht  gesprochen  werden  kann.^) 

Aufser  über  die  Albanesen  gibt  Philippson  auch  über  die  andern 
Bevölkerungselemente  des  Peloponnes  Mitteilungen  und  bespricht  von 
den  griechischen  Bewohnern  speziell  die  Tzakonen,  deren  W^ohusitze 
schärfer  als  bisher  umgrenzt  werden,  und  die  Maniaten  (Mainot en),^) 


1)  Dals  es  ülirigens  finch  nicht  so  ganz  an  Regungen  nationalen  Selbst- 
bewufstseins  bei  d^n  griechischon  Albane,>~en  fehlt,  beweist  folgendes  Büchlein : 
AXßavtxdv  ^Ak^aßrjTdpi.uv  xarä  rö  iv  'Ekkädi  ößü.oüfievuv  dAßai/txov  IriUußa  xrX. 
und  .1  7'.  h'ouXoupiiijrT).  'Ev  'A^vaig.  1882.  12.  tß'  164  S.  Dr.  1.  Eifrig, 
wenn  auch  wahrscheinlich  ohne  Erfolg,  tritt  hierin  der  Verfasser  für  die  För- 
derung des  ,■vlba^csi^chen  ein,  zu  dessen  schrittlicber  Fixierung  er  sich  des 
griechischen  Alphabets,  mii  Beifügung  einiger  Buchstaben  in  verkpfaiter  Stellung 
für  die  dem  Albai  esischen  eigentümlichen  Laute,  bedient  Über  den  sprach- 
lichen Weit  des  Büchleins  veimag  ich  nicht  zu  urteilen;  jedenfalls  ist  der 
Versuch  der  Originalität  halber  nicht  ohne  Interesse. 

2;  Die  bei  uns  vielfach  noch  gebräuchliche  Form  Mainoten  beruht 
auf  einer  durch  das  Italienische  vermittelten  Entstellung  des  Namens,  welcher 
g riech.  Mavtäxai  (rj  Mdi'Tj  die  Halbinsel  Tainaron)  lautet. 


396  Geographie  von  Griechenland. 

welche  zwar  keinen  so  eigenartigen  Dialekte  aufweisen  können,  wie  die 
erstcren,  dafür  aber  in  ihrem  Charakter  und  ilirer  Lebensweise  alt- 
lakonische  Eigentümlichkeiten  bewahrt  haben.  Die  Zahl  der  Tzakonen 
wird  auf  8700,  die  der  Maniaten  auf  46000  angegeben.  Vlachen  (Zin- 
zareni,  die  in  Nordgriechenland  so  zahlreich  sind,  linden  sich  im  Pelo- 
ponnes  gar  nicht;  doch  weisen  manche  Spuren  auf  eine  frühere  Anwe- 
senheit derselben  hin. 

Zwei  von  Miliarakis  N.  51/52  genannte  Aufs.ätze  über  die  Zinza- 
ren  von  A.  K.  EmmanueP)  und  Th.  G.  Kolokotronis^)  sind  mir  nicht 
zugänglich,  ebenso  (ib.  54)  eine  Reihe  von  Artikeln  über  die  fremden 
Einwanderungen  nach  Griechenland  im  Mittelalter  von  S.  G.  Panagio- 
topulos.*)  Die  a.  a.  0.  u.  N.  56—58  angeführten  Aufsätze  sind  einer 
Polemik  über  eine  die  Mani  betreffende  Artikelserie  entsprungen,  welche 
bei  den  einzelnen  Landschaften  unter  Lakonien  zu  behandeln  ist. 

Ein  wichtiges  Hilfsmittel  zum  Studium  der  Bevölkerungsverhält- 
nisse ist  die  Statistik,  deren  Pflege  in  Griechenland  bis  in  das  erste 
Jahrzehnt  des  Königreiches  zurückreicht,  aber  es  erst  in  den  letzten 
Jahrzehnten  zu  regelmäfsigeren  und  umfassenderen  Veröffentlichungen 
gebracht  hat.  Wenn  ihre  Leistungen  gleichwohl  nicht  mit  den  bände- 
reichen Publikationen  anderer  Kulturstaaten  in  Vergleich  gestellt  wer- 
den können,  so  ist  dies  hinläuglich  mit  den  Schwierigkeiten  statistischer 
Erhebungen  in  einem  ganz  neugeschaffenen  Staatswesen  und  mit  den 
beschränkten  Mitteln  desselben  zu  entschuldigen.  Der  Wert  der  ver- 
öffentlichten Berichte  ist  vielmehr  um  so  höher  anzuschlagen,  als  es  in 
den  benachbarten  türkischen  Gebieten  fast  ganz  an  amtlichem  statisti- 
schem Material  gebricht.  Eine  Übersicht  der  bisherigen  Original-Publi- 
kationen, welche  man  freilich  aufserhalb  Griechenlands  nicht  häufig  vor- 
finden wird,  gibt  Miliarakis  S.  6 — 9.  Mir  sind  von  denselben,  soweit 
sie  in  den  hier  zu  berücksichtigenden  Zeitraum  fallen,  nur  zwei  zugäng- 
lich, welche  ich  nicht  blos  aus  diesem  zufälligen  Grunde,  sondern  des- 
halb besonders  anführe,  weil  sie  eine  der  wesentlichsteu  Grundlagen  der 
neueren  Bevölkerungs-  und  Ortskunde  von  Griechenland  bilden.  Es  sind 
die  von  dem  verdienten  Statistiker  A.  Mansolas  im  Auftrage  des  Mi- 
nisteriums des  Innern  herausgegebene 


1)  S.  38  b  wird  erwähnt,  dafs  in  der  Mundart  der  Maniaten  k  vor  e  und 
i  wie  tsch  gesprochen  wird;  es  ist  vielleicht  nicht  ohne  Interesse,  dafs  dieselbe 
Eigentümlichkeit  sich  im  Cyprischen  findet,  worüber  meine  Bemerkung  in 
Ztschr.  d.  Ges    f.  Erdk.   1890  S.   194  und  240  zu  vgl. 

2)  Karaywyrj,  yXwaaa  xoi  n-^ofia  tÜ)v   HXd)(wi'.      Earia  1878  N.  114. 

3)  "Hi^r/  xal  Uifxa  'ApßaviToßUyw\^.     Ebd.   1881  N.  279/88. 

4)  Tivtc,  rjh'^ov  xard  röv  ßiaov  alüva  iv  'EkXddi.  'Eßdoßdg  I  (1884) 
S.  97  u.  AeAr.  N.  13  S  lOß,  11.3,  121,  130,  139,  146,  155,  164.  170,  186,  204, 
210,  J21,  228,  235,  243 


1 


Statistik.  397 

Izaziarixrj  r^?  'EXXddog.  hYvr^crcg  zoa  nXr^l^oaixoo  xara  ra  errj 
1874-77.1)  'Ev  'ASr)vaci.  1879.  4.  ;ö",  64,  64,  64,  64  S.  (vgl.  unten 
S.  398  A.   1)  und 

Zrazia-cxr]  zrjg  'EkXdöoi.  llXrj^oaixu^  1879.  Ev  'A^ijvatg.  188 1_ 
4.    64,  200,   184  S. 

Während  die  erstere  Publikation,  welche  eine  Zusammenstellung 
der  Geburten,  Todesfälle  und  Eheschliefsungen  in  den  bezeichneten  vier 
Jahrgängen  nach  Nomen,  Eparchien  und  Demen  gibt,  rein  statistischer 
Natur  ist,  teilt  die  letztere  die  Ergebnisse  der  Volkszählung  vom  Jahre 
1879  zunächst  nach  allgemeinen  statistischen  Gesichtspunkten  sowie  nach 
Verwaltungseiuheiten  mit.  Am  wertvollsten  für  den  Geographen  ist  je- 
doch der  dritte  Teil  derselben,  welcher  ein  vollständiges,  nach  Eparchien 
und  Demen  geordnetes  Verzeichnis  aller  bewohnten  Ortschaften  mit  An- 
gabe ihrer  männlichen  und  weiblichen  Bevölkerung  enthält  und  in  dieser 
Hinsicht  die  Zähhingsergebnisse  anderer  Staaten,  die  häufig  bei  der  Ge- 
meinde als  unterster  Einheit  stehen  bleiben,  übertrifft.  So  erhalten  wir 
in  Verbindung  mit  dem  beigegebenen  Register  ein  förmliches  Ortslexi- 
kon, das  als  Kontrole  der  Karten  und  Reisewerke  vorzügliche  Dienste 
leistet.  Zugleich  erhellt  aber  auch,  wie  sehr  eine  neue  topographische 
Aufnahme  Bedürfnis  ist,  da  zahlreiche  in  diesem  Verzeichnis  enthaltene 
Ortschaften  weder  auf  der  Carte  de  la  Grece  (s.  u.),  2)  noch  auf  irgend 
einer  andern  Karte  nachweisbar  sind. 

In  vorstehenden  Publikationen  sind  natürlich  die  in  Folge  der  Ber- 
liner Konferenz  an  Griechenland  ausgelieferten  Gebietsteile  von  Thessa- 
lien und  Epirus  noch  nicht  berücksichtigt.  Es  war  daher,  schon  wegen 
der  Wahlen  zur  Kammer,  eine  der  ersten  Aufgaben  der  neuen  Verwal- 
tung, in  diesen  Provinzen  eine  Volkszählung  vorzunehmen,  deren  Ergeb- 
nisse u-  d.  T. 

llcvay.s^  Tüjv  inafj'^twv   Ilnscpou  xal   HeacraXcag  xaza  rrjv  dnoypatfijV 
Tou  1881.    Athen.     1884.    74  S. 
erschien,  mir  aber  im  Original  nicht  zu  Gesicht  gekommen  sind.     Doch 
sind  dieselben  der  Hauptsache  nach  allgemein  zugänglich  gemacht  in  dem 
Aufsatz  von 


1)  Auch  u.  d.  T.  Statistique  de  la  Grece.  Mouvement  de  la  popidation 
pendant  les  ann4es  1874—1877.  Im  Text  sind  ebenfalls  die  Überschriften  und 
die  Namen  der  Verwaltungsbezirke  in  französischer  Sprach«^  beigoscbrioben. 

2)  Nach  Kiepert  (Ztschr.  d.  Ges.  f.  Erd.  1884  S.  ö6  A.)  beträgt  die  Zahl 
der  in  dieser  Karte  fehlenden  Ortschatten  allein  über  200,  darunter  solche  von 
über  1000  Einwohnern! 


308^  Geographie  von  Griechenland. 

11  Kiepert,  Adiniiiistrativ-Einteilung  imd  nevölkerungsstand  der 
neuen  nördliclien  Provinzen  des  gricchisclicn  Königreiches.  Ztschr.  d. 
Ges.  f.  Erdk.  1884  S.  55—64. 

Kiepert  gibt  hier  neben  verschiedenen  belehrenden  Bemerkungen 
auch  eine  Kritik  der  für  die  neuen  Verwaltungsbezirke  beliebten  amt- 
lichen Benennungen,  welche  von  der  in  Griechenland  von  jeher  herr- 
schenden Sucht  beeinfluCst  sind,  antike  Ortsnamen  aus  der  Vergessen- 
heit liervorzuziehen  und  durch  dieselben  die  im  Volksmund  eingebür- 
gerten mittelalterlichen  Bezeichnungen  zu  verdrängen,  ein  Bestreben,  das 
bekanntlich  bei  der  Kritiklosigkeit  und  ünwissenschaftlichkeit  des  Ver- 
fahrens häufig  zu  ganz  falschen  Indentifizierungen  geführt  hat.  Dieses 
Vorgehen  ist  nicht  nur  gleich  den  archaistischen  Bestrebungen  in  der 
Sprache  eine  Versündigung  am  Volksgeist  und  der  Ehrwürdigkeit  ge- 
schichtlicher Überlieferung,  sondern  in  vielen  Fällen  eine  direkte  Irre- 
leitung des  Publikums,  das  natürlich  mit  der  Zeit  die  amtlich  eingeführte 
Bezeichnung  für  die  wirklich  überlieferte  hält  und  über  die  wahre  Lage 
vieler  antiker  Örtlichkeiten  getäuscht  wird.  Das  Verfahren  wird  kaum 
entschuldbarer,  wenn,  wie  dies  besonders  in  den  neuen  Provinzen  ge- 
schehen ist,  antike  Namen,  die  sich  einer  genauen  Lokalisierung  über- 
haupt entziehen,  auf  moderne  Demen  übertragen  werden,  nur  um  sie  zu 
verwenden,  und  weil  es  an  passenden  neueren  fehlt.  —  Zur  Erläute- 
rung von  Kieperts  Aufsatz  dient  eine  Karte  (T.  11)  in  l:400  0uO  (ohne 
Terrain),  welche  die  Einteilung  des  neuerworbenen  Gebietes  nach  dem  Ge- 
setz von  1883  in  Nomen  (Larissa,  Trikka,  Arta),  Eparchien  und  Demen  ver- 
anschaulicht, während  den  einzelnen  Ortschaften  die  Bevölkerungsziffern 
beigeschrieben  sind.  Übrigens  mufs  noch  darauf  aufmerksam  gemacht  wer- 
den, dafs  diese  erste  Zählung  in  den  neuen  Provinzen  wegen  der  Eil- 
fertigkeit, mit  der  sie  vorgenommen  wurde  und  des  Mifstrauens  der  an 
solche  Kulturarbeit  noch  nicht  gewöhnten  Bevölkerung,  zumal  der  mo- 
hammedanischen, noch  keinen  Anspruch  auf  grofse  Zuverlässigkeit  hat. 

Eine  Skizze  der  Bevölkerungsbew^egung  in  Griechenland  auf  Grund 
des  von  Mansolas  veröffentlichten  und  durch  direkte  Mitteilungen  aus 
dem  statistischen  Amt  bis  1883  erweiterten  Materiales')  sowie  statisti- 
sche Nachrichten  über  die  neuerworbenen  Gebietsteile,  wobei  Verf.  aber- 
mals auf  die  aufsergewöhnlich  lange  Lebensdauer  der  griechischen  Be- 
völkerung (vgl.  0.  S.  390)  zurückkommt,  gibt 

Bernhard  Ornstein,  Zur  Statistik  Griechenlands.  Petermanns 
Mitteil.  1887  S.  247—49,   1888  S.  312      14. 

Inzwischen  hat  in  Griechenland  (Mai  1889)  neuerdings  eine  Volks- 
zählung stattgefunden,  deren  vorläufige  Ergebnisse  (nach  Nomen)  Supan 


1)  Dasselbe  erschien  auch  iu  amtlicher  Form  u.  d.  T.  iTazta-rixij  r^e 
'Ekkadoi.  KivTjaiq  to'j  nkrjHuaiJ.oü  xard  tu  sty)  1878  83.  Athen.  1886.  4.  96, 
6  S.     (Miiiarakis  N.  SU).    Das  Original  ist  mir  nicht  zugänglich  geworden. 


Statistik.  399 

in  Petermanns  Mittcil.  1889  S.  291  bekannt  gemacht  hat,  wozu  jedoch 
die  Berichtigung  von  Philippson  ebd.  1890  S.  56  zu  vergleichen  ist.^) 
Die  Gesammtzahl  der  Bevölkerung  beträgt  hiernach  innerhalb  der  alten 
Grenzen  1843  141  (gegen  1679  884  im  Jahre  1879)  und  344  067  in  den 
neuen  Gebietsteilen  (gegen  293  028  im  Jahre  1881),  zusammen  2187  208. 
Eine  periodische  Veröffentlichung  von  amtlicher  Seite  begann  zu 
erscheinen  u.  d.  T. 

^zazcarcxrj  'Em&eujpr^ffig  roo  BaaiXztoo  rr^c  E^Moog  ixdcoo/isvrj 
hno  HXta  A taxoTTOi'j  Xou.  Reime  stntlstique  du  Royanme  de  In  Grhce. 
(Text  nur  griechisch!). 

Hiervon  sind  mir  zwei  Hefte  (Athen  1888)  zugegangen,  von  denen 
das  erste  (48  S.)  eine  'laroryta  rr^g  axa-taxiy.rjg  zo~)  TcXrjf^oaiioü  zrjg  ' EXKd- 
8og  (1821 — 83)  enthält,  das  zweite  (S.  49 — 96)  eine  Statistik  der  Univer- 
sität Athen  seit  ihrer  Gründung,  eine  Schulstatistik  für  die  Jahre  1884 
— 87  und  eine  Statistik  des  Weinbaues  gibt.  Ob  mehr  erschienen  ist, 
weifs  ich  nicht. 

Ausführliche  Berichte  sind  in  den  letzten  Jahren  vom  Finanzmini- 
sterium über  den  Handel  Griechenlands  veröffentlicht  worden,  welche 
nunmehr  die  Hauptquelle  für  die  Kenntnis  der  wirtschaftlichen  Verhält- 
nisse des  Königreiches  bilden.  Von  diesen  Berichten  sind  mir  durch  Re- 
ferate bekannt 

'KfiTTopcov  r^g  EXXddog  jizTa  rcvv  ^ivo)\>  iruxparscujv  dm)  1.  I'sttt. 
fis/pi  31.  Jex.   1886.    Athen.     1887. 

Commerce  de  la  Grece  avec  les  pays  6trangers  pendant  l'annee 
1887     Athen.     1888.    4.    395  S.^)    -    Desgl.  für  1888.    Athen.     1889. 

Über  die  erste  Veröffentlichung  hat  Partsch  im  Litteraturbericht 
zu  Petermanns  Mitteil.  1889  N.  560,  über  die  beiden  letzteren  Philippson 
ebd.  N.  561  und  N.  2618  eingehend  berichtet  und  die  wichtigsten  Daten 
mitgeteilt. 

Auf  Grund  des  hier  gebotenen  amtlichen  Materials  beruht  auch 
hauptsächlich  ein  Aufsatz  von 

Philippson,    Zur  Wirtschaftsgeographie  Griechenlands.     Globus. 
1890  S.  81—83,   106—109, 
in  welchem  der  Verf.   die  Bedeutung  Griechenlands   für  den  Weltmarkt, 


1)  Man  findet  diese  Ziffern,  sowie  auch  die  Bevölkerung  der  grofseren 
Städte  (Athen  107  251  gegen  63374  im  Jahre  1879,  Firäus  34  327,  Patras 
33529  u.  s.  VI.)  jetzt  am  besten  im  Gothaer  Hofkalender  1891  S.  720. 

2)  Von  Miliarakis  (N.  87)  u.  d.  T.  angeführt:  "EßTznpiov  r^g  ' EkXddoq 
fierd  z<üv  ^ivwv  inixpazstütv  xazd  zb  izoq  1887.  397  S.  Hiernach  scheinen 
also  diese  Berichte  sowohl  in  französischer  als  in  griechischer  Sprache  ver- 
öffentlicht zu  werden. 


400  Geographie  von  Griechenland. 

sowie  die  laudwirtschaftliche  und  gewerbliche  Leistungsfähigkeit  des  Kö- 
reicbs,  in  letzterer  Hinsicht  sehr  pessimistisch,  charakterisiert. 

Ich  schliefse  hieran  einen  andern  Aufsatz  desselben  Verfassers 

Über  Besiedelung  und  Verkelir  in  Moroa.  Verhandl.  d.  Ges.  f. 
Erdk.  1888  S.  442—55. 

Pbilippson  erörtert  hier  nach  einer  Skizzicrung  der  ethnographi- 
schen Verhältnisse,  über  die  er  sich  inzwischen  an  anderer  Stelle  ein- 
gehender ausgesprochen  hat  (s.  o.  S.  394 f.),  hauptsächlich  die  materiellen 
Lebensbedingungen  der  Bevölkerung  (Korinthenbau,  Ölbaumzucht,  Ge- 
treidebau, Viehzucht)  und  schildert  den  Charakter  der  menschlichen 
Wohnplätze,  bei  denen  der  Dorftypus,  mit  Ausschlufs  der  Einzelgehöfte 
und  Vermeidung  städtischer  Anlagen  in  unserem  Sinne  (nur  Patras  ver- 
dient diesen  Namen)  vorherrscht.  »Die  höchsten  dauernd  bewohnten,  d.  h. 
ackerbauenden  Ortschaften  liegen  in  1250  m.  Darüber  hinaus  liegt  dann 
das  Gebiet  der  ausschliefslichen ,  und  zwar  nomadisierenden  Viehzucht 
bis  zu  den  höchsten  Gipfeln«  (S.  449).  Der  Binnenverkehr  ist  trotz 
einiger  neugebauter  Strafsen  noch  wenig  entwickelt  und  wird  sich  erst 
mit  der  weiteren  Ausdehnung  des  Eisenbahnnetzes  wesentlich  heben. 

Zur  statistischen  Literatur  im  weiteren  Sinne  gehört 

A.  Mansolas,  La  Grece  ä  l'exposition  universelle  de  Paris  en  1878. 
(2.  ed.)  Paris.    1878.    12.    X  186  S. 

Der  Inhalt  des  Büchleins  entspricht  nicht  dem  Titel ;  dasselbe  gibt 
nämlich,  nach  einer  kurzen  geographischen  Einleitung  (;i9  S.),  in  welcher 
auch  der  Geologie  (von  Kordellas)  und  der  Klimatologie  (von  Dragumis) 
besondere  Abschnitte  gewidmet  sind,  eine  übersichtliche  statistische  Be- 
schreibung des  Königreichs  (Bevölkerung,  Unterrichtswesen,  gemeinnützige 
Gesellschaften,  Bibliotheken,  Museen,  Zeitungen,  Wohlthätigkeitsanstalten, 
Landwirtschaft,  Gewerbthätigkeit,  Handel  und  Finanzen).  Ähnlichen  Cha- 
rakters scheint  zu  sein  die  mir  nicht  näher  bekannte  Schrift  von 

Basile  Digenis,  Quelques  notes  statistiques  sur  la  Grece.  Mar- 
seille.   1877.    62  S.    (Miliarakis  N.  70). 

Ebenfalls  unzugänglich  ist  mir 

T.  K.  Nou^dxrjg,  Ndoc:  ^(u/joypd^exog  7Tcva$  nspcd^ojv  ruuc  vofioüg, 
rag  irMpyJag^  roug  8rj/JiOug,  rag  Tio^etg,  xajij.on('j?iecg.  ^lufjcu^  rag  utio- 
(TTd(Te:g,  tov  -nXrjHuajxuv  xrX.  {-7jg  'EXkddug).  Athen.  1885.  205  S.  Mit 
einer  Distanzkarte  der  Kreishauptstädte  und  Seehäfen.  (Miliarakis 
N.  83). 

Das  gleiche  gilt  von  folgenden,  eine  mehr  oder  minder  vollstän- 
dige Übersicht  der  historisch -politischen  Geographie  von  Griechenland 
enthaltenden  Schriften : 


Allgemeines.  401 

M.  S.  FpfiyopoTZoöloD^  Ihpiriyrjaiq  iv  'EXXddt  rjroc  yecDypa^txr], 
ccrropcxrj,  äpy^aioXoytxrj,  ifxnopcxrj  xac  (TTarca-rcxr/  7T£pcypa(fi^  tüjv  inicfitj- 
po-ipwv  TtöXziov  ZOO  'EXXrjVixoh  ßaaiXeio'j.  Athen.  1883.  Zweite  Aus- 
gabe 1886.     (Miliarakis  N.  80). 

MtXz.  Mnouxag ^  'Oor^yög  iptnopcxctg,  ysüjypaipixhg  xac  icrzopixug 
rujv  Tikziazuiv  x'jpiujzipcov  ttuXsiuv  zr^g  'Ekkddug  zod  ezoug  1875.  Athen. 
1875.    376  S.     (Miliarakis  N.  150). 

fkiupy.  II.  Kpijiog,  'lazoptxtj  yeuiypa<pia  zr^g  dp^atag^  ixeaatcovtxYJg 
xa\  viag'Ekkdoug.    Athen.     1878.    216  S.     (Miliarakis  N.  10). 

Pierre  A  Moraitinis,  La  Grece  teile  qu'elle  est.  Paris,  Didot, 
1877.    XU  589  S.    Fr.  10. 

Wenn  man  nach  dem  Titel  urteilen  darf,  so  ist  die  letztgenannte 
Schrift  vielleicht  ein  Gegenstück  zu  dem  bekannten,  auch  in  Griechen- 
land vielgelesenen,  aber  mit  begreiflichem  Ärger  aufgenommenen  Buche 
von  Edmond  About,^),  welches  noch  immer  so  abgedruckt  wird,  als  ob 
sich  in  Griechenland  seit  1853  gar  nichts  verändert  hätte  und  König 
Otto  mit  Königin  Amalie  noch  auf  dem  Thron  säfse. 

Derselben  Literaturgattung  ist  anzureihen 

J.  Pervanoglu,  Kulturbilder  aus  Griechenland.  Mit  einem  Vor- 
wort von  A.  R.  V.  Rangabe.  Leipzig  1880.  Wilhelm  Friedrich.  VIII 
150  S.    M.  4. 

Eine  patriotisch-panegyrische,  dabei  trivale  Schilderung  von  Land 
und  Leuten,  Sitten  und  Gebräuchen,  Volksbelustigungen  u.  s.  w.,  nebst 
einigen  allgemeinen  Kapiteln  über  Athen  als  Hauptstadt  Griechenlands, 
Literatur  und  Sprache,  Handel,  Industrie  und  Politik ;  ohne  wissenschaft- 
lichen Wert.  2) 

In  eine  fast  wie  ein  Traum  hinter  uns  liegende  Zeit  werden  wir 
versetzt  durch  die 

Bilder  aus  dem  Leben  der  Neugriechen.  Vor  der  Befreiung  Grie- 
chenlands vom  türkischen  Joche.  Nach  der  Natur  gezeichnet  von  Otto 
Magnus  Frhrn.  von  Stackeiberg.  Dresden,  G.  Gilbers,  1877.  Quer  4. 
10  Taf.  in  Lichtdruck  u.  10  Bl.  Text.    M.  20. 

Diese  erst  nach  so  langer  Zeit  aus  dem  Nachlafs  des  bekannten 
Alterturasforschers  durch  dessen  Tochter 3)  herausgegebenen  Skizzen  bil- 
den eine  Ergänzung  zu  des  Verfassers  unvollendet  gebliebenen  »Trach- 


1)  La  Grece  contemporaine.     Paris  1853      9    Aufl.  1886.    408  S. 

2)  Vgl.  die  Besprechung   von  Krumbacher   in   den  Blättern  f.  d.  bayer. 
Gymnasialwes.  XVII  121—23. 

3)  Das  Vorwort   ist  unterzeichnet  »N.  v.  St.«  (2^atalie  von  Stackeiberg). 

Jahresbericht  für  AUerthumswissenschaft.    LXIV.   Bd.    (1890.  HI.)  2G 


402  Geographie  von  Griechenland. 

teil  und  Gebräuchen  der  Neugriechena  (zwei  Hefte,  Berlin  1835/36),  und 
sind  für  den,  der  Griechenland  selbst  besucht  hat,  nicht  ohne  Interesse, 
weil  sie  uns  Städte-  und  Kulturbilder  aus  der  Zeit  der  türkischen  Herr- 
schaft vorführen  und  so  den  enormen  Unterschied  von  damals  und  heute 
veranschaulichen. 

Unzugänglich  ist  mir 

Bent,  On  Insular  Greek  Customs.  Journ.  Anthr.  Inst.  1886  S.  391. 
Vgl.  die  kurze  Besprechung  von  Langkavel  im  Literaturber.  zu  Peter- 
manns Mitteil.  1887  N.  220.  i) 

Das  Buch  von 

Lewis  Sergeant,    New  Greece.     With   maps  specially  prepared 
for  this  work.    London,  Paris  und  New- York,  Cassell  Petter  &  Galpin. 
S.a.    (Erschienen  1878).    XVI  413  S.    M.  25(!) 
enthält  eine  Reihe  volkswirtschaftlicher  und  historisch-politischer  Betrach- 
tungen eines   Philhellenen   über    das   Königreich  Griechenland   und   den 
modernen  Hellenismus,  ohne  geographisches  Interesse. 
Ein  kleineres  Buch  desselben  Verfassers 

Greece,  With  Illustrations  a.  Maps.    London,  S.  Low  &  Co.     1880. 
12.    190  S.    M.  4,20 
ist  mir  nicht  näher  bekannt  geworden. 

Ebenso  kenne  ich  nur  dem  Titel  nach 

C.  H.  Hanson,  The  Land  of  Greece,  described  and  illustrated 
with  44  Illustrations  and  3  Maps.  New- York,  Nelson  &  Sons.  1887. 
VI  400  S.    M.  20. 

Auch  die  neue  Ausgabe  des  hübschen  Werkes  von 

Christ.  Wordsworth,    Greece,  pictorial,  descriptive  and  histo- 
rical.    New  Ed.  rev.  by  H.  F.  Tozer.     London,  Murray  1882.2)    480  S. 
Sh.  31  d.  6.     (Vgl.  Biblioth.  philol.  class.  1882  S.  323). 
ist  mir  leider  nicht  zu  Gesicht  gekommen,  ebensowenig  ein  neues  Buch  von 

J.  P.  Mahaffy,  Greek  Pictures  drawn  with  pen  and  pencil.    Lon- 
don, The  Religions  Trait  Society.    1890.    4.    223  S., 
über  welches  Chr.  B(elger)  in  der  Berl.  Philol.  Wochenschr.  1890  S.  1606  f. 
kein  sehr  günstiges  Urteil  fällt. 

Ganz  dilettantisch  ist  auch 


1)  Inhaltlich  scheint  sich  mit  dieser  Abhandlung  zum  Teil  desselben 
Verfassers  Buch  »The  Cyclades,  er  Life  among  the  Insular  Greeksoi  (London 
IbSä),  (las  mir  ebenfalls  nicht  zugänglich  ist,  zu  decken 

')  Die  1.  Ausg.  erschien  1850  mit  28  Stahlstichen  u.  350  Holzschnitten). 


Allgemeines.  403 

Griechenland  in  Wort  und  Bild.  Eine  Schilderung  des  helleni- 
schen Königreiches  von  Amand  Frhrn.  von  Schweiger- Lerchen- 
feld. Mit  200  Illustrationen.  Leipzig,  Heinrich  Schmidt  und  Karl 
Günther.    1882.     XIV  224  S.    M.  30. 

Die  beigegebeuen  Illustrationen,  unter  denen  man  manche  wohlbe- 
kannte photographische  Aufnahme  wiederfindet,  sind  durchschnittlich 
etwas  besser  als  man  sie  in  der  Mehrzahl  ähnlicher  »Prachtwerkec  in 
»Wort  und  Bild«  zu  finden  gewohnt  ist,  erheben  sich  aber  nicht  auf  das 
Niveau  der  Bilder  in  den  vornehm  ausgestatteten  Werken  von  G.  Ebers 
und  H.  Guthe  über  Aegypten  und  Palästina. 

Wir  haben  im  Vorhergehenden  eine  Reihe  von  Publikationen  genannt, 
welche  sich  mit  dem  modernen  Griechenland  im  Allgemeinen  be- 
schäftigen, in  denen  jedoch  der  geographische  Gesichtspunkt  meist  nur 
nebenbei  zur  Geltung  kommt.  Ein  rein  topographisches  Spezialwerk  über 
das  heutige  Griechenland  gibt  es,  wenn  wir  von  Neumann-Partsch  (s.  o. 
S.  360 ff.)  und  den  doch  zunächst  praktischen  Bedürfnissen  dienenden 
Reisehandbüchern  (s.  u.)  absehen,  zur  Zeit  nicht.  Man  ist  in  dieser  Hin- 
sicht immer  noch  auf  die  Litteratur  der  geographischen  Handbücher 
angewiesen,  deren  wissenschaftlicher  Wert  bekanntlich  meist  ein  sehr  ge- 
ringer ist.  In  entschiedenem  Gegensatz  zu  der  traditionellen  Manier 
dieser  Handbücher  trat  jedoch  das  berühmte  Werk  des  französischen 
Geographen  (,und  Kommunisten)  £lisee  Redus,')  in  welchem  uns  zu- 
erst eine  Länderkunde  grofsen  Stiles  im  moderneu  Sinne  geboten  wurde. 
Der  erste,  die  drei  südeuropäischen  Halbinseln  behandelnde  Band  dieses 
Riesenwerkes  widmet  auch  Griechenland  einen  ausführlichen  Abschnitt, 2) 
welcher,  wie  das  ganze  Werk,  durch  saubere  Spezialkärtchen  und  Ab- 
bildungen erläutert  ist,  und  jedermann  als  Muster  einer  ebenso  klaren 
und  lesbaren  wie  den  Geist  moderner  geographischer  Wissenschaft  ath- 
menden  Darstellung  empfohlen  werden  kann. 

Die  Werke  über  die  Balkanhalbinseln  von  fimile  de  Lavele}  e^) 
und  A.  E.  Lux*)  brauchen  hier  nicht  näher  besprochen  zu  werden,  da 
sie  beide  Griechenland  ausschliefsen.  Dagegen  liegt  eine  beachtenswerte 
Leistung  vor  in  dem  Buche 


1)  Mouvelle  Geographie  Universelle.  Vol.  I.  L'Europe  Meridionale. 
Paris,  Hachotte  1876.  Die  im  Jahre  1887  erschienene  zweite  Ausgabe  dieses 
Bandes  habe  ich  nicht  gesehen. 

2)  Chap  IV.  La  Grece  S.  53-127.  Auch  Ch.  V.  La  Turquie  d'Eu- 
rope  kommt,  da  es  auch  Epirus,  Thessalien  und  die  Inseln  dos  Archipels  um- 
fafst,  für  öriechcLland  noch  in  Betracht. 

3)  La  Peninsiile  des  Balkans.  2  vol.  ßrux.  1886.  —  Die  Balkanländer. 
Übers,  v.  E.  Jacobi.  Zwei  Bände.  Leipzig  1888.  Vgl.  Supan  im  Literatur- 
ber.  zu  Pelermanns  Mitteil.  1887  N.  214. 

•»)  Die  Balkanhalbinsel  (mit  Ausschlufs  von  Griechenland).  Freibuig 
i.  B.  1887.     Vgl.  Supan  a.  a.  0.  1888  JS.  266. 

26* 


404  Geographie  von  Griechenland. 

Griechenland,  Makedonien  und  Südalbanien,  oder:  Die  südliche 
Balkanhalbinsel.  Militärgeograi)hiscli ,  statistiscli  und  kriegshistorisch 
dargestellt  von  Anton  Tuma.  Hannover,  Helwing.  1888.  VIII 
330  S.    M.  7. 

Der  Schwerpunkt  des  Buches,  welches  ein  Gegenstück  zu  des  Ver- 
fassers früher  erschienenem  Werke  »Die  östliche  Balkanhalbinsel«  (Wien 
1886)')  bildet,  liegt,  wie  schon  der  Titel  andeutet,  auf  der  militärischen 
Seite.  In  rein  geographischer  Hinsicht  bietet  dasselbe  kaum  Neues.  Der 
Verf.  stützt  sich  lediglich  auf  die  Literatur,  die  ihm  noch  dazu  sehr 
lückenhaft  bekannt  ist;  so  fehlen  in  dem  Verzeichnis  derselben  (S  2 f.) 
die  Werke  von  Bursian  und  Neumann-Partsch!  Hauptquelle  für  die 
Einzelschilderung  ist  die  Wiener  Karte  (s.  u.),  neben  welcher  doch  auch 
die  derselben  zu  Grund  liegende  Carte  de  la  Grhce  hätte  benutzt  werden 
sollen;  die  orographische  Beschreibung  wäre  dann  wohl  etwas  schärfer 
ausgefallen ! 2)  Sehr  ausführlich  wird  die  Hydrographie  behandelt;  doch 
würde  der  hier  angehäufte  Stoff  sich  erst  dann  brauchbar  erweisen,  wenn 
dem  Buche  ein  Register  oder  wenigstens  ein  ausführliches  Inhaltsver- 
zeichnis beigegeben  wäre.  Dafs  indessen  auch  hier  die  geographische 
Literatur  nicht  genügend  verarbeitet  ist,  zeigt  die  sachlich  wie  stilistisch 
gleich  mifslungene  Beschreibung  des  Thermopylenpasses  (S.  69).  Der 
beste  Teil  des  Buches  ist  der  Abschnitt  über  die  Verkehrswege  der 
südlichen  Balkanhalbiusel,  ein  Moment,  das  bis  jetzt  in  geographischen 
Werken  im  Allgemeinen  noch  immer  zu  wenig  berücksichtigt  wird.  Hier 
kommt  auch  das  fachmännische  Urteil  des  Militärs  in  vollem  Mafse  zur 
Geltung  und  diefs  ist  um  so  höher  anzuschlagen,  als  bei  der  Stetigkeit 
der  von  der  Natur  vorgezeichneten  Verkehrslinien  auch  die  Darstellung 
historischer  Vorgänge  aus  dem  Buche  Nutzen  ziehen  kann.  Um  so  wert- 
loser ist  dafür  wieder  das  Kapitel  über  die  klimatischen  und  meteorolo- 
gischen Verhältnisse,  in  welchem  der  Verfasser  —  man  lese  und  staune ! 
—  sich  vorwiegend  auf  Pouqueville  stützt,  »welcher  als  Kenner  des 
modernen  Griechenlands  eine  anerkannte  Autorität  ist«  (so  wörtlich  S.  169); 
dafs  nach  der  mustergiltigen  Darstellung  des  griechischen  Klimas  durch 
Partsch  noch  derartige  Worte  geschrieben  werden  konnten,  sollte  man 
allerdings  nicht  für  möglich  halten.  Nicht  viel  mehr  als  der  klimatolo- 
gische  Abschnitt  taugt  die  ethnographische  Schilderung,  bei  welcher 
wieder  der  unvermeidliche  Pouqueville  eine  grofse  Rolle  spielt,  während 
das  Schlufskapitel  über  die  befestigten  und  sonstigen  militärisch  wichti- 
gen Punkte,  über  die  Wehrmacht  Griechenlands  und  die  neue  türkisch- 


1)  Vgl.  Supan  a.  a.  0.  1887  N.  215  und  1888  N.  267. 

