JAHRESBERICHT
^^j\ über
die Eortschritte der classischen
Altertumswissenschaft
( begründet
von
Conrad Bursian
herausgegeben
von
L. GJ^urlitt ima TV. ItroU.
Sechsundneunzigster Band.
Sechsundzwanzigster Jahrgang 1898.
Erste Abteilung.
GRIECHISCHE KLASSIKER.
J
LEIPZIG 1899.
0. E. EEISLAND.
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Inhalts-Verzeichnis
des sechsundneunzigsten Bandes.
Seite
Bericht über die Litteratur zu den nacliaristotelischen
Philosophen (mit Ausschluss der älteren Akademiker
und Peripatetiker und von Luki-ez, Cicero, Philon und
Plutarch) für 1889—1895 von Professor Dr. Karl
Praechter in Bern 1 — 106
Bericht über die die griechischen Tragiker betreffende
Litteratur der Jahre 1896 und 1897. Von N. Weck-
lein, Gymnasiabektor in München 107 — 155
Bericht über die griecliischen Philosophen vor Sokrates
für die Jahre 1876—1897. Von Professor Dr. Franz
Lortzing in Berlin 156 — 276
Bericht über die Litteratur zu den nacharistotelischen
Philosophen (mit Ausschluss der älteren Akademiker
und Peripatetiker und von Lukrez, Cicero, Philon und
Plutarch) für 1889—1895
von
Professor Dr. Karl Praechter
in Bern.
1. L. Stein und P. Wendland, Jahresbericht über die nach-
aristotelische Philosophie der Griechen und die römische Philosophie
1887—1890. Arch. f. Gesch. d. Philos. 4 (1891) S. 495—518: 657
— 683; 5 (1892) S. 103—112; 225-257; 403-416. K. Joel, Be-
richt über die deutsche Litteratur zur nacharistotelischen Philosophie
1891—1896. Arch. f. Gesch. d. Philos. 10 (1897) S. 539-556; 11
(1898) S. 281-309.
Von allgemeineren philosophiegeschichtlichen Darstellungen lasse
ich diejenigen unberücksichtigt, welche, ohne als selbständige wissen-
schaftliche Leistungen aufzutreten, nur der Einführung weiterer
Kreise in die Geschichte der Philosophie dienen, wie solche
von E. M. Mitchell (A study of Greek philosophy, Chicago 1891),
R. Eisler (Geschichte der Philosophie im Grundriß, Berlin 1895),
B. C. Burt (A brief histoiy of Greek philosophy, Boston 1896, nach
dem Datum der Vorrede [1888] Neuauflage eines vor unsere Berichts-
periode fallenden Werkes) u. a. erschienen sind. Auch unter den ori-
ginelleren Leistungen sind diejenigen von dem Referate auszuschließen,
welche unter Hintansetzung der Grundsätze philologisch - historischer
Methode die Geschichte der Philosophie unter den Gesichtswinkel der
subjektiven philosophischen Überzeugung des Verfassers rücken und
daher nur für die Erkenntnis und Beurteilung dieser Überzeugung,
nicht aber für die Ergründung des Thatsächlichen der Philosophiege-
schichte von Wert sind. Es gilt dies von K. Chr. F. Krause, Abriß
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVI. (1898.1.) 1
o Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.)
der Gesch. d. griech. Philosophie. Aus dem haudschriftl. Nachlasse
berausgeg. von P. Hohlfeld und A. Wünsche. Mit einem Anhange: die
Philos. der Kirchenväter u. d, Mittelalters. Leipzig 1893 (nach der
Bemerkung der Herausgeber im wesentlichen 1829 entworfen) und von
R, Wähle, Geschichtl. Überblick über die Entwickelung der Philo-
sophie bis zu ihrer letzten Phase, Wien und Leipzig 1895.
Nach diesen Vorbemerkungen hebe ich aus den in die oben be-
zeichneten Jahre fallenden Darstellungen teils der Geschichte der Philo-
sophie überhaupt, teils der griechischen insbesondere die folgenden hervor.
An neuen Auflagen bez. Bearbeitungen sind zu nennen:
1. A. Schwegler, Geschichte der Philosophie im Umriß. Ein
Leitfaden zur Übersicht. Neue Ausgabe. Durchgesehen und er-
gänzt von J. Stern. Leipzig, Ph. Reclam iun. o. J. (1889). 512 S.
1 M.
2. Dasselbe. 15. Aufl. durchgesehen und ergänzt von R. Koeber.
Stuttgart 1891. 397 S. 4 M.
Die nacharistotelische Philosophie ist in beiden Bearbeitungen
ziemlich kümmerlich bedacht. Neuere Forschungen sind nur sehr unge-
nügend berücksichtigt. Die ungünstige Beurteilung von 2 durch
I\ Lortzing, Berl. phil. Woch. 12 (1892) Sp. 212—216 kann ich für
den hier in Betracht kommenden Abschnitt vollauf bestätigen. Die 1894
erschienene achte Auflage des
3. Ueberweg-Heinzeschen Grundrisses ist dem Referenten
nicht zugegangen. (Vgl. Lortzing, Berl. phil. Woch. 16 [1896]
Sp. 321—328.)
4. Zellers für die nacharistotelische Philosophie au die dritte
Auflage seines großen Werkes sich eng anschließender Grundriß der
Geschichte der griechischen Philosophie ist 1893 in vierter,
5. W. Windelband, Geschichte der alten Philosophie (Handb.
d. klass. Altertumsw. her. von I. v. Müller 5. Bd. 1. Abt.) 1894 in
zweiter Auflage erschienen. Letztere ist in den Hauptpunkten gegen
die erste unverändert, so auch darin, daß die uacharistotelische Periode
etwas zu einseitig als eine Zeit der Verarbeitung, Aneignung, An-
passung und Umschmelzung aufgefaßt und dementsprechend der helle-
nistisch-römischen Philosophie, in welcher der Verfasser nur eine „Nachlese
der griechischen" erkennt, nur eine verhältnismäßig knappe Darstellung
(S. 175—228, davon kommen S. 208—217 auf die Patristik) zu teil
wird. Das Wesentlichste der neueren Forschungen ist verwertet und
so das treffliche, durch klare Darstellung der Hauptlehren und ihrer
Verknüpfung ausgezeichnete Werk auf seiner Hohe erhalten.
Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistotelischeaPhilosophen. (Praechter.) 3
Neu erschienen sind:
6. W. Win delband, Geschichte der Philosophie. Freiburg 1. B.
1892. Uns geht an der II., die hellenistisch-römische Philosoithie be-
handelnde Teil des Werkes (S. 121— 20G). Die Eigentümlichkeit dieser
Darstellung liegt darin, daß in ihr die Geschichte der Philosophie nicht
nach den einzelnen geschlossenen Systemen, sondern nach Problemen
behandelt ist. In der hellenistisch-römischen Philosophie unterscheidet
der Verf. die ethische und die religiöse Periode. Innerhalb der ersteren
treten hervor die Probleme: das Ideal des Weisen, Mechanismus und
Teleologie, Willensfreiheit und Weltvollkommenheit, die Kriterien der
Wahrheit; innerhalb der letzteren: Autorität und Offenbarung, Geist
und Materie, Gott und Welt, das Problem der Weltgeschichte. In
eine neue Beleuchtung rückt durch die veränderte Betrachtungsweise
u. a. die innerhalb der religiösen Periode mit der griechischen Philo-
sophie vereinigt behandelte Patristik.
7. V. Knauer, Die Hauptprobleme der Philosophie in ihrer
Entwickelung und teilweisen Lösung von Thaies bis ß. Hamerling. Vor-
lesungen, geh. an d. K. K. Wiener Univ., Wien und Leipzig 1892,
giebt S. 228 — 243 einen oberflächlichen, z. T. von bedenklicher Sach-
unkenntnis zeugenden Überblick über die nacharistotelische Philosophie.
8. R. Eucken, Die Lebensauschauungen der großen Denker,
Leipzig 1890, bietet in den Abschnitten „Der Ausgang des Altertums",
„Die christliche Welt und die Lebensanschauung Jesu" und „Die Aus-
gleichung des Christentums mit dem Griechentum" eine Fülle anregen-
der Gedanken zur Beurteilung der nacharistotelischen Philosophie. (Auf
die 1897 erschienene zweite, erweiterte Auflage sei hier bereits hinge-
wiesen.)
Einzelne größere Gebiete dieser Periode berühren:
9. F. Susemihl, Geschichte der griechischen Litteratur in der
Alexandrinerzeit, 1. Bd. Leipzig 1891, 2. Bd. ebenda 1892, ein durch
sorgfältige ki'itische Durcharbeitung eines gewaltigen Stoffes und um-
fassende Gelehrsamkeit ausgezeichnetes Werk, aus welchem besonders
folgende Kapitel hier in Betracht kommen : 2. Die Philosophie bis in die
zweite Hälfte des zweiten Jahrhunderts und die späteren Kj'niker (vgl.
vornehmlich Abschn. 4 — 8), 28. Die Stoiker Boethos und Panaetios,
29. Polybios und Poseidonios, 32. Die späteren Philosophen [bis in die
Zeit des Augustus] , 38. Die jüdisch-hellenistische Litteratur , ferner
Kap. 19 wegen der dort behandelten Litteratur zur Philosophengeschichte.
10. C. Martha, Les moralistes sous l'empire romain philosophes
et poetes. Dieses geistreiche Buch, von welchem in hervorragendem
Maße das vom Verfasser einem anderen Werke gespendete Lob gilt:
1*
4 Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.)
Ce llvre . . . aimonce ä la fois un erudit et un 6crivain, ist zu Paris
1894 in sechster Auflage erschienen.
Es gehört hierher ferner eine Reihe von Arbeiten, die teils un-
mittelbar philosophische, teils solche Probleme betreifeu, deren historische
Bearbeitung sich auch für die Geschichte der nacharistotelischeu Philo-
sophie fruchtbar erweist:
11. C. Baeumker, Das Problem der Materie in der griechischen
Philosophie. Münster 1890. Der vierte Abschnitt dieses Buches (S. 301
—370) ist den Epikureern und Stoikern, der fünfte (S. 371—428) dem
Neuplatonismus und seinen Vorläufern gev^idmet. Bemerkenswert ist
besonders die Auffassung des Verhältnisses dieser Schulen zur Ver-
gangenheit, w^ouach dieselben keineswegs nur alte Systeme wieder auf-
frischen oder eklektisch kombinieren, sondern durch Hervorkehrung und
Ausarbeitung gewisser unentwickelter Seiten an den Lehrgebäuden ihrer
Vorgänger neue Prinzipien schaffen und dadurch zu tiefgreifenden Um-
gestaltungen gelangen So die Stoa, indem sie den Materialismus zum
Centralpunkt macht, die neuplatonische Schule, indem sie die ethische
Auffassung der Materie als des Ursprungs des Bösen in den Mittel-
punkt rückt.
12. A. Ed. Chaignet, Histoire de la Psychologie des Grecs.
n. La Psychologie des Stoiciens, des Epicuriens et des Sceptiques.
Paris 1889, 528 p. 5 fr. III. La psych, de la nouvelle Academie et
des ecoles eclectiques. Paris 1890, 486 p. 7 fr. 50. IV. La psych,
de l'ecole d'Alexandrie. Livre I: Psychologie de Plotin, Paris 1892.
396 p. 7 fr. 50. Livre 11: Psych, des successeurs de Plotin, et une
table analytique de tont l'ouvrage. Paris (1892V) 7 fr. 50. Ich ver-
weise bezüglich der Methode dieses Werkes, von welchem mir nur der
vierte Band zugegangen ist, auf die Besprechungen von Stein, Berl.
phU. Wocb. 10 (1890) Sp. 1146—1150; 13 (1893) Sp. 590—593.
*13. H. V olger, Die Lehre von den Seelenteilen in der alten
Philosophie. I. Ploen 1892, II. ebenda 1893.*)
14. E. Rohde, Psyche, Ereiburg i. B u. Leipzig 1894, be-
spricht S. 601—625 die Stellung des stoischen und des epikureischen
Systems zu den Jenseitsvorstellungen.
15. G. Reichardt, De Artemidoro Daldiano librorum oniro-
criticorum auctore, Comment. Jen. vol. 5 (1894), auch als Jen. Diss.
Leipz. 1893 ersch. (s. auch unter No. 369) behandelt in § 1 S. 112 —
123 die Ansichten und Schriften der Philosophen über Divination (S. 115
des Oinomaos, S. 117 ff. der übrigen nacharistot. Philosophen).
*) Ein vor den Titel gesetzter Stern bedeutet, daß die betreffende
Arbeit dem Berichterstatter nicht vorgelegen hat.
Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.) 5
16. 0. Apelt, Beiträge zur Geschichte der griechischen Philo-
sophie, Leipzig 1891, bespricht S. 253 ff. die Widersacher der Mathe-
matik im Altertum.
17. Bergemann, Gedächtnistheoretische Untersuchungen und
mnemotechnische Spielereien im Altertum, Arch. f. Gesch. d. Philos. 8
(1895) S. 336ff., 484 ff. stellt S. 485—489 die nacharistotelischea, be-
sonders die neuplatonischen Lehren über das Gedächtnis zusammen.
*18. L. Credaro, II problema della libertä, di volere nella
filosofia dei greci, Rendic. dell' istit. lomb. ser. 2 vol. 25, fasc. 9. 10
p. 607—660.
19. H. Schlottmann, Ars dialogorum componendorum quas
vicissitudines apud Graecos et Romanos subierit, Rostochii 1889 (Diss.)
enthält einiges in unser Gebiet Einschlagende, so S. 31 ff. Bemerkungen
über die stoische Dialoglitteratur. Wichtiger ist das an Anregungen
ungemein reiche Buch von
20. R. Hirzel, Der Dialog. Ein litterarhistorischer Versuch.
L II. Leipzig 1895.
Der Inhalt dieses Werkes entspricht nicht völlig dem Titel. Es
ist in die Darstellung manches einbezogen, was zur dialogischen Schrift-
stellerei nur in sehr mittelbarer Beziehung steht, und an dialogischen
Schriftwerken selbst sind auch solche Seiten eingehend behandelt, die
mit der dialogischen Darstellungsform nichts zu thuu haben. Mau
mag darüber unter anderem Gesichtspunkte mit dem Verfasser rechten,
wir haben Grund, uns des dargebotenen Reichtums herzlich zu freuen^
Der von Hirzel gewählte Standpunkt der Betrachtung in Verbindung
mit seiner Gabe geistreicher Kombination rückt viele Erscheinungen in
eine neue, oft überraschende Beleuchtung, besonders da Hirzel sich
nicht auf das Altertum beschränkt und die antiken Erzeugnisse der
Dialogschriftstellerei nicht isoliert, sondern als Glieder einer universal-
geschichtlichen Entwickelungsreihe betrachtet. Dazu kommt noch der
Reiz einer äußerst anziehenden Darstellung, die die Lektüre des Baches
auch da, wo man den Ergebnissen des Verfassers nicht zustimmen kann,
zu einer genußreichen macht.
21. P. Hart lieh, De exhortationum a Graecis Romanisque
scriptarum historia et indole. Leipziger Stud. 11 (1889) S. 207 — 333
(S. 207—300 auch als Leipziger Diss. 1889 erschienen), behandelt die
TipoTpsütiy.oi der antiken Litteratur, unter welchen er sophistische oder
rhetorische und philosophische unterscheidet. Von den letzteren sind
die in unser Gebiet fallenden S. 274— 32G, 329—332 besprochen; auch
S. 241 — 266 berührt uns die zur Rekonstruktion des aristotelischen
Q Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.)
Pi'Otreptikos unternommene Analj^se von .Tamblichs Xoyo; Trpo-psKT. si?
^iXoa. Auf die wichtigeren Abschnitte der Arbeit werde ich bei den
betreffenden Philosophen zurückkommen.
22. 0. Apelt, Beitr. z. Gesch. d. gv. Philos. (s. o. No. 16)
bringt S. 339 — 365 einen Vortrag zum Abdruck über die Idee der all-
gemeinen Menschenwürde und den Kosmopolitismus im Altertum, in
welchem auch die Wirksamkeit der nacharistotelischen Philosophie für
diese Idee zur Sprache kommt.
23. E. Norden, Beiträge zur Gesch. der griech. Philos. III.
Philosophische Ansichten über die Entstehung des Menschengeschlechts,
seine kulturelle Entwicklung und das goldne Zeitalter. Jahrb. Suppl. 19
(1893) S. 411 — 428. Der Verf. geht aus von der Berührung zwischen
Tzetz. zu Hesiod. Erg. p. 58 f. Gaisf. mit der epikureischen Ausführung
bei Diodor 1,7 f. Ein Unterschied zwischen beiden Darstellungen be-
steht darin, daß Diodor den epikureischen Standpunkt in der Beurteilung
der menschlichen Kulturentwickelung festhält, während Tzetzes davon
abbiegend in dem einfachen Leben der ersten Menschen einen Ideal-
zustaud erblickt, der durch das Geschenk des Feuers dem heutigen
Zustande allgemeiner Verderbtheit Platz gemacht habe. Norden erklärt
dies nicht aus einer Vermengung des Epikureischen mit Fremdartigem
durch den Gewährsmann des Tzetzes, sondern sucht unter Heranziehung
von Lucr. 5, 944 ff. wahrscheinlich zu machen, daß ein solcher Wider-
spruch Epikur selbst wohl zuzutrauen sei. Ich kann dem nicht zu-
stimmen. Nordens Ansicht würde die Annahme einer doppelten epi-
kurischen Darstellung, einer konsequenten (wie bei Diodor) und einer
inkonsequenten (wie bei Lukrez und Tzetzes) nötig machen, eine An-
nahme, zu der man sich so leicht nicht entschließen wird. Läßt ferner
die fein abgetönte Darstellung bei Lukrez noch einen Zweifel, so klingt
uns doch aus Tzetzes in voller Schärfe der Ton entgegen, den die
kynisch-stoische Diatribe in der Verurteilung der höheren Kultur an-
zuschlagen pflegte. So konnte Epikur nicht schreiben, wollte er nicht
den prinzipiellen Standpunkt (als dessen „konsequenten Vertreter" ihn
N. S. 414 bezeichnet) aufgeben. Mir scheint der Widerspruch nur aus
einer Umbiegung der Quelle des Tzetzes zum kynisch-stoischen Stand-
punkte (denn daß auch Stoiker so urteilten, zeigt Seneka) erklärlich zu
sein. Eine solche lag in einer Zeit, in w^elcher Epikur in Mißkredit,
die in der kynisch-stoischen Diatribe hervortretende Richtung aber an
der Herrschaft war, gewiß nahe genug. Was die beiden Grundan-
schaunngen betrifft, so mache ich noch auf die interessanten Gegenüber-
stellungen Ps.-Luc. amor. 19 ff., 33 ff., Cynic. 5 aufmerksam (vgl. Berl.
phü. Woch. 16 [1896] Sp. 870 f.). S. ferner Rh. Mus. 47 (1892) S. 439f.
Weiterhin verfolgt Norden die Spuren der demokritisch - epiku-
Bericht üb. d.Litteraturzu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.) 7
reiseben Zoogonie und bespricht eine Modifikation der Vorstellung vom
goldenen Zeitalter, deren erste Spuren sich schon bei Arat finden, die
dann durch Poseidonios vertreten wurde und bei Varro und den Römern
überhaupt Beifall fand. Poseidonios machte einen Kompromiß zwischen
der volkstümlichen Anschauung- vom goldenen Zeitalter und den der
epikureischen Auffassung näher stehenden Vorstellungen der Gebildeten,
indem er auf einen Zustand primitiver Roheit das von den Philosophen
durch Begründung der Künste herbeigeführte goldene Zeitalter folgen ließ.
24. A. Giesecke, De philosophorum veterum quae ad exilium
spectant seuteutiis. Lipsiae 1891. (Diss.) 134 S.
Eine vergleichende Behandlung der verschiedenen Bearbeitungen
des Topos Tispi tpu^y)? ist für die Erkenntnis der Quellenbeziehungen
zwischen einer Reihe von Schriftstellern von Bedeutung. Ich komme
auf die Resultate der Gieseckeschen Arbeit, soweit sie ia diesen Bericht
gehören, unter den einzelneu Autoren zurück und gebe hier nur eine
Übersicht über den Inhalt der Abhandlung. Kap. 1 betrifft das tele-
tische Stück tt. 907^?, 2 die gemeinsamen Quellen des Plutarch und
Musonios, 3 die besonderen Quellen Plutarchs, 4 die übrigen in dieses
Gebiet fallenden Trostschriften, 5 ist Ariston von Chios gewidmet.
Vgl. unten No. 44, 54, 90 und die Besprechung von Wendland, Berl.
phil. Woch. 12 (1892) Sp. 108—111.
Über einen anderen innerhalb der philosophischen Litteratur häufig
begegnenden Topos handelt
25. G. Barner, Comparantur inter se Graeci de regentium homi-
num virtutibus auctores. Marpurgi Cattorum 1889. (Diss.) 62 S.
Die nacharistotelische Philosophie berühren die Abschnitte über
Philou Jud., Dion Chrysost., Plutarch, Themistios, Julian, Synesios. Es
ist hier mit anerkennenswertem Fleiße Material gesammelt und auch
für die Aufdeckung von Quellenzusammenhängen manches geschehen.
Der überreiche Stoff ist aber in einer Dissertation gewöhnlichen Um-
fauges nicht zu erschöpfen und harrt noch einer abschließenden Be-
handlung.
Ich wende mich nun zu den speciellen Arbeiten.
Von der in unserer Berichtsperiode der nacharistotelischen Philo-
sophie zugewandten Thätigkeit entfällt der Löwenanteil auf Stoicismus
und Kynismus. Um hier nur die wichtigsten Ergebnisse zusammenzu-
fassen, so hat die Kenntnis des ersteren für alle drei Hauptstadien
seiner Entwickelung erfreulicne Förderung erfahren. Die Forschung
über die ältere Stoa ist durch die von Pearson und Troost gebotenen
Sammlungen der Fragmente des Zenon und Kleanthes z. T. auf eine
8 Bericht üb. d. Litteratar zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter .)
gesichertere Grundlage gestellt, die Mittelstoa hat durch Schmekel eine
treffliche Bearbeitung erfahren, und innerhalb der Jungstoa ist durch
Bonhüffer Epiktet in helles Licht gerückt, von dem ein Reflex auf die
Altstoa zurückfällt. Einer Eeihe von Arbeiteu verdanken wir einen
klareren Einblick in die große Einwirkung der Mittelstoa, insbesondere
des Poseidonios, auf weite Kreise innerhalb wie außerhalb der eigentlich
philosophischen Sphäre. Die für das spätere Altertum so bedeutsame
kynisch-stoische Diatribe ist uns durch Heuses Teles, Wendlands Ab-
handlung über Philo und die kynisch-stoische Diatribe und andere
Arbeiten näher gebracht.
Indem ich mich zum Einzelnen wende, bespreche ich zunächst
Arbeiten über
Die Stoa im allgemeinen.
26. 0. Weißenfels, De Platonicae et Stoicae doctrinae affini-
tate, Festschrift des Französ. Gymn., Berlin 1890, S. 81—120, behandelt
Berührungen zwischen Piaton und den Stoikern, von welchen aber nur
Epiktet eingehender berücksichtigt ist. Gegen des Verfassers Auf-
stellungen im ganzen und im einzelneu sind mancherlei Bedenken zu
erheben; vor allem ist auf wenig besagende Übereinstimmungen in all-
gemeinen Dingen, insbesondere auf die beiden Systemen gemeinsame
Verleugnung des natürlichen Menschen, die doch bei Piaton und den
Stoikern nach Begründung und Inhalt sehr verschieden ist, viel zu viel
Gewicht gelegt. '
27. V. Brochard, Sur la logique des Stoiciens, Archiv f. Gesch.
d. Phil. 5 (1892) S. 449—468, behauptet gegen Prantl und Zeller die
Originalität der stoischen Logik. Dieselbe ist nach Br. keineswegs eine
Reproduktion der aristotelischen, sondern ihr entgegengesetzt. Sie ist
ein Versuch, den kynisch-stoischen Nominalismus, der ihre Grundlage
bildet, mit der Annahme der Möglichkeit gesicherter Wahrheitserkennt-
nis in Einklang zu bringen. Br. betont die nahe Verwandtschaft der
stoischen Logik mit derjenigen von Stuart Mill.
28. W. Luthe, Die Erkenntnislehre der Stoiker. Leipzig 1890.
46 S. 80 Pf.
Die Arbeit ist nicht ohne Scharfsinn, bekundet aber eine bedenk-
liche Unkenntnis hinsichtlich der für eine ersprießliche Behandlung
des Gegenstandes nötigen Hülfsmittel. Als Quellen für die stoische
Lehre sind im wesentlichen nur Cicero, Sextus Emp., Plutarch und
Laertios Diogenes benutzt, andere Autoren, wie Seneka, Stobaios, Am-
monios nur ganz vereinzelt augeführt. Diels' Doxographi scheinen
I
Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistolelischenPhilosopheD. (Praeehter.) 9
nach S. 1, 27, 31 dem Verfasser nicht bekannt zu sein. Überhaupt
ignoriert Luthe die neuere, seinen Gegenstand berührende Litteratur
vollständig bis auf die Werke von Zeller und Prantl, gegen die er
mehrfach polemisiert. Daß auf so dürftiger Grundlage keine Wieder-
herstellung der stoischen Erkenntnislehre möglich ist, versteht sich
von selbst.
Die Abhandlungen von F. L. Ganter, Das stoische System der
ai'jÖTqai? mit Rücksicht auf die neueren Forschungen und A. Bonhöffer,
Zur stoischen Psychologie werden unter No. 106 und 107 besprochen
werden.
29. A. Häbler, Zur Kosmogonie der Stoiker, Jahrb. 147
(1893) S. 298—300, verteidigt, gestützt auf die stoische Kosmogonie,
Cleomed. 1, 1, 6 f. die Lesart der beiden Hss M L gegen die Vulgata.
30. I. Bruns, Interpretationes variae, Festschr. zu Kaisers
Geb., Kiel 1893, mir nur durch die Eezeusion von Wendland, Berl.
phil. Woch. 13 (1893) Sp. 1577—1578 bekannt, zeigt, daß Archytas'
Beweis für das Unendliche auch von den Stoikern benutzt wurde.
31. C. Gawanka, De summe bono quae fuerit Stoicorum sen-
tentia, Osterode 1889, Progr,, 14 S., enthält eine kurze Darstellung
und Beurteilung der stoischen Lehre vom höchsten Gut und der an-
grenzenden Partien der stoischen Ethik ohne neue Ergebnisse.
32. L. Stein, Antike und mittelalterliche Vorläufer des Occa-
sionalismus, Archiv f. Gesch. d. Phil. 2 (1889) S. 193 ff., setzt S. 198—
207 die stoische au^xaTczOsats in Parallele mit dem zustimmenden oder
widerstrebenden Affekte, welcher nach der Lehre des Occasionalismus
unsere (notwendigen) Handlungen begleitet und allein die Domäne der
sittlichen Zurechnung bildet.
33. J. Stern, Homerstudien der Stoiker, Progr. Lörrach 1893,
52 S., zeigt au einzelnen Beispielen der Exegese, „wie etwa ein stoischer
Homerkomraeutar ausgesehen haben mag". Den breitesten Raum nimmt
natürlich die allegorische und ethische Interpretation ein, für welche
die Belege zumeist Herakleitos, Koruutos und Ps.-Plutarch de vit. et
poesi Hom. entnommen sind. Andere Autoren wären zur Ergänzung
heranzuziehen. Vgl. etwa Dio Chrys. or. 57 und von Arnims Index
unter Homerus, Epict. diss. 1, 19, 12 (vgl. Dio Chrys. or. 1 p. 56 R.);
3, 22, 108, die von Giesecke, De phil. vet. quae ad exil. spect. sent.
p. 108 f. auf Ariston von Chios zurückgeführten Stellen bei Plut. quom.
adol. poet. aud. deb. c. 1 1 (s. auch mein Progr. : Die griech. - röm.
Popularphil. u. die Erziehung, Bruchsal 1886, S. 31 f.), die von Hobein,
De Maxirao Tyrio quaest. philol. selectae (Gott. 1895) p. 78 f. ge-
sammelten Stellen u. a. Ungern vermißt man eine eingehendere Be-
handlung der Quellenfrage (Diels doxogr. p. 88 ff.).
10 Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistotclischenPbilosophen. (Praechter.)
Ältere Stoa.
Auf die äußere Geschiclite derselben bezieht sich
34. F. Suseniihl, Das Geburtsjahr des Zenon von Kition.
Jahrb. 139 (1889) S. 745—752. S. verteidigt hier gegen Brinker die
auch früher schon von ihm vertretene Berechnung von Rohde und Gom-
perz, nach welcher Zenon 336/5 geboren wurde und 264/3 starb.
Der Wiederherstellung des littcrarischen Nachlasses älterer Stoiker
gelten folgende Arbeiten:
35. The fraements of Zeno and Cleanthes, with introduction
and explanatory notes by A. C. Pearson. London 1891. VII u.
344 S. 10 M.
In der Einleitung behandelt P. Zeuous Leben (S. 5 Anm. 6 war
Epist. diss. 2, 13, 14 zu erwähnen), Lehre, Verhältnis zu früheren
Philosophen, Schriften und Stil (Apul. de mag. p. 400 Oudend. scheint
übersehen) , sowie Kleanthes und seine Schriften. Die Fragmente sind
ohne Berücksichtigung der im ganzen seltenen Angaben über die Her-
kunft aus bestimmten Schriften jeweilen in solche zur Logik, Physik
und Ethik eingeteilt, denen die Stellen über die Gliederung der Philo-
sophie vorangehen. Die Übersichtlichkeit leidet etwas unter dem Mangel
an Unterabteilungen und spezielleren Kolumnentiteln. An die Frag-
mente sind die Apophthegmen angeschlossen, dabei ist aber das von
Sternbach herausgegebene Gnomolog. Vatic. unausgebeutet geblieben.
Indices (I. fontium, II. nominum, III. verborum) erleichtern den Ge-
brauch der fleißig gearbeiteten, höchst dankenswerten Sammlung. Zahl-
reiche Nachträge enthält die Rezension von Wendland, Berl. phil.
Woch. 12. (1892) Sp. 268—271.
36. Zenonis Citiensis de rebus physicis doctrinae fundamentum
ex adiectis fragmentis constituit K. Troost. (Berliner Studien f.
klass. Phil. u. Arch. 12. Bd. 3. H.) Berlin 1891. 87 S. 3 M.
Lehrdarstellung und Fragmentsammlung, letztere gleichzeitig mit
derjenigen Pearsons und unabhängig von derselben ausgearbeitet, sind
in der Weise miteinander verbunden, daß erstere den oberen, letztere
in ihren entsprechenden Partien den unteren Teil jeder Textseite füllt;
Bemerkungen sind in Fußnoten untergebracht. Diese Anordnung ist,
auch abgesehen von der störenden Dreiteilung der Seite, nicht eben
glücklich, da sich eine befriedigende Darstellung der Lehre Zenons ans
den auf ihn zurückführbaren Fragmenten ohne Herbeiziehung der Über-
lieferung über die allgemein stoische Doktrin doch nicht gewinnen
läßt; sie hat aber immerhin das Gute, daß die Fragmente an einem
Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelisclion Philosophen. (Praechter.) 1 1
leicht zu verfolgenden Faden aufgereiht erscheinen. Die Frag;nient-
sammlung hätte sich durch Berücltsichtigung der Quellenverhältnisse
einfacher und übersichtlicher gestaltet. Einige Ergänzungen ergeben
sich aus einer Vergleichung mit Pearsons Arbeit. Vgl. auch die
Rezension von Wendland, ßerl. phil. Woch. 12. (1892) Sp. 271—273.
Die Arbeit von 37. H. Poppelreuter, Die Erkenutnislehre
Zenos uud Kleantbes', Koblenz 1891, Pr., ist mir nur aus der Er-
wähnung durch Joel, Arch. f. Gesch. d. Philos. 10. (1897) H. 554 bekannt.
38. W. L. Newman, Cleanthes' hymn to Zeus, Class. rev. 6
(1892) p. 181 schreibt V. 4 für das unverständliche rjyou : a-^oü.
Einzelne die ältere Stoa betreffende Fragen behandeln folgende
Arbeiten :
39. H. von Arnim, Über einen stoischen Pap5'rus der herku-
lanensischen Bibliothek, Hermes 25 (1890) S. 473 — 495 bespricht die
Coli. alt. X 112 — 117 publizierte Rolle auf Grund dieser Ausgabe
und photographischer Reproduktion des Oxforder Apographon, welches
eine in der Keapeler Veröffentlichung fehlende Kolumne enthält und
sich auch sonst als zuverlässiger erwies. Die durch v. Arnim scharf-
sinnig ergänzten Bruchstücke behandeln den Weisen nach der logisch-
erkenntnistheoretischeu Seite und gehören, wie v. A. wahrscheinlich macht,
einer Abhandlung über das Ideal des Weisen, also einer unter das
f^&ixöv [jLEpoc fallenden Schrift an. Der Charakter der Darstellung führt
auf die chrysippische Schule; zahlreiche Berührungen mit chrysippischen
Fragmenten und mit der wahrscheinlich auf Chrysipp zurückgehenden
Epitome der stoischen Ethik bei Areios Didymos legen die Vermutung
nahe, dali wir es mit einem Werk des Chrysippos selbst zu thun haben.
40. Ed. Norden, Beiträge zur Gesch. der griech. Phil. (s. No. 23)
handelt S. 440—452 „über den Streit des Theophrast und Zeno bei
Philo -zp\ acpUap^tac y.ojfxou". X, sucht eine Entscheidung der Frage,
ob die bei Philon c. 23 von Theophrast bekämpften (stoischen) Argu-
mente gegen die Weltewigkeit von Zenon herrühren, aus der gleich-
zeitig auch von mir (Berl. phil. Woch. 13 [1893] Sp. 616 Anm.)
hervorgehobenen Thatsache zu gewinnen, daß diese Argumente sich
großenteils Lucr. 5, 235—415 wiederfinden. Ist diese Partie epikurisch
und nicht etwa von Lukrez aus anderer Quelle eingefügt, und läßt sich
darthun, daß Epikur diese Beweisführung einem Stoiker verdankt, so
ist die Urheberschaft Zenons gesichert, da Epikur unter den Stoikern
nur ihn berücksichtigt haben kann. Daher gilt der erste Teil der Aus-
führungen Nordens dem Nachweise, daß der für uns durch Lukrez ver-
tretene Epikur diese Argumentation stoischer Quelle entnommen habe,
während er sich im zweiten gegen von Arnim wendet, der in den
Quellenstudien zu Philo S. 41 ff. aus Diskrepanzen zwischen den Stich-
12 Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.)
worteu, mit welchen Theophrast die Beweise der Gegner bezeichnet,
und den bei Philen folgenden Beweisen selbst den Schluß zieht, daß
Theophrast gar nicht diese Beweise im Auge gehabt habe, sondern die-
selben erst nachträglich unter das theophrastiscbe Schema subsumiert
seien. Gegen Norden wendet sich
41. H. von Arnim, Der angebliche Streit des Zenon und
Theophrastos, Jahrb. 147 (1893) S. 449—467. Zunächst verteidigt
V. A. seine auf das Verhältnis der Stichworte und Beweise gegründete
Ansicht gegen Norden, um dann dessen Schlüsse aus Lukrez anzugreifen.
Was jene Ansicht betrifft, so scheint sie mir auch nach den
scharfsinnigen Ausführungen dieser Replik nicht haltbar. Mit der
Forderung exaktester logischer Übereinstimmung zwischen Stichworten
und Beweisen legt v. A. an die in tc. a^ö. y.osixou gegebene Darstellung
einen Maßstab an, der für ein solches Referat auch aus der Feder
Philons nicht zulässig ist, noch weniger zulässig aber dann sein würde,
wenn wir es, wie v. A. annimmt, mit einem nur mangelhaft sach-
kundigen, leichtfertig arbeitenden Pseudo-Philon zu thun hätten. Am
schwersten wiegt noch, daß Theophrast unter dem vierten Punkte nur
von yepsaia ^loa redet, während eine solche Beschränkung auch nur als
Ausgangspunkt in dem entsprechenden Beweise nirgends hervortritt.
Aber auch dies scheint mir nicht durchschlagend, trägt man nur der
Möglichkeit flüchtigen Exzerpierens Rechnung.
Auf der andern Seite ist eine Entscheidung der Frage im Sinne
Nordens auf Grund der Lukrezstelle gleichfalls nicht möglich. Die
Übereinstimmung in beiden Darstellungen ist doch, wie auch v. Arnims
Analyse zeigt, nicht durchgreifend genug, die einzelnen Elemente der
Beweise erscheinen viel zu sehr verschoben und in anderen Zusammen-
hang gerückt, als daß sich die Überzeugung einer so nahen Beziehung
aufdrängte, wie sie Norden annimmt.
42. R. Heinze, Ariston von Chios bei Plutarch und Horaz,
Rhein. Mus. 45 (1890; S. 497-523, vermutet für Plut. de virt. et vit.
und einen Teil von de tranqu. an. die Quelle in Ariston von Chios.
Bion, an welchen dem Tone nach auch zu denken wäre, fällt nach H.
deshalb außer Betracht, weil er vorwiegend polemisch-satirisch auftritt,
Plutarchs Vorlage aber einer positiven, zur Stoa neigenden Weltan-
schauung huldigt. Aus demselben Grunde glaubt H. auch die ver-
wandten Gedanken bei Iloraz in den beiden ersten Episteln des ersten
Buches auf Ariston und nicht auf Bion zurückführen zu sollen. Eine
Bestätigung erhalten Heinzes Ausführungen, soweit sie Plutarch betreffen,
durch die von R. von Scala, Rhein. Mus. 45 (1890) S. 475 ^ (die
letzte Stelle ist auch von Heinze S. 518 zu Plut. de tranqu. c. 3 bei-
gebracht) bemerkte Übereinstimmung sowie durch die Ausführungen von
Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistotelischenPhilosophen. (Praechter.) 13
43. 0. Hense, Ariston bei Plutarcb. Rhein. Mus. 45 (1890)
S. 541 — 554. Ausgehend von de curios. 516 F, wo Ariston mit
Namen genannt wird, durchmustert H. den kynisch-stoischen Gehalt
der Schrift, den er auf den Stoiker Ariston zurückführt, auch unter
Hinweis auf das Verwandte in de tranqu. und de exil. Mit Recht be-
tont H. die Schwierigkeit, zu entscheiden, ob das Aristonische Plutarch
direkt oder durch Yermittelung zugekommen ist. Die von H. gestreifte
Schrift rspl 907^; behandelt eingehender
44. Giesecke in der unter No. 24 erwähnten Dissertation
Kap. III (De Plutarchi fontibus peculiaribus) S. 56 ff. gleichfalls mit
dem Ergebnis, daß der Stoiker A. Plutarch vorgelegen hat. Derselbe
verfolgt in Kap. V (Aristonea) S. 104 ff. weitere Spuren des Philosophen
in der späteren Litteratur, besonders bei Plutarch, und sucht dieselben
für die Erkenntnis des philosophischen Standpunktes Aristons zu ver-
werten.
Durch diese Arbeiten erhält eine starke Stütze die von
45. F. Dümmler, Akaderaika, Gießen 1889, Anhang I(S. 211 ff.):
Ein stoischer Gegner Theophrasts, ausgesprochene, mit Dümmlers Material
nur zu einem gewissen Grade der Wahrscheinlichkeit zu erhebende
Vermutung, daß Plutarch in -spl Tü/r,; Ariston benutzt habe, auf welchen
dann auch die Cic. Tusc. 5, 24 ff. berichtete Polemik gegen Theophrast
zurückzuführen wäre. Bezüglich der Scheidung des Eigentums des
Stoikers und des Peripatetikers Ariston bekennt sich Hense zur An-
sicht Zellers. Auch Heinze weist darauf hin, daß jedenfalls die
ofjLO'.cufjLaTa zu dem Stoiker gut passen. Einen abweichenden Standpunkt
vertritt
46. A. Gercke, Ariston, Arch. f. Gesch. d. Phil. 5 (1892)
S. 198—216. Derselbe betrachtet als feste Punkte für die Entscheidung
der Frage das Zeugnis Strabons (10, p. 486) über den Peripatetiker
als Nachahmer Bions und Seuekas Ausführungen im 94. Briefe, wo
Aristons Ablehnung spezieller Moralvorschriften in Verbindung mit der
starken Betonung der Adiaphorie alles Äußeren hervortritt. Die bionische
Art ist, wie G. darzuthun sucht, dem Charakter des Stoikers direkt
entgegengesetzt. Von jenen festen Punkten ausgehend weist G. dem
Peripatetiker zu die Philod. de vit. 10 benutzte, Charakterbilder ent-
haltende Schrift, eine Abhandlung über das Alter (die Vorlage von
Ciceros Cato maior) und die 6|xoia)(j.aTa ganz oder teilweise, dem Stoiker
außer den von Panaitios ihm belassenen Briefen und den Schriften
Trepl Ttöv Zr^vovo; ooYfJ-aTcuv und -po? KXsavöriv den von Seneka und
Sextus Emp. benutzten Protreptikos. Dagegen wendet sich
47. A. Giesecke, Der Stoiker Ariston von Chios, Jahrb. 145
(1892) S. 206—210. Bei Strabon erkennt G. In den Worten 6 xo^J
14 Bericht üb. d.Litteratur zu d. Dacharistotelischen Philosophen. (Praechter.)
BopuafieviTou ßi'wvo; ^yjXojty^? einen Zusatz Strabons zn Eratosthenes,
dessen Autorität also nicht in Frage käme. Diese Scheidung- darf aber
doch nicht, wie G. thut, auf den bloßen „Eindruck" hin vorgenommen
werden, ohne daß ein schwerwiegender Grund gegen jenes Zeugnis
vorliegt. Einen solchen bietet m. E. allerdings die enge Verbindung
in welcher Bionisch-Aristonisches bei Plutarch und Horaz mit Stoischem
auftritt. Vollkommen reclit aber hat Giesecke mit seinem Einspruch
gegen die Verwendung, welche Gercke von der durch Seneka für den
Stoiker Ariston bezeugten Verwerfung der Einzelvorschriften und Be-
tonung der Adiaphorie als Kriterium macht. Nach Sen. ep. 94, 7 be-
rechtigt uns nichts, unserem Stoiker Ausführungen darüber, daß das
Alter kein Übel sei u. ä. abzusprechen. Auch die Unvereinbarkeit der
öjxoicuiJLaTa mit dem von Seneka gekennzeichneten Standpunkte läßt sich
durchaus nicht erweisen.
Zu Chrysippos vergleiche unten No. 366.
Über die protreptischen Schriften der älteren Stoiker handelt
48. Hartlich in der unter No. 21 angeführten Arbeit S. 275—281.
In Betracht kommen besonders Ariston von Chios, zu dessen aus Seneka
u. a. zu gewinnendem Bilde, wie H. ausführt, die Verfasserschaft eines
-po-psTiTixo? wohl paßt ; auf keinen Fall läßt sich eine solche auf Grund
von Sen. epist. 89, 13 bestreiten. Weiter gehören hierher Chrysipps
Bücher Trapl tou TrpoxpsT^eaöai und TrpoTpeTtxtxoi.
Eine zusammenfassende Bearbeitung der Altstoa liegt vor in
49. 6sp£tav6s AiaYpajxjjLa 2x(oix^c cpiXoaocpiac. Mepo? :rpä)Tov .'Ap)^aia
cTodf, 'Ev Tep7£a-7] 1892. 159 S. Die Arbeit ist mir nicht zugegangen.
Nach den Rezensionen von Bonhöffer, Woch. f. kl. Phil. 9 (1892)
Sp. 1279 ff. (vgl. auch ebenda 10 (1893) Sp. 197 f.) und Wendland,
Berl. pWl. Woch. 13 (1893) Sp. 593 ff. ist dieselbe für griechische
Leser nützlich, bietet aber dem Kenner nichts Neues.
Ältere Kyniker der nacharistotelischen Periode.
In diesem Zusammenhange ist auch über die Biou betreffende
Litteratur zu berichten. Obwohl ich in diesem nicht mit Wachsmuth und
Hense einen im wesentlichen konsequenten kynischen Philosophen, sondern
nur mit Zeller und Hirzel einen geistreichen, philosophisch beeinflußten
Litteraten erblicken kann, so steht er doch in so engen Beziehungen
zum Kynismus und ist namentlich von solcher Bedeutung für die Aus-
bildung der kynisch-stoischen Diatribe, daß er hier einen Platz zu be-
anspruchen hat.
Über Bions Biographie bei Laertios handelt Susemihl in dem
unter No. 183 besprochenen Aufsatze. Die Bion eingehend berück-
Bericht üb d. Litteratur zu d. nacharistoteliscben Philosophen. (Praechter.) 15
sichtigeuden Arbeiten von Hense (Teletis reliquiae) und Giesecke sind
sogleich zu berühren. Viel für Biou Wichtiges enthalten auch die unter
No. 42 bis 47 genannten Arbeiten über Ariston. Weitere Spuren bei
Späteren verfolgen die drei zunächst zu besprechenden Abhandlungen.
50. ß. Heinze, De Horatio Bionis imitatore , Bonnae 1889.
(Diss.) 30 S.
Nach allgemeineren Ausführungen über Horaz' Verhältnis zu
Bion und Menippos weist Heinze bei ersterem eine Reihe von Stellen
nach, an welchen Bion benutzt ist, und zwar in sat. I 1 und 2 (daß
aber hier die Abmahnung von Ehebruch ihrer Begründung nach nicht
epikureisch sein könne, ist nicht zuzugeben; vgl. Zeller III 1 S. 448,
Anm. 2), II 2 und 3 (99 ff., 187 ff.); 7 (46 ff.j epist. II 2, 146 ff.,
171 ff. Nicht richtig ist, was S. 28 über das logische Verhältnis von
sat. II 2, 126 ff. zum Vorhergehenden bemerkt wird. Aus der Un-
beständigkeit des Besitzes ergiebt sich sehr wohl die Forderung mäßiger
Lebenshaltung; wer sich an wenigem genügen läßt, wird den Verlust
des Besitzes leichter tragen. Damit fällt auch Heinzes Folgerung.
Da das bionische Material zum grpßen Teile aus griechischen
Schriftstellern der nachhorazischen Zeit geschöpft werden muß, widmet
H. einen längeren Abschnitt dem Nachweise, daß Beziehungen auf die
römische Litteratur bei den Griechen dieser Zeit selten, die Überein-
stimmungen jener Autoren mit Horaz also nicht aus Benutzung des
Römers durch die Griechen, sondern aus Abhängigkeit von gemeinsamer
Quelle herzuleiten seien. Dagegen sucht
51. A. Gercke, Die Komposition der ersten Satire des Horaz,
Rhein. Mus. 48 (1893) S. 41—52 darzuthun, daß Maxim. ' Tyr. diss.
21, 1 auf Horat. sat. I 1, 1 ff. zurückgehe, da der dem römischen Leben
entnommene lurisconsnltus bei Horaz in ot ä-o xcGv oixajTTjpiojv bei
Maximos wiederkehre, in den übrigen Parallelstellen aber fehle. Der von
G. betonte Unterschied zwischen diesen beruflichen Vertretern der gericht-
lichen Sphäre und den an zwei Parallelstellen bei Lukian auftretenden
öixa^oixevot ist aber doch recht unerheblich und nicht stark genug,
um Gerckes auch sonst nicht wahrscheinliche Vermutung zu stützen.
(Vgl. auch Hobein, De Max. Tyr. quaest. phil. sei. p. 88 f.) Eben-
sowenig überzeugend ist die Zurückführung des Satzes Gnom. Byz. 207
oid ^iXap7upiav (xs-ra -6vu)v -jEcDp^cü /.tX. auf Hör. sat. I 1, 28 — 30;
7 f. G. hat sich hier durch den rein zufälligen Anklang von xai)' Spav
an horae momento beirren lassen. Ersteres bedeutet aber nur „von
Stunde zu Stunde", und die Gnome steht zu Horaz in keiner näheren
Beziehung als die anderen von Heinze beigebrachten Parallelen. Auch
der Grund für die Zurückführung von Vers 62 auf Lucilius ist nicht
1 6 Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.)
zwingend. Bei V. 43 halte ich es nicht für nötig, an den Haufenschluß zu
denken, um den Einwand des Geizigen nicht kindisch zu finden. Sicher-
lich recht aber hat G., wenn er betont, daß Horaz nicht sklavisch seine
Quelle ausgeschrieben, sondern eine ganze Reihe von Motiveu ver-
schiedener Herkunft in kunstvoller Verschlinguug zu einem Ganzen
vereinigt hat.
52. 0. Hense, Bionbei Philen, Khein. Mus. 47 (1892) S. 219—240.
erklärt die Inkonvenienzen iu quod. oran. prob. üb. daraus, daß neben
dem stoischen auch kynisches Gut vorliege. Die Anekdote p. 463 M.
erweist sich durch Vergleichung mit Ps.-Plut. apophth. Lac. 35 p. 234 b
und Sen. ep. 77, 14 als wahrscheinlich bionisch. Dafür spricht der
dorische Dialekt, die Neigung zur Ohscönität und die Beziehung auf
Autigonos. Der gleichen Sphäre gehört die folgende Erzählung von
den dardanischen Weibern au. Die Quelle scheint Bions Schrift uepl
oouXcia; (Stob. flor. 2, 38 H., 39 M.) zu sein, der, wie H. wahrschein-
lich macht, auch die aufgenommenen Partien des euripideischen Syleus
entstammen. Auch das Antisthenescitat p. 449 g. E. könnte durch
Bion vermittelt sein, ebenso der Vergleich des Weisen mit dem Löwen
p. 451, den möglicherweise Bion wie Kleomenes (Laert. Diog. 6, 75)
Metrokies entlehnt hat. Auch p. 464 f. trägt bionischen Charakter.
Diese kynischen Stellen bilden in der Hauptsache eine ununterbrochene
Gruppe (460 Schi. — 466 Auf.). Ein besonderes Interesse gewinnt
dieser Nachweis, weil sich zeigt, „wie in einer Schrift des ersten Jahr-
hunderts n. Chr. eine stoische Vorlage strenger Observanz mit den
Fetzen eines hedonischen Kynikers verbrämt wird."
Vgl. für Bion auch No, 356.
Von großer Bedeutung auch für Bion ist die seinen Nachahmer
betreffende Schrift
53. Teletis reliquiae, edidit prolegomena scripsit 0. Hense,
Friburgi in Brisgavia 1889. CIX u. 96 S. 5 M. 60.
Diese Ausgabe der bei Stobaios erhaltenen Telesfragmente ist
zunächst ein Specimen von Henses Ausgabe des stobaiischen Florilegiums,
deren erster Band inzwischen erschienen ist. Sie geht aber namentlich
in ihren inhaltreichen Prolegomena weit über diese Grenze hinaus
und bildet durch ihre auf reiches Material gegründeten Ausführungen
über Bion und die mit ihm zusammenhängenden litterarischen Er-
scheinungen eine Hauptschrift für das Gebiet der kynischen Diatribe.
Die Prolegomena beginnen mit einem Überblick über die kritischen
Hülfsmittel der Edition (jetzt eingehender in der Florilegiumsausgabe).
Ihre Prüfung bestätigt die schon von Wilamowitz vorgenommene Aus-
schließung von flor. 91, 33 und 93, 31, Fragmenten, die erst von Gesner
Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistotclischen Philosophen. (Praechtcr.) 17
auf Grund eines nachweislichen Irrtums Teles gegeben worden sind.
Was Teles' Person betrifft, so löst ihn H. dadurch, daß er p. 35, 16
die von den meisten angenommene Konjektur Meinekes «jaioc (d. h.
Kleanthes) für überliefertes a'jto; beseitigt und dafür apto; schreibt,
aus dem Zusammenhange mit der Stoa und schafft für seine durch den
Inhalt der Fragmente geforderte Einreihung unter die Kyniker freie
Bahn. Damit erhält zugleich v. Wilamowitz' Datierung der Schrift
irepl TCsviac (,,in den letzten sechziger Jahren des dritten Jahrhunderts")
einen Stoß. Ob dieselbe aber auch, soweit sie sich auf die Erwähnung
des Ptolemaios (Philadelphos) stützt, dadurch beseitigt werden darf,
daß man mit Ileuse 29,6 oi6 — 9 KpaTr,-:a für Worte der Quelle des
Teles erklärt, bezweifle ich. Nach weiteren Ausführungen über Teles'
Herkunft (bemerkenswert ist, daß, von einigen Vasen abgesehen, unter
den Inschriften nur megarische den Namen kennen), Lehrthätigkeit,
Wert (er geht auf gute Autoren zurück), philosophische Richtung (er
schließt sich nach H. völlig Bion an und vertritt wie dieser einen durch
Annäherung an den aristippisch-theodorischen Standpunkt gemilderten
Kynismus) behandelt H. die wichtige Frage nach den Quellen des Teles.
Hauptergebnis ist, daß T. die von ihm augeführten Schriftsteller größten-
teils — Stilpon ist auszunehmen — nicht selbst eingesehen, sondern
nur durch Vermittelung Bions benutzt hat, dem er auch die Apophthegraen
des Diogenes u. a. verdankt. Dies führt zu einer eingehenden Unter-
suchung über Bion (p. XLVIff.), aus welcher ich nur den Versuch
hervorhebe, den schon von Wachsmuth behaupteten im wesentlichen
rein kynischen Charakter Bions gegen den Widerspruch einer Reihe
von Apophthegmen aus der von Laert. Diog. überlieferten Sammlung
aufrecht zu erhalten. Die betreffenden Sätze waren nach H. in den
bionischen Diatriben , aus welchen er die Apophthegmen durch einen
Leser zusammengestellt sein läßt, einem gegnerischen Mitunterredner
in den Mund gelegt und sind nur durch den Unverstand des Exzerptors
Bion selbst zugeschrieben worden. Gegen diese Annahme entscheidet
aber m. E. neben 4, 51 xou? <piXou? xtX, wo H. durch eine wenig glückliche
Konjektur den Anstoß zu beseitigen sucht, auch die Äußerung über
Sokrates' Verhalten gegen Alkibiades 4, 49, eine Stelle, auf welche auch
H. seinen Satz nur mit Zweifeln anzuwenden wagt. Der dilemmatisch zu-
gespitzte und dadurch ungemein wirkungsvolle Ausspruch kann nicht
dem Gegner gehören. H. freilich meint, daß auch dieser bei Bion mit
geistreichem Witze ausgerüstet gewesen sei. Dafür müßten aber doch
zunächst Analogien aus dem Gebiete der Diatribe nachgewiesen werden.
Bis dahin wird mau sich nicht entschließen, in geistreichen Pointen,
wie sie für den kynischen Gesprächsführer vortrefflich passen, Waffen
des Gegners zu erblicken. Die Begründung der gegnerischen Ansicht
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. LXXXXVl. Bd. (1898. I.) 2
18 Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacLaristotelischen Philosophen. (Praechter.)
durch Dichtercitate kann man nicht hierher ziehen. Bei der längst
üblichen Verwertung einschlägiger Dichterstellen in der Behandlung
ethischer Fragen wurde mit solchen Citateu dem Gegner keine neue
"Waffe in die Hand gedrückt, sondern nur eine solche, die ihm längst
zur Verfügung stand, belassen, um ihre Ilnbrauchbarkeit darzuthun.
Mir scheint Henses Versuch, Bion nicht als „philosophisch
schillernden" Litteraten, sondern als — von der Hinneigung zu
Theodoros abgesehen — konsequenten Kyniker zu erweisen, nicht ge-
glückt. Damit erhält aber Teles, dessen konsequenteren philosophischen
Standpunkt die Fragmente und seine Lehrthätigkeit bezeugen, Bion
gegenüber eine etwas selbständigere Stellung. Ob dementsprechend
auch für seine Schriften eine größere Unabhängigkeit von Bion und
insbesondere eine umfangreichere direkte Benutzung anderer Quellen
neben jenem anzunehmen ist, wage ich vorläufig nicht zu entscheiden.
In der Herstellung des Textes war die Aufgabe des Herausgebers
um so schwieriger, als Teles durch das Medium der Epitome des
Theodoros, diese durch dasjenige des stobaiischen Sammelwerkes hin-
durchgegangen ist. Die Art, wie H. diese Aufgabe erfüllt, ist muster-
haft und zeugt von feinstem kritischem Takte. Zu p. 20, 3 f. vgl. jetzt
auch die von Giesecke, de phil. vet. qu. ad exil. sp. sent. p. 9 f. mit-
geteilte Konjektur Wachsmuths, zu 23, 10 f. (proleg. p. LXXXVIII)
Luc. de luct. 21. Ausführliche Indices erhöhen den reichen Nutzen, der
aus dem Werke zu ziehen ist. Zu vergleichen sind noch Henses Nach-
trag im Rhein. Mus. 47 (1892) S. 236 Anm. 1, sowie die Besprechungen
von V. Arnim, Gott. gel. Anz. 1890 S. 124—128, Wendland, Berl. phil.
Woch. 11 (1891) Sp. 456-459.
54. Giesecke sucht in der unter No. 24 genannten Arbeit S. 3 ff.
in den Resten von Teles uspl «pu-^^c das Stilponische auszusondern.
Zur Lösung der Frage, ob dieses Gut zu Teles direkt oder durch Ver-
mittelung Bions oder auf beiden Wegen gelangt sei, prüft er das Stil-
ponische und Bionische in den Bruchstücken von itepi (5-a8eia? und
Trepl Toü ooxsiv -/.al toü elvai und bei Späteren, um so eine Charakteristik
beider in ihrem gegenseitigen Verhältnis zu gewinnen. Ergebnis der
Untersuchung ist, daß Teles Stilpon teils direkt, teils durch das Medium
Bions benutzt hat. Die Aufstellungen Gieseckes stehen, wie das bei
der Beschaffenheit des Materials kaum anders sein kann, auf sehr
schwankem Boden. Verfehlt scheint mir S. 4 ff. die Behandlung von
Trept cpu^fi? p. 15, 16 ff. H.
55. G. Süpfle, Zur Geschichte der kynischen Sekte. Erster
TeU. Ai-ch. f. Gesch. d. Phil. 4 (1891) 8. 414—423. In unser
Gebiet gehören Kap. II ,,Ist der Cyniker Teles mit Recht als der
älteste Vorfahr des geistlichen Redners bezeichnet worden?" und III
Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistotelischfcn Philosophen. (Praechter.) 19
„Ist Cercidas aus Megalopolis ein Cyniker?" In II wendet sich der
Verfasser mit durchaus unzureichenden Gründen gegen v. Wilamowitz.
Teles habe, führt er ans, zu einer Propaganda in größerem Umfange
gar nicht die nötigen Eigenscliaften besessen, es habe ihm innere Be-
geisterung für das Wohl seiner Mitmenschen gefehlt. Woher weiß S.
das? Solche schwer kontrollierbaren Dinge kommen gar nicht in Be-
tracht gegenüber der feststehenden Thatsache, daß sich bei Teles erst-
mals Form und Inhalt der Sitteupredigt ausgeprägt finden, wie sie die
neuere Forschung als Eigentum der kynisch-stoischen Diatribe bis in
die Kaiserzeit hinein nachgewiesen hat. Für diese Richtung ist die
bionische Art viel zu charakteristisch, als daß Krates, den S. an die
Stelle des Teles setzen will, als ihr Begründer in Frage kommen könnte.
In III polemisiert S. gegen Kaibel, der (zu Athen. 8 p. 347 de) in Kerkidas
von Megalopolis nach den Resten seiner Gedichte (nicht aber, wie S.
meint, den Versen bei Athen. 347 d, die Eubulos gehören) einen Kyniker
erkennt. Einen Gegengrund sollen die Verse des Kerkidas bei Laert.
Diog. 6, 76 f. abgeben, wo Süpfle namentlich in der Bezeichnung des
Diogenes als oupavioj xucuv Spott und Hohn wittert. So sind die Verse
aber durchaus nicht gemeint, wie auch [Diog.] epist. 7, 1 p. 237 Herch.
zeigt. Bemerkenswert ist auch, daß die von Kerkidas angenommene
Todesart des Diogenes gerade diejenige ist, an welche nach dem bei
Laertios Folgenden die 7vcjupi|ji,oi des Diogenes glaubten.
56. H. de Mu eller, De Teletis elocutione, Friburgi Brisig.
1891 (Diss.) 75 8. 1 M.
untersucht die Fragmente nach der grammatischen, lexikalischen und
stilistischen Seite. Die Arbeit, die bei der Geringfügigkeit unseres
litterarischen Besitzes aus dem dritten vorchristlichen Jahrhundert auch
für die historische griechische Grammatik von Bedeutung ist, interessiert
uns besonders, insofern sie die Kenntnis der kynischen Diatribe nach
Stil und Sprachgebrauch fördert (wichtig ist beispielsweise das S. 47 ff.
Bemerkte). Vgl. auch die Rezension Wendlands, Berl. phil. Woch. 12
(1892) Sp. 460-461.
57. R. Heinze, Anacharsis, Philol. 50 (1891) S. 458-468,
behandelt, von Lukians „Anacharsis" ausgehend, die kynische Prägung
der Anacharsisfigur, wie sie in der Opposition gegen die Gymnastik
hei Lukian, Dion Chrys. und Laertios, der Geringschätzung der positiven
Gesetze (PInt. Sol. 5) und in verschiedenen Zügen bei Diodor 9, 26
hervortritt; den gleichen Charakter zeigen die Apophthegmen und die
falschen Briefe. Anacharsis erscheint hier als naturgemäß (= kyuisch)
lebender Barbar dem überfeinerten Griechentum entgegengesetzt. Heinze
schließt auf eine kynische Anacharsisschrift, die schon von Ephoros be-
2^
20 Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.)
nutzt wurde, dem ersten, bei welchem die Idealisierung der Skythen
in ausgeführterer Gestalt entgegentritt, dem ersten auch, von dem wir
wissen, daß er A. zu den sieben "Weisen zählte; er ist vermutlich
Quelle für die kynisch gefärbte Erzählung bei Diod. 9, 26.
Heinzes Hypothese verdient Beachtung. Nur darf man nicht für
die Existenz einer von Ephoros benutzten kynischen Anacharsisschrift
auf die Diodorstelle zu viel Grewioht legen, da das Kynische sich hier
weiter erstreckt, als Anacharsis in Frage kommt (vgl. c. 27), es aber
nicht sehi- wahrscheinlich ist, daß etwa die ausführliche Erzählung vom
Verkehre auch der übrigen Weisen mit Kroisos in der Anacharsisschrift
gestanden hätte, um so weniger, als Heinze selbst darauf aufmerksam
macht, wie schlecht die Anacharsisscene in ihren Einzelheiten in die
Erzählung von der Begegnung der sieben Weisen mit Kroisos hineinpaßt.
Die spätere Entwickelung des Stoicismus
behandelt allgemein
58. Wetzstein, die Wandlung der stoischen Lelu'e unter ihren
späteren Vertretern. Progr. Neustrelitz 1892 (17 S.), 1893 (20 S.),
1894 (21 S.).
Die Darstellung ist durchaus abhängig von dem großen Werke
Zellers und zeigt eine bedauerliche Unkenntnis der einschlägigen
Litteratur.
Die mittlere Stoa
hat eine vortrefiliche Behandlung erfahren in
59. A. Schmekel, Die Philosophie der mittleren Stoa in ihrem
geschichtlichen Zusammenhange dargestellt. Berlin 1892 VIII und
483 S. 14 M.
Das Werk behandelt einleitungsweise die äußere Geschichte der
mittleren Stoa, als deren Vertreter Panaitios, Poseidonios, Hekaton,
Mnesarchos und Dionysios berücksichtigt werden. Es folgt als I. Teil
die Besprechung der Quellen, als II. die des Systems der Philosophie,
als m. die der Stellung der mittleren Stoa zur Vergangenheit und zur
Folgezeit. Das Hauptverdienst der Arbeit liegt im ersten und dritten
Teil. In jenem wird die Frage nach den philosophischen Quellen in den
hierher gehörigen Schriften Ciceros in sehr glücklicher Weise gefördert.
Die Ergebnisse der eingehenden Untersuchung sind in der Hauptsache
folgende:
Cic. de off. I und II entsprechen Panaitios T.tpl x. xaf). 11 und III.
Das erste Buch des letzteren ist am Anfang des ciceronianischen
Werkes so gekürzt, daß es nicht mehr als eigenes Buch gelten konnte.
Bericht üb. d.Litteratur zu d. oacharistoIelischcnPhilosophen. (Praechter.) 21
Seinen Inhalt versucht Schm. nach Ciceros Andeutungen festzustellen.
In sorgfältiger Analyse von de off. I und II wird alsdann das Gut des
Panaitios von den Zusätzen und Änderungen Ciceros geschieden, welche
teils bezweckten, die Darstellung dem Gesichtskreise des römischen
Lesers näher zu bringen, teils der Vervollständigung der Vorlage dienten.
I c. 3 und die Ergänzungen am Schlüsse der beiden Bücher stammen
ans Poseidonios, wie dies für I c. 3 bereits Diels vermutet hatte. —
De rep. III und de leg. I gehen auf eine gemeinsame Quelle zurück,
und zwar Panaitios (Bonhöffer Sp. 653 der unten anzuführenden Be-
sprechung denkt an Poseidonios; aber die Annahme der Weltewigkeit
entscheidet für Panaitios; vgl. auch Wendland Sp. 841 seiner Rezension).
Auf die gleiche Quelle sind wegen ihres Verhältnisses zu III auch de
rep. I und II zurückzuführen , deren Abhängigkeit von Panaitios sich
auch selbständig und ohne Rücksicht auf jenes Verhältnis erweisen
läßt. — Daß Cic. de nat. ^eor. II in seinem ersten Teile und der
parallele Abschnitt bei Sextus auf Poseidonios zurückgehen, wie schon
Wendland ausführte, bestätigt eine eingehende Analyse dieser Partien.
Ebenfalls auf Poseidonios führt Schm. de nat. deor. I 115 — 124 zurück.
— Wie Varros Seelenlehre, die an der Hand der von Schm. S. 117 — 132
zusammengestellten Fragmente von rer. divin. I wiederherzustellen ist,
geht Cic. Tusc. I in seinem ersten Teile auf Poseidonios zurück, während
der zweite, abgesehen von dem eingelegten Abschnitte über die Arten
der Bestattung § 102—108, nach Ciceros Consolatio gearbeitet ist,
die Krantor Trspl ttevSou? zur Quelle hat. — Bei der Bestreitung der
Astrologie führen Sextus, Favorin und Augustin die gleichen Argumente
ins Feld, letzterer schöpft aus Cic. de fato, dessen verlorenen Anfang
er uns vertritt. Gemeinsame Quelle der drei Darstellungen ist Kar-
neades (vgl. jetzt auch Wendland, Philos Schrift über die Vors. S, 24 ff.,
meine Bemerkung Berl. phU. Woch. 13 [1893] Sp. 617, Boll in der
unter No. 370 zu besprechenden Schrift).
Im zweiten Teile seines Werkes konstruiert Schm. aus den Quellen
das System eines jeden der genannten Vertreter der Mittelstoa, w^obei
neben ihrem philosophischen Standpunkte auch das Verhältnis zu den
Fachwissenschaften berücksichtigt wird.
Der dritte Teil ist wie der erste von hervorragender Bedeutung,
insofern hier einerseits der Mittelstoa in sehr überzeugender Weise ihre
Stellung im philosophiegeschichtlichen Kausalzusammenhange angewiesen,
andererseits ihr großer Einfluß auf die Folgezeit auch außerhalb der rein
philosophischen Sphäre dargelegt wird. Den Schlüssel zum Verständnis
ihres Verhältnisses zur Vergangenheit bildet die Polemik des Karneades
gegen die Stoa; sie veranlaßte die Preisgebung gewisser Lehren der
Altstoa und das Zurückgreifen auf platonische und aristotelische Dogmen.
22 Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.)
Diese Umgestaltung ermöglichte dann die Annäherung der Akademie
an die Stoa, wie sie sich in Antiochos vollzog; an sie knüpft sich ferner
die philosophische Entwickelung der Folgezeit mit ihrer dualistischen
Entgegensetzung von Seele und Leib, Gott und Welt, ihrem Offen-
barungsglauben und ihrer Hochschätzung der Zuhlenspekulation (doch
hätte nicht diese ganze Bewegung, die ja auch Seneka und Musonios
in sich begreift, schlechtweg unter „Mystik" zusammengefaßt und
Epiktet nach Bonhöffers Untersuchungen nicht mehr als im wesentlichen
auf dem Standpunkte des Poseidonios stehend bezeichnet werden soUen).
Wohl zu weit läßt sich Schm. durch seinen philosophiegeschichtlichen
Pragmatismus führen, wenn er von den beiden Richtungen innerhalb
des Neupythagoreismus die stoische als „von Posidonius ausgegangen"
bezeichnet (so S. 437 unten; etwas vorsichtiger drückt sich Schm. auf
derselben Seite oben aus); vgl. dazu Wendland Sp. 872 f. der Besprechung.
Sehr dankenswert ist das „die römische Aufklärung" überschriebene
Kapitel, in welchem der Einfluß der Mittel stoa auf weitere Kreise,
auf die Dichtung, das Recht und die Fachwissenschaften gewürdigt
wird. Dasselbe enthält einen wertvollen Beitrag zur allgemeinen Geistes-
geschichte und zeigt, wie sehr das antike Leben in dieser Zeit von der
Philosophie beherrscht wurde. Dieses Feld der Kulturgeschichte bietet
für weiteren Anbau durch Einzeluntersuchungen noch reichliche Ge-
legenheit.
Im „Schlüsse" betont Schm. die Bedeutung der Physik innerhalb
des stoischen Systems und bestreitet Zellers Auffassung des Stoicismus
als einer wesentlich praktischen philosophischen Richtung. Die Wahr-
heit liegt hier in der Mitte. Zeller ist durch die Rücksicht auf scharfe
Periodenteilung und -Charakterisierung zu weit geführt worden, wenn
er den Sinn für rein wissenschaftliche Forschung in der Zeit nach
Alexander gebrochen sein läßt. Was Schm. S. 474 in der Anm. zu
S. 473 dagegen bemerkt, ist richtig. Im Einklang mit jener Ansicht
hat Zeller die stoische Physik unterschätzt. Andererseits scheint mir
aber doch die Zellersche Charakterisierung in ihren Grundzügen un-
antastbar und die praktische Tendenz im Stoicismus durchaus vor-
herrschend, so daß es verfehlt wäre, denselben mit Schm. (S. 473) den
Systemen des Piaton und Aristoteles an die Seite zu rücken. Vgl. auch
die Besprechungen von Bonhöffer, Woch. f. klass. Phil. 9 (1892)
Sp. 649—655 und Wendland, Berl. phü. Woch. 12 (1892) Sp. 839—843;
869—873.
Einzelne Vertreter der Mittelstoa betreffen folgende Arbeiten:
60. F. Susemihl, Zu Laertios Diogenes VII 54, Rhein. Mus.
46 (1891) S. 326—327.
Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischcn Philosophen. (Praechter.) 23
S. weist mit Recht den Schluß ab, den nach anderen Luthe aus
der Stelle gezogen hat, daß Boethos spätestens ein Zeitgenosse des
Chrysippos gewesen sei. Es sei entweder ota'fepoixevoc r.pfji aGxov zu
schreiben oder 6ia9. rpo; auxov zu erklären ,, abweichend von ihm".
Mit S. vor 6 fisv -^ap eine Lücke anzunehmen, ist ra. E. nicht nötig.
Für Panaitios vgl. unten No. 355. Poseidonios betreffend
behandelt
61. F. Schühlein, Zu Posidonius lihodius, Freising 1891
Progr. S. 1 — 35, von den Poseidonios-Artikeln bei Suidas ausgehend,
die beiden Buchtitel iJTopta tj ixexa floX-j^iov und uspl tou (Ly.savo'j y.al
Tüiv xar' auTov, in denen er die Bezeichnungen zweier gesonderter Werke
nachweist. Näher gehe ich auf diese das philosophische Gebiet kaum
berührende Arbeit nicht ein; ebensowenig auf den Aufsatz von
62. A. Bauer, Poseidonios und Plutarch über die römischen
Eigennamen, PhUol. 47 (1889) S. 242—273.
Kurz zu besprechen ist
63. E. Wendung, Zu Posidonius und Varro, Hermes 28 (1893)
S. 335 — 353. Der Verfasser weist nach, daß das durch von Arnim
Hermes 27 (1892) S. 118 ff. veröffentlichte Ineditum Vaticanum und
die Parallelberichte bei Diodor und Athenaios auf Poseidonios zurück-
gehen; von demselben sind auch die das gleiche Thema, die Nach-
ahmung des Fremden durch die Römer, behandelnden Stellen bei Sallust
und Strabon abhängig. Von Wichtigkeit ist, daß die betreffende Dar-
stellung auch von Varro benutzt wurde; es bestätigt sich also hier ein
Abhängigkeitsverhältnis, wie es auch auf dem Gebiete philosophischer
Anschauungen hervortritt.
Varro scheint nach W. der Vermittler zwischen Pos. und Sallust
zu sein, während für das Ineditum Vatic. und Diodor eine andere,
rhetorisch gefärbte Mittelquelle anzunehmen ist, Athenaios aber direkt
aus Poseidonios geschöpft haben wird.
Mit der Wiederherstellung von Schriften des Poseidonios befassen sich :
64. Hartlich in der unter No. 21 behandelten Schrift S. 282 ff.
Die Hauptgedanken der rTpoTps-riy-oi des Pos. sind, wie H. zeigt, aus
Senec. ep. 90, Cic. Tusc. disp. 1, 61 ff., 68—70; 5, 5 ff., womit auch Sen.
ep. 78, 28 verglichen wird, de leg. 1, 60 und den Resten des ciceronischen
,,Hortensius" zu eruieren, abgesehen von den Laertiosstellen, an welchen
ausdrückliche Citate vorliegen. Den Ansichten von Corssen und Usener
entgegen giebt H. eine Abhängigkeit der Tuskulanen von Poseid.
Protrept. nur für die bezeichneten kürzeren Partien zu, die nach ihm
sich auch sonst als eingeschoben verraten. Bemerkenswert ist die Über-
einstimmung des Pos. mit Aristoteles; das dcptsTo-TöXi^ov bei Strab. 2
24 Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistotelischenPhilosophen. (Praechter.)
p. 104 hätte aber H. nicht hierher ziehen sollen; damit ist etwas ganz
anderes gemeint.
65. E. Martini, Quaestiones Posidonianae, Leipz. Stud. XVII
S. 341 — 401 (auch als Dissertation [Lipsiae 1895] erschienen), befaßt
sich mit der Rekonstruktion der meteorologischen Schriften des P. Nach
der ausdrücklichen Detiuition des auf P. zurückgehenden AchiUeus ver-
stand P. unter \iz-iiopa die caelestia, unter [xsrapsia die sublimia. Von
hier aus sucht M. zu einer Scheidung des Inhaltes der beiden in dieses
Gebiet gehörigen Schriften des P., der Bücher Trcpl [xsTswpcov und der
ji,eTeü)poXo7txT) oror/eicuji?, zu gelangen. Seine Ausführungen fußen aber
auf dem unhaltbaren Satze, die Quelle des Laertios könne nicht das
ausführliche Werk -epl [xs-rsuipcüv und dessen Epitome nebeneinander
citiert haben. Damit glaubt M. die nächstliegende Annahme, daß die
jjLET. oToiy. ein Auszug aus r. p-e-. gewesen sei, beseitigen zu können.
Es muß nun -. [it-. nach der erwähnten Definition von den caelestia
gehandelt haben, wozu zwei Fragmente stimmen. Ein Bruchstück der
(j-oi-/£itu3tc führt ins Gebiet der sublimia. Diesen allein, argumentiert
M. weiter, kann das Werk nicht gegolten haben, da es dann (xstapaio-
Xo-fixTi cToi"/. hätte betitelt werden müssen; also umfaßte es sublimia
und caelestia. Dagegen ist aber der Einwand zu erheben, dem M.
S. 359 vergeblich zu entgehen sucht, daß er für -. [xst. die Definition
des P. zu Grunde legt, die sich nach seiner Ansicht für die |xet. oroiy.
als nicht maßgebend erweist, und daß die von ihm getroffene Er-
weiterung des Stoffes der "oiy. jener Definition ebenso widerspricht,
wie die Beschränkung auf die sublimia, die er eben wegen dieses Wider-
spruches ablehnt.
Die Frage, welcher unter den durch Poseidonios' Meteorologie be-
einflußten Schriftstellern für die Rekonstruktion derselben die Basis zu
bilden habe, beantwortet M. dahin, daß dafür in erster Linie Kleomedes
in Betracht komme, der seine Abhängigkeit von Pos. selbst bezeugt
in einer Bemerkung, deren Echtheit M. verteidigt; erst an zweiter
Stelle sind Achilleus, Plinius und Gemiuos heranzuziehen. Plinius geht
möglicherweise nur durch Vermittelung VaiTos auf P. zurück, zudem
wird seine Brauchbarkeit durch unklare Ausdrucksweise und Mangel
an Sachkenntnis beeinträchtigt; die beiden anderen geben, wie M. auch
für Geminos gegen Blaß zu erweisen sucht, das poseidonische Gut nicht
nnvermischt wieder. Vgl. auch die Besprechung von Susemihl, Berl.
philol. Woch. 17 (1897) Sp. 35—37 und No. 68 und 69.
Einzelne Punkte der Lehre des P. behandeln:
66. 0. Apelt, Beiträge zui- Geschichte der griechischen Philo-
sophie, Leipzig 1891, S. 287—337: Die stoischen Definitionen der Affekte
und Poseidonios (Wiederabdruck aus den Jahrb. 1885 S. 513 — 550) und
Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.) 25
67. Fr. BoU, der in der unter No. 370 besprochenen Arbeit
S. 181 ff. den Nachweis führt, daß Poseidouios der auf die Ver-
schiedenheit der Völkersitten bei gleicher Nativität einzelner Individuen
aus den verschiedenen Völkern begründeten Polemik des Karneades
gegen die Astrologie durch die Behauptung zu begegnen suchte, die
einheitliche Eigenart eines jeden Volkes erkläre sich aus der Herrschaft
eines gewissen Sternbildes über dasselbe.
Ganz besonders sind durch die Forschungen unserer Berichts-
periode die Einwirkungen des P. auf Spätere in helleres Licht
getreten; vgl. No. 23 a. E. 63. 65. 121. 195. 207. 359. 370 und
Wendland, Philos Schrift über die Vorsehung, der für Philon Trepl
irpovoiac Benutzung des Poseidonios wahrscheinlich macht (und zwar
führt einiges speziell auf den 9U!jix6c X070; des Pos., vgl. Wendland
S. 84). Hierher gehört auch
68. Fr. Malchin, De auctoribus quibusdam, qui Posidonii
libros meteorologicos adhibuerunt, Rostochii 1893 (Diss.) 57 S. Durch
Vergleichung des Manilius mit Geniinos, Achilleus und Ps.-Aristoteles
TTspl x6j(xou gelangt der Verfasser zu dem Ergebnis, daß Manilius Po-
seidonios' |jL£T£a)po>v07ixri oToi^^eicuaij (oder dessen Schrift Ttepl [xs-reojpüjv)
benutzt habe. Das Übereintreffen des Manilius mit Poseidonios' Theorie
in Cic. de divin. I bestimmt Malchin, auch Verwertung der Schrift
-spl ixavTixTjC anzunehmen. Doch könnte Manilius die Lehren über Mantik
auch in seiner meteorologischen Vorlage gefunden haben (besonders
wenn man als solche das ausführlichere Werk des Pos. betrachtet),
wie dies ja Malchin selbst für die mit Tiepi dsuiv übereinstimmenden
Partien annimmt (Exkurs I). Arat ist nach Malchin von Manilius in
einer kommentierten Ausgabe benutzt, vielleicht derselben, welche auch
Germanikus vorgelegen hat. Daneben aber giebt M. auch Bekannt-
schaft des Manilius mit dem Gedichte des Germanikus selbst zu
(Exkurs II). Die auf Hipparch zurückgehende Kolurentheorie bei
Manilius ist nach M. nicht durch Poseidonios vermittelt (Exkurs III).
Vgl. auch die Besprechung von Günther, Berl. phil. Woch. 14
(1894) Sp. 778 f. und Boll, Stud. über Claud. Ptol. S. 218 ff.
(s. unten No. 370), der, Malchins Arbeit ergänzend, zeigt, daß
Manilius auch in seinen philosophischen Partien und seiner astrolo-
gischen Geographie von Poseidonios abhängig ist. Mit Geminos befaßt
sich eingehender
69. K. Manitius, Des Geminos Isagoge nach Inhalt und Dar-
stellung kritisch beleuchtet. Comraent. Fleckeis., Lips. 1890,
p. 93—119.
26 Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.)
Schon Blaß hatte aus den in der Isagoge vorkommenden groben
Irrtümern geschlossen, daß der Verfasser nicht ein Schüler des Posei-
donios gewesen sein könne. Er hält ihn für einen der Kompendien-
schreiber der ersten Jahrhunderte nach Chr. Auf diesem Ergebnis
fußend kommt Manitius zu der Ansicht, daß die Isagoge das Werk
eines ungenannten Korapendienverfassers aus den ersten Jahr-
hunderten nach Chr. sei, welcher mehr ere Quellen, darunter auch die
fiETEiüpoXo^txa des Poseidonios, die er aber vielleicht nur in dem Aus-
zuge des Geminos benutzte, unter Einfügung eigener Zuthaten exzer-
pierte. Manitius macht wahrscheinlich, daß der Name des Geminos erst
in unseren Hss, deren älteste dem Ende des 14. Jahrh. angehört, mit
der Schrift verknüpft ist. Die schlechte Anordnung, in welcher uns
das Werk überliefert ist, fällt möglicherweise den Abschreibern zur
Last, der Verfasser selbst aber hat sich jedenfalls die zahlreichen zum
Eufe eines tüchtigen Mathematikers und Astronomen nicht passenden
Versehen zu Schulden kommen lassen, welche S. 109 ff. von Manitius
nachgewiesen werden. Abweichend hiervon hält Martini in der unter
No. 65 besprochenen Arbeit an dem Astronomen als Verfasser der
Isagoge fest. In derselben legte nach ihm G. seine eigenen meteoro-
logischen Anschauungen nieder, allerdings mit Berücksichtigung des
Poseidonios und seiner eigenen e^i^YTjjtc tüiv riojstöwvtou {xe-^eujpoXo'yixüiv,
eines Kommentars, wie M. annimmt, zu einer der meteorologischen
Schriften des P. Die Behauptung, daß diese Schrift nur die [xex. uTor/.,
nicht das Werk tt. [xet. gewesen sein könne, fällt, soweit sie die oben
zurückgewiesene Scheidung zwischen den Stoffen beider Werke zur
Voraussetzung hat, mit dieser. Annehmbarer, aber natürlich auch nicht
entscheidend ist das andere Argument, daß die kürzere axor/eitüuic
eher als die ausführlichere Schrift zur Kommentierung einladen mußte.
Von diesem Kommentare fertigte der Verfasser selbst einen von
Alexander von Aphrodisias (bei Simplikios) benutzten Auszug (vgl.
jedoch Kroll, Woch. f. klass. Phil. 13 [1896] Sp. 1011). Auch dieser
ist also mit der Isagoge nicht identisch. Die gleiche Person wie der
Verfasser dieser Werke ist nach M. der Mathematiker Geminos. Zu
diesem letzteren Ergebnis gelangt in eingehenderer Untersuchung auch
70. C. Tittel, De Gemini Stoici studiis mathematicis quaestiones
philologae, Lipsiae 1895 (Diss.) 84 S., auf Grund einer Prüfung der
S. 7 — 31 (vgl. auch S. 59 — 62) behandelten Fragmente aus der mathe-
matischen Schrift des G. Dieselbe war nach Tittel eine systematisch
angelegte Encyklopädie der gesamten mathematischen Wissenschaft und
kennzeichnete sich als das Werk nicht eines wissenschaftlich bahn-
brechenden Geistes, wohl aber eines getreuen Referenten über frühere
und gleichzeitige Theorien.
Bericht üb. d.Litteraturzu d. nacharistotelischenPhilosophen.(Praechter.) 27
Die spätere Stoa im allgemeinen
betrifft folgende Arbeit:
71. Fr. Yollmann, Über das Verhältnis der späteren Stoa zur
Sklaverei im römischen Reiche. Stadtamhof 1890. (Progr. d. Gymn.
z. Regensburg.) 98 S. 75 Pf.
Der Verfasser spricht dem Stoicismus ein wesentliches Verdienst
zu um die im Laufe der beiden ersten Jahrhunderte der Kaiserzeit
eintretende Besserung im Lose der Sklaven. Zur Begründung seiner
Ansicht behandelt er zunächst das Verhältnis der stoischen Lehre zur
Sklaverei, untersucht alsdann, ob der Stoicismus in damaliger Zeit ein-
flußreich genug war, um zu einer Wandlung im Schicksale der Sklaven
wesentlich beizutragen uud beantwortet schließlich die Frage, in welchen
Punkten eine Besserung des Sklavenloses eingetreten sei. Als Ver-
mittler zwischen der stoischen Lehre und der Praxis betrachtet der
Verfasser die Gebildeten überhaupt, insbesondere die für die Gesetz-
gebung maßgebenden Faktoren, die Kaiser, den Senat und die großen
Eechtsgelehrten dieser Zeit, und legt die Beeinflussung dieser Faktoren
durch den Stoicismus im einzelnen dar. Ein Moment in der Besserung
der Lage der Sklaven erkennt er in dem seiner Ansicht nach auf
Hadriau zurückzuführenden Übergang von Sklaven in den Stand persön-
lich freier, aber an das Grundstück gebundener Pächter und widmet in
diesem Zusammenhange der Entstehung des römischen Kolonats eine
umfangreiche Untersuchung.
Man wird sich trotz mancherlei Ausstellungen im einzelnen — so ist
beispielsweise S. 18 ein Satz (No. 38 Schenkl) der ps. - epiktetischen
Gnomensammlung als epiktetisch angesprochen — mit den Ausführungen
des Verfassers im ganzen einverstanden erklären können (den Abschnitt
über den Kolonat lasse ich unberücksichtigt). Allerdings hätte zuge-
geben werden sollen, daß der Satz von der Adiaphorie alles Äußeren
einer praktisch-humanitären Wirkung der Stoa zunächst entgegenstand;
nur lag es in der Natur der Sache, daß besonders Leute des praktischen
Lebens, auf welche der Stoicismus Einfluß gewann, weniger mit diesem
Satze als mit anderen einer solchen Wirksamkeit günstigeren Ernst
machten. Als charakteristisch für die veränderten Anschauungen dem
Sklaventum gegenüber hätten noch die Vorgänge im Prozeß gegen die
Sklaven des Pedanius Sekundus (Tac. ann. 14, 42 ff.) Erwähnung
verdient.
Zu den einzelnen Vertretern der Jungstoa übergehend behandele
ich zunächst die Litteratur über
28 Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.)
Seneka.
Alle im engeren Sinne philologischen, besonders die textkritischen
Arbeiten sind einem anderen Berichte vorbehalten. Auf der Grenze
stehen einige Abhandlungen, die ich, eben weil sie auch die sachlich-
philosophische Seite von Senekas Schriftstellerei berühren, hier kurz
erwähnen muß.
72. H. Hilgenfeld, L. Annaei Senecae epistulae morales quo
ordine et quo tempore sint scriptae collectae editae, Jahrb. Suppl.-
Bd. 17 (1890) S. 599—684, kommt deshalb hier in Betracht, weil in
den einzelnen Briefen und Büchern gewisse Gedanken als Leitmotive
hervorgehoben werden, an deren Hand H. Gruppen mit einheitlichem
Grandthema scheiden zu können glaubt. Allein die Aufstellung dieser
einheitlichen leitenden Grundgedanken ist meistens willkürlich und der
Zusammenhang zwischen den Briefen bezw. Büchern künstlich konstruiert.
73. W. Allers, Noch einmal die Buchfolge in Senecas Natu-
rales quaestiones, Jahrb. 145 (1892) S. 621—632,
zieht zur Lösung der Frage ein neues Kriterium, die Anordnung in ver-
wandten Darstellungen, zu Hülfe und vergleicht mit Senekas Werk
Aristoteles' Meteorologie, die Schrift icspl xojjxou, die doxographische
Litteratur, Laertios über die stoische und epikureische Physik, Lukrez
und Plinius. Diese Vergleichung und innere Gründe führen den Ver-
fasser auf die Anordnung: IIa (=n 1—11), VU I IVb (=IV 3—13)
V VI IIb (= H 12-Schluß) III IV a (-= IV praef. — c. 2). Diese
Bachfolge liegt derjenigen sehi' nahe, welche
74. G. Gundermann, Die Buchfolge in Senecas Naturales
quaestiones, Jahrb. 141 (1890) S. 351—360 aufstellt (VII I IVb V
VI n in IV a).
75. Joh. Fr. Schinnerer, Über Senekas Schrift an Marcia,
Hof 1889 Progr. 19 S. , stellt nach einer kurzen Übersicht über die
Trostschriftenlitteratur der Alten zusammen, was sich über die Familien-
verhältnisse der Marcia in Erfahrung bringen läßt und bestimmt aus
m. E. unzureichenden Gründen die Abfassungszeit der Schrift auf das
Ende der Regierung des Kaligula. Seh. weist sodann mehrere von
Seneka benutzte Quellen nach und giebt eine nicht immer glückliche
Kritik des Inhalts und der Form der Schrift. Erfolg, meint er, scheine
dieselbe nicht gehabt zu haben. Doch läßt sich dies weder aus den
von Seh. vorgebrachten allgemeinen Erwägungen, noch aus der von ihm
angeführten Stelle ad Helv. 16, 2 schließen.
Den Übergang zu den ausschließlich in unser Gebiet fallenden
Arbeiten möge bilden
76. O. Hense, Seneca und Athenodorus. Univ.-Progr. Frei-
burg i. Br. 1893. 48 S. 1 M.
Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.) 29
Schon von anderen ist festgestellt worden, daß de const, sap.
und de tranqu. an. zwischen 41 und 62 nach Chr. fallen. Hense ver-
sucht für de tranqu. an. eine engere Begrenzung. Einen Anhaltspunkt
giebt das wärmere Freundschaftsverhältnis mit Serenus, aus welchem
unter Berücksichtigung von ep. 63, 14 gefolgert wird, daß die Schrift
später fällt als de const. sap., wo Serenus der Stoa und Seneka ferner
steht. Ein weiteres Argument liegt in dem verschiedenen Verhältnis
der beiden Schriften zu dem Idealbilde des stoischen Weisen, dessen
"Wirklichkeit in de const. sap. behauptet, in de tranqu. an. geleugnet
wird, eine Differenz, die sich bei Ansetzung des letzteren Werkes als des
späteren am leichtesten aus einer Serenus gemachten Konzession, sowie aus
einer Dämpfung des stoischen ethischen Idealismus erklärt, den die Er-
eignisse der letzten Jahre vor Senekas Rücktritt vom politischen Leben
herbeigeführt haben mögen. Dazu stimmt, daß auch in dem Urteile
über Notwendigkeit oder Entbehrlichkeit politischer Bethätigung de
tranqu. ein Vorbote von de otio ist. Die Bekämpfung des unbedingten
otium in de tranqu. nötigt aber nach Hense, einen zeitlichen Abstand
von einigen Jahren zwischen beiden Schriften anzunehmen. Er erhält
so als Ansatz für de tranqu. das Ende der fünfziger Jahre. Daß seine
Beweisführung nicht durchaus zwingend ist (so ist beispielsweise der
Grund für die Annahme eines längeren Zwischenraumes zwischen de
tranqu. und de otio keinesw'egs durchschlagend), liegt in der Natur
des Materials. Immerhin wird man zugeben müssen, daß H. seinen
Ansatz zu einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit erhoben hat.
Ein zweiter Abschnitt der Arbeit betrifft die Frage, welcher von
den den Namen Athenodoros tragenden Philosophen der von Seneka
citierte sei. Der gewöhnlichen Ansicht, es handle sich um den be-
kannten philosophischen Lehrer des Äugustus, steht dessen in hohem
Alter ausgeübte politische Thätigkeit entgegen, die der den Athenodoros
Senekas charakterisierenden Abneigung gegen das politische Leben
widerspricht, während auf letzteren alles paßt, was wir in dieser Hin-
sicht von Athenodoros Kordylion wissen. Gleichwohl entscheidet sich
auch Hense für den Freund des Äugustus und zwar deshalb, weil
Seneka auch den andern philosophischen Freund des Kaisers, Areios
Didymos berücksichtigt und sich auch sonst mit den Verhältnissen des
Äugustus und seines Kreises vertraut zeigt, so daß bei einem von
Seneka ohne nähere Bezeichnung citierten A. an keinen anderen als
diesen zu denken sei. Entschieden ist die Frage durch dieses Argument
(vgl. auch Zeller III 1 S. 586 in der Anm. zu S. 585) freilich nicht,
wenn auch zuzugeben ist, daß die Wahrscheinlichkeit für Hense spricht.
Wir wissen indes nicht, ob nicht A. Kordylion als stoischer Schrift-
steller so bekannt war, daß man bei Citaten ohne nähere Bezeichnung
30 Bericht üb. d Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.)
zunächst an ihn dachte. Recht hat H. jedenfalls, wenn er dem Wider-
spruch zwischen den von Seneka überlieferten Sätzen und dem politischen
Eingreifen des Augusters kein Gewicht beimißt.
Weiter befaßt sich H. mit der Frage nach den Quellen von de
tranqn. an. Beachtenswert als Beweisgrund dafür, daß Demokrit nur
indirekt benutzt ist (gegen Hirzel), ist die übereinstimmende Verkürzung
von Demoer. fragm. 163 Nat. bei Senec. de tranqu. an. 13, 1 und
Flut, de tranqu. an. p. 465 c. Allerdings ist Zufall hier keineswegs
ausgeschlossen. Daß die Quelle Senekas eine stoische war, ist jeden-
falls die nächstliegende Annahme, und Hense macht wahrscheinlich,
daß insbesondere Athenodoros mehr herangezogen worden ist, als es
nach dem nur zweimaligen Citat den Anschein hat. Einer genaueren
Feststellung seines Eigentums steht aber, wie H. zeigt, der Umstand
im Wege, daß Athenodoros sich allem nach mit Panaitios, der gleich-
falls als Quelle für de tranqu, an. in erster Linie in Betracht kommt,
in seiner philosophischen Eichtuug eng berührte. Das Wahrscheinlichste
ist nach Henses überzeugenden Ausführungen, daß Seneka wie ander-
wärts so auch hier aus mehreren Quellen geschöpft hat. — Der Schluß
der Arbeit ist der Behandlung einzelner Stellen aus de tranq. an. ge-
widmet. — Die Ansetzung der Schrift in die neronische Zeit (etwa 59
n. Chr.) erhält eine Bestätigung durch die von
77. 0. Hense, Zu Seneca de tranquillitate animi, Rhein. Mus.
49 (1894) S. 174 — 175 hervorgehobene Übereinstimmung von de tranq.
an. 4, 3 mit de dem. 1, 26, 2.
Weitere Beiträge zur Frage nach Senekas Quellen und seinem
Verhältnis zu denselben enthalten folgende Arbeiten:
78. E. Thomas, Über Bruchstücke griechischer Philosophie bei
dem Philosophen L. Annaeus Seneca, Arch. f. Gesch. d. Philos. 4 (1891)
S. 557 — 573. Unser Gebiet berühren Abschnitt II (Epikur bei Senec.
epist. mor. 114 [16J 7—9) und III (Epikurische Anklänge bei Seneca
de tranq. an. 9, 2 und epist. mor. XX 2 [119], 12; de brev. vit.
7, 3 und 20, 3; epist. mor. Vn 1 [63], 7; XVin 2 [105], 7—8;
XIX 6 [115] 1. 2. 18). In dem ersteren Abschnitt erklärt Th. gegen
Usener mit Recht die 15. der xupiai So^oct für die alleinige unmittelbare
Vorlage der genannten Paragraphen, soweit sie epikurisches Eigentum
enthalten. Dankenswert sind besonders die zur Begründung dieser An-
sicht mitgeteilten Beobachtungen über Senekas Verfahren in der Wieder-
gabe griechischer Quellen. In dem letztgenannten Abschnitt werden
weitere Anklänge an Epikur bei Seneka nachgewiesen.
79. J. Müller, Über die Originalität der Naturales quae-
stiones Senecas, Eestgr. a. Innsbruck an die 42. Vers, deutscher Phil,
u. Schnlm. in Wien, Innsbruck 1893 S. 1—20.
Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.) 31
Der Verfasser wendet sich gegen die 1 Überschätzung der natur-
wissenschaftlichen Abhandlungen Senekas durch Nehring (Wolfenbütt.
Progr. 1873 und 1876) und Günther (Gesch. d. Math. u. d. Naturw.
im Altert.) mit dem Hinweis auf Senekas Abhängigkeit von gi'iechischen
Forschern und die verworrene Art, wie er Exzerpte aus jenen Quellen
verarbeitet. Dagegen behauptet
80. A. Nehring, Über die Originalität von Senecas naturales
quaestiones, Jahrb. 147 (1893) S. 718— 720, die Abhängigkeit Senekas
von griechischen Quellen hinlänglich betont und zu einer Überschätzung
seiner naturwissenschaftlichen Schriftstellerei keinen Anlaß gegeben zu
haben. Für Nehring tritt ein Günther in der 2. Aufl. des genannten
Werkes S. 292 Anm. 5.
*81. K. "Wünsch, Über die naturales quaestiones des Philosophen
Seneca, Prag 1895. Progr.
82. Hartlich (s. o. No. 21) S. 305—308 bespricht Senekas
Exhortationes , für welche er dialogischen Aufbau und Benutzung von
Ciceros Hortensius zu erweisen sucht.
Auf Senekas philosophischen Standpunkt beziehen sich
*83. F. Becker, Die sittlichen Grundanschauungen Senekas.
Ein Beitrag zur Würdigung der stoischen Ethik, Köln 1893. Pr.
84. Dorison, Quid de dementia senserit L. Annaeus Seneca,
Cadomi 1892. D. wendet sich nach einigen Bemerkungen über die An-
lage der Schrift de dementia in Kap. 2 zu der Frage nach der Ab-
fassungszeit. Daß dieselbe zwischen Dez. 55 und Dez. 56 nach Chr.
fällt, steht nach 1, 9, 1 fest. D. versucht eine engere Begrenzung.
Daß Nero in dem späteren Teile jenes Zeitraumes, d. h. gegen Ende
seines 19. Lebensjahres nicht mehr als duodevicesimum egressus annum
bezeichnet werden konnte, ist richtig. Wenn D. aber in de dem. 1,
3, 3 eine Anspielung auf die Tac. ann. 13, 25 erzählten Ereignisse
erblickt und meint, daß eine solche am passendsten in die Zeit
verlegt werde, in welcher Nero als Urheber des nächtlichen Unfugs
bekannt wurde, so erscheint mir schon eine solche Anspielung nach
der ganzen Fassung der Senekastelle nicht eben wahrscheinlich und
auch die weitere Schlußfolgerung nicht zwingend. Ebensowenig läßt
sich aus 1, 1, 6 gewinnen, wo das von Lipsius vor gustum eingefügte
anni doch eine sehr unsichere Basis für chronologische Folgerungen abgiebt.
Den Ausführungen über Veranlassung und Zweck der Schrift (S. 21 flf.)
wird man beistimmen können, nur vermag ich wieder die Verbindung,
in welche 1, 20, 2 mit Tac. ann. 13, 20 gebracht ist, nicht zu billigen.
Kap. 3 — 5 befassen sich mit Senekas Lehre über die dementia. Man
vermißt hier ein tieferes Eingehen auf die Quellen dieser Lehre und
32 Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.)
den Versuch, Senekas Schrift in den Zusammenhang der antiken Königs-
spiegellitteratur einzureihen. Das Bild des Tyrannen stammt gewiß
nicht, wie D. S. 81 meint, lediglich aus Senekas eigenen geschichtlichen
Kenntnissen, und ebenso zeigen sich auch sonst Anklänge an verwandte
Litteratur (Kenntnis Piatons giebt der Verfasser S. 81 zu und spricht
S. 87 von einer tyranni imago quasi platonicis verbis descripta). Aus
Kap. 6 (Kritik der Schrift nach der Seite ihres Lehrgehaltes) ist die
Vergleichung des Standpunktes Senekas mit demjenigen des Mark Aurel
hervorzuheben. Eigentümlich berührt S. 106 der Satz: si vere accessis-
sent ad rempublicam, decebat Stoicos quocumque modo favere optima-
libus, quoniam iis homines in sapientes ac stultos distribuere placuerit.
In Kap. 7 wird zur richtigen Beurteilung des von Seneka in der Schrift
angeschlagenen panegyrischen Tones mit Recht auf die politischen und
pädagogischen Gründe, die für denselben maßgebend sein konnten, sowie
auf die seit Augustus den Kaisern gegenüber zur Gewohnheit gewordene
Sprache hingewiesen. Manche Stellen zeugen nach D. von entschiedenem
Mut. Es scheint mir aber auch hier wieder sehr fraglich, ob das, was
D. für Anspielung hält, als solche von Seneka gemeint und von Nero
empfunden wurde. Der Schluß der Arbeit behandelt das Verhältnis
von de dementia zu de ira, den Stil der Schrift, das Verhältnis be-
deutender römischer Staatsmänner zur stoischen Philosophie, die Be-
deutung des Werkes de dementia als Rechtfertigung der stoischen
Philosophie und des stoischen kaiserlichen Ministers und als Zeugnis
des Geistes, der später im Zeitalter der Antonine glückliche Zeiten über
Rom heraufführte.
Senekas Schrift ad Helviam matr. analysiert
85. Giesecke, (s. o. No. 24) S. 100 ff. mit dem Ergebnis, daß
Seneka aus Varro und Brutus- (de virtute) schöpfte und das aus ersterem
Entnommene mit dem Stoicismus in Einklang brachte.
Nicht vorgelegen haben mir die auf Senekas Verhältnis zum
Christentum bezüglichen Arbeiten:
*86. Tissot, Saint Paul et Seneque. Le chretien evangelique
35, 7 und
*87. M. Baumgarten, L. Annaeus Seneca und das Christentum in
der tief gesunkenen antiken "Weltzeit. Rostock 1895. VIII u. 368 S.
6 M. Vgl. die Besprechungen von Wendland, Deutsche Litteraturz. 1896
Sp. 87.3—875. Gemoll, Woch. f. klass. Phil. 12 (1895) Sp. 1393
— 1397.
Kornutos.
Einen Verbesserungsvorschlag macht
88. W. Kroll, Advers. graec. Philol. 53 (1894) S. 422.
Bericht üb. d. Litteratur zu d. Dacbaristotelischen Philosophen. (Praechter.) 33
*89. W. Weinberger, Ad Corniitura, Wiener Stud. 14
S. 222—226.
Musonios.
Eine Analj-se der dem Topos repl 907% gewidmeten Erörterungen
des M. unternimmt 90. Giesecke (s. 0. No. 24) S. 32 ff", (vgl. auch S. 100).
Danach geht M. auf eine jüngere kynische Quelle (Bion) zurück, die
er aber im stoischen Sinne umarbeitet und mit stoischem Gute durchsetzt.
Epiktet
liegt uns jetzt in einer guten kritischen Ausgabe vor:
91. Epicteti dissertationes ab Arriano digestae, ad fidem codicis
Bodleiani rec. H. Schenkl. Accedunt fragmenta, enchiridion ex re-
censione Schweighaeuseri, gnomologiorum Epicteteorura reliquiae,
indices. Lipsiae 1894. CXXI 720 S. und eine photogr. Tafel. 10 M.
Die praefatio behandelt Epiktets Leben und Werke an der Hand
der abgedruckten testimonia sowie die kritischen Hülfsmittel der
Rezension. Es folgen die für das byzantinische Geistesleben nicht uninter-
essanten, für die Epikteterklärung bedeutungslosen Scholien des Bodlei-
anus. Ein adnotationis supplementum enthält besonders Bemerkungen
ßeiskes und zahlreiche beachtenswerte Vorschläge Elters. Die recensio
beruht völlig auf dem Bodl. gr. misc. 251 saec. XII, nach des Heraus-
gebers Nachweis dem Archetypus aller vorhandenen Hss. Die besonnene
Handhabung der Kritik verdient Beifall. Die Anhänge enthalten die
echten und die von alters her E. zugeschriebenen unechten Fragmente
(A), das Encheiridion nach Schweighäuser, aber mit übersichtlicherer
Gestaltung des kritischen Apparates (B), das von Stobaios benutzte
[Epiktet-JGnomologion (C), die Gnomen des cod. Vatic. gr. 1144 nach
Elters Abschrift (D), die Moaytcüvoc -/vwfxai des cod. Paris. 1168 (E)
und die Mor/ituvoc u-oör;7.ai (Fj. Den Schluß bilden sorgfältige Indices.
Näheres in den Besprechungen von Wendland, Berl. phil. Woch. 15
(1895) Sp. 321—327, und Praechter, Woch. f. klass. Phil. 12 (1895)
Sp. 507—513.
Die von Schenkl in den Anhängen C D E F mitgeteilten Sentenzen
hatte Elter als Bestandteile eines und desselben Florilegiums erkannt,
welches er aus ihnen in scharfsinniger Weise rekonstruiert in
92. Epicteti et Moschionis quae feruntur sententiae ab A. Elter
editae. Bonner Lektionskat. Sommer 1892. Dazu Corollarium adno-
tationis, addenda und indiculus verborum, ebenda Winter 1892/93.
Alles vereinigt in Gnomica II Lipsiae 1892.
Daß die Sentenzen Epiktets Namen mit Unrecht tragen, wird
durch die von Elter beobachteten Eigentümlichkeiten ihres Stils, be-
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVI. (1R98. I.) 3
34 B ericht üb. d. Litteratur zu d. nacharislotelischen Philosophen. (Praechter.)
sonders die in ihnen zu Tage tretende Antithesensucht, vollkommen
bestätigt. — Rühmend hervorzuheben ist, daß Elter und Schenkl durch
private Vereinbarung ein vorzügliches Ineinandergreifen ihrer gleich-
zeitig ausgearbeiteten Ausgaben herbeigeführt und dadurch deren Be-
nutzung bedeutend erleichtert haben.
Ferner sind noch folgende Epiktetausgaben zu erwähnen:
*<
'93. Epictetus, Manuel, Texte grec accompagne de notes et
suivi d'nn lexique par Ch. Thurot. Nouvelle editiou. Paris 1891.
XXXVI 75 p. 1 M. (vgl. auch Bibl. phil. class. 1895 S. 180).
*94. Epictetus, Manuel, Texte et traduction accompagnee d'appre-
ciations philosophiques par H. Joly. 2. edition. Paris 1890. XXIV
56 p. 1 M.
Eine deutsche Übersetzung des Encheiridion lieferte
95. Hilty in seinem Buche „Glück" Frauenfeld 1891 S. 21—89.
Beigegeben sind Einleitung, Anmerkungen unter dem Texte und einige
Erörterungen über die stoische Philosophie. Gegen die Übersetzung
sowohl wie gegen Hiltys eigene Ausführungen ist vieles einzuwenden.
Erfreulich bleibt immerhin das warme Interesse des nichtphilologischen
Übersetzers für Epiktet und das Bestreben, dessen Philosophie zu einem
Ferment praktischer Lebensweisheit auch für unsere Zeit zu machen.
An französischen Übersetzungen erschienen folgende:
*96. Epictetus, Manuel, traduction par F. Thurot, accompagnee
d'une introduction et revue par Ch. Thurot. Paris 1889. XXXII
47 p. 1 M. (vgl. auch Bibl. phil. class. 1893 S. 153).
97. Epictetus, Ses Maximes, traduites par Dacier, mises dans
un nouvel ordre et precedees d'un coup d'oeil sur la philosophie des
Grecs par H. Tampucci. Paris 1895. 159 p. 25 c.
Endlich fallen noch folgende englische Übersetzungen in unseren
Bereich:
98. The "Works of Epictetus. Translated from the greek by
Th. "\V. Higginson. A new and revised edition. Vol. I (XIV
221 p.) II (288 p.) Boston 1891. 12 M. 50.
*99. Epictetus, The teaching, being the Encheiridion of Epictetus
witli selections from the dissertations and fragments, translated by
T. W. Rolleston. London 1891. 260 p. 1 M. 80.
*100. The discourses of Epictetus with the Encheiridion and
fragments, translated by G. Long. 2 vol. London 1891. 390 p.
12 M. CO.
Bericht üb. d Litteratur zu d. nacharistotelischenPhilosophen.(Praechter.) 35
Einige weitere im engeren Sinne philologische Beiträge zur
Epiktetlitteratur, die mir nicht zugänglich gewesen sind, seien hier
kurz verzeichnet. Es sind dies:
*101. Chlnnock, E. L. (?), Unregistered words in Epictetus.
Classic, review III 1. 2 p. 70—71.
*102. Chinaock, E. J.(?), SomeEpictetean diminutives. Classic.
rev. in 9 p. 419.
*103. Wotke, C, Handschriftliche Beiträge zu Nilus' Paraphrase
von Epiktets Handbüchlein. Wiener Studien 14, 1 p. 69 — 74.
Für die Erkenntnis des philosophischen Standpunktes Epiktets
ist von hervorragender Bedeutung
104. A. Bonhöffer, Epictet und die Stoa. Untersuchungen
zur stoischen Philosophie. Stuttgart 1890. VI u. 316 S. 10 M.
In diesem Buche, einer erfreulichen Frucht der gediegenen Tübinger
philosophischen Schulung, wird der Beweis angetreten, daß Epiktet von
dem durch die einflußreichen Schulhäupter der JVIittelstoa zur Herrschaft
gekommenen Eklekticismus durchaus unabhängig, vielmehr ein treuer
Verehrer der ältesten Scholarchen und konsequenter Vertreter der ge-
nuin stoischen Lehre sei. Ist das richtig, so gewinnt E. für unsere
Kenntnis der stoischen Doktrin eine ganz neue Bedeutung. Er wird,
namentlich angesichts unserer dürftigen Überreste aus den ältesten
Zeiten der Stoa und deren absoluter Unzulänglichkeit zur Lösung ge-
wisser Fragen, zur „Hauptquelle der stoischen Lehre, wenigstens was
die Psychologie und die Ethik betrifft" (Vorwort S. V). So tritt B.s.
Werk aus dem Rahmen eines Beitrages zur Epiktetforschung heraus
und beansprucht eine Bedeutung für die Stoaforschung überhaupt.
Dabei zeigt sich aber doch, daß das Interesse des Verfassers ursprüng-
lich wesentlich nur Epiktet galt, insofern — vielfach nicht zum Vorteil
der Sache — für die Stoa im übrigen nur die Hauptquellen ausgenutzt
werden.
Seine Grundthese hat B. unzweifelhaft insoweit bewiesen, als aus
seiner Darstellung hervorgeht, daß E. jedenfalls der grob und unge-
scheut eklektischen Richtung der Mittelstoa gegenüber auf die ältere
Lehre zurückgegriffen hat und so im großen und ganzen als deren
Vertreter anzusehen ist. Nur hat B. den mit Einschränkungen richtigen
Satz auf die Spitze getrieben und ist so zu Übertreibungen gelangt,
die z. T. in der sogleich zu besprechenden Fortsetzung seines Werkes
zwar nicht ausdrücklich zurückgenommen, aber doch durch eine andere
Nuancierung der Darstellung bedeutend abgeschwächt sind. So giebt
36 Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.)
B. den religioseu Charakter der epiktetischen Philosophie allerdings
zu, erkennt aber auch in dieser Beziehung keinen Unterschied an
zwischen E. und der Altstoa, sondern läßt ersteren voll und ganz den
stoischen Pantheismus vertreten und glaubt, alle hierher gehörigen Stellen
vom Standpunkte der nüchternen und reflektierten Religiosität der Stoa
begreifen zu können. Das trifft aber entschieden nicht zu. Schritt für
Schritt begegnen uns bei E. Ergüsse eines warmen Gefühls gegenüber
einem persönlichen transcendenten Gott. E. steht hierin offenbar unter
dem Eiuflul') der religiösen Strömung seiner Zeit, und Zeller hat so
unrecht nicht, wenn er in seinem Standpunkt eine Etappe auf dem
zum Xeuplatonismus führenden Wege erkennt. Der Riß aber, der
damit die von B. S. III gerühmte „imponierende Einheitlichkeit und
Geschlossenheit" des epiktetischen Sj'stems sprengt, geht noch weiter.
Zeller bemerkt III 1^ S. 746 Anm, 3, E.s Ansicht über das Schicksal
der Seele nach dem Tode sei nicht ganz leicht anzugeben, da Stellen,
die auf die Annahme einer persönlichen Fortdauer in einem bessern
Leben deuten, mit solchen wechseln, die diese Fortdauer leugnen.
B. S. 65 f. will alle in Frage kommenden Stellen in letzterem Sinne
verstanden wissen. Das ist aber zum mindesten für diss. 1, 9, 11 ff.
unmöglich. Die Auflösung des Menschen in die Elemente kann im
Bilde nimmermehr als ein Abwerfen der uns hier beschwerenden
körperlichen Fesseln und Rückkehr zu der uns verwandten Gottheit
bezeichnet werden. In der Stelle aber mit B. nicht die eigene Ansicht
E.s, zu finden, haben wir nicht das geringste Recht. Die Jünglinge,
denen die "Worte in den Mund gelegt sind, leiden an einem ungestümen
Selbstbefreiuugseifer , sind aber nicht heterodox. "Wäre das der Fall,
so müßte E. sie im Folgenden über die falsche theoretische Grundlage
ihres Strebens belehren, anstatt sich dem von ihnen gebrauchten Bilde
anzubequemen und sie dadurch in ihrem Irrtum noch zu bestärken
(dasselbe gilt auch gegen B. S. 35, wo die an unserer Stelle hervor-
tretende Mißachtung des Körpers den Schülern, nicht E. zugeschrieben
wird). E. zeigt eben, ähnlich wie Seneka, in diesem Punkte ein
Schwanken, und die daraus sich eigebenden Widersprüche hinweginter-
pretieren zu wollen hieße die Eigentümlichkeit dieser im Flusse einer
großen Geistesbeweguug stehenden Männer verwischen.
Auf die Ergebnisse der eindringenden Untersuchung B.s für die
einzelnen Punkte der epiktetischen und der allgemein stoischen Lehre
kann ich hier nicht näher eingehen. In einem Kardinalpunkte stehen
<lieselben zu den bisherigen Auffassungen in Widerspruch: B. bestreitet
<len sensuaUstischen Charakter des stoischen Sj'stems, indem er auf die
allerdings im Widerstreit mit der sonstigen sensualistischen Tendenz
der Stoa von Epiktet stark betonten r.^olffyziz Gewicht legt, und stellt
Bericht üb. d. Litteratur. zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.) 37
neben die sinnliche Erkenntnis eine zweite auf Eutwickelung der -poXTQ<j^ci?
beruhende. Auch hier rächt sich B.s Streben, E. mit der Altstoa zu
identifizieren und in seiner Lehre das geschlossene genuin stoische
System zu erweisen, indem er dadurch zu dem Versuche einer Ver-
mittelung zwischen den einander widerstreitenden Prinzipien und zur
AufstelluDg einer einheitlichen Erkenntnistheorie veranlaßt wird, welche
mit direkten Zeugnissen in Widerspruch steht.
Vgl. die Besprechungen von Wendland, Berl. phil. Woch. 11
(1891) Sp. 1222—1228, Ziegler, Gott, gelehrte Anz. 1891 S. 1021
— 1030.
105. A. Bonhöffer, Die Ethik des Stoikers Epictet. Anhang:
Exkurse über einige wichtige Punkte der stoischen Ethik. Stuttgart
1894. Vin u. 278 S. 10 M".
Das Werk bildet die Fortsetzung zu No. 104; doch ist die An-
lage insofern eine vei'änderte, als das Hauptgewicht auf die Ethik
Epiktets als solche, nicht auf ihr Verhältnis zur Ethik der übrigen
Stoiker gelegt ist, so daß die zahlreichen Ausblicke auf die Lehren
anderer Vertreter der Stoa mehr nur gelegentlich und beiläufig ge-
schehen. Dafür sind in Exkursen mehrere wichtige Punkte einer sehr
eingehenden, die ganze Stoa berücksichtigenden Behandlung unterzogen
(I. die stoischen Telesformeln [darin auch Abschnitte über die stoische
Güterlehre und die -püJTa -/.axa ^ujiv]; IL die stoische Lehre vom Selbst-
mord; III. das xa&TJxov und xaxopiVixa; IV. die Ansichten der Stoiker
über den Erwerb [gegen Hirzels ungünstige Beurteilung des Chrysippos,
Diogenes und Hekaton gerichtet]; V. der stoische Pantheismus). Bei-
gegeben sind ein griechisches Sachregister, Namenregister und Ver-
zeichnis der citierten Schriftsteller zu beiden Werken.
Wir besitzen von Epiktet kein System der Ethik. Auf eine Reihe
von Fragen, auf welche eine systematisch ausgebaute Ethik eingehen
muß, giebt E. keine direkte Antwort. Daraus erwächst für den Dar-
steller der epiktetischen Ethik die Gefahr, diese Lücken durch Kon-
struktion ausfüllen zu wollen und zu diesem Zwecke Sätze E.s zu
pressen und ihnen einen Sinn unterzulegen, den sie in ihrem Zusammen-
hange nicht haben. Man muß es B. nachrühmen, daß er im ganzen
dieser Gefahr selten unterlegen ist. Das gleiche gesunde Urteil, die
nämliche umsichtige, bedächtig abwägende Methode wie in dem früheren
Werke treten auch hier zu Tage und machen in Verbindung mit der
warmen inneren Anteilnahme des Verfassers an seinem Gegenstande
und der Höhe des Standpunktes seiner Betrachtung, die ihn vergleichende
Blicke auf Christentum und neuere Philosophie thun läßt, auch dieses
Buch zu einer sehr erfreulichen Erscheinung. Gleichwohl muß ich
38 Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischenPhilosophen. (Praechter .
gegen die Verwertung einiger Stelleu im oben bezeichneten Sinne Ver-
wahrung einlegen, Z. B. ist diss. 2, 14, 2 ff. kein genügender Beleg
für den Satz (S. 41 unten): „Für die Erzeugnisse der Industrie und
Kunst (selbst für Luxusartikel) hegt er Verständnis und Bewunderung und
weili auch dem einfachsten Produkt menschlicher Geschicklichkeit einen
Reiz abzugewinnen." Mir scheint, daß B. durch seine sonst sehr wohl-
thuende Vorliebe für E. da und dort dazu verleitet worden ist, die
Färbung seines Bildes um eine Nuance derjenigen anzunähern , die es
nach des Verfassers eigenem Geschmacke tragen müßte und insbesondere
E. nach Ki-äften von dem Verdachte kynisierender Tendenzen zu be-
freien.
"Was das Verhältnis E.s zur Stoa betrifft, finden die Ergebnisse
des früheren Werkes hier im allgemeinen ihre Bestätigung. Die durch
die gesamte Kulturentwickelung veränderte Färbung des Stoicismus
giebt B. zu (vgl. S. III, 106, 126). Über die religiöse Seite der
epiktetischen Philosophie wird hier entschieden richtiger geurteilt als
in dem anderen Werke; vgl. IIS. 81 f. mit I S. 10 f. (S. 82: „Epictets
Theologie ist also ein für unsere modernen Begriffe kaum verständliches
Gemisch von Theismus, Pantheismus und Polytheismus"); nur bestreitet
B. auch jetzt, daß in dieser Hinsicht ein tiefergreifender Unterschied
zwischen E. und der alten Stoa bestehe, da sich ein Schwanken zwischen
pantheistischer und theistischer Anschauungsweise schon aus den speku-
lativen Grundlagen des stoischen Systems ergebe (Anhang S. 244 ff.).
Es ist aber doch von jenen dem Stoicismus von Haus aus eigenen
theistischen Elementen bis zu der Betonung des Theismus bei E.
noch ein weiter Schritt, den B. in seiner Bedeutung etwas unterschätzt.
Ausführlicher bespricht die Arbeit Wendland, Berl. phil. Woch. 15 (1895)
Sp. 260—265.
An Bonhöffers „Epictet und die Stoa" knüpfen folgende zwei
Ai'beiten an:
106. F. L. Ganter, Das stoische Sj'stem der ai3i)/)3ic mit Rück-
sicht auf die neueren Forschungen, Philol. 53 (1894) S. 465 — 504.
107. A. Bon hoff er. Zur stoischen Psychologie, Philol. 54
(1895) S. 403—429.
G. giebt eine von Stein und Bonhöffer mehrfach abweichende
Darstellung des Erkenntnisprozesses, zu welcher Bonhöffer in No. 107
Stellung nimmt. Die wichtigsten Aufstellungen Ganters betreffen das
Verhältnis von Y;Y£[xoviy.ov und ^uyr^, die Seelenteile und die Stadien
des Wahrnehmungsprozesses. G. unterscheidet die <^n•/f^ als physische
Seele von dem f^YSfxoviy.ov als alleinigem Träger des Bewußtseins. Das
f,7S|jLoviy.6v ist, wie die physische Seele, Trvsuixa, aber durch die avaOufjLiasi;
Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.) 39
des Blutes verfeinert und dadurch zur Ausübung der Funktionen des
Bewußtseins befähigt. Diese Darstellung, die in den Quellen keine hin-
reichende Stütze findet, wird von B. widerlegt (am schlagendsten ist
der Einwand S. 409 Mitte). B insichtlich der Lehre von den Seelen-
teilen bekämpft G. Steins und Bonhöffers Identifikation der Seelenteile
mit den Seelenfuuktionen. Das Recht liegt m. E. auch hier auf selten der
ersteren, deren Staudpunkt B. S. 414 if. verteidigt. In der Frage nach
dem Orte des Empündungsvorgangs, den G. ausschließlich in das
r)7£ixovtx6v verlegt, gesteht B. sich jetzt gleichfalls entschiedener dieser
Ansicht zuzuneigen, betont aber auch jetzt noch, daß die Stoiker in diesem
Punkte nicht klar oder nicht einig gewesen zu sein scheinen. In dem
"Wahrnehmungsprozesse unterscheidet G. vier Stadien: 1. die avTiXr,'];i?
(dieselbe führt zur 'favtasta), 2. die eigentliche aljör)««?, bestehend im
T:v£u[xa vospov (sie führt zur «pavTajia xaxaXifiTr-txTq), 3. JUYy.aTciE&ejt; und
xaTaXrj(]>t? (die Wirkung ist die y.ai■:'iXr^'\lli [als Inhalt]), 4. Xoyo? (derselbe
führt zur szia-crjjjLrJ. Die der auYxaxaösjt? vorausgehende Thätigkeit
wird also in zwei Akte zerspalten, wozu die Quellen, wie B. eingehend
nachweist, keine Berechtigung geben.
108. Th. Zahn, Der Stoiker Epiktet und sein Verhältnis zum
Christentum. Zweite Aufl. Erlangen und Leipzig 1895. 47 S. 75 Pf.
enthält den verunglückten Versuch, die Anklänge an Christliches bei
Epiktet aus einer Bekanntschaft des Stoikers mit christlichen Schriften
herzuleiten. Um einen solchen Zusammenhang glaublich zu machen,
müßten bei E. Gedanken nachgewiesen werden, die innerhalb der christ-
lichen Sphäre historisch begreiflich wären, während sie auf heidnischem
Boden keine Anknüpfung fänden. Bis zu diesem Nachweise wird es
das einzig methodisch Korrekte sein, solche Anklänge auf dem um-
gekehrten Wege d. h. daraus zu erklären, daß das Christentum Ge-
danken und Wendungen des heidnischen Auschauungskreises sich aneignete.
Die von Z. S. 29 ff. angeführten Parallelen enthalten aber durchaus
nichts specifisch Christliches. Am meisten könnte noch für Z. Epiktets
Gebot möglichster Vermeidung des Eides zu sprechen scheinen, da eine
Stelle, an welcher der Gedanke in gleicher Form, als Gebot, aufträte,
innerhalb der stoischen Litteratur nicht nachgewiesen ist. Verwandtes
hat aber doch Bonhöffer, den auch Z. citiert, beigebracht, und bei
näherem Zusehen läßt sich bei E. dieses Gebot als Glied eines Kom-
plexes innerlich zusammengehöriger Vorschriften erkennen. Dem zurück-
haltenden und überlegeneu Stoiker, der unnützes Reden, vieles und
starkes Lachen, sowie iJie Teilnahme an den gewöhnlichen geselligen
Freuden meidet, ziemen auch nicht das Pathos und die starke Be-
mühung um den Glauben anderer, wie sie die Voraussetzung des
40 Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.)
Schwnres bilden. Zu berücksichtigen ist auch, wie wenig uns von der
kyuisch-stoischen Diatribe aus den letzten Jahrhunderten vor Chr. Geb.
erhalten ist. Manches mag mit dieser Litteratur verloren gegangen
sein, was zum historischen Verständnis neutestamentlicher und epi-
ktetischer Stellen den Schlüssel böte. Aber auch so erklärt sich alles
von Z. in diesem Zusammenhange aus E. Beigebrachte zur Genüge aus
der stoischen Lehre, hält man sich nur die religiöse "Wendung gegen-
wärtig, welche diese Lehre der Zeitrichtung entsprechend genommen
hatte. Aus dieser Wendung erklären sich z. T. auch die Widersprüche
bei E., auf welche übrigens Z. viel zu viel Gewicht legt. Ähnliches
wird sich bei jedem Philosophen finden, dem es weniger um Geschlossen-
heit und theoretische Unanfechtbarkeit seines Lehrsystems, alß um
praktisch wirksames Philosophieren zu thun ist. Im einzelnen ist die
Berührung zwischen den von Z. in Parallele gesetzten Stellen Epiktets
und des N. T. oft eine außerordentlich geringfügige. Völlig verfehlt
ist es, wenn Z. in diss. 3, 22, 55 f. eine polemische Beziehung auf das
Act. 25, 11 von Paulus erzählte Verfahren erblickt. Mit einer theo-
logischen Verschiebung der natürlichen Perspektive wird hier bei
Epiktets Hörern ein Interesse für die Schicksale des Apostels voraus-
gesetzt, wie es thatsächlich nach allem, was wir sonst wissen, nicht
vorhanden gewesen sein kann.
Epiktets bekanntesten Schüler betrifft
109. E. Bella, Arriano di Nicomedia. Torino e Palermo 1890.
104 S. 4 M.
In unsern Bereich fallen besonders Kap. II Arriano discepolo
d'Epitteto und X Scritti filosofici di Arriano. Die Zeit, innerhalb deren A.
Epiktets Schüler war, begrenzt BoUa, auf Stellen in den SiaTpi^ai ge-
stützt, mit der definitiven Unterwerfung der Dacier auf der einen und
dem Beginne des Partherkrieges auf der andern Seite, im ganzen ge-
wiß richtig, wenn auch für die Spätgrenze die Abwesenheit jeder Er-
wähnung des Partherki'ieges in Arrians Epiktetschriften kein sicheres
Argument bildet. Eine festere Stütze würde die Teilnahme An-ians
am Partherfeldzuge abgeben, welche B. S. 16 ff. wahrscheinlich zu machen
sucht. — Die Titel oiaxptßai und oiaXe^t? bezieht B. mit Recht auf
die gleiche Schrift; eben diese erkennt er auch in den von Mark Aurel
citierten u-o}ivT,|jLaTa, doch läßt er die Möglichkeit offen, daß u-oii.vrj|jLaTa
der Gesamttitel des Werkes gewesen sei, welches die otaxptßai (oiaXe^si?)
und 6}iiÄiai als Teile in sich befaßte. Die ohne Vorwissen Arrians ge-
schehene Veröffentlichung der Diatriben setzt B. in die Zeit der durch
militärische oder politische Angelegenheiten veranlaßten Abwesenheit des
Verfassers (114—120 oder 132—137), die des Encheiridion in die Zeit
^
Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.) 4.\
nach seinem Rücktritte aus dem üfifentlichen Leben. Etwas gewagt
scheint es mir, den strafferen Befehlston des Encheiridion mit dem durch
die Ereignisse der Zwischenzeit in A. ausgebildeten militärischen
Charakter ia Verbindung zu bringen. — An den Stellen der Anabasis,
an welchen B. Spuren stoischer Doktrin wahrzunehmen glaubt (S. 100
Anm. 1, 102 Anm. 3), zeigt sich stoischer Einfluß doch nur in sehr un-
bestimmter und kaum greifbarer Gestalt.
*110. G. Schmidt, Untersuchungen über Arrian, Prag 1889.
Mark Aurel.
Im allgemeinen ist zu erwähnen Hirzels Darstellung, Der
Dialog n S. 262 ff. Die Übersetzung *111. Marcus Aur. meditations.
Transl. by J. Collier, ßevised with an introduction and notes by
Alice Zimmern, London (1891 ?j, ist mir nicht aus eigener Anschauung
bekannt. Von Specialarbeiten beziehen sich die folgenden auf Über-
lieferung und Textesrezension:
*1J2. H. Schenkl, Zur handschriftlichen Überlieferung von
M. Antoninus si; eau-6v. Eranos Vindobon. p. 163—167. Es werden
hier nach Maaß, Deutsche Litt.-Zeit. 1893 Sp. 1482 die Auszüge im
cod. Paris, suppl. gr. 319 saec. 15 (Cramer anecd. Paris. I S. 173 —
179) nach ihrem Werte gewürdigt,
113. A. Sonny, Zur Überlieferungsgeschichte von M. Aurelius
Et; eauTov, Philol. 54 (1895) S. 181—183. Da die hsl. Überlieferung
des Werkes spärlich und jung und Citate bei Späteren selten sind, so
verdienen zwei von Sonny beigebrachte Stellen des Arethas (Schol. zu
Die Chrys. 20, 8, jetzt auch abgedruckt in Sonnys Ad Dionem Chiysosto-
mum analecta p. 113, und eine Stelle eines unedierten Briefes, cod.
Mosqu. 315 [= 302 Matth.] fol. 115 a) Beachtung, deren erste Lektüre
der Schrift Mark Aureis verrät, während die zweite zeigt, daß Arethas
die „Selbstbetrachtungen" hat abschreiben lassen. Sonny vermutet,
daß unsere gesamte Überlieferung auf diese Kopie zurückgeht und
Arethas die Erhaltung des Werkes zu verdanken ist.
114. W. Wyse, Marc Ant. 4, 33, Class. rev. 7 (1893) p. 21
nimmt Anstoß an dem Namen Aeowaxoc in einer Liste römischer
Männer und denkt dafür an Aeviäxo;.
Die Verbesserungsvorschläge von
*115. H. J. Polak, SyU. comm. quam v. cl. Const. Conto obt.
philol. Bat. (Leiden 1893) sind mir nur aus der Erwähnung Berl. phil.
Woch. 14 (1894; Sp. 956 bekannt.
116. G. H. Rendall, On the text of M. Aur. Antoninus Ta
eis iauTöv, Journ. of phil. 23 (1895) p. 116—160 behandelt textkritisch
einzelne Stellen.
4 2 Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. ( Praechter.)
Von Übersetzuiigeu fällt in unsere Berichtsperiode:
117. The ihoughts of the emperor Marcus Aurelius Antoninus.
Trauslated by G. Long. Boston 1894. 296 S. 7 M. 50 (nach der
Vorrede eine neue Auflage). Der englischen Übersetzung gehen eine
biograpliische Skizze (S. 1 — 32) und ein Abriß der Philosophie des
Mark Aurel (S. 33 — 79) voraus.
Einen Punkt der Sprache Mark Aureis behandelt:
118. F. Spohr, die Präpositionen bei M. Aurelius Autonin (so!).
Erlanger Diss., Kassel 1890. 58 S.
Zu bedauern ist, daß der Verfasser — von seltenen Ausnahmen
abgesehen — sich auf Mitteilung des Thatbestandes bei Mark Aurel
beschränkt, ohne unter Benutzung entsprechender Arbeiten für andere
Autoren das für jenen Charakteristische nach Möglichkeit festzustellen
und Mark Aui'el hinsichtlich des Präpositionengebrauches seinen Platz
inneihalb der historischen Entwickelung anzuweisen. Tj'cho Mommsens
Forschungen sind nicht einmal erwähnt.
Den Übergang zum späteren Kj'nismus mögen einige auf der
Grenze zwischen Stoicismus und Kynisraus liegenden litteraiischen Er-
scheinungen bilden. Ich rechne dahin die spätere kynisch- stoische
Diatribe und von besonders namhaft zu machenden Autoren Dion Chry-
sostomos und Ps.-Kebes. Für die Diatribe ist wichtig
119. P. Wendland, Philo und die kynisch-stoische Diatribe
(P. Wendland und 0. Kern, Beiträge zur Geschichte der griechischen
Philosophie und Eeligion, Berlin 1895). Philon wird hier als Zeuge
für das Fortleben der Diatribe in den letzten Jahrhunderten vor Chr.
Geb. erwiesen und damit die zwischen Teles und den Vertretern der
Diatribe in der ersten Kaiserzeit klaffende Lücke zu einem Teile aus-
gefüllt. Wertvoll ist auch das aus Philon und parallelen Darstellungen
anderer Schriftsteller gesammelte reiche Material zur Kenntnis der
Diatribe. Näheres in meiner Besprechung, Berl. phil. Wocb. 16 (1896)
Sp. 867—873, 901—904.
Aus der
Dion Chrysostomos
betreffenden Litteratur, zu welcher auch die Zusammenstellung bei
A. Sonny, Ad Dionem Chrysostomum analecta p. 142—145 zu ver-
gleichen ist, habe ich nur die auf Dions philosophischen Standpunkt und
Quellen bezüglichen Arbeiten zu berücksichtigen.
Dions Verhältnis zu den verschiedenen Philosophenschulen, seine
Welt- und Lebensanschauung im allgemeinen bespricht in trefflicher
Weise Hirzel, Der Dialog 11 S. 84 ff., wo auch auf die Quellenfrage
Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen, f Praechter.) 43
für die einzelnen Reden mehrfach eingegangen wird. (Vgl. auch
ebenda S. 75 ff.).
Gehen wir zu den Arbeiten über speziellere Fragen über, so ist
zunächst der Verhandlungen über die 13. Rede zu gedenken.
Gegen Dümmlers und Useners Zurückführung der sokratischeu
Rede bei Dio or. 13 p. 245, 3 ff. Dind. auf Antisthenes' Archelaos hatte
sich Susemihl, Jahrb. 1887 S. 207 ff", mit der Behauptung gewendet,
der Archelaos, der allerdings Dion vorgelegen habe, sei Antisthenes
mit Unrecht zugeschrieben worden, die Zurückführung der in der so-
ki'atischen Rede bei Dion enthaltenen Gedanken auf Antisthenes also
unstatthaft. 120. Dümmler nimmt daher Akadem. S. 1 ff. (vgl. auch
die Bemerkung Philol. 50 [1891] S. 295 Anm. 1) die Behandlung der
Frage noch einmal auf und zeigt, daß für das auch in Dions iicuy.paTtxö;
X070; angewandte Gleichnis von der Bühne die ältesten Spuren auf
Antisthenes führen. In der einen Fassung dieses Gleichnisses (der Schau-
spieler soll alle Rollen gleich gut spielen = der Mensch soll sich jedem
Schicksale gleich gewachsen zeigen) leiten die bei Lukian vorkommenden
Namen des Polos und Satyros in die Zeit des Demosthenes; Stob. 97,
28 ist ein Zeugnis dafür, daß derselbe Gedanke (wieder mit Nennung
des Polos) in einem jedenfalls als antisthenisch geltenden Archelaos
vorkam. Auch die Athen. 5 p. 220 d für den antisthenischen Archelaos
bezeugte Polemik gegen Gorgias glaubt Dümmler bei Dion wiederzu-
finden. Diese Polemik ist aber nur unter dem frischen Eindruck des
gorgianischen Auftretens denkbar. Der Fälscher des Archelaos könnte
also nur Zeitgenosse des Antisthenes gewesen sein. Eine solche An-
nahme müßte aber durch sehr starke Verdachtsgründe gegen den Dialog
gestützt sein, wie es die von Susemihl vorgebrachten nach Dümmlers
überzeugender Darlegung nicht sind. Wenn sich auch die Beziehung
auf Gorgias nicht zur vollen Evidenz erheben läßt, so ist doch jeden-
falls der Zusammenhang der Partie bei Dion mit dem Archelaos nach
Dümmlers neuen Argumenten im höchsten Grade wahrscheinlich und
der Beweis für die Unechtheit dieses Archelaos bis jetzt nicht erbracht.
Die z. T. schon von Früheren beachtete Übereinstimmung zwischen
Dio p. 244, 22; 245, 3 ff. und dem ps.- platonischen Kleitophon
p. 407 a f. hebt Hartlich, De exhortat. p. 314 hervor, um daraus
den übereilten Schluß zu ziehen, daß Dümmlers Ableitung der Rede
aus Antisthenes' Archelaos falsch und Dions Quelle eben der im Klei-
tophon Sokrates beigelegte Protreptikos gewesen sei (doppelt übereilt
nach dem von Hartlich selbst S. 2ol Mitte Bemerkten). Auch Hirzel,
Der Dialog I S. 124 Anm. 1 glaubt, daß sich jedenfalls das Citat
p. 244, 22 auf den Kleitophon beziehe, dessen Erörterungen auch im
Folgenden in breiterer Ausführung vorgetragen sein könnten. Über-
44 Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.)
sehen ist dabei, daß der Passus über die athenische Geschichte
p. 247, 24 &., der im Kleitophon keine Parallele hat, durchaus den Ein-
druck der Zusammengehörigkeit mit dem Vorhergehenden erweckt und
es ohnehin nicht eben wahrscheinlich ist, daß sich Dion, nur um die
Maske des Sokrates zu wahren, selbständig in solcher Weise auf die
altathenische Geschichte eingelassen haben sollte. Die Berührungen
mit dem Kleitophon bespricht unabhängig von Hartlich auch P. Hagen,
Piniol. 50 (1891) S. 381—384, der richtig schließt, daß auch im
Kleitophon Antisthenes benutzt wurde.
Noch an anderen Stellen Dions glaubt Düramler antistheuisches
Gut nachweisen zu können. Spuren des „Herakles* erkennt er bei
Dion er. 8 p. 150 f. (Akadem. S. 192) und in or. 58 (Philol. 50 [1891]
S. 294); allgemein auf Antisthenes führt er zurück or. 30 p. 333, 4 ff.
(Akad. S. 90 ff.), den Vergleich in or. 65 p. 217, 22 ff. (Akad. S. 88)
und (mittelbar, wie wohl auch die letztgenannte Stelle) Anfang und
Schluß von or, 77/78 (Akad. S. 201 Anm. 1). Beachtung verdient im
Hinblick auf die auf Antisthenes abzielende Stelle Plat. soph. 251 b,
daß Dio or. 30 p. 337, 18 f. der Urheber des im Vorhergehenden wieder-
gegebenen X670C als o(};e iratSeia? «XtjÖou? TJsdTjpLevo? bezeichnet wird;
freilich kann dabei, wie auch Dümmler zugiebt, Zufall im Spiele sein.
Im übrigen lassen sich die Beziehungen auf Antisthenes, namentlich bei
der Vorliebe der kynischen Diatribe für gewisse Stoffe (wie beispiels-
weise das Heraklesthema) und bei dem immerhin hypothetischen
Charakter dessen, was Dümmler aus Piaton für Antisthenes zu ge-
gewinnen sucht, über einen gewissen Grad der Wahrscheinlichkeit nicht
erheben. Von weiteren kynischen Erörterungen berührt Dümmler noch
Dio or. 26 (Akad. S. 194 Anm. 1). Kynisch nennt er auch, m. E. mit
Unrecht, den Traktat über die Allmacht der z()-/ri, or. 63 (Akad. S. 215).
Wegen der Berührung mit Archelaos (Dio or. 12 p. 222, 6 ff.) glaubt
Dümmler (Akad. S. 232 ff.) ferner für die 12. Rede Benutzung eines der
ältesten Kyniker annehmen zu sollen, der sich seinerseits eng an die
ionischen Physiologen angeschlossen habe. Ich sehe an der betreffenden
Stelle keinen Grund, eine stoische Quelle, welche vorauszusetzen nach
dem sonstigen Inhalte der Rede weit näher liegt, auszuschließen. Auch
der „un verhüllte Materialismus, welcher gleichwohl mit einer fast
schwärmerischen religiösen Innigkeit verbunden ist," deutet nicht mit
Notwendigkeit auf „eine Quelle einer jugendfrischen Zeit", sondern
paßt sehr wohl für einen Stoiker der späteren religiös gerichteten
Periode. Endlich macht D. (Akad. S. 254 f.) noch auf die Überein-
stimmung von Dio or. 75 p. 267, 1 ff., 20 ff. mit Xen. mem. 4, 4, 17
aufmerksam, die er daraus erklärt, daß an beiden Stellen Hippias vor-
liege. An eine direkte Benutzung durch Dion ist aber aus dem von
Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.) 45
Hirzel, Der Dialog II S. 91 Anm. 1 angeführten Grunde jedenfalls
nicht zu denken.
Was Dions Verhältnis zum Stoicismus betrifft, so weist
121. I. Bruns, De Dione Chrysostomo et Aristotele critica et
exegetica, Kiliae 1892 S. 3 ff . den stoischen Charakter des Mythus
or. 36, 43 ff. nach. In meiner Besprechung dieser Schrift, Berl. philol.
Woch. 14 (1894) Sp. 709 ff. wies ich darauf hin, daß einiges speciell
auf Poseidonios führt, dessen Benutzung für die 12. Rede schon Wend-
land, Arch. f. Gesch. d. Phil. 1 (1888) S. 208 f. wahrscheinlich ge-
macht hatte. Aus anderen Gründen denkt für beide Reden an Posei-
donios Hirzel, Der Dialog II S. 92 Anm. 2. Die 12. Rede be-
handelt auch
122. C. Ehemann, Die XII. Rede des Dion Chrysostoraos.
Kaiserslautern 1895. Progr. 35 S.
mit vergleichender Berücksichtigung der ästhetischen Theorien des
Philostratos und Lessings im Laokoou. Die Ästhetik Dions oder seiner
Quelle wird wohl ven dem Verfasser etwas überschätzt, wenn er be-
züglich wichtiger Punkte, welche Dion im Unterschiede von Lessing
übergangen hat, darzuthun sucht, dal! dieselben nur aus Rücksicht auf
den Gedankengang der Dionischen x\usführungen, nicht aus Unkenntnis
der Sache, beiseite gelassen seien.
Kebes
liegt in einer neuen Ausgabe vor:
123. Cebetis Tabula rec. C. Praechter. Lipsiae 1893, XI u.
40 S. 60 Pf.
Für die recensio sind benutzt die zwölf von K. K. Müller in
seiner Dissertation De arte critica Cebetis Tabulae adhibenda be-
sprochenen Hss, die arabische Paraphrase (in latein. Übersetzung) und
die lateinische Übersetzung des Odaxius. Die griechischen Hss sind
neu verglichen, die italienischen von Tschiedel, die übrigen vom Heraus-
geber. Das Verhältnis der Hss ist in der praefatio besprochen. Von
K. K. Müller abweichend erkennt der Herausgeber nicht in V den
Archetypus aller übrigen Hss außer V und damit die einzige Grund-
lage des Textes für die in A fehlende Partie, wohl aber doch die beste
Hs für diesen Teil. Kritische Beiträge lieferte
124. H. van H(erwerden), Ad Cebetis Tabulam, Mnemos. 22
(1894) S. 263. Derselbe schreibt c. 21,3 eXeuOspttDj für iXsufteptuc
(wohl richtig) und tilgt c. 22, 2 die Worte y.al y.sxpaTrjXEv iiu-oZ. Daß
die Worte stören ist richtig, ob dies aber bei der Qualität unseres
46 Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischenPhilosophen. (Praechter.)
Schriftcbens ein hinreichender Grund zur Athetese ist, scheint mir
fraglich. Die Übersetzung
125. Das Gemälde im Kronostempel von Kebes. Aus d. Griech.
übers, von Friedr. S. Krauß. Zweite Aufl. Wien 1890. 33 S. 80 Pf.
ist ein unveränderter Abdruck der ersten 1882 erschienenen Auflage.
Auf den philosophischen Gehalt des Schriftchens sind Suse mihi
und Hirzel näher eingegangen. Ersterer (Gesch. d. griech. Litt, in
d. Alex. I S. 23 ff. 11 S. 657 f.) ist geneigt, in dem Verfasser einen philo-
sophisch angehauchten Rhetor des 3. Jahrh. v. Chr. zu sehen und be-
streitet, daß der Pinax, wie ich in meiner Dissertation Geb. Tab.
quanam aetate conscr. esse vid. Marb. 1885 zu zeigen gesucht hatte,
das Gepräge des späteren eklektischen Stoicismus an sich trage. Ich
kann dem gegenüber an meinen früheren Ausführungen nur festhalten.
Die populäre Verwischung des strengen Schulcharakters der Philo -
sopheme bei Bion und Teles, an welche Susemihl erinnert, ist doch
himmelweit verschieden von einem Eklekticismus , der bei kynisch-
stoischer Grundfärbung neben Piaton auch Pythagoras und Parmenides
als Autoritäten, wenigstens für die Lebensführung, anerkennt, wie dies
c. 2, 2 geschieht. Auf letztere Stelle legt Hirzel (Der Dialog II
S. 255 ff.) großes Gewicht, indem er, von ihr ausgehend, diejenigen
Elemente des Schriftchens, die pythagoreisch (auch Parmenides gilt
hier als Pythagoreer) sein können, auch für den Pythagoreismus in
Anspruch nimmt, während ich alles, was Gemeingut ist, vielmehr mit
der die Grundlage bildenden stoischen, bez. kynisch-stoischeu An-
schauung in Verbindung gebracht hatte. Eine sichere Entscheidung
zwischen beiden A'^erfahrungsweisen wird sich kaum treffen lassen.
Keinesfalls möchte ich soweit gehen wie Hirzel, der (S. 255) sich dahin
ausspricht, es sei dem Verfasser hauptsächlich darum zu thun, zwei
Strömungen sichtbar zu machen, eine parmenideisch-pythagoreische und
eine kynisch-sokratische. Meine Annahme einer stoischen Grundrichtung
bestreitet Hirzel (S. 255 Anm. 2), da c. 13 die otaXsxxixoi zu den An-
hängern der ^'suooTraioeia gerechnet werden, ein Stoicismus ohne Dialektik
aber nicht der rechte alte sei, sondern der spätere kynisierende , wenn
nicht geradezu Kj-nismus. Dagegen ist zu bemerken: erstens, daß die
Stelle sich gegen die Dialektik nicht als Teil des philosophischen Systems,
sondern als Glied der Siebenzahl enkyklischer Fächer richtet, was
der Polemik eine andere Färbung giebt; zweitens, daß die Dialektik
durchaus nicht verworfen, sondern ihr wie den anderen Wissen-
schaften eine relative Nützlichkeit zugestanden (c. 33, 6) und eine
Beschäftigung mit enkyklischem Wissen empfohlen wird (c. 32, 4);
drittens, daß auch ich dem Verfasser nicht den .,rechten alten",
Bericht üb. d Litt eratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.) 4l
sondern eben den späteren Stoicisnius zug-esclirieben hatte. Richtiger
hätte ich freilich gesagt, daß er weder Stoiker noch Kyniker war,
sondern auf der Grenze beider Richtungen stand.
Spätere Kyniker.
12G. H. Schafstaedt, Di Diogenis epistulis, Gotting. 1892.
(Diss.) 63 S.,
behandelt nnter I S. 5—32 das Hss- Verhältnis (großenteils aufgrund
von Mitteilungen von H. v. Arnim [über die ital. Hss| und II. Pernot
[über die Pariser Hss]) und gelangt zu folgenden Ergebnissen: Die Masse
der Hss für ep. 1 — 29 außer Ambro?. B 4 sup. und Palat. 398 geht
auf einen Archetypus zurück. Der Ambros., der nur ep. 18-29 ent-
hält, steht diesem Archetypus nahe und ist für die recensio von besonderer
"Wichtigkeit; mit ihm stimmt der Palat. bisweilen in besseren Lesarten
überein. Unter den den Rest der Briefe enthaltenden Hss ragt wieder
Palat. 398 an Wichtigkeit hervor. Aus ihm ist nach Seh. dieser Teil
der Sammlung im Vat. 1353 ergänzt, aus welchem wieder Matritensis
und Lugdunensis zu stammen scheinen. Unter II S. 33—39 behandelt
Seh. textkritisch eine Reihe von Stellen, unter III S. 40 — 63 giebt er
die Varianten von 11 teils von ihm selbst, teils von H. v. Arnim, teils
von P. Viereck kollationierten Hss. Vgl. die Rezension von Wendland,
Berl. phil. Woch. 13 (1893) Sp. 582 f.
127. A. Nauck, Analecta critica, Hermes 24 (1889) S. 447 ff.
bespricht S. 461 f. Stellen aus [Grat.] epist. 12 und 27,1; [Diog,]
epist. 35, 3 und epist. 46.
128. E. Norden, Zu den Briefen des Heraklit und der Kyniker
(Beiträge zur Gesch. der griech. Philos., s. o. No. 23) handelt zunächst
über den vierten heraklitischen Brief und zeigt aufgrund einer Unter-
suchung über die Beziehungen der Juden und Christen zur heidnischen
Mythologie und Litteratur, daß man nicht mit Bernays aus der Ver-
wertung heidnischer Mythologie in [Heracl.] ep. 4 den Schluß ziehen
darf, nicht der ganze Brief stamme aus jüdischer oder christlicher Feder,
sondern ein Bibelgläubiger habe einen ihm vorliegenden Brief eines
heidnischen Schriftstellers nur interpoliert. Stellt man sich überluiupt
auf Bernays Standpunkt, so wird man diesen in der That nach Nordens
Ausführungen modifizieren müssen. Mir scheint aber die jüdische oder
christliche Verfasserschaft durchaus nicht gesichert. Zur Polemik gegen
die Xiöivoi dsoi vgl. Oenom. p. 379 Mull. Der ganze Brief scheint mir
aus dem kynisch-stoischen Standpunkte durchaus erklärlich (zur Welt
als Tempel vgl etwa Dio Chrys. or. 12 p. 223, 14 ff. Dind., wo
freilich die Pointe eine andere ist).
48 Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.)
In einem zweiten „Der 28. Brief des Diogenes" betitelten Ab-
schnitte (S. 392 ff.) betont Norden den Wert der Kynikerbriefe für die
Entwickelungsgeschichte des Kynismus nnd weist darauf hin, dass der
in den Briefen zu Worte kommende spätere Kynismus das Odysseus-
ideal fallen ließ, welches Antisthenes jedenfalls gegen die auf Homer
gegründeten Einwürfe durch künstliche Interpretation verteidigt hatte.
Die Polemik der Gegner gegen diese Deutungen siegte und hatte das
Aufgeben jenes Ideals zur Folge. Ferner erscheinen statt Antisthenes
Diogenes und Krates als Schultypen, worin sich die Wendung nach der
rein praktischen Seite zu erkennen giebt.
Was den 28. Brief selbst betrifft, so widerlegt N. sehr über-
zeugend die Bernayssche Ansicht von dem christlichen Ursprünge des-
selben nach ihren einzelnen Argumenten. Hervorzuheben sind besonders
S. 398 ff. die Bemerkungen über das Zusammentreffen zwischen Ky-
nismus und Stoicismus einer- und dem Christentum andererseits in der
düsteren Schilderung des menschlichen Treibens (vgl. jetzt auch Wend-
land S. 38 ff. der unter No. 119 genannten Schrift). In diesem Zusammen-
hange bespricht N. auch die vielbehaudelte Stelle Aristid. Girsp -tüv
T£~apcüv p. 397 ff'. Dind., die er mit Recht auf die Kyniker, nicht auf
die Christen bezieht. In dieses Gebiet gehört auch die Abhandlung von
129. E. Zeller, Über eine Berührung des jüngeren Kynismus
mit dem Christentum, Sitzungsber. der K. preuß. Ak. d. Wiss. 1893
S. 129—132, der auf den Vorwurf der Einmischung in fremde Ange-
legenheiten hinweist, welchen sich Kyniker wie Christen durch ihre
seelsorgerliche Thätigkeit zuziehen mußten und daraus gewiß richtig
das Wort dXXoTpios-iay.o-oc 1. Petri 4, 15 erklärt unter Heranziehung
von Epict. diss. 3, 22, 97.
Drei hier zu erwähnende Arbeiten betreffen
0 i n 0 m a 0 s.
130. H. Usener, Var. lect. spec. prim., Jahrb. 139 (1889)
S. 369 ff. emendiert unter Xo. XXIV S. 383 die Stelle Euseb. praep.
evang. V 27, 3 p. 221 d, indem er für zl oi -{z oi schreibt si olxzr^.
131. T. Saar mann, Adnotationes in Oenomai fragmenta (Euseb.
praep. evang. V 19—36 et \1 7), Dortmund 1889, Progr. S. 25—36,
enthält textkritische und exegetische Bemerkungen zu Oinomaos. In
einem additamentum S. 35 f. sind ungünstige Urteile von Stoikern und
Kynikern über die Mantik zusammengestellt und der Abstand, der in
dieser Hinsicht Peregrinus Proteus von Oinomaos trennt, hervorgehoben.
132. 0. Cr US ins, Die Kuvo? au-rcfcavia des Oinomaos, Rhein.
Mus. 44 ri889) S. 309—312, erinnert an die Ausdrücke 7pr,7[xol au-
Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.) 49
TO(ptuvoi (Luc. Alex. 26), Atuocuv?) auro^tüvoc ^ixavTsujaro (Luc. gall. 2)
und das Suid. s, v. Jioixvivo? Berichtete. Danach umschreibt C. den
Titel der Schrift des Oinomaos durch «des Kyon leibhaftige Stimme"
und vermutet, daß 0. entweder ein mythisches Vorbild der Kyuiker,
etwa Herakles, oder geradezu den vorbildlichen „Hund" die wahre
Philosophie verkünden ließ. Die Deutung des Ausdrucks aoTocpcüvta ist
ohne Zweifel richtig, doch hat man kaum nötig, an eine solche in der
Schrift durchgeführte Fiktion zu denken. Enthielt sie das kynische
Glaubensbekenntnis in besonders scharf ausgeprägter Form, so konnte
sie wohl auch ohne weiteres mit leichter Nuancierung der von C. er-
härteten Bedeutung als „des Kyon ureigenste Stimme" bezeichnet werden.
£pikureismas.
Über Epikurs persönliche Verhältnisse ergiebt einiges sein in der
Inschrift von Oinoanda enthaltener Brief an seine Mutter (s. unter No. 1 72).
Seinen litter arischen Nachlass betreffen folgende Arbeiten:
133. A. Cosattini, Epicuri „de natura" liber XXVIII, Hermes
29 (1894) S. 1—15.
Der Verf. versucht eine Ergänzung der Reste, von welchen in
der Neapeler Coli. alt. und der Oxforder Sammlung Apographa vor-
banden sind (die übrigen Stücke geben nur einzelne Buchstaben).
Vieles ist von H. v. Arnim beigesteuert.
134. A. Cosattini, Frammento ercolanese sulla generazione,
ßiv. di filol. 20 (1892) p. 510—515.
Der Verf. giebt den Text von pap. 908, der mit dem unteren
Teile von 1390 identisch ist. Er hält das Stück für ein Fragment aus
Epikur irepl 'fuastu?. Die Schrift ähnelt der von pap. 1010, dessen
Zugehörigkeit zu irspl ^udsw; Gomperz bewiesen hat; die Theorie über
die Bildung des Samens ist diejenige Epikurs. Sicheres ist bei der
Geringfügigkeit dessen, was sich an zusammenhängender Lehre eruieren
läßt, nicht auszumachen.
135. Lewy teüt Jahrb. 145 (1892) S. 765 eine Konjektur mit
zu Epic. ep. ad Menoec. Laert. Diog. 10, 133 f.
136. S. Sudhaus, Exkurse zu Philodem: Eine Scene aus Epikurs
Gastmahl, Philol. 54 (1895) (S. 85—88) bespricht den bei Phüodemi
erhaltenen Auszug aus einem Buche des epikurischen 2u[i.-o3iov.
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVI. (1898. I.) 4
50 Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.)
t"oer einen inscbriftlich erhalteneu Brief Epikurs an seine Mutter
s. unten No. 172.
Das Material zur epikurischen Spruchsammlung hat sich um einige
nicht uninteressante Stücke vermehrt. Zu der von Wotke entdeckten,
von Tsener, Wiener Stud. 10 (1888) S. 175 fi. u. a. besprochenen
Sammlung des cod Vatic. gr. 1950 sind in unserer Berichtsperiode
hinzugetreten:
1. 6 Sprüche des cod. Palat. gr. 129 saec. XIV, entdeckt von
M. Treu, bearbeitet von
137. Usener, Epikurische Spruchsammlung. II. Wiener Stud.
12 (1890) S. 1 ff. 2 dieser Sprüche sind neu; beide gehören, der eine
sicher, der andere aller Wahrscheinlichkeit nach, Metrodor und be-
stätigen Useners Annahme einer Sammlung, welche neben Epikur auch
die anderen Schulbegründer berücksichtigte, im Laufe der Zeit aber
einfach auf Epikurs Namen geschrieben wurde. Eine Anlehnung an
einen dieser Sprüche glaubt Thomas, Arch. f. Gesch. d. Phil. 4 (1891)
S. 569 f. bei Seneka zu erkennen.
2. 1 Spruch in cod. Vatic. gr. 952 saec. XIV ex., entdeckt von
G. Heylbut, besprochen von Usener a. a. 0. S. 3 f. (Vgl. dazu
Philol. 56 [1897] S. 551 f.)
Die Wotkesche Sammlung berühren noch 138. Usener, Wiener
Stud. 11 (1889) S. 170 mit dem Nachweise, daß Gnome 75 sich gegen
die peripatetische Schule richtet, 139. v. Wilamowitz-Moellendorff,
Commeutar. gramm. III, Götting. Progr. 1889, S. 13 f., (mir nur durch
Usener, Wiener Stud. 12 [1890] S. 1 bekannt), 140. E. Thomas,
Eine Studie zu den epikurischen Sprüchen, Hermes 27 (1892) S. 22 — 35,
der nach Vorbemerkungen über den Titel der vatikanischen Sammlung
und ihr Verhältnis zu den Heidelberger Exzerpten einzelne Sentenzen
der ersteren bespricht.
Auch auf Epikurs L e h r e ist mehrfach neues Licht gefallen. Die
von Hirzel, Unters, zu Cic. phil. Sehr. 1 S. 1 10 ff. verfochtene Ansicht,
da£ Epikur auch in seiner Kanonik und Ethik von Demokrit abhängig
sei, hat sich bestätigt; für die Kanonik dadurch, daß, wie Sudhaus im
ßhein. Mus. 48 (1893) S. 341 an der Hand Philodems zeigt, der
zwischen Demokrit und Epikur stehende Nausiphanes mit beiden in den
erkenntnistheoretischen Grundsätzen übereinstimmt, für die Ethik durch
den Gebrauch des Terminus euÖü[xta in Epikurs durch die Inschiüft von
Oinoanda erhaltenem Briefe an seine Mutter (unten No. 172).
An Arbeiten über das Ganze oder einzelne Teile des epikurischen
Lehrsystems sind zu nennen:
141. P. Cassel, Epikuros der Philosoi>h, verteidigt und erklärt,
Baliu 1892. 64 S. 1 M.
Bericht üb. d. Litteratur zu d. nachaiistotelischen Philosophen. (Praechter.) 51
Die Schrift enthält allgemeine Betrachtungen über Epikur und
den Epikureismus vom christlichen Standpunkte aus.
142. P.-F. Thomas, De Epicuri canonica, Parisiis 1889,
81 S., eine Apologie der epikurischen Kanonik, die aber m. E. miCglückt
ist. Die Vorwürfe, welche E. wegen der Mängel seiner Erkenntnis-
theorie gemacht werden, sollen nicht ihn, sondern seine Schüler treffen,
was bei dem zähen Festhalten der epikureischen Schule an der Lehre
ihres Stifters von vornherein nicht wahrscheinlich ist; am allerwenigsten
würde aber dafür ein persönliches Freundschaftsverhältnis zwischen
Epikur und Karneades (Th. liest Cic. de fin. 5, 31, 94 Carneades; de
lato 11, 23 fif. ist von einem persönlichen Verhältnis überhaupt nicht
die Rede) beweisen. Über die Bedenken, welche der epikurischen
Kanonik entgegenstehen, wird teils sehr leichten Fußes hinweggeschritten,
teils wird in die epikurischen Sätze ein ihrem Urheber fremder Sinn
hineingedeutet. Wenn Th. betont, daß E. in den Sinnen, die die von
den Dingen ausgehenden Bilder getreu übermitteln, ein untrügliches
Kriterium aufzeige, so ist dagegen zu erinnern, daß damit die er-
kenntnistheoretische Schwierigkeit nur um eine Etappe zurückgeschoben
wird, da wir für die Beurteilung des Verhältnisses der Bilder zu
den Dingen selbst kein Kriterium erhalten. Die epikurische tc^oXt^^h
bringt Th. mit dem induktiven Verfahren in Verbindung und versteht
darunter die Definition. Die Überlieferung bietet dafür keine Stütze.
Von einem durch oftmalige Wahrnehmung |entstehenden Erinnerungs-
bilde bis zu einem methodisch gewonnenen Begriffe ist noch ein weiter
Schritt. (Für die S. 41 angeführte Stelle aus Ciceros Topik müßte
erst bewiesen werden, daß das Wort jipoXr^ij^ic im Sinne Epikurs ver-
wendet wird.)
Sehr zum Nachteil der Arbeit sind Useners Epicurea und Zellers
Phil, d. Gr. nur wenig berücksichtigt. Der Verf. hätte bei Usener
nicht nur einen besseren Laertiostext, sondern auch eine Ergänzung
seines QneUenmaterials gefunden. Z. B. S. 13 vermißt man die beiden
ersten der von Usener unter fragm. 259 gesammelten Stellen. Manches
ist schon bei Zeller viel feiner und umsichtiger ausgearbeitet; so hätte
S. 20 zur Beurteilung der Stelle Aet. 4, 23 auf ZeUer in 1» S. 419
Anm. 2 (Diels doxogr. 414, 28 ff., Usener zu fragm. 317 S. 220, 11 f.)
verwiesen werden müssen. Zu bemerken ist noch, daß der Verf. S. 35
nach Besprechung einer methodologischen Forderung Epikurs fortfährt:
Hanc doctrinam dilucide explanat Aul. Gellius: Visa enim etc. Es folgt
die Epiktetstelle Gell. 19, 1, 15 ff., ohne daß der Herkunft derselben
mit einem Worte gedacht würde.
143. C. Giambelli, La rp&Xrjtj^ic epicurea e la gnoseologia con-
forme ad essa (presso Cicerone De nat. deor. I 16 — 17, 43—44; 19, 49).
4*
52 Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.)
Riv. di filol. e d'istr. class. 22 (1894) p. 348—385. Es sollte sich
doch endlich die Erkenntnis allgemein Bahn brechen, daß solche Unter-
suchungen, vie die der vorliegenden Arbeit, in welcher der Verfasser
auf Schritt und Tritt mit Laertios Diogenes zu rechnen genötigt ist.
sich ohne genügende philologische Unterlage nicht führen lassen. Der
Verf. bemerkt zwar S. 375, daß Laertios nelle edizioni attuali ci e
tramandato, secondo l'opinione del Comparetti e degli altri migliori
critici, assai malcoucio. Das macht ihm aber weiter keine Schmerzen
und bestimmt ihn nicht im mindesten, sich um neuere Leistungen für
den Laertiostext zu bekümmern und so vielleicht die Entdeckung zu
machen, daß schon 1887 von Usener in seinen Epicurea für diesen
Text, soweit Epikur in Frage kommt, in der Hauptsache gethan ist,
was philologische Kunst unter den obwaltenden Umständen thun kann.
Useners Werk scheint dem Verf. absolut unbekannt zu sein! Er nimmt
sich ohne viel Kopfzerbrechens über das Schwankende seiner Grund-
lage eine Laertiosausgabe, die ihm gerade in die Hand kommt, und
zwei alte italienische Übersetzungen und interpretiert und philosophiert
munter drauflos. Auf seine Ergebnisse kann ich hier im einzelnen
nicht eingehen. Im ganzen habe ich den Eindruck, daß mit dem langen
und komplizierten Erkenntnisprozesse, dessen letztes Stadium die npolri^n
sein soll, Epikur mancherlei untergeschoben und Schwierigkeiten be-
rücksichtigt werden, deren Epikur selbst sich wohl kaum bewußt ge-
wesen ist.
144. A. Brieger, Epikurs Lehre von der Seele. Grundlinien.
Halle a. S. 1893. Progr. 21 S.
Die der Behandlung des Themas voraufgehende Polemik gegen
die Textesherstellung in Useners Epicurea, die ein utiouXov xaXXo? zuwege
gebracht haben und sachliche Vertiefung vermissen lassen soll, ist ver-
fehlt. Mit wenigen Ausnahmen (so verteidigt Br. p. 12, 14 Usener
mit Recht das hsl. oiovel gegen Usener, der oiov t) schreibt; 14, 6 ist
gut £y.i»a<|;iv (Usener e'YxXtJiv) konjiziert; im zweiten Teile der Arbeit
S. 12 scheint mir die Festhaltuug von e-eptp m'('{t'(z\-i]\iivta p. 20, 14. 15
richtig) verdient Useners Text vor dem mehrfach gewaltsam herge-
richteten Briegers bei weitem den Vorzug. Auf alle Stellen näher ein-
zugehen, ist hier unmöglich. P. 6, 8 scheint Br. die Stütze, welche
Useners totto; 6e durch das hsl. xo zpojOsv und das Fehlen von os
hinter ei erhält, völlig übersehen zu haben. P. 9, 14 sind aTioiTajstc
"Wohl nicht die „Bilder, die sich von selbst in der Luft bilden", sondern
•die in den Körpern entstehenden „Abstände" zwischen den Atomen,
•welche die Bildung der dt7:6ppoiat ermöglichen; sind aber doch die Bilder
gemeint, so können diese mit Beziehung auf ihre Abtrennung von dem
Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.) 53
körperlichen Gegenstande und ihr Ausgehen von demselben sehr wohl
mit oKOTcajst; bezeichnet werden.
Epikurs Seelenlehre besprechend behandelt Br. die Seele nach
ihrem Wesen und ihrer Zusammensetzung aus vier Stoffen, ihrem Ver-
hältnis zum Körper, ihren Funktionen (-ai)r) und aiabiQjii;). Die für
den Prozeß der aiaörjait wichtige Scheidung von Geist und Seele
identifiziert Br. gewiß richtig mit derjenigen zwischen dem vierten und
den drei übrigen Seelenelementen. Der Vorgang der at'uSriai; nach
epikurischer Lehre wird S. 16 f. klar und überzeugend dargelegt. Nur
verstehe ich die Schwierigkeit nicht, die sich erheben soll, wenn man
sich die Gesichtswahrnehmuug in ganz analoger Weise wie die sonstige
sinnliche Wahrnehmung stattfindend denkt. Der Unterschied zwischen
Gesichtsbildern und VorsteUuugsbildern ist doch auch abgesehen von
der größeren Feinheit der letzteren dadurch gewahrt, daß die Vor-
stellungsbilder ganz allgemein corporis per rara, nicht specifisch nur
durch die Augen eindringen und ihre Wahrnehmung damit eben keine
Sinneswahrnehmung ist. Der Schluß der Arbeit ist der Behandlung
der Vorstellungsbilder, der -pCXr^^n und der Entstehung der Willens-
akte gewidmet.
Vgl. auch die Besprechung von Wendland, Berl. philol. Woch.
13 (189.3) Sp. 1322—1323.
145. S. Sudhaus, Aristoteles in der Beurteilung des Epikur
und Philodem, Rhein. Mus. 48 (1893) S. 552—564.
Der Verf. behandelt die Polemik gegen Aristoteles in pap. 1015,
832 der herkul. Rollen, die vor allem für Aristoteles' Entwickelungs-
geschichte von Wichtigkeit ist, zugleich aber auch wegen des von
Epikur begonnenen und innerhalb seiner Schule fortgepflanzten Streites
gegen Ar. Interesse hat. Mit der Polemik gegen Ar. geht Hand in
Hand die Erhebung des „Philosophen" Isokrates. Epikurs grob zu-
schlagender Weise gegenüber zeigt sich bei Philodem eine gewisse
Verfeinerung der Polemik. Ursache des Hasses ist Aristoteles' spätere
Hinneigung zur politischen Thätigkeit und seine Richtung auf die
Naturwissenschaften, denen Epikur nur sekundäre Bedeutung beimaß.
Über den Wert der Angaben über Aristoteles und die Verwendung
derselben durch Nissen und Sudhaus vgl. übrigens auch Susemihl in
diesen Jahresb. Bd. 79 S. 258 ff.
146. Metrodori Epicurei fragment acoUegit, scriptoris incerti
Epicurei commentarium moralem subiecit A. Koerte, Jahrb. Suppl.
17 (1890) S. 529-597 (der erste Teil [bis S. 556] ist 1890 auch
als Bonner Diss. erschienen).
54 Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.)
Die Fragmente Metrodors sind gegenüber der Düningscheu
Sammlung besonders durch Ausbeutung der berkulan. PapjTi ansehnlich
vermehrt. Aufgenommen sind auch aus dem Gnomol. Vatic. und
Plutarchs antiepikureischen Schriften eine Anzahl von Stücken, die der
Herausgeber, ohne daß sie IFetrodors Namen tragen, doch diesem glaubt
zuweisen zu dürfen. Der Grad der Sicherheit, mit welcher diese Zu-
weisung erfolgen kann, ist verschieden, im ganzen scheint mir für die
plutarchischeu Stücke verhältnismäßig sichererer Boden vorhanden
zu sein als für diejenigen des Gnomol. Vat.
Metrodors wissenschaftlichen Charakter nimmt K. S. 535 ff. in
Schutz. Eichtig ist jedenfalls, daß mau wegen der bekannten das
Thema -spl -'as-spa tö dyaÖGv variierenden Briefstelleu über M. nicht
den Stab brechen darf, schon deshalb nicht, weil es sich eben um Brief-
steilen handelt und wir nicht kontrollieren können, wie weit nicht
Gründe des Augenblicks und der Person den Schreiber zu schroffer
Formulierung und Überspannung eines Satzes bestimmten, den er in
dieser Form keineswegs als Dogma aufgefaßt wissen wollte. (Vgl-
auch die von K. S. 536 f. beigebrachten Gegeniudicien). Die von
Körte wieder aufgenommene Düningsche Deutung, nach welcher M.
mit jenen Äußerungen sich nur gegen die Annahme äußerer Ursachen
der Glückseligkeit wendete, muß ich aber mit Hirzel als unstatthaft
bezeichnen. Auch der von K. S. 535 f. gegen Hirzel versuchte Nach-
weis, daß es sich bei Tiraokrates' Abfall wesentlich um persönliche
Differenzen handelte, scheint mir nicht geglückt.
Der zweite Teil der Arbeit (S. 571 ff.) giebt nach dem von
Pernice verglichenen Oxforder und dem Neapeler Apographon Papj^r.
831 (YW- X f. 71—80), für dessen Inhalt K. die Verfasserschaft
Metrodors wahrscheinlich zu machen sucht.
Weitere Fragmente Metrodors weist nach Sudhaus in der eingehen-
den Besprechung der Körteschen Schrift, Berl. phil. Woch. 11 (1891)
Sp. 1254—1259.
147. E. Thomas, Das Brieffragment des Metrodor von Lam-
psakos bei Seneca Epist. mor. XVI 4 (99) 25, Arch. für Gesch. d.
Phil. 4 (1891) S. 570—573, stellt fragm. 34 Körte so her: I'jw
7ap t:<evO>o? tjoov^ (7U77<e>'V<e>i; 9U<Xa>TTeiv xa-a toütov tov
y.aipov.
Die Litteratur über Philodem ist z. T. (bis Ende 1893) von
Hammer in dem Berichte über die auf die griechischen Rhetoren be-
züglichen Arbeiten (Bd. 83 S. 123—128) behandelt worden, auf den
ich im einzelnen Falle verweisen werde. Auch die seitdem erschienene
die rhetorischen Schriften betreffende Litteratur bleibt zu eingehenderer
Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistoteliscben Philosophen. (Praechter.) 55
Besprechung der Fortsetzung jenes Berichtes vorbehalten und wird hier
nur kurz registriert werden.
148. H. Usener, Variae lectionis specimen primum. Jahrb. 139
(1889) S. 369 ff. erkennt (No. XII S. 377) bei Philod. VH^ VIII
f. 134 (II p. 176 Sudh.) die Stelle Plat. Gorg. 486 a.
149. Th. Gomperz, Beiträge zur Kritik und Erklärung
griechischer Schriftsteller. Sitzungsber. der philos.-hist. Kl. der K.
Akad. d. Wiss. Bd. 122. Wien 1890. IV S. 17 f.
Der Verf. erkennt in der Philod. Tspl (j/fop. B (VH^ IV
44— IV 107. Bd. I p. 97, 25 f. Sudh.) in der Oxforder Abschrift richtig
erhaltenen Wendung o'joz xsXsuoixsv auTov »{^^'povev TrsXaYe-, ^rjrstv
eine sprichwörtliche Redensart und denkt an den Anfang eines Komiker-
verses (<\>7^rfo^ y.sXsustc £v -eXa-jSi Ctjtsiv ejas). Ferner stellt der Ver-
fasser eine Kolumne der Rhetorik (VH^ IV 80=Ox. II 88) her.
150. Philodemi voluraina rhetorica ed. S. Sudhaus (vol. I).
Lipsiae 1892. S. Hammer S. 123 ff". Ergänzungen dazu bieten:
151. H. von Arnim, Ein Bruchstück des Alexinos, Hermes 28
(1893) S. 65-72.
Der Verf. stellt PhUod. rhet. col. 44, 23 und 45, 25 (S. 79, 23
und 80, 25 Sudhaus) den Namen des Alexinos her (Sudhaus beide Male
'AXilioQi), gestützt auf das an der zweiten Stelle auf dem Papyrus er-
haltene V und die (nach von Arnims Abgrenzung des Hermarchcitates)
col. 49, 13 hervortretende Gegnerschaft des Genannten gegen (den
Megariker) Eubulides.
152. H. von Arnim, Coniectauea in Philodemi rhetorica,
Hermes 28 (1893) S. 150—154. S. Hammer S. 125 f.
153. S. Sudhaus, Alexinos, Rhein. Mus. 48 (1893) S. 152—154.
S. Hammer S. 126 f.
154. S. Sudhaus, Nausiphanes, Rhein. Mus. 48 (1893) S. 321
—341. S. Hammer S. 127 und oben S. 50.
155. S. Sudhaus, Aristoteles in der Beurteilung des Epikur
und Philodem. Rhein. Mus. 48 (1893) S. 552—564. S. Hammer
S. 127 f. und oben No. 145.
156. J. ab Arnim, De restituendo Philodemi de rhetorica lib. II.
Index sehol. Rostoch. 1893/4. Der Verf. versucht die Herstellung
des Stückes p. 89 (col. 52, 11)- 119 (col. 20, 27). .
/
56 B ericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.)
157. S. Sudhaus, Neue Lesungen zu Philodem (de rhet. 1. 1, II),
PhUol. 53 (1894) S. 1—12.
157a. Philodemi volumina rhetorica ed. S. Sudhaus. Supple-
mentum. Lipsiae 1895. (Festschr. des klass.-philol. Ver. zu Bonn z.
Begrüßung d. 43. Philologenvers.) (Vgl. auch die Neuherstellung von
vol. I p. 289—325 in dem 1896 erschienenen vol. II der Sudhausschen
Ausgabe und ebenda dieLesarten p. XIX — XXIII.)
Endlich gehört hierher noch wiegen der Textesrezension der be-
treffenden Partien der Rhetorik:
158. S. Sudhans, Exkurse zu Philodem, Philol. 54 (1895)
S. 80—92. S. unten No. 169.
159. Philodemi itepl Tionrjfia-cuv libri secundi quae videntur frag-
menta conlegit restituit inlustravit A. Hausrath. Jahrb. Suppl. 17
(1889) S. 213—276. (Bis S. 233 auch als Bonner Diss. erschienen.)
S.-A. 2 M.
Die Vorrede S. 213—236 stellt die hierher gehörigen Fragmente
nach äußeren und inneren Kriterien fest. S. 237 — 276 enthalten den
Text. Die Stücke, welche der Herausgeber nur mit Wahrscheinlich-
keit glaubt hierher ziehen zu können, sind gesondert am Schlüsse zu-
sammengestellt.
Vgl. die Besprechung von Sudhaus, Berl. philol. Woch. 10 (1890)
Sp. 815—818.
Hausrath a. a. 0. 218 ff. versucht im Anschlüsse an Gomperz
den Nachweis, daß VH^ VI 127—187 polemische Ausführungen —
wahrscheinlich eines Stoikers — gegen IV enthalte. Hiergegen wendet
sich jetzt
160. Th. Gomperz, Philodem und die ästhetischen Schriften
der herkulanischen Bibliothek, Sitzungsber. der K. Akad. d. Wiss.
in Wien, phüos.-hist. Kl. Bd. 123. Wien 1891, 88 S. 1 M. 80.
An der Hand einer genauen Durchmusterung des Papyrus 994
(VH^ Vif. 127—187), die auch für die Herstellung des Textes reichen
Ertrag liefert, thut G. überzeugend dar, daß in demselben nichts gegen,
einiges aber ganz zwingend für die Autorschaft Philodems spricht.
Entscheidend ist, daß für eine nach Hausrath gegen Philodem gerichtete
Ausführung später der Gegner in der Person des Pausimachos erscheint,
dessen Name auch an anderen Stellen von VI vorkommt.
Einer gleich ft'uchtreichen Durcharbeitung unterwirft G. S. 51 ff.
auch Papyrus 1676 (VH^ 147—166).
Anhang I enthält Bemerkungen und Vorschläge zu den von Haus-
rath behandelten Stücken, Anhang II betrifft die aus Pap. 1021 zu
gewinnenden Fragmente der Chronik Apollodors.
Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.) 57
Vgl. die Rezension von Sudhaus, Berl. phil. Woch. 12 (1892)
Sp. 1515—1517.
161. F. B(ücheler), Zu Philodemos zepl TtoirjixaTwv, Rhein.
Mus. 44 (1889) S. 633
giebt, ein Versehen Hausraths berichtigend, eine sichere Ergänzung in
Stück 46, 15 Hausr. (VH^ VII 114) und teilt eine Beobachtung von
E. Preuner mit, nach welcher Stück 75 (VH^ IV 192) sich an 50
(VH2 VII 94) unmittelbar anschließt.
162. H. Usener, De Philodemi loco, Jahrb. 139 (1889)
S. 776. S. Hammer S. 126.
163. R. Ellis, Adversaria IV, Journ. of philol. 19 (1891)
p. 173 ff. behandelt p. 178 Philod. z. :rotT]ix. II p. 242 1. 12 ff. Hausr.
164. H. Perron, Textkritische Bemerkungen zo Philodems
Oeconomicus. Zürich 1895. (Diss.) 85 S.
teilt Beobachtungen mit über Hiatus, Assimilation, Iota adscr., Itacismus,
Silbenabteilung, Korrekturen, Interpunktion und Schrift (S. 6 — 10). Es
folgt die Besprechung von Stellen, an welchen Frühere gegen die Über-
lieferung geändert haben (S. 11 — 13). Endlich werden solche Stellen
behandelt, an welchen aus dem von den Herausgebern nicht benutzten
Oxforder Apographou (S. 14 — 33) oder aus der Neapeler Abschrift
durch genauere Berücksichtigung der Buchstaben, Raumverhältnisse und
des Gedankenzusammenhanges (S. 34 — 81) das Richtige zu gewinnen ist,
165. E. Zeller, Miscellanea, Arch. f. Gesch. d. Philos. 5
(1892) S. 441 ff. schreibt Philodem ind. Stoic. 35 aufgrund der dem
Verfasser vorschwebenden Homerstelle: auveTcvei jxeTa tcüv Xo-^cdv ixevo? ti
xal dup-ov.
Die bisherige Zusammenstellung enthält die für die Textesher-
stellung wichtigen Arbeiten. Nach anderen Seiten hin berühren Philodera
166. G. Strathmann, De hiatus fuga quam invenimus apud
Philodemum Epicureum, Viersen 1892, Progr. 28 S.
Der Verf. gelangt zu dem Ergebnis, daß Philodem in der Ver-
meidung des Hiatus mit fast isokratischer Strenge verfährt.
167. H. Diels, Über das physik. System des Straten , Sitzungs-
ber. d. K. preuß. Ak. d. Wiss. 1893 S. 116 stützt durch ein weiteres
Argument seine Doxogr. p. 126 vorgetragene Ansicht, daß Phaidros
die gemeinsame Quelle der parallelen Darstellungen bei Philodem tc,
suueßeia; und Cic. de nat. deor. I sei.
168. A. Körte, Augusteer bei Philodem, Rhein. Mus. 45 (1890)
S. 172—177.
58 Bericht üb. d. Littcratur zu d. nacbaristotelischen Philosophen. (Praechter.)
Philod. TTspl xoXax. VH^ I f. 92 col. 1 1 und r. cpiXapY. VH-
VII f. 196 fr. 12 werden ein Varius und ein Quintilius angeredet.
Einen Epikureer L. Varius (so und nicht Varus nennen ihn die besten
Hss) kennt Quint. inst. or. 6, 3, 78. Er ist allem nach mit dem
Epiker und Tragiker L. Varius Eufus identisch. Quintilius muß
Vergils Freund Quintilius Varus Cremonensis sein, der Varus, von
welchem Donat und Servius bezeugen, daß er mit Vergil bei Siro
epikureische Philosophie hörte. Die Philodemstellen zeigen also her-
vorragende Männer des Augusteerkreises in persönlichem Verhältnis zu
Philodem; daß bei diesem Verhältnis auch Philodems dichterische
Thätigkeit in Betracht kam, vermutet Körte mit Recht.
169. S. Sudhaus, Exkurse zu Philodem, Philol. 54 (1895)
S. 80—92.
1. Ein litterarischer Streit in der epikureischen
Schule. Es handelt sich um die vielerörterte Frage, ob die Rhetorik
eine Kunst sei. Ein nicht genannter Rhodier hatte nach Philodem
über diesen Punkt eine Streitschrift gegen (den Epikureer) Zenon ge-
richtet, obwohl dieser nichts über die Frage geschrieben hatte. Da
nun Philodem gleichwohl über Zeuons Ansicht zu berichten weiß, so
stammt seine Kenntnis aus dessen Lehrvorträgen, in die wir damit
einen Einblick erhalten. Ein zweiter interessanter Punkt ist, daß,
wie sich aus Philodems Äußerungen bei Gelegenheit dieser Polemik
ergiebt, an den Eikaden Belehrung über die epikureische Doktrin er-
teilt wurde. Eine von Philodem erwähnte hypomnematische Schrift, durch
welche der Ehodier sich angegriffen fühlte, und die er wohl als
Zenons Werk ansah, identifiziert Sudhaus aus sehr einleuchtenden
Gründen mit dem erhaltenen Oi/.ootjIxou Trspl pr^xopixYJj ui:o[jLvr)[xaTix6v.
2. Eine Scene aus Epikurs Gastmahl. S. o. No. 136.
3. Noch einmal Nausiphanes und Aristoteles bei
Philodem (behandelt den Text der betr. Partien und knüpft an No. 154
und 155 an).
Endlich ist auch hier No. 145 (= 155) zu vergleichen.
Über Lukrez erscheint ein besonderer Bericht.
Mit epikureischen Dokumenten des 2. — 3. Jahrhunderts nach Chr.
machen uns bekannt:
170. H. Diels, Zwei Funde, Arch f. Gesch. d. Philos. 4 (1891).
S. 478—491.
Uns berührt der zweite der hier besprochenen Funde (S. 486
— 491). Kumanudes veröffentlichte in der i^r^ix. ap/. 1S90 S. 143 eine
Inschrift, welche enthält: die Bitte der Kaiserin Plotina an ihren
Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.) 59
Sohu Hadrian, es möchte den Diadochen der epikureischen Schule (zu-
nächst Popillios Theotimos) gestattet sein, ihren Nachfolger nach
griechischer Testamentsorduung zu bestimmen, und zwar auch aus den
Peregrinen, die zusagende Antwort des Kaisers und die Mitteilung,
welche die Kaiserin der Schule von diesem Ergebnis macht. Diels be-
leuchtet den interessanten Fund von verschiedenen Seiten. Was
derselbe lehrt, ist in der Hauptsache Folgendes:
1. Es war Vorschrift, die Diadochen der athenischen Schulen
aus den römischen Bürgern zu wählen. 2. Während in der epi-
kureischen Schule die Wahl des Diadochen dem Schulvorstande zukam,
bestand doch die Einschränkung, daß eine unpassende Wahl durch ge-
meinsamen Beschluß der Studierenden abgeändert werden konnte,
3. Plotina rechnet sich zur epikureisclien Schule.
171. Gr. Cousin, Inscriptions d'Oenoanda, Bull, de corresp.
hell. 16 (1892) p. 1—70, enthält Abdruck, Transkription und Erläute-
rung einer von Mitgliedern der französischen Schule zu Athen ent-
deckten Epikureerinschrift aus Oenoanda in Lykien. [Vgl. jetzt bull,
corr. hell. 21, 346 ff.] Dieselbe ist in meisterhafter Weise behandelt von
172. H. TJsener, Epikureische Schriften auf Stein. Rhein,
ilus. 47 (1892) S. 414—456.
Die Inschrift hat einen Epikureer Diogenes zum Verfasser, der
sie im Vorgefühl seines nahenden Todes auf die Wand einer Stpa ein-
graben ließ. ü. verweist sie in die letzten Jahrzehnte des zweiten
oder in die ersten des dritten Jahrhunderts. Nach Useners einleuch-
tender Anordnung der Bruchstücke enthält die Inschrift, die man als
„gesammelte Werke eines Epikureers" bezeichnen könnte, folgende
Stücke: I. eine Ansprache des Diogenes an die Bürger von Oinoanda,
II. einen Brief, zweifellos Epikurs selbst an seine Mutter (derselbe ist
wegen des Gebrauches des Wortes suOuixt'a der fiüheren Periode des
Schulgründers zuzuweisen, s. o. S. 50), III. Briefe des Diogenes an
einen Freund, Antipatros, mit An- und Einlagen, darunter (IV.) einem
Dialoge des Diogenes mit Theodoridas über die Unendlichkeit der
Welten und einem Auszuge aus einem Schreiben an die Verwandten
und Freunde in der Heimat, in welchem Diogenes sein Vorhaben moti-
viert. Es folgt (V.) ein Abriß der epikurischen Physik und (VI.) ein
Lehrbuch der epikurischen Lebenskunst. Unter dem Ganzen stehen
in einer Zeile die y.-jp'.ai o6;ai.
Der Fund, dessen voller Ertrag erst durch Useners Bearbeitung
gewonnen ist (dankenswert sind auch die Nachweise epikureischer Par-
allelen), ist in mehrfacher Hinsicht hochinteressant. Schon als Doku-
ment der Nachblüte des Epikureismus in Lukians Zeit ist er von Be-
00 Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.)
deutUDg. Die Krone bildet vielleicht der epikurische Brief wegen des
Einblickes, den er in das Innen- und Außenleben des Schulhauptes ge-
währt. Wichtig für die Frage des herakleitischen Skepticismus ist
Fragm. 434, Auf die „e-jöuixta" ist schon hingewiesen. Fragm. 24 be-
kämpft die Herleitung der Künste und der Sprache von den Göttern
und die Theorie, daß die Sprache biazi entstanden sei (vgl. auch 25).
Auch sonst bietet die Behandlung der bekannten physikalischen und
ethischen Sätze manches Wichtige und einiges Neue. (Epikureischer
Kosmopolitisraus fragm. 28 b 1 If.; Mantik im Zusammenhange mit dem
Fatalismus fragm. 40; Scheidung der verschiedenen Arten von Furcht
fragm. 36.)
*173. H. van Herwerdens Verbesserungsvorschläge in der
Sylloge commentat. quam v. cl. Const. Conto obt. philol. Bat. (Leiden
1893) sind mir nur durch die Erwähnung Berl. phil. Woch. 14 (1894)
Sp. 956 bekannt.
Ich ziehe hierher als einen Freund des Epikureismus auch
Laertios Diogenes
und verzeichne zunächst die Beiträge zur Texteskritik seiner
Schrift:
174. H. Usener, Var. lect. spec. prim., Jahrb. 139 (1889)
S. 369 ff. emendiert unter No. XXV S. 383—887 eine Anzahl Stellen
des 7. Buches.
175. H. Diels, Reiskii animadversiones in Laertinm Diogenem.
Hermes 24 (1889) S. 302—325. Textkritische Bemerkungen zu Laert.
Diog. I — IX mit Zusätzen von Diels.
176. A. Nauck, Analecta critica, Hermes 24 (1889), S. 447 ff.
behandelt S. 458 Laert. Diog. 2, 22, wo er für ArjXiou lesen will Seivou.
177. Th. Gomperz, Beiträge zur Kritik und Erklärung grie-
chischer Schriftsteller, S.-Ber. Wien. Ak. phil.-hist. Kl. Bd. 122 Wien
1890, schlägt S. 8 vor, Laert. Diog. 10, 31 (p. 371, 10 Usener) statt
|xvr)|xr)c ZU schreiben Xuixtjc
178. W. Volkmann, Quaestionum de Diogene Laertio cap. I:
De Diogene Laertio et Suida. Breslau 1890. Pr. 13 S. W. Volk-
mann, Quaestionum de Diogene Laertio cap. II: Miscellanea. Bres-
lau 1895. Pr. 14 S.
In beiden Programmen werden einzelne Stellen eingehend be-
sprochen, größtenteils in der Weise, daß der Verf., der von Usener
Epicurea XXIII gegebenen Anregung folgend, durch Annahme in den
Text eingedrungener Kandnotizen des Laertios die Schwierigkeit zu
Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischea Philosophen. (Praechter.) 61
lösen sucht. Der Gedanke ist fruchtbar, die Anwendung im einzelnen
freilich nicht durchweg überzeugend. Jedenfalls verdienen die Arbeiten
Beachtung.
179. W. Headlam, Various coniectures III, Journ. of philol. 23
(1895) p. 200 ff. giebt S. 270 f. drei Konjekturen zu Laert. Diog.
180. F. Suseraihl, Zu Laertios Diogenes VII 54, Rhein. Mus.
46 (1891) S. 326—327. S. oben No. 60.
Quellen fragen behandeln:
181. W. Volkmann, Quaest. de Diogene Laertio cap. I: De
Diogene Laertio et Suida. Breslau 1890. Pr. 13 S. S. oben No. 178.
Der Verf. ist mit Nietzsche der Ansicht, daß Hesychios, von
welchem der Platonscholiast und Suidas abhängen, eine mit Laertios ge-
meinsame Quelle benutzte. Zum Beweise der Unabhängigkeit des Hesych
von Laertios führt er die Thaiesvita an, in welcher der Platonscholiast
und Suidas sich seiner Meinung nach in größerer Übereinstimmung mit
Herodot befinden als Laertios. Das ist jedoch (abgesehen von der
gleichen Wortfolge MiXt^hoc — OoTvi^, die sich aber sehr einfach daraus er-
klären ließe, daß Hesychios die von der Majorität behauptete Herkunft
zuerst erwähnte) entschieden nicht der Fall. Suidas hat nach V. neben
Hesychios auch Laertios direkt benutzt. Der Beweis, der sich auf
das unter No. 178 besprochene textkritische Verfahren stützt, indem
V. zu zeigen sucht, daß Suidas mehrfach in den Laertiostext einge-
drungene Randglossen des Laertios übernommen habe, scheint mir ge-
glückt, wenn auch nicht alle angeführten Stellen gleich beweiskräftig
sind. Zur Rekonstruktion des Hesychios aus Suidas und zur Ausschei-
dung der von letzterem direkt aus Laertios entnommenen Partien ist
es nun von Wichtigkeit, diejenigen Autoren festzustellen, die Laertios,
nicht aber die gemeinsame Quelle des Laertios und Hesychios, ausge-
beutet hat. Als solche erkennt V. Favorinus und Lobon. Was also
aus diesen bei Laertios und Suidas sich findet, wäre von letzterem dem
ersteren entlehnt.
*182. W. Volkmann, Untersuchungen zu Diogenes Laertius.
Festschrift d. Gymn. zu Jauer. Jauer 1890. S. 103—120.
