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JAHRESBERICHT
über
die Fortschritte der classisclieii
Altertliumswissenscliaft
begründet
von
Conrad Bursian,
herausgegeben
von
I^A^an V. Müller,
ord. öflfentl. Prof. der classischen Philologie an der Universität Erlangen.
Vierundsechzigster Band.
Achtzehnter Jahrgang. 1890.
Dritte Abtheilung.
A LT ERTHUMSWISSEN SCHAFT,
Register über die drei Abtheilungen.
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BERLIN 1891.
VERLAG VON S. CALVARY & CO.
W. Unter den Linden 21
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Inhalts-Verzeichniss
des vierundsechzigstea Bandes.
Bericht über die Litteratur des Jahres 1887, welche sich auf
Encyklopädie und Methodologie der klassischen
Philologie, Geschichte der Alterthumswissenschaft und
Bibliographie bezieht (nebst Nachträgen zu den früheren
Jahren). Von Dr. theol. et philol. Karl Hartfelder,
Gymnasial-Professor in Heidelberg 1 — 113
Zur Geschichte des Humanismus. Renaissance in Italien 1. —
Renaissance in Frankreich 11.45. — Renaissance in Deutschland
15. — Der Humanismus in Polen 41. — Geschichte und Methode
der altsprachlichen Studien 47. — Mommenta Germaniae paeda-
gogica 59. — Gelehrtengeschichte 66. — Buchdruckergeschichte
97. — Pädagogik und Schulorganisation 99. — Anhang: Dich-
tungen 109.
Die Berichte über Paläographie von Bibliothekar Dr. Beer
in Wien; alte Geographie und Geographen von Oberlehrer
Dr. R. Frick in Höxter, und Topographie von Attika von
Oberlehrer Dr. Chr. 'Beiger in Berlin erscheinen später.
Jahresbericht über Geographie von Griechenland, 1874
— 1890. Von Dr. Eugen Oberhummer, Privatdozent
an der Universität München 347 — 446
Allgemeiner Theil 347. — Bibliographie 348. — Lehrbücher 349.
— Ortsnamenkunde 356. — Physikalische Geographie und Geologie
360. — Hydrographie 377. — Klimatologie 383. — Flora 384. —
Fauna388. — Anthropologie 390. - Ethnographie 391. — Statistik
396. — Kulturbilder 401. — Topographische Spezialwerke, Reise-
führer und Beschreibungen 403. — Karten 427. — Nachträge 437.
Die Berichte über Geographie von Unter-Italien und Sicilien
von Prof. Dr. von Duhn in Heidelberg; über Geographie
von Mittel- und Ober-Italien, Gallien, Britannien und
Hispanien von Dir. Prof. Dr. D. Detlefs en in Glückstadt;
über Topographie der Stadt Rom von Prof. Dr 0. Richter
in Berlin, und über griechische Geschichte von Prof. Dr.
A. Bauer in Graz folgen später.
IV Inhalts- Vcrzeichniss.
Jahresbericht über römische Geschichte und Chrono-
logie für 1888. Von Geh. Oberschulrat Dr. Hermann
Schiller, Gvmn.-Dir. und Universitäts-Prof. in Giefsen 1 14 — 185
1. Zusammenfassende Werke und Abhandlungen allgemeinen In-
halts 114 — 2. Chronologie IIa. — 3. Königszeit und Uebergan^
zur Republik 120. — 4. Zeit des Ständekampfes und der Erobe-
rung Italiens 129. -- r>. Die punischen Kriege 130. - 0. Die Re-
volution lö3. — 7. Zeit der Julier, Claudier, Flavier und Anto-
nine 139. — Die germanischen Kriege 141. — Anfänge des
Christenthums 160. — 8. Zeit der Verwirrung 169. — 9. Zeit
der Regeneration 173.
Die Berichte über griechische Litteraturgeschichte von Dir.
Dr. Volkmann in Jauer; römische Litteraturgeschichte
von Prof. Dr. E. Zarncke in Leipzig; antike Mythologie
von Dr. Back in Berlin; griechische Staatsalterthümer
von Dr. C. Schäfer in Pforta; griechische Sacralalter-
thümer von Prof. Dr. Aug. Mommsen in Hamburg, und
griechische Privatalterthümer von Prof. Dr. Iwan v. Müller
in Erlangen folgen später.
Jahresbericht über die römischen Staatsaltertümer für
1888. Von Geh. Oberschulrat Dr. Hermann Schiller,
Gvmn.-Dir. und Üniversitäts-Professor in Giefsen. . 186 — 230
A Zusammenfassende Darstellungen 186. — B Die Staatsgewalt.
1. Magistratur 186. — 2. Senat 204. — 3. Bürgerschaft 211. —
C. Die Staatsverwaltung. 1 Organisation des Keiches 212. —
2. Finanzverwaltung 213. — 3. Militärwesen 218. — 4. Recht
und Gericht 227.
Der Bericht über scenische Alterthümer von Studienrektor
Prof. Dr. B. Arnold in München folgt im nächsten Jahr-
gang-
Jahresbericht über Chemie, beschreibende Naturwissen-
schaft, Technik, Handel und Verkehr im Altertum.
Von Professor Dr. S. Günther in München . . . 231—304
Allgemeines 231. — Masskunde 233. — Astrologie und Aber-
glauben 236. — Alchemie und Chemie 242. — Anthropologie und
Prähistorik 245. — Thiere 252. — Pflanzen 253. — Land- und
Forstwirthschaft 257. — Mineralogie und Bergbau 258. — Nau-
tik 263. — Handel und Verkehr 268. — Technik und Wasserbau
273. — Papyrus magicus 280.
Der Bericht über mathematische Wissenschaften im Alterthum
von Oberlehrer M. Curtze in Thorn folgt später.
Inhalts- Verzeichniss. V
Jahresbericht über die Medicin bei den Griechen und
Römern. Von Prof. Dr. Th. Puschmann in Wien. 281—320
I. Geschichte der Medicin im Allgemeinen 281. — II. Die my-
thische Zeit. Heilkimst in den Tempeln 284. - III. Die Me-
dicin der Griechen und Römer. — IV. Die medicinische Litte-
ratur der Griechen und Römer. Allgemeines 292. — Hippokrates
295. — Aristoteles 298. — Damokrates, Soranus, Scribonius Lar-
gus, Marcellus 282. — Galenus 303. — Alexander Trallianus 308.
— V. Naturwissenschaften, Anatomie und Physiologie 312. —
VI. Arzneimittellehre, Klimatologie, öffentliche Gesundheitspflege
315. _ VII. Pathologie, interne Medicin, Geisteskrankheiten,
Seuchen 323. — VIII. Chirurgie, Augenheiikuude und Geburts-
hülf'e 328. — IX. Der ärztliche Stand. Militärsanitätswesen. Ge-
richtliche Medicin. Thierheilkunde 329. — X. Beziehungen der
Medicin der Griechen und Römer zu derjenigen anderer Cultur-
völker 342.
Die Berichte über griechische Epigraphik von Dr. W. Lar-
feld in Remscheid; römische Epigraphik von Direktor Dr.
F. Hang in Mannheim; Geschichte der alten Kunst von
Dr. Kroker in Leipzig; vorgeschichtliche Kunst, Vasen-
malerei etc. von Prof. P. Dümraler in Basel; Baukunst
von Architekt P. Koldewey in Berlin; Bildhauerkunst
von Dr. F. Kopp in Berlin; Kunstmythologie von Dr.
Back in Berlin; Numismatik von Dr. R. Weil in Berlin;
vergleichende Sprachwissenschaft von Dr. H. Ziemer in
Colberg; griechische Grammatik von Prof. Dr. B. Gerth
in Zwickau; Kyprisch, Pamphilisch und Messapisch von
Direktor Prof. Dr. W. Deecke in Mühlhausen i. E. ; latei-
nische Grammatik und Etruskisch von demselben; Vulgär-
latein von Professor Dr. K. Sittl in Würzburg; lateinische
Lexikographie von Prof. Dr. K. E. Georges in Gotha;
Metrik von Professor Dr. R. Klotz in Leipzig, und antike
Musik von Dr. H. Reimann in Berlin werden später er-
scheinen.
Register 447 — 463
I Register über die besprochenen Schriften 447
II. Register der behandelten Stellen:
Griechische Autoren 458
Römische Autoren 459
Generalregister über Band XXV -LXV 461—463
Bericht über die Litteratur des Jahres 1887,
welche sich auf Encyklopädie und Methodologie
der klassischen Philologie, Geschichte der Alter-
tumswissenschaft und Bibliographie bezieht
(nebst Nachträgen zu den früheren Jahi-en).
Von
Dr. theol. et philol. Karl Hartfelder,
Gymuasialprot'essor in Heidelberg.
Wir beginnen unseren diesjährigen Bericht mit der Besprechung
der litterarischen Erscheinungen, die sich auf die Geschichte des Hu-
manismus beziehen. Die Zahl der gelehrten Arbeiter auf diesem Felde
ist in Deutschland, Frankreich und Italien in den letzten Jahren bedeu-
tend gewachsen. Neben selbständigen Schriften mehren sich besonders
die in Zeitschriften niedergelegten kleineren Arbeiten, für welche in
Deutschland die von Max Koch und Ludwig Geiger herausgegebene
»Zeitschrift für vergleichende Litteraturgeschichte und Renaissance-Litte-
ratur« ein willkommener Sammelpunkt geworden ist.
Entsprechend dem Gange der Geschichte, beginnen wir mit Arbei-
ten, welche die Erscheinung der Renaissance in Italien behandeln.
Den Anfang mögen zwei kleine Arbeiten über Petrarca bilden:
Johannes Übinger, Die angeblichen Dialoge Petrarcas über die
wahre Weisheit (Geigers Vierteljahrsschrift für Kultur und Litteratur
der Renaissance II 57—70).
Während von Petrarcas Schriften im Laufe der Zeit zahlreiche
Spezialausgaben erschienen, gibt es von den beiden Dialogen ȟber die
wahre Weisheit« nur eine einzige aus dem Jahre 1604, und während
von den sonstigen Schriften Petrarcas oft Dutzende von Handschriften
existieren, läfst sich für die Dialoge nicht eine einzige bis jetzt nach-
weisen. Doch stehen sie bereits in der ersten Gesamtausgabe Petrarcas
von 1496, die zu Basel erschienen ist.
Der Hauptinhalt des ersten Dialogs, eines Gespräches zwischen dem
Redner und Idioten (= einem ungebildeten Mann mit gesundem Men-
Jahresbericht für Alterthumswissenscbaft. LXIV. (1890. III.) 1
2 Geschichte der Philologie.
schenverstand) wird mitgeteilt. Der Hauptgedanke des Gespräches dreht
sich um die Möglichkeit, die Weisheit zu besitzen. Eine Untersuchung
über den Dialog führt Übinger zu dem Ergebnis, »dafs in dem ersten
Stücke des Gesprächs eine völlig andere Gedankenreihe vorwaltet als in
dem zweiten«. Der Dialog besteht nicht aus einem Gusse, sondern drei
verschiedene, wenn auch verwandte Gedankenkomplexe sind gewaltsam
zusammengeschmiedet.
Der Dialog ist also eine Kompilation: der Anfang des Gespräches
stammt aus dem Dialoge des Nikolaus Cusanus »über die Weisheit« vom
Jahre 1450. Das Folgende rührt sodann wirklich von Petrarca her. Es
ist der zwölfte Dialog des ersten Buches »Das Heilmittel gegen Glück
und Unglück«. Das zweite Mittelstück kann auch von Petrarca sein,
doch hat Übinger diesen Abschnitt bei Petrarca nicht gefunden. Auch
der Schlufs ist Eigentum des Cusanus.
Der zweite Dialog bildet ein zusammenhängendes Ganzes, welches
mit dem Schlufs des ersten Gesprächs eng verknüpft ist. Aber nicht
ein Wort desselben stammt von Petrarca, sondern alles ist aus des Cu-
sanus erwähntem Gespräche entnommen.
Jos. Viktor von Scheffel, Ein Tag am Quell von Vaucluse.
(Reisebilder. Stuttgart 1887. S. 289—355).
Der Dichter des »Ekkehard« und des »Trompeter von Säckingen«
hat im Jahre 1857 eine Reise in das südliche Frankreich gemacht und
dabei von Avignon aus die einstige Wohnstätte Petrarcas besucht. Man
wird von dem launigen und humoristischen Dichter keine neuen wissen-
schaftlichen Entdeckungen über den Sänger der Laura erwarten. Er
gibt eine anschauliche und poetische Beschreibung der vielbesprochenen
Örtlichkeiten, ironisiert auf das heiterste mehrere populäre und auch
eine gelehrte Darstellung über Petrarca, an dessen weltberühmten rime
er sich an Ort und Stelle ergötzte. S. 319 teilt er eine anmutige Über-
setzung von Petrarcas »Wanderlied« mit, die er an der klassischen Stelle
gefertigt: »Im Schatten der Gartenmauer (von Petrarcas Hause) gelagert,
las ich wiederum im Buch der Reime, und weil mir das Sonett: per
mezz' i boschi inospiti e selvaggi just gut gefiel, begann ichs zur Kurz-
weil frei zu verdeutschen«. Am Schlüsse des anmutig geschriebenen
Reisebildes folgen noch Übersetzungen aus Petrarcas Dialogus De scrip-
torum fama und das Schreiben Petrarcas an den Kardinal Giovanni Co-
lonna, worin er seine Besteigung des Mont Ventoux erzählt.
Zu den Städten, wo die humanistische Bedeutung ihren Sitz auf-
geschlagen, gehörte neben Florenz besonders Rom mit seiner Vaticana,
deren Geschichte und fast unerschöpflich scheinenden handschriftlichen
Schätze Gegenstand folgender zweier Arbeiten sind:
Müntz et Fahre, La bibliotheque du Vatican. 3
La bibliotlieque du Vatican au XV. siecle d'apres des do-
cuments inedits. Contributions pour servir ä l'histoire de rhumanisme
par Eugene Müntz et Paul Fabre anciens membres de l'ecole
frangaise de Rome. Paris, Ernest Thorin, editeur, libraire des ecoles
frangaises d'Athenes et de Rome, du College de France et de l'ecole
normale superieure. 1887. S'^. VIII und 380p. (Bibliotheque des
ecoles frangaises d'Athenes et de Rome. Fascicule quarante-huitieme).
In der Vorrede berichtet Müntz, dafs er den Grundstock der Do-
kumente, welche den Hauptinhalt des Buches ausmachen, schon vor etwa
zwölf Jahren während seines Aufenthaltes an der Schule zu Rom ge-
sammelt habe, dafs er jedoch durch andere Arbeiten bisher an deren
Veröffentlichung verhindert gewesen, ohne dafs er das bedauern könne,
da ihm dieser Verzug die Beihilfe Fabres gebracht habe, von dem z. B.
neben anderen wichtigen Aktenstücken das Inventar der Bibliothek Eu-
gens IV. und das Ausleiheregister der vatikanischen Bibliothek unter
dem Pontifikate Sixtus IV., angelegt von Piatina, beigebracht worden sei.
Müntz versichert, dafs dieses Werk keine vollständige Geschichte
der vatikanischen Bibliothek deshalb sei, weil er eine Identifikation der
in den abgedruckten Verzeichnissen enthaltenen Handschriften mit den
jetzt in der Vaticana befindlichen Codices nicht vorgenommen habe: un
tel travail eüt präsente les plus serieuses difficultes pour des etrangers ;
il ne saurait etre entrepris que par les fonctionnaires memes attaches ä
cet etablissement.
Der Verfasser erkennt sodann dankbar an, dafs bezüglich des von
ihm behandelten Themas die zwei Werke seines Lehrers Rossi (La Bib-
lioteca della Sede apostolica ed i cataloghi dei suoi manoscritti und De
origine, historia, iudicibus scriuii et bibliothecae sedis apostolicae. Rom
1884 und 1886) zahlreiche neue Aufschlüsse gebracht haben.
Beachtenswert bleibt auch, dafs der Mitarbeiter Paul Fabre eine
Anzahl von Handschriften aus den alten Verzeichnissen mit jetzt noch
vorhandenen Manuskripten der Vaticana identifiziert hat. Besonders
wichtig ist folgende Bemerkung: On n'hesitera pas non plus ä iden-
tifier le fameux manuscrit de Virgile, connu sous le titre de Codex Ro-
manus, au Virgile mentionne dans l'inventaire de Sixte IV sous le titre
de Virgilius in majusculis (p. II).
Während von der Bibliothek des Papstes Bonifaz VHI. nur einzelne
Bände in die päpstliche Bibliothek zu Rom übergingen, so wuchs diese
trotzdem im Laufe des 15. Jahrhunderts in schnellem Mafse. Unter
Papst Eugen IV. zählte sie nur 340 Bände, darunter zwei griechische,
im Jahre 1455 beim Tode Nikolaus V. bereits 1160, worunter 353 grie-
chische, und 1484 beim Tode Sixtus IV. ungefähr 3650, wovon vielleicht
1000 griechisch waren.
Im Anschlüsse daran produziert Müntz einige Zeugnisse über die
ersten griechischen Bibliotheken : die Bibliothek des Papstes Bonifaz VIII.
1*
4 Geschichte der Philologie.
enthielt im Jahre 1311 nur 33 griechische Handschriften. In der be-
rühmten Bibliothek der Visconti zu Pavia waren im Jahre 1426 nur vier
griechische Codices: eine Ilias, ein Plato und zwei Bände, bezeichnet
»Liber in littera greca seu hebraica«. (!) Die Sammlung des Niccolo
Niccoli (t 1437) zu Florenz dürfte bis auf 170 griechische Handschriften
angestiegen sein. Die Bibliothek des Mediceers Lorenzo des Prächtigen
enthielt laut Inventar von 1495 bereits 310 griechische Bände. Als im
Jahre 1468 der Kardinal Bessarion seine Bibliothek der Republik] Ve-
nedig vermachte, waren darunter mehr als 600 griechische Handschriften.
Weniger reich an solchen war die Bibliothek von Papst Pius II. Im
Vatikan befinden sich heute davon 54 Bände, darunter sehr alte Hand-
schriften. In der gegen Ende des 15. Jahrhunderts gegründeten Biblio-
thek von Urbino waren unter 772 Handschriften nur 93 griechische.
Vei'hältnismäfsig am ärmsten an griechischen Texten dürfte die Bibliothek
der aragonesischen Dynastie in Neapel gewesen sein. Aber ähnlich stand
es mit der Bibliothek des Corvinus. Nach Fischers Untersuchungen war
unter 62 sicher authentischen Handschriften dieser Bibliothek nur eine
einzige griechisch.
Frankreich hatte zu Avignon schon im 14. Jahrhundert griechische
Bücher; die Bibliothek des Herzogs von Berry (f 1316) besafs ein ein-
ziges griechisches Werk. Zahlreiche griechische Handschriften gelangten
nach Frankreich, erst seitdem Hermonymus von Sparta 1476 nach Paris
kam. Aber noch 1518 besafs die Bibliothek der französischen Könige
nur 40 griechische Handschriften.
Der Stoff des Buches ist nach der Chronologie der Päpste geord-
net; Martin V. (1417—1431), Eugen IV. (1431—1447), woselbst das Inven-
tarium de libris von diesem Papste mitgeteilt wird, Nikolaus V. (1447 —
1455). In dem diesem Papste gewidmeten Abschnitte finden wir: Pieces
comptables extraites des registres de depenses de Nicolas V., Inventaire de
la bibliotheque latine de Nicolas V., das mir besonders wichtig erscheint,
und ein Brief des Nicolas Perroti ä Nicolas V. Es folgen sodann Calixtus IL,
Pius II., PaulIL, SixtusIV., Innocenz VIII. und Alexander VI. (1492—1503).
Der eigentliche Gründer der Vaticana ist nicht Sixtus IV., wie
man zu lang irrtümlich behauptet hat, sondern Nikolaus V. Kaum ge-
wählt, begann er seine ehrgeizigen Bestrebungen, um dem Vatikan die
gröfste Bibliothek zu verschaffen. Dabei haben ihm nützliche Dienste
gethan sein Bibliothekar Giovanni Tortello von Arezzo, bekannt als Ver-
fasser eines Traktates De orthographia, der bekannte;; Reisende Enoch
d'Ascoli, welcher bei seinem Suchen nach Handschriften bis nach Skan-
dinavien gelangte. Der Papst hatte die Absicht, seine Büchersammlung
allen gelehrten Arbeitern ohne Unterschied zur Benutzung zu öffnen.
Das Inventar der lateinischen Bücher von Nikolaus V. umfafst
824 Bände; das ist eine Summe, die mit den reichsten Bibliotheken jener
Zeit wetteifert. So enthielt die Bibliothek der Viscontijzu Pavia im
Müntz et Fabre, La bibliotheque du Vatican. 5
Jahre 1426 im ganzen 988 Werke, die berühmte Bibliothek Bessarions
900, die Friedrichs von Urbino 772, die der Medici im Jahre 1456
nur 158.
Bezüglich des Inhaltes der Bücher sagen die Verfasser: »Nicolas V.
raontra, dans la composition de la bibliotheque, l'esprit de large Sympa-
thie qui caracterisa tous ses actes. Cependant, il n'oublia pas qu'il
etait avant tout un souverain ecclesiastique: la theologie occupe la place
d'honneur dans l'inventaire que nous publions«.
So wertvoll die Publikation ist, so vermifst man doch die Konse-
quenz in der Behandlung der publizierten Aktenstücke. So sind bei dem
Inventar von Nikolaus V. bald Anmerkungen gegeben, bald auch nicht.
Höchst schwierige Titel sind mit keiner Silbe erläutert; daneben werden
bekanntere Bücher noch besonders erklärt. Im ganzen aber wird der
Benutzer diese Anmerkungen zu spärlich finden. Ebenso ungleich ist
die Verwendung eines beigefügten »sie« oder Fragezeichens, wenn der
Name in seiner gegebenen Form von der jetzt üblichen abweicht. Wenn
überhaupt von »sie« Gebrauch gemacht werden sollte, so mufste z. B.
S. 98 das Wort Tremegestus damit versehen werden, weil es für Tris-
megistos steht. Ebenso war S. 98 Tholomeus (für Ptolemäus), S. 102
Coronensis (für Veronensis), ebendaselbst Cipionis (für Scipionis), Pana-
gericus (für Panegyricus), S. 103 Zenophon (für Xenophon) u. s. w. zu
behandeln. Weitere Beispiele dafür können nahezu auf jeder Seite ge-
wonnen werden.
Ab und zu ist ein Fragezeichen bei einem Worte, wo^gewifs kei-
nes hingehört. So ist S. 88 in dem Titel Hystorie Ammaburgensis
ecclesie das zweite Wort mit einem Fragezeichen versehen, ohne dafs
man den Grund einsieht. Das fragliche Werk war eine Kirchenge-
schichte Hamburgs. Das Gleiche gilt von der Bezweiflung der Bezeich-
nung De vilitate fortune; man sieht nicht ein, warum nicht ein Traktat
von der Verächtlichkeit des Glückes, des blinden Zufalls handeln sollte.
Zahlreiche Ausstellungen sind an dem beigegebenen Register zu
machen. So sind unter dem Worte Cato ganz verschiedene Dinge durch-
einander gemengt: Cato der ältere und die sogenannte proverbia oder
disticha Catonis, eine vielbenützte Schulschrift des Mittelalters. Cato
der ältere ist gemeint S. 218 und 226. Dagegen sind S. 100, 105 (237)
die proverbia Catonis zu verstehen. — Ebenso sind die beiden Plinius
durcheinander geworfen : Plinius der ältere, Verfasser der historiae na-
turalis, ist S. 82 gemeint. Dagegen sind S. 102. 104. 218. 220. 222. 223.
271 und 272 auf seinen Neffen, den jüngeren Plinius, zu deuten. —
Ferner sind unrichtiger Weise der König Ptolemäus Lagi, der z. B.
S. 46 gemeint ist, und der Schriftsteller Claudius Ptolemaeus in einem
Artikel zusammengefafst. Auch hätte die Form Tolemeus mit dem nö-
tigen Verweis in das Register aufgenommen werden müssen. — Da das
Register angeblich neben den Verfassern auch noch die Stoffe angibt,
6 Geschichte der Philologie.
so mufste z. B. der S. 217 verzeichnete Macrobius in Somniura Scipionis
auch unter Somnium oder Scipio notiert sein. Überhaupt ist dieser Teil
des Registers, d. h. die Angabe der Stoffe, ganz besonders lückenhaft. —
Auch dürften zu den Schriften, deren Verfasser in den Inventaricn nicht
nachgewiesen werden, dieselben wenigstens im Register verzeichnet sein. So
steht z. B. S. 103: Item unus über parvus ex pergameno cum duabus serra-
turis et cum ligni postibus, copertus correo sive panno violato, nuncu-
patus Inter terram, solera et aurum disputacio. Der Name des Ver-
fassers fehlt, aber es unterliegt wohl keinem Zweifel, dafs es die bekannte
Schrift des frommgewordenen Humanisten Mapheus Vegius ist, was ent-
weder in einer Anmerkung oder im Register zu sagen war. Über Ma-
pheus vgl. G. Voigt, Die Wiederbelebung des klassischen Altertums
(Berlin 1881) II 43, wo auch die fragliche Disputatio verzeichnet ist.
Für die Geschichte des deutschen Humanismus läfst sich aus der
Schrift wenig gewinnen. Einige deutsche Bücherabschreiber werden ge-
nannt, und der S. 285 erwähnte Petreius, welcher den 3. Januar 1481
vom Bibliothekar Piatina einen Euripides und Hesiod entleiht, könnte
vielleicht ein deutscher Eberbach oder Aperbachius sein.
Es ist wohl kaum nötig zu erklären, dafs trotz der gemachten
Ausstellungen das Werk eine wertvolle Quelle für historische und philo-
gische Forschungen über die Zeit der Renaissance bleibt.
La bibliotheque deFulvioOrsini. Contributions ä l'histoire des
collections d'Italie et ä l'etude de la Renaissance, par Pierre de
Nolhac, ancien membre de l'ficole frangaise de Rome, Maitre de Con-
ferences ä l'J&cole pratique des Hautes-£tudes. Avec une planche en
photogravure. Paris. F. Vieweg, Libraire-fiditeur. 1887. 8°. XVII
und 489 p.
Der gelehrte und fleifsige Verfasser hat sein Werk Leopold De-
lisle mit einer bemerkenswerten Vorrede gewidmet. Es geht daraus her-
vor, dafs der Plan dieses Buches schon 1883 die Billigung des berühmten
französischen Bibliographen gefunden hat.
Die Mehrzahl der Bände aus der ehemaligen Bibliothek von Ful-
vio Orsini befindet sich jetzt in der Vaticana. Trotzdem glaubt der
Verfasser, dafs seine Arbeit verdienstlich sei, da noch viele Jahre ver-
gehen werden, bis die unter Leo XIII. wiederbegonnene Katalogisierung
genannter Bibliothek die Abteilung erreichen wird, worin jetzt die Bücher
der Orsinischen Bibliothek sind. Auch hat Nolhac grofse Sorgfalt auf
die Erforschung der Provenienz und der Schrift verwendet, wie das beim
üblichen Katalogisieren, besonders in einer solchen Riesenbibliothek wie
die Vaticana ist, nicht geschehen kann.
Neben den Handschriften hat der Verfasser seine Nachforschungen
auch auf die Sammlung der Incunabeln und seltenen Bücher ausdehnen
können und dabei die Wahrheit des Wortes: »Juvat integros accedere
fontes« empfunden.
P. de Nolhac, La bibliotheque de Fulvio Orsini. 7
Nolhac glaubt zugleich einen nützlichen Beitrag zur Geschichte der
Renaissance geliefert zu haben: Les erudits, trös nombreux hors de
France, qui s'occupent de ces etudes, trouveront ici soit des' faits nou-
veaux, soit des indications de sources. Le livre fait mention , dans le
texte et dans les notes, d'une foule de personnages du XIV. au XVI.
siecle, qui ont marque leur place dans l'histoire litteraire de la Re-
naissance DU meriteraient d'en avoir une. (p. IX).
Da für die Bibliographie und Litterargeschichte nichts unwichtig
ist, so sind in diesem Werke auch Dinge mitgeteilt, die vielleicht man-
chen nicht wichtig erscheinen. Aber Delisle habe seine Schüler gelehrt,
dafs was dem einen nicht nützt, einem andern dienen kann.
Zur Biographie Orsinis und zum Zwecke des Nachweises über die
Herkunft sind besonders aus verschiedenen Sammlungen handschriftliche
Briefe ausgebeutet, deren Nolhac mehr als 1000 benutzt hat. Einige
werden auch im Abdruck mitgeteilt.
Der massenhafte Stoff des inhaltreichen Werkes ist in folgende
Abschnitte gegliedert: 1. Esquisse biographique. 2. Travaux et amities
de Fulvio Orsini. 3. Principales acquisitions d'Orsini. 4. £tat actuel
de la bibliotheque d'Orsini. 5. Description de la bibliotheque. Le fonds
grec. 6. Le fonds latin. Bibliotheques anterieures au seizieme siecle.
7. Le fonds latin. Bibliotheques du seizieme siecle. 8. Manuscrits en
langues modernes.
Fulvio Orsini gehört zu der berühmten römischen Familie dieses
Namens, aber als ein natürlicher Sohn war er nie öffentlich durch die
Seinen anerkannt. Nicht einmal der Name seines Vaters ist sicher.
Vielleicht ist er der Sohn eines Komthurs des Malteserordens.
Den 11. Dezember 1529 geboren, wurde er anfangs durch den
Vater erzogen und zwar in dem Luxus, wozu ein Orsini berechtigt war.
Ein Bruch zwischen Vater und Mutter lieferte die letztere der öffent-
lichen Wohlthätigkeit aus. Neun Jahre alt, wird er Chorknabe bei dem
Kapitel S. Giovanni vom Lateran. Ein Kanonikus gewinnt Interesse für
den talentvollen Knaben und sorgt für seine Ausbildung. Dieser Wohl-
thäter ist kein geringerer als Gentile Delfini, seit 1525 Mitglied des
Kapitels, einer der gebildetsten römischen Geistlichen.
Einen andern Gönner fand er in Angelo Colocci, Bischof von No-
cera, der ihn bei seinen Studien ermutigte. Dem 1549 gestorbenen Prä-
laten bewahrte Orsini auch noch später ein dankbares Andenken.
Frühzeitig regte sich in dem lernbegierigen Schüler der Sinn für
Inschriften, Denkmäler, Münzen und dergl. Die Sammlungen von Delfini
und Colocci lieferten ihm die ersten Gegenstände für seine archäologi-
schen Nachforschungen. Einen breiten Raum in seinen Studien nahm
das Griechische ein, wie auch das erste Zeugnis seiner litterarischen
Thätigkeit griechische Distichen für eine Ausgabe der Bibliothek des
ApoUodor sind.
Den 24. Dezember 1554 wurde Orsini ebenfalls Kanonikus im Ka-
3 Geschichte der Philologie.
pitel S. Giovanni im Lateran; 1566 bekleidete er die Funktionen eines
Sekretärs. Dieses Kanonikat, das er liauptsäclilich Gentile Delfini und
dessen Familie verdankte, verschaffte dem jungen Gelehrten eine ziem-
liche Unabhängigkeit, so dafs er sich auch in Zukunft seinen Studien
widmen konnte.
Von gröfster Bedeutung für Orsini wurde seine Verbindnng mit
der im 16. Jahrhundert rasch emporkommenden Familie Farnese, von
der Ottavio Farnese zu Parma regierte, während Alessandro und Ra-
nuccio Kardinäle zu Rom waren. Mit dem letzteren, gewöhnlich Kardi-
nal von Sant' Angelo genannt, trat Orsini zuerst in nähere Beziehung.
Er wurde sein Bibliothekar, war auch sein Sekretär und begleitete ihn
nach seiner Residenz zu Capranica-di-Sutri, wie auf einer Reise nach
Florenz. Nachdem er hier in der Laurentiana Nachforschungen ange-
stellt, besuchte er den Gelehrten Piero Vettori in der Nachbarschaft.
Auf der Fortsetzung der Reise kamen sie nach Bologna, dessen Klima
aber Orsinis Gesundheit schädigte. Doch lernte er hier Carlo Sigonio
kennen und nachher in Parma den Cicero-Lexikographen Marius Nizolius.
Als der Kardinal S. Angelo den 29. Oktober 1565 starb, trat
Orsini in den Dienst von dessen Bruder Alessandro, gewöhnlich Kardi-
nal Farnese genannt. Auch hier war er Bibliothekar und Sekretär, zu-
gleich das gelehrte Faktotum, der für seinen Gönner die gelehrten und
künstlerischen Schätze aufspürte und deren Ankauf vermittelte.
Die wertvollsten Gegenstände der farnesischen Sammlungen reichen
in diese Zeit zurück, und Orsinis Name ist häufig mit ihrer Erwerbung
verknüpft. Auch war er der gelehrte Ratgeber für die Künstler, welche
für die Farneses arbeiteten, und von denen nur Vignole und Taddeo
Zuccari genannt sein mögen.
Aber auch zu den Kardinälen Sirleto, Caraffa, Colonna, Borromeo,
Granvella etc. gewinnt Orsini Beziehungen, die hier nicht alle im einzel-
nen verfolgt werden können. Den 21. Januar 1600 verfafste er ein
Testament, das er bei dem Notar Quintiliano Gargari deponierte. Darin
stiftete er eine Kapelle in die Laterankirche, in der er begraben sein
wollte. Den inventarisierten Teil seiner Bibliothek vermachte er der
Vaticana, seine sonstigen Sammlungen aber Odoardo Farnese, seinem
Wohlthäter. Sein Tod trat den 18. Mai 1600 ein. Sein Charakter er-
hält ein fast uneinschränktes Lob von Nolhac, der ihn auch gegen meh-
rere Anklagen zu verteidigen sucht. Sein Bild zeigt einen ernsten, wür-
digen Mann.
Seine Bibliothek galt für wertvoller als die des Papstes und war
deshalb eine Erwerbung ersten Ranges für die Vaticana. Die Schen-
kung Orsinis scheint sodann gleichsam das Signal für die sehr bedeu-
tenden Bereicherungen genannter Bibliothek im 17. Jahrhundert gewesen
zu sein. Übrigens ist die Schenkung nicht ohne Entgeld geschehen.
Orsini hatte seine Bibliothek zuerst Philipp IL von Spanien angeboten.
P. de Nolhac, La bibliotheque de Fulvio Orsini. 9
welcher damals für den Escurial sammelte. Aber durch die Bemühun-
gen der Kardinäle Granvella, Caraifa und Sirleto blieben diese hand-
schriftlichen Schätze in Rom. Papst Gregor XIII. wies Orsini eine
Pension von 200 Dukaten an und versprach ihm Verwendungen, die be-
zahlt wurden.
Nolhac hat sich die Mühe gegeben, die Nummern des von Orsini
aufgestellten Inventars mit den jetzigen Nummern der Vaticana zu iden-
tifizieren und teilt in den Tabellen S. 125 ff. die mühsam gewonnenen
Ergebnisse seiner Nachforschungen mit.
Insbesonders repräsentierte die Orsinische Bibliothek in trefflicher
Weise den italienischen Humanismus, für dessen Vertreter der sammelnde
Gelehrte eine hohe Verehrung hatte, obgleich er selbst zu jener späte-
ren Generation geschulter Philologen und Archäologen gehörte , welche
die früheren Humanisten wissenschaftlich in den meisten Beziehungen
weit übertrafen. Orsini begriff, welchen Wert die Handschriften und
auch die Bücher der früheren Humanistengeneration hatten, letztere
schon wegen der mancherlei Zusätze und Notizen, welche die Besitzer
beigefügt hatten.
In den Kapiteln V — VIII weist der gelehrte Verf. auf grund des
Inventars die verschiedenen Handschriften bezüglich ihrer Provenienz
nach. Da finden sich Codices, die früher im Besitz von Petrarca, Kon-
stantinus Laskaris, Antonio Panormita, Pomponio Laeto, Angelo Colocci,
Carteromachos, Ermolao Barbaro, Angelo Poliziano, Bernardo und Pietro
Bembo, Poggio Filelfo und andern gewesen sind. Diese äufserst wert-
vollen Nachweisungen, deren Einzelheiten hier unmöglich wiederholt
werden können, sind nicht blofs für die Geschichte des italienischen
Humanismus, sondern ganz besonders für die Textgeschichte der Klassi-
ker von höchstem Wert und verdienen von den Editoren berücksichtigt
zu werden.
Von S 333 — 396 ist sodann das Inventar Orsinis selbst abgedruckt.
Die erste Abteilung, die griechischen Handschriften, enthält 162 Nummern,
die griechischen Drucke 101, die lateinischen Handschriften, an deren
Spitze ein Terenz in Majuskel steht, der einst Bembo gehört hat, 300
Nummern, die lateinischen gedruckten Bücher 128 Nummern. Eine Ab-
teilung de libri vulgari scritti in penna (= Handschriften in modernen
Sprachen) , deren erste Nummer ein von Petrarca selbst geschriebenes
Exemplar seiner Canzonen und Sonette bildet, umfafst 33 Handschriften.
Im Anhang sind folgende Aktenstücke mitgeteilt: 1. Inventaire de
livres trouves chez Orsini apres sa mort (aus Neapel stammend und nicht
sehr zuverlässig). — 2. Briefe, welche sich auf die Bibliothek Orsinis
beziehen, von 1565 — 1585. In dieser italienischen Korrespondenz sind
gute Namen vertreten, wie Fortiguerra, Dupuy, Pinelli, Bembo, Sirleto.
— 3. Aus Frankreich stammende Briefe an Orsini (1584—1585). —
4. Eine Auswahl lateinischer Briefe, die an Orsini gerichtet sind (1567
10 Geschichte der Philologie.
— 1594). Unter den Briefschreibern befinden sich Falkenburg, Justus
Lipsius, Car. Langius, Melissus, Sylburg. — 5. Briefe Orsinis an Odoardo
Farnese (1590).
Den Schhifs des Bandes bildet eine Doppeltafel mit den Facsimiles
folgender Gelehrton: Petrarca, Poggio und P. Bembo, Pomponio Laeto,
B. Bembo, Poliziano, J. Laskaris, Colocci und Orsini.
Leider läfst das beigegebene Namensregister sehr viel zu wünschen
übrig, wie ich schon an einer andern Stelle (Sybels Histor. Zeitschrift
Bd. 27 S. 169) ausgesprochen habe. Bei solchen Nachschlagebüchern, zu
denen Nolhacs Werk zu rechnen ist, sollten die Namensregister beson-
ders sorgfältig und unbedingt vollständig sein.
Im übrigen aber haben wir allen Grund, dem Verfasser für seine
wertvolle Arbeit dankbar zu sein. Der Historiker und Philologe, der
Litterarhistoriker und Kunsthistoriker können aus dieser reichlich fliefseu-
den Quelle vielen Stoff schöpfen.
Der Humanismus belebte durch die Wiederauffindung lateinischer
Dramen auch diese litterarische Gattung, die sodann reichliche Pflege fand.
Johanes Bolte, Zwei Humanistenkomödien aus Italien (Zeitschr.
für vergleichende Litteratur- Geschichte und Renaissance - Litteratur.
Hrsg. von M. Koch und L. Geiger T 77—84. 231—244).
Die erste der beiden Komödien, die in zwei Münchener Hand-
schriften sich erhalten hat, ist schon früher gedruckt worden. Der in
dem Stücke auftretende Pirckheimer dürfte allerdings Johannes, der
Vater des berühmten Willibald, sein, der auch in Italien studiert hat.
Vgl. z. B. die Notiz in den Acta nationis Germanicae universitatis Bo-
noniensis, ed. Friedländer et Malagola. p. 194 zum Jahre 1448: Johan-
nes Birckheimer patricius de Nornbergk. Wenn aber der Herausgeber
noch auf Aufschlüsse aus der Paduaner Matrikel hofft, so ist zu bemer-
ken, dafs die Matrikelbücher von Padua sich nicht erhalten haben. So
behauptet wenigstens K. Morueweg, Job. v. Dalberg (Heidelberg 1887) S.47
Die zweite Komödie ist die 1497 in Bologna entstandene Scornetta
des Hermann Knuyt von Slyterhoven. Der Verfasser ist nach eigener
Angabe aus Vianen bei Utrecht gebürtig und mit Nikolaus Stael, dem
Leibarzt des Herzogs Philii^p von Burgund, befreundet. Scornetta ist
der Name eines bei Bologna gelegenen und dem Blanchinus gehörigen
Landgutes. Der Abdruck ist nach dem Exemplar der Leipziger Univer-
sitätsbibliothek hergestellt. Das Stück selbst, in dem zahlreiche Derb-
heiten sich finden, dürfte nur von Männern und vor Männern gespielt
worden sein.
Mehr noch als die Komödie blühte unter den Humanisten die la-
teinische Rede:
L. Geiger, Eine lateinische Rede. H
Ludwig Geiger, Eine lateinische Kede über die Schlacht bei
Pavia 1525 (Zeitschrift für vergleichende Litteratur- Geschichte und
Reuaissance-Litteratur. Hrsg. von M. Koch und L. Geiger. I 445).
Deutsche und Franzosen als Nächstbeteiligte behandelten vielfach
die Schlacht bei Pavia. Geiger macht nun auch auf einen Italiener, mit
Namen Franciscus Testa, aufmerksam, welcher, von einem kaiserlichen
Beamten aufgefordert, eine lateinische Rede auf das berühmte Ereignis
gehalten hat. Die Einführung antiker Götternamen, die Freude an Ver-
gleichungen mit Helden aus dem Altertum beweisen die humanistische
Bildung des Redners, dessen italienischer Standpunkt sogleich am An-
fang hervortritt. Doch ist er ein Feind der Venetianer.
Von Italien wanderte der Humanismus über die Alpen nach Frank-
reich. Eine Übersicht über die verschiedenen hierauf bezüglichen Ar-
beiten finden wir bei:
L. Geiger, Studien zur Geschichte des ft-anzösischen Humanismus.
(Geigers Vierteljahrsschrift f. d. Kultur und Litteratur der Renaissance
II 189 — 228).
Eine Fortsetzung der Studien, welche Geiger schon im ersten
Bande seiner Zeitschrift veröffentlicht hatte. Nr. IV enthält eine »kri-
tische Übersicht neuerer Erscheinungen«. Es werden besprochen E.
Müntz, La Renaissance en Italie et en France ä l'epoque de Char-
les VIII., Jul. Philippe Origine de l'imprimerie ä Paris d'apres les
documents inedits. Neu ist hieraus der Hinweis, dafs Heynlin de La-
pide, welcher 1470 mit Fichet zusammen zuerst in Paris druckte, kein
Schweizer, sondern ein Deutscher war, vielleicht von Stein bei Bretten.
Die beiden druckten zuerst in der Sorbonne, nach zwei Jahren wurde
die Druckerei in die Rue St. Jacques verlegt. Bezeichnend ist, dafs sie
neben klassischen Texten hauptsächlich humanistische Schriften herstellen.
Daran schliefsen sich F. Lotheissen Margaretha von Navarra
(1492 — 1549), H. Omont George Hermonyme de Sparte, maitre de Grec
ä Paris et copiste de manuscrits 1476, Emile Legrand Bibliographie
hellenique ou description raisonnee des ouvrages publies en grec par des
Grecs aux XV. et XVI. siecles, Eugene de Bude Vie de Guillaume
Bude, fondateur du College de France, von dem Geiger sagt, dafs er
nirgends Rebittes Monographie über Bude überholt habe, Omont Notice
sur les collections des manuscrits de Jean et Guillaume Bude, wonach
aus dem Besitze des Vaters Jean 41, aus dem des Sohnes 19 bekannt
sind, Rieh. Copley Christie Etienne Dolet, le martyr de la Re-
naissance, traduit de l'anglais par Casimir Stryienski, das manche
Verbesserungen zu dem englischen Original bringt, Ad. Cheneviere
Bonaventure des Perier, w^orin u. a. gezeigt wird, dafs die Bonaven-
ture zugeschriebene Terenz- Übersetzung nicht von diesem herrührt,
12 Geschichte der Philologie.
Neudccker das Doktrinale des Alexander de Villa-Dci, L. Masse-
bieau, Schola aquitanica, Ed. Frcmy Memoires inedits de Henri de
Mesmes, L. Massebiau Dialogus Jacobi Fabri Stapulensis in phisicam
introductionem, welche Schrift zuerst in Krakau gedruckt wurde, Buisson
Repertoire des ouvrages pedagogiques du 16 siecle, bei welchem Werke
aber Geigers Tadel, so berechtigt er ist, doch durch eine entschiedene
Anerkennung dieses wertvollen Buches zu ergänzen war.
Ein Abschnitt V behandelt »Englisch-französische Beziehungen (1512
— 1518)«. Der Verfasser geht von dem Gedanken aus, dafs wir eine
grofse Anzahl historischer Gedichte von französischen Humanisten be-
sitzen, dafs aber trotzdem daraus für die geschichtliche Erkenntnis wenig
zu gewinnen sei. Der Patriotismus oder die nationale Eifersucht trägt
zum Teil an diesem Mangel an Objektivität schuld.
Den Kampf eines englischen und französischen Schiffes schildern
Germanus Brixius, dessen Gedicht von Pierre Choque ins Französische
übersetzt wurde, und Humbert de Montmoret; daran schliefst sich eine
Erörterung über den Streit des Brixius mit Monis, welcher schliefslich
durch des Erasmus Vermittelung beigelegt wurde.
Die Besprechung einiger Schriften von Humanisten über die im
Jahre 1518 erfolgte Verlobung Marias von England mit dem französischen
Dauphin beschliefst den Aufsatz.
Ludwig Geiger, Ein Lobspruch auf Paris 1514 (Zeitschrift für
vergleichende Litteratur-Geschichte und Renaissance-Litteratur. Hrsg.
von M. Koch und L. Geiger I 366—371).
Anknüpfend an einen Lobspruch auf Paris von Guillaume Gueroult
im 16. Jahrhundert erneuert Geiger die Arbeit eines Humanisten namens
Jo. Fr. Quintianus Stoa Brixianus. Der Titel des in Hexametern ge-
schriebenen Gedichtes lautet: De celeberrimae Parrhisiorum urbis lau-
dibus Sylva cui titulus Cleopolis. Die an Antonius Pratensis und die
Rectores Parrhisiorum urbis gerichtete Widmungsepistel ist von 1514
datiert. Geiger gibt mehrere Proben des Gedichtes, vermifst aber »greif-
bare Einzelheiten«, »charakteristische Momente« der Schilderung.
Hier möge eine auf Erasmus bezügliche Arbeit sich auschliefsen,
da sie den grofsen Humanistenkönig, der seine Bildung in Frankreich
und Italien geholt hat, in einer seiner zahlreichen Beziehungen zu Frank-
reich nachweist.
;firasme ou Salignac? fitude sur la lettre de Fran^ois Rabelais
avec un Facsimile de l'original de la bibliotheque de Zürich par Theo-
dore Ziesing agrege ä l'universite de Zürich. Paris. Felix Alcan.
1887. 8». 29p.
Die glänzend ausgestattete Broschüre ist eine Vorläuferin eines
gröfseren monographischen Werkes, welches der Verfasser demnächst
Th. Ziesing, firasme ou Salignac. 13
über FranQois Rabelais veröffentlichen will. Das beigegebene Facsimile,
welches sich dem Auge sehr leserlich darbietet, und das in dem gröfse-
ren Werke Ziesings keine Aufnahme finden wird, ist die Wiedergabe
eines lateinischen Briefes, von Franciscus Rabelesus medicus (datiert
Lugduni pridie Cal. Decembr. 1532) aus dem Thesaurus Hottingerianus,
jener bewundernswerten Sammlung von Schriftstücken aus dem 16. und
17. Jahrhundert, Originalen und Kopien, auf der Züricher Bibliothek.
Der verstorbene Horner und der Verfasser gewannen nach sorgfältiger
Untersuchung die Überzeugung, dafs dieser Brief ein Autograph von
Rabelais ist.
Der Brief, der keinen Adressaten angiebt, wurde bis jetzt als an
einen gewissen Salignac gerichtet bezeichnet, obgleich man diesen nicht
kannte. Ziesing sammelt die Zeugnisse, aus denen hervorgeht, dafs
manche Gelehrte zwar das richtige ahnten, es aber nicht genauer ver-
folgten oder beweisen konnten. So hat z. B. A. L. Herminjard (Corre-
spondance des Reforraateurs dans les pays de langue frangalse) den
Brief kurzweg als an Erasmus gerichtet bezeichnet.
In dem dritten Teil seiner Arbeit weist Ziesing mit Hilfe der
Einzelheiten des Briefes nach, dafs alle Beziehungen desselben auf Eras-
mus passen, so z. B. die Übersendung einer Handschrift des Flavius Jo-
sephus, den Erasmus nach einem griechischen Texte dieses Schriftstellers
schon im Dezember 1531 an Jean de Pins geschrieben hatte. Zu den
Ausführungen Ziesings über diesen Punkt darf vielleicht die Vermutung
hinzugefügt werden, dafs der durch die Vermittelung des Rabelais dem
Erasmus zugeschickte Codex möglicherweise der erbetene ist. Da Eras-
mus damals kirchlich schon sehr anrüchig war, so wählte möglicherweise
der darum angegangene Bischof von Rieux einen indirekten Weg zur
Übersendung der Handschrift.
Wenn aber jemand bis hierher an Ziesings Beweisführung noch zwei-
feln könnte, so werden ihn die Ausführungen über Aleander von der Rich-
tigkeit der Behauptung des Verfassers überzeugen. Erasmus, der sih mit
dem durch den Wormser Reichstag von 1521 übel berüchtigten Hieronymus
Aleander, dem nunmehrigen päpstUchen Legaten, der einstens in Ve-
nedig sein vertrauter Freund gewesen, überwerfen hatte, hielt denselben
für den Pseudonymen Verfasser einer gegen ihn gerichteten Rede, welche
der ältere Scaliger geschrieben hatte. Trotz aller Belehrung vonseiten
der Freunde scheint er auch später diesen Verdacht nicht ganz aufge-
geben zu haben.
Ziesing stellt am Schlüsse seines Schriftchens fünf Sätze auf, um
deren Beweis er diejenigen bittet, welche ihm nicht beistimmen. Es
wird sich schwerlich jemand finden, der diese Sätze auch nur zu be-
weisen versucht, geschweige denn vermag.
Aufgefallen ist mir, dafs der Verfasser die Belegstellen in dem
Streite zwischen Hütten und Erasmus nicht aus der besten und zuver-
14 Geschichte der Philologie.
lässigsten Ausgabe der Werke Huttens, d. h. aus der Böckingschen
citiert. Seit wir die musterhafte Arbeit Bockiugs haben, sollte man
keine Citate aus dem fehlerhaften Münch entlehnen.
Das Ergebnis der ansprechend geschriebenen Untersuchung ist also:
Der Verfasser hat eine schon früher ausgesprochene Vermutung zu un-
bedingter Sicherheit erhoben, soweit es in solchen wissenschaftlichen Fra-
gen eine unbedingte Sicherheit gibt.
Erasmus war befreundet mit dem grofsen englischen Humanisten,
Thomas Morus, zu dem uns folgende Arbeit führt:
Georg Ellin ger, Thomas Morus und Machiavelli (Geigers Vier-
teljahrsschrift für Kultur und Litteratur der Renaissance II 17 — 26).
Der Verfasser geht von dem Gedanken aus, man habe bei der
Behandlung des Reformationszeitalters bis jetzt eine Art der Betrach-
tung noch nicht genügend berücksichtigt, nach der gewisse, dem Zeitalter
gemeinsame Züge aufzusuchen seien, unter die man sodann eine Reihe von
Individualitäten unterordnen könne. Ein solches Verfahren empfehle sich
besonders auf dem Gebiet der politischen Theorieen des 16. Jahrhunderts.
Auf den ersten Anblick bilden die Lehren von Machiavellis Staats-
lehre und der Utopia des Thomas Morus einen schroffen Gegensatz.
Letzterer, der an Plato anknüpft, entwirft das Bild eines Idealstaates,
Machiavelli dagegen, von Aristoteles beeiuflufst, trägt den gegebenen
Verhältnissen Rechnung. Morus z. B. sieht im Kriege eine greuelvolle
Roheit, Machiavelli sieht in einem gut geordneten Kriegswesen die eigent-
liche Grundlage des gesamten Staatslebens.
Trotzdem aber sind gemeinsame Züge bei beiden aufzufinden.
Mehr äufserlicher Art ist die gemeinsame Benutzung mancher antiken
Quellen. Beide finden es sodann zulässig, im Kriege Lug und Ti'ug an-
zuwenden, womit keineswegs die kleinen Künste der Kriegslist gemeint
sind. Beide sind in dem Grundsatz einig, dafs im Staatsleben der Zweck
die Mittel heiligt.
Da in diesem Punkte der Realist Machiavelli und der Idealist
Morus zusammenstimmen, so folgert Ellinger daraus, dafs diese Theorie
dem ganzen Zeitalter der Reformation eigentümlich ist.
Den tieferen Grund davon sieht der Verfasser in den religiösen
Kämpfen der Zeit. »Das Zusammenplatzen grofser religiöser Gegensätze
und die erbitterten Kämpfe, die sich daraus entspinnen, erzeugen jene
Rücksichtslosigkeit in der Wahl der Mittel bei der Bekämpfung des
Gegners. Und auch hier werden diese Tendenzen auf andere Verhält-
nisse übertragen und verwirren die Moral des Privatlebenscf.
Von Italien und Frankreich ist der deutsche Humanismus
abhängig, über den zahlreiche kleinere und gröfsere Arbeiten erschienen
sind. Beginnen möge ein Vertreter der deutschen Frührenaissance,
Niklas von Wyle:
J. Baechtold, Zu Nikiaus von Wyle. 15
Jakob Baechtold, Zu Nikiaus von Wyle (Zeitschrift für ver-
gleichende Litteraturgeschichte und Renaissancelitteratur. Herausg.
von Max Koch und Ludwig Geiger I 348—350).
Über Nikiaus von Wyle haben neuerdings Strauch und Baechtold
am besten gehandelt. Der letztere bringt hier zu seiner eigenen Dar-
stellung eine Ergänzung durch einen Fund in einer Einsiedlerhandschrift.
Dieselbe enthält nämlich eine lateinische Rede, welche Nikiaus im Auf-
trage des Markgrafen Karl I. von Baden auf dem Fürstenkongrefs zu
Mantua vor Papst Pius II. gehalten hat.
Baechtold teilt dieselbe im Worlaute mit. Sie ergänzt unser bis-
heriges Wissen von des Redners Beziehungen. Denn es war schon be-
kannt, dafs derselbe seine Übersetzung der Poggioschen Schrift »Von
der Wandelbarkeit des Glücks« demselben Markgrafen gewidmet hatte.
Vgl. Gödeke Grundrifs P 362.
Zugleich erfahren wir noch, dafs in einer St. Galler Handschrift
neun Briefe des Nikiaus von Wyle an Albert von Bonstetten vorhanden,
aber sehr schwer nur zu entziffern sind.
Zur älteren deutschen Huraanistengeneration gehört auch der be-
rühmte Augsburger Ratsherr Konrad Peutinger:
L. Geiger, Gedichte und Briefe an Konrad Peutinger (Geigers
Vierteljahrsschrift für die Kultur und Litteratur der Renaissance II
262-264).
Der Herausgeber Geiger teilt aus einem in seinem Besitze befind-
lichen Konvolut handschriftlicher Gedichte und Briefe, die Konrad Peutin-
ger gehörten und von ihm »Carmina ad rae« überschrieben wurden, drei
Proben mit. Es sind Gedichte des bekannten Humanisten Jakob Locher
Philomusos, überschrieben: Ad laudem Augustae carraeu, Munificentia
principis Bavariae Guilhelmi ducis illustrissimi. Ad doctorem Conradura
Peutinger Archigraramateum Augustanum.
Da Geiger blofs Gedichte und keine Briefe mitteilt, so ist die
Überschrift nicht zutreffend.
Seltsamer Weise rückt Geiger in dem ersten Gedichte den Hexa-
meter zurück und den Pentameter vor, während das Übliche das Um-
gekehrte ist.
Das Ausrufungszeichen im letzten Verse hinter omnis auf S. 263
ist mir nicht verständlich, denn der Text gibt einen ganz guten Sinn,
wenn man folgendermafsen interpungiert :
Sic, Augusta, tibi sacratur gloria perpes,
Sic omnis homines, te super astra ferunt.
Omnis und astra sind Accusative, abhängig von super. Die Nach-
stellung der Präposition hat in der Poesie nichts Auflallendes.
Im zweiten Gedicht ist teris Druckfehler für terris.
16 Geschichte der Philologie.
Zu Peutingers Freunden und Verehrern gehörte der »Erzhuma-
nist« Celtis:
Karl Hartf eider, Zu Konrad Celtis (Geigers Vierteljabrsschrift
für die Kultur und Litteratur der Renaissance II 253 — 262).
Zur Ergänzung meiner Sammlung der Epigramme des Celtis durch-
suchte ich eine Anzahl von Müncliener Handschriften, die mir von der
Verwaltung der Münchener Hof- und Staatsbibliothek in freundlicher Weise
zur Verfügung gestellt wurden. Der Erfolg bewies, dafs meine schon frü-
her ausgesprochene Vermutung richtig war, wonach die Nürnberger Hand-
schrift noch manche Vervollständigungen finden könne. Nicht blofs, dafs
sich weitere ungedruckte Epigramme ergaben, auch zu den schon gedruck-
ten fanden sich beachtenswerte Verbesserungen und Erweiterungen. Einen
Teil des Gefundenen fafste ich in obige Mitteilung zusammen und fügte
drei Briefe aus dem Codex epistolaris Celtis hinzu, die inhaltlich mit
den mitgeteilten Epigrammen zusammenhängen, und die ich der Frei-
burger Abschi-ift des Celtis'schen Briefcodex entnahm.
Zu Anm. 1 auf S. 255 füge ich als ei'gänzendes Citat: Serapeum
21 (1880) S. 235.
Des Celtis Nachfolger in Ingolstadt wurde der Schwabe Jakob
Locher Philomusos:
L. Geiger, Ein ungedrucktes humanistisches Drama (Zeitschrift
für vergleichende Litteraturgeschichte und Renaissancelitteratur. Hrsg.
von M. Koch und L. Geiger N. F. I 72—77).
Der Verfasser geht von dem Gedanken aus, dafs es keine bequeme
Zusammenstellung der Leistungen des deutschen Humanismus für die
Wiederbelebung des Dramas gebe. Man müsse mühsam aus Gödekes
Grundrifs die betreffenden Notizen zusammensuchen.
Zu den Dramatikern der Humanistenzeit gehört Jakob Locher, ge-
nannt Philomusus, über den wir die sorgfältige Arbeit Hehles besitzen.
Zu den schon bekannten Leistungen Lochers fügt Geiger aus der latei-
nischen Handschrift nr. 11347 der Pariser Bibliothek, einem Sammel-
band, der aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts stammt, ein bisher un-
bekanntes Stück des genannten Dichters.
Dasselbe ist ohne Überschrift. Am Ende steht: Finit libellus
Jacobi L. Philomusi dramaticus novus sed non musteus. Voran geht ein
Prologus, welchen Geiger ganz mitteilt.
Das Stück selbst ist in Prosa, nur die Chöre sind Verse. Geiger
teilt blofs den Inhalt mit unter gelegentlicher Einfügung von charakteri-
stischen Proben der Darstellung.
Die sich unterredenden Personen des ersten Aktes sind der Papst
und ein päpstlicher Legat, welcher von ersterem den Auftrag erhält,
nach Deutschland und Frankreich zur Friedensstiftung zu ziehen. Im
L. Geiger, Ein iingedrucktes humanistisches Drama 17
zweiten Akt unterreden sich der päpstliche Legat, der Gesandte des
französischen Königs, Kaiser Maximilian, der König von England und
Herzog von Mailand. Den dritten Akt bildet ein kurzes Zwiegespräch
zwischen einem schwäbischen und schweizerischen Landsknecht, wobei
sich letzterer vorteilhafter darstellt.
Nach dem Inhalt bestimmt Geiger 1513 als das Jahr der Ab-
fassung, nach der Schlacht von Ravenna 1512 und vor der Schlacht von
Marignano. Wahrscheinlich hat Locher, der damals Lehrer an der
Hochschule zu Ingolstadt war, das Drama für seine Schüler geschrieben.
Die mitgeteilten Proben scheinen ohne jede Veränderung im eng-
sten Anschlufs an die Handschrift gegeben zu sein. Aber die Inter-
punktion in ihrer ganzen Prinziplosigkeit zu reproduzieren, lag gewifs
kein Anlafs vor. Ohnehin dürfte es empfehlenswert sein, durch eine
vernünftige Interpunktion dem Leser die Lektüre zu erleichtern. Ferner
scheint mir in Vers drei des Prologs se moveat besser in semoveat zu
vereinigen zu sein. Das soccum Indult einige Verse später ist eben-
falls bedenklich. Sollte dafür nicht induat stehen? Auch scheint mir
casu monstrifico quaedam auf derselben Seite in quodara zu verändern.
Die glänzendste Gestalt in dem au Individualitäten so reichen
Kreise der süd- und westdeutschen Humanisten ist Johann von Dalberg:
Karl Morneweg, Johann von Dalberg, ein deutscher Humanist
und Bischof (geb. 1455, Bischof von Worms, gest. 1503). Mit Dalbergs
Bildnis. Heidelberg. Winter 1887. VII und 375 S.
Seit Zapfs dürftiger Schrift (1789) hat Johann Dalberg oder, wie
er häufiger genannt wird, Camerarius, der berühmte Mäcen des Huma-
nismus am Mittelrhein, keine eingehendere Behandlung mehr erfahren.
Morneweg legt uns in seiner umfangreichen Monographie die Ergebnisse
vieljährigen Saramelns und Arbeiteus vor. Die Archive zu München,
Speyer, Würzburg, Aschaifenburg, Darmstadt, Worms, Karlsruhe, Stutt-
gart und Koblenz, sowie die Bibliotheken zu München, Stuttgart, Darm-
stadt, Heidelberg, Würzburg und Bonn lieferten ungedrucktes Material,
mit dem der Verfasser ein möglichst vollständiges Bild dieses ersten
»modernen Menschen vom Mittelrhein« herzustellen suchte.
Das erste Kapitel: »Familie, Heimat, Jugendjahre, erste Studien«
führt uns zunächst ein Stück Adelsgeschichte vor. Schon 1239 ist ein
Wormser Ritter Gerhard d. j. mit dem Amte eines Kämmerers der
Bischöfe von Worms nachweisbar. Der Vater des berühmten Camera-
rius, Wolfgang von Dalberg, dessen stattliches Herrenhaus zu Oppen-
heim am Rheine stand, heiratete eine Gei'trud von Greifenklau und das
älteste Kind aus der mit Kindern reich gesegneten Ehe war unser Jo-
hannes. Nachdem der Knabe den ersten Unterricht zu Hause genossen,
bezog er 1466 elfjährig die Universität Erfurt, wo damals der Huma-
nismus sich bereits festgesetzt hatte (Peter Luder, Jakob Publicius Ru-
fus aus Florenz).
Jahresbericht für Alterthumswiasenschaft LXIV. (1890 III.) 2
18 Geschichte der Philologie.
1470 zum Bacoalauieus inonioviert, verlicfs er nach weiteren drei
Semestern Erfurt, ohne die Magistervvürde erworben zu haben. Den
15. Februar 1472 wurde er in Worms als Kleriker aiigenonnnen und mit
einem Wormser und Speyer Kanonikat bedacht.
Im nächsten Abschnitt: »Aufenthalt in Italien« erfahren wir, dafs
der junge Domherr spä,testens im Frühlinge 1473 über die Alpen nach
Italien zog, um seine in Erfurt erworbenen Kenntnisse zu vervollkomm-
nen und zwar zunächst in Pavia. Hier lernte er auch den Friesen Ru-
dolf Agricola kennen, der ebenfalls in Erfurt studiert hatte. 1474 wurde
Dalberg Rektor der Universität, und der schon damals hochangesehene
Agricola hielt die noch erhaltene Rektoratsrede für ihn, von welcher
nach der Stuttgarter Handschrift ganze Abschnitte mitgeteilt werden und
deren Hauptinhalt der Preis Dalbergs und seines Geschlechtes ist. »So
stellte Agricola seinen jungen Genossen den Italienern dar. Ein schönes
Denkmal treuer Freundschaft! Mit welcher Liebe hatte er sich in das
Wesen des jungen Freundes vertieft. Schon in der Art, wie er ihn auf-
fafste und der Menschheit (!) vorführte, liegt ein gut Stück Humanis-
mus«. (S. 38).
Nach Jahresfrist kehrte Dalberg nach der Heimat zurück, während
Agricola nach Ferrara zog; nur die beiden schwäbischen Freunde Die-
trich und Johann von Pleningen blieben in Pavia. Aber schon 1476
zog Dalberg wieder nach Italien, wo er sich nach Padua wandte, ob-
gleich ihn Agricola nach Ferrara einlud. Zu Padua, wo die Deutschen
eine grofse Rolle spielten, trieb er auch Griechisch. Auf der im Jahre
1478 erfolgten Heimkehr machte er einen kurzen Aufenthalt in Ingol-
stadt. Aber noch vor Schlufs des Jahres zog er weiter in die rheinische
Heimat.
Nach einem nochmaligen römischen Aufenthalt, wobei er sich zu
Rom in eine Bruderschaft der Maria de anima aufnehmen liefs, wurde
er 1480 Dompropst von Worms und damit Kanzler der Universität
Heidelberg, welches Amt einst auch Papst Pius II. bekleidet hatte.
Um diese Zeit war Jakob Wimpfeling fast der einzige Vertreter des
Humanismus an der Hochschule, der aber in dem Kurfürsten Philipp
dem Aufrichtigen (seit 1476) einen warmen Patron hatte. Spätestens
um die Jahreswende von 1481 — 1482 wurde Dalberg auch Kanzler des
Kurfürsten, womit die Verlegung seines Wohnsitzes nach Heidelberg
verbunden war. Zu all diesen Würden gesellte sich noch die eines
Bischofs von Worms, welche Dalberg 1482 , vermutlich durch den Ein-
flufs des Kurfürsten, ebenfalls erlangte.
Kaum zum Bischof gewählt, liefs er durch den gemeinsamen Freund,
den kurfürstlichen Rat Dietrich von Pleningen, den in Kampen weilen-
den Rudolf Agricola einladen, nach Heidelberg zu kommen, wo er in
freier, von ihm selbst bestimmter Weise leben könne. Dieser Einladung
entsprach Agricola und kehrte, freundlichst empfangen und hoch ausge-
K. Morneweg, Johann von Dalberg. 19
zeichnet, erst im Oktober wieder in die Heimat zurück, nachdem er
versprochen hatte, im nächsten Frühjahr wieder zu kommen.
Die bischöfliche Thätigkeit Dalbergs, welche Morneweg eingehend
behandelt, und über die er vielerlei Neues mitteilt, mufs an dieser Stelle
übergangen werden, wo es sich ausschliefslich um den Humanisten und
Mäcenas Dalberg handelt.
Erst am 2. Mai 1484 traf Agricola in Heidelberg wieder ein, wo
ihn Dalberg freundlichst aufnahm, hebräische Bücher für ihn kaufte,
auch seinen hebräischen Lehrer, einen getauften Juden, in das Haus mit
aufnahm. Aber Agricola fühlte sich trotz alledem nicht behaglich und
nicht befriedigt. In diese Zeit fallen allerlei Funde von römischen In-
schriftensteinen, von welchen noch manche erhalten, während wir von
andern nur litterarische Nachricht haben.
Überhaupt pflegten in der nächsten Zeit Dalberg und Agricola
zusammen eifrigen geistigen Verkehr. Agricola hielt in Worms und
Heidelberg Vorträge, woselbst auch der berühmte Konrad Celtis sein
Schüler wurde. Aus diesem gelehrten und ästhetischen Stillleben rifs
sie eine Reise nach Rom, die sie 1485 im Auftrage des Kurfürsten von
der Pfalz machten. Ob die daselbst von Dalberg an Papst Innocenz VIII.
gehaltene lateinische Rede sein oder Agricolas Werk, ist nicht sicher.
Aber die Krankheit, welche Agricola auf der Heimreise ergriff, und die
in Heidelberg mit erneuter Stärke zurückkehrte, raffte den trefflichen
Mann den 27. Oktober 1485 hinweg. Der bischöfliche Freund hatte den
Sterbenden in seinen Armen gehalten, »damit ihn der Sterbende nicht
entbehre, dem er im Leben alles gewesen war«. (S. 101).
Auf dem Fürsteulage zu Frankfurt 1486, wohin sich Camerarius
mit dem Kurfürsten Philipp von der Pfalz begab, machte er die Be-
kanntschaft von Willibald Pirkheimer, der sich im Gefolge des Her-
zogs Albrecht von Bayern-München befand, und wahrscheinlich auch von
Johannes Reuchlin, dem Begleiter des Grafen Eberhard von Württem-
berg. Ein Besuch, den Kaiser Friedrich III. (wahrscheinlich 1486) im
berühmten Kloster Maulbronn machte, gab Camerarius Anlafs zu einem
lateinischen Begrüfsungsgedicht, von dem Morneweg S. 110 eine Über-
setzung mitteilt. Es ist das einzige gröfsere Gedicht Dalbergs, das
uns erhalten ist. Wenn aber der Verfasser S. 111 sagt: »An Ver-
gils Aeneide angelehnt, gibt dieses Gelegenheitsgedicht einen Beweis für
Dalbergs dichterisches Könnnen, wie für seine Meisterschaft im Ausdruck.
Rasch entstanden und niedergeschrieben, ist seine Sprache edel und ge-
wandt (Konstruktion!), seine Verse von musikalischem Wohllaut getragen.
Eine reiche Phantasie, wie sie der italienische Himmel im Verkehr mit
den Meisterwerken der Alten zeitigen konnte, tritt uns aus diesem Ge-
dichte entgegen«, so scheinen dies doch sehr hyperbolische Ausdrücke
zu sein, zu denen die paar lateinischen Distichen schwerlich ein Recht
geben. Auch ist nirgends angegeben, worauf sich die Behauptung grün-
det, dafs das Gedicht rasch entstanden und niedergeschrieben ist.
2*
20 Geschichte der Philologie.
Trotz vielfacher Abhaltungen durch mannichfache Geschäfte fand
Dalberg noch Zeit zu griechischen Studien, die er gemeinsam mit Adolf
Occo, seit 1488 dem humanistisch gebildeten Leibarzt des Kurfürsten,
und vermutlich aucli mit Dietrich von Pleningen betrieb. Johannes
Reuchlin hat dem gelehrten Bischof zwei seiner auf das Griechische be-
züglichen Schriften gewidmet, Colloquia graeca und eine Schrift De qua-
tuor graecae linguae differentiis , die neuerdings Horawitz aus einer
Stuttgarter Handschrift herausgegeben hat.
Auch mit einem anderen Humanisten, der in Heidelberg seit 1488
Stellung gewonnen hatte, mit Adam Werner von Themar, entwickelte
sich ein freundschaftliches Verhältnis. 1491 richtete Werner ein latei-
nisches Gedicht an Camerarius, ut nova bucolica mittat Carmen. Darnach
hatte Dalberg schon früher Bucolica verfafst, von denen aber keine ge-
nauere Nachricht erhalten ist.
Der berühmte Abt Johann Trithemius von Sponheim widmete sein
im Winter 1491 auf 1492 verfafstes Buch De scriptoribus ecclesiasticis
Dalberg mit einem sehr verbindlichen Schreiben, worin des Bischofs
Ruhm in etwas überschwänglicher Weise verkündigt wird. Eine weitere
Widmung machte ihm Sebastian Murrho, Kanoniker zu Kolmar, der
ihm 1494 seinen Kommentar zu des Baptista Mautuanus Gedicht auf
die hl. Katharina dedizierte. Bei dieser Gelegenheit wird zum ersten
Mal die nachmals so berühmt gewordene Dalbergsche Bibliothek erwähnt,
die an lateinischen, griechischen und hebräischen Büchern aufserordent-
lich reich war, und deren Benutzung Dalberg in der liberalsten Weise
gestattete, wie z. B. Reuchlin mitteilt.
Wenig erfreulich sind die Nachrichten über Dalbergs Vei-hältnis
zu Konrad Celtis um diese Zeit. Der fahrige Poet hatte eine gröfsere
Geldsumme vom Bischof entlehnt und war nun in der Heimzahlung so
säumig, dafs er erst auf ausdrückliche Mahnung des gemeinsamen Freun-
des Tolophus zahlte.
Morneweg wendet sich sodann zu einer Untersuchung des Verhält-
nisses von Dalberg zu den Sodalitates litterariae, den gelehrten Gesell-
schaften, welche Celtis auf seinen Wanderungen zur Ausbreitung des
Humanismus gegründet hat. Er kommt zu dem Ergebnis, dafs Dalberg
Vorstand einer allgemeinen deutschen litterarischen Sodalitas gewesen,
zu welcher sich die anderen deutschen Sodalitates wie Sektionen verhiel-
ten. Meines Erachtens denkt sich Morneweg diese Sodalitates viel fester
organisiert, als sie es in Wirklichkeit je gewesen sind. Was wissen wir
denn Zuverlässiges von denselben aufser den Namen? Wir kennen
weder ihre Statuten nach die vollständige Zahl ihrer Mitglieder und
vollends die angebliche Sodalitas litteraria per universam Germaniam!
Es ist das gewifs nichts als die geistige Gemeinschaft aller huma-
nistisch Gebildeten in Deutschland, als deren glänzendste Persönlichkeit
Dalberg mit princeps bezeichnet werden soll. Ich habe meine Meinung
K. Morneweg, Johann von Dalberg 21
von dem sehr lockereu Verbände der Sodalitäten schon in einem Auf-
satz in der Zeitschrift für Allgemeine Geschichte 1885, S. 682 ausge-
sprochen. Auch dürfte zu beachten sein, dafs Celtis das erste Epigramm
seiner Sammlung (von mir ediert, Berlin 1881) überschreibt: ad quatuor
sodalitates litterarias Germaniae, aber von einer über diesen vier Soda-
litates stehenden allgemeinen Sodalität Deutschlands ist nicht die Rede.
Wenn schon von den erwähnten vier Sodalitäten zwei der Phantasie des
Dichters und nicht der Wirklichkeit angehören, so werden wir diese all-
gemein deutsche Sodalitas gewifs in das Reich der Pläne, die nie ver-
wirklicht wurden, verweisen.
Welches Ansehen Dalberg fortdauernd bei den Humanisten genofs,
zeigen die verschiedenen litterarischen Dedikationen, die ihm gemacht
worden : Celtis feiert den Wormser Bischof in einem Archilochium (so
und nicht Archilogium war zu schreiben, welch letztere Orthographie
nur einem Humanisten des 15. Jahrhunderts verziehen wird!), der be-
rühmte Strafsburger Sebastian Brant widmet Dalberg sein Gedicht:
»Über das Bündnis des Königs mit dem römischen Papste und den treu-
losen Italienern«, Matthäus Herben seine Schrift De natura cantus ac
miraculis vocis, eine philosophische Betrachtung über die Musik ohne
Instrument.
Zumeist auf grund des handschriftlichen Codex epistolaris des Celtis
wird sodann S. 186 ff. das anregende und muntere Treiben des Heidel-
berger Humanistenkreises geschildert, wobei Johannes Reuchlin, Konrad
Celtis, Konradus Leontorius, Heinrich Spiefs, Jakob Dracontius und
andere eine wichtige Rolle spielen. Immer wieder mit amtlichen Auf-
trägen vonseiten des Kurfürsten oder in eigener Sache beschäftigt, ist
Dalberg oft von Heidelberg abwesend. Von dem Reichstage in Lindau
1496 heimkehrend, wurde er durch Dracontius mit einer lateinischen
Ode begrüfst. Den 7. November nahm er teil an einem Feste der Hei-
delberger Humanisten, von dem Morneweg vermutet, dafs es zur Erinne-
rung an Piatons Geburts- und Todestag gefeiert wurde, in Nachahmung
der italienischen Humanisten. Vielleicht las man dabei auch das be-
geisterte Lob vor, das Wimpfeling in seinem soeben beendeten Isidoneus
dem Bischöfe, »dem Ruhme der Deutschen, dem Glanz seines Geschlechts,
des Pfalzgrafen höchster Zier, der Krone der Bischöfe« wegen seiner
griechischen Kenntnisse spendete. Bei solchen Zusammenkünften fanden
sich denn die humanistisch gebildeten Gesinnungsgenossen aus der Nach-
barschaft ein, wie z. B. Peter Boland, Pfarrer zu Schriesheim, Johann
von Pleningen, Domherr zu Worms, Jakob Köbel aus Oppenheim, Theo-
dor Gresemund aus Mainz und andere. Bei solchen Festen dürfte auch
tüchtig gezecht worden sein. Insbesonders wurde Dracontius des Bischofs
Liebling, der sich an seinen Liedern gerne aufheiterte.
Den 31. Januar 1497 wurde in Dalbergs Hause zu Heidelberg das
von Reuchlin verfafste Lustspiel »Henno« aufgeführt. Morneweg hätte
22 Geschichte der Philologie.
für die Einzelheiten auch noch die sorgfältige Monographie Gustav Knods
über Jakob Spiegel benutzen können, da dieser sich ebenfalls unter den
die Komödie darstellenden Studenten befand.
Eine Mifshelligkeit, die nicht ganz aufgehellt ist, führte im Früh-
ling des Jahres 1407 dazu, dafs Dalberg sein Kanzleramt am pfälzischen
Hofe aufgab. Vigilius hatte von diesem drohenden Ereignis dem befreun-
deten Celtis Nachricht gegeben mit dem charakteristischen Zusatz: Quod
si fiet? Heu nobis, ministris, philosophis! . . . Dens omnia bene ordinet,
praesertim pro philosophis! (S. 231).
Ein fünfter Abschnitt behandelt »Letzte Lebensjahre und Tod
Dalbergs« (S. 232—350). Der Fürstbischof scheint in dem zwei Stun-
den von Heidelberg entfernten Ladenburg seinen Wohnsitz genommen
zu haben, wo auch seine berühmte Bibliothek aufgestellt war. Reich
an griechischen, lateinischen und hebräischen Büchern, wurde sie von
den gelehrten Zeitgenossen angestaunt und ein einzig dastehender Schatz
Deutschlands (unus Germaniae nostrae thesaurus) genannt. Morneweg
gibt eine Anzahl wertvoller Notizen über Handschriften, die sich in
dieser gepriesenen Bibliothek befunden haben. Wenn aber derselbe
meint, Dalbergs Weggang aus Heidelberg sei auch das Ende des Hu-
manismus daselbst gewesen, so kann ich dem nicht ganz beistimmen;
denn Reuchlin, Wimpfeling, Vigilius, Werner von Themar weilen noch
nachher in der Pfälzer Residenz.
Übrigens scheint 1498 eine Aussöhnung Dalbergs mit Philipp von
der Pfalz stattgefunden zu haben. S. Braut und Wimpfeling rühmten
von neuem um diese Zeit den durch die Kämpfe mit der Stadt Worms
immer noch in Anspruch genommenen Bischof. Auch das Verhältnis zu
Kaiser Max gestaltete sich günstig für Dalberg, so dafs er mehrfach als
kaiserlicher Bevollmächtigter thätig war.
Der Aufenthalt, welchen Dalberg 1501 wegen des Reichstages in
Nürnberg nahm, wurde von ihm benutzt zum Verkehr mit dem zahl-
reichen Kreise Nürnberger Humauisten, wie Johann Werner, Pfarrer in
der Nürnberger Vorstadt Wörth, Willibald Pirckheimer, Johannes Löffel-
holz, Sebald Schreier (Clamosus) , Hieronymus Monetarius u. a Hier
wurde auch der Druck der Werke der Gandersheimer Nonne Roswitha
endgültig beschlossen.
Von den Schriften Dalbergs, von denen sich freilich keine gröfsere
bis jetzt erhalten hat, sei besonders seine Sammlung von mehr als 3000
Wörtern hervorgehoben, welche darthun soll, dafs die griechische und
deutsche Sprache übereinstimmten. Nach dem Stande des damaligen
Wissens kann dies nur eine Sammlung von Zufälligkeiten und Kuriosi-
täten gewesen sein, wobei Dalberg der bedenklichen »Sirene des Gleich-
klangs« nur zu willig Gehör geschenkt haben dürfte.
Im Juli 1503 starb der Bischof eines plötzlichen Todes in Heidel-
berg. Die humanistischen Freunde, allen voran Konrad Celtis, beklagten
K. Morueweg, Johann von Dalberg. 23
den verlorenen Freund und Gönner. Aber auch Johann Werner, Tri-
themius, Wimpfeling, Brant, Thomas Wolf d. j. lassen ihre Klage ertönen.
In einem Schlufskapitel »Rückblick und Würdigung« skizziert der
Verfasser nochmals zusammenfassend die ganze bedeutende Persönlich-
keit in ihrer Eigenschaft als Bischof, Landesfürst, Kanzler der Pfalz,
Humanist. Als letzterer bewährte er sich als Redner, Altertumsforscher,
Sprachkenner, Kurator der Universität Heidelberg, Sammler einer grofsen
Bibliothek.
So schön und ansprechend diese Charakteristik ist, so scheint mir
doch der Altertumsforscher Dalberg zu hell beleuchtet zu sein.
Wenn man ein reges Interesse für Handschriften, römische Inschriften
und Münzen zeigt, so ist man deshalb noch kein Forscher. Da uns die
hierher gehörigen Schriften nicht erhalten sind, so wird das Urteil da-
rüber schwerlich jemals unbedingte Sicherheit gewinnen. Dalberg war
zum Mäcen für die Wissenschaften wie geschaffen: seine Bildung, An-
lage und Stellung befähigten ihn dazu, aber er war kein selbständiger
Forscher. In wissenschaftlichen Dingen ist er eine mehr receptive,
keine produktive Persönlichkeit, ein geniefsender, kein schöpferischer
Geist. Dieser Gesichtspunkt hätte dem Schlufskapitel noch eingefügt
werden dürfen.
Ein Anhang mit den wenigen erhaltenen Gedichten und Briefen
Dalbergs sowie ein sorgfältiges Register beschliefsen das fleifsige und
verdienstliche Buch.
Von mancherlei verbesserungsdürftigen Einzelheiten mögen einige
notiert sein: auf S. 18 Anm. 69 ist sedet aufzulösen in sed et. Im glei-
chen Citat scheint possit in posset und quanque in quaeque zu ver-
wandeln. — S. 24 ist in Anm. 82 wohl artes oder litteras ausgelassen.
— S. 35 Anm. 12 ist das unverständliche culta vermutlich in »calceo«
zu verändern.
S. 20 ist mit der Schrift »Ciceros von der Vorsehung« nicht De
divinatione, sondern De fato gemeint.
Wenn S. 86 Anm. 75 die Declamatio De vita Agricolae als Rede
Joh. Saxos bezeichnet wird, so ist das schwerlich richtig. Der Ver-
fasser ist gewifs Melanchthon, und dessen Schüler Saxo hat die von dem
Lehrer verfertigte Rede in Wittenberg vorgetragen.
Wenn S. 23 Dalberg als Vorbild aller späteren deutschen Huma-
nisten bezeichnet wird, so ist die Übertreibung des Ausdrucks unwider-
sprechlich.
Von gröfserer Bedeutung scheint mir die Anzweiflung der Nach-
richt über seine Todesart zu sein (S. 322), der ich nicht beistimmen
kann. Nach der Angabe Melanchthons stürzte Dalberg zu Heidelberg
im Hause einer meretrix in den Keller und starb infolge des Sturzes.
Für die Zuverlässigkeit der Angabe spricht zunächst der Umstand, dafs
Melanchthon die gleiche Angabe dreimal macht, einmal in einer feier-
24 Geschichte der Philologie.
liehen lateinischen Rede De coniugio vor versammelter Universität und
das andere Mal vor seinem zahlreichen Sonntagsauditorium, dem er
die hl. Schrift auslegte. Melanchthon kam aber schon sechs Jahre nach
Dalbergs Tod nach Heidelberg, wo ein solches Ereignis gevvifs noch in
frischer Erinnerung stand. Ohnedem verkehrte er in dem indefs freilich
sehr zusammengeschmolzenen humanistischen Kreise, zu dem einst Dal-
berg gehört hatte. Sodann schmückt Melanchthon Dalberg mit sehr
ehrenden Prädikaten, so dafs man nicht einsieht, weshalb er dem glei-
chen Mann unverbürgte üble Nachrede hätte bereiten sollen. Wenn aber
die humanistischen Freunde Dalbergs von dessen integritas vitae reden,
so ist das gewifs kein stichhaltiger Gegengrund gegen Melanchthons
Angaben.
Das Mornewegsche Buch ist eine fleifsige und auf gründlichen
Studien beruhende Arbeit, mit der es der Verfasser sich nicht leicht
gemacht hat. Wertvolle Angaben in ziemlicher Anzahl sind hier zum
ersten Mal aus den Handschriften und seltenen Büchern ans Licht ge-
zogen. Manche geben überraschende Aufschlüsse über bisher dunkel
gewesene Punkte. Nur bleibt zu bedauern, dafs der Verfasser statt der
rein chronologischen nicht lieber eine sachliche Ordnung für seinen rei-
chen Stoff gewählt hat. So werden höchst entlegene Dinge rein äufser-
lich nach der Zeitfolge an einander gereiht und stören den Genufs dieser
sonst so dankenswerten Schrift.
Zu den niederrheinischen Humanisten gehört der sogenannte Wan-
derprediger des deutschen Humanismus, Hermann von dem Busche.
Oberlehrer Dr. Hermann Joseph Liessem, Bibliographisches Ver-
zeichnis der Schriften Hermanns van dem Busche. Anhang. 4 Bl.
(Wissenschaftliche Beilage zum Programm des Kaiser Wilhelms-Gym-
nasiums in Köln. 1887. 4*'. Progr. Nr. 402).
Die fleifsige und sorgfältige Zusammenstellung ist der Anhang zu
den drei Programmbeilagen, welche Liessem dem bekannten humanisti-
schen Wanderprediger Buschius gewidmet hat Die verzeichneten Drucke
umfassen 13 Nummern aus den Jahren 1496/97 bis 1504. Der Verfasser
gibt auch die späteren Auflagen oder Wiederholungen an, von denen die
der Lipsica bis 1802 herunterreichen.
Die einzelnen Drucke sind mit wünschenswerter Genauigkeit be-
schrieben: Worttrennung des Titelblattes, Angabe der Blätterzahl und
Signaturen, der einleitenden oder abschliefsenden Dedikationsepisteln und
-gedichte, Schriftform (ob gotisch oder nicht), Nennung einiger Biblio-
theken, wo diese seltenen Bücher vorhanden sind. Von besonderem In-
teresse ist die Mitteilung von Randbemerkungen und sonstigen Aufzeich-
nungen, die sich in manchen Exemplaren in alter Schrift finden. Selbst
die damals üblichen Abkürzungen sind urkundlich wiedergegeben.
Für die Geschichte der Philologie kommen in betracht: Nr. VH.
H. J. Liessem, Hermann v. d. Busche. 25
Petronius Arbiter Poeta Satyricus. In officina Jacobi Thanneri Anno
1500. — Nr. VIII. Hermannii Buschii Pasiphili Monasteriensis Anuo-
tatioues in Petronii Arbitri Satyram de vitiis Romanorum. — Nr. XI.
Empfehlungsgedicht und metrische Inhaltsangaben zu Silius Italiens de
hello Punico 1504. Karlsruher Handschrift- »Besonderen Wert besitzt
die Handschrift, weil sie auch Buschs Argument zu dem ersten Buche
mitteilt, welches in den sonstigen, mit den Argumenten Buschs erschie-
nenen Silius-Ansgabeu fehlt.« — Silius Italiens cum argumentis Her-
manni Buschii. Lipsiae per Martinum Herbipolensem 1504. Dazu die
folgenden Ausgaben Basel 1522 und Genf 1607.
Für die Fortsetzung der Arbeit Liessems darf auf die in unserem
Jahresbericht weiter unten erwähnte Studie Boots hingewiesen werden.
Aus dem schönen Eheinlande nach Schwaben führen zwei Auf-
sätze Benders:
Dr. Hermann Bender, Rektor des k Gymnasiums zu Ulm. Die
Anfänge der humanistischen Studien an der Universität Tübingen
(Gymnasialreden nebst Beiträgen zur Geschichte des Huraanisums und
der Pädagogik. S. 171—189).
Die humanistischen Studien fassen in Tübingen durch die Grün-
dung eines Lehrstuhles für Eloquenz und Poesie im Jahre 1496 (nicht
1497), der Heinrich Bebel von Justingen übertragen wurde, festen Boden.
Um 1472 geboren, studierte er unter anderm auch in Krakau und Basel,
von wo er wahrscheinlich durch den gelehrten Kanonikus Hartmann von
Eptingen an seine heimische Hochschule empfohlen wurde. Der lebens-
frohe Mann unterhielt Beziehungen mit einem sehr ausgedehnten Freun-
deskreis. Seine Schriften und praktische Thätigkeit galten der Verbrei-
tung der humanae litterae, besonders eines besseren Lateins. Schon
nach wenigen Jahren merkte man die Spuren seiner Thätigkeit. Die
Tübinger Studenten, die früher wegen ihres schlechten Lateins (vgl. das
Hechinger Latein!) berüchtigt gewesen, gelten schon 1505 als flotte, all-
seitig durchgebildete Latinisten.
Von Bebeis eigenen lateinischen Gedichten, die meist in elegischem
Versmafse abgefafst sind, wie Lobgedichte auf hervorragende Männer
und Freunde, Epitaphien, den Triuniphus Veneris hält Bender nicht viel.
Seine Facetiae, die keinen moralischen Yf ert haben, machten ihn populär.
An Bebel schlofs sich eine Gesellschaft gleichgestimmter Männer
an, die societas Neccharana, zum Teil aus seinen Schülern bestehend.
Zunächst Georg Simler aus Wimpfen und Johannes Hiltebrand aus
Schwetzingen, vor ihrer Übersiedelung nach Tübingen Lehrer an der
berühmten Lateinschule zu Pforzheim, wo sie Melanchthon unterrichteten.
Simler, der Verfasser einer humanistischen Grammatik, wird von Ca-
merarius als primarius graramaticus gerühmt.
Zu den Schülern Bebeis gehörte Johann Alteusteig aus Mindcl-
26 Geschichte der Philologie.
heim, später Lehrer im Kloster Polling in Bayern und dann durch
Bischof Stadion von Augshurg Visitator der Diözese Augsburg. Er hat
u. a. einen Vocabularius, eine Ars epistolandi und einen Kommentar zu
Bebeis Triumphus Veneris geschrieben.
Weitere Schüler waren J. Ileinrichmann aus Sindelfingen, der Ver-
fasser der 1506 erschienenen Institutiones grammaticae, sodann Johann
Brassicanus, eigentlich Köl aus Konstanz, Lehrer in Urach und Tübin-
gen, Vater des berühmten Wiener Brassicanus.
Auch für das Griechische, welches Bebel nicht verstand, begann
das Interesse durch Simler und Melanchthon.
Einige Verbesserungen zu dem Aufsatz habe ich in einer Be-
sprechung in der Berliner philol. Wochenschrift 1888 Nr. 25 gegeben.
Es würde übrigens eine lohnende Aufgabe sein, die äufseren Umrisse
von Benders Arbeit durch die zahlreichen alten Drucke, welche Karl
Steiff in seiner Monographie über die alten Tübinger Buchdrucker nach-
gewiesen hat, genauer auszuführen.
Dr. Hermann Bender, Rektor des k. Gymnasiums zu Ulm. Hu-
manismus und Humanisten zu Tübingen im XVL Jahrhundert (Gym-
nasialreden nebst Beiträgen zur Geschichte des Humanisums und der
Pädagogik). (Tübingen 1887. S. 190—217).
Neben Bebel knüpfen sich die Anfänge des Humanismus zu Tübin-
gen an die Namen Melanchthons, der 1512 daselbst immatrikuliert und
1514 zum Magister artium liberarium promoviert wurde. Eine Vor-
stellung seiner damaligen Bedeutung erhalten wir aus dem Gedichte des
Magister Schlauraif in den Epistolae obscurorum virorum, das aber
nicht von Melanchthon verfafst ist. Um Melanchthon sammelte sich ein
Kreis gleichstrebender Genossen, »ein griechisches Kränzlein«, dem Sim-
ler, Hiltebrand, Aulber, Oekolampad, Knoder, Secerus (Setzer), Kurrer
u. a. angehörten. Aus diesem Kreise gingen lateinische Übersetzungen
griechischer Schriftsteller hervor. Noch Gröfseres, nämlich eine Ge-
samtausgabe des griechischen Aristotelestextes, war geplant und zwar
von Melanchthon, die freilich nicht zu Stande kam, aber nicht aus Man-
gel an Hilfsmitteln, wie Bender behauptet, sondern weil Melanchthon
durch seine Berufung nach Wittenberg unter Luthers Einflufs kam und
so zu einem Gegner des Aristoteles wurde. Melanchthon, der später
seinen Tübinger Aufenthalt in einem unhistorischen verklärten Lichte
ansah, zog 1518 gerne aus Schwaben ab, da er den »geschäftigen Müfsig-
gang« , wie er seine Tübinger Lehrthätigkeit nannte , nicht weiter trei-
ben wollte.
Der Vertreter der Humaniora in Tübingen wurde seit 1521 der
berühmte Johannes Reuchlin, der Ingolstadt wieder verlassen hatte,
aber schon nach kurzer Lehrthätigkeit starb.
1535 wurde sodann Joachim Camerarius, der vielleicht die
H. Bender, Humanismus und Humanisten. 27
feinste humanistische Bildung unter Melanchthons Schülern besafs, be-
rufen, der blofs bis 1541 lehrte, wo er nach Leipzig ging. Seine an-
fänglich freudige Stimmung schlägt bald um; denn die schwäbische Na-
tion ist aiio'jGoq. (3hne Zweifel beteiligte er sich an der Neuorganisation
des Pädagogiums und der Studienordnung für die Artistenfakultät.
Nach ihm kam, von Melanchthon geschickt, Matthias Garbitius
aus Illyrien, der schon in Wittenberg griechische Vorlesungen gehalten
hatte. 24 Jahre in Tübingen thätig, stirbt er 1559, nachdem er sich
grofse Verdienste um das Martinianum, das Martinsstift, erworben hatte.
Von den folgenden Lehrern der Humaniora sind zu nennen seit
1541 Sigismund Lupulus aus Rottenburg und Georg Liebler, nach
Frischlins Behauptung ein habitueller Trunkenbold (crapulosus iste
Lieblerus), sodann Melchior Volmar Ruf us (Rat) aus Rottweil (f 1561),
der in Bern und Frankreich studiert hatte, auch Beza und Calvin kannte.
Noch mehr Interesse erweckt Michael Toxites aus Graubünden
oder Tirol, schliefslich Stadtarzt in Hagenau. Unter Herzog Christoph
ist er Pädagogarch des Herzogtums Württemberg. Er war früher an
der Sturmschen Anstalt und lebte sich ganz in die ratio Sturmiana ein. Als
Pädagogarch richtete er an den Herzog die Schrift : De emendandis rec-
teque instituendis literarum ludis, in denen er eine Schulreform nach Sturras
Prinzipien empfiehlt. Für die Lehrer beanspruclit er bonos et praeraium.
Am Pädagogium war seit 1562 auch Leonhard Engelhard, vor-
her Praeceptor in Eppingen, thätig, den die Calvinisten von da ver-
trieben hatten. Kindisch geworden, starb er 1604.
Im letzten Drittel des Jahrhunderts sind sodann noch Martin
Crusius und Nicodemus Frischlin zu nennen. In dem Streite dieser
beiden, den bekanntlich D. Fr. Straufs klassisch geschildert hat, sucht
Bender Crusius mehr gerecht zu werden, als es Straufs gewesen ist.
»Frischlin ist eigentlich ein Nachzügler des früheren stürmenden und
drängenden Humanismus: er pafst nicht mehr in diese Zeit«. »Dafs er
so spät kam, war sein Unglück, und äufserlich mufste er unterliegen,
weil der Geist der Zeit wider ihn war. Sein Gegner Crusius blieb als
Sieger auf dem Platz, dank seiner festen akademischen Position, aber
auch für ihn war der Kampf und Sieg ein Unglück: Frischlin hat ihn
mit Hilfe von D. Fr. Straufs noch mehr in den Augen der Nachwelt
als der Zeitgenossen um den grnfsten Teil seines Ruhmes gebracht».
Mit den schwäbischen Humanisten verkehrte der Mann, welchen
man typisch für die deutsche Renaissancebildung bezeichnete, und über
den fast jedes Jahr neue Arbeiten bringt, Willibald Pirkheimer.
P. Drews, Willibald Pirkheimers Stellung zur Reformation. Ein
Beitrag zur Beurteilung des Verhältnisses zwischen Humanismus und
Reformation. Leipzig. Grunow. 1887. 8°. V und 138 S.
Die Tendenz dieser Schrift, die mit Folgerichtigkeit durchgeführt
ist, spricht sich schon in der Vorrede in folgenden Worten aus: »Die
28 Geschichte der Philologie.
geistigen Mächte, mit denen die Reformation sich auseinander zu setzen
hatte, waren nicht nur der durch Jahrhunderte scheinbar geheiligte rö-
mische Aberglaube, Menschensatzung und Gewissenszwang, nicht nur die
von revolutionärem Geiste erfüllte Schwarmgeisterei — eine in vieler
Beziehung entgegengesetze Macht war auch der Humanismus, oder besser
die Weltanschauung, auf welcher der ganze Humanismus beruhte, der
Geist der Renaissance. Es ist anerkannt, dafs der Humanisnms der
Reformation ganz wesentlich vorgearbeitet hat, und wir begrüfsen mit
Freuden manchen Humanisten als treuen Anhänger Luthers. Aber es
läfst sich doch nicht leugnen, dafs für viele gerade ihre humanistische
Weltanschauung ein Hindernis wurde, zur vollen Würdigung und Er-
kenntnis der Reformation hindurchzudringen«. »Darin sind Reformation
und Humanismus einig, dafs sie beide gegenüber römischer Knechtschaft
das Recht der freien Persönlichkeit geltend machen. Aber während der
Humanismus Freiheit für die Welt des Geistes, des Verstandes will,
kämpft die Reformation für die Freiheit des Gewissens«.
Diese Auseinandersetzung ist nicht vollständig. Denn Reforma-
tion und Humanismus sind auch noch in weiteren Punkten einig.
Der Stoff ist in folgende Abschnitte gegliedert: 1. Pirkheimers
Persönlichkeit. 2. Pirkheimers Stellung zur katholischen Kirche. 3. Lu-
thers Freund. 4. Luthers Leidensgefährte. 5. Über den Parteien. 6. Der
Abendmahlsstreit. 7. Die letzten Lebensjahre.
Besonders anmutig ist der erste Abschnitt geschrieben. Mit gutem
Verständnis und ausreichender Quellenkenntnis hat Drews sich in das
Wesen von Pirkheimers Persönlichkeit zu versenken gesucht. Er rech-
net ihn zu den Universalmenschen, den Persönlichkeiten von überraschen-
der Vielseitigkeit, wie deren das Zeitalter der Renaissance manche her-
vorgebracht hat. Aus guter und wohlhabender deutscher Familie findet
er seine letzte Bildung durch einen siebenjährigen Aufenthalt in Italien.
Nach Deutschland zurückgekehrt, kann ihn die Heimat doch nicht ganz
für die schöne Fremde entschädigen. Aber trotz mancher Klagen hat
er sich in Nürnberg wohl gefühlt. Sein luxuriös und künstlerisch aus-
gestattetes Haus enthielt eine wertvolle Bibliothek, eine seltene Münz-
sammlung. An berühmten Freunden fehlt es ihm nicht. Sein umfassen-
der Geist und reiches Wissen erwerben ihm Anerkennung und Ruhm.
»Alles beherrschte dieser umfassende Geist, so leicht wie ein Dilettant,
so gründlich wie ein Gelehrter«. Neben der Arbeit winkt ihm die
Schönheit des Landlebens, dessen Schönheit er ganz wie ein moderner
Mensch geniefst.
Mit dem grofsen Dürer lebt er ein vertrauliches Freundesleben,
worin die beiden sich gegenseitig in der Arbeit unterstützen. Dabei
wahrt er nach allen Seiten seine Unabhängigkeit. Er rühmt von sich:
»Ich habe keine Diszipul oder Anhänger, bin auch hinwiederum nie-
mals Diszipul, sondern wer Recht hat, dem folg ich und hänge ich an«.
P. Drews, W. Pirkheimer. 29
Selbst Reuchlin, Hütten und Erasmus hat gelegentlich sein Tadel ge-
troffen.
Mit der römisch-katholischen Kirche blieb er in einer konventio-
nellen Übereinstimmung; doch hatte er mit der scholastischen Theologie
gänzlich gebrochen, wie seine scharfe Kritik der herrschenden Methode
zeigt. Das Heil der Kirche sieht er in der sittlichen und wissenschaft-
lichen Bildung des Klerus. Des grofsen inneren Gegensatzes zur Kirche
dürfte er sich nicht ganz bewufst geworden sein. In der Hauptsache
ist er 'mit Erasmus einig, aber Pirkheimer hatte mehr Herz, mehr Ge-
fühl. Trotzdem fehlt ihm das tiefere Verständnis für das Religiöse.
Der 1517 entstehende kirchliche Kampf führte Pii-kheimer an
Luthers Seite. Wie er früher Reuchlins Verteidiger, so wird er jetzt
durch seinen 1520 erschienene Eccius dedolatus ein Mitstreiter Luthers
gegen Eck. Letzterer rächte sich dadurch, dafs er auch Pirkheimers
Name in die gegen Luther geschleuderte Bannbulle setzte. Der päpst-
liche Kammerherr Karl von Miltitz teilte zuerst dem Nürnberger Freunde
mit, dafs er in der Bulle stehe als »einer, der Martinus Opinion hält«.
Anders als Luther, dessen Heldenmut sich jetzt erst recht entfaltete,
war Pirkheimer nicht zweifelhaft, dafs es am besten sei dem Kampf aus
dem Weg zu gehen. Er wie der mitgebannte Ratschreiber Lazarus
Spengler sahen in der ganzen Sache einen Ehrenhandel. Sie gaben
sich dem entsprechend alle Mühe, durch Unterhandlungen und Unter-
würfigkeit aus der üblen Lage zu kommen.
Pirkheimer zog sich mehr und mehr zurück. 1523 schied er aus
dem Rat aus. Mifsstimmt trennte er seine Sache von den Evangelischen
und klagte vielfach über Luther und seine Anhänger, wie man u. a.
auch aus dem Briefwechsel mit Erasmus sieht. Doch suchte er noch
zwischen diesem und Luther nach Kräften zu vermitteln.
Trotzdem kam er später in den Verdacht, in der Abendsmahlslehre
ein Zwinglianer zu sein. Davon reinigte er sich in dem Briefwechsel
mit Oekolampad über das Abendmahl. Er will nicht katholisch sein.
Für seine Person war er überzeugt Luthers Auffassung zu vertreten.
Obgleich er gegen das Ende seines Lebens katholisierte, so ist er
doch nicht wieder katholisch geworden. »Er ist jeder Zeit Humanist
geblieben. Dieselben Mafsstäbe legt er an vor wie nach der Reforma-
tion: Moral und Wissenschaftlichkeit«. »Ein religiös sittlicher Charakter
war Pirkheimer nicht. Vivitur ingenio, caetera mortis erunt. Diese
Worte hat er unter sein von Dürer gezeichnetes Bild gesetzt. Sie ent-
halten das Glaubensbekenntnis Pirkheimers, das Geheimnis seines Lebens«.
Der Gedanke, die Verschiedenheit der Reformation und des Hu-
manismus in ihrem innersten Kerne nachzuweisen, welchen die Arbeit
von Drews verfolgt, ist seit der Schrift Vorreiters (Luthers Ringen mit
den antichristlichen Prinzipien der Revolution, Halle 1860) nicht mehr
neu. Doch hat der Verfasser sein Ziel mit Umsicht und Sachkenntnis
30 Geschichto der Philologie.
vertreten. Aber gegen solche Untersuchungen, die doch nur auf eine
Entwertung' des Humanismus hinstrebcn, ist denn doch zu bemerken, dafs
Humanismus nur ein anderes Wort ist für Wissenschaft in jener Zeit.
Die Humanisten sind die Vertreter des wissenschaftlichen Prinzips gegen
Ignoranz und Unwissenschaftlichkeit. Ob es da von so hohem Werte
für die Evangelischen und die Wertschätzung ihrer Sache ist, immer
wieder von neuem den trotz vieler Berührungspunkte doch vorhandenen
Gegensatz im innersten Wesen von Luthers Lehren und den Humanisten
hervorzuheben und zu schärfen? Dagegen werden die einigenden Punkte
kaum gelegentlich berührt. Luther wufste doch seinen Melanchthon zu
schätzen, den ihm der Humanismus geschenkt hatte.
Wenn der Verfasser S. 13 den Gedanken ausführt, dafs der Hu-
manist das Gute liebe, weil es schön ist, die Ästhetik nehme die Ethik
in ihren Dienst, so scheint mir das ein unberechtigtes Generalisieren
eines einzelnen Falles. Bei der Mehrzehl deutscher Humanisten trifft
das nicht zu. Unter ihnen sind zahlreiche ehrenwerte Männer, welchen
das Ethische um seiner selbst willen am Herzen liegt Sie wollten das
Gute und Rechte nicht um eines ästhetischen Schimmers halber, sondern
weil es eben das Rechte und Gute war.
Dr. Karl Rück, Ein unedierter Brief Willibald Pirkheimers (Blätter
für das bayerische Gymnasialschul weseu Jahrg. 22, 531 545). Auch
als Separatabdruck erschienen (München, Kutzner, 1886).
Studien über Pirkheimer führten den Herausgeber auf diesen Brief,
auf welchen, unter Mitteilung des Anfangs und Endes, Ruland im Bd.
XVI des Serapeums aufmerksam gemacht hat. Er ist seinem Hauptteil
nach noch ungedruckt und bezieht sich auf den Feldzug Karls VIIL
gegen Neapel im Jahre 1494. Derselbe stammt aus Cod. lat. Monacen-
sis Nr. 428, einem jener köstlichen Sammelbäude Hartmann Schedels,
welche die Münchener Hof- und Staatsbibliothek besitzt.
Als Pirkheimer den Brief schrieb, war er 24 jähriger Student in
Pavia. Da er selbst keinen persönlichen Anteil an dem Kriege nahm,
so hat der Brief keinen urkundlichen Wert. Doch ist er eine Quelle,
weil der Schreiber in der Nähe des Schauplatzes der Ereignisse lebte
und kurz nach derselben schrieb, wie er auch in der That Ergänzungen
und Vei'besserungen zu den schon bekannten Berichten gibt.
Adressat ist Johann Pirkheimer, der Vater, doctor utriusque iuris.
»Dem zukünftigen Biographen Pirkheimers wird der Brief will-
kommen sein. Denn er zeigt uns den Verfasser der Beschreibung Ger-
maniens, des Schweizerkriegs im Anfang seiner Entwickelung, nicht min-
der den Humanisten, der, den in seiner Familie herkömmlichen littera-
rischen Neigungen getreu, mit lebhaftem Interesse den klassischen Werken
nachgeht«.
Von Franken wenden wir uns nach Bayern:
E. V. Oefele, Aventiniana. 31
Edmund von Oefele, Aventiniana (Oberbayerisches Archiv für
vaterländische Geschichte. Bd. 44 (1887) S. 1—32).
Aus Gesners Bibliotheca universalis (1545, fol. 386) wufste man,
dafs Aveutin ein Chronicon emendatum de quatuor monarchiis orbis ter-
rarum, ad aemulationem Eusebii atque divi Hieronymi geschrieben hatte.
Oefele hat nun diese Schrift Aventins in der Handschrift b, X. 35 des
Beuediktinerstiftes St. Peter zu Salzburg wieder aufgefunden Dasselbe
ist 1531 begonnen und hat nach des Herausgebers Meinung geringen
Wert. Das kurze Vorwort wird mitgeteilt.
Aufserdem enthält die Handschrift eine Germania illustrata, 1531
begonnen, vermutlich die erste Partie des vielgenannten Werkes, welches
Aventin auf Kosten des Kardinals Lang abschreiben liefs. Ziemlich eng
schliefst sich daran die deutsche Bearbeitung, welche Brusch 1541 her-
ausgegeben hat; der Übersetzer hat mancherlei gekürzt. Doch hält
Oefele eine Edierung des Textes nicht für nötig; nur die Vorrede ist
der Publikation würdig, »weil sie uns zeigt, wie Aventin über Nutzen
und Reiz der Geschichte im allgemeinen, den hohen Beruf sie zu schrei-
ben, die Schwierigkeiten und die Erfordernisse ihrer Darstellung denkt«.
So ist denn auch die Praefatio in der Arbeit abgedruckt.
Um zu beweisen, dafs er für seine Aufgabe geeignet sei, rückte
Aventin eine Anzahl Briefe ein, die von anderen Gelehrten an ihn ge-
richtet wurden, die sich aber nur zum Teil auf die Germania beziehen.
Sie sind hochwillkommen als litterarische Zeugnisse für Aventins Ver-
kehr mit gleichstrebenden Zeitgenossen, um so mehr, da der bisher be-
kannte Briefwechsel Aventins, der sich in der von der Münchener histo-
rischen Kommission herausgegebenen Gesamtausgabe Aventins befindet,
recht dürftig ist und keineswegs der Bedeutung eines solch hervorragen-
den Gelehrten in dem epistelfrohen 16. Jahrhundert entspricht.
Die Briefe, deren es 22 sind, und die der Mehrzahl nach mitge-
teilt werden, rühren her von Leouhard Schmaus, dem Leibarzt und Ver-
trauten des Kardinals Matthäus Lang, von Konrad Peutinger und Kon-
rad Adelmann von Adelmannsfelden, den berühmten Augsburger Huma-
nisten, von Matthäus Marschalk, von Beatus Rhenanus, Melchior Soiter,
dem Kanzler des Pfalzgrafen Friedrich, von Matthäus Aurogallus, von
Sebastian von Rotenhan. Auch Briefe von hervorragenden Gelehrten
an andere, die ihm von den Adressaten mitgeteilt wurden, sind ein-
gerückt.
Die Gedanken der erwähnten Praefatio erinnern übrigens sehr an
den Inhalt der mit Rhenanus gewechselten und schon gedruckten Briefe.
Beachtenswert ist der Gedanke, dafs man die religiösen Schwierigkeiten
leichter durch die Geschichte als durch Strenge beseitigen könne: Auda-
cius forsitan, vere tamen dixero, hisce malis (que ex sectis denuo repu-
Uulantibus ebulliunt) longe facilius historia, quam aut severitate aut
sacris litteris posse mederi.
32 Geschichte der Philologie
Die Briefe sind durch Anmerkungen verständlicher gemacht. Doch
hätte der Verfasser auch das Datum auf den jetzigen Kalender redu-
zieren sollen.
Aber auch das Bayern benachbarte Gebiet der jetzt österreichi-
schen Alpenlandschaften nalnn teil an der neuen Bildung.
Zur Geschichte des Humanismus in den Alpenländern.
III. Leonhard Schilling von Ilallstadt.. Von Prof. Dr. Adalbert Ho-
rawitz, korresp. Mitglied der kaiserl. Akademie der Wissenschaften.
Wien. 1887. In Kommission bei Karl Gerolds Sohn. 8^. 60 S. (Se-
paratabdruck aus Bd. 114, Heft 2 der Sitzungsberichte der phil.-hist.
Klasse der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien).
Die kleine Schrift, welche Richard Heinzel gewidmet ist, bildet die
Fortsetzung der von mir im Band 52 des »Jahresberichtes« S. 183 be-
sprochenen Arbeit desselben Verfassers. Der erste Abschnitt behandelt
»Mondseer litterarische Strebungen«. Das von Herzog Odilo mit Mön-
chen aus Monte Cassino in den Jahren 739 — 748 gegründete Kloster
Maninseo, jetzt Mondsee in Oberösterreich, war als Benediktinerabtei ein
Ausgangspunkt der Kultur für einen weiten Kreis und hatte auch das
erste, im Jahre 1514 errichtete Gymnasium im Lande ob der Enns. Über die
Bedeutung des Klosters geben auch die auf der Wiener Hof bibliothek be-
findlichen Handschriften aus Mondsee, die Codices Lunelacenses reich-
lichen Aufschlufs. Besonderen Wert hat die Wiener Handschrift 3766,
wo fol. 163—178 ein Bücherverzeichnis steht mit dem Titel: Catalogus
generalis omnium Librorum, tum Antiquissimae tum locupletissimae Mon-
seensis Bibliothecae denuo renovatus et in meliorem ordinem digestus.
Anno post Christum Natum 1632 per Reverendum Fratrem Joannem
Hörman, hujus monasterii professum. Unter zahlreichen Nummern (Bü-
cher oder Handschriften?) findet sich auch eine ziemliche Anzahl huma-
nistischer Richtung: Schriften von Faber Stapulensis, Erasmus Rotoro-
damus (sie), Nausea, Zasii luciibrationes in leges, Laurentius Valla
(Vallensis) de Arbitrio libero et Providentia, Geiler von Kaiserperg (sie)
Navicula poenitentiae, Marsilii Abbreviata physicorum, zwei Bände der
Chronik von Johannes Nauclerus, auch zahlreiche Klassiker, wie Plu-
tarch, Cicero, Euklid, Aristoteles, Orosius u s. w. — So beweist auch
diese Mitteilung, wie der Humanismus mit seiner fast unwiderstehlichen
Kraft in die Klöster eingedrungen ist.
Der zweite Abschnitt behandelt die Geschichte eines Benutzers
dieses Bücherschatzes, des »treufleifsigen« Leonhard Schilling aus
Hallstatt, geboren 1474 als Sohn des Küfermeisters (cupator) Schilling
in Hallstadt. 1486 wanderte er mit seinen Eltern nach Gmunden. Im
Jahre 1492 machte er mit seiner Mutter eine Wallfahrt nach Altötting
zur sogenannten »schwarzen Maria«. Im Juli 1495 zog er nach Moud-
see, wo er im September des gleichen Jahres ins Kloster aufgenommen
Horawitz, Zur Geschichte des Humanismus. 33
wurde. Profefs leistete er 1496, und seine Primiz feierte er den 8. April
1498. Bis an sein Lebensende blieb er im Kloster. Dieser vom Huma-
nismus angehauchte und doch noch recht mittelalterliche Mönch gleicht noch
jenen mittelalterlichen Standesgenossen, »die im seligsten Behagen co-
pieren, liniieren, rubrizieren und endlich gar Initialen und Bilder kunst-
voll in ihre Codices malen«. Mit den Jahren wurde ihm das Abschrei-
ben zur Gewohnheit, ein geistliches Gegenstück zu dem schreibwütigen
humanistischen Mediziner Hartmann Schedel in Nürnberg.
»Er ist selig, wenn er schreiben kann, nicht blofs seinem Abte
und Berufsgenossen, vielen Freunden und Bekannten hat er Bücher ab-
geschrieben und Bildchen hiueingemalt«. (S. 11 [777]). Mit der Zeit
wurde er ein Mann mit vielseitigen Kenntnissen, der sogar den Neid
mancher Standesgenossen herausforderte. Kaiser Maximilian I. hatte ihm
1506 ein Bistum versprochen, worauf er aber selbst verzichtete. Grofsen
Schmerz bereitete ihm der Übertritt seines Bruders Kaspar zum Luther-
tum, der auch Mönch in Mondsee gewesen: »Vade post me, Satanas,
scandalum mihi es! . . . Lutheranus factus ecclesiasticas Sanctiones con-
temnis: excommuuicatus et irregularis existens etc. Man sieht hier wieder,
wie die Trennung zweier Welten in die Familienverhältnisse eingreift,
ohne diese festen Bande sofort zu zerreifsen«. Bezeichnend aber ist,
dafs auch der Mönch bleibende Leonhard Schilling Söhne hatte. Im
Kloster selbst wurde ihm übel mitgespielt. Die Thatsachen, welche Hora-
witz aus den Handschriften anführt, zeigen, dafs in den Klöstern von damals
Sittenstrenge und Ernst in hohem Grade mangelten. Den 11. Februar
1540 starb Schilling, dessen Charakteristik Horawitz mit folgenden Wor-
ten schliefst: »Während der Lektüre seiner Handschriften, bei der Be-
trachtung seiner schön ausgeführten Initialen und der naiven Bildnisse
von Mensch, Thier und Pflanze, ja selbst bei der Lesung des Poliel-
klatsches (Poliel war sein Feind im Kloster) ist uns der gute Mönch
lieb und wert geworden, der zwar nicht ohne Fehl war, aber doch in
eifriger Weise auch geistigen Interessen huldigte und wenigstens eine
kräftige Überzeugung die seine nennen konnte«.
Ein dritter Abschnitt behandelt »Schillings Handschriften« (S. 31
— 60). Horawitz gibt eine Inhaltsangabe der auf der Wiener Hof- und
Staatsbibliothek befindlichen Miscellenhaudschriften, welche Schilling ge-
schrieben hat. Es sind Cod. 4097, 4099, 4095, 3541, 3542, 3636, 3790,
4060, 3543, 3553, 3791, 4092, 4112, 3544, 4091. In buntem Durchein-
ander wechseln Briefe von und an Schilling, Aufzeichnungen gleichzeiti-
ger Ereignisse, kirchengeschichtliche Notizen, Zusammenstellungen von
Vokabeln, die aus verschiedenen Werken gezogen sind, Excerpte aus
Scholastikern, Notizen aus Klassikern, z. B. aus Seneca, Plato, eine collec-
tura diversarum plurium materiarum. wobei Piatos Timäus. Ovids Meta-
morphosen, Boetius und Aristoteles citiert werden.
Jahresbericht für Alterthuraswissenschaft. LXIV. (1890. HI.) 3
34 Geschichte der Altertumswissenschaft,
Trotz aller neuerdings erfolgten Angriffe wird Ulrich von Hütten
stets zu den wichtigsten Persönlichkeiten seiner Zeit gehören.
G. Ellinger, Noch einmal über Huttens Charakter (Geigers Vier-
teljahrsschrift f. die Kultur u. Litteratur der Renaissance II 107 — 109).
Mit Hilfe des »Karsthans«, der vielleicht von Oekolampad verfafst
ist, und der von Brieger neu herausgegebenen Aleander-Depeschen gibt
Ellinger seiner schon früher vorgetragenen Meinung neue Stützen, wo-
nach die Annahme einer Pension Karls V. durch Hütten keine Charak-
terlosigkeit war. Sickingen, dem der Kaiser ein Feldherrnmandat anbot,
und Hütten sahen in diesen Anträgen eine Hinneigung Karls zur Sache
der Reformpartei. Bald zeigte sich freilich, dafs sie sich getäuscht
hatten. »Mag man daher immerhin die politische Kurzsichtigkeit dieser
Männer tadeln, wenn sie von Kaiser Karl V. eine Förderung der evan-
gelischeu Gedanken erwarteten, an ihrer Ehrlichkeit und Überzeugungs-
treue haben wir nicht den geringsten Grund zu zweifeln«.
Von Hütten wird der Humanist Carbach erwähnt:
F. Falk, Der Livius-Herausgeber und Übersetzer Nicolaus Car-
bach zu Mainz (Hartwigs Centralblatt für Bibliothekwesen IV (1887)
S. 218-221).
Der in den Epistolae obscurorum virorum erwähnte Carbach (Nico-
laus Carbachius, qui legens pro scholaribus exponit Titum Livium), der
auch von Hütten in einem Briefe von 1520 erwähnt wird, hat 1518 eine
wichtige Livius-Ausgabe bei Schöffer in Mainz herausgegeben, wobei er
einen jetzt verschwundenen wertvollen Codex der Mainzer Dombibliothek
benutzte. Auch eine Übersetzung von Livius Buch 41 und 42 erschien,
gemeinsam mit einer solchen von Jakob Micyllus herrührenden der
Bücher 43 — 45, im Jahre 1533 zum ersten Mal bei Ivo Schöft'er in
Mainz. Geburtsort, -Jahr sowie Todesjahr Carbachs sind nicht bekannt.
Hütten hatte vielfache Beziehungen zu dem mitteldeutschen Hu-
raanistenkreis :
Epistolae Langianae a viro doctissimo J. K. F. Knaake
coUectae, emendatae, annotationibus ornatae, editae ab Hermanne
Hering. Halis. 1886. 4°. 10 S. (Festschrift der Universität Halle).
Von den zwölf lateinischen Briefen aus den Jahren 1512 — 1516,
die sämtlich an den Augustiner Johannes Lange gerichtet sind, stammen
sechs von Spalatin, drei von Johannes Hessus, je einer von Tilemann
Schnabel, Euricius Cordus und Johannes Staupitz.
Die Vorlagen, aus denen Knaake, der bekannte Lutherforscher,
sie abgeschrieben, befinden sich in der Bibliothek zu Gotha.
Die Briefe führen uns in jenen Kreis Thüringer Humanisten, die
uns durch die Schilderungen Kampschultes und Krauses hinlänglich
Knaake- Hering, Epistolae Langianae. 35
vertraut sind. Beachtenswert aber bleibt, mit welcher Achtung in diesen
Briefen von Luther geredet wird, schon mehrere Jahre, ehe er seine
95 Thesen anschlug Man sieht, wenn Luther auch kein Humanist ge-
wesen, worauf neuerdings unnötig oft hingewiesen wird, ein guter Freund
der »Poeten«, der vielgeschmähten, ist er trotz alledem.
Die Briefe sind ein schcätzenswerter Beitrag zu den Quellen, aus
denen wir die Kenntnis der der Reformation unmittelbar vorangehenden
Zustände schöpfen. Dagegen läfst sich von der Art der Herausgabe
nicht viel Rühmenswertes sagen. Der Herausgeber Hering hat sich seine
Aufgabe in der That sehr leicht gemacht.
Wir wollen kein besonderes Gewicht darauf legen, dafs sich für
den kleinen Umfang der Schrift ziemlich viele Druckfehler finden, wie
wohl man doch erwarten konnte, dafs der Editor, da er sonst fast nichts
für die Publikation that, wenigstens darauf sein Augenmerk richtete.
S. 5, 2 stellt hodic für hodie; S. 5, 4 steht hirtzhaimeros und zwei Zeilen
später hirtzhameros, wovon eines jedenfalls falsch ist, wahrscheinlich das
zweite; S. 8, 26 ist der Martinus Juder jedenfalls Druckfehler für Mar-
tinus Luder! S. 12, 20 ist vountate vermutlich in voluntate zu verbessern.
Im übrigen ist die Arbeit Herings mehr als dürftig. Da ist alles
unterlassen, was man von einem Herausgeber verlangen darf. Weder
die klassischen noch die biblischen Citate sind nachgewiesen. Nicht ein-
mal die Verse sind augegeben, wenn das Citat etwa den Gesang schon
bezeichnete. So ist die Odysseestelle auf S. 2 in /> 218 zu finden. Ver-
geblich sucht man nach einer Erklärung von Sachen und Persönlich-
keiten, wie sie fast in jedem Briefe auftreten. So war kurz etwas zu
sagen über Pfeffinger (S. 4), über die S. 5 erwähnte Schrift Reuchlins,
über den Strafsburger Thomas Wolf (S. 5), über Vincentius (S. 7), über
die Meroge (S. 12) etc. etc. Doch wozu diese Unterlassungssünden noch
häufen. Zu allen den nicht erklärten Persönlichkeiten und Sachen liegt
eine ausgedehnte und zum teil vortreffliche Litteratur bereit. Ja, nicht
einmal die Kaleuderdaten sind reduziert, von Inhaltsangaben über den
Briefen gar nicht zu reden.
Der Herausgeber könnte bei G. Kawerau und Karl Krause lernen,
wie man Texte aus dem 16. Jahrhundert heutzutage ediert.
Vom Kreise Luthers und Melanchthons gelangen wir ungezwungen
zu der Familie Reiffenstein, die einen Namen in der Geschichte des Hu-
manismus und der Reformation zugleich hat.
Ed. Jacobs, Die Humauistenfamilie Reiffenstein (Geigers Viertel-
jahrsschrift für die Kultur und Litteratur der Renaissance II 70—96).
In Deutschland blühte die Fürstenhuld dem Humanismus weit
weniger als südlich der Alpen. Auch die Zahl der humanistenfreund-
lichen Familien der grofsen Reichsstädte ist nicht allzu grofs. Zu den
Familien, welche der neuen Bildung Verständnis entgegenbrachten, ohne
3*
36 Geschichte der Altertumswissenschaft.
schriftstellerisch aufzutreten, gehört die rheinfränkische, später harzische
Familie Reiffenstein.
Der Name Reiffenstein oder Rieffenstein ist zu deuten als Stein,
Felsenschlofs des Ripho. Doch trotz des adeligen Namens ist die Fa-
milie nach allen ihren Nachrichten von niederer Herkunft. Erst Kaiser
Maximilian I. hat ihr Adel und Wappen verliehen.
Die Reiffensteins stammen aus der östlichen Taunusgegend, der
alten Grafschaft Königstein-Epstein. Der erste näher bekannte ist Wil-
helm Curio Reiffenstein zu Oberursel, Schultheifs zu Bommersheim. Sein
Sohn war Philipp, zu dessen gelehrten Freunden auch sein Landsmann,
der Dichter und Humanist Erasmus Alber gehörte. Gestorben ist er im
Stolhergschen Dienst 1551.
Seine Söhne Dietrich und Johann bezogen 1525 und 1528 die
Universität Wittenberg, wo sie an Melanchthon einen trefflichen Studien -
leiter fanden. 1532 empfiehlt Melanchthon den Dietrich an Erasmus,
da er die Universität Freiburg bezog.
Mit Johann Reiffenstein, dem Sohn Georgs, des Pfarrers in Ursel,
ist Jakob Micyllus, der berühmte lateinische Dichter, in treuer Freund-
schaft verbunden. 1506 oder 1507 geboren, ist Reiffenstein nur wenige
Jahre jünger als Micyll. Zwischen 1520 und 1522 hörte er in Löwen
Erasmus und dessen Amtsgeuossen Goclenius aus Mengeringhausen.
Doch sei hierzu bemerkt, dafs der Verkehr mit Erasmus nicht lange
gedauert haben kann, da dieser seit 1521 dauernd seinen Aufenthalt in
Basel nahm.
Im Februar 1523 bezog er sodann die Hochschule Wittenberg.
Bald ist er der pietätsvolle Schüler Melanchthous, dessen Epigramme er
1528 bei Secerius in Hagenau herausgibt. Ein jäher Tod raffte den
hoffnungsvollen Jüngling hinweg, als er im heimischen Taunus mit einem
anderen Schüler Melauchthons, dem Grafen Ludwig zu Stolberg, auf die
Jagd gegangen. Micyll, der die Leiche des vom Schlage Getroffenen
zuerst gefunden hatte, beklagte in einem schönen lateinischen Gedichte
den so rasch entrissenen Freund.
Der nächste Abschnitt handelt vom Rentmeister Wilhelm Reiffen-
stein, dem Bruder des so früh verstorbenen Johannes, sein ganzes langes
Leben ein Freund der Reformation und des Humanismus. Um 1482 ge-
boren, beginnt er 1502 schon seine Beamtenlaufbahn. Trotz der vielen
amtlichen Pflichten bleibt ihm noch Zeit und Interesse, einen lateinischen
Briefwechsel mit Melanchthon, Caesarius, Gluspiefs und Burchard zu führen.
Daneben trieb er seit 1517 kaufmännische Geschäfte auf eigene Rechnung.
Sehr lebhaft interessiert er sich für die Reformation und läfst sicTi
darüber aus Wittenberg berichten. Besonders die Erziehung seiner
Söhne Wilhelm, Albrecht und Johann bringt ihn in nahe Verbindung
mit Melanchthon und anderen Gelehrten. 1533 beziehen die drei jungen
Reiffensteiue gemeinsam die Hochschule Wittenberg.
H Holstein, Findlinge aus der Reformationazeit. 37
Der freundschaftliche Verkehr rait Melanchthon und Caesarius,
der viele Jahre dauerte, wird auf gruud des Quellenmaterials geschildert.
Den 9. Mai 1538 wurde Reiffenstein durch einen plötzlichen Tod
hinweggerafft. Micsdlus, der schon des Bruders Tod poetisch beklagt
hatte, weihte auch Wilhelm ein schönes lateinisches Gedicht, worin er
von ihm sagte, »dafs er mit heiliger Scheu das Recht und die Treue be-
wahrte, auch die Muse verehrt, wo sie dem Glauben vermählt«.
In dieselbe Zeit des deutschen Humanismus führen einige weitere
Arbeiten :
Prof. Dr. Hugo Holstein, Findlinge aus der Reformationszeit
(Beilage zum Programm des Königl. Gymnasiums zu Wilhelmshaven.
Ostern 1887. 4«. 20 S.).
Der Inhalt dieser Prograramarbeit , deren Verfasser als fleifsiger
und kenntnisreicher Gelehrter durch zahlreiche litterarische Arbeiten
bekannt ist, besteht aus »Findlingen«, d. h. aus Funden, die Holstein
gelegentlich seiner Studien über das Drama der Reformationszeit in
Handschriften und seltenen, oft nur in einem einzigen Exemplar erhal-
tenen Druckwerken gemacht hat, und »welche der Veröffentlichung wert
sind, da sie die grofsen reformatorischen Gedanken, von denen fast das
ganze 16. Jahrhundert getragen wurde, zum lebendigen Ausdruck bringen«.
Voranstehen: I. GedichteundLieder. a) Lux Gemigger, eine Klage
über die Verbrennung der Bücher Luthers (1521). b) Hans Wallseer,
Bericht über den schweren Handel Luthers (1521). c) Ein bitt zu Gott.
d) Ein schönes Lied von der Welt Sitten.
Sodann folgen: II. Vorreden und Widmungen: 1) Hans Sachs'
Vorrede zur Wittenbergisch Nachtigall (Nürnberg, 8. Juli 1523). 2) Tho-
mas Naogeorgs Widmung seines Pammachius an Luther. 3) Eine Vor-
rede Luthers zu einer Schrift Melanchthons.
Die Abteilung III enthält zehn Briefe aus dem 16. Jahrhundert,
von welchen Nr. 2 — 7 für die uns hier gestellte Aufgabe von besonderem
Werte sind, weil sie die für die Schulgeschichte wichtige Frage von dra-
matischen Aufführungen in der Schule betreffen. Mehrere der mitge-
teilten Briefe rühren von Melanchthon her; Nr. 9 und 10 sind an Chri-
stoph Stymmel gerichtet, welcher 1545 als zwanzigjähriger Magister eine
Komödie »Studentes sive de vita et moribus studiosorum« schrieb und
1549 erscheinen liefs, die nachher sehr oft wieder aufgelegt wurde.
Adalbert Horawitz, Johannes Faber und Petrus Paulus Verge-
rius (Geigers Vierteljahrsschrift für die Kultur und Litteratur der Re-
naissance II 244 — 253).
Eine der letzten Arbeiten des unermüdlichen Arbeiters auf dem
Felde des Humanismus. — Vergerius, der ehemalige päpstliche Legat
und spätere Reformator, wurde wahrscheinlich auf dem Reichstage zu
38 Geschichte der Altertumswissenschaft.
Augsburg 1530 mit Faber bekannt. Letzterer ging dem pcäpstlichen
Legaten, welcher durch Faber auf König Ferdinand einwirken wollte,
noch nicht weit genug; doch entspann sich zwischen den beiden ein
Briefwechsel. Von diesen Briefen finden sich welche in dem Cod. Lat. IX,
cod. 66 der Marciana (Epistolae variorum ad Petrum Paulum Vergerium),
welche Sixt, dem Biographen des Vergerius, unbekannt geblieben sind.
Von diesen Briefen teilt Horawitz drei mit, wobei er in einer Ein-
leitung und Anmerkungen die sachlichen Angaben erläutert.
Bibliographische Mededeeling van J. C G. Boot. Over-
gedrukt uit de Verslagen en Mededeelingen der Koniuklijke Akademie
van Wetenschappen, Afdeeling Letterkunde, 3 de Reeks, Deel IV. Am-
sterdam. Johannes Müller. 1887. 80. 9 S. (S. 332—340).
Die kleine Untersuchung beschäftigt sich mit der scherzhaften
grammatischen Schrift, welche 1887 wieder in Göttingen erschienen ist
unter dem Titel: Johannis Spangenbergii Bellum grammaticale iterum
edidit Robertus Schneider Halberstadiensis. Das Verbum Amo und das
Substantiv Poeta kämpfen einen Kampf miteinander, wobei es grofse
Verluste auf beiden Seiten gibt, fore und inquara verlieren beinahe alle
ihre Kameraden, d. h. ihre Formen, ebenso kommt facio um facior etc.
Boot gibt nun zunächst einige bibliographische Ergänzungen zu den
zahlreichen Drucken der Schrift: ein Druck von Deventer um 1520 von
Theodoricus de Borne, ein solcher von Avignon 1526, ein Pariser von
Robert Stephanus, die beiden letzten nach Brunets Manuel du libraire
(5. Aufl.) II, 2, 1778; der Deventersche Druck findet sich in der Kgl.
Bibliothek zu Amsterdam. Auch zu den Drucken der folgenden Jahr-
hunderte werden einige noch hinzugefügt.
Daran schliefst sich eine Inhaltsangabe des grammatischen Scher-
zes und zwar nach der Deventerschen und Zutphenschen Ausgabe, die
vollständiger sind als die Wittenbergsche von 1606, nach welcher die
neueste Göttinger hergestellt ist.
Aus der Inhaltsangabe wird wahrscheinlich, dafs das Werkchen
aus Italien stammt, wie auch die erste Ausgabe 1511 in Cremona er-
schienen sein soll. Auf dem Titelblatt des Deventerschen Druckes steht:
Grammatice opus novum mira quadam arte et compendiosa compositum,
darunter ein Gedicht des bekannten Hermann van dem Busche, über den
bekanntlich neuerdings Liessem gehandelt hat. Da Buschius sich von
1486 — 1491 in Italien aufgehalten hat, so ist wahrscheinlich, dafs er in
Cremona die Bekanntschaft des Verfassers gemacht hat. Auf der Vor-
derseite des Titelblattes steht kein Verfasser angegeben; auf der Rück-
seite aber ist zu lesen: Paulo Caesio Jur. U. Consulto Andreas
Guarna Salernitanus Salu. D.; um jeden Zweifel über den Verfasser
auszuschliefsen, so folgt noch der ausführliche Titel (ich löse hier die
Abkürzungen des alten Druckes auf): Grammaticale Vellum (sie) No-
K. V. Reinhardtstöttuer, Job. Burmeister. 39
minis et Verbi Regum de principalitate orationis inter se contendentium:
niiper editum a Reve. d. Andrea Salernitano Patricio Cremonensi.
Auffallender Weise ist in den Wittenberger Ausgaben von 1577
und 1606 jede Erwähnung des Namens des Verfassers vermieden.
Wie aber war es möglich, dafs ein Werk des Italieners Andreas
Salernitanus für eine Arbeit des deutschen Melanchthoniauers Spangen-
berg ausgegeben wurde? Denn Spangenberg (geboren 1484) ist der-
selbe, welcher 1520 Rektor zu Nordhausen wurde und 1550 daselbst
als Prediger gestorben ist. Das Rätsel löst Boot überzeugend auf fol-
gende Weise: auf der Rückseite des Titelblattes der Wittenberger Aus-
gabe steht: In bellum grammaticale Johauuis Spangenbergii i^daTt^ov.
Die Worte Johannis Spangenbergii waren ein Genetiv, der zum folgenden
Worte gehörte. Mifsverständlich wurden sie aber zu den zwei vorher-
gehenden bezogen, und der Irrtum war fertig. Spangenberg hat also
nicht das bellum grammaticale geschrieben, sondern blofs die wenigen
begleitenden Verse zur ersten Wittenberger Ausgabe.
Die Darlegung ist so überzeugend, dafs die nächste Ausgabe des
Buches nicht mehr unter dem Namen Spangenberg wird erscheinen dürfen.
Karl von Reinhardtstöttuer, Johannes Burmeisters christlicher
Martial (Geigers Vierteljahrsschrift für die Kultur und Litteratur der
Renaissance II 283—289).
Zu dem imitatorum servum pecus gehört auch Johannes Burmeister,
von dem nicht viel bekannt ist. Er wird als »divini verbi apud Gult-
sovios Saxonum praeco«, als »poeta laureatus« und »theologus« bezeich-
net. So wie er den Versuch machte, des Plautus Alkumena in ein
christliches Drama umzuwandeln, so hat er auch den Martialis christlich
umgedichtet, der als Martialis renatus 1512 in Goslar erschienen ist,
und aus dem charakteristische Proben mitgeteilt werden.
Hugo Slevogt, Technopaegnion Poeticum ex Codice MS. (Bei-
lage zum Programm des gräflich Gleichenschen Gymnasiums zu Ohr-
druf. Gotha 1887. 8 S.)
Der Codex, welcher sich jetzt im Privatbesitz des Herausgebers
befindet, stammt aus der Bibliothek des Freiherrn von Schwedendorf
»in Villa Doelitiana« bei Leipzig, ging hierauf über in den Besitz von
Karl Schaedel in Ilfeld und dann von Ernst Bachofen in Bremen. Er
besteht aus zwei Teilen, deren erstem Titel und Namen des Verfassers
fehlen, der zweite aber überschrieben ist: De Antiquitatibus Romanis
Libri Decem Autore BC. Patre Nicoiao Cosma E Societate Jesu Olomutii
Eloquentiae Professore Anno Domini MDLXXXXIV. Der erste Teil,
eine Art von Ars versificandi, dessen Abdruck Slevogt beginnt und in
dem nächsten Programm fortsetzen will, ist 1584 oder 1585 verfafst
worden. Was der Herausgeber S. 2 über den einseitigen Kultus der
40 Geschichte der Altortumswissenschaft.
Form durch die Humanisten sagt, ist in dieser Allgemeinheit nicht richtig.
Der Verfasser hat für seine Arbeit den auffallenden Titel Technopaeg-
nion im Anschlufs an eine von Ausonius gebrauchte Bezeichnung ge-
wählt. — Die abgedruckten Teile der Handschrift haben folgende Über-
schriften: In Technopaegnion poeticum praefatio. Artificium primura
Vergilianum. De litera A. Quibus rebus sit apta. A et J alternatione
mirum Maronis artificium in Hydra describenda De litera B. De litera
C cuius uaturae variae. De litera D. De litera E.
Da die Monumenta Germaniae Paedagogica derartige Arbeiten
sammeln und zusammenstellen wollen, so mag für den betreffenden Ge-
lehrten auf die kleine Schrift hiermit aufmerksam gemacht sein.
Friedrich Kluge, Von Luther bis Lessing. Sprachgeschichtliche
Aufsätze. Strafsburg. Trübner 1887. VHI und 150 S.
Nur der Abschnitt »Latein und Humanismus« (S. 112—127) gehört
hierher. Obgleich sich unsere deutsche Sprache seit den Tagen des Ario-
vist und Arminius nie ganz dem Einflüsse des Latein hat entziehen können,
so ist das Latein doch selten so übermächtig gewesen wie in den Tagen
des Humanismus, wie man an dem »teutschen Dictionarius« von Simon
Rot (Augsburg 1571) sehen kann. Einer der deutschesten Schriftsteller
der Zeit ist Luther, ganz besonders in der Bibelübersetzung. Eck, der
katholische Bibelübersetzer und Zeitgenosse Luthers, hat beträchtlich
mehr aus den klassischen Sprachen stammende Worte. Ohne Zweifel
hat Luther mit voller Absicht die Fremdworte gemieden.
Das ganze Sprachmaterial, welches für die Zeit der Renaissance
in Deutschland charakteristisch ist, stammt aus dem Latein. Auch die
Reformation ist den lateinischen Lehnworten nicht feindlich. Besonders
die wissenschaftliche Sprache der Zeit strotzt von Fremdwörtern, wie
Antiquität, Edition, Eloquenz, Disciplin u. s. w. Die Kanzleisprache
bleibt hinter der wissenschaftlichen nicht zurück.
»Es wäre eine Ungerechtigkeit, die Humanisten für diesen Schwall
von lateinischen Wortmaterialien und Wortbildungen verantwortlich zu
machen«. Unsere Humanisten waren keine Feinde der deutschen Volks-
sprache, wie man aus den zahlreichen, von ihnen gefertigten Über-
setzungen klassischer Schriftsteller sieht. Zu diesen Vorkämpfern für
die deutsche Sprache gehören z. B. Johannes Reuchlin, Hütten, R. Agri-
cola, Pleningen, Zwingli.
Eine unbestrittene Herrschaft aber übte das Latein an den Hoch-
schulen, an den eigentlichen Pflanzstätten des Humanismus. Wegen des
Gebrauches der deutschen Sprache auf dem Katheder wurden mehrere
Männer der Zeit getadelt, wie Tilemann Heverling, Thomas Murner;
Theophrastus Paracelsus, Luther, welcher zur Freude der Zuhörer
deutsche Worte einmischte.
Andererseits übte die Renaissance den günstigsten Einflufs auf die
Kruczkiewicz, Paulus Crosnensis. 41
Muttersprache. Nachahmend schuf man neue Wortformen und Redewen-
dungen. Man denke an die Einbürgerung von Redensarten wie : Eulen
nach Athen tragen, eine Schwalbe macht noch keinen Frühling, Schuster
bleib' bei deinem Leisten u. s. w.
In diese Zeit fällt auch die Latinisierung und Gräcisierung vieler
deutscher Eigennamen: Sapidus (Witz), Aurifaber (Goldschmid), Lato-
mus (Steinmetz), Agricola (Bauraann, auch Hausmann, Schnitter, Bauer),
Chyträus (nicht Kochhoff, sondern Kochhafe), Placotomus (Bretschneider),
Fabri (Schmitz) u. s. w.
Da der Protestantismus durch Melauchthon enger mit dem Huma-
nismus zusammenhing, so hat auch der Protestantismus mehr solche
Nam.en-Übersetzungen. Die Ansichten der Zeitgenosse'n darüber waren
geteilt. Aventin nannte die Gewohnheit der Latinisierung »ein kindi-
sches schülerhaftes Possenreifsen«, andere stimmten bei.
Daneben machte man auf die schönen deutschen Namen aufmerk-
sam, so ein Namensbüchlein, das 1537 in Wittenberg erschien, aber
nicht von Luther herrühren dürfte ; entschiedener treten Vadian und
Stumpf auf. Während so evangelische Kreise für deutsche Namen wirk-
ten, beförderte die katholische Kirche die Wahl der lateinischen Heili-
gennamen. Charakteristisch dafür ist das 1541 erschienene Onomasticon
Ecclesiae von Georg Witzel, der die deutschen Eigennamen ganz beiseite
läfst und dafür die katholischen Heiligennamen empfiehlt. »So kommen
durch die protestantische Bewegung die deutschen Taufnamen wieder
in Ansehen; in den protestantischen Landschaften und Kreisen erfreuen
sich bis heute die altgermanischen Namen einer weit gröfseren Verbrei-
tung als in den katholischen«.
Von der Geschichte des deutschen Humanismus wenden wir uns
nun nach Polen:
Pauli Crosnensis Rutheni atque Joannis Vislicieusis car-
mina edidit, adnotationibus illustravit, praefatione, utriusque poetae
vita, indice nominum rerumque memorabilium instruxit Dr. Bronis-
lavus Kruczkiewicz. Cracoviae typis universitatis Jagellonicae pro-
visore A. M. Kosterkiewicz. 1887. XL VI und 234 p. (Vol. II von
Corpus antiquissimorum poetarum Poloniae Latinorum usque ad Joan-
nem Cochanovium, gehörig zu den editiones Academiae litterarum
Cracoviensis).
Ein erster Teil des Buches, De editionis ratione atque fontibus prae-
fatio, berichtet zunächst, dafs die Gedichte chronologisch geordnet wurden,
dafs der Herausgeber die Orthographie mit der uusrigen vertauschte, also
Formen wie ocyus, sylva, faemina etc. veränderte und ebenso zahlreiche
Fehler der Drucke verbesserte, manche auch stillschweigend, welch letz-
teres schwerlich zu billigen ist. Nachdem sodann kurz über die Anmer-
kungen und den Index gesprochen, werden die alten Drucke aufgezählt,
42 Geschichte der Altertumswissenschaft.
denen die Gedichte des Paulus Crosnensis entnommen sind, und welche
sich meist in der Krakauer Universitätsbibliothek befinden-
Teil II »De Pauli Crosnensis vita atque scriptis« stellt zunächst
fest, dafs man von der Herkunft dieses neulateinischen Dichters nicht
viel mehr weifs, als das er in Krosno im heutigen Galizien in der zwei-
ten Hälfte des 16. Jahrhunderts geboren wurde. Wo er seinen ersten
Unterricht erhielt, ist unbekannt. Wohl aber hat er ira September 1499
in Greifswald das Baccalariatsexamen bestanden, wobei der berühmte
Petrus Raveunas einer der Prüfungskommissäre war. 1500 wurde er in
Krakau immatrikuliert; 1506 zum Magister Artium promoviert, begann
er 1507 seine Lehrthätigkeit, welche er bis zum seinem 1517 erfolgten
Tode fortsetzte. * Als Schüler werden unter anderen genannt Joannes
de Curiis Dantiscus, episcopus Varmiensis, Rudolf Agricola aus Wasser-
burg, Christophorus Suchtenius und Joannes Vislicius. Er interpretierte
dabei folgende Schriftsteller: Persius, Vergil, Claudian (De raptu Pro-
serpinae), Ovids Herolden und Lucau.
Seine Lehrthätigkeit wurde durch mehrere Reisen unterbrochen,
wovon eine ihn nach Grofsvardein (Varadinum) in das gastfreundliche
Haus des berühmten Stanislaus Thurzo, des bekannten Humanisten-
mäcens, führte. Nachher machte er die Bekanntschaft von Gabriel
Perenaeus zu Szöllös und suchte von hier aus auch Wien auf. Nach Un-
garn scheint er in den nächsten Jahren noch öfters gekommen zu sein.
Die noch erhaltenen Gedichte umfassen mehr als 3400 Verse.
Fast die Hälfte der Gedichte ist dem Paulus Perenaeus dediziert. Sehr
viele behandeln religiöse Stoffe, obgleich er nicht Kleriker gewesen ist.
Von der Art seiner Gedichte sagt der Herausgeber : Musam suam molli-
bus iocis quam grandisono cothurno aptiorem fuisse ipse recte perspexit
(p. XXXVI). In der Form hat er sich am meisten Ovid zum Vorbild
genommen. An gelegentlichen Barbarismen, wie splenditer, poterim u. a.
fehlt es nicht, wie die Zusammenstellung p. XXXVIII. Anm. 1 zeigt.
Im übrigen handhabte er das Latein nach Humanistenart wie eine lebende
Sprache.
III. De Joannis Visliciensis vita atque scriptis (p. XXXVIII— XL VI)
behandelt das Leben dieses Schülers von Paulus Crosnensis, den sein
Lehrer auch Vislicius nennt. Von seinem Leben wissen wir blofs aus
seinem Bellum prutenicum (1516), von dem sich ein einziges Exemplar
in der Krakauer Bibliothek erhalten hat. Doch sind die Nachrichten
dürftig genug: Pole von Geburt, war er Schüler des Paulus Crosnensis und
liefs 1516 sein einziges Buch in Krakau drucken. Wäre dieses verloren
gegangen, so wüfste die Nachwelt nichts von diesem neulateinischen
Dichter. Wenn aber Kruczkiewicz meint, der Joannes de Vislicia, wel-
cher 1505 und 1506 als Baccalar und 1510 als Magister in den Pro-
motionsbüchern der Universität Krakau vorkommt, sei nicht identisch mit
unserem Dichter, weil dieser in seiner 1516 erschieneneu Schrift dieser
Kruczkiewicz, Paulus Crosnensis. 43
akademischen Titel nicht Erwähnung thun, so ist das gewifs kein zwin-
gender Grund; denn viele Humanisten legten gar keinen Wert auf diese
akademischen Titel.
Zur Erholung von mancherlei Sorgen dichtete er ein Epos, worin
er den Sieg Polens über den deutschen Orden bei Tannenberg feierte
(bellum Prutenum), und das 1515 zu Krakau bei Haller gedruckt wurde.
Bezüglich des dichterischen Wortes erhalten wir p. XLII folgendes
Urteil: Paulum Crosnensem Vislicius ingenio paene superat, rerura an-
tiquarum multiplici notitia singulisque locis oratione nitida excolendis
fere aequiparat, linguae tarnen latiuae usu atque scientia, sive ad
singularum formarura delectum, sive ad enuntiatorum structuram nexum-
que spectas, magistro multo inferior est. Ebendaselbst sind Fehler gegen
Quantität und Grammatik verzeichnet, von denen übrigens manche bei
nahezu allen Neulateinern des 15. Jahrhunderts sich finden dürften, wie
fore = esse. Die Vorliebe des Dichters für Relativverbindungen wird
auf die indoles sermonis poloni ad sententiarum coordinationem prona
zurückgeführt. Es sind also Polonismen! Unter den von Paulus be-
nutzten Quellen scheint auch Aeneas Silvius gewesen zu sein.
Daran schliefsen sich von p. 1 — 159 die Carmina Pauli Crosnensis,
die sehr verschiedenen Inhalts sind, wie Panegyrici ad divum Ladislaum
Pannoniae regem victoriosissimum et sanctum Stanislaum praesulem et
martyrem Poloniae gloriosissimum, Elegiacon ad sanctam Barbaram vir-
ginem victoriosissimam , sapphische Oden auf Maria und die hl. Katha-
rina etc. Aber auch antike Stoffe sind behandelt: Ad Janum Deum
bifrontem, a quo Januarius (p. 68), Ad Apollinem, ut sibi poeticum iu-
spiret furorem (p. 75), Ad Thaliara (p. 78).
Viele der Gedichte sind humanistische Gelegenheitsgedichte, wie
sie die damalige Zeit liebte: der Dichter bedankt sich für die gast-
freundliche Aufnahme und Bewirtung, besonders bei Gabriel Perenaeus,
oder er gibt einem jungen Freunde ein Propempticon mit auf den Weg;
er lädt einen andern zu sich ein, ein Invitatorium ; auch eine reich be-
setzte Tafel, bei dei edler Ungarwein tiiefst, vermag den Poeten zu la-
teinischen Versen zu begeistern.
Die Persönlichkeiten, welche gefeiert werden, sind anderwärts
wenig bekannt; doch fehlt es nicht ganz au solchen Namen, die wir in den
Schriften der deutschen Humanisten wieder finden, z. B. der Buchdrucker
Johannes Winterburger, der impressor sollertissimus, dem die sechs Di-
stichen auf S. 100 gewidmet sind, wenn es auch eine starke poetische
Hyperbel zu nennen ist, dafs dieser Joannes dictus ab hiberna arce, der
ein ganz wackerer Drucker gewesen ist, mit Phidias, Lj-sippus, Myron,
Praxiteles, Parrhasius und Pyrgoteles auf die gleiche Stufe gestellt wird.
Die bekannteste unter den gefeierten Persönlichkeiten dürfte Stanis-
laus Thurzo S. 96 sein, wenn die Vermutung des Herausgebers richtig
ist, dafs derselbe identisch ist mit dem gleichnamigen Humamstenmäcen,
44 Geschichte der Altertumswissenschaft.
dem späteren Bischof von Olmlitz, der wie sein Bruder Johannes, Bischof
von Breslau, für Humanisten stets eine offene Hand hatte. Die ausge-
dehnte Litteratur über die Thurzones, von welcher Kruczkiewicz blofs die
Schrift des Jod. Ludov. Decius zu kennen scheint, ist jetzt verzeichnet
bei G. Bauch, Caspar Ursinus Velins, der Hofhistoriograph Ferdinands I.
und Erzieher Maximilians II. (Budapest 1886) S. 8, Anm. 4. — Auch
ein anderer Mäcen, Joannes Lubrantius, episcopus Posnaniensis, wird in
einem längeren elegischen Gedichte (S. 118 — 125) gefeiert, das zuerst
1512 in Krakau bei Florianus Unglerius erschienen ist.
Andere sind Begleitgedichte zu Schriften des Paulus Crosnensis,
wie die alcäische Ode Ad lectorem (S. 131) zu L. Aunai Senecae tra-
goedia sexta, quae Troas inscribitur, ex Avautii annotationibus castiga-
tissime irapressa und die sapphische Ode (p. 133) zu: L. Annaei Senecae
tragoedia secunda Thyestes, praeter Philologi emendationem ex annota-
tionibus Hieronymi Avantii facta quam castigatissima.
Daran reihen sich von p. 161 — 224 die Carmina Joannis Vis-
liciensis. Das wichtigste darunter sind die drei Bücher des in Hexa-
metern geschriebeneu Bellum Pruteuum, das Sigismund von Polen ge-
widmet ist. Auch an den üblichen Zuthaten, womit die humanistischen
Dichter ihre Arbeiten in die Welt schickten, fehlt es nicht: einleitende
Distichen, eine lateinische Epistel an den Lehrer des Dichters, den ve-
nerabilis ac (sie) egregius vir magister Paulus de Crosna studii Craco-
viensis, collegiatus poela praeceptorque dignissimus, worin der polnische
Patriotismus des Verfassers mit Entschiedenheit, wenn auch in Anako-
luthen sich ausspricht (Sigismundus ist rex Sarmatiae Europae invic-
tissimus), die in Distichen abgefafsten Argumente der drei Bücher (wo-
von das erste oft eine so verdrehte Wortstellung hat, dafs der Heraus-
geber mit Recht in den Anmerkungen die Konstruktion angibt) und eine
alcäische Ode an den Leser schliefsend:
Quae nostra fundet gutture Musula
Donando laudi carmina patriae,
Precor benigna mente parvi
Lector opus legito libelli.
Auch am Schlüsse fehlen die üblichen poetischen Beigaben nicht,
darunter eine Elegia ad deiparam Virginem Mariam pro sedanda peste,
ein auch bei deutschen Humanisten beliebtes Thema.
Ein Register der Eigennamen und der wichtigsten Sachen schliefst
die Ausgabe ab. Eine Anzahl Ausstellungen habe ich in der Berliner
Philol. Wochenschrift 1888 Nr. 44 gemacht.
Das hübsch ausgestattete Werk ist in mehrfacher Beziehung
äufserst lehrreich : wir ersehen zunächst daraus, dafs die Wellen der ge-
waltigen Geistesbewegung, die wir mit dem Namen Renaissance bezeich-
nen, auch das barbarische Sarmatien schliefslich erreicht haben. Am Ende
des Mittelalters gab es im entlegenen Polen gewandte lateinische Poeten,
R. Dernedde, Über die epischen Stoffe. 45
die trotz den gleichzeitigen Italienern den lateinischen Vers beherrschen,
als ob Latein ihre Muttersprache wäre. Sodann sehen wir gerade aus
dieser Publikation, wie unrichtig es ist, wenn man dem Humanismus
vorgeworfen hat, er sei international, es fehle ihm an Patriotismus.
Diese zwei polnischen Humanisten sind polnische Patrioten, wie viele
gleichzeitige deutsche Humanisten deutsche Patrioten sind. Stoff und
Denkweise zeigen jedem, der sehen will, dafs Paulus Crosnensis und
Paulus Visliciensis trotz der lateinischen Sprache, die nun einmal Sprache
der Bildung war, himmelweit von einem kosmopolitischen Indifferentis-
mns entfernt sind.
Schliefslich aber sind diese Gedichte ein Beleg dafür, welch innige
Verbindung der Humanismus mit der ReHgion eingegangen hat. Die
vulgäre Vorstellung von dem Gegensatz des Humanismus und der Kirche
ist grundfalsch. Weitaus die meisten Humanisten stehen im besten Ein-
vernehmen mit der römisch-katholischen Kirche, wie auch viele derselben
hohe und niedere Kirchenämter bekleiden oder Klosterinsassen sind.
Die Gedichte an Heilige, welche unsere Sammlung enthält, zeigen, dafs
es damit in Polen nicht anders als in Deutschland bestellt war.
Zum Schlüsse aber möge der Wunsch gestattet sein, eine deutsche
gelehrte Körperschaft möchte in ähnlicher Weise die kritische Samm-
lung und Herausgabe der litterarischen Erzeugnisse unserer deutschen
Humanisten in die Hand nehmen. Nur durch staatliche oder anderwei-
tige Unterstützung wird es möglich sein, für ein derartiges Unternehmen
einen Verleger zu gewinnen.
Zur Geschichte der Alterturaswissenschaft liefert einen Beitrag:
Dr. Robert Dernedde. Über die den altfranzösischen Dichtern
bekannten epischen Stoffe aus dem Altertum. Erlangen. Deichert.
1887. 80. 158 S.
Die klassischen Stoffe lebten bekanntlich im Mittelalter weiter,
und in mannigfaltigen Veränderungen wurden immer wieder dieselben
Gegenstände behandelt. Freilich erfreuten sich nicht alle antiken Dich-
ter gleich grofser Beliebtheit. Wir haben über diese Fragen mehrere
wertvolle Arbeiten: Dernedde führt selbst folgende an: Comparetti.
Virgilio nel medio evo (Livorno 1872), welches Werk Haus Dütschke in
deutscher Sprache bearbeitet hat; Bartsch Albrecht von Halberstadt
und Ovid im Mittelalter (Quedlinburg 1861), Graf Roma nella memoria
del medio evo (Torino 1882 und 1883).
Der Verfasser erklärt, durch die Untersuchung von Birch-Hirsch-
feld Ȇber die den provenzalischen Troubadours bekannten epischen
Stoffe« (Halle 1878) augeregt worden zu sein. Er will eine Art von
Weiterführung zu diesem Werke geben.
Das Altertum war für die mittelalterlichen Franzosen kein fremdes
Gebiet, wenn gleich die Anschauungen der alten Heidenwelt mit dem
4fi Geschichte der Altertumswissenschaft.
Christentum im Widerspruch standen und Geistliche vielfach vor der
Lektüre der Klassiker warnten. Besonders eifrig wurden Lucan, Statins,
Vergil und Ovid in den Schulen gelesen. Die griechischen Schriftsteller
waren freilich im Original unbekannt. Nur durch das Medium der Rö-
mer wurden sie benutzt. Man bewunderte und pries Homer vielfach
und kannte ihn doch nur aus der aus 1100 Versen bestehenden Ver-
kürzung des sog. Pindarus Thebanus. »An die Stelle Homers traten
die jämmerlichen Machwerke eines Dares von Phrygien und Diktys
von Kreta«.
Auch der Geist des Altertums blieb den mittelalterlichen franzö-
sischen Dichtern verschlossen Nur für die moralische Seite der heid-
nischen Dichter hatte man ein Verständnis. Daraus erklärt sich auch,
wie man durch Übertragung mittelalterlicher Verhältnisse auf das Alter-
tum dieses unbewufst travestierte. »Sehr bezeichnend dafür sind einige
Miniaturen einer Turiner Handschrift. Hier ti'aut ein Bischof Juppiter
und Juno, und an einer anderen Stelle celebriert ein Bischof, umgeben
von (christlichen) Priestern und Mönchen, bei dem Leichenbegängnis
Hektors«.
Zugleich war die Benutzung antiker Stoffe dadurch denkbar, dafs
die Franzosen, wie andere Völker , ihren Ursprung auf die alten Troer
zurückführten. »Schliefslich sagten die epischen Gedichte des Altertums
wegen ihres Reichtums an wunderbaren Ereignissen, heroischen Aben-
teuern und kriegerischen Unternehmungen dem Mittelalter sehr zu, wel-
clies, wie Joly sagt, wie ein grofses Kind verlangt, dafs man ihm immer
neue Geschichten erzählte«.
Die Quellenuntersuchung beginnt nun mit dem Roman de Troie
von Benoit de Sainte-More, deren Einzelheiten hier nicht wiedergegeben
werden können. Es werden die charakteristischen Schilderungen folgen-
der Personen behandelt: Priamus, Hektor, Paris, Deiphobos , Helenos,
Troilos, Antenor, Polydamas, Kalchas, Aeneas, Memnon, Hecuba, Andro-
mache, Kassandra, Polyxena, Penthesilea, Briseida, Helena, Aias der
Telamonier, Agamemnon, Ulysses, Diomedes, Menelaus, Patroklos, Achilles,
Nestor, Palamedes, Neoptolemos.
Es folgt sodann die Untersuchung des Romans von Aeneas , des
Romans von Theben, der Romaue von Julius Caesar, des Cyclus von
Alexander dem Grofsen.
Ein zweiter Teil der Abhandlung beschäftigt sich mit dem Nach-
weis einzelner Anspielungen, die durch die ganze altfranzösische Litte-
ratur sich finden. Ein Inhalts- Verzeichnis am Ende dieses Abschnittes
orientiert über den reichen Inhalt.
Der gelehrte Verfasser würde sich den Dank derjenigen seiner
Leser, welche nicht gerade Fachmänner sind, erworben haben, wenn er
am Schlüsse die allgemeinen Ergebnisse seiner mühevollen Untersuchung
in einer Schlufsbetrachtung zusammengefafst hätte.
Schmid, Encyklopädie des Erziehungswesens. 47
Wenden wir uns nun zu solchen Werken, welche die Geschichte
und Methode der altsprachlichen Studien in den Schulen
behandeln. Den Anfang soll ein Werk machen, das wohl kaum in einer
besser ausgestatteten Schulbibliothek fehlt:
Encyklopädie des gesamten Erziehungs- und Unterrichtswesens,
bearbeitet von einer Anzahl Schulmänner und Gelehrten, herausgegeb.
von Prälat Dr. K. A. Schmid, Gymnasial-Rektor a. D. in Stuttgart.
Zweite verbesserte Auflage fortgeführt von Geh. Regierungsrat D. Dr.
Wilh. Schrader, Kurator der Universität Halle a. S. Leipzig. Fues'
Verlag (R. Reisland). 1887. Lex. 8°. (Bd. IX. Spanien-Vives. Bd. X.
Vokabellernen — Zwingli).
Damit schliefst die zweite Auflage des bekannten trefflichen Wer-
kes. Der Herausgeber Schrader hat sich redlich bemüht, die zweite Auf-
lage zu einer verbesserten zu machen Vielfach mufsten neue Mitarbei-
ter gewonnen werden, um die verschiedenen Artikel einer Revision zu
unterziehen, da die Gelehrten, welche seiner Zeit den Artikel für die
erste Ausgabe geliefert hatten, seitdem gestorben waren.
Für die Zwecke des »Jahresberichts« kommen aus den beiden
Bänden folgende Artikel in betracht:
Band IX. Sprache (von Lazarus), Stadtschule (Schrader), Stilistik
(Hoppe), Stipendien (Kämmel), Stoiker (Kämmel), Johannes Sturm (Bofs-
1er), Thiersch (Elsperger- Schrader), Trotzendorf (Hirzel), Überbürdung
(Schrader), Unterricht, Unterrichtsform, Unterrichtskunst (Palmer), Un-
terrichtsgegenstände (Kern), Unterrichtssprache (Schrader), Unterrichts-
zeit (Erler), Vaterlandsliebe (G. Baur), Vergerius und Vegius (Kämmel),
Vergnügungen (Palmer, Schrader), Versetzung, Versetzungsprüfungen
(Wehrmann), Vincenz von Beauvais (Kämmel), Visitation (Hirzel),
Vittoriuo von Feltre und Guarino von Verona (Kämmel), Vives (A.
Lange).
Band X: Vokabellernen, Vokabularien (Queck), Winkelschulen
(Firnhaber), Wörterbuch (Rieckher, Schrader), Fr. A. Wolf (J. Arnoldt
und Schrader), Hieronymus Wolf (Bofsler), Württemberg, das höhere
Schulwesen (von Dorn), Xenophon und Isokrates (Kämmel), Zeugnisse,
Konduitenlisten (Firnhaber).
Das Werk ist in bezug auf Geschichte der Erziehung und des
Unterrichts nicht blofs der Ergänzung fähig, sondern auch bedürftig. So
müfste z. B. der Artikel Rudolf Agricola gänzlich umgearbeitet und dem
jetzigen Stande der Frage entsprechend gestaltet werden. Dann wären
die nichtdeutschen Pädagogen in viel gröfserer Ausdehnung heranzu-
ziehen. Es ist ein Mangel, dafs man aus Schmid sich z. B. über Wil-
helm Bude, Aeneas Sylvius, Corraro, Francesco Filelfo und andere, die
doch Systeme der Pädagogik geschrieben haben, nicht unterrichten kann.
Unbegreiflich aber bleibt, dafs Jakob Wimpfeling, der wichtige humani-
48 Geschichte der Altertumswissenschaft.
stische Pädagoge ganz ausgelassen ist. Aber auch Polizian, ferner
Wioso sollten nicht fehlen. Ein ebenso dringendes Bedürfnis ist die Er-
gänzung der Universiti'itsgeschiclite, was nach den Werken von Kämmel,
Paulsen und Kaufmann niemand mehr im Ernste bestreiten wird.
Hermann Schiller, Lehrbuch der Geschichte der Pädagogik.
Für Studierende und junge Lehrer höherer Lehi'anstalten. Leipzig.
Fues' Verlag (R. Reisland). 1887. 8". IV und 352 S.
In der Vorrede betont der Verfasser, dafs es zur Zeit für Studie-
rende und junge Lehrer an einem Buche fehle, woraus man den Stand
der Kenntnisse über die Geschichte der Pädagogik in knapper und aus-
reichender Form erkennen könne. Die von den Kandidaten des höheren
Lehramtes benutzten Bücher sind eigentlich für Volksschullehrer ge-
schrieben.
Schillers Buch beruht auf langjährigen Studien und Erfahrungen, die
er bei seinen Vorlesungen über Geschichte der Pädagogik gemacht hat. Ein
Hauptzweck der Schrift besteht darin, zu zeigen, dafs man nicht »durch
einfache Konservierung des reformatorischen oder gar durch Zurück-
schraubung des modernen Schulwesens auf einen heute unmöglichen
Standpunkt« den Aufgaben der Gegenwart gerecht werden kann. Denn
»die Aufgabe, welche der Pädagogik in unseren Tagen gestellt ist, be-
steht darin, das höhere Unterrichtswesen mit den Bedürfnissen der Ge-
genwart so in Einklang zu setzen, wie z. B. einst das mittelalterliche
oder das reformatorische Schulwesen den Anforderungen ihrer Zeit ent-
sprachen«.
Der Inhalt des Buches ist in 30 Abschnitte eingeteilt, deren erster
die »Aufgabe und Litteratur« behandelt. Darnach hat die Geschichte
der Pädagogik die Aufgabe, alle die Veranstaltungen darzustellen, welche
im Laufe der Zeit getroffen worden sind, um Ausbildung des Körpers,
Unterricht und Zucht zu entwickeln. Neben der pädagogischen Praxis
mufs stets die pädagogische Theorie berücksichtigt werden.
Da das Buch, wie schon auf dem Titelblatt steht, praktischen
Zwecken dient, so wird das sonst fast unübersehbare Gebiet beschränkt.
Ohnedem sind wir über die Kulturvölker des Ostens und ihre Erziehungs-
weise so wenig unterrichtet, dafs eine Beschränkung auf das klassische
Altertum und die davon abhängigen Gestaltungen angezeigt erschien.
In der Hauptsache wird hier die Geschichte der deutschen Pädagogik
dargestellt und das Ausland nur insoweit berücksichtigt, als es in die
deutsche Entwickelung hemmend oder fördernd eingegriffen hat. Dem
Lehrer wird sich aus der Geschichte der Pädagogik die Überzeugung
entwickeln, »dafs neue Theorieen stets mit Vorsicht aufzunehmen und
regelmäfsig zurückzuweisen sind, wenn sie die historische Continuität
und die allgemeine Entwickelung unbeachtet lassen«.
Es folgt nun eine kurze Charakteristik der Werke von Ruhkopf,
H. Schiller, Geschichte der Pädagogik. 49
Fr. H. Chr. Schwarz, A. H. Niemeyer, Fr. Gramer, Karl von Raumer,
Karl Schmidt, Albert Stöckl, Fr. A. Specht, Lor. von Stein, Kämmel
und Paulsen sowie des Unternehmens von Karl Kehrbach, der Monu-
menta Germaniae paedagogica, von dem übrigens jetzt schon sieben
Bände erschienen sind.
Zum Schlufs wird ein beherzigenswerter Rat gegeben, den wir hier
wörtlich anführen wollen: »Im allgemeinen fehlen zuverlässige Einzel-
untersuchungen. Auf diesem Gebiete könnte auch der jüngere Lehrer
nützlichere Thätigkeit üben, wenn er das in den Registraturen und Ar-
chiven der Städte und Schulen ruhende Material in zuverlässiger Be-
handlung zugänglich machte, als wenn er fachwissenschaftliches und pä-
dagogisches Material, das schon wiederholt bearbeitet ist, von neuem in
Zeitschriften und Programmen durcheinander wirft, ohne Nutzen für sich
und den Leser«. Zu diesen Worten bleibt nur hinzuzufügen, dafs es
an zuverlässigen Einzeluntersuchungen doch nicht so unbedingt fehlt,
wie Schiller behauptet; zweitens aber müssten solche monographischen
Arbeiten immer in der Weise angestellt werden, dafs die Einzelheiten,
welche die Archive und Bibliotheken liefern, eine Darstellung auf dem
Hintergrunde der allgemeinen Zeitbildung finden. Sonst wird eine solche
Darstellung zu einer geistlosen Sammlung »kurioser« Einzelheiten, die
nicht unterrichtend sind.
In dem Abschnitt über die »Pädagogik der Griechen« (S. 5 — 14)
wird die Erziehung in Sparta und Athen dargestellt. Von den Erzie-
hungstheoretikeni finden Plato und Aristoteles, die »beiden bedeutend-
sten Erziehungstheoretiker des Griechentums«, eine kurze Darstellung.
In dem Abschnitt über die Römer, wo der Unterricht und die
Erziehung in der republikanischen und der Kaiserzeit getrennt behan-
delt werden , findet Quintilians pädagogische Theorie eine eingehende
Würdigung; denn von ihm wird zum erstenmal ein auch auf die Ein-
zelheiten der Methodik eintretendes System aufgestellt.
An dem »Unterrichtsmechanisraus« der alten Welt änderten die
beiden Mächte, welche eine neue Zeit heraufführten, das Germanen-
tum und das Christentum, gleich wenig. Durch die Germanen wird
übrigens die Familienerziehung die Grundlage der Erziehung überhaupt.
Die Einrichtung und die Methode der Schule blieb dieselbe, wenn auch
einige Kenntnis der christlichen Lehre aufgepfropft wurde. Die Lehr-
bücher des Martianus Capeila, des Beda und des Alexander de Villa-dei
werden sachgemäfs und gerecht besprochen.
In dem Abschnitt über die Klosterschulen wird zunächst die Ent-
stehung des Mönchtums entwickelt, das ein Gegengewicht gegen die
schon im vierten Jahrhundert vorhandene Verweltlichung der Kirche sein
sollte. Die Klosterschulen, die übrigens trotz ihrer einförmigen Lehr-
einrichtung erhebliche Unterschiede aufweisen, sind nicht Bildungsan-
stalten im gemeinen Sinne ; denn die Ziele des Klosterlebens sind weder
Jahresbericht für Altertumswissenschaft LXIV. (1890. III.) 4
50 Geschichte der Altertumswissenschaft.
Pflege der Wissenschaft noch Unterricht und Erziehung der Jugend.
Man unterschied von der eigentlichen Klosterschule (schola claustri oder
interior) die weltliche Schule (schola canonica oder exterior), welch
letztere auch weltliche Knaben besuchen konnten.
Als Lehrgegenstände erscheinen neben Latein (Griechisch wurde
nicht gelehrt) Rhetorik und Dialektik (Logik) in geringem Mafse, mehr
die Anleitung zur Anfertigung von Geschäftsaufsätzen, Briefen und Ur-
kunden; das Quadriviuni dürfte nur von Begabteren getrieben worden sein.
Der Zweck der Lektüre war nicht die Versenkung in den Geist
des klassischen Altertums, sondern der Nutzen für den grammatisch-
rhetorischen Unterricht und die Bibelkenntnis. Der Religionsunterricht
war sehr kümmerlich. Die stets unveränderlich bleibende Methode nahm
besonders das Gedächtnis in Anspruch: Vorsagen und Diktieren des
Lehrers, Nachsagen und Nachschreiben der Schüler waren die Hauptsache.
Die Blüte der Benediktinerschulen ist mit dem 12. Jahrhundert
vorbei: die raonasteria studiorum erlagen der asketischen Zeitrichtung.
In dem folgenden Abschnitt »Kathedral-, Dom- und Stiftsschulen«
findet zunächst die Thätigkeit Karls des Grofsen für die Schule eine Be-
sprechung. Die geistigen Veranstaltungen des Kaisers überlebten ihn
meist nicht lange. In Deutschland bildeten die Abteien zu Fulda, St.
Gallen und Reichenau geistige Lichtpunkte.
Die Entstehung und das Wesen der Kathedral- oder Domschulen,
der Parochial- oder Pfarrschulen wird kurz besprochen, ihre Organisa-
tion dargelegt. Lehrer war in der älteren Zeit ein Kanoniker, magister
scolarium oder didascalus, der Domscholaster, später ein secundarius,
magister secundus, der nur die niederen Weihen und keine beneidens-
werte Stellung hatte. Der Scholaster behielt jetzt nur die Oberleitung.
Die Methode unterschied sich in nichts von der in den Klöstern
herrschenden. Auch die Zucht wich nicht von der klösterlichen ab.
Von den Erziehungstheoretikern wird nur Hrabanus Maurus besprochen.
In dem Abschnitte »Stadtschulen« vertritt der Verfasser die An-
sicht, dafs bei der Gründung der Stadtschulen keineswegs ein religiöser
Gegensatz sich geltend gemacht habe. Erst im 14. und 15. Jahrhundert
kamen sie zu gröfserer Entwickelung. Der Scholaster hatte das Auf-
sichtsrecht über diese Schulen. Anfangs sind die Lehrer meist Geist-
liche, später mehr Weltliche. Der Hauptlehrer bestellte seine Unter-
lehrer. Die Stelle war meist materiell nicht glänzend, aber geachtet.
Erst allmählich löste sich die deutsche Schule von der lateinischen los.
Ein Abschnitt über die Universitäten beschliefst das Bild des
mittelalterlichen Schulwesens. In den romanischen Ländern sind die
Universitäten durch Verbindung der kirchlichen Kathedralschulen mit
weltlichen Fachschulen entstanden. Nach dem Vorbild der romanischen
sind die deutscheu Hochschnlen gebildet. Die Gründung beruhte auf
den Errichtungsbullen der Päpste. Wittenberg (1502) ist die erste Hoch-
H. Schiller, Geschichte der Pädagogik. 51
schule, die nicht durch päpstliche, sondern blofs durch kaiserliche Auto-
rität errichtet wurde. Die Lehrer sind alle Kleriker, die Studenten zum
gröfsten Teile.
Neben den Vorlesungen, in denen die Lehrbücher erklärt wurden,
stehen die Disputationen. Der erste Kurs, der mit dem Baccalariats-
examen abschlofs, umfafste das Trivium, d. h. Grammatik, Dialektik und
Rhetorik, denen manchmal noch die Elemente von Mathematik und
Physik beigefügt wurden. Der höhere Kurs umfafste die Philosophie,
d. h. Psychologie, Physik, Metaphysik, Ethik, Politik, öfter auch noch
Astronomie und Geometrie.
Nicht selbständige Forschung ist das Ziel des akademischen Leh-
rens und Lernens , sondern der vorgeschriebene Inhalt der Lehrbücher
soll durch die Schüler angeeignet werden.
Die ganze Einrichtung hatte etwas Zünftiges, vom Handwerk Ent-
lehntes. Vom Baccalar stieg man auf zum Magister und von diesem
zum Doktor. In der theologischen Fakultät gebrauchte man dazu lange
Zeit, 9 — 11 Jahre. Lehrer und Schüler wohnten zusammen in den
Kollegienhäusern und Bursen.
Ein neues Leben kam in das Unterrichtswesen des Mittelalters
durch den Humanismus (§ 9), ohne dafs dadurch, wie der Verfasser
meint, überall etwas Besseres geschaffen wurde. Die Wiederherstellung
der Wissenschaften bestand in dem Wiederbekanntwerden der griechi-
schen und römischen Litteratur. Das neue Leben erblühte zunächst in
Italien. »Das 15. Jahrhundert zeigt insbesondere in Italien ein so reges
litterarisches Leben, wie man seit lange nichts mehr erlebt hatte«.
Hier entstanden auch die ersten Programme des Humanismus über
Erziehung und Unterricht, die sich noch sehr eng an Quintilian anleh-
nen, zunächst freilich vorwiegend die Fürstenerziehung im Auge haben.
Die Pädagogen und Erziehuugstheoretiker, die besprochen worden, sind
Vittorino von Feltre (1378 — 1477) und Mapheus Vegius (1407—1458).
In dem Abschnitt über »das humanistische Schulwesen vor der
Reformation« hebt der Verfasser zunächst hervor, dafs die neue Rich-
tung des Humanismus in manchen Lateinschulen früher zur Herrschaft
kam als an den Universitäten. Die Verdrängung des Doktrinale von
Alexander de Villa-dei und die Einführung von Terenz und Vergil sind
dafür bezeichnend. Die Schulen der Hieronymianer oder Fraterherren,
die humanistischen Einflüsse auf dieselben, die mit Wessel und Rudolf
Agricola (1443 1485) begannen, die pädagogische Theorie des auf Quin-
tilian zurückgehenden Agricola, bei dessen Schilderung Schiller die kleine
Schrift von Ernst Laas über Sturm benutzt, werden kurz besprochen.
Eine kuappe Schilderung der Schulmänner Alexander Hegius, Johann
Murmellius und der an der Schule zu Münster wirkenden Humanisten
bahnt den Übergang zu Desiderius Erasmus, der in D eventer Schü-
ler des Hegius war. Seine wichtigsten Schriften werden genannt, seine
4*
52 Geschichte der Altertumswissenschaft.
pädagogische Theorie in ihrer Abhängiglieit von Quintilian kurz nach-
gewiesen.
Es folgt nun ein kurzer Abschnitt über die Fraterherrenschule zu
Münster, der besser auf S. 77 oder 79 eingeschaltet würde. Über diese
Schule brachte übrigens die Festschrift des protestantischen Gymnasiums
zu Strafsburg von 1888 wertvolle neue Mitteilungen. Eine kurze Dar-
stellung des oberdeutschen Humanismus (Johann Reuchlin, Konrad Celtis,
Aventin, Bebel, Jakob Wimpfeling) beschliefst diesen Abschnitt (S. 85 — 88).
Der nächste Abschnitt behandelt das Schulwesen der Reformation
(S. 89^ — 98). Doch bedürfen die einleitenden Bemerkungen vielfach der
Zurechtstellung. Insbesondere genügt jetzt ein einfacher Verweis auf
das bekannte Werk Hagens mit seiner schiefen und tendenziösen Auf-
fassung nicht mehr, um irgend eine Auffassung zu stützen.
Die württembergische Schulordnung von 1559, welche Job. Brenz
ausgearbeitet hat, bezeichnet den gröfsten Fortschritt, der seit der Re-
formation auf dem Gebiete des Schulwesens gemacht wurde. Schon
Bugenhagen war in seinen Schulordnungen für die niederdeutschen Ge-
bietewesentlich über die sächsische Schulordnung von 1528 hinausgegangen.
Dem protestantischen Schulwesen, wie es sich in der Schweiz durch
Zwingli und im südlichen Deutschland durch Job. Sturm gestaltete, folgt
die Schilderung des katholischen Schulwesens, wo zunächst Vives und
sodann die Jesuiten gewürdigt werden. Von S. 127 — 129 folgt eine
mafsvoUe Beurteilung der Jesuitenpädagogik wie ihrer Anstalten, wobei
Licht- und Schattenseiten ruhig und sachgemäfs erwogen werden.
Die nächsten Kapitel schildern die »neuen Strömungen«, die im
Auslande früher sind als in Deutschland, die »Opposition des nationalen
Bewufstseins, des gesunden Menschenverstandes und der Psychologie in
Form der Hofmeistererziehung«, die »Reformbestrebungen auf dem Ge-
biete öffentlichen Schulwesens« (Ratichius, Coraenius werden eingehend
und anschaulich behandelt), die »Nachwirkungen der Reformbestrebuugen
in der Scbulgesetzgebung« , das »Erziehungideal des galant homme in
den Ritterakademieu« , den »Pietismus« (A. H. Franke), die »Anfänge
der Realschule«.
Mit dem Regierungsantritt Friedrichs des Gr. (1740) gelangte die
Aufklärung zum Siege. Bezeichnend für den zur Herrschaft gelangten
Geist ist die wenige Tage nach dem Regierungsantritt angeordnete Zu-
rückberufung des Philosophen Christian Wolff, welchen die Pietisten aus
Halle vertrieben hatten. Die Berliner Akademie wird nun konstituiert
und wählt das Französische statt des Lateinischen als Sprache ihrer
Publikationen.
Einen charakteristischen Ausdruck findet die in der Zeit liegende
Richtung in den Philanthropisten, welche wieder in manchen Punkten mit
Rousseau zusammentreffen, weshalb an dieser Stelle ein Abrifs des Le-
bens und der Pädagogik Rousseaus eingefügt wird.
H. Schiller, Geschichte der Pädagogik. 53
Im Jahre 1712 zu Genf geboren und von Anfang an der Mutter
beraubt, erhält er eine höchst ungenügende Erziehung. Unstet und un-
sittlich, treibt er sich in bedenklichen Verhältnissen umher. Die Lösung
einer Preisfrage, welche die Akademie in Dijon gestellt hatte, machte
ihn schnell berühmt. Er stellte dabei die für seine ganze Richtung
charakteristische Behauptung auf, dafs die sittliche Verderbnis durch
die wissenschaftliche Bildung und Kultur herbeigeführt worden sei. »Der
Schlufs lag nahe, dafs man nur die Kultur zu vernichten brauche, um die
Tugend wieder zu erringen«. Bezüglich seines Verhaltens zu den fünf
mit Therese Levasseur erzeugten Kindern, die er sämtlich in das Findel-
haus brachte, sagt Schiller: »Dem Gefühle frei zu sein von Verpflich-
tungen, welche ihn in seiner freien Bewegung gehemmt hätten, opferte
er die einfachsten und ursprünglichsten Menschentriebe«. (S. 224).
Sein bedeutendstes Werk ist fimile ou sur l'education, das der
Absicht entsprungen ist, die Verderbnis der Zeit durch Erziehung zu
heilen. Wegen der darin enthaltenen Angriffe auf den historischen Glau-
ben 1762 aus Frankreich flüchtig, fand Rousseau in Neufchätel unter dem
Schutze Friedrichs IL eine Zufluchtsstätte. Seiner Selbstquälerei machte
der Tod 1778 ein Ende.
Von seiner Pädagogik, die hauptsächlich im fimile dargestellt ist,
sagt der Verfasser: »So schrieb ein Mann, der nie sich selbst erzogen,
eine Theorie der Erziehung für seine Zeit. Trotz unbestreitbarer Ge-
nialität mufste dieselbe ihre Schwächen haben«. Der Darstellung der
Pädagogik folgt eine eingehende und objektive Kritik. »Rousseau ist
durchaus nicht überall originell. Er hat die Grundsätze seiner Vorgän-
ger, namentlich Rabelais', Montaignes und Lockes genau studiert und
zum Teil adoptiert; namentlich von Locke hat er vieles entlehnt«. Trotz-
dem kann aber die Originalität seines Denkens nicht bestritten werden.
In dem Abschnitte über den »Philanthropinismus« (S. 233 — 260)
wird zunächst Einsprache gegen die Meinung erhoben, wonach derselbe
blofs ein Ableger der Rousseauschen Meinungen gewesen. In manchen
wichtigen Punkten, in der Überschätzung der modernen Kultur und in
ihrem Optimismus, stehen die Philanthropen sogar im Gegensatze zu
Rousseau. Basedow und seine Gesinnungsgenossen Campe, Salzmann,
Bahrdt und Trapp finden sodann eine ausführliche Darstellung. Bezüg-
lich der ganzen Richtung urteilt Schiller: »Es ist heute leicht, eine
Reihe von Fehlern und Übertreibungen in der philanthropischen Bewegung
zu entdecken; trotzdem bleibt ihr Verdienst bestehen. Die wichtige
Frage der Emanzipation der Schule von der Kirche, von einzelnen schon
lange gedacht, wurde jetzt in die Geister geworfen und konnte nicht
mehr verschwinden«. »Erst jetzt wurde die Pädagogik eine Wissenschaft,
und die Bemühungen der Philanthropinisten um die Lehrerbildung wer-
den unvergessen bleiben«.
Die Gedanken der pädagogischen Aufklärung drangen unter Frie-
54 Geschichte der Altertumswissenschaft.
drich d. Gr. in das staatliche Schulwesen ein. Sein Minister von Zed-
litz, ein sehr mafsvoUer Mann, stand doch entschieden ,zu der neuen
Richtung, Selbst die katholischen Teile Deutschlands, Österreich und
Bayern nicht ausgenommen, konnten sich dem Zuge der Zeit nicht ver-
schliefsen.
Wenn die klassischen Sprachen nicht ganz aus der Schule ver-
drcängt wurden, so hat das Verdienst davon der »neue Humanismus«,
dessen Wiege in Göttiugen gestanden hat. Zugleich half der Aufschwung
der deutschen Poesie mit. Klopstock hatte sich schon einen »Lehrling
der Griechen« genannt. Winckelmann, Lessing, Herder, Goethe, Schiller
und Wilhelm von Humboldt sahen das Bildungsideal in der Vermählung
des griechischen und deutschen Geistes. Joh. Math. Gesner, Christian
Gottlob Heyne, Joh. Aug. Ernesti behaupten als Vorläufer des herauf-
dämmernden Neuhumanismus eine bedeutsame Stellung bei der Einrich-
tung und Gestaltung des höheren Schulwesens nach den die Zeit beherr-
schenden Ideen. Die neuhumanistische Richtung gelangte zum vollstän-
digen Sieg durch ihre glänzenden Vertreter um die Wende des 18. Jahr-
hunderts. Ihr einflufsreichster Vorläufer ist Fr. Aug. Wolf, der sein
Ziel, der Altertumswissenschaft eine selbständige und geachtete Stellung
zu verschaffen, erreichte. In eingehender Darstellung sind seine Ver-
dienste um Erziehung und Schule gewürdigt (S. 288 -299).
In unverkennbarer Anlehnung an Paulsen und mit Benutzung
hauptsächlich von Wiese werden sodann die neuhumanistischen Gymna-
sien und ihre Weiterentwickelung geschildert. Seit 1874 haben die Reife-
zeugnisse aller deutschen Gymnasien gegenseitige Anerkennung erlangt.
Der § 29 behandelt das Realschulwesen. Der Verfasser verspricht
den Realanstalten mit siebenjährigem Kurs eine grofse Zukunft, wenn
man sich entschliefsen könnte, ihnen die Einjährigenberechtigung bei der
Pflege einer modernen fremden Sprache zu geben. »Der energische
Betrieb einer fremden Sprache wird allgemein bessere und intensivere
geistige Schulung und sicherere Kenntnisse ermöglichen, als der not-
wendigerweise stümperhafte Betrieb zweier«.
Der letzte Abschnitt »Die pädagogische Theorie« beschäftigt sich
mit Pestalozzi und Herbart. Von besonderem Interesse ist das, was
über den letzteren gesagt wird. Das Gesamturteil lautet: »Im allgemei-
nen ist auch bei der gerechten Beurteilung Herbarts festzuhalten, dafs
er viele wichtige und brauchbare Anregungen und Förderungen der Er-
ziehungsfragen gegeben, aber damit doch noch lange nicht einen Abschlufs
derselben herbeigeführt hat. Man wird mehr von dem ihm wirklich ori-
ginellen Systeme verwerfen als beibehalten müssen, wenn nicht Stagna-
tion, d. h. Tod des wissenschaftlichen Lebens auf dem Erziehungsgebiete
eintreten soll.«
Ein Register, das nicht allzu ausführlich ist, schliefst das Lehrbuch
ab, das sich jetzt schon in Studentenkreisen eingebürgert hat.
H. Schiller, Geschichte der Pädagogik. 55
Da der Verfasser ausdrücklich auf dem Titelblatt seine Schrift als
ein Handbuch für Studierende und junge Lehrer bezeichnet, so ist da-
mit der richtige Standpunkt für die Beurteilung gegeben. Der Wert
des Werkes besteht nämlich nicht in neuen Ergebnissen über den
behandelten Stoff oder in der Aufstellung neuer Gesichtspunkte. Das
erwartet kein Verständiger von einem für die Hand der Studenten be-
stimmten Lehrbuche.
Dafür hat aber dieser Leitfaden eine Anzahl entschiedener Vor-
züge. Zunächst ist der Verfasser ein tüchtiger Kenner des von ihm be-
handelten Stoffes. Er hat aus den sehr zahlreichen monographischen
Arbeiten die besten und wichtigsten gelesen und ihren Inhalt, kritisch
gesichtet, seinem Buche einverleibt. Es ist das bei dem grofsen Umfang
des Gebietes keine kleine Leistung.
Zu tüchtiger Sachkenntnis gesellt sich das Streben nach ruhiger
Würdigung und objektiver Beurteilung. Obgleich der Verfasser sein
Urteil nicht zurückhält, wird niemand durch die Lektüre sich verletzt
fühlen. Man kann das bekanntlich nicht allen Darstellungen der Ge-
schichte der Pädagogik nachrühmen. Bei Schiller hat man den Eindruck,
dafs ein besonnener Gelehrter in leidenschaftloser Weise Vorteile und
Nachteile der pädagogischen Bestrebungen und Einrichtungen abwägt,
ohne sich einem System oder einer einzelnen Persönlichkeit gefangen zu
haben. Überall ist das Recht der eigenen Meinung gewahrt, und diese
eigene Meinung wird nirgends zudringlich vorgetragen.
Auch die Anordnung des Stoffes verdient Beifall; nur wird man
vielleicht Pestalozzi im letzten Abschnitt nicht recht am Platze finden,
wie er ja auch aus dem zeitlichen Zusammenhange herausgeschoben ist.
Ein besonderes Lob verdient die besonnene Auswahl des Stoffes.
Für den Zweck, dem das Buch dienen will, scheint es mir die richtige
Mitte zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig zu halten. Ohne ma-
ger und skelettartig zu sein, gibt es doch nur das Notwendige, um die
Einzelerscheinung und doch auch wieder den Fortschritt zu begreifen.
Möge es gestattet sein , hier noch einige Einzelheiten richtig zu
stellen :
Wenn auf S. 74 behauptet ist, der Humanismus erst habe Vergil
in die Schule eingeführt, so ist das nicht richtig. Vergil dürfte den
gröfsten Teil des Mittelalters Schulschriftsteller gewesen sein, wie man
aus der umfangreichen Benutzung desselben durch verschiedene mittel-
alterliche Historiker ersieht.
Wenn S. 77 gesagt wird, dafs auch bei Rudolf Agricola das Va-
gantentum im Blute gelegen habe, so scheint mir gerade bei diesem
Manne der Vorwurf nicht gerecht zu sein. Er trifft zu bei Männern
wie Luder, Karoch, Hermann van dem Busche, auch Celtis, aber Agri-
cola ist nicht viel umhergezogen, wie er überhaupt eine höchst achtungs-
werte Persönlichkeit repräsentiert. Ich verweise dafür auf die gerechte
56 Geschichte der Altertumswissenschaft.
und verständnisvolle Würdigung des Mannes durch Fr. von Bezold
(R. A. , ein deutscher Vertreter der italienischen Renaissance. Mün-
chen 1884).