2)  Auf  die  ausschliefslicbe  Benutzung  der  stellenweise  etwas  unklaren 
Wiener  Karte  ist  auch  der  konsequent  wiederkehrende  Irrtum  in  der  Schrei- 
bung   ['eiuchi  Statt    Vdnc.hi  (Tymphrestn«  der  Alten)  zurückzuführen. 


Militärgeographie.  405 

griechische  Grenze  die  eigentlichen  Fachkenntnisse  des  Verfassers  wieder 
in  erfreulicher  Weise  in  den  Vordergrund  treten  läfst. 

Fast  ganz  unbekannt  scheint  aufserhalb  Griechenlands  folgendes 
ebenfalls  aus  militärischem  Interesse  entstandenes  Werk  zu  sein,  welches 
deshalb  auch  etwas  ausführlicher  besprochen  sein  mag: 

'Odo'.nopcxo.l  ariiietwascg  Maxedovt'ag,  'Hrisipoo,  veag  opoi^srix^g  Tpo^ß- 
firjg  xa\  SsaaaXtag  auvra'/^Hslaai  r^  evzoXrj  zou  im  riuv  orpartüjrixüJv 
unoüpyou  um  NcxoXdou  0.  Zy^tvä^  Tayixo.Tdp)^o<j  roo  pr^-)[avixoö  (Ma- 
jor im  Geniekorps).     ^Ev  'A9rjva:g,  rünotg  Messager  d'Athenes. 

Der  Schwerpunkt  dieser  im  Auftrag  des  Kriegsministeriums  ver- 
fafsten  Arbeit  liegt  in  der  Beschreibung  (des  südlichen)  Makedoniens  und 
der  griechisch-türkischen  Grenze.  Epirus  und  Thessalien  kommen  nur 
so  weit  in  Betracht,  als  sie  von  der  jetzigen  Landesgrenze  durchzogen 
werden.  Das  Ganze  umfafst  vier  Bändchen  in  bequemem  Taschenformat 
(Duodez),  was  ebenso  wie  der  Inhalt  darauf  hindeutet,  dafs  dieselben 
in  erster  Linie  zum  Felddienstgebrauch  bei  einem  etwaigen  Vormarsch 
griechischer  Truppen  nach  Makedonien  bestimmt  sind.     Ein  Teil, 

'Opoßö-ixij  ypapiiYj.  1886.  274  S  Dr.  2,50, 
ist  ausschliefslich  der  Landesgrenze  gewidmet,  welche  sammt  den  an 
derselben  gelegenen  Ortschaften  vom  Golf  von  Saloniki  angefangen  bis 
zum  Golf  von  Arta  sehr  ausführlich  beschrieben  wird  (S.  1  —  177);  hieran 
schliefsen  sich  noch  Mitteilungen  über  die  von  Larissa  und  den  wichti- 
geren Orten  am  linken  Peneiosufer  nach  den  Stationen  der  Grenze  füh- 
renden Wege.  Die  drei  übrigen  Teile  enthalten  die  ' OBomopixä  Maxe- 
8oviag  und  zwar  gibt  das  erste  {0uUdd.  A'.  1886.  ve'  200  S.  Dr.  2,50) 
zunächst  eine  Einleitung  über  die  allgemeine  (besonders  physische)  Geo- 
graphie Makedoniens,  welche  jedoch  nach  einem  ganz  äufserlichen 
und  unwissenschaftlichen  Schema  abgehandelt  wird  (Berge,  Ebenen,  Seen, 
Flüsse  u.  s.  w.),  sodann  eine  sehr  spezielle  Beschreibung  aller  von  grie- 
chischen Orten  an  der  Nordgrenze  nach  jenseits  derselben  gelegenen  tür- 
kisclien  Orten  führenden  Wege,  von  Metsovo  im  W  beginnend  bis  zur 
Meeresküste  im  0;  der  Hauptanteil  an  dieser  Beschreibung  entfällt,  im 
Gegensatz  zum  vorgenannten  Bäudchen,  auf  die  türkische  Seite.  Hier- 
bei werden  aufser  über  die  Beschaffenheit  der  Wege  auch  über  alle  be- 
rührten Ortschaften  bis  zu  den  kleinsten  Dörfern,  Einzelgehöften  und 
Hans  herab  topographisch-statistische  Mitteilungen  gegeben,  deren  Um- 
fang natürlich  nach  der  Bedeutung  der  einzelnen  Objekte  schwankt.  Für 
den  Inhalt  dieser  Mitteilungen  ist  wiederum  in  erster  Linie  das  militä- 
rische Interesse  mafsgebend,  so  finden  sich  z.  B.  Angaben  über  die  Zahl 
der  Hans  in  den  gröfseren  Orten  und  ihre  Kaumverhältnisse,  über  die 
Möglichkeit  der  Verproviantierung  u.  s.  f. ;  doch  enthalten  dieselben  auch 
sonst  eine  Fülle  von  topographischem  und  statistischem  Material,  wie  wir 


i 

406  Geographie  von  Griechenland. 

es  in  dieser  Detailausführiing  sonst  nirgends  finden.  Freilich  wird  man 
die  Zuverlässigkeit  desselben  nicht  allzu  hoch  veranschlagen  dürfen,  da 
z.  B.  die  Zahlenangaben  über  die  christliche  und  mohammedanische  Be- 
völkerung in  türkischen  Ortschaften  naturgemäfs  sehr  unsicher  sein 
müssen.  Dagegen  macht  die  topographische  Beschreibung  so  weit  man 
ohne  eigene  genaue  Kenntnis  des  Terrains  urteilen  kann,  den  Eindruck 
grofser  Sorgfalt  und  Genauigkeit,  so  dafs  die  Kartographie  des  türki- 
schen Gebietes  daraus  wohl  manchen  Nutzen  wird  ziehen  können  Zu- 
nächst kommen  die  oberen  Thallandschnften  des  Haliakmon  und  der 
türkische  Anteil  des  Olympos  in  Betracht,  weiterhin  erstreckt  sich  die 
Beschreibung  in  diesem  Bande  etwa  bis  zu  der  Linie  Korytsa,  Ka- 
storia,  Kailar,  Vodena  (das  alte  Aigai-Edessa),  Janitza,  Salo- 
niki. Die  Mitteilungen  über  die  letztere  Stadt  (auch  über  Vodena)  sind 
besonders  ausführlich.  Am  Schlufs  ist  ein  Kärtchen  des  Golfs  von  Sa- 
loniki mit  der  nächsten  Umgebung  dieser  Stadt  beigefügt. 

Das  zweite  Bändcheu  {Teu^ug  B' .  1886.  S.  281—482.  Dr.  2,50) 
setzt  das  Routennetz  mit  mehr  und  mehr  sich  erweiternden  Maschen 
über  den  gröfsten  Teil  von  Makedonien  fort,  und  zwar  im  W  bis  zu  den 
albanesischen  Seen  und  darüber  hinaus  bis  Elbassan,  im  N  bis  Üsch- 
küb  und  zur  bulgarischen  Grenze,  im  0  bis  zum  Mestaflusse. 

Der  dritte,  und  wie  es  scheint,  letzte  Teil  (TeiJ^og  /".  1887. 
S.  489—872.  Dr.  4)  enthält  zunächst  die  Widmung  des  Werkes  an  den 
Kronprinzen  von  Griechenland,  sodann  eine  umständliche  Beschreibung 
der  Halbinsel  Chalkidike,  von  welcher  wiederum  die  Landzunge  des 
Athos  ('Aytoi'  "Opog)  am  ausführlichsten  behandelt  ist  (S  533  711). 
Dieser  Abschnitt,  welcher  durch  zahlreiche  schlechte  Holzschnitte,  ein- 
zelne Klöster  darstellend,  erläutert  wird,  ist  auch  in  einer  Sonderaus- 
gabe erschienen,  und  zwar  auf  etwas  besserem  Papier,  das  die  Holz- 
schnitte etwas  erträglicher  erscheinen  läfst.  M  Auf  die  Beschreibung  der 
Chalkidike  folgt  eine  Inhaltsübersicht  ülier  die  drei  Teile,  sowie  ein  al- 
phabetisches Register  aller  in  denselben  enthalteneu  Ortsnamen  mit  Her- 
vorhebung der  Hauptstellen.  Durch  dieses  Register  erhält  der  an  sich 
ungeniefsbare  Inhalt  der  drei  Bände  die  Bedeutung  eines  Nachschlage- 
werkes und  wird  so  auch  für  ein  weiteres  Publikum  nutzbar.  An  das- 
selbe schliefsen  sich  dann  noch  zahlreiche  Berichtigungen  und  Ergän- 
zungen, eine  statistische  Übersicht  der  Ortschaften  Makedoniens  nach 
politischen  Bezirken  mit  Rückweisen  auf  den  Text,  ein  Verzeichuis  der 
türkischen  Post-  und  Telegraphenämter  sowie  der  fremden  Konsulate, 
endlich  eine  Beschreibung  der  Insel  Thasos  (S.  843  68).  Am  Schlufs 
sind  noch  mehrere  Kärtchen  von  einzelnen  Teilen  der  makedonisch-chal- 
kidischen  Küste  beigegeben,  welche  lediglich  auf  den  englischen  Seekar- 
ten beruhen  und  wissenschaftlich  wertlos  sind.     Vgl.  Nachtrag. 


1)  'OSot-nopixuv  TOM  'Afiov^Opoui.    tj'  lr.4  8.  Dr.  2,50. 


Reiseführer  407 

Ähnlichen  Charakters  wie  die  Routenaufnahmen  von  Schinas  scheint 
folgende  von  Miliarakis  N.   155  angeführte  Schrift  zu  sein: 

'ühomopLxa  'Iheipuu  xai  Bs.aaa}Iaq  urJj  roo  Tiapä  zw  unoopyeiu)  -cuiv 
arpaztujTixwv  imrBXtxoTj  jpafztuo.    Athen      1880.    247  S. 

Die  zuletztgenannten  militärgeographischen  Werke,  deren  Schwer- 
punkt in  umständlichen  Routenbeschreibungeu  liegt,  leiten  uns  bereits  hin- 
über zu  einem  anderen  Zweige  der  geographischen  Literatur,  welcher  in 
unserer  Zeit  fortwährend  an  praktischer  Wichtigkeit,  zum  Teil  aber  auch 
an  wissenschaftlicher  Vertiefung  zunimmt,  nämlich  den  Reisehand- 
büchern. In  Deutschland  mufste  man  ziemlich  lange  warten,  ehe  man 
für  Griechenland  mit  einem  den  Bedürfnissen  wissenschaftlich  gebildeter 
Reisenden  entsprechender  Reiseführer  versehen  wurde.  Denn  ein  von 
dem  bekannten  Publizisten  Moritz  Busch  verfafstes  Handbuch,  welches 
zudem  längst  völlig  veraltet  ist,*)  konnte  diesen  Bedürfnissen  nicht  genügen. 
Dasselbe  gilt  von  des  Verfassers  später  erschienenem  Handbuch  für  die 
Türkei,  3)  welches  aufser  einer  breit  gehaltenen  Beschreibung  von  Kon- 
stantinopel auch  kurze  Angaben  über  die  Hauptrouten  in  Makedonien 
und  Albanien  enthält,  aber  in  dieser  Hinsicht  weit  hinter  den  Werken 
von  Isambert  und  Murray  (s.  u.)  zurücksteht.  Auch  der  nur  für  den 
Westen  Griechenlands  in  Betracht  kommende 

Illustrierte  Führer  durch  Dalmatien  längs  der  Küste  von  Albanien 
bis  Corfu  und  nach  den  ionischen  Inseln.  Mit  35  Illustrationen  und 
fünf  Karten.  Wien,  Pest.  Leipzig;  A.  Hartlebens  Verlag.  1883.  12. 
XVI  138  S.    Geb.  Fl.  1,50, 

worin  (S.  107—30)  eine  kurze  Beschreibung  der  Reise  von  Cattaro  nach 
Corfu  nebst  Winken  über  Ausflüge  nach  St.  Maura,  Prevesa-Nikopolis, 
Kephalonia,  Ithaka,  Zante  und  Patras  gegeben  wird,  erhebt  sich  nicht 
über  das  Niveau  der  Bücher  von  Busch.  Die  Illustrationen  sinken  bei 
dem  kleinen  Format  zur  blofsen  Spielerei  herab. 

Ein  wirklich  brauchbares  Hilfsmittel  für  den  Reisenden  in  Grie- 
chenland lieferten 


1)  Reisehandbuch  für  Griechenland  mit  Einschlufs  Thessaliens,  Alba- 
niens, der  Inseln  des  Archipelagus  und  der  ionischen  Republik.  Triest.  1858. 
16  XXXVl  217  S.  (fünfter  Band  von  Lloyds  Illustr.  Reisebibliothek).  Verf. 
schrieb  auch  den  Text  zu  A.  Lötflers  »Bilder  aus  Griechenland«.  Triest, 
Liter.-artist.  Anstalt.     1869.  Fol. 

2)  Die  Türkei.  Reise-Handbuch  für  Konstantinopel,  die  untere  Donau, 
Bulgarien,  Maccdonien,  Bosnien  und  Albanien.  Dritte  Aufl.  Triest,  Lit,-art. 
Anst.  (J.  Ohswaldt)  und  Wien,  Moritz  Perles.  1881.  16.  VIII  232  S.  Geb. 
M.  4. 


408  Geographie  von  Griechftniand. 

Mcyprs  Reisebticlior.  Der  Orient.  ZAveiter  Band.  Syrien,  Pa- 
lästina, Griechenland  nnd  Türkei.  Leipzig.  Bibliographisches  Institut. 
1882.    12.    XII  623  S. 

Meyers  »Orient«  ist  für  jene  Mehrzahl  von  Touristen  berechnet, 
welche  nur  das  Wichtigste  und  Bekannteste  in  möglichst  kurzer  Zeit  be- 
sichtigen wollen.  So  beschränkt  sich  auch  der  Griechenland  betreffende 
Abschnitt  (S  203 — 376)  auf  die  Beschreibung  von  Athen  und  der  dort- 
hin führenden  Routen,  auf  die  Ausflüge  in  Attika  und  die  Tour  nach 
Mykenae  und  Olympia. ' )  Bei  den  kartographischen  Beilagen,  von  denen 
aufser  einer  Übersichtskarte  von  Griechenland  (1:1400  000)  und  einem 
hübschen  Kärtchen  des  mittleren  Attika  (von  Salamis  bis  Marathon)  in 
1  :  281000  die  Pläne  von  Athen,  Piräus  und  Olympia  hervorzuheben  sind, 
verdient  die  gefällige  Ausführung  Anerkennung.  Inzwischen  erschien  1888 
eine  zweite  Auflage  des  Buches  u.  d.  T.  »Türkei  und  Griechenland,  un- 
tere Donauländer  und  Kleinasien«  (geb.  M.  14),  in  welcher  der  Abschnitt 
über  Griechenland  (S.  414—632)  um  einige  Routen  im  Peloponnes  be- 
reichert ist; 2)  im  übrigen  wurde  der  ursprüngliche  Standpunkt  beibe- 
halten. Das  weitaus  vollkommenste  jedoch,  was  an  Reisebüchern  über 
Griechenland  erschienen  ist,  bietet 

Griechenland.  Handbuch  für  Reisende  von  Karl  Baedeker. 
Mit  einem  Panorama  von  Athen,  sechs  Karten,  sieben  Plänen  und  an- 
dern Beigaben.  Leipzig,  Karl  Baedeker.  1883.  CXXII  371  S.  — 
Zweite  Auflage  (mit  14  Plänen).    1888.    CXXII  389  S.  M.  10.3) 

Der  Hauptteil  des  Textes  ist  von  H.  G.  L ollin g  bearbeitet;  der 
Abschnitt  über  Olympia  rührt  von  W.  Dörpfeld  und  K.  Purgold  her, 
andere  Beiträge  haben  E.  R  ei  seh  (Kephalonia  und  Ithaka)  und  F.  Win- 
ter (Delos)  geliefert.  Die  Einleitung  enthält  u.  A.  einen  knappen,  aber 
inhaltreichen  Abrifs  der  griechischen  Kunstgeschichte  von  R.  Kekule 
(S.  LXVII — CXIX).  Durch  dieses  Zusammenwirken  verschiedener  wissen- 
schaftlicher Kräfte  ist  »Baedekers  Griechenland«  ein  ebenso  wissenschaft- 
lich tüchtiges  wie  für  den  Reisenden  brauchbares  Hilfsmittel  geworden, 
das  sich  würdig  den  ebenfalls  von  Fachmännern  bearbeiteten  Hand- 
büchern für  Ägypten  und  Syrien  zur  Seite  stellt.  Wie  die  letzteren  ge- 
hört es  zu  den  zweckmäfsigsten  Nachschlagebüchern,  wenn  es  sich  darum 
handelt,  sich  über  irgend  welche  topographische  Einzelheiten  rasche  und 
zuverlässige  Auskunft  zu  erholen.     Aber  auch  seinem  Hauptzweck,  dem 


1)  Corfu  und  die  übrigen  ionischen  luselu  sind  iu  Bd.  1  Ägypten  (1881) 
S.  63-76  bebandelt. 

2)  Die  Beschreibung  Syriens  u.  s.  w.  ist  in  die  1889  erschienene  zweite 
Ausgabe  des  ersten  Bandes  aufgenommen,  welcher  jetzt  den  Titel  führt: 
»Ägypten,  Palästina  und  Syrien«. 

3)  Eine  englische  Ausgabe  erschien  1889.  Vgl  Philol.  Wochenschr.  1890 
Sp.  1573. 


Reiseführer.  409 

Bedürfnisse  des  Reisenden,  wird  es  in  jeder  Hinsicht  gerecht,  wie  Refe- 
rent aus  eigener  Erfahrung  bezeugen  kann.  Eine  Zierdo  des  Buches 
bilden  die  in  der  geographischen  Anstalt  von  Wagner  und  Debes  in 
Leipzig  hergestellten  graphischen  Beilagen.  Am  wenigsten  befriedigt 
von  denselben  wohl  die  Übersichtskarte  des  Königreichs  in  1  :  1000  000, 
welche  für  die  erste  Ausgabe  Kieperts  Neuem  Handatlas  entnommen 
war,  für  die  zweite  Ausgabe  jedoch  in  gleichem  Mafsstabe  neu  gezeich- 
net wurde.  Die  Schwcäche  der  Karte  auch  in  der  neuen  Bearbeitung 
liegt  in  der  Terraindarstellung,  welche,  ohne  sich  zu  scharfer  Charakte- 
ristik des  Reliefs  zu  erheben,  nur  die  Übersichtlichkeit  beeinträchtigt. 
Wer  aufser  Athen  und  Olj'mpia  vom  griechischen  Festland  etwas  sehen 
will,  wird  daneben  doch  die  französische  bezw.  Wiener  Karte  nicht  ent- 
behren können  Die  Pläne  und  Spezialkarten  haben  in  der  neuen  Aus- 
gabe eine  beträchtliche  Vermehrung  erfahren.  Unter  den  letzteren  sind 
die  ümgebungskarten  von  Athen  (1:150000),  Korinth  (1:136000),^) 
Olympia  ( 1  :  200  000)  und  die  Karte  von  Corfu  (1  :  300  000)  wegen  ihrer 
klaren  und  übersichtlichen  Darstellung  liervorzuheben;  das  Gleiche  gilt 
von  dem  grofsen  Plan  von  Athen  in  1  :  10  000-  Bei  den  übrigen  Plänen 
war  der  Individualität  des  Kartographen  weniger  Spielraum  gegeben  und 
sind  dieselben  deshalb  in  ihrem  Charakter  mehr  von  der  Vorlage  ab- 
hängig. Durch  P^leganz  der  Ausführung  zeichnen  sich  aus  die  Pläne 
der  Akropolis  (nach  Kaupert),  des  Piräus  (nach  den  »Karten  von  Attika«) 
und  von  Olympia  (nach  Dörpfeld).  Besseres  hätte  man  bei  der  vortreff- 
lichen Vorlage  (Steffen)  in  der  zweiten  Ausgabe  von  dem  Plane  von 
Mykenai  (1  :  10  000)2)  erwartet.  Weiters  finden  sich 3)  Pläne  von  Corfu 
(Stadt),  Eleusis,  Delos,  Delphi  (nach  Ulrichs),  dem  Hieron  von  Epidau- 
ros,  Nauplia,  Tiryns,  Sparta  und  Messene,  sowie  ein  sauber  gestochenes 
Panorama  von  Athen  (von  Lykabettos  aus). 
Ganz  kürzlich  erschien: 

Griechenland.  Ein  Reisebuch  für  Touren  durch  das  hellenische 
Königreich  und  die  griechischen  Länder  im  Bereiche  des  ägäischen 
Meeres.  Bearbeitet  von  Amand  Frhrn.  v.  Schweiger- Lerchen- 
feld. Herausgegeben  von  Leo  Wo  er).  Würzburg  und  Wien,  Ver- 
lag von  Leo  Woerl.     1890.    XIV  190  S.    Geb.  M.  5. 

Soweit  ich  aus  einer  flüchtigen  Durchsicht  des  mir  erst  in  letzter 
Stunde  zugegangenen  Büchleins  urteilen  kann,  ist  die  scharfe  Kritik  von 
Chr.  B[elgerJ  in  der  Philol.  Wochensciirift  1890  Sp.  1573  f.  keines- 
wegs unberechtigt.  Nur  oberflächliche  Reisende  ohne  tiefere  Bildung 
dürften  sich  durch  die  im  Geiste  von  »Griechenland  in  Wort  und  Bild« 


1)  Erst  in  der  zweiten  Ausgabe. 

2)  Nicht  1  :  15000,  wie  auf  S.  X  irrig  angegeben  ist. 

3)  Zum  Teil  erst  in  der  zweiten  Ausgabe. 


410  Geographie  von  Griechpnland. 

gehaltenen  Schilderungen,  neben  denen  das  praktische  Interesse  einge- 
standener Mafsen  zurücktritt,  befriedigt  fühlen.  Die  meist  nach  bekann- 
ten Photograpliien  angefertigten  Illustrationen  sind  von  ziemlich  verschie- 
denei'  Qualität,  doch  macht  auch  bei  den  besseren  der  blaue  Farbton 
einen  unerfreulichen  Eindruck.  Beigegeben  sind  aufser  einer  Übersichts- 
karte Pläne  von  Athen,  der  Akropolis,  Tiryns,  Smyrna  und  Troia,  sowie 
einige  Spezialkärtchen.  Anzuerkennen  ist  übrigens  die  Berücksichtigung 
der  (auch  bei  Meyer  behandelten)  Hauptrouten  längs  der  Westküste 
Kleinasiens  einschliefslich  der  Tour  nach  Cypern. 

Aus  der  ausländischen  Literatur  sind  zwei  Reisehandbücher  zu  ver- 
zeichnen, welche  beide  ähnlichen  Sammlungen  angehören,  wie  sie  in 
Deutschland  durch  Baedeker  und  Meyer  ins  Leben  gerufen  worden  sind. 
Das  eine  ist  das  zur  Collection  des  Guides  Joanne  gehörige 

Itineraire  descriptif,  historique  et  archeologique  de  l'Orient  par 
;6mile  Isambert.  I.  Ptie.  Grece  et  Turquie  d'Europe.  2.  ed.  Paris, 
Hachette.    1873.    LXXXV  1084  S.,  11  K.  u.  23  PI. 

Das  Buch  ist  schon  von  Wachsmuth  Bd.  II  S.  1078 f.  besprochen 
worden,  und  mag  es  deshalb  genügen,  hier  daraufhinzuweisen,  dafs  dasselbe 
auch  für  deutsche  Reisende  von  Belang  ist,  indem  auch  die  abgelegeneren 
Routen  auf  türkischem  Gebiet,  wie  in  Epirus,  Makedonien  u.  s.  w., 
welche  in  keinem  deutschen  Reisehandbuch  behandelt  werden,  Berück- 
sichtigung gefunden  haben.  Dieser  letztgenannte  Abschnitt  hat  denn 
auch  wegen  seiner  besonderen  Wichtigkeit  eine  griechische  Bearbeitung 
erfahren,  die  mir  indessen  nur  dem  Titel  nach  bekannt  ist. 2)  Inzwischen 
wird  von  dem  Original  eine  völlig  umgearbeitete  Ausgabe  vorbereitet, 
deren  einzelne  Teile,  wie  es  scheint,  an  Spezialisten  übertragen  worden 
sind.  Bis  jetzt  ist  von  derselben,  soviel  mir  bekannt,  nur  der  von  B. 
Haussouillier  bearbeitete  erste  Band  erschienen,  welcher  lediglich 
Athen  und  Umgebung  behandelt;  die  Besprechung  desselben  gehört  in 
den  Spezialbericht  über  Attika.^) 

In  der  englischen  Reiseliieratur  vertritt  eine  wohlbekannte  Firma  das 

Handbook  for  Travellers  in  Greece  including  the  Jonian  Islands, 
Continental  Greece,  the  Peloponnese,  the  Islands  of  the  Aegean,  Crete, 
Albania,  Thessaly  und  Macedonia;  and  a  detailed  Description  of  Athens. 
5.  Ed.    Zwei  Teile.     London,   John  Murray.    1884.    762  S.    Sh.  24.*) 

Der  Hauptwert  dieses  Handbuchs  auch  für  uichtenglische  Reisende 


1)  In  der  zweiten  Ausgabe  nach  Dörpteld. 

2)  'Odomopixä  Maxtdoviai;,  ^HTzeipoü  xai   ßeaaaXiai  xarä  röv  Emile  Isam- 
bert  üitö  "'AvTiuviou  Mtj  ^tapdxrj.    Athen.     1878     zC  320  S, 

3)  Vgl.    einstweilen    F.    Baumgarteu    in    der    Philo).    Wochenschr.  1888 
Sp.  1279-81. 

♦)  Bei  der  Seltenheit  dieser  englischen  Reisehandbücher  in  Deutschland, 
welche    aum    Teil    aas    ihrem    unverhältnismäfsig   hohen    Preise   zu  erklären 


Reiseführer.  41 1 

liegt  wie  bei  Isambert  in  der  Behandlung  der  wenig  bereisten  Routen  in 
der  Europäischen  Türkei  sowie  der  Inseln  des  Archipels.  Die  histori- 
schen und  antiquarischen  Notizen,  für  welche  die  von  Will.  Smith  her- 
ausgegebenen encyklopädischen  Werke  zur  Altertumswissenschaft  eine 
Hauptquelle  zu  sein  scheinen,  nehmen  einen  ziemlich  breiten  Raum  ein; 
die  praktischen  Angaben  entsprechen  nicht  immer  der  Jahreszahl  des 
Titelblattes.  An  Zweckmäfsigkeit  der  Ausführung  steht  das  Buch  trotz 
unbestreitbarer  Vorzüge,  entschieden  hinter  Baedeker  zurück;  noch  weni- 
ger können  sich  die  Karten  und  Pläne  an  Eleganz  und  Sorgfalt  mit  den- 
jenigen des  deutschen  Handbuchs  messen. 

In  Anlage  und  Ausstattung  mit  dem  Vorigen  übereinstimmend 
ist  das 

Handbook  to  the  Mediterranean,  its  Cities,  Coasts  and  Islands.  For 
the  Use  of  General  Travellers  and  Yachtsmen.  By  Lieut.-Col.  R.  L. 
Play  fair.    2.  Ed.     London,  John  Murray.     1882.     544  S.     M.  24. 

Das  Buch  umfafst,  wie  aus  dem  Titel  erhellt,  die  Küsten  und  In- 
seln des  gesanimten  Mittelmeeres,  in  Folge  dessen  auch  ziemlich  ausführ- 
liche Beschreibungen  von  Kreta  (S.  137  151)  und  Cypern  (S.  161  — 
181).  Der  auf  Griechenland  entfallende  Teil  gibt  eine  etwas  abgekürzte 
Wiederholung  der  entsprechenilen  Abschnitte  aus  dem  Handbook  for 
Grcece.  bereichert  um  einige  Notizen  für  Sportsmänner.  Auf  letztere 
scheint  das  Ganze  überhaupt  in  erster  Linie  berechnet  zu  sein. 

Von  den  Reisehandbüchern  ist  nur  ein  Schritt  zu  den  Reisebe- 
schreibungen,  welche,  abgesehen  von  dem  besonderen  Anhang  über 
die  Karten,  die  letzte  Kategorie  unter  den  hier  zu  besprechenden  Arbei- 
ten bilden  sollen.  Ihnen  gegenüber  war  der  Berichterstatter  in  einer 
etwas  schwierigen  Lage.  Handelt  es  sich  doch  hierbei  meistens  um 
Werke,  denen  eine  wissenschaftliche  Tendenz  von  vornherein  ferne  liegt, 
die  aber  durch  die  Mitteilung  dessen,  was  der  Verfasser  selbst  gesehen 
und  beobachtet  hat,  manche  wertvolle  Materialien  für  wissenschaftliche 
Forschung  zu  bieten  vermögen;  zudem  sind  sie  ein  gar  nicht  zu  ent- 
behrendes Hilfsmittel,  um  dem  Leser,  welcher  das  Land  nicht  selbst 
bereist  hat,  die  Eigenart  desselben  zu  veranschaulichen.  Freilich  ist 
der  Wert  der  Reisebeschreibungen  auch  in  dieser  Hinsicht  äufserst  ver- 
schieden, je  nachdem  der  Reisende  neue  oder  doch  wenig  begangene 
Wege  eingeschlagen  oder  sich  nur  auf  den  ausgetretenen  Pfaden  be- 
wegt hat.  und  selbstverständlich  auch  nach  der  Beobachtungsgabe  und 
dem  Bildungsgrade  des  Verfassers.     Nicht  leicht  war   auch   die  Begren- 


ist,  sowie  bei  der  Unzulänglichkeit  der  bibliographischen  Hilfsmittel  tür  die 
englische  Tagesliteratur  kann  ich  nur  auf  die  zufällig  in  meinem  Besitz  be- 
findlichen Auflagen  Rücksicht  nehmen.  Die  etwaigen  neuen  Ausgaben  obigen 
Handbuchs  sind  mir  weder  bibliographisch  noch  inhaltlich  näher  bekannt. 


412  Geographie  von  Griechenland. 

zung  der  hier  aufzunehmenden  Arbeiten.  Unmöglich  konnte  alles,  was 
insbesondere  in  Zeitschriften  verschiedensten  Charakters,  ja  selbst  in 
Tagesblättern  des  In-  und  Auslandes  an  »Erinnerungen«  und  »ReisC' 
Skizzen«  erschienen  ist,  hier  berücksichtigt  werden.  In  erster  Linie 
waren  natürlich  die  selbständig  erschienenen  Werke  hier  anzuführen, 
während  aus  der  ins  Unendliche  zerstreuten  periodischen  Literatur  nur 
das  Bedeutendere  herangezogen  werden  konnte,  wobei  Referent  freilich 
keine  Verantwortung  für  die  oft  durch  Zufälligkeiten  bestimmte  Auswahl 
zu  übernehmen  vermag.  M  Fernerhin  erschien  es  dringend  geboten,  sich 
bei  dem  grofsen  Umfange  dieser  Literatur  in  den  einzelnen  Fällen  mög- 
lichst kurz  zu  fassen  und  auf  Andeutung  des  Hauptinhaltes  zu  beschrän- 
ken.   Die  Anordnung  der  Schriften  im  Folgenden  ist  eine  chronologische. 

K.  B.  Stark,  Nach  dem  griechischen  Orient.  Reisestudien.  Heidel- 
berg, Karl  Winter.    1874.    XII  408  S.    Zweite  Auflage.    1882.    M.  5. 

Da  die  zweite  Ausgabe  dieser  trefflichen  Reisebeschreibung  ledig- 
lich den  Titel  betrifft,  genügt  es  hier  auf  die  Besprechung  der  (noch 
Ende  1873  erschienenen)  ersten  Ausgabe  von  Wachsmuth  in  Bd.  II 
S.  1079 — 81  hinzuweisen. 

Auch  der  wertvolle 

Archäologische  Bericht  über  seine  Reise  nach  Griechenland  von 
Friedrich  Wieseler.  Abhandl.  d.  k.  Ges.  d.  Wiss.  zu  Göttingen 
XIX  (1874).     Histor.-philol.  Kl.  S.  63—132 

ist  hier  lediglich  dem  Titel  nach  zu  erwähnen,  da  er  fast  ausschliels- 
lich  Athen  betrifft  und  rein  archäologischer  Natur  ist. 

Karl  Hessel,  Reiseskizzen  aus  Griechenland.  Progr.  d.  k.  Gym- 
nas.  z.  Wetzlar.    1874.    4.    S.  1  —  26.    M.  1,20. 

Anspruchslose  Eindrücke  eines  deutschen  Gymnasiallehrers  in 
Athen  und  auf  der  Reise  dorthin  (1870). 

A.  Janke,  Reise-Erinnerungen  aus  Italien,  Griechenland  und  dem 
Orient.  Mit  besonderer  Berücksichtigung  der  militärischen  Verhält- 
nisse.    Berlin,  F.  Schneider  &  Co.    1874.    XII  515  S.    M.  7,20. 

Verfasser,  preulsischer  Offizier,  hat  auf  seiner  im  Winter  1871/72 
unternommenen  Orientreise  von  Griechenland  nur  Athen  näher  kennen 
gelernt.  Die  Reise  von  Venedig  dorthin  und  weiter  nach  Konstantino- 
pel wird  S.  60—130  geschildert     Von  selbständigem  Interesse  ist  ledig- 


1)  Es  versteht  sich,  dafs  Reiseberichte  lachwissenschaftlicher  Natur 
nicht  hier,  sondern  wie  die  geologischen  Berichte  Philippsons,  in  der  betreffen- 
den Abteilung  unseres  Berichtes  angeführt  sind. 


Reisen.  413 

lieh  der  Abschnitt  über  die  griechische  Armee  (S.  110 — 20),  welcher  na- 
türlich auf  die  gegenwärtigen  Verhältnisse  nur  mehr  teilweise  zutrifft. 

F.  V.  Krogh,  Erinnerungen  aus  Griechenland.  Stuttgart,  Karl 
Aue.i)      1874.     (IV)   184.     M.  340. 

Verf.,  k.  dänischer  Kammerherr,  welcher  sich  einer  zur  Informie- 
rung über  Eisenbahnprojekte  in  Griechenland  abgesandten  Kommission 
anschlofs,  beginnt  seine  Erinnerungen  aus  Griechenland  mit  München 
und  Wien.  Die  Reise  über  Triest,  Corfu  und  Syra  nach  Athen  wird, 
mit  Einflechtung  einiger  zeitgeschichtlicher  und  wirtschaftlicher  Erörte- 
rungen, in  herkömmlicher  Weise  beschrieben.  Auch  in  der  Beschrei- 
bung Athens,  auf  das  sich  der  Aufenthalt  des  Verf.  beschränkte,  über- 
wiegt das  gesellschaftliche  und  politische  Moment.  Das  Altertum  tritt 
glücklicher  Weise  in  den  Hintergrund  (Verf.  schreibt  fortwährend  »Py- 
raeos«)-  Einige  allgemeine  Betrachtungen  über  die  politischen  und  wirt- 
schaftlichen Zustände  Griechenlands  (Eisenbahnfrage,  Laurionkontro- 
verse  u.  s.  w.)  schliefsen  das  Buch. 

Reise  durch  Griechenland,  Kleinasien,  die  troische  Ebene,  Kon- 
stantinopel, Rom  und  Sicilien.  Aus  Tagebüchern  und  Briefen  von 
Fritz  von  Farenheid.  (Als  Manuskript  gedruckt).  Königsberg,  Här- 
tung.    1875.     (IV)  239  S.     M.  8. 