Die Schrift ist mir nicht zugegangen. Nach der Besprechung
von L. Cohn, Berl. phil. Woch. 11 (1891) Sp. 1465 f. zerfällt V.s
Arbeit in zwei Abschnitte. In dem ersten versucht der Verf., Sosi-
krates, den er um 40 vor Chr. ansetzt, als eine Hauptquelle des Laer-
tios für dessen erstes Buch zu erweisen; in dem zweiten sucht er dar-
zuthun, daß Laertios das Schriftenverzeichnis des Timon von Phlius
02 Bericht üb. d.Litteratur zu d. iiacharistotelischen Philosophen. (Praechter.)
nicht der sonst in der Vita des Timon ausgeschriebenen Quelle, sondern
einer anderen, vermutlich Lobon, verdanke.
183. F. Susemihl, Zu den Biographien des Bion und des
Pittakos bei Laertios Diogenes. Jahrb. 141 (1890). S. 187—191.
S. führt die Aufnahme Bions in den Abschnitt über die Akade-
miker auf die Tendenz eines Geschichtsschreibers der Akademie zurück,
mit dem berühmten Manne seine Schule zu schmücken. Ist dies richtig,
so kann nicht, wie Hense will, der Satz über Bions Lehrer Laert. 4, 51
outoc T^v (ipxV ^'^^•' ^6'* jener Quelle angehören müßte, zum zweiten
eine gehässige Stimmung gegen Bion verratenden Teile der Bionvita
geschlagen werden. Daher läßt S. die zweite Quelle erst mit § 52 ^v
6e xal öeaxpixoc beginnen und im Vorhergehenden nur die Stücke xai
Ti . . . araöetav und xaxa uav , . aocpuTsuovTo? aus ihr eingeschoben sein.
Allein Susemihls Ausgangspunkt, das Motiv für die Aufnahme Bions in
den Abschnitt über die Akademiker, scheint mir viel zu unsicher, um
von ihm aus die sonst näher liegende und natürlichere Gliederung
Henses zu verwerfen.
Im zweiten Teile des Aufsatzes nimmt S. aufgrund einer Aus-
einandersetzung Tüpfifers eine früher von ihm ausgesprochene Ansicht
bezüglich der Chronologie des Pittakos zurück.
184. H. Usener, Die Unterlage des Laertius Diogenes. S.-Ber.
d. Berl. Ak. 1892. S. 1023—1034.
Aus Laert. Diog. 9, 109 'ATtoXXwviSirjc 6 Nixaeuc 6 izap rjjjLcov
schließt U., daß die von Laertios mit eigenen Zusätzen reproduzierte
Schrift über die philosophischen Staooxai die des Nikias von Nikaia ge-
wesen sei, die ihm in verkürzter Bearbeitung vorgelegen habe, und
sucht dies durch Vergleichung mit diadochengeschichtliches Material ent-
haltenden Stellen bei Athenaios zu erhärten. Ergänzungen aus anderen
Sotion kompilierenden Autoren glaubt auch IT. annehmen zu müssen.
185. Fr. Susemihl, Über Thrasyllos. Zu Laert. Diog. III 56
-62, Philol. 54 (1895.) S. 567—574.
Die Arbeit gehört insofern hierher, als der Verf. die Ansicht
vertritt, daß Laert. Diog. (= Nikias) 3, 47 ff. und die parallele Dar-
stellung bei Albinos zwar, wie Freudenthal nachgewiesen hat, auf die
gleiche Quelle, aber auf verschiedene Redaktionen derselben zurückgehen.
S. u. No. 200.
Neuere Akademie.
186. L. Credaro, Lo scetticismo degli accademici. Parte
prima: Le fonti, la storia esterna, la dottrina fondamentale. Roma
1889. 262 S. 5 M. * (Ein zweiter [Schluß-]Band erschien 1893.)
1
Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.) 6 3
Die Gelegenheit zur Lektüre des ersten Bandes verdanke ich der
K. Universitäts- und Landesbibliothek in Straßbnrg. — Der Abschnitt
über die Quellen, iu welchem Cicero, Sextus Emp., Laertios Diog. (zu
dessen Würdigung auch die praefatio zu Useners Epicurea zu vergleichen
war) und Numenios behandelt werden, enthält eine kritische Übersicht
über die bisherigen Forschungen, besonders diejenigen Hirzels über
Ciceros philosophische Schriften. Die Bedenken des Verfassers gegen
Hirzels Ergebnisse gründen sich teilweise auf beachtenswerte Meinungs-
verschiedenheiten prinzipiellerer Natur. So verlangt er für die Ana-
lyse der Academica größere Berücksichtigung der von Cicero gehörten
mündlichen Vorträge des Philon und Antiochos. Er betont dabei das
stärkere Gedächtnis der Alten und die Schwierigkeiten, mit welchen
für einen Römer der Genuß eines solchen mündlichen Unterrichtes in
der Regel verbunden war, Schwierigkeiten, die das Interesse an diesen
Vorträgen erhöhen mußten. Daneben sind freilich auch nach Cr. schrift-
liche Quellen zur Verwendung gekommen, und zwar wahrscheinlich der
,Sosos" des Antiochos und für die gegnerische Beweisführung in erster
Linie, wie C. gegen Hirzel darzuthun sucht, Kleitomachos und eine
Schrift Philons; außerdem, denkt C. an Metrodoros von Stratonike.
Auf die Quellenübersicbt folgt als zweites Kapitel in sehr weit
ausholender Darstellung die äußere Geschichte der Schule (S. 95—174)
und als drittes die Besprechung der Lehre nach ihren von Arkesilaos
und Karneades festgelegten Grundzügen; doch sind in diesem ersten
Bande nur Logik und Physik behandelt, die Ethik hingegen ist für
den zweiten Band verspart. Zwischen dem Eigentum des Arkesilaos
und demjenigen des Karneades in der Bekämpfung der Sinneserkennt-
nis glaubt C. bei Cic. acad. II § 87 eine Grenze zu erkennen. Doch
kann ich die Beziehung von § 88 auf eine erkenntnistheoretische Neuerung
Chrj'sipps nicht billigen. Mit dieser Beziehung fällt aber Credaros These.
Betreffs einzelner Vertreter der neueren Akademie ist nur die
Mitteilung 187. Elters, Rhein. Mus. 47(1892)8.630 zu verzeichnen,
nach welcher cod. Voss. Gr. in Qu. 18 den von Elter ebenda S. 131
unter 5 mitgeteilten Spruch unter dem Lemma 'ApxeatXaou giebt.
Skepticismus.
*P. Natorp, Neue Schriften zur Skepsis des Altertums. Philos.
Monatshefte 26 S. 61—75.)
188. S. Sepp, Pyrrhoneische Studien (OuppcuvEiot Xo7ot). I. Teil:
Die philosophische Richtung des Cornelius Celsus. IL Teil: Unter-
suchungen auf dem Gebiete der Skepsis. Erlanger Diss. Freising
1893. 149 S.
64 Bericht üb. d.Litteratur zud. nacharistotelischenPhilosophea.(Praechter.)
Der Arbeit liegt der glückliche Gedanke zugrunde, neben der
philosophisch-skeptischen zunächst die verwandte medizinische, dann
aber überhaupt weitere Gebiete der antiken Litteratur der Forschung
über die Skepsis dienstbar zu machen. Der Verfasser hat auf mancherlei
Beziehungen hingewiesen, die weiter verfolgt zu werden verdienen.
Leider läßt er sich aber, namentlich durch die Sucht, überall Skep-
tisches zu wittern, zu den verwegensten Kombinationen verleiten. Wenn
Celsus dem Arzte empfiehlt, unrettbare Kranke nicht in Behandlung
zu nehmen und in schwierigen Fällen von den geringen Aussichten der
Behandlung Kenntnis zu geben, so erkennt S. darin die skeptische
ero/Tj; wenn dem Chirurgen ans Herz gelegt wird, bei der Operation
auch gegenüber den Wehlauten des Patienten die Ruhe zu bewahren,
so bedeutet ihm das die Forderung der Ataraxie (8. 19). Ein wahres
Muster verwegener Kombination ist die an Laert. Diog. 9, 116 Saxopvivo?
0 Ku9r,v5; anknüpfende Argumentation S. 82 f.; o Kuörivac kann nur (?)
die Übersetzung des Namens SiaTopvTvo; sein (Kvjbr^-^zi' oi Y.ixaybrj^w. ösoi
Suidas; Saturn war bei den Römern chthonischer Gott; 2; ist eine in
Alexandreia gebräuchliche Endung f\ir Hypokoristika). Solche Xamens-
übersetzungen waren nach Porphyr bei den Neuplatonikern sehr üblich.
Also stammt die Successionsliste bei Laertios von einem solchen — —
Saturn in aber hatte seine Heimat auf römischem Gebiet, vermutlich bei
Karthago, wo der Saturnkult blühte, und ist allem Anschein nach iden-
tisch mit Apuleius. dem Verfasser der Metamorphosen; ist doch der
Hauptinhalt der Psychenovelle (die Seele ist glücklich, wenn sie ohne
Leidenschaften ist) eine Verherrlichung der ixirj^lh. u. s. f. (es folgen
weitere Argumente für den Skepticismus des Apuleius). In ähnlichen
Bahnen bewegt sich ein nicht geringer Teil dieser Untersuchungen.
Es wäre schade, wenn das mit großem Fleiße und entschiedenem Spür-
sinn von S. beigebrachte reiche Material ohne Frucht für die Geschichte
des Skepticismus bliebe. SoU es aber Frucht tragen, so bedarf es be-
hutsamster Sichtung und eines Neuaufbaues für den größten Teil der
Untersuchungen.
Ausführlicher referiert über den Inhalt der Arbeit Dümmler, Berl.
phU. Woch. 14 (1894) Sp. 490—492.
Indem ich mich zu den Forschungen über einzelne Skeptiker
wende, habe ich zunächst zu berichten über:
189. E. Pappeuheim, Der angebliche Heraklitismus des Skep-
tikers Ainesidemos. Berlin 1889. 67 S. 2 M.
Im Gegensatze zu den früheren Lösungen des Problems sucht P.
darzuthun, daß Sextus Emp. in Wirklichkeit gar nicht dem Ainesidem
heraklitisiereude Lehren zuschreibe, sondern daß es sich au den be-
Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. Praechter.) 65
treffenden Stellen vielmehr nm Herakliteer ans der Zeit des Sextos
handele, die Ainesidem in heraklitischem Sinne ansdenteten. Gregen
Zeitgenossen (die akademische Richtung innerhalb der skeptischen Schule)
richtet eich nach P. die Polemik hyp. Pyrr. 1, 213—235: ebenso hat
er in den damit zusammenhängenden §§ 210 — 212 Zeitgenossen im
Auge. Diese sollen aber .erklärte Herakliteer" sein. P. schließt das
aus dem Ausdruck Hprxj.thf.o: a. a. 0. 210, 211, 212, mit welchem er
eben jene Skepticismus und Heraklitismus verbindenden (jesner be-
zeichnet glaubt. Die bei Sextns mehrfach nebeneinander st^ehenden Worte
AivT^TioT,-!.©; xib" 'Hp2x>xtTov faßt P. zusammeu tmd sieht darin den Titel
einer Schrift („Ainesidem in Übereinstimmting mit Heraklit*). in welcher
jene Herakliteer ihre Skepticismus und Heraklitismus verquickende An-
schauung begründeten. Eine Stütze seiner Hypothese findet P. u. a.
noch darin, daß alle Lehren, für welche von Sextns 6 AivTjr'oTj-j.o; als
Urheber angeführt wird, gut skeptisch seien, während oi repl tov Aivr,-
r'oT.uov sich als Vertreter jener dogmatisierenden Abweichung zeigten.
Papy«enheims Theorie scheint mir trotz ihrer scharfsinnigen Be-
gründung nicht haltbar. Seine Auffassung der JUoixf.v.-tio:"^ hyp. Pyrr.
1. 210 ff. ist höchst gezvrungen. In der That hindert nichts, hier
schlechtweg an Anhänger Heraklits zu denken, deren Lehre eben von
Ainesidemos und Genossen in der § 210 bezeichneten Weise mit dem
Skepticismus in eine Verbindung gebracht wurde, die Sextus ablehnt.
Ai>T^3toT,u.?« xiö" 'Hpax>.£'.Tov als Buchtitel wäre m. W. ohne jede Ana-
logie und scheint mir unmöglich. Auch hätte P. schon das ebenfalls
vorkoHBmde ol rs&i -ny Aivr^r'or/rto» xib' 'Hpax>.£'.Tov stutzig machen
müssen, das er auf andere Weise zu erklären gerwungen ist. Die
Stütze endlich- welche der von P. angeführte TTaterschied im Gebrauche
von ö AivT,r'oT/a.oj und ol -tzk TÖv A'.vTjT-'oT/jiov zu bieten scheint, ist
sehr schwach, da bei der geringen Anzahl der für ol -. t. Aiv. in Frage
kommenden Stellen Zufall keineswegs ausgeschlossen ist. Auf ein
wäteres Moment hat Wendland in der Besprechung von PappoiheiiBS
Schrift, BerL philoL Woch. 10 (1890) Sp. 622 f., hingewiesen. Nach
von Arnims Tutersuchungen hat nämlich bereits Phüon eine Skepticismus
imd Heraklitismus verbindeade Quelle vor sich gehabt. Die Entstehiiiig
dieser Richtung wird also dadurch zeitlich nahe an Ainesidem herange-
rückt und PappenheiBis Atifiassung ebendamit um einen Grad unwahr-
scheinüeher.
Zur Frage des heraklitisiei-- :.- Skepticismus sind femer zu ver-
glddiea: Usener, Rh. Mus. 47 (1892) S. 4-54 (frgm. 17 b 4>. Sepp,
Pyrr. Stud. 5. lOS Anm. 2 (David p. 12 f.) u. ö.
Für Sextus £mp. sind anzuführen:
Ji'im-ihfTifto fiir ^icrramäiösjraadiait EL LXXXXTL {1998l L- 5
(30 Bericht üb. d. Lilteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter
190. H. Usener, Var. lect. spec. prim. , Jahrb. 139 (1889)
S. 369 if. Hier sind unter No. XXIII S. 383 einige Stellen emendiert.
191. C. Baeumker, Eine bisher unbekannte mittelalterliche
lateinische Übersetzung der Ilupptuveiot u-axu-cujst? des Sextus Empi-
ricus. Arch. f. Gesch. d. PhU. 4 (1891) S. 574—577.
Die aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts stammende
ITljersetzung, aus welcher B. einige Proben giebt, steht im cod. Paris.
14700 anonym. Das Inhaltsverzeichnis giebt die Schrift dem Aristoteles.
Eklekticismns.
Die Arbeiten über die Eklektiker entschiedenerer Grrundfarbe
sind, soweit thunlich, unter den betreffenden Schulen besprochen. Über
Cicero erscheinen besondere Berichte. Hier zu berühren bleiben einige
Abhandlungen über Antiochos und Varro.
*192. C. Giambelli, Gli studi Aristotelici e la dottrina
d'Antioco nel de finibus. Turin 1892. 109 S.
Diese Schrift enthält nach der Besprechung von Wendland, Berl.
phil. Woch. 13 (1893) Sp. 1383 — 1384 in ihrem uns angehenden zweiten
Teile (S. 86 — 109) den Versuch, an Stelle anerkannter stoischer Ein-
wirkungen auf Antiochos oder neben solchen vielfach direkte Anknüpfung
an Piaton und Aristoteles zu erweisen.
Für die Beziehungen Varros zur Philosophie kommt in Betracht:
193. E. Norden, In Varronis saturas Menippeas observationes
selectae, Jahrb. Suppl. 18 (1892) S. 265 — 352. Vgl. u. a. den Ab-
schnitt über die kj^nisch-stoische Opposition gegen die Athletik S. 298 ff.
Über Varros Abhängigkeit von Poseidonios handeln
194. E. Wendling in dem unter No. 63 besprocheneu Auf-
satz und
195. E. Norden, Varroniana II, Rhein. Mus. 48 (1893) S. 529 ff.,
der S, 541 ff. nachweist, daß Varros Marius de fortuna ebenso wie
entsprechende Stücke bei Livius (Valerius Maximus), Diodor und
Plntarch, die alle den Glückswechsel im Leben des Marius betonen, von
Poseidonios abhängen.
196. E. Norden, Beitr. z. Gesch. d. griech. Philosophie.
IV. Die varronische Satura Prometheus, ein Kapitel aus der Lehre
von der -povota. Jahrb. Suppl. 19 (1893) S. 428—439.
Die Satire wird hier in ihrem Verhältnis zur teleologischen
Naturbetrachtung und zu den philosophischen Anschauungen von der
Kalturentwickelung besprochen.
Bericht üb. d. Litteratur zu d. iiacharistotelischen Philosophen. (Praechter.) G7
197. A. Gercke, Varros Satire Andabatae. Hermes 28 (1893)
S. 135—138.
Frgm. 26 Buech. enthält, wie G. zeigt, ein typisches logisches
Schulbeispiel, frgm. 25 die Erklärung einer physikalischen Erscheinung
(des Donners) durch einen analogen Vorgang der täglichen Erfahrung
(Zerplatzen einer mit Luft gefüllten Blase unter Knall), der sich zu
dem gleichen Zwecke auch sonst in der philosophisch-naturwissenschaft-
lichen Litteratiu* erwähnt findet. G. vermutet als Inhalt der dialogisch
angelegten Satire Folgendes: Von dem pessimistisch-skeptischen Dialog-
führer wurde ein seine Gelehrsamkeit auskramender Gegner als Blinder
(Andabatae sind die mit geschlossenen Visieren kämpfenden Gladia-
toren) gekennzeichnet und Schritt für Schritt ad absurdum gefiihrt.
198. F. Leo, Varro und die Satire. Hermes 24 (1889j S. G7
— 84. Die Arbeit geht uns an wegen der Ausführungen des Verfassers
über die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen der satirischen Litteratur,
insbesondere Varro, und der Philosophie. Nach ihm geht eine Linie
von Horaz über Lucilius zu Bion und Krates, von Seneka über die
Stoa zum xuvixoc Tpo::o;, eine andere von Lucilius zu Menippos, von
Lukian zu Menippos, von Senekas ludus de morte Claudii über Varro
zu Menippos.
Spätere Platoniker.
199. H. Usener, Unser Piatontext. Göttinger Nachr. 1892
S. 25—50; 181—215, Dieser hochbedeutende und eine weite Perspek-
tive eröffnende Aufsatz gehört insofern hierher, als Usener S. 209 ff.
den Beweis antritt, daß Thrasyllos weder der Urheber der tetra-
logischen Anordnung der platonischen Dialoge noch Veranstalter einer
unserer Überlieferung zugrunde liegenden Ausgabe nach dieser Anord-
nung sei. Hauptargument für ersteres ist, daß nach Albinos c. 4, wo
eine vollständigere Fassung der auch von Laertios benutzten Quelle
erhalten ist, AepxuXXior)? xat GpaauXXoc die tetralogische Anordnung ver-
ti-aten, danach also offenbar Derkyllides Vorgänger des Thr. war. Was
das Verhältnis des Thr. zu unserer Überlieferung betrifft, legt Usener darauf
Gewicht, daß die unechten Schriften Piatons bei Laertios, der hier sicher
auf Thrasyllos zurückgeht, vollständiger und in anderer Ordnung verzeich-
net werden, als sie in unseren Hss stehen. Thrasyllos hat also, schließt
U., den hsl. Bestand an vo9cu6ix£va aus dem alexandrinischen Kataloge
oder einer daher stammenden Ausgabe ergänzt. Die tetralogische An-
ordnung läßt sich bis in die Zeit Varros hinauf verfolgen, der nach-
weislich den „Phaidon" bereits an gleicher Stelle las wie wir. U. sieht
den Urheber dieser Anordnung und der unserer Überlieferung zugrunde
5*
68 Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.)
lieg-enden Ausgabe iu Tyrannion, an dessen Zerlegung der philologischen
Thätigkeit iu vier Teile er erinnert. Die von den Nachkommen des
Neleus von Skepsis an Apellikon verkaufte Bibliothek des Aristoteles
und Theophrast enthielt nach U. auch Piatons "Werke, die neben anderen
der gleichen Herkunft von Tyrannion im Verlage des Attikus heraus-
gegeben wurden.
Die Ausführungen Useners, soweit sie Thrasyllos betreffen, be-
kämpft
200. Fr. Susemihl, Über Thrasyllos. Zu Laert. Diog. III
56-62, Phil. 54 (1895) S. 567—574.
S stützt sich zunächst darauf, daß der Bericht des Laertios den
Eindruck erwecke, er, bez. seine Unterlage (Nikias von Nikaia) habe
Thr. als den Urheber, nicht als den Kolporteur der tetralogischen An-
ordnung betrachtet. Er wußte also, meint S., nichts von Derkyllides
oder einer der Thätigkeit des Thr. vorangehenden tetralogischen Aus-
gabe. Aus dem Wortlaute bei Laertios folgt aber m. E. weiter nichts,
als daß das Wissen seines Berichterstatters über die tetralogische Ord-
nung auf Thrasyllos zurückging, nicht zum mindesten aber, daß nicht
schon bei Thrasyllos Derkyllides genannt war und in dem xive; § 61
wieder zum Vorschein kommt. Auch die Albinosstelle erkennt S. nicht
als beweisend an. Wegen der Differenzen zwischen Nikias-Laertios und
Albinos nimmt er an, daß beide zwar, wie Freudenthal gesehen hat,
den gleichen Bericht, aber in verschiedenen Redaktionen vor sich gehabt
haben und schließt weiter aus dem Schweigen des Laertios, daß in der
von Nikias ausgebeuteten Redaktion von Derkyllides keine Rede war.
Ob die Annahme verschiedener Redaktionen nötig ist, lasse ich ununter-
sucbt. Giebt man sie auch zu, so spricht doch alle Wahrscheinlichkeit
dafür, daß in dem Punkte der Erwähnung und Nichterwähnung des
Derkj'llides beide Redaktionen sich zu einander verhielten wie voll-
ständigere und unvollständigere Reproduktion eines und desselben Ur-
berichtes. Aber selbst wenn Derkyllides in die Albinos vorliegende
Redaktion anderswoher eingefügt sein sollte, so bleibt doch damit für
Derkyllides ein positives Zeugnis bestehen, das zu entkräften zwingendere
Argumente nötig wären, als sie Susemihl vorführt. Sein Widerspruch
gründet sich in letzter Instanz darauf, daß Thrasj'llos bei Nikias und
«päter bei Theon von Smyrna einer Autorität genoß, die zu der Rolle
■eines bloßen Nachbeters des Derkyllides schlecht zu stimmen scheint.
Thatsache ist doch nur, meint Susemihl, daß er die erste Tetralogie
•des Derkyllides und der früheren Ausgabe beibehielt. An allen übrigen
kann er geändert haben, und unter den gegebenen Umständen ist es
wahrscheinlich, daß er geändert hat. Allein der nächstliegende und
Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.) 69
bis zum Beweise des Gegenteils gültige Schluß aus der Übereinstiraniung
in der ersten Tetralogie ist doch immer, daß die tetralogische Einteilung
überhaupt die gleiche war. Ein solcher Beweis des Gegenteils liegt
aber in der Autorität des Thrasyllos gewiß nicht. Selbst wenn Thr.
in seiner ganzen Einleitungsschrift nichts als Nachtreter des Derk. ge-
wesen ist, was wir nicht wissen können, so bleibt doch die Möglichkeit,
daß die Umstände seiner Schrift eine Verbreitung und ein Ansehen
verschafften, wodurch die Leistung des D. in Schatten gestellt wurde.
Schwerer wiegt der Einspruch, den Susemihl gegen die Verwendung er-
hebt, welche üsener von der Differenz zwischen Thrasyllos und unserer
Überlieferung in Bestand und Eeihenfolge der vo9£u6[j.eva gemacht hat.
Es ist allerdings wohl möglich, daß in einer der Autorität des Thra-
syllos sich fügenden Ausgabe verschiedene Stücke einfach deshalb fort-
blieben, weil sie nicht mehr aufzutreiben waren. Allein auch hier
spricht die Abweichung in der Reihenfolge zugunsten Useners, weil
sie von seinem Standpunkte sich eher erklären läßt als von demjenigen
Snsemihls. Ergänzte Thr. die voi>cu6[j.eva aus dem Kataloge oder einer
verwandten Quelle, so lag es für ihn nahe, nun auch die ganze Reihe
ebendaher zu entnehmen, da er in Verlegenheit war, wo die neuen Stücke
zwischen den alten einzufügen seien. Im umgekehrten Falle sieht
man nicht ein, weshalb nicht nur die fehlenden Stücke weggelassen,
sondern auch die Ordnung des Thr. geändert sein sollte. Jedenfalls
bleibt für die tetralogische Ausgabe das Zeugnis Varros in Kraft, aus
dem eine Übereinstimmung in der gesamten tetralogischen Anlage,
nicht nui* in der ersten Tetralogie, so lange zu schließen ist, bis das
Gegenteil mit schwerwiegenden Gründen erwiesen wird.
*201. Oeuvres de Theon de Smyrne, traduites pour la premiöre
fois du grec en fran^ais avec le texte en regard par J. Dupuis.
Paris (1893?).
202. P. Tannery, Sur Theon de Smyrne. Rev. de phil. 18
(1894) p. 145—152.
Die Arbeit enthält den Nachweis, daß Theons Schrift xa xaxa xö
}i.a6ir)fx. ypT^sijxa ei? x. x. ÜXdz. dvotYvujjiv nach ihrer Zerteilung in zwei
Hälften (I a tt. aptSfj,. b -. ixo'jx II -. d^xpov.) überarbeitet worden
ist, wobei wahrscheinlich mehr hinzugefügt als weggelassen wurde. T.
bemerkt, daß angesichts dieser Zusätze von anderer Hand und der
Thatsache, daß Theon selbst Kompilator war, die Kritik darauf ver-
zichten müsse, eine Stelle nach einer anderen zu korrigieren und hält
von diesem Standpunkte aus die meisten Konjekturen von Dupuis für
verfehlt.
70 Beriebt üb. d. Litteratur zu d. nacbaristotelischenPhilosophen. (Praechter .
203. P. Taunerj-. Sur un passage de Theon de Smyrne. Rev.
de phil. 19 (1895) p. 67—69 betrifft S. 99, 13—18 Hiller.
204. H. Hobeiu, De Maxime Tyrio quaestioues philologae
selectae. Gottiiigae 1895. (Diss.) 99 S. 2 M.
Mit dieser Arbeit ist eine Lücke in den Forschungen über die
nacharistotelische Philosophie und die Quellenbeziehungen innerhalb der-
selben in glücklicher Weise ausgefüllt. Nach Behandlung allgemeinerer
Maximos betreffender Fragen (besonders nach seiner Thätigkeit als
Ehetor und Lehrer) wendet sich der Verfasser zur Quellenuntersuchung.
Was das Verhältnis des M. zu Piaton betrifft, so ergiebt sich, daß das
Platonische — von dem Formalen abgesehen — bei ihm nur zum ge-
ringsten Teile aus Piaton selbst geschöpft ist. Weitaus das meiste
verdankt er der namentlich durch Aufnahme stoischer Elemente stark
eklektisierenden Schultradition, deren Reflexe auch bei Albinos, Apu-
leius, Laertios u. a. vorliegen. Eingehend befaßt sich H. sodann mit
der Behandlung popularphilosophischer -o-oi durch Maximos und ihrem
Verhältnis zur stoischen und kynischen Überlieferung. Was Maximos
in dieser Richtung bringt, geht in der Hauptsache auf die Tradition,
nicht auf bestimmte litterarische Quellen zurück. Für einiges weist H.
aber doch den Ursprung aus bestimmten Autoren nach, die Max. Jedoch
nicht etwa für den Entwurf der betreffenden Rede einsah, sondern
deren Ausführungen er aufgrund früherer Lektüre nach dem Gedächtnis
wiedergab, so Ps.-Aristot. de mundo (dessen Benutzung schon Zeller
bemerkte), eine mit Seneca de const. sap. verwandte Quelle und Dion
Chrysostomos.
Die Stelleusammlungen Hobeins sind auch für die Forschung über
die kyuisch-stoische Diatribe von Wert. Beachtung verdient besonders
auch der Exkurs S. 70 ff. über Chrysippos' Erörterung über die ge-
ringere Vollkommenheit der Tiere und die Entgegnung des Karneades.
Ausführlicher bespricht die Arbeit unter Mitteilung von Ergän-
zungen Wendlaud, Berl. phil. Woch. 16 (1896) Sp. 1511—1513.
Die Litteratur zu Plutarch ist Gegenstand eines besonderen Be-
richtes, die zu Apuleius in dem Berichte über die römischen Redner
berücksichtigt.
Spätere Peripatetiker.
Vorauszuschicken ist, daß die Ausgaben der Aristoteles-Kommen-
tatoren und die Litteratur über dieselben von Susemihl in dem Berichte
über Aristoteles besprochen sind.
205. G. F. Unger, Die Blütezeit des Alexander Polyhistor,
Philol. 47(1889) S. 177-183, hält (S. 182 f.) den Alexander, welcher
Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.) 7 1
Krassus in der aristotelischen Philosophie unterrichtete (Plut. Crass. 3),
nicht für identisch mit dem Polj'histor, dessen Blütezeit er mehr als
ein volles Menschenalter nach Sullas Herrschaft ansetzt.
Die Ändronikos von Rhodos betreffende Litteratur ist, soweit
sie dessen Beschäftigung mit den aristotelischen Schriften und die damit
zusammenhäugende Frage seiner Chronologie zum Gegenstande hat,
bereits von Susemihl (Bd. 75 S. 108 ff., Bd. 88 S. 41 ff) behandelt
worden.
*2öG. F. Littig, Ändronikos von Rhodos. IL Teil. Erlangen
1894. Progr, (von Susemihl nur zum Teil besprochen, vgl. Bd. 88
S. 44, Schluß von No. 34).
207. F. Littig, Ändronikos von Rhodos. III. Teil. Erlangen
1895. Progi-. 35 S.
Dieser abschließende Teil der Arbeiten Littigs zu Ändronikos
befaßt sich mit den philosophischen Anschauungen des Rhodiers und
seiner Stellung innerhalb der Geschichte der Philosophie. Der Verfasser
führt den Nachweis, daß A., dessen Hinneigung zur Stoa schon Prantl
erkannte, in hervorragendem Maße von Poseidonios beeinflußt worden
ist, dessen persönlicher Schüler er möglicherweise war.
Der Anhang enthält den Schluß der im zweiten Teil begonnenen
Fragmentsammluug: dort sind diejenigen Bruchstücke zusammengestellt,
welche sich mit Bestimmtheit diesem oder jenem "Werke des A. zuteilen
lassen; hier folgen diejenigen, bei welchen das nicht der Fall ist. Zu
den Simplikiosstellen wurden Littig von Diels und Kalbfleisch Varianten
aus vier Hss überlassen. Den Schluß bilden drei Exkurse. Im ersten
und zweiten nimmt der Verfasser Stellung zur neueren Litteratur über
einige Ändronikos betreffenden Fragen, der di-itte befaßt sich mit einem
Punkte der Aristoteleskritik des Ändronikos.
208. B. Roesener, Bemerkungen über die dem Ändronikos
von Rhodos m.it Unrecht/ugewieseuen Schriften. I, II, III, IV, Schweid-
nitz 1890, 1891, 1892, 1893. Progr. 26, 26, 26 u. 31 S.
Die leider sehr unübersichtlich angelegte Abhandlung (die 109 S.
geben einen fortlaufenden durch keinerlei Überschriften oder sonstige
für das Auge bemerkbare Gliederung abgeteilten Text) gilt in der
Hauptsache der Schrift -spl raOüiv. Der Verfasser giebt zunächst eine
Geschichte der Frage, welche sich an diese und andere fälschlich dem
Peripatetiker Ändronikos von Rhodos zugeschriebene Schriften knüpft.
Er ist zu diesem Zwecke in sehr sorgfältiger Weise dem für Ändronikos
in Betracht kommenden Material nachgegangen. Die Prüfung der Hss
•— es werden deren II S. 12 f. 23 aufgezählt, die nur z. T. von
72 Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.)
Kreuttner-Schuchhardt verwertet sind, vgl. auch IV S. 4 ff. — hat
auch die für die Beurteilung der Sachlage wichtige Thatsache ergeben,
daß die Worte 6t' 6T:6X7)t]>iv xaxoü t) d7aftoü der ersten Definition in
mehreren sehr guten Exemplaren fehlen. R. vermutet, daß die Inter-
polierung dieser "Worte, durch welche die erste Definition die für An-
dronikos charakteristische Wendung (vgl. Aspasios in eth. Nicom. p. 44,
19 ff. edit. acad.) erhalten hat, mit der Betitelung 'Avöpovixou xxX. in
Zusammenhang stehe (vgl. II S. 20, IV S. 10 Anm. 1). In IV ist
die Abschrift bezw. Kollation des Traktates aus einer Reihe bisher
nicht berücksichtigter Hss gegeben. Mit textkritischer Besprechung
einzelner Stellen befaßt sich III S. 11—21.
209. E. Reimann, Quo ex fönte fluxerit Nicolai Damasceni uapa-
e6S(üv eÖwv aova-füj-T^, Philol. 54 (1895) S. 654—709 berührt die philo-
sophische Thätigkeit des Nikolaos nicht und bleibt deshalb hier außer
Betracht.
210. Gr. V(itelli), Frammenti di Alessandro di Afrodisia nel
cod. Riccard. 63, Studi ital. di filol. class. 3 (1895) p. 379—381 weist
in der genannten Hs Exzerpte aus Alexander von Aphrodisias nach,
unter welchen zwei sonst nicht bekannte Stücke enthalten.
211. C.-E. Ruelle, Alexandi'e d'Aphrodisias et le pretendu
Alexandre d'Alexandrie, Rev. des etudes grecqnes 5 (1892) p. 103 — 107,
bemerkt, daß cod. Paris, gr. 2505 saec. 15 unter dem Titel 'AXe$avopou
'AXe^avopeüj; -epi epusecuv 14 Probleme enthält, von welchen 1 — 13 sich
bei Alexander von Aphrodisias in anderer Reihenfolge wiederfinden,
14 aus Arist. probl. 11, 32 stammt. Die bemerkenswerten Varianten
sind vom Verfasser notiert.
212. I. Bruns, Studien zu Alexander von Aphrodisias. I. Der
Begriff des Möglichen und die Stoa, Rhein. Mus. 44 (1889) S. 613—
630. Textkritische Besprechung einschlägiger Stellen aus de fato und
den quaestiones. II. Quaestiones II 3, Rhein. Mus. 45 (1890) S. 138
— 145. Textkritische Behandlung der Stelle. III. Lehre von der Vor-
sehung, Rhein. Mus. 45 (1890j S. 223—235. Textkritische Behandlung
und Analyse der einschlägigen Kapitel der Quaestiones.
213. 0. Apelt, Die kleinen Schriften des Alexander von Aphro-
disias, Rhein. Mus. 49 (1894) S. 59—71, behandelt textkritisch eine
Anzahl Stellen im zweiten Bande der Brunsschen Ausgabe.
214. I. Bruns, De Dione Chrysostomo et Ai-istotele critica et
exegetica, Kiliae 1892 behandelt S. 19 ff. Alex, quaest. 2, 22. Näheres
ifi meiner Besprechung, Berl. phil. Woch. 14 (1894) Sp. 714 f. Vgl.
auch Susemihl in diesen Jahresber. Bd. 79 S. 98 f.
215. Cf. Rödler, Corrections an texte du ::. }i.i$£ü>c d' Alexandre
Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.) 73
d'Aphrodisias, Rev. de phil. 17 (1893) p. 10—13 bespricht einzelne
Stellen des Textes.
216. J. Zahlfleisch, Die Polemik Alexanders von Aphrodisia
(sie) gegen die verschiedenen Theorien des Sehens, Arch. f. Gesch. d.
Phil. 8 (1895) S. 373—386, 498—509, beleuchtet die Polemik Alexan-
ders gegen die Vorgänger des Aristoteles.
*217. I. Bruns, Interpretationes variae, Kiliae 1893. Nach
der Besprechung von Wendland, Berl. philol. Woch. 13 (1893) Sp. 1577 f.
sind hier auch Alexanders Polemik gegen die Annahme eines Unend-
lichen und seine Ansicht über die Mantik behandelt.
Ich ziehe hierher wegen seiner peripatetisehen Ginindrichtung
auch Galen, berücksichtige jedoch aus der ihn betreffenden Litteratur
nur diejenigen Ei'scheinungen , die auf seine philosophische Thätigkeit
Bezug haben.
In Betracht kommt iu erster Linie die auch philosophische Schriften
und solche, die für die Beurteilung von Galens philosophischer Schrift-
stellerei wichtig sind, umfassende Ausgabe:
218. Claudii Galeni Pergameni scripta minora. Recens.
J. Marquardt, J. Mueiler, G. Helmreich. Vol. IL °Oti 6
aptsTOC laTpo; xal (piXosocpo;. Ylzpl kbütw. °Oti xai; tou CTu»[ji.aTOj xpajsaiv
at TTfi 'j'U/Tj? ouvafxsic ETrovxat. flspi tt^c Ta;c(u? xcuv lOi'cüv ßißXituv iipoc
Euvevtavov. üspl tcüv löiwv ßtßXtcuv. Ex recognitione Iwani Mueller.
Lipsiae 1891, XCIII u. 124 S. 2 M. 40. Vol. IIL Oepi atpedecuv
Toi? ei3a70|j.evotj. GpaaußouXo?. Ilepi ^ustxuiv öuvaixstuv. Ex recognitione
Georgii Helmreich. Lipsiae 1893, IX und 257 S. 3 M. (Der erste 1884
erschienene Band fällt vor unsere Berichtsperiode).
Die Vorreden bieten das Nötige über die hsl. Grundlage der recensio
für die einzelnen Schriften und über bisherige Ausgaben. Der kritische
Apparat ist unter dem Texte beigegeben, im 2. Bande ist eine Reihe
von Stellen in der praefatio eingehend besprochen, im 3. sind die Les-
arten des Mailänder cod. Trivultianus für -. cpusixüiv Sovaixsojv am
Schlüsse der praefatio zusammengestellt. Beide Bände bieten einen mit
"Umsicht und Besonnenheit konstituierten Text. Etwas mehr Planmäßig-
keit in Auswahl und Anordnung der Schriften wäre zu wünschen gewesen.
Vgl. die Rezensionen von Uberg, Berl. phil. Woch. 12 (1892)
Sp. 8—11; 13 (1893) Sp. 1101—1103.
219. Claudii Galeni protreptici quae supersunt ed. G. Kaibel.
Berolini 1894. IX u. 62 S. 2 M.
Kaibel identifiziert die Schrift, soweit wir sie besitzen, mit dem
Anfang des von Galen de libris suis c. 9 erwähnten npoxpeTi-cixoc Itz
laxpixTjv, gewiß mit Recht (an die Identität dachten auch Goulston und
74 Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotclischcn Philosophen. (Praechter.)
Willet, vgl. Hartlich, De exh. a. Gr. ß. Script, bist. p. 316, als
Prooemiura des -po-rps-r. e-' larp. faßt das Erhaltene auch Hartlich
a. a. 0. S. 317), und überschreibt sie demgemäß auch so. Grundlage
des Textes ist, da alle Hss verschollen sind, die Aldina, neben welcher
nur die Mitteilung-en Goulstons aus zwei Hss in Betracht kommen.
Die Beiträge Neuerer sind berücksichtigt und hierbei auch insbesondere
die bisher verkannten Verdienste des Frederic Jamot, die er sich durch
seine der Pariser Ausgabe von 1583 angefügten Bemerkungen erworben
hat, ins rechte Licht gesetzt. Der kritische Apparat begleitet den
Text. Angehängt ist eine mantissa (S. 23—58) mit textkritischen und
anderen, der Interpretation dienenden Erörterungen. Das reiche hier
verwertete Material ist auch für die Erkenntnis der philosophischen
Beeinflussung Galens von Bedeutung. Vgl. auch die Besprechung von
J. Hberg, Berl. phil. Woch. 15 (1895) Sp. 291 — 294.
220. G. Helm reich, Galeni -spl töjv eauTw ooxouvxwv fragmenta
inedita, Philol. 52 (1894) S. 431 — 434, veröffentlicht aus cod. Paris.
2332 unedierte Fragmente medizinischen Inhaltes, die unser Gebiet nur
entfernt berühren.
Auch der Aufsatz von
221. J. Ilberg, Galeniana, Philol. 48 (1889) S. 57-66, der
den jedenfalls z. T. auf hsl. Überlieferung zurückgehenden Randbe-
merkungen einer Aldina der Dresdener Kgl. Bibliothek zu in Hippocr.
aphor. gilt, mag hier nur genannt werden. An textkiitischeu Beiträgen
sind die folgenden zu verzeichnen:
222. C. Kalbfleisch, In Galeni de placitis Hippocratis et
Piatonis libros observationes criticae. Berolini 1892 (Diss.) 48 S. 2 M.
Auf eine Nachlese zu Petersens Vergleichung des cod. Hamiltonianus
folgt hier die textkritische Besprechung einer Reihe von Stellen, zu
deren einer auch Ilberg in der Rezension dieser Schrift, Berl. philol.
Woch. 13 (1893) Sp. 426 ff. zu vergleichen ist.
223. G. Helmreich, Zu Galenos, Jahrb. 147 (1893) S. 467
-468.
224. J. Vahlen, Varia, Hermes 30 (1895) S. 361 ff. (S. 361
zu Gal. protrept. c. 1 p. 1, 8).
225. H. van Herwerden, Ad varios, Mnem. 23 (1895)
p. 158 ff. (p. 158—162 zum Protr.).
*226. F. Paetzolt, De nonnullis glossematis maxirae Galenianis
commentatio, Festschr. z. Feier d. 25 jähr. Best. d. Gj'mn. z. Jauer,
Jauer 1890, S. 93—101, mir nur aus der Rezension von L. Cohn,
Berl. phil. Woch. 11 (1891) Sp. 1465 bekannt. Danach handelt es
sich um den Nachweis von Glossemen in den von Marquardt heraus-
gegebenen Schriften.
Bericht üb. d. Litterat ur2u d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.) 75
227. H. Schoene, Galeniana, schedae philol. Herrn. Usener a sod.
Sern. reg. Bonn. obl. p. 88 — 93, berührt die philosophischen Schriften nicht.
Von weiteren Arbeiten kommen in Betracht:
228. J. Ilberg, Über die Schriftstellerei des Klaudios Galenos I.
Rhein. Mus. 44 (1889) S. 207—239. I. unternimmt den Versuch
der Aufstellung- eines vollständigen chronologisch geordneten Inventars
der galenischen Schriften aufgrund der beiden Übersichtsschriften Galen s
(it. t. Tcx^ecoj T. {6i(uv ßtßXicov und TT. T. loi'ojv ßtj^Xtojv) sowlc sclncr zahl-
reichen Selbstcitate. Von den zur Philosophie in Beziehung stehenden
Werken fällt -. x. 'In-.oxp. xal IlXa-r. oo'',\i. in den Bereich dieses ersten
Aufsatzes. Der zweite a. a. 0. 47 (1892) S. 489—514 erschienene
betrifft anatomische und physiologische Schriften.
229. P. Hartlich, De exh. a Gr. Rom. Script, bist. (s. oben
No. 21) widmet S. 316 — 326 dem Protreptikos Galens eine Erörterung;
dankenswert sind besonders die mit Fleiß gesammelten Parallelen, die
auf Galens Verhältnis zur protreptischen und zur philosophischen Litte-
ratur überhaupt Licht werfen.
230. I. von Müller, Über Galens Werk vom wissenschaftlichen
Beweis, Abb. d. bayr. Ak. phil. Gl. Bd. 20 Abt. 2 (1895) S. 403—478.
Nach einem Überblick über die bis ans Ende des 9. Jahrhunderts
führenden direkten Spuren, welche Galens großes Werk x:. arooct^swc
in der späteren griechischen und der syrischen, arabischen und jüdischen
Litteratur des Mittelalters hinterlassen hat, über die spätere indirekte
Beschäftigung mit demselben und die mit der Renaissance beginnenden
Wiederauffindungs- und Wiederherstelluugsversuche unternimmt es der
Verf., Entstehungszeit und Zweck der Schrift festzustellen. Erstere
verlegt er in das Ende von Galens Aufenthalt in Pergamon (vor 163);
was den letzteren betrifft, so erkennt er in dem Werke den Versuch,
gegenüber der von Galen oft getadelten Methodelosigkeit seiner Zeit
die Methode der Mathematik, insbesondere der euklidischen Geometrie
auch auf die übrigen Wissenschaften zu übertragen. Den Inhalt des
uns verlorenen Werkes rekonstruiert von M. an der Hand der eigenen
Hiuweisungen und Anspielungen Galens, der Citate bei Späteren und
des galenischen Verzeichnisses seiner das Gebiet der Methodenlehre
berührenden Monographien, die sich als (indirekte) Ergänzungsschriften
zur Apodeiktik ansehen lassen. Natürlich bleibt bei der Dürftigkeit
dieser Hülfsmittel in der Abgrenzung des Stoffes und der Verteilung
desselben auf die einzelnen Bücher vieles problematisch. Immerhin
wird das von I. von Müller entworfene Bild im ganzen dem Werke
entsprechen und auch da, wo es auf diese bestimmte Schrift nicht zu-
trifft, jedenfalls doch Galens Anschauungen zur Sache wiedergeben. Auch
76 Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.)
insofern und als Darstellung der galenischen Methodenlehre ist I. von
Müllers Abhandlung verdienstlich.
Endlich läßt sich hier noch am richtigsten die Litteratur über
Themistios einfügen, den unter dem Neuplatonismus zu behandeln
man m. E. kein Recht hat.
231. G. M. Sakorraphus, Spicilegium observationum criticarum
ad scriptores graecos, Mnemos. 20 (1892) p. 301 ff. bringt p. 306—310
textkritische Bemerkungen zu Themistios.
232. A. Baumstark, Lucubrationes Syro - Graecae , Jahrb.
Suppl. 21 (1894) S. 464 ff. verwertet für die Textkritik von Them.
Ttspi ^iXi'a; die syrische Übersetzung des Sergius.
233. P. Hartlich, De exh. a Gr. Rom. Script, bist. (s. oben
No. 21) S. 326—332, faßt Themistios' protreptische Reden (9 und 24)
sowie die gleichfalls Protreptisches enthaltenden Stücke or. 26 p. 320 d,
or. 34 c. 2. 4 und die von Bücheier und Gildemeister, Rh. Mus. 27
S. 438 ff., herausgegebene iriöet^i? ins Auge. Auch hier erweist sich
die Vergleichung mit Parallelen aus der verwandten Litteratur als
fruchtbar.
Neupythagoreer.
*234. J. R. W. Anton, De origine libelli Tiepl '^uyä<: xoa|jLu>
xat (pujto? inscripti, qui vulgo Timaeo Locro tribuitur. Naumburg 1891,
VI n. 659 S. 20 M.
Ich habe dieses Buch wiederholt erfolglos verlangt und kann
daher nur auf die Rezensionen von Heinze, Woch. f. klass. Phil. 9 (1891)
Sp. 73 ff. und Susemihl, Berl. phil. Woch. 13 (1893) Sp. 201—204
verweisen. Die Zugehörigkeit des Verfassers der Schrift zur neupytha-
goreischen Schule wird von Anton bestritten.
235. H. Jülg, Neupythagoreische Studien. Wien 1892, 30 S. 1 M.
Die Ausführungen bilden einen Teil der vom Verfasser vor-
bereiteten Ausgabe von Ps.-Okellos, in welcher auch die von Mullach
nicht herangezogenen italienischen Hss Verwertung finden sollen. Im
ersten Teile seiner Untersuchungen befaßt sich J. zunächst mit dem
Titel der Schrift und entscheidet sich aufgrund des ps.-archyt. Briefes
an Piaton gegen die Hss für Tiepl t^; toü -avToc -/sveastu?. Als Quelle
für die Erkenntnis der neupythagoreischen Philosophie ist die Schrift
nach J. als Kompilation aus echter und unechter Tradition der ver-
schiedensten Schulen von sehr zweifelhaftem Werte. Er neigt zu der
Annahme, daß das Werk, das für altpythagoreisch gelten und dessen
Kenntnis für Piaton durch den ps.-archyt. Brief glaubhaft gemacht
werden soll, den Bestrebungen diene, die Anfangslosigkeit der Welt
Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen.(Praechter.) 7 7
als ein platonisches Dogma hinzustellen. In der Kapiteleinteilung der
Schrift möchte J. insofern eine Änderung vornehmen, als er c. 3 mit
§ 22 beginnen lassen will. Der zweite Teil der Abhandlung enthält
eine Quellenaualyse des "Werkes, deren Resultat ist, daß für das erste
Kapitel vornebmlich die Eleaten, besonders Melissos, für das zweite
Aristoteles de gen. et int., für das dritte und vierte Aristoxenos'
IlubaYopixal «Tzo'faastc ausgebeutet worden sind.
*236, H. Jülg, Studien zur neupythagoreischen Philosophie,
Baden i. Österr. 1892. Progr. 14 S.
237. P. Nigidii Figuli operum reliquiae, coUegit emendavit
euarravit quaestiones Nigidianas praemisit A. Swoboda. Pragae,
Vindobonae, Lipsiae 1889. 143 S. 6 M.
Da die Fragmente des N. durchweg seinen gelehrten Schriften
angehören und für die Erkenntnis seiner philosophischen Anschauungen
kaum etwas ergeben, so mag die Ausgabe hier nur genannt und im
übrigen auf die Rezension von Breysig, Berl. philol. Woch. 10 (1890)
Sp. 242 — 249 verwiesen w'erden. Desselben Verfassers
*238. Quaestiones Nigidianae, Dissertat. Vindob. 2 S. 1 — 65
sind mir nicht zugegangen.
Zu Nigidius vgl. auch No. 365.
239. D. M. Tredwell, A sketch of the life of ApoUonius of
Tyana, New- York 1889.
Das Buch trägt in einem mir vorliegenden Exemplare der K. Univ.-
und Landesbibl. Straßburg die Jahreszahl 1886, fällt in dieser Ausgabe
also vor unsere Berichtsperiode. Die neue Auflage, die nach obigem,
der Bibl. phil. class. *iß (1889) S. 140 entnommenen Titel erschienen
sein müßte, habe ich nicht zu Gesicht bekommen.
240. J. Göttsching, ApoUonius von Tyana. Leipzig-Reudnitz
1889 (Leipz. Diss.). 126 S. 2 M.
Nach einer Übersicht über die Apollonioslitteratur giebt der Verf.
in Kap. 1 eine „Lebensskizze des A. nach Philostratus", Kap. 2 be-
handelt ,Das in A. verwirklichte Ideal", Kap. 3 „Die Schwächen und
Fehler in der Darstellung des Philostratus" , Kap. 4 „Die historische
Glaubwürdigkeit". G. gelangt hier zu dem Ergebnis, daß die philo-
stratische Biographie keine historische Darstellung, sondern ein Roman
sei, was man ihm gern zugeben wird, obwohl von dem fleißig ge-
sammelten Beweismaterial nicht alles wirklich beweisend ist. Eine Be-
stätigung bietet der in Kap. 5 „Philostratus" dargelegte Sophistencharakter
des Autors. Kap. 6 handelt von den „Quellen des Philostratus". An
78 Bericht üb d.Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.)
der Existenz einer Damis' Namen tragenden Schrift über A. hält G. mit
Recht fest, nicht durchschlagend hingegen scheinen mir die Bemerkungen
axii S. 72 gegen Zellers Vermutung, daß sich unter diesem Namen ein
Späterer, wohl derselbe, der die Schrift der Kaiserin übergab, verborgen
habe. Zellers Argument, daß ein A. gleichzeitiger Damis bei aller Be-
schränktheit unmöglich soviel fabelhafte Dinge für wirklich gehalten
haben könne, ließen sich allerdings mancherlei psychologisch inter-
essante Proben aus der gerade jetzt durch Neuausgaben in den Vorder-
grund gerückten hagiographischen Litteratur entgegenhalten. Verdächtig
ist aber die Zurückführung auf einen Zeitgenossen des A. schon durch
die Länge der Zeit, welche die Schrift unbenutzt gelegen haben müßte ;
dazu kommt noch, daß die Fälschung solcher Erzählungen auf den Namen
eines Zeitgenossen eine naheliegende Fiktion ist (man denke beispielsweise
an Diktys). In Kap. 7 „Zeitgeschichte und Tendenz" weist G. Eevilles An-
nahme einer großen religiösen Reform, in deren Dienst das Werk des Philo-
stratos stehe, mit Recht zurück. Statt dessen erkennt er in dem Roman
folgende Tendenzen: ,a) einen Panegyrikus auf den Hellenismus, wie
er in der Zeit seiner Blüte war, zu liefern; b) einen Protest gegen
eindringenden Barbarismus unter zahlreichen zeitgeschichtlichen Bezug-
nahmen auszusprechen; c) eine Art Regentenspiegel zu geben mit
starken Anspielungen auf die schlechten Herrscher seiner Zeit; d) eine
Reform des Kultus im Sinne des religiösen Konservativismus anzustreben."
Dabei sind aber m. E. absichtslos und ohne polemische Beziehungen
auf die Gegenwart hervortretende Anschauungen zu Tendenzen über-
spannt. In Kap. 8 „Der Vergleich mit Christus und die Nachbildungs-
theorie" weist G. die Baursche Annahme zurück, mit Recht, wenngleich
auch hier die Beweisführung im einzelnen nicht durchaus einwandfrei
ist. Ebenso erklärt sich G. gegen Nielsens Ansicht, daß die Pytha-
gorasviten des Porphyrios und lamblichos und die ApoUoniosvita des
Philostratos von einer Pythagorastradition abhängig seien. Nach seinem
Dafürhalten müssen Porphyrios und lamblichos Philostratos' Schrift
gekannt haben. Übrigens findet er es naturgemäß, daß in dem Leben
eines so hervorragenden Pythagoreers wie x\pollonios Anklänge an das
Pythagorasideal anzutreffen sind. In Kap. 9 „Der wahre Apollonius",
stellt G. fest, daß A. in der Meinung der Nachwelt für einen Magier
galt, ein Urteil, welches Phil, durch seine Schrift zu entkräften sich
bemühe. In Wahrheit war A. nach G. pythagoreischer Philosoph und
stand als solcher vielleicht im Dienste des Asklepios. Durch diesen
Dienst würde sich auch der Charakter des geheimnisvollen Wunder-
thäters, mit dem ihn die Nachkommen bekleideten, leichter erklären.
Vgl. auch die Rezension von J. Miller, Berl. phil. Woch. 10
1890) Sp. 1422—1426.
Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacliaristotelischen Philosophen. (Praechter.) 79
241. J. Miller, Die Beziehungen der vita ApoUonii des
Philostratus zur Pythagorassage. Philol. 51 (1892) S. 137 — 145.
Die von Nielsen zugunsten seiner Ansicht, daß die ApoUonios-
erzählung bewußte Nachbildung der Pythagorassage sei, beigebrachten
Stellen bedürfen nach Miller der Sichtung. Die meisten hält er für
nichtbeweisend. Auch Rohdes Annahme, daß Apollonios in seine (von
Jamblich benutzte) Biographie des Pythagoras Züge aus seinem eigenen
Leben hineingetragen habe, lehnt M. ab. Die Übereinstimmungen
zwischen der vita Apoll, und den aus Apollonios' Pythagorasbiographie
stammenden Stücken des Jamblich führt er teils auf Zufall, teils auf
Benutzung jener Pythagorasvita des Ap. durch Philostratos zurück.
Auch die meisten Berührungen zwischen der von Ap. unabhängigen
Pythagorastradition und der vita Apoll, hält M. für zufällig. Übrigens
betont er, daß Ap. sich wirklich Pythagoras zum Muster genommen
habe. Zum Schlüsse bekämpft M. Zellers Ansicht, daß in dem Roman
eine Tendenz gegen Kyniker und Stoiker wahrzunehmen sei.
242. J. Miller, Zur Frage nach der Persönlichkeit des Apollonius
von Tyana. Philol. 51 (1892) S. 581—584.
Der Verf. bespricht solche, größtenteils bei byzant. Autoren sich
findenden Berichte, in welchen Ap. als \id'(oi erscheint, und ist geneigt,
als ihre gemeinschaftliche mittelbare Quelle eine Biographie des Ap.
anzusehen, wie uns deren von Soterichos und Moiragenes bekannt sind.
Was die Glaubwürdigkeit dieser Angaben betrifft, nimmt M. an, daß
Ap. in der That ein Meister der Magie gewesen sei, giebt aber auch
der Volkssäge Anteil an der Überlieferung.
Über den Verfasser unserer Apolloniosvita handelt:
243. J. Fertig, De Philostratis sophistis, Bamberg 1894
(Würzb. Diss.) S. 51. Von demselben (a. a. 0. S. 54) und von
244. L. Rad erm acher, observ. et lect. var. spec, Jahrb. 151
(1895) S. 253 ff. sind textkritische Beiträge zu verzeichnen.
245. K. Praechter, Metopos, Theages und Archytas bei Stob,
flor. I 64, G7ff., Philol. 50 (1891) S. 49—57.
Es werden hier in den Neupythagoreerfragmenten bei Stobaios
peripatetische, platonische und stoische Elemente nachgewiesen. In die
Sphäre des Antiochos von Askalon führt die auffallende Übereinstimmung
mit der Form der peripatetischen Lehre, wie sie in dem Abrisse des
Areios Didymos vorliegt.
246. C. Hölk, De acusmatis sive symbolis Pythagoricis, Kiliae
1894 (Diss.) gehört hierher wegen der Ausführungen über Androkydes
80 Bericht üb. d. Littcratur zu d. nacharistotelischcnPhilosophea. (Praechter.)
rspl riuÖaifopixwv (ju(i.;=.6Xü)v (S. 40 fif.). Nach H. ist die Schrift, derea
Fragmente S. 46 ff. zusammengestellt sind, etwa im ersten Jahrb. vor
Chr. dem zur Zeit Alexanders d. Gr. lebenden Arzte Androkydes, der
vielleicht aus Irrtum, vielleicht absichtlich zum Pythagoreer gestempelt
wurde, untergeschoben worden. Ist das richtig, dann wäre der Fälscher
wohl ebenso wie die Verfasser anderer pseudopythagoreischer Schriften
dieser Zeit in dem Kreise der Neupythagoreer zu suchen.
247. P. Tannery, Miscellanees, Rev. de phil 13. (1889) p. 66 ff.
Hier schlägt T. p. 69 "^or, Nicom. introd. arithm. 1,1 (ed. Hoche
p. 2 1. 15 -19) für aioiou zu lesen dveiosou.
*248. Anonymi prolegomena in introductionem arithmeticam
Nicomachi sind nach Bibl. phil. class. 22 (1895) S. 185 in Tanneiys
Diophantosausgabe II, 73 — 77 enthalten. S. auch Xo. 275.
249. Sexti Pythagorici, Clitarchi, Euagrii Pontici sententiae ab
Antonio Elter editae. Bonner Lektionsk. f. 1891/2: Bonner Einlad.
z. Feier V. Kais. Geb. 1892: Bonner Lektionsk. f. 1892/3. Vereinigt
in Gnomica 1. Lipsiae 1892, 54 S. 2 M. 40.
Die Sprüche dieser untereinander eng zusammenhängenden Samm-
lungen — die des Kleitarch ist ein Auszug aus dem Gnomologion
des Sextos und auch die des Euagrios steht zu demselben in naher
Beziehung' — haben nichts specifisch Pythagoreisches, da sie aber von
einer alten Überlieferung einem Pythagoreer zugeschrieben werden und
eine gleiche Farblosigkeit sich auch bei anderen neupythagoreischen
Erscheinungen findet, so sind sie doch wohl in der Sphäre des Neu-
pythagoreismus entstanden, auf welche auch andere Gründe, wie die
Benutzung dieser Sentenzen durch Porphyrios, hinweisen. Ob sie mit
dem (oder einem der) bei Jamblich, Hieronynius und Synkellos ange-
führten Philosophen des Namens Sextos (Zeller IV 2^ S. 103) in Ver-
bindung zu bringen sind, steht dahin. Auf die treffliche Bearbeitung
dieser Sammlungen durch Elter muß ich mir, da dieselben im ganzen
doch mehr für die Florilegienforschuug als für die Geschichte der
Philosophie von Interesse sind, ein näheres Eingehen versagen und ver-
weise nur auf die Besprechung von Wendland, Berl. phil. Woch. 13
(1893) Sp. 229 ff. Ebenso sind die Ergänzung zu Elters Arbeit im
Rh. Mus. 47 (1892) S. 630 ff. (auch Gnom. I beigeheftet) und Ryssels
Aufsatz über die syr. Übers, der Sextussent., Zeitschr. f. wiss. Theol.
38 (1895) S. 617 ff. hier nur zu nennen.
Vgl. zum Neupythagoreismus noch No. 360.
Ich wende mich, ehe ich die Litteratur über die Neaplatoniker
bespreche, zu den Arbeiten über einige dem Xeuplatonismus innerlich
Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacliaristotelischenPhilosophen.(Praechter.) 81
verwandte Erscheinuiigen, denen jedoch die specifischeu ]\Ierkmale jener
Schule noch fehlen.
Zu den hermetischen Schriften hat
250. W. Kroll, Hermetica, Philol. 51 (1892) S. 230 und
251. Advers. graec. Pliilol. 53 (1894) S. 422 f. textkritische
Vorschläge beigesteuert.
252. H. Haupt, Zu den Kyraniden des Hermes Trismegistos,
Philol. 48 (1889) S. 371—374 berührt das philosophische Gebiet nicht.
Eine andere hierher gehörige Erscheinung behandelt
253. W. Kroll, die chaldäischen Orakel, Eh. Mus. 50 (1895)
S. 636-639.
Anknüpfend an seine Schrift De oraculis Chaldaicis (Bresl.
philol. Abh. VII 1), bezüglich deren ich auf die Besprechung von
Wendland, Berl. phil. Woch. 15 (1895) Sp. 1038—1041 verweise,
legt Kr. den philosophischen Gehalt des in den späteren neuplatouischen
Kommentaren als „chaldäische Orakel" oder „Orakel" schlechthin be-
zeichneten Gedichtes dar. Kr. hält dasselbe nicht mit Zeller für ein
neuplatouisches Produkt, da es nichts von plotinischer Ekstase enthält,
auch die Bezeichnung des höchsten Wesens als sv ihm fremd ist. „Die
Verbindung platonischer, neupythagoreischer und stoischer Ideen findet
ihre Analogie in den Systemen der Pythagoreer des Alexander Polyhistor,
des Philon und des Numenios, sowie in den ebenfalls mit der Praxis
eng zusammenhängenden hermetischen Schriften, das ganze Gedicht mit
seiner Verschmelzung von Philosophie, Religion und Aberglauben in
der christlichen Gnosis." Die Abfassung ist nach Kr, um das Jahr
200 nach Chr. anzusetzen.
Vgl. zu den chaldäischen Orakeln auch No. 315.
Über die jüdisch-griechische Philosophie (Philon) erscheint als
Anhang ein besonderer Bericht von P. Wendland.
Neuplatoniker.
Auch hier ist vorauszuschicken, daß die Ausgaben der Aristoteles-
Kommentatoren und die daran anschließende Litteratur von Suseraihl
im Jahresberichte über Aristoteles besprochen werden.
Die Frage nach dem Begründer desNeuplatonismus behandelt
254. E. Zeller, Ammonius Sakkas und Plotinus, Arch. f. Gesch.
d. Phil. 7 (1894) S. 293—312. Z. unterzieht die Frage, ob Ammonios
Sakkas aufgrund zulänglicher Berichte als Begründer der neuplatonischen
Schule angesehen wurde, einer nochmaligen Erörterung mit besonderer
Berücksichtigung der in Betracht kommenden Stellen des Nemesios
und Priskian und des Aufsatzes von H. von Arnim „Quelle der Über-
Jahrasbericht für Altertums-wissenschaft. Bd. LXXXXVI. (1898. I.) 6
82 Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistotelischeQPhilosophen.(Praechter.)
liefenmg über Ammonius Sakkas," Rhein. Mus. 42 S. 276 — 285. Ans
den beiden genannten alten Autoren läßt sich nach Z. für die Existenz
eines von einem persönlichen Schüler des Amm. Sakk. verfaßten Be-
richtes über dessen Lehre nichts abnehmen. Beide haben, Nemesios
durch Vermittelnng des Hierokles, Priskian durch diejenige von Theodotos,
dem Schüler des Ammonios Hermeiu, aus Porphyi"ios' ou|xixixTa C^-nQixaxa
geschöpft. Auch sonst findet sich in der Litteratur keine Spur eines
solchen Berichtes über Amm. Sakkas. Plotins Mitschülern Origenes und
Longinos sind Lehren, die nach Nemesios schon Ammonios gehören
müßten, noch fremd.
Auf Plotin beziehen sich folgende Arbeiten:
255. R. Marcellino, Zu Plotin, Philol. 51 (1892) S. 45 giebt
eine Konjektur zu Enn, 5, 6, 6.
*256. Plotinus on the beautiful, translated by Th. Davidsohn ,
Biblioth. Plat. I 4 p. 309—321 ist mir nur aus Bibl. phil. class. 18
(1891) S. 40 bekannt.
*257. I. Bruns, Interpr. var. (s. o. Xo. 217) behandelt S. 11 — 14
Plotin III Kap. 1—7 S. 34 K ff. (nach der Besprechung von Wendland,
Berl. phüol. Woch. 13 [1893] Sp. 1577—1578).
258. A. Covotti, La cosmogonia plotiniana e l'interpretazione
panteisto-dinamica dello Zeller, Rendiconti della R. Accad. dei Lincei,
classe di scienze morali, storiche e filol. Serie V vol. IV, Roma 1895
p. 371-393; 469—488.
An der Hand einer eingehenden Darstellung der plotinischen
Kosmogonie sucht der Verfasser zu zeigen, daß Plotins System nicht
mit Zeller als dynamischer Pantheismus, sondern als Emanatismus,
allerdings nicht im gewöhnlichen Sinne des Wortes zu bezeichnen sei,
insofern nicht die Welt in ihrer Aktualität, sondern nur ihre Elemente
emanieren. Die Differenz zwischen Zeller und Covotti liegt im letzten
Grunde darin, daß von beiden Gelehrten der eine diese, der andere
jene unter den einander widersprechenden und z. T. durch die bildliche
Ausdrucksweise doppelt schwer ihrem Gewichte nach zu beurteilenden
Bestimmungen des plotinischen Systemes in den Vordergrund rückt.
Eine nähere Beleuchtung der Streitfrage ist in der hier gebotenen
Kürze nicht möglich. Es sei daher hier nur gesagt, daß mir Zellers
Auffassung schon deshalb den Vorzug zu verdienen scheint, weil bei
ihr die von Plotin so scharf betonte Transcendenz des Einen besser
gewahrt bleibt.
259. J. Baumann, Piatons Phädon philosophisch erklärt und
durch die späteren Beweise für die Unsterblichkeit ergänzt, Gotha 1889,
enthält S. 73—80 eine nähere Darlegung der ünsterblichkeitslehre Plotins.
Bericht üb, d. Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.) 83
*260. J. A. Lyly, Plootinos sielnn substantsia alisundesta,
Helsingfors 1889 (Diss.).
*261. Struve, Die neuplatonische Ethik des Plotin und ihr
Verhältnis zur platonischen. Kirchl. llonatsschr. XI 7.
Die sprachliche Seite des plotinischen Werkes betrifft
262. E. Nordenstam, Studia syntactica I. Syntaxis infinitivi
Plotiniana. Upsaliae 1893. 81 S. (Diss.) 1 M. 75.
Eine Fälschung auf den Namen eines Mitschülers des Plotin
behandelt
263. E. Heitz, Die angebliche Metaphysik des Herennios,
Sitzungsber. d. K. preuß. Ak. d. Wiss. 1889 S. 1167—1190.
Der Verf. analysiert des angeblichen Herennios Urfirim etc xa
liETot Tot «puaixa und zeigt, daß die Schrift aus verschiedenen größten-
teils bekannten und zwar zumeist neuplatonischen Quellen in unge-
schicktester Weise fast wörtlich abgeschrieben ist, sodaß auch außer-
halb des Zusammenhanges unverständliche Stellen und Verweisungen
in die Exzerpte mitaufgenommen wurden. Die beiden ersten Kapitel
sind Georgios Pachymeres' Abriß der aristotelischen Philosophie ent-
nommen. Damit ist die Mitte des 14. Jahrhunderts als Frühgrenze
für die Entstehung der Fälschung gegeben. Von besonderem Interesse
ist das dritte Kapitel, weil hier mit Exzerpten aus Philo de ebriet.
eine anderweitige skeptische Polemik gegen die Möglichkeit der Er-
kenntnis und eine Widerlegung der skeptischen Ausführungen ver-
bunden ist, deren Herkunft zu entdecken Heitz nicht gelungen ist, die
er aber wohl mit Recht glaubt aus einem stoischen Werke herleiten
zu sollen. Heitz' sehr wahrscheinliche Vermutung ist, daß der Fälscher
mit Rücksicht auf Porphyr, vit. Plot. c. 3 den Namen des Herennios
■wählte, und daß er kein anderer ist, als der berüchtigte Andreas
Darmarios, auf den eine Reihe von Indicien hinführt. — Ein Anhang
ist der in Samosc um das Jahr 1604 gedruckten Ausgabe des Herennios
gewidmet.
Ich wende mich zu Porphyrie s.
264. E. Bethe, Handschriftliches zu Porphyrius de antro
Nympharum, Philol. 47 (1889) S. 554 f. berichtigt einen Irrtum Herchers,
dessen Angaben (in der Didotschen Ausgabe Ailians und einiger
Porphyriosschriften) über „cod. Marc. 211" sich auf cod. Marc. cl. IX 4
beziehen. [Vgl. auch KroU, Rh. Mus. 52, 286.]
265. G. Schepss, Zum lateinischen Aristoteles und Porphyrius,
Bl. f. d. Gymn. her. v. bayr. Gymn. 29 (1893), bemerkt, daß die Er-
klärungen des Anonymus in cod. Monac. 14779 fol. 31 ff. sich auffallend
6
'■f-
S4 Bericht üb. d.Litteratur za d. nacliaristotelischciiPhilosophen.(Praecliter.)
mit Abälards glossae in Porphyrium , die Cousin herausgegebeu liat,
berülireu.
266. K. Kalbfleiscli, Die neuplatouische, fälsclilicli dem Galeu
zugcscbriebeue Schrift lipo; Faüpov Tispl -ou zaic £[x<|iuyoÜTat 1% e'ix^pua
aus der Paiüser Handschrift zum ersten Male herausgegeben. Anhang
zu d. Abh. der Berl. Akad., phil.-hist. Kl. 1895. 80 S. und
2 Tafeln. 6 M. 50.
Der sorgfältigen Ausgabe dieser in cod Paris, suppl. gr. 635
saec. 13 enthaltenen Schrift ist eine Einleitung vorausgeschickt, in
welcher überzeugend dargethan wird, daß die hsl. Zuteilung des Werkes
an Galeu (raAr,voü -po? Paüpov y-k.), von dem sie in den Verzeichnissen
seiner Schriften nicht erwähnt, noch auch sonst citiert wird, ebenso
wie sie auch selbst keinerlei Citat galenischer Schriften enthält, unbe-
rechtigt ist. Die in dem Werke vertretene Ansicht widerspricht der-
jenigen Galens direkt, sie beruht — ganz im Widerspruche mit Galens
empirisch -naturwissenschaftlicher Uutersuchungsmethode — durchaus
auf dem neuplatonisch verstandenen Dogma Piatons. Ein weiteres
Argument liegt in der Gleichgültigkeit des Verfassers gegen den von
Galen gemiedenen Hiatus. Innerhalb des Neuplatonismus führen viele
Spuren auf Porphyrios, mit dem die Schrift mehrfach die auffallendsten
wörtlichen Berührungen aufweist, und der, wie sich aus Jamblich und
Psellos ergiebt, die nämliche Ansicht vertrat, wie sie hier vorgetragen
wird, und zwar, wie Psellos zeigt, in einer besonderen dem Gegenstande
gewidmeten Schrift. Man wird mit dem Herausgeber jenes sonst ver-
schollene Werk in dem vorliegenden Traktate zu erkennen haben.
*267. Porphyrius, Life of Plotinos, translatcd (by Th. Johnson),
Biblioth. Piaton. I 1 p. 42 — 76, kenne ich nur aus der Bibl. phil, class.
16 (1889) S. 238.
268. A. Georgiades, llspl tcüv -/.ata XpiJ-tavwv a-03-a3[xaT(ov
Tou riop'fupio'j. 'Ev AstJ/ia 1891 (Erlanger Diss.). 72 S.
Zunächst ist festzustellen, daß ein Teil der Arbeit sich als Plagiat
frechster Art erweist. Die Einleitung S. 5—8 ist zum grüßten Teile
ohne Quellenangabe Zellers großem Werke entnommen (vgl. beispiels-
weise Zeller III 1 S. 8, 10,21,24; III 2 S. 424,443,444). Auch
das zunächst Folgende beruht wesentlich auf Zeller, der nur an zwei
Stellen für Einzelheiten citiert wird. Der ganze zu dem Thema in
keiner näheren Beziehung stehende Abriß der Ethik des Porphyrios
(S. 60—70) ist wortgetreue Übersetzung aus Zeller. Dieser Sachver-
halt erweckt auch für den Rest der Arbeit starke Zweifel hinsichtlich
seiner Selbständigkeit, doch kann ich eine Prüfung nicht vornehmen.
Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.) 85
Das Charakteristische des Porphji-ios im Unterschiede von anderen
Bestreitern des Christentums sieht G. in einer eklektischen Tendenz,
die ihn, namentlich in der Schrift -. a-oy. i\L^. und in derjenigen an
Marcella, nicht eine dem Christentum durchaus feindliche Stellung ein-
nehmen, sondern aus Christlichem und Heidnischem das auswählen lasse,
was ihm zusage. Eine solche Tendenz wird aber weder durch das
hier (S. 12—13) Vorgebrachte, noch durch die S. 53 — 58 abgedruckte
Zusammenstelluug von Sätzen des N. T. und solchen des Porphj'rios
bewiesen. Es handelt sich hier durchweg um Gedanken, die innerhalb
der griechischen Philosophie gäug und gäbe sind (ad Marc. 12 ist die
Abhängigkeit von Plat. rep. 10 p. 6l7e nicht bemerkt), und auch
nicht in der Form ihres Ausdruckes den mit ihnen in Parallele ge-
setzten christlichen besonders nahe stehen. Auffallend ist höchstens
der Anklang ad Marc. 24 an 1 Kor. 13, 13. G. versucht nun , aus
den bisher bekannten Fragmenten Plan und Anlage der Schrift gegen
die Christen zu erkennen. Da überall nur ganz vereinzelte, allerdings
mit Angabe der Buchzahl versehene Bruchstücke vorliegen , so läßt
sich über einen gewissen Grad der Wahrscheinlichkeit nicht hinaus-
kommen. Zu diesem bisherigen Bestände glaubt G. aber weitere , noch
unbeachtete Überreste aus der Schrift des Porphyrios hinzufügen zu
können. Die 1867 wieder aufgefundene von Blondel (Paris 1S76)
herausgegebene apologetische Schrift des Makarios Magnes enthält ein
Religionsgespräch zwischen einem heidnischen Philosophen und einem
Christen. Aus der Stilverschiedenheit in den Äußerungen der beiden Gegner
hatte schon Duchesne geschlossen, daß Makarios die Angriffe des Heiden
einer gegen das Christentum gerichteten Schrift entnommen habe. G.
nimmt die von dem Göttinger Theologen Crusius ausgesprochene Ver-
mutung wieder auf, daß Mak. Porphyrios benutzt habe (direkt oder
durch Vermittelung des Hierokles). In der That stimmen Porphyrios
und der von Mak. bekämpfte Gegner in einigen Angriffen überein.
Sicher ist darauf freilich bei dem fragmentarischen Charakter unseres
Besitzes aus der antichristlichen Litteratur nicht zu bauen. Jedenfalls
kann das aus Duchesnes Ausführungen von G. S. 35 über den Unter-
schied in der Polemik des Celsus und des Porphyrios Beigebrachte
m. E. in unserer Frage nicht entscheiden.
Weitere Teile der Arbeit befassen sich mit der Schrift -. t. Iy,
Ao-ficDv (piAOj. und den von Porphyr, in derselben vorgetragenen An-
schauungen über Christus und die Christen, mit Porphyrios' Stellung
zum Orakelwesen und zur Religion und mit den von G. angenommenen
verschiedenen Phasen seiner Entwickelung.
269. E. Norden, Vergilstudien, Hermes 28 (1893) S. 360 ff.,
macht S, 406 auf die Unterweltsbeschreibung des Porphyrios in der
86 Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistotelischenPbilosophen.(Praechter.)
Schrift -. Sxu-idc und ihre Anklänge an die vergilische Nekjia auf-
merksam.
270. Der Aufsatz von Chr.Harder, Johannes Tzetzes' Kommentar
zu Porphyrius repl Tievre 9üiV(uv, Byz. Zeitscbr. 4 (1895) S. 314—318,
der für Porplij-rios nichts ergiebt, sei hier nur genannt. Die Ausgabe
der die Odyssee betreffenden 'Ojxrjpixa >^-rj[jLaTa,
271. Porphyrii quaest. Homer, ad Od^'sseam pertin. rel. coli,
disp. ed. H. Sehr ad er, Lipsiae 1890 (hat mir nicht vorgelegen), ge-
hört ins Gebiet der Berichterstattung über Homer.
Für Jamblich ist zunächst eine Reihe aus der Schule Vitellis
hervorgegangener Arbeiten zu nennen. An Pistellis 1888 erschienene
Ausgabe des Protreptikos scliließt sich
272. H. Piste Ui, lamblichea, Studi Ital. di fil. class. 1 (1893)
p. 25—39.
P. macht hier (unter I) nähere Mitteilungen über die in cod.
Angelic. Q. 2, 18 erhaltenen Bemerkungen von Lucas Holstenius zum
Protreptikos (z. T. hsl. Lesarten , z. T. eigene Konjekturen von H.
und einem mit Poll. oder Pol. bezeichneten Gelehrten, über welchen
G. V[itelli]s Vermutung in der Anmerkung zu PisteUis Aufsatz zu
vergleichen ist), bespricht (unter II) einige erst nach der Herausgabe
des Protreptikos untersuchte Hss, die wie alle anderen gleichfalls aus
dem Florent. (Laur. plut. 86,3) geflossen sind, macht (unter III)
nähere Angaben über einige Jamblich-Hss der Leydener Univ.-Bibl.
und berichtet (unter IV) nach Mitteilungen Piccolominis über Vat. lat.
4530, 4531, 5953, 3068, welche nach schlechteren griech. Hss gefertigte
latein. Übersetzungen jamblichischer Schriften enthalten. Weitere Hss
des Protreptikos macht G. V[itelli] in einer Anmerkung zu Pistellis
Artikel namhaft.
273. lamblichi de communi mathematica scientia über. Ad
fidem codicis Florentini edidit N. Festa. Lipsiae 1891, IX u.
152 S. 1 M. 80.
Zugrunde liegt cod. Laur. 86, 3 ; ferner sind Venet. 243 und
Laur. 86, 29 von Festa selbst verglichen, cod. Cizensis nach Kießlings
Kollation benutzt. Testimonia und kritischer Apparat sind unter dem
Texte, die Scholien des Laur. 86,3 (in Auswahl), index nominum u.
ind. verb. am Schlüsse beigegeben.
Auf zwei die Schrift betreffende interessante Punkte macht auf-
merksam der Rezensent in d. Berl. phil. Woch. 13 (1893) Sp. 398 f.
274. E. Pistelli, Per una nuova edizione del IV. libro di
Giamblico, Studi Ital. di filol. class. 1 (1893) p. 233—238.
Bericht üb. d. Litteratur zud. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.) S7
P. zeigt die Unzulänglichkeit der Tennuliusschen Ausgabe des
Kommentars zu Nikomachos' Arithmetik, die er durch eine neue zu
ersetzen beabsichtigt. Beste Textesqnelle ist der cod. Flor. , der aber
der Konjekturalkritik noch ein weites Feld ofifen läßt. Einige Besse-
rungsvorschläge macht P. S. 236 — 238. Die hier versprochene Aus-
gabe liegt jetzt vor:
275. lamblichi in Nicomachi arithmeticam introductionem über.
Ad fidem cod. Florentini ed. II. Pistelli. Lipsiae 1894. IX u.
195 S. 2 M. 40. Ich verweise auf die Rezension von Hultsch, Berl.
phil. Woch. 15 (1895) Sp. 774—776.
Textkritisches zu Jamblich steuerten bei
276. W. R. Paten, Ad lamblichi de vita Pythagorica librum,
Philol. 51 (1892) S. 182-184 und
277. W. Kroll, Advers. graeca, Philol. 53 (1894) S. 423.
Als Übersetzung finde ich Bibl. phil. class. 22 (1895) S. 132
angeführt:
*278. T. Taylor, Jamblichus on the mysteries of the Egyptians,
Chaldeans and Assyi-ians. Translated from the Greek. 2. edition.
London 1895. 356 p. 7 sh. 6 d.
Xach der Seite seiner Lehre und deren Quellen berühren
Jamblich:
279. P. Hartlich, De exh. a Gr. Rom. Script, hist. (s.o. No. 21).
H. analysiert S. 241 — 266 den Protreptikos des Jamblich mit
besonderer Berücksichtigung der in demselben erhaltenen Überreste
des aristotelischen Protreptikos.
280. F. Blaß, Commentatio de Antiphonte sophista lamblichi
auctore. Kiliae 1889 (akad. Festschr. zu Kais. Geb.). 17 S. 1 M.
Mit wenig zwingenden, größtenteils sprachlichen Argumenten
sucht Bl. zu erweisen, daß der Sophist Antiphon — und zwar jedenfalls
für die ersten drei in Betracht kommenden Stücke das erste Buch
seiner Schrift -epl d>.r,i>eia; — Quelle des 20. Kap. von Jamblichs
Protreptikos sei.
281. Hölk, De acusmatis sive symbolis Pythagoricis(s. o. No. 246).
Hier ist S. 66 ff. die Behandlung der pythagoreischen Symbole durch
Jamblich besprochen.
Aus der Julian betreffenden Litteratur überlasse ich alles, was
sich auf die äußeren Lebensereignisse des Kaisers bezieht, dem Bericht-
erstatter über römische Kaisergeschichte und beschränke mich auf die-
jenigen Arbeiten , welche Julians Schriften und seine philosophische
Stellung zum Gegenstande haben.
S8 Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.)
282. D. Lai'gajolli e P. Parisio, Nuovi studi intorno a
Giuliauo imperatore, Riv. di filol. 17 (1889) p. 289—375, geben
den Text der von Papadopulos-Kerameus neu entdeckten, im Syllogos
1885 zum ersten Male abgedruckten sechs Briefe Juliaus mit italienischer
"Übersetzung und historischen Bemerkungen über ihren Inhalt. Angefügt ist
eine Übersicht über die letzten (i. d. J. 1886—1887) auf die Geschichte
Juliaus gerichteten Forschungen und ihre hauptsächlichsten Resultate.
283. F. Cumout, Fragments inödits de Julien, ßev. de phil.
16 (1892) p. 161 — 166, erteilt in I aus unzureichenden Gründen ein
im Barocc. 56 zwischen Briefen des Julian und des Libanios stehendes
Stück dem ersteren zu (s, u. No, 284) und bespricht in II zwei im
Barocc. 133 Julian zugeschriebene Epigramme, von welchen das zweite
auch in Pariser Hss der Anthologie Julian gegeben wird. Cumont
(durch Michel darauf aufmerksam gemacht) bemerkt, daß dasselbe sich
bereits Plat. II Alcib. 143 a findet, aus dem es Julian offenbar citiert
hatte. Bei dem ersten Epigramm ist die Überlieferung bezüglich der
Autorschaft Julians nicht einig, Cumont entscheidet sich für dieselbe.
m betrifft einige im Harl. 5610 hinter einem Briefe Julians stehende
Hexameter mit infolge von Verstümmelung schwer erkennbarem Zu-
sammenhang, die Cumont einem Bewunderer des Kaisers zuschreibt, IV das
im cod. Paris, suppl. gr. 690 saec. 12 der julianischen Orgelbeschreibung
(p. 611 Hertl.) vorgesetzte Lemma (mit der Angabe o-oxav e^T^p/eTo
ä-io Tüiv a-ficüv drosxoXcov Iv tq iiposXeuffci). Von dem in I besprochenen
Stücke bemerkt
284. R. Förster, Zu Julian, Rhein. Mus. 49 (1894) S. 168,
daß es nichts anderes ist, als die Ethopoiie des Libanios xtvas äv sotoi
X070UC ropvT) (jü)9povrj3a!3a t. IV p. 1044 R.
285. F. Cumont, Sur l'authenticite de quelques lettres de Julien.
Gand 1889. 31 S.
Die Unechtheit der an Jamblich gerichteten Briefe 34, 40, 41,
53, 60, 61 und des an Sopatros adressierten 67ten wird von C. über-
zeugend nachgewiesen. Mit diesen berührt sich in zahlreichen Aus-
drücken der auch aus Gründen des Inhalts zu verwerfende 24. Brief
an Sarapion, mit diesem wieder eine Anzahl weiterer Briefe: 8, 15, 16,
18, 19, 28, 32, 54, 57, 73. Diese sämtlichen Stücke heben sich auch
durch den Mangel an positivem Inhalt von den echten Briefen lulians
ab. C. giebt sie einem Verfasser und zwar dem Sophisten lulianos
von Kaisareia, mit dessen Lebenszeit die Anspielungen auf Zeitereignisse
in den genannten Briefen in Einklang stehen. Die Verwechselung von
'louAiavoü Kot'.3ap£tu; mit 'louXtavoü KaiGctpoc hätte dann die Aufnahme
in das julianische Korpus veranlaßt.
Bericht üb. d. Litteratur zu d. naeharistotelischen Philosophen. (Praechter.) 89
286. F. C(umout), Les lettres de Julien au philosophe Eustathios,
Rev. deFinstr. publ. en Belg. 35 (1892) p. 1—3.
Aus cod. Paris. 963 ergiebt sich, wie C. zei^t, daß ep. 39 uud
72 au Eustathios gerichtet sind.
Textkritische Beiträge zu Julians Schriften lieferten r
287. P. Thomas, Ad lulianum, Mnem. 18 (1890) p. 403 (der-
selbe schreibt lul. cpist. 16 p. 495, 10 Hertl. für {Ä<\>o'j exei unter
Hinweis auf Luc. quom. bist, conscr. sit 12 (Ä^o^^ l-\ y.s^aXy^v).
288. F. Cumont, Sur l'authent. de qu. I. de J. (s. o. No. 285)
S. 30 f. (zu einigen Stellen der Briefe).
289. F. Cumont, Deux corrections au texte du „Misopogon"
de Julien, Rev. de l'instr. publ. en Belg. 32 (1889) p. 82—84 (zu
p. 444, 8 ff. und 436,13 Hertl.).
290. P. Thomas, Notes et coniectures sur les lettres de
Tempereur Julien, Rev. de l'instruct. publ. en Belg. 32 (1889)
p. 149—152.
Mit Julians Schriftstellerei im ganzen und mit einzelnen dieselbe
betreffenden Fragen befassen sich:
291. L. Bartenstein, Zur Beurteilung des Kaisers Julianus.
Bayreuth 1891. Pr. 53 S.
Das hierher gehörende „Julian als Schriftsteller" betitelte Kapitel
giebt nur eine Übersicht über den Inhalt der juliauischeu Schriften
mit einer kurzen in manchen Punkten unzutreffenden Beurteilung.
292. W. Schwarz, Julianstudien, Philol. 51 (1892) S. 623—653.
Der erste Teil dieses Aufsatzes gilt der Echtheitsfrage der
julianischen Schriften. Der Verf. hat sich dabei besonders mit Cumont
auseinanderzusetzen. Von den 84 Briefen betrachtet er 17 als unecht;
bei 6 — 7 weiteren glaubt er an der Echtheit bis zur Beibringung neuer
Belege für das Gegenteil festhalten zu sollen. Der zweite Teil der
Arbeit ist Julians Studien in der früheren und gleichzeitigen Litteratur
gewidmet. Es werden die Stellen, welche J. citiert, stillschweigend
benutzt und auf welche er anspielt, soweit es dem Verf. möglich ist,
nachgewiesen. Vollständigkeit auch in dem beschränkten Sinne, in
welchem hier von einer solchen überhaupt die Rede sein kann, war
natürlich auf den ersten Wurf nicht zu erreichen. Einige Nachträge
gedenke ich selbst bei anderer Gelegenheit zu geben. Am stärksten
vertreten sind im ganzen Homer und Piaton ; unter den Tragikern
entfallen die meisten Stellen auf Euripides, unter den Komikern auf
Aristophanes , unter den Rednern auf Demosthenes. Schlüsse aus dem
90 Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.)
mehr oder minder häufigen Vorkommen einzelner Autoren bei Julian
auf ihre größere oder geringere Beliebtheit in damaliger Zeit dürfen
nur mit größerer Behutsamkeit gezogen werden, als es vom Verf.
(S. 632 und 651) geschieht. Zur Entscheidung darüber, welche der
genannten Autoren damals noch direkt, welche nur indirekt durch
Florilegien erhalten waren (S. 651), reicht das bei Julian vorliegende
Material bei weitem nicht aus.
293. K. Praechter, Dion Chrysostomos als Quelle Julians,
Arch. f. Gesch. d. Philos. 5 (1892) S. 42 — 51, weist in Julians zweiter
Eede Benutzung des Dion Chrysostomos nach. Eine solche Abhängig-
keit glaubt
294. J. R. Asm US, Julian und Dion Chrysostomos, Tauber-
bischofsheim 1895. Pr. 41 S. in viel weiterem Umfange feststellen zu
können. Er stützt sich dabei aber großenteils auf Übereinstimmungen
viel zu allgemeiner und wenig frappanter Art, als daß sie in der an-
gegebenen Richtung zu verwenden wären. Welche Vorsicht bei solchen
Quellenuntersuchungen zu Julian geboten ist, kann beispielsweise der
Umstand zeigen, daß der Vergleich des Herrschers mit dem Hirten,
dessen Vorkommen nach Asmus einen Kitt zwischen der zweiten und der
siebenten jul. Rede bildet und beide wieder mit Dion, der sich dieses
Vergleiches ebenfalls bedient, verbindet, in der zweiten Eede jeden-
falls nur zum Teil, in der siebenten aber gar nicht dionischen,
sondern platonischen Ursprungs ist; vgl. mit Jul. p. 111, 15 ff. Plat.
rep. 3 p. 416 a, 403 e, mit Jul. p. .301, 10 hbUi . . . ri7:paay.£i
Plat. rep. 1 p. 345 c ia-iaassöai . . . d-oöosöai (bei Dio p.
3,26 Dind. fehlt das letzte Glied). Ich trete hier auf eine Bezeichnung
dessen, was mir in Asmus' Ausführungen stichhaltig erscheint, nicht
ein, zumal ich beabsichtige, in anderem Zusammenhange auf die ganze
Frage zurückzukommen. Vorläufig verweise ich auf die Besprechung von
Wendland, Berl. philol. Woch. 16 (1896) Sp. 746—748.
Ich wende mich zu den Arbeiten über Sallust.
295. F. Cumont, Salluste le philosophe, Rev. de phil. 16
(1892) p. 49—56, findet durch genauere Untersuchung bestätigt, daß der
Sallnsts Namen tragende neuplatonische Katechismus in der That von
dem Freunde Julians Flavius Sallustius herrührt. Die Abfassung fällt
nach C. am wahrscheinlichsten in die Zeit kurz nach Julians Tode und
stand mit der Reaktion des Kaisers insofern in Verbindung, als die
Schrift dazu dienen sollte, aus dem Chaos der philosophischen Ansichten
die von der großen Masse der Heiden angenommenen Hauptlehren her-
auszuheben.
Schließlich teilt der Verf. eine Kollation der Schrift nach cod.
Barber. I 84 mit.
Bericht üb. d.Litteratur zu d, nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.) 91
296. G. Muccio, 8tudi per una edizione critica di Sallustio
tilosofo, Stadi ital. di filol. class. 3 (1895) p. 1—31, behandelt die in
Frage kommenden Hss, sowie die bisherigen Ausgaben. Als Grundlage
einer kritischen Ausgabe hat nach ihm ein cod. Ambros. saec. 13 zu
dienen, während sich als Basis der editio princeps und der auf ihr
fußenden Vulgata ein cod. Barber. ergiebt.
297. E. Passamonti, La dottrina dei miti di Sallustio filosofo
neoplatonico, Rendic. della E. accad. dei Lincei, class. d. sc. mor. stör,
e filol. ser. 5 vol. 1 (1892) p. 643—664. Fortgesetzt unter d. Titel
Le dottriue morali e religiöse di Sallustio filosofo neoplatonico, ebenda
p, 712 — 727. In dieser Darstellung der in der Schrift Trspl Oetuv xal
xo j[xou vorgetragenen Lehren ist Sallusts Bedeutung für die Entwickelung
des Neuplatonisraus überschätzt, wenn er, allerdings unter Anerkennung
seiner Abhängigkeit von anderen Neuplatonikern , als Schöpfer des
rajlhisch -religiösen Systems dieser Schule hingestellt wird (S. 727).
Auch die ganze zwischen Religion und Philosophie vermittelnde Richtung
des Neuplatonismus erscheint dadurch in falschem Lichte, daß sie als
eine prinzipielle Neuerung dieser Schule dargestellt und die vorarbeitende
Thätigkeit namentlich der Stoa auf diesem Gebiete nicht berücksichtigt
wird.
Synesios betreff'end sind zunächst einige textkiütische Beiträge
zu verzeichnen:
298. A. Nauck, Analecta critica, Hermes 24 (1889) S. 462
(zu epist. 154 p. 291 d).
299. P. Klimek, Kritische Bemerkungen zum Texte der pro-
saischen Schriften des Sj'nesius, Breslau 1891. Pr. 13 S.
300. S. A. Naber, Ad Synesii epistulas, Mnemos. 22 (1894)
p. 93—124 (enthält auch Konjekturen zu den übrigen Schriften des
Synesios).
In das Gebiet der politischen Geschichte fallen die Aufsätze von
301. N. Festa, La strategia di Giovanni (Syn. epist. 104),
Studi Ital. di. filol. class. 1 (1893) p. 127—128 und der erste Teil
der Abhandlung von
302. 0. Seeck, Studien zu Synesios, Philol. 52 (1893)
S. 442—483, welcher dem historischen Gehalt des Osirismythos gewidmet
ist. Näher berührt uns der zweite „Die Briefsammlung " überschriebene
Teil, weil der hier unternommene Versuch einer chronologischen Fixie-
rung der Briefe des S. auch für die Biographie unseres Philosophen
von Bedeutung ist. Scharfsinnig geführt und fruchtbar ist der Nach-
weis zweier Bestandteile der Sammlung, von welchen der eine Briefe
92 Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistotelischenPhilosophen.(Praechter.)
umfaßt, die dem Sammler von den Adressaten zugegangen waren, der
andere Stücke aus dem Journal des Briefschreibers, in welchem sich
die Konzepte oder Kopien teils der vollständigen Briefe, teils einzelner
Stellen derselben vorgefunden hatten. Synesios' philosophischen Stand-
punkt behandelt
303. C. Schmidt, Synesii philosophuraena eclectica, Halls Saxon.
1889 (Diss.) 40 S.
Der Verf. sondert die Schriften de regno, de dono astroL, calv.
enc, de provid., de insomniis, Dio, die Hymnen I — IV und eine Anzahl
Briefe als die für Synesios' philosophischen Standpunkt charakteristischen
aus, während er in den späteren christliche Impulse als vorwaltend
erkennt. Von dieser Grundlage aus gelangt er zu dem Ergebnis, daß
Synesios' Philosophie aus rein philosophischen Einflüssen — unter
Ausschluß der christlich -religiösen — zu erklären und daß sein
philosophischer Standpunkt ein eklektischer sei. "Was den ersten Teil
dieser These anbelangt, so scheinen mir die Gründe des Verf. (S. 17 f.)
gegen die christliche Herleitung der Trias -a-r^p, uio? und a-^.'a ttvoioc
nicht ausreichend. Die Erklärung derselben aus christlichem Einflüsse
bleibt so lange die wahrscheinlichere, bis die gleiche Bezeichnung der
drei Hj^ostasen aus unzweifelhaft rein heidnischer Sphäre nachgewiesen
ist (für Porphyrios ergiebt sich der Ausdruck a-^^i -vota aus Aug. d.
civ. dei 10, 29 nicht). Einen philosophischen Eklekticismus des S. kann
man insofern zugeben, als derselbe, wie Schmidt nachweist, Plotinisches
und Jamblichisches vermengt und vielleicht dazu noch Züge aus früheren
Stadien des Platouismus hinzufügt. Im übrigen bezeugt wenigstens das
von Schm. vorgelegte Material keinerlei eklektische Vermischung ver-
schiedener Systeme, abgesehen etwa von der S. 35 erwähnten
stoischen Formulierung des obersten ethischen Prinzips. Interessant
ist einiges Eigentümliche des S. in Psychologie und Ethik (s. bes.
Schm. S. 33 f.), dessen Genesis noch der Erklärung bedarf.
Ich schließe hier Nemesios an.
In unsere Berichtsperiode fallen die Veröffentlichungen von
304. K. I. Burkhard, Die handschriftliche Überlieferung von
Xemesius -spl o-Jsscu? ■ivflpajTro'j , Wiener Stud. 11 (1889) S. 143 — 152,
243—267, die als Fortsetzung des in den Wiener Stud. 10 (1888)
S. 93 — 13o erschienenen Artikels in diesen Jahresber. Bd. 79
S. 40 von Haas bereits besprochen sind. Den am Schlüsse (S, 262—267)
gegebenen Textesherstellqngen hat
305. K. I. Burkhard, Zu Xemesius, Wiener Stud. 15 (1893)
S. 192 — 199 noch weitere folgen lassen.
ßorichtüb. d.Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.) 03
306. Scholia verbis Nemesii adiecta e codice Dresdensi edidit
C. Burkhard, Serta Harteliana, Wien 1896 S. 84—88. Diese
Scliolien sind in einer dem 12. Jahrb. angehörenden Dresdener Xemesios-
Hs enthalten und von einer zvveiteü Hand des gleichen Jahrhunderts
geschrieben.
307. Gregorii N3'sseni (Xemesii Emcseni) -£f>l ouasw; ävOpdj-ou
über a Bnrgundione in Latinum translatus. Nunc primum ex libris
manu scriptis edidit et apparatu critico instruxit C. I. Burkhard,
Capit. I., cui epistula Burgundionis ad Fredericum I. imperatorem et
indices oranium capitulorum praemittuntur. Vindob. 1891. Pr. 26 p.
— Altera pars capp. II. — IV. continens, Vindob. 1892. Pr. 36 p.
(Der dritte Kap. 5 — 25 enthaltende Teil ist 1896 erschienen und wird
im nächsten Berichte besprochen werden.)
Diese lateinische Übersetzung des N. ist, wie B. bemerkt, für
die recensio des griechischen Textes von Wichtigkeit, da ihre griechische
Vorlage an "Wert unseren besten Hss gleichstand. Für die Ausgabe
konnte B. außer den von ihm in den Wiener Stud. besprocheneu beiden
Marciani des 14. und 15. Jahrh. einen Bruxellensis des 13. Jahrh.
verwerten, der die Grundlage der Rezension bildet, doch so, daß die
von ihm unabhängige ältere und die aus dieser abgeschriebene jüngere
Venezianer Hs gleichfalls zu Rate gezogen wurden.
Weitere Übersetzungen w'erden behandelt in den beiden Auf-
sätzen von
*308. E. Teza, La natura delF uomo di Nemesio e le vecchie
traduzioni in italiano e in armeno, Atti del R. istituto veneto di scienze,
lettere ed arti. Tom. 3 ser. 7 (1892) p. 1239—1279.
*309. E. Teza, Nemesiana. Sopra alcuni luoghi della „Natura
deir uomo" in armeno, Rendic. della R. accad. dei Lincei, cl. di
scienze mor., stör, e filol. vol. 2 fasc. 1 (1893).
Beide Arbeiten sind mir nur aus den Rezensionen von K. I.
Burkhard, Zeitschr. f. d. österr. Gymn. 1894 S. 623—628 und 1896
S. 298—303 bekannt. Die von Teza in der Marciana aufgefundene um
1509 in Neapel gedruckte italienische Übersetzung des Pizzimenti ent-
hält, wie Burkhard a. a. 0. 625 nachweist, den in beträchtlich älteren
griechischen Hss vorliegenden Auszug des Athanasios aus Nemesios und
ist für die recensio wertlos. Hingegen verspricht die im 8. Jahr-
hunderte abgefaßte armenische Übersetzung reiche Ausbeute für die Her-
stellung des griechischen Textes. Die zu Salzburg 1819 erschienene
deutsche Übersetzung von Osterhammer wird von Burkhard a. a. 0.
S. 298—300 besprochen.
In die Anfangsperiode der Schule von Athen führt uns
94 Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistoteliscben Philosophen. (Praechter.)
310. W. Kroll, Ein neuplatonischer Parmenideskommentar in
einem Turiner Palimpsest, Rh. Mus. 47 (1892) S. 599—627.
Kroll bietet hier den Text des zuerst von Peyron, Riv. di filol. 1
(1873) S. 53 ff. herausgegebenen, dann von Studemund wieder gelesenen
Turiner Palimpsests P VI 1 aufgrund der Aufzeichnungen Studemunds.
Zur eraendatio lieferten auch H. Usener und C. Baeumker Beiträge.
Die Abfassung der Schrift, die sich durch den Inhalt als Parmenides-
kommentar kennzeichnet, verlegt Kr. in die Zeit vor Proklos und
Syrianos, aber nach Jamblichos, in der Art der Interpretation erkennt
er eher die Schule von Athen, als die des Jamblich.
FürHierokles hat sich die interessante Thatsache ergeben, daß
sein Kommentar zum goldenen Gedicht, jedenfalls aus ähnlichem Grunde
wie Epiktets Encheiridion , eine christliche Bearbeitung erfahren hat.
Dies ist nachgewiesen von
311. J. Nicole, Un traite de morale payenne christianise.
Etüde sur un abrege du commentaire dHierocles, manuscrit grec de
la bibliotheque de Geneve. Geneve 1892, 38 p. 1 M.
Das Schriftstück steht in cod. Genev. 41 saec. 15 unter dem
Titel £x Tcüv 'Iepox>iouc £^7)771x1x0)7 wc e-i'-ojxa. Die christliche Um-
arbeitung giebt sich in Änderungen, Auslassungen und Zusätzen (dar-
unter Citaten aus dem NT) kund. Der Fund ist auch insofern nicht ohne
Interesse, als er sich durch deutliche Spuren als Prosaparaphrase einer
in iambischen Trimetern abgefaßten Hieroklesbearbeitung zu erkennen
giebt. Doppelredaktionen einzelner Hieroklesstellen weisen darauf hin,
daß zwei Hieroklesausgaben benutzt sind.
Wir kommen zu Proklos.
312. Supplementa ad Prodi commentarios in Piatonis de repu-
blica libros nuper vulgatos edidit R. Reitzenstein. Breslauer
philol. Abh. IV 3. Breslau 1889. 31 S. 1 M.
R. giebt einen Teil der Plat. rep. 10 p. 634b— e behandelnden
Partie des Kommentars auf der Grundlage des Maischen Apographon
unter Berücksichtigung der Ausgabe von Pitra. Über den "Wert des
Kommentars vgl. die Bemerkungen des Rezensenten 0. Apelt, Berl.
phil. Woch. 10 (1890) Sp. 595.
313. H. Usener, Var. lect. spec. prim., Jahrb. 139 (1889)
S. 369 ff', hebt S. 387 unter No. XXVI aus den von M. Treu de codic.
nonnuUis Paris. Plut. Moral, narratio, Jauer 1871 veröffentlichten
Scholien zu Plutarch ein Citat aus Proklos' Kommentar zur platonischen
Republik hervor.
Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistotelischenPhilosophen. (Praechter.) 95
314. Prodi Lycii carmiimm reliquiae ab A. Lud wich editae.
Eegira. 1895 (Lektionskat. f. 1895/6).
Die Ausgabe euthält die von Proklos erhaltenen Hymnen und
Epigramme. Benutzt sind 27 Hss. Proben von Schollen, kritischer
Apparat und Wörterindex sind beigegeben. Zu vergleichen ist die Be-
sprechung von Peppmüller, Berl. phil. Woch. 16 (1896) Sp. 453 — 455.
315. IlpoxXou Ix T^c XaXoatx^; cpiXoaocpi'a;. Eclogae e Proclo de
philosophia Chaldaica sive de doctrina oraculoruni Chaldaicorum.
Nunc primum edidit et commentatus est A. Jahnius. Accedit hymnus
in deum Platonicus vulgo S. Gregorio Nazianzeno adscriptus, nunc
Proclo Platonico vindicatus. Halis Saxonum 1891, XII u. 77 S.
6 M.
Den Eklogen, die nach Abschrift von Mau aus cod. Vatic. 1026
und einem nach dem Vat. gefertigten Apographon der Barberinischen
Bibliothek (ms. graec. I 65) mitgeteilt werden, ist ein ausführlicher
kritischer und exegetischer Kommentar beigegeben, in welchem auch
Psellos' Schollen zu den chaldäischen Orakeln (nach Abschrift von
Ruelle) verwertet sind. (Daß es sich bei der Publikation um ein
nur vermeintliches Anekdoton handelt, zeigt Kroll, Neue phil. Rundschau
1892 S. 100.) Der Anhang betrifft den Gregor. Naz. II p. 286 der
Pariser Ausg. von 1840 unter No. 29 abgedruckten u|xvo; eic Osov, dessen
neuplatonischen Ursprung J. wohl mit Recht behauptet, wenn auch seine
Zurückführung auf Proklos sich auf sehr schwache Gründe stützt.
316. P. Tannery, Miscellanees, Rev. de phil. 13 (1889) p. 66 ff.
behandelt p. 73 textkritisch Stellen in Procl. diad. in prim. Euclid.
elem. libr. comm.
317. A. Lud wich, Zu den Hymnen des Proklos, Berl. phil.
Woch. 10 (1890) Sp. 812 schreibt Procl. hymn. 7, 51 -oXuUijtov.
318. W. Kroll, Advers. graec. Philol. 53 (1894) S. 416 flf.
giebt textkritische Beiträge zu Procl. theol. Piaton., in Parmenid., in
Tim. und in rempubl.
Wenden wir uns zu der Frage nach der Abhängigkeit des Proklos
von anderen Autoren, so sind zunächst die Verhandlungen darüber
ins Auge zu fassen, ob Proklos den angeblichen Dionysios Areiopagites
benutzt hat, oder das Verhältnis das umgekehrte ist. Zur Litteratur
über diese Frage gehört die Schrift von
319. A. Jahn, Dionysiaca. Sprachliche und sachliche Blüten-
lese aus Dionysius, dem sog. Areopagiten, zur Anbahnung der philo-
logischen Behandlung dieses Autors. Altona und Leipzig 1889,
X und 84 S. 2 'M. 25
96 Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacbaristotelisclien Philosophen. (Praechter.)
insofern, als iu derselben aus zahlreichen sprachlichen und sachlichen
Berührungen des Dionysios mit Piaton auf ein eingehendes direktes
Studium Piatons seitens des erstereu geschlossen wird. Wenn auch
deshalb noch nicht bestritten werden darf und auch von Jahn keines-
wegs bestritten wird, dal.) Dionysios daneben auch aus neuplatouischeu
Quellen geschöpft haben könnte, so wäre doch der Nachweis einer so
weitgehenden direkten Abhängigkeit von Platou zur Beurteilung der
Sachlage von Belang. Daß eine solche aber aus dem von Jahn mit
großem Fleiße gesammelten Material sich nicht ergiebt, zeigt K. Troost
in der Besprechung der Jahnschen Schrift, Berl. phil. Woch. 11 (1891)
Sp. 204 f. Inzwischen ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen
Proklos und Dionysios entschieden durch die beiden folgenden Aufsätze:
320. H. Koch, Proklus als Quelle des Pseudo-Dionysius Areopa-
gita in der Lehre vom Bösen, Philol. 54 (1895) S. 438—454.
Auf diese Abhandlung kann auch bezüglich aller weiteren hier
nicht angeführten Litteratur zu der Streitfrage verwiesen werden. Auf-
grund einer genauen Yergleichung der parallelen Abschnitte Procl. de
mal. subsist. ed. Cousin I p. 197 f. und Diou. d. n. 4, 18 f. ist hier
die Priorität des ersteren jedem Zweifel entrückt. Gleichzeitig kam
zu dem nämlichen Ergebnis
321. J. Stiglmayr, Der Neuplatoniker Proklus als Vorlage
des sogen. Dionysius Areopagita in der Lehre vom Übel, Histor.
Jahrb. 16 (1895) S. 253—273; 721-748.
Eine Abhängigkeit formaler Art behandelt
322. M. Schneider, Die Hymnen des Proklos in ihrem Ver-
hältnis zu Nonnos, Philol. 51 (1892) S. 593—601, der zeigt, daß
Proklos in seinen Hymnen in Metrik und Wortschatz von Nonnos be-
einflußt ist, sich aber doch eine gewisse Selbständigkeit wahrt.
Bezüglich der Einwirkung des Proklos auf die spätere Zeit seien
hier die Aufsätze von
323. H. Siebeck, Tber die Entstehung der Termini natura
naturans und natura naturata. Arch. f. Gesch. d. Philos. 3 (1890)
S. 370 — 378 (der Verf. erkennt den in diesen Termini ausgedrückten
Begriffsgegensatz in der Antithese des Trapa-^ov und i:apa76[xevov bei
Proklos) und
324. J. Dräseke, Zwei Bestreiter des Proklos, Arch. f. Gesch.
d. Philos. 4 (1891) S. 243—250, wenigstens genannt.
Proklos' Mitschüler Hermeias betreffen zwei Artikel von
325. C.-E. Euelle, Note sur trois manuscrits Parisiens
d'Hermias scholies pour le Phedre de Piaton, Eev. des et. gr. 3 (1890)
p. 312—317 und
Bericht üb, d. Litteratur zu d. nacharistotelischenPhilosophen. (Praechter.) 97
326. — Note sur un passage du neoplatonicien Hermias relatif
k la musique (Scholies sur le Phedre de Piaton p. 107 Ast), Rev. de
pLilol. 14 (1890) p. 123—126. R. weist auf drei unter den sechs den
Phaidroskonimentar enthaltenden Pariser Hss hin, die einen vorzüglich
korrekten Text bieten.
Aus der Proklosbiographie des Marines sind von
327. A. Nauck, Analecta critica, Hermes 24 (1889) S. 464 f,
einige Stellen behandelt worden.
Damaskios betreffend ist zunächst zu nennen die Ausgabe:
328. Daniascii successoris dubitationes et solutiones de primis
principiis in Piatonis Parmenidem. Partim secundis curis recensuit,
partim nunc primum edidit C. Aem. Ruelle. Part. I. IL Parisiis 1889,
XXI, 390 u. 344 S.
Der Herausgeber bietet den Text der aroptai xai Xujsi? und des
Parmenideskomnientars, welche beiden Stücke er auch Heitz' Argumen-
tation gegenüber für Teile eines und desselben Werkes hält (praef.
c. IIIj nach Marc. 246 (A), der Quelle aller unserer übrigen Hss, unter
Beifügung abweichender Lesarten anderer Exemplare, deren er im
ganzen 30 mehr oder weniger genau geprüft hat. A. ist vollständig
kollationiert (vgl. jedoch die unten anzuführende Rezension KroUs),
ebenso die Pariser Hss 1987/8 und 1989 für die bisher unedierten
Stücke. Index verb. und iud. capitum sind beigegeben.
Li der Zugrundelegung des von Kopp nicht benutzten cod. A,
dessen Wert auch Heitz erkannte, sowie in der Veröffentlichung des
bisher nicht Edierten liegt der durch die neue Ausgabe bezeichnete Fort-
schritt. Die Akribie derselben läßt zu wünschen übrig. Vgl. die
Rezensionen von Apelt, Berl. phil. W^och. 12 (1892) Sp. 138—141 und
Kroll, Götting. gel. Auz. 1892 S. 111—113.
Die englische Übersetzung von
*329. Th. Johnson, Damaskios on first priuciples transl. with
a preliminary. Bibl. Platou. I 2 p. 82 — 98, habe ich nicht vor
Augen gehabt.
Die für die Ausgabe Ruelles herangezogeneu Hss sind auch be-
sprochen in dem Aufsatze von
330. C.-E. Ruelle, Notice des iTianuscrits de Damascius Trspl
dpywv, Rev. de phil. 14 (1890) p. 135—145.
Die oben berührte Ansicht von der Zusammengehörigkeit der
a-opiai -/.ai Xusst? und des Parmenideskommentars ist auch verteidigt
in dem Artikel
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXYl. (1898. I.) 7
98 Bericht üb. d.Litteratur zu d. nacharistotelischeQPhilosophen.(Pracchter.)
331. Ch. Em. Ruelle, Damascins. — Son traitö des premiers
principes, Arcb. f. Gesch. d. Phil. 3 (1890) S. 379—388. (Der dem
gleichen Gegenstände gewidmete Aufsatz des Verfassers in den Coraptes
rendus de TAcaderaie des iuscriptions 1889 p. 13 — 20 hat mir nicht
vorgelegen; ebensowenig die praefatio in Damascium, Biblioth. Piaton. I 1
p. 38 — 41). Endlich sind in der Fortsetzung dieser Arbeit, ebenda
S. 559 — 567, die Bedeutung des Werkes, besonders im Hinblick auf
die darin enthaltene reiche Belehrung über die Meinungen anderer
Philosophen, sein Inhalt und seine Beziehungen zu anderen verwandten
Werken besprochen.
Beiträge zu einzehien Stellen lieferten
332. A. Nauck. Analecta critlca, Hermes 24 (1889) S. 465
(zu zwei Damaskiosstellen bei Suidas) und
333. W. Kroll, Advers. gracc, Philol. 53 (1894) S. 424
—428.
Für Chalcidius hat
334. Brandt im Exkurs zu seiner Arbeit über Lactantius und
Lucretius, Jahrb. 143 (1891) S. 252—257, den Nachweis geführt, daß
er in Tim. 271, 13 Wrob. eine ihm mit Lact, de op. dei 8, 10,
Gellius 5, 16, 3 gemeinsame lateinische doxographische Quelle, vielleicht
Varro, benutzte. Eine Verbesserung im Texte des Ch. giebt
335. H. Diels, Pseudonaevianum, Rhein. Mus. 49 (1894) S. 478,
indem er in Tim. 76 p. 143, 17 "Wrob. herstellt: ut est in vetere versu
nex ubivis, rabies etc. (für ut est in vetere versu Naevii: Exuviae,
rabies etc.
Wir wenden uns zu Boethius.
336. G. Schepss, Zu Boethius, Comment. Woelfflin., Lipsiae
1891, p. 275—280
berichtet über den Stand der Arbeitea für den Text seiner Boethius-
ansgabe und teilt Beobachtungen mit über Parallelen zu Boethius bei
anderen Sckriftstellern.
337. E. Klußmann, Zu Boethius de philosophiae consolatione,
Phüol. 50 (1891) S. 573—576 und
338. Th. Stangl, Zu Boethius, Philol. 51 (1892) S. 483
behandeln einzelne Stellen. Zu den hier und bei Buresch, Leipz.
Stnd. 9, 135 if. besprochenen Textstellen teilt
339. G. Schepss, Zu Boethius de consolatione, Philol. 52
(1893) S. 380—381 hsl. Lesarten mit.
Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.) 99
340. G. Schepss, Zu den opuscula Porphyriana des Boetbius,
Philo!. 52 (1893) S. 560—563, teilt Proben aus den von ihm für die
dialogi in Porph. a Vict. transl. verglichenen acht Hss mit, aus welchen
sich ergiebt, daß die Vulgata stark von den guten alten IIss abweicht.
Den Aufsatz von
*341. De Vries über ein in tironischen Xoten abgefaßtes
Bruchstück des ßoethius in cod. Paris, lat. 7925 (Syll. comm. quam
V. cl. Const. Conto obt. philol. Batavi, Leiden 1893) kenne ich nur
aus dem Referate Berl. phil. Woch. 14 (1894) Sp. 956.
Zur Überlieferungsgeschichte des Boethius ist auch
342. Manitius, Philol. aus alten Bibliothekskatal., Rh. Mus.
47 (1892) Ergänzungsh. S. 130—135, zu vergleichen.
*343. G. Schepss, Zu den mathematisch-musikalischen Werken
des Boethius, Abh. für W. v. Christ S. 107—113.
*344. E. Ruelle, Le musicographe Alj^pius corrige par Boöce,
Extr. d. Coraptes reudus des seances de l'Acad. des inscr. et belles-
lettr. (7 dec. 1894).
Die Übersetzung
*345. Boethius, La cousolation philosophique. Traduction
par 0. Cottreau d'apres l'edition de Ren6 Valiin (Lugd. Bat. 1656)
et Celle de R. Peiper (Leipsick 1871) combinees, avec une preface
de T. Cerfberr, Paris (1889) ist mir nur aus der Bibl. phil. class. 16
(1889) S. 113 bekannt.
*346. H. F. Stewart, Boethius, an essay, London (1891).
*347. G. Boi ssier. De l'origine des traditions relatives au
christianisme de Boece. Excurs. histor. et philol. ä travers le moyen
iige par M. Jourdain (1889). '
*348. G. Boissier, Sur le christianisme de Boece, Acad. des
inscr. 5 juill. 1889.
Die Darlegung von
349. N. Scheid, Die Weltanschauung des Boethius und sein
„Trostbuch", Stimmen aus Maria-Laach 1890 S. 374—392, krankt vor
allem an dem Maugel einer scharfen Fassung des Problems. In der
Schrift des B. kann nur dann eine christliche Weltanschauung gefunden
werden, wenn sie Gedanken enthält, die specifisch christlich sind und
nur von einem Christen als seine Meinung niedergeschrieben werden
konnten. Eine andere Frage ist, ob das Werk Anschauungen in sich
schließt, die auch (aber nicht nur) ein Christ, „wenn er bloß philo-
7*
100 Bericht üb. d.Litteraturzud.Dacbaristotelischen Philosophen. (Praechter.)
sophieren will", äußern kann. \Vas der Verf. beibringt, führt nur zu
einer Bejahnuio; der letzteren Frage. Er zieht aber daraus Schlüsse,
die nur beim Vorhandensein specifisch christlicher Gedanken erlaubt
wären. Es fehlt ferner, wovon jede wissenschaftliche Behandlung der
Frage auszugehen hätte, eine Vergleichung der Ausführungen des
Werkes mit den entsprechenden der griechischen Philosophen, die ein
Urteil darüber ermöglichte, ob nicht Boethius' Anschauungen sich aus
rein griechischen Einflüssen genügend erklären lassen.
Einfluss der Philosophie auf weitere Kreise.
Eine vollständige ttbersicht über die Forschungen auf diesem
Gebiete ist kaum zn erreichen, da das hierher Gehöiige in einer sehr
weitschichtigen Litteratur zerstreut und z. T. in einer Umgebung zu
finden ist, in der es so leicht niemand sucht. Immerhin wii-d die nach-
stehende Zusammenstellung von Arbeiten auf diesem Felde, die mir be-
kannt geworden sind, zur Orientierung und als Hülfe für weitere
Forschungen vielleicht willkommen sein.
Zunächst ist für eineji weiten Teil dieses Gebietes auf das oben
No. 59 besprochene Werk von Scbmekel, Die Phil. d. mittl. Stoa
S. 439 ff. zu verweisen.
Einige Bemerkungen über die philosophische Beeinflussung
griechischer und römischer Historiker (neben Theoporap auch Onesi-
kiitos, Kleitarchos, Anaximenes, Polj-bios, Sallust, Livius, Diodor.
Plinius, Tacitus) finden sich in dem Aufsatze von
350. R. Hirzel, Zur Charakteristik Theopomps, Rh. Mus. 47
(1892) S. 359—389 (besonders S. 386 ff.), dessen Ausführungen über
Theopomp selbst nur zum Teil, überzeugend sind. Was das Verhältnis
einzelner Schriftsteller zur Philosophie betrifft, so ist dasjenige des
Aratos zum Stoicismus Gegenstand einer Polemik, zu weicher
351. E. Schwartz, Deutsche Litteraturz. 1893 S. 745 f.
352. Fr. Susemihl, Jahrb. 147 (1893) S. 42 f.
353. E. Maaß, Gott. gel. Anz. 1893 S. 642 und
354. Fr. Susemihl, Jahrb. 149 (1894) S. 93 — 100 zu ver-
gleichen sind. Sehr beachtenswert ist auch für unser Gebiet das
Buch von
355. R. von Scala, Die Studien des Polybios I. Stuttgart 1890,
in welchem S. 86—255 die philosophischen Studien des P. besprochen
werden und S. 201—255 von seinem Verhältnis zur stoischen Schule
und innerhalb dieser Panaitios die Rede ist. Daß die Staatstheorie im
6. Buche des Polybios aus stoischer Quelle stammt, ist mir sehr wahr-
Berichtüb. d.Litteratur zu d.nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.) 101
scheinlich; doch scheint mir die Verwendung, die v. Sc. in diesem Zu-
sammenhange von Ps.-Hippodamos macht, nicht glücklich und die
Verwandtschaft, welche zwischen diesem und Polybios besteht, eine viel
entferntere, als v. Sc. annimmt, wenn er von Polybios und Ps.-Hippo-
damos die gleiche Abhandlung über den Staat verarbeitet sein läßt, die
durch Heranziehung des Hippodamos wiederhergestellt werden könnte.
Unter den Anlagen berühren un^ die siebente („Stoische Einlagen in
den ersten 5 Büchern des Polybios") und die achte („Ein kynisch-
kyrenaiischer Vergleich bei P."). Vgl. auch die Rezension von Wend-
land, Berl. philol. Woch. 10 (1890) Sp. 431—434. Eine Ergänzung
zu dem in Rede stehenden Abschnitte dieses Buches bietet
356. ß. von Scala, Theodoros aOeo? bei Polybius, Rhein. Mus.
45 (1890) S. 474—476.
357. J. Pajk, Sallust als Ethiker. Drei Progr. des K. K.
Franz-Jos.-Gymn. Wien 1892, 1894, 1895 (das von 1892 hat mir nicht
vorgelegen). Der Verf. sieht in dem Historiker Sallust einen Stoiker. Was
er aber S. III if. des dritten Programms als Beleg dafür anführt, ist so
allgemeiner Natur, daß sich daraus höchstens eine ganz oberflächliche
Beeinflussung Sallusts durch stoische Lehren ergiebt. Jedenfalls ist
Pajks Versuch abzulehnen, aus den das ethische Gebiet berührenden
Sätzen ein geschlossenes philosophisches System abzuleiten. Die beiden
Schriften ad Caesarem senem, deren Echtheit P. S. V des 2. Progr.
mit unzureichenden Gründen verteidigt, sind bei diesem Versuche mit
zugrunde gelegt.
358. G. Busolt, Diodors Verhältnis zum Stoicismus, Jahrb. 139
(1889) S. 297 — 315, weist bei D. zahlreiche Berührungen mit stoischen
Gedanken nach, die sich auch in solchen Partien seines Werkes finden,
in welchen D. sicher nicht einer stoischen Quelle folgt. Einiges führt
auf Poseidonios. Systematischer Stoiker ist Diodor nicht, wie schon
daraus hervorgeht, daß er die epikureische Lehre von der Weltbildung
vorträgt. Das kulturgeschichtliche Gebiet berührt die von
359. E. Wendung, Zu Posidonius und Varro, Hermes 28
(1893) (s. 0. No. 63) S. 351 f. behandelte Abhängigkeit des Dionysios
aus Halikarnaß von Poseidonios. Nur mittelbare Einwirkung philo-
sophischer Lehrmeinungen zeigt nach
360. E. Norden, Vergilstudien, Hermes 28 (1893) S. 360
— 406, die vergilische Nekyia. N. hält sie ihrem Inhalte nach für „im
wesentlichen entnommen einer pythagoreisch- orphischen Unterweltsbe-
schreibuug, welche aber im letzten Teile mit stoischen Lehren ver-
qiiickt ist, d. h. aus der Zeit stammt, in welcher die Neupythagoreer eine
Anlehnung an die Stoiker suchten und fanden." Die Hauptzüge der
102 Bericht iib.d.Litteratur zud. nacharistotelisclien Philosophen. (Praechter.)
ganzen Uuterweltsbeschreibung scheint V. bei einem gelehrten alexan-
drinischen Dichter vorgefunden zu haben. Über das Verhältnis des
Horaz zur griechischen Philosophie sind die No. 50, 51 besprochenen
Abhandlungen einzusehen. Für Ovid vermutet
361. F. Polle, Ovidius und Anaxagoras, Jahrb. 145 (1892)
S. 53 — 59, Benutzung des Anaxagoras.
Über Mauilius s. 0. No. 39. Lukans philosophische Anschauungen
berührt
362. J. Englandus Miliard, Lucani senteutia de deis et fato,
Trai. ad. Ehen. 1891, der in den Ansichten des Dichters über Götter,
Fatum, Fortuna, Weissagung, Wunderzeicheu und Orakel stoischen Ein-
fluß nachweist. Daß unter den Stoikern besonders Seneka maßgebend
gewesen ist, bemerkt Hosius in der Rezension dieser Schrift, Berl.
phU. Woch. 12 (1892) Sp. 209, der in dem Aufsatze
363. Lucanus und Seneca, Jahrb. 145 (1892) S. 337—356 die
Stellen nachweist, an welchen mit Sicherheit oder Wahrscheinlichkeit
Einfluß Seuekas anzunehmen ist. Stellen, für welche Manilius der
Vermitteler philosophischer Gedanken gewesen ist, hebt hervor
364. C. Hosius, Lucan und seine Quellen, Rhein. Mus. 48
(1893^ S. 393. Bekanntschaft Lucaus mit Nigidius' Meteorologie sucht
365. R. Fritzsche, Quaestiones Lucaneae, Gothae 1892 (Jen.
Diss.) S. 25 ff. zu erweisen.
Daß Tacitus im Dialogus Chrj'sippos' Schrift -spl ratowv «yu)-/^?
benutzt hat, ist nach der Notiz
366. Chrj'sippos and Varro as sources of the Dialogus of Tacitus.
Bj A. Gudeman. John Hopkins University circulars vol. 12,
No. 102 Jan. 1893 p. 25 das Ergebnis einer Untersuchung von Gude-
man, Da der versprochene Abdruck derselben im American Journal
of Philology unterbliebeii ist, vermag ich die Ausführungen nicht zu
prüfen. Die Abhängigkeit des Tacitus von Seneka ist Gegenstand der
Dissertation von
367. M. Zimmermann, De Tacito Senecae philosophi imitatore,
Vratisl. 1889, 44 S. Der Verf. sucht die Beeinflussung des Tacitus
durch Seneka zunächst auf dem Gebiete des philosophischen Gedanken-
gehaltes zu erweisen. Die Fortsetzung der Arbeit, die den gleichen
Nachweis auch auf dem sprachlich -stilistischen Gebiete führen soll
(Breslauerphilol.Abh. VI), hat mir nicht vorgelegen. Von den in der Disser-
tation gesammelten Stellen scheinen mir weitaus die meisten, jede
für sich genommen, für die These nicht beweisend. Die Überein-
stimmungen sind meistens viel zu geringfügig und beschränken sich
auf ein möglicherweise zufälliges Zusammentreffen in einem Ausdrucke
oder einem allgemeinen Gedanken, dessen Prägung bei beiden Autoren
Bericht üb. d.Litteratur zud. nacharistoteliscliCQ Philosophen. (Praechter.) 103
oft recht verschieden ist. Einige Stellen, wie beispielsweise die 8. 11,
24 (S. de ira 3, 39, T. hist. 1, 45) beigebrachten, führen aber doch
weiter, und aus solchen erg-iebt sich auch für die anderen Parallelen
eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß wenigstens bei einem Teile der-
selben Berücksichtigung des S. durch T. vorliegt. Die Bewunderung
des Historikers für den Philosophen wird von Z. zum mindesten sehr
übertrieben; von den beigebrachten Stellen spricht doch Ann. 13, 11
keineswegs für eine rückhaltslose Verehrung. Vollends die Bezeichnung
des T. als philosophus Annaeauus (S. 19j schießt weit über das Ziel
hinaus. Bezüglich der sprachlichen Berührungen vgl. die Rezension
von F. Walter, Berl. philol. Woch. 10 (1890) Sp. 1051. In der
ziemlich reichen Litteratnr zu Lukian ist die uns interessierende Frage
nach seinem Verhältnis zur Philosophie mit den allgemeinen Fragen
nach der Gruppierung, zeitlichen Abfolge und Echtheit seiner Schriften
meist so eng verknüpft, daß ich mich darauf beschränken muß, auf den
Abschnitt über Lukian in dem Berichte über die griechischen Rhetoren
zu verweisen. Über Gellius handelt
368. L. Dewaule, Aulus Gellius quatenus philosophiae studuerit,
Tolosae 1891 (Pariser These) 130 S., der nach Prüfung dessen, was
sich über Gellius' Lehrer, Lektüre und philosophische Ansichten fest-
stellen läßt (wobei übrigens nicht immer scharf genug geschieden ist
zwischen dem, was G. als seine eigene, und dem, was er als fremde
Ansicht giebt), zu dem einleuchtenden Resultate gelangt, daß G. nicht
Philosoph, sondern Polyhistor ist, der neben anderem auch für philo-
sophische Fragen sich interessiert, aber keiner bestimmten Schule zu-
gehört; am nächsten steht er noch der Akademie infolge seiner Freund-
schaft mit Favorin. Daß der Traumdeuter Artemidoros von der Stoa
abhängig ist, zeigt
369. G. Reichardt, De Artemidoro Daldiano librorum oniro-
criticorum auctore (s. o. No. 15). Über Kleomedes vgl. die unter
No. 65 und 29 genannten Arbeiten. Dem Philosophischen bei P to le-
rn aios hat eine eingehende Untersuchung gewidmet
370. F. Bell, Studien über Claudius Ptolemäus. Ein Beitrag
zur Geschichte der griechischen Philosophie und Astrologie. Jahrb.
Suppl. 21 (1894) S. 49—244. (S. 51—111 auch als Münchener
Diss. unter dem Titel „Claudius Ptolemäus als Philosoph" Leipzig
1894 erschienen.)
Der Verfasser dieser gediegenen, an gesicherten Resultaten reichen
Arbeit, aus welcher ich nur das hierher Gehörige berücksichtige, sucht
zunächst Ptolemaios' philosophischen Standpunkt aus den unbezweifelt
104 Bericht üb. d.Litteratur zud. nachanstotelischenPhilosophen.(Praechter.)
echten Werken, der }j.a<)r,[xaTix-?) ouvTa^i?, der Schrift Trspl xpiTY]piou xai
:^7£!xovtxou und der Harmonik festzustellen. P. zeigt sich hier als
Eklektiker peripatetischer Grundfärbung, beeinflußt durch stoische und
platonische Theoreme und pythagoreische Zahlenspekulation. Nur in
der [xaO. auvT. herrscht das Peripatetische ausschließlich. Den Höhe-
punkt der philosophischen Eutwickelung des P. bezeichnet u. xpt-:. xal
rf(t}i., wo der Versuch einer Verknüpfung der Lehren verschiedener
Schulen gemacht wird, während die Harmonik über ein äußerliches
Nebeneinanderstellen nicht hinauskommt. Bemerkenswert ist noch, daß
das Peripatetische der auvTa^is aller Wahrscheinlichkeit nach aus einem
späteren peripatetischen Kompendium, nicht aus Aristoteles selbst
stammt. Der zweite Abschnitt der Bolischen Schrift ist in seinem
weitaus größten Teile der Frage nach der Echtheit der Tetrabiblos
gewidmet, zu deren Prüfung der Verfasser u, a. den philosophischen
Inhalt des Werkes durchmustert. Als Hauptquelle tritt Poseidonios
hervor: von ihm biegt aber der Autor besonders in der Lehre von der
ei|jLap[j,evTr] zur peripatetischen Doktrin ab. Diese Selbständigkeit gegen-
über der stoischen Hauptquelle, die Übereinstimmung der physikalischen
Anschauungen mit denen der [xadi^ix. auvt. und eine in ganz gleicher
Weise wie in tt. xp. xal tj-.'eix. hervortretende Abweichung (in der Lehre
von den Grundeigenschaften) von der aristotelischen zur stoischen
Theorie beweisen im Vereine mit anderen Thatsachen die Echtheit der
Tetrabiblos. Der dritte Teil der Arbeit erbringt den scharfsinnigen
Nachweis, daß die astrologische Ethnographie in der Tetrabiblos auf
Poseidonios zurückgeht. Vgl. auch No. 67, 68.
Ailian betreffend seien die Artikel von
371. E. Bruhn, Suidea, Ehein. Mus. 45 (1890) S. 273 ff. und
372. C. de Boor, Zu den Fragmenten des Aelian, Pthein.
Mus. 45 (1890) S. 477 ff,, da sie die Schriften irepl Ttpovoiaj und repi
9ei(Dv £vap7ciüjv berühren, wenigstens kurz erwähnt. Eine Beeinflussung
Novaiians durch Seneka behandelt
373. C. Weyman, Novatian und Seneca über den Frühtrunk,
Philol. 52 (1893) S. 728—730,
Von Kornelius Labeo glaubt
374. W. Kahl, Cornelius Labeo. Ein Beitrag zur spätrömischen
Litteraturgeschichte, Philol. 5. Suppl. (1889) S. 717—806, der Labeo
in die zweite Hälfte des dritten Jahrhunderts nach Chr. setzt, darthun
zu können, daß er vom Neuplatonismus beherrscht gewesen sei. Der
Beweis ist aber nicht erbracht, da specifisch neuplatonische Lehren
nicht nachgewiesen sind. Unbestimmter Zeit und Herkunft ist die von
Bericht üb. d. Litteratur zu d. nacharistotelischen Philosophen. (Praechter.)105
375. C. Hosius, Inschriftliches zu Sencca und Lucan, Rhein.
Mus. 47 (1892) S. 462 — 465 nachgewiesene Benutzung Senecas in
der Grabschrift CIL VI 11252.
Endlich ist in diesem Zusammenhange ein Blick auf die Arbeiten
zu den Florilegien zu werfen, die z. T. wertvolle Dokumente enthalten
für die Verbreitung philosophischer Gedanken in der antiken und der
christlichen Welt. Ein näheres Eingehen auf diese mehr und mehr an-
wachsende Litteratur, deren Gegenstand mit der nacharistotelischea
Philosophie doch größtenteils in sehr losem Zusammenhange steht, ist
nicht dieses Ortes. Ich begnüge mich, die Haupterscheinungen dieser
Berichtsperiode kurz zu verzeichnen, die als Ausgangs- und Richt-
punkte für weitere Forschungen dienen können. Zunächst ist für die
Epikur-, Epiktet- und Sextosflorilegien auf No. 137—140; 91; 92;
249 zurückzuverweisen. Die von
376. L. Sternbach, Wiener Stud. 9 (1887), 10 (1888) be-
gonnene Veröfifentlichung des Gnomol. Vatic. ist ebenda 11 (1889)
fortgesetzt und beschlossen. Bezüglich anderer Publikationen Stern-
bachs, die mir nicht vorgelegen haben, verweise ich auf die Zusammen-
stellung bei Krumbacher, Gesch. d. byz. Litt. ^ S. 601. Ein in
mehreren Hss erhaltenes, mit den Worten apurov xal TrpüiTov ixa^jict
ejTiv beginnendes Florilegium hat
377. H. Schenkl, Wiener Stud. 11 (1889) S. 1—42 besprochen
und ediert. Von Stobaios' Florilegium liegt uns (für cap. 1 — 42) jetzt
endlich in der vorzüglichen Ausgabe von Hense ein zuverlässiger Text vor :
378. Joannis Stobaei anthologii libri duo posteriores. Reo.
0. Hense. Vol. I. Berolini 1894.
Über Ursprung und Geschichte der griechischen Florilegien hat
379. A. Elter in einer Reihe von Bonner Univ. -Programmen
(s. die Zusammenstellung im Progr. z. Kais. Geb. 1897 z. Anf.) grund-
legende Untersuchungen angestellt (vgl. über das Abhängigkeitsver-
hältnis späterer Florilegien auch Elter, Gnomica I [Bonner Lektions-
katal. f. 1892/3] p. XLVni Sp. 2, Wendland, Byz. Zeitschr. 7 [1898]
S. 166). Ein ungemein wichtiges und gerade unter dem uns hier
leitenden Gesichtspunkte interessantes Resultat derselben ist, daß
Stobaios' Florilegium auf Chrj'sippos und zwar wahrscheinlich ein
Florilegium desselben zurückgeht, das seiner sonstigen Schriftstellerei
als Materialsammlung dienen sollte (nach Wendlauds Besprechung,
Byz. Zeitschr. 2 [1893] S. 325 ff.; die betreffende Arbeit Elters selbst
war mir unzugänglich. Vgl. auch H. Schenkls Beobachtungen über
Citate bei Epiktet in der Epiktetausgabe praef. p. LIX ff.).
106 Bericht üb d. Litteratur zu d.nacharistoteJischen Philosophen. (Praechter.)
Nachtrag.
Als No. 25a ist einzufügen: J. Walter, Geschichte der Ästhetik
im Altertum, ihrer begriff]. Entwickl. nach dargest. Leipzig 1893.
XVIII u. 891 S. 17 M. Von nacharistotelischeu Philosophen ist hier
eingehender nur Plotin (S. 736 ff.) behandelt.
101
Bericht über die die griechischen Tragiker betreffende
Litteratur der Jahre 1896 und 1897
von
N. Wecklein,
Gymnasialrektor in München.
I. Die griechischen Tragiker im allgemeinen.
A. Biese, Das Problem des Tragischen. N. Jahrb. f. Pliilol. 154
(1896) S. 103—111.
Emil Mauerhof, Das Wesen des Tragischen in alter und neuer
Zeit. Zürich und Leipzig. 52 8.
Henri Weil, Etudes sur le drame antique. Paris 1897. 328 S.
K. Wernicke, Bockschöre und Satyrdrama. Hermes 32 (1897)
S. 290—310.
T. Halbertsmae Adversaria Critica. Edidit H. van Herwerden.
Leiden 1896. p. 15 — 52 Ad tragicos.
Walter Headlam (ohne Titel mir zugekommen). Cambridge
1896. 12 S. Vgl. Class. Rev. XI (1897) p. 56-59.
J. Oeri, Die Symmetrie der Verszahlen im griechischen Drama.
Vortrag in der Versammlung des Schv^^eiz. Gymnasiallehrervereins
in Genf 1896. 17 S.
Paul Masqueray, theorie des formes lyriques de la tragedie
Grecque. These prcsentee ä la facultc des lettres de Paris. Paris
1895 XVI und 920 S.
C. Conradt, Über die anapästischen Einzugslieder des Chors der
griechischen Tragödie und den Aufbau des Aias, des Philoktetes. der
Eumeniden und des Agamemnon. Jahrb. f. Philol. 153 (1896)
S. 173—207.
C. Linde, De proverbiorum apud tragicos Graecos usu. Gymn.-
Progr. von Helmstedt 1896. 31 S.
108 Bericht über die die griech. Tragiker betreft'. Litteratur. (Wecklein.)
Lautensacb, Grammatische Studien zu den griechischen Tragikern
und Komikern. I. Personaleudungen. Programm des Gymn. Ernesti-
mim zu Gotha 1896. 32 S.
T. G. Tucker, On a point of metre in Greek Tragedy. Class.
Rev. XI (1897) S. 341—344.
Georg Iwanowitsch, OpinionesHomeri et tragicorum Graecorum
de inferis per comparationera excussae. Berliner Studien für kl. Philol.
und Archäol. Bd. 16. Heft 1. Berlin. 105 S.
C. Huemer, Die Sage von Orest in der tragischen Dichtung.
Progr. von Linz 1896. 34 S.
H. R. Fairclough, The attitude of the Greek Tragedians toward
Nature. Diss. Toronto 1897. VI und 82 S.
Ernst Rieß, Superstitions and Populär Beliefs in Greek Tragedy.
Transactions of the American Philol. Assoc. Vol. XXVII (1896)
S. 5—34.
E. Holzner, Zu den Fragmenten der griechischen Tragiker.
Philol. 55 (1896) S. 566—568.
H. Stadtmüller, Zu den Tragikerfragmenten. Bl. f. d. Gym-
nasial-Schulw. 33 S. 231-237.
Die Schrift von H. La ehr, Die Wirkung der Tragödie nach
Aristoteles. Berlin 1896, überlassen wir dem Bericht über Aristoteles.
Vgl. die gründliche Besprechung von P. Gau er in der Wochenschr. f.
kl. Philol. 1897 S. 321 ff. Die Abkehr von der medizinischen Auf-
fassung des Begriffs y.aOapat? und die Rückkehr zur Lessingschen Theorie
erscheint als Rückschritt. — Ebenso die Abhandlung von W. Pesch,
einige Bemerkungen über das Wesen und die Arten der dramatischen
Poesie (angeknüpft an die Poetik des Aristoteles). Progr. von Trier
1896. — Nicht zugekommen sind mir die Schriften von *E. Haigh,
The tragic drama of the Greeks. Oxford 1896. VIH und 499 S.
(vgl. Lit. Centralbl. 1897 Sp. 167 f.) und *Cla6S Lindskog, Studien
zum antiken Drama. Lund 1897.
Biese spricht sich über das Wesen des Tragischen also aus:
„Das Tragische ruht auf dem Widerstände zwischen Menschengröße und
Menschenmacht, zwischen der Allgewalt des Schicksals und der End-
lichkeit und Nichtigkeit auch der hehrsten Heldengestalt; und die
Wirkung des Tragischen besteht in dem Kontraste zwischen der Er-
schütterung, die uns das Mitleiden, das Mitempfinden mit einem über
das alltägliche Maß von Wollen und Können sich erhebenden und tapfer
ringenden und doch unterliegenden Menschenleben während des Verlaufs
des Dramas bereitete, und die Erhebung, die in uns doch der Fall der
Bericht über die die griech. Tragiker betreif. Litteratur. (Wecklein.) 109
Meuschengröße verursacht, sei es nun, weil diese im Tode die wahre
Erlösung — die Lösung der Konflikte — erreicht oder ihr inneres Bild
in den Flammen des Todes, in der Selbstläuterung und Selbstentäuüe-
rung reinigt, sei es nun. weil die Erkenntnis der Ewigkeitsgedanken, die
zu allen Zeiten gewaltet haben, also auch die des Guten in seiner
hehrsten Gestalt, unsere Seele weitet." Ich glaube nicht, daß hiermit
das Wesen des Tragischen klar und genau bezeiclmet ist. Wenn es
weiter heißt ^der Kampf ist das wichtigste Jloment im Tragischen",
so dürfte es für Kampf richtiger heißen „das Streben". Auch wenn
von Antigene und Ödipus (Öd. Tyi-.) sittliche Schuld abgewehrt wird,
so ist der Gedanke wohl im allgemeinen richtig, die Auffassung aber
teilweise schief. Vgl. meine Einleitung zur Antigone.
Aus der geistreichen Schrift von Mauerhof erwähne ich nur den
Versuch, die bekannte Aristotelische Definition zu deuten: „Die Tragödie
ist die Nachbildung einer ernsten, in sich geschlossenen Handlung,
welche durch die Erregung von Mitleid und Furcht die Befreiung von
den Leidenschaften überhaupt verursacht." Später heißt es: „Der
Held einer Tragödie muß, gleichviel wie er fällt, in dem Ende seines
Lebens das Ziel seines innigsten Wunsches erblicken, oder er ist kein
tragischer Held. Schaut man von hier aus auf die Werke der tragischen
Kunst, so wird man eingestehen müssen, daß beinahe einzig die Shakes-
peareschen Tragödien ihr hohes Ziel, die menschliche Brust von Leiden-
schaft und Leid zu befreien, vollends erreichen. Selbst die Antigone
des Sophokles endet in einer jammervollen Art. und auch Schillers
Wallenstein, obschou in diesem Werke zuerst eine höchst kunstvolle
Verkettung des Geschickes eine sehr schöne tragische Stimmung erzeugt,
liudet zuletzt nur ein trauriges Ende." Hiernach scheint über die
Katharsis noch nicht das letzte Wort gesprochen zu sein.
Das Buch von Weil enthält zehn früher in Zeitschriften ver-
öffentlichte Rezensionen oder Abhandlungen, welche er mit verschiedenen,
auf neue Gesichtspunkte hinweisenden Fußnoten bereichert hat.
Von der trefflichen Abhandlung von Wer nicke, welche ver-
schiedene Hypothesen beseitigt, führe ich hier nur das Ergebnis an:
„Den attischen Vasenmalern waren im 5. Jahrhundert Bgckstänze be-
kannt, die in Verbindung mit Hermes standen; die Böcke beruhen auf
keiner altattischen Vorstellung: woher sonst also sollte die Kunde von
solchen Bockstänzen stammen, wenn nicht aus der Peloponnes, wo uns
Jahrluinderte früher Bockstänze bezeugt sind, und wo Hermes eine der
vornehmsten Gottheiten war? Es ist wohl kaum möglich, diese ßocks-
dämoneu anders denn als Schützer der Viehzucht aufzufassen; ihr Gott
ist der Hermes Nomios. Im Frühling, wenn Hermes die Persephone
aus der Unterwelt heraufholt, wenn die Weiden sich mit frischem Grün
110 Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur. (Wecklein.)
bedecken, tanzen die Böcke ihm zu Ehren. In diesem Zusammenhang
darf jetzt wohl auch die Vermutung gewagt werden, daß 'Aopaaxos,
der 'Unentrinnbare', dessen Tiocöea in Sekyon nacli Herodot mit Bocks-
tänzen geehrt wurden, und die ebenfalls in Sekyon heimische Adrasteia
auch mit Dionj'sos keine innere Verwandtschaft haben, sondern ein Paar
von chthonischeu, von Unterweltsgottheiten sind. Diese Bocksdäraonen
heißen Ti-upoi, attisch Saxupot. Die Tänze der Tityroi oder Satyroi
können nichts anderes gewesen sein als die Tpa7txol '/opot, aus denen
sich nach Aristoteles die Tragödie entwickelt hat, das Satyrdrama.
Ein äußerer Anlaß muß es gewesen sein, der die bei den Nachbarn
schon lange üblichen Bockstänze mit einem Schlage auch in Athen
populär machte; das war die Neuordnung der Dionysien durch Peisistratos.
Beweise dafür, daß im 5. Jhrh. der Chor des Satyrdramas im Kostüm
von Böcken auftrat, liefert einerseits der Prometheus Tiupxaeu? des
Äschylos, wo der Chor als xpaYoc angeredet wird, andererseits die
Pandoravase. Da diese in die Mitte des Jahrhunderts gehört, so haben
wir darin eine Bestimmung der Zeit, bis zu welcher sich die Sitte der
Bockstänze im Satyrdrama erhalten hat. Den Übergang zu der Weise
des jüngeren Satyrdramas, wo der Chor aus Silenen bestand, die nur
durch den Bocksschurz daran erinnerten, daß sie eigentlich Böcke vor-
stellten, bezeichnet der Kyklops des Euripides, wo nach V. 79 die
Silene noch als verkleidete Böcke auftraten, indem sie sich ein Bocks-
fell um die Schultern warfen."
Die Konjekturen von Halbertsma, die zwar sinnig und ge-
schmackvoll sind, aber größtenteils sich als unnötig erweisen, werden
bei den einzelnen Dichtern berührt werden. Ebenso die vonHeadlam,
die teilweise sehr beachtensw'ert sind.
Linde stellt zunächst die Verse der Tragiker zusammen, welche
zu geflügelten Worten geworden sind; dann sammelt er die Stellen der
Tragiker, an denen Sprichwörter benutzt sind. Der von den Komikern
verspottete Vers des Euripides ex xufxaxcuv yj-p au8t? au -/aX-n^v' opui konnte
wohl nur in scherzhafter Weise km. xtüv ota^ü-yovxüjv xa XuTz-qpd gebraucht
werden. Wenig glaubhaft scheint es, daß Sprüche wie iyOpüiv aowpa
ocupa xo'jx i^vrjatjxa — '[üwxi, 7'jvat^l 7.oj|j.ov tj cqfj cpspst — YXwauT) [xaxata ^y][t.i(t
Trpojxpißsxai schon ursprünglich diese Form gehabt haben. Bei Stellen
wie Sieb. g. Th. 1002 xeOvrjxsv o-jirep xoT? veot; Ovrpxetv xaXov kann wohl
nicht von der Benutzung eines Sprichwortes die Rede sein, wenn der Schol.
auch auf den bekannten Homerischen Vers zl<; ottuvo? xx£. verweist.
Von den eingehenden grammatischen, zunächst die Personal-
endungen betreffenden Untersuchungen Lautensachs will ich kurz
einige wichtige Ergebnisse anführen: Gewiß mit Recht haben Porson,
Elmsley und Dindorf den beiden älteren Tragikern nur das altattische
Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur. (Wecklein.) Hl
^ (== ich war) zugewiesen (daß diese Regel aucli für Euripides gilt und
^v als Wahrzeichen der Interpolation anzusehen ist, habe ich in den
unten zu besprechenden Beiträgen zur Kritik des Euripides dargethan).
Die Form oToac steht durch Alk. 780 und die analoge Form y.axoioaTe
Hik. 1044 fest. Nur an je einer Stelle gebrauchen Sophokles (fr. 303)
und Euripides (Jon 1187) die dritte Person t^oeiv vor vokalischem Anlaut.
Die anf Ersatzdehnung beruhenden jonischen Formen wie tiöeTji kommen
wobl nur im Chor und in den Anapästen der Tragiker vor, Asch.
Ag. 472, Eur. El. 1323. — Trach. 520, Jon 114G soll fjv für Y)C7av stehen.
Als eine willkürliche Behandlung der alten Texte wird es bezeichnet,
wenn man mit Elmsley (zu Med. 1041 und Acharn. 733) annehme,
daß die zweite Person Dual sek. auf -TjV ausgehe. Aber die Überliefe-
rung Agam. 1206 yjXOs-ov vofxw für T]}Mzr^\ oixoü ist ein deutlicher
Fingerzeig. Die Regel über den Gebrauch von }x£jila bei den Tragikern
kann dahin präcisiert werden, daß diese Endung nur dem Versmaße
dient. Die Dualendung fxsöov (Sopli. El. 950 und Phil. 1079) wird in
Schutz genommen „als Gebilde einer älteren Sprachperiode". Aber diese
Form muß an den beiden Stellen wohl ebenso wie Hom. W 485 weichen.
Nach Oeri „zeigt sich in den Dialogpartien eines großen Teiles
der gi'iechischen Tragödie und Komödie, wenn man die gesungenen
Teile (Kommoi, Duette, Monodien, Anapäste u. s. w.) ausscheidet, das
deutliche Streben der Dichter, die dialogischen Massen nach bestimmten
Verszahlen zu gliedern und das in der Weise, daß überall Hauptteile
der Stücke, die als Akte oder Aktkomplexe ein Ganzes ausmachen, der
Verszahl nach mit anderen Hauptteilen in Respousion stehen, daß
ebenso zwischen den einzelnen Scenen der Akte die Symmetrie der
Verszahl herrscht und innerhalb der Scenen wieder gemäß der Dis-
position des Dialogs zwischen den einzelnen kürzeren Abschnitten."
Im übrigen werden die Ekklesiazusen behandelt. Vgl. unter Euripides
Hippolytos.
Masqueray handelt in sehr eingehender Weise über die äußeren
Formen der melischen Partien, um ihren sj^mmetrischen Aufbau nach-
zuweisen. Nach allgemeinen Bemerkungen über Parodos, Epiparodos,
Stasimon, Kommos, Monodien u. s. w. geht er mit Ausnahme des
Kyklops die lyrischen Partien aller Tragödien der drei Tragiker
durch und sucht die Gesetze festzustellen. Mit Recht wird Heraklid.
73 ff. die Strophe bei 75, die Antistrophe bei 95 begonnen, indem,
wie schon Lachmann gethan hat, 75 f. dem Chor (Koryphaios) gegeben
werden. Die Lücke nach 110 aber hat nicht nur ein Chorikon
= 90 — 92, sondern auch 2 Trimeter des Kopreus verschlungen. Da
die Trimeterpartien durchweg aus 2 Versen bestehen, kann nicht die
frühere Annahme von Kirchhoff, welcher 97 f. auf einen Trimeter
112 Beriebt über die die griecb. Tragiker betreff. Litteratur. (Wecklein.)
reduziert, sondern die Annabme von Seidler, welcher nach 77 einen
Trimeter ausgefallen sein läßt, Geltung- haben. Auch Androm. 1197 —
1225 scheint 1197—1212 = 1213—1225 richtig angesetzt zu sein.
Damit erledigen sich alle Schwierigkeiten, wenn man sich darüber
hinwegsetzt, daß die gleiche Interjektion 1197 und 1200 auf Strophe
und Antistrophe hinzuweisen scheint. Man hat eine ähnliche Er-
scheinung wie im Gesaug der Schwestern in Sieben g. Theben, 1197 —
1199 und 1200—1202 sind unter sich und zugleich 1214 f. und 1216 f.
gleich. — Gegen die Abteilung des großen Kommos Cho. 305 fif,:
Orest, Chor, Elektra. Korj'ph. Orest, Chor, Elektra. Koryph. Elektra,
Chor, Orest. Koryph. Elektra, Chor, Orest. Elektra (422—432).
Orest, Chor. Elektra (443 — 453) erhebt der Inhalt entschieden Ein-
spruch. — Hipp. 569 — 596 wird nach Weil in folgende symmetrische
Ordnung gebracht: A Phädra. B Chor, a Phädra. T Chor, ß Phädra
(Mesodos). r' Chor, a Phädra. B' Chor. A' Phädra. Im allge-
meinen weist Masqueray nach, daß sich bei den Kommoi und den
Gesängen d-6 axrjvrjc Euripides, dem Sophokles in manchen Punkten
nachfolgt, von den Gesetzen der Symmetrie immer mehr frei
macht. Kommoi ohne jede Eesponsion kommen nur bei Euripides vor.
solche, bei denen sich die Responsion nur auf einen Teil erstreckt,
auch bei Sophokles, nicht bei Aschylos. — Vgl. die Bemerkungen von
H. Gleditsch in der Wochenschr. f. kl. Piniol. 1896 Sp. 785-788
und H. Weil im Journal des Savants 1896 S. 249—258, welcher
ausführt, daß Aschylos in den Einzugs- und Abzugsliedern des Chors
nach reicher Gliederung und Abwechselung strebte, was Sophokles und
Euripides nur in den älteren Stücken (Aias, Antigene, Alkestis) teil-
weise nachahmten.
Nach Conradts Ausführungen ist der Aias „auf der üblichsten
der tragischen Grundzahlen, auf 13 aufgel>aut." V. 327 wird nach
275 umgestellt, nach 1312 soll eine Ijücke sein. — Das Gleiche gilt
vom Philoktet. Keben 1252 wird auch 1248 getilgt. — Auch bei der
Auszählung der Eumeniden kommt Conradt bald auf die üblichste
Grundzahl 13. Getilgt werden unter anderem die V. 455, 492, 855 — .
859 mit 860-871; 840 wird xao" i\x£, cp£Ü, iraOstv vermutet u. a
Das Stück zerfällt in zwei Teile mit je 36 X 13 Versen; es ist genau
so gi'oß wie die Perser, die ebenfalls 9 X 104 oder 72 X 13 Verse
haben, nur anders geordnet: A 8 X 13, B 32 X 13, C 32 X 13. —
Das längere Stück Agamemnon hat die Grundzahl 19. Das ganze
Drama soll aus 16 X 19, 32 X 19, 32 X 19 = 80 X 19 Versen be-
stehen. Diese Zahlen können verblüffen. Aber Conradt mag noch so
viele Dreizehner und Neunzehner häufen , es kann sich unser schon
früher ausgesprochenes Urteil über dieses Verfahren, welches eine
Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur. (Wecklein.) 1 1 :j
Hauptstütze der Textkritik abgeben soll, nicht ändern. Man sehe nur
■in, wie die Zahlen zustande gebracht werden. Nach Conradts Zählung
hat der Agamemnon 80 X 19 -= 1520 Verse, nach anderer 1673 Verse.
AVenn für das Tilgen von Versen , das Zusammenlegen anderer ein so
weiter Spielraum gewährt wird wie hier, getraue ich mir auch z. B.
Goethes Iphigenie auf die Grundzahl 13 oder 19 einzurichten. Welche
Willkür sich in dieser Beziehung Conradt erlaubt, zeigt z. B. die
Tilgung von Ag. 67—71 und noch mehr die von 624. Zu dieser .Stelle
ei voTctfJLOc -e xat aejcüjAevo; JiaXiv | ^$£i a-jv G[xTv , TT)ai5e -/tj; ^iXov xpato»
wird bemerkt: „daß der Vers sonst armselig und überflüssig ist, liegt
auf der Hand; verwunderlich ist nur, daß überhaupt jemand auf den
Einfall gekommen ist. das zl . . 3£5(D|X£voc raXiv zu ergänzen." Nun
möchte ich wissen, was 3£aü)|i£vo; 7:aXiv ohne t^^ei bedeuten soll. Bei dem
Koramos Ag. 1449 ff. wird von angeblichen Ephymnien gesprochen und
werden diese keiner weiteren Beachtung gewürdigt! Conradt hat uns
überhaupt mit der vorliegenden Behandlung der Eumeniden eine Ent-
täuschung oder vielleicht besser gesagt, eine Beruhigung bereitet. Wenn
mir wenigstens noch etwas ein kleines Bedenken verursachte, ob doch
nicht an der Theorie Conradts etwas Wahres sein könne, so war es
die viermalige Wiederkehr der Zahl 13 in dem Kommos Eum. 781 ff. ;
dieses Bedenken nimmt mir Conradt , indem er 855 — 871 tilgt und so
an die Stelle der 13 Verse, welche nach Ausscheidung der den Zu-
sammenhang unterbrechenden V. 860—868 übric; bleiben, 5 Verse setzt,
damit aber auch die antistrophische Symmetrie zerstört. Nach der
Theorie Conradts braucht nämlich die Ginandzahl nicht in den Teilen
hervorzutreten; es genügt, wenn sie in der Summe zum Vorschein
kommt, und so können Verse, welche hier überschüssig sind, dort zu-
gelegt werden , wo sie eben zum Dreizehner fehlen. Das einzige also,
was der Zählmethode noch eine Stütze bieten kann, die Symmetrie,
das wird hier zerstört, tjbrigens soll nicht geleugnet werden, daß
Conradt über die Echtheit oder Unechtheit von Versen manche gute
Bemerkung macht (im Ag. tilgt er 89 f., 320, 1603 mit 1602).
Tücke r weist der gewöhnlichen Regel gegenüber, daß rauta vor
liquida bald Position mache, bald nicht, abgesehen von ß ■( o vor X \t. v,
nach, dalJ die Verlängerung der Silbe verhältnismäßig selten ist, ge-
bräuchlicher nur bei gewissen Wörtern wie -exvov und rarpoc und
Wörtern altertümlichen und epischen Charakters oder Eigennamen wie
fiEXaöpov, 7ev£9Xov, roTvta, oaxpua, u^^ipi;, o'-Xa, v£xpo;, 'HpaxXEr,;, Kurptj,
'ArpEuc. Daß im übrigen die Verlängerung als ebenso abnorm anzu-
sehen sei wie die Verlängerung der ersten Silbe in {j-oGvoc, ocpi?, [iEuso;,
seheint zu viel behauptet zu sein. Dagegen dürfte schon der Umstand
Jahresbericht für Altertumswissfinschaft. Bd. LXXXXVI. (1898.1.) 8
114 Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur. (Wecklein.)
sprechen, daß z. B. vsxpo; in einem und demselben Verse mit doppelter
Quantität vorkommt.
Iwano witsch legt, an die Ansichten Homers über Leben und
Tod, Wert des Lebens, Dasein, Lohn und Strafe nach dem Tode an-
knüpfend, den Wechsel der Anschauungen bei den Tragikern dar.
Vgl. die Bemerkungen von H. Morsch, Woch. f. kl. Phil. 1896 Sp.
1161—66.
Hümer handelt über die verschiedene Auffassung der Orestes-
sage bei den Tragikeru. Er bemerkt über die Lösung des Konflikts
in den Eumeuiden, daß sie dadurch möglich wurde, daß die Gestalt
des Orestes bei Aschj'los des Schuldbewußtseins völlig entbehrt und der
Doppelcharakter seiner That bloß in dem Streite zweier außer ihm
stehenden Gewalten, des Apollou und der Erinyea, zum Ausdruck
kommt. „In der Tragödie des Euripides erfuhr der Sagenstoff eine im
wesentlichen neue Behandlung. Neu ist die Verlegung des Konflikts
in die Seele Orests, der eben hier sich selbst verurteilt, neu ist es,
wenn in Elektra die persönliche Demütigung die Haupttriebfeder ihrer
Rachepläue ist, neu ist es endlich, wenn dieselbe den wankenden Bruder
im entscheidenden Augenblick zur That fortreißt." „Den Nerv der
Tragödie des Sophokles bildet die sittliche Entrüstung über die Er-
mordung Agamemnons bis zu dem Grade, daß jede Sühnung desselben,
also auch der Muttermord, als schlechthin berechtigt hingestellt wird
und das Frevelhafte, welches dieser Sühne an sich wieder anhaftet,
keine Erwähnung findet." „Darauf w'eisen die Hauptgestalten aller
uns erhalteneu Dichtungen des Sophokles hin, daß ein zweifelnder, mit
sich uneiniger Orest keine Sophokleische Figur ist. Nur einmal hat
er eine Nebenfigm* gezeichnet, die zwischen Ehrgeiz und Redlichkeit
schwankt, den Neoptolemos im Philoktet, und diese ist ihm nach unseren
Begriffen (vgl. Genesis des Entschlusses etc. S. 49 ff.) mißlungen."
Dem Urteü inbetreff des Neoptolemos möchten wir in keiner Weise
beipflichten: es ist wohl zu beachten, daß Neoptolemos dem Philoktet
gegenübersteht.
Fairclough (s. unter Euripides) bezieht die Parodie, welche
Euripides in den Fröschen des Aristophanes erfährt, auch auf die Be-
tonung der äußeren Natur, des Landschaftlichen, auf die Anrufung und
die Epitheta der Nacht, auf die mannigfachen Bezeichnungen für
Finsternis und Dunkelheit , auf das Interesse für Farbe, und während
er allen drei Tragikern lebhaftes Naturgefühl zuspricht, weist er nach,
daß dieses bei Äschylos und teilweise auch noch bei Sophokles weniger
hervortrete, dagegen bei Euripides sich stark äußere und eine besondere
Eigentümlichkeit seiner Poesie bilde. Vgl. die Besprechung von
A. Müller, Berl. Phil. Wochenschrift 1898 Sp. 291 f.
Bericht über die die £;riech. Tragiker betrete. Litteratur. (VVecklein.) Hf)
Die Abhaudluuff von ßieß soll der erste Versuch zu einem
Thesaurus Superstitionum sein. Zunächst vergleicht der Verf. das
Gebet an Agamemnon Cho. 477 — 507 mit Zauberformeln, die etwa
GOO Jahre jünger sind, z. B. der ota;":loXr) ei; SeXr^vrjv (C. Wessely,
Wiener Denkschriften XXXVI p. 31). Er findet die gleichen Bestand-
teile, Bitte um Hülfe, Versprechungen von Ehren oder Opfern. Vor-
würfe gegen diejenigen . gegen welche die Hülfe an^'erufen wird. Den
Zaubersprüchen fehlt nur die Anrufung der chthonischen Gottheiten
(Cho. 487 ff.), weil der Zauberer keine andere Gottheit als Selene-Hekate
hat. Deshalb betrachtet ßieß dieses Gebet der Choephoreu als eine
förmliche Beschwörung, die irgend einem magischen Spruche nachge-
bildet sei und von E. Rohde (Psyche S. 523) mit Recht als Wecklied
bezeichnet werde. Er vergleicht damit das Gebet der Elektra Cho. 123 ff.,
die Beschwörung des Darius Pers. 636 u. a. m. Daran werden Be-
merkungen geknüpft über den gleichen Ursprung von Gebet und Zauber-
spruch. Wie der Opfernde in einen Blutsvertrag mit der Gottheit trete,
so liege dem Gebet des griechischen und römischen Kultus die Idee
eines Vertrags zugrunde. — Cho. 964 ff. wird als bester Beweis für
den Satz von Rhode betrachtet, daE die Reinigung nicht ethische Be-
deutung habe, sondern nur böse Geister vertreiben solle. — In Asch.
Hik. 218 f. findet Rieß eine dunkle Ahnung des Glaubens, welcher die
Sonne als Vogel ansieht. — Soph. Ai. 657 will Aias sein Schwert,
welches vom Feinde kommt, begraben, weil die Erde die Zauberkraft
bindet. — Nach Soph. frg. 181 muß Kalchas sterben, wenn ihm ein
gi-üßerer Prophet begegnet. Der stärkere göttliche Geist bricht den
schwächeren. — Zu dt|x(pcuJioXa = ai oia a-Xa-f/vcov {jiavxetat ebd. 910
wird auf antike Vasengemälde verwiesen, auf denen Männer oder Trauen
Bratspieße über Feuer halten. — Nach Eur. Alk. 428 f. nehmen die
Haustiere als Teil der Familie an der Totentrauer von Familienmit-
gliedern teil. — Ebd. 756 wird das Material des Bechers (Ko-rjpa
xiuoivov) erwähnt, weil man glaubte, daß Wasser durch Epheuholz hindurch-
dringe, Wein aber nicht, und dieses Holz deshalb zur Prüfung des un-
gemischten Weines dienen konnte. Dem Trunkenbold Herakles mußte
vingemischter Wein vorgesetzt werden. — In Hei. 1065 f. findet Rieß
den noch jetzt an der Nordsee vorkommenden Glauben, daß es ein
böses Omen sei, Ertrunkene aufzufischen. — Für Eur. frg. 664 wird
auf den Gebrauch hingewiesen, nichts von dem, was vom Tische fällt,
aufzuheben, weil solche Abfälle den abgeschiedenen Seelen gehören
(Rohde Psyche S. 224). — Ion frg. 54 p. 743 N. erinnert an den
Gebrauch, sich bei der Totentrauer des Tageslichts zu berauben, in
Höhlen zu vergraben, und dieser Gebrauch erinnert an den Brauch
der ältesten Zeit, sich mit den Gestorbenen begraben zu lassen.
S*
1 Ki Bericlit über die die griecli. Tragiker betreff. Litteratur. (Wecklein.)
Holzner teilt eine Anzahl von Vermutungen zu Fragmenten des
Sophokles und jüngerer Tragiker mit (z. B. asixvo; tö ooSif) Mosch, frg. 9
p. 816 N).
Stadtmüller gicbt y.w den Tragikerfragmeuten im Anschluß an
Blaydes Adversaria eine schöne Zahl bemerkenswerter Verbesserungen
nameutMch zu Euripides. Dem Tragiker Chaeremon wird das Epigramm
Anthol. VII 245 zugewiesen.
R EUis, Blaydes's Adversaria in tragicorum Graecorum frag-
menta. Hermathena 9 (1896) S. 144—154. vermutet unter anderem
Eur. frg. 578,6 uajxotTwv (xetpov ■ypatlavxa a slizth, 773, 34 xuxvo? aoet,
776,4 -u^Xac r/ou3t xac cppevaj xoivy] tu/tq.
Aus Hesych. k<sY.X-t\y.6xa entnimmt F. Bücheier, Rhein. Mus. 51
(1896) S. 153, den Vers eines Tragikers (etwa Äsch. Kallisto): ot 3' dix^ivK]-
oovxat Nloav ejy.XrjXOxa.
A. Mancini will Achae. frg. 26 p. 752 N. so schreiben: ptir-
xouvTsc, ixßa^.XovTsc, aYvuvxe? Xaxa^ | xi |xoi 8e xaXXiaxov XeYOvxe?, 'HpdfxXet?;
W. Headlam (s. oben S. 107) vermutet Sosiphan. frg. 2 p. 820 N.
^pfriv r]Xix' fjötxoG, Adesp. 507 p. 938 N. w i^eaTtox', dXX' l$£5xi.
Aschylos.
L'Eschilo Laurenziano. Facsimile pubblicato sotto gli auspici del
ministero dell' istruzione pubblica (con prefazione del Enrico Ro-
stagno). Firenze 1896. 9 p., 71 plates.
AiT/uXou opajiaxa aw^ofxeva xat aTioXaXoxiuv !i:roa7iaj|i,axa fiexa I^y)-
YYjxtxüiv xat xpixtxiöv arjjj-etcuaewv xt^ auvsp^aaia Eu^sviou Zu>|xapi8ou
ex8i6o|x£va uro N. Weck lein. Tojao? oeuxepoc xat xo{iou xptxou xeu^ro?
A'. 'AOi^vrisiv 1896. 798 S.
Theatre d'Eschyle. Extraits et analyses d'une introduction et
suivis d'appendices par Camille Sourdille. Paris s. a. 292 S.
F. H. M. Blaydes, Adversaria in Aeschylum. Halle 1896.
356 S.
H. van Her wer den, in Aeschylum observationes veteres atque
novae. Mnemosyne N. S. 24 (1896) p. 31—54.
J. Denissow, Bemerkungen zu Aschylus in den Xapiaxr^pta zu
Ehren von Korsch. Moskau 1896. S. 371—380 u. Filologiceskoje
obozrenije X S. 12—19, 192—99, XI S. 126, 157—71, XII S. 99 f.
Paul Girard, Deux passages d'Eschvle. Rev. de phil. 20 (1896)
S. 1-11.
U. de Wilamowitz-Müllendorff, Comraentariolum metricum
II. Ind. lect. hib. von Göttingen 1895. 34 S.
Beriebt über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur. (Wecklein.) 117
P. Schwarz, De ephyninioruni apud Aeschylum usu. Diss. von
Halle a. S. 1897. 55 S.
Die Abhaiullung von H. W. Smyth, Notes on tlie anapaests of
Aischylüs. Harvard Studies VII (1897) p. 139 — 165, fällt dem Berichte
über Metrik zu; ebenso die auf alle Formen des jambischen Versmaßes
eingehende Untersuchung von A. Preuß, De versnum iumbicorum in
melicis partibus usu Aeschyleo. Diss. von Leipzig 189G.
Ein sehr wertvolles Hülfsmittel für die Textkritik wird künftig
das vortrefflich gelungene Faksimile der maßgebenden Handschrift, des
cod. Mediceus, bilden. Näheres s. in meiner Besprechung ßerl. Philol.
Wochenschr. 1896 Sp. 1094 f.
Inbetreff des zweiten Bandes meiner griechischen Bearbeitung
des Aschylos verweise ich auf die Rezensionen von H. Stadtmüller,
Lit. Centralbl. 1897 S. 1262- 4 und Berl. Phil. Woch. 1897 S. 1411
— 1414, von Fehr in der Woch. f. klass. Phil. 1897 S. 1137—40.
Der zweite Band enthält den Prometheus und die Hiketides, außerdem
mit dem ersten Hefte des dritten Bandes die Fragmente (die sonder-
bare Trennung möge man den für die Zographische Bibliothek aufge-
stellten Vorschriften zugute halten, die Seitenzahlen laufen fort).
Hier will ich nur einige Konjekturen erwähnen: Prom. 186 sTepsai; . .
öi-etXaij, 499 e$a|j.uvoüvTai, Hik. 116 aXuxrov, Schol. 140 xots aavi'oas für
xaj vaüj, 154 öiu)7[Ji.ou? aXxaUoüj' , 218 aAey.xop' opviv, 452—60 nach
486 gestellt, 790 a[i.-e-:rjs ai'oXoj, Fragm. 78, 2 xuxot? für pu&|xoT?.
Von einem Drama können am wenigsten ausgewählte Partien
eine richtige Vorstellung geben. Doch der didaktische Wert der für
die Schule geraachten Zusammenstellung von Sourdille braucht uns
hier nicht zu beschäftigen. Der Kommentar bringt manchen neuen
Gesichtspunkt, und auch in der Textkritik bietet der Verf. eigene Gedanken,
z. B. Ag. 1214 ösivoi;, 1267 Ttpocpfj-civ aXXiQv, Che. 223 'Opeixrjv o-^t\
237 l'/su.
Das Buch von Blaydes bietet gewissermaßen einen kritischen,
teilweise exegetischen Kommentar zu Aschylos, indem es zu den einzelnen
Stellen eigene und fremde Konjekturen, alte und neue Parallelstellen
zusammenstellt. Ich erwähne iiier nur einige Konjekturen, die größere
Wahrscheinlichkeit haben: Prom. 955 ßpovTTjV, 960 Aii, Sieb. 264 dv-
ftrjixata. 719 /.a-cpyiixsvotsiv xaxr/eiv, Hik. 905 rf/jpaa' ev xpocpT), 1082 otxav,
Cho. 593 ti; cppdiei, Eum, 10 vauXoyou;, 375 ßapuTrsr?), 808 ev [xu/ot?.
Halbertsma(s. oben S. 107) bietet Konjekturen zu Ag.Pers.Prom.
Headlam (s. oben S. 107) versucht zahlreiche Stellen aus allen
sieben Dramen zu emendieren.
Her wer den teilt ebenfalls eine große Zahl von Vermutungen mit.
liy Bericht über die die griech. Tragiker betrefi. Litteratur. (Wecklein.)
Von den rnssisch geschriebenen Bemerkungen Denisse ws werden
Auszüge mitgeteilt in der Berl. Phil. Wochenschrift S. 1617 und in
der Wochenschrift f. klass. Philol. 1897 S. 240 f., 696 f., 960 f., 1072.
Von diesen Bemerkungen können etwa folgende Konjekturen erwähnt
werden: Prom. 593 tav (is/iav (für xav [xeXaivav), 717 oujösata xal, 721
eiffiooücra -p5;tv xopac, Hik. 752 £-i-cc/£ic, Ag. 1175 "coEpa irspiTraörj. Die
Chorika zwischen den Berichten des Boten und den Reden des Eteokles
Sieb. 439 ff. werden mit Recht als episodische Chorika bezeichnet, und
von Prom. 88 — 129 wird die Bezeichnung Monodie abgelehnt.
Girard ist zwar mit Nikitin einverstanden, daß Pers. 530 — 4
ihren richtigen Platz nach 853 haben, betrachtet sie aber auch dort
als Interpolation (wie schon Conradt 530 — 3 als unecht erklärt hat).
Den Schluß der Sieben g. Th. (996 ff.) nimmt er in Schutz. Er meint,
gerade nachdem die Antigone von Sophokles geschaffen war, sei es nicht,
statthaft gewesen, den Stoff dieses Meisterwerkes nur so im allgemeinen
zu berühren. Nach meiner Meinung könnte für die Echtheit am meisten
die echt Aschyleische Färbung des Ausdruckes xa toüos oia-£Tt[j.r)Tai
ösoic 1038 geltend gemacht werden. Vgl. frgm. 267 otaicscppoüpYj-ai ßi'oc
Die Abhandlung von Wilamowitz beschäftigt sich mit der me-
trischen Analyse und der Textkritik mehrerer Chorpartien des Aschylos.
Die Metrik lassen wir hier beiseite. Von den Konjekturen hat die
Tilgung von flspsW ala oujßa-o? Pers. 1070 etwas Ansprechendes.
Dagegen ist es unnötig, 'jIoixvjoi ebd. 1076, welches 'loZa^z begründet,
in 'j\o[i.iwoL zu ändern. Die Konjektur zu Hik. 814 tiva 9U75C -/ap l-i
-opov T£ix(ü halte ich für ganz verwerflich, da ich bei Aschylos zu
denen gehöre, quos occaecat superstitio, ut syllabatim strophas exae-
quandas esse credant, und kann mich auch mit den übrigen vorge-
schlagenen Änderungen nicht einverstanden erklären.
Schwarz macht den kühnen Versuch, die Annahme der nicht
überlieferten Ephymnien in der Parodos der Hiketiden, im ersten
Stasimon der Eumeniden, im zweiten und dritten Stasimon der Choe-
phoren, im großen Kommos des Agamemnon zu bestreiten. Wieder
^^^rd die mesodische Komposition, die glücklich beseitigt schien, einge-
führt. Für diese beruft sich der Verf. auf den Kommos in den Choe-
phoren, als ob der Nachweis nicht geführt wäre, daß dort von keiner
mesodischen Komposition die Rede sein kann, weil die Vortragenden
verschiedene Personen sind. Gegen die Annahme von Ephymnien im
Kommos des Agamemnon habe ich seiner Zeit die gleichen Gründe vor-
gebracht wie der Verfasser, aber meinen Irrtum eingesehen. Die An-
nahme der Möglichkeit, daß Hik. 168 — 73 nach 181 als Epodos zu
versetzen sei, ist unmethodisch. In -/.aXoyfxsvoc 181 kann man sogar
Bericht über die die griech. Tragiker betreft. Litteratur. (Weckleiu.) 119
einen Hinweis auf das Ephymnion sehen. Die Vorschläge Euni. 359
o[xcu; «[xaupoüv, 377 jcpaXepa '(ap xavuopojioi?, Ag. 1462 Tpio|xaToc (mit
Blaß) zu lesen, können hiernach auf sich beruhen. Der Gedanke, daß
die Ephymnien Eiim. 1036—1048 dem be^:leitenden Volke zu geben
seien, ist wegen der Einführung weiterer Sänper bedenklich. Der
Chorege hätte wahrscheinlich dagegen Einspruch erhoben.
Prometheus.
370 Ooüpov -ajiv avTEcy-T) F. Haverfield, Class. Rev. XI (1897)
S. 98.
890 tilgt C. Conradt, Jahrb. f. Philol. 155 (1897) S. 700,
ebenso 913 f., die Worte viv und irpöiToc ev.
J. Dietze, Jahrb. f. Philol. 153 (1896) S. 225 f., vermutet in-
betreff des Ganges der Handlung im OpoiJLrjOs'j; Xuo|x£vo;, daß Zeus, um
das Geheimnis zu erfahren, dem Prometheus die Freiheit bewilligt, da-
gegen die göttliche Würde und Unsterblichkeit bis zur endgültigen Er-
füllung der einst gestellten Bedingungen versagt habe.
C. Robert, Die Scenerie des Aias, der Eirene und des Prome-
theus. Hermes 31 (1896) S. 530-77.
Von diesem Aufsatz berücksichtigen wir hier nur dasjenige, was
die Erklärung einzelner Stellen anbelangt. Robert weist der Charo-
nischen Stiege eine größere Rolle zu, als man gewöhnlich annimmt. In-
dem er im Aias dem Protagonisten in der herkömmlichen Weise die
Rollen des Aias und Teukros giebt und glaubt, wie man auch bisher
angenommen hat, daß 915 die Überbreitung des Mantels den Zweck
habe, den Schauspieler mit einer Figur zu vertauschen, verlegt er diesen
Vorgang auf die Mündung der Charouischen Stiege, damit der Schau-
spieler durch den unterirdischen Gang in den Aukleideraum kommen
kann. Unter vairo? 892 versteht er deshalb eine durch Erdaufschüttung
abgegrenzte Stelle, wo der unterirdische Gang mündet. In Mitte der
Orchestra könnte die Prozedur trotz des Mantels den Augen der Zu-
schauer kaum unvermerkt bleiben. Ebenso wird der Felsen des Prome-
theus in der Mitte der Orchestra über der Charonischen Treppe ange-
setzt. Der Schauspieler, welcher im Anfang den Hephästos giebt, soll
dann durch den unterirdischen Gang zur Treppe und hinauf in den
Felsen hinter die Figur des Prometheus gelangen. Der Chor soll auf
den Felsen niedersteigen und auf dem Gipfel der Klippe das ganze
Stück über bleiben. Daher soll sich die Eigentümlichkeit und Kürze
der Chorgesänge erklären und kein Grund zur Annahme einer Überar-
beitung vorliegen. Den Tanz besorge in diesem wesentlich in der Luft
spielenden Stück der Schauspieler (Jo). Schade, daß in Athen die
f
120 Bericht über die die griech. Tragiker betretf. Litteratur. (Weckleio.)
Charonische Stieg:e überhaupt und anderswo eine so große Öffnung,
welclie den Felsen mit so vielen Personen fassen kann, noch gefunden
werden muß! Auch mit dem grollen Erahnen, welcher den Flügelwagen
mit dem Chore befördert, kann man sich schwer befreunden.
Karl Bapp, Prometheus. Gymnasialprogramm von Oldenburg.
1896.
behandelt nur das Mythologische.
Ilepaat.
Wilamowitz, Die Perser des Aischylos. Hermes 32 (1897)
S. 382—398.
Mit den Trümmern niedei'gerissener alter Hypothesen werden
hier neue gebaut. Das axe-p; ap/aTov, welches im ersten Akt das Rat-
haus, im zweiten, dessen Schauplatz man sich geändert denken muß,
das Grabmal des Darius bedeutet, im dritten Akt aber, welcher vor
der Stadt auf der Landstraße spielt, außer acht bleibt, wird nicht mehr
in der Mitte der Orchestra angenommen, weil sonst der Schauspieler,
welcher den Schatten des Darius zu geben hat, nicht unvermerkt hin-
einschleichen kann, sondern an der Seite derselben. Das Stück ist zu-
erst in Sicilieu aufgeführt worden als Einzeltragödie. Aber die trilo-
gische Form war dem Dichter so geläufig, daß die Gliederung dieser
Einzeltragödie eigentlich drei X6701 zeigt. „Gewohnt, seinen Stoff auf
drei Aktionen zu verteilen, weil er drei Chöre hatte, that er hier das-
selbe mit einem Chore, und wer weiß, ob eine Trilogie der neunziger
Jahre an Umfang die trilogisch komponierte Persertragödie so sehr
übertraf." „So hilft die durch besondere Umstände hervorgerufene
Form der Perser dazu, die Entwickelung der sogenannten trilogischen
Komposition zu begreifen." V. 852 wird uTravTta^siv TiaiSt Tz<a<: rrsipcfjofxai
vermutet, nach 539 wird unnötigerweise eine Lücke angenommen
(„denn die am schwersten getroffene der Mütter ist eben von uns in
tiefem Schmerze geschieden"). Zu der bereits in meiner Ausgabe der
Fragmente S. 561 angenommenen Trilogie UV/aYtoYoi nriveXoTry) 'OjtoXoyoi
wird in glaubhafter Weise Ktp/r^ als Satyrdrama hinzugefügt.
V. 9 verlangt S. Zdanow, Filol. obozr. IX p. 143 ff. iroXucptoTo?
oder zoXucpcuTou für -oXuypujoy.
848 TcaXat (oder fjÖT)) für aX^r) C. Haeberlin, Piniol. 52 S. 615.
C. Conradt, Über den Aufbau der Sieben gegen Theben des
Aischylos. Jahrb. f. Philol. 155 (1897) S. 681-92
führt in der uns bekannten Weise aus, daß die Grundzahl dieses Dramas
13 ist. Das Stück besteht jetzt aus 24 X 13 + 24 X 13 + 27 X 13
Bericht über die die griech. Tragilier betreff. Litteratur. (Wecklein.) 121
Versen und würde aus 24 X 13 + 24 X 13 -f 24 X 13 Versen bestehen,
wenn nicht an die Stelle des urspründichen Schlusses ein unechter ge-
treten wäre, welcher zwar die gleiche Grnndzalil zeigt, aber auffälliger
Weise 3 X 13 Verse zuviel erhalten hat.
C. Conrad t. Über den Aufbau der Schutzflehenden des Aischylos.
Jahrb. f. Philol. 155 (1897) S. 692—701.
Auch für dieses Drama wird die Grundzahl 13 gefunden. Es
werden zunächst zwei Hauptteile mit je 24 X 13 Versen festgestellt;
es ergiebt sich dann sozusagen von selbst, daß auch der dritte Haupt-
teil 24 X 13 Verse enthält. Die V. 945—8 werden ausgeschieden;
ebenso 208 f., 422.
V. 683 vermutet aXet? für aXXou? Bar nett, Academy No. 1233
p. 551. Aber schon die Quantität ist bedenklich.
'OpEÜTcta.
L. A. J. Bnrgersdijk, coniectanea ad Aeschyli Oresteam.
Mnemos. N. S. vol. 24 (1896) S. 134 — 158.
Diese recht zahlreichen Konjekturen sind wenig wahrscheinlich
und teilweise sehr willkürlich: Ag. 192 oai|j.ov(uv xpaxsT yctpi?, 195 xrpejßu?
oiTf(z xapTspuiv, 425 £'j[x6pcp(üv Ö£ xopijxiüv, 460 f. xXTjpou? 'iXtaöoc 7ac
vJ[Lo>.poi u. s. w.
Agamemnon.
Zu neun Stellen schlägt Verbesserungen vor
G. Tucker, Class. Rev. XI (1897) S. 403-5.
Zu 69— 71 giebtL.E. Farneil, Class. Rev. XI (1897) S. 293-8,
die Erklärung, daß aVupa kpd nur unblutige Opfer bezeichnen könne (vgl.
Eur. frg. 912, 4), daß aTrupwv lepwv von i-iXsiSiuv abhängig zu machen
und o'j-:£ oaxputov deshalb entweder zu tilgen oder an den Anfang des
Gedankens zu rücken sei.
Zu 123 verweist A. Platt, Class. Rev. 11 (1897) S. 94—98,
auf Xenoph. Kyneg. 14 oi 5s rfir^ Itsio'. -raytsTa bio'jzi tov -ptürov opop.ov,
Tou? o'aXXou; oüxsti : caught in the last spurt (stopped from the remaining
spurts), 146 vermutet er xdcxaXa, wozu xsprva 149 Glossem sein soll,
880 7Xa[xa?, 1181 i'XXeiv für xXusiv, 1311 azot^ IV otoeiv ev ^ooi? öp^vov,
1536 ö'e-eqet, nach 1595 soll ein Vers wie xapa t expyjie, iTzkij/ya
6s E'jv svTEpoi? ausgefallen sein.
122 Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur. (Wecklein.)
389 tilgte. Conradt, Jahrb. f. Philol. 155 (1897) S. 700, uTrlp
t6 ßeXTitT-ov als Erklärung zu uTrspcpsu, indem er in der Gegenstrophe
406 f. Xit5v 61 iHeöiv o'jx STztj-pocpoc tu liest.
437 ff. schreibt F. Blaß, Hermes 29 (1894) S. 633 f., suvopfievwv
direvöeta TXyjJixapoio? 6o|i,o'.; ixajiou ^ipsrst mit der Erklärung „für
das Haus eines jeden der Ausgezogenen geziemt sich starkmutige
Fassung", worin die Auffassung von rpe7:et ebensowenig stilgerecht ist
wie die Änderung von o'saot? 475 in osaoiz . . xepctovoTc (oder xepauvo?).
Dem Zusammenhang entspricht nur «ÜTTEvfteia xXrjjtxapoios in dem Sinne
erzwungener Freudigkeit. Der Änderung des entsprechenden Verses
der Strophe 422 olot^y-ou; („nicht zum Zorne gereizt") a^eiixsvüjv scheint
Blaß selbst keinen besonderen "Wert beizumessen.
737 vermutet J. B. Bury, Class. ßev. 11 (1897) S. 448 f.,
-poseTpiipÖT).
Th. Plüß, Die Tragödie Agamemnon und das Tragische. Progr.
des Gj^mn. zu Basel 1896. 39 S. 4.
Diese Abhandlung ist ein merkwürdiger Versuch, das Offenbare
zu bestreiten und nachzuweisen, daß Agamemnon ohne sittliche Schuld
leide. Der Nachweis für den Satz, daß Agamemnon zur Opferung
Iphigeniens durch göttlichen Zwang und ohne Schuld eigener Leiden-
schaft komme, beginnt gleich mit einer schiefen Auffassung: „Wird
Iphigenie nicht geopfert, dann wird das Heer vernichtet." Das Heer
kann ja entlassen werden. Der Hinweis auf die Worte 9psvo? -vstov
6u3jeß^ tpoTTaiav ava'cvov dviepov 229 kann genügen, den Inhalt dieser
Abhandlung, welche sich von Anfang bis Ende in Mißverständissen be-
wegt, als veifehlt darzuthun.
L. Dyer, the plot of the Agamemnon, in Harvard Studies VII
(1896) S. 95—121,
handelt über die von Äschylos außer acht gelassene Zeitdifferenz
zwischen dem Falle Troias und der Ankunft Agamemnons in Argos
und bringt zu dem Stücke ähnliche Gedanken aus dem 90. Psalm und
aus Shakespeare bei.
Th. Plüß, Zu Aischylos Agamemnon und Homeros. Jahrb. f.
Phil. 153 (1896) S. 433—445,
wehrt sich gegen verschiedene Angriffe, welche seine Ausgabe des
Agamemnon von Wilamowitz erfahren hat, und weist nach, daß dieser
„in neun Fällen neunmal unrecht habe". Behauptungen wie die, in
der ganzen griechischen Litteratur vor Simokattes bedeute psiOpov nie
das Fließende, das, was Hießt, sind leicht zu widerlegen. Die Frage,
ob o£ au dritter SteMe stehen kann, ist längst entschieden in einer
II
Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur. (Wecklein.) 123
Weise, von der weder "Wilamowitz noch Plüß Kenntnis zu haben scheint.
Nach der Erklärung von Plüß soll Aschylos unter aziepo; 'potTt; 288
eine Nachricht ohne höhere Gewähr oder ein Wort ohne Schickaals-
bedeutung verstanden haben.
t^ber eine Aufführung des Agamemnon in Berlin (mit Jlusik von
Ferdinand Schultz) findet man einen Bericht in der Deutschen Rund-
schau Bd. 93 (1897) S. 142—4.
Xor)96poi.
Aischylos Orestie griechisch und deutsch von Ulrich von Wila-
mowitz-Möllendor ff. Zweites Stück: Das Opfer am Grabe.
Berlin 1896. 268 S.
Der Verf. rühmt sich, den Grund zum Verständnis der Choephoren
gelegt zuhaben. Wie es sich mit diesem Verständnis verhält, soll ein
Beispiel darthun, welches für viele gilt und die ganze Weise der Auf-
fassung kennzeichnet. V. 417 wird, wie ti o' av 9avTe? Tu/oifi-sv zeigt,
eine richtige Bezeichnung gesucht; es soll genau unterschieden werden
zwischen den aav-a und den acjavxa (aOsXxTa) TraBrj: was die Kinder von
der Mutter erlitten haben, ist sühnbar, das andere (der Mord und
die Mißhandlung des Vaters) ist unsühnbar; „und so kann (und darf) unser
Grimm so wenig wie ein wilder Löwe von der Mutter besänftigt
werden." In dieser Ausgabe erhalten wir folgende merkwürdige Auffassung:
„Womit versuch' ich's? Ja. wir erzählen ihm alle die Kränkungen, die
uns die Mutter that. Dulden und ducken? Sie werden's nicht leiden.
Rasenden Wolfs unerbittlicher Grimm ist mein Muttererbe. " Wer sich
ein Verständnis des Aschylos zutraut, möge die beiden Erklärungen
mit dem griechischen Texte vergleichen, und wenn er die letztere für
richtig hält, dann möge er glauben, daß mit dieser Bearbeitung der
Grund zum Verständnis des Stückes gewonnen sei; andernfalls wird er
sich überzeugen, daß hier kein Fortschritt vorliegt, sondern ein ge-
waltiger Rückschritt zur Unklarheit und zu abstrusen Gedanken. Denn
was hinsichtlich der einen Stelle gilt, das gilt von der ganzen Auf-
fassung, besonders der Chorgesänge und des großen Kommos 314 flf.
Auch für die sprachliche und grammatische Erklärung, welche uns hier
geboten wird, fehlt uns das Verständnis. So wird 882 Trepaj für -eXot?
gesetzt und zu dem Texte: eoi/ö vüv auxr,; s-t $upoü rspac a'jy?jV -saswdat
bemerkt: „Verständlich ist der Satz dem, der die Sprache kennt."
Uns ist leider der Satz unverständlich. Unbegreiflich ist uns gleich
die Erklärung des ersten Verses „meines Vaters Macht ist deines Reiches"
oder „der du die Majestät meines Vaters unter deiner Obhut hast".
Zum Glück können wir uns hier für unsere Auffassung auf Aristo-
124 Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur. (Wecklein.)
pbanes und Aristarcb berufen. Der Hauptgewinn der Ausgabe dürfte sich
auf einige beachtenswerte Konjekturen beschränken: -iuto? t 242,
ftav(5vTi Sucj9povoüv-i 515 (andere, die auch bemerkenswert sein würden,
zu 424. 494, 952, 1057, 1067, 1071 rüliren von anderen her, wie meine
Ausgabe zeigt). Die meisten neuen Konjekturen, welche im Texte
stehen, sind unbrauchbar. Die Einleitung über „Blutrache und Mutter-
mord" enthält manche schöne Gedanken, aber auch manche unbegründete
Hypothesen, z. B. über ein delphisches Epos, welches ebenso Quelle des
Aschylos wie des Stesichoros sein soll. Der Anhang, welcher den Nach-
weis für diese delphische Orestie liefern soll, zeigt erst recht, wie un-
sicher die Hypothese ist.