Die Angabe auf S. 81, dafs Desiderius Erasmus im Jahre 1476
geboren sei, mufs ein Druckfehler sein. Meines Wissens kann man bei
dem Geburtsjahr des berühmten Humanisten blofs zwischen 1467 oder
1469 schwanken.
Wenn auf S. 82 von Erasmus gesagt ist, dafs er ein unstätes Ge-
lehrtenleben in Frankreich, England, Italien und Holland geführt habe,
so ist letzteres raifsverständlich und würde besser durch die Niederlande
ersetzt. Sodann aber mufs auch noch Deutschland hinzugefügt werden.
Das Urteil über den Vocabularius latinus, Breviloquus dictus des Jo-
hannes Reuchlin auf S. 86, wonach es das erste gute lateinische Wörterbuch
gewesen, ist viel zu günstig. Solche, welche den Breviloquus mit seinen
Vorgängern verglichen haben, sehen in ihm geradezu einen Rückschritt.
Vgl. auch Ludwig Geigers Urteil in seiner Monographie des Reuchlin.
Wenn auf S. 87 zu lesen ist, dafs Dringenberg zwischen 1450 und
1490 Rektor der Schule zu Schlettstadt war, so ist dagegen zu bemer-
ken, dafs Knod mit überzeugenden Gründen dargelegt hat, dafs der Ge-
nannte die Schule von 1441 bis 1477 geleitet hat.
Die Angabe auf S. 89, wonach es nach dem Rückgang der Hoch-
schulen in der Mitte der zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts bis in
die 40 er Jahre nicht erheblich besser geworden sei, trifft jedenfalls bei
Wittenberg nicht zu, wo die Reform des Studienkurses schon in die
erste Hälfte der 30 er Jahre fällt. Wie erfolgreich diese Reform, beweist
ein Blick auf die grofse Frequenz in den 30 er Jahren des 16. Jahrhun-
derts. Vgl. Paulsen Gesch. d. gelehrten Unterrichts S. 789 und 790.
Ebenso ist die dort gemachte Angabe, dafs Freiburg viel besser daran
war als die anderen Universitäten, nicht haltbar. Das Citat aus Paul-
sen ist deshalb nicht beweiskräftig, weil dessen Angabe den Bericht bei
Schreiber (Gesch. d. Universität Freiburg H 104) nicht genau wiedergibt.
Die Immatrikulationen zu Freiburg sind auch in den dreifsiger Jahren
trotz des streng katholischen Geistes der Hochschule immer noch raäfsige
zu nennen.
Gänzlich schief ist die Behauptung S. 89, dafs Karlstadt und nicht
Melanchthon im ersten Jahrzehnt der Reformation das entscheidende
Wort gesprochen habe. Karlstadts Bedeutung ist seit 1517 nie so grofs
gewesen, dafs bei ihm die letzte Entscheidung gelegen hätte. Die Episode
der Schwarmgeister ist zu rasch vorbeigegangen, und seit 1525 vollends
hat er an der Hochschule Wittenberg nichts mehr zu sagen.
Die Einführung der Deklamationen in Wittenberg (S. 91) fällt nicht
erst 1525, sondern schon 1523. Ich verweise dafür auf Krafft Briefe
und Dokumente etc. S. 9.
Über die Schriftsteller, welche nach Melanchthons Meinung (S. 92)
0. Faulde, Stellung Miltons. 57
obligatorisch sein sollten, verweise ich auf meine ausführliche Darstellung
in Band VII der Monumenta Germaniae paedagogica, wonach sich auch
noch eine oder die andere Behauptung S. 92 ff. ändern oder einschrän-
ken dürfte.
Ein störender Druckfehler ist S. 66 Cursen für Bursen.
Die Litteraturangaben sollen keineswegs erschöpfend sein. Aber
manchmal vermifst man doch ungern ein oder das andere Buch. Bei
Wimpfeling (und auch anderen Humanisten) sollte jedenfalls das gedie-
gene Werk von Ch. Schmidt (Histoire litteraire de l'Alsace. Paris 1879)
nicht fehlen, welches die älteren Arbeiten über Wimpfeling und seinen
Kreis in sehr zahlreichen Punkten berichtigt.
Stellung und Bedeutung Miltons in der Geschichte der Pädago-
gik, von dem wissenschaftlichen Hilfslehrer Dr. Oswald Faulde.
Beilage zum Programm des Realprogymnasiums zu Ratibor von Ostern
1886 bis dahin 1887. Ratibor 1887. 4° (Progr. Nr. 213).
In einer Nachschrift teilt der Verfasser mit, dafs ihm die Arbeit
von Dr. Hans von Dadelsen »Milton als Pädagog« (Gebweiler 1885) erst
bekannt wurde, als er seine eigene schon in Druck gegeben hatte. Beide
Arbeiten sind also vollständig unabhängig von einander, und Faulde
meint, die beiden Abhandlungen dürften sich gegenseitig ergänzen.
Unter den benutzten Quellen, die sonst alle gedruckt sind, wird
auch ein bei Dilthey nachgeschriebenes Kollegienheft aus dem Breslauer
Wintersemester 1877/78 genannt.
Während in den Darstellungen der Geschichte der Pädagogik John
Lockes Bedeutung stets allseitig hervorgehoben ist, wird Miltons in der
Regel kaum gedacht. Er wurde mit vorurteilsvoller Abneigung behan-
delt, weil die auf die puritanische Aera folgende Reaktion ihn vergessen
machen wollte. Doch sind neuerdings eine Anzahl wichtiger Publika-
tionen über den Dichter und Publizisten erschienen, die S. 3 und 4 ver-
zeichnet werden.
Von Milton erschien 1664 ein kleiner Traktat über Erziehung (On
education), seinem Freunde Samuel Hartlib gewidmet, der vielleicht aus
Preufsen nach England gekommen war und sich für Reform des Unter-
richtswesens lebhaft interessierte. Milton hatte eine tiefe Abneigung
gegen die Methode des damaligen gelehrten Unterrichts in England.
Ohnedem herrschte in diesem Lande eine grofse Unzufriedenheit wegen
der damals an den Universitäten und höheren Schulen üblichen Lehr-
methode. Der kurze Traktat, zum Teil skizzenhaft abgefafst, gibt nur
einen in grofsen Zügen entworfenen Plan, der mit Unrecht als eine in
der Luft hängende Idee bezeichnet worden ist. Milton hatte selbst als
Erzieher Erfahrungen gesammelt.
Die Vorschriften des Traktats beschränken sich auf die geistige
und physische Ausbildung der vornehmen englischen Jugend (noble and
58 Geschichte der Ältertumswiss^schaft.
gentle youth) im Alter von 12 — 21 Jahren; dabei kommen aber metho-
dische Fragen der Pädagogik in betracht, die zum teil heute noch nicht
gelöst sind.
Vorangestellt ist eine Definition des Lernzweckes: »Der Zweck
alles Lernens ist, die Schuld unserer Stammeltern wieder gut zu machen,
dadurch, dafs wir Gott recht erkennen, ihn lieben, ihm ähnlich zu wer-
den suchen«. Damit ist sofort sein puritanischer Standpunkt ausge-
sprochen. Innerlich und äufserlich mufs die Jugend zur Religion ge-
bildet werden.
Als Mittel zum Zweck dient die Erlernung verschiedener Sprachen.
Aber Sach- und Sprachkenntnis müssen gleichen Schritt miteinander
halten. Aus dem bisherigen Formalismus leitet Milton alle Irrtümer ab,
welche das Studium unangenehm und erfolglos machen: »Er wendet
sich hierbei gegen die herrschende Lehrmethode auf Schulen und Uni-
versitäten. Man bringe sieben oder acht Jahre ausschliefslich damit zu,
soviel elendes (miserable) Latein und Griechisch zusammenzukratzen
(scrape), als man bei besserer Methode und Zeitbenutzung in einem ein-
zigen Jahre lernen könne«. Diese Gedanken kehren in ähnlicher Form
bei Montaigne, Locke und Comenius wieder.
Die Miltonsche Definition von Erziehung lautet: »Eine vollstän-
dige und edle Erziehung nenne ich diejenige, welche den Menschen be-
fähigt, in gerechter, geschickter ,und hochherziger Weise alle Pflichten,
öffentliche und private, die ihm sein Amt in Friedens- oder Kriegszeit
auferlegt, zu erfüllen«.
Um das zu erreichen, werden sodann die Mittel angegeben: es
sollen an geeigneten Orten im Lande grofse Schulanstalten errichtet wer-
den, von denen jede ungefähr 130 Schüler fafst. Ihre Zeit soll zwischen
Studium, körperlichen Übungen, Mahlzeiten nebst Erholung geteilt wer-
den. Die von Milton vorgeschlagene Vereinigung von Universitäten und
Gymnasien (Colleges) ist nicht eingetroffen; wohl aber sind andere sei-
ner Vorschläge durchgegangen.
Von der in Frankreich herrschenden Hofmeistererziehung will er
nichts wissen. Die Vorteile gemeinsamer Erziehung erscheinen ihm sehr
grofs. Aber nur durch Männer in des Wortes eigentlicher Bedeutung
kann die Jugend erzogen werden, solche müssen an die Spitze der Er-
ziehungsanstalten gestellt werden.
Obgleich Milton die Mängel der herrschenden Lehrmethode scharf
tadelt, bleibt er doch ein Vertreter des Humanismus. Die unberechtig-
ten Neuerungen damaliger Zeit, die ja auch in Deutschland auftraten,
werden von ihm nicht gebilligt. Er will eine wahrhaft humane Bildung,
aber das hauptsächlichste Bildungsmittel sind und bleiben ihm die
klassischen Sprachen. Der Muttersprache geschieht in seinem Traktate
nicht einmal Erwähnung. Trotzdem leuchtet aus seiner Anordnung des
Studienganges ein »echt englischer Utilitarismus« entgegen. »Das non
K. Kehrbach, Monum. Germ. Paedag. ^^
scholae sed vitae versteht man auch jetzt in England besser zu würdi-
gen als bei uns«, meint der Verfasser, eine Bemerkung, die zum minde-
stens sehr anfechtbar ist.
Ein wichtiger Unterrichtsgegenstand bleibt ihm die Religion, die
ihm zugleich auch Erziehungsmittel ist. Er verlangt tägliche Morgen-
und Abendandacht, verbunden mit Bibellesung, am Sonntag religiöse Dis-
putation. Selbst Hebräisch und Chaldäisch, auch Syrisch, soll gelernt
werden, um in den oberen Klassen die Bibel in der Ursprache lesen
zu können.
Der Verfasser schliefst seine Darstellung: »Fragen wir nun, ob
dieses, abgesehen von Einzelheiten, an sich so treffliche Erziehungs-
system schon in jener Periode in die Praxis umgesetzt worden sei, so
müssen wir leider gestehen, dafs die politischen Wirren, welche England
während der Republik und auch in der Folgezeit erfüllten, es nicht zu
der von allen einsichtsvollen Männern so sehr erwünschten Schulreform
kommen liefsen. Die Grundfehler der englischen Universitäts- und Gym-
nasialbildung, die Milton aus eigener Erfahrung kannte, blieben bestehen,
die Reformen aber, welche allmählich sich geltend machten, weisen öfters
auf Miltonsche Ideen und Vorschläge hin«.
Bezüglich der Form der Abhandlung sei bemerkt, dafs der Ver-
fasser vielleicht besser gethan haben würde, wenn er zuerst die Milton-
schen Gedanken im Zusammenhang gegeben und dann erst seine Kritik
und Reflexionen angeknüpft hätte. Die beständige Unterbrechung der
Darstellung durch an sich ganz schätzenswerte Betrachtungen stören
den Genufs wie den Ernst der Lektüre.
Karl Kehrbach, Bericht über den Stand der Editionsarbeiten
der Monumenta Germaniae Paedagogica (Verhandlungen der 39. Ver-
sammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Zürich (Leipzig
1888) S. 361—364).
In Giefsen (1885) war beschlossen worden, in den Bericht jeder
Versammlung deutscher Philologen ein Referat über den Stand der Edi-
tionsarbeiten der Monumenta Germaniae Paedagogica aufzunehmen.
Der Herausgeber Karl Kehrbach teilt mit, dafs folgende Bände
bereits erschienen sind:
1. F. Koldewey, Die Braunschweigischen Schulordnungen. Bd. I.
2. P. Pachtler, Ratio studiorum et institutiones scholasticae
Societatis Jesu. Bd. I.
3. S. Günther, Geschichte des mathematischen Unterrichts im
deutschen Mittelalter bis 1525.
Im Druck ziemlich vollendet sind:
4. J. Müller, Die deutschen Katechismen der böhmischen Brüder,
mit dogmengeschichtlichen Erläuterungen, einer Abhandlung über das
Schulwesen der böhmischen Brüder und fünf Beilagen.
60 Geschichte der Altertumswissenschaft.
5. P. Pachtler, ein zweiter Band Jesuitica, welcher die erste Ge-
setzesvorlage des Generals Aquaviva für eine Ratio stud. vom Jahre
1586, ferner die endgiltige Ratio stud. von 1599 und die neue Redaktion
derselben von 1832 bringt.
6. Teutsch, Die siebenbürgisch-sächsischen Schuldordnungen von
1543—1778. Bd. I.
Im Manuskripte liegen fertig vor die Fortsetzungen Koldeweys
und Pachtlers und von K. Hartfelder, Melanchthon als Paeceptor
Germaniae.^)
Von Schulordnungen sind jetzt in Angriff genommen die von
Anhalt, Baden, Bayern, Hansastädte, Nieder-Österreich, Oldenburg,
russische Ostseeprovinzen, Preufsen (Brandenburg, Hessen- Nassau, Schles-
wig-Holstein), Sachsen, Schweiz.
Trotz der oft sehr schwierigen Sammlung des Materials, das häufig
in vielen Archiven zerstreut ist, kann jetzt schon festgestellt werden, dafs
für diese Publikationen sich viele Inedita ergeben.
Für die Abteilung Schulbücher ist Dr. Reichling seit drei Jah-
ren beschäftigt, das Material für das Doktrinale des Alexander de Villa-
dei zusammenzubringen. Der Abschlufs der Arbeit ist erst dann mög-
lich, wenn es gelingt, noch die Bibliotheken Frankreichs, Italiens und
Englands für diesen Zweck zu durchforschen.
Die Vorarbeiten zur Edition des Fundamentum scholarium des
Remigius von Auxerre, der Vokabularien des Mittelalters, der Artes dic-
taminis, der griechischen Grammatiker, wie Gaza, Chrysoloras und Las-
karis, der deutschen Grammatiker des 16. und 17. Jahrhunderts sind im
Fortschreiten. Doch ist ohne Studienreisen in Deutschland und ins
Ausland eine gründliche Ausführung des Werkes nicht möglich.
Für die dritte Abteilung (Miscellaneen) sind in Aussicht ge-
nommen die Veröffentlichungen von Akten über Prinzen- und Prinzessin-
nenerziehung bei den Habsburgern, Hohenzollern, Sachsen -Ernestinern
und Witteisbachern. Doch ist es bis jetzt nicht gelungen, einen Bear-
beiter für die entsprechende Publikation über das sächsisch-albertinische
Haus zu finden.
Die Bearbeitungen der jesuitischen Schulkomödien sind schon weit
vorgeschritten.
Von zusammenfassenden Darstellungen sind in Vorberei-
tung, zum Teil schon recht gefördert:
1. Poten, Geschichte des militärischen Erziehungs- und Unter-
richtswesens in den Ländern deutscher Zunge.
2. Güdemann, Geschichte des Unterrichts- und Erziehungswesens
bei den deutschen Juden.
3. Votsch, Geschichte des geographischen Unterrichts.
1) Letzteres Werk, wie auch Nr. 4 — 6, sind seitdem (1889) im Druck
erschienen.
J. Neuwirth, Verdeutschung des Cato. 61'
Die Redaktion war bemüht, das Interesse für das grofse Unter-
nehmen in die weitesten Kreise zu tragen. Zahlreiche Mitteilungen an
die Mitarbeiter wie an die Leitung der Monumenta zeigen, dafs diese
Bemühungen von Erfolg gekrönt waren.
Weitere Aufgaben, welche dem Unternehmen nützlich sein könnten,
wie die Anfertigung eines Verzeichnisses sämtlicher auf Pädagogik be-
züglichen Schriften, Durchforschung der verschiedensten Zeitschriften
nach Aufsätzen mit pädagogischem Inhalt und anderes konnte von der
Redaktion aus Mangel an Mitteln nicht geleistet werden.
Zu den am meisten gebrauchten Schulbüchern am Ende des Mittel-
alters gehören die bekannten Disticha Catonis , über die Zarncke eine
Monographie veröffentlicht hat. Demselben Thema gilt auch folgende
Arbeit:
J. Neuwirth, Die Z wettler Verdeutschung des Cato (Germania.
Vierteljahrsschrift für deutsche Alterturaskunde. Jhrg. 32 [N. R. Bd. 20],
1887, S. 78—97).
Unter den deutschen Übersetzungen der Disticha Catonis scheint
bis jetzt diejenige unbekannt geblieben zu sein, welche sich in einer
Handschrift der Bibliothek des Cisterzienserstiftes Zwettl in Niederöster-
reich findet. Die aus zehn Pergamentblättern bestehende Handschrift,
von der eine Beschreibung gegeben wird, dürfte dem 14, Jahrhundert
angehören und enthält den lateinischen und deutschen Text nebenein-
ander.
Der letztere lehnt sich zumeist an den der älteren deutschen Hand-
schriftenfamilie an und entbehrt der Kriterien der gesamten jüngeren
Familie. Die Zwettler Übersetzung »rückt in die ältesten, bisher als
vollständig geltenden Verdeutschungen der Distichen Catos ein, deren
für die Textrezension wichtigste A, in Melk befindlich, mit vorstehendem
Sprachdenkmale vielleicht in gleichem Lande entstanden ist«.
Ein vollständiger Textabdruck beschliefst die Arbeit.
Oberlehrer Dr. C. Fietz, Prinzenunterricht im 16. und 17. Jahr-
hundert. Beilage zum Jahresbericht des Neustädter Realgymnasiums
zu Dresden. Dresden 1887 (Progr. Nr. 516).
Die Gründung der sächsischen Fürstenschulen geht auf Kurfürst
Moritz von Sachsen zurück, von dem L. v. Ranke sagt: »Er gründete
das System der Schulen, dafs diesem Lande eine so eigentümliche, alle
Klassen durchdringende Kultur verschafft hat«. Als erster Erzieher von
Moritz wird Balthasar Rysche genannt. Aufser Kost und Hofkleidung
erhielt der »Zuchtmeister« 50 fl. Ehrensold. Moritzens fünf Jahre jün-
gerer Bruder August wurde dem Freiberger Rektor Rivius zur Ausbil-
dung übergeben, mit dem er sodann den Hof Ferdinands I. und die
Universität besuchte. Gelegentlich soll der fürstliche Zögling geäufsert
g2 Geschichte der Altertumswissenschaft.
haben, er würde eine Tonne Goldes darum geben, wenn alle lateinischen
Wörter auf a nach der ersten Deklination gingen. Sein Nachfolger Chri-
stian wurde durch Dr. Paul Vogler erzogen. Für seine gute Bildung
spricht seine Fürsorge für das Schulwesen, die er unter anderem auch
durch die Schulordnung vom 1. Januar 1580 bewährt hat.
Über die Erziehung von Johann Georg III. (geb. 1647, f 1691)
gibt die Handschrift J. 447m zu Dresden Aufschlufs. Auf Vorschlag
der beiden Universitäten Leipzig und Wittenberg wurde Dr. Paul Hoff-
mann als Erzieher berufen, der zelin Jahre in dieser Stellung verblieb.
Die Instruktion, nach der er verfahren niufste, hat sich leider nicht er-
halten. Hofprediger Jakob Weller war Oberinspektor der Erziehung, und
nach dessen Tode trat Oberhofprediger Martin Geyer in diese Stellung.
Über den Unterricht geben eine gröfsere Anzahl Arbeitsbücher
und das »Vor Zeichuus der Bücher, welche in der jungen Herrschaft
Studier Stublein in drey Tabulet sein gesetzet worden« , die sich eben-
falls in der Dresdener Handschriftensammlung befinden , Aufschlufs. In
den Arbeitsbüchern merkt man den Einflufs Melanchthons, der dem evan-
gelischen Schulwesen des Reformationsjahrhunderts seine feste Gestalt
gegeben hatte. Für das 17. Jahrhunderts ist ein aus dem Ende desselben
stammender Entwurf von J. F. Reinhard wertvoll, der den Einflufs einer
neuen Zeit merken läfst.
Um 1600 waren die Lehrfächer: Schreiben, Rechnen, Religion,
Musik, Dialektik, Latein und etwas Geographie und Geschichte.
Als Lehrbücher gebrauchte Christian nach dem »Verzeichnufs der
Bücher, welche die junge Herrschaft zum Studieren gebraucht« : Bibel,
Gesangbuch, vier Büchlein von Fragestücken des Katechismus, Betbüch-
lein des Kurfürsten Augusti, Sonntagsevangelien, Deutsch Katechismus
Dr. Lutheri, Taufpredigt Dr. Miri, Klein Spruchbüchlein, Latein. Catech.
Lutheri, Embleraata Alciati, Ofticia Ciceronis lateinisch und deutsch, Fa-
bulae Aesopi deutsch mit Figuren, Fabulae Aesopi versibus explicatae,
Libellus versificatorius, elegantiarum e Plauto et Ter. libri G. Fabricii,
grammat. Philipp! , Rechenbuch Adam Rieses, Tabulaturbuch , Synopsis
Geographica deutsch von M. Frenzel.
Noch charakteristischer sind die Bücher, welche in der Bibliothek
der Hofmeister standen: Die Chiliades adagiorum des Erasmus von
Rotterdam, Apparatus verbb. lg. lat Ciceronianus, von Rudolf Agricola
die drei Bücher de inventione dialectica (sogar in zwei Exemplaren), die
griechische Grammatik des Theodorus Gaza, welche bekanntlich Erasmus
ins Lateinische übersetzt hatte, die Elegantien des Laurentius Valla, von
Johannes Sturm De amissa dicendi ratione et de litterarum ludis, schol.
Fabric. puer. libri XI, ein Rechenbuch, Libellus de synonymis Terent-
et commut. phrasium per Basilium Fabrum, Lexicon graeco-latinum,
Thesaurus graecae linguae Heurici Stephaui cum appendice Camerarii
comm. utriusque linguae, Donatus germ. in zwei Exemplaren etc. Die
C. Fietz, Prinzenunterricht. 68
665 Bücher, welche das Ganze bildeten, sind die Bibliothek eines huma-
nistisch gebildeten Pädagogen.
In der Fortsetzung (S. 8 ff.) werden sodann die Arbeitsbücher nach
den einzelnen Fächern besprochen. Aus denselben läfst sich ein ziem-
lich vollständiges Bild dessen gewinnen, was ein sächsischer Prinz des
16. und 17. Jahrhunderts zu lernen hatte.
Als Hauptfächer des Unterrichts im 16. Jahrhundert erscheinen
Latein und Dialektik. »Beide zusammen befähigten den Gelehrten jener
Zeit zum Glanzpunkt des Wissens, den Disputationen, dem Fürsten
sollten sie die wünschenswerte Beredsamkeit geben und ihn in Stand
setzen, die Staatsschriften zu verstehen«. Ein Beispiel aus dem Jahre
1596 zeigt, wie man auch schon damals den Reim angewandt hat, um
das Lernen zu erleichtern, und zwar speziell für das Erlernen der Vo-
kabeln. Auch Übersetzungen aus dem Deutschen ins Lateinische, ar-
gumenta genannt, finden sich, Nachahmungen von Cornel, Curtius und
Cicero.
Wesentliche Änderungen im Prinzenunterricht lassen die aus dem
18. Jahrhundert vorhandenen Arbeitsbücher erkennen. An die Stelle des
zurücktretenden Latein rückt Französisch und Briefstil. »Denn die jetzt
aufgekommene Bildung des galant homme erforderte aufser neuern Spra-
chen besonders Gewandtheit im schriftlichen Ausdruck«. (S. 16). Auch
die mathematischen und historischen Disziplinen fanden eifrige Pflege.
Überall merkt man den Einflufs des Zeitalters von Ludwig XIV. Die
erste Anwendung der neuen Prinzipien auf den Prinzenunterricht hat
wahrscheinlich Leibniz gemacht in seinem Projet de l'^ducation d'un
prince (1693). Für den sächsischen Hof verfafste Johann Friedrich
Reinhard ein ähnliches Gutachten, das sich handschriftlich erhalten hat.
Derselbe war 1648 in Berlin geboren, studierte in Helmstädt und
Strafsburg, machte dann Reisen, trat unter dem grofsen Kurfürsten in
brandenburgische Dienste, die er 1697 mit einer Stelle im sächsischen
Steuer- und Bergwerkskollegium vertauschte. Später ist er Archivbeam-
ter und gibt das theatrura prud. eleg. heraus. Die Künste, welche ein
Prinz zu erlernen hat, teilt er ein in solche, quae pertinent 1. ad splen-
dorem, 2. ad prudentiam, 3. ad virtutem, 4. ad oblectamentum. Zur
ersten Klasse gehört eloquentia et linguarum scientia. Ein Fürst mufs
die Sprache seiner Grenznachbarn verstehen. Französisch insbesonders
mufs er mündlich und schriftlich handhaben können.
Bei einer Vergleichung des Reinhardtschen Entwurfes mit dem
Projet von Leibniz kommt der Verfasser zu folgendem Ergebnis : »Weit
gröfser (als die Ähnlichkeiten) sind die Unterschiede der beiden Ent-
würfe. Leibniz schreibt in elegantem Französisch, Reinhard in dem
schwerfälligen Gelehrtendeutsch, jener entwirft den Plan, ohne ein Buch
zu benutzen, dieser wendet grofse Belesenheit an, um jede Forderung
zu beweisen. Leibniz ist ganz selbständig, Reinhard ganz abhängig von
64 Geschichte der Altertumswissenschaft.
seinen Vorgängern, der Plan des ersteren ist genial, aber undurchführ-
bar, der des letztern nüchtern, aber ausführbaro. (S. 25).
Die fleifsige Schrift ist eine dankenswerte Bereicherung unserer
pädagogischen Litteratur. Die Benutzung handschriftlicher Quellen ver-
leiht ihr einen besonderen Wert, indem die aus den Handschriften ge-
machten Mitteilungen hier zum ersten Mal einem weiteren Leserkreis
zugänglich gemacht werden.
Oberlehrer Dr. phil. Woldemar Boehne, Die Erziehung der Kin-
der Ernsts des Frommen von Gotha. Chemnitz 1887. 4. (Beilage
zum Jahresbericht des städtischen Realgymnasiums zu Chemnitz für
Ostern 1887. Progr. Nr. 513).
Der Verfasser, welcher für seine Arbeit die Akten der herzogl.
Geheimen Haus- und Staatsarchive zu Koburg und Gotha benutzte, will
in seiner Monographie einen Beitrag liefern zur pädagogischen Littera-
tur, aus der man ersehen kann, wie wahrhaft grofse Männer ihre Kin-
der erzogen haben. »Von diesem Standpunkte schildern die vorliegen-
den Zeilen die Erziehung der Kinder Ernsts des Froramen, jenes edlen
und begabten Fürsten, der mitten in den Wirren des dreifsigj ährigen
Krieges und trotz des allgemeinen Verfalls der folgenden Zeit die go-
thaischen Lande zu einer Blüte erhob, die mit berechtigtem Staunen er-
füllen mufs«.
Von dem Bewufstsein der Pflicht der Eltern für die Kindererzie-
hung durchdrungen, hatte er eine hohe Vorstellung von dem Werte der
Erziehung. An Gelegenheit zur Bethätigung seiner Ansichten fehlte es
ihm nicht, da ihm von seiner Gemahlin Elisabeth Sophia 18 Kinder ge-
schenkt wurden. Für die Erziehung kommen nur zwölf in betracht we-
gen des frühen Todes der andern. Die Inspektion über die Erziehung,
welche nach einer gründlich durchberatenen Instruktion geordnet wurde,
hatte der »Geheime Rat«, eine Körperschaft, welcher die höchsten Be-
amten des Landes angehörten. Nur während der ersten Kinderjahre
hatte die fürstliche Mutter, der einige dienende Geister zur Seite stan-
den, einen gröfseren Einflufs auf die Erziehung. Auch dafür hatte der
Fürst eine Instruktion entworfen. Im übrigen waren Vater wie Mutter
ausgezeichnete Vorbilder für die heranwachsenden Kinder.
Die ganze Zeit war von Morgen bis Abend streng geregelt. Um
sechs Uhr früh mufsten die Kinder aufstehen, sobald sie das sechste
Lebensjahr erreicht hatten. Um V^H Uhr war die Hauptmahlzeit, und
um acht Uhr begann die Vorbereitung zum Schlafengehen. Den Dienern
und Lehrern wurde eingeschärft, die Kinder vor »abergläubischen alt-
väterischen Vorbildungen« zu bewahren. Im übrigen aber war selbst
den Dienern das Recht körperlicher Züchtigung eingeräumt. Der erste
Unterricht wurde in biblischer Geschichte mit Hilfe von Bildern erteilt.
Überhaupt war dem Religionsunterricht ein breiter Raum zur Ver-
W. Boehne, Erziehung der Kinder Ernsts des Frommen. 65
ftigung gestellt. Auch auf regelmäfsigen Besuch des Gottesdienstes wurde
hoher Wert gelegt. Ferien hatten die Prinzen die gleichen wie die
öffentlichen Schulen.
Die Hofmeister, die meist 300 Thaler bei freier Station hatten,
wurden auf gegenseitige vierteljährliche Kündigung angestellt und hatten
mitunter ihr Amt nicht lange inne.
Neben der Charakterbildung, nach welchen der Herzog in erster
Linie strebte, wurde auch die intellektuelle Bildung nicht vernachlässigt.
Neben den elementaren Fächern (Religion, Lesen, Schreiben und Singen)
mufsten die Prinzen noch »Compendium Theologiae, linguam Latinam,
Rechnen, Historica, Ethica und Politica axiomata und discursus, nicht
weniger Malen, Musik und dergleichen« treiben. Nur selten wurden die
Anfangsgründe durch junge Lehrer erteilt und im ganzen das Fachlehrer-
system beobachtet. Die Präceptoren erhielten ausnahmslos besondere
Instruktionen; während des Unterrichts war ihnen »eine feine geziemende
gravitäta vorgeschrieben. Repititionen mufsten oft stattfinden, selbst in
der schulfreien Zeit, z. B. auf Spaziergängen.
Mehr als ein Drittel sämtlicher Unterrichtsstunden, 10—12 Lek-
tionen in der Woche, gehörten dem Latein. Aufserdem fanden zahl-
reiche Sprechübungen statt: auf Spaziergängen, beim Spiele und bei der
Tafel wurde lateinisch geredet. Nur beim Essen wurde vor einer Über-
treibung der lateinischen Konversation gewarnt, »damit nicht ein Verdrufs
der lateinischen Sprache bei Unseren Kindern möge erwecket werdena.
Bei den älteren Prinzen war Latein auch die Unterrichtssprache, die
aber später durch Französisch ersetzt wurde. Doch waren die Leistun-
gen im Lateinischen nicht immer sehr glänzend, woran die mangelhafte
Methode einen Teil der Schuld tragen mochte.
Für die lateinische Lektüre wurden neben der »Schola Latinitatis«
auch Cornelius Nepos, Justinus, Florus, Curtius und Livius benutzt. Die
Übungen im Übersetzen galten zugleich als Übungen im Deutschen, wo-
für sonst nicht viel Zeit verwendet wurde.
Das Französisch wurde meist erst nach dem zwölften Jahre und
auch dann nicht immer mit Ernst betrieben. Ähnlich wurde auch die
Geschichte erst von den älteren Prinzen gelernt. Neben Sleidanus und
Boxhornius war auch das Theatrum Europaeum als Lehrbuch vorge-
schrieben, worüber sich jeder wundern wird, der einmal die schweren
Folianten dieses sonst so wertvollen Werkes benutzt hat.
Geographie, Mathematik, Logik, Ethik und Rechtsgelehrsamkeit
erscheinen gleichfalls unter den Lehrgegenständen, unter denen auch die
Kriegskunst und ritterliche Übungen nicht fehlten. Ebenso wurde das
übliche Bildungsmittel der Reisen nicht verabsäumt.
Die Prinzen Albrecht und Bernhard besuchten auch das Fürsten-
kolleg in Tübingen, welches der Herzog Ludwig von Württemberg 1589
gegründet hatte. Diese Anstalt hatte den gleichen Lehrkörper wie die
Jahresbericht für Alterthumsirissenscbaft. LXIV. (1890. III.) 5
66 Geschichte der Altertumswissenschaft.
Universität. Die beiden sächsischen Prinzen besuchten daneben die Vor-
Icsuiigou des Professor Magnus Hessenthal über Beredsamkeit und Stil,
ualuiien an den französischen Übungen bei Professor du May teil; auch
die lateinischen Übungen wurden fortgesetzt.
Lektionstabellen verschiedener Prinzen schliefsen die nützliche und
ganz aus den ersten Quellen geflossene Arbeit.
Hier sollte sich die Geschichte einzelner Schulen anreihen:
mit Rücksicht auf den zur Verfügung stehenden Raum wurde dieser Ab-
schnitt für den nächsten Bericht zurückgelegt.
Wir beginnen deshalb mit der Gelehrtengeschichte, indem wir
auch hier Italien voranstellen.
Camillo Antona-T raversi, professore di lettere italiane nel r.
collegio militare di Roma, Studj su Giacomo Leopardi con notizie e
documenti sconosciuti e inediti. Napoli, Enrico Detken, editore 1887.
8. VIII und 363 p.
Der im Jahre 1798 zu Recanati geborene und 1837 zu Neapel
verstobene Graf Leopardi reizt die italienischen Gelehrten immer wieder
zur Darstellung, trotzdem dafs in früherer Zeit mehrfach Arbeiten über
ihn veröffentlicht wurden, von denen z. B. Montanari (biografia del conte
G. L. Roma 1838) und Fei. Tocco (Studi critici in der Rivista Bolog-
nes. 1886) genannt sein mögen.
Bezeichnend sind die Worte des Verfassers (S. VI): »Ma dunque
la vita compiuta e veritiera di Giacomo Leopardi non s'ha da scrivere,
0 dobbiamo aspettare che, comme per Dante e per il Bocaccio, ce la
scrivano i Tedeschi?«
Gewidmet ist die Schrift »dem süfsesten Lehrer und Freunde«,
dem Professor Alfonso Cerquetti, unter dessen Augen diese neuen Studj
leopardiani entstanden sind, und der verstehen würde sie gegen die
scharfen und heftigen Kritiken, wie sie in dem gegenwärtigen Italien
üblich sind, zu verteidigen. Überhaupt ist der Verfasser schlecht auf
die italienischen Kritiker zu sprechen. So lesen wir z. B. folgende
Schilderung von dem kritischen Empfang, den er für sein Werk erwar-
tet: »11 libro sarä appena uscito, che, al solito, i nostri ipercritici —
maestri e donui di ciö che non sanno — griderauno, vuoi allo scandalo,
per la franchezza di taluni giudizj e la nuda veritä di molti fatti; vuoi
alla inutilitä o al pettegolezzo, per la mole non leggiera delle notizuole,
della cronaca spicciola leopardiana e degli anedotti da me, con la solita
diligenza, raccolti e annotati«. Sollte es in Italien mit der litterarischen
Kritik wirklich so schlimm bestellt sein, oder sieht der Verfasser zu
düster ?
Der Inhalt des Buches zerfällt in folgende Abschnitte:
Giacomo Leopardi e A. Manzoni. — Notizie e aneddoti sconos-
ciuti intorno a G. Leopardi e alla sua famiglia. — Una lettera iuedita
C. Antona-Traversi, Studj su G. Leopardi. 67
di Monaldi Leopardi. — Recanati e Monaldo Leopardi. — Un capi-
tolo inedito dell' »Autobiografia« di Monaldo Leopardi. — Pochi cenni
sul Conte Carlo Leopardi. — Carlo Leopardi. — Giacomo Leopardi fan-
ciullo. — Giacomo Leopardi a Pisa. — La Salma di Giacomo Leopardi.
Der Anhang enthält folgende Kapitel: Saggio cronologico di una
bibliografia del Leopardi e del Manzoni. — Lati nuovi di un vecchio
argomento. — Carlo Leopardi. — Leopardiana. — Dal »Vessillo
delle Marche«. — Appendice alla Salma di Giacomo Leopardi.
Der gröfste Teil des Inhaltes dieses Werkes entzieht sich einer
eingehenden Besprechung an dieser Stelle, weil er aufserhalb des Rah-
mens des »Jahresberichtes« liegt. Doch dürfen wir ganz besonders auf
die Anmut der zahlreichen, hier aufgenommenen Briefe hinweisen.
Der Verfasser, welcher schon vier andere Publikationen über Leo-
pardi gemacht hat, unter denen »Giacomo Leopardi e i Classici (Parma
1887)« genannt sein möge, stellt noch weitere über seineu Lieblingsautor
in Aussicht.
Cesare Albicini Giovanni Gozzadini (Estratto dagli — Atti e
Memorie della R. Deputazione di Storia Patria per le Provincie di Ro-
raagna — IIL Serie. Vol. V, Fase. III e IV). VIII p.
Den 25. August 1887 starb auf seiner Villa bei Ronzano der be-
rühmte Altertumsforscher Graf Giovanni Gozzadini. Er war zu Bologna
geboren als Sohn von Giuseppe Gozzadini und Laura, geb. Pappafava,
aus dem Stamm der Carraras zu Padua. Die Familie Gozzadini ist
eine der berühmtesten von ganz Italien und reicht hinauf bis in das
11. Jahrhundert.
Giovanni Gozzadini, anfangs seiner Ausbildung als Kavalier lebend,
wandte sich bald den Studien zu, unterstützt von einer schönen Bücher-
sammlung seines Vaters. Das erste Werk seiner Feder war die Vita
di Armaciotto de' Romazotti, condottiero del secolo XV, von Molini
1835 in Florenz herausgegeben und gelobt. Zufällig auf seiner Besitzung
zu Villanova im Jahre 1844 gemachte Funde gaben seinen Studien die
Richtung auf die Archäologie. Bald boten die Nekropolen bei Bologna
einen wahren Schatz von Funden: Qui si disseppellirono vaste necro-
poli con armi, vasi, eiste, armille, idoletti, fibule, centuroni, fittili d'ogni
specie, mille piccoli avanzi insomma di popoli, dei quali fantasticando
voremmo pur ricomporre la vita.
Eine treue Begleiterin für das Leben fand Gozzadini in Maria Te-
resa di Serego Allighieri, die ihm 40 Jahre zur Seite gestanden (f 1881).
Zahlreiche Schriften über die archäologischen Fragen und Funde
verschaffen Gozzadini einen geachteten Namen unter den Gelehrten, den
er auch durch seinen Charakter verdiente.
Zwei spanische Arbeiten sollen wenigstens verzeichnet sein:
5*
68 Geschichte der Altertamswissenschaft.
El Maestro Renallo, escrittor del siglo XI, en Barcelona. Me-
moria leida en la sesiön de la real acadomia de la historia del 18 de
Marzo de 1887, por Rodolfo Beer. Madrid. 1887. 8". 12 S.
Certdmen cientifico, litterario y artistico, en la ciudad de Pam-
pelona. Imprenta de Joaquin Lorda-Pamplona. 1887. 248 S.
Diese Schrift enthält u. a. eine Biographie von P. Joseph de Mo-
rete, cronista de Navarra, p. 25 — 121.
Von Italien und Spanien wenden wir uns nach dem deutschen
Boden:
Dr. Hermann Bender, Rektor des k. Gymnasiums zu Ulm. Jo-
hann Valentin Andreae (Gymnasialrcden nebst Beiträgen zur Geschichte
des Humanisums und der Pädagogik (Tübingen 1887) S- 256 — 275).
J. V. Andreae, wohl zu unterscheiden von seinem Grofsvater Jakob
Andreae, dem Tübinger Kanzler und Haupturheber der Konkordienfor-
mel, ist schon von Herder der unverdienten Vergessenheit entrissen
worden, trotzdem aber ist seine pädagogische Bedeutung noch nicht hin-
länglich gewürdigt.
1586 in Herrenberg nahe bei Tübingen geboren, bezieht er 1601
nach dem Tode des Vaters Tübingen, macht sodann Reisen durch Frank-
reich und Italien und kehrt 26 Jahre alt nochmals in das Tübinger Stift
zurück, weil er trotz seiner »feinen dona« in »lectione biblica nicht
wohl versieret« war. 1614 wurde er Diakonus in Vaihingen au der
Enz, und hier entstanden seine meisten Schriften. 1620 zum Superin-
tendenten in Calw befördert, machte er hier die schweren Greuel des
dreifsigjährigen Krieges durch, wobei er sein ganzes Vermögen verlor.
1639 berief ihn Herzog Eberhard zu seinem Hofprediger nach Stuttgart,
in welcher Stellung er zwar viel Nützliches schuf, aber auch schlimme
Ei'fahrungen machen mufste. 1654 starb er, im Begriff, in eine weniger
arbeitsvolle Stelle überzugehen.
Aus seinen mehr als 100 Schriften ist herauszuheben der 1617
erschienene Menippus, eine Sammlung von 100 Gesprächen, durch deren
Inhalt sich die Tübinger Professoren so gekränkt fühlten, dafs das Buch
verboten und von einem Tübinger Professor ein sehr grober Anti- Me-
nippus erschien.
Seine pädagogischen Schriften sind eine Opposition gegen die herr-
schende Methode, gegen die damals noch bestehende Melanchthonsche
Schule, nach welcher sich manche jetzt noch zurücksehnen. Er nimmt
seine Stellung in der Nähe von A. Comenius und J. B. Schupp. An
dem Unterrichte der Zeit vermifst er vernünftige Methode, praktischen
Nutzen und religiöse Gesinnung. Im Menippus persifliert er die Ma-
gister, Grammatiker, Dialektiker und Rhetoriker, von denen mancher
glaubt, er sei so gelehrt, »dafs er von Kunst ganz überging und ihm der
Witz zum Maul raushing«. Die Magistri erscheinen ihm als Asiuicrea-
H. Bender, Johann Balthasar Schupp. 69
tores. Von drei Dingen will man auf den Universitäten nichts wissen:
von freiem Denken, von wahrer Gelehrsamkeit und echter Frömmigkeit.
1617 erschien Andreaes pädagogische Hauptschrift: Reipublicae
christianopolitanae descriptio, Beschreibung der Republik Christianstadt,
worin er seine Vorstellung vom vollkommenen Staate darstellt, in dem
die Schule eine wichtige Rolle spielt. Sein Idealstaat liegt angeblich
auf einer kleinen Insel im antarktischen Meere; in der Stadt Christia-
nopolis haben sich Religion, Wahrheit und Güte niedergelassen. Aufser
moralischen und religiösen Büchern wird wenig gelesen und gedruckt.
Für jeden einzelnen Zweig der Wissenschaft, Kunst etc. gibt es beson-
dere Gebäude. Es wird ein Anschauungsunterricht erteilt, dessen ein-
zelne Züge grofse Ähnlichkeit mit der heutigen Methode haben. Für
beide Geschlechter besteht Schulzwang. Gelernt soll nichts werden, das
nicht auch verstanden wird. Lateinisch, Griechisch und Hebräisch wer-
den nach verbesserter Methode gelehrt, so dafs man hier in einem Jahre
mehr lernt, als in den Schulen der Zeit während zehn Jahren. Latei-
nisch dient hauptsächlich zur Erlernung des Deutschen. Alles Lernen
ist in fruchtbare Verbindung zum Leben zu setzen, und der letzte Zweck
bleibt die Frömmigkeit.
Zur Ergänzung davon dienen die Ansichten, welche Andreae in
seinem 1649 erschienenen Theophilus niedergelegt hat. Als höchstes
Ziel erscheint die Heranbildung der Kinder zu Christen: nicht Cicero
und Demosthenes sollen Vorbild sein, sondern Christus und Paulus.
Aber auch die weltliche Wissenschaft soll nicht versäumt werden. Jetzt
lernt man vieles Unnütze und zu vierlerlei. Doch sind Latein, Grie-
chisch und Hebräisch für gründliche Bildung notwendig; dann kommt
Mathematik, dann erst Logik und Dialektik. Der »Neuerer« Andreae
gehört somit zu den Vorläufern von A. H. Francke.
Dr. Hermann Bender, Johann Balthasar Schupp (Gymnasialreden
nebst Beiträgen zur Geschichte des Humanisums und Pädagogik [Tü-
bingen 1877] S. 218—255).
Das kurze Lebensbild Schupps, das ebenso sehr in die Kirchen-
geschichte wie in die Geschichte der Pädagogik gehört, ist nur in sei-
nem zweiten Teil hier zu besprechen. Schupp gehört neben Ratke und
Comenius zu den pädagogischen Reformern des 17. Jahrhunderts. 1610
in Giefsen geboren und auf dem dortigen gymnasium illustre vorgebildet,
studierte er in Marburg, mit dem Giefsen kurz vorher verbunden wor-
den, zuerst Philosophie unter Rudolf Goclenius, dem »logikalischen Feld-
marschall«, und sodann Theologie. Nach grofsen Wanderungen in dem
mittleren und nördlichen Europa wurde er 1635 Professor der Geschichte
und Beredsamkeit in Marburg, 1643 Prediger an der Elisabethkirche,
1646 Hofprediger des Landgrafen Johann in Braubach a. Rh., der von
Schupp sagte: »er hat einen hitzigen Kopf und ein deutsches Maul,
70 Geschichte der Altertumswissenschaft.
aber er hat ein ehrlich Gemüt und Herz«. 1649 wurde er Prediger in
Hamburg, wo er 1G61 starb.
Von seiner eigentümlichen Predigtweise, die an Abraham a St.
Clara erinnerte und ihm viele Gegner unter seinen Amtsgenossen zuzog,
kann hier nicht gehandelt werden. Dagegen sind seine Verdienste
um Erziehung und Schule kurz zu erwähnen »Wir erkennen aus
Schupps Schriften nicht blofs den damaligen Zustand der Schulen, son-
dern auch die Mittel, welche man zur Heilung der mannigfachen Schä-
den vorschlug«. Wie Comenius wollte auch Schupp unter Verwerfung
des bisherigen Formalismus der Schule diese mehr den Bedürfnissen des
praktischen Lebens anpassen. Seine Ansichten hat er am ausführlich-
sten vorgetragen in der Schrift »Ambassadeur Zipphusius oder Vom
Schulwesen«.
Die Not der Schulen leitet er daraus ab, dafs sich kein grofses
Ingenium, kein generöses Gemüt mehr in den Schulen brauchen lassen
wolle; »denn sie sehen, dafs sie weder Ehr noch Brot davon haben.
Grofse Herren lassen sich nennen Pfleger und Patrone der Kirche und Schule
und erweisen solches gar schlecht in der That«. Die vier Verba Amo, Do-
ceo. Lege, Audio enthalten das, was ein guter Schulmeister zu thun hat.
Die übliche Verbindung von geistlichem und Schulamt mifsbilligt er.
»So lange die Einbildung währet, dafs der Status scholiasticus notwendig
müsse verbunden sein mit dem Statu ecclesiastico, so lange werden keine
guten Schulen in Deutschland sein«.
Bedenkliche Zustände müssen nach Schupps Schilderungen auf den
deutschen Universitäten geherrscht haben. Den Studenten definiert er:
Studiosus est animal nihil aut aliud agens. Besonders zuwider ist ihm
der Pennalismus, d. h. die systematische rohe Unterdrückung und Mifs-
handlung der jüngeren Studenten durch die älteren, die Schönsten
hiefsen. Ein schlimmer jMifsbrauch ist das Vergeben oder Verkaufen
akademischer Würden.
Wertlos sind die Disputationen, wo die Studenten über alles Mög-
liche sprechen sollen, z. B. darüber, ob die Frauen zur Regierung fähig
seien. Die Sprachen werden vernachlässigt, die Gegenstände der einzel-
nen Fakultäten sind zu nutzlosen Spitzfindigkeiten herabgewürdigt. Des-
halb will es Schupp scheinen, dafs nicht alle Weisheit an die Universi-
tät gebunden ist. Die wahre Schule ist die Welt, das Leben. Wenn
er nun aber den Rat erteilt, die jungen Leute sollten sich an die Höfe
halten, wo man die Welt erst recht kennen lerne, so macht dagegen
Bender geltend, wie gefährlich dieser Rat sei: »Die Höfe haben schon
während der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts nicht gerade bewiesen,
dafs sie die Pflegestätten der höheren Bildung, der Sittlichkeit, des Pa-
triotismus waren«.
Der bekannte Thomasius stimmte Schupp bei und bezeichnete den-
selben als »ein sonderbares Werkzeug, dessen sich die göttliche Vor-
C. Dilthey, Epistulae Gottingenses. 71
sehung bedienet, durch die von ihm vorgetragenen Wahrheiten den Stu-
dierenden, sowohl Lehrern als Zuhörern, die Augen aufzuthuncf. Die
Verdienste Schupps um die deutsche Sprache, die er schon vor Thoma-
sius als Unterrichtssprache den Universitäten empfahl, mögen hier nur
kurz angedeutet sein.
Aber weder Andreae noch Schupp sind philologische Namen.
Erst das Ende des vorigen Jahrhunderts sah in Deutschland eine philo-
logische Wissenschaft erstehen, welche der des Auslandes ebenbürtig
war. Über diese ältere deutsche Philologengeneration sind wertvolle
Arbeiten erschienen.
Epistulae Gottingenses a Carolo Diltheyo editae (Index schola-
rum in Academia Georgia Augusta per semestre hibernum a. d. XV
M. Octobris MDCCCLXXXVII usque ad d. XV M. Martis A.
MDCCCLXXXVIII habendarum. Gottingae officina academica Diete-
richiana typis expressit. Wilh. Fr. Kaestner). 4^. 44 S.
Eine wertvolle Sammlung von Philologenbriefen aus dem Anfang
des Jahrhunderts, die aus den zu Göttingen (Universitätsbibliothek und
Akten des Kuratoriums), Bonn (Universitätsbibliothek), Gotha (Privat-
besitz des Rechtsanwaltes Jacobs, eines Enkels des berühmten Jacobs)
und Karlsruhe (Hof- und Landesbibliothek) befindlichen handschriftlichen
Originalien mitgeteilt werden.
Die ersten Briefe, sämtlich aus dem Jahre 1812, von und an
Heeren in Göttingen, Jacobs in Gotha und Leist in Cassel, den Unter-
richtsdirektor des Königreiches Westfalen, führen uns ein in die Schwie-
rigkeiten, welche mit der Wiederbesetzung der Heyueschen Professur
verbunden waren. Den 14. Juli 1812 war der berühmte Hej-ne in
Göttingen gestorben: »Ein Schlagflufs befiel ihn beym Ankleiden, und
versetzte ihn in einem Augenblick in eine bessere Welt. So hat er von
den Bitterkeiten nichts gefühlt und uns die Trauer des Abschiedes er-
spart. So ward sein Wunsch erhört, mit ungeschwächter Geisteskraft
abgerufen zu werden«. Die zahlreichen Schüler beklagten den Tod
ihres Meisters. Sein Lieblingsschüler Jacobs, damals Bibliothekar in
Gotha, klagt: »Die Art seines Todes ist seines Lebens Wert. Nicht
sobald werden wir wieder in diesem selbstsüchtigen Jahrhunderte einen
ihm Gleichen sehn, voll so reinen und heiligen Eifers für das Gute, in
welcher Gestalt es sich auch zeigen mochte, von so weitgreifendem
Geist, einem so festen und gediegenen Sinn, in einer so schönen und
treuen Liebe gegen alles, was er einmal der Liebe würdig gefunden hatte«.
Alsbald begannen die Unterhandlungen wegen der Wiederbesetzung
des Heyneschen Lehrstuhles. Heeren, der Schwiegersohn Heynes, war
der Vertrauensmann der Regierung, die in Leist, dem Nachfolger von
Johannes von Müller, einen tüchtigen Beamten besafs. Heyne hatte sich
schon bei Lebzeiten seinen Lieblingsschüler Jacobs zum Nachfolger ge-
72 Geschichte der Altertumswissenschaft,
wünscht, und so wird er auch in erster Linie neben Creuzer in Heidel-
berg und Böttiger in Dresden vorgeschlagen.
Aber die von Heeren mit Jacobs geführten Unterhandlungen führ-
ten nicht zu dem gewünschten Ergebnis. Letzterer machte unter an-
derm auch seine Harthörigkeit geltend, die ihn zu Heynes Nachfolger
ungeeignet mache. Der ausschlaggebende Grund aber war die Meinung
von Jacobs, er sei nicht tüchtig genug, um an der ersten Universität Euro-
pas, wofür Göttingen in diesen Briefen mehrmals erklärt wird, der Nachfol-
ger eines solchen Mannes zu werden. Den 25. August 1812 schreibt er an
Heeren: »Es fehlt mir der Mut, auf eine Stelle zu treten, der ihre vorigen
Besitzer einen so grofsen Glanz gegeben haben. Wie soll ich diesen erhal-
ten? Und soll die erste Universität Deutschlands durch meine Schuld ihren
alten Ruhm geschmälert sehen? Metiri se quemque suo modulo ac pede
verum est!« (S. 11), und als der Antrag erneuert wird, antwortet Jacobs
wiederum: »Nun kann ich mich aber weder über jenes, noch über meine
eignen Kräfte täuschen. Ich kann mir nicht verbergen, was es heifst
in Göttingen, d. h. auf der ersten Universität von Europa für die Phi-
lologie in ihrem ganzen Umfange, in Theorie und Praxis, zustehe, und
ich habe weder die Anmafsung zu glauben, dafs ich so viel jetzt schon
umfafste, noch das Vertrauen, in meinem jetzigen Alter das, was mir
mangelt, leicht und schnell genug ersetzen zu können«. (8. 15).
Die obigen Mitteilungen sind wohl geeignet, die Worte Creuzers
in dessen Autobiographie (Aus dem Leben eines alten Professors. Dessen
deutsche Schriften. Abth. V. I. S. 95) einzuschränken, wenn er be-
hauptet, Heyne habe ihm brieflich mitgeteilt, er denke immer an ihn als
au seinen Nachfolger. Zugleich ist es eine Ergänzung zu Creuzers Werk,
wenn wir hier S. 19 erfahren, dafs Dissen aus Marburg auf Heynes
Lehrkanzel berufen wurde.
Die Briefe XVH — XX geben ein Stück Heidelberger Gelehrtenge-
schichte. Der berühmte Philologe Creuzer in Heidelberg schüttet dem
befreundeten Heeren sein Herz uns. Wertvoll sind die Mitteilungen
über Joh. H. Vofs, der damals schon in Heidelberg wohnte, auf die
Universität bedeutenden Einflufs übte, wenn er auch nicht dem Lehr-
körper derselben angehörte. Der mehr als derbe Mecklenburger scheute
sich vor Scenen nicht, wie sie S. 25 hier beschrieben sind. Der weichere
und sensiblere Ci'euzer, der sich dabei zwar ehrenhaft benahm, hätte
doch gern einen andern Boden für seine Thätigkeit in einer Göttinger
Professur gewonnen. Zwar stellte sich das Kuratorium der Universität
Heidelberg auf seine Seite, aber »die stillen Kreise seines Wirkens«
zu Heidelberg schienen ihm durch Vofs unwiderbringlich zerstört. Erst
nach der verunglückten Episode der Leydener Berufung fühlte er sich
dauernd an Heidelberg gefesselt und erklärte, er habe niemals den
Wunsch gehabt, an Heynes Stelle zu kommen (S. 30). Auch auf die
ersten Anfänge ß öckhs, der sich in Heidelberg habilitiert hatte, fällt ein
C. Dilthey, Epistulae Gottingenses. 73
Lichtstrahl; Creuzer schreibt (S. 27): »Der nun auch hier angestellte
Professor Extraord. Boeckh, mit dem ich sehr gut stehe, liest mit besse-
rem Beifall als der jüngere Vofs, der einige Vorlesungen gar nicht zu
Stande brachte«.
Die nächste Gruppe (Brief XXI — XXVI) behandelt die Berufung
Welckers aus Giefsen nach Göttingen im Jahre 1816, nachdem Creuzer
abgelehnt hatte. Besonders interessant ist der Brief von Jacobs, welcher
der Vertrauensmann Heerens war. Letzterer hatte von Boeckh, der
auch wegen Göttingen genannt worden war, geurteilt (S. 37): »Von
Boeckh habe ich einmal die Meinung, dafs er kein umfassender Kopf
ist, und nicht viel mehr als den Pindar grammatisch kennt«. Jacobs,
der aber ein besseres Urteil hatte, schrieb dagegen zurück: »Unter den
Candidaten Ihrer Liste würde ich doch in Rücksicht auf Tiefe und Um-
fang der Gelehrsamkeit dem Professor Boeckh den Vorzug erteilen. Er
ist voll Geist, von unermüdlicher Arbeitsamkeit, und mit einer seltenen
Leichtigkeit begabt, in jeden Gegenstand einzudringen, auf den er seine
Studien zu richten für gut findet. Er ist in den Tragikern und im
Plato nicht viel weniger zu Hause als im Pindar, und schon die Art,
wie er den letztern behandelt, die Fülle grammatischer, metrischer, mu-
sikalischer Kenntnisse, die er dabey an den Tag gelegt hat, läfst er-
warten, dafs er einen ganz vorzüglichen Rang unter den Humanisten
unseres Vaterlandes einnehmen werde etc.«
Aufserdem waren noch Thiersch und Sickler in Frage gekommen.
Während letzterem es nicht gelang, eine akademische Stellung zu erobern
(er ist später als Direktor des Gymnasiums in Hildburghausen gestorben
und hat nicht einmal Aufnahme in das Werk Bursians über die deutsche
Philologie gefunden), hat Thiersch in Manchen ein lohnendes Feld für
seine eifrige Thätigkeit und seine ausgedehnten Kenntnisse erworben.
Über ihn hatte Jacobs folgend erraafsen geurteilt: »Thierschs Talente sind
ganz aufser Zweifel, aber ihm schadet ein allzustarkes Selbstgefühl und
eine allzu rege Ruhmbegierde. Er will den Ruhm erstürmen, und nicht
etwa eine Art desselben allein, sondern alle zugleich. Das ist sein
gröfster Fehler, die Quelle seiner Streitigkeiten und ein Stein des An-
stofses bei Vielen; übrigens ein gewissenhafter Lehrer, unermüdlich in
jedem Geschäft, unerschrocken, offenherzig und edelmütig. Wirken wird
er überall, wo er auftritt; aber so wie er nun einmal ist, möchte seine
Wirksamkeit vielleicht mehr für Jena als für Göttingen taugen«.
Der einzige, mit dem Unterhandlungen angeknüpft wurden, die
dann auch zum gewünschten Ziele führten, war Welcker, dessen Beurtei-
lung (S. 34) ebenfalls voll Anerkennung ist. Welcker blieb aber nur
kurze Zeit, um dann nach Bonn überzusiedeln. Sein Nachfolger wurde
auf Boeckhs Empfehlung der damals erst 22jährige Otfried Müller, von
dem Dissen (Brief XXVIII. 16. Jan. 1820) an Welcker schreibt: »An
unserem Müller haben wir einen fröhlichen, kindlich gutmütigen, ge-
74 Geschichte der Altertumswissenschaft.
schickten Jüngling gewonnen. Er hat Liehe und Beifall und wird gewifs
viel gutes leisten. Er sitzt am Tische hei mir und ich sehe ihn also
alle Tage«. Die Verehrung, welche er in den letzten Briefen für den ihm
entrückten Freund ausspricht, zeugt von einem weichen und begeiste-
rungsfähigen Gemüt, wie z. B. wenn er schreibt: »Die Zartheit und un-
aussprechliche Milde Ihres Gemütes, die Festigkeit grofser Überzeugungen
und doch das unvergleichliche Maafs in ihrem ganzen Wesen hat mir
immer die gröfste Bewunderung und Anhänglichkeit an Sie eingeflöfst«.
(S. 43).
Nachträge zur Geschichte und Kritik der Wolfschen Prolegomena
zu Homer. Zweiter Teil. Von Direktor Dr. R. Volkmann. (Beil.
z. Progr. des Gymnasiums zu Jauer. 1887. Progr. Nr. 176. 16 S.).
Im Grunde gehört diese Arbeit weniger hierher als vielmehr in
das Referat über Homer. Der gelehrte Verfasser bietet in dieser Fort-
setzung seiner Arbeit Folgendes:
VI. Einige Stellen aus Briefen von J. H. Vofs an Wolf, worin
u. a. die Worte vorkommen : Über den Homer habe ich mein Bekennt-
nis Ihnen selbst abgelegt. Ich glaube einen Homer! Eine Ilias! Eine
Odyssee! Aber ich bin kein vei'stockter Gläubiger, der nicht Beweisen
des Gegenteils nachgeben könnte. Diese sind Sie noch schuldig etc.«
VII. Bernhardy hatte in einer akademischen Gelegenheitsschrift
der Universität Halle (Epicrisis disputationis Wolfianae de carminibus
Homericis) seinen Lehrer Fr. A. Wolf gegen einen Aufsehen erregenden
Angriff seines Hallenser Kollegen L. Rofs, welchen dieser in seiner Vor-
rede zu seinen Hellenika veröffentlichte, verteidigt; die polemische Stelle
mufste aber auf höhere Weisung unterdrückt werden. Volkmann ver-
öffentlicht nun aus dem auf der Halleschen Universitäts - Bibliothek be-
findlichen litterarischen Nachlafs Bernhardys die seiner Zeit unter-
drückte Stelle, in der es übrigens von Rofs heifst: quem ego magni facio
propter candorem et amoenum ingenium cuin elegantissima doctrina con-
iunctum.
VIII. Hier setzt sich Volkmann mit Düntzer auseinander bezüg-
lich der Stelle Cicero de orat. III 34 (Pisistratus angeblicher Ordner
der homerischen Gedichte). Düntzer hatte behauptet, Dikaiarchs ßcog
' EUddog sei dafür vermutlich Quelle gewesen, was Volkmann bestreitet,
indem er damit seine schon vor zwölf Jahren vorgetragene Meinung von
neuem bekräftigt
Abteilung IX — XI müssen in einem andern Abschnitt des »Jahres-
berichtes« eingehend besprochen werden, da sie Auseinandersetzungen
allgemeineren Charakters über die homerische Frage enthalten.
Ein Zeitgenosse von F. Ä. Wolf ist B. G. Niebuhr.
Fr. Eyssenhardt, B, G. Niebuhr. 75
Barthold Georg Niebuhr. Ein biographischer Versuch von
Franz Eyssenhardt. Gotha. Friedrich Andreas Perthes. 1886. 8j".
IV und 286 S.
Der Verfasser will keine eigentliche Lebensgeschichte in dem
Sinne geben, »dafs er alle äufseren Lebensumstände Niebuhrs erzählen
und darstellen will: sein Zweck ist vielmehr, den Begründer der kriti-
schen Geschichtswissenschaft in seinem Wesen verstehen und daraus
seine Leistungen, auch in ihren Mängeln und ihrer Beschränkung, er-
klären zu wollen«. Da Niebuhrs Freundin, Frau Hensler, in den Ab-
schnitten der »Lebensnachrichten« und J. Classen in seiner Fest-
schrift zu der 100jährigen Wiederkehr von Niebuhrs Todestag vieles
Wichtige über dessen Lebensgang mitgeteilt haben, so schien Eyssen-
hardt eine Wiederholung dessen überflüssig. Dagegen will der Verfasser
manche Schriften heranziehen, welche noch der Sohn wegen ihres pole-
mischen Charakters nicht in die nachgelassenen Schriften seines Vaters
mit aufgenommen hat. Ob der Verfasser aber die Lücken, welche der
so reiche Briefwechsel Niebuhrs immer noch läfst, durch weitere hand-
schriftliche Quellen ausfüllen konnte, darüber erhält man auf S. 2
nicht hinreichende Klarheit.
Niebuhr wurde den 27. August 1776 in Kopenhagen geboren und
erhielt seine Erziehung zu Meldorf in Sunderdithmarschen, wohin der
Vater auf seine Bitte als Landschreiber 1778 versetzt wurde. Der immer
kränkliche Knabe hat nur die Prima in Meldorf besucht
Der Aufenthalt im Dithmarschenland war bedeutsam für Niebuhrs
spätere wissenschaftliche Leistungen: »Meine Kenntnis des Landlebens
und Feldbaues sowohl als meine Bekanntschaft mit der Geschichte der
Ditmarschen haben mir in meinen historischen Untersuchungen grofse
Hilfe geleistet«. (S. 7). Aus der Erinnerung an die historischen Lie-
der der freien Ditmarschen entstand Niebuhrs Ansicht über die römische
Königslegende.
Um der Vereinsamung seines Sohnes entgegenzuarbeiten, schickte
ihn der Vater auf die Handelsakademie des Professors Busch in Ham-
burg. Der gröfste Gewinn dieses Hamburger Aufenthaltes dürfte die
vertraute Bekanntschaft mit Klopstock gewesen sein, bei dem er jede
Woche dreimal einen grofsen Teil des Tages zubrachte und der sich zu
Niebuhrs Bedauern »gewöhnlich mit dem allgemeinen Eindruck einer Sache
begnügte«, ohne das Bedürfnis zu haben, in Einzelheiten einzugehen.
Mit der Kenntnis der 20 Sprachen, welche der gelehrte Sohn nach des
Vaters Meinung verstand, ist es wohl nicht zu ernst zu nehmen.
1794 bezog er die Universität Kiel, wo er juristische Encyklopädie
bei Gramer, Logik und Metaphysik bei Reinhold und Reichsgeschichte
bei Hegewisch hörte. Am meisten scheint Reinhold auf ihn gewirkt
zu haben; bezüglich Hegewischs sagt Eyssenhardt: »Die platte Verstän-
digkeit der Vorlesungen dieses Historikers mufs dem kritischen Verstände
76 Geschichte der Altertumswissenschaft.
Niebuhrs ein Greuel gewesen sein«. Niebuhr machte sich damals
allerlei Gedanken über die Entstehung des Menschengeschlechtes, der
Sprache, der Völker, die mit der Bibel nicht sehr im Einklang standen.
Der einzige Lehrer zu Kiel, von dem er lernte, war Reinhold.
Die philologischen Vorlesungen, welche durch die Brüder Gramer ge-
halten wurden, waren so, dafs Niebuhr sie nicht gehört zu haben scheint.
Das Resultat dieser Verhältnisse war folgende Äufserung: »In der That,
es verdriefst mich, so viele durch die Vorlesungen zerrissene Stunden
zu verlieren«. (S. 20). Im übrigen hatte er kaum studentischen Ver-
kehr, fühlte sich aber jetzt schon zum Geschichtschreiber, Altertums-
forscher und Philologen berufen. Dabei gewährte ihm die Lektüre von
Vossens Luise einen »so gleichenlosen Genufs«, dafs er sogar Thränen
vergofs.
Januar 1796 wurde Niebuhr Privatsekretär des Finanzministers
Grafen Schimmelmann in Kopenhagen, sodann Sekretär an der Biblio-
thek daselbst. Im Herbste desselben Jahres verlobte er sich und wollte
sich jetzt in Italien für ein Lehramt in Kiel vorbereiten.
1798 ging er jedoch nach England und Schottland, besuchte Lon-
don und Edinburg, ohne jedoch das zu finden, was er gehofft, woran er
übrigens zum teile selbst die Schuld trug. »Hier kommt offenbar seine
völlige Unfähigkeit, Witz und Scherz zu verstehen, ins Spiel; alle leich-
teren Seiten geistigen Verkehrs existierten für ihn überhaupt fast nicht«.
(S. 33).
Mitte April 1800 war Niebuhr wieder in Kopenhagen und wurde
Assesor im Commerzcollegium für das ostindische Bureau. Nach seiner
Verheiratung verwendete er die freie Zeit, die ihm sein Beruf liefs, zu
Studien über die römischen Ackergesetze und Arabisch. Aber eine an-
gebotene Professur in Kiel lehnte er ab. Wohl aber folgte er 1806
einem Rufe des Freiherrn von Stein als Mitdirektor der Seehandlungs-
sozietät in Berlin. loNiebuhr that den bedeutungsvollen Schritt keines-
wegs gewissermafsen ins Dunkele; er wufste ganz genau, dafs er einer
schwierigen Zeit und einer grofsen Entscheidung entgegenging«. Er
kam gerade noch recht nach Berlin, um sich der Flucht der preufsischen
Behörden aus Berlin nach dem Unglück bei Jena anzuschliefsen. Von
jetzt an diente Niebuhr Preufsen. Aber das Finanzministerium, das
man ihm antrug, schlug er aus, weil er Hardenbergs Finanzpolitik nicht
billigte.
1810 aus dem Staatsdienst entlassen und zum königlichen Histo-
riographen ernannt, hielt er auf Verlangen seiner Freunde Vorlesungen
an der neueröffneten Universität Berlin. Zu diesen Freunden gehörte
Fr. A. Wolf nicht, wohl aber Buttmann und Spalding. Trotzdem lebte
er in der Luft des Wölfischen Gedankenkreises, der rasch zu einem all-
gemeinen Bildungselement des deutschen Lebens geworden war.
Von diesen Vorlesungen können wii* uns ein Bild nach der ersten
Fr. Eyssenhardt, B. G. Niebuhr. 77
Auflage der römischen Geschichte machen, die daraus erwachsen ist.
Die Grundgedanken seiner Auffassung, die aus alten Schriftstellern selbst
entlehnt sind, gipfeln darin, dafs die Römer ein Mustervolk waren, so
lange in ihrer strengen republikanischen auf dem Standpunkte der Be-
wohner eines kleinen Landstädtchens standen, dafs sie aber alsbald in
Verderben versanken, als sie die Weltherrschaft zu erwerben begannen.
Die Form aber, in welcher Eyssenhardt S. 57 diese Ansichten kritisiert,
scheint wenig angemessen. Was soll das auch heifsen, wenn wir da
lesen: »Noch betrübender ist der Satz, in welchem Niebuhr das von
ihm vorausgesetzte Epos mit Homer vergleicht«, »oder man wird förm-
lich bange für menschliches Urteil« , »noch — man möchte fast sagen
schrecklicher — ist die Äufserung« etc. Es ist in der That eine leichte
Arbeit, vom Standpunkt heutiger Wissenschaft Niebuhr zu beurteilen.
Ob aber dann solche Wendungen zulässig sind, darf mindestens fraglich
erscheinen.
Sehr dankenswert sind die Mitteilungen S. 55—71 über verschie-
dene Stellen der Römischen Geschichte, welche in späteren Auflagen ge-
strichen oder durch andere ersetzt wurden. Freilich würde der Leser
einen gröfseren Ertrag davon haben, wenn der vorgetragene Stoff und
die jeweils angefügte Kritik nicht in so viele kleine Abschnitte zerrissen
wären.
Von der Begeisterung der Freiheitskriege blieb auch Niebuhr nicht
unberührt, aber seinem Wunsche, als Freiwilliger in ein Regiment ein-
treten zu dürfen, entsprach der König nicht, der ihm vielmehr eine an-
dere Verwendung als Schriftsteller im Hauptquartier zumafs. So inter-
essant die Mitteilungen über diese journalistische Thätigkeit Niebuhrs
S. 74 ff. sind, so können sie doch hier als dem Zwecke des »Jahresberichts«
fernliegend nicht eingehender dargestellt werden. Nur kurz sei bemerkt,
dafs Eyssenhardt hier mancherlei mitteilt, was nicht in Niebuhrs nach-
gelassenen Schriften aufgenommen ist. Von besonderer Wichtigkeit ist
die Schrift: »Preufsens Recht gegen den Sächsischen Hof«, aus dem
Jahre 1814 (S. 134—178).
Das Jahr 1816 brachte Niebuhrs Ernennung zum preufsischen
Geschäftsträger in Rom, eine Stellung, für die unser Gelehrter,
als subjektiver Protestant, von vornherein wenig geeignet war. Bezüg-
lich der Entdeckung des Gaius-Palimpsestes durch Niebuhr in Verona
bei seiner Reise nach Rom erwähnt Eyssenhardt, dafs Savigny in späte-
ren Jahren zu erzählen pflegte, er habe zu dem sich verabschiedenden
Freunde gesagt: »Liebster Niebuhr, finden Sie mir in Italien nur den
Gaius und Cicero de republica!«
Eine in Deutschland schon zurechtgemachte Vorstellung von Land
und Leuten in Italien begleitete ihn nach diesem Land und verhinderte
sein Verständnis italienischen Wesens.
In dem Streite, von dem uns die Schrift »Buttmann und Schleier-
78 Geschichte der Altertumswissenschaft.
niachor über Heindorf und Wolf« berichtet, beruft sich zwar Buttmann
auf den abAvesendcn Freund Niebuhr als mit ihm und Schleiermacher
einverstanden, aber Eyssenhardt ist der Meinung, dafs er speziell mit
der Polemik Schleiermachers nicht einverstanden sein konnte.
Die Unbehaglichkeit Niebuhrs in Rom, die sich in zahlreichen
brieflichen Klagen Luft macht, leitet Eyssenhardt hauptsächlich aus sei-
nen wissenschaftlichen Ansichten ab. Da dieser in dem Rom der letzten
republikanisclien und kaiserlichen Zeit nur einen heruntergekommenen
und entarteten Staat sah, so vermochten auch die überwiegend aus die-
ser Zeit stammenden römischen Denkmäler ihm kein rechtes Interesse
abzugewinnen. »So überstand er die wissenschaftliche Krisis, die sein
römischer Aufenthalt für seine Entwickeluug bildete, nicht, er erhob
sich nicht zu kosmopolitischer Anschauung des wahren Römertums, dessen
Vorbereitung Roms Geschichte als latinischen Bundeshauptes und Be-
herrscherin Italiens lediglich gewesen war, und dessen Abglanz die
Weltherrschaft des Papsttums und Roms Stellung zu Niebuhrs Zeit
ebenfalls war. Dafs er zu diesem mittelalterlichen und modernen Rom
kein Verhältnis fassen konnte, entspringt aus denselben Gründen, aus
welchen er die Weltbeherrscherin in ihrer historischen Entwickeluug nicht
verfolgen konnte und wollte«. (S. 212). Die absprechenden Urteile
über Goethes italienische Reise und viele Kunsturteile desselben vonsei-
ten Niebuhrs werden als Erzeugnisse seiner subjektiven Natur, die durch-
aus unantik und modern gewesen, bezeichnet. Er fand nicht das rich-
tige Verständnis für die Römer, und doch wollte er ihre Geschichte
schreiben. Die daraus entstehende Mifsstimmung suchte er oft in Ge-
sellschaft deutscher Künstler zu verscheuchen, von denen Cornelius,
Overbeck, Schadow und Koch die bedeutendsten waren.
Aber trotz aller Mifsstimmung gingen seine Studien weiter: er
wollte eine Abhandlung über die Verfassung der griechischen Provin-
zen und der Städte des römischen Reiches bis unter die späteren Kai-
ser schreiben. Er glaubte entdeckt zu haben, dafs aus sprachlichen
Gründen für das bellum Africanum und Alexandrinum verschiedene Ver-
fasser anzunehmen seien. »Lateinische Sprachuntersuchungen ziehen
mich schon länger sehr an, und ich hoffe, wenn ich lebe, in diesem
Zweige noch ein Meister zu werden«. (S. 239). Auch andere Pläne
beschäftigten ihn : »eine Darstellung des goldenen Zeitalters Griechenlands,
über die Entstehung der Wissenschaften, über die unermefsliche Kluft
zwischen dem Zeitalter des Perikles und Demosthenes«, und noch man-
ches andere.
Ein besonderes Interesse hat Abschnitt 60, worin eine Schilde-
rung seiner Persönlichkeit von Lieber, der als philhellenischer Frei-
williger von Griechenland heimkehrend Niebuhr in Rom aufgesucht und
kennen gelernt hatte. Die Schilderung erstreckt sich auf Äufserlichkei-
ten seiner Lebensgewohnheiten wie auf die wichtigsten Eigenschaften
Fr. Eyssenhardt, B. G. Niebuhr. 79
3es grofsen Gelehrten. Merkwürdig ist die Mitteilung über sein vorzüg-
liches Gedächtnis und seinen Gerechtigkeitssinn: »Kein Gelehrter war
je unparteiischer als er. Er liebte die Wissenschaft, wo sie sich nur
zeigte«.
1823 kehrte er nach Deutschland zurück. Er hatte bei seinem
Abschiede von Rom die Empfindung, daselbst nicht heimisch geworden
zu sein. In St. Gallen entdeckte er bei der Heimreise den Palimpsest
des Merobaudes. Während seiner Bonner Lehrtliätigkeit, in die er jetzt
eintrat, trug er im Winter 1826 auf 1827 die römische Geschichte bis
auf Sulla vor, erst im Winter 1828 auf 1829 las er bis zur Entstehung
des Kaisertums.
In den letzten Abschnitten legt Eyssenhardt dar, wie Niebuhr
dazu kam, zum teil so unzutreffende Urteile über hervorragende Erschei-
nungen in der römischen Geschichte, am Ende der Republik und am
Anfang der Kaiserzeit abzugeben. Die Charakteristik Caesars, des Ho-
raz und der Kaiserzeit werden eingehend besprochen und eingeschränkt.
— Den 2. Januar 1831 überraschte der Tod den für die Gegenwart mit
ängstlichen Befürchtungen erfüllten Gelehrten.
Was den Gesamteindruck des Buches betrifft, so könnte man das-
selbe geistreich nennen. Eine Menge feiner Einzelbeobachtungen sind
eingestreut, und der offenbar durch Reisen oder langen Aufenthalt im
Süden gebildete Geist des Verfassers verfügt über eine Fülle verschie-
denartigster Kenntnisse, die er besonders bei der Beurteilung von Nie-
buhrs Ansichten verwertet.
Aber eben in dieser Geistreichigkeit beruht ein Mangel des Wer-
kes. Es bietet zu viel Kritik, Beurteilung, Raisonnement, zu wenig
Stoff. In vielen Abschnitten nimmt das, was Eyssenhardt über Niebuhrs
Ansichten sagt, ebensoviel Raum ein als diese Ansicht selbst. Von einer
Biographie verlaugt man aber, dafs sie uns mehr das Leben und die
Ansichten der behandelten Persönlichkeit als deren Kritik vorträgt.
Letztere kann wirklich für die mangelnde Thatsächlichkeit, für den feh-
lenden Stoff nicht Ersatz sein. So wäre es z. B. besser gewesen, wir
würden von der Bonner Lehrthätigkeit Niebuhrs ein anschauliches Bild
gewinnen (was durch das Buch nicht möglich ist) als dafs Eyssenhardt
nochmals Partieen Niebuhrscher Geschichtsdarstellung einer fast auflösen-
den Kritik unterzieht. Kurzum, etwas mehr Wärme und Pietät für
Niebuhr, etwas weniger Kritik für seine Schwächen hätten dem Buche
nicht geschadet.
Sodann hätten die persönlichen Beziehungen besonders der letzten
Zeit eine genauere Erforschung verdient. Wir erfahren nicht, wer Nie-
buhrs Freunde in dieser letzten Periode gewesen, wie er mit seinen
Kollegen gelebt, wie ihm das schöne Rheinland mit seiner berühmten
und doch so jungen Universität gefallen, wie er sich mit der Studenten-
schaft gestellt und dergl. Mau könnte fast meinen — man sieht, wie
gO Geschichte der Altertumswissenschaft.
wenig das argumentum ex silentio taugt — Niebuhr hätte ganz einsam
und verwaist gestanden, ohne innigere Beziehungen zu den gelehrten
Zeitgenossen. Auch hätte vielleicht in einem Schlufskapitel etwas über
die bedeutsamen Nachwirkungen von Niebuhrs gelehrter Thätigkeit ge-
sagt werden dürfen, worüber gar nichts mitgeteilt wird. Gerade da
Eyssenhardt so grofsen Wert darauf legt, die Bedeutung des grofsen
Historikers zu erläutern, so würde ein solches Schlufskapitel doppelt an-
gezeigt gewesen sein.
Noch ganz in dem Boden der älteren deutschen Philologen wurzelt
der Hallesche Philologe Bernhardy.
Gottfried Bernhardy. Zur Erinnerung an sein Leben und
Wirken. Von Dr. Richard Volkmann, Gymnasial-Direktor in Jauer.
Mit einem Bildnis Bernhardys nach einer Photographie. Halle, Eduard
Anton. 1887. 8". VHI und 160 S.
»Ein Lebens- und Charakterbild, keine erschöpfende und kunstge-
rechte Biographie«, sagt der Verfasser selbst von seiner eigenen Schrift,
mit der er sich nicht blofs an den engen Kreis der Freunde, sondern an
das allgemeine Forum der Gebildeten wendet. »Meine Schrift will da-
rum zunächst als ein schlichtes Monumentum pietatis betrachtet und ge-
würdigt werden, welches ich auf dem noch schmucklos dastehenden
Grabe meines verehrten Lehrers zu errichten bemüht war. Aber gerade
um dieser Beschränkung willen bin ich darauf bedacht gewesen, die
Klippe der meisten Biographien und biographischen Skizzen zu vermei-
den, als welche Bernhardy selbst einmal sehr richtig »die verführerische
Lust« bezeichnet hat, »in das Schrankenlose hinein zu rühmen, zu deh-
nen und darüber die richtige Auffassung des Verdienstes aufzugeben,
welches doch immer bedingt von Vorgängern und Mitlebenden und als
Wechselwirkung von Tugenden und Schwächen, gleichsam als ein aus
Licht und Schatten durchdrungenes Gemälde erscheint — und mich im
übrigen möglichster Kürze und Objektivität befleifsigen«. (S. IV).
Dem Verfasser standen neben den gedruckten Quellen, in denen
sich Bernhardy über seinen Bildungs- und Studiengang geäufsert hat,
der handschriftliche Nachlafs des berühmten Gelehrten zur Verfügung,
der sich teilweise auf der Bibliothek in Halle, teilweise noch im Besitze
der Familie befindet. Abgesehen von sehr zahlreichen Briefen ist noch
ein Tagebuch über Dekanats- und Rektoratsgeschäfte vom 12 Juli 1841
bis 15. Dezember 1847 erhalten. Auch aktenmäfsiges Material aus
Halle und Berlin erweiterte die eigenen Erinnerungen Volkmanns.
Bernhardy, den 18. März 1800 zu Landsberg an der Warthe von
jüdischen Eltern geboren, kam 1811 auf das Joachimsthal in Berlin, wo
unter seinen Lehrern besonders C. Schneider zu nennen ist. Visitator
der Anstalt war Fr. A. Wolf, »der sich denn auch, mit der erforder-
lichen geheimrätlichen Würde umkleidet, ab und zu in derselben zu
R. Volkmann, Gottfried Bernhardy. 81
schaffen machteor. 1816 zum Christentum übergetreten, ging er, mit
einem Zeugnis Nr. II. versehen, 1817 zur Universität ab, um in Berlin
Philologie zu studieren; in der Mathematik scheint er am schwächsten
gewesen zu sein.
Unter Imm. Bekker immatrikuliert, wurde er hauptsächlich Schü-
ler Wolfs. »Trotz seiner lockern Stellung zur eigentlichen Universität
war damals F. A. Wolf noch immer der berühmteste philologische Do-
cent. Sein Vortrag war bekanntlich aufserordentlich elementar, fast zu
elementar für die seit Decennien nicht unerheblich gestiegene Vorbildung
der Studierenden, aber von fesselnder Lebendigkeit, nachhaltig anregend
zu eigenem Studium, sprühend von Geist und schlagendem Witz«. Zeit-
lebens hat sich Bernhardy als Schüler Wolfs betrachtet, wie wohl da-
mals schon Boeckh in Berlin lehrte.
Doch hörte Bernhardy neben Wolf und Boeckh auch Rühs, Nean-
der (Kirchengeschichte), Schleiermacher (Dialektik), Hegel (Naturphilo-
sophie). Seit 1819 war er fünf Semester Mitglied des philologischen
Seminars unter Boeckh und Buttmann. Zum Hören der Vorlesungen
kam ein Privatfleifs, »wie er kaum gröfser gedacht werden kann«. Das
ergibt sich aus den massenhaften Collectanea, die noch erhalten sind,
und die allerdings Beweise eines staunenswerten Fleifses sind, »um
so bewundernswerter, als er einerseits ganz offenbar auf keine Anregung
seiner Lehrer zurückgeht, anderseits in demselben Mafse an Umfang und
Tiefe gewann, als sich Bernhardys Verhältnisse immer ungünstiger und
trüber gestalteten«. (S. 7). Seit seinem zweiten Semester raufste sich
der arme und verlassene Student selbst weiter helfen, was mit Hilfe von
Privatstunden, Korrekturen, Seminarprämien u. s. w. ärmlich genug ge-
schah. Es bewährte sich an ihm »fecunda virorum paupertas«. Diese
Verhältnisse legten den Grund zu vielen seiner Charaktereigenschaften:
Sparsamkeit, Ordnungsliebe, Genügsamkeit und Anspruchslosigkeit. »Da-
mals lernte er aber auch sich gegen seine Umgebung zu verschhefsen,
alle Äufserungen tiefer Empfindung als Anwandlung sentimentaler Schwäche
zu unterdrücken, Ironie und Sarkasmus als Waffe gegen die Widerwär-
tigkeiten seines Geschickes und die Zudringlichkeit Unberufener zu ge-
brauchen«. (S. 8).
Den 15. April 1820 bestand er sein Examen. Das Zeugnis rühmt
seine Kenntnisse in den klassischen Sprachen, tadelt aber sein Benehmen
und seine Sprache beim Unterrichten; »von dem Lehren der Mathema-
tik ist er gänzlich auszuschliefsen«.
In das pädagogische Seminar aufgenommen, raufste er wöchentlich
acht Lehrstunden an dem Friedrich -Werderschen Gymnasium überneh-
men, welche Anstalt damals unter Leitung des Mathematikers Zimmer-
mann im vollen Verfall war. Die Übeln Erfahrungen der ersten Lehr-
stuude, Sophokles in Unterprima, liefsen einen dauernden Stachel in
seiner Erinnerung zurück, wenn gleich er der Übermütigen Herr wurde-
Jahresbericht für Alterthum.swissen^cüaft LXIV. U890 III.j 6
82 Geschichte der Altertumswissenschaft.
Das zweite Kapitel )'Der Beginn der akademischen und litterari-
schen Thätigkeit in Berlin« S. 11 — 32. Trotz seiner Armut studierte
der von der Militärbehörde als untauglich bezeichnete »Oberlehrer«
Bernhardy unermüdlich weiter. »Zu einer eingehenden Beschäftigung
mit den eigentlich realen Fächern der Philologie verspürte er dabei
wenig Neigung. Es war in der That der Geist des Altertums, wie er
in der Gedankenwelt der Autoren sich kundgibt, der ihn fesselte«.
»Umfangreiche, ja möglichst vollständige und vollzählige Lektüre der
Autoren auf grund solider grammatischer Kenntnisse ist von jener Zeit
ab das A und ß seiner Philologie geblieben«.
Der vortreffliche Ministerialrat Johannes Schulze, der die Gei-
ster zu unterscheiden vermochte, veranlafste ihn, sich der akademischen
Laufbahn zuzuwenden. 1822 promovierte er mit einer Dissertation
»Eratosthenicorum specimeu« , die ein Abschnitt seines Werkes über
Eratosthenes war. Obgleich die Arbeit ziemlichen Beifall fand, sagte
Bernhardy später darüber: »Über die Mängel dieser rasch hingeworfe-
nen Arbeit, wie solche durch jugendliche Begeisterung für den Helden,
durch Eigensinn, einsame Studien, ungelenke Form und eigentümliche
Lebensgeschichte können verschuldet werden, bin ich nach wenigen
Jahren nicht zweifelhaft gewesen«.
Sommer 1823 begann Bernhardy seine Vorlesungen an der Ber-
liner Hochschule mit einem vierstündigen Kolleg über griechische Syn-
tax und einem zweistündigen Exegeticum über Aristophanes' Wolken.
In der nächsten Zeit las er meist Exegetica; erst später versuchte er
es auch mit Römischen Antiquitäten und Römischer Litteraturgeschichte.
»Es war sofort ersichtlich, dafs der junge Docent durch seine unge-
wöhnlich ausgedehnte Gelehrsamkeit und seinen kritischen Scharfsinn,
wie die knappe Präcision seines Vortrages zum Universitätslehrer im
höchsten Grade geeignet sei«.
Schon im März 1825 wurde Bernhardy zum aufserordentlichen
Professor ernannt, bei welcher Gelegenheit das Ministerium die Erwar-
tung aussprach, dafs er sich nicht nur als Docent, sondern auch als
gelehrter Schriftsteller auszeichnen werde. Das Gehalt betrug 300 Thlr.
Eine Zeitlaug dachte er nun an ein Werk über Ovid, bis er sich ent-
schlofs die »Geographi Graeci minores« im Reimerschen Verlag zu über-
nehmen, von denen auch bereits 1828 Band I erschien. Der Schwer-
punkt der Arbeit liegt nicht in der Textgestaltung, sondern im zweiten
Teile, der mit einer Commentatio de Dionysio Periegete eröffnet wird,
worin sich eine Fülle trefflicher sachlicher und sprachlicher Bemerkun-
gen finden: «Vergleicht man die neue Arbeit mit den Eratosthenica,
so zeigt sich ein bedeutender Fortschritt in jeder Hinsicht Dort haben
wir die gelehrte, viel versprechende Arbeit eines Anfängers, hier die
tüchtige Leistung eines kenntnisreichen Philologen, der sich für die In-
terpretation der Autoren schon eine feste, bestimmte Methode gebildet
R. Volkmann, Gottfried Bernhardy. 83
hat, der mit richtigem Blick das vorhandene Material zu sichten und
zweckentsprechend zu vervollständigen versteht«.
Auch seine gesellschaftliche Stellung verbesserte sich: er wurde
befreundet mit Fr. A. Wolf, der ihn zu Spaziergängen aufforderte, Mei-
neke, der seit 1826 Direktor des Joachimsthals war, Buttmann, Zumpt
und Lachmann, der 1825 Extraordinarius in Berlin geworden. Seit
1827 trat Bernhardy an die Stelle Buttmanns an dem unter Boeckh
stehenden philologischen Seminar. Seine Beiträge für die »Berliner
Jahrbücher«, die sog. Hegel-Zeitung, beginnen mit dem Jahre 1828 und
sind zum Teil jetzt noch lesenswert.
Den 20. März 1829 wurde Bernhardy ordentlicher Professor der
klassischen Philologie und Mitdirektor des philologischen Seminars in
Halle mit einem Gehalt von 800 Thlr., nachdem Karl Reisig in der
Blüte der Jahre auf einer italienischen Reise in Venedig gestorben.
Kurz vorher hatte Bernhardy dem Minister seine »Griechische Syn-
tax« überreichen können, die bei Duncker und Humblot »in einem an-
ständigen, vornehmen Format und erstaunlich korrekter Drucklegung«
erschienen. »Diese gröfsere Erstlingsarbeit zeigt nun die geistige Eigen-
tümlichkeit Bernhardys, der er sein Leben lang treu geblieben ist, und
die er im Laufe der Zeit nur noch mehr vertieft und von fremden, stö-
renden Einflüssen befreit hat, in unverkennbarer Deutlichkeit ausgeprägt.
Seiner ganzen Anlage nach war er eine systematische, encyklopädische
Natur. Darum hat die Detailforschung mit ihren Minutien in seinen
Augen keinen Wert um ihrer selbst willen, sondern immer nur als
Mittel zu einem höheren Zweck«. »Er war ein prinzipieller Feind aller
isolierten, atomistischen Betrachtungsweise Vielmehr strebte er immer
zum Ganzen». »So fügte sich ihm sein Wissen, das im Laufe der Zeit
die Form einer stupeuden Gelehrsamkeit annahm, zu einem wohlgefügten
klar und übersichtlich geordneten Gesamtbau«. (S. 27). »Im übrigen
aber verrät schon die Vorrede der Syntax den Hegelianer, aber der Ge-
fahr, die Hegeische Terminologie zum Fachwerk der Grammatik zu
machen, ist er glücklich entgangen«. Volkmann erklärt es für Bernhar-
dys Hauptverdienst, die Parole historischer Syntax ausgegeben zu haben,
»nur dafs er darunter nicht den auf historischer Grundlage successive
vorzunehmenden Neubau, sondern nur den nach historischen Gesichts-
punkten zu regelnden Umbau dessen, was man als Syntax bezeichnete,
verstand«.
Das dritte Kapitel (»Hallische Thätigkeit. Erster Abschnitt«)
erzählt uns zunächst von Bernhardys Ehe, die er 1829 mit seiner Jugend-
freundin Henriette Meyer aus Berlin schlofs. Volkmann spendet der
feingebildeten Frau ein reichliches Lob.
Als Kollegen fand Bernhardy in Halle Hofrat Schütz, den Nach-
folger Wolfs, Herausgeber des Aeschylus und Cicero, einen damals »ab-
gestumpften Greis«, sodann den gelehrten M. H. E. Meier, einen be-
6*
84 Geschichte der Altertumswissenschaft.
geisterten Schüler Boeckhs und treuen Freund von 0. Müller und Ger-
hard, der aber die Zuhörer nicht zur Arbeit anregte, und endlich
J. A. Jacobs, damals schwer krank, der auch bald nachher starb.
Bernhardy wollte es anfangs nicht gelingen, die tüchtigen Reisigianer
für sich zu gewinnen. Weder sein nüchterner Vortrag noch seine sarka-
stische Art behagte ihnen. Bald aber brach das Eis, und z. B. M.
Seyffert trat in intimere Beziehungen zu dem neuen Lehrer.
Reibungen mit dem Kollegen Meier führten 1846 zu einer Auf-
lösung der bisherigen Seminareinrichtung, ohne dafs jedoch alle Wünsche
und Hoffnungen Bernhardj-s sich dabei erfüllt hätten.
Als Examinator (er fragte meist nach Litteraturgeschichte und
Antiquitäten, nur nebenbei nach Grammatik und Metrik) war er streng und
gefürchtet, aber doch human bei der Beurteilung.
Viele Mühe brachte ihm die 1844 erfolgte Ernennung zum Ober-
Bibliothekar, welcher Thätigkeit er täglich zwei Stunden opfern mufste,
wofür er ein Gehalt von 400 Thlr. erhielt. »Er hat auf diesem Gebiete
unter beschränkten Verhältnissen das möglichste geleistet, und Johannes
Schulze hat nicht ohne Grund ihn mehrfach als seinen besten Bibliothe-
kar bezeichnet«.
Daran schliefst sich S. 42 ff. eine bis ins einzelne gehende Schil-
derung der Persönlichkeit und Lebensweise Bernhardj-s. Wie in allem,
so war auch seine Lebensführung ein Muster von Ordnung und Regel-
mäfsigkeit, wodurch er sich trotz seines grofsen Fleifses gesund erhielt.
1846 erlaubte ihm eine Staatsunterstützung eine Reise nach den
Niederlanden und Paris, um die noch ausstehenden Kollationen zur
Fortsetzung des Suidas zu besorgen. Aus anschaulichen Briefen an
seine Frau erhalten wir Kunde über die mannigfachen Eindrücke, wel-
che ihm die Reise durch bisher nicht gesehene Länder und Städte zu-
führte. In Paris, wo er die Bekanntschaft mancher französischer Ge-
lehrten machte, gefiel es ihm sehr wohl, und der briefliche Verkehr
dauerte mit einigen auch später noch fort. Am vertrautesten verkehrte
er mit Hase. Das Jahr 1848 mit seinem demokratischen Maulheldentum
forderte nur seinen Spott heraus, obgleich er sich auch gegen konser-
vative Männer die Freiheit des Urteils wahrte.
Von besonderer Wichtigkeit ist sodann das 4. Kapitel des Buches,
welches die litterarische Thätigkeit der ersten hellenischen Zeit schildert.
Es werden aufgezählt seine Rezensionen, von denen ausführlicher erwähnt
sind die über Peerlkamps Horaz, über Meinekes Fragmenta comicorum
Graecorum und 0. Müllers Geschichte der griechischen Litteratur, »die
Krone seiner sämtlichen Rezensionen«, Pläne zur Fortsetzung der Geogra-
phi minores, zu einerneuen kritisch-exegetischen Bearbeitung der Scriptores
Historiae Augustae, die Ausgabe des Suidas (seit 1834), Plan zu einer
Sammlung kommentierter Ausgaben lateinischer Klassiker, die römische
Litteraturgeschichte, die Encyklopädie, die griechischeLitteraturgeschichte.
R. Volkmann, Gottfried Bernhardy. 85
Volkmaun gibt über die nicht verwirklichten Pläne wie über die Werke
selbst eingehend Auskunft: die Schriften werden besprochen und beur-
teilt, auch die Aufnahme, die sie bei den gelehrten und raitstrebenden
Zeitgenossen gefunden, erwähnt. Anerkennung der Tüchtigkeit und Er-
wähnung der Schwächen, Lob und Tadel wird gespendet, wobei jedoch
der pietätsvolle Schüler nie vergifst, was er dem verdienten Lehrer
schuldig ist.
Der Würdigung des Schriftstellers schliefst sich eine Würdigung des
Lehrers und Seminarleiters an, die niemand für eine Schmeichelrede
erklären wird. Insbesonders werden hier die Einseitigkeiten und Schwä-
chen nachgewiesen, weshalb Bernhardy trotz aller Tüchtigkeit und Ge-
lehrsamkeit kein Schulhaupt geworden ist. Man hat bei der Lektüre
die Empfindung, dafs der Verfasser nur der Wahrheit dienen und ' des-
halb nicht zu viel und nicht zu wenig sagen will. Insbesonders ist der
unerfreuliche Streit mit Bergk so geschildert, dafs auch die Vorzüge des
letzteren volle Anerkennung finden. So lesen wir S. 101: »Dafür war
dieser (d. h. Bergk) Bernhardy in allen kritischen Fragen, man denke
nur an die erstaunliche Leichtigkeit seines Konjekturaltalentes, unleug-
bar überlegen, und diese kritische Richtung gewährte auch seinen Vor-
lesungen gerade für ältere Studenten etwas ungemein Frisches und Le-
bendiges. Liefs er doch in ihnen seine Zuhörer gleichsam tiefe Ein-
blicke in seine eigne, geistige Werkstatt thun. Auch in seiner Societät
und sonst gab er sich viel mit ihnen ab, was Bernhardy, schon weil er
keine Zeit dazu hatte, nicht mehr konnte, und auch früher immer nur
einzelnen Bevorzugten gegenüber gethan hatte. Dabei wufste Bergk auf
allen möglichen Gebieten mit dem neuesten Stand der philologischen Con-
troverse vollständig Bescheid. In der Litteratur wie in den Antiquitäten,
in der historischen Grammatik wie in der Kunde der italischen und grie-
chischen Dialekte, in der Monatskunde und der Metrologie, Metrik, kurz
überall war er zu Hause; alles, was er sagte, war neu oder erschien
wenigstens so«.
Nachdem Bernhardy 1872 sein fünfzigjähriges Doktorjubiläum be-
gangen, wobei er von vielen Seiten in hohem Grade gefeiert worden
(Ritschis lateinische Zeitschrift wird im Wortlaut S. 109 mitgeteilt),
starb er den 14. Mai 1874. Die tiefempfundene Grabrede seines Kolle-
gen Beyschlag, welche ganz mitabgedruckt ist, feiert neben den Gelehr-
ten ganz besonders den edlen und reinen Charakter des grofsen Ge-
lehrten. In einem Schufswort fafst Volkmann nochmals das Wichtigste
seiner lesenswerten und gerechten Darstellung zusammen.
Eine anerkennende Besprechung hat Volkmanns Buch zuerst durch
Muff in der Berliner philolog. Wochenschrift VII (1887) S. 1575-1577
gefunden, der auch einige Ergänzungen und Ausstellungen hinzugefügt
hat. Weitere Besprechungen sodann von M. Hertz (Deutsche Littera-
turztg. 1889. Nr. 3), PeppmüUer (Wochenschrift für klass. Philol. V,
86 Geschichte der Altertumswissenschaft.
11 p. 332), G. F. Rettig (Neue philologische Rundschau 1888 Nr. 1),
G. Lot holz (Jahrb. f. Philol. Bd. 135. Heft 12).
Ein Brief Philipp Buttnianns (Rhein. Museum. N. F. Band 42,
S. 627 — 633).
Ein ungenannter X. veröffentlicht einen vom 20. Oktober 1817 an
den bekannten Philologen Näcke gerichteten Brief Buttmanns, der sich
handschriftlich auf der Bonner Bibliothek befindet. Der Zweck der Ver-
öffentlichung, der in der anmutig geschriebenen Einleitung klar wird,
steckt in folgender Stelle des Briefes : »Darf ich Ihnen noch einen Rat
geben, so geben Sie nicht alles, was Ihnen bei der Bearbeitung freilich
durch Augen, Kopf und Finger hat gehen müssen, auch dem Leser. Es
schwellt wirklich unsre Litt(eratur) gar zu sehr, und erschwert auch die
erfreuliche Übersicht der einzeln(en) Abschnitte in Einem Buche, wenn
man den ganzen Gang der Untersuchung, wie man sie an einem Schreib-
tische machen mufste, dem Leser, damit dieser sie gleichsam noch ein-
mal mache, vorlegt«. So wird diese Mitteilung zu einem Mahnruf gegen
die litterarische Massenproduktion der neuen Zeit, gegen die beständig
anwachsende Kleinlitteratur, gegen welche schon Bernhardy, »dem nie-
mand ein knappes Mafs litterarischen Verdauungsvermögens zusprechen
wird«, geeifert hat. Ein ungenannter Korrektor Y hat sich in einer
Nachbemerkung der litterarischen »Kleinkinderbewahranstalten« ange-
nommen, in welchen angeblich die »hypertrophischen Erzeugnisse« der
Doktoranden vor dem Untergang bewahrt werden.
Johannes Flach, Erinnerung an Karl Lehrs (Neue Jahrbücher
für Philologie und Pädagogik. Bd. 136. S. 180—190).
Kaufmann oder, wie er später genannt wurde, Karl Lehrs, wurde
den 14. Januar 1802 zu Königsberg als Sohn jüdischer Eltern geboren.
Erst 1822 trat er zum Christentum über. Er studierte zu Königsberg
unter Lobeck klassische Philologie, wurde 1824 Gymnasiallehrer in
Marienwerder, 1825 Oberlehrer am Friedrichs-Collegium zu Königsberg,
1835 aufserordentlicher und 1845 ordentlicher Professor an der Univer-
sität Königsberg. Jetzt erst legte er sein Schulamt nieder, das er neben-
bei bekleidet hatte. Den 9. Juni 1878 erlöste ihn der Tod von einem
qualvollen Leiden. Einen ehrenvollen Ruf nach Leipzig als Nachfolger
Gottfried Hermanns hatte er abgelehnt. Sein eigener Nachfolger in Kö-
nigsberg wurde Arthur Ludwich.
Obgleich ein Verehrer des weiblichen Geschlechtes blieb er doch
unverheiratet. Seine Lebensgewohnheiten waren einfach und regelmäfsig.
Der Vormittag war der Arbeit oder dem Empfang von Freunden und
Schülern gewidmet, nachmittags hielt er Vorlesungen (übrigens stets
gratis) und erholte sich sodann.
Zu seinen Freunden gehörten der Philosoph Rosenkranz, die
Johannes Flach, Erinnerung an Karl Lehrs. 87
Philologen Friedländer, Ludwich, Arnold und der Verfasser des Auf-
satzes.
Bei einem Vergleiche mit anderen deutschen Philologen kommt
Flach zu dem Ergebnis, dafs Lehrs von M. Haupt in der Sicherheit der
textkritischen Methode, von A. Ritschi in der gleichmäfsigen Sicherheit
der Methode übetroffen worden sei. »Aber Lehrs übertraf beide an
Genialität, an Geistreichigkeit, an scharfem Urteil und an ästhetischem
Geschmack«. Ob Geistreichigkeit ein so grofser Vorzug ist? Die ganze
Charakteristik ist in diesem panegyrischen Tone gehalten. So lesen wir
wenige Zeilen später: »So war Lehrs unstreitig der bedeutendste Helle-
nist, der auf deutschem Boden erstanden ist«.
Gelegentlich des Gegensatzes von Lehrs und S. Teuffei in der
Horazkritik sagt Flach: »Man kann ruhig aussprechen, dafs die süd-
deutsche Selbstgenügsamkeit, der Egoismus daselbst, der Erwerbungs-
trieb niemals imstande gewesen sind, einen so intakten und grofsartig
angelegten Gelehrten, wie Lehrs, zu begreifen, dessen innerstes "Wesen
aus dem Aufgehen in einen fremden Geist, aus Selbstlosigkeit und Ent-
sagung zusammengesetzt war, aber ebensowenig im stände gewesen sind,
das wirkliche Griechentum zu verstehen, weil hier im Süden noch das
beschränkte und scholastische Mittelalter zu deutliche Spuren hinter-
lassen hat u. s. w.« Dafs hier jeder Satz angreifbar ist, dafs hier zum
teil übertreibende Redensarten mit unterlaufen, merkt wohl auch der-
jenige Leser, welcher ohne Sachkenntnis diese »Erinnerung« liest.
Es folgt nun eine Charakteristik der philologischen Arbeiten von
Lehrs: De Aristarchi studiis Homericis (1833), ein Werk, das Flach
über Wolfs Prolegomena zum Homer zu stellen scheint; Herodiani scripta
tria emendatiora (Königsberg 1848), an dessen Ende die Analecta gram-
matica; sodann die »populären Aufsätze aus dem Altertum« (1856), von
denen die über Helena, über die Nymphen und über Wahrheit und
Dichtung in der Litteraturgeschichte als besonders fesselnd bezeichnet
werden; ferner die quaestiones epicae (1837), gleichsam eine Ergänzung
zum Aristarch; die Pindarscholien (1873), von Theodor Bergk heftig
angegriffen; sein Horaz (1869 und Nachtrag 1871); eine Übersetzung
des platonischen Phädrus (1870), die nur wenig bekannt geworden ist.
Lehrs' Vorlesungen, die meist frei vorgetragen wurden, waren
mehr anregend als stoffreich. Von der Litteratur wurde nur das
notwendigste angeführt, sehr selten nur Aufsätze aus Zeitschriften.
Ganz besonders anregend war Lehrs im philologischen Seminar, das er
in seiner Wohnung abzuhalten pflegte. Besonders nützlich waren dabei
die Übungen über Hesiod, Aristophanes und Horaz. Daneben werden
die Besprechungen, die er mit den einzelnen Seminarmitgliedern über
ihre Arbeiten abzuhalten pflegte, als sehr instruktiv gerühmt. »Lehrs
hatte Zeit für seine Schüler und scheute seine kostbaren Stunden nicht,
fand aber trotzdem Zeit genug für seine wissenschaftlichen Arbeiten.
gg Geschichte der Altertumswissenschaft.
Ebenso hatte er aber noch später Zeit, mit seinen Schülern, wenn sie
die Hochsclmle verlassen hatten, zu korrespondieren und in ausführlichen
Briefen seine Ansichten klar zu legen«.
Der Aufsatz, der als »Erinnerung« bezeichnet ist, hat etwas Skizzen-
haftes; vermutlich wollte der Verfasser nur eine Umrifszeichnung und
kein ausgeführtes Bild geben. Aber zu bedauern bleiben die eingefügten
Ausfälle und Angriffe, die in ihrer Allgemeinheit auch über das Ziel
hinausschiefsen. Es ist doch nicht nötig, andere zu schelten, wenn man
Lehrs loben will. Der Verfasser würde seinen Lesern gröfseren Beifall
abgewonnen haben, wenn er ohne diese überflüssigen Einmischungen sich
fester an sein Thema angeschlossen hätte. Auch durfte der allzu pane-
gyrische Ton an manchen Stellen gedämpft werden, ohne dafs dadurch
dem Genius von Lehrs ein Eintrag geschah.
Keiner unter den lebenden deutschen Philologen geniefst allgemei-
nere Anerkennung auch aufserhalb Deutschland als Mommsen.
Karl Zangemeister Theodor Mommsen als Schriftsteller. Ver-
zeichnis seiner bis jetzt erschienenen Bücher und Abhandlungen. Zum
7o. Geburtstag am 30. November 1887 überreicht. Heidelberg. Win-
ter. 1887. 8». VI und 79 S.
Dieses Verzeichnis Mommsenscher Arbeiten kann als Beischrift
zu der Marmorbüste aufgefast werden, womit Freunde und Verehrer den
berühmten Gelehrten zu seinem 70 Geburtstage beschenkten. Mommsen
möge diese Liste als ein »Monumentum rerum gestarum« in seinem
Hausarchiv aufbewahren und zugleich für die beabsichtigte Fortsetzung
eine Stelle offen halten.
»Der Katalog dürfte aber zugleich in weitesten Kreisen, wo immer
der Name Mommsen gefeiert wird, von Interesse sein. Die schlichte Liste
ist in der That an sich schon beredt genug Wie in einem Spiegelbilde
zeigt sie das geistige Schaffen des grofsen Gelehrten. Jeder Leser wird
den fast beispiellosen Umfang dieser schriftstellerischen Thätigkeit be-
wundern; Kundige, welche den jetzigen Standpunkt unserer Wissenschaft
mit dem vor Mommsens Auftreten zu vergleichen wissen, werden sich
zugleich deren Bedeutung vergegenwärtigen«.
Die chronologische Anordnung der Arbeiten bietet den Vorteil,
dafs man die Entwickelung der Forscherthätigkeit überschauen kann.
So sieht man, wie Mommsen mit seiner Vereinigung juristischer und
historisch - philologischer Forschung sich gleich von Anfang an den
wissenschaftlichen Wiederaufbau der Gröfse Roms zum Ziele gesetzt hat.
Bereits eine These des Doktorkandidaten aus dem Jahre 1843 deutet
dies an: Jurisconsultum a philologo discere posse; au possit philologus
ab illo, adhuc dubitandum.
Die Anordnung der Arbeiten innerhalb der einzelnen Jahre ist so
gemacht, dafs an erster Stelle die selbständigen Werke stehen, sodann
K. Zangenieister, Mommsen als Schriftsteller. 89
die in Zeitschriften erschienenen Arbeiten und dann die Schriften ande-
rer, zu denen Mommsen Beiträge geliefert hat.
Der Katalog, welcher bis Mitte November 1887 geführt ist, ent-
hält 949 Nummern.
Ein Verzeichnis der Druckwerke, welche Beiträge von Th. Momm-
sen enthalten, und ein ausführliches Sach- und Namenregister beschliefst
das Schrifteben, das eine einzigartige Huldigung ist. Schwerlich besitzt
Deutschland einen zweiten Gelehrten, dem etwas Ähnliches dargebracht
werden könnte. Eine Durchmusterung der einzelnen Titel ist auch in-
sofern äufserst lehrreich, indem man daraus ersehen kann, wie Momm-
sen nicht blofs ein grofser Historiker und Philologe, sondern auch ein
Gelehrter mit ausgedehnten sonstigen Interessen ist. Man achte auf die
Reden des Abgeordneten und Akademikers Mommsen. Für die meisten
Verehrer des genialen Mannes wird aber Nr. 4 etwas ganz Neues bieten,
wenn sie da lesen: »Liederbuch dreier Freunde. — Theodor Mommsen.
Theodor Storra. Tycho Mommsen. Kiel 1843«.
Der begeistertste Pauegyrikus auf Mommsen könnte nicht nach-
haltiger und durchschlagender wirken als diese einfache Zusammen-
stellung von Titeln. Deutschland aber darf stolz darauf sein, einen sol-
chen Gelehrten zu besitzen.
Erinnerungen aus meinem Leben. Von Gustav Freytag.
Leipzig. Hirzel. 1887. IV und 377 S.
Der Verfasser dieses anziehenden Werkes, einer der gefeiertsten
Schriftsteller der Gegenwart, der berühmte Verfasser der »Bilder aus
der deutschen Vergangenheit«, und der »Ahnen«, ist zwar Germanist und
nicht klassischer Philologe. Aber trotzdem verdient seine Autobiogra-
phie auch an dieser Stelle eine Erwähnung Nicht blofs, dafs er pietäts-
voll die Männer schildert, denen er seine Schulbildung verdankt, er ist
auch im späteren Leben, besonders während seines Leipziger Aufent-
haltes, im regen Verkehr mit den glänzendsten Vertretern der klassischen
Philologie in Deutschland.
Nachdem Freytag, ein geborener Schlesier, bei seinem Oheim, der
Pastor war, den ersten Unterricht genossen hatte, kam er Ostern 1829
nach Öls auf das Gymnasium. Es ist erfreulich, dafs der gefeierte
Schriftsteller die nun folgende Periode seines Lebens nicht, wie gewisse
bekannte Modeschriftsteller als eine Art Satyrspiel, als eine pietätlose
Schulhumoreske mit viel Dichtung und wenig Wahrheit behandelt; manche
dii minorum gentium auf dem deutschen Parnass, die sich nicht genug thun
können, ihre Schulzeit als eine Zeit der traurigsten und borniertesten Quä-
lerei darzustellen und ihre Lehrer fast ausnahmslos als Halbnarren oder
lederne Pedanten zu schildern, könnten sich an diesen »Erinnerungen« ein
lehrreiches Beispiel dafür nehmen, wie man ein sehr geistvoller Schrift-
steller sein und doch von seiner Gymnasialzeit mit Pietät sprechen kann.
90 Geschichte der Altertumswissenschaft.
Wegen der Mangelhaftigkeit seiner Kenntnisse kam Freytag nach
Quarta, wo er unter meist jüngeren und kleineren Knaben sitzen mufste.
»Von da stieg ich zu den unregelmäfsigen griechischen Zeitwörtern der
Tertia auf«. In Prima verweilte Freytag drittehalb Jahr, zwei Jahr als
Primus; das letzte halbe Jahr wurde auf Wunsch des Direktors zuge-
legt, und der Verfasser versichert, er habe nicht Ursache gehabt dies zu
bereuen.
Wohl vorbereitet, bezog er 1835 die Universität Breslau. »Als
ich zur Universität abging, schrieben die wackeren Lehrer Rühmliches
über meinen griechischen und lateinischen Erwerb in das Schulzeugnis;
sie waren, wie ich selbst, der Meinung, dafs ich auf den gebahnten
Wegen der klassischen Philologie fortgehen würde. Doch es kam anders«.
Aber warum kam es anders? Die Vorlesung von Professor Schnei-
der in Breslau über Plato erschien dem jungen Studenten so öde und
langweilig, dafs ihm zeitlebens die Abneigung gegen diesen »schönen
Mann der griechischen Philosophie« geblieben ist. Dagegen fesselten
ihn die Vorlesungen des jugendlichen Ambrosch über Privataltertümer
und antike Kunst. Bald jedoch zog der Germanist Hoffmann von Fallers-
leben Freytag in seine Kreise und gewann ihn für die deutsche Philologie.
In einen neuen Kreis trat er mit der Übersiedelung nach Berlin,
wo er eine Gesellschaft von Comilitouen fand, der auch der Sanskretist
Adalbert Kuhn angehörte: er war es, »welcher am sichersten in seinen
Schuhen stand und im Wissen am weitesten vorgedrungen war«. Eine
ganz neue wissenschaftliche Anregung fand er sodann durch die Vor-
lesungen Karl Lachmanns. Freytag rühmt »das feine Lächeln, mit
dem er seine Reden anhörte, seine ruhige nachdrückliche Weise zu
sprechen, den klaren Blick seines Auges. Vollends in den Vorlesungen.
Er war damals kein gesuchter Lehrer und hatte nur ein kleines Audi-
torium, er bot auch nicht, was die Zuhörer im Anfange fesselt, glän-
zende Einleitungen und grofse Überblicke, er begann mit Einzelheiten
und setzte willige Hingabe voraus. Aber was er gab: erklärende That-
sachen, kritische Bemerkungen zu einzelnen Stellen, das waren lautere
Goldkörner, die er unablässig ausstreute«. Von seinen Vorlesungen über
klassische Sprachen hörte Freytag besonders Catull ; er wurde der Mei-
nung, dafs zwei Stunden Lachmannscher Vorlesungen genügende Tages-
arbeit für einen Zuhörer seien.
Die nächste Zeit liegt aufserhalb der uns hier gestellten Aufgabe.
Nach wohlbestandenem Doktorexamen kehrte Freytag in die schlesische
Heimat zurück, wo er sich auf eine germanistische Professur vorbereitete.
Die Zeit seiner Privatdozententhätigkeit zu Breslau und der Dresdener
Aufenthalt kann hier nicht besprochen werden. Erst sein Leipziger Auf-
enthalt, wo er als Mitredakteur an dem Grenzboten lebte, brachte ihn
wieder in Verbindung mit der klassischen Philologie; er wurde der
Freund von Moriz Haupt, Otto Jahn und Theodor Mommsen,
G. Freytag, Erinnerung aus meinem Leben. 91
welche Freundschaft die Gemeinsamkeit der politischen Überzeugungen
vermittelt hatte: »Die Freundschaft, in welcher die drei zusammen
lebten, und die vornehme Gesinnung, mit der sie ihrer Wissenschaft
dienten, waren eine ganz einzige Erscheinung«. (S. 234).
Alle drei waren damals der sächsischen Regierung verdächtig ge-
worden und durch eine Untersuchung in ihrer Lehi^thätigkeit gehemmt.
Haupt, der älteste, hielt sich seitdem sehr eingezogen, liefs sich aber
gern von Freytag besuchen: »zuweilen gelang es auch den ernsten, in
sich gekehrten Mann zu geselliger Unterhaltung in eine stille Ecke zu
verlocken«.
Mit Jahn und Mommsen kam es bald zu einem kameradschaft-
lichen Einvernehmen: »beide wurden hochgeschätzte Mitarbeiter der
Grenzboten, denen sie manchen Prachtartikel geliefert haben«. Auch
nachdem die drei nicht mehr in Leipzig waren, dauerte die Freundschaft
fort. »Konnte ich nicht selbst Philologe sein, so war ich doch stolz
darauf, dafs es die Freunde auch für mich waren, und ich bin seit jener
Zeit auf den neuen Bahnen, welche die drei Gelehrten in ihrer umfang-
reichen und grofsartigen Thätigkeit eröffneten, getreulich nachgewandelt.
Dies bescheidene Mitlehen an ihrer Arbeit verklärte auch den persön-
lichen Verkehr, sie gewöhnten sich, mich als einen ihrer Getreusten zu
betrachten. Zwei von ihnen sind uns verloren, aber der jüngste und
genialste ist unermüdlich, als Häuptling der deutschen Wissenschaft neue
Gebiete botmäfsig zu machen«.
Beachtenswert ist, dafs die Idee zu Freytags berühmtem Roman
»Die verlorene Handschrift« von M. Haupt ausging. Es stimmte mit
stillen Plänen Freytags, dafs er von seinem philologischen Freunde
plötzlich aufgefordert wurde, einen Roman zu schreiben. Dieser teilte
ihm einmal in vertrauter Stunde mit, dafs in irgend einer kleinen
westfälischen Stadt auf dem Boden eines alten Hauses sich die Reste
einer alten Klosterbibliothek fänden, worunter möglicherweise noch eine
Handschrift mit verlorenen Dekaden des Livius stecke. Eine gemein-
same Reise dahin wurde verabredet und der argwöhnische Besitzer der
Handschrift sollte bei einem guten Trünke überlistet werden. »Aus der
Reise wurde nichts, aber die Erinnerung an jene beabsichtigte Fahrt
hat der Handlung des Romanes geholfen«.
Jugendeindrücke und Erlebnisse von Georg Weber. Ein histo-
risches Zeitbild. Leipzig. Wilhelm Engelmann. 1887. 8°. VHI und
295 S.
Dieses in behaglicher Breite geschriebene Werk des nunmehr ver-
storbenen Verfassers der »Allgemeinen Weltgeschichte« verdient aus zwei
Gründen an dieser Stelle Erwähnung: 1. schildert Weber seinen eigenen
Entwickelungsgang, der durch die Philologie führte, und 2. charakteri-
siert er eine ziemliche Anzahl hervorragender Philologen, mit denen er
92 Geschichte der Altertumswissenschaft.
gesellig und wissenschaftlich während seines langen Lebens verkehrt
hat Da der Verfasser seit 1829 mit kurzen Unterbrechungen immer in
Heidelberg gelebt hat, so ist diese Autobiographie eine wichtige Quelle
für das geistige Leben der Rupcrto-Carola wie der schönen Neckarstadt.
Den 10. Februar 1808 zu Bergzabern in der bayerischen Rhein-
pfalz, die aber damals französisch war, geboren, kam Weber nach dem
ersten höhern Unterricht in seiner Vaterstadt nach Speyer auf das Gym-
nasium, wo ihn sein Lehrer Anselm Feuerbach, der bekannte Archäologe,
für das Studium der Geschichte und alten Litteratur begeisterte. Mit
wohlthuender Pietät urteilt der Schüler: »Der befreundete Verkehr mit
diesem geistreichen, kunstsinnigen Manne, der einige Jahre später als
Professor der Archäologie nach Freiburg im Breisgau berufen wurde,
gehört zu den schönsten Errungenschaften meines jugendlichen Lebens«.
»Das vortreffliche Werk über den vatikanischen Apollo, mit welchem
Feuerbach damals beschäftigt war, öffnete seinem Verehrer zum ersten
mal den Blick in die schöne Welt antiker Kunst. Die Göttin des
Glückes hatte dem trefflichen Manne in seinem Leben nur wenige ihrer
goldenen Früchte zugeteilt, und die holde Euphrosyne schlug nur selten
ihren Sitz in seinem Gemüte auf; aber ich habe ihm die Gefühle der
Dankbarkeit und Liebe über das Grab hinaus treu bewahrt«. (S. 50).
Obgleich sehr arm, bezog Weber die Universität Erlangen, wo er ein
Jahr ( 1828/29) verbrachte. Hier machte er, durch den Coramilitonen Frie-
drich Feuerbach veranlafst, Sanskritstudien bei dem Dichter und Professor
Fr. Rückert, der damals schon als Dichter eines ziemlichen Rufes
genofs. »Der Vortrag und die Erklärung waren nicht anziehend und
wurden durch seine etwas unbeholfene Persönlichkeit nicht gehoben;
dagegen waren die Übersetzungen, die er den Zuhörern in die Feder
sagte, lauter Meisterstücke, originell in der Kraft der Ausdrücke«.
Die Studien wurden in Heidelberg fortgesetzt, eine akademische
Preisfrage, die der Verfasser 1832 löste, wurde später zur Doktordisser-
tation gestaltet unter dem Titel: De Gythio et rebus navalibus Lacc-
daemoniorum. Das Gutachten Grenzers wufste viele gute Eigenschaften
an der Arbeit zu rühmen, z. B. auch die äxpißeta iudicandi. Die
Examinatoren bei der Prüfung waren Schlosser, Creuzer und Bahr.
Zu den Büchern, welche Weber besonders eifrig studierte, gehörte
Gibbon, den er im ganzen dreimal durchmachte und excerpierte. Am
liebsten aber studierte er die Schriftsteller der Alten: »Ich las fast
alle griechischen und römischen Klassiker in chronologischer Ord-
nung und machte es mir dabei zur Aufgabe, nach der Beendigung eines
Buches oder eines gröfseren Abschnittes oder poetischen Stückes aus
dem Gedächnis den Inhalt und Gedankengang niederzuschreiben«.
Unter den Heidelberger Lehrern wurde für Weber besonders
Karl Friedrich Hermann von Bedeutung (,S. 78ff.). Derselbe war
damals Privatdozeut und »arbeitete gerade an seinem bedeutendsten
G. Weber, Jugendeindrücke und Erlebnisse. 93
Buche, den griechischen Staatsaltertümern und hielt zugleich Yorlesungen
über denselben Gegenstand«, die Weber auch besuchte. Bald kam der
fleifsige Zuhörer auf vertrauten Fufs mit dem Lehrer und las einen Teil
der Korrekturbogen genannten Werkes. Bezüglich der Platostudien Her-
manns, die Schleiermacher entgegengesetzt wurden, meint Weber: »Für
Piatons idealen und schwungvollen Geistesflug fehlte dem deutschen Pro-
fessor das volle Verständnis. Ein Mann des Verstandes und der prak-
tischen Gelehrsamkeit, besafs er zu wenig poetische Anlage und Phan-
tasie, um in die platonische Ideenwelt einzudringen«.
Die Hauptstärke Hermanns wird trotz aller Gelehrsamkeit in sei-
ner Lehr- und Erziehungsthätigkeit gesucht. So las er für zwei Stu-
denten ein Privatissimum über Persius und ein solches für Weber allein
über Demosthenes pro Corona. »Von ihm erhielt ich nicht blofs Be-
lehrung und Methode, er flöfste mir auch die heifse Liebe für die grie-
chische und römische Litteratur und Kunst ein, die mir ein Leitstern
durch das ganze Leben geblieben ist, Als ich die zweite Auflage mei-
ner »Allgemeinen Weltgeschichte« in neuer Bearbeitung der Öffentlich-
keit übergab, konnte ich in der Dedikation meinen Dank nur den Manen
des Verstorbenen darbringen«.
Jedenfalls soll hier konstatiert werden, dafs der Universalhistoriker
Weber trotz Schlosser seine methodische Schulung der klassischen Phi-
lologie dankt, und das Studium der Philologie war für ihn nach eigenem
Geständnis nicht blofs Durchgangspunkt, nicht blofs Mittel zum Zweck.
Der glänzende philologische Stern Heidelbergs in der ersten Hälfte
unseres Jahrhundert war aber Georg Friedrich Grenzer, der be-
kannte Symboliker, dem Weber eine eingehende Würdigung zu teil wer-
den läfst (S. 81 — 89). Sein angeborener »mystischer Keim«, seine grofse
Fertigkeit im Lateinsprechen, seine innige Anhänglichkeit an Heidelberg,
die ihn nach kurzem Aufenthalt in Leyden, wo er keinen mythologischen
Gedanken fassen konnte, wieder nach Heidelberg zurückführte, sein
Schüler Moser, »der erste Grenadier des philologischen Seminars«, seine
Hypothese von einer Urreligion, zu der sich alle späteren Religionen wie
gebrochene und geschwächte Ausstrahlungen verhalten sollten, werden
kurz besprochen.
Aber bereits war Ottfried Müllers Ansicht von der genuinen Ent-
wickelung des griechischen Genius verbreitet, und auch Weber mufste
sich mit Creuzer und Müller auseinandersetzen: »Als ich nach Heidel-
berg kam, war Grenzers Glanzperiode vorüber, doch besuchte ich das
philologische Seminar, das unter seiner und Bährs Leitung stand, und
wohnte seinen Vorlesungen über Mythologie und Symbolik, über Archäo-
logie und Kunstgeschichte, sowie über die verrinischen Reden Ciceros
bei«. Aber gegen die Creuzerschen Ansichten verhielt sich der Ver-
fasser mit vorsichtiger Kritik, indem er, Müller und Creuzer als Extreme
betrachtend, die Wahrheit in der Ausgleichung beider suchte.
94 Geschichte der Altertumswissenschaft.
An Creuzer reiht sich sein Antipode in Wissenschaft und Leben,
Johann Heinrich Vofs (S. 85if.), der durch Markgraf Karl Friedrich
von Baden und seinen intelligenten Minister Reitzenstein nach Heidelberg
berufen worden war, ohne jedoch Mitglied des akademischen Lehrkörpers
zu werden. »Der Sohn (von Vofs), Heinricii, lebte im elterlichen Hause
wie ein Oberknecht auf dem Gehöfte eines alttestamentlichen Patriarchen.
Er kam nie zu voller Selbständigkeit, und seine intime Freundschaft mit
Jean Paul kann als Beweis gelten, dafs er von weicherem Metall ge-
schmiedet war«. Das ist übrigens derselbe Vofs, mit dem der alternde
Goethe sophokleische Tragödien in Weimar gelesen hatte. Die Antisym-
bolik von Vofs, welche zwar Creuzer einen Fackelzug einbrachte, war
trotzdem ein schwerer Schlag für diesen, und mit seiner bisherigen Un-
befangenheit und Sicherheit war es vorbei.
Von den Schülern Creuzers wird Kayser (S. 88) einer ehrenvollen
Erwähnung gewürdigt. Wenn behauptet wird, die von Creuzer ange-
regte Ausgabe des Philostratus sei Kaisers bekanntestes Werk, so hätten
die mindestens ebenso bekannten Cicero-Arbeiten eine kurze Erwähnung
verdient.
Eingehende Würdigung findet sodann der Uuiversalhistoriker Fr.
Chr. Schlosser, als dessen speziellen Schüler sich der Verfasser be-
kennt (S 89 — 96). Von der Geschichte wieder zur Philologie führt uns
die Charakteristik Christian Bährs, bekannt durch seine mehrbändige
Geschichte der römischen Litteratur und seine Herodotausgabe. Obgleich
aus einem protestantischen Pfarrhause stammend, neigte der pygraäen-
hafte und nicht mitteilsame Gelehrte zu einem romantisch angehauchten
Katholicismus. Von seinen Leistungen wird nicht viel gerühmt: »Er
besafs viele Kenntnisse in allen Zweigen der Altertumswissenschaft, wel-
che er mit bienenhaftem Fleifs gesammelt hatte, und schrieb ein korrek-
tes Latein. Aber er war ein Mann ohne eigene Ideen, ohne tieferes
Urteil und ohne eine Spur von Genialität. In Verbindung mit Creuzer
bearbeitete er eine neue Ausgabe der Geschichtsbücher des Herodot,
welche ausgezeichnet war durch ein reiches Notenmaterial und sich lange
Zeit als die brauchbarste Bearbeitung zum Verständnis des Vaters der
Geschichte erwies«.
Auch mit dem Philologen T hier seh, der eine so grofse Bedeu-
tung für das gelehrte Schulwesen Bayerns erhalten bat, ist Weber ge-
legentlich zusammengetroffen (S. 226). »Er war ein interessanter Mann
von idealen Bestrebungen, ein feuriger Apostel des Humanismus und
von groiser Gewandtheit der Rede«.
Am liebevollsten und eingehendsten neben Schlosser ist Karl
Bernhard Stark, der bekannte Archäologe, gezeichnet (S. 268-275).
Man merkt dieser Schilderung recht wohl an, dafs sie der Freund dem
Freunde geschrieben hat. Nachdem Starks Entwickelungsgang bespro-
chen - er hatte Göttling, Gottfried Hermann und August Boeckh zu
Drewes, C. Th. Gravenhorst. 95
Lehrern — werden seine Scliriften aufgezählt und seine sonstigen Ver-
dienste, wie die Gründung des Heidelberger archäologischen Instituts,
geschildert. Von den Schriften werden namentlich aufgezählt: »Städte-
leben, Kunst und Altertum in Frankreich«, die neue Auflage von K. Fr.
Hermanns »Gottesdienstlichen und Privataltertümern der Griechen«, die
Heidelberger Festschrift für das deutsche archäologische Institut 1879,
»das Heidelberger Schlofs in seiner kunst- und kulturgeschichtlichen Be-
deutung«, die Monographie über die Mithräen und Ladenburg, und be-
sonders das leider Torso gebliebene »Handbuch der Archäologie der
Kunst«. »Stark war kein durch Gedankenreichtum und Genialität her-
vorragender Gelehrter, ein Fachgenosse nannte ihn einst den Dogmatiker
der Altertumsforscher. Aber er war ein getreuer Arbeiter im Weinberge
der Wissenschaft, dessen Grenzen er stets weiter ausdehnte, dessen Ge-
biet er fleifsig und sorgfältig bestellte, dessen Früchte er behutsam ein-
heimste und im Hörsaale und auf dem Büchermarkte verwertete«.
So ist dieses Werk des Heidelberger Altmeisters der Universal-
geschichte eine wertvolle Quelle für die Gelehrtengeschichte unseres
Jahrhunderts im allgemeinen und die Heidelberger Universitätsgeschichte
im besonderen. Die Mitteilungen haben den Reiz des unmittelbaren Ein-
druckes, wie er sich nur aus persönlichem Verkehre ergibt.
Neben den berühmten Philologen sei auch ein hochgeachteter
Schulmann erwähnt:
Drewes, Carl Theodor Gravenhorst (Neue Jahrb. f. Philol. und
Pädagogik. Bd. 136. S. 37— 43. 65 -76).
Der durch seine schriftstellerischen Leistungen auch aufserhalb
der Lehrerkreise bekannte, am 28. Januar 1886 verstorbene Oberschul-
rat a. D. C. Th. Gravenhorst war am 1. November 1810 in Braunschweig
geboren, besuchte die Schulen seiner Vaterstadt, um sodann in Leipzig
Philologie zu studieren. Von Gottfried Hermann wurde er zwar geför-
dert, aber bei seiner früh hervortretenden Neigung für das Ästhetische
nicht sehr angezogen. Sodann nach Göttingen übersiedelnd, wurde er
von Grimm, Dahlmann und besonders von Otfried Müller angeregt und
beeinflufst«. Zu seinen Freunden gehörten Richard Lepsius, Bethmann,
H. L. Ahrens und Schneidewin. •
Nachdem er Ostern 1838 die Prüfung bestanden hatte, bekleidete
er Lehrerstellen zu Göttingen und Lüneburg. 1847 wurde ihm das In-
spektorat, d. h. die Direktion des Alumnats an der Ritterakademie zu
Lüneburg übertragen, eine Stelle, die er nicht ohne Bedenken übernahm.
Von 1849 — 1857 lehrte er sodann alte Sprachen und Geschichte am An-
dreanum zu Hildesheim, wobei er sich die begeisterte Verehrung seiner
Schüler erwarb, obgleich er ihnen gelegentlich in schroffer Weise' die
Wahrheit sagte.
Nachdem er in Bremen eine Direktorstelle bekleidet hatte, wurde
96 Geschichte der Altertumswissenschaft.
er Ostern 1866 Direktor des Braunsclivveiger Gymnasiums, zugleich auch
Mitglied der Kommission für Schulsachen und der Prüfungskommission
für Schulatiitskaiididaton mit dem Titel Schulrat. Seit 1877 war er
Mitglied der Oberschulkommission für Braunschweig. Damals hörte auch
die »wenig würdige Einrichtung des Ephorats« an den Braunschweiger
Gymnasien auf. Die Gymnasialkuratorien, in denen regelmäfsig der
Gymnasialdirektor Sitz und Stimme hat, sind der Direktion nicht über-,
sondern beigeordnet. Auf diese Behördenorganisation wie auf die Braun-
schweiger Gymnasien überhaupt hat Gravenhorst einen bedeutenden Ein-
flufs ausgeübt.
Während Gravenhorst dem Publikum gelegentlich schroff entgegen-
trat, besonders wenn es anmafsende und unberechtigte Ansprüche äufserte,
hatte er eine liebenswürdige Rücksichtnahme für seine Lehrer, im Ver-
kehr mit denen er nie den humanen Ton vermissen liefs. Für Ostern
1881 erbat er seine Pensionierung. Trotz zunehmender Krankheit be-
wahrte er sich zuerst noch ein lebhaftes Interesse für Schulangelegen-
heiten und wissenschaftliche Thätigkeit. Am 1. Februar 1886 »geleite-
ten zahlreiche Kollegen, Schüler und Freunde die Hülle des Dahinge-
schiedenen zu seiner letzten Ruhestätte nach dem Magnifriedhofe , wo
er unfern dem Grabe Lessings unter schattigen alten Bäumen und Cy-
pressen ausruht von seiner Arbeit«.
Seinem Wesen nach war Gravenhorst ein Idealist und Optimist;
dazu stimmte seine Religiosität; »doch widerstrebte es ihm, seine Reli-
giosität irgend zur Schau zu tragen«. Seinem Ideallsmus entsprach es,
dafs er höheren Wert auf allgemeines, als auf einzelnes legte. Der
Gymnasialunterricht erschien ihm nur dann wertvoll, wenn er eine hu-
mane Gesinnung erzeugte.
Mit seiner grofsen Empfänglichkeit »für alles Schöne und mensch-
lich Edle« verband sich gelegentlich ein unsicheres Schwanken in An-
sichten und Auftreten, ein Maugel an energischer Geschlossenheit seines
Wesens, darin ein Geistesverwandter Ciceros, den er auch stets gegen
abfällige Beurteilungen in Schutz nahm.
Seine Gelehrsamkeit ging mehr in die Breite als in die Tiefe.
Doch besafs er neben einer gründlichen Kenntnis der griechischen sce-
nischen Litteratur, seiner Spezialität, auch eine tüchtigere Kenntnis des
Lateinischen, als ihm mancher zutraute. »Die Leichtigkeit der Auempfin-
dung, verbunden mit der Gabe des os rotundum, der wohllautenden,
durchsichtigen und abgerundeten Rede, insonderheit auch der Herrschaft
über die poetische Form, befähigte ihn in aufsergewöhnlichem Grade zu
denjenigen Leistungen, in denen der Schwerpunkt seiner Lebensthätigkeit
zu suchen ist, zum Übersetzer der griechischen Tragödie für das mo-
derne Publikum und zum Lehrer der Gymnasialprima«.
Ein Verzeichnis von Gravenhorsts gedruckten (9) und ungedruck-
ten (11) litterarischen Arbeiten beschliefst den Lebensabrifs. Die Über-
Collilieux, Deux editeurs de Virgile. 97
Setzungen aus dem Griechischen sind am reichsten vertreten. Genannt
mögen sein Oedipus auf Kolonos (Hannover 1853), Iphigenia in Tauris
von Euripides, Philoktet von Sophokles, Phönikerinnen von Euripides,
Prometheus von Äschylus etc.
Ein Stück französischer Gelehrtengeschichte bietet folgen-
des Schriftchen:
Deux 6diteurs de Virgile par E. Collilieux Agr^ge des Lett-
res, Professeur au Lycee de Grenoble. Grenoble 1887. 31p.
Der Verfasser, welcher sich schon durch zwei Werke bekannt ge-
macht hat: La couleur locale dans l'fineide und fitude sur Dictys de
Cr^te et Dares de Phrygie, gibt den Inhalt seiner Schrift folgender-
mafsen an: I. M. Benoist. — II M. J. Duvaux. — III. Plan d'une
Edition de Virgile. — IV. Replique ä un article de la Revue de l'ficole
des Chartes. — Benoist und Duvaux sind Herausgeber Vergils und
kommen ziemlich schlecht weg. Auf S. 3 steht, was bemerkt sein soll:
Parmi les manuscrits, Ribbeck, le grand Ribbeck, pref^re le Palatinus;
M. Benoist, le Mediceus. Im übrigen gehört eine genaue Besprechung
dieser Schrift in eine andere Abteilung des Jahresberichtes.
Mit der Gelehrtengeschichte älterer Zeit ist unzertrennlich die
ältere Bucbdruckergeschichte verbunden, aus der einige, mir zu-
gängliche Arbeiten hier kurz verzeichnet sein mögen:
Dr. K. Steiff, Universitätsbibliothekar in Tübingen. Beiträge zur
ältesten Buchdruckergeschichte. 4. Der erste Buchdruck in Tübingen
(1498 — 1534). Nachträge zu der vom Verfasser herausgegebenen Schrift
gleichen Titels (Tübingen. H. Laupp. 1881). (Hartwigs Centralblatt
für Bibliothekswesen. IV, Heft 2. S. 49—60).
Zu seinem 1881 erschienenen Werke, als dessen dankbaren Benutzer
sich auch der Schreiber dieser Zeilen bekennt, gibt Steiff eine Anzahl
Nachträge. Dem Gang seiner Schrift folgend, werden zuerst die Drucker
und dann die nachzutragenden Titel behandelt.
Weniger erheblich sind die Notizen zu Joh. Otmar, dem frühesten
der Tübinger Drucker, und Friedrich Meynberger, dessen Verleger in
Tübingen. Der bekannte Thomas Anshelm von Baden wird mit Hilfe
seines Monogramms auch als Künstler, als Formschneider nachgewiesen.
Da diese Formschneider meist nicht selbst die Zeichnungen ihrer Holz-
schnitte entwarfen, (vgl. darüber A. Woltmann Holbein und seine Zeit
[Leipzig 1874] S. 189), so wird es mit Anshelm ähnlich bestellt sein.
Von den verzeichneten Drucken sei an dieser Stelle besonders
genannt: Laur. Corvinus Latinum idioma, S. a. (1514—1516), wegen
des vorkommenden Accentes (fere) in die Zeit versetzt, da Melanchthou
bei Anshelm Korrektor war.
Jahresbericht für Alterthumswissenschaft. LXIV. fiaSO. III.) 7
98 Geschichte der Altertumswissenschaft.
Zur Geschichte des Jesuiten-Kollegiums zu Braunsberg. Verzeich-
nis der Braunsberger Drucke. Beilage zu dem Jahresbericht über
das Königliche Gymnasium zu Braunsberg 1887 von dem Direktor
Hermann Gruchot. Braunsberg. 4°. Progr. 3. 30 S.
Die Braunsberger Druckerei hatte seit ihrem Anfang ein nahes
Verhältnis zu dem 1565 gegründeten Jesuiten-Kollegium. Ihre meisten
Erzeugnisse standen in Beziehung zu dem 1579 errichteten päpstlichen
Seminar, auch schon in der Zeit, als die Druckerei noch nicht im Be-
sitze der Jesuiten war.
Gruchots Arbeit ist eine Erweiterung der von Professor Bender
1865 verötfentlichten Zusammenstellung, der auch eine Geschichte der
Buchdrucker gegeben hat. Die Namen der Drucker sind Johann Sachse,
Georg Schönfels, Kaspar Weingärtner, Heinrich Schultz, Witwe Heinrich
Schulz, Peter Rosenbüchler.
Weitaus die meisten der verzeichneten 490 Drucke, die Gruchot
als noch ergänzungsfähig bezeichnet, haben theologischen oder kirchen-
historischen Inhalt. Aus der Zahl der für den »Jahresbericht« in Frage
kommendan mögen folgende hervorgehoben werden:
Nr. 4. Simonis Verepaei de epistolis latiue conscribendis Libri
V. nunc recens meliori Methodo et scholiis illustrati et accessione aliqua
nova postreraum aucti. Johannes Saxo 1590.
Nr. 44. Jacobi Pontani de S. J. Progymnasmatura Latinitatis sive
dialogorum selectorum libri duo. Ad usum et secundae et tertiae Scholae
Grammatices. G. Schönfels. 1610.
Nr. 57. Pie docendi pieque studendi ratio. Cum R. P. Joannis
Argenti S. J. serraone de Septem B. V. Excellentiis habitus ad Parthe-
nios Sodales Vilnae, quorum leges et indulgentiae subjiciuntur. G. Schon-
fels. 1614.
Nr. 99. Publii Ovidii Nasonis De Tristibus libri V. 1640.
Nr. 104. Publii Ovidii Nasonis Fastorum libri VI. E manu
scriptis antiquioribus castigatiores redditi. Caspar Weingärtner. 1644.
Nr. 105. Publii Ovidii Nasonis Tristium libri V. Caspar Wein-
gärtner. 1644.
Nr. 106. M. Verinus. Disticha de moribus. 1644.
Nr. 107. Publii Ovidii Nasonis De Ponto libri IV. E. manu scr.
antiquioribus castigatiores redditi. Casp. Weingärtner. 1645.
Nr. 108. Ciceronis de Officiis. 1. III. 1645.
Nr. 118. Praxis oratoria. Sive praecepta artis rhetoricae, quae
ad componendam orationem scitu necessaria sunt . . . a P. Sigism. Laux-
min e S. J. etc. 1648.
Nr. 119. Horatius ab omni obscoenitate expurgatus 1648.
Ferner Nr. 120. 135 und viele andere.
G. Mollat, Inkunabeln. 99
G. Mollat, Mehrere unbekannte Inkunabeln (Rhein. Museum
N. F. Bd. 42. S. 639 und 640).
Kurze Beschreibung dreier alten Drucke, die sich in der ständischen
Landesbibliothek zu Kassel befinden und in den Nachschlagewerken von
Brunet, Ebert, Graesse, Hain und Panzer fehlen: es sind: 1. Cicero,
de officiis. S. 1. e. a. fol. 65 Bl. Gotische Buchstaben. — Ex biblio-
theca Rudolfi II de Scheerenberg, episcopi Herbipolensis. — 2. Aeso-
pus, fabulae XXXIII trad. Laurentius Valla. S. a. Impressum Nurra-
berg. Johannes Weyssenburger. — 3. Auctoritates variorum.
1497. Deventer. Jacobus de Breda. 4°. 53 Bl.
Ad. Hofmeister, Die Anfänge des Rostocker Büchergewerbes.
Vortrag, gehalten im Verein für Rostocks Altertümer 8. Febr. 1887.
Der Verfasser hat nicht die Absicht, »eine in sich geschlossene,
erschöpfende Darstellung aller mit der technischen Herstellung und dem
Vertriebe der Bücher in Verbindung stehenden Gewerbszweige zu geben« ;
die Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg hat ohnehin Lisch
schon vor 50 Jahren in mustergültiger Weise gegeben. Der Verfasser
beschränkt sich vielmehr auf die Zusammenstellung einer Anzahl zer-
streuter Notizen, aus denen er ein ungefähres Bild der weitverzweigten
Industrie zu gestalten sucht.
Report on the Mitchell Library, Glasgow. 1887. Glasgow. 1888.
Ein Rechenschaftsbericht dieser schottischen Bibliothek, der das
erste Jahrzehnt ihres Bestehens abschliefst. Mit Befriedigung verbreitet
sich das Schriftchen über das bisher Erreichte Zugleich gibt es aus-
giebige Aufklärung über die Statuten der Anstalt, ihre Benutzung , ihre
Anschaffungen von Büchern und Zeitschriften u. s. w.
Au die Spitze der Arbeiten, welche sich mit Pädagogik und
Schulorganisation beschäftigen, und die der Mehrzahl nach aus
Mangel an Raum erst später besprochen werden können, gehört nach
Umfang und Bedeutung:
Handbuch der praktischen Pädagogik für höhere Lehr-
anstalten. Von Dr. Hermann Schiller, Direktor des Gymnasiums
und des pädagogischen Seminars und Professor der Pädagogik an der
Universität Giessen. Leipzig, Fues' Verlag (R. Reisland). 1886. 8°.
XII und 640 S.
Laut der Vorrede ist dieses nützliche Buch für Anfänger im Lehr-
amte bestimmt, »welche nach Mafsgabe der bestehenden Schulgesetz-
gebung und im Rahmen der beutigen Schuleinrichtungen sich über
die praktischen Fragen ihres Berufs orientieren wollen«. Es will mir
aber scheinen, als ob auch viele ältere Lehrer aus dem reichhaltigen
Buche Anregung und Belehrung schöpfen könnten.
7*
lOQ Geschichte der Altertumswissenschaft.
Dasselbe ist aus der Doppelpraxis des Verfassers erwachsen, wo-
mit er aber nicht den Anspruch erhebt, alles, was er mitteilt, selbst ge-
funden zu haben. Soll es ein Fortschreiten der Wissenschaft geben, so
mufs nicht jeder von vorne anfangen wollen, sondern auch früher Auf-
gestelltes nach reiflicher Prüfung annehmen. Aber nichts will der Ver-
fasser empfehlen, was von ihm nicht längere Zeit auf seine Brauchbar-
keit geprüft und bewährt gefunden.
Sodann wird der Mangel einer ausreichenden und handlichen Zu-
sammenstellung der pädagogischen Litteratur für höhere Schulen beklagt
»und doch zeigt ein Blick in unsere Programmlitteratur, dafs eine solche
nicht überflüssig ist: manches bliebe ungeschrieben oder die Arbeit würde
fruchtbarer werden, wenn die Verfasser den Stand der Litteratur kennen
würden. Aber auch unsere Lehrthätigkeit würde aus dem Gebiete blofser
Routine und wertlosen Experimentierens in die Bahnen ruhiger und zu-
sammenhängender Entwickelung und wertvoller Erfahrung gelangen, wenn
unsere Lehrerwelt zuei'st einmal sich Kenntnis verschaffte von dem, was
erfahrene Berufsgenossen gedacht und gefunden haben; kein Volk be-
sitzt einen ähnlichen Schatz an tüchtigen Arbeiten wie das unserige«.
Der Inhalt des Werkes zerfällt in vier Teile: 1. Schulen, Schüler,
und Lehrer. 2. Die psychologische Grundlage der Erziehung und des
Unterrichts. 3. Die Schulzucht. 4. Unterricht.
Der »Jahresbericht für Altertumswissenschaft« kann keineswegs
den ganzen Inhalt dieses gehaltreichen Buches vorführen, sondern wir
müssen uns an dieser Stelle mit einer Auswahl dessen begnügen, was in
unmittelbarer Beziehung zu unserem Thema steht.
Die Pädagogik als die Wissenschaft von der Erziehung der Jugend
erhält ihre Aufgabe durch die Civilisation und Kultur der Zeit gestellt.
Die Aufgabe der heutigen Erziehung wird so definiert: »Die körper-
lichen und geistigen Fähigkeiten der Jugend allseitig so zu entwickeln,
dafs dieselbe mit Unterordnung ihres Sonderiuteresses an der Lösung
der Civilisation- und Kulturaufgaben unserer Zeit und der Gesamtaufgabe
der Menschheit, sittlich zu sein, nach den Anforderungen der sittlichen
Einsicht mit Erfolg sich beteiligen kann«. Da nun aber Körper und
Geist gebildet werden, so bedarf die Pädagogik der Physiologie, Psycho-
logie und Hygiene als Hilfswissenschaften. Aber auch der Ethik und
einiger Kenntnis des socialen, politischen und religiösen Gebietes kann
sie nicht entraten.
In hochkultivierten Gesellschaftszuständen können die Aufgaben
nicht für alle gleich sein, und so ergibt sich nach dem Prinzip der Ar-
beitsteilung eine Differenzierung nach Anlage, Ausbildungszeit, Mittel und
Zielen. Es ist eine »gefährliche Utopie, für alle Individuen eines Volks
gleiche Bildung oder auch nur Vorbildung anstreben zu wollen«. Das
schliefst aber einen völlig gleichen Unterbau der Elementarbildung für
alle Schüler nicht aus.
H. Schiller, Handbuch der praktischen Pädagogik. IQl
Nach dem Grade und der Art, wie sich die einzelnen Teile der
Bevölkerung an der Lösung der Kulturaufgaben beteiligen, gliedern sich
die Schulen in niedere, mittlere und höhere. Während die Er-
ziehungsmittel wesentlich dieselben sind, entsteht aber eine Verschieden-
heit durch die verschiedenen Ziele, welche sodann durch die Länge der
Schulzeit und der Lehrmittel bedingt sind.
Das Bildungsideal schwankt mit der Kultur. Das christliche Bil-
dungsideal, »das bei seiner Schlichtheit doch den tiefsten Gehalt birgt
und bei der geistigen Freiheit, womit es der wissenschaftlichen Erkennt-
nis Raum läfst, zugleich die höchsten sittlichen Grundsätze, Tugend und
Liebe zu Gott und der Natur, enthält«, hat doch im Laufe der Zeit
mehrfach geschwankt. Auch die Definition, wonach es die Aufgabe der
Erziehung sei, den Menschen gottähnlicher zu machen, ist nicht brauch-
bar, da der Gottesbegriff nicht immer derselbe gewesen, auch nicht so
scharf gefafst werden kann, dafs man sich darunter etwas Unabänder-
liches denken kann. Auch so gelangen wir zu dem Ergebnisse, »dafs
die Erziehung die Aufgabe hat, den Menschen für die Mitarbeit am
Kulturleben seiner Zeit und an der Lösung der Aufgaben, welche dieses
stellt, zu befähigen«. Nur ein sittlich-religiöser Charakter kann den auf
allen Lebensgebieten gestellten Aufgaben genügen.
Es werden sodann die verschiedenen Arten von Schulen charakte-
risiert: Gymnasium, das »für sämtliche höhere Bildungsanstalten und
für die sofort nach der Schule eintretende Berufsunterweisung« nach
der bestehenden gesetzlichen Auffassung die Vorbildung geben kann, das
Realgymnasium und die Oberrealschule, die »hierbei zur Zeit noch
gröfsere oder geringere Beschränkungen sich gefallen lassen müssen«, die
Realschulen ohne Latein.
Das Gymnasium mit seiner konzentrierten Betreibung der alten
Sprachen und der Geschichte verleiht eine Bildung, die notwendig zur
Universität führt. Überwiegend den historischen Disziplinen zugewandt,
gibt es eine solche Schulung wissenschaftlichen Denkens, die als Vor-
bereitung für die Universitätswissenschaften historischer Richtung gel-
ten mufs.
Das Realgymnasium, das in Süddeutschland trotz eines tüchti-
gen Bürgertums nur geringe Verbreitung gefunden hat, ist die Schule
der besitzenden Bürgerklassen, welche eine Vorbildung für die Univer-
sität zurückweisen und sich doch mit der Realschule nicht begnügen
wollen. Eine weitere Vermehrung der Berechtigungen dieser Schul-
gattung würde künftighin eine noch gröfsere Anzahl von Menschen auf
falsche Bildungswege locken.
Die Realschule ohne Latein oder noch zielbewufster die Hof-
mann sehe Mittelschule ist für die Bedürfnisse des praktischen Le-
bens und des mittleren Bürgerstandes notwendig und zweckdienlich.
Die Oberrealschule, die mit einer unerklärlichen Abneigung
102 Geschichte der Alti;itumswissenschaft.
dos Publikums zu kämpfen hat, ist aufgebaut auf einer breiten, der mo-
dernen Bildung ausschliefslich angebörigen Grundlage und ist die kon-
sequent durchgebildete Schule für das gebildete Bürgertum, das keine
Universitätsbildung sucht.
Vorhandene konfessionelle Anstalten sind , wo es die Verhältnisse
gestatten, zu erhalten; im übrigen aber ist der Verfasser für kon-
fessionslose Schulen, jedoch mit konfessionellem Religions-
unterricht.
In dem Streite über die Vorschulen zu den Mittelschulen ist
Schiller auf Seite derjenigen, die für dieselben eintreten: »In der That
sind die Lehrerfolge dieser Vorschulen meist sehr befriedigend und die
öffentliche Meinung hat zu ihren Gunsten durch den immer stärker wer-
denden Andrang zu denselben entschieden«.
Im Abschnitt »Lehrverfassung« wird zunächst das Gymnasium mit
seinen neun Jahreskursen beschrieben. Es ergibt sich dabei, dafs auch
in diesem Punkte Bayern und Württemberg eine Separatstellung haben.
Die Verschiedenheit der einzelnen Lehrgegenstände ist in den einzelnen
Fächern recht grofs: so differiert die wöchentliche Stundenzahl des La-
tein zwischen 102 (Württemberg) und 73 (Bayern und Baden), die des
Griechischen zwischen 31 — 42, die des Französischen zwischen 8 (Bayern)
und 21 (Preufsen) etc.
Trotz dieser Verschiedenheit der Lehrpläne sind infolge einer Ab-
machung aller deutschen Regierungen im Jahre 1874 die Reifeprüfungs-
zeugnisse aller deutschen Anstalten einander gleichgestellt. Die Gymna-
sien sind in Süddeutschland durchaus, in Norddeutschland vielfach staat-
liche Anstalten, die Realanstalten meist kommunale Schulen.
Bezüglich der Berechtigungen, welche die einzelnen Schulen
verleihen, meint Schiller, dafs die Berechtigungen des Gymnasiums und
Realgymnasiums zwar nicht gleich seien, aber doch der historischen
Entwickelung entsprechend sich verteilen. Die Vertreter der verschie-
denen Anstalten würden »dem deutschen Volke einen besseren Dienst
leisten, wenn sie, statt um Berechtigungen zu streiten, darin wetteifern
würden, diejenige Vorbildung ihren Schülern zu verleihen, welche sie
befähigte, in leitenden Stellungen, gleichviel ob im Amte oder in den
Gebieten des Handels und der Industrie, edlen und unabhängigen Cha-
rakter, klares Urteil, gesunden Menschenverstand, tiefere Lebensauf-
fassung, richtige Erkenntnis der Zeitverhältnisse und reinen Geschmack
zu beweisen«.
Ein grofser Teil des Stoffes aus diesem inhaltsreichen Buche ent-
zieht sich der Mitteilung an dieser Stelle. Der zweite Teil handelt von
der psychologischen Grundlage der Erziehung und des Unterrichts, ein
dritter Teil von der Schulzucht, ein vierter vom Unterricht. In diesem
Abschnitt geht eine allgemeine Darstellung über allseitige und einheit-
liche Geistesbildung und über allgemeine Bestimmungen bezüglich des
H. Schiller, Handbuch der praktischen Pädagogik. 103
Unterrichtsverfahrens an den höheren Schulen voran. Die Methodik der
einzelnen Unterrichtsfächer wird in folgender Anordnung vorgeführt;
Religionsunterricht, Unterricht in der Muttersprache, der fremdsprach-
liche Unterricht (Latein, Griechisch , Hebräisch , Französisch , Englisch),
Geschichte, Geographie, Mathematik, Naturwissenschaften, Zeichnen,
Turnen.
Für die Zwecke des »Jahresberichtes« kommt der Abschnitt über
lateinischen und griechischen Unterricht in Betracht (S. 351 — 560), der
sich in folgender Weise gliedert: Der lateinische Unterricht, zerfallend
in: Der Anfangsunterricht, Grammatik, Lesen und Sprechen, Schreib-
übungen, Verteilung und Verknüpfung des Unterrichts. Konzentration
des Unterrichts auf der Mittelstufe, Schriftstellerlektüre der Mittelstufe,
grammatisch-stilistische Aufgabe der Oberstufe, Schriftstellerlektüre der
Oberstufe. Der »Griechische Unterricht« ist folgendermafsen eingeteilt:
der grammatische Unterricht und die Schreibübungen, die Lektüre der
Prosaschriftsteller, die poetische Lektüre.
Das Recht der alten Sprachen auf eine breite Stelle im Unterricht
der leitenden Stände gründet sich auf die Notwendigkeit einer histori-
schen Bildung für diese. »Eine volle historische Bildung gewährt blofs
die Kenntnis des Griechischen und Lateinischen«. Denn in der Sprache
drückt sich der Geist eines Volkes am deutlichsten aus. Der Unterricht
in der Sprache mufs sich dabei an die alte Geschichte anlehnen.
Die pädagogische Verwendung der alten Sprachen im höheren Unter-
richt unterscheidet sich einigermafsen von der Muttersprache. Die frem-
den Sprachen schaffen dem Denkvermögen eine um so reichlichere Übung,
je weiter dieselben von der Muttersprache entfernt sind. Die antiken
Litteraturen, und insbesondere die griechische, bieten Typen, die »bei
aller Einfachheit sich für die Erfahrung des Schülers eignen und alle
Interessen desselben wachzurufen und zu entwickeln vermögen«.
Von prinzipieller Bedeutung ist der Abschnitt über die Schreib-
übungen (S. 369ff.). Ein Teil unserer Lehrerwelt ist in diesem Punkte
noch in Vorstellungen einer längst vergangenen Zeit befangen, welche
den schriftlichen Verkehr in lateinischer Sprache als ein wesentliches
Bildungsmittel betrachten mufste. Wenn die Schulordnungen Sturms
mit Recht tägliche Stilübungen verlangten, so liegt das heute doch ganz
anders. Die Übungen im Lateinschreiben haben jetzt nur noch die Be-
deutung, die Lektüre zu begleiten und deren Ertrag zur Darstellung zu
bringen.
Daher soll der Sprachstoff der Übungen der Lektüre entnommen
sein. Ferner müssen die zur Anwendung gebrachten Regeln den Schü-
lern nicht blofs bekannt, sondern auch eingeübt sein. Die Unpopulari-
tät des Extemporale darf nicht zu dessen Abschaffung führen.
Das Extemporale aber hat seine Grenzen in doppelter Beziehung :
da es von dem Schüler eine gröfsere Anspannung der Kräfte verlangt,
104 Geschichte der Altertumswissenschaft.
als gewöhnlich, so wirkt es erzieherisch. Dann sollen aber die Schreib-
übuugen nicht eine Sammlung von Fufsangeln sein; »der Schüler ist in
der lateinischen Sprache, wie er sie erfahrungsgemäfs kennen gelernt
hat, an solche Tücke nicht gewöhnt und besitzt auch meist nicht die
Kraft, eine so kondensierte Denkübung völlig erschöpfend vorzunehmen,
da ihm sonst meist durch den Lehrer Winke gegeben werden«.
Wenn aber die Extemporalien so rationell behandelt werden, dafs
sie nur »der Niederschlag des mündlichen Unterrichts« im Lateinischen
sind, so mufs man ihnen auch eine wichtige Stellung bei der Beurteilung
der Reife eines Schülers einräumen. Hausarbeiten im Lateinschreiben
werden gänzlich verworfen wegen der grofsen Unselbständigkeit der
Schüler und der Verbreitung privater Nachhilfe.
Da nun die Schreibübungen die Vorstufen zum lateinischen Aufsatz,
dem vielumstrittenen, sind, so wird sich bei dem dargelegten Charakter
der Schreibübungen auch das Wesen des Aufsatzes sehr wesentlich mo-
difizieren. »Zunächst besteht die Täuschung, dafs diese Aufsätze wirk-
liches Latein seien; das waren sie zu keiner Zeit, und heute sind sie
es erst recht nichto. Auch ist eine tüchtige lateinische Schulung mög-
lich ohne lateinischen Aufsatz, wie das Beispiel der süddeutschen Staa-
ten beweist, die ohne lateinischen Aufsatz »recht respektable Leistungen
im Lateinischen« aufzuweisen haben. Trotzdem ist aber Schiller für
den lateinischen Aufsatz, da er der natürliche Abschlufs für die von
ihm entwickelte Art des lateinischen Unterrichtes sei: »Denn er ist
nur eine weiter entwickelte Form der Imitation, welche sich strenge
innerhalb der Grenzen der freieren selbständigen Reproduktion, vielleicht
auch der beschränkten Produktion hält«. Darum mufs er in engste Be-
ziehung zur lateinischen Lektüre treten, sodafs die Themata dieser aus-
schliefslich entnommen werden. Man fange spätestens in Untersekunda
mit kleinen Aufsätzen an, auf welcher Stufe 3 — 4 im Jahre genügen.
Aber auch weiter hinauf dürften sechs Arbeiten im Jahre genügen schon
wegen des Zeitaufwandes«. Die Korrektur durch den Lehrer erstreckt
sich hauptsächlich auf »die Fehler gegen die Korrektheit der Gedanken
und des sprachlichen Ausdrucks« , die der Schüler sodann verbessern
mufs. »Eine völlige Umarbeitung ist nicht zu verlangen, da dieselbe
zu viel Zeit in Anspruch nehmen würde«. Es unterliegt wohl keinem
Zweifel, dafs diese Art des lateinischen Aufsatzes, wenn das in Wahr-
heit noch ein rechter lateinischer Aufsatz ist, in grellem Gegensatz zu
einer weit verbreiteten Praxis steht.
Sehr beherzigenswert ist auch der Abschnitt »die Schriftsteller-
lektüre der Oberstufe« (§ 44). S. 410—429. Schiller ist dafür, dafs
sämtliche Schüler den gleichen Text haben. Das ganze Verfahren mufs
darauf gerichtet sein, den Schülern typische Bilder der einzelnen Litte-
raturgattungen zu schaffen. Die Interpretation soll nicht lateinisch sein,
weil weder Lehrer noch Schüler der Sprache so mächtig sind, dafs dies
H. Schiller, Handbuch der praktischen Pädagogik. 105
befriedigend geschehen kann. »Der Gewinn für das Lateinische wäre
also unerheblich, der Verlust für das Verständnis sehr bedeutend«. —
Wenn möglich, nur ein Lehrer für Latein oder Griechisch in der glei-
chen Klasse. Immer nur einen Schriftsteller lesen, aber mit angemesse-
ner Abwechslung nach dem Semester. — Auch Extemporieren ist auf
dieser Stufe zulässig, doch mufs stets auf gutes Deutsch und völlige
Klarheit der Gedanken gesehen werden. Die Vorschläge Schillers, die
gleich sehr die sprachliche und sachliche Seite der Schriftstellerlektüre
berücksichtigen, sind wohl geeignet, diesen Zweig des Unterrichts nutz-
bringend zu gestalten.
In den §§ 45 -47 ist der griechische Unterricht behandelt.
Bei dieser Sprache kommt es darauf an, neben der Erwerbung eines
ausreichenden Wortvorrates das Charakteristische dieser Sprache zur
Kenntnis der Schüler zu bringen. Ferner hat die griechische Litteratur
in ihren wichtigsten Erzeugnissen einen typischen Wert und ist für un-
sere deutsche Nationallitteratur mafsgebend gewesen, »dafs letztere ohne
die Kenntnis der ersteren gar nicht zu verstehen und in ihren tieferen
Beziehungen zu erfassen ist«. Daraus ergibt sich aber die Notwendig-
keit, dafs eine tüchtige Kennntnis der griechischen Grammatik und des
griechischen Sprachschatzes erworben werden mufs. »Die verführerischen
Keden über das Erfassen des antiken Geistes durch massenhafte Lek-
türe ohne grammatische und Vokabulare Kenntnisse werden nur Leute
beirren, die von diesen Fragen nichts verstehen. Leider ist das Ideal
mancher dem Gymnasium nicht feindlich entgegenstehenden Kreise eine
seichte ästhetische Schwärmerei, welche den Lehrer bewundernd Sopho-
kles, Äschylus und alle möglichen Dichter übersetzen läfst und hört,
auch ihm darüber zu reden gestattet und damit um so mehr einverstan-
den ist, je mehr Phrasen dabei zu Tage kommen, dann von dem Genüsse
redet, den die griechische Litteratur in der richtigen Hand gewähre und mit
geringschätzigem Bedauern die Kurzsichtigkeit der Philologen beurteilt,
welche von der Jugend verlangt erst zu arbeiten und dann zu geniefsen«.
Je weiter nach oben, desto mehr Raum ist für die griechische Lektüre
zu schaffen.
Schiller spezialisiert auch hier, wie sonst, seine Auseinandersetzun-
gen über die einzelnen Schriftsteller: Xenophon, Herodot, Thukydides,
Lysias, Demosthenes, Plato, Homer, Tragiker. Für griechische Privat-
lektüre in Sekunda ist der Verfasser nur in dem Falle, dafs sie vom
Lehrer kontrolliert wird. Für Prima aber ist den Schülern, welche sich
für andere Unterrichtsgebiete interessieren, Freiheit in der Wahl der
Arbeiten zu gestatten. Schüler, deren Neigung auf andere Unterrichts-
gebiete gerichtet ist, sollte man nicht gegen ihre Neigung zu griechischer
Privatlektüre zwingen; das »würde soviel sein als den Segen freiwilliger
und selbstthätiger Arbeit zerstören«. (S. 458).
Sehr beachtenswert sind die Bemerkungen, womit Schiller diesen
106 Geschichte der Altertumswissenschaft.
Abschnitt schliefst, und worin er die Frage behandelt, wie es 'kommt,
dafs die meisten Gymnasialabituricnten nach zurückgelegter Schulzeit sich
nicht mehr mit den Schriftstellern der Alten beschäftigen. Es ist das
ein auch von sonst verständigen Leuten unserer heutigen Schule in ihrer
Methode gemachter Vorwurf; denn natürlich sind die Lehrer und ihre
Methode, wie an den meisten andern Übeln, so auch daran schuld. Mit
Recht wird dagegen bemerkt, dafs es mit den anderen Wissenschaften,
mit Geschichte, Mathematik, mit deutscher, französischer und englischer
Litteratur nicht anders sich verhält. Ja nicht einmal die eigentlichen
Berufsstudien im engeren Sinne werden von vielen fortgesetzt, nachdem
der Eintritt in den Beruf stattgefunden hat.
Zu den von Schiller angeführten Gründen läfst sich noch ein wei-
terer hinzufügen: das veränderte geistige Interesse unserer Zeit. Wenn
das ästhetische Geschlecht jetzt vor hundert Jahren »die Tröster der
Schulen« auch nach zurückgelegter Schulzeit nicht aus der Hand legte,
sondern bei Homer und Cicero auch in späteren Jahren seine Erholung
suchte, so hängt das mit der Zeitbildung, dem Zeitgeiste zusammen.
Die Deutschen von damals hatten noch kein politisches Leben, sie wufs-
ten noch nichts von einer sozialen Frage. Die Litteratur bildete den
Mittelpunkt unseres geistigen Lebens. Aber seitdem sind die Zeiten
anders geworden: höchstens noch die Musik findet neben den politischen,
sozialen und nationalökonomischen Fragen ein allgemeines Interesse.
Man achte doch darauf, worüber sich Leute, die nicht Fachgenossen
sind, unterhalten, wenn sie sich zur Erholung und Unterhaltung ver-
einigen. Wenn einmal das litterarische Interesse wieder stärker wird
als das politische — und diese Zeit wird auch wieder kommen — tritt
gewifs auch hierin eine Änderung bezüglich der alten Schriftsteller ein.
So gewifs aber als die Philologen und die philologisch gebildeten Lehrer
die Zeit nicht gemacht haben, wie sie ist, so gewifs ist es eine Unge-
rechtigkeit, sie für gewisse Zeiterscheinungen haftbar macheu zu wollen.
Was aber Schillers Buch als Ganzes betrifft, so verdient es warme
Anerkennung. Es empfiehlt sich allen Lesern durch sehr schätzenswerte
Eigenschaften, als da sind: Beherrschung des Stoffes und der einschlägi-
gen Litteratur, die unter dem Texte verzeichnet ist, ein praktischer Sinn,
der sich durch keine Parteiphrase imponieren läfst, sondern mit kriti-
scher Nüchternheit Brauchbares und Unbrauchbares scheidet, eine
offene Empfänglichkeit für Tüchtiges, gleichviel von welcher Seite es
geboten wird, eine Abneigung gegen leere Allgemeinheiten, womit der
Sache doch nicht gedient ist. Eine langjährige praktische Erfahrung
macht den Verfasser zum Gegner der »pädagogischen Hyperbel«, die
sich bekanntlich in systematischen Büchern verwandten Inhaltes gelegent-
lich noch recht breit macht. Kein strebsamer Lehrer, der das Buch
vorurteilsfrei liest, wird es ohne Nutzen aus der Hand legen. Statt all-
gemeiner theoretischer Erörterungen, die gewifs meist recht gut geraeint
H. Bender, Gymnasialreden. 107
sind, ohne viel zu helfen, erhalten wir hier eine Anzahl praktischer
Winke und Regeln, deren Befolgung das schwere Geschäft des Lehrers
und des Lernenden wesentlich erleichtern.
Eine Inhaltsangabe, ein Sachregister und Inhaltsangaben am Rande
erleichtern den Gebrauch des empfehlenswerten Buches.
Ein Wort zu der jetzt viel verhandelten Gymnasialfrage ist auch:
Dr. Hermann Bender, Rektor des k. Gymnasiums zu Ulm. Gym-
nasialreden nebst Beiträgen zur Geschichte des Humanisums und der
Pädagogik. Tübingen 1887. Verlag der H. Laupp'schen Buchhand-
lung. 80. VI und 275 S.
Die sechs Gymnasialreden, welche den gröfseren Teil dieses Buches
ausmachen und in den Jahren 1881 — 1886 in den Schlufsakten des Ul-
mer Gymnasiums gehalten wurden, führen folgende Titel: »Über Ana-
lysis und Synthesis in Zeit und Schule« , »Über historische Bildung im
Gymnasium«, »Über Schule und Haus«, »Über ganze und halbe Bildung«,
»Das Gymnasium einst und jetzt«, »Über mechanisches und rationelles
Verfahren im Gymnasialunterricht«. Zahlreiche der jetzt in den Kreisen
der Lehrer verhandelten Fragen werden hier in leidenschaftsloser Weise
von einem Fachmanne besprochen, der durch philosophische Studien sich
einen weiten Blick und ein unbefangenes Urteil erworben hat.
Die erste Rede über Analysis und Synthesis, die im ersten Teile
durch feine Auseinandersetzung dieser beiden Begriffe anzieht, endigt
schliefslich mit dem wenig erfreulichen Ergebnis, dafs unser gegenwär-
tiges Gymnasium durch das Vielerlei der Lehrgegenstände und der Me-
thoden für die einzelnen Fächer zu sehr zur Analysis neige und der
Synthesis entbehre. Ich habe in einer Besprechung in der Berliner
philol. Wochenschrift 1888 Nr. 25 auf die pädagogischen Bedenken hin-
gewiesen, welche diese Rede hervorruft.
Die notwendige Ergänzung der ersten Rede, Revers zu dem Avers
der Münze, ist die zweite über historische Bildung im Gymnasium. Die-
selbe beantwortet die Frage: »Wodurch beweist heutzutage das Gym-
nasium das Recht seines Seins und seines Soseins?« Der historische
Beweis, wonach das jetzige Gymnasium als ein Produkt der historischen
Entwickelung vernünftig sein müsse, genügt nicht, weil eben diese Ver-
nünftigkeit bezweifelt wird. Dagegen ist zu bemerken, dafs die Sprache
das edelste Erzeugnis des menschlichen Geistes ist. »Sprachkunde,
lieber Sohn, ist Grundlag' allem Wissem«, sagt der Dichter Rückert.
Aber die alten Sprachen müssen es gerade sein, nicht etwa, weil sie
angeblich den Geist des Schülers besser entwickeln, oder weil das La-
teinlernen die beste Vorbereitung für die modernen Sprachen oder weil
zum Verständnis vieler allgemein gebräuchlichen Ausdrücke Kenntnis der
klassischen Sprachen wünschenswert sei. Diese etwas abgegriffenen
Gründe werden zwar angeführt, aber sie sind nicht entscheidend: »wo-
108 Geschichte der Altertumswissenschaft.
her Aneroid und Philatelismus kommt, müssen auch Philologen sich aus-
drücklich sagen lassen«.
Der letzte Grund für die beherrschende Stellung der klassischen
Sprachen liegt tiefer, nämlich darin, »dafs wir das klassische Altertum
in seiner geschichtlichen, unleugbaren und unverrückbaren Bedeutung
auffassen und daraus die leitenden Gesichtspunkte für Beurteilung und
Behandlung der klassischen Studien auch in der Schule zu gewinnen
suchen«. Dieser historische Gesichtspunkt beim Betrieb der klassischen
Studien ist erst seit 100 Jahren, seit F. A. Wolf, B. G. Niebuhr,
A. Boeckh mafsgebend geworden.
Den etwaigen Einwand, dafs man in diesem Falle lieber gleich die
Geschichte in den Mittelpunkt des Gymnasialunterrichts rücken solle,
weist Bender zurück unter Hinweis auf die Unreife des Urteils auch
noch in den obersten Gymnasialkursen. Dann ist auch ein Unterschied
zwischen »historischen Kenntnissen« und »historischer Bildung« zu machen.
Die Alten aber empfehlen sich schon durch ihre Objektivität. Die Be-
schäftigung mit ihnen ist, wie Hegel sagt, »ein geistiges Bad, eine profane
Taufe, welche der Seele den ersten Ton, die unverlierbare Tinktur für
Geschmack und Wissenschaft gibt. Wenn das erste Paradies das Pa-
radies der Menschennatur war, so ist dies das zweite, das höhere, das
Paradies des Menschengeistes, welcher hier in seiner schönen Natürlich-
keit, Freiheit, Tiefe und Heiterkeit hervortritt«.
Objektiv ist aber schon die Sprache der Alten, sodann ihre Auf-
fassung der Dinge. Wir erhalten dadurch ein heilsames Gegengewicht
gegen den Subjektivismus und Individualismus, der die Signatur unserer
Zeit bildet.
Zugleich ergänzen sich die beiden antiken Völker in glücklichster
Weise. Wenn die Griechen uns das Jugendalter der Menschheit dar-
stellen, so sehen wir in der Geschichte der Römer »die saure Arbeit
des Mannesalters der Geschichte«. So bilden denn auch Latein und
Griechisch ein zusammenhängendes Ganze »dessen innere Geschlossen-
heit auf der Sache selbst beruht«, und an die sich denn die anderen
Fächer ansetzen lassen. Der Verfasser schliefst mit den Worten Goethes :
»Wenn unser Schulunterricht immer auf das Altertum hinweist, das Stu-
dium der lateinischen und griechischen Sprache fördert, so können wir
uns Glück wünschen, dafs diese zu einer höheren Kultur so notwendigen
Studien niemals rückgängig werden«.
Die Rede über das Gymnasium von einst und jetzt, der man
übrigens die Lektüre Paulsens anmerkt, gibt eine kurze Übersicht über
die Entwickelung dieser Anstalt. Doch wäre vielleicht aus pädagogischen
Gründen die Stelle über die bedenkliche Moralität mancher Lehrer im
16. Jahrhundert besser weggeblieben.
Aus dem Inhalte des Ganzen mögen hier noch einige Einzelheiten
von allgemeinerem Interesse hervorgehoben werden: S. 123 bekennt
L. Toldo, Tre poesie antiche. 109
sich Bender trotz seines gj'mnasialen Standpunktes als Freund des Keal-
gymnasiums : »Die Errichtung solcher Schwesteranstalten (d. h. der
Realschulen) mufs auch vom Standpunkt des Gymnasiums aus durchaus
gutgeheifsen werden; es mufs aber an diese Anerkennung die Forderung
angeknüpft werden, dafs jede dieser zwei resp. drei Anstalten ihr be-
sonderes Gebiet, ihre spezifischen Lehrfächer und Lehrziele mit klarem
ßewufstsein und reinlicher Trennung festhalte«. Wenn aber S. 132 von
den Gründen, welche gegen das Abiturientenexaraen sprechen, gesagt
wird, das klinge alles schön, sei aber praktisch nicht durchführbar, so
sehe ich wenigstens nicht ein, warum dies nicht durchführbar sein soll.
Warum soll denn ein Lehrer, der mehrere Jahre hindurch einen Schüler
unterrichtet, nicht wissen können, ob derselbe für den von diesem Lehrer
vorgetragenen Gegenstand Begabung hat oder nicht? Dazu ist doch
wahrhaftig keine »Infallibilität« notwendig oder »eine über menschliches
Vermögen hinausgehende Prüfung von Herzen und Nieren«. Mir dage-
gen scheinen die Gründe für Abschaffung oder wenigstens Erleichterung
des Abiturientenexamens auf S. 131, die sich noch beträchtlich vermeh-
ren lassen, so einleuchtend, dafs ich darin einen grofsen Gewinn für
unsere Mittelschulen sehen würde. Sehr verständig dagegen finde ich,
dafs Bender S. 134 nicht in das wüste Geschrei vieler Lehrer wegen der
Berechtigungen mit einstimmt. Den nicht wünschenswerten Fall ange-
nommen, dafs die Berechtigungen der jetzigen Mittelschule fallen, wür-
den bald die lautesten Rufe nach Berechtigungen ertönen, und niemals
werden solche Schüler aus den Mittelschulen verschwinden, welche den
ganzen Kursus nicht durchlaufen oder andere, die, obgleich nur mäfsig
begabt, doch nach dem Abiturientenzeugnis unentwegt streben. Es ist viel
besser, diesen thatsächlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen als in
beständigen nutzlosen Protesten sich und der Schule zu schaden. — Die
Auslassung über Examina S. 168fl". scheint mir in dieser Form für
Schülerohren wenig geeignet zu sein. Einige weitere Ausstellungen in
meiner Besprechung der Bei'liner Philolog. Wochenschrift 1888 Nr. 25.
Im übrigen aber hat der Verfasser so viel Tüchtiges gesagt, dafs
die Lektüre dieser Schulreden nur empfohlen werden kann.
Anhangsweise mögen zwei Schriften den Bericht für 1887 ab-
schliefsen, deren Inhalt selbst dem Leser deutlich machen wird, weshalb
sie hier erwähnt werden.
Tre poesie antiche de donne latine da Luigi Toldo, tradotte
e dedicate ai giovani sposi Teresa Scarenzio ed Enrico Comitti con
voti di perenne letizia. Piacenza, tipografia Marchesotti e. c. 1887.
8°. 23 S.
Eine litterarische Huldigung für ein italienisches Brautpaar, die
graziös und sehr bezeichnend ist.
Die erste Nummer ist eine Übersetzung der bekannten Sulpicia-
1 1 0 Geschichte der Altertumswissenschaft.
Satire mit kurzer Einleitung. Wenn jedoch Toldo S. 5 angibt, dafs die-
selbe als Ekloge bezeichnet und als Anhang zu Vergil von Gugl. Rovillio
1573 zu Lyon und als Satire bezeichnet 1590 zu Heidelberg erschienen
ist, so sind ihm die ältesten Drucke entgangen. Schon 1498 wurde
Sulpiciae satira zu Venedig gedruckt und 1509 zu Strafsburg wiederholt.
Auch Ugoletus hatte sie schon 1499 als Anhang zu seinem in Parma
erschienenen Ausonius gegeben, wovon in Venedig 1501 eine Wieder-
holung erschien.
Daran schliefsen sich »La Veglia di Venere di Vibia Chelidone«
und die »Elegia di Eucheria«. Die kurzen beigefügten Noten machen
keinen Anspruch darauf, Ergebnisse neuer Forschung zu bieten, was
billigerweise wohl auch niemand von einer solchen Gratulationschrift
erwartet.
Akanthusblätter. Dichtungen aus Italien und Griechenland
von Heinrich Vierordt. Heidelberg. Carl Winters Universitäts-
buchhandlung. 1888. 119 S.
Je seltener wir unter den neueren Lyrikern einen finden, der sich,
wie einst Geibel, ein warmes Interesse für die Welt des klassischen
Altertums bewahrt hat, um so mehr verdient das kleine Bändchen Ge-
dichte Erwähnung, mit welchem der schon durch mehrere lyrische Lei-
stungen bekannte Dichter Vierordt neuerdings in die Öffentlichkeit ge-
treten ist. Solche Publikationen sind ein wertvoller Gradmesser, in wie
weit die Altertumswissenschaft auch aufserhalb des Kreises der zünftigen
Fachgenossen geachtet wird und Boden besitzt.
Der Dichter der »Akanthusblätter« gehört nicht zu jener zahl-
reichen Klasse von Zeitgenossen, die nach zurückgelegter Schulzeit es
eilig haben, »die Tröster der Schulen« von sich zu werfen und ihr
Interesse von da an dauernd solchen Gegenständen zuwenden, die mit
der Schule nichts zu thun haben. Die Welt klassischer Gestalten ver-
webt sich ihm zwar überall mit denen des Mittelalters und der Neuzeit
und sein vielseitiges Interesse ist ebenso rege für den Ostgothen Theo-
dorich und Napoleon I. wie für die klassischen Götter, für den Hermes
des Praxiteles, für Augustus und seine Dichterfreunde. Er sieht überall
in dem modernen Italien und Griechenland noch die deutlichen und
fortlebenden Spuren der untergegangenen Welt des Altertums:
Jene Kunst, die einst verklärend
Götter aus dem Stein gerafft.
Offenbart sich noch, bewährend
Ihre ewige Schöpferkraft;
Färb und Form schmückt nicht vergebens
Höchste Lust und tiefstes Leid,
Nachtet über uns des Lebens
Dunkle Unvollkommenheit.
H. Vierordt, Akanthusblätter. 111
Die »Akanthusblcätter« sind das Ergebnis einer Reise, die der
jugendliche Dichter durch Italien und Hellas gemacht hat. Pietätsvoll
versenkt sich sein gebildeter und kenntnisreicher Geist überall in die
Überreste der griechisch-römischen Welt und spinnt mit Hilfe der Phan-
tasie und einem reichen Vorrat von Kenntnissen Fäden bis zur neuesten
Gegenwart. Ganz besonders erfreut sich sein Auge an den plastischen
und architektonischen Denkmälern. Den Hermes des Praxiteles, dem er
das einleitende Gedicht geweiht hat, begrüfst er:
Dieser Nacken kraftgedrungen,
Dieses Antlitz stolz bewufst,
Diese Schultern kühn geschwungen,
Diese machtvoll breite Brust:
Der Olympier stille Hehre
Voll aus diesen Zügen bricht —
Selbst Apoll von Belvedere
Gleichet dir an Schönheit nicht.
In der vatikanischen Sammlung fesselt ihn die bisher häufig als
Eros des Praxiteles bezeichnete Halbfigur, die man jetzt als Todesgenius
auffafst:
Sanft und göttlich blickend steht der hohe
Freudenspender, dessen Lippe schweigt.
Langsam senkend einer Fackel Lohe,
Selig träumend, leicht das Haupt geneigt.
Auf dem Kapitole erinnert sich der Dichter an jene »Götterheim-
kehr« des Jahres 1816, wo die von Napoleon I. geraubten Kunstwerke
wieder ihren Einzug in die alten Sammlungsräume feierten:
Auf geschmücktem Blumenwageu
Fahren sie durchs hohe Thor,
Des Olymps Gebieter ragen
Herrlich übers Volk empor;
Leuchtend flattern die Gewänder
Der Gestalten formensatt.
Die der grofse Tempelschänder
Einst entführt der heil'gen Stadt.
Allem Volk ist, als geschähe
Wiederum ein Wunder jetzt.
Und es atmet Götternähe,
In der Schatten Welt versetzt;
Fühlt in seiner Seele Tiefen,
Dafs Unsterbliche genaht,
Kränzt mit Zweigen von Oliven,
Fromm begrüfsend ihren Pfad.
112 Geschichte der Altertumswissenschaft.
In Tivoli, wo »der Ölliain rauscht, das Wasser schäumt, im Mon-
denschein der Garten träumt«, gedenkt er der Zeiten des ersten römi-
schen Kaisers:
Drei Männer ruhen an dem Tisch
In Epheukränzen atmend frisch;
Die gröfsesten des Römerstaats:
August, Mäcenas und Horaz.
Beim Besuch Capris, der Caesareninsel, gedenkt er der klassischen
Schilderungen des Gregorovius und gestaltet dessen gefeierte prosaische
Darstellung zu zwei schönen Gedichten.
Die Reise geht weiter nach Sizilien. In dem Gedichte »Der Fisch-
zug« wird anmutig erzählt, wie sizilianische Fischer in ihren Netzen ein
Bild der Aphrodite aus dem Meere ziehen und die Göttin in einer Nische
an »Taorminas Hängen« aufstellen:
Die funkelnde Flut umflofs,
Thront in des Felsens Spalten,
Wo den Chören des Äschylos
Vordem gelauscht die Alten.
Der Felshang ist ihr Altar,
Dran wilde Vögel nisten;
Die der Heiden Göttin war,
Ward Mutter-Gottes der Christen.
Am Fufse des Ätna, der weifsen, aus blauem Meere aufsteigenden
Felspyramide, geniefst der Dichter das stille Glück der Einsamkeit; als
die Sonne verglühend ins Meer sinkt und »der Ziegenhirt im Hage« ihr
ein leises Abschiedslied bläst, da fühlt er den Atem des goldenen Zeit-
alters eines Theokrit. Dann geht es hinüber nach dem uralten Selinunt
am afrikanischen Meere mit seinen gigantischen Tempelresten, auf welche
der Sänger seine müden Glieder hinstreckt:
Uralt hellenische ßilderpracht
Zerbröckelt liegt im Staube —
Umsponnen liebend hält's die Nacht
Von grüngeschwelltem Laube.
Aus Tempeltrümmern, Friesgebälk,
Dem Leib der Säulenriesen,
Aus Steinaltären morsch und welk
Die wilden Blumen spriefsen.
Von Italien geht die Fahrt nach dem schönen Hellas. Die Ge-
dichte »Venus von Knidos«, »Ganyraed«, »Der Bildhauer und sein Knabe«,
»Ikarus« zeigen, wie heimisch der Dichter in der Welt der alten Helle-
nen ist. Zu Athen steigt er in stiller Vollmondnacht empor zum Trum-
H. Vierordt, Akanthusblätter. 113
merfeld der Akropolis und hört da trotz des Tempelfriedens deu schwe-
sterlichen Trauergesang der Karyatiden am Erechtheustempel , welche
klagen, dafs eine ihrer Schwestern, vom räuberischen Bi'itten entfuhrt,
nicht mehr als hohe Tempelfrau dienen kann, dafs sie im fernen feuch-
ten Barbarenlande weilen mufs:
Leis verzitternd in die Lüfte
Stirbt's wie Aeolsharfenton ;
Veilchen atmen, Thymiandüfte
Weben um das Parthenon.
Aber auch am Tage zieht es ihn zu der welthistorischen Stätte:
gelagert vor dem Erechtheion, den Blick auf das leuchtend blaue Meer
gerichtet, denkt er' wehmütig der deutschen Heimat:
In der Heimat schweigt der goldne Reigen
Und es schwindet hin der hohe Sang,
Denn sie kränzen dort mit Lorbeerzweigen
Stirnen, die geweiht dem Untergang.
Dabei denkt er der beiden Dichter, welche in der Heimat die Pro-
pheten der schönen Idealwelt, die Verkündiger der Schönheit des klassi-
schen Altertums gewesen sind: »Schiller und der hohe Hölderlin«.
Auch Sunion wird unter allerlei Abenteuern besucht und in einem
schönen Gedichte gefeiert.
Wir glauben dem Dichter gerne, dafs ihm der Abschied aus dem
schönen Lande nicht leicht geworden. In dem letzten Gedichte der
Sammlung »Abschied von Griechenland« fafst er nochmals seine Eindrücke
und Empfindungen zusammen, die ihn beim Scheiden bewegten; auf dem
Fahrzeuge stehend, das ihn durch die bewegten Fluten des korinthischen
Golfes der Heimat entgegenträgt, ruft er dem farbenreichen Hellas den
letzten Grufs zu:
Du, der Schönheit Morgenwiege,
Du, der Menschheit Jugendtraum,
Land, das für die höchsten Siege
Gab den Zweig vom heiigen Baum;
Das, wenn Sorg' und Elend nachten,
Unsre Seelen aufwärts trägt —
Jenes Herz ist arm zu achten.
Welches nicht für Hellas schlägt.
Die mitgeteilten Stellen sind Proben der schwungvollen und edeln
Sprache des Dichters, über die er meisterhaft verfügt. Das ganze Bänd-
chen entläfst den Leser mit ungetrübtem Gefühl. Wir aber wünschen
dem ideal gerichteten Lyriker, der in so ergreifenden Tönen die Schön-
heit des klassischen Altertums zu preisen versteht, einen litterarischen
Erfolg, der dem Werte seiner schönen Gabe entspricht.
Jahresbericht für Alterthumswissenschaft. LXIV. Bd. (1890. III.) 8
Jahresbericht über römische Geschichte und
Chronologie für 1888.
Von
Geh. Oberschulrat Dr. Hermann Schiller,
Gymnasial-Direktor und Universitäts-Professor in Giefsen.
1. ZusammeiifasseiKle Werke und Abhandlungen
allgemeinen Inhalts.
Von Duruy-Hertzberg Geschichte des römischen Kaiserreichs sind
bis Ende 1888 86 Lieferungen erschienen, womit der vierte Band abge-
schlossen wird. Die Zuverlässigkeit des Erscheinens der Fortsetzungen
erhöht den Wert des nützlichen Werkes.
B. Niese, Abrifs der römischen Geschichte. In Handb. d. klass.
Alterturaswissenschaft herausg. v. Iwan Müller, Nördlingen 1886. Neun-
ter Halbb. S. 567—688.
Der Verfasser teilt seinen Stoff in folgende Teile: 1) Einleitung
in die römische Geschichte, 2) Italische und römische Vorgeschichte,
3) 1. Periode der Geschichte Roms: bis zur Vereinigung mit den Kam-
panern 388 V. Chr., 4) 2. Periode: Unterwerfung Italiens (265 v. Chr.),
5) 3. Periode: bis zur Erlangung der Weltherrschaft (167 v. Chr.)