Tagebuchaufzeichnungen  aus  dem  Jahre  1841  über  den  Aufenthalt 
in  Athen  und  die  Reise  von  dort  nach  Eleusis  —  Platäa  Chaero- 
nea  —  Delphi  -  Thermopylen  — Theben  und  weiter  nach  Smyrna, 
Sardes,  Troia  und  Konstantinopel  (S.  1 — 82),  zur  Vergegenwärtigung 
der  damaligen  Zustände  manchmal  nicht  ohne  Interesse.  Druck  und 
Papier  aufsergewöhnlich  splendid. 

Franz  von  Löher,  Griechische  Küstenfahrten.  Bielefeld  und 
Leipzig,  Velhagen  und  Klasing.    1876     VI  378  S.     Vergriffen. 

Diese  ebenso  wie  die  »Kretischen  Gestade«  2)  vorher  in  der  »All- 
gemeinen Zeitung«  erschienenen  Schilderungen  beziehen  sich  auf  eine 
Reise  von  Konstantinopel  über  Cavalla  nach  Thasos,  Samothrake, 
Imbros,  Lemnos,  Tenedos,  Lesbos,  Smyrna,  Athen.  Durch  die 
Wahl  des  Stoffes  —  die  nordägäischen  Inseln  gehören  bekanntlich  zu 
den  wenigst  besuchten  des  Archipels  ~  sowie  durch  den  Farbenreich, 
tum  der  Darstellung  reiht  sich  dieses  Buch  unter  die  anziehendsten 
Werke  des  Verfassers. 


1)  So  in  dem  mir  vorliegenden  Exemplar;  anderwärts  finde  ich  Kopen- 
hagen und  Hadersieben  als  Verlagsort  angegeben. 

2)  Auf  letzteres  Buch  wird  in  dem  Sonderbericht  über  die  griechischen 
Inseln  zurückzukommen  sein. 


4  1 4  Geographie  von  Griechenland. 

Eine  Spazierfahrt  im  Golfe  von  Korinth.  Prag,  Mercy.  1876.  4. 
XXYII  291  S.  GO  T.  Zwei  Karten.  Verfasser  ist  Erzherzog  Ludwig 
Salvator  von  Toscana;  vgl.  Nachtrag. 

J.  Forster  Young,  Five  Weeks  in  Greece.  London,  Sampson 
Low.     1876.     316  S.     10s.  6  d.     Unzugänglich. 

Grece  et  Turquie.  Notes  de  voyage  par  Alfred  Gillieron.  Avec 
illustratious.  Paris,  Sandoz  et  Fischbacher  (Neuchätel,  J.  Sandoz;  Ge- 
növe,  Desrogis).     1877.    XV  308  S.     Fr.  4. 

Von  Interesse  durch  die  Beschreibung  seltener  besuchter  Örtlich- 
keiten: Antivari,  Avlona  und  Apollonia,  Arta,  Dodona,  Jan- 
nina; ferner  Corfu,  Sta.  Maura,  Ithaka,  Patras,  Delphi,  Par- 
nafs,  Athen.     Die  Illustrationen  sind  unbedeutend. 

J.  P.  Mahaffy,  Rambles  and  Studies  in  Greece.  London,  Mac- 
millan.  1876.  338  S.  —  Zweite  Aufl.  Ib ,  Simpkin.  1878  468  S. 
—  Dritte  Aufl.     Ib.,  Macmillan.    1887.    484  S.    10  sh    6d. 

Ist  mir  nur  bekannt  aus  den  Besprechungen  von  E.  Kroker,  Philol. 
Wochenschr.  1889  Sp.  793  f.  und  von  H.  F.  Tozer,  Class.  Rev.  I  237  f., 
wonach  es  in  Bezug  auf  landschaftliche  und  ethnographische  Schilderung 
ein  sehr  brauchbares  Buch  zu  sein  scheint. 

W.  Zipper  er.  Vierzehn  Tage  im  Peloponnes.  Blätter  f.  d.  bay. 
Gymnasial-  u.  Realschulw.  XIII  (1877)  18—28,  71—77. 

Vortrag  über  eine  Reise  von  Athen  nach  Olympia,  Phigalia,  Messene, 
Tripolitsa,  Nauplia,  Korinth. 

Olympia.  Eine  Osterfahrt  in  den  Peloponnes  von  Fritz  Wernick. 
Mit  einer  Ansicht  des  Zeustempels  und  einem  Übersichtsplan  des  Aus- 
grabungsfeldes und  seiner  Umgebungen.  Leipzig,  Edwin  Schloemp. 
1877.    X  237  S.     M.  4. 

Behandelt  aufser  einer  populären  Schilderung  von  Olympia  (S.  65 
— 140)  die  Reise  dorthin  über  Corfu  und  Zante  sowie  eine  sich  daran 
schliefsende  Tour  durch  Triphylien  (Samikon)  und  das  südwest- 
liche Arkadien  (Phigalia),  endlich  die  Weiterreise  nach  Patras. 

Wallfahrt  nach  Olympia  im  ersten  Frühling  der  Ausgrabungen 
(April  und  Mai  1876)  nebst  einem  Bericht  über  die  Resultate  der  bei- 
den folgenden  Ausgrabungs-Campagnen.  Reisebiiefe  von  L.  Pietsch. 
Berlin,  Friedrich  Luckhardt     1879.    IV  251  S.    M.  4. 

Abdruck  aus  dem  Feuilleton  der  Vossischen  und  Schlesischen  Zei- 
tung. Behandelt  wie  das  vorige  Buch  nicht  nur  Olympia,  sondern  auch 
die  Reise  dorthin  und  weiter  über  Phigalia,  Tripolitsa,  Nauplia, 
Mykenai,  Nemea,  Isthmos,  Athen. 


Reisen.  415 

Peloponnesische  Wanderung.  Von  Wilhelm  Lang.  Berlin,  Paetel. 
1878.     (IV)  320  S.    M.  5. 

Die  Route  ist  die  gewöhnliche:  Olympia,  Phigalia,  Tripo- 
litsa,  Argos,  Mykenai,  Kor  int  h.  Die  Schilderungen,  welche  vor- 
her z.  T.  in  Zeitschriften  (Deutsche  Rundschau,  Im  Neuen  Reich)  er- 
schienen waren,  sind  frisch  und  anziehend.  Vgl.  die  Besprechung  von 
Bu(rsian)  im  Lit.  Centralbl.   1878  Sp.  667  —  69. 

Streifzüge  durch  die  Küsten  und  Inseln  des  Archipels  und  des 
Ionischen  Meeres  von  Julius  Faucher.  Berlin,  F.  A.  Herbig.  1878. 
XII  311  S.    M.  6. 

Wie  der  als  volkswirtschaftlicher  und  politischer  Schriftsteller  hin- 
länglich bekannte  Verfasser,  welcher  übrigens  bereits  in  einem  früher 
erschienen  Werke  sich  mit  Griechenland  beschäftigte, ')  in  der  Vorrede 
zu  dieser  seiner  letzten  Publikation  (Faucher  f  12.  Juni  1878)  selbst 
sagt,  enthalten  die  »Streifzüge«  flüchtige  Aufzeichnungen,  für  flüchtige 
Lektüre  bestimmt.  Inhalt:  Ravenna,  Syra,  Smyrna,  Ephesos,  Pa- 
ros,  Naxos,  los,  Santorin,  Athen,  Nauplia,  Argos,  Mykenai, 
Korinth,  Patras,  Corfu,  Tareut,  Reggio,  Messina,  Taormina,  Cata- 
tania,  Syrakus. 

Odysseische  Landschaften  von  Alexander  Frhrn.  von  Warsberg. 
Drei  Bände.  Wien,  Karl  Gerolds  Sohn.  1878/79.  VIII  282;  408; 
502.    M.  20. 

Obwohl  das  Werk  nicht  zu  den  Reisebeschreibungen  im  gewöhn- 
lichen Sinne  gehört,  ist  es  doch  hier  aufzuführen,  da  die  gegebenen 
Schilderungen  und  geschichtlichen  Exkurse  sich  thatsächlich  an  die 
Reisen  des  Verfassers  anschliefsen  und  letzterer  ausdrücklich  jede  wissen- 
schaftliche Tendenz  ablehnt,  welche  dazu  berechtigen  würde,  das  Buch 
in  eine  der  früher  besprochenen  Kategorien  einzureihen.  Der  inzwischen 
leider  verstorbene  Verfasser,  langjähriger  österreichischer  Generalkonsul 
in  Corfu, 2)  war  ein  abgesagter  Feind  aller  »Schulgelehrsamkeit«  und  gab 
dieser  seiner  Abneigung  in  seinen  Schriften  bei  jeder  Gelegenheit,  und 
zwar  mitunter  recht  kräftigen  Ausdruck.  Mag  man  indessen  auch  manch- 
mal über  seine  geringschätzige  Meinung  von  wissenschaftlichen  Studien 
lächeln,  so  wird  niemand  die  Wärme  und  Begeisterung  verkennen,  welche 


1)  Ein  Winter  in  Italien,  Griechenland  und  Konstantinopel.  Zwei  Bände. 
Magdeburg,  Faber.  1876  XI  295;  Vlll  320  S.  M.  6.  Für  Griechenland  kommt 
in  diesem  Werke  nur  die  gewöhnliche  Route  Corfu,  Patras,  Korinth,  Athen, 
Konstantinopel  (II  67—219)  in  Betracht;  innerhalb  derselben  ist,  weil  weniger 
häufig  geschildert,  die  Tour  auf  den  Pentelikon  (S.  188—201)  zu  nennen. 

2)  Auf  desselben  Verfassers  später  erschienene  »Homerische  Landschaf- 
ten« soll  hier,  da  sie  hauptsächlich  Kleinasien  betrefiFen,  noch  nicht  näher  ein- 
gangen werden;  vgl.  einstweilen  Hirschfeld  XII  290,  296. 


416  Geographie  von  Griechenland. 

seine  Scliilderungen  klassischer,  besonders  homerischer  Gegenden  durch- 
weht und  dieselben  zu  einer  Quelle  genufsreicher  Belehrung  erhebt.  Der 
erste  Band  »das  Reich  des  Alkinoos«  enthält  derartige  landschaftliche 
Schilderungen  von  der  Insel  Cor  tu,  der  zweite  Band,  »die  Kolonial- 
länder der  Korkyräer«  handelt  von  einigen  Punkten  der  Festlandsküste 
(Aktium-Nikopolis,  Buthroton,  Onchesmos,  Phoinike,  Avlona, 
Apollo nia,  Durazzo)  sowie  der  Geschichte  der  Insel  Corfu,  welche 
in  30  Kapiteln  bis  auf  die  neueste  Zeit  herab  vorgeführt  wird.  Der 
dritte  Band  endlich,  »das  Reich  des  Odysseus«  beschreibt  Zante,  Ke- 
phalonia,  Ithaka,  Sta.  Maura  (letztere  beiden  ausführlicher)  und 
gibt  zum  Schlufs  eine  »Geschichte  des  odysseeischen  Reiches«  d.  h. 
einen  Überblick  über  die  Schicksale  der  genannten  Inseln  seit  dem  Alter- 
tum. Die  geschichtlichen  Abschnitte,  obwohl  keine  selbständigen  For- 
schungen enthaltend,  gewinnen  durch  die  liebevolle  Vertiefung  in  die  Zeit 
der  mittelalterlichen  Romantik  an  Interesse. 

Franz  Petit,  Eine  Reise  nach  Athen  und  Argos.  Progr.  d.  k. 
kathol.  Gymnasiums  an  d.  Apostelkirche  zu  Köln.     1879.    4.    S.  1—34. 

Enthält,  wie  bereits  der  Titel  entnehmen  läfst,  lediglich  Reise- 
skizzen von  Athen  und  Umgebung  (Pentelikon),  Nauplia,  Myke- 
nai  und  Korinth.  Was  die  Reise  des  Verf.s  von  zahlreichen  ähnlichen 
unterscheidet,  ist  der  Umstand,  dafs  sie  im  Hochsommer  (August)  aus- 
geführt wurde. 

Ein  Winter  in  Griechenland  1879—80.  Leipzig,  B.  G.  Teubner. 
1881.     (IV)  118  S.    M.  2. 

Tagebuchaufzeichnungen  einer  Reisegesellschaft  über  Corfu  und 
Athen  sowie  die  von  dort  gemachten  Ausflüge  (Pentelikon,  Korinth, 
Mykenai). 

M.  V.  Chirol,  Twixt  Greek  and  Turk.  Jottings  during  a  Jour- 
ney  trough  Thessaly,  Macedonia  and  Epirus  in  the  Autumn  of  1880. 
With  Frontispice  and  Map.  London,  Blackwoods.  1881.  276  S.  10  sh. 
6  d.    Unzugänglich. 

Stanislas  de  Nolhac,  La  Dalmatie,  les  iles  ionienues,  Athenes 
et  le  mont  Athos.  Paris,  Plön  &  Co.  1881.  316  S.  12.  Fr.  3.50. 
Unzugänglich. 

Henri  Belle,  Trois  annees  en  Grece.  Paris,  Hachette  1881. 
VH  413  S.    M.  4. 

Der  Verfasser,  welcher  sich  auf  dem  Titel  als  »premier  secretaire 
d'ambassade«  bezeichnet,  fafst  hier  eine  Reihe  von  Schilderungen  zusam- 
men, welche  früher  in  der  (mir  unzugänglichen)  Zeitschrift  »Le  Tour  du 
Monde«  (1876 ff)  und  hiernach  in,  wie  es  scheint,  freier  Bearbeitung  im 


Reisen.  417 

Globus^)  erschienen  sind.  Letztere  Serie  ist  von  einer  grofsen  Zahl  teils 
von  Belle  gezeichneter,  teils  nach  bekannten  Photographien  gefertigter 
Illustrationen  begleitet,  von  welchen  sich  viele  in  dem  oben  S.  403  an- 
geführtem Werke  von  Schweiger-Lerchenfeld  wiederfinden.  In  der  Buch- 
ausgabe ist  der  bildliche  Teil  auf  eine  kleine  Auswahl  beschränkt  wor- 
den; im  übrigen  enthält  dieselbe  vieles  weiter  ausgeführt  als  die  Artikel- 
serie des  »Globusa,  während  Einzelnes  wieder  gekürzt  ist.  Die  Reisen, 
welche  der  Verfasser  während  seines  dreijährigen  Aufenthaltes  in  Grie- 
chenland unternahm,  erstrecken  sich  auf  das  östliche  Mittelgriechenland 
und  die  Hauptrouten  des  Peloponnes  sowie  einige  der  griechischen  Inseln 
(Ionische  Inseln  und  im  Archipel  Antiparos,  Santorin,  Kreta)^). 

J.  F.  Menzer,  Eine  Weinfahrt  durch  Hellas.  Zweite  Auflage 3). 
Heidelberg  1881.    47  S.    1  T.    Als  Manuskript  gedruckt. 

Der  gewifs  vielen  Lesern  dieses  Jahresberichtes  durch  seine  An- 
kündigungen in  Tagesblättern  bekannte  Weinhändler  in  Neckargemünd 
berichtet  hier  über  eine  zu  geschäftlichen  Zwecken  unternommene  Reise 
nach  Griechenland  (Corfu,  Kephalouia,  Zante,  Patras,  Korinth, 
Athen,  Syra,  Naxos,  los,  Santorin).  Für  Liebhaber  griechischer 
Weine  jedenfalls  nicht  ohne  Interesse.  In  anderer  als  oenologischer  Hin- 
sicht wird  man  das  Büchlein  nicht  zu  streng  beurteilen  dürfen;  gleich- 
wohl hätte  es  dem  Verf.  nicht  passieren  sollen,  die  Weine  von  Brindisi, 
Taranto  u.  s.  w.  als  »oberitalienischea  zu  bezeichnen. 

K.  Flegel,  Sechs  Wochen  in  Hellas.  Aus  allen  Weltteilen  1882 
S.  208—11,  246—50,  271—75,  313  —  17,  329f. 

Reiseskizzen  von  Corfu,  Patras,  Korinth,  Athen,  Syra,  Antipa- 
ros, Paros,  Mykonos. 

Durch  Italien  und  Griechenland  nach  dem  heiligen  Land.  Reise- 
briefe von  G.  vom  Rath.  Zwei  Bände.  Heidelberg,  Karl  Winter. 
1882.     Zweite  Ausg.  1888.    XVIII  336;  VIII  412.    M.  6.^) 

Der   selbständige  Wert  dieser  auf  einer  Orientreise  im   Frühjahr 


1)  Eine  Reise  in  Griechenland.  Nach  dem  Französischen  des  Herrn 
Henri  Belle.  Globus  XXXI  (1877)  33-37,  49-55,  65—71,  81—87,  97—103; 
XXXII  (1877)  1-5,  17-23,  33-39,  49-.55,  65-72,  81-87;  XXXIII  (1878) 
241-47,  257-63,  273-79,  289-96,  305—11;  XXXV  (1879)  1—7,  17-23,  33 
—39,  49—55,  65-71;  XXXVI  (1879)  209—15,  225-31,  251-48;  XLVI  (1884) 
129-33,  145—51,   161—66,  177-82. 

2)  In  der  letzten  Serie  des  Globus. 

3)  Da  das  Vorwort  von  1878  datiert  ist,  dürfte  der  erste,  mit  dem  vor- 
liegenden vi'ohl  übereinstimmende  Druck  in  diesem  Jahre  erfolgt  sein.  In  die 
bibliographischen  Verzeichnisse  hat  das  Büchlein  keine  Aufnahme  gefunden. 

4)  Die  2.  Ausg.  enthält  auf  S.  XIII— XVll  »Berichtigungen  und  Ergän- 
zungen«, weiche  dem  Verf.  von  dem  bekannten  Orientalisten  Georg  Rosen  mit- 
geteilt wurden.     Im  Übrigen  ist  dieselbe  lediglich  eine  Titelauflage. 

Jahresbericht  für  Alterthuraswissenschaft.    LXIV.   Bd.    (1890.  HI.)  27 


418  Geographie  von  Griechenland. 

.1881  uledergeschriebeneu  und  später  aus  der  Erinnerung  ergänzten  Auf- 
zeichnungen beruht ,  wie  schon  der  Name  des  Verfassers,  des  bekannten 
Bonner  Mineralogen  und  Geologen  (f  1888),  erwarten  läfst,  auf  einge- 
streuten geognostischen  Bemerkungen.  Die  Reise  selbst  bewegt  sich  in 
-den  herkömmlichen  Bahnen;  von  Griechenland  wurden  Syra,  Tenos, 
Attika  und  die  bekannte  Route  überMykenai  und  Korinth  besucht. 
Hieran  schlössen  sich  in  Kleinasien  Smyrna  mit  dem  Sipylos,  Ephe- 
90S,  Chios  und  Samos. 

Adolf  Bötticher,  Auf  griechischen  Landstrafsen.  Berlin,  Paetel. 
"    '1883.    (IV)  256  S.    iVI.  5. 

Sammlung  einiger  originell  und  ansprechend  geschriebener  Auf- 
sätze des  durch  seine  Werke  über  Olympia  und  die  Akropolis  von  Athen 
bekannten  Architekten  über  einzelne  Partien  seiner  fünfzelmmonatlichen 
Reisen  in  Griechenland. i)  Inhalt:  Bei  dem  Gastfreunde;  Issova  im 
Lapithasgebirge;  Eira;  Messene  und  die  Ithome;  in  der  Maka- 
ria;  längs  der  lakonischen  Küste;  Malvasia;  Nauplia;  Tirynth; 
die  Insel  Aigin a;  Kolonos  und  der  Oelwald  bei  Athen.  Die  heilige 
Strafse  nach  Eleusis;  Eleusis.  Einige  nebensächliche  Irrtümer  in  dem 
Buche  hat  LoUing,  Deutsche  Literaturztg.  1883  Sp.  1264  f.  nachgewiesen. 

R.  R.  Farrer,  A  Tour  in  Greece.  With  27  Illustrations.  Lon- 
don, Blackvvood.    1882.    216  S.  mit  Karte.    21  sh.     Unzugänglich. 

D.  J.  Snider,  A  Walk  in  Hellas;  or,  the  Old  in  the  New.  An 
Account  of  a  Tour  on  Foot  trough  the  Cities,  Villages  and  Rural 
Districts  of  the  Kingdom  of  Greece  in  the  Year  1879.  Boston,  Os- 
good.   1883.    300  S.    12  sh.    6  d.     Unzugänglich. 

0.  E.  Tudeer,  Erinnerungen  an  eine  Reise  in  Griechenland.  Hel- 
singfors.    1883.     Unzugänglich. 

NcxoXdoü  BeoXöyoo  U^cvä  odomopcxal  dvap.vrj<T£cg  tjtoi  'Odoinopc- 
xuv  Tr^g  TAMSog  xazd  rs  ^rjpdv  xat  BdXaaaav  iv  (b  ffuvSiovrac  rj  yeoj- 
fpaipia  ixerd  tt^q  laropcag  xai  ixudoXuyi'ag  erc.  llpiüzri  68og  dn^  ^A^rj- 
vu)V  ecQ  BuXov  Scd  tüü  Eußoixou  xÖXttou.  Ev  'ABrjvacg,  Tüttok;  »Messa- 
ger.  d'Athenes«  1883.    ^e'  208  S.    4  Taf.    2  Hefte. 

Der  uns  bereits  bekannte  Verfasser  (s.  o.  S.  405  f.)  veröffentlichte 
als  Vorläufer  seiner  später  erschienenen  Itinerare  diese  »Reiseerinnerun- 
gen«  au  die  Fahrt  von  Athen  nach  Volo,  dem  Hafen  Thessaliens,  wo 
die  eigentliche  Thätigkeit  des  Verfassers  begann.  Diese  kurze,  mit  dem 
Dampfer  zurückgelegte  Reise  hätte  natürlich  kaum  den  Stoff  zu  einer 
208  S.  langen  Beschreibung  liefern  können,  wenn  der  Verfasser  dieselbe 


1)  Die   Aufsätze    waren   bereits    früher   einzeln    in   der  Zeitschrift  »Im 
Neuen  Reich«  (hauptsächlich  1877  und  1878)  erschienen. 


Reisen.  41 9 

nicht  lediglich  als  äufseren  Rahmen  benutzt  hätte,  um  über  die  berühr- 
ten oder  auch  nur  von  ferne  gesehenen  Örtlichkeiten  aus  einigen  Büchern 
und  Mitteilungen  von  Reisegefährten  im  Konversationslexikousstil  histo- 
rische, mythologische,  ökonomische  und  naturhistorische  Notizen  zu  sam- 
meln, welche  mit  behaglicher  Breite  und  selbstbewufster  Zurschaustellung 
einer  seichten  Gelehrsamkeit  vorgetragen  werden.  So  mufs  der  Leser 
gleich  zu  Anfang  eine  historisch-archäologische  Auseinandersetzung  über 
den  Piräus  hinnehmen,  der  kurze  Aufenthalt  zu  Laurion  gibt  dem 
Verfasser  Gelegenheit,  alles,  was  er  über  den  dortigen  Bergwerksbetrieb 
in  Erfahrung  bringen  konnte,  auszukramen,  ähnlich  wird  Chalkis  mit 
weitschweifigen  Mitteilungen  bedacht,  wobei  auch  die  Schrift  von  Miaulis 
(s.  0.  S.  379)  nicht  vergessen  wird  u.  s.  w.  Dafs  die  mythologischen 
Reminiszenzen  in  völlig  kindischer  Weise  verwertet  werden  und  das 
Ganze  überhaupt  weder  literarische  noch  wissenschaftliche  Bedeutung 
hat,  ist  nach  dem  Gesagten  selbstverständlich.  Wenn  Landsleute  des 
Verfassers ,  wie  aus  dem  vorausgeschickten  Briefe  einer  befreundeten 
Dame  erhellt  und  der  Verfasser  nach  S.  2  und  97  selbst  mit  grofser  Zu- 
versicht erwartet,  aus  dem  oberflächlichen  Machwerk  sich  über  dies  oder 
jenes  belehren,  so  ist  ja  das  immerhin  erfreulich;  doch  hätte  der  Ver- 
fasser für  seine  griechischen  Leser  wenigstens  ein  Inhaltsverzeichnis  bei- 
geben sollen.  Für  Ausländer  ist  das  auch  nicht  als  Muster  griechischer 
Schreibweise  zu  empfehlende  Buch  zum  Mindesten  entbehrlich.  Die  bei- 
gegebenen Tafeln  sind  Pläne  von  Laurion  und  Chalkis  mit  dem  Euripos, 
eine  Ansicht  der  über  letzteren  führenden  Brücke  und  eine  Karte  des 
Kopaissees  mit  Umgebung. 

Reisebilder  aus  Griechenland  und  Kleinasien.  Randzeichnungen 
zu  einigen  Stellen  des  Neuen  Testaments  von  Hermann  Dal  ton. 
Bremen,  C  Ed.  Müller.    1884.    XV  351  S.    M.  4,50. 

Sowohl  der  Titel  wie  das  Inhaltsverzeichnis  (1.  Philippi,  2.  Thessa- 
lonich, 3.  Athen,  4.  Smyrna,  5.  von  Caesarea  nach  Rom)  lassen 
erraten,  dafs  der  Verfasser  wesentlich  als  Theologe  schreibt.  In  der 
That  enthält  das  Buch  auch  nicht  sowohl  »Reisebilder«  als  Betrachtun- 
gen über  die  Reisen  und  die  Briefe  des  Apostels  Paulus,  für  welche  die 
gelegentlichen  landschaftlichen  Schilderungen  nur  den  Hintergrund  bil- 
den; in  diesem  Sinne  ist  der  Inhalt  durchaus  originell  und  die  geogra- 
phische Beleuchtung  eines  Stückes  der  neutestamentlichen  Geschichte 
nicht  ohne  Interesse.  Für  unseren  Bericht  kommt  das  Buch  indessen 
nicht  weiter  in  Betracht. 

Agnes  Smith,  Glimpses  of  Greek  Life  and  Scenery.  London, 
Hurst  &  Blackett.  1884.  348  S.  Sh.  15.  Unzugänglich.  Vgl.  J. 
P.  Mahafiy,  Academy  XXV  161;  Athenaeum  1884  I  563f. 

37* 


;420  Geographie  von  Griechenland. 

De  Nicopolis  ä  Olympie.  Lettres  a  un  ami  par  I).  Bikelas.  Paris, 
Paul  Ollendorff.    1885     12.    (VI)  298  S.    Fr.  3,50. 

ICine  der  anziehendsten  Erscheinungen  in  der  neueren  Reiselitera- 
tur über  Griechenland.  Ein  besonderes  Interesse  gewinnen  diese  Reiso- 
briefe,  welche  auch  in  griechischer  Übersetzung  erschienen  sind,^  da- 
durch, dafs  uns  der  Verfasser,  welcher  bei  allem  nationalen  Optimismus 
doch  ein  besonnenes  Urteil  über  die  Schcäden  des  eigenen  Landes  zeigt, 
in  einen  von  europäischen  Reisenden  (abgesehen  von  Olympia)  sehr  sel- 
ten besuchten  Teil  Griechenlands  fuhrt.  Die  nur  (Htägige)  Reise  des 
Verfassers  ging  von  Patras  nach  Leukas  und  weiter  die  Küste  von 
Akarnanien  entlang,  längs  welcher  die  Hafenplätze  Astakos,  Mytika, 
Zaverda  sowie  die  Acheloosmündung  und  die  Insel  Kalamos  (das 
alte  Karnos)  geschildert  werden,  dann  nach  Prevesa  (Nikopolis)  und 
Arta,  zurück  über  Karvassara,  Agriuiou  (pseudoantike  Benennung 
für  Vrachori),  Anatoliko,  Messolonghi  nach  Zante,  Katakolon, 
Olympia,  Pyrgos,  Patras  und  Korinth.  Geschichtliche  und  poli- 
tisch-wirtschaftliche Betrachtungen,  die  einen  ziemlich  breiten  Raum  ein- 
nehmen, müssen  zum  Teil  ersetzen,  was  die  Kürze  der  Reise  an  Selbst- 
gesehenem  nicht  bieten  konnte;  doch  sind  dieselben  so  verständig  gehal- 
ten und  in  eine  so  anziehende  Form  gebracht,  dafs  jedermann  das  Buch 
mit  Genufs  und  Interesse  lesen  wird.  2) 

Rosa  V.  Gerold,  Ein  Ausflug  nach  Athen  und  Corfu.  Mit  Zeich- 
nungen von  Ludwig  H.  Fischer.  Wien,  Karl  Gerolds  Sohn.  1885.  II 
223  S.    M.  5. 

Nicht  übel  geschrieben,  aber  ohne  geographisches  Interesse.  Einige 
arge  Mifsverständnisse  in  der  Wiedergabe  neugriechischer  Worte  (S.  140 
»zum  Kloster  Tom  a  Somason«  d.  i.  täv  daw/j.drujv,  S.  170  »Ephiariste« 
für  Eu^apcazco)  wird  man  der  Verfasserin  zu  Gute  halten  müssen,  der 
man  auch  gern  die  Illusion  gönnen  wird,  in  dem  Potamo  von  Corfu  den 
Flufs  zu  sehen,  an  welchem  die  Begegnung  zwischen  Odysseus  und  Nau- 
sikaa  stattfand;  dafs  bei  dieser  Gelegenheit  fast  der  ganze  sechste 
Gesang  der  Odyssee  in  Übersetzung  abgedruckt  wurde,  wäre  freilich  nicht 
nötig  gewesen. 

Bilder  aus  Griechenland.  Altes  und  Neues  von  Ludwig  Steub. 
Leipzig,  Hirzel.    1885.    IV  386  S.    M.  4,50. 

Im  Jahre  1841  trat  der  Verfasser,  welcher  später  durch  seine 
Schilderungen  aus  den  deutschen  Alpen  in  den  weitesten  Kreisen  bekannt 
wurde,  mit  zwei  Bändchen  »Bilder  aus  Griechenland«  (Leipzig,  F.  A.  Brock- 


1)  'And   NixoTzöksojq  elq  VAufiniav   und  A.  BixiAa.     'Earia  1885  No.  508- 
Ö20  und  in  Buchform  (200  S.)  Athen  1886  (Miliarakis  No.  168). 

2)  Ganz  ähnlich  urteilt  ülier  das  Buch  Hirschfeid  XII  280. 


Reisen,  421 

haus.  377,  219  S.)  vor  die  Öffeutlichkeit;  sie  waren  die  Frucht  eines' 
zweijährigen  Aufenthaltes  des  Verfassers  in  Griechenland  (1834 — 1836),- 
wo  er  wie  viele  andere  seiner  Landsleute  im  Staatsdienste  thätig  war.  Doch 
erstrecken  sich  die  »Bilder«  hauptsächlich  nur  auf  die  Rückreise  von 
Athen  über  Korinth  und  Patras  nach  Corfu  und  zwar  in  Form  einer 
Reihe  humoristisch  behandelter  Episoden,  für  welche  der  Verlauf  der 
Reise  nur  den  äufseren  Rahm  abgab.  Trotz  der  gefälligen  Schreib- 
weise fanden  indessen  die  »Bilder  aus  Griechenland«  wenig  Anklang  und 
der  Autor  mochte  sich  seiner  Jugendleistung  selbst  kaum  mehr  erinnern, 
als  A.  V.  Warsberg  (s.  o.  S.  415f.)  in  der  Beilage  zur  Allgemeinen  Zei- 
tung vom  12.  Februar  1884  u.  d.  T.  »Ein  vergessenes  Buch«  wieder  die 
Aufmerksamkeit  darauf  lenkte  und  damit  zugleich  eine  Einladung  au  den 
Verfasser  zu  einem  Besuche  auf  Corfu  verband.  Letzterer  unternahm 
infolge  derselben  eine  Reise  über  Konstantinopel  und  Athen  dorthin,  über 
welche  er  eine  Reihe  von  Artikeln  in  der  Allgemeinen  Zeitung  veröffent- 
lichte. Da  inzwischen  auch  dank  der  warmen  Empfehlung  v.  Warsbergs, 
der  Rest  der  »Bilder  aus  Griechenland«  vergriffen  war,  liefs  sie  der 
Verfasser  mit  einigen  Kürzungen  neu  drucken  und  mit  den  (ebenfalls 
sehr  gekürzten)  Berichten  über  die  zweite  Reise  neu  erscheinen.  Geo- 
graphische Belehrung  wird  darin  natürlich  niemand  suchen;  doch  wird 
jeder,  der  einen  Blick  in  die  erste  Zeit  der  bayerischen  Aera  in  Grie- 
chenland zurückwerfen,  und  dabei  sich  an  der  Erzählungsgabe  des  Ver- 
fassers erfreuen  will,  das  unterhaltende  Buch  gerne  lesen. 

Griechische  Reise.  Blätter  aus  dem  Tagebuche  einer  Reise  in 
Griechenland  und  in  der  Türkei  von  Karl  Krumb  ach  er.  Berlin, 
Bettler.  1886.  12.  XLVIII  390  S.  2.  (Titel-)Ausgabe  1889.  Ebd., 
Trowitsch  &  Sohn.    M.  3. 

Unter  der  Flut  von  neueren  Reisebeschreibungen  über  Griechenland 
bildet  Krumbachers  Buch  insofern  eine  wohlthuende  Ausnahme,  als  es 
sich  nicht  wie  die  Mehrzahl  in  längst  ausgetretenen  Routen  bewegt  und 
als  der  Verfasser  einem  Moment  in  hervorragender  Weise  seine  Auf- 
merksamkeit widmete,  zu  dessen  Würdigung  er  wie  wenig  andere  Ge- 
lehrte befähigt  ist,  nämlich  der  neugriechischen  Volkssprache.  Das 
gründliche  Verständnis  der  letzteren  und  die  stete  Rücksichtnahme  auf 
die  Äufserungen  derselben  ermöglichte  es  ihm  aber  auch  in  den  Cha- 
rakter, die  Anschauungen  und  Lebensweise  der  Bevölkerung  tiefer  zu 
blicken  als  es  den  meisten  Reisenden,  die  nicht  durch  langen  Aufenthalt 
im  Oriente  heimisch  geworden  sind,  möglich  ist.  Die  Reise,  welche  in  die 
Zeit  von  Okt.  1884  bis  Mai  1885  fällt,  mnfafst,  aufser  Athen  (Pentelikon) 
und  Konstautinopel,  hauptsächlich  die  der  kleinasiatischen  Küste  vorge- 
lagerten Inseln,  nämlich  Lesbos,  Chios,  Samos,  Patmos  (wo  der 
Verfasser  zweimal  Aufenthalt  nahm),  Leros,  Kalymnos,  Sym.e,  Rho- 


422  Geographie  von  Griechenland. 

dos,  und  vom  kleinasiatischen  Festland  Smyrna,  Sardes,  Magnesia 
und  Pergamon. 

C.  Hoffmann,  Reiseskizzen  aus  Griechenland.  Ausland  1885 
S.  881—86,  907-10,  929  —  32,  944-49. 

Triviale  Beschreibung  einer  Tour  von  Athen  nach  Mykenai,  Tri- 
politsa,  Sparta,  Leondari,  Pbigalia,  Olympia,  Patras, 

A.  Mezicres,  Souvenirs  d'un  voyage  en  Gr^ce.  Revue  Internatio- 
nale (herausgegeben  von  A.  de  Gubernatis  und  A.  Fantoni  in  Florenz) 
Bd.  V  S.  21—28,  466-75,  VI  S.  5—14,  612—22,  749  -59,  VII  S.  168 
—75,  356—60,  VIII  233-41,  IX  S.  61-68,  775—84,  X  S.  603—13, 
XI  S.   183-91  (1884—86). 

Flüchtiger  Bericht  des  bekannten  Literarhistorikers,  welcher  in  den 
Jahren  1850  und  1851  als  Mitglied  der  ficole  d'Athenes  Griechenland 
bereiste,  in  Form  von  Briefen  an  seine  Eltern.  (Nauplia,  Sparta,  Olym- 
pia, Styx;  Syra,  Andres,  Tenos,  Paros  und  Autiparos;  Smyrna, 
Troia,  Konstautinopel;  Corfu,  Leukas,  Prevesa;  Livadia,  Thermo- 
pylen,  Larissa,  Janniua,  Corfu;  Italien;  Euboea,  Tempe,  Saloniki). 
Die  wissenschaftlichen  Ergebnisse  seiner  Reisen  sind  zum  Teil  in  einer 
bald  nach  der  Rückkehr  des  Verfassers  erschienenen  Denkschrift  über 
Pelion  und  Ossa,  ^)  zum  Teil  in  einem  gleichfalls  erst  vor  wenigen  Jahren 
gedruckten  Bericht  2)  veröffentlicht,  aufweichen  später  bei  Lakonien  und 
Messenien  zurückzukommen  sein  wird. 