Daß die Auffassung des Dramas im allgemeinen verkehrt ist,
hat Jurenka, Zeitschr. f. d. öst. Gymn. 49 (1898) S. 303 ff., dargethan.
Blaß, Herrn. 32 (1897) S. 155—9, will 681 »aiTTeiv jx' schreiben,
was unnötig ist, 692 ff. höchstens die Änderung von 'OpsaTY]? in 'OpsuTriv
gestatten (, Orestes ist vermutlich arcuv, aber die hier angeredete "Apa
läßt ihn als r.apwv eintragen, e77pa<p£Tat, da sie auch an ihm das Todes-
urteil vollstreckt hat," — wenn das Todesurteil bereits vollstreckt ist,
kann vom Eintragen in die Liste keine Rede mehr sein), verlangt 756
T ou TaüTov eoye-Yjv, wobei die Konstruktion ganz unmöglich wird,
verteidigt 841 oetixaTOJTa^ec u. a., auch die Umstellung von 995 — 1002
nach 1011.
Die Bemerkung von K. Frey, Jahrb. f. Philol. 155 (1897)
S. 286 f., zu 916:
„Der Vers erweist sich als eine Unfläterei der schlimmsten Art,
als eine Beschimpfung, der etwa ein Barrere fähig war, aber die im
Munde des Sohnes Grauen erregt," scheint sehr wenig angebracht
zu sein.
Eufievio £?.
V. 599 o£ -o[xa (schon Kock), 525 f. iix'f av^ xapoi'ac a-cav Tpscptuv,
635 eji-'f po jtv , 636 Xourpa xd-tTspixia Bar nett, Academy 1233 p. 551.
Fragmente.
A. Baumstark, Die zweite Achilleustrilogie des Aischj'los.
Philol. 55 (1896) S. 277-306.
Aus dem III. Buch des Quintus Smyrnaeus konstruiert der Verf.
eine zweite Achilleustrilogie, welche aus den Tragödien Psychostasia.
Memnon, Ar/tTtoe; (Chor der kriegsgefangenen Frauen) bestanden haben
soll. Diese Konstruktion beruht auf zweifelhaften Voraussetzungen, wie
der Versuch, den Inhalt der einzelnen Stücke des näheren festzustellen
Bericht über die die griech. Tragiker betreff'. Litteratur. (Wecklein.) 125
uud iiaclizuweisen, daH die Trilogie Prometheus dem J. 471, die erste
AchilleustriloiJ!ie dem J. 469 oder 470, die /weite dem J. 468 ang;ehört,
nnr zn unsicheren Ergebnissen führt.
M. Niedermann, Kevue de Philol. 1897 S. lb'6, will in dem
Ka-raXo^o; T(T»v Ait/uAou «5pau,aTu>v tür SeixsXy] y] Oopoipopo; lesen: i!e|i£XT)
7) /jTpocpopoc. läßt aber dabei außer acht, dal! uns der Titel ^£[x£Xr) t]
'yopo'fopfji auch anderswo überliefert ist.
Sophokles.
H. Otte, Jahresbericht über Sophokles. In den Jahresber. des
Philol. Vereins zu Berlin. XXIII (1897) S. 290—328.
Sophocles the text of the seven plays. Edited with au introduc-
tioii by C. Jebb. Cambridge 1897. XLV und 364 S.
E. Poste, Notes on Jebb's Edition of Sophocles. Class. Rev. XI
(1897) S. 192-199.
Sophoclis tragoediae. Edited by Robert Yelverton Tyrrell.
London 1897. XXV und 272 S.
Y. Tyrrell, Sophociea. Hermathena 9 (1896) S. 362-68.
li. Wright , Critical notes on Sophocles. Proceedings of the
American philol. assoc. 25 (1894) S. XXXII— XXXIV.
J. Schwickert, Ein Triptychon klassischer kritisch-exegetischer
Philologie. Leipzig 1896. S. 78—86 Emeudationen zu Sophokles.
A. Frede rking. Zu Sophokles. Jahrb. f. Philol. 155 (1897)
S. 670-678.
Franz Pichler, Beiträge zur Überlieferung der Sophoklesscholien.
Festschrift des Deutschen akademischen Philologen-Vereins in Graz.
1896. S. 31-42.
F. Vogl, Beiträge zur Verständigung über Zahlensymmetrie und
Responsion im Sophokleischen Drama. Progr. des Obergymn. zu
TJngarisch-Hradisch. 1896. 26 S.
H. "Wittekind, Sermo Sophocleus quatenus cum scriptoribus Jo-
nicis congruat differat ab Atticis. Diss. von Gießen 1895. 57 S.
Heinrich Otte, Wortwiederholungeu bei Sophokles. Progr.
des Luisenstädtischen Gymn. zu Berlin. 1896. 25 S. 4.
J. E. Azelius, De assimilatione syntactica apud Sophoclem.
Diss. von Upsala. 1897. 99 S.
0. Haberlandt, De figurae quae vocatur etymologicae usu So-
phocleo. GjTnn.-Progr. von Freienwalde a. 0. 1897, 33 S. 4.
126 Bericht über die die griecli. Tragiker betreff. Litteratur. (Weckleia.)
August Scheindler, Metrische Studien zu Sophokles. Die
Synizese uad Aphärese. Serta Harteliana. Wien 1896. S. 14—27.
Saloraone Piazza, La politica in Sofocle. Padova 1896.
225 S.
Lionel Horton-Smith, Ars tragica Sophoclea cum Shaksperiana
comparata. Cambridge 1896. 146 S.
Die Chorlieder und Wechselgesänge aus den Tragödien des So-
phokles in deutscher ttbersetzung von W. Hoff mann. Erster Teil:
König Oedipus, Oedipus auf Kolonos, Antigone. Zweiter Teil: Aias,
Elektra, Philoktetes, Trachinieriunen, Tereus. Berlin, Programme
des Sophiengymnasiums 1896 und 1897. 30 und 28 S. 4.
Die Tragödien des Sophokles. In neuer Übersetzung von 0. Hu-
batsch. Bielefeld und Leipzig 1896. X und 456 S.
Sechs Tragödien von Sophokles in deutscher Nachbildung von
F. Bader. Leipzig, S. Hirzel. IX und 479 S.
Aus den die Entwickelung der Orestessage eingehend erörternden
Abhandlungen von AI. Olivieri, La morte di Agamemnone secondo
rOdissea. Eivista di filol. 24 (1896) S. 145—207 und II mito di Oreste
nel poema di Agia di Trezene. La due Elettre. La Clytemestra e
l'Aegisthus di Accio. Ebd. 25 (1897) S. 570—599, führen wir das Er-
gebnis des vorletzten Abschnittes über die beiden Elektren an, daß die
Elektra des Euripides mit Kenntnis der Sophokleischen verfaßt ist.
Die Dissertation von P. Gensei, De Sophocle a Roraanis liberae
reipublicae temporum tragicis poetis adhibito. Halle a, S. 1895, betrifft
nur die römischen Tragiker. Den Beweis, daß die Alcestis des Accius
nach einer aus frg. 767 zu entnehmenden Alkestis des Sophokles gear-
beitet sei, betrachtet der Verf. selbst als ungenügend.
Im vorigen Jahresbericht Bd. 88 S. 54 ist aus einer Abhandlung
von Mekler vom J. 1895 die Ansicht angeführt worden, daß der Aus-
spruch, welchen Sophokles nach der Angabe des Satyros (im Bio;) im
Prozesse gegen Jophon gethan haben soll, auf eine Komödie zurückgehe
und noch die Form der Trimeter zur Schau trage. Durch die Güte
des Hen'n H. Bocock bin ich aufmerksam gemacht worden, daß diese
Ansicht schon in der Ausgabe der Antigone von W. Humphreys 1891
p. XII sq. vorgetragen ist, wo bereits die Verse der Komödie in fol-
gender Form hergestellt sind:
<dXX'> £1 fxev ei|xt SocpoxXsrj;, ou Trapacppovu),
ei TTapacppovüi ö', oyx eijAt SocpoxXer)? <iYu»> oder <eTi>.
Zum Leben des Sophokles bemerkt P. El. f. d. Gymn.-
Schulw. 33 S. 255, daß nach der Abhandlung von A. Körte, Athen,
Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur. (Wecklein.) 127
Mitt. 1896 S. 287 ff., vgl. Bourguet, Bull, de corresp. hell. 18, 491 f.,
in dem Bio; ilocpoxXeouc § 11 TfjV xoü 'Ajauvou tepwjuvrjv zu schreiben ist:
„Sophokles war Priester des Heilheros Amynos und hat als solcher im
J. 420 den neuen Ankömmling Asklepios in dem Hause seines Gottes
aufgenommen. Aus dem Heiligtum des Amj^nos ward das des Amynos
und Asklepios. Als Heros ..Aufnehmer" (As^t'uiv) wurde Sophokles des-
halb nach seinem Tode verehrt und blieb in Kultverbindung mit den
Göttern, deren Priester er bei Lebzeiten gewesen war." Vgl. auch
Zielinski, Philol. 1896, S. 597 Anm. 3.
Halber tsma (s. oben S. 107) giebt eine große Anzahl von Ver-
mutungen zu allen Stücken , die vielfach von Herwerden modifiziert
werden.
Die Textausgabe von Jebb giebt im allgemeinen den Text der
großen Ausgabe Jebbs wieder unter kurzer Angabe der aufgenommenen
Emendationen. Die Einleitung handelt über Handschriften , Schollen
und Ausgaben. Wiewohl die Auswahl aus den vorliegenden Konjek-
turen nicht überall eine glückliche zu nennen ist und manchmal die volle
Beherrschung des Stoffes vermissen läßt, steht doch die Ausgabe im
ganzen auf der Höhe der Wissenschaft, wenn sie auch keinen Fort-
schritt bezeichnet.
Die erklärenden Bemerkungen von Poste zu der Ausgabe von
Jebb sind ohne Belang. Zu ujrs^sXeiv 0. T. 227 wird auf Aristot.
Ath. Pol. 35 § 4 67ieiaipou[x£voi xov 96ßov hingewiesen.
Die Textausgabe von Tyrrell, in welcher eine kurze Einleitung
die aufgenommenen neuen Textänderungen aufzählt, bietet eine Reihe
von Konjekturen, von denen jedoch wenige Anspruch auf Beachtung
haben. Der Aufsatz in der Hermathena unterzieht einige derselben
einer näheren Erörterung. Ich erwähne Ai. 869 xoudzU eiriaxaTai jj-expa
[jLcxxav toTTo? (nach frg. 730, welches schon G. Wolff vor 870 einfügen
wollte), 0. K. 702 -^rjpac, 1452 i-icbv [xev l'xepa, 1474 oup-^oXw Xapojv,
Ant. 321 xoüa' 8, 452 ou to6cso, Phil. 1092 ai »yjpai o avio, 1149 cpu^oa
jxTjxex' dn:' auXiiuv rr^oax', El, 1075 'HXexxpa axovov ou iraxpoj, Ai. 869 aup,-
•KaösTv, 885 Tzo~oi[LS)\ evuöpoc und 930 ^asöovxo; <apar>.
Vgl. die Besprechung in der Berl. Philol. Wochenschr. 1898
S. 609 — 11, wo ich 0. K. 541 iTiuxpeXr^aa; ocpeXov eEeXeaöai vermutet habe.
Von den 13 Konjekturen von Wright verdienen etwa folgende
Erwähnung: Ai. 1266 xa/eta xoi, 0. K. 1702 ouÖ£ -(ap ouv d^tXrjxo;,
Phil. 1227 TTotov oüv ou joi Trplxrov. Mit xt; av, opuiv 6-epJia3io(, xaxar/ot
Ant. 604 scheint der Anstoß des fehlenden av am einfachsten gehoben
zu sein, aber 6p(öv ist zwecklos.
Die „Emendationen" von Seh Wickert sind sinnlos.
Frederking vermutet Ai. 651 ^acpet; siörjpoc wj, indem er gleich-
128 liericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur. (Wecklein.)
falls die Worte mit iy.apxepouv verbindet, schreibt Oed. Tyr. 256 rnjLac
für ujxa;, 342 richtig xai sz, erklärt 381 irap' ujaiv «puXaaaexai „wird in
eurer Umgebung gehegt", will 685 7a? Ti£iiovY]|X£vac, 1140 toutiuv oux
e-jco -£7rpa7ii.£vov, 1286 £v xivi, 1405 tauTou schreiben, ist geneigt, 244 f.
als Interpolation auszuscheiden ; Phil. 52 soll wv objektiver Gen. sein.
Er vermutet ebd. 534 aoixov e$oiy.rjaiv, 1033 ueXafjavxoc (dafür würde
der Dichter wohl eher irapovxo; geschrieben haben). 1066 ouSe aou, 1161
|XTix£Ti [xr^oEv 7£. V. 1311 f. wcrdeu beide Genetive als Apposition des
Relativs angesehen. Richtiger wohl sagt man, daß bei beiden ßXaaxwv
EÖei^ac vorschwebe.
Aus der Abhandlung von P ichler erfahren wir, daß der cod.
Vindob. 253, welcher Schollen zu Soph. Aias enthält, als indirekt aus
dem Laur. stammend keinen Wert für den Text der Schollen hat. Außer-
dem werden einige handschriftliche Berichtigungen zu der Ausgabe der
Schollen von Pappageorg "gegeben.
Vogl sucht eine äußere Zahlensymmetiie in den größeren Kom-
plexen des Oed. Tyr. und Gedankensyrametrie in Verbindung mit Zahlen-
sj'mmetrie in einigen Scenen des Aias nachzuweisen. Dabei werden
Oed. T. 401—3. 821 f. und 828 f., 1230 f. und 1232 f., 1288, 1406—8,
,die ganze Rührscene* 1446 ff. der Interpolation verdächtigt. Wie
weit die Übereinstimmung der Gedanken- mit der Zahlensymmetrie
reicht, wird man bald erkennen, wenn man z. B. die Rede der Tek-
messa Ai. 284 — 330 nachprüft, welche in 5 X 4. 6. 5 X 4 Verse zer-
fallen soll , wobei die 2 Verse 298 f. auf den einen xal tou? \ih riuyi-
vt^e, xo'jc ^E o£cj[iiou; zurückgebracht werden, oder die Rede des Aias
438 — 80, welche nach Beseitigung der V. 475—8 folgende Abteilung
erhält: 7 + 4-^4-- 5 — 7—5 + 4 -f- 4 -^ 7. Der Zahlensymmetrie zn-
liebe wird das Unmögliche möglich gemacht; es werden z. B. die Y.
527 f. noch dem Chor gegeben, damit die Responsion mit 481 — 84 her-
gestellt wird. Auch die V. 674 — 6, 786 werden auf dem Altare der
Symmetrie geschlachtet.
In der verdienstlichen Abhandlung von Wittekind werden die
jonischen Formen, Ausdrücke und Konstruktionen, welche sich bei So-
phokles, Aschj'los und Euripides finden, zusammengestellt /.um Beweise,
welch großen Einfluß der jonische Dialekt, in welchem der jambische
Trimeter geschaffen wurde, auf die Sprache der Tragiker geübt hat.
Einen wesentlichen Unterschied unter den Tragikern läßt die Zusammen-
stellung nicht erkennen, so daß mit „Sophocles est Jonicissimus poetarum"
zu viel behauptet werden dürfte. Es ist auch z. B. unrichtig, daß das pron.
possess. o; sich außer an 5 Stellen des Sophokles nur Asch. Sieb. 628
finde. Es kommt auch Eum. 368 und einigemal bei Euripides vor.
Vgl. meine Anmerkung zu Med. 955.
Bericht über die die griech. Tragiker betrefl". Litteratur. (Wecklein.) 129
Otte vertritt den Grundsatz, daß die Wiederholung: eines Wortes,
wenn sie nicht eine besondere Beziehung habe und eine Absicht des
Dichters erkennen lasse, die Vermutung einer Textverderbnis nahe lege.
In Anwendung: dieses Grundsatzes werden mehrere Stellen behandelt,
so Ant. 339 und 350, wo axaixaxav und d^zcii'^iza. ausgeschieden werden,
0. K. 866 o[i[i.aiTOi xTi'aa;, 1260 raxpt o" d\t.\ia-zo(s-zBps.i u. a. Wie frühere
Behandlungen dieser Frage z. B. von L. Schmidt zeigen, muß der
Grundsatz eine Einschränkung erleiden. Vor allem scheinen solche
Stellen unbedenklich, wo sich die Bedeutung des Wortes ändert, wie
0. T. 237 — 40 Opovouc ve(xa) — yepvtßac vefietv, 383 — 85 r^joe ■{ (Jp/rj?
. . oG; apyrji «piXoc Ebd. 291 ist vielleicht Travta o' ijropüi zu
schreiben. Nebenbei untersucht Otte den Gebrauch des dat. loci bei So-
phokles und will nachweisen, daß derselbe wie in der Prosa auf Eigen-
namen beschränkt sei.
Azelius unterscheidet nach H. Ziemer, Junggramm. Streifz.
Colb. 1883-, drei Arten der Assimilation, die äußere oder formale
(Attraktion, Anticipation), die innere oder reale (Konsti-uktion xatd
cuveaiv) und die assimilatio compromissalis , womit er das Ziemersche
„Kombinationsausgleichung" wiedergiebt (Analogie). Es ist richtig, daß
die alten Dichter mehr einer natürlichen als einer Schulgrammatik
folgten , und Zusammenstellungen wie die vorliegende können manche
Stelle, die einen minder gewöhnlichen Ausdruck bietet, gegen Konjek-
turen schützen. Aber derartige Untersuchungen erfordern ein feines
und geübtes Sprachgefühl, welches freiere Wendungen von unnatürlichen
und unmöglichen Ausdrücken zu unterscheiden versteht, andererseits
richtige Beurteilung der handschriftlichen Überlieferung, damit nicht
die Fehler derselben dem Dichter angerechnet werden. So wird gleich
im ersten Kapitel das unlogische aXXr)? El. 100 und 885 belegt mit Eur.
Alk. 17 ouy eups rXrjv luvaixo; t^ti? vjftsXs ftavsiv. Aber für denjenigen,
welcher die handschriftliche Überlieferung richtig beurteilt, steht es
absolut fest, daß Euripides dem Gedanken entsprechend ot:i? tjösXs
davüjv . . jjirjxE-' ci76pav (fdo; geschrieben hat. Bei der ersten Art
werden Wendungen wie w Oav, aXt-Xa-'xxs ?pavYi&t oder -i TrpojxasTet?
Ttoiöiv; oöo'j xa-otpysiv t^? ixet, -©[x-ov ö' £|X£ ytopsiv richtig behandelt,
aber Ausdrücke wie a^YsXXs o' opxw r.poj-dhk El. 47, ttqvo' r^v si'XTjyev
v'y/r^'j {)av6vT£c Ai. 1058, xov del Tratpoc E~'.cTt£vayouja El. 1075 müssen
als unnatürlich bezeichnet werden. Ebenso bei der zweiten eine Wendung
wie dvspsc, oü? TirdvTo xaöaipcov xxe. Trach. 1011, wo die Menschen für
das Land eintreten sollen. Bei der dritten Art wird auch die Erweite-
rung der figura etymologica behandelt. Diese hat einen großen Um-
fang, läßt aber doch -ov Tta-piüov rjvixtz a-coXov . . £3TO|xr,v Trach. 563
nicht als möglich erscheinen. Der Acc. in r.Tfii^-no. r.zd'.'x ist anders
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVI. (1898. 1.) '•)
]30 Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur. (Weckleiu.)
aufzufassen und bei y(upac (pu-pvxs; xTJaoE ist es unnötig, an die Analogie
von d-aXXaaaECTÖai zu denken. Auch die ErkUirung von oij&' w; 7:oiT)aov
verrät eine äußerliche Auffassung der grammatischen Erscheinungen.
Ant. 1272 hängt [xe^a ßapo; von e/tuv ab, 0. K. 1212 xoG fisTpiou Ton
dem zu ergänzenden ypTJ^siv. Undenkbar ist die Verbindung von tivoc
ypeict? mit dvujai ebd. 1754 oder cpeps [idÖTj? Phil. 300. Wenn ^Xd'
ev . . 7:d7oic frg. 300 gereclitfertigt wird, dann giebt es keine Korruptel
mehr. Wer weiß, wie außerordentlich häufig in den Handschriften die
Verwechselung von rou und 7:01, von Trsi&eiv und tieiseiv ist, wird nicht
7:01 aicuva 2;u) 0. K. 1735 oder gar Treiaetv ouvTij6p.£jöa Phil. 1394 in
Schutz nehmen wollen. Was S. 73 über ixsXXw gesagt wird, ist ganz
mangelhaft. Bei den Wendungen wie xov H 'Äiöa Xi}Jt.vas Traxep' dvaxd-
(jEic hätten auch solche wie euse^eiv xa Trpo? Oeouc behandelt werden
sollen.
Haberlandt giebt eine ausführliche Darlegung der grammatische»
Erscheinungen, welche mit der figura etj'^mologica in Verbindung ge-
bracht werden können, z. B. auch xaxcüv xdxtaxE, ttovxou stvaXtav cpujtv,
t:6vo'. ouanovoi, ~dvoa|jLO? -oX'.c, Traiooupiia öujxexvo? U. a.
Scheindier versucht die Fälle der Synizese und Aphärese ge-
nauer zu ordnen. „Synizese wird möglich, wenn der erste Vokal so schnell
sprechbar ist, daß er zum Vorschlage herabsinken kann." Bei Sophokles
finden sich 62 Fälle, wo e vor einem langen Vokale, 28 Fälle, wo tq
oder El vor ou steht. Die Schreibung s-fw ouxe ist fehlerhaft für e^wuxe
(e7u)uö£, EYtpjx': warum nicht auch 0. T. 1002 e'/wu/i, sondern £7(1)7' ou?).
Für fjLT) dTtoXsiTTEJöai ist [itj '-oX. ZU schreiben (Aphärese), Phil. 933
vielleicht xov |iiov [xt] }j.' eEeXtj. Elmsleys Regel, daß nur e Aphärese
erleide, ist nicht richtig. Vgl. Eur. Hik. 639. Bei t) vor e (tj l-^u))
ist nicht Aphärese, sondern Synizese anzunehmen, bei TjTiivoia, Tj$ap.apxia,
^-t'xxrjc; Krasis. Die Aphärese beschränkt sich auf einzelne Wörter :
ETTi (23 mal), £70» (14 mal), saxi (8 mal), ev (2 mal), ifiaüxw (2 mal), ä-6
(3mal) u. a. Statt der Aphärese des Augments e will Scheindier lieber
augmentlose Formen annehmen. Aber da, abgesehen von den augment-
loseu Formen, welche sich in d77EXixal pj^sst? und zwar gewöhnlich am
Anfang des Trimeters finden, die ziemlich zahlreichen Formen immer
einen langen Vokal vor sich haben, muß die Aphärese feststehen.
Piazza führt aus, daß Sophokles die Zeit, in welcher er die
einzelnen Tragödien verfaßte, widerspiegelt mit patriotischen Erinne-
rungen, mit rühmender Erwähnung von Örtlichkeiten, welche Athen
teuer waren, mit der Auswahl zeitgemäßer Stoffe, mit weisen Regierungs-
grundsätzen, welche mit der Handlung in enge Beziehung gebracht
sind. Persönliche und parteipolitische Anspielungen werden abgelehnt.
Es wird der Unterschied hervorgehoben, welcher zwischen Aschylos und
Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur. (Wecklein.) ]3i
Sophokles einer- und Euripides andererseits in dieser Hinsicht besteht'
daß z. B. Aschylos und Sophokles boshafte Anspielungen und Be-
merkungen gegen Feinde Athens vermeiden. Nur dem Öd. auf Kol.
sei politische Tendenz und einige Feindseligkeit gegen Theben nicht
abzusprechen. Vgl. die Besprechung von Zuretti, Riv. di Filol. 1896
S. 566—568.
Horton-Smith legt dar, wie Sophokles und Shakespeare jeder
in seiner Weise ihre Kunst zur Vollkommenheit gebracht haben, wie
die Kunst des Sophokles sich durch Einfachheit, die von Shakespeare
durch Mannigfaltigkeit auszeichnet. ,Aequabilitate, levitate, tempe-
rantia eminet Sophocles, Shaksperius autem copia, ubertate. abun-
dantia."
Die gereimten Übersetzungen der Sophokleischen Chorika von
Ho ff mann sind bereits 1869 und 1870 als Programme des Sophien-
gymnasiums in Berlin erschienen und vom Verfasser einer Revision
unterzogen worden. Wer sich überhaupt mit solchen Bearbeitungen
griechischer Chorlieder befreunden kann, wird die wohlklingenden
Reime mit Vergnügen lesen. Doch muß bemerkt werden, daß der Sinn
des Originals nicht immer treu festgehalten ist.
Hubatsch strebt in seiner Übersetzung Wahrheit, Klarheit und
Schönheit an und hat wohl in bezug auf die beiden letzten Gesichts-
punkte ziemlich hohen Anforderungen entsprochen, weniger aber in be-
zug auf Treue und Wahrheit. Die schwächste Seite bilden die bühnen-
technischen Bemerkungen.
Noch mehr ist der Klarheit die Wahrheit d. h. die Treue zum
Opfer gebracht in der Übersetzung oder vielmehr „Nachbildung" von
Bader. Das fehlende Stück sind die Trachinierinnen.
Aias.
Sophocles the plays and fragments with critical notes, commen-
tary, and translation in english prose by R. C. Jebb. Part VII.
The Aiax. Cambridge 1896. LXXni und 258 S.
Mit diesem 7. Teile ist die große Ausgabe des Sophokles, über
welche schon öfters berichtet worden ist, abgesehen von den Fragmenten,
zum Abschluß gebracht. Ich erwähne hier nur die Konjekturen zu 770
sixa S' ävTiov und 869 xouSsU eitioxaTai acpe auvvaieiv tottoc sowie die Er-
klärung zu 651, wo ßacpT] atäTjpoc zum Vorhergehenden gezogen wird, wo-
durch aber die Vergleichung ihre Bedeutung verliert.
Über die Scenerie des Aias s. oben S. 119.
Von den Bemerkungen, welche C. Conradt, Jahrb. f. Philol. 155
(1897) S. 33—48, zu Sophokles' Aias macht, scheint mir nur die zu
y*
132 Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur. (Wecklein.)
1133 besondere Beachtung zu verdienen. Er fordert auch hier für
rrpoüjtr, die Bedeutung „trat schützend vor dich, trat für dich ein"*.
Aber izpoaT^vai würde in diesem Sinn den Gen. regieren, man würde
also (jou erwarten. Vielleicht stand ursprünglich aipaTou für -sio-i: „ja
war Aias dein Feind, als er der Schutz des Heeres war?"
F. Polle, Jahrb. f. Philol. 155 (1897) S. 256—260, vermutet 51
ouj'fpova; [ein metrischer Fehler!], 133 cTUYOud' uTrepxoirou; , 269 yjjiiW
ap' ou vojouvxe? . . vuv; 358 sXi'Ecuv, 869 ImaTatai ti arjixaiveiv toitoc,
923 ouTcDc tx^ii u. a. Außerdem tilgt er 109, 321 f., 332, 539 f.
477 ouS' £vic Xozou (oder XoßoG) V. Thoresen, Nord. Tidsskrift
V (1896) S. 56 f.
510 f. schlägt E. Holzner, Jahrb. f. Philol. 153 (1896) S. 122,
ei veos Tpo^etüc arepifjÖEi? xxe . vor. Die Notwendigkeit der Änderung
vorausgesetzt ist diese ansprechend.
706 schreibt 0. Puschmanu, Jahrb. f. Philol. 153 (1896) S. 16
eAü5 epe(i.vov äyj3<;, nicht sehr wahrscheinlich.
1096 Totauta {xcapatvouaiv E. Holzner, Wochenschr. f. kl. Philol.
14 (1897) S. 364. Trefflich!
Elektra.
Die Tragödien des Sophokles zum Schulgebrauche mit erklärenden
Anmerkungen versehen von N. Wecklein. Drittes Bändchen:
Elektra. Dritte Auflage. München 1896. 100 S.
Aus der neuen, mehrfach verbesserten Auflage erwähne ich
folgende Textänderuugen: 21 f. die Worte evTauö' . . aXX' sind inter-
poliert, 256 xoGt für xaGi und 258 too' für xaö', 339 und 814 yp^i für
Sei, 538 xoGSe für xiovSe, 557 aviapa für Xur^pa (wegen Xut:t)p6v in 553),
584 — 586 sind unecht, 709 oöi. acpiv, 713 eaeiov, 775 xrjaoe vt)8uos 75716?,
1128 ücp- für oü-/, 1287 oio 5v Evepöev.
Sophokles Elektra, erklärt von Georg Kaibel. Leipzig,
Teubner 1896. VIII und 310 S. 8.
Diese Ausgabe giebt einen ausführlichen, nur allzu ausführlichen
Kommentar, welcher eine grammatische, sachliche, psychologische und
ästhetische Erklärung des Textes bieten will. Über die vielfachen
Mängel und Fehler des Buches vgl. meine Besprechung in der Berl.
Philol. Woch. 17 (1897) S. 1313—1319. Ich erwähne hier die Er-
klärung von ä'sxptüv Eu'fpovr, „dunkle Sternenheiterkeit", von k^ ur.oaxpo-
9% 725 „infolge einer Seitenvvendung", von exxov eßoo|i,6v xe 726 „den
sechsten oder gar siebenten Lauf", von xov ev Ttevöet, ,^den Toten, um
Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur. (Wecklein.) 133
den getrauert wurde", 70vai jwjxaTtov 1233 ^^ au}\xaza 7e7evvT)|xeva , die
Vermutungen zu 91 jAO-fsp' o'.xeuov, 162 euKaxpioav yevoc, 720 etryatoc
(schon wegen 734 unwahrscheinlich), 723 5t<pp(p, 836 ereixiiäaa, 1394
veoxoixia-cov aifjLa und die Annahme einer Lücke zwischen ytopouvro; und
si'jtTE 1323 und nach 1458. Alles sehr zweifelhaft!
A. 0. habe ich 169 uiv t' e'fAaö' tov t eoar^v, 900 ex/ap7, Eur.
Med. 1269 auToev-rais vermutet.
Theodor Plüß, Die Dramaturgie des Sophokles und Kaibels
Elektra. Jahrb. f. Philol. 155 (1879) S. 721-729.
Nach Urteilen, welche Kaibel über einzelne Teile des Stückes ab-
giebt, müßte nach Plüß das Gesamturteil lauten: „im Verhältnis der
einzelnen Teile zum Ganzen der Handlung statt Einheitlichkeit und
Geschlossenheit in bindender Klammer vielmehr Diffusion und Kon-
fusion ohne Rand und Band," und müßte die Elektra als „ein Erzeugnis
dramaturgischer Velleität und Impotenz" angesehen werden. Zum Schluß
bemerkt Plüß, daß er in seiner Elektra (Leipzig 1891) mit anderer
Methode zu entgegengesetzten dramaturgischen Ergebnissen gelangt sei.
P. Masqueray, sur un passage d'Electre de Sophocle. Revue
de philol. 21 (1897) S. 91—98
will inbetreff des Personenwechsels in den Kommoi für Sophokles
folgende Regel feststellen: „Die Person, welche die Trimeter in der
strophischen Partie vorträgt, kann in der Antistrophe schweigen und
die Erwiderung einer anderen Person überlassen. Aber diese zweite
Person muß in der Antistrophe eine Rolle spielen, welche der von der
ersten Person in der ganzen Strophe gespielten Rolle genau entspricht.
Es wird nicht bloß ein Teil, sondern die ganze Rolle abgetreten."
Hiernach müßte in dem Kommos El. 1398—1441, wenn 1398—1421
= 1422—1441, in der Antistrophe Orest immer Klytämestra ersetzen,
wenn der Koryphaios an die Stelle der Elektra, Elektra an die Stelle
des Koryphaios tritt. Da dies nicht der Fall ist, soll die antistrophische
Responsion erst mit 1407 beginnen. Aber die von Seidler angesetzte
Responsion ist augenscheinlich. Aus derselben fallen nur die Verse
1404 f., 1406 und 1409 heraus; 1409 fällt auch aus der von Masqueray
angenommenen Responsion heraus und der Gi'und ist für diese vier
Verse der gleiche. Die Rufe aus dem Innern und die Erwiderung der-
selben von Seite der Elektra nehmen ebenso an der Responsion nicht
teil wie die Rufe des Lykos Eur. Herc. 749 und 754 oder wie die aus
dem Zusammenhang des Klagegesangs heraustretenden Worte der El.
Eur. El. 125 f. Vgl. meine Beiträge zur Krit. des Eur. III (s. unten).
An die im vorigen Jahresbericht S. 78 f. excerpierte Abhandlung
von J. Vahlen knüpft Th. Plüß, Jahrb. f. Philol. 153 (1896) S. 53—62,
134 Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur. (Wecklein.)
verschiedene Bemerkungen. Zunächst wird die Richtigkeit von TtoXXüiv
Sv T]xoi», (L $ev', a^iof «piXeiv 797 bestritten und der Unterschied der von
Vahlen angeführten Belegstellen nachgewiesen. Zu 1005 f. erhalten wir
die Erklärung: „Der Gedanke, für ein ehrendes Gerede der Leute
schmachvoll sterben zu müssen, ist für uns noch kein befreiender und
kein helfender mehr: giebt es doch noch etwas Verhaßteres als Sterben,
nämlich wider Willen leben müssen."
J. Oeri, ebd. S. 380—382, betrachtet die letzte Stelle als
lückenhaft und ergänzt: ou 7ap Oaveiv e^öiatov, aXX' oxav <xX£oc sp^ou
xaxajyeiv suaeßoüc irpo toI)> Oaveiv ypirji^ojv xxe.
1370 f. vermutet J. von Leeuwen, Mnenios. N. S. 24 (1896)
S. 226 TOUTOts TS TOii xaivstv aocpoT? vÄKkoiai.
Ödipus Tyrannos.
Die Tragödien des Sophokles zum Schulgebrauch mit er^
klärenden Anmerkungen versehen von N. Weck lein. II. Ödipus
Tyrannos. 4. Auflage. München 1897. 103 S.
Aus der vierten Auflage erwähne ich die neuen Textänderungeu
24 901V10U Ca^T]?, 287 e'jrpa^a 0£, 317 toüto für xaüxa, 344 -yqvou (ysvou)
61' opyr,;, 470 7£vva?, 669 Travoixcu? für TravxsXöj;, 688 xaxa|xßXuvY), 1246
|xaxa''cov für iraXaiüIv, 1291 [xsvcuv apaiJiv svoyoc at? rjpaaaxo.
Sophokles erklärt von Schneidewin und A. Nanck. II
König Ödipus. 10. Auflage. Neue Bearbeitung von E. Bruhn.
Berlin 1897. 232 S.
Der Kommentar hat durch den neuen Herausgeber vielfache Um-
gestaltung erfahren. Der kritische Anhang ist auf eine bloße Angabe
der vorgenommenen Textänderungeu beschränkt worden. Sehr zweifel-
hafter Art sind fast alle Zusätze, welche Wilamowitz zu dem Kommen-
tar gemacht hat. V. 335 schreibt Bruhn opfT^veiac, 709 xexixap für
xeyvT]?, 1213 Wilamowitz axwv, 1350 vofjLaooc eul TiXaxos. Vgl. meine
Besprechung in der Berl. Philol. Wochenschr. 1898. No. 16.
A. Rademann, Adnotationum ad Sophoclis Oedipi tyranni v.
863 — 910 specimen. Gymn. Progr. von Kottbus 1897. 14 S. 4.
Die kritische und exegetische Behandlung des zweiten Stasimon
bringt nichts wesentlich Neues, das Beachtung verdiente.
15 liest S. A. Naber im Faksimile des cod. Laur. rpoffxt'ixeOa
und schreibt deshalb Trpo^/st'iJLeOa.
Zu 246—251 bemerkt U. Nottola, Bollett. di Filol. class. II
(1896J 212 f., daß die Umstellung der Verse nach 272 die Kraft
Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur. (Weckiein.) 135
der Rede abschwäche, den richtigen Gedankeug'ang störe und eine un-
richtig-e Beziehung von -oiaoe 251 auf 270—272 nahe lege.
450 ft. xavaxr,pua(Jtüv, i^ovsa xov Aatstov, outo^ aativ evOaos ;uvu)v,
705 f. t6 -f zU eauTov oux eXeuöep03T0[jier (und Phil. 108 xo t|>£uor,7operv),
715 $evT)c Im, 815 xi's xoGSe 7' aXXo; vuv ex' diöXtüixspo? M. L. Earle
Class. Rev. X. (1896) S. If.
11 35 f. veixofXEv öiT.lohi -otfJLvi'otc , £70) 6' svi iTtXirjaiasOv Pistner,
Bl. f. d. Gymnasialschulw. 33 (1867) S. 417 f. Dem Sinne nicht sehr
entsprechend I
Zu 800 weist H. W. Greene, Class. Rev. XI (1897) S. 199,
auf Verg. Aen. IV 20 Anna, fatebor enim, niiseri post fata Sychaei hin.
II. Wetzel. antiker und moderner Staudpunkt bei der Be-
urteilung des Sophokleischen Dramas , König Ödipus". Gymnasium
14 (1896). S. 444— 454 und 485—494.
„Ödipus ist frei von jeder sittlichen Schuld: er ist von Apollo zu
seinen Greuelthaten verleitet worden, damit sein bereits dem Laios
prophezeites Schicksal sich erfülle. Der König Ödipus ist also eine
Schicksalstragödie und zwar in krassester Form: Göttermacht verführt
den Helden zu Frevelthaten, die er bei klarer Erkenntnis und völliger
Willensfreiheit nimmer begangen haben v^ürde." So richtig uns der erste
Satz erscheint und so wahr es ist, daß Ödipus nimmer seine TJuthaten be-
gangen haben würde, wenn das Orakel anders gelautet hätte, so glauben
wir doch nicht, daß Sophokles eine absichtliche Verführung durch
die Gottheit angenommen hat. Die Stelle, welche der Verf. dafür an-
führt, 1329 f. wird richtiger auf das dem Kreon erteilte Orakel be-
zogen. Von einer Buße des Sohnes für die Schuld des Vaters ist im
Stück keine Rede. Im übrigen vgl. die Einleitung zu meiner Ausgabe
(München 1897). — Die Auffassung von Gcpeip-c roX-J, „fand im Ge-
heimen weitere Verbreitung*, können wir nicht billigen. Mit Recht
aber wird bemerkt, daß {iiyOyjvat 791 zwar im Sinne des Gottes eine
Heirat bedeute, aber auch nur von geschlechtlichem Verkehr ver-
standen werden könne und von Ödipus verstanden und deshalb als Ur-
sache des Vatermords aufgefaßt werde, ferner daß Ödipus niemals
daran gezweifelt habe, daß Merope seine Mutter sei.
Ödipus in Kolonos.
J. Hooykaas, De Sophoclis Oedipo Coloneo. Diss. von Leiden
1896. 104 S.
Der Held des Stückes erscheint dem Verf. nicht als heilig, sondern
als sündhaft. Im Leben des Ödipus offenbare sich nicht die Macht der
136 Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur. (Wecklein.)
Erinyen, sondern nur die Gnade der oberen Götter. Das Drama ver-
dient nach der Ansicht des Verf. nicht die große Bewunderung , da
ihm die letzte Feile fehle. Die Ansicht, daß ein großer Teil desselben
in einer früheren Zeit gedichtet und daß der Dichter über der voll-
ständigen Ausarbeitung weggestorben sei, ist nicht neu. — Eur. Phoen.
61 vermutet der Verf. öeivov EfjLpaXXsi axoxov.
Antigone.
Die Tragödien des Sophokles zum Schulgebrauch mit erklärenden
Anmerkungen versehen von N. "W ecklein. I. Antigone. 5. Auf-
lage. München 1897. 105 8.
Aus der an mehreren Stellen berichtigten neuen Auflage erwähne
ich die Änderung von ouaaeß^ in öoafXEv^ 514 und von Sv XeYei? in S
^v{tii 1057.
J. L. Margrand er, Proceedings of the American Philological
Association XXVIII (1897) S. 57 f., will V. 3 zu onoiov ou^i ergänzen
Ixiltaz aus teXsT, was unmöglich ist; 1097 soll ev osivw konzessive Be-
deutung haben (,bei allem Argen"), was avtioravTa als Gegensatz zu
eixadeiv ausschließen würde.
F. Blaß, zu Sophokles' Antigone und Piatons Protagoras. Jahrb.
f. Phüol. 155 (1897) S. 477-480,
führt aus, daß die Ähnlichkeit der Gedanken im ersten Stasimon der
Antigone und in dem kulturhistorischen Mythus, welchen Piaton dem
Protagoras in den Mund legt, anf ein Orphisches Gedicht hinzuweisen
scheine, wie ein solches bei Sext. Empir. adv. math. II 31 angeführt wird :
^v ypovo?, fjvtxa ^tuxes a;:' dXXif^Xtüv ßiov eiyov
aapxooax^, xpetaatuv oe xov ^jffova (ftoxa. oatZev.
Unter Hinweis auf die Gedanken jenes Mythus glaubt er zapeipuiv
368 mit Seyffert „einfügend in, verbindend mit", nämlich etc rrjv xexvrjv
erklären zu können. Außerdem schreibt er, damit te^^vt) Subjekt zu
E^ioa^axo 356 werden kann, 351 mTiov e^^et ^r/va djicpiXocpov ^u^ov und
ergänzt 357 Tia-^wv <Tt6p'> ai'&pia. Es ist schwer, aus xe-/va das Subjekt
zu eStoaEaxo zu entnehmen. Diese stilistische Härte ist dem Dichter
kaum beizumessen.
904 xai'xoi IE xipLTjCjasa Th. Korse h, Filol. obozr. IX p. 162.
Fehlerhaft!
Die bekannte Stelle 904 ff. will J. Waßmer, Jahrb. f. Philol.
155 (1897) S. 701 — 704, als Nachwirkung aus den alten Zuständen, wo
das Mutterrecht in Kraft war, rechtfertigen : der Bruder steht nach der
Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur. (Wecklein.) 137
AnscbauuDg jener Zeit der Schwester und deren Kindern näher als der
Gatte und Vater, als selbst die Kinder.
Über die gleiche Stelle handelt H. Macnaghten Journal of
Philol. 48 S. 171—177, bringt aber für deren Unechtheit nichts
bei, was nicht schon längst gesagt wäre. Durch Mißverständnis der
Worte Toiao' ä'pvujxai soll Jophon zur Interpolation veranlaßt worden
sein. Neu ist, was
Ge. Kai bei, de Sophoclis Autigona. Universitätsschrift von
Göttingen. 27 S.
für die Echtheit der Stelle vorbringt. Hiernach hat der Beifall, welchen
die bekannte Bemerkung Goethes gefunden hat, darin seinen Grund,
daß man allgemein die Beweggründe der Antigone falsch aufgefaßt
hat. Diese handelt nicht, um der religiösen Pflicht zu genügen, sondern
tritt nur ein für die Rechte ihres Geschlechts und ihres Bruders dem
Usurpator gegenüber. Das heißt doch geradezu die Sache auf den
Kopf stellen und alles ignorieren, was Antigone sagt. Aber die Sprache
des Dramas hat nicht die Aufgabe, die Gedanken zu verbergen. Auch im
einzelnen treten uns horrende Dinge entgegen. Bei 6-' eXTitouiv avopa?
To xspoo; -oXXotxt? oicuXsjev 221 soll Kreon schon an Antigone denken,
gerade das Gegenteil von dem, was der Dichter beabsichtigt. Bei der
Konjektur aol-aüx ötpsaxeiv, rat Mevoixeojj, ypeiuv211 möchte man meinen,
die Kritik habe seit den Tagen Reiskes keine Fortschritte gemacht.
Statt die Erkenntnis, daß Kpscov unnütze Ergänzung zu -ai Msvoixecüc
ist, für die Möglichkeit, den Acc. xov öujvouv verständlich zu machen,
zu verwerten, wird das unbrauchbare ypstov hereingebracht. Aber
Kaibel kann auch den Acc. toXiv erklären in seinem neuen Texte -rrpoßäs'
i-' eV/atov öpaarou? u^pYjX6v ec Ai'xac [^aöpov ^ipoaETreas?, cu texvov, toXiv.
H. Guhrauer, Antigone und Ismene. Gymu.-Progr. von Witten-
berg 1896. 13 S.,
betrachtet die Schroflfheit, mit welcher Antigone ihre Schwester 6311f.
behandelt, nicht als natürlichen Ausfluß des Charakters, wie er uns im
Vorhergehenden gezeichnet ist, sondern als Berechnung, um Kreon und
den Chor sicher von der Unschuld der Ismene zu überzeugen. Nicht
ganz in Einklang mit dieser Annahme steht die weitere Ausführung,
daß die Schroffheit durch den Vortrag und das Spiel des Schauspielers
gemildert werden müsse.
J. Überegger, Zur Schuldfrage der Antigone des Sophokles.
Progr. des deutschen Staats-Gymn. in Olmütz 1896. 18 S.
„Leidenschaftliche Unbesonnenheit-bei der Verfolgung der edelsten
Ziele hat für Antigone den Tod zur Folge, führt aber Kreon zu einer
Vereinsamung, die noch furchtbarer ist als der Tod."
138 Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratui-. (Wecklein.)
Ernst Reinhard Gast, Die Schuld der Sophokleischen Antigene.
Jahrb. f. Philol. 155 (1897) S. 261—269.
Die Gedanken, welche hier ausgeführt werden, finden sich bereits
in der Einleitung zu meiner Ausgabe, welche dem Verf. unbekannt zu
sein scheint. „Wenn in dem freiwilligen Tode Antigenes Trotz sozu-
sagen den Gipfelpunkt erreicht, ihre Schuld voll macht, so liegt darin
zugleich ihre Strafe — Antigones Tod ist beides in einem, Schuld
und Strafe."
Antigene, eine Tragödie des Sophokles, übersetzt und heraus-
gegeben von Yeit Valentin. Dresden 1895. 68 S.
Durch dieses oberflächliche Machwerk soll den Schülern des
Realgymnasiums das richtige Verständnis für die Sophokleische Dichtung
beigebracht werden. Es ist bezeichnend, daß z£iJO[xai 96 als Fat. von
iT£t9o[jLa' betrachtet wird.
Philektetes.
Die Tragödien des Sophokles zum Schulgebrauch mit erklärenden
Anmerkungen versehen von N. Wecklein. VI. Philektetes. 3. Auf-
lage. München 1896. 91 S.
Aus der dritten Auflage erwähne ich die neuen Textänderungen
338 eXe^^ü), 481 f. ottoi für otttj und ojtyj für ottoi, 619 tsixsTv, 650 8uy)v
für TTGtvü, 825 atixojraYTj;, 1196 oi für w,', 1367 ?j für a, 1391 s a$oua
für joi^ous', 1398 0 . . TouTo für S . . xaG-a.
Trachinierinnen.
Th. Zielin ski, Exkurse zu den Trachinierinnen. Philol. 55
(1896) S. 491-540 und 577—633.
Der erste Exkurs behandelt die Entwickeluug des Herakles-
mythus, wobei von dem verklärten Herakles des Dodekathlos, welcher
der peloponnesischen Sage angehöre, der Herakles der Zeusreligien,
der Herakles der pyläischen Sage, welcher in die Unterwelt komme,
unterschieden wird. Schon diese Ausführung beweist, daß der Verf.
vielfach mit unbewiesenen Hypothesen und Phantasien operiert. Den
gleichen Eindruck hinterlassen auch die folgenden Exkurse. Zu 228
wird ein .Seelenkampf des Lichas konstruiert: „Lichas, der bis
dahin auf die Gefangenen acht gegeben hatte, wendet sich bei der
Anrede der Deianira überrascht zu dieser; bei ihrem Anblick zuckt er
zusammen und senkt betreffen die Augen: seine Bewegungen lassen auf
Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur. {Wecklein. ) 139
einen furchtbaren Seelenkampf schließen. Deiauira, durch sein selt-
sames Betragen stutzig gemacht, fügt mit verändertem Tone halblaut
hinzu: yapTov si' -'. xal (pepetc. Lichas mühsam nach Fassung ringend
u. s. w." Auf grund dieser Entdeckung werden „Sprechstücke" und
„Spielstücke" unterschieden. Weil die Trachinierinnen ein Spielstück
sind, giebt es darin so vieles, was die Interpreten falsch auffassen,
weil sie sich das Spiel nicht lebhaft genug vergegenwärtigen; z. B.
hat erst Zielinski entdeckt, daß mit xi'va 402 der Bote sich selber meint.
Wie ist das denkbar, wenn Lichas vorher noch kein Wort mit dem
Boten gesprochen hat? „Daß nach airoaxT^TU) 434 der Bote abgeführt
wird, ist für jeden, der sich das Stück gespielt denkt, selbstverständlich."
Wie kann man eine Stelle so mißverstehen! ,, Herakles' Liebe zu Jole
ist sein erster und einziger Treubruch." Was Deiauira 459 f. sagt, soll
nur geschwindelt sein, um dem Lichas alle Bedenken auszureden. Da
V. 544 das Gegenteil mit aller Bestimmtheit sagt, wird dieser als un-
echt erklärt. Reine Willkür! Wenn dagegen der folgende Exkurs
darlegt, daß Deiauira bei dem Prologe am Webstuhl beschäftigt sei,
um das Gewand für Herakles zu fertigen, daß sie während der Parodos
fortwebe und schließlich das Gewand irgendwo auf der Bühne hinhänge,
wo ihr Blick es 425 leicht treffen könne (Wendepunkt des Dramas),
so nenne ich das nicht bodenlose Willkür, wie Verf. fürchtet, sondern
Phantasie. Übrigens haben wir doch nicht die Vorstellung, daß die
Königinnen und Königstöchter sich für gewöhnlich den Webstuhl
vor den Palast tragen lassen. Das Lied von Herakles' Liebe (das
erste Stasimon) soll den Zauber, welchen eben Deianira im Hause ins
Werk setzt, wirksam machen. Die Mädchen haben allerdings von
diesem Zauber noch nichts gehört und wissen wohl nichts davon, aber
kraft ihres weiblichen Ahnungsvermögens haben sie doch Kenntnis.
Haben auch die Griechen wie die Germanen Jungfrauen prophetische
Gabe zuerkannt? V. 584 heißt 'ftXxpotc ty^vSs 'j7:£p|^aXXejOai nicht
,, durch Liebeszauber über dieses Mädchen die Oberband gewinnen" wie
etwa Eur. Or. 691 fia-/Trj uirepßaXXe^öai "Ap^o?, sondern „einen stärkeren
Liebeszauber als diese anwenden", also wirft Deianira auf Jole den
Verdacht, ihren Gatten durch Zauberkünste an sich gefesselt zu haben.
Wenn 491 voaov sTCaxTÖv die durch fremden Zauber verursachte Liebes-
krankheit (des Herakles) bezeichnen soll, so möchten wir den Sinn des
Mediums erfahren. Diese Verdächtigung der Jole soll dem Epos
Oi/aXia; aXtuai? entnommen sein. — Die Handlung der Trachinierinnen
spielt, am Tage vor der letzten Nacht des Skirophorion und des
griechischen Mondjahres. Die 12 Monate 648 beziehen sich nur auf den
Aufenthalt des Herakles über der See (zsXa^tov) d. i. bei der Omphale,
und 824 f. ist teXeoixYjvov ey.cpepot ocuosxaxov apoxo? zu lesen in dem Sinne
140 Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur. (Wecklein.)
..sobald das laufende Jahr seinen zwölften Monat voll zu Ende trägt,
wie das Weib die Leibesfrucht". — Bei V. 204 tritt Deianira mit dem
Boten ab, um diesen zu bewirten , welcher deshalb nachher (noch vor
248) angeheitert auftritt. Der ganze Bericht des Lichas wird von
dem Gebärdenspiel des betrunkenen Boten begleitet. — V. 741 wird
der Chorführerin gegeben. — „Sophokles hatte nach 870 einen Kommos
folgen lassen, von dem nur das Ende, mit dem unverständlichen -/uvat
Huv-peyei 880 beginnend und vielfach verderbt, erhalten ist. Das machte
für die Rolle des Tritagonisten einen Sänger nötig; da man das un-
bequem fand, wurde der Kommos in Trimeter umgedichtet, und diese
Umdichtung liögt uns als 871— 879-1-8914-898 f. vor." Am inter-
essantesten ist mir die Äußerung, 875 sei der fatalste Vers im ganzen
Sophokles. Was soll man hierzu sagen?! Der Botenbericht 900 flf. er-
innert, wie schon von anderen bemerkt worden ist, in mehreren Stellen
an die Erzählung der Magd Eur. Alk. 152 ff. Euripides soll der Nach-
ahmer sein. Dem entsprechend wird die Aufführungszeit der Trach.
der der Antigone ganz nahe gerückt. Aber vgl. meine Bearbeitung der
Wunderschen Ausgabe p. 6. — Bemerkenswerte Beobachtungen bringt
der neunte Exkurs über Sophokles als Arzt und zwar als Chirurgen.
Jedenfalls ergiebt sich daraus, daß z. B. die Beschreibung der Wirkung
des Giftes in den Trachinierinnen weit mehr realen Hintergrund hat
als ähnliche Beschreibungen bei Euripides (Medea). Die Erklärungen
zu 766: „das Feuer entzündet sich langsam, da es mit dem Blute der
Opfertiere nnd mit der Feuchtigkeit des frischen Holzes zu ringen hatte,"
zu 1002 öaüjia Tiopptüftev: „ein Wundermärchen aus uralter Zeit" sind
mit Entschiedenheit abzuweisen. — „In Trachis bringen die Waffen-
gefährten, da Hyllos mit der Sänfte zu lange ausbleibt, den Kranken
auf ihren eigenen Armen in die Stadt." Warum nicht auf der nächsten
besten Tragbahre'? Auf ein Lager weist ja -oT xXiveis 1008 ent-
schieden hin. — Wenig oder keine Wahrscheinlichkeit haben die Kon-
jekturen zu 363 TTovwv (für dpoviov neben spYaTYjv), 517 ^v ö'ap' onXoJv
zaTa-fo?, 526 e^w 81 OaTYjp [xev oia cppaCoJ, Lücke nach 628, 560 'Tropeoe
■/Epaov, 573 9ap£oiv (für /epaiv), 835 -<ü; ?8' av sTEpov oeXtov , . cpddfxaTi (von
'f£v- s. V. a. vergossenes Blut, ebenso soll rpocpasic 662 ^^ :tpopp£ov at}ia
sein), 839 ooXioixuftou, 1040 w ^ioq au9at|X(uv ist interpoliert, ebenso 1127 f.,
Oed. Tyr. 464 sToe nach dem Schol., Ant. 782 ev 3ai}xoai. Ansprechend
dagegen ist die Ändeniag von xive? 504 in tivwv, so daß die Antistrophe
die Antwort auf Ttve; xaxe^jav, die Epode auf xi'vujv . . dt'/tovojv giebt.
Th. Zielinski, Über die Aufführungszeit der Trachinierinnen
des Sophokles. Filolog. obozrenije X (1897) S. 211—232.
Nach dem Referat in der Wochenschr. f. klass. Philol. 1897
Bericht über die die griecli. Tragiker betreff. Litteratur. (Wecklein.) 141
S. 698 versucht Z. den Nachweis für die schon in der vorher excer-
pierteu Abhandlung ausgesprochene Ansicht, daß die Trachinierinnen
bald nach dem J. 445, jedenfalls vor dem J. 438 aufgeführt worden seien.
.31 xdt9uoa|jLev Se M. L. Earle, Transactions of the Americ. Philol.
Assoc. XXVI p. III sq.
660 will Tyrrell, Class. Rev. X (1896) S. 158. iravr^ixepoc von
T]Ix£po; ableiten (all-peacefui). Nicht neu.
781 f. schreibt F. D. Allen, Class. Rev. XI (1897) S. 259 f.,
mit Hense y.oTzfi 6e und nach einer von Hayley und ihm selbst gefundenen
Verbesserung SiaoTCapevxo; aTixaxo; doXou.
A. W. Verrall, The Calendar in the Trachiniae of Sophocles.
Class. Rev. X (1896) -S. 85—92.
Die Zeitbestimmungen in den Trachinierinnen benutzt Verrall
zu einer ansprechenden Hypothese. Die zwölf Jahre in dem Orakel
des Herakles bilden ein „großes Jahr" ({J-e-^ac eviautoc), dessen Abschluß»
mit 12 vollkommenen Rindern (öwSsx' Ey.-csXerc pouc 760) und nach alter
Weise mit einer Hekatombe gefeiert wird (V. 761). Ursprünglich
rechnete man nämlich nach Monaten von 30 Tagen, und 10 Monate
bildeten ein Jahr, 10X10 Monate ein großes Jahr, dessen Abschluß
mit einem Festopfer von 100 Rindern gefeiert wurde. Das Bedürfnis
des Ackerbaus führte zum Sonnenjahr mit 12 Monaten von gleichfalls
30 Tagen, und das Fest des großen Jahres von 12 Jahren wurde mit
12 Rindern unter Beibehaltung der herkömmlichen Hekatombe begangen.
Der Ausdruck t£XcO[jlyjvo^ excpspot ocoöexato? apoxo; erinnert an die Aus-
gleichung des Sonnenjahres mit dem natürlichen (äpoxoc). Dem letzten
Jahre der Dodekaeteris wurden die zu wenig gerechneten 60 Tage bei-
gezählt und zwar dem letzten Monat, so daß dieser 90 Tage, also
3 Monate (/povo; xpi|XT)vo? 164) enthielt. So entstand die Vorstellung
von den 15 Monaten (V. 44) für die letzte Arbeit des Herakles.
Euripides.
U. de Wilamowitz-Moellendorff, Commentariolum metricum
I. Ind. lect. aestiv. von Göttingen 1895. 32 S.
A. Mancini, Euripidea. Rassegna di Antichita Classica I (1896)
p. 173—183.
Otto Schnitze, disquisitiones Euripideae ad recensionem poste-
rioris ordinis fabularum pertinentes. Diss. von Berlin 1896. 32 S.
H. W. Hayley, Varia critica in Harvard Studies in class.
philol. VII (1896), S. 219—222 zu Euripides.
142 Bericht über die die griech, Tragiker betreff. Litteratur. (Wecklein.)
N. Wecklein, Beiträge zur Kritik des Euripides. II. Sitzungsb.
der Ak. zu Miincben 1896 S. 449— 536. III. Ebd. 1897. S. 445— 496.
E. Schwartz, Zu Euripides. Hermes 32 (1897) S. 493—496.
F. Hofinger, Euripides und seine Sentenzen. I. Teil. Gymn.-
Progr. von Schweiufurt. 1896. 39 S.
0. Zuretti, la raisoginia in Euripide. Riv. di filol. 25 (1897)
S. 53—84.
R. Fairclough, an important side of Aristophanes' criticism of
Euripides. Transactions of the American Philol. Assoc. 27 (1896)
p. XIX sq.
Halbertsma (s. oben S. 107) schlägt zahlreiche Änderungen zu
fast allen Stücken vor.
W. Headlam (s. oben S. 107) vermutet Bacch. 1152 xaXos i-^utv,
aiixoorafTJ ytipa. jreptßaXeiv -cexvio, Iph. Aul. 1383 xdjxov xXe'os, 1395 ei
ßeßouXTjtai (oder ßeßouXeuxai) 6e (j(ü}jLa, frg. 299 taXXa 7' doOev^, 334 %if-
boVOlC TjÖTj ßpoTuiv, 433 i-fü) Ö£ <fy\\Li.
In der Abhandlung von Wilamowitz werden mehrere Chor-
partien der Hiketides und Troades metrisch und kritisch behandelt.
Von den Konjekturen verdienen vielleicht folgende erwähnt zu werden:
Hik. 599 yXiüpov oeo?, 604 aTepvcov t' dv 'Aawirov (nach Reiske, aber
metrisch fehlerhaft), 921 oujtu-/^; q\ 1135 :r6voc Ifio; xexvwv, Tro. 513
d'piov ouv oaxpuois, 556 xateaye (überflüssig, wie das Folgende zeigt),
1069 £tu für dXi'ü), 1113 XaXxoTTuXov xe »^eac, 1236 oiooüja x^'P'i 1325
7Tep7dp.ü)v 6 xTUTTo;. Anderes ist nicht neu. Mit TrafjL^arjc oeXdva 7:up6s
[jieXaivav ai-j'Ka^ eowxev uttvoj (und 529 aSovai? xe/ap|xevoi) wird Sinn und
Versmaß verdorben. Überhaupt muß man über manche Interpretation
staunen, z. B. über das Mißverständnis von cpoßwv -laxtc a6e TrpwTa
Hik. 627 „quamquam timoris hoc maximum siguum est, deos precamur."
Mancini vermutet unter anderem Hei. 864 xd x' eixd xaxd jjieXa-
dpa, 915 -axT,p für öavwv und tilgt 785—787, 1218—1221 und andere
Verse.
0. Schnitze weist nach, daß die doppelten Lesarten, welche
die Handschriften L P von zweiter Hand bieten, fast sämtlich auf Kon-
jektur beruhen, nicht aus einer älteren Handschrift stammen.
Bei meiner Besprechung der Abhandlung in der Berl. Philol.
Woch. XVn ((1897) S. 1348 habe ich die Konjektur für alle in Anspruch
genommen und Iph. A. 109 xax' sucppovY); axoxov, Ion 456 u) fidxap''07xa
vermutet. Asch. Sieb. 1030 f. will Schnitze xoXtto) 'fepouoa und xai 77)
(so Dobree für xauxri) umstellen. Diese Umstellung ist bereits im Anhange
meiner Ausgabe von 1891 vorgeschlagen.
Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur. (Weckleia.) 143
Hayley vermutet Hipp. 1189 eo xaaiv für dvxaTaiv, Alk. 321
vTjXi» für jjLrjvoc (schon früher 0. Höfer), 888 t% urep dX^eiv.
Im zweiten Teile meiner Beiträge zur Kritik des Euripides
(vgl. Band 88 S. 100 f.) behandle ich die freieren Methoden der Kritik,
zunächst diejenige, welche ich als die psychologische bezeichne, welche
wohl da und dort beachtet wird, aber noch nicht zu voller Erkenntnis
gebracht ist. Ihr unterliegen diejenigen Fehler, welche durch falsche
Beziehung, durch unrichtige Auffassung der Konstruktion, durch Miß-
verständnis des Sinnes entstanden sind. Eine wichtige Regel bei diesem
Verfahren ist, daß bei Änderung der Kasusendung ohne Rücksicht auf
die Buchstaben der Numerus beibehalten wird. Oft wurde eine Prä-
position falsch bezogen; so wurde z. B. Phoen. 1749 ou S' (i[jL<pißco[jLiot?
XiTai; zu aü o (i|x<pi ß(ü|xiou; Xirac Sehr häufig wurde der Kasus eines
Wortes durch die Umgebung beeinflußt, wie Hik. 787 ypovoi TraXaio;
irarfjp (ucps)' a|j.epa xxi'aat aus ypovoc iraXaia; iraxTjp ui<psX' otfAepi; xTi'aat
entstand. Wie Hei. 433 Ix 6e }xt) e/ovtiuv ßi'ov für oi 6e |x-?j e/ovre; ßi'ov
überliefert ist wegen des parallel stehenden s'x 7e rXouaiwv 66[j.u)v, so
sind oft die Endungen der Verba und die Personen verändert worden.
Wegen der Anrede w Catav hat man z. B. euai'cuv eiriv Ion 127 in eui«
verwandelt. Auch naheliegende Worte hat man infolge Mißverständnisses
an die Stelle der überlieferten gesetzt, sogar davaxov an Stelle von
ßt'oTov (eYxotptspT^au) ßiotov) Herc. 1351. So konnte überhaupt der Zu-
sammenhang der Gedanken ein Mißverständnis der Art herbeiführen und
die Erwartung der gewohnten Wendung eine Änderung des Textes ver-
anlassen. So ist TcavxayjQ ydp ajTsco; lon 1107 aus -avxa yüipov aaxscüc
entstanden. — Das zweite über die Buchstaben der Überlieferung sich
hinwegsetzende Verfahren ist die besonders durch Heimsoeth zur An-
erkennung gebrachte Methode, welche vor allem die Einsetzung synonymer
Wörter ins Auge faßt. Der Nachweis wie die Einsetzung von Synonyma
den Text des Euripides in ausgedehnter Weise alteriert hat und zwar
zu einer Zeit, wo die Sprache des Dramas noch auf der Bühne lebte, führt
nebenbei zu der Beobachtung, daß die Handschrift B in diesem Punkte sehr
unzuverlässig ist und daß z. B. in den Troades bei synonymen Ausdrücken
die Lesart von P größere Wahrscheinlichkeit für sich hat. Wie aiöepo?
und oupavoü (Hei. 33, 613, Phoen. 84), T^fxaxi und Tjfispa (Hek. 44, Hei.
879), oyöaiijtv und dxxa'aiv (Hei. 611) vertauscht wurden, so sind oft
auch Ausdrücke, welche der Sache, dem Wortlaut oder Wortbild nahe-
liegen, eingesetzt worden, z. B. eu^evi^s für suxXet^? Heraklid. 324 oder
für £'j7:p£-rj; Ion 242 oder e-ixu/e; für euaxojjLov ebd. 753. Das Eindringen
erklärender Wörter hat häufig, besonders in Chorgesängen, das Metrum
in Unordnung gebracht. Andrem. 476 z. B. ist xexxovotv H' 3|jivotv
144 Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur, (Wecklein.)
spfaraiv ouoiv für ivo; »^" ujxvoio TsxTovotv öuotv überliefert. Die beiden
Abschnitte ergeben den Grundsatz, daß die Änderung? der Kasnsendnngen
unbedenklich dann ist, wenn sich ein psychologisches Moment für den fehler-
haften Kasus finden läßt. — Im Nachtrage zum ersten Teil wird der Mangel
der Verbindung als Wahrzeichen der Interpolation an Or. 1137 — 1139
dargethan; ebenso ^v als erste Person Singular. Diejenigen, welche
sich schwer zur Annahme einer Interpolation entschließen, mögen über-
legen, ob es nicht El. 304 ei 7dp jrpoXei<]^sic (ohne \iz, „wenn dir die
Kräfte ausgehen«, vgl. Hek. 438) heißen muß und die V. 307—310
auszuscheiden sind.
Der dritte Teil handelt über die Chortechnik des Euripides. Wie
bei Aschylos, so ist auch bei Sophokles von Prooden, Mesoden und künst-
licher Verflechtung der Strophen keine Rede. Das gleiche Gesetz gilt
auch für Euripides. Auch von ihm ist die künstliche Verflechtung von
Strophen und Antistrophen abzulehnen. Über Andr. 1197 — 1225, welche
Partie allein eine Ausnahme zu machen schien, vgl. oben S. 112 unter
llasqueray. In der Monodie der Elektra 1 12 — 166 wird die Regelmäßigkeit
der Anordnung durch Annahme eines Ephymnion gewonnen. Ebenso
füllen sich die Lücken durch die gleiche Annahme ebd. 1154 und 1181.
Für die ebd. 125 f. dazwischenstehenden und aus dem lyrischen Inhalt
herausfallenden Verse wird die rapaxaxaXo^iQ als Vortragsweise ange-
nommen, welche dann für eine Reihe nicht antistrophischer lyrischer
Partien sich als wahrscheinlich ergiebt. Nebenbei wird für die Elektra
die Abhängigkeit der Handschrift Gr — - P von L erwiesen. An zweiter
Stelle wird der Chorgesaug Hei. 1301 — 1368 behandelt, der Zusammen-
hang der Gedanken und die Beziehung auf die Handlung dargelegt und
damit dargethan, daß eigentliche l\x'^6h]x'x in den erhaltenen Tragödien
des Euripides sich nicht finden. — Im Nachtrage wird die handschriftliche
Überlieferung des Rhesos besprochen, für welches Stück gleichfalls die
Überlieferung L P oft gegenüber der von B C recht behält. Weiter
wird festgestellt, daß die Tragiker nur um des Versmaßes willen bei
fjLsXXoi in der Bedeutung „ich mache Miene, ich bin im Begriff" nicht
den Infin. Futur, setzen. Ferner wird ausgeführt, daß öfter ein Wort-
bild, welches noch in der Erinnerung des Abschreibers haftete, auf ein
folgendes Wort Einfluß geübt hat. So muß es Plat. Phaed. 61 B
TO'jxou? £V£-£tva für TouTouc SKOiVjja heißen. — Die bei den einzelnen
Gesichtspunkten vorgebrachten Verbesserungsversuche erwähne ich hier
nicht, weil sie in der eben im Erscheinen begriffenen kritischen Ausgabe
der Euripides ihren Platz finden.
Schwartz will Med. 1181 avsXxwv intransitiv wie auo37:av fassen.
Aber die Verbindung /.öjXov opo|xou ist schon deshalb unmöglich, weil
Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur. (Wecklein.) 145
nicht vom SiauXoi die Rede ist. Alk. 31 soll Euripides mit Tifia; dcp-
opiC6|j.£vo; das Homerische 7epac dTroupa'; in das Attische umzusetzen ver-
sucht haben.
Hofinger behandelt in dem vorliegenden ersten Teile die Sentenzen,
welche eine längere pyjjt; einleiten oder abschließen, welche er als Pro-
mythien und Epimythien bezeichnet, dann diejenigen, welche in den
Stichoraythien oder in den zwischen Streitreden eingefügten zwei- oder
dreizeiligen Chorika vorkommen.
Zuretti befreit mit Recht Euripides von dem Vorwurf des "Weiber-
hasses. Die Stellen, welche auf eine solche Stimmung schließen lassen,
sind auf die künstlerischen Intentionen des Dichters zurückzuführen
oder haben ihren Grund in der Vorliebe desselben für das Sententiöse
und die Verallgemeinerung einzelner Wahrnehmungen. Diese Stelleu
haben den Komikern Anlaß zu ihrer Karrikatur gegeben und so sind
die Vorstellungen und Anekdoten über Euripides als Weiberfeind ent-
standen.
Über Fairclough s. oben S. 114.
Alkestis.
The Alcestis of Euripides. Edited with introduction and
notes by S. Hadley. Cambridge 1896. XXIII u. 159 S.
Aus dieser kleinen, nicht sehr belangreichen Ausgabe erwähne ich
die Vorschläge zu 219 £u;o|jL£ff9a, zu 220—225, welche als Gebet mit
der antistrophischen Partie dem Gesamtchor gegeben werden, zu 223
tout' i9T,üp£; -üjo£ xai vuv = 235 yöcuv, loüsav xav (Jpijrav, 332 oux
£jT[v ouTco; ouja -axpo? £U7£vou? x6 t tioo^ aXXuj; £y.~p£7:£JTanr) (auch hier
würde der Sinn £x-p£z-ri? outw erfordern), 449 xuxXov . . tupa, 734 $uvoi-
xo? ouja, 877 as Tiavxa Xuirpov, 1045 jiyjSe fxe |xvr]37)c oder {xr,0£ jx'
287 oux TjÖEXTjda Zioa, 292 xeuxXeeT;, 362 h 'füi? a' V(Y.a-z(t<sxr^aai
TraXiv, 1131 Cüiaav ti>; iTr)TU|xo)C, 1134 oöxex o^z^doii, 1143 wS' für
^o' M. L. Earle, Class. Rev. 10 (1896) S. 374—376. Zugleich
weist Earle auf die Wichtigkeit der Handschrift a für den Text der
Alkestis hin (vgl. 37, 546, 1055, 1154) und sucht deren Lesarten 434
(Xtav), 811 (öupaio;), 1140 (oatfxoxuv xtp xupi'to), 45 (ypo^^o; xa'xo)), 1049
(7UV7) vea), 1117 (xoXfxa • rpoxetvE . . Öi^e EevTjc) zur Geltung zu bringen.
Aber die Lesarten y&ovoc xaxw und 7UVY1 v£a zeigen gerade die Un-
zuverlässigkeit der Handschrift („inverterunt Byzantini propter ac-
centum").
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVl. (1898. I.) 10
146 Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratar. (Wecklein.)
Andromache.
169 behaudelt J. C. Vollgraff, Muemos. N. S. 25 S. 412—416,
unter dem Titel Dens conversus in pretium, indem er /puso? in Oot^oc
ändert. Da in älteren Handschriften tjXioc, 'At;6XXü)v und -/pujo; mit
dem gleichen Kompendium bezeichnet werden, ist die Änderung an und
für sich unbedenklich. Aber Ootßo; ist an der Stelle durchaus un-
brauchbar.
553 pcujx7]v [JL£ xal vuv, 602 yp-f], 1145 Iv euSta 6' Snuii (schon
Eeiske), 1231 yapiv goi ä. Platt, Class. Rev. X (1896) S. 382.
Bdx/ai.
995 und 1015 will Th. Korsch, Filologicesk. obozr. X p. 19 f.,
ii 'Eyi'ovo; schreiben.
Hekabe.
Euripide Hecube. Texte grec conforme k l'edition des sept tra-
gedies d'Euripide publiee par H. Weil. Paris 1896. 91 S.
In 745 schreibt jetzt Weil ex^oYiCop-at '70), 1046 wird getilgt.
Helene.
A. Mancini, Per la critica dell' Elena di Euripide. Riv. di
Filol. 1896 p. 393—411. Appunti critici suU' Elena di Euripide. Ebd.
p. 485—504.
In der ersteren Abhandlung giebt der Verfasser die Ergebnisse
einer Nachkollation der beiden Handschriften L u. G als Ergänzung
zu der in der Ausgabe Herwerdens vorliegende Kollation von Vitelli.
In der zweiten Abhandlung wird zunächst gesprochen über die Ab-
hängigkeit des cod. G von L, indem Gr als Kopie von einer Kopie des
L betrachtet wird. Darauf folgen bemerkenswerte Verbesserungsvor-
schläge zu dem Stück, so 56 ösüiv, 229—231 fsü fto xi'c rjv Opu^wv
8; Tiiv Saxpuoeasav iTSjjLSv 'IXiio Tteuxav; (die Worte rj . . yöovo? werden
getilgt), 366 werden die Worte oaxpua Saxpoatv ausgeschieden,
778 soll zur Ausfüllung einer Lücke interpoliert sein, 1043 douvaxov eka
(warum nicht sl-ov?). Sehr bereit ist der Verf. zur Annahme von Inter-
polationen : 78—82, 304 f., 530, 536—540, 720 f., 753 - 756, 1024—1027,
doch sind einige dieser Annahmen wohlberechtigt. Die V. 1005—1007
werden nach 1012 umgestellt.
Bei Besprechung der Ausgabe von Herwerden (1895) u. Jerram
(1892) im American Journal of Philol. vol. XVI 4 S. 498—506 ver-
Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur. (Wecklein.) 147
mutet Hob. Ellis 122 sioov r^v xal vüv a 6ptü, 379 f. atup-axo? a[ipoü
o^TJ|xa fiiatveti; . . ai'ayea Xuirr)?, 1038 xoivov te, 1590 dXX' (oder tV) ava^.
1158 vermutet C. Haeb erlin Philol. 55 S. 72 S Opiajxtoa; f' aje
ifiXoirToXe'ixouc.
Gegen E. Bruhn, welcher in 1171 f. eine Beziehung auf Soph.
El. 1505 f. findet, bemerkt ü. Hartlich Jahrb. für lil. Philol. 1896
S. 446, daß sich die Stelle aus dem Stücke selbst heraus erkläre. Nach
den Worten Oavcixai xti. 1176 müsse man sich den Menelaos, ungesehen
von Theoklymenos, gesehen von dem lachenden Publikum, sich hinter
das Grab duckend (vgl. 1203) denken.
K. Busche, Philol. 56 (1897) S. 714—721, vermutet 366 -a8ec;iv
IjxoXe TTotÖEa nach Ausscheidung der Worte öaxpua öotxpuaiv, 713 sxsije
Taxet |X£Ta(f£pu)v, 818 ou '(\u}ifzai -rt'c ei|x' e^u), 871 vojiov 6s Tovoe, 1051
xepSavüji Xeyr) (oder Xr/o;), 1074 xal Xetoc öpojxoj, 1089 ejxßaXsiv ypsuiv,
1535 £^£Ö£t für £ic £v ^v, 1597 Xorjöoj, 1654 iv xoT; TiaXaioTc.
A. von Prem er stein, Über den Mythus in Euripides' Helene.
Philol. 55 S. 634—653.
Zunächst wird der Nachweis versucht, daß aus einem dorischen
volkstümlichen Mythus, von welchem die aus mündlicher Überlieferung
geflossene Erzählung bei Herodot II 112 ff. ein Ableger sei, durch
Hesiods Vermittelung Stesichoros geschöpft habe und daß die auch von
Euripides benutzte Version desselben am vollständigsten in den neuge-
fundenen Excerpten aus Apollodor vorliege, während Lykophron eine
Zusammenschweißung der stesichoreischen Fassung mit dem Berichte
bei Herodot biete. Dann wird der Inhalt der Palinodie des Stesichoros
festgestellt: „Paris hat nicht die wirkliche Helena, sondern ein
täuschendes Trugbild derselben von Lakedämon nach Troia entführt.
Die wirkliche Helena wird von Hermes auf Zeus' Ratschluß heimlich
entrückt und nach Ägypten zum König Proteus gebracht, welcher den
Auftrag erhält, sie für Menelaos in seine Hut zu nehmen. Unterdessen
ist um das stowXov in Hion der Kampf entbrannt. Nach der Eroberung
der Feste tritt Menelaos mit dem etotuXov die Heimfahrt an. Noch auf
der Fahrt zerfließt das Trugbild in die Lüfte. Menelaos durchirrt nun
Länder und Meere, um die verschwundene vermeintliche Helena wieder-
zufinden. Auf seinen Fahrten kommt er nach Ägypten zu Proteus, der
ihm die wirkliche Helena ohne Weigern ausliefert". Einen dramatischen
Konflikt schuf Euripides durch die Einführung des Theoklymenos und
der Theonoe. Das Liebesmotiv mit allem, was sich daraus ei'giebt, be-
ruht ganz und gar auf freier Erfindung des Euripides. Ebenso ist die
Teukros-Episode, welche lediglich einen dramatisch-technischen Zweck
erfüllt, freie Kombination des Dichters. Im wesentlichen also ist die
10*
148 Bericht über die die gi-iech. Tragiker betreff. Litteratur. (Wecklein.)
Handlung Eigentum des Euripides und nur die Prämissen derselben
sind von Stesichoros entlehnt. Eine Analogie bot dem Dichter seine
Taurische Iphigenie, in deren Anlage und Durchführung schon Firnhaber
die größte Ähnlichkeit mit der Helena erkannt hat.
Elektra.
AI. Oli Vieri, de Electrae Euripideae libris Florentinis. Riv. di
Filol. 1896 S. 462—484.
Die sehr verdienstliche, nach genauer Kollation der Handschriften
gefertigte Zusammenstellung der Lesarten des cod. Laur. 32, 2 und 172
und des Riccardianus 77 sowie der ed. princ. von Victorius erbringt
den Nachweis, daß der cod. Laur. 172 vor, der cod. Rice, nach den
Korrekturen einer jüngeren Hand aus dem cod. Laur. 32, 2 abgeschrieben
ist und daß Victorius seine Ausgabe nach dem Laur. 32, 2 gemacht,
daneben aber auch den Laur. 172 oder eine ähnliche Handschrift be-
nutzt hat.
Eine Reihe von Konjekturen zu diesem Stücke veröffentlicht G.
Tucker Classical Review X (1896) S. 100 f. Vgl. jetzt meine Aus-
gabe (1898).
H. Steiger, Warum schrieb Euripides seine Elektra? Philol.
56 S. 561—600.
Durch die Abhandlungen über die beiden Elektren überzeugt,
daß Sophokles seine Elektra vor der Euripideischen gedichtet hat, v^^ill
Steiger die Frage beantworten, woher Euripides den Mut nahm, mit
dem Drama des Sophokles zu konkurrieren. Die Antwort lautet: „Der
Philosoph Euripides hat das Drama gedichtet, und zwar hat er es in sitt-
licher Entrüstung über die Elektra des Sophokles gedichtet". Die
weitere Ausführung sucht zu erweisen, wie die Charaktere bei Euripides
zielbewußt gezeichnet sind und dem polemischen Zwecke des Dichters
dienen. Die Abhandlung schließt mit folgenden Worten: „Des
Euripides Leitstern war die Kritik, und so hat er denn ein Tendenz-
stück geschaffen, das in vielem eine Negation der Poesie ist, weil es
den Mythos, den es zur Darstellung bringt, verneint, verfolgt, tot-
schlägt. Nicht nur Sophokles wird angegriffen, sondern Apollon, die
ganze Heroenzeit und der Glaube an die Grestalten, die doch die Bühne
betreten. An diesem Widerspruch kranken die meisten Stücke des
Euripides, Orestes aber und Elektra am schwersten. Als Kunst-
werk also steht die Elektra des Sophokles höher ; frivol aber sollte man
im Hinblick auf seine Tendenz das Werk des jüngeren Dichters nicht
nennen : war es doch hier sittlich besser, mit Euripides zu zweifeln und
zu spotten als mit Sophokles zu glauben".
Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur. (Wecklein.) 149
'HpaxXeroat.
594 vermutet E. Holzner Woch. f. kl. Philol. 1896 Sp. 334 01
davouixevoi ßi'ou.
Herakles.
J. Vahleu, de tribns locis Herculis Euripideae. Ind. lect. hib.
Berlin 1897. 15 S.
Der Verfasser verteidigt 7:0X6 ixe So^rjc iSe-ataav eXuiSec 460, ohne
für die Ausdrucksweise eXtcioo; eXTiiöec e^e-atcjav eine befriedigende
Rechtfertigung zu bieten, verweist für seine Herstellung von 495 a'Xi?
7dp' eXötuv ixavo; av -/svoio aii auf Sen. Tro. 683 vel umbra satis es und
sucht ~tpa 701 mit 140 ff. und anderen Stellen zu schützen. Die
Anknüpfung des folgenden Satzes mit -(dp scheint mir doch Trepöi; un-
bedingt zu fordern.
Hiketides.
454 Saxpua 6e T:oi}j.aivoui3i Giles Academy 1228 S. 464.
Hippolytos.
V. 42 nimmt F. K. Ball Transactions of the American Philol.
Assoc. XXVII (1899) S. XXVII— XXIX in Schutz, da auch z. B.
im Ion der Prolog der Handlung gegenüber eine gewisse Ungenauig-
keit zeige.
Ebd. S. LXI— LXIV handelt J. E. Harry über den Charakter
der Phädra, um deren Tugend zu retten. Aber vgl. die Einleitung
meiner Ausgabe S. 15 f. — Die Stellen 58 und 575 werden gegen die
erhöhte Bühne geltend gemacht, besonders die letztere mit Recht. —
Die Bemerkungen über einzelne Stellen sind ohne Belang, 1069 ver-
mutet Harry $uvotxoupouc v/ui^.
J. Oeri giebt am Schlüsse seiner Abhandlung über die Responsion
im Hippolytos Jahrb. f. klass. Philol. 155 (1897) S. 369—387 eine
Tafel, nach welcher nach den 105 Versen des Prologs der erste Haupt-
teil 434, der zweite 434 Verse enthält, wobei die lyrischen Partien
nicht in Rechnung gestellt werden. Als unecht erklärt Oeri mit anderen
die V. 625 f., 640 f., 691, 871—873, 875, 1419, 1439, außerdem setzt er
nach 477 eine Lücke an. Man sieht nicht recht ein, warum der zweite
Hauptteii mit dem Dialog zwischen Theseus und Hippolytos, nicht viel-
mehr mit dem Auftreten des Theseus beginnt. In dem zweiten Haupt-
teile zeigt die Tafel zwei gleiche Teile von je 117 Versen; aber so-
bald man die Unechtheit des V. 1439 nicht anerkennt, ist die Symmetrie
zerstört. Daß das Wegbleiben von ovxa in keiner "Weise beanstandet
werden dai'f, zeigt die vollständig entsprechende Stelle Soph. Ant. 581.
150 Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur. (Wecklein.)
Iphigenie.
F. Thümen, Die Iphigeniensage ia antikem und modernem Ge-
wände. 2. Aufl. Berlin 1895. 47 S.
Diese Schrift, Abdruck des Programms des Stralsunder Real-
gymnasiums, handelt von der Iphigeniensage und den damit in Ver-
bindung stehenden Mythen, dann von den Bearbeituns^en der Iphigenien-
sage bei griechischen, römischen, französischen und deutschen Dichtern.
Die Auffassung ist eine ziemlich einseitige.
Iphigenie in Aulis.
Euripides' Iphigenie in Aulis. Proben einer erklärenden Aus-
gabe von Karl Busche. Progr. von Leer 1896. 16 S.
Diese Proben lassen eine brauchbare Schulausgabe erwarten. Ob
die V. 1495 — 1497 auszuscheiden oder vielmehr zu verbessern sind,
muß fraglich bleiben. Die Verbesserung [j-axpav aTrapeic 664 ist von
mir bereits in der Berl. Phil. Woch. 1892 Sp. 812 veröffentlicht worden.
84 will C. Hu de Nord. Tidsskrift f. Filol. IV S. 61 xal xaxa für
xa-a, 410 ooxüi für Soxsi schreiben. Die Meinung, daß der folgende
Yers oox(o fordere, beruht auf einem Mißverständnis des Zusammenhangs.
1011 vermutet G. Vitelli Stud. Ital. di Filol. class. IV (1896)
S. 364 zeiOü) }jL£v au9t? . . (ppovsiv;
Iphigenie im Taurierland.
802 will E. Holzner Wochenschr. f. kl. Philol. 1896 Sp. 334
l'/ouff äeXTiTO)? (Gomperz zieht aeX-xov vor) schreiben,
1009 Oavetv Xaywv i'jov Miß L. Dünn.
1238 vermutet E. Galli Bollett. di Filol. class. II (1896) S. 284 f.
o; t' £-1 To'Scuv wohl nur deshalb, weil ihm die einfache Emendation
o T unbekannt ist.
Georg Tauber, Über die grundverschiedene dramatische Ver-
wertung des Iphigenienstoffes durch Euripides und Goethe. Progr. des
Neustädter deutschen Staats-Ober-Gymn. in Prag. 1896. 26 S. Fort-
setzung 1897. 22 S.
Der erste Teil entkräftet verschiedene Vorwürfe, die gegen das
Stück des Euripides erhoben werden, und bemerkt unter anderem:
Euripides behandelt gar nicht das Problem von der Blutrache und der
EntsühnuDg eines fluchbeladenen Geschlechts, sondern stellt vielmehr in
dem Verhalten der beiden Geschwister zu einander und in ihrer endlichen
WiedererkennuDg einen dramatisch bewegten Vorgang dar und verflicht
damit unzertrennlich eine Handlung, die sich zur Verherrlichung des
Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur. (Wecklein.) 151
eigenen Landes und zur dichterischen Verklärung einer die Athener
mit Stolz auf ihre überlegene Kultur und ihre reineren religiösen An-
schauungen erfüllenden attischen Lokalsage eignet". — Der zweite Teil
beschäftigt sich mit der Dichtung von Goethe.
F. ßrandscheid, Iphigenia in Taurien, Tragödie von Euri-
pides, nach ihrer Idee entwickelt und dargestellt. Wiesbaden 1897. 64 S.
betrachtet als Idee dieses Stückes die Darstellung, daß die Humanität
der Gottheit angenehm sei und von ihr unterstützt werde; dal.! dagegen
die Gottheit, unbeschadet ihrer Strafgerechtigkeit, Menschenmcrd und
Gewaltthat, ebenso aber auch Treubruch, Lüge und Täuschung verab-
scheue.
Kyklops.
W. Schmid, Kritisches und Exegetisches zu Euripides' Kyklops.
Philol. 55 S. 46—61,
erklärt [xeXea 80 in dem Sinne „was haben wir von unserer Satyrn-
und Bocksnatur, wenn Du, Bakchos, fern von uns bist?" und will 164
xav xuXixa |xatvo[j.ai schreiben (unmöglich!), 202 zapo? c;y3j(U!J0|xev (so
schon R. Schenk), 219 Sv avöa-r) ou (Sv soll ■= o av sein!), 252 avxpa
lirtz Q (soll = uo'. sein!) dtpi'xovxo. In 226 soll 3U|j.!xt7rj „untereinander-
geworfen" bedeuten und TXr;{'n^ 227 sich auf eine Prügelei beziehen,
die sich seitab von dem Auftritt zwischen Polyphem und den Satyrn,
aber den Zuschauern sichtbar abgespielt habe (!). Eher kann man die
Ansicht billigen, daß V. 314 auf den Volksglauben anspiele, daß man
durch Verzehren von Herz oder Leber von Schlangen die Tiersprache
erlerne. Schließlich werden noch Bemerkungen über die Komposition
des Stückes gemacht. Die Absicht des Kyklopen, einen xöijxoc mit
seinen Brüdern zu veranstalten, soll natürlich die Folge des Wein-
trinkens kennzeichnen, welches auch den Ungeselligen gesellig macht,
steht also nicht in Widerspruch mit dem Charakter des Kyklopen.
Ohne die Blendung hätte dem Stücke überhaupt die Pointe gefehlt. Da
sie für die Rettung nicht nötig war bei nicht verschlossener Thüre der
Höhle, hat der Dichter geschickt an die Stelle des homerischen Motivs
das der Rache gesetzt für die Schlachtung der Gefährten.
152 vermutet P. Knapp ebd. S. 575 f. IxXaxaSov.
Medea.
Medee texte grec accompagne de notes d'apres la grande edition
de H. Weil par G. Dalraeyda. Paris 1896. 10 und 98 S.
In 798 schreibt jetzt Weil ti viv C^jv xspoo;. Zu 529 giebt
Dalmeyda die Erklärung: jol depend de SteXi^stv: „Vis-ä-vis de toi
152 Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur. (Wecklein.)
c"est une pensee fine, k la verit^, mais un discours odieux ä, exposer".
r>iese Erklärung dürfte mit der eigentlichen Bedeutung von voüc Xskto;
unvereinbar sein.
Eine Anzahl von Verbesserungsvorschlägen machen L. Earle
Class. rev. X (1896) S. 2 f. und A. Joffe ebd. S. 104.
H. F. Müller, Euripides Medea und das goldene Vließ von
rillparzer. 2. Teil. Gymn. Progr. von Blankenburg a. H. 1896. 31 S.
Der zweite Teil (vgl. Jahresb. Bd. 88 S. 119) betrifft die Dichtung
von Grillparzer.
Leon Mallinger, Med6e. ^tude de litterature compar^e.
Louvain 1897. X und 418 S.
In eingehender und umfassender Weise wird die Behandlung,
welche der Medeasage in der poetischen wie prosaischen Litteratur der
Griechen und Römer, des Mittelalters und der Neuzeit zu teil geworden
ist, dargelegt. Auch dem inneren Zusammenhange der Dichtungen
und der ästhetischen Wertschätzung derselben ist Aufmerksamkeit zu-
gewendet. Über einzelne Ungenauigkeiten vgl. meine Besprechung in
der Berl. Philol. Wochenschrift 1898 S. 737 flf. Unter anderem wird aus-
geführt, daß die gute Seite im Charakter der Medea („die Liebe ist
der Mittelpunkt ihres Charakters") schon im ursprünglichen Mythus
gegeben sei.
Orestes.
Bei Besprechung der Ausgabe von Wedd (1895) in Class. Rev. X
S. 344—346 vermutet B. England 1036 ^tcpei dr^Ysiv x^pot (möglich,
wenn ötqyeiv s. v. a. onXi'^etv wäre!); 1196 will er nach 1198 stellen.
Troades.
256 verbessert J. Stanley Class. Rev. X (1897) S. 34 xXa8ac
(als Heterokliton zu y.Xaoof).
1109 verlangt A. Levi Bollett. di Filol. class. II (1895) mit
Recht TU7yavoi für Tu-f/avei.
Ooi'viaaat.
J. Paulson, Nord. Tidsski*. V (1896) S. 1—18, tilgt V. 98,
weil er die falsche Vorstellung erwecke, daß auch dem Eteokles urrovoai
gewährt worden seien. Aber der Alte will sagen, daß er auf dem
Hin- und Rückweg genügende Gelegenheit gehabt habe, alles genau zu
beobachten. V. 1583 will Paulson eo) o' eutu-/^; teXoc ßtou schreiben.
Für die Annahme, daß der Schluß des Dramas von 1584 an ein späterer
Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur. (Weckleia.) 153
Zusatz sei, weist er auf den ungewöhnlichen Umfang des Stückes hin.
Ferner führt er aus, daß die Vertreibung des Üdipus mit dem Charakter
des Kreon, wie der vorausgehende Teil des Stückes ihn zeige, unver-
einbar sei. Die V. 1590 tf. enthielten ein Mißverständnis von 886 f.
Die V. 1693—1702 läßt Paulson echt sein.
Zu 1126 f. giebt P. Girard, Le cratere d'Orvieto, Monuments
grecs No. 23 — 25 (1895—1897) die Erklärung: les cavales sont repr6-
sentees se mouvant en cercle (xuxXou|X£vat) du dedaus vers le dehors,
c'est - A - dire öcartant le plus possible du timon leur train de
derriere, comme pour se derober, et se cabraut. Ich halte diese Er-
klärung nicht für richtig. Vgl. die Note in meiner Ausgabe. Die Be-
ziehung der Darstellung des Euripides zum Gemälde des Mikon im
Anakeion von Athen (Paus. I 18, 1) scheint mir nicht klar.
Zu J 255— 1258 führt P. Stengel Hermes 31 (1896) S. 479 aus,
daß kein Grund sei, dem Scholiasten, welcher vom Bersten der Galle
spricht, den Glauben zu versagen. Über die grammatische Konstruktion
des Satzes scheint Stengel nicht nachgedacht zu haben.
P. Voigt, Die Phoinissai des Euripides. Jahrb. f. klass. Philol.
153 (1896) S. 817-843.
Eine ausführliche Analyse des Stückes sucht nachzuweisen, daß
es ein politisch-ethisches Zeitdrama im edelsten Sinne des Wortes sei:
„ Der Hader der Brüder, ihre Selbstsucht und Leidenschaft stürzt nicht
nur sie selbst und ihr Haus in den Abgrund, sondern bringt auch die
Stadt an den Eand des Verderbens, auf welcher überdies der Zorn des
Ares lastet (1. Stasimon). Den Doppelmord der Entzweiten kann auch
die Liebe der Mutter nicht abwenden, weil beide von Selbstsucht er-
füllt sind. Aber auch die Stadt vermögen ihre berufensten Vertreter
nicht zu erhalten, weder der kühne Mut des Eteokles, den die Hitze
und Leidenschaft blind und unfähig macht, noch die ruhige staats-
männische Überlegung Kreons: des erstereu Kühnheit muß an der
überwältigenden Macht der Feinde, denen göttliche Hülfe zur Seite
steht, zerschellen, und des letzteren Besonnenheit schreckt vor einem
großen, persönlichen Opfer zurück. Nur die völlig selbstlose Hingebung
kann den Staat aus höchster Not und aus alter Schuld erretten". Die
Trilogie Oenomaos, Chrysippos, Phönisseu wird als sicher angenommen.
,In allen drei Tragödien zeigt Euripides, daß die Leidenschaften und
die selbstsüchtigen Triebe im Menschen mächtiger sind als Vernunft
und Pflichtgefühl: Beweis Hippodamia im Oenomaos, Laios im
Chrysippos, in den Phönissen die feindlichen Brüder und Kreon. Aber
der Dichter, der ein Lehrer seines Volkes sein will, begnügt sich nicht,
die Menschen darzustellen wie sie sind; er zeigt auch, wie sie sein
154 Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur. (Wecklein.)
soUeu, ludern er Ideale schaffe als Vorbilder des sittlichen Handelns.
So stellt er jenen Personen den Chrysippos, so den Menoikeus gegen-
über und — so dem über den Tod hinaus hassenden Bruder die über
den Tod hinaus liebende Schwester, dem um jeden Preis aus Herrsch-
sucht und um seines Rechtes willen die Heimkehr erzwing-enden Polyneikes
die aus Selbstlosigkeit das Vaterland verlassende Jungfrau , den ihren
Vater schlecht behandelnden Söhnen die zärtliche Tochter, endlich der
Braut, welche um ihres Bräutigams willen den durch diesen unglücklich
gemachten Vater und die Heimat verläßt, nämlich der Hippodamia im
Oenoraaos, die andere Braut, die um ihres durch den Erzeuger ihres
Bräutigams vertriebenen Vaters willen Bräutigam und Heimat aufgiebt,
die Antigone in den Phönissen". Dieser Gedanke soll den Schluß des
Stückes rechtfertigen; aber die Schwierigkeit, daß Antigone sowohl ihren
Vater in die Fremde begleiten als auch ihren Bruder bestatten und
dabei sterben will, wird wieder mit der wenig befriedigenden Annahme
gelöst, daß Antigone V. 1667 es bereits endgültig aufgegeben habe,
Polvneikes zu bestatten.
Fragmeute.
36, 2 oujTTjvo? ECTTai (für apa, Verwechselung der ähnlichen Ab-
kürzungen) G. Vitelli Stud. Ital. V (1897) S. 394.
Zu 48, 2 — 4 vgl. Comparettis Abhandlung über drei antike
Marmorherraeu in Rendic. della Accad. dei Lincei 5. 6 S. 205 — 211.
Auf einer dei'selben ist eine sehr zerstörte Inschrift, in welcher Comparetti
diese drei Verse erkannt hat. Aus derselben ergiebt sich die Variante
9povoüvToc ixei^ov t) '/pewv 9pov£rv, welche man für richtig halten könnte,
wenn nicht }ji.ei^ov wieder im folgenden Vers stünde.
773,3 vermutete. 0. Zuretti Bollett. di Filol. class, III (1896)
S. 140 f. Tu-f/avT); sXcjv xooe.
R. Wünsch, Der pseudoeuripideische Anfang der Danae. Rhein.
Mus. 51 (1896) S. 138—152,
macht es sehr wahrscheinlich, daß Markos Musuros der Verfasser
des Danaefragments ist. Dieses wird gleichzeitig nach neuer Kollation
der Handschrift mitgeteilt.
In den zwei ersten Zeilen des Papyrusfragments eines Tragikers
bei Mahaflfy the Flinders Petrie Papyri 2, XLIX (d), Cunningham
Memoirs 9, 1893 p. 161 hat C. Haeberlin Wochenschr. f. kl. Philol.
1896 S. 988 f. Eur. frg. 403, 1 und 2 erkannt. Mit den Versen 3—7
des bei Stob, überlieferten Fragments stimmen die Reste des Papyrus
Bericht über die die griech. Tragiker betreff. Litteratur. (Wccklein.) 155
e[xcpavYJ ~atooj [xopov
eü> auvaopov
6s xai «prjiiv y.xavsiv
(poJc iroivac öiTüJC
Ifiol
Yjxai
nicht überein. „Demnach gehören die auf dem Papyrus stehenden Verse
zunächst einem älteren Florilegium (vor 250 v. Chr.) an. Ist nun der
Rest der Verse auf dem Papyrus verlesen oder herrscht bereits dort
Konfusion?" Sicher stehen die von Stobaeus erhaltenen Verse in
richtigem Zusammenhang mit den beiden ersten, wenn auch dazwischen
ein Teil der Reflexion ausgefallen sein kann. la V. 5 muß si'ö' Tjafiev
u)« ^v feststehen. Den letzten Vers will Haeberlin wegen der Ähnlich-
keit mit Med. 471 beseitigen. Allerdings kann er fehlen; allein da er
für den Sinn ausgezeichnet paßt, beweist jene Ähnlichkeit nichts für
die Unechtheit.
Die Hypothese, welche ebd. 1245 f. E. Holzner inbetreff des
Papyrusfragments vorträgt, kann unerwähnt bleiben.
Zar Andromeda vgl. die Besprechung des Berliner Andromeda-
kraters im Jahrb. des Deutschen Archäol. Instituts XI (1896) S. 292
von Bethe.
Bericht über die griechischen Philosophen vor
Sokrates fiir die Jahre 1876—1897.
Von
Prof. Dr. Franz Lortzing
in Berlin.
Vorbemerkung.
Seit Susemihls „Bericht über die in den Jahren 1874 und 1875
erschienenen Arbeiten über griechische Philosophie und griechische
Philosophen bis auf Theophrastos" (Jahresbericht 11. III 1 S. 261—400)
ist die vorsokratische Philosophie in diesen Jahresberichten nicht be-
sprochen worden. Die vor einer Reihe von Jahren mir übertragene
Berichterstattung über die seit 1876 auf diesem Gebiete erschienenen
Arbeiten hat durch Hindernisse verschiedener Art eine längere Ver-
zögerung erfahren und erstreckt sich nunmehr über einen Zeitraum
von 22 Jahren, während dessen die wissenschaftliche Forschung sich
in höherem Maße als vorher und mit nicht geringem Erfolge der
Frühzeit des philosophischen Denkens der Griechen zugewandt hat und
besonders die Kj'itik der Quellen auf eine neue und festere Grundlage
gestellt worden ist. Von diesen Fortschritten läßt sich in dem er-
weiterten Eahmen eine klarere und zusammenhängendere Darstellung
geben, als es in einer Eeihe von Teilberichten möglich gewesen wäre.
Aber es liegt auch die Gefahr nahe, daß manche inzwischen veralteten
Erscheinungen, die vielleicht kaum noch der Erwähnung wert sind, zu
ausführlich behandelt werden und so der Bericht über Gebühr an-
schwillt. Ich will daher über die bis zum Jahre 1890 erschienenen
Arbeiten, die ja auch zum weitaus größten Teile in der neuesten Auf-
lage des ersten Bandes der Philosophie der Griechen von Zeller Be-
rücksichtigung gefunden haben, möglichst gedrängt berichten und nur
bei hervorragenderen Erscheinungen dieser Zeit etwas länger verweilen.
Auf unbedingte Vollständigkeit kann dieser Bericht ohnedies keinen
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 157
Anspruch erheben, da es mir in manchen Fällen nicht gelungen ist,
ältere oder ausländische Schriften zu erhalten, einzelne entlegenere
Arbeiten mir auch entgangen sein mögen.
"Was den Umfang des zu besprechenden Gebietes betrifift, so habe
ich mich von vornherein auf die Philosophen im engeren Sinne des
Wortes beschränkt und einerseits die kosmogonischen und gnomischen
Vorläufer wie Epimenides, Pherekj'des, die Orphiker, die sieben Weisen,
und andererseits die späteren Umbildungen älterer Systeme wie den Neu-
pythagoreismus außer betracht gelassen, soweit nicht die betreffenden
Untersuchungen für die Erkenntnis der vorsokratischen Philosophie von
Wichtigkeit sind. Ebenso habe ich die rein naturwissenschaftlichen
und mathematischen Forschungen der Yorsokratiker nur insoweit be-
rücksichtigt, als sie mit den philosophischen Theorieen ihrer Urheber in
erkennbarem Zusammenhange stehen: eine Trennung, die freilich für eine
Zeit, wo die Unterschiede zwischen der Philosophie und den Spezial-
wissenschaften noch beständig ineinanderfließen, nicht immer leicht
durchzuführen war. — Die wichtigeren Änderungen des Textes der
Fragmente habe ich jedesmal am Schlüsse der Berichte über die
einzelnen Philosophen zusammengestellt unter Ausschließung der überaus
zahlreichen Stellen, die nur die Gedanken jener Männer wiedergeben,
aber keine Spuren des Wortlauts ihrer Äußerungen enthalten.
Der Übersichtlichkeit wegen erschien es zweckmäßig, den ge-
samten Stoff zunächst in einen allgemeinen und einen besonderen Teil
und ersteren wieder in folgende Abschnitte zu zerlegen: A. Schriften
zur Quellenkritik; B. Schriften zur Chronologie der Vorsokratiker;
C. Schriften, die die gesamte vorsokratische Philosophie behandeln oder
mehrere Gruppen zusammenfassen.
I. Allgemeiner Teil.
A. Quellenkritik.
In der 1 Überlieferung, auf der unsere Kenntnis der giüechischen
Philosophen und ihrer Lehren beruht, lassen sich, wenn wir von den
-auf uns gekommenen Originalwerken und den diesen entnommenen
Fragmenten absehen, zwei Hauptrichtungen unterscheiden, in denen sich
seit der alexandrinischen Zeit die Tradition bewegt hat: die biographische
und die doxographische. Beiden Arten der Überlieferung hat sich die
Wissenschaft unserer Tage zugewandt, und es ist ihr gelungen, Pro-
bleme, die man früher kaum zu stellen gewagt hatte, zu lösen oder
doch den rechten Weg zu ihrer Lösung zu weisen. Um mit der doxo-
graphischen Quellenforschung zu beginnen, so ist sie in ihrer Be-
deutung und ihrem Umfange zuerst erkannt und ihr eine feste Grund-
158 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
läge gegeben worden in dem monumentalen und epochemachenden Werke
von Diels, dem sie auch ihren Namen verdankt:
1. Doxographi Graeci collegit recensuit prolegomenis indici-
busque iustruxit Hermannus Diels. Berolini. G. Reimer, 1879.
VI, 854 S. gr. 8.
Die außerordentliche Bedeutung dieses Werkes wird es recht-
fertigen, wenn ich bei seiner Besprechung über die Grenze hinausgehe,
die ich mir sonst in bezug auf die ältere Litteratur gesteckt habe, und
wenigstens die Hauptergebnisse der mit staunenswerter Gelehrsamkeit
und Geistesschärfe in den Prolegomena p. 1 — 263 geführten Unter-
suchung vorführe. Vgl. die kurze Zusammenfassung in Zellers Be-
sprechung des Buches (Deutsche Litt.-Z. 1880 Sp. 225—228) und die
eingehendere bei Tannery, Science hellene S. 18 — 28 sowie bei Su Se-
rn ihl, Jahresber, über Aristoteles und Theophrast für 1878/79 (VII 1)
S. 289 ff. — Pseudoplutarch, dessen Epitome vielfach von späteren
Sammlern, besonders von Justin coh. ad gent, Achilles im Aratkommentar,
von Eusebios, Kyrillos und Pseudogalen benutzt worden ist, und
Stobäos haben ihre Placita philosophorum aus einer Sammlung
geschupft, die auch Theodoret gr. äff. cur. IV, stellenweise vollständiger
als jene, und vereinzelt Nemesios de nat. hom. exzerpiert haben, und
als deren Verfasser zweimal von Theodoret Aetios, ein etwa um
100 n. Chr. lebender Eklektiker, genannt wird. Das von Plut. und Stob,
benutzte Exemplar seiner Sammlung war bereits durch zahlreiche Text-
verderbnisse entstellt, die zum Teil aus voraetianischer Zeit stammen. Von
einigen Zusätzen Plutarchs abgesehen, geht alles, was wir bei diesem und
bei Stob, finden, auf Aetios zurück. Plut. ist im Exzerpieren viel kürzer,
nachlässiger und willkürlicher als Stob., wogegen dieser die Ordnung der
Kapitel und selbst der einzelnen Sö^ai vielfach geändert hat. Der Autor
der pseudoplutarchischen Sammlung gehört zu der Klasse von Fälschern,
die im 2. Jahrhundert nach Plutarchs Tode diesem Schriftsteller Werke wie
die Stromateis, de musica, de vita Homeri aufbürdeten. — Eine zweite,
bereits von Meineke nachgewiesene Quelle des Stobäos ist Areios
Didymos, der nicht nur die Ethik, sondern auch die Physik und
wahrscheinlich auch die Logik des Piaton, des Aristoteles und der
Stoiker, möglicherweise auch der Epikureer, zum Teil nach Antiochos,
zum Teil nach anderen Schriftstellern verschiedener Zeiten dargestellt
hatte. Die Auszüge aus Areios bei Stob, lassen sich von denen aus
Aetios an untrüglichen Kennzeichen unterscheiden , durch deren Un-
kenntnis Meineke oft verleitet worden ist, das Eigentum des Aetios
dem Areios zuzuweisen. Der letztere ist auch von Eusebios in der
praep. ev. zu wiederholten Malen exzerpiert worden. Er stammte aus
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 159
Alexandria, war wie der von ihm benutzte Endoros Eklektiker und ist
nicht, wie Heine annahm, zu unterscheiden von dem Freunde des
Augustus: der Doppelname ist ebenso wie der des Laertios Diogenes
daraus zu erklären, daß es im 1. Jahrhundert v. Chr. bei den Griechen
Sitte wurde, dem eigenen Namen den des Vaters, oft auch im Nominativ,
hinzuzufügen und zwar so, daß der erstere an die zweite Stelle trat. —
Eine dritte Quelle des Stob, geht auf ein altes Allegorieenbuch
zurück, das einen vor Vitruv lebenden Stoiker zum Verfasser hatte.
Aus diesem Sammelwerke, das seinen zahlreichen Exzerptoren den
Stoft' zu einer Vergleichung der Philosophen, besonders des Erapedokles,
mit Homer lieferte, ist vermutlich unter Plutarchs Namen im 2. Jahr-
hundert ein Homerisches Handbuch entstanden, das Stob, benutzte, und
aus dem auch die mit Unrecht von R. Schmidt dem Porphyrios zu-
geschriebene pseudoplutarchische Vita Homeri stammt. Aus derselben
Quelle schöpfte auch der Grammatiker Herakleon, von dem wiederum
Probus ad Vergil. und Sextus Emp. abhängig sind, sowie Herakleitos
in seinen Allegorien. Auch Aetios hat zu dieser Quelle Beziehungen.
Wenn Stob. I 10, 11 und mit ihm Herakl. alleg. 24 und Plut. vit.
Hom. c. 99 umgekehrt wie Aet. I 3, 20 'Hpr, bei Empedokles v. 33 ff.
St. als r^ und 'AtowvEuc als 'Ar^p deuten, so hat Aetios hier ohne
Zweifel die richtige ältere Überlieferung der Allegorieenquelle bewahrt,
während die verkehrte Übertragung der entgegengesetzten Deutung von
Homer 0 189 ff. auf Empedokles dem allegorisierenden Homerbuche
entnommen ist, dem außer den genannten drei Autoreu auch andere
wie Athenagoras und Probus folgen. Durch die Vergleichung dieses
Exzerptes wie mehrerer anderer bei Stob, mit den entsprechenden
Stellen in der Vita Hom. gelingt es dem Verf., ihre gemeinsame Quelle
wiederherzustellen. — Die Untersuchung wendet sich nun der Urquelle
aller doxographischen Sammlungen, dem großen Werke Theophrasts
über die Lehren der Physiker, zu, das nach dem Verzeichnis des Laert.
Diog. 18 Bücher (pusixüiv 6o$uiv (oder rspl ^uatxöSv nach Laert. V 46)
enthielt (nach eicer anderen Stelle des Verzeichnisses muß es eine zweite
Ausgabe in 16 Büchern gegeben haben). Von diesem Werke wurde
schon zur Zeit der Alexandriner ein Auszug in 2 Büchern, Ilspl cpus'.xtüv
£-tTO}j.r,j otß', angefertigt, den Laert. IX 21 f. benutzt zu haben scheint,
während die Berichte der aristotelischen Kommentatoren dem voll-
ständigen Werke entnommen sein dürften. Doch hat Simplicius, bei
dem die zahlreichsten und wichtigsten Fragmente, viele ohne ausdrück-
liche Nennung des Autors, erhalten sind, den Theophrast nicht selbst
eingesehen, sondern die ihm bei Alexander Aphrodis. vorliegenden
Exzerpte ausgeschrieben, wie D. durch eine Analyse einzelner Fragmente
nachweist. Aus den bei Simpl. überlieferten Bruchstücken läßt sich
160 Berichte über die griechisehen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.;
noch deutlicU erkennen, daß Theophr. im ersten Buche, das von den
Prinzipien bandelte, im wesentlichen eine chronolcgische Reibenfolge
beobachtete, wogegen in den folgenden Büchern aller Wahrscheinlichkeit
nach die verschiedenen Lehren inhaltlich gruppiert waren, wie dies in
dem uns erhaltenen langen Fragment de sensu, das nach Usener zur
Zeit der Alexandriner aus den Ao^at des Theophr. gesondert heraus-
gegeben worden ist, noch jetzt vor Augen liegt. Die Einteilung des
Stoffes in diesem Fragment erinnert an die der Prinzipien bei Aristoteles,
an den sich Theophr. auch sonst eng anschloß, und dessen Urteile über
seine Vorgänger er sicherlich gesammelt hatte, bevor er seine (pojtxuiv
«o^ai in Angriff nahm. Eine andere unerläßliche Vorarbeit für dieses
Werk war, wenn anders es neben der Darstellung des Meisters einen
eigenen Wert haben sollte, eine Durchforschung der Originalschriften
selbst, deren Ergebnisse Theophr. in Spezialabhandlungen über die
einzelnen Philosophen (am ausführlichsten war die über Demokrit)
niedergelegt hatte. Zu diesen Spezialschriften gehört aber keinesfalls
die pseudoaristotelische Schrift flspl MsXt'jaou u. s. w. , deren theo-
phrastischen Ursprung D. im Anschluß an Zeller mit Recht bestreitet.
Theophr. Phys. Opin. fr. 5 bei Simpl. in phys. I 22, 27 ff. D. ist
nicht durchweg, wie F. Kern annimmt, aus Theophr., sondern zu einem
großen Teile aus der Schrift flspl MsXis^oo u. s. w. selbst ausgezogen.
Auch die von Vermehren nachgewiesenen sprachlichen Kriterien sprechen
gegen Theophrasts Urheberschaft dieser Schrift. — D. geht hierauf den
Spuren der theophrastischen A6?at bei Cicero nach. Die nicht über
Piaton hinausgehende doxographische Zusammenstellung Luculi. 118 ist
offenbar aus Theophr. geschöpft, aber nicht direkt, sondern durch Ver-
mittelung des Kleitomachos, der Theophrasts Sammlung benutzt hat.
Wichtiger ist das lange Exzerpt bei Cic. de nat. deor. I 25—41, das
nach der herrschenden, von Hirzel, Untersuchungen zu Ciceros philosoph.
Sehr. IS. 5 ff., geschickt begründeten Meinung aus Philodem t:. eussßst'ac
ausgeschrieben ist. D. bezweifelt die Richtigkeit dieser Annahme und
stellt ihr gegenüber die Vermutung auf, daß Cic. den Phaidros ir. Oswv
benutzt habe. Die Übereinstimmungen zwischen Cic. und Philodem
würden sich hierbei daraus erklären, daß Philodem solche Stellen
gleichfalls dem Phaidros entnommen hat. Die oo$ai bei Cic. und
Philodem können aus chronologischen Gründen nicht auf Aetios zurück-
geführt werden, ihre Quelle ist wahrscheinlich eine ältere, aus dem
1. Jahrhundert v. Chr. stammende Bearbeitung des theophrastischen
Werkes. — Die Znsammeustellung von Philosophenmeinungen bei
Clemens Protrept. V 64 und 66, in der zwei Reihen verschiedenen
Ursprungs, die eine über die Prinzipien, die andere über die Götter
handelnd, miteinander vermengt sind, geht ihrem zweiten Bestandteile
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 161
nach sicher auf Cicero zurück. Aber Clemens hat, wie Krische erkannt
hat, nicht Cicero selbst eingesehen, sondern ein ins Griechische über-
setztes, ursprünglich lateinisch geschriebenes Buch eines christlichen
Schriftstellers, der Cicero vor Augen gehabt hatte. — Bevor D. in
seiner Untersuchung des Einflusses der Ao^cti Theophrasts auf die
Späteren fortschreitet, giebt er S. 132— 144 eine tabellarische Über-
sicht des theophrastischen Gutes bei den Exzerptoren, indem er die
doxographischeii Mitteilungen bei Hippolytos. Pseudoplutarch in den
Stromateis, Laertios Diogenes und Aetios sowie die entsprechenden
Bruchstücke aus Theophrast, soweit sie die vorsokratischen Philosophen
betreffen, nebeneinanderstellt. — Er geht darauf zu einer Analyse der
doxographischen Abschnitte in den Philosophumena des Hippolytos
über. Dieser hat in seinem ersten Buche zwei Kompendien exzerpiert:
1. eine dem Werke des Laertios Diog. in der Form ähnliche, aber weit
kürzere und wertlosere Vitarum epitome; 2. die Epitome einer Doxo-
graphie, die er für c. 6—9 und c. 11 — 16 benutzte, doch unter Hinzu-
fügung einzelner Abschnitte der ersten Epitome. Die unmittelbare
Quelle dieses ersten Kompendiums ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen
(Sotions Aiaooyiüv ßtßXt'a q, auf die eine Bemerkung in c. 14, 1 über
Xenophanes hinweist, sind nicht direkt von Hippolyt benutzt worden,
ebensowenig Herakleides Lembos, der nach Heckers von D. gebilligter
Vermutung den Sotion und Satyros ineinander verarbeitet hat); soviel
aber steht fest, daß sie Auszüge aus Aristoxenos, Sotion, Herakleides
und Apollodors Chronika enthielt. In dem doxographischen Kompendium
waren Theophrasts Ao'cai in der Weise ausgezogen, daß die bei letzterem
sachlich geordneten Lehren auf die einzelneu Philosophen verteilt waren.
Beide Quellen lassen sich streng voneinander scheiden. — Von den
unter Plutarchs Namen gefälschten Stromateis sind § 1 — 7 und
§ 10 — 12 offenbar aus einer Epitome Theophrasts, wenn auch teilweise
flüchtig und ohne verständige Auswahl, ausgeschieden. Die wertlosen
§§ 8 und 9 stammen aus einer anderen Quelle. — Laertios Diogenes
stellt gewöhnlich die Lehren der Philosophen zuerst y.scpaXatwoai;, dann
xa-ra {jiepo; dar. Die kürzere Darstellung ist aus einer biographischen,
die längere aus einer doxographischen Quelle geflossen. Die längere
geht auf ein Kompendium aus Theophrast zurück, das dem von
Hippolytos und Plutarch in den Stromateis benutzten ähnlich war. Auch
die kürzere stammt vielleicht ursprünglich aus Theophrast, ist aber
sorgloser angefertigt und enthält fremde Bestandteile. Ein ähnliches,
aber kürzeres Handbuch wie Laertios haben Eusebios in der praepar.
evang. und andere Kirchcnschriftsteller wie Theodoret, Ii-enäus, Arnobius
und Augustinus benutzt. Dem Epiphanios standen zwei doxographische
Auszüge zu Gebote: ein kürzerer, voll der gröbsten Fehler, und ein
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVI. (1898. I.) 1 1
162 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
längerer, für das 3. Buch der Schrift adv. haeres. benutzter, auch dieser
nicht frei von schlimmen Verkehrtheiten. — Die Untersuchung- lenkt
nun wieder zu der Zusammensetzung und Entstehung des Aetianischen
Werkes zurück. Das Kapitel über die Prinzipien (I 3), das in der
Weise der Biographen die Lehren nicht in sachlicher Ordnung, sondern
nach der Snccession der Pliilosophen bringt, hat mit Epiphanios eine auf
Theophrast zurückgehende Quelle gemein, aus der auch die kürzeren
Exzerpte des Laertios und das Kompendium des Eusebios schöpfen;
es ist dies eine biographische Schrift, die von der Art der Placita,
namentlich in der Bekämpfung der Lehren der Philosophen, ab-
weicht. Sicherlich gehört e-^ zum Bestände der Vetusta placita.
Die von Aetios mehrfach ab^'eänderte Kapitelordnung dieser läßt
sich aus dessen Werke mit ziemlicher Sicherheit herstellen und wird
S. 181 ff. tabellarisch vorgeführt. Die Entstehungszeit der Vet. plac.
ergiebt sich aus einer Vergleichung von Censorinus d. die nat. c. 4 — 15
mit den entsprechenden Abschuitten des Aetios, die auf eine beiden
gemeinsame Quelle schließen läßt. Da Censorinus diese Kapitel sorg-
fältig aus Varros logistorici, besonders aus Tubero de origine humana,
exzerpiert hat, so muß auch letzterer dieselbe Sammlung wie Aetios
benutzt haben. Zieht man nun in betracht, daß als jüngste Autoren
bei Aetios stets die ein Menschenalter vor Varro lebenden Poseidonios
und Asklepiades angeführt werden, so gewinnt man als wahrscheinliche
Eutstehungszeit der älteren Sammlung das Ende des T.Jahrhunderts a. u. c.
Diese reichhaltige Quelle ist nicht nur von Varro und Cicero, Areios und
Aetios benutzt worden, sondern auch von Änesidem und dem unter Trajan
lebenden Soranos, der die Lehren der Mediziner und zugleich der Philo-
sophen zusammengestellt hat und seinerseits wiederum dem Tertulliau
de anima als Vorlage gedient hat. Die theophrastische Grundlage
dieser Sammlung, die sich schon aus der ganzen bisherigen Beweis-
führung ergiebt, wird durch Vergleichung einzelner Stellen bei Aetios
mit andern Exzerptoren (vgl. besonders den Bericht über Anaximander
bei Aet. III 10, 2 mit Hippolyt. 6, 3) aufs klarste erwiesen. Unzweifel-
üaft sind Theophrasts Ao^ai die Hauptquelle der Placita für die ionischen
Philosophen und Xenophanes, wahrscheinlich auch für die Eleaten und
die Atomiker gewesen, obwohl in betreff der letzteren die häufigen
Irrtümer in der Darstellung ihrei- Lehren Bedenken erregen können.
Allem Anscheine nach hat dem Verfasser der älteren Placita das Buch
Theophrasts i-clbst voigelfgen; aber thcophrastisches Gut ist ihm auch
aus andern Quellen zugeflossen, so manches Heraklitische in stoischer
Färbung. Für die Art, wie auf theophrastischer Grundlage fremde
Strukturen aufgebaut worden sind, ist die Vergleichung zwischen Aetios
cnd Theophrast de sensu besonders lehrreich. Der Umstand, daß die
Berichte über die griecbischen Philosopben vor Sokrates. (Lortzing.) 103
oo'^ai in den Vetusta placita vielfach der stoischen Anffassung^ an-
gepaßt sind, weist auf die Schule des Poseidonios. Auffällig- isr, daß
auch bei Cicero de divin. I 5lf., obwohl er nur in einzelnen Punkten
mit den Placita übereinstimmt, als letzter Philosoph, wie gewöhnlich
in den Placita, Poseidonios angeführt wird. Auf die Meteorologica des
Poseidonios geht auch durch Vermitteluug des Asklepiodotos Seneca in
seinen natur. quaest. zurück, die ebenfalls mannigfache Übereinstimmung
mit den Placita zeigen. Besondere Beachtung verdienen aucli die Zu-
sammenstellungen von rjo;at Über die Anschwellung des Nils, die
sich außer bei 8eueca auch bei Diodor, dem Anonymus Florentinus
(hinter dem 2. Buche des Athenäos), den Scholiasten des Apollonios
sowie bei Aetios und dem Aristoteles latinus finden. Alle diese Be-
arbeitungen gehen, wenn auch nicht unmittelbar, auf eine vielleicht
dem Aristoteles, wahrscheinlicher aber dem Theophrast oder einem
andern Peiipatetiker zuzuschreibende Behandlung dieses Gegenstandes
zurück. — Den Schluß der Prolegomena bilden zwei Untersuchungen.
Die eiste handelt über Pseudogalens Historia philosopha, die
ungefähr um 500 entstanden zu sein scheint und außer dem aus einem
trefflichen Kompendium stammenden Verzeichnis der Sekten zwei ver-
schiedene Bestandteile enthält: eine mit den gleichartigen Partien bei
Sextus Emp. aus gemeinsamer Quelle geschöpfte Zusammenstellung von
Definitionen und von c. 25 an eine den pseudoplutarchischen Placita
entnommene Doxographie, die, mit Vorsicht gebraucht, der Textkritik
gute Dienste leisten kann. Die zweite Untersuchung betrifft des
Hermeias gentil. phil. irrisio, die wahrscheinlich im 5. oder 6. Jahr-
hundert verfaßt wurde und neben vielen wertlosen einzelne gute Nach-
richten enthält, welche aus einem doxographischen V^T^erke entlehnt zu
sein scheinen. — Die wesentlichen Resultate dieser weitverzweigten
Untersuchung, durch die über ein bis dahin größtenteils in Dunkel ge-
hülltes Gebiet der philologischen Forschung helles Licht verbreitet
worden ist, fanden alsbald nach dem Erscheinen des Werkes die volle
Zustimmung kompetenter Mitforscher (s. außer der angefahrten Be-
sprechung von Zeller die Rezensionen im Litt. Centralbl. 1880 S. 754 —
756 von B. und in der Rivista di filologia VIII S. 539 f. von G. V[itelli]);
jetzt vollends, nachdem sie fast zwei Jahrzehnte lang unbeanstandet ge-
blieben und von allen Sachkundigen angenommen worden sind, dürfen
sie als ein völlig gesichertes und unantastbares Besitztum unserer
wissenschaftlichen Litteratur bezeichnet werden. Einzelne Annahmen
lassen sich natürlich bestreiten und sind, wie wir gelegentlich sehen
werden, bestritten worden; es sind dies aber fast durchweg solche, die
D. selbst vorsichtigerweise nur als mehr oder minder wahrscheinliche
Vermutungen hingestellt hat. Zu ihnen scheint mir z. B. die Hypothese
11*
1(54 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
zu gehören, daß Cicero in dem doxographischen Abschnitt de nat. deor. I
nicht aus Philodemos, sondern ebenso wie dieser aus Phaidros -. OsöJv
geschöpft habe. Hier erheben sich chronologische Schwierigkeiten.
"Wenn, wie S. 126 f. nachgewiesen wird, die öo;at bei Cicero wie bei
Philodera auf die Vetusta placita zurückgehen und diese erst gegen
Ende des 7. Jahrhunderts a. u. c. , d. h. nicht lange vor 50 a. Chr.
(s. S. 201 und dazu 185^ wo der Tod des als jüngster Philosoph in
den Placita genannten Poseidonios in das Jahr 46 oder 45 gesetzt
wird), so kann Phaidros, der, als Cicero mit ihm zu Athen verkehrte,
also 78/79, bereits in höherem Alter stand und wahrscheinlich i. J. 70
gestorben ist (s. Zeller Gr. Ph. III V S. 374, 1), unmöglich die be-
zeichnete Sammlung der Placita benutzt haben. Es ist daher entweder
Phaidros als Quelle für Cicero und Philodem wieder auszuscheiden
(s. jedoch P. Schwencke, Jahrb. f. kl. Philologie 119 [1879] S. 50 f.,
der es ebenso wie Diels für unwahrscheinlich hält, daß Cicero den
Philodem benutzt habe) oder die Entstehung der Vetusta plac. um
tinige Jahrzehnte früher anzusetzen. Im zweiten Falle müßte man an-
nehmen, daß die wichtigsten Schriften des Poseidonios schon in den
ersten Jahrzehnten des 1. Jahrhunderts erschienen waren, was nicht
undenkbar ist, zumal wenn man seine Geburt mit Zeller a. a. 0. S. 572, 3
spätestens dem J. 135 zuweist. Eine neue Schwierigkeit würde sich
ergeben, wenn man mit Schwencke a. a. 0. für den ganzen Vortrag
des Velleius in de nat. deor I, auch für den historischen Teil, nur
eine Quelle und zwar Zenon gelten lassen wollte-, denn dieser, der
kaum später als 150 geboren sein kann, müßte dann den jüngeren
Phaidros, dem er überdies wahrscheinlich als Schulhaupt vorangegangen
war (s. Zeller III P S. 373, 2 und 374, 1), ausgeschrieben haben. Aber
Schwenckes Annahme steht keineswegs fest (s. Schiebe, Jahresber. d.
philolog. Vereins zu Berlin VI [1880] S. 373). — Auf die reiche Fülle
von Einzelfragen, die zur Begründung der Hauptpunkte oder im Zu-
sammenhang mit ihnen in den Prolegomena erörtert werden, einzugehen,
müssen wir uns hier versagen. Beispielsweise sei hingewiesen auf den
gleich im Beginn (S. 1 ff.) geführten Xacliweis, daß die doxographische
Übersicht über die Prinzipien, die sich in der armenischen Übersetzung
von Philo de provid. I 22 findet, nichts als ein aus den pseudo-
plutarchischeu Placita zusammengeflicktes Einschiebsel ist, sowie auf
die Bemerkungen über das aus Pseudophilon r. «(pöapjia; xo'jixou ge-
schöpfte 12. Fragment der theophrastischen J^o'^ai (vgl. jedoch Zeller,
Über Theophrast, Hermes XV S. 137 ff. j. Besonders wichtig für unsere
Zwecke sind die zahlreichen Stellen, an denen die 1 'berlieferung einzelner
Lehren älterer Philosophen berichtigt wird. So wird z. B. S. 25 f.
nachgewiesen, daß unter dem bislang mißdeuteten auXo; -pr,a-^po;, mit
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 165
dem nach Plac. II 20, 1 (vgl. Stob. Plac. II 25, 1) Anaximander die
Öffnungen in den Gestirnringen verglichen hat, die Röhre eines Blase-
balgs zu verstehen sei, und dementsprechend S. 156 bei Hippolyt 6, 4
das sinnlose to'ttouc -rivac aupaiöst; in iropouc xivotc ouXcuSeic verbessert.
Damit ist die von Susemihl Jahresber. IL III S. 274, 13 gebilligte
Erklärung Schusters zugleich mit seiner Änderung des Textes: Tip-rjax^pa
auXoü statt -pr]3Tfjpoc auXo'v beseitigt. Die neue Auffassung der Aus-
drücke r^ und 'Aiöüjveu; bei Empedokles (S. 88 ff.) ist schon oben er-
wähnt worden. S. 109 ff. wird bei Erörterung der Frage, welche Quellen
Simplicius in Theophr. fr. 5 benutzt hat (s. o.) die metaphysische Grund-
anschauung des Xenophanes behandelt, teilweise im Anschluß an Zeller,
doch mit einer bedeutsamen Abweichung, auf die einzugehen sich später
Gelegenheit finden wird. S. 164 f. wird die Mitteilung bei Theophr.
fr. 1 und Laert. Diog. IX 8, Heraklit habe alles aus dem Feuer durch
Verdichtung und Verdünnung entstehen lassen, auf eine irrtümliche Ver-
mutung Theophrasts zurückgeführt (vgl. Zeller I 2^ S. 652, 2).
Auf die Prolegomena folgt der Hauptbestandteil des Dielsschen
Werkes, die Sammlung der doxographischen Überreste und zwar: 1. Die
aus Pseudoplutarch und Stobäus, deren Texte in zwei Kolumnen ein-
ander gegenübergestellt werden, rekonstruierte 'Aexiou :iepi xöiv tJpeaxovTwv
auva7ü)7TQ, der unter dem Strich links die testimonia Plutarchi aus Justin,
Achilles, Kyrillos u. a. sowie rechts aliorum ex Aetio excerpta, be-
sonders des Theodoret und des Nemesios, beigefügt sind. 2. Die physi-
kalischen Fragmente der Epitome des Areios Didymos. 3. Die Frag-
mente der «puaixüiv 66$ai des Theophrast. 4. Das zusammenhängende
Bruchstück aus diesem Werke Tispl aujftiQjeiov. 5. Eine Gegenüber-
stellung des Textes von Cicero de nat. deor. I 25 — 41 und der ent-
sprechenden Überreste aus Philodem de pietate I. 6. Die sogen.
Philosophumena aus Hippolytos xaxa Traaöiv atpejsüiv l'Xe-f/oc I 1 — 26.
7. Das doxographische Fragment aus Plutarchs STpfufxaTeTi bei Eusebios
praep. ev. I 7, 16 ff. 8. Epiphanii varia de Graecorum sectis excerpta.
9. Pseudogalen zspi «piXojo'cpou b-ropia;. IG. Hermeias 6iaaup}j.6c xüiv
eSo> 9'.Xoa6cpcüv. Den Texten liegen überall die besten Handschriften zu
gründe, darunter nicht wenige bisher unbekannte oder unbenutzte. Dieses
neue Mateiial haben dem Herausgeber teils ältere, ihm überlassene
Kollationen wie der cod. F des Stobäus nach der Kollation Wachs-
muths, der in Useners Besitz befindliche Apparat von Brandis zu
Theophrast de sens., der Apparat Torstricks zu Simplicius in phys.,
teils die von ihm selbst oder für ihn von befreundeten Gelehrten
wie Ilsener, Kießling, Kaibel, J. Bruus verglichenen Handschriften
geliefert. Ein besonders wertvoller Fund waren die aus dem 11. Jahr-
hundert stammenden Exzerpte des Cedrenus aus einem an Alter
166 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
und Wichtigkeit die uns sonst bekannten Handschriften weit überragenden
Kodex des Hippolyt. Diesen umfangreichen und trefflichen Apparat hat
D. mit vollendeter kritischer Meisterschaft gehandhabt und so durchweg
einen gereinigten und die früheren Ausgaben an Brauchbarkeit und Zu-
verlässigkeit weit hinter sich lassenden Text hergestellt. Den Schluß
des Werkes bildet ein mit größter Sorgfalt angefertigter ausführlicher
Index Verborum (S. 707 — 842), durch den die griechische Lexikographie
und insbesondere die philosophische Terminologie mannigfache Be-
reicherung erfahren hat. — So hat D. der Forschung nicht nur neue
Wege gewiesen, sondern auch auf lange Zeit hinaus ein unentbehrliches
Hülfsmittel geboten, das voraussichtlich zum Ausgangspunkte neuer,
folgenreicher Untersuchungen dienen wird. Wenn dies bisher nicht in
dem Maße geschehen ist, wie man bei der hohen Bedeutung des Werkes
hätte erwarten sollen, ja wenn manche das Gebiet der griechischen
Philosophie berührende Arbeiten fremdländischer wie deutscher Autoren
bis in die neueste Zeit hinein völlige Unkenntnis der Dielsschen Unter-
suchungen zeigen, so beweist dies nur, wie langsam sich selbst in unserer
verkehrsreichen Zeit neue wissenschaftliche Erscheinungen auch in den
engeren Kreisen der Gelehrten verbreiten.
Schon geraume Zeit vor dem Erscheinen der Doxographi hatte
C. Wachsmuth über das Sammelwerk des Stobäus in mehreren Göttinger
Universitätsschriften (s. die Berichte von Diels, Jahrb. f. kl. Philol.
1872 S. 189 ff. und von Lortzing, Philolog. Anz. VI S. 133 ff.) sowie
in der Abhandlung: „Versprengte Trümmer der Eklogen des Stobäus
in seinem Floiilegium" (Rhein. Mus. XXVII S. 73—80) wichtige Auf-
schlüsse gegeben. Diese Arbeiten sind dann mit einigen Nachträgen
wieder abgedruckt und zwei neue Abhandlungen „Über das byzantinische
Florilegium Parallela und seine Quellen" uud „Guomologiura Byzantinum
£•/. Tüiv Arjfxoy.piTou 'Ijoxpa-ouc 'EtuxttjTO'j 6 varüs codicum exemplis
restitutum" hinzugefügt worden in:
2. Studien zu den griechischen Florilegien von Gurt Wachs-
muth. Berlin, Weidmann, 1882. 218 S.
Über den Inhalt dieser Sammlung sowie über eine mit dem letzten
Stücke im engsten Zusammenhange stehende Abhandlung desselben Ver-
fassers „De gnomologio Palatino inedito" (in der H. Sauppe gewidmeten
Satura philologa, Berlin 1879, S. 7 ff.) habe ich im Philol. Anz. Xni
Snppl. 1 S. 683 — 705 ausführlichen Bericht erstattet, aus dem ich hier
das Wichtigste kurz zusammenfasse. Die sogen. Eklogen und das sogen.
Florilegium des Stobäus bildeten ursprünglich ein Gesamtwerk in
4 Büchern, das dem Photius noch in einer ganz (V) unverstümmelten
Gestalt vorlag, während sich in der gemeinsamen Urhandschrift unserer
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 167
sämtlichen Codices vor dem 11. Jahrhundert ein Blatt aus dem 1. Kapitel
des 2. Buches gelöst hat. Eine nach diesem Verluste genommene Ab-
schrift hat dem Verfasser des fälschlich dem Jo. Damascenus zu-
geschriebenen Florilegium Laurentianum vorgelegen. Im Archetypus
griff dann die Verderbnis weiter um sich, so daß die ganze Handschrift
in zwei Hälften zeifiel, die von nun au gesondert abgeschrieben und
als zwei selbständige Werke überliefert wurden. Bei dieser Trennung
gerieten drei der gelösten Blätter aus dem Anfang des 2. Buches in
das „Florilegium" , wo sie zwischen Kap. 79 und 83 der Ausgabe von
Meineke eingeheftet wurden. Aus der so verstümmelten ersten Hälfte
ist eine größtenteils stark verkürzte Abschrift geflossen, die dem Arche-
typus unserer Eklogenhandschriftcn zu gründe liegt. Dieser Arche-
typus erlitt noch weitere beträchtliche Einbußen. Zunächst giug der
größte Teil der einleitenden Kapitel sowie des zweiten Buches ver-
loren, und in dieser Verstümmelung erscheint der Text in den zur
ersten, besseren Klasse gehörenden Handschriften, die sämtlich aus dem
Farnesinus (F) stammen, während die zweite Klasse, in der gleichfalls
nur ein Kodex, ein Parisinus (P) maßgebend ist, aus demselben, aber
inzwischen noch um mehrere Blätter verkürzten Archetypus hervor-
gegangen ist. Daraus ergiebt sich, daß sich die Kritik der Eklogen
in erster Linie auf F und daneben nur noch auf P zu stützen hat,
während Gaisford und auch noch Meineke hauptsächlich den fast ganz
bedeutungslosen Augustanus benutzt hatten. Außer diesen beiden Hand-
schriften kommt noch für einzelne Abschnitte das bereits erwähnte Flor.
Laurentianum (L) in betracht. — In einigen der von L allein aufbe-
wahrten Kapitel sind ebenso wie in einer Anzahl dem „Florilegium"
des Stob, entnommenen Kapitel die Sentenzen aus Stob, mit fremd-
artigen Abschnitten verbunden, die aus einer auch von anderen Exzerp-
toren wie Antonius, Maximus und dem Verfasser der bisher unedierten
Melissa Augustana ausgeschriebenen Parallelensammlung stammen. Diese
nnter allen nachstobäanischen Florilegien wichtigste Sentenzensammlung,
die spätestens gegen Mitte des 10. Jahrhunderts entstanden sein muß,
läßt sich in ihrem profanen Teile aus ihren vier Exzerptoren mit ziem-
licher Sicherheit herstellen. Sie selbst ist aus sehr verschiedenartigen
Quellen zusammengeflossen. Nicht nur die Hauptmasse der Dichter-
citate, sondern auch die Mehrzahl der Prosastellen sind aus Stobäus'
Floril., wenn auch nicht direkt, geschöpft. Eins der Kriterien stobäanischen
Ursprungs, das namentlich für die Entscheidung über die Echtheit Demo-
kritischer Sentenzen von Bedeutung ist, beruht, wie ich in meiner Ab-
handlung „über die ethischen Fragmente Demokrits" S. 14 gezeigt habe,
auf dem Vorkommen ionischer Formen. Untei* den übrigen Quellen des
Parallelenbuches verdient besondere Beachtung eine dem Stob, unbekannte
168 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Sammlung von Sentenzen des Demokrit, Tsokrates und Epiktet, ein
bj'zantiuisches Gnomologium, das Wachsmuth aus verschiedenen Rezen-
sionen rekonstruiert hat. — Für die Vervollständigung der Philosophen-
fragmeute sind diese und ähnliche Sammlungen, wie sie seitdem in
größerer Zahl, besonders durch H. Schenkl (vgl. z. B. „Pythagoreer-
sprüche in einer Wiener Handschrift", Wiener Studien VIIIS. 262ff.)
und Elter (vgl. „Gnomica 11", Leipzig 1892 und „De gnomologiorum
graecorum historia atque origine, Bonn 1893) veröffentlicht und be-
sprochen worden sind, fast völlig unbrauchbar, da die einzelnen Sentenzen
in ihnen ohne Nennung der Autoren überliefert sind. Dies gilt ebenso
für Demokrit (s. meine soeben angef. Abh. S. 13) wie für Epiktet
(s. Asmus Quaest. Epicteteae, Freiburg 1888 und H. Schenkl, Die
epiktet ischen Fragmente S. 86 und in seiner Ausgabe des Epiktet
S. 462**). Aber auch in den Fällen, wo die in ihnen enthaltenen Aus-
sprüche anderweitig einem bestimmten Autor beigelegt werden, sind sie
nur mit größter Vorsicht für die Textkritik zu benutzen. — Eine ebenso
geringe, ja vielleicht eine noch geringere Bereicherung unserer Kenntnis
der älteren Philosophen bieten die Apophthegmensammlungen, da in den
seltensten Fällen, zumal bei der großen Verwirrung der Lemmata in
allen derartigen Zusammenstellungen, die in ihnen überlieferten Aus-
sprüche mit einiger Wahrscheinlichkeit den Personen, denen sie in den
Mund gelegt werden, wirklich zugeschrieben werden können. Es genüge
hier, darauf hinzuweisen, daß ein Bruchstück jenes großen Apophthegmen-
korpus, das dem Verf. des erwähnten Parallelenbuches als Quelle ge-
dient hat, und aus dem das Floril. Monacense (im Anhang zu Meinekes
Stob. Flor. IV 8. 278 ff.) und das Floril. Leidense einen Auszug dar-
stellen, von Wachsmuth unter dem Titel „Die Wiener Apophthegmen-
sammlung* in der Festschrift zur Begrüßung der 36. Philologenver-
sammlung, Freiburg 1882, S. 1—36 herausgegeben und erläutert worden
ist; vgl. meine Rezension im Philol. Anz. XIV S. 105 ff. und meine
„Znsätze und Bemerkungen" zu der Ausgabe im Philologus XLIII
S. 233 — 248.^) Ein vollständigeres und reichhaltigeres Exemplar der-
selben Sammlung bietet L. Sternbach, De gnomologio Vaticano inedito,
Wiener Studien IX (1887) S. 175—206 und X (1888) S. 1-49.
Eine willkommene Ergänzung zu den „Studien* Wachsmuths bildet:
') Der erste Teil der Abhandlung (S. 219—233) behandelt die Quellen
der den sogen, oo-^oi beigelegten Aussprüche; eine Frage, die in neuerer
Zeit mehlfach, zum Teil auf grund der VeröfiFentlichung neuen handschrift-
lichen Materials erörtert worden ist, und auf die wir hier näher eingehen
müßten, wenn wir nicht von vornherein die sieben Weisen von unserm
Berichte ausgeschlossen hätten.
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) I69
8. De Joannis Stobaei codice Photiano scripsit Antonius Elter.
BoDnae 1880. 75 S.
Der Verf. weist in scharfsinniger und überzeugender Weise nach,
daß die von Photius im cod. 167 seiner Bibliothek dem Verzeichnis der
Kapitelüberschriften des Stobäus beigefügten Indices der Schriftsteller-
uamen, die man bis dahin für ziemlich wertlos gehalten hatte, einen
nicht unwichtigen Beitrag zur besseren Kenntnis der ursprünglichen
Grestalt des Stob, zu liefern geeignet sind. Das in fünf Gruppen, deren
erste die Philosophen umfaßt, zerfallende Namenverzeichnis, ist nicht
etwa, abgesehen von der Einteilung nach dem Anfangsbuchstaben der
Namen, völlig regellos zusammengestellt, sondern nach einem ganz be-
stimmten Prinzip geordnet worden. Der Verfasser des Index hat jeden
Namen nur einmal und zwar dann, wenn er ihn bei fortlaufender Lektüre
des Stob, zuerst erwähnt fand, in der betreffenden alphabetischen Kolumne
notiert. So leistet uns das Verzeichnis eine wesentliche Beihülfe, um
die Beschaffenheit des von dem Pinakographen benutzten Kodex (den
Elter kurzweg codex Photianus nennt, obwohl er möglicherweise älter
ist als die Handschrift des Photius) genauer zu erkennen. Es ergiebt
sich, daß die Handschrift mit Ausnahme der Lücke im Anfange des
2. Buches den ganzen, unverstümraelten Stob, enthielt, und ferner durch
Vergleichung der ersten 29 Kapitel des 1. Buches des Stob, mit den
pseudoplutarchischen Placita, daß Stob, in bezug auf die Zahl der
Autoren und Eklogen weit reichhaltiger ist als Plutarch und kaum eine
Sentenz, die er bei Aetios vorfand, ausgelassen hat. Wenn vom
30. Kapitel bis zum Schlüsse des 1. Buches unser Text, selbst gegen
Plutarch gehalten, höchst dürftig und trümmerhaft erscheint, so trägt
die Schuld daran nicht Stob., sondern das kompilatorische Verfahren
eines bequemen Abschreibers, der von dem bezeichneten Kapitel an
hauptsächlich nur Sentenzen des Aristoteles und Piaton aus Stob,
exzerpiert hat. Auch mit den stobäanischen Exzerpten des Laurentianus
steht der Index des Photius im vollen Einklänge. Schließlich bildet
er auch eine sichere Grundlage für die Vergleichung des Stob.
mit den übrigen Florilegien, insonderheit mit Maximus und den anderen
Sammlern, die aus dem Parallelenbuche geschöpft haben. ^) Für das
Nähere verweise ich auf meine Rezension in der Philol. Rundschau 11
S. 163 — 170, wo ich auch gegen einzelne Behauptungen Elters Be-
denken ausgesprochen habe.
') Daß übrigens der Verfasser des Parallelenbuches auch den Stob,
selbst benutzt hat und nicht, wie Wachsmuth, Studien S. 22, mit Bernhardt
annimmt, die ursprüngliche Quelle des Stob., ist von Freudenthal, Zu
Phavorinus und der mittelalterlichen Florilegienlitteratur, Rhein. Mus. XXXV
S. 408 ff., wahrscheinlich gemacht worden.
1 70 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Au Elters Abhandlung knüpft an:
4. H. Diels, Stobaios und Aetios. Rhein. Mus. XXXVI (1881)
S. 343-350.
D. stimmt den Ausführungen Elters über die Thätigkeit des
Pinakographeu im allgemeinen zu, glaubt aber, daß dieser nicht ängst-
lich die ursprüngliche Reihenfolge bewahrt habe, sondern bei der Ein-
reibung der Namen in die fünf Listen manche Verwirrung in der
Reihenfolge und auch Ausfall von Namen vorgekommen sei; doch sei
in Partieen , die augenscheinlich noch die ursprüngliche Serie ungestört
erhalten hätten, ein Rückschluß auf den Text des Stob, wohl berechtigt.
So wird aus dem Verzeichnis die schon von Heeren ausgesprochene
Vermutung bestätigt, daß Aetios I 7, 27. 28 (Doxogr. 303^ 19 ff.) das
Lemma Empedokles ausgefallen sei. Die Lücke ist nach D. so zu er-
gänzen : MeXiJso? — «Tre'pov xo sv <'E(jl-cÖoxX-^; j'pa'.posio-^ (sc. &£6v
civat) /al aio'.ov xotl (xxivTjTOv -o £v> , ^) y.at to ijlsv Iv --Jjv avo(-,-/.rjv U. S. W. —
D. verteidigt dann die von ihm Doxogr. S. 57 ff. ausgesprochene An-
sicht, daß die Eingangskapitel in den plutarchischen Placita und ebenso
I 7, 1 — 10 bereits von Aetios eingeschmuggelt worden seien, gegen
Elter, der das Proömium sowie cap. 1 und 7 dem Interpolator des
Plntarch zuschreibt und die Sammlung des Aetios mit cap. 3 (= Stob. 1 10)
besinnen läßt. Schließlich weist D. nach, daß der Verfasser des Floril.
Laurent, nicht nur die Kapitelüberschriften, sondern auch den Text des
Stob, aus Pseudoplutarch an einigen Stellen interpoliert hat.
Die Ergebnisse der in den „Studien" niedergelegten Untersuchungen
bildeten eine unerläßliche Vorarbeit und zugleich eine sichere Grundlage
für die von Wachsrauth unternommene Neubearbeitung des T^^^^s der
Eklogen, die einige .Tahre später unter dem Titel:
5. Joanuis Stobaei Anthologium rec. C. Wachsmuth et
0. Hense vol. I et IL Berlin 1884. Vol. I: XXX, 502 S. vol. II:
332 S.
erschienen ist. Mit dieser Ausgabe ist zum ersten Male ein auf fester
diplomatischer Grundlage ruhender Text der Eklogen hergestellt. Schon
äußerlich betrachtet, stellt sie sich ganz anders dar als ihre Vorläufer.
Die Rapitelzahlen sind nach dem Verzeichnis des Photius berichtigt
worden. Den in die Handschriften des „Floiilegiums* versprengten
Trümmern von II 1, 2 und 4 ist ihre rechtmäßige Stelle und Reihen-
^j Wachsmuth in der Ausgabe der Eklogen ergänzt einfacher die
Lücke so: Mi"At3-3'.; — üziipo^y <c'E{iZcOO/'/,-^; töv a-icdpov >:c(t> xh iv, •/.«'. xo
jicv iv u. s. w.
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 17]
folge augewiesen worden. Einen noch erheblicheren Zuwachs bat der
Text erhalten ans den auf Stob, zurückgehenden Partieen des zu-
erst hinter dem „Florilegium" von Gaist'ord, aber vielfach ungenau
und unvollständig abgedruckten Flor. Laur. (L), und zwar ist
das 2. Buch um 4 Kapitel vermehrt und somit die große Lücke
daselbst wenigstens zu einem Teile ausgefüllt worden, während
7 Kapitel des 1. Buches bedeutend bereichert worden sind. Die Titel
der noch fehlenden Kapitel hat \V. unter Mitbenutzung des freilich
unvollständigen Index in L hinzugefügt und gelegentlich auf grund des
Autorenverzeichnisses bei Photius (s. zu No. 3) die mutmalilich in den
verlorenen Abschnitten exzerpierten Autoreu bezeichnet. Eine große
Zahl Lemmata sind neu hinzugekommen, andere teils berichtigt, teils
an ihre rechte Stelle gesetzt worden. In den zahlreichen Fälleu, wo
die Lemmata verloren gegangen sind, hat sie W. , soweit er sie er-
mitteln konnte, in Klammern beigefügt. Auch hat er die Fundorte
der Eklogen, die aus noch vorhandenen Werken stammen, genau an-
gegeben. Die Lesarten der besten Handschriften, F, P und L, sind
gewissenhaft verzeichnet, die der übrigen nur da, wo sie beachtenswerte
Konjekturen enthalten. Die Vermutungen Neuerer hat W. mit einer
fast unbedingten Vollständigkeit angegeben. Eine sehr dankenswerte
Beigabe zu dem Kommentar bilden die hier und da angeführten Parallel-
stellen. Was die Gestaltung des Textes anbetrifft, so lehrt eine genaue
Vergleichung der neuen Ausgabe mit der von Meineke, was W. auf
diesem Gebiete geleistet hat. In der dem Aetios entnommenen Ab-
schnitten hat sich W. vielfach an die ihm vorliegende Dielssche Rezen-
sion angeschlossen, ist jedoch öfter auch von ihr abgewiesen, manchmal
unzweifelhaft zu gunsten einer besseren Gestaltung des Textes. In
bezng auf Einzelheiten verweise ich auf meine Besprechung im Philol.
Änz. XV S. 231 — 240 und auf die von E. Hiller Deutsche Litteraturz.
1884 8. 1199 ff.
Xur der Vollständigkeit halber erwähnen wir hier:
6. C. Thiaucourt, De Johannis Stobaei Eclogis earumque
foutibus. Paris 1885. 90 S.
Diese Abhandlung enthalt nämlich unter dem Schein eigener Forschung
und profunder Gelehrsamkeit im wesentlichen nichts als einen Auszug
aus Wachsmuths „Studien" und Prolegomena zum Stob, sowie aus
Meinekes Abhandlung über Areios Didymos und Hirzels Untersuchungen
zu Ciceros philosophischen Schriften; s. meinen Bericht in der Berl.
phil. Wochenschr. 1885 Sp. 1383 ff. i)
*) Ergänzungen zu dem so lückenhaft überlieferten 2. Buche des Stob,
giebt A. Elter, Neue Bruchstücke des Jo. Stobäus, Rhein. Mus. 47 (1892)
172 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Die den Stobäischen Exzerpten aus Aetios parallel laufenden
pseudoplutarchischen Placita sind neuerdings wiederum herausgegeben
worden in:
7. Plutarcbi Chaeronensis Moralia recognovit Bernar-
dakis. Vol. V. Leipzig. S. 264 — 372 s. t.: nXourap/ou 91X0-
aotpou TCSpi Tuiv äpecxovTwv (piXoa6(pot? (pujixuiv ooYixatcuv
ßißXta TtevTS.
Da B. nur einen der drei von Diels benutzten Codices der Placita
verglichen hat und zwar den Paris. E, der ein Vertreter der schlechteren
Handschriftenklasse ist, so war er von vornherein darauf angewiesen,
in bezug auf die Textesgestaltung sich im großen und ganzen an Diels
anzuschließen. Doch hat er bei einer Anzahl verderbter Stellen unter
dem Texte Verbesserungen vorgeschlagen, bisweilen auch in den Text
aufgenommen, von denen manche annehmbar oder doch beachtenswert
erscheinen.
Auf ein Kapitel des Aetios bezieht sich eine hier nur nebenbei
zu nennende Abhandlung von P. Wendland: Posidonius' Werk Ttspl
»eÄv, Archiv f. Gesch. d. Philos. I (1888) S. 200—210, in der nach-
gewiesen wird, daß das stoisierende Kapitel über den Ursprung des
Gütterglaubens bei Pseudoplut. = Aetius I 6 ein flüchtiger und ver-
worrener Auszug aus der Schrift des Posidonius ^rspl Oecüv ist, die wir
als Quelle für das gesamte 2. Buch von Cicero d. nat. deor. anzusehen
haben (vgl. Schwencke in Jahrb. f. kl. Phil. 1879 S. 65), und daß aus
derselben Quelle Clemens AI. Protrept. § 26, Sextus Emp. Math. IX
85 ff., der Verfasser der Schrift tt. x63[jlou und Areios Didymos in
einem Kapitel geschöpft haben. Wichtiger für unsere Zwecke Ist eine
zweite Abhandlung desselben Verfassers:
8. Eine doxographische Quelle Philos. S.-Ber. Berl. Ak. XLIX
(1897) S. 1074—1079.
W. vergleicht zwei doxographische Exkurse bei Philo de somniis
mit den entsprechenden Abschnitten bei Aetios und in verwandten
Quellen. Der erste Exkurs cap. 4 mit seiner Fortsetzung cap. 10 ent-
hält eine Übersicht der verschiedenen Philosophenmeinungen über die
Beschaffenheit des Himmels und der Gestirne, die nicht frei von Irr-
tümern und Flüchtigkeiten, aber reichhaltiger als Aetios ist, so daß
dessen Berichte in einigen wichtigen Paukten aus Philon ergänzt werden
können. Noch deutlicher tritt dieses Verhältnis in dem zweiten Exkurse
S. 130—137. E. veröffentlicht .30 Eklogen aus einem Vatikanischen Gno-
mologiom und weist nach , dalJ sie zum grollten Teile aus verloren ge-
gtkngenen Abschnitten von Stob. 11 stammen.
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 173
(cap. 6) hervor, in dem die o6;ac über das Wesen des vou; (oder der
'}u-/T^, die hier mit dem voü; vermengt wird), sein Entstehen und Ver-
gehen sowie seinen Sitz im menschlichen Körper zusammengestellt sind.
Hier stehen uns nämlich außer Aetios auch noch die Berichte bei
Cicero Tose. I 9, Tertullian de an., Macrob. Somn. Scip. u. a. zur
Verfügung. Das unanfechtbare Ergebnis der Vergleichung dieser ver-
schiedenen Quellen ist, daß Philon dieselbe Quelle, die Diels für Aetios
und verwandte doxographische Berichte nachgewiesen hat (s. c), die
Vetusta Placita, benutzt und namentlich aus Poseidonios, der solche
doxographische Zusammenstellungen liebte, ergänzt und bereichert hat.
S. 1078, 2 wird bemerkt, Philon habe den Vergleich des Hauptes mit
der dtxporoXtc wahrscheinlich direkt aus Piatons Tim. p. 70 A entlehnt.
Ich möchte hierbei hinw^eisen auf eine vielleicht noch ältere Stelle aus
dem nach ten Brink ein echtes Bruchstück Demokrits enthaltenden
Briefe ~. 9UJto; avOpwTzou bei Hippokrates III p. 824 K. : 6 |xev iYxs'faXor
Die Fortsetzung von No. 5" bildet:
9. Joannis Stobaei Anthologium rec. C. "Wachsmuth et
0. Hense. Vol. III. Berlin 1894. 8. LXXX, 769 S.
Während Wachsmuth die Schicksale der Textüberlieferung von
der Spaltung des Gesamtwerkes an nur für die „Eklogen" näher ver-
folgt hat, ist es 0. Hense vorbehalten geblieben, das umfangreiche
Material für das „Florilegium" durchzuarbeiten und die verwickelten
Verwandtschafts- und Wertverhältnisse der verschiedenen Handschriften
zu entwirren. In langer, mühevoller Arbeit, über deren Ertrag er zum
guten Teile schon vorher in einer Reihe von zumeist im Rhein. Mus.
erschienenen Abhandlungen und dann abschließend in den Prolegomena
zu der Ausgabe Rechenschaft abgelegt hat, ist es ihm gelungen, diese
Aufgabe, soweit es mit den ihm zugänglichen Hülfsmitteln möglich war,
zu lösen. Es muß hiernach als feststehend gelten, daß alle unsere
Handschriften von einer der Photianischen sehr ähnlichen Urhandschrift
des Gesamtw-erkes abstammen. Neben den Handschriften der 1. Klasse,
unter denen der leider im Anfange stark verstümmelte Vindob. S den
vordersten Platz einnimmt und in zweiter Linie die der editio princeps
des Trincavellus zu gründe liegenden Handschriften (Tr) in betracht
kommen, haben auch die Handschriften der 2. Klasse einen hohen Wert.
Sie zerfallen wiederum in zwei Gruppen, deren eine hauptsächlich durch
den Paris. A und den von Hense verglichenen und zum ersten Male
für die Konstituierung des Textes verwendeten Escurialensis des Men-
doza (M), die andere durch das, wie wir gesehen haben, auch für die
Eklogen wichtige Flor. Laurent. (L) uud den zuerst von P. Thomas
174 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
verglichenen Bnixellensis fBr) vertreten wird. In der neuen Ausgabe
ist vor allem der heillosen Verwirrung, die bei Gaisford und Meineke
in bezug auf die Reihenfolge der Exzerpte, besonders in den ersten
Kapiteln, sowie auf den Wortlaut der Lemmata und ihre Zugehörigkeit
zu den einzelnen Exzerpten herrscht, ein Ende gemacht. Aber auch
der Text erscheint jetzt auf grund des neuen oder neugesichteten hand-
schriftlichen Materials und durch eine stattliche Zahl von Verbesserungen
des Herausgebers, zu denen noch viele von Bücheier, Wachsmuth,
Nauck u. a. beigesteuerte hinzukommen, in wesentlich verbesserter Form.
Diese Umgestaltungen sind natürlich auch den Überresten vorsokratischer
Philosophen, vor allem den zahlreichen ethischen Fragmenten Deniokrits,
die das „Florilegium" autbewahrt hat, zu gute gekommen. Ich werde
die wichtigsten Änderungen des Textes dieser Fragmente an späterer
Stelle anführen und bemerke hier nur, daß Hense cap. 4, 79 eine seit
Gesner von den Herausgebern aus dem Text ausgeschlossenen und daher
auch weder von Mullach noch von Natorp in die Sammlung der Frag-
mente Demokrits aufgenommene Sentenz: dvoyjpLove; Cw^c op£7ovTat YiQpaoc
Oavaxov (H. vermutet xaixa-rov) osöor/oxs; wieder in ihr Recht eingesetzt
hat. Zu beachten ist auch, daß infolge des mit Recht von Hense inne-
gehaltenen Verfahrens, stets nur den Text des Stob, selbst wiederzu-
geben, auch da, wo dieser Sammler seine Vorlage offenbar falsch aus-
geschrieben hat, der Wortlaut bei Hense nicht immer die echte Gestalt
der Exzerpte bietet. Dies gilt z. B. von den Demokritfragmenten
18 Nat. = ], 27 bei Stob, und 113 Nat. -= 10, 42 bei Stob. — Vgl.
die Besprechungen der Ausgabe von Frachter Deutsche Litt.-Z. 1895
Sp. 324 ff. und Lortzing, Berl. Phil. Wschr. 1895 Sp. 577—585.
Unter den Kommentaren zum Aristoteles kommt für uns haupt-
sächlich nur der des Simplicius zur Physik in betracht, der jetzt in
mustergültiger Textrevision vorliegt:
10. Commentaria in Aristotelem graeca. Vol. IX: Simplicii
in Aristotelis Physicorum libros quattuor priores commentaria
ed. H. Di eis. Berlin, G. Reimer, 1882. gr. 8. XXXI, S. 1-800.
Vol. X, die vier letzten Bücher enthaltend, von demselben ebenda 1895.
XIV, S. 801—1464.
. Da Simpl. in den späteren Büchern Abschnitte aus vorsokratischen
Philosophen nicht mehr citiert, so haben wir den zweiten Band hier
nur wegen der ihm beigefügten trefflichen Indices zu erwähnen und
sonst allenfalls noch wegen der Bereicherung der doxographischen Theo-
phrastfragmente um ein neues S. 1121, 5 ff., das nach Diels (s. Index
S. 1447 a fin.) vor Fr. 11 Doxogr. S. 485 zu setzen ist. Nicht hoch
genug dagegen können wir die Bedeutung des 1. Bandes für die ältere
Berichte über die griechischen Pbilosophea vor Sokrates. (Lortzing.) 175
Philosophie anschlag-eii, da durch diese Ausgabe erst die Fülle der von
Simpl. meist ans den ursprünglichen Quellen geschöpften Citate den
weiteren Kreisen der Gelehrten, denen die Aldina nicht erreichbar war
und die sich daher auf die sehr lückenhaften Auszüge von Brandis im
4. Buche der akademischen Aristotelesausgabe angewiesen sahen, aufs
bequemste zugänglich gemacht woi'den ist. Um zu erkennen, was das
für die kritische Behandlung der Fragmente zu satjen hat, braucht man
nur zu bedenken, daß dieser Teil des Simpl. sämtliche Brucl^stücke des
Anaxagoras, fast alle des Melissos und des Diogenes aus ApoUouia,
den größten Teil der Lehrdichtuugen des Parmenides und Empedokles
sowie einige Fragmente des Xenophaues und Heraklit enthält. Den
reichen Gewinn, den eine künftige Rezension der vorsokratischen Frag-
mente, wie sie Diels selbst in Aussicht gestellt hat (die Neubearbeitung
des Parmenides liegt bereits vor), aus der neuen Ausgabe zu ziehen
vermag, hier vor Augen zu führen, müssen wir uns versagen: über
einzelne Lesarten später an den geeigneten Stellen. Übrigens ist D.
so wenig wie Hense in Stob. (s. o.) bei der Konstituierung des Textes
der Fragmente über Simpl. hinaus auf die ursprüngliche Fassung zurück-
gegangen. — Vgl. die Besprechung des 1. Bandes von Susemihl Berl.
Philol. Wschr. 1882 Sp. 1313 ff.
Von den sonstigen neuen Ausgaben der Aristoteleskommentare in
der Berliner Sammlung sei nur noch kurz hingewiesen auf:
11. Conimentaria in Aristotelem graeca vol. VII: Simplicii
in Aristotelem de caelo conimentaria ed. J. L. Heiberg. Berlin 1894,
da dieser Kommentar einige der im Kommentar zur Physik überlieferten
Fragmente wiederholt und vereinzelt auch Bruchstücke bringt, die sich
aus andern Quellen nicht belegen lassen. Ein kleiner t'^berrest aus
Empedokles scheint S. 587, 18 f. in den Worten: ev TauTr) ouv tt;
xaras-ajei „|xou vofi.eXf," l'tt ra -{ulcc ärJj ty;» toü Neixsoc oiaxpissto?
ovta EjrXaväxo t^c ~pöj aXXrjXa ixi;euj? e'fieixsva vorzuliegen, WO nicht nur
fxouvofj-sX^ , sondern auch -/uTa und iTrXavaxo (vgl. Emped. v. 246 St.)
empedokleisches Gut zu sein scheinen.
Ein Seitenstück zu dem philosophischen Sammelwerke des Aetios
bildet eine von Kenyon auf einem ägyptischen Papyros entdeckte und
von Diels herausgegebene medizinische Doxographie:
12. Anonymi Loudiuensis ex Aristotelis latricis Menoniis et
aliis medicis eclogae ed. H. Diels. (Suppleraentum Aristotelicum
vol. ni p, I.) Berlin 1893. XVIII, 116 S. gr. 8.
Wir dürfen an diesem für die Geschichte der Medizin äußerst
wertvollen Funde (s. J. Ilberg in Berl. Phil. Wschr. 1895 Sp. 805 ff.;
1 76 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
vgl. auch Diels: Medizin in der Schule des Aristoteles, Preuß. Jahrb.
74 S. 412 ff.), von dem auch bereits eine deutsche Ausgabe von H.
Beckh und Fr. Spät (Berlin, G. Reimer, 1896) erschienen ist, hier nicht
vorbeigehen, weil er auch für die älteren Philosophen ein paar wichtige
Beiträge liefert, und verbinden damit zugleich die Besprechung der
folgenden Abhandlung:
13. H. Diels, Über die Exzerpte von Menons latrika in dem
Londoner Papyrus 137. Hermes 28 (1893) S. 407-434.
Der Verfasser dieser Exzerpte, der uns unbekannt ist, da mit dem
Anfange zugleich der Titel verloren gegangen ist, hat wahrscheinlich
im 1 . Jahrhundert n. Chr. geschrieben und neben Alexander Philalethes,
der als Hauptquelle des zweiten physiologischen Teiles gelten darf, für
die den ersten Teil füllende historische Übersicht über die Theorieen von
der Entstehung der Krankheiten die unter Aristoteles' Namen gehenden
'latpixa benutzt, die nach Galen von einem Schüler des Aristoteles,
Menon, herrühren und ähnlich angelegt waren wie die Ooaixüiv 86iai des
Theophrast. In diesem doxographischeu Abschnitte erscheinen außer einer
größeren Zahl von Ärzten, darunter 10 bisher völlig unbekannten, einige
namhafte Philosophen, und zwar außer Piaton, dessen Ansichten nach dem
Timaios dargestellt werden, Philolaos und Hippon. Von dem ersteren
wird uns col. 18, 12 ff. ein ausführliches System über die Ursachen der
Krankheiten vorgetragen. An die Spitze stellt Phil, den Satz, daß der
menschliche Körper aus Wärmestoff bestehe (juvss-cavai ix öspixoü) und
von Natur keinen Anteil am Kalten habe; er beweist dies erstens unter
Berufung auf den Satz, daß das Geschöpf dem ähnlich sein müsse, aus
dem es hervorgehe, aus der gleichen Beschaffenheit des Samens und der
Gebärmutter und zweitens aus dem sich gleich nach der Geburt zeigen-
den Bedürfnisse nach Einatmung der äußeren Luft zum Zwecke der Ab-
kühlung. Phil, wendet sich darauf zu den Krankheiten, die er durch
die Galle, das Blut und den Schleim entstehen läßt. Über die Galle
stellt er die paradoxe Ansicht auf, sie existiere gar nicht als ein be-
sonderes Organ, sondern sei nichts als eine Art Lymphe (tyüipa) des
Fleisches [hierin folgte ihm nach col. 20, 21 der Arzt Petron], und
nicht minder wunderlich äußert er sich über den Schleim, den er im
Gegensatz zu der gewöhnlichen Annahme als von Natur warm bezeichnet,
da ja cpXeY|i.a von 'f^iyatv herkomme und die Entzündungen im ursäch-
lichen Zusammenhange mit dem (^'Ki'dia ständen (xa 9X£-c[i.aivovTa fASTo^fT)
Toü cp)i-;[xa-:o; ^\v(\Lctv/v.). Nach den Ausführungen von Diels in No. 13
ergiebt sich aus diesem Bruchstücke, daß man die Originalität des Phil,
bisher überschätzt hat: er erscheint hier nicht nur in seiner Theorie
Von der eingeborenen Wärme, die auf einen von dem Pythagoreer Hip-
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 177
pasos einseitig durchgeführten Gedanken Heraklits zurückgeht, von
andern abhängig, wie er sich denn auch sonst offenbar von Alkmaion
und Empedokles (in der Erklärung des Sonnenlichtes Act. II 20, 12
= 13) beeinflussen läßt; sondern er erweist sich auch auf dem speziell
medizinischen Gebiet als vollständiger Eklektiker. Aus dem vulgären
hippokratischen Systeme scheint er die Humoralpathologie und die sonder-
bare Ansicht vom ^Xe^p-a aus Prodikos entlehnt zu haben, der nach Galen
de nat. pot. II 11 in der Schrift -epl cpusio? av{)pa)rotj das Wort 'fXevfxa
nicht vom kalten Schleim, sondern der ursprünglichen Wortbedeutung
§emäß von entzündeten Stoffen gebraucht wissen wollte. Phil, geht noch
über diese Schulmeisterei hinaus mit seiner Behauptung über die Natur
des Schleimes, indem er in philologischer Begeisterung der Etymologie
zuliebe aus kalt warm macht. Wenn es hiernach ziemlich sicher
scheint, daß er seine Weisheit aus Prodikos geholt hat, so ist er der
Zeit nach wohl etwas später anzusetzen, als dies gewöhnlich geschieht,
und mindestens nicht älter als Prodikos zu machen, der wahrscheinlich
jünger als Sokrates ist. Jedenfalls mul.l man sein Buch ganz spät
setzen, vielleicht an den Abend seines Lebens, wo er in seine italische
Heimat wieder zurückgekehrt sein soll. — Der zweite hier zu erwähnende
Bericht des Papyros (col. 11, 22 ff.) beginnt mit den Worten: 'lTr7r[. . . 8]k
<j Kp[o]TtuviaTT]j. Daß hier ursprünglich Hippon (vielleicht auch, wie
Diels im Index der Ausgabe bemerkt, Hipponax d. i. der volle Name
tür das Hypokoristikon, der sich auch bei Aet. V 7, 3 und 7 findet)
gestanden hat, und daß wir es hier mit dem verspäteten Nachfolger
des Thaies, der auch der pythagoreischen Schule zugerechnet wird, zu
thun haben, kann trotz der Verschiedenheit des Ethnikons (Hippon wird
sonst Rheginer oder Jletapontiner genannt) nach dem Inhalt des Be-
i'ichtes nicht bezweifelt werden. Hiernach lehrte er, daß das rechte
Maß der Feuchtigkeit, die die Ursache unseres Empfindens und Lebens
ist, die Gesundheit, ihr Vertrocknen dagegen Empfindungslosigkeit und
Tod zur Folge habe; daher seien auch wegen Mangels an Feuchtigkeit
die Greise hager und unempfindlich (?rjpol -/.al dvaisÖTj-ot) und ebenso die
Fußsohlen unempfindlich (-a -eXiiaxa dvaitj&r,Ta nach der Lesung von
Diels). Hieran schließt sich die einem zweiten Buche des Hippon ent-
nommene Darlegung, daß die aus einem Übermaß von Wärme oder
Kälte entspringenden Veränderungen des Feuchtigkeitszustandes die
Krankheiten verursachen. Diels weist in No. 13 auf die Betonung des
Psychologischen in diesem Berichte hin, die sich aus der Zugehörigkeit
zur krotoniatischen Schule erkläre: H. scheine die Entdeckung des Alk-
maion, der auf anatomischem Wege die vom Auge zum Gehör führeu-
■den Gänge gezeigt und das Wasser in der Linse zum Prinzip des Seh-
Jahresbericht für Altertumswissfinschaft. Bd. LXXXXVI. (1898. L) 1-
178 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Vermögens gemacht hatte, ungeschickt verallgemeinert zn haben. — Die
weitereu Ausführungen von Diels über die Naturheillehre des Hero-
dikos von Selymbria, die an den Kynismus des Antisthenes erinnert,
und besonders über das auf Hippokiates bezügliche Exzerpt des Papyros
betreffen mehr die Geschichte der Medizin. Das Hauptergebnis ist der
Nachweis, daß Aristoteles und ebenso Menon sich in dem echten Hippo-
krates geirrt haben, indem sie ihn in den pneumatischen Schriften des
hippokratischen Korpus (de flatibus, de nat. pueri und de morbis IV)
suchten. Dabei fallen aber auch interessante Streiflichter auf die Be-
ziehungen der latrosophistik am Ende des 5. Jahrhunderts zu der Luft-
theorie des Diogenes und zu der Bluttheorie des Empedokles. Aus dem
Luftprinzip des Diogenes ist auch das wundersame Gleichnis in dem
menonischen Berichte zu erklären, das die Menschen wie die Wasser-
linse auf dem Luftocean schwimmen läßt, zugleich ein charakteristisches
Beispiel von der Art, wie im 6. und 5. Jahrhundert die Menschenwelt
mit den übrigen Organismen in spielende Vergleichung gesetzt wurde.
Ein wortgetreues Fragment Hippons, das erste und einzige, was
wir von ihm besitzen, ist neuerdings zugleich mit einem neuen Bruch-
stück des Xenophanes in den von J. Nicole, Genf 1891 veröffentlichten
Scholien des Genfer Iliaskodex gefunden worden. Hierüber handelt
14. H. Diels, Über die Genfer Fragmente des Xenophanes
und Hippon. S.-Ber. d. Berl. Ak. 1897 S. 575-583.
Vgl. die kürzere Mitteilung von Diels, Arch. f. Gesch. d. Philos.
IV (1891) S. 652 f. und den Bericht in Berl. Ph. Wschr. 1891 Sp. 1320 ff.
Während die Scholiensammlung in den übrigen Büchern wenig Wert-
volles bringt, sprudelt zu Buch O eine mit erlesenster alexandrinischer
Gelehrsamkeit gefüllte Quelle, aus der auch die beiden erwähnten
Citate (zu <!> 195 ff.) geschöpft sind. Das erste Citat lautet nach dem
Vorschlage von Diels, der im 2. Vers eine Lücke annimmt: Esvo'favrjc
ev Toi -öpt o'josco;'
~rf{r^ 0 eaxt aaAass uoaxo?, tttjytj o ave|ji,oio
ouTö 7ap £v vs'^äjiv <~voiai x' dvsjxoio cpuoivTO
£x-veiovToc> l'jwöcv aveo izovtou [xs^aXoto
O'JTS pQcd T.O~'X\S.üi^/ oZz ai&SpO? Ojxßp'.OV iloüjp,
aXXa jxe-,'ac ~6vtoc '^z'^ixio^ •n'itiio'* dvejjLcuv xs
■/.'A -oxa[j.(Iiv (— fr. IIa Hiller).
Die hier gelehrte Entstehung der Winde aus den Ausdünstungen
des Meeres stimmt trefflich zu der auf Theophrast zurückgehenden Dar-
stellung bei Aetios III 4, 4. Als Beleg hatte Theophr. sicherlich die
Verse der Genfer Handschrift vollständig angeführt, während sich in
der doxographischen Überlieferung nur die Anfangsworte: k/j^t) — uöaxo;
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 17y
(= fr. 11 Kerstan) erhalten haben. Mit der Vorstellung des Xenophanes,
daß das Wasser des Ozeans die ganze Erde durchdringe und alle Flüsse
und Quellen aus ihm stammen, steht das Fragment des Hippon in engster
Verbindung, das die Schollen zn derselben Stelle und aus derselben
Quelle erhalten haben. Hier wird ausdrücklich Krates von Mallos als
Gewährsmann genannt, der den Scholien vielleicht, wie D. vermutet,
durch Herakleon (vgl. Doxogr. 88 ff.) vermittelt worden war. Krates,
so heißt es, habe in seinen 'ü|xy)ptxa als Beweis dafür, daß die nach-
homerischen Physiker in Übereinstimmung mit Homer angenommen
hätten, das die Eide umgebende Wasser sei der Okeanos, und aus ihm
stamme auch das trinkbare Wasser, eine Stelle aus Hippon angeführt.
Sie lautet nach Diels, der den überlieferten Text nur unbedeutend ändert,
während ihn Nicole sehr gewaltsam umgestaltet: xa -'«p uoa-a Tztvoixev«
iravta ex ttj; daXaaoTjs Saxi • ou 7ap or^zou , <ei> xa 9pEaxa ßaö'jxepa ^v,
daXajaa esxiv e^ ^; Tiivoaev " ouxiu -[otp ouy. <av> ex xrjc ilaXajjTjc xo
uSiup eiV), dXX' aXXoösv iioöev. vöv 6s -^ OaXauja ßaöuxepa £3x1 xüiv uoaxojv.
oaa ouv xaOuzepBcv xyjc 8aXajjT)c eaxt, TidvTa dir' aux^? £3xiv. D. hält im
Gegensatz zu dem Herausgeber das Fragment für unzweifelhaft echt.
Dagegen spricht keinesfalls der Umstand, daß das Citat keine ionischen
Formen enthält, während doch Hippon sicherlich im ionischen Dialekt
gesehrieben hat; denn von Aristoteles an bis auf Simplicius hat die
Überlieferung der ionischen Philosophen nur ausnahmsweise die originale
Form bewahrt. Die Altertümlichkeit des Stils und das Ungeschickte,
ja Alberne der Beweisführung bestätigen durchaus das Urteil des Ari-
stoteles, der Hippon zu den cpopxixwxepot rechnet (de an. 405b 2). Hippon
zeigt sich als ein Geistesverwandter des Diogenes von Apollonia (beide
worden auch in der Komödie verspottet, D. in den Wolken des Ari-
stoph., H. in den Panopten des Kratinos). Sie teilten die Vorstellung,
daß alles Fluß- und Qnellwasser seinen unterirdischen Ursprung im
Meere habe, eine Theorie, die näher in Piatons Phaidon 111 D ff. aus-
geführt ist, und deren Vater vielleicht Anaxogoras war.
Neben der von Theophrast ausgehenden doxographischen Über-
lieferung hat eine biographische Behandlung der Philosophen Platz
gegriffen, die in ihren Ursprüngen sich bis auf ältere Peripatetiker wie
Herakleides Pont., Aristoxeuos, Dikäarch zurück verfolgen läßt und seit
der Alexandrinerzeit zu einem selbständigen Zweige der griechischen
Litteratur ausgebildet worden ist. Von dieser ziemlich umfangreichen
Schriftstellerei, die sich später übrigens mehr und mehr aus doxogra-
phischen Quellen bereichert hat, ist außer einzelnen Viten des Piaton,
Aristoteles und Pythagoras nur ihr letzter Ausläufer, das wahrscheinlich
in den Anfang des 3. Jahrhunderts n. Chr. zu setzende Werk des
Laertios Diogenes auf uns gekommen, neben dem nur noch die aus
12*
1 80 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Hesychios geschöpften Abschnitte des Snidas einen subsidiären Wert als
Quelle beanspruchen dürfen. Auch die Entstehung und Zusammensetzung
dieser Kompilation ist in den letzten Jahrzehnten der Gegenstand ein-
gehender und fruchtbarer Untersuchungen gewesen, deren Ergebnisse
hier kurz zusammengefaßt werden sollen.
Bereits 1868 hatte Fr. Bahnsch, quaestionum de Biogenis Laertii
fontibus initia, dargelegt, daß Laert. weder die Originalwerke der Phi-
losophen, noch die in seinen Büchern so häufig citierten späteren Ge-
währsmänner mit Ausnahme des Favorinus und vielleicht auch des
Diokles selbst eingesehen hat, und war durch eine sorgfältige Quellen-
analyse zu der Ansicht gelangt, L. habe den größten und wichtigsten
Teil seines Werkes aus mehreren biographischen Kompendien sowie
Sammlungen von Lehren und Aussprüchen der Philosophen in leicht-
fertiger Weise zusammengestellt. Dann hatte Fr. Nietzsche in einigen
im Bhein. Mus. veröffentlichten Abhandlungen und besonders in seinen
„Beiträgen zur Quellenkunde und Kritik des Diogenes Laertius", Basel
1870, mit einem großen Aufwände von Scharfsinn nachzuweisen gesucht,
daß das ganze Werk im wesentlichen nichts als eine Epitome aus
Diokles sei, in die L. nur noch eine Anzahl Notizen aus Favorinus ein-
geschoben habe. Diese mit großer Sicherheit vorgetragene Hypothese
blendete eine Zeitlang die gelehrte Welt, bis im Jahre 1879 gleichzeitig
J. Freudenthal, Albinos und der falsche Alkinoos (Hellenist. Studien
Heft 3, Exkurs 4), und H. Di eis, Doxogr. gr. p. 161 ff., ihre Haltlosig-
keit darthaten. Bald darauf trat Maaß mit einer neuen Vermutung auf
den Plan, die aber sofort von Wilamowitz mit siegreichen Gründen be-
kämpft und abgethan wurde. Beides, Behauptung und Widerlegung,
sind gemeinschaftlich veröffentlicht worden unter dem Titel:
15. E. Maaß, De biographis Graecis quaestiones selectae und
U. de Wilamowitz-Möllendorff ad Ernestum Maassium epistula. Phi-
lolog. Unters. 3. Heft, Berlin 1880. 169 S. 8.
An die Stelle von Nietzsches Diokles setzt Maaß Favorinus, den
bereits V. Rose, de Aristotelis librorum ordine et auctoritate, 1854 als
Hauptquelle des Laert. bezeichnet hatte. M. sucht darzuthun, daß nicht
nur die Homonymen- und Schriftenverzeichnisse sowie das gesamte bio-
graphische Material aus Favorinus' Trav-ooa-y] bropi'a stammen, in die
nur wenige Exzerpte aus den aiioiJ.vrj[j,ov£'Jixa-a desselben Autors und
einigen anderen Quellen von L. eingestreut sind, sondern auch die Dar-
stellungen der philosophischen Lehren mit Ausnahme der ausführlicheren
Behandlung des stoischen Systems, die er mit Nietzsche dem Diokles
zuweist, aus der gleichen Quelle geflossen seien, kurz, daß das ganze
Werk des L. fast nichts als eine Epitome aus Favorinus sei. Denselben
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 181
Favorinus entdeckt M. auch in den Philosophenviten anderer Autoren,
so in den Vitae Piatonis des Appuleius, Olympiodor, Porphyrius, Albi-
nus, in den verschiedenen Viten des Aristoteles, in der vita Pythagorae
des Porphyrius, ferner bei Gellius, Clemens Alexaudr., Numenios, Hippo-
lytos, endlich auch bei Hesychios.
U. von AVilamovvitz weist die Unzulänglichkeit der Maaßschen
Argumentation schlagend nach. Hätte Laert. dem Favorinus alles ent-
nommen, so würde er nicht seinen Namen so und so oft hinzugefügt,
sondern verheimlicht haben. In Wahrheit sind die Entlehnungen
aus Favorinus' ^z'x•^xoBoL^:^ bxopia , einem aus 24 Büchern be-
stehenden Werke voll wirrer Gelehrsamkeit, nicht sehr zahlreich und
sicher nicht von besonderer Wichtigkeit. Ebensowenig ist Fav. Quelle
für die anderen Schriftsteller gewesen, die M. von ihm abhängig sein
läßt, wie dies W. u. a. in bezug auf Hesjxhios an einzelnen Beispielen
zeigt. Fällt so auch die Favorinushypothese zusammen, so hat M. doch
das Verdienst, erkannt zu haben, daß es Vitae des Piaton, Aristoteles,
Pythagoras u. a. gab, aus denen schon die Schriftsteller des sinkenden
2. Jahrhunderts n. Chr. fast ihre ganze Weisheit schöpften. Besonders
die Vitae des Hesychios gehen fast vollständig und die des Laert. der
Hauptsache nach auf ein großes Vitarum corpus zurück. Freilich
finden sich auch auffallende Abweichungen zwischen Laert. und Hesych.,
und wenn schon dem letzteren nicht überall dieselbe Quelle zu gründe
liegt, so ist noch viel weniger Porphyrius oder Albinus oder Appuleius
aus dieser einen herzuleiten. Statt derselben Person und desselben
Werkes muß man denselben Schatz von Gelehrsamkeit setzen, der in
den biographischen Sammelwerken wie in den Vorreden zu den Kom-
mentaren philosophischer Schriften steckt. Nicht auf die Namen der
Autoren kommt es dabei au, sondern auf die Art ihres Verfahrens.
Die Zwischenglieder können wir nicht mehr ermitteln, wohl aber bis
zu den ersten Quellen, Satyros und Hermippos, aufsteigen. — Unter den
Schriftstellern, deren Notizen Laert. seiner Hauptquelle eingefügt hat,
nimmt Favorinus den ersten, Diükles mit seiner s-iopoptr) töjv ^iXo36<fu)v
den zweiten Platz ein. Ihm gehören einige Abschnitte aus den Viten
Epikurs, der Kyniker und der Stoiker und vor allem, wie auch Maaß
annimmt, die spezielle Darstellung der stoischen Lehre. Ob auch die
ausführlichere Darstellung der Lehren Leukipps und Ileraklits auf ihn
zurückgeht, bleibt ungewiß. Außer den genannten beiden hat L. noch
eine Anzahl anderer Autoren eingesehen. Die Annahme solcher direkten
Entlehnung ist auch dann zulässig, wenn L, an anderen Stellen den-
selben Al^tor aus seiner Hauptvorlage citiert. — Übereinstimmend mit
Maaß hält W. den Laert. für einen Epikureer. Daher erklärt sich auch
seine Vorliebe für Diokles, seine Berücksichtigung der gleichzeitigen
1 82 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Skeptiker, seine Verteidigung Epikurs von X 9 an gegen die Anklage
des Sotion. Auch hat er die 4 Briefe Epikurs selbst gelesen.
Nur im Vorbeigehen sei hier erwähnt:
IG. Victor Egger, Disputationis de fontibus Diogenis Laertii
particulam de successionibus philosophorum facultati litterarum Pari-
siensi propouebat. Burdigalae 1881. 77 S. gr. 8.,
der zwar mit Recht auf Sotions Aiaoo^T] als eine der (freilich
nicht direkten) Hauptquellen hinweist, aber mit unzulänglichem Material
operiert und in einseitiger Weise Laert., soweit es sich um Benutzung
der Diadochenlitteratur handelt, fast ausschließlich von Sotion abhängig
macht, auch im einzelneu viele zweifelhafte und verfehlte Behauptungen
aufstellt. S. Lortzing in Berl. Phil. Wschr. 1884 Sp. 809 fif. — Von
ungleich größerem Wert für die Kritik der Quellea des Laert. ist:
17. IT. von Wilamowitz-Möllendorff, Antigonos von Ka-
rystos. Phüolog. Unters. Heft 4. Berlin 1881. 8. VIH. 356 S.
Wir können jedoch auch auf diese Arbeit hier nicht näher ein-
gehen, weil Antigonos, den W. als eine wichtige Quelle des Laert. für
einzelne charakteristische Eigenschaften und Äußerungen der Philosophen
erwiesen hat, für die Abschnitte über vorsokratische Philosophen nicht
in betracht kommt, und machen nur auf den Exkurs IV (S. 320 — 336)
aufmerksam, wo aus der vorhergehenden Untersuchung die Folgerungen
für die von Laert. benutzten Quellen gezogen werden. Hiernach hat L.
für Buch 5 — 10 eine etwa dem Jahre 100 n. Chr. angehörende Vorlage
gehabt, während dem 4. Buche, in dem ganz andere Autoreu citiert
werden, eine andere Vorlage zu gründe liegt. Die Vita des Meuederaos
gehört ganz dem Herakleides, die des Xenophon ihrem Hauptteile nach
dem Demetrius Magnes.
In den beiden besprochenen Untersuchungen von Wilamowitz' ist
das Bestreben, die Hauptmasse der Sammlung des Laert. unmittelbar
auf eins der darin mehr oder minder häufig citierten Quellenwerke
zurückzuführen, als verfehlt erwiesen und der Quellenkritik ein rich-
tigerer und besser zum Ziele führender Weg vorgezeiebnet worden.
Aber im Dunkel blieb hierbei noch immer das Verfahren, das Laert.
in der Zusammenstellung seines Stoffes beobachtet hat. Dieses Dunkel
ist gelichtet worden in:
18. Epicm-ea ed. H. Usener. Leipzig 1887. LXXIX, 445 S. 8.
Von dieser die gesamten epikureischen Fragmente und Zeugnisse
umfassenden, in ihrer Art mustergültigen Sammlung (vgl. Lortzing,
Berl. Phil. Wschr. 1888 Sp. 389 ff. 421 ff.) geht uns hier nur der
erste Teil der Vorrede (S. VI — XXXVI) an, in dem U. zunächst von
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 183
den Handschriften des Laert. handelt und dann die Art, wie dieser sein
Werk zusammengeschrieben hat, einer gründlichen Erörterung unterzieht,
deren Hauptergebnisse folgende sind. Man thut dem Laert. noch zu viel
Ehre an, wenn man ihn einen elenden Kompilator nennt; er hat über-
haupt nichts selbst geschrieben, sondern nur vorgefundenes Material
seinen Kopisten zum Abschreiben übergeben und ihnen hierbei über-
lassen, die seinem Exemplare beigeschiiebenen Randbemerkungen in
der ihnen gut scheinenden Ordnung dem Texte einzufügen. Der Nach-
weis für die Richtigkeit dieser Auffassung wird zunächst au einem lehr-
reichen Beispiele aus der Vita Piatonis (III 5 f.), wo dem ursprüng-
lichen Bestände von verschiedenen Abschreibern vier Zusätze, meist an
verkehrter Stelle, beigefügt sind, sodann an einigen ähnlichen Zusätzen
im 10. Buche geliefert. Auch die in dieses Buch aufgenommenen
Schriften Epikurs enthalten eine Anzahl Einschiebsel, die sich deutlich
als Randscholien eines ziemlich gelehrten Mannes kennzeichnen, aber
bei L. oft an ganz unrechter Stelle erscheinen und vielfache Aus-
lassungen und Verwirrungen im Texte veranlaßt haben. Die auffälligsten
Zusätze dieser Art aber finden sich in den den 3. Brief Epikurs um-
schließenden Abschnitten. Zu gründe liegt dem Werke des L. ein aus
der Zeit des Nero oder der Flavier stammendes, einer gelehrten Dame
gewidmetes Buch über Leben, Schriften und Lehren der Philosophen,
das der Herausgeber, als den man L. betrachten darf, durch die
Schriften Epikurs und eine auf guter Quelle beruhende, aber bereits
stark interpolierte Skizze uspl xoo ao'f oü vermehrte. — Die Handschriften
des Laert. zerfallen nach U. in zwei Klassen, die aus gemeinsamer
Quelle stammen und sich erst im Mittelalter geschieden haben. Die
erste Klasse bilden der von C. Wachsmuth verglichene und von P. Corssen
an vielen Stellen von neuem durchgesehene Borbouicus (B), über den
E. Rohde in Nietzsches Beiträgen u. s. w. (s. oben) S. 17 f. genau be-
richtet hat, und der von einer späteren Hand nach einem Exemplare
der zweiten Klasse durchkorrigierte Parisiensis 1759 (P) in seiner ur-
sprünglichen Gestalt (P^), die sich mit Hülfe des, wie Bonnet erkannt
hat, aus dem unverbesserten P abgeschriebenen Paris. 1758 (Q) mit
ziemlicher Sicherheit herstellen läßt. Von der zweiten Klasse kommen
außer der zweiten Hand von P (P^) hauptsächlich nur ein Laurent. (F),
der die Grundlage der Cobetschen Ausgabe bildet, und die Baseler Aus-
gabe von Frohen (f) in betracht, während zwei andere Laurentiani
(H und G) mehr subsidiären Wert haben. Vgl. dazu das von Wachs-
muth in seiner Ausgabe der griechischen Sillographen (corpusc. poes.
ep. gr. ludib. II) S. 54 aufgestellte Stemma, von dem U. in mehreren
Punkten abweicht. Auf grund dieses handschriftlichen Materials hat U.
nicht nur die vier Schriften Epikurs (S. 1 ff.), sondern auch die Lebens-
184 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
beschreibuug (S. 359 flf.) und die durch den 3. Brief unterbrochene
Skizze über den Weisen (S. XXVII ff.)) somit also das ganze 10. Buch
neu herausgegeben. Diese Ausgabe, die alle früheren weit in den
Schatten stellt, ist neben der in Bywaters Heracliti reliquiae S. 55 ff.
enthaltenen Vita Heraklits und der von demselben Oxford 1879 veran-
stalteten Sonderausgabe der Vita des Aristot. eine treffliche Vorarbeit
für eine vollständige Neubearbeitung des Laert., die dringend not thut
und hoffentlich nicht mehr lange auf sich warten läßt. — Einen wei-
teren, bedeutenden Schritt vorwärts in der Erforschung der Quelle des
Laert. thut:
19. H. Usener, Die Unterlage des Laertius Diogenes. Sitz.-B.
d. preuss. Akad. d. W. 1892 S. 1023—1034.