6) 4. Periode: bis zum Untergange der Republik (28 v. Chr.), 7) 5. Pe-
riode: die Kaiserzeit bis auf Diokletian (285 v. Chr.), 8) 6. Periode: die
Kaiserzeit bis zum Ende des Reichs im Westen (560 n. Chr.). Bis jetzt
sind nur die sechs ersten Teile vollendet, mit dem Anfang des siebenten
schliefst der Band.
Die Arbeit wägt überall sorgfältig ab und entspricht so durchaus
der Aufgabe des Handbuchs, ein übersichtliches und wissenschaftlich zu-
verlässiges, dabei gründliches Bild der einzelnen Diziplin zu geben.
Nur die Litteraturverzeichnisse hätten reichlicher sein. dürfen, da man
überall auch den Gegner zum Worte kommen lassen soll. Von
R. Bonghi, Storia di Roma, Milano
ist der zweite Band erschienen: Cronologia e fonti dcUa storia romana;
rantichissirao Lazio e origini della cittä.
2. Chronologie. 115
In demselben werden mit eingehendster Gründlichkeit alle Fragen
erörtert, welche über die betreffenden Materien aufzuwerfen sind. Der
Verfasser kennt die neuere Litteratur überall, doch entscheidet er überall
selbständig. Zu einem Auszuge eignet sich das Buch nicht, da man
überall den Gang der Untersuchung mitteilen müfste. Denn völlig neue
Ergebnisse sind nur selten gefunden.
laxctjßou X. Jpaydztrrj [(jzopia riöv Pujiiaiiov xal toTj Bu^avrca-
xüo hpdzuog P-^Xf"^ "^^^ St^aaiiou zoü Puj/jLacxo~j Kpdroug. Athen 1888.
Ein Schulbuch ohne wissenschaftlichen oder pädagogischen Wert.
Arthur C. Jennings, Chronological Tables. A synchronistic
arrangemeut of the events of ancient history. London 1888.
Der Verfasser giebt synchronistische Tabellen von 753 v. Chr. bis
auf Christi Geburt mit folgenden Rubriken: Political History; Jewish
Churcb History; Wars, Populär movements, Catastrophes ; ßiography
and Topographie; Inventions, Discoveries, Science, Art; Laws, Littera-
ture, Drama, Institutions. Dafs diese Rubriken sehr logisch seien, kann
man nicht behaupten. Die ganze Arbeit ist um 50 Jahre verspätet.
2. Chronologie.
Triemel, Zum catonischen Gründungsjahre Roms. Neue Jahrb.
f. Philol. 137, 373. 379.
In steter Polemik gegen Unger, der als das catonische Gründungs-
jahr das J. 739 berechnete, und gegen Soltau (der 744 als solches an-
nahm) und Holzapfel, welche mit jenem die Stelle über Cato bei Dionys.
1, 74 nicht richtig verstanden, sucht der Verfasser zu erweisen, dafs
das eigentliche catonische Gründungsjahr 751/50 war. Dionysios hat
zuerst dieses wahre catonische Gründungsdatum überliefert.
Soltau, Chronologische Vorurteile. Neue Jahrb. f. Philol. 137,
299-304.
Niese hatte in einer Beurteilung von Soltaus Prolegomena zu einer
römischen Chronologie einen kleinen Beitrag zur Chronologie Diodors
gegeben. Soltau weist nun nach, dafs der erste Teil, den Niese als
seine Entdeckung darlegt, schon von Matzat und ihm so aufgefafst wor-
den sei. Dagegen wird ihm vorgeworfen, dafs er das wichtigste Problem
der römischen Chronologie, die üiktatorenjahre, nur nebenbei gestreift
habe. Als gleich unbefriedigend wird die Behandlung der Frage hinge-
stellt, weshalb Diodor in der ersten Hälfte des vierten Jahrb. d. St. vier
Tribunenkollegien weniger biete; Soltau ist der Ansicht, dafs Diodor bei
244jähriger Königszeit zwischen 507/6 und 504/3 geschwankt habe. Den
Erklärungsversuch, den Niese bezüglich der Wiederholung der Eponyraen
8*
116 Römische Geschichte und Chronologie.
von Varr. 360-64 und der Übergehung von 380—383. 387 durch Diodor
unternimmt , wird zurückgewiesen, weil es bei dem heutigen Stande der
chronologischen Forschung nicht mehr möglich sei, mit der Eventualität
von Fälschungen mehrerer Jahre oder von einer Eintragung von Füll-
jahreu zu rechnen.
Soltau, Zu den römischen Tagen. Eb. 833—842.
1) Die verschiedenen Bezeichnungen- der dies nefasti.
Die beiden Noten N und NP bezw. NF sind folgen dermafsen zu ver-
stehen. Den dies uefasti ohne Namensbezeichnung fehlte das öffentliche
Sühnopfer und die Feiertagsruhe von der Arbeit, wie sie nur den nefasti
zukam, die zugleich feriae publicae waren. Diese letzteren wurden in
der Regel NP (NF) bezeichnet, vereinzelt sogar FP. Unter Berück-
sichtigung der Thatsache, dafs die Noten ursprünglich substantivische
Bedeutung hatten, wird die Bezeichung der Note NP wahrscheinlich als
N(efas) F(eriae) P(ublicae) zu deuten sein.
2) Die dies fasti seit dem Decemvirat. Abgesehen von den
nundinae waren die Kalendae, Nonae, Idus sowie ihre Nachtage dies
fasti, soweit sie nicht in die längeren Bufszeiten des Februar (1 — 15)
und des April (4 20), in die kürzeren des Juni (5 14) und Juli (1 — 9)
fielen. Eine Ausnahme von dieser Regel bilden Kai. Juu.j Kai. Octobr.,
Kai. Dec und postridie Kai. Dec, welche mit dem dritten December
eine kurze anomale Frist von drei nefasteu Tagen im December bilden.
Soltau nimmt an, dafs auch diese Tage schon vor Cäsar nefast waren und
dafs speciell die Decembertage den kalendarischen Reformen der lex
Acilia 191 V. Chr. angehören. Die Herkunft der drei als dies nefasti
anomalen Kaleuden darf nur so erklärt werden, dafs früher alle dies
fasti von nundinae ferngehalten werden sollten.
3) Fiktive dies fasti. Aufser Kai., Non., Idus und ihren Nach-
tagen zählt Mommsen noch sieben anomale dies fasti (drei dies fissi
24. März, 24. Mai, 15. Juni und 21. Febr., 23. Apr., 19. Aug. und 23. Sept.).
Aber die drei fissi waren sicher keine fasti, und die vier anderen waren
es wahrscheinlich auch nicht.
W. Soltau, Cato und Polybius. Wochenschr. f. klass. Philol. 5
(1888), 373—382.
Der Verf. polemisiert gegen Niese, der Gott. Gelehrt. Anz. 1887,
828 Soltaus Ansicht bekämpfte, nach der Polybios' Bericht über die
tumultus Gallici ein Auszug aus Catos Origines sein soll. Zuerst werden
mehrere allgemeine Einwände Nieses zurückgewiesen; die Hauptsache
ist aber nach Soltaus Ansicht der Beweis, dafs Polybios 2, 14 — 22 nur
einer lateinisch schreibenden Quelle entnommen sein kann; dafs aber
vor 151 V. Chr. andere lateinisch geschriebene Annalenwerke nicht
existiert haben, scheint ihm ausgemacht. Die Abstammung aus einer
2. Chronologie. 117
lateinischen Quelle ergiebt sich aus manchen Ausdrücken, namentlich
aus der Art des Gebrauchs von raXdzac. Ergänzt wird dieses Resul-
tat durch die Thatsache, dafs Polybios auch sonst in den wichtigsten
chrouolügischen Fragen sich vorzugsweise auf Catos Origines gestützt
hat; diese Annahme wird durch mehrere Angaben zu erweisen versucht.
Ebenfalls gegen Niese a. a. 0. ist eine weitere Polemik Soltaus
gerichtet: Chronologische Vorurteile. N. Jahrb. f. Philol. 1888, 299. In
derselben wird zu erweisen versucht, dafs mehrere Aufstellungen von
Niese betreffs der Chronologie Diodors haltlos seien.
W. Soltau, Die römischen Amtsjahre auf ihren natürlichen Zeit-
wert reduciert. Freiburg i. B. 1888.
Eines der Haui)tprobleme der römischen Chronologie ist die Frage
nach der wahren Zeit aller einzelnen Amtsjahre sowie nach der Ge-
samtdauer aller Amtsjahre. Der ■ Verf. versucht die Lösung des Pro-
blems, indem er von den Verschiebungen der consularischen Antritts-
termine ausgeht. Der Verf. sucht zunächst den Satz zu erweisen, dafs
die römischen EponymenkoUegien das römische Kalenderjahr lediglich
als Maxiraalfrist gehabt haben, und dafs nicht selten durch vorzeitigen
Rücktritt der Beamten Verkürzungen der Amtsjahre eingetreten sind.
Alsdann versucht der Verf. den Nachweis, dafs die Interregna rechtlich
einen Teil des Amtsjahres bildeten. So gilt ihm der Satz als erwiesen,
dafs X römische Amtsjahre = x— y römische Kalenderjahre waren. Im
Folgenden werden die sicher nachweisbaren Antrittstermine der Konsuln
seit V. 305 zusammengestellt; sie ergeben das Resultat, dafs, abgesehen
von den controversen Diktatorenjahren die 449 Amtsjahre v. Chr. seit
dem Decemvirat nur wenig mehr als 445 Kalenderjahre gewesen sind.
Der Verfasser glaubt damit gezeigt zu haben, dafs es möglich sei, ab-
gesehen von den Diktatoreujahren die Dauer aller republikanischen
Amtsjahre im Einzelnen wie im Ganzen auf wahre Zeit zu reducieren.
Aber nun ist die Frage zu beantworten: Welchen Zeitraum umfafsten
die sog. Diktatorenjahre? Zu diesem Zwecke wird der Synchronismus
bei Polyb. 1 , 6 Alliaschlacht = Sommer 387 v. Chr. und Besetzung
Roms = Antalkidasfrieden Herbst oder Winter 387 v. Chr. als der
annalistischen Zählung wie den Angaben »aller Autoren« bei Dionys.
1, 74 zu Grunde liegend erwiesen; Cato führte ihn in die römische
Literatur ein und war die Quelle des Polybios; aufser ihm Timaeus,
jeder von beiden unbedingt zuverlässig in chronologischen Fragen. Die
Folgerung für die Diktatorenjahre lautet nun folgendermafsen. Dieselben
müssen im Wesentlichen je einem Kalenderjahre gleich gewesen sein.
Sie waren ursprünglich Konsulatsjahre, die um des chronologischen Aus-
gleichs willen gestrichen worden sind, und zwar aus guten Gründen:
denn bei einer synchronistischen Geschichtschreibung mufsten vier rö-
mische Amtsjahre mit dem Vorjahre in der Zählung combiniert werden.
11g Römische Geschichte und Chronologie.
Dieses Ergebnis wird durch einen vierfachen Beweis gestützt: 1) In
den Friedensvertragszeiten nach Kalenderjahren werden die Diktatoren-
jahre mitgezählt, 2) ebenso in Chroniknotizen bei Diodor 19, 10 und
20, 101, 3) die Censurintervalle zwischen 442, 447 (richtiger 446), 450,
454 bedingen ihre Mitzählung, 4) der regelmäfsige Wechsel patrizischer
und plebeischer Ädilenkollegien zeigt die Annuität der Diktatorenjahre.
Das letzte Kapitel giebt eine Tabelle über die wahre Zeit aller römi-
schen Amtsjahre seit V. 305 und eine hypothetische Reconstruction der
vordecemviralcn Aratsj abrüste 246—303.
Die Beweisführung ist klar und gewinnend; aber man darf nicht
vergessen, dafs auch hier wieder eine Reihe von subjectiven Annahmen
nötig ist, mit deren Ablehnung die Beweisführung einen Teil ihrer
Grundlagen verliert.
W. Soltau, Die chronologischen Schwierigkeiten des Pyrrhus-
krieges. Wochenschr. f. Mass. Philol. 5 (1888), 1497—1501; 1524—
1526.
Die chronologischen Schwierigkeiten des Pyrrhuskrieges sind nach
des Verf.'s Ansicht vielfach übertrieben worden. Was zunächst die zeit-
lichen Angaben über Beginn, Dauer und Ende der pyrrhischen Kriege
in Italien und Sizilien betrifft, so stehen dieselben völlig fest. 280 März
Ankunft des P. in Italien; 278 Juli Überfahrt des P. nach Sizilien; 275
Anf. P. Rückkehr nach Italien; 275 Juni Zug nach Samniura; 275 Spät-
sommer Schlacht bei Benevent; 275 Ende: Rückkehr nach Epirus. Die
Verteilung der überlieferten Kriegsereignisse vom März 280 — Juli 278
V. Chr. denkt sich der Verf. folgendermafsen: die Schlacht bei Heraklea
fällt etwa in den September 280 v. Chr.; die Waffenstillstandsverhand-
lungen des Kineas fielen in den Herbst 279 oder Winter 279/78, die
Schlacht bei Asculum Ende des Amtsjahres V. 475, etwa in den April
278 V. Chr. Vor, zwischen und nach diesen Thatsachen liegen folgende
Ereignisse: 279 Febr. Ti. Coruncanius in Rom; 279 Frühjahr: Aemilius
in Samuium, Laevinus deckt Capua gegen P)Trhus, welcher vor Neapel
rückt. 279 Juni: Marsch des Pyrrhus auf Rom. 279 Juli: Aemilius,
der zur Deckung Roms herangezogen war, triumphiert nach Pyrrhus'
Abzug IV id. Quinct. in Rom, Coruncanius rückt P. nach und vereinigt
sich mit Laevinus; beide nehmen als Prokonsuln dem P. gegenüber
Stellung; 279 Herbst: Gesandtschaft des Fabricius. 278 März: Einfall
des P. in Apulien. 278 Kai. Mai: Antritt der Konsuln v. V. 476 C-
Fabricius. L. Aemilius Papus. Erfolg derselben gegen P Bundesge-
nossen, ev. bald darauf die Vergiftungsgeschichte. Die von Justin 18, 2
bei'ichtete karthagische Flottenseudung gehört in den Sommer 279 v. Chr.
Derselbe, Die ersten julianischen Schaltjahre. Wochenschr. f.
klass. Philol. 5 (1888), 762-766, 794-798.
Holzapfel und August Mommsen nehmen den 2. Januar 45 v. Chr.,
2. Chronologie. 119
Matzat den 1. Januar desselben Jahres als Anfangstag des julianischen
Kalenders an. Soltau gelangt auf anderem Wege zu demselben Resul-
tate wie die beiden ersteren.
H. Matzat, Der Anfangstag des julianischen Kaiendes. Hermes
23, 48—69.
Die Frage, auf welches Datum und auf welchen Tag der altrörai-
schen achttägigen Woche die Kai. Jan. des ersten juliauischen Jahres
V. 709 gefallen sind, ist von hervorragender Wichtigkeit für die gesamte
römische Chronologie. Ohne sie beantwortet zu haben, kann man kei-
nen Schritt in die dahinter liegende Zeit thun.
Matzat hat in seiner Rom. Chronol. 1, 11 — 18 denselben auf
1. Jan. 45 V. Chr. bestimmt mit dem Nundinalbuchstaben G (d. h. als
siebenten Wochentag). Dagegen haben Holzapfel und A Mommsen den
2. Jan. 45 V. Chr. bestimmt. Matzat erweist nun nochmals seine Rech-
nung als richtig und widerlegt die Argumente seiner Gegner. Da die
Rechnungen hier nicht reproduciert werden können, mufs auf die Ab-
handlung selbst verwiesen werden.
G. Fr. ünger. Der Gang des altrömischen Kalenders. Abh. d.
philos.-philol. Cl. d. k. bayr. Akad. d. Wiss. 18, 281-397.
Der Verf. will nachweisen, da ['s von zwei unzweifelhaften längeren
Störungen abgesehen, der Kalender des römischen Freistaates allezeit
den ihm vorgezeichneten Gang eingehalten und demgemäfs die Monate
immer zu ihrer Naturjahrzeit gebracht hat. Für die Abgrenzung der
ersten Störung und die Reduction ihrer Neujahre, welche der Verf. in
seiner Zeitrechnung der Griechen und Römer (I. Müllers Handb. d. klass.
Altertumsw. I S. 77) gegeben hat, soll sie die Begründung nachliefern
und die in Jahrbb. f. Philol. 1884 p. 578 ff. mitgeteilte Darstellung der
zweiten, soweit diese Widerspruch erfahren hat, rechtfertigen. Ein An-
hang behandelt die Zeit der Amtswahlen. Die Art der Arbeit mit ihrem
weitläufigen Materiel gestattet keine Wiedergabe.
Fr. Rühl, Die Konstantinischen Indictionen. Neu. Jahrb. f. Philol.
137, 789—792.
Der Verf. ist der Ansicht, es müsse einen besonderen Grund haben,
dafs mit 1. Sept. 312 eine neue, eigens benannte Reihe von Indictions-
Jahren beginne, während sich die Indictionen vorher und nachher an
sich nicht im mindesten unterscheiden. Fafst man das Problem rein
chronologisch, so ist die nächstliegende Annahme die, dafs mit dem am
1. September 311 nach Chr. beginnenden Indictionsjahre irgend eine
grofse Periode ablief, eine Art von annus magnus. Rühl betrachtet nun
das Varronische Gründungsdatum (21. April 753 v. Chr.) als Ausgangs-
punkt der Berechnung und findet, dafs mit dem 31. August 311 ein
120 Römische Geschichte und Chronologie.
Indictionszirkol scbliefse d. h. es fallen in diesem Jahre alle Wochen-
tage und alle Mondphasen auf dieselben Monatstage wie im Jahre der
Gründung der Stadt Rom. Diese drei Bedingungen zusammen aber
hatte in der ganzen Zwischenzeit kein einziges Jahr erfüllt, und so
konnte diese Periode von 1065 Jahren wirklich als ein annus magnus
bezeichnet werden. Dazu kam, dafs mit dem Jahre 312 ind. XV nicht
nur chronologisch, sondern auch historisch ein Weltalter schlofs; denn
bereits in den Oktober von 312 ind. I fällt der Sieg des Konstantin
über Maxentius und damit der Anbruch einer neuen Epoche für das
römische Reich und speciell für die Bekenner des christlichen Glaubens.
Wenn das Chron. pasch, die dpy^ri IvSixtuüwcov auf den l. Sept. 49
V. Chr. ansetzt, so geschah dies, weil dies das erste Jahr der Cäsa-
rischen Ära war, wie sie in Antiocheia galt, und zugleich ein erstes In-
dictionsjahr. Wenn es nun eine Zeittafel gab, welche nach antiocheni-
schen Jahren rechnete und die Zeitcharaktere angab, so mufste bei dem
ersten Jahre notwendig IvdtxTt'iuv ä beigeschrieben sein, was dann leicht
ein späterer für den Anfang der Indiktionen überhaupt nehmen konnte.
3. Königszeit und Übergang zur Republik.
Job. Gust. Cuno, Vorgeschichte Roms. 2. Teil. Die Etrusker
und ihre Spuren im Volk und im Staate der Römer. Graudenz 1888.
Nach zehn Jahren erscheint der zweite Teil der Vorgeschichte
Roms (,s. Jahresb. f. 1876—78, 439 ff.); weiter war es dem Verf. nicht
vergönnt seine Arbeit zu führen, da er bald nach Erscheinen des zwei-
ten Bandes gestorben ist.
In Kap. 1 »Über den Ursprung der Etrusker« werden in der
gründlichen, aber weitschweifigen und wenig anziehenden Art, die schon
am ersten Bande getadelt wurde, die Ansichten von Herodot, Dionysios
von Halikarnafs und K. 0. Müller entwickelt. Der Fundamentalsatz,
von dem die Forschung ausgehen mufs, ist der bereits von Dionys aus-
gesprochene, dafs die Etrusker ein autochthones italisches Volk waren.
Das 2. Kap. betrachtet die etruskischen Eigennamen und ihre Deklination,
sowie einige auffällige Erscheinungen der Sprache, das 3. die Verbrei-
tung des etruskischen Stammes über die italische Halbinsel; dazu kom-
men im 4. die etruskischen Ortsnamen, deren der Verf. eine recht
grofse Zahl in allen Teilen Italiens aufdeckt, endlich im 5. die etrus-
kischen Götternamen, deren Bedeutung der Verf. öfter im Anschlüsse
an Corssen festzustellen sucht. Im 6. Kap. wird die römische Grün-
dungssage untersucht. Die Rea Silvia wird als Dea Silvia gefafst Sil-
via = umbr. Qerfia oder Serfia; die Griechen machten aus Silvia Ilia.
Auch die Evandersage ist erst allmählich gräcisiert; aus ursprünglichem
effandus wird ein Evander; überall werden etruskische Elemente gefun-
den. Das 6. Kap. ist zum Teil schon früher veröffentlicht worden; es
3. Königszeit und Republik. 121
untersucht die Kämpfe der Etrusker mit den Hellenen. Hier werden
die phönikischen Kolonieen und die Anfänge der hellenischen Koloni-
sation gegenüber gestellt, die Gründung von Cumae und die etruskische
Seeherrschaft, der Untergang der Etrusker in Kampanien und der etrus-
kische Söldnerdienst zu Land und zur See eingehend erörtert. Der
Verf. weist nach, dafs insbesondere über eine etruskische Seeherrschaft
— für einzelne Städte giebt er Seehandel zu und über die Macht
dieses Volkes in Kampanien viele Übertreibungen berichtet sind. In
Kap. 8 betrachtet der Verf. »etruskisch-römische Könige und Helden«
Natürlich gehört dazu L. Tarquinius Priscus: Priscus ist die Übersetzung
von Lucumo. Servius ist in ähnlicher Weise die Übersetzung des etrus-
kischen Mastarna; beide Namen bedeuten soviel wie Fürst. Auch das
Wort Classis, welches in Servius Tullius' Regierung eine so grofse Rolle
spielt, ist etruskischen Ursprungs, es bedeutet Volk. Tanaquil-Caecilia
ist die etruskische Feuergöttin, welche vielleicht als die Mutter des Ser-
vius Tullius galt. Diese etruskischen Sagen sind von etruskischen Er-
oberern und Kolonisten nach dem Gebiete von Rom gebracht worden.
In der Porsennasage sind Mutius Scaevola und Horatius Codes ebenfalls
der etruskischen Heroengeschichte entnommen. Der Verf. ist überhaupt
von dem etruskischen Ursprung Roms durchdrungen: Servius Tullius
gilt ihm für älter als Romulus; die gewaltigen Bauten, wie die Cloaca
maxima etc., können nur von einem festgefügten etruskischen Königtume
ausgeführt sein. Die Machthaber einer der.grofseu benachbarten etrus-
kischen Städte haben, um den unteren Tiber in ihre Gewalt zu bringen,
die latinische Bevölkerung des linken Ufers unterworfen und damit den
Anfang zur Unterwerfung Latiums gemacht; sie begannen die Gründung
einer Stadt, nachdem durch einen ungeheuren Aufwand von Mitteln die
Abzugskanäle gebaut und durch die Entwässerung ein weiter Raum ge-
schaffen oder bewohnbar gemacht worden war. Die Könige und der
Patriciat waren etruskisch, die Plebs latiuisch, von hier aus wurden die
Eroberungen weit nach Süden ausgedehnt, Latium teilweise erobert, teils
zu mehr oder minder freiwilliger Anerkennung der römischen Ober-
hoheit gebracht. Die Gründung Roms kann nur von Caere oder Veii
ausgegangen sein; in der That ist sie von Caere aus erfolgt, wo das
Grabmal der Tarquinier aufgefunden wurde. Die Werke der letzteren
Capitolium, Cloaca verraten sich schon durch ihre Namen als etruskisch.
Kap. 9 behandelt »die servischen Centuriatcoraitien«. Patricier und
Plebeier waren zwei gesonderte Völker von verschiedener Abstammung,
Religion, Gerichtsbarkeit, ohne Ehegemeinschaft. Der politische Gedanke
des Servius Tullius war, die vermögenden Klassen der Plebs mit dem
Patriciat zu verbinden und die werdende Demokratie zu hindern. Im
Einzelnen werden von dem Verf. vielfach bestehende Ansichten bekämpft.
Kap. 10 führt »die Erhebung der Plebs« vor. Der Sturz des Köuigs-
tums vollzog sich durch die Verbindung des Patriciates mit der Plebs,
122 Römische Geschichte und Chronologie.
er bedeutet zugleich den Abfall von Etrurien, als dessen Vorkämpfer
Porsenna in der Überlieferung erscheint. Er hat Rom unterworfen und
den Römern einen demütigenden Frieden auferlegt; sonst läfst sich
weder sein Verhältnis zum etruskischen Bunde, noch seine Stellung zu
Rom näher ergründen. Der Verf. führt nun seine Ansichten über Plebs
und Klienten durch, die des Polemischen so viel enthält, dafs auf eine
Wiedergabe der Ausführungen verzichtet werden mufs. Eine besondere
Betrachtung wird dem Wesen der Kuriatcomitien gewidmet; der Verf. ist
überzeugt, dafs sie ursijrünglich der Ausdruck des gesamten römischen
Volkes waren. Das Tribunat erscheint als ein auf dem Wege der Re-
volution den Patriciern entrungenes Zugeständnis, wobei diese sich des
Mafses der von ihnen verliehenen Gewalt nicht voll bewufst waren. Kap. 11
enthält eine Untersuchung über die Verfassungsformen vom Anfang des
4. Jahrh. d. St., Kap. 12 die Ausgleichung der Stände, Kap. 13 das Ver-
hältnis von Rom und Latium. In diesen wie in den vorhergenden Ka-
piteln übt der Verf. an der Überlieferung eine schneidende Kritik. Und
wenn man auch oft genug zum Widerspruch gereizt wird, so verdient
doch des Verf.'s Scharfsinn, Vorurteilslosigkeit und geschichtlich-politische
Bildung unbedingte Anerkennung. Auch ist es ein Vergnügen, seiner
Entwickelung zu folgen, die nur da unerfreulich wird, wo sie in sprach-
liche Untersuchungen eintritt. Aber wo finden sich hier Spuren der
Etrusker? In dieser Zeit vollzieht sich das Zusammenwachsen der
Kaste der etruskischen Eroberer mit den uralten Bewohnern des Lan-
des. Die etruskischen Könige in Rom hatten bereits den gröfseren Teil
von Latium ihrer Gewalt unterworfen; die geschlossene Macht Roms
beruhte auf besseren Grundlagen als zuvor die der etruskischen Er-
oberer, ihr gelang, was jenen raifslungen war, die Unterwerfung von
ganz Latium. Bei dieser Gelegenheit findet auch der Verf., dafs der
Vertrag mit Karthago in etruskischer Sprache abgefafst war. Der Nach-
weis, dafs die Sprache der Etrusker auf die römische sehr bedeutend
eingewirkt habe, bildet den Schlufs dieser Abschnitte. In Kap. 14 wer-
den wir über die Meerenge von Messina geführt zu den hellenischen
Tyrannen in Sicilien, in Kap. 15 zu den Ausonern, Oinotrern und Hel-
lenen in Unteritalien, von denen die ersten Etrusker sind. Mit Kap. 16
»die Etrusker in der römischen Geschichte« kehrt der Verf. wieder
zu seinem Hauptthema zurück. Wenngleich die Etrusker uns nur durch
die Schilderungen ihrer Feinde bekannt werden, so will der Verf. doch
hier Alles zusammenstellen, was über »ihre weltgeschichtliche Bedeutung
sich ahnen läfst aus den noch vorhandenen Spuren ihres Wirkens«.
Sie hatten ihre Handelsfaktoreien im Polande und in den Alpen und
versandten die Erzeugnisse ihrer Industrie über die Alpen (Bronze-,
Erz-, Goldarbeiten); den Bernstein erhielten die Hellenen erst durch
ihre Vermittelung. Die keltischen Bewohner der Alpenthäler empfingen
von ihnen die Schrift und natürlich auch sonst noch bedeutenden ßil-
3 Königszeit und Republik. 123
dungsstoif. Andererseits übten die Hellenen, mit denen intensive Han-
delsbeziehungen bestanden, einen starken Einflufs auf die Bildung der
Etrusker; der Charakter ihrer Kunst blieb aber stets durch das praktisch
Nützliche bestimmt. Etrurien war eine uralte Geld- und Handelsmacht;
dagegen beruhen die Vorstellungen über Seeraub meist auf Verwechs-
lungen mit den tyrrhenischen Pelasgern. Der Städteflor Etruriens mit
seinen gewaltigen Substructionen und Steinbauten weist auf eine dichte
Bevölkerung, auf eine uralte Kultur hin. Wahrscheinlich findet sich bei
den Etruskern zuerst in Italien das Prinzip des Bogens und der Kiel-
stützung angewandt
Staatlich stellt sich die Gesamtheit der Etrusker dar durch den
Bund der zwölf Städte; an der Spitze einer jeden Stadt stand ein König
oder Lucurao; einer der Lucumoneu war das Haupt der Gesamtheit;
sie sind Häupter der bewaffneten Macht. Was uns über das Verhältnis
einzelner Lucumonen zu Rom berichtet wird, läfst sich nur begreifen,
wenn Rom eine etruskische Stadt war. Doch scheint es nur selten vor-
gekommen zu sein, dafs einer dieser Lucumonen zur Tyrannis gelangte.
Die Nachrichten über Berührungen der früheren Königszeit mit den
Etruskern sind wertlose Erfindungen; erst die Erzählungen von Tar-
quinius Superbus enthalten allgemeine Erinnerungen aus der Königszeit,
aber sie gehören der Geschichte Etruriens oder der Geschichte Roms
als einer etruskischeu Stadt an; dasselbe gilt von Porsenna. Ein etrus-
kisches Wandgemälde aus Vulci zeigt die etruskische Heldensage von
den Siegen ihres Mastarna gegen die Römer unter Guaeus Tarquinius
und die Befreiung des Caeles Vivenna. War Rom eine etruskische
Stadt, so stand es unter Lucumonen. Die Familie der Tarquinier be-
safs die Lucumonie eine lange Reihe von Jahren, während deren sie
eine monarchische Gewalt usurpierten. Hierfür wirkten von noch er-
kennbaren Ursachen: die Menge der Mitglieder, der Reichtum des Ge-
schlechtes, seine Heimat in dem nur vier geographische Meilen von
Rom entfernten Caere.
Mit dem Sturze der Tarquinier begann der Kampf der Stände
oder der Kampf der latinischen Plebs gegen den etruskischen Patriziat.
Dieser war nun losgelöst von Etrurien, seine und Roms Existenz be-
ruhte auf der Teilnahme der Plebs am Kampfe gegen Volsker und
Etrusker, gegen Samniten und Latiner; der Preis aber, welchen die
Patrizier zahlten, ohne es zu wollen und zu wissen, war der Verlust
ihrer etruskischen Nationalität.
Was die Kämpfe gegen Veii betrifft, so hat ein Krieg gewifs statt-
gefunden, aber sein Verlauf war anders, als er berichtet wird; der Vor-
teil mufs im Wesentlichen auf der Seite Veiis gewesen sein. Die Über-
lieferung über die 1 0jährige Belagerung von Veii zeigt die Erinnerung
an schwere Kämpfen und Gefahren; die Eroberung erfolgte erst durch
die Bildung eines stehenden Heeres. Die Römer hatten von jeher eine
124 Römische Geschichte und Chronologie.
starke Partei in Etrurien aus nationalen Gründen; dieselbe wuchs durch
den Untergang Vciis und durch die von Gallien her drohende Gefahr.
Durch diese Partei gewann Rom in Etrurien eine Stellung, welche viel-
leicht ähnlich war der in Latium zur Königszeit. Den ersten Stofs
hatte die etruskische Macht weit vor dem Falle Veiis im Polande durch
die Kelten erlitten. Die Einbrüche der Kelten in Etrurien waren nur
die Folgen jenes Sturzes. Durch sie litt Etrurien noch mehr als Rom,
das bald nachher seine Macht im südliclien Etrurien zu befestigen ver-
mochte. Die Berichte über die späteren Kämpfe zwischen Rom und
Etrurien sind wenig wert Nach der definitiven Unterwerfung des Lan-
des glimmte die Unzufriedenheit noch lange fort; aber im zweiten pu-
nischen Kriege mufs das Land römisch gewesen sein, denn Hannibal
suchte und fand dort keine Bundesgenossenschaft.
Im 17. Kapitel werden die Verdienste von L. Lanzi und Corssen
um die Entzifferung der etruskischen Sprachdenkmäler entwickelt; überall
werden die abweichenden Ansichten des Verf.'s begründet. Und sie
weichen vielfach ab, und Corssen wird vorgeworfen, dafs er keine Spur
von Bescheidenheit den Sprachdenkmälern gegenüber besessen, dafs er
mit »roher Willkür hinter der Schanze gelehrten Apparates« mit gröfs-
ter Bestimmtheit Gesetze erlassen hat. Das 18. Kap. behandelt »etrus-
kische Inschriften mit Verbalformen« ; ein Glossar bildet den Schlufs
des umfangreichen Werkes (899 S.) , in dem Deecke nur einmal er-
wähnt wird.
Bei dem weitläufigen Stoffe wird es nicht schwer sein, vieles zu
finden, worin der Verf. den Leser nicht überzeugt. Aber einerseits läfst
sich dies erklären durch die Wertlosigkeit der Überlieferung, die stets
mehr oder minder willkürlich behandelt wird, und durch die Notwendig-
keit der Hypothese. Leichtfertige Urteile findet man nirgends. Die
Kritik ist oft kühn, aber nirgends läfst sich sagen, dafs die Verhältnisse
nicht so gewesen sein können, wie sie dem Verf erscheinen. Ein tüch-
tiges Stück Arbeit steckt in dem Bande, und die Forschung ist dem
toten Verfasser es schuldig, seine Aufstellungen mit Unbefangenheit zu
prüfen.
Wilh. Deecke, Die Falisker. Eine geschichtlich -sprachliche
Untersuchung. Strafsburg 1888.
Der Verf. erörtert zuerst die Geographie des Faliskerlandes, so-
dann die Geschichte der Falisker, ihre Kultur und ihre sonstigen Spu-
ren. Die folgenden Kapitel beschäftigen sich mit den Alphabeten und
der Sprache, gehören also, gleich dem ersten Kapitel, nicht in den Jahresb.
Kap. 2 stellt die Geschichte der Falisker dar. Sie sind zunächst ver-
wandt mit Latinern und Etruskern und sind wohl später als Osker, Sabeller-
Sabiner, Volsker und Umbrer in die Halbinsel eingewandert. Sie zogen
dann durch das Thal des Nar (Nera) zum Tiber hinab, überschritten
3. Königszeit uud Republik. 125
ihn und besetzten die seither von Sabinern bewohnte Ebene bis zum
Ciminus und zur Treia (später ager Faliscus), darauf auch das südlich
daran stofsende Bergland des Soracte mit dem Vorterrain bis zur Gra-
miccia (später ager Capenas). Mit der Zeit unterlagen die Falisker
den sie von drei Seiten umgebenden Etruskern (Veii, Volsinii, Tarquinii);
doch behielten sie ihre Sprache und ihr Alphabet. Die Eroberung
scheint besonders von Veii ausgegangen zu sein, doch behauptete sich
Falerii selbständig und auch Capena, auf es gestützt, gewann seit der
Schwächung Veiis eine ziemlich unabhängige Stellung. Die Falisker be-
gleiteten die Etrusker auf dem Eroberungszuge nach Kampanien ungefähr
50 Jahre vor Roms Gründung, und ihre Spuren haben sich im ager Faler-
nus, campus Stellas und anderen Momenten erhalten.
In die Geschichte treten die Falisker durch ihre Kriege mit den
Römern ein, die anfangs, wie es scheint, zur Unterstützung von Veii
geführt wurden. Der Verf. begnügt sich die erhaltene Überlieferung
mitzuteilen, da uns jede anderweitige Kontrole fehlt. Sie dauern fast
200 Jahre und es sind fünf Kriege zu unterscheiden, die nach Livius
dargestellt, durch einzelne Bemerkungen Diodors und Plutarchs ergänzt
werden.
Kap. 3 wird der Kulturzustand der Falisker geschildert; man darf
ihn sich nicht zu hoch vorstellen; den Etruskern standen sie weit nach,
und auch von den Römern wurden sie bald überholt. Der Kultus zeigt
überwiegenden etruskischen und sabinischen EinfluPs. Die Hauptgötter
(imperatores sunimi) waren Jupiter, Juno Quiritis und Minerva; sonst
werden noch der Janus Quadrifrons, Mars, Dis Soranus, Feronia, vielleicht
Neptun und Vulcan gefunden. Andere Götter, wie Apollo, Venus, Hercules
sind aus der Fremde eingeführt. Die Verfassung war aristokratisch-repu-
blikanisch. Den kriegerischen Adel bildeten etruskische Familien. Die
Stellung der Freigelassenen scheint ähnlich wie in Etrurien, patriarcha-
lischer als in Rom gewesen zu sein. Hauptthätigkeit war der Landbau,
wobei Kanalisierung die Fruchtbarkeit des Landes vermehrte; Flachsbau
und Rindviehzucht blühten. Obst- und Weinbau gab es, auch Oliveu-
wälder. Der Festungsbau war schon in alter Zeit gut entwickelt. Metall-
und Thongeräte sind roh, nur in Bereitung der Metallwaffen zeigte sich
Kunstfertigkeit ; auch der Handel war früh entwickelt. Alteinheimisch
war die Dichtung der versus Fescennini. Spuren der Falisker zeigen
sich im Ager Falernus, im Ager Stellas, der an einen Teil des capenati-
scheu Gebietes gemahnt, in Faleria in Etrurien und in Falerio in Picenum.
Benedictus Niese, Die Sagen von der Gründung Roms. Hist.
Zeitschr. N. F. 23, 481—506.
Die Gründungsgeschichten Roms beginnen mit der Zeit, wo die
Römer anfangen, die Aufmerksamkeit der Griechen auf sich zu ziehen;
die verschiedenen Stufen der Macht werden von den Gründungssageu
126 Kömische Geschichte und Chronologie.
begleitet, aus denen man zuweilen sehen kann, wie sich Rom darstellte,
und was an ihm am bemerkenswertesten erschien. Aufser der Grün-
dung der Stadt waren es auch die Namen von Orten, die Ursprünge
gewisser merkwürdiger Sitten und Gebräuche, durch welche die grie-
chische Neugierde angeregt wurde und dadurch cätiologische Geschichten
veranlafste, die wohl mit der Gründungsgeschichte selbst verwebt werden.
Anderswo wirkte die Eitelkeit einzelner Gemeinden, da es ehrenvoll und
unter Umständen nützlich war, mit den Römer verwandt zu sein, was
durch eine Gründungsgeschichte am leichtesten zu beglaubigen war. Ein
Teil dieser Erzählungen rührt von Historikern her, die gelegentlich die
Origines und Merkwürdigkeiten Roms berichten, andere behandelten
italische und römische Dinge besonders und ausschliefslich; dazu kamen
vereinzelt Dichter, vor allen aber die römischen Antiquare.
Die Griechen pflegten die Bevölkerungen der bekannten Welt auch
aufserhalb ihrer Heimat durch Genealogieen und Wanderungsagen von
sich abzuleiten, meist durch Vermittelung der Sagen von Herakles, den
Argonauten und dem trojanischen Kriege. Auf diesem Wege wurde
auch Italien, dessen Küsten von vielen ansehnlichen Griechenstädten be-
setzt waren, mit Hellas verbunden, wiederum besonders vermittelst des
trojanischen Krieges. Roms Anfänge sind au verschiedene Teile der
griechischen Sagenwelt angeknüpft worden. Die Sage der Gründung
durch den Arkader Euander ist sehr alt. Zu dieser Herleitung gaben
vielleicht mancherlei Ähnlichkeiten Anlafs , die man zwischen römischen
und arkadischen Gebräuchen zu finden glaubte. Die Neigung, Rom un-
mittelbar aus Griechenland herzuleiten, blieb bei allen Wandlungen der
Sage z. B. bei Varro und Dionys von Halikarnafs. Die meisten Grün-
dungsgeschichten haben aber den Umweg der Heldensage, hier wieder
am häufigsten den trojanischen Krieg gewählt (Odysseus und Kirke,
Aeneas und Odysseus). In manchen Erzählungen erhält Rom mit an-
deren italischen Stämmen oder Gemeinden gemeinsamen Ursprung, weil
die Italiker mit den Römern als Waffenbrüder und Bundesgenossen auf
das Engste verbunden erschienen; so z. B. die Gründer Roms mit denen
Etruriens zusammen, wohl zu der Zeit, als die politische Verbindung
der etruskischen Städte mit Rom sich vollzog, d. h. zur Zeit des Pyrrhos-
krieges. Eine andere Version giebt Aeneas drei Söhne, die sich in das
Reich der Latiner teilen; sie ist erst nach 338 bezw. 334 v. Chr. ent-
standen, als Rom und Kapua sich enge zusammengeschlossen hatten.
Die Herleitung Roms von Italos und Leukaria {= Luceria) zeigt, wie
sich die Ausdehnung des Namens und Begriffes Italien auch auf Mittel-
und Norditalien vollzog, aber auch die Bedeutung von Luceria in Unter-
italien; sie kann erst nach 31.5 v. Chr. entstanden sein, ist aber älter
als der Bundesgenossenkrieg, vielleicht auch älter als der zweite pu-
nische. Genauer ausgeführt ist allein die Ableitung Roms von Aeneas,
der um 200 v. Chr. allgemein als Uralin der Römer anerkannt ist. Auch
Königszeit und Republik. 127
diese Sage hat nur die Tendenz durch Vermittlung der Heldensage Rom
mit Griechenland zu verbinden; eine Wanderung des Aphroditekultes
ist darin nicht zu sehen. Zu allgemeiner Anerkennung gelangte Aeueas
dadurch, dafs er zuerst als Gründer Roms Gegenstand der einheimischen
Dichtung (Naevius, Ennius) wurde und seine Geschichte sich zuerst in
ausführlicher Darstellung mit römischen Orten (Alba Longa, Lavinium)
und Institutionen vermählte und dadurch in der That römisches Eigentum
wurde. Doch drang erst in der augusteischen Zeit die in Rom herr-
schende Gründungssage allgemein durch.
Indessen gab es verschiedene Erzählungen, von denen der Verf. einige
betrachtet. In einer derselben wird die Stadt nach einem Heiligtum
der Fides {mazcs) genannt; diese Sage gehört in die Zeit, da die Hel-
lenen zuerst die Zuverlässigkeit des gegebenen Wortes und der darauf
gegründeten Schutzverpflichtung kennen lernten. Naevius, dem Vergil
folgte, brachte Roms und Karthagos Gründung in Verbindung; er folgte
dem Timäus, zu dessen Zeit beide Städte eng verbündet waren, um
Pyrrhos aus Italien und Sicilien zu vertreiben. Die Sage von Romulus
und Remus (die Namen sind nichts anderes als die Verdoppelung des-
selben Namens) bezieht sich wahrscheinlich auf die Kollegialität des
Konsulats. Sie heifsen Söhne oder Enkel des Aeneas, aber auch des
Zeus, gewöhnlich des Mars; diese Version stammt aus einer Zeit, wo
Rom schon seine Überlegenheit in den Waffen bewiesen hatte, und ist
nicht älter als etwa 300 v. Chr. Der Name der Mutter schwankt; ein-
mal keifst sie Aemilia, mit Rücksicht auf den Sieger von Pydna. Die
Namen sowohl der Gründer als ihrer Eltern sind nicht von Alters her
überkommen, sondern bewufst und absichtlich gebildet. Die leitenden
Motive finden sich auch in anderen Sagen. Auch die Tarpeia ist ein
echt griechisches Motiv; ursprünglich waren die Feinde Gallier. Die
Vereinigung von T. Tatius und Romulus hat Anlafs zu vielen Erklärun-
gen über den Ursprung der Stadt gegeben, die aber alle fehlerhaft sind,
weil sie die Annahme zur Voraussetzung haben, dafs sich in der Grün-
dungsgeschichte in der That wirkliche Erinnerungen an den Gründungs-
akt erhalten hätten. Die Sage von dieser Vereinigung hat keinen
gröfseren Wert als die vom Asyl; sie will zeigen, wie eine Stadt aus
dem Nichts entsteht. Zugleich will sie den Ursprung des Namens Qui-
rites erklären. Will man mehr darin suchen, so schlägt Niese Folgen-
des vor. Die Sabiner sollten die Sabiner oder Samniten in der älteren
weiteren Bedeutung d. h. alle sabellischen Stämme bezeichnen, und man
hat dabei an das Bündnis zu denken, das die Römer im J. 358 mit
den Samniten schlössen. Beide handelten mehrfach gemeinsam, unter-
drückten z. B. die Volsker. Bedenklich bleibt freilich, dafs das Zu-
sammenwirken der Römer und Samniten in der Überlieferung nur
schwache Spuren hinterlassen hat. Schliefslich verwirft der Verf. die An-
sicht, die Mommsen über diese Sage ausgesprochen hat (Jahrb. 1886, 284),
128 Römische Geschichte und Chronologie.
da die Eröignisse von 290 weder nur die Sabiuer betreffen, noch eine
Union sind; sie können also dem Dichter nicht den Anstofs gegeben
haben.
Conrad Trieber, Die- Romulussage. Rhein. Mus. 43, 569 — 582.
Ranke vermutete, dafs Fabius Piktor bei der Darstellung der Ro-
mulussage ein wirkliches Drama benutzt habe, und wollte dieses in einem
verlorenen Stücke des Naevius finden. Im Altertum fiel schon Plutarch
das dramatische der Sage auf. Auffallender ist die Ähnlichkeit der Ro-
mulussage, wie sie Fabius darstellt , mit der griechischen Sage von der
Tyro, wie der Verf. im Einzelnen nachweist. Er ist überzeugt, dafs die
sophokleische Tyro der Romulussage des Fabius zugrunde liegt. Doch
hat dieser sie nicht direkt dem Sophokles entlehnt, sondern durch Ver-
mittlung des Diokles von Peparethos. So ist die Romulusfabel von dem
Griechen Diokles und zwar nach einem griechischen Drama gebiMet
worden; ein Beweis, welchen Einflufs Griechen auf die Gestaltung der
ältesten römischen Geschichte mittelbar und unmittelbar geübt haben.
Fr. Marx, De capite humano invento Tarquinio Superbo regnante.
Ind. lect. Rostock 1888/9.
Der Verf. untersucht die Sage von der Auffindung eines mensch-
lichen Kopfes unter der Regierung des Tarquinius Superbus. Er stellt
in Analogie eine ähnliche Sage über die Auffindung eines Menschen-
hauptes bei der Gründung von Karthago. Die Deutung wird dahin ge-
geben, man habe darunter die für jede Stadtgründung nötige, aus der
Erde hervorbrechende Quelle zu verstehen, welche als Kopf des Flusses
die Alten gerne mit einem Kopfe verglichen (vgl. tlrjyaaoq^ xijrjvrj).
4. Zeit des Stäiulekampfes und der Eroberung Italiens.
Wilh. Lack n er, De incursionibus a Gallis in Italiam factis.
Pars II. Pr. des Gymn. Gumbinnen 1888.
Es folgt hier der zweite Teil der Jahresb. 1887, 272 f. angezeigten
Abhandlung; der Verf. fährt fort, in demselben den Wert der Über-
lieferung zu untersuchen. Bezüglich Plutarchs kommt er zu dem Ergeb-
nisse, derselbe habe fast seinen ganzen Bericht über die gallischen Ein-
fälle aus Livius und Dionysios entnommen. Ihre Widersprüche sucht
er auszugleichen, zeigt aber dabei Leichtsinn und Übereilung. Dionysios
stimmt meist mit Diodor überein; in der Anordnung von Fragm. 12 nach
Fragm. 19 hat Peter Unrecht. Appian hat Plutarch benützt. Daneben
hat er auch Dionysios eingesehen. Dio hat die gleiche Quelle wie Li-
vius vor sich gehabt, wahrscheinlich Claudius Quadrigarius. Zonaras
hat Plutarch und Dio ausgezogen.
Zeit des Ständekamptes. 129
B. Niese, Das sogenannte licinisch-sextische Ackergesetz. Hermes
23, 410—423.
Die Nachricht, dafs sich unter den drei von den Volkstribunen C. Li-
cinius Stolo und L. Sextius im J. 367 v. Chr. durchgebrachten Gesetzen
auch das später von Ti. Gracchus erneuerte Ackergesetz befand »ne quis
plus quiugenta iugera agri possideret« geht auf Livius und einige an-
nähernd gleichartige und gleichaltrige Erzählungen zurück. Dieser
Überlieferung steht eine andere, ältere, auf Posidouius, den Fortsetzer
des Polybios zurückgehende gegenüber, welche Appian und Plutarch er-
halten haben. Beide erwähnen auch ein vorgracchisches Ackergesetz
gleichen Inhalts, das aber nicht soweit zurückliegen kann, wie Niese
nachweist. Es setzt die Unterwerfung Italiens voraus, und hat den Zweck,
die Zahl der Wehrfähigen zu mehren und die Bundesgenossen geneigt
zu halten. Und zwar kann es erst eine geraume Zeit nach Italiens
Unterwerfung erlassen sein; denn erst allmählich entwickeln sich aus
der Freigebung des unverteilten und unverpachteten Gemeindelandes die
Übelstände, und es bedarf wieder längerer Zeit, ehe die Römer sich
entschliefsen, diesen durch das Ackergesetz zu steuern. Auch die Nach-
richt führt auf solche Annahme, dafs das Ackergesetz nur kurze Zeit in
Kraft blieb ; wäre es i. J. 367 gegeben, so wäre es zu Ti. Gracchus Zeit
etwa 200 Jahre aufser Kraft gewesen- Dann hätte aber doch sicher sich
ein Vorwurf gegen Gracchus erhoben, dafs er so veraltete Einrichtungen
wiederbeleben wolle. Die durch das Gesetz bekämpften Übelstände, das
Verdrängen der kleinen Landbesitzer und freien Arbeiter durch die Grofs-
grundbesitzer und ihre Sklavenheerden kommen im wesentlichen erst
nach dem zweiteu punischen Kriege zur Erscheinung. Auch setzt das
Ackergesetz einen so bedeutenden Umfang des Gemeindelandes voraus,
wie man ihn für das Jahr 367 in Rom nicht annehmen darf. Die bessere
vorlivianische Überlieferung weifs in der That nichts von dem licinisch-
sextischen Ackergesetz. Wahrscheinlich ist das Ackergesetz jünger als
das flaminische von 233 v. Chr.; sicher ist es erlassen vor dem Konsu-
late des C. Laelius Sapiens (140 oder 145 v. Chr.), der es zu erneuern
gedachte. In Kraft war es z Z. Katos (um 167 v. Chr.) Der Verf. möchte
es nicht weiter als 150 v. Chr. hinanfrücken, und keinesfalls ist es älter,
als das Ende des hannibalischen Krieges. Dafs Livius es in seinen bis
167 so vollständigen Annalen nicht erwähnt, ist ohne Belang; denn sie
sind weder vollständig noch unverfälscht. Auch alle übrigen gleichzeitigen
oder früheren demagogischen Ackergesetze sind als erdichtet anzusehen.
Verdächtig sind aber auch die beiden anderen licinisch- sextischen Ge-
setze; nach Diodor war das Gesetz, dafs der eine Konsul Plebeier sein
solle, ein feierliches Abkommen am Ausgang des Decemvirats. Auch
das dritte Gesetz ist wahrscheinlich erfunden und erst aus den Bestre-
bungen und Anträgen des ersten Jahrhunders v. Chr., wo solche Schuld-
gesetze gelegentlich auftauchten, in die ältere Zeit versetzt.
Jahresbericht für Alterthumswissenschaft LXIV. 1890. (III. J 9
130 Kömische Geschichte und Chronologie.
Die Untersuchung ist mit gewohntem Scharfsinn durchgeführt.
Aber das Schweigen des Livius einerseits und seine direkte Nachricht
andererseits wird mau schwerlich sich entschliefsen so gering zu achten,
wie es der Verf. thut. Die Frage dürfte also noch nicht im Sinne des
Verf.'s für entschieden gelten.
5. Die pimisclieu Kriege uud die Unterwerfung der
Mittel meerliiuder.
Ben ed. Niese, De annalibus Romanis observationes alterae. Ind.
lect. Sommer 1884. Marburg.
Der Verf. liefert weitere Beiträge zur Unglaubwürdigkeit der römi-
schen Annalisten, indem er nach Anführung zweier Beispiele von Namen-
Dichtungen die Berichte über die Prozesse gegen P. Scipio Africanus
und L. Scipio Asiaticus einer Prüfung unterwirft. An Mommsens Be-
handlung wird ausgesetzt, dafs er die Quellen und den Wert des Livius
verkannt habe; für erstere hält er Valerius Antias und Claudius Qua-
drigarius ; sodann hat er die Thatsache selbst nicht richtig erkannt. Der
Verf. gibt zuerst den Bericht des Polyb. XXIII fr. 14 und die damit
übereinstimmende Erzählung des Gellius, der sie aus Cornelius Nepos
entnahm, sodann den von Gellius erhaltenen, von dem Verf. wieder Cor-
nelius Nepos zugeschriebenen Bericht über Scipio Asiaticus, der teil-
weise von Cicero bestätigt wird. Einen weit ausführlicheren Bericht gibt
Livius 37, 43 — 57. Mommsen hält denselben für innerlich einheitlich und
zusammenhängend, aufser einigen Widersprüchen in cc. 55 — 57, und be-
zeichnet Valerius Antias als Quelle, womit auch Nissen einverstanden ist.
Niese glaubt dies aus verschiedenen Gründen nicht; er sucht vielmehr
wahrscheinlich zu machen, dafs Livius den Valerius mehrfach nach Corne-
lius Nepos corrigiert und erweitert habe. Glauben verdient bezüglich des
Africanus nur, was in dieser Erzählung mit Polybios übereinstimmt; dieser
hat noch keine Zeitangaben, welche erst von Antias, zum Teil ganz
falsch, eingefügt wurden. Der Livianische Bericht über Asiaticus ist
ganz unglaubhaft; auch Nepos verdient keinen Glauben, nur Cicero und
Valerius Maximus. Der geringe Wert des Livius für die Zeit des puni-
schen Krieges läfst sich darnach bemessen, dafs er über einen Mann
wie Scipio Africanus so wenig Zuverlässiges berichten konnte.
V. Pflugk-Hartung, Hannibals Übergang über die" Rhone. Von
Fels zum Meer. 1883 No. 3.
Eine gemeinverständliche Darstellung ohne wissenschaftliche Be-
deutung.
Ed. Wölfflin, Die Rettung Scipios am Tessin. Hermes 23, 307
—310 und 479—480.
Der Verf. knüpft an eine von Livius erhaltene Version des Coelius
an, wonach Scipio durch einen ligurischen Sklaven gerettet wurde. Da
Zeit der punischen Kriege. 131
Polybios 3, 65, 11 bei der Schilderung des Gefechtes nichts von der
Heldenthat des Sohnes weifs, kennt er sie 10, 2, 8 durch Laelius. Man
kann vermuten, dafs Laelius erst dieselbe hinterher erfunden und Poly-
bios beigebracht hat. Mindestens hatte der junge Sklave Anteil an der
Rettung; dies bestätigt Plin. nat. bist. 16, 14, wo Scipio die ihm für des
Vaters Rettung angebotene Corona civica ausschlägt. Anteil an dem
Rettungswerke hat er demnach gehabt, aber ebenso sicher hat er es
nicht allein vollbracht.
Reu seh. Die Schlacht bei Cannae. Progr. Altkirch. 1888.
Der Verf. sucht zuerst zu erweisen, dafs im J. 216 v. Chr. die
Möglichkeit vorhanden war, die Schlacht sowohl auf dem rechten als auf
dem linken Ufer des Aufidus zu liefern. Er entscheidet sich für das
rechte. Dazu bestimmt ihn der Ausdruck Liv. 22, 44, 3 trans Aufidum;
denn derartige Ortsbestimmungen werden entweder so angewandt, dafs
der Standpunkt in Rom ist oder so, dafs der Standpunkt ein bestimmter
vorher genannter Ort (hier Gereonium) ist. In beiden Fällen ist trans
Aufidum auf dem rechten Ufer. Bei Polyb. 3, 110, 10 ist nepav von
dem gröfseren Lager aus zu verstehen; dieses lag aber nach der Dar-
stellung des Schriftstellers nördlich vom Aufidus. Die sämtlichen An-
gaben der Quellen über die Himmelsgegenden lassen sich nur anwenden
auf eine Stellung südlich vom Aufidus. Die Worte bei Polyb. 113, 7
in abzuv zöv 7T0Trx/iav bedeuten »so dafs die Front gegen den Flufs war«;
hätte die Schlacht auf dem linken Ufer stattgefunden, so hätte Hannibal
nicht zugleich Front nach dem Aufidus und nach Norden (114, 8) haben
können. Am Tage vor der Schlacht stand Hannibal nach Polyb. 111, 2
nördlich vom Aufidus ; denn nur hier konnten sich in der grofsen Ebene
seine Reitermassen entfalten (= Liv. 44, 4). Andererseits haben die
Römer sicherlich nicht den Kampfplatz so gewählt, dafs Hannibal seine
Reiterei möglichst vorteilhaft verwenden konnte. Auch die Schlacht-
stellung selbst (Liv. 43, 8 = Polyb. 113, 3) setzt das rechte Ufer voraus,
wo die Massen der Römer sich nicht so entfalten konnten, wie es in
der Ebene möglich gewesen wäre.
Dieses Resultat wird bestätigt durch die Nachrichten des Polybios
und Livius über die Lager und die einzelnen Truppenbewegungen am
Morgen vor der Schlacht und am Tage der Schlacht selbst. Polyb. er-
wähnt das erste Lager Hannlbals allerdings nicht genauer; nach Liv.
43, 10 war es gegen Südost geschützt, lag also südlich vom Flusse.
Das kleinere Lager der Römer sollte nach Polyb. das punische bedrohen;
das war nur möglich, wenn es auf derselben Seite stand, wie das des
Hannibal. Nach Polyb. schlug Hannibal am Tage vor der Schlacht ein
zweites Lager an derselben Seite des Flusses, wo das grofse römische
lag, d. h. auf der linken. Livius erwähnt das zweite Lager gar nicht,
aber es mufs auch in seiner Erzählung angenommen werden, wenn sie
nicht sinnlos sein soll.
e*
132 Römische Geschiebte iiud Chronologie.
Am Schlüsse gibt der Verf. eine zusammenhängende Darstellung
des Verlaufs der Begebenheiten, wie er sich dieselben denkt.
Solbisky, Die Schlacht bei Cannae. Pr. Realgran. Weimar 1888.
Der Verf. gibt zuerst eine Darstellung nach dem Berichte des
Polybios, den er anschaulich und klar findet; einige kleinere Versehen
bezüglich der Zahlen will er nach dem Vorgange von Hesselbarth de
pugna Cannensi Göttingeu 1874 S. 9. 10 beseitigen. Alsdann gibt er
den livianischeu Bericht mit besonderer Berücksichtigung der Abwei-
chungen von Polybios. Dann sucht er nach den Quellen, die Livius
benützt hat, und findet, dafs die Hauptquelle für Kap. 44 — 47 Coelius
war, woneben teilweise Polybios benützt worden sein mag. Ebenso ist
coelianischen Ursprungs 40, 5 — 6. 40, 79 — 93, 1 gehört wohl Valerius,
der Rest von 43 wieder dem Coelius an. 48. 50. 51 stammen wieder von
Coelius, 49 von Valerius.
Die Schlacht fand auf dem rechten Ufer des Aufidus statt.
Th. Zielinski, Die Schlacht bei Cirta und die Chronologie von
203/202 in Comment. philol. quibus Ottoni Ribbeckio etc. Leipzig
1888. S. 23—34.
Man hielt bis in die neueste Zeit 24. Juni 203 für das Datum der
Schlacht. Für dasselbe ist zuletzt Soltau eingetreten, nachdem andere
Ansichten darüber von Zielinski und Neumann veröffentlicht worden
waren. Gegen Soltau richtet sich die Abhandlung. Zielinski und Soltau
sind darin einig, dafs die ovidische Datierung als urkundliches Zeugnis
den Ausgangspunkt der Untersuchung bilden mufs. Beide behaupten
weiter, dafs dieselbe nur mit der Chronologie des Polybios combiniert
werden darf, die aber durch die Quellenkritik des Livius ergänzt werden
mufs. Aber nach des Verf.'s Ansicht hat ein M ifsverständnis Soltau
irre geführt.. Denn dieser hat zwei Angaben des Livius (XXX, 11 und
12, 37) für polybianisch gehalten, während sie Zielinski als unpolybia-
uisch und unglaubwürdig verwirft. Er sucht zu erweisen, dafs nach Po-
lybios ein doppelter Auszug des Masiuissa nach Numidien anzunehmen
ist; die ovidianische Schlacht mufs in den zweiten verlegt werden. Die
Chronologie ist folgende: Die Schlacht auf den grofsen Feldern fand im
Hochsommer, der Waffenstillstand im Spät-Herbst 203, die Schlacht bei
Cirta im Frühsommer, die bei Zama im Hochsommer -202 statt.
Max Koehn, De pugna ad Zamam coramissa. Diss. Halle. 1888.
Der Verf. erörtert zunächst das Verhältnis der Quellen zu ein-
ander. Livius folgt 30, 29 — 35 Polybius und hat nur Einzelheiten wahr-
scheinlich dem Valerias Antias entnommen. Florus folgt Livius, während
Eutrop teilweise mit Appian übereinstimmt, teilweise aber Valerius An-
tias benutzt hat, letzterer lag vielleicht auch Cornelius Nepos vor.
Frontinus schreibt wörtlich Livius aus. Dio schöpft aus Livius oder
Die Revolution. 133
stimmt mit ihm überein, manches hat er auch selbständig gefunden
oder von einem anderen Gewährsmann entnommen. Appian und Poly-
bios haben die gleiche Quelle direkt oder indirekt benutzt; diese Quelle
ist Silenus, den Appian durch Vermittlung des Coelius benutzt hat.
Stofflich bringt Appian viele Erdichtungen z. B. den Zweikampf der
Feldherrn. Die eigentlich zu benutzenden Quellen für den Krieg in Afrika
waren Silenus, Cato, Ennius. Polybios hat für den zweiten punischen Krieg
Silenus und Fabius, also für die Schlacht bei Zama nur den ersteren
benützt, an Ort und Stelle war er aber nicht. Dagegen war er in
Karthago und konnte von den Karthagern manches über die Schlacht
erfahren, was zur Berichtigung der scipionischen und laelianischen Be-
richte diente. Zugleich hatte er ausreichende militärische Bildung. Aus
ihm schöpfen Livius und teilweise Appian; dieser aber, wie Dio, hatte
als Hauptquelle Coelius Antipater; doch ist es auch möglich, dafs sie
aus Valerius Antias schöpften oder mit diesem dieselbe Quelle benutzten,
der Verfasser hält dies aber nicht für wahrscheinlich.
Die Arbeit ist ohne Wert; dazu ist sie in sehr schlechtem Latein
abgefafst.
6. Die Revolution.
Theodor Reinach, Essai sur la numismatique des rois de Pont
(Dynastie des Mithridates) Rev. numismatique 1888, 232—263 und
434-456.
Wir heben aus diesen Untersuchungen nur die Münzgeschichte
des Mithridates Eupator 121 — 63 v.Chr. hervor, welche manche Auf-
schlüsse über politische Pläne und Absichten des Königs gibt.
Conr. Paape, De C. Mario quaestiones selectae. Diss. Königs-
berg 1888.
Der Verf. hält C. Marius durch die alte Überlieferung für benach-
teiligt und will für die Jahre 103 — 100 die Wahrheit feststellen. Dabei
geht es ohne einige Hiebe auf Bardey nicht ab. Was die Quellen be-
trifft, so waren die Zeitgenossen, welche Aufzeichnungen hinterliefsen,
Optimaten und Marius bitterfeind. Von den Späteren, welche aus ihnen
schöpften, ist Cicero allein erhalten und, obgleich er bisweilen auch un-
gerecht ist, doch allen anderen vorzuziehen. Livius hat dem Marius
feindliche Quellen, sicherlich den P. Rutilius Rufus (bezw- von diesem
abgeleitete Quellen) benutzt; Orosius hängt ganz von Livius ab. Plu-
tarch nennt als seine Quellen Sulla und P. Rutilius Rufus, kann also
nur mit äuferster Vorsicht benutzt werden; dasselbe gilt so ziemlich von
Appian; der Verfasser des liber de viris illustribus ist unparteiisch.
Der Verf. untersucht zunächst die Frage, ob Marius zu Saturninus
und Glaucia nahe Beziehungen gehabt habe; er verneint sie auf Grund
der Zeitverhältnisse, und weil Cicero davon nichts erwähnt; speziell die
134 Römische Geschichte und Chronologie.
Beteiligung des Marius an der Verbannung des Metellus wurde von den
Optimaten erfunden, weil diese ihrer Schwäche zugeschrieben und das
Verhalten des Metellus allgemein gepriesen ward. Die nahen Beziehun-
gen zwischen den Tribunen und Marius wurden erfunden, um seinem Clia-
rakter einen hcäfslichen Flecken anzuhängen, wenn er sie später im Stiche
liefs und niederwarf. In der That sprach ja manches für solche An-
nahme; denn die Tribunen haben, um Marius für sich zu gewinnen, ihm
manchen Gefallen gethan. Marius aber stand stets auf der Seite der
Ritter, genofs ihre Unterstützung und trat auch im Jahre 100 für ihre
Interessen ein.
Die nächste Untersuchung gilt den Gesetzen des Appuleius. Die
erste lex agraria zu gunsten der marianischen Veteranen gehört nicht
in das erste Tribunat des Saturninus; ebensowenig kann sicher erwiesen
werden, dafs sie im Jahre 100 eingebracht wurde. Das zweite Acker-
gesetz V. J. 100 wollte die Gebiete der Tektosagen und anderer Stämme
in Gallia Narbonensis, welche zu den Cimbern abgefallen waren, an rö-
mische Bürger und Italiker aufteilen. Die Ritter aber hatten gehofft,
hier vorteilhafte Güterkäufe machen zu können und machten gegen Sa-
turninus und seine Genossen mit den Optimaten gemeinsame Sache.
Gleichzeitig mit dieser zweiten lex agraria brachte Saturninus seine lex
de coloniis deducendis ein, welche Koloniegründungen in Sicilien, Achaia
und Macedonien verordnete und mit dem Gelde, w^elches durch Q. Servi-
lius Caepio in den Staatsschatz gekommen war, Landaukäufe verfügte.
Auch hiergegen kämpften die Ritter. Die lex de maiestate hat mit dem
Prozefs gegen Servilius Caepio nichts zu tliun; sie ist mit der lex frumen-
taria i. J. 100 eingebracht worden. Alle Gesetze waren nur auf augen-
blickliche Abhilfe berechnet; an eine Verjüngung des Staates, die etwa
Marius mittels derselben geplant haben soll, ist nicht zu denken.
Die dritte Untersuchung will erweisen, dafs C. Memmius bei der
Konsulwahl i. J. 100 der Kandidat der Ritter war, mit denen Marius
gemeinsame Sache hatte ; deswegen wurde er auf Antrieb von Saturninus
und Glaucia ermordet.
Zwingend ist kein einziger der geführten Beweise.
J. Asbach, Das Volkstribunat des jüngeren M. Livius Drusus.
Progr. Bonn 1888.
Die Abhandlung gibt ein klares Bild des Tribunen und enthält
einige interessante Ausführungen. Den Eid der Bundesgenossen bei
Diodor hält der Verf. mit Ihne für untergeschoben. Bei der neuen Or-
ganisation der Gerichte handelte es sich nicht um eine Erweiterung des
Senats durch Aufnahme von 300 Rittern, sondern um die Bildung einer
gemischten Kommission von 300 Senatoren und 300 Rittern, aus denen
in Zukunft die Geschworenen genommen werden sollten. Der Eintritt
eines Ritters in diese Kommission wurde von einer Prüfung der bis-
herigen richterlichen Tbätigkeit abhängig gemacht.
Die Revolution. 135
K. Bure seh, Die Quellen zu den vorhandenen Berichten von der
Katilinarischen Verschwörung. Comment. philol. quibus Ottoni Rib-
beckio etc. Leipzig 1888. S. 219—234.
Der Verf. findet die Quellenkritik sehr unbefriedigend. Er nimmt
Weizsäckers Beweis, dafs Plutarch in Cicero Capp. 10-23 mit Ausnahme
einiger wenigen Stellen ausschliefslich Ciceros uTioixvrjixa zr^g unarscag be-
nutzt habe, für zwingend und will nur die betreffenden Kapitel nochraal
einer Prüfung unterziehen. Plut. S.247, 23—25 Sint. (kl. Ausg.) und S.248,
2 — 6 sind aus Sallust 16,5 und 14,5 entnommen. Der Verf. wirft den bis-
herigen Quellenkritikern vor, dafs sie Ciceros Gedicht über sein Konsulat
nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt hätten, das dem Inhalte nach
mit dem uTrö/ivr^ixa identisch sei, aus dem doch Dio durch Vermittlung
des Livius geschöpt habe. Im c 17 ist wieder eine kleine Einlage an-
derswoher übertragen, »aber sie grenzt sich haarscharf ab«. Auch in
Caesar, Crassus und Cato hat Plutarch das oirö/j.vy^/xa benutzt. Weiter
sucht der Verf. zu erweisen, dafs auch Appian neben Sallust das uttö/i-
vrjfia benützt habe. Der Verf. liest den Vorgängern überall gehörig
den Text; er selbst stellt eine völlige Umstofsung der bisherigen Quellen-
forschung in Aussicht; an Zuversicht fehlt es ihm jedenfalls nicht-
C.John, Der Tag der ersten Rede Ciceros gegen Catilina. Philol.
46, 650—665.
Der Verf. hält als Tag der ersten Rede gegen Catilina nach seinen
früheren Ausführungen 8. November 63 v. Chr. fest. Da nun nach dem
Zeugnisse des Asconius die erste katilinarische Rede auf den 18. Tag
nach dem SC. ultimum fällt, so müfste letzteres auf 22. Oktober fallen,
und nicht, wie man bisher annahm, auf 21. Oktober.
Aug. Chambalu, Das Verhältnis der vierten katilinarischen Rede
zu den von Cicero in der Senatssitzung des 5. Dezember 63 wirklich
gehaltenen Reden. Neuwied Progr. 1888.
Der Verf. weist zuerst nach, dafs Cicero am 5. December wenig-
stens zweimal das Wort ergriff, einmal zur Einleitung der Verhandlun-
gen, das anderemal zur Beleuchtung der zwei Gutachten des Silanus und
des Cäsar. Das zweite Auftreten war wenig bedeutend und auf die Ver-
handlungen und das schliefsliche Urteil ohne Einflufs. Die erste Rede
hat er aufgezeichnet; es ist die vierte katilinarische, an deren Echtheit
nicht zu zweifeln ist (vergl. die eigene Äufserung Ciceros Philipp. 2,
46, 119). Der Verf. erbringt aber im Einzelnen scharfsinnig den Nach-
weis, dafs der weitaus gröfste Teil der Rede im Senate nicht so ge-
sprochen worden sein kann, wie er ihn uns schliefslich überliefert .hat.
Aber auch von den sachlichen Abschnitten hat er wahrscheinlich nicht
alles im Senate vorgebracht. Jedenfalls hat er im Senate nicht die streng
disponierte und sorgfältig ausgearbeitete Ausführung gegeben, die er uns
136 Römische Geschichte und Chronologie.
in der Rede vorlegt. Der Verf. macht schliefslich den Versuch das
festzustellen, was Cicero im Senate gesagt haben kann. Der Grund für
seine Darstellung der Senatsverhandlung war in der Hauptsache ein
persönlicher: er wollte als der Retter des Staates erscheinen.
Die Rede ist wahrscheinlich zwischen Mai und Dezember 61 nieder-
geschrieben; die äufsersten Grenzen sind Mai 61 und Juni 60. Doch
hat Cicero sie schwerlich selbst veröffentlicht, sondern sie wurde erst aus
seinem Nachlasse herausgegeben. Der sorgfältigen und überzeugenden
Untersuchung sind viele Leser zu wünschen.
Die Abhandlung von
M. Antoine, Une seance mömorable du senat romain. Mem.
de l'Acad. de Toulouse 9, 203. 232
über dieselbe Frage ist mir nicht zugekommen.
G. Lacour-Gayet, De P. Clodio Pulchro tribuno plebis. Diss.
Paris 1888.
Der Verf. schildert zunächst das Vorleben des Clodius, ehe er
zur Quästur gelangte, sodann seine militärische Laufbahn im Osten und
"Westen. In Kap. 2 wird die Quästur und die transitio ad plebem behan-
delt. Der Verf. erzählt nicht ohne Behagen die Scene am Feste der Bona
Dea und die daran sich anschliefsende Anklage auf Incest. Ziemlich
weitläufig, ohne Neues zu sagen, wird die transitio ad plebem darge-
stellt. Kap. 3 enthält das Tribunat des Clodius; die Verbindung mit
Pompeius, Cäsar und Crassus wird sehr klar entwickelt. Besondere Auf-
merksamkeit wird den von ihm eingebrachten Gesetzen gewidmet. Kap. 4
giebt die Überlieferung über die Ädilität des Clodius und seine Be-
werbung um die Prätur; die Händel mit Milo werden wieder ausführ-
lich verfolgt.
Das Ergebnis des Buches ist gering; es giebt eigentlich nur längst
bekanntes. Dafs dieses sorgfältig und verständig aus den Quellen ge-
sammelt ist, kann kaum ein Lob heifsen. Die Latinität ist im Ganzen
gewandt', aber doch stellenweise recht modern; namentlich macht den
Verf. die Consecutio temporum oft unsicher. Das Beste ist die Zusam-
menfassung am Schlüsse, die knapp und scharf ist.
Valentin-Smith, Fouilles dans la vallee du Formans (Ain) en
1862. Documents pour servir ä l'histoire de la campagne de Jules
C6sar contre les Helvetes. Lyon 1888
war mir nicht zugänglich.
Rud. Schneider, Portus Itius. Progr. des Königstädt. Gymn.
Berlin 1888.
Bekanntlich hat Napolöon HI. den portus Itius in Boulogne, Heller
in Wissant erkannt; für erstere Annahme ist Desjardius eingetreten,
6. Die Revolution. 137
ohne die Gründe Hellers su widerlegen, der Verf. will die ganze Frage
nochmals nachprüfen und thut dies in musterhafter Weise. Man darf
deshalb den von ihm gefundenen Resultaten um so mehr Vertrauen be-
weisen. Die aus den Kommentarien gezogenen Schlüsse für den einen
oder den anderen Hafen erweisen sich sämtlich als unsicher, und man
kommt mit denselben nicht weiter, als dafs Cäsar aus irgend einem
Hafen im Morinerlande abgefahren ist. Alle Schriftsteller der Kaiser-
zeit — nach Schneiders Interpretation sogar Strabo — kennen nur
einen Hafen im Lande der Moriner: Gesoriacum. Wenn man auch an-
nehmen wollte, dafs der Verkehr dahin erst durch Agrippas Strafsen-
züge veranlafst worden sei, so mufste man die Frage beantworten, warum
denn Aprippa gerade hier dieselben ausmünden liefs. Denn in den
30 Jahren seit Cäsars Expeditionen nach Britannien können sich die
Verhältnisse der Häfen unmöglich so verändert haben, dafs ein bedeu-
tender Kriegshafen, der wegen seiner erheblich gröfseren Nähe an Bri-
tannien doch den Vorzug verdiente, bereits unbrauchbar erschien; aber
ebenso unmöglich ist es, dafs Cäsar bei seinen beiden Expeditoneu einen
Hafen übersehen hat, den Agrippa und die Späteren insgesamt als den
einzigen Überfahrtshafen nach Britannia erkannten. Die Identificierung
mit Wissant wird verworfen 1) weil kein Zeugnis eines alten Schrift-
stellers, keine Strafse, keine römischen Fundstücke von irgend welcher
Bedeutung, keine Spuren römischer Arbeiten im Erdreiche kundgaben,
dafs Wissant von den Alten als Hafen benutzt wurde, und 2) weil,
auch wenn man mit Henry und Heller grofse Versandungen annimmt,
der Platz nie ein guter Hafen war, da er völlig blofsgestellt ist gegen
die Winde aus Westen, Nordwesten (Chorus ventus) und Norden, gegen
welche der Schutz am notwendigsten war. Die Bedeutung des Hafens
von Boulogne in der Kaiserzeit und im Mittelalter steht fest; die Un-
tersuchungen von Haignere bezüglich der Flut und Strömung haben
unwiderleglich bewiesen, dafs Boulogne ein vorzüglicher Punkt zur Über-
fahrt nach England ist. Unerklärt bleibt nur der zweimalige Namens-
wechsel (portus Itius, Gesoriacum, Bonouia).
Die Untersuchung von
H. E. Maiden, Cesars expedition to Britain. Journ. of Philol.
No. 34. 163
war -mir nicht zugänglich.
Victor Pfannschmidt, Zur Geschichte des pompeianischen Bür-
gerkriegs. Progr. Weifsenfeis 1888.
Der Verf. erörtert zunächst die Abfassungszeit von Cäsars Schrift
über den Bürgerkrieg; er meint, dieselbe sei nicht 45 oder Anfang 44
verfafst, sondern wahrscheinlich in der Hauptsache gleich nach dem
alexandrinischen Krieg und dann bei dem Aufenthalte des Dictators in
138 Römische Geschichte und Chronologie.
Rom veröffentlicht worden, jedenfalls aber vor dem Ausbruch des afri-
kauiscben Krieges. Sodann wendet er sich zur Prüfung der Angriffe
auf Cäsars Glaubwürdigkeit und bemüht sich, »was in seiner Darstellung
fehlt, nachzutragen und alles auszusondern, was als der geschiclitlichen
Richtigkeit widerstreitend mit Recht angesehen werden kann«.
Verschwiegen hat Cäsar absichtlich: die Sendung des jüngeren
Baibus an den Konsul Lentulus Crus, um diesen zur Rückkehr nach
Rom zu bewegen. Der Versuch scheiterte. Ferner ist verschwiegen
die Wegnahme des Staatsschatzes Anfang April. Auf die Verschwei-
gungen und Entstellungen in Bezug auf Verwundete und Gefallene, auf
die Entschuldigungen und Abschwächungen erlittener Niederlagen oder
Unfälle geht der Verf. nicht tiefer ein. Dagegen verschweigt Cäsar, wo
er von seinen Wohlthaten gegen die Spanier redet, dafs er von ihnen
viel Geld aufbrachte; ebenso erzählt er nicht von der Meuterei der
neunten Legion zu Placentia.
Was die Entstellungen historischer Begebenheiten anlangt, so ver-
teidigt der Verf. Cäsar gegen Gloede und Basirer, welche behauptet
hatten, Cäsar habe den Äsinius PoUio in seiner Erzählung von der Er-
oberung Siciliens einfach übergangen und durch Curio ersetzt ; es scheint
dies eher eine Erfindung des Asinius zu sein, den der Verf. weder als
Soldat noch als Schriftsteller hochstellt. Eine falsche Darstellung findet
sich 1, 11, 4, wo Cäsar glauben machen will, er sei in Ariminum ge-
blieben und habe keine weiteren feindlichen Schritte gegen Pompeius
gethan, während wir aus Cicero wissen, dafs er Ancona, Fanum, Pisau-
rum etc. besetzte. Der Bericht l, 14, 4 über Einstellung von Cäsars
Gladiatoren in das feindliche Heer ist nicht gegen seine Glaubwürdig-
keit zu verwenden. Denn auch Cic. ad Att. 7, 14, 2 kennt die Version.
Dagegen entspricht der Bericht 3, 1, 4 nicht ganz der Wahrheit; denn er
hat nicht blofs einige, sondern alle lege Ponipeia Verurteilten und noch
manche andere dazu begnadigt. Absichtlich entstellt ist auch der Be-
richt über die Friedensverhandlungen 1, 24, 4; dagegen scheint der Be-
richt 1, 9 richtig, aber unrichtig die 1, 10 berichtete Antwort des Pom-
peius und des Senates; endlich ist auch die Erzählung von dem dritten
Ausgleichsversuch 3, 10 und 11 nicht klar und Vertrauen erweckend.
Der Verf. will nicht an die Aufrichtigkeit Cäsars bei diesen Verhand-
lungen glauben. Etwas völlig Unwahrscheinliches wird 3, 56 berichtet;
die Geschichte von dem Abfall der Allobroger 3, 59. 60 ist recht frag-
lich. Mannigfache Unklarheiten, vielleicht auch Entstellungen zeigt der
spanische Feldzug, und die Katastrophe des Curio enthält auch offen-
bare Verdunklungen des wirklichen Thatbestandes, und dasselbe gilt er-
wiesenermafsen von den Vorgängen in Corfinium 1, 16 ff.
Man mufs bei dem Verf. selbst die Beweise nachlesen, die überall
mit sorgfältiger Beachtung der sonstigen Überlieferung geführt sind.
7. Zeit der Julier, Claudier, Flavier und Antonine. 139
W. Fabricius, Theophanes von Mitylone und Q. Dellius als
Quellen der Geographie des Strabo. Strafsburg, Heitz 1888.
Der Verf. versucht Theophanes von Mitylene als Quelle Strabos
für die Angaben über des Pompeius Feldzüge im Orient im 7. 12. und
14. Buche nachzuweisen, während Q. Dellius die gleiche Stellung einnimmt
für die Partherkriege des Antonius im 11. und 16. Ikiche. Der erste Be-
weis ist ihm nicht unwiderleglich gelungen; man kann liöchsteus zu-
geben, dafs die Annahme möglich ist. Bezüglich des Q. Dellius stimmt
der Verf. mit Krüger und Bürklein überein; doch schadet es nicht, dafs
er nochmals deren Annahmen als richtig bestätigt. Sorgfältig ist die
Karte über die von Pompeius 64-62 geschaffenen Länderverhältnisse,
und dasselbe gilt von der Sammlung der Überlieferung über den Feld-
zug des Pompeius gegen Mithradates 66 v. Chr.
7. Zeit der Jiilier, Claudier, Flayier und Antonine.
Emmerich Cornelius, Quomodo Tacitus, historiarum scriptor,
in hominum memoria versatus sit usque ad renascentes literas sae-
culis XIV et XV. Progr. Gymn. Wetzlar 1888.
Nur der erste Teil der Abhandlung gehört in den Jahresbericht.
In demselben stellt der Verf. die Benutzung des Tacitus durch die la-
teinischen Geschichtschreiher der fünf ersten Jahrhunderte n. Chr. fest.
Zunächst benutzte ihn Plutarch; der Verf. hat dies durch seine Aus-
führungen so wenig bewiesen wie die Vorgänger, denen er folgt. Sueton
hat vieles aus Anualen und Historien wörtlich abgeschrieben; ebenso
Dio aus den Annalen. Florus hat für seine Darstellung die Karten von
Tacitus entlehnt; auch Justinus. Gekannt und benutzt haben ihn Pto-
lemaeus, Lucian und Eumenius, auch TertuUian. Ammian, der ihn fort-
setzte, hat ihn vielfach sachlich und sprachlich benützt: ebenso Aurelius
Victor und Hegesippus. Orosius, Sulpicius Severus, Ausonius, Paulinus
Nolanus, Sidonius Apollinaris, der Scholiast des Jitvenal, Cassiodorius
und Jordanis haben ihn alle mehr oder minder gekannt und benützt.
Wie bei allen diesen Untersuchungen werden auch in der vorlie-
genden Übereinstimmungen sachlicher Natur, welche auch ähnlich sprach-
lich benannt "werden müssen, zu Beweisen direkter Benutzung und Aus-
schreibung gestempelt, was sie an und für sich nicht sind.
Wallichs, Die Geschichtschreibung des Tacitus. Progr. Gymn.
Rendsburg 1888.
Der Verf. entwickelt in behaglicher Breite die Gründe, die ihn
zur Verteidigung des Tacitus veraulafst haben: er ist aufgewachsen in
der Zeit, in welcher derselbe ein kanonisches Ansehen genofs, hat diese
Auffassung während der Studienjahre und als Lehrer festgehalten, kam
140 Römische Geschichte und Chronologie.
lauge nicht dazu, sich mit der neueren Litteratur über diese Frage zu be-
schäftigen; aber endlich mufste er lateinischen Unterricht in der Prima
geben und sich mit derselben bekannt machen. Da gab die Äufserung
eines Kollegen, der sich abschätzig über Tacitus aussprach, den Aus-
schlag; der Yerf. mufste sich über die Hauptstreitpunkte Klarheit ver-
schaffen, und berichtet nun, wie er sich diese Klarheit verschafft habe,
darf es mir aber nicht verübeln, wenn ich den von ihm gewählten Weg
nicht gerade bewundern kann; denn er schlägt keine direkten Bahnen
ein, sondern schlendert wie ein müfsiger Spaziergänger con amore dahin
und dorthin, betrachtet hier etwas und da etwas, ärgert sich über den
einen Weg und freut sich über den andern — kurz es ist eine gemüt-
liche Betrachtung und Causerie, aber kein methodisches Verfahren. Auch
kennt der Verf. doch die Kaisergeschichte in ihrem Zusammenhange bei
weitem nicht genug. Dabei zeigt sich sein Standpunkt bezeichnend in
dem Worte: »es fragt sich doch noch, ob nicht die Kulturgeschichte nur
eine Nebenpartie der Weltgeschichte ist, und das für die Nachwelt Lehr-
reiche und Interessante vorzüglich in dem bewegteren Leben, den poli-
tischen Kämpfen, den Veränderungen der Staatsgewalt, dem Kampf der
Parteien mit ihr und den Völkerkämpfen liegt«. Der Verf. erörtert nach
einander eine Reihe von Ansichten, welche sich in den letzten 40 Jahren
gegen die »kanonische Autorität« des Tacitus gewandt haben, und stellt
ihnen seine eigenen gegenüber; öfter werden zur Verstärkung gegnerische
Aussprüche, insbesondere von Eanke, angeführt. Wie es kaum zu ver-
meiden ist, geben diese aus dem Zusammenhange gerissenen Stellen
beiderseits nicht selten ein schiefes Bild; an anderen Stellen, wo auch
die Autoritäten des Verfassers nicht mit der »kanonischen Autorität«
übereinstimmen, klammert er sich an die Form und findet wenigstens
noch das Gute an ihnen, dafs sie nicht so schroff und pietätlos über
Tacitus sprechen wie die Anderen. Schliefslich gelangt der Verf. zu
dem Ergebnis, dafs man auf die Angriffe der Tacitus-Gegner hin diesen
nicht aus den Schulen zu verbannen brauche. Ich freue mich mit dem
Verf. wenigstens in diesem Punkte ganz gleicher Ansicht sein zu können,
vorausgesetzt, dafs er nicht den stadtrömischen Klatsch mit seinen Pri-
manern lesen will, sondern die Tacituslektüre ungefähr so gestaltet, wie
dies Dettweiler in Fricks Lehrproben 7, 39 ff. dargelegt hat;
Carl Pascal, De Cornelii Galli vita. Rivista de filologia 16,
399-413.
Er ist geboren 685 und gestorben 728 d. St. und stammte aus niede-
rem Stande. Über seine Jugend wissen wir nichts. Später wurde er Freund
des Vergil, ob auch des Properz, ist unsicher. Lycoris, die Geliebte
des Gallus, ist mit Volumuia-Cythei-is, der Maitresse des Antonius, iden-
tisch. Wahrscheinlich veranlafste ihn die Sehnsucht nach ihr, die mit
einem neuen Geliebten nach dem Rheine gegangen war, 716 oder 717
7. Zeit der Julier, Claudier, Flavier und Antonine. 141
sich dem Agrippa, der nach Gallien zog, anzuschliefsen. 724 erhielt er
die Verwaltung von Ägypten, wo er gegen Antonius und Cleopatra wert-
volle Dienste leistete; ihr Lohn war die Präfektur von Ägypten. Als
Vice-König machte er sich um die Hebung des Landes durch Kanalbauteu
etc. verdient. Als er eine Revolte in Theben sehr hart unterdrückte,
wurde er unbegründeter Vergehen angeklagt und tötete sich.
Jul. Asbach, Die Überlieferung der germanischen Kriege des
Augustus. Bonner Jahrbb. H. 85, 14 — 54.
1. Die Feldzüge des Nero Claudius Drusus.
Die Niederlage des M. Lollius wird mit Jul. Obsequens c. 71 in
das Jahr 17 (statt wie gewöhnlich 16) gesetzt. Augustus gründete bei
seiner Anwesenheit am Rhein in den Jahren 16 und 15 Vetera Castra.
Gleichzeitig wurde die fossa Drusiana in Angriff genommen und im Jahre
13 vollendet. Für die Feldzüge des Drusus scheinen dem Verf. die
Nachrichten des Florus Anspruch auf Glaubwürdigkeit zu haben, während
Dio eine sehr späte, durch die Volkssage getrübte Quelle benutzt hat.
2. Die Feldzüge des Tiberius in den Jahren 4 und 5 n. Chr.
Velleius ist für dieselben eine im Ganzen zuverlässige Quelle. Das
Winterlager des Tiberius 415 wird zwischen Borken, Haltern und Dülmen
gesucht. Auch liier hat Dio entweder äufserst flüchtig berichtet oder
eine sehr schlechte Darstellung der germanischen Kriege benutzt.
3. Die Varusschlacht.
Für die Darstellung dieser Katastrophe sind die Mitteilungen des
Velleius, Tacitus und Florus guter Quelle entnommen; dagegen besteht
bei ihnen ein Gegensatz gegen Dio, dessen Darstellung lückenhaft und
unrichtig ist. Es würde also der Forschung die Aufgabe gestellt sein,
an der Hand der drei- ersten Berichte durch Untersuchungen an Ort
und Stelle den Schauplatz im Einzelnen zu finden. Bezüglich des Ortes
der Katastrophe schliefst sich Asbach an Mommsen an.
Paul Seyffert, Quaestiones ad Augusti bella Germanorum cri-
ticae. P. I. De clade Lolliana et de Drusi bellis. Diss. Erlangen 1887.
Der Verf. will die Nachricht des Dio LIV, 20 iv r^ a^ezspa zcväs
abzwv aoXXaßovreg dvzardofjcuaav mit der Nachi'icht des Florus 2, 30
viginti ceuturionibus in crucem actis und Schol. ad Horat. 4, 2, 34 quia
antea centuriones Romanos-tentos crucibus defixere zusammenbringen
und als Veranlassung zum Kriege des Lollius gegen Sugambrer, Usipeter
Tencterer betrachten. Florus sagt nun freilieb, dies sei bei Sugambern,
Cheruskern und Sueben geschehen, aber der Verf. meint, er habe die
betreffenden Nachrichten durcheinander geworfen. Wer nicht der An-
sicht des Verf. sei, müsse, meint er, mit Dederich die Nachricht des
Florus auf den zweiten Feldzug des Drusus, nicht mit Mommsen auf
]4:2 Römische Geschichte und Chronologie.
den ersten beziehen. Die Worte ad stipendia will er so erklären, Lol-
lius habe die Germanen, weil sie seit 19 v. Chr. keine Einfälle mehr
versucht hatten, für so gedemütigt angesehen, dafs er sie leicht tribut-
pflichtig machen zu können glaubte. Nun werden Lollius manche Vor-
würfe gemacht, aber den völliger Urteilslosigkeit hat Niemand zu erheben
gewagt.
Der erste Zug des Drusus wird nach den Berichten des Dio LIV,
32 und Livius ep. 137 geschildert. Die Schlacht gegen die Bructerer
kann nur unbedeutend gewesen sein, da Dio sie nicht erwähnt. Auf den
zweiten Zug bezieht der Verf. die Erzählung des Florus 2, 30, da die
berichtete Siegesgewifsheit der Germanen nur die Folge der gefährlichen
Lage der Römer bei Arbalo hätte sein können. Die Chatten standen
anfänglich auf Seite der Römer, wurden aber von den Sugambern zur
Heeresfolge gezwungen; denn eine Partei der Chatten stand auf ihrer
Seite. Zu deren Bestrafung errichtete nachher Drusus ein Kastell im
Chattenlande. Die Erscheinung des germanischen Weibes gehört —
gegen Abraham — , wenn sie nicht, wie wahrscheinlich, eine Fabel ist,
in den vierten Zug. Auf dem dritten Zuge wurden die Chatten heimge-
sucht, aber auch die Marcomannen. Auf dem vierten Zuge kam Drusus
bis zur Saale, die man fälschlich mit der oberen Elbe identificierte ; sein
Tod erfolgte in der Nähe von Mainz.
G. Aug. B. Schiere nb er g, Die Kriege der Römer zwischen Rhein,
Weser und Elbe unter Augustus und Tiberius und Verwandtes. Ver-
vollständigung und Berichtigung der ersten Ausgabe von: Die Römer
im Cheruskerlande. 1862. Frankfurt a. M. 1888.
In dem »Vorwort zur zweiten Ausgabe« polemisiert der Verf. gegen
eine Reihe von Gelehrten, von denen er sich als schlecht behandelt be-
trachtet. Sachlich behauptet der Verf. folgendes ad caput Juliae flu-
niinis bei Velleius bedeutet die Geule westlich von Aachen, wo die
Grenzen der Provinzen Ober- und Unter-Germanien sich berührten. Die
Kriegsztige des Drusus und Tiberius ostwärts zur Weser und Elbe gingen
nicht von Mainz, sondern von Vetera aus. Aliso war nie römische
Festung, sondern nur zweimal Zufluchtsort versprengter römischer Heere.
Das Kastell, welches Germanicus im Frühjahre 15 am Berge Taunus
erbaute, ist nicht in der Saalburg, sondern an der oberen Lippe zu
suchen. Varus zog über den Externstein in das Cheruskerland; »das
Geschwätz von der Dörenschlucht ist Faselei, die aller Begründung ent-
behrt«. Am Externsteine hatte er sein Sommerquartier, eine Stunde
östlich vom heutigen Detmold hat ihn die Katastrophe ereilt.
Der zweite Abschnitt schildert den Rachekrieg der Römer gegen
die Cherusker. Der Verf. gefällt sich auch hier, alle bisherigen An-
sichten auf den Kopf zu stellen. So wohnen nach seiner Ansicht die
Chatten an der unteren Ruhr, Thusnelda war weder die Tochter Segests
7. Zeit der Julier, Claudier, Flavier und Antonine. 143
noch die Gemahlin Armins. Bei dem Überfalle auf dem varianischen
Leichenfelde macht sich Germauicus davon (aequis manibus abscessum
heifst: mit angemessener Mannschaft macht er sich davon!!), die pontes
longi, Dielbrücken lagen zwischen Delbrück und Ringboke, mit dem
Wasser des Haustenbachs wurde das römische Lager überschwemmt.
Die Toten hügel für Varus und sein Heer waren aber kaum angefangen,
geschweige vollendet worden. In der Schlacht auf dem Idistavisusfelde
wurde Germanicus thatsächlich besiegt, der zweite Kampf fand zwischen
Venne und Engter statt. Der Bericht des Tacitus ist teilweise ironisch
gehalten, teilweise ein Zugeständnis an die in Rom erlogene Darstellung.
Alsdann folgen Studien zu den Annalen des Tacitus. In denselben
wird der Versuch gemacht, die vorstehenden Ansichten aus Tacitus zu
begründen. Der Verfasser sagt, er sei 44 Jahre alt geworden, ehe ihm
das erste lateinische Exemplar des Tacitus in die Hände gefallen sei.
An und für sich ist es ja wahrhaftig keine Schande, wenn ein Mann in
diesen Jahren sich noch auf die Erlernung der lateinischen Sprache
wirft. Vorsichtig wäre es aber, wenn er sich an der Interpretation nicht
versuchte; sonst kommen Dinge zutage, wie das vorhererwähnte aequis
manibus abscessum, ja noch viel schlimmere. Es ist daher besser, von
diesem Teile zu schweigen; denn von taciteischem Sprachgebrauch hat
der Verf. keine Ahnung.
An diese Studien schliefsen sich andere zu Tacitus' Germania,
welche ebenfalls meist Polemik enthalten. Ein weiterer Artikel »Zur
Varusschlacht« bekämpft die Ansicht Mommsens. Der Verf. sucht das
Sommerlager des Varus östlich vom Externsteine, und dort ist auch das
Schlachtfeld zu suchen. Eine wichtige Quelle für die Varusschlacht ent-
deckt der. Verf. in der — Edda, deren Hauptlieder nach seiner Ansicht
um 1100—1130 niedergeschrieben sind und die altheidnische Tradition
bewahi't haben, welche in Deutschland durch die christliche Geistlichkeit
sorgfältig ausgetilgt wurde. Der Grund von Varus Vernichtung war dar-
nach die Verletzung der religiösen Heiligtümer des Volkes durch Varus;
am Externsteine wurde die Mutter Erde als Ostara verehrt. Siegfried
ist Armin, der Drache Fafnir die römische Weltherrschaft etc. Aus
der Edda wird abgeleitet, dafs Varus' Sommerlager auf der Moorlage
bei Hörn stand ; der Totenhügel fällt nach Detmold, wo der Knochenbach
auf den Namen Lechthope (Leichenhaufe) führt. Der Varusberg einige
Stunden südlich von Hörn hat seinen Namen von einem Wachtposten
des Varus, um den Zugang durch den Pafs von Altenbeken nach Höxter
zu decken. Zwischen Varusberg und Externstein liegt der Banngarten
d. h. Todesgarten, nämlich der Reiterei des Numonius Vala. Hier haben
sich viele hunderte von Hufeisen im Boden gefunden. Der Schlachttag
war der 19. August. Arminius hat nicht im römischen Heere gedient,
sondern befand sich blofs im Gefolge des Tiberius. Die Barenauer
Münzfunde will Schierenberg auf die Angrivarierschlacht zurückführen.
144 Römische Geschichte und Chronologie.
Ein weiterer Nachtrag sucht zu erweisen, dafs die Grotte am
Externsteine von Varus als Mithräum geschaffen wurde; einige weitere
Nachträge suchen diese Annahmen zu stützen. Man mufs bei dem Verf-
Interpretation und Autopsie scheiden; wo letztere besteht, wird seine
Schritt stets einigen Wert haben; dagegen die erstere ist teilweise wegen
der unvollkommenen Sprachkenntnis wertlos, teilweise deswegen bedenk-
lich, weil er, wie meist Lokalantiquare, die Schriftstellen seiner Intui-
tion anpafst.
M. von Sondermühlen, Spuren der Varusschlacht. Berlin 1888.
Der Verf. giebt nach einer Einleitung über die Quellen eine kurze
Vorgeschichte der Römerzüge in Germanien. Um den Ort des Varus-
lagers ausfindig zu machen, geht er von der Erwägung aus, dafs Varus'
Aufmerksamkeit auf die Gewinnung eines festen Punktes an dem von
Aliso aus nächsten schiffbaren Teile der Weser gerichtet sein mufste.
Da er von Süden kam und dem Laufe des sich ihm gegen Norden quer
vorlegenden Weserstromes folgte, so sah er sich genötigt, sein Lager so
weit als möglich gegen die Mündung des Stromes vorzuschieben. Er
konnte es aber nicht jenseits der Bergkette verlegen, die der Weserflufs
bei Porta durchbricht, weil er dann von Aliso und dem Rheine abge-
schnitten worden wäre. Das Sommerlager ist also südlich der Porta
zwischen Rinteln und Rheme zu suchen. Zwischen Vetera und Amisia,
der Festung an der Mündung der Ems, bestanden unzweifelhaft ge-
schützte Heereswege, und Varus' Absicht mufste sein, eine sichere Ver-
bindung zwischen dem Lager an der Weser und Amisia herzustellen.
In der Ausführung dieser Absicht erblickten die Cherusker eine Be-
drohung ihrer Freiheit. Varus wird von dem Verf. als ein Mann ge-
schildert, der unter bedächtigem, gutmütigem Äufseren klare Überlegung
und grofse Festigkeit besafs, die, wenn es erforderlich schien, sich auch
in rücksichtslose Grausamkeit verwandelte; er war für ein dui'ch die
Umstände gebotenes langsames Vorgehen in Deutschland der best ge-
eignete Mann. Als ein besonderer Grund des Hasses wird die Sophistik
des römischen Rechtsverfahrens angeführt, welches immer im Auge be-
hielt, was den Römern oder der ihnen ergebenen Partei Vorteil brachte.
Das Sommerlager wurde der Sammelplatz der germanischen Häuptlinge
und bildete die Bühne, auf der sich ein gewaltiges Drama von Treue
und Liebe, Patriotismus, Herrschsucht, Arglist und Verschlagenheit,
Freundschaft und Arglist abspielte. Dafs die Germanen die Legionen
weder auf ihrem Marsche zur Weser noch während ihres langen Aufent-
haltes an diesem Flusse angriffen, dazu trugen noch des Verf.'s Ansicht
die Nähe von Aliso, die beiden dort unter Asprenas stehenden Legio-
nen (?) so wie die geschützte Verbindung zwischen Aliso und dem Rheine
bei. Diese Verbindung mit Aliso wurde hergestellt durch eine Strafse
über Wiedenbrück und Gütersloh, die bei Bielefeld die Bergkette durch-
7. Zeit der Julier, Claudier, Flavier und Antonine. 145
brach. Das Sommerlager selbst war bei Varenholz. Hier würden Nach-
grabungen wohl Reste der römischen Umwallungen ergeben. Es war
so fest, dafs die Deutschen nicht wagten, es anzugreifen, sondern war-
teten, bis die Römer, vom Sommerlager abziehend, ihre feste Stellung
in demselben aufgaben. Da Varus nach Süden eine feste Strafse besafs,
so mufste Armin es fertig zu bringen suchen, dafs er nicht nach Süden
zog; dies war der Zweck der Scheinempörung. Zugleich mufste sich
aber der Marsch gegen die Empörer mit dem Abmarsch zum Rheine
vereinigen lassen, da Varus nicht gewagt hätte, bei Beginn des Spät-
herbstes in unbekannte, abgelegene und unsichere Gegend mit dem ganzen
Heere zu marschieren. Dies traf nur zu, wenn die empörten Völker
westlich vom Sommerlager wohnten. Zu diesem Zuge konnte Varus sich
um so mehr entschliefsen, wenn er etwa von dem Sommerlager die Ver-
bindung mit der Heerstrafse von Vetera nach Amisia bei Bentheim her-
stellen wollte. Der Verf. will in den im Dosen-Moore, bei Vörden und
Ueffeln aufgefundenen Resten alter römischer Bohlen-Wege Spuren der
von Varus vorbereiteten Strafsenzüge erkennen. Die Cherusker können
sich nur in den Moorgegenden zwischen Weser, Hase und Hunte ge-
sammelt haben. Varus hatte zunächst das leichthügelige Gebiet zwischen
Varenholz und Bünde und dabei den Flufslauf der Werre zu passieren;
das erste Nachtlager war in der Gegend von Bünde, jenseits der Werre.
Durch Aufstauung ihrer Wassermassen wurde die ganze Niederung unter
Wasser gesetzt und durch Abreifsen der Brücken den Römern der Rück-
marsch zum Sommerlager oder eine Wendung nach Süden unmöglich
gemacht Nun blieb den Römern nur noch ein Weg gegen Westen d, h.
das Durchdringen zum Emsflusse und zu dessen gesicherten linksseitigen
Landstrecken. Der nächste Weg zur Ems führt von Bünde aus auf
jene Berge, aus welchen weithin sichtbar die Dietrichsburg (Teutoburg)
emporragte, nach der Tacitus den saltus Teutoburgensis genannt hat.
An diese Teutoburg knüpft der Verf. phantastische Betrachtungen über
die Höhe der Kultur unserer Vorfahren. Die ganze Combination ist ein
sehr schwacher Punkt der Schrift; diese Burg war »höchstwahrschein-
lich Besitz und Wohnsitz des arminischen Fürstengeschlechts«, zu dem
»das Wittekindische Geschlecht wahrscheinlich in einer direkten Nach-
kommenschaft stand«. Von dieser Stelle aus haben sich die germani-
schen Heerführer durch Feuerzeichen während der Nacht und optische
Signale am Tage verständigt und benachrichtigt. Armin liefs zunächst
die Besatzung des Sommerlagers niedermachen, die Varus zurückgelassen
hatte, und dieses selbst besetzen, damit Asprenas nicht zu Hülfe kommen
konnte. Der Angriff auf das erste Nachtlager des Varus bei Bünde er-
folgte vor dem Aufbruche der Römer von Norden her; durch ihn wurde
Varus in Unordnung nach Süden und in die Bruchgegendeu südwestlich
von Bünde gedrängt (Winne-Brook = Siegestal). Die Legionen mufsten
sich nun über Buer in die Berglandschaft der Dietrichsburg wenden, um
Jahresbericht für Alterthumswissenschaft. LXIV. Bd. (1890 UI.) 10
146 Römische Geschichte uud Chronologie.
die flache Moorebene nördlich des Wiehengebirges vermittels des Passes
bei Oster-Cappeln oder Engter wieder zu gewiiinen. Die Verschanzungen
des zweiten Lagers will der Verf. auf einer Berghöhe »Wagenhorst« bei
Oberholsteu erkennen; die Beweise sind aber mindestens sehr unsicher.
Am dritten Tage stiegen die Legionen am westlichen Abhänge der Wagen-
horst hinab, wo sie im Thale, dem Laufe des Opkebaches folgend, zwischen
Fledder und Dören, den Lehmhorst südlich lassend, unterhalb des nach
Norden gelegenen »dicken Thumhorst« auf die »Oberheide« kamen und
dann über Jöstinghausen, Hitzhausen, Caldenhof bei Oster-Cappeln die
Bergschlucht passierten, durch letztere endlich in die erstrebte Ebene
jenseits der Bergkette kamen; das dritte Nachtlager ist in der Gegend
des Dorfes Venne zu vermuten. Der nächste Marsch führt durch eine
weite trockene Ebene bei dem Landgute Niewedde über Ueffeln oder
über Vörden an die Ems. In der Ebene, ungefähr zwei Stunden west-
lich von Venne, zwischen Vörden und der Bergkette bei Engter, auf
dem »Witte- oder Wyks-Feideo erfolgte die Katastrophe. Doch pflanzte
sich der Kampf mit einzelnen römischen Heeresabteilungen in den Berg-
gegenden südlich des Wittefeldes und nördlich von Osnabrück über ein
gröfseres Terrain fort.
Die Spitze der Angriffe des Germanicus ist stets gegen die Che-
rusker gerichtet, welche westlich der Weser bis zu den jenseits der
Hase zwischen Meppen und der Stadt Rheine gelegenen Bruchgegenden
ausdehnten, andererseits von den Mooren am Dümmer-See uud den Ebe-
nen des Münsterlandes und der Senner Heide eingeschlossen waren. Dafs
Germanicus stets den Versuch machte, von Norden aus in dieses Land
einzudringen, erklärt sich nach des Verf.'s Ansicht nur dadurch, dafs
das Bergland gegen Angriffe von Süden her durch zahlreiche starke
Festungen geschützt war Deshalb liefs Germanicus durch die Moor-
gegenden die unter dem Namen pontes longi bekannten Bohlenwege an-
legen. Der Verf. hat es nicht unterlassen, eine Anzahl seiner Ansicht
nach cheruskischer Burgen aufzuführen Germanicus und seine Feld-
züge werden von dem Verf. mit grofser Antipathie behandelt, was sie
schwerlich verdienen; der »tapfere Prinz« erscheint alle Augenblicke,
und seine Siege sind lauter Niederlagen.
Die übrigen Teile, die sich mit Armin und seiner Familie und
der Verherrlichung der deutschen Thatkraft befassen, kommen für die
eigentliche Frage nicht in Betracht.
Auch in dieser Arbeit hat nur das Wert, was der Autopsie und
der Lokalkenutnis entnommen ist Sonst ist vielfach »Dichtung und
Wahrheit« gemischt.
Paul Höfer, Die Varusschlacht, ihr Verlauf und ihr Schauplatz.
Leipzig 1888.
Im ersten Teile bespricht der Verf. die Quellen über die Gegend
der Varusschlacht. In steter Polemik gegen Mommsen gelangt er zu
7. Zeit der Julier, Claudier, Flavier und Antonine. 147
folgenden Ergebnissen. Die Schlacht hat sich jeuseit Aliso, vom Rhein
aus gerechnet, zugetragen, also östlich oder nordöstlich oder süd-
östlich von diesem Platze. An der Ostgrenze der Brukterer, also im
Quellgebiete der Ems und Lippe stehend, raufste man sowohl von der
Emsstrafse als auch von der Lippestrafse dorthin gelangen können ; das
Vordringen war aber mit Schwierigkeiten verbunden. Schon aus diesen
Bestimmungen läfst sich mit grol'ser Wahrscheinlichkeit erkennen, dafs
das Gebirge, hinter welchem das Schlachtfeld lag, in der östlichen Ver-
längerung der Lippe- und der Emsstrafse lag. Denn wollte man glau-
ben, es habe südlich von der Lippe gelegen im Haarstrang oder an der
Möne, so müfste mau zugestehen, dafs Germanicus, bei seinem Feldzuge
gegen die Chatten und besonders bei seiner Befreiung des Sogest, dieser
Örtlichkeit viel näher gekommen sein würde, als bei dem Feldzuge ent-
lang der Ems. Dasselbe würde der Fall sein, wenn man die Sumpf-
und Waldgegend bei Beckum, die zwischen Ems und Lippe liegt, für
den Teutoburgiensis saltus halten wollte. In beiden Fällen würde fer-
ner der Rückmarsch vom Schlachtfelde im Jahre 15 sich anders ge-
staltet haben, als er ann. l, 63 ff. erzählt wird. Caecina, der sein Heer
auf dem Landwege nach Vetera und Köln bringen sollte, würde, falls
das Scl)lachtfeld südlich der Lippe lag, die Lippestrafse eher erreicht
haben als die Ems, und zwar noch mit Germanicus vereinigt. Lag das
Schlachtfeld nördlich der Lippe, bei Beckum, so war ihm ebenfalls die
Lippestrafse leicht erreichbar; denn die Beckumer Berggegend liegt nur
eine Meile von derselben entfernt; auch in diesem Falle würde er nicht
erst au die Ems mit marschiert sein, und falls er dennoch das Heer
des Germanicus bis zur Ems begleitet hätte, so hätte er bei dem Rück-
marsch zur Lippestrafse nicht auf einen halb verfallenen, lange Zeit
unbenutzten Weg (des Domitius) zu gerathen brauchen, sondern er konnte
denselben Weg wählen, welchen er soeben mit dem gesamten Heere
passiert hatte. Die Lippestrafse selbst aber hatte Caecina erst im Früh-
jahre desselben Jahres wiederholt beschritten, als er dem gegen die
Chatten operierenden Germanicus den Rücken gegen die Cherusker und
Marsen deckte oder den Segestes befreite. Auch hier konnte er den
verfallenen Weg des Domitius nicht antreffen. Die Situation des Cae-
cina auf seinem Rückmarsche von der Ems zur Lippe (oder nach Vetera)
verbietet also, das Schlachtfeld südlich der Lippe oder zwischen Lippe
und Ems anzujetzten; ebenso macht der Umstand, dafs Caecina und
Germanicus wiederholt in dieser Gegend operiert hatten, ohne in die
Nähe des Varusschlachtfeldes zu kommen, beide Annahmen unmöglich.
Nur das östliche Gebirge, der Teil des Osnig zwischen dem Bielefelder
und dem Altenbekener Passe, auf welches die Lippe- und die Ems-
strafse in ihrer Verlängerung führen, entspricht genau allen Angaben
über die Lage des Teutoburgiensis saltus und den damit in Verbindung
stehenden historischen Vorgängen. Aufser diesem Theile des Gebirges
10*
148 Römische Geschichte und Chronologie.
kann nur noch die westliche Fortsetzung zwischen Bielefeld und Iburg,
also der nördlich von der Ems gelegene Teil des Osnig in Betracht
kommen, aber nur dann, wenn Aliso so weit . westlich lag, dafs von die-
sem Gebirge die nächste Verbindung mit dem Rhein ebenfalls über Aliso
führte, etwa bei Haltern. Die Unmöglichkeit einer solchen Lage, nur
fünf Meilen vom Rhein entfernt, ergiebt sich aus der Länge des Mar-
sches, welchen die flüchtige Besatzung (im Winter 9/10) zu machen
hatte, ferner aus dem Umstände, dafs Asprenas den Eingeschlossenen
nicht zuhilfe kam, obwohl ihn kein feindliches Heer daran hinderte. Dafs
Aliso nur an der oberen Lippe gelegen haben kann, sucht der Verf. im
zweiten Teile »Aliso« zu erweisen. Er untersucht den Bericht über die
Gründung und entnimmt diesem, dafs der Ort nahe dem Cheruskerlande
d. h. an der oberen Lippe so weit östlich wie möglich gesucht werden
müsse. Alsdann widerlegt er die Einwendungen , welche im Interesse
anderer Hypothesen gegen diese Lage vorgebracht wurden; dieselben
zerfallen teils in nichts, zum Teil beruhen sie auf irrtümlichen Voraus-
setzungen. Endlich zieht er, an der Lippe aufwärts gehend, alle Punkte
in Betracht, welche bisher für Aliso vorgeschlagen sind; denn mit den
bisherigen Vorschlägen ist auch die Reihe der Möglichkeiten erschöpft.
Keiner entspricht so den Angaben wie der Ort Neuhaus an der Lippe-
Alme-Münduug. Denn von ihm gilt das acpiaiv imzEiyJaat^ das Winter-
lager ad Caput Lupiae, es ist der äufserste Punkt römischer Befesti-
gungen (cuncta inter castellura Alisonem ac Rhenum novis limitibus
aggeribusque permunita), der Name Aliso -Elsen, '£-^«Ta>v- Eller; seine
Lage ist unangreifbar, es wird nach den Operationen gegen die Cherus-
ker aufs neue besetzt, der LTnwille der Cherusker über neue Kolonieen,
endlich die Richtung der alten Strafsen von Mainz, Köln, Vetera. Wenn
aber Aliso an dieser Stelle zu suchen ist, dann ist auch der Lippische
Wald als Teutoburgiensis saltus mit voller Bestimmtheit erwiesen.
Im dritten Teile werden die Münzfunde von Barenau kritisiert.
Der Verf. bringt eine Reihe erheblicher Einwände gegen Mommsen vor
und gelangt zu dem Ergebnisse: Es geht also nicht an, die Münzfunde
bei Vennen, Barenau u. s. w. als die Spuren einer römischen Niederlage
anzusehen. Höfer ist eher geneigt anzunehmen, dafs die Auffindung der
Münzen auf einem weiten Räume, ohne andere Metallreste, speciell ohne
andere römische Spuren aus einem feindlichen Überfall einer Hütten-An-
siedluug mit Mord, Plünderung und Brand zu erklären sei. Da er der
Ansicht ist, dafs die Gegend imi Barenau, in welche Mommsen das Va-
russchlachtfeld verlegte, in das Angrivarengebiet gehört, so will er jenen
Überfall mit Brand und Mord dem Stertinius (ann. 2, 8) zuschreiben,
der auch noch einmal nachher gegen sie Krieg führte. Das Geld der
erschlagenen Angrivaren, das unter der Asche der verbrannten Hütten
liegen blieb, ist es, welches hin und wieder zutage kommt. Sehr wahr-
scheinlich ist gerade diese Darstellung des Hergangs nicht, wenn sie
7. Zeit der Julier, Claudier, Flavier und Antonine. 149
auch nicht als unmöglich bezeichnet werden kann. Lesenswert ist in
diesem Abschnitt auch, was der Verf. über die eine grofse Rolle spie-
lenden Bohlbrücken sagt.
Der vierte Teil erörtert die »Quellen zur Varusschlacht«. Der
Verf. stellt sich hier auf den Standpunkt von Schierenberg und von
Ranke, indem er Florus, Velleius, Frontin und Tacitus allein als Quellen
berücksichtigen will und den Bericht des Dio völlig verwirft. In aus-
führlicher Untersuchung vergleicht er den Inhalt der einzelnen Quellen
und betont besonders die unlösbaren Widersprüche, welche Dio mit den
Angaben der älteren römischen Schriftsteller enthält. Dieser Teil ist
nicht von Willkürlichkeiteu frei, und insbesondere für den Vorschlag das
taciteische prima Vari castra als dasjenige Lager aufzufassen, »welches
Varus ursprünglich inne gehabt« , wird der Verf. keine grofse Zustim-
mung erwarten dürfen.
Nach diesem Ergebnisse der Quellenkritik wird im fünften Teile
»der wahre Hergang der Varusschlacht« geschildert. Danach standen
die Cherusker in einem Bundesgenossenverhältnisse zu den Römern, das
Varus in ein tributäres umwandeln wollte, indem er zugleich die höchste
Gerichtsbarkeit für sich beanspruchte. In diesem Versuche, servitus an
Stelle des Bündnisse zu setzen,* erkannten die Cherusker Bruch des
Bündnisses und Mifsbrauch des Vertrauens: die Römer waren fortan
ihre Feinde. Die Cherusker, von Armin beraten, beschlossen, sich des
Varus, der durch Vertrauensbruch eine feste Stellung mit gesicherten
Verbindungen mitten in ihrem Lande erlangt hatte, so rasch als mög-
lich zu entledigen. Man baute den Plan dazu auf die Unvorsichtigkeit
des Varus, Zuhörer und Zuschauer zu seinen Oerichtssitzungen zuzu-
lassen. Indem die Germanen auch ihre eigenen Rechtshändel dem Statt-
halter zur Entscheidung vortrugen, verführten sie ihn zu der höchsten
Sorglosigkeit. Er berief entweder selbst die Cherusker zusammen oder
entbot ihre regelmäfsige Versammlung vor seinen Richterstuhl, in der
die Männer bewaffnet zu erscheinen pflegten. Bei dieser Gelegenheit
sollte der Überfall ausgeführt werden. Trotz der Warnung des Segest
zögerte Varus mit der Verhaftung Armins und hielt am Tage nach der
Warnung einen Gerichtstag ab. Bei dem Heroldsrufe stürzten sich die
Germanen auf die römischen Offiziere, töteten die drei Legaten und ver-
wundeten Varus; bald war das Lager genommen. Man kann dem Verf.
zugeben, dafs er gezeigt hat, wie viel die Überlieferung wert ist; aber
dafs er ein wahrscheinliches Bild des Hergangs geschaffen habe, kann
man nicht behaupten. Ungefähr 30,000 Mann standen in dem Lager.
Wenn man nun auch es für möglich hält, dafs die Cherusker dem Ge-
richtstage beiwohnten, wenn man auch annehmen will, dafs keinerlei
Vorsichtsmafsregeln für eine so grofse Versammlung getroffen gewesen
seien — lauter Unwahrscheinlichkeiten — wie soll man es für möglich
halten, dafs vonseiten der römischen Soldaten gar kein Versuch ge-
150 Römische Geschichte und Chronologie.
macht wurde, die Letzteren, die doch im besten Falle nur einige Tau-
send waren, niederzumachen oder aus dem Lager zu vertreiben? Wo
waren diese 30,000 Mann unterdessen? Gaben sie ohne Bedenken das
sichere Lager für eine unsichere Flucht auf? Und der Verf. nimmt
doch selbst an, dafs Varus noch einen Teil der Truppen gesammelt und
aus dem Lager geführt habe. Kurz die Zahl der Unmöglichkeiten,
mindestens aber der Unwahrscheinlichkeiten ist so grofs, dafs wohl
wenige Leute sich entschliefsen werden, diesen Hergang als den wirk-
lichen anzunehmen. Es geht dem Verf. eben, wie bis jetzt so ziemlich
allen, die es unternommen haben, aus den Quellen den wirklichen Vor-
gang in Einzelheiten darstellen zu wollen; es fehlt hierzu an jedem An-
halt. Die negative Kritik ist immer das wertvollste an diesen Unter-
suchungen, da sie allmählich den Kreis der Möglichkeiten immer mehr
einengt. Diejenigen werden recht behalten, welche behaupten, dafs ohne
eine sorgfältige Beschreibung und Zusammenstellung aller Funde und
ohne neue wichtige Funde ein endgiltiges Ergebnis nicht zu erreichen
ist. Der Verf. hat gerade nach der letzterwähnten Richtung sich un-
zweifelhaft Verdienste erworben. Seine Sammlungen von Münzfunden
sind recht verdienstlich, und auch der sechste und letzte Teil seiner
Schrift »Erforschung des Schauplatzes« darf in dieser Richtung nicht
übersehen werden. Als Ergebnis der früheren Kapitel stellt der Verf.
den Satz auf: der Schauplatz der Varusschlacht mufs in der östlichen
oder nordöstlichen Verlängerung des Raumes gesucht werden, welcher
zwischen der oberen Ems und der oberen Lippe liegt. Um nun die
Stätte zu bestimmen, schlägt der Verf. Nachgrabungen vor. Von Münz-
funden allein erwartet er nicht viel Aufklärung. Dagegen hat man im
Lippeschen Walde menschliche Gebeine, Waffen und Münzen gefunden,
und nach solchen vereinigten Fundzeugnisseu müfste zielbewufst ge-
forscht werden. Dazu kann die Kenntnis der alten Strafsenzüge hülf-
reich werden. Der Verf. stellt eine Anzahl von Fundberichten aus dem
Lippischen zusammen und deduciert aus der Vergleichung der alten
Strafsenzüge, das Sommerlager des Varus sei an der von Aliso durch
die Dörenschlucht führenden Strafse gelegen gewesen, und zwar in der
Gegend von Heerse gegenüber von Schötmar, genauer auf der Strecke
zwischen Heerse bis Iggenhausen und Pottenhausen (allenfalls bis Lage)
wahrscheinlich auf der linken Seite der Werre; das ist eine Strecke von
3/4 Meilen Länge. Hier hat man einen Bohlweg gefunden, ein römisches
Schwert und einen Steinmeifsel, am Ausgange des Thaies Römermün-
zen aus der Zeit des Augustus; auch der Name »in den Welschen« weist
auf römischen Zusammenhang. Hier hält der Verf. weitere Nachgra-
bungen für angezeigt. Von der Expedition des Germanicus entwirft er
folgendes Bild. Caecina wurde von der oberen Ems bei Rietberg vor-
ausgeschickt, um den Weg zur Unglücksstätte zu ermitteln, die Strafse
auch für Reiterei und Wagenpark zugänglich zu machen und Mafsregeln
7. Zeit der Julier, Claudier, Flavier und Antonine. 1 5 1
gegen etwaige Überraschungen zu ergreifen. Da die Absicht war, die
Gebeine der Gefallenen zu bestatten, mufste man den Weg der Schlacht
und der Flucht von Anfang bis zu Ende verfolgen. Caecina mufste des-
halb zunächst den Weg bis zum Varuslager herstellen, und schon hier
wird er Brücken und Dämme über Sümpfe und trügerische Felder haben
legen müssen.. Denn zwischen dem Pafs und der Werre befindet sich
noch jetzt der Mackenbruch, der Ehlenbruch, die Geesterlacke, die Sumpf-
niederung bei Heipke. Der Weg vom Gebirge bis zum Unglückslager
ging nach Nordosten und betrug etwa eine Meile. Hier traf man die
alte Strafse von der Weser nach Aliso. Indem man die deutlichen
Spuren des Kampfes und der Flucht nach Süden zu durch offenes Feld
verfolgte, näherte man sich wieder dem Gebirge, welches von Nord-
westen nach Südosten streicht, und traf nach l^/a Meilen bei den ge-
nannten Sümpfen (in der Gegend von Stapelage) die zweite Verschan-
zung. Die Untersuchung des Gebirges hatte ergeben, dal's mau von
diesem Punkte in iVa Stunden zu dem Pafs von Örlinghausen und auf
die dortige Strafse zurückkehren könne, wenn man durch jenes sumpfige
Thal zwischen Tönsberg und Barkliauser Berg »in den Welschen« einen
Weg herstellte. Diesem Zwecke verdankte der Bohlweg seine Entstehung,
der besonders für die Reiterei und den Wagentrofs berechnet war. Ich
möchte mir die Frage erlauben, ob es wohl wahrscheinlich ist, dafs
Caecina, um dem Heere einen Umweg von 2V3 Meilen zu ersparen, einen
Bohlweg herstellte, der mindestens einige Tage zu seiner Herstellung
erforderte? Der Kampf, den Caecina bei seinem Rückmarsch über die
pontes longi des Domitius zu bestehen hatte, trug sich zwischen der
Ems und der Lippestrafse zu, wahrscheinlich zwischen Rietberg und
Liesborn oder zwischen Wiedenbrück und Dolberg. Ähnlich wie Schie-
renberg verwendet auch Höfer die Edda zur Bestätigung seiner Hypo-
thesen: die Gnitaheide, wo Sigard den Fafnir erschlug, erkennt er in
der Knetterheide, die von dem isländischen Abte Nicolaus damit in Ver-
bindung gebrachten Orte Horns und Kilian findet er in dem Orte Hören-
trup und Schötmar bei Heerse, auch er erblickt in der Sage die Nieder-
schläge des Kampfes der Germanen gegen die Römer.
In einem Anhange wird einzelnes begründet, sonst hauptsächlich
Polemik geübt gegen dem Verf. entgegentretende Ansichten, besonders
gegen Mommsen und Zangemeister. xVuch einige Einwände, die ich
Jahrb. 1885, 262 ff. erhoben habe, werden piquiert zurückgewiesen. Doch
haben mich die Gegengründe nicht überzeugt. 1) Glaube ich auch jetzt
noch nicht, dafs bei militärischen Expeditionen Worte wie Caesar
transgressus Visurgim auf den Übergang des Einzelnen, hier des
Germanicus, bezogen werden können, sondern ich behaupte, dafs hier
unbedingt an das Heer gedacht werden mufs. 2) Auch die Anführung
Frontins 2, 3, 23 beweist nicht, dafs Germanicus die Reiterei zur Nacht-
zeit in unbekanntem Hochwalde bergan vorgehen liefs; seine Notiz
152 Römische Geschichte und Chronologie.
bestätigt nur, dafs die Verwendung der Reiterei zu Fufs ein singu-
läres Ereignis war; sonst hätte Froutin nicht die Mafsregel des Augustus
als etwas Besonderes angeführt. Aber das erwähnt er nicht, dafs die
Reiterei durch den Hochwald auf den Kamm des Gebirges reiten
mufste; in solchen Fällen hätte Froutin jedenfalls nicht etwas Singuläres,
sondern etwas Unerhörtes gefunden. 3) Der Verf. entnimmt aus den
Worten Tacitus anu. 2, 16 editis in altum ramis et pura humo inter
arborura truncos, mein Einwand, dafs auch der Hochwald Unterholz
enthalte, sei gegeustandlos. Germanicus konnte aber doch, als er die
Reiterei zur Nachtzeit absandte, gar nicht wissen, wie die Situation
im Innern des Waldes war; dies enthüllte sich erst später; ein Feldherr
in Germanien mufste aber doch auch auf Unterholz gefafst sein. Denn
wie Tacitus ann. 2, 14 zeigt, waren nach Germanicus eigener Ansicht
enata humo virgulta im germanischen Walde etwas Gewöhnliches, ja
Regelmäfsiges.
So ist auch diese Schrift da, wo sie lokale Anschauung verwertet
und Zusammenstellung von Funden liefert, wertvoll ; dagegen wird man
die positiven Konstruktionen nur mit gröfster Vorsicht aufnehmen dürfen.
Eine Lösung der Frage, wo das Varusschlachtfeld zu suchen sei, bringt
sie in unbedingt überzeugender Weise auch nicht.
Otto Dahm, Die Hermannschlacht. Vortrag gehalten im Februar
1886 im Geschichtsverein zu Hanau. Hanau 1888.
Der Verf. hat schon die Hauptpunkte im Jahre 1886 veröffentlicht
(Jahresb. 1887, 312). In dieser Schrift werden ausführlichere Entwick-
lungen gegeben.
v. Sondermühlen verlegte die Schiacht zwei Meilen nöi'dlich von
Osnabrück auf das sogenannte Wittefeld, Mommsen in die unmittelbare
Nachbarschaft des von jenem angenommenen Schlachtfeldes. Der Verf.
rekognoscierte im Jahre 1885 die ganze in Frage kommende Gegend
(Egge-Gebirge und die lippischen Berge, die Gegend von Detmold, Hörn,
Paderborn, Elsen, Lippstadt und Haltern, den Lauf der Ems, die Senne,
die Dören- und die Bielefelder Schlucht, das Flufsgebiet der Werre, Ala,
Hase und Else, sowie endlich die Umgegend von Rehme, Minden, ßücke-
burg und Osnabrück). Dabei fiel ihm namentlich auf, wie wenig die
meisten Forscher bei ihren Hypothesen der Beschaffenheit des in Frage
kommenden Terrains Rechnung getragen haben. Bei der Beschaffenheit
der germanischen Wege ist nur denkbar, dafs die Züge der Römer fast
ausschliefslich in den Flufsthälern erfolgten. Hält man dies fest, so ist
die Zahl der möglichen Marschlinien sehr beschränkt. Der Verf. giebt
alsdann eine kurze Darstellung über die Beziehungen der Römer und
Germanen und stellt die Quellennachrichten zusammen, unter denen er
Dio die gröfste Bedeutung beilegt. Der Weg von der oberen Lippe zur
Weser führte nach der Werremündung, und hier ist das Sommerlager
7. Zeit der Julier, Claudier, Flavier und Antonine. 153
des Varus zu suchen; doch kann es auch bei Vlotho, Varenholz oder
noch eine Strecke weiter aufwärts gewesen sein. Von hier richtete nun
Varus seinen Zug in die Gegend von Barenau; bezüglich des Ortes der
Katastrophe stimmt Dahm Mommsen bei, obgleich er Einzelheiten nicht
anerkennen kann. Aliso sucht der Verf. am unteren Laufe der Lippe,
weder an der Glenne-Mündung, noch bei Elsen. Er erwartet hierüber,
wie über den Ort der Varusschlacht von systematischer Durchforschung
der römischen und germanischen Befestigungen und Strafsenzüge weitere
Aufklärung.
PaulBaehr, Die Örtlichkeit der Schlacht auf Idistaviso. Halle 1888.
Der Verf. verlegt mit Knoke die Varusschlacht in die Gegend von
Iburg. Auch darin ist er mit jenem einverstanden, dafs Germanicus von
Iburg nordostwärts weiterzog und nach Überschreitung des Wiehengebirges
an dessen Nordrande mit Armin kämpfen mufste ; dieser Kampf fand
wahrscheinlich in der Gegend von Lübbecke statt, während Caecinas
Kampf wohl in der Gegend von Barenau zu verlegen ist. Germanicus
ging über Brägel zurück, während Caecina den Weg durch und um das
Dammer Moor einschlug. Hier wurde er von den Germauen überfallen.
Um nun zu entscheiden, ob Idistaviso auf dem rechten oder linken
Ufer der Weser, oberhalb oder unterhalb der Porta zu suchen ist, mufs
man den Weg nachweisen, auf dem die Römer von der Ems bis zur
Weser marschiert sind. Germanicus hatte als nächstes gröfseres Ziel
die Weser zwischen Minden und der Porta im Auge; die Hauptrichtung
des Marsches mufs also von Nordwesten nach Südosten gewesen sein,
wobei man das Gebirgsland, soweit es die militärische Situation erlaubte,
zu vermeiden suchte. Die Römer zogen auf dem rechten Ufer der Ems
bis Lathen, überschritten dann das Dosen -Moor bei Sprakel, drangen
bis Löningen vor und marschierten an der Hase aufwärts bis Essen,
wo die Flotte höchstwahrscheinlich den Proviant und das Armeematerial
gelandet hatte. Von diesem Magaziuplatze wird Germanicus über das
Daramer Moor, Hunteburg, Levern, Lübbecke nach Minden gelangt sein.
Ein kürzerer Weg wurde bis jetzt nicht in Vorschlag gebracht, ist auch
wohl nicht gut denkbar. Den Teil bis Essen hatte schon Knoke in
Vorschlag gebracht. Dafs der Verf. sich ihm für die Fortsetzung des
Weges nicht anschliefst, dazu bewegen ihn die »unzweifelhaft echten
römischen Brücken (pontes longi) zwischen Damme und Hunteburg, die
1887 gefunden worden sind«.
Idistaviso ist die Ebene, welche von der damals in Windungen
sich hinschlängelnden Weser zwischen Porta und Minden im Westen
und von den Nammer Bergen und dem Hügelrücken, auf dem Röcke
liegt, im Osten begrenzt wird. Der Harri würde der Wald sein, der
sich im Rücken noch über die Hügel erhob. Die römische Schlacht-
linie, deren Front sich nach Südosten richten mufste, lehnte sich mit
154 Römische Geschichte und Chronologie.
dem rechten Flügel an die Weser, südlich von den Befestigungen (prae-
sidiis) an, der linke Flügel reichte etwa bis Dankersen. Die Germanen
hatten ihre Schlachtordnung etwa von Lerbeck bis zur Klus. Zum
Schlüsse widerlegt der Verf. noch einige Hypothesen von Knoke.
Giebl mau dem Verf. zu, dafs Germanicus als Ziel Minden im
Auge hatte, so wird man seiner Beweisführung beitreten müssen; aber
woher weifs man, dafs dies in der That der Fall war?
Hettner, Römische Inschrift aus Trier. Korr.-Bl. d. Westd. Z. 7,
166—173.
Der Verf. hat eine Inschrift entdeckt, die er ergänzt: | pro salute !
L. CAESARIS AV(g. f. auguris. cos. design.) PRINCIPIS (inventutis).
Sic wäre, wenn die Deutung richtig ist, die älteste Trierer Inschrift und
würde beweisen, dafs die römische Neugründung der Stadt noch unter
Augustus erfolgte.
Chr. Hülsen, Neues Fragment der Arvalakten. Berl. philol.
Wochenschr. 1889 S. 42.
Einen lehrreichen Beitrag zur verfassungsmäfsigen Regierung des
Tiberius liefert ein 1888 in einer Vigna an der via Flaminia gefundenes
Fragment der Arvalakten aus den Jahren 20 und 21 n. Chr. Hier steht
in der Formel, mit welcher der magister collegii die Jahresfeste indi-
ciert, der Name des Kaisers erst nach dem des Priesterkollegiums, wäh-
rend er sich seit Gaius Caesar an erster Stelle befindet.
Die Abhandlung von
Dumeril, Tibere. Ann. de la faculte des lettres de Bordeaux
1888 No. 2
ist mir nicht erreichbar gewesen.
Fritz Abraham, Tiberius und Sejan. Progr. d. Falk-Real-G.
Berlin 1888.
Der Verf. stellt in einer kurzen Einleitung die staatsrechtlichen
Verhältnisse beim Tode des Augustus dar. Wie Fürst und Senat sich
zu einander stellen würden, davon hing die künftige Entwicklung ab.
Da hierbei die Person des ersteren von entscheidendem Einflufs war, so
giebt Abraham eine Darstellung der persönlichen Eigenschaften des Ti-
berius. Wir heben daraus hervor, dafs, wenn die Nachrichten über
spätere Ausschweifungen desselben teilweise begründet sind, letztere
jedenfalls keinen Einflufs auf seine Regcntenthätigkeit geübt haben. So-
dann wird betont, dafs er keine oder nur geringe Erfahrung in den
inneren Angelegenheiten, sowie in den Verhandlungen mit dem Senat
gehabt habe.
7. Zeit der Julier, Claudier, Flavier und Antonine. 1 55
Diese Ungewandtheit zeigte er sofort bei dem Regierungsantritte,
wo er durch sein Zögern bei der Übernahme der Regierung den Senat
veranlassen wollte, ihm die Regierung durch einen besonderen ßeschlufs
zu übertragen. Aber der Senat wollte diese Absicht nicht verstehen;
dies war die Signatur seiner Haltung während der ganzen Regierung:
unterwürfig gegen Befehle, widerspenstig, wenn die Zügel nachgelassen
wurden. Dazu wankte der Gehorsam des Heeres; seine Mutter erhob
Anspruch auf Mitregierung. Diese Schwierigkeiten wurden gesteigert durch
die Prätendentenstellung der Familie des Gernianicus, und sie wurden
nicht gemindert durch das Verhalten der kaiserlichen Anhänger, die - wie
Abraham nach seiner früheren Arbeit für feststehend hält (vgl Jahresb.
1885, 269) — sich gegenseitig befehdeten. Die grofsen Verdienste des
Kaisers in der Provinzial-, Finanz- und Heeresverwaltung blieben bei
der stadfrömischen Aristokratie unbeachtet. Zwar brachte der Kaiser
in den ersten Jahren seiner Regierung alles an den Senat und liefs
demselben freie Entscheidung, nach Abrahams Vermutung, um ein Gegen-
gewicht gegen die aufrührerischen Legionen zu gewinnen. Aber er that
dies widerwillig, weil er sah, dafs seine Stellung dadurch nicht besser,
seine Person nicht beliebter wurde.
Sejan benutzte diese Stimmung, um dem Kaiser zur Vereinigung
der Garde in Rom zu raten, wodurch er selbst der zweite Mann im
Staate ward. Die Entfernung aus Rom um 26 war wohl Tiberius'
eigenster Entschlufs , der sich dadurch seiner Mutter und den Klagen
der Agrippina entzog, zugleich aber auf dem Wege schriftlichen Ver-
kehrs den Senat entweder zum Gehorsam oder zur offenen Opposition
nötigte. Die um dieselbe Zeit eintretende häufigere Anwendung des
Majestäts-Gesetzes ist Sejans Werk, der kühn und rücksichtslos war.
Derselbe ging jetzt auf den Thron los, beseitigte Drusus und wufste be-
züglich der Familie des Gernianicus den Kaiser zu überzeugen, dafs
seine eigene Herrschaft durch dieselbe bedroht sei. Diese Insinuation
war teilweise begründet. Nach dem Sturze der julischen Familie hatte
Sejan thatsächlich die Herrschaft, und da Tiberius ihm die Nachfolge
nicht zuwenden wollte, gedachte er sie mit Gewalt zu erringen. Als ihn
der durch Antonia gewarnte Kaiser mit List gestürzt hatte, da liefs er
sich zu erbarmungslosem Wüten gegen alle Hochgestellten hinreifsen.
Unter dem Eindrucke der letzten Jahre wurde sein Bild für die Nach-
welt gezeichnet.
Die Ergebnisse stimmen in allen wesentlichen Punkten mit der
von mir in der Römischen Kaisergeschichte gegebeneu Darstellung überein.
W. Ribbeck, Der Sturz der Messalina und die Phädra dos Se-
neca. Zeitschr. f. Gesch. und Polit. 1888 S. 608 — 615 und Rhein.
Mus. 43, 636.
Nach des Verf.'s Ansicht haben wir ein gleichzeitiges Zeugnis über
den Eindruck, den das wahnsinnige Unternehmen der Messalina, sich
156 Römische Geschichte und Chronologie.
bei Lebzeiten des Claudius mit C. Silius zu verheiraten, auf die Mitwelt
hervorbrachte, in Seneca's Bearbeitung der Euripideischen Phcädra, wel-
che als ein Pamphlet des durch Messalinas Einflufs nach Korsika ver"
bannten Philosophen zu betrachten ist. Der Chorgesang v. 967 RP
wird direkt auf die Ehe der Messaliua bezogen und soll zu einer Zeit
entstanden sein, wo sie sich noch im Vollbesitze der Macht befand.
Andere Stellen scheinen erst nach ihrem Sturze gedichtet zu sein.
Callegari, Fonti per la storia di Nerone. Atti dell' Istit. Veneto
1888 N. 8. 9.
Bringt nur Bekanntes.
K. Zangemeister, Zur Geschichte der civitas Treverorum. Korr.
Bl. d Westd-Z. 7, 50—55.
Auf einer Mainzer Legions-Inschrift, die nach dem 19. Februar 197
errichtet ist, wird die civitas Treverorum in obsidione ab ea defensa er-
wähnt; wahrscheinlich fällt ihre Errichtung Ende 197 oder Anfang 198.
Man hat die civitas Treverorum auf die Stadt Trier bezogen. Zange-
raeister sucht nachzuweisen, dafs dies nicht möglich sei, sondern es sei
hier das Gebiet der Treveri zu verstehen. Den Hergang denkt er sich
so : Li dem Bürgerkriege zwischen Severus und Albinus drangen Ger-
manen über den Rhein vor. Die Treveri verteidigten ihr Gebiet und
verschanzten sich wie einst im Jahre 69/70, benutzten auch die vielleicht
damals (Tac. bist. 4, 37) angelegten Linien. Ihre Verschanzungen wurden
angegriffen, sie wurden in die Lage einer Blokade versetzt. In dieser
Bedrängnis kam ihnen die 22. Legion zu Hilfe, welche vermutlich nach
der am 19. Februar 167 erfolgten Niederwerfung des Albinus nach
dem Rheine zurückkehrte. Für diese Hilfeleistung brachte die Treverer-
Gemeiude ihre Dankbarkeit zum Ausdruck durch das in Mainz errich-
tete Denkmal.
A. Die penbrock, L. Annaeus Seneca. Diss. Amsterdam 1888.
Die Schrift enthält folgende Kapitel: Origo, tirocinium et iuventus,
Seneca Senator, Seneca exul, Educator Neronis, Seneca et Agrippina,
Quinquennium Neronis, Discidium et discessus, finis. Bezüglich der Lebens-
daten und der chronologischen Ansetzung der Schriften schliefst sich
der Verf. bisweilen an Lehmann an. Doch hat er selbständig die Quellen
durchforscht und nicht ohne Scharfsinn verwertet. Dies zeigt sich an
dem grundsätzlichen Unterschiede, dafs er nicht mit Lehmann glaubt,
Senecas wirkliche Denkweise lasse sich aus seinen Schriften illustrieren.
Im Gegenteile, er hält Leben und Schriften für sehr verschiedene Dinge.
Schon im Jahre 39 stand Seneca auf Seite der Agrippina, die damals
durch ihren Buhlen Lepidus die Herrschaft zu erlangen gedachte. Die
Verbannung nach Korsika (Ende 41) hält der Verf. ebenfalls für ver-
7 Zeit der Julier, Claudier, Flavier und Antonine. 157
dient, da er an ein unerlaubtes Verhältnis Senecas zu Livilla glaubt. Als
Neros Lehrer leitete er wesentlich dessen rednerische Bildung, während die
philosophischen Studien dem Chaeremon und Alexander überlassen blieben;
die unrömische Denk- und Handlungsweise ist Senecas Werk, der ein
Spanier war und blieb. Um den Mord des Claudius wufste er; gleich
nachher begann er den Kampf gegen die Herrschergelüste der Agrippina
durch Begünstigung der Liebschaft mit Acte. Nach Brittanicus' Ermor-
dung schrieb er die kaiserliche Bekanntmachung, und zehn Monate
später widmete er Nero die Schrift de dementia. An Agrippinas Er-
mordung trifft ihn sicherlich die Schuld der Mitwisserschaft; ebenso ist
er an der Pisonischen Verschwörung beteiligt gewesen.
Der Verf. ist überall bemüht, den Gegensatz zwischen Worten
und Thaten Senecas hervorzuheben; vielleicht geht er darin zu weit.
Wertvoller sind seine Versuche, aus der Geschichte die einzelnen Schriften
zu bestimmen; doch dies gehört mehr in die Litteratur- als in die politi-
sche Geschichte. Die eigentümliche Latinität erleichtert das Studium der
fleifsigen Schrift nicht.
E. Klebs, Die Vita des Avidius Cassius. Rhein. Mus. 43, 321 — 346.
Die Vita des Avidius Cassius ist für die Komposition der Kaiser-
biographieen und die Art ihrer Quellen sehr lehrreich. Den historischen
Kern bildet ein kurzer Bericht über den Aufstand des Avidius, welcher
zum gröfsten Teil mit wörtlichen Übereinstimmungen sich in der Vita
Marci (c. 24, 6 = c. 26) findet. Aber beide Verf. haben nicht mehr Ma-
rius Maximus selbst, sondern nur noch einen Auszug aus ihm benutzt,
den sie im engsten Anschlufs an den Wortlaut und den Umfang fast
unverändert abschrieben. Überhaupt gilt für die Kaiserbiographieen,
dafs sie eine reine Excerptenlitteratur darstellen, aber meist laufen sehr
verschiedenartige Excerptreihen neben und durcheinander. Man darf
Marius Maxiraus nicht auf gleiche Stufe für die Benutzung durch diese
Späteren stellen, wie etwa Livius und Dio ; ja selbst mit Sueton ist er
kaum zu vergleichen. Der Rest der Vita, der nach Ausscheidung jener
Partie verbleibt, besteht zum gröfseren Teil aus angeblichen Aktenstücken,
Briefen und Acclamatiouen des Senats. Man hält sie allgemein für
Fälschungen; der Verf. versucht aber den Nachweis, dafs dieselben sämt-
lich von einem einzigen Fälscher herrühren. Er verfolgt die sachlichen
und sprachlichen Anzeichen und erkennt in der Arbeit die Phantasie
eines Rhetors über das Thema: Avidius Cassius, der strenge republi-
kanische Staatsmann, und Marcus, der milde Philosoph auf dem Thron;
den ersten Anlafs zu der Antithese gab natürlich der Name (Cassius
Severus) ; dazu kam die traditionelle Verwilderung und Verlotterung des
syrischen Heeres. Die ganze Fälschung ist der zweiten Hälfte des
dritten Jahrhunderts zuzuweisen; ihr Urheber war Lollius Urbicus.
Manche dieser Fälschungen in den Kaiserbiographieen zeigen Einwir-
158 Röiuiscbe üescbichte und Cbronologie.
kung oder Darstolhiiig politischer Ideen z. ß. des Soldatenkaisertums,
des Gegensatzes einer Seiiatsherrschaft u. s. w.; die Fälschungen der
Vita des Avidius Cassius zeigen keine Spur derartiger Anschauungen.
So sicher, wie der Verf. meint, ist die Einheit der Person des Fäl-
schers noch nicht erwiesen; er selbst mufs zugeben, dafs mitunter eine
andere Schablone erscheint ; man kann mit ebensoviel Recht sagen, eine
andere Hand, ein anderer Geist, eine andere Quelle. Die Mache mag
ja vielfach ähnlich sein ; aber gerade in einer ideenarmen Zeit wird die-
selbe bei ganz verschiedenen Persönlichkeiten übereinstimmen. Über-
haupt wollen alle diese Quellenuntersuchuugen zu viel beweisen, und
deshalb kommt jede zu einem anderen Resultate; die Subjectivität spielt
eine zu grofse Rolle.
G. Lacour- Gayet, Antonin le Pieux et son temps. Essai sur
l'histoire de l'Empire Romain au milieu du deuxieme siecle. (138 — 161).
Diss. Paris 1888.
Der Verfasser vermifste eine Monographie über Antoninus Pius
und will diese geben; wie es fast stets der Fall sein wird, ist ein Zeit-
gemälde daraus geworden, dessen gröfster Teil auch auf andere Regie-
rungen sich erstreckt. Die Bibliographie und die Quellenkritik geben
nur Bekanntes. In Kap. 1 wird die Vorgeschichte des Kaisers bis zu
seiner Thronbesteigung dargestellt, man wird auch nicht die unwesent-
lichste Kleinigkeit der Überlieferung darin vermissen. In Kap. 2 wird
der Charakter der Regierung des Pius im allgemeinen dargestellt. Der
Kaiser wird als ein einfacher Mann, voll Hingebung an seine Aufgabe
und conservativ geschildert Aus der Erwähnung der Vota soluta und
suscepta deceunalia zieht der Verf. den Schlufs, der Kaiser habe da-
durch dem kaiserlichen Regimente republikanischen Anstrich geben
wollen; wäre dies der Sinn, so hätten die absolutistischen Regierungen
der Folgezeit sicher den Brauch nicht beibehalten. Der Beiname Pius
soll der Tugendhafte, der Gute bedeuten. Die freundliche Haltung
gegenüber dem Senate wird durch den Umstand erklärt, dafs Pius selbst
zwanzig Jahre Senator gewesen war. Doch konnte sie den unaufhalt-
samen Verfall der Körperschaft nicht hemmen. Den Grund erblickt der
Verf. in der Aufnahme von Leuten aller Provinzen in den Senat, wo-
durch diesem seine Tradition verloren ging. Unter den Überschi'iften,
Le prince, le senat, le conseil du prince et la chancellerie imperiale, les
grauds fonctionnaires trägt der Verf. einen reichen Stoff zusammen; dafs
die Kaisergeschichte im allgemeinen dadurch gefördert wäre, kann man
nicht sagen; denn es handelt sich überall um Einzelfälle, welche nur
Bekanntes belegen. Dasselbe gilt von dem dritten Kapitel »Le peuple
de Rorae et l'approvisionnement de la capitale« , von dem vierten Ka-
pitel »les financesö, von dem fünften Kapitel »l'armee«, worin eine ganz
eingehende, fleifsige Nachvveisung über die Truppenbestände unter Pius
7. Zeit der Julier, Claudier, Flavier und Antonine. 159
gegeben ist. In Kapitel 6 giebt der Verf. eine Darstellung der Kriege
und der Barbaren unter dieser Regierung. Über Germanien spricht
er einige Hypothesen aus; bezüglich Dakiens will er an die Nieder-
werfung eines Aufstandes durch den Kaiser denken, dem eine neue Tei-
lung des Landes folgte (Porolissensis, Apulensis, Malvensis); erst weitere
Funde können über die Berechtigung der Annahme entscheiden, ße • .
züglich der ägyptischen Erhebung nimmt der Verf., wie die Berichte von
Aristides und Malalas an, dafs unter Pius zweimal solche stattfanden,
das erstemal vor 145 in unbedeutendem Umfange, das zweitemal um 154
so bedeutend, dafs der Kaiser selbst sich zur Bekämpfung aufmachte.
Das Ansehen des Kaisers bei den Nachbarvölkern wird von dem Verf.
doch wohl zu hoch angeschlagen. Kapitel 7. Travaux publics, giebt
eine sehr sorgfältige Zusammenstellung aller baulichen Unternehmungen
des Kaisers, die in Rom, Italien und den Provinzen nachweisbar sind;
die Zahl derselben ist allerdings recht erheblich. Auch die Schilderungen
der wirthschaftlichen Zustände des Reiches sind vielfach interessant, da
es gerade auf diesem Gebiete nicht an Nachrichten fehlt. Die Verwal-
tungsverhältnisse von Italien und den Provinzen werden in Kap. 9 und
10 dargelegt; hier bieten die Inschriften ein reiches Material, aus dem
der Verf. freilich bisweilen mehr herausliest, als darinnen steht. Das
11. Kapitel. »La cour imperiale et la societe Romaine« enthält nur in
der Darstellung der Familienverhältnisse interessante und individuelle
Verhältnisse; die übrigen Ausführungen über den Hof, Sklaven und Freie,
Schauspiele, sind eigentlich nach Friedländers Darstellungen wertlos.
Das 12. Kapitel. »Les arts« zeigt wieder etwas mehr individuelle Fär-
bung, indem es bestimmte Denkmäler aus der Zeit dieser Regierung ins
Auge fafst. In geringerem Mafse gilt dies vom 13. Kapitel, in welchem
die Verhältnisse in Litteratur, Philosophie und Wissenschaften geschildert
werden. Die beiden folgenden Kapitel 14 und 15 beschäftigen sich mit
den religiösen Zuständen. Auf dem Gebiete der heidnischen Religion
deren treuer Anhänger Pius war, vermag der Verf. nichts besonderes
zu bringen. Dagegen hält er ihn für einen Freund der Juden, deren
Religion er die rabbinische Restauration gestattete. Die Christen hat
er nicht verfolgt; doch ist das Schreiben an das xocvhv /imag unecht.
Die allgemeinen Ausführungen über Stellung und Zustände der christ-
lichen Kirche enthalten nur Bekanntes. Kapitel 16 giebt eine sorgfältige
Darstellung des Rechtswesens. Mit Kap. 17 »Details personuels sur An-
tonin. Sa mort« findet die Untersuchung ihren Abschlufs; ihre Ergeb-
nisse fafst ein Schlufswort zusammen. Man kann dem Verf. nur bei-
stimmen, wenn er sagt: Cette etude — ne nous a pas conduit ä reviser
le jugement qui a ete porte par les contemporains d'Antonin et par la
posterite; eile nous a permis d'en contröler l'exactitude, en l'appuyant
sur un grand nombre de faits de tout genre.
Zwei Anhänge enthalten weitere Ausführungen über die kaiserliche
160 Römische Geschichte und Chronologie.
Familie und die Konsulavfastcn. Die Arbeit ist für die Kaisergescliichte
wertvoll, wenn sie auch, wie das bei jeder Monographie der Fall ist,
manches Überflüssige enthält,
Gust. Ad. Müller, Pontius Pilatus, der fünfte Prokurator von
Judäa und Richter Jesus' von Nazareth. Stuttgart 1888. 59 S.
Der Arbeit vorausgeschickt ist eine Zusammenstellung der Pilatus-
Litteratur. In dem ersten Kapitel »Herkunft und Laufbahn des Pontius
Pilatus« erfährt man nichts Neues, obgleich mit ziemlicher Breite hun-
^ dertmal gesagte Dinge nochmals gesagt werden. Neu ist folgender Ver-
such, Tertullian Apolog. 21 zu erklären: Pontio Pilato Syriam tunc ex
parte Romana procuranti soll bedeuten: »Pilatus, sonst ein Unterbe-
amter des syrischen Statthalters, hatte tunc d. h. im Todesjahre Christi
Rechte, wie sie bei gewöhnlicher Lage der Dinge nur dem Syriam pro-
curanti zustanden«. Der Verf. hätte sich diese unglaubliche Konjektur
ersparen können, die durch die Billigung des Herrn Franklin Arnold
nicht besser wird, wenn er gewufst hätte, dafs Judaea seit Vespasian
Syria Palaestiua hiefs und seit Severus die Provinz Syrien in Syria
Magna (Coele) und Syria Phoenice zerfiel, welch letztere auch die ehe-
maligen Bestandteile von Judäa enthielt, dafs sich also Tertullian ganz
korrekt für seine Zeit ausdrückte. Gleich breit und ergebnislos ist das
zweite Kapitel »Pontius Pilatus in Judäa bis zum Prozesse Christi.« Der
Verf. hält es für nötig eine lange Auseinandersetzung zu geben, dafs
der Procurator griechisch ^ys/xcvv heifsen könne; offenbar war für ihn
diese Entdeckung neu. Über Pilatus wird mancherlei geredet ; er besafs
einen grausamen Zug, er war rücksichtslos, unüberlegt. Und die Juden
waren die reinen Engel. Freilich heifsen sie schliefslich auch heim-
tückische Gegner. Kapitel 3 handelt von der Residenz des Pontius
Pilatus. Eine lange Erörterung über Caesarea hat nur den Wert einer
historisch-geographischen Notizcnsammlung. Dann wird untersucht, wo
Pilatus Christus in Jerusalem verurteilt hat. Nach längerem Hin- und
Herreden und einem längeren Citat eines neueren Reisewerkes von
Rückert findet der Verf., dafs man eigentlich doch nichts Sicheres da-
rüber sagen kann. Kapitel 4. »Pilatus und die messianische Bewegung«
sucht zu erweisen, dafs Pilatus in Christus keinen politischen Revolutio-
när erblickt habe; ebenso wenig kann er sich um den Vorwurf der
Gotteslästerung bekümmert haben. Längere Erörterung erfährt die Frage,
ob Pilatus Christus habe malen lassen; sie wird bejaht. Auch einen
Brief des Pilatus an Tiberius oder den Senat hält der Verf. für wahr-
scheinlich, die vorhandenen Briefe aber verwirft er. Kapitel 5 behan-
delt »Die Motive des Pilatus bei seinem Urtheilsspruch«. Der Verf.
findet, dafs es die Drohung der Juden mit einer Anzeige bei Tiberius
war, die den an und für sich der Bestrafung abgeneigten Pilatus will-
fährig machte. Dabei wird angenommen, der Kaiser habe sein ihm zur
7. Zeit der Julior, Claudier, Flavier und Antonine. IQ\
zweiten Natur gewordenes Mifstrauen vornehmlich gegen die draufsen
waltenden Beamten gerichtet, wenn sie Geschick mit Einflufs zu verbinden
wufsten«. Wie soll das erwiesen werden und vor allem wo lag denn
der dem Kaiser verdächtige Einflufs des Pilatus?« Kapitel 6. »Pontius
Pilatus vom Tode Jesu bis zu seinem Ende« enthält meist Phantasieen
über das Ende des Pilatus und bildet so den passenden Übergang zu
dem Anhang über die Pilatus -Sagen. Ein weiterer Anhang giebt den
angeblichen Brief des Pilatus an den rex Claudius; man begreift nicht,
wie der Verf. es der Mühe wert halten konnte, diesen handgreiflichen
Unsinn drucken zu lassen; ein dritter Anhang handelt von der offiziellen
Sprache der Prokuratoren Judäas; natürlich kann hier der Verf. nichts
weiter sagen , als was längst in jedem Handbuch der Staatsaltertümer
steht.
Der Verf. hebt in dem Vorworte hervor, manche Auffassung werde
des Neuen nicht entbehren; es kommt nur darauf an, was man unter
»neu« versteht. Es thut mir leid, dafs ich nur einiges neue fand, was
nicht gut war, und weniges gute, was schon recht alt ist.
Wie kommt der Verf. zu der Schreibweise »apogiyphisch«? Sollte
sie aus dem badischeu Regel- und Wörterverzeichnis für die deutsche
Rechtschreibung entlehnt sein?
Florenz Hernekamp, Darstellung und Beurteilung der neueren
Verhandlungen über den Todestag Jesu. 1. Teil. Progr. Neustadt in
Westpr. 1888.
Der Verf stellt nach einer kurzen Besprechung der historischen
Entwicklung der Frage als feststehend hin: 1) Der gesetzliche Tag des
Passahmahles war der 14. Nisan. 2) Der 15. Nisan, der erste Tag des
Festes, hatte selbständige Sabbathheiligkeit und stand höher als die nach-
folgenden Tage. Als Differenzpunkt stellt er hin: Die Differenz zwischen
Johannes und den Synoptikern betrifft nur die jüdischen Ritus- und Mo-
uatstage und ihre Congruenz mit den Wochen- und Heilstagen der christ-
lichen Kirche. Nach dem Berichte des Johannes soll der Freitag der
14. Nisan gewesen sein, nach den Synoptikern dagegen der Donnerstag-
in einer kritischen Betrachtung der gegebenen Interpretationsversuche
gelangt der Verf. zu dem Ergebnisse, dafs Johannes Kapitel 13 in den
Worten npo zr^g ioozr^g zou Tida^^a an ein gewöhnliches, am Abend des
13. Nisan gehaltenes Mahl gedacht hat, bei dem Jesus seineu Jüngern
den letzten Liebesbeweis gab. Für Job. 13, 29 erscheint es sehr wahr-
scheinlich , dafs die Jünger ihre Mutmafsungen über die Mahnung von
Judas o r.ocsTs 7To:r^aüv xdiiov am Abend des 13. Nisan ausgesprochen
haben. Auch Job. 18, 28 führt auf den 14. Nisan als Todestag Christi;
denn die Juden wären durch das Betreten des heidnischen Hauses am
Genüsse des Passahmahles gehindert worden. Dagegen beweist 18, 39
für den Todestag Jesu nichts. In 19, 4 r^v dk Trapaaxeur) toU ndaya^
Jahresbericht für Alterthumswissenscliaft. LXIV. Bd. (1890 m.) \ \
1 fi2 Römische Geschichte und Chronologi«.
wpa (U w(T£} ixTrj kann nur der 14. Nisan genannt sein, da Tiapaax. r. IMc.
nur den Riisttag zum Passali bezeichnen kann; der 14. Nisan hatte keinen
sabbathlichen Charakter, wie der 15. Nisan, und wird deshalb im Talmud
immer als ereb bezeichnet. Der Job. 19, 31 erwähnte grofse Sabbathtag
war der erste Festtag, der 15. Nisan, der in diesem Jahre Doppelsabbath
war. Endlich spricht noch Job. 19, 36 für den 14. Nisan als Todestag.
C.Franklin Arnold, Die neronische Christenverfolgung. Leipzig
1888.
Der Verf. hofft eine abschliefsende Untersuchung über sein Thema
zu liefern. Zu diesem Zwecke will er zuei'st den richtigen Text der
Tacitusstelle feststellen; das Ergebnis ist die Coniectur: aut crucibus
adfixi sunt flaramandi utque, ubi defecisset dies, in usum nocturni lu-
minis urerentur. Die Änderung ist für die Hauptsache gänzlich gleicb-
giltig. Es folgt sodann die Worterklärung. Der Verf. findet an den
bisherigen Erklärungen auszusetzen, dafs sie nicht beachtet hätten, in
welchem Zusammenhange die Erzählung' mit dem Vorhergehenden und
Nachfolgenden stehe, welche logische Disposition der Darstellung zu
gründe liege und wie sich der Schriftsteller den Hergang gedacht habe.
Diesen Anforderungen wird seine Erklärung Rechnung tragen. »Die
ganze von Täcitus mit den Worten Ei'go abolendo rumori — Christianos
berichtete Mafsregel hatte also nur den Zweck, den Kaiser von dem
schim.pflichen Verdacht der Brandstiftung zu entlasten«. Subdidit reos
kann sich also nur auf die Brandstiftung beziehen; mit subdere sagt
Tacitus, dafs er die Christen derselben nicht schuldig hielt. Der Aus-
druck abolendo rumori bezieht sich aber auch auf quaesitissimis poenis
affecit d. h. der Kaiser erreichte seinen Zweck, die gegen ihn erhobene
Nachrede auf die Christen abzuwälzen, auch wenn die Leute über den
Strafen der Verurteilten ihren Argwohn gegen den Kaiser zwar nicht
abbaten, aber doch vergafsen. Die Christen wählte Nero als Abieiter,
weil sie wegen ihrer flagitia allgemein verhafst waren; unter flagitia sind
die Ooiarsta SsTrrva und OcScTiodsco: /n'^sig gemeint. Die durch die Pa-
renthese über Erklärung des Christennamens unterbrochene Erzählung
wird wieder aufgenommen mit igitur. Correpti heifst »es wurden in
Anklagezustand versetzt«; das Subiect dazu ist qui fatebantur: dazu ist
zu ergänzen se incendium fecisse oder incendium. Unter genus humanum
ist die ganze Menschenwelt des römischen Reiches verstanden, odium
g. h. ist »prinzipieller Widerstand gegen die römische Staatsoranipotenz«.'
Auch indicio eorum kann nur auf die Brandstiftung bezogen werden;
denn das religiöfe Bekenntnis war weder unbekannt, wenn die ersten
Angeklagten deshalb ergriffen wurden, noch hatte man es bis dahin als
Verbrechen betrachtet, wie die bisherige Straflosigkeit zeigt. Die Worte
adversus sontes et novissima excempla meritos bedeuten: An und für
ich war man überzeugt, dafs diese Menschen die strengsten Strafen
7. Zeit der Julier, Claudier, Flavier und Antonine. 163
verdient hatten; man wäre auch ganz zufrieden gewesen, wenn sie bei
einer anderen Gelegenheit zu ganz denselben Strafen verurteilt worden
wäi'en.
Im Anschlufs daran legt der Verf. dar, welche Geschichte die
historische Kritik dieses Abschnittes gehabt hat; ich werde darauf zurück-
kommen. Alsdann wird die aufsertaciteische Überlieferung über das
Ereignis vorgeführt; nur drei Berichte erwähnen dieselbe, die Apologie
des Melito, der Brief des Clemens Romanus und Sueton. Freilich ist
mit diesen drei Berichten nicht viel anzufangen. Sueton sagt, die Christen
seien wegen ihrer Religion verfolgt worden; das glaubt heute kaum ein
ernsthafter Forscher; Melito nennt als Verfolger der Christen Nero und
Domitian; wenn die Angabe über Nero so gut beglaubigt ist, wie die
über Domitian, so ist sie wertlos. Aus dem Briefe des Clemens Romanus
kann man nur indirekt die neronische Verfolgung erschliefsen, er nennt
sie nicht. Aber lasse man diese Zeugnisse gelten, so geht aus ihnen nur
hervor, dafs im zweiten Jahrhundert n. Chr. so gut wie an den Märtyrertod
von Petrus und Paulus, in Rom an Verfolgungen durch Nero und Do-
mitian geglaubt wurde; dafs sie historische Thatsachen sind, ist damit
noch lange nicht erwiesen.
Der Verfasser unterwirft nun den Bericht des Tacitus einer_ histo-
rischen Kritik und giebt eine Darstellung des geschichtlichen Herganges.
Übertreibung erkennt der Verf. in der multitudo ingens, auch in der
Schilderung der Folgen des Brandes. Bezüglich der neronischen Ur-
heberschaft des Brandes will er wenigstens ein Non liquet zulassen.
Dagegen polemisiert er gegen mich, dafs ich einen Ghetto angenommen
hätte, »wo Juden und Christen durcheinander wohnten mit denselben Sy-
nagogen, Feiertagen und Speisegesetzen«. Ich weifs zwar nicht, wo ich
das gethan haben soll, werde aber trotzdem weiter unten auf diese Frage
näher eingehen. Dort werde ich auch dem Verf. zeigen, woher wir
wissen, dafs orientalische und zwar jüdische Händler am Cirkus maxi-
mus wohnten und liandelten; er meint nämlich; »wir wissen nicht, ob
unter den Händlern am Cirkus auch Juden waren«. Nach des Verf.'s
Ansicht verstand Tacitus ganz gut, zwischen Juden und Christen zu
unterscheiden, obgleich er ihren gemeinsamen Ursprung nicht kannte.
Dies wird erwiesen aus einer Stelle in der Chronik des Sulpic. Severus
2, 30, 6, die ohne weiteres als taciteisch angesehen wird. Zur Stütze
dieser Ansicht werden noch einige weitere Stellen angeführt, die weiter
unten berücksichtigt werden sollen. Bezüglich des Namens Christiani
tritt der Verf. allerdings den Untersuchungen von Lipsius bei, aber er
will zum Beweis, wie früh diese Bezeichnung in Italien Eingang fand
die bekannte Rätselinschrift von Pompei verwenden. Dafs die Juden
nicht verfolgt wurden, wohl aber die Christen, will der Verf. mit dem
jüdischen Einflüsse am Hofe erklären. Die Annahme, dafs die Juden
durch Denunziationen die Verfolgung der Christen veranlafst hätten,
11*
]ß4 Römische Geschichte und Chronologio.
weist der Verf. ab als nicht mit dem Berichte des Tacitus vereinbar ;
aber nacliliei- will er sie doch nicht von alle Schuld freisprechen: »dafs
sie an eintiufsreiclior Stolle dem Unglücke zusahen, ohne die Hände zu
rühren, läfst sich ja ohnehin nicht leugnen«; sogar an Existenz des
Volkshasses gegen die Christen infolge jüdischer P^inwirkung glaubt er.
Den Christen wurden Geständnisse durch die Folter erprefst. Als Ver-
mittlung zur Verurteilung wegen odiuni generis humani will er magische
Künste und Zauberei ansehen, welche in engem Zusammenhange mit
Brandstiftung standen. Der Prozefs fand vor dem Stadtpräfekten und
dem praefectus vigilum statt; die Anstifter der Klage waren parteiver-
blendete Christen; die eschatologische Erwartung, die Welt werde in
Feuer aufgehen, bot den nächsten Anhalt.
Die folgenden Abschnitte sind eigentlich nur für die Kirchenge-
schichte wichtig. Zunächst legt der Verf. dar, wie wenig die jüngst
von Beyschlag für seine Ansicht über die Apokalypse und ihren Zu-
sammenhang mit der neronischen Verfolgung verwerteten sibyllinischen
Orakel zu bedeuten haben: ein unverkennbarer Hinweis auf dieselbe
findet sich nirgends. Ähnliches gilt von der neronischen Verfolgung in
der Darstellung der Kirchenväter. Auch hiernach kann derselben eine
prinzipielle Bedeutung nicht zukommen, sondern nur eine lokale und
ephemere.
Weiter untersucht der Verf. die Frage, ob die römische Gemeinde
beiden- oder judenchristlich gewesen sei, und entscheidet sich im ersteren
Sinne. Endlich ist die Erzählung des Tacitus von dem Pliniusbriefe
ganz unabhängig. Beide Darstellungen zeigen nicht die verschiedene
Auffassung zweier Epochen von Christentum, sondern sie beruhen auf
denselben Vorurteilen, welche bei Plinius durch Naturanlage und per-
sönliche Erfahrung gemildert w^erden, bei Tacitus aber mit aller Schärfe
zum Ausdruck gelangen.
Der Verf. hat meine Hauptbeweise zwar überall benutzt, belehrt
mich aber vielfach, dafs ich Unrecht habe, teilweise, w^eil er meine In-
terpretation nicht verstanden, teilweise weil er nicht die nötigen Kennt-
nisse hat. Diesen Beweis will ich ihm nun erbringen.
S. 19 macht der Verf. die wichtige Entdeckung: Man kann wohl
nicht, wie Schiller für möglich hält, aus den Worten Ergo Nero abolendo
rumori subdidit reos ein rei als Subjekt ergänzen, sondern qui fate-
bantur bietet sich als solches«. Der Verf. kann noch nicht Subject und
Prädicatsnomen unterscheiden. Denn ich hatte gesagt, nachdem ich
eine Reihe von Stellen aus Tacitus angeführt hatte, aus denen die Be-
deutung von corripere (mit und ohne reum) festgestellt wird: »man könnte
ohne Zwang aus dem vorhergehenden subdidit reos ein rei ergänzen;
doch ist dies nicht nötig; auch an unserer Stelle bezeichnet correpti
(allein) die Einleitung des Verfahrens vor einer kompetenten Behörde«.
Dafs auch ich qui fatebantur als Subjekt erkannte, beweist meine Über-
7. Zeit der Julier, Claudier, Flavicr und Autonine. 165
Setzung S. 43: »Das Strafverfahren wurde gegen Leute eröffnet, welche
geständig waren«. S. 23 werde ich belehrt, dafs odio generis humani
nicht heii'sen könne »Exclusivität gegen Andersgläubige«, wie ich S. 46
übersetzt hatte, sondern »prinzipieller Widerstand gegen die römische
Staatsoranipotenz«. Worauf die letztere Erklärung begründet ist, läfst
sich leider nicht ersehen. Da ich minder phantasievoll als der Verf.
bin, bleibe ich auch heute bei meiner Erklärung, die ich nach der Pa-
rallelstelle Tacitus h. 5, 5 adversos omnes alios hostile odium gegeben
habe. Die Stelle unde quaraquam adversus sontes et novissima exempla
meritos miseratio oriebatur, tanquam non utilitate publica sed in saevi-
tiam unius absumerentur ist nach des Yerf.'s Ansicht zu erklären: »Man
fand, dafs die Christen in diesem Falle Unrecht litlen, dafs sie Opfer
der Tyrannei eines Einzelnen waren, der erst eine Reihe römischer
Bürger obdachlos gemacht habe und nun auch noch eine grofse Zahl
von Peregrinen unglücklich mache Insoweit bedauerte man die Hinge-
richteten, aber auch nur insoweit. An und für sich war man überzeugt?
dafs diese Menschen die strengste Strafe verdient hatten ; man wäre auch
ganz zufrieden gewesen, wenn sie bei anderen Gelegenheiten zu ganz
denselben Strafen verurteilt worden wären«. Tacitus würde sich über
sich selbst entsetzen, wenn er lesen könnte, welcher Wortmenge es be-
darf, um seine einfache Ausdrucksweise klar zu machen. Er sagt quara-
quam adversus sontes etc. d. h. er drückt ausdrücklich aus, obgleich
diese Leute sontes waren und novissima exempla meriti ; was sonst quam-
quam heifsen sollte, uuifste der Verf. erst noch entdecken. Sontes heifst
nun einmal straffällig, schuldig, und alles Deuten kann daran nichts
ändern. Den Schlüssel zum Verständnis der Stelle bietet tanquam; da-
mit wird die subjective Meinung der Beurteiler eingeführt: so legte man
sich die Sache zurecht: schuldig sind sie und man mufste sie mit den
novissima supplicia belegen; das erforderte das öffentliche Wohl. Aber
nicht einverstanden war man damit, dafs Nero ein Cirkusspiel veran-
staltete, sich als Wagenlenker unter die Masse mischte, die Schuldigen
dabei brennen liefs etc. und dazu seinen Park hergab: man schob dies
auf seine saevitia. Bei wem die miseratio entstand, wird nicht gesagt,
ich habe die Bemerkung so gedeutet, dieselbe habe den Zweck Nero zu
belasten; ich bin auch durch die Ausführungen des Verf.'s keines anderen
belehrt worden: denn die Pointe ist tanquam in saevitiam unius absu-
merentur der Verf. wird nicht zweifeln, dafs damit nur Nero gemeint
sein kann.
S. 42 steht folgendes zu lesen: »Nach H Schiller gab es nämlich
im alten Rom einen Ghetto, wo Juden und Christen durch einander
wohnten, mit denselben Synagogen, Feiertagen und Speisegesetzen. Da-
mit behauptet er also, oline Beweise anzuführen, die römischen Christen
hätten noch nicht den Sonntag gefeiert«. Dafür wird - S. 487 meines
Buches über Nero angeführt, wo keine Zeilen von Juden, Ghetto, Syna-
166 Römische Geschichte und Chronologie.
gogen etc. steht. Ich nehme an, er hat S. 434 f. gemeint, wo zwar auch
keine Silbe von einem Ghetto etc. steht, wohl aber folgendes : Der Brand
war am Cirkus Maximus bei den teilweise von orientalischen Händlern
besetzten Buden ausgebrochen. Wohin sonst mufsten sich die Blicke
richten als nach den verhafsten Quartieren der Orientalen«? Ich hatte
nun allerdings die Belege nicht angeführt, und der Verf. kennt Horaz
zu wenig, um sie selbst zu finden. Ep. 2, 1, 269 wird der vicus Tuscus
genannt vicus vendens tus et odores et piper; man wird doch wohl das
Recht haben, hier an orientalische Händler zu denken- Mehr Licht
erhält die Stelle noch durch Sat. 1, 9, 70, wenn man hier sich nicht mit
der gewöhnlichen, keine Beziehung gebenden Erklärung begnügt, sondern
an die vor ihren Häusern sitzenden Juden (curti Judaei) denkt. Sat.
1, 6, 113 wird der circus fallax genannt und Cic. de divin. 1, 58, 132
spricht von den de circo astrologi, Juvenal 6, 582 von den Sortilegi, die
dort hausen. Dafs diese Leute meist Orientalen waren, wird der Verf.
schwerlich bestreiten. Ich habe nun allerdings die ketzei-ische Vor-
stellung , dafs es den Römern sehr einerlei war, ob die betreffenden
Leute Sabbath oder Sonntag feierten; das Charakteristische war und
blieb die äufsere Erscheinung, infolge deren man Syrer, Juden und Juden-
christen in einen Topf warf.
Zum Beweis, dafs Tacitus über Juden und Christen wesentlich die
gleichen Dinge berichte, hatte ich als Erklärung zu Ann. 15, 42 per
flagitia invisos bist. 5, 5 angeführt, wo allerdings von den Proselyten ge-
redet wird. Aber nach Tacitus Ansicht sind Proselyten und Juden durch-
aus identisch: transgressi in morem eorum idem usurpant. Nun
fährt der Bericht fort: nee quicquam prius imbuuntur quam contemoere
deos, exuere patriam, parentes liberos fratres vilia habere; aufserdem
inter se nihil innicitum und proiectissima ad libidines gens. Die flagitia
sind eben nichts anderes als contemnere deos etc. d. h. Hafs und Ver-
achtung gegen alles Nicht-Jüdische, Geilheit etc. hätten aber die Juden
ihre Proselyten vor allem in diese Anschauungen eingeweiht, wenn sie
dieselben nicht auch gehabt hätten? Was soll also des Verf.'s empha-
tische Versicherung, ich citierte eine Stelle, die gar nicht von dem jüdi-
schen Volke und seinem Gesetz handelt? Will er von Tacitus verlangen,
dafs er die Kenntnis eines Theologen des 19. Jahrhunderts über diese
Dinge besafs?
Weiter auf die mehr theologische Frage einzugehen gestattet der
Raum nicht.
Edmond Le Blant, Les chretiens dans la societe paienne aux
Premiers äges de l'figlise. Mel. d'archeol. et d'hist. VIII 46 — 53.
Der Verf. weist nach, wie die Christen der ersten Jahrhunderte
oft genug Concessionen an das Heidentum machen mufsten, um über-
haupt existieren zu können. Die Theorie verwarf diese strenge und
7. Zeit der Julier, Claudier, Flavier und Antonine. 167
war uuerbittlich ; aber die Praxis fand Hinterthüren, um die Theorie zu
umgehen. Er entwickelt dies für das Verfahren bei Eidesleistungen, bei
heidnischen Festen aller Art. Christliche Handwerker malen und ver-
fertigen heidnische Gottheiten, die christlichen Lehrer mufsten von diesen
in den Schulen reden. Besonderen Schwierigkeiten begegneten christ-
liche Soldaten und Beamten, namentlich die Municipalbeamten und die
ratsfähigen Geschlechter (curiales).
Edmoud Le Blant, D'un nouveau monument relatif aux fils de
Sainte Felicite. Mel. d'arch. et d'histoire VIII 292-296.
Der Verf. stellt zuerst die Zeugnisse für die Richtigkeit der Mär-
tyrerakten der heiligen Feiicitas und ihrer Söhne zusammen und ver-
öffentlicht dann ihm mitgeteilte Bruchstücke einer Inschrift :
(^.^?t°Adus) IVLIAS MARTYRUM VITA'.l^s)
(natal . . . s) ANCT (orum) FILICIS FILIPPI MAR («aUs)
Nach der Buchstabenform soll dieselbe nicht jünger sein als die
ersten Jahre des fünften Jahrhunderts. Wahrscheinlich stammt der Stein
von einer Säulenbasis eines ciborium. Die Namen erscheinen in der-
selben Reihenfolge wie im Caleuder von 354, im Sacramentarium Leo-
uianum und im Calendariura romanum bei Ruinart.
Ch. de Smedt, S. J. L'organisation des eglises chretiennes jus-
qu'au milieu du III© siecle. Rev. de quest. bist. 44, 329 — 384.
Der Verf. ist von den neueren Arbeiten über den in seinem Auf-
satze behandelten Gegenstand wenig erbaut und wirft ihnen vor, dafs
sie zu wenig auf die Entwickelung Rücksicht nehmen. Leider hat er
nicht gesagt, welche Arbeiten er im Auge hat; denn die deutschen Unter-
suchungen über diese Frage trifft seine Anklage nicht. Er scheidet drei
Perioden 1) bis zum Ende des ersten Jahrhunderts, 2) bis zur Verfol-
gung des Decius, 3) bis zu dem Toleranzedikt von 313.
Als Quellen für die Geschichte der ersten Periode gelten dem Verf.
die Schriften des neuen Testaments, der erste Clemensbrief und die Acöa^rj.
In der ältesten Christengemeinde zu Jerusalem konstatiert der Verf. als
Würdenträger die npeaßürzpot. und die dtdxovot\ diese werden auch an an-
deren Orten nachgewiesen, auch werden sie bereits im'axonoc genannt. Die
npecrßuzepoc — imaxonoc werden nicht durch den Willen der Gemeinde
bestellt, sondern durch die Handauflegung der Apostel zu ihrem Amte
berufen. Ihre Autorität ist absolut und souverän, die Gemeinde ist ihr
unterworfen. Sie hatten priesterlichen Charakter, und die Feier des
Abendmahls, c'est-ä-dire du sacrifice eucharistique gebührte nur ihnen.
Die Seelsorge mittels Lehre ist eine ihrer wichtigsten Aufgaben. Mit
der Vermögensverwaltung hatten sie eigentlich nichts zu thun, sondern
diese kam den Diakonen zu Besonders wichtig ist für den Verf. die
Frage, ob wirklich npeaßürepoc und incaxonoc in dieser Periode nur ver-
168 Römische Geschichte und Chronologie.
scbiedcne Bezeichnungen für dieselbe Sache sind. Beide Bezeichnungen
wurden, ohne dafs ein Beschlufs der Apostel oder eines Concils dies
anordnete, aus dem gewöhnlichen Gebrauche entlehnt und auch ohne
Unterschied längere Zeit angewandt. Aber seine besondere Färbung
hatte jeder von beiden Ausdrücken. Nach dem Gefühle des Verf.'s —
einen Beweis hat er nicht erbracht — bezeichnet Tzpsaßüzzpog die Ehren-
stellung, im'axoTzog das Amt. Die erstere Bezeichnung ist allgemein und
umfafst alle, welche am Kirchenregimente teilnahmen ohne persönliche
Jurisdiction, während die letztere gerade die Übung dieser Befugnis be-
tont = (jifjeaßüzepog T.potaTÜixevog zr^g ixxXrjaiag). Wo soll aber auch
nur ein Schatten von Anhalt für diese Erklärung sich finden, welche in
nuce die Lehre von der bischöflichen Gewalt enthält? Auch die An-
schauung, welche sich sogar auf die Autorität des heiligen Hieronymus
zu stützen vermag, dafs alle Tiptoßö-tpoi einer Kirche gleich waren, will
der Verf. nur für die Lebenszeit der Apostel zugeben, die stets die Lei-
tung in ihren Händen behielten — an einer Stelle heifsen sie pontifes
supremes — , während dieses Verhältnis sofort mit dem Tode der Apostel
sich änderte, indem die Bischöfe ihre Nachfolger wurden.
Am Anfange der zweiten Periode bestätigt Iguatius von Antiochien
den monarchischen Charakter des Kirchenregimeuts: Der Bischof allein
war an erster Stelle, die Presbyter und Diakonen seine Mitarbeiter,
aber eine Stufe tiefer; sie sind ihm gerade so unterworfen, wie die ein-
fachen Gläubigen. Dem Bischof gehört der Vorsitz in den Versamm-
lungen der Gläubigen, er allein darf das Abendmahl erteilen, andere nur
in seinem Auftrag, er hat das Recht der Lehre, alles kraft der aposto-
lischen Nachfolge. Dagegen erfährt man über die Befugnisse der Priester
nichts. Diese monarchische Stellung des Bischofs wird durch die aposto-
lischen Constitutionen völlig bestätigt; die Diakonen werden hier einfach
zu Gehilfen des Bischofs. Sie sind von ihm völlig abhängig. Die Priester
haben einzig das Lehramt zu besorgen und besitzen eine höhere Stellung
als die Diakonen. Es lag nahe, nach Mafsgabe des alten Testaments
den Bischof als den Hohenpriester, die Presbyter als Priester und die
Diakone als Leviten aufzufassen. In dieser Auffassung beengt es den
Verf. nicht, dafs die Hauptstellen sich in dem achten Buche der Const.
apost. finden, welches im günstigsten Falle im vierten Jahrhundert den
früheren angeklebt wurde. Natürlich werden diese Anschauungen durch
so wertlose Schriften wie die Recognitiones S. Clementis, die Klemens-
briefe, die Canones ecclesiastici SS. apostol. ganz nach Wunsch des
Verf.'s bestätigt. Und da Clemens von Alexandreia und Origenes so gut
wie nichts über die Aufgaben der Priester sagen, dienen sie ebenfalls
zum Beweise, dafs es auch in der alexandrinischen Kirche so war, wie
der Verf. darlegt. Aber auch für den Westen beweisen die Klemens-
briefe, der Hirte des Hermas, die Schriften des Justin und Hippolytus
sowie die Philosophumena das Gleiche, besonders aber lassen sich Ire-
8. Zeit der Verwirrung. 169
naeus und Tertullian für die bischöfliche Machtstellung verwenden. In
einer Schlufsbetrachtung hält der Verf. die monarchische Gestaltung der
Kirche für die ursprüngliche, von Christus bestimmte. Denn, meint er,
wie sollte man denn die Umgestaltung erklären? An einen Consensus
der einzelnen Kirchen ist nicht zu denken, Synoden gab es bis zum Ende
des zweiten Jahrhunderts nicht. Hätte eine solche von den Priestern
ausgehen können, die in diesem Falle freiwillig abdanken hätten müssen?
oder von den Gläubigen, welche die Priester dazu nötigten, nachdem
unter deren Leitung die Kirche zur Blüte gelangt war?
Ich meine, der Verf. hätte kaum eine schneidendere Kritik seiner
Ergebnisse erwarten können, als er sie wider Willen übt. Er vermag
für den monarchischen Charakter der Kirche in der ersten Periode keinen
einzigen Beweis zu erbringen. Dann stellt er die sophistische Frage,
wie man die monarchische Gestaltung im dritten Jahrhundert erklären
wolle. Als ob dem Verf. die Thätigkeit des Irenaeus, des Cyprian, des
Justin und Ignatius unbekannt wäre. Als ob er nicht wüfste, dafs gerade
Irenaeus als einer der ersten dem Episkopate die apostolische Nachfolge
als Titel seiner Ansprüche vindiziert hat. Auf so plumpe Listen, wenn
sie sich auch mit dem Scheine objektiver Geschichtsforschung ausstaffieren,
fällt heute kein Mensch mehr herein.
Kleinen, Die Einführung des Christentums in Köln und Um-
gegend. Teil I. Progr. Ober-Realsch. Köln 1888.
Der Verf. will den Namen des ersten Bischofs von Köln feststellen
und prüft die Urkunden, welche zu erweisen suchen, dafs ein Maternus
die Kölner Kirche gestiftet habe, der ein Schüler des Apostels Petrus
gewesen und von diesem zur Bekehrung der germanischeu Völkerschaften
am Rheine von Rom aus gesandt worden sei. Die Prüfung ergiebt, dafs
die dafür vorgebrachten Beweise der historischen Kritik nicht wider-
stehen können.
8. Die Zeit der A'^erwirrung.
Alb recht Wirth, Quaestiones Severianae. Bonner Dissertat.
Leipzig 1888.
Der Verf. giebt zunächst eine Zusammenstellung der Ereignisse von
193 235; einige seiner Ausätze erörtert er in besonderen Untersuchungen.
Der Geburtstag des Caracalla fällt darnacii auf 4. April 186. Die Nach-
richt von einem Hochverratsprozesse gegen Severus ist unbegründet;
Cos. suff. war er 189. Die imperatorischen Regrül'sungen werden folgen-
dermafsen bestimmt: I. 13. April 193; II Frühling 194; III. Sommer
194; IV. November 194; V. Sommer 195; VI und Vll. Herbst 195;
VIII. 196; IX. 19. Februar 197; X. Herbst 197; XI Ende Sommers 198;
XII 208. Unter den im Jahre 195 bekämpften Arabes Eudaemones
170 Römische Geschichte und Chronologie.
verstellt der Verf. die skenitischen Araber, was ich bereits in meiner
Geschichte des römischen Kaisserreiches angenommen habe. Der Fall
von Byzanz wird in den Juli 196 gesetzt, der Krieg gegen Juden und
Samniter Anfang 196. Caracalla erhielt den Augustustitel Ausgang des
Sommers 198 (August oder September); dies wufste man indessen schon
lange, und klüger sind wir jetzt auch nicht, als dafs die Verleihung vor
15. Oktober 198 stattgefunden haben mufs. Die Christenverfolgung wird
200/201 gesetzt. Der armenische Krieg fand Anfang 198 statt, der
Alaueneinfall 196. Der Abfall des Elagabulus von Macrinus erfolgte
16. April 218; der Geburtstag des Alexander Severus ist l. Oktober 208,
sein Todestag der 12. (?) März 235.
In einem dritten Teile bespricht der Verf. einige Fragen der
Reichsverwaltung. Auf eine vierfache Verstärkung der stadtrömischen
Truppen schliest der Verf. aus der Zahl der Verabschiedungen. Die
Stelle Ulpian Dig. I, 12, 1 hält er für interpoliert; doch ist die Frage
nicht so einfach zu entscheiden, wie es hier geschieht. Endlich werden
für einige Proconsule von Afrika von Pertinex-Dio die Verwaltungsjahre
zu eruieren versucht.
In dem letzten Teile untersucht der Verf. Dios Leben und Schriften.
Darnach ist er 164 geboren und erreichte 194 die Prätur, 206 das Kon-
sulat. 218 — 220 ist er Curator von Pergamon uud Smyrna, 222-224
Statthalter von Afrika, 224 -226 von Dalmatien, 226 -228 von Panno-
nia; 229 erhält er fern von Rom das zweite Konsulat; gestorben ist er
vor dem Jahre 235.
Alfred Sommer, Die Ereignisse des Jahres 238 n.Chr. und
ihre Chronologie. Progr. Gymn. Görlitz 1888.
Der Verf. wendet sich gegen die Ansicht Seecks über die Haloan-
drischen Subscriptionen, speziell gegen dessen Ansetzung des Regierungs-
antritts Gordians III nach etwa 23. Juli 238 (Jahresb. 1886, 327 ff.). Er
selbst setzt die Erhebung dieses Kaisers um 8. Juni 238; freilich sind
die Grundlagen dieser Ansetzung, eine verstümmelte Arval - Inschrift
(Henzen Acta fr. Arv. S. 223> und eine römische Inschrift ohne Kaiser-
name, unsicher. Im Anschlufs hieran wird die Erhebung der Gordiane
in Afrika einige Tage vor 8. Februar 238, (etwa zweite Hälfte des Ja-
nuar) ihre Proklamierung in Rom etwa um den 8. Februar gesetzt; auch
hier liegen natürlich zuverlässig überlieferte Daten nicht vor. Die fol-
gende Darstellung sucht den Beweis zu erbringen, dafs die einzelnen Vor-
gänge in diesen Rahmen passen. Dabei wird der Bericht Herödians
über die afrikanischen und römischen Verhältnisse als sehr ungenau ver-
worfen und Capitolinus bevorzugt; dagegen beruhen Herödians Berichte
über den Zug Maximins auf sehr guten Quellen. Gegen das von Seeck
angenommene Einverständnis zwischen Gordian I und Capellianus erklärt
sich auch der Verf. Seine Darstellung dieser Ereignisse ist sorgfältig.
8. Zeit der Verwirrung. 171
Für die Datierung findet er folgende Ergebnisse: Maximin bricht Ende
Februar aus Sirmium auf; die Wahl der beiden Kaiser Maximus und
Balbiuus fällt Anfang März, der Abzug des ersteren von Rom etwa Ende
März. Maximin kommt ungefähr Mitte April in der Umgebung von
Emona an, Ende April in der von Aquileia; um Mitte Mai fällt sein Tod.
Bei der grofseu Unsicherheit aller zeitlichen Angaben und der Un-
klarheit der Berichte ist jeder neue Versuch zur Aufhellung willkommen ;
der Verf. hat sich die Sache nicht leicht gemacht, er verfährt durchweg
gründlich und besitzt die Kenntnis der Thatsachen. Besonders bedenk-
lich ist in seiner Datierung die kurze Zeit, welche nach seinen An-
setzungen zwischen dem Tode Maximins und dem Sturze der Senatskaiser
in Rom verfliefst. Jedenfalls können wir auch die Ergebnisse dieser
fleifsigen Arbeit noch nicht als sicher ansehen.
U. Wilken, Die Titulatur des Vaballathus. Zeitschr. für Numism.
15, 330-333.