Giovanni  Setti,  Una  recente  escursione  in  Greecia.  Nuova  An- 
tologia  di  scienze,  lettere  ed  arti.  Bd.  86  (=  III.  Serie  zweiter  Bd. 
1886)  S.  229—77. 

Seichte  historisch -geographische  Betrachtungen,  neben  denen  die 
eigentliche  Reise  des  Verfassers,  die  sich  auf  den  Besuch  Athens  be- 
schränkt zu  haben  scheint,  kaum  hervortritt. 

Paul  Meier,  Von  Athen  nach  Olympia.  Westermanns  Monats- 
hefte 1886  Bd.  60  S.  220-41,  376-94. 

Schilderung  der  Landreise  von  Korinth  über  Nemea  nach  Myke- 
nai, Tegea,  Sparta,  Messene,  Phigalia,  Olympia,  mit  Illustrationen. 

Siemens,     Hauptmann,    Reise -Erinnerungen    aus    dem    heutigen 
Griechenland.    23-  Bericht  der  PhilomatUe  in  Neifse.    1886.    S.  55 — 73. 
Allgemein  gehalten,  aber  sehr  zutreffend. 


1)  Memoire  sur  le  Peliou  et  TOssa.    Archives  de  miss.  scient.    I.  Serie 
T.  III  S.  481—567  (1854). 

2)  Annuaire  d.  et.  grecques  XVII  (1883)  223—36;  XX  1-62. 


Reisen.  423 

Eduard  Engel,    Griechische  Frühlingstage.     Jena,  Costenoble. 
1887.     VIII  446  S.    M.  7. 

Unter  den  neueren  Reisewerken  über  Griechenland  hat  kaum  ein 
anderes  in  weiteren  Kreisen  so  grofses  Aufsehen  erregt,  wie  das  Buch 
von  Engel.  Diefs  ist  gewifs  nicht  blos  der  unbestreitbar  gewandten  und 
originellen  Darstellung  zuzuschreiben,  sondern  insbesondere  auch  der 
entschiedenen  Parteinahme  des  Verfassers  für  das  Neugriechentum  in 
politischer,  kultureller  und  sprachlicher  Hinsicht,  welche  ihn  auch  zum 
eifrigen  Anwalt  der  neugriechischen  Aussprache  gemacht  hat.  Auf  letZ: 
teren  Standpunkt,  den  Engel  sowohl  im  Schlufskapitel  dieses  Buches  als 
in  einer  besonderen  Schrift M  vertritt,  näher  einzugehen,  ist  hier  kein 
Aulafs,  zumal  die  in  absprechendem  Tone  gehaltenen  Ausführungen  des 
Verfassers  nur  Leuten  imponieren  können,  die  der  griechischen  Sprach- 
wissenschaft völlig  ferne  stehen.  Aber  auch  in  anderer  Hinsicht  kann 
man  die  Auffassung  des  Verfassers  nicht  ohne  Widerspruch  hinnehmen. 
Die  Sucht,  das  heutige  Griechenland  und  seine  Bevölkerung  von  allen 
Mängeln  reinzuwaschen  und  handgreifliche  Mifsstände  zu  beschönigen, 
streift  bei  Engel  oft  ans  Lächerliche.  Wollte  man  ihm  glauben,  dann 
gäbe  es  wohl  in  ganz  Griechenland  keinen  Hallunken  —  aufser  Herrn 
Dilijannis,  der  als  Sündenbock  für  alle  in  neuerer  Zeit  begangenen  Mifs- 
griffe  der  Regierung  dienen  mufs.  Ref.  glaubt  bei  einer  früheren  Gele- 
genheit in  einem  gegen  die  ungerechtfertigte  Darstellung  Vierordts  ge- 
richteten Aufsatz 2)  seinen  persönlichen  Standpunkt  klar  genug  vertreten 
zu  haben,  um  die  Unterschiebung  eines  mifsgünstigen  Urteils  über  das 
jetzige  Griechenland  von  sich  weisen  zu  können.  Aber  wie  aufrichtig 
man  auch  die  kulturellen  Errungenschaften  des  jungen  Staatswesens  und 
die  Vorzüge  des  griechischen  Volkes  anerkennen  mag,  so  braucht  man 
doch  nicht  blind  zu  sein  gegen  dessen  Schwächen  und  Fehler,  die  es, 
wie  jede  andere  Nation,  besitzt.  Mit  Schönfärbereien,  wie  sie  Herr  Engel 
liebt,  leistet  man  niemand  einen  schlechteren  Dienst  als  den  Griechen 
selber.  Denn  indem  man  ihrer  nationalen  Eitelkeit  schmeichelt,  fördert 
man  einen  ihrer  Hauptfehler,  die  Neigung  zur  Überschätzung  alles  Ein- 
heimischen, und  indem  man  dem  Auslande  die  Dinge  in  einem  günstige- 
ren Lichte  zeigt,  als  sie  es  verdienen,  bereitet  man  nur  peinliche  Ent- 
täuschungen für  spätere  Reisende  vor,  in  deren  Urteil  sich  dann  natur- 
gemäfs  eine  Reaktion  kundgeben  mufs.  Wer  sich  indessen  durch  die 
optimistische  Brille,  durch   welche  der  Verfasser   alles   Griechische   be- 


1)  Die  Aussprache  des  Griechischen.  Ein  Schnitt  iu  einen  Schulzopf 
Jena,  Costenoble  1887.  VII  168  S.  M.  2,.50.  Vgl.  Krumbacher  in  d.  Blatt, 
f,  d.  bayer.  Gytuuasialw.  XXIV  45—48  und  die  Nachweise  von  H.  Ziemer  in 
diesem  Jahresbericht  Bd  56  S.  268 

2)  »Ein  Wort  zur  Verteidigung  tür  das  'nioderne'  Griechenland«.  Alig. 
Zeit.  1886  No.  197  Beil. 


424  Geographie  von  Griechenland. 

trachtet,  nicht  beeinflussen  läfst  und  sich  mit  einiger  Geduld  gegen  die 
Ausfälle  auf  die  Büchergelehrten  u.  s.  w.  wappnet,  wird  die  »Frühlings- 
tage« nicht  nur  mit  Genufs  lesen,  sondern  auch  manche,  nützliche  Anre- 
gung aus  denselben  schöpfen.  Geographisch  bewegt  sich  die  Reise  fast 
ganz  auf  der  gewöhnlichen  Route,  was  übrigens  hier  auch  nebensächlich 
ist,  da  es  dem  Verfasser  lediglich  auf  die  Wiedergabe  seiner  Eindrücke 
vom  griechischen  Volkstum  ankommt.  Engel  reiste  über  Corfu,  Olym- 
pia, Phigalia,  Messene,  Sparta;  von  hier  nach  dem  seltener  be- 
suchten Gythion,')  wo  die  Schmierigkeit  des  Städtchens  und  seiner 
Bewohner  sogar  für  die  Geduld  des  Verfassers  zu  stark  wurde,  dann  zur 
See  nach  Nauplia  und  weiter  über  Mykenai  und  Korinth  nach 
Athen.  Ein  besonderes  Kapitel  wird  am  Schlufs  der  Reise  dem  ur- 
sprünglich bayerischen   Dorfe  Ära  kl  i  (Heraklion)   bei  Athen   gewidmet. 

Hans   Müller,    Griechische   Reisen    und    Studien.    Zwei   Teile. 
Leipzig,  Wilhelm  Friedrich.    1887.    XI  244;  VI  210  S.    M.  6. 

Nur  der  kleinere  Teil  (I  1 — 160)  des  »des  wiedererstandenen  grie- 
chischen Nation«  gewidmeten  Buches  beschäftigt  sich  mit  der  im  Jahre 
1881  ausgeführten  Reise,  welche  den  Verfasser  von  Athen  aus  nach 
Korinth  und  (zu  Fufs)  nach  Mykenai  und  Nauplia,  von  dort  um 
den  Peloponnes  herum  nach  Olympia  und  Patras  führte.  Hieran 
schlofs  sich  eine  Tour  durch  Mittelgriechenland  (Delphi,  Livadia, 
Theben),  sowie  eine  zweite  Reise  von  Athen  über  Theben  und  Chal- 
kis  nach  Nord-Euboea,  wo  uns  der  Verfasser  das  Waldidyll  von  Ach- 
med Aga  schildert.  Die  Heimkehr  erfolgte  von  Athen  über  Konstau- 
tinopel.  An  die  eigentliche  Reisebeschreibuug  schliefsen  sich  im  ersten 
Teil  noch  einige  allgemeine  Kapitel  über  die  materiellen  Hülfsquellen 
Griechenlands,  die  heutige  Bevölkerung,  die  neugriechische  Sprache  und 
ihre  Bedeutung  für  unser  höheres  Schulwesen,  über  das  sich  Verfasser 
bei  dieser  Gelegenheit  in  verschiedener  Hinsicht  verbreitet.  Hierauf  ein- 
zugehen ist  hier  ebenso  wenig  der  Ort,  wie  auf  den  zweiten  Teil  des 
Buches,  welcher  ausschliefslich  eine  Auswahl  neugriechischer  Dichtungen 
enthält.  2)  In  seiner  Auffassung  von  griechischen  Dingen  erweist  sich 
der  Verfasser,  wie  auch  schon  die  Widmung  erwarten  läfst,  gleich  Engel 
als  Philhellene,  wenngleich  sich  sein  Optimismus  nicht  in  so  enthusia- 
stischer Weise  kundgibt;  an  Gewandtheit  und  Originalität  steht  indessen 
seine  Darstellung  dem  Engeischen  Buche  weit  nach. 


1)  Amtlicher  Name  des  südl.  vom  alten  Gytheion  gelegeneu  modernen 
Städtchens  Marathonisi. 

2)  Vgl.  die  Besprechung  von  Krumbacher,  Berl.  Philol.  Wochenschr.  1887 
Sp.  1346. 


Reisen.  425 

Maurice  Letelliei',  Lettres  d'Orient.  fegypte,  Palestiüe,  le  Liban, 
Palmyre,  Grece.  Luxembourg.  1887.  (VI)  533  XVII  S.  Als  Manuskript 
gedruckt. 

Der  liebenswürdige  Reisegefährte  des  Referenten  in  Aegypten  und 
Judaea  schildert  hier  (S.  359  —  529)  in  anspruchslosen,  warm  empfun- 
denen Reisebriefen')  eine  nach  meiner  Rückkehr  aus  Cypern  mit  mir 
gemeinschaftlich  ausgeführten  Reise  von  Larnaka  über  Smyrna  (Be- 
such von  Ephesos)  und  Athen  (Austiüge  nach  Marathon,  Laurion 
und  Korinth)  nach  Aegina,  Nauplia,  Mykenai,  Argos,  Tripo- 
litsa,  Sparta,  Kalamata,  Messene,  Phigalia,  Olympia,  Zante, 
Patras,  Delphi  (Besteigung  des  Parnafs),  Livadia,  Theben  sowie 
seine  Rückreise  über  Korinth  und  Corfu. 

Maur.  de  Fos,  En  Grece,  Bull,  de  la  Soc.  normaude  de  geogr. 
VIII  (1886)  1  —  17.  Auch  in  S.-A.  u.  d.  T.  Voyage  en  Grece  (Excur- 
sion  en  Moree).    Ronen,  Cagniard.    1887-    4.    19  S. 

Behandelt  in  dem  Rahmen  eines  Vortrags  eine  Reise  nach  Athen, 
Argolis  und  das  östliche  Arkadien. 

A.  Colbeck,  A  Summers  Cruise  in  the  Waters  of  Greece,  Tur- 
key  and  Russia.  London,  Uuwin.  1887.  428  S.  M.  12,60.  Unzu- 
gänglich. 

T.  Fitz-Patrick,  An  Autumu  Cruise  in  the  Aegean;  or  Notes 
of  a  Voyage  in  a  Sailing  Yacht.  With  Maps  and  Illustrations.  Lon- 
don, S.  Low.  1886.  X  316  S.  Sh.  10  d.  6.  Unzugänglich.  Vergl. 
Hirschfeld  XII  S.  299. 

John  Edwin  Sandys,  An  Easter  Vacation  in  Greece  with  Lists 
of  Books  on  Greek  Travel  and  Topography  and  Time-Tables  of  Greek 
Steamers  and  Railways.  With  a  Map  of  Greece  and  a  Plan  of  Olym- 
pia.    London,  Macmillan  &  Co.    1887.    XVI  175  S.    Sh.  3  d.  6. 

Ansprechend  geschriebenes  Tagebuch  einer  Ferienreise  nach  Athen 
(Pentelikon,  Phyle,  Laurion),  Mykenai,  Nemea,  Korinth,  Delphi, 
Olympia,  Zante,  Corfu.  Der  Verfasser  will  nicht  blos  seine  Reiseeiu- 
drücke  zum  Besten  geben,  sondern  sich  auch  seinen  Nachfolgern  nütz- 
lich erweisen.  Deshalb  ist  eine  ausführliche  (aber  nicht  vollständige) 
Zusammenstellung  der  Reiseliteratur  über  Griechenland  mit  Inhalts- 
angabe für  die  wichtigeren  Werke,  2)  sowie  einiger  anderer  Hilfsmittel 
zum  Studium  von  Land  und  Volk  beigegeben,  ferner  genaue  Fahrpläne 


1)  Dieselben  erschienen  zuerst  im  Journal  de  Luxembourg. 

2)  So  findet  man  z.  ß.  hier  (S.  124  t)  ein  eingehendes  Inhaltsverzeichnis 
zu  dem  reichhaltigen  »Tagebuch  einer  griechischen  Reise«  von  F.  G.  Welcker 
(zwei  Bände,  Berlin  1865),  welches  selbst  eines  solchen  vollständig  ermangelt. 


42f)  Geographie  von  Griechenland. 

der  griechischen  Dampferliiiieii  und  Eisenbahnen.  Wenn  letztere  natür- 
lich auch  einem  raschen  Veralten  ausgesetzt  sind,  so  sind  dieselben,  we- 
nigstens was  die  Dampfer  betrifft,  doch  nicht  ganz  unnütz,  da  sie  bei 
dem  sonstigen  Mangel  leicht  zugänglicher  und  genauer  Fahrpläne  dem 
Reisenden  wenigstens  einige  Anhaltspunkte  zur  provisorischen  Feststellung 
des  Reiseplanes  gewähren. 

C.  G.  Saunders-Forster,  Beneath  Parnassian  Clouds  and  Olym- 
pian  u.  Sunshine.  u.  London,  Bemiugton.  1887.  284  S.  Sh.  7  d.  6. 
Unzugänglich.    Vgl.  Hirschfeld  XII  S.  281. 

V.  G.  Marschall,  Reisebilder  aus  Neugriechenland.  Unsere  Zeit 
1888  II  S-  263—74. 

Ausflug  in  das  südliche  Aetolien  und  Akarnanien  (Misso- 
lunghi,  Aetoliko,  Oiniadai,  Agrinion,  Stratos). 

H.  Schliemann,  Reise  im  Peloponues  und  an  der  Westküste 
Griechenlands.     Zeitschr.  f.  Ethnologie  XXI  (1889)  S.  414—19. 

Kurze  Mitteilung  über  eine  Reise  nach  Argos,  Tegea,  Manti- 
neia,  Megalopolis,  Lykosura,  ferner  nach  Leukas,  Prevesa 
(Nikopolis)  und  Kassope.  Von  den  noch  sehr  selten  besuchten  Rui- 
nen der  letztgenannten  Stadt  (vgl.  Bursiau  I  29  ff.)  gibt  der  Verfasser 
eine  etwas  ausführlichere  Beschreibung.  Auch  sonst  enthält  der  Bericht 
trotz  seiner  Kürze  einige  beachtenswerte  archäologische  Bemerkungen. 

K.  V.  Went,  Eine  Urlaubsreise  nach  Griechenland  und  der  Türkei. 
Linz  a.  D.,  Mareis  1889.    168  S.    M.  3.    Unzugänglich. 

Georg  Behrmaun,  Eine  Maienfahrt  durch  Griechenland.  Ham- 
burg. Lucas  Gräfe.    1890.    X  360  S.    M.  4.80. 

Die  Tour  bewegt  sich  in  dem  gewöhnlichen  Geleise :  Olympia,  Phi- 
galia,  Messene,  Sparta,  Tripolitsa,  Mykenai,  Attika,  eine  Rundfahrt  zwi- 
schen den  Kykladen,  Theben,  Delphi,  Korinth.  Die  Darstellung,  welche 
den  theologischen  Beruf  des  Verfassers  nicht  verläugnet,  ist  geschickt 
und  lesbar  und  wird  durch  eingestreute  Übertragungen  neugriechischer 
Dichtung  belebt. 

E.  Cabral,  Voyage  en  Grece  1889.  Notes  et  impressions.  Paris, 
Libr.  des  bibliophiles.  1890.  4.  163  S.  mit  21  Heliogravüren  und  5 
Plänen.    Fr.  30.    Unzugänglich. 

H.  F.  Tozer,  The  Islands  of  the  Aegean.  Oxford,  Clarendon  Press. 
1890.    XII  362  S.    Sh.  8  d.  6. 

Das  Buch  ist  mir  vorläufig  erst  aus  der  Anzeige  von  Bartsch  im 
Literaturber.  zu  Petermanns  Mitteil.  1890  No.  2467  bekannt,  wonach  das- 
selbe zum  Teil  die  Berichte  zusammenzufassen  scheint,  welche  der  Verf. 
auf  seineu  Reisen  (1874  und  1886)  an  die  Ztschr.  Academy  gerichtet  hat. 


Karten.  427 

Mit  einem  Hinweise  darauf,  dafs  bei  Miliarakis  S.  15f.  noch 
einige  in  griechischen  Zeitschriften  zerstreute  Reiseberichte  zu  finden 
sind,  welche  mir  nur  teilweise  zugänglich  sind  und  deshalb  hier  nicht 
eigens  angeführt  wurden,  beschliefse  ich  für  dieses  Mal  den  Überblick 
der  Beiseliteratur  (vgl.  Nachtrag).  Es  erübrigt  uns  nunmehr  nur  noch 
auf  eine  Art  von  literarischen  Erzeugnissen  einen  Blick  zu  werfen,  wel- 
che für  geographische  Zwecke  eigentlich  die  wichtigste  ist,   nämlich  die 

Karten. 

So  selbstverständlich  es  für  jeden  sein  sollte,  der  sich  irgendwie 
mit  Karten  zu  beschäftigen  hat,  ist  es  erfahrungsniäfsig  keineswegs  über- 
flüssig, immer  wieder  daran  zu  erinnern,  ein  wie  grofser  Unterschied 
zwischen  Karten  von  selbständigem  wissenschaftlichen  Werte  und  Copien 
aus  zweiter  und  dritter  Hand  besteht,  ein  Unterschied,  der  sich  einiger- 
mafsen  demjenigen  zwischen  quellenmäfsigen  Geschichtsdarstellungen  und 
der  landläufigen  Wiedererzählung  längst  bekannter  historischer  That- 
sachen  vergleichen  läfst.  Zu  der  erstgenannten  Art  von  Karten  sind 
nicht  nur  die  amtlichen  Originalaufnahmen  zu  rechnen,  wie  sie  jetzt  in 
den  meisten  Kulturstaaten  ausgeführt  oder  in  der  Ausführung  begriffen 
sind,  sondern  auch  die  auf  kritischer  Verarbeitung  des  gesammten  Quellen- 
materiales  beruhenden  Übersichtskarten,  in  welchen,  wie  z.  B.  in  vielen 
Blättern  des  Stielerscheii  Atlasses ,  eine  Summe  von  Arbeit  und  For- 
schung niedergelegt  ist,  die  nur  mit  der  Arbeitsleistung  bändereicher 
SpezialWerke  verglichen  werden  kann.  Je  vollkommener  in  einem  Staate 
das  Ideal  einer  genauen  Landesaufnahme  erreicht  ist,  um  so  weniger 
bleibt  natürlich  dem  kritischen  Kartographen,  der  das  gewonnene  Ma- 
terial einem  gröfseren  Publikum  zu  vermitteln  bestrebt  ist,  zu  thuu  übrig, 
während  bei  Ländern  ohne  geordnete  Verwaltung  und  ohne  amtliche 
Landesvermessung  an  sein  Können  die  höchsten  Anforderungen  gestellt 
werden.  In  Griechenland  nun  befindet  sich  die  Kartographie  in  einer 
Art  Mittellage  zwischen  den  beiden  Extremen.  Der  junge  Staat  hat  es 
nämlich,  so  sehr  er  sich  auch  sonst  den  Einrichtungen  der  übrigen  euro- 
päischen Kulturländer  genähert  hat,  noch  zu  keiner  regelrechten  Lan- 
desaufnahme gebracht;!)   glücklicher   Weise  fehlt   es  jedoch   nicht  ganz 


1)  In  dem  Verzeichnis  der  im  v.  J.  bei  der  Ges.  f.  Erdk.  in  Berlin  ein- 
gelaufenen amtlichen  Kartenwerke  (Verhandl.  d.  Ges.  f.  Erdk.  1890  S.  öOOf) 
finden  sich  auch  zwei  Blätter  einer  neuen  griechischen  Landesaufnahme  (Cen- 
tral-Thessalien  1:100000  und  Domokos  1:50000)  erwähnt.  Sollte  man  es 
hier  wirklich  mit  dem  Aufauge  einer  grofsen  systematischen  Arbeit  zu  thun 
haben?  Da  bisher  in  der  Öffentlichkeit  sonst  noch  nichts  darüber  verlautete, 
mufs  ich  den  Sachverhalt  einstweilen  dahin  gestellt  sein  lassen.  Es  versteht 
sich  aber  von  selbst,  dals  ein  derartiges  Unternehmen  nicht  nur  für  Geogra- 
phen, sondern  auch  für  Historiker  und  Archaeologen  von  unschätzbarer  Wich- 
tigkeit wäre. 


428  Geographie  von  Griechenland. 

an  einer  entsprechenden  Grundlage  für  die  Kartographie.  Es  waren 
die  Offiziere  der  französischen  Expedition  in  Morea  im  Jahre  1827  und 
1828,  welche  sich  durch  die  sofortige  Inangriffnahme  einer  Triangulie- 
rung  der  Halbinsel  ein  unvergängliches  Verdienst  um  die  Kenntnis  des 
Landes  erworben  haben.  Die  von  ihnen  bearbeitete  Karte  von  Morea,  i) 
welche  später  zu  einer  solchen  von  ganz  Griechenland  erweitert  wurde,  2) 
ist  noch  heute  unersetzt  und  bildet  gewissermafsen  den  festen  Kern,  an 
den  sich  alles  übrige  kartographische  Material  angliedern  mufs.  Leider 
entspricht  jedoch  die  Karte  nicht  entfernt  mehr  den  heutigen  Anforde- 
rungen. Nicht  nur,  dafs  der  Mafsstab  (1  :  200000)  für  ein  Land,  in  wel- 
chem alle  Einzelheiten  von  so  wesentlichem  Interesse  sind,  bei  weitem 
nicht  ausreicht,  dafs  die  Kommunikationen  jetzt  vollständig  überholt 
sind  und  sogar  das  Ortsnetz  die  gröfsten  Lücken  zeigt  (vgl.  o.  S.  397), 
hat  sich  in  neuerer  Zeit  herausgestellt,  dafs  auch  dem  Terrainbild  kei- 
neswegs die  unbedingte  Zuverlässigkeit  eignet ,  die  man  ihm  früher  all- 
gemein zugeschrieben  hat  (vgl.  S.  374,  376).  Zu  allem  Überflufs  ist  die 
in  Steindruck  ausgeführte  Karte,  welche  vor  mehr  als  zehn  Jahren  völlig 
aus  dem  Handel  verschwunden  war,  nur  noch  in  einem  seit  1880  ausge- 
gebenen, aber  durch  die  Abnutzung  des  Steines  sehr  verschlechterten 
Abdruck  zu  haben,  so  dafs  sich  das  Bedürfnis  einer  neuen  Kartierung 
des  Landes  immer  gebieterischer  fühlbar  macht.  Es  versteht  sich  fer- 
ner von  selbst,  dass  die  Carte  de  la  Grece  sich  streng  innerhalb  der  da- 
maligen politischen  Grenzen  hält,  also  weder  die  ionischen  Inseln,  noch 
die  1881  erworbeneu  Gebietsteile  von  Epirus  und  Thessalien  umfafst. 
Für  erstere  mufste  und  mufs  zum  Teil  noch  die  zweite  Hauptquelle  der 
griechischen  Kartographie  als  Ersatz  dienen,  nämlich  die  Aufnahmen 
des  hydrographischen  Amts  der  britischen  Admiralität,  welche  in  den 
Seekarten  {Admiralty  Charts)  niedergelegt  sind.  Diese  Seekarten  ent- 
halten vom  Festlande  meist  nur  einen  schmalen  Streifen,  diesen  aber  in 
weit  schärferer  Ausführung  als  die  meisten  Landkarten,  während  bei  den 
Inseln,  insbesondere  den  kleineren,  auch  das  Innere  vollständig  ausge- 
führt zu  sein  pflegt.  Obwohl  an  manchen  Gebrechen  leidend  und  nicht 
in  jeder  Hinsicht  zuverlässig,  sind  die  Seekarten  doch  durch  ihre  De- 
tailausführung ein  so  wichtiges  topographisches  Hilfsmittel,  dafs  Niemand 
der  sich,  sei  es  auch  nur  historisch  oder  archäologisch,  mit  einem  in  den 
Bereich  derselben  fallenden  Gebiete  beschäftigt,  die  Anschaffung  der  ein- 
schlägigen Blätter,  welche  um  einen  mäfsigen  Preis  durch  jede  Buch- 
handlung zu  beziehen  sind,  versäumen   sollte.     Ich   gebe  am  Schlufs  ein 


1)  Carte  de  la  Moree  redigee  au  Depot  general  de  la  guerre  d'apres  la 
triangulatiou  et  las  leves  en  1829—31.     6  Bl.     Paris.    1832. 

2)  Carte  de  la  Grece  redigee  et  gravee  au  Depot  de  la  guerre  d'apres 
la  triangulation  et  les  leves  executes  par  les  officiers  du  corps  d'etat  major. 
20  Bl.    Paris.    1852. 


Karten.  429 

Verzeichnis  der  seit  Beginn  dieses  Jahresberichtes  erschienenen  Blätter, 
welches  die  Orientierung  erleichtern  wird.M  In  neuerer  Zeit  hat  auch 
das  französische  Depot  des  cartes  et  plans  de  la  marine  eine  Anzahl  See- 
karten herausgegeben,  welche  jedoch  in  der  Regel  nur  aus  einer  Wie- 
derholung der  englischen  Aufnahmen  mit  Übertragung  in  französische 
Sprache  und.  französisches  Mafs  bestehen.  Ich  werde  dieselben,  so  weit 
sie  mir  bekannt  sind,  ebenfalls  am  Schlüsse  anführen.  Die  schönen  Auf- 
nahmen der  k.  k.  österreichischen  Kriegsmarine  kommen  nur  für 
den  äufsersten  Nordwesten  Griechenlands  in  Betracht.  2) 

Zu  diesen  beiden  Hauptquellen  der  griechischen  Kartographie 
treten  nun  noch  Spezialaufnahmen  einzelner  Landesteile,  unter  denen  die 
prächtigen  »Karten  von  Attika«  weitaus  den  ersten  Rang  einnehmen. 
Da  die  letzteren  jedoch  sich  nur  auf  eine  Landschaft  beschränken,  sind  sie 
ebenso  wie  andere  Lokalkarten,  so  insbesondere  auch  die  Umgebungspläne 
von  Olympia  und  Mykenai,  erst  im  nächsten  Bericht  zu  besprechen.  Da- 
gegen ist  hier  die  wichtige  Originalaufnahme  der  neuen  griechisch-tür- 
kischen Grenze  zu  nennen,  welche  1881/82  unter  Leitung  des  englischen 
Majors  Ardagh  ausgeführt  und  im  Mafse  von  1  :  50000  auf  13  Blatt  nie- 
dergelegt wurde.  3)  Da  indessen  diese  Originalaufnahme  nicht  in  die 
Öflfentlichkeit  gelangte,  unternahm  es  der  unermüdliche  Altmeister  orien- 


1)  Bei  Bestellungen  im  Handel  ist  womöglich  immer  die  Nummer  des 
betr.  Blattes  anzugeben  Die  Auffindung  derselben  für  sämtliche  über  alle 
Weltteile  sich  erstreckenden  Admiralitätskarten,  ermöglicht  der  Admiralty  Ca- 
talogue  of  Charts,  Plans  and  Saüing  Uireciions.  Puhlished  by  Order  of  ike  Lords 
Comviisaionern  of  the  Admiralty.  London.  1883.  Gleich  den  Karten  selbst  und 
dem  Mediterranean  Pilot  (s.  0.  S.  378)  zu  beziehen  von  J.  D.  Polter,  31  Poul- 
try.  Neuere  Karten  findet  man  in  den  Literaturverzeichnissen  von  Petermanns 
Mitteilungen  und  der  Ztschr.  d.  Ges.  f.  Erdk.  aufgeführt, 

2)  Adriatiscbes  Meer,  üstküste.  Bl  30.  Kimara.  1:100000.  Aufgen. 
1870  von  R.  Österreicher.  Das  sauber  gestochene  Blatt  (Preis  0.60  fl.)  um- 
fafst  die  epirotische  Küste  von  den  akrokeraunischen  Bergen  bis  zum  Butrinto- 
flusse  sowie  die  nördliche  Breitseite  von  Corfu  mit  dem  Pantokratorgebirge, 
dessen  Darstellung  freilich  neben  derjenigen  von  Bartsch  jetzt  nicht  mehr  be- 
stehen kann,  sowie  die  kleinen  Inseln  im  NW  von  Corfu. 

3)  Es  verdient  bei  dieser  Gelegenheit  die  Thatsache  der  Vergessenheit 
entrissen  zu  werden,  dals  auch  bei  der  Begründung  des  Königreiches  eine  amt- 
liche Aufnahme  der  damaligen  Grenze  stattfand,  welche  u.  d.  T.  erschien: 
Carte  de  la  frontiere  coniinentale  entre  le  Royaume  de  la  Grece  et  VEmpire  Otto- 
man fixee  sur  les  lieux  par  M.  M  les  Commissaires  de  VAlliance  etc.  Arges. 
1834.  XdpTT^q  r&v  xard  rijv  arspedv  bpiwv  toü  Baaü.eiou  r^jq  'EXXddoq  xal 
Toü  'Ot^uifiavixoü  Apdroog  xr?..  ^Ex  t:^?  Baad.  ASoYpa<piaq  iv  'A^i^vatg  1837. 
'£v  "Apyei  TW  1834.  (Die  Karte  wurde  also  1834  in  Argos  entworfen  u.  1837 
in  Athen  vervielfältigt).  4  Bl.  u.  1  Halbbl.  Ein  Exemplar  dieser  für  die  Ge- 
schichte der  Balkanhalbinsel  und  ihrer  Erforschung  wichtigen  Karte  befindet 
sich  in  der  Münchener  Hof-  und  Staatsbibliothek. 


430  Geographie  von  Griechenland. 

talischer  Geographie,  H.  Kiepert,  unterstützt  durch  das  Entgegenkom- 
men des  auswärtigen  Amtes  in  Berlin,  dieselbe  in  einer  den  vollen  In- 
halt des  Originals  wiedergebenden  Verjüngung  (1  :  200  000)  allgemein  zu- 
gänglich zu  machen,  welche  u.  d.  T.  erschien 

Die   neue    griechisch -türkische  Grenze  in  Thessalien   und  Epirus. 
Ztschr.  d.  Ges.  f.  Erdk.  in  Berlin  1882  S.  244—53  T.  III— VI. 

Von  dieser  Publikation  enthält  Taf.  III  die  westliche,  Taf.  IV  die 
nördliche  Grenze  der  neuen  griechischen  Provinzen,  während  Taf.  VI  den 
kartographischen  Standpunkt  derselben  im  Allgemeinen  veranschaulicht 
und  Taf.  V  eine  Reduktion  (von  1:100  000  auf  1:200  000)  der  bisher 
unveröffentlichten  Routenkarten  des  nordthessalischen  Grenzgebietes  von 
G.  Lejean  (aufgenommen  1867)  enthält.  Der  Text  gibt  eine  kritische 
Übersicht  der  bisherigen  Leistungen  auf  dem  Gebiet  der  Kartographie 
von  Epirus  und  Thessalien,  durch  welche  man  einen  überraschenden 
Einblick  in  die  Mangelhaftigkeit  unseres  kartographischen  Materials  er- 
hält. Leider  beschränkt  sich  auch  die  neue  Aufnahme  nur  auf  einen 
ganz  schmalen  Streifen  Landes  längs  der  Grenze;  doch  ist  damit  immer- 
hin in  dem  Chaos  nordgriechischer  Topographie  eine  feste  Basis  gewon- 
nen und  in  Verbindung  mit  den  englischen  Küstenaufnahmen  im  W  und 
0  und  der  Carte  de  la  Grhce  im  S  ein  fester  Rahmen  gegeben,  welcher 
auf  Grund  von  Itineraren  und  Kompafsrekognoszierungen  ausgefüllt  wer- 
den mufs.^) 

Mau  sieht,  es  ist  ein  ziemlich  buntscheckiges  Material,  auf  dem 
sich  eine  Karte  des  heutigen  Griechenland  aufbauen  mufs,  uud  es  erfor- 
dert einen  nicht  geringen  Takt  des  Zeichners,  um  die  nicht  nur  in  Cha- 
rakter und  Ausführung,  sondern  auch  inhaltlich  sehr  von  einander  ab- 
weichenden Quellen  zu  einem  harmonischen  Ganzen  zu  verschmelzen,  ein 
Mifsstand,  der  sich  besonders  beim  Übergang  von  einer  Vorlage  zur  an- 
dern in  sehr  empfindlicher  Weise  geltend  macht.  Das  Verdienst,  sich 
der  Mühe  einer  kritischen  Verarbeitung  dieses  mannigfaltigen  Quellen- 
materials zu  einer  Karte  gröfsereu  Mafsstabes  unterzogen  zu  haben,  ge- 
bührt dem  griechischen  Offizier  J.  Kokidis  in  Verbindung  mit  dem  k. 
k.  militärgeographischen  Institute  in  Wien,  dessen  Karte  zuerst 
in  griechischer  Sprache  u.  d.  T.  erschien: 


1)  Nur  für  das  westliche  thessalische  Becken  liegt  eine  eigentliche  Auf- 
nahme vor,  welche  1862  von  Laloy  auf  Befehl  Napoleon  111.  ausgeführt  und 
in  Heuzey  -  Daumets  Mission  arcMologique  en  MacMoine  (Paris  1876)  in 
1  :  250000  veröffentHcht  wurde;  vgl.  Kiepert  a.  a    0.  S.  248. 


Karten.  431 

Xdprrjg  zou  BaacXsiou  r^j*  ^EXMl^og.  l'jvsTa^&rj  utio  (T/x:Kpu<T:v 
1:300  000.  1884.  11  Bl.  u.  2  Halbbl.,  dazu  1  Bl.  /A'v«^  azazcaT'.xog 
ro~j  BaaiXei'ou  zr^g  'Ek)d8ügA)  M.  16.50.  (Als  Herausgeber  ist  am 
Rand  des  Titelblattes  (XI.)  genannt:  7.  Koxcdrjg,  dvzcauvzayjxdpyrjg 
zojv  yevixvj)/  enizekojv  (Oberstlieutnant  im  Generalstab). 

Später  erschien  die  Karte  in  deutscher  Sprache  u.  d.  T. 