Nachdem Sotion zuerst die biographische Geschichtschreibung der
Philosophie in die feste Form von zwei Successionsreihen gebracht hatte»
wurde sein Werk in einem bald darauf von Herakleides Lembos ange-
fertigten Auszuge von den späteren Diadochenschreibern zur Unterlage
genommen. Aber mit Sotion war diese biographische Darstellung nicht
abgeschlossen. Erst Antisthenes (nicht vor 50 v. Chr.) scheint Philo-
sophen wie Heraklit und Diogenes aus Apoll, dem Diadochensystem
angepaßt zu haben. Seit der augusteischen Zeit nahmen die vorher
wesentlich rein biographischen Darstellungen einen wachsenden Bestand-
teil doxographischer Überlieferung in sich auf. In dem Werke des
Laert. ist außer der auf Sotion zurückgehenden biographischen Quelle
für die doxographischen Übersichten noch eine zweite speziellere Quelle
und für die Dogmatik der großen Schulen Diokles, außerdem für das
Biographische Favorinus benutzt worden. Zur Beantwortung der Frage,
welches die Unterlage des Laert. gewesen sei, ist davon auszugehen,
daß sie nicht von jemand herrühren kann, der bei Laert. genannt ist.
Da nun alle Diadochenschriftsteller, die wir kennen, bei Laert. citiert
werden, mit Ausnahme der von Athenaios benutzten Z\iaöo-/ai des Nikias
aus Nikaia (6 Nixaeuc), liegt die Annahme nahe, daß eben dieser der
Verfasser der Unterlage des L. ist. Diese Annahme wird auch em-
pfohlen durch die Erwähnung des Apollonides aus Nikaia bei L. 9, 109
mit dem Zusätze 6 Tiap' rjixröv, der nach U. nur heißen kann: ,.,unser
Landsmann*, nicht, wie von Wilamowitz (ep. ad Maass.) wollte, einen
Anhänger derselben Sekte bezeichnet (vgl. Diels, Herrn. 24 S. 324,
wo zu dieser Stelle bereits die Vermutung ausgesprochen ist, daß Nikias
der Gewährsmann des Laert. sei); zur Gewißheit wird sie erhoben durch
die Übereinstimmung dessen, was uns bei Athenäus aus Nikias bezeugt
ist, mit den entsprechenden Angaben bei Laert. Die durchweg ver-
kürzte Fassung, in der diese Abschnitte bei Laert. erscheinen, läßt ver-
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 185
muten, dall dieser einen Auszug aus Nikias vor sich gehabt hat. Dies
wird auch dadurch wahrscheinlich, daß beide durch einen Zeitraum von
IV2 Jahrhunderten voneinander getrennt zu sein scheinen; denn aus
der Erwähnung des unter Tiberius lebenden Thrasyllos (3, 47) und aus
der Bemerkung 1,21, die eklektische Sekte des Potaraon, eines Zeit-
genossen des Augustus, sei r.pb dXqou entstanden, ergiebt sich, wenn
beide Notizen auf Nikias zurückgehen, daß dieser unter Nero, etwa
70 n. Chr., geschrieben hat. Für sein Handbuch, das bis in die spätere
Aiitoninenzeit das verbreitetste seiner Art war, hat Sotions Werk den
Rahiien abgegeben und die Grenzpunkte der einzelnen Reihen bestimmt:
nur die Stoa, der er nahe gestanden haben mul.!, hat er bis auf seine
Zeit fortgeführt, während er die Akademiker Karneades und Kleito-
machos in seiner Vorlage schon vorfand. Wenn bei Laert. öfters Sotion
und Herakleides Lembos ebenso wie die Kompilatoren Sotions bis auf
Hippobotos angeführt werden, so kommt dies daher, daß unter der Hand
der späteren Bearbeiter des Sotion der Auszug des Herakleides, an den
sie sich hielten, dünner und dünner wurde: man verglich daher später
zur Vervollständigung und Ergänzung dieser Unterlage die verwandten
Bücher, darunter auch die Epitome des Herakl. und gelegentlich sogar
das Originalwerk des Sotion selbst.
20. Walther Volkmann, Untersuchungen zu Diogenes Laertius.
Festschr. des Gymnasiums zu Jauer. Jauer 1890. S. 103 — 120.
21. Derselbe, Quaestionum de Diogene Laertio cap. I: de
Diogene Laertio et Suida. Jahresb. d. Magdalenengymn. zu Breslau
1890. 4. 13 S.
22. Derselbe, Quaestionum de Diogene Laertio cap. II: Mis-
cellanea. Jahresb. ders. Anstalt 1895. '4. 14 S.
In No. 20 sucht der Verf. nachzuweisen, daß für das 1. Buch
des Laertius und ebenso für Hesychios in den Viten der sieben Weisen
Sosikrates die Hauptquelle gewesen sei. Auf diese glaubt er auch die
Einleitung zurückführen zu dürfen und schließt aus der zu No. 19 an-
geführten Stelle 121, daß Sos. etwas später als Potamon, etwa 50
V. Chr. (?), anzusetzen sei. — In No. 21 wird zunächst nach Useners
Vorgang (s. zu No. 18) eine Reihe von Stellen des Laert. nachge-
wiesen, wo er die von ihm. zu gründe gelegte Quelle mit Randbemer-
kungen versah. So findet sich in der Vita von Thaies I 25 ein auf
Pythagoras, in der des Protag. IX 50 ein auf Demokrit, in der des
Diogenes Apoll. IX 57 und ebenso in der des Archelaos II 16 ein auf
Anaxagoras bezügliches Einschiebsel. II 1 (Anaxiraenes) bilden die
Worte: Evioi 61 xal nap|xevi6if)v cpaai'v axoüsat a'jxoü (so V. statt IlapjAe-
186 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
vt'oou — aü-ov) eine Randnotiz, die auf den unmittelbar vorher ge-
nannten Anaximander, nicht auf Anaximenes ginj;. Ich bemeike hierzu,
da 1.1 diese Lesung und Auffassung der Stelle ihre Bestätigung durch
Laert. IX 21: toütov Beocppa^toc sv ttj 'E:tiT0[j,7] 'Ava^ijxavöpou cpTQ^lv
axoüaoti zu erhalten und sich damit zugleich die Beziehung des toütov
an letzterer Stelle (vgl. Diels dox. 103 und Zeller I^ 554 f. Anra )
sowie die in den Ausgaben des Laert. übliche Umstellung von Ilapixs-
vi'oTj? und Esvo^avouc in dem voraufgehenden Satze zu erübrigen scheinen.
Auffällig ist dabei freilich, daß in der zweiten Stelle die wenig glaub-
v^ürdige Notiz auf Theophrast zurückgeführt wird; aber dies kann auf
einem Mißverständnis der von Laert. eingesehenen Quelle, etwa des
Sotion, beruhen. An die Besprechung dieser Stellen schließt sich eine
Erörterung über das Verhältnis des Hesj'chios und Suidas zu Laert.
V. stimmt Nietzsche darin bei, daß Hes. nicht den Laert. ausgeschrieben
hat (so Val. Rose), sondern beide dieselbe Qnelle benutzt haben, nimmt
aber abweichend von jenem für Suidas außer Hesych. auch noch Laert.
als Quelle an und beweist dies durch die Vergleichung einzelner Stelleu
bei Laert. mit den entsprechenden bei Suid. Der Text des Hesych.
läßt sich also zum großen Teile dadurch wiederherstellen, daß alles bei
Suid. weggelassen wird, was nicht auf die gemeinsame Quelle des Hes.
und Laert. , • sondern auf die von letzterem außerdem noch benutzten
Schriftsteller zurückgeht. Zu diesen gehört vornehmlich Favorinus, den
Laert. auch an mehreren Stellen, wo sein Name nicht genannt ist, und
besonders in der vita Aeschinis, die er im Anschlüsse an Idomeneus
von Lampsakos verfaßt hatte, benutzt zu haben scheint. — In No. 23
werden neue Beispiele für das Verfahren des Laert. und seiner Ab-
schreiber beigebracht, von denen sich folgende auf vorsokra tische Phi-
losophen beziehen. VIII 51 — 53 (Empedokl.) bilden die Worte XeYst 8k
7.7.1 'EpaT03i>evr,c — 'ApuToteXsi und die unmittelbar an sie anzuschließenden
l-:zi T£ xrj; aoxrfi 'OXu[ji,7itaooc — op6|x(|) die erste, die Worte l-^tb 6e eupov
— dXcpi-cuv eine zweite, direkt aus Favorin stammende Randglosse, wäh-
rend die auf letztere folgenden doöX'fov hyt KaXXtxpa-rtorjv nicht dem-
selben Favor., sondern der dem Laert. und Hesych. gemeinsamen Quelle
entnommen sind. — VIII 46 (Pythag.j beziehen sich die Worte xouxov
cTvat Tov -pü>Tov evTE-/vö)j z'jy.TcUjavTa Siii r^; 07067]? zal xexTapaxoJT^«
'OXufjLwaoo; y.xX. nicht, wie zuerst Bentley, dann Nietzsche und Maaß
annahmen, auf den Philosophen Pyth., sondern auf den samischeu
Bildhauer, den Sohn des Krates: ihn hatte Favorinus, aus dem die
ganze Stelle stammt, als Erfinder des kunstmässigen Faustkampfes un-
mittelbar an den Rheginer Pyth., den Erfinder des Rhythmus und der
Harmonie, angeschlossen (die dazwischen stehenden Worte xal sxepov
&r,xopa — üj; :\tovuaioi bxopsi sind als Randbemerkung anzusehen). Ver-
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 187
fehlt ist daher der Versuch, den Bentley und später Benihardy Era-
tosth. S. 255 gemacht haben, jene Notiz zur Feststellung von Pytha-
goras' Geburtsjahr zu benutzen. — VIII 2 f. (Pythag.) sind die Worte
l^evex' ouv Iv Ai^utttw — TrptüTsujav-riuv eine an eine falsche Stelle ge-
ratene Randbemerkung, die hinter £v dTropprjTouj £|j,a8sv einzuschieben
war. I 25 (Thaies) ist für au-oj oi '-pr,jiv nicht mit Menagius und Gebet
KXüTo; 8e 9., sondern nach Plutarch vit. Selon, c. 6 Ilaxaiy.o; oi 9.
zu schreiben. Die Worte sind zusammen mit der Notiz I 39 in. (cf.
schol. ad Plat. rerap. 600A) dem Hermippos oder seinem Gewährsmann
Pataikos entnommen. Die darauf folgenden (I 26) l'vioi oh — ulov Oijöa'.
sind an den Rand zu verweisen. — Zu einer wichtigen Quellenunter-
suchung giebt dem Verf. der Eingang der vita des Heraklit IX 1 Ver-
anlassung. Dieser Eingang stammt aus einer dem Laert. mit dem
Scholiasteu zu Piatons Staat 498 A gemeinsamen Quelle, die Laert.
auch VII 185, IX 15. 36. 28 benutzt zu haben scheint, und deren Ver-
fasser, wie die letzte der genannten Stelleu beweist, darauf ausging,
Notizen über die Städte und ihre Namen zu sammeln. Man darf da
wohl, meint V., an Philon aus Byblos denken, der nach Suidas am
Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. ein Werk -spl -oXswv y.ai ouc hAizr^
a'jTtüv evöo^ou? T)ve7X£v schrieb, aus welchem Aelius Serenus einen Auszug
angefertigt hat. Die Schätze Philons hat nach Niese de Stephani By-
zantii auctoribus I S. 26 f. Stephanus in seinen 'E&vr/.a ausgebeutet.
Eine Vergleichung des Steph. und Laert. an mehreren Stelleu ergiebt
nun, daß der von Laert. ausgeschriebene Autor zu öfteren ilalen Philons
Buch benutzt hat. Damit fällt ebenso wie die von V. selbst früher
(s. zu No. 20) ausgesprochene Vermutung über Sosikrates auch Useners
Nikiashypothese, da Nikias zu Neros Zeiten lebte und daher das Werk
Philons nicht gekannt haben kann. Auf denselben Philon gehen auch
noch eine Anzahl anderer in gleichem Stile wie IX 1 und 28 ge-
schriebener Stellen, die alle eine kurze Charakterschilderung enthalten
und diese fast durchw-eg durch Citate aus den Schriften der betreffenden
Philosophen oder auch aus Timons Gedichten (vgl. besonders Volkmanns
Bemerkungen zu III 7) zu stützen suchen, sowie die Verzeichnisse der
Schriften des Xenophon, Antistbenes, Aristoteles und Theophrast zurück.
Der Hauptwert der Abhandlungen Volkmanns liegt in den für
die Ausführungen Useners über die Arbeitsweise des Laertios und
seiner Abschreiber beigebrachten zahlreichen Eiozelnachweisen; die
Widerlegung der Nikiashypothese dagegen scheint mir der zwingenden
Beweiskraft zu entbehren. Wenn Niese wirklich den vollgültigen Be-
weis für die Benutzung Philons durch Steph anos Byzant. erbracht hat,
was ich nicht zu beurteilen vermag, da mir seine Abhandlung nicht
vorliegt, so folgt doch aus der Übereinstimmung einiger Stellen seiner
188 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Ethnika mit Laert. nicht notwendig, daß diese geographischen Notizen
bei Laert. genau aus derselben Quelle wie bei Steph. stammen : ersterer
oder vielmehr seine Unterlage, nach Usener Nikias, könnte sie auch
aus der gleichen Quelle wie Philon geschöpft haben. Denkbar wäre
auch, daß der Verf. des Auszuges aus Nikias, der dem Laert. nach
Usener vorgelegen hat, hier und dort einzelne Bemerkungen aus Philon
hinzugefügt hätte.
Einen Beitrag zur Kritik des Laertius liefert:
23. H. Diels, Reiskii animadversiones in Laertium Diogenem.
Herm. XXIV (1889) S. 302—325.
Die Bemerkungen, die D. hier aus dem in der Kgl. Bibliothek
zu Kopenhagen befindlichen Nachlasse Eeiskes veröffentlicht, sind durch-
weg beachtenswert und bieten in vielen Fällen die richtige oder doch
wahrscheinliche Lesart. Sie legen ein neues Zeugnis ab von der heute
allgemein anerkannten Trefflichkeit ihres Verfassers als Altertums-
forscher und Kritiker und sind von um so größerer Bedeutung, als ß.
bereits von der sonst den Gelehrten bis auf die jüngste Zeit verborgen
gebliebeneu Flickarbeit des Laert. eine klare Vorstellung hatte (s. S. 304
die Bemerkung zu VII 5). Nicht minder wertvoll sind die von dem
Herausgeber reichlich eingestreuten Zusätze.
Über eine der ältesten Quellen für Litteratur- und Philosophie-
geschichte handelt:
24. E. Hiller, Die Fragmente des Glaukos von Rhegion. Rh. M. 41
S. 398—436.
Aus Laert. IX 38 folgt nicht, daß Glaukos dem Demokrit gleich-
altrig, sondern nur, daß Dem. noch am Leben war, als G. im Mannes-
alter stand. Seine Schrift nepl xcuv dp/aiü>v -oirj-rcJüv xe xat ixouatxtSv hat
er sicher nicht vor dem Ende des 5. Jahrhunderts abgefaßt, da sie
von einigen dem Antiphon beigelegt wurde, also im attischen Dialekte
geschrieben gewesen sein muß, dessen sich ein Rheginer gewiß nicht
früher bedient hat. Nächst der Schrift des Damastes Ttepl -otrjTtuv xat
co(pi3xüiv ist die des G. die älteste uns bekannte, die wir, wenigstens
zu einem erheblichen Teile, dem Gebiete der Litteraturgeschichte zu-
zuweisen haben. Pseudoplut. d. mus. citiert sie viermal, vielleicht auch
noch an einer 5. Stelle (1132 E). Ein Hauptbestreben des G. war es,
die Reihenfolge der alten Meister zu bestimmen, wobei er von den
Begründern der Aulodik ausging. Laert. führt ihn zweimal als Zeugen
an: VIII 52 dafür, daß Emped. Thurii gleich nach seiner Gründung
besucht habe, und IX 38 dafür, daß Demokrit Zuhörer eines Pythagoreers
gewesen sei. Da es nicht wahrscheinlich ist, daß sich Emped. unter den
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 189
in der genannten Schrift behandelten Dichtern befand, da sonst G. eine
überaus große Anzahl von Dichtern in dieser Schrift behandelt haben
müßte {?), nnd da die Bemerkung über Dem. in einem die Dichter und
Musiker behandelnden Werke nur beiläufig? vorgekommen sein könnte,
so darf man vielleicht vermuten, daß die beiden Citate bei Laert., die
übrigens nahen Bezug auf das Heimatland des G. gehabt haben, einer
anderen Schrift desselben Autors entnommen sind.
So wichtig auch die Zeugnisse der Doxographen und Biographen
sein mögen, zumal wenn sie sich mit einiger Sicherheit auf Theophrast
zurückführen lassen, so bleibt doch immer die Hauptquelle für unsere
Kenntnis der älteren Philosophie Aristoteles trotz der jetzt fast zur
Mode gewordenen Herabsetzung seiner Glaubwürdigkeit. Neben ihm
kommt Piaton doch nur in sehr beschränktem Maße in betracht und
ist bei dem eigentümlichen Charakter seiner Schriftstellerei mit weit
größerer Vorsicht zu benutzen. Auf Piaton beziehen sich:
*25. A. J. af Sillen, Piatonis antiquissimae philosophiae testimouia,
üpsala, Berling, 1880. 61 S.
26. E. Zeller, Piatos Mitteilungen über frühere und gleich-
zeitige Philosophen. Ärch. f. G. d. Philos. V S. 165—184.
Die nur in wenigen Exemplaren gedruckte Abhandlung von
Sillen habe ich nicht erhalten können und verweise daher auf die
Besprechung von Teichmüller, Phil. Rundsch. 1882 S. 1413 ff. Eine
treffliche Übersicht bietet Zeller, der sich selbstverständlich nicht mit
einer Besprechung der Stellen begnügt, wo Piaton ausdrücklich andere
Philosophen nennt oder unverkennbar bezeichnet, sondern auch den
versteckteren Spuren fremder Lehren nachgeht und mit der ihm eigenen
Besonnenheit die streitigen Punkte erörtert. Im allgemeinen sind Piatons
Mitteilungen über die älteren Philosophen spärlich; nur über die
Eleaten, besonders Parmenides, und über Heraklit und spätere Herakliteer
berichtet er ausführlich. Die Atomiker, die auf seine eigene Lehre
von der Materie und der Entstehung der Elementarkörper einen nicht
zu unterschätzenden Einfluß geübt haben, nennt er nirgends, berück-
sichtigt aber ihre Theorie von den unzähligen Welten Tim. 55 C und
31 A. Als geschichtliche Berichte sind aber nicht bloß direkte Hin-
weisungen zu betrachten, sondern auch alle die Stellen, an denen PI.
einen der mit Sokrates disputierenden Männer einen Grundsatz oder
eine Ansicht nicht erst im Laufe der Unterredung selbst aussprechen
läßt, sondern auf sie als auf etwas allgemein Bekanntes verweist und
sich vielleicht sogar ausdrücklich auf eine Schrift beruft. Die Aus-
sagen dagegen, welche die das Gespräch führenden Personen im Ge-
spräche selbst thun, sind so, wie sie vorliegen, eine Erfindung Piatons,
190 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
und hier ist daher immer erst zu untersuchen, ob und inwieweit sie
wirkliche Ansichten der betreft'endeu Philosophen wiedergeben. So hat
sich Piaton als historischer Berichterstatter über Parmenides, Zenon
und besonders über die Sophisten geäußert. Häufig werden Protagoras'
Lehrthätigkeit und Lehrsätze erwähnt, vor allem der Satz vom Maße
aller Dinge (Theaet. und Krat.), dieser unter Berufung auf die
Schrift, in der er stand; während die entwickeltere Erkenntnistheorie
Theaet. 152 C ff . in dieser Fassung nicht Protagoras selbst, sondern
einem seiner Nachfolger angehörte (Z. schließt sich hier eng an Natorps
„Forschungen" an, auf die wir später eingehen w^erden). Auch was
PI. den Gorgias von der Allmacht seiner Redekunst (Gorg, 455 D flf.)
sagen läßt, mag sich seinem wesentlichen Inhalte nach in einer seiner
Reden gefunden haben, wie auch die Entlehnungen aus der Physik des
Empedokles (llenon 76 C) und die Äußerungen über die Tugenden
der verschiedenen Menschenklassen (Menon 71 E f.) vermutlich einer
Gorgianischen Schrift angehört haben. Dagegen geben über Hippias
die beiden unter seinem Namen gehenden Dialoge, von denen Z. nur
den kleineren für echt hält, keine direkten Zeugnisse, sondern nur
Anhaltspunkte für Vermutungen, und was er Prot. 337 C f . über die
Gewaltherrschaft des voijlo? sagt, darf nur deshalb ihm zugeschrieben
werden, weil es durch unsere sonstige Kenntnis seiner Lehre bestätigt
wird. Was die längeren Reden betrifft, die PI. seinen Gegnern in den
Mund legt, so bedarf hier jeder einzebie Fall einer besonderen Unter-
suchung. Dies gilt namentlich von den Reden der Sophisten. Man
darf vermuten, daß sich PI. an ihren eigenen Vortrag, vielleicht auch
an ihre schriftlichen Darstellungen gehalten hat; aber wahrscheinlich
macheu läßt sich dies nur, wo noch weiteres Material vorliegt. In der
wichtigen Frage , ob der Mythos im Prot. 320 C ff. einer Schrift des
Sophisten entnommen oder frei erfunden ist, entscheidet sich Z. für die
Entlehnung: nicht nur die Sprache zeige durchaus die Fülle, Klarheit
und Anmut, die behagliche Würde, durch die PI. den Protagoras
charakterisiert; auch der Inhalt weise auf echten Ursprung hin. Der
Mythos könne nur von jemand herrühren, der die im Theaet. gezogenen
Konsequenzen noch nicht selbst gezogen hatte. Daß aber diese Rede
des Prot, nicht bloß in Piatons Darstellung vorlag, ergiebt sich nach
Z. aus zwei bisher für diese Frage noch nicht verwerteten Stellen.
Aristoteles part. an. IV 10, 687 a 23 kann nicht bloß die Darstellung
Prot. 321 C vor Augen gehabt haben, da er in diesem Falle den in
seiner kürzeren Fassung für eine parenthetische Bemerkung geeigneteren
Ausdruck ao-Xov nicht durch die rhetorische Amplifikation: otiXov oux
eyovTa -poj ttjv (iXxT)v ersetzt haben würde. Er muß daher diese Er-
weiterung in einer von PI. selbst schon berücksichtigten Schrift ge-
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 191
funden haben. Auf diese Schrift weist aber auch der platonische
Protag-oras selbst mit den Worten (327 E) hin: man lerne die Tugend
wie seine Muttersprache (eXAr^vt^etv) von Eltei'U und Aug'ehürigen; denn
da sich dieselbe Vergleichung- auch in den Aia)i$£ii rfiiYM c. 5, 551a Mull,
findet, so wird man annehmen dürfen, daß ihr Verfasser diesen treffenden
Gedanken ebenso wie alles von einem andern geborgt hat, und daß
dieser andere eher Protagoras, die größte Autorität der Partei, zu der
er selbst gehörte, als ihr sokratischer Gegner gewesen sein wird. Beiden
würde demnach die gleiche Auseinandersetzung des Protagoras zum Vor-
bilde gedient haben. — Diese Beweisführung Zellers scheint mir der
zwingenden Kraft zu entbehren. Zugegeben, daß der Verfasser der
AtaXe^ei? ein armseliger Kompilator war, dem kein selbständiger Ge-
danke zuzutrauen ist, so lagen doch damals solche Gedanken wie der
von Z. angeführte gleichsam in der Luft und konnten auch von unter-
geordneten Geistern ausgesprochen oder nachgesprochen werden. Hatte
PI. wirklich im IMj'thos des Prot, eine Schrift vor Augen, der er solche
Stellen wie die beiden von Z. beigebrachten entnahm, so brauchte
dies nicht notwendig eine Schrift des Prot, selbst zu sein, sondern sie
konnte auch von einem späteren Sophisten herrühren, der sich bei Piator.
unter der Maske des Prot, verbarg, und zu der großen Masse der damals
umlaufenden Publikationen gehören, die für uns bis auf die letzte Spur
verloren gegangen sind. Dieselbe Schrift mochte denn auch dem
Aristoteles und dem Verfasser der iX'.aXe^si? vorliegen, vorausgesetzt,
daß die letzteren nicht früher als in den ersten Jahrzehnten des 4. Jahr-
hunderts entstanden sind, wie Z. mit Bergk annimmt; fallen sie dagegen,
wie andere glauben, in die Zeit des peloponnesischen Krieges, so könnte
der Verfasser der Vorlage Piatons jene Vergleichung aus ihnen ge-
schöpft haben. Wir werden iu dem Abschnitt über die Sophistik auf
den Mythos des Prot, und die ^iiUizi; zurückkommen. — Auf eine
Schrift des Prot, ist Z. auch die bei PI. Prot. 334 A f. vorgetragenen
Erörterungen über den Begriff des Guten zurückzuführen geneigt. —
Zum Schluß werden die bei PL vorkommenden Hiuweisungen auf seine
Zeitgenossen, besonders auf seine sokratischen Mitschüler Euklid, Anti-
sthenes und Aristipp besprochen. Auf Antisthenes werden mit Recht
zwei Stellen im Soph. und Phileb. bezogen, in denen Hirzel eine An-
spielung auf Demokrit gewittert hat.
Über Aristoteles als Quelle der Vorsokratiker handeln:
27. Fr. Steffens, Welcher Gewinn für die Kenntnis der Ge-
schichte der griechischen Philosophie von Thaies bis Piaton läßt sich
aus den Schriften des Aristoteles schöpfen? Zeitschr. f. Philos. 67
(1875) S. 165—194; 68 (1876) S. 1-29 und 193-212; 69 (1876)
S. 1—18.
192 Berichte über die griechischen Pliilosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
28. Alphous Emminger, Die vorsokratischen Philosophen
nach den Berichten des Aristoteles. Aus einer gekrönten Preisschrift.
Würzburg 1878. 192 S. 8.
Die vier Artikel von Steifens, die die älteren Philosophen bis
auf die Sophisten und Sokrates umfassen, Piaton dagegen ausschließen,
enthalten nirgends etwas Neues, wie schon in betreflE" des ersten Artikels
SusemihI, Jahresb. II III 1, 3921, bemerkt hat, und sind im wesent-
lichen nichts als eine, überdies nicht vollständige Zusammenstellung der
aristotelischen Äußerungen, die um so zweckloser ist, als man sich aus
Bonitz' Ind. Aristot. viel besser über diesen Gegenstand orientieren
kann. Nicht ganz so wertlos ist die Arbeit von Emminger, in der
wenigstens der Versuch einer kritischen Erörterung der Berichte des
Aristot. gemacht wird. Von einer gründlichen und erschöpfenden Unter-
suchung des Gegenstandes kann freilich auf den etwa 100 Seiten Text
(den Schluß bilden Noten, in denen die im Texte berücksichtigten Stellen
näher bezeichnet und oft auch besprochen w^erden) keine Rede sein. Im
großen und ganzen hat sich der Verf. eng an Zeller angeschlossen, und
wo er von ihm abweicht, da ist seine Auffassung in der Mehrzahl der
Fälle verfehlt oder so unklar entwickelt und so mangelhaft begründet,
daß man nichts Rechtes damit anzufangen weiß. Zeller hat ihn daher
in der Gr. Ph. I\ wenn ich nicht irre, nur dreimal erwähnt, und zwar
verhält er sich zweimal (S. 392 Anm. und 599 f. Anm.) gegen seine Be-
handlung schwieriger Stellen des Aristot. ablehnend, während er S. 587
Anm. sich seine Meinung aneignet, daß Arist. soph. elench. 10, 170b 22
wahrscheinlich gar nicht an eine Schrift Zenons zu denken sei. Hätte
Z. ihn öfter berücksichtigt, so würde er ihm gewiß nur selten zuge-
stimmt haben. Auf Einzelheiten kann ich mich hier nicht einlassen
und bemerke nur, daß wiederholt bei E. eine große Willkür in der
Interpretation des Textes hervortritt. Doch geht der Rezensent in der
Jenaer Littz. 1878 S. 9 f. wohl zu weit, wenn er in der Abhandlung
lediglich eine kompilatorische Zusammenstellung ohne selbständiges Ur-
teil erblickt und der Meinung ist, sie wäre besser ungedruckt geblieben.
In einigen Punkten wenigstens dürfte E. das Richtige getroffen haben.
Es sind dies außer der von Zeller gebilligten Bemerkung über Zenon
namentlich die beiden folgenden; S. 118 bekämpft er meines Erachtens
mit Recht die von Zeller auch noch 1° 187, 2 festgehaltene Meinung, daß
bei Aristot. Metaph. I 3, 983b 22 das i}£p[xov nur auf die Lebenswärme
der Tiere zu beziehen sei, und stellt sich auf Brandis' Seite, der darunter
das Warme überhaupt mit Einschluß der Gestirne versteht. S. 55 ver-
teidigt er mit guten Gründen den Aristot. gegen das ihm von Karsten,
Mullach und Bonitz zugetraute grobe Mißverständnis des Ausdrucks
'^'jsi; bei Empedokles. Überhaupt ist das über den letzteren Gesagte
Berichte über die griechischeo Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 193
beachtenswert nnd wenigstens einig-ermassen erschöpfend, während die
Bemerkungen über die Atomiker recht dürftig erscheinen.
Die Bedeutung der Schrift de Melisso etc. als Quelle wird in
dem Abschnitt über die Eleaten besprochen werden. Auch auf gewisse
pseudohippokratische Schriften, die für einzelne Philosophen von
Wichtigkeit sind, wie das Buch ucpt oiatTY);, können wir erst im
speziellen Teile eingehen. Vollends zu weit führen würde es uns an
dieser Stelle, wenn wir uns über Schriftsteller wie Sext. Emp., Galen,
Plutarch, Clemens AI.. Lucrez, Cicero, Seneca, deren Schriften teilweise
als Quellen für die vorsokratlsche Philosophie anzusehen sind, ver-
breiten wollten. Auch hier wird das Notwendigste an seiner Stelle er-
wähnt werden.
B. Chronologie.
Auch hier ist nach ihrer Entstehungszeit wie nach ihrer sach-
lichen Bedeutung eine Abhandlung von Diels an die Spitze zu stellen,
der wie die doxographische so auch die chronologische Überlieferung zum
ersten Male einer streng wissenschaftlichen Prüfung unterzogen hat.
An diese Abhandlung knüpfen teils ergänzend, teils polemisierend die
übrigen seitdem erschienenen Arbeiten an, deren Ergebnisse, soweit
möglich, gleich im Anschluß an die Besprechung der Dielsschen Unter-
suchung erwähnt werden sollen.
29. H. Diels, Chronologische Untersuchungen über ApoUodors
Chronika. Rh. Mus. 31 (1876) S. 1—54.
30. E. Roh de, Ti-^o^z in den Biographica des Suidas. Rh.
Mus. 33 (1878) S. 161—220. Dazu die Nachträge ebenda 33 S. 638 f.
und 34 (1879) S. 620—623.
31. A. Daub, Die Chronologie des Anaximenes und Anakreon.
Jahrb. f. Philol. 121 (1880) S. 24-26.
32. G. F. Unger. Die Chronik des Apollodoros. Philol. 41
(1882) S. 602-651.
33. Derselbe, Zur Geschichte der Pythagoreier. Sitzungsbei*.
d. K. Bayer. Akad. 1883 II. S. 140—192.
34. Derselbe, Die Zeitverhältnisse des Anaxagoras und Empe-
dokles. Philol. Suppl.-B. IV (1883) S. 511—550.
35. Derselbe, Apollodor über Xenophanes. Philol. 43 (1884)
S. 210—218.
Während man von Dodwell und Bentley an bis auf Clinton und K. F.
Hermann die Notizen aller Zeiten und Schriftsteller ohne jede Methode zu
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVI. (1898. L) 13
194 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
einer Tabelle vereinigt hatte, hat es sich Di eis zur Aufgabe gemacht,
die alexaudrinische Überlieferung aus der späteren Verderbnis, der sie
besonders bei Eusebios und seinen Nachtretern verfallen ist, herauszn-
schälen und für die Chronologie der griechischen Philosophen die Wieder-
herstellung der Ansätze Apollodors zu versuchen. Dieser hat die
Untersuchungen des Gründers der chronologischen Wissenschaft,
Eratosthenes , in den vier Büchern seiner Chronika, die die Zeit von
Trojas Fall bis 144 v. Chr. umfaßten und eine zweite, mit zeitgenössischen
Nachträgen versehene, erst nach 129 erschienene Auflage erlebten (vgl.
Gomperz, Jenaer Littz. 1875 No. 34) zum Abschluß gebracht und
weiteren Kreisen zugänglich gemacht. Eine wertvolle Inhaltsangabe
dieser Chronik ist uns in der Einleitung der nach Apollodors Muster
gleichfalls in Trimetern abgefaßten Perieg-ese des sogen. Skymnos von
Chics (ura 90 v. Chr.) erhalten. (Hiervon abweichend bemüht sich
XJnger No. 32 darzuthun, daß die Angaben des Skymnos teils nicht
ausschließlich, teils gar nicht auf Apollodor passen, und daß dessen
Chronik zwischen 110 und 60 abgefaßt worden sei: ein Fragment lasse
noch bestimmter auf Abschluß des Werkes um das Jahr 70 schließen.)
Das Ansehen, dessen sich Ap. im Altertum erfreute, hat er vollauf
verdient durch seine gründliche Belesenheit und sein verständiges Urteil
selbst dem sonst durchgängig benutzten Eratosthenes gegenüber, dessen
Anteil an den chronologischen Ergebnissen übrigens zu sondern uns
nur in seltenen Fällen möglich ist. — Während die älteren Epochen
der griechischen Geschichte nach -[sveai von 30, genauer 33 V2 Jahren
berechnet wurden, benutzten die Alexandriner für die Bestimmung
historischer Persönlichkeiten die dx(X7^, das 40. Lebensjahr. Vielleicht
hat Aristoxenos dieses Hülfsmittel der Kombination zuerst veiwendet,
das er jedoch nicht dem Aristoteles, wohl aber den Pythogoreern (vgl.
Laert. 8, 10) entlehnen konnte. Jedenfalls versteht Ap. unter ay.[jLTn
ausnahmslos das 40. Lebensjahr. Ein zweites von Ap. und den
Alexandrinern überhaupt angewandtes Mittel chronologischer Bestimmung
bestand in der Ausnutzung synchronistischer Beziehungen zwischen Per-
sonen untereinander wie zwischen chronologisch unbestimmten Per-
sonen mit ungefähr gleichzeitigen wichtigen Ereignissen (Sardes' Fall,
Gründung von Thurii, Anfang des peloponnes. Krieges u. a.). Doch
haben die Alexandriner niemals die Überlieferung subjektiven Kombi-
nationen zuliebe vernachlässigt, und es wäre unmethodisch, ihre Kombi-
nationen von vornherein für Fiktionen zu erklären. Es ist daher auch
für uns geratener, im allgemeinen der bewährten Führung Apollodors
zu folgen, als mit unserem lückenhaften Material neue Hypothesen zu
versuchen. — Hiermit hat D. unzweifelhaft der chronologischen Forschung
den richtigen Standpunkt angewiesen, wie denn in der That die Ver-
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 195
suche, die auch nach dem Erscheinen von Diels' Abhandlung: gemacht
worden sind, durch eigene Vermutungen Ap. zu korrigieren, als ge-
scheitert zu bezeichnen sind. Dessen müssen wir uns allerdings hierbei
stets bewußt bleiben, daß auch die Zeitbestimmungen eines Eratosthenes
und Apollodor, soweit sie die Vorsokratiker betreffen, nur selten auf
einer völlig sicheren geschichtlichen Überlieferung beruhen und daher
auf objektive Wahrheit keinen Anspruch machen können. Das einzige
Mittel, das uns gelegentlich zu Gebote steht, sie zu kontrollieren und
etwa zu verbessern, eine inhaltliche Vergleichung nämlich der philo-
sophischen Lehren, darf der Natur der Sache nach nur mit großer
Vorsicht angewendet werden. Daß dieser Weg in einzelnen Fällen,
aamentlich auch von Diels selbst, nicht ohne Erfolg betreten worden
ist, werden wir im speziellen Teile sehen.
Die Untersuchungen, die D. im weiteren über die Chronologie
der einzelnen Philosophen anstellt, und die in ihrer Vereinigung von
kombinatorischem Scharfsinn mit Besonnenheit des Urteils als ein
Muster methodischer Kritik gelten dürfen, können wir hier nicht ge-
nauer verfolgen und müssen uns darauf beschränken, an einigen Bei-
spielen die Art der Beweisführung zu erläutern, im übrigen aber
die Ergebnisse zahlenmäßig zusammenzufassen, wobei wir gleich die
wenigen abweichenden Ansätze Zellers, der sich schon in der 4. Auf-
lage des 1. Bandes der Ph. d. Gr. im großen und ganzen an D. an-
geschlossen hat, und die häufigeren Abweichungen bei Tannery pour
l'hist. de la science hellene Kap. 11 (vgl. meine Anzeige Berl, Ph.
Wschr. 1890 S. 750 f.) und bei Unger verzeichnen wollen.
Der Bericht bei Laert. I 37 über Thaies enthält, wie D. ver-
mutet, in der Angabe des Geburtsjahres einen aus alter Zeit stammenden
Fehler: Olj'mp. A0 statt AE. Berichtigt man hiernach den Text des
Laert., so erhält man für Thaies folgende Daten Apollodors: Geburt
Ol. 39, 1 = 624. ax|jL7i 584, Tod Ol. 58, 3 = 546 im Alter von 78 Jahren.
Gegeben war nur das Jahr der von Th. vorhergesagten Sonnenfinsternis,
584 (nach genauer Berechnung eigentlich 28. Mai 585), das mit dem
Todesjahr Perianders zusammenfiel und allgemein als Epoche der sieben
Weisen galt. In dieses Jahr setzte Ap. die a/fj-rj des Th. und gewann
dann durch Subtraktion das Geburtsjahr, während er den Tod auf grund
des herodotischen Berichtes über Thaies' Verkehr mit Kroisos in die
Epoche von Sardes" Fall (546) legte und demgemäß das Lebensalter auf
78 Jahre berechnete. Sosikrates, der in seinen .iXiaöoyai die Chronologie
besonders betonte und hierbei auch Ap. benutzte, setzte statt der
78 Jahre 90, wir wissen nicht aus welchem Grunde, wenn er diese
Zahl nicht etwa bloß als eine Überlieferung neben Apollodors Ansatz
13*
196 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
erwähnte. Bei Eusebios ist das unsinnige e^vwptCexo aus Ys^ev^m^at miß-
verstanden: Ap. hat nämlich statt des unmetrischen e^ewr^ftir) synonyme
Wendungen wie 7e7evT)Tai. Ye-yove, -/ivExai und I'yeveto zur Bezeichnung
der G-ebiirt gebraucht, von denen Ye^evriTai und Tfe^ove auch für rjxfxaCe
und Yjvl>Y]xe verwandt wurden. (Rohde No. 30 weist des genaueren
nach, daß ye^ove bei Suidas in der weitaus größten Zahl der Fälle,
aber auch sonst in chronologischen Datierungen überwiegend in der Be-
deutung von TJxixaCs, selten mißbräuchlich von der Geburt == i-yEvvYjdn;
steht, während I^eveto und 7£v6|j.£vo? meistens synonym für I'yewtq&tj,
seltener für Y)x|xaC£ gesetzt werden). — Tannery weicht von D. darin
ab, daß er annimmt, die Eroberung von Sardes durch Kyros sei nui'
von Sosikrates 546, von Ap. dagegen, und zwar mit Recht (?), 12 Jahre
früher angesetzt worden; ebenso habe jener die Sonnenfinsternis des
Thaies, die in Wahrheit nach dem Berichte Herodots die vom 30. Sep-
tember 610 gewesen sein müsse (s. dagegen Zeller F, 181, 1) und mit ihi*
die Blüte in 585, dieser in 597 verlegt, während beide seine Geburt
in dasselbe Jahr (637) gesetzt hätten, das auch bei Laert. a. a. 0. leicht
herzustellen sei, wenn man Ol. 35, 1 statt 35, 4 verbessere. Demnach
habe Ap. den Th. 559, Sosikr. 547 sterben lassen, beide 1 Jahr vor
der von ihnen angenommenen Epoche von Sardes. Diese Ansätze
Tannerys beruhen auf den ebenso unerwiesenen wie unwahrscheinlichen
Voraussetzungen, dass Ap. die Sonnenfinsternis des Th. zuwider der,
von Heroflot abgesehen, übereinstimmenden Tradition des Altertums
nicht in 585, sondern in 597 gesetzt und daß Sosikr. abweichend von
Ap. und dem herrschenden Gebrauche für die <ix|XY^ des Th. nicht das 40.,
sondern das 52. Lebensjahr anfreuommen habe. — Unger (No.32),mit dem
Tannery, ohne seine Aibeiten zu kennen, in mehreren Punkten zu-
sammentrifi't, verwirft ebenfalls Diels' Änderung von Ol. 35, 1 in 39, 1
und will statt dessen, wie Tannery, Ol. 35, 4 in den Text gesetzt wissen,
stellt jedoch über das Verhältnis zwischen Ap. und Sosikrates eine
gleichermaßen von D. wie von Tannery abweichende Hypothese auf:
Ap. habe das von ihm einem Anonymes entlehnte Lebensalter von
78 Jahren verworfen und das von ihm bei Sosikr. vorgefundene von
90 Jahren angenommen; es hätten ferner beide nicht die Epoche von
Sardes (Ol. 58, 3), sondern die des Halysüberganges (Ol. 58, 2 = 447/6)
im Auge, in die sie das Ende des Th. gesetzt hätten; nach beiden
falle also das Leben des Th. von 637/6 — 547/6. Diese Kombination
erscheint noch unglaubwürdiger als die Tannerys: sie beruht auf einer
kaum zulässigen Interpretation der Laertiusstelle (r^ wc 2(oi3iY.paTt\z
■^r^iiw = oder vielmehr, wie S. sagt) und hat zur Voraussetzung die
oben erwähnte, höchst bedenkliche Annahme (s. Diels S. 21), Ap. habe
nach Sosikr. geschrieben. — Es wird daher mit Zeller an den Ansätzen
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 197
von Diels festzuhalten sein, die sich nicht auf so unsichere Hypothesen
stützen wie die von Unger undTannery, zumal da Diels' Textesänderung
sich paläographisch ebenso leicht rechtfertigen läßt wie die der beiden
anderen. Auch Roh de hält Diels' Ausführungen für völlig gesichert
and bemerkt noch dazu, den von jenem angenommenen Schreibfehler bei
Laert. habe vermutlich schon Sosikr. im Texte des Ap. gefunden und
aus dem angeblichen Geburtsjahre und dem Todesjahre Ol. 58, 3 die
abweichende Zahl der Lebensjahre berechnet.
In betreff des Xenophanes nimmt D. mit Recht die unzweifel-
haft auf Ap. zurückgehende Notiz bei Laert. IX 20, daß er Ol. 60 ^ 540
geblüht habe, als feststehend an und setzt daher seine Geburt in Ol. 50
(580). "Wenn bei Clemens AI. Strom. I 353 P. die 40. Olympiade als
Ansatz Apollodors bezeichnet wird, so kann das nur mit Ritter aus einem
Schreibfehler (N statt M) erklärt werden, der ziemlich alt sein muß, da
sich dieselbe irrtümliche Angabe bei Sext. Emp. findet. Die gleichfalls
aus Ap. stammende Bemerkung, daß X. bis zu den Zeiten des Dareios
und Kyros gelebt habe, ist nicht zu beanstanden oder etwa durch Ein-
setzung des Xerxes für Kyros zu verbessern, da sich eu)? Kupou auch
bei Hippolyt 114 findet, der hier wie in seinen sonstigen chronologischen
Notizen über die älteren Philosophen Ap, folgt. Die verkehrte Reihen-
folge hat wohl ihren Grund in dem metrischen Zwange, da die Genitive
nicht anders im Trimeter unterzubringen sind. Über das Alter des X.
hat Ap. nichts Sicheres gewußt. Nimmt man die Bemerkung bei
Censorin, er sei über 100 Jahre alt geworden, als richtig an, so läßt
sich Apollodors Rechnung mit der des Timaios bei Clem. a. a. O. ver-
einigen, wonach X. noch zur Zeit des Hieron und Epicharm gelebt
hätte. Diese Bemerkung des Timaios hätte D. besser auf sich beruhen
lassen: ihre Glaubwürdigkeit wird nicht ohne Grund von Bergk, Gr.
Littg. n 421 f., 30 und von Tannery S. 43 bezweifelt. Im übrigen
aber müssen wir Diels' Argumentation auch hier beistimmen, und es ist
schwer begreiflich, wie Tannery an der 40. Olympiade als Gebnrt^zeit
festhalten konnte-, denn bei dieser Rechnung würde die axixr^ des X. in
das 80. Jahr fallen und die in seinen Fragmenten vorkommende Er-
wähnung des Pythagoras als eines Verstorbenen unmöglich werden.
Seinen eigenen Weg geht wiederum Unger (No. 35), der die wahre Lebens-
zeit etwas später als D. ansetzt (Geburt 570/69, Ende frühstens 479
vielleicht erst nach Hierons Tod 468), in bezug auf Apollodor dage-ien
unter Festhaltung der Lesart M bei Clemens annimmt, er habe infolge
einer irrtümlichen Datierung den X. 620/16 geboren werden und 529/8
sterben lassen. Diese Annahme beruht auf der von U. in der Schrift:
Kyaxares und Astyages, München 1882 behaupteten Identität des Dareios
mit Astyages, die indessen von sachkundiger Seite stark bezweifelt
198 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
worden ist (vgl. darüber u. a. Evers: Das Emporkommen der persischen
Macht unter Kyros, Berl. 1884, S. 5).
Anaximander wurde nach ApoUodor 610 (oder 611) geboren
und veröffentlichte seine Schrift 547 im 64. Lebensjahre; die Zeit seines
Todes war unbekannt, annäherungsweise mochte sie Ap. in 546 setzen.
Hier schließt sich Tann er y an D. an, nur daß er, wohl mit Recht,
glaubt, Ap. habe das Lebensende überhaupt nicht näher bestimmt. —
Die axjJLT] des Pythagoras hat Ap., wie D. mit E. Rhode Rh. Mus.
26, 585 ff. annimmt, abweichend von Eratosthenes in Ol. 62 = 532 ver-
legt und sie mit der Tyrannis des Polykrates und der durch diese ver-
anlaßten Übersiedelung des samischen Weisen nach Italien in syn-
chronistische Beziehung gesetzt. Hiernach fällt die Geburt Ol. 52 =-■ 572,
d. i. in die ax|XT^ Anaximanders. Die Bemerkung bei Laert. H 2,
Anaximander habe zur Zeit des Polykrates geblüht, ist, wie D. schlagend
nachweist, irrtümlicherweise an jene Stelle verschlagen: sie bezog sich
ursprünglich auf Pythag. Unger (No. 33) kommt auch hier zu etwas
abweichenden Bestimmungen und sucht aus der sehr bunten Überlieferung
auch noch andere feste Lebensdaten zu gewinnen. Danach wurde Pyth.
um 568 geboren, trat 532 zuerst in Samos als Lehrer auf, siedelte 528
nach Kroton über und begab sich 509 nach Metapont, wo er bald nach
einer mit Austreibung der Pythagoreer in Kroton verbundenen Umwälzung,
wahrscheinlich 493, starb. U. knüpft daran eine hauptsächlich nach dem
Berichte des ApoUonios bei Jamblichos entworfene, überraschend genaue
Geschichte des Pythogoreischen Bundes. Das große Blutbad zu Ki'oton,
das Zeller wegen der Zeitverhältnisse des Lysis und Epaminondas um
440 ansetzt, fand nach IT., der die Geburt dieser beiden bedeutend
früher ansetzt, als man sonst annimmt, wahrscheinlich 470 und dem-
entsprechend die durch die Archäer bewirkte Aussöhnung zwischen und
in den unteritalischen Städten 453 (nach Zeller nicht vor 419/14) statt.
Wenn nun auch alle diese chronologischen Bestimmungen keineswegs
als gesichert und ein wandsfrei gelten können, ja manche, so besonders
die zuletzt erwähnten, höchst bedenklich erscheinen müssen (vgl. die
Ausführungen Zellers I^ 297 ff. und 332 ff. über die Chronologie des
Pythagoras und seiner Schule), so ist doch nicht zu leugnen, daß diese
Darstellung des äußeren Verlaufes der pythagoreischen Bewegung von
ihren Anfängen bis zu ihrem Ausgange vielfach den Eindruck urkund-
licher Zuverlässigkeit macht und sich dadurch vorteilhaft von den
übrigen chronologischen Untersuchungen Ungers über die Vorsokratiker
auszeichnet.
Anaximenes ist, wie D. durch Vergleichung von Laert. IE 3
mit Snidas und Hippolyt I 7 ermittelt, nach Ap. Ol. 63 = 528/24 ge-
storben; seine ä.■/.\i.r^ wird mit dem Tode Anaximanders und der Epoche
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 199
von Sardes (546) verbunden, und seine Geburt fällt demgemäß in die
Epoche der sieben Weisen (586). Roh de hat gegen Diels' Datierungen
nichts einzuwenden, hält es jedoch für unthunlich, die Worte ev ttq vt;
'9Xu|xt:i(xoi mit D. als Interpolation aus Eusebius zu streichen und nimmt
vielmehr an, Hesychius habe zwei ganz verschiedene Ansätze der (äxixi^
des Anaximenes gedankenlos miteinander verbunden : die 58. Olympiade
(Einnahme von Sardes) sei Ap. entlehnt, die 55. einem anderen,
auch von Euseb. benutzten Autor, vielleicht der 'ftXoao'poj btopta des
Porphyrios. Da üb (No. 31) pflichtet Rhode bei, will aber dem Said,
oder Hesych. selbst nicht diese Verwirrung aufbürden, sondern die Ab-
schreiber verantwortlich machen und vor den Worten ev t:^ Sapöecuv
aXtüaci bei Suid. ot ö' einfügen; so werde die Blüte des Anaximenes an
zwei bemerkenswerte Daten geheftet: den Anfang der Regierung des
Kroisos und Kyros und den Sturz des ersteren. Mit Diels' Umstellung
der Angaben über die Blüte und den Tod bei Laert. II 3 erklärt er sich
einverstanden. Tannery dagegen wendet sich gegen diese Vermutung,
die er „aussi ingenieuse que hardie" nennt; was er aber selbst an die
Stelle der Dielschen Zeitbestimmungen setzt: Sosikrates (?) habe die äxjiT]
in 546 gelegt, während Ap. den Anaximenes erst 528 habe geboren werden
lassen und ihn damit zeitlich von Anaximander getrennt und Anaxagoras
genährt habe, klingt noch unwahrscheinlicher, da eine solche Kombination
dem schon im Altertum allgemein anerkannten und durch die Vergleichung
der philosophischen Systeme bestätigten engen Zusammenhange zwischen
Anaximander und Anaximenes zu sehr widerspricht, als daß sie dem
Ap, zuzutrauen wäre. Noch verfehlter ist aus demselben Grunde die
Annahme Chiappellis (Arch. f. Gesch. d. Philos. 1593 f.), Anaximenes
sei 546 geboren worden (s. Zeller 1'^ 239). Ähnlich Unger (No. 34),
der die Blüte bis 525, den Tod bis 498 vorschiebt.
Die von Diels ermittelten Bestimmungen Apollodors über Anaxa-
goras: Geburt 500, Beginn der philosophischen Studien 480, Blüte
und Übersiedelung nach Athen 460, Verbannung aus Athen 430, Tod
zu Larapsakos 428, sind von Zeller I^ 968 ff. anerkannt (nur die Ver-
bannung setzt er 432 an) und den abweichenden Ansätzen von K. F. Her-
mann, Seh wegler und Unger (s. u.) gegenüber ausführlich verteidigt
worden. Auch hier freilich sieht sich D. genötigt mehrere Verwechse-
lungen in den überlieferten Texten anzunehmen; so bei Laert. II 7,
wo die Worte r-pEa-ro o£ 9 iXoaocpeTv 'Aöy^vyijiv etcI KaXXiou nach seiner Ver-
mutung ursprünglich gelautet haben: /■] 6. 9. apyovxo? 'Aöi^vrjatv
KaXXiou (Kallias nach D. Hypokoristikon für Kalliades, wie sonst
der Archon von Olymp. 75, 1 = 480 genannt wird). Aber ohne solche
Korrekturen des Textes kommen wir bei der Beschaffenheit unserer
Überlieferung überhaupt nirgends zu festen, widerspruchslosen Ansätzen,
200 Berichte über die griechißchen Philosophen -vor Sokrates. (Lortzing.)
und die von D. vorgeschlagenen Änderungen haben vor den Vermutungen
anderer in der Regel den Vorzog größerer Wahrscheinlichkeit. Wenn
Tannery in der eben angeführten Laertiusstelle den Ausfall eines Satzes
annimmt, inj dem Laert. den Ap. habe sagen lassen, Anaxagoras Bei
unter dem Archontat eines anderen Kallias (456) nach Athen gekommen,
so wäi-e dies an sich wohl denkbar, und der sich daraus ergebende
Widerspruch gegen die bei Laert. folgende Bemerkung, An. sei 30 Jahre
in Athen gewesen, ließe sich ertragen, da mau bei dieser Zeitbestimmung
eine wenn auch starke Abrundung nach oben hin annehmen könnte; aber
auffällig wäre doch, daß von einer solchen Notiz Apollodors über die
Ankunft des An. in Athen jede Spur in der späteren tJberlieferung
verloren gegangen sein sollte. Unger sagt sich auch hier von der
Autorität Apollodors völlig los und rückt im Anschluß an K. F. Hermann
die Geburt des An. in 533, den Tod in 462, den Aufenthalt zu Athen
in 495—465 hinauf und läßt ihn seine Schrift 466, unmittelbar nach
dem Meteorfalle von Aigospotamoi, abfassen, worauf dann 465 die
Anklage erfolgt sei. Die völlige Haltlosigkeit dieser Ansätze ist von
Zeller a. a. 0. klar nachgewiesen worden. — Die Apollodorischen
Festsetzungen über Demokrit beruhen auf dem Selbstzeugnis des
Philosophen über sein Altersverhältnis zu Anaxagoras (Laert. IX 41).
Danach hat Ap. seine Geburt in 460, seine Blüte und zugleich die
Abfassung des |j.ixpo? 6iaxoa|xoc in 420 gesetzt. Wenn Zell er S. 840
geneigt ist, den Ansatz des Thrasyllos für die Geburt: Ol. 77, 3 (470/69,
nicht 469/68, wie Z. schreibt), nach dem Dem. mit Sokrates gleich-
altrig gewesen wäre, für richtiger zu halten, so ist zuzugeben, daß sich
auch dieser Ansatz allenfalls mit Demokrits Zeugnis vertragen würde;
aber zu einer Entscheidung über die Zuverlässigkeit der Angabe Thra-
sylls fehlt uns jedes Kriterium: die von Z. angeführte Bemerkung
des Aristot. part. an. I 1, 642 a26 beweist nur, daß Dem. als Philosoph
dem Sokrates vorausgegangen war, nicht aber, daß er auch an Jahren
älter war. Ungers Fixierung der Lebenszeit (493 — 404), die sich auf
Diodor stützt, hat Zeller 969 f. zurückgewiesen. — Über Heraklit,
Parmenides und Zenon liegen nur dürftige Notizen vor, aus denen
sich ergiebt, daß Ap. die dx[j,rj der beiden ersten in Ol. 69 (504/1)
und die des letzten 40 Jahre später setzte; hinsichtlich der beiden
Eleaten folgte er sicher nicht der Datierung Piatons. Daß in Wirklich-
keit Parm. später als Her. anzusetzen ist, wird sich uns später zeigen.
— Für Empedokles gewinnen wir aus Laert. VIII 52 , wo der
Umfang des Apollodorischen Fragments, wie D. nachweist, größer ist,
als die Herausgeber angenommen haben, und aus Laert. VIII 74 die
Daten Apollodors: Geburt 484, Blüte 444 (Epoche von Thurii), Tod
424. In Wirklichkeit ist, wie Zell er schon in der 4. Auflage (vgl.
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 201
I^ 751) dargelegt hatte (D. ist ihm später in der Abhandlung über
öorgias und Empedokles 344, 2 beigetreten), der Anfangs- und End-
punkt um 8 — 10 Jahre (etwa 492—432) hinaufzurücken. Viel weiter
zurück geht hier wie bei Anaxagoras Unger (No. 34), der sich namentlich
auf Timaios stützt und so zu folgenden Ansätzen kommt: Emped.,
geb. 521/20, widmete sich nach Abfassung seiner philosophischen Schriften
von 472 an ganz dem öffentlichen Leben seiner Vaterstadt, bis er
467/6 verbannt wurde. Seit 461 war er verschollen und galt als tot,
wurde aber nach dem Zeugnis des Glaukos von Rhegion (s. z. No. 24)
444/3 in Thurii gesehen und ist daher frühestens in diesem Jahre ge-
storben. Die Unmöglichkeit dieser Datieiung hat Di eis Gorg. und
Emp. a. a. 0. nachsewiesen; vgl. Zeller 751 f. — Gorgias hat Ap.
nach D. wahrscheinlich 484—375 angesetzt, eine Berechnung, die mit
der von Frei (4«3 — 376) fast genau übereinstimmt, während Unger
seine Lebenszeit ebenso wie die des Anaxagoras und Empedokles be-
deutend hinaufrückt (507 — 400). — Wie für Gorgias, so gilt auch für
Melissos und Protagoras die Epoche von Thurii. Den letzteren
setzte Ap. in 482/1—411, wahrscheinlich mit Kecht. Bei Melissos
vollends beruhte sein Ansatz auf sicherer historischer Grundlage. Unger
(No. 34) freilich will das Zeugnis des Aristoteles, daß der Philosoph
Melissos der Sieger über die athenische Flotte sei, dadurch beseitigen,
daß er annimmt, Plutarch habe den Aristot. mißverstanden, und hält
sich für berechtigt, auf das Zeugnis des Stesimbrotos hin, der nach
Plotarch den Themistokles zum Schüler des Anaxagoras und des Melissos
machte, die Blüte des letzteren ebenso wie die des ersteren bis vor
490 hinaufzurücken. — Außerdem bespricht D. noch die Apollodorischen
Bestimmungen über Sokrates, Piaton, Aristoteles, Epikur, Arkesilaos
und zum Schluß die über Thukydides, Herodot und Hellanikos.
Die Datierungen Unger s mußten im Vorstehenden mit Ausnahme
der Chronologie des pythagoreischen Bundes durchweg als verfehlt be-
zeichnet werden. Vgl. meinen zusammenfassenden Bericht über seine drei
Abhandlungen Berl. Philol. Wschr. 1885, 175 ff., an dessen Schlüsse ich
darauf hingewiesen habe, daß wir aus den Ansätzen Untrers in ihrer
Gesamtheit ein Bild von dem Entwickelungsgange der vorsokratischen
Philosophie erhalten, welches nicht nur der heirscheuden Auffassung,
sondern auch aller historischen Wahrscheinlichkeit widerspricht.
Selbstverständlich finden sich chronologische Angaben über die
Vorsokratiker auch in den Darstelliingeu der Geschichte der Philosophie,
gelegentlich auch in denen der allgemeinen Geschichte und der Litteratur-
geschichte der Griechen. Da sich jedoch die Verfasser dieser Werke
im großen und ganzen an Diels und Zeller anzuschließen und, wo sie
abweichen, ihre Meinung nicht näher zu begründen pflegen, so scheint
202 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
es überflüssig, solche Abweichungen hier anzuführen. Nur Burnet, der
in seiner Eariy Greek philosophy 1892 auch sonst, wie wir später
sehen werden, vielfach seine eigenen Wege geht, entfernt sich, wie ich
nachträglich bemerke, mehrfach von Diels' Ansätzen und zwar meistens
unter näherer Angabe der Gründe. Hierbei stellt er sich, im entschiedenen
Gegensatze zu Diels, dem, nebenbei bemerkt, auch Gomperz Griech.
Denker I, 442 beipflichtet, auf den Staudpunkt, daß die AppoUodorischen
Bestimmungen für uns unverbindlich seien und wir daher berechtigt
seien, an ihre Stelle unsere eigenen Kombinationen zu setzen. Zwar
in bezug auf Thaies (für die Ansetzung der Sonnenfinsternis auf das
Jahr 585 werden neue Argumente beigebracht), Anaximauder, Pythagoras,
Heraklit, Empelokles und Anaxagoras schließt er sich im wesentlichen
an Apollodor bezw. Zeller und Diels an; bei Anaximenes, Xenophanes
und Parmenides dagegen weicht er von jenen ab. Die Bestimmungen
ApoUodors über den ei'stgeuannten hält er für unzuverlässig: das Lebens-
alter habe der Chronograph seinem Schema zuliebe, wonach zwischen
der Geburt des Thaies und dem Tode des Anaximenes 25 Olympiaden
= 100 Jahre liegen sollten, auf 60 Jahre angesetzt. Als sicher könnten
wir daher nur annehmen, daß er jünger war als Anaximander und vor
494 (Zerstörung Milets) blühte. Aber daß bei ApoUodors Berechnungen
ein Zeitraum von 100 Jahren irgend eine Rolle gespielt habe, ist völlig
unerweislich. Xenophanes' Blüte hat Ap. nach Burnets Meinung fälschlich
in 540 gesetzt: der Kolophonier könne damals noch nicht 40 Jahre alt
gewesen sein, da er ja, wie er selbst Fr. 24 K. sagt, im Alter von
25 Jahren aus seinei- Heimat gezogen sei und dies nach der Frage in
Fr 17: TTTjXixoc ^30' o&' 6 Mrj5oc a'fixeTo; nicht vor 546 geschehen sein
könne; seine Geburt falle also nicht vor 571. Aber aus Fr. 24 würde,
selbst wenn es zweifellos feststände, daß Xen. dort von einem Ver-
lassen seines Geburtsortes redet (Bergk Gr. Littg. II 418, 23 bezieht die
Worte ßXT)7TptCovT6; ifx^v <ppovTt6' dv 'EXXaoa 7^v auf das Bekanntwerden
seiner phil()M)pliischea Schrift), noch nicht notwendig folgen, daß er
damals bereits auch Kleinasieu verlassen habe und somit den Einfall der
Perser dort nicht selbst erleben konnte. Auch wäre, wenn sich wirklich
ans Xen. selbst die von B. angenomme Datierung klar ergab, dies
einem so aufmerksamen Beobachter chronologischer Hinweisungen wie
Apollodor sicherlich nicht entgangen. — Was Parmenides betrifft, so
kann B. nicht glauben, daß Piaton die Begegnung mit Sokrates, die
er dreimal erwähnt, erdichtet habe; da nun dieses Zusammentreffen
etwa 451/49 stattgefunden haben muß und Parm. damals im 65. Jahre
stand, 80 sei seine Geburt in 515/13 zu setzen, und ApoUodors Verlegung
der ätx|jLrj in 504/1 müsse auf einem freilich, wie B. selbst zugiebt,
schwer erklärbaren Mißverständnisse beruhen. Ein solches Mißver-
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 205
stündnis halte ich indes für völlig undenkbar: wenn Äp. von den doch
sicher auch ihm bekannten Platonischen Daten abwich, so muß er dafür
seinen guten Grund gehabt haben. Die Geburt Zenons bestimmt B.
natürlich ebenfalls nach Piaton und setzt sie um 489 (Ap. 504/ i).
C. Schriften, die das ganze Gebiet oder einzelne Gruppen
oder Teile der vorsokratischen Philosophie behandeln.
Nicht nur in Deutschland, sondern auch im Auslande sind während
der Berichtszeit so zahlreiche Publikationen erschienen, die eine Dar-
stellung der vorsokratischen Philosophie enthalten, daß eine Aufzählung
oder gar Besprechung aller sich schon durch die Rücksicht auf det
Raum verbietet. Sie würde auch überflüssig sein, da ein großer Teil
dieser Werke keine wissenschaftliche Bedeutung hat. Wir schließen
von vornherein alle rein populären oder lediglich Schulzwecken dienenden
Arbeiten aus, soweit nicht, was äußerst selten der Fall ist, in ihnen
eine eigentümliche Art der Auffassung zum Ausdruck kommt oder es
gelegentlich angebracht erschien, auf die Mangelhaftigkeit oder Wert-
losigkeit einer von anderer Seite gepriesenen Publikation aufmerksam
zu machen.
1. Werke über die gesamte Geschichte der Philosophie, in denen die
Torsokratische Philosophie nur kurz behandelt wird.
Was zunächst die neu erschienenen Auflagen älterer Werke be-
trifft, so würde es eine Raumverschwendung sein, wenn wir sie alle
besprechen oder auch nur mit genauer Titelangabe anführen wollten,
da die meisten von den Fortschritten der wissenschaftlichen Forschung
so gut wie gar keine Notiz nehmen und im wesentlichen den früheren
Text unverändert wiedergeben. Zu diesen gehören u. a. die 15. Auf-
lage der Geschichte der Philosophie im Umriß von A. Schwegler,
durchgesehen und ergänzt von K. Köber, deren völlige TJubrauchbarkeit
ich Berl. Ph. Wschr. 1892, 212 ff. nachgewiesen habe (die Parallelaus-
gabe desselben Werkes von J. Stern , Leipzig, Reclam 1889, ist mir nicht
zugegangen); die von Barthelemj^ de Saint-Hilaire besorgte 12. Aus-
gabe der Histoire generale de la philosophie von Victor Cousin,
Paris 1884, die nach der Vorrede, abgesehen von einem neuhinzugefägten
Kapitel über die Philosophie der Kirchenväter, nur stilistische Ver-
besserungen erfahren hat; die 5. Aufl. der Histoire de la philosophie
Europeenne von Alfred Weber, Paris 1895 (ins Englische übersetzt
von Frank Thilly, London 1896), die mir nicht bekannt geworden
204 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
ist, und der mir ebenfalls unbekannt gebliebene Neudruck der Biographical
history of Philosophy von G. H. Lewes, London 1897. Der der
Auffassung Grotes ähnliche Standpunkt des letztgenannten und seine
unkritische Oberflächlichkeit dürfen übrigens als allgemein bekannt an-
gesehen werden und sind bereits von Susemihl Jahresb. I 5, 511 ff. bei
Besprechung der 1873 in 2. Aufl. erschienenen Übersetzung des Parallel-
werkes von Lewes: „Geschichte der alten Philosophie" hinreichend ge-
kennzeichnet worden. Von etwas größerer Bedeutung sind die neuen
Auflagen von:
36. J. E. Erdraann, Grundriß der Geschichte der Philosophie.
B. I: Philosophie des Altertums und des Mittelalters. 3. Aufl. Berlin
1878. gr. 8.* Dasselbe, 4. Aufl. bearbeitet von Benno Erdmann,
Halle 1896.
37. E. Dühring, Ki-itische Geschichte der Philosophie von
ihren Anfängen bis zur Gegenwart. 4. Aufl. Leipzig 1894. XVI,
597 S. 8.
Von Erdmanns Grundriß ist mir die neueste Bearbeitung nicht
zugegangen. Hoffentlich hat sie eine weit gründlichere Umgestaltung
erfahren als die 3. Aufl., in der hinsichtlich der alten Philosophie kaum
etwas geändert oder hinzugefügt zu sein scheint. Der Verf. steht in
dieser Aufl. noch immer auf dem längstüberwundenen Standpunkte'
Hegelscher Geschichtskonstruktion und giebt fast durchweg ein verzerrtes
Bild der vorsokratischen Lehren. — Auch in der neuesten Aufl. von
Dührings "Werk ist an der in den früheren Auflagen herrschenden,
von vorgefaßten Meinungen ausgehenden und meistenteils einseitigen
und uDhistorischen Auffassung des Wesens und der Bedeutung der vor-
sokratischen Systeme festgehalten worden (über die 2. Aufl. von
1873 8. Susemihl Jahresber. I 5, 511 ff.), wie sich bei der selbstbe-
wußten Art des auf anderen Gebieten unstreitig verdienstvollen Ver-
fassers von vornherein erwarten ließ. Der Abschnitt über die von
D. besonders hochgeschätzten älteren griechischen Philosophen ist viel-
leicht noch der erquicklichste des ganzen Buches. Aber von Grund aus
vei fehlt ist auch dieser ältesten Philosophie gegenüber der Standpunkt
des Verfassers. Nach ihm ist die höchste Originalität der theoretischen
"Weltauffassung nur im Kreise dieser wahrhaft unsprünglichen Denker
zu fiuden; nachher sind originelle Gedanken nur noch auf dem Gebiete
der Moral aufgetreten, selbst Piatons Ideenkonzeption steht an Bedeut-
samkeit jenen ersten Fundamentalvorstellungen nach; der Verfall des
griechischen Lebens in der Sophistenzeit ist zugleich auch der Verfall
der gi'iechischen Philosophie, den auch die gewaltige sittliche Erscheinung
des Sokrates nicht aufzuhalten vermochte. Das heißt die geschichtliche
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 205
Entwickelun^ geradezu auf den Kopf stellen. So hoch auch die
schöpferische Ui^sprUnglichkeit jener früheren Denker anzuschlagen ist,
so gehört doch die ganze Einseitigkeit und Befangenheit eines Dühring
dazu, um den gewaltigen Fortschritt zu leugnen, den die philosophische nnd
wissenschaftliche Erkenntnis nicht nur der Griechen, sondern des ganzen
Abendlandes bis in unsere Zeit hinein der sokratisch- platonisch- aristo-
telischen Begriffsphilosophie zu verdanken hat, die das im wesentlichen
auf reiner Anschauung beruhende und daher noch ungeschulte Denken
der älteren Zeit auf die weit höhere Stufe klaren begrifflichen Denkeng
erhoben hat. Durch sie sind mit den Worten zugleich auch alle die
Begriffe geprägt worden, die seitdem zum Gemeingute aller Forschung
geworden sind und, wenn auch nicht ohne Wandlungen in ihrer Be-
deutung, auch heute noch unser wissenschaftliches wie unser populäres
Denken beherrschen. Auch die Darstellung der einzelnen vorsokratischen
Systeme (S. 16—83) enthält neben manchen treffenden Bemerkungen so
viel des Falschen und Schiefen, daß denen, die sich aus diesem Buche
belehren wollen, nur geraten werden kann, es mit äußerster Vorsicht
zu benutzen und sich nicht durch den Schein der Unfehlbarkeit, mit
dem sich D. umgiebt, blenden zu lassen. So überträgt er gleich auf
die ältesten lonier ganz moderne Begriffe, wenn er sie bei Aufstellung
ihrer stofflichen Prinzipien deren Aggregatzustand betonen läßt und
dem Anaximenes die Vorstellung beilegt, daß die ursprüngliche Existenz
des Weltalls ein großes Gasvolumen (!) gewesen sein. Die Lehre des
Parmenides wird als starrer Idealismus bezeichnet und die sehr
reale Grundanschauung des Eleaten von der raumerfüllenden Kugel
ignoriert. Falsch ist auch die Ansicht, die Eleaten hätten die gemeine
Wirklichkeit nicht gänzlich geleugnet, sondern ihr nur einen geringeren
Grad der Wirklichkeit zuerkannt. Am besten gelungen ist die scharf-
sinnige Darstellung der Argumente Zenons, deren zwingende Kraft
nach D. in der logischen Notwendigkeit ruht, die nicht gestattet, das
Unendliche als vollendet, die Unzahl als abgezählt und abgeschlossen zu
denken. Doch macht sich auch hier der Verf. einer Einseitigkeit
schuldig, wenn er hauptsächlich nur auf die Beweise gegen die Be-
wegung eingeht, die gegen die Vielheit dagegen als zu unbestimmt nicht
näher betrachtet, während Tannery, dessen Ausführungen er nicht ge-
kannt zu haben scheint, ungefähr den umgekehrten Standpunkt einnimmt.
Sehr unzulänglich und vielfach falsch werden die Lehren des Empe-
dokles und Auaxagoras und ihr gegenseitiges Verhältnis behandelt.
Empedokles soll sich gegen die Annahme einer Intelligenz in den Dingen
gewendet haben, wovon sich in unserer Überlieferung auch nicht die
leiseste Spur findet; auch hätte sich ein solcher Angriff nur gegen
Auaxagoras richten können, der doch nach der gewöhnlichen, auch von
206 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
D. für wahrscheinlich gehaltenen Meinung später als Emp. geschrieben
hat. Der Elementenlehre bei Emp. und der der Homöomerieenlehre
bei Anaxag., von denen D. die letztere schief darstellt, wird nur eine
untergeordnete Bedeutung beigelegt, die sie für ihre Urheber sicher
nicht gehabt haben. Es hängt dies damit zusammen, daß D. bei diesen
beiden Philosophen die Frage nach der Entstehung der Dinge und der
Rolle, die die bewegenden Kräfte dabei gespielt haben, ganz unberührt
^läßt, während er auf die doch ohne die Elementenlehre gar nicht ver-
ständliche Lehre von der Entstehung der Organismen bei Emp. aus-
führlich eingeht. Wenn Demokrits Atomenlehre im Gegensatz zu dem
synthetischen Charakter der übrigen Sj'steme wesentlich analytisch ge-
nannt und behauptet wird, sie mache den mechanischen Teilungszustand
und die mathematische Form des Stofflichen selbst zum Gegenstande
der Spekulation, so kann ein so grundsätzlicher Gegensatz des Abderiten
zu den früheren Philosophen nicht anerkannt werden. In der Zeichnung,
die D. von den Sophisten entwirft, hält er sich verständigerweise von
der in den letzten Jahrzehnten Mode gewordenen Überschätzung dieser
Männer durchaus fern, geht aber nach der anderen Seite zu weit, wenn
er ihre Thätigkeit als völlig unfruchtbar darstellt und sich zu der Be-
hauptung versteigt, sie hätten keinen einzigen Gedanken hervorgebracht,
der im Guten oder Schlimmen irgend etwas zu bedeuten hätte. Wie
stimmt dazu die bald darauf folgende, übrigens zutreffende Bemerkung,
die älteren Sophisten seien nicht so unfein wie die jüngeren und nicht
ohne eine gewisse Originalität gewesen?
Von neuen Erscheinungen sind zu nennen:
*38. 0. Flügel, Die Probleme der Philosophie und ihre Lösung
historisch-kritisch dargestellt. Cöthen 1876, XII, 266 S. 2. Aufl.
Ebenda 1888.
*39. Baumann, Geschichte der Philosophie nach Ideengehalt
und Beweisen. Gotha 1890. IV, 383 S. 8.
40. W. Windelband, Geschichte der Philosophie. Freiburg i/B.,
Mohr, 1892. 516 S. gr. 8.
41. J. Bergmann, Geschichte der Philosophie. 1. B.: Die
Philosophie vor Kant. Berlin 1892. YII, 486 S. 8.
42. V. Knauer, Die Hauptprobleme der Philosophie in ihrer
Entwicklung und teilweisen Lösung von Thaies bis Robert Haraer-
ling. Vorlesungen gehalten an der Wiener Universität. Wien und
Leipzig 1892. XVIII, 408 S. gr. 8.
43. P. Janet et G. S6ailles, Histoire de la Philosophie. Les
problemes et les ecoles. 1. fasc. Paris 1887. 391 S. 8.
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 207
44. Rev. Asa Mahan, A critical history of philosophy. In
two voluraes. New- York 1883. gr. 8. vol. I: XXII, 431 S.
45. L. Noack, Philosophie-geschichtliches Lexikon. Leipzig 1879.
Zu Flügels Buch verweise ich auf Schaarschmidts Be-
sprechung der 1. Aufl. Jen. Littz. 1877, 40 ff. Nach Seh. kommt in
der Beurteilung vorwiegend der Herbartsche Standpunkt zur Geltung.
Der vorsokratischen Philosophie scheint nur ein sehr knapper Raum
zugemessen zu sein. Über Bau mann wird im Litt. C.-Bl. 1891, 195
gesagt, der Leser erhalte von den einzelnen Philosophen und ihren
Systemen ein aufs äußerste zusammengedrängtes, aber nicht unrichtiges
Bild; die ältesten und älteren Philosophen würden vor den neueren
ungebührlich bevorzugt. — Windelbands Gesch. der Philol. schließt
sich würdig an die nachher zu besprechende Geschichte der alten
Philosophie desselben Verfassers an, neben der sie eine selbständige
Stellung einnimmt. W. hat hier nicht, wie dort, die Geschichte der
Lehren an die Reihenfolge der einzelnen Philosophen angeknüpft,
sondern hauptsächlich eine Geschichte der Probleme und Begriffe zu
geben versucht. Das erste Kapitel des ,,die Philosophie der Griechen"
umfassenden ersten Teils behandelt die kosmologische Periode und be-
spricht nacheinander die Begriffe des Seins, des Geschehens und des
Erkennens. Im 2. Kapitel wird die anthropologische Richtung (Sophistik
und Sokrates) dargestellt. Darauf folgt im 3. Kapitel die systematische
Periode, die in 4 Abschnitte zerfällt: 1. Das System des Materia-
lismus (Demokrit); 2. das System des Idealismus (Piaton); 3. die
aristotelische Logik; 4. das System der Entwickelung (Aristoteles/
Der zweite Teil, in dem die hellenistisch- römische Periode dargestellt
wird, gliedert sich in 2 Kap.: 1. die ethische Periode; 2. die religiöse
Periode. Diese Art den Stoff einzuteilen hat vor der sonst üblichen
den unleugbaren Vorzug, daß die Entstehung und das Wachstum der
philosophischen Grundgedanken uns übersichtlicher und deutlicher vor
Augen tritt. Anf der anderen Seite wird dadurch der Einblick in den
inneren Zusammenhang der Lehrgebäude und in die Eigenart einzelner
hervorragender Persönlichkeiten erschwert, soweit nicht, wie dies in
dem vorliegendem Werke bei den geschlossenen Systemen des Demokrit,
Piaton und Aristoteles geschehen ist. Sachliches und Persönliches in
der Betrachtung vereinigt werden kann. Bei der älteren Philosophie
kommt hinzu, daß es außerordentlich schwer ist, die einzelnen Kate-
gorieen, wie die des Seins und Geschehens, die in ihren Lehren teil-
weise noch keineswegs bestimmt voneinander geschieden sind, in der
Darstellung zu sondern. Es ist aber anzuerkennen, daß es dem Verf.
gelungen ist, soweit möglich, dieser Schwierigkeiten Herr zu werden
208 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
und dem mit gewissen Vorkenntnissen an die Lektüre des Buches her-
antretenden Leser ,,die prag-matische Notwendigkeit des geistigen Ge-
schehens" in klarer und fesselnder Darstellung vor Augen zu führen.
Beraerkuncen zu einzelnen Punkten werden zweckmäßiger mit der Be-
sprechung des anderen Werkes von W. verbunden. Vgl. übrigens
Lortzing Berl. Ph. Wschr. 1890, 1463 ff. sowie K. Lasswitz
Deutsche Littz. 1892, 555 ff.
Die KJarheit und Bestimmtheit der Auffassung und Darstellung,
die Windelbands Arbeit auszeichnen, lassen sich der Bergmanns
nicht nachrühmen. Den vorsokratischen Philosophen, die nur sehr kurz
(S. 12 — 49), einige wie Anaximander, Anaximenes und Demokrit un-
verhältnismäßig kuiz beliandelt werden, legt der Verf. vielfach fremde
Anschauungen unter und konstruiert sich einen Entwickelungsgang der
ältesten Philosophie, der in den Thatsachen nicht begründet ist: von
dem Hylozoismus der älteren lonier aus habe sich die Geschichte der
Philosophie zunächst in zwei Entwickelungsreihen fortgesetzt, von denen
die eine, die Lehre der Pythagoreer und der Eleaten, von Anaximander,
die andere, die Lehre des Heraklit, Empedokles und Anaxagoras, von
Anaximenes ausgehe; auf diese folge dann als dritte Richtung der
Materialismus der Atomiker. Hierbei wird ohne Spur eines Beweises
angenommen, daß Anaximander die Keime zu einer vom Hylozoismus
zum Spiritualismus (!) führenden Entwickelung gelegt habe und daß sich bei
Anaximenes ein Fortgang vom Hylozoismus zum Dualismus ankündige.
Über Knauers Vorlesungen können wir kurz hinweggehen; sie
sind, soweit sie die Vorsokratiker (25 — 67) betreffen, ohne jeden
wissenschaftlichen Wert.
Der erste, bisher allein erschienene Band des Buches von Janet
und Seailles, das ebenso wie die Arbeiten No. 38 und 40 den Stoff
nicht nach den Schulen, sondern nach sachlichen Gesichtspunkten
gruppiert, beschränkt sich auf die Darstellung psychologischer Probleme.
Bei jedem einzelnen Problem werden die wichtigsten Lehren von der
ältesten Zeit bis auf die Gegenwart in aller Kürze dargelegt und zu-
letzt das Resultat gezogen. Was über die Vorsokratiker, natürlich in
knappster Fassang, gesagt wird, ist im wesentlichen richtig und stellt
den Beitrag, den die ältesten Philosophen zur Lösung der einzelnen
Probleme geliefert haben, in klares Licht. Wenn im 11. Abschnitt,
der „le probleme de la Libertö" behandelt, bei Demokrit nur die aus
seinem metaphysischen Systeme abgeleitete necessit^ universelle be-
tont wird, so sind die ethischen Fragmente dieses Philosophen unbe-
rücksichtigt geblieben, in denen das Problem der Willensfreiheit
wenigstens gestreift wird. Auch für den Schlußabschnitt ,,rHabitnde"
waren diese Fragmente zu verwenden.
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 209
Das Werk von Maban, in dessen erstem Bande die Vor^okratiker
S. 175 — 211 besprochen werden, führen wir nur deshalb an, iim vor
einem durch den Titel nalie{?elegten Mißverständnisse zu warnen. Es
handelt sich in dem ganzen Buche nicht um philosophisch-j^eschichtliche
Kritik, zu der der Verf. nach seinen Vorstudien (er citiert in der
Darstelhing der alten Philosophen außer Lewes und Ritter fast nur
einen mir unbekannten Dr. Cocker) auch gar nicht befähigt wäre,
sondern es werden über die philosophischen Lehren vom rein philosophisch-
kritischen Standpunkte m. E. ziemlich unfruchtbare Erörterungen an-
gestellt, in denen die Thatsachen eine sehr geringe Rolle, eine desto
größere dagegen die modernen philosophischen Termini spielen. Hierbei
überwiegt der religionsphilosophische Gesichtspunkt: Thaies (!), Anaxi-
menes (!), Xenophanes und Anaxagoras werden zu Theisten gestempelt;
Anaximander hat eine unbestimmte Art von Pantheismus eingeführt,
Parmenides ist spiritualistischer oder idealistischer Pantheist, Heraklit
materialistischer (!) Pantheist u. s. w.
Auch das Lexikon von Noack erwähnen wir nur, um festzu-
stellen, daß die Vorsokratiker darin äußerst dürftig behandelt sind;
viel Anekdotenkram, hinter dem z. B. bei Pythagoras und seiner Schule
der Inhalt der Lehre fast völlig zurücktritt.
Wir schließen hier einige Werke an , in denen die Entwicklung
einzelner Gebiete der Philosophie oder bestimmter philosophischer
Richtungen vom Altertum bis zur Neuzeit dargestellt wird:
46. W. Dilthey, Einleitung in die Geisteswissenschaften. Ver-
such einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Ge-
schichte. 1. B. Leipzig 1883. XX, 519 S. 8.
47. F. A. Lange, Geschichte des Materialismus und Kritik
seiner Bedeutung in der Gegenwart. Wohlfeile Ausgabe. Zweites
Tausend. Besorgt von Hermann Cohen. Iserlohn und Leipzig 1887.
* Fünfte Auflage bearbeitet von H. Cohen. 2 Bände. Leipzig 1896.
48. L. Mabilleau, Histoire de la Philosophie Atomistiqne.
Paris 1895. VII, 560 S. gr. 8.
49. F. Harms, Die Philosophie in ihrer Geschichte. I. T.: Psycho-
logie. Berlin 1878. Vin, 398 S. 8. IL T.: Geschichte der Logik.
Berlin 1881. VIII, 240 S. 8.
50. Rud. Eucken, Geschichte der philosophischen Terminologie
im Umriß. Leipzig 1879. 226 S. gr. 8.
Dilthey, der sich die Aufgabe gestellt hat, die Metaphysik als
Grundlage der Geisteswissenschaften zu erweisen, verfolgt in dem ersten,
m. W. bisher einzigen Band (vgl. J. Freudenthal D. Littz. 1883,
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVI. (1898. I.) U
210 Berichte über die griechißchen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
1645 ff., E. Eucken Philosoph. Monatsh. XX 120 ff.) die Herrschaft
und den Verfall der Metaphysik iu der Eiitwickelung der Wissenschaft
vom Altertum bis in die Neuzeit und stellt hierbei über die philo-
sophischen Lehren der Griechen Erörterungen an, die, wenn man der
Auffassung des Verfassers auch nicht überall beistimmen kann, doch
die Bedeutnng und den Zusammenhang der einzelnen Systeme vielfach
in eine neue und interessante Beleuclitung rücken. Dies gilt insbe-
sondere auch von den Abschnitten, die in unser Gebiet fallen (S. 182—
224 und 271 — 296). Die Kosmologie der ältesten Zeit, auch die
pythagoreische, betrachtet D. mit ßeclit als eine Vorstufe zu der mit
Heraklit und Parmenides beginnenden Metaphysik im engeren Verstände.
Wenn er aber behauptet, jene Kosraologen hätten bereits den ,, Begriff
des Prinzipes" ausgebildet, so ist dagegen zu bemerken, daß apyr] bei
den älteren Philosophen von Anaximander an nichts als den „Anfang
der Dinge" bezeichnet, im strengen Sinne des , .Prinzips" aber erst
von Piaton und Aristoteles gefaßt wird. Auf der anderen Seite heißt
es die wissenschaftliche Bedeutung jener ältesten Denker doch unter-
schätzen, wenn D. meint, ihre Erklärungen des Weltganzen seien mit
einem sehr erheblichen Bestandteil von mythischem Glauben vermischt.
Für Thaies und Pythagoras mag dies vielleicht zutreffen, schwerlich
aber für Anaximander und Anaximenes; wenigstens kann ich das von
D. angeführte Fragment des ersteren vom Unrecht und der Buße als
Beweis dafür nicht gelten lassen. — Treffend wird von Parmenides
bemerkt, seine Sätze enthielten das Denkgesetz des Widerspruchs in
metaphysischer Fassung im Keime und außerdem die physische Wahr-
heit: es giebt kein Entstehen und keinen Untergang; durch Über-
spannung dieser Wahrheiten aber hätten die Eleaten die von ihren
Vorgängern geschaffene Welterklärung aus den Angeln gehoben. Ebenso
treffend wird als gemeinsames Prinzip der von Parmenides ausgehenden
Theorieen des Leukipp, Enipedokles, Demokrit und Anaxagoras der
Gedanke hingestellt: „es giebt nur Verbindung und Trennung der
Massenteilchen vermittelst der Bewegung im Welträume." Besonders
eingehend und ansprechend sind die Erörterungen über Anaxagoras,
dessen Lehre vom voü; jedoch mit Unrecht als Monotheismus bezeichnet
wird. Über den Ausgangspunkt der Trepi/wpYj'jt; bei An. spricht D.
eine sinnreiche Vermutung aus, wonach der voü? die Drehungsbewegung
in der Materie vom Nordpol aus begonnen hat. S. jedoch Zeller
1001, 1. ^) — Über Protagoras wird scharfsinnig bemerkt, daß er
') Ich bemerke hier, dall ich, wenn ich Zeller ohne weiteren Zu-
satz anführe, die 5. Ausgabe des 1. Bandes der Philosophie der Griechen
meine.
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 211
zwar von den Qualitäten der Dinge behauptet habe, sie beständen nur
in der Relation, nicht aber von der Dinglichkeit selber; auch Gorgias
habe nicht die Phänomenalität der Außenwelt behauptet, wie dies über-
haupt kein Grieche gethan habe; er gehe vieiraehr in seiner Beweis-
führung von der Voraussetzung der Räumlichkeit des Seienden aus.
An späterer Stelle kommt D. noch einmal kurz auf die Vorsokratiker zu
sprechen. Er findet bei Heraklit eine metaphysische Begründung der
gesellscbaftliclieu Ordnung und die Hindeutung auf eine solche auch
bei Pythagoras. Zwischen der ersten und zweiten Generation der
Sophisten stehe Hippias; durch ihn und Archelaos sei der Gegensatz
der göttlichen ungeschriebenen Gesetze und der menschlichen Satzung
wissenschaftlich (?) formuliert worden.
Über eine frühere Auflage des zuerst 1866 erschienenen Buches
von Lange hat Suse mihi Jahresb. 15, 511 ff. gesprochen. Da er
indes die vorsokratische Philosophie nur nebenbei berührt hat, so glauben
wir einige Bemerkungen zu der Art, wie Lange diese dargestellt hat,
macheu zu müssen. Hierbei können wir nur die Aufl. von 1887 zu
Grunde legen , da wir die neueste Aufl. nicht gesehen haben. Daß sie
in bezug auf die Philosophie des Altertums irgend welche wesentliche
Änderungen enthält, ist kaum anzunehmen; die uns soeben zugegangene,
besonders herausgegebene „Einleitung mit kritischem Nachtrag zu
F. A. Langes Geschichte des Materialismus in 5 Aufl." von H.Cohen
bringt derartige Beiträge nicht, sondern spricht nur von den heutigen
Aufgaben der philosophischen Forschung. — Lange schwankt beständig-
zwischen einer rein geschichtlichen Auffassung der Systeme des Alter-
tums und einer von modernen Voraussetzungen ausgehenden. Der
historische Wert seiner Darstellung ist daher ziemlich gering. Wenn:
er z. B, behauptet, Demokrit habe den Zweckmäßigkeitsbegriff ent-
schieden zurückgewiesen und Empedokles ihn durch ein dem Darwinschen
ähnliches Naturprinzip ersetzt, so trägt er damit Gesichtspunkte in die
älteste Philosophie hinein, die dieser fremd gewesen sind: eine Zweck-
ursache kannten die Vorsokratiker überhaupt noch nicht (höchstens bei
Anaxagoras kann man einen Ansatz dazu finden), konnten sie alsa
auch nicht bestreiten. Falsch ist auch, daß der Sensualismus des
Pi'otagoras eine natürliche Fortbildung des Materialismus gewesen sei.
Protag. ist nicht von den Atomikern, sondern wahrscheinlich von
Heraklit ausgegangen. In der übertriebenen Wertschätzung der
Sophistik schließt sich L. an Grote und Lewes an. Der Relativismus
der Sophisten wird als ein durchaus gesunder Fortschritt in der Er-
kenntnistheorie betrachtet, der aber durch die einseitige Betonung der
ethischen und logischen Fragen in der Sokratik unterbrochen worden
sei. Dabei stellt Verf. recht müßige Betrachtungen darüber an, wie
14*
212 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
ein Schüler des Demokrit und Protagoras, der sich in der von jenen
vorgezeichneten Richtung weiter bewegt hätte, statt den sokratischen
Umschwung mitzumachen, ganz wohl den Schritt vom Einzelnen zum
Allgemeinen, von der Wahrnehmung zum Begriff hätte machen können:
der Begriff fehlte eben den Sophisten, und so konnten sie aus sich
selbst heraus nicht zum Allgemeinen gelangen. Diesen Schritt gethan
zu haben ist das unsterbliche Verdienst des Sokrates.
Dem Stoffe nach hat eine gewisse Verwandtschaft mit Langes
Buch das von Mabilleau, über das ich etwas ausführlicher berichten
will, da es m. W. bisher in deutschen Zeitschriften, abgesehen von der
sehr kurz und allgemein gehaltenen Anzeige von Willy Vierteljzschr.
f. Philos. XX 514 ff., nirgends besprochen worden ist. Der Verf. hat
sich der umfassenden und schwierigen Aufgabe unterzogen, die gesamte
Atomistik, die hier im allerweitesten Sinne gefaßt wird, in ihrer ge-
schichtlichen Entwicklung von ihren Anfängen in Indien an bis in die
neueste Zeit darzustellen. Mit welchem Erfolge er diese Aufgabe in
bezug auf die indische Atomistik einerseits und die mittelalterliche und
moderne andererseits gelöst hat, mögen die dazu Berufenen beurteilen.
Doch können wir an den Ausführungen über die atomistischen Systeme
der Inder nicht ganz vorübergehen wegen der Beziehungen, in die er
sie zur grieschichen Philosophie setzt. M. giebt im Anschluß an
Barthelemy de Saint — Hilaire, Eegnault und andere französische
Forscher sowie auf grund der neuerdings erschienenen Kommentare
und Textaasgaben indischer Gelehrter eine Darstellung der Lehre des
Kanada, des ältesten der in Frage kommenden Systeme, von denen er
außerdem nur noch kurz das der Djinas erwähnt, in welchem die
wichtigste Verbesserung jener Lehre enthalten ist. Er beschäftigt sich
dann mit der nicht nur bei uns , sondern auch in Frankreich seit den
ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts immer wieder von neuem auf-
geworfenen Frage, ob und inwieweit die ältesten grieschichen Systeme
von der indischen Philosophie beeinflußt worden sind, und beantwortet
sie mit Barthelemy u. a. folgendermaßen: Wie die griechische Sprache
aus dem Sanskrit hervorgegangen ist (?), der griechische Polytheismus
eine Reproduktion (?) der indischen Mythologie darstellt, wie die
indische Seelenwanderungslehre unzweifelhaft (?) indischen Ursprungs
ist, so sind auch die ältesten Versuche der Griechen, das Universum
aus materiellen Ursachen zu erklären, gleicher Herkunft. In dem
System des Kanada finden sich die pythagoreischen Monaden, Dyaden,
Triaden u. s. w., ebenso die Elemente des Empedokles, die Homöomerieen
des Anaxagoras und die Atome Demokrits wieder. Namentlich des
letzteren Lehre ist als die folgerechte Entwickelung der des Kanada
anzusehen und kann nicht von dieser unabhängig entstanden sein, die
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 213
vielmehr dem D. mittelbar oder vielleicht auch nnmittelbar auf einer
Reise nach Indien (?) zugeflossen sein muß. Es verlohnt sich um so
weniger der llühe, diese auf lauter unwahrscheinlichen Voraussetzungen
aufgebaute Vermutung zu widerlegen, als der Verf. die Beweiskraft
seiner so zuversichtlich vorgetragenen Gründe bald darauf selbst wieder
in Frage stellt und bei der näheren Besprechung der Demokritischen
Atomcnlehre vollends in Widerspruch mit sich gerät, indem er S. 150 f,
zugiebt, Demokrits angebliche Heise nach Indien sei sehr zweifelhaft. —
Was nun die Darstellung der griechischen Atomistik und der sie vor-
bereitenden älteren Systeme betrifft (denn auch diese zieht M. in den
Kreis seiner Betrachtung), so ist zunächst zu bemerken, daß der Verf.
auf eine selbständige Benutzung und Prüfung der Quellen, wie schon
die oft ganz ungenauen und verkehrten Citate beweisen, von vornherein
verzichtet hat. Dazu würde er auch bei seiner geringen Kenntnis der
griechischen Sprache kaum befähigt gewesen sein. Nicht nur daß die
griechischen Citate von Fehlern wimmeln, ein Mangel, der sich über-
haupt in französischen Druckwerken häufig findet, sondern es kommen
auch die schlimmsten Mißverständnisse griechischer Texte vor; so,
wenn S. 81 die mit Bt^zug auf Anaximanders a-eipov von Aristot.
Phys. III 4. 203 b 11. gesagten Worte: lisptr/stv airavta xai Travxa
xußepväv Übersetzt werden: „il se meut lui-meme et anime toutes les
choses dans son sein (!!), oder wenn aus Demokrit fr. mor. 18 N. die
für sich ganz unverständlichen Worte ^o-/}^ TsXetoTanr) ay.iQvso; herausge-
griffen und so gedeutet werden, als ob nach Demokrit die Seele der
vollkommenste Körper (!!) wäre. Dieser Mangel würde indes zu er-
tragen sein, wenn M. mit den neuesten Untersuchungen über die von
ilim behandelten Fragen einigermaßen vertraut wäre. Aber die Be-
weise des Gegenteils begegnen uns in seinem Buche auf Schritt und Tritt.
Um so kläglicher machen sich die gelegentlichen Versuche des Verfassers,
sich den Schein gründlicher Quellenkenntnis zu geben. So bespricht er die
einzelnen Titel des Thrasyllschen Verzeichnisses der Schriften Demokrits,
ohne zu ahnen, daß ein großer leil dieser Schriften unecht ist; hält er
doch selbst solche offenbaren Fälschungen späterer Jahrhunderte wie das
Kräuterbuch und das Sternbuch und ebenso die astronomischen und
geoponischeu Fragmente bei Mullach für echt. Auch über Inhalt und
Bedeutung der verschiedenen Systeme entwickelt er zum Teil ganz
falsche Ansichten. Die Lehre des Parmenides z. B. zerstört er in ihrem
innersten Kerne, indem er den Gegensatz zwischen der 'AXr)i>£ia und
der AoEa aufhebt. — Diesen und manchen anderen Irrtümern stehen auf
der anderen Seite einzelne wertvolle Ausführungen gegenüber , wie es
denn überhaupt dem Verf. an einem gewissen philosophischen Blicke
nicht fehlt. So wii-d die Verwandtschaft der Zenonischen Ai'gumente
214 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
mit der Atomistik treffend hervorgehoben. Auch über die Deklination
der Atome bei Epikur und ihre Bedeutung für die Willensfreiheit äußert
IT. eine Ansicht, die auf den richtigen Weg zur Lösung dieses schwierigen
Problems zu führen scheint, übrigens sich mit der sicherlich doch wohl
ihm unbekannt gebliebenen Abhandlung von Brieger de atomorum
Epicureorum motu principali 1888 nahe berührt. Im großen und ganzen
jedoch ist den Aufstellungen des Verfassers gegenüber die größte Vor-
sicht geboten, um so mehr, als sie sich nach französischer Art im Ge-
wände einer glatten und eleganten Schreibweise darbieten und mit dem
Nimbus tieferer wissenschaftlicher Forschung umgeben.
Die kurze Besprechung der vorsokratischen Systeme in dea
beiden Teilen des Werkes von Harms (I 110 — 148 und II 5 — 14)
legt zu sehr den Maßstab moderner Anschauungen an die alten Philo-
sophen an. Auch bewegt sich der Verf. in bezug auf die Einteilung
und Reihenfolge wie die Beurteilung der Systeme noch ganz im Gleise
Schleiermachers und Ritters. So wird die veraltete Unterscheidung
zwischen Mechanikern und Dynamikern festgehalten und ihr zuliebe
Anaximander von seiner Schule getrennt. Der Atomismus und die
Sophistik werden in äußerst abfälliger Weise beurteilt.
Eucken, der fremde und eigene Beobachtungen über den Ge-
brauch philosophischer Kunstausdrücke in geschickter Auswahl zu-
sammenstellt, konnte im Rahmen seiner das ganze Gebiet der antiken
und deutschen Philosophie umfassenden Darstellung die doch nicht ganz
geringe Zahl der bereits von den vorsokratischen Philosophen ge-
brauchten, wenn auch meistens noch nicht klar und bestimmt ausge-
prägten Termini nur zu einem geringen Teile verwerten. Hervor-
zuheben sind von seinen hierher gehörenden Bemerkungen die über
yp-^ixa, dva^xTf] und Ttpocpactc (= aixia), apyy^, xotTfxo?, xa aTO|xa (Demokrit)
und Tj aTop-oc (Epikur), dvTi-u-ia, auvEiorjaic, losa. Wenn über xo^iioc
in der Bedeutung „Weltall" gesagt wird, es scheine auf die Pythagoreer
zurückzugehen und finde sich jedenfalls bei Empedokles, so ist jetzt
auf Diels Parmen. S. 66 zu verweisen, wo gezeigt wird, daß das Wort
bei den Philosophen des fünften Jahrhunderts von Heraklit an „Getüge
(Bau, Struktur)", nicht „Welt" bedeutet und im letzteren Sinne, dem
sich bereits Empedokles 351 nähert, zuerst im Anfange des Philolaischen
Buches vorkommt. Doch scheint mir das Wort gerade bei Heraklit,
wenn auch vielleicht nicht in Fr. 20 (xoj|jlov aTxavTojv), so doch in
Fr. 56, wo xoajjiov ohne Zusatz steht, in der Bedeutung „Welt Ordnung"
gebraucht zu sein. 'AvtiTUTiia wird nach E. vom Stofife zuerst bei den
Stoikern angewendet; indessen weist der Ausdruck axXrjpoo? — xal dvri-
TUTtouc dvOpcuTzoo; bei Piaton Thcaet. 155 E darauf hin, daß schon zu
Piatons Zeiten wenigstens das Adjektiv eine gewisse Rolle in einem
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 215
philosopliischen System gespielt hat. — Auf die Bedeutungswandlungeu
von Ausdrücken wie «puai?, X070C, voixo; hätte E. wohl etwas näher ein-
gehen können, und auch -ro ov (etvat) und oo^a bei Parmenides (vgl.
66xoi bei Xenophanes) wären der Erwähnung wert gewesen.
2. Werke über die gesamte Philosophie des Altertnms oder über
nmfa.»*sendere Abschnitte derselben.
Neue Auflagen älterer Werke sind erschienen von:
51. A. Seh wegler, Geschichte der griechischen Philosophie,
herausgegeben von K. Köstliu. Freiburg i/B. 1882. VIII, 462 S. 8.
*52. Chr. A. Thilo, Kurze pragmatische Geschichte der Philo-
sophie. T. L: Geschichte der griechischen Philosophie. 2. Aufl.
Cöthen 1880. XII, 403 S. gr. 8.
53. Historia philosophiae graecae. Testimonia auctorum con-
legerunt notisqne instruxernnt H. Ritter et L. Preller. Ed. VIT.,
quam curaverunt Fr. Schul tess et Ed. Well mann. Gotha 1888.
VI, 598 S. 8.
54. Fr. Überwegs Grundriß der Geschichte des Altertums.
8. Aufl., bearb. und herausg. von M. Heinze. Berlin 1894. IX,
390 S. gr. 8.
55. Paulys Realencyclopädie der klassischen Altertumswissen-
schaft. Neue Bearbeitung, herausg. von Wissowa. Stuttgart, Metzler.
1.— 4. Halbband 1893/97.
Schwegler-Köstlins neue Aufl. zeichnet sich durch übersicht-
liche Darstellung und Besonnenheit des Urteils aus, hat aber die neueren
Quellenforscliungen zu wenig verwertet und ordnet die Voisokratiker
noch immer mehr nach der äußeren Reihenfolge der Schulen im An-
schluß an Schleiermacher, Ritter und Brandis als nach den inneren
Beziehungen der Lehre. Vgl. die Besprechuugen von Freudenthal
D. Littz. 1882, 1277 f. und F. Kern Philol. Anz. 1882, 532 ff.
Über Thilos Buch muß ich auf die Besprechung der 1. Aufl.
von Susemihl Jahresb. II III 1, 262 ff. verweisen, der die lichtvolle
und lebendige Darstellung rühmt, die einseitig vom Herbartschen Stand-
punkt ausgehende und daher ungeschichtliche Behandlung des Stoffes
dagegen tadelt.
Das verdienstliche Buch von Ritter und Prell er, das darauf
berechnet ist, durch eine Auswahl von Stellen aus den Werken und
Bruchstücken der alten Philosophen die Lernbeflissenen in die quellen-
mäßige Beschäftigung mit der alten Philosophie eiuzutühren, entspricht
auch heute noch den Bedürfnissen zahlreicher Jünger der Wissenschaft,
216 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates, (Lortzing.)
was zur Genüge durch den Umstand bewiesen wird, daß es seit seinem
ersten Erscheinen i. J. 1838 bis z. J. 1888 sieben Auflagen erlebt hat
und soeben, wie uns mitgeteilt wird, die achte Aufl. erschienen ist. Der
Wert des Buches ist durch die 7. Aufl. bedeutend erhöht worden.
Wähi-end in allen vorhergehenden Auflagen, auch in der 6. und 7.,
die Teichmüller besorgt hatte, keine wesentlichen Änderungen an den
Texten der 1. Aufl. vorgenommen worden waren, hat Schultess, der
zunächst die Lehren der vorsokratischen Physiker in einem 1886 er-
schienenen ersten Teile neu bearbeitet hat (dieser ist dann unverändert
in die Ausgabe von 1888 aufgenommen worden), eine sehr sorgfältige
tmd durchgreifende Eevision der Texte wie der erläuternden An-
merkungen veranstaltet. Über den reichen Ertrag dieser mühevollen
Thätigkeit habe ich Berl. Ph. Wschr. 1887, 1173 ff. genaueren Bericht
erstattet, dem ich einige eigene Vermutungen hinzugefügt habe. Eine
weit geringere Umgestaltung hat der Rest des Buches durch Wellmann
erfahren. In dem kurzen Abschnitt über die Sophisten (S. 181 — 191)
hat sich der neue Herausgeber auf unwesentliche Änderungen und Zu-
sätze beschränkt. Vgl. über die Gesamtausgabe H. v. Arnim Deutsche
Littz. 1889, 195 ff. und P. Wendland Berl. Ph. Wschr. 1889, 1308 ff.
Eine Besprechung der achten Aufl. muf] dem nächsten Jahresbericht
vorbehalten bleiben.
Überwegs Grundriß bewährt sich bis auf die neueste Zeit als
ein für die Forschung sehr brauchbares Hülfsmittel. M. Heinz e hat
in den beiden neuesten Auflagen die nicht leichte Aufgabe, die in-
zwischen veröffentlichten zahlreichen Arbeiten zu verwerten und das
Neue dem Alten möglichst anzupassen, im großen und ganzen glücklich
gelöst. Die Bemerkungen, die ich zu der siebenten, 1886 erschienenen
Auflage, in der Berl. Ph. Wschr. 1886, 1589 ff. gemacht hatte, sind
znm guten Teile in der achten berücksichtigt worden, die überhaupt
zahlreiche Verbesserungen und Ergänzungen, weniger im Haupttext als
in den die nähere Ausführung enthaltenden Abschnitten aufweist. Vgl.
meine Besprechung der 8. Aufl. ßerl. Ph. Wschr. 1896, 321 ff.
Die bisher erschienenen 4 Halbbände von Pauly-Wissowa ent-
halten Artikel über die Vorsokratiker Alkmaion, Anaxagoras, Auaxi-
mander, Anaximenes, Antiphon soph., Archelaos, Archytas, sämtlich
von E. "Wellmann verfaßt (nur an dem über Archytas hat v. Jan
mitgearbeitet), die ihren Gegenstand in kurzer, aber sachgemäßer Weise
und mit geschickter Verwendung der wichtigsten Forschungsergebnisse
behandeln. Die Gestalt der Erde bei Anaximander hätte nicht „teller-
förmig* genannt werden sollen: sie hat die Form einer Walze, deren
eine Oberfläche, die von uns bewohnte, wahrscheinlich als gewölbt an-
zusehen ist (vgl. Hippolyt. I 6, 8 und dazu Doxogr. 218 f. u. Zeller 226, 4).
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 217
"Wenn Hultsch in dem gleichfalls die Ansichten einzelner Vorsokratiker
berührenden Artikel , Astronomie" II 1832. wie es scheint, sich den Mantel
dieser Walze als den bewohnten Teil vorstellt, so ist dies ein durch die
angeführte Hippolytosstelle leicht zu widerlegender Irrtum.
A'on neu erschienenen, die gesamte griechische Philosophie in
einem Bande umfassenden Werken, nennen wir die zu unserer Kenntnis
gekommenen; die außerdem noch, besonders in Italien und England, er-
schienenen lassen wir, da sie vermutlich keinen besonderen wissenschaft-
lichen Wert haben, unerwähnt:
56. Eduard Zell er, Grundriß der Geschichte der griechischen
Philosophie. Leipzig 1883. * Vierte Aufl. Leipzig 1893. X, 317 S. 8.
57. W. Windelband, Geschichte der alten Philosophie (J.Müllers
Handbuch der klassischen Altertumswissenschaft, 5. Band, 1. Abt. =
11. Halbband S. 115—337) Nördlingen 1888. gr. 8. — Dasselbe:
Zweite sorgfältig durchgesehene Aufl. Müuchen 1894. VIII, 228 S.
gr. 8. Dazu als Anhang: S. Günther, Abriß der Geschichte der
Mathematik und der Naturwissenschaften im Altertum.
58. K. Chr. Fr. Krause, Abriß der Geschichte der griechischen
Philosophie. Aus dem handschriftlichen Nachlaß herausg, von P. Hohl-
feld und A. W^linsche. Anhang: Die Philosophie der Kirchenväter
und des Mittelalters. Leipzig 1893. VIII, 100 S. 8.
59. A. W. Beun, The Greek philosophers. In two volumes.
London 1882. gr. 8. Vol. I: XXXII, 402 S.
60. Ch. B6nard, La philosophie ancienne. Histoire generale
de ses systemes. I. partie: La philosophie et la sagesse orientales.
La philosophie grecque avant Socrate. Socrate et les Socratiques.
Etudes sur les sophistes grecs. Paris 1885. CXXVIII, 398 S. 8.
61. C. F. Savio, Storia della filosofia. La filosofia occidentale
prima deir eva cristiana. Torino 1888. 280 S. 8.
62. Ellen M. Mitchell, A study of Greek philosophy. With
an introduction by W. B. Alger. Chicago 1891. XXVIII, 282 S. 8.
Zeller hat in seinem Grundriß, unterstützt durch seine lang-
jährige Erfahrung als akademischer Lehrer, mit vielem Geschick den
überreichen Stoff des größeren Werkes in einen engen Rahmen gefaßt,
ohne an der Einteilung und Anordnung etwas zu ändern: hinzugefügt
ist nur eine für Anfänuer wertvolle kurze Übersicht der Quellenschriften
und anderer Hülfsmittel. Da mir die späteren Autlagen nicht zuge-
gangen sind, so kann ich nicht angeben, welche Änderungen Z. in ihnen
vorgenommen hat. Die erste Aufl. habe ich Berl. Ph. Wsch. 1884, 396 ff.
besprochen. Dort habe ich u. a. darauf hingewiesen, daß die überlieferte
218 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
systematische Behandlung der vorsokratischcii Philosophen, die auch bei
Zeller, wiewohl in freringerem Grade als bei Schwegler-Köstlin, Erd-
mann u. a. vorwaltet, den neuesten Forschungen gegenüber sich kaum
mehr werde aufrecht erhalten lassen und einer mehr entwickelnden,
genetischen Darstellung werde Platz machen müssen. In dieser Richtung
ist dann zuerst Windelband entschlossen vorgegangen und hat die
herrschende Tradition offen durchbrochen. Nachdem er in der Ein-
leitung unter den „Vorbedingungen der Philosophie im Geistesleben
des 7. und 6. Jahrhunderts" auch der „sittlich-religiösen Reformation
des Pythagoras" einen Platz angewiesen hat, behandelt er nach-
einander: 1. die milesische Naturphilosophie; 2. den metaphysischen
Grundgegensatz. Heraklit und die Eleaten-, 3. „die Vermittelungsver-
suche" einerseits der pluralistischen und mechanistischen Theorieen des
Empedokles, Anaxagoras und Leukipp, andererseits der Pythagoreer
mit ihrer Zahlenlehre, 4. die griechische Aufklärung. Die Sophistik
und Sokrates; 5. Materialismus und Idealismus. Demokrit und Piaton;
6. Aristoteles. Diese dem wahren oder doch wahrscheinlichen Ent-
wickelungsgange des griechischen Denkers in höherem Maße als die
bisher übliche entsprechende Einteilung hat es dem Verf. ermöglicht,
die inneren Beziehungen und die folgerechte Entwickelung der philo-
sophischen Theorieen schärfer und anschaulicher als seine Vorgänger
darzulegen. Als ein besonderer Vorzug der neuen Anordnung ist die
dem Heraklit zwischen den beiden ersten sogen. Eleaten zugewiesene
Stellung und die Ansetzung Demokrits hinter den übrigen Vor-
sokratikern zu betrachten. Nicht so unbedingt kann man der völligen
Ausscheidung des Pythagoras aus der Reihe der Philosophen zustimmen,
da bei aller Unsicherheit der Überlieferung über seine philosophischen
Lehren doch die "Wahrscheinlichkeit dafür spricht, daß die erste An-
regung zu den astronomisch-physikalischen Spekulationen und zu der
Zahlenlehre seiner Schule auf ihn zurückzuführen ist. Was die Be-
handlung der Atomistik betrifft, so hätte nach Aristot. d. an. I 1 404 a5
dem Leukipp nicht bloß die metaphysische Grundlegung der physi-
kalischen Lehren, sondern auch die atomistische Begründung der
Seelenlehre, die W. dem Demokrit vorbehalten hat, beigelegt werden
sollen. Auch mußte Leukipp an die Spitze der vermittelnden Philo-
sophen gestellt werden, da, wie Diels gezeigt hat, Empedokles in
einzelnen Punkten von ihm abhängig ist. Bedenklich erscheint auch,
daß W. sich nicht damit begnügt hat, Demokrit auf die Sophisten folgen
zu lassen, sondern ihn ganz ans dem Zusammenhange mit den Vor-
sokratikern gelöst und neben Piaton gestellt hat. Es muß vielmehr
Demokrit, der von der sokratisch-platonischen Begriffsphilosophie, soweit
wir urteilen können, noch unberührt geblieben ist, dem Sokrates voran-
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 219
gehen. Wenn damit zugleich Sokrates wieder von den Sophisten ge-
trennt und in seiner Bedeutung als Urheber einer neuen Phase des
griechischen Denkens hervorträte, so könnten wir dies nur als einen
Gewinn ansehen. Was die Darstellung des Inhalts der einzelnen
Systeme betrifft, so hat W. den reichhaltigen Stolf durchweg in eigen-
artiger und fesselnder Weise behandelt und mit echt philosophischem
Blick für das Wesentliche eiuer jeden Theorie zu einem wohlgefUgten
Ganzen gestaltet. Nur hin und wieder hat er einem gewissen Neuerungs-
triebe zu sehr nachgegeben, z. B. in der Charakterisierung des Anaxa-
goreischen vou; als „Denkstoff", und sich durch die zuversichtlich vor-
getragenen Veimutungen anderer wie die Hirzels und Natorps über
Demokritspuren bei Piaton zu sehr bestimmen lassen. Das Nähere
8. in meinen Besprechungen der ersten Aufl. Berl. Ph. Wschr. 1889,
507 ff. und der zweiten ebenda 1894, 428 ff. Vgl. auch Diels Arch.
f. Gesch. d. Philos. II 653 ff., Natorp Philos. Mon.-H. XXVI 356 ff.
und die sehr eingehende Besprechung der 2. Aufl. von Joel Zschr. f.
Philos. CVI (1895), 141-186.
Im entschiedensten Gegensatze zu Windelbands Handbuch ist der
Grundriß des bekannten Schellingiauers Krause für die Geschichte der
Philosophie inhaltlich völlig bedeutungslos, und was die Form betrifft,
so macht ihn die bekannte wunderliche Terminologie seines Verfassers
geradezu ungenießbar. Sehr geringen Wert haben auch die vier an
letzter Stelle augeführten Werke. Benn hat, wie er selbst in der
Vorrede erklärt, für den Abschnitt über die Vorsokratiker (S. 1 — 107)
keinerlei selbständige Quellenstudien gemacht und sich fast ausschließ-
lich Zellers Führung anvertraut. — Benards Buch ist so gut wie
völlig wertlos. Der Verf. ist mit der Litteratur sehr mangelhaft ver-
traut und versteht offenbar wenig Griechisch: die Citate wimmeln von
den schnödesten Fehlern. — In Savios Arbeit ist der Abschnitt über
die Vorsokratiker (S. 16 — 86) im Grunde nichts als eine ziemlich
dürftige Zusammeureihung einzelner Lehrsätze, die oft recht willkürlich
ausgewählt sind und vom modernen Standpunkt aus kritisiert werden.
Neuere Forschungen scheinen kaum berücksichtigt zu sein. Die Verfasserin
von No. 62 befleißigt sich einer klaren und verständlichen Darstellung,
hat aber keinerlei selbständige Studien gemacht.
An dieser Stelle scheint es mir angebracht, einen neuerdings
veröffentlichten, für Schulzw^ecke bestimmten Abriß kurz zu erwähnen.
Er bildet einen Teil der
63. Klassikerausgaben der griechischen Philosophie. I. Sokrates
von K. Lincke. Halle a/S. 1896. XIV, 159 S. 8.
Den pädagogischen Wert der Ausgabe selbst haben wir hier nicht
zu beurteilen und bemerken nur, daß uns ihre Zweckmäßigkeit keines-
220 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
wegs so zweifellos ist, wie sie mehreren Beurteilern des Büchleins er-
scheint. Die Einleitung enthält auf S. 4 — 29 eine Übersicht über die
Vorsokratiker, der sich S. 29 — 39 eine Darstellung der Lehre des
Sokrates, dann S. 39 — 43 in regelloser Weise einige ganz kurze Be-
merkuugen über Piaton, Aristoteles, Xenophon und die andern Sokratiker,
Epikur, die Stoiker, S. 43 — 58 über Xenophons Apologie und Memo-
rabilien sowie über Piatons Apologie und Kriton , endlich S. 59 eine
Zeittafel (von Thaies bis auf den Stoiker Zenon) anschließen. Die
Vorsokratiker werden sehr ungleichmäßig behandelt, einige ziemlich
ansführlich, andere von gleicher oder größerer Bedeutung ganz kurz.
So wird z B. Xenuphanes auf 2, Parmenides nur auf 1, Empedokles
gar nur auf 2/3 Seiten besprochen; die pythagoreische Zahlenlehre
wird viel zu kurz abgethan, von dem Thrasyllschen Verzeichnis der
Schriften Demokrits dagegen ganz überflüssigerweise ein Auszug ge-
geben. Manche Angaben sind richtig und beruhen auf den Ergebnissen
der neuesten Forschung, viele hingegen sind auch unzutreffend oder schief.
Ein Widerspruch ist es, wenn von Zenon gesaut wird, er sei ganz er-
füllt gewesen von dem (parmenideischen) Gedanken des dauernden Seins,
das doch nicht anders als kontinuierlich gefaßt werden kann, und gleich
darauf: er habe Raum und Zeit als diskontinuierliche Größen dar-
gestellt (?).
Wir gehen nun zu den Werken über, in denen einzelne Lehren
oder Eichtungen der griechischen Philosophie behandelt werden:
64. 0. Willmann, Geschichte des Idealismus. In 3 Bänden,
Erster Bd.: Vorgeschichte und Geschichte des antiken Idealismus.
Braunschweig 1894. XIV, 696 S. 8.
65. D. Peipers, Ontologia Platonica ad notionum terminorumque
historiam symbola. Leipzig 1883. XIV, 606 S. 8.
66. E. Hardy, Der Begriff der Physis in der griechischen
Philosophie. I. T. Berlin 18»4. 230 S. gr. 8.
67. Gl. Bäumker, Das Problem der Materie in der griechischen
Philosophie. Münster 1890. XV, 436 S. gr. 8.
68. C. Deich mann. Das Problem des Raumes in der griechischen
Philosophie bis Aristoteles. Leipzig 1893. (Doktordissertation.)
103 S. 8.
*69. F. H. Weber, Die genetische Entwickelung der Zahl- und
Raum begriffe in der griechischen Philosophie bis Avistoteies und der
Begriff der Unendlichkeit. (Dissertation.) Straßburg 1895. 131 S.
70. P. Natorp, Forschungen zur Geschichte des Erkenntnis-
problems im Alterium. Protagoras, Demokrit, Epikur und die Skepsis.
Berlin 1884. VUI, 315 S. 8.
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 221
71. 'laropia xfjC -[vaijeiuc u~o Map7aptT00 Eua^-^eXtoou. 'Ev
"Aftir^vau £x -60 Ti)T:o7pa<petou II. i'axeX>.apiou. Berlin 1885. 159 S. 8.
72. G. Cecca, La teoria della conoscenza nella filn«!ofia greca.
Verona e Padova 1887. 68 S.
73. L. Stein, Die Psychologie der Stoa. B I: Metaph5'sisch-
anthropologischer Teil. Berlin. 216 S. 8. (Berl. Stnd. f. kl. Ph.
u. Arch. III 1.) B. II: Die Erkenntnistheorie der Stoa. Vorangeht:
Umriß der Geschiebte der griechischen Eikeuutnistheorie bis auf
Aristoteles. Ebenda 1888. 389 S. 8. (Berl. Stud. VIII 1.)
74. H. Sieb eck, Geschichte der Psychologie. I. T. 1. Abt.:
Die Psychologie vor Aristoteles. Gotha 1880. XIV, 264 S.
75. A. E. Chaignet, Histoire de la Psychologie des Grecs.
T. I: Histoire de la Psychologie des Grecs avant et apies Aristote.
Paris 1887. XXII, 426 S. 8.
76. Erwin Rohde, Psyche. Seelenkult und Unsterblichkeits-
glaube der Griechen. Freibnrg i/ß. und Leipzig 1894. VII, 711 S.
gr. 8. *2. Anfl. 1897.
77. H. Volger, Die Lehre von den Seelenteilen in der alten
Philosophie. I. T. "Wissenschaftliche Beilage zum Jahresber. des
Kgl. Gymn. zu Ploeu. 1892. 28 S. 4.
78. L. Schmidt, Die Ethik der alten Griechen. In 2 Bänden.
Berlin 1882. B. I 400 S. B. II 494 S. gr. 8.
79. Th. Ziegler, Die Ethik der Griechen und Römer. Bonn
1881 (Neue Ausgabe 1886). IX, 342 S. gr. 8.
80. Ch. E. Luthardt, Die antike Ethik in ihrer geschicht-
lichen Entwickelnng als Einleitung in die Geschichte der christlichen
Moral. Leipzig 1887. VKI, 187 S. 8.
81. Karl Köstlin, Die Ethik des klassischen Alterturas. 1. Abt.:
Die griechische Ethik bis Plato. Tübingen 1887. XII, 494 S. 8.
82. Max Hein ze. Der Eudämonismus in der griechischen Philo-
sophie. I. Vorsokratikei , Demokrit, Sokrates. Abh. d. Kgl. Sachs.
Ges. d. Wiss., phil.-hist. Kl. No. VI, S. 643—758. Leipzig 1884.
116 S. gi. 8.
83. J. Schwarcz, Kritik der Staatsformen des Aristoteles. Mit
einem Anhange, enthaltend die Anfänge einer politischen Litterator
bei den Griechen. Verm. Ausg. Eisenach 1890. V, 138 S. gr. 8.
84. H. Gilow, Über das Verhältnis der griechischen Philo-
sophen im allgemeinen und der Vorsokratiker im besondern zur
griechischen Volksreligion. Berliner Inauguraldissertation. Oldenburg
1896. 117 S. 8.
222 Berichte über die griecbischea Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
85. J. Urwalek, Delphi imd sein Verhältnis zur griechischen
Philosophie. Progr. des niederösterreich. Landesrealgymn. zu Stockeraa
1878. 38 S.
Über Will mann s Buch müssen wir leider das Urteil aussprechen,
daß der um die Philosophie, insbesondere die Pädagogik, so hochver-
diente Verf. hier sich auf einem Irrwege befindet. Seine ganze Be-
trachtungsweise ist ein schlimmer Rückfall in die längst überwundenen
Anschauungen eines Creuzer und Roth, deren letzter namhafter Aus-
läufer Gladisch gewesen ist. Die bedeutendsten philosophischen Systeme
der Griechen gehen nach W. auf eine altüberlieferte Urweisheit zurück,
aus der auch die Ägj'pter, Babylonier, Magier, Inder und Juden ge-
schöpft haben. Als Bindeglieder zwischen den vorgeschichtlichen An-
fängen religiös-philosophischer Spekulation und der eigentlichen Philo-
sophie der Griechen gelten ihm der apollinische Glaubenskreis und die
Mysterienlehre. Zum Beweise dessen werden ohne jede kritische
Prüfung und Unterscheidung Zeugnisse griechischer Schriftsteller von
den ältesten Zeiten bis auf die Neuplatoniker herab beigebracht, die
allesamt nur die subjektive Auffassung ihrer Urheber zum Ausdruck
bringen, aber nicht die geringste historische Beweiskraft haben. Fast
in allen philosophischen Systemen der Griechen entdeckt der Verf.
Spuren orientalischer Weisheit: bei Thaies, der bereits die Seelen-
wanderung gelehrt haben soll (!); bei Pythagoras, Empedokles, Heraklit,
dessen Beeinflussung durch eranische Vorstellungen „von unbefangenen (!)
Forschern (welchen?) nicht mehr (?) in Frage gestellt wird" und u. a.
daraus folgen soll, daß er sein Buch im Archiv der ephesischen Artemis
(war das etwa eine eranische Gottheit?) niederlegte; ebenso bei Demo-
krit und Piaton, der sich wie Pythagoras jüdische (!) Lehren angeeignet
habe, wenn es auch zweifelhaft bleibe, ob er das Alte Testament ge-
kannt habe (!). Dabei werden Pythagoras und seine Schüler, Alt-
pythagoreer und Neupythagoreer kraus durcheinander geworfen, als ob
W. nie die lichtvollen Ausführungen Zellers hierüber gelesen hätte, ja
die neupythagoreischen Fälschungen werden alles Ernstes als echte
Schöpfungen der auf ihren Titeln genannten Verfasser bezeichnet. Selbst
Demokrit hat nach W. nicht nur die Atomenlehre des Kanada benutzt
(s. das zu No. 48 Bemerkte), sondern auch seiner Atomistik zum Trotz
sich dem Einflüsse alter morgenländischer Theologeme nicht verschließen
können. Auch Protagoras war nach dem Zeugnis des Clemens Alex (I)
im Besitze zoroastoischer Geheimlehre, aus der er freilich keine Weis-
heit geschöpft hat (!).
Peipers' vortreffliche Schrift über Piatons Ontologie führen
wir deshalb hier an, weil sie an mehreren Stellen beachtenswerte Bei-
träge zur vorplatonischen Metaphysik liefert. S. 31 ff. werden die
Berichte über die griechisclien Philosophen vor Sokratec. (Lortzing.) 223
Merkmale des Parmenideischen ov scharf uragrenzt. S. 133 ff, wird in
der Stelle Theaet. 152 Bf. die Argumentation des Protagoras von dem
auf die Thesis des Theaetet: aiVÖTj-i; £7it5Tr^[jLT) bezüglichen Platonischen
Zusätze geschieden und der Gedankengang der Stelle erläutert. S. 244 ff.
werden die ontologischen Lehren der älteren Philosophen, soweit sie
für Piaton in betracht kommen, besprochen und besonders über He-
raklit und Demokrit scharfsinnige Bemerkungen gemacht. Der letztere,
auf den P. mit Hirzel Untersuchungen zu Cic. I 146 ff. die Stellen
Sopb. 246 A und E ff. und Theaet. 155 D f. bezieht, hat nach ihm
den Begriff der Substanz zwar nicht ersonnen, aber so weit vorbereitet,
daß ihn Aristoteles leicht finden konnte. Er muß bereits die Substanz,
zu der er außer den Atomen auch die an ihnen haftenden Bewegungen
rechnete, von der Existenz unterschieden haben: nur so erklärt sich,
daß er dem \j.t^ cIv oder |X7)0£v ebenso wie dem &v oder ösv die Existenz
zusprach. Dem Werden, den Handlungen und überhaupt allem nicht
sinnlich Wahrnehmbaren dagegen hat er nach Piaton a. a. 0. die
Existenz abgesprochen. Gegen diese Beweisführung des Verfassers läßt
sich indes manches einwenden. Um dem Dem. so feine logische Distink-
tionen, die übrigens auch sachlich anfechtbar sind (ist denn die Bewe-
gung wirklich etwas sinnlich Wahrnehmbares?) zuzutrauen, müßten wir
noch andere bestimmte Zeugnisse haben als jene Platonstellen, deren
Beziehung auf Dem. überdies von anderen bestritten wird. Auffallend
ist doch, daß Piaton die in Demokrits S^'stem so wichtige Bewegung
übergeht, dagegen von -^dztn und ^evsseu redet, die in den sonstigen
zahlreichen Berichten, vor allem des Aristoteles, über seine Lehre
nirgends erwähnt werden. — S. 544 bringt P. noch einen Nachtrag
über die ssto» bei Philolaos.
Durch Ha r dys Arbeit wird die Kenntnis des Ursprungs und
der Entwickelung des Physisbegriffes in der ältesten Philosophie
wenig gefördert. Nach einigen kurzen Vorbemerkungen über die in
den orphischen Gedichten und bei Epicharm herrschenden Vorstellungen
von der 9UJ1; betrachtet H. die Entfaltung dieses Begriffs zunächst bei
den drei Milesiern und bei Empedokles, den er wunderlicherweise unmittel-
bar an jene anschließt. Diese Erörterungen laufen darauf hinaus, daß
Thaies den Namen 961-.; zuerst von der Welt der äußeren Erscheinungen
auf die Wesensbeschaffenheit der Dinge übertragen habe; von dieser
Höhe sinke der Begriff bei Anaximander und mehr noch bei Anaximenes
zu einer nebensächlichen Bedeutung herab, bis ihm schließlich von
Empedokles jede Bedeutung abgesprochen werde. In Wahrheit melden
uns die glaubwürdigen Quellen über den Gebrauch des Wortes bei den
drei ionischen Physiologen gar nichts, und es ist auch wenig wahr-
scheinlich, daß jene frühesten Denker schon einen so abstrakten Begriff
224 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortring,)
wie die Wesensbeschaflfenbeit der Diuge gebildet liaben. Was Emped.
betrifft, so bat H. die Verse 36 ff. St. mißverstanden. Emped. hat hier
nicht eine neue Bedeutung von 9U!Ttc formuliert, sondern verwirft nur
die von der Mehrzahl angenommene, nach dem herrschenden Sprachge-
brauch als cpuCTi? bezeichnete Entstehung der Dinge, ohne irgendwie da-
mit die Existenz wesenhafter Bestandteile des Seins zu leugnen; dadurch
würde er sich ja auch mit seiner Elementenlehre in Widerspruch ge-
setzt haben. Das Wort (pujtc freilich findet sich bei ihm noch so wenig
wie bei den früheren für die Urstoffe gebraucht. Was über Anaxagoras
gesagt wird, ist vollends unklar und um so überflüssiger, als bei ihm
in den erhaltenen Bruchstücken das Wort überhaupt nicht vorkommt.
Dasselbe gilt für Diogenes Ap,, der eine (föan im allgemeinen Sinne
ebenfalls nicht kennt und nur von einer eigentümlichen , individuellen
Beschaffenheit redet, eine Bedeutung, in der schon Emped. das Wort
ein paarmal gebraucht. Ebenso wertlos sind die Ausführungen über
die Pythagoreer, die den Begriff der cptiat; im Sinne des Alls oder des
Kosmos ausgeprägt haben sollen, was völlig unerweislich ist. Am
schlimmsten springt H. mit Parmenides um, der 96«? außer in der Be-
deutung „Entstehung" V. 66 Mull. = 8, 10 Diels, wo dieser Ausdruck
aber erst durch Mullach willkürlich in den Text gesetzt worden ist,
nirgends gebrauchen soll. Und doch kommt das Wort dreimal (10, 1. 5
und 16, 3 D.) im Sinne von „Wesen" oder „Beschaffenheit" eines
Dinges vor, im allgemeinen metaphysischen Sinne freilich nirgends;
man müßte denn auf den angeblichen Titel seines Werkes: irspi tpudemc
Wert legen, der, so meint H., selbst bei ihm, ,dem Leugner des All
(so!) und der 9611? (?)" hinlänglich motiviert sei, weil auch er sich zum
Vergänglichen und Wahrscheinlichen herabgelassen habe. Auch die
nun folgenden Erörterungen über Heraklit (die wichtigen Frr. 2 und
10, wo uns 9uaic, wie es scheint, zum ersten Male im Sinne der 9u(nc
Tüiv ovTojv begegnet, werden mit Stillschweigen übergangen, das ^{>oc
dvdpiortü SatfjLov ganz verkehrt gedeutet), über das Buch Ttepl otatTTjc. wo
die 9U3i; dvdpturoo eine wichtige Rolle spielt, über Demokrit (daß dieser
nach Simplic. die Atome 9U3tv und nach Stob. 9ujetc nannte, hat H. über-
sehen), endlich über die Sophisten (bei Protagoras werden die wichtigen
Dialoge Kratylos und Theaetet beiseite gelassen) sind ziemlich uner-
giebig und erschöpfen das Thema durchaus nicht. Vgl. die Berichte
von Zeller, Deutsche Littz. 1884, 1452 ff. und von Natorp, Philo».
Mon.-H. XXI 572 ff. Der letztere setzt eine schärfere Scheidung der
verschiedenen Bedeutungen von 9U5tc an die Stelle der mangelhaften
Hardys, berücksichtigt aber gleichfalls nicht genügend den Sprachge-
branch der einzelnen Philosophen. So ist es z. B. nicht richtig, wenn
er bereits Demokrit 9'ji7Gi und vofioj im erkenntnistheoretischen Sinne
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 225
einander gegenüberstellen läßt: Dem. bezeichnet das erste Glied des
Gegensatzes mit Itzt^.
Im graden Gegensatze zn Hardys Arbeit steht die von Bänmker.
der, wie wobl allgemein anerkannt worden ist (vgl. von den zahlreichen
Rezensionen besonders Dum ml er, Berl. Ph. Wschr. 1891, 339 S. and
370 ff., Natorp, Philos. Mon.-H. XXVII, 458 ff.. Siebeck, Zschr. f.
Philos. XCIX 271 ff,), an seine Aufgabe mit großer Sachkunde heran-
getreten ist nnd die tiefere Erkenntnis des verwickelten Problems der
Materie in der griechischen Philosophie bedeutend gefördert hat. Für
die vorsokratische Philosophie (S. 8—109) erwuchsen ihm hierbei ans
der Beschaffenheit der Quellen wie aus dem Mangel an begrifflicher
Klarheit und fester Terminologie bei jenen alten Denkern besondere
Schwierigkeiten. Gleich bei dem Vater der Philosophie können wir
mit Sicherheit nur den einen Satz als gesichert annehmen, daß alles
aus dem "Wasser entstanden sei ; alle sonstigen Mitteilungen, selbst des
Aristoteles, beruhen nur auf Vermutungen. Treffend bezeichnet B. jenen
Satz als eine mißglückte naturwissenschaftliche Hypothese und sieht die
philosophische Bedeutung des Thaies wesentlich nur in der metaphysischen
Erkenntnis, daß der Weltbildung ein gemeinschaftlicher Urstoff zu gründe
liege. Durch Anaximander ist dann der Grundgedanke von der Be-
lebtheit der Materie, den Thaies noch nicht ausgesprochen hatte, wenn
er ihn auch der Sache nach gehabt haben mag, prinzipiell ausgestaltet
worden. Bei Beantwortung der schwierigen Frage nach der Beschaffen-
heit des Anaximandreischen aireipov geht B. sehr vorsichtig zu "Werke,
übertreibt aber diese Vorsicht, wenn er bezweifelt, ob Anax. seinen
Urstoff nicht deutlich und ausdrücklich als räumlich unbegrenzt be-
zeichnet habe (s. Zeller 198). — Anaximenes nähert sich mit seinem
Luftprinzip wieder dem Thaies, führt aber den neuen Gedanken von
der Proportion zwischen Mensch und "Welt (Makrokosmos und Mikro-
kosmos) in die Philosophie ein. — In bezug auf Diogenes Ap. hätte
es Verf. nicht als zweifelhaft hinstellen sollen, ob er ein Vorläufer oder
ein Gegner des Empedokles und Anaxagoras sei, der sich das Gute,
das er bei ihnen zu finden glaubte, angeeignet hat, da die zweite An-
nahme, wie Diels und Zeller nachgewiesen haben, in bezug auf Emped.
zweifellos und in bezug auf Anaxag. höchst wahrscheinlich ist. Als
verunglückt müssen wir den Versuch (S. 18, 2) bezeichnen, einen nur
bei dem unglaubwürdigen Epiphanios adv. haer. (s. Doxogr. 177) vor-
kommenden Atomiker Diogenes, angeblich aus Kyrene oder Smyrna,
anstatt des ApoUoniaten einzuschmuggeln. — Besonders lichtvoll und
beachtenswert erscheint uns die Besprechung der Hauptpunkte der Lehre
Heraklits. In dieser ist nach B. von weit größerer Bedeutung als die
Bestimmung des ürstoffes als Feuer die Flußlehre, die man indes weder
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVI. (1898. L) 15
226 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
mit Schuster verflüchtigen noch mit den späteren Herakliteern über-
treiben darf. Her. selbst wollte wahrscheinlich nur den Gredanken aus-
sprechen, daß, wie die ganze Welt, so auch alles in ihr, in oft lang-
samem und allmählichem, aber immer unaufhaltsamem Gange vergehe,
um für anderes Platz zu machen, das in gleicher Weise vergehen wird.
In der Auffassung der Lehre vom Gegensatz macht Zeller nach Bäumkers
Meinung dem Standpunkte Hegels und Lassalles ohne zwingenden
Grund gewisse Konzessionen (vgl. dagegen Zeller 682, 1). B. selbst
glaubt in den Bruchstücken Heraklits eine Einheit der Gegensätze nur
in dem Sinne zu erkennen, daß 1. zwei entgegengesetzte Dinge (Vor-
gänge) sich zu gegenseitiger Ergänzung und gemeinschaftlicher Wirkung
verbinden, 2. daß ein Ding (Vorgang) insofern entgegengesetzte Be-
stimmungen vereint, als es entweder a) in Relation zu verschiedenen
Dingen oder b) in verschiedeneu Eutwickelungsstufen betrachtet wird.
So ist dem Her. aller Gegensatz nur ein relativer. — Bei den Pytha-
goreern schließt sich B. in der Auffassung der Zahlen und ihrer Ele-
mente an Zeller au. Wenn die Pythagoreer ein Leeres annahmen, das
aus dem unendlichen Hauche in die Welt eintrete, die es einatme, und
zugleich behaupteten, dieses Leere sei in den Zahlen und trenne ihre
Natur, so sucht der Verf. nicht wie andere diesen Widerspruch hinweg-
zudeuten (s. die Besprechung S. 41, 3 der schwierigen Stelle Aristot.
phys. 213 b24), sondern sieht darin nur die Unklarheit des altpytha-
goreischen Standpunktes, die erst von Philolaos überwunden worden
ist; diesem war, wie wir annehmen dürfen, das Unbegrenzte die reine
Ausdehnung sowohl im Sinne der Ausdehnbarkeit ins Unendliche wie
auch in dem der Teilbarkeit ins Unendliche. Die Ableitung der Linie
aus der einfachsten Bestimmtheit, dem Punkte, der Fläche aus der
Linie und des Körpers aus der Fläche durch fortgesetzte Begrenzung
des Unbegi'enzten und die daraus sich ergebende Auffassung alles Körper-
lichen als einer Summe von Einheiten war für die Erklärung der phy-
sischen Körper mit ihren sinnenfälligen Eigenschaften unzureichend und
bot der Kritik Zenons ein willkommenes Angriifsfeld (vgl. l'annery
seience hellene). — Aus der Darstellung der Lehre des Parmenides ist
folgendes hervorzuheben. Der moderne, subjektive Idealismus ist dem
P. fremd (er hat nicht etwa behauptet, daß das Sein ein Denken sei,
sondern umgekehrt, daß auch das Denken ein Sein sei); seine Lehre
ist vielmehr ausgeprägter Noumenalismus oder Begriffsrealismus (V).
Freilich hat er zunächst nur das Seiende im Auge, wenn er jede Ver-
änderung, jedes Entstehen und Vergehen leugnet; aber da er nirgends
dem Inbegriff des Seienden gegenüber von verschiedenem Verhalten der
einzelnen Seienden redet, so dürfte es der inneren Tendenz seines Ge-
dankens entsprechen, das Werden und Vergehen, die örtliche und qua-
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 227
litative Veränderung überhaupt für Sinnenschein zu erklären. In seinen
grundlegenden Erörterungen will Parra. nur das als wirklich gelten
lassen, was sich aus dem Veruunftbegriff des Seins ableiten läßt, alle
sinnentälligen Eigenschaften dagegen zum bloßen Schein herabdrückeu;
aber es gelingt ihm nicht, diesen Standpunkt unverrückt festzuhalten,
indem sich ihm mit jenen begrifflichen Elementen in inniger Durch-
dringung andere verbinden, die das ov doch wieder als körperlich er-
scheinen lassen. In dieser Darstellung wird meines Erachtens das be-
griffliche Element in der Lehre des Eleaten zu sehr isoliert und das
materielle als ein gewissermaßen zu dem fertigen abstrakten Seinsbegriff
nur Hinzukommendes und so im Widerspruch mit ihm Stehendes auf-
gefaßt. In Wahrheit war für Parra. wie für alle vorsokratischen
Denker das Stofflich-Räumliche von dem Geistigen noch völlig unge-
trennt, und er vermochte sich das Seiende von vornherein nur als ein
Volles, Raumerfüllendes vorzustellen (s. Zeller 564 f.) — Bei Melissos
findet B. in mancher Hinsicht eine Wiederannäherung der eleatischen
Lehre au die physikalischen Vorstellungen der früheren. Wenn er aber
hierbei aus Er. 5 folgert, daß Mel. die Unbeweglichkeit auf das All
in seiner Totalität beschränkt, dagegen eine Bewegung innerhalb des
Vollen angenommen habe, so hat er nicht beachtet, daß dieses Er., wie
Pabst (s. u.) erwiesen hat, nicht zu den echten gehört. Bedenklich er-
scheint auch die Behauptung, daß in Fr. 16 keine Leugnung der Körper-
lichkeit des Seienden vorliege, da als Subjekt hier nicht das ov, sondern
ein anderer nicht mehr zu ermittelnder Gegenstand (?) anzusehen sei. —
Li den Argumenten Zenons stellt B. mit Tanneiy, ohne ihn zu nennen,
die Polemik gegen die Vielheit in den Vordergrund, geht aber nicht»
wie der französische Gelehrte, so weit, zu leugnen, daß Zenon über-
haupt die Realität der Bewegung bestritten habe. — Von den jüngeren
Naturphilosophen behauptet B., daß sie nicht, wie die meisten Forscher,
z. B. auch Windelband, mit Zeller annehmen, das Bestreben gehabt
hätten, den Gegensatz zwischen Parmenides und Heraklit zu überwinden •-
den Begriff des Werdens hätten sie nicht erst dem Heraklit zu ent-
nehmen brauchen, knüpften auch thatsächlich nicht an die eigentümliche
Auffassung dieses Begriffes bei Her., sondern an die gemeinen Vor-
stellungen der Hellenen an; die Synthese zwischen Parm. und Her.
habe erst Piaton vollzogen. Aber es widerspricht doch aller Wahr-
scheinlichkeit, daß eine so bedeutende Erscheinung wie die Heraklits
auf die ihm zunächst folgenden Philosophengenerationen ohne jeden
Einfluß geblieben sein sollte, und wenn es auch richtig ist, daß die An-
knüpfungspunkte an Parm. bei den .Jüngeren deutlicher hervortreten
als die an Her., und daß Aristoteles da, wo er über den Ursprung der
15^
228 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Atomistik redet, nur deren Zusammenhang mit den Eleateu, nicht aber
den mit Her. erwähnt, so ist doch andererseits unbestreitbar, daß die
Späteren aus dem Begriffe des Parmenideischeu ov neben dem Merkmale
der Einheit vor allem das der Unbeweglichkeit wegließen und die, wie
ihnen doch bekannt sein mußte, thatsächlich zuerst von Her. nachdrück-
lich betonte Bewegung als ein selbstverständliches Postulat ansahen. —
In Empedokles sieht B. einen Vorläufer der Atomistik, der namentlich
durch die mit seiner Leuguung des Leeren allerdings im Widerspruch
stehende Poren- und Ausflußtheorie den Atomikern die Grundlage für
ihre diskontinuierliche, durch leere Zwischenräume getrennte Materie
geboten habe. Demgegenüber ist auf Diels' Abhandlung über Leukipp
und Demokrit zu verweisen, wonach sich Emp. vielmehr in seiner
eklektischen Weise die Porentheorie von Leukipp angeeignet hat, die
Begründung der Atomistik durch den letzteren also vor ihn zu setzen
ist. Daß auch Anaxagoras den Leukipp voraussetzt, hat Zeller S. 1016
wahrscheinlich gemacht, dessen Begründung mir durch Bäumkers Ein-
wendungen nicht entkräftet zu sein scheint. Den voüc des Anaxagoras
faßt Verf. mit vollem Rechte im Gegensatze zu Natorp und Windel-
band, die ihn zum feinsten aller Stoffe machen, als etwas seinem Wesen
nach Unstoffliches auf. Von den Atomikern bemerkt er, sie seien zu
der Zurückführung des Qualitativen auf das Quautitave nicht durch eine
Analyse der objektiven Naturprozesse gekommen, sondern durch er-
kenntnistheoretische und psj'^chologische Erwägungen. In dem Abschnitt
über die Sophisten geht er näher auf die im Theaetet entwickelte Sen-
sationstheorie (s. besonders die Erörterung über die Bedeutung des
Imperfektums in zb Tiäv xivrisi« ^v) und spricht sich dabei gegen die An-
nahme einer völlig substratlosen Bewegung bei den Protagoreern aus.
Deichmanns Dissertation, die sich ihrem Thema nach mit dem
Bäumkerschen Werke nahe berührt und häufig auch auf dieses Bezug
nimmt, ist eine fleißige Arbeit, die auch für Piaton und Aristoteles zu
bestimmten und, wenn auch bestreitbaren, so doch beachtenswerten Er-
gebnissen gelangt. Nicht das Gleiche gilt von dem Abschnitt über
die Vorsokratiker (S. 7—34). D. bewegt sich hier zu sehr in zweifel-
haften Vermutungen und beachtet zu wenig, daß jene dialektisch noch
ungeschulten Philosophen insgesamt und nicht etwa bloß die Hylozoisten
noch kein selbständiges Raumproblem kannten; ein solches tritt zuerst
bei Piaton auf. Um so zweckloser erscheint es, daß Verf. die Frage
erörtert, ob die Vorsokratiker eine übersinnliche Realität des Eanmes
angenommen und welche Eigenschaften sie ihm beigelegt haben. In
der That ist denn auch der Ertrag seiner Untersuchung dieses Punktes
gleich Null; denn die Entdeckung, daßZenon die „transcendente RealitXt"
des Raumes bekämpft habe, ist doch wohl kaum ernst zu nehmen.
Berichte über die griechischen Philosophen vorSokrates. (Lortzing.) 229
Einzelne Bemerkungen sind nicht ohne Wert; so, was im Anschluß an
Berger und Diels über die Bedeutung der Worte xa xaxü) 8' k oTretpov
xavet bei Xenophanes Fr. 12 gesagt wird. Den Widerspruch in der
pythagoreischen Auffassung von aTretpov und xevov will D. mit Bäumker
,s. zu No. 67) durch die Annahme erklären, daß die Pythagoreer das
ünbegi-enzte nicht bloß als unendlich ausgedehnt, sondern auch als un-
endlich teilbar faßten und es in diesem letzteren Sinne als ein (lexa^ti
die einzelnen Teile des Begrenzten voneinander trennen ließen und be-
merkt dazu nicht unzutreffend, daß eine solche Auffassung durch die
Ableitung des i'-eipov vom Graden, das xaxa xtjv of/oxoixt'av unbegrenzt
sei, gestützt werde. Ob die Schwierigkeiten der Stelle Äristot. 213 b24
damit freilich beseitigt sind, ist fraglich. Wenn aber D. auch den
Atoniikern einen ins Unendliche teilbaren Raum zuschreibt, weil sie die
Atome zwar wegen ihrer Stetigkeit unteilbar nannten, ihnen aber doch
eine, wenn auch mit den Sinnen nicht wahrnehmbare Gfröße zuschrieben,
so widerspricht eine reale Teilbarkeit ins Unendliche (denn um eine
solche, nicht um eine mathematische handelt es sich hier) offenbar der
Unteilbarkeit der Atome. Die Zahl der Atome ist dem Demokrit nicht,
wie D. zu glauben scheint, deshalb unendlich, weil die Atome selbst un-
endlich klein sind, sondern weil sie den unendlichen Raum erfüllen. Vgl.
die Berichte von Döring, Litt. C.-Bl. 1894, 267 f. und von Dümmler,
Berl. Ph. Wschr. 1894, 746 ff.
Natorps wertvolle „Forschungen", über die ich Berl. Ph. Wschr.
1884, 1518 ff. berichtet habe (vgl. H. Siebeck, Philol. Anz. XIV 548 ff".)
enthalten unter ihi'en sechs Abhandlungen zwei in unser Gebiet fallende,
von denen die eine (S. 9 — 62) die Ansicht von Grote, Laas und Halb-
fass, Piaton habe im Theaetet den Satz des Protagoras entstellt und
fast in sein Gegenteil verkehrt, siegreich bestreitet und die wahre
Meinung Piatons in überzeugender Weise klarlegt. In der anderen
Abhandlung (S. 164 — 208) sucht N. die Erkenntnistheorie Demokrits
von scheinbaren Widersprüchen zu befreien. Die lehrreiche, im einzelnen
viel Treff"endes enthaltende Beweisführung schießt doch in ihrem End-
ergebnis über das Ziel hinaus und legt dem Dem. fremde Gedanken
unter. In einer dritten Abhandlung: „Die Erfahrungslehre der Skep-
tiker und ihr Ursprung" beschäftigt sich N. S. 149 ff. wiederum mit
Protagoras. Er zieht aus verschiedenen Stellen des Theaetet, des Pro-
tagoras und der Republik Piatons den Schluß, daß der wahrscheinliche
Urheber der Lehre von der empirischen crri|jLeiti> jt? , d. i. Zukunftsbe-
rechnung, die Piaton bekämpft habe, Prot. sei. Auf die Einzelheiten
dieser Untersuchungen können wii* erst später eingehen.
Die Arbeit von Evangelides bespricht, größtenteils im engen
Anschluß an Zeller, die Entwickelung der Erkenntnislehre in der vor-
230 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokratcs. (Lortzing.)
sokratischeu Philosophie. Wo der Verf. von Zeller abweicht, sind seine
Behauptungeu meist unzutreffend und willkürlich.
Cescas Buch bezeichnet Natorp Philos. Mon.-H. XXV (1889),
488 ff. als wenig wertvoll; die vorsokratische Periode sei darin un-
genügend behandelt.
Von dem für die Kenntnis der stoischen Psychologie und Er-
kenntnistheorie als bedeutungsvoll anerkannten Werke Steins be-
schäftigt sich der dem zweiten Bande vorausgehende Umriß auf S. 1 —
52 mit der vorsokratischen Erkenntnislehre. Was Verf. über Parme-
nides, Heraklit und Empedokles beibringt, ist im ganzen zu billigen.
Treffend wird der Grundgedanke Schusters, daß Her. ein Sensualist sei,
zurückgewiesen und der Rückschritt in der Erkeuntnisfrage bei Emped.
hervorgehoben. Weniger können wir uns mit den Ausführungen über
Demokrit und die Sophisten einverstanden erklären. Schon das ist falsch,
daß die eigentliche Erkenntnistheorie nicht mit Dem., sondern erst nach
diesem mit Protagoras beginnen soll. Dies ist schon deshalb einfach un-
möglich, weil Dem. die Lehre des Prot, bekämpft hat. Zugeben kann man,
daß Dem. die Erkenntnislehre noch nicht systematisch behandelt hat,
und daß seine hohe Schätzung des menschlichen Geistes im Vergleich
zu dem Körper mehr im ethischen als im metaphysischen und erkenntnis-
theoretischen Sinne zu verstehen ist. Indes von einer systematischen
Behandlung kann auch bei Prot, keine Rede sein. Vollends verfehlt
ist die Art, wie St. sich die eiocoXa Demokrits und ihre Wirksamkeit
vorstellt. Diese sind keineswegs, wie er glaubt, von den Ausflüssen
verschieden, sondern mit ihnen identisch; ein Zusammenprallen der Aus-
flüsse, die ja keine Atome, sondern nur feine Abdrücke von Atomen-
komplexen sind, ist undenkbar; die geringere Deutlichkeit der Gesichts-
eindrücke bei größerer Entfernung wird nicht durch die geringere
Energie des Zusammenstoßes, sondern durch das Medium der Luft
bewirkt, in der sich die sioioXa abdrücken (s. Zeller 913 f.). Wenn
St. dann den Unterschied der -^vr^cjirj und a/.oTtVj YvwfjLr) bei Dem. nur
in ihrem Deutlichkeitsgrade, nicht in ihrem Ursprünge begründet glaubt,
und trotz der von Sextus Emp. überlieferten authentischen Aussprüche
des Abderiten unter Berufung auf gewisse Äußerungen des Aristoteles,
in denen dieser von seinem Standpunkte aus Konsequenzen aus Demokrits
Lehre zieht, eine scharfe Entgegensetzung beider Erkenntnisarten nicht
zugeben will, so können wir hierin nur einen entschiedenen Rückschritt
gegen Natorps feinsinnige Untersuchung erkennen. Wie oberflächlich
St. diese ganze Frage behandelt, geht schon daraus hervor, daß er den
fundamentalen Unterschied der primären und sekundären Eigenschaften
bei Dem. und die damit zusammenhängende Frage der Subjektivität
der Sinneswahrnehmungen kaum berührt. — Von Protag. wird behauptet.
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 231
bei ihm trete znm ersten Male die bei Dem. nur keimarti^ angedeutete
Unterscheidung des Dinges an sich und seiner Erscheinung, der sub-
jektiven und objektiven Beschaffenheit in voller Klarheit auf. Nach
dem eben Gesagten wird hier das Verhältnis zwischen beiden Philo-
sophen geradezu umgekehrt. Protag. redet, wie Dilthey (s. zu No. 46)
dargelegt hat, überhaupt nur von den Qualitäten der Dinge, nicht von
ihrer Substanz, und er hat so wenig Sein und Schein voneinander ge-
trennt, daß man vielmehr sagen kann: er hat den Schein mit dem Sein
verwechselt. Ebensowenig ist eine solche Unterscheidung bei Gorgias
zu finden, der nach St. nicht bloß das Sein der Erscheinung, sondern
auch die Existenz des Diuges an sich geleugnet haben soll. Es wird
doch wohl bei Zellers Auffassung (S. 1104. 1) sein Bewenden haben,
daß der Gegensatz von Erscheinung und Ansichsein uns erst bei Piaton
und vor ihm nur in gewissem Sinne bei Demokrit entgegentritt. In
der Auffassung des Protagoreischeu Hauptsatzes erklärt sich Verf. mit
Recht für Natorp gegen Halbfaß. Nur hätte er letzterem nicht zu-
gestehen sollen, daß Protag. außer an Heraklit auch an Anaxagoras
angeknüpft habe; die dafür angeführten Argumente sind bündig von
Natorp S. 51 widerlegt worden. — Im ersten Bande finden sich ge-
legentlich beachtenswerte Bemerkungen über Heraklits Philosophie, wie
S. 21 f. Anm. 27 über die Bedeutung des mit Bezug auf die ^'U'/^ ^^^
Heraklit von Aristot. d. an. 405 a 27 gebrauchten Ausdrucks aswfxaxcu-
-axov, S. 72 Anm. 108 über den Uuterscliied von TtpTjs-n^p und oi^>^(r^ und
S. 72 mit Anm. 109 über die zaXivrpoTro; apfi-ovir).
Siebeck leitet seine Arbeit ein mit einer Betrachtung über die
anfängliche Auffassung der Menschen von dem Verhältnis zwischen
Leib und Seele, bespricht kurz die verschiedenen indischen Sj^steme
und etwas genauer die ältesten giiechischen Vorstellungen über die
Seele (Homer, Orphiker, Pherekydes) und geht dann zu einer ein-
gehenden Darstellung der vorsophistischen Psychologie über. Die Ein-
teilung dieses Abschnittes in: „1. Die prinzipielle Auffassung des "Wesens
der Seele bei den Philosophen; 2. Die Anfänge der medizinischen
Psychologie; 3. Die Lehre vom Erkennen: A) Sinnesphysiologie, B) das
Wesen der Erkenntnis; 4. Vereinzelte Beobachtungen empirisch-psycho-
logischer Vorgänge. Behandlung der psychophysischen Fragen" leidet
an dem Mangel eines festen Einteilungsprinzipes und ist in Anbetracht
der doch im ganzen recht dürftigen Überlieferung viel zu speziell, so
daß mannigfache Wiederholungen fast unvermeidlich geworden sind. Auch
die Ordnung, in der die einzelnen Philosophen vorgeführt werden, muß
Bedenken erregen. Im 1. Kap. schließt sich an die drei Milesier sofort
Heraklit an, den S. gleich jenen als Monisten bezeichnet. Darauf folgt als
232 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Übergang zwischen dem monistischen und dualistischen Gredauken Em-
pedokles (?), dann die Eleaten, Pythagoras, Anaxagoras und Diogenes,
während Demokrit überhaupt erst im 3. Kap. auftritt, als ob die Vor-
hergehenden etwa das Wesen der Seele selbständiger erfaßt und genauer
bestimmt hätten als er. Diese die geschichtlichen Zusammenhänge
zerreißende Reihenfolge hat dazu geführt, daß S. an einigen Stellen
den falschen Schein erregt, als ob er nicht wisse, daß Empedokles und
Demokrit später als die Pythagorer und Parmenides aufgetreten sind.
Nicht loben können wir es endlich, daß Verf. das Psychologische nicht
schärfer von dem Erkeuntnistheoretischen und Physiologischen gesondert
hat. Aber trotz dieser Mängel ist die Ai'beit doch als eine verdienst-
liche zu bezeichnen, wenn wir sie auch der von Bäumker (No. 67) an
Bedeutung nicht gleichsetzen möchten. In Heraklits Lehre wird der
Parallelismus des Universums mit dem menschlichen Organismus schön
dargelegt, während die schwierige Frage, ob der Ephesier die Unsterb-
lichkeit der Seele gelehrt hat, in etwas unklarer Weise beantwortet
wird. Bei Empedokles sucht S. den Widerspruch zwischen seiner
wissenschaftlichen und religiösen Auffassung des Seelischen durch Ver-
mutungen zu beseitigen, die schwerlich das Richtige treffen. Was von
den Eleaten gesagt wird, ist zu kurz und nicht einmal durchweg zu-
treffend. Vergeblich bemüht sich Verf., die angeblich altpythagoreische
Ansicht, die Seele sei eine sich selbst bewegende Zahl, gegen Zeller als
echt zu erweisen. Im 3. Kap. wird Demokrits Erklärung der Sinnes-
Wahrnehmungen sowie seine Unterscheidung zweier Arten der Erkenntnis
sachgemäßer erörtert als bei Stein. Daß S. den Abderiten zu sensua-
listisch auffaßt, kann uns bei ihm weniger in Verwunderung setzen als
bei Stein, da damals die Natorpschen „Forschungen" noch nicht er-
schienen waren. Im 1. Kap. des 2. Abschnitts werden die Sophistik
und Sokratik behandelt. Den Satz des Prot, faßt S. wie später Natorp
im individualistischen Sinne auf und erörtert hierbei schwierige Stelleu,
wie Theaet. 156 D und 157 B genauer. Vgl. die Besprechungen von
H. V. Kleist Phil. Anz. 1881, 543 ff. und von P. Natorp Philos.
Mon.-H. 1885, 384 ff., der meines Erachtens die Vorzüge des Buches
zu wenig anerkennt.
Völlig wertlos ist die Darstellung der Vorsokratiker im ersten
Bande des Werkes von Chaignet, die, jeder wissenschaftlichen Quellen-
kritik bar, von den Lehren der Philosophen ein unzulängliches, vielfach
verzeichnetes Bild giebt und die unglaublichsten Irrtümer enthält.
Rohde hat in seinem berühmten Buche auch die psychologischen
Lehren der Vorsokratiker näher besprochen und durch treffliche Be-
merkungen unsere Kenntnis dieser Lehren bereichert und berichtigt.
Da uns indes die neueste Auflage, die der Verf. noch selbst kurz vor
ßerichle über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 233
Beinern füi* die Wissenschaft zu frühen Tode vollendet hat, und die nach
einer Besprechung in der B. Ph. Wschr. auch in diesem Punkte wich-
tige Abänderungen enthält, bisher noch nicht zugegangen ist, so ver-
schieben wir die Besprechung des Buches auf den nächsten Bericht.
Für die erste Auflage sei vorläufig auf E. Wellmann Arch. f. G. d.
Philos. VIII (1895), 290 ff. und H. Weil Journ. d. Savants 1895,
303 ff. und 552 ff. verwiesen.
Volger bespricht die psychologischen Ansichten der älteren
Philosophen sehr kurz (S. 2 — 7) und ohne etwas Neues zu bringen.
Von den Autoren, die die Ethik der Griechen beschrieben haben,
beschränkt sich L. Schmidt, über dessen Buch E. Ziegler Ph.
Rundsch. 1882, 1153 ff. genau berichtet hat, nicht auf die philosophischen
Ansichten über das Sittliche, sondern zieht die gesamte Litteratur, ins-
besondere die Tragiker und Geschichtschreiber, in den Kreis seiner
Betrachtung. Das Werk zerfällt in zwei Hauptteile, von denen der
erste die allgemeinen ethischen Begriffe, der zweite die einzelnen Pflichten-
kreise behandelt. Über die vorsokratischen Philosophen findet sich eine
Anzahl zerstreuter Bemerkungen, die von gründlicher Kenntnis der
Quellen zeugen und größtenteils Beachtung verdienen. Über die mono-
theistische Tendenz der griechischen Philosophie spricht Verf. S. 134 ff.
Wenn er, wie es sich vor den Untersuchungen Freudenthals nicht
anders erwarten ließ, an der rezipierten Auffassung festhält, daß Xeno-
phanes zu den Monotheisten gehöre, so kommt er der Ansicht Freuden-
thals doch darin nahe, daß er Xenophanes die Waffen seiner Polemik
in erster Linie gegen die anthropomorphistische, nicht gegen die poly-
theistische Vorstellung von den Göttern richten läßt. Die Bedeutung
der Demokritischen Ethik weiß Verf. voll zu würdigen (s. z. B. I 163
und II 136 f.J. Auffällig ist, daß er bei den Erörterungen über den
Ursprung des Bösen und die Natur der Sünde I 275 ff'. Aussprüche
üemokrits, die teilweise an Sokrates und Piaton erinnere, nicht erwähnt.
Auch einzelnes Heraklitische war hier zu berücksichtigen. Über den
Begriff der iXiti; bei den Griechen wird IX 69 ff. bemerkt, daß häufiger
das Verderbliche und Trügerische der Hoffnung als das Beseligende be-
tont wird (beide Bedeutungen erkennt Verf. bei Demoki'it fr. 102 N.
vgl. fr. 103). Wenn S. hinzufügt, daß die Bedeutung einer zweifellos
berechtigten Zuversicht bei Pindar vereinzelt vorkomme und im übrigen
erst der Zeit nach den Perserkriegen angehöre, so hat er übersehen,
daß Heraklit fr. 71 eXTcrjat in dem bezeichneten Sinne gebraucht wird;
vgl. auch fr. 122: ojaa oux eXüovtai. Die Vermutung I 379, 11, zu
Demokrit fr. 30 (über -cu/y) und cppovridtj) stehe Herodot VII 10 8 in
einem vielleicht beabsichtigten Gegensatze, beruht auf der wenig wahr-
scheinlichen Voraussetzung, daß Demokrit seine ethischen Aussprüche
234 Berichte über die sriechiechen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
schon vor der Beendigung des Herodofischen Geschichtswerkes ver-
öffentlicht habe.
Von den drei Werken über die griechische Ethik No. 79—81
möchten vfir dem von Köstlin (s. meine Besprechung Berl. Ph. Wschr.
1889, 276 ff.), was Objektivität, Giüudlichkeit und Klarheit in der Auf-
fassung und Darstelhing des Stoffes betrifft, den Preis zuerkennen.
Ziegler hat seinem Gegenstande gleichfalls ein eingehendes und gründ-
liches Studium zugewandt und von der Entwickelung der Sittenlehre
eine lebensvolle und in vielen Punkten zutreffende Darstellung gegeben,
geht aber in der Beurteilung und Wertschätzung der einzelnen Systeme
weit häufiger als Köstlin von subjektiven, vorgefaßten Meinungen aus.
Luthardt endlich, der eine gedrängte, im ganzen sachlich gehaltene,
aber etwas nüchterne und zu wenig in die Tiefe gehende Übersicht der
wichtigsten Systeme bietet, legt von vornherein in seiner Beurteilung
an die gesamte heidnische Ethik den einseitigen Maßstab des christ-
lichen Sittlichkeitsideals (vgl. meinen Bericht Berl. Ph. Wschr. 1888,
1600 ff.). Für die vorsokratische Ethik kommt Luthardt kaum in be-
tracht, da er sie auf 5 Seiten abmacht, wobei die Sophisten, die er
vorher nur wegen ihrer Einwirkung auf die griechische Volksmoral
berührt hat, vermißt werden. Die Behandlung der älteren Lehren bei
Ziegler (S. 21—52) und die bei Köstlin (S. 159—248) haben trotz
mannigfacher Verschiedenheit doch soviel Gemeinsames, daß wir am
besten thun, sie zusammen zu besprechen. Hierbei soll zugleich be-
rücksichtigt werden die Beurteilung des Köstlinschen Werkes, die
Ziegler in den Philos. Mon.-H. 1888, 440-461 unter der Überschrift:
„Zur Geschichte der griechischen Ethik" veröffentlicht und in der er
sich über einige streitige Punkte mit K. auseinandergesetzt hat. In
dieser Besprechung freut sich Z. der Übereinstimmung mit K. in der
von Zeller abweichenden Auffassung (vgl. auch Zieglers Programm-
abhandlung : „Die Anfänge einer wissenschaftlichen Ethik bei den Griechen,
Tübingen 1879, 31 S. 4), daß sich schon bei den Pythagoreern, bei Heraklit
und Demokrit die Anfänge einer wissenschaftlichen Ethik finden. In
der That stehen hierin beide auf einem wesentlich gleichen Standpunkt,
der indessen als irrig bezeichnet weiden muß und uns bei K. um so
mehr befremdet, als er in seiner Oberflächlichkeit von der sachgemäßen
und fast durchweg zutreffenden Beurteilung der Sophisten, des Sokrates
und Piaton auffallend absticht. Bei den genannten Vorsokratikern treten
uns allerdings eine Anzahl ethischer Vorschriften entgegen, deren Zu-
sammenhang untereinander und mit den Grundlehren eines jeden sich
mehr oder minder deutlich erkennen und erweisen lassen mag; aber
keiner von ihnen hat es unternommen, diese Vorschriften systematisch
zu ordnen oder gar aus allgemeinen Grundsätzen abzuleiten und wissen-
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 235
schaftlich zu begründen. Am wenigsten kann von einem wissenschaft-
lichen Charakter der Ethik bei den älteren Pythagoreern die Rede sein.
Das Ethische , was uns von ihnen glaubhaft überliefert wird, hat ein
rein populäres oder religiöses, kein eigentlich philosophisches Gepräge.
Wenn Z. in den auch auf ethische Begriffe sich erstreckenden Zahlen-
speknlationen der Pythagoreer und namentlich in der Definition der Ge-
rechtigkeit als Quadratzahl eine ganz klare Vorstellung vom Wesen des
Sittlichen oder gar in der Tafel der Gegensätze eine vorwiegend ethische
Tendenz ei blickt, so ist dagegen zu bemerken, dal.) durch die Auf-
spürung solcher einzelnen ethischen Beziehungen, selbst wo sie durch
die Überlieferung verbürgt erscheinen (in der Tafel der Gegensätze hat
in Wahrheit nur ein Paar eine ethische Bedeutung), höchstens gewisse
ethische Ansätze, nimmermehr aber ein ethisches Sj'stem erweisen läßt.
K. hält sich von dem gefährlichen Beginnen, die Sittenlehre der Pytha-
goreer aus ihrer Metaphysik abzuleiten, fern und begnügt sich damit,
die überlieferten Aussprüche sittlicher Art (ob und inwieweit solche
altpythagoreisch sind, wird nicht erörtert) zusammenzustellen, um dann
freilich hinzuzufügen, die pythagoreische Ethik sei „eine eigentümliche
und wirklich ans philosophischen Spekulationen hervorgegangene Lehre
von den Pflichten des Menschen". Aber alles von K. Angeführte geht
über den Kreis populärer und theologischer Reflexion, wie wir sie auch
bei den sieben Weisen und in der orphischen Überlieferung finden, nicht
hinaus. Mit Recht hat K. das ,, goldene Gedicht'' ganz beiseite ge-
lassen, da es aller Wahrscheinlichkeit nach späteren Ursprungs ist, und
Z. hätte ihm daraus keinen Vorwurf machen sollen. Wenn er selbst
S. 256 Aum. 51 die Einwendungen gegen die ältere Entstehung des
Gedichts dui-ch die Änderung airoXsi^ias in dT:afiei(];ac (? !) beseitigen zu
können glaubt, so scheint er die betreffenden Untersuchungen von Cobet
und Nauck nicht gelesen zu haben. Aber angenommen, die ypu^ä stct)
wären altpythagoreisch., so würde gerade ihr trivialer Inhalt den besten
Beweis für die unwissenschaftliche Behandlung des Ethischen bei den
älteren Pythagoreern liefern. — Während so bei den Pythagoreern nicht
einmal ein innerer Zusammenhang ihrer moralisierenden Reflexionen mit
ihrem philosophischen Lehrgebäude zu erweisen ist, tritt ein solcher bei
Heraklit deutlich hervor. Es ist nichts dagegen einzuwenden, daß Z.
mit Lassalle den sittlichen Grundgedanken Heraklits als ,, Hingabe an
das Allgemeine" bezeichnet; aber der Begriff des Allgemeinen, mag er
es nun ^uv6v, Xo-ios; oder ösio? vo(j.o; nennen, ist bei ihm kein spezifisch
ethischer: Physisches und Ethisches liegen darin noch ungetrennt und
ungeschieden. Wir haben hier nur den fruchtbaren Keim einer sitt-
lichen Weltanschauung, den zu entfalten späteren Zeiten vorbehalten
blieb. Wir können ja mit K. (S. 186) aus seinen Aussprüchen solche
236 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Lehren herauslesen wie: „Denke und handle objektiv, natnrgemäß,
wahr" und: „sei groß, sei idealisch gesinnt und bereit, diesem Höheren
alles, auch das irdische Ich aufzuopfern"; wir mögen auch mit dem-
selben (S. 188) „etwas im besten Sinne Faustisches" in Heraklits Be-
tonung des den Menschen innewohnenden Strebens nach Abwechselung
und Thätigkeit sehen; aber eine wissenschaftliche Formulierung und
systematische Gestaltung solcher Gedanken sucht man bei dem alten
Denker vergebens. — Auch bei Demokrit sind die Fäden, die seine
ethischen Anschauungen mit seinen metaphysischen und physikalischen ver-
binden, deutlich sichtbar, und ich mache mich anheischig, den Zusammen-
hang zwischen ihnen noch klarer und schärfer nachzuweisen, als dies
Z. und K. thun; aber er selbst hat, soweit wir aus seinen Fragmenten
schließen können, seine ethischen Gedanken mehr aphoristisch aneinander
gereiht als innerlich miteinander verbunden oder gar aus seinen Prinzipien
abgeleitet. In betreff der Echtheit der ethischen Fragmente Deraokrits
stellt sich übrigens Z. im Gegensalz zu Rhodes Skepsis (darüber später)
ganz auf den von mir in der Abhandlung über die eth. Fr. Demokrits
eingenommeneu Standpunkt, während K. S. 197, 1 zwischen den ver-
schiedenen Quellen unserer Überlieferung eine meines Erachtens unzu-
lässige Unterscheidung machen will und die aus Pseudodemokrates
stammenden Bruchstücke ohne hinreichenden Grund beiseite läßt (s. meine
Rezension a. a. O. 279). Nicht übel definiert K. Demokrits Ethik als
„individualistischen Eudämonismus" und hebt bei aller Anerkennung
der hohen Bedeutung seiner Sittenlehre doch die Beschränktheit und
Mangelhaftigkeit seines Standpunktes gebührend hervor, die Z. bei
seiner kritiklosen Vorliebe für Demoki'it entgangen ist. — In der Dar-
stellung der Sophistik spricht sich Z. scharf gegen Grotes Verherrlichung
ans, schießt aber nach der andern Seite über das Ziel hinaus, wenn er
Piatons Berichte über die Sophisten vollkommen zutreffend nennt und
sich zu dem Satze versteigt: „Ihr Prinzip ist, wenn ich mich so aus-
drücken darf, Prinziplosigkeit, ihr Charakter Charakterlosigkeit" (nach
einer Bemerkung in seiner Besprechung des Köstlinschen Buches scheinen
Z. allerdings inzwischen die Untersuchungen von Laas u. a. zu einer
anderen Auffassung bekehi't zu haben). Viel maßvoller und gerechter
ist auch hier die Auffassung Köstlins, der auch den Gegensatz zwischen
den älteren und jüngeren Sophisten weit schärfer betont. Beide Dar-
stellungen leiden indessen an dem Mangel, daß sie die Sophistik zu
sehr als eine feste und einheitliche Richtung des Philosophierens er-
scheinen lassen. Bei beiden vermisse ich auch eine Erörterung über
die (wirklichen oder scheinbaren?) Widersprüche in der Auffassung des
Protagoras vom Staatlichen, wie sie uns bei einer Vergleichuiig gewisser
Stellen in Piatons Theaetet und Protagoras entgegentreten.
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 237
Heinze legt nach einer sprachlichen Erörterung über 5ai|i.a>v,
suSaifituv, oXßto; und [iaxap zunäclist die Auffassung der Eudämonie bei
den älteren Dichtern dar und wendet sich dann zu den ethischen Aus-
sprüchen der vorsokratischen Philosophen. Er bemerkt richtig, daß
nach den vereinzelten Nachrichten über die sittlichen Vorstellungen der
ältesten Philosophen sich diese kaum über den Standpunkt der gleich-
zeitigen Dichter erheben. Als der einzige, bei dem sich Ansätze zu
einer wissenschaftlichen Ethik finden, wird Heraklit bezeichnet (die
Pythagoreer läßt H. im Gegensatze zu Ziegler und Köstliu ganz bei-
seite). Länger verweilt Verf. bei Demokrit und den Sophisten, über
die er im allgemeinen zutreifend urteilt. Näheres hierüber, sowie über
die meines Erachtens falsche Behandlung der Lehre des Sokrates, die
als reine Nützlichkeitsphilosophie, ja gradezu als Hedonismus betrachtet
wii-d, s. in meinem Bericht B. Ph. Wschr. 1884, 1634 ff.
Über die politische Schriftstellerei der Griechen vor Aristoteles
spricht Schwär cz im Anhange des angeführten Werkes S. 111 — 138.
Er ist überzeugt, daß es vor Aristoteles außer den von diesem mit
Namen bezeichneten noch eine große Zahl politischer Schriftsteller gab,
deren Spuren er nachgeht. Hierbei verfährt er aber so kritiklos und
begründet seine oft sehr gewagten Behauptungen so mangelhaft, daß
•wir ihnen nicht die geringste Bedeutung beimessen können.
Von den beiden auf das Verhältnis der griechischen Philosophie
zur Religion bezüglichen Abhandlungen bietet die von Gilow, wenn
sie auch zu keinem neuen wissenschaftlichen Ergebnisse führt, eine
dankensweite, nach bestimmten Gesichtspunkten geordnete Zusammen-
stellung dessen, was wir über das Verhältnis der Vorsokratiker
zur Volksreligion der Überlieferung entnehmen können. Im einzelnen
greift Verf. oft fehl oder stellt sehr bestreitbare Hypothesen auf, vor
denen ihn eine umfassendere und kritischere Benutzung der Quellen
wohl bewahrt haben würde. Namentlich hätte er nicht die Versuche
einer wissenschaftlichen Naturerklärung, wie sie sich bei fast allen
Vorsokratikern finden, als eine Art von Irreligiosität ansehen sollen:
dies waren sie nach der naiven griechischen Anschauung in der älteren
Zeit nicht, solange sie sich innerhalb der ihnen zukommenden Grenzen
hielten; erst in der Zeit der Aufklärung kam man auf den Gedanken,
in der physikalischen Erklärung der Weltkörper, wie sie Anaxagoras
betrieb, einen Angriff auf den Götterglauben zu sehen. — Urwaleks
Arbeit ist nach Inhalt und Form ein so trauriges Machwerk, daß wir
sie am besten mit Stillschweigen übergehen.
Auf spezielle Fragen der griechischen Philosophie be-
zieben sich:
238 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
86. Ed. Norden, Beiträge zur Geschichte der griechischen
Philosophie. Jahrb. f. Philol. Suppl.-B. XIX (1892), S. 368 ff.
m. Philosophische Ansichten über die Entstehung des Menschen-
geschlechts, seine kulturelle Eutwickelung und das goldene Zeitalter.
S. 411-428.
87. Ed. Zell er, Über die griechischen Vorgänger Darwins.
(Aus Abh. der Kgl. preuss. Akad. d. Wiss. Juli 1878) Berlin
1878. 16 S. gr. 8. Wiederabgedruckt in den „Vorträgen und Ab-
handlungen", 3. Sammlung. Leipzig 1884. S. 37 — 51.
88. J. Seh wert Schlager, Die erste Entstehung der Orga-
nismen nach den Philosophen des Altertums und des Mittelalters mit
besonderer Rücksichtnahme auf Urzeugung. Progr. d. Lyceums zu
Eichstätt 1885. VI, 109 S. gr. 8.
89. 0. Apelt, Beiträge zur Geschichte der griechischen Philo-
sophie. Leipzig 1891. V. Die Widersacher der Mathematik im
Altertum. S. 253—286.
Norden geht in seiner Untersuchung von der Thatsache aus, daß
es im Altertum zwei entgegengesetzte Ansichten über die Entwickelung
des Menschengeschlechtes gab, von denen die eine an den Anfang das
goldene Zeitalter setzt, aus dem durch successive Verschlechterung die
heutige Welt geworden ist, während nach der anderen sich die Menschen
von einem tierischen Zustande allmählich zur höchsten Kulturstufe
emporgehoben haben. Ein konsequenter Vertreter der zweiten Ansicht
ist Epikur (N. konnte hinzufügen, daß bereits Demokrit eine ähnliche
Anschauung hatte; s. Zeller 924), und gelegentlich hatten sich auch
schon Peripatetiker wie Theophrast in diesem Sinne geäußert. Aber
die Vorstellung ist viel älter, wie Aschyl. Prom. 212 ff. let)rt. Auch
Protaporas hat derartige Ansichten, wahrscheinlich in dem Buche „über
den Urzustand" (repl xaTaaTcxaeiüc^ ausgesprochen, wie denn überhaupt
die Sophisten mit dem Märchen vom goldenen Zeitalter gründlich ge-
brochen haben. Wenn sich bei Lucrez V 999 if. beide Ansichten kon-
taminiert finden, so ist dies daraus zu erklären, daß dies auch schon
bei Epikur der Fall war, der eine Demoralisation der Menschheit
durch Einführung der Künste annahm (aber durfte ihn dann N. einen
„konsequenten" Vertreter der zweiten Ansicht nennen?). Auch die
epikureische Lehre von der Entstehung des Menschengeschlechts aus
dem Erdschlamm ist älteren Ursprungs. Sie geht nach Censorin. d. die
nat. 4, 9 (^ Epikur fr. 333 U.) auf Demokrit zurück , der seiner-
seits dem Archelaos gefolgt sein wird (Laert. II 17). Die Argumente
bei Lucr. V 818 ff. sind vielleicht Demokrit entnommen. Die Hülle,
Berichte über die griechischeo Philosophen vor Sokrates. (Lortzlng.) 239
aus der die eisten Lebewesen hervorgehen, hat Epikur, vielleicht in
Anlehnung an Deniokrit, nach Analogie des menschlichen Uterus mit
dem Ausdruck „uteri" (Lucr. V 808) benannt.
Zellers gediegene Abb. weist nach, daß in Wahrheit kein an-
tiker Philosoph den Versuch gemacht hat, die vollkommeneren Orga-
nismen sich aus den einfacheren entwickeln zu lassen. Weder bei
Anaximander noch bei Empedokles, von dem dies Lange, Gesch. des
Materialism., mit großer Bestimmtheit behauptet hatte, rechtfertigt die
Überlieferung eine solche Annahme. Der erstere läßt zwar die Menschen
ursprünglich in einer Fischrinde stecken und im Wasser leben-, aber
an eine Anpassung und natürliche Zuchtwahl im Darwinschen Sinne ist
bei ihm nicht zu denken. Aber auch Empedokles darf bei genauer
und richtiger Erklärung der betreffenden Fragmente und doxographischen
Nachrichten nicht als Vorläufer Darwins bezeichnet werden. Zwar hat
er vier Stadien in der Entstehung der lebenden Wesen angenommen;
aber die so geschaffenen Gebilde haben mit Ausnahme der letzteren
keinen Bestand, sondern gehen wieder unter, um Neuschöpfungen Platz
zu machen. Eine Entwickelung der einen aus den anderen findet nur
beim Übergang der ersten zur zweiten Stufe, nicht aber bei den
weiteren Neubildungen statt. Den Gedanken, die zweckmäßige Be-
schaffenheit der Naturerzeugnisse könnte ohne Mitwirkung einer Zweck-
thätigkeit lediglich davon herrühren, daß unter den mannigfaltigen
Wesen, die durch das zufällige Zusammentreffen der naturnotwendigen
Wirkungen entstanden, nur die lebensfähigen sich erhielten, hat zuerst
Aristot. phys. II 8 ausgesprochen, aber nur hypothetisch und um ihn
zurückzuweisen. Wenn er dabei auch gewisse phantastische Schöpfungs-
gebilde des Empedokles erwähnt, so giebt uns das kein Recht, die be-
zeichnete Theorie jenem beizulegen. Auch bei den übrigen vorsokratischen
Philosophen, wie bei Anaxagoras und Demokrit, findet sich keine Spur
einer solchen, und selbst nach Aristoteles haben Epikur und Lucrez,
der dessen Lehre wiedergiebt und dabei auch empedokleische Gedanken
seiner Darstellung einfügt, sich durch die Anregung des Stagiriten
bestimmen lassen, die lebenden Wesen als das Produkt einer natürlichen
Entwickelung von unbestimmter Dauer zu betrachten. — Diese über-
zeugenden Ausführungen Zellers sind meines Erachtens durch die neuerlichen
Versuche Dümmlers und Gomperz' (s. u.), die Darwinsche Lehre bei
Empedokles nachzuweisen, nicht widerlegt worden.
Im nahen Zusammenhange mit der eben besprochenen Frage
steht die von Seh wert Schlager behandelte. Verf. zeigt, daß die
Annahme einer Urzeugung (genei'atio aequivoca oder sensu aequivoco
oder originaria) von den vorsokratischen Philosophen, soweit sie sich
überhaupt über die Entstehung der lebenden Wesen äußern, nämlich
240 Berichte über die griechischen Philoeophen vor Sokrates. (Lortsing.)
von Anaximander, Parmenides. Empedokles, Anaxagoras und Demokrit
ausdrücklich gelehrt oder vorausgesetzt wird. Von Empedokles sagt
er treflfend und im wesentlichen mit Zeller übereinstimmend: die Idee
der Ärtenbildung durch allmähliche Umzüchtimg trete bei ihm nicht
undeutlich hervor, freilich nicht als Ableitung der einen mehr lebens-
fähigen Art von einer anderen minder lebensfähigen, sondern das Haupt-
gewicht liege im Sinne einer hylozoistischen Urzeugung auf einer
mysteriösen, sich selbst erzeugenden Schöpfungskraft der Erde. "Wunder-
lich und verfehlt ist dagegen die Erklärung des Ausdrucks ouXocpueT; totcoi
bei Emped. 265: ouXofpur^c soll nicht von ouXoc ,,ganz", sondern von
ooXoc „Bündel" herkommen und der Ausdruck demgemäß bedeuten: „ein-
gewickelte Gestalten, unentwickelte Modelle, Embryonen, Knospen" (!).
S. spricht weiterhin noch über Epikur, Lucrez, Piaton, Aristoteles und
die späteren griechischen Philosophen sowie über die Philosophie des
Mittelalters und in einem zweiten Programm (Eichstätt 1883) über die
Entwickelung des Urzeugungsproblems bei den neueren Philosophen.
Apelt teilt die Widersacher der Mathematik in zwei Klassen.
Zu der ersten rechnet er die eigentlichen Gegner: Die Kyniker,
Kyrenaiker, Epikureer und Skeptiker. Den Kern der skeptischen Ein-
würfe hält er für sehr alt. Bei dem l^pajav Aristot. anal. post. 76b 39
hat man nach seiner Meinung an sophistische Kreise zu denken, und
zwar führen die Indizien mit einiger Wahrscheinlichkeit auf Protagoras
und dessen Buch Trepl ixa&Yj|jLaTU)v. Aus Arist. Metaph. 998 a 3 geht her-
vor, daß Protag. die Geometer widerlegte, indem er das Zeugnis der
Sinne wider ihre Definitionen und Behauptungen aufrief. Er scheint
demnach auch in der Polt mik gegen die Mathematik der Vorläufer der
Skeptiker und zwar du von ihnen wohl gekannter und benutzter ge-
wesen zu sein (vgl. Sext. raath. III 27). — Die zweite Klasse bilden
die unfreiwilligen Gegner. Es sind dies die Vorläufer der Lehre von
den atofiot -/pajjLixai, namentlich Xenokrates und die ihm folgenden Pla-
toniker. Falsch wäre es, als Urheber dieser Lehre Demokrit anzu-
sehen, etwa wegen des Titels Trepi iXo^cüv -j-paiJLjxüjv xal vaj-cöiv, der dazn
wenig stimmen würde. Das einzige rein mathematische Bruchstück
Demokrits (fr. var. arg. 1 Mull.) hebt nur sehr verständig die Schwierig-
keiten hervor, die uns die Auffassung des Stetigen in einem bestimmten
Falle verursacht. Wenn Dem. eine Entscheidung gegeben hat, so kann
sie nicht im Sinne seiner Atomenlehre ausgefallen sein, mit der er
überhaupt nicht in die Rechte der Mathematik eingegriffen zu haben
scheint. Die geometrischen Größen waren ihm nichts als Grenzen des
Leeren und des Raumes, d. i. des [iTjoev nach seiner Auffassung, und
unterliegen anderen Gesetzen als das Füllende, die Atome.
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 241
Da die einzelnen Wissenschaften, insbesondere die naturwissen-
schaftlichen Disciplinen in der ältesten Forschung noch fast völlig von
der Philosophie mitunifaßt wurden und selbst am Ende der vor-
sokratischen Periode sich noch kaum von ihr zu trennen anfingen, so
werden auch in den sich auf die Geschichte dieser Einzeldisciplinen be-
ziehenden Werken philosophische Lehren vielfach berührt, bisweilen
auch eingehender besprochen. Wir können daher solche Veröffent-
lichungen auch hier nicht völlig übergehen, müssen uns aber des
Eaumes halber auf solche beschränken, die für die Philosophiegeschichte
von Belang sind. Wir nennen:
90. H. Steinthal, Geschichte der Sprachwissenschaft bei den
Römern und Griechen mit besonderer Rücksicht auf die Logik.
Zweite Aufl. 1. T. Berlin 1890. XVI, 374 S. gr. 8.
91. Hans Kirchner, Die verschiedenen Auffassungen des pla-
tonischen Kratylus. Progr. d. Kgl. Gymn. zu Brieg 1892. 21 S. 4.
92. Fr. Blaß, Die attische Beredsamkeit. 1. Abt.: Von
Gorgias bis zu L3'sias. 2. Aufl. Leipzig 1887. VII, 648 S. 8.
93. Hugo Berger. Geschichte der wissenschaftlichen Urkunde
der Griechen. 1. Abt.: Die Geographie der lonier. Leipzig 1887.
XII, 145 S. 2. Abt.: Die Vorbereitungen für die Geographie der
Erdkugel. Ebd. 1889. XII, 150 S. gr. 8.
94. P. Tanner y, La geometrie grecque, comment son histoire
nous est parvenue et ce que nous en savons. Essai critique. I. partie :
Histoire generale de la geometrie elementaire. Paris 1887. VI,
188 S. gr. 8.
95. M. Cautor. Vorlesungen über Geschichte der Mathematik.
1. B. 2. Aufl. Leipzig 1894.
*96. P. Tannery, Recherches sur Thistoire de lastronomie
ancienne. Paris 1893.
*97. Schiapa relli, I precursori di Copernico neir antichitä.
Memorie del R. Istituto Lombardo XII.
98. M. Sartorius, Die Entwicklung der Astronomie bei den
Griechen bis Anaxagoras und Empedokles, in besonderem Anschlul.l
an Theophrast. Dissertat. Halle 1883. Wörtlich abgedruckt in Zeitschr.
f. Philos. LXXXIl (1883) S. 197—231 und fortgesetzt ebd. B. LXXXIII
(1883) S. 1-28.
99. E. Cbauvet, La philosophie des medecins grecs. Paris
1886. LXXXIX, 604 S. 8.
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVI. (1898. I.) 16
2i2 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates, (Lortzing.)
Stein thal hat in der neneu Aufl. seines zuerst 1863 erschieneneu
Werkes nach dem, was er selbst in der Vorrede sagt, den ersten Teil,
iu dem die vorsokratiscben Philosophen unter dem Titel: Plato und
seine Vorgänger, S. 41 — 182 behandelt werden, nur sehr wenig geändert
und, wie es scheint, neuere Untersuchungen nicht in größerem Um-
fange benutzt. So werden z. B. Natorps „Forschungen" weder bei
Demokrit noch bei Protagoras genannt oder berücksichtigt, ebenso-
wenig Teichmüllers, Plleiderers oder Patins Untersuchungen über Hera-
klit; nur Schuster wird gelegentlich erwähnt. Aber die gelehrten und
scharfsinnigen Erörterungen Stcinthals behalten auch heute noch ihren
Wert. Es sei hier nur erinnert au die Ausführungen über den Gegen-
satz von v6|j.to und cpujsi , und über die verschiedenen Wandlungen , die
diese Begriffe von Heraklit bis auf die Sophisten und den Platonischen
Kratylos durchgemacht haben; über das in mehrfachen Variationen
überlieferte, dem Pythagoras zugeschriebenen Akusma über die Sprache,
dessen ursprüngliche Form St. aus zwei Stellen des Epinomis und des
Kratj'los erschließen zu können glaubt; über die vom wirklichen Ety-
mologisieren noch weit entfernten Wortspiele Heraklits; endlich au die
Vermutung, daß eine Bemerkung im Kommentar des Proklos zum
Kratvlos wirklich Demokritisches enthalte, wenn auch von Fremd-
artigem, Späterem überwuchert, und daß man insbesondere die drei
Kunstwörter iroX63Yi[j.ov, boppoirov und vcuvujxov auf den Abderiten zurück-
führen dürfe. S. 182 wird auch ein bisher wenig beachtetes Fragment
Demokrits aus Olympiodor ad Phileb. p. 243 Stallb.: a7aÄ[j.axa cpü)VY]£vxa
■All -aZzd (sc. ovo[jLaTa) £3ti öeiüv d)c i^rjixoxptxoc besprochen und im
Gegensatze zu Lorsch, der da meint, Dem. habe die Namen tönende
Bilder genannt, wohl richtig bemerkt, daß hier nur von Götternamen
die Rede sei, die Dem. geistreich mit Kultusbildern verglichen habe.
Manche Irrtümer freilich laufen dabei mit unter, die wir gern in der
neuen Aufl. berichtigt gesehen hätten. Wenn z. B. von dem Sinne
die Rede ist, den Parmenides mit dem Worte v6|j.o? verbunden habe,
so fragt man erstaunt, wo denn Parm. überhaupt dieses Wort ge-
braucht hat. Wenig wahrscheinlich ist es auch, daß Empodokles v6|xiu
in der Bedeutung „nach irrtümlichem Gebrauche" zum , /Terminus" ge-
prägt habe, da nach dem Index von Karsten das Wort nur einmal bei
Emp. vorkommt. In der von Piaton im Theaetet überlieferten Sen-
sationslehre ,,des Protagoras" soll die tiefste physiologische und psycho-
logische Erkenntnis liegen, die das Altertum aufzuweisen hat, von dieser
höchsten Stufe der Erkenntnis aber Protag. später wieder herabgesunken
und durch seinen Satz vom Maße aus einem Philosophen ein Sophist
geworden sein. Diese kühne Konstruktion fällt dadurch in sich zu-
sammen, daß die Sensationslehre des Theaetet von Piaton gar nicht
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 243
dem Protag. selbst, sondern seinen Jüngern beigelegt wird, was St.
ans Natorp hätte ersehen können.