Mommsen und v. Sallet haben die Legende der syrischen Vaballath-
Münzen VCRIMDR gedeutet: v(ir) c(onsularis) R(omanorum) im(perator)
d(ux) R(omauorum). Für das erste Romanorum hat v. Sallet später
r(ex) eingesetzt. Die Legende der alexandrinischen Münzen wurde von
denselben Gelehrten gedeutet: YACP oder YAYTCPI2 = b{naxtxog |
auT{oxprizu)p) <r(rpü.TrjYog 'Pa)(jj.(Miov). Wilken hat nun auf einem grie-
chischen Papyrus die Bestätigung dieser Deutung gefunden : \_ß\\Too xo-
ptou rj/xa)[v A<j}prjkavou Zzß[a.)aTou xai s<, || roü xopioo rjp.(vv EeTzzip-cotj
OuaßaUd&oo 'ABrjvo8u>pou rou XafiTtpordToo ßaadiiog abroxprizopog arpa-
■zrifou "Pojpxuajv: Die letzten vier Worte entsprechen genau dem rex
Imperator dux Romanorum. Nur den Anfang ihrer Erklärung, den vir
consularis wird man in vir clarissimus verändern, entsprechend dem 6
Xajx-mpora-zog. Am Ende der Inschrift stehen die Worte Ms^^lp xc d. h.
26. Mechir des zweiten Jahres des Aurelian und des fünften Jahres des
Vallabath = 20. Februar 271. Wir sehen daraus, dafs noch Ende Fe-
bruar 271 die Herrschaft Vaballaths in Ägypten bestand. Zu dieser Zeit
hatte er den Augustustitel noch nicht usurpiert. Also sind die Usur-
pationsmünzen aus dem fünften Jahre des Vaballath nach 20. Februar
271 geprägt. In der Inschrift von Byblos (CIG. 3, 4503^' S. 1174) ist
nach jJ-rjTpc rou nichts zu ergänzen, da sonst die Zeilenlänge überschritten
würde ; das zweite rou ist Versehen des Steinmetzen.
Raffaele Mariano, Le apologie nei primi tre secoli della chiesa.
Napoli 1888.
Der Verf. giebt, im Anschlüsse an die Arbeiten der Tübinger
Schule, eine teilweise philosophisch gehaltene Darstellung der Augriffe
gegen das Christentum in den ersten drei Jahrhunderten, als deren Ver-
treter Lucian und Celsus erscheinen. Der gröfsere Teil der Schrift be-
172 Römische Geschieht!» niid Chrouuljgie,
schäftigt sich mit der Abwehr der Christen. Doch begnügt sich der
Verf. eine Anzahl allgemeiner Sätze hier aufzustellen, ohne tiefer in die
einzelnen Schriften einzugehen. Neues bietet für die deutsche Wissen-
schaft die Schrift nicht.
E Noeldechen, Tertullian und die Kaiser. Historisches Taschen-
buch 7, 157—193.
Tertullian gewährt in seinen Schriften deutliches Zeugnis, wie die
Herrscherbilder der Römer von den Tagen Augusts bis auf Varius —
so nennt der Verf. Elogabalus — in seinem Geiste sich abmalen. Frei-
lich sind es meist sebr allgemeine und verschwommene Züge, um die es
sich handelt, und meist bedarf es eines neuen Daniel, der sie auslegt.
Augustus wird belobt, Tiberius erscheint als christenfreundlich,
wie er in den Acta Pilati dargestellt wird; Domitian und Nero treten
einander gesellt auf; doch scheint die Anklage der Christen auf Mord-
brennerei schon ziemlich vergessen zu sein Bei Traian wiegt die Be-
lobung vor, dafs die tolle feindliche Menge durch den mafsvoUen Herr-
scher gebändigt und gewisse Gesetze gemildert seien. Von Hadrian
weifs er nichts, das dem Christenhafs ähnlich sähe; Pius hat nie die
Christen geängstet, er wird als Nichtverfolger gefeiert, aber nie als Gön-
ner der Sekte gerühmt, von dem Schreiben des Kaisers an das xoivuv
'Aacag weifs er offenbar nichts. Bei Marcus merkt man den Zeitgenossen ;
er kennt Peregrinus' Tod in Olympia ( 165), die Pest (167), den Kaiser Mar-
cus als Mediker (166), die Revolte Isidors im Delta (170), den Aufstand
des Avidius Cassius (172), die Not im Quadenlande (174), den Tod des
Marcus (180"). Er nennt ihn einen äufserst besonnenen Herrscher, und
die Drangsale, die unter diesem Kaiser in Ost und West die Christen
betrafen, treten zurück, der Kaiser erscheint als Christenfreund, die Er-
scheinung des Kreuzeszeichens im Quadenlande wird gefeiert, Marcus
erfährt die Macht des Christengebetes, und ein den Christen günstiges
Reskript des Kaisers wird angerufen. Die Selbstbetrachtungen des Kaisers
kennt er so wenig wie den Christenhafs seiner Umgebung. Commodus
wird als »Keulpfeilfellmann« gegeifselt, das Herkulesidol wird immer mit
Hindeutung auf diesen Kaiser zertrümmert. Die Revolte, in der Klean-
der fällt, der Mörder des Commodus, Narcifs, werden erwähnt. Severus
— Julian, Albinus und Niger werden nicht als Kaiser gezählt — er-
scheint als charaktervoll; die Mafsregeln des Kaisers zur Handhabung
gerechter und strenger Justiz, seine Gesetze gegen den Ehebruch, die
Abtreibung der Leibesfrucht, zur Sicherung der Mündel, seine Reform
der papischen Gesetze finden Tertullians Beifall. An der Grausamkeit
des Kaisers gegen die Anhänger seiner Gegenkaiser nimmt er keinen
Anstofs: sie sind alle Majestätsverbrecher. In Rom bewundert er die
Kriegserfolge des Kaisers im Osten, und wenn er dabei etwas neidisch
ist, weil Karthago Mangel an Wasser leidet, so wird er bald durch die
9. Zeit der Eegeneration. 173
Sorge des Severus befriedigt, der die Stadt mit dem herrlichsten Wasser
versorgt. Einige Schatten fallen in das Licht: die Hinrichtung des Plau-
tianus, dem schon in Asien Laetus vorangegangen war, und dem mancher
Edle folgte: ein Opfer dieser Tage war ein Gönner der Christen. Der
Verf. betrachtet die beiden ersten Kapitel »Von der Bufse« als Antwort
auf die Rede, die Severus bei dieser Gelegenheit im Senate hielt. Aber
ein halbes Jahrzehnt später, als die Schrift »Von dem Mantel« ausgeht,
lautet das Urteil wieder ganz anders; da wird Plautianus' Schuld auch
in Afrika angenommen, des Kaisers civilisatorische Arbeit gefeiert. Ca-
racalla dagegen wird als Alexander und halber Nero gegeifselt. Nach
dem Tode des Severus erscheint dieser als Beschützer der Christen; dafs
ein feindliches Edikt von ihm ausgegangen war, wird verschwiegen. Die
Feinde Severs waren Christenfeinde. Das Andenken des Kaisers soll
den Christen Gönner erwecken. Von Caracallas Regierung spiegeln sich
der Brudermord, die Verleihung des Bürgerrechts und die dadurch er-
öffnete Finanzquelle und der Festjubel in Afrika, als der Kaiser den
pythischen Agon und das Odeum in Karthago stiftete. Auf die Regie-
rung des Elagabal deutet nur allgemeiner Ekel, den der alternde Schrift-
steller gegen alles zeigt.
9. Zeit der Regeneration.
Fr. Rühl, Die Zeit des Vopiscus. Rhein. Mus. 43, 597—604.
Die Abfassung der V. Aureliani wird gewöhnlich in die Zeit des
Imperiums des Constantius Chlorus gesetzt Der Verf. glaubt das aus
mehrfachen Andeutungen der vita nicht annehmen zu dürfen, namentlich
aus der Stelle v. Prob. 22, 3. Andererseits ist es aber sehr schwer,
Daten zu finden, aus denen sich klar ergiebt, wann Vopiscus geschrieben
hat. Nur die Abfassungszeit der v. Prob, läfst sich bestimmen; sie ge-
hört in das Jahr 322 oder 323, vor den Ausbruch des letzten Krieges
zwischen Constantin und Licinius. Mommsen Herrn. 25, 259 bestreitet
dies und setzt die Abfassung nach 1. Mai 305 und vor 24. Juli 306.
B. Klebs, Das valesische Bruchstück zur Geschichte Constantius.
Philol. 47, 53 80.
Der Verf. unterzieht den Bericht des Anon. Val. de Constantino
einer eingehenden Untersuchung Die Stücke, welche eine Benutzung
des Orosius durch den Anon. vermuten liefsen, sind durch eine mecha-
nische, rohe Interpolation hereingekommen. In Bezug auf die Liciniani-
sche Christenverfolgiing erwachsen aus der Verkennung dieses Verhält-
nisses falsche Aufstellungen, die der Verf. richtig stellt. Nach Ausschei-
dung der aus Orosius eingelegten Stücke bleibt, trotz der zu Tage tre-
tenden Parteinahme für Constantin ein sehr wertvoller Bericht übrig.
Dafs im Anon. ein Auszug aus Ammian vorliege, weist der Verf. zurück,
] 74 Römische Geschichte und Chronologie.
ebenso die Annahme von Obnesorge, diese sei von Polemius Silvias in
seinem Laterculus benutzt. Die angeblichen Berührungen mit christ-
lichen Schriftstellern gründen sich nur auf Orosius-Stellen. Nach Klebs'
Ansicht, der hierin mit Ohnesorge übereinstimmt, haben wir es mit
dem Bruchstücke einer biographisch angelegten Kaisergeschichte zu thun.
Nach der eingehenden Untersuchung des sprachlichen Charakters der
Schrift haben wir in dem Anon. einen Zeitgenossen Constantins zu er-
blicken, der sicher kein Christ war. Der christliche Interpolator mufs
nach Orosius geschrieben haben.
Th. Mommsen, Equitius. Zeitschr. f. Numism. 15, 251—252.
Die von Missong auf den Münzen des Kaisers Probus gefundene
Aufschrift AEQVITI, AEQVIT oder EQVITI, welche dieser als Abkür-
zung für aequitati ansah, will Mommsen als den Namen des Beamten
betrachten, der unter Probus das Münzwesen leitete. Dieser Equitius
mag ein Vorfahr des gleichnamigen Konsuls des Jahres 374 sein.
0. Seeck, Studien zur Geschichte Diokletians und Constantins I.
Die Reden des Eumenius. Neue Jahrb. f. Philol. 137, 713—726.
. Der Verf. beweist zuerst, dafs die letzten acht Reden der Pane-
gyriker, die uns durch die Abschriften des verlorenen Mainzer Cod. er-
halten sind, ursprünglich in einer besonderen Handschrift bei einander
standen; den Inhalt dieser gallischen Sammlung unterwirft er einer ein-
gehenderen Untersuchung. Die Ergebnisse sind folgende. Der Geneth-
liacus (III) ist Ende 290 oder spätestens Anfang 291 gehalten. Der
zweite Panegyrikus auf Maximian (II) wurde 21. April 289 vorgetragen.
Der Panegyrikus auf Constantins (V) ist von demselben Manne gehalten
wie die beiden erwähnten, und dieser war Eumenius. Gehalten wurde
die Rede Anfang Sommer 297. Die Rede pro restaurandis scholis folgte
ihr wahrscheinlich einige Monate später. Auch der siebente Panegyri-
kus gehört Eumenius an, wahrscheinlich auch der achte. Von dem sechsten
und neunten läfst sich dies nicht so sicher beweisen, weil der Verf. über
seine persönlichen Verhältnisse keine Andeutung macht. Wahrschein-
lich ist es aber nach manchen Beziehungen. So erkennt Seeck in dem
zweiten Teil der Mainzer Handschrift eine Sammlung der Reden des
Eumenius.
Ich halte das Gesamtresultat auch für wahrscheinlich. Doch kann
ich im Einzelnen mehrfach nicht Seeck zustimmen, namentlich in seiner
Polemik gegen Brandt. Zunächst halte ich es für einen mindestens sehr
hinkenden Vergleich, wenn Seeck sagt: »die Autoren dieser Zeit schrei-
ben nicht, wie sie sprechen, sondern sie hatten ihr Latein, wie wir, aus
Büchern gelernt.« Ich dachte, Seeck wollte sagen, wie wir unser Schrift-
deutsch — aber wirklich er meint, wie wir unser Latein. Das soll her-
vorgehen aus der Stelle pan. IX, 1: siquidem latine et diserte loqui
illis ingeneratum est, nobis elaboratum, et si quid foi'te comraode dici-
9. Zeit der Regeneration. 175
raus, ex illo fönte et capite facundiae imitatio nostra derivat. Dann
müfste aber schon Tacitus nicht mehr Latein als Muttersprache, son-
dern aus Büchern gelernt haben, da er seine Zeitgenossen von Cicero
ganz ähnlich reden läfst. Brandt hatte gesagt, Eumenius sei vor der
Rede pro rest. schol. noch nie öffentlich aufgeti^eten und führte dafür
IV, 1 — 3 an. . Seeck meint, der Redner sage hier nur, dafs er auch
nie auf dem Forum gesprochen habe d. h. »dafs ihm die contentiöse Be-
redsamkeit der Advokaten fremd sei«. Dies soll sich aus den Worten
ergeben: quod non modo contradicendo nemo audeat impedire,
sed omnes potius . . summo gaudio et favore suscipiant. Jeder unbe-
fangene Leser wird aber in dieser Stelle nur finden, dafs der Redner
in feiner Weise seine Forderung als eine allgemeine hinstellt; an Ad-
vokaten-Widerspruch denkt sicherlich niemand. Die ganze Einleitung
ist der Rede de imp. Pomp, bisweilen wörtlich nachgebildet. Der Red-
ner sagt allerdings, er habe noch nie auf dem Forum gesprochen, aber
er fügt hinzu: nunc demum sero quodam tirocinio ad insolitum mihi
tribunal aspirem; d. h. doch wohl, dafs er noch nie in ähnlicher
Angelegenheit vor gleicher Instanz geredet habe, wie jetzt; die Rede pro
restaur. scholis ist aber doch keine Gerichtsrede. Dies versichert er
mehrmals ausdrücklich: et hoc ipso in tempore, quamvis diversissi-
mum a contentione litium genus orationis habiturum; ja noch
nicht zufrieden damit, erklärt er nochmals c. 2 — volo temporarium me
dicendi genus atque id ipsum meis studiis peculiariter commodum involare,
non ad incognitam mihi sectam forensium patronorum — tran-
sire. Endlich versichert er ausdrücklich quamquam — loci tantummodo
insolentia, non dicendi novitate perturber, siquidem id probabo quod non
modo contradicendo etc. Also ganz unzweideutig wird gesagt: 1) auf
dem Forum habe ich noch nie gesprochen, 2) ich rede jetzt zum ersten-
mal vor dieser Instanz, 3) eine gerichtliche Rede habe ich nie gehalten
und werde auch jetzt keine halten, überhaupt nie. So hat Brandt doch
nicht so Unrecht gehabt. Aus den Worten IV, 15 mens ex otio iacens ad
pristinas artes animus attolli soll nach Seeck hervorgehen, dafs Eumenius
schon seit recht langer Zeit sein Amt niedergelegt habe »da man von
einer kurzen Mufse unmöglich sagen kann, dafs sie die Geisteskräfte
abstumpfe«. Seit wann heifst iaceo abgestumpft sein? Die Bedeu-
tung ist klar; der Gegensatz attolli hat das iaceo hervorgerufen, und
otium ist nichts anderes, wie Seeck mit Recht bemerkt, als das Auf-
geben der früheren Thätigkeit am Hofe ; pristinae artes ist die Rhetor-
thätigkeit, sie galt Eumenius für hoch, wie attolli beweist; natürlich
denkt der Rhetor nicht gering von seiner Kunst (vgl. 4, 15), dadurch
wurde für die Zeit, in welcher sie ruhte, der Gegensatz des iacere ge-
schaffen. Also dafs Eumenius seit langer Zeit sein Amt niederge-
legt habe, geht sicherlich aus dieser Stelle nicht hervor. Ob er erheb-
lich früher den Hofdienst verlassen habe, als er seine Lehrthätigkeit
176 Römische Geschichte und Chronologie.
wiedor aufnahm, läfst sicli nicht entscheiden; 4, 15 heifst es palatini
honoris Privilegium oratoriae professioni salvum et incolume servantes.
4, 16 si ita salvo honoris mei privilegio doceam etc ; aber alle diese
Stollen beweisen für die Zeit nichts. Auch .5, 1 nicht, wenn man hier,
was wahrscheinlich ist, an Eumenius denken will; denn Studium ruris
und indulta quies sind ebenso allgemeine Angaben wie jene. Wozu
Sceck eine lange Auseinandersetzung macht, dafs man das kaiserliche
Schreiben 4, 14 als einen Erlafs der vier Regenten anzusehen habe, ist
nicht zu sehen; es steht ja ausdrücklich da 4, 15 in his imperatorum
et Caesarum literis; 4, 16 quod lovii Herculiique pronuntiaut; 4, 17
nisi ipsis imperatoribus Caesaribusque nostris gratum esse confiderem.
F. Hettner, Römische Münzfunde in den Rheinlanden. Westd.
Zeitschr. f. Gesch. u. Kunst 7, 117—163.
Der Verf. setzt seine verdienstlichen Untersuchungen über Rö-
mische Münzfunde in den Rheinlanden fort; ich hebe die geschichtlich
wichtigen Ergebnisse heraus.
Die Münzen mit Sarmatia devicta werden Anfang 323 gesetzt; zu
dieser Zeit treten auch die Münzen der Fausta und Helena auf; Hett-
ner vermutet, dafs mit der Erhebung des Constantius zum Cäsar Ver-
anlassung gegeben gewesen sei, auch Fausta, die Mutterstelle vertrat,
zu ehren, und Constantin habe diese Gelegenheit ergriffen, auch seine
Mutter zu ehren. Ich vermag zwischen diesen drei Thatsachen irgend
eine Notwendigkeit des Zusammenhangs nicht zu entdecken. Ob nun
Fausta Mutterstelle vertrat, natürliche oder Adoptivmutter war, lag
zweierlei nahe, entweder ihr diese Ehre zu erweisen, als Constantin II
Cäsar wurde oder aber sie zu verschieben, bis der jüngste diese Ehre
erhielt. Warum bei Constantius' Erhebung auch die beiden Frauen ge-
ehrt wurden, ist einstweilen nicht zu sehen, die Thatsache wie die Be-
gründung können nicht als sicher gelten. An Faustas Ermordung im
Jahre 327 hält Hettner gegen Ranke und seine Nachtreter Schnitze und
Görres fest, indem er bibliographisch den Unwert der sog. Monodie auf
Constantin 11 erweist. Aus der verhältnismäfsigen Seltenheit von Stücken
des Crispus in der Emission PTRo wird geschlossen, dafs der Tod des-
selben in den Anfang dieser fällt. Aus dem gleichzeitigen Erscheinen
der Münzen auf Delmatius und der Restitutionsmünzen der Theodora
und Helena schliefst Hettner mit Senckler und Marchant, dafs die auf
Theodora geschlagen worden seien, um seine Stiefmutter zu ehren, als
Constantin d. Gr. seine Stiefneffen zur Theilnahme an der Regierung
heranzog. Zugleich ehrte er aber auch seine Mutter auf gleiche Weise.
Bezüglich des Verhältnisses von Arles und Constautiua stellt Hettner
die Ansicht auf, die Namensänderung habe 327 bei Gelegenheit der Cä-
sar-Decennalienfeier des Constantinus II stattgefunden; nach seinem Tode
340 verschwindet der Name Constantina, der erst nach Besiegung des
Magnentius durch Constantius II wieder aufgenommen wird.
9. Zeit der Regeneration. 177
Mit dem Jahre 330 treten in den gallischen Münzstätten mannich-
fache Veränderungen ein. Arles behielt von seinen bisherigen vier Offi-
zinen nur zwei; Lyon erhält statt einer Offizin zwei. Gänzlich aufgeho-
ben wurden London mit einer und Tarraco mit vier Offizinen.
Ein wichtiges Gesetz stellt Hettner S. 144 auf. Danach wurde
der Augustus desjenigen Länderbezirkes, in dem die betreffende Präge
liegt, immer mit Diadem gebildet, die Augusti der anderen Bezirke bald
mit Diadem, bald mit Kranz. Es wird bei allen Funden danach zu
sehen sein, in wie weit dasselbe bestätig wird.
Es liegt in der Natur des Materials, dafs manche Annahmen Hett-
ners erst noch weiterer Bestätigung bedürfen. So kann seine Ansicht
über die Aufeinanderfolge der Emissionen leicht, wie es schon gesche-
hen ist, durch weitere Funde berichtigt werden; auch die Annahme,
dafs die Dauer einer Emission in der Regel ein Jahr betragen habe,
ist einstweilen Hypothese; denn wir wissen zu wenig Sicheres darüber,
wie viele Emissionen neben einander herliefen. Weiter kann die Auf-
stellung, dafs in Rom von den fünf Offizinen eine für Constantin d. Gr.,
eine für Constantin II, eine dritte für Constantius, eine vierte für Rom,
eine fünfte für Konstantinupel prägten, während für Constans und Del-
matius in verschiedenen Offizinen geprägt wurde, nicht auf Sicherheit
Anspruch machen, da wir von dem ganzen Münzbetriebe viel zu wenig
wissen und weitere Funde schwerlich uns viel mehr lehren werden.
An diese Untersuchungen schliefst sich eine für den Numismatiker
und Historiker sehr wertvolle Uebersicht über die rheinischen Schatzfunde.
Wilh. Schwarz, De vita et scriptis Julian! imperatoris. Bonn.
Diss. 1888.
Der Verf. giebt eine sehr eingehende Zusammenstellung aller von
ihm gefundenen Datierungen für Leben und Schriften des Kaiser Julian.
Wenn auch nicht alle sicher sind, so hat die Schrift doch unzweifelhaft
ein recht grofses Verdienst, indem sie teils Zerstreutes bequem vereinigt,
teils Neues und oft Besseres als die Vorgänger fand.
Das Geburtsjahr ist 331 (Mitte November bis Mitte Dezember);
seine Cäsarernennung fällt 6. November 355, seine Erhebung zum Au-
gustus Anfang Mai 360. Der Aufbruch gegen Constantius erfolgte Juli
361, der Tod des letzteren am 3. November 361. Die Ankunft Julians
in Antiochia fällt vor Mitte Juli 362, sein Aufbruch gegen die Perser
5. März 363, sein Tod 26. Juni 363.
Der gröfsere Teil der fleifsigen Schrift enthält Untersuchungen
über Datierung und Beschaffenheit julianischer Schriften.
Zock 1er, Julian und seine christlichen Gegner. Beweis d. Glaub. 9,
(1888) No. 2. 3.
bringt nichts Neues, da nur eine Zusammenstellung der julianischen
Epoche der Apologetik gegeben wird.
Jahresbericht für Alterthumswissenschaft. LXIV. Bd. (1890. III.) 12
178 Römische Geschieht!» und Chronologie.
Giuseppe Sounino, Di uuo scisma iu Roma a'tempi cli Valen-
tiniano I. Studio storico. Livonio 1888.
Der Verf. beschäftigt sich mit Studien über die Religionspolitik
Valentinians I. und veröffentlicht hier ein Bruchstück, nämlich das Schisma
durch Damasus und Ursinus. Im ersten Kapitel schildert er die Be-
ziehungen zwischen Staat und Kirche im Abcndlande während des vierten
Jahrhunderts, ohne mehr als Bekanntes zu sagen. Kap. 2 schildert Ver-
bannung, Rückkelir und Tod des Liberius und die Wahl des Damasus.
Der Verf. deutet hier überall die Widersprüche der Überlieferung an^
unternimmt aber nirgends den Versuch, dieselben befriedigend zu er-
klären. Denn die von ihm versuchte Fixierung der verschiedenen Kämpfe
zwischen Damasianern und Ursinianern ist meist willkürlich. Im dritten
Kapitel wird die Rückberufung und zweite Verbannung des Ursinus er-
zählt und die Religionspolitik Valentinians kurz dargelegt. Kapitel 4
bespricht die letzten Ereignisse des Schismas, die Concilien von Rom
(378) und Aquileia (381). Gegen die Richtigkeit der Darstellung ist
nichts einzuwenden. In Deutschland wäre die Arbeit ohne Wert, in
Italien ist eine solch' unbefangene Darstellung einer wichtigen Epoche
der Kirchengeschichte nicht ohne Verdienst Möge der Verf. seine Ab-
sicht erreichen, die Aufmerksamkeit der italienischen Jugend auf die
Entstehung des Papsttums zu lenken!
Karl Christ, Römisclie Feldzüge in der Pfalz, insbesondere die
Befestigungsanlagen des Kaisers Valentinian gegen die Alamannen.
Sammlungen von Vorträgen gehalten im Mannheimer Altertums-Verein.
Zweite Serie. Mannheim 1888. S. 31— 61.
Symmachus laud. in Gratian ed. Seeck p. 322 § 18 spricht von zwei
Schlachten, welche Valentiuian den Alamannen lieferte; die eine fand
nach des Verf. 's Ansicht bei Solicinium (Rottenburg) in der Gegend der
Donauquelle im Jahre 368 statt, die andere bei Lopodunum (Ladeuburg)
am Neckar. Letztere scheint früher als die erstere zu fallen. Auf dem
ersten Zuge legte Valentinian im Winkel zwischen Rhein und Neckar
eine hochgemauerte und sichere Feste an. Sicher bestimmen läfst sich
der Ort derselben nicht; der Verf. will sie am ersten bei Mannheim
finden. Die Absicht des Kaisers war, durch einen festen Punkt am
Neckar sowohl dessen Mündung bei Mannheim zu beherrschen als auch
Altrip jenseits des Rheines zu decken. Wir dürfen denselben darum
weder zu weit aufwärts am Neckar, noch scheints unmittelbar an seiner
Mündung, sondern im Winkel zwischen beiden Flüssen, und die Ablei-
tung bei der Stelle suchen, von wo ab der Neckar seinen früheren uu-
stäten, vielfach gekrümmten Lauf begann, also bei Feudenhcira. Von
hier ab flofs er auch an dem, an der Schwetzinger Landstrafse gelege-
nen, alten Rheinhausen vorbei, um dann wieder in seine jetzige Müu-
9, Zeit der Regneration. 179
düng zu fallen. In der Gegend aber bei Eichelsheim, dieser längst
verschwundenen Burg am Rhein scheint das Kastell gesucht werden zu
müssen.
Heinr. Maurer, Valentiniaus Feldzug gegen die Alamannen. Zeit-
schrift für die Geschichte des Oberrheins. N. F. 3, 303—328.
Der Feldzug d. J. 369 zerfällt in zwei zeitlich und inhaltlich scharf
gesonderte Abschnitte. Der erste enthält den ßheinübergang, den Friedens-
schlufs mit den Alamannen am unteren Neckar, infolge dessen diese ein
Stück Land auf dem rechten Rheinufer dem Kaiser abtreten , und die
Erbauung der Feste Alta Ripa in dem abgetretenen Lande auf dem Hoch-
gestade zwischen Rhein und Neckar. Der zweite beginnt mit dem Feld-
zug an den oberen Neckar zur Zeit, als das Getreide reif war, und
endigt mit dem Rückzug des Kaisers nach der Schlacht bei Solicinium.
Der erste umfafst die Monate Mai bis Juli, der zweite die Monate August
und September. Der Rheinübergang auf dem ersten Zuge ist dem Julians
genau nachgebildet; er erfolgte wohl an derselben Stelle, iu der Nähe
des heutigen Dorfes Altrip; am folgenden Tage wurde trotz des Hoch-
wassers eine Schiffbrücke geschlagen. Die überraschten Alamannen liefsen
sich in kein Gefecht ein, sondern flohen über den Neckar und Lopodu-
num. Auf dem rechten Ufer nahmen sie, wie es scheint, wieder Stellung,
aber der Kaiser griif nicht an, und sie traten einen Teil ihres Gebietes
ab. Es handelte sich dabei nur um den Teil der Alamannen zwischen
Neckar und Main. Das abgetretene Land war im Norden vom Neckar
begrenzt; im Osten war wahrscheinlich das nahe Gebirge die Grenze;
nach Süden erstreckte sich das abgetretene Gebiet ebenfalls nicht weit.
Bevor Valentinian den zweiten Zug antrat, begann man den Brücken-
kopf auf dem rechten Rheinufer zu einer regelrechten Festung auszu-
bauen. Dieselbe lag auf dem Hochgestade in dem Winkel zwischen dem
Rhein und dem ehemaligen südlichen Neckararm, der noch im Mittel-
alter bei dem Dorfe Neckarau sich in den Rhein ergofs. Der Rhein
flofs damals, wie wiederum heute, dicht am Hochgestade des rechten
Ufers vorbei, das sich etwa 6 m über die Niederung des Flusses erhebt,
während das linksrheinische Hochgestade 6 — 7 km vom Flufs entfernt
ist ; das Hochgestade des linken Neckarufers, welches vom Rhein an eine
nordöstliche Richtung einhält, bildet mit dem des Rheins ungefähr einen
rechten Winkel. Aus der Schilderung des Symmachus zieht der Verf.
den Schlufs, dafs der Kaiser wirklich die Stadt Alta Ripa mit Sorgfalt
befestigt hat. Das Baumaterial wurde von der zerstörten Stadt Lopo-
dunum entnommen, die zuletzt wieder von Julian hergestellt, von den
Alamannen neuerdings zerstört worden war. An die Stelle Lopodunums
trat jetzt Alta Ripa.
Erst im Sommer begann der Vormarsch ins Innere Alamanniens
an den oberen Neckar. Der Kaiser wählte den Weg die Rheinstrafse
12*
130 Römische Geschichte iiud Chronologie.
aufwärts und dann seitwärts über Ettlingen und Pforzheim an den oberen
Neckar. Bei Solicinium (li. Rottenburg) stiefs er auf den Feind; der
Sieg war scliwer, an eine Verfolgung der Alamannen nicht zu denken.
Der Rückzug erfolgte auf demselben Wege, den man gekommen war.
Das munimcntum cclsum et tutum. auch castra praesidiaria Am-
mians v. J. 370 ist nichts anderes als Alta Ripa, doch handelt es sich
nicht um Ableitung des Flusses, sondern um eine Uferbefestigung, wobei
die Strömung auf die Seite zu drängen war. Die Arbeiten fallen wahr-
scheinlich in den Juli, da der Kaiser am 20. Juli sich in Alta Ripa auf-
hielt. Die Zerstörung der Festung erfolgte durch den Rhein, der ein
Stuck von etwa 400 m Breite wegrifs, samt den darauf befindlichen
Festungsbauten; ihr Name lebt fort in dem des in der Niederung des
linken Ufers liegenden Dorfes Altrip. Versunkene Mauerreste kommen
noch hier und da bei niederem W^asserstand zum Vorschein. Ein An-
hang erklärt die beigegebene Karte insbesondere für die Beschaffenheit
der ehemaligen Neckararme.
L. Cantarelli, II cursus bonorum doli' imperatore Petronio
Massimo. Bull, della archeol. comunale di Roma 16,47 — 60.
Von Petronius Maximus heifst es auf der bekannten Florentiner
Inschrift: a proavis atabisque nobilitas ornatur. Der Verf. will ihn des-
halb der Familie der Anicier zuweisen. Was seine Ämterlaufbahn be-
trifft, so will Cantarelli annehmen, dafs er durch adlectio inter consu-
lares in den Senat gelangte, dem er mit 19 Jahren (geb. 395) schon an-
gehörte. Sein erstes Amt, das er mit 19 Jahren bekleidete, war das
eines tribunus et notarius in consistorio sacro ; er gehörte zu der Rang-
klasse der Clarissimi. Dann wurde er comes sacrarum remunerationum
(largitionum), welclie Stellung er drei Jahre (416 — 418?) verwaltete. Ob
er vorher comes rerum privatarum (415?) war, ist nicht sicher zu ent-
scheiden. Noch nicht 25 jährig erhielt er die Stadtpräfektur (Ende 419
— 421). Er hatte damit Anspruch auf den Illustrat, heifst aber, dem
Gebrauche des vierten und fünften Jahrhunderts entsprechend, vir cla-
rissimus. Über das Jahr 421 gehen die Angaben dieser Inschriften nicht
hinaus. Aber zwei andere Inschriften (CIL VI, 1197 und 1198) machen
wahrscheinlich, dafs er viermal Präfekt und zweimal cons. Ordinarius
war (433 und 443); die beiden Inschriften gehören den Jahren 443 und
444 an. Die vier Präfekturen haben Corsiui und Henzen sämtlich als
Stadtpräfekturen gefafst, Zirardini und Rossi widersprechen. Der Verf-
weist zuerst nach, dafs Maximus diese Präfekturen vor 443 bekleidet
haben mufs; sonst nimmt er mit Rossi an, dafs zu diesen Präfekturen
auch zwei prätorianische und zwar von Italien zu rechnen sind (435 und
439 — 441). Die letzte Erhebung des Maximus zeigt sein Titel patricius
(445). Kaiser wurde er 17. März 455.
9. Zeit der Regneration. 181
Alb. Duncker, Geschichte der Chatten. Aus dem litterarischen
Nachlasse herausgegeben von G. Wolff. Zeitschr. d. Ver. f. hess. Gesch.
und Landesk. N. F. 13, 225 -397.
Aus dieser nachgelassenen Arbeit des früh geschiedenen Forschers
kommt für den Jahresbericht nur ein Teil in Betracht.
Auch im nachmaligen Hessen gingen keltische Siedelungen den ger-
manischen voraus. Aber die germanischen Stämme überwältigen schliefs-
lich die östlich des Rheins bis an den Main hin wohnenden Kelten und
trieben ihre Überreste, soweit diese es nicht vorzogen, sich den Siegern
zu unterwerfen, über den Strom, der nun auf lange Zeit im nördlichen
Teil seines Laufes, etwa bis zur Maiulinie hin, die Grenzscheide zwischen
beiden grofsen Völkern bildete. Südlich des Mains und im oberen Donau-
gebiet blieben noch keltische Stämme sitzen. Der Abschlufs dieser Ent-
wicklung fällt in das dritte oder vierte Jahrhundert v. Chr.
Cäsar kennt den Namen der Chatten noch nicht, sondern ihm ver-
schwinden sie noch unter der grofsen Völkermasse der Sueven; Strabo
nennt ihn zuerst; dann erscheint er häufig. Tacitus stellt sie schon zu
zu den Sueven im Gegensatz. Bei ihm wohnen sie bis zu den Ufern
der Werra. Die Verwandlung des Namens Chatti in Hessi (die Feind-
seligen) hält D. durch Kögel für erwiesen; doch will er, wenn auch an
der gleichen Wurzel festhaltend, den Namen lieber als »die Anstürmen-
dena, »Ungestümena erklären. Die Bataver hatten sich schon lange vor
Cäsars Ankunft von den Chatten, von denen sie einen Teil bildeten, ge-
trennt; auch Chattuarier und Mattiaker -waren wohl Gaue des grofsen
Chattenvolkes. Über das Land der Chatten läfst sich bezüglich der
Grenzen nichts Sicheres ermitteln, es war sehr waldreich, hatte ein
rauhes Klima, in dem jedoch noch Hafer und Gerste, Rüben, Hülsenfrüchte
und Beeren reiften und hatte keine Städte; Mattium war nur ein Kom-
plex von Höfen. Was der Verf. sonst für das Leben der Chatten bei-
bringt, konnte so ziemlich über jeden Stamm gesagt werden. Die kriege-
rische Tüchtigkeit der Chatten wird allgemein gefeiert.
Die Darstellung der Kämpfe mit den Römern bis zum Zerfalle des
weströmischen Reiches und dem Emporkommen der Frankenmacht füllt
den gröfsten Teil der Abhandlung. Die ersten Kämpfe soll Drusus den
Chatten im Jahre 12 geliefert haben. Ein zweites Mal kämpfte er gegen
die mit Cheruskern und Sugambern verbündeten Chatten im Jahre 11 und
erlitt bei Arbalo eine Niederlage. Deshalb wurde der Feldzug des Jahres
10 gegen dieses Volk gerichtet; aber er erreichte nur die Unterwerfung
der Mattiaker, und die Anlage der Saalburg, Friedbergs in der Wetterau,
des Kastells bei Heddernheim und der Befestigung auf dem Heidenberge
bei Wiesbaden. Ob er im Jahre 9 die Unterwerfung vollendet habe, ist
nicht festzustellen. Nach dem Abzug der Markomannen nach Böhmen
überliefs wahrscheinlich Tiberius einen Teil des ehemals sugambrischen
Gebietes den Chatten und gestattete ihnen nach Südosten sich bis zur
182 Römische Geschichte unrl Chronologie.
frünkischen Saale auszudehnen. Vielleicht unterstützten sie dafür die
Römer gegen Marobod, mindestens liiclten sie sich neutral. An dem
Kriegsbündnisse gegen die Römer unter Armin nahmen sie wahrscheinlich
von vornherein teil und trugen nachher zur Ausnutzung des Sieges ent-
schieden bei : die Taunuskastelle fielen in ihre Hände. Germanicus stellte
dieselben wieder her und zog gegen die Chatten über Friedberg, Butz-
bach, Giefsen, durch den Ebsdorfer Grund, Kirchhain, Treysa, nördlich
von Wabern an die Edder und nach Zerstörung von Mattium durch
Edder- und Siegthal nach Bonn. Bei den Kämpfen des Armin in den
Jahren 15 und 16 waren sicherlich Chatten beteiligt. Im Jahre 16
schickte Germanicus den C Silius in ihr Land. In den folgenden Jahr-
zehnten wahrten die Chatten ihre Unabhängigkeit; im Jahre 41 trug S. Sul-
picius Galba einige Vorteile über sie davon, neun Jahre später wurden
Chatteneinfälle von dem Legaten P. Pomponius Secundus mit Glück zu-
rückgewiesen. Im Jahre 58 fand zwischen Chatten und Hermunduren
ein Kampf um Salzquellen statt. In den Stürmen des Vierkaiserjahres
hatten die Chatten Einfälle in das Reich gemacht und sogar Mogontia-
cum berannt. Im Jahre 81 trugen die Chatten über die Cherusker
einen entscheidenden Sieg davon. Nach dem Kampfe Domitians mit den
Chatten 83/84 wurde der Plan einer befestigten Grenze ausgearbeitet;
die Ausführung erfolgte durch Traian und Hadrian. 50 Jahre lang be-
standen jetzt friedliche Zustände. Erst unter Kaiser Marcus hört man
wieder von Krieg zwischen Römern und Chatten. Ob südlich vorhan-
dene Teile dieses Volkes sich mit dem Alamanuenbunde verschmolzen,
wissen wir nicht. Caracalla wies 213 Alamannen und Chatten vom römi-
schen Gebiete zurück und stellte sichere Besitzverhältuisse für Rom auf
zwei Jahrzehnte wieder her. In dem nächsten Jahrhundert verschwinden
die Chatten vor Alamannen und Franken, doch drang wahrscheinlich
Julian in die Taunusgegendeu ein. Im Jahre 392 wird der Name der
Chatten zum letzten Male genannt, als Ärbogast über den Rhein ging;
mehr als drei Jahrhunderte verschwindet er ganz, um gegen 720 in der
Form Hessi wieder aufzutauchen. Sie bilden den Kern der südlichsten
Frankengruppe, der Oberfranken; ein Teil des Volkes war über den
Rhein in das Moselgebiet gewandert.
Der Verf. versucht dann noch ein Bild der Kultur des Hessen-
landes unter römischer Herrschaft zu zeichnen; es enthält nur allgemeine
Züge; geistiges Leben bestand nur in sehr geringem Mafse. Aber selbst
diese Keime wurden mit der dauernden Besitzergreifung des Limeslandes
durch die Germanen vernichtet.
Beckurts, Die Kriege der Römer in Afrika nach dem Unter-
gange der vandalischen Herrschaft in den Jahren 534 — 547. 1. Teil.
Progr. Wolfenbüttel 1888.
Nach der Niederwerfung desVandalenreichs durch Belisar wurde Afrika
eine besondere prätorianiscbe Präfectur mit 7 Provinzen und 4 duces in
9. Zeit der Regeneration. ]83
Leptis magna, Kapsa und Leptis minor, Constantine, Caesarea. Die
neue byzantinische Herrschaft wurde rasch durch ihr drückendes Fiuanz-
system verhafst; die äufseren Feinde waren die Mauren. Die von den
Römern betriebene Kolonisation derselben wurde von den Vandalen nicht
fortgesetzt; vielmehr waren sie in dem Niedergänge der vandalisclien
Herrschaft wieder zu ihrem alten nomadischen Treiben zurückgekehrt,
und damit zu ihrem alten Räuberleben. Meist auf ihren raschen Pfer-
den den Gegnern unerreichbar, erschienen sie raubend und plündernd
in allen Provinzen, unterstützt von ihrer genauen Kenntnis der Natur
des Landes. Für die germanischen Söldner erwies sich das Klima des
Landes ebenso verderblich wie seine Sittenlosigkeit und Genufssucht.
Sofort nach Belisars Abfahrt brachen die Mauren in die Provinz
Byzacium ein, und bald standen an 50 000 Mauren unter vier Fürsten
den Römern gegenüber. Salomon, Belisars Nachfolger, versuchte zuerst
zu unterhandeln, nachher griff er sie (535) bei Mamma an und schlug
sie. Sofort erschienen die Feinde aber wieder mit gröfsereu Streit-
kräften, und Salomon brachte ihnen in einer zweiten Schlacht am Berge
Burgaon (Djebel-bu-Ghanem?) eine äufserst verlustreiche Niederlage bei,
durch welche die Provinz Byzacium vom Feinde frei wurde. Im gleichen
Jahre waren in Numidien zahlreiche Horden des Königs Jaudas am Ge-
birge von Aurez erschienen. Salomon machte noch vor dem Winter
des Jahres einen Vorstofs gegen dieses Gebirge, konnte aber die Feinde
nicht zum Entscheidungskampfe bringen. Ehe er den Kampf fortsetzen
konnte, brach ein Aufstand der Soldaten 23. März 536 aus, der zum
Teil aus religösen Motiven entsprang, weil Justinian die Unterdrückung
der Arianer befohlen hatte, zum anderen aber der Nichtbefriedigung der
Forderung der Soldaten, Landbesitz zu erhalten. Salomon mufste nach
Syrakus entfliehen. Der von ihm herbeigerufene ßelisar rettete zwar
Karthago, konnte aber Numidien nicht behaupten. Justinian sandte jetzt
seinen Neffen Germanus, dem die Beschwichtigung der Soldaten gelang;
den Anführer der Meuterer Stutias besiegte er bei Cellas Vatari. Das
Heer wurde nachher von Salomon reorganisiert, der das Aurez-Gebirge
wieder gewann, die Provinz Sitifis eroberte und unter seiner gerechten
Verwaltung Afrika eine kurze Zeit des Friedens und der Ruhe sicherte.
P. Allard, Diocletieu et les chretiens avant l'etablissement de la
tetrarchie. (285—293). Rev. des questions historiques 44, 51 — 9L
Nach des Verf.'s Ansicht hatte Diokletian im Jahre 285 keine be-
stimmte Politik gegen die Christen beschlossen, sondern er duldete sie
in seiner Umgebung und liefs sie auch verfolgen. Um die Märtyrer-
akten des h. Genesius unterzubringen, nimmt der Verf. gegen alle Über-
lieferung au, Diokletian sei sofort nach seiner Erhebung nach Rom ge-
gangen, und hier habe sich das Martyrium des Heiligen vollzogen. Als
Herkulius zum Mit-Augustus erhoben war, begann dieser schon auf sei-
184 Römische Geschichte und Chronologie.
nem Marsche nach Italien die Verfolgung, wobei wieder einige Märtyrer-
akten zu Ehren gebracht werden, und in Rom erweckte er wieder die
ganze Härte der Verfolgung. Auf dem Marsche nach Gallien erfolgte
die Niedcrmctzclung der »thebäisclicn Legion«, deren Name schon sehr
glaubwürdig klingt. Auf Grund ganz später und nichtsnutziger Mär-
tyrerakten wird angenommen, er habe auch bei Unterdrückung des Be-
gaudenaufstandes die Christen besonders verfolgt. Datianus spielte hier-
bei in Südwesten schon die gleiche Rolle, wie später in Spanien. Im
Juli 287 wird wieder auf ganz wertlose Angaben hin angenommen, er
habe sich in Massilia aufgehalten, bevor er seine Residenz in Trier auf-
schlug; natürlich gab es auch in Marseille Märtyrer.
Die Zustände des Christentums im Osten werden stark übertrieben
geschildert. Als Diokletian nach Nikomedien kam, wich der Fanatismus,
den er in Rom gezeigt, schnell dem Einflufs seiner Gemahlin und Toch-
ter. Am Hofe, in den Staats- und Gemeindeämtern waren Christen,
da die Wortführer über derartige Thätigkeit gemäfsigte Ansichten ver-
breiteten. Diokletian befreite sie von der Pflicht zu opfern, und selbst
die Stellen der Flamines konnten von Christen übernommen werden.
Die Beamten folgten des Kaisers Beispiel. Die Bischöfe, schon längst
einflufsreich, fühlten sich jetzt sicher und erbauten schöne neue Kirchen.
Auch die Katakomben werden mit gröfserer Sorgfallt behandelt, das
Beispiel des Ostens wirkte auch auf den Westen, und speciell in Rom
zeigen sich ihre Folgen. Allerdings wirkte die Ruhe auch auf Sitten
und Zucht manichfach erschlaffend. Die Heiden benutzten dies, um
den Versuch zu machen, die Christen für das geläuterte Heidentum
zu gewinnen. Dieses richtete sich am Neuplatonismus auf, und als die
Versuche erfolglos blieben, begann von hier aus die Bekämpfung des
Christentums.
F. Görres, Rictius Varus (oder Rictiovarus) der berüchtigte my-
thische Verfolger der gallischen und zumal der trierischeu Kirche.
Westd. Zeitschr. 7, 23—35.
Der Verf. beweist wieder mit Aufwand einer breiten Citatensamm-
lung, dafs Rictius Varus in der diokletianischen Zeit keine Stelle finden
kann. Dagegen sucht er ihm einen Doppelgänger nachzuweisen in dem
Statthalter von Spanien Daciauus, der sich als Verfolger der christlichen
Kirche 304/5 hervorthat, und dessen Existenz durch eine Inschrift bei
Gruter. 199, 4 bestätig wird.
Leider ist diese Inschrift unecht, wie
Zangemeister, Korr. Bl. d. Westd. Zeitschr. 7, 91 — 93 nach-
weist. In diesem Zusammenhange weist Zangemeister darauf hin, dafs
der Wareswald bei Tholey fälschlich nach dem mythischen Varus Varus-
wald heifst.
9. Zeit der Regeneration. 185
Adolf Harnack, Augustins Konfessionen. Ein Vortrag. Giefsen
1{
In der Zeit von Constantins Tod bis zur Plünderung Roms durch
die Vandalen (c- 340 — 450) ist von den Kirchenvätern das geistige Ka-
jiital zusammengebracht worden, das sich in Religion und Theologie,
Wissenschaft und Politik als die Überlieferung des Altertums an das
Mittelalter ergiebt. Das Abendland ist im Mittelalter mehr als sieben
Jahrhunderte laug auf diesen Besitz beschränkt geblieben; aber daneben
hatte es doch einen Mann, der am Schlüsse der alten Zeit gelebt und
sein Leben über die folgenden Jahrhunderte ausgeschüttet hat, Augustin,
dem an umfassender Wirkung kein Anderer gleichkommt. Die Kirche
des Abendlands verdankt ihr Leben und Bewegung, die Spannungen
mächtiger Kräfte, wertvolle Probleme und grofse Ziele. An ihm haben
sich Petrarca und die grofsen Meister der Renaissance gebildet, und
Luther ist ohne ihn nicht zu verstehen. Wir reden heute noch die re-
ligiöse Sprache, die uns vertraut ist aus Liedern, Gebeten und Er-
bauungsbüchern, in seineu Worten, bezüglich des Wesens der Religion
und der tiefsten Probleme der Sittlichkeit verehren wir ihn noch als
unseren Lehrer.
Näher betrachten will der Verf. nur die Konfessionen. Dieselben
waren eine literarische That. Denn Augustin hatte hier zuerst gewagt,
die genaueste Selbstschilderuug seiner Entwickelung von der Kindheit
bis zum Mannesalter mit allen seinen Trieben, Gefühlen, Zielen und
Irrungen zu geben. Seine Stärke ist die Beobachtung. Aber auch die
Kraft der Darstellung ist bewundernswert. Doch weder die wunderbare
Form noch der Zauber der Sprache sind das Wichtigste. Der Inhalt
ist es, die Geschichte, die er uns erzählt. An äufseren Thatsachen ist
allerdings das Buch arm, um so reicher an solchen des Seelenlebens.
Einerseits eine Entwickelung aus dem Innern heraus durch unablässige
Arbeit, ein Aufsteigen von einem gebundenen und zerspaltenen Leben
zur Freiheit und Kraft in Gott, andererseits die Entwickelung zum
Autoritätsglauben, das Ausruhen in der Autorität der Kirche und die
mönchische Auifassung der Ehe und des Berufs. Was sich in seinen
Erfahrungen und in seinem Lebensgang untrennbar verkettet hatte, hat
durch ihn genau so fortgewirkt auf die Kirche: seine Bedeutung für die
Ausbildung des katholischen Kircheutums und für die Herrschaft der
Kirche ist nicht geringer als seine kritische Bedeutung und als die Kraft,
die ihm verliehen war, individuelle Frömmigkeit und persönliches Christen-
tum zu erwecken.
Bei aller Kürze ist die Arbeit vortrefflich und auch ihr Thema
erschöpfend.
Jahresbericht über die römischen Staatsalter-
tümer für 1888.
Von
Geh. Oberschulrat Dr. Hermann Schiller,
Gyniiiasial-Dircktor uud Üuiversitäts-Professor iu Giefsen.
A. Zusammenfassende Darstellungen.
F. Robiou et F. Delaunay, Les institutions de Tancienne Rome.
P. III. i^conoraie politique et lois agraires, gouveruemeut et adrai-
nistration de FEmpire. Paris 1888.
Der dritte Band des Jaliresb. 1884 S. 275 besprochenen Werkes
und damit der Schliifs desselben liegt hier vor.
Der erste Teil desselben: notious sur Teconomie politique des
Romains und Lois agraires ist selbständiger gehalten als der erste Band,
obgleich das Material auch hier auf Marquardt zurückgeht. Die Dar-
stellung ist gefällig und auch für den Laien anziehend. Der zweite Teil,
die Darstellung der Verwaltung der Kaiserzeit, ist ganz von Mommsen
und Marquardt abhängig. Auch hier ist das Buch für Deutschland keine
Bereicherung der Wissenschaft.
Th. Mommsen, Römisches Staatsrecht. 3. Band. 2. Abteilung
s. unter »Der Senat«.
B. Die Staatsgewalt.
1. Die Magistratur.
Job. Merkel, Über die Entstehung des römischen Bearatenge-
haltes und über römische Gerichtsgebühren. In Abhandl. aus d. Geb.
d. röm. Rechts. Heft 3. Halle 1888.
Der Verf. unterscheidet drei Perioden: die republikanische, die
erste und die zweite kaiserliche Epoche. In der Republik giebt der
Staat Ersatz bezw. Vorschufs für die im öffentlichen Interesse der Staats-
B. Die Staatsgewalt, 1. Die Magistratur. 187
Verwaltung gemachten bezw. zu machenden Auslagen. 1) militiae, da
hier, entfernt von der Heimat, solche Auslagen unvermeidlich sind, den
Legionaren, Centurionen und equites, den Feldherren, den Agrarma-
gistraten, den Gesandten, den Provinzialstatthaltern. 2) domi, obgleich
hier im allgemeinen die Anschauung gegolten haben wird, dafs zu er-
setzende Auslagen nicht vorkommen, den Priesterschaften, welche sacra
publica vollbrachten — genannt werden nur Curionen und Vestalen — ,
den Magistraten zum Zweck der Veranstaltung öffentlicher Spiele; voller
Ersatz war hier indessen nicht die Regel; endlich das aes hordearium
an den eques. Nicht einen direkten Bezug aus der Staatskasse, aber
einen aus derselben geschöpften Unterhalt empfangen die Begleiter der
militiae fungierenden Magistrate — wir hören in dieser Beziehung im
wesentlichen nur von dem Provinzialstatthalter — , nämlich der quaestor,
die Legaten, die amici und die Präfekten. Sie müssen zu diesem Zwecke
im Rom angemeldet werden und sind nur in bestimmter Zeit zulässig.
Diese Bezüge werden zur Bestreitung des Lebensunterhaltes gegeben
und heifsen cibaria oder sportulae, vestiaria, diaria, calciaria, alimenta
commoda, salaria. Die Apparitoren der Magistrate sind die einzigen
öii'entlichen Funktionäre, von denen der Empfang einer merces bestätigt
wird. Sie standen lediglich in einem privatrechtlichen Lohnverhältnis
zu ihrem Chef. Noch eine Veränderung tritt in der republikanischen
Epoche ein, indem das Stipendium der Soldaten zu merces herabsinkt.
Die Kleidung und die Naturalien werden nicht mehr abgezogen, und so
entwickelt sich der halb- und ganzjährige Sold zu einem selbständigen
Summenbegriff: das Stipendium semestre wird z. B. voll bezahlt, wenn
auch der Feldzug kein ganzes Halbjahr gedauert hat, während die Ge-
treidelieferung daneben nur auf so lange erfolgt, als das Kriegsbedürfnis
dieselbe erheischt.
In der ersten kaiserlichen Epoche wird von Augustus die Reise-
ausrüstung der Provinzialstatthalter in Geld angeschlagen und gewährt.
Eine Neuerung war dies nur für die bereits vorhandenen Statthalter-
schaften; von den neuen kaiserlichen wird nichts gesagt. Den Prokon-
suln der Provinzen Asien und Afrika wirft der Kaiser eine bestimmte
Summe aus als Ehren-, man darf vielleicht sagen, als Repräsentations-
Gelder. Sie beträgt in der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts an-
geblich 100 000 Sest. Diese letztere Summe wird die bisher und fort-
dauernd üblichen Naturalienbezüge, welche jene Statthalter aus ihrem
Verwaltungsbezirke (i'rumentura in cellam) und den sumptus annuus,
welchen sie vom Staate entnahmen, grundsätzlich nicht beeinflufst haben.
Ein wirkliches Beamtentum, das auf dem Treuverhältnis zwischen
Herrn und Sklaven, Patron und Freigelassenen beruht, ist das Proku-
ratorentum. Mit demselben ist in 26 nachweisbaren Beamtungen der
Gehaltsbezug verbunden; doch läfst es sich nicht erweisen, dafs dieser
den höheren Präfekten und den Statthaltern der kaiserlichen Provinzen
188 Römische Staatsaltertümer.
(Icgati Aug. pr. \n:) zukam. Der Verf. nimmt nun an, dafs die Gelder
den Charakter der Alimentation hatten ; den Ansiu'uch auf eine solche
bcsafs gerade der aus dem Hause des bisherigen Herrn durch Frei-
lassung ausscheidende Sklave. Als der Kaiser seine Beamten nicht mehr
blofs aus seinen Freigelassenen entnahm, gingen nichtsdestoweniger die
mit den Stellen verbundenen Gehalte auf die neuen Inhaber über. Die
Gehalte büfsten dadurch ihren ursprünglichen Charakter ein, und eine
Verwechselung mit den Salarien, wie sie der rrokonsul erhielt, war
grundsätzlich nicht mehr ausgeschlossen. Wir halten an dieser Auf-
fassung folgende Punkte für unerwiesen und unwahrscheinlich: 1) dafs
nur Freigelassene diese Procuratorengehalte von Anfang an bezogen,
2) dafs die höheren Präfekten und die kaiserlichen Legaten keine Ge-
halte bezogen. Damit sind alle daran geknüpften Schlüsse unsicher.
Die Epoche Hadrians, welcher die Stellen der Prokuratur mit
Rittern besetzt, ist der Anfangspunkt wahrer kaiserlicher Bearatenge-
halte. Diese wurden ausgedehnt auf die consiliarii und advocati fisci,
nicht aber auf die comites. Eine Neuerung dieser Epoche ist schliefs-
lich noch die Umwandlung der von der Besoldung hergenommenen Be-
zeichnung kaiserlicher Beamter in Amtstitel (ducenarii, centenarii, sexa-
genarii.
Für die diokletianiscli-constantinische Epoche ergeben sich dem
Verf. zwei Gruppen von besoldeten Beamten. Die einen erhielten Na-
turallieferungen in fixiertem Quantum, Geld nur nebenher: dies war der
Fall bei den Provinzialstatthaltern und Offizieren. Von den Adsessores
läfst es sich nicht sicher sagen, für frühere Verhältnisse spricht die
Analogie der comites. Die anderen empfingen nur Geld; so die Mit-
glieder des kaiserlichen Consilium und der Scrinien, die advocati fisci,
die exceptores. Für die Emolumente der Soldaten war noch am Ende
des fünften Jahrhunderts ein allgemein übereinstimmender Rechtszustand
nicht geschaffen worden, und nur die annonae der Officialen in den officia
palatina waren seit einem Gesetze vom Jahre 423, sowie die aller Pro-
vinzialstatthalter und ihrer Adsessoreu, einschliefslich dreier besonders
namhaft gemachter kaiserlicher Finanzbearaten in Geld umgesetzt wor-
den. Der Mafsstab der Adaeration war im ersteren Falle dem praef.
praet. überlassen; in dem zweiten Gesetze wird dieselbe nicht ange-
geben, sondern »partikulärer« Festsetzung anheimgestellt.
Carolina Amadori, Roma sotto i patrizi e della dittatura.
Alessandria 1888.
Der erste Aufsatz handelt von den Kämpfen zwischen Patriziern
und Plebeiern in den Jahren d. St. 245 — 388, in einseitig plebeischer
Parteinahme. Der zweite behandelt Ursprung, Wesen, Einflufs und Wir-
kungen der Diktatur in der römischen Geschichte. Wissenschaftlich ohne
Wert und nicht von Irrtümern frei.
B. Die Staatsgewalt. 1. Die Magistratur. 189
Wojciech Niemiec, De quaestoribus Romanis. Progr. Kolo-
nien 1887.
Eine in entsetzlichem Latein geschriebene reine Kompilation ohne
irgend welchen Wert.
Christian Werner, De feriis latinis. Diss. Leipzig 1888.
Über die Fasten des Latinischen Festes ist der Verf. zwar mit
Mommsen der Ansicht, dafs ihre Aufzeichnung auf decemvirale An-
ordnung zurückgeht; aber abweichend von ihm nimmt er an, dafs auch
die Ausführung dieser Anordnung sofort eingetreten sei.
In dem ersten Teile legt der Verf. den Anteil von Latinern und
Römern am Latinischen Feste dar; derselbe gehört so wenig wie der
zweite, der die Art der Feier entwickelt, in diesen Jahresbericht. Wohl
aber der dritte Teil, der von den praefecti Urbis handelt. Derselbe
bietet nur darin etwas Neues, dafs er Mommsens Annahme, diese prae-
fecti hätten bezüglich ihrer Amtshandlungen sämtliche Befugnisse des
Oberamts mit Ausnahme derjenigen der Präfektenernennung besessen,
bestreitet und die Crirainaljustiz ihnen abspricht. Auch wird ein Ver-
zeichnis der bekannten praefecti Urbis feriarum latinarum gegeben.
L. Cantarelli, Intorno ad alcuni prefetti di Roma della serie
Corsiniana. Bull, della Comm. archeol. comunale di Roma 16, 189 — 203.
Die von Corsini aufgestellte Reihenfolge der Stadtpräfekten ist
längst antiquiert und hat bereits mehrfach von Cardinali, de Rossi, Borg-
hesi, Seeck Ergänzungen erhalten; der Verf. will eine Nachlese für die
Jahre 455 — 476 liefern.
Die Resultate sind: Von der Corsinischen Reihe bleiben blofs:
458 Aemilianus, 468 C. Sollius Apollinaris Sidonius und 474 Audax.
Dagegen fallen nach 455 Castalius Innocentius Audax, nach 462 und
vor 466 Plotinus Eustathius; nach 467 (vielleicht 470?) Publius Rufinus
Valerius; nach 469 Flavius Eugenius Asellus; nach 472 und vor 474
Valentinus.
Lechat et Radet, Note sur deux proconsuls de la province
Asie. Bull, de Corr. hellen. 12, 63 — 69.
Die Verf. veröffentlichen zwei Inschriften aus der Gegend von
Kyzikos und Panderma. Nach der ersten war Vettius Proconsul 115/6
n. Chr. ; zugleich erfahren wir aus derselben, dafs Traian bereits offiziell
Parthicus hiefs, als er noch imp. XI war. Nach der zweiten war LoUia-
nus Gentianus 209 n. Chr. Proconsul von Asien.
J. M. Klein, M. Asinius Sabinianus. Rhein. Mus. 43, 159--160.
Auf einer Grabschrift findet sich der Name eines neuen Statthalters
von Asien; der Verf. will denselben erkennen in dem Asinius CIL 6,
1067, der Elagabal im Jahre 214 gehuldigt hat.
190 Römische Staatsaltertümer.
II. Kellner, Die römischen Statthalter von Syrien und Judaea
zur Zeit Christi und der Apostel. Z. f. Kath. Theol. 12. 4G0 — 486;
630— G55.
Der Verf. giebt zunächst einen Auszug aus Mommsens Staatsrecht;
der freilich nicht überall klar ist z. TJ. bei den legati proconsulari po-
testate (sie!). Anschliefsend an Mommsens Ansicht, dafs Judaea nach
Absetzung des Archelaus eine prokuratorische Provinz geworden sei, nimmt
er an, auch Samaria sei eine selbständige Provinz gewesen; nachher be-
schränkt er diese Ansicht insoweit, dafs er wenigstens zeitweilig eine
selbständige Organisation dieser Provinz festhält.
Sodann stellt der Verf. die Liste der römischen Statthalter von
Syrien und Judaea auf. Weniges ist daraus hervorzuheben, da mehr
Bekanntes nach Schürer u.a. zusammengestellt, als eine neue Unter-"
suchung geführt wird. C Caesar hat nach Momrasen res g. p. 166^ nicht
die Statthalterschaft von Syrien bekleidet; der Verf. nimmt nach Ana-
logie des Agrippa das Gegenteil an; freilich steht die Thatsache auch
nicht für Agrippa fest. Wie der Verf. für P. Quintilius Varus die Jahre
748 — 753 festhält und damit das Geburtsjahr Christi unter seine Statt-
halterschaft setzt, so will er auch den Census des Quirinius nach Luc.
2, 1 vor 759/60 festhalten. »Ein solcher kann ganz gut zur Zeit der
Geburt Christi unter seiner Leitung ausgeführt worden sein«.
In der Liste der Prokuratoreu wird angenommen, Felix sei vor
52 Procurator von Samaria gewesen; seine Amtszeit in Judaea ist auf
die Jahre Ende 52 bis November 54 zu beschränken; die des Festus
dauerte von Ende 54 bis Anfang 60; Albinus trat Anfang 61 sein Amt an.
In einem Anhang werden die jüdischen Hohenpriester dieser Zeit
behandelt.
W. Liebe nam, Forschungen zur Verwaltungsgeschichte des römi-
schen Kaiserreichs. 1. Band: Die Legaten in den römischen Provinzen
von Augustus bis Diokletian. Leipzig 1888.
Im ersten Teile giebt der Verf. eine Bearbeitung der Legatenfasten.
Ob dieselben vollständig sind, wieviele und welche Namen fehlen, kann
nur eine Nacharbeit feststellen. Dieselbe ist teilweise von Dessau nicht
zum Vorteile der Zuverlässigkeit vorliegender Arbeit vollzogen worden.
(Deutche Lit. Ztg.) Die zweite Abteilung giebt eine Besprechung einiger
Fragen, welche sich auf die kaiserlichen Legaten beziehen. Hier werden
die Teilung der Provinzen, die Bedeutung und Gefahr der grofsen Kom-
mandos, die Stellung der Legaten in den kaiserlichen Provinzen, das
Verhältnis der Statthalter zu den Provinzialen, die Befugnisse und die
Ernennung durch den Kaiser, das Verhältnis zum Prokurator, die Dauer
der Statthalterschaft, der Rang der Legationen und die Titel der Le-
gaten erörtert. Ich habe eigentlich keinen Grund für diese Ausführun-
gen finden können; denn sie enthalten fast durchweg nur bekannte Dinge.
ß. Die Staatsgewalt. Die Magistratur. 191
Cl. Pallu de Lessert; Les fastes de la Nuraidie. Paris 1888.
Die Arbeit über die numidischen Statthalter zeigt sorgfältige Quellen-
studien und liefert manche Korrekturen zu dem CIL, da der Verf. in der
Lage war, durch Autopsie die Inschriften zu kontrolieren. Cagnat weist
dem Verf. einzelne Irrtümer nach, die ihm infolge zu grofser Kühnheit
in der Verwertung begegnet sind.
Joh. Kromayer, Die rechtliche Begründung des Prinzipats. Diss.
Strafsburg 1888.
Der Verf. will das Prinzipat nach seinen rechtlichen Formen unter
Berücksichtigung der genetischen Entwicklung zu verstehen suchen. Dies
geschieht in vier Abschnitten, welche je die Zeit des Triumvirats vom
Jahre 43 — 33, die Übergangsperiode vom Jahre 32—27, die ältere an
das Consulat angelehnte Form vom Jahre 27 — 13 und endlich die ab-
schliefsende Umgestaltung vom Jahre 23 umfassen.
Die auf Grund der lex Titia bestehende Triumviralgewalt erlosch
mit dem 81. Dezember 38; von da an ist die Grundlage der Stellung
von Antonius und Octavianus unklar. Mommsen hat die hieraus ent-
stehenden Schwierigkeiten dadurch zu beseitigen gesucht, dafs er die
Theorie aufstellte, bei constituierenden Gewalten sei die Zeitgrenze ohne
rechtsverbindliche Kraft. Darnach konnten also die Gewalthaber auch
ohne Genehmigung der Komitien ihr Amt von Rechtswegen weiter führen.
Der Verf. bestreitet, dafs sich dieser Rechtssatz aus der Erzählung vom
Dezemvirate des Jahres 449 v. Chr. ableiten lasse, hält es aber anderer-
seits nicht für denkbar anzunehmen, dafs Antonius über sieben, Octavian
zehn Jahre lang ohne gesetzliche Befugnis an der Spitze des römischen
Staates gestanden haben sollten; nach den Quellennachrichteu ist dies
aber auch gar nicht nötig. Der Verf. nimmt an, dafs beide Triumvirn
nach 31. Dezember 38 zunächst als Promagistrate im Amtskreise militiae
das Kommaudo behielten ; zu diesem Zwecke blieben sie aufserhalb Roms.
Der Tarentiner Vertrag, welcher die Fortführung des Triumvirats be-
stimmte, wurde nur rechtskräftig, wenn das Volk ihn bestätigte- Der
Verf. nimmt nach Appian Illyr. 28 an, dafs dies geschehen sei. Die
Ernennung für das zweite Triumvirat erfolgte mit rückwirkender Ki'aft
bis zum 1. Januar 37, so dafs als gesetzlicher Endtermin der 31. Dezem-
ber 33 anzusehen ist; dieses Datum bezeichnet zugleich den Endtermin
des Triumvirates überhaupt.
Mit dem Abiauf des Jahres 33 trat derselbe Zustand ein, wie fünf
Jahre vorher; der magistratische Charakter der Triumvirn und ihre Be-
fugnisse in Rom erloschen, der promagistratische Charakter bestand bis
auf weiteres fort. Aber im Jahre 32 verlor Antonius das Imperium in-
folge der Abrogation durch die Komitien, Octavian durch das Betreten
der Stadt Rom. Keiner von beiden erhob mehr Anspruch auf das Trium-
virat; denn die Münzen des Antonius mit III vir r. p. c. nach dem Jahre
192 Römische Staatsaltertümer.
33 will der Verf. so eikliiron , dafs auch schon damals auf den Münzen
verflossono Ämter genannt werden. Jedenfalls aber kennt die Überliefe-
rung hei Octavian üher das Jalir 33 hinausgehende Ansprüche an das
Trinmvirnt nicht , und dies steht vollkommen im Einklang mit dem Be-
richte des Kaisers selbst, nach dem dieses Amt nur zehn Jahre ge-
dauert hat.
Im Jahre 32 führte Octavian einen Staatsstreich aus; die einzige
rechtliche Quelle seiner Stellung ist von jetzt an der Notstand. Derselbe
wurde anerkannt durch den Eid des Gehorsams, den das römische Volk
dem Octavian leistete. Sueton hat diesen Akt mit Recht als coniuratio
bezeichnet; es ist wirklich ein Soldateneid, und jeder, der ihn schwor,
stellte sich unter militärisches Kommando und wurde Soldat. Die eige-
nen Angaben des Octavian stimmen mit dieser Auffassung durchaus über-
ein. Dieses Notstands -Regiment wurde erst in den Jahren 28 und 27
durch stückweise Übertragung der einzelnen Verwaltungszweige an Senat
und Volk allmählich beseitigt; die verfassungsmäfsigen Gewalten treten
13. Januar 27 wieder in den Besitz des ganzen Reiches.
Die dritte Ei)Oche dauert vom Jahre 27 — 23 ; in dieser bildete das
Konsulat zusammen mit einem festbegrenzten militärischen Kommando
den Mittelpunkt der Machtstellung des Herrschers. In diesem Zusammen-
hange werden mehrere streitige Fragen erörtert. Zunächst die des Im-
peratortitels. Der Verf. findet in der Verleihung bezw. Bestätigung
des ständigen Imperatornamens im Jahre 29 vor allem das Beispiel Cä-
sars im Jahre 45 mafsgebend. Was die Bedeutung des Namens betrifft,
so will der Verf. keine anderen an dem ständigen Imperatornamen haften-
den Rechte anerkennen, als sie mit dem gewöhnlichen Siegestitel ver-
bunden waren, er ist also nichts anderes als der titulare Ausdruck des-
jenigen Imperiums, welches der betreifende Machthaber zur Zeit der
Verleihung gerade besafs. Da aber die Imperien Cäsars und Octavians
zeitlich begrenzt waren, so blieb, wenn sie ohne erneuert zu werden,
abliefen, nur der Imperatorname übrig. Die grofse politische Wichtig-
keit des Senatsschlusses vom Jahre 29 liegt darin, dafs er, gleich dem
vom Jahre 45, diesem Titel eine selbständige Existenzfähigkeit gab und
mit der Erlaubnis zur Führung des dauernden Titels implicite auch ein
dauerndes Imperium verlieh. Dasselbe gab seinem Inhaber zunächst
allerdings nur gewisse, von dem imperium untrennbare Ehrenrechte, ver-
lieh ihm aber die Befähigung nach einfachem Senatsbeschlusse ohne weitere
Förmlichkeit jedwedes Kommando zu übernehmen. Damit glaubt der
Verf. alle Nachrichten und Ansichten in Einklang bringen zu können.
An sich war der Imperatortitel nur Ehre und kein Recht. Aber zu-
sammen mit dem von Augustus auf Grund des Notstands -Kommandos,
später auf Grund einer anderen speziellen Verleihung geführten Ober-
befehle über das Heer und die wichtigsten Provinzen trat der vorgesetzte
Imperatorname als titularer Ausdruck dieses Imperiums auf. Da aber
B. Die Staatsgewalt. 1. Die Magistratur. 193
auf dem militärischen Oberbefehle die faktische Macht des Kaisers be-
ruhte, der vorgesetzte, ständige Imperatorname aber Jahrhunderte lang
das ausschliefsliche Vorrecht des regierenden Fürsten war, so hat Dio
recht, wenn er den Imperatornamen der Kaiser als dritte Kategorie von
den beiden anderen in der Republik gebräuchlichen ausscheidet und ihn
als eigentliche Herrscherbezeichnung auffafst.
Aber die Übernahme des Imperatoruamens ist durchaus nicht iden-
tisch mit der der prokonsularischen Gewalt; Augustus erhielt beide zu
verschiedenen Zeiten und den erstereu auf Lebenszeit, die letztere nur
befristet. Dasselbe Verhältnis gilt für die Folgezeit. Die Armee konnte
einen Imperator ausrufen, aber ein Recht auf Verleihung der prokonsu-
larischeu Gewalt besafs sie nie: dafür waren allein die Komitien kom-
petent.
Der Name, unter dem Augustus in den Jahren 27 — 23 sein militä-
risclies Kommando gehandhabt hat, sowie die Formulierung des Impe-
riums ist nicht mehr festzustellen. An die Bezeichnung Imperium pro-
consulare ist nicht zu denken, eher dürfte das Imperium in den Provinzen
in den Jahren 27 — 23 als konsularisches zu definieren sein. Nach Dio
erfolgte die Übertragung des prokonsularischen Lnperiums erst 23. Sei-
nem Wesen nach läfst sich der kaiserliche Oberbefehl in mehrfacher
Beziehung mit den grofsen aufserordentlichen Imperien der schwindenden
Republik vergleichen. Es ist daher von vornherein wahrscheinlich, dafs
die Übertragung durch eine lex erfolgte; Dio 53, 12, 1 berichtet dies
ausdrücklich, und Modificationen des kaiserlichen Kommandos wurden
ebenfalls durch Gesetze sanktioniert (Dio 53, 32, 6). Die Teilnahme der
Komitien an der Übertragung des kaiserlichen, gewöhnlich als prokon-
sularisch bezeichneten Imperiums steht sowohl für Augustus als für seine
Nachfolger bis ins dritte Jahrhundert hinein fest.
Die im Jahre 23 festgestellte Form der Herrschaft bestand im
Grofsen und Ganzen unverändert bis zum Tode des Augustus und noch
über denselben hinaus. Die Verleihung der vollen tribunicischen Gewalt
mit dem Namen derselben erfolgte erst 23 Im Jahre 36 hatte Octavian
nur die sacrosauctitas und das Recht, auf der Bank der Tribunen zu
sitzen, erhalten, im Jahre 30 war das ins auxilii dazu gekommen; im
Jahre 23 erhielt er aber das Recht der Intercession und der Verhand-
lung mit Senat und Volk, welche nach Niederlegung des dauernden Kon-
sulats unentbehrlich waren. Der Umfang der tribunicischen Gewalt ist
bei Augustus kein anderer als bei den eigentlichen Volkstribunen; ins-
besondere sind die einzelnen demselben verliehenen persönlichen Vor-
rechte , welche zum Teil in dem Yespasianischen Bestallungsgesetze ent-
halten sind, weder in begrifflichen noch in chronologischen Zusammen-
hang mit ihr zu bringen. Wahrscheinlich war sogar der Übertragungs-
modus der einzelnen Befugnisse je nach ihrer Natur ein verschiedener,
so dafs in einem Falle das Volk, im andern der Senat die Verleihung
Jahresbericht für Alterthumswissenschaft. LXIV. Bd. (1890 III.) 13
194 Römische Staatsaltertdmer.
vollzog. Später drängte das praktische Bedürfnis dazu hin, die vielen
einzelnen ohne bestimmten Namen auftretenden Befugnisse zusammenzu-
fassen und auf einmal zu übertragen (lex de imperio). Dieses geschah
in den conütia imperii im Anschlüsse an die Übertx'agung des Imperium
sofort nach dem Senatsbeschlusse durch das Volk; dies ist der dies
imperii.
Ein Exkurs beschäftigt sich mit der chronologischen Bestimmung
des Vertrages von Tarent; das Ergebnis ist, dafs der Vertragsabschlufs
etwa September oder Oktober 37 zu setzen ist.
Die Untersuchung ist mit Scharfsinn und grofser Folgerichtigkeit ge-
führt. Und wenn wir die Zusammenfassung der genetischen Entwicklung
lesen, so erhalten wir den Eindruck, dafs eigentlich Augustus mit einer
raffinierten Sj'stematik, welche einem modernen Staatsrechtslehrer Ehre
machen würde, die ganze Konstruktion dieser Entwicklung ausgetüftelt
hat; so genau hängt ein Glied am anderen Verdächtig wird dem Kenner
dieser Dinge gerade dieses merkwürdige Ineinanderpassen sein; denn das
Leben verläuft einmal nicht, wie die nachträgliche Konstruktion es aus-
klügelt. Wir wollen wenigstens zwei Bedenken hier mafsgeltend machen.
Dafs Antonius sich nach dem Jahre 33 regelmäfsig auf den
Münzen III vir r. p. c. nennt, soll nach des Verf.'s Ansicht nicht be-
weisen, dafs er Anspruch auf das Triumvirat erhob; »denn es kommt
schon damals wiewohl vereinzelt vor, dafs auch auf Münzen ver-
verflossene Ämter genannt werden«. Die hervorgehobenen Worte ent-
scheiden über den Wert des Arguments; aus vereinzelt vorkommenden
und sich- vielleicht sehr natürlich erklärenden Aufschriften, wenn wir nur
stets die Zeit der betreffenden Münze oder Inschrift genau wüfsten, kann
selbst im günstigsten Falle nicht abgeleitet werden, dafs auch die regel-
mäfsig gebrauchte Aufschrift lediglich abusiv zu erklären sei. Meines
Erachtens hat Mommsen durchaus das Richtige getroffen, wenn er die
um die Niederlegung des Imperiums sich drehenden Verhandlungen der
letzten Zeit des Bürgerkrieges nicht aus dem Notstands-Commando ab-
leiten zu sollen glaubt.
Der Verf. meint, mit seiner Auffassung des Imperatortitels als einer
an und für sich bedeutungslosen Benennung, die aber die Befähigung
enthielt, nach einfachem Senatsbeschlusse ohne weitere Förmlichkeit jed-
wedes Kommando zu übernehmen, die Mommsen'sche Auffassung vom
imp. proconsulare beseitigt zu haben. Die ganze Konstruktion ist un-
zweifelhaft scharfsinnig und streng logisch: der Imperatortitel verleiht
eine facultas, die aber erst durch den Senat effektiven Wert erhält. Aber
dieser Auffassung steht doch die Dios direkt entgegen. Dieser nennt
diese imxhjcrcs geradezu zo xpd-og Siaa^ixacvooaa^ xpdrog bezeichnet
aber doch nie die blofse facultas, das »blofs formale Imperium«, sondern
die effektive Gewalt, die er an einer anderen Stelle sogar au-o-sXrjg
h^ouata nennt, was doch gerade das Gegenteil von einer Gewalt ist, die
B. Die Staatsgewalt. 1. Die Magistratur. 195
erst durch den Senat mit Inhalt und Wirkungskraft ausgestattet werden
raufs. Und sollte sich wirklich in der ganzen Litteratur gar keine Spur
einer dahin gehenden Überlieferung erhalten haben? Was wollte ferner
Tiberius damit sagen, dafs er auroxpa-aip rwv öTpaziojvoJv sei, wenn der
Titel jenen allgemeinen Inhalt hatte, der die Füllung durch den Senat
erhielt; der Senat hatte ihm, wenn das Soldatencommando, doch sicher-
lich auch den Proconsulat über die Provinzen verliehen ; Tiberius hat
auch den letzteren ohne Bedenken geübt. Endlich spricht gegen die
Annahme, dafs der kaiserliche Imperatortitel unter Augustus nichts
anderes als der republikanische, inhaltslose Titel gewesen sei, die schon
unter diesem Kaiser erscheinende Verbindung des neuen Titels mit dem
alten, der iteriert wird. Noch weniger erfahren wir irgendwo etwas
über die Verleihung der im Imperium enthaltenen Rechtsprechung; auch
sie hätte nach der Theorie des Verf. 's durch den Senat in das »blofs
formale Imperium« besonders hineingetragen werden müssen.
H. Pelham, On some disputed points connected with the »Impe-
rium« of Augustus and bis successors. Journ. of Philol. No. 33, 27 — 52.
Der Verf. erörtert folgende Streitfragen, die das kaiserliche Im-
perium betreffen: die Erneuerung des Imperiums sowie die dazu ge-
liörigen Regierungshandlungeu; das konsulare oder prokonsulare Impe-
rium, die Bestimmungen des Jahres 23 v. Chr., die lex de imperio, das
konsularische Imperium in Rom.
Jul. Asbach, Römisches Kaisertum und Verfassung bis zur Er-
hebung Vespasians. Hist. Taschenbuch 7, 107 — 155.
Nach allgemeinen Ausführungen über die Entstehung der Monar-
chie will der Verf. den Prinzipat in die Mitte stellen zwischen der grie-
chischen Tyrannis, welche die Macht der Geschlechter stürzte und ge-
stützt auf ein stehendes Soldheer und den jetzt erst zur Mündigkeit ge-
langenden Demos emporkam, und andererseits dem Kaisertume der Bo-
naparte, das als Quelle seiner Gewalt die Volkssouveränität anerkennt
und ein Berufsheer zu seiner Stütze gemacht hat. • Eine schrankenlose
und unbestimmte Gewalt haben die Napoleoniden, als die einzigen Ver-
treter des Volkes, ausgeübt. Schrankenlos und unbestimmt war die Macht-
stellung des Prinzipats, wenn auch jedes einzelne, ihm vom Senat über-
tragene Amt wohl umgrenzt war. Die römische Verfassung ist eine ge-
mischte, der Regent König ohne Scepter und Diadem, seine Herrschaft die
vollendete Reaktion der römischen Demokratie gegen die Ausschliefslich-
keit einer aristokratischen Regierung und der Provinzen gegen die Herr-
schaft einer Stadtgemeinde. Die Nobilität ist nicht beseitigt, aber ihre
Macht unschädlich, weil sie dieselbe mit einem Höheren, von dem ihr
Thun und Lassen im Interesse des Ganzen überwacht wird, teilen mufs.
Indem Augustus den historischen Charakter des römischen Staates mit
13*
196 Römische Staatsaltertümer.
den inonarchischeu Ideen in Einklang setzte, hat er seinem Werk für
drei Jahrhunderte Dauer verliehen.
Ohne sich selbst für einen Gott auf Erden zu halten, wollte Okta-
vian sein Werk als ein göttliches betrachtet wissen; das Endergebnis
dieser Entwickelung war die neue Staatsreligion des Augustus und der
Roma, welche die Stämme am Rhone, am Rhein, an der Donau und am
Euphrat verband. An die verbreitete Idee der Wiederkehr des golde-
nen Zeitalters knüpfte das neue Saeculum an, das mit dem 26. Juni 23
V. Chr. begann; in diesem Akte und den Säkularspielen des Jahres 17
fand die Konstituierung des Prinzipats ihren Abschlufs. Auch der ihm
2 V. Chr. verliehene Titel »Vater des Vaterlands« bezeichnet den Kaiser
als ein göttliches Wesen, als den Genius des Reiches. Die Ersetzung
des Jahreskonsulats durch das halbjährige im Jahre 1 v. Chr. sollte die
Macht der Aristokratie weiter schwächen, und demselben Zwecke diente
die Begründung neuer kaiserlicher Ämter, die Verfügung über die öffent-
lichen Kassen und die Minderung der Bedeutung der grofsen Amter.
Der Rechenschaftsbericht, den Augustus hinterliefs, erinnert an die mo-
numentale Geschichtschreibung der Monarchieen des Ostens, seine Grab-
stätte an die Königsgräber der Ptolemäer.
Unter Tiberius wurde das Imperium zur lebenslänglichen Gewalt
und vollendete sich auch äufserlich zur Monarchie. Seine Absicht war
im Sinne und nach dem Beispiele des Augustus zu regieren, und in den
ersten Jahren hat er sie auch durchgeführt. Durch das Treiben der
Parteien in der Aristokratie wurde er im Jahre 26 zur Entfernung aus
Rom bewogen; damit war der Schritt von dem constitutionellen Prin-
zipat zur Militärmonarchie vollzogen. Wenn uns auch der Zusammen-
hang im Einzelnen vielfach unklar bleibt, so lassen sich doch die Er-
gebnisse feststellen. Am 1. Januar 31 übernahm Tiberius mit Seian das
Konsulat auf fünf Jahre. Es war der höchste Triumph der antirepubli-
kanischen Politik der letzten Jahre, (iafs ein Ritter zum höchsten Staats-
amte gelangte. Nach Seians Sturz wurden neue Schläge gegen den Se-
nat geführt: Verkürzung der Fristen, willkürliche Besetzung der freien
Stellen, Majestätsanklagen, mafsloses Mifstrauen. Aber in der Verwal-
tung der Provinzen äufserte sich dieses nicht.
Gaius hob bald nach seiner Regierung den Ritterstand und drückte
den Senat; ja er dachte daran das Diadem anzunehmen und die Zeichen
des Prinzipats mit denen der Königswürde zu vertauschen.
Unter Claudius regierten die Inhaber der hohen Hofämter a ratio -
nibus, ab epistulis und a studiis. In der Verleihung des Konsulats
herrscht reine Willkür. Besonders schroff wurden die Beziehungen zum
Senat nach Erhebung der Agrippina zur Augusta, und damit zur Mit-
regentin. An 35 Senatoren wurden hingerichtet ; die Auflösung derReste
der alten Nobilität schreitet unter dem Regimente des Gaius und Clau-
dius unaufhaltsam voran. Auf dem Verwaltungsgebiete, namentlich der
B. Die Staatsgewalt. 1. Die Magistratur. 197
Finanzen, wurde die Thätigkeit der Nobilität zu gunsten der Kitter und
Freigelassenen lahm gelegt. Das Wohl der Massen wurde gefördert,
die Polizei energisch gehandhabt, für eine solide und gute Justiz ge-
sorgt. Der Gegensatz zwischen Italien und den Provinzen wird durch
Verleihung des Bürgerrechts und Kolouiegründung auszugleichen ver-
sucht. Trotz aller äufseren Rücksicht gegen den Senat ist die Regie-
rung des Claudius ebenso antiaristokratisch als die des Tiberius. Das
Volk hing an dein Kaiser, die Aristokratie verabscheute ihn, wie ver-
schiedene Verschwörungen zeigen; seine schliefsliche Apotheose zeigt
nur, wie fest Agrippina und Pallas das Heft in der Hand hatten.
Im Anfange der Regierung des Nero lenkten dessen Ratgeber wie-
der zu Augustus' Politik zurück, wie das Wiederaufkommen des halb-
jährigen Konsulats zeigt. Hier war der Einflufs des Seneca mafsgebend,
welcher der Theoretiker des Prinzipats ist. Nach ihm ist der Fürst
der Diener Aller; die Monarchie ist eine Notwendigkeit; aber Dauer
kann ihr nur mafsvolle Beschränkung verleihen, darum ist der Prin-
zipat des Augustus, die zwischen Regent und Senat geteilte Herrschaft,
die beste Regierungsform. Nach diesen Grundsätzen wurde von Burrus
und Seneca regiert. So lange war der Senat zufrieden. Seit 62 wuchs
die Unzufriedenheit der Aristokratie, die in der Pisonischen Verschwö-
rung ihren Ausdruck fand. Sollte Seneca wirklich auf den Thron er-
hoben werden, so bedeutete dies die Herstellung des Zustandes, wie er
in den ersten sechs Jahren Neros gewesen w^ar. Bald darauf wurde
eine zweite Verschwörung entdeckt. Die Katastrophe des Nero war nicht
durch den Wunsch einer republikanischen Restauration herbeigeführt
worden. Vindex schrieb nicht den Sturz der Monarchie, sondern den
des Monarchen auf seine Fahne; es handelte sich um einen blofsen Ab-
fall, der erst durch die Verbindung mit Galba die Bedeutung eines Bür-
gerkrieges gewann. Verginius und Galba dachten beide an die Her-
stellung der Dyarchie, während sie die Personalfrage der Entscheidung
des Senats vorbehielten. In Rom selbst war die Fortdauer des Prinzi-
pats keinen Augenblick in Frage gestellt. Die libertas restituta auf Gal-
bas Münzen bringt den Anspruch zum Ausdruck, den der Senat auf Teil-
nahme am Regimente hatte.
Galbas Regiment ist durchaus durch die Rücksicht auf den Adel
geleitet, für den jetzt die Stunde der Rache gekommen war. Aber durch
die Ausführung dieser Absicht verlor Galba bald allen Boden, und sein
Sturz wurde durch die Nachfolgefrage herbeigeführt, die er so entschied,
dafs er sich die Sympathie des Senats sicherte. Otho suchte ebenfalls
den ihm mifstrauisch entgegentretenden Senat zu gewinnen; aber mit
seinem Falle geriet der Staat in die Hände fremder Eroberer; wie Vi-
tellius die Anknüpfung an die Dynastie verschmähte, so hatte das ganze
Regiment ein unröniisches Gepräge.
Bei Vespasians Erhebung fand das Verhältnis zwischen den beiden
198 Römische Staatsaltertümer.
Faktoren der Reicbsregierung in oinoni mit Gesetzeskraft ausgestatte-
ten Senatsbesclilusse seinen Ausdruck. Alle persönlichen Gewaltsam-
keiten des Machthabers sollten für die Zukunft ausgeschlossen bleiben.
Der Prinzipat verstand sich zu den Formen eines legalen Amtes.
An epigraphical journey in Asia Minor und The Wolfe Expedition
to Asia Minor. By J. R. Sitlington Stcrrett in Papers of the
American School of Classical Studies at Athens. Vol. II und III.
Boston 1888.
Der zweite Band des amerikanischen Archäologischen Instituts in
Athen enthält die inschriftlichen Ergebnisse einer Reise in Kleinasien,
welche der Verf. im Sommer 1884 auf seine Kosten unternahm. Darun-
ter befinden sich teils neue Funde, teils berichtigte Lesarten früher ver-
öffentlichter Inschriften. Besonders ergiebig war die Reise für die Kaiser-
inschriften.
Der dritte Band enthält die epigraphischen Ergebnisse einer zwei-
ten 1885 unternommenen Reise nach Kleinasien, welche Prof. Sterrett
mit Unterstützung einer Miss Wolfe ausführte. Auch dieser Band giebt
viele neue Inschriften, darunter wieder zahlreiche Kaiseriuschriften, aber
auch sonst manchen interessanten Fund.
Die Veröffentlichung verdient besondere Anerkennung wegen der
Sorgfalt und Genauigkeit sowie der schönen typographischen Ausstattung.
Paul Habel, De pontificum Romanorura inde ab Augusto usque
ad Aurelianura condicione publica. Cap. I. Fasti pontificum maxi-
morum et pontificum. Diss. Breslau 1888.
Der Verf. will eine Fortsetzung der Untersuchung von C. Bardt
die Priester der vier grofsen Kollegien aus römisch-republikanischer Zeit
liefern. Der hier veröffentlichte erste Teil enthält zunächst eine höchst
sorgfältige Sammlung derjenigen Persönlichkeiten, welche als Träger des
Ober-Pontifikats oder der vier grofsen Priestertümer bekannt sind. Man
darf der Fortsetzung mit Spannung entgegensehen.
0. Hirschfeld, Zur Geschichte des römischen Kaiserkultus. Sitz.-
Ber. d. Berl. Akad. d. Wiss. phil. bist. Classe 1888, 833—862.
Der Verf. weist zunächst nach, wie der Kaiserkult in dem Königs-
kulte der Ptolemäer, Seleuciden und Attaliden und in dem Kulte der
Göttin Roma Vorbilder fand, die noch gesteigert wurden durch die Sitte,
den römischen Prokonsuln gemeinsam mit Göttern oder der dea Roma
Tempel zu weihen. Besonders reichlich war die Sitte bei Pompeius und
Caesar geübt worden, und Antonius als Beherrscher des Orients hat die
den Ptoleraäern erzeigten göttlichen Ehren und mehr als diese unver-
hohlen für sich in Anspruch genommen.
Augustus schied anfangs strenge zwischen Orient und römischen
B. Die Staatsgewalt. 1. Die Magistratur. 199
Unterthanen, indem er letzteren nur den Kult seines zum Gott erkLärten
Vaters, ersteren dagegen seine eigene göttliche Verehrung gestattete,
und zwar zuerst in Pergamou, wo bereits der Attalidenkult frühe zu
hoher Entwicklung gelangt war. In der späteren Zeit seiner Regierung
hat sich Augustus auch von den Römern, und zwar selbst in Italien,
mit alleiniger Ausnahme der Hauptstadt, göttliche Verehrung gefallen
lassen ; doch läfst sich dieselbe nur in Städten nachweisen , die von
ihm ausgeführte Kolonieen sind oder nnter seinem besonderen Schutze
stehen. Eine gewisse Ergänzung bildete die Einrichtung der Augusta-
lität, welche dem Kaiserkulte ihre Entstehung verdankt. Aber neben
den mannichfachen aus munizipaler Initiative hervorgegangenen Kult-
formen erscheint bereits in angustischer Zeit auch im Westen der von
vornherein in festen Formen auftretende Kaiserkult der ganzen Provinz,
so in Lyon, Narbonne, Tarragona. Doch nicht in allen Provinzen; so
wurde der provinziale Kaiserkult in Afrika erst unter Vespasian, in
Britannien unter Claudius organisiert. Tiberius gestattete nur im Orient
die Errichtung von Tempeln, in Gemeinschaft mit seiner Mutter und
dem Senate. Im Occident lehnte er diese Ehre entschieden ab und
wollte sie auf Augustus beschränkt sehen. Mit Ausnahme von Gaius
Caesar, Nero, Domitian haben die Kaiser, wenigstens in Italien und dem
Westen, bis auf Marcus nur die Verehrung in Anspruch genommen, die
ihnen innerhalb des Rahmens des bereits seit Augustus zu einem inte-
grierenden Teile der Reichsverfassung gewordenen Kaiserkults, in dem
das persönliche Element fast ganz zurücktritt, als Zeichen der Loyalität
dargebracht werden mufste. Dagegen erhielt der Kult der Göttin Roma,
der mehr und mehr gegen den mit ihr gemeinsam verehrten Herrscher
in den Hintergrund getreten war, durch Hadrian einen neuen Impuls
in Italien und den Provinzen des Westens. Auch bezüglich der übrigen
Mitglieder der Kaiserfamilien, denen die Apotheose zuteil wurde, macht
Hirschfeld die erforderlichen Zusammenstellungen.
Das Obiect des Provinzialkultes war zu Augustus' Lebzeiten der
regierende Kaiser im Verein mit der römischen Stadtgöttin, während
der Kult des Divus Julius nirgends mit demselben combiniert worden
ist und im Westen anscheinend nur geringe Verbreitung gefunden hat.
Auch nach dem Tode des Augustus scheint das Verhältnis so gewesen
zu sein, dafs der Provinzialkult dem regierenden Herrscher reserviert
blieb, während die Verehrung der Divi den einzelnen Gemeinden über-
lassen wurde. Der Titel des Provinzialpriesters lautet flamen oder sa-
cerdos, in seinen Rechten und Pflichten ist derselbe dem flamen Dialis
in Rom nachgebildet. Doch finden sich Provinzialpriesterinnen nur im
Orient, in Spanien und in Gallia Narbonensis. In den westlichen Pro-
vinzen war der Kaiserkult von vornherein für römische Bürger bestimmt,
und die Priesterstellen wurden ausschliefslich mit solchen besetzt.
Die Wahlart des Provinzialpriesters ist nicht genau bekannt, das
200 Römische Staatsaltertümer.
Konzil der Provinz hatte eine Mitwirknnp;, wohl aber nur eine formale
Bestätigung der von einer der zum Landtage berechtigten Städte in be-
stimmtem Turnus vollzogenen Wahl. Das Amt ist jährig, worin sich eben-
falls der Ursprung desselben aus dem Oriente verrät. Die Provinzial-
pricster haben den Untergang des Heidentums überdauert, nachdem der
von jelier geringe religiöse Gehalt gänzlich verschwunden war.
Wilh. Büchner, De neocoria. Dissertat. Giefsen 1888.
Wir können in diesem Teile des Jahresberichtes aus der fleifsigen
und verdienstlichen Abhandlung nur das hervorheben, was sich auf
das Staatsrecht bezieht. Der Neokorat des Kaiserkultes erscheint früher
auf den öffentlichen Denkmälern als der der einheimischen Gottheiten;
wo der Neokorat ohne Zusatz erscheint, ist an den Kaiserkult zu denken.
In allen Städten, welche sich als vswxöpm der Kaiser bezeichnen, be-
fanden sich Kaisertempel und wurden Spiele gefeiert, beides auf Grund
eines Senatsbeschlusses. Jeder derartige Tempel begründet den Anspruch
auf Neokorat. wenn er zugleich eine Einrichtung für die ganze Provinz
ist. Der Kult der dea Roma war nicht in allen diesen Tempeln mit
dem Kaiserkult verbunden, wurde teilweise auch später von letzterem
getrennt. Die mit dem Neokorat verbundenen Spiele tragen den Namen
des Kaisers, dem der Tempel geweiht ist. Erhielt die Stadt durch eine
Kaisertempelanlage die Stellung der Metropolis, so konnten die Spiele als
xoivd {Aacag^ BiBuvlag) bezeichnet werden. Die Errichtung eines Kaiser-
tempels konnte nur mit Genehmigung des Senates erfolgen.
Theod. Mommsen, Ostgotische Studien. Neues Archiv d. Ges.
f. alt. deutsche Geschichtskunde Bd. XIV.
Der Verf. will in einer Reihe von Abhandlungen die wichtigeren
staatlichen Ordnungen darlegen, welche in Italien und den damals dazu
gehörenden Gebieten unter den germanischen Königen von dem Auftre-
ten Odovacars im Jahre 476 bis zu der Gefangennahme des Witiges im
Jahre 540 gegolten haben und nicht einfach als Fortsetzung der früheren
Verhältnisse sich darstellen. Diese Länder bildeten einen Bestandteil
des römischen Reichs, und was von germanischen Institutionen sich da-
selbst vorfindet, mufs innerhalb dieses Rahmens erwogen werden. Er
behandelt
1) Die Konsulardatierung des geteilten Reiches. Die
Konsuln sind, so lange sie bestanden, immer Beamte des Gesamtreiches
geblieben. Wenn es nur einen Kaiser gab, ernannte dieser beide Konsuln;
bei coordinierten Kaisergewalten mufs die Ernennung entweder einem
Praecipualrecht zugewiesen oder Alternierung oder auch Teilung und
Kooperierung dabei eingetreten sein. Festsetzungen darüber wird es
wohl gegeben haben, aber wir kennen sie nicht. Seit 399 wurde die
Ernennung regelmäfsig durch Kooperation der beiden Reiche vollzogen,
B. Die Staatsgewalt, 1. Die Magistratur. 201
doch giebt es zahlreiche Ausnahmen. Die Publikation kann nicht an-
ders erfolgt sein als durch Erlasse der Regierung an die höchsten Reichs-
beamten und wohl auch an das Publikum im Wege des Edikts; bei ge-
teilter höchster Gewalt mufs sie in jedem Reichsteil von dessen Regie-
rung vorgenommen oder angeordnet worden sein, und Spuren weisen
deutlich auf dieses Verfahren hin. Jede Regierung konnte sich weigern,
der Ernennung der anderen Folge zu geben, und wenn sie dazu schritt
bestimmte sie auch zugleich, was dafür eintreten sollte. Im allgemeinen
lag es im Wesen des Instituts die Konsulpaare in jedem Reichsteile
gleichmäfsig zu ordnen, und diese Regel wurde bis zum Anfang des
fünften Jahrhunderts beobachtet. Später trat an die Stelle der paarweise
erfolgten Publikation die successive Veröffentlichung erst des selbst er-
nannten und dann des aus dem anderen Reiche gemeldeten Konsuls;
wahrscheinlich ist diese Änderung auf den tiefen Rifs zurückzuführen,
der in Stilichos Zeit zwischen den beiden Reichshälften eintrat. Aber
auch jetzt hält man noch bis zum Zusammenbruch des Westreiches in
der lecralen Datierung an der Gemeinschaftlichkeit des Konsulates fest.
Für den Zeitraum, der zwischen der Publication des ersten und des zwei-
ten Konsuls verflofs, entstand sogar eine eigene Formel: illo consule et
qui de Oriente (oder de Occidente) fuerit nuntiatus oder kurz et qui
fuerit nuntiatus.
Auch die offizielle Folge der beiden Namen ändert sich nicht; sie
wird im allgemeinen durch das Rangverhältnis bestimmt, so dafs also der
eigene Konsul ebenso gut an die zweite wie an die erste Stelle kommen
konnte. Doch galten diese Sätze in vollem Umfange nur für die Regie-
rungserlasse. Die Jahresbezeichnung der römischen Bischöfe, in den
Listen und den Grabschriften ergeben andere Verhältnisse; hier steht
der Konsul der betreffenden Reichshälfte voran oder er wird sogar allein
genannt; die Formel et qui fuerit nuntiatus findet sich in keinem Papst-
schreiben. Wahrscheinlich gilt, was für den römischen Sprengel nach-
zuweisen ist, auch für Italien und Gallien. In den Listen sind infolge
von Überarbeitungen, Vervollständigungen infolge nachträglicher Publi-
cation und Umstellung mannichfache Ungenauigkeiten, deren Quelle oft
Nachlässigkeit war; die Folge der Namen bei Privaten ist in denselben
unzuverlässig. Die christlichen Grabschriften folgen im allgemeinen der
vulgären Jahresbezeichnung; der nachträglich publicierte Konsul wird
oft übergangen, und Rücksicht auf die Rangfolge fehlt.
Von Anfang des fünften Jahrhunderts bildet die successive Publica-
tion die Regel; infolge von Verschleppung der Nuntiation konnte die Publi-
cation des zweiten Konsuls sich sehr spät erst vollziehen, doch mag auch
Eifersucht und das Bestreben, den Reichsteil als selbständiges Reich
hinzustellen, hier mitgewirkt haben. Aber neben der Regel steht die
Ausnahme der gleichzeitigen Publication beider Konsuln ; Mommsen stellt
eine Anzahl Fälle zusammen. In manchen dieser Fälle wird wohl der
202 Römische StaatsatttTtuiuor.
eine Herrscher zugunsten des anderen auf sein Ernennungsrecht ver-
zichtet haben; auch mag es bei der Kostsi)ieligkeit schwer gewesen sein,
stets geeignete rersönliclikeitcn zu finden, und aus diesem letzteren
Grunde konnten zwei sich nahe stehende Personen sich nur gemein-
schaftlich zur Übernahme bereit erklären.
Unter den deutschen Königen wurde Italien fortwährend als in-
tegrierender Teil des römischen Staates nicht blofs in Byzanz, sondern
auch in Kom und Ravenna aufgefafst. Dafs fortgesetzt nach den Kon-
suln des römischen Reiches datiert wird, beweist für die Reichsangehö-
rigkeit nichts, da dies auch in den Gebieten der nicht reichsaugehörigen
Burgunder, der Westgoten, der Franken, der Vandalen geschieht. Be-
weiskräftiger ist in dieser Beziehung, dafs in Italien nie, weder unter
Odovacar, noch unter den Gotheukönigen nach den Jahren der Herrscher
datiert wird. Für die Frage, welcher Stelle in dieser Epoche die Er-
nennung der Konsuln zustand, fehlt in der Überlieferung für Odovacar
jede Antwort. Doch wird nach den für Theodorich und seine Nach-
folger überlieferten Zeugnissen daran festgehalten werden müssen, dafs
die Konsularernennung für das Gesamtreich, insoweit sie dem Kaiser
des Occidents zugestanden hatte, ebenso auf Odovacar und weiter auf
Theodorich übertragen worden ist, wie die der occideutalischen Beamten.
Das System der regelmäfsig geteilten, ausnahmsweise von derselben Stelle
vollzogenen Ernennung der Konsulpaare bestand auch in dieser Epoche.
Prinzipiell ist also die Ordnung von der früheren nicht verschieden;
thatsächlich unterscheidet sie sich dadurch vou ihr, dafs die Konsular-
ernennung häufiger ausfällt und infolge dessen die Jahresbezeichnung
durch einen Konsul mehr und mehr um sich greift und auch die offi-
zielle Ausdrucksweise beeinflufst, wenigstens in dem Verschwinden des
et qui de Oriente (oder de Occidente) nuntiatus fuerit aus den Urkunden.
Nach dem Jahre 461 ist der Beisatz nicht nachweisbar. In den offi-
ziellen Erlassen hat der occidentalische Konsul sich behauptet ; ob auch
der orientalische in denen des Westreichs, läfst sich bei dem Mangel
datierter Erlasse nicht entscheiden. Die aus einseitiger Ernennung her-
vorgegangenen Konsulpaare gehören mit einer Ausnahme dem Ostreiche
an; in dem einen Falle wird jedenfalls die Zustimmung des Kaisers
Justinus eingeholt worden sein. Dem Odovacar wurde wahrscheinlich
schon von Zeno die Konsularernennung, wie sie später Theodorich voll-
zogen hat, zugestanden. Überhaupt hat sich die Aufrichtung des itali-
schen Königtums in der Form der Wiederherstellung der Reichseinheit
vollzogen, und das römisch-germanische Italien, welches uns als ostgothi-
sches Reich und Schöpfung des Theodorich zu gelten pflegt, ist in seiner
Eigenart vielmehr eine Schöpfung Odovacars, der Eintritt Theodorichs
in dessen Stellung lediglich ein Personenwechsel. Die Anerkennung der
Konsularernennung des einen Reichs durch das andere gestattet einen
Schlufs auf den legitimen Friedenszustand zwischen beiden Herrschern.
B. Die Staatsgewalt. 1. Die Mas^istratur. 203
"Wir können daraus schliefsen, dafs Theodorich, der sich wohl der Form,
nicht der Sache nach selbständig gestellt hat, der Datierung nach den
Konsuln des Ostreichs zu keiner Zeit feindlich entgegengetreten ist.
Wenn im Westreich die orientahschen Konsuln nur vereinzelt erscheinen,
so kann der Grund dieser Erscheinung nur darin gefunden werden, dafs
die geordnete Publication des in dem anderen Reich ernannten Konsuls
im Oriente fortbestand, im Occident aber nach der Katastrophe des
Westreichs sich nicht wieder hergestellt hat. Die von Odovacar und
Theodorich ernannten Konsuln sind regelmäfsig nach Konstantinopel ge-
meldet und, wenn die politischen Verhältnisse nicht entgegenstanden,
dort ordnungsmäfsig publiciert worden. Als es im Occident einen von
dem Osten anerkannten Reichsverweser, wieder gab, wird die Nuntiation
aus dem Osten nach Rom ebenfalls wieder aufgenommen worden sein.
Aber eine officielle Publication der neuen Konsuln kann für die in
Gallien bestehenden Königreiche füglich nicht angenommen werden;
wenn sie auch in Italien unter dessen Königen unterblieb, erklärt sich
die Beschaffenheit der Konsulardatierungen nach dem Falle des west-
lichen Kaisertums in befriedigender Weise. Bei dem Antritt des Kon-
sulats in Ravenna konnte schon wegen der mit demselben verbundenen
Feierlichkeiten eine von der Regierung des Westens ausgehende öffent-
liche Benachrichtigung nicht fehlen. Darum datiert Italien ebenso wie
Gallien regelmäfsig allein nach den Konsuln, die in Ravenna ihr Amt
angetreten hatten. Dafs die Legitimität der Konsuln des Ostens auch
für den Westen nicht bestritten werden sollte, zeigen aufer dem Zeug-
nisse des Prokop teils die vereinzelten Ausnahmen, teils die occidenta-
lischen Konsulartafeln, deren Verfasser — insbesondere Cassiodor —
natürlich in gröfserem Umfang als die der einzelnen Grabschriften
über einzelne Konsuln des Ostens unterrichtet waren. Wenn also die
durchgängige Anerkennung des orientalischen Konsuls seitens des Theo-
dorich festzuhalten ist, so gab es doch Zeiten, in denen die des west-
lichen Konsuls im Ostreiche nicht erfolgte, nämlich die, in welcher die
Legitimität Theodoricbs selbst von oströmischer Seite nicht anerkannt
wurde. Dies war bis um 498 der Fall; von 494 — 497 zeigen die Fasten
nur orientalische Konsuln; Theodorich hat also in dieser Zeit das ihm
nicht zugestandene Recht auch nicht geübt. Von 498 erscheinen beide
Creierungen in voller Parität. Von dem späteren Zerwürfnis, das an die
Wiederbesetzung Sirmiuras durch die Truppen Theodorichs im Jahre 504
anknüpft und 508 zu einer Brandschatzung der italischen Küsten durch
die Byzantiner führte, zeigen die Fasten keine Spur; allem Anschein
war es wenig mehr als eine Störung des guten Einvernehmens.
Bei der schlechten Beschaffenheit der Überlieferung mufste viel-
fach zu Hj'pothesen gegriffen werden, die nicht als erwiesene That Sachen
zu betrachten sind.
204 Römische Staatsalter. üincr.
2. Der Senat.
Th. Monirnscn, Römisches Staatsrecht. 3. Band. 2. Abteilung.
Der Senat. Leipzig 1888.
Mit dem vorliegenden zweiten Teile ist das Staatsrecht abge-
schlossen. Zunächst wird die Benennung erörtert. Für die Bildung
der Ausdrücke senatus, Senator, senaculum mufs ein verschollenes Ver-
bum senare angenommen werden. In der patricischen Gemeinde kann
der Senat nicht mit dem Worte patres bezeichnet worden sein, da diese
Bezeichnung noch im Zwölftafelrecht die Patricier insgemein bezeichnet.
Aber in der patricisch-plebeischen Gemeinde wurde der patricische Ge-
"raeinderat als die patres, der patricisch-plebeische als patres (et) con-
scripti bezeichnet. Die Bezeichnung senatus mag von jeher auch der
patricisch-plebeischen Versammlung beigelegt worden sein; aber dem
plebeischen Mitgliede ist die Bezeichnung in älterer Zeit nicht einge-
räumt worden. Deshalb wird sie nie titular verwendet; dagegen wird
in nicht titularem Ausdrucke das plebeische Mitglied ebenfalls Senator
genannt. Wo solche im Gegensatz zu den patricischen patres genannt
werden sollen, heifsen sie adlecti oder conscripti. Aber diese Bezeich-
nung findet sich nur in der Ladung und in der Anrede ; darum hat das
Ratsmitglied der römischen Gemeinde erst durch die Rangordnung der
Kaiser Marcus und Verus eine eigentliche Titulatur in dem Clarissimat
erhalten. Griechisch heifst der römische Senat ij aöyxXrjTog ^ eine Be-
zeichnung, die den Westhellenen eigen war und zunächst von den Kam-
panern entlehnt wurde. Erst im dritten Jahrhundert n. Chr. tritt yspou-
aia auf; centumviri und decurio begegnen nur in den municipalen Ein-
richtungen, ordo kann wie von jeder Kategorie der Bürgerschaft, so
auch von der vornehmsten der Senatoren gebraucht werden ; immer aber
ist eine nähere Bestimmung erforderlich. Die unter dem Principat auf-
kommende Verwendung für den Gemeinderat beschränkt sich auf den
municipalen Kreis. Ein Collegium bildet der Senat nicht; die Ent-
scheidung durch die Mehrzahl gehört zum Wesen dieser Institution.
Die feste Zahl der Mitglieder gehört zum Wesen des Senats. In
der ältesten Zeit betrug sie 100, später 300, seit 666 d. St. 600. Sulla
wollte diese Zahl durch die Vermehrung der Quästorstellen thatsächlich
beseitigen, aber man hielt sie im Ganzen doch fest, erst Cäsar beseitigte
praktisch jede Normalzahl. Augustus ging zur sullanischen Einrichtung
zurück, und für die nachaugustische Zeit mufs die Normalzahl als that-
sächlich beseitigt angesehen werden. In der vorsuUanischen Zeit wird
die Effectivzahl sich regelmäfsig nicht bedeutend von der normalen ent-
fernt haben; nach Sulla hat die Effectivzahl sich von der normalen mehr
und mehr gelöst und diese schliefslich wenigstens thatsächlich beseitigt.
Ursprünglich gelangten regelmäfsig alle Mitglieder zur Ausübung des
B. Die Staatsgewalt. 2 Der Senat. 205
Stimmrechts, während in der Republik eine verhältnismäsig sehr grofse
Zahl von Senatoren nicht zum Gebrauch ihres Stimmrechts gelangte.
Eine eigentliche Gliederung des Senates giebt es nicht; aber in nach-
suUanischer Zeit und unter dem Prinzipat werden die magistratischen
Abstufungen, namentlich infolge des durch Sulla abgeänderten Vorstimm-
rechtes, als förmliche Klassen des Senats behandelt.
Der Eintritt in den Senat, den wir kennen, beruht imnun- auf-
der Wahl des Senates durch ein Organ der Gemeinde (Ol)erniagistrat
in der älteren Epoche, Bürgerschaft in der mittleren republikanischen
Zeit, Senat seit Tiherius); die verschiedenen Fälle werden au einem
reichen INIateriale nachgewiesen. In älterer Zeit wird die magistratische
Einwahl in den Senat für den Bürger verptiichtend gewesen sein, wäh-
rend in der späteren Zeit der Senatssitz vermutlicli sowenig wie das
Amt einem Bürger wider seinen Willen zugeteilt worden ist. Nach der
Einführung des erblichen Senatorenstandes unter Augustus waren die
diesem angehörigen und sonst qualiticierten Personen verpflichtet, durch
Übernahme des Gemeindeamtes in den Senat selber einzutreten. Ein
eigener Abschnitt stellt die Bedingungen für die Qualification für die
Fälle zusammen, in denen der Senator von einem Magistrat ernannt
wird. Die Dauer der Funktion ist die Lebenszeit des Mitgliedes.
Doch ist Ausscheidung aus dem Senate möglich entweder durch einen
Akt magistratischer Willkür oder in Folge des Wegfalls der Qualification
oder nach si)ecieller gesetzlicher Vorschrift; auch hier geht der Verf.
allen Einzelheiten mit eindringender Schärfe nach. Der folgende Ab-
schnitt stellt die Sonderrechte und die Sonderpflichten des Se-
nators zusammen.
Eine formulierte Geschäftsordnung hat erst Augustus im Jahre
745 dem Senate gegeben. Ohne magistratischen Vorsitz ist keine Senats-
verhandlung denkbar; für Collision verschiedener berufender Magistrate
gelten bestimmte Ordnungen. Um die Berufung der Senatoren zu er-
möglichen, mufste Rom das Domicil sein, das nicht ohne Urlaub ver-
lassen werden durfte; erst in der Kaiserzeit wurden die Ordnungen hierin
laxer, während sie z. B. für den Zwang, im Senate zu erscheinen, durch
Augustus verschärft wurden. Was die Incompatibilität der Komitial- und
der Senatssitzungstage betrifft, so wird die Erlassung des pupischen Ge-
setzes um das Jahr 600 angesetzt. Von besonderem Werte sind die
Untersuchungen über Vertagung und Vortrag seitens des berufenden
bezw. Vorsitzenden Magistrats, über die Umfrage, die Fragestellung und
die Abstimmung; die zahlreichen verwickelten Fragen, welche sich hier
ergeben, sind mit juristischer Schärfe und lichtvoller Klarheit behandelt.
Sie können dem mannichfach thörichten Gerede, welches sich herkömm-
lich darüber tindet, ein Ende zu machen.
Auch der Abschnitt über Aufzeichnung und Aufbewalirung der Se-
natsbeschlüsse und der Senatsprotokolle giebt ein aufserordentlich reich-
206 Römische Staatsaltertütner.
haltiges Material, das den umfassondcn Sammlungen Mommsens ent-
nommen und mit einer bewundernswerten Kenntnis der Thatsachen ver-
wertet ist; es liegt in der Natur der Überlieferung, dal's hier insbeson-
dere die Inschriften die wertvollste und zuverlässigste Kenntnis ver-
mitteln; freilich bedarf es der einzig dastehenden staatsrechtlichen Bil-
dung des Verfassers, um diese Sprache richtig zu deuten. Dieselbe
.zeigt sich in der glänzendsten Weise in der Darlegung der Kompe-
tenz des Senates. Die Ausftihrungen über die Entwickelung dieser Körper-
schaft aus dem Consiliura verbreiten manichfach neues Licht über dunkle
Verhältnisse, und nicht am wenigsten wertvoll ist die klare Präzisierung
der Grenzen, die unserm Wissen hier gesteckt sind. Der Abschnitt über
Bestätigung und Vorberatung der Volksbeschlüsse giebt dem
Verf. Gelegenheit, insbesondere gegen Willems seine Ansicht über die
patrum autoritas von neuem zu begründen. Der Abschnitt über das
Sacralwesen bietet wenig Neues, aber eine vollständige Zusammen-
stellung des bekannten Materials; der über die Rechtspflege mufs
manichfach schon an anderen Stellen Behandeltes in den Zusammenhang
einordnen. Meisterhaft ist die Darstellung der Beteiligung des Senats
an dem Kriegswesen; sie erstreckte sich auf die Truppenbildung, die
Verteilung der konsularischen Kommandos , die Erstreckung der Impe-
rien, die Einrichtung aufserordentlicher Nebenkommandos, die Verteilung
der Truppen unter die verschiedenen Träger des Imperiums, die Be-
willigung der Gelder und der sonstigen Bedürfnisse für militärische
Zwecke. Dagegen griff der Senat in das Gebiet der militärischen Exe-
kutive gar nicht oder doch nur secuudär ein, indem er zur Zeit der
Senatsherrschaft Boten und ständige Legaten abordnete, deren Einflufs
sicherlich recht bedeutend war, oder indem er für gewisse Fälle z. ß.
Militärstrafen, Behandlung der Gefangenen Weisungen gab.
Den Anteil des Senats an der Leitung des Finanzwesens ver-
mag die Forschung nur in unvollkommener Weise darzustellen; der
Grund ist, dafs die Bürgersteuer in der uns besser bekannten Epoche
faktisch beseitigt war und wir von dieser tief eingreifenden Einrichtung
fast nichts erfahren. Doch geben auch hier die Abschnitte über die
Verwaltung des Gemeindeguts, die Besteuerung der Bürgerschaft, die
Ausgabenbewilligung und die finanzielle Exekutive ein vollständiges Bild
unseres heutigen Wissens über diese Fragen. Wertvolle Beleuchtung
durch die Inschriften enthält wieder der Abschnitt über die auswär-
tigen Verhältnisse, wenngleich auch hier vielfach früher Erwähntes
wiederkehrt. Ganz neu, wenn auch inhaltlich wieder mit früher behan-
deltem sich berühernd, sind die Abschnitte über die Verwaltung der
Stadt Rom und der Bürgerschaft überhaupt sowie über das
Regiment über Italien und die autonomen Reichsangehöri-
gen überhaupt; in ihnen feiert Mommsens Methode ihre schönsten
Triumphe. Und wenn vielleicht auch hier, wie anderwärts, zu streng
B. Die Staatsgewalt. 2. Der Senat. 207
juristisch systematisiert ist, so berührt doch die Ordnung an Stelle der
früheren Häufung unverbundener und unverständlicher Einzelheiten sehr
wohlthuend. Dasselbe gilt von der Ausführung über das Regiment
über die Provinzen.
Der Einflufs des Senats auf Creirung der Magistrate und
Erweiterung ihrer Kompetenz ist wieder mehr eine Zusammen-
fassung von Einzelthatsachen, die zum Teil schon in den früheren Bän-
den erörtert werden mufsten; der grofse Zusammenhang gewinnt dabei
um so mehr. Eine sehr dornige Materie ist der Anteil des Senats an
der Gesetzgebung. Die Regeln, nach denen der Senat ein Gesetz
für den einzelnen Fall erlassen konnte, sind nicht auf uns gekommen,
und sie müssen mangelhaft und unsicher aus den einzelnen in diesen
Kreis gehörigen Vorgängen erschlossen werden. Aber auch hier hat
der Verf. geleistet, was bis jetzt noch nicht erreicht war, indem er
auch hier eine Reihe fester Thatsachen feststellt. Der Abschnitt über
das consularisch-senatorische Kriegsstandsrecht erörtert be-
sonders eingehend die Stellung des Senates bei der Notlage , in die
die Gemeinde durch Bürgerkrieg versetzt wird. Der letzte Abschnitt
»der souveräne Senat des Prinzipats« enthält in der Hauptsache
wieder nur prinzipielle Zusammenfassung von Einzelthatsachen, die schon
in früheren Teilen ihre Darstellung und Erklärung gefunden haben.
Ist auch dieser letzte Band des Staatsrechts scheinbar nicht so
reich an neuen Aufschlüssen, wie die früheren, so scheint dies doch
mehr, als in der That der Fall ist. Denn erst mit diesem Teile steht
das ganze Gebäude des römischen Staatsrechts fertig vor uns. Erst
jetzt können wir die feste Fügung des gewaltigen Gebäudes und seine
strenge Gliederung überschauen. Erscheint dabei manche Lücke, stört
uns mancher Stein, so werden wir doch alle darin übereinstimmen, dafs
das Werk den Meister lobt. Und trotz vielfachen Widerspruchs, den
der Einzelne zu erheben geneigt ist, sind alle einig, dafs für lange Zeit
hier die Bahnen vorgezeichnet sind, welche die Forschung auf diesem
Gebiete zu wandeln hat.
• Ch. Lecrivain, Le senat roraain depuis Diocletien ä Rorae et
ä Constantiuople. Diss. Paris 1888.
Der Verf. giebt im ersten Kapitel einen Überblick über die poli-
tische Rolle des Senats im dritten Jahrhundert, die nichts Neues ent-
hält. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Ergänzung und Zu-
sammensetzung des Senats. Der Verf. gelangt zu der Ansicht, dafs der
Eintritt von Senatorensöhnen in den Senat in der diokletianisch-constan-
tinischen Epoche erst durch die Bekleidung der Prätur erfolgte. Der
Kaiser konnte aber durch adlectio ohne Bekleidung der Prätur Nicht-
Senatoren in den Senatorenstand aufnehmen. Die Einführung nicht-
senatorischer Persönlichkeiten in den Senatorenstand und in den Senat
'208 Römische Staatsaltertümer.
konnte auf vierfache Weise erfolgen: 1) Durch specielle Verleihung des
Kaisers (Coilicilli clarissiiiiatus). 2) Durch einen Senatsbeschlufs mit
gleicher Wirkung. 3) Durch Erhebung zu einem Amte, welches den
Clarissimat, die Spectabilität oder den Illustrissimat verlieh. 4) Durch
Verleihung des Clarissimates oder einer höheren Rangstufe an eine ganze
Klasse von Beamten. Eigentlich mufste in allen diesen vier Fällen, um
Eintritt in den Senat zu erlangen, auch die Prätur bekleidet werden; aber
diese Pflicht wurde erlassen: l) Durch die codicilli senatorii; sie wer-
den besonders Curialen erteilt, welche in den Seuatorenstand eintreten;
hierbei bleibt aber im allgemeinen die Bekleidung der Prätur Voraus-
setzung, wenn sie Mitglieder des Senats werden wollen. 2) Dasselbe
gilt von der Kooptation durch den Senat; sie genügt für den Eintritt
in den Stand; um aber Mitglied des Senats zu werden, mufs ebenfalls
die Prätur bekleidet werden. Aufserdem bedarf es der kaiserlichen Be-
stätigung. 3) Ebenso ist es bei der Erhebung zum Clarissimat etc.
durch Amtsstelliing; zahlreiche, ja fast regelmäfsige Ausnahmen bezüg-
lich des Präturzwanges erhalten hier die Palastbeamten. 4) Diejenigen
Beamten, welche den Clarissimat erst nach langen Dienstjahren oder
bei der Verabschiedung erreichen, erhalten Befreiung von der Prätur.
Letztere heifst jetzt gradezu adlectio und der adlectus nennt sich immu-
nis. Am häufigsten wird die adlectio verbunden mit der Verleihung der
Consularität. Sie ist die niederste Rangklasse der senatorischen Hierar-
chie und darf mit der Raugstellung eines cons. ord. oder auch eines
diesem gleichgestellten Honorar-Konsuls nicht verwechselt werden.
Kapitel 3 behandelt die neue Beamtenhierarchie. Der Verf. wirft
die Frage auf, woher sich die kaiserlichen Beamten rekrutierten, und
findet, dafs dies aus dem frühereu Ritterstande geschah. Er identifi-
ziert ihn mit dem Perfectissimat und stellt diejenigen Beamten und Mili-
tärs zusammen, welche dieser Rangklasse angehörten. Von einem Cen-
sus ist jetzt so wenig die Rede, dafs die Ersetzung des Beamtenstandes
wesentlich aus den unteren Ständen erfolgt; die reichen Curialen suchte
man iu den Landstädten festzuhalten, freilich nicht mit grofsem Erfolge,
da auch die strengsten Verbote der Kaiser beständig umgangen wurden.
Während Diokletian die Zahl der Ämter, welche Eintritt in den Senat
verliehen, innerhalb der früheren Grenzen hielt, vermehrten sie Con-
stantin und seine Nachfolger beträchtlich. Erst dadurch erfolgte die
beständige Erneuerung der Aristokratie aus den unteren Schichten. Da
jetzt auch die früheren ritterlichen Ämter den Senatorensöhnen offen-
stehen, so wird die Carriere der senatorischen Beamten ziemlich bunt;
der Verf. hat sich das Verdienst erworben, die verschiedenen hier in
Betracht kommenden Ämter zusammenzustellen. Die republikanischen
Rangklassen im Senate verschwinden, und an ihre Stelle treten die der
Clarissimi, Spectabiles und Illustres mit Unterabteilungen, welche durch
die Rangstellung der einzelneu Ämter veraulafst werden; princeps sena-
B. Die Staatsgewalt. 2. Der Senat. 209
tus ist der angesehenste Mann aus der Klasse der Illustres. Kapitel 4
entwickelt die Ansichten des Verf/s über den Senatorenstand; er schei-
det hierbei zwei Perioden, die erste bis ungefähr zur Mitte des fünften
Jahrhunderts, die zweite bis zum Ende des Reiches. In der ersten Pe-
riode wird die strenge Erblichkeit der Senatoreneigenschaft durchge-
führt; doch fällt damit der Sitz im Senate immer weniger zusammen;
seit dem vierten Jahrhundert bleiben immer mehr Senatoren auf ihren
grofsen Landgütern in den Provinzen und erscheinen nie im Senate,
selbst wenn sie die Lasten der Prätur übernommen haben. In der
zweiten Periode verlieren die Clarissimi und Spectabiles den Sitz und
die Stimme im Senate, der blofs den Illustres vorbehalten bleibt; damit
ist der Senat eine Versammlung hoher Reichsbeamten. Im fünften Ka-
pitel werden die Rechte des Senats dargestellt die sämtlich geringwertig
sind. Zunächst hat er das Wahlrecht für die immer unbedeutenderen,
fast nur noch munizipalen Ämter; die Kooptation übt er mit Zustim-
mung des Kaisers, bei den besonderen Auflagen seines Standes fafst
er Beschlüsse und äufsert Wünsche, endlich ist er der eigentliche Ge-
meinderat der beiden Hauptstädte. Als solcher mufs er namentlich die
Verproviantierung der Hauptstadt übernehmen und zum Teil dafür ein-
treten; die Oberaufsicht über die hohe Schule gebührt ihm. Seine
Kanzlei ist die Gemeindekanzlei, und Senatskommissarien unterstützen
den Stadtpräfekten und den Vormundschaftsprätor in der Ernennung
von Vormündern. Der Anteil der Körperschaft an der Gesetzgebung
ist nicht mit Sicherheit bekannt; vielleicht war er aber bei der Vorbe-
reitung von Gesetzen gröfser, als man gemeinhin glaubt. Bei der defini-
tiven Erlassung von Gesetzen ist der Senat häufig beteiligt worden. Die
Criminalgerichtsbarkeit übte er, wie es scheint, nur auf kaiserlichen
Auftrag. Die Aburteilung von Senatoren erfolgte durch den Stadtprä-
fekten und ein senatorisches Consilium. Kapitel 6 behandelt die Vor-
rechte des Senatorenstandes. Der Senatorenstand hatte zwei besondere
Lasten zu tragen: die Prätur, eine Personalsteuer und den Follis, eine
Grundsteuer, die 450 abgeschafft wurde; dazu kam beim Regierungs-
antritt eines Kaisers das aurum oblaticium. Dafür geniefsen die Sena-
toren sehr wertvolle Befreiung von aufserordentlichen Leistungen, die
der Verf. sorgfältig zusammenstellt. Die Palastbeamten sind auch hier
wieder besonders bevorzugt; auch die Privilegien auf dem Gebiete des
Gerichtswesens hat der Verf. fleifsig gesammelt. Diesen Vorrechten
stellt Kapitel 7 die Mifsbräuche zur Seite, welche der Senatorenstand
sich zuschulden kommen liefs. Dieselben waren die gewöhnlichen, welche
die Mächtigen Wehrlosen gegenüber sich erlauben, Bedrückung, Wucher
u. s. w. In dem Zustande der Gerichte fanden die Schwachen keine
Hilfe, und alle Versuche der Kaiser zu helfen erweisen sich wir-
kungslos. Noch schlimmer wurden diese Verhältnisse durch das Auf-
kommen bezw. die Ausdehnung der privaten Gerichtsbarkeit, mit der
Jahresbericht für Alterthiimswissenschaft LXIV. 1890. (III.; 14
210 Römische Staatsaltertümer.
sich Kapitel 8 beschäftigt, und welche wiederum nur den Mächtigen zu-
gute kam. Im neunton Kapitel stellt der Verf. die politische Geschichte
des Senates in Rom dar, an welche Kapitel 10 die religiöse anknüpft.
Beide Kapitel sind nützliche Zusammenfassungen, wenn sie auch dem
Kenner nichts Neues berichten können.
Der zweite Teil der Schrift entwickelt die Stellung des Senats
unter den Ostgoten. Die politische Bedeutung wächst eher, da Theodo-
rich und seine Nachfolger den Glauben erwecken wollen, dafs sich in
Italien nichts Erhebliches geändert habe. Aus der Mitte des römischen
Adels gehen die hohen Würdenträger hervor, seine Vorrechte bleiben
erhalten, und die Versuche der Ostgoten-Könige, auch gegen die bevor-
rechteten Klassen Gerechtigkeit zu ermöglichen, sind nicht von Erfolg
gekrönt. Auch jetzt beschränkt sich der Senat auf die Rangklasse der
Illustres; man gelangt hinein durch Erhebung zu einem Amte dieser
Rangstufe, durch Wahl des Senats, endlich auf Vorschlag des Königs.
Die Verwaltung Roms bleibt ganz der Körperschaft überlassen. Theo-
retisch behält diese auch das Recht der Gesetzgebung, und praktisch
übt sie das Bestätigungsrecht für königliche Verordnungen. Der Verf.
teilt den Gotenkönigen volles Gesetzgebungsrecht zu, ganz in dem Um-
fange, in dem es die römischen Kaiser geübt haben. Ebenso bleibt der
Senat Staatsgerichtshof für Criminalsacheu gegen Senatoren. Im zweiten
Kapitel bestreitet der Verf. die geläufige Anschauung, wonach die Ost-
goten ein Dritteil des Landes aufteilten, und nimmt an, man habe bei
der Einwanderung die fiskalischen Ländereien und das Oedland ver-
einigt und davon einen Teil den Goten zu Eigentum gegeben, einen an-
deren an die kaiserlichen Pächter oder an die städtischen Gemeinden
zu einem Dritteil des Ertrags verpachtet. Der Beweis für diese An-
nahme ist dem Verf. nicht gelungen; er legt zuviel Gewicht auf die
Nachrichten, wonach Italien die Ansiedelung der Goten kaum gewahr
geworden sein soll. Die Abwälzung jeder Militärleistung bildete eine
so grofse Erleichterung, dafs die Italiker und vor allem die possessores
sich eine Beschränkung ihres Grundbesitzes gefallen lassen konnten, da
die Rente der letzten Jahrzehnte ohnedies nicht hoch gewesen sein kann.
Auf dem Rechtsgebiete bleiben alle Privilegien des Senatorenstandes er-
halten. Ausführlich wird die tuitio regii nomiuis verfolgt, die aber auch
nichts an den früheren Verhältnissen zu Ungunsten des Adels änderte.
Natürlich bestehen auch dieselben Mifsbräuche fort, wie der Verf. ein-
gehend nachweist. Kapitel 3 beschäftigt sich mit der religiösen Rolle
des Senats in der Gotenzeit; er vertritt hier die katholischen Interessen
und nimmt an den religiösen Streitigkeiten der katholischen Kirche
energisch Teil. Noch bedeutender war der politische Einflufs des Se-
nats unter den Nachfolgern von Theodorich, welcher in Kapitel 4 dar-
gestellt wird. Ein Schlufskapitel fafst die Hauptergebnisse der Unter-
suchung zusammen.
B. Die Staatsgewalt. 3. Die Bürgerschaft. 211
Der dritte Teil behandelt den Senat von Konstantinopel. Nur
das erste Kapitel gehört noch in diesen Jahresbericht, die Vorgeschichte
bis auf Justinian, dessen Reform das zweite Kapitel darstellt.
Die Untersuchung ist für die Kenntnis der Kaiserzeit recht wertvoll.
3. Die Bürgerschaft.
Hugo Krüger, Geschichte der capitis deminutio. 1. Band. Zu-
gleich eine Neubearbeitung des Legisaktionenrechts. Breslau 1887.
Der Verf. entwickelt in seiner Schrift die Ansicht, dafs das In-
stitut der cap. dem. eine historische Entwicklung durchgemacht hat.
Das ursprüngliche Gebild ist in der cap. dem. minima zu erblicken;
erst in einem späteren Stadium trat zu dieser die cap. dem. magna
hinzu, und in dem letzten Eutwicklungsstadium schied sich die cap.
dem. magna in zwei selbständige Klassen mit besonderen Kriterien. Ne-
ben dieser giebt es noch eine eigene innere Entwicklung der cap. dem.
minima und ihres Begriffes nebenher, deren verschiedene Stufen sich
noch erkennen lassen. Hingegen war die cap. dem. magna von Anfang
an ein fertiges, abgeschlossenes, nicht weiter entwicklungsfähiges Be-
griffsganzes, nur dafs sich innerhalb ihres Gebietes eine äul'sere Schei-
dung vollzog. Eine eingehendere Analyse des wesentHch juristischen
Werkes kann hier nicht gegeben werden. Im vorhegenden Bande ist
der erste Abschnitt der ganzen Arbeit enthalten, der sich mit der Ge-
schichte der cap. dem. minima beschäftigt. In ihm wird der Nachweis
geführt, dafs das Institut der cap. dem. mit der sog. minima ins Leben
trat; im Anschlufs daran wird die Bestimmung des ursprünglichen Be-
griffes der cap. dem. minima und seine weitere Entwicklung bis in das
spätere Recht gegeben.
Reinhold Macke, Die römischen Eigennamen bei Tacitus.
II. Progr. Gymn. Hadersleben 1888.
Der Verf. giebt hier die Fortsetzung seiner Arbeit von 1886. Eine
umfangreiche Zusammenstellung ergiebt das Resultat, dafs Tacitus kein
Gentile gleichzeitig mit zwei Cognomina, das sog. agnomen mit einge-
schlossen, verbindet. Abwechselndes Cognomen bei ebendemselben Na-
men findet sich nur bei L. Salvius Otho Titianus. Doppeltes Gentile
findet sich sehr selten und wahrscheinlich nur, weil entweder kein
Cognomen vorhanden oder dasselbe durch das zweite Gentile verdrängt
war; doppeltes Cognomen wird dagegen durchaus nicht zu vermeiden
gesucht.
14*
212 Römische Staatsaltertümer.
C. Die Staatsverwaltung.
1. Organisation des Reichs.
Etienne Micliou, L'administration de la Corse sous la domi-
nation romaine. Mü. d'arehöol. et d'histoire VIII, 411 — 425.
Corsica wurde zwar im ersten punischen Kriege von dem Consul
L. Cornelius Scipio angegriffen und die Stadt Aleria wurde genommen
und zerstört; aber im Frieden wurde es nicht abgetreten. Erst als Sar-
dinien 516 besetzt wurde, hatte Corsica das gleiche Schicksal. Aber in
den nächsten Jahren (518. 520. 522) mufsten immer wieder römische
Heere um den Besitz der Insel kämpfen, und erst 523 gelang dem Consul
C. Papirius Maso die Unterwerfung. Doch gab es jetzt auch noch Auf-
stände, und die Bewohner des Inneren beugten sich nicht unter das rö-
mische Joch, doch blieb die Insel römischer Besitz. 527 erhielt Sardinien-
Corsica einen eigenen Prätor, und bis zum Ende der Republik blieb diese
Ordnung. Als 580 und 581 Aufstände einen eigenen Prätor in Corsica
notwendig machten, prorogierte man dem Prätor von Sardinien M. Atilius
sein Amt, und die beiden für die ganze Provinz bestimmten Prätoren ver-
walteten nur Sardinien. Die Ordnung wurde erst wieder in den Bürger-
kriegen gestört; Cäsar brachte zu gleicher Zeit wie Sardinien auch Cor-
sica an sich. Im Triumvirate erhielt Octavian die Insel, dem sie Menas
entrifs; im Vertrag von Miscnum erhielt sie S. Pompeius; doch lieferte
sie Menas später Octavian aus. Nach Herstellung des Friedens beliefs
Augustus die gleiche Verwaltung, wie in der Republik. 727 erhielt sie
der Senat, der sie wieder bei Sardinien beliefs. 6 n. Chr. erhielt der
Kaiser beide Inseln, der sie einem Procurator unterstellte. Nero gab
G7 die Insel Sardinien dem Senate wieder. "Wahrscheinlich wurden beide
Inseln in ihrer Verwaltung getrennt, doch läfst sich die Frage jetzt noch
nicht entscheiden. Jedenfalls sind sie seit Diocletian getrennt geblieben.
Über die Verhältnisse der Provinz Gallia Narbonensis hat
0. Hirschfeld, Inscriptiones Galliae Narbonensis Latinae. (Corp.
Inscr. Lat. Bd. XII)
gesprochen.
Die Einrichtung und Romanisierung der Provinz ist das Werk des
Caesar, der nach Massilias Fall auf dem Gebiete der Stadt die Kolo-
nieen Forum Julii, Arausio, Arelate und Baeterrae für seine Veteranen
errichtete und zahlreichen Städten, wie Antipolis, Reii, Aquae Sextiae,
Avennio, Apta, Carpentorate, Vasio, Vienna, Nemausus, vielleicht auch
Cabellio mit der Latinität begabte. Da allein Nemausus jenseits des
Rhone liegt, so scheint es, als ob die Gebiete der Helver und Volcer
noch nicht so weit romauisiert waren, um ihnen latinisches Recht zu
gewähren. Caesar wollte also die Provinz nicht durch Waffengewalt,
C. Die Staatsverwaltung. 2. Die Finanzverwaltung 213
sondern durch völlige Romanisierung den Römern sichern. Augustus
folgte diesem Vorgange. Im Jahre 27 v. Chr. nahm er die Provinz mit
Ausnahme der Rürgerkolonieen in die tribus Voltinia auf, einige lati-
nische Städte wie Reii, Aquae Sextiae und vielleicht Avennio erhielten
volles Bürgerrecht; Soldatenkolonieen kamen vielleicht nach Forum Julii
und Nemausus; jenseits des Rhone erhielten Alba Helvorum, Luteva,
Carcaso, Ruscina, Tolosa die Latinität, und der Ausbau des Strafsen-
netzes sollte die Provinz fest an Italien ketten. Unter den folgenden
Kaisern wurde wenig geändert; nur erhielten Narbo und Luteva den
Beinamen Claudius und Avennio vielleicht den Beinamen Hadriana. Auch
die von Augustus eingeführte Verwaltungsreform blieb; die Provinz
stand bis zu Diokletian unter Proconsuln, die bis auf Antoninus Pius
zu Narbo, später vielleicht zu Nemausus residierten. Besatzung hatte
sie keine, nicht einmal auxilia; ob die Flottenstation in Forum Julii
über die flavische Zeit hinaus bestand, ist unsicher. Sie wurde weder
von auswärtigen noch — 68 und 69 ausgenommen - von Bürgerkrie-
gen heimgesucht. Die Romanisierung war namentlich in den Städten
vollständig; keltische Inschriften gehen nicht über die erste Kaiserzeit
hinaus.
H. Dübi, Die alten Berner und die römischen Altertümer. Bern 1888.
Der Verf. wollte ursprünglich blofs eine Verteidigung gegen eine
Reihe von schweren Beschuldigungen schreiben, die der Präsident der
Association pro Aventico, Eugen Secretan, gegen die alten Berner er-
hoben, und worin er sie namentlich den Ruinen von Avenches gegen-
über des Vandalismus bezüchtigt hatte. Daraus wurde aber eine verdienst-
volle Studie zur Geschichte der römischen Altertümer in der Schweiz.
Zunächst giebt der Verf. eine Zusammenstellung der auf das Schicksal
von Aventicum bezüglichen Nachrichten, die manches Interessante bietet.
Die Berner stehen von den schweren Vorwürfen in allen Hauptpunkten
gereinigt da.
2. Die Finanzverwaltung.
G. Hoff mann, Der römische ager publicus vor dem Auftreten
der Gracchen. 2. Teil. Progr. Kattowitz 1888.
Der Verf. stellt zunächst die ursprüngliche Ackerverfassung La-
tiums und Roms dar. Er ist der Ansicht, dafs in der Zeit, in welche
die Sage die Regierung des Romulus verlegt, sich der Übergang des
Landeigentums vom Staate auf dessen einzelne Teile Tribus, Kurien und
Geschlechter vollzog. Eben damals wurde auch schon der Grund zum
JJinzeleigentum am Boden gelegt, indem jedem Hausvater aus der Kurien-
oder Geschlechtsmark ein Stück Gartenland von zwei iugera als erb-
liches Eigentum, über das er frei verfügen konnte, überlassen wurde.
Die Viehweide, auf welcher das Zahlungsmittel erzogen wurde, blieb
2 1 4 Römische Staatsaltertümer.
Staatslaud. Aber auch Ackerland stand dem Bürger aufserdera zur
Verfügung entweder auf der Geschlechtsmark oder auf dem Gebiete der
Kurie. Zur Zeit des Servius waren die Geschlechtsgüter bereits auf-
gelöst und in Einzeleigentum übergegangen; seine Verfassung ruht be-
reits auf letzterem.
In der Königszeit hatten allein die Patricier als vollberechtigte
Bürger Anspruch auf den ager publicus, während die Plebeier nur durch
die Gnade der Könige Anteil erhalten konnten. Sobald aber die Ple-
beier zum Kriegsdienst herangezogen wurden, waren sie berechtigt, an
der Beute teilzunehmen, mochte sie in Land oder in beweglichen Gegen-
ständen bestehen, und es scheint, als hätten sie in der That seit Servius
das Recht erhalten, Staatsland in Besitz zu nehmen. x\ber nach Ver-
treibung der Könige ging den Römern in den Septem pagi am rechten
Tiberufer, wahrscheinlich auch in Latium ein beträchtlicher Teil des
ager publicus verloren. Die Patricier aber hielten sich schadlos durch
Verdrängung der Plebeier aus den von diesen occupierten Teilen. Da-
her erklären sich die Versuche, den Plebeiern in Form der Assignation
Stücke des Staatslandes als Eigentum zuzuwenden. Dies versuchte Sp.
Cassius 486 v. Chr., indem er den Antrag stellte, eine entsprechende
Menge des occupierten Staatslandes einzuziehen und den bedürftigen
Plebeiern zu assignieren. "Wahrscheinlich ging der Antrag noch weiter,
nämlich dahin, von dem als Gemeingut zurückbehaltenen Teile des Staats-
ackers das Vectigal, den Fünften oder Zehnten, zu erheben und zur
Soldzahlung zu verwenden. Die Anträge erlangten aber nicht Gesetzes-
kraft. Da Kolonisationen, wie die in Antium 467, nicht helfen konnten,
erfolgte 456 die lex de Aventino publicando. Dieselbe betraf Staatsgut und
versorgte die städtische Plebs; die bisherigen Nutzniefser wurden zu deren
Gunsten vom Staatslande vertrieben. Verminderung der Patrizier durch
unglückliche Kriege hatten diesen Erfolg erleichtert. Da auch die Plebs
durch Seuchen decimiert war, so reichte in den nächsten Jahrzehnten
das Land aus. Seit 424 wiederholen sich aber die Anträge auf neue
Verteilung des Staatslandes, aber der Erfolg war sehr gering. Im Jahre
406 wurde beschlossen, den Soldaten Sold aus der Staatskasse zu zahlen.
Wahrscheinlich wurde dieser dadurch aufgebracht, dafs jetzt wieder von
dem Staatslande das Vectigal erhoben wurde. Nach Veiis Eroberung
wurde nach längereu Kämpfen sein Gebiet an die Plebs aufgeteilt, vier
iugera auf den Mann. Nach den Verheerungen der Gallier suchte der
Senat das Elend der Plebs durch Kolonieengründung zu erleichtern;
aber teils weil diese latinisch waren, teils weil ihre Zahl zu gering war,
wurden die licinisch-sextischen Gesetzesvorschläge gemacht.
Der Verf. ist gegen die Überlieferung zu konservativ; doch ist
sein Versuch gerade nach dieser Richtung lehrreich. Denn auch er
kann nicht ohne Deutung ev. auch ohne Verwerfung von Nachrichten zu
seinem Ziele gelangen.
C. Die Staatsverwaltung. 2. Die Finanzverwaltung. 215
Ch. Lecrivain, De agris publicis imperatoriisque ab Augusti
tempore usque ad finem imperii Romani. Diss. Paris 1887.
Der Verf. teilt seinen Stoff zeitlich in zwei Perioden: 1) von Au-
gustus bis Diokletian, 2) von Diokletian bis zum Ende des Reichs.
Der Verf. nimmt an, bei der Teilung des Reichs zwischen Augustus
und dem Senate sei der ager publicus der kaiserlichen Provinzen und
Privatdomänen (Aegypten) dem Fiscus, dagegen in den Senatsprovinzen
dem aerarium bis auf Traian vorbehalten worden. Thatsächlich habe
aber der Kaiser über den ager publicus überall verfügt. Ob es des-
halb wahrscheinlich ist, dafs wirklich eine solche theoretische Teilung
stattfand, um sie praktisch stets umzustofsen? Seit Hadrian giebt es
nur loca fiscalia und fundi fiscales, die in den Gesetzsammlungen häufig
erwähnt werden. Sie vermehrten sich durch bona vacantia et caduca,
wenn auch diese meist verkauft wurden. In den Provinzen des Senats
fielen sie bis auf Marcus dem Ärar, von da an dem Fiscus heim. Über-
schüsse des Fiscus wurden zu Landankäufen verwandt. Wie es in neu-
eroberten Ländern gehalten wurde, steht nicht fest. Die meisten Län-
dereien wurden den Eigentümern belassen, tributär gemacht, oder zu
Soldatenkolonien verwandt; Weiden, Bergwerke, Steinbrüche blieben dem
Fiscus vorbehalten.
Im zweiten Kapitel wird das Patrimonium principis dargestellt.
Darunter ist das Familiengut des Kaisers zu verstehen, das er durch
Erbschaft seines Hauses, durch Erbeinsetzung seitens Privater, durch
Beerbung der P'reigelassenen des kaiserlichen Hauses und durch Teil-
nahme an dem Ertrage der bona damuatorum begründete und vermehrte.
In Kapitel 3 wird die Vererbung des Patrimonium besprochen; neues
erfährt man dabei nicht, im Ganzen folgt der Verf. Hirschfeld. Ka-
pitel 4 behandelt die res privata, die von Septimius Severus aus den
grofsen Konfiskationen geschaffen, aber nach dem Aussterben der Dy-
nastie wie das Patrimonium vererbt wurde; doch gewinnt sie nach Dio-
kletian die Bedeutung eines Krongutes, dem mannichfach bisheriger Be-
sitz und Einkünfte des Patrimonium zugewiesen wurden. In Kapitel 5
stellt der Verf. den Landbesitz (praedia) der ratio privata und des Pa-
trimonium zusammen; freilich ist die Entscheidung über die Zugehörig-
keit oft unsicher. Dasselbe gilt vom Kapitel 6 de Augustarum iuvenum-
que principum fundis, der Versuch mufste bei der Beschaffenheit der
Quellen recht unvollkommen ausfallen. Kapitel 7 erörtert die Frage, ob
die Constantinischen Schenkungen an die Kirche mit diesen praedia der
res privata oder des Patrimonium zusammenhängen. Der Verf. glaubt
sie bejahen zu müssen. Kapitel 8 handelt von der Verwaltung der kai-
serlichen Güter. Im Ganzen stimmt auch hier der Verf mit Hirschfeld
überein, von dem er sich nur in untergeordneten Fragen entfernt. Ka-
pitel 9 betrachtet den technischen Betrieb, die Zeit- und Erbpacht; die
210 Römische Staatsaltertümcr.
IctztfM-e existierte schon vor Diokletian. Mannichfach war bei diesen
Einrichtungen das Beispiel Ägyptens mafsgebend.
Im zweiten Teile, der die nachdiokletianischen Verhältnisse be-
handelt, wird zunäclist das Anwachsen des Besitzes nachgewiesen; die
Quelle bildeten die zalilreichen Konfiskationen, namentlich auch die Ein-
ziehung der Tenipelgüter, Erbeinsetzungen u. s. w. Diese Neuerwer-
bungen werden gewöhnlich der res privata zugeführt, welche jetzt auch
die meisten ehemaligen fiskalischen Güter besafs. Daneben entstand die
domus divina, deren Verwaltung unter dem praopositus sacri cubiculi
steht. Doch scheint der Besitz beider Verwaltungen häufig gewechselt
zu haben. Besondere Vermögensverwaltungen hatten die Kaiserinnen und
die Prinzessinnen. Die ehemaligen Güter des Patrimonium gehören jetzt
der res privata; sie sind alle in Erbpacht. In Kapitel 3 wird das Erb-
pachtsverhältnis dargelegt. In nachdiokletiauischer Zeit umfafst die res
privata alles, was nicht zur Staatskasse (sacrae largitioues) gehört, d. h.
die alte res privata, die fundi fiscales und patrimoniales und die domus
divina; fast alle die hierher gehörigen Güter waren in Erbpacht gege-
ben, doch kommen auch andere Arten der Ausbeutung vor, wie in Ka-
pitel 4 nachgewiesen wird; Zeitpacht und Selbstbewirtschaftung kommen
immer mehr ab. Kapitel 5 bespricht die Verwaltung der Güter, ohne
etwas neues zu bringen. In Kapitel 6 wird die Frage der praedia regia
bei Cassiodorius und der Kirchengüter bei Gregor d. Gr. erörtert. Die
Ostgoten ändern wenig an dem Hergebrachten; bei den Kirchengütern
kommen meist Selbstbetrieb und Zeitpacht in Anwendung. Zwei Appen-
dices bringen Specialfragen zur Behandlung.
Im Grofsen und Ganzen wird unsere Kenntnis der römischen Fi-
nanzverwaltung nicht viel durch die Arbeit gefördert.
E. Thibaut, Les douanes chez les Romains. Paris 1888.
war mir nicht zugänglich.
E. de Ruggiero, Intorno ai XVI ab aerario et arka salinarum Ro-
manarum. (Bull, deir Istituto di diritto Romano.) Roma 1888. 13 S.
Der Verf. bespricht eine im Campo salino gefundene, von Lanciani
Bull, della Commiss. archeol. comm. di Roma 1888 p. 83 publicierte und
erläuterte Inschrift, in welcher unter den Kaisern Severus und Autoni-
nus ein Restitutianus Cornelianus de XVI ab aer(ario) et ark(a) sal(ina-
rum) Romanarum dem Genius saccariorum salarior(um) totius urbis
camp(i) sal(iuarum) Rom(anarum) eine Schenkung macht. Wer sind
diese XVI ab aer. et ark. sal. Rom.? Nach Lanciani ein Consilium
aus kaiserlichen Sklaven, denen die Finanzverwaltung der städtischen
Salzregie übertragen war. Der Verf. hält dies aus dem Grunde für un-
wahrscheinlich, weil in diesem Falle die Bezeichnung ab aerario ganz
unerklärt bliebe; denn die Einkünfte aus dem Salzregale flössen zu der
C. Die Staatsverwaltung. 2. Die Finanzverwaltung. 217
Zeit, welcher die Inschrift entstammt, d. h. nach Septimius Severus, sicher-
lich in denFisciis; sodann ist aber bis jetzt kein Beispiel bekannt, dafs
ein procurator Augusti ein Consilium znr Seite gehabt hätte mit mehr
oder minder weitgehenden Befugnissen; auch hätte ein solches Consilium
nach Hadrian nicht aus kaiserlichen Sklaven bestehen können.
Vielmehr müssen diese XVI ab aerario etc. in Verbindung getreten
sein mit dem Collegium saccariorum, über das nach dem Ausweise der
Inschrift die kaiserlichen Procuratoren ein Aufsichtsrecht besafsen. Diese
XVI ab aerario et arca sind nichts anderes als eine besondere Körper-
schaft — vielleicht etwas höher gestellter Kassendiener — in dem coli,
saccariorum. Wir erfahren aus der Inschrift zuerst die Existenz einer
besonderen Prokuratur für die Salinen des Tiber, welche von Pacht»
gcsellschaften ausgebeutet wurden.
U. Wilcken, Zu den arsinoitischen Tempelrechnungen. Hermes 23,
629—630.
Der Verf. hat gefunden, dafs die kaiserliche Regierung, wenn es
sich um Aufstellung einer Statue für einen römischen Kaiser handelte,
dem Volke eine Statuensteuer auflegte. Sie wurde wie die Kopf- und
Gewerbesteuer von den npdy.ropeg dpYOfjixrjg 'EXefavTcvrjg erhoben und
war wie eine Kopfsteuer für alle Unterthanen in gleicher Höhe normiert.
Th. Mommsen, Die fünfzehn Münzstätten der fünfzehn diokle-
tianischen Diöcesen. Zeitschr. f. Numism. 15, 239 — 250.
Von einer Beziehung der Münzprägung zur administrativen Reichs-
teilung kann erst seit Diokletians Diöceseneinrichtung die Rede sein.
Den folgenden Diöcesen entsprechen die gegenüberstehenden Münzstätten.
Orientis A(ntiochia) Italiae AQ(uileia)
Aegypti ALE(xandrea) Urbis Romae ROM(a) oder R(oma)
Asiana KV(zicus) Pannoniarum S(is) C(ia) od. SlS(cia)
Pontica N(icomedia) od. lUyrici
Thraciarum H(eraclea) T(hracum) Africae K(arthago)
oder H(eraclea) Hispaniae T(arraco)
Macedoniae T(hes)S(alonica) Galliarum TR(everi)
Daciae S(er) D(ica) L(ugudunum od. L(u)G(u)dunum
Viennensis
Britanniae L(ondinium)
Heraclea ist das alte Perinthos, welches zu Ehren des Herculius
in Heraclea Thracum umgenannt wurde. Viennensis hat keine Münz-
stätte, sondern Lugudunum prägte für diese Diöcese, die von Constantin
in AR(e)L(ate) eine eigene Münzstätte erhielt; derselbe Kaiser hat auch
eine Verschiebung des ursprünglichen Verhältnisses in Illyricum vorge-
nommen, wo SIRM(ium) Münzstätte wird. Die meisten Münzstätten prä-
gen in allen drei Metallen; Herakleia hat nur Silber und Kupfer, Kyzi-
218 Römische Staatsaltertümer.
kos und Lugudunum nur Kupfer geschlagen. Vermutlich wurden im Occi-
dcnt neben Maximians umfassender Prägung in Trier die Münze von
Lyon, im Orient neben der umfassenden Prägung Diokletians in Niko-
media die benachbarten Münzen von Ilerakleia und Kyzikos als Neben-
nuinzstätten behandelt. Die Buchstabensetzung ist offenbar aus einem
Gufs. Wo der erste Buchstabe zur Unterscheidung genügt, wird er
allein gesetzt, nur dafs bei den Namen der Reichshauptstadt nahezu
Vollschreibung eintritt. Wo er nicht genügt, wird meist der erste Buch-
stabe allein konventionell auf eine der Münzstätten beschränkt, vielleicht
auf diejenige, die schon vor Diokletian im Betrieb war. Im Übrigen
werden entweder die ersten zwei oder drei Buchstaben gesetzt, oder es
wird dem Initialbuchstaben der ersten der der zweiten Silbe hinzugefügt.
3. M i 1 i t ä r w e s e n.
H. Delbrück, Triarier und Leichtbewaffnete. Hist. Zeitschr.
N. F. 24, 238-254.
Der Verf. unterwirft zunächst die Ansichten von Kuthe- Soltau -
Fröhlich und von Bruncke einer Kritik.
Die ersteren nahmen an, dafs die Manipel schachbrettartig an-
rückten, aber vor dem Beginn des Gefechts die Mannschaften durch
weiteres Abstandnehmen die Intervalle ausfüllten. Durch Zusammen-
ziehen wurden die Intervalle wiederhergestellt, wenn das zweite Treffen
das erste ablösen sollte. Das zweite Treffen rückte in geschlossenen
Manipeln durch die Intervalle vor, das erste ging zurück, und das zweite
stellte durch Abstandnehmen die kontinuierliche Linie wieder her. Die-
ses Manöver ist unmöglich ; denn Truppen können im Handgemenge nicht
abgelöst werden, da der Feind die Abzulösenden nicht ziehen lassen,
sondern gerade die hülflose Situation, in die sie sich durch Zusammen-
drängen und Lückenlasseu selbst setzen, benutzen würde, sie zu vernichten.
Speziell wird Soltau (Deutsche Literatur-Zeitung 1888 S. 177 f.) nochmals
vollständig widerlegt. Bruncke läfst die Ablösung der Treffen durch die
Intervalle fallen, fafst die Bedeutung der Intervalle für die Marschfähig-
keit und das Vorrücken der Legionen richtig auf, sucht aber doch noch
eine Trcffenablösung zu konstruieren, wobei das vorderste Treffen rechts
und links seitwärts sich abzieht, um dem nächsten Platz zu machen.
Auch das ist unmöglich, da Soldaten im Nahkampf viel zu viel zu thun
haben, sich ihres unmittelbar vor ihnen befindlichen Gegners zu erweh-
ren, um an taktische Bewegungen denken zu können. Doch steckt in
Brunckes Vorstellung eine Annäherung an die Wahrheit, indem sie die
Wirksamkeit der spezifisch römischen Taktik in der Möglichkeit einer
Bewegung nach der Flanke sucht, die freilich nicht das vorderste, son-
dern gerade die hinteren Treffen ausführen.
Delbrück (ergänzt in einem Punkte durch Schneider s. Jahres-
C. Die Staatsverwaltung. 3. Militärwesen. 219
bericht 1887) unterscheidet vier Perioden: 1) Phalanx bestehend aus
zwei Abteilungen, hastati und principes, jede zu 15 Centurien (Ma-
nipeln), aufgestellt mit ganz kleinen Intervallen, die Centurien der prin-
cipes gerichtet auf die Intervalle der hastati; den 15 Centurien (Mani-
peln) der ersten Abteilung je 20 Leichte beigegeben; 900 andere Leicht-
bewaffnete aufserhalb der Phalanx. Die Einrichtung stammt vielleicht
aus der Zeit der Samniterkriege. 2) Phalanx bestehend aus drei Ab-
teilungen hastati, principes und triarii, jede zu 10 Manipel, jeder Mani-
pel zu 120 (bei den Triariern nur 60) Schweren und je 40 Leichten.
Die Manipel aufgestellt wie vorher, nur etwas lockerer. Diese Phalanx
bestand im Jahre 216 3) Zerlegung der vorigen Phalanx in drei Treffen
durch Scipio Afrikanus Major. 4) Einteilung der Legion in zehn gleich-
mäfsig bewaffnete Kohorten, vielleicht durch Marius.
Zu diesen früheren Aufstellungen bringt er einige Ergänzungen.
Um seine Ansetzung einer wesentlichen Abwandlung der römischen Tak-
tik im zweiten punischen Krieg zu begründen, weist er nach, dafs Po-
lybius allerdings einer solchen Reform Erwähnung thue; denn er meldet
Scipio habe in der Schlacht bei Cannae die drei Abteilungen mit Ab-
stand (£v oLTMazdaet) aufgestellt; er berichtet weiter, dafs die Römer
nicht ihre ganze Macht mit einem Male ins Gefecht führten, sondern
r« jxkv e<p£8peÖ£c ru)V p.sp(üv aoroTg,' ra ok ao/JL/icaysc roTg TtoXspcotg. Er
sagt uns also positiv Alles, was wir zu wissen brauchen.
Auch vor der Erhebung der drei Legionsabteilungen zu Treffen
hatten diese Abteilungen schon eine sehr grofse Bedeutung. Eine Unter-
scheidung nach Altersstufen bildet sich in Heeren, die wie das römische
der älteren Republik und das heutige deutsche auf bürgerlicher Grund-
lage gebildet, doch durch starke Friedensübung oder permanente Feldzüge
die militärischen Eigenschaften der Berufsheere bis auf einen gewissen
Gi'ad angenommen haben. Der Veteran, der sich zugleich noch als
Bürger fühlt, kann ohne Minderung seiner Ehre dem Jüngeren den Vor-
kampf lassen. Nichts natürlicher also, als dafs man, sobald die Zer-
legung der Legion in die drei Abteilungen die Gelegenheit gab, diese
Abteilungen nach Jahrgängen formierte, und wenn sie einmal danach
formiert, so bildete sich auch bald in den höheren Abteilungen ein star-
kes Corps-Bewufstsein.
Ein Moment, das gegen Delbrücks Aufstellungen sprechen könnte,
ist das numerische Verhältnis der Schwer- zu den Leichtbewaffneten.
1200 Leichte kommen auf 3000 Schwere und sollen durch die Intervalle
oder um die Flügel herum vorwärts- und zurückfluten. Das ist denk-
bar bei einem Heere von zwei Legionen; da werden die 2400 Leich-
ten meistens um die Flügel herumgehen; denn durch die Intervalle
kann sich nur ein kleiner Teil zurückziehen, weil die Zeit, die ihnen
bis zum Zusammenstofs der beiden Hoplitenniassen bleibt, zu kurz ist
und sie in Schlangenwindungen durch die Phalanx hindurch müssen.
220 Römische Staatsaltertümer.
Bei gröfsercn Heeren ist das nicht mehr möglich. Wir wissen aber auch
nichts über die Tiefe der Aiifstelhing bei den Alten und doch hängt
von ihr die Länge der Front, also die Möglichkeit einer Übcrflügelung
und Umklammerung des Gegners ab Wahrsclieinlich wurden kleine
Heere flacher, grofso tiefer aufgestellt. Rüstow nimmt bei Cäsar eine
Kohortentiefe von 10 Mann, somit bei drei Treffen eine Gesamttiefe
von 30 Mann an. Delbrück nimmt in der Schlacht bei Cannae eine
Tiefe von 36 — 44 Hoi)liton an; dabei ergiebt sich für die Leichten eine
Tiefe von 14--18 Mann. Aber eine so dicke Masse von Speerschützen
und Schleuderern ist unfähig, ihre Waffen zu gebrauchen; mehr als vier,
vielleicht nur zwei Glieder, die abwechselnd schleudern, können gewifs
keine Wirksamkeit üben. Wozu schleppen die Römer nur eine so un-
geheure Menge von Leichtbewaffneten mit, die in der Schlacht selbst
ihre Bestimmung nicht erfüllten und beim Zurückfluten unter den Hopli-
ten die gefährlichste Unordnung anrichten konnten? Die Antwort giebt
Liv. VIII, 8. Die rorarii und accensi waren keine Schlachttruppen, son-
dern man gebrauchte sie zum Fouragieren, Verfolgen, Schanzen, Be-
wachen des Lagers während der Schlacht, in der Schlacht aber nur einen
geringeren Teil, so viel als Platz hatten vor der Front und auf den Flanken
auszuschwärmen und man hoffen konnte, ohne Schwierigkeit im letzten
Augenblicke durch die Intervalle zurückziehen zu können. Deshalb wer-
den bei Liv. mit Recht die rorarii ins Hintertreffen gestellt. Man hat
verschiedene Perioden der römischen Taktik in eine Schilderung zusam-
mengezogen. Daher die 15 Manipeln der Triarier und die völlig un-
glaubwürdige Zahl 186 für jeden ordo sub signis. Delbrück giebt an
dieser Stelle nochmals eine Zusammenstellung dessen, was er bei Livius
für echte Überlieferung hält. Ursprünglich fechten die Römer in der
Phalanx, später in Manipelstellung, zuletzt in mehreren Treffen. Die
Manipel standen mit mäfsigen Zwischenräumen; die hastati und principes
hatten einmal je 15 Manipel; den Hastatenmanipeln waren je 20 Leichte
beigegeben, den principes nicht. Das Gros der Leichten, die rorarii
(und accensi) standen hinter der Hoplitenphalanx. [Als auch die dritte
Abteilung der Triarier eingerichtet war, die Abteilungen mit Treffenin-
stanzen standen, jede Abteilung auf 10 Manipel gesetzt war], nannte
man die Triarier, bei denen die überflüssigen Leichtbewaffneten standen
(und zu denen sich nach Beendigung des Plänklergefechtes alle Leichten
sammelten) die Truppen sub signis; jedes Triarierfähnlein mit den Leich-
ten zusammen zählte 186 Mann. Das zweite und dritte Treffen waren
bestimmt, das erste im Kampfe zu unterstützen, so dafs, wenn der Feind
glaubte, das erste Treffen besiegt zu haben, er sofort einem neuen,
noch stärkeren Widersacher begegnete. Weil nun die Triarier das dritte
Treffen bildeten, so sagt, wenn es hart hergeht, das Sprichwort: »jetzt
gehts an die Triarier«.
Die Verwendung der Leichtbewaffneten bei Zama bedarf be-
C. Die Staatsverwaltung. 3. Militärwesen. 221
sonderer Erklärung. Polybios erzählt, Scipio habe die Intervalle zwischen
den Manipeln des ersten Treifens mit den velites ausgefüllt, mit dem
Befehl, das Gefecht einzuleiten und vor den Elephanten durch die Ma-
nipel- und Treffenintervalle auszuweichen. Hier sind mehrere Wider-
sprüche vorhanden — die Intervalle ausfüllen, plänkeln und sich durch
die Intervalle zurückziehen d. h. nicht in ihnen bleiben. Delbrück er-
klärt das so. Scipio wagte es, das Treffenintervall zwischen die hastati
und pi'incipes zu legen. Da war es jenen sehr unbehaglich, dafs ihre
Hintermänner so weit zurückblieben. Die gröfste Besorgnis der Sol-
daten war immer das Zerreifsen der Linie, so dafs der Feind eindrin-
gen und rechts und links die Manipel in der Flanke packen konnte.
Das zweite Treffen war nun so fern, dafs es eine entstehende Lücke
nicht auf der Stelle zustopfen konnte. Um etwaige gröfsere Lücken zu
füllen, bis die Verstärkungen aus dem zweiten Treffen ankommen konn-
ten, bestimmte Scipio die velites.
Fr. Giesing, Verstärkung und Ablösung in der Kohortenlegion.
Neu. Jahrb. f. Phil. 137, 849—862.
Der Verfasser ist mit Fröhlich (Jahresbericht 1887) darin einver-
standen, dafs die Annahme, in der acies des Cäsar hätten die taktischen
Einheiten, die Kohorten, getrennt von einander gekämpft und zwar in
Abständen von Kohortenfronten, ebenso sachlich widersinnig sei, wie sie
jeglichen quellenmäfsigen Anhalts und Belegs entbehre Aber er meint,
Fröhlich hätte die Frage beantworten müssen; wie erfolgte, wenn das
erste Treffen jeder Legion als Phalanx kämpfte, die Ablösung desselben
durch das zweite? Er hat dies versucht, aber es ist ihm mifslungen; denn
er nahm an, dafs die Ablösung, wenn irgend möglich, von den Flanken
her stattgefunden habe. Aber in der Stelle, die Fröhlich hierfür an-
führt, b. c 1, 45 handelt es sich lediglich um eine Unterstützung. In
anderen Fällen mufs er wieder zu Intervallen seine Zuflucht nehmen,
die schlimmer als die früheren, weil militärisch undenkbar sind; denn
sie haben die Hauptsache nicht berücksichtigt: den Feind. Fröhlich
hat den Fehler gemacht, dafs er stets die taktische Einheit wahren
wollte ; die Wahrung der taktischen Einheit wird stets eins der obersten
Gesetze der Taktik bleiben, aber sie erleidet zahlreiche Ausnahmen im
Altertum, wie heute. Hier entscheidet eben die Notlage, und anders als
in der äufsersten Notlage wird die Massenablösung d. h. die Ersetzung
eines Treffens durch ein zweites auch nicht eintreten. Auch bei der
Verstärkung wollte Fröhlich stets die taktischen Einheiten wahren, und
zu diesem Zwecke mufs er auch wieder mitten im Kampfe zu bildende
Intervalle annehmen. Die Verstärkung der Gefechtslinie kann stattfin-
den durch Verlängerung der Front und Flankieren der feindlichen Stel-
lung; dann sind die taktischen Einheiten mit Leichtigkeit zu wahren.
Aber es giebt auch eine weitere Art, densere oder densare ordines bei
222 Römische Staatsaltertümer.
Sallust und Livius. Frölilich erklärt dies so, dafs das erste Treffen
durch Einführen der Kohorten des zweiten verstärkt worden sei. Bei
Sallust kann diese Bedeutung aber nach Giesing niclit angenommen werden,
sondern hier heifst densere frontem nichts weiter als die Zahl der im
ersten Treffen stehenden mehren und so die Front verdichten. Die
Stopfung der im Gefechte entstandenen Lücken erfolgte stets aus dem
nächsten Hintergliede; ging dadurch aber schliefslich die übrige Tiefe
der Stellung verloren, so xnufsteu die Reserven zur Verstärkung ge-
schickt werden. "Wurde zugleich ein engeres Anschliefsen der Rotten
an einander nötig, so wurde nach der Mitte der Front zu der Abstand
von Mann zu Mann verkleinert, jedenfalls aber, wenn nicht das Andrin-
gen des Feindes von den Flanken her dazu zwang, nie so sehr, dafs
die Kampffähigkeit der Truppen verloren ging.
Der Verf. geht nun auf die Frage der Ablösung ein und stellt
als völlig sicher den Satz hin, dafs die Reserven gar nicht für die Ab-
lösung eines ganzen Treffens berechnet waren. Er erweist dies haupt-
sächlich aus den Berichten über die Schlachten von Pharsalus (b. c. 3,
94) und Ilerda, wo unter der Ablösung der defessi nur einzelne Leute,
nicht ganze Kohorten oder gar die ganze Truppe im Vordertreffen ge-
meint sein könne. Er weist nun auch im Einzelnen nach, wie dieses
Manöver ausgeführt werden konnte.
Zur Unterstützung von Delbrücks und Fröhlichs Ansicht über die
Unmöglickeit von Kampfintervallen von Frontenlänge zum Zwecke der
Ablösung führt der Verf. noch Folgendes an: 1) das allgemeine Gesetz,
dafs, je gröfser die taktischen Grundeinheiten werden, desto widersinni-
ger regelmäfsig wiederkehrende Kampfintervalle von Frontenlänge dieser
Einheiten erscheinen müssen. 2) Von Traian ab ist das Fechten der Ko-
horten des Vordertreffens in geschlossener Front bezeugt; eine Änderung,
die aber in der Kaiserzeit erst eingetreten wäre, würde uns überliefert
sein. 3) Cäsar legt den gröfsten Wert auf die Sicherung der Flanken
seiner Aufstellung; wie sollte er eine Gefahr, die er an zwei Punkten
peinlich zu meiden suchte, an vielleicht 20 anderen Slellen verachten?
H. Judson, Caesars Array. Boston 1888
war mir nicht erreichbar.
Th. Mommsen, Bronzetafeln von Cremona. Korr. Bl. d. Westd.
Z. 7, 55—60.
Bei Cremona wurden Trümmer mehrerer Kasten gefunden; die
Inschrift des einen zeigt, dafs er der vierten Legion (Maced.) angehörte
und im Jahre 45 gefertigt ist; der zweite stammt aus dem Jahre 56.
Beide gehören den Ereignissen des Jahres 69 an, wo unter den Mauern
von Cremona der Kampf für Vespasian entschieden wurde. Der eben-
falls erwähnte Centurio (princeps praetorii) beweist, dafs der Kasten
C. Die Staatsverwaltung. 3. Militärwesen. 223
demselben diente. Mommsen vermutet, dafs darin die Listen und die
sonstigen Papiere der Legion aufbewahrt wurden, da dieser nach Vege-
tius die allgemeine Administration der Legion führte.
Alb. Müller, Die neueren Arbeiten über die Tracht und Bewaff-
nung des römischen Heeres in der Kaiserzeit. Philol. 47, 514. 721.
Der Verf. giebt eine sehr wertvolle Darstellung und Beurteilung
der in dem erwähnten Gebiete in den letzten Jahren erzielten Ergeb-
nisse. Wir begnügen uns Folgendes herauszuheben.
Der Verf. hält es für möglich, dafs im römischen Heere bei ein-
zelnen Truppenteilen Visier- bezw. Maskenhelme vorgekommen sind.
Das Nähere bleibt noch dunkel; doch ist zunächst an die spanischen
und gallischen Auxiliarkohorten und an die Panzerreiter zu denken.
Bezüglich der römischen Schildbuckel schliefst sich der Verf. ganz Hüb-
ner, Arch. epigr. Mitt. aus Oesterreich 2, 105 — 119 an. Bezüglich des
Pilums ist er im Allgemeinen mit Lindenschmit's Ausführungen (Alterth.
u. heidn. Vorz. HI, 6 zu Taf. 7) einverstanden. Für die Frage der
Schleuderbleie gilt Zangemeisters Untersuchung in Eph. epigr. VI als
abschliefsend, für die Fahnenfrage wird das grofse Verdienst von Do-
maszewski's lobend anerkannt.
Metellus Meyer, Geschichte der legio XIV gemina. Philol. 47,
653—677.
Der Verf. findet, dafs durch die bisherigen Darstellungen die Ge-
schichte der römischen Legionen eine allseitige genügende Behandlung
noch nicht erfahren habe, und will durch die Geschichte der XIV. Legion
versuchen, einen Beitrag und eine Vorarbeit zu einer vollständigen und
erschöpfenden Gesamtlegionsgeschichte zu geben.
Gegen Mommsen verlegt der Verf. die Errichtung der Legion in
die Zeit der Bürgerkriege oder sofort nach Beendigung derselben; viel-
leicht war die cäsarische leg. XIV (Caes. BG. 6, 32) die Stammutter der
leg. XIV gem. Die Beinamen Martia Victrix knüpfen an die Besiegung
der Königin Boudica an. Unter und nach Caracalla führte sie die ge-
wöhnliche Benennung nach dem regierenden Kaiser. Das Legionszeichen
ist der Steinbock, in der Not. Big. ein weifser Schild, in der Mitte eine
rot umfafste goldene Kugel, die von einem darüberschwebenden hell-
blauen Adler getragen wird.
Der erste Standort war Mogontiacum, das sie wahrscheinlich in
den Jahren 12—9 v. Chr. erbaute; auch an dem Bau der Brücke von
Mainz nach Castel war sie beteiligt; bis zum Jahre 43 n. Chr., wo sie
Germanien zum ersten Male verliefs, waren von ihr die Kastelle und
Lager in und bei Wiesbaden, Heddernheim, Nied, Hofheim, Rarabach,
Höchst, Friedberg, Rheinzabern besetzt. Im Jahre 43 ging sie unter
Aulus Plautius nach Britannien, wo sie ihr Hauptquartier zuerst in Ca-
malodunum, seit 50 in Virocinium hatte. Bis 67 blieb die Legion in
224 Römische Staatsaltertümer.
Britannien; dann rief sie Nero zu dem Feldzuge gegen die Albaner;
auf dem Marsclie wurde sie von Galba nach Dalmatien geschickt, das
sie Frülijahr 09 verliefs, um Otho zu helfen. Vitellius schickte sie nach
Britannien zurück. Vespasian wies sie wieder dem germanischen Heere
zu; sie gehörte zum obergermanischen Teile und bezog wieder Mainz
und die oben erwähnten vorliegenden Kastelle und Lager. Die Ziegel
von Mircbcau-sur-Beze können nicht aus der Zeit des Bataveraufstandes
stammen, wie Mommsen anninmit, sondern werden vor dem Aufstand
des Saturninus gefertigt sein. Gleich nach Niederwerfung des Aufstan-
des des Saturninus scheint die Legion (90 n. Clir.) an die Donau ver-
setzt zu sein; wahrscheinlich stand sie in Pannonia inf., in der Nähe der
Mündung des Karasch in die Donau. Im Jahre 107 kam sie nach Vin-
dobona; vor dem Jahre 150 wurde sie nach Carnuntum verlegt; wahr-
scheinlich geschah es im Jahre 114. In Carnuntum blieb sie bis in
Diokletians Zeit. Der Verf. stellt die während des Aufenthalts in Car-
nuntum bekannten Legaten und Legionspräfekten zusammen.
Sie hat die Feldzüge des Drusus ohne Zweifel mitgemacht, doch
ist darüber nichts weiter bekannt; sie war ferner sicher eine der beiden
Legionen das L. Nouius Asprenas. An den Zügen des Germanicus hat
die XIV Legion bedeutenden Anteil. In Britannien hat sie jedenfalls an
den Kämpfen des Jahres 50 gegen die Silurer und Ordoviker und an ihrer
schliefslichen Unterwerfung den Hauptanteil gehabt. Den Glanzpunkt ihrer
Geschichte bildet das Jahr 61 ; für ihren glänzenden Sieg bei Colchester
erhielt sie die Beinamen Martia Victrix. In den Stürmen des Jahres 68
blieb sie Nero treu, dem sie aber nicht zuhilfe eilen konnte, weil die
Bataver die Pässe besetzt hatten. An der Schlacht bei Betriacum nahm
sie nur mit 2000 Vexillariern teil. In dem Bataverkriege beteiligte sie
sich an der Entscheidungsschlacht. Im Jahre 88 empörte sie sich mit Sa-
turninus, worauf sie nach Pannonia kam. Beteiligt haben sich Abteilungen
der Legion an den dakischen Kriegen und am Partherkriege, selbst-
verständlich auch am Markomannenkriege. An der Erhebung des Sep-
timius Severus zum römischen Kaiser hat sie jedenfalls grofsen Anteil
gehabt. Unter Alexander Severus nahmen Vexillationen an den Parther-
kriegen teil; dem Maximinus war die Legion ergeben und nahm jeden-
falls an seinem Zuge nach Italien teil. Später stand sie auf Seite des
Gordian; in den gallischen Kämpfen des dritten Jahrhunderts hat sie
zuerst der Partei des Victorinus angehört, dann ist sie zu Gallienus
übergetreten.
Es ist zu wünschen, dafs der Verf. in ähnlicher Weise die Ge-
schichte der übrigen Legionen bearbeitet.
J. Jung, Die Lagerbeschreibung des sog. Hygin und die Provin-
zialmilizen. Wiener Studien 11, 153 — 160.
Der Verf. bringt einige Berichtigungen und Nachträge zu v. Do-
maszewskis Ausgabe des sog. Hygin. Die in der Lagerbeschreibung als
I
C. Die Staatsverwaltung. 3. Militärwesen. 225
nationes bezeichneten Truppen rekrutierten sich aus den Völkerschaften,
welche der nivellierenden Civilisation gegenüber die meiste Widerstands-
kraft bewährt hatten (Kaeter, Cantabrer, Daker, Brittones (Britten aus
Britannien), Mauren; sie dienten in ihrer nationalen Bewaffnung. Und
während diese provinzialen Milizen nach der Augustischen Organisation
nur lokalen Zwecken der Grenzverteidigung oder der Sicherung der
Kommunikationen dienten, wurden sie seit Hadrian nach auswärts ver-
wendet. Dabei wurde die nationale Art dieser Truppengattung nicht
nur nicht mifstrauisch vermerkt, sondern vielmehr gehegt und gefördert.
Das Feldgeschrei ertönte in der betreffenden Sprache, und selbst bei der
Befehlgebung wurde darauf Rücksicht genommen. Der Verf. zieht aus
der letzten Angabe der Lagerbeschreibung den Schlufs, dafs sie nicht
vor Hadrian verfafst sein kann. Auch andere Anzeichen weisen auf die
die Zeit zwischen Hadrian und der Mitte des dritten Jahrhunderts n. Chr.
z. B. die Combinationen, in welchen die Nationaltruppen mit anderen
Truppenkörpern erscheinen, wenn man diese mit den auf der Inschrift
erscheinenden Combinationen vergleicht. Deshalb glaubt der Verf., dafs
man es in der Lagerbeschreibung mit einem Teile von Hadrians für
lange Zeit grundlegender Heeresorganisation zu thun habe. Über die
Mitte des dritten Jahrhunderts darf die Zeit nicht hinausgeschoben wer-
den, da der Legionskommandant in der Lagerbeschreibung legatus, nicht
praefectus heifst und Einrichtungen des späteren dritten Jahrhunderts,
wie die Protectores, nicht vorkommen. Auch weist auf diese Zeit die
Verwendung der Gaesati aufserhalb ihrer rätischen Heimat; denn jeden-
falls seit Gallienus mufsten diese zuhause verwendet werden, da sie die
lokale Kriegführung, namentlich im Gebirge, besser verstanden als fremde
Truppen. In der That sind auch vom Ausgange der römischen Herr-
schaft die Breonen in Raetien als Miliz organisiert und hatten die von
Augusta Vindelicorum südwärts führenden Alpenpässe zu bewachen Die
Rücksichtnahme auf Kameele weist auf orientalische Kämpfe d. h. auf
Septimius Severus und seine Nachfolger.
0. Dahm, Übergang des Limes über den Doppelbiergrabensumpf
in der Bulau bei Hanau. Westd. Z. 7, 61-62.
Der Pfahlgraben war auf der Strecke Grofs-Krotzenburg-Rückingen
unterbrochen, wo er das sog. Torfbruch und den Doppelbiergrabensumpf
überschreitet. An letzteren tritt der Wall sowohl von Norden als von
Süden mit einer eigentümlichen Flankenbildung heran, und auch auf der
nördlichen Seite des Torfbruchs findet sich ein solcher flankenartiger
Ansatz vor. An allen drei Stellen ist der Wall durch doppelte Brechung
bis unmittelbar an die etwa 40 m hinter dem Pfahlgraben herziehende
und auch die beiden genannten Sümpfe überschreitende Militärstrafse
herangezogen. Erst im Jahre 1887 konnte der Zweck der Anlage fest-
gestellt werden. Es wurden nämlich an dem Wege, welcher in der Rich-
Jahresbericht für Alterthumswissenschaft. LXIV. Bd. (1890. HI.) 15
226 Römische Staatsaltertümer.
tung des Pfahlgrabens den Doppelbiergrabensumpf überschreitet, meh-
rere tiefsclnvarze eichene Pfahlstümpfe gefunden, welche einst einem
Zaune angehört haben, der hier auf der dem Feinde zugekehrten (öst-
lichen) Seite der römischen Militärstrafse behufs ihrer Sicherung er-
richtet war. Diese Pftähle standen in gerader Linie, welche die an den
Sumpf herantretenden kurzen Anschlufslinien des Walles verband. Der
Zweck der erwähnten Flanken war also, den Wall bis an die Militär-
strafse zurückzuziehen und so eine geschlossene Verbindung des dicht
neben der Strafse herziehenden Zauns mit dem Pfahlgraben zu ermög-
lichen. Wahrscheinlich waren die Pfähle durch Flechtwerk zu einem
Zaune verbunden. Die Militärstrafse erwies sich durchschnittlich TVa m
breit; die Herstellung erwies sich nach der Bodenbeschaffenheit verschie-
den. Auf der tiefsten Stelle des Sumpfes war die aus Kies bestehende
Strafsenbahn auf einen sehr starken Kuppeldamm aufgeschüttet. An an-
deren Stellen fehlt die Holzschicht , und auf dem gewachsenen Boden
befindet sich eine 10 cm starke Lettschicht, auf der die Kiesschüttung
des Strafsendammes aufgetragen ist. Von Rädern ausgefahrene Stellen
beweisen, dafs die hinter dem Limes herziehende Militärstrafse nicht nur
zur Kommunikation der Truppen diente, sondern dafs auf ihr auch die
Bedarfsgegenstände, wie Baumaterialien, Proviant etc. befördert wurden.
Dafs die sumpfige Beschaffenheit der Niederung nicht ausreichend er-
schien, den Pfahlgraben an dieser Stelle entbehrlich zu machen, ist ein
neuer Beweis, dafs es den Kömern darauf ankam, die Reichsgrenze mög-
lichst hermetisch abzuschliefsen. Daraus dürfte weiter gefolgert werden
können, »dafs eine ähnliche Einrichtung, wie dieser Zaun, auf dem Grenz-
wall angebracht war, da letzterer seiner Beschaffenheit nach zweiffellos
weniger geeignet war, eine Überschreitung der Reichsgrenze zu hindern
als das sumpfige Terrain der Doppelbiergraben-Niederung.
J. Na eher. Die römischen Militärstrafsen und Handelswege in
der Schweiz und in Südwestdeutschland, insbesondere in Elsafs-Lothrin-
gen. 2. Aufl. In Commission bei J. Noiriel Strafsburg 1888.
Der Verf. giebt hier weitere »auf grund von lokalen Studien und
Ausforschungen im Elsasse gemachte Erfahrungen über das Vorhanden-
sein der durch die römischen Itinerarien beglaubigten Heerstrafsen«.
Er beschreibt die Strafsen: von Augusta Praetoria nach Vienna und
nach Angusta Rauracorum, die Strafsen von Mediolanum über die räti-
schen Alpen nach Brigantio (über den Splügen und Septimer) und Han-
delswege über den Julier und Bernhardiu, die Strafsen von Verona nach
Augusta Vindelicorum über den Arlberg und Brenner, von Vibiscum über
Genava nach Lugdunum, von Lousanna nach Vesontio (Anhang: die
Handelswege der romanischen Schweiz und im Schweizer Jura), von Vin-
donissa nach Moguntia (Anhang: die Handelswege der linksrheinischen
Thalebene), von Vesontio nach Cambete und Argentoratum, von Argen-
4. Recht und Gericht. 227
toratum nach Dividorum, von Dividorum nach Augusta Trevirorura, von
Vindonissa nach Reginum (Anhang: die Handelswege in der rechtsseiti-
gen Thalebene), von Vindonissa nach Augusta Vindel, und von Augusta
Vindel. nach Brigantium. Die Untersuchungen sind recht eingehend;
aber man wird gut thun, namentlich den zahlreichen Hypothesen betreffs
der Handelswege gegenüber sehr zurückhaltend zu sein. Nur wo der
Verf. die Zusammenstellung von Thatsachen giebt, hat seine Arbeit für
jeden Foi'scher Wert.
4. Recht und Gericht.
Moritz Wlassak, Römische Prozefsgesetze. Ein Beitrag zur
Geschichte des Formularverfahrens. 1. Abteilung. Leipzig 1888.
In einer Einleitung behandelt der Verf. den Prätor und das Volks-
gesetz, deren Verhältnis er kurz dahin präcisiert, das Wesentliche der
römischen Anschauung sei das Verschwinden. Das erste Kapitel be-
schäftigt sich mit den iudicia legitima, es sind diejenigen, welche der
Magistrat nach den Vorschriften eines Volksgesetzes instruiert. Lex,
wovon legitimus abzuleiten ist, bedeutet hier Gerichtsordnung d. h. ein
Gesetz, welches die Gerichtsverfassung und den Civilprozefs regelt.
Im zweiten Kapitel wird das Prozefsrecht der lex Aebutia darge-
stellt. Diese lex mufs bahnbrechend und von grofser Tragweite gewesen
sein; sie ist älter als die Julische und älter als Cicero. Die durch sie
herbeigeführte Reform bezog sich auf alle Civilklagen und auch auf
alle modi agendi. Wörtliche Legisactionen sind schon durch dieses Ge-
setz aufgehoben (sublatae), freilich nur insofern, als die Spruchformeln
und sonstigen Solennitäten seitdem nicht mehr obligat waren. Das Ju-
lische Gesetz hat dann die Umwandlung des Prozefsrechtes zum Ab-
schlüsse gebracht, indem es — von zwei Ausnahmefällen abgesehen —
die Legisaction auch als facultative Prozefsform beseitigte und den schrift-
lichen verba concepta die Alleinherrschaft sicherte. Die lex Aebutia ist
die Quelle der ältesten iudicia legitima, des »gesetzlichen« Verfahrens
und des »gesetzlichen« Gerichtes.
Kapitel 3 handelt von den Julischen Gesetzen und dem Prozefs
nach der stadtrömischen Gerichtsordnung des Augustus. Nach Gaius
ist die Neugestaltung des römischen Civilprozesses fortgeführt und voll-
endet durch zwei Julische Gesetze (duae Juliae). Allem Anschein nach
hat keine von beiden den Dictator Cäsar zum Urheber; vielmehr rühren
beide von Augustus her. Die eine bezog sich ebenso wie die Aebutia
nur auf das Verfahren vor dem Stadtprätor; die andere wurde erlassen
für die auswärtigen römischen Bürgergemeinden. Durch letztere An-
nahme wird es wahrscheinlich, dafs seit 737 die einzelnen Municipien
und die Bürgerkolonien, italische und aufseritalische , keine besonderen
Gerichtsordnungen mehr hatten. Beide Gesetze beseitigten die Legis-
15*
228 Römische Staatsaltertümer.
actionen. Wahrscheinlich wurde auch durch die altera Julia die Be-
schränkung der Munizipalgerichte auf die Niedergerichtsbarkeit bereits
durchgeführt.
Wahrscheinlich war auch in der lex Julia die Kompetenz des neu
organisierten, vielleicht wesentlich umgestalteten Gerichtshofs der centum-
viri geregelt. Dieselben waren durchaus nur konkurrierende Richter
in allen Sachen; ihre Kompetenz blieb durch die lex Julia ungeändert,
so dafs sie nach wie vor die Vindikation der Gewaltrechte, des Eigen-
tums, der Dienstbarkeiten und der Erbschaft umfafste. Thatsächlich wer-
den die Parteien es vermieden haben, diesem Gerichtshofe andere Rechts-
sachen wegen der langsamen Erledigung zuzuweisen als Beschwerden
über lieblose Testamente. Jedenfalls wurden ihnen Kleinigkeiten ge-
wöhnlich nicht zur Entscheidung vorgelegt, aber eine ausschliefsende
Streitwertgrenze gab es nie; vielmehr hatte der Magistrat das Recht die
Genehmigung zu versagen, wenn die Parteien unpassender Weise ihre
Streitsache vor diesen Gerichtshof bringen wollten.
Dies wenige mag genügen, um den Hauptgedankengang der reich-
haltigen Arbeit vorzuführen. Vieles wird controvers bleiben; aber überall
versteht es der Verf. auch dem Nichtjuristen Teilnahme an seinem Ge-
genstande zu erwecken und die Aufgaben so zu stellen, dafs sie völlig
klar werden.
P. Walther Weihmayr, Über lex Plautia de vi und lex Luta-
tia. Progr. Kath. Studienanst. St. Stephan. Augsburg 1888.
Der Verf., der in seiner Schrift wenig Neues vorbringt, erklärt
sich für die Ansicht, nach der lex Plautia und lex Lutatia verschiedene
Gesetze de vi sind. Die Ansicht des Verf.'s, dafs lex Lutatia sich auf
coniuratio bezogen habe, kann nicht für erwiesen gelten; denn aus den
zwei Fällen ihrer Anwendung kann dieser Schlufs nicht gezogen werden,
und die entgegenstehenden Bedenken sind nicht widerlegt. Auch die
Scheidung bekannter Prozesse nach beiden Gesetzen enthält viele uner-
wiesene Annahmen. Ganz unsicher ist auch die Hypothese, dafs lex
Plautia in den 70 er Jahren, jedenfalls nicht vor 76 entstanden sei.
Raoul Bompard, Le crime de löse-majeste. Diss. Paris 1888.