Generalkarte  des  Königreiches  Griechenland  im  Mafse  1:300  000 
der  Natur.  Nach  Berichtiguugsdaten  des  k.  griech.  Oberstlieutnants 
J.  Kokides  und  revidiert  von  Prof.  Dr.  H.  Kiepert,  bearbeitet  und 
herausgegeben  vom  k.  k.  militärgeographischen  Instituts  in  Wien. 
1885.     11  Bl.  u.  2  Halbbl.  a  M.  1.40  bezw.  0.70.2) 

Die  Karte  bildet  eigentlich  eine  Fortsetzung  der  von  dem  gleichen 
Institut  herausgegebenen  »Generalkarte  von  Centraleuropa«  in 
1:300  000,  welche  in  192  Blättern  (erschienen  1873 — 76,  Heliogravüre) 
Mitteleuropa  von  Kopenhagen  bis  Rom  und  von  Manchester  bis  Odessa 
umfafst.  Dieselbe  war  zunächst  durch  Vergröfserung  von  Schedas  Ge- 
neralkarte in  1:576  000,  welche  seit  1856  in  47  elegant  gestochenen 
Blättern  erschienen  war,  hergestellt,  aber  durch  Zusätze  und  Berichti- 
gungen wesentlich  bereichert  worden.  Die  kriegerischen  Ereignisse  auf 
der  Balkanhalbiusel  in  den  Jahren  1876 — 78  veranlafsten  zunächst  eine 
Ausdehnung  dieses  Kartenwerkes  auf  die  gesammten  Balkanländer  bis 
zur  (alten)  griechischen  Grenze,  wodurch  15  Anschlufsblätter  notwendig 
wurden.  Diese  auf  die  Balkanhalbinsel  entfallenden  Blätter 3)  bilden  den 
weitaus  wertvollsten  Teil  der  ganzen  Karte,  da  sie  nicht  wie  die  Blätter 
von  Österreich,  Deutschland  u.  s.  w.  lediglich  eine  Reduktion  gröfserer 
Originalkarteu  darstellen,  sondern  durch  Verarbeitung  alles  vorhandenen 
Materiales,  darunter  der  zahlreichen  von  österreichischen  Offizieren  auf- 
genommenen Routen,  selbst  den  Wert  einer  Originalkarte  erlangten. 
Von  diesen  Blättern*)  kommen  für  Nordgriechenland  noch  folgende  in 
Betracht:  L  14  Berat  {Argyrokasti-o) ,  M  14  Kastoria  (Joannina),  N  14 
Salonik,  L  15  Phüiataes  (Cor/u),  M  15  Arta,  N  15  Phersala.  Nachdem 
die  Karte  einmal  so  weit  ausgedehnt  war,  lag  es  nahe,  in  dieselbe  auch 
das  Königreich  Griechenland  einzubeziehen,  für  welches  sich  der  Mangel 
einer  gröfseren  Generalkarte  von  Tag  zu  Tag  mehr  fühlbar  machte. 
Doch  erhielt  aus  begreiflichen  Gründen   die  neue  Karte  Griechenlands 


')  Enthält  eine  Übersicht  der  Dcmen  nach  Nomen  und  Eparchien. 

2)  Vgl.  auch  die  Anzeige  von  H.  Zimmerer  in  den  Blatt,  für  d.  bayer. 
Gymnasialschulw.  1887  S.  57—62,  u.  von  C.  Vogel  in  Petermanns  Mitteil.  1886 
Literaturb.  No.  98. 

3)  Vgl.  Petermanns  Mitteil.  1877  S.  306,  1879  S.  29,  1881  S.  349f.;  Kie- 
pert a.  a.  0.  S.  245  f. 

*)  Preis  eines  jeden  0.60  fl.,  mit  Wald  in  Farbendruck  0.70  fl. 


432  Geographie  von  Griechenland. 

ihren  besonderen  Rahmen  und  eine  von  der  »Generalkarte  von  Central- 
Europa«  unabhänRJKe  Blattbezeichniing,  während  sie  sich  in  Mafsstab  und 
Ausführung  (mit  einigen  nebensächlichen  Modifikationen)  eng  an  die  letz- 
tere anschlofs.  Durch  die  Mitwirkung  eines  griechischen  Offiziers  war 
es  auch  möglich,  aus  amtlichen  Quellen  eine  Anzahl  neuer  Daten  einzu- 
fügen, deren  kartographischer  Verwertung  sich  freilich  mitunter  erhebliche 
Schwierigkeiten  entgegenstellten.  Dafs  gilt  besonders  von  den  zahlreichen 
Gemeinden  und  Ortschaften,  welche  in  der  Carte  de  la  Gi-ece  und  somit 
auch  in  allen  übrigen  Karten  fehlten  (vgl.  o.  S.  397);  dafs  der  Zeichner 
bei  der  Eintragung  solcher  Ortschaften,  deren  Lage  ihm  im  Allgemeinen 
nur  ganz  annähernd  bekannt  sein  konnte,  nicht  immer  eine  glückliche 
Hand  hatte,  habe  ich  bereits  bei  anderer  Gelegenheit  hervorgehoben.^) 
Ebenso  mifslich  war  die  Einzeichnung  der  neuen  Strafsen-  und  Eisen- 
bahnlinien, welche  meist  nur  nach  ganz  allgemeinen  Angaben  er- 
folgte und  deshalb  im  Einzelnen  mit  der  Terrainzeichnung  nicht  selten 
in  offenbaren  Widerspruch  geriet.  Hier  sind  nun  einige  Mifsstände  in 
der  deutschen  Ausgabe,  die  überhaupt  zahlreiche  Berichtigungen  auf- 
weist, beseitigt  worden.  Im  Ganzen  mufs  die  Karte  als  eine  fleifsige 
Kompilation  bezeichnet  werden,  welche  zwar  den  nächsten  Bedürfnissen 
des  Handgebrauchs  genügt,  aber  für  ein  eingehenderes  Studium  die  Ori- 
ginale nicht  entbehrlich  macht.  Es  gilt  das  vor  Allem  von  der  Terrain- 
darstellung, die,  in  der  Carte  de  la  Grece  von  musterhafter  Klarheit  und 
Schärfe,  hier  ein  verschwommenes  und  charakterloses  Bild  gibt  und  für 
das  Verständais  der  vertikalen  Gliederung  des  Landes  entschieden  unzu- 
reichend ist;  selbst  die  Blätter  IV  und  V  aus  Kieperts  »Neuem  Atlas  von 
Hellas«  eignen  sich  zum  Studium  des  Reliefs  weit  besser. 

Neben  dieser  »Generalkarte«  veröffentlichte  das  militärgeographische 
Institut  noch  Übersichtskarten  wie  die 

Gerippkarte  der   Balkanländer   in    1:500  000   (7   Bl.     Wien  1879 
M.  11.20), 
welche  ich  jedoch  nur  dem  Titel  nach  kenne,  und  die 

Übersichtskarte  von  Mittel-Europa  im  Mafse  1:750  000  der  Natur. 
Wien  1882—86. 

Von  den  45  Bl.  (je  1  fl.)  dieser  schönen  und  eleganten,  aber  etwas 
teuren  Karte  umfassen  die  Blätter  D  6,  E  6  und  F  6  neben  Albanien, 
Makedonien  mit  Chalkidike  und  Südruraelien  noch  den  gröfsten  Teil 
vonEpirus  und  Thes  salien  sowie  die  nördlichen  Inseln  des  ägäischen 
Meeres.  Die  kräftige  Terraiuzeichnung  und  entschiedene  Farbengebung 
berühren  wohlthuend  gegenüber  dem  oft  ausdruckslosen  Charakter  der 
Generalkarten  von  Griechenland  und  Central-Europa. 


1)  Vgl.  mein  Akarnanien  u.  s.  w.  S.  281  f. 


Karten.  433 

Speziell  der  Darstellung  von  Nordgriechenland  gewidmet  ist 
H.  Kieperts  vortreffliche  Corte  de  rEpire  et  de  la  T/tessalie  (zwei  Bl.  in 
1:500000.  Berlin,  D.  Reimer.  1871),  von  welcher  1878  eine  berich- 
tigte Ausgabe  ohne  Terrain  (M.  2.40),  1880  eine  dritte  Ausgabe  mit 
Terrain  (M.  4)  erschien.  Sie  ist  die  beste  kritische  Bearbeitung  dieses 
Gebietes  und  diente  deshalb  der  hier  weniger  selbständigen  österreichi- 
schen Generalkarte,  sowie  auch  der  russischen  Karte  der  Europäischen 
Türkei  von  Artamonow  (1877  in  1:420000)  als  Quelle;  letztere  ist 
mir  im  Übrigen  nur  aus  Berichten  bekannt.^) 

Eine  Spezialdarstellung  desselben  Gebietes  versucht 

Ihva$  rr^g  ix£(T7jjj.ßi}tvrjg  'Hmcfiou  xat  zr^g  9&aaaliag  ixTrovrjßecg  bnb 
Mt^atjX  S.  XpDGoy^üou  Ztraaioi}  r^  auvopo^fj  zrjg  'EncTporirjg  r^f 
'E&vcxrjg  'Afiuvrjg  xac  AdsXcporrjZog  xa\  ~ou  npög  Scdouaiv  ru)V  ^EkXrjVtxüJv 
ypappdrujv  loXXoyou.  'Ev  'A^vatg.  1881.  KXcpaq  1:200  000.  8  Bl. 
M.  24. 

Die  Karte  reicht  im  Norden  etwa  bis  Tepeleni  und  Pydna,  im 
Osten  urafafst  sie  noch  die  drei  chalkidischen  Halbinseln  sowie  die 
nördlichen  Sporaden.  Sie  beruht  im  Wesentlichen  auf  der  Wiener  Karte, 
enthält  aber  beträchtlich  mehr  Ortsnamen  als  diese,  und  hat  überdiefs 
den  Vorteil  dieselben  in  der  authentischen  griechischen  Schreibweise  zu 
bieten.  Auch  sonst  enthält  sie  manche  Berichtigungen,  besonders  in  der 
epirotischen  Heimat  des  Verfassers.  ^)  Die  Terraiuzeichnung  ist  aufser- 
ordentlich  roh  und  derb,  gibt  aber,  aus  der  Ferne  gesehen,  ein  kräfti- 
ges Gesamtbild.  In  Athen  erinnere  ich  mich  irgendwo  flüchtig  eine 
zweite  Ausgabe  dieser  Karte  gesehen  zu  haben,  doch  konnte  ich  über 
dieselbe  nachträglich  nichts  mehr  in  Erfahrung  bringen. 

Obwohl  dem  Titel  nach  auf  eine  Landschaft  beschränkt,  mag  doch 
wegen  der  Ausdehnung  des  Gebietes  sowie  des  Anschlusses  an  die  vor- 
genannten Karten  halber  schon  hier  Erwähnung  finden  die 

Carta  d'Epiro  compilata  dietro  gli  studi  fatti  negli  anni  1869  —  75 
dal  R.  Console  [Enrico]  de  Gubernatis.  Scala  di  1:400000.  Mit 
11  S.  Text.  Fol.  Rom.  1880.  Fr.  7.  S.-A.  a.  Boll.  See.  geogr.  ital. 
1879  S.  733—42. 

Die  Bedeutung  der  Karte  beruht  in  den  zahlreichen  Routenauf- 
nahraen  des  Verfassers,  auf  dessen  topographische  Arbeiten  überEpirus 
wir  an  anderer  Stelle  zurückzukommen  haben  werden.  Das  Terrain  in 
schwach  geschummerter  Manier  mit  schiefer  Beleuchtung  ist  ausdrucks- 
los und  für  das  Studium  unbrauchbar. 


1)  S.  Petermanns  Mitteil.  1877   S.  227,   Zeitschr.   d.   Ges.   f.  Erdk.  1882 
S.  24öA.,  Geogr.  Jahrb.  XII  S.  3311. 

2)  Vgl.  Kiepert  a.  a.  0.  S.  252. 

Jahresbericht  für  Alterthumswissenschaft  LXIV.  Bd.  (1890.  ni.)  28 


434  Geographie  von  Griechenland. 

Grofs  ist  natürlich  die  Zahl  der  Übersichtskarten  von  Grie- 
chenland und  den  Balkanländern,  welche  besonders  zur  Zeit  des  russisch- 
türkischen Krieges  in  rascher  Folge  veröffentlicht  wurden,  zum'gröfsten 
Teile  aber  nur  für  das  Tagesinteresse  berechnet  waren  und  deshalb 
meist  ohne  wissenschaftlichen  Wert  sind.  Es  kann  selbstverständlich 
nicht  meine  Absicht  sein,  dieselben  hier  alle  aufzuzählen ;  nur  auf  einige 
durch  Reichtum  des  Inhaltes  oder  Gediegenheit  der  Darstellung  hervor- 
ragende Arbeiten  gröfseren  Mafsstabes,  die  mir  aus  eigener  Anschauung 
bekannt  sind,  soll  im  Folgenden  aufmerksam  gemacht  werden. 

Die  Spezialkarte  der  Europäischen  Türkei  von  F.  Handtke  in 
1:576  000,^)  welche  in  ihrem  Hauptteile  jetzt  völlig  veraltet  ist,  mag 
wegen  der  später  erschienenen  Anschlufsblätter  19  und  20  erwähnt  sein, 
welche  Griechenland  bis  zur  Mitte  des  Peloponnes  umfassen  (Linie  An- 
dritsaena-Astros)  und  (besonders  20)  als  reichhaltige  Übersichts- 
karte gut  zu  gebrauchen  sind.     Das  Gleiche  gilt  im  Wesentlichen  von 

(v.  Sehe  da),  Generalkarte  der  Europäischen  Türkei  und  des 
Königreichs  Griechenland.  1:864000.  Wien,  Artaria.  1876.  13  Blatt.^) 
Neue  Ausg.  u.  d.  T.:  v.  Schedas  Generalkarte  der  Balkanländer.  Von 
Ä.  Steinhauser  nach  den  neuesten  offiziellen  Materialien  gänzlich 
umgearbeitet.  (1880  u.)  1885.  M.  18;  kolor.  M.  21.  Einzelne  Blätter 
M.  2  (Plan  von  Konst.  M.  3). 

Die  Karte  ist,  dem  kleineren  Mafsstab  entsprechend,  weniger 
reich  an  Einzelheiten  als  die  Handtke'sche,  umfafst  dafür  aber  (Bl.  9, 
10,  12,  13)  Griechenland  nebst  den  Inseln  des  Archipels  und  dem 
westlichen  Kleinasien,  das  man  selten  in  so  grofsem  Mafsstab  darge- 
stellt findet,  vollständig.  ^)  Der  Bearbeiter  der  zweiten  Ausgabe  veröffent- 
lichte später  noch  eine  kleinere  Übersichtskarte  u,  d.  T. 

Karte  von  Südost-Europa.  Die  Staaten  der  Balkanhalbinsel  samt 
Teilen  von  Österreich-Ungarn  bis  Budapest  und  Wien  und  den  übrigen 
angrenzenden  Ländern.  Redigiert  und  beschrieben  von  A.  Stein- 
hauser.    Wien,  Artaria.    1887.    1:2000000.    M.  4,50. 

Ich  erwähne  diese  Karte  hauptsächlich  deshalb,  weil  sie  von  beru- 
fener Seite  in  sehr  anerkennender  Weise  besprochen  worden  ist,*)  ein 
Urteil,    das    doch    wohl    nur    teilweise    berechtigt    sein    dürfte;    wenig- 


1)  Glogau,  Flemming.     1873.     18  Bl.  zu  M.  1,50. 

3)  Bl.  11  enthält  einen  Plan  von  Konstantinopel  und  nächster  Umgebung 
in  1  :  28  700. 

3)  Eine  Sonderausgabe  aus  dieser  Karte  für  Griechenland,  ohne  Terrain, 
erschien  u,  d.  T.:  A.  Steinhauser,  Generalkarte  von  Griechenland  nach  v.  Sche- 
das grofser  Karte  der  Balkanländer.     1886.    3  Bl     M.  1,80. 

*)  C.  Vogel  in  Petermanns  Mitteil.  1888  Literaturber.  No.  265;  H.  Lange 
in  Verhandl.  d.  Ges.  f.  Erdk.  1888  S.  112. 


Karten.  435 

stens  befriedigt  die  Terraindarstellung,  an  welcher  allerdings  der  Her- 
ausgeber keinen  unmittelbaren  Anteil  zu  haben  scheint,  weder  in  wissen- 
schaftlicher noch  in  technischer  Hinsicht. 

Eine  in  jeder  Hinsicht  weit  bedeutendere  Leistung,  nur  jetzt  leider 
in  einzelnen  Partien  überholt,  ist 

H.  Kieperts  Generalkarte  der  südosteuropäischen  Halbinsel.  Ber- 
lin, Dietrich  Reimer.  1881.  Bericht.  Ausg.  1885.  1:1500000.  3  Bl. 
M.  3,60.  Nebenkarten:  Konstantinopel  und  der  Bosporus  1:200  000, 
und:  Der  Hellespont  mit  der  Halbinsel  von  Gallipoli  und  der  Troi- 
schen  Ebene  1  :  300  000.     Vgl.  Petermanns  Mitteil.  1881  S.  33  u.  308. 

Konnte  Kieperts  Generalkarte  bisher  als  beste  kritische  Übersicht 
der  Balkanländer  gelten,  so  wird  sie  diesen  Rang,  was  Neuheit  und  tech- 
nische Vollendung  betrifft,  nun  wohl  an  die  im  Erscheinen  begriffene 
Vierblattkarte  der  Balkanhalbinsel  in  Stielers  Handatlas  (1  :  1500  000) 
abtreten  müssen,  deren  Herstellung  der  bewährten  Leitung  C.  Vogels 
anvertraut  ist.  Bis  jetzt  liegen  nur  die  beiden  nördlichen  Blätter  vor 
(1889  und  1890),  welche  Griechenland  noch  nicht  betreffen;  doch  genü- 
gen diese  bereits  um  der  Vollendung  der  ganzen  Karte,  die  ein  Juwel 
kartographischer  Kunst  zu  werden  verspricht,  mit  Spannung  entgegen 
zu  sehen.  1)     (.Nachtr. :    Ist  inzwischen  vollständig  erschienen). 

Eine  Leistung  ganz  eigener  Art,  die  sich  den  beiden  lelztbespro- 
chenen  würdig  zur  Seite  stellt,  ist 

Der  Europäische  Orient,  im  Mafse  1:1200  000.  Nach  den  neue- 
sten Quellen  bearbeitet  und  herausgegeben  vom  k.  k.  militärgeographi- 
schen Institute.    Wien.    1887.    4  Bl.    M.  7,20. 

Diese  Karte  verfolgt  den  besonderen,  aus  dem  Titel  allerdings  nicht 
erkennbaren  Zweck,  durch  Darstellung  des  Reliefs  in  Höhenschichten 
ein  möglichst  anschauliches  und  zugleich  genaues  Terrainbild  der  südost- 
europäischen Halbinsel  vom  46"  N.  B.  südwärts  zu  geben,  welcher  Zweck 
denn  auch  durch  eine  im  Ganzen  wohlgelungene  Wahl  der  Farbentöne 
und  die  prächtige  Ausführung  in  Chromolithographie  in  vorzüglicher 
Weise  erreicht  wird.  Indessen  ist  die  Karte  keineswegs  nur  hypsome- 
trisch, sondern  enthält  auch  ein  klares  Orts-  und  Verkehrsnetz,  so  dafs 
sie  sowohl  beim  Studium  als  auch  auf  der  Reise  gute  Dienste  thun  wird. 
Im  Übrigen  verweise  ich  auf  die  fachmännischen  Besprechungen  von 
C.  Vogel  in  Petermauns  Mitteil.  1887  Literaturber.  No.  496  und  beson- 
ders von  H.  Kiepert  in  d.  Verhaudl.  d.  Ges.  f.  Erdk.  1888  S.  107 — 11. 

Von  den  Karten,  welche  besonderen  Zwecken  dienen,  wurden  die 
ethnographischen  bereits  erwähnt  (o.  S.  391  ff.);  unter  den  für  Schul- 


1)  Vgl.  einstweilen  den  belehrenden  Aufsatz  C.  Vogels  über  diese  Karte 
in  Petermanns  Mitteil.  1890  S.  42—46. 

28* 


48ß  Geographie  von  Griechenland. 

zwecke  bearbeiteten  Wandkarten,  welche  hier  vollständig  aufzuzählen 
nicht  der  Ort  ist,  ragen  durch  Gediegenheit  und  Eleganz  hervor 

Graeciae  antiquae  tabula  in  usum  scholarum  descripta  ab  Hen- 
rico  Kiepert.  1:500000.  9  Bl.  Berlin,  D.  Reimer.  4.  Autl.  1883. 
-  5.  Aufl.  1887.    M.  12,')  und 

Richard  Kiepert,  Schulwandatlas  der  Länder  Europas.  Berlin, 
D.Reimer.  7.  Lieferung  Balkanhalbinsel  (physikalisch).  1:  1000  000. 
6  Bl.  1884.  M.  7,50.  —  8.  Lieferung  desgl.  (politisch).  1:1000000. 
6  Bl.  1883.    M.  7,50. 

Zum  Schlufs  gebe  ich  noch  das  Verzeichnis  der  im  Zeitraum  un- 
seres Berichtes  neu  erschienenen  Seekarten  vom  ionischen  und  ägäi- 
schen  Meere  (s.  o.  S.  428  f.).  2) 

A.   Admiralitätskarten  des    Hydroyra/>fiic   Department: 

1367.    Corinth  Bay  and  Isthmus.     1:24350.    1890.    Sh.  2Va. 

1225.    Patras  Roads.     1:  12170.    1888.    Sh.  1V2. 

894.    Salamis  Strait  and  Giorgio  Channel.    1884.    Sh.  Va. 

1085.  Negropont  to  Gulf  of  Kassandra.    1:208  670.    1890.   Sh.  2Va. 

1556.  Gulf  of  Volo  with  Oreos  and  Talanta  Channels.  1  :  109  000. 
1890.    Sh.  3. 

1196.    Port  of  Volo;  Skiatho  Harbour.    1:12170.    1888.    Sh.  iVa. 

1086.  Gulf  of  Kassandra  to  Thaso  and  Lemnos  Islands.  1 :  208  700. 
1888.    Sh.  2. 

1087.  Thaso  Island  to  Dardanelles.     1:208  700.    1888.    Sh.  2. 

2836  a.  u.  b.  Archipelago.  1881.  (Übersichtskarte  des  Archipels 
in  zwei  grofsen  und  schönen  Blättern,  in  welchen  die  früheren  Auf- 
nahmen von  1832  —  63  verarbeitet  sind,  mit  zahlreichen  Nebenkarten). 
Jedes  Blatt  Sh.  3. 


1)  Bei  dieser  Gelegenheit  mag  zugleich  auch,  dem  Bericht  über  Klein- 
aaien  vorausgreitend,  auf  desselben  Meisters  Asiae  minoris  antiquae  tabula 
(1  :  800000.  Berlin,  I).  Reimer.  1888.  6  Bl.  M.  9)  hingewiesen  werden,  weiche 
uns  zum  ersten  Mal  ein  übersichtliches  und  dabei  doch  nahezu  erschöpfendes 
Bild  eines  geschichtlich  hochwichtigen  Landes  gewährt.  Vgl.  einstweilen 
G.  Hirschfeld  in  d.  Berl.  Philol.  Wochensch.  1888  Sp.  1193f  u.  G.  Biedermann 
in  d.  Blatt    f    d.  bayr    Gymnasialw.  Bd.  25  S.  553  f. 

2)  Zusammengestellt  nach  den  Literaturverzeichnissen  in  Petermanns 
Mitteil  u  d.  Ztschr.  d.  Ges.  f  Erdk.  Für  Vollständigkeit  kann  ich  nicht  ein- 
stehen. Übrigens  sei  bemerkt,  dafs  die  obigen  Blätter  meist  nicht  auf  neuen 
Aufnahmen  beruhen,  sondern  nur  berichtigte  Ausgaben  sind. 


Karten  437 

B.     Karten  des  Depot  des  cartes  et  plana  de  lu  Marine:^) 

3745.    Mer  Jonienne.    1880. 

3199.    Corfou  et  cotes  d'Albanie.    1874. 

3210.  lies  Jonieniies.    Sainte- Maure,  Ithaque,  Cephalonie  et  cote 
ouest  de  la  Grece.    1874. 

3747.    Ile    Sainte -Maure,    Chenal    de    Meganisi    et   Port    Vliko. 
1:48500.     1879. 

3086.  Rade  de  Sainte-Maure  et  Port  Drepanc    1873. 

3728.  Ile  de  Cephalonie.     Port  Argostoli.    1879. 

3209.  Cöte  ouest  de  la  Moree  et  l'lle  de  Zante.    1874. 

3110.  Baie  de  Navarin.    1873. 

3057.  Carte  des  passages  entre  la  Grece  et  l'lle  de  Candie.    1874. 

4165.  Golfes  de  Volo  et  de  Zitouni,  lies  de  Skopelo  et  Skyros. 

3978.  Abords  et  eutree  des  Dardanelles.    1884. 

Nachträge. 

S.  349.  Von  Herrn  Dr.  Krumbacher  werde  ich  auf  die  ausführ- 
liche Besprechung  des  Buches  von  Miliarakis  hingewiesen,  welche  B. 
A.  Mystakidis  in  der  zu  Konstantinopel  erscheinenden  Zeitung  N£n?,6- 
yog  gebracht  hat  und  welche  auch  in  Sonderabdruck '-*)  erschienen  ist; 
dieselbe  enthält  u.  A.  auch  zahlreiche  Zusätze. 

Den  bibliographischen  Arbeiten  im  Allgemeinen  wären  noch 
die  periodischen  Publikationen  anzufügen,  welche  über  Ausgrabun- 
gen u.  s.  w.  berichten;  da  dieselben  indessen  bereits  von  Hirschfeld  zu- 
sammengestellt sind  (Xn  242 ff.,  XIV  147 ff.),  genügt  es,  auf  dessen  Be- 
richte zu  verweisen. 

S.  352.  Unter  ähnlichem  Titel  wie  das  Buch  von  Stoll  gibt,  wie 
ich  nachträglich  aus  Hirschfelds  letztem  Bericht  (XIII  163)  entnehme, 
auch  W.  Freund  »Wanderungen  auf  klassischem  Boden«  heraus,  von 
denen  bis  jetzt  das  erste  Heft  vorliegt.  3)  Ferner  wäre  den  Arbeiten 
über  die  »alte  Geographie«  Griechenlands  noch  anzuschliefsen 


1)  Zu  beziehen  durch  Challarael  in  Paris  Ein  Katalog  dipser  die  englischen 
Vorlagen  an  Schönheit  oft  noch  übertreffenden  Seekarten  ist  leider  nicht  zu 
erhalten.  Die  Preise,  weiche  ich  infolge  dfssen  bei  den  einzelnen  Blättern 
nicht  angeben  kann,  sind  ähnlich  wie  bei  den  englischen  Karten ,  z.  T.  noch 
billiger. 

2)  ^BuekhjvixTj  yewypa^ixTj  (pikoXoyia  xrX.  hpiaEtq,  dtop>9u>a£cg,  npoffßyj- 
xat  bnö   B.  A.   Muazaxidou.     '£v  Kojvaravzivuunokei.     1870.    32.     89  S. 

3)  Das  alte  Athen  und  seine  bedeutendsten  Denkmäler.  Breslau,  Wohl- 
fahrt.    1889.    87  S.     M.  1. 


438  Geographie  von  Griechenland. 

Albert  Bisch  off,  Bemerkungen  über  homerische  Topographie 
(Pylos,  Ithaka  und  Schiffskatalog).  Progr.  d.  k.  bayr.  Studienanstalt 
Scbweinfurt.     1875.    4.    35  S. 

Diese  Abhandlung  hätte  eigentlich  schon  im  Bericht  über  homeri- 
sche Realien  Bd.  III  S.  149  ff.  dieses  Jahresberichts  erwähnt  werden 
sollen,  wo  sie  wahrscheinlich  übersehen  worden  ist.  Der  Verfasser  er- 
örtert zunächst  die  Lage  des  homerischen  Pylos,  das  er  im  Gegensatz 
zu  den  meisten  Neueren  in  Triphylien  sucht,  beschäftigt  sich  sodann  mit 
des  Dichters  Schilderung  von  Ithaka,  in  bezug  auf  welche  er  zwiscben 
dem  gläubigen  Standpunkt  Gells,  Schliemanns  u.  s.  w.  und  der  radikalen 
Auffassung  Herchers  u.  A.  eine  vermittelnde  Stellung  einnimmt,  und  be- 
spricht im  dritten  Teile  die  Anordnung  des  Schiffskataloges,  wobei 
er  sich  hauptsächlich  gegen  die  Hypothesen  von  Nikolaides  wendet;  son- 
derbarer Weise  erhielt  der  Verfasser  erst  während  des  Druckes  von  der 
grundlegenden  Abhandlung  Nieses  über  den  Schiffskatalog  Kenntnis.^) 

Ferner  als  die  vorgenannte  Abhandlung  steht  unserem  Berichte  der 
Aufsatz  von 

Alexander  Enmann,  Geographische  Homerstudien  im  Pausa- 
nias.  Jahrb.  f.  klass.  Philol.  1884  (Bd.  129)  S.  497—520, 
von  welchem  man  ebenfalls  eine  Erwähnung  in  dem  Bericht  über  home- 
rische Realien  in  Bd.  46  S.  178  ff.  erwartet  hätte.  Verfasser  sucht  nach- 
zuweisen, dafs  die  Bemerkungen  des  Pausanias  über  homerische  Topo- 
graphie auf  Artemidoros  aus  Ephesos  zurückgehen. 

Ähnliche  Zwecke  wie  das  S.  352  f.  erwähnte  Buch  von  Schuchhai'dt 
verfolgt 

Ch.  Diehl,  Excursions  archeologiques  en  Grece.  Mycenes,  De- 
los,  Äthanes,  Olympie,  fileusis,  f^pidaure,  Dodone,  Tirynthe,  Tanagra. 
Paris,  Armand  Colin  et  Cie.    1890.    X  388  S.    8  Pläne.    Fr.  4. 

Wie  Schuchhardt  das  Lebenswerk  Schliemanns,  so  sucht  Diehl 
nach  dem  Vorgange  von  G.  Boissiers  Promenaden  archeologiques  die  Ergeb- 
nisse der  grofsen  Ausgrabungen  auf  griechischem  Boden  (ohne  Klein- 
asien) während  der  letzten  Dezennien  einem  weiteren  Publikum  zugäng- 
lich zu  machen.  Aufser  den  im  Titel  genannten  Stätten  werden  noch 
das  Heiligtum  des  Apollo  Ptoios  in  Boeotien,  Eleusis  und  Epidauros  in 
besonderen  Abschnitten  behandelt.  Die  Darstellung  ist  anziehend  und 
für  den  Zweck  der  ersten  Einführung  in  das  Studium  der  neueren  ar- 
chäologischen Entdeckungen  im  Allgemeinen  sehr  geeignet.  Im  Übrigen 
verweise  ich  auf  die  Besprechung  von  F.  Baumgarten  in  der  Philol.  Wo- 
chenschr.  1871  Sp.  179—82. 


1)  Vgl.  über  dieselbe  den  ausführlichen  Bericht  von  Giseke  in  Bd.  II 
S.  965-70. 


Nachtrag.  489 

Nur  um  Fachgenossen,  welche  sich  allenfalls  durch  eine  unvoll- 
ständige Wiedergabe  des  Titels  zur  Bestellung  des  Buches  veranlafs* 
sehen  könnten,  vor  einer  Enttäuschung  zu  bewahren,  will  ich  als  Nach- 
trag zur  onomatologischen  Literatur  (S.  356  f.)  anführen 

Onomatologie  de  la  geographie  grecque  ou  l'art  d'appreudre  le  dic- 
tionnaire  grec  en  etudiant  la  geographie  de  la  Grece  ancienne  et  de  ses 
colonies,  par  l'abbe  J.  Fahre  d'Envieu.    Paris,  Thorin.    1874.   Fr.  7. 

Nach  der  Besprechung  von  M.  B(real?)  in  der  Rev.  crit.  1875  I 
S.  6—8  verfolgt  der  Verfasser  den  Zweck,  durch  Erklärung  der  in  der 
Geographie  Griechenlands  vorkommenden  Eigennamen  den  Schülern  eine 
griechische  copia  verborum  beizubringen,  wobei  derselbe  jedoch,  nur  um 
seine  Absicht  zu  erreichen,  auch  vor  den  kindlichsten  und  willkürlichsten 
Etymologien,  deren  Unhaltbarkeit  er  sich  wohl  bewufst  ist,  nicht  zurück- 
schreckt. 

Den  vielumstrittenen  Namen  der  Halbinsel  Morea  hat  K.  Sathas 
zum  Gegenstand  eines  Erklärungsversuches  gemacht,  i)  welcher  sich  auf 
die  Annahme  einer  Stadt  Morea  in  Elis  stützt.  Dafs  diese  Annahme 
jedoch  durchaus  hinfällig  ist,  hat  Zacbariä  von  Lingenthal  in  einer 
Besprechung  des  Werkes  von  Sathas^)  und  eingehender  C.  Paparri- 
gopulos  in  einem  besonderen  Aufsatz 3)  dargethan.  Da  auch  die  von 
Zachariä  auf  Grund  der  ältesten  Form  des  Namens  Amorea  ver- 
suchte Ableitung  von  d/xopetog  =  duöpsto^  (zur  Bezeichnung  der  elischen 
Ebene)  kaum  haltbar  erscheint,  kommt  Paparrigopulos  zu  dem  Schlüsse, 
dals  das  Rätsel  noch  als  ungelöst  zu  betrachten  sei.  Den  Stand  der 
Frage  fafst  kurz  zusammen  F.  Gregorovius,  Gesch.  d.  Stadt  Athen 
I  309  f.     Vgl    auch  Tozer  in  der  u.  angeführten  Abhandlung  S.   194  f. 

In  Anschlufs  an  diese  onoraatologische  Streitfrage,  welche  uns  bereits 
in  das  Mittelalter  hinüberführt,  mag  hier  auch  eines  Beitrages  zur  mittel- 
alterlichen Geographie  Griechenlands  gedacht  werden,  der  von  uns  um  so 
dankbarer  zu  begrüfsen  ist,  je  weniger  man  sich  bisher  im  Allgemeinen  um 
die  Reste  der  fränkischen  Periode  bekümmert  hat.  Der  treffliche  H.  F.  T  o- 
zer  hat  nämlich  in  seiner  gehaltvollen  Abhandlung  Tke  Franks  in  the 
Feloponnese^)  u.  d.  T.  Topogruphical  Notes  (S.  207 — 36)  die  Ergebnisse 
einer  im  Jahre  1882  unternommenen  Reise  durch  den  Peloponnes  vorge- 


1)  Documents  ined.  rel.  ä  l'hist.  de  la  Grece  1  (1880j  S.  XXXI— XXXVIII. 
Auch  sonst  enthält  diese  Sammlung  wertvolles  Material  für  die  Geographie 
Griechenlands  im  Mittelalter. 

3)  Deutsche  Literaturzeit.  1880  Sp.  197 f. 

3)  Le  nom  de  la  Moree.    Bull.  corr.  hell.  1881  S.  145-48. 

4)  Journ  Hell.  Stud.  IV  (1883)  165—236,  mit  einem  Üborsichtskärtcheu, 
Der  erste  Abschnitt  (S.  168—86)  enthält  eine  historische  Skizze  des  Fürsten- 
tums Morea,  der  zweite  (S.  186  206)  handelt  von  der  »Chronik  von  Moreaa» 
über  welche  jetzt  Krumbacher,  Gesch.  d.  byzant.  Literatur  S.  419—23  zu  vgl. 


440  Gpographir"  von  Griechenland. 

legt,  welche  hauptsächlich  dem  Studium  der  mittelalterlichen  Denkmäler 
gewidmet  war. ')  Wir  erhalten  so  (unabhängig  von  dem  äufserlichen 
Verlauf  der  Reise)  die  Besclireibuug  von  Klarentza,  Chlemutzi  und  An- 
dravida  in  Elis,  von  Akova,  Karytaena,  Nikli  und  Mukli  in  Arkadien, 
von  Kalamata,  Passava,  Mistra  und  Monemvasia  in  Messenien  und 
Lakonien. 

S.  368  Die  (im  Handel  vergriffene)  französische  Ausgabe  des 
Buches  von  Kordellas  ist  mir  inzwischen  durch  gütige  Vermittelung 
des  Herrn  Dr.  Tb.  Skuphos  vom  Verfasser  aus  zugegangen.  Es  ist  eine 
auf  Veranlassung  der  Centralkommission  für  Griechenland  auf  der  Pa- 
riser Weltausstellung  von  1878  verfafste  Denkschrift,  welche  in  zwei 
Teile,  ein  Apergu,  geologique.  und  Apercu  viinernlogique  zerfällt.  Der 
erstere  gibt  eine  Übersicht  der  Sedimentformationen  und  Gesteine  nach 
ihrem  örtlichen  Vorkommen,  ebenso  der  vulkanischen  Erscheinungen  und 
der  Mineralquellen,  der  zweite  enthält  die  Aufzählung  der  nutzbaren 
Mineralien. 

S.  375.  Was  Philippson  in  dem  Aufsatz  ȟber  die  Altersfolge 
der  Sedimentformationen«  nur  vorläufig  angedeutet  hatte,  ist  von  dem- 
selben jetzt  ausführlicher  begründet  worden  in  seinem 

Bericht  über  eine  Reise  durch  Nord-  und  Mittelgriechenland.    Zeit- 
sehr.  d.  Ges.  f.  Erdk.  z.  Berlin  1890  S.  331     406,  T.  6. 