An Steinthals Buch knüpft das Programm von Kirchner an,
dem derselbe Verf. noch zwei andere Programme über den Kratylos
(1893 und 1897) hat folgen lassen (vgl. Nitsche, Wschr. f. kl. Ph. 1897,
1056 fif.). In dem ersten uns hier allein angehenden Programm hat
er das, was uns über die griechische Sprachforschung von Piaton über-
liefert ist, zusammengestellt, wobei er sich in seiner Auffassung teils
an Steinthal anschlieüt, teils von ihm abweicht. Im Gegensatze zu ihm
nimmt er z. B. an, daU das eben besprochene Akusma wohl auf Pytha-
goras selbst zurückgeführt werden dürfe und in seiner ursprünglichen
Form gelautet habe: Nach der Zahl sei der weiseste der, der die
Dinge benannt habe (o toTc TrpaYfxasi xa ^v6(j,a-a 6e[jL£vo;), während St.
das u. a. auch in der Kratylosstelle überlieferte Neutrum to xa (5v.
Beixevov als die ältere Gestalt ansieht. In bezug auf bhzi und v6[xip
nimmt er mit Steinthal (und Teichmüller) an, daß diese Begriffe erst
nach Pythagoras ausgebildet worden sind und erst bei den Sophisten
im schroffen Gegensatze erscheinen, hat aber dabei unbeachtet ge-
lassen, daß St. für die ältere Zeit nur den Gegensatz vo[xco und
9U5£t anerkennt, da 9s j st als technischer Ausdruck aus späterer Zeit
stammt und auch im Kratylos noch nicht vorkommt (s. Nitsche
a. a. 0. 1057).
Blaß hat in der neuen Aufl. seiner ,, attischen Beredsamkeit"
manches geändert und zugesetzt. In den Fragmenten des Empedokles
S. 17 f. kann er nicht mit Diels die Anfänge für Gorgias' Prosastil
finden und will nur zugeben, daß Emp. als kühner Neuerer auch mit
einer ungewohnten Sprache und mit scharf zugespitzten Gedanken ge-
glänzt haben möge. Auch bei Protagoras, Prodikos und Hippias
findet sich, wie B. S. 23 ff. nachweist, noch keine Spur der Gor-
gianischen Figuren. Prot, verfaßte noch keine Reden, sondern nur
Gemeinplätze, und diese waren dialektische, nicht rhetorischer Art.
Sein Stil ist aus dem ionischen Fr. bei Plut. cons. ad ApoU. und aus
dem Mythos im Protagoras, in dem Piaton den Stil des Sophisten ge-
treu kopieren wollte, noch deutlich zu erkennen. Prodikos und Hippias
werden nie als Beförderer der Rhetorik genannt. Die Paraphrase der
Herkuleserzählnng hat Xenophon nicht entlehnt oder kopiert, sondern
eine auf seine "Weise geschmückte Erzählung mit Anklängen an die
Gorgianische Beredsamkeit der des Prodikos entgegengesetzt. Aus-
führlich spricht B. S. 47—91 über Gorgias. Dieser stellte zwar die
Kunst der Beredsamkeit an die Spitze seiner Thätigkeit, war aber
darin den anderen Sophisten gleich und sehr- verschieden von den Rhe-
16*
244 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
toren und Sachwaltern, daß er vor allem Bildung geben wollte und,
ähnlich den damaligen Eristikern, nicht etwa ein System vortrug, son-
dern seinen Schülern ausgearbeitete Stücke zum Auswendiglernen,
Gemeinplätze zum Einlegen in wirkliche Reden gab. Sein Unterricht
war mehr sophistisch als praktisch. Er ist der erste attische Redner;
nur seine älteren philosophischen Schriften waren vielleicht im ionischen
Dialekte verfaßt. Die Helena und den Palamedes hält B. für echt.
Vgl. außerdem noch die Bemerkungen über Antiphon soph. S. 108 und
über Kritias S. 269 ff.
Das treffliche "Werk von Berger (vgl. Detlefseu, Berl. Ph. Wschr.
1892, 16 ff.) entwirft von der Entwickelung des Welt- und Erdbildes
bei den ältesten Philosophen eine von der herrschenden Auffassung
wesentlich verschiedene Zeichnung und enthält im einzelnen eine Fülle
neuer und, wenn auch oft keineswegs gesicherter, so doch stets be-
achtenswerter Vermutungen, die zum Teil auch für die Erkenntnis der
philosophischen Systeme von Bedeutung sind. Wir müssen hier auf eine
Wiedergabe auch nur des Wichtigsten verzichten (einiges davon wird
im speziellen Teile zur Sprache kommen) und geben nur ganz kurz
die Hauptpunkte an, um die es sich dabei handelt. Die ionischen Philo-
sophen, im weiteren Sinne gefaßt, unter denen Anaximander als Be-
gründer der wissenschaftlichen Erdkunde hervorragt, kannten die Sonnen-
bahn am Himmel und ihre Hauptkreise sowie die Neigung des Horizontes
zur Weltachse, aber von der Erdzonenlehre und der Kugelgestalt der
Erde wußten sie nichts, obwohl gewisse Lehren Anaximanders und
Heraklits die Grundlage für den späteren Erweis der Notwendigkeit
dieser Kugelgestalt boten. Diese Anschauung hängt zusammen mit der
von ihnen angenommenen Teilung der Erdobertiäche in zwei Teile,
einen südlichen, wärmeren, Asien, und einen nördlichen, kälteren,
Europa. Auch die ersten Spuren der physischen Geographie zeigen
sich bei den loniern. Ein bedeutender Fortschritt hatte sich inzwischen
längst in den Kreisen der Pythagoreer angebahnt, die zuerst die Kugel-
gestalt der Erde erkannten. Hierzu fügte Philolaos die Annahme einer
täglichen Bew'egung der Erde um das Centralfeuer, womit die tägliche
Umdrehung des Fixsternhimmels fortfiel. Diese neue astronomische An-
sicht war bereits dem Xenophanes bekannt, den B. von den ihm seit
alter Zeit aufgebürdeten kindlichen astronomischen und geographischen
Anschauungen zu befreien sucht: er glaubt u. a. bei ihm bereits die
Annahme veränderlicher Horizonte und des Eintritts einer monatelangen
Nacht in den nördlichen Teilen der Erde zu finden. Weiter ausge-
bildet wurde dann diese Lehre durch Parmenides. Bergers Ansicht
über die eigentümlichen aT£9avat dieses Philosophen und ihr Verhältnis
zu seiner Erdzonentheorie werden später näher ins Auge gefaßt
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 245
werden. Die 3. Abt. des Werkes (1891) und die 4. (1893) enthalten
nichts auf die ältere Philosophie Bezügliches.
Tannery (No. 94) stellt in chap. VI (S. 81—94) und chap. IX
(S. 121 — 129) scharfsinnige Untersuchungen über Pythagoras und seine
Schnle sowie über Deraokrit an, die nicht bloß für die Geschichte der
Mathematik von Wichtigkeit sind, sondern auch das philosophische Ge-
biet nahe berühren. Die erste Untersuchung kann hier beiseite bleiben,
da sie sich im wesentlichen in einer später zu besprechenden Abu.
Tannerys im 1. Bande des Archivs f. Gesch. d. Philos. wieder-
findet. In der zweiten Abb. zieht T. zunächst aus einem Bruchstücke
Demokrits (fr. var. arg. 6) den Schluß, daß damals die Griechen von
den Agj'ptern nichts mehr lernen konnten, und versucht dann die bei
Laert. Diog. nach Thrasyll überlieferten Titel der mathematischen
Werke Demokrits, deren Text sehr unsicher ist, herzustellen. Die
erste dieser Schriften: rspl oiaoop?]; 7vtu[i.ir); (?) v^ Trspt ^aosf.o^ xuxXou xal
joatpTj; scheint sich, wie T. annimmt, auf eine Polemik Demokrits gegen
Protagoras , von dem fr. v. a. 1 die ßede ist (s. das zu No. 89 über
Apelts Abb. Bemerkte), zu beziehen. Auf solche Fragen wurde Dem,
durch seine Atomenlehre geführt, die nach T. ihren Ursprung in der
pythagoreischen Lehre hat. Die Pythagoreer nahmen an, daß die Sub-
stanz der Körper durch materielle Punkte gebildet werde. Diese Punkte,
die sie nicht von den geometrischen unterschieden, galten ihnen als
unteilbar (aroixoi), während sie andererseits die unbegrenzte Teilbarkeit
der Größen ohne Einschränkung zuließen. Diese unhaltbare Vor-
stellung wurde von Parmenides (?) und Zenon bekämpft. Hiergegen
konnten sich die Pythagoreer um so weniger verteidigen, als die Ent-
deckung der inkommensurablen Größe, die zu Zenons Zeit übrigens noch
nicht öffentlich bekannt war ( ?), ihnen ihren Irrtum deutlich vor Augen
führte; sie mußten daher ihre physische Doktrin umgestalten und ihr
entweder wie Philolaos einen idealistischen Sinn oder den Atomen sehr
kleine, aber begrenzte Ausdehnung geben. Diese letztere, besonders
außerhalb der Schule durch Leukipp und Demokrit entwickelte Lehre
wurde später im Schöße der Schule selbst, z. B. durch Ekphantos.
wieder aufgenommen. • — Ob diese höchst interessante Ableitung der
Atomenlehre auch der Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit entspricht,
ist eine Präge, die wir hier nicht beantworten wollen. Auf zweierlei
Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, sei nur aufmerksam gemacht:
1. Wenn die Atome Demokrits geometrische Körper sind, wie konnte
ihnen dann als Hauptmerkmal das der Unteilbarkeit beigelegt werden?
2. Wenn die Atomenlehre von den Pythagoreern stammt, wie konnte
dies dem Arist. verborgen bleiben , und wie durfte er sie dann mit
solcher Bestimmtheit an das eleatische System anknüpfen? Oder wollen
246 Berichte über die griechischen Philosophea vor Sokrates. (Lortzing.)
wir heutzutage uns anmal.ien, in die geheimen Zusammenhänge der alten
Philosophie tiefer eingedrungen zu sein als der Stagirit? — Vgl.
Günther, Berl. Ph. Wschr. 1887, 332 ff. und Cantor, Zschr. f. Math.
XXXin, 27 ff.
Cantors Vorlesungen enthalten in der neuen Aufl., was die
vorsokratische Zeit betrifft, keine für uns erheblichen Änderungen; nur
in der Beurteilung der Beweise Zenons, in dem C keinen Mathematiker,
sondern eher das Gegenteil eines solchen sieht, schließt er sich jetzt an
Tannerjf an. Bereits in den älteren Aufl. (1880) hatte er bei Be-
sprechung der Schriften Demokrits den Inhalt der im Thrasyllschen
Verzeichnis zuerst genannten Tispl oiacpopyj; 7V(u[i.ovoc (so liest C. mit
Nietzsche, nicht vvcufiTjc wie Tannery) xtX. (s. o.) dahin gedeutet, daß
Dem. durch die Bewegung des Gnomon auf die Anfänge der Infinitesimal-
methode gekommen sei (?), und den im Titel iispl dXoYcuv -/paixjxüiv xal
vacjTüJv liegenden Widerspruch durch Verbesserung von vaatwv in xXas-
Tüiv zu heilen gesucht, so daß also Demokrits Werk ;,über irrationale
gebrochene Linien" gehandelt haben würde.
Wie No. 96 und 97 habe ich auch Sir G. C. Lewis, An
historical survey of the astronomy of aucients nur citiert gefunden,
aber nicht zu Gesicht bekommen. — Auf Sartorius' Arbeit hier ein-
zugehen halte ich für überflüssig, da in ihr weder von einer kritischen
Abwägung des Wertes der einzelnen Zeugnisse die Rede ist, noch der
Versuch gemacht wird, die Einzelheiten der Systeme aus dem Ganzen
eines jeden zu erklären, auch die Hypothesen des Verfassers durch Bergers
oben (No. 93) angeführtes Buch überholt worden sind. Nur eine von den der
Dissertation beigefügten Thesen ist zu erwähnen, sie lautet: „Das uji-ixpov,
bei dem Anaxagoras' voü; durch umdrehende Bewegung die Welt zu
bilden begann, ist der Himmelsnordpol " und deckt sich mit einer von
Dilthey (s. zu No. 46) in demselben Jahre ausgespi'ochenen Vermutung.
Was sich in Chauvets Werk an Bemerkungen über ältere
Philosophen und das Verhältnis der Arzneiwissenschaft zu ihnen findet,
zeugt nicht gerade von gründlicher Beschäftigung mit den philosophischen
Lehren jener Männer. Richtig wird die enge Verbindung des Medizini-
schen mit dem Philosophischen bei Diogenes Ap., in der pythagoreischen
Schule, bei Empedokles, der aber nicht hätte zur eleatischen Schule
gerechnet werden dürfen, und bei Demokrit hervorgehoben. Die von
dem Verf. behauptete Möglichkeit, daß Emped. die Lehre von den
Ausflüssen und Poren dem Dem. entnommen habe, ist chronologisch
unzulässig; wohl aber konnte er sie von Leukipp haben (s. weiter
unten). Verfehlt ist die Art, wie Ch. die philosophischen Elemente
in der Lehre des Hippokrates oder vielmehr seiner Familie und Schule
darstellt. Er unterscheidet bei Hipp, eine ärztliche Logik, Sittenlehre (?)
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 247
und Physik und suclit nnn auf jedem dieser Gebiete die Anknüpfungs-
pnnkte an ältere Philosophen auf. Indem er aber hierbei die Schriften
des hippokratischen Korpus in Bausch und Bogen als Werke der hippo-
kratischen Schule betrachtet und ohne jede Unterscheidung benutzt, be-
weist er, dal.) er von den neuesten Forschungen über den verschiedenen
Ursprung dieser Schriften keine Ahnung hat. Ein arges Verseben ist
es, wenn er behauptet, die Lehre vom Gehirn als Sitz der Seele sei
ausschließlich hippokratisch: bekanntlich hat sie lange vor Hippokrates
Alkmaion zuerst aufgestellt.
Zur Geschichte der Mathematik und der Naturwissenschaften ver-
weise ich außerdem auf den von S. Günther bearbeiteten Anhang zu
Wiudelbands Geschichte der alten Philosophie (vgl. den Titel No. 57)
und auf die von ebendemselben und von anderen in diesen Jahres-
berichten veröffentlichten Mitteilungen.
In den ausführlichen AVerken über griechische Litteratur werden
in der Regel auch die griechischen Philosophen etwas genauer be-
handelt. So findet man z. B. eine recht sachgemäße und mit reich-
lichen Quellennachweisen versehene Besprechung der Vorsokratiker in
Otfried Müllers Geschichte der griechischen Litteratur, neu bearbeitet
und fortgesetzt von E. Heitz. Aber fast alle diese Darstellungen
bieten, wie dies ja auch nicht anders zu erwarten ist, nichts, wodurch
die Forschung irgendwie gefördert würde. Eine Ausnahme bildet nur:
100. Th. Bergk, Griechische Litteraturgeschichte. B. II— IV.
Aus dem Nachlaß herausg. Berlin (B. II und III von G. Hinrichs
1883 und 1884, B. IV von R. Peppmüller 1887).
Hier finden sich nicht nur über chronologische Verhältnisse,
sondern auch über die Werke und Lehren der Philosophen zahlreiche
scharf- und feinsinnige Bemerkungen, die freilich bei dem bekannten
kühnen Kombinationstriebe des Verfassers vorsichtig geprüft werden
müssen. Im 2. Bande werden unter der Überschrift: „Die ersten philo-
sophischen Versuche" S. 409—443 nach einer Besprechung der sieben
Weisen und ihrer Sprüche Thaies, Xenophanes, Pherekydes, Anaximan-
der, Anaximeues und Pythagoras zusammengefaßt. Diese auffällige
Zusammenstellung und Reihenfolge hängt mit der von uns bereits er-
wähnten und zurückgewiesenen Annahme zusammen, daß Xenophanes
zeitlich nahe an Thaies zu rücken sei. Da nun B. überdies auf grund
einer höchst zweifelhaften Deutung des Wortes opovn'c bei Xenoph.
fr. 24 K. als ,, litterarisches Produkt" (S. 418, 23) das philosophische
Werk dieses Philosophen bereits in sein 25. Jahr und damit zugleich
in die Blütezeit des Thaies setzt, so ergiebt sich aus diesen Voraus-
setzungen die notwendige Folgerung, Xenophanes habe dieses Werk
248 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
unmittelbar, nachdem Thaies mit seinen Ansichten hervorgetreten sei,
geschrieben. Daß diese Hypothese aller antiken Überlieferung, auch
der theophrastischen, widerspricht, braucht nicht erst gesagt zu werden.
Wunderlich genug wird nun auch Pherekydes zwischen Xenophanes und
Anaximander eingereiht. Ein willkürlicher Einfall ist es auch, wenn B.
behauptet, die philosophischen Ansichten des Thaies seien nicht zu lange
Zeit nach seinem Tode von einem Anfänger schriftlich aufgezeichnet
worden. Auf die eigentümliche Ansicht über den Verfasser des nach
der gewöhnlichen Annahme die Lehre des Xenophanes darstellenden
Abschnittes der pseudoaristotelischen Schrift de Melisso u. s. w. werden
wir später zu sprechen kommen. Sehr berechtigt dagegen erscheint
uns der S. 418, 25 ausgesprochene Zweifei an dem strengen Monotheis-
mus des Xenophanes, worin sich B, mit Freudenthal begegnet (s. u.). —
Schön und genußreich ist die Darstellung der Persönlichkeit und Lehre
des Pythagoras. Nur hat B. hier allzusehr einem gewissen Harmoni-
sierungstriebe gehuldigt, wenn ihm das System des Pyth. wie aus einem
Gusse zu sein und die praktische Bethätigung des Mannes mit seinem
theoretischen Wissen im vollsten Einklänge zu stehen scheint. Auch
\Yas er über die Akusmen des Pyth. und über die Entstehung der ■/puaa
£-7) bemerkt, verdient alle Beachtung; ebenso das S. 433, 67 über die
Diät der Pythagoreer und das Bohnenverbot Gesagte. Haltlos dagegen
ist die Vermutung (S. 437, 77), daß Heraklit fr. 17 unter den au77pa(pai,
wegen deren Benutzung Pyth. getadelt wird, orphische Aufzeichnungen
und vielleicht auch die Schrift des Pherekydes verstanden habe. — In
einem späteren Abschnitt über „Das didaktische Epos" S. 489 — 496
werden Parmenides und Empedokles, letzterer leider nur sehr kurz,
besprochen. Über die Absicht, die Parmenides bei der Abfassung seiner
iiioEa verfolgte, wird die Meinung, daß er die wahre und die falsche
Ansicht zu beliebiger Auswahl oder als Prüfstein für das allein Wahre
(Vgl. Diels Parm.) einander gegenüberstellen wollte, zurückgewiesen.
Parm. trage nicht fremde Theorieen vor, sondern entwerfe ein Bild der
Welt, wie sie ihm erscheine; werde ihm doch auch die Lehre des zweiten
Teils von der Göttin gerade so offenbart wie die des ersten. — Im
3. Bande werden die Philosophen nur gestreift in einer Erörterung
über die philosophischen Studien des Euripides S. 469—477, die
manche interessante Bemerkung enthält. — Im 4. Bande ist zunächst
eine längere Ausführung über Epicharm (S. 23 — 35) zu nennen : dieser
sei kein Pythagoreer und habe sich überhaupt keinem philosophischen
Systeme unbedingt angeschlossen; er sei nicht bloß rezeptiv gewesen,
sondern habe auch eigene Ansichten ausgesprochen und sei durch seine
Dialektik ein Vorläufer der jüngeren Eleaten und der Sophisten ge-
worden, ja er scheine sogar ein eigenes Lehrgedicht geschrieben zu
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 249
haben (?). S. 329- 343 folgt eine treffende, aber kaum Neues ent-
haltende Zeichnung der Sophisten (jo^tiTr,; = Meister). B. glaubt
einen dreitnaligeD Aufenthalt des Protagoras in Athen nachweisen zu
können. Auch über die stilistische Kunst des Prot, und über seine
Schriften äußert er sich, ebenso über die des Gorgias (Helena und
Palaniedes unecht, erstere wahrscheinlich von Thrasymachos verfaßt [?]).
i'ber Demokrit und Heraklit wird S. 413—415, leider nur äußerst kurz,
und schließlich (S. 415 — 419) über die späteren P3'thagoreer gesprochen.
Die schriftstellerische Thätigkeit der Sekte ruhte nach B. auch im 3.
und 2. Jahrhundert v. Chr. nicht: zuerst schrieb man unter eigenem
Namen wie Diodoros, bald aber unter dem Namen älterer Vertreter
der Schule wie des Timaios und Okellos.
Auch in den über die allgemeine Geschichte Griechen-
lands veröffentlichten Werken werden die Lehren der griechischen
Philosophen bald nur kurz berührt, bald ausführlicher dargestellt. Eine
kurze Skizze giebt z. B. Bei och, Griech. Gesch. I, Straßburg 1893,
S. 607 ff., in der stellenweise unbegründete Behauptungen und Urteile
vorkommen. Gleichfalls kurz, aber im wesentlichen zutreffend und
überall mit genauen Quellenangaben versehen, ist die Darstellung von
G. Busolt, Griech. Gesch. bis zur Schlacht bei Chaeronea II 2. Aufl.
S. 496 ff., 519 ff., 761 ff. Von größerer Bedeutung sind:
101. Max Duncker, Griechische Geschichte. Im Preise er-
mäßigte neue Ausg. von Band V — IX der Geschichte des Altertums.
Leipzig 1889.
102. Eduard Meyer, Geschichte des Alterturas. 2. B.: Ge-
schichte des Abendlandes bis auf die Perserkriege. Stuttgart 1893.
Duncker s Besprechung der Philosophen bietet zwar nichts Neues
zur Erkenntnis der philosophischen Lehren, beruht aber auf sorgfältiger
Benutzung der Quellen und der neueren Forschungen (in der Chrono-
logie folgt D. durchweg den Ansätzen von Diels) und giebt von dem
Inhalte und Geiste der Svsteme eine das Wesentliche zusammenfassende
lebendige Schilderung, gegen die sich im einzelnen freilich manches
einwenden läßt (besonders wird VIII 417 f. die physikalische Grundlehre
des Empedokles unklar und unzutreffend wiedergegeben). Ein Haupt-
vorzug der Dunckerschen Darstellungsart besteht darin, daß die Fort-
schritte der philosophischen und wissenschaftlichen Erkenntnis nicht ab-
getrennt von der politischen Geschichte, sondern im engen Zusammenhange
mit den politischen Ereignissen und der allgemeinen Kulturentwickelung
vorgeführt werden; eine Betrachtungsweise, die wohl geeignet ist, die
Einseitigkeit der ausschließlich vom wissenschaftlichen Standpunkte
ausgehenden zu ergänze i, bisher aber in den meisten philosophie-
250 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
geschichtlichen Werken, so auch in dem Zellerschen, zu wenig zur
Geltung gekommen ist. In einem besonderen Kapitel werden nur
Thaies und seine unmittelbaren Nachfolger (VI 321 ff.) besprochen;
sonst ist die Schilderung der Wirksamkeit und der Lehren der Philo-
sophen überall mit der Erzählung der Ereignisse verflochten. So wird
Pythagoras an zwei Stellen VI 629 ff. und 668 ff. behandelt und an
der letzteren ihm Xenophanes angeschlossen. VIII 414 ff. findet sich
Parmenides mit Empedokles, 464 ff. Heraklit, der hier etwas spät auf-
tritt, mit Anaxagoras vereinigt. Von dem letzteren ist dann wiederum
VIII 21 ff. in bezug auf sein Verhältnis zu Perikles die Rede, und der
Bericht über die gegen ihn erhobene Anklage schließt sich an eine
Darstellung der sophistischen Neuerungen (VIII 337 ff.) an.
Ganz auf dem Boden der neuesten Forschung steht auch in den
uns angehenden Abschnitten W. Meyer. Zunächst gehört hierher der
Abschnitt über die geistige Entwickelung des 6. Jahrhunderts (S. 715 —
762), in dem nacheinander behandelt werden: 1. das Zeitalter der sieben
Weisen; 2. Stesichoros und die Anfänge des Rationalismus; 3. die neue
religiöse Strömung und die oriihischen Mysterien ; 4. die orphische Theo-
logie; 5. die ionische Philosophie: Thaies, Anaximander, Hekataios,
Anaximcnes und Xenophanes. Die Bedeutung der Orphik für die
griechische Entwickelung des 6. und 5. Jahrhunderts, namentlich für
die der Philosophie, wird von M. scharf betont und mit 0. Kern eine
weitgehende Einwirkung der orphischen Lehre auf Xenophanes, Pytha-
goras und Heraklit angenommen. Beide Richtungen, die der Orphik
und der ionischen Naturphilosophie, sind, wie Verf. lichtvoll ausführt,
auf demselben Boden erwachsen und beschäftigen sich zum Teil mit
denselben Problemen ; aber dem streng religiösen Charakter der einen
tritt die andere schroff gegenüber und wirft sie in langem Ringen zu
Boden. — S. 812 — 821 werden dann Pythagoras und Xenophanes ein-
ander gegenübergestellt. Treffend bemerkt M. im vollen Einklänge,
wie wir sehen werden, mit v. Wilamowitz, daß P3'thagoras seit Boeckh
als Vertreter der gar nicht existierenden dorischen Weltanschauung
gilt, während er ein lonier war, der in achäischen Städten wirkte.
3. Schriften über die vorsokratische Philosophie im ganzen oder über
einzelne ihrer Gebiete oder Gruppen.
Vorbemerkt sei, daß wir solche größeren Werke, die weitere
Zeiträume der griechischen Philosophie umfassen, aber die Vorsokratiker
in einem selbständigen Bande ausführlicher behandeln, für diesen Ab-
schnitt aufgespart haben. Wir beginnen mit dem nunmehr in 5. Aufl.
vorliegenden 1. Bande des großen Zellerschen Werkes:
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 251
103. Eduard Zeller, Die Philosophie der Griechen in ihrer
geschichtlichen Entwickelung. 1. T.: Allgemeine Einleitung. Vor-
sokratisclie Philosophie. 4. Aufl. Leipzig 1876. XIV, 1041 S. gr. 8. —
Dasselbe 5. Aufl. in 2 Hälften. Leipzig 1892. XV, 1164 S.
Daß in beiden Auflagen aufs sorgfältigste die Ergebnisse der
neuesten Forschung notiert und je nach der Stellung, die der Verf. zu
ihnen einnimmt, entweder zurückgewiesen und widerlegt oder für die
Ergänzung oder Berichtigung des Textes verwertet worden sind, ver-
steht sich bei einem Mann wie Zeller von selbst. Nachdem so die
vierte Auflage einen Zuwachs von 238 Seiten und die fünfte wiederum
einen von 123 Seiten erhalten hatte, hielt es der Verf. für geboten,
die letztere in zwei Hälften zu zerlegen, wie das früher schon mit dem
2. und 3. Bande geschehen war. Die 1 . Abteilung schließt mit den
Eleaten und die 2. beginnt mit Heraklit. Auch in der neuesten Ge-
stalt behauptet dieser Band den hervorragenden Platz in der Ge-
schichte der Philosophie, den er seit seinem ersten Erscheinen i. J. 1855
einnimmt, und legt ein rühmliches Zeugnis von der unverminderten
Geistes- und Schaffenskraft des greisen Gelehrten ab. Daß Zeller sich
nicht entschließen konnte, in der Aufeinanderfolge der Systeme Ände-
rungen eintreten zu lassen, wie sie durch den jetzigen Stand der
Forschung geboten erscheinen könnten, daß er z. B. Diogenes nicht
seinen Platz hinter Anaxagoras statt hinter Anaximenes angewiesen
oder Demokrit hinter Anaxagoras gestellt hat, wird man erklärlich
finden, wenn man bedenkt, daß sich auf diese Weise zwar die chrono-
logische Folge und mit ihr die genetische Entwickelung der Lehren
besser ins Licht hätten stellen lassen, dafür aber andere Unzuträglich-
keiteu eingetreten wären: Diogenes wäre dann aus seiner engen Ver-
bindung mit der Lehre des Anaximenes, in der er doch nun einmal
steht, herausgerissen worden, und Demokrit hätte zugleich von Leukipp,
mit dem er die Hauptbestandteile seiner Lehre gemein hat, getrennt
werden müssen. Wie schwierig eine solche Trennung ist, hat der
Versuch einer Scheidung der beiden Atomiker bei Windelband be-
wiesen. Weit unbedenklicher hätte Heraklit zwischen Xenophanes und
Parmenides gesetzt werden können; aber diese Umstellung kam für Z.
nicht in Frage, da er an seiner früheren Ansicht über das zeitliche
Verhältnis zwischen Parm. und Herakl. festhält (s. S. 175, 1). — Es
mögen nun die wichtigsten Ergänzungen und Abweichungen der 5. Aufl.
von der 4. (die Unterschiede dieser von der ihr voraufgegangenen jetzt
noch anzugeben, können wir uns ersparen) bezeichnet und nur hin und
wieder daran eine kurze Bemerkung geknüpft werden. Ein näheres
Eingehen auf Einzelfragen verschieben wir auf den speziellen Teil. —
S. 52 ff", hält Z. gegenüber dem neuerdings von 0. Kern u. a. ge-
252 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
machten Versuchen, umfangreichere Entlehnung-en aus der Mysterien-
lehre bei den älteren Philosophen nachzuweisen, an der Ansicht fest,
daß eine solche Einwirkung sehr zweifelhaft sei und eher umgekehrt
ein Einfluß der Philosophen auf die mystische Theologie angenommen
werden könne. Im einzelnen jedoch giebt er eine Abhängigkeit als
möglich zu, so S. 60, 2 in bezug auf Empedokles. — 61 ff. und 480 ff.
weist er die ünwahrscheinlichkeit der Annahme eines ägyptischen Ur-
sprungs der Seelen Wanderungslehre nach und erklärt sich auch
gegen die Ableitung der pythagoreischen Philosophie aus Indien
(v. Schröder). — 98 ff. mehrere neue wertvolle Bemerkungen über die
verschiedeneu orphischen Theogonieen und ihre Entstehung. — 184
werden Tanuerys Vermutungen über die Voranssagung einer Sonnen-
finsternis durch Thaies für möglicherweise zutreffend, dagegen 195, 3
die entwickeltere Kosmologie, die dieser Gelehrte dem Thaies zuschreibt,
für unerweisbar erklärt. — 199,3: die Einwendungen Tanne rys gegen
die räumliche Unbegrenztheit des ocTisipov bei Anaximander sind halt-
los. — 217, 2: die früher von Z. als zweifelhaft hingestellte Nachricht
über die Bezeichnung des a'iisipov als dpyv] bei Anaximander muß jetzt
als durch Theophrast bezeugt und daher als glaubwürdig gelten. —
221, 2: Teichmüliers und Tannerys Annahme, daß das austpov eine
Kugel und seine Bewegung eine Achsendrehung sei, wird zurückgewiesen.
— 248, 2 und 253, 2: Chiappellis Vermutung, daß Anaximenes
vieles den Pythagoreern entlehnt habe, entbehrt jeder geschichtlichen
Begründung; eher ließe sich das umgekehrte Verhältnis denken. —
275 ff. wird jetzt nach Diels' Vorgang die Abhängigkeit des Diogenes
nicht nur von Anaxagoras, sondern auch von Leukipp als wahrschein-
lich bezeichnet. — 303 ff. hält Z. an der Ünwahrscheinlichkeit einer
ägj^ptischen Reise des Pythagoras fest. — 526 ff. ist ein neuer Ab-
schnitt über Xenophanes' Monotheismus eingefügt, für den sich Z.
nach wie vor trotz Freudenthal ausspricht. — 537 ff. wird die
schwierige Ei'age, wie sich Xenophanes die Welt gedacht, namentlich,
ob er sie für unbegrenzt oder begrenzt gehalten habe, ausführlicher
erörtert und ein früher für möglich erklärter Widerspruch in seiner
Auffassung beseitigt. — 594 ff. wendet sich Z. gegen Tannerys An-
sicht von der Bedeutung der Zenonischen Beweise; doch vermissen
wir eine nähere Beleuchtung der Behauptung des Gegners, fast alle
jene Beweise seien gegen die Vielheit gerichtet. — 606, 1 wird Pabsts
Nachweis, daß ein Teil der von Simplicius überlieferten Fragmente des
Meli s SOS nicht echt sei, als überzeugend bezeichnet. — 610, 3: Gegen
Kerns, Natorps und Tannerys Überschätzung und Mißdeutung der
Lehre des Melissos. — 646 f.: In Heraklits System muß die Lehre
vom Fluß aller Dinge der vom Feuer als Urstoff vorausgegangen sein,
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 253
nicht umgekehrt, wie Soulier will. — 662 f.: Man dai f Heraklit nicht
mit Gomperz zum Urheber der Lehre von der Relativität der Eigen-
schaften machen. — Bei der Besprechung mehrerer heraklitischer Frag-
mente, z. B. S. 672, 1; 708, 5; 711, 2, fällt es auf, daß Z. Putins
Ansichten, die dieser damals wenigstens teilweise schon veröffentlicht
hatte, nicht berührt, wie er denn auch der fleißigen und bedeutsamen
Forschungen dieses Mannes und seiner eigentümlichen Auffassung der
Philosophie Heraklits nirgends Erwähnung thut. — 713, 4: Gegen
Teichmüller und Schläger, die die Annahme einer Fortdauer der
Seelen nach dem Tode Heraklit absprechen. — 741 ff', wird Pfleiderers
Herleitung der Heraklitischen Lehre aus der „Mysterienidee" sehr ent-
schieden bekämpft und die Vermutung, dal! Her. ägyptische Einflüsse
(Teichmüller und Tannery) oder zoroastrische (Chiappelli) erfahren habe,
für unerweislich erklärt. — 793 ff. bietet die Erörterung über die Ent-
stehung der lebenden Wesen nach der Lehre des Empedokles vieles
Neue. — 837 ff", stellt sich Z. in dem Streite zwischen Diels und
Rohde über die Geschichtlichkeit der Person Leukipps auf des
ersteren Seite. — 872 ff", verteidigt er ausführlich, aber meines Erachtens
nicht glücklich seine Auffassung, daß den Atomikern die Fallbewegung
die ursprüngliche gewiesen sei, gegen Briegers Annahme eines un-
geordneten Durcheinanderfliegens der Atome (vgl. 888 f.). — 933 wird
die Möglichkeit zugestanden, daß Demokrit durch die Sophisten, viel-
leicht auch durch Sokrates (?) zu seinen ethischen Betrachtungen an-
geregt worden sei, die oben (zu No. 79 — 81) besprochene Annahme
einer systematischen Bearbeitung der Sittenlehre durch den Abderiten
dagegen widerlegt. — 958 f. : Während Z. früher meinte, Empedokles'
Lehre und die Atomistik hätten sich aus den gleichen Voraussetzungen
entwickelt, neigt er sich jetzt mehr der von Diels vertretenen Ansicht
zu, daß Emped, den Leuk. zum Vorgänger habe. — 960 spricht er sich
dagegen aus, daß Demokrit tiefer von Protagoras beeinflußt worden
sei (Windelband). Die Anm. 1 hinzugefügte Begründung ist jedoch,
wie wir später sehen werden, unzulänglich. — 1037 ff.: Verteidigung der
Ansicht Zellers, daß Archelaos nichts Erhebliches für die Ethik ge-
than habe. — 1073, 4 ist eine Besprechung über die ^laXsEaic q^i-
xat hinzugefügt worden. — 1088, 1: Gegen Gomperz' Hypothese, daß
der Verfasser der Schrift -epl xiy^r[z Protagoras sei. — 1095 ff.
wendet sich Z, gegen die generalisierende Auffassung des Protagoreischeu
Hauptsatzes, tritt mit neuen Gründen für die Zuverlässigkeit der Dar-
stellung Piatons im Theaetet ein und sucht es endlich wahrscheinlich
zu machen, daß Protag. in seiner Erkenntnistheorie von Heraklits
Bewegungs- und Gegensatzlehre ausgegangen sei. — 1121, 1: Gegen
Harpfs Annahme einer doppelten Begründung der Moral durch Protag.
2ü4 Berichte über die griecbiscben Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
— 1126 f.: Ausführlicheres über den Standpunkt des Protag. dem Rechte
und Gesetze gegenüber. — 1157 if. wird die Möglichkeit bestritten, daß
die Skpepsis des Protag. auf Demokrit zurückgehe; umgekehrt kann
Dem. die Bemerkungen des Prot, über die Subjektivität unserer Vor-
stellungen benutzt haben. —
Neu erschienen sind folgende Gesamtdarstellungen der vorsokrati-
schen Philosophie:
104. S. A. Byk, Die vorsokratische Philosophie der Griechen
in ihrer organischen Gliederung. Leipzig. 8. I. T. : Die Dualisten.
1876. VI, 270 S. IL T.: Die Monisten. 1877. VI, 239 S.
105. Paul Tannery, Pour Thistoire de la science hellene. De
Thaies h Empedocle. Paris 1887. VII, 396 S. 8.
106. John Burnet, Early Greek Philosophy. London and
Edinburgh 1892. VI, 378 S. gr. 8.
107. Das Vorstadium und die Anfänge der Philosophie. Aus
dem Nachlaß von Gustav Glogau, herausg. von H. Siebeck. Kiel
und Leipzig 1895. X, 79 S. gr. 8.
108. Theodor Gomperz, Griechische Denker. Eine Geschichte
der antiken Philosophie. 1. Band. Leipzig 1896. VI, 478 S. gr. 8»
Das Urteil, das Susemihl, Jahresb. II III, 1, 268, über den
ersten Teil des Bykschen Werkes gefällt hat, daß es ein völlig kritik-
loses und unbrauchbares Buch sei, trifft auch den zweiten Teil, der
Heraklit, die Eleaten, die Atomiker und die Sophisten behandelt. B.
operiert beständig mit modernen Kunstausdrücken, die er in wirrer
Weise auf die alten Philosophen anwendet. Seine Darstellung wimmelt
von sachlichen wie sprachlichen Unklarheiten und Widersprüchen, zeigt
von philologischer Kritik keine Spur und ist obendrein noch in einem
mangelhaften Deutsch geschrieben.
Tannery hat in seiner Arbeit, deren Anfangskapitel über die
doxographische Überlieferung und die Chronologie wir bereits erwähnt
haben, eine Fülle von Problemen teils zum ersten Male aufgeworfen,
teils schärfer, als dies bisher meist geschehen war, ins Auge gefaßt
und zu lösen gesucht. Da ich über die Schrift in der Berl. Ph. Wschr.
1890, 749 ff. und 781 ff. ausführlich berichtet habe (vgl. Gomperz
D. L.-Z. 1888, 1572 f., ferner die Selbstrezension Tannerys Arch. f.
G. d. Philos. II 492 ff. und besonders die genaue Besprechung von
Natorp Philos. Mon.-H. XXV [1889], 204 — 223, dem ich jedoch nicht
überall beistimmen kann) und auf manche Einzelheit später einzugehen
sein wird, so beschränke ich mich hier auf eine kurze Hervorhebung
der Hauptergebnisse. T. stellt die naturwissenschaftlichen, insbesondere
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortziag.) 255
die kosmischen Anschauungen der ältesten Philosophen, die in der
Regel als ein bloßes Anhänf.'sel ihrer philosophischen Lehren und als
ein loses Konglomerat betrachtet werden, in den Vordergrund und ver-
folgt sie in ihrer geschichtlichen Entwickelung und zugleich in den
yrechselseitigen Beziehungen, zu denen sie mit den metaphysischen
Spekulationen ihrer Urheber stehen , um so die disiecta membra zu
einem möglichst einheitlichen Ganzen zusammenzufassen. Er schließt
sich hierbei in vielen Punkten an Teichmüller an, dessen geistvollen
und blendenden Hj'pothesen gegenüber er sich indes etwas kritischer
hätte verhalten sollen. Von diesen Gesichtspunkten aus behandelt er
nach einander Thaies, Anaximander, Xenophanes, Anaximenes, Heraklit,
Hippasos, Alkmaion, Parmenides, Zenon, Melissos, Anaxagoras und
Empedokles. Pythagoras, über den wir ja nur sehr unsichere Nach-
richten haben, fehlt in dieser Eeihe; doch fügt Verf. seine Vermutungen
über dessen Lehre an passender Stelle ein und berührt gelegentlich
auch das System des Philolaos. Eine empfindliche Lücke ist dadurch
entstanden, daß die Atomiker völlig übergangen sind. Das Gesamt-
ergebnis läßt sich etwa so zusammenfassen: Der Fortschritt der
wissenschaftlichen Entwickelung vollzieht sich namentlich in zwei ent-
gegengesetzten Richtungen , von denen die eine in der monistischen
Weltansicht der lonier, die andere in der dualistischen der Pythagoreer
zum Ausdruck kommt. Diese beiden Richtungen führen, teils sich be-
kämpfend, teils sich berührend und ergänzend, mit der Zeit zu tieferer
und klarerer Auffassung des Kosmos und erzeugen zugleich eine Reihe
allgemeiner Grundvorstellungen, wie die des Unbegrenzten, des Einen,
des räumlichen Kontinuums, des Leeren, der Materie, die, zunächst
noch konki-et angeschaut, allgemach einen abstrakten Charakter er-
halten. In der genaueren Verfolgung dieser Gedanken verschieben
sich dem Verf. die von der bisherigen Forschung gezogenen Grenz-
linien zwischen den einzelnen Systemen, ja zum Teil wird die Tradition
geradezu auf den Kopf gestellt. Als eigentlicher Begründer der wissen-
schaftlichen und philosophischen Erkenntnis ist nach T. nicht, wie seit
Aristoteles allgemein angenommen wird, Thaies, sondern Anaximander
anzusehen. Das Band zwischen Xenophanes und Parmenides wird völlig
zerrissen und dieser dem Heraklit genähert, zugleich aber auch als ab-
hängig von Pj'thagoras dargestellt, dessen pluralistische Theorie ebenso
auch auf Empedokles und Anaxagoras ihren Einfluß ausübt. Der letztere
sucht diese Lehre in seiner neuen Auffassung von der Materie mit dem
altionischen Monismus zu versöhnen. Auch die Entwickelung der
eleatischen Philosophie erscheint in einem neuen Lichte. Parmenides
ist im Grunde reiner Realist; Zenon leugnet nicht die Bewegung,
sondern nur die Vielheit der Dinge; der Urheber des Idealismus aber,
256 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
als der sonst Auaxagoras gilt, ist Melissos. Diese Thesen, die, ihre
Richtigkeit vorausgesetzt, zu einer vollständigen Umwälzung unserer
geschichtlichen Auffassung führen müsste. entwickelt T. mit solchem
Geschick und solcher Wärme der Überzeugung, daß es schwer wird,
sich ihm bei der Lektüre nicht gefangen zu geben. Eine besonnene
und nüchterne Prüfung läßt jedoch die Schwäche der Beweisführung
und die Unsicherheit und Haltlosigkeit vieler Annahmen erkennen, auf
die gelegentlich auch schon von Zeller hingewiesen worden ist. Vor
allem ist dagegen Einspruch zu erheben, dal.i die Vorsokratiker , mit
Ausnahme Heraklits, in erster Linie Naturforscher und nicht Philo-
sophen gewesen sein sollen. Mag die Naturbetrachtung eine noch so
große Rolle bei ihnen spielen, so ist das, w'orauf es ihnen vor allem
ankommt, nicht die Beschreibung und Erklärung des Kosmos, sondern
die Auffindung des gemeinsamen Grundes und Wesens der Dinge, aus
dem sich die konkreten Erscheinungen herleiten lassen. Insbesondere
bei den Eleaten überwiegt das metaphysische Interesse weit das physi-
kalische, und Zenon und Melissos waren überhaupt nur Metaphysiker
und Dialektiker. Die einseitige Hervorhebung des naturwissenschaft-
lichen Elementes hat T. zu bedenklichen Folgerungen geführt. Thaies
seiner philosophischen Bedeutung völlig zu entkleiden, geht denn doch
nicht an. Ebensowenig darf man mit T. in Xenophanes vornehmlich
einen humoristischen Dichter und einen wenn auch nicht systematischen
Zweifler und Spötter sehen und den denkenden Philosophen in ihm ganz
zurücktreten lassen. Das ov des Parmenides ferner stellt sich T. zu
realistisch vor und würdigt zu wenig in dieser Vorstellung die kühne
Abstraktion des Denkens von dem , was die sinnliche Wahrnehmung
uns darbietet. Umgekehrt erscheint Melissos in einem zu idealistischen
Lichte; eine Auffassung, in der sich T. übrigens mit F. Kern begegnet
(s. n.). Auch die geistvolle und kühne Hypothese über den Begriff der
Materie bei Auaxagoras, dem die Bestandteile der Dinge nicht materielle
Urstoffe, sondern reine Qualitäten seiu sollen, dürfte vor einer be-
sonnenen Kritik nicht standhalten. Auf der andern Seite finden sich
in dem Buche auch viele treffliche Ausführungen, denen mau gern zu-
stimmt. Zu diesen rechne ich besonders die nachdrückliche Betonung
der bahnbrechenden Bedeutung Anaximanders, die Würdigung des
Anaximenes als Naturforscher und die höchst scharfsinnige Auseinander-
setzung über Zenons Polemik gegen die pythagoreische Auffassung von
der Materie. Doch stellt sich T. in der Behandlung des letztgenannten,
schwierigen Problems auf einen etwas zu einseitigen Standpunkt (ist
es so ausgemacht, daß Zenon nur die Pythagoreer und nicht etwa auch
Leukipp vor Äugen gehabt hat?) und geht zu weit, wenn er den Be-
weisen des Eleaten jede gegen die Bewegung gerichtete Absicht ab-
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 257
spricht. Zu diesen und andern falschen Deutungen konnte Verf. nur
auf dem meines Erachteus verfehlten "Wege gelangen, daß er die Glaub-
würdigkeit des Aristoteles herabsetzt und ihn der sclilimmsten Miß-
verständnisse beschuldigt. — Den Beschluß des Buches machen zwei
Anhänge, von denen der erste eine Übersetzung von Theophrasts Frag-
ment de sensu nach dem Texte von Diels enthält, der zweite „sur l'arith-
metique pj^thagorienne" handelt. Vgl. zu der letzteren Cantor, Zschr.
f. iMath. 1888 No. 3.
Burnets Werk, das wir in dem Abschnitt über Chronologie
bereits erwähnt haben, ist eine der ausgezeichnetsten Arbeiten über
griechische Philosophie, die in den letzten Jahrzehnten erscliienen sind,
und kann als eine treffliche Ergänzung zu der neuesten Auflage von
Zellers erstem Bande gelten, mit dem es gleichzeitig veröffentlicht
worden ist. Der Verf. behandelt die vorsokratischen Philosophen mit
Ausnahme Demokiits und der Sophisten, die er einer späteren Periode
zurechnet, eingehend und erschöpfend. Wir erhalten sowohl über ihre
äußeren Verhältnisse (Chronologie, Leben und Schriften) wie über ihre
Lehren genauen Aufschluß. B. steht durchweg auf der Höhe der
modernen Forschung; er kennt die neueste Litteratur, naraeotlich
auch die deutsche, mit ganz geringen Ausnahmen, begnügt sich aber
keineswegs mit einer Wiedergabe ihrer Ergebnisse, sondern hat sich
auf grund umfassender Quellenstudien sein eigenes Urteil gebildet, das
er stets scharfsinnig zu begründen weiß. Der Überlieferung gegenüber
übt er eine durchaus selbständige, scharfe, bisweilen zu scharfe Kritik
und kommt so oft genug zu Annahmen, die von denen der übrigen
Gelehrten abweichen und schwierige Fragen auf eine neue, eigentümliche
Weise beantworten. Daß er hierbei öfter fehlgreift, kann bei der
Mangelhaftigkeit und Unklarheit unserer Überlieferung nicht wunder
nehmen. Ein besonderer Vorzug des Buches ist es, daß dfe doxogra-
phischen Angaben und ebenso die Fragmente bei jedem Philosophen in
englischer Übersetzung dem Texte eingefügt sind. Die Noten unter
dem Texte enthalten nicht selten wertvolle Beiträge zur Erklärung, ge-
legentlich auch zur Kritik schwieriger Stelleu. Wir bedauern, nur
kurz auf die bemerkenswertesten Punkte in der Darstellung des Ver-
fassers hinweisen zu können, um so mehr, als auffallenderweise bisher,
soviel wir wissen, keine Besprechung des Werkes erschienen ist. Die
Einteilung und Anordnung der Sj-steme, die sich streng an die vom
Verf. angenommene zeitliche Abfolge hält und größtenteils mit der von
Windelband übereinstimmt, ist folgende: I. The Milesian school.
IL Science and Religion (Pythagoras und Xenophanes). III. Herakleitos.
IV. Parmenides. V. Empedokles. VL Anaxagoras. VII. The Pytha-
goreans. VIII. The younger Eleatics (Zenon und Melissos). IX. The
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVI. (1898. 1.) IT
258 BericLte über die griechischen Philosophen vor Sokrates (Lortzing.)
revival of Philosophy in lonia (Hippou, Idaios, Leukippos, Diogenes,
Archelaos). — lu der Einleitung, die den philosophischen „Hylozoisnius"
scharf von den abergläubischen Vorstellungen der ältereu Dichter scheidet
und die Entlehnung philosophischer Gedanken vom Orient bestreitet,
wird S. 10 ff. hervorgehoben, daß die älteren Philosophen sich nicht in
Begriffen, sondern in Vorstellungen bewegten und die vielen Termini,
die ihnen traditionell beigelegt werden, erst späteren Ursprungs sind.
Wenn hierbei behauptet wird, 9631; bedeute den Alteren „die Grund-
substanz", so. nicht apyr, (?), habe Anaxiniauder sein ocTistpov genannt,
und -spl cp'j3£toc sei daher die Überschrift gewesen, die sie ihren Büchern
gegeben hätten, so sind dies Vermutungen, die schon dadurch hinfällig
werden, daß es sehr zweifelhaft ist, ob Titel wie Trepl tputjetoc von den
Älteren selbst herrühren. — Über Thaies urteilt B. sehr besonnen,
geht aber wohl zu weit, wenn er nicht ihn, sondern seinen Nachfolger
als den ersten Hylozoisten bezeichnet (vgl. 0. die ähnliche Auffassung
Tanneiys). Die verschiedenen Anffassungen über Anaxim anders
ötTietpov werden klar geschieden und scharf beurteilt; das Schlußergebnis
jedoch, nach dem alle diese Erklärungen unrichtig sind, aber alle eine
gewisse W'ahiheit enthalten, möchte ich nicht unterschreiben. — 64 ff.
bekämpft B. mit großer Entschiedenheit die herrschende Meinung, daß
die „unzähligen Welten" Auaximanders successiv seien; er hält sie viel-
mehr für koexistent. — Gegen die Zeugnisse des Altertums, auch die
des Aristoxenos und Dikäarch über Pythagoras, verhält sich Verf.
sehi- skeptisch und geht hierin noch weiter als Zeller; aber das giebt
er zu, daß Pyth. kein „bloßer Medizinmann" war, sondern eine kos-
mologische Theorie gehabt hat, wogegen er die Zahlenlehre nicht auf
ihn zuiückführt, sondern erst bei den Pythagoreern des 5. Jahrhunderts
entstehen läßt (?). Hier hat wohl die künstliche Loslösung des Pyth.
von seiner Schule unwillkürlich auf die Auffassung und Darstellung ein-
gewirkt. — Xenophanes beurteilt B. ähnlich wie Tauneiy (s. 0); er
sieht in ihm nur einen Satiriker, der eine Zeitlang zu den Füßen Anaxi-
manders gesessen halte, und unterschätzt allzusehr seine philosophische
Bedeutung. Die Erörterung über seine Lehre enthält manche treffende
Bemerkung; aber der Widerspruch, der nach unseren Quellen in Xe-
nophanes' Beantwortung der Frage nach der Begrenztheit des Alls
lag, scheint mir nicht beseitigt zu sein. — Treffend und schön ent-
wickelt B. den Grundgedanken Heraklits, den er mit Patin in der
Lehre von der Einheit der Gegensätze erblickt, und die weitere Ent-
faltung dieses Gedankens in der Lehre vom Feuer vom Feuer und vom
Fluß. Die £x-üp(üai; will er nicht als Heraklitisch gelten lassen und
stellt die dagegen sprechenden Gründe geschickt zusammen. Mit vollem
Jlechte weist er Teichmüllers Auffassung Heraklits als Theologen und
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 259
mit Zeller den von Pfleiderer vermuteten Zusammenhang- seiner Lehre
mit der Mysterienidee zurück, indem er zeigt, daß Her. im Gegensatze
zu Pythagoras der religiösen Bewegung seiner Zeit vielmehr feindselig
gegenüberstand. Über Heraklits Auffassung vom Tode dagegen spricht
er eine etwas phantastische, durch allzu künstliche Deutung gewisser
Fragmente gewonnene Ansicht aus: Her. soll einen feurigen und einen
wässerigen Tod unterschieden haben ; die den ersteren sterben, werden
unsterblich (!). — In der Lehre des Parmenides läßt B. zu sehr den
Einfluß des Pythagoras überwiegen, dem jener doch nur in seiner Ao;a
gefolgt sein kann, und drängt den des Xenophanes zu sehr in den Hinter-
grund. Auch betont er wie Tannery einseitig das Realistische bei Parm.;
dieser sei nicht der Vater des Idealismus, sondern gerade jeder Mate-
rialismus beruhe auf seiner Anffassunix des Wirklichen. Die Dt^utung
der axEtpavat des Parm.. (sie sollen keine Kugeln, sondern konzentrische
Ringe, auch die Erde nicht kucelförmig, sondern rinaförmig [?] sein),
ist jetzt durch Berser und Diels überholt worden. — Zu weit geht die
Behauptung, Empedokles stehe zu Heraklit in gar keiner Beziehung,
man vergleiche nur das Netxo?, das B. auf Anaximander (?) zurück-
führen möchte, mit dem rioXefxo; oder der "Ept? Heraklits. Annehmbar
dagegen ist, was über die Bedeutung der Empedokleischen Bezeichnunsen
für die Elemente, über den Zusammenhang der <:pt).oTr)c mit dem mensch-
lichen Gefühl der Liebe nnd über die Stofflichkeit der beiden bewegenden
Kräfte gesagt wird. Auch den Widerspruch zwischen der Theologie
und Religion hat B. gut beleuchtet, nicht scharf genug freilich betont,
daß auch diese Theologie wieder mit seinem physikalischen Systeme
nicht im Einklang steht. — Die Auffassung, die B. mit Tannery (s. o.)
teilt, daß die Urstoffe des Anaxagoras keine Gestaltungen der Materie,
sondern nur die entgegengesetzten Qualitäten der Dinge seien, ist be-
reits von Zeller widerlegt worden. Auch die Unterscheidung zwischen
ypr^fiara und a-£p[xaTa bei Anaxag. muß als verfehlt bezeichnet werden.
Der voüc desselben Philosophen wird zu stofflich aufgefaßt (vgl. Windel-
band) und damit seine im Altertum anerkannte Bedeutung zu wenig
gewürdigt. — In der Frage der Echtheit der Philolaischen Frag-
mente stellt sich B. auf die Seite derer, die sie radikal verwerfen. In
der Darstellung der Zahlenlehre der Pythagoreer folgt er den gründ-
lichen Untersuchungen Bäumkers (s. o.) und führt gegen Zeller für die
Annahme, daß diese Lehre ursprünglich nicht einen arithmetischen,
sondern einen geometrischen Charakter hatte, beacl)tenswerte Gründe
an. Die Ansicht, daß die Zahlen , durch Nachahmung" existierten,
verwirft er als nicht altp5i;hagoreisch und führt «ie auf einen Irrtum
zurück. — In bezug auf die Zenonischen Beweise tritt er im wesent-
lichen der Auffassung Tannerys (s. o.) bei. — In der Verwerfung eines
17*
260 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Teiles der bei Simplicius überlieferten Fragmente des Melissos trifft
er mit Pabst (s. u.) zusammen, wobei er bemerkt, daß er vor Kenntnis
der Abhandlung dieses zu dem gleichen Erji;ebnis gelangt sei. — Den
Auteil, den Leu kipp an der atomistischen Lehre gehabt hat, beschränkt
B. mit Windelband (s. o.) auf ein zu geringes Maß.
Die Skizze von Glogau, über die ich Berl. Ph. Wschr. 1897,
579 ff. berichtet habe, stellt die Anfänge der Philosophie in so eigen-
artiger und fesselnder Weise dar, daß die Arbeit trotz ihrer Kürze
und trotz mancher Fehlgriffe im einzelnen Beachtung verdient. Nach
einer kurzen Einleitung über das Verhältnis der Philosophie zur Eeligion
wird zunächst die „Weisheit des Orients" (Babylonier, Ägypter, Chinesen
und Indo-Iranier) geistvoll skizziert. Dem Hauptabschnitt über die
griechische Philosophie (S. 48 — 79) geht eine Übersicht über den
Götterglauben Homers und Hesiods sowie über die dionysische und
orphische Lehre voraus. Von den milesischeu Philosophen wird Thaies
ziemlich eingehend, die beiden anderen dagegen unverhältnismäßig kurz
behandelt, ebenso Diogenes. Von der Lehre des Pythagoras entwirft
G. ein anschauliches und im wesentlichen richtiges Bild; doch durften
jnugpythagoreische Vorstellungen wie die von der Tzputzt] (xova? und der
Weltseele nicht auf die ältere Schule übertiagen werden. Nicht ein-
verstanden sind wir mit der Behandlung der Eleaten. Die Lehren des
Xenophaues und Pai'meuides werden unklar und teilweise irrtümlich
dargestellt und Melissos ganz übergangen. Die Darstellung Heraklits
verknüpft sinnreich die wichtigsten Aussprüche und Lehren des „Dankein"
zu einem lebensvollen Ganzen, läßt aber in der Auswahl der Bruch-
stücke die erforderliche Kritik vermissen. Bei Empedokles wird ver-
geblich versucht, die Lehre vom Abfall der Seeleu mit dem Ausein-
anderfallen des Sphairos in Beziehung zu setzen. Gegen die Aus-
führungen über Demokrit ist manches einzuwenden. So soll er den
„Zweck" für eine psychologische Täuschung erklärt haben (!). Für
die von ihm behauptete Subjektivität und Dunkelheit der Sinneserkennt-
nis wird eine unhaltbare Erklärung gegeben. — Der zweiten Periode,
die als „attische Philosophie" bezeichnet wird, weist G. auch die So-
phisten zu, deren Lehren im ganzen zutreffend skizziert werden. — Den
Schluß bildet Sokrates.
Unter den neu erschienenen Darstellungen der vorsokratischen
Philosophie ist keine, die sich an Originalität und wissenschaftlicher
Bedeutung mit der von Gomperz messen könnte, wenn ihr auch die
von ßurnet nahekommt. Der Verf. wandelt nirgends ausgetretene
Wege, sondern überall merkt man die Spuren eigener Geistesarbeit.
Der selbständige Wert, der so den Darlegungen Gomperz' zukommt,
wird noch erhöht durch die Weite des Gesichtskreises, die ihn die Be-
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzin?.) 261
Ziehungen des Denkens der Griechen ebenso zu der ältesten Kultur des
Orients wie zu der neueren Entwickelnntr der Wissenschaft erkennen
läßt. Treffend und fruchtbar sind die reichlichen Parallelen, die er
zwischen der Gedankenwelt der alten Philosophen und der modernen
Forschung zieht und die nur auf grund einer für einen Philoloifen unge-
wöhnlichen Vertrautheit mit den Ergebnissen dieser Forschung, naraeut-
lich auch auf dem Gebiete der exakten Wissenschaften, gewonnen werden
konnten. Auch nach der Richtung hin erweitert G. das Gebiet seiner
Darstellung über die üblichen Grenzen hinaus, dal.l er die Anfänge
wissenschaftlicher Kritik und philosophischer Spekulation auch in den
Einzelwissenschaften, besonders der Medizin, und in den geschichtlichen
und ethisch-politischen Studien in den Kreis seiner Betrachtung zieht.
Zu diesen Vorzügen des Inhalts gesellt sich eine durch klare Durch-
sichtigkeit und Bestimmtheit wie durch anmutige Fülle und Feinheit
ausgezeichnete Sprache, die allein schon die Lektüre des Buches zu
einem wahren Genüsse macht. Das Werk wird dadurch ein im edelsten
Sinne populäres, das wohl geeignet ist, weit hinaus über die Zunft der
Fachgelehrten zu wirken, zumal da der Text selbst mit keinerlei ge-
lehrtem Beiwerk beschwert ist und erst am Schluß (S. 415 — 478) zur
näheren Orientierung der wissenschaftlichen Forscher eine Anzahl knapp-
gehaltene Anmerkungen hinzugefügt sind, die außer der Angabe der
wichtigsten Quellen und Vorarbeiten der Erläuterung und Begründung
solcher Punkte dienen, in denen die Auffassung des Verfassers von der
herrschenden abweicht. — Bei der großen Fülle und dem hohen Werte
der Schätze, die uns dieses Werk spendet, muß ich mir hier eine noch
größere Beschränkung auferlegen als in den Berichten, die ich über die
erste Lieferung Berl. Ph. Wschr. 1894, 517 ff. und 553 ff. und über
den ganzen Band ebd. 1896, 545 ff. erstattet habe. Vgl. Wellmann,
Arch. f. Gesch. d. Philos. VIII (1895). 284 ff.: Weil, Journ. d. Savants
1896, 65 ff. In der Einleitung zu dem ersten, „die Anfänge" behan-
delnden Buche werden zunächst die geographische Beschaffenheit Griechen-
lands und die politische und geistige Entwickelung der Griechen bis
zum Beginn der philosophischen Forschung kurz, aber treffend geschil-
dert. Länger verweilt G. bei dem Götterglauben der Griechen, be-
sonders Homers, den er unter glücklicher Verwertung der Forschungen
Rohdes licht- und geistvoll darstellt. Höchst lehrreich sind auch die
Erörterungen über Hesiods Theogonie. — Darauf werden im 1. Kapitel
die altionischen Naturphilosophen behandelt, zu denen auch Heraklit
gerechnet wird. Ich habe in meinem Bericht über die erste Lieferung
a. a. 0. 519 f. meine Bedenken gegen diese in früheren Zeiten übliche,
jetzt aber seit Zellers Vorgang verlassene Anordnung geäußert, die
auch durch die nachträglich in den Anmerkungen S. 429 versuchte
262 Berichte über die griecliischea Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Kechtfertigung nicht gehoben wordeu sind. Die halb wissenschaftliche,
halb praktische Thätigkeit des Thaies wird kurz und ohne alle über-
flüssigen Kombinationen über die Begründung der Wasserlehre besprochen
und daraut eingehend und sehr schön die Lehre Anaximanders dar-
gestellt, wobei die teils haltlosen, teils allzu spitzfindigen Versuche
Teichmüllers, Neuhäusers u. a., das Wesen des otTietpov und die „Aus-
sonderung" der Einzelstoffe aus ihm näher zu bestimmen, stillschweigend
zurückgewiesen werden. Bei Anaximenes wird der Zusammenhang
seiner Verdichtungs- und Verdünnungslehie mit modernen Theorieen
dargelegt. — Die aus dem reichen Born gründlicher eigener Studien
geschöpfte Charakteristik Heraklits bietet ein Gesamtbild von der
Lehre des Ephesiers, wie es auf so knappem Räume vollständiger und
gehaltvoller nicht gegeben werden konnte. Her. hat fundamentale
Wahrheiten von unermeßlicher Tragweite ausgesprochen wie die von
der Relativität der Eigenschaften und der Koexistenz der Gegensätze,
den Satz vom Kriege als dem Vater und Könige aller Dinge (vgl. die
moderne Lehre vom Kampf ums Dasein) und vor allem die Erkenntnis
eines alles beherrschenden, unverrückbaren Weltgesetzes. Als Meister
zeigt sich G. auch hier wieder im weisen Verschweigen der sonderbaren
Vorstellungen Teichmüllers und Pfleiderers über den Ursprung des
Heraklitischen S3fstems. In Kapitel 2 beschäftigt sich Verf. nach Dar-
legung der Weltentstehungslehre des Pherekydes mit der orphischen
Weltbildungslehre. Er weist mit 0. Kern der rhapsodischen Theo-
gouie ein hohes Alter zu und vermutet in ihr einen Zusammenhang
mit fremdländischen Vorstellungen, deren Ursprung wahrscheinlich in
der Urheimat menschlicher Gesittung, in ßabylonien, zu suchen ist. —
Kap. 3 handelt von Pythagoras und seinen Jüngern. Die glückliche
Entdeckung der an feste und klare Zahlenverhällnisse gebundenen Töne
ist nach Gomperz' Auffassung der Ausgangspunkt für die Zahlenlehre
und Zahlenmystik der Pythagoreer geworden. An die Stelle des mate-
rialen Grundprinzips der älteren lonier trat jetzt für eine Weile das
formale der Zahl. Für die Zurückführung auch der Welt des Geistes
auf Zahlen war die religiöse Bedeutung der Zahl mitbestimmend. So
sind die ersten „exakten" Forscher zugleich die ersten und einfluß-
reichsten Mystiker gewesen. — In Kap. 4 wird uns das Weltsystem
des Philo laos vorgeführt. G. zeigt, daß die Hypothese von der täg-
lichen Drehung der Erde um einen unsichtbaren Mittelpunkt eine not-
wendige Stufe zu der Lehre von der Achsendrehung war. Daran schließt
sich eine Betrachtung über die Lehre vom Centralieuer und der Sphären-
hamonie. — In Kap. 5 wird der , orphisch-pythagoreische
Seelenglaube-, der in Hellas nicht heimisch gewesen sei und viel-
leicht durch pei-sische Vermittelung aus Indien stamme (?), als ein Teil
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 2G3
der Lehre vom Sündeufall betrachtet; von dieser religiös-mystischen
Lebensansicht sei wohl zu unterscheiden die durch ein Pra'j;ment des
Eudemos als altpythagoreisch verbürgte Lehre von der einstigen Wieder-
kehr aller "Wesen und Vorgänge. — Das 2. Buch: „Von der Metaphysik
zur positiven Wissenschaft" beginnt in Kap. 1 mit Xenophanes, dem
G. mit Froudenthal den strengen Monotheismus abspricht. Das 2. Kap.
(über Parmenides) geht aus von der eleatisclien Bestreitung der
Realität der Sinnendinge, wie sie am klarsten bei Melissos fr. 17 for-
muliert ist. Die hier an den Sinnendingen vermißten Eigenschaften
der Ewigkeit und ümv^-andelbarkeit bilden auch die Grundvoraus-
setzungen des positiven Seinsbegiiffes des Parm. Zu dem nach Aristo-
teles allen Physiologen gemeinsamen Postulate der quantitativen
Konstanz gesellte sich das der qualitativen Konstanz, Parm. irrte,
wenn er aus seinem Weltbilde alles, was der sinnlichen Wahrnehmung
entstammt, ausgeschieden zu haben glaubte, da er den Raum und
seinen Körperinhalt nicht antastete, während er die auf denselben
Sinneszeuguisson beruhende räumliche Bewegung leugnete. Man darf
ihn durchaus nicht als folgerichtigen Materialisten betrachten: sein
Stoffvvesen war zugleich ein Geisteswesen. — In Kap. 3 („die Jünger
des Parmenides") wird zunächst die Lehre des Melissos dargestellt
und mit F. Kern die „ungetrübte Seligkeit" als ein charakteristisches
Zeichen des Melissischen ov bezeichnet. Der Versuch, den G. macht,
den Widerspruch zwischen der Auffassung des Seienden als eines räum-
lich Ausgedehnten und der in einem Fr. des Mel. enthaltenen Annahme
eines körperlichen Seins (s. o.) zu lösen, scheint mir nicht gelungen.
Es werden dann Zenons Argumente, teilweise im Anschluß an Tanneiy,
scharfsinnig erläutert und ihre wissenschaftliche Bedeutung ebenso wie
ihre Mängel aufgezeigt. — Kap, 4 und 5 behandeln Anaxagoras und
Empedokles. Die auffällige Umkehrung der Reihenfolge, in der diese
beiden sonst vorgeführt zu werden pflegen, scheint durch die kurze
Anmerkung S. 447 über die bekannte Stelle des Aristoteles nicht ge-
nügend gerechtfertigt, — Von der Stoff lehre des Anaxagoras heißt es,
sie stehe zu den Ergebnissen der heutigen Wissenschaft im vollen Gegen-
satze, während seine Methode mit der modernen auffallend übereinstimme.
Den Nus will G. nicht als ein rein geistiges Wesen angesehen wissen
und glaubt seine Stoffähnlichkeit aus den Bruchstücken zweifellas nach-
weisen zu können. Gegen die Bündigkeit seiner Begründung läßt sich
indes manches einwenden. Den Ausdruck ^Homöomerie" sucht er, wie
ich glaube, ohne ausreichende Giünde, auf Anaxag. selbst zurückzu-
führen. — Sehr wertvoll, aber mit kurzen Worten kaum wiederzugeben
sind die Ausführungen über Empedokles, in dem G. in gewissem
Sinne einen Vorläufer der modernen Chemie sieht. In der Frage der
264 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Entstehung organischer Wesen erklärt er sich gegen Zeller und
nimmt mit Dümmler eine an den Darwinschen Gedanken vom „Über-
leben des Tauglichsten" erinnernde fortschreitende Umbildung der Or-
ganismen an (s. zu No. 87). Das Bedenkliche' an dieser Hypothese ist,
daß sie sich auf eine sehr unsichere Vermutung über die Textverderbnis
eines doxographischen Exzerptes stützt. Den Widerspruch zwischen
der „Seelenphysik" und der „Seelentheologie" des Emp. will G. nicht
ableugnen oder verdecken: aber er erklärt ihn geistvoll und überzeugend
durch eine schon bei Homer nachweisbare Zweiseelentheorie (Rauch-
seele = öujj-o;, Hauchseele = <J>u7r,). — Kap. 6 bespricht die Anfänge
der historischen Kritik bei Hekataios und Herodot. — Im 1 . Kap. des
3. Buches („das Zeitalter der Aufklärung") legt Verf. in lehrreicher
und anziehender Weise die bisher allzusehr vernachlässigten innigen
Beziehungen der arzneiwissenschaftlicheu Schulen der zweiten Hälfte
des 5. Jahrhunderts zu den naturphilosophischen Systemen des Heraklit,
Empedokles u. a. dar und gewährt uns einen tiefen Einblick in die Ge-
dankenwelt der dem Namen nach meist unbekannten Arzte, deren
Schriften im hippokratischeu Korpus vereinigt sind. — In Kap. 2 („die
atomistischeu Physiker") wird die atomistische Hypothese klar
und scharf formuliert. In der Annahme einer zweifachen Bewegung
der Atome folgt G., abweichend von Zeller, mit Recht den Unter-
suchungen von Brieger und Liepmann. Dagegen kann ich ihm nicht
beistimmen, wenn er jede nennenswerte Abhängigkeit der Atomiker von
den Eleaten leugnet (s. Berl. Ph. Wschr. 1896, 552 f.). — Die Sitten-
lehre Demokrits hätte wohl eine eingehendere Besprechung verdient.
— In Kap. 3 werden die „Ausläufer der Naturphilosophen", besonders
Diogenes, behandelt. Daran schließen sich in Kap. 4 die „Anfänge
der Geisteswissenschaft". Hier wird namentlich der Gegensatz zwischen
(puais und deai; in den Spekulationen über den Ursprung der Sprache
(Demokrit) sowie auf ethisch-politischem Gebiet (Archelaos, Kallikles)
betont. — In Kap. 5 werden die Sophisten in vielen Punkten treffend,
aber zu einseitig (nach Grote) charakterisiert und dann näher Pro-
dikos, Hippias und Antiphon besprochen, von denen der erstere auf
grund der Mitteilungen des Axiochos, die ich indes nicht mit G. für
glaubwürdig halten kann, als der „älteste Pessimist" bezeichnet, die
beiden anderen, insbesondere Antiphon, nach seinen von Blaß ent-
deckten Fragmenten aus der Zahl der Aufklärer gestrichen und als
„regelrechte Lehrer der griechischen Moral" hingestellt werden. —
Zu der im 6. Kap. enthaltenen geistvollen und scharfsinnigen Dar-
legung der auf vielen Gebieten fruchtbar sich bethätigenden Forschung
des Protagoras sei hier nur bemerkt, daß durch den aus eirfer
früheren Arbeit des Verfassers hier wiederholten Beweis für die gene-
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 265
relle Auffassung des Maßsatzes die wohlbeffründete gegenteilige Ansicht
Natorps nicht widerlegt scheint. Die hiermit im Zusammenhange
stehende Vermutung, daß Prot, der Verfasser der Schrift -spl tr/vr]?
sei, wird gleichfalls hier wiederholt, wenn auch weniger zuversichtlich
als früher und demgemäß der abderitische Sophist zum Empiriker, ja,
fast zum moderneu Positivisten gemacht. — Im Kap. 7 beschäftigt sich
G. mit Gorgias und will dessen anscheinend nihilistische Thesen,
wiederum im Einklang mit Grote, nur auf die Welt des reinen, elea-
tischeu Seins, nicht auf die der Erscheinungen bezogen wissen, ohne
jedoch für diese Deutung einen thatsächlichen Beweis zu erbringen. —
Das Schlußkapitel bespricht den „Aufschwung der Geisteswissenschaft"
und behandelt besonders die Schrift vom Staate der Athener und den
historischeu Staudpunkt des Thukydides.
Nicht die gesamten Vorsokratiker, sondern nur einzelne von ihnen
bespricht
109. A. Gladisch, Die vorsokratischen Philosophen. Jahrb.
f. kl. Phil. CXIX (1879), S. 721—733
von seinem früher in zahlreichen Schriften durchgeführten Standpunkte
aus, nach dem sich in den bedeutendsten vorsokratischen Systemen die
Weltausicht der fünf orientalischen Hauptvölker widerspiegelt. Nach
einer zutreffenden, aber überflüssigen Kritik der willkürlichen Geschichts-
konstruktion Hegels stellt G. die Behauptung auf, diese Hegeische Art
habe ihr Vorbild in der Aristotelischen Anwenduug der vier metaphysischen
Grundprinzipien auf die älteren Philosophen, die dadurch in ein falsches
Licht gestellt worden seien. Thaies gehöre überhaupt nicht in die
Aristotelische Skala, da er seineu Ausspruch über das Wasser nicht
begründet habe('?). Weder Anaximenes noch Diogenes noch Heraklit
hätten mit der Luft und dem Feuer die sogen. Elemente geraeint; sie
hätten überhaupt nicht den Urstoff, sondern Gott gesucht (!) und das
Urwesen als geistig gedacht(!), wenn auch noch nicht wie Anaxagoras
als den unkörperlichen Geist. Auf eine Widerlegung dieser wunder-
lichen Ansichten brauchen wir uns nicht einzulassen; Zeller hat sie in
der neuesten Aufl. nicht einmal der Erwähnung für wert gehalten.
Eine bestimmte Gruppe von Philosophen behandelt:
110. G. Breton, Essai sur la poesie philosophique en Grece:
Xenophone, Parmenide, Empedocle. Paris 1882. 267 S. 8.
Nicht die dichterische Bedeutung der drei Philosophen wird,
wie man nach dem Titel vermuten sollte, in diesem Buche behandelt,
sondern eine Darstellung ihrer Lehren gegeben, die sich sehr schön
liest, aber in ganz unhistorischer Weise aus jenen alten Denkern
moderne Philosophen macht und für die Wissenschaft keinen Wert hat.
266 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Wer die in eleganter Sprache vorgetragenen, aber grundverkehrten
Ansichten des Verfassers näher kenneu lernen will, den verweise ich
auf meinen Bericht Berl. Ph. Wschr. 1884, 1053 ff.
Eine bestiujuite Zeitrichtung in der Philosophie hat zum Gegen-
stand der Betrachtung gemaclit:
111. G. Espinas, La philosophie de l'action au V^ siöcle av.
J. Chr. Arch. f. Gesch. d. Philos. VI (1893). S. 491-508 und VII
(1894), S. 193—223 (Rapports de Tart avec la nature).
In der ersten Abh. führt Verf. zunächst aus, daß nach Heraklit
die beiden Gegensätze, die in der Welt herrschen, Natur und Regel,
cpuan und v6|jloc, in der göttlichen Vernunft begründet sind und der
Wille des Menschen daher nur als eine Fortsetzuno; des göttlichen er-
scheint; Notwendigkeit und Vorsehung sind hier noch miteinander ver-
knüpft. Anaxagoras setzt sie einander entgegen: die Kausalität wird
bei ihm eine rein mechanische, die göttliche Intelligenz nur mangels
einer wissenschaftlichen Erklärung herangezogen. Diese durch Diogenes
Ap. (?), Archelaos und Protagoras auf die moralische Welt übertragene
Auffassung wird durch Demokrit(?) vollendet: die tü-/t) und das auto-
jjiaTov bringen für sich allein die Stufenfolge der Dinge hervor, ein-
schließlich der menschlichen Gesellschaft. Zu dieser Theorie kam nun
die Fülle der durch die Sophisten mündlich oder schriftlich überlieferten
praktischen Kenntnisse. Gestützt auf die Kenntnis der Naturgesetze,
entdeckten die Philosoplien, daß überall, wo solche Gesetze erkannt
worden sind, das menschliche Handeln seines Erfolges sicher ist. „Celui
qui sait peut" sagt Hippokrates [wo?]. Alle Phänomene erschienen
der Wissenschaft zugänglich; man glaubte nicht mehr an die Ein-
mischung der Götter in die menschlichen Angelegenheiten. Indem der
-£-/vr, das Übergewicht zuerkannt wird, wird die Macht des menschlichen
Willens über die Natur proklamiert. — In der zweiten Abh. sucht Verf.
zu zeigen, daß die drei überhaupt möglichen Lösungen der Frage nach
dem Verhältnis zwischen Natur und Kunst: 1) ,L'art se passe de la
nature; 2) il s'efface et s'annihile devant eile; 3) il la prend pour
alliee" im 5. Jahrhundert versucht worden sind. 1) Die Souveränität
der Kunst ist die Losung der älteren Sophisten. Protagoras bean-
sprucht nicht wegen seiner subjektivistischen Lehre, sondern auf grund
seines Vertrauens in die Wissenschaft im allgemeinen (?) und seiner
persönlichen Wissenschaft in erster Linie den Namen eines Sophisten.
Die Sophistik im engeren Sinne ist nur ein Zweig der naturalistischen
Philosophie. Protag. handelte vom Ursprung der Gesellschaft und der
Tugend als Naturalist. Das Paradoxon des Gorgias ging nur darauf
hinaus, die Betrachtung der Wahrscheinlichkeit an die Stelle des Suchens
Berichte über die griechischen Philosopheu vor Sokrates. (Lortzing.) 267
nach absoluter "Wahrheit zu setzen und zu zeigen, daß die Wisscuschaft
ihren Zweck nicht in sich selbst hat, sondern nur dazu dient, die Praxis zu
leiten ('?): Wissenschaft und Praxis sind eins; ihr Maß liefet im Ejfolge.
— Protag. hat den Subjektivismus noch nicht auf das praktische Ge-
biet ausgedehnt: das Wissen ist subjektiv, das Handeln «niclit. Die
Kunst hängt also hier noch von der Natur ab. 2) Im Gegensatz zu
den vorigen haben ein Thrasyraachos und ein Kallikles die Souveränität
der Natur verkündet. Alle menschlichen Institutionen sind willkürliche
Einrichtungen, die keine Begründung in der Natur haben. Die revolu-
tlonäien Grundsätze eines absoluten Individualismus entwickeln auf den
verschiedensten Gebieten Kritias, Hermogenes im Kratylos, Hippias,
Kallikles. Aus der Mitte der Sophisten selbst trat Protag. gegen
solche Ansichten als Gegner auf. Damit begann die dritte Stufe:
Versöhnung der Kunst mit der Natur. Angebahnt wmrde diese
Eichtung im Mythos des Protag., in dem Gerechtigkeit und Sittlichkeit
den ersten Rang unter den Bedingungen der sozialen Existenz ein-
nehmen. Es giebt nach E. keine objektivere Lehre (?); in ihr sind
Natur und Kunst vereint. Diese von Protag. in ein mythisches Gewand
gehüllte Lehre tritt uns in wissenschaftlicher Form bei Demokrit(?)
entgegen. Die Physik hat bei ihm einen neuen Sinn erhalten: sie
arbeitet im Schöße der Organismen, um sie mit den für das Leben
notwendigen Werkzeugen zu versehen; sie bildet menschliche Gesell-
schaften und giebt den Menschen ihre wohlthätigen Instinkte. Daher
sind Wollen und Denken der Menschen, Kultur und Kunst im Ein-
klang mit der Natur, wenn sie mit ihr in Verkehr treten. — Damit
überschreitet Demokrit den Horizont seines Jahrhunderts; er kündet
eine neue, praktische Philosophie an, eine neue Art der Erziehung, durch
die Liebe, nicht durch die Furcht (?). Die „couspiration des volontes"
ist die wahre Grundlage der Gesellschaft und des öffentlichen Glückes,
mit dem das individuelle eng verknüpft ist. In dieser Formel, w^enn
sie auch nicht von Demokrit ausgesprochen worden ist, drückt sich
doch der Geist seiner Fragmente aus (?). — Daran schließt sich ein
Abschnitt, der „Classification des arts" überschrieben ist, und in dem
viel von dem Gegensatz des Willens und der Begabung einerseits und
der Einsicht und Erkenntnis andererseits bei den Sophisten und be-
sonders bei Demokrit die Rede ist ; ich vermag aber beim besten Willen
nicht zu ergründen, was Verf. eigentlich mit alledem beweisen will. —
Die Ausführungen von E. enthalten eine unklare Mischung von Wahrem
und Falschem. Was Verf. über die verschiedenen Richtungen der
Sophistik sagt, hat viel für sich, ist übrigens in anderer Form auch
schon von anderen ausgesprochen worden; aber hier ist alles viel zu
sehr auf die Spitze getrieben. Gegensätze, die in gewissem Sinne den
268 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
verschiedenen Strömungen der damaligen Zeit zu gründe gelegen haben
mögen, werden künstlich empoigeschraubt und in abstrakte Formeln
gebracht, die jenen frühen Zeiten fremd waren. E. liest aus dem that-
sächlich Überlieferten zu viel heraus und deutet es oft ganz willkürlich.
Er besitzt ^en nicht die philologische Schulung, die für solche Unter-
suchungen, wenn sie ersprießlich sein sollen, unentbehrlich ist.
Einzelne Zweige der vorsokratischen Philosophie behandeln:
112. B. Münz, Die Keime der Eikenntnistheorie in der vor-
sophistischen Periode der griechischen Philosophie. Wien 1880.
52 S. 8.
113. Derselbe, Die vorsokratischc Ethik. Zeitschr. f. Philos.
LXXXI (1882), S. 245—268.
*114. J. Burnet, Law and nature in Greek ethics. Inter-
national Journal of Ethics 1897.
*115. Galasso, Le idee nelle scuole filosofiche prima di Piatone.
Studio storico critico. Napoli 1886. 63 S. 8.
116. G. Dandoto, L'anima nelle tre prime scuole filosofiche
della Grecia. Riv. di filos. scientifica. Vol. X (1891), S. 257-282.
117. K. Joel, Zur Geschichte der Zahlenprinzipien in der
griechischen Philosophie. Monismus und Antithetik bei den älteren
loniern und Pythagoreern. Zeitschr. f. Philos. LXXXVII (1890),
S. 161—228.
*I18. A. Hromada, Die vorsokratische Philosophie der
Griechen und die moderne Naturwissenschaft. Progr. der Oberreal-
schule, Prag 1878. 48 S.
Die beiden Abhandlungen von Münz enthalten nichts als leeres
und unklares Gerede, noch dazu in einem mangelhaften Stil vorgetragen,
— TTber Galassos Arbeit s. die Besprechung von F. Tocco Arch, f.
G. d. Philos. I (1888), 465 ff., wonach die Methode des Verfassers die
einer spekulativen Rekonstruktion der antiken Systeme ist, in denen er
mehr findet, als sie enthalten. — Dandolo bietet kaum etwas Neues.
Die Milesier und die Eleaten werden sehr kurz behandelt, ausführlicher
die Pythagoreer, über deren Seelenlehre Verf. eigene Vermutungen
aufstellt. Dem Ergebnisse jedoch, daß die Pythagoreer die Seele als
eine Zahl oder, „was dasselbe ist (?)", als Harmonie betrachtet haben,
die da bewegt, ohne von etwas anderem bewegt zu werden, können
wir nicht beistimmen.
Joel will die Prinzipien oder richtiger die „Tendenzformen" des
„Monismus" und der ,, Antithetik" in der vorplatonischen Philosophie
nachweisen. Seiner Meinung nach treten in jedem vollendeten System
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 269
gewisse konstituierende Grundzahlen auf, die es durchziehen, und die
zu verfolg'en keine leere Spielerei und kein bloß äußerlicher Schematis-
mus sei, da es sich nicht um die Zahlen, die Eins, Zwei und Drei, handle,
sondern um die in diesen Zahlen sich aussprechenden entgeg-engesetzten
Triebe, den Einheit und Vereinigung suchenden monistischen und den
parallelistischen oder antithetischen Trieb der Sonderung, den J. auch
als pluralistisch bezeichnet, und diesen beiden gegenüber um den Trieb
der Vermittelung, den Sinn für Relation und Relativität. In der
griechischen Philosophie herrscht bei den älteren loniern, den Pytha-
goreern, Eleaten und bei Heraklit der Monismus, bei Empedokles, Anaxa-
goras, den Atomikern, Sophisten und bei Antisthenes ( !) der Pluralismus
vor, während die Vermittelung beider Richtungen sich in Piaton dar-
stellt. Wie nun Verf. diese Zahlprinzipien im einzelneu bei Thaies,
Anaximander, Anaxiraenes, Diogenes, Hippen, Idaios und bei den
Pythagoreern (diese werden besonders ausführlich behandelt) nachzu-
weisen sucht, kann hier nicht angegeben werden. Treffend sagt
E. Wellraann, Arch. f. G. d. Philos. V, 91 if.: „So erscheinen in
dieser Darstellung alle Denker jener Periode als Marionetten, deren
Gedanken , wohin sie auch schweifen mögen , überall von zwei unsicht-
baren Fäden gelenkt werden." So groß auch die Rolle ist, die die
Zahl bei den Pythagoreern und in gewissem Sinne überhaupt bei den
alten Philosophen spielt, so muß doch die Art, wie J. in den sachlichen
Prinzipien und Gegensätzen innerhalb der antiken Systeme überall die
Herrschaft bestimmter Zahlen aufzuspüren bemüht ist, in der That als
unnütze Spielerei und unfruchtbarer Formalismus bezeichnet werden.
Eine besondere Frage ist behandelt w'orden von:
119. H. Diels, Über die ältesten Philosophenschulen der
Griechen. Philosoph. Aufs. Ed. Zeller gewidmet. Leipzig 1887,
S. 239—260.
Verf., der hier auf engem Räume eine Fülle neuer Gedanken
bietet, macht es wahrscheinlich, daß sich dieEntwickelung der griechischen
Philosophenschulen von Anfang an in ebenso festgeschlossenen Innungen
vollzog wie in der Blütezeit (vgl. v. Wilamowitz-Möllendorff, Autigonos
v. Kar. 263 ff. und Usener, Organisation der wissen schaftl. Arbeit.
Preuss. Jahrb. Bd. 53, 1 ff). Thaies muß mitten in einem Kreise
bedeutender Schüler gestanden haben, die von der mathematisch- natur-
wissenschaftlichen Schulung teils praktischen, teils wissenschafilichen
Gebrauch machen wollten. Diese Schulgemeinschaft ist, nach der
politischen Bedeutung des Thaies zu schießen, zugleich eine politische
Vereinigung gewesen und hat sicherlich nicht eines religiösen Elements
entbehrt (?). So ist er im eigentlichen Sinne der ip■/r^■;i::r^i der milesischen
270 Berichte über die griechischen Philosophen vor So'crates. (Lortzing.)
Schule Nor durch die Tradition in einer festen Schule konnten auch
seine Lehrsätze überliefert werden, da er wahrscheinlich nichts Schrift-
liches hinterlassen hat. Diese Schule reichte von Thaies bis Anaximenes
in direkter Abfolge, muß aber auch noch während des 5. Jahrhunderts
bestanden haben (Hippou, Idaios, Diogenes). Von dem pythagoreischen
Philosophenverein kann, aucli wenn man der hier reichlicher fließenden
Überlieferung wenig traut, doch als feststehend angesehen werden, daß
er ein religiös-politischer Rund war mit besonderer Pflege der Mathe-
matik und Musik und einer geregelten <jufj.^ia)7i;. Mit dem Pythagoreer-
tum hängen fast alle bedeutenden Schulen dieser Zeit zusammen; so
auch die Eleaten, die ihrerseits in der späteren Überlieferung so ge-
schlossen auftraten, daß man an eine besonders enge Verbindung der
Mitglieder denken darf. D. geht hier auf das Verhältnis der 'AXrjöeia
und Ao^a bei Parmenides ein und beantwortet die seit lange umstrittene
und noch heute nicht gelöste Frage, weshalb der Eleat die Welt des
Truges überhaupt dargestellt hat, nach v. 123 f. St. = 8, 60 f. D. dahin:
Parm. wollte seine Schüler gegen mögliche Angriffe der anderen
Schulen feien; sein Gedicht ist ein Katechismus der wahren und der
falschen Lehre, die 'AXr^asia der Kanon, die Ao^a der Ledersack, an
dem die jungen Athleten sich für den wirklichen dYwv üben sollten.
Die letztere ist eine schematische Wiedergabe der eleatischen Schul-
polemik und Dialektik, wie sie ohne Zweifel schon seit Parm. auch im
mündlichen Verkehr der Schulgenossen getrieben wurde. Parm. mochte
seinen Schülern an dem System des Anaximander, Anaximenes u. a.
(keineswegs bloß der Pythagoreer, deren Physik allein er nach Tannery
wiedergeben soll) die falsche dualistische Durchführung des Einheits-
gedankens zeigen. Er faßte alle die verschiedenen Benennungen der
elementaren Gegensätze zusammen, um dann nachzuweisen, daß jene
dualistische Physik Schein und Schwindel und der Monismus das einzig
Denkbare sei. Aber da er kein Eristiker ist, so greift er aus der
dualistischen Physik das eine Element des Feuers heraus und stellt es
Seinem wahren Sein gleich. Die Bestimmungen, die er ihm leiht, sind
realistische Überbleibsel des alten lonismus , die noch stärker bei
Xenophanes und Melissos hervortreten. Die wahre eleatische und die
falsche ionische Methode werden v. 45 ff. -- 4, 1 ff. D. einander gegen-
übergestellt, eine dritte, noch verwerflichere, die den Wechsel und |
Widerspnich zum Prinzip erhebt, die Heraklits nämlich, v. 54 ff. = 6, 4 ff.
bekämpft Weitere Spuren der Schnlpolemik sieht D. in den Titeln der
Werke Zenos C?). Die erhaltenen Fragmente dieses haben keine
polemische Spitze, zeigen aber die dichotomische Beweisführung bis zur
Virtuosität ausgebildet. Die Grundlagen für seice Dialektik und in
noch höheiem Grade für die des Melissos ^'ehören der Schule des Parm.
II
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lorfzing.) 271
an. — Die Tradition der atoraistischen Schule ist dadurch verdunkelt,
daß Leukipps Schriften mit denen Demokrits verschmolzen sind, was
auf eine Ähnlichkeit der Gedanken und der Darstellung hindeutet, die
nur bei sehr engem Zusammenhalten der Schule möglich ist. Bei den
Atomikern muß eine meisterliche Schnlorganisation vorhanden gewesen
sein. Demokrits Name ist mit jener .Encyklopädie eng verknüpft, die
Aristoteles das Vorbild zu seinem allumfassenden Bau geliefert hat.
Von den Namen und den Leistungen dieser abderitischen Encyklopädisten
ist uns nur weniges bekannt. — Einen engen schulmäßigen Zusammen-
schluß der ältesten philosophischen Sekten wird man nach dieser Dar
legung kaum noch in Abrede stellen; ob aber diese Vereinigungen, ab-
gesehen von den Pythagoreern. auch einen politischen und religiösen
Charakter gehabt haben, scheint doch sehr zweifelhaft. Auch für die
polemisch-didaktische Absicht der A6;a des Pai'm. scheint mir D.
keinen genügenden Beweis geliefert zu habeu. (Näheres darüber
später.) —
Über das Verhältnis der Philosophen zu dem Altmeister Homer
handelt:
120. 0. Friede], De philosophorum Graecorum studiis Homericis.
P. I: Progr. des Domgymnas. zu Merseburg 1879. 28 S. 4. P. II:
Programm des Gymnas. zu Stendal 1886. 20 S. 4.
Verf. untersucht mit großer Sorgfalt und Besonnenheit im 1. Teile
die Beziehungen des Thaies, Pythagoras und Xenophanes, im 2. Teile
die Heraklits zu Homer und gelaugt hierbei zu durchweg beachtens-
werten, zum Teil sicheren Ergebnissen. Auf die Einzelheiten der Be-
weisführung können wir an dieser Stelle noch nicht eingehen, weil sie
mit der Erklärung einzelner Fragmente, besonders Heraklits, im engsten
Zusammenhange stehen. Die Hauptergebnisse sind folgende. Daß
Thaies seine Lehre auf Homer zurückgeführt hat, ist nicht zu erweisen,
aber möglich. Pythagoras, von den Samischen Kreophyliern unterwiesen,
schrieb den homerischen Gesängen große Kraft zur Beruhigung des'
leidenschaftlich erregten Gemütes zu und hat wahrscheinlich öfter aus-
erlesene Verse Homers zur Leier gesungen (?). Xenophanes hat den
Homer oft getadelt, besonders wegen seiner Darstellung der Götter, aus
dem gleichen Grunde auch den Hesiod. Ihm erschienen deshalb die Ge-
sänge Homers für die Jngend scliädlich. Er schmähte Homer in Ge-
dichten, die den Sillen Timons ähnlich waren, und in denen er Worte aus
Homer entlehnte. Die Fragmeute haben eine epische oder homerische
Färbung (s. jedoch Diels Parmen. 10); einzelne Beispiele direkter
Nachahmung lassen sich jedoch nicht beibringen. Er hielt den Homer
für älter als den Hesiod und für einen Kolophonier; seine Geburt setzte
272 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
er in d. J. 908. — Ileraklit hat behauptet: 1. Homer, obwohl er als
der Weiseste der Griechen gilt, täuschte sich doch in ganz offenkundigen
Dingen; er merkte nicht, daß die Natur selbst, wenn man sie richtig
sieht und begreift, die beste Erklärerin aller Diuge und Fragen ist
(F. erschließt dies aus dem bekannten Läuserätsel, auf das sich jedoch
nach B^-water zu fr. 47 und Patin Heraklits Einheitslehre 22 Heraklit
gar nicht bezogen hat). 2. Homer hat verkehiterweise den Streit ver-
wünscht. 3. Homer und Archiloches sind zu tadeln wegen ihrer Unter-
scheidung glücklicher und unglücklicher Tage, weil sie das menschliche
Denken vou der Willkür der Götter abhängig dachten. (Treffend weist
F. die Meinung zurück, daß Her. den Homer als Astrologen gebrand-
markt habe.) 4. Aus demselben Grunde sind beide aus dem Wettkampfe
hinauszuwerfen.
Eine Anzahl Abhandlungen, die sich auf den Ursprung der
griechischen Philosophie und ihre Ableitung aus dem Orient sowie auf
das Verhältnis der älteren Philosophen zur Orphik und zu Pherekj^des
beziehen, wollen wir erst im spezieilen Teile besprechen.
4. Schriften, die sich auf ein anderes Gebiet als das zur Besprechung
stehende beziehen, aber eine Anzahl wertvoller Beiträge zur vor-
sokratischen Philosophie enthalten.
Auf Vollständigkeit machen wir hier keinen Anspruch. Den
Inhalt der einzelnen Beiträge werden wir nur kurz angeben.
121. J. Bernays, Phokiou und seine neueren Beurteiler. Ein
Beitrag zur Geschichte der griechischen Piiilosophie und Politik.
Berlin 1881.
122. F. Dum ml er, Antisthenica. Doktordissert. von Halle.
Berlin 1882.
123. Derselbe, Akademika. Beiträge zur Litteraturgeschichte
der sokratischcn Schulen. Gießen 1889.
124. V. Joel, Der echte und der Xeuophontische Sokrates.
B. I. Berlin 1893.
125. Euripides' Herakles erklärt von U. v. Wilamowitz-
Möllendorff. ß. I: Einleitung in die attische Tragödie. B. II:
Text und Kommentar. Berlin 1889. Zweite Auflage 1895.
126. A. Chiappelli, Nuove ricerche sul naturalismo di Socrate.
Arch. f. G. d. Philos. IV (1891), S. 369—413.
Bernays schildert S. 20 ff. die revolutionären Angriffe der
Philosophen gegen die Grundlagen des griechischen Lebens, denAnthropo-
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokratcs. (Lortzing.) 273
morphismus und die Stadtgemeinde (tioXic). An den ersten dieser Grund-
lagen rüttelte besonders Xenophanes, gegen die zweite trat bereits
Thaies (Herodot I 170) feindselig auf. Seine Ehelosigkeit blieb für die
meisten Philosophen vorbildlich. Noch schärfer tritt der Gegensatz
gegen die nächste Umgebung bei Heraklit und bei Demokrit hervor.
Interessante Erörterungen finden sich noch Aura. 8 S. 107 ff. über die
Metökie der Philosophen und über die wahrscheinlich mit der Ypa^^
äaeßeiac verbundene Anklage auf [XTr]ötj[j,6c gegen Anaxagoras.
Dümmler hat in seinen Antisthenica S. 51 ff. gegenüber der
bis dahin allgemein angenommenen, zuletzt noch von Hirzel vertretenen
Meinung, daß Piaton Soph. 248 ff. auf Demokrit zu beziehen sei, zu
widerlegen und nachzuweisen gesucht, daß Piaton dort den Antisthenes
im Auge habe. Daran schließt sich S. 56 ff. eine Verteidigung der
Schleiermacherschen Ansicht, daß die Sensationslehre in Theaetet nicht
auf Protagoras, sondern auf Aristipp zurückgehe (vgl. auch Akademika
173 ff.); eine Ansicht, die jetzt wohl allgemein als richtig gilt, nachdem
auch ihr früherer Gegner Zeller ihr beigetreten ist (Arch. f. G. d,
Philos. I 472 ff. und Ph. d. Gr. I^ 1099, 2). — In den Akademika
stellt D. eine Keihe von Hypothesen über die Beziehungen Xenophons
und Piatons zu den Lehren gleichzeitiger und älterer Philosophen auf,
die durch ihre Kühnheit und Neuheit überraschen und mit einem großen
Aufwände von Gelehrsamkeit und Scharfsinn begründet werden, vor
einer besonnenen und nüchternen Kritik dagegen größtenteils nicht be-
stehen können. Die wichtigsten dieser Hypothesen, soweit sie Vor-
sokratisches berühren, sind folgende. In Piatons Gorgias weisen manche
Spuren auf den Sophisten Antiphon als Urheber der Lehre des
Kallikles. — Platons Auseinandersetzungen mit dem Materialismus
Legg. X 889 B ff. beziehen sich nicht auf Demokrit (Krische), sondern
auf eine aus dem Kreise der Sophisten hervorgegangene Lehre, etwa
die des Kritias oder Thrasyraachos. — Bei Anaxagoras finden sich
die Anfänge einer teleologischen Weltbetrachtung (vou?, IyxXuh;), die
Diogenes Ap. im einzelnen durchführte (?). Der teleologische Beweis,
den Xenophon Mem. I 4 und IV 3 von der Existenz und Fürsorge der
Götter giebt, ist aus einer kynischen Vorlage geschöpft, die durch
Vermittelung des Prodikos (?) auf Anaxagoras und Diogenes zurück-
geht ('?). — Die den Etymologieen des Kratylos bei Piaton zu gründe
liegende Weltanschauung hat mit der Teleologie der Memorabilien die
Hauptpunkte gemein: sie ist aus den verschiedensten ostionischen
Systemen, besonders denen des Heraklit und des Diogenes (?) eklektisch
zusammengesetzt. Wir erhalten so das Spiegelbild einer dritten Über-
lieferung des Sokrates, den kynischen Sokrates (!). Möglich wäre, daß
Xenophon wie bei der Bekämpfung Aristipps so auch in jenen teleo-
Jabresbericht f Ol- Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVI. (1898.1.) 18
274 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
logischen Kapiteln auf Prodikos, in dem D. einen Vorläufer des
Autisthenes sieht, zurückginge (?). Den Titel der betreffenden Schrift
glaubt D. mit Welcker aus Galen entnehmen 7a\ können; er lautete:
Tcspi ^lisioc dv&pcuiiou. — Der Herakles des Prodikos war vielleicht
gegen Antiphon soph. (Mem. I 6, 2), einen Vorgänger des Aristipp, ge-
richtet (?). — Im 2. Anhange des Buches bemüht sich D. nachzuweisen,
daß Empedokles eine doppelte Entstehung der Welt und des organischen
Lebens auf ihr, die eine unter der Einwirkung der Liebe, die andere
unter der des Streites geschildert habe, worin ihm Gomperz beipflichtet
(s. zu No. 158), und auf diese Weise einen Zusammenhang zwischen
der Physik des Emp. und seinen religiösen Lehren, namentlich der vom
goldenen Zeitalter, herzustellen. Von hier aus glaubt er auch den Platz
zu erkennen, der in seinen Sj^stemen die Seelenwanderungslehre hatte.
Mit dieser Anschauung des Emp. steht, wie D. meint, auch der Prota-
gorasmythos im Einklänge, an den sich Kritias im Sisyphos anschließt,
zugleich aber weit über ihn hinausgeht. — In einem Nachtrage wird
aas einer angeblich wörtlichen Wiedergabe eines Protagoreischen Aus-
spruches bei Piaton Euthyd. 305 E geschlossen, Protagoras könnte wohl
der Erfinder des Wortes cpiXodocpo? sein (?).
Gegen Dümmlers Hypothesen von den Quellen der Teleologie
Xenophons wendet sich Joel S. 147 ff. und zeigt, wie verkehrt es ist,
den Prodikös und gar den Diogenes und Anaxagoras zu Vorläufern
der von Xenophon entwickelten Weltanschauung zu machen. Nur hätte
er sich hierbei nicht auf den doch lediglich durch den Dialog Axiochos
gestützten „Pessimismus" des Prodikos berufen sollen. — S. 367 ff. legt
J. dar, daß die Methode der Sophisten nicht Elenktik und dialogische
Eristik (Siebeck) war, und daß sie zur sokratischen Dialogik im scharfen
Gegensatze steht; dies gelte nicht bloß von den vier großen Sophisten,
sondern auch von den jüngeren; Euthydem und Dionysodor seien nur
eine Maske des Antisthenes.
V. Wilamowitz macht in den ersten Abschnitten des 1. Bandes,
die nur in der 1. Aufl. vorliegen, einige wertvolle "Bemerkungen über
vorsokratische Philosophen. S. 25 ff. geht er den Beziehungen des
Euripides zu Anaxagoras, Protagoras, Heraklit und Xenophanes nach,
an deren Lehren sich Anklänge bei ihm finden. Von dem Letztgenannten
hat er aber nur die theologische Polemik benutzt, seine philosophische
Lehre dagegen wie die der Eleaten überhaupt nicht berührt. Auch
die Lehre des Empedokles und der Atomiker kennt er nicht; Diogenes
wird nur einmal berücksichtigt. Von Pythagoras' Zahl, Harmonie und
Seelenwanderung weiß er nichts; aber er hat auf einen ethischen Aus-
spruch des samischen Weisen Fr. 392 so bestimmt verwiesen, daß er
die Existenz einer Schrift unter Pythagoras' Namen zu bezeugen scheint.
Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 275
Im einzelnen bespricht v. W. mehrere Stellen, die deutliche Hindeutnn^en
auf Heraklit, einmal sogar (Herakl. 101 if.) ein förmliches Citat des
Heraklitischen Fr. 69 enthalten. Übrigens berührt er sich in diesen
Ausführungen mehrfach mit Bergk Littg. III 469 ff. — In betreff
der unter Epicharms Namen gehenden Sprüche, die Euripides gleichfalls
benutzt hat, ist v. W. der Meinung, daß sie eine nicht lange vor 430
entstandene Fälschung seien; der Verfasser, vielleicht Chrysogonos
(nach Aristoxenos), habe von Pythagoras, Anaxagoras und Diogenes
(vgl. IP 294) gelernt. — I 91 und 111 v^erden ein paar Demokrit-
fragmente besprochen. 1 124 handelt Verf. von den Titeln der alten Philo-
sophen : Diese hätten wie Herodot und Thukydides keinen anderen Titel
als die Eingangsworte „der und der sagt folgendes* oder ähnliche gehabt;
auch der Anfang des Heraklitischen Werkes fordere ein: 'HpaxXetxoc
wot Xe^et. Die Titel, die wirklich als die ältesten gelten können, seien
rop7iou 'EXevY), 'AXs^avöpo;, IlpoSixou ^ßpat u. s. w. — I 334 f. wird
vermutet, daß Prodikos in seinem Herakles das alte Motiv des am
Scheidew'ege zwischen 'Apexv] und 'Höovt^ stehenden Jünglings von
Paris auf Herakles übertragen habe. II- 8 werden Demokritfragmente
besprochen und 231 eine Fülle von Parallelen zu der eigentümlichen
Disjunktion Eurip. Herakl. 1106: ti'c I77U? t] Trpoau) e|jlü)v (piXwv, darunter
auch Heraklit fr. 20 und Xenophan. fr. 1, angeführt.
Chiappelli sucht zu beweisen, daß Sokrates in seiner frühereu
Periode ein Anhänger der alten Naturphilosophie gewesen und als solcher
von Aristophanes in den "Wolken verspottet worden sei. Zur Begründung
führt er eine große Zahl von Stellen aus Xenophons Memorabilien an, die
auf Sokrates' Bekanntschaft mit den Lehren früherer und gleichzeitiger
Philosophen, besonders Heraklits und Demokrits hinweisen. Namentlich
in dem letzteren erblickt er einen Vorläufer des Sokrates, der einzelne
seiner Schriften w^ohl gekannt haben könne (?); in der Aufstellung von
Definitionen sei er ihm vorangegangen, und die Grundlinien der
sokratischen Ethik seien bereits in der Demokrits deutlich zu er-
kennen. — Das sind alles leere Vermutungen, die im besten Falle nur
beweisen, daß Sokrates die Lehren der Naturphilosopheu gekannt, was
niemand bestreitet, nicht, daß er ihnen eine Zeitlang angehangen hat.
An eine Bekanntschaft mit Demokrits Lehre aber ist bei Sokrates nicht
zu denken: sie widerspricht aller chronologischen Wahrscheinlichkeit.
Das einzige Zeugnis, das Ch. für eine Beziehung zwischen beiden an-
führt, Cicero d. fin. V 87, enthält nicht die geringste Andeutung einer
solchen Beziehung.
Den Schluß dieses allgemeinen Teiles mögen folgende kritisch-
exegetische Abhandlungen bilden, in denen u. a. Fragmente ver-
schiedener Vorsokratiker besprochen werden:
18*
276 Berichte über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
127. Th. Gomperz, Beiträge zur Kritik und Erklärung
griechischer Schriftsteller. IIT, IV und V. Sitzungsberichte der
Wiener Ak. d. Wiss. B. 83 (1876), B. 102 (1890), B. 134 (1895).
Auch in Sonderausgaben bei Gerold in Wien erschienen.
128. H. Diels, Atacta. Herrn. XIII (1878), S. 1—9 und XXIII
(1888) S. 279—188.
129. E. Zeller, Miscellauea. Arch. f. G. d. Philos. V (1892),
S. 441—448.
In den 3 Abhandlungen von Gomperz werden Fragmente des
Xeuophanes, Demokrit, Hippias, Melissos, Zenon, Anaxagoras und
Antiphon soph. behandelt, in der zweiten außerdem zu den sogen.
AtaXe^eic, deren Verfasser nach G. außerordentlichen Scharfsinn bekundet,
einige Verbesserungen gegeben.
In Diels' Atacta werden Stellen des Prodikos, Heraklit, Anaxa-
goras, Demokrit, Epicharm und Gorgias erläutert und zum Teil
emendiert.
Zell er endlich verbessert ein Fr. des Anaxagoras (8) und ein
sich auf die Sophisten beziehendes aus der Physik des Eudemos (fr. 7);
er sucht ferner die Angaben Aet. IV 9, wonach der atomistische Satz
von der Phänoraenalität der sinnlichen Qualitäten bereits von Leukipp
aufgestellt worden war, als glaubwürdig zu erweisen. Außerdem fügt
er zu den in einer frühereu Abhandlung (s. oben zu No. 26) angegebenen
Stellen, au denen Demokrit von Piaton berücksichtigt wird, Tim. 62 C. ff,
hinzu und bringt zu Ph. d. Gr. 849, 3 ein neues Zeugnis für Deomkrits
Aev bei.
(Der zweite Teil [SchluBJ folgt demnächst).
KINia Wff>*0«U«Kl4fl-A«TlC«l-*CULltCMArTf 8KT2MlMNEH-t|KULC DU UTTC'VMElHI
JAHRESBERICHT
über
die Eortschritte der classischen
Altertumswissenschaft
begründet
von
Conrad Bursian
herausgegeben
von
L. G^iTi-litt iiiia \y. Kroll,
Siebenundneunzigster Band.
Sechsundzwanzigster Jahrgang 1898.
Zweite Abteilung
LATEINISCHE KLAS
LEIPZIG 1899.
0. R. RE ISLAND.
JAHRESBERICHT
Übel'
die Fortschritte der classischen
Altertumswissenschaft
begründet
Ton
/
Conrad Bursian
herausgegeben
von
1 ^. Grlll-litt iiiidL ^W. Kl*oll.
Siebenundneunzigster Band.
Sechsundzwanzigster Jahrgang 1898.
Zweite Abteilung.
LATEINISCHE KLASSIKER.
LEIPZIG 1899.
O. R. RETSLAND.
Iiihaits-Verzeiclinis
des siebenuncineunzigsten Bandes.
Seite
Bericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen aus den
Jahren 1885 (1895)— 1897. Von Dr. L. Gurlitt in
Steglitz 1-60
Bericht über die Liviuslitteratur der Jahre 1889 — 1896,
Von Dr. Franz Fügner in Hannover 61-80
Bericht über die Litteratur zu späteren römischen Ge-
schichtsschreibern von 1891 bis einschließlich 1896. Von
Dr. Theodor Opitz. Professor am Kgl. Gymnasium
zu Dresden -Neustadt 81 — 125
Bericht über die Litteratur, betr Valerius Maximus
und seine Epitomatoren 18'.!l — 1897 (inkl.). Von
Wilhelm Heraeus, Gymnasiallehrer in Offenbach
a/M 126--147
Bericht über Vergil 1892 — 189(;. Von Rud. Helm,
Wilmersdorf 148—189
Bericht über die Litteratur zu Catull für die Jahre 1887
— 1896. Von Prof. Dr. Hugo Magnus in Pankow
bei Berlin 190—219
Bericht über C. Julius Cäsar und seine Fortsetzer 1895
- 1897. Von Prof. H. J. Heller in Berlin . . 220—226
h
Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen
aus den Jahren 1885 (1895)-1897.
Von
Dr. L. Gurlitt,
in Steglitz.
Den letzten, die Jahre 1881 — 1884 umfassenden Jahresbericht
über die Litteratur zu Ciceros Briefen hatte J. H. Schmalz ge-
liefert (Jahresbericht XXXIX. 1884. II S. 34—73). Diese Arbeit
erfuhr eine nur teilweise Fortsetzung durch meinen Bericht aus dem
Jahre 1895 Abt. II, S. 99 ff., welcher sich nur mit der Entstehungs-
geschichte und der Überlieferung der Briefe mit Ausschluß der
epp. aH Brutum beschäftigte. Was nachzuholen bleibt, umfaßt also einen
Zeitraum von 14, beziehungsweise 3 Jahren. Die Menge der inzwischen
erschienenen Arbeiten ist auf diesem Gebiete so bedeutend, daß ich mir
schon in Rücksicht auf den verfügbaren Raum Beschränkung auferlegen
muß ; zudem sind eine Anzahl der in Frage kommenden Arbeiten teils
schon so sehr überholt, teils so in ihren Ergebnissen anerkannt, daß
es unnütz wäre, über sie noch eingehend zu berichten. Aus diesem
Grunde soll hier nicht Vollständigkeit angestrebt werden, sondern, dem
Zwecke dieses Berichtes entsprechend, nur dasjenige angeführt werden,
was einen Anspruch auf unser heutiges Interesse hat.
I. Über die Entstehung der Ciceronisehen Briefsamminngen.
Leo, F., Die Publikation von Ciceros Briefen an Atticus.
Gott. gel. Nachr. Phil.-hist. KI. 1895, H. 4. p. 441-450
beschäftigt sich mit der Frage nach Zeit und Art der Publikation von
Ciceros Briefen an Atticus im Anschluß an frühere Erörterungen des-
selben Verf. im Göttinger index lectionum (s. Jahresbericht 1895,
S. 88 f.) und an meinen Widerspruch (in Fleckeisens Jahresb. 1894,
S. 209—224 und der Berliner philol. Wochenschrift 1894,. S. 1638
bis 1641). Leo hält sich streng an Nepos (Att. 16, 3), der „XI"
Volumina epistularmn ab consulatu eins (Ciceronis) usque ad extretnum
tempus ad Atficum missarum erwähnt. Da diese Angabe sich mit
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVII. (1898. II.) 1
2 Jahresbericht über die Littcratur zu Ciceros Bricfea. (Gurlitt.)
unseren epp. ad Att. nach Zahl und Umfang; der Bücher nicht decke,
so folgert er, daß diese unsere Sammlung weder vom Atticus selbst
noch aus seinem Nachlasse unter Augustus oder Tiberins herausgegeben
worden sei. Teindselige Wendungen gegen Cäsar (XV 4, 3; XIV 14,
4 u. a.) hätten eine Veröffentlichung der Briefe unter Augustus oder
seinem Nachfolger überhaupt unmöglich gemacht. Auch die chronologische
Anordnung soll gegen des Atticus Herausgabe sprechen, da die ersten
11 Briefe nach Sternkopf (Ciceros Corresp. aus den Jahren 68—60
V. Chr. Progr. Elberfeld 1889 p. 3 sq.) folgende Anordnung haben:
1—2 von Mitte 689; 3—4 von Ende 687 und Anfang 688; 5 — 11 von
Enden 686 bis Mitte 687. Atticus habe die Brieforiginale in XI Kou-
voluten aufbewahrt, ohne sie für eine Publikation zu bestimmen oder
zu diesem Zwecke zu redigieren. Die ersten 11 Briefe, die vor Ciceros
Konsulatsjahre fallen, habe Nepos nicht gesehen, da sie wohl erst in
späterer Zeit hiuzugefunden wären, als man die Herausgabe fertig
machte, in dem Jahrzehnte zwischen dem Tode des Claudius und der
Abfassung der Briefe Senecas, welche die epp. ad Att. zuerst erwähnen,
also zwischen 55 — 65 p. Chr.
Leo weiß seine Ansicht sehr plausibel zu machen und niemand
wird die Möglichkeit bestreiten, daß es sich so verhalten haben könne;
für zwingend vermag ich aber seine Beweisführung nicht zu halten.
Hinsichtlich der epp. ad familiäres stimmt Leo den Ausführungen
li. Mendelssohns bei (Jahrb. f. d. Phil. 1894 S. 569 f.), wonach
diese vor und während des Augustus Zeit veröffentlicht wurden mit
Ausnahme der Bücher, welche schmähende Äußerungen über Cäsar
enthalten. (XII.) Diese wären erst nach des Tiberius Tod veröffentlicht
worden. (Vgl. vorigen Bericht S. 89.)
Schließlich behandelt L. die Frage nach der Echtheit des so-
genannten:
Commentariolum petitionis des Q. Cicero.
Diese Schrift wurde zuerst für unecht erklärt von
Eussner, Commentariolum petitionis examinatum atque emen-
datum, Würzburg 1872*) und auch von Th. Mommsen als unecht be-
handelt R. St. ß. III p. 484 u. 497. Darauf hat
E. Y. Tyrrell (The correspondence of Cicero. I p. 110—121)
sich für die Echtheit ausgesprochen. Nach seiner Meinung ist dieses
Schriftchen Anfang 690/64 von Q, Cicero geschrieben, zunächst zum
praktischen Gebrauch des Bruders Marcus bei seiner Kandidatur. Der
*) Eingehend besprochen von R, Wirz, Phil. Anzeiger V. (1873
S. 49S ffj.
Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.) 3
Quint. hoffte, daß es nach einer Revision seines Bruders als Handbuch
für die Taktik der Bewerbung von allgemeinem Nutzen sein werde.
Ob Marcus diesem Wunsch entsprach, bleibe unentschieden. In die
erste Ausgabe der Ciceronischen Briefe habe der Brief keine Aufnahme
gefunden, selbst Asconius scheine ihn noch nicht gekannt zu haben.
Achilles Beltrami, De commentariolo petitionis Q. Tullio
Ciceroni vindicando. Pisa 1892, T. Nistii e. C. 75 S. gr. 8.
B. versucht in Kap. 6 eine Widerlegung der Ansichten, die sich
gegen die Autorschaft des Quintus ausgesprochen haben. Es wird ihm
nicht schwer, einige Übertreibungen Eussners aufzudecken, als da sind
unverdächtige Anklänge an des Marcus Reden (in toga Candida, pro
Murena, pro Plancio und ep. ad Quint. I, 1). Wesentlich Neues bringt
die Arbeit sonst nicht bei. Vgl. Ref., Berl. philol. Wochenschrift 1893,
N. 22 Sp. 689 — 692, wo die Frage kurz im entgegengesetzten Sinne
behandelt wird. Gleichzeitig erschien der Aufsatz von
George L. Hendrickson, On the authenticity of the commen-
tariolum petitionis of Quiutus Cicero (American Journal of philology
Xin [1892] N. 2 p. 200—212.) II. kommt auf grund nochmaliger
sachlicher und sprachlicher Analyse zu dem Schlüsse (S. 211 f.): that
the Com. is the work of some first- Century rhetorician or rhetorical
Student who, perhaps in Imitation of sirailar works (cf. Bücheier p. G.-
Aul. Gellius XIV 7, 2) wrote the Com. in the name of Qu., and modelling
the general form of this coniposition on the first letter ad Q. fr. raade
use especially of the orations of the period of Ciceros consulship bearing
upon the subject, viz. the orations in tog. cand. and pro Mur. and
incidentally also of other works of Cicero, as her becn pointed ont.
That he should have betrayed familiarity with a well-known passage
of Horace*) — or a saying of Publilius Syrus**) is by no means
surprising. Auf den letzten Punkt legt H. den grülJten Wert, da nach
*) cf. Com. .54: video esse magni consilii atque artis in tot hominum
cuiitsque modi vitiis tantisque versautem vitare ofensionem, vitare fabulam, vitare
insidias und: Hör. Sat. I 3, 5S ff. [Bene sanus nc non incautus (69^] hie fugit
omnes imidias nullique malo latus obdit apertum, cum genus fioc inter vitae ver-
setur, übt acris invidia atque vigent ubi crimina)
**) Sententiae 357 (Ribbeck): ,pars beneßci est quod petitur si belle
neges' verglichen mit Com, 45: illud difficilius {est) . . . quod facere non possis,
ut id iucunde neges . . . Cum id petitur quod . . . promittere non possumus . . .
belle negandum est . . . Äudivi hoc dicere quendam de quibusdam oratoribus
ad quos causam suam detulisset, gratiorem sibi orationem eins fuisse gui negas-
set, quam illius qui recepisset.
4 Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.)
Senecas Angabe (Rhet. controv. VII 18, 8) die sententiae des Publilias
bei der römischen Jugend seiner Zeit sehr beliebt waren und sich in
deren Vorträge einschlichen. Diese Beobachtung ist in der That sehr
beachtenswert und verdient weiter verfolgt zu werden. Als Abfassungs-
zeit scheinen ihm die ersten Jahre unserer Zeitrechnung am wahr-
scheinlichsten.
F. Leo (s. oben: S. 1) sieht in der pedantisch durchgeführten dis-
tribntio kein Zeichen fremden Ursprungs. Der Stoiker (de divin. I)
Quintns habe mit absichtlicher dialektischer Künstelei den Stoff (als
erster) systematisch geordnet; die Schrift sei kein 'commentariolus',
sondern ein Brief, der erste Entwurf einer Abhandlung, daher bald
skizzenhaft, bald ausgeführter, aber in dieser Gestalt nicht für die
Öffentlichkeit bestimmt (cf. d. Schluß des Com.). Marcus habe einige
Wendungen des Briefes in der Rede in toga Candida bald nach Empfang
des Briefes, auch später in der Rede pro Murena (nicht pro Plancio)
aus Artigkeit gegen den Bruder eingeflochten. Erschienen sei der Brief
erst nach dem Buche des Asconius.
Die Frage ist mithin noch ungelöst. Ich bemerke, daß ich trotz
Tyrrell und Leo von meiner Ansicht (s. oben S. 3) nicht abgekommen
bin. Wir haben ausführliche Nachrichten über die Schulthätigkeit der
Rhetoreu der u achaugusteischen Zeit, und wissen, daß sie Themata, wie
das vorliegende, gern behandelten. Nur mit Widerstreben kann ich diese
Arbeit zu Quintus Cicero in Beziehung setzen, während sich mir alles
von selbst zu erklären scheint, wenn man einen Rhetoren als Verfasser
annimmt. Niemand wird behaupten, daß sie die Leistungsfähigkeit
eines Ehetoren augusteischer Zeit überträfe. Ob es aber jemals ge-
lingen wird, zu einem objektiveren, zwingenden Ergebnisse zu gelangen,
dürfte fraglich sein.
C. Bardt, 'Zur Provenienz von Ciceros Briefen ad familiäres'.
Hermes XXII (1897) S. 264—272.
Hier soll die Frage beantwortet werden, wie die Sammlung der
Ciceronischen Briefe zustande kam. Die Briefe ad Att. sammelte und
ordnete dieser selbst; die Briefe ad fam. lib. XVI habe Tiro seinen
Papieren entnommen, lib. XIV aus dem Nachlasse der Terentia, X— XII
sei während der Korrespondenz selbst in Ciceros Hause für die Aus-
gabe vorbereitet, lib. VIII, die Briefe von der Hand des Caelius, eben-
falls in Ciceros Hause gesammelt worden! Wo aber kommen die anderen
Briefe her? Sind sie von den Empfängern zurückerbeten, oder sind
es Konzepte und zurückerhaltene Abschriften? Zwei Betrachtungen
aollen darauf Antwort geben:
Jabresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.) 5
1. Im lib. I ad Lentulum folgt ein Brief ad L. Valerium. Dieser
Mann war dem P. Lentulus, als er Statthalter von Kilikien war, empfohlen
worden. Der Brief an Valerius ging gleichzeitig mit demselben Boten
ab. Das Konzept wird mithin bei den Konzepten der sorgfältig ge-
arbeiteten, hochpolitischen Briefe an P. Lentulus gelegen haben. Diese
Annahme hat in der That große Wahrscheinlichkeit, wie überhaupt der
Gedanke, daß sich Cic. von wichtigen Briefen das Konzept oder Ab-
schriften aufbewahrte, um sich nötigenfalls auf den genauen "Wortlaut
berufen zu können. Dieser Gedanke ist neu und gut.
2. wird nachgewiesen, daß der Brief F. V. 8 an P. Crassus,
der durch seine Wiederholungen einen dürftigen Eindruck macht, eine
Verschmelzung zweier Konzepte sei, die wohl erst nach Ciceros Tode
von einem ungeschickten Redaktor vorgeuommeu wurde. Auch dieser
Nachweis scheint mir überzeugend geführt zu sein. „Er eröffnet uns
einen Einblick in die Werkstatt des großen Stilmeisters, der die Mühe
nicht scheut, das schon fertiggestellte Bild Linie für Linie und Farben-
ton für Farbenton mit subtilster Sorgfalt nachzuprüfen und umzuge-
stalten." Ist somit der „urkundliche Beweis" erbracht, daß F. V. 8
ans Ciceros Konzepten stammt, so dürfte dasselbe auch von anderen
Briefen gelten.
In einem Exkurse wird die bekannte Stelle A. XVI 5, 5 (vom Juli
709) behandelt: mearum epistularum nulla est 007070)77^, sed habet Tiro
instar (M: inistar) septuaginta. Et qtädem (M: equidem) sunt a te
quaedam swnendae (M.:~da). Eas ego oportet persjnciam, corrigam:
tum deniqne edenfur. B. sagt, hiermit würden „sicher nicht" die
79 Empfehlungsbriefe des lib. XIII gemeint, wie ich in meiner Disser-
tation (Göttingen, 1879) vermutet hatte und noch jetzt annehme*)
und zwar aus dem Grunde nicht, weil sonst Cic, der doch eine viel
größere Briefmasse haben müßte, aus der er die 79 Empfehlungsbriefe
hätte auslesen können, in den unberechtigten Verdacht käme, seinem
Freunde die Unwahrheit gesagt zu haben. Dieser Grund ist nicht
stichhaltig, wenn wir annehmen, daß Tiro vorher an Atticns geschrieben
hatte — und wie sollte sonst Atticus auf diese Frage gekommen sein?
— Cic. plane eine Ausgabe seiner Empfehlungsbriefe. Dann würden
in der Antwort unter 'episfidanün eben nur die epistulae commendaticiae
zu verstehen sein. Es scheint sehr fraglich, ob Cic. bei Lebzeiten
daran gegangen sei, Briefe ,,hochpolitischen'' Inhaltes zu veröffentlichen,
die ihm große Verlegenheiten hätten bereiten können, während gerade die
Veröffentlichung des harmlosen, liebenswürdigen Genres, der Empfehlungs-
briefe mit ihren hyperbolischen Anpreisungen und Ehrenerzeugungen
*) Auch F. Leo hat sich jüngst damit einverstanden erklärt (s. u.).
6 Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.)
bei Empfohleuen nud dereu Patronen freundliche Aufnahme gefunden
haben werden. Ihr Wert lag in der Stilistik. Sodann beanstandet B.
von der sprachlichen Seite den Ausdruck instar septnaginta. Dieser
ist bei Cicero allerdings befremdlich; es finden sich aber bei anderen
Schriftstellern so analoge Fälle (vgl. J. C. C. Boot zu dieser Stelle),
daß man sich damit vpird zufrieden geben müssen. Um einen Hinweis
auf die erhalteneu Bücher 1— VII, IX, XIII, XV mit ihren 259 Briefeu
herzustellen, liest B.:
sed habet Tiro instar 'er.xa-
[t£u/ou;*) hae sunt diligeuter au-]
gendae, et quidem a te sunt quaedum sumendae.
Dieser Lösungsversuch ist gewiß geistreich, und man würde zu-
frieden sein, wenn so überliefert wäre. Wir sind aber nicht genügend
mit der behandelten Frage vertraut, um so gewaltsame Eingriffe in die
Überlieferung wagen zu dürfen. Unter den Briefen, welche Cic. von
Atticns erbittet, sollen nach B. die gelegentlichen Beilagen hochpolitischer
Briefe an Pompeius, Cäsar, Antonius etc. gemeint sein. Aber von diesen
schickte Cic. stets nur eine Abschrift (alterum exemplum) — nie das
Original selbst, das sich also unter seinen eigenen Papieren mußte
finden lassen, weshalb gerade diese Briefe nicht gemeint sein können.
Auch bleibt zu bedenken, daß unsere epp. 'ad fam.' nur ein Teil der
alten Sammlung sind, der erst spät in diese Gruppierung gebracht
wurde, weshalb ein Schluß von der Buchzahl auf die citierte Briefstelle
und umgekehrt, wertlos erscheint. Auch bliebe noch zu untersuchen,
ob die gemeinten Bücher sich wegen ihres Inhaltes schon im Jahre 710
sämtlich zu einer Veröffentlichung würden geeignet haben.
Somit liegt wohl das Hauptverdienst dieser Abhandlung in dem
Nachweise, daß Ciceros Briefkonzepte bei der Veröffentlichung mit heran-
gezogen wurden. —
II. Die handschriftliche Überlieferung.
a) Epp. 'ad fam.'
Auf diesem Gebiete bleibt zum letzten Jahresberichte (1893) wenig
nachzutragen.
Hinsichtlich der sog. 'epp. ad fam.' hat sich das von L. Mendels-
sohn geschaffene handschriftliche Fundament als zuverlässig erwiesen. Sein
Werk: M. Tulli Ciceronis epistularum libri sedecim, Leipzig 1893,
B. G. Teubner, ist grundlegend und besteht jede Prüfung. Drei Jahre
später erschien ebenfalls im Teubnerschen Verlag eine neue Ausgabe von
") Oder 'Septem libroram'.
Jaliresbeiiclit über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Guiiitt.) 7
C. F. "W. Müller, M. Tulli Ciceronis scripta quac manserunt
omnia, partisIIIvol.Icontinens epistnlanini ad familiäres, quae dicuntur,
libros sedecim, epistularnm ad Q, Fratrein libros tres, Q. Ciceionis de
petitione ad M. fratrem epistulani, eiusdem versus quosdani de signisXII.
1896. 578 S. Kl. 8.
Für die epp. ad. fam. hat sich M. die textkritische Grundlage
Mendelssohns zu eigen gemacht und sich mit ihm entschieden, 'dubia
nbi res esset et incerta, M. veterem ducem, ut sequi mallet', quam ceteros
Codices, bemerkt aber dazu, daß er 'cum de omnium codicum fide et
auctoritate tum de Medicei paulo secus' urteile. Leider konnte er die
englische Ausgabe von Tyrrell-Purser nicht mehr benutzen. Erfreu-
licherweise sind die Daten den Briefen beigegeben, und zwar mit ver-
schwindenden Abweichungen nach den 'tabulae chionologicae' derMendels-
sohnschen Ausgabe. M. verzichtet darauf, alle Lesarten anzuführen.
Die Ausgabe ist keineswegs ein Abdruck der Mendelssohnschen; das
beweisen vielfache Abweichungen und die sorgfältigen sprachlichen und
paläographischen Studien, welche in der 'adnotatio critica' niedergelegt
sind, die jedem empfohlen seien, der textkritisch auf diesem Gebiete
arbeiten will Man findet darin auch die Litteratur der drei auf
Mendelssohns Ausgabe folgenden Jahre verarbeitet.
Für die Briefe ad Qu. fr. bildet diese Ausgabe gegenwärtig das
beste Bild des Standes unserer Kenntnis und einen erfreulichen Fort-
schritt gegenüber den Ausgaben von Baiter (18GC), von Wesenberg
(1872) und für den Brief I 1 von Ferd. Antoine, (Paris 1888), ob-
schon neues handschriftliches Material nicht herangezogen ist.
Für Q. Ciceronis epistula de petitione bedeutet die Ausgabe
insofern einen Fortschritt gegenüber derjenigen vonFr.Bücheler (1869),
als M. außer dem cod. Berolinensis olim Erfurtensis auch den Har-
leianus 2682, (H) herangezogen hat auf grund der von E. Baehrens
(Miscell. crit. 1879 p. 23 — 32) mitgeteilten Varianten. Die Abweichungen
von Baiter, Wesenberg, Bücheier werden mitgeteilt. Vgl. Eef, Berl.
phil. Wochenschrift 1896, Sp. 474—478.
Robert Yelverton Tyrrell and Louis ClaudePurser, The
correspondence of M, Tullius Cicero. Dublin, Hodges, Figgis & Co.,
London, Longmans. Vol. IV. 1894. Vol. V 1897.
Der bedeutendste Fortschritt dieser schönen Ausgabe besteht in
der Ausbeutung des cod. Harleianus 2682 für die epp. ad fam. lib. IX
— XVI, welchen Purser für Tyrrell kollationiert und in vol. II pg. LXVI
— XC genau beschrieben hat. Außerdem hat diesen Kodex, der bekanntlich
noch viele andere Schriften Ciceros enthält, eine vortreffliche Behandlung
erfahren von Albert C. Clark (Anecdota Oxoniensia texts, documents
}«1 Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.)
and extracts chiefly from manuscripts in the Bodleian. Classical series
p. VII. Oxford. 1892 mit einem Faksimile für Cic. pro Mil. 72—77.)
Dort erhalten wir eine erschöpfende Behandlung derGeschichte (p.4 — 14)
und der Verwandtschaftsverhältnisse (p. 14 — 15) der IIs. Auf die Briefe
wieder einzugehen hatte Clark keinen Anlaß, da das Nötige darüber
von Parser schon mitgeteilt war.
Ludwig Gurlitt: Zur Überlief eruugsgeschichte von Ciceros
Epistularum libriXVI (21. Supplementbd. von Fleckeisens Jahrbüchern
für klassische Philologie 1896. S. 509—554).*)
Für die eine Gruppe der Hss zu ad fam., nämlich B. IX— XVI
wird ein x aus dem Mendelssohnschen Stemraa der tJberlieferimg be-
seitigt. Mendelssohn hatte in der praefatio seiner kritischen Ausgabe
richtig nachgewiesen, daß eine enge Verwandtschaft besteht zwischen
den Hss D: Palatinus 598, H: Harleianus 2682 F: Erfurt, nunc
Berolinensis lat. fol. 252 und Cratanders Randnoten (C) und teil-
weise auch dessen Texte (c) in der Baseler Ausgabe von 1528. Auf
Ermittelung der gemeinsamen Quelle dieser Handschriftengruppe und
der verwandten contaminati hatte er verzichtet. Zweck dieser neuen
Untersuchung ist, nachzuweisen, daß eine heute verschollene Hs, welche
im X. Jahrh. im Kloster St. Nazarii in Lorsch lag, den Ausgangs-
punkt dieses Handschriftenzweiges bildete. Das Ergebnis der Unter-
suchung lautet (S. 553): „Der cod. Ls. II (Ep. IX— XVI) ist der Stamm-
vater der gesamten deutschen Überlieferung, von ihm wurde eine
Abschrift genommen, welche im XII. Jahrhundert den Schreibern von
H. und F. vorlag, auf ihn gehen auch die contaminati zurück, ihn
schrieb gegen 1500 in Lorsch für einen Humanisten der Schreiber des
Kodex D ab (dieses wird in der folgenden Abhandlung noch specialisiert).
Im Jahre 1527 fand ihn Sichardt zugleich mit dem alten Bücherver-
zeichnis, in W'elchem die Handschriften aufgeführt waren, an seiner alten
Stelle, brachte ihn nach Basel, wo ihn Cratander von ep. IX (?) an
bis zu Ende ausschließlich zur Kontrolle der vulgata (ascensiana I und
II) benutzte und seine Lesarten ohne strenge Methode, teils still-
schweigend in den Text aufnahm, teils an 'kritischen' Stellen an den
Rand anfügte. Sichardt gab darauf den Kodex, der eine Lücke in
lib. X. von fast 3 Briefen hatte, an das Lorscher Kloster zurück.
Seitdem fehlt jede Spur von ihm."
*) Rez. von J. Ziehen, Wochenschrift für klass. Philol 1S9G. N. 17.
Sp. 454f.; E. T(Lomas), Revue critique 1S9G. N. 22 p. 425 f.; 0. Plass-
berg, Deutsche Litteraturzeitung 1896. N. 24. Sp. 743 f.; L. Holzapfel,
Neue philol. Rundschau 1897. N. 7. S. 100.; K. Lehmann, Berlin, philol.
Wochenschrift 1897. N. 30 Sp. 941 ff.; Boll. di filol. class. III 2. p. 46.
P. Monet, Revue de phil. XXI, p. 132 f.
Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.) 9
Die Kritik hat sich im wesentlichen dazu zustimmend geäußert.
Ergänzend ist:
Ludwig Gurlitt, „Zur Geschichte des cod. Pal. 598 (D. bei
Mendelssohn) der Briefe Ciceros ad fam." Berl. philol. Wochenschrift
1897. N. 31/32 Sp. 1003 ff.
Der Kodex D ist, wie der Besitzervermerk angiebt, ans dem Nachlasse
des Heidelberger Magister artium etmedicinaeErhard Knab de Zwivalt
(f 1481) in den Besitz der Heidelberger Universitäts-Bibliothek über-
gegangen und mit dieser durch Tilly nach Rom gekommen. Schreiber
der Handschrift scheint der Humanist Matthias Widmann aus Kemnat
in der Oberpfalz zu sein (geb. er. 1430), der erste Humanist, von
dem es feststeht, daß er die Lorscher Klosterbibliothek um die Mitte
des XVI. Jahrh. benutzte. Daraus erklärt sich der hohe Wert dieser
Handschrift und ihre nahe Verwandtschaft mit Oratanders Lesarten,
die auf die gleiche Vorlage zurückgehen. 0. Piasberg (ebenda 1897
N. 41 Sp. 1276), der sich gegen diese Untersuchungen ziemlich skeptisch
verhält, sieht die Hauptsache, daß nämlich D vom Ls. abgeschrieben sei,
auch als wahrscheinlich an. Ich hatte die Eigenart des Kodex D in seiner
Anordnung der Bücher auf seine Vorlage L. II zurückzuführen gesucht,
und Autopsie der Hs bestätigte mich in meiner Annahme. Piasberg
wendet sich in dieser mehr nebensächlichen Frage gegen meine Aus-
führung. Sein Erklärungsversuch aber, daß nämlich der cod. D all-
mählich durch verschiedenzeitige Abschriften entstanden wäre, ist
angesichts des Kodex selbst unhaltbar. Dieser ist mit Hast, in einem
Zuge, auf demselben Papiere, von derselben Hand geschrieben (vgl.
Berl. phil. Wochenschrift 1898 N. 8 Sp. 254 f.).
b. Epp. ad Atticum.
Meinem letzten Jahresberichte ist hier noch weniger nachzutragen.
Das Axiom von der alleinigen Autorität des Mediceus hat sich
als unhaltbar erwiesen, CA. Lehmanns grundlegendes Buch: de
Ciceronis ad Atticum epistulis, Berlin 1892, gewinnt mit jedem Jahre
an Ansehen und wird dem leider jüngst verstorbenen Gelehrten ein
ehrendes Andenken bis in ferne Zeiten sichern. Es ist sehr zu be-
klagen, daß Lehmann seine Lebensaufgabe, eine textkritische Ausgabe
der epp. ad Att., nicht zu Ende führen durfte, und um so mehr, als er
die unbegreifliche Weisung an seine Erben gegeben hat, daß sein ge-
samter litterarischer Nachlaß unbesehen vernichtet werden solle. Sollte
wirklich der Schatz, der in seinen Kollationen liegt, den Flammen über-
geben werden!? Er liegt zum Glück in Händen von Philologen, die
jQ Jahrosbcriclit über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.)
das Vorbild des Augusfiis kennen, der dem Vergil zum Trotze die
Aeneis erhalten und dadurch den Dank von Millionen geerntet hat-
Und doch ist dies eine schwere Gewisseusfrage. Anfaugs fand Lehmann
Widerspruch, und ich habe eine Arbeit dieser Richtung nachgetragen:
Friedrich Schmidt, Zur Kritik und Erklärung der Briefe
Ciceros au Atticus. Prog. des alten Gymnasium zn Würzburg 1892.
8. 33 S.
Die Arbeit lehnt sich an frühere desselben Verfassers au, über
welche J. H. Schmalz im Jahresberichte von 1884 S. 43 f. berichtet
hat. Durch 0. E. Schmidts Abhandlung über „die handschriftliche
Überlieferung der Briefe Ciceros an Atticus, Q. Cicero, M. Brutus in
Italien" (s. Jahresbericht von 1894 S, 99 ff.) in seiner Ansicht bestärkt,
daß der cod. M^. die sicherste Grundlage für unsere Textesgestaltung
bilde, bekämpft er C. Lehmanns Ansicht, daß C und Z und eine Reihe
italienischer Hss von M unabhängig und diesem mindestens gleichwertig
wären, . mit Gründen, die ernster Prüfung nicht Stich halten. Z soll
sogar möglicherweise jünger als M sein. Darüber hat man inzwischen
richtiger urteilen gelernt,*) und 0. E. Schmidt scheint selbst nicht
mehr daran festzuhalten. Auch das ist nicht mehr zutreffend, dal! wir
über das Alter von C nichts Bestimmtes wüßten. Auf grund älterer
und auch meiner Untersuchung „zurrberlieferungsgeschichte" etc. (N. 8.)
kann an dem hohen Alter und hohen Werte von C. kein Zweifel mehr
bestehen. Seh. legt den Hauptwert auf eine genaue Kollation des cod.
Mediceus 49. 18, der übrigens nicht von „einem" wenig intelligenten
und leichtfertigen Schreiber geschrieben ist, sondern von mehreren, wie
bekannt, und hofft, daß es gelingen müsse, durch Scheidung der ver-
schiedenen Hände von 1 — 4 die Überlieferung seiner Vorlage annähernd
wiederzugewinnen. Er spricht von Lehmanns „kühnen Bahnen", wobei
wir genötigt würden, bei Feststellung des Textes „nicht mehr zu wiegen,
sondern nur zu zählen", — aber das kann uns nicht darin irre machen,
daß Lehmannstrengmethodisch nichts anderesgethan hat, alsauf gruud ge-
nauer Hs-Vergleichung Thatsächliche festzulegen. Das Ergebnis mag
unbequem sein; aber es ist eben durch die Thatsachen selbst gegeben.
Bei Kritik und Erklärung der einzelnen Stellen, die unten zu be-
handeln sind, werden übrigens C und Z gebührend von Schmidt mit
heraneezogen, weshalb auch seine irrige Ansicht über die Hsfrage ohne
schädlichen Einfluß auf seine Textkritik bleibt. Ich nehme an, daß
*) Vgl. meinen Jahresbericht (1S94 S. 107 f. und besonders M. Roth-
stein, Wochenschr. f. kl. Philol. XI (1894) N. 10 11 : L. Gurlitt, Berl.
philol. Wochenschrift 1804 N. 20 Sp. 925.
Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.) H
Scb. beute selbst seinen Widerspruch gegen Lehmaim nicht mehr auf-
recht erhält.
Lehmanns Ergebnisse für die Handschriftenfrage findet man kurz
dargelegt:
in der 6. Auflage der 'Ausgewählten Briefe' von
Friedrich Hofmann, welche Lebmann besorgt hat (Berlin, Weid-
mann, 1892), Einleitung S. 16 ff. und S. 233, worauf eine Zusammen-
stellung der handschriftlichen Abweichungen zu den dort behandelten
Briefen ad Att. folgt. Die Arbeit wurde mit Lehmanns Material und
nach seinen Grundsätzen fortgesetzt in der 3. Auflage des zweiten
Bändchens, welche Georg Andresen besorgt hat (1895).
Die in diesen beiden Bündchen behandelten Briefe ad Att. sind die
einzigen, für die wir dadurch den vollständigen kritischen Apparat be-
sitzen, und da Lehmann gestorben ist und seine Kollationen nicht er-
halten sehen wollte, so werden sie es auch zunächst auf längere Zeit
bleiben: um so wertvoller ist daher die Schulausgabe auch für wissen-
schaftliche Zwecke. Es wäre eine lohnende Aufgabe, an den dort be-
handelten Briefen festzustellen, wie hoch der Gewinn aus Lehmanns
neu herangezogenen Hss anzuschlagen sei; mit anderen Worten, ob es
ein unerläßliches Gebot ist, das gesamte Material wieder zu beschaffen
und in den kritischen Apparat aufzunehmen, oder ob man mit be-
schränkteren Mitteln auskommen könnte.
Ich habe für die epp. ad Brutum die von Lehmann als die
besten bezeichneten Hss verglichen, nämlich vor allem E (Ambrosianus
E 14 inf.), N (cod. ex abbatia florentia, qui nunc est in bibliotheca
Laurentiana, n. 49), 0 (Taurinensis I. V. 34), s (Ursinas, qui est in
bibliotheca Vaticana, n. 322) und den völlig wertlosen Rav. (bibl.
Classens. n. 137, 4, •). Der Ertrag war minimal und reichte nicht
aus, auch nur ein schwereres Verderbnis zu heilen. Das läßt uns
hoffen, daß wir in den von Lehmann in seiner Schrift 'de Ciceronis ad
Atticum epistulis' mitgeteilten Varianten das Wesentliche schon besitzen,
was aus seinen Hss zu holen war. Es ist zutreffend, was Lehmann an
verschiedenen Orten ausgesprochen hat: 'in den Atticusbriefen haben
wir die Lesarten einer Majuskelhs, wenn C W Z mit ii oder einem
Teil von ii übereinstimmt; wenn aber C W Z fehlen, so haben wir in
günstigem Falle die Überlieferung einer Minuskelhaudschrift , oft aber
läßt sich aus den verschiedenen Lesarten von ß diese nicht mit Sicher-
heit bestimmen. Ohne Lehmanns Widerspruch zu erfahren, habe ich
aber dazu in meinem Aufsatz:
Ludwig Gurlitt, Handschriftliches und Textkritisches zu Ciceros
epistulae ad M. Brutum (Philologus N. F. IX, 1896 S. 318-340.
12 Jabresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.)
behauptet, daß wir uns zur Rekonstruktion von Q auf die Lesarten von
M und einen der besseren Lehmannschen Hs wobl beschränken dürfen, daß
aus E und M oder 0 und M die italienische Tradition genügend ermittelt
werden könne. Lebmanns Vorarbeiten waren nötig, um die Überlieferung
aufzuklären, es würde sich aber nicht empfehlen, alle Varianten der Gruppe
- in den Ausgaben mitzuschleppen. Die Last dieses Ballastes stände
in keinem Verhältnisse zu dem Ertrage. Insofern halte ich 0. E. Schmidts
Polemik gegen Lehmann für berechtigt. Ich habe mich über diese Frage
noch einmal ausgesprochen in einem kleinen Aufsatze:
Ludwig Gurlitt, Wie gewinnen wir eine sichere hand-
schriftliche Grundlage für Ciceros Briefe? (Berl. philol. Wochenschrift
1895 N. 48 Sp. 1532—1536),
worin ich zu dem Ergebnisse komme: „Die cod. Lauristeimenses sind
aus Cratander durch Abzug von (A^ und) A- wiederherzustellen und
mit ihrer Hilfe, mit Z und den italienischen Hss, aus denen eine
passende Auswahl zu treffen wäre, und unter denen M gewiß nicht den
letzten Platz einnimmt, die letzte handschriftliche Grundlage zu kon-
struieren." Wie weit fieilich im einzelnen Cratauders Zuverlässigkeit
reicht, bleibt noch zu untersuchen. — Eine Bestätigung seiner Ergebnisse
und Bereichung erfuhr Lehmann durch denjenigen englischen Gelehrten,
der sich besonders um die handschriftliche Überlieferung der Briefe
Verdienste erworben hat:
A. C. Clark, 'The fictitious MSS. of Bosius'. The classical
Review Vol. IX, 1895 (N. 5) p. 241—247.
Diese sorgfältige Arbeit beschäftigt sich mit dem Manuskripte
des Bosius zu dessen Kommentar in seiner IBSOj. erschienenen Ausgabe
der Briefe ad Att., und nimmt die Untersuchung über die Glaubwürdig-
keit des Bosius noch einmal auf. Der Verdacht, den Th. Mo m rasen
zuerst aussprach und Haupt ausführlich begründete, (Opuscula II 84),
daß des Bosius 'decurtatus' = scidae und Crusellinus nie existiert habe,
lindet an der Hand des Manuskriptes der Bibliotheque nationale zu
Paris (Mss. Lat. 8538, A) noch einmal eine gründliche Prüfung.
Clark erkennt zunächst C. Lehmanns Ergebnisse in vollem Umfange
und mit vollem Rechte an, daß an der Existenz und dem Werte des Tornae-
sianus (Z), den außer Bosius besonders Lambin benutzte, nicht zu zweifeln
sei, daß selbst des Bosius Angaben aus dieser Hs nicht von der Hand zu
weisen seien. Detlefsens (Fleckeisens Jahrb. Suppl. Bd. III, 1857— 18G0
p. 113 ff.) und L. Mendelssohns (= ed. p. VIII v. 1) Zweifel an des
Bosius Betrug fand Beifall bei Purser (Class. Review 1894, Märzheft).
Deshalb war es eine lohnende Aufgabe, noch einmal die Untersuchung
Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.) 13
aufzunehmen. Clark hegte dieselbe Ilofifnnng, der auch ich nicht un-
bedeutende Mühe geopfert habe, Bosius zu retten. Der Versuch erwies
sich auch ihm als verfehlt. Die fleißige Zusammenstellung an Stellen,
in denen Bosius falsche Angaben macht und sich selbst widerspricht,
ist eine nützliche Ergänzung zu Haupts und Lehmanns (p. 85 sqq.)
Untersuchungen und muß zur Folge haben, daß man in Zukunft von
den Angaben, die Bosius aus dem decurtatus und Crusellinus macht,
völlig absieht. Sie haben die Textkritiker lange genug zum besten
gehabt.
Zum Schluß macht C. betreff des Tornaesianus und dessen Herkunft
dieselbe Kombination, die ich im Anschluß an C. Lehmann schon 1894
(Berliner philol. Wochenschrift N. 29 Sp. 925) gemacht hatte: daß
die Hs nämlich aus dem Kloster Cluny stammte und nach dem Lyoner
Buchhändler Jean de Tournes (Johannes Tornaesius) benannt wurde.
Clark macht treffend darauf aufmerksam, daß Lambin, in dessen Hand
der Kodex zuerst fiel , seine erste Ausgabe des Horaz bei diesem de
Tournes verlegte und in dem Vorworte erwähnt, er habe von diesem
eine sehr alte Hs erhalten. —
Einen weiteren Schritt auf der von Lehmann gewiesenen Bahn
bedeutet desselben Verfassers Nachweis von einer bisher nicht genügend
beachteten, ebenfalls von M unabhängigen Handschrift:
Albert C. Clark, 'a Paris MS of the letters to Atticus'.
The classical Review Vol. X. October 1896, N. 7. p. 321 — 323.
Die Hs Paris, Lat. Nouv. Fonds 16, 248, welche Clark u benennt,
ist bisher noch nicht untersucht gewesen. Sie ist in Italien geschrieben
Anf. XV. Jahrb., scheint älter als P 8536 bei C. Lehmann, Ein Be-
sitzervermerk am Ende der ersten Seite lautet: AN. BER. Es ist eine
Prachtbs, aber unvollendet: Von fol, 106 b an fehlen die griechischen
Worte, für die Platz gelassen ist. Sie enthält: epistulae ad D (?)
Brutum : ad Q. fr.; ad Octav,; ad Att. I — XVI. Sie teilt mit M die
Lücke in A. I 18, 1 — 19, 11), trägt sie aber am Ende nach, dafür fehlen
die letzten 4 Briefe des lib. XVI, Man unterscheidet verschiedene
Hände. Die erste Hand reicht bis fol. 106 b. Von da ab ist - eine
Abschrift des M. Das Vorausgehende gehört zu der vom M unab-
hängigen italienischen Hss-Klasse, welche Lehmann 2 nennt, zu der
die Hss ENHOPR gehören. Von diesen sind nur ORP vollständig;
N und H enthalten nur die ersten Bücher (bis VII 21, 1 und VII 22, 2)
und sind gemelli. Clark billigt die Vermutung, daß sie vom Kodex
Pistoriensis abstammen, welchen Leonardo Arretino in einem Briefe
an Niccolo Niccoli erwähnt, r. steht dem H (cod. Laudanus in Piacenza
n. 8) sehr nahe, hat dieselben Lücken und Fehler und stammt von
14 Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.)
gleicher Vorlage her. In den 21 Lesarten, welche Lehmann aus H zu
den lib. I — VI 1, 8 als Abweichungen vom ]\[ mitteilt, stimmt 13 mal -
mit H vollständig, 5 Fälle sind indifferent, in den übrigen 3 Fällen
steht - in der Mitte zwischen M und H. Am wichtigsten von diesen
Fällen sind: IV 7, 1 di irati: durati M, diirati (nicht därati, wie Clark mir
brieflich mitteilt) r., dii irati H und III 14, 2 veni: H, Z; ii M, ivi
TT. — Wo H Interpolationen zeigt, ist in der Regel - davon frei.
Clark konnte ans Zeitmangel die Untersuchung der Hs nicht abschließen.
Soviel scheint sicher, daß NHtt auf denselben decurtatus des XIV Jahrh.
zurückgehen, der unabhängig von M war. —
Das Schlußergebnis all dieser Untersuchungen ist durchaus zu-
friedenstellend: eine Klärung und größere Übereinstimmung der An-
sichten über den Zusammenhang der Hss und über ihren Wert.
Lehmanns frühere Widersacher sind verstummt oder doch zu Zuge-
ständnissen geneigt, während anderseits 0. E. Schmidt sich wohl mit
Recht gegen eine zu niedrige Einschätzung des Mediceus erklärte.
Bei meinen jüngsten textkritischen Bemühungen auf dem Gebiete der
epp. ad. Att., über die unten referiert werden soll, habe ich immer von
neuem den Wert der M schätzen gelernt.
m. Die Sprache in Ciceros Briefen.
Paul Meyer, De Ciceronis in epistulis ad Atticum sermone.
Prg. der Kgl. bayerischen Studienanstalt in Bayreuth, 1887. 8.
60 S.
Die gediegene Abhandlung stellt sich als Aufgabe, eine Fest-
stellung der Sprache, deren sich Cic. im brieflichen Verkehre mit Atti-
cum bediente, zunächst mit Ausschluß des Syntaktischen zu geben.
Voraus geht eine Zusammenstellung der Arbeiten von Thiel -
mann, Hellmuth, Landgraf, welche durch Woelff lins grundlegen-
den Aufsatz (Philol. XXXIV 137 ff.; 1874) angeregt zu einer Sichtang
des Sprachgebrauches fast aller Briefsteller Ciceros geführt haben, und
besonders derjenigen, die sich mit der je nach der Abfassungszeit ver-
schiedenen Sprachweise des Cic. selbst beschäftigen. Kein Zweifel, daß
sich Cic. in den Briefen an Att. gehen ließ, daß in diesen Briefen
der ,sermo merus" zu finden ist. Dafür giebt Cic. selbst ausdrückliches
Zeugnis in A. I 12, 4; VI I, 2; VII 10; XIV 7, 2; F. IX 21, 1. Um diese
tägliche Umgangssprache zu ermitteln, stellt Meyer einen Vergleich
der Briefe des Att. mit der Sprache des Lucilius, Plautus, Terentius
u. a. an, welche sich des sermo cotidianus bedient haben. Er durfte sich
dabei der Vorarbeiten von Stinner (De eo, quo Cic. in epp. usus
est sermone. Oppeln 1879) und Landgraf bedienen (Bemerkungen
Jahresbcriclit über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.) 15
zum sermo cotidiamis in den Briefen Cic. u. an Cic. , Bl. f. d. Ba}^".
Gymn.- Wesen. XVI p. 274—80; 317—31) und zugleicli Landgrafs
treffliche Arbeit in einigen Punkten berichtigen (p. 79.): pio Marc. 14:
pnidens et sciens tamquam ad interitam ruerem sei tamqaam nicht mit
prudens und sciens zu verbinden (p. 313), sondern zum folgenden zu ziehen,
da prudens et sciens als gebräuchliclie Wendung keiner Einschränkung
und Milderung bedürfte: cf. Poet. trag, fragni. Ribb., p. 256 prudens
et sciens ad pestem ante oculos positam\ Ter. Enn. 72: prudens sciens
vivos vidensque pereo etc. — A. XII 38a, 2: Tu quoniam necesse
nihil est, sie scrihes aliqnid, si varahis beziehe sich sie nicht mit L
(p. 324) auf quoniam, sondern auf den Bedingungssatz: „dann wirst
du schreiben, wenn du Zeit hast." wie A. IX 2; XIV 13 A, 2; H)'g.
fab. 14; auch F. XIII 70 beziehe sich sie fit, auf das folgende ut
multi velint , wie schon 0. Rebling (Versuch einer Charakteristik d.
röm. Umgangssprache; Kiel 1883 p. 27) erkannte (vgl. L. Mendel-
sohn a. 1.). Schließlich bestreitet er, daß L. mit Recht A. VII 11,1
sihi haheat suam fortiinani in Parallele stelle mit Ter. Ad. 958 suo
sibi gladio hnnc ingulo, und belegt Ciceros Sprachgebrauch der zu-
sammengestellten Pronomina mit A. XII 28, 2 mea mihi conscieyiiia
plures est; XIV 8, 2; Cael. in epp. ad A. X. 9 A, 2. — Daran schließt
sich die Untersuchung über einzelne Worte und Wendungen, die der
Umgansgsprache angehören, und über einige syntaktische Erscheinungen
verwandter Art. Dabei werden eine Reihe interessanter Beobachtungen
gemacht: letum kommt bei Cic. nicht vor, außer bei Dichtercitaten,
de leg. II 9, 12; de div. I 26, 56. Neu ist die Erkenntnis, daß auch
A. X 10, 5 quam turpi leto pereamus ein halber Hexameter ist. Das
Verbum egere verbindet Cic. auch in den Briefen mit dem Abi. : A. III
15, 4; IV, 1, 8; XI 16, 5; XIV 17. A, 2; XV 1, 5; 9, 2 lesen wir
egere eonsilio , nur einmal A. VII 22, 2 egeo consilii, weshalb sehr
wahrscheinlich, daß Cic. mit egeo consili an ein Dichterwort erinnert,
wie Plaut. Bacch. 651. . . . egens consili servos. F. IX 3, 2; quod
gravitas morhi facit, ut medicinae egeanms wird als Hexameter er-
kannt. — A. X 12 a, 1: quo nie nunc vertam'? XIII 13, 2 nunc autem
ftTTopü), quo me vertam wird als vulgär erwiesen. A. XIII 38, 1:
hoc quidquam pote impurius wird gewiß mit Recht als ein Wort der
Komödie angesprochen. Betreffs des vulgären pote vgl. Rebling a. a,
0. p. 9. — A. I 16, 1 dii immortales\ quas ego pugnas (et) quan-
tas strages edidi hatte schon Ribbeck (frgm. com. Rom. p. 122j als
aus der Komödie stammend erkannt; aber man findet es in keiner
Ausgabe mit Anführungsstrichen. Meyer bringt weitere Belege bei:
Plaut. Pseud. 503; Capt. 585; Poen. 923 und schlägt unter Hinweis
auf Plaut. Capt. 902 sqq. vor:' Di immortales, . . .
16 Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.)
Quanfas ego pugnas, quantas strages edidil' schwerlich richtig*)
A. XIII 28, 2 iiirato mihi crede soll durch Plaut. Asin. 23:
iuraio mihi video necesse esse eloqui; Amph. 437: iniurato scio plus
credet mihi quam iurato tibi als Dichterwort belegt sein. Vielleicht
ist es n u r vulgär. Es werden behandelt die Worte nassa, tricae, tricari,
siispirifus (das übrigens A. I 18, 3 nicht sicher überliefert ist), in-
commoditas, colluvies, offensa, agripeta-, levamentum, aegrimonia, Sub-
stantiva verbalia auf -io und -or mit einer Zusammenstellung derer,
die nur bei Cic. (p. 19), und deren (p. 20 f.) die nur in den Briefen
vorkommen, Subst. auf -or. **) Ebenso werden gründlich vulgäre Ad-
verbia, Adjektiva, Verba behandelt. Daran schließen sich (p. 52) sprich-
wörtliche Wendungen und (p. 56) eine kurze Behandlung and Zu-
sammenstellung der griechischen Wörter innerhalb der Briefe, wobei
die interessante Beobachtung gemacht wird , daß in lib. III , welches
Cic. in der Trauer seines Exils schrieb, kein griechisches Wort voi--
kommt, während sie in allen anderen Büchern nicht selten sind. Ich
habe zuzufügen, daß auch in lib. XI griechische Worte fehlen; auch
hier ist Ciceros ernste Stimmung davon die Ursache: denn diese Briefe
sind im Kriegsjahre 706/48 aus dem Lager des Pompeius, aus Dyr-
racbium und Brundisiura geschrieben.
IV. Zu den Briefen an Cicero.
J. H. Schmalz hat in seinem Berichte eine größere Reihe von
Untersuchungen über den Sprachgebrauch der nichtcicerouiscben Briefe
aufgeführt (1884 S. 70—72), welche den Sev, Sulpicius Rufus,
M. Claudius Marcellus, P. Cornelius Dolabella, M. Curio,
M. Antonius, P. Vatinius, M. Brutus, Asinius Pollio betrafen.
Die drei zuletzt genannten haben auch von selten Burkhards im
Jahresberichte über die römischen Redner ihre Besprechung gefunden.
84. Bd. (1895) II. Abt. S. 162—173.
Von den neu hinzugekommenen Arbeiten dieses Gebietes sind
auch einige schon von Burkhard behandelt, andere haben, soweit sie
vor dem Jahre 1893 erschienen sind, nach der textkritischen Seite ihre
Verwertung in Mendelssohns Ausgabe, soweit sie vor 1896 erschienen
sind, dasselbe durch C. F. W. Müller und Ty rre 11- P urser in deren
Ausgaben erfahren. Wir dürfen uns deshalb kurz fassen.
In all dieser Arbeit tritt das Bestreben hervor, im Gegensatz zu
der früheren fehlerhaften Methode, Ciceros Sprache für alle Epistolo-
*) 0. Seyffert bemerkt treffend, daß: du immortales, <juas ego pugnas,
quantas strages edidi ein tadelloser troch. Septenar ist.
**) Einer Berichtigung bedarf: ^pacificator A. I 13, 2 ap. Cic. nusquam
alias", es kommt noch einmal A. X 1, 2 emptum pacificatorem vor.
Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen, (Gurlitt.) 17
graphen seiner Zeit zur Richtschnur zu nehmen, jedem einzelnen in
seiner Eigenart gerecht zu werden, zu Individnalisieren statt zu Ni-
vellieren.
Hermann Hellmuth, Über die Sprache der Epistolographen
S. Sulpicius Galba und L. Cornelius Baibus, Programm des
Kgl. Alten Gymnasiums zu Würzburg 1888, Würzburg, H. Stürtz,
4, 60 S.
Besprechung: Berliner philol. Wochenschr. VIII. Jahrg. N. 51 von
Eußner.
Zu Grunde lag eine neue Kollation des cod. Med. für die in
Frage kommenden Briefe und dazu auch die Lesarten von H D, die
inzwischen auch andererseits bekannt geworden sind. Die Anordnung
der Arbeit ist folgende: 1. Neudruck der Briefe des Baibus F. X 30;
A. VIII 15 A; IX 7 A (Baibus und Oppius); 7 B; 13 A, — 2. Lebens-
lauf des G. Sulpicius Galba und Charakteristik seines Stiles. —
3. Formenlehre, 4. Syntax, 5. Phraseologie, 6. Stilistik. 7. vita des
L. Cornelius Baibus mit gleich geordneter sprachlicher Untersuchung
seines Stiles. Ein Index verweist auf die sprachlichen Bemerkungen.
Der Text erfährt einige Berichtigungen aus den Hss, die in den neuen
Ausgaben aufgenommen sind. — Bei Galba tritt stilistische ünvoll-
kommenheit, Anlehnung an die Umgangssprache hervor, manche Be-
rührungspunkte mit den Verfassern des bellum Africanum und Hispa-
niense, mit Vitruv und besonders mit Nepos. Des Baibus Satzbau ist
dem der besten Klassiker nachgebildet, hat lange, aber durchsichtige
Perioden, gewandten Ausdruck, volkstümliche Vorliebe für Parataxe.
Vokabelschatz und Konstruktionen weichen nicht unwesentlich von
Cicero und Cäsar ab. Er giebt uns die Konversationssprache der da-
maligen gebildeten Gesellschaft in Eom. Eine ebenso gründliche, ge-
haltreiche Arbeit bat geliefert:
10. Alb recht Köhler, Über die Sprache der Briefe des P.
Cornelius Lentulus Spinther (Cicero epp. ad fam. XII 14 und
15). Beigabe zum Jahresbericht 1889/90 des Kgl. Alten Gymnasium
zu Nürnberg. Nürnberg 1890, Fritz Walz.
Besprechungen: Archiv für Lexikographie VII 1890 S. 458 (Wölfflin);
Gymnasium IX 1891 Sp. 353 (F. Müller): Berl. philol. Wochenschr. XI 1891.
Sp. 884 und 8S5 (F. Burg): Arch. f. lat. Lexik. VII (1S92) 458; Neue pbil.
Rundschau 1892, S. 183—184 (E. Grupe): diese Jahresber. 93. Bd. 1897.
II S. 85—86 (Burkhard).
Auch hier ist zunächst eine gesicherte kritische Grundlage des
Textes geschaffen.
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVII. (1898. IT.) 2
18 Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.)
Auf die vita des Lentiilns und die Würdigung seiner Schreibweise
folgen: Formeulehre, Syntax, Wörter und Redensarten. „Des Lentulus
sprachliches Vorbild ist Cicero. Er beherrscht die Ausdrucksraittel völlig
und versteht sie in jedem Falle seinen Zwecken dienstbar zu machen."
E. Wölfflin, C. Äsinius Polio de hello Africano (mit einem
Anhange über das Gefecht bei Ruspina). Vortrag v. 4. Mai 1889. In
den Sitzungsberichten der philos.-philol. und histor. Klasse der K, b.
Akademie der Wissenschaften zu München. Jahrg. 1889. 1. B.
S. 319—350.
Diese Arbeit hat in diesen Jahresberichten schon zweimalige Be-
sprechung erfahren, nämlich von H. S. Heller Bd. 68 (1891) S. 84,
von K. J. Burkhard Bd. 84 (1896) Abt. II. S. 166—167. Nur zum
kleinsten Teile beschäftigt sie sich mit der Sprache des A. P., seinen
Redensarten, dichterischen Anklängen, Archaismen und ungelenken
Kompositionen. Eingehender behandelt später diese Seite derselbe Verf.
Eduard Wölfflin, Über die Latinität des Asinius Polio.
Archiv f. lat. Lex. u. Gram. VI (1889) S. 85—106, von Burkhard a. a. 0.
so eingehend besprochen, daß es genügt, darauf zu verweisen.
J. H. Schmalz, Über den Sprachgebrauch des Asinius
Pollio. Zweite verbesserte Auflage. München 1890. C. H. Becksche
Verlagsbuchhandlung (Oskar Beck) Schwabing. 60 S. 1,40 M.
Die zahlreichen Besprechungen der ersten Auflage, die auch
Burkhard in seinem Jahresberichte 84. Bd., 1895. S. 171 — 173 auf-
führt, werden im Vorwort genannt, der Anhang giebt einen auch für
andere Zwecke nützlichen Überblick über die zahlreichen zu Rate ge-
zogenen Schriften. Die Untersuchung, welche schon zu manchen ver-
wandten Anregung gegeben hat, sei auch weiterhin als Vorbild em-
pfohlen. Prinzipielle Änderungen sind der ersten Auflage gegenüber
nicht vorgenommen, wohl aber sind die Litteratur-Nachweise ergänzt
und nachgebessert. Es genügt auch hier auf BurkhardsBericht (a. a. 0.
S. 171 — 173) zu verweisen.
Ernst Gebhard, De D. Junii Bruti genere dicendi. Jeuenser
Diss. (G. Neuenhahn) 1891. 56 S.
Besprechungen: Archiv für lat. Lexikographie VIII 2. p. 303—304;
Berl. phil. Wochenschr. XIII 1893 N. 11 Sp. 332—333 (L. Gurlitt).
1. de delectu vocabulorum locutionumque. 2. observationes quaedam
de proprietatibus ad rem grammaticam spectantibus. Ergebnis (p. 24):
Des I). Juni US Brutus Stil ist ohne Glätte und Eleganz. Er schi-eibt die
gewöhnliche Umgangssprache, oder richtiger, die Sprache des Lagers
und liebt Kraftausdrücke. Seine Sprache steht der des Cäsar be-
Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.) 19
deutend näher, als der ciceronischcn , am nächsten ist sie derjenigen
des M. Brutus verwandt, was zwar richtig- ist, aber nicht genügend
nachgewiesen ^Yird.
Den schriftstellerischen Charakter des M. Caelius Rufus klarzu-
legen haben gleichzeitig 2 Gelehrte mit bestem Erfolge unternommen.
Ferdinand Becher, t^ber den Sprachgebrauch des Caelius,
Jahresbericht über die Klosterschule zu Ilfeld 1888. 4. 41 S.
Besprechungen: Berliner phil. Wochenschr. IX, 1889 Sp. 210f.
(J. H. Schmalz); Archiv f. lat. Lexikogr. V 305-307 (H. Hellmuth); K.J.
Burkhard in diesen Jahresberichten 81. Bd. 1895. S. 158— IGO.
Die Arbeit ist noch nicht abgeschlossen, behandelt zunächst
Formenlehre, Syntaxis convenientiae, Syntaxis casunm, diese freilich in
erschöpfender Weise, indem die 17 Briefe im lib. VIII der epp. ad
fam. von der Hand des M. Caelius Ruf us und zugleich die bei
Quintilian u. a. überlieferten Fragmente aus seinen Reden einer genauen
sprachlichen Analyse unterzogen werden.*) Zur Behandlung kommen
Ausdrücke wie F. VIII 4, 4 ad ÄpoUinis; 3, 1; 14, 1 fanti est; 5, 1
quantum gloriae triumphoque opus esset; 14, 2 quod non dubito, quin te
quoque haec deliberatio sü perturhaiura ; 14, 4 risum veni etc. Das Er-
gebnis lautet:
Caelius hat eine „leidenschaftlich ungestüme Sprache, die reichlich
mit Archaismen, Vulgarismen und Anklängen an den sermo cotidiauus
durchzogen, in ihrer ungewählten, lockeren, unebenen Form sich ebenso
sehr von der elegantia eines Cäsar wie von der Glätte und Rundung
eines Cicero entfernt, wenn auch diese und jene Ähnlichkeiten zwischen
Lehrer und Schüler vorhanden sind. Er ist jedenfalls ein origineller
Schriftsteller, der sich schwer einer bestimmten Schule zuweisen läßt.
"Will man ihn absolut unterbringen, so rechne man ihn den Atticisten
zu: in deren Umgebung wird er am meisten genannt." Auf Grund
dieser treffenden Charakteristik geht B. unter Benutzung der besten
Hss M G E — nur D war ihm nicht zugängig — au die sprachliche
Einzeluntersuchung, deren Ergebnisse man in den Ausgaben schon ver-
wertet findet.
Franciscus Burg, de M. Caelii Rufi genere dicendi. Frei-
burger Inaug. Dissertation. Leipzig, Teubner 1888. 78 S. gr. 8.
*) Die Chronologie der Briefe hatte gegeben: Bruno Nake Neue
Jahrb. 1861 p. 60-68 u. Symb. phil. Bonnensium p. 373—384. Vgl. auch
Wegehaupt, M. Caelius Rufus, Progr. von Breslau 1878 u. Wieschhoelter,
de M. Caelio Rufo oratore. Dissertation von Leipzig 1885. p. 32 ff.
•2*
20 Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.)
Besprechungen: Berlin, phil. Wochenschrift IX 1889 Sp. 212 f.
zusammen mit Bechers Arbeit (J. H. Schmalz). Deutsche Litteraturzeitung
1888 p. 074— 9TÖ (Ferd. Becher). In diesen Jahresberichten 84. Bd. 1805.
S. 100—161 (Burkhard).
Im Prinzip stimmt B. mit Becher völlig übereiu, seine Arbeit
umfaßt aber ein weiteres sprachliches Gebiet und er verfährt dabei
mehr eklektisch. In der Einleitung wird das Wichtigste über das
Leben und die schriftstellerische Eigenart des Caelius aus den Quellen
mitgeteilt. In 5 Kapiteln wird gehandelt: de formis vocabulorum, de
syntaxi, de copia verborum, de locutionibus, de reliquis proprietatibus
diceudi. Burg sieht keinen Grund, den Caelius der Schule der Atti-
cisten zuzuzählen (p. 9). Textkritisch ist die Arbeit weniger gut
fundiert, als die Bechers, da ihm außer den Lesarten des M. nur das
zur Verfügung stand, was 0. Streicher (Comment. philol. Jenens.
vol. III. (1884) p. 99 sq.) aus anderen Hss vorerst bekannt gemacht
hatte. Dagegen ist der übersichtliche Index ein Vorzug seiner Arbeit.
Mit L. Munatius Plancus beschäftigen sich 4 Arbeiten.
A. Rhodius, De Sj'utaxi Planciana. Progr. des Gymnasiums zu
Bautzen. Ostern 1894. 32 S. 4.
Besprechungen: Arch. f. lat. Lexik. IX (1896) 149-151 (L. Berg-
müller), und in diesen Jahresberichten 03. Bd. 1897. II S. 79 (Burkhard).
A. Rhodius, De L. Muuati Planci serraone. Progr. des
Gymn. zu Bautzen. Ostern 1896. 40 S. 4.
Besprechungen: Jahrcsbcr. 03. Bd. 1S07. II S. 70-81 (Burkhard).
Ludwig Bergmüller, ZurLatinität der Briefe des L. Munatius
Plancus an Cicero. Jahresber. über das K. Alte Gymnas. zu
Regensburg. Stadtamhof. 1896. X. 26 S. 8. und:
Ludwig Bergmüller, Über die Latinität der Briefe des
L. Munatius Plancus an Cicero. Erlangen und Leipzig 1897.
A. Deichert. X, 102 S. 8. 2,25 Mk.
Besprechungen: Arch. f. lat. Lex. u. Gr. X, H. 2 S. 198 f.: Jahresb.
0.3. Bd. 1897. II S. 81-82 (Burkhard).
Diese 4 Abhandlungen sind in diesen Jahresberichten schon ein-
gehend behandelt worden.
Hierzu dürfen wir schließlich auch noch folgende Arbeit zählen:
Johann Babl, De epistularum latinarum formulis. Programm
des Kgl. Alten Gymnasiums zu Bamberg. Bamberg 1893, W. Gärtners
Buchdruckerei (D. Siebenkeesj. 40 S.
Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Brieten. (Gurlitt.) 21
Diese Abhandlung, welche die verba solemnia des lateinischen
Briefstiles von ihren Anfängen bis in die Zeit Karls des Großen ver-
folgt (die Briefe des V. — VIII. Jahrhunderts nur im allgemeinen) bietet
auch lehrreiche Beobachtungen für Ciceros Briefe, Es werden behandelt
I. die Begrüßungsformeln, II. die formelhaften Anfänge, III. die Abschieds-
formeln, IV. die Unterschrift von Ort und Zeit der Abfassung. Es zeigt
sich, daß Ciceros Sprachgebrauch dabei mehrfach von dem seiner Zeit-
genossen (wie L. Cornelius Baibus, Curius, Matius,*) Cassius, Plancus**)
abweicht, daß er selbst unterscheidet, je nachdem er an Nahestehende,
an hochstehende Bekannte, an Behörden schreibt, oder je nachdem er
förmlich oder herzlich sein will. Bis ins III. Jahrh. bleibt er auch hierin
vorbildlich besonders für Fronto, von da ab, besonders unter dem Ein-
fluß des Christentums, treten neue Formeln ein. Um für die Textkritik
von Nutzen zu sein, müßten die Untersuchungen eindringlicher sein und
die Überlieferung strenger zu Rate ziehen. Eine auf die epp. Ciceronis
beschränkte Untersuchung würde weiteren Gewinn bringen. —
V. Zur Chronologie der Briefe.
Am eifrigsten und zum Teil mit glänzendem Erfolge sieht man
in den letzten 15 Jahren die Gelehrten, und zwar fast ausnahmslos
deutsche, damit beschäftigt, die Chronologie der Briefe richtig zu stellen,
wodurch vielfach erst ein richtiges Verständnis der Briefe und der
Tagesgeschichte ermöglicht wird.
Für die epp. ad fum. findet man die bisherigen Ergebnisse zu-
sammengestellt und vervollständigt im Anhange zu L. Mendelssohns
Ausgabe von 0. E. Schmidt und Emil Körner. Durch diese chrono-
logischen Tafeln ist das Werk von Johannes von Gruben (1836),
das trotz seiner Fehlerhaftigkeit bisher noch als einzige zusammen-
hängende Darstellung der Briefchronologie in Gebrauch war, für die
eine Hälfte der Briefe entbehrlich geworden. Die Datierung der Briefe
aus den Jahren 63 — 52 (1 — 73) wird Körner, die der folgenden
Jahre 51—43 (74—430) 0. E. Schmidt verdankt. Alle Vorarbeiten
*) Curius u, Matius sagen z. B. am Schlüsse: bene vaie (VII 29, 2;
XI 28, 8) wie Plaut. Asin. IH 3, 16 = 606 (Ritschi) Mil. IV 8, 29 = 1339 (R).
Cicero gebraucht es nicht mehr, im silbernen Zeitalter ist es wieder sehr
gebräuchlich.
**) Baibus, Cassius, Plancus sagen fac valeas. Cic. ad Att. IX 7 B, o ;
fam. XII 12, 5; X 4, 4; 7, 2; 21, 6, Cicero nur einmal in einem Briefe an
seine Frau (fam. XIV 1,6), dagegen liebt er cura, ut valeas, weniger da
operam, ut valeas.
22 Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.)
sind dabei gewissenhaft verwertet, und da Schmidt einen ausführlichen
Kommentar zu den chronologischen Tabellen in Aussicht gestellt hat,
in dem die Datierungen ihre Begründung finden sollen, so glauben wir
in diesem Jahresberichte nicht nötig zu haben, noch bis ins Einzelne
den Auteil aufzuzählen, den die verschiedenen Gelehrten an den dort
niedergelegten Ergebnissen haben, oder au ihnen eine Kritik zu üben,
bevor der Kommentar erschienen ist, - — Was wir noch vermissen, ist
eine tabellarische Darstellung der Briefdaten ad Att. und ad Q. fr. und
eine zusammenfassende Tabelle aller Briefe, eine dem heutigen Stande
der Wissenschaft entsprechende Neuausgabe des Gruberschen Werkes. —
Zu bequemerer tJbersicht sollen nachstehend die chronologischen
Untersuchungen, unbekümmert um ihre Abfassungszeit, so angeordnet
werden, daß sie sich der zeitlichen Aufeinanderfolge der Korrespondenzen
möglichst anschließen.
Danach gehört an erste Stelle die schöne Abhandlung von:
W. Sternkopt. Ciceros Korrespondenz aus den Jahren 68—60
V. Chr. Elberfelder G3^mnasialprogi'aram 1889. 24 S. 4.
Besprechung: Jahresber. 94. Bd. 1897. III S. 125 f. (Hüter).
Diese Arbeit beschäftigt sich mit den ältesten erhaltenen Briefen
unserer Sammlungen: zunächst mit dem epp. ad A. der Jahre 68—65.
Der erste Brief I 5 (vor 27. Nov. 68j bildet nicht die Eröffnung der
Korrespondenz, aber ein Wiederanheben derselben, die durch einen
vorübergehenden Besuch des Atticus in Italien herbeigeführt wurde.
I 5 — 11 bilden eine zusammenhängende Korrespondenz, nach längerer
Pause folgt 1 3 und 4; I, 1 und 2. Die einzelnen Daten sind: I 5
vor 27. Nov.; 6 nach 27. Nov. 68; 7 vor 13. Febr. 67; 8 nach 13. Febr.
9 danach und vor I 10, der selbst „vor Quintil" geschrieben ist
II „Quint. 67 oder später". I 3 Ende 67; I 4 in der ersten Hälfte 66
I 1 Quintilis 65, sehr bald danach II. — Es folgt eine Untersuchung
über die Briefe des Jahres 67 (ad fam. V 1, 2, 7, 6), des Jahres 61
(A I 12; fam. V 5; A. I 13; 14—20: II 1—3; ad Qu. fr. I 1).
Sämtliche Datierungen werden klar begründet und bedeuten einen
Fortschritt unserer Erkenntnis.
Eine Fortsetzung dieser Untersuchung giebt
W. Sternkopf, selbst in den Jahrbüchern f. kl. Philol.1892.
Hft. 10, S. 713 — 728 ('Ciceros Correspondenz aus den Jahren
59 und 58').
Besprechung: Jahresber. a. a. 0. (Hüter).
I. Briefe des Jahres 59, Q. II 4—17. Diese 14 Briefe sind
in der erhaltenen Reihenfolge geschrieben mit Ausnahme des Briefes 12,
Jahresbericht über die Litteratux zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.) 23
welcher vor 10 und 11 gehörte. Die Briefe 4 — 8 gehören in die erste
Hälfte des April, was gegen Schütz und Baiter sicher erwiesen wird,
und sind in Antium geschrieben, „ein Autias des Cicero gab es ebenso-
wenig wie ein Pomptinum" (gegen Druinann GR. VI 391). — II 11 — 15
sind im Formianum geschrieben, wohl in der überlieferten Reihenfolge,
zwischen dem 21. und 29. April; II 16 von ebenda zwischen 1. — 5. Mai,
17 wohl noch vor dem 6. Mai. Die Briefe II 18 — 25 schrieb Cicero
in Rom in der überlieferten Folge, ad Q. fr. I 2 bald nach dem
25. Oktober.
II. Briefe des Jahres 58. Voraus geht eine sorgfältige
Untersuchung über die beiden Ciodianischen Rogationen, die Ciceros
Verbannung bezweckten; St. entscheidet sich für die Ansicht L. Langes ;
die Reihenfolge der Ereignisse ist: Clodius promulgiert gleichzeitig die
rogatio de capite civium und diejenige de provinciis consulum. Cicero
verläßt Rom. Vielleicht am Tage seiner Abreise gehen beide Gesetse
durch (spätestens Mitte März), Ciceros Stadthaus und seine schönsten Villen
werden geplündert. Dann erst folgt die Rogation de exilio Ciceronis
(cf. Cassius Dio XXXVIII 14 und 17). Welches war deren Inhalt und
Zweck? Hierüber giebt es 3 Ansichten, die Druraanns, Langes, Hof-
mann.*) St. entscheidet sich für Hofmann (Ciceros Brief 1 ^ S. 61),
„daß nach der ursprünglichen Fassung Cicero nur aus Italien verbannt
war, daß aber durch die neue Fassung ihm der Aufenthalt innerhalb
400 Milien von den Grenzen Italiens an untersagt wurde."
Augustus, Aemilius Körner, de epistulis a Cicerone post
reditum usque ad finem anni a. a. c. 700 datis quaestiones chrono-
logicae. Lipsiae apud Gust. Fox 1885. 8. 67 S.
Besprechungen: 0. E. Schmidt, Wochenschrift für kl. Phil. 1885
N. 51 Sp. 1609 ff., wobei die Daten vom 8.— 26. April 56 (aus den Briefen
ad Q. f. Il 5 ad A. IV 6—11) klarer gestellt werden. 2. von L. Gurlitt,
Berl. phil. Wochenschrift 1896 N. 44 Sp. 1369 ff. 3. R. .1. Tyrrell ed. epp.
Dublin 1886. vol. II, p. XIV.
Diese Abhandlung, durch die sich der Verf. gut auf dem Gebiete
der Cicero-Briefe eingeführt hat, behandelt gegen 80 Briefe, welche
den Zeitraum vom Sept. 57 bis Ende 54 umfassen. Da die Ergebnisse
in übersichtlichen Tabellen am Ende der Arbeit zusammengefaßt und
dann nur unwesentlich umgestaltet auch, soweit sie die sog. epp. ad fam.
*) A. W. Zumpts Darlegung (Kriminalrecht I 2 S. 427—433) scheint
St. nicht zu kennen; aus ihr hätte er übrigens auch keine Belehrung
schöpfen können. A. Jäckleins Progr. von Bamberg 1875 über Ciceros
Verbannung gehört auch hierher und jüngeren Datums Gerh. Buning
Progr. des Gymn. zu Cösfeld 1894. (s. nächste Seite.),
24 Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.)
betreffen, im Auhaiige zu L. Mendelssohns Ausgabe aufgeführt sind,
so genügt es hier, auf diese Arbeit zu verweisen und den großen Fort-
schritt anzuerkennen, den sie in chronologischer Hinsicht bedeutet. Auch
die Briefe ad Att. IV 1 — 19 und ad Qu. fr. II 1 — in 9 erfahren
hier zum ersten Male seit v. Gruber eine gründliche Behandlung.
Eine Ergänzung dieser Arbeit haben wir in einer ebenfalls sehr ge-
diegenen Dissertation von:
Gerhard Rauschen, Epheraerides Tullianae rerura inde ab
exilio Ciceronis (Mart. LVIII a. Chr.) usque ad extremum annum LIV
gestarum. Bonn (Herrn. Behrendt) 1886. 68 S.
Besprechung: ßerl. phil. Wochenschr. 1887. N. 36. Sp. 1115 ff.
(L. Gurlitt.)
Zunächst wird nachgewiesen, daß es zwischen den Jahren 57 und 53
nur einen mensis intercalaris gab und zwar im Jahre 55, sodann werden
die beiden Gesetze des Publ. Clodius gegen Cicaro behandelt und be-
hauptet (fälschlich?), daß in dem 2. Gesetze eine Verbannung von
30 000 Meilen, von Rom gerechnet, festgesetzt wurden.*) Neu ist die
Berechnung, daß die comitia consularia des Jahres 58 vor den Kai.
des Juli abgehalten wurden, und daß das sen. cons. de cura annonae
ad Pompeium deferenda und Ciceros erste Rede nach seiner Rückkehr,
in der er den Quirlten Dank sagt, auf den 7. (nicht 5.) September
fielen. Betreif der Briefdaten muß er 18 mal Körner widersprechen,
das betrifft die Briefe F. 1 4, 5b, 6, 8; V 8, 12; VII 26 ; XIII 40.
A. IV 1, 2, 4b, 5, 6, 8a, 8b, 9, 10, 16 § 6. Q. fr. II 4 § 3—7,
II 5 § 4. Genaue Tabellen geben über diese Ergebnisse den klarsten
Überblick (1. res gestae, 2. epistulae, 3, loci teraptati) — eine Sorg-
falt, die nicht dringend genug der Nachahmung empfohlen werden kann.
Aber auch mit Rauschens Datierungen hat man sich noch nicht allseits
einverstanden erklärt.
Emil Körner, „M. Tullius Tiros Freilassung" giebt Beiträge
zur Chronologie der Briefe ad fam. XVI 10, 13 — 15 (Jahrb. f. class,
Phil. 1891. Hft. 2. S. 130—132) des Jahres 701/53. Das Datum des
Briefes F. XVI 10 ist unvollständig überliefert, nämlich ,XIIII K.'
Körner berechnet, daß Maias zu ergänzen sei. Ich möchte dagegen
*) Dieselbe Frage behandelt W. Sternkopf (Jahrb. f. kl. Phil. 1892
S. 719 ff.) und Gerb. Buning, Prg. des Gymn. zu Coesfeld 1894. 23 S. 4.
(Vgl. die Besprechung von L. Gurlitt, Berl. phil. Wochenschr. 1^95 N. 17
Sp. 523 ff.) Wir pflichteten Buning bei, dall Cicero ursprünglich aus dem
ganzen römischen Gebiete verbannt war, und daß ihm durch die neue
Fassung nur der Aufenthalt innerhalb 400 röm. Meilen von den Grenzen
Italiens untersagt wurde. Sternkopf und B. fanden ihre Ergebnisse unab-
hängig von einander. Eine abschließende Behandlung wäre erwünscht.
Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.) 25
auf die Thatsache aufmerksam machen, daß der Codex D, dessen Be-
deutung man seitdem erkannt hat, 'XIIII K. feb.' überliefert, was
noch eine Prüfung erfordert. Kürners Ergebnisse, die Wichtigkeit für
die Chronologie im Leben des Tiro haben, sind in die Tabelle der
Mendelssohnschen Ausgabe übergenommen.
Die Arbeit führte schon Hüter oben 1897. III S. 128 auf.
Paul Hildebrandt, De Scholiis Ciceronis Bobiensibus. Berlin
(Mayer und Müller) 1894. 8. 63 S. p. 25 ff. behandelt die Briefe A. IV
4b, 5, 6, 8a und behauptet, daß sie im April oder Mai geschrieben
wurden, nicht im Juni (Rauschen). Eine Entscheidung zwischen den
widerstreitenden Ansätzen von Körner, 0. E. Schmidt, Rauschen und
Hildebrandt*) kann hier nicht unsere Aufgabe sein.
Theodor Schiebe, Zu Ciceros Briefwechsel im Jahre 51.
Wissenschaf tl. Beilage zum Jahresbericht des Friedrichs- Werderschen
Gymnasiums zu Berlin Ostern 1895 (N. 55). R. Gaertners Verlag
(Herrn. Heyfelder). 31 S. 4.
Besprechungen: Berl. phil. Wochenschr. 1896 N. 3 p. 80—82
(L. Gurlitt); Wochenschr. f. kl. Phil. N. 45 p. 1223-1230; N. 4G p. 1255-
1295 (W. Sternkopf). Deutsche Litteraturzeitg. 189G N. 18 p. 556 (Th. Stangl).
Neben einer Reihe textkritischer Beobachtungen, die später be-
handelt werden, bietet diese Arbeit auch beachtenswerte Fortschritte
auf dem chronologischen Gebiete, so besonders folgende Daten : Cicero
yerließ Rom, um in seine Provinz zu gehen, schon einige Tage vor Ende
April; A. V 6 ist am 19., V 7 am 20. Mai geschrieben, F. III 3 am
22. oder 23. Mai. Caelius ist nicht von Rom aus Cicero gefolgt, sondern
trifft mit ihm in Cumae zusammen, es folgt (S. 9 ff.) eine genaue Be-
trachtung der Korrespondenz zwischen Cicero und Caelius (F. II 8 — 10;
Vm 1—5)**) und der geichzeitigen mit Atticus (V 8—17).**') Wohl
ohne Not wird nach VIII 1 der Verlust eines Briefes Caeli ad Ciceronem
angenommen. Richtig ist, daß Cicero bald nach dem 4. .Juni von
Bruudisium abfuhr. Auch F. III 3 „22. oder 23. Mai», III 5 ,28. Juli"
sind zutreffende Datierungen. Mit großem Geschick wird hier das
bunte Gewebe der Korrespondenzen in seine Fäden zerlegt, werden die
*) Hildebrandt scheint Schmidts Berechnungen nicht gekannt zu
haben, die den seinen nahe stehen. Vgl. m. Bespr. Berl. phil. Wochenschr.
1895 S. 550 ff.
**) Am meisten von der bisherigen Datierung (zwischen 1. und 13. August)
weicht die des Briefes VIII 5 ab („gegen Ende Juni oder Anfang Juli").
Ich wage keine Entscheidung,
***) V 12 , Mitte Juli" ist keine Verbesserung der bisherigen Datierung
„11. Juli«.
26 Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.)
mannigfachen Beziehungen nachgewiesen: in den meisten Fällen wirkt
die Beweisführung überzeugend.
Theodor Schiebe, Zu Ciceros Briefwechsel seiner Statthalter-
schaft von Cilicien (Wissenschaftliche Beilage zum Jahresbericht des
Friedrichs-Werderschen Gymnasiums zu Berlin Ostern 1897. Prg.
N. 54. 4. 27 S.
Schiches Scharfsinn ist es gelungen, noch einige kleine Fortschritte
in der Datierung dieser nun schon oft behandelten Briefgruppe aus der
zweiten Hälfte des Jahres 703/51 zu erzielen. So wird bewiesen, daß
A. V 16 und 17 in der Folge geschrieben wurden, wie sie überliefert
sind, und soll 17 einen Tag nach IG geschrieben sein, was freilich nur
durch eine immerhin leichte Änderung des überlieferten bidui in tridni
(V 16, 4) zu erreichen ist. A. V 16 soll am 9. — 11. August, am Tage
der Abreise von Syunada, 17 am folgenden Tage, dem 10. — 11. August,
geschrieben sein, womit Schiebe seine frühere Ansetzung (Prg. 1895.
S. 30 f.) berichtigt. Um Ordnung in die verworrene Chronologie der
gleichzeitigen Briefe zu bekommen, muß ad fam. III 6, 3 <irihus e^>
trignita und E. XV 4, 3 coepissem <II> K. Sept., während sich das
für E. XV 3 überlieferte Datum des 3. Sept. halten ließ, durch Kon-
jektur eingesetzt werden. Mit Recht wird gegen Drumann, Moll und
0. E. Schmidt das Zusandekommen einer Zusammenkunft Ciceros mit
seinem Amtsvorgänger Appius Pulcher in Iconium behauptet.