Der Verf. weist in der Einleitung darauf hin, dafs das Verfahren in
Majestätsprozessen in den Staaten des Altertums zwar richterliche For-
men besafs, in der That aber den Charakter einer Verwaltungsmafsregel
besafs. Deshalb sucht das Gesetz nicht nach einem unparteiischen Rich-
ter: das verletzte Volk entscheidet in eigener Sache; das Gesetz selbst
besafs eine so vage Formulierung, dafs das Belieben des Volkes völlig
freien Spielraum hatte; endlich ist die Strafe nicht genau bestimmt.
Aber auch eine genaue Abgrenzung der Kompetenz für die Aburteilung
fehlt. Das Volk konnte teils auf direktem Wege, teils auf Umwegen
C. Die Staatsverwaltung. 4. Recht und Gericht. 229
die Aburteilung erlangen. Aber auch der Senat, der eigentlich nur über
Aufruhr in den Provinzen abzuurteilen hat, übt doch bisweilen als Wäch-
ter der Republik in dem SC. ultimum thatScächlich eine Criminaljustiz ;
indirekt erhielt er sie durch die Besetzung der Quaestiones perpetuae
mit Senatoren. Noch schlimmer war es, dafs die politische Anklage
den Zugang zum politischen Loben erschlofs. Für den Angeklagten war
zwar eine Reihe von Rechtsmitteln vorhanden, um der Anklage entgegen-
zutreten, aber gegen ein Urteil blieb ihm keine Berufung. Erschwerend
trat oft genug der religiöse Charakter des Staates ein, den die leges
sacratae mit ihren Folgen zeigen.
Im zweiten Teile erörtert der Verf. die Geschichte des Majestäts-
gesetzes unter seinen beiden Formen perdnellio und maiestas imminuta.
Er unterwirft die verschiedenen Ansichten über das Verhältnis dieser
beiden einer eingehenden Kritik, die aber nicht zu überzeugenden Er-
gebnissen gelangt. ^
Im dritten Teile wird das Majestätsgesetz in der Kaiserzeit dar-
gestellt, aber auch hier ohne neue Resultate zu gewinnen.
Charles Lecrivain, L'appel des juges-jures sous le Haut-
Empire. Mel. d'Archeol. et Hist. VIII, 187—212.
Der Verf. will untersuchen, ob es unter dem Prinzipat eine Ap-
pellation von dem iudex privatus gab. Mommsen ist der Ansicht, dafs
es bis zum Verschwinden des ius ordinarium eine solche nicht gegeben
habe; wo bei den Juristen diese erwähnt wird, will er an einen iudex
datus denken, der magistratischer Mandatar und somit appellabel war.
Die letzte Ansicht ist auch von Pernice gebilligt. Der Verf. dagegen
hält die Appellation vom iudex privatus schon seit Augustus für mög-
lich. Der Verf. scheidet zunächst alle die Fälle aus, in denen es sich
um einen Mandatar-Richter handelt; diesen stellt er die Fälle gegen-
über, in denen der iudex datus ebenso sicher kein Mandatar ist. Dem
ius ordinarium schreibt er den Bestand während des ganzen dritten Jahr-
hunderts zu. Sogar in den kaiserlichen Provinzen giebt es den iudex
datus, der nicht Mandatar ist; der Verf. weist aus Gesetzesstellen und
Rescripten bis auf Valerian den judex privatus nach. Aber in densel-
ben Stellen läfst sich auch die Appellation nachweisen. Seit Marcus
geht sie an den Prätor oder an den Statthalter, von da an besondere
Consulare, die zu diesem Behufe bestellt waren. Ob es zu Augustus
Zeit ebenfalls so war, läfst sich nicht sicher nachweisen, aber es ist
wahrscheinlich. Jedenfalls verwischt sich jetzt leicht der Unterschied
zwischen dem judex, der Mandatar, und der nicht Mandatar war; denn
gegen beide ist Appellation zulässig.
Joh. Merkel, Über römische Gerichtsgebühren. In Abbandl. aus
dem Gebiete d. röm. Rechts. Heft 3. S. 123-172. Halle 1888.
Sportein und Kanzleigebühren waren dem älteren Rechte nicht
230 Römische Staatsaltertümer.
fremd; aber sie galten nicht, wie in der späteren Zeit, für erlaubt und
wurden nicht gesetzlich reguliert. Das Wort sportulae kommt im tech-
nischen Sprachgebrauch für Gerichtsgebühren nicht vor dem fünften Jahr-
hundert unserer Zeitrechnung vor; früher heifst es commoda oder con-
suetudo {auvrjdeia). Aber schon der ältere Prozefs kennt eine Entgelt-
lichkeit in der summa sacramenti, und Spuren von sportulae finden sich
Cic in Verr. II, 78, 181, 184. Positive Nachrichten über Gerichtsspor-
teln der Apparitoren finden wir allerdings bis ins vierte Jahrhundert
n. Chr. nicht. Hier stellen Gesetze Constantins fest, dafs Mifsbräuche
vorlagen. Es scheint danach, dafs in der Kaiserzeit infolge der Ver-
drängung der alten Apparitores durch die militärisch organisierten Offi-
cialen der Grundsatz der Unentgeltlichkeit des Gerichtsverfahrens wieder
verschwand; auf dem Wege allgemeiner Übung stellte sich die Zahlung
von Gerichtssporteln an die Officialen fest. Es wurden im Civilprozefs
Sportelu bezahlt: für den Zutritt bei Gericht an den princeps officii,
für die Ausfertigung der den Prozefs betreffenden Schriftstücke (acta)
an die exceptores bezw. adiutores, endlich an den intercessor oder exse-
cutor bei Ausführung der Zwangsvollstreckung.
Dafs sich ein gesetzliches Normativ für Gerichtsgebühren aber eben-
falls im vierten Jahrhundert findet, ist seit der Entdeckung der Inschrift
von Timghäd (1882) bekannt geworden. Der Verf. erörtert hierbei eine
Reihe von Rechtsfragen, die noch controvers sind. Die regelmäfsigen
Sportein im Civilprozefs fallen nach der numidischen Inschrift nur den
scolastici und exceptores zu.
Mit der Mitte des fünften Jahrhunderts beginnt eine bis auf Justi-
nian sich fortsetzende Reihe von Gesetzen, welche zugunsten gewisser
Personen-Kategorien die üblichen Gebühren herabsetzen. Sie stellen sich
als Privilegien gewisser Klassen dar und haben die Einrichtung der Ge-
richtssporteln als eine fest bestehende zur Voraussetzung. Die eigent-
liche Norm erfährt man durch sie nicht; denn die festgesetzten Summen
sind Maximalbeträge. Die Ansätze sind verschieden nach den Gerichts-
höfen, bei denen sie erhoben werden, verschieden nach der Art des Ver-
fahrens; sie variieren nach der Person des Zahlungspflichtigen und für
dieselbe Kategorie nach der Verschiedenheit der Zeiten. Im einzelnen
weist alsdann der Verf. die Unterschiede gegen das vierte und den An-
fang des fünften Jahrhunderts nach; dieselben haben lediglich juristi-
sches Interesse. Ein allgemeines Sportelgesetz hat selbst Justinian nicht
erlassen, sondern er hat — nicht später als 530 — nur die Sportein
der exsecutores allgemein, d. h. für alle Gerichte geordnet, so dafs die
Höhe des Prozefsgegenstandes für den Sporteisatz mafsgebend war, und
dem exsecutor bei Übertretung des Gesetzes die Strafe des quadruplura
angedroht wurde.
Die späteren Verhältnisse fallen nicht mehr in den Rahmen des
Jahresberichts.
Jahresbericht über Chemie,
beschreibende Naturwissenschaft, Technik,
Handel und Verkehr im Altertum.
Von
Professor Dr. S. Güntliei'
in München.
Der diesmalige Bericht, welcher auch noch nach Möglichkeit die
ersten Monate des Jahres 1890 miteinbegreift, ist wesentlich nach den-
selben Gesichtspunkten eingerichtet, welche auch für die früheren Be-
richte von Blümner, Keller und dem Verf. mafsgebend gewesen sind.-
Wir stellen an die Spitze diejenigen Schriften und Abhandlungen, welche
für die Naturwissenschaft im allgemeinen von Bedeutung sind, und wen-
den uns sodann der Metrologie zu, einerlei ob Zeit- oder Raumgröfseu
dabei in Frage kommen; nunmehr glauben wir einen Abschnitt einschal-
ten zu sollen, welcher den in alter Zeit so verbreiteten naturwissen-
schaftlichen Aberglauben zur Geltung kommen läfst. Die Alchemie führt
uns naturgemäfs hinüber zur Chemie. Vor die Naturgeschichte im en-
geren Sinne stellen wir die Anthropologie im weitesten Wortsiune, in-
dem wir hier auch der prähistorischen Forschungen gedenken, allerdings
nur, insofern sie sich mit dem klassischen oder vorklassischen Altertum
in Beziehung setzen lassen, und insofern die erst später zu behandelnde
Technik ausgeschieden wird. Die Zoologie wird uns Gelegenheit bieten,
die Jagd nebenher zu behandeln, ebenso wie mit der Botanik, Land-
und Forstwirtschaft, mit der Mineralogie und Geologie auch Bergbau
und Metallurgie Hand in Hand gehen. Hieran wird die sich Nautik —
eingeschlofsen die Schiffsbaukuust — anreihen, Handel und Verkehr wer-
den folgen. Die eigentliche Technik endlich bildet den Schlufs, indem bei
letzterer auch Kanal- und Strafsenbauwesen mit ihre Berücksichtigung
finden.
Hiernach wird sich die Aufeinanderfolge der einzelnen Nummern
leicht übersehen lassen. Wir treten in die Berichterstattung selbst ein
und beginnen mit einem geschichtlich-philosophischen Werke:
1) Matiere et forme en presence des sciences modernes par Al-
bert F arges, Paris 1888. 222 S. (auch unter dem Titel: Etudes
philosophiques, pour vulgariser les theories d'Aristote et de S. Tho-
mas et leur accord avec les sciences, tome HI).
Nachdem Thomas Aquinas von autoritativer Seite aufs neue zum
Philosophen der katholischen Kirche erklärt worden ist, mufs sich ganz
232 Allgemeine Naturwissenschaft.
natürlich das Bedürfnis einstellen, die Grundsätze der von ihm vertrete-
nen pcripatetischen Naturphilosophie mit den nicht zu beseitigenden Er-
rungenschaften der exakten Forschung in Einklang zu setzen. Diesem
Bestreben dankt auch die vorliegende Schrift ihre Entstehung. Zu dem
Ende kritisiert der Verf. sowohl die atomistische wie auch die dynamische
Weltanschauung und sucht darzuthun, dafs jede derselben auf logische
Widersprüche führen müfse. Nur Aristoteles mit seiner scharfen Gegen-
überstellung der Begriffe Materie und Form vermöge die Rätsel zu lösen.
Es ist nicht ohne Interesse, zu sehen, wie die schwierigen Theorien der
chemischen Isomerie und Allotropie auf den erwähnten fundamentalen
Gegensatz zurückgeführt werden; dafs diese Art der Erklärung aller-
dings eine befriedigende sei, wird so leicht kein moderner Naturforscher
zugeben.
Dem Lehrer des Aristoteles ist die folgende Arbeit gewidmet, von
deren erstem Teile wir schon in unserem ersten Berichte Kenntnis zu
uehmne hatten:
2) Die Physik Piatos, eine Studie auf Grund seiner Werke, 2. Teil.
Von Benedikt Rothlauf. München 1888 (Realschulprogramm).
Das, was wir von der ersten Abteilung zu sagen hatten, dafs sie
nämlich auf tiefgehendem Studium des grofsen Philosophen beruhe, das
dürfen wir auch von dieser Forsetzung wiederholen. Auf das, was an-
dere Gelehrte auf gleichem Gebiete geleistet, wird diesmal gebührend
bedacht genommen, und es ist dadurch die originale Arbeit des Verf.
gewifs umsoweniger geschädigt worden, als jene älteren Bohrversuche
meistens zu keiner grofsen Tiefe gelangt sind. Die Vorlage behandelt
Akustik und Astronomie gemeinsam, weil in der That bei Plato — wie
später bei Kepler — zwischen den Gröfsenverhältnissen im Kosmos und
den arithmetischen Tonintervallen Analogien vorausgesetzt werden. Plato
war mit astronomischen Dingen besser vertraut, als man es vielleicht
erwarten möchte; ob er in seinen späteren Lebensjahren wirklich bis
zur Erkenntnis der Achsendrehung der Erde durchgedrungen sei, wird,
wie auch die eingehende Darstellung Rothlaufs ersehen läfst, niemals
mit aller Sicherheit aufgeklärt werden können. Sehr merkwürdig und
früher noch nicht so klar erkannt ist Piatos Lehre vom Sehen, welche
sich als ein Kompromifs zwischen den beiden Anschauungen, dafs die
Strahlen vom Auge und von den leuchtenden Körpern ausgingen — Be-
tastuugstheorie, Emissionstheorie — herausstellt. Die Platonische Farben-
lehre hat einige Ähnlichkeit mit derjenigen von Goethe. Bezüglich der
Wärme scheint Plato schon eine ganz rationelle Auffassung besessen zu
haben, indem er annimmt, dafs dieselbe mit einer schwingenden Bewe-
gung der kleinsten Körperteile identisch sei. Auch die Geschichte der
Mathematik geht nicht leer aus, denn sie wird von dem Akt zu aeh-
Mafskunde. 233
men haben, was der Verf. über Piatos Stellung zu der sogenannten har-
monischen Reihe beibringt.
An die Spitze der Mafse stellen wir das Zeitmafs und besprechen
demzufolge :
3) Die babylonische Doppelstunde. Eine chronologische Unter-
suchung von G. Bilfinger'). Stuttgart 1888.
Man führt gemeiniglich — wie die des Kreises, so auch — die Sexa-
gesimalteilung der gröfseren Zeiteinheit auf die Babylonier zurück, allein
tbatsächlich läfst sich diese letztere mit Sicherheit erst bei Albiruni
(1000 n. Chr.) nachweisen. Die früher viel verbreitete, auf Herodot
beruhende Ansicht, dafs die Babylonier je Tag und Nacht für sich in
zwölf Stunden geteilt hätten, ward von Ideler verworfen, von Letronne
aber wieder aufgenommen. Die Keilschriftforschung scheint zu gunsteu
der Doppelstunde (haspu, asla) zu sprechen. Nach Sayce war der haspu
zwei Stunden der Neuzeit an Länge gleich und zerfiel in sechzig gleiche
Teile, zu deren Abmessung die Wasseruhr diente. Auch in der klassi-
schen Litteratur mangelt es nicht an Anzeichen dafür, dafs ojpo. den
zwölften Teil der Umdrehungsdauer des Himmels bedeutet habe. Zuerst
nämlich kommt der sogenannte Eudoxische Papyrus in betracht und
ferner vermochte der Verf. bei dem Bischoffe Epiphanius (IV. Jahrhun-
dert n. Chr.) die Doppelstunde au nicht weniger denn fünf verschiedenen
Stellen zu erkennen. Im Chronicon paschale wird gesagt, das tropische
Jahr, welches bekanntlich ungefähr 365V4 Tage umfafst, sei um drei (!)
Stunden gröfser als 365 '^^ Unsicherer sind Anspielungen bei Hyginus
und Ausonius, während Beda Venerabilis sich wieder bestimmter aus-
spricht. Allerdings scheint die Erweiterung des Begriffes »Stunde« ganz
in derselben Weise vor sich gegangen zu sein, wie die des Begriffes
»Tag« , der zuerst nur Lichttag war und nach und nach für die Um-
drehung des Himmels (resp. der Erde) das Mafs abgeben mufste. In
Europa ist wohl das Rechnen nach Doppelstunden zu keiner Zeit hei-
misch gewesen; Laurentius Lydus und der Anonymus in den »Anecdota
Parisiensia« weisen direkt auf Mesopotamien hin, und zu den mesopota-
mischen Gnostikern gehörte auch die (s. o.) von Epiphanius erwähnte
Sekte der Markosiner, welche eine Stunde = '/i2'' gesetzt zu haben
scheinen. Endlich wäre auch an das zu erinnern, was Achilles Tatius,
ohne sich offenbar über die Sache selbst vollständig klar zu sein, von
1) Die anderweiten , durchaus sehr beachtenswerthen chronologischen
Studien Bilfingers gehören nach unserer Überzeugung nicht in unseren Ge-
schäftsbereich, sondern in den des Referenten für Geschichte der exakten
Wissenschaften.
234 Mafskunde.
der den Chaldäcrn geläufigen Einerleiheit der Zeit- und Längenmafse
mitteilt.
Auch in Ägypten und Vorderasien sind Si)urcn der Doppelstunde
aufgefunden worden; desgleichen zerfällt der altchinesische Volltag in
z^Yülf gleiche — unveränderliche, nicht wie bei den späteren Griechen
mit den Jahreszeiten veränderliche - Teile, wobei allerdings die »Stunde«
schon zu einer Zeit, da das Reich der Mitte mit Europa noch in gar
keinö nähere Berührung getreten war, in zwei gleiche Hälften zerlegt
wurde. Ob man mit Gaubil diese chinesische Stundeneinteilung 1100
Jahre vor den Beginn unserer Ära zurückzuverlegen ein Recht hat, mufs
allerdings dahingesteltt bleiben. Bilfinger ist der Ansicht, dafs die ma-
thematischen und astronomischen Kenntnisse der Chinesen in letzter
Instanz aus dem Westen, grossenteils aus Alexandria, stammten, und
dafs auch der Stundenbegriff von Babylon aus seinen Weg nach dem
Osten genommen habe; bis zu einem gewissen Grade stimmen wir dem
bei, obwohl wir nicht verkennen, dafs zumal die chinesische Arithmetik
ein ganz uuhellenisches , auf autochthone Entstehung hinweisendes Ge-
präge an sich trägt. Aber das kann man wohl zugeben, dafs die Doppel-
stunde von den Ufern des Euphrat aus ihren Weg gleichmäfsig nach
West und Ost hin gemacht hat.
4) i2/^J = Stande bei Pytheas? Von Max C. P. Schmidt. (Jahrb.
f. Philol. u. Pädagogik, Jahrgang 826—828).
Während wpa ursprünglich blos den »Zeitpunkt« bezeichnete, sehen
wir es bei Hipparch in der Bedeutung als Zeitmafs verwendet. Bilfinger
allerdings hatte in seiner bekannten Programmabhandlung von 1886 den-
selben Gebrauch von wpa auch bei Pytheas nachweisen zu können ge-
glaubt, allein gegen diese Behauptung nimmt der vorliegende Aufsatz
Stellung. Zunächst macht derselbe es wahrscheinlich, dafs die Stelle,
auf welche sich Bilfingers Auslegung stützt, und die sich in der Elaaycuyrj
des Geminus findet, gar nicht von Pytheas herrührt, und weiterhin führt
er aus , dafs jener Satz auch inhaltlich schwerlich auf den Geographen
von Massilia zurückweise. Es wird dort nämlich die Länge eines Tages
in Stunden angegeben, allein zur Zeit des Genannten fehlte es an allen
Mitteln, Stundenmessungen vorzunehmen, zumal auf dem Schiffe oder
bei vorübergehender Laudung an fremder Küste. Obwohl es also keines-
falls ausgeschlossen ist, dafs noch vor Hipparch der später üblich ge-
wordene Wortsinn von wpa sich Eingang bei den Griechen verschafft
hatte, so wird doch dessen Kommentar zum Aratus bis auf weiteres als
die erste antike Schrift betrachtet werden müssen, worin sich fraglicher
Sinn klar und deutlich ausspricht.
Zur Metrologie im engeren Wortsinne tibergehend, haben wir
über gewisse Untersuchungen zur assyrischen Mafskunde zu berichten:
Mafskunde. 235
5) Rapport sur ime publication de M. J, Oppert relative aux
raesures assyrieunes de superficie, par M. A. Aures. I. partie.
Nimes 1887.
In einer Polemik gegen den Altmeister der Keilschriftforschung,
den berühmten Pariser Akademiker Oj^pert , seinerseits Partei ergreifen
zu wollen , kann dem Berichterstatter nicht einfallen , der sich vielmehr
auf eine Hervorhebung der thatsächlichen Momente beschränken muCs.
Als wahre Mafseinheit wird der »Uban,« als secLzigster Teil des Kubi-
tus, hingestellt; »Sofs« soll 60 und »Sar« soll 602 = 3600 Kubitus ent-
halten. Im Ganzen scheint die Schwierigkeit, geeignete, den modernen
Mafsen angepafste Namen für die assyrischen Längen zu finden, bei
dem Zwiespalte zwischen Aures und Oppert eine grofse Rolle zu spielen.
6) Notes relatives ä la determination des contenances des mesures
assyriennes de capacite, par M. A. Aures, Recueil de travaux rela-
tifs ä la Philologie et ä l'archeologie egyptiennes et assyriennes,
9. Jahrgang, 64—80.
Der Verf. will in diesem an den Herausgeber der gedachten Zeit-
schrift gerichteten Sendschreiben erweisen, dafs die Assyrer fünf ver-
schiedene Hohlmafse hatten, drei wirkliche, deren Einheiten durch obrig-
keitlich verifizierte Würfel dargestellt waren, und zwei nominelle, die
dem entsprachen, was heute im Münzwesen etwa ein Pfund Sterling
bedeutet. Setzen wir die Länge des Kubitus = a, so gehören in die
erste der aufgestellten Klassen
1 qa = 1 hin = I — I = 5,832 Liter,
1 sephel = (l empan)3 = l — j= 19,683 Liter,
a3
1 bar = 1 bath = 1 epha = — = 39,366 Liter,
imd in die zweite derselben
a3
1 izbar = 1 tama = — = 78,733 Liter,
1 ap = a3= 157,466 Liter.
"Wir gehen zur Geschichte der naturwissenschaftlichen Mythen und
Wahnvorstellungen über, welche uns eine ziemlich reiche Ausbeute
gewähren wird.
7) The Euphratean Kosmological Theogony Preserved by Damas-
kios, by Robert Brown. The Piatonist, an Exponent of Philolosophic
Truth, 4. Band. 113—119.
Im 125. Kapitel der »Zweifel bezüglich der ersten Anfänge und
deren Lösung« betitelten Schrift des Daraascius wird einer altbabyloni-
schen Genealogie Erwähnung gethan, welche von Sige, dem Welt-
236 Naturwissen seh at'ton und Mystik.
Schöpfer, durch das erste Ehepaar Apason-Tauthe hindurch bis zu Belus
führt. Sayce hat die mesopotamischen Namen ermittelt, welche Damas-
cius in gräzisierender Verketzerung anführt: Sige heifst Ziku, Apasan
heifst Apzu, Tauthe heifst Tiamat, Belus heifst Bilu u. s. w. Der Verf.
glaubt nun, jeden dieser Eigennamen abstrakt deuten und auf eine In-
telligenz oder Gottheit im höheren Sinne beziehen zu sollen, was freilich
zum teile den Eindruck des Gekünstelten hervorruft.
8) Zu den Kyraniden des Hermes Trismegistos. Von Hermann
Haupt, (Philologus XLVIII 2 p. 371-374).
Die Mvr^/j.eTa 'EUrjvcxr^g 'laxopcag des Sathas enthalten u. a. ein zur
Zauberlitteratur der sogenannten »Kyraniden« gehöriges Fragment, wel-
ches allerdings alldort in nichts weniger denn korrekter Weise abgedruckt
wurde. Der Titel ist nach der von Haupt mit Rücksicht auf ein gleich-
benanntes Manuskript der Amploniana in Erfurt vollzogenen Richtig-
stellung dieser: Tractatus de Septem herbis Septem planetis attributis.
Als Verfasser wird ein sonst nicht bekannter Flaccius Africanus namhaft
gemacht. Der Inhalt ergiebt, dafs der Autor mit den älteren astrologisch-
medizinischen Zauberbüchern wohl vertraut gewesen sein mufs, doch
sind seine magischen Rezepte von jenen vielfach unbeeinflufst. Man
darf wohl annehmen, dafs man es mit einer späteren mittelalterlichen,
mit selbständigen Zuthaten versetzten Bearbeitung jener Originalsamm-
luug der hellenistischen Periode zu thun hat, welche man zur Erhöhung
ihres Rufes von dem grofsen Hermes — der altägyptischen Gottheit
Thot — und von einem sagenhaften Perserkönige Cyranus ihren Aus-
gang nehmen liefs.
9) Hephaestion von Theben und sein astrologisches Kompendium.
Ein Beitrag zur Geschichte der griechischen Astrologie von August
Engelbrecht. Wien 1887. 102 S.
Nicht ohne Grund erhebt der Herausgeber Klage darüber, dafs
für die Kenntnis der griechisch-römischen Astrologie , insbesondere für
eine, den kritischen Anforderungen der Gegenwart entsprechende Edi-
tion der Hauptwerke, noch so wenig geschehen sei. Bruchstücke des
Hephaestion haben allerdings Camerarius und Ludwich bekannt gemacht,
doch konnten diese Veröffentlichungen natürlich nur den Wunsch rege
machen, die vielfach interessante Schrift näher kennen zu lernen. Dieser
Wunsch wird uns nun wenigstens grofsenteils erfüllt, indem wir eine
nach den besten Quellen bearbeitete Ausgabe einstweilen des ersten
Buches erhalten. Den Text des Ganzen enthalten drei Pariser Kodizes,
die aber keineswegs gleich vollständig sind; andere Pariser und nicht
minder mehrere in Florenz verwahrte Handschriften bieten wenigstens
Auszüge aus Hephaestion, »eine Art von astrologischer Anthologie.«
Den als Archetypus zu betrachtenden Cod. Par. gr. 2417 hat der Her-
Naturwissenschaften und Mystik. 237
ausgebe! vorwiegend benutzt. Von der Person und den sonstigen Lei--
stungen des griechischen Astrologen weifs man nicht sehr viel; dafs
er aus Tlioben stammt, ist bezeugt, aber es ist nicht einmal gewifs, wie-
wohl wahrscheinlich, dafs dies die gleichnamige Stadt in Oberägypten
gewesen sei Dafür, dafs Hephaestion Ciirist war, sprechen manche
Anzeichen, wie denn der Freund, welchem er die in Rede stehende
Schrift y>r.ef)\ y.arapyujvd widmete, als rtüauoxa-o^ ^AbavaGtoqv. bezeichnet
wird. Aus einer dem Texte entnommenen Angabe schliefst Engelbrecht,
dafs der Mathematiker Hephaestion etwa ein halbes Jahrhundert später
als Firmicus Maternus anzusetzen und sein Kompendium etwa um 380 n.
Chr. abgefafst worden sei. Als Quellen für letzteres sind nachzuweisen
Ptolemaeus (Opus quadripartitum), Dorotheus von Sidon, ein besonders
bei den Arabern angesehener und deshalb späterhin vielfach selbst für
einen Araber gehaltener Schriftsteller, ein Hipparchus und ein Odapsus,
deren erster kaum der treffliche Astronom von Nicaea ist, Petosiris der
Ägypter, Antiochus der Athener, jener Manetho, dessen Existenz resp.
dessen Thätigkeit als astrologischer Dichter Köchly hat gänzlich in ab-
rede stellen wollen, endlich zwei Astrologen Protagoras und Annubion,
die aufser von Hephaestion nur noch von dem Byzantiner Tzetzes
zitiert werden.
Das im Urtexte mitgeteilte erste Buch umfafst 25 Kapitel und
würde sich wohl als eine allgemeine theoretische Einleitung in die Stern-
deutekunst kennzeichnen lassen; der überwiegende Theil ist in Prosa,
einige dem Sidonier entnommene Abschnitte sind in gebundener Rede
gehalten. Von Interesse sind die Erörterungen über das, was Häbler
glücklich als »astrologische Geographie« bezeichnet hat, nämlich über
die Frage, welchen Einflufs gewifse Sternbilder, ja sogar einzelne Par-
tien derselben, auf bestimmte Gegenden der Erde ausüben.
10) Menschen und Tiere im Aberglauben der Griechen und Römer
von P. Schwarz. Celle (Gymnasialprogramm).
Von Tieren werden die nachstehend aufgezählten besprochen.
Erstlich die Eule; das Käuzchen soll dem Statins zufolge Glück, der
Uhu aber Unglück verkündigen. Sodann die Schwalbe, nach Aelian und
Dio Cassius eine Unglücksprophetin, der Hahn, der sich mit Zukunfts-
ahnungen beschäftigen und u. a. den Ausgang der Schlacht bei Leuctra
prophezeit haben soll, die Henne, der Geier (Romulus und Remus), der
Adler, den gesehen, ja von dem man nur geträumt zu haben, schon die
ältesten Dichter als Glück priesen, der dem Apollo heilige Rabe, dessen
Flug nach rechts vom Augur ebenso, wie der Flug der Krähe nach links
als günstig gedeutet wurde, der Reiher, welcher in der Hiade als Glück
verheifsender Bote Athens auftritt, das ganze Geschlecht der Habichte
und Falken, die Biene, deren Schwärme (Schlacht bei Philippij ein
schlimmes Orakel sein sollten, während sie, auf den Lippen eines Kindes
238 Naturwissenschaften und Mystik.
sich niederlassend, diesem das Prognostikon zukünftiger Beredsamkeit
zubrachten. Von Säugetieren spielen eine Rolle der Hase, der bei sämt-
lichen arischen Völkern in keinem guten Kufe steht, der Affe, den Sueto-
nius als Unglücksproi)heten für Nero auftreten läfst, die Maus, welche sich
mit dem "Wiesel in die Stellung eines Erdbebenprognosten teilt (Aelians
Erzählung von den achäischen Städten Ilelice und Bura), der Wolf,
dessen Geheul kommendes Unheil verriet, und endlich der Hund, von
dem im ganzen Altertum ein gleiches galt. Sonst verdienen noch ge-
nannt zu werden die Spinne und die Schlange, welcher kein Reisen-
der gerne begegnete, in der man aber doch auch wiederum ab und zu
(Cicero, De divinin. I, 36) ein Glückstier erblickte.
Weit weniger Ausbeute gewährt die antike Prodigienlitteratur be-
züglich des Menschen. Als unerfreuliche Begegnungen, denen man aus
Aberglauben möglichst auswich, werden die mit Spindel-drehenden Wei-
bern, mit Lahmen, Epileptischen, Verschnittenen, wohl auch mit Mohren
(Septimius Severus) genannt.
11) Magnet und Knoblauch von A. Schmidt. (Korrespondenblatt
für die Gelehrten- und Realschulen Württembergs, 1887, 9. Heft.)
Zu den der Gegenwart unverständlichen Dingen gehören vor allem
die zahlreichen Fabeln des Altertums über den Magnet, zu deren Kennt-
nis in den Abhandlungen von Henri Martin (Rom 1865) und G. A. Palm
(Maulbronn 1867) ein sehr reichhaltiges Material beigebracht ist. Unter
diesen Fabeln vielleicht die allersonderbarste scheint diejenige über
die Antipathie zwischen dem Magnet und der Knoblauchpflanze zu sein.
Man zweifelte nicht an der W\ahrheit dieser wie mancher ähnlicher Mon-
strosität, bis Gilbert in seiner berühmten »Physiologia nova« (1600) mit
diesen Märchen erbarmungslos ins Gericht ging. Schmidt äufsert nun die
Vermutung, dafs vielleicht die Sache nicht so sinnlos war, als man ge-
Avöhnlich glaubt, dafs es sich vielmehr um eine sinnbildliche Ausdrucks-
weise gehandelt haben kann, deren wahre Bedeutung später abhanden
kam. Der Querschnitt eines Knoblauchknollens bildet eine Rosette von
an einander gereihten Ovalen; wenn man also eine Anzahl gleicher
Magnete so anordnen will, dafs ihre Wirksamkeit nach aufsen gänzlich
aufgehoben wird, so braucht man eben nur die Magnete »knoblauch-
förmiga zusamrazulegen. Die Thatsache selbst liegt völlig im Bereiche
dessen, was die Alten vom Magnetismus überhaupt wufsten, wie die in
Piatos »Jon« beschriebene magnetische Brücke beweist. Man wird ge-
stehen müssen, dafs diese eine Ehrenrettung der antiken Naturwissen-
schaft involvierende Hypothese sehr geistreich ist, allein die Neigung zu-
mal der späteren römischen Kaiserzeit, möglichst unwahrscheinliche Dinge
eben deshalb für wahr zu halten, war eine solche, dafs man deren lit-
terarischen Vertretern wohl zutrauen darf, sie hätten fest an die Mög-
lichkeit, mit Pflanzensäften die magnetische Kraft zu neutralisieren, ge-
Naturwissenschaften und Mystik. 239
glaubt. Denn woran wären ein Plinius, ein Solinus, ein Isidorus Hispa-
lensis nicht zu glauben bereit gewesen?
12) Tierorakel und Orakeltiere in alter und neuer Zeit. Eine
ethnographisch-zoologische Studie von Ludwig Hopf- Stuttgart 1888.
XL 271 S.
Soweit diese Schrift sich mit dem Altertum beschäftigt, berührt
sie sich nach Tendenz und Ausführung sehr nahe mit der oben ange-
zeigten Programmabhandlung von Schwarz. Da jedoch der ethnologische
Gesichtspunkt für den Verf. der mafsgebende ist, so wird Griechen- und
Römertum naturgemäfs nur auf gleichem Fufse mit anderen Völkern, also
ohne besondere Bevorzugung behandelt, und es wird nur das Wesen
der Augurthätigkeit, zumal bei der Begründung eines Templum, näher
ins Auge gefafst, so dafs also das Buch den Sakralaltertümeru näher
als der Real-Archäologie stehen dürfte. Wichtig und weniger bekannt
ist, dafs der Astrolog Nigidius Figulus der Nachteule neun verschiedene,
jeweils vom Ausleger besonders zu beachtende Stimmen zuschreibt. Wäh-
rend Schwarz zumal die Vögel und niederen Tiere berücksichtigte, wer-
den von Hopf auch Rind, Pferd, Esel und Schwein, sowie das über den
Weg laufende Wiesel als orakelgebende Tiere namhaft gemacht. Der
zweite Teil der Schrift stellt alle die Tiere zusammen, welche irgend-
wann und in irgend einem Teile der Erde als Boten des Schicksales
angesehen worden sind resp. noch werden, und auch bei dieser Über-
sicht wird den antiken Mythen der verdiente Platz eingeräumt. So sei
beispielsweise angeführt, dafs der Specht den Römern als Unglücksvogel
galt, dafs das Erscheinen von Ameisen dem Cimon wie dem Tiberius
bedenkliche Vorahnungen erweckte, u. dergl. m.
13) Die Mystik der alten Griechen von Karl du Prel. Leip-
zig 1888.
Der Verf. dieses Buches ist bekannt als der eifrigste Förderer
einer neuen wissenschaftlichen Disziplin, die von ihren Anhängern selbst
als »transzendentale Phychologie« bezeichnet wird und ein Grenzgebiet
zwischen der Naturwissenschaft und Seelenlehre darstellen soll. Eine
Reihe von Erscheinungen, die man früher einfacli auf Aberglauben und
Wahnvorstellungen exaltierter Menschen zurückführen zu können ver-
meinte, hat sich der tiefer gehenden Forschung gegenüber allerdings bis
zu einem gewissen Grade als reell herausgestellt, und so glaubt sich Du
Prei folgerichtig auch dazu berechtigt, die Magie alter Zeiten mit diesen
neueren Errungenschaften der Phychophysik in ursächlichen Zusammen-
hang zu bringen. Vier Erscheinungsgruppen sind es, die er zu analy-
sieren und ihrem wahren Wesen nach aufzudecken unternimmt.
An der Spitze steht der bekannte Tempelschlaf, den die ägyptische
Heilkunde unter ihre Rezepte aufgenommen hatte, den aber auch die
240 Naturwissenschaften und Mystik.
Hippokratikcr iind die späteren Griechen durchaus nicht verschmähten.
Man liefs den Kranken eine Nacht im Äskulaptenipel zubringen, und
da wurde ihm, wenn alles gut ging, von dem Gotte im Traume das Mittel
angegeben, welches ihm wieder zur Gesundheit verhelfen sollte. Nach
Du Prel war aber dieser Tempelschlaf, wie er durch zahlreiche, mit
grofser Belesenheit gesammelte Zeugnisse zu bewahrheiten sucht, nichts
anderes als ein durch magnetische Behandlung hervorgerufener Som-
nambulismus. Weiter kommen die Orakel an die Reihe, deren Aus-
sprüche durchaus nicht auf Priesterbetrug, sondern auf einem thatsäch-
lichen Hintergründe des »zweiten Gesichtes«, des Sehens in die Ferne,
beruht haben sollen. Plutarch war mit den Bedingungen dieses Hell-
sehens sehr wohl vertraut und wufste ganz gut, dafs für die mensch-
liche Seele, um jener Eigenschaft teilhaftig zu werden die Versetzung in
einen anormalen Zustand notwendig war. Der aus der delphischen Erd-
spalte aufsteigende Dunst konnte an und für sich nichts wirken, wenn
keine visionäre Prädisposition vorhanden war; aber die Pythia hatte
eben eine solche Anlage, und dann wirkten die Dämpfe auslösend. Die
Mysterien ferner rationalistisch auszulegen, verbiete sich aus den ver-
schiedensten Gründen; in diesen Geheimversammlungen sollen vielmehr
spiritistische Vorstellungen gegeben worden sein, und deshalb ist es be-
greiflich, inwiefern durch die Mysterien das Wesen der Seelenwanderung
verdeutlicht werden sollte. Eigentliche »Medien« scheint man allerdings
nicht zur Verfügung gehabt zu haben, doch läfst sich der Verf. durch die
Lückenhaftigkeit der bezüglichen Berichte nicht abschrecken, zieht viel-
mehr aus den Angaben des Ovid, Jamblichus u. s. w. den Schlufs, dafs
man die »Materialisation der Geister« eben auf andere Art bewirkt ha-
ben werde. Zum Schlufs vertieft sich der Verf. in das Studium der
Frage, was man wohl unter dem »Dämon des Socrates« sich zu denken
habe; für ihn hat es keinen Zweifel, dafs da eine »dramatische Spaltung
des Ich« vorlag. Ein Teil der Seele jedes Menschen, so wurde schon
dem in die Unterwelt hinabgestiegenen Timarchus eröffnet, führt ein
Sonderdasein aufserhalb des Körpers, macht aber in gewissen Augen-
blicken sein Existenzrecht als »Gewissen«, als »innere Stimme«, als »Dä-
mon« geltend.
Wir sind persönlich überzeugt, dafs auch die Altertumswissen-
schaft, um zu richtiger Interpretation mancher geheimnisvoller, aber ver-
trauenswert bezeugter Vorgänge zu gelangen, nicht umhin können wird,
von den rätselvollen Erscheinungen des tierischen Magnetismus, des
Hypnotismus und der Suggestion Notiz zu nehmen. Du Preis Buch ge-
währt nach dieser Seite hin manchen nützlichen Fingerzeig und verdient
allseitiger Beachtung empfohlen zu werden. Soweit freilich darf die Rück-
sichtnahme nicht gehen, dafs man nun gleich alle Ausgeburten wüster
Mystagogie als Wahrheiten annimmt; wer vielmehr auf diesem schwieri-
gen Arbeitsfelde Erfolge erzielen will, wird dazu ein ganz ungleich gröfse-
Naturwissenschaften und Mystik. 241
res Mafs von Kritik und Skeptizismus mitbringen müssen, als der ge-
wifs überzeuguiigstreue und hoclibegabte, aber vom Banne der Geister-
klüpferei umfangene Scbriftsteller, über dessen ganz eigenartiges und von
einem Nicbt-Gesinuungsgeuossen scbwer richtig zu beurteilendes Werk
wir soeben ein möglichst objektiv gehaltenes Referat abzustatten ver-
sucht haben.
14) Über den Planetenkultus des vorrömischen Daciens von Sofia
von Torma-Broos (Korrespondenzblatt der deutschen Gesellschaft
für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte M, 18. Jahrgang. 8 — 9.
Ebenso wie auf den von Schliemann in Hissarlik ausgegrabenen
Thonperlen, finden sich auch auf dacischen Thonrädern oder »Sonnen-
scheiben«, die an der unteren Donau aufgefunden und von den Fach-
kreisen der sogenannten Hallstatt-Periode zugewiesen wurden, Spuren
von Planetenkultus. Dieselben weisen auf asiatischen Ursprung, auf
Nachbildungen gewisser Keilschriftzeichen hin. Ob die Deutungen und
Allegorisierungen der um süduugarische und rumänische Prähistorie sehr
verdienten Verfasserin nicht doch mitunter allzu gewagte sind, mögen
genauere Kenner der Urgeschichte entscheiden.
15) Geologie und Mythologie in Kleinasien von J. Partsch. Bres-
lau 1888. 16 S. (Separatabzug).
Der in der älteren griechischen Sage so häufig vorkommende Gi-
gant Typhoeus, ein Ungeheuer von teilweiser Schlangengestalt, ist als
Personifizierung eines Vulkanausbruches zu denken. Für Pindars und
Aeschylus', vielleicht auch für Hesiods Schilderung des gegen den Him-
mel ankämpfenden Riesen gab vermutlich der Feuer speiende Ätna das
Vorbild ab. Allein Partsch erachtet damit die Frage nicht gelöst, auf
welchem den Alten bekannten Vulkangebiete denn eigentlich der Mythus
entstanden sei ; die homerische Dichtung kennt und verwendet denselben
bereits, während doch zweifellos Italien noch ganz aufserhalb des geo-
graphischen Gesichtskreises des Dichters resp. der Dichter gelegen war.
Eine Gegend ''Apcfia, in deren Bereich die "Aptiioi wohnen sollten, wird
schon frühe als die eigentliche Heimat des Typhoeus bezeichnet; die
römischen Autoren haben später den Ortsnamen so verketzert, dafs er
jetzt »Inarime« hiefs. Posidouius hielt diese Arimer für einerlei mit
den Aramäern und liefs den Riesen im Thale des Orontes wohnen, an-
dere haben sogar den Sitz in den Golf von Neapel verlegt, während
Xanthus und nach ihm Strabo das Basaltfeld am Fufse des lydischen
Tmolus, die yrj xazaxexaujisvrj^ ins Auge fafsten. Von neueren Forschern
hat sich A. v. Gutschmidt dieser letzteren Auffassung zugeneigt. Allein
wenn auch die vulkanische Natur dieses Landsti-iches eine augenfällige
1) Künftig stets durch K. A. angedeutet.
Jahresbericht für Alterthumswissenschaft. LXIV. Bd. (.1890 HI.) IQ
242 Chemie.
ist, 60 liabcu dort gleichwohl in geschichtlicher Zeit ganz gewifs keine
Eruptionen mehr stattgefunden, und andererseits verlegen glaubwürdige
Zeugnisse den Ursprung des Mythus ins östliche Kleinasien. Cilicien
freilich, worauf l'indar hinweist, ist ein ganz unvulkanisches Territorium,
dafür aber besitzt Cappadocien einen bis vor ganz kurzer Zeit noch thätig
gewesenen Vulkan, den Argäus oder Erdschias-Dagh, für dessen Haupt,
das die ganze Landschaft beherrscht, alle die angeführten Kriterien zu-
zutreffen scheinen. Partsch begründet diese seine Ansicht in eingehender
Weise. Die Arimer freilich, bezüglich deren er die Erklärung des Posi-
donius akzeptiert, waren dann Cappadocier und keine wirklichen Ara-
mäer, allein es ist gewifs, dafs der ältere Grieche zwischen den Syrern
und den Bewohnern des inneren Kleinasiens kaum einen Unterschied
machte, beide vielmehr als sehr eng verwandte Volksstämme betrachtete.
Zum Schlüsse wird nachgewiesen, dafs der Moschylus auf Limno nie-
mals ein wirklicher Feuerberg gewesen ist, wenn auch Kohlenwasser-
stoffgase dortselbst den Boden euströmten. Ähnliche Exhalationen schie-
nen in Lycien beobachtet worden zu sein, und deshalb war dort ein
Heiligtum des Hephästus errichtet, der ursprünglich nur ein segensreich
wirkender Feuergott war und erst nach und nach in einen Schutzgeist
der unterirdischen, unheimlichen Kräfte sich verwandelte, welche die
Jetztzeit mit seinem lateinischen Namen als vulkanische bezeichnet.
16) Collection des anciens alchimistes grecs publiee sous les
auspices du ministere de l'instruction publique par Berthelot avec
la collaboration de Ch. Em. Ruelle. Premiere livraison. Paris 1887.
XXVIII. 491 S.
Von der allerseits mit Spannung erwarteten Sammlung, die Ber-
tbelot von den spätgriechischen Alchymisten veranzustalten beabsichtigt,
und von welcher auch bereits in unserem früheren Berichte die Rede
war, liegt nunmehr die erste Lieferung vor, die sich aber gleich als
ein sehr stattlicher Band in Grofsquart darstellt. Einem Vorberichte,
welcher die Geschichte des grofsen Unternehmens und die bei dessen
Durchführung mafsgebend gewesenen Grundsätze darlegt, folgt als
erste Abteilung eine Untersuchung über die Papyrushandschriften von
Leyden, welche in Theben gefunden wurden und uns einen genauen
Einblick in die chemische Denkweise und Operationstechnik der helle-
nistischen und byzantinischen Periode ermöglichen. Die drei Manu-
skripte führen die bibliothekarische Bezeichnung V, W und X. Pa-
pyrus V ist doppelsprachig, griechisch und demotisch und enthält
hauptsächlich Zauberformeln; Papyrus W, blos griechisch, ist wichtig
für die Beziehungen zwischen der Magie und dem jüdischen Gnosti-
zismus; den für die Geschichte der Chemie bedeutsamsten Inhalt
besitzt jedoch Papyrus X, der hauptsächlich von Metallverbindungen
handelt, aber auch pharmazeutische Vorschriften aus Dioscorides in
Chemie. 243
sich schliefst. Im ganzen sind in diesem letzteren Kodex 101 Rezepte
zur Herstellung aller möglicher Stoffe enthalten. Um das Sachverständ-
nis zu erleichtern, schaltet Berthelot einen Exkurs über die das ganze
Mittelalter beherrschende Verkupijelung der Metalle und Planeten ein
(Quecksilber-Merkur u. s. w.)- Hierauf giebt er den Text der in Papyrus
V zu findenden »Sphäre des Democrit«, einer Zahlentafel, durch deren
Betrachtung der Arzt sich über den Ausgang einer Krankheit ver-
gewissern konnte, und daran reiht sich eine Zusammenstellung der
alchymistischen Fachbezeichnungen, wie sie für die Lektüre solcher
Schriften unentbehrlich ist. Von besonderem Interesse aber ist die von
Erklärungen begleitete Reproduktion der alchymistischen Zeichnungen,
wie sie da und dort angetroffen werden, und zwar stammt das Material
zu diesem umfangreichen Abschnitte nicht lediglich aus den beiden Ley-
dener Handschriften W und X, sondern es sind auch die Pariser National-
bibliothek und die Vatikana für diesen Zweck ausgenützt worden. Da
sehen wir vor uns die sehr verschiedenen Formen der Destillationsapparate
und Erhitzungsvorrichtungen, in denen wir den Keim zum modernen
Sandbade und zu dem vielberufenen »faulen Heinz« des Mittelalters zu
erblicken haben; insbesondere verdient der »Alembik« des Synesius her-
vorgehoben zu werden, sowie der »Aludel« der Araber, der dem Subli-
mationsprozesse gewidmet war, von den arabischen Chemikern aber nicht
erfunden, sondern von den westlichen Nachbarn übernommen und aller-
dings vervollkommnet wurde. Hierauf giebt der Herausgeber, gestützt
auf Kopps und seine eigenen Vorarbeiten, eine Übersicht über die in
den verschiedenen Bibliotheken Europas aufbewahrten alchymistischen
Handschriften, welche für den als sehr wertvoll bezeichnet werden mufs,
der selbst auf diesem Gebiete zu arbeiten gedenkt. Auf ein wesentlich
anderes Arbeitsfeld führt der Essay über die von den Chaldäern ge-
kannten Metalle und Miueralstoffe (vgl. in unserem früheren Berichte
die Bemerkungen über das Täfelchen von Korsabad). Eine Reihe ge-
schichtlich-metallurgischer Einzelnacliweisungen schliefst diese erste,
durch ihren allzu wechselvollen Inhalt der Übersichtlichkeit einigermafsen
entbehrende Hauptabteilung ab.
Die zweite Hauptabteilung, besonders paginiert, giebt die griechi-
schen Originaltexte, Pseudo- Democrit, Olympiodor u. s. w , und ebenso
begegnen wir in der ihre eigenen Seitenzahlen tragenden der französi-
schen Übersetzung dieser Texte. Bei der Fülle der Einzelheiten ist die
Hervorhebung einzelner Punkte kaum thunlich, und es wird dieselbe
auch um so eher entbehrt werden können, als das wertvolle Werk
binnen kurzem in den Händen keines Geschichtsforschers der Naturwissen-
schaften fehlen wird.
Von der Alchymie ist, zumal wenn die Vergangenheit in Frage
kommt, nur ein Schritt zur eigentlichen Chemie.
16*
244 Chemie.
17) Geschichte der Chemie von den ältesten Zeiten bis zur Ge-
genwart von E. V. Meyer. Leipzig 1889.
Nur der erste Teil dieser sehr angenehm und lesbar geschriebenen
Schrift (Seite 6 bis 28) giebt an dieser Stelle Anlafs zur Besprechung,
und es ist die Schilderung der antiken Chemie nur ganz summarisch
gehalten. Aristoteles, Theophrast, Plinius und Dioscorides werden als
diejenigen Autoren namhaft gemacht, aus deren Elaboraten man sich
am besten über den Gegenstaud unterrichten könne. Die Atomeulehre
des Stagiriten wird kurz erörtert und dabei betont, dafs der Schöpfer
der Lehre von den vier Elementen doch selbst mit diesen nicht in allen
Fällen auszukommen vermochte, sondern mehrfach eine »quinta esseutia«
beizuziehen sich gezwungen sah. Verständnis für den Begriff der chemi.
sehen Verbindung habe dem eigentlichen Altertum gänzlich gemangelt-
Erst die Anforderungen der praktischen Metallurgie, sowie die vielfachen
Berührungen mit den in der Scheidekunst erfahreneren Bewohnern des
Landes »Kemi« (Ägypten) haben einen Fortschritt bedingt; man lernte
die Metalle von fremden Beimengungen reinigen, wie denn Agarthides
(IL nachchristliches Jahrhundert) ein Kuppellationsverfahren für Gold in
Vorschlag brachte. Man bereitete »Kadmia« (s. den vorigen Bericht),
konstruierte (s. o.) Destillierkolben, bildete die für die Herstellung von
Glas, Seife, Farben, Medizinen unentbehrlichen Manipulationen aus.
Dioscorides stellte aus Weizen das a-jj-olov dar. Auch der Alchymie
gedenkt die Vorlage; die Schriften des Zosimus, Synesius, Olympiodorus,
sowie die (puatxa xat fxuarcxd des augeblichen Democritus bildeten die
Rezeptsammlungen derer, die Gold und den Stein der Weisen zu machen
bestrebt waren. — Die Arbeiten neuerer Forscher, Berthelot, Hofmann
u. s. w. scheinen uns vom Verf. zu wenig berücksichtigt worden zu sein,
doch darf man nicht verkennen, dafs bei den Zielen, die sich v. Meyers
Buch gesteckt hat, eine gedrängte, nur das durchaus unentbehrliche auf-
nehmende Charakteristik der älteren Zeiten geboten war.
18) Technologisches (Schwefel, Alaun und Asphalt im Altertum)
von Hugo Blümner (Festschrift zur Begrüfsung der XXXIX. Ver-
sammlung deutscher Philologen und Schulmänner, dargeboten von der
Universität Zürich. Ebenda 1887. 23 - 39).
Von den drei erwähnten Mineralien war der Schwefel am frühe-
sten, schon im homerischen Zeitalter, den Griechen bekannt. Mau holte
ihn von den vulkanischen Inseln Melos und Nisyros; für Italien waren
die Lipareu und gewifse Gegenden Campaniens die Bezugsstätten. Bei
Capua gewann man den Schwefel bergmännisch und stellte mit ihm
einen Reinigungsprozefs an. Verwendet wurde er zu Räucheruugen in
Tempeln, aber auch zu Desinfektionszwecken, nicht blos für mensch-
liche Wohnungen, sondern auch für Weinfässer. Schwefelfaden diente im
alten Rom ebenso, wie im übrigen Europa noch vor dreifsig Jahren,
Anthropologie. 245
zum Feueranmachen. Ferner kittete man damit, bediente sich seiner
beim Bleichen wollener Gewänder, mischte ihn mit Silber und Kupfer
für die Niello- Arbeit des Goldschmiedes. Die Wirkung der heifsen
Schwefelquellen (Bajä, Ardea) war den Ärzten wohlbekannt. Was den
Alaun anlangt, so steht es minder fest, dafs er den Alten bekannt war,
und Beckmann wollte die Worte alumen und a-umrjpia nicht mit Alaun,
sondern mit Vitriol identifizieren. Jedenfalls holte mau das Alumen haupt-
säclilich aus Ägypten, doch gab es allenthalben im ganzen Mittelmeer-
becken Fundorte dieses Stoffes. Wahrscheinlich schwitzte die Salzlösung
aus dem Boden aus, so dass, wenn noch die Sonne das Wasser zum
Verdunsten gebracht hatte, die Mitarbeit des Menschen lediglich im Auf-
sammeln der Krystalle bestand. Das alumen scissile war nicht eigent-
licher Alaun, sondern vielmehr schwefelsaure Thonerde, das alumen
rotundum war anscheinend ein Gemenge aller möglichen Sulfate, und
auch vom alumen liquidum läfst sich nicht mit Bestimmtheit die Iden-
tität mit dem, was wir heutzutage als Alaun kennen, erweisen. Seine
wichtigste Anwendung fand Alumen in der Arzneikunde, aber auch in
der Färberei und Gerberei spielte es eine recht wichtige Rolle, dem Weine
wurde es zur Milderung seiner natürlichen Schärfe zugesetzt, und alle
Arten von Handwerken bedienten sich des Minerales in ihrem Wirkungs-
kreise. Von Asphalt wufste man, dafs ihn das Tote Meer Palästinas
in grofsen Mengen liefere; seine Gewinnung wird von Diodor ausführ-
lich, vielleicht nicht ohne einige romantische Zuthaten, beschrieben.
Auch Babylonien, Arabien, Susiana, Cilicien, die Inseln Zante und Sici-
lien brachten Erdpech in den Handel. Die Ägypter konsumirten davon
am meisten, weil man beim Einbalsamieren der Leichen die um diese
geschlungenen Binden mit Asphalt festzumachen pflegte, aber man wufste
auch, dafs derselbe einen guten Mörtel abgebe und dem damit bestriche-
nen Gebälke einen gewifsen Schutz gegen Feuersgefahr verleihe. Der
Landwirthschaft von damals endlich war Asphalt dasjenige, was ihr
gegenwärtig der Theer ist. — Es versteht sich von selbst, dafs alle
die zahlreichen Detailangaben dieser Abhandlung durch Belegstellen ge-
stützt sind.
Unserem Programme gemäfs kommt nach der Chemie die physi-
sche Anthropologie als Überleitung zur Naturgeschichte an die Reihe.
Zwei von unseren sechs Nummern entfallen unter diese Kategorie.
19) Das Aristotelische Räthsel der mit den gekreuzten Finger-
spitzen gefühlten Kugel von J. J. Hoppe. (Wiener Medizinische Presse,
29. Jahrgang, 785 ff. 827ff.).
Die Beschreibung des Vexierversuches, der übrigens, beiläufig be-
merkt, an der eigenen Nase weit besser als an einer Kugel gelingt, hat
Aristoteles in seiner Diatribe »Über den Traum« gegeben. Legt man
Zeige- und Mittelfinger über einander und berührt gleichzeitig einen nach
246 Anthropologie.
allen Seiten konvexen Gegenstand, so hat man das Gefühl, als sei letzte-
rer doppelt vorhanden , als habe jeder Finger sein besonderes Objekt
vor sich. Aristoteles selbst vergleicht, ohne aber damit den Kern der
Sache zu treffen, die Erscheinung mit der Bewegung, in welcher sich
dem auf ruhiger Wasserfläche Dahinsegelnden das Ufer zu befinden
scheint. Der Vorgang des Doppeltfühlens hat in Wirklichkeit Ähnlich-
keit mit dem des Doppeltsehens; die beiden Fühlbilder der gekreuzt
tastenden Finger fallen im Gehirne nicht zusammen, decken sich nicht.
Wer seine Augenmuskeln so in der Gewalt hat, dafs er künstlich schie-
len kann, der ist auf diese Weise auch imstande, ein doppeltes Sehbild
hervorzurufen. Unnatürliche gequälte Einstellung der Muskeln scheint
die Vorbedingung für die Erzeugung einer zwiefachen Vorstellung
zu sein.
20) Geschichte der griechischen Farbenlehre. Das Farbenunter-
scheidungsvermögen. Die Farbenbezeichnungen der griechischen Epi-
ker von Homer bis Quintus Smj'rnaeus. Von Edm. Veckenstedt.
Paderborn-Münster-Osnabrück 1888. XV. 204 S.
Die drei Unterabteilungen, in welche die Schrift schon dem Titel-
blatte nach zerfällt, sind auch inhaltlich ziemlich von einander unter-
schieden, und vor allem ist auch der wissenschaftliche Wert derselben
kein ganz gleicher. Für die entschieden wertvollste Partie hält Refe-
rent die übersichtliche Darstellung der Farbennomenklatur bei den helle-
nischen Dichtern. Wir sagen »Dichtern«, denn obwohl der Verf. eigent-
lich nur die Epiker berücksichtigt und in einem besonderen Kapitel die
Verzichtleistung auf Lyriker und Dramatiker motiviert hat, so haben
doch eben die ersteren so ungleich viel mehr Veranlassung dazu, Far-
ben zu schildern und zu vergleichen, dafs jener Verzicht kaum einer
eigentlichen Einschränkung der Untersuchung gleichkommt. Diese auf
gründlicher Litteraturkenntnis beruhende Zusammenstellung kann folg-
lich als ein wirkliches Verdienst bezeichnet werden.
Was die Geschichte der griechisch-römischen Farbenlehre anlangt,
so ist auch hier der Verf. bemüht gewesen, Vollständigkeit mit richtigem
Urteile zu verbinden; das ihm letzteres nicht stets zur Seite steht, be-
weist u. a. der kurze, aber von merkwürdigen Behauptungen strotzende
Exkurs auf Seneca; was über diesen gesagt ist, mufs jeden befremden,
der in Seneca den vielleicht exaktest denkenden Naturphilosophen des
Altertums verehrt. Am wenigsten aber ist der zweite Teil als gelungen
zu erachten, worin der Verf. gegen die Ansicht derer zu Felde zieht,
welche eine allmählige Entwickelung des menschlichen Farbensinnes für
möglich halten. Die allerdings extremen Ansichten von L. Geiger und
Gladstone haben denn doch, nachdem auch Magnus seinen Staudpunkt
in durchaus einleuchtender und loyaler Weise im Sinne fortschreitender
Forschung modifizirt hat, heute kaum mehr einen Anhängerkreis; wozu
Anthropologie. 247
also denn noch mit solcher Vehemenz oftene Thüren einstofsen? Die
Thatsache , dafs viele Naturvölker für langwellige Farben empfänglicher
sind, als für kurzwellige, wird nun einmal nicht mehr aus der Welt ge-
schafft, auch nicht durch die zänkische Manier des Verf., welcher sich
gegen die »Augendarwinisten« in einen gelinden Fanatismus hineingear-
beitet hat. Für die Aufgabe, auch beim wissenschaftlichen Gegner die
für dessen Anschauung mafsgebenden Gründe möglichst herauszufinden,
demselben so gerecht zu werden und sich vor der gefährlichen Über-
schätzung des eigenen Wissens und Könnens zu schützen, scheint dem
Verf. der Sinn zu fehlen ; man lese nur, was da und dort über Männer,
wie Gladstone, Virchow, Magnus gesagt ist, und vergleiche damit die
Bemerkungen auf Seite VIII, aus denen hervorgehen dürfte, dafs dem
Verf. nachher selbst Bedenken über die Art und Weise seiner Polemik
aufgestiegen sind (vgl. auch unsere Rezension in Jahrgang 1889 der
»Philolog. Wochenschrift«).
Der Philologe wird aus dem Veckenstedtschen Buche für das, was
die Alten thatsächlich unter Farben verstanden, und wie sie deren ein-
zelne Abstufungen sprachlich trennten, sehr vieles zu lernen vermögen.
Die Frage des »Augendarwinismus« freilich, um dieses unschöne Wort
zu adoptieren , wird nicht erheblich gefördert ; nach dieser, d. h. nach
der psychologischen Seite hin steht das im vorigen Berichte näherer
Prüfung unterzogene Werkchen von Hochegger zweifellos höber, obwohl
wir, wie erinnerlich, auch mit dessen durchweg ablehnenden Ergebnissen
uns nicht so ganz einverstanden erklären konnten.
Von der Stellung des hervorragendsten griechischen Naturforschers
speziell zur Anthropologie handelt
21) Die naturwissenschaftlichen Schriften des Aristoteles in ihrem
Verhältnis zu den Büchern der Hippocratischen Sammlung von
Poschenrieder, Bamberg 1887 (Gymnasialprogramm).
Aristoteles nennt den Namen des Hippocrates in seinen uns er-
haltenen Schriften nur ein einziges mal, allein er raufs dessen Werke doch
genau gekannt haben, und mit dem Zitieren, überhaupt mit dem Aner-
kennen fremden Verdienstes, war es ja im Alterthum so eine eigene
Sache. Die Angaben des Stagiriten über den menschlichen Vorderkopf
und insonderheit über die Lage des Gehirnes stammen fast wörtlich mit
den in der Schrift »Von den Kopfwunden« des kölschen Arztes enthaltenen
überein. In der allerdings wohl nicht von Aristoteles selbst geschriebe-
nen, aber doch aus seiner Schule stammenden Schrift »De locis in ho-
minect ist die Beschreibung der das Gehirn einschliessenden Häute eine
ganz hippocratische, und auch die Anatomie des Auges scheint Aristo-
teles ganz nach diesem Vorbilde bearbeitet zu haben; das innere Auge
schildert das zweite Kapitel des Buches »De sensu et sensibili« ganz
ebenso, wie der Verfasser der Schrift »De carnibus«. Auch die Aristo-
248 Anthropologie
telischc Behauptung, Eunuchen seien niemals Kahlköpfe, kommt schon
in den »Aijhorismen« vor Nicht minder scheint Aristoteles die »Epi-
demien« , sowie die eigentlich pathologischen Monographieen des Koers
gekannt und in seiner Weise ausgenützt zu haben, wie der Verf an der
Hand zahlreicher, von ihm ermittelter Text-Konkordanzen nachweist.
E. Richter (De Aristotelis problematis, Bonn 1885) hatte seinerseits be-
reits betont, dafs die »Probleme«, deren Ächtheit man ohne genügenden
Grund hat anzweifeln wollen, sich mehrfach auf Hippocrates stützen, und
dafs darin zum öfteren auf das Grundbuch der medicinischen Geographie
(De aere, aquis et locis) bezug genommen sei.
Anthropologisch-archäologischen Inhaltes sind weiterhin die in den
nun folgenden vier Nummern zusammengefafsten Arbeiten.
22) Eröffnungsrede zur XVIII, allgemeinen Versammlung der deut-
schen anthropologischen Gesellschaft zu Nürnberg, gehalten von Ru-
dolf Virchow (K. A., 18. Jahrgang. 73—84).
Von diesem an grofsen Gesichtspunkten und wichtigen Mitteilungen
reichen Vortrage kommen für uns hier natürlich nur einzelne Partien in
betracht. Besonders wichtig sind die Erörterungen über das geschicht-
liclie Auftreten der Metalle. Während man früher kritiklos allenthalben
Kupfergegenstände sah, ist man diesen Angaben gegenüber mehr und
mehr zurückhaltend geworden; und durch wirkliche Untersuchung ist
jetzt eigentlich erst für zwei europäische Länder die ehemalige Existenz
einer Kupferperiode aufser Zweifel gesetzt: für Ungarn und für die ibe-
rische Halbinsel (s. u. No. 35). Das erste Auftreten des Kupfers fällt
in die neolithische Periode. Schwieriger noch ist das plötzliche unver-
mittelte Auftreten der Bronze, einer Legierung aus Zinn und Kupfer,
zu deuten, denn die Hoffnung, Indien als das Ursprungsland des hiezu
verwendeten Zinnes nachweisen zu können, hat wieder aufgegeben wer-
den müssen. Virchow hält dafür, dafs doch wohl Spanien bei näherer
Durchforschung als das hauptsächlichste Zinnland der alten Zeit werde
erkannt werden, und erklärt sich gegen die von Berthelot vertretene
Meinung, der zufolge aus asiatischen Zinngruben (in Afghanistan oder
Khorassan) das Metall nach dem Westen gekommen sei. Die Rede
schliefst mit dem Hinweise darauf, dafs die assyrischen und trojanischen
Ausgrabungen wohl am ersten uns Aufschlüsse über die Streitfrage lie-
fern können, wann und unter welchen Umständen der Mensch erstmalig
vom reinen Kupfer zu Kupferlegierungen übergegangen ist.
23) Les Pygmees par A. de Quatrefages. Paris 1887. VII.
350 S.
An und für sich fällt innerhalb der diesem Berichte gezogenen
Grenzen nur ein kleiner Bestandteil des auf ein weit umfassenderes Ziel
gerichteten Buches, denn dasselbe will überhaupt eine Ethnographie der
Anthropologie. 249
Zwergstcämme liefern, und da den Alten von diesen nicht eben viel be-
kannt war, so können die geschichtlichen Darlegungen der Natur der
Sache nach keinen sehr grofeen Raum einnehmen. Immerhin sind die-
selben recht interessant. Schon bei Homer sind die Pygmäen erwähnt,
nach deren Lande die Kraniche ihren Flug nehmen, und ganz im Geiste
dieser damals nur ganz sagenhaften Erzählung läfst Aristoteles diese
Pygmäen nahe den Nilquellen als Troglodyten hausen. Quatrefages meint,
diese letztere Behauptung sei doch vielleicht bereits aus einer gewissen
Kenntnis der wirklichen Sachlage hervorgegangen, und wenn am gleichen
Orte auch die Pferde der afrikanischen Zwerge für winzig klein erklärt
würden, so stimme das ganz gut zu den Wahrnehmungen Bakers, der bei
den Baris, unweit von Gondokoro, Reittiere »von liliputanischen Dimen-
sionen« gefunden haben will. Plinius weifs aufser den in den Nilsümpfen
wohnenden Pygmäen auch von anderen Zwergvölkern in den verschie-
densten Teilen der Erde, und Ctesias verlegt die kleinen Menschen,
denen er auch eine schwarze Hautfarbe zuschreibt, in den äufsersten
Osten (Bandra = Loks nach Rousselet?). Die ursprünglich rein geo-
graphischen Beziehungen zwischen Pygmäen und Kranichen haben bei
den späteren antiken Nachrichtensammeln sich bereits zu einem ste-
ten Kampfe zwischen Menschen und Vögeln verdichtet; ja Pomponius
Mela weifs bereits zu bericliten, dafs die Zwerge durch diesen Krieg
allmählig ganz aufgerieben worden seien. Ein Körnchen Wahrheit mag
auch in diesem von den grofsen Kindern des Altertums gerne geglaub-
ten Märchen enthalten sein: vor einigen Jahren tötete man an der Ost-
seeküste einen Zugvogel, in dessen Leibe noch der abgebrochene Rohr-
pfeil eines Negerschützen steckte. Dafs dieser Schütze aber ein Pygmäe
war, ist so gut wie sicher, wie wir gleich hören werden.
Die weitaus zuverlässigste antike Meldung über das Dasein von Ne-
gervölkern sehr niedrigen Wuchses ist, wie wir von Quatrefages (S. 18 ff.)
erfahren, bei Herodot zu finden. Er erzählt, dafs einige Nordlybier
nach Durchschreitung der Wüste zu solchen schwarzen Leuten gekom-
men seien. Sehr möglich, dafs dies die Akkas waren, ein überaus klein
gewachsenes nomadisierendes Negervolk, welches das Quellgebiet des
weifsen Nil durchstreift und uns erst durch Junker und Emin Pascha
näher bekannt geworden ist, obwohl der Name des Volkes bereits auf
altägyptischen Monumentalbauten vermerkt sein soll. Bezeichnend für die
Akkas ist der Umstand, dafs sie — im Gegensatze zu allen umwohnenden,
Speer und Schild führenden Völkerschaften - als Trutzwaffe ausschliefs-
lich Bogen und Pfeil gebrauchen.
24) Etudes sur les temps antehistoriques par E. Carette. Deuxieme
etude. Les migrations. Paris 1888. H. 346 S.
Die etwas phantastisch geschriebene Schrift will über die grofsen
Völkerbewegungen der grauen Vorzeit Klarheit verbreiten. Für diesen
250 Anthropologie,
Bericht ist dem Biiclie wenig zu entnehmen; das wichtigste wäre jeden-
falls der Nachweis, dafs die Ägypter bereits Amerika gekannt und zur
Zeit der achtzehnten Dynastie den Isthmus von Darien überschritten
hätten. Leider wird die Beweisführung dafür ebensowenig als über-
zeugend anerkannt werden können, wie für die anderweiten Hypothesen,
die über Daedalus, Talus und andere mythische Personen aufgestellt
werden, durchweg mit dem Bestreben, die Mythen des Altertums geo-
graphisch zur interpretieren.
25) Moeurs et monuments des peuples prehistoriques par le Mar-
chis de Nadaillac. Paris 1888. II. 312 S.
Der Autor ist als prähistorischer Forscher bekannt genug, um die-
sem seinem neuen, reich ausgestatteten und 113 gut ausgeführte Figuren
enthaltenden Werke von vornherein die allgemeine Beachtung gesichert
erscheinen zu lassen. Es erörtert in gemeinverständlicher Sprache alle
von der geschichtlichen Anthropologie der Neuzeit als spruchreif er-
kannten Fragen: Die Wohnplätze des Urmenschen, die Stoffe, aus denen
sich derselbe Waffen und Geräte verfertigte, die Anthropophagie, Jagd,
Fischfang und Seefahrt, den Hausrat und dessen dekorative Ausschmückung,
Kjökkenmöddinger und Phalbauten, Befestigungsplätze, Monolithendenk-
mäler (Dolmen) und Begräbnisstätten und verweilt, nachdem zuvor noch
der chirurgische Eingriff der Trepanation als ein vorgeschichtlicher nach-
gewiesen ist, bei den grofsen Ausgrabungen im alten Troas Wer sich
über den Reichtum der von Schliemann zu tage geförderten Schätze rasch
und sicher informieren will, findet in Nadaillacs Buche, was er sucht.
Die Altertumskunde als solche wird ferner noch besonders berührt durch
die Mitteilungen über die Funde auf der Vulkaninsel Santorin ; Fouque,
Lenormant und andere französische Gelehrte hatten von den Spuren,
welche von der Urbevölkerung dieser östlichsten der Cycladen unter
dem Schutze einer bis zu 30 m dicken Bimsteindecke sich erhalten hat-
ten, anziehende Mitteilungen gemacht, und die dort gemeldeten That-
sachen sind hier zu einem Gesamtbilde vereinigt. Wer die Leute waren,
die vor dem vernichtenden Ausbruche, den man ohne zureichende Be-
rechtigung auf das Jahr 2000 v. Chr. zu fixieren versucht hat (vgl. Neu-
mann-Partsch , Physik. Geogr. v. Griechenland, Breslau 1885. S. 278),
auf dem für den Seeverkehr günstig gelegenen Eilande Ackerbau, Vieh-
zucht und Handel trieben, das wird wohl für immer unaufgeklärt bleiben.
Wie wir eingangs bestimmten, soll jetzt die Naturgeschichte im
engeren Sinne an die Reihe kommen. Die Zoologie führe den Reigen,
und zwar wollen wir diejenige Beschäftigung an die Spitze stellen, welche
für die Erforschung der Tierwelt ganz sicherlich den mächtigsten Anreiz
dargeboten hat: die Jagd.
Zoologie. 251
26) Über die Jagd bei den Griechen von Manns. Kassel 1888
und 1889 (Zwei Gymnasialprograrame).
Es wird dargethan, dafs das Jagdwesen in der Mythologie, im
Kultus und in der bildenden Kunst des Hellenentums eine nicht unbe-
deutende Rolle spielte, dafs man ihm in den homerischen Liedern gerne
die Vergleiche zu Ruhm und Preis berülimter Männer entnahm, und
dafs die Verfolgung der Tiere zumal in der älteren Zeit als ritterliche
Übung hochgeschätzt ward. Das Jagdrecht war ein sehr wenig ausge-
bildetes, denn im allgemeinen durfte jeder jagen, wann und wo er wollte,
und nur gewisse Gegenden waren geschützt, so das unmittelbare Gebiet
von Athen und — aus Gründen religiöser Pietät — die Insel Delos.
Der Verf. giebt sodann eine Schilderung des vor zweitausend und mehr
Jahren in Griechenland heimisch gewesenen Wildes, wobei ihm vorwie-
gend Aristoteles zum Führer dient, und geht dann zur Charakteristik
der Jagdhunde über, die den wissenschaftliche wertvollsten Teil der Dar-
stellung bildet. Auf gute Jagdhunde wurde, wie aus den sachverstän-
digen Überlieferungen eines Xenophon und Arrian sich ergiebt, sehr viel
gehalten; der letztgenannte führt sogar gebräuchliclie Rufnamen dieser
Tiere an, und beide Schriftsteller suchen für die Hunderassen, die sich
für gedachten Zweck am besten eignen, die richtigen äufseren Kenn-
zeichen ausfindig zu machen, wobei sie sehr ins Detail gehen. Lako-
nische, kretische, indische, molossische Jagdhunde werden uns besonders
bezeichnet. Der Verf. hat sich auch dadurch ein Verdienst erworben,
dafs er uns nach Vasenzeichnungen und anderen Bildern von erprobter
Originalität Typen dieser vom antiken wie vom modernen Jäger gleich
unzertrennlichen Geschöpfe vorführt.
Zoologischen Inhaltes sind zwei uns vorliegende Litteraturprodukte,
das eine eine Specialstudie linguistisch-antiquarischer Tendenz, das an-
dere ein Realwerk grofsen Stiles.
27) Zur Geschichte der Hauskatze von Sittl (Archiv für latei-
nische Lexikographie und Grammatik, 5 Jahrgang. 133 134).
Der Verf. hat, um den Zeitpunkt der Einwanderung der im Nil-
lande seit unvordenklichen Zeiten heilig gehaltenen zahmen Katze nach
Europa schärfer zu bestimmen, neues Material herangezogen. Nicht
Palladius ist es, der zuerst dieses Tieres erwähnt, denn wenn derselbe
von den zur Jagd auf Maulwürfe abzurichtenden »catti« spricht, so meint
er damit nicht unsere Katze, sondern das Frettchen. Erst ein Diakon
Johannes gedenkt um 600 n. Chr. mit Sicherheit einer Katze, welche
Papst Gregor der Grofse sehr lieb gehabt habe. Später erschienen im
mittelalterlichen Latein statt »cattus« oder »catta« die in dieser Form
jeden Zweifel an der Identität ausschliefseuden Bezeichnungen »musiusa
und »murilegus«.
252 Zoologie.
28) Tiere des klassischen Altertums in kulturgeschichtlicher Be-
ziehung von Otto Keller. Innsbruck 1887. IX. 488 S.
Eine nur einigermafsen dem Autor und dem, was er bietet, ge-
recht werdende Analyse ist nur in einem Berichte möglich, der hinsicht-
lich dos Raumes mit keinen Beschränkungen zu rechnen liat. Nicht von
sämtlichen Tieren, die etwa in einer antiken Tierbeschreibung Platz
gefunden hätten, will der Verf. allerdings sprechen, sondern er betrach-
tet seine Gabe nur als eine Abschlagszahlung, als einen Vorläufer, dem
noch mehrere Fortsetzungen nachfolgen werden. Trotzdem behandelt
er diesmal schon »etwa ein Drittel der kulturgeschichtlich wichtigen
Tiere des klassischen Altertums«, und zwar eben diejenigen, welche bei
der Lesung alter Schriftsteller am häufigsten begegnen. Die einzelnen
Hauptabschnitte haben es mit folgenden Tieren, bezüglich Tiergruppen
zu thun: Affe, Kamel, Steinbock, Gemse und Wildziege, Büffel, (Auer-
ochs, Grunzochse, Zebu), Dam- M nnd Edelhirsch, Reh, Bär, Katzenraub-
tiere (Tiger, Panther, Jagdleopard), Hyänenhund, Wolf, Fuchs, Schakal,
Seehund, Hippopotamus, Delphin, Adler, Specht, Gans und Nachtigal.
Bei jeder Tierart wird festgestellt, in welcher Weise und mit wel-
chen Namen dieselbe in der Litteratur auftritt, es wird aber auch der
Darstellung in Bildwerken, auf Münzen und Vasen gedacht, und es hat
sich da ein oft unerwartet reicher Belegstoif zusammengefunden, wie bei-
spielsweise für den Hirsch, der auf assyrischen Hautreliefs, auf einem
mycenischen Siegelringe, auf dem Mosaik von Utica uud anderswo leicht
kenntlich abgebildet ist. Der Nutzen, den die ^Menschheit von je aus
getöteten Tieren für Ernährung, Gewerbe, Herstellung von Arzneimitteln
zu ziehen verstanden hat, wird ebenfalls an Beispielen illustriert; die
Beziehungen des Tieres zur Religion und Symbolik finden ihre Stelle,
und dann findet sich auch Gelegenheit, die mancherlei abergläubischen
oder doch sonderbaren Ideen zu streifen, welche das Volk über diese
und jene Species hegte. Von den vielen hierher gehörigen Darlegun-
gen möchten wir besonders die über den Werwolf hervorheben, an dessen
gespenstiges Dasein noch heute weite Kreise ebenso fest glauben, wie
die Römer der Kaiserzeit an ihre »versipelles«. Beim Nilpferd wird
daran erinnert, dafs dieses Tier — ebenso wie der Kranich, s. o. den
Bericht über Quatrefages - als im Kriegszustande mit den Pygmäen
befindlich galt, worauf ein an der vatikanischen Nilstatue befindliches
Fries hinweist. Archäologisch sehr merkwürdig sind die Aufschlüsse
über die gradezu abenteuerliche Manigfaltigkeit , in welcher die alte
Kunst die Gestalt des Delphines ornamental verwertete, wie denn über-
1) In seiner sonst wesentlich blos referierenden Anzeige des Kellerschen
Werkes (Wochenschr. f. klass. Philol., 5. Band. Sp. 228 ff. Sp. 258 ff.) erinnert
Hergl gegen den Verf., dafs Plinus mit damma nur eine Unterart der caprae
bezeichnen wollte.
Pflanzenkunde. 253
haupt dieses Fisclisäugetier die Phantasie der Griechen mächtig ange-
regt zu haben scheint. Wenn wir im Vorstehenden aus der Fülle der
Mitteilungen einzelnes herausgehoben haben, so sollten damit nicht etwa
hervorragend wichtige Punkte getroffen werden, vielmehr kam es uns
wesentlich nur darauf an, Stichproben zu geben, welche von der Fülle
des Inhaltes eine ungefähre Vorstellung zu vermitteln geeignet wären,
"Wir geben uns der Hoffnung hin, dafs der Verf., wie beabsichtigt, seine
Studien bald weiter fortführen und so eine feste Grundlage für eine
systematische Bearbeitung der antiken Tierkunde legen werde.
Die Botanik nimmt an unserem Berichte teil mit einer auf das
alte Ägypten bezüglichen Veröffentlichung und mit drei Schriften, die
sich mit dem klassischen Altertum beschäftigen. Letztere rühren von
einem und demselben Verfasser her.
29) Über die in altägyptischen Texten erwähnten Bäume und deren
Verwertung von Charles E. Moldenke. Leipzig 1887 (Inaugural-
dissertation).
Diese Arbeit wendet sich, schon durch die überall eingestreuten
hieroglyphischen Texte wird dies angezeigt, in erster Linie an die Ägyp-
tologen von Fach und kann darum selbstredend an diesem Orte keiner
meritorischen Würdigung teilhaftig werden. Als die drei zu allen Zei-
ten im Nilthale gepflegten Bäume wei'den Palme, Sykomore und Akazie
bezeichnet, und diesen wird deshalb eine eingehende Behandlung zu teil.
Benrä, so war der altägyptische Name für die Dattelpalme, bedeutet
wörtlich »der süfse Frucht tragende« (seil. Baum). Dies ist also eine
spezifisch ägyptische Benennung, wogegen bei den aus dem Auslande
eingeführten Nutzbäumen stets auch deren fremder Name in den ein-
heimischen Wortschatz mit herüber genommen ward; Datteln scheinen
demgemäfs schon in der allerältesten Zeit am Nil gegessen worden zu
sein, wie auch noch heute v. Stephan die Dattelpalme für die wichtigste
aller ägyptischen Pflanzen erklärt. Doch ist dieselbe unter den Pha-
raonen gewifs noch kein so häufig vorkommender Baum gewesen, wie
heutigen Tages, vielmehr bildete sie mehr den Schmuck der Gärten,
und die landschaftliche Physiognomie war weit mehr durch die Syko-
more bestimmt. Vom Dattelbaume verstand man übrigens nicht nur die
Früchte, sondern so ziemlich jeden Bestandteil nutzbar zu machen; er
war dem Ägypter, was dem Chinesen der Bambus ist. Ähnlich der
Dattelpalme ist die nur im oberen Nilthale gedeihende Dumpalme, der
die Bezeichnung mama, »der sich in zwei Hälften spaltende«, beigelegt
war; eine Spielart derselben hatte und hat besonders in Nubien ihren
Sitz. Die Akanthus- Akazie hiefs sent, »der Dornbaum«; ihr Holz
diente hauptsächlich zur Verfertigung der Fahrzeuge zur Binnenschiff-
fahrt. Auch der Name der Sykomore war ein gut gewählter: neha. t,
254 Pflanzenkunde.
»die Schutz gewährende« ; war sie doch für Tausende, den Bildern nach
zu schliefsen in weit höherem Grade als jetzt, die Schatteuspcnderin.
Die (ihrigen Bäume, mit denen sich unsere Vorlage beschäftigt,
können eine gleich hohe Bedeutung nicht beanspruchen, wie die bisher
besprochenen. Bemerkenswert erscheint, dafs die Feige schon unter
den ersten Dynastien uns in den Texten begegnet, während doch Graf
Solms-Laubach als deren Heimat das südliche Arabien bestimmt hat:
ein neuer Beleg für die auch anderweit (s. unseren vorigen Bericht) er-
wiesenen engen Beziehungen zwischen Ägypten und »Fun«. Den bisher
unerkannt gebliebenen Baum änhraen indentifiziert der Verf. mit dem
Granatapfelbaum. Für den Olivenbaum scheinen drei verschiedene Be-
zeichnungen im Gebrauche gewesen zu sein. Immerhin bleiben in der
altägyptischen Dendrologie noch Unklarheiten mancherlei Art übrig, denen
zunächst nur auf dem Wege der Hypothese beizukommen ist ; auf dem
vom Verf. eingeschlageneu Wege werden sich gewifs noch weitere Er-
folge erzielen lassen.
30) Beiträge zur Kenntnis der altklassischen Botanik von J. Murr.
Innsbruck 1888 (Gymnasialprogramm).
Der erste Teil dieser Abhandlung hat es mit der Identitätsbestim-
mung der Blume zu thun, welche die Griechen bäxn&og nannten. Linne
dachte an unsere gegenwärtig so genannte Garten-Hyazinthe, doch schon
im vorigen Jahrhundert erhob sich Opposition gegen diese Annahme,
und da V. Hehn erklärte, jene moderne Hyazinthe sei erst gegen Ende
des Mittelalters aus dem Osten importiert worden, so schien Linne end-
giltig widerlegt. Dem gegenüber vertrat Bissinger (Erlanger Programm
1880) den richtigen Standpunkt, alle auf udxvf^og bezüglichen Stellen
der alten Litteratur unter einander zu vergleichen und dabei besonderes
Gewicht auf den Naturhistoriker Dioscorides zu legen. Thut mau dies
und hält sich an die von diesem aufgestellten botanischen Kennzeichen,
so gwinnt die ältere Ansicht wieder an Wahrscheinlichkeit; der Verf.
zieht auch neuere Florenwerke zu rate und kommt zu dem Schlüsse,
dafs in der That an die Garten-Hyazinthe in erster Linie zu denken
sei; allerdings scheinen die Angaben über die Blütenfarbe ein Hinder-
nis zu bieten, das aber bei der bekannten Unsicherheit und Vieldeutig-
keit der antiken Farbennomenklatur als kein sehr ernstes betrachtet
werden kann, und auch in morphologischer Hinsicht sind einige Beden-
ken vorhanden, die aber nicht ausreichen, der früheren Auffassung trotz
Hehn die Geltung zu bestreiten. Der Rittersporn wird nicht selten mit
udxv&og durcheindergebracht. Im zweiten Teile wird der Sinn des
Wortes ^r^yo? der Erörterung unterstellt, das von verschiedenen Schrift-
stellern auch verschieden als Speiseeiche, Knopperneiche, Rotbuche, Kasta-
nie gedeutet worden ist. Letztere gilt allerdings den Botanikern allge-
mein als indigener Baum, während wiederum Hehn aus sprachlichen
Pflanzenkunde. 255
Gründen die Einführung des angeblich aus Kleinasien stammenden Kasta-
nienbauraes nach Nordgriechenlaud als eine erst in späterer Zeit geschehene
gelten lassen will. Hauptsächlich auf Theophrast sich stützend, führt
der Verf. aus, dafs (frß'oQ nicht der Kastanie, sondern Linne's Quercus
Aesculus entspreche. Zum Schlufse wird untersucht, welche Bezeich-
nungen der Grieche für Kastanie, Wallnufsbaum, Haselnufs und Mandeln
hatte ; was nachmals Cato, Coluniella, Plinius die »nux Graeca« nannten,
war nichts anderes, als die Frucht des Maudelbauraes , deren feinste
Sorte als »nux Thasia« bekannt war.
31) Die geographischen und mythologischen Namen der altgriechi-
schen Welt in ihrer Verwertung für antike Pflanzengeographie von
J. Murr. Innsbruck 1889 (Gymnasialprogramm).
Angeregt durch die Arbeiten von Hehn, Fraas, De CandoUe, sucht
der Verf. alle die Örtlichkeiten innerhalb des geographischen Gesichts-
kreises der Griechen auszumitteln, welchen ein Pfianzenname eignet,
um auf diese Art auch Anhaltspunkte für die Verbreitung der einzelnen
Kulturgewächse zu gewinnen. Die Zusammenstellung, die nur auf grund
mühevollen Studiums erfolgen konnte, bezieht sich im ganzen auf 56 Pflan-
zenarten: Ölbaum, Feigenbaum, Kastanienbaum, Haseluufsstrauch, Man-
delbaum, Korneliuskirsche, Erdbeerbaum, Kirschbaum, Pistazie, Mastyx,
Styrax, Sumach, Maulbeerbaum, Sykomore, Granate, Apfelbaum, Quitte,
Birnbaum, griech. Hagedorn, Zitronenbaum, Dattelpalme, Pinie, Zypresse,
Buxbaum, Lorbeer, Myrte, Rose, Weinrebe, Weizen, Gerste, Einkorn,
Spelt, Hirse, Saubohne, Linse, Erbse, Bohne, Mohn, Gurke, Kohl, Kresse,
Runkelrübe, Spargel, Fenchel, Eppich, Kümmel, Sauerampfer, Lein,
Espartogras, die drei Laucharten, welche die Helleneu als r.pdaov^ ax6-
pudüv und ßoXßuQ unterschieden, endlich von Blumen Hyazinthe, Lilie und
Safranpflanze. Um am konkreten Falle Arbeitsmethode und Resultate
des Verf zu erläutern, greifen wir den Kohl heraus, xpdußr] r^/iepog bei
Dioscorides, pdipawq bei Theophrast, genannt; Anklänge an dieses Ge-
müse weist Murr vierfach nach: Kpdpßouaa kommt in Kleinasien, mut-
mafslich der Heimat der Pflanze, dreimal vor, nämlich als ein pamphi-
lisches Vorgebirge, als eine lycische Stadt, und als eine cilicische Küsten-
insel, und in Syrien gab es eine Stadt 'Pa^avrxta. Die schöne Mono-
graphie des wilden und domestizierten Feigenbaumes, die Graf Sohns
(s. 0.) geschrieben hat, ist dem Verf. anscheinend entgangen, weshalb
auch das (Seite 7) hierüber Gesagte, wenigstens soweit das Ursprungs-
land in betracht kommt, der Richtigstellung bedarf.
32) Die Pflanzenwelt in der griechischen Mythologie von J. Murr.
Innsbruck 1890. VIII. 324 S.
In mancher Beziehung ähnelt dieses umfafsende Werk der soeben
besprochenen Studie, indem nämlich die Pflanzen — nur ist es diesmal
256 Pflauzeukunde.
nicht eine beschränkte Anzalil von Arten, sondern es wird möglichst
nach Vollständigkeit gestrebt — diesmal nicht mit geographischen Namen,
sondern mit Göttern niid Heroen in Verbindung gebracht werden. Offen-
bar hat man es mit der Frucht langjähriger, planmäfsiger DurchCor-
schung der Litteratur zu thun, denn die Fülle der auf mythologische
Botanik zu beziehenden Stellen ist eine überaus grofse. Das Buch wird
dem wirklichen Gebrauche erst erschlofsen durch seine drei, soweit wir
sahen, sehr sorgsam ausgeführten Indizes, ohne welche natürlich eine
Orientierung kaum möglich wäre. Der erste Index enthält die mytholo-
gischen Eigennamen, und bei jedem derselben ist zugleich angegeben,
welche Bäume, Gesträuche u. s. w. irgendwie in Verbindung mit diesen
Namen genannt werden; der zweite Index giebt an, auf welcher Seite
eine bestimmte Pflanze erwähnt wird, so jedoch, dafs nur die griechi-
sche Bezeichnung derselben angeführt ist, und im dritten Register end-
lich kann man die modernen (lateinischen) Pflanzenbezeichnungen nach-
schlagen.
Wiederum möge an einem willkürlich gewählten Beispiele das
Verfahren des Verf. klargelegt werden. Wir greifen die Meerzwiebel
{(TxcUa) heraus. Wie allen Laucharten wohnte ihr nach hellenischem
Volksglauben die Kraft bei, Übel abwehren zu können, und so sah man
dieselbe häufig als Amulet an den Thüren der Wohnhäuser befestigt.
Der Zaubergöttin Hecate heilig, wurde dieses Knollengewächs auch gerne
auf Grabhügeln augepflanzt, und in Arcadien bewarf man in den Zeiten
des Mifswachses das Bild des Gottes Pau mit Meerzwiebeln — ein Ge-
brauch, über dessen Entstehungsursache ein gewifses Dunkel waltet.
Mit solchen Zwiebeln entsündigte Epimenides die Athener vom Frevel
der Alcmaeoniden, und der Scillus, den die Bewohner der Stadt Alesium
in Elis als ihren Lokalschutzheiligen verehrten, trug ebenso wie eine
andere eleische Stadt {l'xt?iXubi) ihren Namen von dieser Feldfrucht.
Wenn schon bei einer, man möchte sagen, so hausbackenen Pflanze
so viele Beziehungen sich nachweisen lassen, so kann man sich leicht
denken , wie sich letztere häufen , wenn es sich um den Weinstock, den
Mohn, die Lilie u. dgl. handelt. Gewifs werden sich an einzelnen
Punkten auch noch Nachträge zu dem reichen, vom Verf. zusammenge-
brachten Stoffe beibringen lassen. Bezüglich des Keuschbauraes {?iuyu^)
würde man dem schon zitierten Werke von Neumann -Partsch (,Phys.
Geogr. V. Griechenland, S. 396 ff') noch einiges weitere über die diesem
Strauche beigelegten wunderthätigen Eigenschaften entnehmen können,
wie denn überhaupt der phytologische Teil dieses schönen Werkes sich
nahe mit Murrs Untersuchungsgebiete berührt. — Wenige der nicht
ganz seltenen Druckfehler sind störend, so z. B. der auf Seite 212,
Z. 7. V. u. (Gaedechus statt Gaedechens).
Land- und Forstwirthschaft sind durch zwei Spezialschriften ver-
treten:
Land- und Forstwirtschaft. 257
33) De Columellae vita et scriptis thesim facultati litterarum Pa-
risiensi propouebat V. ßarberet. Nancy 1887. 129 S.
Diese »These« die etwa unserer deutschen Doktordissertation gleich
zu achten ist, zerfällt in fünf Kapitel, deren erstes die Biographie
Columellas behandelt. Die Quellen darüber sind gut benützt, wichtige
neue Aufschlüsse jedoch nicht gegeben. Das zweite Kapitel betrachtet den
Stil des römischen Schriftstellers und fällt damit aufserhalb des Rahmens
unserer Aufgabe, und auch das dritte hat zu der hier in frage kommen-
den naturwissenschaftlichen Seite des Ackerbaues nur eine mehr äufser-
liche Beziehung, indem nämlich Columellas Ansichten über das Land-
leben überhaupt zum Gegenstande der Besprechung gemacht werden,
wobei auf die philosophischen und religiösen Überzeugungen des klar
denkenden Mannes manche ganz interessante Streiflichter fallen. An
vierter Stelle schildert der Verf. Columellas Fachkenntnisse und an
fünfter die Fortschritte, welche der Landbau in Rom seit den ältesten
Zeiten bis zum Auftreten seines Helden gemacht hat; eine dankenswerte
geschichtliche Entwicklung, bei der insbesondere auch die Agrargesetze
und die Besiedlung der italischen Länder mit römischen Kolonisten
erörtert werden. Eine »Clausulaa ist der Abwehr der Versuche gewid-
met, Columella als durch spätere Argronomen der römischen Zeit über-
holt erscheinen zu lassen; nur in einzelnen Punkten seien Gargilius
Martialis und Palladius, stets an die Arbeiten ihres Vorgängers an-
knüpfend, über ihn hinausgegangen; im ganzen aber stehe derselbe un-
erreicht im ganzen Altertum da.
34) Die Waldwirthschaft der Römer von J. T rubrig. Wien
1888. 70 S.
Neben dem gar zu voluminösen und durch seine Stoffmasse er-
drückend wirkenden Buche von Seidensticker (vgl. unseren vorigen Be-
richt) verdient diese ungleich kürzere, aber doch alle wichtigen Punkte
berücksichtigende und von guter Quellenkenntnis getragenen Arbeit,
welche ursprünglich in der »Vierteljahrsschrift für Forstwesen« er-
schienen war, im Separatabdrucke aber manche Vermehrung erfahren
hat, alle Beachtung der Fachmänner. Nach einigen einleitenden Bemer-
kungen über die volkswirtschaftlichen Verhältnisse des alten Italien, so-
wie über die naturwissenschaftlichen Kenntnisse der Römer führt der
Verf. die Namen und Werke derjenigen antiken und modernen Schrift-
steller an, bei welchen er sich für seine Studie Rats erholt hat; die
Eutstehungszeit der »Geoponica« wird allerdings nach den Untersuchun-
gen von Gemoll (vgl. unseren vorigen Bericht) erheblich später anzu-
setzen sein, als es hier geschieht. Von dem Flächeninhalte des römi-
schen Kaiserreiches zu Augustus' Zeit nimmt der Verf. etwa den vierten
Theil (112 000 qkm) als mit Wald bedeckt an, wobei natürlich die Ver-
teilung der bestockten Flächen eine sehr ungleiche war. Waldbetrieb
Jahresbericht für Alterthumswissenschaft LXIV. Bd. (1890 III-) 17
258 Metallurgio.
im modern -forstwissenschaftlichon Sinne kannte der Römer nur in so-
weit, als es sich um »Ausschlagswald« handelte ; die Weidenkultur wurde
ganz rationell betrieben. Die Ilarzausnutzung fand, sehr zum Nachteile
der Waldungen freilich, ebenfalls im Grofsen statt. Sehr wichtig war
der Wildgartenbetrieb, den Columella sehr einläfslich schildert. Mit
der Fortpflanzung der B.äume, mit der Anlegung von Forsten durch
Saat und Pflanzung und mit der Hegung von Baumschulen wufste man
gut bescheid, allein es handelte sich da immer nur um kleine Bestände,
und an die künstliche Anlage eines Hochwaldes ist niemals gedacht
worden. Auch Waldpflege und Waldschutz^ wollten nicht viel bedeuten,
doch kannte man wenigstens die Schädlinge des Tierreiches, unter
denen die Ziegen nicht den letzten Rang einnahmen, und wandte gegen
Baumkrankheiten gewifse Schutzmittel an. Die Gewinnung des Nutz-
holzes war, wie besonders aus den Vorschriften der geoponischen Samm-
lung zu ersehen, schon in eine Art von System gebracht worden; zur
Fortbringung des geschlagenen Holzes war auf einzelnen Wasserläufen
bereits die Flöfserei eingeführt. Auch die Jagd der Römerzeit wird,
zunächst nach Nemesianus, geschildert, welcher Autor u. a. die soge-
nannte Lappenjagd, die auf der Einschüchterung der Tiere durch auf-
gehängte Tücher beruht, sehr anschaulich zu schildern versteht. Was
die Verwertung der Waldprodukte anbetrifft, so bespricht der Verf.
dessen Anwendung zum Feuermacheu, zur Fackelbereitung, zu den ver-
schiedensten technischen Zwecken (Schiffbau, Wagner- und Drechsler-
gewerbe); allgemeinen Beifall wird es finden, dafs mehrfach auch die
Preise namhaft gemacht werden, welche man für Brennholz oder für
die aus dem Holze gewisser Bäume angefertigten Gegenstände zu zahlen
hatte. Auch Rinde, ßaumbast und vor allem die Harze fanden willige
Abnehmer, das Laub hatte von vornherein seine Bestimmung als Vieh-
futter, und die Waldfrüchte nicht minder wie Fell und Fleisch der er-
legten Jagdtiere besafsen für den römischen Haushalt eine weit höhere
Bedeutung, als für einen solchen der Gegenwart. Aus dem allen geht
hervor, dafs auch der Römer aus seinem Walde etwas zu machen in
der Lage war, wenn er sich auch von der Wirksamkeit eines nach den
Anforderungen des XIX. Jahrhunderts herangebildeten Oberförsters
schwerlich eine Vorstellung hätte machen können.
Die beschreibende Naturwissenschaft soll die Mineralogie abschlie-
fsen, der wir, wie erwähnt, auch metallurgische Technik, Geognosie und
Geschichte des Bergbaues zurechnen. Von allen diesen Unterabteilungen
ist jede mindestens durch eine Nummer vertreten.
35) Les Premiers ages du metal dans le Sud-Est de l'Espagne par
Henri et Louis Siret. Brüssel 1888. 110 S.
Der Forschungen der Gebrüder Siret am Rio Tinto und in einigen
anderen Landschaften Spaniens gedenkt bereits der oben besprochene
Metallurgie. 259
Vortrag Virchöws mit Anerkennung. Das Territorium, welches die meiste
Ausbeute ergab , streckt sich am Ufer des Mittelmeeres Y5 km weit
zwischen Carthagena und Almeria hin, und auf demselben sind den Aus-
grabungen zufolge drei Zivilisationen einander in oifenbar langen Zeit-
räumen gefolgt. Dem neolithischen Zeitalter gehören von den aufge-
deckten Wohnsitzen 15, dem Übergangszeitalter 7, der eigentlichen Me-
tallperiode endlich gehört die Mehrzahl derselben an. Während in dem er-
sten Zeiträume die schon übrigens ziemlich entwickelte Technik ausschliefs-
lich an das ziemlich spröde Material des Feuersteines sich halten mufste,
weist die zweite Periode Bronzekostbarkeiten auf, die ersichtlich von
Händlern eingefülirt waren, aber daneben tritt doch schon auch eine
einheimische Gewerbethätigkeit auf, indem man die Werkzeuge und
Waffen, die man bisher nur aus Flint gefertigt hatte, in Kupfer nach-
zubilden bestrebt war. Die Geräte der Metallzeit, von denen uns zahl-
reiche Proben im Bilde vorgeführt werden, ähneln vielfach denen, die
in Hissarlik, in Mycene, auf der Insel Rhodos, im südlichen Ungarn
aufgefunden worden sind. Das Kupfer wird übrigens viel häufiger an-
getroffen, als die Bronze. Die ethnographischen Schlüsse, welche in der
Abhandlung aus den Überresten verschwundener Menschengeschlechter
gezogen werden, zeichnen sich durch Vorsicht und Kritik aus und ver-
dienen deshalb von der vorgeschichtlichen Forschung wohl beachtet zu
werden, stehen jedoch zu den Zwecken dieses Berichtes nicht in näherer
Beziehung.
36) Sur le nom de bronce chez les alchiraistes grecs par Ber-
thelot. (Revue archeologique, 2. Serie, 12. Band).
Die Worte ^aXxug und aes sind nichts weniger als eindeutig,
fassen vielmehr alle möglichen reinen Metalle und Legierungen zusam-
men. Was das Wort laiton anlangt, so teilt Berthelot die Meinung von
Ducange, dafs dasselbe von electrum herrühre, einer Mischung von Gold
und Silber, welche bei den Ägyptern asem hiefs. Die Bezeichnungen
bronzium und bronzinum begegnen dem Forscher nicht früher, als in
einer lateinischen Chronik des beginnenden XV. Jahrhunderts. Ob das
englische brass dieselbe Etymologie hat, ist nicht aufgeklärt. Der Auf-
satz giebt dann einen Überberblick über die etymologischen Hypothesen,
die sich ausnahmslos als ungenügend erweisen, und stellt weiterhin eine
neue Vermutung auf,! die nämlich, dafs entweder an ßpvxrj oder an die
Stadt Brundusium (Brindisi) zu denken sei. Für beide Möglichkeiten
spricht der Umstand, dafs in einem Fragmente des XI. Jahrhunderts,
das aus einem byzantinischen alchymistischen Handbuche des VIII.
oder IX. Jahrhunderts stammt, für eine Metallegierung der Name ßpov-
rijacov gebraucht wird; der geographischen Konjektur im besonderen
stehen zur Seite zwei Plinianische Stellen, in welchen Brundusium als
17*
260 Bergbau.
Fabrikationsort der besten Zinnspicgel erwäbnt wird. Bronze wäre dem-
genijifs eine Verstümmlung von Aes Brundisinum.
37) Sur quehjues metaux et minöraux provenant de l'antique Clial-
dee par Bcrthclot. Rev. arch. (2. Serie, O.Band).
Im Louvro befinden sich vier ld(>ine Gedächtnistäfelclicn aus dem
Sargon-Pallasto, die aus Zinn und Kupfer zusammengesetzt sind. Die
Proportion, in welcher beide Metalle in die Legierung eingegangen sind,
würde derjenigen der Goldbronze entsprechen, allein dies ist äufserlich
nicht mehr zu erkennen, weil der Oxydationsprozefs die Farbe zu sehr
beeinträchtigt hat. Ein fünftes Täfelchen dagegen besteht aus reinem,
krystallisiertem Magnesiumkarbonat, also aus einem sehr seltenen Me-
talle, auf welches aller Wahrscheinlich die früher irrig auf Zinn bezo-
gene Metallbezeichnung a-bar hindeutet. Ein Vasenfragment endlich,
das gleichfalls in den Ruinen jenes Ballastes ausgegraben wurde, bestand
aus fast ganz reinem metallischem Antimon. Die Ansicht, dafs das An-
timon erst im XV. Jahrhundert bekannt geworden sei, mufs hiernach auf-
gegeben werden; das Altertum war bereits im Besitze dieses Metalles,
auf welches der Verf. nunmehr auch eine Angabe bei Dioscorides be-
ziehen zu können glaubt.
38) Der Bergbau der Etrusker, dargestellt nach Erfahrungen, direk-
ten geschichtlichen Nachrichten und mittelalterlichen Folgerungen von
Th. Haupt (Berg- und hüttenmännische Zeitung, 47. Jahrgang. 41 ff.
5lff. 6ltf. 95ff. 107ff. 123ff. 14lff. 161ff. I79ff. I89ff. 199ff).
Der Verf. dieser geologisch archäologischen Studie ist seit langen
Jahren Direktor des toscanischen Bergwesens und war in dieser Stellung
mehr denn andere befähigt, die Spuren uralter bergmännischer Arbeit
in den früher von den Etruskern bewohnten Gebirgsländern zu erfor-
schen. In der tuskischen Metalltechnik, so führt er aus, spielten sicher-
lich Silber, Gold, Blei, Galmei und Zinnstein — nicht eigentliches Zinn
— die Hauptrolle; manches spricht dafür, dafs man auch mit dem
Quecksilber und dessen Beziehungen zum Zinnober vertraut war. Kupfer-
erz , wie es zur Bronzebereitung dient, wurde in solcher Menge verar-
beitet, dafs man gar nicht daran denken kann, es seien diese Vorräte
einzig und allein aus dem Auslande bezogen worden. Deshalb glaubte
vor hundert Jahren schon Targioui Tozzetti, dafs die Etrusker selbst
Bergbau betrieben haben müfsten. Über die Zeit, da dies geschah, ist
freilich nichts zu ermitteln, denn es giebt auf diesem Gebiete auch keine
zeitliche Schranke zwischen Bronze- und Eisenzeit, und es kommen beide
Metalle untermengt unter den aufgefundenen Gebrauchsartikeln vor. Die
wichtigste Bezugsquelle der alten Toscaner für Eisenerze war zwei-
fellos die Insel Elba, deren in diesem Sinne in dem Buche »De mira-
bilibus auscultationibus« Erwähnung geschieht, und von der Rutilius singt:
Geologie. 261
»Occurrit Chalybuiii nieiiiorabilis Ilva metallis, qua uiliil ubcrius Norica
gleba tulit.« Der Verf. bat die Erzlager fachnicänuiscb geprüft und gefun-
den, dafs sie allerdings nicht annähernd so mächtig und reichhaltig sind,
wie das Altertum glaubte, dafs aber die Qualität wirklich eine treffliche
ist. Nahe der Überfahrtsstelle, fand in Poi)ulonia die Ausschmelzung
der Erze statt, welche von hier aus in gestalt grofser Klumpen, Bade-
schwämmen nicht unähnlich, in den Verkehr gelangten. Auch in den
Maremmen sollten nach Strabos Aussage Eiseugruben gewesen sein, doch
läfst sich eine Erinnerung an solche in den allerdings sehr guten Braun-
eisensteinlagern des apenninischen Jurakalkes nicht mehr nachweisen.
Sollte nicht Strabo vielleicht Raseneisenstein (Bohnerz) gemeint haben,
von dem in den Küstensümpfen sich wohl ziemlich viel vorfinden mochte?
Unzweideutige Spuren uralter Schürfungsarbeit finden sich in den
Kupfergruben von Campiglia, sowie im massetanischen Erzreviere und
bei Batignano; auch Reyer hält den Betrieb der Grube Monte Catini
für sehr alt. Kupfer kam auch aus Elba, vielleicht auch, wenn Otfried
Müller im Rechte ist, aus Umbrien und aus der Umgegend von Volterra.
Auch etwas Silber und Blei konnte das Inland hergeben, melir freilich
die Insel Sardinien, aber den nicht unbeträchtlichen Mehrbedarf mufste
doch der orientalische Tauschhandel decken. Ganz sicher erkannte. der
Verf. auch die Kennzeichen tuskischer Erzförderung in den Kupferminen
von Rocca Tederighi, in denen sogar das hydrostatische Waschverfahren
zur Anwendung gekommen sein mufs; ebenso ist tuskischer Bergbau
sichergestellt bei Gerfalco, wo die Schlackenhaldeu den Beweis dafür
liefern, dafs gleich an Ort und Stelle die Verhüttung der Erze stattge-
funden hat. Die ausgedehnten Schlufsbetrachtungen des Verf. stützen
sich nur auf geschichtliche Kombination, nicht auf die jedenfalls ungleich
wertvolleren eigenen Wahrnehmungen und können infolge dessen auch
nur bedingten Wert beanspruchen.
39) Le Musee de l'Empereur Auguste par Salomon Rein ach
(Rev. arch., 3. Serie, 4. Band).
Die Nachricht von dem paläontologischen Museum des Kaisers Au-
gustus, die aus Sueton stammt, zieht sich durch die Geschichtswerke als
eine Art von Seeschlange hindurch, und es ist deshalb recht gut, dafs
ihr einmal ernstlich näher getreten wird. Der Kaiser sollte aus den
Höhlen der Insel Capri die Überi-este riesiger Tiere und die Steinwaffen
einer ebenfalls riesigen Menschengeneration (Heroen) haben sammeln und
in seinem Palaste zur Schau stellen lafsen. Zunächst sagt Sueton, wie
Reinach richtig bemerkt, nicht, dafs jene Insel das Material zu der
Sammlung geliefert habe, er sagt vielmehr blos, dafs das unterirdische
Capri ähnliche Dinge berge, wie man sie in jeuer Sammlung] sehen
könne. Auch war der Ort, dessen Sueton gedenkt, keineswegs der Kai-
serpallast, sondern ein praetorium, ein Landhaus. Der Auslegung Rei-
262 Geologie.
iiaclis zufolge beziehen sich die Worte (Teubnersche Ausgabe des Histo.
rikors von liotli , 188G. S. 71) »gigaiituni ossa et arma heroum« nicht
auf zwei verschiedene Bestandteile des Kabinettes , sondern mit beiden
Bezeichnungen sollen die nämlichen Sachen getroffen werden, Sachen,
von deren Art und Herkunft man gar nichts wufste, und die man des-
halb mit Giganten und Heroen ganz passend in Verbindung brachte.
Die Thatsache bleibt also bestehen, daPs Augustus, wahrscheinlich in
seiner auf Capri belegenen Villa, einige Raritäten hatte aufstellen lassen,
und dafs dabei Knochen sich befanden, welche der landläufige Volks-
glaube für menschliche, resp. von Halbgöttern abstammende ansah, die
aber kundigere Beurteiler, darunter Sueton selbst, als Tierknochen er-
kannten. Soviel scheint also zugegeben werden zu müssen, dafs in dem
fraglichen Museum Überreste tertiärer und diluvialer Tiere vorhanden
waren, aber sonst ist weder an Versteinerungen im gewöhnlichen Sinne
noch auch — mit De Rossi, Nadaillac u. a. — au Waffen und Geräte
der Steinzeit zu denken.
40) Das Problem des Serapeums von Pozzuoli von D. Brauns
(Leopoldina, amtliches Organ der kaiserl. leopold.-karolin. deutschen
Akademie der Naturforscher, 24. Heft).
Seitdem im Jahre 1580 ein Neapolitaner Loffredo zuerst auf die
merkwürdigen Säulen des angeblichen Serapistempels im alten Puteoli
aufmerksam gemacht hat, wurden dieselben von den Geologen nicht mehr
aus dem Auge verloren. Das merkwürdige an den Säulen ist, kurz ge-
sagt, dieses: Sie stehen mit ihrem Fufse im Meere, ragen aber mit
ihren weitaus gröfseren Teile in die freie Luft, und trotzdem sind sie
bis zu ziemlicher Höhe über und über bedeckt mit Löchern, welche eine
Bohrmuschel (Lithodanus Lithophagus L) ausgehöhlt hat. Dafs keine
andere Ursache dies bewirkt hat, ergiebt sich aus dem Umstände, dafs
in einzelnen Bohrlöchern das Tier stecken geblieben ist und noch heute
steckt. Wenn man nun überlegt, dafs die fragliche Muschel nur im
Meerwasser leben kann, dafs aber andererseits ein Tempel doch gewifs
nicht in das Wasser hineingebaut w^orden ist, so bleibt unter der Vor-
aussetzung, man habe es wirklich mit einem Tempel zu thun, kaum ein
anderer Schlufs möglich, als der folgende: Nach Erbauung des Gebäu-
des trat eine beträchtliche Ufersenkung ein, kraft deren der untere Teil
jener Säulen unter das Meeresniveau hinabtauchte, und in späterer Zeit
hob sich das Ufer wieder, so dafs die Zerstörungsarbeit der Bohrmu-
scheln nunmehr aufserhalb des Wassers sichtbar wurde. Mit der älte-
ren Kataklysmentheorie L. v. Buchs vertrug sich diese Erklärung umso
besser, als ja das ganze Hinterland von Pozzuoli durch und durch vulka-
nisch und häufig von Erderschütterungen heimgesucht ist, allein die später
herrschend gewordene geologische Schule Lyells wurde durch die er-
wähnte Thatsache in Verlegenheit gesetzt, denn sie erkennt im allge-
Nautik. 263
meinen nur langsame, allmählig sich vollziehende Verlegungen der Grenz-
linie zwischen dem festen und flüssigen Elemente an, und solche ver-
mögen in der relativ so kurzen Zeit, um welche es sich im vorliegenden
Falle handelt, keine so bedeutenden Verschiebungen des Niveaus zu
bewirken.
Der Verf. bespricht, worauf wir hier nicht eingehen können, die
geologischen Argumente, welche für eine wechselnde positive und nega-
tive Küstenschwankuug angeführt werden können, und zeigt, dafs die-
selben mit schlimmen inneren Widersprüchen behaftet sind. Er selbst
unternimmt es demzufolge, diesen gordischen Knoten nicht etwa zu losem
sondern zu durchhauen. Das sogenannte Serapeum ist nämlich seiner
am Orte selbst verifizierten Überzeugung zufolge gar kein Tempel, son-
dern von Anfang an ein Profangebäude gewesen, und zwar eine Piszine,
»ein Bassin für vorrätig gehaltene Seetiere«. Das System der Umfassungs-
mauern, die Öffnungen für ehemals eingelegte Röhren, die Anordnung
der beiden Böden scheinen dem Verf. für seine Auffassung zu sprechen.
Möglich, das man die Lithodanen, welche sich an den Steinsäulen ver-
sündigten , absichtlich kultiviert hat, denn sie gleichen im Geschmacke
ganz den Miesmuscheln und werden heute noch auf der Insel Menorca
künstlich gezogen. Wir müssen den Kennern der römischen Privatalter-
tümer das endgiltige Urteil darüber überlassen, ob die Braunssche Hypo-
these sich in jeder Hinsicht mit den Thatsachen verträgt, leugnen aber
nicht, dafs es erwünscht wäre, das seit vielen Jahren umstrittene gedy-
namische Paradoxon so einfach aus der Welt geschafft zu sehen.
Der Naturgeschichte haben wir oben das Seewesen des Altertums
zunächst auszugliedern beschlofsen und wenden uns jetzt also diesem zu.
41) Ovidius Nauticus. Amples citations avec explications sommai-
res des passages de tous les poemes d'Ovide qui ont rapport ä la
marine par A. Guichon de Grandpont. Brest 1887. 54 S.
Eine sehr fleifsige Zusammenstellung, anscheinend lückenlos und
für denjenigen wertvoll, welcher sich mit dem Dichter irgenwie eingehen-
der zu beschäftigen beabsichtigt. Für unsere Kenntnis der antiken Schiff-
fahrt und Navigationskunde ist jedoch wenig dieser Sammlung dichte-
rischer Ergüsse zu entnehmen. Ovid hat, wie der Verf. in seinem Schlufs-
worte bemerkt, lange Zeit an den Ufern verschiedener Meere gelebt, und
aus seinen Gedichten spricht vieffach das lebhafte Interesse, welches er
für Wind und Wellenschlag, sowie für das Treiben der Schiffleute ge-
wonnen hatte. Sachliche Aufschlüsse will er weder direkt bieten, noch
sind sie indirekt, wie bei manchem anderen Schriftsteller, durch Inter-
pretation seiner Worte zu erhalten.
42) Zur Nautik des Altertums, contra Breusing, von E. Assmann
(Berl. Philologische Wochenschr., 8. Jahrgang. Sp. 26—28, Sp. 58—68).
Gegen die von uns im früheren Berichte anerkennend besprochene
264 Nautik.
Breusiiigschc Darstellung des Schiffes der Griechen wird von Assmann
ein lieftiger Angriff gcriclitct, ein Angriff, dessen Ileftiglccit wir selbst
dann nicht billigen würden, wenn die Darlegungen des Verf. uns von
der Unrichtigkeit unser damals ausgesprochenen Ansicht überzeugt hätten.
Allein dies ist nicht der Fall, vielmehr hält der Berichterstatter für sei-
nen Teil nach wie vor daran fest, dafs Breusing durch seine Publikation
der "Wissenschaft einen grofseu Dienst geleistet hat. Die Beanstandung
richtet sich zunächst dagegen, dafs an gedachtem Orte die Bewegung
eines Ruders mit derjenigen eines Pendels verglichen ward ; der Kriti-
ker meint, da das einemal die Schwere, das anderemal menschliche Mus-
kelanstrengung die bewegende Kraft darstelle, so sei ein solcher Ver-
gleich unzulässig. So ganz doch nicht, die Beziehungen zwischen Pen-
delläuge und Schwingungsdauer werden durch die erwähnte Verschie-
denheit durchaus nicht in dem Mafse beeinflufst, dafs daraus die Feh-
lerhaftigkeit der Breusingschen Behauptung, eine obere Ruderbank ver-
möge niemals mit einer unteren Takt zu halten, entflöfse. Wer einem
Breusing, diesem verdienstvollen Mathematiker und Historiker, nachsagt,
er habe »Elementarschnitzer« gegen Physik und Marinegeschichte be-
gangen, darf sich wohl nicht wundern, wenn die von dem Angegriffenen
ausgehende Antikritik so ausfällt, wie sie (s. u.) ausgefallen ist. Die
Thatsache, dafs die verschiedenen Ruderreihen, aufser vielleicht bei
Parade-Schaustellungen, niemals oder ganz gewifs nicht dann gleichzeitig
in Verwendung kommen, wenn das Fahrzeug eine namhafte Geschwin-
digkeit erhalten sollte, scheint dem Referenten sicher gestellt. Weiter
wird Breusing zum Vorwürfe gemacht, dafs er die Bildwerke viel zu
wenig berücksichtigt, dafür aber zu viel Zeit auf unwichtige Fragen ver-
wendet habe. Letzteres zu entscheiden ist schwer, denn das subjektive
Empfinden mischt sich da viel zu leicht ein; bezüglich der Kunstdenk-
mäler aber verdient die Ansicht volle Würdigung, dafs solche nicht sel-
ten von wenig sachkundigen Leuten ausgeführt worden seien, die auf
ihnen angegebenen Einzelheiten sonach nicht immer Vertrauen verdienen.
Kurz, auch wenn man, worüber wir uns selbst kein endgiltiges Urteil
zutrauen, Assmanns Erklärung der einen Schiff'szweikampf schildernden
Stelle bei Polyaen für zutreffender hält, als die von Breusing gegebene,
so wird man doch nicht geneigt sein, das Kind mit dem Bade auszu-
schütten und einen Schriftsteller für einen Stümper zu erklären, der in
einem langen Leben der Wissenschaft so viele Dienste geleistet hat.
Materiell hat uns der Assmannsche Artikel nur darüber noch mehr
vergewissert, dafs unser Wissen von Beschaffenheit und Führung des
alten Schiffes noch gar manchen zweifelhaften Punkt aufweist ; die Form
dieses Artikels aber bedauern wir. Lassen wir den, dem jener Vorstofs
galt, nunmehr selber zum Worte kommen.
Nautik. 265
43) Die Lösung des Trierenrätsels, die Irrfahrten dos Odysseiis,
nebst Ergänzungen und Berichtigungen zur Nautik der Alten von A.
Breusing. Bremen 18ö9. YII. 124 S,
Der erste der drei Abschnitte dieser Schrift enthält wesentlich eine
Abrechnung des Verf. mit seinen Kritikern Herbst und Afsmann*). Wir
können, da es sich hier noch nicht um die Hauptfrage handelt, den Er-
örterungen, die sich vielfach um richtige Worterklärungen drehen, nicht
im einzelnen folgen, glauben aber im Zweifelsfalle, dafs Breusings These,
wer nautische Terminologie verstehen will, mufs mit den Manövern des
Schiffes praktisch vertraut sein, nicht angefochten werden kann. Die
scharfsinnigste Hypothese fällt unseres Erachtens, wenn der erfahrene
Seemann einwendet, dafs sie mit den unabänderlichen Regeln der Schiff-
fahrtskunst, die zur Griechenzeit keine anderen als später gewesen sein
können, sich nicht vereinbaren lasse.
Im zweiten Abschnitt erhalten wir Betrachtungen »zur nautischen
Geographie Homers«. Der Verf. erinnert daran, dafs alle Versuche, aus
den Angaben über die Windrichtung den Schiffskurs rekonstruieren zu
wollen, vergeblich sind, weil ja doch das Schiff nur ausnahmlos direkt
vor dem Winde hergelaufen sein, für gewöhnlich aber die Windrichtung mit
der Fahrtrichtung einen gewissen Winkel gebildet haben wird. Besser
würden die gesegelten Distanzen zu verwenden sein , wenn sie in ver-
läfsiger Weise angegeben wären. Die Länder der Cyklopen, der Lästry-
gonen u. s. w. wirklich nachzuweisen, hält der Verf. für unmöglich, erst
die Insel der Circo scheint ein wirklich geographisches Objekt zu sein,
das in den äufsersten Westen des damals bekaunten Erdkreises zu ver-
legen ist. Und dieser Westen wäre nach Breusing, der sich überzeugt
hält, dafs die Komponisten der homerischen Gesänge von den Entdeckungs-
reisen der Phöniker Kenntnis gehabt haben müfsten, mit einer der In-
selgruppen jenseits der Säulen des Hercules zu indentifizieren. Dann
würde auch der Sitz der Scylla und der Charybdes aus der Meerenge
von Messina heraus und in diejenige von Gibraltar hinein zu verlegen
sein. Hier folgen wir dem Verf. nicht mit jener Zuversicht, welche uns
seinen technisch-nautischen Aufklärungen gegenüber beseelt, denn im all-
gemeinen zwar haben auch in diesem Falle seine Hypothesen Hand und
Fufs, allein es sind eben doch nur Hypothesen, und dafs z. B. die Scylla
ein Riesenpolyp gewesen sei, wird nicht Jedermann so sicher einleuchten,
wie dem Verf. (S 67). Die geographischen Konstructionen v. Bars, der
fast die ganze Odyssee im Schwarzen Meere sich abspielen lassen wollte,
*) Die Besprechung des älteren Breusiugscben Buches durch Herbst ist
uns nicht bekannt geworden, und so konnten wir auf sie auch nicht bezug
nehmen. Auch der Assmanusche Artikel »Seewesen« in Baumeisters »Denk-
mälern« ist, weil letzteres Werk sicherlich von dem Berichterstatter für Ar-
chäologie als eine Einheit betrachtet wird, von uns nicht berücksichtigt werden.
266 Nautik.
liat Brcusing siegreich zurückgewiesen, ob aber auch die seinigen als sicher
genug fundiert sicli erweisen werden, mag in Zweifel gezogen werden.
Die »Lösung des Trierenrätsels« wird uns endlich im dritten Ab-
schnitte dargeboten. Breusing weist nach, dafs einer der allerkompetente-
sten Seeleute, Barras de la Penne, der unter Ludwig XIV. dessen Galeeren-
flotte befehltigte*), schon mit aller Bestimmtheit sich dahin aussprach,
die Thraniten, Zygiten und Thalamiten hätten niemals in verschiedenen
Horizonten, sondern stets nur in demselben Horizonte ihren Sitz gehabt.
Und wenn ein Seemann sich auf Rudertechnik verstand, so war es ge-
wifs dieser Oberherr von lausenden von Galeerensklaven. Das Hauptar-
gument Breusings ist natürlich wieder das schon oben zitierte, dafs näm-
lich ein Gleichschlag bei vertikal verteilten Ruderreihen sich unmöglich
erzielen lasse, und aus gleichem Grunde wird auch die Hypothese der
»Breitpolyeren« abgelelint, welcher zufolge die Ruderknechte auf einer
zur Achsenrichtung des Schiffes schief verlaufenden Bank Platz genom-
men gehabt hätten. Allerdings besafs jedes Schiff eine Anzahl von pa-
rallel zur Wasserfläche angeordneten Öffnungen für die Ruder, aber im
Einzelfalle wurde stets nur eine bestimmte dieser Reihen wirklich be-
nützt, und zwar möchte sich die Auswahl nach dem herrschenden See-
gange gerichtet haben. Neu und einleuchtend ist die Konjektur (S. 90),
dafs die Thraniten die befahrendsten und kundigsten Matrosen waren,
die eigentlichen Steurer, denen der die Aufsicht führende Steuermann
seine Befehle zu erteilen hatte, während die Thalamiten aus Rekruten
bestanden. Die Ruderer der mittleren Reihen waren die Zygiten; ihre
Sitze waren nach Breusing nicht fest, sondern beweglich; diese bmpijata
konnten nach Bedarf höher oder niedriger gehängt werden.
Im ganzen können wir nur wiederholen, dafs die Art und Weise,
wie hier die Aufgaben einer jeden Abteilung der Schift'sraannschaft auf-
gefafst und bis ins einzelne gekennzeichnet werden, uns einen guten und
vertrauenswürdigen Eindruck macht. Ein erfahrener Seemann führt uns
ins Detail des Schiffbaus und Schiffdienstes ein, indem er uns weder
physikalische Unmöglichkeiten zumutet, noch auch den Berichten der
alten Autoren Zwang anthut. Und darum begrüfsen wir die Breusingsche
Schrift als eine inhaltlich erfreuliche Leistung. Die Art der Polemik
freilich macht uns auch bei ihr keine Freude, allein es gilt da eben das
alte Sprichwort: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.
*) Genauere Nachforschungen über diese französische Galeeren würden
gewifs auf manchen hinsichtlich des alten Seewesens noch dunklen Punkt eini-
ges Licht werfen können Macaulay, dessen kulturgeschichthche Nachrichten
womöglich ein noch höheres Vertrauen verdienen, als die auf politische Ge-
schichte bezüglichen, sagt hierüber (Geschichte von England, deutsch von Be-
seler, 7. Band. S. 173): »Jede Galeere ward durch fünfzig bis sechzig grofse
Ruder in Bewegung gesetzt, und jedes Ruder ward von fünf bis sechs Skla-
ven gebandhabt«.
Nautik. 267
44) Die Kriegsschiffe der Alten von A. Bauer (Beilage zur Allge-
meinen Zeitung, 1890. No. 110 und 111).
Dafs Bauer der soeben dargelegten Theorie Breusings im Haupt-
punkte beipflichtet, ist um so bemerkenswerter, da er sich kurz zuvor
in seiner Bearbeitung der Kriegsaltertümer für J. v. Müllers »Hand-
buch« *) wesentlich auf den althergebrachten, neuerdings besonders durch
Graser vertretenen Standtpunkt gestellt hatte. Den Beweis, dafs die
Vertikalanordnung der Ruderbänke unmögliches von den Kräften der
Arbeiter verlangte, und zwar in dem Mafse mehr, je weiter sie vom
Wasserspiegel entfernt gewesen wären — diesen Beweis erachtet Bauer,
ebenso wie der Bericbterstatter, für erbracht. Aber mit dem Gedanken,
dafs die drei Abtlieilungen nicht gemeinsam, sondern jeweils nur die
eine und die andere, zur Arbeit herangezogen worden seien, kann sich
der Verf. nicht befreunden, und er ergreift deshalb ein Auskunftsmittel,
auf welches ihn allerdings die Betrachtung antiker Bildwerke geführt
hat. Er nimmt nämlich an, dafs die Ruderpforten schräg angebracht
waren; die Zygiten safsen nach dieser Ansicht allerdings etwas höher
und zugleich weiter zurück, als die Thalamiten, und die Thraniten wie-
derum safsen rückwärts von den Zygiten, und ihre Plätze waren gegen-
über denen der letzteren etwas erhöht. Die erwähnten beiden Vertikal-
unterschiede aber denkt er sich so gering, dafs die gröfsere Übung und
Muskelkraft, welche die Vollmatrosen (Thraniten) vor den Zygiten und
diese wieder vor den Anfängern voraus hatten, die Schwierigkeiten aus-
glich, welche aus der etwas — aber nicht sehr viel — gröfsereu Länge
der Ruderstangen entspringen mufsten. Dafs innerhalb gewisser enger
Grenzen ein solcher Ausgleich stattfinden könne, habe ja auch Breusing
selbst zugegeben. Dies ist wahr, und überhaupt widerstreitet die Auf-
fassung Bauers nicht denjenigen Nonnen, welche von Breusing aufge-
stellt sind und ohne Verstofs gegen physikaUsche Wahrheiten nicht aufser
acht gelassen werden dürfen. Aber plausibler erscheint uns doch Breu-
sings eigene Interpretation der den drei Matrosenklassen zugewiesenen
Geschäfte: bei schönem Wetter reichte Kraft und Kunst der Thalamiten
aus, bei rauher See trat die Ablösung durch die Zygiten ein, und der
Sturm rief die Triarier des Seewesens, die Thraniten, ans Ruder. Res
ad thranitas devenit.
Der Nautik schliefst sich Handel und Verkehr aufs ungezwungenste
an. Namentlich, soweit letzterer in frage kommt, hat der dreijährige
Zeitraum, welcher zwischen diesem und dem vorhergehenden Zeitraum
sich hinzieht, viel gutes erstehen lassen.
*) Zur Müllerschen Enzylilopädie glauben wir mit diesem unserem Be-
richte dieselbe Stellung einnehmen zu sollen, wie zu derjenigen von Bau-
meister (s. 0.).
268 Handel und Verkehr.
45) Römische Si)iclinaikon mit Darstellung des Fingerreehens von
Fröhner. München 1888 (Separat aus der Zeitsclnift des Münche-
ncr Altertumsvereines),
Einen Essay über antike Si)ielniarken glauben wir am besten unter
die Rubrik des Handels mit einbeziehen zu können. Man kennt der-
gleichen dem Verf. zufolge aus allen möglichen Stoffen, aus Elfenbein,
Glas, Bronze, Marmor, Kieselstein und Terrakotta, und auch die For-
men, bezüglich deren heutzutage die gröfste Einförmigkeit obwaltet, sind
so mannigfaltig gewesen, wie nur möglich. Da sie meist zweisprachige
Legenden aufweisen (lateinisch und griechisch), so war der Fabrikations-
ort gewifs eine Stadt von mehr internationalem Charakter, und in der
That weisen auch manche Anzeichen auf Alexandria hin. Besonders
merkwürdig sind nun die vom Verf. abgebildeten Jetons, welche auf der
Vorderseite eine römische Ziffer und auf der Rückseite jene Stellung der
Finger dargestellt aufweisen, welche in dem für das Altertum gleichmäfsig
wie für das Mittelalter charakteristischen Digitalkalkul der fraglichen
Zahl entsprechen. Der Verf. hat die Bilder auf den Rechenpfennigen
mit jener eingehenden Schilderung des Fingerrechens verglichen, welche
in dem Lehrbuche dieser Kunst von Nicolaus Rhabdas enthalten ist, und
da hat sich eine vollständige Übereinstimmung herausgestellt. Beiläufig
sei bemerkt, dafs mit den Fingern nicht im eigentlichen Sinne gerechnet
wurde, vielmehr diente die erwähnte oft recht sonderbare Handstellung
— zumal VH erfordert ein gewisses gymnastisches Geschick — nur als
mnemotechnisches Hilfsmittel zur leichteren Festhaltung einer bestimm-
ten Zahl. Der Verf. erwähnt noch, dafs der Sinn eines bisher für un-
lösbar gehaltenen Rätsels des Symfosius deutlich wird, sobald man an-
nimmt, dafs der Autor auf die Bewegungen der Hand beim Fingerrech-
nen anspielen wollte.
46) Kultureinflüsse und Handel in ältester Zeit von v. Schweiger-
Lerchenfeld (Österreich. Monatsschrift f. d. Orient, 13. Jahrgang.
24 ff. 44 ff. 57 ff'.)
Der Aufsatz bewegt sich wesentlich in prähistorischer Spekulation
und kommt zu Resultaten, welche die Wissenschaft nicht eben berei-
chern. Die Gründungszeit der grofseu phönikischen Handelsstätte ver-
legt der Verf. in das XV. Jahrhundert v. Chr. Santorin, Thasos, Seri-
phos waren die Inseln, welche durch ihren Reichtum an Kupfererzen
die Phöniker zuerst nach dem Westen lockten. Dafs jenes Tarschisch,
welches die semitischen Handelsflotten aufsuchten, in Spanien zu suchen
sei, wird jetzt wohl allgemein angenommen; die Gründung von Gadira
oder Gades soll ins XH. vorchristliche Jahrhundert fallen. Die Tyrrhe-
ner erklärt der Verf. für Peloponnesier.
Handel und Verkehr. 269
47) Über "Welthandelsstrafsen in der Geschichte des Abendlandes
von Jastrovv, Berlin 1887 (Aus der durch die volkswirtschaftliche
Gesellschaft in Berlin herausgegebenen Sammlung von Abhandlungen).
Auch diese Studie bewegt sich, ähnlich wie diejenige v. Schweiger-
Lerchenfelds , auf dem wenig erhellten Gebiete der Urgeschichte, allein
unter der Hand des gewiegten Historikers gewinnen die Dinge, wie von
selbst, eine festere Gestaltung. Bei den Phönikern, so beginnt der Verf.,
tritt uns der Begriff der Welthandelsstrafse in seiner ganzen ursprüng-
lichen Einfachheit entgegen; die Inseln des Archipelagus wirken (s. o.)
eine nach der anderen anziehend auf jenes Handelsvolk, bis sich das-
selbe endlich der Purpurschuecke halber bis an das griechische Fest-
land selbst heranwagt. So entstand allmählig im weiteren Drängen nach
Westen die Pflanzstadt Karthago, man durchfuhr die Säulen des Her-
cules und errichtete Faktoreien in Tartessus (Tarschisch). Die Haupt-
richtung der Welthandelsstrafse, samt ihren seitlichen Abzweigungen, liegt
damit klar bezeichnet vor. Zuerst waren die Phöniker jedenfalls See-
räuber, bis allmählig aus dem einfachen Wegnehmen heraus sich der in
letzter Instanz leichtere und lukrativere Tauschhandel entwickelte; den
Zweck, sich einen monopolisierten Handelsweg zu sichern, erreichte der
Händler weit eher als durch Gewalt durch die Ausstreuung geographi-
scher Gerüchte von der Unzugänglichkeit und Gefährlichkeit der Wasser-
wege. Strafsenmonopol und staatliche Geschlossenheit der Verkehrswege
sind die Signatur des phönikischen Handels, der ganz allein imstande ist,
anderen Völkern das zu liefern, was für das Leben notwendig und ange-
nehm ersclieint. Die Stadt, in der die Kaufherren enge an einander woh-
nen, erscheint als die alles beherrschende dem übrigen Lande gegenüber,
ein Verhältnis, welches den Propheten Hesekiel den bekannten agrari-
schen Klageruf ausprefst. Und als die babylonischen, indischen, per-
sischen Despoten die Küstenstädte nominell ihrer Botmäfsigkeit unter-
than machen, ändert sich dieses Verhältnis darum doch nicht, denn kom-
merziell und als die einzigen seefahrtskundigen Unterthanen können sie
den Grofskönigen ihre Macht so deutlich fühlen lassen, dafs diese sich
mit einem Scheine von Oberherrlichkeit begnügen müssen. Erst ein wirk-
liches Kulturvolk vermochte das phönikische Weltmonopol zu brechen,
und das war das hellenische. Auch die Griechen suchten nach einer
Welthandelsstrafse aus dem Westen nach dem Osten, und griechische
Kolonien schoben sich immer weiter in dieser Richtung vor, um den
innerasiatischen Karawanen bequemer die Hand reichen zu können. In
Sogdiana und Bactra, auf der noch jetzt handelspolitisch so wichtigen
Oase Merw, berührten sich griechische und mongolische Handelsinteressen,
und nun konnten die Gaben des Orients ohne punische Vermittlung in
den Besitz des Abendlandes gelangen. Diese neue Verkehrsstrafse brach
die Machtstellung der Phöniker, ebenso wie später die Auffindung des
Seeweges nach Indien Venedigs Niedergang zur Folge hatte. Das Römer-
270 Handel und Verkehr.
tum setzte, freilich zunächst durch ganz andere Beweggründe geleitet,
an die Stelle der einzelnen Ilandelswege das Strafsennetz; im frühesten
Mittelalter wurde dann Byzanz das Emporium des Weltverkehrs und
damit auch der Mittelpunkt eines von vier Welthandelsstrafsen gebilde-
ten Viereckes.
48) Zur Geschichte des antiken Orienthandels. Vortrag, gehalten
in der Berliner Gesellschaft für p]rdkunde am 8. Dezember 1888 von
Friedrich Hirt h (Verhandl. d. Ges. f. Erdkunde zu Berlin, 1889. No. 1).
Der Verf., einer der wenigen ausgezeichneten Sinologen, deren sich
Deutschland rühmen kann, macht in diesem Vortrage den sehr gelunge-
nen Versuch, über die Beziehungen, welche China in den ersten nach-
christliclien Jahrhunderten mit dem Okzident und namentlich mit dem
Rümerreiche verknüpften, Klarheit zu verbreiten. Dafs ein bis in die
Gegend des Aralsees vorgedrungener Heerführer des Reiches der Mitte,
namens Pan Chao, einen Offizier durch Parthien nach dem Lande Ta-
ts'in abgesandt hatte (98 n. Chr.), war schon seit längerer Zeit bekannt,
aber über die näheren Umstände dieser merkwürdigen Mission werden
wir jetzt zum erstenmale unterrichtet. Der Gesandte wollte nach jenem
Lande von An-hsi aus segeln, liefs sich aber von dieser Reise durch die
übertriebenen Darstellungen der Seeleute abhalten, und so kam er un-
verrichteter Dinge wieder zurück. Den Namen An-hsi identifiziert der
Verf., gemäfs den bei den Chinesen herrschend gewordenen Lautver-
schiebungsgesetzen, mitAr-sak; das Land also, in welches der Delegierte
zuerst gelangt war, ist das Reich der Arsaciden, Parthien gewesen, da
man in China gerne den Bewohner irgend einer Gegend den Namen der
Herrscherfamilie beilegt. Alle übrigen Angaben stimmen vortrefflich
zu dieser Annahme. Die Römerhauptstadt, welche der Gesandte auf
dem Seewege hätte aufsuchen sollen, war übrigens nicht Rom, von
dessen Existenz die östlichen Asiaten kaum etwas wufsten, sondern An-
tiochia, die merkantile Beherrscherin der Ostprovinzen, der Hauptort des
Gebietes, welches der Chinese Ta-ts'in zubenannte. Als Hauptgegenstand
des Handels, dem Pan Chao durch seinen Versuch direkter Verkehrsan-
knüpfung dem Vermuten nach Vorschub leisten wollte, haben wir uns
die Seide zu denken, deren Horaz und Plinius mehrfach gedenken; den
Weg, den die Seidenkarawanen nahmen, glaubt der Verf. wenigstens teil-
weise rekonstruieren zu können, indem er die Euphrat-Brücke von Zeugma
als Durchgangspunkt hinstellt. Neben der Seide spielte die Wolle des
sogenannten »Wasserschafes« eine Rolle, eines Tieres, das der Beschrei-
bung nach zu den Pflanzentieren, den Polypen, gehört haben mufs, aber
vielleicht auf die Byssusmuschel bezogen werden darf. Aufser gewebten
Stoffen und Rohseide brachte China auf den westlichen Markt noch Glas,
verarbeitete und unverarbeitete Metalle, Jadeit-Gegenstände und Droguen,
während umgekehrt von diesen letzteren auch ziemlich viel nach China
Handel und Verkehr. 271
eingeführt wurde, wie denn sogar die chinesische Bezeichnung für Weih-
rauch von St. Julien für ein Tnrki-Wort erklärt wurde. Den Seeweg
scheinen die syrischen und mesopotamischen Kaufleute erst verhältnis-
mäfsig spät eingeschlagen zu liaben. Erst im .Jahre 166 n. Chr. wissen die
chinesischen Annalen von Schiffen zu erzählen, die aus dem Lande Ta-ts 'in
direkt angelangt seien, und zwar sei dies deshalb geschehen, weil die
eifersüchtigen Parther dem Überlandverkehr Schwierigkeiten in den Weg
gelegt hätten. Diese Händler hätten auch den Tribut des Kaisers von
Ta-ts'in, Antun (Antoninus Pius), überbraclit. Daran ist natürlich kein
wahres Wort, aber sehr denkbar ist es, dafs die schlauen Syrer, indem
sie den römischen Herrscher als der Suzeränkrone China unterthan schil-
derten, der Eigenliebe der Chinesen schmeicheln und dadurch bessere
Geschäfte machen zu können glaubten. Seit dem genannten Jahre ist der
Schiffsverkehr mit China nicht mehr dauernd unterbrochen worden. Aus-
gangs- resp. Endpunkt desselben war die halb sagenhafte Stadt Kattigara
des Ptolemaeus, ein Ort, der eigentlich Kati oder Kattik hiefs und wahr-
scheinlich au die Grenze von China und Annam zu verlegen wäre. Die
für ein Märchen gehaltene Chroniknotiz, dafs unweit Kattigara s die chi-
nesische Grenze mit ehernen Schranken verwahrt gewesen wäre, erläu-
tert Hirtli sehr geschickt durch die geschichtlich beglaubigte Thatsache,
dafs ein General Ma Yüan, nachdem er um 40 n. Chr. die Bewohner
von Annam und Tongkin zu paaren getrieben hatte, zum Gedächtnis
seiner Siege zwei Säulen von Erz in dem von einer ständigen Garnison
besetzt gehaltenen Grenzpasse aufrichten liefs.
49) Die Verkehrswege im Dienste des Welthandels. Eine geschicht-
lich-geograpische Untersuchung von Wilhelm Goetz. Stuttgart 1888.
VHI. 806 S.
Dieses Werk ist in erster Linie ein geographisches, aber der Um-
stand, dafs in ihm mit Vorbedacht die Neuzeit kürzer als das Mittel-
alter und dieses dann wieder kürzer als das Altertum behandelt worden
ist, erklärt es, weshalb wir ihm auch in diesem Berichte einen Platz,
und zwar einen ziemlich ausgedehnten, einräumen. Von geographischer
Seite ist das Werk sehr günstig aufgenommen und demgemäfs auch in
der Presse besprochen worden, so von Ratzel in den »Grenzboten«, von
Th. Fischer im »Litterar. Zentralblatt«, von Penck in der »D. Rundschau
f. Geographie u. Statistik«, vom Unterzeichneten in der »Beil. z. Allgera.
Zeitung« und von anderen mehr. Wenn dem gegenüber in einigen mehr
den rein-philologischen Gesichtspunkt vertretenden Anzeigen gegen ein-
zelne Aufstellungen des Verf. Einwände erhoben worden sind (Oberhum-
mer in der »Wochenschr. f. klass. Philologie«, Hirschfeld in Wagners
»Geogr. Jahrbuch«), so soll den letzteren nicht etwa die Berechtigung
abgesprochen werden. Wohl aber möchten wir betonen, dafs bei einem
Buche, wie dem vorliegenden, der Schwerpunkt nicht in den Einzelresul-
272 Handel und Verkehr.
taten, sondern einzig in der Metliode und den neu in die Wissenschaft
liineingetragenen Gedanken zu suchen ist. Diese seine Anschauung wird
auch den Berichterstatter rechtfertigen, wenn er nicht einzelne Differenz-
punkte namhaft gemacht liat, obwohl jeder, der selbst auf verwandtem
Gebiete arbeitet, naturgemäfs auf diesen oder jenen wird stofsen müssen,
sondern wenn er sich begnügte, dem Leser ein übersichtliches Bild von
dem zu entwerfen, was der Verf. angestrebt und auch wirklich erreicht hat.
p]ingeleitet wird das Goetzsche Buch durch den Versuch, das We-
sen und die Grenzlinien einer in dieser Form neu zu bildenden »Wissen-
schaft der geographischen Entfernungen« zu bestimmen. Ohne uns in
allgemeine Diskussionen zu verlieren, heben wir das wichtigste Ergeb-
nis dieses Abschnittes gleich heraus. Es wird die Frage gestellt und
nach Möglichkeit gelöst: Wie viel Zeit brauchten Menschen und Güter-
sendungen, um zu einer bestimmten historischen Epoche von einem Orte
A zu einem anderen Orte B zu gelangen. Dafs bei der Lösung solcher
Aufgaben eine Fülle von Nebenfragen sich der Erwägung darbietet, leuch-
tet von selbst ein; man mufs wissen, welche Wege von A nach B führ-
ten, wie diese Wege beschaffen waren, ob sie über Gebirge und Gewässer
hinweggingen, ob diesen Hindernissen durch bequeme Pässe, Brücken
und Fähren beizukommen war, welche Fortschaffungsmittel (Pferde, an-
derweite Tragtiere, Wagen, Schiffe) dem Gütertransporteur zur Verfü-
gung standen, welche Erleichterung dem Reisenden durch staatliche und
private Fürsorge gewährt war u. s. w. Damit ist also, wie man sieht,
das Gebiet einer als »Verkehrsgeographie« zu bezeichnenden Teildisziplin
der Erdkunde erkennbar umschrieben. Wenn die skizzierte Aufgabe für
ein gegebenes Verkehrszentrum gelöst ist, so kann man das Ergebnis
der Lösung im Bilde graphisch wiedergeben durch Kurven, welche frü-
here Forscher »Isochronen« genannt haben, während Goetz sie als »Iso-
hemeren« spezialisiert. Alle Orte B nämlich, welche von A aus im Ver-
laufe von n Tagen zu erreichen sind, erfüllen den Umfang einer ge-
schlossenen Linie, der Iten, 2ten . . . nten Isohemere. Man sieht, dafs
wenn es keine Verkehrsschwierigkeiten gäbe, alle Isohemeren konzen-
trische Kreise mit dem gemeinsamen Mittelpunkte A sein müfsten, und
die Abweichung der Kurve von der Kreisgestalt orientiert den Beschauer
somit beim ersten Blick, nach welcher Seite von A aus die gröfsten,
nach welcher die kleinsten Verkehrsschwierigkeiten erwachsen. Goetz
hat fünf Isohemerenkarten entworfen, wovon zwei dem Altertum ange-
hören, und es ist sehr belehrend, sich dieselben genau anzusehen. So
konstatiert man, dafs von den neunzehn Zentren, welche die Verkehrs-
karte des römischen Kaisereiches uns vorführt, Palmyra den meisten
Anspruch darauf, ein wirkliches geometrisches Zentrum zu sein, erheben
darf — kein Wunder, denn das alte Tadmor lag in der Wüste, und im
Wüstenterraiu kommt es am wenigsten darauf an, nach welcher Richtung
der Wanderer sich bewegt.
Technik 273
Die erste der sechs in unserer Vorlage unterschiedenen Perioden
reicht bis zum Jahre 850 v. Chr. und behandelt sehr eingehend die Ver-
kehrsverhältnisse bei den Ägyiitern, Phönikern, Suraero-Akkadern, Indern
und, mit Zuziehung neuen, noch unverwerteten Materiales, bei den Chi-
nesen. Die Perser eröffnen die zweite Periode; hier hat der Verf. ins-
besondere auf die Bestimmung der von der grofsen Reichspoststrafse
Susa-Sardes eingehaltenen Trace Wert gelegt; natürlich aber werden hier
auch Griechenland und das ältere Rom mit berücksichtigt. Von den pu-
nischen Kriegen datiert die dritte Periode, welche mit dem Hinsinken
der Kaisermacht abschliefst und uns mit den grofsen Umwälzungen, welche
Roms Herrschaft in dem Verkehrswesen und speziell in der »Verkür-
zung geographischer Distanzen« zuwege gebracht hat, in vorzüglicher
Weise bekannt macht. Von der vierten Periode endlich, welche das frü-
here Mittelalter umfafst, fallen nur noch die Anfänge in unseren Bereich,
nämlich die Byzantinerzeit und die Verdrängung der Römer durch die
Germanen. Dafs letztere die Vorteile, welche Roms kluge Begünstigung
jeder Verkehrserleichterung dem Staate brachte, nicht durchweg verkann-
ten, beweist der Verf. u. a. mittelst der Bemühungen, welche die Fran-
keukönige machten, um sich das zu erhalten, was bei ihrer Besitzer-
greifung Galliens von dem alten Cursus publicus noch vorhanden war.
Mit der Geschichte der Technik schliefsen wir unsere Aufgabe ab.
Die Zubereitung pflanzlicher Stoffe soll den Anfang des Schlusses machen,
die der Metalle und anderweiten Mineralien soll darauf folgen, und end-
lich soll auch noch auf das Baugewerbe und die Bauthätigkeit, soweit
dabei blos der rein technische Gesichtspunkt mafsgebend ist, eingegan-
gen werden.
50) Histoire du pain ä toutes les epoches et chez tous les peuples,
d'apres un manuscrit de G. Hussou. Tours 1887. 215 S.
Das kleine Buch verfolgt keine eigentlich wissenschaftlichen Zwecke,
wie schon der Mangel jeden gelehrten Apparates darthut, sondern es
soll in populärer Weise gezeigt w^erden, dafs Pflanzenkost bei allen Völ-
kern aller Zeiten eine grofse Rolle spielte und noch spielt. So werden
auch den Ägyptern, ludern, Chinesen, Griechen und Römern je einige
Seiten in anschaulicher Darstellung gewidmet, aus denen der Fachmann
jedoch selbstredend nichts neues lernt. Für die Griechenzeit dient haupt-
sächlich zur Folie das »Gastmahl des Dinias«.
51) Technik der praehistorischen Gewebe von Buschan (K. A.,
19. Jahrgang. 43).
Kurze Notiz über einen auf der dritten Hauptversammlung der
Niederlausitzer Gesellschaft für Anthropologie und Urgeschichte gehal-
tenen Vortrag. Köper ist unter diesen ältesten Geweben am häufigsten
vertreten. Auf die ägyptischen Gobelins, von denen die übernächste
Nummer handelt, machte der Vortragende besonders aufmerksam.
Jahreübericlit l'ur AltenhumswiasenscUaft. LXIV. Bd. (.1890 lU.) ig
274 Technik.
52) Über die Anfänge und die Entwicklung der Weberei in der Vor-
zeit von Buscban (K. A., 20. Jabrgang. 38 — 39).
Auch diesmal liegt uns nur ein kurzer Auszug aus Buscbans im
Breslauer Museum sclilesischer Altertümer gehaltenen Vortrage vor. Die
ältesten Gewebe und Geflechte stammen aus schweizerischen und öster-
reichischen Pt'alilbautea, während die in verschiedenen Sammlungen zu
findenden Gewebeproben der Eisenzeit ins II. bis IV. Jahrhundert n. Chr.
zu verlegen sind. Der wagerechte Webstuhl ist der ältere, denn seiner
bedienten sich schon die alten Ägypter, während die Römer als die Er-
finder der Weblade und des Weberschiffchens anzuerkennen sind. Die
Erfindung der Gobelinarbeit will der Redner nicht den Franzosen, son-
dern den südlichen Persern zuschreiben, und erst durch die Kreuzzüge
sei diese Technik nach Europa gekommen.
53) Über altaegyptische Textilfunde von Fritz Hasselmann
(K. A., 20. Jahrgang. 45 — 48. 51 — 52, auch separat, München 1888).
Der Verf. hat in einer am 21. Februar 1888 vor den Mitgliedern
der Münchner anthropologischen Gesellschaft gehaltenen Vortrage, wel-
chem auch der Berichterstatter beiwohnte, eine grofse Auswahl von Proben
ägyptischer Webkunst vorgezeigt und beschrieben, unter der sich u. a.
zwölf ganze Gewänder befanden. Diese wertvollen Überreste einer unter-
gegangenen Kunstfertigkeit stammen aus Gräbern, welche Dr. Bock in den
Jahren 1886 — 87 systematisch auf solche Fundstücke durchforscht hat.
Das Gräberfeld findet sich beim ersten Katarakte, nahe der jetzigen
Stadt Aknim, und enthält die Leichen armer wie reicher Leute, durchweg
aus den ersten Jahrhunderten der christlichen Aera. Die bekehrten Ägyp-
ter liefsen trotz ihres Christentums nicht von der heimischen Sitte, die
Toten in Mumien zu verwandeln, nur pflegte man über die Natronschicht,
welche die eigentlichen Leichenbinden zusammenhielt, noch die besten
Gewänder als bedeckende Hülle zu legen, und eben diese Hüllen liefer-
ten den Stoff zu der Hasselmannschen Sammlung. Durch diese wird
nun der Beweis geliefert, dafs in der römisch-ägyptischen Periode die
Anfertigung von Nadelwirkereien in Gobelin-Manier durch das ganze Nil-
thal hindurch im Gange war; Leinen, Hanf, Byssus, Papyrus, Wolle, sel-
ten nur Seide wurden verarbeitet. Was die Fäi'bung anlangt, so bean-
sprucht Purpur in seinen verschiedenen Abstufungen den Löwenanteil;
hiezu wird die interessante Bemerkung gemacht, dafs Dr. Bock bei Bei-
rut in Syrien, also auf alt-phönikischem Gebiete, grofsartige Mengen von
Schalen der Purpur- und Trompeterschnecke aufgefunden hat, welche
zur Gewinnung des Saftes sämtlich an derselben Stelle angebohrt waren.
Die vielfach angezweifelten Nachrichten des Plinius über Purpurgewinnung
erhalten damit ihre Bestätigung. Die eingewebten Bildwerke lassen
heidnische und christliche Ideenverbindungen in bunter Mengung erken-
nen ; Kreuz, Zentauren, Anspielungen auf das Osirische Totengericht und
Technik. 275
die Seelenwanderung wechseln mit einander ab. Auch über die Technik
selbst verbreitet sich der Entdecker in seinen Briefen an den Verf. und
weist nach, dafs die Haute-lisse vor der Basse-lisse bei weitem vorwiegt.
Die reich verzierten Obergewänder der Sammlung dürften identisch sein
mit jenen »togae inconsutiles«, welche nach Karabacek Jahrhunderte
lang in der Stadt Tiuius für den Welthandel gewebt wurden. Auch
Fufsbekleidungen wurden auf dem Bebräbnisplatze in Menge angetroffen ;
dieselben kennzeichnen gut die Fortschritte, welche das Schusterhand-
werk machen mufste, um von der einfachen Sandale der älteren Zeit zu
den zierlichen, durchbrochen gearbeiteten Schuhen der byzantinischen
Epoche aufzusteigen.
54) De l'emploi des bijoux et de l'argenterie comme prix d'achat
en Irlande avant l'introduction de la monnaie par D'Arbois de
Jubainville. (Rev. arch., 3. Serie, 12. Band).
Der Verf. ist der Ansicht , dafs bei den alten Kelten in Irland,
ähnlich wie es Diodor von den Galliern erzählt, vor Einführung der
Metalltauschartikel Kühe und Ochsen den Preis einer Waare bestimmt
hätten. Später sei das Silber auf der Wage abgewogen worden. Wage,
römisches Gewicht und gemünztes Geld sollen im ersten nachchristlichen
Jahrhundert auf die grüne Insel gekommen sein.
55) Über Aggry-Perlen und über die Herstellung farbiger Gläser
im Altertum von Tischler, Königsberg 1886; besprochen von Sal.
Reinach (Rev. arch., 3. Serie, 12. Band).
Perlen der erwähnten Art bestehen aus sieben, abwechselnd hell
und dunkel gefärbten Zonen; man hat dergleichen allenthalben auf der
Erde, in Deutschland, Dänemark, England, Amerika ebenso wie in
Aegypten, Nubien, Guinea, am Kongo und auf den Inseln Ozeaniens
gefunden. Zuerst dachte man an aegyptische Provenienz und phoenikische
Verbreitung, andere wieder wollten letztere den Normannen zugeschrie-
ben wissen, allein Tischler ermittelte, dafs diese Perlen Erzeugnisse der
venetianischen Feinglasfabrikation aus dem XV. und XVI. Jahrhundert
sind, so dafs ihre weite Verbreitung alles überraschende verliert.
56) Die Bronzezeit Aegypteus von 0. Montelius (K. A., 18. Jahr-
gang. 111—113).
Die Frage, ob das Eisen oder die Bronze die Grundlage der ur-
alten Kultur im Nillande gewesen sei, ist von den Aegyptologeu unbe-
antwortet gelassen worden. Die von Lepsius u. a. vertretene Ansicht,
dafs schon die Pyramidenerbauer eiserne Werkzeuge gehabt und benützt
hätten, entbehrt des befriedigenden Beweises; weder Eisen noch Rost
hat sich in den älteren Gräbern befunden, und eine Hieroglyphe, welche
18*
276 Technik.
zweifellos unserem Eisen entspräche, giebt es ebenfalls niclit. Auf den
Denkmälern des neuen Keiclies worden grundsätzlich eiserne Instrumente
blau ausgemalt , aber für die Zeit vor den II)ksos gilt dieser Gebrauch
nicht. Montelius kommt zu dem Schlüsse, dafs das Eisen als Nutzmetall
erst etwa seit dem Jahre 1500 v. Chr. bei den Aegyptern in Aufnahme
gekommen ist, dafs aber noch mehrere Jahrhunderte lang die Bronze
sich nicht aus ihrer Suprematie vertreiben lassen wollte, und dafs erst
um 1000 V. Chr. die aus dieser Legierung gefertigten Gerätschaften gänz-
lich verschwinden.
57) Über die vorklassische Zeit in Italien von 0- Montelius
(K. A., 18. Jahrgang. 126—127).
Während noch Mommsen geglaubt hatte, dafs Italien niemals eine
Steinzeit gesehen hätte, fehlt es jetzt nicht mehr an Belegen für deren
dereinstiges Vorhandensein, und auch die Bronzezeit scheint sich nicht
nur der älteren Ansicht gemäfs über den nördlichen Teil des Landes,
sondern über die ganze Halbinsel erstreckt zu haben. Sogar für eine
reine Kupferperiode sind Anzeichen nachzuweisen, und sehr lange hat
die Übergangszeit von der Bronze zum Eisen gewährt. Folgendes
Schema läfst ersehen, dafs in altersgrauer Vorzeit die Kulturentwicklung
für Nord- und Mittelitalien sich völlig auf gleicher Höhe hielt, dafs aber
dieser Parallelismus vielleicht im zweiten oder dritten Jahrhundert nach
Erbauung der Stadt Rom eine Störung erfuhr. Hier das Schema (das
Gleichheitszeichen bezieht sich auf zeitliche Übereinstimmung):
Norditalien. Mittelitalien.
Steinzeit = Steinzeit
Ältere Bronzezeit = Ältere Bronzezeit
Jüngere Bronzezeit = Jüngere Bronzezeit
Übergangszeit zur Aera des Eisens = Übergangszeit zur Aera des Eisens
Ältere Eisenzeit (Benaccei-Gräber) = Ältere Eisenzeit I
Ältere Eisenzeit (Arnaldi-Gräber) = Etruskische Zeit I
Etruskische Zeit = Etruskische Zeit II
58) Altertümer aus Transkaukasien von Rudolf Virchow. (K.
A., 20. Jahrgang. 137-139).
Von den wertvollen Früchten der Virchowschen Studienreise in
die Länder jenseits des Kaukasus interessiert uns hier am meisten die
früher noch nicht gleich klar erkannte Thatsache, dafs das Antimon
(s. 0. 37) den Hauptbestandteil vieler in den dortigen Gräbern aufgefun-
dener Artefakte bildet; besonders Knöpfe wurden aus diesem regulini-
schen Antimon gemacht. Ebenso wie der Geognost diejenigen Verstei-
nerungen, mit deren Hilfe er am leichtesten und unzweideutigsten das
Technik. 277
Alter einer gewissen Sedimentbildung bestimmt, als »Leitfossilien« be-
zeichnet, betrachtet Virchow das genannte Metall als »Leitmetall« für
eine gewisse prähistorische Periode.
59) Die Hügelgräber zwischen Ammer- und Staffelsee, geöffnet,
untersucht und beschrieben von J. Naue. Stuttgart 1887.
Die in diesem sehr verdienstlichen Buche abgehandelten Gegen-
stände liegen unserem Berichte im allgemeinen fern. Doch verdient als
ein Seitenstück zu dem in den eigentlich klassischen Ländern gewonne-
nen kulturgeschichtlichen Resultaten immerhin bemerkt zu werden, dafs
nach Naue die sogenannte Hallstadt-Periode Oberbayerns bereits in das
X. Säkulum v. Chr. zu verlegen und der Beginn der Bronzezeit für die-
sen Teil Deutschlands sogar noch 4—500 Jahre früher anzusetzen ist,
60) Die Bronzezeit in Cypern von J. Naue (K. A., 19. Jahrgang.
123—127).
Die von Ohnefalsch -Richter auf der genannten Insel ausgeführten
Ausgrabungen setzen darüber ins klare, dafs eine vorphönikische Bronze-
zeit angenommen werden mufs, die jedoch wieder in zwei deutlich aus-
gesprochene Perioden zerfällt. Während der ersten derselben legten die
Insulaner lediglich flache Erdgräber an, wogegen sie in der zweiten den
Stollengräbern den Vorzug gaben. Schon in der erstgenannten kamen
Gegenstände vor, die deutlich ihren babylonischen Ursprung bekunden,
während in dem späteren Zeiträume ein massenhafter Import von Ge-
fäfsen, Waffen u. s. w. aus Aegypten und Griechenland (Mycene) stattge-
funden zu haben scheint. Die Keilschriftzylinder ermöglichen eine un-
gefähre Altersbestimmung, und es findet sich, dafs die erste Periode bis
nahe an das Jahr 4000 v. Chr. (Sargon von Akkad) hinaufreicht, wäh-
rend für die zweite vielleicht die Zeit 2500—1000 v. Chr. übrig bleiben
würde.
61) Les travaux hydrauliques en Babylonie par A. Delattre.
Brüssel 1888. 59 S.
Diese Arbeit knüpft an an die Berichte Herodots über Mesopota-
mien, der das Land als fruchtbar schildert, und wirklich mufs es auch
dies gewesen sein, da Berosus und Ammianus Marcellinus ausdrücklich
das Vorhandensein zahlreicher Palmen bezeugen, und da Xenophon aus
seineu Feldzugserinnerungen einen überaus dichten Hain in der Nähe
von Babylon beschreibt. Der hohe Tribut, den die Satrapie Babylon
später zu entrichten hatte, wäre auch unerklärlich, wenn sich in der Perser-
zeit das Zweistromland in dem sterilen Zustande von heute befunden
hätte. Regen fiel damals gewifs nicht mehr als jetzt, so dafs eben die
künstliche Bewässerung helfend eintreten mufste. Diese war noch im
278 Technik.
porsiscli-priocliischon Zoitaltor eine sehr ausgiebige und wird von Xeno-
})lion im ganzen riclitig charakterisiert; nur irrt derselbe, wenn er sagt,
das "Wasser sei vom Tigris zum Euphrat hin geflossen, da die Strömungs-
richtung die umgekehrte war.
Der gröfste der Kanäle war der »königliche« (Naharmalcha), wel-
cher HO km oberhalb der Hauptstadt vom Euphrat sich abzweigte, längere
Zeit annäliernd i)arallel diesem Flusse sich hinzog, dann zuerst nord-
uud hierauf südöstlich sich wendete, um bei Ktesiphon den Tigris zu
erreichen. Dieser Kanal ist noch heute erkennbar. Vor Ktesiphon ging
vom Naharmalcha ein Zweiggraben ab, in dessen Nähe nach E. Reclus
noch jetzt eine klinstliche Bewässerung wahrgenommen wird. Jeder
dieser Kanäle war anscheinend wieder mannigfach verästelt, und auch
Reservoirs fehlten nicht, um bei Wassermangel auszuhelfen, so dasjenige
von Sippara, das allerdings kaum die ihm von einzelneu Autoren bei-
gelegten ungeheuerlichen Dimensionen besessen haben wird. Die nach
Herodot zur Yerlangsamung der Schiffahrt angebrachten Katarakte haben,
wie mehr noch aus einer Inschrift des Sancherib als aus anderweiteu
griechischen Bestätigungen erhellt, in Wahrheit existiert. Die an und
für sich schwierige Unterhaltung der Wasserwege ward in der Diadochen-
zeit vernachlässigt, und so verfiel allmählig das ganze Kanalsystem.
Die Keilschriftdenkmäler haben in neuerer Zeit auch manchen be-
züglichen Aufschlufs erteilt. So rühmt sich König Sinidinna (um 2000
V. Chr.), einen künstlichen Flufs (när) gegraben zu haben, ein gleiches
behaupten seine Nachfolger Rimsin und Khammurabi, welch letzterer
jedenfalls der Erbauer des Arakthu, vielleicht sogar auch des Nahar-
malcha gewesen ist. Wie hoch man den Werth solcher Bauwerke für
Binnenverkehr und Drainierung der Felder schätzte, das lehrt eine In-
schrift Nabuchodonosors I: »Wer diese Schrift zerstört, dem soll der
Gott des Wassers seine Kanäle verfallen und ihn damit Hungers ster-
ben lassen.« Von einer Anzahl anderer ähnlicher Inschriften erstattet
Delattre Bericht. So befindet sich in der sogenannten »Bibliothek des
Asurbanipal« ein reichhaltiger Katalog aller babylonischer Wasserstrassen,
und auch manche spätere Stelen assyrischer Herrscher, vorab des Tiglat-
pileser, geben Kunde von den Kanälen des oberen Mesopotamien, deren
einer, die »Wasserleitung des Sancherib,« ein aus Hausteinen aufge-
mauerter Aequaedukt gewesen sein dürfte. Jener König läfst fernerhin
zu seinem Lobe verkünden, dafs er den När Tibilti, welcher die Stadt
Niniveh mit Schlammassen überschüttete, reguliert und durch Anweisung
eines neuen Bettes unschädlich gemacht habe. Diese künstlich geschaffene
Vorflutrinne ging vom Khusur (Tigris) aus, umging die Residenz und
vereinigte sich unterhalb derselben wider mit jenem Strome, indem zu-
gleich die Umgebung durch diesen Bewässerungskanal reich befruchtet
wurde.
Technik. 279
62) Bemerkungen über Bau- und Pflasterraaterial in Pompeji von
W. De ecke (Mitteil, aus dem naturwissensch. Verein f. Neuvorpom-
mern und Rügen zu Greifswald, 17. Jahrgang. 166—182).
Die alte Stadt Pompeji stand auf einem in vorgeschichtlicher Zeit
vom Vesuv niedergegangenen Lavastrom, und dieser hat auch wesent-
lich das Material zu den Bauten der Pompejaner hergegeben. Die
eigentliche Lava, welche den inneren Kern des erstarrten Glutraantels
ausmachte, wurde nur in geringerem Mafse verwendet, umsomehr aber
wurden dies die Schlacken, die glasig erstarrten Bestandteile der ober-
flächlichen Partien des Ergusses. Doch stammen die Schlacken, aus
denen man die Bausteine gewann, auch von anderen entfernteren Lava-
strömen her. Bimsstein dagegen kommt, wie Deecke im Gegensatz zu
Nissen feststellt, nur sehr spärlich vor. Wirkliche Lava ist es, aus der
Treppen, Thürschwellen und Strafsenpflaster besteht, und aus einer ge-
wissen grobkörnigen, leuzit- und olivinreichen Lava waren die durch
Haltbarkeit ausgezeichneten Mühlsteine verfertigt. Für den Hausbau
eignete sich sehr gut der Tuff, dessen graue Varietät in Pompeji, dessen
gelbe Varietät dagegen in Herculanum am meisten verbreitet ist, und
auch Kalktuff kommt nicht selten vor. Die Ziegel hat man dem An-
scheine nach mit Vorliebe aus der Puzzolanerde der benachbarten phle-
graeischen Felder gebrannt, weshalb dieselben zahlreiche Splitter von
vulkanischen Gesteinen in sich enthalten. Man sieht, dafs diese römi-
schen Provinzialen sich an die Baustoffe hielten, welche ihnen die Natur
sozusagen von selbst darbot, allein das hatte auch zur Folge, dafs die
Bauart aller dieser Wohnhäuser nur eine sehr unsolide sein konnte.
63) Die römische Wasserleitung im Dome zu Köln; Fundbericht
von Voigtel (Jahrbücher des Vereins von Altertumsfreunden der
ßheinlande, 82. Heft. 75—81).
Der im Volk lebenden Tradition zufolge ist der Kölner Dom über
einer alten römischen Wasserleitung erbaut, und diese Überlieferung ist
durch die von dem Dombaumeister Voigtel angeordnete Aufgrabung voll-
auf bestätigt worden. Man fand 27* Meter unter dem Platteuboden
einen Kanal, in welchem ein längeres Bleirohr mit einem dazu recht-
winkligen Ansatzrohre eingebettet lag. Die Gefällverhältnisse des Haupt-
stranges und dessen wesentlich nordsüdliche Richtung stellte eine nähere
Untersuchung fest; auch über die technische Ausführung, über die Art
und Weise, wie die ursprünglich platt gewalzten Bleiplatten in eine
Zylinderform gebracht wurden, liefs sich ein Urteil gewinnen. Bezeich-
nend für die Solidität der römischen Arbeit ist' der Umstand, dafs die
aufgedeckte Röhre, die, wie gesagt, aus Blei besteht und mit einer
Mischung von Zinn und Zink verlötet worden war, nach einem Zeit-
räume von 15 — 1800 Jahren »eine so vollkommene Erhaltung und Dich-
280 Nachtrag.
tigkeit zeigte, dafs das Bleilot ohne jede Reparatur noch heute zur
Wasserleitung benutzt werden könnte.« Nachträglich ist dem Referen-
ten noch bekannt geworden:
64) Prolegomena ad papyrum niagicam musei Lugdumensis Batavi
von Albrecht Dieterich. Leipzig 1888 (Inauguraldissertation).
Die Arbeit ist ein Teil einer gröfseren Untersuchung über den
erwähnten Papyrus , welche von der Bonner philosophischen Fakultät
einen Preis erhielt und als selbständige Schrift im Teubnerschen Ver-
lage erscheinen soll. Acht Papyrushandschriften magischen Inhaltes sind
dem Verf. zufolge jetzt bekannt, die namentlich für die Geschichte der
gnostischeu Lehren grofse Bedeutung besitzen. Der hier in Rede stehende,
von Leemanns herausgegebene Papyrus (No. 384 Leyden) scheint aus
der Nekropolis Thebens zu stammen und ist zum gröfseren Teile in
griechischer, zum kleineren in demotischer Schrift geschrieben. Zauber-
formeln, alchymistische und astrologische Verse machen den Hauptinhalt
aus. Die Autoren, deren Erwähnung gethan wird, sind teilweise unbe-
kannt, teilweise zwar sehr bekannt, aber nur als halbmythische oder vor-
geschichtliche Persönlichkeiten, wie Dardanus, Zoroaster u. a-, was offen-
bar davon herrührt, dafs die »abergläubischen Kompilatoren,i welche in
den ersten Jahrhunderten der Christenzeit in Ägypten als in einem für
mystische Bestrebungen besonders geeigneten Lande zusammenströmten,
ohne Wahl glänzende Namen aus allen Zeiten und Erdgegenden für ihre
Zwecke nutzbar zu machen sucüten. Mit ihnen schmückte man die Pro-
dukte der eigenen schriftstellerischen Laune aus. Weiterhin führt der
Verf. eine Reihe von Stellen an, welche dafür sprechen, dafs die einzel-
nen Manuskripte auf gemeinsamer Grundlage stehen, resp. nicht unab-
hängig von einander entstanden sind, und hierauf macht er sich an die
Aufgabe, Ursprung und Quellen des Leemannsschen Papyrus näher fest-
zustellen. Die wesentlich philologisch gehaltene Textprüfung führt denn
auch dazu, gewisse Bestandtheile rein ägyptischer Provenienz und dann
auch wieder andere auszuscheiden, welche aus dem gnostischeu Heer-
lager und dem orphischen Sagenkreise hervorgegangen sind. Man wird
dem fertigen gröfseren Werke mit Interesse entgegegensehen dürfen.
Der Unterzeichnete beschliefst hiermit die ihm übertragene Bericht-
erstattung. Zu seinem lebhaften Bedauern nötigen ihn anderweite, sei-
nem gegenwärtigen Berufe näher liegende Arbeiten, dieses Amt in andere,
hierzu vorzüglich geeignete Hände zu geben. Er dankt zugleich der
Verlagsbuchhandlung und verschiedenen Autoren dafür, dafs sie ihn in
den Stand gesetzt haben, seiner Aufgabe mit wenigstens annähernder
Vollständigkeit gerecht zu werden.
Jahresbericht über die Medicin bei den
Griechen und Römern.
Von
Professor Dr. T li. P u s c h m a i» ii
in Wien.
I. Gescliiclite €ler Medicin im Allgemeinen.
1) S. Günther: Geschichte der antiken Naturwissenschaft. Iwan
Müllers Handbuch der klassischen Altertumswissenschaft. 1888. Bd. V.
Abth. 1. S. 1—114. Nördlingen.
Der Verf. hat die Aufgabe, die wichtigsten Ereignisse aus der Ge-
schichte der Heilkunde des Altertums in gedrängter Weise vorzutragen,
musterhaft gelöst. Die wenigen Seiten (S. 103 — 114), welche der Medi-
cin gewidmet sind, enthalten eine überraschende Fülle von Thatsachen,
die mit ricbtiger Erkenntniss ihrer Bedeutung für die wissenschaftliche
Entwickelung der Heilkunde ausgewählt worden sind.
2) J.B.Hamilton: History of medicine. N. Engl. Med. Month.
Bridgeport. Conn. 1886/87. VI, 149 u. ff.
3) H. Haeser: Grundriss der Geschichte der Medicin. Jena 1884.
80. 418 S.
Dieses Schulbuch bildet einen Auszug aus des Verf.'s dreibändigem
Lehrbuch der Geschichte der Medicin. Es zeigt die gleiche Anordnung
des Stoffes und bringt die wesentlichen Thatsachen und Fortschritte,
welche die Entwickelung der Heilkunde herbeigeführt oder beeinflusst
haben. Das Alterthum unifasst S. 1 — 70, das Mittelalter S. 73 153. Das
Buch kann denen, welche sich rasch mit dem Gegenstande bekannt
machen wollen, sehr empfohlen werden; es ist der beste Leitfaden der
Geschichte der Medicin.
4) C. A. Gordon: Notes from the history of medicine and of
medical opinion from the earliest times. Med. Press. & Circ. Lon-
don 1887. p. 25 u. ff.
282 Geschichte der Medicin.
5) Dignat: Histoirc de la medeciue et des medecins ä travers
les ages. Paris 1888.
Der Verf. erklärt selbst in der Vorrede, dass seine Arbeit keine
qnellenmässige Darstellung der Geschichte der Medicin, sondern eine
populäre TTebersicht ihrer allgemeinen Entwickelung ist. Sie scheint mehr
für Laien als für Fachmänner berechnet zu sein, bietet aber Jenen zu
viel und Diesen zu wenig, und sondert nicht das Wesentliche von dem
Unwesentlichen.
6) Barbillon: Historia de la medicina. Madrid. 1886. 142 p.
Mit vielem Geschick ist dieser kleine Grundriss der Geschichte
der Medicin aus den grösseren historisch-medicinischen Werken, beson-
ders der spanischen und französischen Litteratur, kompilirt worden.
Auf seinen 142 Seiten werden die wichtigsten Ereignisse erzählt und
die Leistungen der hervorragendsten Aerzte und medicinischen Forscher,
welche ihren Namen in der Geschichte verewigt haben, in grossen Zü-
gen skizzirt.
7) Risorius Santorini:
Der Medicin Historia
kurzweilig und in Verslein da
man sie in Prosa, wie bekannt
nicht stark goutiert im deutschen Land.
Mit 44 lieblichen Illustrationen verzieret von Dr. Corrugator Super-
cilii. Leipzig 1887. 100 S.
8) Th. Pu seh mann: Geschichte des medicinischen Unterrichts
von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. Leipzig 1889. 8^. 530 S.
»Die vorliegende Arbeit ist der erste Versuch einer zusammen-
hängenden Darstellung der Geschichte des medicinischen Unterrichts.
In der Litteratur wurden bisher nur Bruchstücke derselben niedergelegt,
welche die Entstehung und Entwickelung einzelner medicinischer Schu-
len und Anstalten, die Lehr-Meinungen und Unterrichts-Methoden, die
dabei wirkenden Personen und ihre Leistungen behandeln«, heifst es in
der Vorrede.
Ich habe die darüber vorhandenen Nachrichten gesammelt, geprüft,
mit einander verglichen und dabei manchen Irrthum berichtigt manche
bisher wenig beachtete oder unbekannte Thatsache ans Licht gezogen.
Bei allen Angaben habe ich die litterarischen Quellen genannt, auf wel-
che sie sich stützen, sodass sie kontroliert und, wenn meine Deutung
derselben falsch sein sollte, richtig gestellt werden können. Bei dieser
Gelegenheit möchte ich bemerken, dass durch ein Versehen des Abschrei-
bers auf S. 89, Anra. 5 anstatt Galen IV, 487 fälschlich Galen III, 412
citirt wird.
Geschichte der Medicin. 283
Die zahlreichen Beziehungen, welche mein Thema zur Geschichte
des Erziehungswesens wie zur allgemeinen Kulturgeschichte darbietet,
wurden sorgsam verfolgt und in gebührender Weise hervorgehoben. Da
der Inhalt dessen, was zu einer bestimmten Zeit gelehrt wurde, in der
Geschichte des Unterrichts einen Platz finden muss, so hat sich meine
Arbeit zu einer Geschichte der Medicin erweitert, die das Wissen und
die Leistungen der Aerzte durch ihre Erziehung und Ausbildung zu er-
klären versucht. Selbstverständlich wurden die dem medicinischen Un-
terricht dienenden Einrichtungen und Anstalten, ihre Ausstattung mit
Lehrmitteln und Lehrkräften und ihre Beziehungen zum Fortschritt der
Wissenschaften und Künste, zu den religiösen, politischen und sozialen
Verhältnissen ausführlich erörtert und dem Ganzen somit eine breite
kulturliistorische Grundlage gegeben.
In der Einleitung wird der zweifache Ursprung der Heilkunde ent-
wickelt, nämlich aus der Erfahrung einerseits, welche heilsame Kräuter
zu entdecken und Wunden und Knochenbrüche zu heilen suchte, und
aus der Mystik andererseits, die in den Krankheiten, besonders den
Seuchen, Schickungen der Gottheit erblickte und dieselben durch Ge-
bete und Opfer zu beseitigen trachtete. Der erste Theil (S. 1 — 112) be-
schäftigt sich mit dem Alterthum und behandelt in den einzelnen Kapi-
teln den medicinischen Unterricht in Indien, Aegypten, bei den Israeli-
ten, Parsen, bei den Griechen vor Hippokrates und zur Zeit des Hippo-
krates, in Alexandria , ferner die Medicin in Rom , den medicinischen
Unterricht und den ärztlichen Stand in Rom. Das Mittelalter umfasst
S. 113—238, die Neuzeit S. 239 — 364, die neueste Zeit S. 365—494; in
den Schlussbetrachtungen werden einige Fragen besprochen, welche in
der Oeffentlichkeit gegenwärtig lebhaft erörtert werden, wie die Vorbil-
dung der Mediciner, die Zusammensetzung der Fakultäten, die Besetzung
der Lehrkanzeln u. ä. m. Das Buch ist nicht blos für die ärztlichen
Berufsgenossen, sondern für jeden Gebildeten verständlich.
9) Tb. Puschmanu: Geschichte des klinischen Unterrichts. Kli-
nisches Jahrbuch herg. v. A. Guttstadt. 1889. Berlin. Bd. I, S. 9—66.
[beschäftigt sich mit der Ausbildung in der praktischen Heilkunde bei
den alten Indern, Aegyptern, Griechen, Römern und im Mittelalter und
in der Neuzeit, sowie mit den Anstalten, welche für diesen Zweck ins
Leben gerufen wurden].
10) Th. Puschmann: Die Bedeutung der Geschichte für die
Medicin und die Naturwissenschaften. Deutsche med. Wuchenschr.
1889. No. 40.
Diese Rede wurde in der allgemeinen Sitzung der Versammlung
deutscher Naturforscher und Aerzte in Heidelberg (1889) gehalten und
entwickelt die Bedeutung und den Nutzen, welchen das Studium der
Geschichte der Medicin und der Naturwissenschaften für den Naturfor-
284 Geschichte der Medicin.
scher und Arzt hat, beklagt die Vernachlässigung desselben und giebt
die Mittel an, durch welche es gehoben und fruchtbringend gestaltet
werden kann.
11) B. P. Wright: Medical numismatics. Med. Standard.
Chicago 1889. VI, 141.
12) S. Gill: A chapter of medical archeology; the ring in me-
dical lore. New Orleans Med. & Surg. Journ. XII, p. 735.
II. Die mythische Zeit. Die Heilkunst in den Tempeln.
1) M. A. Rust: Mysticisra in the developraent of medicine.
Gaillards Med. Journ. New-York. T. 48. p. 9 u. ff.
2) G. A. Stock well: Curiosities of therapeutics. III. Pre-
historic and mystical medicine. Therap. Gaz. Detroit 1887. III. p. 525
und ff.
3) W. Schwartz: Die rossgestaltigen Himmelsärzte bei Indern
und Griechen. Zeitschr. f. Ethnol. Berlin. 1888. Bd. 20. S. 221 u. ff'.
[Verf. weist auf die Aehnlichkeit zwischen dem ludischen Mythos der
rossgestaltigen Agvinen und der Keutaurensage der Griechen hin].
4) W. H. Röscher: Die sogenannten Pharmakiden des Kyp-
selos - Kastens. Philologus 1889. N. F. Bd. i. H. 4. [Die beiden
Frauen auf der Kypselos-Lade werden für zwei Moiren erklärt, »die
als Pharmakiden gefasst, in ihren Mörsern dem Menschen Heil und
Unheil bereiten«].
5) K. du Prel: Die Mystik der alten Griechen. Leipzig 1888.
80. 170 S.
Der Verf. versucht aus den literarischen Quellen nachzuweisen, dass
der Tempelschlaf und die Orakel der Griechen mit den Zuständen der
Hypnose und des Somnambulismus identisch waren, dass die Vorgänge
bei den Mysterien Aehnlichkeit hatten mit den Erscheinungen, welche
man in den spiritistischen Sitzungen beobachten kann, und dass der
Dämon des Sokrates sich am besten durch die Annahme erklärt, dass
der Letztere die Eigenschaften eines Mediums besass. Zur Stütze sei-
ner Behauptungen zieht er die Schriften über den Hypnotismus und den
Spiritismus heran. Da er ein überzeugter Anhänger desselben ist, so
nimmt er die Richtigkeit der Angaben, die darüber gemacht werden, an
und baut darauf seine Schlüsse und Folgerungen. Er zeigt zu wenig
Vorsicht in der Auswahl seiner Gewährsmänner und zu wenig Strenge
in der Kritik ihrer Mittheilungen. Baron du Prel, welchen ich seit zwei
Jahrzehnten persönlich kenne und hochachte, war früher Offizier in der
Mythische Zeit, Heilkunst in den Tempeln. 285
deutschen Armee. Er besitzt ein reiches Wissen, einen scharfen Ver-
stand, wie seine philosophischen Arbeiten beweisen, und selbstloses
Streben nach der Wahrheit, nach der Erkenntniss; aber er hält jeden
Menschen für ebenso ehrlich, als er selbst ist, und glaubt Jedem.
6) Herrn. Diels; Antike Heilwunder. Nord und Süd. 1888.
Bd. 44. H. 130.
Der Verf. beginnt mit einer scharfen Polemik gegen du Frei und
andere Vertreter des Spiritismus, verspottet deren Erklärung des Tem-
pelschlafes und der Tempelkuren und macht den Versuch, diese That-
sachen zu deuten, ohne dass dabei transcendentale Einflüsse zu Hilfe
gezogen werden. Er führt zu diesem Zweck mehrere Berichte von
Krankenheilungen an, die im Asklepios Tempel zu Epidauros stattgefun-
den haben sollen und durch die in den letzten Jahren erfolgten Ausgra-
bungen desselben bekannt geworden sind, und bemerkt, dass sie eigent-
lich nicht viel mehr enthalten als absurde Behauptungen und abgeschmackte
Erfindungen. Aber Niemand wird glauben, dass damit die Aufgabe,
welche sich der Verf. gestellt hat, gelöst ist.
Allerdings sind die Krankengeschichten der griechischen Tempel-
Medicin zum grossen Theile nichts weiter als fromme Legenden, die von
den Priestern ersonnen wurden, um die Macht und die Weisheit ihres
Gottes zu preisen. Auch sind die plumpen Schwindeleien, welche sich
die Priester bei den Tempelkuren gelegentlich erlaubten, allgemein be-
kannt; Aristophanes und Philostratus in der Biographie des Apollonius
von Tyana haben dies in ergötzlicher Weise geschildert. Aber berech-
tigt dies zu der Annahme, dass Alles, was über die Tempelkuren und
die dadurch erzielten Heilerfolge erzählt wird, Humbug und Märchen
ist? Ist es denkbar, dass das geistig hochstehende Volk der Griechen
einer solchen Sache durch Jahrhunderte Vertrauen und Achtung gezollt
hätte, wenn ihr nicht einige Thatsachen zu Grunde lagen? — Wenn
man an die Prüfung dieser Dinge herangeht, so muss man das Wesent-
liche von dem Unwesentlichen scheiden, die zweckentsprechenden Ver-
ordnungen aus dem mystischen Beiwerk, in welches sie gehüllt sind,
herausschälen. Dazu gehören nicht blos philologische und archäologische
Kenntnisse, sondern auch medicinisches Wissen. Das Urtheil wird dann
ganz anders lauten als dasjenige, zu welchem Diels gelangt ist. Man
erkennt dabei, dass die Kraukenbehandlung in den Tempeln häufig im
Gebrauch wirksamer Medicamente und in der Anwendung diätetischer und
und psychischer Heilmethoden bestand und wohl geeignet war, die Hei-
lung herbeizuführen. Ich erinnere an die Behandlung des M. J. Apellas
(v. Wilamowitz - Moellendorf in philol. Untersuchungen. Berlin 1886.
H. 9. S. 116), möchte aber vor allem daraufhinweisen, dass doch eigent-
lich fast die ganze wissenschaftliche Gestaltung der griechischen Heil-
kunde auf dem Boden der Tempelmedicin geschah. Inwieweit sich
2g6 Mythische Zeit. Heilkunst in den Tempeln.
manche räthselhafte Erscheinung, die bei den Tenipolkuren zu Tage trat,
durch die erst in neuester Zeit beobachteten übei'raschenden Thatsachen
der Suggestion und des Hypnotismus, der übrigens, wie ich hier beiläufig
bemerke, von dem Spiritismus sehr verschieden ist, erklären lässt, muss
speciellen Untersuchungen vorbehalten bleiben.
7) Vercoutre: La medecine sacerdotale dans Tantiquite grecque.
Rev. archeol. Paris 1885. ser. III. T. 6. p. 273 und ff. 1886. T. 7.
p. 106 n. ff. und separ. Angers. 1886.
Eine vorzügliche, durchaus quellenmässige Darstellung der Askle-
pieen, in welcher namentlich die hygienische Bedeutung derselben her-
vorgehoben wird. Ihre Lage auf Bergen und in Wäldern oder in der
Nähe heilkräftiger Quellen und die diätetischen und psychischen Mittel,
welche man dort zur Anwendung brachte, geben den Asklepieen den
Charakter von Sanatorien in unserm Sinne. Der Verf. beschreibt aus-
führlich den Vorgang, wie die Träume zu Stande kamen und welche
Rolle die Priester dabei spielten, unterzieht die ärztlichen Verordnungen,
die in den Tempeln getroffen wurden, einer Kritik und zeigt, dass sie
in vielen Fällen ganz rationell und zweckentsprechend waren. Am
Schluss bespricht er die Ursachen des Verfalls der Tempelmedicin, zu
denen er hauptsächlich ihre Misserfolge auf therapeutischem Gebiete,
die zunehmende Concurrenz, die Fortschritte der wissenschaftlichen Heil-
kunde und die Abnahme des Aberglaubens unter den Menschen rechnet.
Uebrigens fand die Tempelmedicin mit dem Untergange des Heidenthums
nicht ihr Ende, sondern blieb unter einer etwas veränderten Form auch
unter der Herrschaft des Christenthums bestehen.
8) A. E seh weil er: Ueber den Namen und das Wesen des grie-
chischen Heilgottes. Progr. d. Gymnas. zu Brühl. 1885.
9) H. L. Urlichs: Asklepios und die Eleusinischen Gottheiten.
Jahrb. d. Ver. d. Alterth. im Rheinl. 1889. H. 87. [Besprechung eini-
ger Attischer Reliefs, auf denen Asklepios erscheint].
10) A. C. Merriam: Aesculapia as revealed by inscriptions.
Gaillards Med. Journ. 1885. p. 355 u. ff.
11) A. C. Merriam: The treatment of patiens in the temples
of Aesculapius. Boston Med. & Surg. Journ. T. 112. p. 304 u. ff.
12) J. Anderson: The temple of Aesculapius. Brit. Med.
Journ. London 1887. II, 904 u. ff.
13) The Statue of Asklepios at Epidauros. The American Journ.
of archeol. 1887. 111, 2.
Mythische Zeit. Ilpükunst in den Tempeln. 287
14) S. Reinach: La seconde stele des guörisons miraculeuses,
decouverte ä Epidaure. Rev. archeol. Paris 1885. ser. III. T. 5.
p. 265 u. ff.
In der Nähe des Tempels von Epidaurus wurden 1883 zwei mit
Inschriften bedeckte Säulen gefunden, welche über Heilungen von Kran-
ken bericliten, die in dem dortigen Asklepieion erfolgt sind. Es werden
die Namen derselben, die Art der Erkrankung und die Heilmethode ge-
schildert. Ueber die eine Säule, dereu Inschriften besser erhalten sind,
wurden in der Revue archeol. Paris. 1884. ser. III. T. 4. p. 78 aus-
führliche Mittheilungen gemacht; mit der zweiten Säule beschäftigt sich
der vorliegende Artikel.
15) K. Zacher: Zu den Heilurkunden von Epidauros. Hermes.
Bd. 21. S. 467—474.
Der Verf. giebt eine annehmbare Conjektur zu einer Stelle auf
Tafel I. Z. 74 der von Kabbadias in der i<frjixe(Ag dp^/^acoXoycxrj (1883.
S. 197 u. ff. und 1885 S. 1 u. ff.) publicirten Inschriften von Epidauros
und geht bei dieser Gelegenheit auch auf das Verhältniss der Asklepia-
den zu den Asklepios-Priestern ein. Er glaubt, dass es in den Askle-
pios-Tempeln zwei Klassen von Beamten gab, nämlich 1) die Priester
und Cultusdiener, und 2) die Aerzte, welche als Nachkommen des Gottes,
als Asklepiaden, das Heilgeschäft besorgten. Diese Ansicht hat durch
P. Girard (L'asclepieion d'Athenes d'apres de recentes decouvertes in
Fase. 23 der Bibliotheque des ecoles frauQaises d'Athenes et de Rome.
Paris 1881) einige Einschränkungen und Berichtigungen erfahren.
16) H. Göll: Heilige Curorte im Alterthum. Ausland. Jahrg. 58.
No. 10.
Auf eine unterhaltende Schilderung des Lebens und Treibens in
den Asklepieen folgt die Beschreibung der durch die Ausgrabungen von
1881 blos gelegten Trümmerreste des Heiligthums zu Epidauros. Von
den sechs Steinpfeilern, welche noch Pausanias sah, sind zwei aufgefun-
den worden; der eine von ihnen ist freilich nur in Bruchstücken vor-
handen, der andere dagegen, welcher zum Bau eines mittelalterlichen
Gebäudes verwendet worden war, ist vollständig erhalten. Er soll aus
dem dritten Jahrh. v. Chr. stammen und ist mit Krankengeschichten be-
schrieben, von denen der Verf. einige mittheilt.