Nach  einer  kurzen  Schilderung  der  Fahrt  von  Belgrad  nach  Salo- 
niki, welche  zu  mehrfachen  Beobachtungen  über  das  von  der  Bahn  durch- 
schnittene Gestein  Anlafs  bot,  berichtet  der  Verfasser  über  seine  Touren 
in  Thessalien  und  Mittelgriechenland,  welche  ihn  bis  in  die  ab- 
gelegensten Teile  von  Aetolien  und  Akarnanien  führte.  Selbstver- 
ständlich sind  die  geologischen  Beobachtungen  in  diesem  Berichte  vor- 
herrschend. Das  Hauptergebnis  derselben  veranschaulicht  am  besten 
die  beigegebene  »Geologische  Übersichtskarte  von  Mittelgriechenlandt 
(1:900000),  welche  sich  hinsichtlich  der  Begrenzung  der  Schichten- 
gruppen zwar  eng  an  die  Karte  der  österreichischen  Geologen  (o.  S.  372) 
anschliefst,  von  derselben  aber  insofern  wesentlich  abweicht,  als  sie  den 
ganzen  westlichen  Teil  Mittelgriechenlands,  den  Neumayr  noch  zur 
Kreide  rechnete,  dem  Eocän  zuweist.  Hierin  liegt  das  Hauptergebnis 
von  Philippsons  Untersuchungen,  durch  welche  nunmehr  auch  die  von 
ihm  erwartete  Übereinstimmung  mit  dem  Peloponnes  festgestellt  ist.  Die 
tektonischen  Verhältnisse  Mittelgriechenlands  rücken  hiedurch  wieder  in 
ein  neues  Licht,  der  Unterschied  in  der  orographischen  Bildung  des  öst- 


1)  Ausgeschlossen  sind  jedoch  hier  von  der  Betrachtung  die  von  zahl- 
reichen Reisenden  besuchten,  übrigens  weit  weniger  als  die  obengenannten  mit 
der  Geschichte  des  Fürstentums  Morea  verknüpften  Bauten  von  Patras,  Ko- 
rinth,  Nauplia,  Argos,  Modon  und  Koron. 


Nachtrag.  441 

liehen  und  des  westlichen  Teiles  wird  verständlicher,  die  reichlichere  Be- 
waldung des  letzteren  findet  in  den  geologischen  Verhältnissen  ihre  Be- 
gründung und  auch  auf  die  kulturgeographischen  Verhältnisse  fällt  man- 
ches Streiflicht.  Wie  in  seinen  Berichten  über  den  Peloponnes  mischt 
Philippson  auch  hier  seine  geologischen  Studien  mit  Bemerkungen  über 
die  wirtschaftlichen  und  Siedelungsverhältnisse  des  bereisten  Gebietes 
und  kommt  zum  Schlufs  u.  A  wieder  auf  die  Albanesen  (vgl.  o.  S.  394f.) 
zu  sprechen,  deren  Zahl  er  für  Mittelgriechenland,  wo  sie  jedoch  nur 
im  östlichen  Teile  vorkommen,  auf  84  00(t  (im  ganzen  Königreich  auf 
224000  =   11,3%)  veranschlagt. 

S.  375 f.  Zu  den  Höhenmessungen  Hegers  und  Tucketts  vgl. 
auch  Petermanns  Mitteil.  1879  S.  I56b.  Letzterer  veröffentlichte  bereits 
früher 

A  Contribution  to  the  Hypsometry  of  Greece,  based  chiefly  on  the 
Results  of  the  French  Survey  etc.  Alpine  Journal  VHI  (1878)  S.  434 
—44 

im  Anschlufs  an  seine  in  demselben  Bande  beschriebene  Besteigung 
des  Taygetos,  worüber  später  unter  Lakonien  zu  berichten  sein  wird. 
Was  Tuckett  in  dem  obigen  »Beitrag«  gibt,  ist,  so  viel  ich  sehe,  ledig- 
lich eine  Umrechnung  der  in  der  Carte  de  la  Grece  enthaltenen  Höhen- 
Ziffern  in  englisches  Fufsmafs,  also  für  nichtenglischc  Leser  höchstens 
als  übersichtliche  Zusammenstellung  der  gemessenen  Punkte  von  Interesse. 
S.  377.  Über  das  verheerende  Erdbeben  vom  27.  August  1886 
handeln  ferner  noch 

Leon  Vi  dal.  Öur  le  tremblement  de  terre  du  27.  aoüt  1886  en 
Grece.    Comptes  Rendus  de  l'Ac.  d.  Sc.  1886  Bd.  103  S.  563—65,  und 

V.  G.  Marschall.  Die  Erdbeben  in  Griechenland.  Unsere  Zeit 
1887  I  S.  109—13. 

Herr  Konst.  Mitzopulos  scheint  sich  erfreulicher  Weise  die 
I^rdbebenchronik  Griechenlands  zur  ständigen  Aufgabe  zu  machen;  der 
ersten  Zusammenstellung  für  das  Jahr  1889  (S.  377)  folgte  kürzlich  ein 
zweiter  u.  d.  T. 

Die  Erdbeben  in  Griechenland  und  der  Türkei  im  Jahre  1890. 
Petermanns  Mitteil.  1891  S.  51—54. 

S.  381  f.  Von  den  früheren  Untersuchungen  über  den  Gebrauch 
der  Bezeichnung  »ionisches  Meere  hätte  vor  allem  die  knappe  und 
gründliche  Darlegung  Nissens')  angeführt  werden  sollen,  was  leider  über- 
sehen wurde. 


1)  Italische  Landeskunde  1  89—91. 


442  Geographie  von  Griechenland. 

S.  383 f.    Zum  Klima  Griechenlands  ist  nachzutragen: 

J.  F.  Jul.  Schmidt,  llefj\  ixeydXcuv  xaranrwasujv  ^covog  xat  y^a- 
Xd^r^g  iv  'EUdSc.     Ilapvaatrug  VIII  (1884)  S.  84—86. 

Verzeichnet  für  den  Zeitraum  1850  —  84  die  Fälle,  in  welchen 
Attika  von  einer  mehr  als  0,1  m  hohen  zusammenhängenden  Schneedecke 
bedeckt  war,  sowie  aufsergewöhnliche  Hagelfälle ;  einige  Nachrichten  be- 
ziehen sich  auch  auf  andere  Teile  Griechenlands. 

In  derselben  Zeitschrift  pflegen  auch  die  meteorologischen  Haupt- 
daten jedes  Jahres  unter  der  Rubrik  Me-ewpoXoyixTj  änoipig  verzeichnet 
zu  werden. 

J.  Partsch,   Zur  Klimatologie  von  Griechenland.    Meteorol.  Zeit- 
schr.  1889  S.  335—87 
berichtet  über  die  Ergebnisse   der  von   Spir.  Marinos   seit  1887   wieder 
aufgenommenen  Beobachtungen  in  Corfu,  wo  seit  Dabovich  (1869—79) 
keine  solche  mehr  angestellt  worden  waren. 

S.  384ff.  Von  der  Literatur  zur  Flora  Griechenlands  ist  mir,  ab- 
gesehen von  Arbeiten,  welche  nur  einzelne  Landschaften  oder  Inseln  be- 
treifen, nachträglich  noch  bekannt  geworden: 

Th.  Orphanidis,  Sur  les  caracteres  sp^cifiques  du  genre  Col- 
chicum et  sur  quelques  especes  nouvellement  decouvertes  en  Gröce. 
Atti  del  Congr.  internaz.  botan.  in  Firenze  1874  S.  27 — 36. 

Th.  V.  Held  reich,  Sertulum  plantarum  novarum  vel  minus  cog- 
nitarum  florae  Hellenicae.  Ib.  S.  136 f.,  227-40.  Vgl.  Just's  Botan. 
Jahresber.  IV  2  (1876)  S.  1055,   woraus  beide  Titel  entnommen  sind. 

Derselbe,  Glaucium  Serpieri  Heldr.  Gartenflora  1873  S.  323 f., 
T.  776  (neue  Spezies  vom  Laurion). 

A.  Philipps on.  Über  den  Anbau  der  Korinthe  in  Griechenland. 
Naturwiss.  Wochenschr.  III  (1889  S.  17-3  f. 

S.  387.  N.  A.  Chloros  veröffentlichte  aufser  den  beiden  a.  a.  0. 
genannten  Schriften  noch 

Tä  ddarj  WQ  ipoaixa  dl.s.^L'/^dhxZ,a  xat  ujg  npoardzac.  rr^g  yeujpyiag. 
napvaaaog  VI  (1872)  S   112—41,  und 

riepl  yprjOtpLÖTrjTog  rtyv  Saaüjv  ib.   S.  916  -  30. 

Weit  schwieriger  als  die  tloristische  Literatur  ist  es  die  einzelnen 
Beiträge  zur  Fauna  eines  Landes  zu  überblicken,  da  es  an  einem  so 
rasch  orientierenden  Organ  wie  Just's  Botanischer  Jahresbericht  fehlt; 
denn  der  »Zoologische  Anzeiger«  von  Carus  und  besonders  der  »Zoolo- 
gical  Record«  verzeichnen  zwar  die  Literatur  mit  wünschenswerter  Voll- 


Nachtrag.  443 

ständigkeit,  doch  ist  das  Ausziehen  der  faunistischen  Beiträge  aus  der- 
selben mit  grofsem  Aufwand  an  Mühe  und  Zeit  verbunden.  Die  Berichte 
im  »Geographischen  Jahrbuch«  aber  sind  weder  für  Pflanzen-  noch  für 
Tiergeographie  ganz  ausreichend.  Was  daher  S.  388  f.  von  faunistischer 
Literatur  angeführt  ist,  umfafst  nur  die  zufällig  zu  meiner  Kenntnis  ge- 
langten Schriften,  denen  ich  noch  die  beiden  folgenden  Beiträge  anfüge: 

0.  Boettger,  Über  einige  iieue  oder  bemerkenswerte  Land- 
schnecken aus  Griechenland.  Nachrichtsbl.  der  deutsch,  malakozool. 
Ges.  XX  (1888)  S.  51     58. 

C.  Frey  tag.  Die  Pferde  Griechenlands.  Die  Natur  1875  S.  196 
—98,  201  f. 

Der  letztere  Aufsatz  handelt  vornehmlich  von  der  auf  den  Kykla- 
den  verbreiteten  Zwergrasse,  deren  Heimat  der  Verfasser  in  Skyros  sucht. 

Zur  Ethnographie  ist  nachzutragen,  dafs  von  ft.  Lejean  (S.392A) 
lange  nach  dem  Tode  des  Verfassers  (f  1871)  u.  d.  T. 

Les  populations  de  la  peninsule  des   Balkans.    Revue   d'anthropol. 
IL  Ser.  V  (1882)  S.  201—59,  453—96,  628—75 
historische  Betrachtungen  über  die  Völker  der  Balkanhalbinsel   erschie- 
nen, welche  nach  dem  heutigen  Stande  der  Wissenschaft  kaum  noch  von 
Wert  sind. 

Auf  die  den  Griechen  so  unbequeme  Frage  der  slavischen  Ein- 
wanderung im  Mittelalter  kommt  auch  Sathas  in  der  Einleitung  zum 
ersten  Bande  der  Documents  S.  VI— XXVIII  (s.  o  S.  439)  zu  sprechen, 
indem  er  die  vermeinthch  slavischen  Niederlassungen  als  albanesi- 
sche  nachzuweisen  sucht,  eine  Hypothese,  deren  Hinfälligkeit  u.  A.  von 
W.  Heyd^)  dargethan  worden  ist. 

Aus  der  ziemlich  umfangreichen  Literatur  über  die  Zinzaren 
(südliche  Rumänen,  S.  396)  ist  mir  auch 

N.  Densusianu  et  F.  Dame,  Les  Roumains  du  Sud.  Macedoine, 
Thessalie,  f]pire,  Thrace,  Albanie.     Bukarest.    1877 
nur  dem  Titel  nach  bekannt.     Die  wissenschaftlich   bedeutendste  Arbeit 
ist  wohl 

Gustav  Weigand,  Die  Sprache  der  Olympo-Walachen,  nebst 
einer  Einleitung  über  Land  und  Leute.  Leipzig,  J.  A  Barth.  1888. 
VIII  141  S.    M.  3. 

Verfasser  hat  hier  auf  Grund  eines  eigenen  dreimonatlichen  Auf- 
enthaltes in  Vlacho-Livadhon  den  Dialekt  der  Olympo-Walachen  sprach- 


1)  Zur  Frage  der  Absfanimnng  der  Neugriechon     Im  Neuen  Reich  1880 
II  S.  56-59. 


444  Geographie  von  Griechenland. 

wissenschaftlich  behandelt  und  sowohl  prosaische  als  poetische  Texte 
mit|,'etoilt.  Die  Einleitung  über  die  Olympo-Walachen  im  Allgemeinen  und 
ihr  Land  (S.  9-  l(j)  beschränkt  sich  leider  auf  einige  kurze  Mitteilun- 
gen. S.  7  f.  werden  einige  von  Humanen  verfafste  Schriften  angeführt, 
welche  in  unserem  Berichte  nicht  erwähnt  sind. 

Eine  Arbeit  über  die  neue  Landesgrenze  u.  d.  T. 

J.  13  lau  Card,    L'f^pire   et  la  Thessalie.     Deliminitation  des  fron- 
tieres  turcogrecques.     Paris,  Didot.    188'2.    Fr.  2. 
ist  mir  nicht  näher  bekannt  geworden. 

Über  den  Handel  und  die  wirtschaftlichen  Verhältnisse  des 
Landes  sind  insbesondere  auch  die  Konsulatsberichte  zu  vergleichen, 
welche  in  dem  vom  Reichsamt  des  Innern  herausgegebenen  »Deut- 
schen Handelsarchiv«  veröffentlicht  werden,  hier  aber  nicht  alle  ein- 
zeln aufgezählt  werden  können.     Unzugänglich  ist  mir 

D.  Georgiades,  La  Grece  economique.  Sa  participation  ä  l'Ex- 
position  universelle  et  son  commerce  avec  la  France.  Paris.  1889. 
4.    12  S.     S.A.  a.  »Journal  de  l'Orient«. 

Eine  Skizze  Griechenlands,  vornehmlich  in  wirtschaftlicher  Hin- 
sicht mit  besonderer  Rücksicht  auf  neue  grofse  Unternehmungen,  wie  die 
Durchstechung  des  Isthmus,  die  Austrocknung  des  Kopaissees  u  s.  w.,  gibt 

Ed.  de  Joannes,  La  Grece  moderne,  ses  forces  productrices,  sa 
Situation  economique  Bull,  de  la  Soc.  de  geogr.  commerc  Paris.  IX 
1887  S.  25 — 49.  Auch  in  dem  mir  nicht  zugänglichen  »Bull,  de  la 
soc.  geogr.  de  Lille«  VIII  1887  S-  137  ff. 

Eine  ganz  populäre  Schilderung  mit  den  landläufigen  Illustrationen  ist 

Das  heutige  Griechenland  und  seine  Hauptstadt.  Aus  allen  Welt- 
teilen 1878  S  199— 204,  242  44,  259—62.  —  Das  heutige  Griechen- 
land: der  Peloponnes.  Bearbeitet  von  Seh.  Ebd.  1880  S.  231-35, 
260-  62. 

Von  dem  Buche 

Quadri  della  Grecia  moderna  del  dottor  Pierviviano  Zecchini 
e  altri  di  Nicolö  Tommaseo.  Seconda  edizione  corretta  e  ampliata. 
Venezia.  1866.  480  S., 
welches  uns  in  das  Griechenland  von  1830  zurückversetzt,  ist  1876  in 
Florenz  eine  neue,  anscheinend  etwas  erweiterte  Ausgabe  (564  S. ,  1.  5) 
erschienen,  welche  ich  nicht  gesehen  habe.  Unbekannt  geblieben  sind 
mir  auch 

F.  Crousse,  La  peninsule  greco-slave,  son  pass^,  son  präsent  et 
son  avenir.  fitude  historique  et  politique.  Bruxelle,  Spineux  &  Co, 
1876.    CVIII  523  S.    M.  10,  und 


Nachtrag.  445 

H.  D.  Campbell,  Turks  and  Greeks.  Notes  on  a  recent  Excur- 
sion.     London,  Macmillan.    1877.    136  S.    Sh.  3Va- 

S.  405 f.  Bezüglich  der  Arbeiten  von  Schinas  erfahre  ich  in- 
zwischen von  einem  Kenner  der  chalkidischen  Halbinsel,  dafs  seine  An- 
gaben über  dieselbe  zum  'IVil  unzuverlässig  sind  und  nicht  durchweg  auf 
Selbstanschauung  zu  beruhen  scheinen,  womit  jedoch  über  die  anderen 
Teile  des  Werkes  insbesondere  soweit  sie  das  türkische  Grenzgebiet  be- 
treffen, kein  Urteil  abgegeben  werden  soll. 

S,  414.  Das  vornehm  ausgestattete  Werk  des  Erzherzogs  Lud- 
wig Salvator,  welches  nicht  in  den  Handel  gelangt  und  daher  auch  in 
gröfseren  Bibliotheken  selten  zu  finden  ist,  M  ist  mir  inzwischen  durch 
die  Munifizenz  S.  K.  u-  K.  Hoheit  zugegangen.  Da  der  dringliche  Ab- 
schlufs  dieses  Berichtes  eine  eingehendere  Besprechung  leider  nicht  mehr 
ermöglicht,  mufs  ich  mich  hier  auf  die  Mitteilung  beschränken,  dafs  das 
Werk  eine  vollständige  Schilderung  der  Küsten  des  Golfes  von  Korinth 
(von  der  Meerenge  von  Rhion  angefangen)  enthält  und  von  zahlreichen, 
nach  Originalskizzen  des  hohen  Verfassers  hergestellten  Illustrationen 
einer  schönen  Übersichtskarte  (1  :  200000)  und  Profilen  des  Isthmos  be- 
gleitet ist. 

Durch  elegante  Ausstattung  zeichnet  sich  ebenfalls  aus 

W.  J.  Stillman,  On  the  Track  of  Ulysses  together  with  an  Ex- 
cursion  in  Quest  of  the  so-called  Venus  of  Melos.  Two  Studies  in 
Archaelogy,  made  during  a  Cruise  among  the  Greek  Islands.  Boston 
and  New  York,  Houghton,  Mifflin  and  Company.  1888.  4.  X  106  S. 
1  T.  geb.    M.  24. 

Die  beiden  ersten  Teile  dieser  zuerst  im  Century  Magazine  gedruck- 
ten Aufsätze  {On  the  Track  of  Ulysses,  S.  1  —  49,  und  The  Odyssey,  its 
Epoch  and  Geography,  S.  50 — 74)  enthalten  die  in  populäres  Gewand  ge- 
kleidete Schilderung  einer  im  Auftrag  jener  Zeitschrift  unternommene 
Reise  nach  dem  griechischen  Westen  (hauptsächlich  Corfu,  Ithaka  und 
Kephallenia)  mit  besonderer  Rücksicht  auf  homerische  Topographie ; 
ich  hoffe  bei  den  ionischen  Inseln  darauf  zurückzukommen.  Der  dritte 
Teil  {The  so-called  Venus  of  Melos,  S.  75  -  106)  berichtet  über  einen 
zweimaligen  Besuch  des  Verfassers  auf  Melos  (1865  und  1880),  welcher 
hauptsächlich  die  genaue  Untersuchung  des  Fundortes  der  Aphrodite- 
statue zum  Zweck  hatte.  Im  Übrigen  ist  dieser  Abschnitt  wesentlich 
archäologisch.  Eine  Anzahl  meist  kleiner,  aber  sauber  ausgeführter  An- 
sichten im  Text  nebst  bildlichen  Erläuterungen  zum  dritten  Abschnitt 
erhöhen  den  gefälligen  äufseren  Eindruck  des  Buches. 


1)  Eine  anscheinend  vollständige  Sammlung  der  Werke  des  fürstlichen 
Verfassers  enthält  u.  A.  die  Bibliothek  der  »(iesellschaft  für  Erdkunde  in  Ber- 
hn«,  welcher  Erzherzog  Ludwig  Salvator  als  Ehrenmitglied  angehört. 


446  Geographie  von  Griechenland. 

L.  de  Launay,  Autour  de  la  Mer  figöe.  Lesbos.  —  Thasos.  — 
Le  Mont  Athos.  —  Salonique.  —  Les  conveuts  de  Thessalie.  (Cro- 
quis  et  impressioiis).  Annuaire  du  Club  Alpin  Fran^ais.  1888. 
S.  389—433. 

Der  Inhalt  dieser  etwas  aphoristischen,  aber  durch  ihre  Unmittel- 
barkeit anmutenden  Reiseskizzen,  welche  einige  bildliche  Darstellungen 
begleiten,  ist  durch  die  Überschrift  hinlänglich  gekennzeichnet. 

S.  419  wäre  noch  einzufügen: 

Georg  Finsler,  Aus  der  Mappe  eines  Fahrenden.  Bilder  aus 
Italien  und  Griechenland,  Frauenfeld,  J.  Huber.  1884.  VIII  337  S. 
M.  4. 

Der  gröfsere  Teil  des  typographisch  hübsch  ausgestatteten  Buches 
entfällt  auf  Italien ;  von  Sizilien  reiste  der  Verfasser  nach  Athen  und 
unternahm  von  dort,  nach  den  üblichen  Ausflügen  in  Attika  (Sunion, 
Eleusis)  die  Rundtour  Korinth,  Delphi,  Patras,  Zante,  Olympia,  Phiga- 
lia,  Tripolitsa,  Nauplia,  Mykenai,  Nemea. 

Schliefslich  kann  ich  nicht  umhin,  als  Nachtrag  zur  geologischen 
Literatur  noch  die  auch  für  die  Archaeologie  hochbedeutsame  Abhand- 
lung von 

G.  Richard  Lepsius,  Griechische  Mazraorstudien.  Abhandl.  d. 
k.  preufs.  Ak.  d.  Wiss.  zu  Berlin  1890.    4.     135  S.    M.  6,50 

hier  anzuführen,  obwohl  mir  dieselbe  noch  nicht  zu  Gesicht  gekommen 
ist;  ich  verweise  daher  auf  den  ausführlichen  Bericht  von  Chr.  B[elger] 
in  der  Philol.  Wochenschr.  1891   Sp.  2  f.,  34—36. 


Register. 


I.  Verzeichniss  der  besprochenen  Schriften. 


Abraham,  Fr ,  Tiberius  u.  Sejan  III  154 

Admiralty  Charts  III  428.  436 

Aelii  Dionysii   et    Pausaniae   fragmoiita 

coli    E.  Schwabe  I  130 
Albicini,  C,  Gi&vanni  Gozzadini  III  67 
Albrecht,  P,,  philologische  Untersuchun- 
gen II   147 
Allard,    P ,   DiocIetien   et   les  chretiens 

III  183 
Altschul,  A.,  de  Demetrii  rhetoris  aetate 

I  72 
Amadori,  C,  Roma  sotto  i  patiizi  III  188 
Amman,  J.  K.,  zur  Erklärung  der  z\V(>i 

ten  Epode  des  Horaz  11  162 
Ammon,  G.,  de  Dionysii  Hnlicarnasseu- 

sis  toutibus  I  58 
Anagnostakis,  A  ,  la  methode  antisepti- 

que  chez  les  anciens  III  329 
Angermann,   K ,   geographische  ISamen 

Altgriecheulands  III  357 
Anspach,  E.,   die  Horazi«chen  Oden   in 

Bezug  auf  Interpolation  11   140 

—  Abfassungszeit    der  Bacchides  II  55 
Antona-Traversi,  C,  studi  su  Leopardi 

III  66 
d'Arbois  de  Jubainville,  de  IVmplui  des 

bijoux  III  275 
Arlt,  A  ,  servare  bei  Plautus  II  23 
Arnold,Franklin,dieneronische  Christeu- 
verfolgung III  162 

—  Studien  zur  Plinianischen  Christen- 
verfolgung II  243 

Asbach,  J.,  römisches  Kaiserthum  III  195 

—  Volkstribunat  des  Livius  Drusus  III 
134 

—  die  Ueberlieferung  der  germanischen 
Kriege  III  141 

Assmann,  E.,  zur  Nautik  des  Alterthums 

III  263 
Aures,  A.,    rapport  sur  une  publication 

de  M.  Oppert  III  235 


Ausonii  opuscula  rec.  R    Peiper  11  100 

—  Oeuvres,  traduction  par  E  F.  Corpet 
II   100 

—  la  Moseile,  edition  critique  et  tra- 
duction par  H.  de  la  Vilie  de  Mirmont 
11   102 

—  Moseila,  nachgebildet  von  H.  Viehoff 
II  161 

Bach,  J.,  de  pronominum  apud  priscos 
scriptores  latinos  usu  II   12 

—  de  attracfione  inversa  II  39 
Bächtold,  J.,  zu  Nikiaus  von  Wylelll  15 
Bädeker,  K.,  Griechenland  III  408 
Bahr,  P  ,  die  Oertlichkeit  der  Schlacht 

auf  Idistaviso  III   153 
Bährens,  E ,    zu    lateinischen   Dichtern 

II  103 

Baier,  B.,  meletemuta  Plautina  II   10 
Bapp,    K,   Beiträge    zur   Quellenkritik 

des  Athenaeus  I   126 
Baransky,  A  ,  Thierzucht  im  AUerthum. 

—  Thiermedi'in  im  Alterthum  III  340 
Barberet,  V.,  de  Columellae  vita  ill  257 
Barbillon,  historia  de  la  medicina  III  282 
Barta,  F.,  über  die  auf  die  Dichtkunst 

bezüglichen  Ausdrücke  bei  den  römi- 

scheu  Dichtern  II  127 
Bauer,  A.,   die   Kriegsschiffe   der  Alten 

III  267 

Bauer,  Ludwig,  Verhältniss  der  Punica 
des  Silius  zur  3  Dekade  des  Livius  II 
193 

—  zu  Silius  Italicus  II  203 
Becker,  E.,  Satzverbindung  II  39 
Beckurts,  die  Kriege  der  Römer  in  Afrika 

111   182 
Bedjanitsch,  de  Horatii  epistulis  II  172 
Beer,  R.,  el  maestro  Renallo  III  68 
Beheim-Schwarzbach,  F.,  libellus  nepl 

kpfjLTjveiai  I  74 
Behrmann,  G.,  eine  Maienfabrt  III  426 


448 


Register. 


Bell,  A.,  de  locativi  in  prisca  latinitate 

usu  II  24 
Belle,  H.,  trois  aniiei's  an  Gr^ce  III  4 IG 
Beloch ,  J  ,   di(»    Bevölkerung  der  giic- 

chiscli-römischeu  Welt  III  358 
Bender,  H.,  Anfänge  der  humanistischen 

Studien  in  Tübingen  III   25 

—  Humanismus  zu  Tübingen  III   26 

—  Johann  Valentin  Andreae  III  68 

—  Johann  Balthasar  Schupp  111  69 

—  Gymuasialreden   III    107 
Berendes,  Pharmacie  bei  den  alten  Kul- 
turvölkern III  317 

Bernays,    J,,   commentarius   in    Lucreti 

üb.  II  211 
Berthelot  et  Ruelle,    colleciion  des  an- 

ciens  alchimijtes  III  242 

—  sur  quelques  metaux  de  l'antique 
Chaldee  III  260 

—  sur  le  nom  de  bronze  III  259 
Bikelas,  D.,  de  Nicopolis  a  Olympie  III  4-;0 
Bilflnger,  G  ,  die  babylonische  Doppel- 
stunde III  233 

Bischoff,  A.,  Bemerkungen  über  home- 
rische Topographie  III  438 

BIttner,  Neumayr,  Teller,  geologische 
Abhandlungen  über  Griechenland  III 
371 

Blase,  H.,  Geschichte  des  Irrealis  II  37 

Blümner,  H  ,  Technologisches  III  244 

Bohne,  W  ,  Erziehung  der  Kinder  Ernst 
des  Frommen  III  64 

Bötticher,  A.,  aut  griechischen  Land- 
strasseu  III  418 

Bolte,J.,  zwei  Humanistenkomödien  111  10 

Bompard,  R.,  le  crime  de  lese-majeste 
111  228 

Bonghi,  R.,  storia  di  Roma  III   114 

Boot,  J  ,  über  Spangenbergii  bellum 
graramaticale  III  38 

Brambs,  G.,  über  Citate  und  Reminis- 
cenzen  bei  Lukiau  1  99 

Brandt,  Chronologie  des  Gedichtes  des 
Lucretius  II  224 

Brandt,  K.,  zur  Geschichte  und  Kompo- 
sition der  Ilias  I  18 

—  über  eine  Erweiterung  der  Epopöe 
vom  Zorn  des  Achilleus  I  35 

—  die  Kataloge  I  28 

Brauns,  D  ,  das  Problem  des  Serapeums 

von  Pozzuoli  III  262 
Breitung,  A ,  Leben  des  Dio  Chrysosto- 

mus  1  75 
Breusing,  A  ,    die  Lösung   des  Trieren- 

räthsels  III  265 
Briau,  R.,  sur  l'introduction    de  la  me- 

decine  dans  le  Latium  III  289 
Brief  Philipp  ßuttmanns  111  86 
Brown,   R.,    the    Euphratean  Theogony 

111  235 


Brugmann,  0.,  Gebrauch  von  ni  II  26 
Bruhn,  E.,  Plutarchea  I   14 
Brunk,  A  ,  zu  Aelians   varia  historia  1  12 
Bruns,   J.,    Lnkians    philosophische   Sa- 
tiren I   100 

—  Lukian  und  Oenomaus  1   103 
Buchholz     E.,    vindiciae    carminum  Ho- 

nieiitoraui   1   20 
Buchwald,  F  ,  quaestiones  Silianae  II  195 
Bücheier,  F.,  coniectanea  1  71 

—  Prosodisches  zu  Plautus  II    9 

—  Julius  bei  Horaz  II   160 

—  zu  Lucilius  II  7 

Büchner,  W  ,  de  neocoria  111  200 
Bürger,  C  ,  de  Lucio  Patrensi  I  90 
-    Textkritisches  zum  "Ovo^  I  98 
Buresch,   K.,    die   Quellen   zu    den    Be- 
richteu  von    der    katilinarischeu  Ver- 
schwörung III    135 

—  consolationum  scriptarum  historia  18 
Buschan ,   Technik    der  prähistorischen 

Gewebe  III  273 

—  über  die  Anfänge  und  Enlwickelung 
der  Weberei  III  274 

Caccialanza,  F.,  Cecilio  da  Calatte  1  71 
Calpurni   et  Nemesiani  bucolica  rec.  H. 
Schenkl  II  95 

—  -    by  Ch.  H    Keene  II  96 
Campaux,  A.,  critique  du  texte  d'Horace 

II  132 

Cantarelli,  L  ,  cursus  bonorum  dell'  im- 
peratore  Petronio  Massimo  III    180 

—  intorno   ad  alcuni   prefetti    di  Roma 

III  189 

Capasso,   B. ,    nuova  interpretazione  di 

Oraziü  II   170 
Carette,  E.,  etudes  sur  les  temps  ante 

histonques  III  249 
Carnuth,  0,   Quellenstudien    zum  Ety- 

mologicum  Gudianum   1   109 
Cartault,  A.,    sur  un  passage  de  la  vie 

de  Lucaia  II   177 

—  la  date  des  Puniqiies  de  Silius  Itali- 
ens II    197 

Chambalu,  A.,  vierte  katilinarische  Rede 
111   135 

Charcot  et  RIcher,  les  difformes  dans 
l'art  III  323 

Chatelain,  E.,  note  sur  un  manuscrit 
d'Horace  II   130 

Cheneviere.A.dePiutarchi  tamiliaribuslO 

Chloros.  N  ,  Waldverhältnisse  Griechen- 
lands III  386 

Christ,  K.,  römische  Feldzüge  in  der 
Pfalz  111  178 

Chrysochos,  M.,  niva^  Tfjg  'Hnsipou  111 
433 

Cima.  A,  saggi  di  studi  latini  II  135 

—  l'elemento  nazionale  in  Lucrezio  11 
223 


Register'. 


449 


Coblentz,  B ,  de  libelli  mpi  ut/ioug  auc- 

tore  I  70 
Cohn,  L.,  unedierte  Fragmente  aus  der 

atticistischen  Litteratur  I  110 
Collilieux,  E.,  deux  editeurs  de  Virgile 

III  97 
Corlieu,  A,  les  medecins  grecs  111  291 
Cornelius,  E.,   quomodo  Tacitus  in  ho- 

miuum    memoria  versatus  sit  III   139 
Cornelissen,J.,lectionesValerianae  II  273 

—  loctiones  Venusinae  II  139 
Corpus    inscriptionum    latinarum,   XII : 

Gallia  III  212 
Corradi,  A.,  in  C.  Plinium  observationes 

II  249 
Cramer,  F.,  de  perfecti  couiunctivi  usu 

II  -Ao 
Crozals,  J.  de,  Plutarque  I  16 
Crusius,  0  ,  ad  poetas  latinos  II  138 
Cuno,  J.,  Vorgeschichte  Roms  III   120 
Dahm,  O.,  die  Varusschlacht  III  152 

—  Uebergang  des  Limes  III  225 
Dalton,  H.,  Reisebilder  III  419 
Danelius,  Beitrag   zur  Augenheilkunde 

des  Aetius  III  311 
Deecke,  W.,  die  Falisker  III  124 

—  Bemerkungen  über  Bau-  und  Pflaster- 
material in  Pompeji  III  279 

Delattre,  A.,  les  travaux  hydrauliques 
en  Babylonie  III  277 

Delbrück,  H.,  Triarier  III  218 

Dembitzer,  Z  ,  de  ratioue  quam  Plautus 
in  reciproca  actione  exprimendainierit 
II  38 

Dernedde,  R.,  antike  Stoffe  bei  altfran- 
zösischen Dichtern  III  45 

Desrousseaux,  sur  deux  passages  de 
Lucien  I  93 

Diebitsch ,   die  Sittenlehre   des  Lucrez 

II  220 

Diefenbach,  L.,  Völkerkunde  Osteuropas 

III  393 

Diehl,  Ch.,  excursions  archeologiques  en 

Grece  III  438 
Diels,  H.,  antike  Heilwunder  III  285 
Diepenbrock,  A.,    L    Annaeus  Seneca 

III  156 
Dieterich,  A.,  prolegomena  ad  papyrum 

magicum  III  280 
Dietrich,    Gedanken    und    Skizzen    aus 

Lucian  I  89 
Dignat,   histoire  de  la  medeciue  III  282 
Dio  Chrysostomus,  l'Eubeenne,  trad.  par 

H.  Fauvel  I  79 
Dionysii  Halicarnassensis  de  imitatione 

reliquiae  ed.  H.  Usener  I  60 
Dittmar,  H  ,  Lucianea  I  105 
Döring,  R.,   über   den  Homerus  latinus 

II  203 

—  de  Silii  Italici  re  metrica  II  204 
Jahresbericht  für  Alterthumswissenschaft. 


Dombart,  Stowasser,  Graubart,  tricesi- 

ma  sabbata  II  171 
Dondorff,  das  hellenische  Land  III  353 
Dorsch,  J.,  Assimilation  bei  Plautus  und 

Terenz  II  10 
Double,  A.,  la  mödecine  dans  les  temps 

prehistoriques  III  329 
Drewes,  Carl  Theodor  Gravenhorst  III  95 
Drews,  P.,  Pirkheimers  Stellung  zur  Re- 
formation III  27 
Dubois,  de  Co  insula  III  288 
Dübi,  H.,  die  alten  Berner  III  213 
Düntzer,  H  ,  zu  Horatius  II   148 
Duncker,  A.,  Geschichte  der  Chatten  III 

181 
Dupouy,   medecine   et  moeurs  de  l'an- 

cienne  Rome  III  291 
Duvau,  L ,  Lucretiana  II  228 
Ebers,  G.,  das  Kapitel  über  die  Augen- 
krankheiten im  Papyrus  Ebers  III  333 

—  Gewichte  undHohlmaasse  im  Papyrus 
Ebers  III  342 

Ebstein,  W  ,  über  Wasserentziehung  bei 

Fettsucht  III  328 
Ellinger,  G.,  Thomas  Morus  III   14 

—  noch  einmal  über  Huttens  Charakter 
III  34 

Eliis,  R.,  Bishop  Wordworth's   emenda- 

tion  of  Lucan  II  190 
Elter,  A.,  Anordnung  der  Oden  des  Ho- 

raz  II   132 
Engel,  E.,  griechische  Frühlingstage  III 

423 
Engelbrecht,  A.,  Hephästion  von  Theben 

III  236 
Epistolae    Langianae    edidit   H.  Hering 

III  34 
Epistulae  Gottingenses  edidit.  C.  Dilthey 

in  71 

Eymer,  W ,  zur  Horazlektüre  II  132 
Eyssenhardt,  F.,  Niebuhr  III  75 
Fabre  d'Envieu,  onomatologie  III  439 
Fabricius.  W  ,  Theophanes  von  Mitylene 

III  139 
Falk,  F.,  Nicolaus  Carbach  III  34 
Faltin,  G.,  zu  Horaz  Episteln  II  173 
Farenheid,  Fr.  v  ,  Reise  durch  Griechen- 
land III  413 
Farges,  A ,  matiere  et  forme  III  232 
Faucher,  J.,  Streifzüge  III  415 
Faulde,  0.,  Stellung  u.  Bedeutung  Mil- 

tons  III  57 
Faules!,  M  ,  il  carmen  secolare  di  Orazio 

II  121 
Fey,  J.,  Albrecht  von  Eyb  II  7 
Fick,  A.,  die  homerische  Ilias  I  29 
Fietz,  C  ,  Prinzenunterricht  III  61 
Fischer,  J.  N.,  zur  ars  poetica  des  Ho- 
raz II  176 
Flach,  Hans,  Peisistratos  I  21 


LXIV.  Bd.   (1890  III). 


29 


450 


Register. 