Zeit und Provenienz der Briefe E. XV 7, 8, 9, 12 werden in
Übereinstimmung mit 0. E. Schmidt bestimmt, sowie mit Recht die
Briefe A. V 18 und 19 auf einen Tag angesetzt, und zwar auf den
20. September, wie A. V 19, 1 überliefert ist, während A. VI 1, 1:
X Kai. Oct. in XI K. 0. zu ändern wäre.*) Der folgende Brief
A. V 20 wird als aus 3 Teilen bestehend erwiesen, an die §§ 1 — 7 vom
19. Dezember schließen sich die §§ 8 und 9 (vom 26. Dez.) (?) als
erstes, § 10 als zweites Postscriptum an. Der ganze Brief ging am
27. Dezember von Pindenissus ab, gleichzeitig mit einem Briefe an
Curio (E. II 7).
Gull. Sternkopf, Quaestiones chronologicae de rebus a
Cicerone inde a tradita Cilicia provincia usque ad relictam Italiam
gestis deque epistulis intra illud tempus (a. 704 et 705) datis
acceptisve. Diss. Marburg 1884. 71 S. 8.
*) Ebenda liest Seh: <c«im«> quae epistula tua est, in qua <non>
mentionem facias jedenfalls dem Sinne nach zutreffend.
Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.) 27
Besprechung: Wochenschrift für klass, Philol. ISDC. N. 2. Sp. 38 ff.
(0. E. Schnaidt).
In dieser gediegenen Abhandlung erfahren 140 Briefe eine sorg-
fältige historisch-chronologische Behandlung und zwar, wie der Titel
schon angiebt, die Briefe vom 30. Juli des Jahres 50 v. Chr. bis zum
Ausbruche des offenen Krieges zwischen Cäsar und Ponipeius. Eine
chronologische Tafel geht voraus und erleichtert die Übersicht, die
folgenden 171 Noten dienen zur Begründung der Datierungen. Ludwig
Molls Abhandlung (s. letzten Jahresbericht S. 66) obgleich auf gleichem
Gebiete liegend, bleibt unberücksichtigt, wird aber mehrfach durch die
Ergebnisse berichtigt. Der Weg der Heimreise Ciceros mit seinen
einzelnen Stationen (Tarsus, Sida, Rhodus, Ephesus mit Vermeidung
von Laodicea und Apamea) wird sichergestellt und zeitlich genauer
bestimmt. 0. E. Schmidt, „Der Briefwechsel", der dieselbe Reise
noch einmal ausführlich erzählt (S. 77 ff.), findet an Sternkopfs An-
gaben nichts Wesentliches zu ändern und erkennt an, daß von ihm auch
die Briefe F. III 12, 13; II 15; VIII 12,14 und A. VI 6 (p. 23—28)
richtig bestimmt seien. Auch sonst hat die Kritik Sternkopfs chrono-
logischen TTntersuchuugen und der damit zusammenhängenden Darstellung
des Kampfes zwischen Cäsar und Pompeius nichts anhaben können.
Julius Ziehen, ephemerides Tullianae rerum inde a XVII m.
Martii 49 a. Chr. usque ad IX m. Augusti 48 a. Chr. gestarum.
Bonner Diss. Budapest (Franklin. Gesellsch.) 1887. 8. 55 S.
behandelt dieselbe Zeit wie die letztgenannte Arbeit von Sternkopf und
giebt zu (p. 6), daß diese das Datum der meisten Briefe richtig be-
stimmt habe, so daß in dieser Hinsicht nur wenig nachzutragen bleibe, St.
habe aber den geschichtlichen Stoff der betreffenden Briefe nicht erschöpfend
klargelegt. Ziehen legt daher den Schwerpunkt auf die Konstruktion einer
historischen (jrundlage für eine später zusammenhängende Darstellung
und betont die innere Geschichte, welche Goeler (Cäsars gallischer
Krieg und Teile seines Bürgerkrieges 2. Aufl Tübingen 1880 T. II) und
Kraner-Hoffmann ed. Caesaria (Berlin, Weidmann) nicht genügend
beachtet hätten.
Die Arbeit ist in der That nach dieser Richtung hin reich an
treffenden Beobachtungen, so wird das Datum von Ep. VIII 17, IX 9
zutreffend bestimmt und (p. 19, 31) richtig kombiniert, daß A. X, 9
A. = Ep. VIII 16 in Ep. II 16 von Cicero beantwortet wird (vgl.
Schmidt, der Briefwechsel etc. S. 173); auch wird (p. 24 ff.) A. X 16, 4
animo Caeliano richtig interpretiert (Schmidt a. a. 0. S. 179), während
(p. 53 f.) A. XI 4 fälschlich zu einem Briefe wieder vereinigt wird,
was W. Sternkopf Prg. 1891 p. 14 f. berichtigt (Schmidt S. 193, 1);
28 Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.)
dagegen werden richtig (p. 50 f.) 40 Tage Zwischenzeit zwischen den
Kämpfen bei Pbarsalus und Dyrrhachium berechnet (Schmidt S. 195).
Auch an Textverbesserungen fehlt es in. dieser schönen Untersuchung
nicht (s. unten!).*) Eine Ergänzung dazu bildet
J. Ziehen, „Cicero im Bürgerkriege" (Berichte des Freien
Deutschen Hochstiftes zu Frankfurt am Main 1892 S. 92 ff.) eine
Arbeit, welche sich auch anschließt an: H. Nissens, Der Ausbruch
des Bürgerkrieges im J. 49 v. Chr., in Sybels H. Z. N. F. VIII,
S. 409—445 und X. S. 48—105 und an
0. E. Schmidt, ]\[. TuUius Cicero beim Ausbruche des Bürger-
krieges. Neue Jahrb. f. Philol. 1891. S. 121—130.
Besprechung: Jahresber. 94. Bd. 1897. III S. 128—130 (Hüter).
Die Arbeit, welche sich mit chronologischen Fragen nicht be-
faßt, hat schon in diesen Jahresber. ihre Würdigung gefunden.
0. E. Schmidt, Der Ausbruch de« Bürgerkrieges im J. 49
V. Chr., Ehein. Mus. N. F. XL VII 1892 S. 241—268.
Besprechung: Jahresber. Bd. 94, 1897. III. S. 130-132 (Hüter).
Neben dem sachlichen Nachweis, daß Cicero im Jahre 49 zwischen
Cäsar und Pompeius die wichtige Rolle eines Vermittlers übernommen
hatte, worin sie sich gegen Th. Mommsen GR III S. 359 ff. wenden,
enthalten diese 3 genannten Arbeiten auch chronologisches Material.
Besonders weist Seh. nach, daß der Verfassungsbruch des Pompeius
nicht schon am 4., sondern erst am 13. Dezember 50 stattfand; daß
Pompeins am 14. Dez. nach Luceria reiste, Antonius am 21, seine
Protestrede hielt. Ziehen (S. 93) und Schmidt (S. 104) finden unab-
hängig von einander, daß Ep. VIII 17,1 einen Besuch des Caelius bei
Cicero in der Nacht vom 7. zum 8. Jan. 48 bezeugt. Auch die Ab-
fassungszeit der Briefe A. VII 3, 4. 5, 10, 11 wird behandelt. Die
genaueren Nachweise seiner Datierungen hat jetzt Schmidt „Der Brief-
wechsel etc." gegeben (S. 15 sq und besonders S. 94 ff.).
*) Gelegentliche Besprechungen: G. Unger in Fleckeisens Jahrb.
1880 S. 491 ff. und W. Sternkopf 1891 p. 8 ff., welche sich gegen seine
Chronologie der Kämpfe in Griechenland wenden, da sie sich mit Cäsars
Berichten nicht decke (b. c. III , 2.">). Ziehen setzt die Überfahrt des
Antonius von Brundisium nach dem Kriegsschauplatz in die letzten Tage
des Februar (unberichtigten Kalenders), Stern köpf dagegen, um Cäsars
Angaben zu retten, auf etwa Ende März oder Anfang April, ihm schlieft
sich Schmidt (der Briefwechsel S. lS9ff.) ganz an. Ziehen bleibt aber bei
seinen Ansetzungen (Gott. gel. Anz. 1894. N. 4 S. 310.)
Jahresbericht über die Littcratur zu Ciccros Briefen. (Gurlitt.) 29
Aemilius Krüger, de rebus ab bello Hispaniensi usqae ad
Caesaris necein gestis. Bonu, Diss. Carl Georg. 1895. 8. 44 S.
Besprechung: Berl. phil. Wochenschrift 1 SOG Sp. 20— 22. (L. Gurlitt).
Die Arbeit behandelt gründlich die Zeit von der Schlacht bei Munda
(17. März 45) bis zu den Iden des März 44. Der erstere Teil be-
schäftigt sich bei dem Mangel an Briefen mit der Geschichte der
Quellen, erst im zweiten Teile, welcher eine chronologische Tabelle mit
angehängten Begründungen bietet, kann auch auf die Briefe Ciceros
häufiger Bezug genommen werden, freilich ohne Gewinn für ihre Chrono-
logie. Unter den angefügten sententiae controversae finden wir These IV:
in den Briefen ad Att. sei die überlieferte Reihenfolge möglichst zu be-
wahren, These V: Cic. ad Att. XII a) ep. 31 et 32 coniungeudae sunt
b) ep. 12 — 34 scriptae sunt a. 45 inde a 7 usque ad 29 martis diem
ita, ut unoquoque die una epistula daretur. Ordinem commutare non
licet. Der Nachweis für diese Thesen steht noch aus.
Wilhelm Sternkopf, Über zwei Briefe Ciceros an C.
Trcboiüus in den Jahrb. f. kl. Piniol. 1893 S. 424 ff. versucht nach-
zuweisen, daß F. XV 21 von Cicero von einem seiner Landgüter aus
als Abschiedsbrief an C. Trebonius geschrieben wurde und zwar Ende
46 oder Anfang 45 und bald darauf XV 20 von Rom aus: Diese An-
setzungen w-eichen bedeutend von denen der Mendelssohuschen Ausgabe
ab: (20 „vom 5. Apr. 46" und 21 „nicht von Mitte Okt. 47.") die
auf 0. E. Schmidts Berechnungen beruhen, vgl. „Der Briefwechsel"
S. 231 f. Beide Abhandlungen erschienen gleichzeitig, nehmen daher
nicht Bezug auf einander: eine Entscheidung steht also noch aus, doch
dürfte Sternkopf recht behalten, da er mit Judeich a. a. 0. sichergestellt
hat, daß Trebonius von Anfang 707/47 (nicht Anfang 708/46j als
Statthalter nach Hispania ulter. gelangt sei und bis gegen Juni 708
blieb, daß aber unser Brief gar nicht auf diese Reise Bezug nehme,
sondern auf eine spätere des ausgehenden Jahres 708 oder Anfang 709.
W. Sternkopf, Zur Chronologie und Erklärung der Briefe
Ciceros aus den Jahren 48 und 47. Beilage zum Jahresbericht des
Gymnasium zu Dortmund, Ostern 1891. Dortmund (Herm. Meyer)
1891. 50 S. 4.
Besprechung: Jahresber. 94. Bd. 1897. III S. 12ß (Hüter).
Die Arbeit ist folgendermaßen gegliedert: I. Ciceros Korrespondenz
während seines Aufenthaltes in Epirus. a) Briefe an Atticus u. zw.
XI 1—4. b) andere Briefe dieses Zeitraumes: F. VIII 17, IX 9,
XIV 6. II. Briefe aus Brundisium, a) an Att. u. zw. XI 5 — 18;
25, 23, 19, 24, 20, 21, 22. b) an Terentia F. XVI 12, 19, 9, 17,
30 Jahresbericbt über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.)
16, 8, 21, 11. 15, 10, 13, 24, 23, 22, 20. c) an andere Personen
F. XV 15. Dabei wird überzeugend nachgewiesen, das A. XI 4 aus
2 Briefen besteht, daß § 2 einen Brief für sich bildet, der zeitlich vor
§ 1 gehört (jetzt auch von 0. E. Schmidt a. a. 0. S. 192
und Ziehen Gott. gel. Anz. 1894 S. 316 zugegeben) daß XI
3,3 sich nicht auf Ciceros asiatische Gelder beziehe; daß die
Briefe Cäsars , die Cicero am 3. Juni in A. XI 16 und am
2. Juni in F. XIV 8 erwähnt, identisch sind, daß also F. XIV 8 ins
Jahr 47 gehöre, geschr. am Abend des 2. Juni 47, Xl 16 am Morgen
des 3. Juni (vgl. 0. E. Schmidt, Der Briefwechsel S. 192 und Ziehen
a. a. 0. S. 317) daß A. XI 4 a vor 4 gehöre; daß Quintus Cicero mit
seinem Bruder nach Pharsalus erst in Korfu zusammengetroffen sei
(S. 21); Der Brief A. IX 9, 1, dessen Verständnis schon W. Judeich,
„Cäsar im Orieut", Leipzig 1885 S. 185 ff. gefördert hatte, wird weiter
aufgeklärt (vgl. Schmidt a. a. 0. S. 214 ff.) und anderes mehr.
Eugenius Fourer, 'Ephemerides Caesarianae' rerum inde ab
ineunte hello Africano usque ad extrem um bellum hispaniense gesta-
rura. Bonn. Diss. 1889. P. Hauptmann. 8. 38 S. 1 M. 20.
Besprechung: Jahresber. 94. Bd. 1897. III. S. 145 (Hüter).
Diese, wie manche andere aus Nissens Schule hervorgegangene
Abhandlung, sucht eine sichere Grundlage für das geschichtliche Ver-
ständnis zu schaffen durch Bestimmung genauer Daten und behandelt
im besondern Cäsars Peldzüge in Afrika und Spanien während der Jahre
47—45. Der tabellarischen Ephemerides (p. 7 — 19) schließt sich die
Argumentation an. Diese übersichtliche Art der Anordnung hat, als gut
bewährt, jetzt aUgeraeine Aufnahme gefunden. Die Daten werden gleich-
zeitig nach dem alten und nach dem julianischen Kalender gegeben. Aus
Ciceros Briefen waren nur wenige Angaben zu verwerten, welche die
Briefe F. IX 17, ad Brut. I 5; A. XII 37; XIII 20 betreffen. Ab-
weichend von 0. E. Schmidts 'tabulae chronologicae' in der ed. L. Mendels-
sohns p. 455 werden bestimmt die Abfassungszeiten der Briefe F. IX 15
„mense Septembri" und IX 26 „post IX 15 mense fere Septembri".
These 8 lautet: In Ciceronis verbis (A. II 16, 2): 'oppressos vos,
inquit, tenebo exercitu Caesaris J. F. Gronovius et Bootius- iniuria
putaverunt 'Caesaris' vocem suspectum esse.' Auch Tyrrell hält Caesaris.
0. E. Schmidt, Faberius. Studie über einen Parteigänger
Cäsars nach Ciceros Briefen an Atticus. Comraentationes Fleckeisenianae.
Leipzig, B. G. Teubner, 1890. S. 223-245 erzielt als Nebengewinn
und im Anschluß an Schiches Abhandlungen, Progr. des Friedrichs-
Werderschen Gymnas. zu Berlin 1883 und Hermes 1883. S. 588—615
Jahresbericht über die Litteratur zu Ciccros Briefen. (Gurlitt.) 31
(vgl. Schmalz Jahresbericht S. 60 tf.) neue Urteile über die Abteilung,
Datierung einer Anzahl von Briefen des lib. XIII ad Attic (und A. XII
5a § 2), die er S. 245 zusammenstellt. Sie behandeln die Zeit vom
23. Mai bis zum 3. Juni 45. Diese Ergebnisse sind dann in seine zu-
sammenhängende Darstellung („Der Briefwechsel* etc.) übergegangen
(S. 307 f.). Eine zusammenfassende Chronologie der Briefe vom Jahre
705/51 bis zur Ermoi-dung des Cäsar (15. März 710/44) geben die
Regesteu des schon oft citierten Werkes:
Otto Eduard Schmidt, Der Briefwechsel des M. Tullius Cicero
vor seinem Prokonsulat in Cilicien bis zu Cäsars Ermordung, nebst
einem Neudrucke des XII. und XIII. Buches der Briefe an Atticus.
Leipzig 1893, Teubner. XI. 535 S. 8. 12 M.
Besprechungen sind schon oben angeführt. Ihnen ist noch zu-
zufügen der Bericht in diesen Jahresberichten 94. Bd. 1897. III. S. 132 —
134 (Hüter).
Der Schwerpunkt der gehaltreichen Arbeit liegt wohl auf der
Chronologie der Briefe. Hier findet man alles, was bis dahin (1893)
von Schmidt selbst und von anderen auf diesem Gebiete geleistet worden
ist, verwertet und zum Teil berichtigt. Was in dieser Hinsicht Neues
hinzukommt, findet man in der sorgfältigsten und zutreffenden Be-
sprechung des Buches von J. Ziehen, Gott. gel. Anz. 1804. N. 4,
S. 314ff. im wesentlichen zusammengestellt: es betrifft dies besonders
Ep. III 2 (März 51). A. VI 3 (bald nach dem Mai, sicher vor dem
5. Juni); VI 4 (nicht lange nach dem 5. Juni); Ep. V 20 (bald nach
4. Jan.); A. VII 26 (15. Febr.) VIII 12 A (17.— 18. Febr.); A. XI, 1
(7. — 10. Jan.); XI 2 (Mitte März 48). Die Daten für die einzelnen
Stationen auf der Flucht des Ponipeius werden richtig gestellt (gegen
Judeich S. 181 ff.) V 10 (15—30. Jan. 44); A. XI 17 in 2 Briefe zer-
legt; Ep. XII 17 (c. 20. Sept.), XII 18 (Anf. Okt. 46); A. VI 1—4
geordnet (?); Ep. VI 20 (Juli 45) Ep. XVI 17 (29. Juli 45) etc. Für
die Bücher A. XII und XIII sind Schiches treffliche Nachweise, wie
die Briefe neu zu ordnen und abzuteilen seien, teils übernommen, teils
weitergeführt und eine Anschauung der Ergebnisse durch einen Neu-
druck beider Bücher gegeben. Neben diesen schönen Ergebnissen stehen
als zweifelhaft die Berechnungen zu A. VII 4 (10. Dez. 50), dafür
Ziehen (S. 315) 11. od. 12. Dez. A. VII 11 (18.— 19. Jan.): Ziehen
(S. 316) , einige Zeit früher". Einige Widersprüche mit Fourer (s. S. 30),
dessen Arbeit Schmidt nicht kannte, bleiben unerledigt (Ziehen S. 317).
Betreff A. Xn 31 und 32; 12—34 vgl. Emil Krüger (oben S. 29) S. 46.
Mit Schmidts Tabellen sind diejenigen zu vergleichen, welche in ihrer
großen Ausgabe der Briefe gegeben haben:
o'2 Jahresbericht über die Litteratur zu Ciccros Briefen. (Gurlitt.)
Robert Yelverton Tyrrell und Louis Claude Purser,
the correspondence of M. Tullius Cicero, vol. IV. Dublin 1894.
p. LXXXV sqq., welche sich zumeist au Sternkopf, Ziehen und Schiebe
anschließen, da ihnen Schmidts Arbeit erst während des Drucks zuging,
was sie selbst am meisten bedauern, zumal sie die Briefe in chrono-
logischer Anordnung abdrucken, die in der That schon jetzt mehrfach
als irrig erwiesen ist. —
Zur Chronologie der Korrespondenz Ciceros seit Cäsars Tode sind
ebenfalls nach den von Schmalz (Jahresbericht 1884 S. 63 ff.) aufge-
führten Arbeiten von Edmund Ruete (Marburg 1883) und 0. E.
Schmidt (Jahrb. f. klass. Phil. 1884 S. 331—350) wertvolle Beiträge ge-
liefert worden, zunächst findet man Berichtigungen der Rueteschen Disser-
tation in den Besprechungen: 0. E. Schmidt, Wochenschrift für kl. Phil.
1884 m. 9 und L. Gurlitt, Philologische Rundschau 1883 N. 23 S. 714 ff.
(wo besonders Briefe des Dezember 44 eine verläßlichere Datierung er-
fahren).
Paul Groebe, de legibus et senatusconsultis anni 710 quae-
stiones chronologicae. Berliner Diss. Berlin, W. S. Calvary & Co.
48 S. 8. 1,20 M.
Besprechungen: Berliner phil. Wochenschr. 1893 N. ,50 Sp. 1584ff.
(L. Gurlitt): Jahresber. 94. Bd. 1897. III. S. 151 — 152 (Hüter).
In dem Exkurse I (p. 32 sq.) werden die Briefe des ausgehenden
Mai 44 (A. XVI 21, 22; XV 1—8), in Exkurs IT (p. 38) die Briefe
A. XIV 9—12 unabhängig von Schiebe und Schmidt behandelt,
wobei G. zu allerlei leisen Abweichungen von diesen gelangt, die noch
einer Erledigung harren.
Ludwig Gurlitt, Nonius Marcellus und die Cicero -Briefe.
Prgr. des Progymu. zu Steglitz 1888. 24 S. 4.
Besprechungen: Berl. phil. Wochenschr. 1888 N. 49 Sp. 1531 f.
(J. H. Schmalz): Wochenschrift f. kl., Phil. 1892 N. 13. Sp. 3.56 f. (Karl
Lehmann).
Eine Zusammenstellung und Datierung der erhaltenen Citate aus
der Korrespondenz zwischen Cicero und Octavian und der Nachweis,
daß auch Brieffragmente Octavians erhalten sind, die Nonius fälschlich
dem Cicero zuschreibt.
E. Schelle, Beiträge zur Geschichte des Todeskampfes der
römischen Republik. Prgr. der Annenschule zu Dresden- Altstadt 1891,
Teubner. 39 S. 4.
Besprechungen: Jahrb. f. klass. Phil. 1892 S. 321 ff. (0. E.Schmidt)
ebenda 1892 S. 411 f. (L. Gurlitt); diese Jahresberichte 94. Bd. 1897. III.
S. 152-1.53 (Hüter).
Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.) 33
weist (S. 9 ff.) überzeugend nach , daß man die Schlacht bei Mutina
fälschlich auf den 27. April ansetzte, während sie er. am 21. geschlagen
wurde. Damit hängt eine Berichtigung mehrerer Briefdaten, besonders
der epp. ad Brutum, zusammen. Weitere Aufklärungen gaben an-
schließend an Schelles wichtigen Fund die oben genannten Besprechungen,
besonders 0. E. Schmidts, welcher S. 334 f. die Chronologie vom 14. April
bis zum 20.ilai43 tabellarisch zusammenstellt, wodurch ältere Datierungen
von ihm:
0. E. Schmidt: Beiträge zur Kritik der Briefe Ciceros an
M. Brutus und zur Geschichte des mutinensischen Krieges, Jahrbücher
für klass. Phil. 1890 S. 109—115 zum Teil berichtigt werden.
Auf diese und andere Abhandlungen von Schmidt, Becher,
Max von Hagen, dem ßef. und anderen, welche besonders die epp. ad
J5n(/«<wi betreffen, will ich jedoch nicht eingehen, da sie später im Zusammen-
hang zu behandeln sind. "Was Schmidt, der hier die größten Erfolge auf-
zuweisen hat, betreffs der Epp. (Briefe ad Att. giebt es für diese Zeit
nicht mehr) selbst gefunden oder als richtig befunden hat, ist in der
Mendelssohnschen Ausgabe tabellarisch festgesetzt. Seitdem sind die
chronologischen Untersuchungen noch gefördert worden von:
F. Ludw^ig Ganter, Chronologische Untersuchungen zu Ciceros
Briefen an M. Brutus und philippischen Reden (ein Beitrag zur Echt-
heitsfrage der Brutusbriefe), Jahrbücher für klass. Phil. 1894 S. 613 —
636 und zwar finden wir betreffs der Epp. folgende gut begründete
Datierungen :
Ep. XII 4 geschrieben am 1.
Febr.
711/43
X 28, 1. 2 „ „ 1.
»
»
X 28, 3 , ,2.
yt
»
X 28 abgeschickt „ 2.
y>
»
XII 5 „ „4.
»
„ oder bald darauf.
Emil Schelle, Der neueste Angriff auf die Echtheit der Briefe
an M. Brutus. Beilage zum Jahresbericht der Annenschule, ßeal-
gymnasium Dresden-Altstadt. Dresden. Teubner 1897. 54 S. 4.
Die Arbeit von Vincentius d'Addozio, De M. Bruti vita
et studiis doctrinae (besprochen von Burkhard in diesem Jahresber.
93. Bd. 1897. IL S. 82—85), in welcher sich der Verfasser gegen die
Echtheit sämtlicher Briefe ad Brutum ausspricht (S. 139— 205j und
das 1. Buch für eine Fälschung des Altertums, das 2. Buch für eine
des Mittelalters erklärt, erfährt in dieser trefflichen Abhandlung eine
gründliche Widerlegung. Da d'Addozio mehrere der neueren Unter-
suchungen dieser Frage nicht kannte, mußte Schelle zum Teil schon
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVII. (1898. II.) o
34 Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.)
gefimdene Ergebnisse vortragen, diese Vollständigkeit macht aber seine
Arbeit erst recht erfreulich. Dazu fehlt es nicht an schönen neuen
Ergebnissen, auf die ich später einmal zu sprechen komme. Zur Zeitbe-
stimmung der Briefe wird neu vorgetragen: ,J 10 ist nach I 11, 9 und
12, aber vor I 15 und 18 anzusetzen und Mitte Juli geschrieben."
(S. 36 f.) „I 16 (ein Brief, den noch viele und ich auch für gefälscht
halten) gehört noch in das Jahr 44, I 17 (von dem dasselbe gilt) ist
wahrscheinlich der späteste Brief unserer Sammlung."
Tl. VerbesserungSTOrscliläge zu Cic. ad Att.*)
Ich möchte hier auch einige ältere Arbeiten aufführen, die von
selten der Herausgeber zum Teil nicht "beachtet zu sein scheinen.
A. Otto, Beiträge zu den Briefen Ciceros an Atticus. Rhein.
Mus. XLI. S. 364—375.
^. I 3, 3 Hoc ad te scripsi, quod is me accusare de te solehat.
<Iam> in se expertus est illum esse minus exorabilem. Lehmann glaubt
iani entbehren zu können, indem er interpungiert solebat: in se. —
I 12, 1 etenim accedit Jioc statt accidit nicht notwendig, da das Ent-
stehen des Gerüchtes auch ein Geschehnis ist. — I 17, 11 sciam
[iam] illud, — 11 11 Haec igitur cura <ut sciam> et tit valeas. —
n 24, 4 et dignitatem <et auctoritatem> nostram, überzeugend! —
m 9, 1 et perditam fortunam Uli offerrem [aut] ah illo adspici
paterer. — III 13, 1 neqtie temporis non longinqui spe dudum esse
<non> moleste feram ansprechend. — III 15, 7 totam Italiam mire
(statt in me der Hss) eredam ansprechend. — III 20, 1 maxima, tarnen
vohii praestolari apud te in Epiro ändert Otto in: maxima iam volui
mit Berufung auf ep. 21: mihi autem erat in animo iam, . . . ire in
Epirum (graphisch näher läge noch maxima, etiam). — IV 1, 4 tarnen
ea [in] scribam hrevi, wobei richtig beobachtet ist, daß in und ut öfters
(II 7, 2, in 5; 15, 8; VII 8, 5; IV 11, 4; X 1, 2; X 8, 4; n 24, 4)
durch Mißverständnis eines graphischen Zeichens in den Text geraten
sind. Ich erinnere daran, daß 0. E. Schmidt ebenso ein sinnloses et
besonders im Anfange des Med. häufig nachweisen konnte. (Die
handschriftl. Überl. S. 281 ff.) — IV 2, 4 finis esset (statt est) fadus. (?)
— VI 1, 3 nee inde (statt id) satis efficitur überzeugend. — VI 3, 2
ebenso inde für id in: Cum bellum esse in Syria magnuni putetur, inde
videatur in hanc provinciam erupturum. — VII 2, 5 Quomodo (wofür
mit Bosius die edd. commodo lesen) exspedabam epistulam . . . <cum>
eam mihi P. B. reddidit! Quomodo im Ausrufe, wie VIII 16, 1, wo
*) Dieser Teil meines Berichtes ist vor Aufstellung der neuen Be-
stimmungen über Anlage der Berichte der Druckerei übergeben und steht
mit diesen daher leider in Widerspruch.
Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.) 35
kein ? stehen dürfte. Otto macht dadurch jede Konjektur eutbehrlich.
— VII 3, 10 qiiam quod <in> addiderira; Otto setzt das notwendige
in ans Ende, was sich stilistisch und graphisch empfiehlt. — VII 9, 3
Certe: sed istiid ipsum sie o magnum malmn putat aliquis verbessert 0.
zweifellos durch die Konj. Sed isiud ipsum 'sie malo magnum m. p. a.
— VII 10 adhuc in oppidis coartatus <sedet> et stupeyis ansprechend.
— VIII 3, 6 non aceipere ne periculosum <sit vereor ne> sit invi-
diosum ad bonos; wir g-eben unten zu ]\[arshalls Konj. nach Lehmann
die glaubwürdigere Lesung. — VIII 5, 2 pendeo ani.mi exspectatione
<de obsidione> Confiniensi, in qua. "Wesenberg las <obsidionis>
sachlich richtig, aber graphisch ferner stehend. —
Vin 12 B, 2 Lueeriam ad <me> venias statt L. advenias,
durch die Parallelstellen 11 A; 12 C 1; 12 A4 überzeugend belegt. —
IX 10, 6 Quod quaeris a nie fugamne fedam, an moram defendam utiliorem
putem. Otto sieht in fedam den Rest von defendam, das dann an falschen
Platz geriet, liest also: fugamne defendam, an moram utiliorem putein
für mich überzeugend. — IX 18, 3 bellum paret (statt pararet). —
IX 19, 1 cum a perditis in civili nefario belle wird umgestellt: in
nefario bello civili. Die Überlieferung stützt C. Lehmann*) durch
VIII 11 d 6 sine civili perniciosissimo bello. — X 8, 7 fallet für
fallit, ansprechend. — X 11, 4 cum Ulis <.illo> BJwdiorum a'fpaxT«)
hat auch C. Lehmann gefunden (Quaest. I, S. 104). — X 14, 2 e^
alia (für et talia) wegen dergleichen Formel in XIV 10, 1; XII 51, 3
a. a, m. (vgl. dagegen X 14, 2 e< talia, dazu Lehmann Quaest. I,
S. 76). — X 18, 3 hominem <me>, was leicht auch zu ergänzen wäre.
— XI 15. 2 habiiurus, ego quos; ego gleich betont primo loco XII 5, 2.
— XII 16 nihil potius fuit, statt peius (andere lasen: prius, aptius,
optatius). — XII 28, 2 plane nee victum ego (veränderte Wortstellung).
Xn 47, 3 exspectabamus für exspectamus nach Analogie von XII 53;
Xin 2, 1. — Xni 44, 2 De Attica probe (nicht probo) nach Analogie
von V 4, 2 De Torquato probe-, XIV 8, 1; XV 2, 2: 21, 2; (XV 2, 2
helle). — XIV 6, 1 exspecto <si> quid de M. — XIV 13, 2 exitu
{belW] et, andere wollten et tilgen, was glaublicher als belli für eio
Glossem anzusehen. Die Stelle bleibt noch unsicher. — XIV 13, 4
proficiscar für -cor nicht notwendig! Lehmann a. a. 0. verweist auf
Seyflfert-MüUer zu Laelius, S. 524. — XIV 21, 2: illum (Antonium)
circumire veteranos, . . . utram omnes haberent (M*) ut iam (M^) Lambin:
ut arma o. h.**) Otto: ut castra o. h. Mir scheint „ut arma'' das
*) Jahresbericht d. philolog. Vereins 42 Jhrg. 1888. Berlin (Weid-
mann). S. 2SS.
**) Für dieses tritt zuletzt ein: PaulGroebe, de legibus et senatus
consultis anni 710 quaest. chronol. Diss. Berlin, W. (Calvary <t Co.) p. 3 f.
3*
36 Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.)
Beste, da sonst Cicero wohl gesagt hätte: nt castris se fenerent oder
ähnlich, denn es handelt sich um einen Eid, den die Veteranen leisteten,
nicht um eine Zusage des Antonius. — XV 1 a, 1 quid mihi iam medico
<opus>? ohne Not. — XV 3, 1 wiederholt 0. seine treffende Konjektur.
XI Kai. accepi <in Arpi'^nati aus seiner Dissertation (de fabulis Pro-
pertianis Breslau 1880 These VII), mit der er also Schiebe und Rute
vorangegangen ist. — XV 20, 4 quamquam paulo (für volo) laxius,
ansprechend.
"William W. Marshall, cruces and criticisms an examination
of certain passages in greek and latin texts. London, Elliot Stock.
1886. 8. S. 27—47.
V. 11, 6 für das sinnlose: «n praefectis excusatio iis, quos voles,
deferto des Med. schlägt Marshall vor: in praefectis, ni ex causa negotii,
si quos voles, deferto, das sachlich und graphisch gut begründet Be-
achtung verdient neben den mannigfachen Vorschlägen anderer. — VII
7, 1 illud putato non ascribis 'et tibi gratias egif wird geändert in:
ilbid puta tu . . .; puta = scilicet, wie es dem Gesprächston angehörte,
cf. Horaz, Sat. II 5, 32 Quinte, puta, aut Puhli und Persius Sat. IV 9:
hoc puta non iustum est und anderwärts, Belege giebt M. , freilich
genau entsprechende bei Cicero nicht, wohl aber putate Phil. II, 6 c?«?
. . . putate Phormioni. Immerhin ist diese Konjektur besser als alle
bisherigen Emendationsversuche, denn sie giebt guten Sinn, paßt zum
Tone des Briefes, steht der Überlieferung am nächsten. Ließe sich ein
solches puta bei Cicero noch finden, so müßte sie für gesichert gelten.
— VII 11, 1 unam mehercule tecum apricationem in illo lucrativo tuo
sole malim quam omnia istiusmoäi regna sq., Marshall beanstandet
lucrativo, ohne eine sichere Verbesserung vorschlagen zu können, er
denkt an, 'leviter aestivo\ den Sinn glaubt er aus IX 10, 3 sol, ut est
in tua quadam epistola, excidisse mihi e mundo videtur feststellen zu
können; danach soll der Sinn sein: „Ich möchte mich lieber mit dir
wärmen, selbst in der matten Sonne, von der du sprichst, als alle jene
Macht besitzen; ja, ich möchte eher tausend Tode sterben, als auch
nur einen solchen Gedanken hegen." Das klar überlieferte lucrativo
sieht nicht wie eine Konjektur aus, weshalb es nicht zu ändern, sondern
zu erklären wäre. — VIII 3, G non accipere, ne periculosum sit, invi-
diosum ad bonos, das sicher verderbt ist, ändert M. in : non accipere me
periculosum; sed invidiosum ad bonos, dem bei weitem vorzuziehen ist,
was jetzt Lehmann (ausgew. Briefe I^) mit Annahme einer Lücke mit
Klotz liest: non accipere [periculosum est ab hoc, accipere], ne periculosum
Sit, invidiosum ad bonos. Diese Konjektur kennt M. nicht; ich halte
sie für gesichert. — IX 9, 4 für volui: NSQ. Egi per praedem.
Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.) 37
nie claret, Antii cum haheret venale: noluit der Überlieferung liest er:
volui HSQ. ego per praedem Uli dare, Antii cum haheret venale: noluit
richtig bis zu dem Wort dare-, das Folgende hat K. Lehmann (Berliner
Phil. Wochenschrift 1889 No. 33 Sp. 1034 ff.) richtig gestellt: tanti cum
haheret (wohl nur aus Versehen esset) venale: noluit. Das ego, welches
M. glaubt rechtfertigen zu müssen, scheint mir nicht Gegensatz zu
Uli, sondern sehr passend zu dem folgenden : Mihi quidem erit aptissimum
vel nohis potius, si tu emeris.*) — IX 18, 2 reliqua o di! qui comi-
tatus, quae, ut tu soles dicere, vsxutal ?'n qua erat EROSCELERIo rem per-
ditaml o copias desperatas! — so die Hss mit geringen Abweichungen (cf.
Lehmanns in Hofmanns Ausg. Briefe I*^ S.247). Der Vorschlag: in qua quae
ratio scelerum wird keinen Beifall finden. Für richtig halte ich, was
Lehmann mit dem Toruaesianus des Lambin liest: in qua erat heros
Geler \ 0. E. Schmidts (Der Briefwechsel etc. S. lG2f): in qua <sc.
Caesar> erat erus sceleris ist blendend, hat mich aber nicht überzeugt. —
X 1, 4 giebt «[xayov illud, quod scrihis, non mihi videtur tarn re esse triste
quam verho wenigstens Sinn und steht dem MACOM der Überlieferung
näher als das vordem vorgeschlagene cpapjxay.ov, Ivoufiayov etc. Meine
Vermutung s. unten!**} — X 8, 4 annival deine in ahsentis solus tuli
scelus eiusdem cum Fompeio et cum reliquis principihus non feram? giebt
mit leichter Änderung den lesbaren Text: an qui valde huius <c^Caesaris>
in dbsentes solus ttdi scelus, e. q. s. Siehe unten spätere Versuc he
Die Losung fehlt noch. — XI 6, 2 fügt den bisherigen Emendationsver-
suchen M. den seinen hinzu, der auch nicht mehr als ein Versuch sein
will: recipiam tempore. Modo tu nunc ad Oppium et Quintutn, quo-
niam his placuerit me modo piroplus accedere, iit hac de re considerent.
— Xn 2, 2 .• ego peractum puto statt : e. fructum p. hatte aber schon
Moser vorgeschlagen. Siehe was jetzt Ziehen (u. S. 47) dazu sagt! —
Ich habe Marshalls Konjekturen sämtlich mitgeteilt, weil seine Schrift
bei uns wenig bekannt sein dürfte, aber doch manches Wertvolle bietet.
C. Jorgensen, Nogle Bemaerkninger til Ciceros Breve. (Saertryk
af: Opuscula philologica, philologiske Arbejder udg. af det philolo-
gisk-historiske Samfund, Kjobenhavn 1886.) 5 S.
Xach allgemeinen Bemerkungen über Ciceros Briefstil behandelt
er einzelne Stellen : ad Att. VIII , 9 hanc quoque suscipe curam, quem-
admodum expediamus (statt: eocpediamur) richtig, auch schon von
Boot (ed. altera 1886) vorgeschlagen. Auch Wesenberg dachte an die-
selbe Änderung. — VII 4, 2 statt: in hoc officio sermonis nihil potuit
*) Vgl. meine Behandlung dieser Stelle in der Berl. Phil. Wochenschr.
1898 N. 11. Sp. 347.
**) Alazonis illud, vgl. Berl. Phil. Wochenschr. 1898 N. 6. Sp. 189—191.
38 Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.j
esse proUxius liest J. : in hoc officio sermone eins n. p. e. p. über-
zeugend! — VII 1, 9 hoc prim^im, in quo bat Boot aufgenommen;
Lambin u. Wesenbers liatten in quo schon gefordert, aber, wie J. rügt,
nicht Gehör gefunden. — VII 5, 3 fordert er : Poniptinmn invis am {mit
Lambin) statt sumam oder stmimam (M. Z.): nicht mehr als möglich,
vielleicht steckt ein Name dahinter. — VII 11, 1 (s. oben zu Marshall)
statt in lucrativo ^?io soZe zweifelnd vorgeschlagen: in ouj7:opi3Tto „kost-
bar, schwer zu erwerben" oder ähnliches Griechisches. —
Paul Meyer, (Bayi-euther Prg. 1887 s. oben S. 14).
A. XV 8, 2 id quidem mihi <mirum> videtur, sehr wahrschein-
lich. — A. XII 47. 2 etsi de cupiditate nemini concedam wird mit Recht
in Schutz genommen, nach cupiditate interpungiert und übersetzt:
„freilich, wenn es auf Liebhaberei ankommt, so nehme ich es mit jedem
auf." Tyrrell s Änderung: etsi de cupiditate nemini concedo in cet er is sq.
erscheint mithin unnötig.*) — (p. 14 sq.) A. VIII 4, 1 ne tui quidem
testimonii, quod ei saepe apud me dederas, <auctoritatem> veritus, weil
Cicero vereri nicht mit dem Genetiv verbindet, sondern auch Cat. I 7,
17 sagt: huius tu neque auctoritaiem verebere? Boot wollte statt tui
aus gleichem Gmnde vim lesen, Tyrrell: verba veritus.
Friedrich Schmidt, 'Zur Kritik und Erklärung der Briefe
Ciceros an Atticus'. Progr. des Kgl. alten Gymn. zu Würzburg.
1892. 33 S. 8. p. 10 sq.**) (s. ob. S. 18.)
A. II 7, 1. Orationes autem a me duas postulas, quarum alte-
ram non libebat mihi scribere, qui absciram (edd.), alteram ne lavda-
rem eum, quem non amabam. Die Ausgaben geben: quia abscideram;
Boot: q. abieceratn; Boeckel (Commentationes Woelfflinianae) : q. ab-
sctssam; Schmidt: quia <]>uopa erat, „weil sie es nicht streng mit der
Wahrheit hielt" — gewiß recht gewagt, aber die fleißige Zusammen-
stellung der Stellen, in denen griechische Wörter ganz oder zum Teil
mit lateinischen Buchstaben geschrieben sind, ist verdienstlich und lehr-
reich. Zur Stelle möchte ich meine Vermutung einer Lücke noch an-
deuten: . . scribere, quia a& » » ♦ « sciram, alteram sq. — A. II 20, 6
Ä Vibio libros accepi: [poeta ineptus nee tamen seit nihil et est non
inutilis^ Describo et remitto. Seh. hält die eingeklammerten Worte für
eine Randglosse, eine Umschreibung der Worte II 22, 7, mit denen
desselben Verfassers, des Alexander Ephesius. Kosmographie entsprechend
kritisiert wird: negligentis hominis et non boni po'etae, sed tamen non
*) Entsprechend lesen wir X 17, 4 de diplomate, admiraris, wo Boot
richtig auf Madvig zu Cic. Fin. p. 12 and auf A. I 4, 2 verweist.
**) Einen Teil der Konjekturen konnten Tyrrell-Purser noch berück-
sichtigen.
Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.) 39
imdilis. Angeblich hätte Cicero beim Empfang das Werk noch nicht
kritisieren können. Aber weshalb nicht? Er konnte es in einigen
Stunden durchHogen haben, und das ist wahrscheinlich, weil er sich zu
einer Abschrift entschloß {äescriho et remitio). Die Untersuchung über
die Glossen in den epp., zu der Seh. einen sehr brauchbaren Beitrag
an dieser Stelle giebt, verdient noch eine eingehendere Behandlung.
Ich haltö ihr Gebiet für sehr beschränkt. Die vorliegenden Worte sind
mir unverdächtig. — A. III 12, 3. Licet tibi, ut scribis, significarem,
ut ad nie venires si äonatam ut intelligo te istic prodesse, hie ne verbo
quidem levare me posse. Für das sinnlose si donatam ut sind viele
Konjekturen vorgeschlagen, die Seh. mit Eecht abweist. Unbekannt
aber war ihm Madvigs (A. C. III p. 169 sqq.) trefflicher Vorschlag,
der auch Boot- gefällt: Scilicet tibi, ut scribis, significaram, ut ad me
venires; id omittamus;'^) intellego sq. und Munros auch sehr beachtens-
werter Vorschlag (cf. Tyrrell-Purser, 'The corresp.' I p. 367 a. 1.)
. . venires, res si idonea tarnen, nunc intellego sq. Schmidt schreibt
statt dessen: sedem si mutabis, intellego. — A. III 22, 3. Premor luctu
desiderio omnium rerum, qui mihi me cariores semper fuerunt, Seh.
liest omnium meorum, wohl richtig, aber vor ihm schon vermutet
von Stürenburg, vgl. Tyrrell-Purser I p. 390. — A. III 25. Post
tuum [ante] discessum litter ae mihi Romae allatae sunt mit Corradus
a me getilgt als Glossem. Tyrrell denkt an ad jue = 'since your
leaving Home to join me'. Ich schlage vor: post tuum iam discessum
und werde das anderen Orts begründen. — A. IV 1, 7 Postridie senatus
frequens ei omnes consulares; Jiihil Pompeio postulanti negaverunt richtig
interpungiert, ebenso gleichzeitig K. Lehmann „Ausgew. Briefe" I. —
A. IV 12 wird: Ibi te igitur videbo et promovebo (edd. \ promonebo Edd.)
wenig ansprechend in concenabo geändert. Ich vermute et permanebo.
— A. IV, 13, 1 wird den vielen zweifelhaften Versuchen, ergo ut sit
rata zu entziffern, neu hinzugefügt: ergo etsi interat, afuisse me in alter-
cationihus, quas in senatu factas audio, /ero ?io« woZes^e mit dem Sinne:
„obgleich ich ein Interesse daran gehabt (sc. adesse), so bedaure ich
es doch nicht, im Senate bei den Zänkereien nicht anwesend gewesen
zu sein." Schwerlich richtig, weil jeder Leser zu intererat nicht adesse
ergänzen, sondern afuisse beziehen würde. — A. V 3, 3 diligentia
Beneventanis faciemus satis für d. esse satis faciemus, bestenfalls
möglich. — A. V 11, 6 soll es, wieder mit Annahme einer Glosse,
heißen: in praefectis [excusatio] iis quos voles deferto. Der Schwierigkeit
ist damit nur ausgewichen. — A. V. 11, 7: nam illam vo[j,avopia me
excusationem ne acceperis. M. hat vojXTfjvopia, Bosius angeblich aus
*) Wie A. III 25 hoc omitto.
40 Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.)
dem decurtatus vojxavavopt'av; Seh. schlägt vor und begründet scharf-
sinnig: voufxr,via; [7ue] excHsationeni „laß die (scherzhafte, frühere)
Entschuldigung mit dem Neumonde nicht gelten," aber die ganze Be-
handlung der Stelle ist viel zu gekünstelt, um Glauben zu verdienen.
Freilich taugen alle älteren Versuche nicht mehr. Die richtige Deutung
glaube ich mit: illam oC avav6ptav excusionera geben zu können. —
A. V 21, 5 wird mit Recht auf Grund von C und Z sed postJiac omnia,
quae recta non erunt (M.: certa n. e.) gelesen. — A. VIII 12, 3 ver-
dient Beachtung: id enim etsi erat deliberatius (M. deliberationis) ; delibe-
ratius wie F. V 2, 8 in dem Sinne „entschiedener". — A. VIII 14, 3
modo esse in Tihurti apud Lepidum, modo cum Lepido accessisse ad
urhem — (nur als Vorschlag). — A. IX 13, 7: Nos quae monstra
cotidie intellegamus ex illo libello, qui in epistolam coniedus est wird
gut geändert in: . . cotidie (sc. audiamus), intelleges ex illo l.
Der Überlieferung noch näher käme: intellegas (iam?) ex illo li-
hello sq. — A. X 10, 3 eine alte crux, die Seh. schwerlich beseitigt
mit: Temptaho, audiam, me yiihil proper are, missurum ad Caesar em
simulaho, cum paucissimis alicuhi occultahor, certe hinc istis invitissi-
mis evolabo. (Die hervorgehobenen Buchstaben weichen von der Über-
lieferung ab). — A. X 11, 1 sed habet (edd. habent) nihil uttouXov ohne
Not. — A. XII 46. Nam dolor idem manebit tantummodo octius soll
geändert werden in: tarn diu, dum Spiritus. Ich meine mit 0. E. Schm idt
(Der Briefwechsel, S. 494), daß F. G. Schmidt mit tantummodo oc-
cultius die Stelle hergestellt habe, wofern nicht Lambins: tantum
modestius ausZ stammt und deshalb den Vorzug verdient. — A. XIII, 22, 4
Lucrum hominibus non sane probo, quod est desertior. Für das unver-
ständliche hominibus wird Othonis eingesetzt und ausführlich begründet,
eine m. E. treffliche Konjektur! Betreff des Grundstückes des Otho
cf. XII 37, 2; 29, 2. — A. XIV 19, 1 Sed cum ex Dolabellae aritia —
sie enim tu ad me scripseras — magna desperatione affectus essem, ecce
tibi et Bruti et tuae litterae. Statt aritia soll dcpisTsio: , dies in ironi-
schem Sinne gelesen werden. Ich meine mit Tj^rrell (the corr. V
p. 261): 'it is unsafe to introduce an ironical word by conjecture' und
daß Cicero mit aritia absichtlich ein Versehen des Atticus wiederholt,
mit dem avaritia gemeint war, das aber, wie ich glaube, sich jetzt aus-
nehmen sollte als ein Substantiv zu aridus „dürr, trocken", eine passende
Bezeichnung für einen Schuldner, aus dem nichts herauszubekommen
ist. — A. XV 13, 4 De Bruio te nihil scire dicis; sed Selicia venisse
M. Scaptium eumque non qua pompa, ad se tarnen dam venturum wird
geändert: Sed Servilia (wie Corradns und Manutius, richtig) . . eumque
magna pompa, ad se sq. nicht zwingend. Ich vermute: eumque non
quidem pompa ad se, tarnen (= auf jeden Fall) clam venturum. —
Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.) 41
A. XVI, 11, 1 Hasta ea aegre me tenui soll ha$ta = o,3£Xo; sein und
der Sinn der Stelle sein: „Es ist mir schwer geworden, von deinem Strich
mich halten zu lassen und auf die Stelle zu verzichten." Das ist zwar
nicht haltbar, führt aber auf den rechten Weg, den ich gefunden zu
haben glaube und S. 53 mitteilen werde. — A. ^\1 15, 6 Consenti
in hac cura, iibi smn, ut me expediam. Seh. will schreiben, subveni
in sq., schwerlich richtig, doch läßt sich auch die Überlieferung nicht
halten. —
Otto Eduard Schmidt, 'Der Briefwechsel des M. Tullius
Cicero etc." 1893. (s. ob. S. 31.)
A. V 1, 3 hält Sch.M.^ ego accivero pueros (sc. die Söhne des M.
u. Q. Cicero (richtig) — V 4, 1 ac me ille quidein delectat, non quo . . .,
sed. (schwerlich richtig). — V 7, a. d. XII Kai. Jun. (statt XIIII des
M.) richtig, übrigens so schon bei Malaspinas. — A. V 10, 1 a. d. III
Kai. Quindiles {XV: if.). — A. VII 8, 5 ex illa autem sentoitia ioia
(cdd: t) relinquendae sehr zweifelhaft. — A. VII 1, 4 no7i quaero [illa
ultima] om. M. del. 0. E. Schmidt, obgleich es C. hat. Mir scheint
das folgende sed illa, quae tum agentur, cum venero die Antithese no7i
quaero illa idtima ausdrücklich zu fordern. — A. VII 20, 1 (S. 127) Uli
autem <adhuc id est Nonis> Cratrandri del. Schmidt, mit Recht? —
A. VIII 3, 4 sedpacis (sine, M. in ea, Lambin) . . ut solet. Sed (M.: et)
ut ipse sensi quam esset multitudo (M. : ipse sensissem m.) et infimus quis-
que (M. : que) dazu ausführliche, bestechende Begründung in Fleckeisens
Jahrb. 1891 S. 125 und 'Der Briefwechser S. 119. Ich ziehe aber den
Text vor, den Hofmann-Lehmanu 'Ausgew. Briefe' I*^ geben, wobei keine
Änderung nötig ist, außer 5tne zu: in ea, das überdies Lambin vermut-
lich inZ fand. — S. 145 : VIII 4, 3 Q. Lucretium inde effugisse scito (scis cdd.)
Gnaeiim ire Brundisium, deseri Domitium (desertum: cdd.) dem Sinne nach
jedenfalls richtig. — VIII 12 C, 3 om7iia <Brundisium> deducturi
{Er. om.cdd.) möglich, falls nicht Pompeius absichtlich den Ort der Konzen-
tration nicht angiebt, wie in A. VIII 6, 2 omnes copias in unum locum . .
convenire. — S. 147: A. VIII 14, 1 pjropius quam tu biduum zutreffend
geschützt gegen C. F. W. Müller und Boot (Tyrrell). — A. IX 5, 1 Fatali
die tuo (M. : natali). — A. IX 7, 3 hält er die Überlieferung ut in
Milone, ut in . . . sed <haeo hactenus, gewiß richtig. — A. IX 10, 6
liest Schmidt: Quod quaeris a me fugamne suhitam (M.: fidam) an moram
dispertitam (M. defendam) utiliorem putum. Ich ziehe Ottos Verbesserungs-
vorschlag (s. oben) vor; denn defendere muß gehalten werden, das auch
in fidam zu stecken scheint und in der Antwort: Sed medius fidius turpe
nohis puto esse de fuga cogitare vorausgesetzt wird. Atticus konnte
also die Flucht nicht entschuldigen. — S. 158: IX 15, 1, Cum dedissem
42 Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.)
ad te litter as , • • •> allatae mihi Capua sunt cum hie YI k., et in
Älhano sq (M.: stmt et hoc mihi et in Alb.) recht überzeugend, ich hatte
freilich gedacht an: eoclem hie eum in Alb. sq. — auch könnte man
sich zufrieden geben mit Cratanders: literae eum in Alb ... — A. IX, 18, 2
vExu'.a! in qua erat erus celeris recht blendend, doch halte ich die von
Lehmann verteidigte Lesart Lambins, die auf Z zurückgeht: eros Geler
(= Q. Pilius Celer) für richtig (vgl. Lehmann de Ciceronis ad Ati. epp.
p. 202 Hofmann-Lehmann Ausgew. Briefe P. S. 200). — A. IX 18, 3 :
in Pedii Verbanum (edd.: in Pedanum, pelanum, pellanum vgl. Hofmanu
-Lehmann A. Br. F 8. 247): etwas gewaltsam. — A. X 1, fiu. Isti
me, qiii <fratris> filiuni Brundisium de jyace misit — . . — delegatum
iri non arbitror sq. entfernt sich auch zu stark von der Überlieferung:
Istum, qui fil . . ., elegatum iri non arb., die sich rechtfertigen läßt
mit Boot und Tyrrell- Purser. — S. 167: IX 13, 3 inde mit Recht gegen
Boot geschützt, ebenso X 3a, 2 Tullum gegen Kochs '■Titinium'' und
X 4, 8 eius interitu finem Uli fore gegen belli fore des Manutius (jetzt
auch mali f.: Tyrrell-Purser m S. 157). — Ä. X 4, 5 quorum quidem
alter, quin in Terentiam {non tarn quia: M.) maiore pietate est halte
ich für verfehlt und ziehe vor, was mit leichter Änderung Tyrrell-
Purser bieten: quia non tarnen ['afer all', in spite of all my devotion
to him, wie Verg. Aen. IV 329, qui te tarnen ore referret] maiore
pietate [more than he actually shows]. — X 5, 2 Sed modestior non
ero oder non erit ero = (Cäsar) für M.: sed modestior non pro. Boot,
Tyrrell-Purser: sed molestior non ero „aber ich werde mich nicht zu
sehr aufdrängen". Erus für dominus = Cäsar ist in dem Brief nicht nach-
weisbar (s. zu IX 18, 2). Ich lese: sed modestior <a,^ non pro<\)Q»,
s. S. 53! — X 6, 1 (M.: tarnen recitet et, Z. retieeret) tarnen ire licebit.
Ich lese: et tarnen retineret, s. S. 53! — X 10, 3 M.: temptabo audeani
nihil properare missurum ad Caesarem clamabam quom paucissime ali-
cubi occultabor eerte hinc istis sq. Schmidt: temptabo per suader e (ähnlich
Wesenberg : ut ei persuadeam) me nihil properare m. a. C. ; dam agam,
cum paueissimis . . . certe ... — ibid: cuvec otoi Xs-fu). magnus
ardor (edd.: dolor) accessit, efficieticr aliquid d. n. Mit Recht die
Wortstellung gehalten, auch dolor läßt sich verteidigen. — X 11, 4
zweifelnd vorgeschlagen: etiamne <minor> Baibus in senatum venire
cogitat^i „sollte nun auch der jüngere B. Senator werden?" (M. : cogitet ist
zu halten!) — X 12, b (nicht a), 2 etsi vi forte in tempestatem ,,vom Regen
in die Traufe" (M. : f. ne cum pestate, schon Crat. Text: forte et cum
tevtpestate, Kayser cj.: fortiter vel cum temp.)-, dam autem istis'? —
ibid fin: v^^> «Äxtp-wT spov. Ich lese 9). dStoXovov, s. unten S. 53! —
X 16, 4 Ät ego ahii <M. tibi, Cr. inde^ postridie a villa ante lucem.
Wenn vorher Schmidt u. a. mit Recht (?) convenire (C. Z.) als Inter-
Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.) 43
polation streichen, darf die Breviloqnenz auch hier stehen, also nicht
dbü, sondern inde oder tili. — X 17, 1 vellem cernere potuisses
quanif M.: vellem cetera eins quam, gut! (sollte nicht vellem cerneres
genügen?) — X 18, 1 num illa Horfensiana antea (M. : omnia) fuere
infantia et inania (M.: ita). Seil (M. : fiet) homo nequissimiis sq. giebt
guten Sinn, entfernt sich aber stark von der Überlieferung. Ita fiet
(„so wird es kommen" oder „du sollst sehen") scheint mir unverdächtig,
vgl. A; VII 8, 4 factum est ita und Tyrrell- Purser IV. p. 204. —
XI 6, 2 M.: recipio tempore me domo (3) te nunc ad oppidum (Crat. marg.:
Oppium) et quoniam Ms placeret modo propius accedere . . R. J, Alb recht,
der zu Schmidts Arbeit einige Verbesserungsvorschläge geliefert hat,
(s. bei Schmidt S. 372 if.): recipio tempore. Meo nomine (wie XI 5, 3)
nunc adi Oppium sq. Schmidt (S. 373): meo nomine nonne ad Oppium
<et Cornelium>, sc. scripsisti, ecquonam Ms placeret modo proprius
accedere, ut hac de re considerarenf? Damit ist die schwierige Stelle
gebeilt. — XI 8 fin.: XIII K. Jan. statt XVI K. Jan. (M). —
XI 14 fin.: Equidem avide te {et advideo M.; et id video Crat.) tarnen
exspecto (Boot: sed avide tamen te exspecto), quem videre, si ullo
modo — poscit enini res — pervelim <,post enim res pervellem, M.,
potest res nostra pervellem, Crat.> (den Sinn hatte Sternkopf schon
festgestellt) nach modo ist vielleicht potest,*) nach res: nostra ein-
zusetzen. — XI 17^, 1 Paeto, qui ad modum consolantis scripsit
miM, putato ea me scripsisse sq. Ich ziehe vor mit Manutius und Boot
zn sagen: mendum video, correctionem adhuc quaero. Der Überlieferung
näher kommen Tyrrell-Purser IV S. 253. — XI 20, 1 C. Trehonü
lihertus (¥.: G. Trehoni. u\ Crat. Text: C. Trehonü is**) richtig! —
S. 286: A. XII 49, 2 Epistulam ad Ciceronem mit M. und C.
richtig gehalten gegen Wesenberg und Boot (ad Caesarem). — S. 290:
XII 31, 2 si enim F. venderem (eocplicare vel repraesentatione del.
Schmidt) non duhitareyn. Die eingeklammerten Worte sehen wahrhaftig
nicht wie eine „varia lectio" oder „interpetratio" aus. DaherR.J. Albrechts
(S. 484 f.) Konjektur: si enim Falerianum intenderem explicare vel re-
praesentatione vorzuziehen ist. — XIII 2, 1 deferri iuhehis. Examina
Pisonem (M.: iuhehis et tamen) nicht überzeugend. — XIII 3, 1 (S. 299)
weichen Sch.sÄnderungen zu weit von der Überlieferung ab. Ich meine was
C. bietet: utendum est. Praes quidem aliquando f actus es, et (=^ esset) in Ms
quidem tahidis ließe sich halten. Mir scheint auch die Sachlage, von der
Cicero spricht, nicht klar genug, daß wir berechtigt wären, anschließend
*) So auch Tyrell-Purser IV S. 247.
**) Ich führe Cratanders Text hier und anderwärts an, um zu
zeigen, daß er — und nicht nur die Randbemerkungen C — gute alte
Lesart biete.
44 Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.)
a me igitur omnia mit Seh. in: . . cetera zu ändern. — XIII 4, 1 (S. 309) . . .
legatornm. <De Tuditano idem> puto^ cf. K. Lehmann, Qu. T. I p. 51 et
quidem <de Tuditanis idem> puto, was graphisch noch besser begründet
ist. — A. XIII 9, 1 streicht Seh. die Worte: humanissimeque Dolabella,
quihus verhis secum egissem, exposuü; Conimodum enim egeram düigen-
tissime, obgleich sie in CJc überliefert sind. Hier, wie in vielen Fällen, die
ich nicht einzeln aufzuführen brauche, wird Sch.s Arbeit durch seine Über-
schätzung des ]\Ied. auf Kosten der von diesen unabhängigen Überlieferung
leider sehr beeinträchtigt. Alle seine Textesänderungen, welche unter
Mißachtung von ZCI und der von Lehmann gefundenen ital. Hss ge-
macht werden, sind mit größter Vorsicht aufzunehmen, welche Tyrrell
z. B. nicht genügend walten läßt. Wenn gleich im nächsten Briefe
A. XIII 10, 3 JZCOE etc. si quid egerit überliefern, M. aber egerit
ausläßt, so ist kein Grund, M zu folgen oder XII 12, 1 auf die Autorität
des M liin die unantastbaren Worte: sed vereor ne minorem tijatjv
(ORP, Ant., F, sed [xi jxyjv] 0, Ant. cf. C. A. Lehmann de Cic. a. A.
epp. p. 134) zu streichen. — Auch. XIII 14, 2 möchte ich gegen M.
und Schmidt und Tyrrell si quid scies, <^si quid erit,^ praeterea halten
(vgl. Lehmann a. a. 0.). — A. XIII 16, 1 ist est modo (M) schwerlich dem
2)rimo (C) vorzuziehen, auch A. XIII, 17, 1 kann ich Schmidts von
Tj-rrell angenommene Konjektur: imperasses vellem igitur aliquid tuis
nicht empfehlen, sondern ziehe mit Lehmann (?) und Rothstein vor,
was Bosius und Lambin aus Z hatten: 7wn quo imperassem: igitur ali-
quid tuis. — A. XIII 20, 1 ist ad Ligarianam mit CORP gegen Seh.
zu halten (vgl. Lehmann a. a. 0.). — A. XIII 20 fin. : et tarnen non curare
gegen R. J. Albrechts und Sch.s et famam zu halten (vgl. A. XIII 2, 1
et tarnen Pisonem; X 6, 1 ei tarnen retineret, s. S. 53!) Ich brauche
nicht fortzufahren: weil auf anderem textkritischen Boden stehend, muß
ich Sch.s Vorschläge vielfach ablehnen und verweise auf M. Roth-
stein (Wochenschr. für kl. Phil. 1894, N. 11 S. 296 ff.) und auf
meine Abhandlung: , Textkritisches zu Ciceros Briefen' (Prog. des
Gymnasiums zu Steglitz 1898), die sich mit manchen auch von Seh. be-
handelten Stellen beschäftigt, fs. unten S. 53.)
J. Ziehen, Sonderabdruck aus den Berichten des Freien Deutschen
Hochstiftes zu Frankfurt a. M. 1892, S. 94 Anm. 2 liest A. IX 6, 6
Furnim . . . nuntiat . . . illum maiores mihi gr alias agere: quam
velleml so daß es als Ausruf erscheint. — A. X 10, 3 wird durch ein
Fragezeichen richtig gestellt: habes c-Au-dlri^j Aaxcuvtxr^v omnino exci-
piam hominem? — ebenso treffend A. X 8, 5 omnino potui'? während
Wesenberg und noch Tyrrell-Purser ein <non> einschieben. — Trefflich
scheint mir auch die Lesung A. XIII 42, 3 ad templum effandum; eatur^
obschon die ganze Stelle noch der Richtigstellung bedarf (s. unten S. 53!).
Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.) 45
J. C. G. Boot, Novissimae observationes ad Ciceronis epistulas
ad Atticum. Mnemosyne n. s. XXI, 1893 p. 117 — 121.
A. IV 12 fin. : Ibi ie igitur videbo et jiro re moneho. Es muß
nach meiner Überzeugung et permanebo heißen (s. S. 53!) — A. V 10, 5
für: sed multum t ^<^ philosophia sursum deorsum, si quidem est in
Aristo liest B.: sed tumultuni edit philosophia sursum deorsum mit Hin-
weis auf Ciceros fragm. (ab Augustino contra Acaderaicos III 7, 15):
Clamat Zeno ei tota illa porticus tumidtuatur hominem natum ad nihil
esse quem ad honestatem. Besser Th. Schiebe, Prg. 1895, vgl. oben
S. 25) p. 16: sed multum in ea philosophia sq. — A. VIII 11,4 statt:
Cur igitur, inquis, remansimus"^ Vel tibi paruimus, vel non occurrimus,
vel hoc fuit rectius: vel non occurrit melius, was sehr anspricht. B. ver-
weist auf F. in 2, 1 haec una solatio occurrebat, 11 3, 2 sensus recon-
diti ocairsant etc. — A. IX 18, 2 erklärt sich B. mit Recht für
C, Lehmanns: in qua erat eros Celer ^ Q. Pilius Celer. — A. X 11, 1:
De itinere (edd.: de itine) et de sorore quae scribis ist nur möglich.
Wahrscheinlich steckt hier ein Name, weshalb Tyrrell de Quinto schreibt.
Ich denke an: de Pilia, die Gattin des Atticus, A. XII 8 hat M. :
cepilie = et Piliae, oder an de Attica, vgl. A. XII 11, IM.: athice. —
zu A. XI 12, 1 M.i: etsi multa praesens in praesentem dixerat effecerat
(pro: et fecerat), tamen l. lomeous verbis ad Caesarem scripsi bringt B.
die Konjektur des Graevius: tameii nihilo minv^ his v . ., besser ist
noch (wie Tyrrell schreibt) nilo minus. — A. XII 46, 1 dolor idem
manebit, tantammodo j octius ist entweder mit C. Lehmann tectius
oder mit B. occultius zu lesen, was ich vorziehe. Übrigens las so schon
F. G. Schmidt (vgl. 0. E. Schmids „Briefw.«, p. 494). — A. XIII 17
VKal. exspedabamRoma aliquid; non inipetravi. Igitur nunc illa{sc.rogo),
quid sq. Ich meine, (s. S. 44), hier giebt Bosius aus Z das Richtige:
V Kai. exspectabam Roma aliquid., non quo impjerassem. Igitur aliquid
iuis. Nunc eadem illa, zumal auch c, vc. und Lambin quo erhalten
haben.*) — A. XV 13, 4: venisse M. Scaptitcm, eumque nunc ad
Pompeium, ad se tarnen dam venturum, falsch! — Wir brauchen in
der Überlieferung für qua nur quidetn zu ändern, um den besten Sinn
zu erhalten (s. unten S. 53!). — A. XVI 15, 6: Consenti in hac cura ubi
sum, ut me expediam (M.) ändert B. mit Wesenberg in: contende in
hac cura mecum, ut me expediam, was mich nicht überzeugt (s. unten S. 53 !).
Tyrrell-Purser, the correspondence etc. vol. IV, 1894. Von
den eigenen Vorschlägen verdienen besonders Beachtung: A. VII 11, 2:
EuaxoXaCiv tosov (M.: COCON), richtig. — VII 17, 4 sin otium
aut (Mss. : sin autem) etiam induticte, sehr wahrscheinlich. — VIII 12 a, 4:
^) Ähnlich ist A. VII 15, 1 . . non quo hoher em magno opere quod scriberem.
46 Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.)
placitum est mihi (talia video . . .) für mihi alcia video, woneben auch
Reids nee alia möglich bleibt. — VIII 5, 1 : cerritior statt certior ist
mit Recht von Boot übernommen, gleich darauf liegt kein Grund vor
für a taiio miliario tum (= bei seiner ersten Tour , nicht bei dem
jetzigen Besuche) eiim isse in: miliario timuisse zu ändern. Richtig
aber ist, daß darauf multa, inqiiam, mala cum dixisset aus den Hss
wieder hergestellt wird. Gut ist das Folgende: sed en (Hss. in) meam
mansuetudinem! Conieceram . . . vehementem (besser Boot: vementem)
sq. — Indes ich breche ab. Man findet die Textesänderungen in dieser
Ausgabe so gewissenhaft ausgeführt, daß es genügt, darauf zu verweisen.
Robinson Ellis. Philologus Bd. XXV (N. F. VIII), 1895,
S. 746—749.
A. V 11, 6: Nunc redeo ad quae mihi mandas: in praefectis f
excusatio iis quos voles deferto wird geändert zu: in praefectis ex-
cusandis (s. oben S. 36). — A. IX 18, 3: Quid? continuo ipse in Pedanum,
ego Ärpinum. Inde exspecto f quidem XaXaYeusav ist ein Citat aus
Leonidas Tarentinus Anth. P. X 1, 1 :
6 ~\6oi töpötios y.ol\ 7ap XaXa^süoa ysXiocüv
fj or, |jLE|jLßXto-/.£v yw yjxpitii Ze^upo?,
das Cicero auch A. IX 7, 5: X 2, 1 anzieht. Das war schon be-
kannt. Ellis will in quidem die Spuren von ysXioova erkennen. Dem
widerspricht X 2, 1 : XaXaYsusa iam adest und der Augenschein. Die
Lösung fehlt noch. — A. X 6, 1: Astute nihil sum acturus. fiat in
Hispania quidlibet f et tarnen recitet et . . Tyrrell las . . . quid-
libet, tarnen res stat: iteov, Ellis: quidlibet, ut tarnen res est, ixYjxea;
Madvig: tarnen ire certum est\ 0. E. Schraids „Briefw." S. 172 tarnen ire
licebit, zu schweigen von Baiters et tarnen retice. Ich lese und werde anderen
Ortes (s. S. 53) begründen: Asturae nihil sum acturus: fiat in Hispania
quidlibet et tarnen retineret. — A. X 13, 3: Silium et Ocellam et ceteros
credo retardatos. Te quoque a Curtio impediri video; etsi ut opinor
habes EEITAONON. Die Lesung e-i'aTaOixo; = Einquartierter oder
Aufpasser an der Thüre, oder Zuchtmeister ist, wie Gr. zugiebt, schon
deshalb zweifelhaft, weil wir nicht wissen, wer jener Curtius war. Die
ganze Stelle bedarf noch der Aufklärung, die ich durch die Lesung
glaube geben zu können: Te quoque aCurione impediri video; etsi, ut opinor,
hohes ^iTTj-ceov. (s. unten S. 53!) — A. XI 14, 3: Iam extremum conclu-
ditur; ibi facile est quod quäle sit hie gravius existimare wird geändert
in: . . gravius <est> aestimare — recht ansprechend! — A. XI 24, 2: Vide
quaeso etiam nunc de testamento, quod tum factum cum illa f quaerere coepe-
rat. Man las bisher mit den alten Herausgebern haerere ■=-- in Verlegen-
heiten kommen, Ellis schlägt vor: cum illa quaerere coeperat. Der Gedanke
Jahresbericht über die Litteratar zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.) 47
ist gut, die ganze Stelle aber von Cicero absichtlich so andeutungsweise
und dunkel gehalten, daß nichts Sicheres zu entscheiden ist. — A. XI, 25 3 :
Quod ad te iam pridem de testamento scripsi apud j epütonüas velim ut
posshn adversas liest B. mit Benutzung der Vorschläge von Bosius
(eu-i(j-ov illas velim) und Boot (adservari) wie folgt: apud su-ia-uov
Iras (litteras) velim, {modo'], ut possitit, adservari — beachtenswert,
wennschon nicht zwingender als Tyi'rells Vorschlag: apud imtupaXT^
vereor ut possit adversari und andere mehr (cf. Orelli a. 1.). Ich dachte
an: apud te ~^sx6-r^z es (causa) velim id possim adversare. — A. XII 2, 2:
At Baibus aedificat: xi vdp auxtp [xeXet; Verum si quaeris Tiomini non
recta sed voluptaria quaerenti nonne ßsßiwxai; Tu interea dormis. Iam
explicandum est upoßXyjixa, si quid acturus es. Si quaeris quid putem,
ego j fructum puto. Marshall hatte: peractum puto vorgeschlagen
(s. 0. S. 37!), Ellis will lieber dudum mit Hinweis auf F. IX. C. 20 fin.:
Patriam duxi iam sq. Dagegen wendet sich wieder*)
Julius Ziehen, Philologus 1897 p. 725, indem er die Über-
lieferung hält und pufare im Sinne von „berechnen" faßt, so daß der
Sinn lauten würde: „Wenn du fragst, welcher Ansicht ich bin: ich
sehe bloß den Ertrag des Geschäftes (fructus) an; (sc. „nicht die Art,
in der es gemacht wird") — dieses ironisch gemeint. Der Gebrauch
von putare in diesem Sinne wird genügend belegt, und damit scheint
die Lösung gefunden.
Jul. Ziehen, ßhein. Mus. f. Phüol. N. F. Band LI, S. 590 f.
A. II 20, 1 Sed quia f uolo pragmaiici das sinnlos ist, hatte
Bücheier (Rh. Mus. XL p. 519) quia volgo vorgeschlagen, dem ßoot
zustimmt. Z. empfiehlt: quia holopragmatici dem Sinne nach treffend,
aber sprachlich nicht zu belegen, außer durch Analoges: holochryssos
(Plin.) holographus etc. — IV 11, 2 fin. f als te opere delector wird
trefflich berichtigt in: abs te opipare delector unter Hinweis auf A. V
9, 1, VII 2, 3. — XI 23, 3 wohl heillos verderbt, erfährt zum Teil
einen annehmbaren Sinn und Text durch die Worte: audimus enim de
statua Clodi (für: de staturi elodi): generumne nostrum potissimum uti
(edd. ut) Jioc (d, h. den Clodius) vel <ad> tabulas novas. Die Be-
ziehung auf eine Statue des Clodius scheint mir zutreffend. Man lese
dazu die gehaltreiche Begründung bei Ziehen!
0. E. Schmidt, Jahrb. f. kl. Phil. 1896 S. 263 ff. behandelt
ausschließlich den Brief X 1 und versucht mit Hülfe einer eindring-
lichen Gedanken- Analyse auch textkritische Belehrung zu geben: § 2
suspeyisus <animum> meum detines, wie schon Wesenberg unter anderem
*) Die Besprechung der weiteren Vorschläge von Ellis zu den epp.
ad fam. siehe unten S. 53!
48 Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.)
vorschlug, Mnd praeripimn des Med., das sich mit Berufung auf IX 17, 1
halten läßt. Ob in § 3 iste summarius in der Bedeutung , Lasttier"
(ps.-Masth. evang. 19), italienisch somaro, deutsch Saumtier, so gut der
Sinn passen würde, sprachlich zulässig sei, bleibt sehr fraglich. Früher
laß Schmidt ('Briefwechsel' S. 166) mit Manutius nmmnarius. Gewagter
noch ist die Behandlung des Folgenden: Sed tarnen hominis hoc ipsum
prohi est tnagnum sittyhum (M. sit) et tcuv TroXtTtxwxaTwv jxeixpia,
veniendum sit in consilium tyranni, st is aliqua de re bona deliheraturus
sit. sittyhum, Büchertitel auf Pergament, soll in diesem Zusammenhang
so viel sein, wie „eine Doktorfrage" für politische Köpfe. Gewiß ist
es richtig, daß Cicero die zunächst nicht praktische Frage theoretisch
behandelt wissen möchte, aber diese bestimmte Fassung hat zu wenig
zwingende Kraft. Einfacher ist, was Tyrrell-Purser vorschlagen: 2)roM
est, <est non> tnagnum sit xiä^ ::. axefjiixa sq. — § 4 schlägt Seh. für
Maconi illud (Bosius fand angeblich im Tornaesianus: Macum) Matianum
illud „was M. sagt", (wie X 15, 2 Caelianum illud) — schwerlich mit
Recht: ich vermute mit Tyrrell-Purser und vielen anderen ein griechi-
sches Wort (vgl. S. 52).
0. E. Schmidt, „Studien zu Ciceros Briefen an Atticus" (IX. X)
im Rhein. Mus. für Philol. N. F. LH. S. 145—167.
A. IX 1, 3 multaque mihi (M.) et severe in conviviis, tempestivis
quidem, disputari, während man multaque in me zu lesen pflegt. — 1,4
dahimus hoc Pompeio, cui debemus (M.^ quo) beide Konjekturen lassen
Zweifel zu. — 2 a, 2 <.vetant> (vita: M.) mores, ante facta, ratio suscepti
negotii, imbecillitas (issocuu tres: M.) bonorum aut etiam <in> con-
stantia mit Berufung auf IX 13, 4 adde imhecillitatem honorum virorum;
K. Lehmann hatte wohl noch treffender vorgeschlagen: Vetaiit vita,
mores (cf. Cic. pr. Mur. 74: usus vita mores civitas ipsa respuit und
seine weiteren Belege). Die Stelle ist m. E. auch durch Schmidt nicht
richtig gestellt. Ich denke an: negotii,, , * , f issoc <vic> cissent aut
rationes (cf. A. X 8, 2) bonorum aut etiam constantia oder dergleichen.
Doch sind erst Lehmanns edd. zu hören. — A. IX 5, 3 Ego vero, sicut
nie apud Homermn (M. : si quid; c = ed. Crat. Basel 1528: si quis).
Mir scheint si quidem (nach Tyrrell-Purser) das Richtige. — A. IX 6, 2
interclusi captique esse videamur (M. simmus). Bisher las man simus.
Ich sehe keine Nötigung, davon abzugehen. Doch sind erst die anderen
Hss zu hören! — 11, 2 eandeyn mihi videor (M. : me) salutem . . . re-
cepisse (mit Klotz) und IX 13 A. fin. proficere joosse mihi viderer
(M. : proficiscere pjossum videre) beider wohl zutreffend. —
A, IX 6, 3 wird die t^berlieferung : et consules [et] duo et tribuni
pl. et senatores in Schutz genommen. — IX 7, 1 M. : vel dicam, iam
Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.) 49
effecissem. Seh. ändert ohne Not: vel dicam iam, fecissem. — 7, 3 ver-
teidigt Seh. mit zu weit gehendem Konservatismus seine {"M.) mente
scriptus, während man allgemein sana mente liest, — 7, 4 iusta defensio
est expUcita (mit M.) gegen explicaia. Man vermißt die Belege für
diesen Sprachgebrauch des Cicero und die Lesarten der anderen Hss.
— 7, 5 dum aganiHs (M.) 0 -).oo; sq. treffend in Schutz genommen
gegen Malaspinas' eingebürgerte Konjektur dum vagamur, dagegen kann
ich: 7 B, 2 tcmporihus mil. et dodianis ^ Milonianis <et Clodianis> (M.:
Mihinonianis) für keine Verbesserung halten, gegenüber dem bisherigen
Milonianis. Der Fehler entstand dadurch, daß ein Schreiber mi
als mihi las, und für Ion uon schrieb. — Ob A. IX 7 C, 2 lam duo
praefecti fahnan Pompei mit M.., wie Seh. will, oder . . praefedi partium
Pompei mit Petrarca (Caes. c. XX § 43; p. 478 ed Razzolini 1879
p. 478) und mit E. ^ Ambrosianus E. 14 inf., 0. ^ Taurinensis I. V. 34,
R. = Parisinus n. 8538 zu lesen sei, wie C. Lehmann ,de Cic. ad
Att. epp.' p. 166 f. will, das wage ich nicht zu entscheiden. Die Frage
wii'd von Seh. zu einem Exkurse über den Wert der von Lehmann
neu herangezogeneu Hss benutzt. — IX 9, 2 qiiod consulem (M.^ C.)
laudas . . . dispersu enim (M.). Obschon das "Wort dispersus — „Trennung"
sonst nicht bekannt ist, sehe ich auch keinen Grund, es anzuzweifeln.
In den Stellen IX 10, 6 auf die sich Seh. wegen des Gedankens beruft,
ist übrigens dispertitam erst durch seine immerhin zweifelhafte Kon-
jektur eingesetzt (Briefwechsel S. 149: Quod quaeris a me fugamne su-
hitam an moram dispertitam utiliorem putem für das Sinnlose des M.:
Quod quaeris fugamne fidam an moram defendam utiliorum putem*) und
auch das zweite dispertitos handschriftlich nicht sicher beglaubigt, wenn
schon wohl zweifellos ist. — IX 10, 2 wird alienantur (sc. ab amatori-
bus) mit Recht gehalten und gelesen: sicut h xoli Ipto-ixoij alienantur
immundae, insidsae, indecorae, sie sq. Der Überlieferung näher steht
sonst, was Madvig vorschlug. Ich lese alienantur immünde insülse
si indecöre fit, sie sq., das sich mit M. fast deckt: alienantur immunde
insulis nndecore fit, sie. — IX 10, 3 tritt Seh. für das singulare
ohtentabat ein, vielleicht mit Recht, obschon das gleichbedeutende und
so häufige sustentabat graphisch nahe genug läge. Man warte erst die
Lesarten anderer edd. ab! Wenn diese auch § 3 fin. ea, quae scripsisti
des M. bestätigen, wäre es gewiß mit Seh. zu halten. — A. IX 11, 1;
*) Ich vermutete vor Jahren; quod quaeris fugamne defendam an moram
utiliorem putem und sah, daß A. Otto, Rhein. Mus. XLI S. 364 vorher
dasselbe vorgeschlagen hatte. Ich meine auch jetzt, der Begriff des defendere
ist festzuhalten, das Wort stand wohl sogar doppelt, fugamne defendam an
moram defendam, <:utram> utiliorem putem.
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXYII. (1898. n.) 4
50 Jahresbericht über die Litteratur za Ciceros Briefen. (^Gurlitt.)
13, 7; 15, 4 wird mit guter Begründung der Name M. (oder C.)
Caesius eingesetzt, im übrigen ist die Lesart 15, 4 quae de scripta
attulit M. (C?) CaesiiiS, ea misi ad te sq. nicht sicher. Mad^^gs (A.
C. ni p. 184) sed rescripta (= Pompei responsa) scheint mir zwingend.
— A. XI 11, 4 co^re^are . <Italiam et-> Ilispaniam oder in Hispaniam
ahiecisse (M. cogitare in Hisp. a.) scheint mir nicht den Vorzug zu
verdienen vor Tj-rrell - Pursers cogitare, iam Hisp. a. — A. IX 11 A. 3
me ad paciscendam utriusque vestrum et civium concordiam etc. besser
C. Lehmann (Q. I. p. 96; Ausgew. Briefe 1892 p. 195; 246) me, et
pacis et utriusque vestrum (M.) <amicuni ad vestram> et ad civium
concordiam, ebenso Tyrrell-Purser. — A. IX 13, 4 oderunt, ut tu scribis,
eundem (M. ludum^. Ac (M. CC.) vellem scripsisses (M. scribis), quis-
nam hoc (M. bic) significasset. Seceditur (M. sed et iste) quia plus
ostenderat, quam fecit et volgo illum qui amarunt, non amant sq. giebt
zwar einen guten Sinn und Zusammenhang, entfernt sich aber zu weit
von der Überlieferung. Meine Deutung im Steglitzer Gymu. Prg. 1898.
s. unten S. 53! A. IX 13, 7 sed tarnen movdtir magis <perspecta quam>
prospecta re. Tene sq. Das magis movetur steiget das erste movetur,
deshalb ist ein weiteres verglichenes Glied zum mindesten entbehrlich.
— A. IX 14, 2. Sulla duce fecisset <se accisse oder se accire> ad
amhitionem dem Sinne nach gewiß richtig; über den Wortlaut kann
man zweifelhaft sein (vgl. Madvig. A. C. II p. 238 und die Heraus-
geber!). — A. IX 15, 3 Sed <heus> tu omnia qui consilia differebas sq.
Ich dachte an: Sed tu <omnes rationes*)> omniaque consilia sq,
— A. IX 16, 1 wird ojyem 'exspecto' aus M. wieder hergestellt. —
A. IX 18, 2 Reliqua, o di\ qui comitatusl quae, ut tu soles dicere,
vexuia, in qua erat erus sceleris (sc. Cäsar „der Herr der Verbrechen")
(o^ ero sceler, M.^ ero sceleri ß. ero scelerum P. oratio scelcrum).
Schmidt knüpft daran eine Polemik gegen C. Lehmanns Lesung: heros
(= ^püif) Gel er (Q. Pilius Celer) und zugleich gegen denselben Stellung
zur Überlieferung. Nach reiflicher Erwägung kann ich Seh. nicht bei-
pflichten. Am meisten Anstoß nehme ich bei seiner Erklärung an:
'in quibus — Cäsar, wenn er wirklich als „Herr der vexuia" bezeichnet
worden, war nicht unter dieser, sondern stand ihr vor, etwa: quibus
praeerat. Wenn dagegen Atticus selbst verächtlich die Gefolgschaft
des Cäsar einen 'Orcus' genannt hatte, so will es mir schon nahe-
liegend und passend scheinen, daß Cicero mit einiger Bitteikeit sagt:
„darunter befand sich aber auch dein eigener Schwager Celer als einer
der Heroen" — %ü); natürlich ironisch gefaßt und im Bilde bleibend.
Denn ihm schwebt natürlich die homerische vey.ui« mit ihren Heroen
*; rationei = Maßnahmen, wie A. X S 2.
Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.) 51
vor. Anch Boot g'iebt Lehraann reclit (s. oben S. 45). — A. X 5, 2 sed
modestior von erit ero (M. non pro) scheint mir auch sehr pewagt.
Meine Lesnng- s. S. 42!) — A. IX 18, 2 Quid, Servi ßius, Pontius
Tiiinianus in his castris fuermif, quihns Pompeins circumdcderetur?
Auf ?run(l der bei Hoifmann- Lehmann, ausgew. Briefe I®, geiSfcbenen
Lesarten ranß ich mich mit Lehmann für: Quid, quod Servii filius,
quod Titinii in iis castris sq. entscheiden. — A. X 3^ ami (M. nt) igitur
haec scire cellem (M. scirem), schon "Wesenberg schreibt: cum igitur
haec scire cnperem. Nötig ist eine Textesänderung nicht, wird deshalb
auch von Baiter-Kayser, Boot, Tyrrell-Purser unterlassen. — A. X 4, 5
Quorum ut (oder: ut quormn) tarn acta mit M. Wenn auch andere
Hss ut bieten, muß es allerdings gehalten werden, statt der matten
vulgata est. — A. X 4, 6 nee ad severitafem nee ad diligentiam (M.),
wofür man sonst mit Manutiu«^ indulgentiam liest. Seh. hat dabei selbst
seine Bedenken, in: vunc <haec> sive iracundia, wie er fortfährt, ist
haec handschriftlich nicht beglaubigt, alle Hss Itaben nunc sive oder
nee sive (vgl. C. Lehmann, de Cic. epp. pg. 72 f.), gleichwohl recht
wahrscheinlich. — A. X 4, 8 ein locus desperatus! Seh. hält mit Recht
die Überlieferung: eius interitu finem Uli fore, den folgenden Wortlaut
aber kann ich mir nicht aneignen: propiusQl.: Pompeins; m^v^.propeius)
factum esse nihil (in dem Sinne = paene factum esse) nisi (M. ei) sc.
id.: plane iracundia elatuyn voluisse Caesarem occidi Metellum tr. pl.^
quod si sq. Die Konstruktion ist zu gekünstelt und Cicero sagt sonst
(ad Q. fr. 12, 15): propius nihil est factum, quam ut. Entweder stellt
man dieses Sätzchen nach, wie Boot u. a. thun, oder man müßte ändern,
etwa: praeter ius factum esse nihil. Et primimi sane (=M. : ei plane)
iracundia elatum volwsse Caesarem occidi Metellum — aber er habe es
eben doch nicht gethan trotz der 'permidtos hortatores caedis\*) —
A. X 8, 2 M.: quod fieri necesse est enim . . . mit offenbarer Lücke.
Koch: quod fieri <nequit>; n . . .; Schmidt: quod fieri <posse nego>;
w . . ., besser C. Lehmann (Ausg. Briefe I*^ p. 212): quod fieri <nec
honestum est nee tutum>. Necesse est enim mit Verweis auf A. X 1, 4
(turpe nee tarnen honestum); „über das honestum handelt Cicero bis § 4,
mit § 5 kommt er zu dem tutum". — A. X 8, 2 hat M.\ 0.^- si cum
trahitur bellum, weshalb Seh. schreibt: si contra tr. h. Aber M.- 0.-
*) Ich sehe, daß anderen Ortes 0. E. Schmidt ,der Briefwechsel"
S. 24 ähnlich dachte: „In der ersten Aufwallung des Jähzornes habe
Cäsar den Tribunen Metellus töten wollen.* Das wäre ein „caedes"' ge-
wesen, eine Gesetzesverletzung {praeter ius), da die Tribunen sacrosanct
sind. Daß „die Gewaltthat nur mit Mühe abgewendet worden sei" (ibid)^
davon steht hier nichts. Cäsar übte aus eigenem Antriebe Mäßigung trotz
des Zuspruches der Blutdürstigen.
4*
52 Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Garlitt.)
R. P.s (cf. Lehmann A. B. P p. 248) überliefern das annehmbare:
si tralütur bellum . . —
A. X 8, 4 glaubt Seh. im wesentlichen herstellen zu können
durch die Lesung: Qiwd mnlum fingere licet tantum, deniqiie quid turpius?
AnnihaUs delirantis atqiie amentis solus tuli scelus: eiusdem cum Pompeio
et cum reliquis principihus non feram? Das Hauptstück dieser Emendation,
daß hier Cäsar als Hannibar-) bezeichnet sei, wie schon in Victoriana
prima zu lesen, scheint ihm „unantastbar". Videant alii! Es scheint
mii' zwar beachtenswert, aber ich zweifle doch. Zwar kenne ich keine
der zahlreichen Bemühungen, die sichere Heilung gebracht hätte, auch
Hofmann -Lehmann A. B. I*' p. 215 geben nur den Sinn annähernd
wieder, weichen aber zu weit von der Überlieferung ab, die dort (p. 248)
zum ersten Male vollständig vorliegt. Da fällt nun auf, daß alle Hss.
liefern: an . . val. de hie in ahsenlis solus tuli. Wer einen Sinn
schafft unter Beibehaltung dieser Buchstaben, dem gebührt der Preis!
— A. X 9, 1 . . repressisset , <immo> volare dicitur, das immo des-
halb, weil in M.^ tuo vor volare steht, aber dieses ist offenbar nur
Dittographie . . . t uo \ tuolare, zudem beweist gleich das nächste Glied,
daß den Antithesen schroff entgegengesetzt wurde: nihil adfert eins
modi. — A. X 11, 2 de affini (M.: itine; Tyrrell -Purser: Quinti) et
de sorore, nicht mehr als möglich, andere (so Boot, s. u.) lesen de
üinere. — A. X 16, 3 Cato, qui Siciliam teuere nullo negotio potuit
Yet] — si tenuisset, omnes honi ad eum se contulissent — Syracusis pro-
fectus est. Da einmal et überliefert ist und auch dem Oedanken nach
möchte ich vorziehen: etsi <si> tenuisset sq. — A. X 18, 2 de <eiu3>
benevolentia — überflüssig in diesem Schlüsse der Briefe, der voller
Breviloquenzen ist . . . de altera ei me pnrga (M.^) gegen purgavi QO..^).
Mir scheint, da Cicero ausdrücklich sagt, er habe selbst (Scripsi equidem)
an Baibus geschrieben, daß er es doch wohl übernommen haben wird,
sich de suspicione zu rechtfertigen.
Diese, wie alle Arbeiten Schmidts fördern das Verständnis der
Briefe nicht unbedeutend, aber die zu starke Bevorzugung des M.
schädigt auch hier die Ergebnisse.
Schließlich sei mir gestattet, einige Textesänderungen zusammen-
zustellen, die ich in letzter Zeit vorgeschlagen habe.
A. X 1, 4 Alazonis istud (M.: MÄCONI istud) ßerl. phil. Wochen-
schrift 1898 N. 6. Sp. 189.
Philol. 1897. S. 378—380: A. XIH 33, 3. si neutrum, saltem
in praefectis . . . fuerit.
'*) A. VII 11, 1 sagt Cicero: Hannibai,
Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.) 53
Ludwig Gnrlitt, Textkritisches zu Ciceros Briefen.
Programm des Steglitzer Gymnasium 1898. 16 S. 4. A. I 1, 5 ut totum
gymnasium deae avaÖTjixa esse videatiir. — III 25 Post tuum a me dis-
cessuvi. — IV 12 IM te igitur videho et permanebo. — V 10,3 quia
o'JCExXaXrjTa sunt. — V 11, 7 nam illam oC avavopiav excusafionem . .
— IX 2 uzo TYiv otaXr)']>iv, ebenso IX 10, 8. — IX 13, 4 . . iif tu scribis
dudum ducenti. Vellem, scribis, qiäsnam hie significasset. Sedet iste sq. —
X 6, 1 Astnrae nihil sum acturas, fiat in Hispania quidlibet, et tarnen
retineret. — X 5, 2 sed modestiora non probo. — X 12'^, 4 modo huic
(oder in hoc) sit rßoi a;toXo7ov! — X 13, 3 Te quoque a Curione im-
pediri video; efsi, ut opinor, habes lEtTYjTeov. — XIII 39 fin. icspl
dsiuv et -avroc. — XIII 42 fin. eatur? dcoiaaxsTrxov. — XIV 2,2
apud quem mdlum i}Alui\i.'x; processit enim, sed minus — — Diutius
Sermone enim sum rettntus. — XV 13,4 sed Serviliam: venisse . . .
eumque non quidem pompa sq. — XVI 15,6 Contendo iam Astura,
tibi sum. — IV 18, 4 Itaque dixit statim resp. lege maiestatis: ou soi
-axpi; dXXd cpr^vr) (oder 9U7t^). —
Philol. 1898. S. 398—408 ,Cicerouiana'. I. ,Den Epikureer
Phaedrus als Quelle in Ciceros philosophischen Schriften' zur Begründung
der Lesart A. XIII 39 fin. -spl Osäiv et -avxo;. II. ,Des Atticus
Kritik au Ciceros Philippica IL' Es wird in A. XVI 11, 1 vorge-
schlagen: asta (= hasta in obskönem Sinne), cpaXXw Luciliano und zotross
T:ai&u)v aufincest, Ulis III vir is auf päderastischen Verkehr gedeutet.
C. F. W. Müller, Zu Ciceros Briefen an Atticus (IV 7, 2).
Jahrb. f. Philol. 1897, VIII p. 545—546.
A. IV 7, 2 . . qiäd enim vereris? qiiemcunque heredem fecit, nisi
Publium (sc. Clodium) fecit, virum non fecit itnprobiorem, quam fuit ipse.
Das Weitere bleibt dunkel.
*E,. Jonas, Über den Gebrauch der Verba frequentiva und inten -
siva in Ciceros Briefen. In: Festschrift f. L. Friedländer. Leipzig
1895, Hirzel. (p. 149—162.)
Von Ausgaben, die nur für die Schule oder das Ausland be-
stimmt sind, habe ich absichtlich nicht gesprochen.
Vereinzelte Verbesserunersvorschläge zu den epp. 'ad fam.'
Robinson Ellis, Philologus N. F. VIII, 1895 p. 748. F. VII
33, 3 {occupationes) , quas si est volumus exceperimus veraulaßte schon
Madvig ('adv. crit.' in p. 159) zu den Konjekten : expedierimus: Ellis
schlägt nur zweifelnd excesserimus vor, da er eine Parallelstelle aus
Cicero nicht nachweisen kann. — Ebenda: . . . illis interioribus litteris
t meis, quibus saepe veiecundiorera me in laquendo facis. E. vermutet
54 Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.)
litteris mltis Cmultis) wie Brat. 252 multis litteris ... est consecutus.
Ich möchte meine Vermutung nur andeuten, nämlich zu lesen: Ulis
interiorihus litterulis, quihus (cf. A. XII 1; XIV 4, 2; XV 4, 1 auch
ad Brut. I 16, 1, wo es C. bietet, die Ausgaben aber fälschlich litte-
rarum schreiben), was mir deshalb passend scheint, weil Volumnius die
Befürchtung ausgesprochen hatte, seine Briefe wären dem Cicero zu
lang und dieser deshalb versichert: ac veh'm posthac sie statuas, tuas
mihi Utteras longissimas quasque gratissimas fore. — F. IX 10, 2.
Puto te nunc dicere: ohlitusne es igitiir fungorum illorum, quos apuä
Niciam? et ingeyüium f cularum cum sophia septimae? — , Fortasse:
venucularum, wie Hör. S. II 4, 71". Ich sehe keine Möglichkeit, hier
Sicheres zu ermitteln. —
Hob. Noväk, (Kvicala's Gratulationsschrift 1884, in den „Kri-
tischen Beiträgen zu römischen Schriftstellern" (Kriticke pfispevky
kfimskym spisvatelüm) S. 44 f.: E. IV 3, 4 sieht er in den Worten:
quod — observet eine Begründung von tibi quoque und äudert mit Hülfe
des Vorschlages von Bake {quam für cum): in quo ille existimat, quom
facile appareat, quam me colas et observes, tibi quoque (in eo)*) se
facere gratissimum. —
Julius Ziehen liest im Rhein. Mu^. f. Philol. N. F. LH S. 449
zu F. VIII 17, 2: vos invitos vincere coegero astutial num me Catonem?
und bringt dadurch jedenfalls einen verständigen Sinn in diese dunkle
Stelle.
Otto Hirschfeld, Hermes XXIV (1*^89) S. 101 F. IX 6, 3 fin.
quantum audiei-o (edd. quae tua) überzeugend.
E. Schelle, Beiträge zur Geschichte des Todeskampfes der
römischen Republik. Programm der Annenschule zu Dresden, 1891. S. 38 :
F. X 9, 3 Vioiua <in:> equitum milia. — X 15, 2 non multis ante
diebus DC (^ sescenti) qui optimi fuerant, ad me transierunt ; Codd.
diebus decem. —
Ludwig Gurlitt, Progr. des Gymu. zu Steglitz 1898 p. 7.
F. n 16, 6: neque quidquam Asturae (edd.: astute) cogito.
H. Deiter, Philologus Bd. LIV 1895 p. 177. F. VIII 1, 4
perisse; inde (daher) urbe, ähnlich schon Orelli und Baiter (unde). —
F. XV 4, 6 . . et pecunia et toto <deditns animo> eis qui . . ver-
dient Beachtung. —
*) Nach brieflicher Mitteilung will er jetzt in to tilgen. Den Vorschlag
Noväks hat Mendelssohn nicLt beachtet. Mir bcheint kein Grund an der
übereinstimmenden Überlieferung {quod — culat — observet) zu rütteln.
Jahresbericht übfr die Lilteratur zu Ciceros Briefen. (Guriitt.) 55
Vereinzelte Verbesseruugsvorschläge zu den cpp. ad.
Atticurn.
Ernst Böckel, zu Cicero ad Atticurn, macht folgende be-
achtenswerte Vorschläge :
II 7, 1 altermn (oi'atiorem) non lihehat mihi scribere, quippe
nbscisam (Med.: qui absdram) mit Berufung auf Livius 45, 37, 9:
illa enim tibi toia abscisa oratio esset, abscindere --= „das Wort ab-
schneiden. — XIII 22, 4 Efenim coheredes, a quis sine te opprimi mortis
instar est (edd.: militia est), wie fam. IX n, 1 Equiclem hos tuos Tus-
culanenses dies instar esse vitae pufo. — VII 7, I illud perusitatum non
adscribis: „et tibi gratias egit" wie IV 15, 2 pereruditus. — III 19, 1
edd.: non quo mea interesset loci natura, wofür Emanuel Hoff mann
(Studien auf dem Gebiete der lat. Syntax. S. 129 A. G): interesset
<e> loci natura, besser Böckel: interesset locuni mutare wie de leg.
II irait , Horaz ep. I 15, 10: fam. VII 26, 1 etc. — Damit hängt
zusammen III 12, 46 nam dolor idem manebif, tavtum modo locus alius
(edd.: modo octius), wofür man jetzt lieber occultius liest (s. oben!)
Ludwig Guriitt, Jahrbücher f. kl. Phil. 1893. S. 704 edd.:
quem negant p)osse bonum civem; vulgata: quem nego posse esse bonum
civem. Es wird vorgeschlagen quemquam negant sq. zu schreiben,
vielleicht genügt auch die Überlieferung quem negant (sc. ita salutare)
posse bonum civem.
W. Stern köpf, Elberf. Prg. 1889, (siehe oben S. 22), p. 4:
A. I 5. 3: nequedum te Athenis esse audier amus (statt audiebamus)
richtig, p. 19: A. I 18, 2 tarnen volnus (statt voluntas) etiam afque
etiam mediana efficit. Diese Emendation fand später unabhängig auch
Fr. Leo. ind. lect. Gott. sem. aest. 1892 p. 8 (mit ausführlicher
Begründung); zu demselben Briefe § 1 : ei amantissimus mei ille (statt:
Metellus) non homo, sed 'litus atque aeres, solitudo mera' (Kretiker:
statt l. a. aer et s. m.): Das Ganze auf Pompeius bazogen: gewiß
beachtenswert! Jahrb. f. kl. Phil. Ib94 S, 407 zu A. I 16, 13 Lucra
autem tr. pl., qui magistratum in simultate cum lege Aelia iniit,
solutus est et Aelia et Fufia (M. : insimul cum lege alia, andere edd.:
Aelia), wobei Aelia sicher begründet, iyi simultate selir wahrscheinlich
gemacht wird. Ich vermisse nur sprachliche Belege aus Cicero dazu.
J. Ziehen (s. ob. S. 31): A. IX 15, 1 quam dedissem ad te
litteras, ut — fore, allatae mihi Capua sunt (seil, alterae litterae) *) ;
*) Vgl. Madvig Adv. crit. III p. 184: et hie <'copiam> mihi et in
Albano fore und 0. E. Schmidt, der Briefwechsel etc. S. 158: all. mihi Capuae
sunt eum hie VI K , et m Albano upad C. V. K. f.
5G Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.)
et lioc mihi (seil, mmtiautes) et in Alhano apud Ctirionem <eam> V
Kai. fore; . . . Ille, id ad me <Lepfa sive Q. Pedius> scripsit
(überzeugend!). Vortrefflich ist auch in seiner Dissertation die Kon-
jektur X 17, 3: id si Iransierit (cd. eras erit)*).
J. Ziehen, Hermes 33 (1898) S. 341 f. ,Ein Ciceronianum zur
Geschichte des Isiscnlte^ in Rom': A. II 17, 2 die sinnlosen Worte
iacet enim ille (sc. Poni peius) sie ut phocis Curiana stare videatur
werden geändert in . . . sie, tit prae hoc Isis Curiana stare videatur,
womit auf die durch Senatsbeschluß in den Jahren 59, 58 und 48 v. Clir.
erfolgte Zerstörung von Altären und Kapellen des ägyptischen Isis-
diensies in Rom (Röscher. Alythol. Lex. II 401) angespielt werden soll.
Ein interessanter Versuch, aber doch recht zweifelhaften Erfolges!
A. IV 6, 2 Med.: nee quidquam, Baiter (cf. Ferd, Becher,
Neue phil. Rundschau 1886, N. 5 S. 75) neqiiiquam.
Otto Hirschfeld, Hermes XXIV. Bd. 1889. S. 101; A.IX 18,2
quae . . . vexuia! in qua cratera sceleris oder 5ceZer«(Wi wie y.pa-vjp xaxuiv
bei Äschylus und Aristophanes. Zur Stelle s. oben S. 42.
Wilhelm Sternkopf, Jahrb. für kl. Philol. 1894 Hft. VII
S. 488: stellt durch richtige Interpunktion A. V 2 her: tu, qui scis,
omnem diligentiam adhibebis, tum scilicet, quum id agi debebif, quum
ex Epiro redieris. de re publica sqq.
Paul Grocbe, de legibus et senatus consultis anni 710 quaestt.
chronoll. Diss. Berl. 1893, S. Calvary u. Co. p. 4: (s. oben S. 35 Anm.)
A. XIV 21, 2 ilhim circumire veteranos, td arma (Med.: utram) ornnes
haberent. — Emil Körner (ob. S. 23) p. 55: A. IV 17, 1 fin. : statt
lepidam quo exeidat ist zu schreiben: ne quidquam quo excidat. 0.
E. Schmidt (Wochenschrift f. kl. Phil. 1885, N. 51 Sp. 1610j erklärt
diese Konjektur für unzweifelhaft, möchte nur des Wohllautes wegen
schreiben ne quid quo (xcidat.
Gerhard Rauschen, Eph. Tnllianae. Bonn 1886. (s. oben
S. 24) p. 59: ne quid unquam excidat.
Friedrich Leo, Index scholarura Götting. S.S. 1892, (s. oben S. 1)
p. 5 sqq.
A. I 18, 2 in re publica vero quamquam animus est praesens,
tarnen volnus etiam atque etiam ipsa mediana efficit (edd. tarnen voluntas
etiam sq.) ausführlich und überzeugend begründet; dasselbe hatte vor-
dem schon W. Sternkopf gefunden (Elberfelder Prgr. 1889. S. 19.)
— V 11, 3 nihil esse melius quam illud nusquam discedere, ebenfalls
durch zahlreiche Belege gestützt. —
*) 0. E. Schmidt a. a. 0. S. 182 stimmt bei und fährt fort: transierit,
utinam idem maumt Ilortensius , quo quidctn, ut adhuc erat, liberalius ni/til
es$e potent.
Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.) 57
L. Gurlitt, (Berl. phil. Wochenschrift 1895, N. 15 Sp. 4G5)
erklärt zu Ende der Briefe A. I 12, 13 und 18 die Angaben der
Konsuln beim Datum für Nachträge von fremder Hand, da sie gegen
den Gebrauch im Briefstile verstoßen.
L. Polster, Fleckeisens Jahrbb. 1S96. \>. 556 A. V 4, 4 dum-
taxat rumores vel etiani, si sq. hatte schon Madvig A. C III p. 175
gefunden. —
Th. Stangl, zu Ciceros Briefen an Atticus, Fleckeisens Jahrbb.
1896. p. 781—782. A. V 12, 2: Helonius, vir gnavissimus . . ;,Sach-
kenner, Fachmann" mit Hinweis auf F. VIII 1, 1 recht plausibel. —
Auch A. XIII 22, 4 qiuie inico = iniquo (statt inimico, was so
nicht nachweisbar), animo ferant dürfte richtig sein.
Theodor Schlehe hat in der S. 26 genannten Abhandlung
manclien schönen Beitrag zur Textkritik gegeben. Ich brauche aber
die einzelnen Stelleu nicht aufzuzählen, da eine sehr eingehende Be-
sprechung dieser Arbeit in der Wocheuschr. f. kl. Philol. 1895 N. 45
S. 1223—1230 für die Chronologie der Briefe und N. 46 S. 1255-1259
für die textkritische Seite der Arbeit von W. Sternkopf erschienen
ist, eine Besprechung, die fast den Wert einer selbständigen Bearbeitung
des Themas hat. Wo zwei so tüchtige Kenner übereinstimmen, lohnt
es sich zu verweilen: E. III 2, 1 wird durch verbesserte Interpunktion
aufgeklärt, die Lesart a te gegen ad te gehalten, E. VIII 1, 1 disce-
denti (mit Wesenberg statt discedens). A. V 1, 3 wird dies fecit richtig
erklärt, § 4 discessiira gegen Boot geschützt; V 3, 1 qui de re publica
rumores <sint>, scribe quaeso; Y 8, 3 ad Camillum, <ad Caelium^,
ad Lamiam; V 10, 3 fronte, ut puto et volo, bellus; V 11, 4 quidquid
provideri <poterit^> , provide\ V 12, 2 nisi omnia axpairr^pta oupta
disseni; — praeterea si quid Philippus rogaverit. Es bleibt noch eine
Reihe weiterer Emendationsversuche, die aber Sternkopf mit ausführlicher
Begründung ablehnt. Dort möge die Entscheidung suchen, wer sich
in den Briefen ad Att., im besonderen in dem 5. Buche, textkritisch
bemüht.
j W. Sternkopf, Zu Ciceros Briefen an Atticus [V 2, 3J, Jahrb.
f. cl. Philol. 1894 S. 488—490 weist überzeugend nach, daß zu inter-
pungieren ist: ... tum videlicet, cum id agi debebit, cum ex Epiro
redieris. De re publica scribas ad me velhn u. s. w. Man las bisher:
Cum ex Epiro redieris de re publica scribas, was sinnlos ist.
Demselben Verfasser wird eine gründliche Untersuchung ver-
dankt: über zwei Briefe Ciceros an C. Trebonius (E. XV 20 u. 21),
die ich oben bei Aufzählung der chronologischen Untersuchungen
hätte nennen sollen, sie steht in den Jahrb. f. cl. Philol. 1893
S. 424 — 432 und kommt zu dem sorgfältig begründeten Ergebnisse:
58 Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.)
„Als Trebonius Ende 708 oder Anfang 709 abreiste, befand Cicero
sich auf einem seiner Landgüter; hier hatte er die Sendung des Trebonius
erhalten, und von hier schrieb er ihm den Abschiedsbrief XV 21. Er
kehrte dann nach Rom zurück und schrieb nicht lange nachher XV 20."
Dieses Ergebnis wurde augefochten von R. Leyds (ebd. S. 843), welcher
die Worte (XV 20, 2) ad provinciales amicos anders, nemlich auf
Cicero selbst statt auf Trebonius, gedeutet wissen wollte. St. aber
rechtfertigt seine Auffassung ebd. 1894 S. 287 f. durch eine genaue
Gedankenanalyse des beireffenden Briefes (XV 20). —
0. Ed. Schmidt, Ein unverstandener Witz Ciceros, Berl. phil.
Wochenschr. 1891 N. 12 u. 13 behandelt A. XIII 47a Postea quam
als te, Agani'mno u. s. w. Die dort gegebene Deutung, die durch Aus-
scheidung der durch C Z verbürgten Worte : tetigit aureis nuncius,
extemplo instüuta gewonnen wird , ist übergegangen in Schmidts
„Briefwechsel'' S. 346, 527, hat aber meinen und nicht nur meinen
Widerspruch (vgl. Rothsteins oben S. 10 Anm. citierte Bespr. S. 297). —
0. E. Schmidts Vorschlag, wie Ep. X 33, 4 zu heilen sei,
findet man Philol. 51, 1892 S. 186—188 in dem Aufsatze: 'P. Bagiennus'
und auch von Mendelssohn schon in den kritischen Apparat, nicht in
den Text aufgenommen. — Desselben Verfabsers lehrreicher Aufsatz:
'Faber ins, Studie über einen Parteigänger Cäsars nach Ciceros
Briefen an Atticus' in den Commentatioues Fleckeisenianae S. 223 — 245
blieb bisher ungenannt, teils weil ich nicht wußte, wo er am besten
einzufügen wäre — er führt nämlich zu neuen Abteilungen, Datierungen,
Lesungen und Erklärungen der Briefe A. XII und XIII — teils weil
er in seinen Hauptergebnissen in Schmidts Buch „Der Briefwechsel"
übergegangen ist (S. 290 — 308). Dieses Buch aber, das eine so große
Menge der verschiedensten Themata umfaCt und den Historiker ebenso
sehr angeht wie den Philologen, kann in diesem Jahresbericht un-
möglich bis ins einzelne geprüft und gewürdigt werden.
Wer auf dem Gebiete der Cicero-Briefe arbeitet, muß sich mit
diesem Buche beständig auseinandersetzen und wird nicht nach dem
Jahresbericht fragen.
Aus demselben Grunde habe ich auch ein so anerkanntes Buch,
das rein textkritischer Natur ist, wie
C. A. Lehmanns, Quaestiones Tullianae pars I. de Ciceronis
epistulis. Leipzig 1886, Freytag. 136 S. 8. 3 M.
nicht im einzelnen besprochen. Wem würde es nützen? Das Buch hat
gleich nach seinem Erscheinen so allgemeine Anerkennung gefunden
(s. z. B. die Anzeigen von J. H. Schmalz und mir in der Berl. philol.
Wochenschrift 1886 Sp. 913— 921j, daß es heute zum Hand Werkzeug
Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Guriitt.) 59
der Textkritiker gehört. Ich setze es also als bekannt voraus. Dazu
gehört auch die Anzeige desselben von J. C. G. Boots, Editio altera
der Atticus-Briefe (1886), die reich an eigenen Beobaclitungen des
Berichterstatters ist. Man findet sie in der Wochenschrift f. klass.
Philol. 1886 N. 30 und besonders 31.
VI. TerbesserungSTOrschläge zu Cic. ad Quintum fratrem.
Wiederholt ist die bekannte Stelle II 9 fin. behandelt worden,
welche handschriftlich lautet: Lucretn poemata, ut scribis, ita sunt:
nmltis licminibiis ingcnii, multae tarnen artts; sed cum veneris, virum
te putabo, si Salustii Empecloclea leger is^ hominem non putabo, u. zw.
nach Vahlen (Ind. lect. Berol. 18<?l/82 p. 1) von Reitzenstein,
Festschrift zu Th. Jlommseus 50jähr. Doktorjub. („Drei Vermutungen
zur Geschichte der röm. Litteratur-, Marburg 1893. S. 52 ff.) R. läßt
die Worte multae tarnen artis unverändert und erklärt artis ^= Tsy 70X071«;
weiter schreibt er cum <ad finem> veneris oder cum finieris und
verwirft Yahlens Versuch, die Worte virum te pmtaho und hominem
non putabo allein auf Sallusts Empedoclea zu beziehen. Ihm stimmt
bei A. Kannengießer (Berl. phil. Wochenschrift 1895, X, 31/32,
Sp. 977) in der Besprechung von: Michael Jezieuickis, Quaestiones
Lucretiauae, Separatdruck aus der 'Eos', vol. 31 — 58, Lemberg 1894,
dessen Emeudationsversuch: multae etiam artis; sed cum ea legeris . .
er mit Recht verwirft. Georg Castellani, Qua rationc traditum sit
M. Tullium Ciceronem Lucretii carminis emendatorem esse, Venetiis
1894. 19 S. 8, verteidigt die Überlieferung von Lucretii bis artis,
ihm pflichtet bei M(artin) H(ertz), Berl. phil. Wocheubchrift 1895 N. 5,
Sp. 138. — K. Lehmann (Wochenschr. f. kl. Phil. 1886 N. 31, Sp. 970)
zu III 1, 21 überzeugend Labieno reservabam statt Labeoni. — Gerb.
Rauschen, Ephem. Tüll. Bonn 1886, wird Qu. fr. II 4 § 3—7 nicht
als Teil des Briefes 114, 1—2 angesehen (gegen Mommseu in Zeitschr.
f. d. Alterturasw. 1844, p. 596 ff. u. Körner p. 18), II 5 § 4 als Teil
von II 5, 1—3 (gegen Körner p. 19) in Anspruch genommen. 117, 3
wird qiiam. ego dixeram, II 13, 1 [me] delectarunt, 11 14, 2 quod mea
conscientia gegen Emendationsgelüste treffend verteidigt, III 8, 1 richtig
quae (edd.: quia) adliuc non vencrat gelesen.
Julius Ziehen, (Rhein. Mus. f. Philol. N. F. Band LI, 1896,
S. 589 f ad Qu. 11 14, 2 Plane aut tranquillum nobis ant certe niuni-
tissimum (sc. annum exspecto), quod cotidie domus, quod forum, quod
theatri significationes declarant; nee f laborant, quod mea conscientia
copiatum nostrarum, quod Caesaris, quod Pompei gratiam tenemus, haec
60 Jahresbericht über die Litteratur zu Ciceros Briefen. (Gurlitt.)
me, ut confidam, faciunt. In Anlehnung an Madvigs: nee labat antiqua
mea conscientia schlägt Ziehen vor zu lesen: nee labor antiqua mea
confidentia (mit Wesenberg) coj). nostr. — schwerlich richtig. Für
das handschriftliche conscientia tritt mit Recht Rauschen ein (Eph.
Tüll. N. 85). Als Gründe für seine Zuversicht nennt Cicero zweimal
drei Gründe, die sämtlich mit qiiod eingeleitet werden: die Hochachtung,
mit der mau ihm zu Hause, auf dem Markte, im Theater begegnet,
und sein gutes Verhältnis, wie er selbst überzeugt ist {mea conscientia),
zu seiner Partei {copiarum nostrarum), zu Cäsar, zu Pompeius: haec
me, ut confidam, faciunt. Die Worte nee laborant sind dabei entbehrlich,
und dürften Randnote zu einem unklar geschriebeneu declarant gewesen
sein. Nach munitissimum ist ein Punkt zu setzen. — Beachtenswerter
dürfte sein III 5, 3 lahor eo, cum id, qiiod non postulo, expeciem.
m 2, 2 fin. wird mit Recht ßin et wieder beseitigt, welches die Heraus-
geber vor non nihil per me confici posse einzufügen für nötig gehalten
haben. — Ansprechend auch I 1, 11 Atque incertos eos, quos für das
überlieferte inter eos (Madvig las: interest hoc: eos, sq.; C. Lehmann:
internosce eos, sq.) — III 8, 1 hatte Rauschen (Ephem. TuU. 1886.
S. 60 Anm. 103) quae (edd.: qui) adhuc non venerat vorgeschlagen.
Ziehen hält qui, liest aber vorher statt Lahie^io: Labeoni, was die
Stelle gut aufklärt.
Ich zweifle nicht, daß ich manches, was Beachtung verdient
hätte, übersehen habe: das Gebiet, das ich zu besprechen hatte, war
zu groß. Wenn mir die Herren Autoren übersehene Arbeiten anzeigen
oder zustellen wollten, würde ich, falls es sich verlohnt, einen Nach-
trag liefern.
Druckfehler:
Seite 5 letzte Zeile lies : Ehrenbezeugungen.
Seite 0 Zeile 11: quadam.
Seite 9 Mitte: bestärkte mich.
Seite 10 Zeile 4: nachzutragen.
Seite 12 Mitte: Bereicherung.
Seite 1.3 Mitte: iugulo und pluris est.
^/
Übersicht über die Liviuslitteratur der
Jahre 1889 — 1896.
Von
Dr. Franz Fügner
in Hannover.
Vorbemerkung-.
Die folgende Übersicht schließt sich an den Bericht an, den
W. Heraeus im LXXX. Bande (1894. IL) S. 119 ff. dieser Jahres-
berichte geliefert hat. Auch dem dort angedeuteten Arbeitsplan stimme
ich bei, sowohl was die Notwendigkeit der Kürze und Auswahl aus der
umfangreichen Litteratur, als was die Entbehrlichkeit manches Details
betrifft; in letzterer Hinsicht stehen ja dem Fachmanne die trefflichen
Jahresberichte unseres erfahrensten Livianers, H. J. Müllers, auch heute
noch zur Verfügung und werden es hoffentlich noch lange thun. Bei
ihm, in den ,, Jahresberichten des philologischen Vereins zu Berlin", in
diesem wertvollen Anhange der Zeitschrift für das Gymnasialwesen,
wird der Suchende finden, was er in uuserm Überblick etwa vermißt.
Namentlich darf man hier kein Verzeichnis aller mehr oder minder
wertvollen Vermutungen über den Text und die Quellen voraussetzen.
Werden doch gar häufig solche Ansichten veröffentlicht, die auf den
Wert eines neuen Fundes keinerlei Ansprüche erheben dürfen, nicht
selten auch unter geflissentlicher Nichtachtung früherer Bemühungen
oder ohne jegliche Begründung. Von den 8 Jahren, die hier in Betracht
kommen, gilt das gerade nicht, was Heraeus von seinem Zeitabschnitte
rühmen durfte; denn die zu schildernde Litteratur weist wenig Be-
deutendes auf. Immerhin enthält sie manches Beachtenswerte.
I. Über den Autor und zur Textgpschichte.
1. Über die Benutzung und Erwähnung des Livianischen
Geschichtswerkes bei mittelalterlichen Autoren handelt
M. Manitius (Philologus XLVIII p. 570—572). Trotz emsiger Samm-
lung hat sich nur wenig gefunden. L. wird selten citiert, Hss seines
62 Übersicht über die Liviuslitteratur der Jahre 1889—1896. (Fügner.)
"Werkes werden iu Bibliothekskatalogen selten erwähnt. Einhard habe
es benutzt, Flodoardus (historia Remensis eccl. II) citiert I 6, 3—7, 2
wörtlich mit einigen Abweichungen von der tJberlieferung. Keine Ab-
weichung aber ist derart, daß sie diese erschüttern könnte. Lambert
habe L. auch oft erwähnt, und Jonas (vita S. Colurabani 2) sage: ut
Livius ait nullum esse tam sanctum in religione tamque custodia clausum,
quem penetrare libido nequeat. Das Fragment (bei Madvig 65, bei
Weißenborn-H. Müller 76) wird anscheinend korrekter (nihil tam sanc-
tum religione . . quo) in den Sammlungen geführt. — Fortsetzungen
solcher Untersuchungen sind erwünscht, wenn sie auch nur geschicht-
lichen Wert haben sollten.
2. Über Bildnisse des Geschichtschreibers Livius hat
R. Becker auf der Philologenversammlung zu Görlitz einen Vortrag
gehalten (als Separatabdruck bei B. G. Teubner in Leipzig erschienen,
1890, 19 S ). In höherem Grade als alle anderen Liviusbilduisse auf
Gemmen, Mosaiken und in Handschriften könne die Marmorbüste auf
den Namen des Geschichtschreibers Anspruch erheben, die sich auf dem
Padnaner Liviusdenkmal befinde. Noch eher aber vielleicht ein Bronze-
kopf in der Stadtbibliothek zu Breslau, der im 16. Jahrh. in Italien
gekauft sei. B. giebt eine Beschreibung dieses Kopfes, nach der sich
die Form und Züge nicht eben weit von dem typischen Römerkopf ent-
fernen können, wie ihn uns z. B. die Neapler Cäsarbüste zeigt. Soviel
scheint übrigens ausgemacht, daß ein gut beglaubigtes Porträt des L.
sich in keiner Form und keinem Stoff erhalten hat.
3. Emile Chatelain, Paleographie des classiques latins.
CoUection de fac-simil6s. 9. livraison: Tite-Live. Pai'is 1895, Hachette
et Cie. 15 Tafeln und 8 S. Text in groß-Folio. 8 M. (Subskriptions-
preis 5 M.)
Chatelains schönes Werk neigt sich endlich zum Abschluß. Die
9. Lieferung enthält Faksimiles der wichtigsten Liviushandschriften.
Sie ist für den Liviusforscher wegen ihrer Reichhaltigkeit und der vor-
züglichen Ausführung von nicht geringem Werte; denn seit Mommsens
und Studemunds Analecta Liviana ist nichts dem Ähnliches veröffentlicht,
und hier haben wir weit mehr als in den Analekten. Die 15 Tafeln
enthalten Proben von 10 Hss zur 1. Dekade, von 3 der 3. und von
Bamb. und Vindob. Der beigegebene Text bringt Notizen über Älter,
Wert und Beschafrenheit der einzelnen Hss. Ch. weist den Veron.,
Put. nnd Vindob. ins 5. Jahrb., alle übrigen ins 9. — 11. Von diesen An-
sätzen ist der für den Put. am wichtigsten, denn man hat diesen bisher
für jünser gehalten. Im 9. Jahrh. sind nach Ch. der Paris, und Thuan.
(über diesen s. den folgenden Absatz) der 1. Dekade und ein Vatic. der
Übersicht über die Liviuslitteratur der Jahre 1889—1890. (Fügner.) 03
3. (Vatic. Regln. 762, ein schönes Muster der Schreibschule von Tours,
aber kritisch als 'certaine copie de P' ohne Wert) geschrieben. S. übrigens
über diese Hs auch Ch. in Revue de philol. 1890, S. 79 ff. und L. Traube
in den Sitzungsber. der Münchener Akademie 1891, .387 ff, der die
Handschrift zwischen 804 und 834 geschrieben sein läßt.
4. Als 19. Heft der Bibliothek der Schule des hautes Etudes in
Paris ist eine Beschreibung und Kollation des Thuaneus aus
der Feder von J. Dianu eischienen (Paris 1895, Emile Bouillon). Die
Hs No. 5726 der Nationalbibliothek in Paris war bisher unr wenig
beachtet. A. Frigell hat sie bei seinem Aufenthalte in Paris verglichen,
doch sind seine Bemühungen nicht zugänglich geworden. Darum ver-
dient die Arbeit des jungen Franzosen unsere Beachtung, zumal sie
sorgfältig und umsichtig ausi,'efüh)t zu sein scheint und die Hs in Wahr-
heit die bisherige Geringschätzung nicht verdient. Der Th(uaneus) ent-
hält Buch VI — X 46, 6, also die 2. Halbdekade bis auf einen winzigen
Rest. Nach E. Chatelain (vgl. oben No. 3) ist er im 10. Jahrh. ge-
schrieben, aber von einer späteren Hand (des 13. Jahrb.?) stark durch-
korrigiert oder vielmehr verballhornt. Am nächsten steht Th. dem
M(ediceus) und dem H(arleianus) prior und L(eidensis) I, so zwar, daß
er nach Diana von einem nahen Verwandten des M abstammt, H und
L aber von einem seiner Brüder abgeschrieben sind. Etwas weiter
entfernt er sich vom Parisinus und dessen Sippe. Da die Hs auch
sonst die Schwächen und Irrtümer aller Nikomachiani zeigt, darf sie
allerdings auf kritische Bedeutung nur geringen Anspruch machen: aber
aus den genauen Darlegungen Dianus erhellt doch soviel, daß sie Be-
rücksichtigung in dem kritischen Apparat beanspruchen darf. Schade
ist es, daß der Veronensis nur noch den Anfang des 6. Buches enthält,
sonst hätte Th. vielleicht zur Feststellung des Verhältnisses zwischen
jenem und den Nikomachiani von einigem Belang wei"den können.
Dianus Arbeit ist jedenfalls verdienstlich und beweist den guten Geist,
der an der Pariser Hochschule gegenwärtig herrscht.
5. Leop. Winkler, Die Dittographieen in den Nikomachiani-
schen Codices des Livius. Teil I. Wien 1890, im Selbstverlage des
Verf. (Progr. des Leopoldstädter Gymn.) Teil II. Wien 1892.
Die Dittographieen, d. h. hier Doppellesarten, in den Hss der
Nikomachischen Rezension der 1. Dekade einmal zusammenzustellen,
war zweckmäßig. Wenn nun der fleißige Verf. durch seine Bemühungen
weder die Kenntnis der Übeilieferung, noch die Kritik des Textes
wesentlich gefördert hat, so liegt die Schuld daran nicht sowohl in
einem Mangel an Vorkenntnissen und Umsicht, sondern in den Ver-
diensten seiner Vorgänger. Die Klassifizierung der Hss ist nach
64 Übersicht über die Liviuslitteratur der Jahre 1SS9— 1896. (Fügner.)
Wiukleis ITutersuchuugen dieselbe geblieben; mau hat die Nikomachiani
in die 3 Gruppen zu sondern M Vorm, PFU, RDLH, von minder-
wertigen Codices abgesehen. Ebenso hat die Textgcstaltung durch diese
Schriften nicht besonders gewonnen. Wo W. in der Wahl zwischen
den Doppellesarten von Madvig und Weißenborn-Müller, um die Häupter
der neueren Tradition zu nennen, abweichen zu müssen glaubt, findet
er schwerlich viel Beifall. Es scheint vielmehr, als reiche seine Kenntnis
vom Livianischen Sprachgebrauche nicht immer aus, um ihn vor irrtüm-
licher Entscheidung zu schützen. Die Stoffsammlung indessen, die hier
geboten wird, behält für den Liviuskritiker ihren Wert.
IL Ausgaben.
a. Textansgaben.
6. T. Livi ab urbe condita libri. Apparatu critico adiecto edidit
Augustus Luchs. Vol. IV libros XXVI— XXX continens. Berolini
apud Weidmaunos 1889. 3 M.
Das Buch verdient an der Spitze der Ausgaben unseres Zeit-
abschnittes zu stehen, und es ist sehr zu beklagen, daß wir noch heute
(1898) auf die Fortsetzung warten müssen. Was den Fortgang des
Unternehmens hemmt, ist unbekannt. Nachdem der kundige Herausgeber
schon vor mehreren Jahren in unten angezeigten Einzelschriften Proben
seiner Bemühungen um die Textrevision der 4. Dekade gegeben hat,
schien die Hoffnung berechtigt, daß er uns in Kürze diese vorlegen
würde, aber sie hat sich, wie gesagt, leider bis heute nicht erfüllt.
Natürlich erhebt sich dieses 4. Bach der Luchsschen Ausgabe
auf dem stattlichen Fundament, das der Gelehrte in der größeren kri-
tischen Ausgabe (Berlin 1879) derselben Bücher gelegt hatte. Den
kritischen Apparat giebt er kürzer und übersichtlicher, indem er die
Stufen der Spirensis-Überlieferung mit 2^—2^ bezeichnet, ohne die ein-
zelnen Hss namhaft zu machen; andererseits ist er wieder durch An-
führungen von Konjekturen bereichert, worin L. wohl noch etwas weiter
hätte gehen können. In der Würdigung der Spirensis-Klasse ist L. vor-
sichtiger geworden, und er folgt jetzt P öfter, als er es 1879 gethan
hat. Die Ausgabe ist die wertvollste Handhabe für den, welcher sich
mit der 4. Halbdekade eingehender beschäftigen will; sie empfiehlt sich
aber auch durch die praktische Anordnung der Fußnoten, durch kor-
rekten Druck und handliches Äußere. Zu den einzelnen Textänderungen
und nicht aufgenommenen Vermutungen Luchsens kann in diesem Jahres-
bericht nicht Stellung genommen werden. Hier genüge es, darauf hin-
zuweisen, daß alle vorgenommenen Änderungen oder Vermutungen von
Übersicht über die Liviuslitteratur der Jahre 1889 — 189ß. (Fügner.) G5
der Sprach- und Sachkenntnis wie von der Vorsicht und dem Schal fsiiin
des Verf. ein rühmliches Zeugnis ablegen. Vgl. zu diesem Buche und
den folgenden kritischen Arbeiten die genaue Berichterstattung durch
H. J. Müller in den .Tahresb. des phil. Vereins in Berlin, und zwar
über Luchs, Jahrg. XVI S. 163 ff.; s. auch den Bericht des Ref. in
Neue philol. Rundschau 1891, 21 ff.
7. Titi Livi ab urbe condita libri: Editionem primam curavit
Gull. Weißenborn. Editio altera, quam curavit Mauritius Müller.
Pars IV. Fase. II. Liber XXXVI - XXXVIII. Lipsiae 1890.
Teubner. 60 Pf.
8. Dasselbe. Pars II. Fase. II. Liber XXI— XXIII. Ebenda
1894. 60 Pf.
Die Weißenbornsche Textausgabe des L. in der Bibliotheca
Teubneriana war allmählich stark veraltet und bedurfte einer gründ-
lichen Durchsicht. Ihr hat sich der altbewährte, vorsichtige und sach-
kundige M. Müller mit gutem Erfolg unterzogen. Die Bücher 36 — 38
und 21 — 23 liegen nun durch dessen Bemühungen in zeitgemäßer Text-
form und Ausstattung vor. Die neueren Arbeiten sind mit löblicher
Gewissenhaftigkeit berücksichtigt, aber auch der Herausg. hat wiederum
Proben seines divinatorischen Geschicks und wohlthuender Besonnenheit
geliefert, für die wir ihm dankbar sind. Namentlich hat er sich um
Aufdeckung und ansprechende Füllung von Lücken im überlieferten
Text verdient gemacht. Neue Kollationen von Hss sind nicht verwertet,
so daß besonders in den schwierigen Büchern 36 — 38 noch manches in
Zukunft zu thun bleibt (s. dazu unten unter No. 9). Denn hier ist das
Verhältnis zwischen Barabergensis und Moguntinus mit ihren Sippen
noch nicht durchweg geklärt, so daß die Wahl zwischen ihren abweichen-
den Lesarten oft genug mißlich bleibt. Müller geht in dieser Partie
von Madvig (1865) aus und unterscheidet sich von dem Texte des
großen Dänen namentlich durch größere Vorliebe für B. Mit Recht;
denn Madvig hat in der That etwas im Banne des Moguntinus (rectius
der ed. Moguntina 1518) gestanden. Es ist andererseits geradezu selbst-
verständlich, daß für 21—23 Luchs' Ausgabe zu Grunde gelegt ist.
Hier bewegen wir uns jetzt auf dem solidesten Boden, und zwar in
dem Grade, daß die kritische Behandlung der übrigen Teile des Ge-
schichtswerkes von diesen Büchern ausgehen muß, wie denn auch die
Feststellung der Livianischen Schreibweise von der sicheren und breiten
Grundlage des Puteaneus aus zu erfolgen hat. Es ist übrigens eine
Schwäche in der Anlage dieser Ausgabe, daß sie keinen selbständigen
Apparatus criticus enthält; denn nun bedarf man neben ihr immer noch
einer anderen kritischen Ausgabe, um sich über die Entstehung des
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVII. (1898. n.) 5
66 Übersicht über die Liviuslitteratur der Jahre 1889— 1S9G. ^Fügner.)
vorliegenden Textes zu vergewissern. Auch der Platz, den die kriti-
schen Noten haben, indem sie vor dem Texte stehen, ist übel gewählt.
Wie viel besser sind wir bei Luchs und Zingerle in dieser Hinsicht
beraten!
9. T. Livi ab urbe condita libri: Edidit Antonius Zingerle.
Pars V. Liber XXXI— XXXV. Vindobonae et Pragae, F. Tempsky;
Lipsiae 1890, G. Freytag.
10. Dasselbe. Pars II. Liber VI— X. Ebenda 1890.
11. Dasselbe. Pars VI. Fase. I. Liber XXXVI — XXXVIIL
Ebenda 1893.
12. Dasselbe. Pars VI. Fase. IL Liber XXXIX, XL. Ebenda 1894.
Jedes Bändchen dieser Ausgabe kostet 1 M. 20 Pf., als editio
minor ohne kritische Noten 1 M. Die Annehmlichkeiten dieser Ver-
anstaltung sind nicht gering. Schon daß man wenigstens den nötigsten
Apparat in Fußnoten leicht übersehen kann, ist für häufigen Gebrauch
gar nicht zu unterschätzen. Dazu kommen guter Druck, handliche
Form und mäßiger Preis. Auch die Wahl des Herausgebers war glück-
lich. Zingerle hat nicht nur eine gewisse Zahl von Verbesserungen am
Texte vorgenommen und noch mehr beachtenswerte Veränderungen vor-
geschlagen — hierbei klebt er leicht am Buchstaben und steht an
Sicherheit des divinatorischen Geschickes hinter Männern wie Luchs
zurück — , sondern er hat den kritischen Apparat zum Liv. gesäubert
und bereichert, indem er manche Vermutung Neuerer aus älteren Aus-
gaben bestätigte und durch deren sorgfältige Durchmusterung manche
Stütze zu weiterer fruchtbarer Behandlung schwieriger Stellen herbei-
geschafft hat.
In der zweiten Hälfte der 1. Dekade hatte Z. keine Gelegenheit,
neue handschriftliche Funde auszunutzen. Ich finde wenigstens nicht,
daß der C(arinthius), den er bei Buch 1 —5 öfter citiert hat, ihm auch
für diese Bücher Nutzen gebracht hätte, Z. sagt nichts über dessen
Umfang; vielleicht enthält er nur die erste Halbdekade. Auch für die
Klassifizierung der Hss hat Z. nichts Neues thuu können. In der
4. Dekade nimmt er ungefähr denselben Standpunkt wie M. Müller ein
(s. oben zu 7. 8): non infitior me ad codicem Bambergensem magis
ferme inclinasse, nämlich als Madvig. Daneben giebt er Aufschluß
(p. VI Fußnote in No. 9) über einen L(iegnitzianus) und seinen faden-
scheinigen Wert, über den schon Peiper und Kraffert (in Fieckeisens
Jahrb. 1871, S. 69 und 211) gehandelt und den nun 0. Güthling für
Z. von neuem eingesehen hatte. Die Hs ist vermutlich unter den
jüngeren namentlich dem cod. Gaertnerianus nahe verwandt. Auch für
die 2. Hälfte der 4. Dekade ist B. in den .Augen Z.s die feste und
Übersicht über die Liviuslitteratur der Jahre 1889—1896. (Fügner.) 67
einzig sichere Grundlage; jedoch nimmt er hier öfter als früher auch
auf jüngere Hss Rücksicht, und unter diesen wiederum in erster Linie
auf Lovel. 2 und dessen Übereinstimmung mit dem Harleianus und
Meadensis 1. Er glaubt nämlich, daß diese Gruppe bisweilen die Les-
arten des verlorenen Spirensis darbiete. Die jüngeren Hss werden
natürlich von XXXVIII 4G, 4 ab, wo B abbricht, zur einzigen Quelle
der Überlieferung. Für ihre Sichtung und Verwertung ist noch manches
zu thun; nur von jemandem, der den Liviaaischen Sprachschatz und Stil
gründlich kennt, kann diese wichtige Arbeit durchgeführt werden, und
dieser wird Z.s Bemühungen, in den Drakenborchschen Wust Ordnung
zu bringen, mit Dank benutzen.
Seinen Standpunkt zu diesen Fragen und die Begründung seiner
Konjekturen hat übrigens Z. in den Verhandlungen der Wiener Akademie
1892 und 1894 (Zur vierten Dekade des Livius I bezw. II) veröffentlicht,
zu den Büchern VI — X in der Zeitschrift für Osterreichische Gj^mnasien
(XL. Band, S. 739 f., 983—988).
13. Titi Livi ab urbe condita libri I et II. Scholarum in usum
rec. Hubertus Novdk. Pragae 1890, J. Otto.
14. Dasselbe. Libri XXI et XXII. Ebenda 1891.
Wenn N. auch diese Ausgaben für den Gebrauch in Schulen be-
stimmt hat, so gehören sie doch in diese Abteilung; denn sie enthalten
nichts als den Text und eine angehängte Annotatio critica. Der Text
ist nun freilich an vielen Stelleu von dem landläufigen abweichend, aber
der Zweck der Bücher ist daran nur insoweit schuld, als bei streitigen
Lesarten X. die einfachere gewählt und Klammern wie ähnliche kritische
Zeichen weggelassen hat. Davon abgesehen hat N.s Eigenart als Kritiker
die große Zahl der Abweichungen veranlaßt. N. ist nämlich unter allen
lebenden Kritikern des Livius der radikalste. Auf den ersten Blick
macht sein Verfahren einen tumultuarischen Eindruck; denn er ist über-
aus rasch bei der Hand, zu streichen, zu ändern und zu ergänzen.
Wenn N. deshalb auch schon manchen Widerspruch erfahren hat und
fernerhin erfahren wird, nicht bloß von konservativen Leuten, sondern
auch von solchen, die von der Trefflichkeit der Beschaffenheit des Li-
vianischen Textes durchaus nicht überzeugt sind, . so ist ihm doch der
Vorwurf, grundlos und willkürlich an dem Receptus geändert zu haben,
nicht ohne weiteres zu machen. Im Gegenteile zeigt sich bei ge-
nauerer Prüfung seines Verfalirens, daß es durch seltenen Fleiß und
gründliche Sprachkenntnisse gelenkt wird. Deshalb müssen die Vor-
schläge X.s von jedem Livianer und Forscher auf dem Gebiete der
lateinischen Sprachkunde sorgfältig geprüft werden. Muß man sie auch
oft ablehnen, weil man sich von den Mängeln der Überlieferung weniger
5*
68 Übersicht über die Liviuslitteratur der Jahre ISSf»— 189fi. (Fügner.)
überzeugt hält, so regen sie doch stets zum Nachdenken an und fördern
unsere Kenntnisse. Unsere Achtunc; gewinnt noch, wenn wir sehen, wie
er auch den Text Cäsars, Tacitus', Sallusts und einiger Cicerouischeu
Schriften scharf durchmustert hat. Auf die Aufzählung seiner überaus
zahlreichen Konjekturen, die nicht nur in den Anhängen dieser Aus-
gaben, sondern in wiederholten Artikeln der tschechisch geschriebenen
Listy und der Zeitschrift für Österreichische Gymnasien, zuletzt noch
in einer starken Sondersehrift niedergelegt hat (s. unten S. 70), muß
hier verzichtet werden, desgleichen auf die kritische Beleuchtung ein-
zelner Vorschläge, so anziehend die Aufgabe auch an sich ist.
b. Erklärende Ausgaben.
15. Von der tüchtigsten Liviusausgabe, die überhaupt existiert, und
von der einzigen, die das ganze Werk deutsch kommentiert, von der
AVeißenbornschen, die von H. J. Müller mit seltener Ausdauer
und Liebe jung erhalten wird, sind seit 1889 folgende Hefte neu auf-
gelegt worden: I, 2«; II, 2«; III, 2^; IV, 2^; V, l^ das sind die Bücher
II, IV- V, IX— X, XXII, XXIV— XXV. Es war in den Teilen, die
seit Weißenborns Tode (1878) keine neue Bearbeitung nötig gehabt
hatten, für M. ein schweres Stück Arbeit, sie dem gegenwärtigen Stande
der Liviusforschung anzupassen. So war es bei den Bb. IX und X,
die nun ein stark verändertes Gesicht zeigen. Aber auch in den anderen
Heften hat M. mit veralteten Lesarten und Auffassungen tüchtig auf-
räumen müssen, da seit der letzten Auflage meistens nicht unter 10 Jahre
veistrichen waren. Und diese Jahre sind für die Liviuskritik wahrlich
nicht vergeblich gewesen, wenn sie auch den einzelnen Partien des
Gesamtwerkes verschieden viel gebracht haben. Niemand hat aber
dazu mehr beigetragen als M, selbst, wie seine Jahresberichte darthun
und jedes Heft, das er neu bearbeitet hat. Ein Muster von Übersichtlich-
keit und Zuverlässigkeit sind die kritischen Anhänge, in denen jedes
Schwanken und jede Abweichung von der handschriftlichen Grundlage
angeführt und häufig kurz motiviert wird; nicht selten geht M. noch
darüber hinaus, indem er Konjekturen und Bedenken mitteilt, die er
hegt oder ein anderer ausgesprochen hat. Aus diesen wertvollen An-
hängen kann sich jeder ßats erholen, der sich mit L. wissenschaftlich
beschäftigen will; denn auch über die herrschende Beurteilung der Hss
findet man dort Aufschluß. Überall sehen wir den Verf. mit Erfolg be-
müht, nicht nur die Ergebnisse der neuesten Forschungen seiner
Ausgabe — Weißenborns Name ist fast nur noch ehrenhalber zu er-
wähnen — zu gute kommen zu lassen, sondern auch diese Forschung zu
lenken und zu bereichern Dasselbe gilt von den Erklärungen. Sie
übereicht über die Liviuslitteratur der Jahre ISN'J— 189G. (Fügner.) 69
atmen durchaus wissenschaftlichen Geist. Das ist selbstlos e:ehandelt,
sichert aber dem Werke auch dauernden Wert. Selbstlos insofern, als
neue Auflagen jetzt viel seltener nütig werden als früher, wo die
Schüler die Ausgabe benutzten; dafür kann sie sich aber auch über
das Tagesbedürfnis und die bunten Wünsche der Pädagogen hinweg-
setzen und ihren Zielen getreu bleiben. Die Erklärungen haben unter
MüUei'S Hand an Genauigkeit, Klarheit und Zuverlässigkeit in den
Citaten gewaltig gewonnen.
Für die bessere Begiündung des Textes hat M. im 2. Buch
Mitteilungen A. Frigells in Upsala und 0. Riemanns in Paris benutzt,
vor allem aber Aischefskis Kollationen, die in seinem Besitze sind;
im 4. und 5. ist besonders der V(eroneser) Palimpsest öfter herange-
zogen als es Weißonborn gethan hatte, wenn auch M. Bedenken ge-
tragen hat. dieser Hs dann zu folgen, wenn der consensus der Xico-
machiani dagegen steht; er gesteht aber selbst, daß die Verwertung
des V für den Text noch weiterer Untersuchung bedürfe. Es standen
ihm ferner für diesen Teil außer Mitteilungen von Frigell (dessen ver-
öffentlichte collatio nur die drei ersten Bücher umfaßt) und den Kolla-
tionen Aischefskis auch die verdienstliche Vergleichung des IJ(psalieusis)
durch F. W. Häggström (Upsala 1874) zu Gebote. Die Lesarten
dieses U sind auch im Anhange zu Buch 9 und 10 verzeichnet, in
denen sonst Madvigs Emendatioues Livianae den Verf. am meisten
gefördert haben, wenn auch mehr mittelbar, als daß er den Positionen
Madvigs durchweg gefolgt wäre. Im 22. Buche hat M. den Anschluß
an Madvig und Luchs hergestellt , so daß bei der genauen Kenntnis
der wichtigsten Hs P in der ersten Hälfte der 3. Dekade ein gewisser
consensus criticorum erreicht ist. Demnach gilt das eben Gesagte auch
für die neue Bearbeitung der B. 24 und 25. Es ist zu wünschen, daß
dem Herausg. bald Gelegenheit geboten werde, auch die Teile der
4. und 5. Dekade neu zu bearbeiten , die noch nicht durch seine Hand
gegangen sind. Es thut diesen recht sehr not.
16. Titi Livi ab urbe condita über VII. Für den Schulge-
brauch erklärt von Franz Luterbacher. Leipzig 1880, Teubuer.
Desgleichen über VIII, 1890; IX, 1891; X, 1892; XXX, 1892;
XXIX, 1893. Geh. je 1 M. 20 Pf.
Mit diesen 7 Büchern ist die bei Teubuer erschienene kommen-
tierte Ausgabe der 1. und 3. Dekade abgeschlossen. Auch die folgenden
Bücher herauszugeben, scheint nicht in der Absicht des Verlegers zu liegen.
Schon daraus erhellt, daß diese Ausgabe den Bedürfnissen der Latein-
schulen zu dienen bestimmt ist, das wissenschaftliche Interesse dagegen
zurücktritt. Man kann behaupten, daß mit diesem Maßstabe gemessen
70 Übersicht über die Liviuslitteratur der Jahre 1889—1896. (Fügnor.)
die Ausgabe ihren Zweck gut erfüllt, vorausgesetzt, daß man solche
kommentierte Ausgaben , die die Erklärungen gleich unter dem Texte
bringen, gern in den Händen der Schüler sieht. Die Anlage der
einzelnen Hefte ist sonst recht zweckmäßig. Die Bücher der ersten
Dekade sind durch eine Inhaltsangabe eingeleitet, die anderen durch ein
Vorwort über die benutzten Vorgänger. Der Text ist sorgfältig und
verständig gegeben , aber ohne jede typographische Hülfe. Er schließt
sich den besten Vorbildern an, von denen er sich nur an verhältnis-
mäßig wenigen Stellen entfernt. Diese Abweichungen beruhen meisten-
teils auf Vermutungen Luterbachers, denen nicht selten bleibender
Wert zuzubilligen ist; denn L. ist ein besonnener Kritiker und guter
Kenner des Livius. Daher verdienen seine Arbeiten auch neben denen
von H. J. Müller Beachtung. Dazu tragen auch die Erklärungen bei,
die bisweilen die Müllers ergänzen und auch Neues, Eigenartiges bieten.
Ihr wissenschaftlicher Wert ist naturgemäß geringer, sintemal sie eben
den Standpunkt des ersten Lesenden im Auge haben; aber trotzdem
lernt man manches aus ihnen. Sie berücksichtigen ebenso die sachliche
wie die sprachliche Seite und zeichnen sich im allgemeinen durch
schöne Knappheit und Klarheit aus.
17. Die derselben Teubuerschen Sammlung angehörende Bear-
beitung der Bücher XXI und XXTT von E. Wölfflin sind in 4. bezw.
3. Aufl. erschienen. Jene hat F. Luterbacher selbst, zu dieser
wenigstens die Korrekturen besorgt. Das über No. 16 Gesagte gilt
auch von diesen Heften. Die wichtigste Änderung bestand in der Ver-
wertung der Luchsschen Ausgabe. Demgemäß ist der kritische Anhang
vereinfacht, indem er nur die Abweichungen von dieser bringt und
zwar meist mit kurzer Begründung. Es versteht sich fast von selbst,
daß auch diese Hefte durchaus auf der Höhe der wissenschaftlichen
Forschung stehen.
18. Unter den ausländischen Ausgaben verdient an dieser
Stelle Erwähnung:
Titi Livii ab urbe condita libri XXIII, XXIV, XXV par 0. ßie-
mann et E. Benoist. Paris 1883, Hachette et Cie. 2 M. 25 Pf.
— Dasselbe libri XXVI — XXX par 0. Riemann et J. Ho m olle.
Ebenda 1889. 2. Aufl. 2 M. 75 Pf.
Es sind die Fortsetzungen der Bücher XXI und XX IT, die W. He-
raens a 0. S. 145 kurz angeführt hat. Auch die Bücher XXIII -XXV
sind schon vor 1889 erschienen, und sind 1891 nur neu aufgelegt, aber
ich habe sie noch einmal angeführt, weil dies früher nur ungenau ge-
schehen ist. Auch auf den reichen Inhalt ist damals schon hingewiesen,
aber dem Prinzipe entgegengetreten, nach dem diese Ausgabe gearbeitet
Übersicht über die Liviuslitteratur der Jahre 1889 — 1896. (Fügner.) 71
ist. Ref. bekennt sich gerade zu diesem Grundsatze und hat eben
von Riemanns Ausgabe den Anstoß erhalten zu seinem Plane, bei
Teubner Schülerausgaben erscheinen zu lassen. Fleiß und Sorgfalt
herrschen in diesen Büchern, wie denn der verstorbene Othon Riemana
deutsche Gründlichkeit in schöner Weise mit französischer Gewandtheit
verbunden hat. Sein vorzeitiger Tod war für die Liviuswissenschaft
ein herber Schlag. Nach einer notice sur Tite-Live folgt der Text
mit wenigen Fußnoten, unverkürzt und ohne jedes Beiwerk. Ihm
schließen sich an eine appendice über die Handschriften, notes critiques
mit manchem wertvollen Beitrag aus dem selbst verglichenen Puteaneus,
ferner eine note sur Torthogiaphie, dann remarques sur la laugue de
Tite-Live mit Benutzung der w^ohlbekannten Etudes sur la langue et
la grammaire de Tite-Live Riemanns; demnächst folgt ein dictionnaire
des noms propres historiques et geographiques , eine sorgsame aus-
führliche Aibeit mit zalilreichen Verweisungen. J. Homolle hat angefügt
einen commentaire historique über das öffentliche Recht, die Staats-
verwaltung und Metrologie der Römer, nach Stichwörtern lexikalisch
geordnet, wiederum mit zahlreichen Belegen aus den behandelten
Büchern. Beigegeben sind 4 Kartenskizzen, und 6 Pläne sind in den
Text eingefügt. An Reichhaltigkeit und methodischer Anlage hat diese
Ausgabe wohl nicht ihresgleichen; aber es fragt sich doch, ob nicht
eine Sichtung des Stoffes ihre Brauchbarkeit erhöht haben würde.
Jedenfalls verdient sie auch in Deutschland volle Beachtung.
in. Beiträge zur Kritik und Erklärung.
Abgesehen von zerstreuten Beiträgen zu einzelnen Stellen, die
von H. J. Müller alljährlich zusammengetragen und beleuchtet sind und
deshalb hier übergangen werden können, abgesehen auch von den Vor-
schlägen, die von Herausgebern der unter 11. besprochenen Ausgaben in
Zeitschriften näher begründet sind (z. B. von A. Zingerle in der
Zeitschr. für österr. Gymn. 1889, 983 ff. zu Buch VI— X und von
J. Miller in Pbilol. 1895, 1189 ff. zu XXIII), mögen folgende text-
kritische Arbeiten erwähnt werden:
19. J. J. Cornelissen, Ad Livii decadem primam. Mnemos.
XVII (1889) S. 175 ff. Die Abhandlung, in der selbstgewissen Art
der Cobetianer geschrieben, enthält unter viel Spreu auch einiges Wert-
volle, das freilich nicht durchweg neu ist. Noch nicht einmal den
Sprachgebrauch des L. hat C. genug beachtet. Gegen sein zu voreiliges
Verfahren hat sich sogar ein Landsmann von ihm erhoben: J. W. Beck
in der Zeitschrift Coniunctis viribus, 4. Reihe vom 1. Nov. 1889,
S. 41 ff., der aber ins Gegenteil verfällt, indem er zuviel von der Tra-
72 Übersicht über die Liviuslitteratur der Jahre 1889 — 189G. (Fügner.)
dition hält. In der Hauptsache ist sein Einspruch gegen Cornelissen
ja wohl begründet.
20. Noch geringeren Wert haben die Anderungsvorschläge, die
J. C. G. Boot veröffentlicht hat (Suspiciones Livianae. Mnemos. XVII
S. 1 ff.): sie sind teils unnötig, teils geradezu verfehlt. Nur zu 5, 41, 1
hat B. den guten Vorschlag gemacht, die Worte Valerius praetor
quartum creatus als Glossem zu streichen.
21. Vortrefflich sind zwei Programme von W. Heraeus, Vindiciae
Livianae I. Hanau 1889; II. Offenbach a. Main 1892. Der Standpunkt
des Verf. läljt sich als verständig konservativ bezeichnen. An einer
Reihe von Stellen nimmt er, meistens mit ernten Gründen, die Über-
lieferung in Schutz; nur darin, daß er glaubt, den Sprachgebrauch des
L. durch den des Tacitus erläutern zu können, dürfte er bisweilen zu
Weit gehen. Es ist doch sehr wohl denkbar, daß Tac, mag er auch
in größerem Umfange, als man meistens angenommen hat, sicli L. zum
Muster genommen haben, doch manches weiter gebildet und eist sich
gestattet hat, was L. noch nicht gewagt haben würde. Wo sonst die
Ausdrucksweise klar liegt, ist doch der Schluß nicht voreilig, auffällige
Abweichungen auf die Mängel der handschriftlichen Überlieferung zu
schieben. Die beiden Abhandlungen sind nach Form und Inhalt gleich
gediegen.
22. J. Vahlen, Iudex lectionum. Berlin, Sommer-Semester 1890.
Mit bekannter Meisterschaft werden eine Anzahl Stellen namentlich
der 5. Dekade gründlich besprochen unter sorgfältiger Berücksichtigung
des Livianischen Sprachgebrauchs. Manches war vom Verf. schon in
der Zeitschr. für die österr. Gymn. 1861 behandelt. Die Erörterungen sind
nicht allein für den Livianer lesenswert, sondern für jeden, der sich
für die Anwendung einer sauberen kritischen Methode interessiert.
Selbst in den wenigen Fällen, wo man V.s Schlüsse nicht gutheißen
möchte, ist seine Beweisführung lehrreich, zumal sie sich auf eine
seltene Kenntnis des Schriftstellers und weiterhin auf eine Fülle von Be-
legen stützt. — Von demselben Verf. ist eine sehr scharfsinnige und
bestechende Abhandlung in den Sitzungsberichten der Berl. Akad. der
Wiss., phil.-hist. Klasse 1889, S. 1049 — 1063 erschienen unter der
Überschrift 'Über eine Rede bei Livius'. Hier unterzieht V. die Rede
des L. Aemilius Paulus vor der Schlacht bei Pydna (Liv. XLIV
38, 1—39, 9) einer genauen Analyse und kommt zu dem Ergebnis, daß
der Gedankenzusammenhang einige Umstellungen im überlieferten Texte
erheische; es seien die Worte 38, 7 parvom hoc . . iuvantibus sumus?
und ebenso 39, 5 sine nlla sede . . reciperemus? in umgekehrter Reihen-
folge einzuschalten in 39, 1 hinter an nihil . . pugnaremus? wo offenbar
eine Lücke anzunehmen sei. H. J. Müller hat Vahlens Vorschlag im
Übersicht über die Liviuslitteratur der Jahre 1889—1896. (Fügüer.J 73
Jahresbericht XVI S. 193 ff. sehr gründlich geprüft und ist ihm insoweit
nicht beigetreten, als er die Versetzung der erstgenannten Worte
pavvom . . sumus? verwirft und lieber eine Vorwegnähme des betreffenden
Gedankens durch L. annimmt. Hier kann nur auf die anziehende
Streitfrage kurz hingewiesen werden. — Fernere Beiträge hat J. Vahlen
zur Berichtigung der 5. Dekade in den Sitzungsberichten der Berl.
Akad. B. 49 (1891) S. 1013—1033 veröffentlicht, nämlich zu XLIV
3, 3; 4, 4; 5, 12; 6, 6. V. hatte sich mit diesen Stellen schon früher
beschäftigt und verteidigt nun seine Konjekturen gegen inzwischen er-
folgte Bemängelungen, namentlich gegen W. v. Hartel ("Wien 1888).
So viel erscheint ausgemacht, daß dessen Einwände die Behauptungen
Vahlens nicht haben erschüttern können, wenn auch die Heilungsver-
suche zu Stelle 3 und 4 von H. J. Müller (Jahresbericht XVIII S. 23 ff.)
beanstandet sind.
23. Als Vorarbeiten zu seiner — leider noch nicht erschienenen —
Ausgabe der 4. Dekade hat A. Luchs zwei Uuiversitäts-Programme
von Erlangen veröffentlicht: Eraendationum Livianarum particula quarta
1889 und De Sigismuudi Gelenii codice Liviano Spirensi commentatio
1890. In dem ersteren behandelt er die Überlieferung des Textes der
Bücher XXXT und XXXII. Er hat den ß(ambergensis) von neuem
verglichen und stellt nun die zahlreichen Lücken zusammen, die B.
gerade in dieser Partie aufweist. Dabei unterscheidet er die, welche
längst aus jüngeren Hss ergänzt sind, sei es in aUen, sei es in manchen
Ausgaben, und die, welche noch der Ausfüllung bedürfen. Die Quelle
jener Ergänzungen nennt er <!>, als den mutmaßlichen Vater der be-
kannten jüngeren Hss, und beweist die nahe Verwandtschaft von 0
mit B. Schließlich stellt er aus O die Ergänzungen zusammen, die
künftig Berücksichtigung verdienen. — In der zweiten Abhandlung er-
weist Luchs, daß Sig. Geleuius zur 2. Frobeniana 1535 neben dem
Moguntinus auch einen Spirensis benutzt habe. Dieser cod. S gehört
zur Klasse B — O (s. oben), und zwar stehe er (p näher, so daß B-fS
oder B-fO die La des Archetypus dieser Klasse darstellten, dem dann
M als Vertreter einer anderen Rezension gegenüberstehe. Die klare
Arbeit erhält die Sehnsucht nach der Fortsetzung der Luchsschen Aus-
gabe rege. Ob wir diese je erleben?
24. R. Xovak: a) Zu Livius. Zeitschr. für die österr. Gymn.
1890, S. 965 ff. b) Zu Livius. Ebenda 1892, S. 193—206. — c) Mluv-
nicko-kriticka studia k Liviovi. Prag 1894. 272 S. Gr. 8. Von Noväks
Eigenart ist schon oben (unter II No, 13 und 14) die Rede gewesen.
Diese kritischen Erörterungen bestätigen das Urteil. Großer Fleiß, an-
erkennenswerter Spürsinn und nicht gewöhnliche Kombinationsgabe auf
der einen, Mangel an Besonnenheit und Zurückhaltung auf der anderen
74 Übersicht über die Llviuslitteratur der Jahre 1889—1896. (Fügner.)
Seite kennzeichnen diesen philologischen Charakter. In c) scheint
seine Bemühung um den Text des Livius zu einigem Abschluß ge-
kommen zu sein; denn sie fußt auf den früheren Arbeiten und verrät
zugleich, daß der Verf. inzwischen der Erforschung der Livianischen
Sprache unablässige und gründliche Mühe gewidmet hat. "Wer sich
kritisch mit Liv. beschäftigen will, darf an N. nicht vorübergehen,
wenn er nicht Gefahr laufen will, Gethanes wieder zu thun. Das hat
N. selbst nicht immer vermieden, ja er wiederholt sich selbst, ohne es
scheinbar zu wissen. Ein anderer Mangel ist eine gewisse eigensinnige
Engherzigkeit, die sich in der Verwertung seiner Fuude zeigt. Er
legt der Statistik einen Wert bei, den sie auf diesem Felde nicht
beanspruchen darf, und dem Stil des Schriftstellers Zügel an, die
schwerlich berechtigt sind. Nur ein Beispiel dafür statt vieler: XLV
23, 9 hat Ref. einmal vorgeschlagen, secessione in secessionem fecisse
zu ändern; N. sagt dazu (in c) S. 264): 'pro secessione non scribit
probabiliter F. secessionem <fecisse>, nam secessionem facere=secedere
Livius tantum in passivo dicit uno loco excepto.' Wäre das wirklich
ein stichhaltiger Grund gegen jene Vermutung? Darf man den Sprach-
gebrauch eines Mannes vde L. derartig einschnüren? In der Bedeutung
facere, ut quis secedat steht secessionem facere übrigens nicht nur
XXXVin 52,5, sondern auch in ähnlichem Sinne XXVIII 20, 10.
Wie viel in dieser wichtigen Schrift N's steckt, läßt sich aus den
angefügten Verzeichnissen der behandelten sprachlichen Materien und
Liviusstellen schließen. Die Beweisführung N's können wir leider nur
maiigelhaft verfolgen, weil er tschechisch geschrieben hat. Aber er hat
wenigstens so viel Rücksicht auf die Armen genommen, welche diese
Weltsprache noch nicht kennen, daß er die Ergebnisse mit einigen
Gründen in einem lateinischen Anhange wiederholt hat. Die Livius-
kritik ist ihm jedenfalls Dank schuldig.
25. K. Niemeyer, Zu Livius. Neue Jahrb. für Phil. 1890,
S. 707 ff. Unter den Stellen, die N. mit Vorsicht und Sachkenntnis
bespricht, ist XXXIII 13, 1 — 12 die wichtigste. Es wird bewiesen,
daß Livius hier Polybios nicht verstanden hat.
26. F. Gustafsson, De Livii libro XXI emendando. Helsingfors
1890. Univ.-Programm. G. hat namentlich nach Glossemen gejagt,
aber auf dem Pürschgange mehr Fehlschüsse als Treffer gethan. Er
hat nur bescheinigt, daß die Anzahl wirklicher Interpolationen, nicht
Schreibfehler, im Puteaneus sehr gering und unwesentlicher Natur ist.
An methodischer Schulung und an Kenntnis des Sprachgebrauchs steht
G. jedenfalls nicht auf der Höhe.
27. H. F. Karsten, Ad Livii libros II— VII et XX\Tn— XXX.
Mnemos. XXX (1896), 1 — 30. Eine stattliche Anzahl von Änderungen
übersiebt über die Liviuslitteratur der Jahre 1889—1896. (Fügner.) 75
schlägt K. vor, die zum Teil recht glücklich sind. Namentlich zu
Buch II und III hat er manches Gute vorgebracht. Es fehlt zwar
auch bei ihm nicht an Kühnheiten und Willkürlichkeiten, besonders in
der Annahme von Einschiebseln; aber sie fallen doch nicht so störend
auf, wie bei anderen Holländern. Manches (z. B. zu II 1,10;
14, 2; 41, 9; III 67, 2; 68, 11; VII 30, 11) bringt er als neu vor, was
vor ihm schon Novak oder Cobet und an letzterwähnter Stelle Scheibe
in Philol. III 559 gewollt haben. "Was er zu Buch IUI und V Wert-
volles beigesteuert hat, ist von H. J. Müller in dessen neuester Bear-
beitung dieser Bücher schon verwertet. Karstens Bedenken gegen II
22, 7 magna circumfusa mnltitudo venit wird vielleicht gehoben durch
Verg. Aen. 11 undique . . . iuventus cirumfusa ruit. Poetisch ange-
haucht ist ja der Ausdruck, wenn man in ihm auch nicht gerade, wie
man schon gewollt hat, eine Prolepse zu sehen braucht.
28. C. Haupt, Livius- Kommentar für den Schulgebrauch.
Leipzig 1891 ff., Teubner. Buch I, II, III, IV, V, VI— Vn, Vni— X,
XXII kart. je 80 Pf., XXI geb. 2 M.
Haupt ist in erster Linie Geschichtslehrer und legt deshalb in
dieser Beleuchtung des L auf den Inhalt und seine Benutzung im Ge-
schichtsunterricht das größte Gewicht. Daneben kommt es ihm darauf
an, den Gedankenfortschritt und die Kunst der Darstellung in großen
Überblicken und an einzelnen Stellen zu erläutern; er berücksichtigt
die Sprache des Schriftstellers nur soweit, als sie Mittel zum Haupt-
zweck ist. Die Ausführungen des Verf. befriedigen den Historiker
und den Sprachlehrer in seltener Weise. Die Bücher sind warm und
klar geschrieben, mit ebenso schönem geschichtlichen wie stilistischen und
ästhetischen Sinne. H. beurteilt Livius nicht bloß als Aktenverwender,
wonach er von manchem Historiker in einseitiger Weise abgeurteilt
wird, sondern als warmherzigen Lehrer seines Volkes und der Mensch-
heit, und er hat gut daran gethan. Nun sehen wir erst, welche Fülle
geschichtlicher Belehrung bei geschickter Behandlung aus der Livius-
lektüre gezogen werden kann. Namentlich sind Haupts Kommentare
für den Lehrer äußerst wertvoll, während ihre Ausdehnung und einiger-
maßen auch der Preis einer eigentlichen Einführung in die Gymnasien
hinderlich sind. H. hatte vorher seine Gedanken zur Liviuslektüre
und einen ausführlichen Plan zur Verteilung derselben auf die ver-
schiedenen Klassen in dem lesenswerten Programme des Wittenberger
Gymnasiums vom J. 1890 dargelegt. Seine Arbeiten verdienen größte
Verbreitung und fleißige Benutzung.
29. Adolf M. A. Schmidt, Schüler-Kommentar zu Livii etc. I,
II, XXI, XXII. Wien, Tempsky. 1894. geb. 1 M. 60. Pf.
76 Übersicht über die Liviuslitteratur der Jahre 1889— 189G. (Fügner.)
Wie der Titel sagt, ist dieser Kommentar lediglich zur Erleichte-
rung der Vorbereitung für den Anfänger bestimmt. Dementsprechend
macht er auch auf Wissen?chaftlichkeit keinen Anspruch, und in der
That gehört das, was wissenschaftlich an dem Buche ist, nämlich die
Bezeichnung einzelner "Wörter und Verbindungen als archaistisch, nach-
klassisch, poetisch oder vulgär, gar nicht in einen Schülerkommentar.
IV. Zur Sprache des Livius (Gramm., Stil, Lexikon).
30. F. Fügner Lexicon Livianum. vol. I. Leipzig, Teubner.
1889—1897. VL 1572 Spalten. 19 M. GO Pf.
A. Hildebrands (f 1869) Vorarbeiten zu einem Lexicon Livianum
sind nach mancherloi Lrfahrten in die Hände des Ref. gekommen. Es
steckt eine große Masse Arbeit in diesen Papieren: aber sie konnte
nur zum kleineren Teile verwertet werden. Zu stark haben sich seit-
dem die Anforderungen geändert, die man mit Recht an ein derartiges
Speziallexikon stellt. Darum mußte ein Neubau aufgeführt und jene
Papiere konnten nur nachträglich zui- Prüfung des Gewonnenen ver-
wertet werden. Li diesem Bemühen ist Ref. von fleißigen Mitarbeitern
treulich unterstützt, deren Namen auf S. IV mit Angabe der von ihnen
bearbeiteten Teile aufgeführt sind. Das Lexikon strebt nach unbe-
dingter Vollständigkeit und übersichtlicher Anordnung aller echt Livia-
nischen Stellen und bringt den Wortlaut soweit, als es zum Verständnis
der Bedeutung und Verwendung des Artikelwortes nötig erschien. Aber
auch Zusammenstellungen enthält es am Ende längerer Artikel, welche
die Ausnutzung des Stoffes zu sachlichen und sprachlichen Unter-
suchungen erleichtern sollen. Die Kritik ist durchweg beiücksichtigt,
wenn auch eine Übersicht ihrer Bemühungen erst am Ende des Werkes
vorgeführt werden soll. Es wird von der Abonnentenzahl abhängen, ob
das Werk weiter erscheinen kann; steigt diese nicht beträchtlich, so
hört es zu erscheinen auf. Die Bedeutung des Werkes ist übrigens
nicht nur von den Kennern zugegeben, sondern läßt sich auch aus
mancher Anregung schließen, die es direkt oder indirekt bereits ge-
geben hat.
31. So hat R. iNoväk (Wiener Studien XV S. 248—259) mit
Benutzung des betr. Lexikonartikels ,atque vor Konsonanten und ac
vor Gutturalen bei Livius und Curtius' untersucht. Seine an sich
richtigen Ergebnisse sucht er nicht ohne Gewaltthätigkeit zu verallge-
meinern, indem er die Überlieferung, wo sie einmal abweicht, in seine
Regel zwingt. Natürlich waren dem Ref. bei der Ausarbeitung des
Artikels dieselben Erscheinungen aufgefallen, und seine Beobachtungen
über ac vor Gutturalen bei L. hatten H. J. Müller im .1. 1887 gerade ver-
Übersicht über die Liviuslitteratur der Jahre 18S0 — 1S9G. (Fügner.) 77
anlaßt, ihm das Material Hildebrands zu einem Lex. Livianum zuzu-
weisen, aber er trug Bedenken, die Sache so zu behandeln, wie X. es
gethan hat. Beachtung verdient ja, daß L. ac vor Gutturalen je später
je seltener anwendet, und daß atque vor Konsonanten nicht gern als
Satzverbindung benutzt wird.
32. Adolf M. A. Schmidt, Beiträ!?e zur Livianischen Lexiko-
graphie. Teil II. Progr. des Realgymnas. zu Waidhofen a. d. Thaya
1889. Teil III. Ebenda 1892. — Derselbe, Zum Sprachgebrauche
des L. in den ßb. I, II, XXI, XXII. 1. Teil. Progr. des üymu. in
St. Polten 1894.
Der Verf. ist Mitarbeiter am Lex. Liv. Seine Untersuchungen
sind lehrreich und gewissenhaft gemacht, aber in der Auswahl zwischen
nötigen und weniger wissenswerten Dingen nicht durchweg streng genug.
In der ersterwähnten Abhandlung, der B'ortsetzung eines Prograram-
artikels von J. 1888, bespricht S. die Substantiva auf mentum, die Adj.
auf aus, elis, ilis und bilis, die Adverbia auf ter und im, die Deminu-
tiva und die griechischen Lehnwörter. In allen Stücken wird bewiesen,
daß L. die Sprache weiter gebildet hat, und zwar mehrfach in einer
Weise, die er im Verlaufe seiner schriftstellerischen Thätigkeit als
zu kühn gemäßigt zu haben scheint. Die zweite Schi'ift bringt eine
Monographie über contra, Betrachtungen über den von dem Verf.
für das Lexikon vorbereiteten Artikel. — Die dritte beschränkt
sich auf die im Titel erwähnten Bücher und enthält zuvörderst eine
Art Prolegoraena zu einer künftigen Liviusgrammatik. Diese Ein-
leitung verbreitet sich über die Elemente des Livianischen Stils (Ar-
chaismen, Poetisches, Vulgäres und Nachklassisches, Gräzismen) und
über die Stellung der Liviuslektüre (L. gehöre erst in die 7. Klasse). Auf
diese Dinge folgt eine Formenlehre des Substantivs. Hier besonders
macht es sich fühlbar, daß der Kreis zu eng gezogen ist, denn das
verwertete Material reicht zu sicheren Schlüssen nicht aus.
33. A. Koeb erlin, De participiorum usu Liviano capita selecta.
Diss. Erlangen 1888. 56 S.
Erst bespricht K. die freiere Art des L., Partizipien zu ver-
binden, dann den Gebrauch des Part. Fut. Aktivi bei L., Curtius und
Florus. Für jene Erscheinung, die kopulative Verbindung konjunkter
und absoluter Partizipien und konjunktionaler Nebensätze mit Parti-
zipien, nimmt Verf., da sie sich in den späteren Dekaden häufen, den
Einfluß der griechischen Quelle (des Polybios) an; den Gebrauch der
Part. Fut. Akt. sucht er nach der Bedeutung zu ordnen und weist auf
die Fortbildung derselben bei Curtius nach.
78 Übersicht über die Liviuslitteratur der Jahre 1889—1896. (Fügner.)
34. G. Wnlsch, De verbis cum praepositione per compositis
apud Livinm I (II ist bisher nicht erschienen). Progr. der Realgymn.
zu Barmen 1889. 34 S.
Verf. hat in seiner gelungenen Dissertation (Halle 1880) die
Präp. per bei L. behandelt. Daran schließt sich diese Abhandlung,
die 20 Komposita mit per, soweit sie bei L. vorkommen, aufführt und
kritisch beleuchtet. Die Abhandlung beweist, was die Textkritik aus
einem Lex. Livianum gewinnen kann.
35. L. Winkler, Der Infinitiv bei Livius in den Büchern I,
XXI und XLV. Progr. des Gymn. in ßrüx. 1895. (Vgl. oben I,
No. 5.)
In alphabetischer Reihenfolge stellt der Verf. die Verben und ver-
balen Verbindungen zusammen, die den Inf, dann die den Acc. c. Inf.
und endlich die den sog. Nom. c. Inf. bei sich haben. Als Anhang
bietet er mancherlei Einzelheiten dar , namentlich Bemerkungen über
die Ellipse des Subjektwortes und esse im Acc. c. Inf. Schon aus dieser
kurzen Darstellung läßt sich manche Ergänzung zu Drägers Histor.
Syntax und ähnlichen Werken gewinnen; aber um feste Ergebnisse zu er-
zielen, reicht das Material nicht aus, das der Verf. herbeigezogen hat,
wenn auch die unter den Büchern getroffene Wahl auf den ersten Blick
etwas für sich hat- Hätte W. einen Punkt seines Programms durch
den ganzen Autor beleuchtet, so wäre die Arbeit wertvoller, als sie es
jetzt werden konnte.
36. C. Haupt, Anleitung zum Verständnis der Livianischen
Darstellungsform. Leipzig 1892, Teubner. 86 S.
Zur ersten Einführung in einige Besonderheiten der Livianischen
Stilistik ist das Schriftchen sehr gut geeignet. Dem Schüler freilich,
für den es der Verf. zunächst bestimmt hat, bietet es zu viel. Der
Verf. bespricht erst das Wesen der historischen Periode, giebt dann
methodische Anweisungen zum Verständnisse und zur Übersetzung
schwierigerer Perioden (exemplifiziert an XXI 4); darauf behandelt er
grammatische Eigentümlichkeiten des L. (S. 17 — 35), namentlich die
reiche Verwendung der Partizipialkonstruktionen und die Konstruktion
nach dem Sinne, alles in feinsinnigen Betrachtungen ; im 4. Kap. bespricht
er die Wortstellung (Anapher, Chiasmus und ihre Verbindung), um schließ-
lich einige umfangreiche Perioden zu erklären. Für den Studierenden
und den Lehrer ist diese Schrift neben den Kommentaren (s. oben
No. 28) überaus anregend.
37. S. G. Stacey, die Entwickelung des Livianischen Stiles.
Archiv für lat, Lexikographie und Gramm. XII 1, S. 17—82.
Übersicht über die Liviuslitteratur der Jahre 1889—1896. (Fügner.) 79
Von Wölflflin angeregt, hat St. es unternommen, die bisherigen
Untersuchungen über die Eigenart des Liv. Stils zusammenzufassen und
zu erweitern. Von der tüchtigen Arbeit läßt sich sogar behaupten,
daß sie den Gegenstand in gewissen Fragen abgeschlossen oder wenigstens
dem Abschluß nahe gebracht hat. Bisweilen tritt St. zu sicher auf,
z. B. wenn er 21 43, 7 agite cum diis (nicht deis) bene iuvantibus durch
archaische Stellen (zunächst Ennius ann. 203) halten zu können meint,
weil agite dum (so schreibt man seit H. A. Koch) von Livius seit dem
7. Buche aufgegeben sei als 'weniger gut'. Lexikon Sp. 821 hätte
ihn belehren können, daß L. age dum bis in die spätesten Bücher
weiter verwendet; ist das etwa dann nicht weniger gut? Zu sagen,
alle Hss hätten ja 21 43, 7 cum, klingt irreführend: denn es läßt sich
nur von P reden, wo alle anderen davon Abschriften sind. Ob man
freilich nicht ebenso richtig die Präp. (P hat cü) streichen könnte, als
sie in dum verwandeln, bliebe zu erörtern; aber cum diis bene iuvan-
tibus hat L. schwerlich geschrieben, am wenigsten an der beregten
Stelle. Zu ähnlichen Erwägangen und Bedenken giebt St.s Artikel
noch mehrfach Anlaß, aber das hindert nicht, denselben mit Freuden
zu begrüßen. Denn es weht ein frischer Hauch der Unmittelbarkeit
durch ihn, er behandelt die Sache unter großen, fruchtbaren Gesichts-
punkten und vor allem auf einer genügend breiten und festen Grundlage.
Dies trifft namentlich auf den Abschnitt zu, der vom Einfluß des Ennius
auf L. handelt (S. 22 — 33), und den über Vergils Buc. und Georg. Über
die Aen. läßt sich u. E. noch mehr sagen. Die Annahme scheint nicht
zu gewagt, Verg. habe für seine Aen. aus den ersten Büchern des
Livius manche Anregung, auch sprachliche, empfangen. Die von St.
beigebrachten Belege sind aus allen Büchern der Aen. entnommen,
was sich bei dieser Annahme leicht erklärt. Daß L. seinerseits unter
starkem Einflüsse seiner Quelle steht, poetischer und annalistischer
überhaupt, ist natürlich. Nach Vergils Tode wird Liv. von dessen Aen.
weitere Anregungen erhalten haben (wie M. Müller angenommen hat,
etwa von Buch 26 ab). Sehr lehrreich ist das 5. Kapitel 'Stilver-
besserungen und Stiländerungen", in welchen Liv. als Schöpfer und
Verbesserer seiner Schreibart beleuchtet wird.
38. Ähnlich wie Haupt schon 1890 (s. S. 72 unten) hat man
sich mehrfach mit der Frage beschäftigt, wie die Liviuslektüre auf der
Schule recht nutzbringend zu gestalten sei. Ich erwähne von solchen
didaktischen Versuchen hier kurz folgende: a) G. Her gel, Klassiker-
lektüre und Realien. Zur Liviuslektüre. Progr. Brüx 1S92. b) P.
Maresch, Die Liviuslektüre in der Quinta. Progr. Ungarisch-Hradisch
1892. c) H. Breunig, Über den Wert und die Verteilung der Livius-
lektüi-e für Gymn. Progr. P«,astatt 1893. d) A. Polaschek, Der
80 Übersicht über die Liviuslitteratur der Jahre 1889—1896. (Fügner.)
Auscbauungsunterricht mit besonderer Rücksicht auf die Liviuslektüre.
Progr. Czeruowitz 1894. Endlich e) 0. Alten bürg, Zwei Studien
zur Schnlauslegung der 4. Dekade des Livius. Lehrproben und Lehr-
gänge (Halle, Waisenhaus) Heft 49, S. 60—75; Heft 50, S. 1—27.
In diesen Schriften werden alle möglichen Fragen beantwortet, aber
bei weitem nicht übereinstimmend. Hergel plaidiert für eingehendere
Behandlung der Realien, zwar in Anlehnuug an den Autor, aber doch
darüber hinausgehend bis zur Ausfüllung größerer Kreise. Maresch
legt in seiner frisch, fast begeistert geschriebenen Abhandlung auf den
Gewinn ethischer Stoffe zunächst aus dem L Buche großen Wert.
Breunigs Stärke liegt in der Verteilung des Stoffes auf verschiedene
Klassenstufen, will Geschichts- und Sprachunterricht einander näher
bringen und stellt einen Kauon der Lektüre für alle 4 obersten Klassen
auf (ähnlich wie C. Haupt). Polaschek macht bemerkenswerte Vor-
schläge, Anschauungsmittel in der Lektürestunde zu benutzen und
exemplizieit dabei namentlich auf Liv. XXI 21 u. 22. Altenburg
weist mit Recht auf den hohen Bildungsgehalt hin, den die 4. (aber
auch die 5.!) Dekade für Primaner enthalte. Er empfiehlt in Klassen-
und Privatlektüre, die sich einander zu ergänzen hätten, diesen Schatz
zu heben, indem er zwei große Kreise unterscheidet: XXXI — XXXIII
der Ki'ieg mit Philipp , XXXIV ff. der mit Antiochus. Der zweite
Aufsatz (Heft 50) bringt „Bausteine zur Kunst der Übersetzung des
Livius ins Deutsche"; sein Haupstück besteht in 'Grundzügen einer
Satzlehre in den Dienst der Übersetzungskunst gestellt'. Der fein-
sinnige Verfasser sagt darin nicht allein dem Grammatiker manches
heilsame Wort, sondern trägt auch zum Verständnis des 31. Buches
bei, aus dem er die Beispiele zu der neuen Satzlehre entnommen hat.
Bemerkung: Die Schriften, welche geschichtliche Fragen und
Quellenuntersuchungen betreffen, sind bis zum Jahre 1893 in dem Ref.
des Herrn L. Hüter besprochen; soweit sie von 1894 an erschienen sind,
will sie Herr Prof. Holzapfel in seinen Bericht über röm. Geschichte
aufnehmen.
.V
Bericht über die Litteratur zu späteren römischen
Geschichtsschreibern von 1891 bis einschliesslich 1896.
Von
Dr. Theodor Opitz,
Professor am Kgl. Gymnasium zu Dresden-Neustadt.
Ampelias.
G. Schoen, Die Elegien des Augustusforums und der über de
viris illustribus urbis ßomae (Cilli, Progr. 1895) S. 21—38.
Der Verf. erörtert ausführlich die Frage nach der gemeinsamen
Quelle von Ampelius, Morus und de vir. ill. Siehe unten S. 118.
Eutropias.
Manitius, Philologisches aus alten Bibliothekskatalogen. Rh.
Museum N. F. 47, Ergänzungsheft S. 88—89.
In folgenden mittelalterlichen Bibliothekskatalogen (bis 1300)
kommt Eutropius vor: Frankreich: Cluny, Bec, S. Amand, Char-
tres. Deutschland: Regensburg, Bamberg. Großbritannien: Dur-
ham, Canterbury. Italien: Pomposa.
Hugo Will rieh, de coniurationis Catilinariae fontibus. Disser-
tatio inauguralis. Gottingae 1893, officina academica Dieterichiana.
S. 43.
Eutrops Bericht über die Catilinarische Verschwörung stammt
wahrscheinlich aus Livius.
Josef Sorn, der Sprachgebrauch des Historikers Eutropius.
Ein Beitrag zur historischen Grammatik der lateinischen Sprache.
Laibach 1892. Druck der Katholischen Buchdruckerei. Im Selbst-
verlag des Verfassers. II und 39 S.
Rez.: Wochenschrift für klass. Philol. 1893 No. 37 S. 995 bis
997 (tz>. — Berl. philol. Wochenschr. 1893 No. 47 S. 1484—87 (Rühl).
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVII. (1393. 11.) 6
82 Bericht üb d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.)
Der Verf. hatte den Sprachgebrauch Eutrops schon Iq 2 Pro-
grammen (1888 und 1889) behandelt, vgl. in diesen Jahresberichten
LXXII (1892,11)8. 21. Nunmehr hat er seine Untersuchungen in vor-
liegender Schrift zusammengefaßt. Der Stoff wird in folgenden Ab-
schnitten behandelt: Substantiva, Adjektiva, Pronomina, Adverbia,
Verbura, Subjekt, Prädikat, Kongruenz, Attribut, Kasus, Präpositionen,
Konjunktionen, subordinierte Sätze, Participia, Wortstellung, Satz-
stellung und Periodenbau, Aufhebung der Concinnität, Kürze und
rhetorische Fülle des Ausdrucks, Wortschatz und Phraseologie. Bei
den Kapiteln 'Verbum' und 'Kasus' werden die Konjugations- und
Deklinationsformen mit besprochen. Im allgemeinen kann man mit dem
Verfahien des Verfassers einverstanden sein. Nicht selten werden
freilich Ausdi-ücke und Konstruktionen behandelt, bei denen auch nicht
der mindeste Grund zur Erwähnung vorliegt. Die Stellen aus Eutrop
sind mitunter in den beiden vorhergehenden Abhandlungen voDständiger
angegeben, so daß diese auch nach dem Erscheinen vorliegender Arbeit
noch nicht entbehrlich sind, mitunter fehlen sie gänzlich, z. B. S. 5
bei mox und procul dubio. Vielfach wird der Sprachgebrauch anderer
Schiiftsteller zur Vergleichung herangezogen, jedoch in sehr ungleich-
mäßiger Weise, bald nur der eines einzelnen Autors, bald der einer
ganzen Reihe. Das Schlußresultat lautet S. 39: Eutrop hat sich somit
bemüht, klassisch zu schreiben. Er ist diesem Bestreben treu geblieben,
ohne sich jedoch vom Sprachgebrauche seiner Zeit ganz emanzipieren
^u können.
Auf etliche Ungenauigkeiten im einzelnen habe ich Rez. 996 f.
aufmerksam gemacht.
Petschenig, colligere = tollere. Archiv für lateinische Lexiko-
graphie VIU S. 140.
Eutr. 9, 23 verdient die Lesart colligeretur den Vorzug vor
tolleretur (vgl. unten S. 120).
Die auf germanische Verhältnisse sich beziehenden Stellen
Eutrops sind zusammengestellt bei Riese, das rechtsrheinische Ger-
manien in der antiken Litteratur (Leipzig, Teubner 1892), siehe Erstes
Register S. 455. Zu Grunde liegt der Hartelsche Text. IX, 9 (S. 211)
wird Laeliano (so Rühl und Droysen) statt Lucio Aeliano eingesetzt.
Nur der Vollständigkeit halber erwähne ich:
*Eutropiu8, books 1 — 6 (with omissions). With maps, notes etc.
by A. Fl. Hallidie. London, Percival. 12.
*Eutropius, books 1 and 2. With notes, vocabulary and exerclses
by AV. Welch and C. G. Duffield. London, Macmillan. 18.
Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.) 83
*Eatropins, books 1 and 2. With notes and vocabulary by Co.
Caldecott, London, Longmann. 18.
*Eutropius. Literally translated by John Gibson. London,
Cornisb. 12.
*Eutropiu8, para nso das escolas. Annotado por A. E. da
Silva Dias. 7. ed. Porto 1895, Magathaes e Moniz.
Florus.
1. Allgemeines.
Engenins Laurenti, de Julio Annaeo Floro poeta atque
historico pervigilii Veneris auctore. Rivista di filologia XX (1892)
S. 125—143.
In der Ausdrucksweise des pervigilium Veneris finden sich
Spuren afrikanischen Lateins, besonders im Gebrauch der Präposition
de, ferner Nachahmung des Statins (silvae 1, 2), auch Beziehungen zu
Apuleius, namentlich aber führt die Art und Weise, wie Venus be-
sungen wird, auf die Zeit Hadrians. Auch in den im cod. Salmasianus
ganz in der Nähe stehenden Versen des Florus (I, 245 Riese) zeigt
sich derselbe Gebrauch von de, und in ihnen wird Bacchus angerufen,
wie Venus im Pervigilium. Der Verf. dieses Gedichtes, der in der
vita Hadriani erwähnte Dichter und der Historiker sind identisch:
dafür spricht außer dem auch bei diesem nachweisbaren Gebrauch von
de die ganze Diktion, die 'üorida et poeticae affiuis' ist. Ihm ist anch
der Dialogus Vergilius orator an poeta zuzuschreiben. Dies wird be-
stätigt durch pervigil. 2 vere natus est Jovis ("so ist nach cod. Salm,
zu lesen), denn der Rhetor erzählt, er sei auf Kreta, der patria To-
nantis, gewesen, und dort hat er nach Laurentis Vermutung die sonst
wohl kaum verbreitete Sage erfahren, daß Jupiter im Frühling geboren
worden sei. Die Schwierigkeit ferner, die die Verschiedenheit der
überlieferten Namen bietet, sucht der Verf. durch die Vermutung zu
lösen, daß unser Schriftsteller L. Julius Annaeus Seneca Florus hieß,
wobei er eine Adoption annimmt und einerseits die Häufung der Namen,
andrerseits die Bezeichnung des Mannes durch einen beliebigen von
diesen durch Beispiele belegt, die Namensform im Bruxellensis aber
(F. Ann ins) auf paläograpbischem Wege zu erklären sucht. — Die
hier skizzierte Beweisführung ruht z. T. auf sehr schwachen Füßen,
z. B. was die Annahme des afrikanischen Lateins, die Nachahmung
des Statins und die Ansetzung unter Hadrian betrifft. Darnach muß
also auch die versuchte Identifizierung des Verfassers des pervigilium«
mit dem Historiker, Dichter und Rhetor Florus als mindestens sehr
unsicher bezeichnet w^erden.
84 Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.)
A. Miodoi'iski, über die Entstehungszeit des Geschichtswerkes
des Florus. Anzeiger der Akademie der Wissenschaften in Krakau.
1891. S. 219—223.
Verf. wendet sich gegen die Annahme Ungers, daß Florus sein
Geschichtswerk erst unter Mark Aurel abgefaßt habe. Unger ent-
schied sich nämlich prooeminm § 8 für das in N überlieferte Präsens
revirescit (B hat reviruit) und verstand es eben von der Regierung des
genannten Kaisers. Dem gegenüber betont Verf. mit Recht, daß dann
notwendigerweise eine Zeitangabe hinzugefügt sein müßte, die dem
vorhergehenden sub Traiano principe entspräche. Welche von beiden
Lesarten übrigens den Vorzug verdiene, ist nicht leicht zu sagen und
ist auch für die Entscheidung der vorliegenden Frage nicht von
prinzipieller Bedeutung. Zweitens weist der Verf. nach, daß Florus"
Angabe a Caesare Augusto in saeculum nostrum haut multo minus anni
ducenti sich unbedenklich von 150 — 160 Jahren verstehen läßt, da
ähnliche sehr runde Zahlen sich auch sonst bei ihm finden. Schließlich
nimmt er mit mir an. daß I, 5 (11), 8 unter Faesulae nicht die be-
kannte Stadt dieses Namens bei Florenz, sondern ein Ort in der Nähe
Roms zu verstehen und darnach die Worte idem tunc Faesulae, quod
Carrhae nuper zu erklären seien. So kommt er zu dem gewiß richtigen
Schlußresultat, daß 'an der verbreiteten Behauptung, Florus habe unter
Hadrian geschrieben' nicht zu rütteln sei. Er fügt noch hinzu, daß
er mit dem Dichter und Schulredner identisch sei.
A. Riese, über die Glaubwürdigkeit des Florus. Korrespondenz-
blatt der Westdeutschen Zeitschrift für Greschichte und Kunst. IX
(1890) S. 216—218.
J. As b ach, Vortrag über dasselbe Thema, gehalten in der G-e-
sellschaft für Alterturaskunde in Prüm. Referat daselbst. S. 303 — 304,
Um die Frage nach der Glaubwürdigkeit des Florus 'methodisch
zu entscheiden", vergleicht der Verf. den Abschnitt dieses Autors 'über
die von Cäsar und zwar nur die von ihm in Germanien und Britannien
geführten Kriege" mit den eigenen Berichten Cäsars, 'weil wir zu diesem
Abschnitte (I, 45 = III, 10) nicht nur die Quelle in Caesars bellum
Gallicum noch besitzen, sondern auch, weil dieser Quelle keine andere
bessere jemals zur Seite gestanden haben kann, aus der etwa die Ver-
schiedenheiten des Florus von Cäsar hergeleitet werden könnten".
Auf diese Weise wird der Nachweis versucht, daß Florus sich in seinem
etwa 50 Zeilen umfassenden Berichte eine ganze Reihe größerer und
kleinerer Irrtümer habe zu Schulden kommen lassen. Schließlich gelangt
der Verf. zu dem Resultate, daß man keiner einzigen Nachricht
Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichteschreibern. (Opitz.) 85
bei Florus ohne weiteres vertrauen darf, 'vielmehr in jedem "Worte
auch die starke Möglichkeit solcher absichtlichen oder unabsichtlichen
Irrtümer annehmen muß, welche zu erkennen uns die Mittel nicht immer
zu Gebote stehen'.
Dem gegenüber betont Asbach mit Recht, daß in Cäsars
Kommentai'ien alles 'den Eindruck der feinsten Berechnung mache',
und daß neben dessen Darstellung eine andere selbständige vorhanden
gewesen sei, nämlich die des Livius, die uns in den Berichten bei Florus,
Cassius Dio und Orosius vorliege. Daraus ergiebt sich, daß die Ab-
weichungen von Cäsars Darstellung nicht eo ipso als Ii-rtümer be-
zeichnet werden dürfen. Der Bericht schließt mit der Bemerkung, daß
die wirklichen Versehen bei Florus nicht zahlreicher seien , 'als wie
bei anderen Autoren, die auf das Zusammenrücken rhetorischer Motive
ausgehen'. § 14 \Yird Bergks (sehi* kühne) Konjektur iterum de Ger-
manorum gente Tencteris Treveri querebantur empfohlen und § 18
Casuella für tiefer verderbt erklärt,
Franz Schmidinger, Untersuchungen über Florus. Besonderer
Abdi'uck aus dem 20. Supplementbande der Jahrb. f. Philol.