17) Entdeckung des Aeskulap- Tempels auf der Insel Kos. Ber-
liner philolog. Wochenschr. 1887.
III. Die Medicin der Griechen und Römer.
1) A. Kums: Les choses medicales dans Homere. Ann. de la
soc. de med. d'Anvers. 1889. II. p. 11 u. ff.
288 Medicin der Griochon und Römer.
2) Mahl er: Die Medicin und dor ärztliche Standpunkt der alten
Griechen. Wiener AUg. med. Zeitung. 1887. No. 33. 34. [Werthlose
Conipilation].
3) II. Di eis: Leukippos und Diogenes von ApoUonia. Rhein.
Mus. 1887. Bd. 42. H. 1.
4) L. M. Cowley: Escuela de Pitagoras, secta de los legumi-
nistas y vegetaristas. Cron. med. quir. de la Habana. T. X. p. 23. 71.
5) E. Pivion: Etüde sur le regime de Pythagore. Le vegeta-
risme et ses avantages. Paris 1885. 8^. 215 p.
6) Pantelides: Inscriptions de l'isle de Cos. Bull, de corresp.
hellen. 1887. No. 1. 2.
7) M. Dubois: De Co insula. Inaug.-Diss. 1884. Paris. 73 p.
et 3 cartes.
Der Verf. wurde von der französischen Regierung nach der Insel
Kos geschickt, um dort Forschungen über die Lage der verschiedenen
Städte, welche in der Geschichte derselben eine Rolle spielen, über die
Gestalt und Ausdehnung der alten Hauptstadt, und über die Stelle, auf
welcher der alte Asklepios-Tempel gelegen war, anzustellen. Er theilt
hier die Ergebnisse dieser Studien mit und schildert dabei den Cultus
und die Heiligthümer der Koer. Seine Angaben stützen sich auf zahl-
reiche Inschriften, welche er aufgefunden oder wenigstens zuerst ent-
ziffert hat. Wir wollen hier nur auf diejenigen aufmerksam machen,
welche sich auf den Asklepiosdienst und die Heilkunst beziehen. So
wird in einer aus dem dritten Jahrh. v. Chr. stammenden Inschrift ein
Arzt Xenotimos, Sohn des Timoxenos, wegen der Verdienste, die er sich
während einer Pestepidemie erworben hatte , gepriesen und berichtet,
dafs er durch Verleihung eines goldenen Kranzes ausgezeichnet wurde.
Der Verf. folgert daraus mit Hilfe einer sprachlichen Conjektur, dafs es
zu jener Zeit Gemeinde-Aerzte auf der Insel gegeben hat.
8) L. M. J. Mouclier: Essai sur l'histoire chronologique de la
medecine grecque depuis les temps les plus recules jusqu' ä Hippo-
crate. Bordeaux 1887. Inaug.-Diss. 4°. 106 p.
9) Dem. Gregoras: Kritische Bemerkungen über das Leben
und die Lehren des Hippokrates. Erlangen 1885. Inaug.-Diss. 8**.
27 S.
Diese »kritischen Bemerkungen« sind sehr wenig kritisch. Der
Yerf. behauptet z. B. dafs Hippokrates ein Alter von 114 Jahren er-
reicht habe, ohne dafs er irgend welche Beweise dafür beibringt. Er
kennt nicht die über sein Thema vorhandene Literatur, hat die wichti-
gen Arbeiten von Ermerins, Littre, Küblewein u. A. nicht studiert und
Medicin der Griechen und Römer. 289
bringt daher über das Leben und die Lehren des Hippokrates nicht
einmal Das, was in den gebräuchlichen Lehrbüchern der Geschichte der
Medicin steht.
10) Petersen: Ueber den Hippokratismus. Verhandl. d. Congr.
f. inn. Med. Wiesbaden 1889. S. 230-241.
Der Verf. erklärt in dieser formvollendeten Rede das Wesen des
Hippokratismus, der im Gegensatz zu dem einseitigen Specialismus der
späteren Zeit über der lokalen Erkrankung niemals die Totalität des
Organismus übersieht, mehr das kranke Individuum als die Krankheit
ins Auge fasst, die Erfahrung für die beste Lehrerin der Medicin er-
klärt, nicht blofs die wissenschaftliche Bearbeitung der Heilkunde, son-
dern auch die Heilkunst pflegt, die Heilung durch die einfachsten Mittel,
vor Allem durch eine vernuuftgemässe Diätetik anstrebt, und stets der
ethischen Aufgaben des ärztlichen Berufes gedenkt, und sagt, dass der
Hippokratismus »nicht eine Lehre, sondern eine ganze Geistesrichtung,
ein Leben« bedeutet.
11) L. Shapter: An adress on the science of medicine ; a study
of the Hippocratic and present epochs. Brit Med. Journ. Lon-
don 1884. No. 2. p. 10-13.
12) Hippokrates. Portrait. Med. Class. Publ. Comp. N.-Y. 1888.
13) A. M. Levin: Aretei Kappadok. Vrach St. Petersburg 1887.
Vm. p. 845. 872. 932. 944.
14) Rene Briau: Sur l'introduction de la raedecine dans le
Latium et ä Rome. Paris. Rev. archeol. 1885. scr. HL T. 5. p. 385
u. ff. T. 6. p. 192 u. ff.
Der Verf. widerlegt die in dieser Schroffheit wohl von Niemandem
vertheidigte Ansicht, dass Italien erst durch die Griechen mit der Heil-
kunst bekannt gemacht worden sei. Zahlreiche Thatsachen weisen da-
rauf hin, dass sich schon vor der griechischen Einwanderung auf itali-
schem Boden aus heimischen Elementen eine Heilkunde entwickelte, an
welcher die Etrusker einen hervorragenden Antheil nahmen. Der Verf.
liefert dafür aus den Belegstellen überzeugende Beweise und glaubt dies
auch daraus folgern zu dürfen, dass ein grosser Theil der medicinischen
Terminologie nicht griechischen, sondern lateinischen Ursprungs ist.
Wenn er dabei das Wort medicus mit dem Oscischen meddix tuticus
(curator publicus) in Verbindung bringt, so mag er die Verantwortung
dafür selbst übernehmen.
15) Saalfeld: Wie kamen die ersten Vertreter der Medicin nach
Rom? Virchows Archiv. 1889. Bd. 116. S. 191 u. ff.
Der Verf. trägt die allgemein bekannten Thatsachen vor, welche
in jedem Lehrbuch der Geschichte der Medicin zu finden sind, und giebt
Jahresbericht für Alterthumswissenschaft. LXIV. Bd. (1890. HI.) 19
290 Medicin der Griechen und Römer.
dann ein Verzeichniss medicinischer Technicismen der lateinischen Sprache,
die aus dem Griechischen stammen. Leider hat er es versäumt, die über
sein Thema vorhandene Literatur vorher durchzuarbeiten, und einzelne
wichtige Schriften gänzlich übersehen.
16) M. Well mann: Zur Geschichte der Medicin im Alterthum.
Hermes. Bd. 23. S. 556 u. ff.
In dem ersten Artikel wird die Lebenszeit des Heraklides von
Tarent auf Grund einer Menge von Thatsachen, die der Verf. aus der
Literatur zusammengetragen hat, um das Jahr 100 v. Chr. bestimmt
und die schriftstellerische Thätigkeit desselben besprochen. — Der
zweite Aufsatz handelt über den von verschiedenen Autoren, z. B. von
Heraklides, citirten Arzt Andreas, welchen Wellmann für den unglück-
lichen Leibarzt des Ptolemaeus Philopator hält, der vor der Schlacht
bei Raphia im Jahre 217 v. Chr. aus Versehen anstatt seines Herrn er-
mordet wurde. Von ihm rühren nach des Verf.'s Meinung die pharma-
kologischen Schriften her, welche Dioskorides und Plinius erwähnten,
wenn sie sie auch nicht im Original kannten. Leider unterlässt es
Wellmann, auf das literarische Verhältniss dieses Andreas zu Andreas
von Karystus einzugehen. — Im folgenden Abschnitt sucht er zu bewei-
sen, dass die beiden Aerzte, Namens Philonides, von denen der eine
angeblich aus Dyrrachium, der andere aus Sicilien stammte, wahrschein-
lich identisch waren. Dieser Philonides lebte um das Jahr 30 v. Chr.
und war ein Schüler des Asklepiades und Lehrer des Paccius Antio-
chus. — Im letzten Artikel setzt der Verf. auseinander, dass Vieles
wahrscheinlich auf Apollonios Mys zu beziehen ist, was Apollonios, dem
Herophileer, zugeschrieben wird.
17) M. Wellmann: Analecta medica. 1888. Jahrb. f. Philol.
Bd. 137. H. 3. S. 153—158.
Zwei kleine Artikel, von denen der eine einen wenig bekannten
Arzt des vierten Jahrhunderts v. Chr., Petrou oder Petrichus betrifft,
der andere die gemeinsame Quelle für Dioskorides und den Scholiasten
des Nikander zum Gegenstande hat und als solche den Sextius Niger
bezeichnet.
18) F. Küchenmeister: Die beiden Plinius und ihre Besitzun-
gen und Sommerfrischen am Comersee. Wissenschaftl. Beil. der Leip-
ziger Zeitung 1887. No. 60.
19) Laboulbene: Celse et ses oeuvres. Paris. Rev. scient.
T. 34. p. 681—686. 718—724. 739-746.
20) Laboulbene: Celse et la medicine ä Rome. Paris. Union
laM. 1885. No. 29.
Medicin der Griechen und Römer. 291
21) Stan. Smolenski: Fizyczne sposoby leczenia Korneliusza
Celsa (Physikalische Heilproceduren des Cornelius Celsus). Przeglad
lekarski. 1885. No. 27. 29. 30. 33.
22) Overbeck: Pomiieji. Leipzig 1884. 4. Aufl.
23) R. Lupine: Une page d'histoire de la medicine. La thera-
peutique sous les premiers Cesars Lyon med. 1889. No. 46. 47.
[Lebhafte Schilderung der Medicin im alten Rom].
24) Dupouy: Medecine et moeurs de l'ancienne Roma d'apres
les poetes latins. Paris. 1885. 8^. 432 p.
Zusammenstellung aller auf die Aerzte, die Medicin und die sani-
tären Zustände bezüglichen Stellen aus Ovid, Horaz, Catull, Properz,
Virgil, Lucan, Lucrez, Lucilius, Persius, Juveual, Martial, dem Tragiker
Seneca, aus Plautus und Publius Syrus. Die Erklärungen, welche Du-
pouy dazu giebt, haben eine anmuthige Form, sodass das Buch eine ge-
nussreiche Lektüre darbietet.
25) Dupouy: La medecine dans les poetes latins. Paris. M6-
de ein. 1884. No. 15.
26) Amari: Sul supposto sepolcro di Galeno alla Cannita. Pa-
lermo. 1887. 8°. 15 p.
27) A. Corlieu: Les medecins grecs depuis la mort de Galien
jusqu'ä la chute de l'empire d'Orient. Paris med. 1884. p. 1. 49. 73.
169. 217. 229. 289 u. ff. u. separat.
Der Verf. beginnt damit, dass er zunächst die Summe des medi-
cinischen Wissens feststellt, welches die Aerzte bei Galens Tode besassen;
dabei geht er namentlich auf die Anschauungen und Theorien ein, die
sich damals in Betreff des Wesens und der Behandlung der verschiede-
nen Krankheiten geltend machten. Hierauf schildert er die Entwicke-
lung der Heilkunde in der Nach-Galeuischen Zeit und während der By-
zantinischen Periode. Die hervorragenden Aerzte und medicinischen
Autoren werden genannt, ihre Lebensschicksale erzählt, ihre wissenschaft-
lichen Leistungen und ihre Schriften aufgezählt und der Inhalt der letz-
teren mit wenigen Worten angegeben. — Im Anhang folgen zwei Ab-
handlungen, die eigentlich nicht hierher gehören. Die eine handelt über
die Pest von Athen und wurde zuerst in der Revue scientifique (22. März
1884) veröffentlicht; der Verf. erklärt die von Thukydides beschriebene
Krankheit mit Recht als eine Epidemie des Kriegs-Typhus. Die zweite
Abhandlung beschäftigt sich mit den sanitären Zuständen bei dem Rück-
zuge der Zehntausend unter Xenophon und enthält eine Menge werth-
voller Bemerkungen über das Militär-Medicinalwesen bei den Griechen;
sie erschien ebenfalls schon früher (1879). —
19*
292 Medicinische Literatur dor Griechen und Römer.
28) A. Cor Heu: Michel Psellos ou le bögue. Paris möd. 1884.
p. 325—327.
IV. Die medicinisclie Literatur der Griechen und Römer.
1) A. G. Kostomiris: Sur les öcrits inedits des anciens mede-
cins grecs et ceux dont le texte original est perdu, niais qui existent
en latin ou eu arabe. Rev. des etud. grecques u. Gaz. med. de
Paris. 1889.
Kostomiris weist, wie schon viele Andere vor ihm, darauf hin, wie
wenig noch für die Herstellung guter Ausgaben der medicinischen Auto-
ren der griechischen Literatur geschehen ist. Wir besitzen noch keine
korrekte griechische Ausgabe des Galen, noch keine vollständige Origi-
nal-Ausgabe des Aetius, obwohl sie nicht blos für die Geschichte der
Medicin, sondern auch für diejenige der Philosophie und für die ge-
sammte Culturgeschichte des Alterthums eine grofse Bedeutung haben.
— Der Verf. giebt dann ein Verzeichniss von medicinischen Schriften
der alten Griechen, deren Original-Text bisher noch nicht veröffentlicht
worden ist. Er nennt hier zunächst mehrere Abhandlungen, welche
fälschlich dem Hippokrates zugeschrieben werden, nämlich 1) "InrMxpd-oog
voTjiid re xal ar^fjLacwacg Tzepc ^ojr^g xa\ &avdzou. 2) 'InTToxpdroug rzpog
FaXrjvov Tispl a^uypwv xal xpdazcov. 3) ' Imxoxpdzoug nepi otatpopag xal
TzavToicuv Tpocpojv. 4) Tiepl oupojv. 5) Ttpeaßeuvcxog. ferner 6) laTpoaötptov
ex zoü 'InnoxpaTOug ßißXcou. 7) Auaecg sig zd TipoßXrjd^ivza '^Imtoxpazsca
lazpcxä xal (poatxa Zfjzrjpaza. 8) Egrjyyjacg ziöv d^opcap.a>v ' iTiTtoxpdzoug
(Commentare des Theophilus, Meletius und Damascius). 9) Die Frag-
mente aus der Arzneimittellehre des Kratevas. 10) Mehrere Schriften
des Aelius Promotus, nämlich das /luvaiiepuv (Arzneimittellehre), die
'lazpixd, (foatxd xal dvzmad^rjzixd und Tzapl loßuXojv xal drjXTjzrjpciov (pap-
p.dxujv. — Hierauf folgt eine Anzahl von Abhandlungen, welche Galens
Namen tragen. Einige sind wahrscheinlich acht, die meisten aber apo-
kryph. Zu den ersten gehören: 11) Ilspl Xenzuvoüarig dcaczrjg xal za^u-
vuuar^g. 12) IJpug Faupov mpl zuu r.ujg i/i(pu^ou\^zac zd ipßpua. (An
Gauros über die Frage, wie die Embryonen beseelt werden). 13) liepl
zöjv a<fuyiiwv zotg elaayopevocg (zum Theil in der Kühn'schen Ausgabe
gedruckt). 14) Drei Schriften mpl /xuwv, nepl oazuJv und Tzspl ^XaßuJv,
die, wie Kostomiris glaubt, keineswegs mit den unter ähnlichen Titein
veröffentlichten Arbeiten in der Kühn'schen Ausgabe übereinstimmen.
15) Ihpl voü oAoo voarj/xazog , welches vielleicht identisch ist mit einer
Abhandlung, die bei Kühn T. VU. p. 440—462 steht. — Zu den letzte-
ren müssen folgende Abhandlungen gerechnet werden: 16) Ilspl dm-
(plag TipayiiazeLa. 17) Hein dtaczTjg xal ^zpamtujv npög 'Avzixivaopa
TMzpcxcov xal iztpa npoß Xrjjxaza <pcX6ao(fa tpoaixd 7is.pl luzpcxr^g. 18) 'Ex
zoü npug llazpoffdov nzpl nXeupczidug. 19) Ein griechisches Verzeich-
Medicinische Literatur der Griechen und Römer. 293
niss der einfachen Arzneistoife. 20) üepl ^etpoopy/jatcbv rahjvoo xal
TTSpc xrj.TaxXr^aea)g voaotjvzcüv . 21) 'larpojxa&rjiiarcxd (vielleicht identisch
mit einer Abhandlung der Kühnschen Ausgabe Bd. 19. S. 529 und if.).
22) 'laTpoaoiptov exXsXeyfisvov ix zoü fahjvou xrx\ 'InnoxpaToug xai äXXujv
rcvuJv noXXä doxijiioraTov. 23) ' Innoxpdroug re xal VaXrjVoo xal irdpcuv
(fiXoaoifiuv jlaTcvojv xai Fpexuiv nspc ^ecopr^judrojv re xai ema-dcEujv
dXrjBoug dr.üSet^sojg. 24) FaXrjVoTt Trpoyvaxrzcxov rcspl dvßpiUTrou. 25) flpo-
Xeyufxtva elg zu zoü IdkrjVou nspl azof^etojv. 26) raXrjVou za kpitizrifiaza
zr^g lazptxrß. 27) Alte handschriftliche Inhaltsangaben mehrerer Werke
Galens und Verzeiclinisse der von ihm citirten Autoren. 28) lazpoao-
(ptüv raXrjVou xa& ' InTioxpdzoug. 29) Tou 'Imioxpdzoog elg t« dvaXo-
zcxd, ßtßXta oExaziaaapa- xal iqrjysizat aozd 6 IdXrjVog. — Der Verf.
führt hierauf 30) die Schriften einer Aerztin Metrodora an, deren Le-
benszeit unbekannt ist. Sie betreffen die Krankheiten der Frauen, die
Erkrankungen des Uterus, der weiblichen Brüste, des Magens u. a. m.
31) Die specielle Pathologie eines anonymen Arztes, welcher der Verf.
ein hohes Alter und einen werthvoUen Inhalt zuschreibt. 32) Die '0<p^al-
pnxd. des Oribasius. 33) Die Züvoipig elg zr]v (pöatv zoo dvBpdijTiou des
Philosophen Leo (886 n. Chr.). 35) Mehrere medicinische Schriften von
Autoren der Byzantinischen und neugriechischen Periode, z. B. von
Theophanes Nonnus, Micliael Psellus, Theodor Laskaris, Nikolaus Myrep-
sus, Johannes Aktuarius, Nikol. Kerameus, Nikaeus, einen Theil der
Hippiatrika, einige Abhandlungen, welche den Namen des mythischen
Hermes tragen, einen Theil der Ephodia, medicinische Schriften von
Johannes, dem Sohne Michaels, vom Archiater Johannes, von Stephanus
Magnetes u. A. — Im nächsten Abschnitt spricht Kostomiris über einige
medicinische Werke der Griechen, deren Original- Text verloren gegan-
gen ist, von denen aber noch lateinische oder arabische Uebersetzungen
vorhanden sind. Er citirt hier des Hippokrates Ttepl eßSofidoujv , von
der übrigens nicht blos eine lateinische, sondern auch eine arabische
Uebersetzung (München No. 802) existirt, die Lib. IX — XV von Galens
Anatomie, einen Theil der Commentare Galens zu den Epidemien des
Hippokrates, mehrere Schriften, die unter Galens Namen vorkommen,
aber einen zweifelhaften Ursprung besitzen, und zum Theil bei Chartier
veröffentlicht worden sind, z. B. nepl zwv Tipoxazapxzixujv aizccov,
zr^g i/imcpcxr^g dywyrjg unozÜTicoacg, Tiepl Swpaxög ze xal Tivaöpovog xivij-
aeojg, sc ndvza zd jxopca zoo ysvvwjjiivou ^wou (xuyycvezac, Tzspl zr^g zwv
ipojvtjivzüjv dpydvüjv dvarofi^g, nept ^(uv^g zs xal dvanvo^g, nepl zrjg zatv
^(uvzwv dvazoprjC^ nepl xtVTjaeoJV yvcorrzuiv ze xal dTiopujv, nepl zr^g zwv
b<p&aXjiu)v dvazopr^g, nepl l)fBaXp.wv, sowie die durch Caelius Aurelianus
bekannte specielle Pathologie und Therapie der acuten und chronischen
Krankheiten von Sorauus und die Werke des Theodorus Priscianus. —
Der Verf. giebt an, wo sich die einzelnen Handschriften befinden, macht
einige Mittheilungen über ihre gegenseitigen Beziehungen und ihr Alter,
294 Medicinische Literatur der Griechen und Römer.
skizzirt den Inhalt der Werke, soweit er davon Kenntniss genommen
hat, und kündigt schliesslich an, dass er damit beschäftigt ist, die wich-
tigsten der von ihm aufgezählten Schriften im griechischen Original-Texte
herauszugeben. Er hat mit den ungedruckten Büchern des Actius be-
gonnen, welche demnächst erscheinen werden, wie ich von Kostomiris
selbst erfahren habe. Seine ausgezeichneten Sprachkenntnisse, seine um-
fassende allgemeine und fachwissenschaftliche Bildung, seine unermüd-
liche Arbeitskraft und selbstlose Begeisterung für die Sache berechtigen
zu der Erwartung, dass sein Unternehmen erfolgreich sein wird. Die
griechische Regierung hat ihm eine namhafte finanzielle Unterstützung für
seine Arbeiten zugesichert und damit wieder gezeigt, dass man im heu-
tigen Griechenland wie einst in den Zeiten des Alterthums den höchsten
Ruhm darin sucht, Kunst und Wissenschaft zu fördern.
/
2) Th. Gomperz: Die Apologie der Heilkunst. Eine griechi-
sche Sophistenrede des fünften Jahrhunderts v. Chr. Sitzungsber. d.
K. Akad. d. Wiss. zu Wien. 1890. Philos. bist. Kl. Bd. 120. H. 9.
Die in der Hippokratischen Sammlung enthaltene Schrift ȟber die
ärztliche Kunst« besitzt die Form einer Rede und rührt nicht von einem
Arzt, sondern von einem Sophisten her und zwar von einem hervorra-
genden Vertreter dieses Standes. Die Zeit ihrer Abfassung fällt, wie
der stylistische Ausdruck und die Denkweise vermuthen lassen, wahr-
scheinlich in die letzten Jahrzehnte des fünften Jahrhunderts v. Chr.
Die Bezugnahme auf andere Schriften desselben Autors, die Polemik
gegen Melissos von Samos, die Eigenthümlichkeiten der Sprache und
andere Gründe weisen auf Protagoras als den Verfasser der Abhandlung
hin, wie Gomperz in überzeugender Weise auseinandersetzt.
Derselbe giebt dann (S. 41 — 65) den auf Grund der Handschriften
kritisch gesichteten griechischen Text des Buches nepl riyyr^q nebst den
Text- Varianten und einer vorzüglichen deutschen Uebersetzung. Bei
den Handschriften lassen sich drei Stadien fortschreitender Verschlechte-
rung unterscheiden. Die älteste und beste Lesart zeigt der Pariser Codex
No. 2553; hierauf folgt der Codex Marcianus No. 269 und dann kom-
men die Handschriften der späteren Zeit. Geringe Ausbeute liefern die
Varianten-Sammlungen von Job. Sambucus, Th. Zwinger, Mercuriale,
Foes, Servin und Fevre. Die Ausgaben von Littre, Ermerins und Rein-
hold enthalten zahlreiche Unrichtigkeiten und Unklarheiten und bedürfen
mancher Berichtigung und Verbesserung. Gomperz entwickelt den Auf-
bau der Rede, bespricht die sprachliche Form derselben, ihre Dialekt-
Eigenthümlichkeiten und deren Verhältniss zu den übrigen Schriften der
Hippokratischen Sammlung und zum Jonismus überhaupt und erläutert
den von ihm festgestellten griechischen Text durch eine grosse Anzahl
von Erklärungen und Anmerkungen, welche durch die überzeugende Lo-
gik der Beweisführung, durch den Reichthum an historischen und lite-
Medicinische Literatur der Griechen und Römer. 295
rarischem Material und durch die Classicität des Ausdrucks ebensoviel
Genuss als Belehrung gewähren.
3) J. IIb er g: Zur Ueberlieferung des Hippokratischen Corpus.
Rhein. Mus. 1887. Bd. 42. H. 3. S. 436—461.
In diesem Aufsatz werden die Handschriften der Hippokratischen
Sammlung nach ihrem Wert und ihrer verwandtschaftlichen Zusammen-
gehörigkeit geordnet und in drei Klassen eingetheilt. Zu der ersten
rechnet der Verf.: 1) Cod. Vindobon. med. IV und 2) Cod. Parisinus
2253, welche beide dem 10. Jahrh. angehören. 3) Cod. Laurent.
74, 7, der aus dem 11. oder 12. Jahrh. stammt. In die zweite
Klasse stellt er: 4) Cod. Vaticanus 276 aus dem Ende des 12. Jahr-
hunderts. 5) Cod. Parisinus 2146 aus dem 16. Jahrb., der eine
Abschrift des vorigen Codex ist, ebenso wie 6) Cod. Vatican. Palatinus
192, der im 15. Jahrh. geschrieben wurde. Von der dritten Klasse
unterscheidet er drei Gruppen, von denen die erste: 7j den Cod. Mar-
cianus 269 aus dem 11. Jahrh. und 8) Cod. Ambrosianus 85, wel-
cher um das Jahr 1500 angefertigt wurde und dem vorigen sehr nahe
steht, die zweite: 9) Cod. Paris. 2254 und 2255, der dem 14. Jahrh.
angehört, 10) Cod. Vatican. 277 aus dem 14. Jahrb., 11) Cod.
Urbinas 68 aus dem 15. Jahrh. 12) Cod. Paris. 2142 aus dem
13. Jahrh. 13) Cod. Paris. 2145 aus dem 14. Jahrh. und 14) Cod.
Havniensis 224 aus dem 15. Jahrb., und die dritte: 15) Cod.
Paris. 2144. 16) Cod. Paris. 2140. 17) Cod. Paris. 2143, welche
sämmtlich aus dem 14. Jahrh. stammen. 18) Cod. Laurentian. 74,
1, welcher im Jahre 1500 geschrieben worden ist. 19) und 20)
Zwei Leydener Handschriften, die von Ermerins benutzt wurden.
21) Cod. Oxford 204, welcher von Coxe beschrieben wurde, und 22) die
Münchener Handschrift vom Jahre 1531, die Cornarius seiner Ausgabe
zu Grunde legte, umfasst. Der Verf. beschreibt die einzelnen Codices,
schildert ihre Bedeutung und zeigt, welche von ihnen bei einer neuen
Ausgabe der Hippokratischen Sammlung zu Rathe gezogen werden
müssen. Er empfiehlt dafür namentlich die unter No. 1 und 2 aufge-
führten Codices, durch deren Vergleichung der Text der Littreschen
Ausgabe manche Verbesserungen erfahren würde, wie er durch einige
Beispiele erläutert.
4) J. Ilberg: lieber das Hippokratische Corpus. Verhandl. d.
Philologen- Versammlung in Görlitz. 1889.
Der Redner schildert in diesem Vortrage in gedrängter Kürze die
Entstehung und die Schicksale der Hippokratischen Sammlung, berührt
das Verhältniss der ältesten Herausgeber Artemidoros Kapiton und Dios-
kurides zur Textes-Ueberlieferung und die Beziehungen der Galen'schen
Commeutare zur heutigen Gestalt des Werkes, bespricht die lateinischen
296 Medicinische Literatur der Griechen und Römer.
ITebersetziingen, den Einfluss der Salernitanischen Schule und die Ueber-
setzungen der Araber und hebt endlich die Bedeutung hervor, welche
einzelne Handschriften für den Text besitzen.
6) J. IIb arg: Die Hippokrates- Ausgaben des Arteniidoros Ka-
piton und Dioskurides. Rhein. Mus. N. F. Bd. 45. S. 111— 13Y. 1890.
Artcmidoros Kapiton und Dioskurides, welche unter dem Kaiser
Hadrian lebten, waren die Ersten, welche die Herausgabe der Hippokra-
tischen Werke unternahmen. Sie benutzten dabei wahrscheinlich das
Material, welches die zahlreichen Commentatoren vor ihnen hinter-
lassen hatten. Sie arbeiteten von einander unabhängig, scheinen aber
in vieler Beziehung zu den gleichen Ergebnissen gelangt zu sein. Was
wir von ihrer Thätigkeit wissen, verdanken wir den Mittheilungen Ga-
lens, welcher die von ihnen vorgenommenen Aenderungen des Hippokra-
tischen Textes angiebt und dabei berichtet, dass Dioskurides gewissen-
hafter war als Artemidoros und nicht wie jener, die Varianten unmittel-
bar in den Text stellte , sondern nur am Rande anmerkte. Der Verf.
stellt in diesem Aufsatz die von Galen bezeugten Lesarten der beiden
Ausgaben zusammen, erörtert dann die Frage, welche Spuren sie in un-
serer handschritftlichen Tradition hinterlassen haben, und zeigt, dass sie
darauf weder einen solchen massgebenden Einfluss ausgeübt haben, wie
Christ annimmt, noch ohne jede nachhaltige Wirkung waren, wie Littre
glaubte, sondern ohne Zweifel an einigen Stellen die Form bestimmt
haben.
6) Schneider: Quaestionum Hippocratearum specimen. Bonn.
1885. 8*'. 31 S. Inaug. -Diss. [Der Verf. versucht auf Grund des
Gebrauches einiger Partikeln die Frage der Aechtheit mehrerer Hip-
pokratischer Schriften zu lösen].
7) Kühlewein: Zur Ueberlieferung der Hippokratischen Schrift
xaz h^zpecov. Hermes. 1888. Bd. 23. S. 259 — 267.
Die kleine Schrift über die Werkstatt des Arztes macht den Her-
ausgebern und Erklärern grosse Schwierigkeiten, weil der Text dersel-
ben sehr verdorben und lückenhaft ist und grösstenteils in abgerissenen
unvollständigen Sätzen besteht, denen die nothwendige Verbindung und
Durcharbeitung fehlt. Kühlewein hat nun die Handschriften einer ge-
nauen Durchsicht unterzogen und zwar die beiden ältesten, nämlich den
Cod. Laurent. 74, 7 und Marcianus 269, welche dem 11. Jahrundert
angehören, und dabei gefunden, dass sich mit deren Hilfe A'iele Mängel
und Irrthümer des Textes der bisherigen Ausgaben verbessern lassen.
Er liefert dafür zahlreiche Belege und bemerkt, dass Littre nur eine
schlechte CoUation des Cod. Laurent. 74, 7 und die Pariser Handschrift
2146 aus dem 16. Jahrhundert, die eine Abschrift des Cod. Vatican. 276
Medicinische Literatur dpr Griechen und Römer. 297
ist, benutzt hat, während Petrequin eine fehlerhafte Collation des Cod.
Marcianus 269 hatte.
8) Kühlewein: Die handschriftliche Grundlage des Hippokrati-
schen Prognostikons. Hermes. 1890. Bd. 25. S. 113 — 140.
Schon früher (De Prognostici Hipp, libris manuscr. Lips. 1876)
hat der Verf. die verschiedenen Handschriften, von denen siebzehn in
Paris, zwei in Wien, eine in Mailand, eine im Vatikan, eine in Florenz,
eine in Venedig und eine in München sind, beschrieben und dabei be-
merkt, dass sie in zwei Gruppen zerfallen, von denen diejenige, welche
die Galen'schen Lesarten besitzt und hauptsächlich durch Cod. Vindo-
bon. 20 und Parisin. 446 repräsentirt wird, den besseren Text aufweist.
Kühlewein hat nun neuerdings noch vier Handschriften verglichen und
erstattet hier darüber Bericht. Es sind dies: 1) Cod. Barberin. I, 11,
welcher dem 14. Jahrh. angehört und mit Cod. Marcianus 269 und Pari-
sinus 2142 übereinstimmt. 2) Cod. Laurent. 74, 1 aus dem 15. Jahrb.,
welcher der Münchener Handschrift 71 nahe steht. 3) Cod. Laurent. 74,
11 aus dem 13. Jahrb., der ebenso wie der folgende Codex zur besseren
Klasse der Handschriften gehört. 4) Codex Vaticanus 2254, der aus
dem 10. Jahrh. stammt. Die beiden zuerst genannten Handschriften
sind für die Feststellung des Textes nahezu entbehrlich, die beiden letz-
ten dagegen sehr werthvoll und nothwendig. Kühlewein spricht dann
über eine lateinische Uebersetzung des Prognostikons, welche in der
Pergament -Hand Schrift G 108 der Ambrosianischen Bibliothek zu Mai-
land enthalten ist und um das Jahr 900 in Ravenna geschrieben wurde.
Die Uebersetzung selbst ist vielleicht schon im fünften Jahrhundert,
jedenfalls aber nicht später als im Anfang des sechsten Jahrhunderts
entstanden, wie sich aus dem Charakter der Latinität ergiebt. Hierauf
folgt der lateinische Text derselben. Am Schluss seiner Arbeit macht
der Verf. einige Vorschläge zur Verbesserung des griechischen Textes,
welche durch die Durchsicht der griechischen Handschriften und der
alten lateinischen Uebersetzung hervorgerufen wurden.
9) Kühlewein: Die Textesüberlieferung der angeblich Hippo-
kratischen Schrift über die alte Heilkunde. Hermes. 1887. Bd. 22.
H. 2. S. 179 u. ff.
Der älteste Codex, welcher die Abhandlung mpl dp;(a:rjg hjzptxr^g
enthält, ist der Pariser No. 2253; in dem Vindobon. med. IV fehlt sie.
Die Pariser Handschrift hat den besten Text; an manchen Stellen bietet
nur sie allein eine richtige und vernünftige Lesart. Wo sie fehlerhaft
erscheint , muss der Cod. Marcian. No. 269 zu Rathe gezogen werden,
was die frühereu Herausgeber gar nicht oder doch nicht in genügender
Weise gethan haben. Kühlewein hat diese Handschrift zu zwei Dritt-
theilen coUationirt und berichtet, dass sie nicht blos die guten Lesarten
298 Medicinische Literatur der Griechen und Römer.
der Pariser bestätigt, sondern an einzelnen Stellen sogar den Vorzug
vor ihr verdient. Er weist ferner auf den Cod. Laurent. 74, 1 hin,
welcher ebenfalls einige beachtenswerthe Varianten besitzt, und zeigt an
einigen Beispielen, wie der Text der Littreschen Ausgabe durch die
Venetiancr und Florentiner Handschrift verbessert werden kanu.
10) Kühlewein: Der Text des Hippokratischen Buches über die
Kopfwunden und der Mediceus B. Hermes. Bd. 20. H. 2. 1886.
Der Cod. Laurentianus 74, 7, welchen Laskaris aus Konstantino-
pel nach Florenz brachte, enthält ausser acht anderen Schriften anato-
mischen und chirurgischen Inhalts auch die Hippokratische Abhandlung
über die Verletzungen des Kopfes; er ist mit colorirten Zeichnungen
ausgestattet und bildet einen Theil der Sammlung des Niketas. Leider
reicht der Text der Abhandlung nur bis Cap. 16; er diente den beiden
Pariser Handschriften derselben, die aber vollständig sind, als Vorlage.
Littre benutzte bei seiner Ausgabe eine von Foesius hinterlassene Colla-
tion. Kühlewein hat dieselbe nochmals mit dem Cod. Laurent, verglichen
und liefert auf Grund dessen eine Menge von Berichtigungen, Ergänzun-
gen und Verbesserungsvorschlägen.
11) F. Poschen rieder: Die naturwissenschaftlichen Schriften
des Aristoteles in ihrem Verhältniss zu den Büchern der Hippokrati-
schen Sammlung. Progr. d. Studienanst. zu Bamberg. 1888. 67 S.
Der Verf. untersucht, welche Schriften der Hippokratiker dem
Aristoteles bekannt waren, und kommt zu dem Ergebniss, dass sich dies
vom Lib. VHI des Werkes de aere, aquis et locis, den Aphorismen,
Lib. II de diaeta, Lib. I und II de morbis, Lib. II und VI der Epide-
mien, der Schrift über die Kopfverletzungen, dem Buche über die hei-
lige Krankheit, von den Abhandlungen de locis in homine, de carnibus,
de natura ossium, de natura hominis, de articulis u. a. nachweisen lässt.
Er stellt zu diesem Zweck die betreffenden Stellen aus Aristoteles den
entsprechenden Sätzen der Hippokratiker gegenüber.
12) L. Dittmeyer: Die Unächtheit des neunten Buches der
Aristotelischen Thiergeschichte Blatt, für d. Bayr. Gymnas. 1887.
Bd. 23. H. 4.
13) W. Studemund: Damocratis peetae medici fragmenta se-
lecta im Index lection. in univers. literar. Vratisl. Breslau. 1889.
40. 33 p.
Der Arzt Damokrates lebte unter der Regierung des Kaisers Nero.
Von seinen Schriften haben sich einige Fragmente erhalten: Recepte,
welche dem Geschmack jener Zeit entsprechend eine poetische Form
zeigen. Sie finden sich grösstentheils in den Werken Galens r.epl auv-
Medicinische Literatur der Griechen und Römer. 299
dea£(ug (papiidxüjv tujv xarä roTcoog und tcuv xarä yivq und 7iEp\ avTi-
86züjv. Studemund hat sich hier nur mit diesen beschäftigt und ist auf
die übrigen Fragmente des Damokrates, z. B. auf diejenigen bei Alex-
ander Trallianus, nicht eingegangen. Er bespricht die Codices des Ga-
len, in denen sie enthalten sind, ihren Werth und ihre gegenseitigen
Beziehungen, sowie die verschiedenen Ausgaben und unterzieht den Text
einer sorgfältigen Durchsicht. Diese Bruchstücke stehen in der Kühn'-
schen Ausgabe T. Xll, p. 889—892. XIII. p. 40- 42. 220-227. 349 — 354.
14) L. Scheele: De Sorano Ephesio medico etymologo. Strass-
burg 1884 8^. 40 S. Inaug.-Diss.
Der Verf. sucht nachzuweisen, dass die von Hesychius erwähnten
beiden medicinischen Autoren, die den Namen Soranus führen, eine und
dieselbe Person sind, berichtigt einige falsche Angaben des Tzetzes über
Soranus und zeigt, dass der Text der dem Soranus zugeschriebenen
hoiiokoyiat roh (Tcu/xrxTog to~> dvd^pcvnoo aus dem Etymologicum Orionis
Thebani, dem Etymologicum magnum, Gudianum, Zonarae, den Schollen
zu der Schrift des Rufus von Ephesus r.spl uvoixaac'ag twv zu~j auj[iaTOQ
fiupiwv^ den Schollen des Tzetzes zur Ilias, den Schollen des Soranus
zu Aeschylus und anderen Dichtern, dem Onomasticum des Julius PoUux
und vor Allem aus dem Buche des Meletius Tispl rrjQ zoo äv^pumou xa-
zaax£orjg wiederhergestellt werden kann. Unter den ärztlichen Autoren,
welche Meletius, wie er schreibt, benutzt hat, wird Sokrates anstatt
Soranus genannt, was Scheele auf einen Schreibfehler der Codices zu-
rückführt. Er glaubt ferner, dass der Titel des Werkes ursprünglich
mp\ (füazujg dvi^pcuTTou gelautet hat. In den beiden letzten Kapiteln
werden die Vorzüge, welche das Buch des Meletius vor den übrigen
literarischen Quellen, die oben angeführt wurden, entwickelt, und die
in der Schrift des Soranus citirten Dichter und Grammatiker aufgezählt.
15) G. Helmreich: Scribonii Largi compositiones. Lips. 1887.
8«. 123 S.
Scribonius Largus übte in Rom die ärztliche Praxis aus und be-
gleitete den Kaiser Claudius im Jahre 43 nach Britannien. Er ist der
Verfasser eines Receptenbuches, welches er seinem Gönner, dem Frei-
gelassenen Cajus Julius Callistus, widmete, der es dem Kaiser vorlegte.
Als seine Lehrer nennt er den Apulejus Celsus von Centuripae und den
Tryphon, als seinen Mitschüler den durch seinen ehebrecherischen Ver-
kehr mit der Messalina berüchtigten Vettius Valens In seinem Buch
citirt er die Aerzte Andren, Julius Bassus, Cassius, Marcianus, Anto-
nius Musa, Paccius Antiochus, Zopyrus und die Chirurgen Aristus, Dio-
nysius, Euelpistus, Glycon, Meges und Thraseas. Die schlechte Latini-
tät der Sprache in seinem Werke und die vielen Aehnlichkeiten und
Uebereinstimmungen, die es mit der Recepten - Sammlung des Marcellus
300 Mcdicinischo Literatur der Griocben und Römer.
Erapiricus aufweist, erweckten in Cornarius die Vermiithung, dass es
ursprünglich in griechischer Sprache abgefasst und erst später in die
lateinische übertragen worden sei. Schon Rhodius trat dieser Ansicht
entgegen, und Hclmreich bemerkt, dass der lateinische Styl des Scribo-
nius Largus zwar weit entfernt ist von der Eleganz eines A. Cornelius
Celsus, aber keine Ausdrücke enthält, welche zu seiner Zeit nicht ge-
bräuchlich waren. Marcellus Empiricus plünderte das Buch des Scribo-
uius Largus, ohne dessen Namen zu erwähnen; dagegen citirte er einen
gewissen Designatianus und gab dadurch Veranlassung zu dem Irrthum,
dass derselbe mit Scribonius Largus identisch sei.
Die Recepten-Sammlung des Letzteren ist uns nur in einer einzi-
gen Handschrift überliefert worden, welche der erste Herausgeber der-
selben, Ruellius (Paris 1529), als Vorlage benutzt hat. Diese Handschrift
ist seit jener Zeit leider verschwunden und wurde bisher nicht wieder
aufgefunden, ebenso wenig als irgend ein anderer Codex des Scribonius
Largus. Die späteren Herausgeber mussten sich daher auf einzelne
Verbesserungen oder Conjekturen des Textes beschränken. Eine sorg-
fältige kritische Durchsicht desselben von einem in der medicinischen
Literatur der Alten erfahrenen Philologen war bisher, wie schon
E. Meyer beklagte, niemals geschehen. Helmreich hat sich dieser Auf-
gabe unterzogen, und den Text von Fehlern gereinigt, au vielen Stellen
verbessert und für den Gebrauch hergerichtet. Die literarischen Hilfs-
mittel, welche er dabei benutzte, waren ausser der Ausgabe des Ruellius :
1) Das Receptenbuch des Marcellus Empiricus nach der Baseler Aus-
gabe des J. Cornarius vom Jahre 1536 und nach dem zu Laon befind-
lichen Codex desselben. 2) Die Randbemerkungen, welche C. A. Boetti-
ger in ein ihm gehöriges Exemplar des Scribonius Largus eingezeichnet
hat. 3) Die Notizen 0. Sperlings, soweit sie durch C. G. Kühn dem
Druck übergeben worden sind. Es ist bedauerlich, dass ihm nicht der
gesammte handschriftliche Commentar zu Scribonius Largus, welchen
Sperling, der durch sein unglückliches Schicksal bekannte Leibarzt und
Freund des dänischen Reichskanzlers Corfiz Uhlfeld hinterlassen hat,
zugänglich gemacht wurde. Er befindet sich in der königl. Bibliothek
zu Kopenhagen und enthält viele sachliche Erklärungen.
Helmreichs Ausgabe zeichnet sich durch jene peinliche Sorgfalt
und gründliche Sachkenntniss aus, welche allen Arbeiten dieses Gelehr-
ten eigenthümlich sind.
16) G. Helmreich: Marcelli de medicamentis über. Lips. 1889.
80. 415 S.
Marcellus mit dem Beinamen Empiricus, um ihn von Marcellus
aus Sida zu unterscheiden, lebte in der zweiten Hälfte des vierten und
im Beginn des fünften Jahrhunderts n. Chr., bekleidete hohe Staats-
ämter unter den Kaisern Theodosius l. und Arcadius und stammte aus
Medicinische Literatur der Griechen und Römer. 301
Gallien, wie er selbst erzählt und auch aus seiner Sprache hervorgeht.
Einige vermutheten, dass Bordeaux sein Geburtsort sei, und bezeichneten
ihn deshalb als Burdigalensis ; doch lassen sich dafür keine Beweise
bringen. Dass er sich zum Christenthum bekannte, zeigen mehrere Be-
schwörungs-Formeln in seinem Buche. Von dem letzteren ist jetzt nur
noch eine einzige Handschrift vorhanden, welche in Laon aufbewahrt
wird. Sie stammt aus dem neunten Jahrhundert, ist auf Pergament ge-
schrieben, enthält 198 Blätter, zeigt aber am Anfange ebenso wie am
Ende einige Beschädigungen. Val. Rose glaubte, dass dieser Codex der
ersten gedruckten Ausgabe, welche Janus Cornarius 1536 bei Frohen in
Basel ^veranstaltete, als Vorlage gedient habe; aber Helmreich macht
darauf aufmerksam, dass sich bei einer Vergleichung des Textes der
Ausgabe mit demjenigen der Handschriften manche Verschiedenheiten
ergeben und in dem einen Worte gebraucht werden, welche in dem an-
dern fehlen, und gelangt zu dem Schluss, dass Cornarius nicht den Co-
dex von Laon, sondern eine demselben nahe stehende Handschrift be-
nutzt hat. Die späteren Ausgaben des Werkes in der Aldina (1547)
und in der Stephan'schen Sammlung (1567) bildeten unveränderte Ab-
drücke der Baseler Ausgabe. Die sachverständige Verwerthung des
vorhandenen handschriftlichen Materials für eine den heutigen Ansprüchen
der Wissenschaft entsprechende Ausgabe, welche einen von Fehlern ge-
reinigten Text bietet, war daher ein dringendes Bedürfniss. Helmreich
hat sich ein grosses Verdienst erworben, indem er sich dieser Aufgabe
widmete.
Seine Ausgabe beginnt mit dem Briefe des Marcellus an seine
Söhne, in welchen er den Inhalt und Zweck seines Werkes erläutert.
Hierauf folgen einige Notizen über die Maasse und Gewichte der medi-
cinischen Autoren der Griechen und eine Anzahl von apokryphen Brie-
fen, die aber jedenfalls ein hohes Alter haben und daher ein literatur-
geschichtliches Interesse erregen.
Der erste ist angeblich von Largius Designatianus an seine Söhne,
der zweite von Hippokrates aus Kos an den König Antiochus, der dritte
von demselben an Maecenas, der vierte von Plinius Secundus an seine
Freunde, der fünfte von Cornelius Celsus an Julius Callistus, der sechste
von demselben an Pullius Natalis und der siebente von Vindicianus, dem
Comes archiatrorum, an den Kaiser Valentinian gerichtet. Sie beziehen
sich sämmtlich auf das Wesen und den Nutzen der Heilkunst. Dann
kommt der Text des Werkes des Marcellus über die Heilmittel, welches
in 36 Kapiteln die specielle Therapie aller Leiden mit Ausnahme der
Chirurgie, Augenheilkunde und Geburtshilfe umfasst und in der Ausgabe
von S. 26—382 reicht. Die einzelnen Krankheiten und Krankheitszu-
stände werden in der damals üblichen topographischen Reihenfolge vom
Kopfe zu den Füssen aufgezählt und dabei die Heilmittel genannt, welche
sich dagegen wirksam erwiesen haben. Die letzteren sind theils diäte-
302 Medicinische Liftoratiir der Griechon und Römer.
tische, theils arzneilicho ; theils bestehen sie in mystischen und sympa-
thetischen Kuren. Die Pathologie der Krankheiten bleibt unberück-
sichtigt. —
Das Buch des Marcellus ist zum grössten Theile aus den Schrif-
ten des Pseudo-Plinius und Scribonius Largus compilirt, zum kleineren
Theile aus der Volksmedicin entlehnt. Es ist eine für Laien bestimmte,
populär geschriebene Recepten-Sammlung. Sie hat mehr Werth für die
Geschichte der Botanik und der vergleichenden Linguistik als für die-
jenige der Mediciu. Marcellus hat darin eine Menge von Pflanzen er-
wähnt, einige derselben auch beschrieben und damit gleichsam den
ersten Versuch gemacht, eine Flora von Frankreich zusammenzustellen.
Meyer erklärte in seiner Geschichte der Botanik (II, 304), dass das
Buch »die au sich besseren Werke vieler anderen Aerzte des Alterthums
aufwiegt«. Da Marcellus den Namen der Pflanzen und Heilmittel auch
die keltischen Bezeichnungen beigefügt hat, so hat das Werk auch eine
sprachgeschichtliche Bedeutung.
An den Text schliessen sich (S. 382 — 384) 78 Hexameter an, welche
von Einigen dem Vindicianus, von Anderen dem Q. Serenus Samonicus
zugeschrieben werden. Sie sind von Marcellus verfasst, wenn dessen
Brief an seine Söhne acht ist, in welchem er, wie schon Meyer hervor-
hebt, erklärt, dass er auch in Versen über die Zusammensetzung der
Arzneien geschrieben habe, um die Leser durch Poesie anzulocken, und
dass dieses Gedicht den Schluss seines Werkes bilde. — Helmreich hat
seine Ausgabe des Marcellus, ebenso wie diejenige des Scribonius Lar-
gus mit einem vortrefflichen Namens- und Sachregister ausgestattet.
17) M. Schneider: Marcelli Sidetae medici fragmeuta. Com-
ment. philolog. Leipzig. 1888.
Der aus Sida in Pamphylien gebürtige Arzt Marcellus lebte zur
Zeit der Kaiser Hadrian und Antoninus Pius. Er hat ein aus 42 Bü-
chern bestehendes Gedicht, die la-pixä.^ verfasst, von welchem aber nur
noch einige Bruchstücke vorhanden sind. Sie handeln über die Heil-
mittel und Heilkräfte, welche manche Fische besitzen, und schliessen
sich an ähnliche literarische Produkte des Marcellus über den Nutzen,
welchen die Pflanzen, Steine und Vögel für die Heilkunde haben, au;
die letzteren sind jedoch verloren gegangen. Schneider giebt hier den
nach den handschriftlichen Quellen revidirten griechischen Text der
Fragmente der larpcxd und erörtert dabei die sprachlichen Eigeuthüni-
lichkeiten des Marcellus Sideta. Der Letztere hat auch eine Abhand-
lung über die Lykanthropie geschrieben, von welcher ein Bruchstück
durch Aetius (L. VI c. 11) überliefert worden ist. Ferner gilt er als
Verfasser von zwei Gedichten über die auf der Via Appia zu Rom ge-
fundenen Steine ; in der Ueberschrift des einen wird er sogar direkt als
solcher bezeichnet.
Medicinische Literatur der Griechen und Römer. 303
18) M. Wellmann: Sextius Niger. Eine Quellen-Untersuchung
zu Dioskorides. Hermes. Bd. 24. S. 530 569.
Der Verf. weist auf die vielen übereiastiraraendeu Stellen bei Dios-
korides und Plinius hin und erörtert dann die oft besprochene Frage,
welches Werk die gemeinsame Quelle ist, aus der die Beiden geschöpft
haben. Er zeigt, dass es in griechischer Sprache geschrieben und un-
gefähr in der ersten Hälfte des ersten Jahrh. n. Chr. veröffentlicht wor-
den war, und liefert durch zahlreiche Belegstellen den überzeugenden
Beweis, dass die Arzneimittellehre des Sextius Niger darunter zu ver-
stehen ist, wie man dies schon längst vermuthet hatte. Plinius giebt
den Text des Originals wörtlicher wieder als Dioskorides, weil er
bei seiner Compilation kritikloser und unselbstständiger vorging als der
letztere. Der Verf. untersucht ferner, ob Dioskorides und Plinius die
anderen von ihnen citirten Autoren im Original oder durch die Bearbei-
tung des Sextius Niger kennen gelernt haben, und kommt zu dem Re-
sultat, dass das Letztere anzunehmen ist. Als Quellen für Sextius Ni-
ger nennt er die botanischen Schriften des Theophrastus, und die raedi-
cinischen Werke des Hippokrates, Diokles von Karystus, Philistion von
Lokri, Chrysippus von Knidus, Apollodor, Nikander, Sostratus, Ophion,
Erasistratus, Jollas von Bithynien, Dieuches, Andreas, Epikles, Kratevas,
von dem sich ganze Capitel bei Dioskorides finden sollen, Hikesius, As-
klepiades und seine Schule, Pythagoras, Demokrit, Bolus von Mendes,
Phanias, die Magi, Juba und Anaxilaus.
19) J. Ilberg: lieber die Schriftstellerei des Kl. Galenos. Rhein.
Mus. 1889. Bd. 44. S. 205—239.
Der Verf. stellt sich die Aufgabe festzustellen, in welcher Reihen-
folge die einzelnen Schriften Galens entstanden sind. Er stützt sich da-
bei auf die Angaben, welche sich darüber in den Werken Galens finden.
So heisst es in der an Eugenianus gerichteten Abhandlung nep\ r^g
id^ecog tüjv lotwv ßißh'wv (Edit. Kühn. T. XIX. p. 49 — 61), dass Galen
seine Schriften tlieils auf Wunsch von Freunden, die seinen ärztlichen
Rath suchten, theils für junge Leute, welche sich der Heilkuust widmeten,
verfasst habe. Hierauf folgt eine Anleitung, wie und in welcher Reihen-
folge man seine Schriften studieren soll. Es wird dort den Lesern
empfohlen, mit den Abhandlungen r^zpl dptazrjg alpiasiog und nspl
dnudei^ewg, in welchen die allgemeinen Methoden des Studiums der Me-
dicin erörtert werden, zu beginnen und dann zu den Schriften überzu-
gehen, welche über Anatomie, Physiologie, Pharmakologie, Diätetik und
die Erklärung Hippokratischer Werke handeln. Die Bücher über Patho-
logie und Therapie werden dabei nicht erwähnt. Ob sie damals noch
nicht geschrieben waren, oder ob die Bemerkungen darüber durch eine
Nachlässigkeit des Abschreibers weggelassen worden sind, ist ungewiss.
Auch die dem Bassus gewidmete, später verfasste Schrift tispl
304 Medicinische liiteratur der Griechen und Römer.
ISl'cüv ßtßh'iüv (Ed. Kühn. T. XTX. p. 8-48) bietot manche Anhalts-
punkte für die Zeit und die Umstände, unter denen Galens Werke
entstanden sind. Es wird darin erzählt, dass Galen während seines
ersten Aufenthalts in Rom neben der ärztlichen Praxis eine reiche
Lehrthätigkeit ausgeübt, öffentliche Vorträge und Demonstrationen ver-
anstaltet und verschiedene Theile der Heilkunde schriftstellerisch be-
arbeitet habe, dass er dann, während er in seiner Heimath Pergamon
verweilte, mehrere Abhandlungen, die er früher dort geschrieben und
seineu Freunden übergeben hatte, ergänzt und verbessert und nach sei-
ner Rückkehr nach Rom seine literarische Wirksamkeit fortgesetzt und
die meisten seiner Werke geschaffen habe, während er gleichzeitig auch
wieder öffentliche Vorlesungen hielt und den ärztlichen Fachgeuossen
die Ergebnisse seiner Fachgenossen vortrug. Leider widerfuhr ihm das
Missgeschick, dass ein Theil seiner Manuscripte durch Brand vernichtet
wurde. Galen giebt dann ein sachlich geordnetes Verzeichniss seiner
sämmtlichen Schriften; dabei werden die anatomischen in die erste, die
pathologischen in die zweite und die therapeutischen in die dritte Klasse
gestellt. Die Arbeiten über die Diagnostik und Prognostik werden eben-
falls erwähnt, einige erläuternde Worte über die Commentare zu Hippo-
krates, Erasistratus und Asklepiades hinzugefügt, die Abhandlungen über
die Lehren der Empiriker und Methodiker, welche Galen selbst verfasst
hat, citirt und seine philosophischen und linguistischen Schriften aufge-
zählt. Mit Hilfe dieses Katalogs und einiger auf die früheren Arbeiten
Galens bezüglichen Stellen weist Ilberg nach, dass der Zeit seines ersten
Aufenthalts in Rom (164 — 168) folgende Werke angehören: ]) Die erste
Bearbeitung der dvaToixixal ey^y^etpYjaetg , welche ursprünglich nur zwei
Bücher umfassten und durch die öffentlichen Vorträge, die Galen in Gegen-
wart des Consuls Boethus und anderer vornehmen Herren gehalten hatte,
veranlasst wurden. 2) Die ersten sechs Bücher des Werkes r.spl tujv
"^Imroxparoug xal UMzcovog doyixaTujv. 3) Das erste Buch von mpl
y^pecag ixopiujv.
Nach seiner Rückkehr nach Rom und zwar unter der Regierung
des Kaisers Marcus Aurelius (f 180) schrieb Galen: 4) Lib. II— XVH
von Tiepl ipdaQ pLoptujv. 5) Die Abhandlungen über die Pulslehre, näm-
lich nepl Siacpopäg aipoYP-uiV, nepl dtayvuxjsojg acpojiiujv^ mpl tujv iv zoig
Cipuynolg ahccov und nepl Trpoyvutasojg a(fuynu)\i^ von denen jede aus vier
Büchern besteht, und den für Anfänger berechneten kleinen Grundriss
•nept TüJv (j(puyixü)v roTg el<Tayop.svocg. Ungefähr aus der gleichen Zeit
stammt auch die aüvofpig rrsp} a^oyfxajv und die Schrift nepl ^pscag a<fuy-
p-wv. 6) Die letzten drei Bücher des Werkes über die Lehren des Hip-
pokrates und Piaton. 7) Die ersten acht Bücher von nepl xpdazwg xal
öuvdpswg zcüv anlojv (pappdxiuv. 8) Die zweite Bearbeitung des anato-
mischen Werkes (dvazoptxal iy^Etprjcrecg) , welches aus 15 Büchern be-
stand, von denen sich aber nur die ersten acht und ein Theil des neun-
MedicJnische Literatur der Griechen und Römer. 805
ten im griechischen Originaltext erhalten haben. Das fehlende Stück des
neunten Buches und der Schluss des Werkes sind bekanntlich in einer
arabischen Uebersetzung vorhanden, die bisher leider noch nicht gedruckt
worden ist. 9) Die ersten sechs Bücher der ßspansDztxrj /xd&odos.
10) Die uycscm, ein Lehrbuch der Diätetik.
Unter dem Kaiser Septimius Severus (vom Jahre 193 ab) entstan-
den: 11) Das Werk Tispl zcuv nsTiovdo-ojv zottwv. 12) Lib. VII— XIV der
&spanetjzcxi] /xs&ooog. 13) Lib. IX — XI von nspl xpdaeojg xal ouva/ieojg
Tojv anXuJv (papp.axüjv. 14) Die beiden pharmakologischen Schriften
Tiep\ (juv&icTZcüi; (pappdxujv tujv xa~ä yivrj xal raiv xarä TÖnoog.
Ilberg führt dann die Commentare zu den Werken der Hippokra-
tiker in ihrer zeitlichen Aufeinanderfolge auf und bemerkt dabei, dass
sie wahrscheinlich erst in der zweiten Hälfte seines Lebens entstanden
sind. Den seltsamen Umstand, dass keine einzige Schrift Galens nach-
weisbar aus der Zeit des Kaisers Commodus stammt, sucht er durch
die Annahme zu erklären, dass die Arbeiten dieser Periode zu denjeni-
gen gehörten, welche durch Feuer zerstört wurden.
20) J. Ilberg: De Galeni vocum Hippocraticarum glossario.
Comment. philolog. Lips. 1888. S. 327—354.
Diese Arbeit beschäftigt sich mit den Handschriften, Ausgaben
und literarischen Quellen der Galenschen Schrift zajv Irnioxpavoog
yXiuaaujv z^Tjyriatg. Unter den Handschriften lassen sich zwei Ueberlie-
ferungen unterscheiden, nämlich eine ältere, welche durch den Cod.
Laurentianus 74, 3, Vaticanus 277, Urbinas 68, Parisinus 2254 E und
Paris. 2142 H vertreten wird, und eine jüngere, die sich im Cod. Mar-
cianus 269, Paris. 2144 F, 2141 G, 2143 J, und Laurent. 74, 1 erhal-
ten hat. Ilberg macht ausfuhrliche Mittheilungen über diese Handschrif-
ten, zeigt durch zahlreiche Beispiele, wie mit ihrer Hilfe der Text der
Kühnschen Ausgabe an vielen Stellen richtig gestellt werden kann, und
sagt, dass bei einer neuen Ausgabe der Schrift hauptsächlich der Cod.
Laurent. 74, 3 und Marcianus 269 in Betracht kommen. Im zweiten
Theile untersucht er die Quellen des Werkes und nennt unter densel-
ben neben den Commentaren Galens zu Hippokrates einzelne Schriften
von Dioskorides, Erotian und Aelius Diogenianus.
21) J. Ilberg: Galeniana. Philologus. 1889. N. F. Bd. 2. H. 1.
S. 57-66.
22) L. 0. Broker: Die Methoden Galens in der literarischen
Kritik. Rhein. Mus. N. F. Bd. 40. H. 3. 1885. [Dieser Artikel
handelt über die kritischen Methoden, welche Galen anwandte, um
die Aechtheit der Ilippokratischen Schriften zu bestimmen].
Jahresbericht für Alterthumswissenschaft. LXIV. (1890. III.) 20
306 Medicinische Literatur der Griechen und Römer.
23) Iwan Mueller: Ad Galenum vol. I, S. 58. Z. 12. Ed. Kühn.
Acta semin. philolog. Erlangen 1886. Vol. IV. p. 222.
Der Verf. glaubt, dass in der angegebenen Stelle der Kühnschen
Ausgabe: dno^s/tl'sc 8s Kwocg fxkv To7g noki~aig [loXußov re xal Toug
äXkou^ jULaf^r^rag, ar>r6»c 8e näaav dkwfisvog i<pi$ec rrjv '^EXXdSa anstatt
i(fi^zc, welches er in seiner eigenen Ausgabe in if-q-et umgeändert hatte,
besser i^s^r/g 8c8d$sc gelesen wird.
24) Iwan Mueller: Galenus Piatonis Imitator. Acta serainar.
philolog. Erlangen 1886. Vol. IV. p. 260. [Verf. weist auf die Aehn-
lichkeit des Ausdrucks in Platons Rep. VI, 494 C. D. und Galens T. X.
p. 4. Edit. Kühn hin].
25) Iwan Mueller: Specimen alterum novae editionis libri Ga-
leniani qui inscribitur: orc zalg roü acü/ia-og xpdaeatv al rrjg (/'u^^g
Suvdfxscg enovrat. Rector. Progr. Erlangen 1885. 4*^. 19 p.
26) Iwan Mueller: Specimen tertium novae editionis libri Ga-
leniani qui inscribitur: ort ralg roo aä>n.a-:og xpäaEOiv al rr^g (l'oyjjg
SuvdjjLScg inovzac. Rector. Progr. Erlangen 1887. 4*^. 17 p.
Fortsetzung der in meinem vorigen Jahresbericht (S. 63) bespro-
chenen Ausgabe. Die erste Arbeit enthält den Text von Cap. 5 — 8, die
folgende Cap. 9 — 11 der genannten Galenschen Schrift.
27) G. Helmreich: Galeni de utilitate partium primus. Progr.
d. St. Anna-Gymnas. zu Augsburg. 1886.
Diese Arbeit unifasst das vierte Buch des Galenschen Werkes über
den Nutzen der einzelnen Organe des Menschen. Helmreich beabsich-
tigt, später auch die übrigen Theile desselben herauszugeben. Für die
Feststellung und Kritik des griechisclien Textes hat er den Codex Ur-
bin. 69, der dem 10. Jahrh. angehört, den Cod. Paris. 2154 (14. Jahrb.),
die Edit Aldina, die Baseler Ausgabe, sowie die Ausgaben von Charte-
rius und Kühn und den Text des Oribasius verwerthet.
28) Galeni Pergameni scripta minora recens. Marquardt, Iw.
Mueller et G Helmreich. Vol. I. mpl (/"jyr^g naßujv xal ä/iap-rj/xd-
Twv 7t£.p\ rrjg a^ia-r^g oioaaxaXiag- nspc ruh 8tä zr^g ap-ixpag acpaipag
yufivaffcüu- nporpenTcxog. Ex recogn. J. Marquardt. Lips. 1884. 8°.
LXVI. 129 p.
Eine auf kritischer Durchsicht der Handschriften und fachmänni-
scher Beurtheilung ihres Inhalts gegründete Ausgabe der Werke Galens
ist ein längst gefühltes und oft genug betontes Bedürfniss. Aber wer
kann sich an dieses, die Kräfte eines Einzelnen weit übersteigendes
Unternehmen wagen? Und wo findet sich ein Buchhändler, der den
Medicinische Litteratur der Griechen und Kömer. 307
Verlag eines solchen Werkes übernehmen möchte, das ihm bei der ge-
ringen Kauflust der betheiligten Kreise sicherlich keinen finanziellen Ge-
winn, sondern wahrscheinlich noch Verlust bringen wird? — Eine allen
Ansprüchen genügende Galen-Ausgabe ist nur möglich, wenn sich meh-
rere Philologen, Orientalisten und Historiker der Medicin zu diesem
Zweck vereinigen, und wenn eine Regierung, Akademie oder gelehrte Ge-
sellschaft die dafür erforderlichen Geldmittel zur Verfügung stellt. Werth-
volle Vorarbeiten dazu liefern Iwan Mueller, G. Helmreich, Joh. Mar-
quardt u. A. Der vorliegende Band wurde von dem Letzteren redigirt
und stützt sich hauptsächlich auf Cod. Laurent. 74, 3.
29) Nauck: A propos d l'ouvrage Claudii Galeni Pergam. scripta
minora. Bull, de l'acad. imp. des sciences de St. Petersburg. 1887.
T. 31. 3. p. 396 u. ff. [Textkritische Bemerkungen zu der vorher ge-
nannten Ausgabe. Nauck schlägt an einigen Stellen andere Lesarten
vor und fordert eine vollständigere Mittheilung des handschriftlichen
Materials].
30) E. Pernice: Galeni de ponderibus et mensuris testimonia.
Bonn. 1888. 64 S. Inaug.-Diss.
31) R. Foerster: De Adamantii physiognomicis recensendis.
Philolog. 1887. Bd. 46. S. 250 u. ff.
Codices dieser Schrift befinden sich, wie der Verf. mittheilt, in der
Marciana zu Venedig, der Laurentiana zu Florenz, der Ambrosiana zu
Mailand, im Vatikan, in Paris, in London, München, Leyden und Kon-
stantinopel. Auch wird der Cod. Philippsianus, der früher im Besitz
der bischöflichen Bibliothek zu Montpellier war, und die von F. Sylburg
beschriebene Handschrift erwähnt. Sie stammen sämmtlich aus dem
15. und 16. Jahrb. Foerster beschreibt die einzelnen Handschriften und
bespricht ihren Werth und ihre Verwandtschaftsverhältnisse.
32) C. Holzinger: Nemesii Emeseni libri mpc (puazujq dv&po)-
nou versio Latina. Leipzig und Prag. 1887.
33) L. C. Lane: Things old and new with a chapter from Cae-
lius Aurelianus. Pacific Med. & Surg. Journ. S. Francisco. T. 29.
p. 397-402.
34) H. Köberl: De Pseudo - Apuleji herbarum medicaminibus.
Progr. d. Studienanst. zu Bayreuth. 1888.
Der Verf. des Herbarius wird bald Apulejus Platonicus, bald Apu-
lejus Barbarus oder auch Lucius Apulejus Madaurensis genannt, ist aber
nicht mit dem gleichnamigen Dichter identisch. Er scheint, wie Meyer
aus der Schreibweise entnahm, ein Afrikaner gewesen zu sein und im
5. Jahrh. n. Chr. gelebt zu haben. Sein Werk handelt über die Pflanzen,
20*
308 Medicinische Literatur dor Griecheu und Römer.
welche in der Heilkunde angewendet werden. Es werden darin die ver-
schiedenen Bezeichnungen, die sie führen, und ihre Fundorte angegeben,
die Jahreszeit, in der sie gesammelt werden, mitgetheilt und die einzel-
nen Krankheiten aufgezählt, bei welchen sie heilkräftig wirken.
Dieses Buch ist in mehreren Handschriften überliefert worden,
welche von einander vielfach abweichen. Köberl bespricht den Werth
derselben und ihre gegenseitigen Beziehungen und geht dabei besonders
auf die Codices zu München, Breslau und Monte Casino ein. Er zeigt,
dass sie sämmtlich von einem nicht mehr vorhandenen Codex abstam-
men, welchen die Münchener Handschrift, die dem 6. oder 7. Jahrh. an-
gehört, am nächsten steht. Da in ihr die Synonyme der Pflanzen feh-
len, welche in den andern Codices vorhanden sind, so glaubt Köberl,
dass sie spätere Zusätze sind. Er untersucht ferner, aus welchen
Quellen Apulejus geschöpft hat, und kommt dabei zu dem Ergebniss,
dass er weder dem Dioskorides noch den Plinius direkt excerpirt, son-
dern mit diesem und dem Interpolator des Ersteren das gleiche Werk
benutzt habe; er vermuthet eine auf griechische Quellen, namentlich auf
Kratevas, sich stützende lateinische Compilation. Am Schluss macht
Köberl eine Menge von Vorschlägen zur Verbesserung des Textes des
Herbarius.
35) Ph. Puschmann: Nachträge zu Alexander Trallianus. Frag-
mente aus Pliihimenus und Philagrius nebst einer bisher noch unge-
druckten Abhandlung über Augenkrankheiten. Berlin 1887. 189 S.
Ich habe für meine Ausgabe der Werke des Alexander von Tralles
nahezu sämmtliche griechische Handschriften derselben coUationiert; in
keiner einzigen fand ich die Abschnitte über die Unterleibsleiden und
Milzerkrankungen, welche sich angeblich auf Pliiluinenus und Philagrius
stützen. Sie fehlen auch in der ersten griechischen Ausgabe (Paris 1548),
sind dagegen in der zweiten, der Baseler vom Jahre 1556, welche Guin-
ter von Andernach besorgt hat, enthalten. Im lateinischen Wortlaut
stehen sie in sämmtlichen lateinischen Uebersetzungen, welche uns hand-
schriftlich überliefert worden sind.
Es drängte sich mir nun die Frage auf: Woher hat Guinter den
griechischen Text dieser Abhandlungen genommen? Hat er dafür eine
Handschrift benutzt, welclie uns unbekannt geblieben oder seitdem ver-
loren gegangen ist? — Er sagt weder in der Vorrede zu seiner Aus-
gabe, dass er dabei einen griechischen Codex als Vorlage gehabt habe,
noch giebt er darüber im Text oder in den zahlreichen Anmerkungen
eine Andeutung; er schreibt nur, dass er den Text veteri interprete ad-
juvante hergestellt habe. Wenn man denselben einer genauen Durch-
siclit unterzieht, so erkennt man, dass er in Bezug auf den Styl und
die Wahl der Worte von demjenigen des Alexander Trallianus abweicht,
Ausdrücke enthält, welche in der griechischen Sprache ungewöhnlich und
Medicinische Literatur der Griechen und Römer. 309
seltsam sind, und sogar orthographische und stylistische Fehler zeigt.
Ich kam dadurch zu der Ueberzeugung, dass der von Guinter veröffent-
lichte griechische Text gar nicht aus dem Alterthura stammt, sondern
wahrscheinlich das Werk eines gelehrten Graecisten der späteren Zeit
ist. Gründe verschiedener Art führten mich zu der Vermutung, dass
Guinter von Andernach der Urheber ist. Selbstverständlich lag mir da-
bei der Gedanke fern, denselben der bewussteu Fälschung anzuklagen.
Er betrachtete sein Vorgehen von einem andern Standpunkt als es
heute üblich ist. Er verfolgte mit seiner Ausgabe nicht einen histori-
schen oder philologischen Zweck, bei welchem das strenge Festhalten an
der wörtlichen Ueberlieferung ein unumgängliches Gesetz ist, sondern
wollte seinen ärztlichen Fachgenossen ein auf der Autorität des Alter-
thums begründetes Lehrbuch der speciellen Pathologie und Therapie der
inneren Krankheiten übergeben. Wenn dasselbe an einzelnen Stellen
Lücken darbot, so trachtete er, sie, soweit es möglich war, zu ergänzen.
Wesentlich erleichtert wurde ihm in diesem Falle die Arbeit, indem die
lateinischen Handschriften des Alexander Trallianus die Abschnitte ent-
halten, welche in den griechischen fehlen, und zahlreiche griechische
Ausdrücke und Satzwendungen aus dem Original übernommen haben.
Guinter fertigte auf dieser Grundlage und mit Heranziehung der be-
treffenden Parallelstellen aus Galen, Aetius und Paulus Aegineta einen
griechischen Text an, den er ohne Bedenken in seine Ausgabe aufnahm.
Der griechische Originaltext der aus Philumenus und Pliilagrius
entlehnten Abliandlungen ist also nicht mehr vorhanden. Die lateinische
Uebersetzung ist aber sehr alt; sie stammt aus der Periode des Ueber-
ganges des Lateinischen in das Romanische, wie aus einzelnen in den
Text eingestreuten Worten uiid manchen grammatikalischen Eigenthüm-
lichkeiten hervorgeht. Der lateinische Text wurde zum ersten Male im
Jahre 1504 veröffentliclit; doch ist diese Ausgabe ebenso wie die späte-
ren, welche grösstentheils nur Wiederabdrücke waren, reich an Fehlern
und stellenweise ganz unverständlich. Ich habe deshalb mit Hilfe des
Codex No. 97 zu Monte-Casino, der dem Ende des 9. oder Anfang des
10. Jahrb. angehört und der beiden Pariser Handschriften 6681 und
6682 den lateinischen Text revidirt und eine brauchbare Form des-
selben herzustellen versucht. Er enthält: I. Die Fragmente aus Philu-
menus (1. Jahrb. n. Chr.) über den Unterleibsfluss iS. 16 30) die
fluxinäre Ruhr (S. 30 — 64), die Unterleibsleiden (S 64-70), und den
Stuhlzwang (S. 70-73), und II. die Fragmente aus Philagrius (4 Jahrh.
n. Chr.) über die Milzleiden (S. 74 — 82), die Auftreibung der Milz
(S. 82 86), die Entzündung der Milz (S. 86-106) und die Verhärtung
der Milz (S. 106 — 129). In den Anmerkungen zum lateinischen Text
habe ich die wichtigeren Varianten der Handschriften beigefügt und die
Gründe verschiedener Conjekturen erörtert.
Der zweite Theil meines Buches bringt den griechischen Wortlaut
310 Mediciüische Literatnr der Griechen und Römer.
einer Handschrift üher die Augenkrankheiten, welche ich im Cod. IX
Cl. V der St Marcus-Bibliothek zu Venedig fand. Sie ist in einer
Handschrift des Alexander Trallianus eingeschaltet oder bildet vielmehr
einen Theil derselben; denn sie schliesst sich unmittelbar an das zweite
Buch des Alexander an, beginnt auf derselben Seite, wo jenes aufhört,
und ist von derselben Hand geschrieben, wie das Werk des Alexander.
Diese Verbindung mit den Schriften des Alexander Trallianus deutet
darauf hin, dass ihn der Schreiber des Codex als den Verfasser der
Schrift über die Augenkrankheiten betrachtet hat. Eine wesentliche
Stütze erhält diese Annahme durch die Mittheilung Alexanders (s. meine
Ausgabe Bd. II S. 2), dass er »bereits drei Bücher über die Krankheiten
der Augen geschrieben und sich darin über die Diagnose derselben, ihre
Ursachen und die Heilmethoden, sowie über verschiedene Salben, die
Art ihres Gebrauches und ihrer Zubereitung ausgesprochen habe«. Die
Handschrift über die Augenkrankheiten hat nur zwei Bücher, aber ihr
Verfasser erklärt in der Einleitung ausdrücklich , dass sie aus drei
Büchern bestehe; das dritte Buch fehlt in der Handschrift. Die ein-
zelnen Theile des Themas werden darin genau in derselben Reihenfolge
abgehandelt, welche Alexander in der erwähnten Stelle angiebt. Manche
Aehnlichkeiten in den Ansichten und Citaten zwischen der Handschrift
und den W^erken des Alexander vermehren die Wahrscheinlichkeit, dass
er der Verfasser der Abhandlung über die Augenkrankheiten ist. Auch
die Sprache gehört der Zeit an, in welcher Alexander lebte; doch weicht
der Styl in mancher Hinsicht von dem des Letzteren ab. In der Be-
handlung des Stoffes zeigt der Verf. grosse Abhängigkeit von Galen.
An mehreren Stellen nähert sich der Text den Pseudo-Galenischen De-
finitionen und der Epitome des Theophanes Nonnus; die gemeinsame
Quelle bildete wahrscheinlich ein Werk Galens. Es scheint, dass wir in
der Abhandlung über die Augenkrankheiten eine Jugendarbeit Alexanders
vor uns haben.
Sie beginnt mit einigen anatomischen und physiologischen Bemer-
kungen über den Bau und die Funktionen des Auges und seiner Theile,
liefert dann eine ausführliche Beschreibung der verschiedenen Erkrankun-
gen dieses Organs und ihrer Erscheinungen und erörtert zuletzt die Behand-
lung. Auf die Augen- Operationen geht der Verfasser leider nicht ein.
Der Werth der Abhandlung liegt in der kurzen und treffenden Schilde-
rung der Symptome und der übersichtlichen Klarheit, in welcher die
Vorstellungen, welche die Aerzte jener Zeit von dem Wesen der einzel-
nen Krankheiten hatten, dargestellt werden. Es ist ihr grosser Vorzug,
dass sie nicht, wie viele andere Produkte der medicinischen Literatur
dieser Periode, eine blosse Recepten- Sammlung, sondern eine wirkliche
Pathologie des Auges ist. Sie umfasst S. 134—179 meines Buches.
Dem lateinischen und dem griechischen Text habe ich eine deutsche
Uebersetzung beigegeben, damit den Philologen das Verständniss der
Medicinische Literatur der Griechen und Eömer. 311
fachmännischen Ausdrücke erleichtert und den Medicinern das Studium
des Inhalts der vorliegenden Schriften ermöglicht wird. Im Anhange
folgen genaue Verzeichnisse der darin vorkommenden Arznei- und Nah-
rungsmittel.
36) D. L. Danelius: Beitrag zur Augenheilkunde des Äetius.
Inaug.-Diss. Berlin. S». 76 S. 1889.
Der von Fehlern gereinigte griechische Text von Cap. 1 — 29 des
Lib. VII des Aetius wird hier nach der fragmentarischen Ausgabe von
1534 veröffentlicht; Handschriften wurden nicht zu Rathe gezogen. Da-
nelius hat dem Text eine lesbare deutsche Uebersetzung beigegeben.
37) E. Zarncke: Symbolae ad Julii Pollucis tractatum de par-
tibus corporis humani. Leipzig 1884.
Der Verf. zeigt, dass sich Julius Pollux auf die Schrift des Rufus
von Ephesus Tzspl ovojxaaiag raiv tou dvf^pcünoo jxopiujv stützt, wie schon
Goupyl bemerkt hat, und ausserdem die Tabula medicinalis eines Un-
genannten, von welcher Greaves ein Fragment veröffentlicht hat, die
Pseudo-Galenischen Definitionen und einige anatomische Werke, welche
verloren gegangen sind, benutzt hat.
38) K. Hofmann und T. M. Auracher: Der Longobardische
Dioskorides des Marcellus Virgilius. Roman. Forschungen, herausg.
v. K. Vollmöller. 1884. Bd. I. 51 — 105.
Es wird hier das erste Buch des Textes nach dem Cod. latin. 337
zu München, welcher wahrscheinlich identisch ist mit der Handschrift,
welche Marcellus Virgilius in der Vorrede zu seiner 1518 erschienenen
Uebersetzung erwähnt, veröffentlicht.
39) H. Rönsch: Textkritische Bemerkungen zum Longobardi-
schen Dioskorides. Roman. Forschungen. 1884. Bd. I. S. 413 — 414
[bringt einige annehmbare Verbesserungs- Vorschläge zu dem vorher
besprochenen Text].
40) Y. V. Rosen: Remarques sur les manuscrits orientaux de
la collection Marsigli ä Bologne, suivies de la liste complete des ma-
nuscrits arabes de la meme collection. Atti della R. acad. dei Lin-
cei. Roma. 1885. 4°. 135 p. [Es wird darin auf eine mit wohler-
haltenen Zeichnungen und vielen Glossen und Zusätzen ausgesattete
arabische Handschrift des Dioskorides vom Jahre 642 d. H. aufmerk-
sam gemacht].
312 Naturwissenschaften, Anatomie und Physiologie.
V. Naturwissenschaften, Anatomie und Physiologie.
1) F. Woenig: Die Pflanzen im alten Aegypten. Ihre Heimatb,
Geschichte, Ciiltur und ihre mannigfache Verwendung im socialen Le-
ben, in Cultus, Sitten, Gebräuchen, Medicin und Kunst. Nach den
bildlichen Darstellungen, Pflanzenresten aus Gräberfunden, Zeugnissen
alter Schriftsteller u. s. w. Leipzig 1886. S". 425 S.
Der Berichterstatter über die Naturwissenschaften hat dieses Werk
bereits ausführlich besprochen. Der medicinische Abschnitt beschränkt
sich nicht darauf, die Arzneipflanzen vorzuführen, sondern enthält eine
vollständige Geschichte der aegyptischen Heilkunde. Der Verf. gedenkt
der Heilgötter, der Ausübung der ärztlichen Praxis in den Tempeln, der
medicinischen Literatur der Aegypter, ihrer Kenntnisse auf den einzel-
nen Gebieten der Medicin, ihrer Heilmittel u. a. m.
2) V. Loret: La flore pharaonique d'apres les documents. hie-
roglyphiques et les specimens decouverts dans les tombes. Paris 1887.
80. 164 p.
3) Ch. Moldenke: lieber die in altaegyptischen Texten er-
wähnten Bäume und deren Verwerthuug. Leipzig 1887. Inaug.-Diss.
8°. 149 S.
4) Seeler: Weitere botanische Funde in den Gräbern des alten
Aegyptens. Biolog. Centralbl. her. v. Rosenthal 1884. Bd. IV. No. 15.
5) Br. Arnold: De Graecis florum et arborum amantissimus.
Göttingen 1885.
6) J. Murr: Beiträge zur Kenntniss der altclassischen Botanik.
Innsbruck 1889. 8». 30 S.
7) Imhof, Blum er und 0. Keller: Thier- und Pflanzenbilder
auf Münzen und Gemmen des classischen Alterthums. Leipzig 1889.
40. 168 S. mit 26 Taf. und 1352 Abbild.
8) 0. Keller: Thiere des classischen Alterthums. Innsbruck 1887.
8°. 488 S.
9) Susemihl: Kritische Studien zu den zoologischen Schriften
des Aristoteles. Rhein. Mus. 1885. Bd. 40. H. 4.
10) L. Carreau: La Zoologie d'Aristote d'apres de recents tra-
vaux. Rev. des deux mondes. T. 63. 1. 1.
11) Berthelot et Ruelle: Collection des anciens alchimistes
grecs. PariSjl888.
Naturwissensohaften, Anatomie und Physiologie. 313
12) Berthelot: Les manuscrits alchymiques grecs. Paris. Rev.
• scient. T. 35. No. 6.
13) Berthelot: Sur les commentateurs des vieux alchimistes
grecs. Jouru. des savants. 1889. Feur. p. 106 — 114.
14) Berthelot: Les papyrus alchymiqnes de l'Egypte. Paris.
Rev. scient. T. 35. No. 3.
15) Berthelot: Les procedes authentiques des alchimistes egyp-
tiens. Paris. Rev. scieut. T. 38. No. 14.
16) Berthelot: Introduction ä l'etude de la chiraie des anciens
et du moyen-äge. Paris 1889.
17) S. Günther: Beobachtung und Experiment im Alterthum.
Gaea. 1887. Bd. 23. No. 10.
18) F. Blaas: Naturalismus und Materialismus in Griechenland
zu Piatons Zeit. Kiel 1888. 8°. 19 S. (Rede).
19) Jos. Schwertschlager: Die Entstehung der Organismen
nach den Philosophen des Alterthums und des Mittelalters. Progr. d.
bischöfl. Lyceums in Eichstädt. 1885.
20) Em. Chauvet: La philosophie des medecins grecs. Paris.
1886. 601 p.
21) A. Bertrand: Histoire de la philosophie chez les medecins.
Paris. Rev. scient. T. 33. p. 137-144.
22) Masson: The atomic theory of Lucretius contrasted with
modern doctrines of atoms and evolution. London 1884. 12 p.
23) H. Schütte: Theorie der Sinnesempfindung bei Lucrez.
Progr. d Realgymnas. ?.u Dauzig 1888.
24) C. Peyrani: La biologia nell' epoca Aristotelica. Parma 1886.
8". 30 p.
25) Rud. Hochegger: Die geschichtliche Entwickelung des Far-
bensinns. Innsbruck 1884. 8°. 134 S.
Der Verf. beginnt mit einer kurzen Recapitulation der verschie-
denen Theorien, die in Betreff der Entwickelung des Farbensinns beim
Menschen aufgestellt worden sind, bekämpft dann die von H. Magnus
vertheidigte Hypothese der Latenz des Farbensinns und allmäligen Ent-
wickelung desselben, weist darauf hin , dass auf altaegyptischen Wand-
malereien und griechischen Denkmälern des 5. Jahrh. v. Chr. neben der
314 Naturwissenschaften, An.itomie und Physiologie.
rothen und golbon auch die blaue und grüne Farbe auftritt, und erör-
tert die Meinung, dass die |angebliche Rmpfindungs -Trägheit gegenüber
den letzteren, den kurzweiligen Farben, wie sie in einer früheren Cul-
turperiode des Alterthums bestanden haben soll und bei einzelnen Natur-
völkern heute noch beobachtet wird, nicht in dem empfindenden Organ
ihren Grund hat. sondern auf einer mangelhaften Entwickelung des
sprachlichen Ausdrucks beruht, für deren Erklärung verschiedene Ur-
sachen angeführt werden können.
26) E. Veckenstedt: Geschichte der griechischen Farbenlehre.
Paderborn 1888.
27) 0. Weise: Die Farbenbezeichnungen bei den Griechen und
Römern. Philologus. 1889. Bd. 46. S. 593—605.
28) A. de Keersmaeker: Le sens des couleurs chez Homere:
Paris 1886.
29) Lauchert: Geschichte des Physiologus. Strassburg i. Eis.
1889.
Diese Naturgeschichte der ältesten christlichen Zeit ist mit vielen
religiösen Allegorien und wenigen medicinischen Bemerkungen durch-
setzt. Lauchert liefert eine ausführliche Inhaltsangabe des Buches, unter-
sucht, auf welche literarische Quellen des Alterthums die Mittheilungen
über die verschiedenen Thiere, Pflanzen und Mineralien zurückgeführt
werden können, berichtet, dass man bald den weisen Salomou, bald
Aristoteles oder einen der Kirchenväter, wie den heiligen Ambrosius,
für den Verfasser gehalten hat. und zeigt, dass es wahrscheinlich im
ersten Drittel des zweiten Jahrh. n. Chr. entstanden und vielleicht als
Schulbuch benutzt worden ist. Er erörtert dann den Werth und die
gegenseitigen Beziehungen der griechischen Handschriften, weist auf die
Spuren des Physiologus in der älteren patristischen Literatur hin, ge-
denkt der alten Uebersetzungen ins Aethiopische, Armenische , Syrische
und Arabische, beschreibt die lateinischen Bearbeitungen und ihre Schick-
sale und spricht über den Einfluss, den der Physiologus auf die byzan-
tinischen Schriften und die Werke des Isidor von Sevilla, Thomas von
Cantimpre, Vincenz von Beauvais, Albertus Magnus und Bartholomaeus
Anglicus ausgeübt hat. -~ Im zweiten Theile des Werkes erzählt Lau-
chert die Geschichte des Physiologus während des germanischen und
romanischen Mittelalters; der Bericht darüber liegt ausserhalb des
Rahmens dieser Besprechung. Im Anhang folgt der Text des griechi-
schen Physiologus und seiner jüngeren deutschen Bearbeitung, welche
vor der Mitte des 12. Jahrh. auf österreichischem Boden entstanden ist.
Naturwissenschaften, Anatomie und Physiologie. 315
30) D. Kaufmann: Die Sinne. Beiträge zur Geschichte der
Physiologie und Psychologie im Mittelalter aus hebräischen und ara-
bischen Quellen. Jahresber. d. Landes -Rabbinerschule in Budapest.
1884. S. 1 199.
Eine auf umfassender Literatur-Kenntniss beruhende erschöpfende
Darstellung der Vorstellungen, welche die Juden im Mittelalter über den
Bau und die Thätigkeit der einzelnen Sinnesorgane, sowie über verschie-
dene Erkrankungen derselben hatten. Der Verf. weist dabei nach, dass
sich ihr anatomisches V^^issen hauptsächlich auf Galen stützte, während
auf ihre physiologischen Anschauungen neben Galen vorzugsweise Aristo-
teles Einfluss nahm, und berichtigt einige der mittelalterlichen hebräi-
schen Bezeichnungen für Augenleiden.
31) R. Fe erster: Die Physiognomik der Griechen. Festrede.
Kiel. 1884. 8°. 23 S.
Geistvolle Erörterungen über die fein entwickelte Beobachtungsgabe
der Griechen, welche sie befähigte, Beziehungen zu finden zwischen be-
stimmten Charakter-Eigenthümlichkeiten und dem Ausdruck der äusseren
Erscheinung. Der Verf. zeigt, wie sich dies in der Kunst, besonders in
der Bildhauerei, geltend machte.
32) W. Joest: Körperbemalen und Tättowieren bei den Völkern
des Alterthums. Verhandl d. Berlin Ges. f. Anthropol. Berlin 1888.
S. 412 u. ff. [Das Tättowieren war namentlich bei den Britanniern
und den Völkern der unteren Donau üblich].
33) Em. Schmidt: Die antiken Schädel Pompejis. Archiv f.
Anthropolog. Bd. 15. H. 3. S. 229—258.
34) Lietard: Notice sur les connaissances anatomiques des In-
dous. L'anatomie et la physiologie dans l'Ayur-Veda de Susruta.
Rev. med. de Test. Nancy. Bd. 16. p. 236 24u.
35) A. Macalister: Anatomical and medical knowledge of an-
cient Egypt. Not. Proc. Roy. Inst. Gr. Brit. 1884/86. London. T. XL
p. 378 u. ff.
Tl. Arzneimittellehre, Klimatologie, öttentliche
Oesimdheitspflege.
1) Rud. V. Grot: Ueber die in der Hippokratischen Schriften-
Sammlung enthaltenen pharmakologischen Kenntnisse. Dorpat 1887.
Inaug.-Diss. 8°. 87 S.
Der Verf. dieser sehr fleissigen Arbeit weist zunächst auf die aus
der Vor-Hippokratischen Zeit überlieferten, besonders auf die bei Homer
316 Arzneimittellehre, Klimatologie, öffrntliche Gesundheitspflege.
vorkommenden Nacln-ichten über Arzneistoffe und Gifte hin, stellt dann
die in den llippokratiscbeu Schriften erwähnten Medicamente zusammen,
ordnet sie nach ihren vermeintlichen Wirkungen in Abführmittel, An-
tholminthica, Brechmittel, Expectorantliia, Gurgelmittel, auf den Urin
wirkende, Schweiss treibende, stopfende, Niesen erregende, ätzende, auf
die Haut wirkende, bei der Heilung der Wunden, der Behandlung der
Augen und der Gebärmutter gebräuchliche, Blutungen zum Stillstand
bringende Mittel und Gifte, und untersucht die Gründe, auf denen der
Glaube an ihre Kräfte beruhte. Unrichtig ist seine Ansicht, dass die
Hippokratiker die Spulwürmer wahrscheinlich noch nicht von den Band-
würmern unterschieden hätten, wie aus Hipp. Edit. Littre T. V. p. 72
und T. Vn, 594 hervorgeht.
Im Anhang trägt er die Hypothese seines Lehrers Kobert vor, dass
unter dem Struthium der Alten drei verschiedene Pflanzen zu verstehen
seien, nämlich Saponaria officinalis L., eine Gypsophila und eine dritte
noch jetzt in Arabien häufig vorkommende und von den Beduinen als
Seifenbaum, Wuschnan oder Kundisi bezeichnete Pflanze, während das
Melanthium auf Nigella sativa und das Mutterkorn bezogen wird.
2) Rud. Kobert: Ueber den Zustand der Arzneikunde vor
18 Jahrhunderten. Halle 1887. 8°. 33 S. [Uebersicht der von Dios-
korides beschriebenen Arzneien].
3) Rud. Kobert: Historische Studien aus dem pharmakologi-
schen Institute der K. Universität Dorpat. Halle 188ü. 8^. 266 S.
Die erste der in diesem Werke enthaltenen Arbeiten handelt über
die Geschichte des Mutterkorns. In den Hippokratischen Schriften ist
von Kranken die Rede, deren Glieder ohne erkennbare Ursache vom
Brande ergriffen wurden und abfielen. Der Verf. bezieht diese Fälle auf
chronische Vergiftung durch Mutterkorn (Ergotismus gangraenosus) und
bringt für seine Ansicht eine Menge überzeugender Gründe Während
der Seuchen der Jahre 437 und 436 v. Chr. trat diese Erscheinung
massenhaft unter der Bevölkerung auf; Kobert erklärt dies damit, dass
dieselbe durch den fortgesetzten Genuss eines mutterkornhaltigen Brotes
inficirt war, als sich die Epidemieen des exanthematischen und abdomi-
nalen Thyphns, der Pocken, Ruhr u. ä. m. entwickelten. Ebenso deutet
er auch die von Thukydides beschriebene sogenannte Atheniensische Pest
als eine mit Ergotismus verbundene Blattern-Epidemie. Für seine Hy-
pothese, dass die Vergiftung durch Mutterkorn in der Krankheitsgeschichte
jener Zeit eine grosse Rolle spielte, führt er an, 1) dass die von den
Autoren geschilderten Witterungs- Verhältnisse der Entwickelung von
Mutterkorn günstig waren, 2) dass sich die Krankheit auf die Athener
beschränkte und nicht die Spartaner ergriff, weil die letzteren ihr Ge-
treide wahrscheinlich aus einer andern Gegend bezogen, wo es nicht mit
Arzneimittellehre, Klimatologie, öifentliche Gesundheitspflege. 317
Mutterkorn verunreinigt war, 3) dass auch die Thiere, selbst die |Vögel,
der Erkrankung ausgesetzt waren, 4) dass die Kranken an grosser Hitze
und Unruhe litten, und ihre Hautdecken zur Verschwärung neigten,
5) dass ihr Körper abmagerte, 6) dass Darmentzündungen und Durch-
fälle hinzutraten, 7) dass die Spitzen der P'inger oder Zehen oder die
Schamtheile brandig wurden und abfielen, 8) dass in manchen Fällen
Erblindungen zurückblieben , also Trübungeu der Linse, die wahrschein-
lich durch Spacelin-Vergiftung hervorgebracht worden waren, 9) dass Er-
krankungen des Gehirns und Rückenmarks und Geistesstörungen als
Folgezustände beobachtet wurden. Wenn auch jede dieser Thatsachen,
wenn sie einzeln für sich betrachtet wird, noch andere Erklärungen zu-
lässt, so sprechen sie in ihrem Zusammenhange allerdings sehr für die von
Kobert angenommene Betheiligung des Ergotismus an der herrschenden
Epidemie. Wenn die letztere den Pocken zugeschrieben wird, so kann
ich dem Verf. nicht beistimmen; denn neben den Pocken haben ohne
Zweifel der Kriegs- oder Lager-Typhus, der Unterleibs-Typhus, die Ruhr
und andere Leiden bestanden und zu dem Proteus ähnlichen Bilde der
Atheniensischen Seuche beigetragen.
Der Verf. erörtert dann die Frage, ob die Hippokratiker das
Mutterkorn selbst gekannt und zu arzneilichen Zwecken gebraucht haben,
und fühlt sich durch einige Thatsachen veranlasst, dieselbe zu bejahen;
doch scheint die Verordnung desselben nur zufällig und ohne Kenntniss
ihrer arzneilichen Kräfte geschehen zu sein. Er gedenkt hierauf der
Mittheilungen über das Mutterkorn, welche sich bei Dioskorides und
Galen, sowie in der römischen Literatur finden. In einem der folgenden
Abschnitte wird die von v. Grot veröffentlichte Doktor- Dissertation (s,
oben) nochmals abgedruckt; Kobert hat sie vollständig umgearbeitet, er-
weitert und mit Zusätzen bereichert, so dass sie eigentlich als eine ganz
neue Arbeit erscheint. Sie liefert eine erschöpfende Darstellung der
Hippokratischen Therapie.
4) S. Krysinski: Pathologische und kritische Beiträge zur Mutter-
kornfrage. Jena 1888. 8^. 274 S [beginnt mit der Geschichte des
Mutterkorns und den Ergotismus-Epidemien im Alterthumej.
5) Berendes: Pharmacie bei den alten Culturvölkern. Archiv
f. Pharmacie. Bd. 24. S. 109— 127. 201 -216. Bd. 25. S. 937— 958.
1001—1012.
. Zusammenstellung der Arzneistoffe, Arzneien und Gifte, welche
nach Susruta den alten Indern bekannt waren, nebst Nachrichten über
deren Gewinnung oder künstliche Darstellung. Hierauf folgt eine vor-
treffliche Schilderung der Medicamente und ai'zneilichen Verordnungen
der alten Aegypter nebst einer Erörterung des Ursprunges der Alchymie
und der Lehre vom sogenannten Stein der Weisen.
318 Arzneimittellehre, Klimatologie, öffentliche Gesundheitspflege.
6) V. Loret: Lc Kyplii, parfum sacre des anciens Egyptiens.
Journ. asiat. X, 1. S. 76 u. ff. 1887.
Der Verf. vergleicht die von Dioskorides (I. c 24), Plutarch (de
Isid. et Osir. 80) und Galen (Ed. Kühn. T. XIV. p. 117) gegebenen Re-
cepte zur Bereitung des Kyphi mit drei in aegyptischen Hieroglyphen
überlieferten Rcceptvorschriften der Ptolemaeischen Periode, die theils
von Dümichen, theils von Champollion und Brugsch beschrieben worden
sind, hebt ihre Verschiedenheiton hervor und versucht, die aegyptischen
Bezeichnungen durch die griechischen zu erklären. Nach Dioskorides
bestand das Kyphi aus 11, nach Plutarch und Galen aus 16 Substanzen,
die aegyptischen Recepte zählen ebenfalls 16 Substanzen auf. Sie schrei-
ben vor, dass man von Acorus Calamus L, Andropogon Schoenanthus L,
Pistacia Lentiscus L, Lauras Cassia L, Laurus Cinnamomum Andr.,
Mentha piperita L und Convolvulus scoparius L je 270 Gramm — Lo-
ret hat das alte aegyptische Gewicht in Grammgewicht umgerechnet —
nehmen, zu einem feinen Pulver zerreiben und durch ein Sieb schütten,
hierauf von dieser Masse etwa zwei Fünftel und zwar die am stärksten
duftenden und am stärksten zerriebenen Partien auswählen, mit je 270
Gramm von Junipera plioenicea L, Acacia Farnesiana L, Lawsonia iner-
mis L und Cyperus longus L vermischen. Alles zerstossen, in 1125 Gramm
Wein aufweichen und einen Tag stehen lassen soll. Dazu kommen 1260
Gramm vom Fleisch getrockneter und gereinigter Rosinen und 1440 Gramm
Oasenwein. Diese Masse wird durcheinander gemischt und bleibt fünf
Tage stehen. Hierauf werden 1200 Gramm Terpeuthinharz und 3000
Gramm Honig, nachdem sie mit einander gemischt und auf vier Fünftel
ihres Gewichtes eingekocht worden sind, hinzugethan und zuletzt noch
1143 Gramm fein zerriebener Myrrhe hinzugefügt. Das Ganze beträgt
jetzt 10 164 Gramm.
7) K. ß. Hofmann: Ueber vermeintliche antike Seife. Deut-
sches Arch. f. Gesch. d. Med. 1885. Bd. VHI. H. 2.
In einer Walkerei zu Pompeji wurde zwischen den Scherben eines
grossen irdenen Gcfässes eine Masse gefunden, die man für Seife hielt.
Durch Presuhns Vermittlung erhielt Hofmann davon eine Probe, welche
er chemisch untersuchte und dabei feststellte, dass es Walkererde, kei-
neswegs aber Seife war. Er wurde dadurch zu der Frage veranlasst,
ob die Alten die Seife als Reinigungsmittel gekannt haben, und studierte
zu diesem Zweck die Angaben der alten Autoren Seine Antwort lautet
nur für die spätere Zeit bejahend, für die ältere dagegen unentschieden.
8) R. Sigismund: Die Aromata in ihrer Bedeutung für Reli-
gion, Sitten, Handel und Geographie des Alterthums bis zu den er-
sten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung. Leipzig 1884. 8**. 234 S.
Arzneimittellehre, Klimatologie, öffentliche Gesundheitspflege. 319
9) G. Her gel: Die Rhizotomen. Progr. d. Gymnas. zu Pilsen.
1887. 8«. 21 S.
10) H. Peters: Mithridat und Theriak. Mitth. aus d. gerraan.
Mus. 1887. H. 30—33.
11) F. Borsari: Geografia etnologica e storica della Tripoli-
tania, Cirenaica e Fezzan con cenni sulla storia dl queste regioni e
sul silfio della Cirenaica. Torino. 1888. 8". 278 p.
12) N. Wulfsberg: Geschichtliche Notizen über Oesypum und
therapeutische Versuche mit dem reiuen wasserfreien Lanolin. Thera-
peuth. Monatsh. 1887. I. H. 3. S. 92 u. ff.
13) G. Vulpius: Zur Geschichte des Lanolins. Arch. f. Phar-
macie. 1888. Bd 26. S. 489 u. ff.
Das aus der schweissigen Wolle der Schafe gewonnene Fett wird
in der Literatur des Alterthums als Heilmittel bei der Behandlung der
Wunden und Geschwüre häufig empfohlen. Dioskorides (II. c. 84) und
Plinius (Lib. 29. c. 10 u. a. 0) haben ausführliche Nachrichten über
die Bereitung und Verwendung desselben hinterlassen. Leider wurde
das Wort ol'auTMQ durch unverständige oder leichtfertige Abschreiber in
manchen Schriften in uaaojTiog verdorben und dadurch der Inhalt der
betreffenden Stellen verändert. Das Wollfett stand auch später in
grossem Ansehen und erhielt sich unter dem Namen Hyssopus humida
bis ins 18. Jahrh. in den Pharmakopoeen. Erst die neuere Medicin ent-
fernte es daraus, weil man sich nicht denken konnte, dass »der schmutzige
Schweiss der Schafe heilend wirke«. Aber die Arbeiten Chevreuils und
Berthelotä über die Cholesterin-Verbindungen lenkten die Aufmerksamkeit
wieder darauf, und Liebreich, welcbem es gelang, die Darstellung eines
durch geringen Wassergehalt und grosse Reinheit ausgezeichneten Prä-
parates des Wollfettes, des Lanolins, zu entdecken, bestätigte die Er-
fahrungen der alten Aerzte.
14) M. Mendolsohn: Das Opium. Eine historische Skizze. Zeit-
schr. f. klin. Medicin. Bd. 16. S. 193 u. ff. [Anmuthige Darstellung
einiger Thatsachen aus der Geschichte des Opiums, aber ohne genaue
Angabe der literarischen Quellen].
15) J. Jaeggi: Die Wassernuss, Trapa natans, und der Tribu-
lus der Alten. Zürich 1883. 8°. 34 S. u. 1 Taf.
16) Imbert-Gourbeyre: Recherches sur les Solanum des an-
ciens. Clermont (Oise). 1884. 8*^. 140 p.
17) J. Phustanos: laxopia xoo oTvoo. Hestia. Athen 1884.
No. 45. p. 437-441.
3'20 Arzneimittellehrp, Klimatologie, öffciitiicbe Gesundheitspflege.
18) F. Olck: Hat sich das Klima Italiens seit dem Alterthum
geändert? Neue Jahrb. f. Philol. u. Pädag. 1887. Bd. 135/136. H. 7.
S. 465 u. ff.
Der Verf. wendet sich gegen H. Nissen, welcher behauptet hat
(Ital. Landeskunde, 1883. I, 396 — 402), dass das Klima von Italien sich
seit den Zeiten des Alterthums geändert habe, prüft die von ihm vorge-
tragenen Gründe und Belegstellen aus den Schriften der Alten und
sucht sie zu widerlegen. Er bemerkt zunächst, dass Columella und
Palladius nicht, wie Nissen glaubte, die klimatischen Verhältnisse Anda-
lusiens oder Süd-Italiens, sondern diejenigen Mittel-Italiens, wo sie be-
gütert waren, bei ihren Schilderungen vor Augen hatten. Wenn Nissen
sagt, dass die Regenzeit des Sommers im Alterthum nur 1 - iVs Monate
gedauert habe, während sie jetzt 3-4 Monate währe, so bestreitet Olck
auf Grund der meteorologischen Mittheilungen die Richtigkeit der letz-
teren Angabe und zeigt, dass sich die Dauer der Regenzeit, wie es
scheint, nicht wesentlich geändert hat. Plinius schreibt, dass Sicilien im
Alterthum häufig von Ueberschwemmungen heimgesucht wurde, während
dies jetzt nicht mehr der Fall ist; Olck erklärt dies dadurch, dass das
Bett der Flüsse dort breiter geworden ist. Wenn die Erntezeit in
Mittel-Italien während des Alterthums in den Juni, jetzt dagegen in den
Mai fällt, so muss daran erinnert werden, dass der Kalender der Alten
dem unsern um einige Tage voraus war, und dass die Angaben der
Autoren des Alterthums über den Zeitpunkt der Ernte verschieden sind
und sich zwischen den letzten Tagen des Mai und den ersten Tagen des
Juni bewegen. Es gilt dies namentlich für die Heu- und die Weizen-
Ernte; dabei ist noch zu berücksichtigen, dass man im Alterthum die
Wiesen während der ersten Monate des Jahres zur Hutung verwendete.
In Betreff der Weinlese und der Oliven-Ernte stimmen die Zeitangaben
des Alterthums mit denen der Gegenwart überein. Gegen Nissens Be-
hauptung, dass der römische Winter im Alterthum kälter gewesen sei
als jetzt, führt Olck die niedrigen Winter-Temperaturen der letzten Jahre
an, in Folge deren es in Rom nicht an Schnee und Eis fehlte. Er zeigt
dann, dass der Verbreitungsbezirk des Oelbaums im Alterthum der gleiche
war wie heute, dass es sich mit der Blüthezeit verschiedener Pflanzen
ebenso verhält, und dass auch die Cultur des Granatbaums, des Mandel-
baums und der Dattelpalme keine klimatischen Veränderungen erkennen
lässt, und kommt zu dem Schluss, »dass alle überlieferten Naturphäuo-
mene nur auf die Stabilität des Klimas in historischen Zeiten hindeuten«.
19) Marchetti: Sülle acque di Roma antiche e moderne. Roma
1887. 80. 428 p.
20) v. Veith: Das Römerbad Bertrich und seine alten Wege.
Jahrb. d. Ver. v. Alterth. im Rheinlaude. 1888. H. 85.
Arzneimittellehre, Klitnatologie, öffentliche Gesundheitspflege. 321
21) V. Veith: Die römische Wasserleitung aus der Eifel zum
Rhein. Jahrb. d. Ver. v. Alterth. im Rheinlande 1886. H. 80.
22) F. Küchenmeister: Die verschiedenen Bestattungsarten
menschlicher Leichname vom Anfang der Geschichte bis heute. Eulen-
bergs Vierteljahrsschrift für gerichtl. Medicin. Bd. 42. N. F. H. 2.
Bd. 43. H. 1. 2.
23) D. A. Lianopoulos: üefA xo.pr/z(jGt(jjQ r.apa zoTq dp-^aiotg.
rahjvog. Athen. T. 19. p. 66, 83, 99.
24) Manzi: L'igiene rurale degli antichi Romani in relazione
ai moderni. Studii fatti sul bonificamento dell' agro Romano. Roma 1885.
25) A. Hirsch: lieber die historische Entwickelung der öffent-
lichen Gesundheitspflege. Berlin 1889. S«'. 46 S.
Es wird hier der frühesten Anfänge der öffentlichen Gesundheits-
pflege bei den alten Indern und Aegyptern, ihrer Fürsorge für gesunde
Wohnungen, reines Trinkwasser und unverdorbene Nahrungsmittel ge-
dacht, an die Reiuigung-^gesetze des israelitischen Volkes und an die
Verordnungen erinnert, welche Moses für die Untersuchung der Lebens-
mittel, die Reinhaltung der Wohnungen, für den geschlechtlichen Verkehr
und zur Verhütung der Verbreitung des Aussatzes erliess, und darauf hin-
gewiesen, dass die Griechen, obwohl sie in der theoretischen Erkenntuiss
der Forderungen der Hygiene bereits ziemlich weit vorgeschritten waren,
in der praktischen Ausführung derselben doch von den Römern übertroffen
wurden. Schon Dionys von Halikarnass erkannte diese Thatsache an,
indem er erklärte: »Mir fallen drei Gegenstände auf, in welchen ich
die Grösse des römischen Volkes bewundere, nämlich die Wasserleitun-
gen, die öffentlichen Strassen und die Kloaken«. Die grossartigen Wasser-
leitungen, von denen man in Rom und anderen Städten noch Ueberreste
sieht, führten ein gesundes frisches Trinkwasser und das nothwendige
Nutzwasser in die Wohnungen, die mit denselben durch Röhren verbun-
den waren. Die Wasserzufuhr war so reichlich, dass man davon häufig
sogar die Bäder versorgen und die Strassen besprengen konnte. Ein
vortreffliches Canalisationssystem umfasste die meisten Häuser Roms und
brachte sie mit dem Hauptcanal in Verbindung; dadurch konnten die
Abfälle und Unreinigkeiten, die sich auf den Strassen, in den Gossen,
in den öffentlichen und privaten Latrinen und Aborten angesammelt
hatten, von einer rasch strömenden Wassermenge fortgeschwemmt, in
den Tiber getrieben und zur Berieselung der Gärten und Felder in der
Umgebung der Stadt benutzt werden. Daneben bestand in manchen
Häusern das Abfuhrsystem. Es wurde darüber gewacht, dass die Ab-
trittsgrubeu regelmässig geräumt wurden; doch durfte dies nur bei Nacht
und bei kühlem Wetter geschehen. Die ausgezeichneten Drainage -Ein-
richtungen, durch welche man das Auftreten von Malaria vorliütete und
die Assanirung der römischen Campagna zu bewirken suchte, haben
Jahresbericht für Alterthumswissenschaft. LXIV. Bd. (1890 III.) 21
322 Arzueiniittellehre, Klimatologio, öffontliche Gesundheitspflege.
Toinniasi-Crudcli uiul R. de la Blanchere vor einigen Jahren beschrie-
ben. Im Mittehüter \Yurdcn diese bewunderungswürdigen Schöpfungen
der Römer leider dem Verfall und der Vergessenheit überlassen.
20) R. Pölilmann: Die Uebervölkerung der antiken Grossstädte.
Gekrönte Pi-eisschrift. Leipzig 1884.
Sclion mehrere Jahre vor der soeben besprochenen Abhandlung er-
schien Pöldmanns ausgezeichnete Arbeit, welche im IV. Abschnitt die
öffentliche Gesundheitspflege in den grossen Städten des Alterthums be-
handelt. Der Verf. fasst vorzugsweise die Zustände Roms ins Auge,
zieht aber auch andere Grossstädte, wie Alexandria, Antiochia, Smyrna
und Byzanz, in Betracht und führt für jede seiner Behauptungen die
eiuschlägige Belegstelle an. Er weist darauf hin, dass im Stadtrecht
Caesars den Hauseigenthümern die Verpflichtung auferlegt wurde, für
die Reinlichkeit und Instandhaltung der an ihr Grundstück angränzen-
den öffentlichen Wege zu sorgen. Wurde dies versäumt; so durften die
Aedilen die uothwendigen Arbeiten auf Kosten der Hausbesitzer ausfüh-
ren lassen; auch die Miether des Hauses waren dazu berechtigt. Es
handelte sich dabei hauptsächlich darum, die Ansammlung von Wasser-
massen zu verhüten und das schadhaft gewordene Pflaster des Trottoirs
wieder auszubessern. Die ursprüngliche Herstellung des letzteren, so-
wie die Pflasterung der Strassen geschah auf öffentliche Kosten. Ferner
musste, wie aus späteren Erläuterungen hervorgeht, der Unrath besei-
tigt und die Gosse gesäubert werden. Der Verf. schildert dann das
vortreffliche Schwemmsystera und die Canalisatiou in ausführlicher Weise
und erörtert dabei ihre Vorzüge, hebt aber auch einzelne Mängel her-
vor, welche diese Einrichtungen zeigten. Er gedenkt der überreichlichen
Wasserzufuhr, durch welclie Rom alle modernen Grossstädte übertraf.
Sie ermöglichte es, dass nicht nur die öffentlichen und privaten Gebäude
und die gewerblichen Anlagen mit dem uothwendigen Wasser versorgt,
sondern auch Hunderte von Bädein und Fontaiuen gespeist und die
Fortschwemmung der Abfälle und Excremente bewirkt werden konnte.
Das Abfuhrsystem hatte sich nur in vereinzelten Fällen aus früherer
Zeit erhalten. Verwunderung erregt es, dass die Bau-Hygiene und das
Bestattungswesen vernachlässigt wurden und kaum den bescheidensten
Anforderungnn genügten. Die Beerdigung der armen Leute in Massen-
gräbern und die primitive Art der Feuerbestattung, bei welcher nur eine
unvollkommene Verbrennung der Leichentheile stattfand, hatten sicher-
lich Nachtheile für das körperliche Befinden und die Gesundheit der in
der Nähe wohnenden Menschen im Gefolge. Ebensowenig wurden die
hygienischen Bedingungen bei der Anlage von Strassen, öffentlichen Bau-
ten und Wolinliäusern berücksichtigt, obgleich Vitruv manche darauf
hinzielende Beobachtung gemacht und z. B. auf den Nutzen von Garten-
anlagen und freien Plätze innerhalb der Städte hingewiesen hat.
Pathologie, interne Medicir, Geisteskrankheiten, Seuchen. 323
VII. Pathologie, interne Medicin, (xeisteskrankheiten, Seuchen.
1) J. M. Cliarcot et P. Rieh er: Les difformes et las malades
dans l'art. Paris 1889. 4°. 168 p.
Die Verf. dieses Werkes stellen sich die Aufgabe, an den Gemäl-
den und Kunstdenkmälern zu zeigen, wie die Krankheiten und Missbil-
dungen von der bildenden Kunst dargestellt worden sind. Sie haben
dabei die Werke aller Zeiten und Schulen mit Ausnahme der Gegenwart
in Betracht gezogen. Auch das Alterthum bietet ihnen eine Fülle von
Material, dass sie in geeigneter Weise verwerthen.
Sie erklären, dass manche Fratzen, wie die Ungeheuer auf einzel-
nen römischen Säulen-Kapitalen, welche gleich dem Gorgonenhaupte das
Hässliche, das Grauenerregende veranschaulichen sollten, durchaus nicht
blosse Erfindungen der Phantasie des Künstlers, sondern, wenigstens in
einigen Zügen, nach lebenden Modellen geschaffen worden sind. Der
berühmte Pariser Nervenarzt Charcot macht auf eine Terracotta der
Collection Campana im Louvre aufmerksam: einen Kopf, dessen linke
Gesichtshälfte contrahirt ist, wobei das linke Auge geschlossen, der
Nasenflügel gehoben, die Nase seitwärts gedreht, die Commissura labia-
lis ebenfalls verschoben und die linke Wange von Falten und Runzeln
durchzogen erscheint, während das rechte Auge weit offen steht und
überhaupt die ganze rechte Seite des Gesichts keine pathologischen
Veränderungen zeigt, und schreibt, dass er Krankheitsfälle dieser Art
häufig beobachtet habe. Aehnliche Verhältnisse weist eine in Myriua
aufgefundene Terra cotta des Louvre (No. 77 des Katalogs) auf. Eine
andere Terra cotta der gleichen Sammlung (No. 769 des Katalogs) lie-
fert den Beweis, dass die kleinasiatischeu Künstler der Zeit, welcher sie
angehört, die krankhaften Verbildungeu des Schädels beachteten und für
ihre Darstellungen verwendeten, um den Eindruck des Grotesken, des
Komischen hervorzurufen. Solche Köpfe findet man auch auf Figuren,
deren Körper und Glieder die Zeichen der Rachitis an sich tragen; es
geht daraus deutlich hervor, dass der Künstler nach der Natur gearbei-
tet hat. Eine seltsame pathologische Schädelbildung kann man auch
auf einem der zu Fayum entdeckten aegyptischen Porträts der Graaf-
schen Sammlung beobachten, welche hier nicht erwähnt wird. — Auch
die Fettleibigkeit wurde von den Künstlern benutzt, um die Lachlust
des Publikums zu befriedigen. Hierher gehört eine Terra cotta von Ta-
nagra, welche eine kleine nackte weibliche Figur mit üppigem Fettpol-
ster und starkem Hängebauch darstellt, die sich wie eine keusche Jung"
frau ziert. Noch derber in der Auffassung ist das nackte buckelige fette
alte Weib, welches sich unter den aus Kittion auf Cypern stammenden
Terra cotta-Figuren des Louvre befindet. — Im folgenden Abschnitt wer-
den die Darstellungen der Zwerge, Narren und Cretins besprochen und
21*
324 Pathologie, interne Medicin, Geisteskrankkeiten, Seuchen.
dabei auf die Statue des altaegyptischen Zwerges Khnumhotpu im Museum
zu lUilai'k bei Kairo, sowie auf eine au dem gleichen Orte befindliche
von ]\lari('tte beschriebene Basrelief- Darstellung einer Zwergin, welche
nach Quatrefages die Repräsentantin eines afrikanischen Zwergvolkes zu
sein scheint, hingewiesen, der Bilder von zwei andern Zwergen auf Rosse-
linis Tafeln, von denen der eine Klunipfüsse hat, gedacht und an die
Statuetten des aegyptischen Gottes Bes erinnert, der als Zwerg darge-
stellt wurde und zwar bisweilen auf den Schultern einer weiblichen Ge-
stalt, die gleich ihm rachitisch verkrümmte Beine hat. Auch der Gott
Ptah tritt uns in manchen Darstellungen als Zwerg entgegen; Parrot
fand in der eigcntliümlichen Form des Schädels und seinem V'erhältniss
zum übrigen Körper den Typus jenes Leidens, welches er als Malforma-
tion achondroplasique beschrieben hat. Ferner wird au die zahlreichen
Figuren von Zwergen und Verwachsenen in Terra cotta und Bronce er-
inneit, die uus aus dem Alterthum überliefert worden sind, und die
Marmorbüste des buckeligen Aesop in der Villa Albani zu Rom, welche
die charakteristischen Merkmale der Kyphosis zur Anschauung biingt,
beschrieben. — Die Verf. wenden sich dann zur Besprechung der übri-
gen Leiden, erwähnen die Büste des blinden Homer, betrachten die
Lähmungen, Verkrümmungen und Missbildungen und erörtern zuletzt die
Art, wie die Verstorbenen dargestellt wurden. Die Alten sahen in dem
Tode einen schmerzlosen Abschied vom irdischen Leben, wie der ster-
bende Adonis, der Tod der Alceste, der sterbende Gallier, der Tod des
Kriegers, die sterbende Amazone, der Tod des Meleager und andere
Statuen und Bildnisse auf Sarkophagen beweisen. Nur in der Laokoon-
Gruppe kam der physische Schmerz zum mächtigen Ausdruck; aber hier
handelte es sich nicht um ein friedliches Ende, sondern um einen qual-
vollen gewaltsamen Tod. Sonst pflegte man dem todten Körper die fried-
lichen Züge eines Schlummernden zu geben, oder man stellte ihn in der
vollen Frische und Kraft des Lebens dar, während er seinem Lebens-
beruf oder seiner Lieblings-Neigung nachging.
Das Werk ist mit 87 Illustrationen ausgestattet, die leider zum
Theil sehr undeutlich und verschwommen, zum Theil sogar gänzlich miss-
lungen sind. Für die Geschichte der Medicin, der bildenden Kunst und
der allgemeinen Culturenlwickelung ist das Buch sehr werthvoU. Den
Aerzten werden in den bildlichen Darstellungen Zeugnisse der medicini-
schen Meinungen und Kenntnisse vorgelegt, die keiner Missdeutung fä-
hig und leicht verständlich sind, und der Kunstkritik in dem Urtheil
der exakten Wissenschaft ein neues Hilfsmittel überliefert.
2) De Quatrefages; Les Pygmees des anciens. Paris 1887.
8". 352 p.
Pathologie, interne Medicin, Geisteskrankheiten, Seuchen. 325
3) Moreau (de Tours): Fous et bouffons. Etüde physiologique,
psychologique et historiqne. Paris 1885. 8°. 243 p. [Es ist hier
ausser Anderem auch von den Zwergen, welche an den Höfen der
römischen Kaiser gehalten wurden, von der künstlichen Herstellung
der Zwerge und von den Riesen des Alterthums die Rede. Der Verf.
spricht ferner über Aesop und die sogenannten lustigen Narren, von
denen einige an psj-chischen Defekten litten, während andere reiche
intellektuelle Fähigkeiten besassen und sich unzureclinungsfähig stell-
ten, um das einträgliche Geschäft eines Hofnarren ausüben zu können,
und zeigt, dass alle diese Leute in Folge rachitischer, skrophulöser
und anderer pathologischer Processe körperlich missgestaltet waren.
4) E. Sauer: Das Dainionium des Sokrates. Progr. des Karls-
Gymnasiums zu Heilbronn. 1884.
Den Dämon des Sokrates hat man auf verschiedene Arten zu er-
klären versucht Die Kirchenväter waren der Meinung, dass Sokrates
von einem persönlichen Geiste überall begleitet wurde, und wussten nur
nicht sicher, ob dies ein guter oder böser, ein schwarzer oder weisser
Geist war. Die Anhänger der mystisch- romantischen Schule huldigten
einer ähnlichen Ansicht, und Lasaulx schrieb, dass Sokrates »mit allem
Besseren in der Welt in substanzielle Verbindung getreten sei, nicht
blos mit dem Gegenwärtigen und mit dem Vergangenen, sondern auch
mit dem Zukünftigen«. Denselben Standpunkt nehmen ungefähr die
Spiritisten ein, wenn sie in Sokrates ein sehr befähigtes Medium sehen
und seinen Dämon für ein transcendentales Wesen erklären. — Ganz
anders deuteten einige Aerzte, wie Lelut, die Sache, indem sie aus den
Mittheilungen des Sokrates folgerten, dass er an Hallucinationen gelitten
habe. Andere glaubten, dass die Angaben über das Dämonion nichts
weiter als eine ironische Redeform seien, durch welche Sokrates seine
geistige üeberlegenheit zum Ausdruck bringen wollte. Die meiste Be-
rechtigung dürfte die Annahme besitzen, dass sich Sokrates selbst täuschte,
und das, was ein innerer Vorgang seiner Seele war, als ein göttliches
Zeichen betrachtete, üebrigens sind seine Aeusserungen über die Art,
wie es sich ihm kundgab — ob in jedem Falle als Stimme oder auch
auf andere Weise — zu mangelhaft und unbestimmt, als dass eine be-
friedigende Erklärung möglich wäre.
5) J. Soury: Pathology in history (the family of Augustus).
St. Louis Alien, and Neurol. T. V, p. 260—276.
6) David Leistle: Die Besessenheit mit besonderer Berück-
sichtigung der Lehre der heiligen Väter. Progr. d. Gymnasiums zu
Dillingen. 1887. 8». 178 S.
326 Pathologie, interne Medicin, Geisteskrankheiten, Seuchen.
7) Ire] and: Herrsebermacht und Geisteskrankheit. Aus dem
Englischen übers. Stuttgart 1887. S».
Eine Reihe von Feuilletons über Geisteskranke auf Herrscher-
Thronen. Der Verf. nennt darunter auch mehrere römische Kaiser und
ihre Angehörigen, nämlich Drusus, Julia, Tiberius, Caligula, Claudius,
Messalina, Agrippina, Nero, Commodus und Heliogabalus, unterlässt es
aber, die geistige Störung derselben nachzuweisen, obwohl dies in ein-
zelnen Fällen bei sorgfältiger Durchforschung der historischen Quellen
möglich wäre, und beschränkt sich auf ziemlich dürftige oberflächliche
Mittheilungen, welche eine Uebersetzung ins Deutsche nicht verdienten.
8) L. Kotelmann: Der Bacillus Malariae im Alterthum. Vir-
chows Archiv. 1884. Bd. 97. H. 2. S. 361-364. [Verf. weist darauf
hin, dass Terentius Varro bereits die Existenz der mikroskopischen
Malaria-Träger geahnt hat, als er schrieb (De re rustica I c. 12): »Si
qua erunt loca palustria, crecsunt animalia quaedara minuta, quae non
possunt oculi consequi , et per aera intus in corpus per os et nares
perveniunt atque efficiunt difficiles morbos«. Selbstverständlich sind
diese Worte noch weit von einer wissenschaftlichen Kenntniss dieser
kleinen Organismen entfernt].
9) L. Ali Cohen: Kleine bydragen tot de geschiedenls der ge-
neeskunde. Weekblad van het Neederland. Tydschrift v. Geneesk.
1887. No. 20 [bespricht in einem der Artikel ebenfalls die Notiz aus
Ter. Varro].
10) N. A. Lallot: Le typhus ou peste d'Athenes. Paris 1884.
Inaug.-Diss. 4". 50 p. [Der Verf. giebt eine französische Ueber-
setzung der von Thukydides hinterlassenen Beschreibung der Athe-
niensischen Seuche und vertheidigt dann die Ansicht, dass sie dem
exanthematischen Typhus angehört habe].
11) A. Corlieu: La peste d'Athenes. Paris. Rev. scient. 1884.
No. 12.
12) Wulfs berg: Den attiske Pest Tidsskr. f. pract. Med. 1884.
p. 104.
13) La dengue et la maladie de Perinthe. Gaz. hebd. de med.
et de chir. Paris. 1886. No. 33. [Verf. sucht nachzuweisen, dass
die von Hippokrates (Ed. Littre T. V. p. 331) beschriebene Seuche in
Perinthos eine Epidemie des Dengue-Fiebers war].
14) Predöhl: Geschichte der Tuberkulose. Hamburg 1888. [Das
Alterthum wird leider nur mit wenigen Worten berührt, obwohl es
manchen werthvollen Beitrag für die Bearbeitung des Themas bietet].
Pathologie, interne Medicin, Geisteskrankheiten, Seuchen. 327
15) J. H.: Documents anciens sur la rage et son traitement.
Paris. Rev. scient. T. 37. No. 14.
16) Lamm er t: Zur Geschichte der Therapie der Lyssa. Mün-
chener medicin. Wochenschr. 1887. No. 1. [Verf. gedenkt hier auch
der im Alterthura gebräuchlichen und von A. C. Celsus erwähnten
Mittel gegen die Hundswuth].
17) St. Hubert and Hydrophobia. Athenäum. London 1887.
No. 3117.
18) G. Holmes: Zur Geschichte der Laryngologie von den frü-
hesten Zeiten bis zur Gegenwart. Aus dem Engl, übers. Berlin 1887.
[Die Notizen aus der medicinischen Literatur des Alterthums sind sehr
lückenhaft und bedürfen mancher Berichtigung].
19) 0. Braus: Die Diphtherie, ihre Geschichte, ihr Wesen und
ihre Bedeutung. Essen 1884. 2. Aufl. 52 S.
20) B. Schuchardt: Zur Geschichte der Tracheotomie bei Croup
und Diphtherie. Langenbccks Archiv f. Chir. 1887. Bd. 36. H. 3.
[Verf. beginnt mit den Nachrichten über die Erkrankungen des Kehl-
kopfes, die uns aus dem Alterthum überliefert worden sind, und geht
dann auf die Berichte über die Ausführung der Tracheotomie durch
Asclepiades und später durch Antyllus über].
21) P. Hämo nie: Des maladies veneriennes chez les Hebreux
ä l'epoque biblique Paris. Annal. de dermat. 1886. T. VH. No. 9.
[Verf. bespricht auf Grund der einschlägigen Stellen, die er hier auch
citirt, die Onanie, Sodomie, Päderastie und ihre Folgezustände, die
Spermatorrhoe und Blenorragie, welche, wie er glaubte, von den alten
Hebräern streng gesondert wurden, sowie die Anschwellungen und lo-
kalen Erkrankungen der Geschlechtstheile, z. B. das einfache Schan-
kergeschwür].
22) J Rosenbaum: Geschichte der Lustseuche im Alterthum.
Halle 1888. 4. Aufl.
23) R. Töply: Die Syphilis im Alterthura. Wiener klin Wochen-
schr. 1889. No. 29. 30. [Der Verf. erörtert im Anschluss an das vor-
her genannte classische Werk Rosenbaums die Frage, ob die Syphilis
im heutigen Sinne des Wortes im Alterthum existiert hat und erkannt
worden ist, und kommt nach einer strengen, bisweilen vielleicht zu ri-
gorosen Kritik der literarischen Quellen zu dem Schluss, dass sie
wahrscheinlich bestanden hat, keineswegs aber mit voller Sicherheit
nachgewiesen werden kann, und jedenfalls nicht in ihren genetischen
Beziehungen zu den primären Affektionen erkannt worden ist].
328 Pathologie, interne Modicin, Geisteskrankheiten, Seuchen.
24) E. Dupouy: La Prostitution dans Tantiquite. Paris 1887. 8*'.
25) V. Janovsky: Beiträge zur Geschichte der Dermatologie.
I. Das Altorthum. Deutsches Arch. f. Gesch. d. Med. 1885. Bd. VIII.
H. 1. [Floissigo Zusammenstellung der dermatologischen Kenntnisse,
welche die Inder, Aegypter, Israeliten und andere alte Culturvölker
besassen. Der Artikel reicht bis Hippokrates].
26) G. Muleur: Essai historique sur l'alfection calculeuse du
foie depuis Hippocrate jusqu'ä Fourcroy et Pujol. Paris 1884. Inaug.-
Diss. 40.
27) W. Ebstein: Ueber Wasserentziehung und anstrengende
Muskelbewegung bei Fettsucht, Fettherz, Kraftabnahrae des Herzmus-
kels u. s. w. Eine historisch-kritische Studie. Wiesbaden 1885. S**.
33 S.
Während in der Presse und vom Publikum der Prof. Schweninger
als Erfinder der Curmethode, die er beim Fürsten Bismarck mit glück-
lichem Erfolg angewendet hat, gefeiert wurde, erklärte sein ehemaliger
Lehrer Oertel, dass Schweninger die Principien derselben von ihm ent-
lehnt habe. Noch mehr Anspruch auf die Priorität hat in diesem Falle
Plinius, welcher schreibt (Hist. nat. Lib. 23. cap. 23): »Corpus augere
volentibus aut mollire alvum conducit inter cibos bibere, contra minuen-
tibus alvumque cohibentibus sitire in edendo, postea parum bibere«.
Auch in den Fragmenten des Philumenus wird dieses Heilverfahren an-
gedeutet. Ebenso haben in der Neuzeit mehrere Aerzte vor Oertel dessen
Curmethode angewendet, wie Ebstein, der dieselbe bekämpft, nachweist.
28) J. Ch. Hub er: Zur älteren Geschichte der klinischen Hel-
minthologie. Deutsches Archiv f. klin. Med. 1889. Bd. 45. S. 354—
362. 1890. Bd. 46. S. 187 — 202. [Sammlung aller Stellen in den
Schriften der Alten, welche über Eingeweidewürmer handeln].
29) M. Wertner: Alexander der Grosse als Kranker. Pester
medicin -chirur. Presse 1883. No. 37.
30) M. Wertner: Eine parthische Kurgeschichte. Deutsches
Archiv f. Gesch. d. Med. Bd. VIII. H. 3 [betrifft die unbeabsichtigte
Heilung des wassersüchtigen Königs Orodes durch Aconit].
VIII. Chirurgie, Augenlieilkimde und Gelburtsliilfe.
1) Prehistoric surgery. The Westminster Review 1887. August-
Heft. S. 538—548.
Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Trepanation des Schädels
in praehistorischer Zeit und erörtert, zu welchem Zweck sie unternom-
Chirurgie, Augenheilkunde und Geburt?hhllfe. 329
men wurde. Es wird darauf aufmerksam gemacht, dass bei einigen
wilden Völkern noch heute die Sitte herrscht, die trepanirten Knochen-
stücke als Amulette zu tragen, weil man dadurch sich vor der Epilep-
sie zu schützen glaubt.
2) A. F. Le Double: La medecine et la Chirurgie dans les
temps prehistoriques. Discours. Tours. 1889. 8^. 24 p.
Der Redner giebt eine Uebersicht der wichtigsten Thatsachen,
welche über die Krankheiten und die Heilkunst der praehistorischen
Zeit bekannt sind, berichtet, dass Syphilis, Rachitis und Hydrocephalus
in den noch vorhandenen Knochenresten ihre Spuren hinterlassen haben,
dass gut und schlecht geheilte Knochenbrüche, cariöse und nekrotische
Processe der Knochen, Exostosen und Osteophyten, Ankylose und andere
Leiden der Gelenke, Verwundungen und Verletzungen verschiedener Art
zu erkennen sind, und dass die Zahnheilkunde bereits einen hohen Grad
der Entwickelung erreichte, und beschreibt die Ausführung und Bedeu-
tung der Trepanation des Schädels, welche sowohl während des Lebens
als nach dem Tode vorgenommen wurde.
3) L. Maggi: Antichitä delle sinostosi. Boll. scientif. Pavia 1888.
X. p. 82 u. ff.
4) G. Lagneau: De quelques anesthesiques anciennement em-
ployes en Chirurgie. Bull, de l'acad. de med. Paris. 1885- No. 25.
5) Dutertre: Des anesthesiques dans l'antiquite. Paris 188.5.
S'^. 23 p. [Notizen über den Gebrauch der schmerzstillenden Mittel
bei den Hebräern, Assyriern, Aegyptern, Persern, Skythen, Indern»
Chinesen, Griechen und Römern].
6) A. A n a g n 0 s t a k i s : '// dvT'ar—ry.rj /xz&ooog T:apä zo7g äpyatotg.
Auch französisch: La methode antiseptique chez les anciens. Athen.
1889. 40. 14 p.
Auch die antiseptische Wundbehandlung, welche man als die
grösste Errungenschaft der Chirurgie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrb.
betrachtet, hat im Alterthum ihre Vorläufer. Der Verf. weist auf die
zahlreichen Stellen in den mediciuischen Schriften der Griechen und
Römer, in denen die strenge Reinhaltung der Wunden und Waschen
derselben mit gekochtem, also sterilisirtem Regenwasser empfohlen wird,
und auf den Gebrauch der »trocken machenden« Mittel hin, durch welche
man die Eiterung und Fäulniss der Wunden zu verhüten oder beseitigen
hoffte. Zu diesem Zweck wurden verwendet: 1) heisser Wein, der die
Stelle unseres Alkohols vertrat. Man wusch die Operationswunde da-
mit und tauchte die Compressen und das Verbandmaterial hinein; es
wurden Weinsorten dazu genommen, die mit Harzen, Pech oder aroma-
330 Chirurgie, Augonheilkiinde und Geburtshilfe.
tischen Substanzen versetzt waren, 2) fein zerriebenes Salz, namentlich
Meersalz, mit welchem die Wunden bestreut wurden, 3) Theer, der in
der Form von Salben oder Pflastern aufgestrichen wurde, 4) der blaue
Kupfervitriol und andere metallische Praeparate, 5) verschiedene Harze,
Judenpeoli und aromatische Substanzen, ß) das Glüheisen und überhaupt
starke Hitze. Auagnostakis macht ferner auf eine Stelle bei Galen
(Method. mcdendi L. XIII c 22. Edit. Kühn T. X. p 942) aufmerksam,
welche darauf hindeutet, dass man sogar schon das Catgut kannte; es
ist dort von getrockneten Darmsaiten die Rede, die anstatt der Seiden-
fäden zur Unterbindung gebraucht wurden.
7) Kartulis: Die antiseptische Methode bei den alten Griechen.
Deutsche med Wochenschr. 1889. No. 49. [Besprechung der vorher
genannten Arbeit].
8) Alberts: Das Carcinom in historischer und experimentell-
pathologischer Beziehung. Jena 1887.
9) Wölfler: Die chirurgische Behandlung des Kropfes. Berlin
1887. 80. 90 S.
Der Verf. zeichnet ein vollständiges Bild der historischen Entwicke-
lung dieser Frage. Er beginnt mit Celsus , dessen Bemerkungen sich
nur auf Cystenkröpfe oder circumscripte Kropf knoten beziehen, berichtet
dann, dass Galen bereits auf die bei der Kropf- Operation vorkommende
Verletzung des Nervus recurrens und dadurch bewirkte Stimmlosigkeit
aufmerksam machte, citirt die Mittheilungen von Antyllus, Leonides,
Oribasius und Paulus Aegineta und wendet sich dann zum Mittelalter
und zur Neuzeit.
10) F. Fuhr: Der Kropf im Alterthum. Virchows Archiv. 1888
Bd. 112. H. 2. S. 317 -341.
Der Verf. berichtigt und ergänzt einige Angaben in Wölflers Ar-
beit und erklärt, dass die Aerzte des Alterthums den Kropf nicht blos
kannten, sondern auch von andern Drüsenanschwellungen zu unterschei-
den verstanden, und griechisch als ßpoyyoyJjXr^, lateinisch als guttur tu-
midum bezeichneten. Doch erlangten sie keine Einsicht in die Beziehun-
gen des Kropfes zur Schilddrüse.
11) B Schuchardt: Ueber Darstellungen von chirurgischen Ope-
rationen und Verbänden aus dem Alterthum. Archiv, f. klin. Chirur-
gie 1884. Bd. 30. H. 3. S. 681-683.
Es haben sich nur wenige Darstellungen von chirurgischen Ope-
rationen und Verbänden aus dem Alterthum erhalten. Hierher gehört
die im 5. Jahrh. v. Chr. von Sosias angefertigte, jetzt im Berliner Mu-
seum befindliche Schale, die auf der inneren Fläche des Bodens das Bild
Chirurgip, Augenheilkunde und Geburtshilfe. 331
des Achill trägt, wie er dem durch einen Pfeil am Ellenbogen verwun-
deten Patroklus einen Verband anlegt. Ferner erwähnt der Verf. das
von 0. Rayet beschriebene Goldgofäss, welches mit andern Gegenstän-
den in dem Grabe eines Skythen-Königs zu Kuloba bei Kertsoh in Süd-
Russland gefunden wurde, aus dem 3. oder 4. Jahrh. v. Chr. stammt,
gegenwärtig in der Eremitage zu Petersburg aufbewahrt wird nnd mit
zwei bildlichen Darstellungen geschmückt ist, von denen die eine das
Ausziehen eines Zahnes, die andere die Anlegung eines Verbandes bei
einer Verwundung des linken Beines veranschaulicht.
12) L. Neugebauer: Ueber die Pincetten der alten Völker.
Corresp.-Bl. d. deutschen anthropol. Ges. München 1884.
13) J. Habeis: Ueber einige zu Mastricht gefundene chirurgi-
sche Instrumente aus der Römerzeit. Verhandl. d. Akad. zu Amster-
dam. 1884. T. III. No. 2. p 133-154.
14) Gurlt: Ueber antike Instrumente. Berliner klin. Wocheu-
schr. 1888, S. 976 u. ff.
15) Jos. Smits: Hippokrates und der Steinschnitt. Centralbl.
f. Chir. Bd. 16. No. 51. (Kurze Replik gegen Sentinon).
16) C. Letourneau: La phallotomie chez les Egyptiens. Bull,
de la soc. d'antrop. de Paris 1888. 3 s. T. XL p. 718—720 [bespricht
die Sitte der alten Aegypter, den im Kriege erschlagenen Feinden
die Hände und den Penis abzuschneiden].
17) F. Bergmann: Origine, signification et histoire de la ca-
stration, de l'eunuchisme et de la circoncision Palerrae 1883. [Verf.
betrachtet die Entmannung als Zeichen der Unterwerfung, der Sklaverei].
18) H. Ploss: Geschichtliches und Ethnologisches über Knaben-
beschneidung. Deutsches Archiv f. Gesch. d. Med. 1885. Bd. VHI. H. 3.
Zu den merkwürdigsten Problemen der allgemeinen Culturgeschichte
gehört die Entstehung und Verbreitung der Beschneidung. Ihre Ge-
schichte reicht bis in die frühesten Zeiten des Alterthuras zurück. Die
Aegypter übten sie schon unter dem Könige Thutmes III., also im
17. Jahrh. v. Chr aus, wie ein von G. Ebers mitgebrachter Mumien-
Penis aus jener Zeit beweist. Bei den Juden scheint sie schon vor der
aegyptischen Gefangenschaft bestanden zu haben; doch ist sie nicht alt-
hebräischen Ursprungs. In Abessynien war sie schon zur Zeit Herodots
gebräuchlich ; in Arabia felix kannte man sie jedensfalls im Jahre 342
V. Chr. Sie ist bei den Arabern also nicht erst durch Muhammed ein
geführt worden.
Welchen Ursachen verdankt diese Sitte ihre Entstehung? Da-
332 Chirurgie, Augenheilkunde und Geburtshilfe.
ruber sind die Meinungen sehr verschieden. Einige sahen darin ein der
Gottheit, dargebrachtes Oi)fer, welclies glciclisam einen Ersatz für die
Menschenopfer darstellen sollte. Andere erklärten es für ein Zeichen
der Unterwerfung, welches der König von seinen Uuterthanen fordern
dürfe, und beriefen sich dabei auf eine Stelle im zweiten Buch Samuel,
Cap. 18. V. 25, in welcher dem David vom Könige Saul befohlen wird,
ihm hundert Philister - Häute zu bringen. Die Meisten huldigten der
Ansicht, dass die Beschneidung durch hygienische Erwägungen hervor-
gerufen worden sei, indem man dadurch eine sorgfältige Reinigung der
männlichen Geschlechtstheile ermöglichen und auf diese Weise Erkran-
kungen derselben verhüten wollte; es rauss dabei noch berücksichtigt
werden, dass in südlichen Ländern entzündliche und geschwürige Pro-
cesse auf der inneren Fläche der Vorhaut und Hypertrophien derselben
sehr häufig sind und Phimosis herbeiführen. Gegen diese Erklärung
lässt sich nur das Bedenken geltend machen, dass sie bei den Natur-
völkern ein Verständniss der Bedingungen der Gesundheitspflege voraus-
setzt, wie es kaum in den Zeiten einer hochentwickelten Cultur vorban-
den ist. — Eine dem Vorstellungskreise eines Naturvolkes näjier liegende
Theorie entwickelt Ploss, indem er erklärt, dass man durch die Beschnei-
dung die männliche Zeugungsfähigkeit erleichtern und dadurch die Ver-
mehrung und politische Macht des eigenen Stammes erhöhen wollte.
Man machte die Beobachtung, dass sich die Vorhaut vor dem Begattungs-
Akt, wenn sich der Penis im Zustande der Erection befand, hinter die
Eichel zurückzog, und wurde dadurch veranlasst, in der Vorhaut etwas
Ueberflüssiges und Unnützes zu sehen, welches die Zeugung erschwert.
Was war natürlicher, als dass man in dem Bestreben, die Bemühun-
gen der Natur zu unterstützen und die männliche Geschlechtsthätig-
keit zu erleichtern, auf den Gedanken kam, diesen Theil zu beseitigen?
Vielleicht hoffte man dadurch auch die Onanie, die unnütze Vergeudung
des männlichen Samens, zu verhüten? — Der leitende Beweggrund bei
der Einführung der Beschneidung war darnach der Wunsch, die Zahl
der Mitglieder des Volkes zu vermehren, damit es den benachbarten
Stämmen im Kriege überlegen sei. Erst später mag sich die Erkennt-
niss, dass dieser Gebrauch einen hohen Werth für die Gesundheit be-
sitzt, Bahn gebrochen und zur Befestigung desselben im öffentlichen
Leben gedient haben. Ploss führt für diese Auffassung der Dinge eine
Menge beachtenswerther Thatsachen an. Es spricht dafür namentlich,
dass die Beschneidung bei vielen Völkern erst beim Eintritt in das mann-
bare Alter ausgeführt wird und mit Gebräuchen und Feierlichkeiten ver-
bunden ist, welche darauf hindeuten, dass der Beschnittene in die Reihe
der Männer tritt und die Pflicht übernimmt, Nachkommenschaft zu er-
zeugen. Auch die Geschichte Abrahams lehrt, dass die Beschneidung
als ein Mittel zur leichteren und erfolgreicheren Ausübung der sexuellen
Funktion betrachtet wurde; die Anschauung, dass ihr eine sanitäre Be-
Chirurgie, Augenheilkunde und Geburtshilfe. 333
deutung zu Grunde liege, machte sich in der Geschichte der Juden erst
seit Philo geltend. Bei einigen Volksstämmen Afrikas und Asiens ist
heute noch der Glaube verbreitet, dass durch die Beschneidimg die
männliche Zeugungsfähigkeit angeregt und erhöht wird, und Ploss liefert
dafür drastische Beweise.
Im Folgenden werden die verschiedeneu Methoden der Operation,
wie sie im Alterthum und in der Gegenwart üblich sind, geschildert.
19) M. Pogorelski: Circumcisio ritualis Hebraeorura. Die ri-
tuelle Beschneidungscerenionie bei den Israeliten. St. Petersburger
med. Wochenschr. 1888. No. 39. 40.
Der Verf. beschäftigt sich nur mit der Geschichte und Ausführung
der Beschneidung bei den Juden, bringt aber nichts Neues. Er ist ein
begeisterter Lobredner dieser Einrichtung und verlangt, dass sie gleich
der Blattern -Impfung überall eingeführt werde. Wenn er aber unter
den Gründen, mit denen er sie empfiehlt, angiebt, dass sie »die sexuelle
Erregbarkeit vermindere, die Humanität fördere und zum Mitleid stimme«,
so wird er damit wohl nur Wenige überzeugen.
20) M. Stranz: Geschichte der Ligatur. Berlin 1884 Inaug.-
Diss. ßo. 28 S.
21) Der Papyrus Ebers. Monatsschr. d. Ver. deutscher Zahn-
künstler. Jahrg. 5. No. 7. [Darstellung der zahnärztlichen Kennt-
nisse der Aegypter, welche schon künstliche Zähne zur Verwendung
brachten].
22) Th. David: Les origines de l'art dentaire. Rev. scient.
Paris. T. 37. No. 5.
23) G. Ebers: Das Kapitel über die Augenkrankheiten im Pa-
pyrus Ebers. Bd. XI der Abhandl. der philolog.-histor. Classe der K,
Sachs. Ges. d. Wiss. H. 3. S. 201 — 336.
Ebers veröffentlicht hier eine mit sachlichen Erklärungen ausge-
stattete deutsche Uebersetzung des Kapitels über die Augenkrankheiten
in dem nach ihm genannten Papyrus. Dasselbe besteht in einer Samm-
lung von Recepten gegen die verschiedenen Augenleiden, die in wenig
geordneter unsystematischer Weise auf einander folgen. Es werden die
Namen der Krankheit genannt und die Salben und sonstigen Mittel an-
geführt, welche dagegen verordnet werden. Auf das Wesen und die Er-
scheinungen des Leidens geht der Verf. nur selten ein; ebenso wenig
zieht er die chirurgischen Eingriffe und Operationen in Betracht.
Der Text beginnt mit dem »Wachsen des Krankhaften im Blute
in dem Auge«, »dem Wasser in dem Auge« und der »Krankheit des
Wachsens«, was Ebers auf Hydrophthalmus und Staphylom bezieht.
334 Chirurgie. Augenheilkunde und Geburtshilfe.
Näher liegt es, wie Hirschberg bemerkt, anstatt an diese complicirten
Vorgänge dabei an den Bindehautkatarrh und die damit verbundene
Röthung, Schwellung und Absonderung zu denken. Vielleicht hätte
Ebers den Sinn dieser Stelle besser getruffen, wenn er in seiner Ueber-
setzung die Worte »die krankhafte Vermehrung des Blutes im Auge«
und «die Anschwellung des Auges« gebraucht hätte? — Es ist dann
von der »Verschleierung im Auge« die Rede, welche Ebers als Infiltra-
tion der Hornhaut, Affektion der Iris, beginnenden Staar oder dergl.
deutet; dabei wurde bisweilen Blutaustritt oder reichliche Thränensekre-
tion beobachtet. Hierauf folgen Mittel »zum Vertreiben der Lippitudo
oder des Eitertiusses«, wobei es sich wohl um Blenorrhoe der Bindehaut
gehandelt haben mag, »gegen Schmerzen des Auges« und »zum Eröffnen
des Gesichts, nachdem man geschlafen hat«. Die Uebersetzung »Stilli-
cidiuni der Pupille oder Hypopyon« ist sowohl aus sachlichen als aus
sprachlichen Gründen unhaltbar; denn der Verf. meint nach S. 224
Anm. 39a das »Zusammenziehen der Pupille«, also die Verengerung der
Pupille: ein Leiden, welches unter der Bezeichnung Phthisis pupillae
von den Autoren des Alterthums oft erwähnt wird. Die Verhärtungen
an den Augen, von denen gesprochen wird, könuen als Verkalkungen
der Meibomschen Diüsen gedeutet werden. Das »Vertreiben des Blutes
in den Augen« soll wohl nur darauf hinweisen, dass das Auge blutig
unterlaufen war, ohne dass mau, wie Ebers, einen vorausgegangenen
Bluterguss in die vordere Augeakammer anzunehmen braucht. Das »Um-
drehleiden« kann ebenso gut als Schielen wie als Ectropium und Entro-
pium erklärt werden, Das »Fett in den Augen« lässt sich auf die Pin-
guecula, das Lipom, die fettig aussehenden Talgdrüseugeschwülste u. ä. m.
beziehen. Das »Kügelchen im Auge« deutet auf das Gerstenkorn und
Hagelkorn hin; die Erklärung als Granulationen erscheint etwas gesucht.
Hierauf folgt der Abschnitt über die »Blindheit und Blödsichtigkeit« und
die Stelle über »die Blindheit an den Augen an dem Rundkörper«, bei
welclier Ebers an den Pupillenverschluss oder den Staar denkt, indem
er die Linse unter dem Ruudkörper versteht. Da das Wort auch mit
Pille oder Kügelchen übersetzt werden kann, wie er sagt, so gehört es
vielleicht zum folgenden Recept, und die schwierige Frage, ob die
Aegypter die Linse gekannt haben, wird umgangen. Unter der Erkran-
kung des »Randes der Augen» ist ohne Zweifel die Entzündung des
Lidrandes, Blepharitis ciliaris, zu verstehen. Das »Krokodil im Auge«
erklärt Ebers als Pterygium, weil zwischen diesem und dem Kopfe des
Krokodils eine gewisse Aehnlichkeit erkennbar sei. Die Bezeichnung
»Krokodil« hatte bei den Aegypteru, wie bei den Griechen und bei uns
das Wort »Krebs« die Bedeutung »grässlicli, bösartig, wüthend« ; es
würde also nur heissen: »das bösartige fressende Leiden«, und Hirsch-
berg wies dabei auf den gefährlichen Hornhautabscess hin. Die Krank-
heit »Bade« übersetzt Ebers mit Chemosis; es ist eine mit Anschwellun-
Chirurgie, Augenheilkunde und Geburtshilfe. 335
gen verbundene heftige Augenentzündung gemeint. Bei der Stelle, »dass
sich das Wasser über die Augen breitet«, wurde Ebers an die Aus-
drücke Hypochysis, Suffusio, Aquae descensus erinnert, die man später
zur Bezeichnung des grauen Staares gebrauchte, und diese Gleichartig-
keit der Worte veranlasste ihn zu der Annahme, dass es sich auch hier
um dieses Leiden handelt. H. Magnus hat sich dieser Ansicht ange-
schlossen. Aber ist es nicht gewagt, lediglich auf eine sprachliche Aehn-
lichkeit eine solche Hypothese zu begründen? — Auf S. 276 wird ein
Mittel empfohlen, um »zu heilen die Gefässe des Blutes in den Augen«.
Eber bezieht dies auf den subconjunctivalen Blutaustritt, während Hirsch-
berg auf den im Gefolge des Trachoms auftretenden Pannus ^verweist,
bei welchem die starke Gefässentwickelung Jedem sofort auffällt. Dann
werden Recepte »zum Abwehren der Schmerzen in den Augen«, »zum
Vertreiben einer Geschwulst am Kopfe (Balggeschwulst?)«, »um zu
schärfen die Sehkraft«, »zum Oeffnen des Gesichts« und »zum Vertrei-
ben der Nebel und der Röthe in den Augen oder der bösen typhoni-
schen Nebel in den Augen«, angeführt, welche Ebers als Trübungen der
Hornhaut deutet, die mit Reizerscheinungen verbunden sind. Die »Ge-
schwulst an der Nase« erklärt er als Entzündung des Thränensackes.
Wenn er auf S. 295 die »Hindernisse an den Augen« als Lähmungen
der Augenmuskeln deutet, so macht Hirschberg darauf aufmerksam, dass
dabei auch die Bewegungsstörungen der Lider in Betracht kommen.
Kurz und treffend wird die Trichiasis als Leiden »der Einstülpung der
Haare im Auge« beschrieben; der Verf. trifft die zweckmässige Verord-
nung, »die Haare auszuziehen und das Mittel darauf zu thun«; ausser-
dem empfiehlt er Arzneistoffe, welche verhindern sollen, dass die Haare
(Wimpern) wieder wachsen, nachdem sie ausgezogen worden sind. —
Die Recepte sind im Allgemeinen nicht so lang und complicirt als die-
jenigen der Griechen und Römer. Sie enthalten weniger Arzneistoffe
und zeigen einfache Maassverhältnisse. Unter den Substanzen, welche
verwendet werden, befinden sich mehrere Arten des Natrons, die grüne
Bleierde, rothe Mennigerde, der Rotheisenstein, Atramentstein, Lapis
Lazuli, Flintstein, Grünspan, Schwefel, Kupferkies, das Sägemehl vom
Ebenholz, der Weihrauch, die Myrrhe, der Kümmel, Knoblauch, Kalmus,
die Zwiebel, die Papyruspflanze, das Gummi verschiedener Akazien, das
Mastixharz, die Wachholderbeeren, die Datteln, die Blätter von Ricinus,
das Schöllkraut, das Durrhakorn, das Behenöl, Wachs, der Honig, die
Milch, eine Menge thierischer Stoffe, z. B. das Gehirn, die Leber, Lunge,
das Blut und die Excremente des Krokodils, der Gazelle, der Eidechse,
des Menschen u. a. m. Auch das Antimon wird darunter genannt; aber
Ebers berichtigt dies am Schluss dahin, dass es sich wohl um Schwefel-
blei gehandelt haben dürfte, nachdem die chemische Untersuchung der
noch vorhandenen Reste aegyp tischer Augeuschminke gezeigt hat, dass
dieselbe keinen Spiessglanz enthielt.
33C) Chirurgie, Augenheilkunde und Geburtshilfe.
Wenn man die Kecepte des Papyrus Ebers mit denjenigen der
Griecben und Kömer vergleicht, so ist man erstaunt, wie sehr sie in
Bezug auf die Wald der Arzneistofie und die Zusammensetzung mit ein-
ander übereinstimmen, wie stabil die Heilkunst in dem langen Zeiträume,
der die altaegyptische Medicin von Galen und seinen Nachfolgern trennt,
geblieben ist. Diese Thatsache wird bei der Erklärung des Inhalts des
Pap. Ebers werthvolle Dienste leisten, da manche technischen Ausdrücke,
manche schwer verständliche Stelle desselben durch - die medicinische
Literatur der späteren Griechen und Römer aufgehellt wird.
24) J. Hirsch berg: Ueber die Augenheilkunde der alten Aegyp-
ter. Deutsche med. Wocheuschr. 1889. No. 38. [Gründliche sachver-
ständige Kritik der vorher besprochenen Veröffentlichung von G. Ebers,
sowie einer Arbeit Lürings, von der unten die Rede sein wird].
25) G. Kostom iris: lUpl (xpBaXiiuXüycag xai ojroXoyiaQ röJv
dpyatujv ' EXXrjvojv dnu tüjv äjj^^dtoTäzujv ^fjuvüjv jii-^pcg ' iTinoxfjdrous.
Athen 1887. 8". 248 S.
Dieses Buch bildet den ersten Theil einer Geschichte der Leistun-
gen der Griechen in der Augen- und Ohrenlieilkunde und umfasst die
Zeit vor Hippokrates. Mit bewunderungswürdigem Fleiss hat der Verf.
alle hierher gehörigen Nachrichten, welche in der Literatur niedergelegt
sind, gesammelt; in den folgenden Bänden will er das Werk bis zur
Gegenwart fortsetzen. Den ersten Theil hat er in altgriechischer Sprache
geschrieben, um dadurch auch den ausserhalb Griechenlands lebenden
Gelehrten das Verständniss seiner Arbeit zu erleichtern.
Er beginnt mit einer kritischen Erörterung der technischen Be-
zeichnungen, welche von den Griechen zu den verschiedenen Zeiten und
in den einzelnen Gegenden für Auge, Ohr, Sehvermögen, Gehör, Augen-
und Ohrenarzt gebraucht wurden, und schildert dann die Pflege der
Anaton)ie und die ältesten Anschauungen über den Bau des Auges und
des Gehörorgans. Er erinnert an die hermetischen Bücher der Aegyp-
ter von denen das 37. bekanntlich der Anatomie gewidmet war. Seiner
Ansicht, dass die Einbalsamirung der Leichen Gelegenheit zu anatomi-
schen Untersuchungen bot, möchte ich entgegenhalten, dass dieselbe
sicherlich nur ganz ausnahmsweise einmal dazu benutzt wurde; die Leute,
denen dieses Geschäft oblag, hatten keine wissenschaftlichen Interessen und
wurden durch die religiösen und socialen Vorurtheile von anatomischen
Untersuchungen abgehalten. Auch sprechen die geringen und mangelli äf-
fen anatomischen Kenntnisse der Aegypter dagegen, dass sie Studien auf
diesem Gebiete unternommen haben. Wenn Kostomiris auf eine Bemer-
kung des Gellius hinweist, dass die Aegypter einen feinen Nerven be-
schrieben hätten, welcher vom vierten Finger zum Herzen gehe, so zeigt
er damit gerade, dass sie keine praktischen Beobachtungen in der Ana-
Chirurgie, Augenheilkunde und Geburtshilfe. 337
tomie gemacht haben. Ferner begeht er den Fehler, dass er die Nach-
richten aus den verschiedenen Zeitperioden durch einander wirft ; gerade
hier müssen sie streng auseinandergehalten werden, da die Anatomie
unter Herophilus und Erasistratus in Aegypten sehr fleissig getrieben,
in der älteren Zeit dagegen vollständig vernachlässigt wurde.
Der Verf. beschreibt hierauf die Anfänge der Augen- und Ohren-
heilkunde, entwickelt die Vorstellungen, die man in der ältesten Zeit
von den einzelnen Leiden hatte, und zählt die Heilmittel auf, welche da-
gegen verordnet wurden. Er zieht dabei auch die Mittheilungen Jer in-
dischen und althebräischen Medicin, z. B. die Heilung des Tobias, in
Betracht, geht dann auf die Beziehungen der griechischen Heilgottheiten
zur Behandlung der kranken Augen und Ohren ein und berichtet über
die Angaben, welche in Betreff der Erkrankungen und Verletzungen der
Augen und Ohren bei Homer sowie in den Werken des Hesiod, Ana-
kreon, Pindar, Aeschylus, Sophokles, Euripides, Aristophanes , Herodot,
Thukydides, Xenophon und anderer Autoren vor Hippokrates zu finden
sind, oder durch die Inschriften, welche man bei den Tempel- Ausgra-
bungen entdeckt hat, bekannt wurden.
Das Buch bringt ein reiches Material. Leider ist dasselbe nicht
tibersichtlich geordnet, und die Darstellung zu breit und ermüdend.
26) J. Hirsch berg: Die Augenheilkunde bei den Griechen.
Archiv, f. Ophthalm. 1887. Bd. 33. S. 47—78.
Hirschberg veröffentlicht hier den griechischen Text des Cap. VII
Lib. II der Diagnostik des Joh. Actuarius: nepl dtajvwaecug dipf^al}j.iaQ
(bei Ideler: Phys. et med. Graeci minor. T. I. p. 444 — 449) mit einer
vortrefflichen deutschen Uebersetzung und knüpft daran sachliche Er-
örterungen über das Wesen der einzelnen Krankheitserscheinungen,
welche besondere Beachtung verdienen, da der Verf. ebenso erfahren in
der praktischen Ausübung der Augenheilkunde als mit ihrer Geschichte
vertraut ist.
27) J. Hirschberg: Wörterbuch der Augenheilkunde. Leip-
zig 1887. 8^. 116 S.
Der Verf. unterwirft die Terminologie der Augenheilkunde einer
Kritik, untersucht, wie die verschiedenen technischen Ausdrücke ent-
standen sind und sich im Verlauf der Zeit verändert haben und welchen
Wandelungen die Begriffe, zu deren Bezeichnung sie dienten, unterwor-
fen waren, und prüft darnach ihre sachliche und linguistische Berechti-
gung. Er will dadurch die Anregung geben, dass die Kunstwörter
richtig gebraucht und geschrieben, geschmacklose und falsche Bezeich-
nungen beseitigt und überflüssige, schädliche und irrthümliche Fremd-
wörter durch deutsche Namen ersetzt werden. Es ist wünschenswerth,
dass die gesamrate medicinische Terminologie in dieser Weise bear-
beitet wird.
Jahresbericht für Alterthumswissenschaft. LXIV. Bd. (1890. III.) 22
338 Chirurgie, Augenheilkunde und Geburtshilfe.
28) Kobert: La d6couverte de Taction mydriatique des sola-
n6es. Presse m^d. Beige. 1885. No. 61 [beginnt mit Galen].
29) R. Virchow: Ueber aegyptische und andere Augenschrainke.
Verhandl. d. Berliner Ges. f. Anthropol. 1888. S. 417 u. ff. [Bei den
chemischen Untersuchungen wurde ßleiglanz, Mangansuperoxyd, Holz-
kohle, aber kein Antimon gefunden].
30) R. Mowat: Cachets d'oculistes. Bulletin des antiq. de
France. 1883. p. 122-123.
31) A. Danicourt: Note sur deux cachets d'oculistes romains,
trouves ä Amiens en 1884 et ä Lyon en 1880. Paris 1884. 9 p.
avec fig.
32) H6ron de Villefosse et Thedenat: Inscriptions romai-
nes de Fröjus. Paris 1885. 8°. 196 p. avec 1 pl. et 15 fig.
33) A. Trousseau: Le traitement des granulations au deuxi^mc
si^cle. Union med. 1889. No. 98. [Beschreibung verschiedener CoUy-
rien und Augenmittel des AlterthumsJ.
34) Witkowski: Histoire des accouchements chez tous les
peuples. Paris. 1888. 8°. 715 p. avec 1584 fig.
35) Albertus: Les accouchements devant l'histoire. Gaz. mM.
de Paris. 1889. No. 47.
36) H. Ploss: Das Weib in der Natur- und Völkerkunde. Leip-
zig 1884. 2. Aufl. 1887, 2 Bde.
Dieses Werk ast die vollständigste Naturgeschichte des Weibes,
welche bisher geschrieben worden ist. Der Yerf. beleuchtet die körper-
lichen Eigenthümlichkeiten und psychologischen Aufgaben des weiblichen
Geschlechts, seine sexuale Reife und Beziehungen zum männlichen Ge-
schlecht, die Zeugung und Befruchtung, die Schwangerschaft und Ge-
burt, sowie die sociale Stellung des Weibes bei den verschiedenen Völ-
kern und in den einzelnen Zeitperioden und erläutert seine Mittheilun-
gen durch eine Fülle von Thatsachen, die er aus der Geschichte und
vergleichenden Ethnologie und Anthropologie zusammengetragen hat.
37) J. Ch. Huber: Zur Geschichte des Versehens der Schwan-
geren. Friedreichs Blätter f. gerichtl. Med. 1886. H. 5. S. 321 u. ff.
[Verf. knüpft an die Erzählung an, dass Hippokrates die Geburt eines
schwarz gefärbten Kindes von einer weissen Mutter durch Versehen
während der Schwangerschaft erklärt habe].
38) A. R. Simpson: A lecture on the history of embryulcia.
Brit. Med. Journ. 1884. 13. Decbr. p. 1178.
Aerztl. Stand. Militär-Sanitätswesen. Gerichtl. Medicin. Thierheilkunde. 339
39) Lallemand: Histoire des enfants abandonnös et delaiss6s.
Paris. 1886. 8". 793 p.
40) E. Toulouze: L'allaitement artificiel k l'epoque gallo-
romaine. Paris. Union med. 1884. No. 99.
IX. Der ärztliche Stand. Militär-Sanitätswesen. Gerichtliche
Medicin. Thierheilkunde.
1) H. Magnus: Culturgeschichtliche Bilder aus der Entwicke-
lung des ärztlichen Standes. Breslau 1890. 8°. 54 S.
Der Verf. gedenkt in dieser Arbeit, welche aus einem populären
Vortrage hervorgegangen ist, auch der Priester- Aerzte des Alterthums
und besonders ihrer Thätigkeit auf dem Gebiete der Augenheilkunde,
schildert dann die Entwickelung des Standes der Augenärzte und wirft
dabei einen Blick auf das Specialistenthura und die Curpfuscherei im
Alterthum.
2) M. Wertner: lieber die Stellung des ärztlichen Standes im
Alterthum. Deutsches Archiv f. Gesch. d. Med. 1885. Bd. VIII. H. 2.
3) Th. Puschmann: Der ärztliche Stand in Rom. Monatsbl.
d. wissenschaftl. Clubs in Wien 1890. 15. September.
4) Dupouy: Les femmes-medecins dans l'antiquite. Paris. M6-
decin. T. XI. No. 15.
5) Scoutetten: Histoire des femmes-medecins depuis lantiquitö
jusqu'ä nos jours. Gaz. heb. de Bordeaux. 1889. T. X. p. 73. 109.
157. 169.
6) Hefke: Der Arzt im römischen und heutigen Recht. Archiv
f. prakt. Rechtswissenschaft 1884. III. N. 1.
7) Th. Loewenfeld: Inaestimabilität und Honorirung der artes
liberales nach römischem Recht. Festgabe der Münchener Juristen-
Facultät. München 1887. 8». S. 365— 467. [Abschnitt V. S. 419— 441
enthält interessante Erläuterungen über die Honorar-Klagen der Aerzte
und die extraordinaria cognitio].
8) H. Fr öl ich: Ueber die ersten Anfänge eines Militär-Gesund-
heitsdienstes im Alterthum und im Mittelalter. Militärarzt. Wien 1887.
No. 2. [Verf. hat die darauf bezüglichen Stellen aus der griechisch-
römischen Literatur gesammelt und weist auf Rhazes und Arnald von
Viilanova hin].
22*
340 Aerztl. Stand. Militftr-Sanitätswesen. Gerichtl. Medicin. Thierheilkande.
9) H. Moli^rc: Le Service de sante militaire chez les Grecs
et les Romains. Lyon med. 1888. No. 29. 30 [stützt sich hauptsäch-
lich auf die Schriften von Malgaigne und R. Briau über diesen Ge-
genstand].
10) H. Frölich: Galen über Krankheitsvortäuschungen. Fried-
reichs Bl. f. gerichtl. Medicin. 1889. H. l. S. 21 — 26.
Deutsche Uebersetzung der kleinen Abhandlung Galens, wie man
Diejenigen, welche Krankheiten simulieren, entlarven kann. Sie steht in
der Kühnschen Ausgabe Bd. 19. S. 1 — 7.
11) J. Ch. Hub er: Historische Notizen über den Lathyrisraus.
Friedreichs Bl. f. gerichtl. Med. 1886. H. 1. S. 34.
Verf. weist darauf hin, dass bei Hippokrates (Ed. Littrö. T. V.
p. 126. 310) von Lähmungserscheinungen die Rede ist, welche wahrschein-
lich auf Vergiftung durch Lathyrus-Arten und Ervum ervilia L. beruhen.
12) Jacob: Charlatanisme de la medecine, son ignorance et ses
dangers, app. par les assertions des celebrites medicales et scientifi-
ques (Hippocrate, Aristote, Galien, Pline etc.). Paris 1884. 26 Ed.
8". 89 p.
13) A. Baransky: Die Thierzucht im Alterthum. Beil. der
oesterr. Monatsschr. f. Thierheilkunde. 1885. Bd. 7. No. 11. Bd. 8.
No. 1—4.
In diesem Aufsatz werden nach P. Vegetius Renatus und Colu-
mella die Ansichten der Alten über die Abstammung der Hausthiere von
ungezähmten Rassen der gleichen Art, über die bauliche Anlage der
Stallungen, die Fütterung, Pflege der Haut und der Hufe, die Paarung
und das Züchten und Veredeln der Nutzthiere vorgetragen. Es ergiebt
sich daraus, dass man auch auf diesem Gebiete im Alterthum bereits
eine bemerkenswerthe Summe von Kenntnissen besass.
14) A. Baransky: Die Thiermedicin im Alterthum. Oesterr.
Vierteljahrsschr. f. wissenschaftl. Veterinärkunde. 1885. Bd. 62. H. 2.
Bd. 63. H. 2.
Eine auf gewissenhaftem gründlichem Quellenstudium beruhende Ge-
schichte der Thierheilkunde im Alterthum. Der Vei'f. beginnt mit den
dürftigen Angaben, welche über die Pflege dieser Wissenschaft bei den
alten Aegyptern, Israeliten, Indern und Persern auf uns gekommen sind,
gedenkt der Mittheilungen in der Ilias über den Genickstich und andere
Verletzungen des Pferdes und über eine Seuche, welche Pferde, Esel
und Hunde hinwegraffte, verweist auf Hesiods Bemerkungen über die
Castration der Thiere, erinnert an die Kenntnisse, welche Xenophon
Aerztl. Stand. Militär-Sanitätswesen. Gerichtl. Medicin. Thierheilkünde. 341
vom Abrichten, der Pflege und den Krankheiten der Pferde und der
Jagdhunde in seinen Schriften niederlegte, bespricht die Bedeutung der
Hippokratischen Werke für die Thierheilkünde, erörtert die Verdienste,
die sich Aristoteles um die Zootomie und vergleichende Anatomie, sowie
um die Pathologie der Schweine, Hunde, Rinder, Pferde, Esel und
Fische erworben hat, und seine Ansichten in Betreff der Befruchtung,
der Bastarderzeugung und der Vererbung der Eigenschaften der Er-
zeuger und geht dann auf die Arbeiten der Alexandrinischen Anatomen
ein. Im folgenden Abschnitt werden die Autoren der römischen Periode,
welche über Thierheilkünde geschrieben haben, vorgeführt und der In-
halt ihrer Schriften besprochen. Der Verf. nennt hier M. Porcius Cato,
Mago den Karthager, M. Terentiup Varro, Virgilius, der in seiner Geor-
gica auch über verschiedene Thierseuchen handelt, Columella, Galen,
Palladius, Apsyrtus, Hierokles, Theomnestus und P. Vegetius Renatus,
welcher das beste Werk über Thierheilkünde hinterlassen hat. Im
letzten Theile zeichnet Baransky ein abgerundetes Bild des thierärzt-
lichen Wissens jener Zeit. Dabei zeigt er, dass man sich in der Ana-
tomie und Physiologie, welche sehr vernachlässigt wurden, hauptsächlich
auf die Bearbeitung dieser Disciplinen durch die Menschenärzte verliess,
dass man in der Hygiene und Therapie schon fast den heutigen Stand-
punkt erreicht hatte, in der inneren Medicin, Seuchenlehre und Yeteri-
närpolizei bemerkenswerthe Kenntnisse besass, auch einige chirurgische
Erfahrungen erworben hatte und das Einrichten von Verrenkungen, die
operative Entfernung von Neubildungen, mehrere Methoden der Castra-
tion, die Behandlung der Wunden, Abscesse und Fisteln und die Hei-
lung der Knochenbrüche verstand.
15) A. Baransky: Die Hippiatrica und Geoponica. Oesterr.
Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Veterinärkunde. 1886. Bd. 64.
Heft 2.
16) Eichbaum: Grundriss der Geschichte der Thierheilkünde.
Berlin 1885.
Durch die Prüfungsordnung vom Jahre 1878 wurde die Geschichte
der Thierheilkünde zum obligatorischen Unterrichtsfach an den thier-
ärztlicheu Lehranstalten des deutschen Reiches gemacht. Der Verf.
fühlte sich dadurch veranlasst, ein Lehrbuch dieses Gegenstandes zu
schreiben. Auf S. 1—35 wird das Alterthum abgehandelt und ungefähr
das gleiche Material vorgetragen, wie in der vorher genannten Abhand-
lung. Hervorzuheben ist nur, dass der Verf. auch die Thierseuchen des
Alterthums, besonders des Milzbrandes, in Betracht zieht.
342 Beüiehnngen der Medicin der Griechen u. Römer za anderen CulturTÖlkem.
X. Die Beziehungen der Medicin der Griechen und Römer
zu derjenigen anderer Culturvölker.
1) W. ßennett: The diseases of the bible. London 1887. 8°.
143 p.
2) A. H. Sayce: An ancient Babylonian work ofmedicine. Zeit-
schr. f. Keilschriftforschung. Leipzig 1885. IL S. 2 — 3. [Proben aus
einem alten Babylonischen Receptenbuche, welches im British Museum
aufbewahrt wird].
3) H- C. Bolton: The Papyrus Ebers, the earliest medical
work. Newyork 1884,
4) G. Ebers: Die Gewichte und Hohlmaasse im Papyrus Ebers.
Abhandl. der philol.-histor. Klasse der K. Sachs. Ges. d. Wiss. 1889.
Bd. XL H. 2. S. 135-198.
Den Gewichten, welche beim Abwägen der Arzneistoffe gebraucht
wurden, lag die Einheit von 6,064 Gramm zu Grunde; es wurden Bruch-
theile davon verordnet, deren Zähler 1, deren Nenner Potenzen von 2
waren, also ^/2, V4, V», Vis^ V32 und Ve^. Eine weitere Theilung wurde
nicht versucht. Unter den Hohlmaassen unterschied man das Hin, Dnat
und Ro. Das erste konnte leicht festgestellt werden, da noch aegypti-
sche Krüge vorhanden sind, auf denen angegeben ist, wieviele Hin sie
fassten; darnach betrug das Hin etwa 0,456 Liter. Schwieriger war es,
die beiden andern Maasse zu bestimmen. Nach Ebers enthielt Dnat un-
gefähr 0,608 Liter, vielleicht auch nur 0,255 Liter, Ro Vsa Hin d. i.
0,0142 Liter.
5) Lüring: Die über die medicinischen Kenntnisse der alten
Aegypter berichtenden Papyri, ver-glicheu mit den medicinischen Schrif-
ten griechischer und römischer Autoren. Leipzig 1888. Inaug.-Diss.
8°. 170 S.
Der Verf. beschäftigt sich zunächst mit dem Verhältniss zwischen
dem Pap. Ebers und dem Pap. Berolin. med. major und der Zeit ihrer
Entstehung, erklärt, dass der Berliner Papyrus die ältere und weitläu-
figere Fassung hat, aber später geschrieben ist als der Pap. Ebers, der
den Inhalt des ersteren an manchen Stellen ergänzt und berichtigt.
Die Handschrift des Pap. Ebers stammt wahrscheinlich aus den Jahren
1553 — 1550 V. Chr., wie sich aus einem auf der Rückseite des ersten
Blattes angebrachten Kalender entnehmen lässt. Die Sorgfalt der Schrift,
die unsystematische und mangelhafte Zusammenstellung des Inhalts, die
zahlreichen Wiederholungen und Lücken und andere Ursachen führen
zu der Vermuthung, dass er nicht ein Originalentwurf, sondern eine
Beziehungen der Medicin der Griechen u. Römer zu anderen Cultnrvölkern. 343
Abschrift ist. Ebers hat bekanntlich behauptet, dass er mit dem vierten
der von Clemens Alexandrinus erwähnten hermetischen Bücher, welche
die Medicin behandeln, identisch sei. Lüring wendet dagegen ein, dass
die sogenannten hermetischen Bücher der Aegypter erst in einer ver-
hältnissmässig späten Zeit zusammengestellt worden seien, liefert für diese
Ansicht aber keine überzeugenden Beweise. Immerhin spricht die That-
sache, dass der Papyrus Ebers keineswegs eine Arzneimittellehre, wie
sie das vierte hermetische Buch über die Heilkunde enthielt, sondern ein
vollständiges Compendium der gesammten Medicin ist, gegen die An-
nahme von Ebers.
Der Verf. giebt dann eine ausführliche Schilderung des Inhalts
der einzelnen Abschnitte des Papyrus Ebers. In demselben werden zu-
erst die Krankheiten des Unterleibes mit den Abführmitteln, Stuhlzäpf-
chen und Wurmmitteln, die dagegen empfohlen wurden, dann die An-
schwellungen, welche Ebers und Stern als Steinbildung deuteten, die
Leiden des Afters und der Geschlechtstheile besprochen, hierauf Recepte
gegen Kopfleiden, halbseitigen Kopfschmerz, Harnbeschwerden, zum Par-
fümiren des Mundes, zum Reizen des Appetites, gegen Geschwüre in
den Hüften, bei denen man an Bubonen denken muss, gegen Geschwülste
am Halse, Uebelkeit und Brechreiz, Augenleiden, Krankheiten der Haare,
offene Wunden, Leiden der Beine, wobei auch der Filaria medinensis
Erwähnung geschieht, gegen Quetschungen, Zittern der Finger, Erkran-
kungen der Zunge und der Haut. Kopfgrind, Zahnleiden, Leberentzün-
dungen, Schnupfen, Ohrenleiden und Frauenkrankheiten aufgezählt und
eine Abhandlung ȟber die Kenutniss des Ganges des Herzens und die
Kenntniss des Herzens selbst«, sowie eine chirurgische Erörterung über
die Behandlung der Geschwüre vorgelegt. — Nun folgen die Benennun-
gen der einzelnen Theile und Organe des Körpers und eine Auseinander-
setzung über die räthselhaften Metu, die Gänge, Canäle, welche nach
der Meinung der Aegypter die Säfte führen und etwa den Blutgefässen
und Nerven entsprechen dürften. — Das dritte Kapitel ist der Augen-
heilkunde gewidmet. Lüring zeigt bei dieser Gelegenheit, wie abhängig
die Griechen von den Aegyptern bei der Wahl und Zusammensetzung
der Heilmittel waren. — Der folgende Abschnitt handelt über die Pflege
und Behandlung der Haare. Lüring citirt hier die unter dem Namen
der Königin Kleopatra bekannten Fragmente über Kosmetik, welche sich
bei Galen, Aetius und Paulus Aegineta finden. Im nächsten Theile wird
die Behandlung der Frauenkrankheiten geschildert: auch hier weist Lü-
ring die Aehnlichkeit zwischen den Verordnungen der Aegypter und
denen der Griechen nach. Unter den Merkmalen der Schwangerschaft
wird auch das Aussehen des Urins erwähnt, der, »wie vom Sturm ge-
peitschtes Wasser«, nämlich schäumend erscheint. — Die im Text ge-
nannten Arzneistoffe bezieht Lüring auf Lactuca, Mentha, Punica Gra-
natum L., Sesamum Orientale L, Cordia Myxa L, die Cypresse, die
344 Beziehungen der Medicin der Gritcben u. Römer zu anderen Culturvölkern.
Wassermelone, das Sägemehl von Pinus halepensis Mill. oder Juniperus
excelsa M. Bieb, den Safran, Zizyphus Lotus W, Pistacia terebinthus
L, Carthamus tinctorius L, die Wachholderbeeren, Nymphaea Lotus L,
Nymphaea coerulea Sav., die Malve, Mimosa milotica L, Indigofera ar-
gentea L, den Mohn und von den mineralischen Substanzen auf Galmei,
Kupferstein, Alabaster u. a. ra. — Im letzten Theile werden die Formen
beschrieben, in welchen die Arzneien angewendet wurden. Man kannte
eine Menge von Manipulationen; die einzelnen Substanzen wurden fein
zerrieben, zerstossen, gekocht, ausgepresst, durchgeseiht oder durchge-
siebt, mit einander gemischt und zu einer Masse vereinigt. Manchmal
nahm die Zubereitung des Medicaments längere Zeit in Anspruch; zu-
weilen musste es vor dem Gebrauche lange in Büchsen aufbewahrt wer-
den. Die Heilmittel wurden als Pillen, Pastillen oder Getränke inner-
lich gereicht oder im Klystier, als Salben und Einreibungen äusserlich
angewendet. Auch wusste man von Inhalationen, Einträufelungen in die
Ohren und Augen, Einspritzungen, Räucherungen, Umschlägen und Fon-
tanellen Gebrauch zu machen.
6) K. B. Hof mann: Die Medicin der alten Aegypter. Mitth.
des Vereins der Aerzte f. Steyermark. Graz 1886. S. 20 — 26. [Ge-
drängte Uebersicht der wichtigsten Thatsachen].
7) V. Loret: L'Egypte au temps des Pharaons. Paris 1889.
In dem Capitel: Medecine et sorcellerie (S. 205 — 256) wird der
Zusammenhang der Heilkunst mit der Zauberei erörtert und der mysti-
sche Ursprung der ersteren dargelegt. Werthvoll sind die Ueber-
setzungen einzelner Stellen aus den Papyrus-Handschriften, welche Loret
beifügt. Es wird darin auch der geburtshilflichen Schule zu Sais ge-
dacht, an der Hebammen Unterricht ertheilten.
8) A. Erman: Aegypten und aegyptisches Leben. Tübingen 1888.
Th. IL S. 351—738. [S. 477 u. ff. handelt über die Medicin].
9) J. Hirschberg: Aegypten. Geschichtliche Studien eines Augen-
arztes. Leipzig 1890. 8". 116 S. [Drei an historischen Notizen reiche
Abhandlungen über 1) Aegypten als klimatischer Curort. 2) Ueber
die Augenheilkunde der alten Aegypter. 3) Ueber die aegyptische
Augenentzündung].
10) G. Liötard: Une nouvelle traduction d'Ayur-Veda de Sus-
ruta. Gaz. hebd. de med. Paris 1884. No. 91. [Verf. macht auf die
von Udoy Chand Dutt angefertigte, in der Bibliotheca Indica erschei-
nende Uebersetzung des Susruta aufmerksam].
Beziehungen der Medicin der Griechen u. Römer zu anderen Culturvölkeru. 345
11) F. Hessler: lieber Naturgeschichte der alten Inder. Sitzungs-
ber. d. K. Bayr. Akad. d Wiss. zu München. Math.-physikal. Klasse.
1887. H. 1. S. 43 — 51. [Zusammenstellung der naturwissenschaftlichen
Kenntnisse der alten Inder nach dem Ayur-Veda des Susruta, nach
Charaka und dem Amarakoscha des Amarusinka und Verzeichniss der
darin erwähnten Pflanzen, Thiere und Mineralien].
12) F. Hessler: Allgemeine Uebersicht der Heilkunde der alten
Inder. Sitzungsber. d. K. Bayr. Akad d. Wiss. zu München. Math.-
physikal. Klasse 1887. S. 137 — 149. [Kurze Inhaltsangabe des Ayur-
Veda des Susruta und Charaka und Nachweis, dass sie den späteren
medicinischen Werken der Sanskrit-Literatur als Vorlage dienten].
13) F. Hess 1er: Beiträge zur Naturphilosophie der alten Hindu.
Sitzungsber. d. K. Bayr. Akad. d. Wiss. zu München. Math.-physikal.
Klasse. 1888. H. 2. S. 267-276.
Sie betrachteten das Brahniuni als Urgrund alles Seins, als das
Unzerstörbare, Ewige, Unsichtbare, welches im Lichtäther in die äussere
Erscheinung tritt und durch Umwandlungen die sinnlich wahrnehmbare
Welt und alle Wesen der Natur, die es gleichsam in sich enthält, ent-
stehen lässt. Der Verf. zeigt, dass viele Theorien, welche von den spä-
teren Naturphilosophen aufgestellt wurden, schon in der Sanskrit -Lite-
ratur angedeutet werden.
14) F. Hessler: Generelle Uebersicht der Heilmittel in dem
Ayur-Veda des Susruta. Sitzungsber. d. K. Bayr. Akad. d. Wiss. zu
München. Math-phys. Kl. 1889. Bd. 19. S. 153 166. [Der Verf.
bespricht nicht blos die pharmaceutischen Heilmittel, sondern auch die
chirurgischen Manipulationen, z. B. die Pflege und Auswahl der Blut-
egel, und die Zaubermittel und Zaubergesänge. Susruta führt 760
Arzneipflanzen an, welche nach den Krankheiten, gegen welche sie
angeblich helfen, eingetheilt werden].
15) E. Verrier: La medecine dans l'Avesta ou traite de rae-
decine mazdeenne, traduit du Pehlewi. Journ. de m^d. 1887. XIII,
p. 141-152.
16) A. Marignan: La medecine dans l'öglise au sixieme si^cle.
Paris. 1887. 8». 38 p.
Der Verf. liefert den quellenmässigen Nachweis, dass der Askle-
pios-Dienst, wie er im Alterthum in den Asklepios-Tempeln geübt wurde,
im christlichen Gewände noch lange Zeit unter der Herrschaft des Chri-
stenthums bestand. Wie einst in den heidnischen Tempeln, so suchten
die Kranken jetzt in den christlichen Kirchen Heilung von ihren Leiden.
Sie hielten sich zu diesem Zweck während der Nacht dort auf und
346 Beziehungen der Medicin der Griechen u. Römer zu anderen Culturvölkern.
glaubten in ihren Träumen, Hallucinationen und Visionen die Stimme
Gottes oder eines Heiligen zu hören, der ihnen die wirksamen Heilmittel
verkündete. Dieselben bestanden hauptsächlich in Fasten, Gebeten,
Wallfahrten, Salbungen mit geweiiitcm Oel, der Betrachtung oder Be-
rührung von Reliquien oder Gegenständen, welche ein Heiliger benutzt
hatte u. ä. m. Auch gaben die Priester den Kranken zuweilen ärztliche
Rathschläge und schrieben die Geschichte der Heilungen nieder, die in
ihren Kirchen stattfanden, und die Patienten widmeten zur Erinnerung
an ihre Genesung Weihgeschenke, die dort aufbewahrt wurden, gerade
wie in den Zeiten des Alterthums.
17) J. P. Rossignol: Diseussion sur Tauthencite d'une clochette
d'or lettree, decouverte ä Rome et prise pour une amulette, suivie de
questions sur le mauvais oeil, sur les amulettes, les cloches amulettes
et leur origine. Paris 1883. 8°. 71 p. [Im Alterthum dienten die
kleinen Glöckchen vorzugsweise als Schmuckgegenstände; erst in der
christlichen Zeit wurden sie als Amulette gebraucht. Das vorliegende
Exemplar wird für gefälscht oder wenigstens sehr verdächtig erklärtj.
Jahresbericht über Geographie von Griechenland.
Von
Dr. Eagen Oberlinmmer,
Privatdocent an der Universität München.
I. Allgemeiner Teil.
1874 — 90.
Als vor geraumer Zeit von der Redaktion die Aufforderung zur
Übernahme des so lange verwaisten Berichtes über Geographie von
Griechenland an mich erging, konnte ich mir das Mifsliche einer der-
artigen Aufgabe nicht verhehlen; denn einerseits raufste, wenn der Rah-
men nicht ganz willkürlich gezogen sein sollte, bis zum Beginn dieses
Jahresberichts zurückgegriffen werden, in dessen erstem Jahrgange Kurt
Wachsmuth den bislang einzigen Bericht über diesen Zweig der Alter-
tumswissenschaft veröffentlicht hatte (Bd. II S. 1077—96), anderseits
mufste ich mich fragen, ob nach dem Erscheinen der anerkannt vortreff-
lichen Berichte Hirschfelds im Geographischen Jahrbuch (s. u.) ein
ähnliches Unternehmen noch am Platze sei. Ein solcher Versuch mag
indessen schon durch die Rücksicht auf die äufsere Vollständigkeit des
»Jahresberichts« einigermafsen entschuldigt werden. Wenn fernerhin die
Berichte des »Jahrbuchs« in erster Linie dazu bestimmt sind, die Geo-
graphen darüber aufzuklären, was vorzugsweise von philologischer und
archäologischer Seite zur Kenntnis der Länder griechischer Kultur ge-
leistet worden ist, so handelt es sich hier zunächst darum, philologische
Kreise auf Litteraturerscheinungen aufmerksam zu machen, die, wenig-
stens zum Teil, dem Arbeitsfelde derselben ferner stehen. Denn, ge-
stehen wir uns es offen, bei der grolsen Mehrzahl der Philologen ist das
Interesse und Verständnis für geographische Fragen, auch nur so weit
sie in den Bereich des klassischen Altertums fallen, noch ein betrübend
geringes 1), und Bücher wie die »Physikalische Geographie« von Neu-
1) Ich begegne mich hier vollständig mit der von G Hirschfeld iu sei-
nem Artikel »Zur Umgestaltung des erdkundlichen und naturwissenschaftlichen
Unterrichts« (Deutf^ches Wochenblatt 111 1890 S. 385) geäufserten Auffassung.
348 Geographie von Griechenland.
mann-Partsch sind noch weit entfernt, in diesen Kreisen die allgemeine
Würdigung zu finden, die sie verdienen. Eben deshalb schien es mir
zweckmäfsig, wenigstens für Griechenland den Rahmen möglichst weit zu
stecken, und auch Kartenwerke sowie Erscheinungen der naturwissen-
schaftlichen Litteratur heranzuziehen, soweit sie zur Kenntnis eines Lan-
des dienen, in dem wie kaum in einem andern die geschichtliche Ent-
wickelung mit der Landesnatur auf das Innigste verflochten ist. Selbst-
verständlich kann hierbei nicht jede einzelne Schrift ausführlich bespro-
chenwerden, was bei der aufserordentlichen Stoffanhäufung für dieses Mal
überhaupt nur bei den allerwichtigsteu Erscheinungen möglich ist; ebenso-
wenig kann bei der Vielseitigkeit des Gegenstandes und der Länge des Zeit-
raumes, über den sich der Bericht erstreckt, nach irgend einer Seite hin un-
bedingte Vollständigkeit erwartet worden. Weiterhin erschien es mir zweck-
mäfsig, um eine allzu grofse Ausdehnung und weitere Verzögerung des
Berichtes zu vermeiden, mich für dieses Mal auf diejenigen Werke u. s. w.
zu beschränken, welche Griechenland im Ganzen oder doch gröfsere
Teile desselben (d. h. mindestens mehr als eine Landschaft) betreffen
und dann in einem späteren Berichte die monographische Litteratur über
die einzelnen Landschaften und Inseln folgen zu lassen.