Flach.  J.,  Erinnerung  anKarlLehrs  IIISC» 
Förster,   R,   do   Adumantii    physingno- 

iiücis  111  307 
Förster,  R,  zu  Ausonius  JI  104 

—  dio  Physiognomik  der  (Jriocheu  III  31ä 
Forbiger,  A  ,  Ilandbiuli    der  alten  Geo- 

graphie  111  349 
Fore!,  le  probleme  de  TEuripe  111  37'J 
Francken,  C  IVI ,  Lucani  codex  Daventr 

11   183 

—  ad  Liicanuin  II   191 

Franke,  J.,  de  Silii  Itaiici  tropis  11   199 
Franziszi,  F  ,    Iloratius  als  Nachahmer 

II  loy 

Freytag,  G  ,  Erinnerungen  III  89 
Friedländer,  L.,  Schicksale  der  homeri- 
schen Poesie  I  31 
Frigell,  A  ,  adnotationes  ad  Horatii  car- 

mina  II   136 
Fröhner,  römische  Spielmarken  III  268 
Führer  durch  Dalmatien  111  407 
Gabel    G  ,  Horatianae  epistulae   II  175 
Galeni  scripta  miuora  rec  J.  Marquardt 

III  306 

—  de  utilitate  partium  primus  ed  G. 
Helmreich  Ili  306 

Galle,  A.,  barometrische  Höhenmessun- 
gen im  Peloponnes  III  375 

Garizio,  E.,  il  poema  della  natura  di 
Lucrezio  11  216 

Garnett,  R ,  on  the  date  of  Calpurnius 
Siculus  II  97 

Gasda,  A.,  krit.  Bemerkungen  zu  The- 
mistius  1  88 

Geiger,  L  ,  Studien  zum  französischen 
Humanismus  III   11 

—  ein  humanistisches  Drama  III   16 

—  lat.  Rede  über  die  Schlacht  bei  Pavia 

I  11 

—  ein  Lobspruch  auf  Paris  III  12 

—  Gedichte  uud  Briefe  an  Peutinger 
III  15 

Gemoll,  A.,  Homerische  Blätter  I  22 

—  zur  Erklärung  u.  Kritik  der  home- 
rischen Gedichte  I  33 

Gerold,  Rosa  v.,  Ausflug  nach  Athen 
III  420 

Gertz,  M.  Gl ,  symbolae  in  Val.  Maxi- 
mum II  258 

Glani,  R.,  la  Farsagiia  II  181 

Giesing,  Fr.,  Verstärkung  u  Ablösung 
in  der  Kohorteulegion  III  221 

—  zur  Charakteristik  des  jüngeren  Pli 
nius  II  251 

Gnesotto,  F  ,  Orazio  come  uomo  II  135 
Göll,  H.,  heilige  Kurorte  im  Alterthum 

111  287 
Görres,  F.,  Rictius  Varus  III  184 
Götz,  G.,  zu  Camerarius  Plautusstudien 

II  6 


Götz,  W.,  die  Verkehrswege  III  271 

Goldmann,  Fr.,  poetische  Personifikation 
l)('i   Phuilns  11   43 

Goliwitzer,  Th.,  obstrvatiuncs  in  Julian! 
imp.   contra  Christianos  1  83 

Gomperz,  Th  ,  Apologie  der  Heilkunst 
111  294 

Gorceix,  note  sur  l'ile  de  Cos  111  373 

Graf,  E.,  Dionys  von  Halikarnass  1  59 

—    Plutarchisches  I   16 

Grasberger,  L  ,  Studien  zu  den  griechi- 
schen Ortsnamen  HI  357 

Gregoras,  D.,  kritische  Bemerkungen 
über  Leben  uud  Lehren  des  Hippo- 
krates  III  288 

Greilich,  A,  Dionysius  Halicarnassensis 

I  55 

Grösst,  J.,  quatenus  Siiius  Italiens  a 
Vergilio  pendere  videatur  II   198 

Grot,  R.  V.,  über  die  in  der  Hippokra- 
tischen  Schrittensammluug  enthaltenen 
pharmakologischen  Kenntnisse  III  315 

Gruohot,  H.,  Verzeichniss  der  Brauns- 
berger  Drucke  111  98 

Gubernatis,  E.  de,  carta  d'Epiro  111  433 

Günther,  S.,  Geschichte  der  antiken  Na- 
turwissenschaft HI  281 

Guichon  de  Grandpont,  Ovidius  Nauti- 
cus  III  263 

Gumpert,  F.,  argumentum  satirae  Uo- 
ratiauae  II  165 

Habel,  P.,  de  pontificum  Romanorum 
condicione  publica  III  198 

Häser,  H..  Grundriss  der  Geschichte  der 
Medizin  HI  281 

Hagen,  H  ,  zu  den  Berner  Lucanscholien 

II  183 

Hagen,  P.,  quaestiones  Dioneae  I  76 
Hahne,  F.,  zu  Demetrius  Rhetor  1  72 
Hamonic,  P.,  des  maladies   venerienues 

chez  lex  Hebreux  ä  l'epoque  biblique 

HI  327 
Härder,   F.,   über   die  Fragmente    des 

Mäcenas  II  133 
Hardy,  E.  G.,  a  Bodleian  ms  of  Plinv's 

letters  II  236 
Harnack,  A  ,    Augustins   Konfessionen 

Hl  185 
Hartfelder,  K.,  zu  Konrad  Celtis  HI  16 
Haskins,  C,  uotes  on  Lucan  II  191 
Hasselmann,    Fr,    über    altägyptische 

Textiltuude  III  274 
Haupt,  H.,  zu  den  Kyranideu   des  Her- 
mes Trismegistos  HI  236 
Haupt,  Th.,  der  Bergbau  der  Etrusker 

HI  260 
Haury,  J.,quibus  fontibus  Aelius  Aristi- 

des  usus  Sit  1  81 
Havet,  L,  Itaiici  Ilias  II  206 
Heinze,  H  ,  Familie  des  Plutarch  I  9 


Register. 


451 


Heinze,  R.,  de  Horatio  Bionis  imitatore 

II  16S 

Helmbold,  J.,  das  Gastmahl   des  Nasi- 

diemis  II   171 
Hernekamp,  Fl.,  über  den  Todestag  Jesu 

III  161 

Hertz,  M.,  admonitiuncula  Horatiana  II 
129 

Hertzberg,  G.,  Entstehung  der  neugrie- 
chischen Nationalität  III  393 

Hettner,  F.,  römische  Münzfunde  in  den 
Rheinlanden  III  176 

—  Inschrift  aus  Trier  III   154 
Hessler,  F.,  Beiträge  zur  Naturphiloso- 
phie der  alten  Hindu      Heilmittel  im 
Ayur-Veda  III  345 

Heyden,  H.,    quaestiones   de  Aelio  Dio- 

nysio  I  107 
Heylbut,  G.,  Ptolemaeus  nspi  diafopäg 

1  113 
Hinze,  P.,  de  an  particula  II  28 
Hirsch,  A.,  historische  Entwickelung  der 

öffentlichen  Gesundheitspflege  III  321 
Hirschberg,  J.,  Augenheilkunde  bei  den 

Griechen  III  337 

—  Wörterbuch  der  Augenheilkunde  III 
337 

Hirschfeld,  G.,  Entwickelung  des  Stadt- 
bildes III  355 

—  zur  Typologie  griechischer  Ansiede- 
lungen 354 

—  Bericht  über  Geographie  der  alten 
griechischen  Welt  III  348 

Hirschfeld,  O.,  Abfassungszeit  der  Ma- 
xpößiot  I  97 

—  zum  Kaiserkultus  III  198 

Hirth ,  Fr.,  zur  Geschichte  des  antiken 
Orienlhandels  III  270 

Hochegger,  R.,  geschichtliche  Entwicke- 
lung des  Farbensinnes  III  313 

Höfer,  P.,  die  Varusschlacht  III  146 

Hoffmann,  G.,  der  ager  publicus  111  213 

Hofmann,  K.  B  ,  über  vermeintliche  an- 
tike Seife  III  318 

Hofmeister,  Anfänge  des  Rostocker  Bü- 
chergewerbes III  99 

Homerus,  l'Iliade,rOdyssee,  par  A.Couat 
129 

—  ed.  by  W.  Leaf  I  34 

Holstein,  H  ,    Findlinge  aus  der  Refor- 
mationszeit III  37 
Hopf,  L.,  Thierorakel  III  239 
Hoppe,  J  ,  aristotelisches  Räthsel  III  245 
Horatii  opera,  vol.  III,    von   A.  Kiess- 
ling  II  108 

—  -  von  H.  Schütz  II  114 
par  A    Waltz  II   117 

~   —  in  usum  scholae  Etonensis  II  120 

—  opere  espurgate,  versione  di  A.  Colla 
li  124 


Horatius,  Auswahl,  deutsch  von  C.  Prä- 
torius  II   123 

—  Oden    und   Epoden    erklärt  von   W. 
Nauck  II  113 

les  ödes,  traduction  par|E.  Figurey 

II  124 

—  —  odi ,  traduzione   di  N.  Primavera 
II   124 

—  satires  and  epistles,  by  J.  Greenough 
n  119 

—  —  Satiren  und  Episteln,  von  G.Krüger 
II  116 

Satire  e  epistole,  tradotte  du  E. 

Ottino  II  124 

—  satirae,  erklärt  von  K.  0,  ßreithaupt 
II  105 

—  —  übersetzt  von  J.  Kipper  II  122 

—  epistulae,   erklärt  von   H.  S.  Anton 

II  107 

by  E.  S.  Shuckburgh  II  119 

—  —  zwei  Briete  übersetzt   von  Rieh. 
Schneider  II  123 

—  l'arte  poetica  da  A.  Cinna  II  121 
ars   poetica,    übersetzt    von   Th. 

Kayser  II   123 
Horawitz,   A ,  zur  Geschichte  des  Hu- 
manismus in  den  Alpenländern  III  32 

—  Johannes  Faber  III  37 
Housman,  A.  E.,  Horatiana  II  146 
Hubert,  F.  G.,  über  den  Vortrag  der  ho- 
merischen Gedichte  I  22 

Hübner,  E.,  Horaz  in  Spanien  II  134 
Hülsen,  Chr  ,  Fragment  der  Arvalakten 

III  154 

Hüttig,   C,  zur  Charakteristik   homeri- 
scher Komposition  I  33 
Hundt,  G.,  de   Lucani  comparationibus 

II  187 

Husson,  G ,  hiitoire  du  pain  III  273 
Jacobs,  E  ,  Humanistenfamilie   Reiffen- 

stein  111  35 
Janke,  A.,  Reiseerinnerungen  III  412 
Janowsky,  V.,  Beiträge  zur  Geschichte 

der  Dermatologie  111  328 
Jastrow,   V.,    über  Welthandelsstrassen 

III  269 

Jebb,  R.  C,  Homer   I  36 
Jennings,  A.,  chrouological  tables  III  1 15 
ilberg,  J.,  zur  Ueberlieferung  des  hippo- 
kratischen  Corpus  III  295 

—  die  Hippokrates-Ausgaben  III  296 
Ilberg,  J.,   de  Galeni  vocum  Hippocra- 

ticarum  glossario  I   128.  III  305 

—  über  die  Schriftstellerei  des  Galenos 
III  303 

—  Galeniana  III  305 

Immisch,  0.,  de  glossis  lexici  Hesychiani 

I  127 
John,  C.,  Tag  der  ersten  Rede  Ciceros 

gegen  Catilina  III  135 


452 


Register. 


Ireland,   Ilerrschermacht    und  Geistes- 

knuikheit  III  32C 
Isambert,  E.,  itiuöraire  de  l'Ürient  III 410 
Jung,  J  ,  Lagerbeschreibung  des  Hygin 

111  -224 
Kalkoff,  G.,  de  codicibus  epitomes  Ilar- 

pocrationeae  1   118 
Kan,  J.  B.,  ad  Horatium  11   170 
Kastorchis,  E.,  nepi  zoö  Tikrji'f^oug  HI  358 
Kaufmann,  die  Sinne  111  315 
Kehrbach,  K.,    Bericht   über  die  Monu- 

menta  paedagogica  III  59 
Keller,  O.,  Thiero  des  Alterthums  111  252 
KellerhofF,  E.,  Text  des  Truculentus  II  5 
Kellner,   H  ,   die   römischen    Statthalter 

von  Syrien  und  Judaea  111  190 
Kerstan,  F.,  de  eliipseos  I  104 
Kiepert,  H  ,    Lehrbuch   der   alten  Geo- 
graphie III  350 

—  ethnographische  Uebersicht  des  euro- 
päischen Orients  III  391 

—  Generalkarte  der  südosteuropäischen 
Halbinsel  111  435 

—  Karte  der  griechisch  türkisch  Grenze 
111  430 

—  Administrativeiniheilung  des  griechi- 
schen Königreichs  III  398 

—  carte  de  l'Epire  III  433 

Klebs,  E.,  die  Vita  des  Avidius  Cassius 
111  157 

—  das  valesische  Bruchstück  zur  Ge- 
schichte Konstantins  111  173 

Klein,  J.  M.,  Asinius  Sabiniauus  HI  189 

Kleinen,  Eintührung  des  Christenthums 
in  Köln  III   169 

Klimek,  P.,  zur  Würdigung  der  Hand- 
schriften Julians  1  86 

Kluge,  Fr  ,  von  Luther  bis  Lessing  HI  40 

Kobert,  R.,  Studien  aus  dem  pharmako- 
logischen Institut  in    Dorpat  111  3' 6 

Koch,  Julius,  Claudiau  und  die  Ereig- 
nisse der  Jahre  395—398  11  99 

Kock,  Th  ,  Lukian  und  die  Komödie  I  101 

Köberl,  H  ,  de  Pseudo-Apuleji  herbarum 
medicaminibus  Hl  307 

Köhn,  M.,  de  pugna  ad  Zamam  com- 
missa  Hl  132 

Köpke,  R.,  die  lyrischen  Versmasse  des 
Horaz  II  127 

Kokides  und  Kiepert,  Generalkarte  Grie- 
chenlands Hl  431 

Kopp,  A.,  Beiträge  zur  griechischen  Ex- 
cerptenlitteratur  I  120 

—  das  Wiener  Apion-Fragment  I  123 
Kostomiris,  A.  G.,  sur  les  ecrits  inedits 

des  medecins  grecs  Hl  292 

—  nepl  öfpUaXuokoyiaii  111  336 
Kotelmann,  L  ,  der  Bacillus  Malariae  im 

Alterthum  HI  326 
Kraffert,  H  ,  neue  Beiträge  II  278 


Kreuttner,  X.,  Handschriftliches  zu  Am- 

nionios  1   1 10 
Krieger,    B, ,   quibus  lontibus  Valerius 

Maximus  usus  sit  II  282 
Krispin ,   K. ,   Beiträge  zur  Horazkritik 

II  149 

Kromayer,  J.,  rechtliche  Begründung 
des  Prinzipats  111   191 

Kropf,  F.  V.,  Erinnerungen  aus  Grie- 
chenland Hl  413 

Krüger,  H  ,  Geschichte  der  capitis  de- 
minutio III  211 

Krümel,  0  ,  zum  Problem   des  Euripus 

III  379 

Krumbacher,  K,  griechische  Reise  HI  421 
Kühlewein,   die   handschriftliche  Grund- 
lage des   Hippokratischen  Prognosti- 
kons  HI  297 

—  Textesüberlieferung  der  Hippokrati- 
schen Schriftc^n  über  die  alte  Heil- 
kunde III  297 

—  zur  Hippokratischen  Schrift  xax" 
irjTpacui^   HI   296 

Kuluriotis,  A  ,  'AXßavudv  dl<paßiQzdptov 

111  395 
Lackner,  W ,  de  incursionibus   a  Gallis 

in  Itaiiam  factis  III  128 
Lacour-Gayet,  G.,  Autonin  lo  Pieux  III 

158 

—  de  Clodio  Pulchro  III  136 

Lallot,  A.,  le  typhus  ou  peste  d'Athenes 
111  326 

Landerer,  X.,  Mittheilungeu  aus  Grie- 
chenland 368 

Lang,  W.,  peloponnesischo  Wanderung 
111  415 

Langen,  P  ,   Plautinische  Studien  II  44 

—  Bemerkungen  über  Wortaccent  II  10 

—  Konstruktion  von  utor  II  25 
Langrehr,  G  ,  Plautina  II  70.  84 
Lasson,  A.,  judicia  Horatiana  H  129 
Lauchert,    Geschichte  des  Physiologus 

Hl  314 
Le  Blant,  E.,  les  Chretiens  HI  166 

—  monumeut  relatif  aux  fils  de  s.  Fe- 
licite  Hl  167 

Lechat  et  Radet,    note  sur  deux  pro- 

consuls  III  189 
Lecrivain,  Ch ,  le  Senat  romain  Hl  207 

—  de  agris  publicis  111  215 

—  l'appel  des  juges-jures  Hl  229 
Leo.  Fr.,  vindiciae  Plautinae  II  45 
Letellier,  M.,  lettres  d'Orient  Hl  425 
Leuchtenberger,   G,    Oden  des  Horaz 

disponiert  11  133 
Liebenam,  W ,  die  Legaten  III  19ü 
Liers,  H.,  zur  Geschichte  der  Stilarten 

I  49 

—  Theorie  der  Geschichtsschreibung  des 
Dionys  I  54 


Register. 


453 


Liessem,  H.,  Verzeichniss  der  Schriften 
Hermanns  van  dem  Busche  III  24 

Löher,  F.  v.,  griechische  Küstenfahrten 
III  413 

Lohmann,  Analyse  des  Lnkrezischen  Ge- 
dichts de  rerum  natura  II  216 

Lolling,  H  G ,  hellenische  Landeskunde 
lil  351 

Longinus  nspi  u^ou?  ed.  0  Jahn,  iterum 
J.  Vahlen  I  62 

Loret,  V ,  l'Egypte  au  temps  des  Pha- 
raons  III  344 

—  lo  Kyphi,  parfum  sacre  III  318 
Lowinski,  A  ,  zur  Kritik  der  horazischen 

Satiren  II  165 
Lucani  Pharsalia  ed.  by  C  Haskins  II  187 
Luchs,  A.,  de  Horatii  carm.  11  commen- 

tatio  II  150 
Lucianus,  rec.  J.  Sommerbrodt  I  88 
-    ausgewählte  Schriften,  von  J.  Sommer- 
brodt I  95 

—  choix,  par  M.  de  Parnajon  1  94 
Lucretius,  by  J.  D.  Duff  II  214 

—  par  G.  Lyon  II  213 

—  by  A    J.  Munro  II  210 

—  traductiou  par  S.  Prudhomme  II  214 
Ludwich,  A  ,  Aristarchs  Textkritik  1  22 
Ludwig  Salvator,  Erzherzog,  eine  Spa- 
zierfahrt im  Golf  von  Korinth  III  414. 
445 

Lüdecke,  M.,  Plautiua  II  46 

Lüring,  die  über  die  medicinischen  Kennt- 
nisse berichtenden  Papyri  III  342 

Wacke,  H.,  zu  Horaz  II   174 

Macke,  R.,  Eigennamen  bei  Tacitus  III 
211 

Madwig,  adversaria  II  -257  ff. 

Mähly,  J  ,  satura  II  150 

Mahn,  A  ,  de  Dionis  Chrys.  codicibus  I  80 

Maier,  K.,  philosophischer  Standpunkt 
des  Horaz  II  131 

Manitius,  M  ,  zu  späten  lateinischen 
Dichtern  II  97 

—  zu  Ausonius  II  104 

Manns,  über  die  Jagd  bei  den  Griechen 

HI  251 
Mansolas,    A ,   aTaTiaTtxrj    Trjg  'Ekkd&oq 

111  397 

—  Ja  Grece  ä  l'exposition  de  Paris  III 
400 

Marcellus,  de  medicamentis  ed.  G.  Helm- 
reich III  300 
Marcelli  Sidetae  fragmenta ed.  M.  Schnei- 
der III  302 
Mariano,  R.,  le  apologie  III  171 
Marignan,  A.,  la  medecine  dans  l'eglise 

III  345 
Mariottl,  St.,  Plautinum  II  74 
Martha,  C,  le  poeme  de  Lucrece  II  215 
Marx,  Fr.,  de  aetate  Lucretii  II  223 


Marx,    Fr.,    interpretationum   hexas  II 
166.  167 

—  de  capite  humano,  111  128 
Maschek,  H,  de  Horatii  sententiis  II  131 
Matzat,  H.,  Anfangstag  des  julianischen 

Kalend-^rs  III   119 
Maurer,  H  ,  Valentinians  Feldzug  gegen 

die  Alamannen  III  179 
May,  J.,  Entwickelungsgang  des  Horaz 

II   127 
Mehler.  E.,  inter  ambulaudum  decerpta 

I  105 

Meliarakis,  A.,  vsoeXXtjvixt^  yzwypaipix^ 
(pdoloyia  111  349 

—  [leksTTj  nept    r^e  iS^iaewq   xoü  'Joviou 
nsXdyouq  III  381 

Menendez  y  Peiayo,  Horacio  en  Espana 

II  133 

Menzer,  J  ,  Weinfahrt  durch  Hellas  III 

417 
Merkel,  J.,  Entstehung   des  römischen 

Beamtengehalts  III  186 

—  über  römische   Gerichtsgebühren  111 
229 

Meyers  Orient  (Türkei  u.  Griechenland) 

III  408 

Meyer,    E.  v,,  Geschichte  der  Chemie 

III  244 
Meyer,  E.  H.,  Homer  und  die  Ilias  I  38 
Meyer,  Metellus,  Geschichte  der  legio 

XIV  gemina  III  223 
Michon,  E  ,  l'administration  de  la  Corse 

sous  la  domination  romaine  III  212 
Moldenke,   Ch. ,   über  die  in  altägypti- 
schen   Texten    erwähnten  Bäume  III 

253 
Mollat,  G.,  unbekannte  Inkunabeln  III  99 
Mommsen,  A.,  griechische  Jahreszeiten 

III  383 
Mommsen,  Th. ,  römisches  Staatsrecht 

III  204 

—  ostgotische  Studien  III  200 

—  Bronzetafeln  von  Cremona  III  222 

—  Münzstätten     der    Diokletianischen 
Diöcesen  III  217 

—  Interpretation    der   Römeroden    des 
Horaz  II  152 

—  Equitius  III  174 

Montelius,  0.,  die  Bronzezeit  Aegyptens 
III  275 

—  die  vorklassische  Zeit  in  Italien  III 
276 

Moreau,  fous  et  bouffons  111  325 
Morneweg,  K  ,  Johann  von  Dalberg  III 17 
Müller,  Albert,  die  neueren  Arbeiten  über 

das  römische  Heer  III  223 
Müller,  C  F.,  zu  Januarius  Nepotianus 

II  284 
Müller,  G.  A,,  Pontius  Pilatus  III  160 
Müller,  Hans,  griechische  Reisen  III  424 


454 


Register. 


Müntz  et  Fabre,  bibliotheque  du  Vatican 

III  3 
Muhl,  J.,  Plutarcbische  Studien  1  1 
Murr,    J,    Beitriigo    zur    aitklassischcn 

Botanik  III  254 

—  die  Pflanzenwelt  in  der  Mythologie 
III  255 

—  Namen    der  Pflanzengeographie  III 
255 

Murray's    handbook    for    travellers    in 

Greece  III  410 
Nadaillac,  de,  moeurs  et  monuments  III 

250 
Näher,  J.,  die  römischen  Militärstrassen 

III  226 
Nauck,  A.,  analecta  critica  II  161 
Naue,  J  ,  Ilügelgräber.  —  Bronzezeit  in 

Cypern  III  277 
Nettleship,  H.,  adversaria  II  145 
Neumann,  H.,  de  tuturi  vi  et  usu  II  30 
Neumann    und    Partsch,    physikalische 

Geographie  von  Griechenland  36U 
Neuwirth,  J.,  die  Zwettler  Verdeutschung 

des  Cato  III  61 
Nieberding,  K.,  zu  Horaz  Sat   II  166 
Niemiec,  W  ,   de  quaestoribus  Romanis 

III  189 
Niemöller,  W.,  de  pronomiuibus  ipse  et 

idem  apud  Plautum  et  Terentium  II  20 
Niese,    B.,    Abriss    der    römischen   Ge- 
schichte III  114 

—  die  Sagen  von  der  Gründung  Roms 
III  125 

—  das  licinisch- sextische   Ackergesetz 
III  129 

—  de  annalibus  romauis  III  130 
Nilen,  Fr.,  Luciani  codex Mutiueusisl  102 
Nöldechen,  E.,  Tertullian  u.  die  Kaiser 

III  172 
Noihac,  P.  de,  la  bibliotheque  de  Fulvio 

Orsini  III  6 
Oberhummer,  E.,  Phönikier  in  Akarna 

nien  III  356 

—  zur  Geographie  von  Griechenland  III 
382 

Obermeier,  J  ,  der  Sprachgebrauch  des 

Lucauus  II  186 
Oefele,  E.  v,  Aventiniaua  III  31 
Oettl,  Fr,  Lucans  philosophische  Welt- 
anschauung II    179 
OIck,  F.,    hat    sich    das  Klima   Italiens 
seit  dem  Alterthum  geändert?  III  320 
Onions,  S    G.,  note  on  Plautus  II  46 
Ornstein,  B  ,  über  die  physischen  Ver- 
hältnisse Griechenlands  III  390 

—  zur  Statistik  Griechenlands  III  398 
Ott,   E.,   Congrueuz  des   Prädikats   bei 

Horaz  II  125 
Otto,  A.,  Ueberlieterung  der  Briefe  des 
Pliaius  II  246 


Paape,  C,  de  C.  Mario  quaestiones  III 
133 

Pallu  de  Lessert,  los  fastes  de  la  Nu- 
midie  III  191 

Palmer,  A.,  note  on  Ilorace  II  150 

—  notes  on  Plautus  II  46 
Papadopuloa  Kerameus,  neue  Briefe  von 

Julianus  I  84 
Partsch,  J.,   Geologie  u.  Mythologie  in 

Kleiuasien  III  241 
Pascal,  C,  de  Cornelii  Galli  vita  III  140 
Pauli  Crosnensis  et  Joannis  Vislicensis 

carmina  ed.  B.  Kruczkiewicz  III  41 
Peile,  notes  on  Lucaa  II  190 
Pelham,  H.,  on  the  Imperium  of  Augustus 

III   195. 
Perrin,  B.,  Lucan  as  a  historical  source 

for  Appian  II  180 
Pervanoglu,  J.,  Kulturbilder  aus  Grie- 
chenland III  401 
Petersen,    über     den     Hippokratismus 

111  289 
Pfannschmidt,  V.,    zur  Geschichte   des 

pompeianischen  Bürgerkriegs  III  137 
Pflugk-Harttung,  J.  v.,  Hauuibals  Ueber- 

gang  über  die  Rhone  III    130 
Philippson,  A.,  Reiseberichte  III  373.  440 

—  zur  Ethnographie  des  Peloponnes 
III  394 

—  Besiedelung  und  Verkehr  in  Morea 
III  400 

Planer,  H.,  haud  et  haudquaquam  II  23 
Platner,  S.  B.,  gerunds  and  geruudives 

in  Pliuy's  letters  II  250 
Plaut!  comoediae  ex  rec.  Ritschl.    Bac- 

chides  rec.  G.  Götz  II  53 

—  —  Captivi  rec.  Fr.  Scholl  II  58 
Meuaechmi  rec    Fr.  Scholl  II  72 

—  —  Pseudolus  rec.  G.  Götz  II  82 

~  blijspelen,  uitgegeven  door  J.  S. 
Speijer  II  59 

—  comoediae  rec.  J.  L.  Ussing  II  62. 
70.  79 

—  ausgewählte  Komödien,  von  0.  Fr. 
Lorenz  II  75.  88 

—  Aulularia,  par  A.  Blanchard  II  49 

—  —  rec.  P.  Langen  II  49 

—  captivi,  da  E.  Cocchia  II  58 
by  W.  M    Lindsay  II  58 

—  —  übersetzt  von  R.  Meyer  II  59 

—  Trinummus,  da  E.  Cocchia  II  87 
Playfair,  handbook  to  the  Mediterranean 

III  411 
PJessis,  Fr  ,  de  Italici  IliadeLatina  II  205 
Pliny's  letters,  by  J    Cowan  II  239 

—  —  solcctiou  by  H.   R.  Heatley  II  241 

—  —  choix  par  A    Collignon  II  240 

—  —  translated  by  J.  Perkins  II  253 

—  opistulae  ad  Traianuin  ed.  E.  G 
Hardy  II  237 


Register. 


455 


Ploss,  H.,  das  Weib  in  der  Völkerkunde 
III  338 

—  Geschichtliches  über  Knabenbeschnei- 
dung  III  331 

Pöhlmann,  R,  Uebervölkeruug   der  an- 
tiken Grossstädte  III  322 
Pöppelmann,  L. ,  Bemerkungen  zu  Dil- 

lenburgers  Horaz -Ausgabe  II   148 
Pogorelski,  M.,  circumci^io  ritualis  III 333 
Poppenrieder,  F.,  die  naturwissenschaft- 
lichen   Schriften    des    Aristoteles  III 
247.  298. 
Postgate,  L.,  uotes  on  Lucretius  II  228 
Potter's  Mediterrean  Pilot  Hl  378 
Prehn,  A. ,  quaestiones  Flautinae  II  15 
Prel,  K.  du,   die    Mystik    der  Griechen 

111  239.  284 
Pressel,  der  Eingang  der  Ilias  I  34 
Pullig,  H.,  Ennio  quid  debuerit  Lucre- 
tius II  209 
Puschmann,  Th.,  Geschichte  des  medi- 
ciuischen  Unterrichts  III  282 

—  die   Bedeutung    der  Geschichte    für 
die  Medicin  III  283 

—  Nachträge   zu   Alexander  Trallianus 
111  308 

Pylarinos,  D.,  Tzapaßokij  I  77 
Quatrefages,  A.  de,  les  Pygmees  III  248 
Rath,  G.  vom,  Reisebriefe  III  417 
Reblin ,    K.,    de    Nonii    Marceliis    locis 

Plautinis  II  3 
Reichardt,  Th. ,  de   metrorum  Horatia- 

uorum  eiocutioue  II  126 
Reichenhardt,  E  ,   der  Infinitiv  bei  Lu- 
cretius II  233 
Reinach,  S ,  le  musee  de  l'empereur  Au- 
guste 111  261 

—  ttele  des  guerisonsmiraculeuses  d'Epi- 
daure  III  287 

—  sur  Lucaiu  Pharsale  II   191 
Reinhardtstöttner,    K.    v.,     Burmeister 

christlicher  Martial  111  39 

—  Bearbeitungen     Plautinischer    Lust- 
spiele II  7 

Reinkens,  J.,  Acc    cum  inf.  bei  Piautus 

11  38 
Reitzenstein,   R.,    zu  den  Quellen   des 

Etymologicum  Magnum  I  113    132 

—  die    üeberarbeitung    des    Lexikons 
des  Hesychios  I  111 

—  Verrianische  Forschungen  II  1 
Remy,  E  ,    de  subiunctivo   et   infinitivo 

apud  Plinium  minorem  II  248 
Report  on  the  Mitchell  Library  111  99 
Reusch,  Schlacht  bei  Cannae  III   131 
Ribbeck,    O ,    die    verloren    gegangene 

Scene  der  Bacchides  II  55 
Ribbeck,  W.,  Sturz  der  Messalina  III  155 
Richardson,  G.,  de  dum  particula  11  26 
Richter,  J  ,  änöpprjxa  Horatiana  11  157 


Robiau  et  Delaunay,  les  institutions  de 
Rome  III   186 

Rodenbusch,  E.,  de  temporum  usu  Plau- 
tiuo  II  30 

Röllig  P ,  quae  ratio  inter  Photii  et 
Suidae  lexica  intercedat  l   115 

Römer,  A.,  Homerrezension  des  Zenodot 
I  24 

Rossberg,  K.,  ein  mittelalterlicher  Nach- 
ahmer des  Lucanus  II  183 

Rothlauf,  B.,  die  Physik  Piatos  Hl  232 

Rothstein,  M.,  Cäcilius  u.  die  Schrift 
vom  Erhabenen  I  69 

—  quaestiones  Lucianeae  I  96 

—  in  lib.  de  sublimitate  coniectanea  I  66 
Rowe,  E.,  quo  iure  Horatius  in  saturis 

Menippum  imitatus  est  II  168 
Rück,  K.,  ein  Brief  Pirkheimers    III  30 
Rühl,   Fr.,    die  Konstantinischen   Indic- 

tionen  111  119 

—  die  Zeit  des  Vespasian  III  173 
Ruggiero,  E.  de,  intorno  ai  XVIviri  III 

216 
Rusch,  Lucrez  und  die  Isonomie  II  223 
Saalfeld,  wie  kamen  die  ersten  Vertreter 

der  Mfdicin  nach  RomV  III  290 
Sabbadini  R.,  Guarino  Veronese  II  5 

—  Sallustius,  Ovidius,  Plinius  cum  novis 
codicibus  conlati  II  93    247 

Sandys,   T.   E. ,   an  easter  vacation  in 

Greece  III  425 
Sauer,  E.,  Daimouium  des  Sokrates  III 

325 
Sauppe ,  H. ,  quaestiones  criticae  11  46. 

2-7 
Sax,    K.,    ethnographische    Karte    der 

Türkei  III  392 
Schädel,  L.,   Plinius   der  Jüngere   und 

Cassiodorius  Senator  II  242 
Schäfer,   E. ,    observationes    in   Lucani 

Pharsalia  II  191 
Scheda,  Generalkarte  der  Türkei  III  434 
Scheele,  L.,  de  Sorano  medico  III  299 
SchefTel,  V.  v.,  ein  Tag  am  Quell  von 

Vaucluse  HI  2 
Schepss,  G ,  zu  Horaz  II  156 
Schierenberg  A.,  die  Kriege  der  Römer 

zwischen  Rhein  u    Elbe  111   142 
Schiller,  H  ,  Handbuch   der  Pädagogik 

Hl  99 

—  Lehrbuch  der  Geschichte  der  Päda- 
gogik Hl  48 

Schinas,  N  ,  üdoinu pixai  ävaßvrjaetq  Hl 
418 

—  ödoinopixal  arjßemaeiq  Maxedoviag 
Hl  505 

Schinkel,  J.,  quaestiones  Silianae  II  197 
Schmerl,  M  ,  Prohibitiv  bei  Piautus  H  36 
Schmid,  K.  A. ,   Encyklopädie   des   Er- 
ziehuugswesens  Hl  47 


456 


Register. 


Schmid,  W.,  der  Atticismus  1  45 
Schmid,  W.,  emondationes  I  80.  82 
Schmidt,  A.,  Magnet  u.  Knoblauch  III 238 
Schmidt.  Julius,  Studien  über  Erdbeben 

III  376 
Schmidt,  Max,  wpa  bei  Pytheas  III  234 
Schneider,  Joseph,  de  teniporum  apud 

priscos  scriptürts  usu  II  30 
Schömann,  G  ,  de  Etymologici   Magni 

loiilibus  108 

—  Beitrag  zur  Quellenkunde  des  Ety- 
niülogicum  Maguum  I  113 

Schönemann,  J.,  de  lexicographis  anti- 
quis  I   124 

Schröder,  H.,  Beziehungen  auf  Tages- 
t'ieignisse  in  Horaz  II   103 

Schuchardt,  B ,  über  Darstellungen  von 
chirurgischen  Operationen  aus  dem 
Alterthum  III  330 

Schuchhardt,  K.,  Schliemanns  Ausgra- 
bungen III  352 

Schütte,  H.,  Theorie  der  Sinnesempfin- 
dung bei  Lucrez  II  221 

Schulze,  P.,  Lukianos  als  Quelle  für  die 
Keuntniss  der  Tragödie  I  90 

Schunck,  L.,  de  Pseudo-PIutarchii  insti- 
tutis  Laconicis  I  13 

Schwartz,  K.  G.  P.,  ad  Lucianum  I  91 

Schwarz,  P.,  Menschen  u.  Thiere  im 
Aberglauben  III  237 

Schwarz,  Wilh  ,  de  vita  et  scriptis  Ju- 
liani  I  87.  III   177 

Schweiger-Lerchenfeld,  Griechenland  in 
Wort  und  Bild  III  403 

—  Kultureinflüsse   und  Handel  III  268 
Scotland,  A.,  Untersuchungen  zur  Odys- 
see I  25.  35 

—  Proömium  der  Odyssee  I  39 
Scribonii    Largi     conpositiones   ed.   G. 