S. 781—816. Leipzig 1894, Teubuer.
Rez. : Revue critique 1895 S. 52—53 (P. L.). — Wochenschrift
für klass. Philologie 1895 No. 8 S. 211—213 (Opitz). — Berl. philol.
Wochenschr. 1895 No. 8 S. 237—238 (Rühi;. — Neue philol. Rund-
schau 1896 No. 23 S. 356—357 (Weise). — Archiv für lat. Lexiko-
graphie IX S. 151. — Gymnasium 1894 S. 866 (Egen). — Blätter
für bayerische Gymnasien 1895 S. 595 (Weymann).
I. Julius oder. Annius Florus? Verf. nimmt an, daß Florus
nicht Julius (B), sondern Annius (so die übr. Hss) hieß. Diese
doppelte Angabe sucht er daraus zu erklären, daß die tlberliefe-
rung in B (IVL, wobei in L ein halb so großes I eingeschrieben
ist) ursprünglich gar nicht Juli bedeutete, sondern IV libri, und diese
Abkürzung nur von einem Abschreiber falsch aufgelöst worden sei.
IL Beiträge zu den Nachrichten über die äußeren
Lebensumstände des Annius Florus. Verf. sieht es als selbst-
verständlich an, 'daß Rhetor, Dichter und Historiker ein und dieselbe
Person sind". Darnach stellt er die Thatsache fest, daß Florus 122 in
Rom war. Weiter erschließt er daraus, daß transmarini wiederholt
= Graeci ist, daß die epitome in Italien abgefaßt ist, eine Beweis-
führung, die auf ziemlich schwachen Füßen steht.
III. Stilistische Anklänge an Vergil. Dieser Abschnitt
bietet im einzelnen manches beachtenswerte Resultat. Dabei werden
solche vergilische Reminiscenzen auch zu dem Zwecke herangezogen, um
8(3 Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.)
eine Entscheidung über zweifelhafte Lesarten zu treffen. Vielflach kann
man dem Verf. beistimmen: pag. 5, 18 (ed. Jahn) florem (N) statt frugem
(B), 6, 23 prior (N) statt prius (B), 38, 13 excussit (N) statt exlusit
(B), 86, 14 erupere Capuam (B) statt erupere Capua (N). Anderes
bleibt zweifelhaft. Nicht billigen kann ich 5, 20 circa matrem ipsam
cum finitimis luctatus est, vgl. Rez. S. 212. Zum Schlüsse dieses Ab-
schnitts stellt Verf. auch etliche Anklänge an Horaz zusammen, was
freilich sehr zweifelhaft bleibt. Namentlich geht die Stelle 24, 13, an
der Pyrrhus das römische Volk mit der Lernäischen Hydra vergleicht,
sicher nicht auf Horaz od. 4, 4, 61 zurück. Findet sich doch diese
Äußerung des PjTrhus auch App. Sam. 3, 10, 3 und de vir. ill. 35, 7.
IV. Textkritische Beiträge. Ich hebe das Wichtigste
hervor: 6, 24 increpat statt inridet. — 16,2 wird Einschiebung von eis
mit Recht für überflüssig erklärt. — 38, 10 ut qui (N) statt ut quia (B).
Wohl richtig; übrigens schon von H. J. Müller empfohlen. — 63, 25
quattuordecim (N) statt tredecim (B). — 69, 3 quod an der Spitze
der 3 Sätze (mit N, das 3. Mal auch mit B). — 117, 16 constituit
(M) statt coustituta (B), während N constitit hat. An sich nicht übel,
aber die Autorität von M reicht nicht aus.
V. Handschriftliche Beiträge. Verf. macht uns mit cod.
Mon. lat. 6392 bekannt. Diese Handschrift gehört in dieselbe Klasse
wie N und die von Beck (siehe S. 87 f.) behandelten Hss., ist aber aus keiner
von diesen abgeschrieben. Daher kann sie mit dazu dienen, den ge-
meinsamen Archetypus dieser Klasse zu konstituieren. Lesarten natür-
lich, die nur durch sie überliefert sind, haben wenig Anspruch auf
Berücksichtigung,
Manitius, Curtius und Florus. Rh. Mus. N. F. 47 S. 466.
Verf. zählt 4 Stellen auf, an denen sich bei Florus 'einige kaum
zufällige Übereinstimmungen des Stils mit Curtius zeigen'. Ich finde
diese Übereinstimmungen sehr gering, höchstens abgesehen von Curt.
Vm, 9, 10 und Flor. I, 7 (13), 17. Auch wollen 4 Stellen wenig
beweisen.
Manitius, Pliilologisches aus alten Bibliothekskatalogen. Rh.
Mus. N. F. 47, Ergänzungsheft S. 71—72.
In folgenden mittelalterlichen Bibliothekskatalogen (bis 1300)
kommt Florus vor: Frankreich: Chartres, Bec. Corbie, Limoges.
Deutschland: Lorsch. — Anm. 4 teilt Verf. etliche mittelalterliche
Citate aus Florus mit.
Hugo Willrich, de coniurationis Catiliuariae fontibus. Disser-
tatio inauguralis. Gottingae 1893, Dieterich. S. 42 — 43.
Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.) 87
Des Floros Bericht über die Catilinarische Verschwürung ist
aas Sallust geschöpft.
G. Schoen, Die Elogien des Augustusforum und der über de
viris illustribus (Cilli, Progr. 1895) S. 23—28.
Der Verf. weist Hildesheimers Annahme der Benutzung des Floru5
durch die Schrift de vir. ill. mit Recht zurück und erörtert die Frage
nach der gemeinsamen Quelle von Florus, Ampelius und de vir. ili.
Siehe unten S. 118. Das Schlußresultat lautet: Die Abschnitte I, 17
(de seditionibus), II, 2. 3. 4. 5. (seditio Tiberi Gracchi, sed. C. Gracchi.
sed. Apuleiana, sed, Drusiana), II, 14 (res sub Caesare Augusto) und
II, 34 (pax Parthorum et consecratio Augusti) sind fast vollständig
aus einem biographischen Werke genommen, welches die beiühmten
Männer in der Art des liber memorialis des L. Ampelius geordnet hatte.
Hirzel, über den Dialog 'ist Virgil Redner oder Dichter' in
'Der Dialog', Leipzig 1892. 8. 64-70.
Das Wesentlichste aus den Erörterungen des Verf. ist etwa
folgendes: man kann diesen Dialog als eine Art Fortsetzung des
Taciteischen bezeichnen, da die von Tacitus erörterte Frage nach dem
Verhältnis von Dichtkunst und Beredsamkeit noch immer das Thema
manches Gespräches bilden mochte. Auch hier findet sich Gegenüber-
stellung eines dem Dienste der Musen gewidmeten und eines melu*
praktischen Lebens, diese wird dadurch noch verschärft, daß der Gegen-
satz zwischen Tarraco und Rom dazu kommt. Da der Dialog abbricht,
bevor Virgil überhaupt erwähnt wird, so vermutet der Verf., daß der
Übergang zu diesem etwa in folgender Weise hergestellt worden sei:
Florus erzählt, daß er Knaben Unterricht erteile. Nun stand aber
Virgil damals im Mittelpunkt des Jugendunterrichts, also lag es sehr
nahe, daß auf ihn die Rede kam, vielleicht in der Weise, daß der Un-
bekannte sich mißbilligend über die Art der dabei üblichen Virgil-
erklärung äußerte. — Hinsichtlich der Identität des Verfassers des Dialogs
mit dem Historiker macht der Verf. S. 70 Anm. 1 darauf aufmerksam,
daß, wie Fortuna in der Epitome eine so gi-oße Rolle spielt, sie auch
pag. 107, 5 und 108, 36 (ed. Halm) vorkommt, und daß auch in der
Epitome 'eine gewisse Neigung zu landschaftlicher Schilderung vor-
handen ist'.
2. Kritik, Erklärung und Sprachgebrauch.
J. W. Beck, zur Würdigung der Leidener Florushandschriften
codd. Voss. 14 und 17. Commentationes Woelfflinianae (Lipsiae 1891)
S. 159—167.
ß8 Bericht üb. d, Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.)
Derselbe, observationes criticae et palaeographicae ad Flori
epitomam de Tito Livio. Groningae typis Jacobsianis 1891. 4. 28
und XXXVI S.
Rez.: Berl. phüol. Wochenschr. XII No. 14 S. 426—427 (Rühl).
- Wochenschr. für klass. Phüol. IX No. 35 S. 951—953 (Opitz). —
Liter. Centralblatt 1891 No. 31 S. 1048 (A. H.). — Deutsche Litte-
raturzeitung 1891 No. 36 S. 1306 (H. J. Müller).
Um die Kritik des Floriis auf eine breitere und festere Grund-
lage zu stellen, als sie der Bambergensis (B) und der Nazarianus (N)
bieten, hat der Verf. den Vossianus 77 aus dem 13. Jahrh. (V), den
Vossianus 14 aus dem 11. Jahrh. (v) und den Ilarleianus 2620 eben-
falls aus dem 11. Jahrh. (H) herangezogen. Alle 3 Handschriften
gehören in dieselbe Klasse wie N, denn sie haben mit diesem pag. 110,
1_24 (Jahn) die Lücke und pag. 123, 1 — 26 den Schluß gemeinsam.
Da sie jedoch die Lücken in N pag. 28, 23 und 82, 6 nicht, wohl aber
die in B 61, 20 haben, und ferner V auch sonst mitunter mit B über-
einstimmt, ja ein paarmal allein das Richtige hat, so schließt daraus
der Verf., daß VvH nicht nur nicht direkt von N abhängig sind, sondern
eine dritte Klasse der Handschriften bilden, die in V rein ver-
treten sei, in Spuren aber auch in v und H. Ich möchte dieser An-
nahme nicht so unbedingt beistimmen. Denn einerseits ist von H doch
ziemlich wenig bekannt, andererseits müssen noch mehr Handschriften
herbeigeholt werden, ehe man zu einem so bestimmten Resultate ge-
langen kann. Jedenfalls hat sich der Verf. durch seine Untersuchungen
um die Kritik des Florus ein großes Verdienst erworben, namentlich
auch durch die im 2. Teil der größeren Abhandlung (S. II— XXXI)
gegebene tabellarische Zusammenstellung von etwa 200 Stellen.
In beiden Aufsätzen bietet sich natürlich dem Verf. vielfach Ge-
legenheit, einzelne Stellen mehr oder weniger ausführlich zu besprechen.
Das Bemerkenswerteste ist etwa: pag. 5, 19 Jahn (3, 21 Halm) quattuor
gradus processusque mit VvN, während in B processusque fehlt. — 6, 1 1
(4, 7) abiectus NV statt iactatus B. — 7, 13 (5, 3) dolose mit Jahn. —
7, 23 (5, 15) in equis et in armis mit NV, wähi"end in B in vor arrais
fehlt. Ebenso wird 32, 25 (2G, 22) und 83, 11 (70, 1) auf Grund der-
selben Handschriften die Wiederholung der Präposition gebilligt und
zwar mit Recht. — 13, 11 (10, 7) faucibus incubaret NV ohne das in
B eingefügte in. Richtig. — 13, 21 (9, 31) quippe cum BV mit Ellipse
des Prädikatverbums. Wohl richtig. — 24, 17 (19, 20) video me, in-
quit, plane procreatum Herculis sidere nach NVv gegen semine B. An
sich nicht übel, aber das Kompositum procreatum spricht doch für semine.
— 30, 15 (24, 24) infestum et insessum NVv, insessum B. Ersteres
Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.) 89
ist wenig wabrscbeinlicb. — 39, 23 (32, 12) saltem vel oculis mit NVv.
Wohl richtig. — 43, 11 (35, 18) wird mit Recht nach B de industria
beibehalten, während in NVv die Präposition fehlt. — 44, 10 (3G, 14)
ne non aliquo ducem genere agere videretur nur V, aber richtig. —
46, 7 (37, 24) qui bis Brenno duce (eigene Konjektur). Wenig wahr-
scheinlich. — 47, 3 (38, 20) consurgunt mit NVv gegen exsurgunt B.
Nicht unwahrscheinlich. — 49, 19 (40, 31) mit Vv bellum sederet
statt de hello sederet B hello sederet N. Offenbar war jedoch im
Archetypus von NVv de ausgefallen , und in Vv ist dann willkürlich
korrigiert worden. — 53, 20 (44, 13) summus vir astu et audacia, nur
V, aber entschieden beachtenswert. — 57, 23 (48, 5) rex callidissimus
populura Romanum armis iuclitum et invictum opibus adgressus est
mit Vv, während in B armis invictum opibus adgressus est über-
liefert ist und N inclitum statt invictum bat. Dadurch gebt aber der
schai'fe Gegensatz zwischen armis und opibus — es bandelt sich nämlich
um Jugurtba — völlig verloren. Denn daß er das armis invictum
römische Volk opibus adgressus est , war doch eben das Besondere. —
58, 22 (48, 37) Zamam quidem frustra involvit. Falsch, vgl. Rez.
S. 953. — 63, 22 (53, 15) in mare sinistrum mit NVv. Sehr halt. —
84, 14 (71, 4) in principe gentium populo mit NVv, während in B
gentium fehlt. Richtig. — 86, 15 (72, 30) ad vexillura in auxilium
vocatis nur mit H (ad vexillum ad auxilium N). Der Zusatz
in oder ad auxilium ist nicht am Platze. Wem sollen denn die
Sklaven zu Hülfe kommen? Es handelt sich einfach darum, daß sie
unter die Fahnen gerufen werden. Auxilium ist eine Dittographie zu
vexillum, die in B das Richtige, das in V überliefert ist (ad vexillum
vocatis), verdrängt hat, während in N beides nebeneinander steht. -
89, 10 (75, 11) aut in Punica aut in Cimbrica urbe mit NVv. Schwerlich
richtig. — 90, 3 (75, 38) in patentibus templis mit NVv (peneten-
tibus B, penetralibus Jahn). Vielleicht richtig. Dem Zusammenhange
nach erwartet man freilich mehr einen Begriff, wie 'in den innersten
Teilen der Tempel'. — 91, 5 (76, 34) quid aliud quam mit NVv gegen
amplius B. Wohl richtig. — 94, 13 (79, 29) externis mit NVv gegen
exteris B. Unsicher.
Derselbe, nachträgliche Bemerkungen zu Florus. Berl. pbilol.
Wocbenschr. 1891 S. 258-260.
1. teilt der Verf. aus einer ihm von Wölflflin zur Verfügung ge-
steDten Kollation von N bemerkenswerte Berichtigungen zu Jahns An-
gaben mit. 2. giebt er zu etlichen Stellen seiner observationes Nach-
träge. Dabei empfiehlt er mit Recht 100, 18 (85, 20) aus Vv Pompei
caedem einzusetzen. Wenn dagegen in den Worten 8, 1 (5, 24) Quiri-
90 Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.)
Dum in caelo vocari in Vv iu fehlt , so macht dies keineswegs 'die
Wahl schwer'. Denn der Dativ caelo könnte unmöglich = ad caelum
sein, und in ist einfach im Schlüsse von Quirinum verschwunden. Und
wenn der Verf. findet, daß 21, 20 (17, 5) die Lesart von NVv a latere
(B late) dadurch unterstützt wird, daß diese Worte auch einmal im
Dialogusfragment vorkommen, so bemerke ich folgendes: erstens ist
an dem Ausdruck a latere gar nichts Besonderes, und zweitens giebt er
au vorliegender Stelle keinen Sinn.
AlfonsEgen, quaestiones Florianae. Progr. des Kgl. Pauliuischen
Gymnasiums in Münster. 1891. 4. 17 S.
ßez.: Wochenschr. für klass. Philol. VIII No. 43 S. 1170—72
(Opitz). — Archiv füi- lat. Lexikographie VII S. 613—614.
Im 1 . Teile dieser Abhandlung wendet sich der Verf. gegen Bieligk,
der die von ihm in seiner Dissertation de Floro historico elocutionis
Taciteae imitatore (Münster 1882) behauptete Nachahmung des Tacitus
durch Florus geleugnet hatte, und sucht die Richtigkeit seiner An-
schauung von neuem zu erweisen, wobei er bereitwillig zugiebt, daß
Florus außer Tacitus auch noch andere Schriftsteller mit Erfolg
studiert habe. Zu dem Zwecke führt der Verf. übereinstimmende
Äußerungen beider über ßegierungsform, sittliche Zustände, Religiöses
und Politisches an, ferner Übereinstimmung im Gebrauch gewisser
Ausdiücke und Redensarten, sowie in der Wortstellung, dann mancherlei
aus der Syntax, z. B. Ellipse von esse , Gebrauch der Kasus, so elabi
und invadere mit dem Accusativ, weiter apud = in, Parenthesen (rarum
alias decus) u. s. f. Mag auch manches davon auf Zufall beruhen,
im ganzen hat der Verf. mit seiner Behauptung recht, zumal da er
selbst betont, daß Florus eventuell inscius (S. 6) nachgeahmt habe.
Im 2. Teile (S. 11 — 17) bespricht der Verf. eine größere Anzahl
Stellen, an denen nach seiner Ansicht die Lesart von N vor der von
B den Vorzug verdient. Daß au 9 von ihnen dieser Nachweis schon
von anderen geliefert war, habe ich Rez. S. 1171 erwähnt. Eben-
daselbst habe ich mich einverstanden erklärt mit der Behandlung
von II, 16, 18 in torrente Vergelli, II, 15, 1 patratum, IV, 2, 80
nihil aliud quam, IV, 11, 11 dififerto, dagegen Bedenken geäußert gegen
II, 2, 17 angente insuper, II, 15, 1 maximo eventu, III, 18, 11 caedibus
ferro et igne, zum Teil auch gegen III, 5, 10 mox subruto Piraei portu
sex quoque et amplius muris postquam domuerat. Empfehlenswert er-
scheint mir ferner noch I, 7, 2 immissis, IV. 7, II error, unsicher
bleibt III, 12, 7 nimia felicitas, IV, 7, 6, ob iraminentis durch destinatae
erklärt ist oder umgekehrt, und III, 14, 5 contra fas coUegii, ins potestatis.
Denn, obgleich letztere Lesart auf den ersten Blick ansprechend ist,
Bericht üb. d. Litteratiir zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.) 91
so verdient doch vielleicht die von B coUegii iuris potestatis den Vor-
zug, wenn man annimmt daß der Schriftsteller au den Unterschied
von tribunicischera ius und tribunicischer potestas gedacht hat. —
Dreimal empfiehlt der Verf. Lesarten von B: I, 1, 13 hiuc, I, 13, 8
propiuquabant, I, 17, 4 pastorali. Ich möchte dies in allen drei Fällen
als unsicher bezeichnen.
J. C, G. Boot, analecta critica in Mnemosyne N. S. XVIII,
S. 360—61.
I, 4 (10) 3: tunc illa tria (in B, fehlt in N) ßomani nominis
prodigia. Richtig, aber schon längst von Köhler und Freudenberg
vorgeschlagen. — I, 24 (II, 8) 1: quadara casus quasi industria sie
adgubernante fortuna. Verfehlt. Denn, da casus ungefähr dasselbe,
wie fortuna, sein müßte, wäre derselbe Begriff störenderweise doppelt
ausgedrückt. — S. 357 wird I, 5 (11), 8 Faesulae in Aesulae ge-
ändert (ebenso Sali. Cat. 43, 1). Beachtenswert, aber doch wohl nicht
nötig. Vgl. Jahrb. f. Philol. 1886. S. 432.
Adam Miodouski, miscellanea latina. Abh. der Krakauer Akad.
phUol. Klasse XVI (1892) S. 393-396.
Mit Recht verteidigt der Verf. pag. 24, 19 J (19, 25 H) die Lesart
von B senatum regum esse (vgl. Wochenschr. für klass. Pliilol. IX S. 952).
Von den 4 Konjekturen sind beachtenswert 123, 15 (105, 5) quasi victo-
riae pertaederet und Verg. or. an poeta XLII, 6 (107, 6) ex illo die,
quo (cuius quo die Hs.) — tu mihi testis es — palmam (postquara die
Hs. , korr. Mommsen) ereptam manibus et capiti coronam meo vidi.
"Wenigstens ist dies dem Sinne nach ganz angemessen; daß jedoch
palmam in postquam verderbt worden sei, ist freilich wenig wahrschein-
lich. Wenn dagegen der Verf. 5, 20 (3, 24) im Anschluß an Beck
circum urbem, matrem circum ipsam vorschlägt, so muß ich dagegen
dasselbe sagen, wie gegen Beck a. a. 0. S. 952. Auch August, civ.
dei III, 14 ist von der Auflehnung einer filia civitas gegen die civitas
mater die Rede, während an unserer Stelle jeder solche Gegensatz
fehlt. Wenig wahi'scheinlich ist auch 70, 18 (59, 19) die Streichung
der allerdings sonderbaren Worte et ob hoc Veneri sacrara.
Theodor Berndt, kritische Bemerkungen zu Griechischen und
Römischen Schriftstellern. Festschrift zur 350 jährigen Jubelfeier
des Friedrichs-Gymnasiums zu Herford. Progr. 1891. S. 9 — 10.
II, 20 (IV, 12) 34 wendet sich Verf. mit Recht gegen Köcher,
der aus den Worten Varus perdita castra (perdicastra B, perditas
res N) eodem quo Cannensem diem Paulus et fato est et animo secutus
92 Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.)
herausliest, daß die Schlachten bei Cannä und im Teutoburger Walde
an demselbeu Tage stattgefunden hätten. Des Verf. Konjektur perdit
castra gefällt mir aber nicht, da der Satz sehr unbeholfen wird, wenn
er 2 Verba erhält. Das Richtige bietet vielmehr N mit perditas res.
Wölfflin, zum Afrikaner Florus. Archiv für lat. Lexikographie
VIII S. 452.
barbari barbarorum Flor. 2, 26 (4, 12) 13 und urbem urbium
1, 22 (2, 6) 35 bezeichnet Verf. als Senütismen, also von Florus aus
Afrika mitgebracht.
Derselbe, Daselbst X S. 181 Anm.
1, 38 (3, 3) 3 bieten die Handschriften teils ai'mis petere coeperunt
teils a. p. constitumt. Deshalb ist vielleicht beides zu streichen und der
inf. bist, herzustellen.
*Morawski, de sermone scriptorum latinorum aetatis, quae dicitur
argentea, observationes. Eos 11 S. 1 — 13.
3, Ausgaben.
L. Annaei Flori epitomae libri II et P. Anuii Flori fragmentum
de VergiUo oratore an poeta. Edidit Otto ßossbach. Lipsiae in
aedibus B. G. Teubneri 1896. 8. LXVin und 272 S.
Rez.: Wochenschrift für klass. Philologie 1897 No. 20 S. 542—550
und No. 21 S. 568—577 (Heraeus). — Berl. philo!. Wochenschr. 1897
No. 3 S. 76—77 (Helmreichj. — Archiv für lat. Lexikographie X
S. 306 f. — Bolletino di filologia classica 1897 S. 229—233 (Valmaggi).
— Mitteilungen aus der historischen Litteratur 1897 S. 153 (Heyden-
reich). — Litterarisches Centralblatt 1897 No. I S. 29 (C. W.). —
Österreichisches Litteraturblatt 1897 No. 18 S. 556 (Bohatta). — Revue
critique 1897 S. 556 (P. L.). — Deutsche Litteratnrzeitung 1897
No. 43 S. 1694—96 (Zingerle). — Histor. Jahresberichte 1896 S. 926.
— Revue de philologie XXI S. 217.
Der Inhalt der reichhaltigen praefatio ist folgender: Auf die
Periode der Überschätzung des Bambergensis durch Jahn und Halm*)
folgte bald die Reaktion, indem man den Nazarianus wieder zu Ehren
zu bringen suchte. Doch genügen diese beiden Handschriften nicht als
Grundlage der Rezension, man muß noch andere Vertreter der 2. Klasse
heranziehen, ja selbst die aus dem 12. bis 14. Jahrhundert sind der
Beachtung würdig. Der Herausgeber hat eine große Anzahl von Hand-
schriften neu verglichen, vor allen B selbst, wobei sich herausgestellt
hat, daß ß' manches, was der erste Schreiber nicht lesen konnte, nach-
*) Übrigens hat Halm nicht undecim annos post Jahnium seine
Ausgabe veranstaltet, sondern die Vorrede ist vom Oktober 18yb datiert.
Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Gescbichtsschrcibera. (Opitz.) 93
getragen und vieles korrigiert hat, also sehr wichtig ist, wahrend B^
jüngeren Ursprungs ist, ferner N, in dem dieselbe Hand (N') wohl
nach dem Archetj'pus korrigiert hat, während N- nicht viel wert ist,
ferner L (Voss. 14 saec. XI), eine Handschrift, die aus derselben Vor-
lage wie N Staramt, aber von dessen Fehlern vielfach frei ist (vgl. oben
S. 88). Diese 3 Handschriften bilden das feste Rückgrat der Rezension,
daneben werden noch einige andere Vertreter der 2. Klasse mehr oder
weniger herangezogen. Ferner können, jedoch mit Vorsicht, die von
Florus benutzten Quellen einige Hülfe leisten. Wichtiger sind die expila-
tores. Von ihnen stimmt Orosius im ganzen mehr zu der Rezension C
(=zz N -+- L), dagegen Jordanes zu B, so daß sich aus diesen beiden der
Archetypus A (= B -f- Jj herstellen läßt, der, da Jordanes 551 schrieb,
älter als die Mitte des 6. Jahrhunderts war. Die Kapitelüberschriften
stammen nach der Ansicht des Herausgebers nicht von Florus selbst:
ihren Verfasser möchte er wegen des Ausdruckes änacephalaeosis ins
4. Jahrhundert setzen und in dieselbe Zeit auch den in etlichen Hand-
schritten stehenden Prologus. Die echte Einteilung ist die in
2 Bücher, wie sich aus I, 47, 14 ergiebt, die in 4 Büchern hängt
mit den von Florus angesetzten 4 Zeitaltern der Entwickelung Roms
zusammen. Im ganzen erklärt der Heransgeber die recensio A für
die bessere, nicht selten freilich läßt sich eine endgültige Ent-
scheidung kaum geben, da die Statistik des Sprachgebrauchs für
die Kritik nur mit Vorsicht verwendbar ist. Über den Archetypus
läßt sich nicht viel mit Bestimmtheit sagen, jedenfalls fanden sich in
ihm schon zahlreiche variae lectiones.
Der richtige Name des Schriftstellers ist Aanaeus (C), während
Julius (B) aus dem Vornamen Lucius entstanden ist. Er schrieb unter
Hadi'ian und ist mit dem Dichter und dem Rhetor identisch, denn
Annius kommt auch sonst als Variante von Annaeus vor. Der authentische
Titel des Werkes läßt sich nicht mehr feststellen.
Als Quellen nimmt der Herausgeber in geringem Maße Catos
origines, in reichlichem das Geschichtswerk des älteren Seneca an, das
\on dessen Sohne herausgegeben wurde. Auf dieses weist vor allem
die beiden gemeinsame Einteilung des römischen Volkes in 4 Menschen-
alter hin, auf dieses sind auch die günstige Beurteilung des Augustus
und die Übereinstimmungen mit Lucanus zurückzuführen. Ferner sind
benutzt Livius (vielleicht indirekt durch Seneca), Sallust, Cäsar und
vielleicht auch andere Quellen. Dieser Abschnitt über die Quellen
befriedigt mich am wenigsten von der ganzen praefatio, denn viele der
einschlagenden Fragen sind mit keinem Worte berührt.
Den Schluß bilden Erörterungen über die Orthographie und addenda
et corrigenda.
94 Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.)
Es folgt der Text mit dem darunter stehenden, sehr ausführlichen
kritischen Kommentar, in dem selbst die geringsten Abweichungen der
maßgebenden Handschriften verzeichnet sind. Dadurch hat er, mit dem
Jahnschen verglichen, an Ausdehnung sehr gewonnen, an Übersichtlich-
keit freilich ebenso sehr verloren. Das liegt jedoch in der Natur der
Sache und läßt sich nicht ändern.
Um nun ein Bild von der Neugestaltung des Florustextes zu
geben, stelle ich die bemerkenswertesten jAbweichungen von Halms
Ausgabe für einige Kapitel des 2. Buches (der Einteilung in 4 Bücher)
zusammen. Dabei ist die vor den Klammern stehende Lesart die
Halmsche :
II, 2, 1 cunctas] obvias C. — 3 sed] et N. Prinzipiell be-
denklich. Auch giebt sed einen besseren Sinn. An sich ist beides ent-
behrlich. — 13 atque] adeoque JC. — moratus hostes est] moratus
est hostes. Konjektur des Herausgebers (est fehlt in den Handschriften).
— 14 inscripserit] scripserit C. "Wohl keine von beiden Lesarten ist
richtig. — 23 clade] clades mit allen Hss. — 27 ne] ut nee L
(ut ne N, ne A). — aggredi cogitarent] cogitarent C. — 29 ab his]
ibi JC. — 30 classem iam] classem hostium iam C. — Aegimurum
ostium] Aegimurum C. Unsicher. — 31 quantusque tum] quantus o
tum mit allen Hss. außer J.
II, 3, 2 Hlyrici] Illyrii B L. — 3 inbuerant] inbuebant C (J fehlt).
— 5 igni] ignibus C.
II, 4, 2 umente] umenti C. — cum vix] f quam mox. Die Heilung
ist in der That noch nicht gefunden. Auch Heraeus' mox quam
(addenda pag. LXIII) ist unwahrscheinlich.
II, 5, 4 strictae secures in principum colla] strictae in principum
colla secures C. Zweifelhaft.
n, 6, 2 mare ablatum] ablatum mare C. Zweifelhaft. — patris]
patri C. — 13 equitatus] eques nur mit L, also völlig unbegründet. —
16 ex constituto] ad constitutum JC. — pulvere et sole] pulvere sole C.
Unsicher. — 18 Vergello] Vergelli C. — 21 perrexit] peragrare C.
Sehr zweifelhaft. — ipsius] ipse mit allen Hss. — 22 indomituraque]
indomitum C. — 23 permissum est Interim respirare Romanis]
Interim respirare Romanus C. — 24 senatus in medium libensj libens
senatus in medium C. Zweifelhaft. — 25 referrenturj deferrentur C. —
26 petiverunt] petierunt C. — 29 ausus] ausus est mit allen Hss. —
reppulitj perculit Salmasius (perpulit A, pepulit N). — Campaniam
suam] Campania sua mit allen Hss. — 30 pudor] o pudor JC. —
servili pugnaret exercitu] manu servili pugnaret C. — 31 o] immo N^.
"Wenig begründet. — dubitare debuissetj dubitaret C. — 32 mediamque]
mediaque Wurm. Ansprechend, aber nicht nötig. — 35 sed nihil]
Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.) 95
nihil JC. — vilisque mortis] vilisqae morti C. Sehr zweifelhaft. —
36 com iam] cum JC (cum vim B). — oppresserant] oppresserunt JC. —
38 illam Hannibalis] pusilli illam iam Hannibalis oder vielmehr (siehe
praefatio S. XXXII A. 1) pusilli iam Hannibalis nur mit B. Wenn
einmal die Lesart von B allein vorgezogen werden soll, v^as grund-
sätzlich doch nicht ohne Bedenken ist (vgl. unten), dann ist der
2. Vorschlag vorzuziehen. Vielleicht ist aber doch illam (JC) ohne
iam (so C) das Richtige. — 40 restitueret] restituerit JC. — suum
quidem] quidem snum C. — saltem ocalis] saltem vel ocnlis C. Höchst
bedenklich. Es liegt doch wohl eine alte Variante vor. — 41 in]
inter C. Zweifelhaft. — 42 Tarentum] Tarentus C (nur aus dieser
Form kann Tarentinus in L entstanden sein). — sedes domus et patria]
sedes et patria. Wenig wahrscheinlich. Denn domiis steht in allen
Handschriften, es kann sich nur fragen, ob et vor domus zu stehen
(C) oder zu fehlen (A) hat. — 44 deos restitisse? deos inquam nee
fateri pudebit] deos — deos i. n. f. p. — restitisse? C (J fehlt). —
45 summovere] summoveri mit allen Hss. — 46 fugit] itaque fugit
JC. — 51 in ultimum . . . angulumj in ultimo . . . angulo mit allen
Hss. — summoverat] submovebat C. — 51 longissima est] longissiraa
C, — 55 in Africa] in Africam JC. — 56 utriusque classis] utriusqae
C. — 58 antea] ante JC. — 59 et steterunt] steterunt JC. —
Ich knüpfe daran noch einige Bemerkungen. Schon aus dieser
kurzen Übersicht ergiebt sich , daß der Herausgeber an zahlreichen
Stellen, wo die Lesarten von C und die von A (= B -f- J) oder von ß
allein, wenn J fehlt, an sich betrachtet beide möglich sind, die ersteren
bevorzugt, wenn er glaubt, daß für diese sich Gründe des Sprachge-
brauchs oder sonstiger Art geltend machen lassen. In vielen Fällen
stimme ich ihm ohne weiteres bei, in anderen habe ich die Bemerkung
hinzugefügt, daß mir die Berechtigung dazu zweifelhaft erscheint.
Andererseits könnte ich dem gegenüber eine ganze Anzahl Stellen
nennen, an denen sich mit gleichem oder vielleicht auch besserem
Rechte die Lesart von C in den Text einsetzen ließe, während der
Herausgeber die von A oder B bevorzugt hat. Das ist ja eben der
Punkt in der Floruskritik, bei dem wir nie zu einem zweifellos sicheren
Resultate kommen werden, es müßte denn die handschriftliche Unter-
lage durch neue Funde sich in ungeahnter Weise umgestalten, was ja
aber nicht zu erwarten ist.
Sobald JC gegen B zusammenstimmen, ist prinzipiell die erstere
Lesart aufzunehmen. Denn dann liegt eine Übereinstimmung der Ver-
treter zweier verschiedenen Klassen vor, so daß die Lesart von B auf
Versehen beruht. Diesem Prinzip ist der Herausgeber nicht immer
treu geblieben. Ich führe folgende Stellen an: II, 2, 5 illam ipsam
96 Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.)
B ipsam illani JC, was freilich im Kommentar nicht erwähnt ist, II, 2, 25
hostis ß hostes JC, II, 6, 6 igne B igui JC, II, 6, 38 pusilli iam B illam
iam J illam C (vgl. oben S. 95), II, 6, 46 fugit B itaque fugit JC, wo der
Herausgeber in der Anm. geneigt ist, itaque wegzulassen. An 2 weiteren
Stellen kann man allerdings zweifelhaft sein, ob nicht doch eine bloß zu-
fällige Übereinstimmung in Schreibfehlern vorliegt: II, 2, 23 par tantae
calamitati B, calamitatis JC, ich kann wenigstens keine andere Stelle nach-
weisen, an der par in diesem Sinne mit dem Genetiv konstruiert wäre;
II, 6, 3 in causam B in causa JC, wo letzteres doch kaum möglich ist.
Schließlich erwähne ich noch, daß der Herausgeber nicht selten
in den Anmerkungen Konjekturen mitteilt, ohne sie in den Text einzu-
setzen. Im 2. Buche scheinen mir von diesen folgende beachtenswert
zu sein: 6, 35 Annahme einer Lücke vor dem ut-Satz; 8, 17 Ein-
klammerung von fuerunt; 17, 16 [castra] etiam praetorium praesidium;
18, 10 inusitatis statt iniustis. Für unnötig halte ich 6, 50 iam tum
quom statt tantum quod und 15, 5 luxuriari felicitate inciperent statt
felicitas inciperet, für unrichtig 19, 3 GaUica atque Germanica statt
Gallicis atque Germanicis, denn als Ki'lege cum exteris gentibus dürfen
diese nicht von den vorhergehenden getrennt werden.
S. 188 — 272 ist ein sehr ausführlicher index nominum et rerum
memorabilium beigegeben, für den alle Benutzer des Florus, namentlich
aber die Historiker dem Herausgeber sehr dankbar sein werden.
Die auf germanische Verhältnisse sich beziehenden Stellen
des Florus sind zusammengestellt bei Riese, das rechtsrheinische Ger-
manien in der antiken Litteratur (Leipzig, Teubner 1892), siehe Erstes
Register S. 455. Zu Grunde liegt der Halmsche Text. II, 30 (IV, 12)
26 (S. 57) wird statt per Mosam flumen mit Beigk per Araisiara
Humen geschrieben.
Der Abschnitt über die Schlacht im Teutoburger Walde
II, 30 (IV, 12) 29—39 ist abgedruckt in der Chrestomathie aus
Schriftstellern der sogenannten silbernen Latinität von
Tb. Opitz und A. Weinhold (Leipzig 1893), Heft 1 S. 127—128. Der
Text ist der Halmsche, nur 36 ist intolerantius aus N statt intolera-
biüus eingesetzt.
Jastinns.
C. Wachsrauth, Timagenes und Trogus. Rh. Mus. N. F. 46
(1891). S. 465-479.
Indem der Verf. von der Behauptung Gutschmids ausgeht, Trogus
habe nur die Bearbeitung eines griechischen Originalwerkes geliefert.
Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röra. Geschichtsschreibern. (Opitz.) 07
dessen Verfasser Timagenes war, macht er zunächst wahrscheinlich,
daß der Titel dieses Werkes r.zpl BajtXeujv war und daß alle erhaltenen
Fragmente sich auf dieses zurückführen lassen. Alsdann untersucht er,
'inwiefern die Eigenart des Timagenischen Werkes in der Weltgeschichte
des Trogus wiederkehrt, soweit wir aus der knappen Fassung der
Prologe und aus dem unglaublich willkürlichen Exzerpte des Justinus
uns eine annähernd zutreffende Anschauung zu verschaft'en imstande
sind". Als Resultat ergiebt sich: Überall spielt das Königtum und
alles monarchische Wesen eine große Rolle. Dies zeigt sich z. B. auch
in den zahlreichen Exkursen, die freilich meist nur noch in den An-
deutungen der Prologe zu erkennen sind. Im besonderen zeigt sich
Benutzung des Timagenes in gewissen rhetorisierenden Zügen, in der
häutigen Verbindung der ältesten Künigsgeschichte eines Volkes mit
geographischer Grundlage und ethnographischer Schilderung, bei der
Hervorhebung merkwürdiger Naturprodukte, in der kulturgeschicht-
lichen Richtung, namentlich indem dem Aufkommen der einzelnen
Künste u. s. w. nachgegangen wird. Aus ihm stammt auch die merk-
würdige Römerfeindschaft und Partherfreundschaft. Daneben hat jedoch
Trogus noch viele andere Quellen benutzt, jedenfalls rührt auch
der Gesamtplan seiner Universalgeschichte von ihm selbst her, ferner
wohl auch das Interesse für naturwissenschaftliche Probleme und die
auffallende Berücksichtigung der Gallier, — praef. 3 ist segregata ....
occupaverant und prol. XVIII Uticae statt Veliae (mit Bongars) zu
schreiben,
V
Josef Sorn, über den Gebrauch der Präpositionen bei M. Junia-
nus Justinus, Laibach, Jahresbericht des k. k. Staatsobergj'moasiums.
1894. gr. 8. 30 S.
Rez,: Archiv für lateinische Lexikographie IX S. 318.
Vorliegende Abhandlung verfolgt, abgesehen von ihrem eigent-
lichen Zweck, zugleich noch den weiteren, auf Grund des Sprachgebrauchs
die Richtigkeit der Rühlschen Textesrezensiou zu prüfen. Von Justin
nimmt der Verf. an, er habe sein Werk in den ersten Jahren Mark
Aureis verfaßt und außer Trogus auch Livius, Sallust, Tacitus u. a.
gelesen, woraus es sich erkläre, daß sich bei ihm Redewendungen der
klassischen, silbernen und uachklassischen Latinität finden. Ferner sei
er beeinflußt von Florus und Ampelius. Namentlich fände sich zwischen
den praefationes des Justinus, Florus und Avianus eine große Ähnlich-
keit. Auch seien einzelne, wenngleich geringe Spuren afrikanischer
Latinität nicht zu verkennen. Viele dieser vom Verf. aufgestellten Be-
hauptungen stehen meines Erachtejis auf etwas schwachen Füßen.
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVII. (1898, U.) 7
98 Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.)
Vou S. 5 au werden daim die Präpositionea in alphabetischer
Reihenfolge besprochen. Für das allgemein i' bliche begnügt sich der
Verf. damit, die Häufigkeit des Vorkommens ziffernmäßig anzugeben;
alles irgendwie Bemerkenswerte aber bespricht er ausführlich. Dabei
bietet sich ihm die Gelegenheit, zahlreiche Stelleu kritisch zu besprechen,
wobei er Eühl teils beipflichtet, teils — und zwar häufiger — wider-
spricht. In sehr vielen Fällen sind die Darlegungen des Verf. über-
zeugend. So läßt er gewiß mit Recht a weg 12, 1, 4 vor Macedonia,
20, 1, 15 vor Lacedaemone, 37, 3, 4 vor regno , 43, 1, 5 vor nomine,
unsicherer ist es 1, 2, 8 vor viro, 11, 12. 7 vor Alexandro, 38, 3, 7 vor
Scythia, da es an diesen Stellen nur in T fehlt und diese Handschriften-
klasse a fälschlich auch 12, 11, 2 und 15, 4, 12 ausläßt und 2, 8, 8
durch e ersetzt. 14, 5, 9 ist bei Rühl keine Variante angegeben. Ferner
sind wohl richtig die empfohlenen Lesarten 2, 6, 14 Colchos ohne in,
2, 14, 9 in Asiam , 5, 8, 5 Piraeum versus ohne in, 7, 5, 7 viudicaverat
ohne a, 11, 10, 3 a qua .... susceptum, 12, 5, 5 in Macedoniam, 15, 3, 13
"Weglassung von ex, 22, 8, 3 Beibehaltung von e, 24, 6, 6 Beibehaltung
vou in vor rupe, 32, 1,3 in malus (Scheffer). An anderen Stellen wird man
sich begnügen müssen, die Möglichkeit der vom Verf. vorgeschlagenen
Lesart zuzugeben, da beim Schwanken der verschiedenen Handschriften-
klassen in grammatischen Dingen doch eine gewisse Unsicherheit be-
stehen bleibt. Dahin rechne ich Stellen, wie 6, 1, 2 in snpplementis
oder in supplementa, 17, 3, 21 usque mit oder ohne in, 21, 4, 1 in oder
ad occupandam, 31, 4, 1 belli oder in bellum, 32, 4, 5 statuis mit oder
ohne in. Nicht beistimmen jedoch kann ich dem Verf., wenn er 3, 4,
10 e quarum adulterio infamiam collegisse videbautur mit T zu lesen
vorschlägt, weil 13, 7, 3 ex qua coloni proficisci iubebantur überliefert
ist. Ebenso ist 5, 6, 6 ex qua inluvione (Rühl) besser als in. Denn
nicht letzteres steht in den meisten Handschriften der T-Klasse, sondern
eaque in, während 11 eaque hat. Es ist also klar, daß die Verderbnis
von ex qua ausgegangen, dai'aus zunächst eaque entstanden und dann
in eingeschoben worden ist. Überdies wäre in ziemlich beziehungslos,
während ex von couscripto exercitu abhängt. Unbegründet ist es ferner,
wenn der Verf. 13, 5, 12 telo e muris iacto lediglich wegen Orosius
schreibt, während Rühl zu a keine Variante angiebt. Höchst zweifel-
haft ist es mir auch, ob 39, 3, 11 execratione ohne cum möglich ist,
da man auch 10, 3, 3 nicht ohne Grund an der Richtigkeit der Über-
lieferung gezweifelt hat und die Stelle 38, 2, 7 nicht in diesen Zu-
sammenhang gehört, denn nichts hindert, das dort überlieferte contu-
melia als Nominativ zu fassen.
Von den eigenen Konjekturen des Verf. ist 30, 4, 6 die Ein-
schiebung von usque vor Orientis finem gerade so gut möglich, wie die
Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.) 99
von ad (Rühl), praef. 3 ist der Vorschlag quae .... inter se sepa-
ratira occupavernnt dem Sinne nach zwar richtig, aber paläographisch
wenig wahrscheinlich, auch im Ausdruck nicht unbedenklich. Letzteres
gilt auch von 4, 1, 4 igne inter se luctante. Hier führt die Überliefe-
rung auf interiore (Eühl).
Hermann Wentzel, de infinitivi apud Justinum usu. Berolini
apud Max Küger. 1893. 8. 71 S. M. 1,20.
Eez.: Berliner phil. Wochenschrift 1894 No. 20 S. 624— 62&
(Rühl). — Zeitschr. für österr. Gymnasien 1894 S. 307—310 (Benesch).
— Wochenschr. für klass. Philol. 1895 No. 9 S. 236—237 (tz).
Um über die Lebenszeit Justins zu einem bestimmteren Resultate
zu gelangen, hält der Verf. mit Recht eine möglichst genaue Unter-
suchung seines Sprachgebrauchs für wünschenswert. Zu dem Zwecke
bebandelt er den Infinitiv. Wenn er dabei freilich daraus, daß einer-
seits 8, 4, 9 cum IV milia sola ex pugna superfuisse conspexisset der
Infinitiv des Perfekts statt des Präsens zu stehen scheint und com-
pellere von Justin wiederholt mit dem Infinitiv verbunden wii'd, anderer-
seits beide Erscheinungen sich des öfteren bei TertuUian finden, schließt,
Justin sei ungefähr dessen Zeitgenosse gewesen, so ist diese Schluß-
folgerung mehr als kühn und kann nicht auf Zustimmung rechnen. Es
kommt hinzu, daß superfuisse anders zu erklären ist, vgl. Rez. S. 237.
Von S. 11 an wird der Gebrauch des Infinitivs in fünf Kapiteln
behandelt: 1. infinitivus est subiectum grammaticum; 2. inf. est obiec-
tum grammaticum; 3. de nominativo cum Infinitive coniuncto; 4. de
casibus infinitivi (d. h. Gerundium und Gerundivum); 5. de infinitivo
historico. In diesen Abschnitten werden nicht nur alle Stellen angeführt,
sondern auch durch reichliche Benutzung der einschlagenden Litteratur
der Nachweis versucht, seit wann die einzelnen Verba, Adjektiva u. s. w.
mit dem Infinitiv verbunden werden. Hierbei irrt freilich der Verf.
einige Male mit der Annahme, daß die betrefi'ende Konstruktion sich
ausschließlich bei Justin finde, vgl. a. a. 0. S. 237, Warum übrigens
der Verf. im wesentlichen den Jeepschen Text zu Grunde gelegt, den
Rühlschen aber nur quibusdam locis, quibus melius sensisse mihi visus
est (S. 10) hinzugezogen hat, vermag ich nicht einzusehen. Das Re-
sultat der ganzen Untersuchung lautet (S. 9) : usum infinitivorum Justi-
nianum nullo modo a ceteris omnium aetatum scriptoribus dififerre.
Manitius, Philologisches aus alten Bibliothekskatalogen. Rh.
Mus. N. F. 47, Ergänzungsheft S. 38—39.
In folgenden mittelalterlicheE Bibliothekskatalogen (bis 1300)
kommt Justinus vor: Frankreich: S. Riquier, Cluny, Bec, Corbie,
7
'«
100 Bericht üb. d. Littcratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.)
Johannes mon. Besuensis, Limoges. Deutschland: S. Gallen, Constanz.
Lorsch, Murbach, Stablo, Bamberg, lleisbacli. Großbritannien-
York, Dnrhan:, Canterbury. Italien: Pomposa.
Tjallingi Halbertsmae adversaria critica. E schedis defuncti
selegit disposuit edidit van Herwerden. (Leidae 1896.) S. XXXIII.
Unter der auf der Universitätsbibliothek zu Groningen aufbewahrten
litterarischen Hinterlassenschaft Haibertsmas befindet sich eine voll-
ständige Kollation der Justinhaudschrift Toletanus 49 — 5 membr. saec.
XV aut XIV und eine teilweise des Toletanus 49—6 membr. saec.
XV aut XIV.
Köstlin, Justin 41, 2, 1 f. Philol. 50 S. 57.
41, 2, 2 lies oculorum ordo statt populorum ordo, vgl. Aristoph.
Acharu. 91 U'suoocpxaßav xov ßajiXeo)? ocpOaXjxov mit dem Schol. Fein er-
dacht, aber wohl schwerlich richtig. War denn das ein ganzer ordoV
Stangl, Just. 43, 4, 8. Philol. 49 S. 88.
43, 4, 8 lies fortunae statt forraae, wie 18, 3, 8. Überflüssig.
Der junge Mann erregt gerade wegen seiner Schönheit das Mitleid.
Der Abschnitt über die Juden XXXVI, 2 und 3 ist abge-
druckt in der Chrestomathie aus Schrifstellern der soge-
nannten silbernen Latinität von Th. Opitz und A. Weinhold
(Leipzig 1893), Heft 2 S. 137—139. Der Text ist der Rühlsche.
Suetonius.
1. Allgemeines,
*Kubelka, über das Leben und die Schriften von C. Suetonius
Tranquillus. Ung. Hradisch. Progr. des böhm. Gymnasiums. 1896.
34. S. (böhmisch).
Eez.: Listy filol. XXIV. S. 141 (Snetivy).
ß. Hahn, zur Eeligionsgeschichte des 2. Jahrhunderts: Die
Eeligion des C. Suetonius Trauquillus. Jahresbericht über die Augusta-
schule zu Breslau. Breslau 1896. 4. 19 S.
Nach einigen allgemeinen Bemerkungen über das Verhältnis der
Römer zur- Eeligion geht der Verf. auf Suetons Stellung zu dieser ein :
er nimmt an, daß jener den Volksglauben an die Götter nicht teilte,
und zwar schließt er dies aus Dom. 1.5 (Minervam, quam superstitiose
colebat). Ebenso unsicher ist es, ob aus den weiterhin angeführten
Stellen wirklich hervorgeht, daß Siieton 'von der Kaiservergötterung
nichts hielt", denn dieser giebt doch fast nur die Thatsachcn oder die
B ericht üb. d. Litteratur zu späteren röm, Geschichtsschreibern. (Opitz.) 101
Meinung der Zeitgenossen au, ohne ein eigenes Urteil liinzAizufügen.
Dagegen glaubt der Verf., dall Sueton 'Wunder und Zeichen anerkannte',
bespricht die von ihm erwähnten nach bestimmten Gesichtspunkten ziemlich
ausführlich und giebt den Gedankengang an, 'auf dem Sueton möglicher-
weise zu seinen Ansichten gekommen ist'. Diese Betrachtungen
schweben völlig in der Luft, da wir gar nicht wissen, ob sich Sueton
über diese Fragen überhaupt Gedanken gemacht hat und nicht viel-
mehr darin völlig ein Kind seiner Zeit gewesen ist. Ob er ein An-
hänger der stoischen Philosophie war, läßt der Verf. selbst dahingestellt.
Zum Schlüsse versucht er den Nachweis, daß Sueton vom Christentum
'nicht ganz unberührt geblieben sei' , ja er versteigt sich sogar zu der
Vermutung, daß sich eine Spur der Evangelien in Suetons Be-
richten über die Empfängnis der Mutter des Augustus, die Verkündigung
am Tage seiner Geburt, den damit in Zusammenhang stehenden Senats-
beschluß, sein erstes öffentliches Auftreten im 12. Lebensjahre und die
Apotheose zeigen. Ich glaube kaum, daß ihm hierin jemand beistimmen
wird. Denn alle diese Dinge lagen Sueton doch bereits in der Über-
lieferung vor, und hinsichtlich der Apotheose denke man nur an den
ganz ähnlichen Bericht über Romulus. — Alle Stellen aus Sueton werden
in deutscher, meist angemessener Übersetzung mitgeteilt, z. T. in etwas
willkürlicher Form.
Guilelmus Schmidt, de Koraanorum imprimis Suetonii arte
biographica. Dissertatio inauguralis. Marpurgi Cattorum typis M.
Dumont-Schauberg Coloniae. 1891. 8. 68. S.
Rez.: Archiv für lateinische Lexikographie VIII S. 155. —
Berliner philol. Wochenschr. XIII No. 20 S. 624 (Rühl). — Wochenschr.
für klass. Philol. 1893 No. 48 S. 1318 (Bubendey).
Im 1. Kapitel wendet sich der Verf. gegen Nissens Behauptung
(Rh. Mus. 41 S 481 ff.), daß Sueton für die Disposition der Kaiser-
biographien sich das monumentura Ancyranum zum Muster genommen
habe, während er bereitwillig zugiebt, daß er dieses gekannt und be-
nutzt habe. Um seinen Widerspruch zu begründen, macht der Verf.
auf die mancherlei Verschiedenheiten aufmerksam und geht des Näheren
auf die Disposition der Biographien des Kornelius Nepos, namentlich
die des Atticus ein , wobei er eine große Ähnlichkeit zwischen dieser
und denen des Sueton nachweist und es wahrscheinlich macht, daß
Sueton sich an Nepos, und nicht an das mon. Anc. angeschlossen habe. —
Im 2. Kapitel werden die Kaiserbiographien sehr genau disponiert.
Als Hauptschema ergiebt sich folgendes: 1. praefatio (über Abkunft
u. dgl.), 2. vitae summa vel vita ante principatum acceptum, 3. vita
post principatum initum: a. vita publica, b. vita privata. In diese
102 Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.)
Hauptdisposition werden dann die Unterabteilungen schematisch (per
species Suet. Aug. 9.) eingefügt, wobei sich natürlich im einzelnen
mancherlei Abweichungen finden. Die vita privata ist meist ausführlicher
behandelt, als die vita publica. Schwer unterbrochen ist die Disposition
Cal. 43 — 50 und Nero 40 ff. Nähere Ähnlichkeiten zeigen sich in 3 Gruppen :
1. Caesar— Claudius, 2. Nero — Vitellius, 3. die Flavier. — Im 3. Kapitel
sucht Verf. die gleiche Disposition auch in Suetons Buch de viris illu-
stribus nachzuweisen, so weit dies die Kürze dieser Abschnitte zuläßt. —
Im 4. Kapitel werden die Nachahmer unter demselben Gesichtspunkte
besprochen: Marius Maximus, Aelius Cordus, besonders ausführlich
die scriptores historiae augustae, ferner Aurelius Victor (vgl. unten S. 121),
die vita S. Ambrosii episcopi a Paulino composita, Einhardi vita Caroli
Magni, Thegani vita Ludovici Pii.
Hugo Willrich, de coniurationis Catilinariae fontibus, Disser-
tatio inauguralis. Gottingae 1893, officina academica Dieterichiana.
S. 36—38.
Bei der Darstellung der sogenannten ersten Catilinariscben Ver-
schwörung erwähnt Suet. Caes. 9 als Gewährsmann Tanusius Geminus
in historia. Davon ausgehend vermutet der Verf., daß dieser auch für
das Wenige, das über die eigentliche Verschwörung berichtet wird
(Caes, 14 und 17j, als die Quelle anzusehen sei, und daß ihn auch
Plutarch benutzt habe.
Martin Schanz, Suetons pratum. Hermes 30. Band (1895)
S. 401—428.
Verf. führt in schlagender Weise den Nachweis, daß die von Reiffer-
scheid vorgenommene Rekonstruktion von Suetons Pratum verfehlt ist.
Auszuscheiden aus den von diesem angenommenen Teilen dieser Schrift
ist rspl ous^r^jj-üjv Xs^ewv, weil dieses Buch griechich geschrieben war,
und die verborum differentiae, weil die genaue Beachtung der subscriptio
im Montepessulanus (ed. Roth pag. XCVI) ergiebt, daß dies nicht ein
besonderes Buch des pratums war, sondern eine Zusammenstellung von
Synonymen aus diesem. Dagegen stimmt der Verf. der Annahme
Reifferscheids bei, daß der liber de genere vestium nur über römische
Bekleidung handelte und den Abschnitten über Rom zuzuweisen sei.
Weiterhin führt er die wenigen Stellen vor, in denen das pratum direkt
erwähnt wird, and fügt daran den Nachweis, daß im 4. Buche die
römischen bürgerlichen Gesetze nicht behandelt wurden, so wie daß
Suetons Werk repl -rüiv Iv Tcu[x7) vo|j.t'|j,cuv xal yjötüv mit dem pratum nichts
zu thun hat. Die weiteren Untersuchungen führen zu folgendem Resultat:
Das pratum bestand aus 3 Teilen zu je 4 Büchern mit folgendem In-
Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.) 103
halt: I. der Mensch: 1. die Entstehung des Menschen, 2. die Teile
des menschlichen Körpers, 3. die krankhaften Gebilde des menschlichen
Körpers, 4. die Entwickelung-sstufen des menschlichen Lebens bis zum
Tode; II. die Zeit: 5. das Jahrhundert, 6. das Jahr, 7. der Monat,
8. der Tag; III. de natura rerum: 9. die physikalischen Phänomene,
10. die Tiere, 11. die Pflanzen, 12. die Mineralien. Die Dreiteilung-
des Stoffes hatte vermutlich schon Xigidius Figulus. Die eine Haupt-
quelle für die Rekonstruktion des pratums ist Censorinus. Bei diesem
bleibt nämlich nach Ausscheidung von 4 sekundären Quellen (2 logistorici
Varros, Suetons annus ßomanoruni, 1 Schrift über Musik) eine in sich
geschlossene, gut gegliederte Darstellung zurück, welche deutlich auf
einen Autor hinweist, der aber nicht genannt wird. Nicht weniges führt
dabei auf Suetons pratum. Die 2. Hauptquelle ist Isidorus de natura
rerum.
Ludovicus Traube, varia libamenta critica. Commentationes
Woelfflinianae (Leipzig 1891) S. 195—202.
S. 198—202: Das Suetonfragment 105* (nicht lOG*) pag. 135
Reiff. gehört nicht in ein Epimetrum de vir. ill., wie der Herausgeber
wollte, sondern nach Mommsen (und Roth pag. 289, 14 — 16) in die
Cicerobiographie in den viri illustres. Der unter Nummer 106* (nicht
107*) folgende, damit z. T. in Widerspruch stehende Bericht ist von
Isidor gar nicht aus Sueton geschöpft, sondern teils aus Augustinus,
Hieronymus und einer Quelle, die ausführlicher war als cod. Cassellanus
bei Schmitz, Beiträge S. 182, teils aus unbekannten Quellen. — Das
folgende Fragment 107*, ebenfalls aus Isidor entnommen, stammt
vielleicht aus Sueton, aber nicht aus de vir. ill. In ihm ist usus
clandestinis (statt his) litteris zu lesen,
2. Kritik, Erklärung, Sprachgebrauch.
Christianus Moddermann, lectiones Suetonianae. Specimen
litterarium, quod submittet. Groningae Scholtens und Zoon
1S92. 8. 73 S.
Als Zweck seiner Abhandlung erklärt es Verf. in der Einleitung,
die Mängel der Rothschen Ausgabe des Sueton nachzuweisen. Diese
zeigen sich in nererlei Hinsicht: 1. Lesarten anderer Handschriften,
als des Memm., sind verworfen, 2. Emendationen sind nicht aufgenommen,
3. es ist nicht richtig emendiert, 4. die verderbte Überlieferung ist
überhaupt nicht beanstandet worden. Unter diesen 4 Gesichtspunkten
bewegen sich nun auch die Untersuchungen des Verfassers. Neue
Kollationen haben ihm dabei nicht zur Verfügung gestanden. Einen
104 Beriebt üb. d. Litteratur zu späteren röm. Gescbicbtsschreibern. (Opitz.)
besonderen Wert legt er auf Vind. 1, doch kann ich von den aus ihm
S. 3 empfohlenen Lesarten nur Cal. 38 deleret als richtig anerkennen.
Überhaupt scheint es mir bei dem augenblicklichen Stand unserer Be-
kanntschaft mit der Überlieferung Suetons ziemlicli unsicher zu sein,
auf Grund einer oder einiger Handschriften Lesarten, die mit der Über-
lieferuDg des Memm. nicht im Einklang stehen, zur Aufnahme zu
empfehlen. So viel ist ja klar und durch die Darlegungen des Ver-
fassers von neuem bestätigt worden, daß eine gründliche Untersuchung
der handschriftlichen Überlieferung des Sueton, wie sie seiner Zeit
von Becker begonnen worden ist, als sehr wünschenswert zu bezeichnen
ist. Von den mehr als 100 Stellen, die namentlich aus den Biographien
des Cäsar, Augustus und Vespasianus zur ßesiirechung kommen, kann
ich nur die wichtigsten hervorheben, besonders die eigenen Konjekturen
des Verfassers.
Einige Male wird die handschriftliche Überlieferung gegen Kon-
jekturen geschützt, meist wohl mit Eecht, so Caes. 65 neque a fortuna
probabat, Caes. 88 ludis, quos primo consecratos ei heres Augustus
edebat, obwohl primos sehr nahe liegt; Aug. 10 translaticius (schon
Madvig); 82 unguebatur enim saepius aut sudabat tepefacta.
At (mit Änderung der Interpunktion); Vesp. 21 dum salutabatur.
Übrigens das einzige Beispiel dieser Konstruktion bei Sueton (vgl.
Düpow S. 8).
Auch in den Fällen, wo die Lesarten anderer Handschriften
denen des Hemm, vorgezogen werden, kann ich, abgesehen von dem oben
geäußerten prinzipiellen Bedenken, dem Verf. wiederholt beistimmen,
so Caes. 29 se mit Vind. 1 wegzulassen; Caes. 40 aestati (Vind. Med.
], 3.) statt aestate; Aug. 13 in volucrum fore potestatem (Vind. u. a.);
Aug. 32 ex quis (einige Hss) statt exque eis; Vesp. 23 nuntianti
legato (Vind. 1). Unsicherer erscheint mir Aug. 17 repetit Italiam
und Aug. 86 praepositiones verbis addere statt urbibus (Memm. Med. 1),
denn auch bei Städtenamen ohne Präposition können Zweifel entstehen,
z. B. hoc Athenis (in? aus?) accepi. Für unrichtig halte ich Caes.
3 occasioni statt occasione, da z. B. Front. I, 8, 5 der Ablativ paucitate
sehr gut überliefert ist.
Ferner empfiehlt Verf. eine ganze Reihe fremder Konjekturen
zur Aufnahme, mit Recht Caes. 41 tribus statt tribum (Ausg. vor Roth),
Caes. 42 urbi statt urbis (Casaubonus), Caes. 79 nam cum sacrificio
Latinarum (Oudendorp), Aug. 10 nee statt ne (derselbe), Aug. 42
destinarat (Burmann), Für mehr oder weniger wahrscheinlich halte
ich auch: Caes. 4 non sine summa dignatione statt indignatione (Casau-
bonusj, Caes. 22 respondit (Oudendorp), Caes. 24 cedentibus (Ernesti),
Aug. 25 sub proprio (statt priore) vexillo (Torrentius), Aug. 55 aut
Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.) 105
magna cura (Burraann), Aug-, 72 assidueqne in urbe hiemavit, quaravis
(Mähh'), Aug. 84 iam princeps statt nam deiuceps (alte Randbe-
merkung und Spejer), Tib, 52 alterius virtutibus, alterius vitiis (Lipsius).
Von den mehr als 50 eigenen Konjekturen des Verf. ver-
mag ich als unbedingt sicher kaum eine zu bezeichnen. Am beachtens-
wertesten scheinen mir etwa folgende zu sein: Caes. 52 appellare e
nomine, Aug. 29 uxoris ac sororis generique, Aug. 68 versum scaena
pronuntiatum, Aug. 94 dum ceterae matronae obirent (statt dormirent),
nur vermißt man das Objekt dazu, so daß vielleicht id aus dem an-
lautenden d zu machen ist, Vesp. 23 ut de quodam. Andere sind zwar
gut ausgedacht, aber entweder nicht unbedingt nötig oder paläographisch
nicht wahrscheinlich genug, z. B. Caes. 20 primum omnium statt
primus omnium, Aug. 30 magistri e plebe cuiusque viel quaterni electi
statt cuiusque viciniae lecti, Aug. 39 in probatione, Aug. 53 grandior
iam natu, aber vgl. meine S. 112 angeführte ßez. von Düpows Ab-
handlung S. 607, Aug. 56 legibusque ac iudiciis, Aug. 65 mortes statt
mortem, Vesp. 23 en statt vae. Mit den übrigen Konjekturen kann
ich mich noch weniger befreunden , meist erscheinen sie mir als völlig
überflüssig.
'O'
J. C. G. Boot, analecta critica. Mneraosyne N. S. XVIII
S. 359—360.
Caes. 41 : hinter illi tribui ist S. einzuschieben. Vielleicht richtig. —
Caes. 78 : repetet ergo a me Aquila rem publicam mit der Begründung
ita melius apparet eum in nomine hominis lusisse. Aber darauf w'eist
in der ganzen Geschichte nicht das Mindeste hin. — Aug. 86: Annius
ac (statt an) Veranius. Einleuchtend. Das in demselben Satze vor-
geschlagene inanis (statt inanibus) steht schon im Rothschen Texte. —
Aug. 96: eunti Philippos Thessalus quidam futuram victoriam nuntiavit.
Völlig überflüssig. — Xer. 34: corripientem statt corrigeutem. Be-
achtenswert.
Albert A. Howard, notes on Suetonius. Harvard studies
in classical philology. Vol. VII (1896) S. 205-214.
Becker hatte im Rh. Mus. 37 S. 642 f. angenommen, daß in den
Worten Scotts ("Wawerley Kap. 10) 'epulae ad senatum, prandium vero
ad populum attinet says Suetonius Tranquillus' ein Suetonfragment ent-
halten sei, das aus einem sonst unbekannten Glossar stamme. Da-
gegen weist der Verf. nach, daß mit dieser angeblichen Regel der
Sprachgebrauch Suetons nicht übereinstimmt und daß Scotts Bemerkung
auf einem ungenauen Citat aus Fabers thesaurus eruditionis scholasticae
beruht. — Nero 23 clausis oppidorum portis. Davon ausgehend, daß
106 Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.)
oppida nachweislich im Sinne von carceres gebraucht wird, daß im
Cirkus die Eingänge zwischen diesen und den Enden des Zuschauer-
raums lagen, sowie daß den Carceres des Cirkus die scaena des Theaters
entspricht, hält Verf. es nicht für unwahrscheinlich, daß auch die scaena
mit ihren versurae procurreutes mitunter oppidura und die r.dpoooi
oppidorum portae genannt worden seien. Es läßt sich nicht leugnen,
daß bei dieser Annahme die Stelle einen sehr guten Sinn giebt. —
Nero 45 wird statt ascopera (ascopa Hss) deligata vorgeschlagen acrxoc
praeligatus, erstens, weil ascopera Suetons Lesern schwerlich allgemein
verständlich gewesen sei, zweitens weil der Dativ coUo nicht von deligatus
abhängen könne. Letzterer Grund ist hinfällig, denn man kann collo
unbedenklich als Ablativ (= in collo) fassen. Eher könnte man die
Berechtigung des ersteren Bedenkens anerkennen. Noch weniger wahr-
scheinlich erscheint mir die Ergänzung der Inschrift zu dem Hexameter
egi ego quod potui, sed tu cullum meruisti. Vgl. S. 108. — An
8 SteUen (Caes. 50, Aug. 30 und 41, Tib. 48, Cal. 38. Claud. 6,
Nero 27, Yesp. 19), an denen bei Roth sestertio oder sestertii mit einem
Zahladverb (sexagiens u. s. w.) steht, ist in den Handschriften sestertium
(so, nicht HS) überliefert. (In ähnlicher Weise ist auch bei Livius,
Macrobius und Valerius Maximus korrigiert worden.) Hinzu kommt
die ganz sichere Stelle mon. Ancyr. III, 24. Wenn darnach Verf.
annimmt, daß sestertium in der Verbindung mit den Zahladverbien auch
gen. plur. sein und der ganze Ausdruck als Genetiv oder Ablativ ge-
braucht werden könne, so wird man ihm wohl beistimmen müssen.
Tjallingi Halbertsmae adversaria critica. E schedis defuncti
selegit disposuit edidit Henricus van Herwerden (Leidae 1896) S. XXIX,
XXXVII und 168—172.
Unter den zahlreichen von Halbertsma beschriebenen oder be-
nutzten Codices Escorialenses befindet sich auch einer des Suetonius,
H-I-21, membr. a. 1373, mit der Bemerkung 'satis bonae notae liber'
(S. XXIX). Ferner (S. XXXVII) sind in einer Tauchnitzausgabe zu
Caes. 1 und de gramm. 1 — 19 Varianten eingetragen, diese befindet
sich jetzt auf der Groninger Universitätsbibliothek.
S. 168—172 stehen Bemerkungen zu einzelnen Stellen. Ab-
gesehen von der Interpunktionsänderung Aug. 69 quid te mutavit?,
die übrigens die Ausgaben vor ßoth bieten, und der Vermutung, daß
das Citat Tib. 21 vale — vo|j.iixtüTaTe vale aus 2 Briefen stammt, was
Wolf und Bremi bereits durch Setzung eines Gedankenstrichs ausge-
drückt haben, kann ich keine der Konjekturen als wahi'scheinlich be-
zeichnen, obgleich manche nicht übel ausgedacht sind.
Hülsen, Rh. Mus. N. F. 49 S. 630.
Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.) 107
Aug. 70 ApoUinem, sed Tortorera. Die folgenden "Worte quo
cognomento is deus quadam in parte urbis colebatur sind zu streichen,
da der mit Marsj^as gruppierte Apollo schwerlich eine Kultusstatue
gewesen sein kann. Übrigens war A. Tortor wohl die populäre Be-
zeichnung für A. Sandaliarius (Aug. 57), welcher Name davon stammt,
daß diese Statue an einer Ecke des vicus Sandaliarius stand.
Alexander Riese, der Feldzug des Caligula an den ßhein.
Neue Heidelberger Jahrbücher VI S. 152—162.
Verf. zweifelt an der Richtigkeit der Darstellung, welche Sueton
Cal. 43 f. (mit ihm Dio) von Caligulas Feldzug nach Germanien giebt,
namentlich auch an dem von ihm angegebenen Grunde admonitus de
supplendo numero Batavorum, quos circa se habebat und nimmt etwa
folgenden Verlauf der Ereignisse an: Caligula rückte legionibus et
auxiliis undique excitis — Dio spricht von 200 000 und 250 000 Mann —
an den Rhein, weil er den dort stehenden Legionen nicht traute. Das
obere Heer kommandierte nämlich seit 30 Cn. Lentulus Gätnlicus.
Dieser, übermächtig geworden, hatte eine Verschwörung angezettelt,
deren anderes Haupt M. Aemilius Lepidus war. Diese wurde im
Herbst 39 entdeckt. Um also Gätnlicus zu vernichten, zog Caligula
selbst, wohl im Frühjahr 40, nach Germanien und zeigte die größte
Strenge. Nach der Ermordung des Gätulicus wurde Galba dessen
Nachfolger und schlug die Chatten, die einen Einfall gemacht hatten.
Unterdessen zog Caligula an die Küste des britannischen Meeres, schob
jedoch den geplanten Angriff auf, kehrte nach Rom zurück und zog
am 31, August 40 als Sieger ein. Nunmehr traf er die energischsten
Maßregeln gegen die beteiligten Senatoren. Das Ergebnis des Feld-
zuges war also die Niederwerfung des Aufstandes des Gätulicus.
Hinsichtlich der 'Spaße', die Sueton aus diesem Zuge erzählt, überläßt
der Verf. jedem sein Urteil, ist jedoch seinerseits sehr geneigt, an
sie zu glauben, 'da sie alle gemeinsam einen und denselben Charakter
zu tragen scheinen, nur halte man sie nicht für das Ergebnis des
Feldzuges'.
"Weiterhin äußert Verf. seine Bedenken gegen die Auffassung
Ritterlings, nach der Caligula die Eroberung von Großgermanien wieder
aufnehmen woUte, dieser Aufgabe sich jedoch nicht gewachsen zeigte,
und andererseits der Aufstand nur die augenblickliche, ja unerwartete
äußere Veranlassung dazu war. Ferner bespricht er die Troppendisloka-
tionen, die die Folge dieser Ereignisse waren. Als mutmaßliche Quelle für
die bei Sueton und Dio vorliegende Darstellung dieses Feldzuges, die
auch Tacitus bekannt war, wie sich aus gelegentlichen Äußerungen
ergiebt, nimmt Verf. die commentarii der jüngeren Agrippina an.
108 Bericht üb. d. Litteratur zu späteren rüni. Geschichtsschreibern. (Opitz.)
*Timoschenko, zu Suet. Claud. 25. Filolog. obozr. Bd. X
fasc. 2 S. 200—201 (russisch).
Chawner, notc on Suetou Ner. 45. The classical review IX
(1895) S. 109-110
geht von der Voraussetzung aus, daß ascopera, gleichbedeutend mit
(ijy.o^, jedes 'receptacle' bezeichne zur Aufnahme von Flüssigkeiten,
Darauf fußend interpungiert er: ego quid? potui; tu autem culleum
meruisti = 'was bin ich? ein Schlauch für ein Getränk, du aber hast
einen Sack anderer Art verdient', nämlich zum Ersäufen. Der Gedanke
ist entschieden ansprechend. Nur bleibt es fraglich, ob ascopera die
gewünschte Bedeutung haben kann. Vgl. oben S. 106.
Paulus de Winterfeld, schedae criticae in scriptores et poetas
Romanos (Berolini 1895) 8. 33-34.
Suet. Nero 33: Lucustae pro navata opera impunitatem praediaque
ampla, sed et discipulos dedit. Beide Vermutungen praemia und di-
scipulas sind möglich, aber nicht nötig.
Blass, XpYjsxtavoi-Xpiaxiavot. Hermes 30 S. 465—470.
Bei der Erörterung über die Frage, welche von beiden Namens-
formen die ältere sei, kommt Suet. Claud. 25 (impulsore Chresto)
nicht in Betracht, da es 'wirklich damals in Rom einen unruhigen
Juden dieses Namens gegeben haben' kann.
Heraeus, imaguncula (icuncula, planguncula). Archiv für la-
teinische Lexikographie IX 8. 595.
Nero 56 ist mit Sabellius imaguncula zu schreiben, wie Aug. 7
(ebenso Cic. ad Att. 6, 1, 25 mit Victorius), icuncula (Roth) muß aus
den Lexicis verschwinden. Richtig. Denselben Vorschlag machte auch
Cornelissen, coniectanea latina S. 53.
J. M. Sto Wasser, Controverses aus den Idyllien von Maria-
Einsiedeln. Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien Bd. 47
(1896) S. 976—984.
Die 1. dieser beiden 'Schäfereyen' (I, 725 ed. Riese) bezieht sich
auf Neros Rückkehr von der Kunstreise nach Griechenland (Suet.
Nero 25), die 2. (I, 726) auf die Schließung des Janustempels durch
diesen Kaiser im Jahre 66 (Suet. Nero 13). Das Referat über die
Behandlung des Textes dieser Gedichte gehört in einen anderen Bericht.
Philippe Fabia, l'adultere de Neron et de Poppee. Revue de
Philologie 20 (1896) S. 12—22.
Rez.: Jahresberichte des Berliner philologischen Vereins XXIII
(1897) S. 148—149 (Andresen).
Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.) 109
Über Neros Verhältnis zu Poppäa giebt es zwei einander wider-
sprechende Berichte. Nach dem einen fSueton Otho 3, Plut. Galba 19 f.,
Tac. bist. I, 13, Dio Gl, 11) verliebte sich Nero in sie, als sie noch
mit Crispinus verheiratet war, und veranlaßte Otho zu einer Schein-
heirat mit ihr. Nach dem andern (nur Tac. ann. XIII, 45 f.) lernte
er sie kennen, als sie bereits mit Otho verheiratet war, und machte
sie diesem abspenstig. Die erstere Erzählung führt der Verf. auf die
Historien des Plinius als die gemeinsame Quelle zurück, die letztere
auf Cluvius Rufus, an den Tacitus sich in der Geschichte Neros so
eng angeschlossen habe, daß ihm seine abweichende Darstellung in
den Historien völlig aus dem Gedächtnis geschwunden sei. Da nun
Cluvius Rufus am Hofe gelebt habe, während Plinius öfter abwesend
gewesen sei, und ferner sich der letztere Bericht leichter aus ersterem
ableiten lasse, als umgekehrt, so verdiene die Erzählung in den Annalen
den Vorzug. Daß übrigens Otho Poppäa wirklich geliebt habe, gehe
aus der Thatsache hervor, daß er nach seiner Thronbesteigung ihre
umgestürzten Statuen wieder aufrichten ließ. Daher sei auch der Be-
richt Suetons, wonach Otho sich eines Tages weigerte, Poppäa zu
Nero zu senden und ihn selbst vor der Thüre stehen ließ, durchaus
glaubwürdig.
Derselbe, Neron et les Ehodiens. Daselbst S. 129—145.
Rez.: Jahresberichte des Berliner philologischen Vereins XXIII
(1897) S. 148 (Andresen).
Nach Suet. Nero 7 hielt Nero unter dem Konsulat des Claudius
3 Reden für Bononia, Rhodus und Iliura. Damit kann nur das 5. Kon-
sulat (51 n. Chr.) gemeint sein. Dagegen werden Tac. ann. XII, 58
diese 3 Reden, sowie eine 4. für Apamea ins Jahr 53 gesetzt. Verf.
entscheidet sich für letztere Angabe und sucht Suetons Irrtum dadurch
zu erklären, daß 51 Nero die toga virilis und den Titel princeps luven-
tutis erhalten, ferner dem Heere ein douativnim und dem Volke ein
congiarium gegeben habe, sowie zum Konsul designiert worden sei und
eine Dankrede an Claudius gehalten habe. Diesen wichtigen Ereignissen
habe Sueton noch jene 3 Reden irrtümlich hinzugefügt. — Der Schluß
der Abhandlung beschäftigt sich mit Beziehungen zwischen Nero und
Rhodus, die bei Sueton nicht erwähnt werden.
Lucien Herr, Betriacum-Bebriacum. Rev. phil. XVII (1893)
S. 208—212.
Die Form Bebriacum ist bei Juvenal (Sat. II, 106) überliefert,
die andere Form Betriacum oder Bedriacum geht auf den älteren
Plinius zurück. Aus ihm haben sie Tacitus, Plutarch und Sueton
1 10 Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.)
(Otho 9), aus letzterem die späteren Autoren entnommen. "Während
die letztere Form sich der etymologischeu Erklärung entzieht, stellt sich
Bebriacum mit Bebronna, Bibrax, Bibracte, Bibroci u. s. w. zusammen.
Nimmt man ferner die Angabe bei Tac. ann. 11, 24 locus Castorum
vocatur hinzu, woraus bei Sueton a. a. 0. dem Sprachgebrauch der
Zeit angepaßt, ad Castoris, quod loco nomen est geworden ist, so ist
Bebriacum als die richtige Form anzusehen und bedeutet le bourg aux
castors, Bebriaci campi la plaine aux castors. So erhält auch der locus
castorum bei Tacitus seinen Sinn. Zum Schluß warnt der Verf. davor,
bei Sueton (und Tacitus) Bebriacum in den Text zu setzen, da dies
eine Korrektur der Autoren selbst sein würde.
Beck, zur Kritik von Suetons de grammaticis et rhetoribus.
Berliner philologische Wochenschrift 1892 S. 771—772 und 779.
de gramm. 3 conductum, ut multos doceret. An sich nicht übel,
aber multos ist, wenngleich die Verbindung multos docere sich öfter
bei Sueton findet, hier doch sehr auffallend. — de gramm. 5 Sevius
Postumus idem, at idem atque hie Marcus docebit. Ein, namentlich
für einen Grammaticus, entsetzlich holperiger Vers. — de gramm. 13
a sua matre emptus (vgl. de gramm. 21). Beachtenswert. — de gramm. 23
OS tuentem statt festinantem, wobei os doppeldeutig und tueri im Sinne
von tenere zu nehmen ist. Dem Sinne nach ungefähr entsprechend, der
Ausdruck aber ist kaum möglich. — de gramm. 24 idque raro nummis.
Pauca et exigua. Unwahrscheinlich, denn 'für Geld' würde doch wohl
anders ausgedrückt worden sein.
Moddermann, lectiones Suetonianae S. 70
thesis IV: de gramm. 6 lies per unam 1 scriptum.
Heidenhain, zu Suetons vita des Horatius. Fleckeisens
Jahrbücher für Philologie 147 S. 844.
Woelfflin, satrapicus. Archiv für lateinische Lexikographie IX
S. 80.
Heidenhain schreibt ab ista satrapica mensa statt ab ista para-
sitica mensa, weil Horaz auch bei Augustus Parasit gewesen sein würde
und es anstößig sei, daß Augustus regia von sich gebrauche. Im Gegen-
satz zu satrapica sei letzteres scherzhaft gemeint. Dagegen bemerkt
Wölfflin mit Recht, daß das Bedenken wegen parasiticus hinfällig ist,
da Horaz als 'angestellter Privatsekretär des Monarchen' eben nicht
mehr Parasit war.
0. R, zur vita Terentii. Rheinisches Museum N. F. 50 S. 314—315.
Während in den Versen des Porcius Licinus V. 4 Ritschl dum
86 amari ab his credit (credat Par.) strich, ändert der Verf. letzteres
Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm, Geschichtsschreibern. (Opitz.) 1 1 1
in crepitat, stellt die vorhergehenden "Worte um und zieht dazu noch
die folgenden mit Änderung von rapitur in rapi, so daß sich der Vers
ergiebt :
dum se ab his amari crepitat, crebro in Albanum rapi.
Vor dem Schlüsse des folgenden Verses ob florem aetatis suae
fehlt 1 Hemistich, dem Sinne nach etwa dum se attolli ad caelum
sperat. Alles dies ist entschieden fein ausgedacht. Etwas hart er-
scheint mir dagegen die am Anfang von V. 6 angenommene Tmesis
post suis latis rebus. Ebenso ist es mir zweifelhaft, ob V. 8 statt
mortuus Stymphalist Arcadiae oppido wirklich ein Epitheton, wie
obscurissimo, tristissimo, pauperrimo, zu erwarten wäre.
Masson, Academy (1894) No. 1155 S. 519—520 und No. 1169
S. 236—237.
Radinger, Suetons Lucrezbiographie. Berliner philologische
AVochenschrift 1894 S. 1244-1248.
Masson, zu der Lucrezbiographie des Sueton. Daselbst 1895
S. 285—287.
Woltjer, desgleichen. Daselbst 1895 S. 317—318.
Fritsche, desgleichen. Daselbst 1895 S. 541.
^Jlasson, new details from Suetouius' life of Lucretius. Journal
of phüology 1895 S. 220—238.
Masson veröffentlicht einige Notizen über das Leben des Lucretius,
die in einem aus dem Besitz des Hieronymus Borgius stammenden
Lucretius aus dem Jahre 1492 handschriftlich aufgezeichnet sind und
einiges Neue enthalten oder, richtiger gesagt, zu enthalten scheinen.
Von der merkwürdigen Angabe sunt qui putent unum et viginti libros
composuisse weist Iladinger nach, daß sie aus einer falschen Lesart bei
Varro de 1. 1. V, 3, 7 stammt, wo Lucilius zu lesen ist. Ferner ist
die ausführliche Bemerkung über Ciceros Einfluß auf die schriftstellerische
Thätigkeit des Lucretius vielleicht aus ad Her. IV, 10, 15 geflossen.
Ein anderer Abschnitt stimmt im ganzen mit der aus Sueton (pag. 295
Roth) stammenden Notiz des Hieronymus überein, enthält jedoch die
bisher unbekannte Angabe raatre natus diutius sterüi. Außerdem er-
scheint in dem angefügten Verzeichnis römischer Epikureer unter mehr
oder weniger bekannten Personen ein Unbekannter, Namens Pollius Par-
thenopaeus. Besonders diese beiden Angaben, die Borgius nicht habe er-
finden können, veranlassen Radinger zu der Annahme, daß die Quelle dieser
Notizen ein antiker Autor sei und zwar, wie die Ähnlichkeit mit Hiero-
nymus erweise, Suetons Schrift de viris illuatribus. Dieser Ansicht tritt
112 Beriebt üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.)
Masson bei. In der 'Wochenschrift' teilt er außerdem, wenngleich ab-
lehnend, die Vermutung; von Reid mit, daß unter Pollius Parthenopaeus
des Statins Freund Pollius Felix gemeint sei, der zwar in Puteoli ge-
boren war, aber zu Neapel in engen Beziehungen stand. Auf den-
selben Gedanken ist gleichzeitig Woltjer gekommen. Ferner vermutet
dieser, daß die andere Notiz matre natus diutius sterili aus Serenus
Sammonicus (ed. Baehrens) p. 135 stamme:
invita coniugü sterilis si munera languent
nee sobolis spes est multos iam vana per annos,
femineo fiat vitio res necne silebo:
hoc poterit magni quartus monstrare Lucreti.
Wenn nämlich hier in einem Exemplar partus statt quartus (liber)
gestanden oder Borgius aus dem Kopfe citiert habe, so habe daraus
jener Bericht sehr leicht entstehen können. Pritsche fügt hinzu, daß
partus thatsächlich in der Mailänder editio princeps des Sammonicus
steht. Unter diesen Umständen wird allerdings die Behauptung, daß
wir es mit bisher unbekannten Suetonfragmenten zu thun hätten , sich
schwer aufrecht erhalten lassen.
Manitius, Philologisches aus alten Bibliothekskatalogen. Rh. Mus.
N. F. 47, Ergänzungsheft S. 70—71.
In folgenden mittelalterlichen Bibliothekskatalogen (bis 1300)
kommt Suetonius vor: Frankreich: S. Riquier, Bec, Cluny, Limoges,
Pontignj'. Deutschland: Fulda, Bamberg, bibl. incognita. Gross-
britannien: Rochester, Canterbury, Glastonbury. Italien: Rom.
R. Düpow, de C. Suetouii Tranquilli consuetudine sermonis
quaestiones. Programm der Hansaschule in Bergedorf bei Hamburg.
1895. 4. 20 S.
Rez.: Wochenschrift für klass. Philologie 1896 No. 22 S. 606 —
607 (Opitz).
Zur Behandlung kommen die temporalen Konjunktionen.
Einleitungsweise werden zwei Thatsachen festgestellt: 1. Da Sueton die
Participialkonstruktionen sehr bevorzugt, so ist der Gebrauch der Kon-
junktionen kein sehr ausgedehnter, 2. Der Konjunktiv wird viel öfter
verwendet, als der Indikativ. Die eigentliche Abhandlung hat folgen-
den Inhalt, aus dem ich im einzelnen das Bemerkenswerteste hervor-
hebe: § 1 postquam. Bei Hinzufügni'^- von Zeitangaben stehen Perfekt
und Plusquamperfekt; in diesem Falle gebraucht Sueton auch das bloße
quam (z. B. sexto quam profectus erat mense. Claud. 17). — § 2 ut
ubi simulatque simulac. Letztere beide kommen nur in futurischen
Sätzen der direkten und indirekten Rede vor, ebenso simul ohne atque. —
Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.) 113
§ 3 dnm donec quoad. Hinsichtlich ersterer Konjunktion wird eine An-
gabe von Dräger richtig gestellt; in der Bedeutung 'so lange als' wird
sie nnr futurisch (direkt und indirekt) verwendet; die beiden letzteren
heißen nur 'so lange bis'. — § 4 antequam, priusquam. Beide haben
nie den Indikativ nach sich, dagegen bei negativem Hauptsätze mit-
unter das participium coniunctum oder den ablativus absolutus; nach
pridie steht einfaches quam. — § 5 cum. Einleitungsweise wird auch
über den kausalen und koncessiven Gebrauch dieser Konjunktion ge-
sprochen; cum quidem hat beide Modi; auch in abgekürzten Sätzen
kommt cum vor (non amplius cum plurimum quam septem horas
dormiebat. Aug. 78). — § 6 quando, quandoque. — § 7 coniunctiones
iterativae : cum, si, quotiens. Meistens steht der Konjunktiv. — Die Bei-
spiele sind, so weit ich sehe, vollständig gesammelt, jedoch nur aus den
Caesares. Über einige Stellen, die kritisch behandelt werden, habe ich
Rez. S. 607 gesprochen.
Woelfflin, Archiv für lateinische Lexikographie X S. 124.
Sueton gebraucht pone Tib. 68, Nero 51, Dom. 23, vgl. Jal. 20;
nur Vit. 17 steht post nach dichterischem Sprachgebrauch.
3. Ausgaben.
C. SuetoniTranquilliDivus Augustus. Edited with historical
introduction, commentary, appendices and indices byEvelynS. Shuck-
burgh. Cambridge printed at the University Press 1896. gr. 8. XLIV
und 215 Seiten.
Bez.: Academy Bd. 50 No. 1264 S. 64. — Museum 1896 No. 9
(Damste). — Berliner philol. Wochenschrift 1896 No. 47 S. 1482—83
(Helmreich). — Classical review XI (1897) S. 63—65 (Richards). —
Literarisches Centralblatt 1897 No. 10 S. 335—36 (V. G.). — BoUettino
di filologia classica 1897 No. 12 S. 255 (L. V.). — Wochenschrift für
klass. Philologie 1897 No. 30/31 S. 837—842 (Wolffj und No. 35
S. 953—955 (Opitz). — American Journal of philol. XVII S. 371—372
(Smith). — Athenaeum No. 3615 S. 176—177. — Neue philol. Bund-
schau 1897 No. 8 S. 117—119 (Düpow).
Inhalt: preface (I — XI), introduction § 1 Augustus ( — XXVIII),
§ 2 Suetonius, bis life and writings (— XXX), § 3 the authorities of
Suetonius for the Ufe of Augustus (— XXXIII), § 4 the text (— XXXVI),
chronological table (— XLIV). Es folgt S. 1—176 der Text mit darunter-
stehendem Kommentar, darauf als Anhänge das monumentum Ancyranum
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVIL (1898. II.) 8
114 Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.)
(— 195), die Inschrift C. J. L. X. 8375 (196), eine Besprechung der
Cäsarmörder (— 200), Stammbäume (— 204), Index der Eigennamen
(— 208), Index zu den Anmerkungen (— 215).
§ 4 der Einleitung enthält einige Bemerkungen über 2 Cambridger
Handschriften (12. u. 15. saec), die jedoch nicht ausreichen, um ein
Urteil fällen zu können, und außerdem die Besprechung etlicher Stellen.
Die wichtigsten Abweichungen vom ßothschen Text sind: Kap. 17 Ca.
Domitium statt T. Domitiura, vgl. Rez. S. 954. — Kap. 32 vicensimo
quinto aetatis anno statt vincesimo aetatis anno, vgl. daselbst. —
Kap. 40 in foro circove (mit einigen Hss) statt in foro circave (so
auch Memm.). Doch scheint letzteres besser zu sein, da die Verordnung
dadurch veranlaßt war, daß Augustus pro contione die puUatos gesehen
hatte, und sich daher schwerlich aufs Erscheinen im Cirkus bezog. Das
zwecklose Herumschlendern (Hör. sat. I, 6,113) kann hier aber nicht
gemeint sein. — Kap. 44 muliebre secus omnes (mit älteren Ausgaben)
statt muliebre secus omne. In der That pflegt ja secus als adverbieller
Accusativ zu stehen. Über allen Zweifel erhaben ist mir die Sache
aber nicht, da Tac. ann. 4, 62, wo secus parallel zu aetas steht, es
sehr nahe liegt, das Wort als Nominativ zu fassen. — Kap. 87 pro
stalte baceolum et pro pullo pulleiaceum statt pro stulto baceolum apud
pullum pulleiaceum. Die Sache bleibt unsicher. — Kap. 94 in eins
sinum Signum rei publicae, quam manu gestaret, reposuisse statt in
eins sinum rem publicam, quam u. s. w. Vgl. Rez. S. 954. — Kap. 98
diripiendique pomorum et obsoniorum rerumque missilia, während Roth
vor missilia das Zeichen der Lücke gesetzt hatte. Vgl. daselbst.
Den Hauptteil des Kommentars bilden Anmerkungen historischen
Inhalts: zur Erklärung wird ein reicher, gut verarbeiteter Stoff aus
allen möglichen Schriftstellern, sowie aus den Inschriften herangezogen.
Die Angaben machen durchaus den Eindruck der Zuverlässigkeit und
bieten so zur sachlichen Erläuterung des Inhalts ein reichliches, ja
überreichliches Material. Hierin liegt offenbar die Stärke des Heraus-
gebers. Seltener und an Umfang geringer sind die Bemerkungen sprach-
licher Art. Vielfach bietet der Herausgeber direkt die Übersetzung,
nicht selten auch in Fällen, wo eine solche nach unsern Anschauungen
überflüssig erscheint. Aber darüber läßt sich um so schwerer ein Ur-
teil fällen, als man nirgends erfährt, für welchen Standpunkt die Aus-
gabe eigentlich bestimmt ist. Etliche Fragen aus dem Bereich des
Sprachgebrauchs werden auch im Vorwort besprochen.
C. Suetonii Tranquilli vita divi Claudii. Specimen litte-
rarum inaugurale, qnod pro gradu doctoris exa-
mini submittet Henricus Smilda. Groningae, apud J. B. Wolters
1896. gr. 8. 192 S.
Bericht üb. d. Litteratur za späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.) 1 ] 5
Rez.: Museum 189G No. 10 (Valeton). — Revue critique 1897 S. 132
— 133 (Thomas). — Classical review XI (1897) S. 63—65 (Richards). —
Berliner philol. Wochenschrift 1897 No. 7 S. 198—199 (Helmreich). —
Neue philol. Rundschau 1897 No. HS. 166—167 (Düpow). — Revue de
Philologie XXI S. 209 (Fabia). — Wochenschrift für klass. Philologie 1898
No. 17 S. 470—474 (Wolff) und No. 19 S. 518-520 (Opitz).
Unter dem Texte stehen zunächst die Parallelstellen zu Suetons
Berichten aus den anderen griechischen und römischen Historikern, dann
folgt der sehr ausführliche Kommentar. In ihm überwiegen nach Zahl
wie Ausdehnung bei weitem die sachlichen Anmerkungen, in denen mit
großem Fleiße ein reiches Material aus den Autoren, Inschriften und
neueren Werken zusammengestellt und verarbeitet ist. In beiderlei
Hinsicht bescheidener sind die sprachlichen Anmerkungen ausgefallen.
Verhältnismäßig zahlreich sind die kritischen Erörterungen. Jedenfalls wird
man die Ausgabe gern als eine sehr achtenswerte Leistung bezeichnen.
Der Text weicht nicht selten vom Rothschen ab, an folgenden
Stellen mit Recht: 4 Süvani statt Silani, 4 nuncuparet statt nuncuparit,
13 aquila statt aquilae (sämtlich nach den Handschriften), ferner
2 Jullo statt Julo (mit Inschriften), 20 magna potius necessariaque
(Madvig), 41 sed transiit statt sed et transiit (Torrentius), 44 urguebant
statt arguebant (Baumgarten — Crusius).
Andere eigene Konjekturen teilt der Herausgeber in den
Anmerkungen mit; daß ich sie sämtlich für überflüssig halte, habe ich
in der erwähnten Rezension näher begründet.
Ferner werden in den Anmerkungen fremde Konjekturen zur
Aufnahme empfohlen: 21 quodque appellari coepit sportula mit
Lipsius statt quodque appellare coepit sportulam. Der Gedanke, daß
das Volk die betreffenden Spiele sportula genannt habe, ist nicht übel,
aber der Anstoß, den Smilda an coepit nimmt, bleibt im wesentlichen
bestehen. In demselben Kapitel wird wegen der Berichte bei Tacitus
und Dio von manchen fi'üheren Herausgebern eine Lücke angenommen,
in der quadriremium und 1 Zahl gestanden habe. Dies ist mindestens
unsicher. 25: talis rebus verbisque plerumque mit Polak statt talis
ubique plerumque. Letzterer Ausdruck ist zwar kein eleganter, aber
doch wohl nicht zu beanstanden. Nicht ubique entspricht dem vorher-
gehenden ex magna parte, sondern plerumque, während ubique in Be-
ziehung steht zu totum principatura und von Oudendorp richtig durch
omni re et loco erklärt ist. Überdies ist die empfohlene Konjektur
paläographisch nicht gerade leicht.
Sehr oft werden fremde Konjekturen älteren oder jüngeren
Datums in längerer oder kürzerer Erörterung als unnötig zurück-
gewiesen. Hier stimme ich dem Herausgeber fast stets bei.
8*
1 16 Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.)
Stories of the Caesars from Suetonius. Being selections
from the lives of Julius aud Augustus. Edited with notes,
exercises and vocabulary by Herbert Wilkinson. London,
Maciuillau and Comp. 1896. 12. 132 S.
Rez.: Academy Bd. 51 No. 1290 S. 111. — Saturday review
No. 1251 S. 73.
Ich erwähne dieses Buch nur der Vollständigkeit halber. Der
Verf. giebt nach seiner ausdrücklichen Versicherung keine Sueton-
ausgab e , sondern ein Lesebuch etwa für Tertianer, die bereits etwas von
Cäsar gelesen haben. In deren Interesse hat er im Text UmstelluDgen,
Auslassungen, Einschiebungen u. s. w. vorgenommen, namentlich auch,
um Ausdrücke und Konstruktionen der silbernen Latinität zu beseitigen.
Die auf germanische Verhältnisse sich beziehenden Stellen
des Suetonius sind zusammengestellt bei Riese, das rechtsrheinische
Germanien in der antiken Litteratur (Leipzig, Teubner, 1892), siehe
Erstes Register S. 459. Zu Grunde liegt der Rothsche Text. Caes.
25 (S. 36) wird die bei Roth angegebene Lücke richtig durch sestertium
quadringenties ergänzt (so auch der Vaticanus Lipsii). — Aug. 25
(S. 83) werden die Worte sub priore vexillo durch ein hinzugesetztes
Kreuz als verderbt bezeichnet. Vgl. S. 104. — Unbegründet ist Cal. 48
(S. 108) die Streichung der Worte post excessum Augusti.
Zahlreiche Abschnitte aus den vitae Caesaris, Augusti, Tiberii,
Caligulae, Claudii, sowie die vitae Orbilii und Horatii sind abgedruckt
in der Chrestomathie aus Schriftstellern der sogenannten
silbernen Latinität von Th. Opitz und A. Weinhold (Leipzig 1893),
Heft 1 S. 1 — 118. Der Text der Kaiserbiographien ist im wesentlichen
der Rothsche. Etliche Änderungen, namentlich Ausfüllung von Lücken,
dienen ledigb'ch dem Zwecke, die betreffenden Stellen für die Schüler
lesbar zu machen. Von andern erwähne ich: Caes. 25 Ausfüllung der
Lücke durch quadringenties, vgl. oben; Aug. 73 hiemavit statt hiemaret
(Mähly); Claud. 2 Jullo Antonio statt Julo, vgl. S. 115. Eür Orbilius
und Horaz liegt der Reifferscheidsche Text zu Grunde, am Ende der
Horazbiographie ist jedoch dessen Konjektur beseitigt und post septimum
et quinquagesimum annum geschrieben worden.
Aarelias Victor.
1. Origo genti.s Romanae.
J. W. Beck, de sermone libelli „Origo gentis Romanae" adnota-
tiunculae. Mnemosyne Nova series. XXII (1894) S. 338—344.
Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.) 117
Der Inhalt vorliegender Abhandlung ist folgender: In der Form,
wie die Origo überliefert ist, stammt sie von 2 verschiedenen Verfassern:
der iirspüngliche grata simplicitate proposuit antiquae urbis fata, der
andere omnia suis flosculis conspersit. Der eigentliche Verfasser war
ein Zeitgenosse etwa des Diocletian oder des Lactantius und Hiero-
nymus, oder, wie es an anderen Stellen heißt, er lebte nach Apuleius,
aber vor der Abfassung von Hieronymus' Chroniken. Er war mit den
Schriftstellern aller Perioden der römischen Litteratur ziemlich vertraut
und keineswegs ein falsarius. Alles dies wird von Beck mehr behauptet
als bewiesen. "Weiterhin erörtert er einige Punkte des Sprachgebrauchs,
zunächst Ausdrücke wie restitui fecit, incunctanter, circumquaque, in-
vadere = devorare, ferner Spuren des sermo \Tilgaris, Ausdrücke, die
sonst sehr selten oder gar nicht vorkommen, und Anklänge an Cicero,
Ovid, Sallust, Quintilian, Lactantius. Der Vorschlag, 12, 4 defectum
cibo statt refectum zu lesen, hat manches für sich.
Manitius, Philologisches aus alten Bibliothekskatalogen. Rh.
Mus. N. F. 47, Ergänzungsheft S. 152.
Origo gentis Romanae wird 'ausgebeutet' im Additamentum
codd. 2. 2 ab. 3 des Gotefridus Viterbiensis spec. regum I 32. 34 etc.
(M. G. SS. XXII, 55).
2. De viris illustribus.
G. Schoen, Die Elogien des Augustusfomm und der Über de
viris illustribus urbis Romae. Programm des k. k. Staatsgymnasiums
in CUli. 1895. 8. 46 S.
Im 1. Kapitel erörtert der Verf. nach einigen allgemeineren Be-
merkungen über die Elogien, namentlich über deren Komposition, die
Frage, inwieweit sich Vorbilder für sie bereits in der republikanischen
Zeit finden. Als solche sind u. a. die tituli iraaginum anzusehen.
Diese wurden litterarisch zuerst von Varro und Atticus verwendet.
Ersterer behandelte nicht nur Römer, sondern Männer aus der ganzen
"Weltgeschichte, auch nicht nur Staatsmänner, sondern Vertreter aller
Berufsklassen. Seinem Beispiele folgten Nepos, Hygiuus u. a. Dagegen
beschränkte sich Atticus auf die hervorragendsten Staatsmänner Roms.
Sein Werk wird ungefähr 39 v. Chr. abgeschlossen gewesen sein.
"Wenige Jahre darauf baute Augustus sein Forum und schmückte es
mit den Bildern berühmter Römer, die er mit entsprechenden Inschriften
versah. Bei den engen Beziehungen des Augustus zu Atticus, nament-
lich auch in litterarisch -antiquarischer Hinsicht, hält es der Verf. für
so gut wie sicher, daß ersterer für jene Elogien die Schiift des.
118 Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.)
letzteren benutzte, ja er glaubt, daß 'Augustus in seinen Elogien
das Werk des Atticus mit geringen Modifikationen wiedergab'. —
2. Kap.: Die Biographien der Schrift de viris illustribus zerfallen
in 2 große Gruppen : 1. 'in der größeren Hälfte werden Männer geschildert,
welche in der römischen Republik die hervorragendsten Ämter be-
kleideten" ; 2. 'einen ganz anderen Charakter haben' Horatius Codes, Scae-
vola u. s. w., wo es sich mehr um einzelne Thaten handelt. Zwischen
letzteren vitae und den Berichten des Ampelius zeigen sich solche
Ähnlichkeiten, daß von beiden dieselbe (biographische) Quelle benutzt
worden sein muß. Aus ebenderselben hat auch Florus geschöpft. Denn
daß nicht dieser vom Verfasser der Schrift de vir. ill. ausgeschrieben
worden ist, wie Hildesheimer annahm,^) sondern daß die Überein-
stimmung auf eine gemeinsame Quelle zurückgeht, ergiebt sich schon
daraus, daß die Erzählungen in de vir. ill. mitunter Einzelheiten ent-
halten, die bei Florus fehlen, man vgl. z. B. de vir. ill. 20 und 21
mit Flor. I, 17; 64 mit II, 2; 65 mit II, 3; 73 mit II, 4; 66 mit n, 5.
Die Biographien, in denen sich diese engen Beziehungen zu Ampelius
und zum Teil zu Florus zeigen, zerfallen in 6 Gruppen: 1. qui pro
populi Romani salute se optulerunt (Amp. 20), 2. Männer, welche bei den
secessiones eine Rolle spielten (Amp. 25), 3. qui adversus patriam ne-
faria iniere consilia (Amp. 27), 4. populus Komanus cum quibus genti-
bus bella conseruit et quibus causis (Amp. 28), 5. Männer, welche
während der seditiones eine Eolle spielten (Amp. 26), 6. ordo belli
Mariani (Amp. 42). Hinzukommen noch einige einzeln stehende vitae.
Nach Abzug aller dieser Abschnitte bleibt ein Grundstock von
47 Kapiteln übrig, in denen sich sogar 3 direkte Widersprüche mit
Ampelius finden. Dagegen zeigen sie große Ähnlichkeiten mit den
Elogien. Daraus folgert der Verf., daß diese 47 Kapitel auf Atticus,
die übrigen aber auf eine Quelle der Varronischen Richtung zurück-
gehen, jedoch in der "Weise, daß diese beiden Autoren nicht direkt be-
nutzt worden seien, sondern 'wahrscheinlich unmittelbare Nachfolger .
Dabei denkt der Verf., namentlich auch gestützt auf die Überschrift
vor der origo gentis Romanae, an Verrius Flaccus. In vielen dieser
Punkte, namentlich in der Annahme einer gemeinsamen Quelle für
Ampelius, Florus und de vir. ill., wird man dem Verf. gern beistimmen.
Dagegen scheinen mir die Beziehungen zwischen den Elogien und der
Schrift de vir. ill. doch gering zu sein. Daß der Ausdruck mitunter
übereinstimmt, läßt sich nicht in Abrede stellen. Aber, da in beiden
^) Offenbar ist es dem Verf. entgangen, daß ich Hildesheimers An-
nahme mit ganz ähnlichen Gründen in den Jahrbüchern für Philologie
Bd. 123 (1881) S. 203 f. entgegengetreten bin.
Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.) 119
Werken ein möglichst kurzer und schlichter Ausdruck gesucht ist, so
konnten, ja mußten zuweilen beide Autoren zufällig sich des gleichen
bedienen. Demnach möchte ich die daraus gezogenen Schlußfolgerungen
als sicher zu bezeichnen doch Bedenken tragen. Auch dürfte es geratener
sein, die sonderbare Überschrift vor der origo lieber aus dem Spiele
zu lassen. — Im 3. Kap. sucht der Verf. die Zahl der auf dem Au-
gustusforum vorhanden gewesenen Statuen und Elogien zu bestimmen.
Soltau, Nepos und Plutarchos. Neue Jahrb. f. Philol. Bd. 153
(1896) S. 123—131.
S. 125 ff. sucht der Verf. die schon wiederholt ausgesprochene
Vermutung, daß in der Schrift de viris illustribus Cornelius Nepos
benutzt sei, durch Vergleichung mit der im Auszug erhaltenen Cato-
biographie des Nepos und weiterhin mit Plutarch zu erweisen, von dem
nach seiner Annahme dieser Autor in seiner vollständigen Form nicht
selten benutzt worden ist. Namentlich betont er dabei den Umstand,
daß die Gewinnung des Ennius, die 204 erfolgte, nur de vir. ill. 47, 1 und
Nep. Cato 1, 4 ins Jahr 198 gesetzt wird. Ferner stellt er die
übrigen Teile dieses Kapitels mit Flut, Cato 9, 13 f., 16 f. zusammen,
nur daß dessen bedeutend ausführlicherer Bericht allerdings aus Poly-
bius oder Livius ergänzt sei, weiterhin, um nur das Wichtigste zu er-
wähnen, de vir. ill. 33 und Plnt. Cato 2, de vir. ill. 45 und Plut.
Marc. 30, de vir. ill. 74, 7 und Plut. Luc. 38 Ende nebst 39 Anfang. —
Abgesehen von der Stelle über Ennius sind alle diese Erörterungen
nicht so schlagend, daß nicht lebhafte Zweifel an der Benutzung des
Nepos durch den Verfasser der Schrift de viris illustribus bestehen blieben.
Kühl, Berliner philologische Wochenschrift 1895 S. 469.
Plinius Secundus de moribus et vita imperatorum im Bibliotheks-
katalog von St. Riquier (Manitius, Philologisches S. 59 und 70) ist
wohl Plinius de viris illustribus und Victor (oder Epitome) de
Caesaribus.
Tb. Opitz, ad librum de viris illustribus. Commentationes
WoeUflinianae (Leipzig, Teubner, 1891) S. 363—369.
An folgenden Stellen wird die von Wijga aufgenommene Lesart
verworfen: 2, 3 iteretur statt iteraretur mit A. — 5, 2 Murciam et
Janiculum montes urbi addidit (Konj.). — 9, 1 ita statt itaque mit
AC XV. — 9, 1 vel lusu ist eine alte Variante zu convivio und zu
streichen, — 14, 3 usque ad unum mit allen Hss. — 24, 5 a senatu
. . . . argueretur mit allen Hss. — 30, 2 Romanis dicerent statt
Romanos docerent mit B und im Anschluß an A. — 37, 3
duceret statt deduceret mit AC. — 39, 3 Catinam statt Game-
120 Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.)
rinam mit den Hss. — 49, 17 Quirites (Klotz) ist falsch. Aus der
Überlieferung ergiebt sich quare, doch ist dies vor in Capitolium eamus
zu setzen. — 51, 4 Zwischen Samiae und per ist eine größere Lücke
anzunehmen. — 61,3 Arbacos statt Arevacos mit B und im Anschluß
an A. — 71, 2 cum et alia dedisset et arma peterentur (Konj. mit
Benutzung eines Vorschlags von Keil). — 73, 7 clamarunt (Konj.). —
74, 2 ministerio llurenae nach den Spuren der Überlieferung mit
Schott — 76, 6 acrius statt Cabiris mit den Hss. — 77, 6 in Hyr-
cannm .... usque statt ad mit den Hss. — 77, 6 nunc in septen-
trionem nunc in orientem, ersteres statt rerum mit A, letzteres
mit allen Hss statt tum.
Petschenig, colligere = tollere. Archiv für lateinische Lexiko-
graphie Vin S. 140.
Heraeus, colligere = tollere. Daselbst IX S. 135.
De vir. ill. 1,3 ist collectos richtig und bedeutet 'aufheben', wie
Just. 33, 2, 2 und 4, Frontin. 4, 5, 17, Eutr. 9, 23, wo es einzusetzen
ist (vgl. oben S. 82). Heraus stimmt dem mit Recht bei und giebt
weitere Belegstellen, namentlich Nepotianus pag. 607, 8 ed. Kempf
und 2 Stellen aus Quintilians Deklamationen.
Hülsen, Das Grab des Hannibal. Berliner philologische Wochen-
schrift 1896 S. 28—30.
Schwab, Daselbst. S. 1661—1663.
Zur Erläuterung des Berichtes über Hannibals Grab (de vir. ill.
42, 6) führt Hülsen die bis jetzt übersehene Stelle Tzetzes chil. I bist. 27
an, aus der sich ergiebt, daß der erste Afrikaner auf dem römischen
Kaiserthrone, Septimius Severus, seinem Landsmanne ein Denkmal aus
weißem Marmor gesetzt hat. Im Anschlüsse daran schildert Schwab
das alte Libyssa aus Autopsie: es ist in der Gegend der heutigen
Station Dil (36 km von Ismid) zu suchen. Der 20 Min. südösilich von
Gebize gelegene Grabhügel, der als Hannibals Grab bezeichnet wird,
trägt seinen Namen nur mit legendärem Rechte.
Helm reich, zu Aurelius Victor c. 76. Philologus 52 S. 560.
de vir. ill. 76 quod cum tardius vim exhiberet statt tardius biberet
(o ebiberet ß combiberet) unter Vergleichung von Scribon. Long, c, 20»
271, 106, 75 (wegen exhibere). Sehr beachtenswert.
3. Caesares.
Guilelmus Schmidt, de Romanorum iraprimis Suetoni arte
biographica (siehe oben S. 101) 8. 65 — 66.
Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.) 121
Verf. sucht an der vita Diocletiani aus den Caesares und der
vita Theodosii aus der epitome nachzuweisen, daß auch die Verfasser
dieser beiden Werke sich im wesentlichen des von Sueton durcligeführten
Schemas der Disposition bedient haben. Dabei versteigt er sich zu
den beiden mehr als kühnen Behauptungen, daß der erste Teil der
Caesares nur ein Excerpt aus Sueton und die epitome, abgesehen vom
Schluß (43 — 48), ein solches aus den Caesares seien.
Manitius, Philologisches aus alten Bibliothekskatalogen. Rh.
Mus. N. F. 47, Ergänzungsheft S. 152.
Von den Caesares wird laus Tiberii benutzt durch Henricus
Hutendunensis bist. Anglorum (ed. Arnold) pag. 20.
Franz Pichlmayr, zu den Caesares des Sextus Aurelius Victor.
Festgruß an die XLI. Versammlung Deutscher Philologen und Schul-
männer von dem Lehrerkollegium des K. Ludwigsgymnasiums in
München. S. 11—22.
Nach einigen Bemerkungen allgemeiner Natur, z. ß. über sprach-
liche Eigentümlichkeiten, behandelt der Verf. ungefähr 20 Stellen. Auf
seine Konjekturen komme ich unten bei Besprechung seiner Textaus-
gabe zurück. An etlichen Stellen verteidigt er die handschriftliche
Überlieferung mit Recht: 10, 3 gladiatoris, 11, 2 deinceps als indekli-
nables Adjektiv, 13, 8 quae Suranae sunt, 20, 26 victor tantorum exer-
citus, 39, 10 ageret. Sehr hart erscheint mir dagegen die Zulassung
der Ellipse 20, 22 cunctis liberalium deditus studiis und 20, 31 secun-
darum initia. Eher würde ich sie noch 26, 1 quis biennium summae
potitis zugeben. Zweifelhaft ist es mir auch, ob man das Asyndeton
13, 1 accepit dedit als juristische Formel rechtfertigen kann. Mit Recht
wird 41, 21 novando statt novandae (Anna Fabri) empfohlen, weniger
sicher ist 39, 28 instituto statt institutio (Schott).
SextiAureliiVictoris de Caesaribus über. Ad fidem codicum
Bruxellensis et Oxoniensis recensuit Franciscus Pichlmayr. Pro-
grarama gymnasii Ludoviciani Monacensis 1892. Monachii typos curavit
F. Straub. 8. VIII und 59 S.
Rez,: Wochenschrift für klass. Philologie X No. 26 S. 713—715
(Opitz). — Neue philol. Rundschau 1893 No. 15 S. 227—229 (Opitz).
— Archiv für lateinische Lexikographie VIII S. 309.
Die Caesares des Aurelius Victor sind in 2 Handschriften über-
liefert, einer Brüsseler (P) und einer Oxforder (0). Erstere ist 1850
von Mommsen aufgefunden und als die Handschrift erkannt worden,
nach der Schott 1579 die editio princeps veranstaltet hatte, während
die Oxforder erst vor etwa 12 Jahren entdeckt worden ist. Pichlmayr
122 Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.)
ist nun der erste, der auf Grund dieser beiden Handschriften eine
kritische Ausgabe der Caesares veranstaltet hat, und zwar in einer im
wesentlichen durchaus befriedigenden Weise.
Außerordentlich zahlreich sind die Stellen, an denen der Text
von dem bisher üblichen abweicht. Vielfach geschieht dies auf Grund
beider Handschriften, nicht selten aber bietet nur 0, mitunter P allein
das Richtige. Im allgemeinen nämlich beansprucht, wie schon Cohn
(vgl. diese Jahresberichte LXXH S. 64) bemerkt hat, die erstere Hand-
schrift die größere Autorität, was jedoch natürlich nicht ausschließt,
daß manche Stellen in ihr verderbt, dagegen in P unversehrt erhalten
sind. Im einzelnen ist die Entscheidung nicht immer leicht zu treifen,
eventuell wird man sich sogar mit einem non liquet begnügen müssen.
Außerdem hat der Herausgeber von Konjekturen älteren und neueren
Datums manche in den Text eingesetzt, andere nur in den unter diesem
stehenden Anmerkungen erwähnt.
Um nun ein Bild von der Neugestaltung des Textes zu geben,
teile ich aus 2 auf gut Glück herausgegriffenen Kapiteln die Ab-
weichungen des Textes von der Bipontina mit, deren Lesarten vor der
Klammer stehen: Kap. U, 1 idem] deinde; insontes] insontes noxios;
2 quaesierat] quaesiverat; 3 provincia] provinciam; proruperant. Prae-
torias] proruperant. Simul Marobodus calcide circumventus , Sueborum
rex; neque minus contractas undique cohortes praetorias. — Kap. XI, 4
et suo] e suo; opera] operum; 6 quisquamne] quispiamne; 7 anno vitae]
vitae anno; 11 omissionem] amissionem; 12 nescio quoque] quoque
nescio; 13 at] ac. —
Fremde Konjekturen haben an folgenden Stellen mit Recht Auf-
nahme gefunden: 2, 3 in provinciam statt in provincia (Opitz). — 3,8
praedica^it statt praedicaret (Schott). — 4, 11 viro statt virum (Opitz). —
9, 7 multaque alia statt raultaeque aliae (Mähly). — 13, n Italiam
statt militiam (Freudenberg). — 17, 7 potentia sustentatur statt poten-
tiam sustentantur (Mommsen). — 20, 6 parce statt parte (Wölfflin).
— 20, 13 pronos eingeschoben (Schott). — 20, 23 retentaverit statt
retentavit (derselbe). — 21, 1 adficiens statt adiciens (Gruter). —
24, 1 Arce statt arthe 0, arch§ P (Mommsen). Wohl richtig. —
35, 12 necis nuntius statt necis 0, neces P (Freudenberg). Wohl
richtig. — 39, 30 quadripartito statt qi partito 0, qi partito P (Freuden-
berg). — 39, 45 ecqni statt hecqui 0, h^c qui P (Schott). — 40, 21
segnitiem statt segnitie (Mommsen). — 41, 15 obsistentibus statt absi-
stentibus 0, assistentibus P (Mommsen). Wohl richtig. — 42, 7 atque
cadaveribus statt ant cadaveribus (Opitz). — 42, 11 iu regni speciem
statt specie (Anna Fabri).
Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.) 123
Eigene Konjekturen, von denen die mit * bezeichneten in der
oben erwähnten Abhandlang näher begründet sind, sind mehrfach in
den Text eingesetzt worden. Die wichtigsten sind folgende: *3, 1 Claudio
febri an insidiis oppresso statt Claudio Ferian. Beachtenswert. — *5, 12
praeversa statt perversa. — *8, 8 eruditionis sumat auctoritatem statt
auctoritatis sumat eruditionem. Wohl richtig. — 13, 3 capillatisque
statt satisque. Fein erdacht, aber doch unsicher. — *15, 1 atque vor
Aurelio eingeschoben. Daß ein Wort ausgefallen ist, ist klar. Ob
aber gerade atque? Die Konstruktion ist doch sehr hart. — *20, 33
iccircoque morte statt iccirco morteque 0, idcirco morte P. — *21, 1
Antoninianas nomen e suo statt anthonias nomine 0, antonianas nomini
P. — *31, 18 ni statt nisi. Beachtenswert. — *39, 2 barbarum
statt barura.
Einige Stellen hat der Herausgeber durch einen Stern gekenn-
zeichnet, vermutlich um anzudeuten, daß sie noch nicht geheilt sind
(5, 10 nequaquam, 15, 3 Sardonios, 33, 31 perduci, 41, 3 praeter ad-
modum magna cetera.) In dem Falle müßte aber die Anzahl der Sterne
viel größer sein. Mir wenigstens scheint die Überlieferung viel öfter
unhaltbar zu sein, ohne daß jedoch bis jetzt eine befriedigende Lösung
der Schwierigkeit gefunden wäre. Als solche Stellen nenne ich 3, 8 uti
talia ingeuia recens solent, 3, 14 praelatumque; 4, 13 iccircoque; 5, 17
quae adeo multae albaeque erant aptioresque religionibus ; 20, 6 quemque
ad sua celsos habet; 20, 18 quoad ea utilis erat; 20, 28 ortus medie
humili, wenn nicht nur ein Druckfehler statt ortu vorliegt, wenigstens
hat P dies nach meiner Kollation; 20, 31 deinde laborantibus; 22, 3
Interim reperimus; 23, 2 libidinum ferendarum; 24. 5 opus urbi floren-
tissimum celebrio fabricatus est; 35, 5 cooptavit; 37, 3 caesis Saturnino
per Orientem, Agrippinae Bonoso exercitu; 39, 26 quamquam humani-
tatis parum; 40, 17 milites tumultuarie quaesiti; 41, 20 muneribus.
Kindt, zu Sextus Aurelius Victor. Herrn. XXVI S. 317—319.
Pichlmayer, desgleichen. Daselbst XXVI S. 635—636.
Caes. 33, 6 : expositus Saloninae coniugis (coniugi Hss) atque amore
(amori H^s) flagitioso filiae Attali, event. auch mit Umstellung der
Worte amore flagitioso, wobei expositus = prostitutus, wie Lact. I, 7.
Pichlmaj'er schützt mit Recht die Überlieferung, da Salonina die recht-
mäßige Gattin des Gallienus war. — 40, 2 ist aus Epitome 41, 2
(perurgebant) agebant in angebaut zu ändern. Mit Eecht von Pichl-
ur
mayer verworfen, denn in 0 ist urgebant, in P agebant überliefert.
Die auf germanische Verhältnisse sich beziehenden Stellen
der Caesares sind zusammengestellt bei Eiese, das rechtsrheinische Ger-
124 Bericht üb. d. Litteratux zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.
manien in der antiken Litteratur (Leipzig, Teubner, 1892), siehe Erstes
Register S. 453. Zu Grunde liegt der Arntzennsche Text. Ab-
weichungen sind nicht angemerkt.
4. Epitome.
Rühl, Berliner philologische Wochenschrift 1895. S. 469.
Libellus de vita et moribus imperatorum a Cesare Augusto usque
ad Theodosium im Bibliothekskatalog von Cluny (Manitius, Philologisches
S. 80) ist die Epitome.
Hau 1er, junge Handschriften und alte Ausgaben zu Sallust.
Wiener Studien XVII S. 105.
Urbinas 111 (15. Jahrh.) enthält fol. 14b— 45a die Epitome.
Kindt, zu Sextus Aurelins Victor. Herm. XXVI S. 317—319.
Pichlmayer, desgleichen. Daselbst XXVI S. 635—636.
Epitome 2, 7 incidere exitia postremo statt postrema. Von
Pichlmayer mit Recht als überflüssig bezeichnet unter Vergleichung von
Epit. 40, 5 und Caes. 4, 5.
Moddermann, lectiones Suetonianae. Groningen 1892. S. 70.
thesis Vnil: Epit. 9, 15 vigilare corrigendum est in evigilare.
K. E, W. Strootman, der Sieg über die Alamannen im Jahre
268. Hermes 30 S. 355—360.
Die vielfach bezweifelte Angabe Epitome 34, 2 über einen Sieg
Claudius II. über die Alamannen in der Nähe des Gardasees wird be-
stätigt durch Münzen und Claudius' Beinamen Germanicus. Dunckers
Versuch, diesen auf einen Sieg zurückzuführen, den Claudius' Feldherr
Aurelianus 270 über die Suebi und Sarmatae im nordwestlichen Ungarn
davongetragen, ist deshalb zurückzuweisen, weil genannter Beiname sich
bereits auf einer Inschrift aus dem Jahre 269 findet.
Wölfflin, Archiv für lateinische Lexikographie X S. 178.
Epitome 45, 6 ist neben pingere venustissirae , meminisse auch
vetustissime überliefert. Dies würde zu meminisse zu ziehen sein.
Aber in allen Haupthandschriften sowie bist. misc. pag. 281, 19 ed.
Eyss. steht venustissime.
Die auf germanische Verhältnisse sich beziehenden Stellen
der Epitome sind zusammengestellt bei Riese (siehe oben) Erstes
Bericht üb. d. Litteratur zu späteren röm. Geschichtsschreibern. (Opitz.) 125
Register S. 455. Zu Grunde liegt der Arntzennsche Text. 41, 3
(S. 232) wird mit Recht Croco statt Eroco geschrieben (so auch alle
mir zu Gebote stehenden Hss). — 42, 14 (S. 258) Baldomarum mit
der Bemerkung 'so hat nach Vinetus Angabe die Hs'. Der Heraus-
geber scheint die Überlieferung der Epitome mit der der Caesares ver-
wechselt zu haben. Übrigens schwanken die eben genannten Hss
zwischen Badomarium und Baldomarium. — Zu 47, 6 (S. 327) paucos
ex Alanis bemerkt der Herausgeber 'vielleicht Alamannis?'
/<^
Bericht über die Litteratur,
betreffend
Valerius Maximus und seine Epitomatoren
1891—1897 (inkl.)
von
Dr. Wilhelm Heraeus,
Gymnasiallehrer in Offenbach a/M.
Seit dem letzten Jahresbericht, den noch der mittlerweile (1895)
verstorbene, nm Valerius Maximns hochverdiente Direktor Prof.
Dr. Carl Kempf^) erstattet hat (Bd. LXIH. 1890. n S. 254—286),
ist keine neue Ausgabe dieses Schriftstellers erschienen. Die in Eng-
land und Amerika von Zeit zu Zeit veranstalteten Auswahlen für Schul-
zwecke können als wissenschaftlich bedeutungslos übergangen werden.
Von ausführlicheren Abhandlungen, die sich mit der Kritik des Val.
Max. und seiner Epitomatoren beschäftigen, ist zunächst die Arbeit des
Ref. zu nennen:
Guilelmus Heraeus, Spicilegium criticum in Valerie Maximo
eiusque epitomatoribus. Jahrb. f. Philol. Suppl. XIX, 579 — 636,
auch separat erschienen. Leipzig 1893, Teubner.
In Anknüpfung an die zweite Kempfsche Ausgabe vom J. 1888
verteidigt der Verf. unter sorgfältiger Beobachtung des Sprachgebrauchs
des Val. und seiner Zeit, sowie mit besonderer Berücksichtigung des
paläographischen Elements an einer großen Anzahl von Stellen die über-
lieferte Lesart gegen Änderungen alter und neuer Gelehrter, bes. Gertz,
Kempf, Kraffert, Noväck, Wensky. Unter demselben Gesichtspunkt
werden fremde Vermutungen empfohlen, zu anderen Stellen eigene vor-
*) Einige von Kempf übersehene Schriften sind von mir am Schluß
nachgeholt (S. 147).
Bericht üb. die Litteratur, betreff. Valerius Maximus etc. (Heraeus.) 127
getragen. Von Verteidigungen der hdschr. Überlieferung erwähnen wir:
1, 1 ext. 5 factum Masinissae animo quam Punico sauguini conveniens
(ohne Einfügung von magis); 1, 8 ext. 12 Prusiae filius unum os aequa-
liter extentum habuit, wo Kraffert unum <per>- os vermutete gegen
die vermutliche Quelle des Valerius (s. Liv. epit. 50). Gegen denselben
Gelehrten wird 1, 7 ext. 3 diuturnius illi in animis horainum sepulcrum
constituens quam in desertis et ignotis harenis struxerat in Schutz ge-
nommen (Kr.: quam <quod> ind.) unter Hinweis auf den Sprachge-
brauch des Livius, Cäsar (b. c. 2, 4, 3) und Vell. (2, 43, 3), an welchen
beiden Stellen man auch das Relativum hat zusetzen wollen: ich füge
hinzu, daß sogar Val. selbst 2, 8, 3 non plura (diese Woi-te sind aller-
dings kaum heil) praecerpens quam acciderunt schreibt, wie auch Cic.
Att. I, 11, 3 quanto deteriores oflfensurus sis quam reliquisti und II, 21, 1
hoc est miserior (resp.) quam reliquisti, wo Boot cum hinter quam ein-
schiebt, Sen. ep. 91, 13 meliora surrectura quam arsissent, wo Windhaus
quae vermutet, obwohl certiora quam amisere folgt. 2, 6, 7 wird die
Überlieferung ne talia spectandi consuetudo etiam imitandi licentiam
sumat erklärt: ne talia spectare sueti imit. 1. sibi sumant. 2. 7, 15 wird
nachgewiesen, daß Val, bei der vielfach angefochtenen, ja von Gertz
für ganz unverständlich erklärten Worten ultra mortuorum condicionem
relegasse, die von Cicero zweimal (p. red. ad Quir. 4, 10 u. p. Quint.
15, 49) angewendete Redensart infra omnes mortuos, bez. i. etiam m.
amandare vorgeschwebt hat. 3, 8, 4 wird die Wendung in exsilium
quam in legem eins ire malnit durch ähnliche Phrasen, wie ire in sen-
tentiam, in voluntatem alcjs und durch die Sucht des Val. nach para-
doxen Zusammenstellungen entschuldigt, wie 9, 3 ext. 4 non prius capillo-
rum decorem in ordinem quam urbem in potestatem redegit (selbst
Cicero sagt Tusc. 1, 40, 97 vadit in eundera carcerem atque in eundem
scyphum, was man ohne Not beanstandet hat). 3, 8, 5 wird summa
cupiditate ferebatur gegen Gertz effer. durch zahlreiche Belege ge-
schützt. Desgl. 4, 4, 2 hodieque gegen Halms hodie quoque, 4, 3, 6 quod
eventus quoque iudicavit gegen die herkömmliche Änderung indicavit
(leider ist durch ein Druckversehen S. 599 der Sachverhalt umgekehrt
worden) durch Hinweis auf Cic. Phil. 11, 13, 34 contra ac Deiotarus
sensit victoria belli iudicavit u. a. — 5, 6, 5 P. Decius . . facta ingenti
strage plurimis teils obrutus super corruit wird super als insuper 'oben
drauf erklärt und dieser in den Lexicis vernachlässigte Gebrauch
massenhaft belegt, wozu ich Paris epit. 6, 3, 1 M. Flacco et L. Satur-
nino occisis domus super diruta est (vgl. Val. interempto (Dativ) domum
superiecit) füge und bemerke, daß in der Quelle des Valerius Liv. 8,
6, 10 super eas se devovisset die sinnliche Bedeutung der Präposition
ohne Not von den Erklärern verlassen wird. — 5, 10 ext. 1 wird ge-
128 Bericht üb. die Litteratur, betreff. Valerius Maximus etc. (Heraeus.)
zeigt, daß ille vero eine echt valerianische Form der Rede ist und nicht
in imo vero abzuändern. 6, 1, 7 wird in terram defixo statt des regel-
mäßigen in terra durch zahlreiche Stellen belegt (füge hinzu: Frontin
strat. 2, 3, 17. Plin. n. h. 8, 51. Sil. 10, 396. — 6, 2, 3 wird plebs
Romana libertati Scipioni libera non fuit gegen die von Madvig erhobenen
Bedenken verteidigt durch die Erklärung liberis conviciis Scip. obnoxia
fuit, welche Wendung Val. verschmäht habe, um mit dem Doppelsinn
von Über spielen zu können. — 6, 8, 4 wird auxilii supplex, woran
Wensky Anstoß nahm (er vermutet mancipii s.), durch Hinweis auf
Cic. p. Cael. 32, 79 supplicem vestrae misericordiae geschützt. 7, 3, 4
erklärt H. modo nach 5, 6 ext. 4 de modo agri und 5, 2 ext. 4 regni
modo („Umfang"). 7, 7, 7 wird Q. Metellus praetorem severiorem egit
quam Orestes gesserat gegen Novaks Änderung egerat durch den Hin-
weis auf 9, 1, 9, wo dieselbe Abwechselung von ago und gero vorliegt,
verteidigt und bemerkt, daß gero in diesem Sinne auch 4, 1, 4 vor-
kommt und zwar, wie scheint, zuerst bei Val. (die Lexika eitleren es
nur aus späten Schi"iftstellern). 8. 6, 1 wird heredem tollere als filinm
heredem futurum tollere erklärt und gegen Änderungen geschützt durch
die Stelle Juven. 6, 38 (tollere dulcem cogitat heredem), ferner nach-
gewiesen, daß Kraffert die Stelle total mißverstanden hat. — 9, 2, 1
belegt H. die Ausdrucksweise felicitatis nomen, wofür man felicis ver-
langt hat, durch analoga des Val. wie bonitatis cognomen 3, 8 ext. 1
(von Phocion) u. a. — 9, 3, 2 wird quis populo Romano irasci sapienter
potest? erklärt 'wer kann dem römischen Volk verständigerweise zürnen?*
9, 12, 3 wii-d getadelt, daß Kempf sich von Halm hat verführen lassen,
excindenda Karthago für das überl. excidenda K. in den Text zu setzen;
selbst Kaiser Augustus schreibe im Mon. Aue. I, 15 exteras gentes con-
servare inquam excidere malui: die Halmsche, von Lahmeyer Philol.
38,150 f. weiter ausgebaute Theorie, daß die Lateiner bei urbem
moenia, domos, gentem nicht excidere, sondern excindere gesagt
hätten, wonach alle entgegenstehenden Stellen ohne weiteres abzuändern
seien, scheint noch immer Anhänger zu haben, da selbst Roßbach in
seiner Florus- Ausgabe 1, 18, 37 ihr folgt (vgl. des Ref. Bemerkung
Woch. f. kl. Phil. 1897 S. 549). — An einigen Stellen weist Verf.
ÄndeiTingen zurück, die man auf den Epitomator Paris gebaut hat,
z. B. 3, 2 ext. 9 obiecit für subiecit (Val. spiele mit dem Doppelsinn
von subicere = 'preisgeben' und 'unterschieben'). 5, 10, 1 dürfe man
nicht deshalb, weil bei Paris die Worte tolle, inquit, cadaver ständen,
eine Lücke im Val. nach audisset annehmen, da Val. hier nicht dem
Livius gefolgt sei, wohl aher Paris, wie öfter, wahrscheinlich auch hier
aus Livius die Erzählung ergänzt habe. Dagegen wird es 7, 2, 4 als
unentscheidbar bezeichnet, ob Val. nach sponsio ein quod (so die Val.-
Bericht üb. die Litteratur, betreff. Valerius Maximus etc. (Heraeus.) 129
Hs.) oder ein ni (so Paris) geschrieben habe: so gebrauche Gaius 4, 166
in der Formel, die bei Cic. p. Caec. 16, 45 sponsio ni . . . vis facta
esset laute, quod.
Von fremden Vermutungen oder hdschr. Varianten, die Verf. em-
pfiehlt und näher begründet, seien erwähnt: (S. 588) 9, 1, 8 officii infra
(so Gelbcke für iutra) servilem habitum deformis; 2, 1, 6 in compari
(Vahlen für in quo pari); 3, 2 ext. 5 auctius (der abbrev. Guelfert. für
atliius), 4, 1, 12 tarn multae (Halm für tot m.); 3, 4, 1 die Ergänzung
von ornamentis nach excellentissimis (margo A und dett. codd.), die
der Sprachgebrauch des Val. (4, 1, 6. 5, 1, 8) vor anderen empfiehlt;
5, 2, 10 abiecta <con> legi condicio (Blaura für abiecta lege cond.);
8, 11 praef. recogno <scere> scio (Gertz), obwohl auch recognosse scio
und recognitos scio nach Val. Sprachgebrauch möglich sei.
Von eigenen Vermutungen des Verf. notiere ich: 1, 6 ext. 1 ante
de Leonida et CCC Spartanis abunde monitum im Anschluß an Torrenius:
die Entstehung der überlieferten Lesart a Caesare für CCC wird auf paläo-
graphischem Wege erklärt und durch Beispiele belegt (vgl. auch noch
Flor. p. 30, 14 Jahn wo der Naz. atru manu statt trecentorum manu
bietet, entstanden aus CCC manu). Ebenda wird parvam Graeciam
statt des unmöglichen provinciam Gr. vermutet und der Fehler durch
falsche Auflösung der compendiösen Schreibung pua (provincia erscheint
im Bernensis des Val. öfter in pi5a abgekürzt) erklärt. 3, 2, 4 wird
die Frage aufgeworfen, ob nicht magnus titulo huiusce generis in-
choatae gloriae Romulus zu lesen sei für magnus initio h. gl. etc. : doch
lasse sich die überlieferte Lesung durch ähnliche Pleonasmen bei deu
alten Schriftstellern schützen. 3, 2 ext. 4 vermutet H. censetur (für cernitur)
im Sinne von 'hat seine Bedeutung'. 4, 1, 7 wird in consulatu IV ver-
langt (vg. in consulatu), da Val, stets die Zahl des Konsulats angebe
und die Hss consulatum bieten. 4, 2, 4 quia speciosius iniuriae beneficiis
vindicantur (codd. vincuntur) quam odii pertinacia pensantur. 4, 6 ext. 1
amores casti für iusti, der Anstoß Madvigs sei gerechtfertigt; ebda,
ossa potioni aspersa ebibisse (vg. bibisse), da die besten Hss aspers^,
bez. asperse geben und der nämliche Fehler, e auch für getrenntes a | e
zu setzen, in Hss häufig sei (auch Val. 5, 1 ext. 4 im Laur. urnepyrrum
füi- urna Epirum). 4, 8, 3 nee sine largo fructu (für parvo). — 5, 2, 6
vdrd geminatura für geminarum ea vorgeschlagen, 5, 5, 3 contigit für
contingit (letzteres ist aber bloßer Druckfehler bei Kempf), 5, 6, 4 qua
niaior excogitari non potest (g. m. e. impotest die Hs): denn an dem
echt Valerianischen excogitari dürfe man nicht den Hebel ansetzen.
Ebenda wird suo hinter morsu als Dittographie getilgt. 5, 9, 4 ver-
mutet H. huc sceleris progressum für das überlieferte ad hunc sc. p.
nach dem Sprachgebrauch des Val. und berichtigt Krebs (Antibarb, s. u.
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVII. (1898. II.) 9
130 Bericht üb. die Litteratur, betreff. Valerius Maximus etc. (Heraeus.)
Luc) Behauptung-, huc finde sich so erst bei Tacitus und Curtius. 6, 1,
11 wird libidinosi ceuturiouis supplicium M. Laetori tribuni militaris
aeque foedi similis exitus sequitur für die verdorbene Überlieferung aeque
similis foedus e. s. vorg-eschlagen. 6, 3 praef. sei mit Verdoppelung
eines Buchstabens irae (vg. ita, codd. ira) enim destrictae et inexora-
biles vindictae etc. zu lesen, 6, 3, 10 uxorem dimisit . . abscisa senteutia,
sed tarnen aliqua ratione motus nach der Parallelstelle 2, 1, 4 (codd.
mota, Kempf munita nach jüng-eren Hss). — 7, 3, 3 empfehle sich
enerves für inermes (Kempf inertes) zu schreiben durch den Sprach-
gebrauch des Val. — 7, 4 praef. wird die Lücke so ansg-efüllt: quia
appellatione <una nostro sermone> vix apte exprimi possunt. 8, 11, 5
habe Kempf mit Recht an inritam fesso labore dimittit Anstoß ge-
nommen: nach 5, 3, 6 sei vielleicht (mit Vertausch der Endungen) inrito
fessam zu schreiben, während K. inritam fessam lab. vermutete (so
übrigens Cornelissen schon früher). Aus Paris gewinnt Verf. folgende
Verbesserungen des Textes des Val.: 1, 5 ext. 2 duce uti <velut prae-
senti> instituerant, 8, 11, 1 adversus regem für adversum, das die Hss
des Val. nur an dieser Stelle bieten (ebenso hat Livius nur die Form
adversus für die Präposition, s. Fügners lex. Liv.), 6, 5 ext. 3 legum
latorem (für legis latorem), da Val. generell spreche, 7, 7, 6 praetore
urbano für praetore urbis: letztere Bezeichnung sei falsch, wie Mommsen
(ßöm. Staatsrecht II S. 177 A. 1) nachgewiesen habe, und finde sich
fast nur in geringeren Hss bei den Schriftstellern infolge falscher Auf-
lösung der Abkürzung pr. urb. — 2, 10, 5 weise die Fassung des Paris
sibi quaeque tanti viri praeripientes secessum auf einen Fehler in dem
Text des Val. secessum eins opperientes und Val. habe vermutlich diri-
pientes (= ,sich darum reißend") geschrieben.
S. 590 finden sich einige Bemerkungen über die von Kempf in
seiner Ausgabe befolgte Orthographie: verworfen werden die Schrei-
bungen suscribo, beneficientia, inclytus, empfohlen flamonium (so der
Laurent, und Paris 1, 1, 4), das Mommsen eph. epigr. I, 221 zuerst als
echte Form nachgewiesen habe (auch in Glossen stets mit o: s. Loewe,
die glossae nominum S. 130 A.). 5, 3 ext. 3 (S. 600) sei die Über-
lieferung Salamiu (vgl. Salamina) untadelig, wie auch Eleusin und Trachin
gut bezeugt seien. 7, 6, 1 wird die Schreibung Poediculi (ein unter-
italisches Volk) als richtige erwiesen, wie Popaedius als die besser
bezeugte Schreibung des Xaraens des maisischen Feldherrn im Bundes-
genossenkriege, desgl. Indibilis. Cephalania mit a habe Kempf 1, 8
ext. 18 mit Recht in den Text gesetzt: ein Menge Stellen werden zur
Ergänzung von Georges (Lex. d. lat. Wortf.) dafür citiert.
Die von Kempf (in der 1. Aufl.) mit Fleiß gesammelten testimonia
werden zu verschiedenen Stellen vermehrt: S. 580 A. 2. 594. 606. 607.
Bericht üb. die Litteratur, betreff. Valerius Maximus etc. (Heraeus.) 131
Die Anmerkung der ersten Seite enthält ein reiches Verzeichnis von
Druckfehlern der 2. Ausg. K.s, die sich noch vermehren läßt: p. 19, 3
ist primo hinter hello ausgefallen, p. 51, 19 lies aliquante, 251, 17 con-
tigit st. contingit, 288, 3 concurrit st. cucurrit (s. unten S. 135), 362, 23
(XX milianummum st. XX n.).S. 580 macht H. auf ein auch Kempfs Sorg-
falt entgangenes Programm von Bergk (Einladung zur Redefeier des
Marschallschen Stipendiums, Halle 1868) aufmerksam, das zahlreiche
scharfsinnige Verbesserungsvorschläge zu Val. und den Epitomatoren ent-
hält, in denen vielfach neuere Kritiker mit B. zusammengetroffen sind,
z. B. 3, 4 ext. 2 die evidente Umstellung quem patrem Euripides aut
quam matrem Demosthenes habnerit, die dann Gertz selbständig ge-
funden hat. — Der zweite Teil der Arbeit, der die Epitomatoren betrifft,
wird weiter unten im Zusammenhang besprochen werden.
Aus Rezensionen der H. sehen Arbeit hebe ich folgendes heraus:
In einer mit FI unterzeichneten Besprechung im Lit. Ceutralbl. 1893
S. 1270 wird, wie auch in den übrigen dem Ref. zu Gesicht gekommenen,
das Hauptverdienst der Abhandlung in der Verteidigung der Überliefe-
rung gegen unberechtigte Änderungen erblickt. Gebilligt werden die
Vermutungen zu 4, 6 ext. 1. 8, 3. 5, 6, 4. 6, 1, 11. 7, 3, 3. Dagegen wird
2, 1, 6 inque pari (so Perizonius) vorgezogen, das sich bereits in einer
von ihm verglichenen Hs des 15. Jahrh. fand. Dieselbe Hs biete auch
3, 7, 9 quo tarn (= edd. vett.) und 5, 6 ext. 5 excubuit , wie Foertsch
vermutete, und lese 1, 6 ext. 1 pedestri exercitu operuit, ut fugax,
5, 10, ext. 2 Xenophontis cor pia religione immobile stetit: letzteres
(eine offenbare Interpolation) bietet auch eine der Berliner Hs, C in
Kempfs ed. I, mit der jener codex überhaupt Ähnlichkeit zeigt. —
E. Thomas in der Deutschen Litteraturzeitung 1895 S. 492 fg. ver-
gleicht zu 6, 2, 3 das Wortspiel bei Seneca de ben. 5, 6, 7 is cuius
libertatem civitas libera ferro non potuit, was aber doch von anderer
Art ist. 3, 2, 4 und 6, 1, 11 billigt er Vahlens Auffassung (s. u.).
In 4, 8, 3 könne nee sine parvo ipsius fructu gerade durch H.s eigenen
lesenswerten Aufsatz in der N. J. f. Phil. 133 S. 713 (über band im-
pigre = impigre und ähnliche logische Irrtümer bei Setzung mehrerer
negativer Bestimmungen) gegen ihn selbst geschützt werden (ebenso
erklärt Opitz, s. u.), 2, 10, 5 hält er an opperientes fest, da diripere
in der Bedeutung „sich um etwas reißen" wohl nicht ein Abstractum
als Obj. leide. Desgl. misbilligt er die Vermutungen zu 3, 2 ext. 4
(cernitur heiße „wird erkannt als . . ."), 4, 2, 4 (vincuntur sei = „werden
überwogen"); 4, 6 ext. 1; 6, 5, 5. ext. 3. 6, 3, 10. Er billigt nament-
lich die Vorschläge zu 1, 6 ext. 1, 5, 6, 4; 8, 11 praef., 8, 11, 5. Für
das verzweifelte experet 5, 3 ext. 3, was H. in cohaeret ändert, schlägt
9*
lr?2 Bericht üb. die Litteratur, betreff. Valerius Maiimus etc. (Heraeus.)
Th. expe(re)ret vor, intransitiv wie bei Plautus und Livius: das ist
wohl Druckfehler für expe(te)ret, was mir aber auch nicht klar ist, in
welchem Sinne es Th. verstanden wissen will. Ein mit tz (= Th. Opitz)
unterzeichneter Kezensent in der Wochenschr. f. kl. Phil. 1894 S. 770
hält die Änderungen auf Grund der Epitome des Paris 1, 5 ext. 2. 3, 1, 3
und 6, 5 ext. 3 für unnötig. Von fremden Konjekturen empfehle der Verf.
mit Recht die zu 2, 1, 6 (Vahlen), 5, 2, 10 (Blaum) und 8, 11 praef.
(Grertz). Von den eigenen Konjekturen des Verf. hält er für evident
die zu 1, 6 ext. 1, 5, 6, 4 (morsu) 6, 3, 10 (motus), für beachtenswert
fast alle übrigen, doch 3,2,2 und 4, 6 ext. 1 sei die Vulgata beizu-
behalten, 1, 6 ext. 1 stecke in provinciam wohl ein Gerundivura, ziem-
lich gesucht sei 5, 3 ext. 3 cohaeret, 6, 5, 2 beweise der an die Spitze
gestellte Singular erat die Richtigkeit von perpendens.
J. Vahlen, Proömium zum Index lectionum der Berliner Univer-
sität W.-S. 1894/95. 20 S.
Eine, wie alle Proömien Vahlens, ebenso anregende wie lehrreiche,
dazu in einer edlen, klassischen Sprache geschriebene Abhandlung, in
der er in feinsinniger "Weise, ausgerüstet mit der genauesten Kenntnis
des Sprachgebrauchs eine Anzahl kontroverser Stellen des Val. Max.,
meist in konservativem Sinne, behandelt. Ref. kann V.s Urteil in fast
allen Punkten rückhaltlos beistimmen. So wird 2, 1, 10 maiores natu
in conviviis ad tibias egregia superiorum opera carmine comprehensa
pangebant das letzte Wort, das man durch pandebant (Kempf) oder
peragebant (Gertz) hat ersetzen wollen, durch die bekannten Worte
des Ennius: hie vestrum panxit maxima facta patrum und tibia Musa-
rum pangit melos geschützt und für einen altertümlichen Ausdruck für
canere erklärt. — 5, 7 ext. 1 wird die Verderbnis in den Worten ex-
citatiorem anhelitum subinde recuperare, wo man das Gegenteil sedatio-
rem (so Halm) oder tardiorem (Noväk) oder expeditiorem (Ref.) er-
wartet, glücklich geheilt durch die Änderung ex citat<iore tard>
iorem (oder sed>atiorem) und der eigenartige, oft verkannte Gebrauch
der Präpos. ex durch zahlreiche Stellen Cäsars, Livius und Val. selbst
(z. B. p. 174, 23. 376, 15 ed. K.) belegt. — Evident ist ferner 7, 3 ext. 3
die Verbesserung si altior in id animi (codd. altior initamini) cogitatio
demissa fuerit, wobei id sich auf praeceptum bezieht, aber von Gertz
(Berl. phil. Wochenschr. 1892 S. 592) vorweggenommen. — 9, 2 praef.
wird das von älteren und neueren Kritikern angefochtene omnia in dem
abschließenden Ausdruck omnia minis et cruentis imperiis rcferta richtig
erklärt und auf die Parallelstelle 4, 7, 7 verwiesen. — 7, 1, 2 obscurior
illa (felicitas) sed divino splendori praeposita hält Vahlen es für das
Bericht üb. die Litteratur, betreff'. Valerius Maximus etc. (Heraeus.) 133
einzig Richtige, ore mit Halm hinziiznfiigen , ^) aber nicht nach divino
sondern nach splendori, wonach es leicht ausfallen konnte, nnd weist
bei der Gelegenheit die Inkonsequenz der Kritiker in der Verurteilung
ähnlicher künstlicher Wortstellungen des Val. nach: so habe man 3, 4, 3
natura und 8, 13 ext. 4 ad satietatem umstellen wollen, aber an der
ganz analogen Stellung von a domino 6, 1, 6 keinen Anstoß genommen,
ähnlich p. 66, 6. 264, 6. 339, 23. Daher billigt er zwar 6, 1, 11 des
Ref. Änderung von foedus in foedi, nicht aber die Umstellung des Adj,
vor similis: ganz analog sei 9, 2 ext. 2 neque terrestrium scelestum . . .
ingressum, wo Madvig das letzte Wort richtig hergestellt (codd. egressum),
aber unnötig scelestum vor terrest. gestellt habe. 8, 14, 2 habe Gertz
richtig in den Worten angusta homini possessio gloriae fuit das überlieferte
homini in hominis geändert, aber die Umstellung von gloria, das wie
5, 1, 3 (potentissimi adfectus, ira atque gloria) stehe, hinter hominis
sei unnötig; und Gertz selbst habe 8, 13 ext. 2 durch eine eigene,
glückliche Änderung, die vom Sinn gefordert werde, eine ähnliche
Stellung: sua <senex> sententia felicissiraus dem Val. zumuten zu
dürfen geglaubt. — 8, 15, 7 verteidigt V. mit Recht das überlieferte
illi voci gegen Kempfs Conj. uni v., die im Hinblick auf den Gegensatz
Septem consulatus zwar elegant, aber nicht notwendig sei. Denn Val.
gebrauche mit Vorliebe das Pronomen ille 'ut significet ante quae
deinceps enim particula interposita accuratius expositurus est',
weshalb Kempf 5, 1, Ib sehr mit Unrecht enim tilgen wolle (vgl.
auch das S. 141 vom Ref. über den ähnlichen Gebrauch von nam Be-
merkte). In ganz gleicher Weise, wie an jener Stelle die Worte selbst
('vel hunc') erst nach vielen Zwischensätzen folge, stehe 6, 4 ext. 3
das durch illam vocem am Anfang des § angekündigte Wort erst am
Ende desselben. So will V. auch 3, 2, 2 das von der Kritik gewöhn-
lich getilgte enim (vor tempestate) halten und lieber die Kopula est
hinter ausa hinzusetzen, wenn das überhaupt notwendig sei, da sie,
wenigstens nach den Hs des Val. und auch Livius oft unterdrückt er-
scheine und die Ausdehnung dieses Gebrauchs noch kontrovers sei;
jedenfalls habe die Setzung derselben Partikel in zwei aufeinander-
folgenden Sätzen, wie sie bei dieser Erklärung vorliege, ihre Analogien
im Val, z. B. p. 116, 22. 117, 2. 346, 25. 347, 2. K. — 7, 7, 1 cum
de morte filii falsum e castris nuntium accepisset, qui erat falsus vermutet
V. für das letzte Wort unicus: falsus sei fälschlich aus dem vorher-
gehenden wiederholt und habe das ursprüngliche Adj. verdrängt, ein
*) Ref. vermutet, daß spiritu, ein Lieblingswort des Val., in der Hs
stets spu abgekürzt, vor splendori ausgefallen sei, vgl. 1, 8, 10 divinus
Spiritus von Apollo.
13-4 Bericht üb. die Litteratur, betreff. Valerius Maximus etc. (Heraeus.)
häufiger Fehler in den Hss des Val. ; den Relativsatz einfach zu streichen
sei sehr einfach, nicht aber zu erklären, in welcher Absicht ein Schreiber
ihn hinzugefügt haben sollte. Sehr ansprechend und fein ausgedacht.
— 7, 3, 4 ergänzt V. ebenfalls ansprechend quod sequitur <ut>
narrandum <ita vituperandum> est und im folgenden regredi
<in hac de agri> modo controversia quam progredi mallent,
indem er die vom ßef. aufgestellte Erklärung von modo billigt. (5, 6
ext. 4 de modo agri contentio esset). — 7, 2 ext. 11 mißbilligt er die
von Halm vorgeschlagene, von Kerapf gebilligte Tilgung von Macedonem
(als Glossem): das Wort diene der schärferen Hervorhebung des Kon-
trastes, ähnlich 3, 2, 2 puella; daraufhin ergänzt er 6, 7, 1 sehr fein: ne
<domina> domitorem orbis Africauum, femina magnum \irum impa-
tientiae reum ageret: domina als Gegensatz zum vorhergehenden ancilla.
Bei Gelegenheit dieser Stelle zeigt er auch an einem krassen Beispiel
die Inkonsequenz der Kritiker, die an Africanum, das doch die Kraft
der Eede eher abschwächt, hier nicht angestoßen haben, wohl aber an
dem ähnlichen Hannibalis 5, 6, 7 (Eberhard, Kempf) und Syracusae
(Gertz) 2, 8, 5, während wiederum Eoma 3, 2 praef. unbeanstandet
geblieben sei. — Zu 4, 1, 12 wendet sich V. gegen den Mißbrauch,
den die Kritik hie und da mit der Benutzung der epitome des Paris
getrieben: daß Paris Metellus Numidicus, und nicht bloß Num. wie
Val., schreibe, habe seinen guten Grund in der Redaktion, der er diesen
Paragraphen des Val. unterworfen habe. Aus ähnlichem Grunde weist
er mit Recht 7, 4, 3 Gertz Einschiebung von Romani usi hinter callido
genere consilü ab. Dieses Prinzip Vahlens dürfte, wenn einmal weiter
verfolgt, für die Kritik des Val. noch recht fruchtbar werden. — Im
letzten Abschnitte verbreitet sich V. über ein von ihm wiederholt
(z. B. in den comment. Mommsen. p. 664 fg.) behandeltes Thema, über
einen gewissen Luxus des Worts, den sich die Römer gelegentlich ge-
statten, wie andere Völker auch. Von diesem Standpunkt aus ent-
schuldigt er 3, 3 ext. 2 tanta fiducia ingenii ac morum suorum fretus:
Kempfs tantum hebe den eigentlichen Anstoß nicht. Eine ähnliche
Abundanz sei bisher unbeanstandet geblieben 9, 13, 2 in lucis usu
fi-ueretur und 4,7,7 in totum beatae turbae gregem, desgl. 5,5,2
in pietatem fraternae caritatis, 7, 11 praef. in exemplorum imagines
(während Val. sonst entweder exempla oder imagines sage) 9, 9, 2 tene-
brarum obscuritas. In diesem Sinne billigt er auch des Ref. Verteidi-
gung des auffallenden Pleonasmus initio huiusce generis incohatae gloriae
3, 2, 4, obwohl desselben Konjektur titulo (für initio) scharfsinnig er-
dacht sei. Anschließend behandelt V. noch eine Anzahl Stellen ver-
schiedener Schriftsteller, auf die hier näher einzugehen wir uns leider
versagen müssen.
Bericht üb. die Litteratur, betreff, Valerius Maximus etc. (Heraeus.) 135
Dies ist in kurzen Zügen der Inhalt der reichhaltigen Abhand-
lung, deren eingehendes Studium wir den Valerius - Forschern nur
dringend empfehlen können.
Eobert Novdk, Zu Val. Max., in den Wiener Studien 18
S. 267—282 (ersch. Jan. 1897).
N. sucht für eine Anzahl kritischer Stellen eine Entscheidung zu
gewinnen durch Beobachtung des Sprachgebrauchs. So verteidigt er
mit Recht 1, 7 ext. lU ut . . . non negaret gegen Kempf (vgl. noch
5, 2, 10 dum . . non intercidat); 4, 1 ext. 8 die Streichung von qui
(nicht die von ut nach atque: übersehen hat N., daß atque vor Kon-
sonanten bei Val. auch in der Verbindung perinde atque 7, 3, 2 und
8, 4, 2 vorkommt), 6, 2 ext. 3 humi an sublime; 2, 8, 5 recuperatus
mit u, während Paris die Formen mit i setze. Mit Recht verwirft er
an der verdorbenen Stelle 5, 2, 6 alle Konjekturen, die das Verbum
geminare enthalten; denn Val. sage dafür stets duplicare; N.s eigener
Vorschlag geminum eä <pompä fuit> decus imperatoris ist freilich
auch wenig einleuchtend. 6, 8, 1 dürfe nicht etenim an zweiter Stelle
durch Konjektur hineingebracht werden: besser sei daher das enim der
jüngeren Hss (so auch Halm, wohl richtig), aber das überlieferte
etiam könne auch aus dem Nachfolgenden sich eingeschlichen haben und
einfach gestrichen werden. 6, 9, 6 sei die Wortfolge nisi <se> ipse
wahrscheinlicher, als nisi ipse <se>, wenigstens nach dem Sprachgebrauch
des V.; ebenso vermutet er 5, 6, 8 ne beneficio <quidem> senatus,
während Kempf quidem hinter senatus gestellt hatte. Nicht ohne Grund
verdächtig ist ihm 3, 7, 3 adque id negotium explicandum, da Val. adque
= et ad durchweg meide und dafür atque ad oder et ad sage, wie
übrigens auch die meisten anderen Schriftsteller verfahren; er entscheidet
sich daher füi- die Lesart von E F atque <ad> id n. e. Evident scheint
mir ferner 4, 2, 7 seine schon früher ausgesprochene Vermutung atque
is auxilium: das gewöhnlich nach Konjektur gelesene atque iste aux.
(die Hss geben atque ita oder ista aux.) ist nicht valerianisch. 6, 3, 4
ist freilich cucurrit zu lesen, aber das concurrit bei Kempf beruht, was
N. entgangen ist, auf einem Druckfehler, an denen K.s 2. Ausgabe
leider so reich ist. Beachtenswert ist der Vorschlag 4, 3, 14 perinde
ac[si a] sacris zu schi-eiben, sowie 4, 1, 7 in utraque parte perorata das
Verbum deponentisch zu fassen, was schon Gudius zu Phaedr. 1, 2, 4
ausführlich begründet hat. 1, 8, 18 verwirft N. mit Recht Kempfs
Vermutung, comesta nach Nepotian zu schreiben, aber wenn er percepta
statt des überlieferten concepta lesen möchte, so scheint mir das unnötig:
die Quelle des Val. Cic. n. d. 2, 126 hat gustata, dafür setzte Val., der
triviale Wörter verschmäht, concepta (vgl. 1, 8, 10 spiritus capti =
136 Bericht üb. die Litteratur, betreff. Valerius Maximus etc. (Heraeus.)
sp. concepti). Manchmal aber übertreibt N. die Rücksicht auf den
Sprachgebrauch des Schriftstellers. So verwirft er 4, 6, 1 extinguere
<re> und 4, 3 ext, 4 adulare <re>, da V. sonst nur beim Konj.
praes, pass. Formen auf-re gebrauche: aber die Überlieferung indiziert
doch offenbar jene Formen, die zwar „entschieden übelklingend" sein
mögen, aber doch selbst von Cicero nicht vermieden sind, s. Neue II-,
395 (vererere, mererere u. a., die doch noch weit häßlicher sind).
Überhaupt ist der Grundsatz, dem N. huldigt, daß dasjenige, was nicht
zweimal belegt ist, auch nicht einmal gelten dürfe, doch sehr bedenklich.
Wie viele Worte, die Val. nur einmal gebraucht, müßte man dann ver-
dächtigen. Ich mag daher das allerdings nur in jüngeren Hss überlieferte
pone (codd. pene) respiciens 1 , 7 ext. 1 nicht aufgeben, zumal Nepotian
(post tergum resp.) offenbar so schon las. Auch die Behauptung N.s,
fere, paene, prope seien öfter von Abschreibern oder Erklärern „wohl
zm* MildeiTing des betreffenden Ausdruckes", eigenmächtig hinzugesetzt,
dürfte vor einer besonnenen Kritik nicht standhalten. Was in aller
Welt soll jemand z, B. an jener Stelle zu dem Zusatz paene veranlaßt
haben? Noch ungeheuerlicher ist die Behauptung zu 8, 4, 2 in [hanc]
suspicionem cet., daß ,,Demonstrativa nicht selten interpoliert sind, ohne
daß man einen triftigen Grund für deren Einschub ausfindig machen
könnte." An den u. a. zum Beweis citierten Petronstellen c. 64 atque
[hac] nausea und 136 atque [hacj vindicta hat man längst den triftigen
Grund erkannt, daß hac = ac Variante zu atque ist, und so ist jede
Stelle für sich zu behandeln, aber nicht mit solchen bequemen Behaup-
tungen abzuthun. Ebenso unwahrscheinlich ist es, daß 8, 7, 3 die
Worte effusam barbariam, die Gertz nach Madvigs Anleitung geistreich
in et fusam Maream verbesserte, ein fremder Zusatz sei, durch den
vastissimos campos verdeutlicht werden sollte. 5, 1, 4 ist vir schwerlich
durch Dittographie aus quis entstanden, sondern, wie Lipsius gesehen,
in viri zu bessern nach 5, 4 ext. 6. Unglücklich ist auch die Verteidigung
von fortissima Samnitium castra cepit 1, 6, 4 = firmissima, denn N.
übersieht, daß in der Quelle des Val. Cic. div. 1, 72 florentissima steht,
und daß ein ähnlicher Begriff hier wahrscheinlich gestanden hat, zeigt
auch Val. 1, 6, 4 castra Punicis opibus referta ceperunt. Wenn N.
5, 7 ext. 1 gegen Vahlens Vorschlag ex citat<iore tard>iorem anheli-
tum subinde recuperare geltend macht, daß Valerius citatus = celer
nicht kennt, so gilt dasselbe auch für excitatus, das N. beibehält und
mit Annahme einer Lücke excitatiorem anh. subinde <remittere tran-
quillitatemque> recuperare animadv. schreibt, wodurch aber der Aus-
druck unnötig aufgeschwemmt wird. Beachtenswerter ist die Vermutung
5, 3 ext. 3 sine quo [vix] vita hominum expers est <dulcedinis> : allein
der von expers abhängige Genitiv dürfte in dem müßigen hominum
Bericht üb, die Litteratur, betreff. Valerius Maximus etc. (Ileraeus.) 137
stecken, vielleicht omnium <. , . . iim> ? Direkt abzuweisen scheint
mir die Streichung von modo 7, 3, 4, von sanctitatis 6, 1, 11, von qui
hinter itaque 6, 9, 12, von tarn 9, 5 ext. 1, die Lesungen 1, 6 ext. 1
consentaneo usus <saltu me> transtulisse, 5, 2 ext. 4 beneficio Sci-
pionis et p. r. permissu, 4, 3, 4 pecuniam nunquam <auctor> fuit.
Casimir Morawski, Quaestionum Valerianarum specimen, ent-
halten in Analecta Graeco-latina , philologis Yindobonae congi'egatis
obtulerunt collegae Cracovienses et Leopolitaui S. 30 — 37, Cracoviae
1 893. Ders. , de sermone scriptorum latinorum aetatis quae dicitur
argentea observationes, aus der Zeitschrift Eos, Bd. II S. 1 — 13
(1895).
In der ersteren Abhandlung führt M. seine schon in der Ztschr.
f. österr. Gymn. 1893 (Februarheft) hingeworfene These näher aus, daß
die Übereinstimmung verschiedener Gedanken und Redensarten des Valerius
mit Velleius auf Nachahmung von selten des Val. zurückzuführen sei.
Der Gedanke des Val. 9, 2, 1 , daß den Sulla, 'neque laudare neque
\ituperare quisquam satis digne potest' zeige z. B. auffallende
Ähnlichkeit mit den Worten des Velleius 2, 17, 1 Sulla, vir, qui neque
ad finem victoriae satis laudari neque post victoriam abunde vita-
perari potest, ebenso die Bemerkung über Sullas Grausamkeit (ebda.)
mit Vell. 2, 28, 4, über Gracchus (8, 10, 1 cum optime remp. tueri
posset, perturbare impie maluit) mit Vell. 2, 6, 2 und 7. Auch die
Anwendung des Subst. ministerium, eines der Lieblingsworte des
Velleius, auf die cyprische Mission des Cato bei Val. 4, 3, 2 und Vell.
2, 38, 6 sei um so weniger zufällig, als die Erzählungen dieser beiden
Schriftsteller betr. Catos Rückkehr (Val. 8, 15, 10. Vell. 2, 45, 5j auch
nahe Verwandtschaft zeigten. Desgl. die Floskel des Val. 5, 3, 4 bei
Gelegenheit von Ciceros Ermordung (satis digne deplorare possit)
kehre bei Vell. 2, 67, 1 (wo deflere st. depl.) wieder; wenn Velleius
den Tiberius alterum reip. lumen et caput nenne, so spreche Val, 4, 3, 3
(2, 99, 1) von Augustus und Tib. als duobus reip. divinis oculis. Am
auffallendsten scheint mir die von M. am Schluß aufgewiesene Ähnlich-
keit der Gedanken des Vell. 2, 3, 4 non enim ibi consistunt exempla
unde coeperunt und Val. 9, 1, 2 neque enim ullum Vitium finitur ibi,
ubi oritur. Weniger Gewicht dürfte auf die gleichlautende Phrase
pertinaciter arma retinere bei Val. 6,4 ext. 1 und Vell. 2,18, 2 u.
27, 1 (beide Male pertinacissirae und bei anderer Gelegenheit als in der
Stelle des Val.) zu legen sein, noch weniger auf Val. 2, 10, 7 venera-
bilem facere = Vell. 2, 34 , 2 und 40, 2 favorabilem facere. Das Re-
sultat faßt M. S. 37 so zusammen: 'Quin Val. in opere suo conscribendo
evolverit quoque historiam Vellei, equidem non dubito. Qua tarnen in
138 Bericht üb. die Litteratur, betreff. Valerius Maximus etc. (Heraeus.)
re haue eum iuiisse rationein opinor, ut flosculos qnosdam aut locutiones
hinc vel illinc decerperet, aliquot locis Velleianis coloribus uarratioues
suas adspergeret'. Die Gesclüchtsquellen des Val. seien freilich andere als
die des Vell. Dem Einwände, daß letzterer sein Werk veröffentlichte
(30 n. Chr.), als Val. schon einen großen Teil seiner Sammlung niederge-
schrieben hatte, begegnet M. in der Weise, daß er annimmt, Val. habe,
als er Vell. Werk kennen lernte, auch in den schon abgeschlosseneu
Teilen noch Änderungen angebracht. Letzteres hält Ref. für sehr un-
wahrscheinlich, und überhaupt ist zu erwägen, ob nicht, was auch M,,
nach gewissen Andeutungen zu schließen, sich nicht zu verhehlen scheint,
die Ähnlichkeit gewisser Phrasen bei Val. und Vell. auf den Einfluß
der declamationes zurückzuführen ist, wenigstens dürfte dies bei nach-
weislich in denRhetorenschulen so beliebten Themata wie Sullas Tyrannei
und Ciceros Tod immerhin wahrscheinlich sein. Die Frage scheint uns
also noch einer gründlichen Revision zu bedürfen. Jenen Einfluß aber
nimmt M. selbst in der zweiten Abhandlung für einige Redewendungen
an, die bei den Schriftstellern der silbernen Latiuität, namentl. Valerius,
Seneca, Florus sich großer Beliebtheit erfreuen, so für die ironisch-
unwillige Phrase id deerat, ut . . ., entsprechend dem deutschen ,das
fehlte noch, daß ...*', die bei Val. 9, 2, 2, Seneca u. a. sich findet:
allein sie findet sich, wie aus Rebliugs Sammlung (Charakteristik der
röm. Umgangssprache, Kiel 1883, S. 47) zu sehen, schon bei Terenz
and Cicero gelegentlich (ich füge hinzu M. Aurel an Fronto p. 16 N.
und Plin. ep. 6, 8, 9). Denkwürdige Thaten von sonst unbedeu-
tenden Männern werden gern eingeführt mit einer Redensart wie non
fraudandus est sua laude cet. (Val. 1, 1, 9. Vell. sehr oft, Curtius, Plin.
Quint.). S. 8 fg. zeigt M. an ausgewählten Beispielen den Einfluß der
lihetorenschulen auf Curtius, Valerius, Sen. phil. und den jüngeren
Plinius. Sehr fein ist die Beobachtung der 4 fachen Gliederung (xexpa-
■/(üXov) bei Val. 3, 4, 2. 3, 7, 1. 5, 4 ext. 3, deren Beliebtheit Sen.
controv. 2, 4, 12. 9, 2, 27 und Quint. 9, 3, 77 ausdrücklich bezeugen,
und die auch Albucius Silus bei Sen. 10, 1, 1 anwende. Gelungen ist
endlich der Nachweis, daß Val. 2, 7, 10 das Epiphonera des Votienus
Montanus bei Sen. contr. 9, 4, 5 necessitas magnura humanae imbecilli-
tatis patrocinium est annektiert hat, indem er schreibt : humanae imbec.
duramentum est necessitas. Ref. kann nur wünschen, daß M. diese ver-
dienstlichen, meines Wissens von ihm zuerst angestellten Untersuchungen
fortsetzt und mehr systematisch gestaltet.
M. Gl. Gertz, Rezension von Kempfs 2. Ausgabe: Berl. phil.
Woch. 1892 S. 588—593.
G. berichtigt u. a. einige Versehen, die sich bei K. in Bezug
auf G's. Konjekturen, die er dem Herausgeber brieflich mitgeteilt hatte,
Bericht üb. die Litteratur, betreff. Valerius Maximus etc. (Heraeus.) 139
eingeschlichen haben. 1, 7, 2 wollte G. schreiben: sed tarnen ("nicht iam)
alter ... ad caelura iam struxerat. 7, 8, 2 hatte er patientia nur in
der Verbindung mit honorare beanstandet, wogegen es bei onerare, das
er konjiziert hatte, und das cod. L direkt und A indirekt bestätigt, ganz
unentbehrlich sei. 8, 1 abs. 12 wollte er den gesuchten Ausdruck
crimen libidinis liberavit dem Val. nicht absprechen, dagegen bei Paris
in crimiue oder ob crimen lesen. 9, 5 ext. 2 wollte er mit Inter-
punktion so schreiben: suo iure, tamen insolenter [quod] Graeciae etc.:
suo iure, nämlich weil er der despotische König war. 9, 8, 2 hatte er
et flumine Aoo ohne die Präposition e vorgeschlagen. Ferner bietet
G. drei neue, sämtlich schlagende Verbesserungen zu Val.: 7, 2 ext. 1
(p. 326, 12) hi demum (nach Lesart von L. bidemü). 7, 3 ext. 3 si
altior in id animi cogitatio demissa fuerit (so auch Vahlen später,
s. S. 132). Endlich 7, 6 ext. 1, wo man einen von penuria abhängigen
Genetiv vermißt, möchte er von der Lesart von A^ ultimamque ausgehend,
daraus ultimam aquae machen, das zu dem folgenden (sitim urina torse-
runt) vortrefflich paßt. Was Gertz' Zweifel wegen hello (Paris epit.
1, 4, 3) betrifft, so kann ich versichern, daß es in der Hs steht und
nur durch ein Druckversehen bei K. ausgefallen ist.
H. J. Müller, Eez. von Vahlens Proömium (s. o): Woch. f. kl.
Phil. 1894 S. 767—770.
M. will 7, 3, 4 bloß eine Lücke annehmen und demnach quod
sequitur narrandum <etsi vituperandum> est schreiben. 6, 7, 1 schlägt
er vor, mulier vor domitorem oder hinter magnum einzusetzen, schwerlich
richtig. 7, 7, 1 glaubt er Gertz' Vorschlag ubi erat salvas durch qui
erat salvus zu verbessern: allein das hat doch wohl G. aus guten
Gründen vermieden. 1, 8, 4 billigt er Madvigs Annahme einer Lücke,
die mit iterum zu beginnen sei. 2, 7 praef. (nicht 2, 6) will er ad
vor stabilimentum tilgen. — 3, 2, 23 sei ihm das Kreuz im Texte
Kempfs vor ad eum capiendum unverständlich : M. übersieht, daß capere
dem Zusammenhang nach sich nur auf das einige Zeilen vorhergehende
castellum beziehen kann, wo dann eum allerdings fehlerhaft ist. Aber
auch Paris bezeugt es und ich neige zu der Annahme einer Flüchtig-
keit des Val., die vielleicht durch seine Quelle veranlaßt ist. — 4, 1, 1
will M. ex zwischen dimidia und parte tilgen, ganz unnötig (auch Paris
hat ex). 1, 8 ext. 17 zieht er tarn aequalem der Kempfschen Lesart
tantam <et tam> aequalem vor, nach Val. Sprachgebrauch wie paläo-
graphisch unwahrscheinlich. 3, 4, 2 schlägt er ex tractu (so Kempf)
<;externo> vor.
C, Dilthey, Coniectanea critica in anthologiam graecam. Proö-
mium zu den Vorlesungen der Göttinger Univers. "W.-S. 1891/92.
140 Bericht üb. die Litteratur, betreff. Valerius Maximus etc. (Heraeus.)
D. bespricht S. 16 die Stelle des Val. 3, 7 ext. 4 simnlacro lovis
Olympii perfecto, quo nnlliim praestantius aut adrairabilius humanae
fabricae manns. Während man bisher den Sitz des Fehlers in fabricae
gesucht hatte, erkennt er ihn in manus, wofür er sehr ansprechend
munus vermutet.
Th. Stangl, N. J. f. Ph. 1893. (Bd. 148) S. 78.
S. vermutet 8, 10, 2 ut foro petitos gestus in scaenam deferrent
für das überlieferte referrent unter Hinweis auf Cic. de or. 3, 227, welche
Stelle, wie bereits Kempf gesehen, in dem vorhergehenden Paragraphen
von Val. benutzt worden sei. Die von Georges 7 unter scaena I, 1 an-
geführte Verbindung fabulam in scaenam deferre scheine Fleckeisen un-
genau Bezug zu nehmen auf Suet. vita Ter. 3, wo das Objekt (ea) quae
domi Inserat ist: gewiß, denn G. hat offenbar aus Baumgarten-Crusius
index zu Sueton S. 697 geschöpft, wo: ad scaenam deferre (fabulam)
citiert wird.
Mit den Quellen des Val, beschäftigen sich:
Henry A. Sanders, Die Quellenkontamination im 21. und
22. Buche des Livius. Erster Teil. Münchener Inaugural-Diss.,
Berlin 1897. 52 S.
Der Verf. sucht u. a. eine schon von anderen ausgesprochene Ver-
mutung näher zu begründen, nach der eine Epitoma des Livius schon
um das J. 30 n. Chr. existierte, welche nicht nur Valerius Max., sondern
auch die beiden Seneca, Quintiliau, Augustin und Ovidius benutzt hätten.
Beispielsweise schreibe Val. 5, 6, 2 von Curtius: urbem virtute armisque
excellere . . . praecipitem in profundum egit. Augustin c. d. 5, 18 viris
armisque se (Romana) excellere ... in abruptum hiatura praecipitem
se dedit. während Livius sage: equo exornato armatum se in specum
immisisse : da nun bei Augustin sonst keine direkte Benutzung des Val.
nachweisbar sei, so hätten beide, Val. und Aug., aus dem alten Auszug
ans Livius geschöpft. [Über die Latinität der verlorenen Epitoma s.
jetzt WölÖlin, Archiv 11, 1. Heft.J.
F. Münz er, Beiträge zui' Quellenkritik der Naturgesch. des
Plinius, Berlin 1897. 432 S.
Das Kapitel des Valerius 'de senectute' (8, 13) und der ent-
sprechende Abschnitt des Plinius (7, 153 fg.) stimmen z. T. so aut-
fallend überein, auch in charakteristischen Worten, daß man bisher
daraus allgemein den Schluß gezogen hat, PI. habe hier Val. ausge-
schrieben, allerdings nicht ohne Kontamination mit noch einer zweiten
oder gar dritten Quelle. Dagegen glaubt Münzer (S. 105), daß beide
Autoren dieselbe Hauptquelle vor sich hatten, daß aber Plinius sich
Bericht üb. die Litteratur, betreff. Valerius Maximus etc. (Heraeus.) 141
aufs engste an sie anschließe, während Val. sie beiseite lege, so oft
er in seiner zweiten Quelle, Cicero de senectute, bessere Nachrichten
über eine Person zu finden meinte, und vermutet, daß Varro diese Haupt-
quelle des Val. und Plinius sei. Gegen diese komplizierte Hypothese
erklärt sich mit besonnenem Urteil H. Peter in seiner Rezension,
Wochenschr. f. kl. Phü. 1898 S. 71 fg.
ZudenEpitomatoren (Paris und Nepotianus) und ihi-en Ausschreibern.
W. Heraeus, spie. crit. (s. o.) p. 622—635.
Zunächst giebt H. auf Grund einer Kollation Maus, die ihm von
Dilthey in Göttiugen zur Verfügung gestellt war, Nachträge aus der
Hs des Paris, von denen folgende Ergebnisse bemerkenswert sind:
2, 4, 5 morbo liberati sunt (nicht morte); 3, 2, 24 Interpunktion nach
proelio (nicht nach servavit), wie auch Kempf mit Gertz schreibt;
4, 5, 5 Palaepharsali mit folgender Rasur von 3 Buchstaben und acie
am Rande von 2. Hand; 5, 1, 1 obvium ire (nicht obviam); 5, 1 ext. 2
postera die (nicht postero d.); 8, 1 abs. 9 A. Atilium (nicht M.); 8, 11, 1
Galus von 1. Hand (nicht Gallus), was nach Mommsen einzig richtig ist
(außer den S. 623 a. 3 citierten Stellen deutet Hieron. ep. 60, 5 Gaios
auf Galos); 9, 4, 3 L. Septimulejus (nicht Sept.). Sodann wendet sich
Verf. gegen die an Paris bisher geübte Kritik, die in Verkennung des
späteren Sprachgebrauchs vielfach ohne Grund die Überlieferung der
Hs angetastet hat. Zu Halms und Kempfs Zeiten wußte man eben
noch nicht viel vom Spätlatein und ,,emendierte" solche Produkte wie
Paris und den geradezu barbarischen Nepotian wie den Text eines
klassischen Schriftstellers. Die Verkehrtheit dieses Prinzips hat
C. F. W. Müller in den Jahrb. f. Philol. 1890 S. 713 fg. zuerst am
Nepotianus nachgewiesen. In diesem Sinne verteidigt H. u. a. 1, 4
ext. 1 liniamenta deducere (st. ducere) durch Ps.-Ov. her. 16 (17) 88
und Spätlateiner; 1, 7 ext. 10 cum maxime gegen die Änderung tum m.;
5, 5, 1 repromisit (Val. 'promisit' gegen Gertz esse promisit; denn
auch 6, 5, 1 hat Paris repromittere für Valerius poUiceri gesetzt (S. 615);
2, 8, 1 fudisset gegen Gertz concidisset (zu den S. 615 angezogenen
Stellen kommt noch Hist. misc. p. 161, 9 Eys., wo funäere mit coedere
wechselt p. 75, 20, wo es im Gegensatz zu capere steht). 7, 3, 4 regredi
magis quam progredi mallent gegen Gertz regr. modo agri quam pr. m. :
auch 5, 1, 3 hat Paris zii dem Text des Val. magis bei malle zugesetzt.
Ferner wird das eine Erklärung einleitende nam nach quod eo fuit
manifestius gegen Kempf ('expectes quod') geschützt vornehmlich durch
den griechischen Sprachgebrauch (Xen. An. 2, 3, 1 wos eoT^Xujje , . ^dtp
u. a.): ich füge jetzt hinzu: Suet. Cal. 60 etiam per haec ostendit: nam
142 Bericht üb. die Litteratur, betreff. Valerius Maximus etc. (Heraeus.)
etc., Spart, v. Hadr. 17, 6, Capitol. Ant. Plus 3, 3, ebenso enira bei
Val. Max. selbst 5, 1. Ib illud quoque non parvum indicium est:
Syphacem enim (wo Kempf enim tilgen will s. o. S. 133), Hygin fab.
28 (p. 57, 3 Schm.) qni aditum sibi ita faciebant: montem enim etc.,
wo Muncker enim tilgt. Es folgt eine Liste von Ausdrücken, die das
späte Latein des Paris bezeugen, u. a. 3, 2 ext. 5 quibus ita se habere
cognitis ; 4, 1 ext. 1 Pythagorae praeceptis penitus inteudit, 9, 1 4 ext. 1
quem Laodice in lectulo perinde ac si ipsum regem conlocavit (Valerius
'perinde quasi i. r.'), wo mari zu den Stellen hinzufüge : Militärdiplom vom
J. 76 n. Chr. ut proinde liberos tollant ac si ex duobus civibus Ro-
manis natos, Paul. Fest. p. 58 M. cum alieuis abutimur perinde ac si
propriis, was Pestus schwerlich geschrieben hat, ändert doch auch Paulus
p, 247, 3 des Festus Worte perinde ac liberis in ac si liberis. Ebenso
bloßes ac si = quasi bei Ampel. 8, 11 (von "Wölfflin für korrupt ge-
halten), vgl. C. J. X, 4760 ut commodis . . . ac si decurio frueretur
und Flor. p. 33, 14 nee aliter utraque gente quam si cote quadam
acuebat, was man ohne Not allgemein in quasi ändert (vgl. Ref. in
der "Woch. f. kl. Phil. 1897 S. 550). — Von Konjekturen zu Paris sei
erwähnt 8, 9 ext. 1 Pisistratus in tantum eloquentia praestitit für P.
tantum in e. p. nach dem Sprachgebrauch des P. (gewöhnlich wird in
gestrichen) und 4, 6 ext. 1 ipsa vero <in sepulcro> se Mausoli viva
ac Spirans conponi iussit, indem ein durch den schwulstigen Ausdruck
des Val. erzeugtes Mißverständnis des P. angenommen wird. Endlich
wird S. 629 die Methode, sehr gekürzte Stellen des Paris aus Val. zu
ergänzen, an einigen Beispielen als verkehrt erwiesen, und S. 636 eine
Liste der von Kempf übergangenen, aber für die Kritik des Val.
beachtenswerten Diskrepanzen des Paris. Diese Liste ist freilich auch
noch unvollständig und es bedarf noch einer erschöpfenden Darlegung
der Arbeitsweise des Paris, seiner stilistischen und anderen redaktio-
nellen Änderungen. Eine solche Darstellung würde für die Ki"itik des
Val. sehr fruchtbar sein (vgl. auch Vahlen oben S, 134).
Auch bei Nepotianus wird das Prinzip, das Latein des Verf.
ans dem späteren Sprachgebrauch zu verstehen, anstatt ihn wie einen
Klassiker zu verbessern, nach dem Vorgang von C. F. W. Müller er-
läutert. So wird c. 9, 20 corpora confusa ('entstellt') gegen die Ände-
rung contusa geschützt (vgl. noch Quint. decl. p. 437, 28 Ritter confusa
facie agnosci, 433, 17 cadaver confusis liniamentis) ; c. 7, 7 efifodere ea
Signa imperavit gegen die Änderung effoderent; c. 8, 5 (nicht 7) iussu
Caesaris punitus est, wo Mai und Eberhard capite einfügen : aber punire
ist = ,, hinrichten", vgl. außer c. 7, 11 post Octavi poenam Paris 6, 3, 7
8, 1 damn. 2 und 9, 15 ext. 2, wo das Verbum ebenso gebraucht ist,
während Yal. eine Wendung mit supplicium gebraucht, 6, 3, 1 und ext. 2
Bericht üb. die Litteratur, betreff. Valerius Maximus etc. (Ueraeus.) 143
supplicio capitali piinitus est, während Val. s. c. affectus est hat. Auch
c. 9, 14 ist collectnm später Sprachgebrauch für sublatnra, was Gertz
nach Val. schreiben wollte, s. jetzt Petschenig, Archiv 8, 140, Weyraan
ebda. S. 482 und Eef. ebda. 9, 134 (außerdem steht es Isidor. or. 7, 6, 46.
Schol. Juv. 6, 605. Schol. Bern. Verg. ecl. 2, 24). Von Verbesserungs-
vorschlägen zu Nep. seien hervorgehoben: c. 2, 1 arce deiectus f. aree
delectus; c. 14 exin de usu für exinde usu (vgl. exinde usus), da Nepot.
durchweg die Form exin gebraucht, (billigt der Rec. im Lit. Centralbl.
s. o). c. 21, 2 Cloelia . . per eundem alveum ruptis vinculis enatavit
für das überlieferte innatavit, was ich allerdings jetzt nach Ihms (s. u.)
Ausführungen für richtig halte, da Nep. offenbar die Vergilstelle
Aen. 8, 651 fluvium vinclis innarat Cloelia ruptis vorschwebte; denn
ruptis vinculis fehlt bei Val. Er dürfte dann freilich nicht per eundem
a. setzen. Jedenfalls halte ich Konjekturen, die von der Änderung
innotuit ausgehen (Eberhard, Gertz) für unrichtig. Anklänge an Vergil
bei Nep. auch 8, 6 maligna luce (= Aen. 6, 270), was Ihm übersehen
hat. S. 634 a. 1. wird an die von Kempf übersehenen Arbeiten von
Bergk (s. c), Foertsch emend. Valeriane p. III (Progr. Naumburg 1870)
und Eußner (Phil. 33, 782) erinnert, wonach die Priorität einer Anzahl
von Konjekturen diesen Gelehrten gebührt.
M, Ihm, zu Yal. Max. und Jan. Nepotianus: Rh. Mus. 49 (1894)
S. 247—255.
Hans Droysen hatte in seinen 'Nachträgen zu der Epit. des
Nepotian' im Hermes, Bd. 12 (1878), S. 122—132 darauf aufmerksam
gemacht, daß in den ersten 6 Büchern der sog. 'Historia Miscella' (ed.
Eyssenhardt 1869) sich Einlagen finden, die nicht auf den sonst zur Er-
weiterung der Paulinischen 'Historia Romana" von Landolfus Sagax be-
nutzten Orosius zurückgehen, sondern mit verschwindenden Ausnahmen
(s. Mommsen Herm. 12, 401) aus Nepotianus Epitome des Valerius ge-
flossen sind. Der Palatinus der Eist, misc, den Dr. für die Originalhs
des Landolf hält, Ist nun zwischen 976 und 1025, also 3 Jahrhunderte
vor dem Vaticanus des Nepot. geschrieben, also der älteste bislang be-
kannte Zeuge für die Epitome. Der Hauptgewinn, den Dr. (dessen
Abhandlung aber Kempf übersehen hat) für die Kritik des Nep. daraus
zieht, besteht im folgenden: cap. 1, 13 ist die Lücke vor sacrificio nach
der H. M. so auszufüllen: ad Quirinalem montem coutendit et celebrato,
wodurch alle Ergänzungen der Kritiker bei Kempf hinfällig w'erden.
C. 1, 18 hat crustis für frustis und abstulerant, wie Mai schon richtig
vermutete, f. abstulerint. — C. 9, 2 will Dr. duos vor iuvcnes und
temeravius vor incertorum einschieben auf Grund derH. M. : im übrigen
stimmt H. M. in diesem Paragraphen mit dem Val. überein (was gegen
144 Bericht üb. die Litteratur, betreff. Valerius Maximus etc. (Heraeus.)
Gertz' zahlreiche Vorschläge zu beachten ist), c. 9, 4 liest D. mit H. M.
an für cum, wie auch Val. hat (vg. num; vgl. auch p. 18, 21 bei Nep.
con st. au, wie Paris hat), ebda. § 6 steht Etrusci, § 9 itaque auch in
der H. M., § 12 est f. et nach Romara (wie Kempf selbständig ver-
mutete), § 24 loculo (wie Mai konjizierte), c. 21, 3 fixam (für rixam),
wie Kempf nach eigener Vermutung schreibt, aber schon vor ihm von
G. Becker, Rh. M. 1874 S. 499 vorgeschlagen war. 1, 2, 3 (p. 15, 28
Kempf) hat die H. M. : et videbatnr fretus inhire bellum (Nep. vide-
baturque mire bellum fretus): Kempf schreibt nach Novdk und Grertz
videbaturque inire bellum fretus, inire bestätigt also H. M., war übrigens
auch schon von Foertsch (em. Val. III p. 4) vermutet. Ebda. § 2 hat
wie Paris auch H. M. negotia nach privata, das im Vat. fehlt. Da,
wie schon bemerkt, Dro3'sens Aufsatz Kempf entgangen war, so hat
M. Ihm, der übrigens auch von der verkehrten Richtung der bisherigen
Kritik des Nep. überzeugt ist, a. a. 0. nochmals auf die Wichtigkeit
der angeführten Lesungen hingewiesen und sie ausführlich besprochen.
Dr. hatte ferner (S. 128 fg.) noch eine Anzahl von Erzählungen ge-
wonnen, die in dem im Vat. fehlenden Teil der Epitome gestanden
haben, ohne jedoch sie für die Textkritik des Valerius (bez. Val. für
die Kritik des Landolfus) zu frnktifizieren. Dies hat nun Ihm nach-
geholt und einige Resultate erzielt. So weist er nach, daß Nepot. in
seiner Valeriushs das (nach Dio 37, 53 ^xaiouto?) richtige Scevius d. h.
Scaevius las, während die Hss des Val. und Paris Scaeva haben. 5, 1
ext. 3 hat H. il.: ipse autem cum exornatis equitibus processit ad
portam, wonach Ihm im Texte des Val. die Erwähnung der Reiter mit
Recht nicht missen möchte, die durch Foertsch von Kempf rezipierte
Änderung ipse cum ornatu regio salutatum extra portam occurrit ent-
fallen sei (die Lesart von L und A^ im Val. ist cum ornatu equitatum
extr. p., was bei Kempf infolge eines Versehens nicht angegeben ist).
Wenn aber Ihm von Paris cum ornatu regio meint, derselbe habe
equitum durch regio ersetzt, so stimmt dies nicht zu der Arbeitsweise
des P. Ich vermute eine Lücke, die etwa so auszufüllen ist: cum
orn<atu regio et frequenti comit>atu equitum. — 5, 2, 1 hat auch
H. M. wie der Laur. des Val. Falcula, wofür nach Ihm auch die Über-
liefei-ung des Livius 26, 33, 7 Faucula im alten Puteaneus spricht (ro-
manischer Lautwandel au — al, wie haut aus altus); dui'ch Cic. p. Clu.
§ 103. 112 und p. Caec. § 28 sei ein Cogn. Falcula belegt. — 5, 4, 2
empfiehlt Ihm mit Recht die Lesart der codd. Pighii vixdum annos
puerilitatis egressum: Nepot. habe nach H. M. vix egressus pueritiam
gehabt (zum Ausdruck kann man noch vergleichen Suet. Aug. 63
tantum quod pueritiam egresso). 7, 4, 1 werde deserto (codd. Val.
detecto) auch durch Nepot. bestätigt; 8, 1, 5 bezeuge er hanc (nicht
Bericht üb. die Litteratur, betreff. Valerius Maximus etc. (Ueraeus.j 145
hoc), was auch ohne Austoß sei. Endlich bestätige H. M. die von
Kempf verschmähte evidente Konjektur Gertz' ima pedum parte succisa.
Am Scliluß bespricht J. einige der Haupt-Fehlerlvategorien im Val. des
Nep. und erklärt eine Neuverg-leichung- der Hs nach Mai für notwendig.
Eine Kollationsprobe, die Wünsch angefertigt, zeige z. B., daß p. 593, 3
ad, nicht ob dastehe; ebd. Z. 18 occidisset, nicht acc. P. 597, 1 sei
ablatos der Gertzschen Konj. sublatos vorzuziehen, nach p. 15, 26 und
auf Grund der häufigen Vertauschung von a und o in der Hs; p. 597, 7
verteidigt er mit Recht suis flatibus (f. secundis fl.) mit Hinweis auf
Verg. A. 4, 442. 5, 832 (s. o. über Nep. Nachahmung des Verg.j;
p. 611, 9 liest er mit Kempf deferebant quos (st. d. oluuos: vielleicht
d., officioseV): deferre sei richtig von Kempf ■=-- revereri erklärt
und stehe auch Vulg. Deuteron. 28, 50 seni deferat (s. jetzt die Nach-
weise bei Roensch, semas. Beitr. III S. 24, wo die Nepotianstelle und
Schol. Juv. 13,57 fehlt; übrigens wird noch jetzt so deferer im Französischen
gebraucht), p. 616, 16 liest er ut primum Asiam vidit oder adiit;
p. 21, 2 fugit mit Mai oder fugiit (wie fugierunt p. 599, 28), p. 600, 10
vielleicht refugiit (codd. refngiat): doch hat Nep. auch die korrekte
Perfektbildnng und ebenso steht p. 598, 2 inveniat für invenit, 608, 7
viciat für vicit, 593, 3 perveiat für pervexit (d. h. wohl perveiat für
pervenit vorschreiben), vgl. auch oben zu p. 592, 9. Nur zweifelnd
sucht er p. 615, 17 Tiburtum für Tibur (vg. Tibur tum) zu halten;
denn auf Appians Tißup-ov sei kein großes Gewicht zu legen und Tuder-
tum für Tuder sei eine mittelalterliche Bildung.