Ich stelle an die Spitze einige bibliographische Arbeiten und
beginne mit den bereits erwähnten Berichten von Gustav Hirschfeld:
1) Der Standpunkt unserer heutigen Kenntnis der Geographie der
alten Kulturländer, insbesondere der Balkanhalbinsel, Griechenlands
und von Kleinasien. Geographisches Jahrbuch Bd. X (1884) S. 401 — 44.
2) Bericht über unsere geographische Kenntnis der alten griechi-
schen Welt. Ebd. Bd. XII (1888) S. 241—308.
3) Bericht über die Fortschritte in der geographischen und topo-
graphischen Kenntnis der alten griechischen Welt. Ebd. Bd. XIV
(1890) S. 145—84.
Die ursprüngliche Erwartung, dafs Hirschfelds Berichte sich all-
mählich über den ganzen antiken Erdkreis ausdehnen würden (vgl. X
403\ hat sich nicht verwirklicht, vielmehr hat sich der Verfasser bereits
im zweiten Bericht endgültig auf die Länder griechischer Kultur be-
schränkt, was gewifs von Vielen bedauert wird. Denn Phrasen wie
»Was Mommsenschem Gesichtskreise nahe liegt, kommt überhaupt nicht
leicht in Gefahr übersehen zu werden« (XII 241) und der Hinweis auf
Organe wie die (in ihrer Art einzigen) Notizie degli scavi können uns
über den Mangel einer rasch orientierenden Übersicht über die
topographische Litteratur der weströmischen Länder nicht hinweg helfen.
Indessen sind die Schwierigkeiten einer derartigen Ausdehnung der Be-
richte nicht zu verkennen und müssen wir daher dem Verfasser für das
Gebotene vollauf dankbar sein. Als ein besonderer Vorzug von Hirsch-
Bibliographie. 349
felds Berichten, die sich ebensosehr durch knappe Fassung, als durch
Schärfe des Urteils auszeichnen, mufs die liebevolle Berücksichtigung
der im Ausland so wenig gekannten griechischen Lokallitteratur hervor-
gehoben werden. Eine wertvolle Zugabe bildet ferner (vom XII. Bande
an) die Ausdehnung des Berichtes auf die Geschichte der alten Geographie.
Bei der Schwierigkeit, sich über die einheimische Litteratur der
Griechen, insbesondere so weit sie in lokalen Zeitschriften niedergelegt
ist, eine Übersicht zu verschaffen, ist es mit hoher Genugthuung zu be-
grüfsen, dafs Herr Ant. Miliarakis, wohl die tüchtigste Kraft, welche
Griechenland gegenwärtig im geographischen Fache besitzt, sich der
mühevollen Aufgabe einer Zusammenstellung der von Griechen (auch in
fremden Sprachen) verfafsten geographischen Bücher, Abhandlungen u. s. w.
unterzogen hat. Dieselbe erschien u. d. T.
NeoeXXrjViXTj yeajypaipLx-^ (fdoXoyca ^zot xardXoyog rwv dnb roü
1800 — 1889 ytojypa<prßiv-iüv und 'EUrjvcuv. Tnb 'Avzoiviou MrjXca-
pdxTj. '£V 'A&rjvacg. BißXionojXelov rr^g 'Earcag. 1889. 8' 128 S.
M. 4.
Ich verweise des Näheren auf meine Besprechung in der Wochen-
schr. f. kl. Phil. 1890 Sp. 1329—32 und auf den Artikel von G. Hirsch-
feld, dessen Anregung die Herausgabe des Buches zu verdanken ist,
»Zur Geschichte der Geographie bei den Neugriechen« in der Berliner
Philol. Wochenschr. 1890 Sp. 288 — 92, 322-24, wo man auch beachtens-
werte Mitteilungen über ältere geographische Werke der neugriechischen
Litteratur sowie einige Ergänzungen zu Miliarakis findet. Vgl. Nachtrag.
Wenden wir uns nun zunächst den systematischen Bearbei-
tungen der Geographie von Griechenland (bezw. Kleinasien) zu, so ist,
so weit die alte Geographie in Frage kommt, der Zeitfolge nach^) zu-
erst die Neuauflage des dritten Bandes von Forbigers Handbuch zu er-
wähnen, welche unter dem Titel erschien :
Handbuch der alten Geographie von Europa von Albert Forbi-
ger. Zweite umgearbeitete und vielfach verbesserte Auflage. Ham-
burg. Verlag von Haendcke & Lemkuhl. 1877. VIII 808 S. M. 25
Ich würde dieses Werk, über das vom Standpunkt der modernen
Wissenschaft längst der Stab gebrochen ist, hier nicht anführen, wenn
es nicht gerade in philologischen Kreisen noch ein altererbtes Ansehen
besäfse und wegen der beträchtlichen Stoffanhäufung thatsächlich bis zu
einem gewissen Grade unentbehrlich wäre. Für Griechenland wird
man es ja wohl am seltensten zu Rate ziehen, da hier Bursians Werk
1) Die trefflichen DLectures on the geography of GreeceiX von H. F. To-
zer (London 1873), auf deren in Deutschland viel zu wenig gewürdigte Be-
deutung auch Hirschfeld hingewiesen hat (Geogr. Jahrb. X 408 f.), wurden in
diesem Jahresbericht bereits von Wachsmuth (11 1081 f.) besprochen.
350 Geographie von Griechenland.
weit bessere Auskunft giebt. Da man aber für andere Gebiete der
alten Welt — ich erinnere nur an Kleinasien — mangels neuerer er-
schöpfender Darstellungen vielfach noch auf Forbiger zurückgreifen
mufs, so mag zur Orientierung bemerkt sein, dafs die neue Auflage
gegen den entsprechenden (dritten) Band der ersten Ausgabe (VIII 1180
S.!) wesentlich an Umfang verloren hat, was zum Teil auf engeren
Druck, zum Teil aber auch auf Kürzung des Textes zurückzuführen ist.
Zu letzterem Zwecke wurden eine Reihe minder wichtiger Namen samt
den dazu gehörigen Belegen gestrichen, wodurch das Buch den wesent-
lichsten Vorzug der früheren Auflage, nämlich den der Vollständigkeit,
verloren hat. Hinzugekommen sind zahlreiche neue Citate, doch be-
treflen dieselben durchgängig bekannte Hauptwerke, wie Corp. inser. Lai.^
Bursians Geographie u. s. w. , während neuere Einzelschriften und die
periodische Litteratur nur sehr spärlich angeführt sind.*)
In direktem Gegensatz zu dem fleifsigen und stoffreichen, aber
jeder Anmut der Darstellung und lebendigen Auffassung entbehrenden
Werke Forbigers steht
Heinrich Kiepert, Lehrbuch der alten Geographie. Berlin, Ver-
lag von Dietrich Reimer. 1878. XVI 544 S. M. 6.
Der Zweck eines Lehrbuches schlofs von vornherein eine stofflich
erschöpfende Behandlung des Gegenstandes aus; es handelte sich hier
vielmehr um eine Zusammenfassung der Ergebnisse wissenschaftlicher
Forschung in knapper, übersichtlicher Darstellung mit Hinweglassung
aller unwesentlichen Einzelheiten. Dieser Aufgabe ist der Verfasser in
meisterhafter Weise gerecht geworden und gehört das Buch unstreitig
zu den reifsten und abgeklärtesten Leistungen der historisch-geographi-
schen Litteratur. Es möchte überflüssig erscheinen, für ein längst als
vortrefflich anerkanntes Hilfsmittel, das zur Einführung in das Studium
in seltenem Grade geeignet ist, jetzt noch eine besondere Empfehlung
auszusprechen, wenn nicht die Thatsache, dafs in zwölf Jahren keine
Neuauflage erfolgt ist, für eine bedauerliche Gleichgiltigkeit und Unkennt-
nis der meisten Philologen in einem so wichtigen Zweige der Altertums-
wissenschaft zeugen würde.
Ein wesentlicher Nachteil von Kieperts Lehrbuch liegt in dem
Mangel eines Registers, für welches weder das Inhaltsverzeichnis, noch
der Index zum Atlas antiquus genügenden Ersatz zu bieten vermag.
Diesem Mangel, dessen Beseitigung bei einer zweiten Auflage zu erhoffen
ist, hat der Verfasser einigermafsen abgeholfen in dem bald nach dem
»Lehrbuch« erschienenen
1; Um etwaigen Misverständnissen vorzubeugen, möchte ich bemerken,
dals die von der Verlagshandlung augekündigte zweite Auflage des gan-
zen Werkes in Bezug auf den ersten und zweiten Band nur eine Titel auf-
läge ist; neu gedruckt wurde lediglich der dritte Band.
Alte Geographie. 351
Leitfaden der alten Geographie für die mittleren Gymnasialklassen.
Berlin, Verlag von Dietrich Reimer. 1879. VIII 220 S. M. 1.60.
Der »Leitfaden«, welchem ein Register beigegeben ist, schliefst sich
in Einteilung und Darstellungsweise eng an das »Lehrbucha an, gegen
das derselbe nur im Inhalt verkürzt ist. Berichterstatter möchte übri-
gens bezweifeln, ob der »Leitfaden«, seinem Titel entsprechend, irgend
wo als Schulbuch zur allgemeinen Einführung gelangt ist, wenngleich
einzelne strebsame Schüler denselben mit Erfolg benützen mögen; für
den Durchschnittsgymnasiasten ist das Gebotene noch entschieden zu
viel, Referent würde es vielmehr schon als höchst erfreulich erachten,
wenn alle Studierende der Philologie sich annähernd das Mafs von
Kenntnissen in alter Geographie aneignen würden, welches hier in klarer
und anziehender Form geboten wird.
Etwas anders angelegt, doch in ihrer Art ebenso vortrefflich ist die
Hellenische Landeskunde und Topographie von H. G. Lolling in
Iwan Müllers Handbuch d. klass. Altertumswiss. Bd. III (Nördlingen
18891) S. 99—352.
LoUings Abrifs umfafst aufser dem eigentlichen Griechenland (S. 99
— 222) auch die Balkanländer, Kleinasien (mit Cypern) und Sici-
lien (S. 222 — 89) und widmet zuletzt noch einen besonderen Abschnitt der
Topographie von Athen (S. 290-352). Vorausgeschickt ist eine Einlei-
tung über die Quellen, welche jedoch nur für das Altertum ganz befrie-
digt; bei der allzu summarischen Übersicht der neueren Litteratur wäre
eine kurze Charakteristik der Hauptwerke sowie ein Hinweis auf die
wichtigsten Originalkarten erwünscht. Nach einer kurzen Skizze der
physikalischen Geographie wird sogleich, mit Attika beginnend, auf die
einzelnen Landschaften eingegangen, bei denen wiederum ein Überblick
der orohydrographischen Verhältnisse der Ortsbeschreibung vorangeht.
Beim Vergleich mit Kieperts Lehrbuch läfst sich Lollings Behandlungs-
weise dahin charakterisieren, dafs hier mehr der archäologisch-topogra-
phische, bei Kiepert der rein geographische Standpunkt vorherrscht, so
dafs beide Darstellungen sich in diesem Sinne ergänzen. Während fer-
ner bei Kiepert, dem Charakter eines »Lehrbuches« entsprechend, Litte-
raturangaben nur sehr sparsam mitgeteilt werden, findet man solche bei
Lolling in reichlichem Mafse, wodurch der Wert dieses Abrisses wesent-
lich erhöht wird. Insbesondere wird hiermit für Kleinasien und die
kleinasiatischen Inseln eine längst schmerzlich empfundene Lücke aus-
gefüllt, während auch für Griechenland, wo in Bursians Werk ein Ab-
schlufs vorlag, die Ergänzung der Litteratur bis auf die neueste Zeit mit
Dank zn begrüfsen ist. Für die Litteraturnachweise, deren bibliogra-
phische Genauigkeit übrigens mitunter eine gröfsere sein könnte, kam
1) Der von Lolling bearbeitete Abschnitt erechien bereits 1887.
352 Geographie von Griechenland.
dem Verf. besonders die Benützung der geographischen Lokallitteratur zu
statten, welche in Athen besser als irgend wo anders ermöglicht ist.
Noch wertvoller ist indessen des Verfassers gründliche Autopsie, welche
ihm, wenigstens für das griechische Festland, in einem Mafse zu Gebote
steht, wie sie nur selten einem Gelehrten zu teil wurde, und welche
sicher nicht wenig zur Belebung des gewandt geschriebenen Abrisses bei-
getragen hat.
In die Form eines Lesebuches kleidete den Stoff
H. W. St oll, Wanderungen durch Alt-Griechenland. 1. Teil. Der
Peloponnes. VI 368 S. 2. Teil. Mittel- und Nord-Griechenland. VI
410 S. Leipzig, B. G. Teubner. 1888. M. 10.
Vorstehendes Buch, welches sich den im besten Sinne des Wortes
populären Darstellungen der Altertumswissenschaft seitens desselben
Verfassers würdig anreiht, ist aus den vorzüglichsten alten und neuen
Quellen geschöpft und auch mit einer Anzahl von Plänen und Bildern
ausgestattet, in denen uns meist alte Bekannte aus Bursians Geographie,
Lübkers Reallexikon und Bädekers Griechenland wieder begegnen. Ob-
wohl ohne Anspruch auf wissenschaftliche Originalität und gelehrten
Apparat vermeidend, sind Stolls »Wanderungen« als Beispiel lesbarer
Darstellung eines spröden und trockenen Stoffes nicht ohne methodi-
sches Interesse Die Lektüre des Buches empfiehlt. sich in erster Linie
für bessere Schüler der höheren Gymnasialklassen, würde aber nach
Überzeugung des Referenten auch manchem Philologen nichts schaden.
Diesen systematischen Werken über alte Geographie mag mit
Rücksicht auf die räumliche Zerstreutheit der behandelten Lokalitäten
beigefügt sein
Schliemanns Ausgrabungen in Troja, Tiryns, Mykenä, Orcho-
menos, Ithaka im Lichte der heutigen Wissenschaft. Dargestellt von
Karl Schuchhardt. Mit zwei Portrats, sechs Karten und Plänen
und 290 Abbildungen. Leipzig, F. A. Brockhaus. 1890. XII 371 S.
M. 8.
Obwohl die Archäologie an dem Buche den Hauptanteil hat, kann
es doch wegen der Bedeutung von Schliemanns Ausgrabungen für die
Topographie hier nicht unerwähnt bleiben. Der von der Verlangshand-
lung ausgegangene Gedanke, die Ergebnisse der Thätigkeit Schliemanns
in einem gemeinverständlichen und dabei wohlfeilen Buche zusammen-
zufassen, ist um so dankbarer anzuerkennen , als nicht Jedermann Zeit
und Lust hat, sich durch die meist umfänglichen Originalwerke durchzuar-
beiten, die im Preise überdies mehr für englisches und amerikanisches,
als deutsches Publikum berechnet sind und schon dadurch eine weitere
Verbreitung erschweren. Aus diesem Grunde wird Schuchhardts Buch
auch manchem Fachmann erwünscht sein, der darin die bekannten
Alte Geographie. 353
Pläne von Troia, Tiryns und Mykenä sowie eine Auswahl der wichtig-
sten Abbildungen (darunter auch einzelne neue) nebst Bildnissen von
Herrn und Frau Dr. Scbliemann findet.
Ich schliefse hieran ferner einige Schriften über Alt-Griechenland,
in denen allgemeine geographische Gesichtspunkte zur Geltung kommen.
Hierher gehören
Konrad Bursian, Über den Einflufs der Natur des griechischen
Landes auf den Charakter seiner Bewoliner. 6. u. 7. Jahresber. der
Geograph. Ges. in München (1877) S. 63 — 71.
Dieser Vortrag wiederholt im Wesentlichen die Ausführungen,
welche der Verfasser bereits in seiner akademischen Antrittsrede in Zü-
rich niedergelegt hatte i), und welche hier teils in etwas gekürzter Form,
teils mit einigen Zusätzen wieder erscheinen. Zu bedauern ist nur, dafs
Bursian sich nicht zu einer wesentlich erweiterten Behandlung dieses
Themas, die in dem engen Rahmen eines Vortrages nur eine skizzen-
hafte sein konnte, sowie zu einer eingehendenXharakteristik aller grie-
chischen Landschaften entschlofs.
In demselben Forschungskreis bewegt sich ferner die sehr ver-
dienstliche Schrift von
Robert Pöhlmann, Hellenische Anschauungen über den Zu-
sammenhang zwischen Natur und Geschichte. (Habilitationsschrift).
Leipzig, Verlag von S. Hirzel. 1879. 93 S. M. 1.60-
Da es sich indessen hier, wie schon der Titel besagt, nicht sowohl
um eine objektive Erörterung der thatsächlichen Beziehungen als um die
subjektive Auffassung der Alten handelt, so gehört eine ausführliche Be-
sprechung der anziehenden Schrift nicht hierher, sondern in den Bericht
über Geschichte der Geographie.
Dagegen wird das von Bursian behandelte Thema, jedoch mehr mit
Berücksichtigung des politischen als des kulturellen Elementes, wieder
aufgenommen von
Dondorff, Das hellenische Land als Schauplatz der althelleni-
schen Geschichte. Hamburg. Verlangsanstalt A.-G. (vorm. J. F. Rich-
ter). 1889. 42 S. M. 0.80. (Samml. gemeinverständl. wissenschaftl.
Vortr. N. F. III. Ser. H. 72).
Derselbe Übelstand wie bei Bursian macht sich auch hier geltend,
der überreiche Stoff konnte in den Grenzen eines Vortrages nicht er"
schöpft werden und die Charakteristik der Landschaften mufs sich da-
1) Ȇber die Gliederung des griechischen Landes und den Einflufs der-
selben auf den Charakter und die Kulturentwicklung der verschiedenen grie-
chischen Volksstämme«. Neues Schweiz. Mus. IV (1864) S. 259—68.
Jahresbericht für Alterthumswissenschaft LXIV. Bd. (1890. III.) 23
854 Geographie von Griechenland.
her auch hier auf einzehie Beispiele beschränken. Bei dem Mangel
einer Inhaltsübersicht verniifst man eine Hervorhebung der Schlagwör-
ter durch den Druck ; im Übrigen vgl. über die verstcändig geschriebene
und von Übertreibungen freie Abhandlung die Anzeige von G. Hertzberg
in der Berl. philol. Wochenschr. 1890 Sp. 21 7 f.
Eine methodologisch höchst bedeutsame Abhandlung, welche hoffent-
lich zu weiteren Forschungen in dieser Richtung anregen wird, bringt
Gustav Hirschfeld, Zur Typologie griechischer Ansiedelungen
im Altertum. Histor. u. philol. Aufsätze E. Curtius gewidmet (Berlin
1884) S. 353—73.
Verf. hebt mit Recht hervor, dafs er hier ein fast noch unberühr-
tes Gebiet betritt, für welches selbst der Name erst zu ersinnen wai*,
obwohl bereits bei alten Schriftstellern sich einzelne Anläufe zu derar-
tigen Betrachtungen finden (z. B. Thuc. I 7, Plat. leg III p. 677 s.,
Str. XIII p. 592 s. , Aristot. pol. VII 10). Die antiken, insbesondere
die griechischen Ortslagen bieten bei einer vergleichenden Betrachtung
scharfe, charakteristische Züge, welche allerdings durch die heutige Be-
siedelung mehrfach verwischt sind. Im Laufe des Altertums kommen
bei der Wahl von Ansiedelungsplätzen nach einander dreiei'lei Typen
zur Geltung: Die älteste Zeit verlangt nach möglichster Sicherheit und
Festigkeit, die Periode des Aufschwunges fordert vor allem Verkehrs-
tüclitigkeit, das hellenische und römische Zeitalter Bequemlichkeit der
Lage. Besonders beliebt für Ansiedelungen im Binnenlande ist die von
Hirschfeld sogenannte »Kaplage«, d. h die Lage eines Ortes im (spitzen)
Winkel zweier Wasseradern oder Schluchten (»Landkap«), welche sich
durch natürliche Festigkeit auszeichnet. Zahlreiche Beispiele werden
für diesen Typus und seine verschiedenen Modificationen angeführt.
Auch in der Anordnung von Ortsgruppen sind charakteristische Eigentüm-
lichkeiten nachzuweisen; so ist für das griechische Altertum die Besie-
delung der Gebirgsränder bezeichnend, während in der Neuzeit die
Städte in das Tlial herabrücken. Bei den Seestädten sind die Lagen
auf einer Landspitze, auf einer Landenge (Doppelhäfen!) und an einer
von Landzungen eingeschlossenen Bucht, hervorzuheben; auch hierfür
wird wiederum eine erstaunliche Fülle von Beispielen genannt. Wo die
älteren Siedelungsformen mit jüngeren in Widerstreit geraten, kommt es
häufig zu einer Verbindung beider (Athen, Korinth, Megara); in ande-
ren Fällen unterliegt der ältere (Krisa und Kirrha). Die gröfseren
Binnenstädte Kleinasiens gehören vorwiegend der dritten Siedelungsform
(Zeitalter der Diadochen) an; sie bezeichnen hauptsächlich die grofsen
Verkehrsstrafsen. Ein weiterer Fortschritt in der Eutwickelung fand
nicht mehr statt; häufig gingen die Wohnplätze später wieder auf den
ältesten, den festen binnenländischen Typus zurück, welcher dann der
Ausgangspunkt einer neuen Entwicklung wurde.
Alte Geographie, 355
Vorstehender Auszug mag genügen, um den reichen Inhalt von
Hirschfelds Abhandlung anzudeuten, zu deren vollem Verständnis frei-
lich eine solche Menge von Spezialkarten erforderlich wäre, wie sie nur
den wenigsten Lesern zu Gebote stehen dürften Um so mehr ist es zu
bedauern, dafs nicht auf ein oder zwei Tafeln eine Auswahl der auf-
fälligsten Siedelungsformen in Spezialplänen vorgeführt wurde.
Diesem Mangel wird einigermafsen abgeholfen in einem neuen
Aufsatze Hirschfelds, der mir eben nach Niederschrift der obigen Worte
zugeht,
Die Entwickelung des Stadtbildes. Am Altertum nachgewiesen von
Gustav Hirschfeld. Ztschr. d. Ges. f. Erdk. z. Berlin 1«90 S. 277
—302.
Nach einigen einleitenden Betrachtungen über die Wahl von Orts-
lagen für Ansiedelungen wird zunächst der grundsätzliche Unterschied
dargelegt, welcher zwischen künstlich geschaft'enen und durch die Gunst
der Lage von selbst gewordenen Städten besteht. Zu ersteren gehören
die weitläufigen Riesenstädte Ägyptens und Mesopotamiens mit regel-
raäfsigem Grundplau, wie Memphis und Babylon; zu letzteren die Wohn-
plätze in Syrien und Phönizien, sowie insbesondere in Griechenland, wo
das natürlich geschlossene Stadtbild am reinsten ausgeprägt erscheint.
Nur diese zweite Art der Ansiedelungen, welche gewissermafsen mit
ihrem Boden eng verwachsen sind, hat Aussicht auf dauernden Bestand,
während die künstlich geschaffenen Städte, einmal dem Verfalle preis-
gegeben, sich nicht wieder zu erheben vermögen.^) Die Charakteristik
1) Obwohl Referent Erörterungen, wie sie Hirschfeld in den beiden be-
sprocheneu Aufsätzen niedergelegt hat, wegen ihrer Originalität auf das leb-
hafteste begrüfst und iu ihnen tien Keim zu zahlreichen fruchtbaren Anregun-
gen erblickt, kann derselbe doch nicht umhin, auf das Missliche einer dogma-
tischen Formuiieruijg anthropogeographischer Betrachtungen hinzuweisen, die
eben nicht selten auch einer anderen Auffassung Raum geben. So läfst sich
gegen die obige Gegenüberstellung geschaffener (vergänglicher) und geworde-
ner (dauerhafter) Ansiedelungen wohl einwenden, dafs ja doch z. B. Memphis,
dessen Lage übrigens (am Scheitel des Nildelta) auch von Natur aus keines-
wegs bedeutungslos war, -doch in Fostat und Kairo eine recbt bemerkenswerte
Wiedergeburt gefeiert hat, wie ja Verfasser dies selbst (S. 288) mit Beziehung
auf Ninive — Mossul und Babylon — Bagdad bis zu einem gewissen Grade
zugibt. Die verhältnismälsig geringe Verschiebung der ürtslage kann hierbei
um so weniger ins Gewicht iallen, als ja Hirschfeld gerade bezüglich der »na-
türUch gewordenen« Städte des griechischen Altertums diu Verschiedenheit
der Anforderungen nachgewiesen hat, welche in verschiedenen Perioden an
die Ortslage gestellt wurden, und welche demgemäfs auch eine entsprechende
Verschiebung der Bevölkerungscentren zur Folge hatten. Und ist hinwieder-
um nicht z B Alexandrien, eine doch gewifs künstlich, wenn auch unter
23*
35f> Qpographio von Oriochonland
der griechischon Sipdolunf^^en fufst im Wcsontlichon anf des Verfassers
früherer Abhandlung. Beigegeben sind diesem Aufsatze Planskizzen von
Babylon, Jerusalem, Karthago, Eira, Korinth, Knidos, Kelainai —
Apameia.
Im Anschlufs an diese beiden Aufsätze mag liier auch der Artikel
»Stadtanlage« von Otto Richter in Baumeisters Denkmälern des klassi-
schen Altertums Bd. III S. 1694—1704 erwähnt sein, welcher sich in
der Hauptsache an Ilirschfeld anlehnt, aber dessen Beobachtung auch
auf italische Städte iiberträgt, aufserdem auch von Illustrationen be-
gleitet ist.
Eine gröfsere Regsamkeit der Forschung zeigt sich in den letzten
Dezennien auch auf dem Gebiete griechischer Ortsnamenkunde,
auf welchem die anregende Studie von Ernst Curtius über die Na-
men der griechischen Vorgebirge lange Zeit vereinzelt geblieben ist.')
Der hübsche Abschnitt »O/t the etymology of Greek names of placesa,
welcher das letzte Kapitel der o. (S. 349 A. 1) erwähnten »Lectures an
the Geography of Greecet) von H. F. Tozer bildet, scheint, wie das ganze
Buch, in Deutschland sehr wenig bekannt geworden zu sein, weshalb hier
nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen sein mag.
Zum grofsen Teile onomatologischen Erörterungen gewidmet ist
die Schrift
Phönizier in Akarnanien. Untersuchungen zur phönizischen Ko-
lonial- und Handelsgeschichte mit besonderer Rücksicht auf das west-
liche Griechenland von Eugen Ober hu ramer. München, Theodor
Ackermann. 1882. 84 S. M. 1.80.
Es handelt sich hier um eine Reihe von Ortsnamen, für welche
Referent semitischen Ursprung nachzuweisen versucht hat. Besonders
wohlerwogener Rücksicht auf die natürlichen Vorteile der Lage geschaffene
Stadt, sich bis heute treu geblieben, bezw. nach tiefem Verfalle wieder genau
an derselben Stelle cmporgeblüht, während das durch seine typische Halb-
insellage ausgezeichnete Kathago verödet ist und seine Rolle an das im
Altertum unbedeutende Tunis abgegeben hat? Glaubt Verfasser ferner, dafs
Athen (vgl. S. 301) durch die blofse Gunst der Lage wieder erstanden wäre,
ohne den mächtigen Zwang, welchen die Verlegung der Residenz des König-
reichs dorthin ausübte? (Man vgl. die Entwicklung Roms als Residenz des
Königreichs Italien). Nicht um das Verdienstliche von Hirschfelds Unter-
suchungen zu schmälern, sollen diese Gegenbemerkungen hier gemacht sein,
sondern nur um darauf hinzuweisen, wie grol'se Vorsicht und Zurückhaltung
bei der Erörterung anthropogeographischer Probleme geboten ist, deren zu
einseitige Betonung auch P'orscher wie Karl Ritter auf Abwege geraten liefs.
•) Beiträge zur geographischen Onomat ologie der griechischen Sprache.
Gott. Nachr 1861 N. 11 S. 143—62.
Oiioniatologic 357
eingebend werden die vom Stamme maraih gebildeten Namen (Mara-
thon u. s. w) behandelt, welche hier mit möglichster Vollständigkeit
(z. T. aus bisher nnbenützten Quellen) zusammengestellt sind.
Einen durchaus ablehnenden Standpunkt gegen die Herleituug
griechischer Ortsnamen aus fremden, insbesondere semitischen Sprachen,
behauptet
Konstantin Angermann, Geographische Namen Altgriechen-
lands. Jahresber. d. Fürsten- und Landesschule St. Afra in Meifsen.
1883. 40. S. 1-31.
Die mit besonnener Kritik geschriebene Abhandlung zerfällt in
vier Kapitel, von denen I. die Bedeutung des geographischen Namen-
studiums darlegt, II. die ethnologischen Verhältnisse Altgriechenlands im
Allgemeinen bespricht, was dem Verfasser Gelegenheit gibt, seine An-
sicht von dem hellenischen Ursprung der überwiegenden Mehrheit der
griechischen Ortsnamen (hauptsächlich Kiepert gegenüber) zu begründen;
III. behandelt die Flufsnamen, IV. die Städtenamen nach den Katego-
rieen ihrer Ableitung.
Neuerdings hat auch der Altmeister auf dem Gebiete griechischer
Onomatologie, Ernst Curtius, seine früheren Untersuchungen wieder
aufgenommen in seinen
Beiträgen zur Terminologie und Onomatologie der alten Geogra-
phie. Sitzungsber. der k. preufs. Akad. der Wiss. Bd. 47 (1888)
S. 1209 '29,
welche in überaus feinsinniger V\^eise die Beziehungen für das fliefsende
Wasser im Griechischen behandeln.
Einen Versuch, die Gesammtheit der griechischen Ortsnamen zu-
sammenzufassen und übersichtlich zu gliedern, unternahm
Lorenz Grasberger, Studien zu den griechischen Ortsnamen.
Mit einem Nachtrag zu den griechischen Stichnamen. Würzburg, Sta-
hel. 1888. X 392 S. M. 8.
Trotz der ungünstigen Beurteilungen, welche das Buch mehrfach
von berufener Seite erfahren hat, i) glaubt der Berichterstatter in dem-
selben doch ein wegen der Reichhaltigkeit des zusammengetrageneu
Stoffes brauchbares Hilfsmittel zu erkennen, das freilich dem Benutzer
im einzelnen Falle die Pflicht der Nachprüfung auferlegt Auch Refe-
rent kann sich der Ansicht nicht verschliefsen, dafs die Veröffentlichung
1) K. Agnermann in N. Jahrb f. Philol. Bd. 139 S. 177-86, G. Hirsch-
teld in Beil. philol. Wochenschr. 1889 Sp. 215—9, 0. Crusius in Wochenschr.
f. klass. Philol. 1890 Sp. 622—8; vgl. dagegen J. J. Egli im üeogr. Jahrb. XIV
S. 17.
358 Geographie vou Griechenland.
des vom Verfasser gesammelten Materials in mancher Hinsicht übereilt
war und ein längeres Zurückhalten wie nochmaliges Überarbeiten etwas
Vollkommeneres ergeben hätte. Zum mindesten wäre dann ein grofser
Teil der Flüchtigkeiten und Irrtümer vermieden worden, welche dem
Verfasser in den angeführten Besprechungen, auf welche ich in dieser
Beziehung verweise, vorgehalten werden. Doch wird das Buch auch in
dieser unvollkommenen Gestalt vielen willkommen sein und durch das
reiche Material künftige Spezialuntersuchungen wesentlich erleichtern.
Zum Schlufs möchte ich noch darauf hinweisen, dafs J. J. Egli,
der durch seine Nomina (jtographica^) der Begründer der Onomatologie
als einer besonderen geographischen Disciplin geworden ist und uns in-
zwischen mit einer von umfassender Litteraturkenntnis zeugenden »Ge-
schichte der geographischen Namenkunde« 2) beschenkt hat, im »Geo-
graphischen Jahrbuch« (vom IX. Bande an) regelmäfsig über die Fort-
schritte auf diesem Gebiete Bericht erstattet.
Endlich sei im .\iischlufs an die Litteratur über alte Geographie
von Griechenland noch zweier Versuche gedacht, die ß e Völker ungs-
dichtigkeit der griechischen Landschaften im Altertum zu ermitteln.
Der eine rührt von einem griechischen Gelehrten, EuH. haaröp'/rjg,
her, welcher einer Abhandlung über die »Bevölkerung und Bodenkultur
Attikas^) im Altertum und jetzt« eine zweite über die Bevölkerung Alt-
griechenlands folgen liefs u. d. T.
IJep} Tou Tilri^ou^ zuiv xrjq üp-j^ataQ 'EXXaboQ xarocxwv. \'{tHjvaiov
Bd. IV (1875) S. 421—53, Bd. V (1876) S. 111—43.
Kastorchis hat das Verdienst, seit Clinton, abgesehen von den Un-
tersuchungen über die Bevölkerung des römischen Reiches, das schwie-
lige Thema zuerst wieder in Angriff genommen zu haben, wenn auch
nicht in jeder Beziehung mit Glück. Mehr Vertrauen verdienen die
Ergebnisse von
Julius Beloch, Die Bevölkerung der griechisch-römischen Welt.
Leipzig, Verlag von Duncker & Humblot 1886. XVI 520 S. M. 11.
(Historische Beiträge zur Bevölkcrungslelire, Erster Teil).
Nach einer kritischen Einleitung über Quellen und Hilfsmittel
wird S. 54—108 Attika, S. 109—60 der Peloponnes, S. 161—222 Mittel-
und Nordgriechenland (mit einem Anhang über das Heer Alexanders)
1) Leipzig 1871/2. VIII 928 S. Der lexikalische Teil hiervon (644 S.)
erschien 1880 in Sonderausgabe u. d. T. »Etymologisch - geographisches
Lexikont.
2) Leipzig 1886. Brandstetter. IV 430 S. M. 10.
3) Ilepi Toü nkrjitoui täv rrjq 'Amx^q xarocxcuv xai toö xar' iviaurüv
■napays.vo[ii\ioü iv «^^,^ nöauu xwv diqfirjTpiaxwv xupTtmv rö ndlai xai >üv.
'A^iivawv Bd III (1874) s. 91-125.
Alte Geographie. 359
und S. 223 — 43 Kleinasicn behandelt. Bei der Mangelhaftigkeit unseres
Quellenmaterials bleibt ,natürlich auch bei Beloch Vieles hypothetisch
und einzelne Ziffern können nur als mehr oder weniger willkürliche An-
nahmen gelten; doch ist der Leser durch die Mitteilung der Quellenan-
gaben in jedem Falle in den Stand gesetzt, sich über den Wert der Be-
rechnung ein Urteil zu bilden und wird es dem Verfasser Dank wissen,
dafs derselbe den Standpunkt der Frage in übersichtlicher Weise dar-
gelegt und die Grenzen unseres Wissens bezeichnet hat.
Wir haben es im Vorstehenden durchweg mit Arbeiten zu thun
gehabt, welche ihre Aufgaben im Wesentlichen auf das Altertum be-
schränkten, und von einem engherzigen Standpunkte aus könnten wir es
dabei bewenden lassen. Wie indessen auf anderen Gebieten der Alter-
tumswissenschaft längst die beengenden Schranken durchbrochen sind,
die ehedem für so manchen Philologen das klassische Altertum gegen
übrige Welt hermetisch abschlössen; wie das Studium der lateinischen
und griechischen Sprache heute durch die allgemeine und vergleichende
Sprachwissenschaft einen ganz neuen Aufschwung genommen hat, die poli-
tische und Kulturgeschichte sowie die Archäologie mehr und mehr von der
fortschreitenden Entwicklung der allgemeinen Geschichte, der Staatslehre
und Kunstgeschiclite beeinfluFst werden und endlich die Beziehungen des
klassischen zum orientalischen Altertum von Tag zu Tag an Wichtigkeit
gewinnen, so ist auch die alte Erdkunde erst durch die moderne Entwick-
lung der geographischen Wissenschaft aus dem unfruchtbaren Zustande
einer dürren Nomenklatur befreit worden. Es ist noch nicht gar lange her
— und für manche ist der Standpunkt heute noch nicht überwunden — ,
dafs man »alte« und »neue« Geographie als zwei ganz verschiedenartige
Dinge betrachtete ; die eine galt lediglich als ein Rüstzeug des Philolo-
gen, das von diesem gewissermafsen als ein notwendiges Übel mit in
den Kauf genommen wurde, während die andere überhaupt kaum wissen-
schaftlicher Behandlung fähig schien, bis Karl Ritter mit einem ge-
waltigen Ruck die Erdkunde in den Kreis der akademischen Wissen-
schaften einführte. Es ist hier nicht meine Absicht, Gemeinplätze zu
wiederholen, durch welche die Bedeutung Ritters bezeichnet werden soll ;
aber eines kann ich doch nicht unterlassen, gerade hier ausdrücklich
zu betonen: Ritter war es, der zuerst die »alte Geographie« aus ihrer
vereinsamten Stellung erlöst und in seiner »Erdkunde« praktisch gezeigt
hat, dafs die Verbreitung des Menschen und seiner Ansiedelungen über
die Erde ihrer gesammten Entwickelung nach begriffen werden müsse;
nicht auf die Gegenwart allein, sondern auch auf die Vergangenheit und
zwar in ihrem ganzen geschichtlichen Verlaufe geht Ritters Bestreben,
die Abhängigkeit des Menschen von der ihn umgebenden Natur zu er-
gründen, und es ergibt sich hieraus von selbst, wie ungerechtfertigt es
ist, der Erdkunde an und für sich eine »alte Geographie« als etwas
aufserhalb stehendes gegenüberzustellen. Freilich hat gerade dieses Be-
360 Geographie von Griochonland.
mühen Ritters, eine wahrhaft weltgeschichtliche Auffassung der Geogra-
phie des Menschen anzubahnen, am wenigsten Nachfolger gefunden ; denn
die Erdkunde als akademische Wissenschaft hat sich seitdem überhaupt
in einer ganz anderen Richtung entwickelt, und die kleine Gemeinde, in
welcher der historische Sinn Ritters fortlebte, hat doch vorzugsweise
wieder auf das Altertum ihr Augenmerk gerichtet. Werke wie Curtius'
Peloponnesos und Bursians Geographie von Griechenland stehen ganz
auf dem Boden Ritters, nur dafs der Natur der Sache nach hier
das Altertum noch weit mehr in den Mittelpunkt des Interesses tritt als
es in Ritters Erdkunde irgendwo der Fall ist. Aber wie verschieden ist
in diesen Werken dennoch die Behandlung des Stoifes von denjenigen
in den altern »Handbüchern« ; das dürre Gerippe von ehemals ist hier
mit Fleisch und Blut bekleidet, aus trockenen, geistlosen Anhäufungen
von Namen und Citaten ist eine zusammenhängende, lesbare Darstellung
geworden. Man würde indessen sehr irren, wenn man die Behandlungs-
weise, welche Ritter und seine unmittelbaren Nachfolger der historischen
Länderkunde angedeihen liefsen, keiner weiteren Ausbildung für fähig
hielte. Gerade an den beiden klassischen Kulturländern, Italien und
Griechenland, wurde uns in jüngster Zeit gezeigt, dafs durch entspre-
chende Beachtung der physikalischen Verhältnisse auch für das Alter-
tum ganz neue Gesichtspunkte gewonnen werden können, die auf die
ganze antike Kulturentwicklung die überraschendsten Streiflichter werfen.
Es ist hier nicht der Ort, auf das bahnbrechende Buch von Heinrich
Nissen^) näher einzugehen; dagegen schien es mir angemessen, ehe ich
auf Spezialarbeiten zur physikalischen Geographie von Griechenland
übergehe, demjenigen Werke eine etwas ausführlichere Besprechung zu
widmen, das seit Bursian den bedeutendsten Fortschritt in unserer Kennt-
nis Griechenlands bezeichnet; es ist die
Physikalische Geographie von Griechenland mit besonderer Rück-
sicht auf das Altertum bearbeitet von C. Neumann und J. Bartsch.
Breslau. Verlag von Wilhelm Koebner. 1885. XII 476 S. M. 9.
Das Buch ist hervorgegangen aus Vorlesungen, welche Karl Neu-
mann, der Verfasser des bekannten Buches »Die Hellenen im Skythen-
lande« (Bd. I, Berlin 1855), an der Universität Breslau in den Jahren
1867, 1872 und 1877 gehalten hat. Seit Beginn seiner akademischen
Lehrthätigkeit hatte Neumann ganz auf litterarische Produktion verzichtet
und seine gesammte Kraft den unmittelbaren Berufspflichten gewidmet 2);
um so mehr schien der Wunsch seiner Schüler gerechtfertigt, nach sei-
nem Tode (1880) wenigstens einen Teil der aufsergewöhnlichen Arbeits-
1) Italische Landeskunde. 1. Land und Leute. Berliu, Weidmann 1883.
2) Vgl. über die Persönlichkeit Neumanns J. Partscb, Zur Erinnerung
an Karl Neumann. Ztschr. d. Ges. f. Erdk. 1882 S. 81-111.
Neumann-Partsch, Physikal. Geographie. 361
leistung, welche er in seinen Vorlesungen niederlegte, zum Gemeingut
der Wissenschaft zu machen. Zuerst wurde ein Teil der Vorlesungen
über römische Geschichte der Öffentlichkeit übergeben, i) die, wenn sie
auch nicht gerade vieles Neue bieten, doch durch die Selbständigkeit
der Auffassung wertvoll sind. Von weit gröfserer Tragweite ist die Her-
ausgabe der Vorlesungen über physikalische Geographie von Griechen-
land, in denen sich die Eigenart Neumanns wohl am tiefsten ausprägte.
Die hauptsächliche Bedeutung derselben liegt in den feinsinnigen, oft
überraschenden Beobachtungen über den Zusammenhang hellenischer
Kultur und Geschichte mit der griechischen Landesnatnr, die hier zu
einem durch Originalität des Inhalts und Meisterschaft der Form gleich
anziehenden Gesammtbilde vereinigt sind. Wir haben hier, um mit
Hermann Wagner zu reden, ''^) »eine Musterleistung der Länderkunde im
Ritterschen Sinne«, wie wir sie in dieser vollendeten Durchführung in
Ritters eigenen Werken vergeblich suchen.
Indessen ist die »Physikalische Geographie« , so wie sie uns vor-
liegt, nicht Neumanns Werk. Von letzterem lediglich für die Vorlesung
bestimmt, bedurfte der Entwurf für die Drucklegung von vornherein in
mancher Hinsicht der Ergänzung, während die wesentliche Vermehrung
des klimatologischen und geologischen Materials eine völlige Umgestal-
tung der betreffenden Teile notwendig machte. So ist das Buch in der
uns vorliegenden Form mindestens zur Hälfte das Werk des Heraus-
gebers, Josef Partsch, des Schülers und Nachfolgers von Neumann
auf dem Lehrstuhl von Geographie. Ihm ist es zu verdanken, dafs die
»Physikalische Geographie« in jeder Hinsicht dem Standpunkt der For-
schung zur Zeit des Erscheinens angepafst wurde, während anderseits
die geistreichen chorosophischen Ausführungen Neumanns mit anerken-
nenswerter Pietät fast unverändert beibehalten wurden.
Nach der Gliederung des Stoffes zerfällt das Buch in eine Einlei-
tung und folgende Hauptabschnitte: L Das Klima, S. 13 — 126; II. das
Verhältnis von Land und Meer, S. 127—51; III. das Relief des Landes,
S. 152 — 205; IV. die geologischen Verhältnisse, S. 206—355; V. die Ve-
getation, S. 356—456.
Die sehr anregend geschriebene Einleitung, welche nach Neu-
manns Niederschrift unverändert beibehalten wei'den konnte, erörtert die
Natur des griechischen Landes als Faktor der Kulturentwicklung im
Allgemeinen. Etwas befremdlich erscheint mit Rücksicht auf die sonst
1) Geschichte Roms während des Verfalles der Republik. I. Bd. Vom
Zeitalter des Seipio Aemilianus bis zu Sullas Tode. Herausg. v. E. Gothein.
Breslau. 1881. 11. Bd. Von Sullas Tode bis zum Ausgange der catilmari-
schen Verschwörung. Herausg. v. G. Faltin. Breslau. 1884. — Das Zeit-
alter der punischen Kriege. Herausg. v. G. Faltin. Breslau. 1883. Vgl.
H. Schiller in diesem Jahresbericht Bd. 28 S. 301 f., Bd. 32 S. 501, Bd 44 S. 43.
2j Geogr. Jahrb. X 603. Vgl. Hirschfeld ebd. XII 268 f.
362 Geographie von Griechenland.
übliche Anordnung des Stoffes in länderkundlichen Darstellungen die
Voranstellung des Klimas; doch erkennt der Leser bald, dafs gerade
dieser Abschnitt mit besonderer Liebe ausgearbeitet und deshalb wohl
auch gewissermafsen als Glanzpartie vorangestellt wurde. Gründliche
Kenntnis der klassischen Litteratur uud kritische Verarbeitung des mo-
dernen Beobaclitungsmaterials vereinigen sich hier mit formgewandter
Darstellung zu einer Schilderung des griechischen Klimas, welche wohl
geeignet ist, auch Fernerstehenden in überraschender Weise zu zeigen,
welcher geistvollen und anregenden Behandlung ein anscheinend so
trockenes Wissensgebiet wie die »alte Geographie« fähig ist Man wird
in diesem Sinne den methodologischen Wert dieses Kapitels vollauf an-
erkennen müssen, wenn man auch den mythologischen Erklärungen nicht
immer beistimmen kann. Am meisten tritt die chorosophische Tendenz
des Abschnittes im ersten Teile des Abschnittes hervor, welcher vom Klima
Attikas handelt; denn nur hier lag durch das Verdienst des unermüd-
lichen Forsches Jul. Schmidt das exakte Beobachtungsniaterial in solchem
Umfange vor, dafs eine abgerundete, den Anforderungen der meteorolo-
gischen Wissenschaft entsprechende Behandlung des Klimas möglich war.
Die wenigen in anderen Teilen Griechenlands (hauptsächlich in Korfu
und Jannina) gemachten Beobachtungen gestatteten zwar manche wert-
volle Schiufsfolgerung bezüglich der Verschiebung der klimatischen Fak-
toren nach W und N, aber der festen Punkte sind eben noch zu we-
nige, die Lücken zu grofs, um schon jetzt eine Gesammtdarstellung des
griechischen Klimas zu ermöglichen. Mit Staunen erfährt der Leser,
wie gering unsere Kenntnis der physikalischen Verhältnisse eines so viel
erforschten Landes in mancher Hinsicht noch ist, und erkennt es als
eines der Hauptverdienste des Buches an, die Lücken unseres Wissens
rückhaltlos aufgedeckt zu haben
Das IL Kapitel über »Das Verhältnis von Land und Meer« bie-
tet, wie sich von vornherein erwarten läfst, ebenfalls zu manchen inter-
essanten Erläuterungen Anlafs, so über die erste Entwicklung der
Schifffahrt und die kulturellen Anregungen . welche Griechenland durch
den Seeverkehr mit anderen Völkern erhielt. Dagegen läfst die Anord-
nung des Stoffes manches zu wünschen übrig; denn die Übersicht leidet
entschieden durch die Scheidung in die Gliederung der Halbinsel (S. 128
33) und die eigentliche Küstenbeschreibung (S. 138—46), zumal in den
beiden Abschnitten nicht die gleiche geographische Folge eingehalten
wird. Aber auch dem Inhalt nach scheint uns hier das Gebotene zu
eng begrenzt zu sein; denn der Hinweis auf den doch nicht jedem Leser
zugänglichen Mediterrancan Pilot (S. 138 A. 1) entschädigt keineswegs für
den Mangel einer im Einzelnen ausgeführten Küstenbeschreibung, welche
man hier mit Recht zu finden erwarten durfte.
Im in. Kapitel wird die vertikale Gliederung des Landes
in gedrängter, iuhaltreicher Übersicht behandelt. Wiewohl dieser in
Neumann-Partsch, Physika!. Geographie. 363
geographischer Hinsicht so wichtige Abschnitt an sich trockener ist, als
die beiden vorhergehenden und den vollen Ernst eines nach wissen-
schaftlicher Belehrung strebenden Lesers voraussetzt , hat der Verfasser
es doch verstanden, auch diesem spröden Stoffe eine Seite von allge-
meinerem Interesse abzugewinnen und in einer ausführlichen Erläute-
rung den Einflufs der Bodengestaltung auf die militärische und politi-
sche Geschichte (Verteidigungslinien und Kleinstaaterei) darzulegen.
Das umfangreichste Kapitel ist den geologischen Verhältnissen
gewidmet. Es zerfällt wieder in vier Abschnitte, von denen der erste
(S. 209—36) von den »krystallinischen Scliiefergesteinen, ihren Marmor-
lagern und ihrer Erzführung« handelt, und wie schon die Überschrift
andeutet, aufser dem geologischen Bau auch die wichtigsten nutzbaren
Mineralien Griechenlands berücksichtigt. Gänzlich umgestaltet wurde
vom Herausgecer der zweite Abschnitt über »Kreideformation und Ter-
tiär«, für welchen durch die Untersuchungen der österreichischen Geologen
(s. u.) eine durchaus neue Grundlage geschaffen war. Der geograi)hisch
interessanteste Teil dieses Abschnittes ist die Darstellung der für das Ant-
litz des griechischen Bodens so überaus charakteristischen Karstbildung.
Der dritte Abschnitt (S. 272 — 346): »Vulkanische Erscheinungen, Erd-
beben und Thermen« ist durch die Überschrift hini'eichend gekennzeich-
net; die letzte Abteilung endlich: »Verwitterungskrume und Schwemm-
land« (S. 346 55) handelt von der Bildung der Ackererde, Gerolle und
Deltas.
So verdienstvoll und dankenswert die im IV. Kapitel niedergelegte
Bearbeitung der geologischen Verhältnisse ist, so werden doch viele
Leser die Empfindung nicht unterdrücken können, dafs dieselbe im Ver-
gleich zum Gesammtwerke einen allzu breiten Raum beansprucht. Es
ist ja schwer, eine Grenze festzustellen, bis zu welcher geologische Un-
tersuchungen in den Bereich einer geographischen Darstellung hereinzu-
ziehen sind, und die persönliche Befähigung oder Neigung des Verfassers
zur Behandlung solcher Fragen wird hierfür stets in erster Linie mafs-
gebend sein; aber es scheint doch des Guten zu viel gethan, wenn in
einer landeskundlichen Monographie der Geologie als solcher ein eigenes
Kapitel, und noch dazu das umfänglichste des ganzen Buches eingeräumt
wird.^) Bei aller Wichtigkeit der Geologie für das Verständnis vieler
geographischer Thatsachen darf man eben doch nicht vergessen, dafs die
letzteren in einem geographischen Werke die Hauptsache sind; so ein-
gehende geologische Eröterungen , wie die Gliederung des Tertiärs
1) Um mich gegen den Verdacht einseitig historischer Auffassung zu
verwahren, bemerke ich, dafs dieses Misverhältnis auch von geographischer
Seite getadelt wurde, so von Supan in Petermanus Mitteiiungou 1885 S. 195;
neuerdings von 0. Ankel, Grundzüge der Landesnatur des Westjordaniandes
(P^ankfurt a. M. 1887) S. 46 A. 1.
364 Geographir von Griochtnland.
(S. 257 ff.) gehen entschieden über den geographischen Rahmen hinaus.
Nach Ansicht des Berichterstatters würde die Verteihing der geologischen
Foriiiationon am besten in unmittelbarem Zusamiiieuhange mit dem Ge-
birgsbau, also im orographischeu Abschnitt erörtert, während die nutz-
baren Gesteine, die ja in der Geugraithie nicht nach ihrem geognosti-
schen, sondern lediglich nach ihrem ökonomischen und kulturhistorischen
Werte in Betracht kommen, gleich der Flora und Fauna in einem be-
sondern Kapitel abzuhandeln wären; ebenso wäre den seismischen und
vulkanischen Erscheinungen ein besonderer Abschnitt zu widmen.
Als ein gelungener Wurf mufs das Schlufskapitel über die Vege-
tation bezeichnet werden, welches von Neumann ebenfalls mit beson-
derer Vorliebe behandelt worden ist. Mit Hecht wird hier eine pflan-
zen-geograpliische Aufzählung nach Gattungen und Arten vermieden, die
weit mehr dem Botaniker als dem Geographen zusteht, und das Haupt-
gewicht auf diejenigen Vegetationsersciieinungen legt, welche den Cha-
rakter der Landschaft bestimmen oder in volkswirtschaftlicher Hinsicht
von Bedeutung sind. Von diesem Standpunkte aus werden nach ein-
ander Wald- und Buschwerk (S. 351 — 403), Wiesen- und Weideland
(S. 404-10), Fruchtbäume (S. 410-37), Feldfrüchte (S. 437- 50) und
die technisch wichtigen Pflanzen (S. 450 — 57) in so anziehender Weise
besprochen , dafs kaum jemand diesen Abschnitt ohne Genufs und Be-
friedigung lesen wird. Im Einzelnen wäre zu bemerken, dafs die Er-
örterung über Anpflanzung und Pflege des Ölbaumes (S. 416ff.) für
ein geographisches Werk wohl zu weit in das Technische eingeht wäh-
rend anderseits die für Griechenland nicht minder wichtige Weinkul-
tur verhältnismäfsig kurz abgefertigt wird; statt des Hinweises auf Her-
mann - Blümners Privataltertümer (S. 435 A. 3) würde man gern eine
ausführlichere Übersicht der berühmtesten Weinsorten des Altertums und
der Neuzeit nach ihren Standplätzen entgegennehmen.
Als eine fühlbare Lücke mufs es bezeichnet werden, dafs nicht
auch der Tierwelt Griechenlands ein besonderer Abschnitt gewidmet
worden ist. Allerdings scheint sich Neumann selbst gegen die Hereinzie-
hung dieses Elementes in die Geographie ablehnend verhalten zu haben, i)
■wie auch in Nissens Buch die Fauna des Landes keine Stelle gefunden
hat; aber wenn auch zugegeben werden mufs, dafs die Beziehungen der
Tierwelt zur geographischen Lidividualität eines Landes wesentlich losere
sind als diejenigen der Vegetation, und dafs insbesondere für die meisten
Länder der Erde unser Thatsachen-Material nicht ausreicht, um die fauni-
stische Eigenart derselben zu erfassen, 2) so knüpft sich doch in den alten
Kulturländern an die Tierwelt in wirtschaftlicher und kulturgeschicht-
licher Hinsicht kaum ein minderes Interesse als an die Vegetation.
1) Vgl. Ztschr. d. Ges. f. Erdk. 1882 S. 103 f.
2; Vgl. hierüber H. Wagner im Geogr. Jahrb. X 598, 606.
Neumann-Partsch, Physikal. Geographie. 365
Man denke, abgesehen von der Verschiebung im Verbreitungsgebiet ge-
wisser Tiere (vgl. z. B. mein »Akarnauien« S. 237 f. über die einstige
Verbreitung des Löwen auf der Balkanhalbinsel), u. A. nur an die
Pferdezucht in Thessalien und deren Bedeutung für die Kriegsgeschichte,
an die Jagd in ihrer Abhängigkeit von Berg- und Waldlandschaft und
ihre vielfachen Beziehungen zu Religion und Mythos, an die Zucht und
Einführung verschiedener Haustiere, an den hoch entwickelten Fisch-
fang mit Einschlufs der Perlen- und Purpurfischerei, an die Bienenzucht,
dann an die Verwüstungen der Heuschrecken u. s. w. Ich brauche fer-
ner kaum an Bücher wie V. Hehns »Kulturpflanzen und Haustiere« oder
die neuen Arbeiten von 0. Keller i) zu erinnern, um auf die Möglich-
keit einer geographisch -kulturhistorischen Behandlung der Fauna Grie-
chenlands hinzuweisen, und möchte deshalb dem Herausgeber dringend
ans Herz legen, bei einer etwaigen neuen Auflage, die hoffentlich nicht
zu lange auf sich warten läfst, die Beigabe eines entsprechenden Ab-
schnittes in Erwägung zu ziehen.
Diese Hoffnung, dafs das treffliche Buch auf lange hinaus ein
Standard work bleibe und von Zeit zu Zeit in erneuerter Gestalt er-
scheine, veranlafst mich, hier auch zu einigen Ausstellungen im Einzel-
nen, die gegebenen Falls berücksichtigt werden mögen.
S. 57 wird die Höhenlage des Sees von Janniua mit 478 m,
S. 157 mit 520 m angegeben, beide Male ohne Quellennachweis. Erstere
Ziffer ist wohl Bössers Angabe (bei A. Mommsen, Griech. Jahreszeiten
IV 393 A.) zu 1570 engl. Fufs (= 478.53 m) entnommen, die letztere
(520) findet sich auf den Karten von Kiepert und Chrysochoos, während
die Wiener Karte 484, Gubernatis 451 m ergibt. Bei der Wichtigkeit,
welcbe gerade Jannina für die griechische Klimatologie besitzt (s. o.
S. 362) wäre eine prüfende Vergleichung sämmtlicher Angaben sehr
erwünscht.
Was S. 61 und 166 über die Schneebedeckung des Parnafs ge-
sagt ist, kann ich nach meiner eigenen Erfahrung dahiu ergänzen, dafs
ich bei meiner Besteigung des Gipfels am 28. Juni 1887 keine eigent-
lichen Schneefelder, wohl aber in der Mulde unter den beiden Hoch-
gipfeln noch einzelne Schneeflecke vorfand, den tiefsten etwa V* St. unter
dem Gipfel Likeri.
S. 98 A. 3: Polyb. V 5 bezieht sich nicht auf Kerkyra, sondern
auf Kephallenia.
S. 128 Z. 8 V. u. ist Singos st Singis zu schreiben.
S. 131 ist von dem »weithin sichtbaren Tempel des Zeus Panhelle-
nios« auf Aegina die Rede; doch trug der Gros keinen Tempel, son-
1) Tiere des klassischen Altertums in kulturgeschichtlicher Beziehung.
Innsbruck. 1887. Vgl. auch Imhof-Blumer und 0. Keller, Tier- und Pflanzen-
bilder auf Münzen und Gemmen des klassischen Altertums. Leipzig. 1889.
36n Geographie von Griechenland.
dem nur eine halbkreisförmige Altaranlage, über welche Bursian II 85; L.
Rofs, Erinnerimgen und Mitteilungen aus Griechenland S. 141 f. zu vgl.
S. 167. Dafs die Alten, wenn sie vom »zweigipfligen Parnafs«
sprechen, nicht die beiden Kulminationspunkte (Likeri und (iei'ontovrachos)
im Auge hatten, sondern die beiden jedem Besucher Delphis bekannten
Kuppen der 0ac8fjcd3sg nir/jac (Bursian I 170), ist eine ansprechende
Vermutung. Doch möchte ich hervorheben, dafs der Parnafs von SO,
etwa aus der Gegend der (j/icrrrj uoög gesehen , wo er sich in imponie-
render Majestät aus der Thalsohle erhebt, eine auffallend doppelgipflige
Gestalt zeigt, die sich jedem der von Theben her des Wegs nach Delphi
zog, einprägen mufste, und wohl auch zu der angeführten Bezeichnung
Anlafs gegeben haben kann.
S. 172. Die Behauptung, dafs sich zwischen Ilissos und Kephissos
vom Brilessos her ein mehrmals unterbrochener Felsrücken »gerade auf
Athen hinzieht«, dürfte doch in dieser Fassung nicht ganz zutreffend
sein, da der Auchesmos durch eine tiefe Einsenkung (bis 140 m) vom
Massiv des Pentelikon getrennt ist. Vgl. S. 171 die Bemerkung über
die Einsattelung zwischen Pentelikon und Hymettos.
S. 172 wird ferner die Höhe der Sternwarte zu 88 m angege-
ben. Aber die Ziffer 88, welche auf dem Bl. I der »Karten von Attika«
allerdings irreführend neben der Sternwarte steht, bezieht sich nicht
auf diese, sondern auf die Abdachung zur sogenannten Marina, während,
wie aus Bl. III des »Atlas von Athen« deutlicher zu erkennen ist, zur
Sternwarte die Ziffer 104.8 m gehört; so wird auch die öfters betonte
annähernd gleiche Höhe des Nympheuhügels und der Pnyx verständlicher.
S. 180. Bei der sonst so klaren und vollständigen Übersicht der
senkrechten Gliederung Arkadiens vermifst man hier die deutliche
Unterscheidung der Thäler von Kaphyai und Elymia, während der die-
selben trennende Querriegel, auf dessen Abhang Orcliomeuos erbaut war,
erwähnt ist. Bei Curtius Pel. I 219 und Bursian II 203 war das Ver-
hältnis bereits ganz richtig geschildert. Ebenso fehlt, wohl nur aus
Versehen, die wichtige Höheuziffer von Orchomenos (936 m), einer der
höchst gelegenen Städte Griechenlands; dagegen könnte nach dem vor-
liegenden Wortlaut die den Thalboden von Kaphyai betreffende Ziffer
(650 m) von manchem Leser irrtümlich auf Orchomenos selbst bezogen
werden.
S. 182 vermifst man die charakteristische antike Bezeichnung Aulon,
welche Curtius II 289 und Bursian II 107 nach Polyaen. II 14, 1 mit
grofser Wahrscheinlichkeit für das Durchbruchsthal des Eurotas zwi-
schen den Ausläufern des Taygetos und Parnon angenommen haben.
S. 190. Neben den drei Wegen, welche eine Umgehung des Tempe-
passes ermöglichten, verdient der Übergang Erwähnung, welchen Alex-
ander d. Gr. bei seinem ersten Zuge nach Griechenland (Herbst 336 v.
Chr.) nach Polyaen. IV 3, 23 sich über die Steilhänge der Ossa erzwang,
Neumann-Partsch, Physikal. Geographie. 367
und welcher davon den Namen "AXe^dvdpo'j xXiixaq erhielt; vgl. Droysen,
Gesch. d. Hell. I 1» 107; Schäfer, Demosthenes IIP 93 A. 2.
S. 215 sollte unter den berühmten Marmorsorten Griechenlands
auch des thasischeu') gedacht werden, zumal derselbe gewifs auch eine
äufsere Vorbedingung für die Entwicklung der sogenannten nordgriechi-
schen Kunstrichtung war.
S. 219 wird das Cap Matapan (36« 23' N. B.) irrtümlich die
»äufserste Südspitze Europas« genannt; es bedarf nur der Erinnerung,
dafs diese Eigenschaft vielmehr dem Cap Tarifa in Spanien (36 ^ N.
B.) zukommt
S. 225f. A. 3. Zur Litteratur über Laurion ist die bedeutende
Abhandlung von Rangabe, Du Laurium in Mem. pres. ä l'Ac. d. Inscr.
VIII 2 (1874) S. 297—346 nachzutragen. Die Hauptschrift von Kor-
dellas erschien u. d. T.: A. Cordella, Le Laurium. Marseille. 1869.
120 S., mit Karte und drei Tafeln. Eine spätere Schrift desselben Ver-
fassers: Description des produits des miues de Laurium et d'Oropos
(Athenes 1875) ist mir nur dem Titel nach bekannt; ebenso die Publi-
kation eines französischen Ingenieurs. 2)
Als eine Gesammtdarstelluug der physikalischen Verhältnisse Grie-
chenlands wäre nächst Neumann-Partsch der inhaltreiche Artikel von
Klon Stephanos anzuführen; da derselbe aber nur im anthropologisch-
medizinischen Teile auf selbständiger Forschung beruht, werden wir
später bei denjenigen Schriften darauf zurückkommen, welche sich mit
der Bevölkerung Griechenlands befassen.
Überblicken wir die einzelnen Zweige physikalisch-geographischer
Forschung, so tritt uns eine erfreuliche Thätigkeit auf dem Felde der
Geologie entgegen. Eine kritische Übersicht der früheren Leistungen
und des gegenwärtigen Standes unserer Kenntnis für die Balkanländer
hat Franz Toula, gegenwärtig wohl der gründlichste Kenner dieses
Gebietes in geologischer Hinsicht, in mehreren Arbeiten gegeben:
1) Geologische Übersichtskarte der Balkanhalbinsel in Petermanns
Mitteilungen 1882 T. 16 (Text hierzu S. 361—69).
2) Die im Bereiche der Balkanhalbinsel geologisch untersuchten
Routen. Mitteil. d. k. k. geogr. Ges. in Wien 1883 S. 25—34 mit Karte.
3) Materialien zu einer Geologie der Balkanhalbinsel. Jahrb. d.
geol. Reichsanstalt 1883 S. 61—114.
Leider schliefsen diese Zusammenstellungen, von denen besonders
1) Vitr. X 7, 15; Fun. u h. XXXVI 44; Sen. ep. nior. XIII 1 (86) 6;
Stat. silv. I 5, 34s.; II 2, 92s ; Suet. VI 50; Plut. Cat. min. II; Paus. 1 18, 6.
2j Heut, Deuxieme memoire sur le Laurium, in Mem de la Soc. d. In-
genieurs ä Paris. 1887. Apr. Zahlreiche Nachrichten über Laurion finden
sich auch in den unten besprochenen »Mitteilungen« von Landerer und bei
Mitzopulos (3 u.j.
368 Geographie vou Griechenland.
die Rontonkarto zu No. 2 geeignet ist, die Lückenhaftigkeit unseres
Quellenmatoriales zu zeigen, mit der alten Grenze des Königreichs Grie-
chenland ab, so dafs sie also hier eigentlich nur für Epirus und Thessalien
in Betracht kommen. Ob eine später erschioneno geologische Biblio-
graphie der Balkanhalbinsel von J. M. Zujovic (bis 1886) auch Grie-
chenland mit umfafst, kann ich nicht sagen, da ich dieselbe bisher nicht
auffinden konnte.^)
Eine zusammenfassende Darstellung der geognostischen Verhält-
nisse Griechenlands verdankt man einem einheimischen Gelehrten, dessen
Hauptwerk in doppelter Gestalt erschien:
'/l. KopSiXXag^ 7/ 'EUäg i^zzaCojxivrj YSioXoytxwQ xai dpux-oXo-
yixcug. MrjVTjai. 1878. 189 S.
A. Cordella, La Grece sous le rapport geologique et min^ralo-
gique. Paris. 1878. 188 S.
Näheres über dieses mir erst vor kurzem zugänglich gewordene
Buch s. im Nachtrag.
Derselbe Verfasser veröffentlichte
Mineralogisch - geologische Reiseskizzen aus Griechenland. Berg-
und hüttenmännische Zeitung Bd. 42 (1883) S. 21 — 23, 33—36, 41—
44, 57—59.
Dieselben enthalten (L) Mitteilungen über den Bergwerksbetrieb
zu Laurion (vgl. o. S. 367), (II.) Bericht über eine geologische Reise
durch den Euripos nach Volo, (III.) desgl. von Volo über die ziragioti-
schen Berge und den Kara Dag durch die tliessalische Ebene an die
türkische Grenze bei Tyrnavo, (IV.) Mitteilungen über das östliche
Thessalien, besonders die Umgegend von Tempe.
Eine weitere Arbeit des Verfassers über die Mineralquellen Grie-
chenlands
üzpl Tojv aöTocpuuiV jj.tzaXXixu)V uddzojv tTjQ EXXdSog. JeKrtov r.
im r. i/x(p!j^. rrjg iBv. ßco/xv}^. 'Emzponrjg 1877 S. 114 — 35
ist mir nur aus Miliarakis (N. 111) bekannt.
Ein deutscher, aber in Griechenland heimisch gewordener Gelehr-
ter, Xaver Landerer (f 1885), veröffentlichte in seinen
Mittheilungen aus Griechenland. Berg- und hüttenmännische Zei-
tung 1875—78
eine Reihe von meist kurzen Nachrichten, welche neben manchem Ne-
bensächlichen und Unbedeutenden auch vieles Brauchbare enthalten.
1) Nach Toula, Geogr Jahrb. XIII 256 steht dieselbe im »Annuairea
1887 S. 556 — 63; was ist das für ein »Annuaire?« Das Verzeichnis auf
S. 221f. gibt hierüber keinen Aufschlufs.
Geologie. 369
Die Form, in welcher uns diese Notizen geboten werden, läfst allerdings
ziemlich viel zu wünschen übrig; die Zusammenstellung ist ganz willkür-
lich, mehrmals wird schon Gesagtes wiederholt und insbesondere wimmelt
die ganze Serie von orthographischen^) und Druckfehlern, welche aller-
dings einigermafsen durch die Entfernung des damals schon hochbetag-
ten Verfassers vom Druckorte entschuldigt werden. Der Hauptzweck
der Mitteilungen liegt in dem Nachweis, dafs Griechenland über eine
Menge ungenützter oder doch zu wenig ausgebeuteter Mineralschätze
verfügt. Wir wollen hier aus der bunten Mannigfaltigkeit der von Lan-
derer mitgeteilten Nachrichten nur die wichtigeren herausgreifen, insbe-
sondere soweit dieselben von geographischem oder archäologischem In-
teresse sind.
Der I. Artikel, 1875 S. 429 f., handelt u. A. über das Bergöl auf
Zante, über die lithographischen Steine Griechenlands und über das
homerische Metall xüavog, welches Verfasser für Schwefelkupfer erklärt ;
vgl. dagegen die auf die sorgfältigen Forschungen von Lepsius gegrün-
deten Ausführungen bei Heibig, Homer. Epos^ S. 100 ff.
Artikel H, 1876 S. 94—96, handelt über »Mineralogisches von Siph-
nos« (Goldgruben, lapis Siphnius), über Magnesit, Chromerze und Schwe-
fel in Griechenland, sowie über eine »Dampfschwitzhöhle« auf Melos.
HI. Artikel 1876 S. 189-92: Gewinnung von Meersalz, das
Glas der alten Hellenen (interessante Mitteilungen über dessen Zusam-
mensetzung), eine schöne, aber schwer zugängliche Stalaktitenhöhle im
La Urion, 2) Schwerspath auf Mykonos, Baumaterialien Griechenlands
u. A.
IV Artikel 1876 S. 285 f.: Meerschaum in Griechenland und Klein-
asien, früheres Quecksilbervorkoramen in Griechenland , Auffindung von
ärztlichen Kupfergeräten in alten Gräbern (Werkzeuge zum Steinschnitt
und zur Geburtshilfe).
V. Artikel 1876 S. 309 f.: Schleudersteine der alten Griechen und
Perser, Zinkerze im Laurion, Eisenerze auf Seriphos, Smirgel auf
Naxos.3)
VI. Artikel 1876 S. 407 f.: Braunkohlen und Zinkerze in Griechen-
land, »Bergmännisch-archäologische Gegenstände« (meist aus Kupfer, doch
im Laurion auch solche aus Rohstahl), Gypsen der Weine, Kupfer im
Othrysgebirge, Antimonerze auf Chios, Bleierz im Laurion.
VII. Artikel 1877 S 37f.: Schwefelkohlenstoffindustrie, Marmor-
arten, Thermen in Griechenland und Kleinasien u. A.
1) Verf. schreibt z. B. fortwährend Mylos f. Milos [M^Xoq] u. Ä.
2) Die noch schönere Grotte von Antiparos (Bursian II 483) soll Dach
Landerer der Gewinnsucht der dortigen Hirten zum Opfer getallen sein.
3) Hierüber findet sich eine Notiz des Verfassers bereits im »Ausland«
1858 S. 519f.
Jahresbericht für Alterthumswissenschaft. LXIV. (1890. III.) 24
370 Geographie von Griechenland.
VIII. Artikel 1877 S. 121 f.: Ein angeblicher alter Ofen auf Sko-
pelos, antike Spielwürfel aus FlnCsspath (im Laurion gefunden), Marmor-
arteu, antike Streusandbüchse ('?), alter Schmelztiegel (Delos) u. A.
IX. Artikel 1877 S. 193 f.: Lemnische Erde (eine eisenoxyd-
haltige blutrote Thonerde), Gyps auf Kasos, Amiant in Griechen-
land u. s. w.
X. Artikel 1877 S. 409: Alte Gräber aufSkopelos, lilitzröhren,
schlagende Wetter, Chromeisenstein.
XI. Artikel 1878 S. 40f.: Vorkommen von Nickelblüthe, Zinkerze,
Fossilien auf Kiraolos, Erzfunde in Makedonien u. A.
Unzugänglich ist mir ein auf amtliches Material gestützter Be-
richt u. d. T.
2^raTiaTixai -npoipopiat iiepl ~u)V e^opuaaoiiiviov dpuxrojv yj jxeraXkei)-
/idrojv iv 'EUddc ünu f. IL A. {Fecopy. U. jhdcupcxrj), Athen. 1875.
xe' 22 S. (Miliarakis No. 95).
Doch wird derselbe auszugsweise mitgeteilt in folgender durch
Knappheit und streng sachliche Behandlung ausgezeichneten Übersicht von
Nasse, Statistische Mitteilungen über die ßergwerksproduktion i)
des Königreichs Griechenland. Ztsch. f. d. Berg-, Hütten- u. Salinen-
wesen im preufsischen Staate. XXV (1877) S. 169 — 76.
Neuere Angaben findet man in dem Artikel von
Konstantin Mitzopulos, Berg-, Hütten- und Salinenwesen von
Griechenland in der National- Ausstellung von Athen 1888. Dingler's
Polytechnisches Journal Bd. 272 (1889) S. 509—19, 551 — 61, 596-603.
Enthält Originalmitteilungen über die geognostischen Verhältnisse
des Laurion und des Isthmos, sowie über den Bergwerksbetrieb in
ersterem (auch bezüglich des Bergbaues im Altertum).
Eine andere Abhandlung des Verfassers
IJepl ruiv upiujv zr^g 'Ekkddog unu K, Mr^zaunoüXuu. l'ü/inav II
(1888) No. 7/8, 10/11 (Miliarakis No. 100)
ist mir nicht zugänglich.
Weitaus die bedeutendste Erscheinung in der geologischen Litte-
ratur über Griechenland ist der 40. Band der Denkschriften d. kais. Ak.
d. Wiss. zu Wien, Math.-naturwiss. Kl. 1880 VIII 416 S. 4. Mit Ta-
feln und Karten. M. 40. Derselbe enthält folgende Abhandlungen:
1) Einschliefslich der für Griechenland so wichtigen Meersalzgewinnung
(S. 171 f.).
Geologie. 371
1) Der geologische Bau von Attika, Boeotien, Lokris und Par-
nassis von A. Bittner. S. 1-74.
2) Barometrische Höhenmessungen in Nordgriechenland von Fr.
Heger. S. 75—90.
3) Der geologische Bau des westlichen Mittelgriechenlands von
M. Neuraayr. S. 91—128.
4) Der geologische Bau der Insel Euböa von Fr. Teller. S. 129
— 182.
5) Geologische Beschreibung des südöstlichen Thessaliens von F r.
Teller. S. 183—208.
6) Diluviale Landschnecken aus Griechenland von V. Hilber.
S. 209-12.
7) Über den geologischen Bau der Insel Kos und über die Glie-
derung der jungtertiären Binnenablagerungen des Archipels von M.
Neumayr. S. 213— 314.
8) Geologische Beobachtungen im Gebiete des thessalischen Olymp
von M. Neumayr. S. 315-20.
9) Geologische Untersuchungen im südwestlichen Teile der Halb-
insel Chalkidike von L. Burgerstein. S. 321— 27.
10) Geologische Untersuchungen über den nördlichen und öst-
lichen Teil der Halbinsel Chalkidike von M. Neumayr. S. 328—39.
11) Geologische Beobachtungen auf der Insel Chios von Fr. Teller.
S. 340 56.
12) Die jungen Ablagerungen am Hellespont von Frank Cal-
vert und M. Neumayer. S. 357 — 78.
13) Überblick über die geologischen Verhältnisse eines Teiles der
ägäischen Küstenländer von A. Bittner, M. Neumayr u. Fr. Teller.
S. 379 415.1)
Selbstverständlich kann hier auf den Inhalt dieser zu einem statt-
lichen Quartbaud vereinigten Abhandlungen nicht im Einzelnen einge-
gangen werden. Nur um die grundlegende Wichtigkeit der hier nieder-
gelegten Forschungen anzudeuten, mag daran erinnert sein, dafs man
für Mittelgriecheuland vorher fast ganz auf Fiedlers einst sehr brauch-
1) Letztere Abhandlung ist auch in Sonderausgabe zum Preise von 6 M.
erschienen , woriurch die Anschaffung der wichtigen dazu gehörigen Karten
(Geolog. Ühersicbtskarte von Mittelgriechenland und von Thessalien mit Chal-
kidike, sowie eine instruktive tektonische Übersichtskarte) wesentlich erleich-
tert ist.
24»
372 Geographie voc Griechenland.
bares, jetzt aber ganz veraltetes Werk') angewiesen war, während auch
für den Peloponnes der geologische Teil der »Expedition scientifique de
Moree« nicht entfernt mehr den heutigen Ansprüchen genügen kann. Für
die Geographie sind die Arbeiten der österreichischen Geologen aber
deshalb von ganz besonderer Bedeutung, weil sie uns zum ersten Mal
einen klaren Einblick in den verwickelten Gebirgsbau von Mittelgriechen-
land gewährt haben, so dafs jede Darstellung desselben künftighin von
dieser neuen Grundlage auszugehen hat; in der That sind auch die ein-
schlägigen Abschnitte in dem Buche von Neumann - Partsch vollständig
darauf gegründet. 2) Leider konnte, da Zeit und Mittel beschränkt wa-
ren, die Aufnahme in manchen Teilen, so z. B. im westlichen Mittel-
griechenland, nur ziemlich flüchtig gemacht werden, so dafs für künftige
Forscher manches zu ergänzen und wohl auch zu berichtigen bleibt
(vgl. u. S. 375); ebenso mufste auch der politischen Verhältnisse halber^)
die Ausdehnung der Arbeiten auf Epirus und Albanien unterbleiben.
Von den graphischen Beilagen sind hervorzuheben die »Geologische Über-
sichtskarte des festländischen Griechenlands und der Insel Euböa« in
1 : 400 000, ferner die »Geologische Übersichtskarte der nordwestlichen
Küstenländer des ägäischen Meeres« in 1 : 500 000 (das östliche
Thessalien und die Halbinsel Chalkidike umfassend), die geologische
Karte der Insel Kos sowie die kleine und skizzenhafte, aber für das
Studium des Gebirgsbaues lehrreiche »Tektonische Übersichtskarte eines
Teiles der Küstenländer des ägäischen Meeres« in 1 : 1850000, welche
sich über das ganze in dem Sammelbande behandelte Gebiet erstreckt.
Ein lebhafter Streit hat sich um die bereits von Sauvage aufge-
stellte und von den österreichischen Geologen neuerdings aufgenommene
und weiter begründete Meinung betreffend das Alter und die Entstehung
der krystallinischen Schiefer und ihrer Marmorlager in Attika, Süd-
Euböa und Ost-Thessalien entsponnen, und bis heute ist derselbe noch
nicht geschlichtet Obwohl die Frage für die Auffassung des Gebirgs-
baues von grofser Wichtigkeit und deshalb auch in geographischer Hin-
sicht von Belang ist, würde sie uns doch zu sehr in die geologische
Fachlitteratur einführen und mag es daher genügen, die Fundstellen für
letztere zu verzeichnen.*)
1) Karl Gustav Fiedler, Reise durch alle Teile des Königreiches Grie-
chenland. Zwei Bände. Leipzig. 1840/41. Die dem Werke beigegebene geo-
logische Übersichtskarte ist bis heute noch die einzige, welche das ganze Kö-
nigreich umfafst, hat aber selbstverständlich nur mehr historischen Wert. Wo
der Verfasser das historisch-antiquarische Gebiet berührt, gibt er sich bedenk-
liche Blöfsen; vgl. Bursian, Gesch. der Philol. S. 1127 A. 1.
2) Vgl. besonders S. 153.
3) Die Ausführung der Untersuchungen fällt in die Jahre 1874 — 76.
Vgl. über die Geschichte derselben den Bericht von M. Neumayr im Vorwort.
4} Neumann-Partsch S. 210 A. 1; Geogr. Jahrb. IX 507; XI 349.
Geologie. 373
Auch eine bedeutende Arbeit von
Th. Fuchs, Studien über die jüngeren Tertiärbildungen Griechen-
lands. Denkschr. d. k. Akad. d. Wiss. in "Wien. Math.-naturw. Kl.
Bd. XXXVII (1877). 42 S. 5T.,i)
welche sich über den Isthmos und das östliche Mittelgriechenland
(einschliefslich Euböa) erstreckt, kann hier nur erwähnt werden. Das
Gleiche gilt von den Untersuchungen von
F. Becke, Gesteine von Griechenland. Sitzungsber. d. k. Ak.
d. Wissensch. z. Wien. Math.-naturw. Kl. Bd. 78 (1878) S. 417—30;
Tschermaks mineralogische und petographische Mitteilungen N. F. I
(1878) S. 459-64, 469-93; II (1879) S. 17—77,
die sich mit den Serpentinen, den Eruptivgesteinen und krystallinischen
Schiefern von Nord- und Mittelgriechenland beschäftigen.
Nur dem Titel nach bekannt ist mir
Schön, Mitteilungen in topographisch-geologischer Beziehung über
eine Reise längs der Küsten Griechenlands und durch die europäische
Türkei. Brunn. 1873.
Kurze Mitteilungen über verschiedene Teile Griechenlands gibt
Gorceix, Note sur l'lle de Cos et sur quelques bassins tertiaires
de FEubee, de la Thessalie et de la Macedoine. Bull, de la Soc. g6ol.
de France III. S. Vol. II (1873/74) S. 398-402.
Durch die Forschungen der österreichischen Geologen war haupt-
sächlich das nördliche Griechenland und das Gebiet des ägäischen Mee-
res erschlossen wurden. In Bezug auf den Peloponnes stand man jedoch
bis vor Kurzem im Wesentlichen noch auf dem Standpunkt Fiedlers und
der Expedition de Moree. Es ist daher in hohem Grade erfreulich, dafs
ein jüngerer deutscher Geologe, Alfred Philipp son, ein Schüler
V. Richthofens, mit Unterstützung der Karl Ritter-Stiftung in Berlin sich
in den letzten Jahren dieses lange vernachlässigten Gebietes angenommen
hat. Was von seinen Forschungen in Druck vorliegt, sind zumeist erst
vorläufige Berichte, denen hoffentlich später eine gröfsere abschliefsende
Arbeit sammt einer so dringend benötigten geologischen Karte des Pe-
loponnes folgen wird. Die hierher gehörigen Arbeiten von Philipp-
son sind:
Bericht über eine Rekognoszierungsreise im Peloponnes. Verhandl.
d. Ges. f. Erdk. z. Berlin 1887 S. 409—27.
Die Reise, welche der Verf. im September d. J. zur Orientierung
für seine späteren Forschungen unternahm, erstreckte sich auf den nord-
1) Eine vorläufige Mitteilung der Forschungsergebnisse unter gleichem
Titel erschien in den Sitzungsber. ders. Kl. Bd. 73 (1876) S. 75-88
374 Geographie von Griechenland.
Östlichen Teil der Halbinsel (Argolis, das arkadische Hochland und
das Hochgebirge von Acliaia). Der Bericht behandelt iin Überblick
die »stratigraphische Geologie«, den »Gebirgsbau« und die »Oberflächen-
fornien« und gibt eine gedrängte »Reiseskizze«, in welcher die längs der
Route gemachten topographischen und geologischen Beobachtungen, wie
auch beachtenswerte Bemerkungen über Ansiedelungsverhältnisse
(vgl. unten) niedergelegt sind. Etwas befremdlich sind mir die Ausstellun-
gen, welche der Verf. gegen die Carle de In. Grhe erhebt, welche we-
nigstens in bezug auf die Terraindarstellung in diesem Teile Griechen-
lands sonst als durchaus zuverlässig galt; mau vgl. z B. S. 425 die Be-
merkung über den Chelmos (Aroania).
2. Bericht über eine Rekognoszierungsreise im Peloponnes. A. a. 0.
S. 456—63.
Behandelt die messenische Halbinsel, deren Untersuchung (Okt.)
jedoch in Folge anhaltender Regengüsse abgebrochen werden mufste.
Hervorzuheben ist die Erörterung über die Entstehung der Bucht von
Navarin (Pylos) und die auf der Fahrt gemachten Beobachtungen
über die kleine Insel Belopulo (Kaimeni), östl. von der lakonischen
Halbinsel, welche bisher irrtümlich für vulkanisch gehalten wurde; vgl.
Bursian H 349 f., 502 A. 1; Neuraann-Partsch S. 306.
3. Bericht über seine Reisen im Peloponnes Der Isthmos von
Korinth. A. a. 0. 1888 S. 201—7.
Seine Studien über den Isthmos hat Philippson inzwischen zu
einer besonderen Monographie i) verarbeitet, welche bei der Berichter-
stattung über die einzelnen Landschaften zur Besprechung kommen wird.
4. Bericht über seine Reisen im Peloponnes. A. a. 0 S. 314 — 21.
Vollendet die Schilderung der messenischen Halbinsel und gibt
einige Mitteilungen zur Klimatologie des westlichen Griechenland.
5. Bericht über seine Reisen im Peloponnes. Das arkadische
Hochland und seine nördlichen Randgebirge. A. a 0. S. 321 — 33.
Enthält eine Skizze der Ergebnisse einer dreimonatlichen Reise,
durch welche unsere Kenntnis des verwickelten Gebirgsbaues von Achaia
und Nordarkadien bereits wesentlich gefördert wird; aufserdem wer-
den einige meteorologische Beobachtungen mitgeteilt.
Bericht über seine Reise im Peloponnes im Frühjahr und Sommer
1889. A. a. 0. 1889 S. 328- 45.
Vorläufige Ergebnisse der letzten Reise Philippsons, welche seine
Durchforschung der Halbinsel zum Abschlufs brachte; neben bereits
1) In der Ztschr. d. Ges. f. Erdk. 1890.
Geologie. 375
früher besuchten Gebieten im Norden, wurden auch die Mai na und das
so wenig bekannte Hochland des Parnon in die Untersuchung ein-
bezogen.
In der Abhandlung
Über die Altersfolge der Sediraentformationen in Griechenland.
Ztschr. d. deutsch, geol. Ges. 1890 S. 1.50 - 59
hat Philippson seine Untersuchungen auch auf Nordgriechenland ausge-
dehnt, wo er in der Altersbestimmung der »oberen Kalke« von Aeto-
lien und Akarnanien zu einem von Neumayrs Darstellung wesentlich
abweichenden Ergebnisse gelangt ist, dessen nähere Erörterung indessen
nicht hierher gehört. Vgl. Nachtrag.
Wenn durch die im Vorigen angeführten Arbeiten, insbesondere
diejenigen der Österreicher und Philippsons unsere Kenntnis des inne-
ren Gebirgsbaues von Griechenland völlig umgestaltet, ja zum Teil
erst neu geschaffen wird, so sind daneben die Ergebnisse derselben für das
äussere Relief keineswegs zu unterschätzen, obgleich das morpho-
logische Studium des Landes durch die Carte de la Grhe von vorn-
herein auf weit sicherer Grundlage ruhte als das te klonische Hier-
her gehören in erster Linie die zahlreichen Höhenmessungen, welche
sowohl von Heger (s. o. S. 371 N. 2) als auch von Philippson unternom-
men worden sind Ersterem verdanken wir die Berechnung von 224 Höhen
im östlichen Mittelgriechenland. Soweit dieselben mit solchen Punk-
ten zusammenfallen, deren Höhenlage bereits auf der Carte de la Grece
eingetragen ist, zeigen sie, abgesehen vom Gipfel des Parnafs (s. u.
S. 376), meist keine beträchtlichen Abweichungen. Die Ergebnisse von
Philippsons Messungen im Peloponnes liegen in folgender Veröffent-
lichung vor:
A. Philippsons barometrische Höhenmessungen im Peloponnes.
Von Andreas Galle. Ztschr. d. Gesellsch. f. Erdk. XXIV (1889)
S. 331-46.
Die Beobachtungen wurden mit zwei (auf der ersten Reise mit
einem) Aneroidbarometer angestellt, deren Korrektion nicht ganz mit
der wünschenswerten Sicherheit bestimmt werden konnte. Man wird
daher trotz der auf die Berechnung verwendeten Sorgfalt die Ziffern nur
mit demjenigen Vorbehalt annehmen dürfen, welcher Aneroidbeobach-
tungen gegenüber unter allen Umständen geboten ist. i) Die Höhen-
zahlen der Carte de la Grece werden als vielfach unzuverlässig bezeich-
net (S. 332, vgl. 0. S. 374), mit Ausnahme der trigonometrischen Fix-
punkte, von welchen auch Philippson ausgeht. Jedenfalls wird die Zahl
1) Heger benutzte ein Heberbarometer, weshalb seinen Messungen ein
grölseres Mafs von Sicherheit zukommt.
376 Geographie von Griechenland.
gemessener Höhen im Peloponnes durch obige Zusammenstellung ganz
beträchtlich vermehrt und gewinnt dadurch auch das Terrainbild der
Halbinsel an Schärfe und Vollständigkeit. Da es indessen nicht immer
leicht ist, die gemessenen Punkte auf unseren bisherigen Karten genau
nachzuweisen, erscheint eine baldige Veröffentlichung der zu erwarten-
den geologisch-topographischen Karte des Peloponnes dringend erwünscht.
Einige wichtige hypsometrische Beiträge liefert der Aufsatz des be-
kannten Alpensteigers
F. F. Tuckett, Mountain Excursions in Greece. Alpine Journal
IX (1880) S. 157-61,
worin der Verfasser leider nur sehr kurz über mehrere im Jahre 1878
in Gemeinschaft mit F. E. ßlackstone unternommene Bergfahrten in
Griechenland berichtet. Mit zwei Kochthermometern und einem guten
Aneroid ausgerüstet nahm der Verf. Höhenmessungen vor, welche mehrfach
von der französischen Karte beträchtlich abweichende Ziffern ergaben.
Auch über die griechische Gebirgsflora werden einige Beobachtungen
mitgeteilt. Am 10. Mai bestiegen die Reisenden die Dirphys (j. Delph),
deren Höhe sie zu 5773 bezw. 5845 feet (gegen 1745 m = 5725 feet
der französischen Karte) berechneten; am 16. Mai den Parnasses, bei
welchem die Differenz der neuberechneten Ziffer (8259 feet = 2517.4 m)
von der französischen Karte (2459 m = 8068 feet) auffallend grofs ist,
aber, wie es scheint, durch Hegers Berechnung (a. a. 0. S 76) zu
2522 m bestätigt wird, i) Minderes Vertrauen dürfte die Messung der
Kylie ne (Ziria) mit 8025 feet = 2446 m (gegen 2374 m = 7789 feet
der französischen Karte) beanspruchen, da der Gipfel derselben zu den
trigonometrischen Fixpunkten der Aufnahme des Peloponnes gehört.
Als Anhang zur geologisch-orographischen Litteratur mag hier
auch auf die Nachrichten über Erdbeben hingewiesen werden, wobei
jedoch von vornherein nur einige wichtigere Arbeiten wissenschaftlichen
Charakters berücksichtigt werden können, wogegen eine Zusammenstellung
der zahlreichen einschlägigen Artikel in Tagesblättern u. s. w., die nur
zu häufig auch für das wissenschaftliche Studium als einzige Quelle die-
nen müssen, hier weder erreichbar noch angemessen ist. Der erste
Rang unter den hierher gehörigen Arbeiten gebührt ohne Zweifel dem
Buche von
J. F. Julius Schmidt, Studien über Erdbeben. Leipzig 1875.
Carl Scholtze. (XVI) 324 S. 6 T.2)
Der berühmte Astronom und Geophysiker (f 1884), welcher in
seiner Stellung als Direktor der Sternwarte zu Athen sich um die phy-
1) Vgl. Neumaun-Partsch S. 167 A. 1.
2) Die zweite Auflage (Leipzig, Georgi, 1879. X 360 S. M. 15), welche
die Beobachtungen noch um einige Jahre weiter fortsetzt, ist mir nicht zu
Gesicht gekommen.
Erdbeben. 377
sikalische Geographie von Griechenland unvergängliche Verdienste er-
worben hat, gibt hier nach einigen allgemeinen Untersuchungen über die
Natur der Erdbeben (S. 1-34) 23 Einzelbeschreibungen orientalischer
(meist griechischer) Erdbeben zwischen 1837 und 1873 (S. 35—136), fer-
ner zahlreiche Zusätze zu den (auch das Altertum umfassenden) Erd-
bebenkatalogen von Perrey und Mallet^) (S. 137 — 79), sowie ein voll-
ständiges Verzeichnis der Erdbeben im Oriente von 1859 — 73 (mit je-
weiliger Quellenangabe, S. 180 — 324). Unter den beigefügten Tafeln
verdient die bildliche und kartographische Darstellung der Küstenebene
von Achaia (bei Aigion) nach ihrer Verwüstung durch das Erdbeben von
1861 hervorgehoben zu werden, da sie die Stätte einer der bekannte-
sten Katastrophen dts Altertums, des Unterganges von Helike (373 v.
Chr.), veranschaulicht.
Von neueren Monographien griechischer Erdbeben sind mir aus
der von mir berücksichtigten Literatur bekannt (vgl. Nachtrag):
Beruh. Ornstein, Die jüngste westpeloponnesische Erdbeben-
katastrophe. Ausland 1887 S. 221—24, 248 54.
Betrifft das Erdbeben vom 27. /28. August 1886, welches einen
grofsen Teil von Morea erschütterte. Verf. vergleicht mit demselben
eine Reihe anderer seismischer Erscheinungen aus der vorhergehenden
und nachfolgenden Zeit; seine daran geknüpften theoretischen Betrach-
tungen sind indessen vom heutigen Standpunkt der Geophysik nicht als
einwurfsfrei zu bezeichnen.
A. Philippson, Über die jüngsten Erdbeben in Griechenland.
Petermanns Mitteilungen 1889 S. 251 f.
Die jüngsten Beobachtungen bestätigen, dafs die bedeutendste
Schütterzone durch die Bruchlinie des Golfs vou Korinth gebildet wird,
längs welcher die Epizentren der Beben vom Golf von Patras bis zum
saronischen Meerbusen hin- und herwandern.
Derselbe, Das Erdbeben in Griechenland am 25. August 1889.
A. a. 0. S. 290 f.
Das hier besprochene Erdbeben betrifft hauptsächlich das nörd-
liche Achaia und südliche Aetolien.
Eine Zusammenstellung der Erdbeben in Griechenland und der
Türkei im Jahre 1889 gibt Kon st. Mitzopulos in Petermanns Mittei-
lungen 1890 S. 56 f.
An die geologisch-orographische Literatur schliefse ich einige Ar-
beiten zur Hydrographie von Griechenland, welche naturgemäfs am
1) Vgl. Neumann-Partsch S. 319 A. 2.
378 Geographie von Griechenland.
meisten nach der nautischen Seite hin gepflegt worden ist. Das Haupt-
werk in dieser Hinsicht ist das vom hydrographischen Amt der engli-
schen Admiralität herausgegebene Handbuch
The Mediterrane an Pilot. Published by Order of the Lords
Commissioners of the Admiralty. London, J. D. Potter.
Vol. n. Comprising Coast of France, and of Italy to the Adria-
tic; African Coast from Serbah to El Arish; Coasts of Caramauia and
Syria. Together with the Tusean Archipelago, and Islands of Corsica
and Cyprus. Second Edition. 1885. X 384 S. 5 sh.
Vol HI. Comprising tlie Adriatic Sea, Jonian Islands, the Coasts
of Albania and Greece to Cape Malea, with Cerigo Island. Including
the Gulfs of Patras and Corinth. 1880. XII 392 S. 3 sh 6 d
Vol. IV. Comprising the Archipelago with the Adjacent Coasts of
Greece aud Turkey; including also the Island of Candia or Crete.
1882. X 348 S. 3 sh. 6 d.
Es mag nicht überflüssig sein. Freunde der alten Kulturländer auf
diese wichtige Veröffentlichung hinzuweisen, welche zwar an unseren
Bibliotheken noch wenig verbreitet, durch ihren billigen Preis aber auch
Privaten leicht zugänglich ist. Der Pilot enthält die ausführlichste und
genaueste Beschreibung der griechischen Küsten und erhebt sich bei
kleineren Inseln geradezu zu einer geographischen Einzelschilderung.
Hierdurch so wie durch die Angaben über die Beschaffenheit des Mee-
resbodens, über Meeresströmungen und Windrichtungen, über die Küsten-
plätze und ihren Seeverkehr wird der Pilot zu einem geographischen
Quelleuwerk ersten Ranges. Auch für die archäologische Topographie
finden sich manche brauchbare Nachrichten über Ruinenstätten an den
Küsten, bei deren Beschreibung sich allerdings mitunter der dilettanti-
sche Standpunkt der Verfasser in antiquarischen Dingen geltend macht.
Unzugänglich ist mir
A Fran(^ois, Mer Mediterranee. Instructions nautiques sur les
lies Joniennes, les cotes de la Grece etc. Paris. 1886. Challamel.
582 S Fr. 13,
ebenso das vom griechischen Marineministerium herausgegebene Ver-
zeichnis der
0dpot^ (pa\)o\ xac arjjxaMvrjpsg tojv s^.^rjvcxajv TxapaXuuv xaTO, zijv
apxriv zoT) ezoug 1882. Athen. 1882. 4. 15 S.
Dazu mehrere Nachträge, welche Miliarakis No. 79 verzeichnet hat.
Mit einer schon im Altertum vielumstrittenenen Frage beschäftigen
sich folgende Abhandlungen:
Hydrographie. 379
Forel, Le probleme de l'Euripe. Comptes-Rendus de l'Ac. d.
Sc. 1879 Bd. 89, 2 S. 859 61. i)
üepc rr^g miXippoiaq roü Ehpmoo bnu 'Avdpsou 'Avz. M laoö Xrj.
'Ev Wrjvatg 1882. 29 S., 12 Taf., 1 Karte.
0. Krümm el, Zum Problem des Euripus. Petermauus Mittei-
lungen 1888 S. 334-38, T. 20.
Die erste wissenschaftlich befriedigende Erklärung der aufserge-
wöhnlichen Fluterscheinungen im Euripus, deren bei zahlreichen Schrift-
stellern des Altertums gedacht wird, 2) hat Foj|pl geliefert, welcher die
in den Schweizerseen längst bekannte, von ihm aber zum Gegenstand
besonderen Studiums gemachte Erscheinung der »stehenden Wellenot
oder seiches (am Bodensee BGrundwellen«)^) zur Erklärung heranzieht.
Forel führt die Strömungen zur Zeit der Syzygien auf die Springfluten
des südlichen, die häufiger umspringenden Strömungen zur Zeit der
Quadraturen auf die seühes des fast wie ein Binnensee abgeschlossenen
nördlichen Teiles des euböischen Meeres (des Kanales von Talanti) zu-
rück.*) Doch war der berühmte Schweizer Hydrograph für seinen Er-
klärungsversuch im Wesentlichen noch auf das Beobachtungsmaterial an-
gewiesen, welches der Jesuit J. P. Babin im 17. Jahrhundert auf Grund
eines zweijährigen Aufenthaltes in Chalkis geliefert hatte ;5i neuere Rei-
sende, die sich meist nur ganz kurz an Ort und Stelle aufhielten, haben
demselben wenig hinzuzufügen vermocht. Eine wesentliche Vermehrung
dieses Materials verdanken wir nun dem Verfasser der oben an zweiter
Stelle genannten Schrift, einem griechischen Seeoffizier {brMnkutap-/oi),
welcher schon im Jahre 1866 unter Leitung des um die Kartographie
der Mittelmeerküsten hochverdienten englischen Hydrographen Admiral
A. Man seil seine Beobachtungen begonnen und später mehrere Jahre
hindurch fortgesetzt hat. Miaulis, dessen Abhandlung mir nur aus
dem Aufsatz von Krümmel sowie aus des Letzteren Handbuch^) bekannt
ist, zieht aus seinem Materiale Schlufsfolgerungen, welche von denjeni-
gen Foreis zum Teil nicht unerheblich abweichen. Dieser Auffassung,
1) Der Aufsatz von H. de Parville, Le probleme d'Euripo. Bull, de la
Soc. beige dp geogr. 1880 S. 202—5 wiederholt lediglich die Abhandlung von
Forel
2) S. die Nachweise bei Forbiger I 588 Dazu H. N. Ulrichs, Reisen
u. Forsch, in Griechenl. II 219 ff
3) Vgl. hierüber im Allgemeinen S. Günther, Geophysik 11 373—76 und
die dort angeführte Literatur, sowie G. v. Bogiislawski und 0. v. Krümmel,
Handbuch der Ozeanographie II 143—53.
*j S. die Darlegung bei Neumann-Partsch Ö. 150 f.
5) Bei Spon u. Wheler, Vogage d'Italie etc. (Lyon 1678) II 328 44.
6) A. a. 0. S. 144 ff.
380 Geographie von Griecheuland.
die nicht ohne nationale Voreingenommenheit auch von Miaulis' Lands-
mann Kordollas verteidigt wird, 1) tritt nun Krümmel in dem angeführ-
ten Aufsatze entgegen, indem er nachweist, dafs Foreis Annahme einer
Störung der Gezeiten des südlichen euböischen Meeres durch die seiches
des Kanals von Talanti (zur Zeit der Quadraturen) auch auf Grund des
erweiterten Beobachtungsmaterials noch richtig erscheint und nur dahin
ergänzt werden niufs, dafs die Störung unter gewissen Windverhält-
nissen auch auf die Springfluten (zur Zeit der Sj'zygien) sich geltend
machen kann. Über die Entstehung der ^-eiches im Euripos bemerkt
Krümmel (S. 337b) folgendes: »Die Ursache dieser Wellen dürfte im
Wesentlichen eine meteca'ologische sein. Die hier herrschenden Nord-
und Nordostwinde nehmen sehr oft einen stürmischen Charakter an, und
uamentlicli in Lee des hohen und schroffen Kandiligebirges, wie im Sü-
den der Höhen, welche östlich vom alten Eretria die Insel Euböa gegen
den Euripos hin begrenzen, sind die dann auftretenden Fallwiude {xa-
ratyt'dcg) heute wie einst im Altertum von den Küstenfahrern sehr ge-
fürchtet«. 2) Ich habe diese Stelle absichtlich im Wortlaut hierher ge-
setzt, weil sie besonders lehrreich ist im Vergleich mit einer von Li-
vius gegebenen Erklärung des Euriposproblems, die von den neueren
Forschern, wie mir scheint, nicht gehörig gewürdigt worden ist.. Die
Stelle lautet (XXVIII 6, 9 S.): Ex patenti atrimque coactum in angustias
mare speciem intuenti prinio gemini portus in ora duo versi praebuerit ; sed
haud facile alia infestior classi stalio est; nam et venti ab utriusque terrae
praealtis montibus snbiti oe procellosi se deicizint, et fretuni ipsum Euripi
non septiens die, sicut fania J'ert, temporibus statis reciprocat , sed temere in
modum i^enti nunc hnc nunc illuc verso mari velut monte praecipiti devolu-
tus torrens rapitar. Hier wird also unter Zurückweisung der irrigen An-
nahme eines ganz regelmäfsigen Wechsels der Strömung bereits auf die
Wirkung hingewiesen, welche den plötzlichen Störungen des atmosphä-
rischen Gleichgewichtes für die Entstehung seicAes-artiger Bewegungen
in abgeschlossenen Wasserbecken zukommt, ein ursächlicher Zusammen-
hang, der seitdem erst durch Forel wieder erkannt worden ist. Es ver-
steht sich von selbst, dafs diese feinsinnige Bemerkung nicht geistiges
Eigentum des Livius ist, sondern von ihm lediglich aus seiner Vorlage
hertibergenommen wurde, als welche wir hier mit Sicherheit Polybios
bezeichnen dürfen, den einzigen Quellenschriftsteller des Livius, der für
geographische Fragen überhaupt ein Verständnis hatte. Wenn Polybios
mit seiner Erklärung, die den regelmäfsigen Flutwechsel gänzlich ab-
weist, etwas über das Ziel hinausschofs, so thut diefs seinem Verdienste
keinen Eintrag, zur Lösung des Euriposproblems wie der Frage der
seiches überhaupt zuerst den richtigen Weg betreten zu haben. Übri-
1) Berg- u. hüttenmänn. Zeitung 1883 S. 34.
2) Vgl. Neumanu-Partsch S. 105 f.
Hydrographie. 3g ]
gens kann auch heute, wie Krümmel a. E. ausdrücklich bemerkt, die
Erklärung dieser Erscheinung noch keineswegs für abgeschlossen gelten,
und bleibt für weitere Beobachtungen noch ein dankbares Feld.
Zum Schlufs will ich noch beifügen, dafs Krümmeis Aufsatz von
einer auf die Aufnahmen der englischen Admiralität basierten Tiefen-
karte des euböischen Meeres in 1:314000 nebst einem Spezialkärt-
chen des eigentlichen Euripos in 1:72000 begleitet ist, auf welchen
durch Anwendung einer blauen Farbenabstufung die Tiefenverhältnisse
noch deutlicher und lehrreicher zum Ausdruck kommen als im englischen
Original.
Ausschliefslich historisch-geographischen Charakters ist
MsXerrj ns.p] zr^g &e(reajg zoü Uovioo neXdyoug ev zfj apyatq. xa\
via YS.wYpa(piq. bno 'Avtojvcou MrjAcapdxrj. 'Ev 'Aßrjva:g. BißXcoTiu)-
Xelov 'Eariag. 1888. 88 S.
Dafs die Bezeichnung »Ionisches Meer« im früheren Altertum nicht
im heutigen Sinne gebraucht wurde, ist schon öfter bemerkt worden, in-
dem eine Anzahl Stellen aus älteren griechischen Schriftstellern darüber
keinen Zweifel zuläfst. Indessen war es niemals versucht worden, die
Anwendung des Ausdruckes in der Literatur und die Wandlungen sei-
ner Bedeutung erschöpfend darzulegen, i) Diese Aufgabe hat sich Mi-
liarakis in obiger Schrift gestellt, welche in gründlicher, wenn auch etwas
weitschweifiger Weise die Stellen der Alten, in welchen vom »Ionischen
Meer« die Rede ist, chronologisch ordnet und prüfend vergleicht. Das
Ergebnis der Untersuchung ist im Wesentlichen Folgendes: Der Name
haftet ursprünglich speziell an dem Meeresteil, wo Italien sich am mei-
sten der ßalkanhalbinsel nähert, also zwischen dem alten Kalabrien
einerseits und der epirotischen Küste von den akrokeraunischen Bergen
bis Epidamnos andrerseits. Daneben dehnte man jedoch frühzeitig den
Ausdruck »ionisch« auf das ganze adriatiscbe Meer aus. Letzterer
Name war damals nur für den innersten Winkel dieses Meeresteiles in
Gebrauch, erfuhr aber schon seit dem vierten Jahrh. v. Chr. eine erwei-
terte Anwendung, so dafs als das »Ionische Meer« vorzugsweise die
Strafse von Otranto und der daran stofsende südliche Teil des jetzt so-
genannten adriatischen Meeres galt. Das »Ionische Meer« im heutigen
Sinne hiefs bei den Griechen »Sikelisches Meer«. 2)
Anders bei den Römern. Die Erinnerung an die ursprüngliche
Bedeutung des Namens — eine Frage, welcher übrigens auch Milia-
1) Die beste Erörterung hierüber in der früheren Literatur finde ich in
Will. Smith's Dictionary of Greek u. Roman Geography II 61 f. (von E. H.
B[unbury]).
2) Der Unterschied beider Ausdrücke erhellt u. A. besonders aus der
Rede des Nikias bei Thuc. VI 13.
382 Geographie von Griechenland.
rakis nicht genügend scharf zu lieibe geht^) — war für sie längst ent-
schwunden, das »Ionische Meer« war ihnen dasjenige, an dessen Ge-
staden Griechen (lonier) wohnten, woraus sicli von selbst, unter gleich-
zeitiger Ausdehnung des Begriffes bis zur Str. v. Otrauto, eine Verschie-
bung nach Süden ergab. Dieser Weciisel des Gebrauches hat sich im
Laufe des letzten Jahrhunderts v. Chr. vollzogen, kam aber nur in der
"römischen Literatur zur allgemeinen Geltung. Die griechischen Schrift-
steller hielten, mit wenigen Ausnahmen, nach wie vor an der richtigen
Überlieferung fest, ja suchten sogar, unter bewufster Anlehnung an
ältere Vorbilder, den Namen wieder über das ganze adriatische Meer
auszudehnen. Erst seit dem zweiten Jahrh. n. Chr. kommt die Bezeich-
nung »sikelisches Meer« aufser Gebrauch und wird dafür auch bei grie-
chischen Schriftstellern vom »ionischen Meer« gesprochen, während an-
dere dasselbe noch unter dem »adriatischen Meer« mit inbegriffen.
Von Interesse ist es zu sehen, dafs auch die byzantischen Schrift-
steller, welche der Verf. erfreulicher Weise ebenfalls berücksichtigt hat,
und zwar bis in die letzten Zeiten des Reiches herab, sich der Bezeich-
nung »ionisches Meer« im Sinne der ältesten Schriftsteller, also auch
für das adriatische Meer, bedienen, was von Miliarakis mit Recht als
ein gesuchter Archaismus hingestellt wird; denn aus der Umgangs- und
Schiffersprache war der Ausdruck längst verschwunden. Derselbe
wurde erst durch neuere, vorzugsweise italienische Geographen (seit Bon-
delmonte) wieder künstlich zum Leben erweckt und zwar, da diese
Schriftsteller meist nur die römische Literatur berücksichtigten, im rö-
mischen Sinne, also gleichbedeutend mit dem »sikelischen Meere« der
alten Griechen. Der Name »ionische Inseln« vollends scheint nicht vor
dem Ende des 18. Jahrhunderts nachweisbar zu sein.
Einige Beobachtungen zur Hydrographie von Griechenland hat
Referent niedergelegt in der kleinen Abhandlung
Zur Geographie von Griechenland Von Eugen Oberhummer.
Jahresber. d. Geogr. Ges. z. München für 1885 (10. Heft) S. 115—25.
Dieselben betreffen den trichonischen See in Ae tollen, in wel-
chem eine Anzahl Lothungen gemacht wurden, die Entstehungsgeschichte
der aetolischen ßinnenebene, das Thal Limnaea in Akarnauien^), die
sogenannten Cisternen bei Oiniadai, den See von Aetoliko, dessen Bil-
dung von derjenigen der anstofsendeu Lagune von Missolunghi wesent-
lich verschieden zu sein scheint, den See von Januina und seinen unter-
1) Vgl. S. 17 f. unter den Neueren hat sich tür den Zusammeuhang mit
den loniern besonders E. Curtius ausgesprochen (Griech. Gesch. 1^ 59, 639).
2) Die von mir vorgefundene Ausdehnung des Sees der Limnaea ist auf
der meinem Buche »Akaruauiena u. s. w. beigegebenen Karte zum Ausdruck
gekommeo.
Klima. 383
irdischen Abflufs, endlich des Itinerar von Arta nach Jannina und die
Seehöhe von Thaies von Dodona, welche zu annähernd 142 ni höher
als diejenige von Jannina (s. o. S. 365) berechnet wurde. Die Ergeb-
nisse der Lothungen im See von Jannina stimmen, wie ich nachträglich
sah, im Wesentlichen überein mit den von Guido Cora im Jahre 1874
gefundenen Ziffern (mittlere und gröfste Tiefe 5 bezw. 9'/a m). >)
Das einzige selbständig erschienene Werk, welches sich mit dem
Klima Griechenlands beschäftigt, ist
Griechische Jahreszeiten. Unter Mitwirkung Sachkundiger, heraus-
gegeben von August Momrasen Fünf Hefte. Schleswig, Julius
Bergas. 1873—77. 598 S. M. 18.30.
1. H. Neugriechische Bauernregeln, geordnet nach Monaten alten
Stils. Vom Herausgeber. 1873. S. 1 — 96.
2. H. Das Klima von Athen. Von L. Matthiesse n. 1873.
S. 97-154.
3. H. Zeiten des Gehens und Kommens und des Brütens der Vö-
gel in Griechenland und lonien. Katalog von Krüper, mit Citaten und
Zusätzen von Hartlaub — Kalender vom Herausgeber. — Literatur
von Hartlaub. 1875. S. 155-330.
4. H. Klima von Korfu, Jannina und Smyrna. Von F. Bossen
1876. S. 331 - 470.
5. H. Pflanzen der attischen Ebene. Von Th. v. Hei drei eh.
1877. S. 471 597.
Das eigenartige Interesse dieser Publikation und ihre hohe Be-
deutung für die physikalische Geographie Griechenlands erhellt zur Ge-
nüge aus obiger Inhaltsangabe. Ich kann deshalb um so mehr darauf
verzichten, auf die einzelnen Hefte näher einzugehen als die Haupter-
gebnisse, insbesondere in meteorologischer Hinsicht, bereits bei Neumann-
Partsch verarbeitet sind.
Das Gleiche gilt von
J. Partsch, Beiträge zur Klimatologie der griechischen Halbinsel.
Ztschr. d. österr. Ges. f. Meteor. Bd. XIX (1884) S. 223—28: I. Das
Klima von Korfu. — S. 473-81: II. Das Klima von Athen.
Die zweite der beiden wertvollen Abhandlungen enthält in der
Hauptsache eine Würdigung der Verdienste von J. F. Jul. Schmidt,
des 1884 verstorbenen langjährigen Leiters der Sternwarte zu Athen.
Aus den letzten Jahren sind die gelegentlichen meteorologischen
Beobachtungen anzuführen, welche A. Philippson seinen Reiseberich-
1) Cenni generali intorno ad un viaggio nella Bassa Albania ed a Tri-
poli di Barberia (Torino 1875, 4°) S. 8; vgl Petermanns Mitteilungen 1876
S, 38 und Markbam's Geographica} Magazine II (1875) S. 356,
384 Geographie von Griechenland.
ten eingefügt hat (o. S. 374), sowie eine interessante kleine Studie des-
selben Verfassers
Über den Schnee in Griechenland. Meteor. Ztschr. 1889 S. 59 —
61, 390f.
Dieselbe gibt eine Zusammenstellung der von ihm gemachten Be-
obachtungen über Schneefälle und die Schneedecke im Gebirge. Die
untere Grenze der dauernden Schneedecke im Winter liegt bei etwa
1500 m. Gegen Ende des Sommers sind alle Gebirge des Peloponnes
schneefrei. Vgl. o. S. 365 meine Bemerkung über den Parnafs und den
Nachtrag.
Die in religiösen Vorstellungen, in Mythos und Aberglauben sowie
zahlreichen Redewendungen sich wiederspiegelnde volkstümliche Auf-
fassung von Naturerscheinungen (Blitz, Donner, St. Elmsfeuer, Regen,
Regenbogen, Winde, Stürme u. s. w.) ist der Gegenstand einer von viel-
seitiger Belesenheit zeugenden Abhandlung von
A'. /'. IloXtxrjq^ ärjjidijdecg iie-eiopokoycxol fxoBoc. 'Af^rjvr^m. 1880.
52 S. S.-^A. a. Uapvaaa6^ 1880 S. 585—608, 665-78, 762—73.
Unter den auf die Flora Griechenlands bezüglichen Arbeiten ist,
wie übrigens auch bei der geognostischen Literatur, zwischen solchen
rein wissenschaftlicher (botanischer) Richtung und solchen von mehr
praktischem Interesse zu unterscheiden, welche sich mit den Fragen der
Landwirtschaft u. s. w. beschäftigen. Unter den ersteren wäre in erster
Linie Boissiers grundlegendes Werk^) zu nennen; da dasselbe indessen
nach streng systematischer Anordnung verfährt, also keinen Überblick
über die in einem abgegrenzten Gebiete, wie Griechenland, vorkommen-
den Pflanzen gewährt, kommt es hier nicht weiter in Betracht.
Von floristischen Einzelarbeiten ist mir bekannt
C. G. Spreitzenhofer, Beitrag zur Flora der ionischen Inseln
Korfu, Cephalonia und Ithaka. Verhandl. d. k. k. zool.-botan. Ges.
in Wien XXVII (1877) 711—34.
Den Nachlafs desselben Sammlers bearbeitete
Fr. Ostermeyer, Beitrag zur Flora der ionischen Inseln Korfu,
St. Maura, Zante und Cerigo. A. a. 0. XXXVII (1887) 651—72.
Eine von Spreitzenhofer gesammelte Rosenart, welche in der Ge-
gend von Amaxichi auf Leukas vorkommt, wurde als besondere Spe-
zies (Rosa Leucadia) von Heinrich Braun beschrieben. 2) Andere, von
1) Flora Orientalis sive enumeratio plantarum in Oriente a Graecia et
Aegypto ad Indiae fines hucusque observatarum. Fünf Bände. Basel. 1867—84.
2) Beiträge zur Kenntnis der Arten und Formen der Gattung Rosa.
A. a. 0. XXXV (1885) S. 126—28.
Flora. 385
Spreitzenhofer auf Corfu und Cerigo gesammelte Arten beschrieb
Th. V. Heldreich.i)
Letzterer Forscher, einer der gründlichsten Kenner der Flora
Griechenlands, behandelte die Vegetations Verhältnisse Attikas sowohl in
der oben S. 383 angeführten Schrift als auch in der kürzeren Ab-
handlung
L'Attique au point de vue des caracteres de sa Vegetation. Compte-
Rendu stenogr. du Congres Internat, de Botanique et d'Horticulture.
Paris. 1880 (Extrait). 16 S.
Bruchstück blieb bis jetzt sein
Catalogus systematicus herbarii Th. G. Orphanidis etc. Fase. I.
Leguminosae. Florent. 1877. VIII 79 S.
Neben einigen kleinen Artikeln desselben Forschers 2) nenne ich
hier, auch des antiquarischen Interesses halber, seine Abhandlung über
die im Altertum sehr volkstümliche Pflanze vdpbrj^ (Ferula communis
L.),2) sowie die
Beiträge zur Kenntnis des Vaterlandes und der geographischen
Verbreitung der Rofskastanie, des Nussbaums und der Buche. Sitzungs-
ber. d. botan. Ver. d. Provinz Brandenburg XXI (1879) S. 139—53,
Nachtr. ebd. XXIV 20,
worin Held reich die ursprüngliche Verbreitung dieser Bäume in Nord-
griechenland (aetol. Bergland, Epirus und Thessalien) nachweist. Seinen
Ausführungen schliefst sich an
K. Bolle, Die Rofskastanie, ihr Ursprung und ihre Einbürgerung
bei uns. Monatsschr. d. Ver. z. Beförd. d. Gartenbaues u. d. Ges. d.
Gartenfreunde Berlins. XXIII (1880) 84 92, 139-47 (bes. S. 142 ff.).
Einen wichtigen Beitrag zur Kenntnis der Gebirgsflora von Mittel-
griechenland liefert
') Zwei neue Pflanzenarten von den ionischen Inseln (RanunculusSpreitzen-
hoferi und Muscari Mordoanuni) Österr. botan. Ztschr. 1878 S. 50-53. —
Über Silene Ungeri Fenzel {— S. aetolica Heldr.). Ebd. 27-29. — Stachys
Spreitzenhoferi. Eine neue Stachysart der griechischen Flora. Ebd. 1880
S. 344-46.
2) Pflanzengeographische Notizen über drei neue Arten der europäi-
schen Flora (Sinaria longipes, Ancbusa Aegyptiaca und Asphodelus tenuitor-
mis, von der Insel Salamis). A. a. 0. 1877 S. I56f. - Anderes bei den ein-
zelnen Landschatten. Vgl Nachtrag.
3j Die Ferulastaude. Verhandl. d. botan. Ver. d. Provinz Brandenburg.
XXllI 1881 S. XX— XXVII. Ein griechischer Artikel über denselben Gegen-
stand {nspi vdp^Tjxoq) in EaTia 1882 N. 334 S. 331 (nach Miiiarakia N. 122)
ist mir nicht zugänglich.
Jahresbericht für Alterthumswissenschaft LXIV. Bd. (1890. III.) 25
38fi Geographie von Griechenland.
PJugcu V. Haläcsy, Beiträge zur Flora der Landschaft Doris,
insbesondere des Gebirges Kiona in Griechenland. •) Verhandl. d. k.
k. zool.-bot. Ges. in Wien XXXVIII (1888) 745-64 T. XXII.
worilber Geogr. Jahrb. XIII 331 zu vgl.
Nur erwähnt seien die kleineren floristischen Mitteilungen von
E. Hackel,2) J. Freyn^) und C. Haufs knecht.*)
Eine Reihe von Arbeiten liegt über die in volkswirtschaftlicher
Hinsicht so wichtigen Wald Verhältnisse vor. Es würden hier zu-
nächst die den Philologen vor Allem interessierenden bedeutenden Werke
von Karl Koch^) und A. Seidensticker^) zu nennen sein; doch ha-
ben dieselben bereits an anderer Stelle dieses Jahresberichtes eine ein-
gehende Würdigung gefunden. '')
Unbedeutend im historischen Teil, aber von Interesse für die
Kenntnis der waldbildenden Bäume sowie der leider noch wenig ent-
wickelten Forstverwaltung in Griechenland ist der Aufsatz von
Leo An der lind, Mitteilungen über die Waldverhältnisse Grie-
chenlands. Allgemeine Forst- und Jagd - Zeitung. N. F. LX 1884
S. 175-86.
Eine noch umfassendere Arbeit über dasselbe Thema verdanken
wir einem einheimischen Forstbeamten, der in Deutschland (München)
seine Studien gemacht hat. Es ist die Inaugural-Dissertation von
Nik. A. Chloros, Waldverhältnisse Griechenlands. München.
1884. 45 S. Vgl. Petermanns Mitteil. 1885 S. 39; Geogr. Jahrb. XII 270.
Die einleitenden Kapitel behandeln die allgemeinen geographischen
und geologischen Verhältnisse Griechenlands sowie das Klima (S. 11 — 21),
letzteres auf Grund der amtlichen Beobachtungen an der Sternwarte zu
1) Im Widerspruch mit dem Titel führe ich die Abhandlung bereits hier
an, da das Kionagebirge (I'xcöva, /iwvae, daher gewöhnlich Giona geschr.)
keineswegs auf Doris beschränkt ist, sondern gerade mit seinem mächtigsten
Teile nach Lokris und Aetolien, teilweise auch noch zur Oitaia gehört
2) Zwei kritische Gräser der griechi^cben Flora. (Schismus minutus
und Festuca dactyloides). Ost. botan. Ztschr 1878 S. 189—92.
3) Muscari Weissii (Syra). Ebd. 1878 S. 87 f — Trifolium xanthinum.
Botan. Centralblatt I 1880 S. 308—10.
4) Über neue Pflanzenarten der griechischen Flora. Mitteil. d. geogr.
Ges. (f. Thüringen) z. Jena 1887 S. 85-88
5) Die Bäume und Sträucher des alten Griechenlands. Stuttgart, Enke.
1879. XX 270 S. Zweite (Titel.)Aufl. Berlin, Jacobsthal. 1884. M. 6.
6) Waldgeschichte des Altertums. Zwei Bände. Frankfurt a. M. 1886.
XU 403; IX 460 S. M. 15.
T) 0. Keller Bd. 40 S. 393-407; S. Günther Bd. 52 S. 116—19.
Flora. 387
Athen, deren Giltigkeit der Verf. jedoch mit allzu grofser Zuversicht
tiuf ganz Griechenland ausdehnt; neben der Darstellung von Neuraanu-
Partsch ist dieser Abschnitt jetzt kaum noch von Wert, abgesehen von
den phänologischen Bemerkungen.
Das IV. Kapitel (S. 22-38) ist das wichtigste der ganzen Arbeit.
Es enthält eine Aufzählung der Holzarten Griechenlands, mit Beifügung
der neugriechischen und, so weit möglich, der antiken Bezeichnung, so-
wie des Standortes, soweit das Verbreitungsgebiet ein örtlich beschränk-
tes ist. 1) Als Beitrag zur botanischen Nomenklatur ist dieser Abschnitt
auch von sprachlichem und antiquarischem Interesse; man erinnere sich
nur, welche Verwirrung z. B. bezüglich der alten Bezeichnungen für die
Arten von Pinus und Quercus herrscht!
Kap. V und VI enthalten statistische Angaben über die Flächen-
ausdehnung und die Verteilung des Waldes in Griechenland sowie Mit-
teilungen über die Versuche zur Einführung einer zweckmässigen Wald-
wirtschaft und die Hindernisse, welche denselben begegnen.
Leider scheinen diese Versuche, trotz der Bemühungen des Ver-
fassers, welcher die Stelle eines Oberforstinspektors {imßsojpr^T^g töjv
oaaojv) bekleidet, und sich aufser obiger Schrift auch durch eine Unter-
suchung über antiken Forstschutz bekannt gemacht hat, 2) bisher noch
zu keinem nennenswerten Ergebnis gefuhrt zu iiaben. Denn mehr als
je tönen aus neuester Zeit die Klagen von Reisenden über die empören-
den Waldverwüstungen an unser Ohr, welche aus frechem Mutwillen
oder grober Nachlässigkeit, in den meisten Fällen aber wohl aus schnö-
der Gewinnsucht der Ziegenhirten entspringen, die, um neue Weide-
gründe für ihre Herden , den Fluch aller südeuropäischen Länder, zu
erhalten, grofse Strecken der schönsten Waldbestände rücksichtslos nie-
derbrennen Freilich, eine Besserung ist kaum zu erhoifen, so lange
nicht dafür gesorgt wird, das Verständnis für die volkswirtschaftliche Be-
deutung des Waldes in die weitesten Kreise der Bevölkerung zu tragen
und die allgemeine Entrüstung gegen ein ebenso ruchloses als barbari-
sches Vorgehen zu wecken, durch welches eine der wichtigsten Stützen
des Nationalwohlstandes zerstört wird. Denn noch immer sind im Innern
des Peloponnes sowie im westlichen Mittelgriechenland ausgedehnte
Waldbestände vorhanden, von denen derjenige keine Ahnung hat, der
nur die Küstenlandschaften und die kahlen Berge Attikas kennt. Diese
Waldbestände und die Art ihrer Zusammensetzung schildert kurz
1) Diese Liste erschien auch (mit Voranstellung der neugriechischen
Bezeichnungen in alphabetischer Folge) u. d. T. lliva^ riüv ii- 'EkXddi <puo-
fxivwv ^uXcüdü>v (puTÜiv m 'Earta 188.5 S 301 — 4, 314 — 16.
2) Forstwissenschaftlichc Leistungen der Altgriechen. Forstwissenschaft!.
Centralblatt VII 1885 S. 15-23. Vgl. hierüber in diesem Jahresbericht ü.
Keller Bd. 40 S. 407 f nud S Günther Bd .-)-2 S 116.
26*
388 Geographie von Griechenland.
A. Philipp son, Der Wald in Griechenland. Naturwiss. Wochen-
schrift V 1890 S. 334—36.
Nur dem Titel nach bekannt sind mir einige Arbeiten, welche die
landwirtschaftlichen Zustände betreffen, nämlich
A. Tombazis (7. /'. TofindCTj?), La Grece au point de vue agri-
cole. Athen. 1878. 50 S. Auch u. d. T. 7/ 'KUa;: onu yzojpyixrjv
i-noipiv. S. Miliarakis No. 71.
P. J. Chalkiopoulos, Sur Tamelioration et Tencouragement de
l'agriculture en Grece. Auch u. d. T. Ikpl ßshcajascug xat ifKpu^o}-
asüjg r^c iv 'EUdSi yeojrjycag. Athen. 1880. 362 S. (Fehlt bei Mi-
liarakis).
JHav. 9. Xacpsrrjg, KaXXiifjyeia rr^g aTaipioajmi'hoo. Athen. 1883.
16. 540 S. (Bd. II der Zdmteiog BtßkoHrjXrj).
Dem Titel nach sowohl botanischen als zoologischen Inhaltes ist
die Schrift
Ilepl jiezavaazzüaeujv (purujv xal ^umjv unu Ikiupy. X. flupkaTzd.
1888. 114 S.
Nach Miliarakis No. 131, dem ich allein Kenntnis hiervon ver-
danke, umfafst dieselbe Nachrichten mpl /xeravaaTsüaecuv ribv l^&ücuv iv
'EXXdoc, nspl iy^wpüov kpnsTcov xal ßarpaykuv xat mpc ixs-avaaxsü-
ascuv nzTjvcüV und über za revdyrj zoü MeaoXoyyLOi) xal o xökTiug ruu
Aizujhxoü.
Aufser dieser und der oben S. 383 angeführten Abhandlung von
Krüper und Hartlaub sind mir über die Fauna Griechenlands folgende
Schriften bekannt:
Exposition universelle de Paris en 1878. La Faune de Grece.
Raport sur les travaux et recherches zoologiques faites en Grece et
revue sommaire des animaux qui s'y trouvent naturellement ou ä Tetat
de domesticite par Th. de Heldreich. Athenes. 1878. 8. 116 S.
Enthält nur die Wirbeltiere in systematischer Anordnung. Von
sprachlichem Wert ist die Beifügung der antiken und vulgären Bezeich-
nungen, soweit dieselben bekannt sind. In letzterer Hinsicht liefert zu
Heldreichs Schrift dankenswerte Ergänzungen
D. Bikelas, Sur la nomenclature moderne de la faune grecque.
Ann. de l'assoc pour l'encourag. d et. grecques XII 1878 S. 208 — 31.
Umfassende Arbeiten liegen über einen wichtigen Teil der grie-
chischen Tierwelt (mit Einschlufs der Inseln des Archipels) vor in den
beiden Abhandlungen von
Fauna. 389
J. V. Bedriaga, Die Amphibien und Reptilien Griechenlands.
Bull, de la Soc. Imp. des Natuialistes de Moscou Bd. 56 (1881) I. Tl.
S. 242 310, II. Tl. S. 43—103, 278—344,1) und
0. Boettger, Verzeichnis der von Herrn E. v. Oertzen aus Grie-
clienlaiid und aus Kleinasien mitgebrachten Batrachier und Reptilien.
Sitzungsbcv. d. k. preufs Ak. d. Wiss. 1888 I S. 139—86.
Die Publikationen von E. v. Oertzen^) und V. v. Röder^) konnte
ich nacJj dem Citat von Schmarda (Geogr. Jahrb. XIII 387) nicht auf-
finden.
Unzugänglich ist mir die aus Anlafs der internationalen Fischerei-
ausstellung in London auf Veranlassung der griechischen Regierung ver-
fafste Schrift von
Nie Chr. Apostolidis, La peche eu Grece. Ichthyologie, mir
grations, cngins et manieres de peche, produits, statistique et legisla-
tion. Athen. 1883. 87 S. Vgl. l/apvaaaoc VII 266—69.
Sehr mannigfaltig ist natürlich die Literatur über die Bevölke-
rung Griechenlands. Um auch hier, anknüpfend au das Vorhergehende,
mit der naturwissenschaftlichen Seite zu beginnen, sei, da die Publika-
tion des italienischeu Anthropologen Giust. Nicolucci*) bereits vor
dem hier zu besprechenden Zeitraum liegt, zunächst der anthropometri-
schen Studien des eben erwähnten N. Ch. Apostolidis gedacht, welche
u. d. T.
Quelques mesures sur le vivant prises en Grece im Bull, de la
Soc. d'anthrop. de Paris III. S. VI (1883) 614-16,
und als Fortsetzung u. d. T.
lojxßuXal slg r^v 'E?<ÄrjVcxrjV di/BpujTToXoytav im JsATi'ov z. larop. x.
s&voÄ. iratpcas r. "EUäoo? I (1883) 365—67 erschienen sind.
Mit besonderem Eifer hat sich unser im griechischen Staatsdienste
als Oberarzt der Armee wirkender Landsmann Bernhard Ornsteiu,
dem wir schon oben S. 377 bei der seismologischen Literatur begegnet
1) In demselben Organ Bd. 54 (1879) II. Teil S. 22-52 veröfiFentlichte
der Verfasser ein iVerzeichnis der Reptilien und Amphibien Vorderasiens. a
2) Verzeichnis der Coleopteren Griechenlands und Kretas, nebst Bemer-
kungen über ihre geographische Verbreitung. Berlin. Entom. Ztschr. XXX 1887.
3) Dipteren, von Oertzen auf Kreta gesammelt. Ebd. XXI (?)
4) Suir autropologia della Grecia. Napoli. 1867. 4. 100 S. 5 T. S.-A.
a. Atti della R. Accademia delle scienze lis. e matera. Bd. III. Diese Ab-
handlung, welche sich in den einleitenden Kapiteln mit der ältesten Bevölke-
rung Griechenlands (vom Standpunkt eines historischen Dilettanten), in ihrem
Hauptteile mit kraniologischen Untersuchungen befafst, ist meines Wissens
die erste anthropologische Arbeit über Griechenland.
390 Geographie von Griechenland
sind, um die anthropologischen Studien angenommen und die Ergebnisse
derselben sowohl in verschiedenen kleineren Beiträgen wie
Über die Farbe der Augen. Haare und Haut der heutigen Bewoh-
ner Griechenlands. Verband!, d Berl. Ges. f. Anthrop 1879 S. 305 f.
als auch in folgender gröfseren Abhandlung niedergelegt:
Über die physischen Verhältnisse Griechenlands und seiner Be-
wohner mit besonderer Berücksichtigung der Langlebigkeit der letz-
teren und deren Ursachen. Ztschr. f. Ethnologie XVI (1881) 11 — 95.
Der erste und umfänglichste Abschnitt (S. 13 — 75) behandelt die
Ergebnisse des Census 1838 - 74 und die Bevölkerungsbewegung 1864—73,
die Sterblichkeitsverhältnisse. P^ndemien und Epidemien, sowie die Lang-
lebigkeit der Griechen, welche nach der Ansicht des Verfassers das
Durchschnittsmafs wesentlich übersteigt.') Von besonderem geographi-
schen Interesse sind die Bemerkungen über die Abhängigkeit dieser
Erscheinung von Boden und Klima, ebenso die Ausführungen über die
lokalen Bedingungen der Malaria. Makrobiotisehen Mitteilungen ist
auch der vierte Abschnitt (S. 92 95) gewidmet, während der dritte
(S. 80 — 92) - der zweite berichtet nur kurz über die Volkszählungser-
gebnisse — die etwas sonderbar stilisierte Überschrift trägt: »Die Mor-
talitätsstatistik Athens vom Jahre 1879 und die in den Monaten Januar
und Februar 1880 mit Namhaftmachung der im Alter von 85 Jahren
und darüber Verstorbenen«.
Eine förmliche anthropologisch-medizinische Monograjjhic über Grie-
chenland verdanken wir einem der hervurragendsten unter den jetztigen
Vertretern der medizinischen Wissenschaft in Griechenland, Klon Ste-
phanos, im
Dictionnaire encyclopedique des sciences medicales. IV. Serie.
F—K. T. X. Gou-Gro. Paris. 1884. Art. Grec<: S. 363—581. (Auch
als S.-A. erschienen).
Dieser selbst für die bändereiche Encyklopädie, welche von einer
Reihe französischer Ärzte unter Direktion von A. Dechambre lieraus-
gegeben wird, aulsergewöhnlich umfangreiche Artikel, umfafst, wie schon
früher (.S. 367) angedeutet, eigentlich die ganze physikalische Geographie
von Griechenland: I. Urographie und Hydrographie S. 364 70. IL Klima
S. 570-88, HI. Geologie S. 388—97, IV. Flora S 397 401. V. Fauna
S. 401—3. Diese Abschnitte, von denen derjenige über das Klima noch
heute selbständigen Wert hätte, wenn er nicht durch die weit vortreff-
1) Über Fälle von Makrobiotik in Griechenland berichtete der Veit.
auch in Vircbows Archiv t. pathol. Anat. und Physiol. Bd 75 (1879) S. 177—
83. Auch sonst kommt der Verf. häufig auf dieses sein Lieblingsthema zurück.
Vgl. unten Ö. 398.
Bevölkerung. 39:1
lichere Darstellung bei Neumann-Partsch ersetzt wäre, dienen mehr zur
orientierenden Einleitung und können auf die Bedeutung von Original-
arbeiten keinen Anspruch machen, obwohl die beigefügten Literaturüber-
sichten von den gründlichen Studien des Verfassers auch nach dieser
Richtung hin Zeugnis geben. Das Gleiche gilt von Kap. VI »Ethnolo-
gie« (S. 406-32), einer historischen Übersicht, welche jedoch für die
Urzeit selbständige Kritik und für das Mittelalter nationale Unbefangen-
heit vermissen läfst. In Kap. VII »Antliropologie« (S. 432 — 40) kommt
der Verf. in sein eigentliches Forschungsgebiet und teilt hier nebst einer
Übersicht der bisher an antiken und modernen Schädeln vorgenommenen
Messungen auch die Ergebnisse eigener Untersuchungen mit. Kap. VIII
»Demographie« (S. 440 — 79) behandelt übersichtlich Stand und Bewe-
gung der Bevölkerung und die Sterblichkeitsverhältnisse. Kap. IX »Hy-
giene« (S. 479 — 88) enthält interessante Ausführungen über Wohnungen,
Heizung, Beleuchtung, Nahrungs- und Genufsmittel, Tracht und Lebens-
weise der heutigen Griechen. Den wertvollsten Teil der Arbeit bildet
Kap. X Pathologie (nosologische und epidemiologische Geographie),
S. 488 551. Besonders ausführlich werden, unter häufiger Beziehung
auf die Äi'zte des Altertums, die endemischen Übel, wie Sumpffieber,
und die wichtigsten Volkskrankheiten, Pest (chronologische Übersicht
aller Epidemien seit dem Ausgang des Altertums, letzte auf der Insel
Porös 1837), Cholera, Pocken, Scharlach, Typhus, Diphtherie (zahlreiche
Epidemien in den letzten Jahrzehnten) und x\ussatz behandelt. Im
letzten (XL) Kap. wird (S. 552 — 70) die medizinische Geographie der
griechischen Inseln sowie die Literatur über Pathologie (S. 570—76) und
über Griechenland im Allgemeinen (Reisewerke u. s. w., S. 576 80) ge-
geben. Der erstere Teil dieses Literaturverzeichnisses ist als fachmänni-
sche Zusammenstellung von Wert, der letztere ist eine zwar reichhaltige,
aber kritiklose und vielfach ungenaue Aneinanderreihung von Büchertiteln.
Fassen wir die Bevölkerungsverhältnisse, die in den letztgenannten
Schriften wesentlich vom anthropologischen Standpunkt aus behan-
delt worden sind, nach der historisch-ethnologischen Seite in das
Auge, so sind zunächst einige graphische Darstellungen zu erwähnen, in
denen sich allerdings das Hauptinteresse auf die nördlichen Balkanlän-
der konzentriert. Hierher geliört in erster Linie die
Ethnographische Übersicht des europäischen Orients zusammenge-
stellt von H. Kiepert. Berlin, D Reimer. 1876. Neue Ausg. 1878
U. 1882. 1) 1:3000000. M. 1,60.
Diese Karte , welche die gesamte Balkanhalbinsel nebst Rumä-
nien und dem gröfsten Teile Ungarns sowie das westliche Kleinasien
1) In den späteren Ausgaben sind lediglich die politischen Grenzen nach
den Bestimmungen des Berliner Kongresses bezw. der ßerlmer Konferenz be-
richtigt, im Übrigen sind sie eine unveränderte Wiederholung der ersten.
392 Geographie von Griechenland.
unifafst, gibt gegenwärtig noch immer die beste Übersicht über das ganze
Gebiet, wodurch die ältere, für ihre Zeit verdienstvolle Karte von Lc-
jean*) ersetzt wird. Allerdings ist die Grundlage, auf welcher die
Karte beruht, in vielen Teilen eine höchst unsichere, und herrschen be-
kanntlich z. B. über die Ausdehnung der griechischen, bulgarischen und
serbischen Bevölkerung in Macedonien die allergröfsten Meinungsver-
schiedenheiten. Da uns jedoch die letzteren hier nicht mehr berühren,
mag die hierauf bezügliche, meist von politischen Rücksichten beein-
flufste Literatur übergangen werden. Nur ist wegen der Ausdehnung
über Griechenland eine von einem ungenannten Engländer »bei Stanford
in Berlin« (soll wohl heifsen London) veröffentlichte Ethmlogicnl Map
vf European Turkqi A (Jrcere zu nennen, welche ich jedoch nur aus
einer gelegentlichen Erwähnung in Petermanns Mitteil. 1877 S. 74 kenne,
woraus hervorgeht, dafs dieselbe, im ausdrücklichen Gegensatz zu Kie-
pert, dem griechischen Element eine ganz unberechtigte Ausdehnung nach
Norden gibt. Auf nicht minder parteiischer Schätzung scheint zu beruhen
A. Synvet, Carte ethnographique de la Turquie d'Europe et de-
nombrement de la population grecque de l'Empire Ottoman. Constan-
tinople, S. H. Weiss. 1877. 4. VIII 56 S. mit Karte in 1:3400 000.
M. 4. Vgl. hierüber H. Kiepert in Zeitschr. der Gesellsch. für Erdk.
1878. S. 253 ff.
Originell, nur leider in zu kleinem Mafsstabe (1:4 000000) aus-
geführt ist die
Ethnographische Karte der europäischen Türkei und ilirer Depen-
denzen zu Anfang des Jahres 1877 von Karl Sax, in Mitteil. d. k.
k. Geogr. Ges. in Wien 1878 T. III, nebst »Erläuterungen« 8. 177-91.
Der Bearbeiter, welcher durch seine amtliche Stellung als Konsul
in Adrianopel gewifs über wertvolle Materialien verfügte, macht hier
den Versuch, gleichzeitig die sprachlichen und konfessionellen Unter-
schiede zum Ausdruck zu bringen. Übrigens kommt auch diese Karte
gleich den unten (s. Anmerk.) genannten Blättern in ihrer Beschränkung
auf die Türkei nur für Nordgriechenland in Betracht.
Im Gegensatz zu diesen mehr auf die Balkanhalbinsel im Ganzen
gerichteten Arbeiten sind nun aus der historisch - ethnologischen Litera-
1) Ethnographie de la Turquie d'Europe par G. Lejean (franz. und
deutscher Text). Gotha. 1861. 4. 38 S. Ergänzungsheft No 4 zu Peter-
manns Mitteilungen Die beigegebene Karte (1:2500000) erstreckt sich nur
auf die eigentliche Türkei und ihre Nebenländer (ohne Griechenland) ; das
Gleiche gilt von den Karten in Petermanns Mitteil. 1869 T. 22 und 1876
T. 13, von denen übrigens die letztere wegen der Berücksichtigung des kon-
fessionellen Elementes besonderes Interesse verdient. Vgl. Nachtrag.
Bevölkerung. 393
tur 1) noch einige speziell auf Griechenland bezügliche Untersuchungeii
anzuführen, unter denen ich nenne
G. Hertzberg, Die Entstehung der neugriechischen Nationalität.
Mitteil. d. Ver. f. Erdk, z. Halle 1877 S. 68-80.
Diese anscheinend für einen Vortrag ausgearbeitete Skizze fafst in
Bezug auf das in der Überschrift genannte Thema die Forschungen zu-
sammen, welche Karl Hopf und in Anlehnung an letzteren der Ver-
fasser selbst in seinem bekannten Werk über die mittel- und neugrie-
chische Geschichte, 2) wo auch die hier mangelnden Quellennachweise zu
suchen sind, darüber angestellt haben und welche in dem Ergebnis
gipfeln, dafs zwar eine starke Vermischung des griechischen Volkstums
mit fremden, besonders slavischen Elementen stattgefunden hat, der Zu-
sammenhang mit der althellenischen Nationalität aber keineswegs, wie
Fallmayer meinte, völlig unterbrochen wurde.
Ein besonderer Aufsatz von
Hertzberg, Die Ethnographie der Balkanhalbinscl im M. und
15. Jahrb. Petermanns Mitteil. 1878 S. 125- 36 T. VIII
schliefst sich an die Neubearbeitung der einschlägigen Blätter des grofsen
Sprunerschen Atlasses (No. 88-89) an und behandelt das eigentliche
Griechenland nur nebenbei.
Durch grofsen Reichtum an Literaturnachrichten und Sprachge-
lehrsamkeit ausgezeichnet ist das bedeutende Werk
Völkerkunde Osteuropas, insbesondere der Haemoshalbinsel und
der unteren Donaugebiete von Lorenz Diefenbach. Zwei Bände.
Darmstadt, L. Brill. 1880. XXH 318; XII 414 S. M. 6 und 9.3)
Den Griechen ist hier ein umfänglicher Abschnitt (I 129 -224) ge-
widmet, in welche)u von den Namen (Griechen, Jonier, Hellenen), der
Sprache und den Mundarten, Körperbeschaffenheit und Volkscharakter,
Volksglauben, Volkslied und Tanz, Tracht, Lebensweise u. s. w., sodann
den Eigentümlichkeiten des Griechentums in den einzelnen Landschaften
gehandelt wird. Für das Einzelne mufs der Leser auf das reichhaltige
1) Unberücksicbtigt lasse ich hier die mehr iu deu Bericht über grie-
chische Geschichte gehörige Literatur betr. die älteste Bevölkerung von Grie-
chenland (Pelasger u. s. W ). Ferner erinnere ich auch hier daran, dafs Spe-
zialarbeiten wie diejenige von Kiepert über Epirus erst im zweiten Bericht
unter den einzelnen Landschaften zur Sprache kommen.
2) Geschichti^ Griechenlands seit dem Absterben des antiken Lebens bis
zur Gegenwart. Vier Bände. Gotha 1876 — 79.
3) Früher erschien von demselben Verfasser: »Die Volksstämme der
europäischen Türkei«. Frankfurt, Winter. 1877. 120 S. (Griechen S. 37 -54),
394 Geographie von Griechenland.
Werk selbst verwiesen werden; eine bt-quemo Lektüre bibict dasselbe
allerdings nicht.
Aus jüiijj;ster Zeit haben wir folgenden bemerkenswerten Beitrag
zu verzeichnen:
Zur Ethnographie des Peloponnes. Von Alfred rhilii)pson.
Petermanns Mitteil 1890 S. 1 — 11, 33-41, T. III.
Die Abhandlung zerfällt in zwei Teile von ungleichem Werte. Der
erste: »Abrifs der Geschichte der Einwanderungen in den Peloponnes
seit dem Ende des Altertums« (S. 2 — 11) gründet sich auf die bekann-
ten Werke von Fallmerayer, Finlay, Hahn, Hopf und Hertzberg und er-
füllt hauptsnchlich den Zweck einer orientierenden Übersicht. Im zwei-
ten Abschnitt dagegen: »Die heutigen ethnographischen Verhältnisse
des Peloponnes« legt der Verfasser zunächst die ziffermäfsigen Ergeb-
nisse seiner Erhebungen über die albanesische Bevölkerung vor,
welche bekanntlich einen nicht unbeträchtlichen Bruchteil der Bewohner
Griechenlands ausmacht und in einzelnen Landstrichen, z. B. aufserhalb
des Peloponnes im gröfsten Teile von Attika sowie auf den Inseln Hy-
dra und Spezzia, fast ausschliefslich herrscht. Aber man war bisher
ziemlich allgemein der Ansicht, dafs dieses albanesische Element in
einem raschen Aufsaugungsprozefs begriffen sei und bald ganz von der
Bildfläche verschwinden werde; dieser Meinung tritt nun Philippson ent-
schieden entgegen, indem er nachweist, dafs die albanesischen Bewohner
Griechenlands mit Zähigkeit an ihrer Umgangsprache festhalten und dafs
gerade in der letzten Zeit keine nennenswerten Fortschritte der griechi-
schen Sprache gegenüber der albanesischen zu konstatieren sind. Noch
weniger als über diese Thatsache war man bisher über Zahl und Ver-
breitung der Albanesen in Griechenland unterrichtet, da es die griechi-
sche Regierung bisher geflissentlich vermieden hat, über die Umgangs-
sprache Erhebungen anzustellen, wie dies sonst in allen Kulturstaaten
mit gemischter Bevölkerung der Fall ist.^) Der Grund liegt auf der
Hand, man will eben in Griechenland das Vorhandensein eines fremden
Bevölkerungselementes nicht Wort haben und sucht, da man es doch
nicht vollständig ableugnen kann, die Bedeutung desselben möglichst ab-
zuschwächen. Daher der Mangel amtlicher Angaben hierüber, daher die
Unsicherheit in der Abgrenzung des von Albanesen bevölkerten Gebie-
tes. Hier hat nun Philippson einen Avesentlichen Schritt zu genauerer
Kenntnis gemacht, indem er durch persönliche Erkundigung in sämt-
lichen (?) Gemeinden des Peloponnes festzustellen suchte, in welchen
Dörfern noch albanesisch gesprochen wird. Durch Zusammenstellung
1) Ein nachahmenswertes Beispiel dieser Art bietet der englische Census
von Cyperu. wovon ich in meiner geographischen Skizze der Insel (Jahresber.
d. Geogr. Gas z. München f. 1888/89) S. 87f. einen Auszug gegeben habe.
Bevölkerung. 395
der Bevölkerungziffern dieser Dörfer nach dem amtlichen Census ergibt
sich dann die Gesamnitzahl von 90 000 Albanesen für den Peloponnes
bei einer Einwohnerzalil von im Ganzen 730 000, oder 1 2,3 Prozent der
Gesammtbevölkerung, ein Ergebnis, das mit früheren Schätzungen (Hahn
72 000) wenigstens aniicähernd übereinstimmt. Allerdings wird hierbei
vorausgesetzt. — abgesehen von der zweifelhaften Zuverlässigkeit der
Censuszahlen — , dafs die betreffenden Dörfer ausschlieFslich von Alba-
nesen, die übrigen ebenso ausschliefslich von Griechen bewohnt seien;
doch mögen sich die hierdurch etwa entstandenen Fehler gegenseitig auf-
heben. Als Hauptverbreitungsgebiet der Albanesen sind die Landschaft
Argolis, sowie Teile von Westachaia und Nordmessenien und das östliche
Lakonien zu bezeichnen, wie am deutlichsten aus der beigegebenen »Eth-
nographischen Karte des Peloponnes« (1: 1000000) zu ersehen ist.
Trotz etwaiger Irrtümer, die bei der angegebenen Art der Ermitt-
lung mit unterlaufen sein mögen, ist das hier gegebene Material doch
als erste annähernd sichere Aufstellung über die albanesische Bevölke-
rung des Peloponnes dankbar zu begrüfsen. Wenn sich hierbei das Ver-
hältnis für das Griechentum etwas ungünstiger darstellt, als man sonst
gewöhnlich annahm, so liegt darin dennoch kaum ein Grund zu natio-
naler Besorgnis und Gereiztheit; denn es ist eine längst beobachtete und
auch von Philippson wieder bestätigte Thatsache, dafs die Albanesen
Griechenlands sich politisch durchaus als Griechen fühlen, und trotz ihrer
Muttersprache, die sich wie ein Familienstück unter ihnen forterbt, wäh-
rend daneben wenigstens die Männer sänimtlich auch griechisch verste-
hen, von einer Rivalität beider Nationen, wie man sie anderwärts unter
ähnlichen Verhältnissen beobachtet, nicht gesprochen werden kann.^)
Aufser über die Albanesen gibt Philippson auch über die andern
Bevölkerungselemente des Peloponnes Mitteilungen und bespricht von
den griechischen Bewohnern speziell die Tzakonen, deren W^ohusitze
schärfer als bisher umgrenzt werden, und die Maniaten (Mainot en),^)
1) Dals es ülirigens finch nicht so ganz an Regungen nationalen Selbst-
bewufstseins bei d^n griechischon Albane,>~en fehlt, beweist folgendes Büchlein :
AXßavtxdv ^Ak^aßrjTdpi.uv xarä rö iv 'Ekkädi ößü.oüfievuv dAßai/txov IriUußa xrX.
und .1 7'. h'ouXoupiiijrT). 'Ev 'A^vaig. 1882. 12. tß' 164 S. Dr. 1. Eifrig,
wenn auch wahrscheinlich ohne Erfolg, tritt hierin der Verfasser für die För-
derung des ,■vlba^csi^chen ein, zu dessen schrittlicber Fixierung er sich des
griechischen Alphabets, mii Beifügung einiger Buchstaben in verkpfaiter Stellung
für die dem Albai esischen eigentümlichen Laute, bedient Über den sprach-
lichen Weit des Büchleins veimag ich nicht zu urteilen; jedenfalls ist der
Versuch der Originalität halber nicht ohne Interesse.
2; Die bei uns vielfach noch gebräuchliche Form Mainoten beruht
auf einer durch das Italienische vermittelten Entstellung des Namens, welcher
g riech. Mavtäxai (rj Mdi'Tj die Halbinsel Tainaron) lautet.
396 Geographie von Griechenland.
welche zwar keinen so eigenartigen Dialekte aufweisen können, wie die
erstcren, dafür aber in ihrem Charakter und ilirer Lebensweise alt-
lakonische Eigentümlichkeiten bewahrt haben. Die Zahl der Tzakonen
wird auf 8700, die der Maniaten auf 46000 angegeben. Vlachen (Zin-
zareni, die in Nordgriechenland so zahlreich sind, linden sich im Pelo-
ponnes gar nicht; doch weisen manche Spuren auf eine frühere Anwe-
senheit derselben hin.
Zwei von Miliarakis N. 51/52 genannte Aufs.ätze über die Zinza-
ren von A. K. EmmanueP) und Th. G. Kolokotronis^) sind mir nicht
zugänglich, ebenso (ib. 54) eine Reihe von Artikeln über die fremden
Einwanderungen nach Griechenland im Mittelalter von S. G. Panagio-
topulos.*) Die a. a. 0. u. N. 56—58 angeführten Aufsätze sind einer
Polemik über eine die Mani betreffende Artikelserie entsprungen, welche
bei den einzelnen Landschaften unter Lakonien zu behandeln ist.
Ein wichtiges Hilfsmittel zum Studium der Bevölkerungsverhält-
nisse ist die Statistik, deren Pflege in Griechenland bis in das erste
Jahrzehnt des Königreiches zurückreicht, aber es erst in den letzten
Jahrzehnten zu regelmäfsigeren und umfassenderen Veröffentlichungen
gebracht hat. Wenn ihre Leistungen gleichwohl nicht mit den bände-
reichen Publikationen anderer Kulturstaaten in Vergleich gestellt wer-
den können, so ist dies hinläuglich mit den Schwierigkeiten statistischer
Erhebungen in einem ganz neugeschaffenen Staatswesen und mit den
beschränkten Mitteln desselben zu entschuldigen. Der Wert der ver-
öffentlichten Berichte ist vielmehr um so höher anzuschlagen, als es in
den benachbarten türkischen Gebieten fast ganz an amtlichem statisti-
schem Material gebricht. Eine Übersicht der bisherigen Original-Publi-
kationen, welche man freilich aufserhalb Griechenlands nicht häufig vor-
finden wird, gibt Miliarakis S. 6 — 9. Mir sind von denselben, soweit
sie in den hier zu berücksichtigenden Zeitraum fallen, nur zwei zugäng-
lich, welche ich nicht blos aus diesem zufälligen Grunde, sondern des-
halb besonders anführe, weil sie eine der wesentlichsteu Grundlagen der
neueren Bevölkerungs- und Ortskunde von Griechenland bilden. Es sind
die von dem verdienten Statistiker A. Mansolas im Auftrage des Mi-
nisteriums des Innern herausgegebene
1) S. 38 b wird erwähnt, dafs in der Mundart der Maniaten k vor e und
i wie tsch gesprochen wird; es ist vielleicht nicht ohne Interesse, dafs dieselbe
Eigentümlichkeit sich im Cyprischen findet, worüber meine Bemerkung in
Ztschr. d. Ges f. Erdk. 1890 S. 194 und 240 zu vgl.
2) Karaywyrj, yXwaaa xoi n-^ofia tÜ)v HXd)(wi'. Earia 1878 N. 114.
3) "Hi^r/ xal Uifxa 'ApßaviToßUyw\^. Ebd. 1881 N. 279/88.
4) Tivtc, rjh'^ov xard röv ßiaov alüva iv 'EkXddi. 'Eßdoßdg I (1884)
S. 97 u. AeAr. N. 13 S lOß, 11.3, 121, 130, 139, 146, 155, 164. 170, 186, 204,
210, J21, 228, 235, 243
1
Statistik. 397
Izaziarixrj r^? 'EXXddog. hYvr^crcg zoa nXr^l^oaixoo xara ra errj
1874-77.1) 'Ev 'ASr)vaci. 1879. 4. ;ö", 64, 64, 64, 64 S. (vgl. unten
S. 398 A. 1) und
Zrazia-cxr] zrjg 'EkXdöoi. llXrj^oaixu^ 1879. Ev 'A^ijvatg. 188 1_
4. 64, 200, 184 S.
Während die erstere Publikation, welche eine Zusammenstellung
der Geburten, Todesfälle und Eheschliefsungen in den bezeichneten vier
Jahrgängen nach Nomen, Eparchien und Demen gibt, rein statistischer
Natur ist, teilt die letztere die Ergebnisse der Volkszählung vom Jahre
1879 zunächst nach allgemeinen statistischen Gesichtspunkten sowie nach
Verwaltungseiuheiten mit. Am wertvollsten für den Geographen ist je-
doch der dritte Teil derselben, welcher ein vollständiges, nach Eparchien
und Demen geordnetes Verzeichnis aller bewohnten Ortschaften mit An-
gabe ihrer männlichen und weiblichen Bevölkerung enthält und in dieser
Hinsicht die Zähhingsergebnisse anderer Staaten, die häufig bei der Ge-
meinde als unterster Einheit stehen bleiben, übertrifft. So erhalten wir
in Verbindung mit dem beigegebenen Register ein förmliches Ortslexi-
kon, das als Kontrole der Karten und Reisewerke vorzügliche Dienste
leistet. Zugleich erhellt aber auch, wie sehr eine neue topographische
Aufnahme Bedürfnis ist, da zahlreiche in diesem Verzeichnis enthaltene
Ortschaften weder auf der Carte de la Grece (s. u.), 2) noch auf irgend
einer andern Karte nachweisbar sind.
In vorstehenden Publikationen sind natürlich die in Folge der Ber-
liner Konferenz an Griechenland ausgelieferten Gebietsteile von Thessa-
lien und Epirus noch nicht berücksichtigt. Es war daher, schon wegen
der Wahlen zur Kammer, eine der ersten Aufgaben der neuen Verwal-
tung, in diesen Provinzen eine Volkszählung vorzunehmen, deren Ergeb-
nisse u- d. T.
llcvay.s^ Tüjv inafj'^twv Ilnscpou xal HeacraXcag xaza rrjv dnoypatfijV
Tou 1881. Athen. 1884. 74 S.
erschien, mir aber im Original nicht zu Gesicht gekommen sind. Doch
sind dieselben der Hauptsache nach allgemein zugänglich gemacht in dem
Aufsatz von
1) Auch u. d. T. Statistique de la Grece. Mouvement de la popidation
pendant les ann4es 1874—1877. Im Text sind ebenfalls die Überschriften und
die Namen der Verwaltungsbezirke in französischer Sprach«^ beigoscbrioben.
2) Nach Kiepert (Ztschr. d. Ges. f. Erd. 1884 S. ö6 A.) beträgt die Zahl
der in dieser Karte fehlenden Ortschatten allein über 200, darunter solche von
über 1000 Einwohnern!
308^ Geographie von Griechenland.
11 Kiepert, Adiniiiistrativ-Einteilung imd nevölkerungsstand der
neuen nördliclien Provinzen des gricchisclicn Königreiches. Ztschr. d.
Ges. f. Erdk. 1884 S. 55—64.
Kiepert gibt hier neben verschiedenen belehrenden Bemerkungen
auch eine Kritik der für die neuen Verwaltungsbezirke beliebten amt-
lichen Benennungen, welche von der in Griechenland von jeher herr-
schenden Sucht beeinfluCst sind, antike Ortsnamen aus der Vergessen-
heit liervorzuziehen und durch dieselben die im Volksmund eingebür-
gerten mittelalterlichen Bezeichnungen zu verdrängen, ein Bestreben, das
bekanntlich bei der Kritiklosigkeit und ünwissenschaftlichkeit des Ver-
fahrens häufig zu ganz falschen Indentifizierungen geführt hat. Dieses
Vorgehen ist nicht nur gleich den archaistischen Bestrebungen in der
Sprache eine Versündigung am Volksgeist und der Ehrwürdigkeit ge-
schichtlicher Überlieferung, sondern in vielen Fällen eine direkte Irre-
leitung des Publikums, das natürlich mit der Zeit die amtlich eingeführte
Bezeichnung für die wirklich überlieferte hält und über die wahre Lage
vieler antiker Örtlichkeiten getäuscht wird. Das Verfahren wird kaum
entschuldbarer, wenn, wie dies besonders in den neuen Provinzen ge-
schehen ist, antike Namen, die sich einer genauen Lokalisierung über-
haupt entziehen, auf moderne Demen übertragen werden, nur um sie zu
verwenden, und weil es an passenden neueren fehlt. — Zur Erläute-
rung von Kieperts Aufsatz dient eine Karte (T. 11) in l:400 0uO (ohne
Terrain), welche die Einteilung des neuerworbenen Gebietes nach dem Ge-
setz von 1883 in Nomen (Larissa, Trikka, Arta), Eparchien und Demen ver-
anschaulicht, während den einzelnen Ortschaften die Bevölkerungsziffern
beigeschrieben sind. Übrigens mufs noch darauf aufmerksam gemacht wer-
den, dafs diese erste Zählung in den neuen Provinzen wegen der Eil-
fertigkeit, mit der sie vorgenommen wurde und des Mifstrauens der an
solche Kulturarbeit noch nicht gewöhnten Bevölkerung, zumal der mo-
hammedanischen, noch keinen Anspruch auf grofse Zuverlässigkeit hat.
Eine Skizze der Bevölkerungsbew^egung in Griechenland auf Grund
des von Mansolas veröffentlichten und durch direkte Mitteilungen aus
dem statistischen Amt bis 1883 erweiterten Materiales') sowie statisti-
sche Nachrichten über die neuerworbenen Gebietsteile, wobei Verf. aber-
mals auf die aufsergewöhnlich lange Lebensdauer der griechischen Be-
völkerung (vgl. 0. S. 390) zurückkommt, gibt
Bernhard Ornstein, Zur Statistik Griechenlands. Petermanns
Mitteil. 1887 S. 247—49, 1888 S. 312 14.
Inzwischen hat in Griechenland (Mai 1889) neuerdings eine Volks-
zählung stattgefunden, deren vorläufige Ergebnisse (nach Nomen) Supan
1) Dasselbe erschien auch iu amtlicher Form u. d. T. iTazta-rixij r^e
'Ekkadoi. KivTjaiq to'j nkrjHuaiJ.oü xard tu sty) 1878 83. Athen. 1886. 4. 96,
6 S. (Miiiarakis N. SU). Das Original ist mir nicht zugänglich geworden.
Statistik. 399
in Petermanns Mittcil. 1889 S. 291 bekannt gemacht hat, wozu jedoch
die Berichtigung von Philippson ebd. 1890 S. 56 zu vergleichen ist.^)
Die Gesammtzahl der Bevölkerung beträgt hiernach innerhalb der alten
Grenzen 1843 141 (gegen 1679 884 im Jahre 1879) und 344 067 in den
neuen Gebietsteilen (gegen 293 028 im Jahre 1881), zusammen 2187 208.
Eine periodische Veröffentlichung von amtlicher Seite begann zu
erscheinen u. d. T.
^zazcarcxrj 'Em&eujpr^ffig roo BaaiXztoo rr^c E^Moog ixdcoo/isvrj
hno HXta A taxoTTOi'j Xou. Reime stntlstique du Royanme de In Grhce.
(Text nur griechisch!).
Hiervon sind mir zwei Hefte (Athen 1888) zugegangen, von denen
das erste (48 S.) eine 'laroryta rr^g axa-taxiy.rjg zo~) TcXrjf^oaiioü zrjg ' EXKd-
8og (1821 — 83) enthält, das zweite (S. 49 — 96) eine Statistik der Univer-
sität Athen seit ihrer Gründung, eine Schulstatistik für die Jahre 1884
— 87 und eine Statistik des Weinbaues gibt. Ob mehr erschienen ist,
weifs ich nicht.
Ausführliche Berichte sind in den letzten Jahren vom Finanzmini-
sterium über den Handel Griechenlands veröffentlicht worden, welche
nunmehr die Hauptquelle für die Kenntnis der wirtschaftlichen Verhält-
nisse des Königreiches bilden. Von diesen Berichten sind mir durch Re-
ferate bekannt
'KfiTTopcov r^g EXXddog jizTa rcvv ^ivo)\> iruxparscujv dm) 1. I'sttt.
fis/pi 31. Jex. 1886. Athen. 1887.
Commerce de la Grece avec les pays 6trangers pendant l'annee
1887 Athen. 1888. 4. 395 S.^) - Desgl. für 1888. Athen. 1889.
Über die erste Veröffentlichung hat Partsch im Litteraturbericht
zu Petermanns Mitteil. 1889 N. 560, über die beiden letzteren Philippson
ebd. N. 561 und N. 2618 eingehend berichtet und die wichtigsten Daten
mitgeteilt.
Auf Grund des hier gebotenen amtlichen Materials beruht auch
hauptsächlich ein Aufsatz von
Philippson, Zur Wirtschaftsgeographie Griechenlands. Globus.
1890 S. 81—83, 106—109,
in welchem der Verf. die Bedeutung Griechenlands für den Weltmarkt,
1) Man findet diese Ziffern, sowie auch die Bevölkerung der grofseren
Städte (Athen 107 251 gegen 63374 im Jahre 1879, Firäus 34 327, Patras
33529 u. s. VI.) jetzt am besten im Gothaer Hofkalender 1891 S. 720.
2) Von Miliarakis (N. 87) u. d. T. angeführt: "EßTznpiov r^g ' EkXddoq
fierd z<üv ^ivwv inixpazstütv xazd zb izoq 1887. 397 S. Hiernach scheinen
also diese Berichte sowohl in französischer als in griechischer Sprache ver-
öffentlicht zu werden.
400 Geographie von Griechenland.
sowie die laudwirtschaftliche und gewerbliche Leistungsfähigkeit des Kö-
reicbs, in letzterer Hinsicht sehr pessimistisch, charakterisiert.
Ich schliefse hieran einen andern Aufsatz desselben Verfassers
Über Besiedelung und Verkelir in Moroa. Verhandl. d. Ges. f.
Erdk. 1888 S. 442—55.
Pbilippson erörtert hier nach einer Skizzicrung der ethnographi-
schen Verhältnisse, über die er sich inzwischen an anderer Stelle ein-
gehender ausgesprochen hat (s. o. S. 394 f.), hauptsächlich die materiellen
Lebensbedingungen der Bevölkerung (Korinthenbau, Ölbaumzucht, Ge-
treidebau, Viehzucht) und schildert den Charakter der menschlichen
Wohnplätze, bei denen der Dorftypus, mit Ausschlufs der Einzelgehöfte
und Vermeidung städtischer Anlagen in unserem Sinne (nur Patras ver-
dient diesen Namen) vorherrscht. »Die höchsten dauernd bewohnten, d. h.
ackerbauenden Ortschaften liegen in 1250 m. Darüber hinaus liegt dann
das Gebiet der ausschliefslichen , und zwar nomadisierenden Viehzucht
bis zu den höchsten Gipfeln« (S. 449). Der Binnenverkehr ist trotz
einiger neugebauter Strafsen noch wenig entwickelt und wird sich erst
mit der weiteren Ausdehnung des Eisenbahnnetzes wesentlich heben.
Zur statistischen Literatur im weiteren Sinne gehört
A. Mansolas, La Grece ä l'exposition universelle de Paris en 1878.
(2. ed.) Paris. 1878. 12. X 186 S.
Der Inhalt des Büchleins entspricht nicht dem Titel ; dasselbe gibt
nämlich, nach einer kurzen geographischen Einleitung (;i9 S.), in welcher
auch der Geologie (von Kordellas) und der Klimatologie (von Dragumis)
besondere Abschnitte gewidmet sind, eine übersichtliche statistische Be-
schreibung des Königreichs (Bevölkerung, Unterrichtswesen, gemeinnützige
Gesellschaften, Bibliotheken, Museen, Zeitungen, Wohlthätigkeitsanstalten,
Landwirtschaft, Gewerbthätigkeit, Handel und Finanzen). Ähnlichen Cha-
rakters scheint zu sein die mir nicht näher bekannte Schrift von
Basile Digenis, Quelques notes statistiques sur la Grece. Mar-
seille. 1877. 62 S. (Miliarakis N. 70).
Ebenfalls unzugänglich ist mir
T. K. Nou^dxrjg, Ndoc: ^(u/joypd^exog 7Tcva$ nspcd^ojv ruuc vofioüg,
rag irMpyJag^ roug 8rj/JiOug, rag Tio^etg, xajij.on('j?iecg. ^lufjcu^ rag utio-
(TTd(Te:g, tov -nXrjHuajxuv xrX. {-7jg 'EXkddug). Athen. 1885. 205 S. Mit
einer Distanzkarte der Kreishauptstädte und Seehäfen. (Miliarakis
N. 83).
Das gleiche gilt von folgenden, eine mehr oder minder vollstän-
dige Übersicht der historisch -politischen Geographie von Griechenland
enthaltenden Schriften :
Allgemeines. 401
M. S. FpfiyopoTZoöloD^ Ihpiriyrjaiq iv 'EXXddt rjroc yecDypa^txr],
ccrropcxrj, äpy^aioXoytxrj, ifxnopcxrj xac (TTarca-rcxr/ 7T£pcypa(fi^ tüjv inicfitj-
po-ipwv TtöXziov ZOO 'EXXrjVixoh ßaaiXeio'j. Athen. 1883. Zweite Aus-
gabe 1886. (Miliarakis N. 80).
MtXz. Mnouxag ^ 'Oor^yög iptnopcxctg, ysüjypaipixhg xac icrzopixug
rujv Tikziazuiv x'jpiujzipcov ttuXsiuv zr^g 'Ekkddug zod ezoug 1875. Athen.
1875. 376 S. (Miliarakis N. 150).
fkiupy. II. Kpijiog, 'lazoptxtj yeuiypa<pia zr^g dp^atag^ ixeaatcovtxYJg
xa\ viag'Ekkdoug. Athen. 1878. 216 S. (Miliarakis N. 10).
Pierre A Moraitinis, La Grece teile qu'elle est. Paris, Didot,
1877. XU 589 S. Fr. 10.
Wenn man nach dem Titel urteilen darf, so ist die letztgenannte
Schrift vielleicht ein Gegenstück zu dem bekannten, auch in Griechen-
land vielgelesenen, aber mit begreiflichem Ärger aufgenommenen Buche
von Edmond About,^), welches noch immer so abgedruckt wird, als ob
sich in Griechenland seit 1853 gar nichts verändert hätte und König
Otto mit Königin Amalie noch auf dem Thron säfse.
Derselben Literaturgattung ist anzureihen
J. Pervanoglu, Kulturbilder aus Griechenland. Mit einem Vor-
wort von A. R. V. Rangabe. Leipzig 1880. Wilhelm Friedrich. VIII
150 S. M. 4.
Eine patriotisch-panegyrische, dabei trivale Schilderung von Land
und Leuten, Sitten und Gebräuchen, Volksbelustigungen u. s. w., nebst
einigen allgemeinen Kapiteln über Athen als Hauptstadt Griechenlands,
Literatur und Sprache, Handel, Industrie und Politik ; ohne wissenschaft-
lichen Wert. 2)
In eine fast wie ein Traum hinter uns liegende Zeit werden wir
versetzt durch die
Bilder aus dem Leben der Neugriechen. Vor der Befreiung Grie-
chenlands vom türkischen Joche. Nach der Natur gezeichnet von Otto
Magnus Frhrn. von Stackeiberg. Dresden, G. Gilbers, 1877. Quer 4.
10 Taf. in Lichtdruck u. 10 Bl. Text. M. 20.
Diese erst nach so langer Zeit aus dem Nachlafs des bekannten
Alterturasforschers durch dessen Tochter 3) herausgegebenen Skizzen bil-
den eine Ergänzung zu des Verfassers unvollendet gebliebenen »Trach-
1) La Grece contemporaine. Paris 1853 9 Aufl. 1886. 408 S.
2) Vgl. die Besprechung von Krumbacher in den Blättern f. d. bayer.
Gymnasialwes. XVII 121—23.
3) Das Vorwort ist unterzeichnet »N. v. St.« (2^atalie von Stackeiberg).
Jahresbericht für AUerthumswissenschaft. LXIV. Bd. (1890. HI.) 2G
402 Geographie von Griechenland.
teil und Gebräuchen der Neugriechena (zwei Hefte, Berlin 1835/36), und
sind für den, der Griechenland selbst besucht hat, nicht ohne Interesse,
weil sie uns Städte- und Kulturbilder aus der Zeit der türkischen Herr-
schaft vorführen und so den enormen Unterschied von damals und heute
veranschaulichen.
Unzugänglich ist mir
Bent, On Insular Greek Customs. Journ. Anthr. Inst. 1886 S. 391.
Vgl. die kurze Besprechung von Langkavel im Literaturber. zu Peter-
manns Mitteil. 1887 N. 220. i)
Das Buch von
Lewis Sergeant, New Greece. With maps specially prepared
for this work. London, Paris und New- York, Cassell Petter & Galpin.
S.a. (Erschienen 1878). XVI 413 S. M. 25(!)
enthält eine Reihe volkswirtschaftlicher und historisch-politischer Betrach-
tungen eines Philhellenen über das Königreich Griechenland und den
modernen Hellenismus, ohne geographisches Interesse.
Ein kleineres Buch desselben Verfassers
Greece, With Illustrations a. Maps. London, S. Low & Co. 1880.
12. 190 S. M. 4,20
ist mir nicht näher bekannt geworden.
Ebenso kenne ich nur dem Titel nach
C. H. Hanson, The Land of Greece, described and illustrated
with 44 Illustrations and 3 Maps. New- York, Nelson & Sons. 1887.
VI 400 S. M. 20.
Auch die neue Ausgabe des hübschen Werkes von
Christ. Wordsworth, Greece, pictorial, descriptive and histo-
rical. New Ed. rev. by H. F. Tozer. London, Murray 1882.2) 480 S.
Sh. 31 d. 6. (Vgl. Biblioth. philol. class. 1882 S. 323).
ist mir leider nicht zu Gesicht gekommen, ebensowenig ein neues Buch von
J. P. Mahaffy, Greek Pictures drawn with pen and pencil. Lon-
don, The Religions Trait Society. 1890. 4. 223 S.,
über welches Chr. B(elger) in der Berl. Philol. Wochenschr. 1890 S. 1606 f.
kein sehr günstiges Urteil fällt.
Ganz dilettantisch ist auch
1) Inhaltlich scheint sich mit dieser Abhandlung zum Teil desselben
Verfassers Buch »The Cyclades, er Life among the Insular Greeksoi (London
IbSä), (las mir ebenfalls nicht zugänglich ist, zu decken
') Die 1. Ausg. erschien 1850 mit 28 Stahlstichen u. 350 Holzschnitten).
Allgemeines. 403
Griechenland in Wort und Bild. Eine Schilderung des helleni-
schen Königreiches von Amand Frhrn. von Schweiger- Lerchen-
feld. Mit 200 Illustrationen. Leipzig, Heinrich Schmidt und Karl
Günther. 1882. XIV 224 S. M. 30.
Die beigegebeuen Illustrationen, unter denen man manche wohlbe-
kannte photographische Aufnahme wiederfindet, sind durchschnittlich
etwas besser als man sie in der Mehrzahl ähnlicher »Prachtwerkec in
»Wort und Bild« zu finden gewohnt ist, erheben sich aber nicht auf das
Niveau der Bilder in den vornehm ausgestatteten Werken von G. Ebers
und H. Guthe über Aegypten und Palästina.
Wir haben im Vorhergehenden eine Reihe von Publikationen genannt,
welche sich mit dem modernen Griechenland im Allgemeinen be-
schäftigen, in denen jedoch der geographische Gesichtspunkt meist nur
nebenbei zur Geltung kommt. Ein rein topographisches Spezialwerk über
das heutige Griechenland gibt es, wenn wir von Neumann-Partsch (s. o.
S. 360 ff.) und den doch zunächst praktischen Bedürfnissen dienenden
Reisehandbüchern (s. u.) absehen, zur Zeit nicht. Man ist in dieser Hin-
sicht immer noch auf die Litteratur der geographischen Handbücher
angewiesen, deren wissenschaftlicher Wert bekanntlich meist ein sehr ge-
ringer ist. In entschiedenem Gegensatz zu der traditionellen Manier
dieser Handbücher trat jedoch das berühmte Werk des französischen
Geographen (,und Kommunisten) £lisee Redus,') in welchem uns zu-
erst eine Länderkunde grofsen Stiles im moderneu Sinne geboten wurde.
Der erste, die drei südeuropäischen Halbinseln behandelnde Band dieses
Riesenwerkes widmet auch Griechenland einen ausführlichen Abschnitt, 2)
welcher, wie das ganze Werk, durch saubere Spezialkärtchen und Ab-
bildungen erläutert ist, und jedermann als Muster einer ebenso klaren
und lesbaren wie den Geist moderner geographischer Wissenschaft ath-
menden Darstellung empfohlen werden kann.
Die Werke über die Balkanhalbinseln von fimile de Lavele} e^)
und A. E. Lux*) brauchen hier nicht näher besprochen zu werden, da
sie beide Griechenland ausschliefsen. Dagegen liegt eine beachtenswerte
Leistung vor in dem Buche
1) Mouvelle Geographie Universelle. Vol. I. L'Europe Meridionale.
Paris, Hachotte 1876. Die im Jahre 1887 erschienene zweite Ausgabe dieses
Bandes habe ich nicht gesehen.
2) Chap IV. La Grece S. 53-127. Auch Ch. V. La Turquie d'Eu-
rope kommt, da es auch Epirus, Thessalien und die Inseln dos Archipels um-
fafst, für öriechcLland noch in Betracht.
3) La Peninsiile des Balkans. 2 vol. ßrux. 1886. — Die Balkanländer.
Übers, v. E. Jacobi. Zwei Bände. Leipzig 1888. Vgl. Supan im Literatur-
ber. zu Pelermanns Mitteil. 1887 N. 214.
•») Die Balkanhalbinsel (mit Ausschlufs von Griechenland). Freibuig
i. B. 1887. Vgl. Supan a. a. 0. 1888 JS. 266.
26*
404 Geographie von Griechenland.
Griechenland, Makedonien und Südalbanien, oder: Die südliche
Balkanhalbinsel. Militärgeograi)hiscli , statistiscli und kriegshistorisch
dargestellt von Anton Tuma. Hannover, Helwing. 1888. VIII
330 S. M. 7.
Der Schwerpunkt des Buches, welches ein Gegenstück zu des Ver-
fassers früher erschienenem Werke »Die östliche Balkanhalbinsel« (Wien
1886)') bildet, liegt, wie schon der Titel andeutet, auf der militärischen
Seite. In rein geographischer Hinsicht bietet dasselbe kaum Neues. Der
Verf. stützt sich lediglich auf die Literatur, die ihm noch dazu sehr
lückenhaft bekannt ist; so fehlen in dem Verzeichnis derselben (S 2 f.)
die Werke von Bursian und Neumann-Partsch! Hauptquelle für die
Einzelschilderung ist die Wiener Karte (s. u.), neben welcher doch auch
die derselben zu Grund liegende Carte de la Grhce hätte benutzt werden
sollen; die orographische Beschreibung wäre dann wohl etwas schärfer
ausgefallen ! 2) Sehr ausführlich wird die Hydrographie behandelt; doch
würde der hier angehäufte Stoff sich erst dann brauchbar erweisen, wenn
dem Buche ein Register oder wenigstens ein ausführliches Inhaltsver-
zeichnis beigegeben wäre. Dafs indessen auch hier die geographische
Literatur nicht genügend verarbeitet ist, zeigt die sachlich wie stilistisch
gleich mifslungene Beschreibung des Thermopylenpasses (S. 69). Der
beste Teil des Buches ist der Abschnitt über die Verkehrswege der
südlichen Balkanhalbiusel, ein Moment, das bis jetzt in geographischen
Werken im Allgemeinen noch immer zu wenig berücksichtigt wird. Hier
kommt auch das fachmännische Urteil des Militärs in vollem Mafse zur
Geltung und diefs ist um so höher anzuschlagen, als bei der Stetigkeit
der von der Natur vorgezeichneten Verkehrslinien auch die Darstellung
historischer Vorgänge aus dem Buche Nutzen ziehen kann. Um so wert-
loser ist dafür wieder das Kapitel über die klimatischen und meteorolo-
gischen Verhältnisse, in welchem der Verfasser — man lese und staune !
— sich vorwiegend auf Pouqueville stützt, »welcher als Kenner des
modernen Griechenlands eine anerkannte Autorität ist« (so wörtlich S. 169);
dafs nach der mustergiltigen Darstellung des griechischen Klimas durch
Partsch noch derartige Worte geschrieben werden konnten, sollte man
allerdings nicht für möglich halten. Nicht viel mehr als der klimatolo-
gische Abschnitt taugt die ethnographische Schilderung, bei welcher
wieder der unvermeidliche Pouqueville eine grofse Rolle spielt, während
das Schlufskapitel über die befestigten und sonstigen militärisch wichti-
gen Punkte, über die Wehrmacht Griechenlands und die neue türkisch-
1) Vgl. Supan a. a. 0. 1887 N. 215 und 1888 N. 267.
2) Auf die ausschliefslicbe Benutzung der stellenweise etwas unklaren
Wiener Karte ist auch der konsequent wiederkehrende Irrtum in der Schrei-
bung ['eiuchi Statt Vdnc.hi (Tymphrestn« der Alten) zurückzuführen.
Militärgeographie. 405
griechische Grenze die eigentlichen Fachkenntnisse des Verfassers wieder
in erfreulicher Weise in den Vordergrund treten läfst.
Fast ganz unbekannt scheint aufserhalb Griechenlands folgendes
ebenfalls aus militärischem Interesse entstandenes Werk zu sein, welches
deshalb auch etwas ausführlicher besprochen sein mag:
'Odo'.nopcxo.l ariiietwascg Maxedovt'ag, 'Hrisipoo, veag opoi^srix^g Tpo^ß-
firjg xa\ SsaaaXtag auvra'/^Hslaai r^ evzoXrj zou im riuv orpartüjrixüJv
unoüpyou um NcxoXdou 0. Zy^tvä^ Tayixo.Tdp)^o<j roo pr^-)[avixoö (Ma-
jor im Geniekorps). ^Ev 'A9rjva:g, rünotg Messager d'Athenes.
Der Schwerpunkt dieser im Auftrag des Kriegsministeriums ver-
fafsten Arbeit liegt in der Beschreibung (des südlichen) Makedoniens und
der griechisch-türkischen Grenze. Epirus und Thessalien kommen nur
so weit in Betracht, als sie von der jetzigen Landesgrenze durchzogen
werden. Das Ganze umfafst vier Bändchen in bequemem Taschenformat
(Duodez), was ebenso wie der Inhalt darauf hindeutet, dafs dieselben
in erster Linie zum Felddienstgebrauch bei einem etwaigen Vormarsch
griechischer Truppen nach Makedonien bestimmt sind. Ein Teil,
'Opoßö-ixij ypapiiYj. 1886. 274 S Dr. 2,50,
ist ausschliefslich der Landesgrenze gewidmet, welche sammt den an
derselben gelegenen Ortschaften vom Golf von Saloniki angefangen bis
zum Golf von Arta sehr ausführlich beschrieben wird (S. 1 — 177); hieran
schliefsen sich noch Mitteilungen über die von Larissa und den wichti-
geren Orten am linken Peneiosufer nach den Stationen der Grenze füh-
renden Wege. Die drei übrigen Teile enthalten die ' OBomopixä Maxe-
8oviag und zwar gibt das erste {0uUdd. A'. 1886. ve' 200 S. Dr. 2,50)
zunächst eine Einleitung über die allgemeine (besonders physische) Geo-
graphie Makedoniens, welche jedoch nach einem ganz äufserlichen
und unwissenschaftlichen Schema abgehandelt wird (Berge, Ebenen, Seen,
Flüsse u. s. w.), sodann eine sehr spezielle Beschreibung aller von grie-
chischen Orten an der Nordgrenze nach jenseits derselben gelegenen tür-
kisclien Orten führenden Wege, von Metsovo im W beginnend bis zur
Meeresküste im 0; der Hauptanteil an dieser Beschreibung entfällt, im
Gegensatz zum vorgenannten Bäudchen, auf die türkische Seite. Hier-
bei werden aufser über die Beschaffenheit der Wege auch über alle be-
rührten Ortschaften bis zu den kleinsten Dörfern, Einzelgehöften und
Hans herab topographisch-statistische Mitteilungen gegeben, deren Um-
fang natürlich nach der Bedeutung der einzelnen Objekte schwankt. Für
den Inhalt dieser Mitteilungen ist wiederum in erster Linie das militä-
rische Interesse mafsgebend, so finden sich z. B. Angaben über die Zahl
der Hans in den gröfseren Orten und ihre Kaumverhältnisse, über die
Möglichkeit der Verproviantierung u. s. f. ; doch enthalten dieselben auch
sonst eine Fülle von topographischem und statistischem Material, wie wir
i
406 Geographie von Griechenland.
es in dieser Detailausführiing sonst nirgends finden. Freilich wird man
die Zuverlässigkeit desselben nicht allzu hoch veranschlagen dürfen, da
z. B. die Zahlenangaben über die christliche und mohammedanische Be-
völkerung in türkischen Ortschaften naturgemäfs sehr unsicher sein
müssen. Dagegen macht die topographische Beschreibung so weit man
ohne eigene genaue Kenntnis des Terrains urteilen kann, den Eindruck
grofser Sorgfalt und Genauigkeit, so dafs die Kartographie des türki-
schen Gebietes daraus wohl manchen Nutzen wird ziehen können Zu-
nächst kommen die oberen Thallandschnften des Haliakmon und der
türkische Anteil des Olympos in Betracht, weiterhin erstreckt sich die
Beschreibung in diesem Bande etwa bis zu der Linie Korytsa, Ka-
storia, Kailar, Vodena (das alte Aigai-Edessa), Janitza, Salo-
niki. Die Mitteilungen über die letztere Stadt (auch über Vodena) sind
besonders ausführlich. Am Schlufs ist ein Kärtchen des Golfs von Sa-
loniki mit der nächsten Umgebung dieser Stadt beigefügt.
Das zweite Bändcheu {Teu^ug B' . 1886. S. 281—482. Dr. 2,50)
setzt das Routennetz mit mehr und mehr sich erweiternden Maschen
über den gröfsten Teil von Makedonien fort, und zwar im W bis zu den
albanesischen Seen und darüber hinaus bis Elbassan, im N bis Üsch-
küb und zur bulgarischen Grenze, im 0 bis zum Mestaflusse.
Der dritte, und wie es scheint, letzte Teil (TeiJ^og /". 1887.
S. 489—872. Dr. 4) enthält zunächst die Widmung des Werkes an den
Kronprinzen von Griechenland, sodann eine umständliche Beschreibung
der Halbinsel Chalkidike, von welcher wiederum die Landzunge des
Athos ('Aytoi' "Opog) am ausführlichsten behandelt ist (S 533 711).
Dieser Abschnitt, welcher durch zahlreiche schlechte Holzschnitte, ein-
zelne Klöster darstellend, erläutert wird, ist auch in einer Sonderaus-
gabe erschienen, und zwar auf etwas besserem Papier, das die Holz-
schnitte etwas erträglicher erscheinen läfst. M Auf die Beschreibung der
Chalkidike folgt eine Inhaltsübersicht ülier die drei Teile, sowie ein al-
phabetisches Register aller in denselben enthalteneu Ortsnamen mit Her-
vorhebung der Hauptstellen. Durch dieses Register erhält der an sich
ungeniefsbare Inhalt der drei Bände die Bedeutung eines Nachschlage-
werkes und wird so auch für ein weiteres Publikum nutzbar. An das-
selbe schliefsen sich dann noch zahlreiche Berichtigungen und Ergän-
zungen, eine statistische Übersicht der Ortschaften Makedoniens nach
politischen Bezirken mit Rückweisen auf den Text, ein Verzeichuis der
türkischen Post- und Telegraphenämter sowie der fremden Konsulate,
endlich eine Beschreibung der Insel Thasos (S. 843 68). Am Schlufs
sind noch mehrere Kärtchen von einzelnen Teilen der makedonisch-chal-
kidischen Küste beigegeben, welche lediglich auf den englischen Seekar-
ten beruhen und wissenschaftlich wertlos sind. Vgl. Nachtrag.
1) 'OSot-nopixuv TOM 'Afiov^Opoui. tj' lr.4 8. Dr. 2,50.
Reiseführer 407
Ähnlichen Charakters wie die Routenaufnahmen von Schinas scheint
folgende von Miliarakis N. 155 angeführte Schrift zu sein:
'ühomopLxa 'Iheipuu xai Bs.aaa}Iaq urJj roo Tiapä zw unoopyeiu) -cuiv
arpaztujTixwv imrBXtxoTj jpafztuo. Athen 1880. 247 S.
Die zuletztgenannten militärgeographischen Werke, deren Schwer-
punkt in umständlichen Routenbeschreibungeu liegt, leiten uns bereits hin-
über zu einem anderen Zweige der geographischen Literatur, welcher in
unserer Zeit fortwährend an praktischer Wichtigkeit, zum Teil aber auch
an wissenschaftlicher Vertiefung zunimmt, nämlich den Reisehand-
büchern. In Deutschland mufste man ziemlich lange warten, ehe man
für Griechenland mit einem den Bedürfnissen wissenschaftlich gebildeter
Reisenden entsprechender Reiseführer versehen wurde. Denn ein von
dem bekannten Publizisten Moritz Busch verfafstes Handbuch, welches
zudem längst völlig veraltet ist,*) konnte diesen Bedürfnissen nicht genügen.
Dasselbe gilt von des Verfassers später erschienenem Handbuch für die
Türkei, 3) welches aufser einer breit gehaltenen Beschreibung von Kon-
stantinopel auch kurze Angaben über die Hauptrouten in Makedonien
und Albanien enthält, aber in dieser Hinsicht weit hinter den Werken
von Isambert und Murray (s. u.) zurücksteht. Auch der nur für den
Westen Griechenlands in Betracht kommende
Illustrierte Führer durch Dalmatien längs der Küste von Albanien
bis Corfu und nach den ionischen Inseln. Mit 35 Illustrationen und
fünf Karten. Wien, Pest. Leipzig; A. Hartlebens Verlag. 1883. 12.
XVI 138 S. Geb. Fl. 1,50,
worin (S. 107—30) eine kurze Beschreibung der Reise von Cattaro nach
Corfu nebst Winken über Ausflüge nach St. Maura, Prevesa-Nikopolis,
Kephalonia, Ithaka, Zante und Patras gegeben wird, erhebt sich nicht
über das Niveau der Bücher von Busch. Die Illustrationen sinken bei
dem kleinen Format zur blofsen Spielerei herab.
Ein wirklich brauchbares Hilfsmittel für den Reisenden in Grie-
chenland lieferten
1) Reisehandbuch für Griechenland mit Einschlufs Thessaliens, Alba-
niens, der Inseln des Archipelagus und der ionischen Republik. Triest. 1858.
16 XXXVl 217 S. (fünfter Band von Lloyds Illustr. Reisebibliothek). Verf.
schrieb auch den Text zu A. Lötflers »Bilder aus Griechenland«. Triest,
Liter.-artist. Anstalt. 1869. Fol.
2) Die Türkei. Reise-Handbuch für Konstantinopel, die untere Donau,
Bulgarien, Maccdonien, Bosnien und Albanien. Dritte Aufl. Triest, Lit,-art.
Anst. (J. Ohswaldt) und Wien, Moritz Perles. 1881. 16. VIII 232 S. Geb.