Helmreich  III  299 
Seeck,  0.,  die  Quellen  der  Odyssee  I  39 

—  Studien  zur  Geschichte  Diocletians 
und  Constautins  III  174 

Seyffert,  P.,  de  clade  LoUiuna  III  141 
Sidonius  Apollina  ris,  traduction  par  E. 

Baret  II  100 
Silii  Italic]  Puuicorum  libri  cur.  H.  Oc- 

cioni  II  200 
Simson  B. ,  zum  Gedicht  de  viro  bono 

II  104 

Singeis,  N.,  de  Lucani  fontibus  II  180 
Siret,   H.  et  B  ,  les  premiers   äges  du 

metal  dans  l'Espagne  III  258 
Sittl,  K.,  zur  Geschichte  der  Hauskatze 

III  251 

Skias,  A.,  zu  Lucian  I  104 

SIevogt,  H.,  Technopaegnion  poeticum 

III  39 
Smedt,  Ch.  de,  I'organisation  des  eglisea 

chretiennes  HI  167 


Schneider,  Rudolph,  Portus  Itius  III  136 
Solbisky.  die  Schlacht  bei  Caunae  III  132 
Soitau,  Fr  ,   zur    Erklärung    der  puui- 

schon  Reden  des  Hiuino  II  94 
Soltau,    W.,    die    römischen    Amtsjahre 

III   117 

—  zu  den  römischen  Tagen  III  116 

—  die  julianischen  Schaltjahre  III  118 

—  chronologische  Schwierigkeiten  des 
Pyrrhuskrieges  III   118 

—  chronologische  Vorurtheile  III  115 

—  Cato  u.  Polybius  III   116 
Sommer,  A  ,  die  Ereignisse  des  Jahres 

238  n.  Chr.  III  170 

Sondermühlen,  M.  v  ,  Spuren  der  Varus- 
schlacht III  144 

Sonnino,  G.,  di  uno  scisma  in  Roma 
III  178 

Sormani,  de  Schraderi  vita   et  scriptis 

II  192 

Souriau,  M.,  de  deorum  ministeriis  in 
Pharsalia  II  177 

—  du  merveilleux  dans  Lucain    II  178 
Speijer,  J.  S ,  ad  Plauti  captivos  II  5 
Spengel,  A.,  was  heisst  bidens  II  158 
Stackeiberg,  M.  v.,  Bilder  aus  dem  Le- 
ben der  Neugriechen  III  401 

Stangl,  Th  ,  zur  Kritik  der  Briefe  des 
Plinius  II  245 

Steiff,  K  ,  Buchdruck  in  Tübingen  III  97 

Steinhauser,  A. ,  Karte  von  Südost- 
Europa  III  434 

Stephan,  H  ,  de  Herodiani  dialectologia 
I  133 

Stephanos,  Kl.,  Grece  (im  Dictionaire 
medicale)  111  390 

Sterrett,  S  ,  a  journey  in  Asia  Minor 

III  198 

Steub,  L  ,  Bilder  aus  Griechenland  III 420 

Stillman,  W ,  on  the  track  of  Ulysses 
III  445 

Stoll,  H.  W  ,  Wanderungen  durch  Alt- 
Griechenland  III  352 

Studemund,  W.,  Plauti  reliquiae  Ambro- 
sianae  II  4 

—  Damocratis  fragmenta  lll  298 

—  duos,  duo  II  22 

SusemihI,  F.,  neue  Bemerkungen  zu 
Lucretius  II  228 

—  zum  Prooemium  des  Lucretius  II  232 
Suster,  G.,  quaestiuncula  Plautina  II  6 
Synvet,  carte  ethnographique  de  laTur- 

quie  III  392 

Taege,  0.,  älteste  deutsche  Plautusüber- 
setzuug  II  7 

Tassis,  P.,  il  Pericle  di  Plutarco  I   15 

Teuber.  A. ,  Bedeutung  der  Regulus- 
Ode  II  156 

Thimme,  A. ,  Festvorlesuugen  des  Lu- 
kianos I  95 


Register 


457 


Tischler,  über  Aggry-Perlen  111  275 
Töply,    R. ,   die   Syphilis  im    Alterthum 

ill  327 
Tohte,    Th ,    Lucietiiis,    ein   Beitrag   II 

230 
Toldo,   L.,   poesie  di   donii;'    latine    111 

1Ü9 
Torma,  S.  v  ,  Planeten-Kultus  in  Dacicn 

111  241 
Tozer,  H.  F.,  the  Franks  in  the  Pclo- 

ponuese  111  439 
Trampe,  E,  de  Lucani  arte  metrica  11 

184 
Trieber,  C,  die  Romulussage  111  128 
Triemel,  zum  Gründungsjahr  Roms  111 

115 
Trubrig,   J.,    die   Waldwirthschaft  der 

Römer  III  257 
Trump,  Fr.,  observationes  ad  genus  di- 

cendi  Claudiaui  II  97 
Tuckett,  P.  F.,  mountain  excursions  in 

Greece  III  376 
Tuma,  A.,  Griechenland  III  404 
Uebinger,  J.,  die  Dialoge  Petrarcas  III  1 
Unger,   G.   Fr.,   Gang  des  altrömischen 

Kalenders  III  119 
Valerii    Maximi    memorabilia    rec     C 

Kempt  II  255 
Veckenstedt,  E  ,  Geschichte  der  grie- 
chischen Farbenlehre  III  246 
Veen,  J  S.  van,  quaestiones  Silianae  II 

194 

—  notulae  criticae  II  202 

~  Jo.    Schraderi    in    Silium    Italicum 

emeudationes  II  202 
Venantius   Fortunatus,    traductiou   par 

Ch.  Nisaid  II  100 
Vercoutre,  la  medecine  sacerdotale  III 

286 
Verrea,  de  Silii  Italici  Punicis  II  204 
Vierordt,  H,  Akanthusblätter  III  HO 
Virchow,    R,    Alteithümer    aus  Trans- 

kaukasien  III  276 

—  Eröfi'uuugsrede  zur  Anthropologi- 
schen Gesellschaft  III  248 

Vogt,  P.,  de  Luciani  libellorum  pristino 

ordine  I   104 
Voigtel,  die  römische  Wasserleitung  im 

Dom  zu  Köln  III  279 
Volkmann,  R.,  Gottfried  Benihardy  III  80 

—  Nachträge  zur  Geschichte  der  Wolt- 
schen  Prolegomena  I  42.  111  74 

Voltz,  L.,  zur  Ueberlieferuug  der  grie- 
chischen Grammatik  in  byzantinischir 
Zeit  1  136 

VosSj  E,  die  Natur  in  Horaz  11   130 

Vulpius,  G.,  zur  Geschichte  des  Lanolins 
III  319 

Wallichs,  Geschichtsschreibung  des  Ta- 
citus  111  139 


Warsberg,    A.    v.,    Odysseische    Land- 

schc"flcn  III  415 
Wartenberg,  G.,  zu   den  Textesquellen 

des  Silius  Italiens  II  199 
Weber,  E.,  de  Dione  Chrysostomo  I  78 
Weber  G,  Jugendeindrücke  ill  91 
Weber,  L,  quaestiones  Laconicae   1  12 

—  de  Plutarchü  Alexandri  lauditore  I  14 
Weber,  R.,  de  Philemone  I   123 
Wegener,  Ph.,  Methodik  des  Horaz-Un- 

terrichts  II   131 
Weigand,  G.,  die  Sprache  der  Olympo- 

Walachen  III  443 
Weihmayr,  W  ,  über  lex  Plautia  III  228 
Weil,  H.,  les  lettres  de  l'empercur  Julien 

1  86 
Weise,  R.,  quaestiones  Caecilianae  I  67 
Weissenfeis,  Lucrez  und  Epikur  II  217 
Wellmann,  M.,  zur  Geschichte  der  Me- 

dicin.    -  Analecta  medica  III  290 

—  Sextius  Niger  III  303 

Werner,  Chr.,  de  feriis  latinis  111  189 
West,  A.,  on  a  patriotic  passage  in  the 

Miles  U  74 
Westerburg,  E.,   Petron  und  Lucan  II 

182 
Wichmann,  0.,  Lucian  als  Schulschrift- 
steller 1  94 
Wilcken,  U  ,  zu  den  arsinoitischen  Tem- 

pelrechuungen  III  217 
Wilde,    J.,    de    Plinii    et    imp.    Traiani 

epistulis  mutuis  II  244 
Wilken,  U. ,   Titulatur   des  Vaballathus 

111  171 
Wilkens,  C.  A.,  Horaz  in  Spanien  II  134 
Wilkins,  G.,  the  growth  ol  the  Homeric 

poems  1  27 
Wirth,  A  ,  quaestiones  Severianae  III  169 
Wirtzfeld,  A  ,  de  consecutione  temporum 

Plautina  II  34 
Wlassak,    M.,   römische   Prozessgesetze 

111  227 
Wölffler,  die   chirurgische  Behandlung 

des  Kropfes  III  330 
Wölfflin,  E  ,  die  Rettung  Scipios  III  130 
Wönig,  F.,   die  Pflanzen   im   alten  Ae- 

gypteu  111  312 
Wörls  Griechenland  III  409 
Wyss,  W.  V.,  Sprüchwörter  bei  den  rö- 
mischen Komikern  II  43 
Zacher,  K. ,   zu  den  Heilurkunden   von 

Epidauros  III  287 
Zangemeister,   K. ,  civitas   Treverorum 

HI  156 

—  Hludana-lnschrift  II  158 

—  Theodor  Mommsen  als  Schriftsteller 
III  88 

Zarncke,  E.,  symbolae  ad  Julii  Pollucis 
tractatiim  de  partibus  corporis  hu- 
mani  HI  311 


458 


Register. 


Zelina,  J.,  Anstösse  iu  Ilias  I  28 
Zielinski,  Th.,  die  Schlacht  bei  Cirta  III 

132 
Ziesing,  Th.,  Erasmo  ou  Saliguac  III  12 


Zimmermann,  E.,  quaestiones  Plautinae 

II  23 
Zöckler,    Julian    uud  seiue  christlicbeu 

üegucr  III   177 


IL  Yerzeichniss  der  behandelten  Stellen. 


a)  Griechische  Autoren. 
(Die  Dicht  näher  bezeichneten  Stelleu  sind  aus  der  ersten  Abtheilung). 


Acta  s.  Felicitatis  III  167 
Adamantii  physiognumica  III  307 
Aelianus,  varia  historia  12 
Alexander  Trallianus  IU  308 
Ammonius,  Lexicon  110 
Anthologia  Palatina,  xi  442  21 
Appianus  III   132  f. 
Aristarchus  22 

Aristides,  Aeiius  47    Panathenaicus  81 
Aristoteles,   physica  III    245.   247.  298. 

—  rhetorica  53.  III  12 
Artemidorus  III  296 

Caecilius  Calact.    de  figuris  67.  73.  — 

-  de  subliniitate  62. 
Chaeremon  53 

Chronicon  Paschale  111   120   233 

Cyrillus  Alexandrinus,  glossiarium  112 

Damascius,  dubitationes  III  235 

Damocrates  III  298 

Dellius  III  139 

Demetrius  Phalereus,  de  elocutiouo  48. 

49    72.  99 
Didymus,  ad  II    i  222  23 
Dio  Cassius,  III  141.  149.  194.  —  Liv  20 

III    141.  LIV  32   III  142 

Dio  Chrysostomus  46.  75 

Diocies  III  128 

Diodorus   III    1!5    129.   xix  10.   xx  lei 

III   118.  xxiii  2  II  278 
Diogenes  Laertius  i  2,  67  22     1x9  51 
Dionysius,  Aeiius  107 
Dionysius  Halic.  rhetorica  54 if.  73.  — 

Dcmosth.  VII  57.  59.  74.  -   Thuc.  vi  5 

56    —  De  comp,  verborum  59.  —    De 

imit.  60. 
Dioscurides   III    296.    303.   31 1.   i  c.  24 

III  318.  II  c.  84  III  319. 
Epicurus  II  2 13 ff.  2 17 ff.  —  fragm.  Her- 

cul   II  5  II  222 
Etymologicum  magnum  107  ff. 
Eustathius  108. 


Galenus  III  303.  318  —  method.  me- 
dendi  xiii  22  III  330.  —  de  util.  par- 
tium III  305.  —  Üloss   Hipp    III  306. 

—  scripta  minora  III  306.  —  apo- 
grypha  III  292 

Hephaestion  III  236 
Herodianus  ad  II.  '/'•  162  23 
Hesychius,  glossarium  111 
Hippocrates  III  288.  295.  315.  —  Pseu- 

dohipp    III  292 
Homerus  18     Ilias  18.    A' III  438.  Jeeo 

28.    -   Od.  25    39.  III  265 
Joannes  Actuarius  medicus  III  337 
Isocrates  paueg.  iv  se  81.  §  viii  50 
Julianus  imp.  lil  177    —  contra  Christ 

83.  —  conviv.  308  87.  —  epist.  84 
Justinus  martyr  is,  2  III  118 
Lucianus  47.  88.  —  dialogi  94.   —  bis 

accusatus  101.     -    Jupp    contutatus; 

Jupp.  trag.  93  99    103.  —  Tiraou  102. 

—  somnium  3  99.  —  asinus  90.  98.  — 
Icaromenippus  99.  102.  —  Macro- 
bii  97 

Lucius  Patrensis  90 

Marcellus  Sidetus  III  302 

Medioi  scriptores  III  292 

Oenomaus  103 

Papyrus  Ebers  III  333.  343 

Pausanias  atticista  107 

Phrynichus  111 

Plato,  physica  III  232.  -  Phaedrus  .50 

Plutarchus   III  128.    -    vita   Alex.  15. 

—  Caesar  le  II  262.  —  Cicero  x— xxiii 
Uli  35  —  de  vita  Homeri  10  —  de 
malign.   Herod.   2.  9.    —    moralia    1. 

—  Amatorius  2.  16.  17.  —  cons,  ad 
Apoll  8.  —  convivium  2.  16.  —  de 
exilio;  de  soll,  anini.  2.  —  de  Isid. 
et  Os.  80  III  318.  —  de  inst.  Lac.  12. 

—  de  rep.  x  p.  ei4  II  259  —  de  for- 
tuna  Rom.  5  6  14.  —  vita  1. 


Regia!  er. 


459 


Pollux,  Julius  III  311 

Polybius  III  117.  219.  ii  i4  III  116.  iii 

6.5,  11.    110,  10.    111,2.   113,  3     113,  7.    IM,  8. 
X2,  8    III  131.   XXIII   fr.  14   III    130 

Pytheas  111  234 
Sextius  Niger  III  303 
Socrates  III  325 
Soranus  Ephesius  III  299 
Strabo  III  139 


Testamentum  novum  III  161 

Themistius  88 

Theognetus,  (fdaßa  102 

Theophanes  Mitylenaeus  III  139 

Theophrastus  63 

Thucydides  ii  III  316.  326.  in  2  57   vi  13 

III  3Sl 
Zenodotus  in  Homerum  24 


b)  Lateinische  Autoren. 
(Die  nicht  näher  bezeichneten  Stellen  sind  aus  der  zweiten  Abtheilung). 


Annales  maximi  III  130 

Anonymi  Valesiani  de  ConstantiuollI  173 

Apuleius,   metamorpho.ses  I  91 

Apuleius  Madaur  ,  de  medicaminibus 
III  307 

Augustinus  III  185 

Ausonius,  Moseila  101.  -  opuscuia  100 
—  protrept.,  parent.,  technopaeg.  103 

Cäsar,  de  b.  c.  i  n,  4;  14,  4  III  137 

Calpurnii  et  Nemesiani  bucolica  95 

Cato  urigines  III  117 

Charisius  ad  Plautum  23 

Cicero  de  or.  iii  34  1  21.  III  74.  —  in 
Catil.  I.  IV  III  135.  —  de  consnlatu  111 
135.  —  Philippica  11  46  III  135.  de 
divin.  i58,  132  III  166.  —  ad  Att.  vii  14,2 
III  138         ad  fam.  viii  9,  1  264. 

Claudianus,  paneg.  de  cousiJ  Honorii  99 

Coelius  Antipater  III  132 

Columella  111  257 

Ennius  226 

Eumenius,  paneg.  ix  1  III  174.  —  pro 
restaur.  schol.  iv  III  175 

Fabius  Pictor  III  128 

Festus,  fragni.  Plaut.  64 

Florus  30.   III    141.    142. 
Hör.  IV  2, 34  III  141 

Frontinus  III  152 

Gellius  III  130 

Horatius  105.  -  carmina  113 
i  1  140.  I  .3  142.  i  5  143.  II  2,  5  145. 
150.  III 1—6  152  in  4  10;  in  5  156.  in  10 
157.  11123,14;  24.  4;  30  158.  IV  2  159. 
160.  —  Epod.  2;  17,  1  162.  —  satirae 
105.  117.  128  163.  15,36;  6,9;  8,77 
170.   I  6,  113  Jll   166.    I  9,  69    17 1.    19,  70 

III  166.  n8  171.  ns.  77  170.  -  Epist 

107    119.  I  172.   175.  in  173.  ni  174. 

II  1,  11  173.   II  1,  269  III  166.     —     ars 

poet.   109.   121.   145. 
Hyginus  de  munitiouibus  III  224 
Italic!  Ilias  latina,  v,  Silius  Italicus 


—   bchol.  ad 


Od. 

116 


Juvenalis  v  46  145.  vi  532  III  166 

Laelius  ill  131.  133 

Largus,  Scribonius  III  299 

Leges.   Lex  Aebutia;  leges  duae  Juliae; 

lex  Plautia,  etc.  III  227 
Livius  III  129.  xxn  44,3  111  131.  xxvin  6,9 

III  380.  XXX  11;  12;  29  III  132.  xxxiv 

2,  4  II  277.  xxxvn  43  III  130.  XLs;  79 

III  i;32.    XLiii  8;  10.  xLiv  4  III  131. 

XLVii  50  III  132.  Liv  33;  epit.  137  HI 

142 
Lucanus  177    180.  —   scholia  183 
Lucilius  7.  XXIX  26  41 
Lucretius  207 
Macrobius  I  16 
Maecenas   133 

Marcellus  Empiricus  Hl  300f. 
IVlarius  Maximus  III   157 
Maximianus  97 
Meletius  III  299 

Nemesianus  95.  —  Cynegetica  97 
Nepotianus  284 
Nonius  Marcellus  3 
Obsequens,  Julius,  c  "i  III   141 
Orosius  HI  133    139 
Ovidius  III  263 
Pacuvius  277  54 
Panegyrici  III  174 
Petronius  178.  III  182 
Plautus  I.    -  Amphitruo  46.  —  Asinaria 

48.  532  88.  Auiul.  49.  —  Bacchid.  53. 

—  Captivi  58    —  Ca.sina  02     n  2,  10 
54.  n  620  89.  —  eist.  (i4.  —  Cure.  69. 

—  Epid.  70.    —    Menaechini  72 
Mcrc.  73.    555  88.    -    Mil.    glor.  74. 
169  86    —  Most  77.  —  Persa  79    — 
Poen  6.  80    -    Psiudolus  82.  1279  89. 

—  Hud.  83.       Stich  85.  232;  1068  88. 

—  Trin.  87.   —    Truc  5    6.  92.  476; 
479  88.  —  fragiii.  94. 

Plinius,  nat  bist,  xvi  u  Hl  131.  xxin  23 
HI  328.  XXIX  10  HI  319 


460 


Register. 


Plinius  iunior,  epist.  2S6.  epist.  ad  Trai. 

2;i7    244    06.  97  243  f. 
Propertius  in  o  141 
Rutilius  Rufus  III  133 
Sallustius,   Catilina   xiv   5;    xvii  5  III 

135 
Scriptores  hist   Aug  ,  vita  Avidii  Carrü; 

vita  Marci  III  157 
Seneca  philosophus  III  156.    —    Herc. 

Oet.  411  41    -   Phaedra  967  III   156 
Silius  Italicus,  Piinica  193.   —  lüas  lat. 

Suetonius,  vita  Capsaris  III  261 
Sulpicius  Severus  11  30,  6  III  163 
Symmachus,    laud.   in   üratian.  §  18  III 
178  t. 


Tacitu8  III  139.  —  ann.  14.  16  III  143. 
152.  I  63  III  147.  11  8  III  148.  XV  42 
III  166.  XV  64  III  162.  —  hist  v  37 
III  156    V  6  III  166.  —  üorm.  III  181 

Terentius,  Ad.  175  13  807  40.  —  Audria 
647  54.  —  Hoaut.  723  40. 

Tertullianus  III  172.  —  Apolog.  xxi 
111  IGO 

Uipianus,  Dig    i  12,  1  III  170. 

Valerius  Antias  283.   III   130   132 

Valerius  Maximus  254.  III  133 

Varro  de  r  r    1  c.  12  111  326 

Velleius  Patercuius  III  141 

Verrius  Flaccus  de  vorb    sign    1 

VopiscuSjVita  Aureliani  ;vitaProbiIIII  173 


Register. 


461 


General  -  Register 
über  die  zweite  Folge  des  Jaliresbericlites  (Baud  XXY— LXV.) 

I.  Abtheilung.     Griechische  Autoren. 


Homer,  (f  Dr.  G.  Hinrichs  in  Berlin) 
Band  XXVI,  S  189-251  —  (Prof.  C. 
Thiemann  in  Berlin)  XXVI,  S  252 
-26i.  —  (Prof.  C.  Rothe  in  Berlin) 
XXVI,  S.  262—280  XXXIV.  S.  77— 
139.  XLU,  S.  163  -214.  -  (Prof. 
G.  Vogrinz  in  Brunn)  XXXIV,  S.  55 
-76.  XLII,  S.  215-229  -  XLVI, 
S.  189—204.  —  (Rektor  A.  Gern  oll 
in  Striegau)  XXXIV,  S.  140—168. 
XLVI,  ö.  178—188     LXIl,  S   18—44. 

Hesiod  und  die  nachhomerischen  Epiker. 
(Prof.  A.  Rzach  in  Prag)  XXVI, 
S   139  -188.     XXXVIII,  S.  1-41. 

Lyriker  und  Bukoliker.  (f  Prof.  E. 
Hill  er  in  Halle)  XXVI,  S.  109-138. 
XXXIV,  ö.  249-288.  XLVI,  S  54 
-84. 

Pindar  (Dr.  L.  Bornemann  in  Ham- 
burg) XLII,  S.  52 -  122.  L,  S  21-33. 
LIV,  S.  129—203. 

Tragiker.  (Studienrektor  Prof.  N.  W  e  c  k- 
lein  in  München)  XXVI,  S  51-56. 
XXX,  S.  99  -  185.  XXXVIII,  S.  99 
—  177.  XLVI,  S.  205  — 300  LVIII, 
S.  387—454 

Herodot.  (Direktor  H  Stein  in  Olden- 
burg) XXVI,  S.  96—108  XXX,  S.  186 
2-0.  XLII,  S.  127  -  162.  -  (Prof. 
J  Sitz I er  in  Tauberbischofsheim) 
LVIII,  S.  229— 264. 

Thucydides.  (Oberlehrer  P'ranz  Mül- 
ler in  Quedlinburg)  LVIH,  S.  1—228. 


Xenophon.  (Prof.  K.  Sehen  kl  in  Wien) 

LIV,  S.  1  —  128. 
Historiker  ausser  Herodot,  Thukydides 

und   Xenophon.    (Dr    J.  Kaerst  in 

Gotha)  LVIII,  S  314-386. 
Spätere  Historiker.  (Prof.  K.  S  c h  e  n  k  1  in 

Wien)  XXXIV,  S.  169-248.  XXXVIII, 

S   178-288 
Attische  Redner.     (Prof.  Fr.  Blass  in 

Kiel)   XXX,   S.  99-185    —   (Dr.  G. 

Hüttner  in  Ansbach)  XLVI,  S.  1— 

53.  L,  S.  187—224. 
Rhetoren     und    Sophisten.      (Prof.    C. 

Hammer  in  München)  XLVI,  S.  85 

-108      LXII,  S.  45— 106. 
Plato.     (Prof.  G.  Schneider  in  Gera) 

L,  p.  134—186. 
Aristoteles  und  Theophrastus.     (Prof. 

F.  Susemihl   in    Greifswald)    XXX, 

S.   1-98.    XXXIV,    S.  1-54.    XLII, 

S.  1—51.  230-268.  L,  S.  1—20. 
Nacharistotelische  Philosophen.   (Prof. 

M  Heinz e   in  Leipzig)   L,  S.  34— 

133 
Plutarchs  Moralia.  (Direktor  H.Hein  ze 

in  Stargardt  W.-Pr.)   XXVI,   S.  57— 

95.  XXX,   S   252-284.  XLII,  S.  123 

126.  —  (Direktor Dr.  Treu  in  Breslau) 

LXII,  S.  1—17. 
Griechische    Grammatiker.      (Prof,    P. 

Egenolff  in  Heidelberg)  XXXVIII, 

S  43-98    XLVI,  S.  109-117.  LVIII, 

S.  265—313. 


II.  Abtheilung.     Lateinische  Autoren. 


Plautus.  (Oberlehrer  A.  Lorenz  in 
Berlin)  XXVII,  S.  1-52.  —  (Prof.  0. 
Seyffert  in  Berlin)  XXXI,  S  33- 
111.  XLVII,  S  1  —  138.  LXIII,  S.  1 
—94. 

Terenz  und  übrige  Dramatiker.  (Stu- 
dienrektor Prof.  A.Spengelin  Passau) 
XXVH,  S.  177—200.  XXXIX,  S.  74 
-90. 

Römische  Epiker  nebst  Vergil.  (f  Direk- 


tor H.  Gent  he  in  Hamburg)  XXXV 

S.  185—256. 
Vergil.      (Oberlehrer    0.  Güthling  in 

Liegnitz).     LIX,  S.  122—185. 
Epiker  nach  Vergil.    (Prof.  L  Jeep  in 

Königsberg)  LXIII,  S.  1—94. 
Lucretius.    (Prof.  A  B rieger  in  Halle) 

XXVII,  S.  149-176.    XXXIX,  S.  171 

—204.     LXIII,  S.  207-235. 
Ovidius.      (Prof.   A.  Riese  in   Frank- 


462 


Register. 


Imi  a.  M.)  XXVII,  S.  72--92.  — 
^I'iof.  K.  Khwalii  in  Gotha)  XXXI. 
S.  i:.7-l30r).     XLlIl.  S   l-J")-  l'-24 

Bukoliker.  (f  Diicktcir  ('  Scliapor 
in   l!(>rlm)  XXXI,  S.  H2~I5t;. 

Caipurnius,  Nemesianus,  Ausonius,  Clau- 
dianus.  (  Oherlohrer  0  Güthliiig 
in  Liognitz)  LXllI,  S.  95— 104 

Horatius.  (Trof  W  Hirsch  tV  hl or  in 
Berlin;  XXXI,  S.  -JOG  -270.  LV,  S.  57 
-  1 10.  (Prot.  J.  II  änssner  in  KaiLs- 
riihi")  LXIII,  S.  105— 17Ü. 

Satiriker  aus.ser  Lucilius  und  Horatius. 
(I'rot  L  Friodliinder  in  Königs- 
berg) XXVII,  S.  53-71  XLV1I,S.  193 
222 

Catullus  und  Tibullus  (Dr.  H.  Mag- 
nus in  Berlin)  LI,  S   145—372. 

Propertius.  (Dr  E.  H  eydenreich  in 
Freibeig)  XLVII,  S.  139-192  LI, 
S.  83-144.    LV,  S.  111  —  174. 

Phaedrus.  (Dr.  E  Heydeureichin 
Freiherg)  XXXIX,  S.  1—33.  205—250. 
XLIll,  S  100-129  -  (Dr.  H.  Dra- 
heirn  in  Berlin)  LIX,  S   107-  121. 

Anthologia  latina  (Prof.  A.  Riese  in 
Frankfurt  a  M.)  XXVII,    S  93— 102. 

Historiker  ausser  Tacitus  (f  Prot  A. 
Eu  s  s  n  e  r  in  Würzburg)  XXVII,  S.  201 
—294.  XXXV,  S.  118— 160h. 


Tacitus.  ( Prof  ü. Helm  reich  in  Augs- 
burg)  XXXIV,  S.  91-  170.  LV,  S  1 
— .^(i.     LIX,  S  230-275. 

Valerius  Maximus.  (Direktor  K.  Fr. 
Kenipf  in  Berlin)  LXUl,  S.  254- 
28C> 

Cicero,  Reden.  (Dr.  G.  Landgraf  in 
München)  XXXV,  S  1—73.  XLIIl, 
S.  1  48.  XLVII,  S.  223  265.  LIX, 
S.  186  229.  —  Philosophische  Sehr. 
(Prof.  Iwan  von  Müller  in  Mün- 
chen) XXVII,  S  103—148.—  (Bil)lio 
thekar  Dr  P.  Schwenke  in  Giessen) 
XXXV,  S.  74— 117.  XLVII,  S  2(57- 
—  316  —  Briefe.  (Prof  Iwan  von 
Müller  in  München;  XXXI,  S.  1—32. 
-  (Direktor  J  H.Schmalz  in  Tau- 
berbischofsheim) XXXIX,  S.  34—73. 

Quintilianus  (Oberlehrer  F.Becher 
in  Ilfeld)  LI,  S.  1—82. 

Seneca  rhetor.  (Direktor  H.  J.  M  üller 
in   Berlin)  LV,  S    175-234. 

Piinius  iunior.  (Prof  Iwan  von  Müller 
in  München)  XXXV,  S.  161-184  — 
(Dr.  E.  Ströbel  in  Nürnberg)  LXIII, 
S.  236-253. 

Spätlateinische  Schriftsteller.  ( Prof 
Sittl  in  Würzburg)  XLIII,  S.  49-99. 
LV,  S.  235—283.  —  LIX,   S.  1  —  106 


III.  Abtheilung. 


Geschichte  der  klassischen  Alterthums- 
wissenschaft.  (Prot.  B.  Bursian  in 
München)  XXXII,  S.  1.55  -  240  —  (Dr. 
A.  Horawitz  in  Wien)  XL,  S  274 
-316.  XLXIII,  S.  161—184.  -  (Prof 
K.  Hartfelder  in  Heidelberg)  LH, 
S.  140-268.    LXIV,  S.  1-113. 

Geographie  und  Topographie  von  Grie- 
chenland. (Privatdozent  Dr  E.  Ober- 
hummer in  München)  LXIV,  S.  347 
—446. 

Geographie  und  Topographie  von  Unter- 
italien und  Sizilien.  (Prof  A.  Holm 
in  Neapel)  XXVllI,  S.  108-167. 

Geographie  der  nördlichen  Provinzen 
des  römischen  Reichs.  (Direktor  D. 
Detlef sen  in  Glückstadt)  XXVIII, 
S.  380—396. 

Topographie  der  Stadt  Rom.  (Prof  H. 
Jordan  in  Königsberg)  III,  S.461— 485. 

Griechische  Geschichte  und  Chrono- 
logie. (Prof  A,  Bauer  in  Graz)  LX, 
S    1-190 

Römische  Geschichte    und    Chronolo- 


gie. (Prof  H,  Schiller  in  Giessen) 
XXVIII,  S  282-379  XXXII,  S.  486 
-552  XXXVI,  S.  454-540.  XLIV, 
S  36  -  120.  XLVIII,  S.  211  —  314 
LH,  S.  268-334  LX,  S.  262-341. 
KXIV,  S.  114-185. 

Geschichte  der  alten  Philosophie  in 
Russland.  (Dr.  W.  Lutoslawski) 
LX,  S.  438-441. 

Mythologie.  (Prof  A.  Preuner  in 
Greifswald)  XXV  (Supplementband), 
S    1     384 

Griechische  Sacralalterthümer.  (Prof. 
A.  Mommsen  in  Hamburg)  XLIV, 
S  405-421.  XLVIII,  S  315-352 
LH,  S  335-378.  LX ,  Ö.  222  261. 
409  -437. 

Römische  Staatsalterthümer.  (  Prof 
H.  Schiller  in  Giessen)  XXVIII,  S.  1 
—32  XXXIl.  S.  241—307.  XXXVI, 
S.  162-272.  XL,  S.  183— 247.  XLIV, 
275—376.  LH,  Ö  1-89  LVI,  S.  1 
-  68.  LX,  S.  342-408  LXIV,  8. 186 
-230. 


Register. 


463 


Römische  Privat-  undSacralalterthümer 

(Prof.  M.  Voigt  in  Leipzig)  XX VIII, 
S.33-54     XXXVI,  S.  ir)4-191.    271 

—  288.      XL.    S.   248      273.      XLIV, 
S.377  — 404.     XLVIII,  S    185-210. 

—  (Prof.    M.  Zöller  in  Mannheim) 
LX,  S.  191—221 

Naturgeschichtliche  Alterthümer.  (Prof. 

0    Keller  in  Prag)  XXVIII,  ö  55— 

107.     XL,  S.  366-450. 
Naturgeschichte,  Chemie,  Technik,  Han- 
del. (Prof.  S.  Günthpr  in  München) 

LH,  S  90-139    LXIV,  S  231—280. 
Exakte    Wissenschaften        (  Oberlehrer 

M.  Curtze  in  Thorn)  XL,   S    1— 50h. 
Medizin.      (Dr.     Th.    Puschmanu    in 

Wien)    XL,  S.  51-81.  LXIV,  S.  281 

-346 
Griechische  Epigraphik.    (I)r    H    Röhl 

in     Königsberg)    XXXII,    S    1  — 154. 

XXX VI,  S   1-15.5    -  (Oberlehrer  W. 

Larfeld    in  Remscheid)    LH,  S.  379 

—564.   LX  S.  44J— 499. 
Römische  Epigraphik.    (Direktor  üaug 

in  Mannheim)  XL,  S   141-182    LVI, 

S.  69—136. 
Numismatik     (Dr.   R    Weil   in  Berlin) 

XXXII,  S.  388-460 


Vergleichende  Sprachwissenschaft.  (Ob.- 
Lehrer  II.  Ziemer  iu  Colberg)  LVI, 
S    137-384. 

Kyprisch ,  Pamphilisch ,  Messapisch. 
(Direktor  W.  Deec  ke  in  Mühlhauseu, 
Elsa,ss)  XXVIII,  S.  220—229.  XLIV, 
S.  266-274 

Lateinische  Grammatik.  (Direktor  W^. 
Deecke  in  Miihlhausen ,  Elsass) 
XXVIII,  S.  183—216  XXVIII,  S.  183 
—219.  XXXII,  S  308-363.  XLIV, 
S   121-228. 

Italische  Sprachen,  Etruskisch.  (Direk- 
tor W.  I)eecke  in  Mühlhausen,  El- 
sass) XXVIII,  S.  230  — 247.  XXXII, 
S.  364—387      XLIV,  S  229—265. 

Vulgär-  und  Spätiatein.  (Prof.  K.  Sittl 
in   Würzburg)  XL,  S.  317—356 

Lateinische  Lexikographie.  (Prof.  K. 
E.  Georges  in  Gotha)  XXVIII,  S.  284 
281  XL,  S.  82—140.  XLVIII,  S.  1 
-54. 

Antike  Metrik.  (Prof.  R.  Klotz  in 
Leipzig)  XXX  VI,  S  289-453.  XLVIII, 
S  .55-160 

Antike  Musik.  (Dr.  H.  Guhrauer  in 
Lauban)  XXVIII,  S.  168-182.  XLIV, 
S.  1-34. 


IV.  Abtheilung. 


Bibliotheoa  philoiogica  classica  XXIX, 

S.  1-  396.  XXXIII,  S.  1  -  398  XXXVII, 
S.'l  -391.  XLI,  S.  1  -379  XLV,  S.  1 
—358.  XLIX,  S  1-3.58  LIII,  S.  1 
365.  LVII,  S.  1-347.  LXV  ö.  1—341. 


Biographisches  Jahrbuch  für  Alter- 
thumswissenschaft.  XXIX,  S  1-112. 
XXXIII,  S.  1  127.  XXXVII,S.  1  —  172. 
LXI,S  1—139.  XLV,S.  1-128.  XLIX, 
S.129-296.  LIII,  S.  1-132.  LVII,  S.  1- 
160.   LXI,S.  1-175.  LXV,  S.  1—108. 


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Berlin. 

Druck  von  Martin  Oldenbourg 
A  dler  -  Strasse  5. 


.iW***-C4, 


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3 

J3 
BdM 


Jahresbericht  über  die  Fort- 
schritte der  klassischen 
Altertumswissenschaft 


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