M. 4.
408 Geographie von Griechftniand.
Mcyprs Reisebticlior. Der Orient. ZAveiter Band. Syrien, Pa-
lästina, Griechenland nnd Türkei. Leipzig. Bibliographisches Institut.
1882. 12. XII 623 S.
Meyers »Orient« ist für jene Mehrzahl von Touristen berechnet,
welche nur das Wichtigste und Bekannteste in möglichst kurzer Zeit be-
sichtigen wollen. So beschränkt sich auch der Griechenland betreffende
Abschnitt (S 203 — 376) auf die Beschreibung von Athen und der dort-
hin führenden Routen, auf die Ausflüge in Attika und die Tour nach
Mykenae und Olympia. ' ) Bei den kartographischen Beilagen, von denen
aufser einer Übersichtskarte von Griechenland (1:1400 000) und einem
hübschen Kärtchen des mittleren Attika (von Salamis bis Marathon) in
1 : 281000 die Pläne von Athen, Piräus und Olympia hervorzuheben sind,
verdient die gefällige Ausführung Anerkennung. Inzwischen erschien 1888
eine zweite Auflage des Buches u. d. T. »Türkei und Griechenland, un-
tere Donauländer und Kleinasien« (geb. M. 14), in welcher der Abschnitt
über Griechenland (S. 414—632) um einige Routen im Peloponnes be-
reichert ist; 2) im übrigen wurde der ursprüngliche Standpunkt beibe-
halten. Das weitaus vollkommenste jedoch, was an Reisebüchern über
Griechenland erschienen ist, bietet
Griechenland. Handbuch für Reisende von Karl Baedeker.
Mit einem Panorama von Athen, sechs Karten, sieben Plänen und an-
dern Beigaben. Leipzig, Karl Baedeker. 1883. CXXII 371 S. —
Zweite Auflage (mit 14 Plänen). 1888. CXXII 389 S. M. 10.3)
Der Hauptteil des Textes ist von H. G. L ollin g bearbeitet; der
Abschnitt über Olympia rührt von W. Dörpfeld und K. Purgold her,
andere Beiträge haben E. R ei seh (Kephalonia und Ithaka) und F. Win-
ter (Delos) geliefert. Die Einleitung enthält u. A. einen knappen, aber
inhaltreichen Abrifs der griechischen Kunstgeschichte von R. Kekule
(S. LXVII — CXIX). Durch dieses Zusammenwirken verschiedener wissen-
schaftlicher Kräfte ist »Baedekers Griechenland« ein ebenso wissenschaft-
lich tüchtiges wie für den Reisenden brauchbares Hilfsmittel geworden,
das sich würdig den ebenfalls von Fachmännern bearbeiteten Hand-
büchern für Ägypten und Syrien zur Seite stellt. Wie die letzteren ge-
hört es zu den zweckmäfsigsten Nachschlagebüchern, wenn es sich darum
handelt, sich über irgend welche topographische Einzelheiten rasche und
zuverlässige Auskunft zu erholen. Aber auch seinem Hauptzweck, dem
1) Corfu und die übrigen ionischen luselu sind iu Bd. 1 Ägypten (1881)
S. 63-76 bebandelt.
2) Die Beschreibung Syriens u. s. w. ist in die 1889 erschienene zweite
Ausgabe des ersten Bandes aufgenommen, welcher jetzt den Titel führt:
»Ägypten, Palästina und Syrien«.
3) Eine englische Ausgabe erschien 1889. Vgl Philol. Wochenschr. 1890
Sp. 1573.
Reiseführer. 409
Bedürfnisse des Reisenden, wird es in jeder Hinsicht gerecht, wie Refe-
rent aus eigener Erfahrung bezeugen kann. Eine Zierdo des Buches
bilden die in der geographischen Anstalt von Wagner und Debes in
Leipzig hergestellten graphischen Beilagen. Am wenigsten befriedigt
von denselben wohl die Übersichtskarte des Königreichs in 1 : 1000 000,
welche für die erste Ausgabe Kieperts Neuem Handatlas entnommen
war, für die zweite Ausgabe jedoch in gleichem Mafsstabe neu gezeich-
net wurde. Die Schwcäche der Karte auch in der neuen Bearbeitung
liegt in der Terraindarstellung, welche, ohne sich zu scharfer Charakte-
ristik des Reliefs zu erheben, nur die Übersichtlichkeit beeinträchtigt.
Wer aufser Athen und Olj'mpia vom griechischen Festland etwas sehen
will, wird daneben doch die französische bezw. Wiener Karte nicht ent-
behren können Die Pläne und Spezialkarten haben in der neuen Aus-
gabe eine beträchtliche Vermehrung erfahren. Unter den letzteren sind
die ümgebungskarten von Athen (1:150000), Korinth (1:136000),^)
Olympia ( 1 : 200 000) und die Karte von Corfu (1 : 300 000) wegen ihrer
klaren und übersichtlichen Darstellung liervorzuheben; das Gleiche gilt
von dem grofsen Plan von Athen in 1 : 10 000- Bei den übrigen Plänen
war der Individualität des Kartographen weniger Spielraum gegeben und
sind dieselben deshalb in ihrem Charakter mehr von der Vorlage ab-
hängig. Durch P^leganz der Ausführung zeichnen sich aus die Pläne
der Akropolis (nach Kaupert), des Piräus (nach den »Karten von Attika«)
und von Olympia (nach Dörpfeld). Besseres hätte man bei der vortreff-
lichen Vorlage (Steffen) in der zweiten Ausgabe von dem Plane von
Mykenai (1 : 10 000)2) erwartet. Weiters finden sich 3) Pläne von Corfu
(Stadt), Eleusis, Delos, Delphi (nach Ulrichs), dem Hieron von Epidau-
ros, Nauplia, Tiryns, Sparta und Messene, sowie ein sauber gestochenes
Panorama von Athen (von Lykabettos aus).
Ganz kürzlich erschien:
Griechenland. Ein Reisebuch für Touren durch das hellenische
Königreich und die griechischen Länder im Bereiche des ägäischen
Meeres. Bearbeitet von Amand Frhrn. v. Schweiger- Lerchen-
feld. Herausgegeben von Leo Wo er). Würzburg und Wien, Ver-
lag von Leo Woerl. 1890. XIV 190 S. Geb. M. 5.
Soweit ich aus einer flüchtigen Durchsicht des mir erst in letzter
Stunde zugegangenen Büchleins urteilen kann, ist die scharfe Kritik von
Chr. B[elgerJ in der Philol. Wochensciirift 1890 Sp. 1573 f. keines-
wegs unberechtigt. Nur oberflächliche Reisende ohne tiefere Bildung
dürften sich durch die im Geiste von »Griechenland in Wort und Bild«
1) Erst in der zweiten Ausgabe.
2) Nicht 1 : 15000, wie auf S. X irrig angegeben ist.
3) Zum Teil erst in der zweiten Ausgabe.
410 Geographie von Griechpnland.
gehaltenen Schilderungen, neben denen das praktische Interesse einge-
standener Mafsen zurücktritt, befriedigt fühlen. Die meist nach bekann-
ten Photograpliien angefertigten Illustrationen sind von ziemlich verschie-
denei' Qualität, doch macht auch bei den besseren der blaue Farbton
einen unerfreulichen Eindruck. Beigegeben sind aufser einer Übersichts-
karte Pläne von Athen, der Akropolis, Tiryns, Smyrna und Troia, sowie
einige Spezialkärtchen. Anzuerkennen ist übrigens die Berücksichtigung
der (auch bei Meyer behandelten) Hauptrouten längs der Westküste
Kleinasiens einschliefslich der Tour nach Cypern.
Aus der ausländischen Literatur sind zwei Reisehandbücher zu ver-
zeichnen, welche beide ähnlichen Sammlungen angehören, wie sie in
Deutschland durch Baedeker und Meyer ins Leben gerufen worden sind.
Das eine ist das zur Collection des Guides Joanne gehörige
Itineraire descriptif, historique et archeologique de l'Orient par
;6mile Isambert. I. Ptie. Grece et Turquie d'Europe. 2. ed. Paris,
Hachette. 1873. LXXXV 1084 S., 11 K. u. 23 PI.
Das Buch ist schon von Wachsmuth Bd. II S. 1078 f. besprochen
worden, und mag es deshalb genügen, hier daraufhinzuweisen, dafs dasselbe
auch für deutsche Reisende von Belang ist, indem auch die abgelegeneren
Routen auf türkischem Gebiet, wie in Epirus, Makedonien u. s. w.,
welche in keinem deutschen Reisehandbuch behandelt werden, Berück-
sichtigung gefunden haben. Dieser letztgenannte Abschnitt hat denn
auch wegen seiner besonderen Wichtigkeit eine griechische Bearbeitung
erfahren, die mir indessen nur dem Titel nach bekannt ist. 2) Inzwischen
wird von dem Original eine völlig umgearbeitete Ausgabe vorbereitet,
deren einzelne Teile, wie es scheint, an Spezialisten übertragen worden
sind. Bis jetzt ist von derselben, soviel mir bekannt, nur der von B.
Haussouillier bearbeitete erste Band erschienen, welcher lediglich
Athen und Umgebung behandelt; die Besprechung desselben gehört in
den Spezialbericht über Attika.^)
In der englischen Reiseliieratur vertritt eine wohlbekannte Firma das
Handbook for Travellers in Greece including the Jonian Islands,
Continental Greece, the Peloponnese, the Islands of the Aegean, Crete,
Albania, Thessaly und Macedonia; and a detailed Description of Athens.
5. Ed. Zwei Teile. London, John Murray. 1884. 762 S. Sh. 24.*)
Der Hauptwert dieses Handbuchs auch für uichtenglische Reisende
1) In der zweiten Ausgabe nach Dörpteld.
2) 'Odomopixä Maxtdoviai;, ^HTzeipoü xai ßeaaaXiai xarä röv Emile Isam-
bert üitö "'AvTiuviou Mtj ^tapdxrj. Athen. 1878 zC 320 S,
3) Vgl. einstweilen F. Baumgarteu in der Philo). Wochenschr. 1888
Sp. 1279-81.
♦) Bei der Seltenheit dieser englischen Reisehandbücher in Deutschland,
welche aum Teil aas ihrem unverhältnismäfsig hohen Preise zu erklären
Reiseführer. 41 1
liegt wie bei Isambert in der Behandlung der wenig bereisten Routen in
der Europäischen Türkei sowie der Inseln des Archipels. Die histori-
schen und antiquarischen Notizen, für welche die von Will. Smith her-
ausgegebenen encyklopädischen Werke zur Altertumswissenschaft eine
Hauptquelle zu sein scheinen, nehmen einen ziemlich breiten Raum ein;
die praktischen Angaben entsprechen nicht immer der Jahreszahl des
Titelblattes. An Zweckmäfsigkeit der Ausführung steht das Buch trotz
unbestreitbarer Vorzüge, entschieden hinter Baedeker zurück; noch weni-
ger können sich die Karten und Pläne an Eleganz und Sorgfalt mit den-
jenigen des deutschen Handbuchs messen.
In Anlage und Ausstattung mit dem Vorigen übereinstimmend
ist das
Handbook to the Mediterranean, its Cities, Coasts and Islands. For
the Use of General Travellers and Yachtsmen. By Lieut.-Col. R. L.
Play fair. 2. Ed. London, John Murray. 1882. 544 S. M. 24.
Das Buch umfafst, wie aus dem Titel erhellt, die Küsten und In-
seln des gesanimten Mittelmeeres, in Folge dessen auch ziemlich ausführ-
liche Beschreibungen von Kreta (S. 137 151) und Cypern (S. 161 —
181). Der auf Griechenland entfallende Teil gibt eine etwas abgekürzte
Wiederholung der entsprechenilen Abschnitte aus dem Handbook for
Grcece. bereichert um einige Notizen für Sportsmänner. Auf letztere
scheint das Ganze überhaupt in erster Linie berechnet zu sein.
Von den Reisehandbüchern ist nur ein Schritt zu den Reisebe-
schreibungen, welche, abgesehen von dem besonderen Anhang über
die Karten, die letzte Kategorie unter den hier zu besprechenden Arbei-
ten bilden sollen. Ihnen gegenüber war der Berichterstatter in einer
etwas schwierigen Lage. Handelt es sich doch hierbei meistens um
Werke, denen eine wissenschaftliche Tendenz von vornherein ferne liegt,
die aber durch die Mitteilung dessen, was der Verfasser selbst gesehen
und beobachtet hat, manche wertvolle Materialien für wissenschaftliche
Forschung zu bieten vermögen; zudem sind sie ein gar nicht zu ent-
behrendes Hilfsmittel, um dem Leser, welcher das Land nicht selbst
bereist hat, die Eigenart desselben zu veranschaulichen. Freilich ist
der Wert der Reisebeschreibungen auch in dieser Hinsicht äufserst ver-
schieden, je nachdem der Reisende neue oder doch wenig begangene
Wege eingeschlagen oder sich nur auf den ausgetretenen Pfaden be-
wegt hat. und selbstverständlich auch nach der Beobachtungsgabe und
dem Bildungsgrade des Verfassers. Nicht leicht war auch die Begren-
ist, sowie bei der Unzulänglichkeit der bibliographischen Hilfsmittel tür die
englische Tagesliteratur kann ich nur auf die zufällig in meinem Besitz be-
findlichen Auflagen Rücksicht nehmen. Die etwaigen neuen Ausgaben obigen
Handbuchs sind mir weder bibliographisch noch inhaltlich näher bekannt.
412 Geographie von Griechenland.
zung der hier aufzunehmenden Arbeiten. Unmöglich konnte alles, was
insbesondere in Zeitschriften verschiedensten Charakters, ja selbst in
Tagesblättern des In- und Auslandes an »Erinnerungen« und »ReisC'
Skizzen« erschienen ist, hier berücksichtigt werden. In erster Linie
waren natürlich die selbständig erschienenen Werke hier anzuführen,
während aus der ins Unendliche zerstreuten periodischen Literatur nur
das Bedeutendere herangezogen werden konnte, wobei Referent freilich
keine Verantwortung für die oft durch Zufälligkeiten bestimmte Auswahl
zu übernehmen vermag. M Fernerhin erschien es dringend geboten, sich
bei dem grofsen Umfange dieser Literatur in den einzelnen Fällen mög-
lichst kurz zu fassen und auf Andeutung des Hauptinhaltes zu beschrän-
ken. Die Anordnung der Schriften im Folgenden ist eine chronologische.
K. B. Stark, Nach dem griechischen Orient. Reisestudien. Heidel-
berg, Karl Winter. 1874. XII 408 S. Zweite Auflage. 1882. M. 5.
Da die zweite Ausgabe dieser trefflichen Reisebeschreibung ledig-
lich den Titel betrifft, genügt es hier auf die Besprechung der (noch
Ende 1873 erschienenen) ersten Ausgabe von Wachsmuth in Bd. II
S. 1079 — 81 hinzuweisen.
Auch der wertvolle
Archäologische Bericht über seine Reise nach Griechenland von
Friedrich Wieseler. Abhandl. d. k. Ges. d. Wiss. zu Göttingen
XIX (1874). Histor.-philol. Kl. S. 63—132
ist hier lediglich dem Titel nach zu erwähnen, da er fast ausschliels-
lich Athen betrifft und rein archäologischer Natur ist.
Karl Hessel, Reiseskizzen aus Griechenland. Progr. d. k. Gym-
nas. z. Wetzlar. 1874. 4. S. 1 — 26. M. 1,20.
Anspruchslose Eindrücke eines deutschen Gymnasiallehrers in
Athen und auf der Reise dorthin (1870).
A. Janke, Reise-Erinnerungen aus Italien, Griechenland und dem
Orient. Mit besonderer Berücksichtigung der militärischen Verhält-
nisse. Berlin, F. Schneider & Co. 1874. XII 515 S. M. 7,20.
Verfasser, preulsischer Offizier, hat auf seiner im Winter 1871/72
unternommenen Orientreise von Griechenland nur Athen näher kennen
gelernt. Die Reise von Venedig dorthin und weiter nach Konstantino-
pel wird S. 60—130 geschildert Von selbständigem Interesse ist ledig-
1) Es versteht sich, dafs Reiseberichte lachwissenschaftlicher Natur
nicht hier, sondern wie die geologischen Berichte Philippsons, in der betreffen-
den Abteilung unseres Berichtes angeführt sind.
Reisen. 413
lieh der Abschnitt über die griechische Armee (S. 110 — 20), welcher na-
türlich auf die gegenwärtigen Verhältnisse nur mehr teilweise zutrifft.
F. V. Krogh, Erinnerungen aus Griechenland. Stuttgart, Karl
Aue.i) 1874. (IV) 184. M. 340.
Verf., k. dänischer Kammerherr, welcher sich einer zur Informie-
rung über Eisenbahnprojekte in Griechenland abgesandten Kommission
anschlofs, beginnt seine Erinnerungen aus Griechenland mit München
und Wien. Die Reise über Triest, Corfu und Syra nach Athen wird,
mit Einflechtung einiger zeitgeschichtlicher und wirtschaftlicher Erörte-
rungen, in herkömmlicher Weise beschrieben. Auch in der Beschrei-
bung Athens, auf das sich der Aufenthalt des Verf. beschränkte, über-
wiegt das gesellschaftliche und politische Moment. Das Altertum tritt
glücklicher Weise in den Hintergrund (Verf. schreibt fortwährend »Py-
raeos«)- Einige allgemeine Betrachtungen über die politischen und wirt-
schaftlichen Zustände Griechenlands (Eisenbahnfrage, Laurionkontro-
verse u. s. w.) schliefsen das Buch.
Reise durch Griechenland, Kleinasien, die troische Ebene, Kon-
stantinopel, Rom und Sicilien. Aus Tagebüchern und Briefen von
Fritz von Farenheid. (Als Manuskript gedruckt). Königsberg, Här-
tung. 1875. (IV) 239 S. M. 8.
Tagebuchaufzeichnungen aus dem Jahre 1841 über den Aufenthalt
in Athen und die Reise von dort nach Eleusis — Platäa Chaero-
nea — Delphi - Thermopylen — Theben und weiter nach Smyrna,
Sardes, Troia und Konstantinopel (S. 1 — 82), zur Vergegenwärtigung
der damaligen Zustände manchmal nicht ohne Interesse. Druck und
Papier aufsergewöhnlich splendid.
Franz von Löher, Griechische Küstenfahrten. Bielefeld und
Leipzig, Velhagen und Klasing. 1876 VI 378 S. Vergriffen.
Diese ebenso wie die »Kretischen Gestade« 2) vorher in der »All-
gemeinen Zeitung« erschienenen Schilderungen beziehen sich auf eine
Reise von Konstantinopel über Cavalla nach Thasos, Samothrake,
Imbros, Lemnos, Tenedos, Lesbos, Smyrna, Athen. Durch die
Wahl des Stoffes — die nordägäischen Inseln gehören bekanntlich zu
den wenigst besuchten des Archipels ~ sowie durch den Farbenreich,
tum der Darstellung reiht sich dieses Buch unter die anziehendsten
Werke des Verfassers.
1) So in dem mir vorliegenden Exemplar; anderwärts finde ich Kopen-
hagen und Hadersieben als Verlagsort angegeben.
2) Auf letzteres Buch wird in dem Sonderbericht über die griechischen
Inseln zurückzukommen sein.
4 1 4 Geographie von Griechenland.
Eine Spazierfahrt im Golfe von Korinth. Prag, Mercy. 1876. 4.
XXYII 291 S. GO T. Zwei Karten. Verfasser ist Erzherzog Ludwig
Salvator von Toscana; vgl. Nachtrag.
J. Forster Young, Five Weeks in Greece. London, Sampson
Low. 1876. 316 S. 10s. 6 d. Unzugänglich.
Grece et Turquie. Notes de voyage par Alfred Gillieron. Avec
illustratious. Paris, Sandoz et Fischbacher (Neuchätel, J. Sandoz; Ge-
növe, Desrogis). 1877. XV 308 S. Fr. 4.
Von Interesse durch die Beschreibung seltener besuchter Örtlich-
keiten: Antivari, Avlona und Apollonia, Arta, Dodona, Jan-
nina; ferner Corfu, Sta. Maura, Ithaka, Patras, Delphi, Par-
nafs, Athen. Die Illustrationen sind unbedeutend.
J. P. Mahaffy, Rambles and Studies in Greece. London, Mac-
millan. 1876. 338 S. — Zweite Aufl. Ib , Simpkin. 1878 468 S.
— Dritte Aufl. Ib., Macmillan. 1887. 484 S. 10 sh 6d.
Ist mir nur bekannt aus den Besprechungen von E. Kroker, Philol.
Wochenschr. 1889 Sp. 793 f. und von H. F. Tozer, Class. Rev. I 237 f.,
wonach es in Bezug auf landschaftliche und ethnographische Schilderung
ein sehr brauchbares Buch zu sein scheint.
W. Zipper er. Vierzehn Tage im Peloponnes. Blätter f. d. bay.
Gymnasial- u. Realschulw. XIII (1877) 18—28, 71—77.
Vortrag über eine Reise von Athen nach Olympia, Phigalia, Messene,
Tripolitsa, Nauplia, Korinth.
Olympia. Eine Osterfahrt in den Peloponnes von Fritz Wernick.
Mit einer Ansicht des Zeustempels und einem Übersichtsplan des Aus-
grabungsfeldes und seiner Umgebungen. Leipzig, Edwin Schloemp.
1877. X 237 S. M. 4.
Behandelt aufser einer populären Schilderung von Olympia (S. 65
— 140) die Reise dorthin über Corfu und Zante sowie eine sich daran
schliefsende Tour durch Triphylien (Samikon) und das südwest-
liche Arkadien (Phigalia), endlich die Weiterreise nach Patras.
Wallfahrt nach Olympia im ersten Frühling der Ausgrabungen
(April und Mai 1876) nebst einem Bericht über die Resultate der bei-
den folgenden Ausgrabungs-Campagnen. Reisebiiefe von L. Pietsch.
Berlin, Friedrich Luckhardt 1879. IV 251 S. M. 4.
Abdruck aus dem Feuilleton der Vossischen und Schlesischen Zei-
tung. Behandelt wie das vorige Buch nicht nur Olympia, sondern auch
die Reise dorthin und weiter über Phigalia, Tripolitsa, Nauplia,
Mykenai, Nemea, Isthmos, Athen.
Reisen. 415
Peloponnesische Wanderung. Von Wilhelm Lang. Berlin, Paetel.
1878. (IV) 320 S. M. 5.
Die Route ist die gewöhnliche: Olympia, Phigalia, Tripo-
litsa, Argos, Mykenai, Kor int h. Die Schilderungen, welche vor-
her z. T. in Zeitschriften (Deutsche Rundschau, Im Neuen Reich) er-
schienen waren, sind frisch und anziehend. Vgl. die Besprechung von
Bu(rsian) im Lit. Centralbl. 1878 Sp. 667 — 69.
Streifzüge durch die Küsten und Inseln des Archipels und des
Ionischen Meeres von Julius Faucher. Berlin, F. A. Herbig. 1878.
XII 311 S. M. 6.
Wie der als volkswirtschaftlicher und politischer Schriftsteller hin-
länglich bekannte Verfasser, welcher übrigens bereits in einem früher
erschienen Werke sich mit Griechenland beschäftigte, ') in der Vorrede
zu dieser seiner letzten Publikation (Faucher f 12. Juni 1878) selbst
sagt, enthalten die »Streifzüge« flüchtige Aufzeichnungen, für flüchtige
Lektüre bestimmt. Inhalt: Ravenna, Syra, Smyrna, Ephesos, Pa-
ros, Naxos, los, Santorin, Athen, Nauplia, Argos, Mykenai,
Korinth, Patras, Corfu, Tareut, Reggio, Messina, Taormina, Cata-
tania, Syrakus.
Odysseische Landschaften von Alexander Frhrn. von Warsberg.
Drei Bände. Wien, Karl Gerolds Sohn. 1878/79. VIII 282; 408;
502. M. 20.
Obwohl das Werk nicht zu den Reisebeschreibungen im gewöhn-
lichen Sinne gehört, ist es doch hier aufzuführen, da die gegebenen
Schilderungen und geschichtlichen Exkurse sich thatsächlich an die
Reisen des Verfassers anschliefsen und letzterer ausdrücklich jede wissen-
schaftliche Tendenz ablehnt, welche dazu berechtigen würde, das Buch
in eine der früher besprochenen Kategorien einzureihen. Der inzwischen
leider verstorbene Verfasser, langjähriger österreichischer Generalkonsul
in Corfu, 2) war ein abgesagter Feind aller »Schulgelehrsamkeit« und gab
dieser seiner Abneigung in seinen Schriften bei jeder Gelegenheit, und
zwar mitunter recht kräftigen Ausdruck. Mag man indessen auch manch-
mal über seine geringschätzige Meinung von wissenschaftlichen Studien
lächeln, so wird niemand die Wärme und Begeisterung verkennen, welche
1) Ein Winter in Italien, Griechenland und Konstantinopel. Zwei Bände.
Magdeburg, Faber. 1876 XI 295; Vlll 320 S. M. 6. Für Griechenland kommt
in diesem Werke nur die gewöhnliche Route Corfu, Patras, Korinth, Athen,
Konstantinopel (II 67—219) in Betracht; innerhalb derselben ist, weil weniger
häufig geschildert, die Tour auf den Pentelikon (S. 188—201) zu nennen.
2) Auf desselben Verfassers später erschienene »Homerische Landschaf-
ten« soll hier, da sie hauptsächlich Kleinasien betrefiFen, noch nicht näher ein-
gangen werden; vgl. einstweilen Hirschfeld XII 290, 296.
416 Geographie von Griechenland.
seine Scliilderungen klassischer, besonders homerischer Gegenden durch-
weht und dieselben zu einer Quelle genufsreicher Belehrung erhebt. Der
erste Band »das Reich des Alkinoos« enthält derartige landschaftliche
Schilderungen von der Insel Cor tu, der zweite Band, »die Kolonial-
länder der Korkyräer« handelt von einigen Punkten der Festlandsküste
(Aktium-Nikopolis, Buthroton, Onchesmos, Phoinike, Avlona,
Apollo nia, Durazzo) sowie der Geschichte der Insel Corfu, welche
in 30 Kapiteln bis auf die neueste Zeit herab vorgeführt wird. Der
dritte Band endlich, »das Reich des Odysseus« beschreibt Zante, Ke-
phalonia, Ithaka, Sta. Maura (letztere beiden ausführlicher) und
gibt zum Schlufs eine »Geschichte des odysseeischen Reiches« d. h.
einen Überblick über die Schicksale der genannten Inseln seit dem Alter-
tum. Die geschichtlichen Abschnitte, obwohl keine selbständigen For-
schungen enthaltend, gewinnen durch die liebevolle Vertiefung in die Zeit
der mittelalterlichen Romantik an Interesse.
Franz Petit, Eine Reise nach Athen und Argos. Progr. d. k.
kathol. Gymnasiums an d. Apostelkirche zu Köln. 1879. 4. S. 1—34.
Enthält, wie bereits der Titel entnehmen läfst, lediglich Reise-
skizzen von Athen und Umgebung (Pentelikon), Nauplia, Myke-
nai und Korinth. Was die Reise des Verf.s von zahlreichen ähnlichen
unterscheidet, ist der Umstand, dafs sie im Hochsommer (August) aus-
geführt wurde.
Ein Winter in Griechenland 1879—80. Leipzig, B. G. Teubner.
1881. (IV) 118 S. M. 2.
Tagebuchaufzeichnungen einer Reisegesellschaft über Corfu und
Athen sowie die von dort gemachten Ausflüge (Pentelikon, Korinth,
Mykenai).
M. V. Chirol, Twixt Greek and Turk. Jottings during a Jour-
ney trough Thessaly, Macedonia and Epirus in the Autumn of 1880.
With Frontispice and Map. London, Blackwoods. 1881. 276 S. 10 sh.
6 d. Unzugänglich.
Stanislas de Nolhac, La Dalmatie, les iles ionienues, Athenes
et le mont Athos. Paris, Plön & Co. 1881. 316 S. 12. Fr. 3.50.
Unzugänglich.
Henri Belle, Trois annees en Grece. Paris, Hachette 1881.
VH 413 S. M. 4.
Der Verfasser, welcher sich auf dem Titel als »premier secretaire
d'ambassade« bezeichnet, fafst hier eine Reihe von Schilderungen zusam-
men, welche früher in der (mir unzugänglichen) Zeitschrift »Le Tour du
Monde« (1876 ff) und hiernach in, wie es scheint, freier Bearbeitung im
Reisen. 417
Globus^) erschienen sind. Letztere Serie ist von einer grofsen Zahl teils
von Belle gezeichneter, teils nach bekannten Photographien gefertigter
Illustrationen begleitet, von welchen sich viele in dem oben S. 403 an-
geführtem Werke von Schweiger-Lerchenfeld wiederfinden. In der Buch-
ausgabe ist der bildliche Teil auf eine kleine Auswahl beschränkt wor-
den; im übrigen enthält dieselbe vieles weiter ausgeführt als die Artikel-
serie des »Globusa, während Einzelnes wieder gekürzt ist. Die Reisen,
welche der Verfasser während seines dreijährigen Aufenthaltes in Grie-
chenland unternahm, erstrecken sich auf das östliche Mittelgriechenland
und die Hauptrouten des Peloponnes sowie einige der griechischen Inseln
(Ionische Inseln und im Archipel Antiparos, Santorin, Kreta)^).
J. F. Menzer, Eine Weinfahrt durch Hellas. Zweite Auflage 3).
Heidelberg 1881. 47 S. 1 T. Als Manuskript gedruckt.
Der gewifs vielen Lesern dieses Jahresberichtes durch seine An-
kündigungen in Tagesblättern bekannte Weinhändler in Neckargemünd
berichtet hier über eine zu geschäftlichen Zwecken unternommene Reise
nach Griechenland (Corfu, Kephalouia, Zante, Patras, Korinth,
Athen, Syra, Naxos, los, Santorin). Für Liebhaber griechischer
Weine jedenfalls nicht ohne Interesse. In anderer als oenologischer Hin-
sicht wird man das Büchlein nicht zu streng beurteilen dürfen; gleich-
wohl hätte es dem Verf. nicht passieren sollen, die Weine von Brindisi,
Taranto u. s. w. als »oberitalienischea zu bezeichnen.
K. Flegel, Sechs Wochen in Hellas. Aus allen Weltteilen 1882
S. 208—11, 246—50, 271—75, 313 — 17, 329f.
Reiseskizzen von Corfu, Patras, Korinth, Athen, Syra, Antipa-
ros, Paros, Mykonos.
Durch Italien und Griechenland nach dem heiligen Land. Reise-
briefe von G. vom Rath. Zwei Bände. Heidelberg, Karl Winter.
1882. Zweite Ausg. 1888. XVIII 336; VIII 412. M. 6.^)
Der selbständige Wert dieser auf einer Orientreise im Frühjahr
1) Eine Reise in Griechenland. Nach dem Französischen des Herrn
Henri Belle. Globus XXXI (1877) 33-37, 49-55, 65—71, 81—87, 97—103;
XXXII (1877) 1-5, 17-23, 33-39, 49-.55, 65-72, 81-87; XXXIII (1878)
241-47, 257-63, 273-79, 289-96, 305—11; XXXV (1879) 1—7, 17-23, 33
—39, 49—55, 65-71; XXXVI (1879) 209—15, 225-31, 251-48; XLVI (1884)
129-33, 145—51, 161—66, 177-82.
2) In der letzten Serie des Globus.
3) Da das Vorwort von 1878 datiert ist, dürfte der erste, mit dem vor-
liegenden vi'ohl übereinstimmende Druck in diesem Jahre erfolgt sein. In die
bibliographischen Verzeichnisse hat das Büchlein keine Aufnahme gefunden.
4) Die 2. Ausg. enthält auf S. XIII— XVll »Berichtigungen und Ergän-
zungen«, weiche dem Verf. von dem bekannten Orientalisten Georg Rosen mit-
geteilt wurden. Im Übrigen ist dieselbe lediglich eine Titelauflage.
Jahresbericht für Alterthuraswissenschaft. LXIV. Bd. (1890. HI.) 27
418 Geographie von Griechenland.
.1881 uledergeschriebeneu und später aus der Erinnerung ergänzten Auf-
zeichnungen beruht , wie schon der Name des Verfassers, des bekannten
Bonner Mineralogen und Geologen (f 1888), erwarten läfst, auf einge-
streuten geognostischen Bemerkungen. Die Reise selbst bewegt sich in
-den herkömmlichen Bahnen; von Griechenland wurden Syra, Tenos,
Attika und die bekannte Route überMykenai und Korinth besucht.
Hieran schlössen sich in Kleinasien Smyrna mit dem Sipylos, Ephe-
90S, Chios und Samos.
Adolf Bötticher, Auf griechischen Landstrafsen. Berlin, Paetel.
" '1883. (IV) 256 S. iVI. 5.
Sammlung einiger originell und ansprechend geschriebener Auf-
sätze des durch seine Werke über Olympia und die Akropolis von Athen
bekannten Architekten über einzelne Partien seiner fünfzelmmonatlichen
Reisen in Griechenland. i) Inhalt: Bei dem Gastfreunde; Issova im
Lapithasgebirge; Eira; Messene und die Ithome; in der Maka-
ria; längs der lakonischen Küste; Malvasia; Nauplia; Tirynth;
die Insel Aigin a; Kolonos und der Oelwald bei Athen. Die heilige
Strafse nach Eleusis; Eleusis. Einige nebensächliche Irrtümer in dem
Buche hat LoUing, Deutsche Literaturztg. 1883 Sp. 1264 f. nachgewiesen.
R. R. Farrer, A Tour in Greece. With 27 Illustrations. Lon-
don, Blackvvood. 1882. 216 S. mit Karte. 21 sh. Unzugänglich.
D. J. Snider, A Walk in Hellas; or, the Old in the New. An
Account of a Tour on Foot trough the Cities, Villages and Rural
Districts of the Kingdom of Greece in the Year 1879. Boston, Os-
good. 1883. 300 S. 12 sh. 6 d. Unzugänglich.
0. E. Tudeer, Erinnerungen an eine Reise in Griechenland. Hel-
singfors. 1883. Unzugänglich.
NcxoXdoü BeoXöyoo U^cvä odomopcxal dvap.vrj<T£cg tjtoi 'Odoinopc-
xuv Tr^g TAMSog xazd rs ^rjpdv xat BdXaaaav iv (b ffuvSiovrac rj yeoj-
fpaipia ixerd tt^q laropcag xai ixudoXuyi'ag erc. llpiüzri 68og dn^ ^A^rj-
vu)V ecQ BuXov Scd tüü Eußoixou xÖXttou. Ev 'ABrjvacg, Tüttok; »Messa-
ger. d'Athenes« 1883. ^e' 208 S. 4 Taf. 2 Hefte.
Der uns bereits bekannte Verfasser (s. o. S. 405 f.) veröffentlichte
als Vorläufer seiner später erschienenen Itinerare diese »Reiseerinnerun-
gen« au die Fahrt von Athen nach Volo, dem Hafen Thessaliens, wo
die eigentliche Thätigkeit des Verfassers begann. Diese kurze, mit dem
Dampfer zurückgelegte Reise hätte natürlich kaum den Stoff zu einer
208 S. langen Beschreibung liefern können, wenn der Verfasser dieselbe
1) Die Aufsätze waren bereits früher einzeln in der Zeitschrift »Im
Neuen Reich« (hauptsächlich 1877 und 1878) erschienen.
Reisen. 41 9
nicht lediglich als äufseren Rahmen benutzt hätte, um über die berühr-
ten oder auch nur von ferne gesehenen Örtlichkeiten aus einigen Büchern
und Mitteilungen von Reisegefährten im Konversationslexikousstil histo-
rische, mythologische, ökonomische und naturhistorische Notizen zu sam-
meln, welche mit behaglicher Breite und selbstbewufster Zurschaustellung
einer seichten Gelehrsamkeit vorgetragen werden. So mufs der Leser
gleich zu Anfang eine historisch-archäologische Auseinandersetzung über
den Piräus hinnehmen, der kurze Aufenthalt zu Laurion gibt dem
Verfasser Gelegenheit, alles, was er über den dortigen Bergwerksbetrieb
in Erfahrung bringen konnte, auszukramen, ähnlich wird Chalkis mit
weitschweifigen Mitteilungen bedacht, wobei auch die Schrift von Miaulis
(s. 0. S. 379) nicht vergessen wird u. s. w. Dafs die mythologischen
Reminiszenzen in völlig kindischer Weise verwertet werden und das
Ganze überhaupt weder literarische noch wissenschaftliche Bedeutung
hat, ist nach dem Gesagten selbstverständlich. Wenn Landsleute des
Verfassers , wie aus dem vorausgeschickten Briefe einer befreundeten
Dame erhellt und der Verfasser nach S. 2 und 97 selbst mit grofser Zu-
versicht erwartet, aus dem oberflächlichen Machwerk sich über dies oder
jenes belehren, so ist ja das immerhin erfreulich; doch hätte der Ver-
fasser für seine griechischen Leser wenigstens ein Inhaltsverzeichnis bei-
geben sollen. Für Ausländer ist das auch nicht als Muster griechischer
Schreibweise zu empfehlende Buch zum Mindesten entbehrlich. Die bei-
gegebenen Tafeln sind Pläne von Laurion und Chalkis mit dem Euripos,
eine Ansicht der über letzteren führenden Brücke und eine Karte des
Kopaissees mit Umgebung.
Reisebilder aus Griechenland und Kleinasien. Randzeichnungen
zu einigen Stellen des Neuen Testaments von Hermann Dal ton.
Bremen, C Ed. Müller. 1884. XV 351 S. M. 4,50.
Sowohl der Titel wie das Inhaltsverzeichnis (1. Philippi, 2. Thessa-
lonich, 3. Athen, 4. Smyrna, 5. von Caesarea nach Rom) lassen
erraten, dafs der Verfasser wesentlich als Theologe schreibt. In der
That enthält das Buch auch nicht sowohl »Reisebilder« als Betrachtun-
gen über die Reisen und die Briefe des Apostels Paulus, für welche die
gelegentlichen landschaftlichen Schilderungen nur den Hintergrund bil-
den; in diesem Sinne ist der Inhalt durchaus originell und die geogra-
phische Beleuchtung eines Stückes der neutestamentlichen Geschichte
nicht ohne Interesse. Für unseren Bericht kommt das Buch indessen
nicht weiter in Betracht.
Agnes Smith, Glimpses of Greek Life and Scenery. London,
Hurst & Blackett. 1884. 348 S. Sh. 15. Unzugänglich. Vgl. J.
P. Mahafiy, Academy XXV 161; Athenaeum 1884 I 563f.
37*
;420 Geographie von Griechenland.
De Nicopolis ä Olympie. Lettres a un ami par I). Bikelas. Paris,
Paul Ollendorff. 1885 12. (VI) 298 S. Fr. 3,50.
ICine der anziehendsten Erscheinungen in der neueren Reiselitera-
tur über Griechenland. Ein besonderes Interesse gewinnen diese Reiso-
briefe, welche auch in griechischer Übersetzung erschienen sind,^ da-
durch, dafs uns der Verfasser, welcher bei allem nationalen Optimismus
doch ein besonnenes Urteil über die Schcäden des eigenen Landes zeigt,
in einen von europäischen Reisenden (abgesehen von Olympia) sehr sel-
ten besuchten Teil Griechenlands fuhrt. Die nur (Htägige) Reise des
Verfassers ging von Patras nach Leukas und weiter die Küste von
Akarnanien entlang, längs welcher die Hafenplätze Astakos, Mytika,
Zaverda sowie die Acheloosmündung und die Insel Kalamos (das
alte Karnos) geschildert werden, dann nach Prevesa (Nikopolis) und
Arta, zurück über Karvassara, Agriuiou (pseudoantike Benennung
für Vrachori), Anatoliko, Messolonghi nach Zante, Katakolon,
Olympia, Pyrgos, Patras und Korinth. Geschichtliche und poli-
tisch-wirtschaftliche Betrachtungen, die einen ziemlich breiten Raum ein-
nehmen, müssen zum Teil ersetzen, was die Kürze der Reise an Selbst-
gesehenem nicht bieten konnte; doch sind dieselben so verständig gehal-
ten und in eine so anziehende Form gebracht, dafs jedermann das Buch
mit Genufs und Interesse lesen wird. 2)
Rosa V. Gerold, Ein Ausflug nach Athen und Corfu. Mit Zeich-
nungen von Ludwig H. Fischer. Wien, Karl Gerolds Sohn. 1885. II
223 S. M. 5.
Nicht übel geschrieben, aber ohne geographisches Interesse. Einige
arge Mifsverständnisse in der Wiedergabe neugriechischer Worte (S. 140
»zum Kloster Tom a Somason« d. i. täv daw/j.drujv, S. 170 »Ephiariste«
für Eu^apcazco) wird man der Verfasserin zu Gute halten müssen, der
man auch gern die Illusion gönnen wird, in dem Potamo von Corfu den
Flufs zu sehen, an welchem die Begegnung zwischen Odysseus und Nau-
sikaa stattfand; dafs bei dieser Gelegenheit fast der ganze sechste
Gesang der Odyssee in Übersetzung abgedruckt wurde, wäre freilich nicht
nötig gewesen.
Bilder aus Griechenland. Altes und Neues von Ludwig Steub.
Leipzig, Hirzel. 1885. IV 386 S. M. 4,50.
Im Jahre 1841 trat der Verfasser, welcher später durch seine
Schilderungen aus den deutschen Alpen in den weitesten Kreisen bekannt
wurde, mit zwei Bändchen »Bilder aus Griechenland« (Leipzig, F. A. Brock-
1) 'And NixoTzöksojq elq VAufiniav und A. BixiAa. 'Earia 1885 No. 508-
Ö20 und in Buchform (200 S.) Athen 1886 (Miliarakis No. 168).
2) Ganz ähnlich urteilt ülier das Buch Hirschfeid XII 280.
Reisen, 421
haus. 377, 219 S.) vor die Öffeutlichkeit; sie waren die Frucht eines'
zweijährigen Aufenthaltes des Verfassers in Griechenland (1834 — 1836),-
wo er wie viele andere seiner Landsleute im Staatsdienste thätig war. Doch
erstrecken sich die »Bilder« hauptsächlich nur auf die Rückreise von
Athen über Korinth und Patras nach Corfu und zwar in Form einer
Reihe humoristisch behandelter Episoden, für welche der Verlauf der
Reise nur den äufseren Rahm abgab. Trotz der gefälligen Schreib-
weise fanden indessen die »Bilder aus Griechenland« wenig Anklang und
der Autor mochte sich seiner Jugendleistung selbst kaum mehr erinnern,
als A. V. Warsberg (s. o. S. 415f.) in der Beilage zur Allgemeinen Zei-
tung vom 12. Februar 1884 u. d. T. »Ein vergessenes Buch« wieder die
Aufmerksamkeit darauf lenkte und damit zugleich eine Einladung au den
Verfasser zu einem Besuche auf Corfu verband. Letzterer unternahm
infolge derselben eine Reise über Konstantinopel und Athen dorthin, über
welche er eine Reihe von Artikeln in der Allgemeinen Zeitung veröffent-
lichte. Da inzwischen auch dank der warmen Empfehlung v. Warsbergs,
der Rest der »Bilder aus Griechenland« vergriffen war, liefs sie der
Verfasser mit einigen Kürzungen neu drucken und mit den (ebenfalls
sehr gekürzten) Berichten über die zweite Reise neu erscheinen. Geo-
graphische Belehrung wird darin natürlich niemand suchen; doch wird
jeder, der einen Blick in die erste Zeit der bayerischen Aera in Grie-
chenland zurückwerfen, und dabei sich an der Erzählungsgabe des Ver-
fassers erfreuen will, das unterhaltende Buch gerne lesen.
Griechische Reise. Blätter aus dem Tagebuche einer Reise in
Griechenland und in der Türkei von Karl Krumb ach er. Berlin,
Bettler. 1886. 12. XLVIII 390 S. 2. (Titel-)Ausgabe 1889. Ebd.,
Trowitsch & Sohn. M. 3.
Unter der Flut von neueren Reisebeschreibungen über Griechenland
bildet Krumbachers Buch insofern eine wohlthuende Ausnahme, als es
sich nicht wie die Mehrzahl in längst ausgetretenen Routen bewegt und
als der Verfasser einem Moment in hervorragender Weise seine Auf-
merksamkeit widmete, zu dessen Würdigung er wie wenig andere Ge-
lehrte befähigt ist, nämlich der neugriechischen Volkssprache. Das
gründliche Verständnis der letzteren und die stete Rücksichtnahme auf
die Äufserungen derselben ermöglichte es ihm aber auch in den Cha-
rakter, die Anschauungen und Lebensweise der Bevölkerung tiefer zu
blicken als es den meisten Reisenden, die nicht durch langen Aufenthalt
im Oriente heimisch geworden sind, möglich ist. Die Reise, welche in die
Zeit von Okt. 1884 bis Mai 1885 fällt, mnfafst, aufser Athen (Pentelikon)
und Konstautinopel, hauptsächlich die der kleinasiatischen Küste vorge-
lagerten Inseln, nämlich Lesbos, Chios, Samos, Patmos (wo der
Verfasser zweimal Aufenthalt nahm), Leros, Kalymnos, Sym.e, Rho-
422 Geographie von Griechenland.
dos, und vom kleinasiatischen Festland Smyrna, Sardes, Magnesia
und Pergamon.
C. Hoffmann, Reiseskizzen aus Griechenland. Ausland 1885
S. 881—86, 907-10, 929 — 32, 944-49.
Triviale Beschreibung einer Tour von Athen nach Mykenai, Tri-
politsa, Sparta, Leondari, Pbigalia, Olympia, Patras,
A. Mezicres, Souvenirs d'un voyage en Gr^ce. Revue Internatio-
nale (herausgegeben von A. de Gubernatis und A. Fantoni in Florenz)
Bd. V S. 21—28, 466-75, VI S. 5—14, 612—22, 749 -59, VII S. 168
—75, 356—60, VIII 233-41, IX S. 61-68, 775—84, X S. 603—13,
XI S. 183-91 (1884—86).
Flüchtiger Bericht des bekannten Literarhistorikers, welcher in den
Jahren 1850 und 1851 als Mitglied der ficole d'Athenes Griechenland
bereiste, in Form von Briefen an seine Eltern. (Nauplia, Sparta, Olym-
pia, Styx; Syra, Andres, Tenos, Paros und Autiparos; Smyrna,
Troia, Konstautinopel; Corfu, Leukas, Prevesa; Livadia, Thermo-
pylen, Larissa, Janniua, Corfu; Italien; Euboea, Tempe, Saloniki).
Die wissenschaftlichen Ergebnisse seiner Reisen sind zum Teil in einer
bald nach der Rückkehr des Verfassers erschienenen Denkschrift über
Pelion und Ossa, ^) zum Teil in einem gleichfalls erst vor wenigen Jahren
gedruckten Bericht 2) veröffentlicht, aufweichen später bei Lakonien und
Messenien zurückzukommen sein wird.
Giovanni Setti, Una recente escursione in Greecia. Nuova An-
tologia di scienze, lettere ed arti. Bd. 86 (= III. Serie zweiter Bd.
1886) S. 229—77.
Seichte historisch -geographische Betrachtungen, neben denen die
eigentliche Reise des Verfassers, die sich auf den Besuch Athens be-
schränkt zu haben scheint, kaum hervortritt.
Paul Meier, Von Athen nach Olympia. Westermanns Monats-
hefte 1886 Bd. 60 S. 220-41, 376-94.
Schilderung der Landreise von Korinth über Nemea nach Myke-
nai, Tegea, Sparta, Messene, Phigalia, Olympia, mit Illustrationen.
Siemens, Hauptmann, Reise -Erinnerungen aus dem heutigen
Griechenland. 23- Bericht der PhilomatUe in Neifse. 1886. S. 55 — 73.
Allgemein gehalten, aber sehr zutreffend.
1) Memoire sur le Peliou et TOssa. Archives de miss. scient. I. Serie
T. III S. 481—567 (1854).
2) Annuaire d. et. grecques XVII (1883) 223—36; XX 1-62.
Reisen. 423
Eduard Engel, Griechische Frühlingstage. Jena, Costenoble.
1887. VIII 446 S. M. 7.
Unter den neueren Reisewerken über Griechenland hat kaum ein
anderes in weiteren Kreisen so grofses Aufsehen erregt, wie das Buch
von Engel. Diefs ist gewifs nicht blos der unbestreitbar gewandten und
originellen Darstellung zuzuschreiben, sondern insbesondere auch der
entschiedenen Parteinahme des Verfassers für das Neugriechentum in
politischer, kultureller und sprachlicher Hinsicht, welche ihn auch zum
eifrigen Anwalt der neugriechischen Aussprache gemacht hat. Auf letZ:
teren Standpunkt, den Engel sowohl im Schlufskapitel dieses Buches als
in einer besonderen Schrift M vertritt, näher einzugehen, ist hier kein
Aulafs, zumal die in absprechendem Tone gehaltenen Ausführungen des
Verfassers nur Leuten imponieren können, die der griechischen Sprach-
wissenschaft völlig ferne stehen. Aber auch in anderer Hinsicht kann
man die Auffassung des Verfassers nicht ohne Widerspruch hinnehmen.
Die Sucht, das heutige Griechenland und seine Bevölkerung von allen
Mängeln reinzuwaschen und handgreifliche Mifsstände zu beschönigen,
streift bei Engel oft ans Lächerliche. Wollte man ihm glauben, dann
gäbe es wohl in ganz Griechenland keinen Hallunken — aufser Herrn
Dilijannis, der als Sündenbock für alle in neuerer Zeit begangenen Mifs-
griffe der Regierung dienen mufs. Ref. glaubt bei einer früheren Gele-
genheit in einem gegen die ungerechtfertigte Darstellung Vierordts ge-
richteten Aufsatz 2) seinen persönlichen Standpunkt klar genug vertreten
zu haben, um die Unterschiebung eines mifsgünstigen Urteils über das
jetzige Griechenland von sich weisen zu können. Aber wie aufrichtig
man auch die kulturellen Errungenschaften des jungen Staatswesens und
die Vorzüge des griechischen Volkes anerkennen mag, so braucht man
doch nicht blind zu sein gegen dessen Schwächen und Fehler, die es,
wie jede andere Nation, besitzt. Mit Schönfärbereien, wie sie Herr Engel
liebt, leistet man niemand einen schlechteren Dienst als den Griechen
selber. Denn indem man ihrer nationalen Eitelkeit schmeichelt, fördert
man einen ihrer Hauptfehler, die Neigung zur Überschätzung alles Ein-
heimischen, und indem man dem Auslande die Dinge in einem günstige-
ren Lichte zeigt, als sie es verdienen, bereitet man nur peinliche Ent-
täuschungen für spätere Reisende vor, in deren Urteil sich dann natur-
gemäfs eine Reaktion kundgeben mufs. Wer sich indessen durch die
optimistische Brille, durch welche der Verfasser alles Griechische be-
1) Die Aussprache des Griechischen. Ein Schnitt iu einen Schulzopf
Jena, Costenoble 1887. VII 168 S. M. 2,.50. Vgl. Krumbacher in d. Blatt,
f, d. bayer. Gytuuasialw. XXIV 45—48 und die Nachweise von H. Ziemer in
diesem Jahresbericht Bd 56 S. 268
2) »Ein Wort zur Verteidigung tür das 'nioderne' Griechenland«. Alig.
Zeit. 1886 No. 197 Beil.
424 Geographie von Griechenland.
trachtet, nicht beeinflussen läfst und sich mit einiger Geduld gegen die
Ausfälle auf die Büchergelehrten u. s. w. wappnet, wird die »Frühlings-
tage« nicht nur mit Genufs lesen, sondern auch manche, nützliche Anre-
gung aus denselben schöpfen. Geographisch bewegt sich die Reise fast
ganz auf der gewöhnlichen Route, was übrigens hier auch nebensächlich
ist, da es dem Verfasser lediglich auf die Wiedergabe seiner Eindrücke
vom griechischen Volkstum ankommt. Engel reiste über Corfu, Olym-
pia, Phigalia, Messene, Sparta; von hier nach dem seltener be-
suchten Gythion,') wo die Schmierigkeit des Städtchens und seiner
Bewohner sogar für die Geduld des Verfassers zu stark wurde, dann zur
See nach Nauplia und weiter über Mykenai und Korinth nach
Athen. Ein besonderes Kapitel wird am Schlufs der Reise dem ur-
sprünglich bayerischen Dorfe Ära kl i (Heraklion) bei Athen gewidmet.
Hans Müller, Griechische Reisen und Studien. Zwei Teile.
Leipzig, Wilhelm Friedrich. 1887. XI 244; VI 210 S. M. 6.
Nur der kleinere Teil (I 1 — 160) des »des wiedererstandenen grie-
chischen Nation« gewidmeten Buches beschäftigt sich mit der im Jahre
1881 ausgeführten Reise, welche den Verfasser von Athen aus nach
Korinth und (zu Fufs) nach Mykenai und Nauplia, von dort um
den Peloponnes herum nach Olympia und Patras führte. Hieran
schlofs sich eine Tour durch Mittelgriechenland (Delphi, Livadia,
Theben), sowie eine zweite Reise von Athen über Theben und Chal-
kis nach Nord-Euboea, wo uns der Verfasser das Waldidyll von Ach-
med Aga schildert. Die Heimkehr erfolgte von Athen über Konstau-
tinopel. An die eigentliche Reisebeschreibuug schliefsen sich im ersten
Teil noch einige allgemeine Kapitel über die materiellen Hülfsquellen
Griechenlands, die heutige Bevölkerung, die neugriechische Sprache und
ihre Bedeutung für unser höheres Schulwesen, über das sich Verfasser
bei dieser Gelegenheit in verschiedener Hinsicht verbreitet. Hierauf ein-
zugehen ist hier ebenso wenig der Ort, wie auf den zweiten Teil des
Buches, welcher ausschliefslich eine Auswahl neugriechischer Dichtungen
enthält. 2) In seiner Auffassung von griechischen Dingen erweist sich
der Verfasser, wie auch schon die Widmung erwarten läfst, gleich Engel
als Philhellene, wenngleich sich sein Optimismus nicht in so enthusia-
stischer Weise kundgibt; an Gewandtheit und Originalität steht indessen
seine Darstellung dem Engeischen Buche weit nach.
1) Amtlicher Name des südl. vom alten Gytheion gelegeneu modernen
Städtchens Marathonisi.
2) Vgl. die Besprechung von Krumbacher, Berl. Philol. Wochenschr. 1887
Sp. 1346.
Reisen. 425
Maurice Letelliei', Lettres d'Orient. fegypte, Palestiüe, le Liban,
Palmyre, Grece. Luxembourg. 1887. (VI) 533 XVII S. Als Manuskript
gedruckt.
Der liebenswürdige Reisegefährte des Referenten in Aegypten und
Judaea schildert hier (S. 359 — 529) in anspruchslosen, warm empfun-
denen Reisebriefen') eine nach meiner Rückkehr aus Cypern mit mir
gemeinschaftlich ausgeführten Reise von Larnaka über Smyrna (Be-
such von Ephesos) und Athen (Austiüge nach Marathon, Laurion
und Korinth) nach Aegina, Nauplia, Mykenai, Argos, Tripo-
litsa, Sparta, Kalamata, Messene, Phigalia, Olympia, Zante,
Patras, Delphi (Besteigung des Parnafs), Livadia, Theben sowie
seine Rückreise über Korinth und Corfu.
Maur. de Fos, En Grece, Bull, de la Soc. normaude de geogr.
VIII (1886) 1 — 17. Auch in S.-A. u. d. T. Voyage en Grece (Excur-
sion en Moree). Ronen, Cagniard. 1887- 4. 19 S.
Behandelt in dem Rahmen eines Vortrags eine Reise nach Athen,
Argolis und das östliche Arkadien.
A. Colbeck, A Summers Cruise in the Waters of Greece, Tur-
key and Russia. London, Uuwin. 1887. 428 S. M. 12,60. Unzu-
gänglich.
T. Fitz-Patrick, An Autumu Cruise in the Aegean; or Notes
of a Voyage in a Sailing Yacht. With Maps and Illustrations. Lon-
don, S. Low. 1886. X 316 S. Sh. 10 d. 6. Unzugänglich. Vergl.
Hirschfeld XII S. 299.
John Edwin Sandys, An Easter Vacation in Greece with Lists
of Books on Greek Travel and Topography and Time-Tables of Greek
Steamers and Railways. With a Map of Greece and a Plan of Olym-
pia. London, Macmillan & Co. 1887. XVI 175 S. Sh. 3 d. 6.
Ansprechend geschriebenes Tagebuch einer Ferienreise nach Athen
(Pentelikon, Phyle, Laurion), Mykenai, Nemea, Korinth, Delphi,
Olympia, Zante, Corfu. Der Verfasser will nicht blos seine Reiseeiu-
drücke zum Besten geben, sondern sich auch seinen Nachfolgern nütz-
lich erweisen. Deshalb ist eine ausführliche (aber nicht vollständige)
Zusammenstellung der Reiseliteratur über Griechenland mit Inhalts-
angabe für die wichtigeren Werke, 2) sowie einiger anderer Hilfsmittel
zum Studium von Land und Volk beigegeben, ferner genaue Fahrpläne
1) Dieselben erschienen zuerst im Journal de Luxembourg.
2) So findet man z. ß. hier (S. 124 t) ein eingehendes Inhaltsverzeichnis
zu dem reichhaltigen »Tagebuch einer griechischen Reise« von F. G. Welcker
(zwei Bände, Berlin 1865), welches selbst eines solchen vollständig ermangelt.
42f) Geographie von Griechenland.
der griechischen Dampferliiiieii und Eisenbahnen. Wenn letztere natür-
lich auch einem raschen Veralten ausgesetzt sind, so sind dieselben, we-
nigstens was die Dampfer betrifft, doch nicht ganz unnütz, da sie bei
dem sonstigen Mangel leicht zugänglicher und genauer Fahrpläne dem
Reisenden wenigstens einige Anhaltspunkte zur provisorischen Feststellung
des Reiseplanes gewähren.
C. G. Saunders-Forster, Beneath Parnassian Clouds and Olym-
pian u. Sunshine. u. London, Bemiugton. 1887. 284 S. Sh. 7 d. 6.
Unzugänglich. Vgl. Hirschfeld XII S. 281.
V. G. Marschall, Reisebilder aus Neugriechenland. Unsere Zeit
1888 II S- 263—74.
Ausflug in das südliche Aetolien und Akarnanien (Misso-
lunghi, Aetoliko, Oiniadai, Agrinion, Stratos).
H. Schliemann, Reise im Peloponues und an der Westküste
Griechenlands. Zeitschr. f. Ethnologie XXI (1889) S. 414—19.
Kurze Mitteilung über eine Reise nach Argos, Tegea, Manti-
neia, Megalopolis, Lykosura, ferner nach Leukas, Prevesa
(Nikopolis) und Kassope. Von den noch sehr selten besuchten Rui-
nen der letztgenannten Stadt (vgl. Bursiau I 29 ff.) gibt der Verfasser
eine etwas ausführlichere Beschreibung. Auch sonst enthält der Bericht
trotz seiner Kürze einige beachtenswerte archäologische Bemerkungen.
K. V. Went, Eine Urlaubsreise nach Griechenland und der Türkei.
Linz a. D., Mareis 1889. 168 S. M. 3. Unzugänglich.
Georg Behrmaun, Eine Maienfahrt durch Griechenland. Ham-
burg. Lucas Gräfe. 1890. X 360 S. M. 4.80.
Die Tour bewegt sich in dem gewöhnlichen Geleise : Olympia, Phi-
galia, Messene, Sparta, Tripolitsa, Mykenai, Attika, eine Rundfahrt zwi-
schen den Kykladen, Theben, Delphi, Korinth. Die Darstellung, welche
den theologischen Beruf des Verfassers nicht verläugnet, ist geschickt
und lesbar und wird durch eingestreute Übertragungen neugriechischer
Dichtung belebt.
E. Cabral, Voyage en Grece 1889. Notes et impressions. Paris,
Libr. des bibliophiles. 1890. 4. 163 S. mit 21 Heliogravüren und 5
Plänen. Fr. 30. Unzugänglich.
H. F. Tozer, The Islands of the Aegean. Oxford, Clarendon Press.
1890. XII 362 S. Sh. 8 d. 6.
Das Buch ist mir vorläufig erst aus der Anzeige von Bartsch im
Literaturber. zu Petermanns Mitteil. 1890 No. 2467 bekannt, wonach das-
selbe zum Teil die Berichte zusammenzufassen scheint, welche der Verf.
auf seineu Reisen (1874 und 1886) an die Ztschr. Academy gerichtet hat.
Karten. 427
Mit einem Hinweise darauf, dafs bei Miliarakis S. 15f. noch
einige in griechischen Zeitschriften zerstreute Reiseberichte zu finden
sind, welche mir nur teilweise zugänglich sind und deshalb hier nicht
eigens angeführt wurden, beschliefse ich für dieses Mal den Überblick
der Beiseliteratur (vgl. Nachtrag). Es erübrigt uns nunmehr nur noch
auf eine Art von literarischen Erzeugnissen einen Blick zu werfen, wel-
che für geographische Zwecke eigentlich die wichtigste ist, nämlich die
Karten.
So selbstverständlich es für jeden sein sollte, der sich irgendwie
mit Karten zu beschäftigen hat, ist es erfahrungsniäfsig keineswegs über-
flüssig, immer wieder daran zu erinnern, ein wie grofser Unterschied
zwischen Karten von selbständigem wissenschaftlichen Werte und Copien
aus zweiter und dritter Hand besteht, ein Unterschied, der sich einiger-
mafsen demjenigen zwischen quellenmäfsigen Geschichtsdarstellungen und
der landläufigen Wiedererzählung längst bekannter historischer That-
sachen vergleichen läfst. Zu der erstgenannten Art von Karten sind
nicht nur die amtlichen Originalaufnahmen zu rechnen, wie sie jetzt in
den meisten Kulturstaaten ausgeführt oder in der Ausführung begriffen
sind, sondern auch die auf kritischer Verarbeitung des gesammten Quellen-
materiales beruhenden Übersichtskarten, in welchen, wie z. B. in vielen
Blättern des Stielerscheii Atlasses , eine Summe von Arbeit und For-
schung niedergelegt ist, die nur mit der Arbeitsleistung bändereicher
SpezialWerke verglichen werden kann. Je vollkommener in einem Staate
das Ideal einer genauen Landesaufnahme erreicht ist, um so weniger
bleibt natürlich dem kritischen Kartographen, der das gewonnene Ma-
terial einem gröfseren Publikum zu vermitteln bestrebt ist, zu thuu übrig,
während bei Ländern ohne geordnete Verwaltung und ohne amtliche
Landesvermessung an sein Können die höchsten Anforderungen gestellt
werden. In Griechenland nun befindet sich die Kartographie in einer
Art Mittellage zwischen den beiden Extremen. Der junge Staat hat es
nämlich, so sehr er sich auch sonst den Einrichtungen der übrigen euro-
päischen Kulturländer genähert hat, noch zu keiner regelrechten Lan-
desaufnahme gebracht;!) glücklicher Weise fehlt es jedoch nicht ganz
1) In dem Verzeichnis der im v. J. bei der Ges. f. Erdk. in Berlin ein-
gelaufenen amtlichen Kartenwerke (Verhandl. d. Ges. f. Erdk. 1890 S. öOOf)
finden sich auch zwei Blätter einer neuen griechischen Landesaufnahme (Cen-
tral-Thessalien 1:100000 und Domokos 1:50000) erwähnt. Sollte man es
hier wirklich mit dem Aufauge einer grofsen systematischen Arbeit zu thun
haben? Da bisher in der Öffentlichkeit sonst noch nichts darüber verlautete,
mufs ich den Sachverhalt einstweilen dahin gestellt sein lassen. Es versteht
sich aber von selbst, dals ein derartiges Unternehmen nicht nur für Geogra-
phen, sondern auch für Historiker und Archaeologen von unschätzbarer Wich-
tigkeit wäre.
428 Geographie von Griechenland.
an einer entsprechenden Grundlage für die Kartographie. Es waren
die Offiziere der französischen Expedition in Morea im Jahre 1827 und
1828, welche sich durch die sofortige Inangriffnahme einer Triangulie-
rung der Halbinsel ein unvergängliches Verdienst um die Kenntnis des
Landes erworben haben. Die von ihnen bearbeitete Karte von Morea, i)
welche später zu einer solchen von ganz Griechenland erweitert wurde, 2)
ist noch heute unersetzt und bildet gewissermafsen den festen Kern, an
den sich alles übrige kartographische Material angliedern mufs. Leider
entspricht jedoch die Karte nicht entfernt mehr den heutigen Anforde-
rungen. Nicht nur, dafs der Mafsstab (1 : 200000) für ein Land, in wel-
chem alle Einzelheiten von so wesentlichem Interesse sind, bei weitem
nicht ausreicht, dafs die Kommunikationen jetzt vollständig überholt
sind und sogar das Ortsnetz die gröfsten Lücken zeigt (vgl. o. S. 397),
hat sich in neuerer Zeit herausgestellt, dafs auch dem Terrainbild kei-
neswegs die unbedingte Zuverlässigkeit eignet , die man ihm früher all-
gemein zugeschrieben hat (vgl. S. 374, 376). Zu allem Überflufs ist die
in Steindruck ausgeführte Karte, welche vor mehr als zehn Jahren völlig
aus dem Handel verschwunden war, nur noch in einem seit 1880 ausge-
gebenen, aber durch die Abnutzung des Steines sehr verschlechterten
Abdruck zu haben, so dafs sich das Bedürfnis einer neuen Kartierung
des Landes immer gebieterischer fühlbar macht. Es versteht sich fer-
ner von selbst, dass die Carte de la Grece sich streng innerhalb der da-
maligen politischen Grenzen hält, also weder die ionischen Inseln, noch
die 1881 erworbeneu Gebietsteile von Epirus und Thessalien umfafst.
Für erstere mufste und mufs zum Teil noch die zweite Hauptquelle der
griechischen Kartographie als Ersatz dienen, nämlich die Aufnahmen
des hydrographischen Amts der britischen Admiralität, welche in den
Seekarten {Admiralty Charts) niedergelegt sind. Diese Seekarten ent-
halten vom Festlande meist nur einen schmalen Streifen, diesen aber in
weit schärferer Ausführung als die meisten Landkarten, während bei den
Inseln, insbesondere den kleineren, auch das Innere vollständig ausge-
führt zu sein pflegt. Obwohl an manchen Gebrechen leidend und nicht
in jeder Hinsicht zuverlässig, sind die Seekarten doch durch ihre De-
tailausführung ein so wichtiges topographisches Hilfsmittel, dafs Niemand
der sich, sei es auch nur historisch oder archäologisch, mit einem in den
Bereich derselben fallenden Gebiete beschäftigt, die Anschaffung der ein-
schlägigen Blätter, welche um einen mäfsigen Preis durch jede Buch-
handlung zu beziehen sind, versäumen sollte. Ich gebe am Schlufs ein
1) Carte de la Moree redigee au Depot general de la guerre d'apres la
triangulatiou et las leves en 1829—31. 6 Bl. Paris. 1832.
2) Carte de la Grece redigee et gravee au Depot de la guerre d'apres
la triangulation et les leves executes par les officiers du corps d'etat major.
20 Bl. Paris. 1852.
Karten. 429
Verzeichnis der seit Beginn dieses Jahresberichtes erschienenen Blätter,
welches die Orientierung erleichtern wird.M In neuerer Zeit hat auch
das französische Depot des cartes et plans de la marine eine Anzahl See-
karten herausgegeben, welche jedoch in der Regel nur aus einer Wie-
derholung der englischen Aufnahmen mit Übertragung in französische
Sprache und. französisches Mafs bestehen. Ich werde dieselben, so weit
sie mir bekannt sind, ebenfalls am Schlüsse anführen. Die schönen Auf-
nahmen der k. k. österreichischen Kriegsmarine kommen nur für
den äufsersten Nordwesten Griechenlands in Betracht. 2)
Zu diesen beiden Hauptquellen der griechischen Kartographie
treten nun noch Spezialaufnahmen einzelner Landesteile, unter denen die
prächtigen »Karten von Attika« weitaus den ersten Rang einnehmen.
Da die letzteren jedoch sich nur auf eine Landschaft beschränken, sind sie
ebenso wie andere Lokalkarten, so insbesondere auch die Umgebungspläne
von Olympia und Mykenai, erst im nächsten Bericht zu besprechen. Da-
gegen ist hier die wichtige Originalaufnahme der neuen griechisch-tür-
kischen Grenze zu nennen, welche 1881/82 unter Leitung des englischen
Majors Ardagh ausgeführt und im Mafse von 1 : 50000 auf 13 Blatt nie-
dergelegt wurde. 3) Da indessen diese Originalaufnahme nicht in die
Öflfentlichkeit gelangte, unternahm es der unermüdliche Altmeister orien-
1) Bei Bestellungen im Handel ist womöglich immer die Nummer des
betr. Blattes anzugeben Die Auffindung derselben für sämtliche über alle
Weltteile sich erstreckenden Admiralitätskarten, ermöglicht der Admiralty Ca-
talogue of Charts, Plans and Saüing Uireciions. Puhlished by Order of ike Lords
Comviisaionern of the Admiralty. London. 1883. Gleich den Karten selbst und
dem Mediterranean Pilot (s. 0. S. 378) zu beziehen von J. D. Polter, 31 Poul-
try. Neuere Karten findet man in den Literaturverzeichnissen von Petermanns
Mitteilungen und der Ztschr. d. Ges. f. Erdk. aufgeführt,
2) Adriatiscbes Meer, üstküste. Bl 30. Kimara. 1:100000. Aufgen.
1870 von R. Österreicher. Das sauber gestochene Blatt (Preis 0.60 fl.) um-
fafst die epirotische Küste von den akrokeraunischen Bergen bis zum Butrinto-
flusse sowie die nördliche Breitseite von Corfu mit dem Pantokratorgebirge,
dessen Darstellung freilich neben derjenigen von Bartsch jetzt nicht mehr be-
stehen kann, sowie die kleinen Inseln im NW von Corfu.
3) Es verdient bei dieser Gelegenheit die Thatsache der Vergessenheit
entrissen zu werden, dals auch bei der Begründung des Königreiches eine amt-
liche Aufnahme der damaligen Grenze stattfand, welche u. d. T. erschien:
Carte de la frontiere coniinentale entre le Royaume de la Grece et VEmpire Otto-
man fixee sur les lieux par M. M les Commissaires de VAlliance etc. Arges.
1834. XdpTT^q r&v xard rijv arspedv bpiwv toü Baaü.eiou r^jq 'EXXddoq xal
Toü 'Ot^uifiavixoü Apdroog xr?.. ^Ex t:^? Baad. ASoYpa<piaq iv 'A^i^vatg 1837.
'£v "Apyei TW 1834. (Die Karte wurde also 1834 in Argos entworfen u. 1837
in Athen vervielfältigt). 4 Bl. u. 1 Halbbl. Ein Exemplar dieser für die Ge-
schichte der Balkanhalbinsel und ihrer Erforschung wichtigen Karte befindet
sich in der Münchener Hof- und Staatsbibliothek.
430 Geographie von Griechenland.
talischer Geographie, H. Kiepert, unterstützt durch das Entgegenkom-
men des auswärtigen Amtes in Berlin, dieselbe in einer den vollen In-
halt des Originals wiedergebenden Verjüngung (1 : 200 000) allgemein zu-
gänglich zu machen, welche u. d. T. erschien
Die neue griechisch -türkische Grenze in Thessalien und Epirus.
Ztschr. d. Ges. f. Erdk. in Berlin 1882 S. 244—53 T. III— VI.
Von dieser Publikation enthält Taf. III die westliche, Taf. IV die
nördliche Grenze der neuen griechischen Provinzen, während Taf. VI den
kartographischen Standpunkt derselben im Allgemeinen veranschaulicht
und Taf. V eine Reduktion (von 1:100 000 auf 1:200 000) der bisher
unveröffentlichten Routenkarten des nordthessalischen Grenzgebietes von
G. Lejean (aufgenommen 1867) enthält. Der Text gibt eine kritische
Übersicht der bisherigen Leistungen auf dem Gebiet der Kartographie
von Epirus und Thessalien, durch welche man einen überraschenden
Einblick in die Mangelhaftigkeit unseres kartographischen Materials er-
hält. Leider beschränkt sich auch die neue Aufnahme nur auf einen
ganz schmalen Streifen Landes längs der Grenze; doch ist damit immer-
hin in dem Chaos nordgriechischer Topographie eine feste Basis gewon-
nen und in Verbindung mit den englischen Küstenaufnahmen im W und
0 und der Carte de la Grhce im S ein fester Rahmen gegeben, welcher
auf Grund von Itineraren und Kompafsrekognoszierungen ausgefüllt wer-
den mufs.^)
Mau sieht, es ist ein ziemlich buntscheckiges Material, auf dem
sich eine Karte des heutigen Griechenland aufbauen mufs, uud es erfor-
dert einen nicht geringen Takt des Zeichners, um die nicht nur in Cha-
rakter und Ausführung, sondern auch inhaltlich sehr von einander ab-
weichenden Quellen zu einem harmonischen Ganzen zu verschmelzen, ein
Mifsstand, der sich besonders beim Übergang von einer Vorlage zur an-
dern in sehr empfindlicher Weise geltend macht. Das Verdienst, sich
der Mühe einer kritischen Verarbeitung dieses mannigfaltigen Quellen-
materials zu einer Karte gröfsereu Mafsstabes unterzogen zu haben, ge-
bührt dem griechischen Offizier J. Kokidis in Verbindung mit dem k.
k. militärgeographischen Institute in Wien, dessen Karte zuerst
in griechischer Sprache u. d. T. erschien:
1) Nur für das westliche thessalische Becken liegt eine eigentliche Auf-
nahme vor, welche 1862 von Laloy auf Befehl Napoleon 111. ausgeführt und
in Heuzey - Daumets Mission arcMologique en MacMoine (Paris 1876) in
1 : 250000 veröffentHcht wurde; vgl. Kiepert a. a 0. S. 248.
Karten. 431
Xdprrjg zou BaacXsiou r^j* ^EXMl^og. l'jvsTa^&rj utio (T/x:Kpu<T:v
1:300 000. 1884. 11 Bl. u. 2 Halbbl., dazu 1 Bl. /A'v«^ azazcaT'.xog
ro~j BaaiXei'ou zr^g 'Ek)d8ügA) M. 16.50. (Als Herausgeber ist am
Rand des Titelblattes (XI.) genannt: 7. Koxcdrjg, dvzcauvzayjxdpyrjg
zojv yevixvj)/ enizekojv (Oberstlieutnant im Generalstab).
Später erschien die Karte in deutscher Sprache u. d. T.
Generalkarte des Königreiches Griechenland im Mafse 1:300 000
der Natur. Nach Berichtiguugsdaten des k. griech. Oberstlieutnants
J. Kokides und revidiert von Prof. Dr. H. Kiepert, bearbeitet und
herausgegeben vom k. k. militärgeographischen Instituts in Wien.
1885. 11 Bl. u. 2 Halbbl. a M. 1.40 bezw. 0.70.2)
Die Karte bildet eigentlich eine Fortsetzung der von dem gleichen
Institut herausgegebenen »Generalkarte von Centraleuropa« in
1:300 000, welche in 192 Blättern (erschienen 1873 — 76, Heliogravüre)
Mitteleuropa von Kopenhagen bis Rom und von Manchester bis Odessa
umfafst. Dieselbe war zunächst durch Vergröfserung von Schedas Ge-
neralkarte in 1:576 000, welche seit 1856 in 47 elegant gestochenen
Blättern erschienen war, hergestellt, aber durch Zusätze und Berichti-
gungen wesentlich bereichert worden. Die kriegerischen Ereignisse auf
der Balkanhalbiusel in den Jahren 1876 — 78 veranlafsten zunächst eine
Ausdehnung dieses Kartenwerkes auf die gesammten Balkanländer bis
zur (alten) griechischen Grenze, wodurch 15 Anschlufsblätter notwendig
wurden. Diese auf die Balkanhalbinsel entfallenden Blätter 3) bilden den
weitaus wertvollsten Teil der ganzen Karte, da sie nicht wie die Blätter
von Österreich, Deutschland u. s. w. lediglich eine Reduktion gröfserer
Originalkarteu darstellen, sondern durch Verarbeitung alles vorhandenen
Materiales, darunter der zahlreichen von österreichischen Offizieren auf-
genommenen Routen, selbst den Wert einer Originalkarte erlangten.
Von diesen Blättern*) kommen für Nordgriechenland noch folgende in
Betracht: L 14 Berat {Argyrokasti-o) , M 14 Kastoria (Joannina), N 14
Salonik, L 15 Phüiataes (Cor/u), M 15 Arta, N 15 Phersala. Nachdem
die Karte einmal so weit ausgedehnt war, lag es nahe, in dieselbe auch
das Königreich Griechenland einzubeziehen, für welches sich der Mangel
einer gröfseren Generalkarte von Tag zu Tag mehr fühlbar machte.
Doch erhielt aus begreiflichen Gründen die neue Karte Griechenlands
') Enthält eine Übersicht der Dcmen nach Nomen und Eparchien.
2) Vgl. auch die Anzeige von H. Zimmerer in den Blatt, für d. bayer.
Gymnasialschulw. 1887 S. 57—62, u. von C. Vogel in Petermanns Mitteil. 1886
Literaturb. No. 98.
3) Vgl. Petermanns Mitteil. 1877 S. 306, 1879 S. 29, 1881 S. 349f.; Kie-
pert a. a. 0. S. 245 f.
*) Preis eines jeden 0.60 fl., mit Wald in Farbendruck 0.70 fl.
432 Geographie von Griechenland.
ihren besonderen Rahmen und eine von der »Generalkarte von Central-
Europa« unabhänRJKe Blattbezeichniing, während sie sich in Mafsstab und
Ausführung (mit einigen nebensächlichen Modifikationen) eng an die letz-
tere anschlofs. Durch die Mitwirkung eines griechischen Offiziers war
es auch möglich, aus amtlichen Quellen eine Anzahl neuer Daten einzu-
fügen, deren kartographischer Verwertung sich freilich mitunter erhebliche
Schwierigkeiten entgegenstellten. Dafs gilt besonders von den zahlreichen
Gemeinden und Ortschaften, welche in der Carte de la Gi-ece und somit
auch in allen übrigen Karten fehlten (vgl. o. S. 397); dafs der Zeichner
bei der Eintragung solcher Ortschaften, deren Lage ihm im Allgemeinen
nur ganz annähernd bekannt sein konnte, nicht immer eine glückliche
Hand hatte, habe ich bereits bei anderer Gelegenheit hervorgehoben.^)
Ebenso mifslich war die Einzeichnung der neuen Strafsen- und Eisen-
bahnlinien, welche meist nur nach ganz allgemeinen Angaben er-
folgte und deshalb im Einzelnen mit der Terrainzeichnung nicht selten
in offenbaren Widerspruch geriet. Hier sind nun einige Mifsstände in
der deutschen Ausgabe, die überhaupt zahlreiche Berichtigungen auf-
weist, beseitigt worden. Im Ganzen mufs die Karte als eine fleifsige
Kompilation bezeichnet werden, welche zwar den nächsten Bedürfnissen
des Handgebrauchs genügt, aber für ein eingehenderes Studium die Ori-
ginale nicht entbehrlich macht. Es gilt das vor Allem von der Terrain-
darstellung, die, in der Carte de la Grece von musterhafter Klarheit und
Schärfe, hier ein verschwommenes und charakterloses Bild gibt und für
das Verständais der vertikalen Gliederung des Landes entschieden unzu-
reichend ist; selbst die Blätter IV und V aus Kieperts »Neuem Atlas von
Hellas« eignen sich zum Studium des Reliefs weit besser.
Neben dieser »Generalkarte« veröffentlichte das militärgeographische
Institut noch Übersichtskarten wie die
Gerippkarte der Balkanländer in 1:500 000 (7 Bl. Wien 1879
M. 11.20),
welche ich jedoch nur dem Titel nach kenne, und die
Übersichtskarte von Mittel-Europa im Mafse 1:750 000 der Natur.
Wien 1882—86.
Von den 45 Bl. (je 1 fl.) dieser schönen und eleganten, aber etwas
teuren Karte umfassen die Blätter D 6, E 6 und F 6 neben Albanien,
Makedonien mit Chalkidike und Südruraelien noch den gröfsten Teil
vonEpirus und Thes salien sowie die nördlichen Inseln des ägäischen
Meeres. Die kräftige Terraiuzeichnung und entschiedene Farbengebung
berühren wohlthuend gegenüber dem oft ausdruckslosen Charakter der
Generalkarten von Griechenland und Central-Europa.
1) Vgl. mein Akarnanien u. s. w. S. 281 f.
Karten. 433
Speziell der Darstellung von Nordgriechenland gewidmet ist
H. Kieperts vortreffliche Corte de rEpire et de la T/tessalie (zwei Bl. in
1:500000. Berlin, D. Reimer. 1871), von welcher 1878 eine berich-
tigte Ausgabe ohne Terrain (M. 2.40), 1880 eine dritte Ausgabe mit
Terrain (M. 4) erschien. Sie ist die beste kritische Bearbeitung dieses
Gebietes und diente deshalb der hier weniger selbständigen österreichi-
schen Generalkarte, sowie auch der russischen Karte der Europäischen
Türkei von Artamonow (1877 in 1:420000) als Quelle; letztere ist
mir im Übrigen nur aus Berichten bekannt.^)
Eine Spezialdarstellung desselben Gebietes versucht
Ihva$ rr^g ix£(T7jjj.ßi}tvrjg 'Hmcfiou xat zr^g 9&aaaliag ixTrovrjßecg bnb
Mt^atjX S. XpDGoy^üou Ztraaioi} r^ auvopo^fj zrjg 'EncTporirjg r^f
'E&vcxrjg 'Afiuvrjg xac AdsXcporrjZog xa\ ~ou npög Scdouaiv ru)V ^EkXrjVtxüJv
ypappdrujv loXXoyou. 'Ev 'A^vatg. 1881. KXcpaq 1:200 000. 8 Bl.
M. 24.
Die Karte reicht im Norden etwa bis Tepeleni und Pydna, im
Osten urafafst sie noch die drei chalkidischen Halbinseln sowie die
nördlichen Sporaden. Sie beruht im Wesentlichen auf der Wiener Karte,
enthält aber beträchtlich mehr Ortsnamen als diese, und hat überdiefs
den Vorteil dieselben in der authentischen griechischen Schreibweise zu
bieten. Auch sonst enthält sie manche Berichtigungen, besonders in der
epirotischen Heimat des Verfassers. ^) Die Terraiuzeichnung ist aufser-
ordentlich roh und derb, gibt aber, aus der Ferne gesehen, ein kräfti-
ges Gesamtbild. In Athen erinnere ich mich irgendwo flüchtig eine
zweite Ausgabe dieser Karte gesehen zu haben, doch konnte ich über
dieselbe nachträglich nichts mehr in Erfahrung bringen.
Obwohl dem Titel nach auf eine Landschaft beschränkt, mag doch
wegen der Ausdehnung des Gebietes sowie des Anschlusses an die vor-
genannten Karten halber schon hier Erwähnung finden die
Carta d'Epiro compilata dietro gli studi fatti negli anni 1869 — 75
dal R. Console [Enrico] de Gubernatis. Scala di 1:400000. Mit
11 S. Text. Fol. Rom. 1880. Fr. 7. S.-A. a. Boll. See. geogr. ital.
1879 S. 733—42.
Die Bedeutung der Karte beruht in den zahlreichen Routenauf-
nahraen des Verfassers, auf dessen topographische Arbeiten überEpirus
wir an anderer Stelle zurückzukommen haben werden. Das Terrain in
schwach geschummerter Manier mit schiefer Beleuchtung ist ausdrucks-
los und für das Studium unbrauchbar.
1) S. Petermanns Mitteil. 1877 S. 227, Zeitschr. d. Ges. f. Erdk. 1882
S. 24öA., Geogr. Jahrb. XII S. 3311.
2) Vgl. Kiepert a. a. 0. S. 252.
Jahresbericht für Alterthumswissenschaft LXIV. Bd. (1890. ni.) 28
434 Geographie von Griechenland.
Grofs ist natürlich die Zahl der Übersichtskarten von Grie-
chenland und den Balkanländern, welche besonders zur Zeit des russisch-
türkischen Krieges in rascher Folge veröffentlicht wurden, zum'gröfsten
Teile aber nur für das Tagesinteresse berechnet waren und deshalb
meist ohne wissenschaftlichen Wert sind. Es kann selbstverständlich
nicht meine Absicht sein, dieselben hier alle aufzuzählen ; nur auf einige
durch Reichtum des Inhaltes oder Gediegenheit der Darstellung hervor-
ragende Arbeiten gröfseren Mafsstabes, die mir aus eigener Anschauung
bekannt sind, soll im Folgenden aufmerksam gemacht werden.
Die Spezialkarte der Europäischen Türkei von F. Handtke in
1:576 000,^) welche in ihrem Hauptteile jetzt völlig veraltet ist, mag
wegen der später erschienenen Anschlufsblätter 19 und 20 erwähnt sein,
welche Griechenland bis zur Mitte des Peloponnes umfassen (Linie An-
dritsaena-Astros) und (besonders 20) als reichhaltige Übersichts-
karte gut zu gebrauchen sind. Das Gleiche gilt im Wesentlichen von
(v. Sehe da), Generalkarte der Europäischen Türkei und des
Königreichs Griechenland. 1:864000. Wien, Artaria. 1876. 13 Blatt.^)
Neue Ausg. u. d. T.: v. Schedas Generalkarte der Balkanländer. Von
Ä. Steinhauser nach den neuesten offiziellen Materialien gänzlich
umgearbeitet. (1880 u.) 1885. M. 18; kolor. M. 21. Einzelne Blätter
M. 2 (Plan von Konst. M. 3).
Die Karte ist, dem kleineren Mafsstab entsprechend, weniger
reich an Einzelheiten als die Handtke'sche, umfafst dafür aber (Bl. 9,
10, 12, 13) Griechenland nebst den Inseln des Archipels und dem
westlichen Kleinasien, das man selten in so grofsem Mafsstab darge-
stellt findet, vollständig. ^) Der Bearbeiter der zweiten Ausgabe veröffent-
lichte später noch eine kleinere Übersichtskarte u, d. T.
Karte von Südost-Europa. Die Staaten der Balkanhalbinsel samt
Teilen von Österreich-Ungarn bis Budapest und Wien und den übrigen
angrenzenden Ländern. Redigiert und beschrieben von A. Stein-
hauser. Wien, Artaria. 1887. 1:2000000. M. 4,50.
Ich erwähne diese Karte hauptsächlich deshalb, weil sie von beru-
fener Seite in sehr anerkennender Weise besprochen worden ist,*) ein
Urteil, das doch wohl nur teilweise berechtigt sein dürfte; wenig-
1) Glogau, Flemming. 1873. 18 Bl. zu M. 1,50.
3) Bl. 11 enthält einen Plan von Konstantinopel und nächster Umgebung
in 1 : 28 700.
3) Eine Sonderausgabe aus dieser Karte für Griechenland, ohne Terrain,
erschien u, d. T.: A. Steinhauser, Generalkarte von Griechenland nach v. Sche-
das grofser Karte der Balkanländer. 1886. 3 Bl M. 1,80.
*) C. Vogel in Petermanns Mitteil. 1888 Literaturber. No. 265; H. Lange
in Verhandl. d. Ges. f. Erdk. 1888 S. 112.
Karten. 435
stens befriedigt die Terraindarstellung, an welcher allerdings der Her-
ausgeber keinen unmittelbaren Anteil zu haben scheint, weder in wissen-
schaftlicher noch in technischer Hinsicht.
Eine in jeder Hinsicht weit bedeutendere Leistung, nur jetzt leider
in einzelnen Partien überholt, ist
H. Kieperts Generalkarte der südosteuropäischen Halbinsel. Ber-
lin, Dietrich Reimer. 1881. Bericht. Ausg. 1885. 1:1500000. 3 Bl.
M. 3,60. Nebenkarten: Konstantinopel und der Bosporus 1:200 000,
und: Der Hellespont mit der Halbinsel von Gallipoli und der Troi-
schen Ebene 1 : 300 000. Vgl. Petermanns Mitteil. 1881 S. 33 u. 308.
Konnte Kieperts Generalkarte bisher als beste kritische Übersicht
der Balkanländer gelten, so wird sie diesen Rang, was Neuheit und tech-
nische Vollendung betrifft, nun wohl an die im Erscheinen begriffene
Vierblattkarte der Balkanhalbinsel in Stielers Handatlas (1 : 1500 000)
abtreten müssen, deren Herstellung der bewährten Leitung C. Vogels
anvertraut ist. Bis jetzt liegen nur die beiden nördlichen Blätter vor
(1889 und 1890), welche Griechenland noch nicht betreffen; doch genü-
gen diese bereits um der Vollendung der ganzen Karte, die ein Juwel
kartographischer Kunst zu werden verspricht, mit Spannung entgegen
zu sehen. 1) (.Nachtr. : Ist inzwischen vollständig erschienen).
Eine Leistung ganz eigener Art, die sich den beiden lelztbespro-
chenen würdig zur Seite stellt, ist
Der Europäische Orient, im Mafse 1:1200 000. Nach den neue-
sten Quellen bearbeitet und herausgegeben vom k. k. militärgeographi-
schen Institute. Wien. 1887. 4 Bl. M. 7,20.
Diese Karte verfolgt den besonderen, aus dem Titel allerdings nicht
erkennbaren Zweck, durch Darstellung des Reliefs in Höhenschichten
ein möglichst anschauliches und zugleich genaues Terrainbild der südost-
europäischen Halbinsel vom 46" N. B. südwärts zu geben, welcher Zweck
denn auch durch eine im Ganzen wohlgelungene Wahl der Farbentöne
und die prächtige Ausführung in Chromolithographie in vorzüglicher
Weise erreicht wird. Indessen ist die Karte keineswegs nur hypsome-
trisch, sondern enthält auch ein klares Orts- und Verkehrsnetz, so dafs
sie sowohl beim Studium als auch auf der Reise gute Dienste thun wird.
Im Übrigen verweise ich auf die fachmännischen Besprechungen von
C. Vogel in Petermauns Mitteil. 1887 Literaturber. No. 496 und beson-
ders von H. Kiepert in d. Verhaudl. d. Ges. f. Erdk. 1888 S. 107 — 11.
Von den Karten, welche besonderen Zwecken dienen, wurden die
ethnographischen bereits erwähnt (o. S. 391 ff.); unter den für Schul-
1) Vgl. einstweilen den belehrenden Aufsatz C. Vogels über diese Karte
in Petermanns Mitteil. 1890 S. 42—46.
28*
48ß Geographie von Griechenland.
zwecke bearbeiteten Wandkarten, welche hier vollständig aufzuzählen
nicht der Ort ist, ragen durch Gediegenheit und Eleganz hervor
Graeciae antiquae tabula in usum scholarum descripta ab Hen-
rico Kiepert. 1:500000. 9 Bl. Berlin, D. Reimer. 4. Autl. 1883.
- 5. Aufl. 1887. M. 12,') und
Richard Kiepert, Schulwandatlas der Länder Europas. Berlin,
D.Reimer. 7. Lieferung Balkanhalbinsel (physikalisch). 1: 1000 000.
6 Bl. 1884. M. 7,50. — 8. Lieferung desgl. (politisch). 1:1000000.
6 Bl. 1883. M. 7,50.
Zum Schlufs gebe ich noch das Verzeichnis der im Zeitraum un-
seres Berichtes neu erschienenen Seekarten vom ionischen und ägäi-
schen Meere (s. o. S. 428 f.). 2)
A. Admiralitätskarten des Hydroyra/>fiic Department:
1367. Corinth Bay and Isthmus. 1:24350. 1890. Sh. 2Va.
1225. Patras Roads. 1: 12170. 1888. Sh. 1V2.
894. Salamis Strait and Giorgio Channel. 1884. Sh. Va.
1085. Negropont to Gulf of Kassandra. 1:208 670. 1890. Sh. 2Va.
1556. Gulf of Volo with Oreos and Talanta Channels. 1 : 109 000.
1890. Sh. 3.
1196. Port of Volo; Skiatho Harbour. 1:12170. 1888. Sh. iVa.
1086. Gulf of Kassandra to Thaso and Lemnos Islands. 1 : 208 700.
1888. Sh. 2.
1087. Thaso Island to Dardanelles. 1:208 700. 1888. Sh. 2.
2836 a. u. b. Archipelago. 1881. (Übersichtskarte des Archipels
in zwei grofsen und schönen Blättern, in welchen die früheren Auf-
nahmen von 1832 — 63 verarbeitet sind, mit zahlreichen Nebenkarten).
Jedes Blatt Sh. 3.
1) Bei dieser Gelegenheit mag zugleich auch, dem Bericht über Klein-
aaien vorausgreitend, auf desselben Meisters Asiae minoris antiquae tabula
(1 : 800000. Berlin, I). Reimer. 1888. 6 Bl. M. 9) hingewiesen werden, weiche
uns zum ersten Mal ein übersichtliches und dabei doch nahezu erschöpfendes
Bild eines geschichtlich hochwichtigen Landes gewährt. Vgl. einstweilen
G. Hirschfeld in d. Berl. Philol. Wochensch. 1888 Sp. 1193f u. G. Biedermann
in d. Blatt f d. bayr Gymnasialw. Bd. 25 S. 553 f.
2) Zusammengestellt nach den Literaturverzeichnissen in Petermanns
Mitteil u d. Ztschr. d. Ges. f Erdk. Für Vollständigkeit kann ich nicht ein-
stehen. Übrigens sei bemerkt, dafs die obigen Blätter meist nicht auf neuen
Aufnahmen beruhen, sondern nur berichtigte Ausgaben sind.
Karten 437
B. Karten des Depot des cartes et plana de lu Marine:^)
3745. Mer Jonienne. 1880.
3199. Corfou et cotes d'Albanie. 1874.
3210. lies Jonieniies. Sainte- Maure, Ithaque, Cephalonie et cote
ouest de la Grece. 1874.
3747. Ile Sainte -Maure, Chenal de Meganisi et Port Vliko.
1:48500. 1879.
3086. Rade de Sainte-Maure et Port Drepanc 1873.
3728. Ile de Cephalonie. Port Argostoli. 1879.
3209. Cöte ouest de la Moree et l'lle de Zante. 1874.
3110. Baie de Navarin. 1873.
3057. Carte des passages entre la Grece et l'lle de Candie. 1874.
4165. Golfes de Volo et de Zitouni, lies de Skopelo et Skyros.
3978. Abords et eutree des Dardanelles. 1884.
Nachträge.
S. 349. Von Herrn Dr. Krumbacher werde ich auf die ausführ-
liche Besprechung des Buches von Miliarakis hingewiesen, welche B.
A. Mystakidis in der zu Konstantinopel erscheinenden Zeitung N£n?,6-
yog gebracht hat und welche auch in Sonderabdruck '-*) erschienen ist;
dieselbe enthält u. A. auch zahlreiche Zusätze.
Den bibliographischen Arbeiten im Allgemeinen wären noch
die periodischen Publikationen anzufügen, welche über Ausgrabun-
gen u. s. w. berichten; da dieselben indessen bereits von Hirschfeld zu-
sammengestellt sind (Xn 242 ff., XIV 147 ff.), genügt es, auf dessen Be-
richte zu verweisen.
S. 352. Unter ähnlichem Titel wie das Buch von Stoll gibt, wie
ich nachträglich aus Hirschfelds letztem Bericht (XIII 163) entnehme,
auch W. Freund »Wanderungen auf klassischem Boden« heraus, von
denen bis jetzt das erste Heft vorliegt. 3) Ferner wäre den Arbeiten
über die »alte Geographie« Griechenlands noch anzuschliefsen
1) Zu beziehen durch Challarael in Paris Ein Katalog dipser die englischen
Vorlagen an Schönheit oft noch übertreffenden Seekarten ist leider nicht zu
erhalten. Die Preise, weiche ich infolge dfssen bei den einzelnen Blättern
nicht angeben kann, sind ähnlich wie bei den englischen Karten , z. T. noch
billiger.
2) ^BuekhjvixTj yewypa^ixTj (pikoXoyia xrX. hpiaEtq, dtop>9u>a£cg, npoffßyj-
xat bnö B. A. Muazaxidou. '£v Kojvaravzivuunokei. 1870. 32. 89 S.
3) Das alte Athen und seine bedeutendsten Denkmäler. Breslau, Wohl-
fahrt. 1889. 87 S. M. 1.
438 Geographie von Griechenland.
Albert Bisch off, Bemerkungen über homerische Topographie
(Pylos, Ithaka und Schiffskatalog). Progr. d. k. bayr. Studienanstalt
Scbweinfurt. 1875. 4. 35 S.
Diese Abhandlung hätte eigentlich schon im Bericht über homeri-
sche Realien Bd. III S. 149 ff. dieses Jahresberichts erwähnt werden
sollen, wo sie wahrscheinlich übersehen worden ist. Der Verfasser er-
örtert zunächst die Lage des homerischen Pylos, das er im Gegensatz
zu den meisten Neueren in Triphylien sucht, beschäftigt sich sodann mit
des Dichters Schilderung von Ithaka, in bezug auf welche er zwiscben
dem gläubigen Standpunkt Gells, Schliemanns u. s. w. und der radikalen
Auffassung Herchers u. A. eine vermittelnde Stellung einnimmt, und be-
spricht im dritten Teile die Anordnung des Schiffskataloges, wobei
er sich hauptsächlich gegen die Hypothesen von Nikolaides wendet; son-
derbarer Weise erhielt der Verfasser erst während des Druckes von der
grundlegenden Abhandlung Nieses über den Schiffskatalog Kenntnis.^)
Ferner als die vorgenannte Abhandlung steht unserem Berichte der
Aufsatz von
Alexander Enmann, Geographische Homerstudien im Pausa-
nias. Jahrb. f. klass. Philol. 1884 (Bd. 129) S. 497—520,
von welchem man ebenfalls eine Erwähnung in dem Bericht über home-
rische Realien in Bd. 46 S. 178 ff. erwartet hätte. Verfasser sucht nach-
zuweisen, dafs die Bemerkungen des Pausanias über homerische Topo-
graphie auf Artemidoros aus Ephesos zurückgehen.
Ähnliche Zwecke wie das S. 352 f. erwähnte Buch von Schuchhai'dt
verfolgt
Ch. Diehl, Excursions archeologiques en Grece. Mycenes, De-
los, Äthanes, Olympie, fileusis, f^pidaure, Dodone, Tirynthe, Tanagra.
Paris, Armand Colin et Cie. 1890. X 388 S. 8 Pläne. Fr. 4.
Wie Schuchhardt das Lebenswerk Schliemanns, so sucht Diehl
nach dem Vorgange von G. Boissiers Promenaden archeologiques die Ergeb-
nisse der grofsen Ausgrabungen auf griechischem Boden (ohne Klein-
asien) während der letzten Dezennien einem weiteren Publikum zugäng-
lich zu machen. Aufser den im Titel genannten Stätten werden noch
das Heiligtum des Apollo Ptoios in Boeotien, Eleusis und Epidauros in
besonderen Abschnitten behandelt. Die Darstellung ist anziehend und
für den Zweck der ersten Einführung in das Studium der neueren ar-
chäologischen Entdeckungen im Allgemeinen sehr geeignet. Im Übrigen
verweise ich auf die Besprechung von F. Baumgarten in der Philol. Wo-
chenschr. 1871 Sp. 179—82.
1) Vgl. über dieselbe den ausführlichen Bericht von Giseke in Bd. II
S. 965-70.
Nachtrag. 489
Nur um Fachgenossen, welche sich allenfalls durch eine unvoll-
ständige Wiedergabe des Titels zur Bestellung des Buches veranlafs*
sehen könnten, vor einer Enttäuschung zu bewahren, will ich als Nach-
trag zur onomatologischen Literatur (S. 356 f.) anführen
Onomatologie de la geographie grecque ou l'art d'appreudre le dic-
tionnaire grec en etudiant la geographie de la Grece ancienne et de ses
colonies, par l'abbe J. Fahre d'Envieu. Paris, Thorin. 1874. Fr. 7.
Nach der Besprechung von M. B(real?) in der Rev. crit. 1875 I
S. 6—8 verfolgt der Verfasser den Zweck, durch Erklärung der in der
Geographie Griechenlands vorkommenden Eigennamen den Schülern eine
griechische copia verborum beizubringen, wobei derselbe jedoch, nur um
seine Absicht zu erreichen, auch vor den kindlichsten und willkürlichsten
Etymologien, deren Unhaltbarkeit er sich wohl bewufst ist, nicht zurück-
schreckt.
Den vielumstrittenen Namen der Halbinsel Morea hat K. Sathas
zum Gegenstand eines Erklärungsversuches gemacht, i) welcher sich auf
die Annahme einer Stadt Morea in Elis stützt. Dafs diese Annahme
jedoch durchaus hinfällig ist, hat Zacbariä von Lingenthal in einer
Besprechung des Werkes von Sathas^) und eingehender C. Paparri-
gopulos in einem besonderen Aufsatz 3) dargethan. Da auch die von
Zachariä auf Grund der ältesten Form des Namens Amorea ver-
suchte Ableitung von d/xopetog = duöpsto^ (zur Bezeichnung der elischen
Ebene) kaum haltbar erscheint, kommt Paparrigopulos zu dem Schlüsse,
dals das Rätsel noch als ungelöst zu betrachten sei. Den Stand der
Frage fafst kurz zusammen F. Gregorovius, Gesch. d. Stadt Athen
I 309 f. Vgl auch Tozer in der u. angeführten Abhandlung S. 194 f.
In Anschlufs an diese onoraatologische Streitfrage, welche uns bereits
in das Mittelalter hinüberführt, mag hier auch eines Beitrages zur mittel-
alterlichen Geographie Griechenlands gedacht werden, der von uns um so
dankbarer zu begrüfsen ist, je weniger man sich bisher im Allgemeinen um
die Reste der fränkischen Periode bekümmert hat. Der treffliche H. F. T o-
zer hat nämlich in seiner gehaltvollen Abhandlung Tke Franks in the
Feloponnese^) u. d. T. Topogruphical Notes (S. 207 — 36) die Ergebnisse
einer im Jahre 1882 unternommenen Reise durch den Peloponnes vorge-
1) Documents ined. rel. ä l'hist. de la Grece 1 (1880j S. XXXI— XXXVIII.
Auch sonst enthält diese Sammlung wertvolles Material für die Geographie
Griechenlands im Mittelalter.
3) Deutsche Literaturzeit. 1880 Sp. 197 f.
3) Le nom de la Moree. Bull. corr. hell. 1881 S. 145-48.
4) Journ Hell. Stud. IV (1883) 165—236, mit einem Üborsichtskärtcheu,
Der erste Abschnitt (S. 168—86) enthält eine historische Skizze des Fürsten-
tums Morea, der zweite (S. 186 206) handelt von der »Chronik von Moreaa»
über welche jetzt Krumbacher, Gesch. d. byzant. Literatur S. 419—23 zu vgl.
440 Gpographir" von Griechenland.
legt, welche hauptsächlich dem Studium der mittelalterlichen Denkmäler
gewidmet war. ') Wir erhalten so (unabhängig von dem äufserlichen
Verlauf der Reise) die Besclireibuug von Klarentza, Chlemutzi und An-
dravida in Elis, von Akova, Karytaena, Nikli und Mukli in Arkadien,
von Kalamata, Passava, Mistra und Monemvasia in Messenien und
Lakonien.
S. 368 Die (im Handel vergriffene) französische Ausgabe des
Buches von Kordellas ist mir inzwischen durch gütige Vermittelung
des Herrn Dr. Tb. Skuphos vom Verfasser aus zugegangen. Es ist eine
auf Veranlassung der Centralkommission für Griechenland auf der Pa-
riser Weltausstellung von 1878 verfafste Denkschrift, welche in zwei
Teile, ein Apergu, geologique. und Apercu viinernlogique zerfällt. Der
erstere gibt eine Übersicht der Sedimentformationen und Gesteine nach
ihrem örtlichen Vorkommen, ebenso der vulkanischen Erscheinungen und
der Mineralquellen, der zweite enthält die Aufzählung der nutzbaren
Mineralien.
S. 375. Was Philippson in dem Aufsatz ȟber die Altersfolge
der Sedimentformationen« nur vorläufig angedeutet hatte, ist von dem-
selben jetzt ausführlicher begründet worden in seinem
Bericht über eine Reise durch Nord- und Mittelgriechenland. Zeit-
sehr. d. Ges. f. Erdk. z. Berlin 1890 S. 331 406, T. 6.
Nach einer kurzen Schilderung der Fahrt von Belgrad nach Salo-
niki, welche zu mehrfachen Beobachtungen über das von der Bahn durch-
schnittene Gestein Anlafs bot, berichtet der Verfasser über seine Touren
in Thessalien und Mittelgriechenland, welche ihn bis in die ab-
gelegensten Teile von Aetolien und Akarnanien führte. Selbstver-
ständlich sind die geologischen Beobachtungen in diesem Berichte vor-
herrschend. Das Hauptergebnis derselben veranschaulicht am besten
die beigegebene »Geologische Übersichtskarte von Mittelgriechenlandt
(1:900000), welche sich hinsichtlich der Begrenzung der Schichten-
gruppen zwar eng an die Karte der österreichischen Geologen (o. S. 372)
anschliefst, von derselben aber insofern wesentlich abweicht, als sie den
ganzen westlichen Teil Mittelgriechenlands, den Neumayr noch zur
Kreide rechnete, dem Eocän zuweist. Hierin liegt das Hauptergebnis
von Philippsons Untersuchungen, durch welche nunmehr auch die von
ihm erwartete Übereinstimmung mit dem Peloponnes festgestellt ist. Die
tektonischen Verhältnisse Mittelgriechenlands rücken hiedurch wieder in
ein neues Licht, der Unterschied in der orographischen Bildung des öst-
1) Ausgeschlossen sind jedoch hier von der Betrachtung die von zahl-
reichen Reisenden besuchten, übrigens weit weniger als die obengenannten mit
der Geschichte des Fürstentums Morea verknüpften Bauten von Patras, Ko-
rinth, Nauplia, Argos, Modon und Koron.
Nachtrag. 441
liehen und des westlichen Teiles wird verständlicher, die reichlichere Be-
waldung des letzteren findet in den geologischen Verhältnissen ihre Be-
gründung und auch auf die kulturgeographischen Verhältnisse fällt man-
ches Streiflicht. Wie in seinen Berichten über den Peloponnes mischt
Philippson auch hier seine geologischen Studien mit Bemerkungen über
die wirtschaftlichen und Siedelungsverhältnisse des bereisten Gebietes
und kommt zum Schlufs u. A wieder auf die Albanesen (vgl. o. S. 394f.)
zu sprechen, deren Zahl er für Mittelgriechenland, wo sie jedoch nur
im östlichen Teile vorkommen, auf 84 00(t (im ganzen Königreich auf
224000 = 11,3%) veranschlagt.
S. 375 f. Zu den Höhenmessungen Hegers und Tucketts vgl.
auch Petermanns Mitteil. 1879 S. I56b. Letzterer veröffentlichte bereits
früher
A Contribution to the Hypsometry of Greece, based chiefly on the
Results of the French Survey etc. Alpine Journal VHI (1878) S. 434
—44
im Anschlufs an seine in demselben Bande beschriebene Besteigung
des Taygetos, worüber später unter Lakonien zu berichten sein wird.
Was Tuckett in dem obigen »Beitrag« gibt, ist, so viel ich sehe, ledig-
lich eine Umrechnung der in der Carte de la Grece enthaltenen Höhen-
Ziffern in englisches Fufsmafs, also für nichtenglischc Leser höchstens
als übersichtliche Zusammenstellung der gemessenen Punkte von Interesse.
S. 377. Über das verheerende Erdbeben vom 27. August 1886
handeln ferner noch
Leon Vi dal. Öur le tremblement de terre du 27. aoüt 1886 en
Grece. Comptes Rendus de l'Ac. d. Sc. 1886 Bd. 103 S. 563—65, und
V. G. Marschall. Die Erdbeben in Griechenland. Unsere Zeit
1887 I S. 109—13.
Herr Konst. Mitzopulos scheint sich erfreulicher Weise die
I^rdbebenchronik Griechenlands zur ständigen Aufgabe zu machen; der
ersten Zusammenstellung für das Jahr 1889 (S. 377) folgte kürzlich ein
zweiter u. d. T.
Die Erdbeben in Griechenland und der Türkei im Jahre 1890.
Petermanns Mitteil. 1891 S. 51—54.
S. 381 f. Von den früheren Untersuchungen über den Gebrauch
der Bezeichnung »ionisches Meere hätte vor allem die knappe und
gründliche Darlegung Nissens') angeführt werden sollen, was leider über-
sehen wurde.
1) Italische Landeskunde 1 89—91.
442 Geographie von Griechenland.
S. 383 f. Zum Klima Griechenlands ist nachzutragen:
J. F. Jul. Schmidt, llefj\ ixeydXcuv xaranrwasujv ^covog xat y^a-
Xd^r^g iv 'EUdSc. Ilapvaatrug VIII (1884) S. 84—86.
Verzeichnet für den Zeitraum 1850 — 84 die Fälle, in welchen
Attika von einer mehr als 0,1 m hohen zusammenhängenden Schneedecke
bedeckt war, sowie aufsergewöhnliche Hagelfälle ; einige Nachrichten be-
ziehen sich auch auf andere Teile Griechenlands.
In derselben Zeitschrift pflegen auch die meteorologischen Haupt-
daten jedes Jahres unter der Rubrik Me-ewpoXoyixTj änoipig verzeichnet
zu werden.
J. Partsch, Zur Klimatologie von Griechenland. Meteorol. Zeit-
schr. 1889 S. 335—87
berichtet über die Ergebnisse der von Spir. Marinos seit 1887 wieder
aufgenommenen Beobachtungen in Corfu, wo seit Dabovich (1869—79)
keine solche mehr angestellt worden waren.
S. 384ff. Von der Literatur zur Flora Griechenlands ist mir, ab-
gesehen von Arbeiten, welche nur einzelne Landschaften oder Inseln be-
treifen, nachträglich noch bekannt geworden:
Th. Orphanidis, Sur les caracteres sp^cifiques du genre Col-
chicum et sur quelques especes nouvellement decouvertes en Gröce.
Atti del Congr. internaz. botan. in Firenze 1874 S. 27 — 36.
Th. V. Held reich, Sertulum plantarum novarum vel minus cog-
nitarum florae Hellenicae. Ib. S. 136 f., 227-40. Vgl. Just's Botan.
Jahresber. IV 2 (1876) S. 1055, woraus beide Titel entnommen sind.
Derselbe, Glaucium Serpieri Heldr. Gartenflora 1873 S. 323 f.,
T. 776 (neue Spezies vom Laurion).
A. Philipps on. Über den Anbau der Korinthe in Griechenland.
Naturwiss. Wochenschr. III (1889 S. 17-3 f.
S. 387. N. A. Chloros veröffentlichte aufser den beiden a. a. 0.
genannten Schriften noch
Tä ddarj WQ ipoaixa dl.s.^L'/^dhxZ,a xat ujg npoardzac. rr^g yeujpyiag.
napvaaaog VI (1872) S 112—41, und
riepl yprjOtpLÖTrjTog rtyv Saaüjv ib. S. 916 - 30.
Weit schwieriger als die tloristische Literatur ist es die einzelnen
Beiträge zur Fauna eines Landes zu überblicken, da es an einem so
rasch orientierenden Organ wie Just's Botanischer Jahresbericht fehlt;
denn der »Zoologische Anzeiger« von Carus und besonders der »Zoolo-
gical Record« verzeichnen zwar die Literatur mit wünschenswerter Voll-
Nachtrag. 443
ständigkeit, doch ist das Ausziehen der faunistischen Beiträge aus der-
selben mit grofsem Aufwand an Mühe und Zeit verbunden. Die Berichte
im »Geographischen Jahrbuch« aber sind weder für Pflanzen- noch für
Tiergeographie ganz ausreichend. Was daher S. 388 f. von faunistischer
Literatur angeführt ist, umfafst nur die zufällig zu meiner Kenntnis ge-
langten Schriften, denen ich noch die beiden folgenden Beiträge anfüge:
0. Boettger, Über einige iieue oder bemerkenswerte Land-
schnecken aus Griechenland. Nachrichtsbl. der deutsch, malakozool.
Ges. XX (1888) S. 51 58.
C. Frey tag. Die Pferde Griechenlands. Die Natur 1875 S. 196
—98, 201 f.
Der letztere Aufsatz handelt vornehmlich von der auf den Kykla-
den verbreiteten Zwergrasse, deren Heimat der Verfasser in Skyros sucht.
Zur Ethnographie ist nachzutragen, dafs von ft. Lejean (S.392A)
lange nach dem Tode des Verfassers (f 1871) u. d. T.
Les populations de la peninsule des Balkans. Revue d'anthropol.
IL Ser. V (1882) S. 201—59, 453—96, 628—75
historische Betrachtungen über die Völker der Balkanhalbinsel erschie-
nen, welche nach dem heutigen Stande der Wissenschaft kaum noch von
Wert sind.
Auf die den Griechen so unbequeme Frage der slavischen Ein-
wanderung im Mittelalter kommt auch Sathas in der Einleitung zum
ersten Bande der Documents S. VI— XXVIII (s. o S. 439) zu sprechen,
indem er die vermeinthch slavischen Niederlassungen als albanesi-
sche nachzuweisen sucht, eine Hypothese, deren Hinfälligkeit u. A. von
W. Heyd^) dargethan worden ist.
Aus der ziemlich umfangreichen Literatur über die Zinzaren
(südliche Rumänen, S. 396) ist mir auch
N. Densusianu et F. Dame, Les Roumains du Sud. Macedoine,
Thessalie, f]pire, Thrace, Albanie. Bukarest. 1877
nur dem Titel nach bekannt. Die wissenschaftlich bedeutendste Arbeit
ist wohl
Gustav Weigand, Die Sprache der Olympo-Walachen, nebst
einer Einleitung über Land und Leute. Leipzig, J. A Barth. 1888.
VIII 141 S. M. 3.
Verfasser hat hier auf Grund eines eigenen dreimonatlichen Auf-
enthaltes in Vlacho-Livadhon den Dialekt der Olympo-Walachen sprach-
1) Zur Frage der Absfanimnng der Neugriechon Im Neuen Reich 1880
II S. 56-59.
444 Geographie von Griechenland.
wissenschaftlich behandelt und sowohl prosaische als poetische Texte
mit|,'etoilt. Die Einleitung über die Olympo-Walachen im Allgemeinen und
ihr Land (S. 9- l(j) beschränkt sich leider auf einige kurze Mitteilun-
gen. S. 7 f. werden einige von Humanen verfafste Schriften angeführt,
welche in unserem Berichte nicht erwähnt sind.
Eine Arbeit über die neue Landesgrenze u. d. T.
J. 13 lau Card, L'f^pire et la Thessalie. Deliminitation des fron-
tieres turcogrecques. Paris, Didot. 188'2. Fr. 2.
ist mir nicht näher bekannt geworden.
Über den Handel und die wirtschaftlichen Verhältnisse des
Landes sind insbesondere auch die Konsulatsberichte zu vergleichen,
welche in dem vom Reichsamt des Innern herausgegebenen »Deut-
schen Handelsarchiv« veröffentlicht werden, hier aber nicht alle ein-
zeln aufgezählt werden können. Unzugänglich ist mir
D. Georgiades, La Grece economique. Sa participation ä l'Ex-
position universelle et son commerce avec la France. Paris. 1889.
4. 12 S. S.A. a. »Journal de l'Orient«.
Eine Skizze Griechenlands, vornehmlich in wirtschaftlicher Hin-
sicht mit besonderer Rücksicht auf neue grofse Unternehmungen, wie die
Durchstechung des Isthmus, die Austrocknung des Kopaissees u s. w., gibt
Ed. de Joannes, La Grece moderne, ses forces productrices, sa
Situation economique Bull, de la Soc. de geogr. commerc Paris. IX
1887 S. 25 — 49. Auch in dem mir nicht zugänglichen »Bull, de la
soc. geogr. de Lille« VIII 1887 S- 137 ff.
Eine ganz populäre Schilderung mit den landläufigen Illustrationen ist
Das heutige Griechenland und seine Hauptstadt. Aus allen Welt-
teilen 1878 S 199— 204, 242 44, 259—62. — Das heutige Griechen-
land: der Peloponnes. Bearbeitet von Seh. Ebd. 1880 S. 231-35,
260- 62.
Von dem Buche
Quadri della Grecia moderna del dottor Pierviviano Zecchini
e altri di Nicolö Tommaseo. Seconda edizione corretta e ampliata.
Venezia. 1866. 480 S.,
welches uns in das Griechenland von 1830 zurückversetzt, ist 1876 in
Florenz eine neue, anscheinend etwas erweiterte Ausgabe (564 S. , 1. 5)
erschienen, welche ich nicht gesehen habe. Unbekannt geblieben sind
mir auch
F. Crousse, La peninsule greco-slave, son pass^, son präsent et
son avenir. fitude historique et politique. Bruxelle, Spineux & Co,
1876. CVIII 523 S. M. 10, und
Nachtrag. 445
H. D. Campbell, Turks and Greeks. Notes on a recent Excur-
sion. London, Macmillan. 1877. 136 S. Sh. 3Va-
S. 405 f. Bezüglich der Arbeiten von Schinas erfahre ich in-
zwischen von einem Kenner der chalkidischen Halbinsel, dafs seine An-
gaben über dieselbe zum 'IVil unzuverlässig sind und nicht durchweg auf
Selbstanschauung zu beruhen scheinen, womit jedoch über die anderen
Teile des Werkes insbesondere soweit sie das türkische Grenzgebiet be-
treffen, kein Urteil abgegeben werden soll.
S, 414. Das vornehm ausgestattete Werk des Erzherzogs Lud-
wig Salvator, welches nicht in den Handel gelangt und daher auch in
gröfseren Bibliotheken selten zu finden ist, M ist mir inzwischen durch
die Munifizenz S. K. u- K. Hoheit zugegangen. Da der dringliche Ab-
schlufs dieses Berichtes eine eingehendere Besprechung leider nicht mehr
ermöglicht, mufs ich mich hier auf die Mitteilung beschränken, dafs das
Werk eine vollständige Schilderung der Küsten des Golfes von Korinth
(von der Meerenge von Rhion angefangen) enthält und von zahlreichen,
nach Originalskizzen des hohen Verfassers hergestellten Illustrationen
einer schönen Übersichtskarte (1 : 200000) und Profilen des Isthmos be-
gleitet ist.
Durch elegante Ausstattung zeichnet sich ebenfalls aus
W. J. Stillman, On the Track of Ulysses together with an Ex-
cursion in Quest of the so-called Venus of Melos. Two Studies in
Archaelogy, made during a Cruise among the Greek Islands. Boston
and New York, Houghton, Mifflin and Company. 1888. 4. X 106 S.
1 T. geb. M. 24.
Die beiden ersten Teile dieser zuerst im Century Magazine gedruck-
ten Aufsätze {On the Track of Ulysses, S. 1 — 49, und The Odyssey, its
Epoch and Geography, S. 50 — 74) enthalten die in populäres Gewand ge-
kleidete Schilderung einer im Auftrag jener Zeitschrift unternommene
Reise nach dem griechischen Westen (hauptsächlich Corfu, Ithaka und
Kephallenia) mit besonderer Rücksicht auf homerische Topographie ;
ich hoffe bei den ionischen Inseln darauf zurückzukommen. Der dritte
Teil {The so-called Venus of Melos, S. 75 - 106) berichtet über einen
zweimaligen Besuch des Verfassers auf Melos (1865 und 1880), welcher
hauptsächlich die genaue Untersuchung des Fundortes der Aphrodite-
statue zum Zweck hatte. Im Übrigen ist dieser Abschnitt wesentlich
archäologisch. Eine Anzahl meist kleiner, aber sauber ausgeführter An-
sichten im Text nebst bildlichen Erläuterungen zum dritten Abschnitt
erhöhen den gefälligen äufseren Eindruck des Buches.
1) Eine anscheinend vollständige Sammlung der Werke des fürstlichen
Verfassers enthält u. A. die Bibliothek der »(iesellschaft für Erdkunde in Ber-
hn«, welcher Erzherzog Ludwig Salvator als Ehrenmitglied angehört.
446 Geographie von Griechenland.
L. de Launay, Autour de la Mer figöe. Lesbos. — Thasos. —
Le Mont Athos. — Salonique. — Les conveuts de Thessalie. (Cro-
quis et impressioiis). Annuaire du Club Alpin Fran^ais. 1888.
S. 389—433.
Der Inhalt dieser etwas aphoristischen, aber durch ihre Unmittel-
barkeit anmutenden Reiseskizzen, welche einige bildliche Darstellungen
begleiten, ist durch die Überschrift hinlänglich gekennzeichnet.
S. 419 wäre noch einzufügen:
Georg Finsler, Aus der Mappe eines Fahrenden. Bilder aus
Italien und Griechenland, Frauenfeld, J. Huber. 1884. VIII 337 S.
M. 4.
Der gröfsere Teil des typographisch hübsch ausgestatteten Buches
entfällt auf Italien ; von Sizilien reiste der Verfasser nach Athen und
unternahm von dort, nach den üblichen Ausflügen in Attika (Sunion,
Eleusis) die Rundtour Korinth, Delphi, Patras, Zante, Olympia, Phiga-
lia, Tripolitsa, Nauplia, Mykenai, Nemea.
Schliefslich kann ich nicht umhin, als Nachtrag zur geologischen
Literatur noch die auch für die Archaeologie hochbedeutsame Abhand-
lung von
G. Richard Lepsius, Griechische Mazraorstudien. Abhandl. d.
k. preufs. Ak. d. Wiss. zu Berlin 1890. 4. 135 S. M. 6,50
hier anzuführen, obwohl mir dieselbe noch nicht zu Gesicht gekommen
ist; ich verweise daher auf den ausführlichen Bericht von Chr. B[elger]
in der Philol. Wochenschr. 1891 Sp. 2 f., 34—36.
Register.
I. Verzeichniss der besprochenen Schriften.
Abraham, Fr , Tiberius u. Sejan III 154
Admiralty Charts III 428. 436
Aelii Dionysii et Pausaniae fragmoiita
coli E. Schwabe I 130
Albicini, C, Gi&vanni Gozzadini III 67
Albrecht, P,, philologische Untersuchun-
gen II 147
Allard, P , DiocIetien et les chretiens
III 183
Altschul, A., de Demetrii rhetoris aetate
I 72
Amadori, C, Roma sotto i patiizi III 188
Amman, J. K., zur Erklärung der z\V(>i
ten Epode des Horaz 11 162
Ammon, G., de Dionysii Hnlicarnasseu-
sis toutibus I 58
Anagnostakis, A , la methode antisepti-
que chez les anciens III 329
Angermann, K , geographische ISamen
Altgriecheulands III 357
Anspach, E., die Horazi«chen Oden in
Bezug auf Interpolation 11 140
— Abfassungszeit der Bacchides II 55
Antona-Traversi, C, studi su Leopardi
III 66
d'Arbois de Jubainville, de IVmplui des
bijoux III 275
Arlt, A , servare bei Plautus II 23
Arnold,Franklin,dieneronische Christeu-
verfolgung III 162
— Studien zur Plinianischen Christen-
verfolgung II 243
Asbach, J., römisches Kaiserthum III 195
— Volkstribunat des Livius Drusus III
134
— die Ueberlieferung der germanischen
Kriege III 141
Assmann, E., zur Nautik des Alterthums
III 263
Aures, A., rapport sur une publication
de M. Oppert III 235
Ausonii opuscula rec. R Peiper 11 100
— Oeuvres, traduction par E F. Corpet
II 100
— la Moseile, edition critique et tra-
duction par H. de la Vilie de Mirmont
11 102
— Moseila, nachgebildet von H. Viehoff
II 161
Bach, J., de pronominum apud priscos
scriptores latinos usu II 12
— de attracfione inversa II 39
Bächtold, J., zu Nikiaus von Wylelll 15
Bädeker, K., Griechenland III 408
Bahr, P , die Oertlichkeit der Schlacht
auf Idistaviso III 153
Bährens, E , zu lateinischen Dichtern
II 103
Baier, B., meletemuta Plautina II 10
Bapp, K, Beiträge zur Quellenkritik
des Athenaeus I 126
Baransky, A , Thierzucht im AUerthum.
— Thiermedi'in im Alterthum III 340
Barberet, V., de Columellae vita ill 257
Barbillon, historia de la medicina III 282
Barta, F., über die auf die Dichtkunst
bezüglichen Ausdrücke bei den römi-
scheu Dichtern II 127
Bauer, A., die Kriegsschiffe der Alten
III 267
Bauer, Ludwig, Verhältniss der Punica
des Silius zur 3 Dekade des Livius II
193
— zu Silius Italicus II 203
Becker, E., Satzverbindung II 39
Beckurts, die Kriege der Römer in Afrika
111 182
Bedjanitsch, de Horatii epistulis II 172
Beer, R., el maestro Renallo III 68
Beheim-Schwarzbach, F., libellus nepl
kpfjLTjveiai I 74
Behrmann, G., eine Maienfabrt III 426
448
Register.
Bell, A., de locativi in prisca latinitate
usu II 24
Belle, H., trois aniiei's an Gr^ce III 4 IG
Beloch , J , di(» Bevölkerung der giic-
chiscli-römischeu Welt III 358
Bender, H., Anfänge der humanistischen
Studien in Tübingen III 25
— Humanismus zu Tübingen III 26
— Johann Valentin Andreae III 68
— Johann Balthasar Schupp 111 69
— Gymuasialreden III 107
Berendes, Pharmacie bei den alten Kul-
turvölkern III 317
Bernays, J,, commentarius in Lucreti
üb. II 211
Berthelot et Ruelle, colleciion des an-
ciens alchimijtes III 242
— sur quelques metaux de l'antique
Chaldee III 260
— sur le nom de bronze III 259
Bikelas, D., de Nicopolis a Olympie III 4-;0
Bilflnger, G , die babylonische Doppel-
stunde III 233
Bischoff, A., Bemerkungen über home-
rische Topographie III 438
BIttner, Neumayr, Teller, geologische
Abhandlungen über Griechenland III
371
Blase, H., Geschichte des Irrealis II 37
Blümner, H , Technologisches III 244
Bohne, W , Erziehung der Kinder Ernst
des Frommen III 64
Bötticher, A., aut griechischen Land-
strasseu III 418
Bolte,J., zwei Humanistenkomödien 111 10
Bompard, R., le crime de lese-majeste
111 228
Bonghi, R., storia di Roma III 114
Boot, J , über Spangenbergii bellum
graramaticale III 38
Brambs, G., über Citate und Reminis-
cenzen bei Lukiau 1 99
Brandt, Chronologie des Gedichtes des
Lucretius II 224
Brandt, K., zur Geschichte und Kompo-
sition der Ilias I 18
— über eine Erweiterung der Epopöe
vom Zorn des Achilleus I 35
— die Kataloge I 28
Brauns, D , das Problem des Serapeums
von Pozzuoli III 262
Breitung, A , Leben des Dio Chrysosto-
mus 1 75
Breusing, A , die Lösung des Trieren-
räthsels III 265
Briau, R., sur l'introduction de la me-
decine dans le Latium III 289
Brief Philipp ßuttmanns 111 86
Brown, R., the Euphratean Theogony
111 235
Brugmann, 0., Gebrauch von ni II 26
Bruhn, E., Plutarchea I 14
Brunk, A , zu Aelians varia historia 1 12
Bruns, J., Lnkians philosophische Sa-
tiren I 100
— Lukian und Oenomaus 1 103
Buchholz E., vindiciae carminum Ho-
nieiitoraui 1 20
Buchwald, F , quaestiones Silianae II 195
Bücheier, F., coniectanea 1 71
— Prosodisches zu Plautus II 9
— Julius bei Horaz II 160
— zu Lucilius II 7
Büchner, W , de neocoria 111 200
Bürger, C , de Lucio Patrensi I 90
- Textkritisches zum "Ovo^ I 98
Buresch, K., die Quellen zu den Be-
richteu von der katilinarischeu Ver-
schwörung III 135
— consolationum scriptarum historia 18
Buschan , Technik der prähistorischen
Gewebe III 273
— über die Anfänge und Enlwickelung
der Weberei III 274
Caccialanza, F., Cecilio da Calatte 1 71
Calpurni et Nemesiani bucolica rec. H.
Schenkl II 95
— - by Ch. H Keene II 96
Campaux, A., critique du texte d'Horace
II 132
Cantarelli, L , cursus bonorum dell' im-
peratore Petronio Massimo III 180
— intorno ad alcuni prefetti di Roma
III 189
Capasso, B. , nuova interpretazione di
Oraziü II 170
Carette, E., etudes sur les temps ante
histonques III 249
Carnuth, 0, Quellenstudien zum Ety-
mologicum Gudianum 1 109
Cartault, A., sur un passage de la vie
de Lucaia II 177
— la date des Puniqiies de Silius Itali-
ens II 197
Chambalu, A., vierte katilinarische Rede
111 135
Charcot et RIcher, les difformes dans
l'art III 323
Chatelain, E., note sur un manuscrit
d'Horace II 130
Cheneviere.A.dePiutarchi tamiliaribuslO
Chloros. N , Waldverhältnisse Griechen-
lands III 386
Christ, K., römische Feldzüge in der
Pfalz 111 178
Chrysochos, M., niva^ Tfjg 'Hnsipou 111
433
Cima. A, saggi di studi latini II 135
— l'elemento nazionale in Lucrezio 11
223
Register'.
449
Coblentz, B , de libelli mpi ut/ioug auc-
tore I 70
Cohn, L., unedierte Fragmente aus der
atticistischen Litteratur I 110
Collilieux, E., deux editeurs de Virgile
III 97
Corlieu, A, les medecins grecs 111 291
Cornelius, E., quomodo Tacitus in ho-
miuum memoria versatus sit III 139
Cornelissen,J.,lectionesValerianae II 273
— loctiones Venusinae II 139
Corpus inscriptionum latinarum, XII :
Gallia III 212
Corradi, A., in C. Plinium observationes
II 249
Cramer, F., de perfecti couiunctivi usu
II -Ao
Crozals, J. de, Plutarque I 16
Crusius, 0 , ad poetas latinos II 138
Cuno, J., Vorgeschichte Roms III 120
Dahm, O., die Varusschlacht III 152
— Uebergang des Limes III 225
Dalton, H., Reisebilder III 419
Danelius, Beitrag zur Augenheilkunde
des Aetius III 311
Deecke, W., die Falisker III 124
— Bemerkungen über Bau- und Pflaster-
material in Pompeji III 279
Delattre, A., les travaux hydrauliques
en Babylonie III 277
Delbrück, H., Triarier III 218
Dembitzer, Z , de ratioue quam Plautus
in reciproca actione exprimendainierit
II 38
Dernedde, R., antike Stoffe bei altfran-
zösischen Dichtern III 45
Desrousseaux, sur deux passages de
Lucien I 93
Diebitsch , die Sittenlehre des Lucrez
II 220
Diefenbach, L., Völkerkunde Osteuropas
III 393
Diehl, Ch., excursions archeologiques en
Grece III 438
Diels, H., antike Heilwunder III 285
Diepenbrock, A., L Annaeus Seneca
III 156
Dieterich, A., prolegomena ad papyrum
magicum III 280
Dietrich, Gedanken und Skizzen aus
Lucian I 89
Dignat, histoire de la medeciue III 282
Dio Chrysostomus, l'Eubeenne, trad. par
H. Fauvel I 79
Dionysii Halicarnassensis de imitatione
reliquiae ed. H. Usener I 60
Dittmar, H , Lucianea I 105
Döring, R., über den Homerus latinus
II 203
— de Silii Italici re metrica II 204
Jahresbericht für Alterthumswissenschaft.
Dombart, Stowasser, Graubart, tricesi-
ma sabbata II 171
Dondorff, das hellenische Land III 353
Dorsch, J., Assimilation bei Plautus und
Terenz II 10
Double, A., la mödecine dans les temps
prehistoriques III 329
Drewes, Carl Theodor Gravenhorst III 95
Drews, P., Pirkheimers Stellung zur Re-
formation III 27
Dubois, de Co insula III 288
Dübi, H., die alten Berner III 213
Düntzer, H , zu Horatius II 148
Duncker, A., Geschichte der Chatten III
181
Dupouy, medecine et moeurs de l'an-
cienne Rome III 291
Duvau, L , Lucretiana II 228
Ebers, G., das Kapitel über die Augen-
krankheiten im Papyrus Ebers III 333
— Gewichte undHohlmaasse im Papyrus
Ebers III 342
Ebstein, W , über Wasserentziehung bei
Fettsucht III 328
Ellinger, G., Thomas Morus III 14
— noch einmal über Huttens Charakter
III 34
Eliis, R., Bishop Wordworth's emenda-
tion of Lucan II 190
Elter, A., Anordnung der Oden des Ho-
raz II 132
Engel, E., griechische Frühlingstage III
423
Engelbrecht, A., Hephästion von Theben
III 236
Epistolae Langianae edidit H. Hering
III 34
Epistulae Gottingenses edidit. C. Dilthey
in 71
Eymer, W , zur Horazlektüre II 132
Eyssenhardt, F., Niebuhr III 75
Fabre d'Envieu, onomatologie III 439
Fabricius. W , Theophanes von Mitylene
III 139
Falk, F., Nicolaus Carbach III 34
Faltin, G., zu Horaz Episteln II 173
Farenheid, Fr. v , Reise durch Griechen-
land III 413
Farges, A , matiere et forme III 232
Faucher, J., Streifzüge III 415
Faulde, 0., Stellung u. Bedeutung Mil-
tons III 57
Faules!, M , il carmen secolare di Orazio
II 121
Fey, J., Albrecht von Eyb II 7
Fick, A., die homerische Ilias I 29
Fietz, C , Prinzenunterricht III 61
Fischer, J. N., zur ars poetica des Ho-
raz II 176
Flach, Hans, Peisistratos I 21
LXIV. Bd. (1890 III).
29
450
Register.
Flach. J., Erinnerung anKarlLehrs IIISC»
Förster, R, do Adumantii physingno-
iiücis 111 307
Förster, R, zu Ausonius JI 104
— dio Physiognomik der (Jriocheu III 31ä
Forbiger, A , Ilandbiuli der alten Geo-
graphie 111 349
Fore!, le probleme de TEuripe 111 37'J
Francken, C IVI , Lucani codex Daventr
11 183
— ad Liicanuin II 191
Franke, J., de Silii Itaiici tropis 11 199
Franziszi, F , Iloratius als Nachahmer
II loy
Freytag, G , Erinnerungen III 89
Friedländer, L., Schicksale der homeri-
schen Poesie I 31
Frigell, A , adnotationes ad Horatii car-
mina II 136
Fröhner, römische Spielmarken III 268
Führer durch Dalmatien 111 407
Gabel G , Horatianae epistulae II 175
Galeni scripta miuora rec J. Marquardt
III 306
— de utilitate partium primus ed G.
Helmreich Ili 306
Galle, A., barometrische Höhenmessun-
gen im Peloponnes III 375
Garizio, E., il poema della natura di
Lucrezio 11 216
Garnett, R , on the date of Calpurnius
Siculus II 97
Gasda, A., krit. Bemerkungen zu The-
mistius 1 88
Geiger, L , Studien zum französischen
Humanismus III 11
— ein humanistisches Drama III 16
— lat. Rede über die Schlacht bei Pavia
I 11
— ein Lobspruch auf Paris III 12
— Gedichte uud Briefe an Peutinger
III 15
Gemoll, A., Homerische Blätter I 22
— zur Erklärung u. Kritik der home-
rischen Gedichte I 33
Gerold, Rosa v., Ausflug nach Athen
III 420
Gertz, M. Gl , symbolae in Val. Maxi-
mum II 258
Glani, R., la Farsagiia II 181
Giesing, Fr., Verstärkung u Ablösung
in der Kohorteulegion III 221
— zur Charakteristik des jüngeren Pli
nius II 251
Gnesotto, F , Orazio come uomo II 135
Göll, H., heilige Kurorte im Alterthum
111 287
Görres, F., Rictius Varus III 184
Götz, G., zu Camerarius Plautusstudien
II 6
Götz, W., die Verkehrswege III 271
Goldmann, Fr., poetische Personifikation
l)('i Phuilns 11 43
Goliwitzer, Th., obstrvatiuncs in Julian!
imp. contra Christianos 1 83
Gomperz, Th , Apologie der Heilkunst
111 294
Gorceix, note sur l'ile de Cos 111 373
Graf, E., Dionys von Halikarnass 1 59
— Plutarchisches I 16
Grasberger, L , Studien zu den griechi-
schen Ortsnamen HI 357
Gregoras, D., kritische Bemerkungen
über Leben uud Lehren des Hippo-
krates III 288
Greilich, A, Dionysius Halicarnassensis
I 55
Grösst, J., quatenus Siiius Italiens a
Vergilio pendere videatur II 198
Grot, R. V., über die in der Hippokra-
tischen Schrittensammluug enthaltenen
pharmakologischen Kenntnisse III 315
Gruohot, H., Verzeichniss der Brauns-
berger Drucke 111 98
Gubernatis, E. de, carta d'Epiro 111 433
Günther, S., Geschichte der antiken Na-
turwissenschaft HI 281
Guichon de Grandpont, Ovidius Nauti-
cus III 263
Gumpert, F., argumentum satirae Uo-
ratiauae II 165
Habel, P., de pontificum Romanorum
condicione publica III 198
Häser, H.. Grundriss der Geschichte der
Medizin HI 281
Hagen, H , zu den Berner Lucanscholien
II 183
Hagen, P., quaestiones Dioneae I 76
Hahne, F., zu Demetrius Rhetor 1 72
Hamonic, P., des maladies venerienues
chez lex Hebreux ä l'epoque biblique
HI 327
Härder, F., über die Fragmente des
Mäcenas II 133
Hardy, E. G., a Bodleian ms of Plinv's
letters II 236
Harnack, A , Augustins Konfessionen
Hl 185
Hartfelder, K., zu Konrad Celtis HI 16
Haskins, C, uotes on Lucan II 191
Hasselmann, Fr, über altägyptische
Textiltuude III 274
Haupt, H., zu den Kyranideu des Her-
mes Trismegistos HI 236
Haupt, Th., der Bergbau der Etrusker
HI 260
Haury, J.,quibus fontibus Aelius Aristi-
des usus Sit 1 81
Havet, L, Itaiici Ilias II 206
Heinze, H , Familie des Plutarch I 9
Register.
451
Heinze, R., de Horatio Bionis imitatore
II 16S
Helmbold, J., das Gastmahl des Nasi-
diemis II 171
Hernekamp, Fl., über den Todestag Jesu
III 161
Hertz, M., admonitiuncula Horatiana II
129
Hertzberg, G., Entstehung der neugrie-
chischen Nationalität III 393
Hettner, F., römische Münzfunde in den
Rheinlanden III 176
— Inschrift aus Trier III 154
Hessler, F., Beiträge zur Naturphiloso-
phie der alten Hindu Heilmittel im
Ayur-Veda III 345
Heyden, H., quaestiones de Aelio Dio-
nysio I 107
Heylbut, G., Ptolemaeus nspi diafopäg
1 113
Hinze, P., de an particula II 28
Hirsch, A., historische Entwickelung der
öffentlichen Gesundheitspflege III 321
Hirschberg, J., Augenheilkunde bei den
Griechen III 337
— Wörterbuch der Augenheilkunde III
337
Hirschfeld, G., Entwickelung des Stadt-
bildes III 355
— zur Typologie griechischer Ansiede-
lungen 354
— Bericht über Geographie der alten
griechischen Welt III 348
Hirschfeld, O., Abfassungszeit der Ma-
xpößiot I 97
— zum Kaiserkultus III 198
Hirth , Fr., zur Geschichte des antiken
Orienlhandels III 270
Hochegger, R., geschichtliche Entwicke-
lung des Farbensinnes III 313
Höfer, P., die Varusschlacht III 146
Hoffmann, G., der ager publicus 111 213
Hofmann, K. B , über vermeintliche an-
tike Seife III 318
Hofmeister, Anfänge des Rostocker Bü-
chergewerbes III 99
Homerus, l'Iliade,rOdyssee, par A.Couat
129
— ed. by W. Leaf I 34
Holstein, H , Findlinge aus der Refor-
mationszeit III 37
Hopf, L., Thierorakel III 239
Hoppe, J , aristotelisches Räthsel III 245
Horatii opera, vol. III, von A. Kiess-
ling II 108
— - von H. Schütz II 114
par A Waltz II 117
~ — in usum scholae Etonensis II 120
— opere espurgate, versione di A. Colla
li 124
Horatius, Auswahl, deutsch von C. Prä-
torius II 123
— Oden und Epoden erklärt von W.
Nauck II 113
les ödes, traduction par|E. Figurey
II 124
— — odi , traduzione di N. Primavera
II 124
— satires and epistles, by J. Greenough
n 119
— — Satiren und Episteln, von G.Krüger
II 116
Satire e epistole, tradotte du E.
Ottino II 124
— satirae, erklärt von K. 0, ßreithaupt
II 105
— — übersetzt von J. Kipper II 122
— epistulae, erklärt von H. S. Anton
II 107
by E. S. Shuckburgh II 119
— — zwei Briete übersetzt von Rieh.
Schneider II 123
— l'arte poetica da A. Cinna II 121
ars poetica, übersetzt von Th.
Kayser II 123
Horawitz, A , zur Geschichte des Hu-
manismus in den Alpenländern III 32
— Johannes Faber III 37
Housman, A. E., Horatiana II 146
Hubert, F. G., über den Vortrag der ho-
merischen Gedichte I 22
Hübner, E., Horaz in Spanien II 134
Hülsen, Chr , Fragment der Arvalakten
III 154
Hüttig, C, zur Charakteristik homeri-
scher Komposition I 33
Hundt, G., de Lucani comparationibus
II 187
Husson, G , hiitoire du pain III 273
Jacobs, E , Humanistenfamilie Reiffen-
stein 111 35
Janke, A., Reiseerinnerungen III 412
Janowsky, V., Beiträge zur Geschichte
der Dermatologie 111 328
Jastrow, V., über Welthandelsstrassen
III 269
Jebb, R. C, Homer I 36
Jennings, A., chrouological tables III 1 15
ilberg, J., zur Ueberlieferung des hippo-
kratischen Corpus III 295
— die Hippokrates-Ausgaben III 296
Ilberg, J., de Galeni vocum Hippocra-
ticarum glossario I 128. III 305
— über die Schriftstellerei des Galenos
III 303
— Galeniana III 305
Immisch, 0., de glossis lexici Hesychiani
I 127
John, C., Tag der ersten Rede Ciceros
gegen Catilina III 135
452
Register.
Ireland, Ilerrschermacht und Geistes-
knuikheit III 32C
Isambert, E., itiuöraire de l'Ürient III 410
Jung, J , Lagerbeschreibung des Hygin
111 -224
Kalkoff, G., de codicibus epitomes Ilar-
pocrationeae 1 118
Kan, J. B., ad Horatium 11 170
Kastorchis, E., nepi zoö Tikrji'f^oug HI 358
Kaufmann, die Sinne 111 315
Kehrbach, K., Bericht über die Monu-
menta paedagogica III 59
Keller, O., Thiero des Alterthums 111 252
KellerhofF, E., Text des Truculentus II 5
Kellner, H , die römischen Statthalter
von Syrien und Judaea 111 190
Kerstan, F., de eliipseos I 104
Kiepert, H , Lehrbuch der alten Geo-
graphie III 350
— ethnographische Uebersicht des euro-
päischen Orients III 391
— Generalkarte der südosteuropäischen
Halbinsel 111 435
— Karte der griechisch türkisch Grenze
111 430
— Administrativeiniheilung des griechi-
schen Königreichs III 398
— carte de l'Epire III 433
Klebs, E., die Vita des Avidius Cassius
111 157
— das valesische Bruchstück zur Ge-
schichte Konstantins 111 173
Klein, J. M., Asinius Sabiniauus HI 189
Kleinen, Eintührung des Christenthums
in Köln III 169
Klimek, P., zur Würdigung der Hand-
schriften Julians 1 86
Kluge, Fr , von Luther bis Lessing HI 40
Kobert, R., Studien aus dem pharmako-
logischen Institut in Dorpat 111 3' 6
Koch, Julius, Claudiau und die Ereig-
nisse der Jahre 395—398 11 99
Kock, Th , Lukian und die Komödie I 101
Köberl, H , de Pseudo-Apuleji herbarum
medicaminibus Hl 307
Köhn, M., de pugna ad Zamam com-
missa Hl 132
Köpke, R., die lyrischen Versmasse des
Horaz II 127
Kokides und Kiepert, Generalkarte Grie-
chenlands Hl 431
Kopp, A., Beiträge zur griechischen Ex-
cerptenlitteratur I 120
— das Wiener Apion-Fragment I 123
Kostomiris, A. G., sur les ecrits inedits
des medecins grecs Hl 292
— nepl öfpUaXuokoyiaii 111 336
Kotelmann, L , der Bacillus Malariae im
Alterthum HI 326
Kraffert, H , neue Beiträge II 278
Kreuttner, X., Handschriftliches zu Am-
nionios 1 1 10
Krieger, B, , quibus lontibus Valerius
Maximus usus sit II 282
Krispin , K. , Beiträge zur Horazkritik
II 149
Kromayer, J., rechtliche Begründung
des Prinzipats 111 191
Kropf, F. V., Erinnerungen aus Grie-
chenland Hl 413
Krüger, H , Geschichte der capitis de-
minutio III 211
Krümel, 0 , zum Problem des Euripus
III 379
Krumbacher, K, griechische Reise HI 421
Kühlewein, die handschriftliche Grund-
lage des Hippokratischen Prognosti-
kons HI 297
— Textesüberlieferung der Hippokrati-
schen Schriftc^n über die alte Heil-
kunde III 297
— zur Hippokratischen Schrift xax"
irjTpacui^ HI 296
Kuluriotis, A , 'AXßavudv dl<paßiQzdptov
111 395
Lackner, W , de incursionibus a Gallis
in Itaiiam factis III 128
Lacour-Gayet, G., Autonin lo Pieux III
158
— de Clodio Pulchro III 136
Lallot, A., le typhus ou peste d'Athenes
111 326
Landerer, X., Mittheilungeu aus Grie-
chenland 368
Lang, W., peloponnesischo Wanderung
111 415
Langen, P , Plautinische Studien II 44
— Bemerkungen über Wortaccent II 10
— Konstruktion von utor II 25
Langrehr, G , Plautina II 70. 84
Lasson, A., judicia Horatiana H 129
Lauchert, Geschichte des Physiologus
Hl 314
Le Blant, E., les Chretiens HI 166
— monumeut relatif aux fils de s. Fe-
licite Hl 167
Lechat et Radet, note sur deux pro-
consuls III 189
Lecrivain, Ch , le Senat romain Hl 207
— de agris publicis 111 215
— l'appel des juges-jures Hl 229
Leo. Fr., vindiciae Plautinae II 45
Letellier, M., lettres d'Orient Hl 425
Leuchtenberger, G, Oden des Horaz
disponiert 11 133
Liebenam, W , die Legaten III 19ü
Liers, H., zur Geschichte der Stilarten
I 49
— Theorie der Geschichtsschreibung des
Dionys I 54
Register.
453
Liessem, H., Verzeichniss der Schriften
Hermanns van dem Busche III 24
Löher, F. v., griechische Küstenfahrten
III 413
Lohmann, Analyse des Lnkrezischen Ge-
dichts de rerum natura II 216
Lolling, H G , hellenische Landeskunde
lil 351
Longinus nspi u^ou? ed. 0 Jahn, iterum
J. Vahlen I 62
Loret, V , l'Egypte au temps des Pha-
raons III 344
— lo Kyphi, parfum sacre III 318
Lowinski, A , zur Kritik der horazischen
Satiren II 165
Lucani Pharsalia ed. by C Haskins II 187
Luchs, A., de Horatii carm. 11 commen-
tatio II 150
Lucianus, rec. J. Sommerbrodt I 88
- ausgewählte Schriften, von J. Sommer-
brodt I 95
— choix, par M. de Parnajon 1 94
Lucretius, by J. D. Duff II 214
— par G. Lyon II 213
— by A J. Munro II 210
— traductiou par S. Prudhomme II 214
Ludwich, A , Aristarchs Textkritik 1 22
Ludwig Salvator, Erzherzog, eine Spa-
zierfahrt im Golf von Korinth III 414.
445
Lüdecke, M., Plautiua II 46
Lüring, die über die medicinischen Kennt-
nisse berichtenden Papyri III 342
Wacke, H., zu Horaz II 174
Macke, R., Eigennamen bei Tacitus III
211
Madwig, adversaria II -257 ff.
Mähly, J , satura II 150
Mahn, A , de Dionis Chrys. codicibus I 80
Maier, K., philosophischer Standpunkt
des Horaz II 131
Manitius, M , zu späten lateinischen
Dichtern II 97
— zu Ausonius II 104
Manns, über die Jagd bei den Griechen
HI 251
Mansolas, A , aTaTiaTtxrj Trjg 'Ekkd&oq
111 397
— Ja Grece ä l'exposition de Paris III
400
Marcellus, de medicamentis ed. G. Helm-
reich III 300
Marcelli Sidetae fragmenta ed. M. Schnei-
der III 302
Mariano, R., le apologie III 171
Marignan, A., la medecine dans l'eglise
III 345
Mariottl, St., Plautinum II 74
Martha, C, le poeme de Lucrece II 215
Marx, Fr., de aetate Lucretii II 223
Marx, Fr., interpretationum hexas II
166. 167
— de capite humano, 111 128
Maschek, H, de Horatii sententiis II 131
Matzat, H., Anfangstag des julianischen
Kalend-^rs III 119
Maurer, H , Valentinians Feldzug gegen
die Alamannen III 179
May, J., Entwickelungsgang des Horaz
II 127
Mehler. E., inter ambulaudum decerpta
I 105
Meliarakis, A., vsoeXXtjvixt^ yzwypaipix^
(pdoloyia 111 349
— [leksTTj nept r^e iS^iaewq xoü 'Joviou
nsXdyouq III 381
Menendez y Peiayo, Horacio en Espana
II 133
Menzer, J , Weinfahrt durch Hellas III
417
Merkel, J., Entstehung des römischen
Beamtengehalts III 186
— über römische Gerichtsgebühren 111
229
Meyers Orient (Türkei u. Griechenland)
III 408
Meyer, E. v,, Geschichte der Chemie
III 244
Meyer, E. H., Homer und die Ilias I 38
Meyer, Metellus, Geschichte der legio
XIV gemina III 223
Michon, E , l'administration de la Corse
sous la domination romaine III 212
Moldenke, Ch. , über die in altägypti-
schen Texten erwähnten Bäume III
253
Mollat, G., unbekannte Inkunabeln III 99
Mommsen, A., griechische Jahreszeiten
III 383
Mommsen, Th. , römisches Staatsrecht
III 204
— ostgotische Studien III 200
— Bronzetafeln von Cremona III 222
— Münzstätten der Diokletianischen
Diöcesen III 217
— Interpretation der Römeroden des
Horaz II 152
— Equitius III 174
Montelius, 0., die Bronzezeit Aegyptens
III 275
— die vorklassische Zeit in Italien III
276
Moreau, fous et bouffons 111 325
Morneweg, K , Johann von Dalberg III 17
Müller, Albert, die neueren Arbeiten über
das römische Heer III 223
Müller, C F., zu Januarius Nepotianus
II 284
Müller, G. A,, Pontius Pilatus III 160
Müller, Hans, griechische Reisen III 424
454
Register.
Müntz et Fabre, bibliotheque du Vatican
III 3
Muhl, J., Plutarcbische Studien 1 1
Murr, J, Beitriigo zur aitklassischcn
Botanik III 254
— die Pflanzenwelt in der Mythologie
III 255
— Namen der Pflanzengeographie III
255
Murray's handbook for travellers in
Greece III 410
Nadaillac, de, moeurs et monuments III
250
Näher, J., die römischen Militärstrassen
III 226
Nauck, A., analecta critica II 161
Naue, J , Ilügelgräber. — Bronzezeit in
Cypern III 277
Nettleship, H., adversaria II 145
Neumann, H., de tuturi vi et usu II 30
Neumann und Partsch, physikalische
Geographie von Griechenland 36U
Neuwirth, J., die Zwettler Verdeutschung
des Cato III 61
Nieberding, K., zu Horaz Sat II 166
Niemiec, W , de quaestoribus Romanis
III 189
Niemöller, W., de pronomiuibus ipse et
idem apud Plautum et Terentium II 20
Niese, B., Abriss der römischen Ge-
schichte III 114
— die Sagen von der Gründung Roms
III 125
— das licinisch- sextische Ackergesetz
III 129
— de annalibus romauis III 130
Nilen, Fr., Luciani codex Mutiueusisl 102
Nöldechen, E., Tertullian u. die Kaiser
III 172
Noihac, P. de, la bibliotheque de Fulvio
Orsini III 6
Oberhummer, E., Phönikier in Akarna
nien III 356
— zur Geographie von Griechenland III
382
Obermeier, J , der Sprachgebrauch des
Lucauus II 186
Oefele, E. v, Aventiniaua III 31
Oettl, Fr, Lucans philosophische Welt-
anschauung II 179
OIck, F., hat sich das Klima Italiens
seit dem Alterthum geändert? III 320
Onions, S G., note on Plautus II 46
Ornstein, B , über die physischen Ver-
hältnisse Griechenlands III 390
— zur Statistik Griechenlands III 398
Ott, E., Congrueuz des Prädikats bei
Horaz II 125
Otto, A., Ueberlieterung der Briefe des
Pliaius II 246
Paape, C, de C. Mario quaestiones III
133
Pallu de Lessert, los fastes de la Nu-
midie III 191
Palmer, A., note on Ilorace II 150
— notes on Plautus II 46
Papadopuloa Kerameus, neue Briefe von
Julianus I 84
Partsch, J., Geologie u. Mythologie in
Kleiuasien III 241
Pascal, C, de Cornelii Galli vita III 140
Pauli Crosnensis et Joannis Vislicensis
carmina ed. B. Kruczkiewicz III 41
Peile, notes on Lucaa II 190
Pelham, H., on the Imperium of Augustus
III 195.
Perrin, B., Lucan as a historical source
for Appian II 180
Pervanoglu, J., Kulturbilder aus Grie-
chenland III 401
Petersen, über den Hippokratismus
111 289
Pfannschmidt, V., zur Geschichte des
pompeianischen Bürgerkriegs III 137
Pflugk-Harttung, J. v., Hauuibals Ueber-
gang über die Rhone III 130
Philippson, A., Reiseberichte III 373. 440
— zur Ethnographie des Peloponnes
III 394
— Besiedelung und Verkehr in Morea
III 400
Planer, H., haud et haudquaquam II 23
Platner, S. B., gerunds and geruudives
in Pliuy's letters II 250
Plaut! comoediae ex rec. Ritschl. Bac-
chides rec. G. Götz II 53
— — Captivi rec. Fr. Scholl II 58
Meuaechmi rec Fr. Scholl II 72
— — Pseudolus rec. G. Götz II 82
~ blijspelen, uitgegeven door J. S.
Speijer II 59
— comoediae rec. J. L. Ussing II 62.
70. 79
— ausgewählte Komödien, von 0. Fr.
Lorenz II 75. 88
— Aulularia, par A. Blanchard II 49
— — rec. P. Langen II 49
— captivi, da E. Cocchia II 58
by W. M Lindsay II 58
— — übersetzt von R. Meyer II 59
— Trinummus, da E. Cocchia II 87
Playfair, handbook to the Mediterranean
III 411
PJessis, Fr , de Italici IliadeLatina II 205
Pliny's letters, by J Cowan II 239
— — solcctiou by H. R. Heatley II 241
— — choix par A Collignon II 240
— — translated by J. Perkins II 253
— opistulae ad Traianuin ed. E. G
Hardy II 237
Register.
455
Ploss, H., das Weib in der Völkerkunde
III 338
— Geschichtliches über Knabenbeschnei-
dung III 331
Pöhlmann, R, Uebervölkeruug der an-
tiken Grossstädte III 322
Pöppelmann, L. , Bemerkungen zu Dil-
lenburgers Horaz -Ausgabe II 148
Pogorelski, M., circumci^io ritualis III 333
Poppenrieder, F., die naturwissenschaft-
lichen Schriften des Aristoteles III
247. 298.
Postgate, L., uotes on Lucretius II 228
Potter's Mediterrean Pilot Hl 378
Prehn, A. , quaestiones Flautinae II 15
Prel, K. du, die Mystik der Griechen
111 239. 284
Pressel, der Eingang der Ilias I 34
Pullig, H., Ennio quid debuerit Lucre-
tius II 209
Puschmann, Th., Geschichte des medi-
ciuischen Unterrichts III 282
— die Bedeutung der Geschichte für
die Medicin III 283
— Nachträge zu Alexander Trallianus
111 308
Pylarinos, D., Tzapaßokij I 77
Quatrefages, A. de, les Pygmees III 248
Rath, G. vom, Reisebriefe III 417
Reblin , K., de Nonii Marceliis locis
Plautinis II 3
Reichardt, Th. , de metrorum Horatia-
uorum eiocutioue II 126
Reichenhardt, E , der Infinitiv bei Lu-
cretius II 233
Reinach, S , le musee de l'empereur Au-
guste 111 261
— ttele des guerisonsmiraculeuses d'Epi-
daure III 287
— sur Lucaiu Pharsale II 191
Reinhardtstöttner, K. v., Burmeister
christlicher Martial 111 39
— Bearbeitungen Plautinischer Lust-
spiele II 7
Reinkens, J., Acc cum inf. bei Piautus
11 38
Reitzenstein, R., zu den Quellen des
Etymologicum Magnum I 113 132
— die üeberarbeitung des Lexikons
des Hesychios I 111
— Verrianische Forschungen II 1
Remy, E , de subiunctivo et infinitivo
apud Plinium minorem II 248
Report on the Mitchell Library 111 99
Reusch, Schlacht bei Cannae III 131
Ribbeck, O , die verloren gegangene
Scene der Bacchides II 55
Ribbeck, W., Sturz der Messalina III 155
Richardson, G., de dum particula 11 26
Richter, J , änöpprjxa Horatiana 11 157
Robiau et Delaunay, les institutions de
Rome III 186
Rodenbusch, E., de temporum usu Plau-
tiuo II 30
Röllig P , quae ratio inter Photii et
Suidae lexica intercedat l 115
Römer, A., Homerrezension des Zenodot
I 24
Rossberg, K., ein mittelalterlicher Nach-
ahmer des Lucanus II 183
Rothlauf, B., die Physik Piatos Hl 232
Rothstein, M., Cäcilius u. die Schrift
vom Erhabenen I 69
— quaestiones Lucianeae I 96
— in lib. de sublimitate coniectanea I 66
Rowe, E., quo iure Horatius in saturis
Menippum imitatus est II 168
Rück, K., ein Brief Pirkheimers III 30
Rühl, Fr., die Konstantinischen Indic-
tionen 111 119
— die Zeit des Vespasian III 173
Ruggiero, E. de, intorno ai XVIviri III
216
Rusch, Lucrez und die Isonomie II 223
Saalfeld, wie kamen die ersten Vertreter
der Mfdicin nach RomV III 290
Sabbadini R., Guarino Veronese II 5
— Sallustius, Ovidius, Plinius cum novis
codicibus conlati II 93 247
Sandys, T. E. , an easter vacation in
Greece III 425
Sauer, E., Daimouium des Sokrates III
325
Sauppe , H. , quaestiones criticae 11 46.
2-7
Sax, K., ethnographische Karte der
Türkei III 392
Schädel, L., Plinius der Jüngere und
Cassiodorius Senator II 242
Schäfer, E. , observationes in Lucani
Pharsalia II 191
Scheda, Generalkarte der Türkei III 434
Scheele, L., de Sorano medico III 299
SchefTel, V. v., ein Tag am Quell von
Vaucluse HI 2
Schepss, G , zu Horaz II 156
Schierenberg A., die Kriege der Römer
zwischen Rhein u Elbe 111 142
Schiller, H , Handbuch der Pädagogik
Hl 99
— Lehrbuch der Geschichte der Päda-
gogik Hl 48
Schinas, N , üdoinu pixai ävaßvrjaetq Hl
418
— ödoinopixal arjßemaeiq Maxedoviag
Hl 505
Schinkel, J., quaestiones Silianae II 197
Schmerl, M , Prohibitiv bei Piautus H 36
Schmid, K. A. , Encyklopädie des Er-
ziehuugswesens Hl 47
456
Register.
Schmid, W., der Atticismus 1 45
Schmid, W., emondationes I 80. 82
Schmidt, A., Magnet u. Knoblauch III 238
Schmidt. Julius, Studien über Erdbeben
III 376
Schmidt, Max, wpa bei Pytheas III 234
Schneider, Joseph, de teniporum apud
priscos scriptürts usu II 30
Schömann, G , de Etymologici Magni
loiilibus 108
— Beitrag zur Quellenkunde des Ety-
niülogicum Maguum I 113
Schönemann, J., de lexicographis anti-
quis I 124
Schröder, H., Beziehungen auf Tages-
t'ieignisse in Horaz II 103
Schuchardt, B , über Darstellungen von
chirurgischen Operationen aus dem
Alterthum III 330
Schuchhardt, K., Schliemanns Ausgra-
bungen III 352
Schütte, H., Theorie der Sinnesempfin-
dung bei Lucrez II 221
Schulze, P., Lukianos als Quelle für die
Keuntniss der Tragödie I 90
Schunck, L., de Pseudo-PIutarchii insti-
tutis Laconicis I 13
Schwartz, K. G. P., ad Lucianum I 91
Schwarz, P., Menschen u. Thiere im
Aberglauben III 237
Schwarz, Wilh , de vita et scriptis Ju-
liani I 87. III 177
Schweiger-Lerchenfeld, Griechenland in
Wort und Bild III 403
— Kultureinflüsse und Handel III 268
Scotland, A., Untersuchungen zur Odys-
see I 25. 35
— Proömium der Odyssee I 39
Scribonii Largi conpositiones ed. G.
Helmreich III 299
Seeck, 0., die Quellen der Odyssee I 39
— Studien zur Geschichte Diocletians
und Constautins III 174
Seyffert, P., de clade LoUiuna III 141
Sidonius Apollina ris, traduction par E.
Baret II 100
Silii Italic] Puuicorum libri cur. H. Oc-
cioni II 200
Simson B. , zum Gedicht de viro bono
II 104
Singeis, N., de Lucani fontibus II 180
Siret, H. et B , les premiers äges du
metal dans l'Espagne III 258
Sittl, K., zur Geschichte der Hauskatze
III 251
Skias, A., zu Lucian I 104
SIevogt, H., Technopaegnion poeticum
III 39
Smedt, Ch. de, I'organisation des eglisea
chretiennes HI 167
Schneider, Rudolph, Portus Itius III 136
Solbisky. die Schlacht bei Caunae III 132
Soitau, Fr , zur Erklärung der puui-
schon Reden des Hiuino II 94
Soltau, W., die römischen Amtsjahre
III 117
— zu den römischen Tagen III 116
— die julianischen Schaltjahre III 118
— chronologische Schwierigkeiten des
Pyrrhuskrieges III 118
— chronologische Vorurtheile III 115
— Cato u. Polybius III 116
Sommer, A , die Ereignisse des Jahres
238 n. Chr. III 170
Sondermühlen, M. v , Spuren der Varus-
schlacht III 144
Sonnino, G., di uno scisma in Roma
III 178
Sormani, de Schraderi vita et scriptis
II 192
Souriau, M., de deorum ministeriis in
Pharsalia II 177
— du merveilleux dans Lucain II 178
Speijer, J. S , ad Plauti captivos II 5
Spengel, A., was heisst bidens II 158
Stackeiberg, M. v., Bilder aus dem Le-
ben der Neugriechen III 401
Stangl, Th , zur Kritik der Briefe des
Plinius II 245
Steiff, K , Buchdruck in Tübingen III 97
Steinhauser, A. , Karte von Südost-
Europa III 434
Stephan, H , de Herodiani dialectologia
I 133
Stephanos, Kl., Grece (im Dictionaire
medicale) 111 390
Sterrett, S , a journey in Asia Minor
III 198
Steub, L , Bilder aus Griechenland III 420
Stillman, W , on the track of Ulysses
III 445
Stoll, H. W , Wanderungen durch Alt-
Griechenland III 352
Studemund, W., Plauti reliquiae Ambro-
sianae II 4
— Damocratis fragmenta lll 298
— duos, duo II 22
SusemihI, F., neue Bemerkungen zu
Lucretius II 228
— zum Prooemium des Lucretius II 232
Suster, G., quaestiuncula Plautina II 6
Synvet, carte ethnographique de laTur-
quie III 392
Taege, 0., älteste deutsche Plautusüber-
setzuug II 7
Tassis, P., il Pericle di Plutarco I 15
Teuber. A. , Bedeutung der Regulus-
Ode II 156
Thimme, A. , Festvorlesuugen des Lu-
kianos I 95
Register
457
Tischler, über Aggry-Perlen 111 275
Töply, R. , die Syphilis im Alterthum
ill 327
Tohte, Th , Lucietiiis, ein Beitrag II
230
Toldo, L., poesie di donii;' latine 111
1Ü9
Torma, S. v , Planeten-Kultus in Dacicn
111 241
Tozer, H. F., the Franks in the Pclo-
ponuese 111 439
Trampe, E, de Lucani arte metrica 11
184
Trieber, C, die Romulussage 111 128
Triemel, zum Gründungsjahr Roms 111
115
Trubrig, J., die Waldwirthschaft der
Römer III 257
Trump, Fr., observationes ad genus di-
cendi Claudiaui II 97
Tuckett, P. F., mountain excursions in
Greece III 376
Tuma, A., Griechenland III 404
Uebinger, J., die Dialoge Petrarcas III 1
Unger, G. Fr., Gang des altrömischen
Kalenders III 119
Valerii Maximi memorabilia rec C
Kempt II 255
Veckenstedt, E , Geschichte der grie-
chischen Farbenlehre III 246
Veen, J S. van, quaestiones Silianae II
194
— notulae criticae II 202
~ Jo. Schraderi in Silium Italicum
emeudationes II 202
Venantius Fortunatus, traductiou par
Ch. Nisaid II 100
Vercoutre, la medecine sacerdotale III
286
Verrea, de Silii Italici Punicis II 204
Vierordt, H, Akanthusblätter III HO
Virchow, R, Alteithümer aus Trans-
kaukasien III 276
— Eröfi'uuugsrede zur Anthropologi-
schen Gesellschaft III 248
Vogt, P., de Luciani libellorum pristino
ordine I 104
Voigtel, die römische Wasserleitung im
Dom zu Köln III 279
Volkmann, R., Gottfried Benihardy III 80
— Nachträge zur Geschichte der Wolt-
schen Prolegomena I 42. 111 74
Voltz, L., zur Ueberlieferuug der grie-
chischen Grammatik in byzantinischir
Zeit 1 136
VosSj E, die Natur in Horaz 11 130
Vulpius, G., zur Geschichte des Lanolins
III 319
Wallichs, Geschichtsschreibung des Ta-
citus 111 139
Warsberg, A. v., Odysseische Land-
schc"flcn III 415
Wartenberg, G., zu den Textesquellen
des Silius Italiens II 199
Weber, E., de Dione Chrysostomo I 78
Weber G, Jugendeindrücke ill 91
Weber, L, quaestiones Laconicae 1 12
— de Plutarchü Alexandri lauditore I 14
Weber, R., de Philemone I 123
Wegener, Ph., Methodik des Horaz-Un-
terrichts II 131
Weigand, G., die Sprache der Olympo-
Walachen III 443
Weihmayr, W , über lex Plautia III 228
Weil, H., les lettres de l'empercur Julien
1 86
Weise, R., quaestiones Caecilianae I 67
Weissenfeis, Lucrez und Epikur II 217
Wellmann, M., zur Geschichte der Me-
dicin. - Analecta medica III 290
— Sextius Niger III 303
Werner, Chr., de feriis latinis 111 189
West, A., on a patriotic passage in the
Miles U 74
Westerburg, E., Petron und Lucan II
182
Wichmann, 0., Lucian als Schulschrift-
steller 1 94
Wilcken, U , zu den arsinoitischen Tem-
pelrechuungen III 217
Wilde, J., de Plinii et imp. Traiani
epistulis mutuis II 244
Wilken, U. , Titulatur des Vaballathus
111 171
Wilkens, C. A., Horaz in Spanien II 134
Wilkins, G., the growth ol the Homeric
poems 1 27
Wirth, A , quaestiones Severianae III 169
Wirtzfeld, A , de consecutione temporum
Plautina II 34
Wlassak, M., römische Prozessgesetze
111 227
Wölffler, die chirurgische Behandlung
des Kropfes III 330
Wölfflin, E , die Rettung Scipios III 130
Wönig, F., die Pflanzen im alten Ae-
gypteu 111 312
Wörls Griechenland III 409
Wyss, W. V., Sprüchwörter bei den rö-
mischen Komikern II 43
Zacher, K. , zu den Heilurkunden von
Epidauros III 287
Zangemeister, K. , civitas Treverorum
HI 156
— Hludana-lnschrift II 158
— Theodor Mommsen als Schriftsteller
III 88
Zarncke, E., symbolae ad Julii Pollucis
tractatiim de partibus corporis hu-
mani HI 311
458
Register.
Zelina, J., Anstösse iu Ilias I 28
Zielinski, Th., die Schlacht bei Cirta III
132
Ziesing, Th., Erasmo ou Saliguac III 12
Zimmermann, E., quaestiones Plautinae
II 23
Zöckler, Julian uud seiue christlicbeu
üegucr III 177
IL Yerzeichniss der behandelten Stellen.
a) Griechische Autoren.
(Die Dicht näher bezeichneten Stelleu sind aus der ersten Abtheilung).
Acta s. Felicitatis III 167
Adamantii physiognumica III 307
Aelianus, varia historia 12
Alexander Trallianus IU 308
Ammonius, Lexicon 110
Anthologia Palatina, xi 442 21
Appianus III 132 f.
Aristarchus 22
Aristides, Aeiius 47 Panathenaicus 81
Aristoteles, physica III 245. 247. 298.
— rhetorica 53. III 12
Artemidorus III 296
Caecilius Calact. de figuris 67. 73. —
- de subliniitate 62.
Chaeremon 53
Chronicon Paschale 111 120 233
Cyrillus Alexandrinus, glossiarium 112
Damascius, dubitationes III 235
Damocrates III 298
Dellius III 139
Demetrius Phalereus, de elocutiouo 48.
49 72. 99
Didymus, ad II i 222 23
Dio Cassius, III 141. 149. 194. — Liv 20
III 141. LIV 32 III 142
Dio Chrysostomus 46. 75
Diocies III 128
Diodorus III 1!5 129. xix 10. xx lei
III 118. xxiii 2 II 278
Diogenes Laertius i 2, 67 22 1x9 51
Dionysius, Aeiius 107
Dionysius Halic. rhetorica 54 if. 73. —
Dcmosth. VII 57. 59. 74. - Thuc. vi 5
56 — De comp, verborum 59. — De
imit. 60.
Dioscurides III 296. 303. 31 1. i c. 24
III 318. II c. 84 III 319.
Epicurus II 2 13 ff. 2 17 ff. — fragm. Her-
cul II 5 II 222
Etymologicum magnum 107 ff.
Eustathius 108.
Galenus III 303. 318 — method. me-
dendi xiii 22 III 330. — de util. par-
tium III 305. — Üloss Hipp III 306.
— scripta minora III 306. — apo-
grypha III 292
Hephaestion III 236
Herodianus ad II. '/'• 162 23
Hesychius, glossarium 111
Hippocrates III 288. 295. 315. — Pseu-
dohipp III 292
Homerus 18 Ilias 18. A' III 438. Jeeo
28. - Od. 25 39. III 265
Joannes Actuarius medicus III 337
Isocrates paueg. iv se 81. § viii 50
Julianus imp. lil 177 — contra Christ
83. — conviv. 308 87. — epist. 84
Justinus martyr is, 2 III 118
Lucianus 47. 88. — dialogi 94. — bis
accusatus 101. - Jupp contutatus;
Jupp. trag. 93 99 103. — Tiraou 102.
— somnium 3 99. — asinus 90. 98. —
Icaromenippus 99. 102. — Macro-
bii 97
Lucius Patrensis 90
Marcellus Sidetus III 302
Medioi scriptores III 292
Oenomaus 103
Papyrus Ebers III 333. 343
Pausanias atticista 107
Phrynichus 111
Plato, physica III 232. - Phaedrus .50
Plutarchus III 128. - vita Alex. 15.
— Caesar le II 262. — Cicero x— xxiii
Uli 35 — de vita Homeri 10 — de
malign. Herod. 2. 9. — moralia 1.
— Amatorius 2. 16. 17. — cons, ad
Apoll 8. — convivium 2. 16. — de
exilio; de soll, anini. 2. — de Isid.
et Os. 80 III 318. — de inst. Lac. 12.
— de rep. x p. ei4 II 259 — de for-
tuna Rom. 5 6 14. — vita 1.
Regia! er.
459
Pollux, Julius III 311
Polybius III 117. 219. ii i4 III 116. iii
6.5, 11. 110, 10. 111,2. 113, 3 113, 7. IM, 8.
X2, 8 III 131. XXIII fr. 14 III 130
Pytheas 111 234
Sextius Niger III 303
Socrates III 325
Soranus Ephesius III 299
Strabo III 139
Testamentum novum III 161
Themistius 88
Theognetus, (fdaßa 102
Theophanes Mitylenaeus III 139
Theophrastus 63
Thucydides ii III 316. 326. in 2 57 vi 13
III 3Sl
Zenodotus in Homerum 24
b) Lateinische Autoren.
(Die nicht näher bezeichneten Stellen sind aus der zweiten Abtheilung).
Annales maximi III 130
Anonymi Valesiani de ConstantiuollI 173
Apuleius, metamorpho.ses I 91
Apuleius Madaur , de medicaminibus
III 307
Augustinus III 185
Ausonius, Moseila 101. - opuscuia 100
— protrept., parent., technopaeg. 103
Cäsar, de b. c. i n, 4; 14, 4 III 137
Calpurnii et Nemesiani bucolica 95
Cato urigines III 117
Charisius ad Plautum 23
Cicero de or. iii 34 1 21. III 74. — in
Catil. I. IV III 135. — de consnlatu 111
135. — Philippica 11 46 III 135. de
divin. i58, 132 III 166. — ad Att. vii 14,2
III 138 ad fam. viii 9, 1 264.
Claudianus, paneg. de cousiJ Honorii 99
Coelius Antipater III 132
Columella 111 257
Ennius 226
Eumenius, paneg. ix 1 III 174. — pro
restaur. schol. iv III 175
Fabius Pictor III 128
Festus, fragni. Plaut. 64
Florus 30. III 141. 142.
Hör. IV 2, 34 III 141
Frontinus III 152
Gellius III 130
Horatius 105. - carmina 113
i 1 140. I .3 142. i 5 143. II 2, 5 145.
150. III 1—6 152 in 4 10; in 5 156. in 10
157. 11123,14; 24. 4; 30 158. IV 2 159.
160. — Epod. 2; 17, 1 162. — satirae
105. 117. 128 163. 15,36; 6,9; 8,77
170. I 6, 113 Jll 166. I 9, 69 17 1. 19, 70
III 166. n8 171. ns. 77 170. - Epist
107 119. I 172. 175. in 173. ni 174.
II 1, 11 173. II 1, 269 III 166. — ars
poet. 109. 121. 145.
Hyginus de munitiouibus III 224
Italic! Ilias latina, v, Silius Italicus
— bchol. ad
Od.
116
Juvenalis v 46 145. vi 532 III 166
Laelius ill 131. 133
Largus, Scribonius III 299
Leges. Lex Aebutia; leges duae Juliae;
lex Plautia, etc. III 227
Livius III 129. xxn 44,3 111 131. xxvin 6,9
III 380. XXX 11; 12; 29 III 132. xxxiv
2, 4 II 277. xxxvn 43 III 130. XLs; 79
III i;32. XLiii 8; 10. xLiv 4 III 131.
XLVii 50 III 132. Liv 33; epit. 137 HI
142
Lucanus 177 180. — scholia 183
Lucilius 7. XXIX 26 41
Lucretius 207
Macrobius I 16
Maecenas 133
Marcellus Empiricus Hl 300f.
IVlarius Maximus III 157
Maximianus 97
Meletius III 299
Nemesianus 95. — Cynegetica 97
Nepotianus 284
Nonius Marcellus 3
Obsequens, Julius, c "i III 141
Orosius HI 133 139
Ovidius III 263
Pacuvius 277 54
Panegyrici III 174
Petronius 178. III 182
Plautus I. - Amphitruo 46. — Asinaria
48. 532 88. Auiul. 49. — Bacchid. 53.
— Captivi 58 — Ca.sina 02 n 2, 10
54. n 620 89. — eist. (i4. — Cure. 69.
— Epid. 70. — Menaechini 72
Mcrc. 73. 555 88. - Mil. glor. 74.
169 86 — Most 77. — Persa 79 —
Poen 6. 80 - Psiudolus 82. 1279 89.
— Hud. 83. Stich 85. 232; 1068 88.
— Trin. 87. — Truc 5 6. 92. 476;
479 88. — fragiii. 94.
Plinius, nat bist, xvi u Hl 131. xxin 23
HI 328. XXIX 10 HI 319
460
Register.
Plinius iunior, epist. 2S6. epist. ad Trai.
2;i7 244 06. 97 243 f.
Propertius in o 141
Rutilius Rufus III 133
Sallustius, Catilina xiv 5; xvii 5 III
135
Scriptores hist Aug , vita Avidii Carrü;
vita Marci III 157
Seneca philosophus III 156. — Herc.
Oet. 411 41 - Phaedra 967 III 156
Silius Italicus, Piinica 193. — lüas lat.
Suetonius, vita Capsaris III 261
Sulpicius Severus 11 30, 6 III 163
Symmachus, laud. in üratian. § 18 III
178 t.
Tacitu8 III 139. — ann. 14. 16 III 143.
152. I 63 III 147. 11 8 III 148. XV 42
III 166. XV 64 III 162. — hist v 37
III 156 V 6 III 166. — üorm. III 181
Terentius, Ad. 175 13 807 40. — Audria
647 54. — Hoaut. 723 40.
Tertullianus III 172. — Apolog. xxi
111 IGO
Uipianus, Dig i 12, 1 III 170.
Valerius Antias 283. III 130 132
Valerius Maximus 254. III 133
Varro de r r 1 c. 12 111 326
Velleius Patercuius III 141
Verrius Flaccus de vorb sign 1
VopiscuSjVita Aureliani ;vitaProbiIIII 173
Register.
461
General - Register
über die zweite Folge des Jaliresbericlites (Baud XXY— LXV.)
I. Abtheilung. Griechische Autoren.
Homer, (f Dr. G. Hinrichs in Berlin)
Band XXVI, S 189-251 — (Prof. C.
Thiemann in Berlin) XXVI, S 252
-26i. — (Prof. C. Rothe in Berlin)
XXVI, S. 262—280 XXXIV. S. 77—
139. XLU, S. 163 -214. - (Prof.
G. Vogrinz in Brunn) XXXIV, S. 55
-76. XLII, S. 215-229 - XLVI,
S. 189—204. — (Rektor A. Gern oll
in Striegau) XXXIV, S. 140—168.
XLVI, ö. 178—188 LXIl, S 18—44.
Hesiod und die nachhomerischen Epiker.
(Prof. A. Rzach in Prag) XXVI,
S 139 -188. XXXVIII, S. 1-41.
Lyriker und Bukoliker. (f Prof. E.
Hill er in Halle) XXVI, S. 109-138.
XXXIV, ö. 249-288. XLVI, S 54
-84.
Pindar (Dr. L. Bornemann in Ham-
burg) XLII, S. 52 - 122. L, S 21-33.
LIV, S. 129—203.
Tragiker. (Studienrektor Prof. N. W e c k-
lein in München) XXVI, S 51-56.
XXX, S. 99 - 185. XXXVIII, S. 99
— 177. XLVI, S. 205 — 300 LVIII,
S. 387—454
Herodot. (Direktor H Stein in Olden-
burg) XXVI, S. 96—108 XXX, S. 186
2-0. XLII, S. 127 - 162. - (Prof.
J Sitz I er in Tauberbischofsheim)
LVIII, S. 229— 264.
Thucydides. (Oberlehrer P'ranz Mül-
ler in Quedlinburg) LVIH, S. 1—228.
Xenophon. (Prof. K. Sehen kl in Wien)
LIV, S. 1 — 128.
Historiker ausser Herodot, Thukydides
und Xenophon. (Dr J. Kaerst in
Gotha) LVIII, S 314-386.
Spätere Historiker. (Prof. K. S c h e n k 1 in
Wien) XXXIV, S. 169-248. XXXVIII,
S 178-288
Attische Redner. (Prof. Fr. Blass in
Kiel) XXX, S. 99-185 — (Dr. G.
Hüttner in Ansbach) XLVI, S. 1—
53. L, S. 187—224.
Rhetoren und Sophisten. (Prof. C.
Hammer in München) XLVI, S. 85
-108 LXII, S. 45— 106.
Plato. (Prof. G. Schneider in Gera)
L, p. 134—186.
Aristoteles und Theophrastus. (Prof.
F. Susemihl in Greifswald) XXX,
S. 1-98. XXXIV, S. 1-54. XLII,
S. 1—51. 230-268. L, S. 1—20.
Nacharistotelische Philosophen. (Prof.
M Heinz e in Leipzig) L, S. 34—
133
Plutarchs Moralia. (Direktor H.Hein ze
in Stargardt W.-Pr.) XXVI, S. 57—
95. XXX, S 252-284. XLII, S. 123
126. — (Direktor Dr. Treu in Breslau)
LXII, S. 1—17.
Griechische Grammatiker. (Prof, P.
Egenolff in Heidelberg) XXXVIII,
S 43-98 XLVI, S. 109-117. LVIII,
S. 265—313.
II. Abtheilung. Lateinische Autoren.
Plautus. (Oberlehrer A. Lorenz in
Berlin) XXVII, S. 1-52. — (Prof. 0.
Seyffert in Berlin) XXXI, S 33-
111. XLVII, S 1 — 138. LXIII, S. 1
—94.
Terenz und übrige Dramatiker. (Stu-
dienrektor Prof. A.Spengelin Passau)
XXVH, S. 177—200. XXXIX, S. 74
-90.
Römische Epiker nebst Vergil. (f Direk-
tor H. Gent he in Hamburg) XXXV
S. 185—256.
Vergil. (Oberlehrer 0. Güthling in
Liegnitz). LIX, S. 122—185.
Epiker nach Vergil. (Prof. L Jeep in
Königsberg) LXIII, S. 1—94.
Lucretius. (Prof. A B rieger in Halle)
XXVII, S. 149-176. XXXIX, S. 171
—204. LXIII, S. 207-235.
Ovidius. (Prof. A. Riese in Frank-
462
Register.
Imi a. M.) XXVII, S. 72--92. —
^I'iof. K. Khwalii in Gotha) XXXI.
S. i:.7-l30r). XLlIl. S l-J")- l'-24
Bukoliker. (f Diicktcir (' Scliapor
in l!(>rlm) XXXI, S. H2~I5t;.
Caipurnius, Nemesianus, Ausonius, Clau-
dianus. ( Oherlohrer 0 Güthliiig
in Liognitz) LXllI, S. 95— 104
Horatius. (Trof W Hirsch tV hl or in
Berlin; XXXI, S. -JOG -270. LV, S. 57
- 1 10. (Prot. J. II änssner in KaiLs-
riihi") LXIII, S. 105— 17Ü.
Satiriker aus.ser Lucilius und Horatius.
(I'rot L Friodliinder in Königs-
berg) XXVII, S. 53-71 XLV1I,S. 193
222
Catullus und Tibullus (Dr. H. Mag-
nus in Berlin) LI, S 145—372.
Propertius. (Dr E. H eydenreich in
Freibeig) XLVII, S. 139-192 LI,
S. 83-144. LV, S. 111 — 174.
Phaedrus. (Dr. E Heydeureichin
Freiherg) XXXIX, S. 1—33. 205—250.
XLIll, S 100-129 - (Dr. H. Dra-
heirn in Berlin) LIX, S 107- 121.
Anthologia latina (Prof. A. Riese in
Frankfurt a M.) XXVII, S 93— 102.
Historiker ausser Tacitus (f Prot A.
Eu s s n e r in Würzburg) XXVII, S. 201
—294. XXXV, S. 118— 160h.
Tacitus. ( Prof ü. Helm reich in Augs-
burg) XXXIV, S. 91- 170. LV, S 1
— .^(i. LIX, S 230-275.
Valerius Maximus. (Direktor K. Fr.
Kenipf in Berlin) LXUl, S. 254-
28C>
Cicero, Reden. (Dr. G. Landgraf in
München) XXXV, S 1—73. XLIIl,
S. 1 48. XLVII, S. 223 265. LIX,
S. 186 229. — Philosophische Sehr.
(Prof. Iwan von Müller in Mün-
chen) XXVII, S 103—148.— (Bil)lio
thekar Dr P. Schwenke in Giessen)
XXXV, S. 74— 117. XLVII, S 2(57-
— 316 — Briefe. (Prof Iwan von
Müller in München; XXXI, S. 1—32.
- (Direktor J H.Schmalz in Tau-
berbischofsheim) XXXIX, S. 34—73.
Quintilianus (Oberlehrer F.Becher
in Ilfeld) LI, S. 1—82.
Seneca rhetor. (Direktor H. J. M üller
in Berlin) LV, S 175-234.
Piinius iunior. (Prof Iwan von Müller
in München) XXXV, S. 161-184 —
(Dr. E. Ströbel in Nürnberg) LXIII,
S. 236-253.
Spätlateinische Schriftsteller. ( Prof
Sittl in Würzburg) XLIII, S. 49-99.
LV, S. 235—283. — LIX, S. 1 — 106
III. Abtheilung.
Geschichte der klassischen Alterthums-
wissenschaft. (Prot. B. Bursian in
München) XXXII, S. 1.55 - 240 — (Dr.
A. Horawitz in Wien) XL, S 274
-316. XLXIII, S. 161—184. - (Prof
K. Hartfelder in Heidelberg) LH,
S. 140-268. LXIV, S. 1-113.
Geographie und Topographie von Grie-
chenland. (Privatdozent Dr E. Ober-
hummer in München) LXIV, S. 347
—446.
Geographie und Topographie von Unter-
italien und Sizilien. (Prof A. Holm
in Neapel) XXVllI, S. 108-167.
Geographie der nördlichen Provinzen
des römischen Reichs. (Direktor D.
Detlef sen in Glückstadt) XXVIII,
S. 380—396.
Topographie der Stadt Rom. (Prof H.
Jordan in Königsberg) III, S.461— 485.
Griechische Geschichte und Chrono-
logie. (Prof A, Bauer in Graz) LX,
S 1-190
Römische Geschichte und Chronolo-
gie. (Prof H, Schiller in Giessen)
XXVIII, S 282-379 XXXII, S. 486
-552 XXXVI, S. 454-540. XLIV,
S 36 - 120. XLVIII, S. 211 — 314
LH, S. 268-334 LX, S. 262-341.
KXIV, S. 114-185.
Geschichte der alten Philosophie in
Russland. (Dr. W. Lutoslawski)
LX, S. 438-441.
Mythologie. (Prof A. Preuner in
Greifswald) XXV (Supplementband),
S 1 384
Griechische Sacralalterthümer. (Prof.
A. Mommsen in Hamburg) XLIV,
S 405-421. XLVIII, S 315-352
LH, S 335-378. LX , Ö. 222 261.
409 -437.
Römische Staatsalterthümer. ( Prof
H. Schiller in Giessen) XXVIII, S. 1
—32 XXXIl. S. 241—307. XXXVI,
S. 162-272. XL, S. 183— 247. XLIV,
275—376. LH, Ö 1-89 LVI, S. 1
- 68. LX, S. 342-408 LXIV, 8. 186
-230.
Register.
463
Römische Privat- undSacralalterthümer
(Prof. M. Voigt in Leipzig) XX VIII,
S.33-54 XXXVI, S. ir)4-191. 271
— 288. XL. S. 248 273. XLIV,
S.377 — 404. XLVIII, S 185-210.
— (Prof. M. Zöller in Mannheim)
LX, S. 191—221
Naturgeschichtliche Alterthümer. (Prof.
0 Keller in Prag) XXVIII, ö 55—
107. XL, S. 366-450.
Naturgeschichte, Chemie, Technik, Han-
del. (Prof. S. Günthpr in München)
LH, S 90-139 LXIV, S 231—280.
Exakte Wissenschaften ( Oberlehrer
M. Curtze in Thorn) XL, S 1— 50h.
Medizin. (Dr. Th. Puschmanu in
Wien) XL, S. 51-81. LXIV, S. 281
-346
Griechische Epigraphik. (I)r H Röhl
in Königsberg) XXXII, S 1 — 154.
XXX VI, S 1-15.5 - (Oberlehrer W.
Larfeld in Remscheid) LH, S. 379
—564. LX S. 44J— 499.
Römische Epigraphik. (Direktor üaug
in Mannheim) XL, S 141-182 LVI,
S. 69—136.
Numismatik (Dr. R Weil in Berlin)
XXXII, S. 388-460
Vergleichende Sprachwissenschaft. (Ob.-
Lehrer II. Ziemer iu Colberg) LVI,
S 137-384.
Kyprisch , Pamphilisch , Messapisch.
(Direktor W. Deec ke in Mühlhauseu,
Elsa,ss) XXVIII, S. 220—229. XLIV,
S. 266-274
Lateinische Grammatik. (Direktor W^.
Deecke in Miihlhausen , Elsass)
XXVIII, S. 183—216 XXVIII, S. 183
—219. XXXII, S 308-363. XLIV,
S 121-228.
Italische Sprachen, Etruskisch. (Direk-
tor W. I)eecke in Mühlhausen, El-
sass) XXVIII, S. 230 — 247. XXXII,
S. 364—387 XLIV, S 229—265.
Vulgär- und Spätiatein. (Prof. K. Sittl
in Würzburg) XL, S. 317—356
Lateinische Lexikographie. (Prof. K.
E. Georges in Gotha) XXVIII, S. 284
281 XL, S. 82—140. XLVIII, S. 1
-54.
Antike Metrik. (Prof. R. Klotz in
Leipzig) XXX VI, S 289-453. XLVIII,
S .55-160
Antike Musik. (Dr. H. Guhrauer in
Lauban) XXVIII, S. 168-182. XLIV,
S. 1-34.
IV. Abtheilung.
Bibliotheoa philoiogica classica XXIX,
S. 1- 396. XXXIII, S. 1 - 398 XXXVII,
S.'l -391. XLI, S. 1 -379 XLV, S. 1
—358. XLIX, S 1-3.58 LIII, S. 1
365. LVII, S. 1-347. LXV ö. 1—341.
Biographisches Jahrbuch für Alter-
thumswissenschaft. XXIX, S 1-112.
XXXIII, S. 1 127. XXXVII,S. 1 — 172.
LXI,S 1—139. XLV,S. 1-128. XLIX,
S.129-296. LIII, S. 1-132. LVII, S. 1-
160. LXI,S. 1-175. LXV, S. 1—108.
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Berlin.
Druck von Martin Oldenbourg
A dler - Strasse 5.
.iW***-C4,
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3
J3
BdM
Jahresbericht über die Fort-
schritte der klassischen
Altertumswissenschaft
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