Petschenig, Zu Nepotianus. Phil. 50 (1891) S. 92 fg.
Auch P. wendet sich gegen die Kritik, die N. durchaus zu einem
Klassiker macheu will. So verteidigt er gegen Änderungen die bloßen
Akkusative Etruriam c. 1, 1 und Africam c. 6, 4, die Ablative filiis
c. 11, 9 und populo creatus c. 13 (statt a f.), den Genitivus loci Italiae
c. 1, 18 und Macedoniae c. 6, 6 (vgl. ßoensch, Itala S. 427. Vop.
Aurel. 48, 2 Etruriae). Evectus c. 6, 4 stützt er durch Cassian inst.
7, 7, 2 (Eberhard: pervectus); mane alio c. 9, 7 (wie schon Müller
a. a. 0.), ebda. § 21 das instrumentale cum bei gladio, § 22 die Tempus-
verschiebuug vellet aut mandasset; 9, 33 pro = propter (oder prae?).
11, 1 a foris (so auch in der Hist. miscella, s. u.; vgl. auch Roensch
S. 231), 15, 1 cuidam = cuipiam (Cassian), 15, 3 luxuriam consuescere
(Pauliu. Petrocord. 2, 146. 3, 426). Alles sehr einleuchtend.
Th. Stangl, Zu den Epitomatoren des Val. Maximus. PhiL.53,
(1894) 572 fg.
St.s Ausführungen berühren sich vielfach mit Petschenigs, die er
offenbar übersehen hat. Davon abgesehen erwähne ich , daß er Paris
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXYII. (1898. II.-» 10
146 Bericht üb. die Litteratur, betreff. Valerius Maximus etc. (Heraeus.)
4, fi ext. 2 das überlieferte nee in bollo virum relictum als accusativus
absolutus verteidigt (= ouok sv roXsixo) xov avöpa aroXiüovJcja). Allein
von dieser Konstruktion rindet sieb sonst in dem doch recht umfang-
reichen Exzerpt keine Spur. Ich neige mich zur Annahme einer Ver-
derbnis, bemerke aber noch, daß E. Thomas (Dtsch. Litzt. 1895 S. 493)
relictum als Supinum halten zu köuiien glaubt, was mir gegen allen
Sprachgebrauch zu sein scheint. Paris 6, 2, 2 verteidigt St. mit Recht
nec-quidem, desgl. die Auslassung der Kopula est an mehreren Stellen
des Nepot. und Paris, wo die Kiitiker sehr inkorrekt verfahren sind.
In der praefatio des Kepot. verteidigt er die von keiner Konjunktion
abhängigen Konjunktive componat, producat, sowie die von dum ab-
hängigen fundat und sit, die man gewöhnlich ohne weiteres in Indika-
tivs verwandelt, als durch den Flexionsreim (dum se osteutat) geschützt,
dem zuliebe die Spätlateiner nach einer Beobachtung von A. Engel-
brecht gelegentlich die Modi und Tempora vertauschen, welche Erklärung
S. durch Beispiele zu stützen sucht, vgl. jedoch in der überhaupt nach-
lässig geschriebenen Hs die Fehler constituat p. 593, 20 für constituit
und p. 21, 2 fugat für fugit (s. oben S. 145). Ferner mißbilligt er
die Tilgung der Pi-äpositionen e vor quo 8, 9 und a (nach natus) c. 13,
die HinzufüguDg der Präposition a c. 7, 10 vor Nolae moenibus und in
c. 8, 10 vor somnio und c. 16, 15 in vor scutis, die Änderung von
hodie in hodieque c, 10, 17 und male in malo c. 16, 13. Schließlich
wird Paris 4, 4, 11 Scauro a patre hereditas sex servorum reservata
est (für das überlieferte reversa est) vorgeschlagen, was aber auch ein
ungewöhnlicher Ausdruck wäre: vielleicht ist die Überlieferung zu ver-
teidigen durch Wendungen wie Terenz ad hos redibat lege hereditas.
Paris 4, 6 ext. 1 wird in den Worten ipsam vero se Mausoli viva ac
Spirans conponi iussit Mausoli als in Mausolio erklärt, sehr unwahr-
scheinlich. In der praef. Nepot. p. 592, 18 werden die noch nicht ge-
heilten Wort« heu censor piueteres in eu (=^ heu), censor pie, teres,
worin mir teres trotz des Hinweises auf Hör. sat. 2, 7, 80 unverständ-
lich ist.
M. Gl. Gertz a. a. 0. (s. S. 138).
Nepot. 1, 1 ext. 5 (p. 13, 16 K.) vermutet G. eins für etiam; 1,
4, 7 (p. 21, 2 Kempt) Bruti adfluxerat (brucia diluxerat cod.), was
= advolaverat (so Paris) sein soll. Ebd. 1, 3, 2 habe er mittere et
sortes ibi colligere, nicht wie Kenipf angebe, mittens s. i. c. gemeint,
desgl. Paris 1, 1, 16 familia ira Herculis nicht f. H. i., 7, 2 ext. 2
etiam versentur, nicht reversentur; 8, 5, 5 polluerat, tueretur absentia
una: Nepot. 7, 12 evelli in proelium prodeuntibus, et altera ect., wie
übrigens schon Eufiner vermutet hatte.
Bericht üb. die Litteratur, betreff. Valerius Maximus etc. (Heraeus.) 147
E. Thomas a. a. 0. (S. 131).
Paris 4, 6 ext. 1 billigt er die von Heraeus (s. S. 142) vorge-
schlagene Gestaltung des Satzes, nur dai.i er in vor sepulcro für über-
flüssig hält, 8, 14, 5 erklärt er die Überlieferung alacer miles gaudium
(vg. gaudio) excepit ansprechend durch ein Mißverständnis des P., indem
er gaudium bei Val. metonymisch für donum nahm, verführt durch
Valerius Kürze. (Val. 5, 3, 4 ea sarciua tamquam opimis spoliis alacer
in urbem re versus est).
Robert Noväk a. a. 0. (oben S. 135).
S. 281 fg. schlägt N. vor, p. 14, 17 K. incipere vor iusserunt zu
stellen und die ganze Stelle so zu schreiben: sumptu minore marmore
diis simulacra fieri, quod imp<ium es>se rati ex ebore incipere Athe-
nienses iusserunt. Allein incipere . . fieri wird ohne Not von allen
Kritikern angefochten, incipere dient im Spätlatein wie [izDm zur Um-
schreibung des Fnturbegriffs, vgl. bes. Thielmann, Arch. f. Lex. II, 85 fg.
Impium ist ganz unpassend, das wahrscheinlichste noch immer Christs
quod aspernati ex eb. cet. Paris 7, 3, 7 vermutet N., daß eadem vor
clamante sich aus Dittographie der vorstehenden zwei Silben (debeat)
entwickelt habe und „zu tilgen sei"; eher hat sich eadem clamante aus ad-
clamante (so Val.) entwickelt. Nepot. p. 602, 2 will N. civile bellum
als Glossem streichen, es wird aber durch die bist. misc. p. 164 Eyss.
geschützt. Die Ergänzung ne eo hello <aliud> Augusto opus esset
giebt einen sehr gezwungenen Siuu. p. 614, 7 vermutet er, daß cele-
brabatur als Glossem zu agebantur zu streichen sei.
A. Aus fei d, Die Orosiusrezension der bist. Alex. Magui de
proeliis: Festschrift der badischen Gymn. für die Uuivers. Heidel-
berg 1886. S. 106 ff.
A. weist nach, daß Nepot. auch in jener Orosiusrezension stark
benutzt ist, wie z. B. der Irrtum Pausanias st. Prusias (durch die
Schreibung Prausias in den Hss des Val. veranlaßt) sich dort wie Nep.
c. 9, 21 findet. Für die Kritik des Nepot. ergiebt sich kein nennens-
werter Gewinn.
10*
Jahresbericht über Vergil 1892—1896
von
Rud. Helm,
Wilmersdorf.
Als ich den Jahresbericht über Vergil übernahm, war ich durch
Studien auf einem weit entlegenen Grebiete gefesselt, so daß mir nur
wenig Zeit blieb mich einzuarbeiten. Nichtsdestoweniorer hoffe ich,
alles Wesentliche vorzubringen. Für etwa auffällige Ungleichheiten
der Ausarbeitung erbitte ich bei diesem ersten Bericht die gütige
Nachsicht der Leser. Bei allem habe ich nachträglich die sorgfältigen
Berichte von P. Deuticke in den Jahresber. des phil. Vereins zu Berlin
zu Rate gezogen. Auf eine Erwähnung sämtlicher Schulausgaben, sogar
noch bei jeder neuen Auflage , sowie mangelhafter Übersetzungen,
Inhaltsübersichten u. dei-gl. habe ich grundsätzlich verzichtet. Daß
trotzdem noch viel zu viel besprochen ist, wie die unsinnigen Auf-
stellungen über die Eklogen von Laves und Frey, ist mir völlig klar;
aber es wird sich kaum ganz vermeiden lassen, auch das falsch Er-
scheinende zu erwähnen, schon um der subjektiven Ansicht des Re-
ferenten nicht zu viel Spielraum zu lassen. Von nachstehenden
Werken habe ich weder selber noch durch eine Rezension Kenntnis
nehmen können:
Moggio de eclogis Vergilli et allegoria in I, V, IX ecl. expressa
Correggio Emilia.
C. Pioi, Didone in Virgilio Lecco.
Sabbadini, due supplementi all' Eneide. Rivista Etnea I h p. 137—13;).
Bucciarelli, la Sicilia e Virgilio Rassegna delia letter. sicilian. II
fasc. 1—3 Acireale 1894.
Barzellotti, Conferenze tenute a Roma Firenze XI art. 4.
Bardoscb, Lucan und Vergil, ungarisch Egyet. phil. XVII 401 — 417.
Remig, Lucan und Vergil, ungarisch Egyet. phil. IX G2.') — 643.
Doczi, Praeparatio Vergil. Aeceisenek I es II enkehez.
Vietöricz, Vergilius költemenye az arany korröl. Nyiregyhäzai 1894/95.
Le Breton, de nnimalibus ap. Vergilium Paris 1895.
Jahresbericht über Vergil IbifJ— isOC. (Uelm.j 149
Grandeffe, etude analyt. sur TEneide Paris 1895.
Lefe^Te, Enee et Virgile Revue de l'EcoIe anthropol. de Paris I. 3.
Nemethy, Vergilius Didöja Egyet. phil. Ls'.k; p. 1 — 18.
Hadjidemetrios, Studia Vergiliana Athenes ISDö.
V. Fabricius, de love et fato in Aeneide Leipz, ISilG Fock.
E. Krause, az istenek es a fatum Vergilius költeszeteben Ism. Nemethy
Geza. Philol. Közl. 5ÜG.
Nemeth, Vergil Aeneis enek ismerteteseTanulök Lapja 4749.
Kuicala, Krit, und exeget. Beiträge zu Vergilius Georg. Ceske-
Museum, filol. 1896 p. 90—101.
I. Allgemeines über den Dichter.
Eine populäre Darstellung der Entwickelung Vergils giebt
Cartault levolution du talent de Virgile des bucoliques aux
georgiques Rev. Internat, de Feuseignement 1895 S. 1 — 15. Inter-
essant ist die innere Veränderung des Dichters, aut die C. aufmerksam
macht. Vergil wird mehr und mehr Pantheist, aber je weiter er sich
von der Philosophie des Lucrez entfernt, um so mehr nehmen die Ent-
lehnungen zu, was übrigens wohl vor allem daran liegt, daß die
Georgica ein Lehrgedicht sind, Lucrez aber für die didaktische Poesie
selbstverständlich Illuster war. An und für sich lag dem gefühlvollen
Dichter ein solcher Stoff wohl nicht nahe. Er hilft sich, indem er sich
hier und da in das Gebiet der Leidenschaft flüchtet, so bei der
romantischen Schilderung des schwimmenden Leander, Georg. LEI 260 ff.,
und bei der Orphensepisode. Hier erkennen wir ein deutliches Band,
das sich von den Eklogen zu der Erzählung der Liebe der Dido hin-
zieht. Der Hauptcharakter aber der Georgica ist von den Bukolika
durchaus verschieden, hier finden wir Träumerei, dort wirkliche Thätig-
keit. Wir empfinden, daß das Lehrgedicht das Werk eines heran-
gereiften Mannes ist. Vielleicht hat auch der Verkehr mit Männern
der That dazu beigetragen, diese Änderung im Charakter des Vergils
zu bewirken.
Virgilio anomale? ist der Titel einer kleinen Besprechung,
die Valmaggi seiner Studie II Vergilianismo Torino 1890 beigefügt
hat; sie behandelt die Vorwürfe, die man Vergil in sittlicher Beziehung
machte und richtet sich besonders gegen Lombroso, der Michelangelo
wegen seiner Abneigung gegen das Weib psychisch anomal genannt
hat, ein Vorwurf, der Vergil ebenso treffen könnte.
Ein Bild Vergils hat sich auf einem Mosaik bei den Ausgrabungen
in Tunis gefunden, über das Boissier nach einem Brief von Gauckler
berichtet. Academie des Inscriptions Comptes rendus 1896
S. 578 ff. (vgl. Berl. phü. Wochenschr. 1896 Sp. 1664). Das Mosaik
150 Jahresbericht über Vergil 181)2—181)6. (Helm.)
stellt einen Mann mit bäurischen Zügen und knrzgeschnittenem Haar
dar, der zwischen zwei Musen sitzt: in der Linken hält er eine Rolle,
auf der man Aneis I, 8 liest." Zu seiner Rechten liest ihm Klio von
einem Blatt etwas vor, zu seiner Linken steht sinnend Melpomene.
Das Bild zeigt Ähnlichkeit mit den ]\riniaturen in den Handschriften,
wie z. B. im Vaticauus; es wird von dem Finder etwa ans Ende des
1. Jahrhunderts n. Chr. gesetzt. Eine treffliche Abbildung des Mosaiks
ist jetzt in den Monuments et memoires publies par Tacadcmie des
Liscriptious et Bclles-Lettres IV 2 Paris 1898 erschienen.
II. Ausgaben.
P. Vergili Maronis opera apparatu critico in artius contracto
iterum rec. Otto Ribbeck. Vol. I. Bucolica et Georgica Lips. in
aed. Teubneri 1894. Vol. II, III. Aeneidos libri I— VI, VII-XII.
Lips. 1895. Vol. IV. Appendix Vergillana. Lips. 1895. Dem in-
zwischen verstorbenen Meister der klassischen Philologie war es
noch vergönnt , seinen Vergil in zweiter Auflage herauszugeben.
Allerdings hat auch er dabei der inzwischen eingetretenen Zeitströmung
Rechnung tragen müssen. Der Apparat ist verkürzt, und die Pro-
legomena, die mancher schmerzlich vermissen wird, fehlen ebenso wie der
Anhang von W. Ribbeck, der die auctores und imitatores enthielt. Der
Veränderungen im Text des 1. Bandes sind wenig. Neuere Forschungen
wie die von J. Vahlen hervorgehobene Abtrennung der Verse Ecl, VIII
105 — 106 aus der Rede der Herrin, sind berücksichtigt; die zur Be-
zeichnung der strophischen Gliederung gesetzten Buchstaben oder Zahlen
sind zum grössten Teil fortgeblieben. Im Apparat ist hier und da
eine kleine Ungleichheit zu erkennen, wie sie durch häufige Unter-
brechung der Arbeit entstehen kann; in der Anführung von Konjekturen
ist R. sehr sparsam gewesen, 'cum magna ex parte vel inutiles vel
adeo ineptae visae sinf. Die testimouia sind eher vermehrt, obwohl
auch hier einiges fortgelassen ist; vor allem sind sie nach den neueren
Ausgaben, so nach Keils grammatici citiert. Auch in der Äneis sind
Ungleichheiten nicht ganz vermieden, so in der verschiedenen Citier-
methode bei neueren Konjekturen, bald mit Angabe des Fundortes, bald
ohne. Ein konservativer Zug läßt sich auch hier bemerken ; so ist I 396
capsos nui" noch im Apparat erwähnt und aus dem Text entfernt. Da-
gegen sind ein paar Stellen mehr als interpoliert bezeichnet; z. B. VI
893—896 nach Xauck, IV 280 u. a. Neuere Studien wie die Nordens
sind verweitet. Am größten ist die Veränderung im 4. Band, der die
kleinen Gedichte enthält. Rosetura, Est et non, Vir bonus und die
Elegien auf Mäcenas sind fortgefallen. Der Culex ist natürlich nach
Jahresbericht über Vergil 1892— 189ß. (lielra.) 151
Leos Ausgabe bearbeitet mit Benutzung des von Ellis aufgefundenen
codex Corsinianus. Die handschriftliche Lesart wird ebenfalls mehr als
früher bevorzugt. Zu den Gedichten Catalepton ist das Epigramm Vate
Syracosio aus den Prolegom. S. 2 zugefügt. Die Dirae und Lydia, die
den Schluß bilden, sind in absichtlichem Gegensatz zu den neuesten
Arbeiten darüber herausgegeben worden, wie schon die Bemerkung der
Vorrede zeigt, 'ne opellam meam olim in his carminibus positam praeclara
sospitatorum noviciorum inventa nimia obruerent oblivione' (vgl. Ribbeck,
Antikrit. Streifzüge, Eh. Mus. L, 558 ff.).
P. Vergili Maronis opera cum appendice in us. schol. iterura
rec. Otto Ribbeck. Praemisit de vita et scriptis poetae narrationem
Lips. in aed. Teubneri 1895. Zugleich mit der großen ist auch diese
kleine Ausgabe in neuer Auflage erschienen. Auffällig ist die hier und
da sich zeigende Abweichung der beiden voneinander, die keine Erklärung
findet, als daß die alte Lesart einfach übernommen ist. Eine größere
Veränderung zeigt sich in der vita, iu der z. B. die Deutung von
Ekloge ly auf Pollios Sohn in die Anmerkung verwiesen ist. Auch
hier ist die neuere Litteratur nachgetragen, allerdings meistens so, daß
sie abgelehnt wird.
Bei der Rezension der beiden Ausgaben von Ribbeck giebt
Zingerle Berl. pliil. Wochenschr. 1895 S. 616 und 1897 S. 9 einige
Notizen über die Innsbrucker Handschrift No. 48, saec. XIV, die am
meisten mit c (Bern. 184) übereinstimmt.
The Aeneid of Virgil books I — VI, edited w'ith intro-
ductiou and notes by T. E. Page. London 1894, Macmillan and Co.
Die geschmackvolle Ausgabe legt vor allem Gewicht auf die Erklärung,
weniger auf die Textkritik. Kurze Angabe über Variauten sind nach
Auswahl unter den Text gesetzt. Die nachgefügten Anmerkungen ent-
halten nützliche Hinweise auf Grammatisches, Etymologisches, sowie
auf Mythologie und Altertümer. Daß die Erklärung hier und da
Zweifel läßt , ist selbstverständlich. Nicht klar erscheint sie mir
I 397/98 in dem schwierigen Gleichnis der Schwäne: 'Die Schwäne,
■wie sie sich niederlassen , spielen mit geräuschvollem Flügelschlag,
nachdem sie den Himmel im Triumph umkreist haben unter Gesängen
der Freude." Soll danach der zweite Vers sich auf den Zustand
der Schwäne vor dem Augriff des Adlers beziehen? Oder wir müssen
nach der Erklärung annehmen, daß die Schwäne, nachdem sie ge-
rettet sind, sich erst noch einmal erheben, um dann — man weiß
nicht weshalb — sich wieder zu senken und auf der Erde zu spielen.
II 74 stört mich das Semikolon. III 684 wird m. E. richtig ausgelegt:
'Auf der anderen Seite warnen die Aufträge des Helenus: zwischen
Scylla und Charybdis gehe ein Pfad, nur eine Handbreit vom Tode ent-
152 Jahresbericht über Vergil 1892— 189(i. (Helm.)
fernt, wenn sie den rechten Kurs nicht hielten. Wir beschlossen zurück-
zusegeln, wo wir gekommen. Da aber kam uns der Nordwind zu Hülfe
und trieb uns aus der g-efährlichen Gegend.' Aen. VI gilt auch das
Elysium als Reinigunirsstätte, und auch Anchises muß wieder ins Leben
zurückkehren. — Page hat auch eine handliche Textausgabe der Buc,
Georg, und Aneis in demselben Verlage 1895 herausgegeben.
P. Vergilii ]\[aronis opera omnia rec. T. L. Papillon,
A. M. et A. E. Haigh Oxonii e prelo Clarendon. 1895. Der Wert
der Ausgabe besteht darin, daß hier von E-. Ellis die kleineren Ge-
dichte herausgegeben sind, die eine ßeihe interessanter Vorschläge ent-
halten, Culex 88 addunt statt adsunt. 5 doctumque voces, wofür Owen
in seiner Rezension Class. rev. 1895 vocet vorschlägt. 37 memorabimus:
haec tibi crescet (nach Silligs Vorgang), 61 avidas nimia cuppedine
mentes, Ciris 180 ubi non rubor, 321 tenuis patrio praes sit suspensa
capillo, Catalept. V (VII) 3 Selique nach Cic. acad. prior. II 4, 11,
catal. X (VIII) 10 nequa torridum, VI (XIV) 10 marraoreusque tibi
Caput ignicolorius alas u. a.
ni. Allgemeines über die Werke.
1. Yergils Knnst in Stilistik, Versbau und Erfindang.
Die Kunst Vergils in stilistischer Hinsicht behandeln Hunziker,
Die Figur der Hyperbel in den Gedichten Vergils. Berlin,
Mayer und Müller, 1896, und Preuss, Die metaphorische Kunst
Vergils in der Aneis. Gymn.-Progr. Graudenz 1894, indem
jener die Hyperbeln, dieser die Metaphern zum Gegenstand der Beob-
achtung macht. Beide Arbeiten sind als Stoffsammlung sehr nützlich.
Umfassender und anregender ist die erste Arbeit, weil sie eine Fülle
von Beispielen auch 'aus anderen Dichtern zum Vergleiche heranzieht.
Die Kunst des Dichters in der Anwendung von Verglcichungen be-
spricht Thomson, de comparationibus Vergilianis, Lundae 1893,
in nicht sehr einwandfreiem Latein. Anzahl und Umfang der zur Ver-
deutlichung des Geschilderten herangezogenen Bilder, ihre Quellen, Art
und Form werden beleuchtet. Den größten Raum nimmt die Sonderung
nach grammatischen Prinzipien, nach Tempus und Modus, ein.
Die Vergleiche selber untersuchen Baur*) und Ehwald. Baur,
Homer. Gleichnisse in Vergils Äneide. Progr. Freysing 1891,
beschäftigt sich mit den Homerischen Gleichnissen in den ersten acht
Büchern der Äneis, weil gerade hier zu einer Gegenüberstellung der
*) Da die 1891 erschienene Arbeit im vorigen Bericht nicht be-
sprochen ist, so sei es hier nachgeholt.
Jabresbericht über Vergil 1S92— 1896. (Helm.) 153
beiden Dichter herausgefordert wird. Er will der Geringschfltzung des
Römers, die der früheren Überschätzung gefolgt ist, entgegentreten.
Vergil steht zwar oft hinter Homer zurück an Frische und Lebendig-
keit, aber er bemüht sich, das Bild mit dem Verglichenen möglichst in
Übereinstimmung zu bringen. Äußerlich fällt die freiere Anfügung
der Gleichnisse bei Vergil auf; oft führt er den Vergleich allein mit
einem 'so' ein; auch die bei Homer geläufige Zurückführung zur Er-
zählung durch ein 5? fehlt.
Auf eine interessante Eigentümlichkeit bei den Vergleichen macht
Ehwald Philolog. LIH S. 729—744 aufmerksam, die Vergil ebenso
besitzt wie die alexandrinischen Dichter. Benutzt er eine anderswo
gegebene, ihm nachahmenswert scheinende Situation und macht sie für
sein Epos zurecht, so schwebt ihm das Vorbild in Gedanken so sehr
vor, absichtlich oder unabsichtlich, daß sich ihm die verwendete Scene
als Vergleich aufdrängt. So wird der "Wettkampf der Schiffe im 5. Buch,
der den homerischen Spielen des 23. Buches der Ilias nachgeahmt ist,
durch die Verse 144 — 148, die den Vergleich des Wagenkampfes ent-
halten, zu den vorbildlichen Versen in Beziehung gebracht. Die Er-
zählung der Camilla ist nach dem angeführten Vergleich mit der Pen-
thesilea vielleicht auf des Arktinos Aithiopis zurückzuführen (cf. Knaack
Rh. M. XLIX 526 — 531, der Camilla und Harpalyke gegenüberstellt).
Der Tod des Turnus ist, wie X 471 zeigt, nach Sarpedons Fall II. XVI
gedichtet. Die Qual und Raserei der unglücklichen Dido hätte nach
IV 469 in des Pacuvius Pentheus ihr litterarisches Vorbild. Außer-
ordentlich scharfsinnig glaubt E. auch in der Laokoonepisode mit Hülfe
des pompejanischen Wandgemäldes den Einfluß Euphorions zu erkennen,
den ja Servius oft nennt. Das Bild kann wegen mehrerer Verschieden-
heiten nicht nach Vergils Schilderung gemacht sein; dann ist sein Vor-
bild ein Alexandriner gewesen, etwa Euphorion. Man könnte den auf
dem Bilde etwas unmotiviert dahinstürmenden Stier erklären, wenn
das Bild aus zwei Scenen der Dichter zusammengezogen ist, der Unter-
brechung des Opfers und dem Untergang Laokoons. Von der ersten
Scene hätte Vergil dann den Vergleich II 223 — 224 übernommen. Zwei
andere Beispiele zeigen den Vergleich, wo durch ihn ein Hinweis zur
richtigen Interpretation und zum vollen Verständnis der vom Dichter
gewählten Einkleidung seiner Erzählung geboten wird. VI 205 ff.
wird der goldene Zweig, der den Eingang zur Unterwelt verschafft,
mit dem Mistelzweig verglichen, und bei dem ludus Troiae wird V, 588
das Labyrinth zur Erklärung herangezogen, weil der Tummelplatz für
das Spiel in seiner Anlage mit dem Labyrinth gleich ist. Die Beob-
achtung ist zweifellos richtig; nur darf man nicht aus jedem Gleichnis
auf eine Quelle des Dichters schließen wollen.
154 Jahresbericht über Vergil 1802— 1S0r>. (Helm.)
Vou der Verskunst des Vergil handelt B. Gerathewohl, Allitte-
ration tontragender Silben au den beiden letzten Arsen
des Hexameters in Vergils Aneis (Abhandl. W. v. Christ dar-
gebracht 1892). Er stellt mit Beziehung auf den Vortrag in der
41. Versammlung deutscher Philologen die Reime des 5. und 6. Vers-
fußes zusammen, weil sie ihm besonders wirkungsvoll erscheinen (cf.
magno cum murmure montis). Er konstatiert dabei vier Fälle: 1) die
erste Vershälfte hat ebenfalls ein- oder zweimal denselben ßeim, 2) sie
hat einen eigenen ßeim für sich oder reimt mit der zweiten noch
durch einen besonderen Reim, 3) sie reimt mit der zweiten des vorher-
gehenden Verses, 4) sie entbehrt des Stabreims. Als Reim wird nur
der gleiche Anlaut tontragender Silben anerkannt, sei es, daß der Wort-
ton oder der Verston auf ihnen liegt.
Die wirklichen Reime in der Aneis sammelt Johnstone Class.
rev. 1896 S. 9 — 13. Er findet 16 Reimpaare, nicht gerechnet ein
halbes Dutzend, bei denen dasselbe Wort am Ende steht; außerdem
giebt es eine Anzahl durch Assonanz verbundener Verse. Die Reime
werden gebildet durch die dritten Personen eines Imperfekts, den Aus-
laut -entem oder -entum, einmal durch -ator, einmal durch die
Namen Labici, Xumici: sie stehen in dreisilbigen Schlußwörtern. J.
mißt all diesen Fällen eine besondere Wirkung bei, die, wie ich glaube,
mancher nicht mit ihm empfinden wird.
Inhaltlich beschäftigen sich mit der dichterischen Begabung Vergils
B. Rebelliau, H. de la Ville de Mirmout, Cartaalt und L. Parazzi,
wie überhaupt bei Franzosen und Italienern die ästhetische Betrachtung
des römischen Xationalepos sehr in Blüte steht. Parazzi, Virgilio
e il patetico di moralitä (Atti della R. Accademia Virgiliana Man-
tova Biennio 1893—1894.) liefert die allgemeinsten Beobachtungen; er
sieht in der Aneis richtig in geistreicher Auffassung die wirklich tragischen
Züge und findet so einen reichen etlüschen Gehalt. Tragisch ist die
Gestalt der Dido und tragisch das Leid, das Aueas über sich selber
durch seine Treulosigkeit heraufbeschwört, bis er durch Heldenmut und
Vaterlandsliebe geläutert ist. Rebelliau, deVergilio in informandis
muliebribus personis auctore, Paris 1892, hat sich besonders die
weiblichen Charaktere herausgenommen, um an ihnen das Talent Vergils
nachzuweisen, da die vielfache Behandlung des Dichters in letzter Zeit
eher zu seiner Verkleinerung beii,'etragen hat. Es wird gezeigt, daß
der Dichter bei der Gestaltung der Frauen, die in der Aneis auftreten,
durchaus schöpferisch verfuhr; dazu werden die Quellen aufgesucht, die
ihm vielleicht zu seiner Verfügung standen. Dido, auch Andromache
gehen jedenfalls weit über die etwa in der Litteratur zu Gebote
stehenden Vorbilder hinaus. Auch bei den Nebenpersonen zeigt der
I
Jahresbericht über Vergil l.S;i2— IS'JG. (Helm.) 155
Dichter seine geniale Begabung noch reichlich; Anna, Aniata, Camilla
sind keine blutlosen Figuren', sondern lebendige, wahrheitsgetreu dar-
gestellte Jlenschen.
Einen außerordentlich interessanten Vergleich mit Apolionios
von Ehodos bringt die geistreiche Abhandlung von de la Yille de
Mirniont, Apolionios de ßhodes et Virgile. Annales da la
faculte des Lettres, Bordeaux 1894. Scaliger hatte in seiner 1561 er-
schienenen Poetik die dichterischen Verdienste Vergils in einer sehr
oberflächlichen Yergleichuug weit über die des alexandrinischeu Dichters
gestellt, Hoelzlin (Apollon. Rhodii Argouauticor. libri IV in lat. conversi
Lugd. Bat. 1641) ihm energisch widersprochen und die Vorzüge der
Argonautika hervorgehoben, ohne deren Vorhandensein die Aneis nicht
sein würde, was sie jetzt ist; seitdem hat sich der Streit immer wieder
erhoben. Vergils Hauptverdienst, so wird ausgeführt, ist zweifellos,
daß sein Epos ein Natioualepos war, das dem Volke ebensowohl ein
Abbild seines ganzen Lebens zeigte, wie den Vornehmen ein Blatt des
Ruhmes darbot, auf das sich die Geschlechter nicht weniger berufen
konnten als die Griechen auf den Schilfskatalog. Selbst ein religiöses
Werk war es, das den ganzen Glauben der Römer enthielt und mit der
Verehrung der Penaten das hervorhob, was jedem vaterlandsliebenden
Römer ein heiliges Gut war. Vergil hatte den genialen Einfall, Ge-
schichte und Legende zu vereinen. Apolionios dagegen entbehrt des
patriotischen und religiösen Gefühls; sein Werk ist eine Eucyklopädie der
Gelehrsamkeit ohne jede Einheit und sein Vorzug nur das lyrische
Element, das er in das homerische Epos mischt. Vergil fand den ge-
eigneten Stoff zu einem nationalen und religiösen Epos , er konnte die
mythologische Gelehrsamkeit seines Vorgängers benutzen und alle die
Quellen alexandrinischer Kunst verwerten, ohne ihre Richtung zu
seinem eigensten Ziel zu machen. Das gab seinem Werke die Be-
deutung.
Cartault, vues d'ensemble sur TEneide, Revue internationale
de l'enseignement 1896 S. 1—20, betrachtet die Äneis von einigen
allgemeineren Gesichtspunkten. • Er findet darin sämtliche epischen Motive
verwertet, aber neu bearbeitet und so zusammengefügt, daß der Ge-
danke der Einheit nicht über den Teilen vergessen ist. Dieser
herrschende Gedanke ist die künftige Größe Roms, deren Offenbarung
alle Bücher durchzieht. Andererseits bildet jedes Buch ein Ganzes
für sich, von andern durch eine möglichst große Abwechselung im
Stoff geschieden. Hervorragend ist das rhetorische Moment in der
Aneis. Die Kunst, die Natur zu schildern , wird wie in den Georgika
auch hier verwertet, ohne daß sie realistisch würde; immer hat die
Beschreibung der Xatur etwas Romantisches. In den Charakteren und
156 Jahresbericht über Vergil IS92— 189G. (Helm.)
Handlungen der Aneis zeigt sich eine tiefe Moral, wie sie etwa den
philosophisch gebildeten Gemütern der Zeit des Dichters eigen war,
während die Götter verhältnismäßig zurückstehen an moralischer Ver-
vollkommnung, weil der Dichter bei ihnen an die Tradition gebunden
war. Vor allem ist die Äneis ein Nationalepos ; die Griechen werden
überall zurückgesetzt, die Troer gelobt, und nicht nur sie, sondern
auch die alten Einwohner Italiens. Die römische Geschichte wird hier
und da gestreift: die fernste Vergangenheit und die nächste Gegen-
wart werden durch Ausblicke beleuchtet. Was fehlt, ist ein nationaler
Held; denn Aneas ist ein Gemisch von Odysseus und Achill, daneben
hat er ein Stück vom modernen Menschen, aber er ist keine lebendige
und einheitliche Persönlichkeit.
*E,iforgiato, la natura nelle opere di Virgilio Catania
1895 ist nach Romizi Bell, di fil. class. II 1895 — 1896 nicht genügend
mit Ausführlichkeit, mit liebevoller Sorgfalt ausgestaltet worden, so daß
neue Beobachtungen fehlen. Allgemeine Urteile sind falsch und im
einzelnen mehrmals Verseheu vorhanden.
2. Realien und Sage bei Vergil. /
*E. Stampini, Alcune osservazioni sulla leggenda di
Enea e Didone nella letteratura Romana Messina 1893 estratto dall'
annuario deUa ß. Universitä di Messina betrachtet im ersten Teil die
Didoepisode vom poetischen Standpunkt aus und hebt die Schönheiten
im Gegensatz zu früheren Darstellungen ähnlicher Stoffe wie CatuUs
Ariadne hervor. Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Sage. Die
Sage von der Besiedelung Latiums durch Aneas ist jünger als die,
nach der die Gründung der ältesten latinischen Städte durch die Söhne
und Begleiter des Odysseus stattfand. Erst aus politischen Gründen
wurde sie die herrschende, und im Jahre 204 fand die Wanderung
aus Troas nach Latium durch die Einführung des Kultes der Magna
Mater von Phrygien nach Rom ihren Abschluß. Die Aneassage an und
für sich ist in den ersten Zeiten der Republik nach Rom gelangt.
(Berichtet nach Steuding, Berl. phil. Wochenschr. 1894 Sp. 887.)
Eine Ehrenrettung des Aneas gegenüber modernen Angriffen, die
ihn schlaff und treulos nennen, versucht Quadri sull Enea Virgiliano
Atti della R. Accademia Virgiliano Mantova 1893 S. 149—66. Er
lobt den Helden, in dessen Charakter sich des Dichters lautere Ge-
sinnung widerspiegelt. Tapferkeit darf man ihm nicht absprechen;
allerdings zeigt sich eine gewisse Schwäche bei ihm, obwohl die be-
ständige Mahnung durch Götter, Traumbilder und Wahrsager mehr
den Zweck hat, seine Mission als von den Göttern gewünscht hinzu-
stellen. Aneas ist nicht treulos; Creusa verliert er ohne seine Schuld
Jahresbericht über Vergil ISOl'— 18I)G. (Helm.) 157
und müht sich, sie zu retten, von Dido reißt er sich nicht ohne tiefen
Seelenschnierz los. Auch ist er zu entschuldigen, wenn er in Zornes-
aufwalluug die acht Jünglinge den Manen des gefallenen Pallas opfert;
nicht Hochmut ist es, sondern tröstendes Mitgefülil, wenn er dem zum
Tode verwundeten Lausus zuruft: Du stirbst durch die Rechte des
großen Aneas. Überhaupt zeigt er in allem die Kriegslust der Römer
durch eine zarte Menschlichkeit gemildert. Der Krieg ist ihm eine un-
abwendbare Notwendigkeit, eine Fügung der Götter. Er liebt Gesetz-
lichkeit und Frieden. Noch vor dem Zweikampf mit Turnus vei'sichert
er, daß ihn nicht Eroberungsgelüste treiben. Als Beispiele aus der
Geschichte führt der Verf. zum Vergleich Kaiser Wilhelm I. und
Moltke an, die zwar Großes im Kriege gethau, aber ihn doch verab-
scheut haben.
Die Realien in Virgils Aneis sammelt F. Kunz, Progr.
des Gymn. Wiener-Neustadt 1894 und 95. Der erste Teil be-
handelt Kriegswesen und Privatleben, der zweite die Sakralaltertüraer.
Sorg-fältig werden die Stellen zusammengetragen, in denen Vergil in
irgend einer Weise die Altertümer der Zeit des Aneas schildert. Ob
aber die Sorgfalt dem Nutzen entspricht, den die Arbeit bringt?
Illustrationen konnte sie wegen der dadurch entstehenden Verteuerung
nicht geben. Weitergehende Fragen , wie die, was Vergil aus
römischen und zeitgenössischen Verhältnissen in die fleroenzeit hinein-
getragen, werden zwar behandelt, aber nicht eingehend zusammenge-
stellt. Als Materialsammlung ist die Ai'beit brauchbar.
Einen Teil der Realien, nämlich den auf das Seewesen bezüg-
lichen, bespricht J. Segebade, Vergil als Seemann, Progr. d.
Großherzogl. Gymn. zu Oldenburg 1895. Was an textkritischeu
Fragen behandelt wird, ist ohne weiteren Nutzen; so wird 'urbis opus'
Aen. V 119 falsch erklärt, und der Vers für unecht gehalten, III 648
sehr mangelhaft behandelt. Für das Verständnis der seemännischen
Ausdrücke aber ist die Sammlung durchaus brauchbar.
Büdinger, Die römischen Spiele und der Patriciat,
Sitz.-Ber. der phil.-hist. Klasse der Kais. Akademie der Wissensch.
zu Wien Bd. 123, S. 28—37 bespricht das Aneis V erwähnte Troja-
spiel und liefert eine eingehende Schilderung, wobei das Versehen ge-
macht ist, daß den Knaben aus dem Vers 556 tonsä comä pressa
Corona ein kurzer Haarschnitt zugeschrieben ist. Sehr nützlich ist die
Ergänzung von Benndorf S. 47 — 55 über einen bei Tragliatella ge-
fundenen Thonkrug, der zwei Reiter zeigt, die aus einer großen
Ornamentfigur herauszukommen scheinen. An den Windungen dieser
steht truia. Die Figur stellt ein Labyrinth dar. Das Trojaspiel ist
danach sicher altitalisch; der Naräe wird von truare abgeleitet. Truia
158 Jahresbericht über Vergil 1892 — 1896. (Helm.)
bezeichnet also den Tummelplatz; erst später hat man es mit Troia in
Verbindung gesetzt.
Die Mythologie Vergils im Verhältnis zu Apollonius von Rhodos
wird einer sehr gründlichen Untersuchung unterworfen von H. de la
Ville deMirmont, La raythologie et les dieux dans les Argo-
nautiques et dansl'Eneide. Paris 1894, Hat Vergil seine Kennt-
nis der griechischen Mythologie besonders aus alexandrinischen Quellen
geschöpft? Das ist das Thema. Eine Gegenüberstellung der einzelnen Ge-
biete der Mythologie, wie sie bei Vergilius und bei Apollonius behandelt
werden, zeigt, daß in Vergils mythologischen Anschauungen manches ist, was
aus Homer nicht geschöpft werden konnte. Er entnimmt sein Wissen aus
Apollonius, aber er läßt alle gesuchte Gelehrsamkeit fort, und was bei
Apollonius Selbstzweck ist, wird bei ihm nur ein Mittel der Darstellung.
Er folgt bei der Angabe religiöser Gebräuche wie bei der Gleich-
setzung verschiedener Göttergestalten den Anschauungen seiner Zeit,
und dadurch entsteht manche Verwechselung. Das vortreffliche Buch
würde weit nützlicher sein , wenn es küi'zer und weniger weit-
schweifig wäre.
Von Boissier, Nouvelles promenades archeologiques.
Horace et Virgile, ist 1895 die 3. Auflage erschienen, 1896 ist
das Buch von Fisher ins Englische übersetzt worden. *) Wie weit sich
etwa die neue Auflage von der ersten 1886 erschienenen unterscheidet,
kann ich nicht sagen, da ich sie nicht erhalten habe. Von Belang für
die Vergilstudien ist der dritte Teil, der die Äneis und eine Reihe
von Fragen darüber behandelt. Das, wie sich bei einem Franzosen
von selbst versteht, geistreiche Buch bespricht zuerst die Aneassage.
Es ist eigentümlich, daß Homer in gewisser Weise dem kommenden
Sänger des Aneas vorgearbeitet hat, indem er große Erwartungen in-
bezug auf diesen Helden erweckt und ihm alles Lob zukommen läßt,
ohne daß er doch wirklich besondere Thaten ausführte. II. XX 300
wird Äneas der zukünftige Herrscher der Troer genannt. Da solche
Weissagungen post eventum zu geschehen pflegen, ist es wahrscheinlich,
daß schon zur Zeit der Abfassung dieser Verse ein kleines Volk be-
hauptete, von den Troern zu stammen, und seine Fürsten, Enkel des
Äneas zu sein, auf die der Dichter Rücksicht nehmen wollte. Auch
der Charakter des Äneas ist bei Homer schon festgelegt, indem ihm
außerTapferkeit besonders Weisheit und Gottesfurcht (cf. II. XX 269)
zugeschrieben werden. Das sind die Anfänge der Sage. Natürlich
*j La das Buch in dem Jahresbericht 18S9 nicht seinem Werte ent-
sprechend behandelt ist, sei es bei dieser Gelegenheit gestattet, den Inhalt
kurz zu referieren.
Jahresbericht über Vergil 18'J2-18üG. (Helm.) 159
konnte mau den Helden nicht in den Wäldern des Ida lassen, und so
erdichtete man ihm Irrfahrten. Hier ist eine Lücke. Wie kamen die
Griechen dazu, einen Troer zum Gegenstand ihrer Phantasie zu machen?
Vermutlich trug dazu bei der Kult der 'Acppoöi-rj Aiver/;, deren Bei-
name dunkel ist. Eine zweite Lücke zeigt sich, wenn man fragt, wie
kamen die Römer dazu, die griechische Sage sich anzueignen. Nie-
buhrs Hypothese, die Latiner seien Pelasger wie die Troer u. a., hätten
sich nie aus dem Gesicht verloren und in Samothrake Mysterien zu-
sammen gefeiert, daher auch die Nationalsage übernommen, ist für das
unbekannte kleine Völkchen in Latium unwahrscheinlich. Bemerkens-
wert ist, daß die Aufnahme der Aneassage kein Hindernis fand; sie
verdrängte die Lokalsage von Romulus nicht, sondern füllte die ältere
Zeit aus; da die Gründung Roms festgelegt war, wurde sie auf die
Buudesstadt Lavinium übertragen, die, als Centrum von mehreren
Städten gegründet, keine Grüudungssage hatte. So konnte die Aneas-
sage eindringen, als die griechische Gedankenwelt in Latium Einzug
hielt, sicherlich seit Livius Andronicus. Schon zu Pyrrhus' Zeit muß
sie bekannt gewesen sein; denn Pyrrhus erklärte den Römern den Krieg
in Erinnerung an seinen Ahnherrn Achill. Als 472 die Acarnauier
die Römer um Hülfe baten, beriefen sie sich darauf, daß sie allein
nicht gegen Troja gekämpft hätten. Seitdem verbreitete sich die Sage
mehr und mehr. Naevius beginnt mit den Troern. Die Verbindung
des Aneas mit Dido wird vielleicht dem Verkehr von Römern und
Phöuiziern auf Sicilien verdankt; dann ließ man den Haß zwischen den
Völkern bis zu den Ahnen zurückgehen. Vielleicht that das Naevius.
Auch Enuius begann mit dem Fall Trojas, Endlich kam die Sage in
die Hände der Grammatiker. Die Aufnahme der griechischen Sage
nahm zu, als die Römer sich bemühten, den Namen der Barbaren, den
sie von den Griechen erhielten, los zu werden. So suchten sie ihre
Abstammung auf die Troer zurückzuführen. Daß Vergil die Aneas-
sage wählte und so auf glückliche Weise das mythologische mit dem
historischen Epos verschmolz, lag daran, daß der Dichter die Achtung
vor den älteren lateinischen Dichtern mit der Begeisterung für griechische,
besonders alexaudrinische Poesie und Gelehrsamkeit verband. Ein
Hauptgrund aber, Aneas und nicht Romulus zu besingen, mußte für ihn
sein, daß die Julier ihr Geschlecht auf den Sohu des Aneas zurück-
führten.
Die anderen Teile der Abhandlung folgen dem Aneas auf seiner
Wanderung und bieten meist archäologische und historische Bemerkungen
über die in der Äneis erwähnten Plätze.
A. Förstemann, Zur Geschichte des Aneasmythus.
Litteraturgeschichtl. Studien. Magdeburg Creutzsche Verlags-
ir^O Jahresbericht über Vergil 1S92— 189G. (Helm.)
buchhdlg. 1894, verfolgt in sorgfältiger "Weise die Entwickelung der
Aneassage in der griechischen und römischen Litteratur. Etwas tlber-
sichtlichkeit fehlt der Arbeit, da keine Abschnitte zusammengefaßt
sind, sondern das Ganze sich ohne Unterbrecliung fortsetzt. Im
einzelnen wird jeder Schriftsteller herangezogen, der als Dichter oder
als Historiker und Antiquar eine Nachricht über Äneas und den Troer-
zug gebracht hat, und so werden die einzelnen Bausteine zur Sage
bis auf Yergil zusammengetragen. Von Homer, bei dem die Ausnahme-
stellung des Aneas schon vorbereitet ist, und den Kyklikeru bis zu
Lykophrou. von Fabius Pictor bis Cato und Varro wird sorgfältig alles
gesichtet, so daß hier alles Material, das dem Dichter der Aneis vorlag,
in gedrängter Darstellung beisammen ist. In gewisser Weise wird so
auch die Frage nach den Quellen Vergils behandelt, wenngleich eine
zusammenfassende Ausführung darüber fehlt, wie Vergil die ihm zu
Gebote stehenden Einzelheiten benutzt und was er als Dichter daraus
gemacht hat; aber wir hören, woher etwa die Vereinigung des Aneas
mit Euander, woher die mit Dido geschöpft werden konnte.
3. Quellen.
Für einige Verse des Vergil (Äu. I 337, 336, 320, vielleicht
auch IV 132) weist K. Schenkl, Wien. Stud. 1894 S. 195 auf die
Anklänge in den von Terentianus Maurus 1931 ff, aus der Ino des
Livius Andronicus angeführten Versen hin. Er vermutet, daß sie von
einem jüngeren Tragiker in einen Chorgesang von Nymphen zu einer
Wiederaufführung eingeschoben sind und Vergil sie benutzt habe.
Varros antiquitates als Quelle s.S. 174. Orphisch-pythagoreische
Quellen s. S. 175. Jüdische Quellen s. S. 167, 177.
Als Vorbild für die Camilla zeigt Knaack, Rhein. Mus. XLIX
S. 526 — 31, die der Harpalyke, die er im Anschluß an Crusius bei
Röscher Lex. I 1835 — 1841 zum Gegenstand der Untersuchung macht.
E. Oder, Anecdota Cantabrigiensia, Progr, des Friedrich-
Werderschen Gymn. zu Berlin 1896 S. 14 ff. zeigt, daß Vergil Georg.
ni, 79 ff. nicht von Varro abhängig ist, sondern von griechischen
Quellen.
Das Verhältnis Vergils zu den rhodischen Künstlern der Laokoon-
gruppe bespricht \vieder Loewy Serta Harteliana S. 44—49. Er
wendet sich gegen die Auffassung Kekules und Foersters, daß der
Dichter die Gruppe gekannt und litterarisch nachgebildet habe, ob-
wohl er sie auch für älter hält als Vergil Dieser läßt die Kinder
zuerst, dann den Vater getötet werden; und nicht nur in Kleidung
und Waffen, sondern auch in gleichgültigen Details wie der Art der
Umschlingung weicht er ab. Ist diese Ansicht richtig, dann muß auch
Jahresbericht über Vergil 18!i2— LS'.m;. (Helm.) ](;i
die Version der Sage, die Laokoon und beide Söhue zugleich sterben
läßt, schon vor Vergil vorhanden gewesen sein.
4. Sprachliches.
Zu Woelfflin Archiv f. lat. Lexikogr. II, 11 giebt Ehwald einen
Nachtrag, Archiv f. 1. L. IX 305. Negiertes nequiquam tindet sich
bei Verg. auUer An. VIII 370 noch VI 118, wo die Negation nicht
zum ganzen Satz zu ziehen ist.
Über die bei Vergil ziemlich häufige Figur des Hysteron-proteron
äußert sich Page, Class. rev. 1895 S. 204. Er leugnet die Richtig-
keit der herkömmlichen Auffassung, daß dabei das, was der Zeit nach
zuerst kommt, zuletzt erwähnt wird, weil sie dem Schriftsteller etwas
Unlogisches zumutet. Nach ihm ist das Wesentliche, daß die Dichter
an die Hauptsache, die natürlich zuerst kommt, eine erklärende
Handlung durch 'que', manchmal auch 'et' anschließen. Der ange-
hängte Satz vertritt also logisch einen Nebensatz und läßt sich mit
'indem' , 'dadurch daß' u. s. w. unterordnen. Die ganze Betrachtung
geht aus von An. II 353: 'moriamur et in media arma ruamus.'
Platt, On a Virgiliau idiom. Journ. of phil. XXIV (1896)
S. 46 f. führt die bei Vergil und Properz geläufige Ausdrucksweise,
nach der nach voraufgegangenem 'et' und 'que' anstatt der Partikel
das Verbum oder Nomen wiederholt wird (cf. Conington zu ecl. IV 6),
wie in 'iam redit et virgo , redeunt Saturnia regna" , auf griechisches
Vorbild zurück; als Beispiel dafür wird Soph. Antig. 673 beigebracht,
wo auf das au-Xj -oXsi« x oXXuaiv kein y.aX folgt, sondern das autr),
allerdings vertreten durch tjoe, wiederholt wii'd.
"Wölfflin, Archiv für lat. Lexikographie und Grammatik
X S. 286 macht darauf aufmerksam, daß das bei Ennius bezeugte eques
für equus auch Verg. Georg. III 116 sich tiude, wo schon die Erklärung
im Serviuskommentar neben der anderen vorliegt; es handelt sich um
die Geschichte der Pferdedressur, nicht der Reitkunst. Ein paar
andere Belege für diese- Verwenduug von eques, die vielleicht vulgär
ist. werden noch hinzugefügt.
5 Das Fortleben Vergils.
D. Comparettis Virgilio nel medio evo ist zu Florenz
1896 in zweiter Auflage erschienen. Das bekannte, ausgezeichnete
Werk hat sich in den 23 Jahren seit seiner Veröffentlichung auch im
Ausland mehr und mehr eiugebürgert; außer der deutschen ist auch
eine englische Übersetzung von Benecke verfaßt worden. Wie der
Verf. in der Vorrede mit Genugthuung bemerkt, ist das Buch mit
Ausnahme weniger kleiner Verbesserungen unverändert geblieben. Der
Jfthresböricbt lür Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVII. (1090. II.) 1 1
162 Jahresbericht über Vergil 1S;»2— 18!)«. (Helm.)
ueueren Litteratur ist Kechnung getragen. Nur Kapitel 1—3 des
2. Bandes sind etwas umgearbeitet, nicht weil der Verf. seine An-
schauungen geändert, sondern weil ihn die Rezensionen bew^ogea haben,
seine Ansichten noch klarer und deutlicher zu formulieren, um Miß-
verständnissen vorzubeugen. Für den Inhalt sei auf den Bericht von
Bursiau 1874—1875 II S. 8 verwiesen.
Den Einfluß Vergils auf seine Zeit und die folgenden Jahr-
hunderte betrachtet Val mag gi, II Virgilianismo nella letteratura
ßomana Torino Loescher 1890. Die litterarhistorische Studie sucht
die Gründe aufzufinden, die Vergil bei der Nachwelt seine Stellung
gaben, so daß die ganze folgende epische Poesie und nicht sie allein
durch ihn beeinflußt wurde. Sie macht mit Recht auf den Unterschied
der Imitation bei den Alten und bei uns aufmerksam ; bei jenen war es
keine Schande, im Gegenteil eine Notwendigkeit, sich ein Vorbild auf-
zustellen , dem die ganze Schule möglichst getreu nachging und den
sie nachzubilden suchte. Der Einfluß Vergils reicht aber auch in die
Prosa der folgenden Zeit. Das liegt an der Autorität, die seine Ge-
lehrsamkeit ausübt, und an seiner Bedeutung für die Schule; er gilt
als Muster in der Grammatik, er ist ein Vorbild der Rhetorik, weil
er das Haupt der jüngeren Dichterschule wird, die den Alexandrinern
nacheifert. Ein bedeutender Faktor ist ferner die Popularität, die der
Dichter durch sein Epos als Nationalepos genießt, und die angesehene
Stellung, die er bei den Vornehmen Roms einnahm. So zeigt sich
seine Wirkung aufs Volk darin, daß er vielfach citiert wird und seine
Verse geflügelte Worte geworden sind. Die Reaktion, die Carvilius
Pictor, Herennius u. a. herbeizuführen suchten, trug schließlich auch
nur zu einer um so größeren Begeisterung für den Dichter und einer
Vermehrung seines Einflusses bei.
Belege für den Einfluß Vergils, wie er sich in Citaten zeigt,
bieten Walters Class. rev. 1894 S. 250 f. (s, ecl. IV und Georg.)
aus Symmachus, Hosius, Rh. Mus. L S. 286—300 aus den Inschriften
der Buechelerschen Ausgabe, auf denen Vergil die Hauptmasse der
Entlehnungen und Anklänge geliefert hat. Daß Ambrosius Vergil vor
Augen hatte (s. zu VI, 601 ff.), bemerkt K. Scheukl, Wiener Stud.
XVI 336 f. Für Petrons Troiae alosis sucht Ehwald, Philolog. LIV
377 ff. außer Vergil noch die Verwendung eines mythologischen Hand-
buches nachzuweisen.
Auf die Benutzung des Vergil durch Quintus Smyrnaeus macht
Noack, Gott. Gel. Anzeig. 1892 S. 795 ff. aufmerksam bei der Be-
sprechung von F. Kemptzow de Quinti Smyrnaei fontibus ac mythopoeia.
Quintus hat Einzelheiten aus der Aneis verwandt, so daß selbst im
Ausdruck gewisse Übereinstimmungen sich finden.
Jalucsbcricbt über Vergil 1S'.>2— In!)*!. (Helm.) 163
Als Quelle für Tertullian zeigt ims den Vergil Noeldecbeu,
Philologus Supplemeiitbd. VI S. 739 f., indem er sowohl aus den
Georgica wie aus der Aueis eine Anzahl Benutzungen nachweist.
Über die herangezogene Stelle ad nat. II 9, in der dem Aneas Feig-
heit vorgeworfen wird, 'quod proelio Laurentino nusquam comparuit'
handelt van der Vliet Mnemos. XXII S. 277 ft'. und erklärt durch
zahlreiche Beispiele, daß das 'nusquam comparuit', wie es bei Servius
oder vielmehr in Catos Origiues steht, sehr häufig gebraucht wird,
plötzliches Verschwinden von der Erde zu bezeichnen; Tertullian hat
es mit absichtlicher Bosheit auf ein Fernbleiben von der Schlacht be-
zogen: Vergil kann dafür nicht Quelle sein.
Den Einfluß Vergils auf das in Versen abgefaßte 10. Buch
Columellas prüft im einzelnen Stettner, De Columella Verg.
imitatore. Progr. Triest 1894. Er sieht ab von der notwendigen
Ähnlichkeit, die der Stoff mit sich bringt , und berücksichtigt, daß be-
stimmte Worte für einen bestimmten Platz im Verse besonders geeignet
sind, so daß man bei ihrem Gebrauch nicht von Nachahmung reden
darf. Einige allgemeine Züge, sowohl gleiche wie verschiedene, werden
vorausgeschickt zur Charakterisierung der beiden Schriftsteller. Beide
zeigen die Vorliebe für die Einfachheit des Landlebens, beide einen
gewissen Schmerz über die Zeitverhältnisse; aber Vergil ist begeistert
für sein Land Italien, während Columella den Landbau für alle Völker
empfiehlt; auch die sentimentale Liebe zur Natur, die Vergil zeigt,
besitzt Columella nicht. Die Untersuchung prüft die Nachahmung in
Disposition, Gebrauch der Epitheta, ßedetiguren und Wortverbindungen.
Ahnliche Gedanken, wie die Erwähnung des Deucalion und seiner Zeit,
werden hervorgehoben. Die Schlußbetrachtung fällt etwas dürftig aus.
Columella hat nur einen Vers wörtlich übernommen (436 r^ Georg. II
176) und nur wenige mit geringen Veränderungen. Ebenso hat er
selten die Reihenfolge der Worte erhalten, so daß Ribbecks Urteil gilt
Prolegg. ad Verg. p. 201 : 'mutato ut libuit ordine accommodavit
orationi frustula poetae (ßialia fere in mente haerebant, non descripsit
accurate bono ex codice" , was allerdings eigentlich von den wirklichen
Citaten in den prosaischen Büchern Columellas gesagt ist.
Das Fortleben Vergils zeigt sich auch in den Supplementen, die
seine Aneis gefunden hat. H. Kern, Supplemente zur Aneis aus
dem 15. und 17. Jahrhundert. Progr. d. Kgl. Neuen Gymn. Nürn-
berg 1896 stellt deren vier zusammen. 1) Maffeo Vegio fügte 1427 einen
Anhang von 630 Versen zum 12. Buch, enthaltend das Begräbnis des
Turnus, die Hochzeitsfeier und Apotheose des Aneas. 2) Pier Candido
Decembrio verfaßte 1419 ein 13. Buch der Äneas. Es ist ein Fragment
aus nur 89 Versen , eine Jugendarbeit. 3) Jan von Forest schrieb
11*
J(j4 Jalucsbericht über Vergil Ls;>2— 18%. (Uclm.)
um 1650 Exsequiae Turni sive Aeu. über XIII et XIV uud widmete
das Werk der Königin Oliristine. 4) C. S. Villauova 1697 verfalite
826 Hexameter. Zum Schluß werden einige bildliche Darstelluug:en
besprochen, das Freskogemälde eines auf dem Esquilin aufgedeckten
Grabgewölbes, die Ära der Lares Augusti im Belvederc und die Cista
Pasinati, die alle Scenen aus der Fortsetzung der Aneis enthalten.
Auf die Zeitfragen bei diesen geht der Verf. nicht ein; sie können
jedenfalls nicht als Supplemente zu Vergils Aneis betrachtet werden.
Von derVergilkritik des Sperone Speroni handelt *Z aniboni, Vir-
gilio e TEneide secondo uu critico del Cinquecento. Contributo
alla storia della critica nel secolo XVI Messina 1895. 8. pp. 42.
Die Arbeit ist eine Vorarbeit zu der Prüfung der gesamten Kritik Speronis,
die der Verf. beabsichtigt. Dieser hat sein Urteil in 3 Dialogen und
8 Vorträgen, die indessen nicht ganz ausgearbeitet sind, niedergelegt;
seine Hauptabsicht war, zu ergründen , warum Vergil seine Aneis ver-
brennen wollte. (cf. Valmaggi Rezension Boll. di lil. class. II
1895/1896 S. 108 f.)
Über eine Vcrgilsage giebt einen kurzen Bericht Müntz,
Academie des luscript. 1896 S. 406, der es unternommen hat, die
bildlichen Darstellungen dazu zu sammeln. Der Dichter verliebt sich
in die Tochter des Kaisers, die ihn an einem Strick zum Rendezvous
emporzieht, dann aber zum Gespött der Römer zwischen Himmel und
Erde hängen lallt. Diese Scene benutzte 1529 sogar ein Pariser Buch-
händler als Titelbild für eine Vergilausgabe. Petrarca nennt Vergil
unter den Sängern der Liebe. So kommt er in den Triumphzug
des Amor.
IV. Zu den cinzolucn Werken.
1. Eklogen.
Die gesamten Eklogen bespricht Casali, Atti della R. Acca-
(lemia Virgiliana Mantova 1896 in einem sehr allgemein gehaltenen
Vortrag; er sucht ihr Verhältnis zu Theokrit darzulegen und kommt
zu dem Resultat, daß Vergil auch durch seine bucolischen Gedichte
sich unsterblichen Ruhm erworben habe.
Laves, Vergils Eklogen in ihren Beziehungen zu Daphnis.
Lj'ck. Progr. 1893 verdient nur wegen seiner Absurdität und als Beispiel
irre geführten Scharfsinns Erwähnung. Moeris in Ekl. IX soll ein an-
maßender Mann sein, der (Vergil) Menalcas Verse unterschiebt und
dafür zurechtgewiesen wird, indem ihm gesagt wird, er könne sich
mit Varius und Cinna nicht messen. Er trägt angeblich Böcklein weg,
die er gestohlen, will sie sich nicht von Lyeidas abnehmen lassen, der
Jahresbericht über Vergil 1892— IS!)«. (Helm.) )65
ihm seine Hülfe anbietet, und erfindet eine Fabel, dal.', er und sein
Herr Lebensgefahren zu bestehen gehabt hätten: woraus dann Servius
die Vertreibung des Vergil von seinem Gut erschlossen hat. Unter
Daphnis ist Varu<? zu verstehen , der durch die Verse 4G ff. ermahnt
wird, an Cäsars Stern zu glauben, d. h. zn ihm überzugehen. Varus
hat die Erklärung in Ekl. VI übelgenommen und thut sich mit Vergils
Gegnern zusammen, so mit Korydon. Er läßt ihn aber wiedei' fallen
wie Ekl. II zeigt, wo Daphnis unter dem Namen Alexis erscheint (!).
Durch Ekl. VIII kommt der Dichter dann wieder in ein besseres Ver-
hältnis zu Varus (Vergil heil.lt hier Alphesiboeus). Noch besser ge-
staltet sich dies durch den Verkehr mit Mopsus, einem Schüler des
(Varus) Daphnis. Ekl. V bezieht sich anf den fingierten Tod des Varus.
Auch I spricht ihm den Dank für geleistete Hülfe aus. 'So sehen
wir, wie Vergil in fast allen Eklogen bemüht ist, je nach dei- Stellung zu
Daphnis, d. h. zu Varus, der wohl kein anderer ist als Alfenus Varus,
von den verschiedenen Phasen ihres Verkehrs Rechenschaft zu geben."
Dies eigenartige Rätselraten richtet sich selbst.
Ekl. I. Das Verhältnis der 1. zur 9. Ekloge behandelt ein kurzer
Exkurs in Thilos Aufsatz über den Probuskommentar. Fleckeisens
Jb. f. Phil. 149 (1894) S. 301—303. Ekloge IX wird als früher
abgefaßt bezeichnet. Pollio scheint dem Dichter bei der drohenden
Ackerverteilung erwirkt zu haben , daß an der Grenze des Gutes
Vergils Halt gemacht wurde. Darauf ging das in der 9. Ekloge be-
zeichnete Gerede unter den Landleuten , Vergil habe sich durch seine
Lieder Gunst erworben und sei gesichert. Als Pollio aber die Provinz
verliel.) und Varus an seine Stelle trat, sei abermals das Verlangen
nach Land laut geworden, und Vergil habe sich an Varus, dann auch
an Oktavian gewandt. Der Erfolg war, dalJ ein bestimmter Umkreis
von Maiitiia, darunter Vergils Gut, geschont werden sollte. Thilo
glaubt, Vergil habe mehr erwartet. Deshalb habe er sich in der
1. Ekloge hinter den alten Tityrus versteckt und sein Mitleid mit den
vertriebeneu Landsleuten deutlich zu erkennen gegeben. Varus bat,
wie die Klage des Cornelius gegen ihn beweist, seinen Auftiag nicht
erfüllt; Vergil selbst dankt ihm jedenfalls in der 6. Ekloge, huldigt
aber dabei auffallenderweisc dem freundlicher gesinnten Gallus. Mäcenas
hat zu dieser Zeit noch nichts mit Vergil zu thun. Die Bemerkung
in der Donatvita 59, 4 Reift, bezieht sich auf einen späteren Grenz-
streit mit einem Veteranen, namens Clodius.
Ekl. I. Die Schwierigkeit, die der Vers 65 der 1. Ekloge be-
reitet, wird von Ussani und Christofolini erläutert. Christofolini
Kiv. di fil. XX, 300 hatte in der Annahme Ov. Fast. HI 518 eine
Reminiscenz zu finden, vorgeschlagen: 'pars Scythiam et rapidum erectam
16fi Jahresbericht über Vergil 1892—1896. (Helm.)
venienms ob axem.' üssani, ITu caso della fiisione di due voci
Roma 1895 prüft sämtliche Vevmutuugen und Erklärimgen zu der Stelle.
Er sieht drei Möglichkeiten: 1. Cretae ist Name, 2. cretae ist appellativum,
3. der Text ist verderbt. Ussani entscheidet sich für cretae rapidus
(cf. cupidus), da ein B'luß Oaxes auf Greta unbekannt ist und in diese
Aufzählung entlegener Länder auch nicht passen würde. Oaxes hält
er für eine Vermeugung von Oxus und Araxes mit Berufung auf Nap.
Caix Studi di etimologia italiana e ronianza Fir. 1878 und Beispiele
wie stamberga ^ stanza -r albergo, selon =-- second -f- long.
I, 68 ff. schlägt Earle, Class. rev. 1896 S. 194 vor: 'post, ak,
quof für 'post aliquot' und nimmt dann die Erklärung aristas = me3se8 =
aestates = annos an.
Ekl. III. Vianello, Boll. di filolog. class. II S. 233 ff. be-
spricht drei Stellen, v. 8 'transuersa tuentibus hircis' erklärt er mit
Stampini als Ausdruck neidischer Eifersucht der Böcke und und nicht
als Zeichen ihrer Mißbilligung, was eigentlich selbstverständlich ist.
V. 76 — 79 wird Jollas für einen andern Namen des Menalcas erklärt,
da sonst Menalcas nicht den Vers 107 mit Recht sagen könnte, wenn
noch ein anderer Anspruch auf Phjdlis hätte, v. 108 ff. werden er-
klärt: Ihr beide seid des Preises wert und wer dem Damoetas gleich
für seine süße Liebe fürchten oder dem Menalcas gleich ihren Schmerz
empfinden wird.
Ekl. IV. 0. Crusius, Rh. Mus. LI 544—559 spürt die Nach-
klänge aus priesterlicher Mystik und Sibyllenliedern auf; er findet My-
steriöses, Prodigienhaftes in v. 43 ff., sowie in dem Lachen des Neu-
geborenen, wodurch Vergil 'über die Grenzen des Märchenhaften hinaus-
geht". Das 'risu" v. 60 ist danach mit Recht auf das Kind bezogen; in
62 sollen wir dann lesen: 'qui non risere parenti\ vielleicht auch in 63
emendieren 'hos'. Der 'puer' selber ist ein 'unbekannter Liebling des
Schicksals'. Zum Schluß wird auf den Unterschied dieser Ekloge mit
den Versen An. VI 791 ff. aufmerksam gemacht. 'Hiermit ist auch die
immer wieder aufgeworfene Frage erledigt, wer denn eigentlich der
gepriesene puer gewesen sei", meint Crusius. Leider noch nicht, wie die
Arbeiten von Cartault und Marx 1897 zeigen!
Auch Pascal, Riv. di fil. 1893 S. 128 ff. verteidigt seine An-
sicht, daß es sich um einen wirklichen und zwar soeben geborenen
Knaben handle, und sucht durch Beispiele nachzuweisen, daß 'nascens'
— 'modo natus' sein könne. Die Beispiele sind verschiedener Art; bei
den einen Lucr. I 113, III 671, IV 56 heißt 'nascens" nur so viel wie
'qui" oder 'dum nascitur" ; bei den anderen ist 'nasci" metaphorisch ver-
wandt und bemerkenswert, daß es sich naturgemäl.l über eine geraume
Zeit erstrecken kann; so An. X 27 'nascentis Troiae" oder, wenn es
Jahresbericht über Vergil 1892— 18i)fi. (Helm.) ]fi7
heißt, 'coüiuratio uascens", 'maliim nascens'; dal! aber beim Menscheu
'nasceus' ^ 'modo natus' sei, ist nicht bewiesen und wird wohl auch
kaum bewiesen werden.
Schermann. Progr. d. Kgl. Württ. Gymn. zu Kavensburg:
1893 sieht auch in der 4. Ekloge, wie in Vergils Unterweltsvor-
stelluugen, jüdische Einflüsse. Er findet das goldene Zeitalter mit orien-
talischen Farben geschildert und zieht die messianischen Weissagangen
heran zum Vergleich (cf. Vergils Unterwelt S. 177).
Frey, Die sogen, messian. Weissagung Vergils, Schwei-
zerische Rundschau 1893 S. 46 ff. vertritt nicht nur die Ansicht,
daß jüdische Einflüsse zu erkennen sind, sondern sieht in dem ganzen
Gedicht eine Weissagung post eventum (und zwar wenigstens 11 Jahre!)
auf den jugendlichen Marcellus, dessen frühen Tod Vergil An. VI be-
klagt. Dazu muß die Chronologie der Eklogen völlig umgestaltet werden.
Daß die Annahme, Vergil habe die Bukolika 42 — 39 verfaßt, falsch sei,
wird daraus gefolgert, daß er in ecl. V nur II 1 und III 1 citiert; also
sei I 1 schon anderswo citiert, nämlich am Ende des 1. Buches der
Georg. (Weniger Befangene werden lieber schließen, also war Ekl. I
noch nicht vorhanden, falls man von dem Dichter überhaupt verlangen
dürfte, daß er alle der Reihe nach erwähnte.) Die 5. Ekloge wäre dann
wenigstens nach dem Jahre 30 verfaßt. Die 1. Ekloge hat er 'audax
iuuenta' geschrieben, wir werden sie also in sein 28. Lebensjahr setzen
nach der Angabe des Asconius Pedianus, Vergil habe mit 28 Jahren
bukolische Gedichte geschrieben; dazu stimmt aber v. 65 nicht, in dem
Kreta als Ziel der Vertriebenen genannt wird; Dio Cassius erzählt zum
Jahr 36, Oktavian kaufte den Capuaneru Land ab, um seine Soldaten
zu befriedigen, und gab ihnen dafür das Gebiet von Knossos. Also ist
v. 65 ein späterer Einschub. (Der Schluß ist um so schwieriger, als
ja diese Bemerkung sich nicht auf die Einwohner von Cremona bezieht )
Auf jeden Fall bleibt noch ein Zweifel , da die Geburt des Marcellus
nirgends ins Jahr 40, sondern gewöhnlich ins Jahr 43 gesetzt wird.
Eine Bestätigung seiner Vermutung sieht Frey darin , daß auch der
Daphnis im 5. Gedicht derselbe Maicellus sei. Zwar wird mit IX, 20 auf
V. 40 angespielt; aber Ekloge V war ja schon oben nach dem Jahre 30
angesetzt, und sollte man sich nicht dazu verstehen, auch IX so spät
anzusetzen, so müßten wir eben auch hier zu dem 'Auskunftsmittelchen"
der Interpolation greifen. Und so lesen wir denn, daß Vergil, nachdem
er in An. VI den Gestorbenen vorgeführt, 'von dem Jüngling nicht in
solcher Trauer scheiden wollte: noch einmal, in der 5. Ekloge, zeigte
er ihn den Seinen in der römischen Glorie der Apotheose". So würden
Ekl. IV, An. VI, Ekl. V aufeinander folgen. 'Später (nämlich ebenfalls
An, VI) dichtete er noch anders: schon Augustus habe das goldene
Hi8 Jahresbericht über Vcrgil l,sii2 -1S9G. (Helm.)
Zeitalter erneuert'. Die ganze l^Iethode bedarf keiner Widerlegung und
klingt trotz oder gerade wegen der t'^berzengtheit, mit der sie ange-
wandt wird, wie eine Parodie auf die philologische Wissenschaft.
Die eigenartige Auffassung von *E. della Torre la quarta
egloga di Virgilio coinmentata secondo Tarte grammatica (!)
Udiue soll nur wegen ihrer Thorheit Erwähnung finden. Hier erfahren
wir's, ohne daß ein Zweifel übrig bleiben könnte: Der 'puer' ist die
Poesie des Dichters, besonders die Aneide, deren Darstellung das rö-
mische Volk zur alten Sittenreinheit zurückführen wird und damit das
goldene Zeitalter wiederbringt, ttber dies in recht weitschweifiger
Weise dargelegte Resultat, dessen Auffindung übrigens mit der im Titel
angegebenen Grammatik nichts zu thun hat, bedarf es weiter keines
Wortes (Rezension von Seibcl, Berl. phil. Wochenschr. 1895 S. 586).
Den letzten Vers der Ekloge bespricht Ussani, Due luoghi di
Vergilio spiegati (Anhang zu der obigen Schrift s. S. 166); er sieht
in den Worten keine Apotheose des Knaben, der ja nach v. 15 das
Leben der Götter von Jugend auf genießen wird, sondern ein Zurück-
kehren des Dichters zu dem früher Gesagten. Wie Peleus eine Göttin
freite und Tantalus am Mahl der Himmlischen teilnahm, so wird es in
Zukunft wieder werden. Über das Perf. 'dignata est' und die Schwierig-
keit des vorigen Verses geht der Verf. mit der Erklärung hinweg, die
ja in gewisser Hinsicht richtig ist, nur hier nicht ausreicht, daß der
Gedanke eine Weissagung sei: 'te deus mensu, te dea dignabitur cubili'.
Seaton verteidigt Class. rev. 1893 S. 199 f. die auf Quintilians
Citat beruhende Lesart 'qui non risere parenti', da er ein beantwortendes
Lächeln nicht zugeben kann; der Vers ist nur eine Wiederholung des
Verses 60: 'risu coguoscere raatrem'. Die Freiheit des Dichters erlaubt
Vergil, dem piier ein Lächeln zuzuschreiben, ohne sich um die That-
Sache zu kümmern, daß sonst ein neugeborenes Kind nicht lachen kann.
Der letzte Vers bleibt dunkel; eine Anspielung auf Herakles oder
Hephästos ist unrichtig angenommen. Vielleicht wird auf ein Ammen-
märchen Bezug genommen, daß ein mürrisches Kind kein Glück habe.
Das 'hunc' bleibt auch so auffällig, wenn S. auch darin eine berechtigte
Rückkehr zu dem uns vorliegenden Singular in Vers 60 sieht; aber
dann brauchte der Dichter eben nicht 'qui risere zu sagen.
Für Vers 46 ist die Auffassung des Symmachus von Interesse,
auf die Walters Class. rev. 1894 S. 251 hinweist; er verstand 'talia
saecla' als Akkusativ, wie der Satz zeigt (ed. Seeck p. 332) 'iam dudum
aureum saeculum currunt fusa Parcarum".
Ekl. VI 64 ff. bespricht Maaß, Untersuchungen zu Properz
Herrn. XXXI (1896) S. 404 ff. gelegentlich. Nach ihm ist errantem
Permessi ad flumina nicht zusammenzunehmen, so daß also auch der
Jahresboricht über Vergil lS02-180r,. (Uclm.) lb*<)
Permessus und Aonas in moutes v. 65 keinen lokalen C-regeusatz bilden.
Als Beleg für die Trennung der zusammengehörenden Worte erranteni
Gallum bietet er Vers 67 ft'., wo das divino carmine nicht zu dem da-
iiebenstehenden pastor, sondern zu dixerit zu ziehen ist.
Ekl. VIII. Gegen die geistreichen, aber falschen Aufstellungen
Bethes, Rh. Mus. XL VII, der die Arbeitsweise des Dichters in einem
Maugel an Einheitlichkeit der Eklogen erkennen wollte, verteidigt
0. Crusius, Rh. Mus. LI 544 — 559 den Zusammenhang der 8. Ekloge.
von deren Teilen B. annahm, daß sie ursprünglicli als selbständige Mimen
gedacht waren. Er zeigt, daß v. 15 das Vieh und nicht Liebeskummer
als Grund des frühen Aufstehens angiebt, dal.l die v. 16 bezeichnete
Stellung nicht die des von Gram Niedergebeugten, sondern des sorglos
und nachlässig dastehenden Hirten ist, also eine Identifizierung des
Singenden mit der Person des Gesanges nicht nötig ist. Auch die Be-
hauptung Bethes, daß mau beim Wettgesang sitzen muß, ist nicht richtig.
Also die Einleitungsverse des Gedichtes sind nicht einem besonderen
Mimus, sondern dem jetzt vorhandenen Gedicht zugedacht gewesen.
Ebensowenig waren die Verse des Gesanges selber für einen Mimus be-
stimmt. Vers 21 — 24 sind für einen unglücklich Liebenden unsinnig,
und der Refrain schärft immer wieder ein, daß es sich nur um poetische
Fiktion handelt; denn die Vermutung, der versus intercalaris des ersten
Gesanges sei erst nachträglich nach dem Muster des zweiten einge-
schoben, ist haltlos und durch die Nachahmung von Theokrit. Id. I
widerlegt. Auch die strophische Gliederung beweist, daß die Verse von
Anfang an zu Gruppen zusammengefügt waren. Die 8. Ekloge ist in
iiu-er Komposition von vornherein so überlegt und geplant gewesen und
gehört durchaus nicht einer Zeit des Tastens und Suchens au. Sie ist
etwa 39 verfaßt, als Pollio vom Zug gegen die Parthiuer zurückkehrte.
Der einzige Vorwurf, den man dem Dichter machen kann, ist der, daß
er die Grenzlinie innerer Wahrheit überschritten hat, indem er dem
Hirten 'objektive Lj'rik in den Mund legte' und diese mimenartigeu
Stoffe zu Wechselliedern ausgestaltete.
Über den Zauber im zweiten Gesänge spricht Kuhuert, Feuer-
zauber Rh. Mus. XLIX 53; er erklärt 'limus' ^ Stück Thon, cera =
Scheibe Wachs, ohne daß wir an ein Bild zu denken hätten, wie bei
der vorher genannten 'eftigies". Auch Theokrit Id. II scheint nicht an
ein solches Bild zu denken. Der Zauber soll den Geliebten so hart
gegen andere Frauen machen wie das Feuer den Thon, und so weich
gegen die Zauberin, wie das schmelzende Wachs in den Flammen wird.
Ekl. IX. Die Einheit der 9. Ekloge verteidigt im Vorübergehen
Sonntag, Festschr. z. 200jähr. Jub. d. Kgl. Friedrichs-Gy mn.
zu Frankfurt a. 0. 1894 S. 122—128 gegen die Angriffe Bethes mit
170 Jahrcshoricht über Vcrgil lf^92— 180f^. (Helm.)
Recht. Bas Dionaei Caesaris astrum (IX 47 ) bezieht er auf Oktavian
(vgl. Verg-. als buk. Dicht. S. 152); er vergleicht dazu Georg. I 25 ff.
Da die andereu iu der 9. Ekloge angeführten Gedichte nach v. 29
(sublegi uuper) zu den letzten Dichtungen gehören, könne dies eine nicht
schon im Jahre 44 verfaßt sein; ferner gälten Kometen sonst als un-
heilvoll, und das Jahr 44 sei in der That für die Ernte ein ungünstiges
gewesen (cf. Georg. I 466 — 497 die Schilderung der entsetzlichen Zeichen
bei der Ermordung Cäsars}. Auch die ironische Verwendung der Verse
48 — 50 in I 70 ff. soll für diese Beziehung auf Oktavian sprechen.
2. Georgica.
Den Zweck, den Vergil bei Abfassung der Georgica verfolgte,
untersucht *C. Borroraeo, Del concetto delle Georgiche di Vir-
gilio, Verona 1892. Nach Zingerle (Berl. phil. Woch. 1894 S. 101)
bietet die Arbeit nichts Neues, auch fehlt die Berücksichtigung der
neueren Litteratur. Vergil hat keinen didaktischen Zweck im Auge
gehabt, als er die Georgica schrieb, sondern einen politisch-nationalen,
indem er die entschwundene Liebe zum Landbau wieder anzuregen
versuchte.
Walters, Class. rev. 1894 S. 250 führt drei Anspielungen des
Symmachus auf Vergil an. In der Lobrede auf den Kaiser Gratian
(Seeck p. 331/332) verwendet der Redner Georg. II 77, III 189 und
ecl. IV 46 'udo" und 'inscius aevi' verstand er als 'jugendliche Frische'.
J. Geffcken, Saturnia telhis Herm. XXVII (1892 S. 381—
388) weist nach, dai.) der begeisterte Hymnus auf Italien Georg. II
136 ff. ein Vorbild hatte nicht nur in Varro res rust. I 2, 3, sondern
auch in dem 11. Buch der 'rerum humanarum', das sich mit Hülfe des
Dionysius von Halikarnaß und des Plinius rekonstruieren läßt.
Nach 0. Crusius, Rh. Mus. XLVII S. 66 geht der sprichwört-
liche Vers Georg. I 53: 'quid quaeque ferat regio' vielleicht auf Catos
Oracula (Vorschriften an seinen Sohn) zurück.
11501-502 hebt Ray, Olass. rev. 1896 S. 330 die Erklärung
Forbigers von dem Wort 'tabularia' als die richtige hervor; nicht
'Staatsarchive' bezeichnet es, sondern das gesamte Steuerwesen und die
Ungerechtigkeit der Steuerpächter. Mackail, Class. rev. 1896 S. 431
widerspricht dem und nimmt an, der Dichter sei nur seiner Phantasie
gefolgt, die als notwendigen Hintergrund zu dem lärmvollen Forum das
Tabularium fügte.
Über das Proömium des 3. Buches der Georg, spricht Norden,
Hermes XXVIII S. 516 ff. Dort stellt Vergil ein Epos auf Augustus
in Aussicht. N. meint, er habe wirklich die Absicht gehabt und erst
später seinen Plan geändert und die Aneassage gewählt.
Jahresbericht über Vergil 1S92-1S96. (Helm.) 171
Das Aristaiosidyll bespricht Maaß, Orpheus, München 1895,
S. 277. Das Opfer an den Hades ist begründet durch die Anschauung,
daß die Bienenseelen im Hades weilen wie die der Menschen in den
Pausen der Seelenwauderung. Das Leben auch dieser Tiere ist unver-
gäuglich; 'deum namque ire per oninia" (Georg. IV 221). Die ganze
Episode geht auf griechische Vorbilder zurück. Der Kampf mit Proteus
scheint nicht unmittelbar aus dem Homer entlehnt zu sein, da sich be-
merkenswerte Änderungen finden, wie z. B. die Versetzung des Proteus
nach Pallene. Mit Benutzung der Trapaoo^a des Antigonos von Karystos
c. 19 erkennt Maaß das Vorbild Vergils in einem Gedicht des Philetas von
Kos. Die Beweisführung läßt begreiflicherweise Zweifel ; so scheint das
Bild im Vat. 3225 nicht eine andere Sagenfassung als die Vergilische
zu beweisen, wie M. will, da das schwimmende Weib der Situation ent-
spricht (fugeret per fiumiua IV 457), wenn auch die übrige Ausführung
der Phantasie des Malers entstammen mag, der eine Grotte für wünschens-
wert hielt, das 'ripas servantem" zu bezeichnen.
Im allgemeinen hebt die Kunst Vergils in der Orpheusepisode
hervor Lanza, Atti dell' Accademia Pontaniana 1895 No. 2
und fügt für Vers 450—527 eine italienische Übersetzung au.
Die Frage der t Überarbeitung der Georgica behandelt Brandl,
(^ui loci Georgicis a Vergilio post a. 725 sint additi Aschaften -
bürg Gymn.-Progr. 1893. Der Verf geht von der festen Tradition
in betreff der zweiten Hälfte des 4. Buches aus: er findet hier reich-
lichere Homernachahmungen als in den anderen Büchern, woraus er
schließt, Vergil habe schon an der Äneis gearbeitet. Dazu kommt die
Bemerkung der Donatvita (Reifferscheid p. 64, 5), Vergil habe bei seinem
Tode Varius und Tucca aufgetragen, ne quid ederent quod non a se editum
esset, was doch die Vermutung erweckt, die Freunde Vergils hätten
noch mehr als die Aneis herausgegeben. So hält Br. die Tradition in
bezug auf das 4. Buch für richtig, nach der das Lob des Gallus durch
die Aristäusepisode ersetzt sei. und weist auch Thilos Erklärung ab,
der annahm, dies Lob habe eben in der Nachahmung seiner Dichtungen
bestanden. Von hier ausgehend, glaubt Br. auch andere erst bei einer
Bearbeitung eingeschobene Stücke zu erkennen, so das Lob Oktavians
I 24—42 und III 8—39. Im Anfang des 1. Buches erscheint nach
seiner Meinung Oktavian als Sieger, am Ende in großen Gefahren, im
Anfang scheint Friede zu herrschen, am Ende überall Krieg. Oktavian
als Herrscher und Gott zu bezeichnen, paßte nicht nach der Besiegung
des Sext. Pompeius. Erst nach 725 war das möglich. Daß der Dichter
in 6 Jahre langer Arbeit vielleicht manches nachtragen konnte vor der
Veröffentlichung, wird nicht berücksichtigt. In Vers 27 sieht Br. eine
Anspielung auf die Hungersnot 732; 'ultima Thyle" bezieht er auf 730,
172 Jahresbericht über Vcrgil 1S!)2— 189fi. (Helm.)
iu welcbem Jahre Gesandte aus Britauiiien zu Aug'ustus kamen. In
Vers 36/37 sieht er eine Anspielung auf die Krankheit des Augustus
730 und liest 'sperent', was daun zur Folge hat, dal5 auch Vers 503/504
darauf bezogen und deshalb für eine nachträgliche Einfügung gehalten
wird. Im 3. Buch lassen sich 8 — 39 glatt ausscheiden, so daß die
Worte von temptanda bis interea sich dadurch als Nachtrag erkennen
lassen. III 24 '25 bezieht Br. auf das Jahr 727. Die Bezeichnung Qui-
rinus, zweiter Romulus, konnte dem Kaiser nicht vor seiner Rückkehr
aus Asien zu teil werden 725. Vers 32/33 enthalten eine Schilderung
der Unterwerfung der Welt im Westen und Osten und können erst 734
geschrieben sein. Danach vermutet Br. , Vergil habe, als er nach
Grrieehenland ging, die Greorgica wieder neu bearbeitet und Varius und
Tucca hätten diese neue Ausgabe herausgegeben. Die Litteratur scheint
dem Verf. nicht ganz bekannt zu sein. So habe ich die Dissertation
von Pulvermacher, die die entgegengesetzte Ansicht vertritt, nicht citiert
gefunden.
3. Äneis.
a) Unfertigkeit der Äneis.
Die Spuren der Redaktionsthätigkeit des Varius glaubt Norden
Hermes XXVIII S. 501—521 an einigen Stellen zu erkennen. So in
VI 826 —835, die den Zusammenhang stören, weil Cäsars und Pompejus"
Feindschaft zwischen Camillus und Mummius gestellt wird. Hinzukommt,
daß V. 788 schon einmal von Cäsar die Rede war, worunter nach N.
der Diktator zu verstehen ist (obwohl er selber sehr richtig darauf
aufmerksam macht, daß Augustus als 'alter Romulus' hier seine Stelle
erhalten habe, was dann nicht sehr dafür spricht, in den vorhergehenden
Versen C. Julius Cäsar dazwischengestellt zu denken und eben diese
Ideenassociation unverständlich zu machen). Die Umstellung Ribbecks
hinter 807 hilft nichts, da Pompejus nicht in die Zahl der Julier gehört
und diese tadelnden Verse aus dem Zusammenhang fallen. So sind die
Verse nach N. eine spätere, noch unfertige Zudichtung, die auch das
Lob Cäsars noch enthalten sollte; Varius hätte sie vorgefunden und
beliebig eingefügt. (Aber konnte nicht auch Vergil, wenn sie nun
einmal unfertig sind, ihnen dort einen Platz bestimmt haben V)
VI 51 — 76, also auch 42—50 enthalten eine spätere Umdichtuug,
da das Orakel 83 — 97 ursprünglich nicht in dieser Weise beabsichtigt
war; denn VI 890 ff. giebt noch Anchises Auskunft über die weiteren
Schicksale der Äneas, während in dem später verfaßten 3. Buch (v. 458)
die Sibylle als diejenige hingestellt wird, die ihm seine Zukunft weis-
sagen soll. Nach Norden hat der Dichter deshalb später die das Orakel
der Sibylle betreffenden Worte geändert, um Übereinstimmung mit dem
Jabresbciiclit über Vcrgil 1M»l'— 1M)G. (Uelm.) 173
o. Bucli herzustelleu ; ursprünglich war die Sibylle nur dazu da, die
Unterwelt zu erschließen. Eine Spur der alten Fassung findet N. in
dem bei Senecu suas. III 4 erwähnten geflügelten Wort: 'plena deo',
das nach Arellius Fuscus dem Vergil gehörte. Es kommt in unserer
Ausgabe nicht vor und kann nur ( ? ) in die Schilderunf; der Sibylle
passen. Vergil hätte danach den Vers nachträglich geändert, angeblich
weil er denWiderspruch in 'plena deo' — 67x00» und 'virgo' zu deutlich
empfunden hätte. Wenn das der Fall wäre, so hätte sich in den Bei-
spielen für das geflügelte Wort doch eine Spur von dem Witz erhalten,
aber alle führen das 'plena deo" durchaus ernsthaft an; also um dieser
Auffassung willen, die mit dem Verse einen obscünen Witz machte,
hat Vergil jedenfalls die Stelle nicht geändert. Das plena deo selber
ist ja ein Rätsel: aber wie mangelhaft wird citierti Wenn wir sehen,
daß Schillers Vers: 'Die Uhr schlägt keinem Glücklichen!' stets citiert
wird: 'Dem Glücklichen schlägt keine Stunde!', so werden wir vielleicht
auch in die Genauigkeit des antiken Citats einige Zweifel setzen, um
so mehr, da die Senecastelle zeigt, daß auch die Römer das Oitat
nicht ohne weiteres erkannten.
IV 387 paßt nicht zu 386 (vgl. S. 177: Maxa, Thore des Schlafes
in der Unterwelt); deshalb hat schon Kibbeck hier eine Unvollkommenheit
und einen Mangel an Vollendung gesehen, so dal.l 387 Dittographie zu 38(i
wäre. Wenn der Dichter aber 387 einsetzen wollte, so mußte er die
ganze Stelle ändern, weil 386 eng mit den vorhergehenden Versen
zusammenhängt. Einen Grund zur Änderung der Verse 384 — 380 für
den Dichter glaubt Norden in einem Wideispruch zu finden, der in den
Worten der Dido liegt; ihr müßte schon der Gedanke des Selbstmordes
vor Augen stehen und die Meinung des Volksglaubens, daß sie nach
dem Tode ruhelos auf der Erde schweben werde, also auch den Aneas
verfolgen könne. Später dagegen wird sie in den Hades gesandt, und
sie selbst erwartet das v. 654 und 660. Darum wollte Vergil nach N.
die Verse 384 — 386 nachher tilgen und setzte 387 einstweilen an den
Rand als tibicen, wie es bei Sueton p. 60 heißt.
Ein Beispiel der Unfertigkeit der Äneis sieht Holzer, Aualectal
Korrespondenzblatt f. d. Gelehrt, u. Realsch. Württemb. 1893
S. 206—208 in Äneis in 121 ff. Er ordnet 120, 128-131, 135 ff.
Zu dem Verse 130 sollen 124—127 Dittographie sein, zu 135 ff. die
Verse 132 — 134; 121 — 123 seien im folgenden nicht weiter verwertet
(was übrigens schon die Anmerkung von Heyne widerlegt: alioqui Troianis
Cretam adire vix tutum fuisset) ; daraus ergiebt sich, daß sie bei der Über-
arbeitung entweder mit den übrigen verschmolzen oder gestrichen werden
sollten, während Georgii sie hinter 135 hatte stellen wollen (Festschr. d.
Gymn. Württemb. z. 4. Säkularfeier der Univ. Tübingen 1877 S. 78).
174 Jahiesbcricht über Vcrgil iS'.fJ— IS'.iC. (Helm.)
Äu. II 567—588 verteidigt Noacli, Rheiu. Mus. LVIII S. 420—
432. Sie sind mir in den Scholien erhalten und stehen im Widersprach
zu VI 515 tf., wodui'ch sich eben, daß sie ausgelassen wurden, sehr
leicht verstände. N. sucht nachzuweisen, daü die Verse an und für
sich weder sprachlich noch sachlich in ihrem Zusammenhang anstößig
sind. Der Widerspruch aber im 6. Buch erklärt sich dadurch, daß
Deiphobus Helena absichtlich als Scheusal hinstellen will und ihr die
ganze Schuld an seinem Unglück zuschreibt; was er nicht selber gesehen,
ergänzt seine Phantasie. Diese Scene, die uns in der Erzählung des
Deiphobus die Helena vorführt, wie sie mit der Fackel in der Hand
die Griechen führt, soll eine Erfindung des Vergil sein; der scheinbare
Gegensatz aber wäre vom Dichter selber beabsichtigt, da es unmöglich
schiene, daß in der ersten Aneis (cf. Hermes XXVII), Buch I, II,
IV, VI, — ein wirklicher Widerspruch in der Sagenform sich fände. Da-
gegen muß man jedenfalls sagen, daß Vergil seine Absicht recht ver-
schleiert hat und dem Leser den Sinn dieser Verschiedenheit in Buch II
und VI zu verstehen durchaus nicht erleichtert hat. Daß aber der in
An. VI erwähnte Sageuzug, der die Helena mit der Fackel zeigt, nicht
etwa von Vergil erfunden ist, zeigt Knaack, Rhein. Mus, XL VIII
S. 632 — 634. Hippolytus, Epiphanios, Tryphiodor kennen diese Form
der Sage; Epiphanios schreibt sie merkwürdigerweise Homer zu. Da-
nach muß man annehmen: Vergil ist zwei verschiedenen Traditionen
gefolgt, die er nicht in Einklang gebracht hat.
Den Widerspruch zwischen An. VII 202 ff. und Vin 319 ff.,
den schon Servius bemerkt, erklärt Norden Jahrb. f. Phil. Suppl.
XIX S. 425 ff. ; einmal lebt das Volk Italiens von selbst in Frömmigkeit,
an der anderen Stelle wird es erst von Saturn unterwiesen. Die Ver-
schiedenheit wird begreiflich, wenn man annimmt, daß Vergil, wie
mehrfach im 8. Buch, seine Ansicht aus Varros antiquitates geschöpft
hat, ohne sie mit der früheren auszugleichen.
b) Unterweltsvorstellungen Vergils.
Die Unterweltsvorstellungen Vergils behandeln Norden, Dieterich,
Xaaß und Schermann. Trefflich sind die Worte, die Norden seinem
Aufsatz Herm. XXVIII S. 360—406 vorausschickt und die als Grund-
satz bei der Betrachtung Vergils in Anwendung kommen sollen: 'Die
Dichter der augusteischen Zeit veitragen es, daß man jedes ihrer Worte
auf die Goldwage legt. Nichts ist hier unberechnet, von der Gesamt-
komposition angefangen bis auf Wortwahl und Wortstellung herunter;
darin und in der Strenge der Metrik zeigen sie ihre von den Alexan-
drinern erlerate ars.' Aber so richtig die Worte sind für die Werke,
Jaliresbericht über Vergil Ls9:>— 189(i. (lielm.) 175
die vou dem Dichter selber herausgegeben sind, bei der unfertigen Äoeis
lassen sie sich doch nicht so unbedingt anwenden. Norden versucht
es. an dem von Conington, Boissier, Sabbadini bemängelten (j. Buch
die Einheitlichkeit der Komposition nachzuweisen. Jene sahen in
der Schilderung der Unterwelt einen doppelten Entwurf; der eine zeigt
die Seelen in der Fortsetzung des Lebens unter Leid und Freude
in Tartarus und Elysium, der andere lälit alle Seeleu einer liäuterung
unterzogen werden, damit sie dann auf die Oberwelt zurückkehren.
Boissier glaubte die Absicht des Dichters darin zu erkennen, Volks-
glauben und philosophische t'berzeugung zu verschmelzen, die nicht
ganz gelungen sei, weil Vergil nicht die letzte Hand an sein Werk
legen konnte. Ein eingehende Besprechung des einzelnen soll die Ansicht
von diesem "Widerspruch widerlegen. N. beginnt mit der auffallenden
Thatsache in der Topographie der Unterwelt, daß Kinder, ungerecht
Verurteilte, Selbstmörder, aus Liebe Gestorbene und im Kriege Gefallene
getrennt sind von den anderen Seelen. Zur Erklärung zieht er scharf-
sinnig eine Tertullianstelle de an. 56 heran (in dem Nachtrag Herrn.
XXIX S. 313 ff. auch noch eine Stelle Lukians catapl. c. 5), in der
die Ansicht ausgesproclien wird, nicht alle Seeleu würden gleich in die
Unterwelt aufgenommen, sondern diejenigen, die vor dem bestimmten
Schicksalstode gewaltsam gestorben sind, müßten so lange auf der Grenze
harren, bis die ihnen noch zum Leben zugedachte Zeit vergangen ist.
Dazu gehören die 5 von Vergil v. 426 ff. aufgezählten Klassen; sie werden
erst nach Ablauf jener Frist die Unterwelt betreten und dann ebenso
wie die andern geläutert werden. Diese Auffassung über die «oipoi und
^laiodava-ot, auf die Platou in der Republik X 615C anspielt, geht auf
pythagoreisch-orphisclie Vorstellungen zurück; die Pythagoreer hielten
auch den Selbstmord für unerlaubt, darum werden die Selbstmörder
unter diese Klassen gerechnet. Bemerkenswert ist der scheinbare
Widerspruch , daß die Helden , die ihr Vaterland verteidigt haben , im
Elysium erwähnt werden, aber die im Kampfe Gefallenen in jener
Zwischenregion! Wir müssen uns denken, daß auch diese nach Erfüllung
der Zeit zum Elysium kommen (leider sagt der Dichter nichts davon),
Vergil hat sich gehütet den Hektor zu erwähnen; er hätte ihn an die
Grenze statt ins Elysium versetzen müssen, aber das Gefühl des Lesers
würde sich dagegen sträuben. Darum schweigt er von ihm. DalJ auch
durch diese Erklärung nicht ganz der Widerspruch gehoben sei zwischen
dem Aufenthalt der 5 Klassen und dem der anderen Seelen, bemerkt
Dieterich Nekyia S. 151 A. 2. Besonders der Katalog der angeführten
Heroinen läßt trotz der scharfsinnigen Erklärungen Nordens noch Zweifel
übrig. Besondere Schwierigkeiten bietet der letzte, nach Tartarus und
Elysium erwähnte Raum der Unterwelt, der vom Lethestrom durchzogene
176 Jahresbericht über Vergil IS'.ij — 18%. (Helm.)
Thalkessel. Es wird eine Theorie der Seelenwanderung mit stoischer
Termiuologie gegeben; auch das läßt sich mit der Annahme einer
pythagoreischeu Quelle vereinen, da die jüngeren Pythagoreer sich gern
an die Stoiker anlehnten. Aber dunkel ist der Zusammenhang in den
Vei-sen 743 ff., da nach dem Wortlaut auch die im Elysium befindlichen
Seelen geläutert werden. Norden liilft mit einem energischen Mittef;
er sieht in Vers 745 — 747 einen vom Dichter verfassten, aber noch
nicht hineingearbeiteten Nachtrag, den der Herausgeber, obgleich er
den Sinn störte, pietätvoll mit aufgenommen hätte. In anderer Weise
sucht Dieterich, Nekyia 150—158 die Schwierigkeit zu losen, da er
sich grundsätzlich gegen die höhere Aneiskritik erklärt. Wir sollen
hinter v. 744 einen Punkt, hinter 747 ein Komma setzen. Die Reinigung
erstreckt sich über 10 000 Jahre, nach denen die Seele erst befreit ist,
während derer sie aber immer wieder zum Lethefluß aufgerufen wird.
Der Zusammenhang sträubt sich gegen diese Interpunktion. Norden,
Gott. gel. Auz. 1894 S. 253 weist sie als sprachlich und logisch un-
möglich zurück. Maaß, Orpheus S. 223 ff., der die Jenseitsmalerei
im Grabe der Vibia, Gemahlin des Vincentius, mit den Elysiumsschilde-
rungen Vergils vergleicht, glaubt den Widerspruch durch einfache Er-
klärung beseitigen zu können. Nach ihm werden außer den schweren Straf-
akten harmlose Läuterungsmethoden bei den Seelen angew'andt. Die fast
Geläuterten wandern vom Ort der Pein ins Elysium (offenbar, um dort
ganz geläutert zu werden; denn die Darstellung leidet etwas an Un-
klarheit). Verglichen wird das Fegefeuer, (das denn aber doch zu den
locos laetos et amoena virecta fortunatorum neraorum sedesque beatas
recht seltsam paßt, da man es sich für gewöhnlich doch recht schmerz-
haft vorstellt): so soll das 'unvorsichtige Bestreiten' der Annahme ver-
hindert werden, 'daß Vergil von einer nur nicht ganz schmerzlosen
Reinigung der Seelen, die aber keine Strafe ist, Kunde besessen^
Keine dieser drei Erklärungen der Stelle befi-iedigt. (Nicht 745 —747
scheinen lose eingefügt, sondern 743 — 744 enthalten m. E. eine vom
Dichter gemachte Parenthese, die nachträglich die Erklärung hinzufügt :
'Auch wir, die wir in geringer Anzahl ins Elysium kommen, müssen
erst geläutert werden', unmittelbar im Anschluß au die vorher er-
wähnten Reinigungsmethoden.) Darin aber stimmen Noiden, Dieterich,
Maaß überein, daß sie orphische Einflüsse für das 6. Buch annehmen;
Norden schließt mit dem Resultate: 'Die Vergilische Nekyia, obwohl
nach der Homerischen und vielleicht andern alten Epen oder Lokal-
sagen geschaffen, ist im wesentlichen einer pythagoreisch orphischeu
ünterweltsbeschreibung entnommen aus der Zeit, da die Neupythagoreer
Anlehnung an die Stoiker suchten. Es ist wahrscheinlich, daß sie sich
in einer dichtcrischeu Vorlage dei- Alexandriner fand', (vgl. Deuticke,
Jahresbericht über Vcrgil 1892-1896. (Helm.) 177
Jahresber. d. phil. Vereins 1895 S. 252 flf., der richtig auf einige
Mängel in der Beweisführung aufmerksam macht).
Jüdische Einflüsse in der Unterweltsdarstellung nimmt Schermann,
Zu Vergils Vorstellungen vom Jenseits. Progr. d. Kgl. Württ.
Gymn. in Ravensburg 1893 an wie bei der 4. Eklogo. Besonders
aus den Apokryphen, so dem Buch Henoch werden Parallelen heran-
gezogen. Der Verf. vermutet eine weitgehende Einwirkung jüdischer
Anschauungen auf die Römer. Herodes verkehrte wie Vergil bei PoUio,
und Nicolaus von Damascus stand bei Augustus in hohem Ansehen. Von
beiden koiinte Vergil die Ansichten des jüdischen Glaubens lernen.
Der zwingende Beweis für diesen Einfluß ist jedenfalls nicht erbracht,
da der Dichter aus den mythologischen und religiösen Anschauungen
seines Volkes schöpfen konnte.
Ein Teil der Unterweltsbeschreibung wird von R. Maxa einer Unter-
suchung unterworfen in der Zeitschr. f. d, österr. Gymn. XLV
'Die Thore des Schlafes in der Unterwelt Vergils'. Die 273
— 281 genannten Gestalten lagern vor dem Eingang zum Orkus, weil
sie mit der Oberwelt in Berührung stehen und zu den Menschen empor-
gesandt werden, während innerhalb wirkliche Schatten, d. h. Gestorbene,
wohnen. Vergil hat die Idee der Doppelthore von Homer entlehnt,
aber selbständig gestaltet, indem er das eine Thor den wirklichen
Schatten der Toten vorbehielt im Gegensatz zu den Träumen; daher
heißt es auch nicht Thor der Träume VI 893 (Ribbeck hält übrigens
in der 2. Auflage 893 — 896 für interpoliert). Die wirklichen Schatten
haben bei Vergil durchweg die Bedeutung eines Orakels, wenn sie den
Lebenden erscheinen. So ist auch die 'urabra' in der Drohung der Dido
kein wirklicher Schatten, sondern nur ein Plagegeist (cf. Hör. epod. V 91),
wie das 'et haec raanis veniet mihi fama sub imos' beweist, das doch
Didos Schatten selber in der Unterwelt voraussetzt. Die IV 384 voraus-
gehenden Worte deutet M. in dem Zusammenhang nicht ohne Geschick,
indem er in 'sequar atris ignibus' einen Hinweis auf den Selbstmord
sieht, also 'atris ignibus' als abl. Instrument, für 'rogo' faßt, so daß
sich Vers 385 gut anschließt. Es würde passen, daß die unglückliche
Dido dem Treulosen zuletzt damit droht, sich das Leben zu nehmen,
obwohl dadurch die Verwünschungen gegen Aneas etwas unterbrochen
werden und gegen die Auffassung der Trennung des eigentlichen Schattens
und des Quälgeistes das 'adero' zu sprechen scheint. Die eigentlichen
Schatten, so führt M. aus, gehen freiwillig, (daher facilis datnr exitus),
die feindseligen, wie Träume und andere Plagegeister, auf Geheiß.
Wenn Äneas durch das Elfenbeinthor geht, so bedeutet das nach K,
daß er genau auf demselben Wege zurückkehrt, wie er gekommen
Jahresbericht für Altertumswissenschaft Bd. LXXXXVII. (1898, II.) 12
178 Jahresbericht über Vergil 1892—1896. (Helm.)
Allerdings, ob man das 'bis' in Vers 133 ff. als Argument dafür heran-
ziehen und das zweite Mal in dem Rückweg sehen kann, ist doch zum
mindesten sehr unsicher.
c) Einzelnes zur An eis.
Gegen Kvicalas neueste Beiträge richtet sich der sorgfältige Auf-
satz von Kloucek, Vergiliana in den Symbolae Pragenses Festg.
der deutsch. Gesellsch. für Altertumsk. in Prag zu der 42. Versammlung
deutsch. Philolog. in Wien, Prag- Wien— Leipzig 1893 S. 74—81.
Kvicalas Vermutungen werden mit großem Geschick widerlegt und die
Überlieferung verteidigt, so der zweite Bedingungssatz II 95. Durch
die beigebrachten Beispiele ist die Arbeit ein trefflicher Beitrag zum
Verständnis Vergils. Mit seinen Ansichten stimmt auch J. H. Schmalz,
Zeitschr. f. d. österr. Gymn. 44 (1893) S. 1067—1069 überein :
nur über I 239 ergiebt sich eine Meinungsverschiedenheit: 'fatis contraria
fata rependens'; nach Kvicala ist 'fatis' Dativ abhängig von 'contraria'
und 'rependens' heißt 'erwägend', Kloucek faßt 'fatis' als Dativ abhängig
von 'rependens', das statt mit Acc. und Abi. mit Dativ und Acc. ver-
bunden sei in einer bei Vergil beliebten Vertauschung; Schmalz hält
'fatis' für den Ablativ und übersetzt: 'indem ich das ungünstige Geschick
durch die (günstigen) Verheißungen aufwog'.
An. I 393—400 bespricht A. E. Housman, transactions of
the Cambridge philological society vol. III part. V S. 239 — 241.
Den Widerspruch, der in dem Gleichnis der Schwäne und den verglichenen
Schiffen liegt, sucht er zu tilgen, indem er v. 395 für 'terras' 'Stellas'
einsetzt. Die in dem 'Stellas despectare' liegende Übertreibung wird
durch andere Beispiele etwas übertriebener Anwendung der Sterne er-
läutert. Anders konjiziert Meißner, Jahrb. f. Phil. 1894 S. 178:
'captis iam respirare videntur.'
An. 1162 schlägt P. R. Müller, Jahrb. f. Phil. 1895 S. 416
vor: 'seu perstare dolo'. Aber die Überlieferung ist tadellos: Sinon ist zu
beidem bereit, entweder seine List anzubringen, wenn die Troer milde
sind, oder zu sterben, wenn sie grausam sind.
n 117 wünscht E. Schulze, Jahrb. f. Phil. 1894 S. 25 statt
'venistis' mit Vergleichuug von I 158 vertistis zu lesen, um das cum
primum zu erklären. II 174 wird 'ipsa' als 'von selbst' erklärt.
n 431 — 4.34 verteidigt L. Müller, Berl. phil. Wochenschr.
1894 Sp. 732 die Verbindung 'vices Danaum' als die richtige, die nicht
durch ein Komma gestört werden dürfe, und vergleicht 'fata deum'.
'vulnere Ulixi', 'poenas Danaum'.
n 567—588 s. S. 174.
An. III 509—511 Simpson, Class. rev. 1892 S. 366b verteidigt
Jahresbericht über Vergil 1892—1890. (Helm.) 179
Vergil gegen Coningtoiis Vorwurf, das 'sortiti lemos' habe keinen Sinn,
wenn die Troer Halt machen; er entnimmt aus den foL-^enden Versen
die Absicht einer nächtlichen Weiterfahrt, für die eine solclie Vorbereitung
nützlich war. Ihm stimmt Page bei S. 414b.
III 682 ff. sucht Friedrich, Jahrb. f. Phil. 1894 S. 349 die
Überlieferung zu erklären. Die Erklärung ist mangelhaft.
An. IV 436 erklärt richtig Ehwald, Philolog. LIV 370— 380:
'Wenn du mir den Gefallen thust, werde ich ihn <Iir im Tode in reichem
Maße vergelten.' Zugleich aber soll noch ein Doppelsinn darin liegen
mit Bezug auf Aneas: 'Wenn du mir den Gefallen thust, dann soll
mein Tod ihn reichlich belohnen.' In dieser Amphibolie erkennt E.
'schneidenden Hohn'. Jedenfalls ist dieser Doppelsinn sehr gesucht,
und wer 'dederis' liest, wird schwerlich die nächsten Worte auf Aneas
beziehen mögen. Die für die Verbindung 'morte cnmulare', die bei der
zweiten Auffassung zu gründe liegt, aus der Octavia herangezogenen
Beispiele v. 96, 903 passen nicht.
IV 484 wird von Herzog, Herm. XXIX S. 625 an seiner Stelle
verteidigt, da die ixeXtxToyta als eine Art TreXavo; von Stengel ebend.
S. 281 ff. nachgewiesen ist. Dasselbe Opferfutter wird auch An. VI
417 ff. dem Cerberus gereicht.
An. V 359 — 360 Das 'Neptuno sacro Danais de poste refixum"
erkärt Page Class rev. 1894 S. 300. Der Schild soll durch den
Zusatz einen besonderen Wert erhalten; es darf also nicht an traurige
Ereignisse erinnert werden wie an einen Raub durch die Griechen
(vgl. die Erklärung von Deuticke). Page vermutet, der Schild ist von
den Griechen von einem griechischen Tempel genommen und von Aneas
im Kampfe mit dem Krieger gewonnen, der ihn trug. Zum Vergleich
wird III 286 herangezogen, wo ein den Griechen abgenommener Schild
'magni gestamen Abantis' genannt wird. Da wir nur einen alten König
in Argos des Namens kennen, dessen Schild im Tempel der Juno auf-
bewahrt wurde, so kann man annehmen, daß ihn ein vornehmer Grieche
trug, um des besonderen Schutzes der Gottheit gewiß zu sein. Dei
gleiche Anlaß würde V 360 vorliegen.
Mehrere Stellen der Äneis bespricht Reicheuhart'), Zeitschr.
f. österr. Gymn. 1892. Bemerkenswert ist die Erklärung des Ver-
hältnisses von Dido und Sychaeus in der Unterwelt. Dido kehrt VI
472 ff. nicht zu ihrem ersten Gatten zurück, um sich bei ihm zu trösten;
sondern Sychaeus empfindet eben solche Schmerzen über die ihm untren
gewordene Gattin wie sie um den treulosen Aneas.
*) Da die Arbeit im letzten Bericht nicht aus eigener Anschauung
vom Rezensenten beurteilt werden konnte und darum nur erwähnt ist,
trage ich das Wichtige hier nach.
12*
180 Jahresbericht über Vergil 1802- 1896. (Helm.)
Ein Kompliment gegen Varius sieht Norden, Hermes XXVIII
S. 514 ff. in den Versen des 6. Buches der Äneis 621—622. Varius
hatte in dem Gedicht 'de morte' mit geringen Veränderungen nach
Macrob. IV, 11 dieselben Verse geschrieben und zwar, wie aus Servius
zu V. 622 folgt, mit Beziehung auf Antonius. Vers 623 bezieht sich
auf Thyestes; vielleicht wollte Vergil auch dadurch an Varius und
sein Drama Thyestes erinnern.
An. VI 602—607 behandelt Cartault, Rev. de phil. 1896 S. 151
— 154. Er wendet sich gegen Havets Umstellung der Verse 616 — 620
nach 601, da dadurch eine Lücke hinter 615 entstände, d. h. das 'quam
poenam' keine Antwort fände. C. schlägt seinerseits vor 602 — 607 hinter
620 zu setzen, da Valerius Flaccus II 192 und Statins Theb. I 713 sie
dort gelesen zu haben scheinen; denn beide schreiben die Strafe dem
Phlegyas, Valerius auch noch dem Theseus zu, was sich erklärt, wenn
die beiden Lesarten 'quo' und 'quos super' schon damals vorhanden
waren. Bei dieser Umstellung hätten wir zwei vollständige Reihen
depselben Inhalts: 580 — 601 Martern der mythologischen Helden, 608
— 614 gewöhnliche Verbrecher, ebenso 616—620 und 602 — 607 mytho-
logische Helden, 621 — 624 Aufzählung der gewöhnlichen Verbrechen.
Vergil arbeitete nicht in einem Zug. Auch die Aufzählung der künftigen
Generationen ist in einem dreifachen Entwurf niedergeschrieben, 760 —
807, 808 — 835, 836 — 853. Der Beweis hat etwas Bestechendes; aber
602 paßt hinter 620 doch sehr schlecht, da die Mahnung des Gemarterten
besser am Schluß der Schilderung seiner Marter stehen würde. Wenn
Statins und Valerius die Marter auf Phlegyas bezogen, so ist es doch
noch nicht zweifellos, daß sie sie auch hinter Vers 620 lasen. Da eine
Unfertigkeit sich auch bei der Umstellung in der doppelten Ausführung
desselben Stoffes zu zeigen scheint, so ist es geratener, die Verse stehen
zu lassen.
Daß sie schon Ambrosius de bono mortis VII 33 in der uns er-
haltenen Gestalt hatte, zeigt Schenkl. Wien. Stud. XVI 336 f.;
Ambrosius faßte sie offenbar allgemein auf.
An. VI 763 will Ussani ('due luoghi di Verg. spiegati
cf. S. 168) das 'tua postuma proles' erklären, indem er 'tibi longaevo
serum' als Parenthese faßt.
Zu VI 800 macht Lumbroso, Atti della R. Accademia dei
Lincei 1895 S. 521 f. eine überflüssige Konjektur; er schägt 'tepida ostia
Nili' statt 'trepida' vor, indem er zahlreiche Stellen für 'tepidus Nilus' bei-
bringt. Aber dem 'horrent' v. 799 entspricht durchaus gut das 'trepida'.
An. Vn 497 nimmt Weiske, Philol. LIV 355 Anstoß an den
Worten: 'nee dextrae erranti deus afuit'; das 'errare' scheint nicht zu
der Sicherheit zu stimmen, mit der Askanius wenige Tage später (XI 592)
Jahresbericht über Vergil 1892—1896. (Helm.) 181
den Bogen handhabt. Die Stelle erklärt sich aber, wenn man das
Partizip ebenso wie das verbum finitum als negiert auffaßt.
VII 378 ff. schließt W. aus dem Staunen über den Kreisel, daß
das Spiel erst damals nach Rom gekommen sei.
VII 8 erklärt Duvau. Revue de phil. XVHI (1894) S. 242 f.
das 'adspirant aurae in noctem' durch Heranziehung von Lucrez VI 712
(in aestatem ^- ä mesure que Tete s'avance), so daß 'in noctem' so viel
wird wie 'mit der Nacht'; der Wind erhebt sich, wenn sie beginnt, und
legt sich bei Tagesanbruch; darum Vers 27: 'cum venti posuere'.
Zu IX 679 schlägt Havet, Academie des Inscriptions
Comptes rendus 1896 S. 9 statt des metrisch und dem Sinn nach
unmöglichen 'liquentia flumina' 'Liquetia flumina' vor, was die Livenza be-
zeichnen soll, so daß Vergil hintereinander drei benachbarte Flüsse
nannte, Livenza, Etsch und Po; er bringt also die Erklärung des Servius
zu Ehren.
V. Vergilkommentare.
Über den Probuskommentar hat der leider über der Arbeit ge-
storbene Thilo einen nicht vollendeten Aufsatz hinterlassen, den Sam.
Brandt, Fleckeisens Jb. f. klass. Phil. 1894 S. 289 ff. heraus-
gegeben hat. Die Frage war die oft behandelte, aber immer noch
strittige: Sind in dem zuletzt von Keil herausgegebenen Kommentar
unter dem Namen des Probus wirklich Spuren des Berytiers vorhanden?
Jahn, Ribbeck u. a. nahmen es an, Riese und Kubier haben es ge-
leugnet. Thilo stellt sich auf die Seite dieser. Er prüft für sich die
Einleitung und den Kommentar. Nur der erste Teil ist vollständig. Im
Leben des Vergil finden sich mannigfache Irrtümer, so wenn Andes
30 Milien von Mantua entfernt genannt wird, das nach Th.s Vermutung
nur etwa 3 Milien von der Stadt ablag. Unrecht scheint; der Verf. des
Kommentars zu haben, wenn er den Proculus einen jüngeren Bruder
des Vergil nennt, da er vielmehr ein älterer Stiefbruder gewesen sein
muß nach Suetons Bemerkung und dem Berner Scholiou zu Ekl. V 22.
Die ganze Vita geht nach Th. auf die vita Suetons in der Redaktion
des Älius Donatus zurück; der Verf. hat nur nach dem Gedächtnis
niedergeschrieben. Daß er Afrikaner gewesen sein könne, vermutet Th.
aus dem Ausdi'uck: vico Andico. Der Bericht über die bukolische
Poesie bietet an einigen Stellen sogar mehr als der griechische Scholiast;
er kann noch einem Grammatiker der besseren Zeit angehören, ohne
daß man an den Berytier denken könnte. Der Abschnitt über die Sprache
und den Vers'Vergils ist sehr kurz, aber einzelnes offenbar unverändert
dem Original entnommen; auch hier glaubt Th., afrikanische Ausdrucks-
weise zu erkennen. In der Besprechung der Anlässe, die Vergil zur
182 Jahresbericht über Vergil 1 892 — 1896. (Uelm.)
bukolischeu Dichtung führten, wimmelt es von Irrtümern und Urteils-
losigkeiten, wie sie einem älteren Grammatiker nicht zuzutrauen sind.
Das Resultat ist: Es kann keine Rede sein, dal.! die Einleitung des
Probus von einem als Ganzes verfaßt und später durch Verkürzung in
die vorliegende Form gebracht sei; vielmehr hat ein Grammatiker
späterer Zeit, frühestens in der 2. Hälfte des 5. Jahrhunderts, aus ganz
verschiedenen Zeiten stammende Darlegungen zusammengestellt. Die
Prüfung der Schollen selber ist von Th. nur zum Teil durchgeführt.
Die ausführliche Besprechung über die Anzahl der Elemente bei Vergil
bietet aber Grund zu demselben Schluß; höchstens könnte einiges auf
mündliche Erörterungen des Probus zurückgehen.
Über den rhetorischen Kommentar des Tib. Claudius Donatus
handelt Georgii, indem er einen Nachtrag zu seinem Buch: 'Antike
Aneiskritik' giebt, Donat hat vielleicht aus Servius geschöpft, aber
sicher nicht aus dem Danielinus. Doch besaß er auch noch andere
Quellen, aus denen er Kritiken entnahm. Im Aufsuchen dieser quaestiones
scheint der Verf. oft zu scharfsinnig zu sein. Von Wert ist die Cha-
rakterisierung des Donat, der Mißverständnisse enthält und einen mangel-
haften Text hatte.
In einer Serviusstelle zu Aneis VI 760 emendiert Trieb er,
Hermes XXIX 124 ein Catocitat mit Heranziehung von An. VI 769,
indem er statt 'Ascanius' 'Äneas' einsetzt. Vergil spielt dort auf Thron-
streitigkeiten an zwischen Silvius und lulus, die zur Verherrlichung der
iulischen Dynastie erfunden sind.
Einen Beitrag zum Studium des Serviuskomraentars giebt Steele,
On the archaisms noted by Servius, Americ. Journ. ofphilol.
1894 S. 164—193. Äußerlich unterscheidet sich Servius von dem SchoL
Daniel, dadurch, daß er die Bezeichnung 'antiqui' bevorzugt, dieser
'veteres'. In der Sache ist der Schol. Daniel, genauer, da er bestimmte
Beispiele angiebt, während Servius sich allgemein ausdrückt. Mit jenem
läßt sich der Horazkommentar des Porphyrie vergleichen. Auch der
Donatkommentar zu Tereuz wird zur Vergleichung herangezogen; Vergil
ist hier Gewährsmann für die meisten Archaismen. Selten werden bei
Donat Archaismen erwähnt, die nicht im Servius oder Schol. Daniel,
ständen, dagegen bei diesen 23 solcher Bemerkungen mehr als bei jenem.
Immer zeigt der Schol. Danielinus die größere Neigung, archaische Aus-
drücke zu finden. Servius kommentiert mehr die Formen, der andere
die Bedeutung. Eine eingehende Aufzählung der Archaismen bildet den
Hauptbestandteil der Arbeit; sie werden gegliedert in Buchstabenände-
rungen, Nomina nach Kasus, Genus und Bedeutung, Pronomina und
Adjektiva, Partikel und Präpositionen, Verben, Tropen und Figuren.
Den Schluß bilden die 28 nova dicta, die Servius bei Vergil findet.
I
Jabiesbericht über Vergil 1892-1896. (Helm.) 183
Eine kurze Bemerkung über die 'neoterici' bei Servius wird angefügt;
gemeint sind Persius, Juvenal, Lucan, also augenscheinlich alle nach
Vergil.
Klotz, auimadversiones ad veteres Vergilii interpretes
(Progr. Treptow a. R. 1893) sammelt die Stellen, an denen Servius
sich auf eine frühere Stelle zurückbezieht. Wenn sich Citatc nicht
finden, so kann das auch au der Nachlässigkeit des Kommentators
liegen, da sich auch offenbare Irrtümer finden, z. B. wenn Vitruv oder
Apollonios etwas zugeschrieben wird, was sich bei ihnen nicht findet.
Der Verf. meint, dal.! auch dadurch Irrtümer entstanden, daß die Er-
klärer griechische Scholien benutzten, und was in ihnen stand, nach-
lässig dem Dichter selber zuschrieben. Im einzelnen wird durch die
Einleitung über die bukolische Poesie wie ein paar Stellen nachge-
wiesen, daß die Vergilinterpreten Theokritscholieu heranzogen.
Die Verwandlungssagen in den Vergilkommentaren hat Leuschke
einer eingehenden Untersuchung unterzogen in seiner Dissertation de
metamorphos. in scholiis Verg. fabulis diss. Marb. Grera 1896.
Die vorgebrachten Metamorphosen haben au und für sich nichts mit der
Erklärung Vergils zu thun, sondern sie werden gelegentlich angeführt,
meist mit der Einleitung: tabula talis est. Diese Sagenberichte gehen
bei Probus, Servius, dem Interpolator des Servius und dem Berner
Scholiasten auf eine Quelle zurück, nämlich einen großen Vergilkom-
mentar: auch dieser hat die f^rzählungen schon aus einer einheitlichen
Quelle geschöpft, wie aus dem gleichen Ausdruck, der gleichen Form
zu erschließen ist. Dies Kompendium w'ar von einem gelehrten Griechen
zusammengesetzt (cf. Kuaack, Anal. Alexandrin o-Romana p. 8, 10).
Ausführlich wird das Verhältnis dieses Kompendiums zu Ovid be-
sprochen. Unter den Ovidcitaten in den Kommentaren sind mehrere
falsch, ein Beweis, daß Ovid nicht selbst als Quelle gedient hat. Es
müssen also solche mit Ovid übereinstimmenden Stellen schon in dem
Kompendium gestanden haben. Ahnliche Erzählungen, die aber nicht
auf Ovid zurückzuführen sind, gehen auf eine Sammlung zurück, die
Ovid wie der Schreiber des Kompendiums benutzt haben, oder sie stehen
in keinem Zusammenhang mit Ovid, sondern haben naturgemäß nur die
gleiche Gestalt der Sage. Die einzelnen Klassen, die sich so auffinden
lassen unter den verschiedenen Erzählungen, werden sorgfältig ge-
schieden.
Florian Weigel, Die quaestiones Vergilianae des Ami-
lius Asper im Palimpsest der Pariser Nationalbibliothek
Serta Harteliana 1896 S. 129 — 133 bringt eine Reihe von Ver-
besserungen des bei Keil im Probuskommentar abgedruckten Asper nach
erneuter Untersuchung der Handschrift. Es zeigt sich, daß auch über
184 Jahresbericht über Vcrgil 1892—1896. (Helm.)
Ohatelain, Rev. de phil. X (1886) hinaus noch Spuren des Palimpsestes
zu entziffern sind. Für Ergtinzung: des nur zum Teil Lesbaren leistete
Servius gute Dienste, der ja den Asper als Ilauptquelle benutzt hat.
VI. Kleinere Gedichte und Pseudovergiliana.
Ätna.
Gegen Waglers Nachweis, daß das Gyraldinische Fragment allein
die richtigen Lesarten bringe (vgl. die Ausgabe von Sudhaus 1898),
sucht Alzinger, Jahrb. f. Phil. 189G S. 845 ff. zu erhärten, daß G.
kein Vertrauen verdiene, sondern nur Konjekturen enthalte, wie sie sich
auch in den Arbeiten heutiger Textkritiker finden, d. h. gute und
schlechte nebeneinander. Als beste Quelle müsse er ausgespielt haben
und der Text sei auf dem Cantabrigiensis und dem Fragmentum Sta-
bulense aufzubauen.
Cataleptou.
Gedicht VIII giebt 0. E. Schmidt, Philolog. LI S. 211 in
deutscher Übersetzung im Versmaß des Originals. Er spricht es dem
Vergil ab und sieht darin eine politische Satire auf P. Ventidius Bassus
mit Vergleichung von Cic. ep. X 18, 3 (Ventidii mulionis) und
Gellius XV 4.
Auf catalepton V (XIII) 9 bezieht von Winter feld, Phi-
lolog. LV S. 189 das Citat de dubiis nomin. p. 93, 1, einen Nomi-
nativ 'parsimonium' bei Vergil betreffend. Allerdings findet sich auch
dort nar 'parsimonia' im Singular, aber durch die Umgebung wird die
Vermutung nahe gelegt, es könne für ein Neutrum pluralis gehalten
sei; dann muß der Schreiber das Gedicht für vergilianisch gehalten
haben.
Ciris.
Ganzenmüller, Beiträge zur Ciris Jahrb. f. Phil. Suppl.
XX 553 — 657 stellt die nachgeahmten Dichter und Stellen Vers für
Vers zusammen und sucht dabei den Beweis zu bringen, daß in der
Ciris auch Ovid nachgeahmt ist. So schwer auch das Urteil ist, inwie-
weit man aus Wortanklängen auf Abhängigkeit des einen Dichters vom
anderen zu schließen hat, weil die Verse selbst bestimmte Worte an
bestimmter Stelle geradezu fordern (der Verf. giebt selbst S. 645 ff.
ein Verzeichnis solcher Wiederholungen aus der Ciris), so scheint es
doch, als sei in der That die Bekanntschaft des Dichters der Ciris mit
Ovid erwiesen. Ähnlichkeiten wie
V. 209 furtim tacito . . .211 tenuem aera captat
tum suspensa levans digüis vestigia primis
und Ovid fast. I 245/246 animamque tenens vestigia furtim
suspenso digitis fert tadturna gradu
Jahresbericht über Vergil 1892— 189G. (Helm.) 185
gehen über das Maß dessen hinaus, was durch Zufall wegen des gleichen
Stoffes übereinstimmt. Weniger wahrscheinlich ist die Nachahmung des
Manilius, aus dessen 5. Buche der Verf. einige Anklänge gefunden zu
haben glaubt. Auf jeden Fall würde die Bekanntschaft mit den Werken
Ovids uns zwingen, das Gedicht in die Zeit des Tiberius zu setzen.
Eine Untersuchung der Metrik ergiebt, daß sie nichts enthält, was die
Abfassung des Gedichtes nach dem Tode Ovids anzunehmen hindert.
Der große Einfluli Catulls, der sich z. B. in den häufigen Spondiaei
zeigt, erklärt sich besonders dadurch, daß der Verfasser schon in seiner
Jugend den Entwurf gemacht hat (v. 44/45). Daher auch die besonders
große Wirkung Vergils, während bei der endgültigen Ausarbeitung die
Spuren Ovids sich deutlich zeigen. Der Messulla könnte der Konsul des
Jahres 20 n. Chr. sein, der bei Tac. Ann. III 2 erwähnt wird. Eine
Charakteristik des Verfassers und seiner Sprache mit ihren etwas schwer-
fälligen Perioden und vielen Wiederholungen führt zu dem Urteil, daß
wir Originalität und poetische Schöpfuugskraft ganz vermissen. Das
letzte Kapitel sucht die Bekanntschaft der späteren Dichter mit der
Ciiüs festzustellen; die Mittel dazu sind gering. Eine Anzahl von text-
kritischen Bemerkungen zu der Ciris unterbricht die Zusammenstellung
der in ihr vorhandenen Anklänge an andere Dichter.
Eine Anzahl textkritischer Beobachtungen als Ergänzung zu seiner
Textausgabe im Vergil von Haigh veröffentlicht Ellis, Americ. Journ.
of phil. 1894 S. 469 — 494. Auf dem schlüpfrigen Boden, auf dem sich
diese Vermutungen bewegen, wird man kaum zu einem sicheren Besultat
kommen. Anregend sind die Besprechungen auf jeden Fall, auch wo
sie zum Widerspruch reizen. So 47 : exordia mollis, wo moUis sich mit
irapia schlecht verträgt, 48 exterrita templi, was sehr schön durch
141 ff. erklärt wird, aber doch zu der Verwandlung der Scj'lla nicht
den geeigneten Grund angiebt. 57 wird im Anschluß an Haupts Ver-
besserung vorgeschlagen: 'Scyllaeum monstro saxum infestante uocari',
was nicht unmöglich wäre. Geistreich ist die unsichere, aber mit ge-
höriger Zurückhaltung vorgebrachte Konjektur 67: glanyaena, ein neues
aus Aristot. bist. an. VIII 5 gebildetes Wort. Bemerkenswert ist auch
die Besprechung der vielumstrittenen Worte v. 88: docta Palaepaphiae
testatur voce Pachynus. Zum Schluß widmet Ellis der Abfassungszeit
der Ciris ein paar Zeilen im Gegensatz zu Ganzenmüller; ihm scheint
der Seekrieg zwischen Sext. Pompejus und den Triumvirn 38—36 v. Chr.,
der sich an der Küste Siciliens abspielte, den Anlaß zu der Konzeption
des Gedichtes gegeben zu haben. Für die Ausführung bilden Vergils
Werke und zwar auch die Aneis einen terminus post quem, da aus ihnen
sehr viel entlehnt ist. Dagegen soll Ovids 8. Buch der Metamorphosen
und die Anspielung in der Ibis später verfaßt sein, als das Gedicht
186 Jahresbericht über Vergil 1892—1896. (Helm.)
schou allgemein bekannt war. Eine Eigentümlichkeit im Versbau zeigt
der häufige Schluß wie 'ho|nore uo|lumen', bei dem der 4. und 5. Vers-
fuß durch einen Daktylus so gebildet sind, daß mit der 2. Kürze ein
dreisilbiges Wort anfängt. Diese Eigentümlichkeit, meint Ellis, sei so
mit der Scj'llalegende verschmolzen, daß auch Ovid sie dann nachahmte
metam. VIII 86, 91, 124, 151.
Culex.
Nachdem Postgate bei der Rezension des Culex von Leo (Class.
rev. 1892 S. 113) auf den Maugel hingewiesen, daß die von Ellis ent-
deckte Handschrift der Bibliotheca Corsini nicht benutzt sei, hielt Ellis
es für geboten, seine Kollation zu veröffentlichen Class. rev. 1892
S. 203 — 205. Die Handschrift enthält an einigen Stellen die richtigen
Lesarten; so z. B. v. 15 Asterie, 155 leuiter, 312 Ida faces altrix cu-
pidis praebebat alumnis oder die der richtigen am nächsten stehenden
wie Vers 357 und 380; außerdem sind ihre Lesarten wiederholt min-
destens der Beachtung wert, z. B. v. 143 accedunt, v. 122 feras (^ fetas?
Ellis), 216 vidi et flagrantia, 217 coUucent, 236 inscendere caelum u. s. w.
Man wird danach Ellis zugeben müssen, daß keine Ausgabe abschließend
sein kann, die nicht auf den codex Corsiniauus Rücksicht nimmt.
Das giebt auch Leo, Herrn. XXVII 308 — 311 zu, wo er das
Verhältnis der corsinischen Handschrift zu den anderen prüft. Er stellt
fest, daß sie aus einer alten Vorlage stammt, nicht interpoliert ist und
zu der Überlieferung gehört, deren ältester Vertreter der Bembinus ist.
Hier und da steht sie der ursprünglichen Lesart am nächsten. Danach
geben sie und der Bembinus zusammen die Überlieferung, wo sie aus-
einander gehen, 'spricht zu gunsten von B und seiner Sippe die sorg-
fältigere Schreibung, zu Ungunsten die Fassung von Vers 357 und 366'.
Den Inhalt des Culex und seine Vorbilder bespricht Maaß,
Orpheus S. 224—242. Parodisch ausgenutzt wird Vergil, seine Nekyia
in An. VI, auch die Erzählung von Orpheus in Georg. IV. Auch die
orphische Anschauung von der Reinigung im Jenseits wird parodiert.
Schließlich verspottet das Schlußraotiv, die Bestattung der Mücke und
Ehi'ung durch ein Grabpoem, diese ganze Richtung der Litteratur. Daß
die Einkleidung des Gedichtes griechischem Vorbild entnommen sei, hat
Leo in seiner Ausgabe des Culex vermutet. Von der Hadesbeschreibung
gilt das Gleiche. Auch das Geleit, das die Mücke bei ihrer Ankunft
erhält, ist nichts Auffälliges, sondern vermutlich der hellenistischen Zeit
entnommen.
Eine neue Theorie über den Culex stellt R. Ellis, Class. rev.
1896 S. 177 — 183 in sehr geistreichen Kombinationen auf. Die Schil-
derungen, die uns dort gegeben werden, führt er auf Epirus zurück, wo
Jahresbericht über Vergil 1.s9l>— 1896. (Helm.) 187
eiu Acheron ebenso wie ein dort befindliches Totenorakel die Anregung
zu einem solchen Vorwurf geben konnten. Dort war auch die Sage von
der Agave wie von Orpheus und Eurydice lokalisiert. Ja. Ellis glaubt
sogar, der Name der Begräbnisstätte der mit Agave in Verbindung
stehenden Cadmus und Harmouia, KuXiy.sc, den Athenäus XI 462b er-
wähnt, könne den Anlaß gerade zu der Wahl des Titels uud des Haupt-
helden, der Mücke, gegeben haben. Nun hat Octavius vor dem Tode
seines Oheims 44 v. Chr. sechs Monate in ApoUonia zu seiner Aus-
bildung zugebracht; er wird natürlich auch die von der Sage verklärten
Plätze besucht haben. So könnte man vermuten, daß er der venerandus
und sanctus puer ist und ihm zur Erinnerung an die Zeit seines Aufent-
haltes in Apollonia das Gedicht gewidmet sei. Vergil soll den Culex
16 Jahre alt geschrieben haben; aber Statius Silv. 11 7, 73 und Sueton
vica Lucani p. 50 Reitfersch. machen 26 Jahre wahrscheinlich. Da-
mit kämen wir wieder ins Jahr 44, als Octavius 18 — 19 Jahre alt
war, so daß die Bezeichnung 'divinus puei"' möglich war. Sollte nun
aber die Nachahmung Vergils sicher sein, so könnte die Schlacht bei
Aktium, die das Interesse auf jene Gegenden lenkte, noch einmal die
Anregung zu dem Gedicht gegeben haben. Dann könnte es allerdings
erst nach 29, ja, wenn das 6. Buch der Aneis zum Vorbild gedient
hat, was Ellis bezweifelt, nach 19 verfaßt sein. All die Vermutungen
sind auf außerordentlicher Gelehi'samkeit und großem Scharfsinn basiert;
aber die Schlußsätze zeigen das Schwache an der Hypothese. Denn
wenn das Gedicht nach 19 verfaßt wurde, so ist die Identifikation des
Octavius mit dem späteren Augnstus undenkbar, weil der Kaiser nicht
Octavius und nicht puer genannt sein könnte, und die Versetzung des
Lokals in die von Ellis beschriebene Gegend wird sehr zweifelhaft, weil
der naheliegende Anlaß fehlt.
Dirae, Lydia.
Eskuche,^) De Valerio Catone deque Diris et Lydia carminibus.
Marburg 1889 diss. in.
Reitzenstein, Festschrift Theod. Momrasen zum 50 jähr. Doktor-
jubiläum überreicht. Marb. 1893.
Bibbeck, Antikritische Streifzüge. Rh. Mus. L. S. 558 — 565.
Eskuche erklärt, wie schon der Titel sagt, Lydia und Dirae
für Werke des Valerius Cato, in dessen Zeit die Behandlung der Metrik
passen würde. Diese wii-d genau untersucht uud die Bekanntschaft mit
den Gesetzen Vergils geleugnet. Er zeigt ferner, daß die Voraussetzung
*) Obwohl früher erschienen, wird die Arbeit im Zusammenhang mit-
besprochen, weil sie in dem vorigen Bericht fehlt.
188 Jahresbericht über Vergil 1892—1896. (Uelm.)
in den beiden Gedichten eine ganz verschiedene ist, und glaubt, daß sie
beide aus einem Cyklus genommen seien, in dem sie dann auch das
Rätselhafte und Unverständliche verlieren würden. Da Sueton von Cato
einen libellus 'indignatio' und einen anderen, 'Lydia betitelt, erwähnt,
so vermutet E., daß beide mehrere Lieder umfaßt und die Dirae einen
Teil des ersten, unser Gedicht Lydia einen Teil des zweiten gebildet
haben. Ein paar Stellen des Catull sollen nach dem Verf. beweisen,
daß der Dichter von Verona die Dirae und Lydia nachgeahmt hat, was
gut dazu stimme, daß die beiden ja in einem persönlichen Verhältnis
standen. Mit ebenso schwachen Beweisgründen wird Nachahmung des
Lucilius in den beiden Gedichten konstatiert, damit Suetons Angabe
verwertet werden kann, nach der Cato die Satiren des Lucilius bei
Philocomus gelesen und studiert habe. Den ersten Teil der Arbeit füllt
eine sorgfältige textkritische Behandlung der beiden Gedichte, hier und
da durch Bemerkungen von Birt unterstützt, der als Anhang eine
Kollation des Parisin. 17177 beigegeben ist. Es ist zweifellos, daß
trotz der Sorgfalt manches unrichtig ist. Die neben den lateinischen
Text gesetzte deutsche Übersetzung in Hexametern könnte an vielen
Stellen flüssiger und schöner sein.
Reitzenstein bemüht sich ebenso, sowohl den Text des Ge-
dichtes Dirae herzustellen, wie die litterarischen und Zeitverhältnisse,
in die es gehört, durch Interpretation herauszufinden. Ovid kennt an-
geblich unser Gedicht, da er Amor. III 7, 31 ff. von solchen Zauber-
liedern spricht. Sicherlich ist (gegen Eskuche) Vergil nachgeahmt, wie
v. 32 verglichen mit Ekl. V 44 und die Übereinstimmung mit Ekl. I
zeigt. Das Gedicht ist nicht lange nach den Eklogen verfaßt, schwer-
lich vor 715 oder nach 720; die Georgica wirken noch nicht ein.
Mit dem Lykurgns ist, bemerkt. R. richtig, keinesfalls der mythische
Gegner des Dionysos gemeint, wie auch die vorhergehende Versicherung
des Freimuts beweist; nach ihm soll ironisch Oktavian so bezeichnet sein,
der neue Gesetzgeber, der 'Ordner des Staates', mit Anspielung auf den
spartanischen Gesetzgeber. Das Lied ist anonym überliefert, was bei
seiner Gehässigkeit begreiflich ist, und es ist zwecklos, nach dem Ver-
fasser zu fragen. Die Textgestaltung Reitzensteins enthält unter wenigen
möglichen Vermutungen sehr viel Unmögliches (so umbra = entlaubter
Ast V. 32, sulcis condatis avenis = ex sulcis v. 15).
Dagegen wendet sich in sehr ironischem Ton , aber mit gutem
Recht Ribbeck, der auch gelegentlich die früheren Arbeiten von
Rothstein und Eskuche kritisiert. Fast von allen Textänderungen
Reitzensteins wird nachgewiesen, daß sie falsch sind. Die Auffassung
des Lykurgns, des spartanischen Gesetzgebers, dessen Namen hier iro-
nisch verwandt sein soll, reicht über den Gesichtskreis des Bauern hinaus,
Jahresbericht über Vergil 1892— 1S96. (Uelm.) 189
der sonst streng gewahrt wird, und erscheint danach undenkbar. Per-
sönliche Invektive und politischen Ausfall leugnet Ribbeck. Die von
Reitzenstein angenommene Bekanntschaft des Ovid mit den Diren wird
mit Recht als nicht genügend bewiesen abgelehnt, da Ovid derartige
Verwünschungsgedichte nicht erst aus der Litteratur kennen zu lernen
brauchte.
Lydia v. 39/40 bespricht Sonntag, Wochenshr. f. klass. Phil.
1896 S. 478. Er liest v. 40: Phoebae; in atque steckt vielleicht ein
Verbum, z. B. meat. Vers 39 soll den Tag bezeichnen und pallida
sidera 'durch das Sonnenlicht erblaßt' bedeuten; denn wie der Sonnen-
gott nachts die Geliebte aufsucht, 'bleibt der noctivaga Phöbe nur der
Tag zu solchem Verkehr übrig'.
Moretam.
H. T. Karsten schlägt Mnemos. XXIV S. 443 v. 99 statt
vestem" 'testara' vor. Vers 60 will er tilgen.
Bericht über die Litteratur zu CatuU für die Jahre
1887—1896.
Von
Prof. Dr. Hugo Magnus
in Pankow bei Berlin.
I. Kurze Übersicht und Charakteristik der umfang-
reicheren Publikationen.
1. C. Valeri Catulli Veronensis carmina recognovit B.
Schmidt. Leipzig 1887, B. Tauchnitz. Ed. maior. CXXXV, 88 S. 8.
— Ed. min. XII, 88 S. 8.
Den umfangreichsten iiüd wertvollsten Teil der Ausgabe bilden
ausführliche Prolegomena, eine gut und klar geschriebene Arbeit, die
manche neue und treffende Bemerkung enthält. Als besonders gelungen
sei z. B. der die Person der Lesbia und ihr Verhältnis zu Catull be-
handelnde Abschnitt hervorgehoben. Auf die Prolegomena folgt eine
Adnotatio critica. Diese bietet nicht einen vollständigen Apparat,
sondern verzeichnet und begründet meist nur die Abweichungen von
der dritten Auflage des Hauptschen Textes (1868), der letzten, die
Haupt selbst besorgt hat. Daneben werden zu einzelnen Stellen auch
längere Noten gegeben, die sich mitunter zu förmlichen Exkursen ge-
stalten. Man findet hier manche treffende Bemerkung und manchen
nützlichen Beitrag zur Interpretation. Der Text selbst weicht an etwas
über 200 Stellen von dem Hauptschen ab. Die Differenzen sind oft
sehr geringfügig (den Sinn nicht wesentlich alterierende Änderungen
d^ Interpunktion oder Orthographie u. dergl.); andere ergeben sich
durch engeren Anschluß an die Überlieferung (namentlich an 0) und sind
nicht selten auch in der von Vahlen besorgten ed. V rezipiert. Nur
wenige eigene oder fremde Konjekturen sind neu eingesetzt. Kurz
Schmidts Text ist im ganzen konservativ und verdient überwiegend Lob.
Ein Index grammaticus, der das Buch abschließt, giebt manche nützliche
Zusammenstellungen z. B. der Deminutiva. —
Bericht üb. die Litteratur zu CatuU für die Jahre 1887— 18!)r.. (Magnus.) 191
Die Editio minor bietet den Text sowie den Index ^rammaticus
der größeren Ausgabe, außerdem eine kurze Übersicht der Abweichung'en
von Haiipt^.
2 A Commentary onCatullus by Robinson Ellis. Second
edition. Oxford 1889, Clarendon Press. LXXII, 507 S. 8.
Dreizehn Jahre nach dem Erscheinen von Ellis Commentary on
Catullus liegt die zweite Auflage vor — ein Erfolg, dessen der Verfasser
eines rein wissenschaftlichen, umfangreichen, kostspieligen Werkes sich
wohl freuen darf. Spuren einer sorgsam nachbessernden Hand findet
man fast auf jeder Seite. Die Preface ist namentlich durch einen lesens-
werten Abschnitt erweitert (S. XI — XVII), in dem die seit 1876 er-
schienene Litteratur mit Sachkenntnis und meist richtig besprochen wird.
Der Kommentar hat duich neue textkritische Anmerkungen sehr ge-
wonnen. Fi-eilich läßt er noch immer den Leser, der Ellis' kritische
Ausgabe nicht benutzen kann, an vielen Stellen im Stiche, noch immer
ist der Stoff nicht richtig auf die beiden Bände des großen Catullwerkes
verteilt: viele Noten des breit angelegten kritischen Apparates waren
entschieden in den Kommentar zu verarbeiten. Unter den neuen Kon-
jekturen, die teilweise hier zuerst veröffentlicht und begründet werden,
ist kaum irgend etwas Annehmbares. Im einzelnen ist viel geändert
und gebessert. Man findet gelehrte Exkurse, die namentlich antiqua-
rische Fragen mit Erfolg behandeln. Manche Erscheinungen der Fach-
litteratur, die in der ersten Auflage übersehen waren, sind jetzt benutzt
Bisweilen sind verfehlte Erklärungen zurückgenommen und durch die
richtigen ersetzt (vgl. zu 10, 24. 64, 23. 66, 43. 68, 52. 68, 91. 83. 3
u. a.) Nicht selten fallen neue treffende Parallelstellen angenehm auf.
Kurz als überaus reiche Materialsammlung, als Denkmal ehrlicher Arbeit
und ebenso ausgebreiteten wie gründlichen Wissens, als Muster streng
sachlicher und jeder gereizten Polemik abholder Darstellung nimmt Ellis
Werk trotz arger Mißgriffe die erste Stelle unter den Catullkommen-
taren ein.
3. Gai Valeri Catulli carmina recognovit Joh. P. Postgate.
London 1889, Bell. XII, 89 S. 12. Auch in: Corpus poetar um
Latinorum ed. J. P. Postgate. London 1894, Bell. S. 83 — 105.
Beide Texte sind in demselben Jahre 1889 gedruckt (vgl. Corp.
poet. Lat. I pag. XI), stimmen auch im Wortlaute und in der unter-
gedruckten Adn. crit. meist genau überein. Diesem Berichte ist der
Abdruck in dem Sammelwerke zu gründe gelegt. Denn er verbessert
mehrere Fehler der Sonderausgabe (vgl. z. B. 66, 67, die Noten zu
29, 20. 63, 54. 63. 64, 309. 66, 15 u. a.), muß also für korrekter
192 Bericht üb. die Littcratur zu Catull für die Jahre 1887— 1896. (Magnus.)
und für den' besten Ausdruck dessen, was der Hg, bezweckte, ange-
sehen werden. Die Adn. erit. ist ein Auszug aus den Apparaten von
Ellis, Schwabe und Baehrens. Sie bietet zunächst eine über das Wesent-
lichste gut unterrichtende Zusammenstellung der wichtigeren Varianten
von Gr und O, deren Konsensus angeblich V repräsentiert. Daneben
tindet mau Auskunft über die Provenienz der in den Text gesetzten
Konjekturen und eine knappe Auswahl nicht aufgenommener Emendations-
versuche. Aus den jüngeren Hss sind unter dem siglum co nur ausge-
wählte Varianten verzeichnet. Die Zusammenstellung ist geschickt und
für Leser, die eben nur einen schnellen Überblick wünschen, ausreichend.
Der Text strebt offenbar möglichst große Lesbarkeit durch Aufnahme
zahlreicher Konjekturen an. Darunter sind viele, die längst der Vulg.
angehören und sehr plausibel erscheinen. Eine zweite Gruppe besteht
aus bisher unbekannten Vorschlägen verschiedener Kritiker. Namentlich
hat E. Housman viel beigesteuert. Darunter ist nur 64, 282 aura
aperit flores gefällig (nicht wahrscheinlich). Sonst scheint noch 107, 3
in folgender Fassung Walkers beachtenswert: quare hoc est gratum
nobis quoque, carior auro, quod sq. Endlich sucht P. viele Stellen
durch eigene Vermutungen zu heilen, die er anscheinend alle für sicher
hält — denn sie stehen fast sämtlich im Texte. Dem Ref. sind nur
sehr wenige ansprechend erschienen (22, 7 umbilici et lora; 55, 29
mihi ut dicares) und selbst diese gehören wohl nicht in den Text.
Selten ist die handschriftliche Lesart im Gegensatze zur Vnlg. gehalten:
so 63, 5 devolvit mit Mowat (coli. Nonn. 25, 311) und 64, 320
pellen tes vellera.
Nicht in dem Sammelwerke mit abgedruckt ist eine Praefatio der
Sonderausgabe, welche über die Stellung des Hg. zur Handschriften-
frage, zu den Arbeiten der Vorgänger sowie zur Orthographie orientiert
die Stellen aufzählt, die er selbst in verschiedenen Zeitschriften be-
sprochen hat, und endlich einige neue Konjekturen befreundeter Kritiker
mitteilt.
4. C. Valeri Catulli liber. Les Poesies de CatuUe. Tra-
duction en vtrs frangais par E. Rostand, texte revu d'aprcs les tra-
vaux les plus lecents de la Philologie avec un Commentaire critique
et explicatif par E. Benoist et E. Thomas. Tome second, Com-
mentaire des poömes LXIV— CXVL Paris 1890, Hachette. XV, 562
— 836 S. 8.
Der erste Band dieser Catullausgabe (Text von Benoist, vie de
Catulle und Übersetzung von Roetand) und die erste Hälfte des zweiten
(Kommentar zu 1 — 63 von Benoist) sind bereits 1882 erschienen. S.
J.-Ber. 1887 II S. 180 f. Vorarbeiten für die Fortsetzung des Kom-
il
Bericht üb. die Litteratur zu CatuU für die Jahre ISST— 1896. (Magnus.) I93
mentars fanden sich in dem Nachlasse des 1887 verstorbenen Benoist
so gut wie gar nicht vor. Ihn so lange Zeit, nachdem der Text er-
schienen, zu vollenden, war für den neuen Hg. eine schwierige Aufgabe;
konnte er sich doch der Erkenntnis nicht verschließen, daß jener schon
an vielen Stellen veraltet war. So wird auch wirklich der Text durch
die Anmerkungen oft nicht gestützt und erklärt, sondern angegriffen. Alles
in allem aber ist das unter diesen Umständen Mögliche geleistet: das
nun fertig vorliegende Buch ist ein sehr brauchbares, im wesentlichen
zuverlässiges Kompendium der Catullerklärung, das in Frankreich etwa
die Stelle einnehmen wird wie Rieses Ausgabe in Deutschland. Der
Vergleich mit Benoist fällt entschieden zu gunsten des neuen Hg. aus:
er überragt jenen an Schärfe der Interpretation, an Fähigkeit zwischen
"Wichtigem und Unwichtigem zu sondern, an gesundem Urteil. Durch
manche neue Beitiäge empfiehlt sich die Arbeit auch der Aufmerksamkeit
deutscher Forscher. Nachträge des Ref. Berl. Ph. W. 1891 Sp. 428. Nach
der von Benoist übernommenen — etwas unpraktischen — Einrichtung
wird jede Seite des Kommentars durch einen Strich in eine kritische
und eine exegetische Hälfte geteilt. Die 'Notes critiques' enthalten eine
neue von Thomas selbst angefertigte Kollation von G, durch die Schwabes
Angaben w'enigstens an einigen Stellen berichtigt resp. vervollständigt
werden. Man findet namentlich öfter interessante Einzelheiten über die
Variauten jüngeren Ursprungs, die Schwabe unter dem Zeichen g zu-
sammenfaßt. Unter den eigenen Konjekturen des Hg., die gewöhnlich
durch ein bescheidenes 'je prefererais' oder dergl. eingeführt werden,
ist nichts Annehmbares. Am Schlüsse stehen Epilegomena, durch welche
die Einleitung, die Benoist 1882 seinem Kommentar voranschickte, er-
gänzt und auf den heutigen Standpunkt der Wissenschaft gebracht
werden soll.
5. La chioma dl Berenice. Traduzione e coramento di Co-
stautino Nigra, col testo Latino di Catullo riscontrato sui codici.
Milano 1891, Hoepli. 179 S. 8.
Das vornehm ausgestattete Buch ist von einem hochgestellten
Staatsmann und treuen Verehrer Catulls verfaßt. Die Einleitung be-
spricht die für das Verständnis des CatuUischen Gedichtes nötigen hi-
storischen Daten, die Schicksale des liber Catullianus, seine Ausgaben
und Kommentare. Die Übersetzung, sowie die Exkurse über italienische
Übersetzungen (namentlich die Arbeit von Ugo Foscolo, Mailand 1803)
sind für ein grölieres gebildetes Publikum in Italien bestimmt. Für die
Wissenschaft kommen in betracht der an einigen Stellen selbständig ge-
staltete lateinische Text mit den von gründlichen Studien zeugenden
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXYII. (1898. II.) 13
194 Bericht üb. die Litteratur zu CatuU für die Jahre 1887—1896. (Magnus.)
annotazioni, der erste Exkurs (il messagiero alato di Arsinoe) uud die
Varianten zu c. 66 aus 24 italienischeu Handschriften, von denen manche
zuerst vom Herausgeber oder für ihn veiglichen worden waren. Diese
tragen (wie das bei der Geschichte des Catulltestes fast selbstverständlich
ist) zur Emendation nirgends bei, mögen aber für die Klassifikation der
'deteriores' von beschränktem Nutzen sein. Es befindet sich übrigens
unter ihnen auch der cod. Venetus (Markusbibliothek) No. 107, derselbe,
den Ellis proll. S. LIII als beachtenswert hervorgehoben, den K. P.
Schulze im Hermes 23, 567 besprochen und von dem Nigra selbst später
eine treffliche Nachbildung in Lichtdruck veranstaltet hat (vgl. unten
No. 14—15).
6. C. Valeri CatuUi Attin annotavit, illustravit, anglice
reddidit C. Grant Allen. London 1892. Nutt. XVI, 154 S. 8.
Auf den lateinischen Text, der sich fast durchweg an Ellis an-
schließt, folgt die englische Übersetzung. Von den 3 Exkursen, die den
größten Teil des Buches füllen, handelt der erste 'On the myth of
Attis'. Verf. giebt die Nachrichten über den Kult des Attis und betont,
daß dieser ursprünglich ein Baumgeist gewesen sei. Der zweite, um-
fangreichste Exkurs spricht 'On the oi'igin of tree-worship'. Hier ist
reiches Material über die betreffenden Sitten und Gebräuche bei alten
und modernen, bei civilisierten und wilden Völkern gesammelt. Der
Zusammenhang mit dem Attismythus ist natürlich nur lose. Verf. sucht
die Lehren vom Seelenkult und vom Baumkult in Einklang uud Zu-
'iammenhang zu bringen, indem dieser aus jenem abgeleitet wird. Nach-
träge dazu s. bei Cr(usius), Lit. Cb. 1893 Sp. 984. Im dritten Kapitel
wird das galliambische Metrum besprochen.
7. Catulli Veronensis liber. ilecensuit Aemilius Baeh-
rens. Nova Editio a K. P. Schulze curata. Leipzig 1893, B. G.
Tenbner. LXXVI u. 123 S. 8.
Bährens würde dieses Buch nicht als sein Eigentum anerkennen:
beide Auflagen haben so gut wie nichts gemeinsam. Damit wird noch
kein Tadel über die zweite ausgesprochen, sind doch die großen Mängel
und Schwächen der ersten nicht wegzuleugnen. Aber zu betonen ist,
daß, wer Bährens' Catullarbeiten kennen lernen will, mit diesem Buche
nichts anfangen kann. Dazu kommt ein anderes Bedenken. Trotz des
radikalen Charakters der Umarbeitung sind daneben manche Reste der
Bährensschen Fassung ganz unvermittelt stehen geblieben. Wer also
den "Wunsch hegt, zu wissen, wer eigentlich redet, der erste oder der
zweite Hg , kann ebenfalls die erste Auflage nicht entbehren. In den
Prolegomenis ist die Beschreibung von G und 0 eingehender und
Bericht üb. die Litteratur zu Catull für die Jahre 1887—1896. (Magnus.) 195
treffender als bei Bährens. Auch in den ausscliließlich von dem neuen
Hg herrührenden Einschaltungen größeren Umfanges von p. XXVIII
an ist manches Dankenswerte. Er weicht von Bährens namentlich in
folgenden Punkten ab. Während dieser meinte, dal.l von dem alten
Veronensis nur 2 direkte Abschriften, G und 0, genommen worden, und
daß aus G alle jüngeren Hss des XV. Jahrh. geflossen seien, wird jetzt
die Ansicht verfochten, V sei öfter abgeschrieben worden (nach p. XXXII
und XXXXVI mindestens viermal), aus diesen uns verloreneu Kopien
seien die z geflossen und demnach trotz ihrer Interpolationen für die
Rezension des Textes nicht zu entbehren. Dem ist trotz der scharfen
Polemik von Housman Class. Rev. VIII 1894 S. 254 im ganzen zuzu-
stimmen. Wenn aber dem cod. Venetus (M; vgl. No. 14—15) unter
den 'z eine selbständige, ja führende Stellung eingeräumt wird, so be-
ruht das auf Selbsttäuschung, denn die p. LI aufgezählten guten Les-
arten, die er angeblich bietet, sind (näheres im 2. Teile) entweder in
der Hs gar nicht zu finden oder rühren von späterer Hand her oder
sind Gemeingut der -r. In der Gestaltung des Textes ist das Bestreben
erkennbar, die Autorität der Hss zu Ehren zu bringen. Leider ist
dieses an sich gute Prinzip oft schlecht angewendet und hat vielfach
zn Rückschritten geführt (so 66, 15 das mit odio unvereinbare atque,
so 64, 28 das nicht einmal handschriftlich gut beglaubigte Neptunine;
richtig wahrscheinlich 6, 8 Assyi'io nach asirio G 0 und 77, 4 mi misero
nach z)- — Auch in der Adn. crit. ist es nicht gelungen, Altes und
Neues zu verschmelzen. Manche Noten (wie die zu 64, 386 u. a.)
sind infolgedessen sehr unglücklich gefaßt. Noch mehr als in den Pro-
legomenis führt es zu Inkonvenienzen, daß es oft nicht möglich ist, zii
unterscheiden, was jedem der beiden Herausgeber angehört. Aus ed. I
übernimmt die Adn. das Zeichen V mit der Erklärung 'V = codex
Veronensis id est consensus librorum G et 0\ Das bezeichnet aller-
dings den Standpunkt von Bährens, aber nicht den des zweiten Hg.
und steht mit vielen Stellen der umgearbeiteten Prolegomena in unlös-
barem Widerspruche; nach ihnen ist uns ja oft die echte La. von V
nicht durch den 'Consensus librorum G et 0\ sondern durch die z er-
halten. Nicht zu rechtfertigen ist ferner die häufige Zusammenstellung
VM. M ist wie alle anderen codd. ans V geflossen, und alle seine
echten Lesarten gehen zuletzt auf V zurück. Die Zufügung von M zu
V ist also sinnlos. Wollte man aber — freilich durchaus gegen die
sonstige Praxis des Hg. — das Zeichen V nur auf den Consensus von
G 0, nicht auf den Veronensis beziehen, so würde die Verwirrung eher
noch größer: es fehlte dann ganz und gar ein Zeichen für die Ein-
stimmigkeit der Überlieferung, und die '- blieben an den meisten Stellen
unberücksichtigt. Die Konjekturen von Bährens sind in dieser Aus-
13*
106 Bericht üb. die Litteratui- zu Catull für die Jahre 1887—1896. (Magnus.)
gäbe, die doch seiueu Nameu trägt, nicht nur aus dem Texte — was
zu billigen wäre — sondern mit wenigen, nicht einmal glücklichen,
Ausnahmen auch aus der Adn. verschwunden. Von sonstigen Emendations-
versucheu wird (wie in ed. I) eine Auswahl gegeben, in der ein Prinzip
nicht erkennbar ist. Der handschriftliche Apparat von Bährens ist sowohl
berichtigt wie erweitert. Die Lesarten von G sind berichtigt nach den
Revisionen von Schwabe, Benoist, Bonnet, Thomas, die von 0 auf grund
eigener Nachprüfung. Ausgewählte Lesarten des Datanus und des Lau-
rentianus (in Berlin) werden nach eigener Kollation gegeben. Ebenso
alle Varianten des cod. Venetus (LXXX cl. XII) == M. Leider ist
dieser Teil der Ausgabe ganz verfehlt. Sehr viele Angaben, und gerade
über wichtige Lesarten, sind falsch. Die Kollation verschweigt ferner
die wichtige Thatsache, daß die weitaus meisten der 155 Doppellesarten
zwischen den Zeilen oder am Eande, die prolegg. p. LIII f. verzeichnet
und besprochen sind, nicht vom Schreiber des Kodex, sondern von
späterer Hand herrühren. Die zu 77, 4 verzeichnete Doppellesart mi
(für si) ist in der Hs überhaupt nicht vorhanden. Endlich erhält der
Lernende auch dadurch ein unrichtiges Bild vom Stande der Überliefe-
rung, daß bei guten Lesarten oft sowohl in der Adn. wie in den Pro-
legomenis M als einziger Zeuge genannt wird, während sie das Gemein-
gut aller oder fast aller r, also die Vulg. des 15. Jahrh. sind.
8. Catullus. With the Pervigilium Veneris. Edited by S. Gr.
Owen. Illustrated by J. ß. Weguelin. London 1893, Lawrence
and BuUen. XIV, 211 S. kl. 4.
Eine Prachtausgabe für Bücherliebhaber, höchst splendid auf
schwerem Büttenpapier gedruckt und mit 7 feinen Bildern geschmückt.
Die 'Preface' handelt summarisch von CatuUs Leben und Werken, von
den wichtigsten Textesquellen, von den benutzten Hülfsraittelu. Speziell
für den Catullforscher bestimmt, sind die von gründlichen Studien zeu-
genden 'Notes", welche den Schluß bilden. Owen hat, um seinen offen-
bar nicht ausschließlich für Philologen bestimmten Text möglichst les-
bar zu machen, viel Konjekturen aufgenommen, sowohl fremde (z. B.
von EUis, Postgate, Schmidt, Palmer u. a.) wie eigene, darunter auch
solche, die wohl nicht beanspruchen als möglich zu gelten.
9. Catullus edited by E. T. Merrill. Boston u. London 1893,
Ginn. L, 273 S. 8.
Die Ausgabe bildet einen Band der neuen amerikanischen 'College
Series of Latin authors by C. Lawrence and T. Peck\ Sie zeugt von
gründlichen Studien und selbständigem Urteil, weiß die Ergebnisse der
neuesten Forschung in angemessener Form zu verwerten und darf zur
Bericlit üb. die Litteratur zu Catull für die Jahre 1887— 1:S96. (Magnus.) 197
Einführung in das Studium des Dichters auch deutscheu Leseru
empfohlen werden. Auf die Einleitung, welche alles Nötige verstündig
und in ausprecheuder Form giebt, folgt der Text mit untergesetzten,
erklärenden Anmerkungen, dahinter ein kritischer Anhang. Die Text-
gestaltung ist konservativ; im Interesse der Lesbarkeit konnten plau-
sible Konjekturen vielleicht öfter in den Text gesetzt werden. Eigene
VermutUDgen hat derHg. nicht aufgenommen, auch zum ersten Male rezipierte
handschriftliche Lesarten sind dem Ref. nicht aufgestoßen. Der Anhang
enthält die vollständigen Varianten von G und 0. Von 0 bietet er eine
eigene, im J. 1889 geraachte und mit den Angaben von Ellis und
Schwabe verglichene Kollation, die nicht ohne Ausbeute gewesen ist
(S. Berl. Ph. W. 1894 Sp. 1289). Auch dieser Anhang macht den
Eindruck sorgfältiger Arbeit.
10. CatuUi Veronensis liber ed. by A. Palmer. London
1896, Macmülan. LV, 97 S. 8.
Palmers Catull füllt einen der ersten Bände von 'The Parnassus
Library of Greek and Latin Texts', einer neuen Sammlung von Aus-
gaben griechischer und lateinischer Klassiker, die außer den Texten
litterarhistorisch-kritische Einleitungen, doch keinen eigentlich gelehrten
Apparat bringen soll. Die 'Introduction' bietet das Wichtigste über des
Dichters Leben, AVerke, Metra und die Überlieferung des Textes. Die
kritischen Noten, welche den Schluß bilden, genügen nicht immer, um
den Leser an unsicheren Stellen über die im Texte stehende La. zu
orientieren. Dieser selbst zeigt überall die aus früheren Arbeiten be-
kannte Eigenart des Hg. : die Überlieferung wird sehr oft geändert.
Zunächst durch Aufnahme von älteren, sonst verschmähten Konjekturen,
viel häufiger durch Einsetzung eigener Vermutungen. Die grolle Mehr-
zahl (etwa vierzig) steht im Texte, andere, durch ein 'perhaps' oder
dergl. eingeführt, sind in der Einleitung untergebracht. Nur sehr
wenige von diesen flüchtigen Einfällen sind überhaupt möglich, wahr-
scheinlich oder gar sicher ist keine einzige.
Von den zahlreichen, für den Schulgebrauch bestimmten Antho-
logien seien hier zwei genannt, die ersichtlich bemüht sind, mit der
Wissenschaft in Zusammenhang zu bleiben:
11. Römische Elegiker. Eine Auswahl aus Catull, Tibull,
Properz und Ovid, für den Schulgebrauch bearbeitet von K. P.
Schulze. Dritte Auflage. Berlin 1890, Weidmann. XII u. 288 S.
12. Anthologie aus den Elegikern der Römer. Für den
Schulgebrauch erklärt von K. Jacoby. In vier Heften. Catull,
Tibull, Properz, Ovid. Zweite verbesserte Auflage. Leipzig 1893/96,
Teubner.
198 Bericht üb. die Litteratur zu Catull für die Jahre 1887—1896. (Magnus.)
Beide Bücher gehen in der Auswahl der Texte und der Einrich-
tnug des Kommentares weit über das unmittelbare Bedürfnis der Schule
hinaus. Beide geben einen litterarischen Anhang, der fleißig und sorg-
fältig gearbeitet (wenn auch von Mängeln und Versehen im einzelnen
nicht frei), die benutzten Hülfsmittel verzeichnet und Lesern, die ihre
Studien vertiefen wollen, nachweist, wo sie Belehrung und Rat finden
können. Vgl. J.-Ber. 1887 II 276—278.
13. Catulle. Manuscrit de St.-Germain - des - Pres.
(Bibliotheque Nationale No. 14 137.) Precede d'une etude de M.
£mile Chatelain, Photolithographie de Mm. Luraiere. Paris 1890,
Ernest Leroux. VII p. u. 36 Blätter, gr. 8.
Im Vorwort spricht Chatelain bündig über das Alter der Hs
('le plus aucien manuscrit de Catulle que nous ayons' p. I), das Epi-
gramm des Beneveuuto Campesani, die Schriftart ihrer Vorlage (nach
p. III wahrscheinlich 'cursive romaine'), ihre Geschichte, ihren "Wert
und ihr Verhältnis zu 0 ('c'est en vain que R. Ellis et surtout Baeh-
rens ont voulu detroner en quelque sorte le Germaue nsis par la
decouverte, fort importante d'ailleurs du manuscrit d'Oxford' p. VI).
Die Nachbildung der Hs ist vorzüglich. Sie lehrt insbesondere, dal'.
die Unterscheidung zwischen der ersten Hand und den späteren Kor-
rekturen sehr schwierig, mitunter unmöglich ist; selbst Schwabe in der
Ausgabe von 1886, der auf diesen Punkt große Sorgfalt verwendet hat,
ist sie entschieden nicht immer gelungen.
14. K.P.Schulze, Der Kodex M des Catull. Hermes XXIII
(1888). S. 567—591.
15, Liber Catulli Bibliothecae Marcianae Venetiarum
heliotypica arte triginta exemplis numero signatis exprimendum curavit
Constantinus Nigra. Venedig 1893. 4.
Beide Publikationen behandeln den cod. Lat. LXXX class. XII
der Marciana in Venedig. Dieselbe Hs ist dann in den kritischen
Apparat der zweiten Auflage von Bährens' Catullausgabe aufgenommen
und wird in ihren Prolegomenis besprochen. In der zuerst genannten
Abh. wird der Nachweis versucht, daß M unter den Hss, die auf V
zurückgehen, eine selbständige Stellung einnehme und namentlich wegen
seiner vielen Doppellesarten Beachtung verdiene, daß er viele Spuren
alter Orthographie zeige, daß er vielfach die ursprüngliche Lesart ge-
treuer überliefert habe als die anderen Hss. Aber dieser Beweis ist
nicht erbracht, wie sich jetzt mit Hülfe des Faksimile der Hs (No. 15),
das wir dem Grafen Nigra verdanken, feststellen läßt. Die Abh. ent-
hält nämlich in ihren Angaben viele Irrtümer und Ungeuauigkeiten, die
Bericht üb. die Litteratur zu CatuU für die Jahre 18S7— ISOfi. (Magnus.) 1 99
80 erheblich sind, daß sie zu unrichtigen Endergebnissen führen.
Manche der bezeichneten Mängel sind inzwischen im Apparate von
Bähreus- verbessert, aber gerade die schwersten (wie 84, 2 hiiisidias)
nicht. Vor allem erfährt man nicht, daß die angeblich so wichtigen
Doppellesarten zum weitaus größten Teile nicht vom Schreiber des Kodex
herrühren, sondern von späterer Hand mit blasserer Tinte geschrieben
sind, also für den "Wert der Hs und ihrer Vorlage nicht das geringste
beweisen. Nur bei denjenigen Doppellesarten also, die sich auch in G-
und 0 finden, kann man mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen, daß
sie schon im alten Veronensls standen (und eben diese können durch
Vermittelung von G oder 0 in M eingedrungen sein). Die übrigen sind
als Varianten zu betrachten, die sich ein Besitzer resp. Leser des Kod.
als Korrekturen oder plausibel scheinende Lesarten zwischen den Zeilen
oder am Eaude mit einem al eintrug. Und zwar sind es wahrscheinlich
Leseversuche oder Konjekturen eben dieses Lesers, wenn es sich um
Variauten handelt, die sonst nirgends vorkommen; sonst um Les-
arten, die er aus einer oder verschiedenen anderen Hss entnahm. Ob
sie falsch oder richtig, echt oder interpoliert sind, muß mit inneren
Gründen von Fall zu Fall entschieden werden. — Auch die S. 586
aufgezählten Spuren alter Orthographie beweisen nicht, was sie beweisen
sollen. Denn es handelt sich fast überall um Lesarten, die auch durch
G und 0 oder durch die -- bezeugt sind, oder um Varianten zweiter
Hand oder um Irrtümer der Kollation (so ist z. B. Neptünus in 31, 3
nicht durch Neptumuus, sondern durch die so häufige fehlerhafte
und auch hier aus D bezeugte Gemination Neptunuus aufzulösen).
Schwerlich ist unter diesen Umständen in einem ganz vereinzelten
largeis 66, 92 und turgidoli 3, 18 (dies kann auch durch schol.
z. Juv. 6, 8 beeinflußt sein) mehr zu sehen als ein Zufall. Ebensowenig
ist die auf S. 588 f. gegebene Übersicht von Lesarten, die M, abweichend
von G und 0, eigentümlich sind, beweiskräftig für den Wert und ein
von G 0 unabhängiges Zurückgehen dieser Hs auf Y. Die mitgeteilten
Varianten sind eben nicht singulär, sondern meist Gemeingut der c; und
doch hätte methodisch vom singulären ausgegangen werden müssen.
Auch vermißt man gänzlich Eingehen auf die Frage, in welchen von
diesen Lesarten, soweit sie richtig sind, mehr zu suchen sei als Emen-
dationen der Itali. — Über Nigras dankenswertes Unternehmen s. auch
den Ref. in WS. f. kl. Phil. 1893 Sp. 1172—1175.
16. Catulls Buch der Lieder in deutscher Nachbildung von
Theodor Heyse. Zweite völlig umgearbeitete Auflage aus des Ver-
fassers Nachlasse herausgegeben von August Herzog. Berlin 1889,
Hertz. XVIT u. 163 S. 8.
200 Beriebt üb. die Litteratur zu Catull für die Jahre 1887—1896. (Magnus.)
Die Sorge um seinen Liebling Catull hat Th. Heyse fast sein
ganzes Leben hindurch begleitet. Seit dem ersten Erscheinen der wahr-
haft klassischen Nachbildung im J. 1855 hat er unaufhörlich an ihr
'retouchiert, gepinselt und getüpfelt', um — nach seinem eigenen Aus-
drucke — wenigstens in der Mehrzahl der Gedichte ein non plus ultra
der Vollendung in Ausdruck, Klang und Bewegung zu erreichen. Kurz
vor seinem Tode hat er dann das gesamte Material (verschiedene Hand-
exemplare mit eingetragenen Verbesserungen des Textes wie der Über-
setzung) dem Hg. anvertraut, ohne jedoch über seine Verwertung ge-
naueres zu bestimmen. Die neue Auflage wird mit Recht als 'völlig
umgearbeitet' bezeichnet. Nur in sehr wenigen Gedichten geringen Um-
faages erscheint die Übersetzung ganz unverändert. Und fast überall
sind Veränderungen hier gleichbedeutend mit Verbesserungen. TJn-
deutsche, veraltete, gekünstelte, bis an die Grenze des Kindischen
tändelnde Ausdrücke, harte und mitunter fast unverständliche Konstruk-
tionen sind entfernt und durch gangbare Münze ersetzt; manches voll-
ständig neu übertragen (z. B. c. 2. 116). Daß der lat. Text jetzt fehlt,
ist nicht zu bedauern. So meisterhaft die Heysesche Übersetzung ist,
so schlecht war in der 1. Auflage der Text und er würde durch Ein-
setzung der im Anhange vom Hg. mitgeteilten neuen Vermutungen
Heyses nicht besser werden. Abgesehen davon ist übrigens die Fassung
der Noten in diesem Anhange nicht glücklich; sie entsprechen weder
des Anfängers noch des Kenners Bedürfnissen.
17. Catull, Properz und Tibull, übersetzt von Theodor Vul-
pinus. Berlin und Stuttgart, Spemann. Band 132 der Kollektion
Spemann. (Ohne Jahreszahl.)
Die einzige Catullübersetzung, die sich neben Hej'se sehen lassen
kann, an Kraft und Tiefe bisweilen zurückbleibend, den flotten, keck-
frischen Ton mancher Gedichte bisweilen noch besser treffend. Hinter
dem Pseudonym des Titels verbirgt sich anscheinend ein nichtphilolo-
gischer, feinsinniger Freund des Altertums in hoher Stellung;*) von
*) Die für den Ton des Ganzen sehr bezeichnende Widmang des
Büchleins an A. Schricker mag hier eine Stelle finden:
Bin nicht untergetaucht; noch schwimm' ich munter im Strome;
Aber ein künstlicher Bart rahmt mir das würdige Haupt.
Siehst du das Staatsschiff nicht? Ich diene darinnen und steige
Heimlich die Treppe hinab, mich za erfrischen im Bad.
Sähen die Herreu an Bord in den Fluten den nackten Poeten,
Zögen die Treppe sie auf, zögen den Sold sie mir ein!
So doch ahnen sie nicht, daß unter den lustigen Schwimmern
Ohne den Stempel des Amts einer der Ihren sich birgt.
Komm nur näher heran; du wirst mich finden und lachen; —
Aber behutsam, Freund, daß uns der Prätor nicht hört!
Bericht üb. die Litteraturzu Catull für die Jahre ISST— 1S9G. (Magnus.) 201
einem gewissen Dilettantismus spricht ja auch das Verzeichnis der be-
nutzten Ausgaben (Tibull nach Fabricius!) und Hülfsmittel. Als Be-
standteil der 'Kollektion Spemann' wendet sich die neue Übersetzung
au die 'humanistisch Gebildeten im weiteren und weitesten Sinn dieses
Wortes' ; ihnen sei sie denn auch warm empfohlen. Von den 116 Nummern
des Catullischen über sind nahe au 80 übersetzt. Die Auswahl ist takt-
voll getroffen und läßt kaum etwas Wertvolles oder Charakteristisches
vermissen. Die Versmaße der Originale sind beibehalten, die überlieferte
Reihenfolge dagegen aufgegeben; man findet alles in folgende Rubriken
eingeordnet: I. Römische Dichtertage. Der ausgelassene junge Dichter
im frühlichen Freundeskreise der Hauptstadt. II. Lesbia. III. In
Verona und Asien. IV. Römische Schmerzenstage (die Gedichte des
durch Lesbias Treulosigkeit und Schande gebrochenen und durch die
Fäulnis der Republik verbitterten Catullus).
18. Catulls Gedichte in neuen Übersetzungen von Franz
Frese. Salzwedel 1891, Klingenstein. 66 S. 8.
Die Metra des Originals sind meist beibehalten; nur statt der
Choliamben (mit einer Ausnahme in c. 44), Priapeen, Asklepiadeen er-
scheinen freigewählte Versmaße. Die im Vorwort geäußerte Hoffnung,
daß 'diese Nachbildungen sich ganz wie deutsche Poesien lesen lassen',
ist nicht in Erfüllung gegangen. Der Versbau ist sehr holprig, insbe-
sondere die Zahl der falschen Betonungen Legion. Namentlich Hexameter
und Distichen sind oft schmerzlich verunglückt. Der deutsche Ausdruck
ist in den scherzenden oder derben Gedichten mitunter ganz gelungen
und treffend (di magni! salaputium disertum ^ Große Götter, was kann
das Kerlchen reden!), aber überall, wo das Original erhabene Diktion
verlangt, sinkt die Übersetzung zur platten Prosa herab.
19. G. Lafaye, Catulle et ses modeles. Ouvrage couronne
par TAcademie des inscriptions et belles-letfres. Paris 1894, Hachette.
XI, 256 S. 8.
Das an feinen Bemerkungen reiche Buch ist nicht eine Sammlung
von imitationes im engsten Sinne d. h. von einzelnen entlehnten Ge-
danken und Phrasen (wo dergleichen gewissermaßen als Proben einge-
streut ist, wird nur mit bekanntem Materiale operiert), sondern behandelt
den Stoff von höherem Gesichtspunkte aus in großen Zügen geistvoll
und fesselnd. In der jambischen Poesie war Catulls Vorbild vornehm-
lich Archilochus; ihm stand er näher als irgend ein anderer Lateiner.
In den Choliamben ward er durch Kallimachus zu Hipponax geführt;
nur c. 8 und 31 haben einen anderen Charakter und zeigen die alexan-
drinische Schule. In der melischeu Poesie steht Sappho voran; abge-
202 Bericht üb. die Litteratur zu Catull für die Jahre 1887 — ISOß. (Magaus.)
sehen von c. 63, das auf alexaudrinische Muster (wahrscheiulich auf
Callimachus) zurückgeht. Die Heudekasyllaben (hübsch charakterisiert
'po6sie de genre ou de circonstance') sind durch und durch griechisch
(daß der römischen gravitas die leichte Hendekasyllabenpoesie für an-
stößig galt, wird aus Plin. epist. IV 14, V 3, VII 4 erwiesen). Catulls
unmittelbare Vorbilder kennen wir nicht; doch hat er mehrfache Be-
rührungspunkte mit Dichtern der Anthologie, namentlich mit Meleager.
Im Epos (c. 64), in der Elegie (c. 68) ist er unverkennbar durch die
Alexandriner beeinflußt. Ebenso im Epigramm (namentlich ihre litte-
rarische Satire, die uns durch den Streit zwischen Callimachus und
Apollonius bekannt ist, lebt in dem berühmten c. 84 fort).
20. A. B. Drachmann, Catulls Dichtung beleuchtet im
Verhältnis zu der früheren griechischen und römischen
Litteratur. Kopenhagen 1887. 124 S. 8. (Dänisch.)
Die wertvolle Arbeit würde mehr Beachtung gefunden haben,
wenn Verf. sich der lateinischen Sprache bedient hätte. — Im ersten
Kapitel, 'Über Catulls Metrik', werden die Metra namentlich von dem
Gesichtspunkte aus behandelt, ob sie bei früheren griechischen oder rö-
mischen Dichtern sich finden und w^elche Veränderungen Catull sich ge-
stattet hat. Rieses Zusammenstellungen (Ausg. p. XXXVIII f.) werden
in wenigen Punkten vervollständigt und berichtigt. — Auch das zweite
Kapitel, 'Grammatische und lexikalische Bemerkungen', geht
nicht wesentlich über Rieses Sammlungen (Ausg. p. XXIV — XXX)
hinaus. Doch hat Verf. selbständig (freilich auf grund unzureichenden
Materials: von Catull sind nur 279 Verse des c. 64 herangezogen) das
Verhältnis von Periode und VersschlulJ untersucht, mit Lucrez, Vergil
und Apollonius verglichen und das Resultat auf S. 34 in Tabellenform
gebracht. Hervorgehoben sei daraus, daß Catull auffällig oft Sätze
gleichmäßig über 2 oder mehr Verse verteilt (Catull ca. 13 Prozent,
Lucrez ca. 4, Vergil ca. 1, Apollonius ca. 2). Lassen sich aber wirk-
lich die Fälle, wo am Versschlusse ein Punkt und die, wo ein Semikolon
steht, so scharf trennen wie das in der Tabelle geschieht? — Im dritten
Kapitel, 'Über Catulls Dichtungsarten', werden verschiedene inter-
essante Probleme gestreift. Das ältere römische Epos hatte zwei Rich-
tungen: eine mythologische mit genauem Anschluß an griechische Vor-
bilder und eine freiere, national-römische. Catull folgte der ersten und
bekämpfte die zweite; ein nationales Epos war eben das Annalenwerk
des VoJusius (c. 36. 95). Daß vor Catull eigentliche Elegien in Rom
nicht gedichtet worden, steht fest (anders liegt die Sache bei Epi-
grammen), dagegen bleibt fragUch, ob auch andere Zeitgenossen (cantores
Euphorionisj sich auf diesem Gebiete versucht haben. Doch hat nach
Bericht üb. die Litteratur zu Cätull für die Jahre ISST— 1.S96. (Magnus.) 203
Prop. ni 34, 89 — 90 Calvus den Tod seiner geliebten Gattin in Ele-
gien besungen. Catulls elegische Dichtungen tragen alle den Stempel
des Anfängertums. Die Untersuchungen über c. 67 hat Verf. später an
anderer Stelle wiederholt (s. im 2. Teile zu c. 67). Daß eine spätere Zeit
CatuU nicht unter die Meister der Elegie rechnete, ist wohl begründet.
Seine Epigramme sind, obwohl Einfluß griechischer Vorbilder nicht zu
bestreiten ist (coli. c. 70 mit Kallim. epigr. XXV), Fortsetzung einer
früheren römischen Dichtungsart der erotischen Dilettantenpoesie (Va-
lerius Aedituus u. s. \v.). Seine kleinen Dichtungen in lyrischen Vers-
maßen gehören inhaltlich ebendahin, der Form nach waren sie in Rom
neu und sind aus alexandrinischem Einflüsse hervorgegangen. Das Hoch-
zeitslied c. 61 sei als rein litterarisches Produkt anzusehen und die
darin geschilderte Situation als fingiert: das beweise der gräzisierende
Ton im Anfange, der Mangel an Sonderung zwischen den Partien des
Chores und des Chorführers und die Fescenninenscherze ; dieser alte
Brauch bei italischen Bauernhochzeiten sei schwerlich zu Catulls Zeit
in Rom noch üblich gewesen. Doch übersieht hier Verf., daß die
Vv. 126 f. keineswegs eine Wiedergabe jener bäurisch-rohen Zoten ent-
halten, sondern nur graziös darauf anspielen. — Cap. IV, 'Catull als
Übersetzer', beschäftigt sich zunächst mit c. 62, 'wahrscheinlich dem
ersten lateinischen, lyrischen Gedichte in daktjiiscben Hexametern'
Übersetzung aus dem Griechischen anzunehmen (idealer Charakter, keine
anschauliche Situation, Mangel an national-römischem Gepräge im Gegen-
satze zu c. 61). Ein eigentlicher Beweis für die Autorschaft der Sappho
sei nicht erbracht. Ged. 63 ist die Übersetzung eines alexandrinischen
Originals (vereinzelte Züge entlegener Gelehrsamkeit wie die Pasithea
in V. 47, rein griechische Vorstellungen; einzig dastehende Form der
Sage, die ein römischer Dichter nicht gut auf eigene Hand erfunden
haben kann; Mangel an jeder erklärenden Einleitung), vielleicht — wie
Wüamowitz wollte — des Kallimachus. Eingehend wird über c. 51, der
einzig sicheren Übersetzung aus Sappho, gesprochen. Longins' Text
(~£pi utj^ouj c. 10) beginnt mit irav, das vorhergehende alXoL ist Ditto-
graphie. Die vierte Strophe der Sappho konnte Catull einfach darum
nicht übersetzen, weil sie speziell den Zustand einer Frau schildert
(vgl. dazu auch Baehrens, Comm. p. 260). Jene vierte von ihm selb-
ständig zugefügte Strophe, die viele ganz und gar streichen oder doch
durch Annahme einer Lücke von den 3 ersten trennen wollten, ist psy-
chologisch wohl begründet. Die ersten Strophen sind (bei Catull ist
diese Thatsache nur durch die Anrede an Lesbia etwas verdunkelt)
keineswegs der Ausdruck von Liebesverlangen oder gar Seligkeit,
sondern sie malen einen 'pathologischen Zustand', eine Krankheit (daß
ein anderer der Begünstigte, par deo, ist, bringt ihn um seinen Ver-
204 Bericht üb. die Litteratur zu Catull für die Jahre 1887 — 1896. (Magnus.)
stand). Der sich selbst beobachtende und nach dem Grunde seines
Fieberzustandes fragende Dichter antwortet ganz natürlich (coli. Ov.
rem. am. 139 f.): Otium tibi molestumst sq. Während Catull hier die
Sappho übersetzte, weil er bei der geistesverwandten Dichterin in glän-
zender Weise die Gefühle ausgedrückt fand, die ihn bewegten, wollte
er mit der Übersetzung aus Kallimachus (c. 66) nur beweisen, daß er
die alexaudrinische Technik beherrsche; der Stoff konnte für ihn und
seine Leser weder allgemein menschliches noch speziell historisches Inter-
esse haben. —
Cap. V, 'Catull als Nachahmer', wird größtenteils ausgefüllt
durch Untersuchungen über c. 64 und 68. Namentlich jene sind inter-
essant und verdienen die Beachtung der Erklärer. Nach Haupt Opusc. IE
67 f. ist c. 64 anzusehen als selbständiges Werk Catulls in alexandri-
nischer Mauier mit vielen Reminiszenzen aus der Lektüre griechischer
Dichter (weiter ausgeführt von K. P. Schulze, N. Jahrbb. 1882, 205—
214, s. J.-Ber. II 1887 S. 265). Dagegen hatte A. Riese im Rh. Mus.
1866, 468 f. den Nachweis versucht, daß es eine Übersetzung aus
Kallimachus sei (später zurückgenommen, s. Rieses Ausg. S. 154).
Diese Hypothese nimmt Drachmann mit der Einschränkung wieder auf,
Riese habe nur in der Annahme, daß ein Kallimacheisches Gedicht das
Original sei, geirrt. Seine Hauptergebnisse sind folgende: Gedicht 64
ist eine Kontamination von 2 alexandriuischen Epyllien, von denen das
eine die Hochzeit des Peleus und der Tlietis, das andere die Sage von
Theseus und Ariadne behandelte. Dadurch erklärt sich die einzig da-
stehende (auch in den uns erhaltenen Trümmern der alexandriuischen
Poesie findet sich nichts Ahnliches) Komposition des Gedichtes: um die
beiden Stoffe verbinden zu können, erfand der Dichter das Motiv von
der vestis priscis hominum variata figuris, auf der die Ariadnesage ein-
gewebt war. Diese Episode ist vielleicht Übersetzung von Euphorions
Epos Jitovusoc (Meineke, Anal. AI. p. 21. 45). Dafür sprechen auch die
mehrfachen Übereinstimmungen Catulls mit Nonnos, der nachw'eislich den
Euphorien benutzte (Xonn. Dion. 47, 269 f. = Cat. 64, 56. Nonn. 47, 388 f.
= 64, 160 f. u. a.). Wer wirklich — D. zweifelt an der Evidenz —
64, 30 für Übersetzung von Euphorion frg. 158 M. 'Öxeav6s, ztp Tiasa
-£ptppu-o; ivoEÖsTat ypM'/ hält, kann annehmen, daß beide kontaminierte
Epen von Euphorion herrührten. Bei einem lateinischen Dichter, der
ein selbständiges Originalwerk schuf, wären willkürliche Änderungen
an der Überlieferung, also selbständige Neugestaltungen der Mythen, ganz
unwahrscheinlich (Z.B.Datierung der Hochzeit nach dem Argouauteu-
zuge, Ägeus Tod als Strafe von Theseus Treulosigkeit, das Erscheinen
des Prometheus, das Ausbleiben von Apollo und Diana, das Parzenlied,
die Rhamnusia virgo als Kriegsgöttin). Die angeblichen Acklänge an
Bericht üb. die Litteratur zu Catull für die Jahre 1887—1896. (Magaus .) 205
Homer, Hesiod, Sophokles, Euripides, Kallimachus, Theokrit, Apollonius
Rhodius beweisen alle nichts : sie beziehen sich auf Stelleu, die in ganz
anderem Zusammenhanj^e stehen und nur eine entfernte Ähnlichkeit
zeigen; sie können sehr wohl aus dem von Cat. übersetzten Originale
stammen, so daß also nur ein indirekter Zusammenhang mit Catull be-
stände. Für manche dieser Stellen ist das dem Verf. einzuräumen: Ob
z. B. der dichterische Gemeinplatz v. 204 f. direkt aus II. 1, 528 ent-
nommen ist, bleibt gewiß fraglich. Aber daß Euphorion oder ein
anderer Alexandriner in einem Gedichte sollte Kallimachus, Theokrit,
Apollonius geplündert haben, ist ganz unglaublich. Überhaupt verliert
die blendende Hj^pothese bei näherem Zusehen sehr an Wahrscheinlich-
keit. Der Schluß von 397 an soll wegen des echten Gepräges von In-
dignation über die Entartung des Zeitalters und des angeblich be-
stimmten Hinweises auf eine Schandthat Catilinas in v. 401 selbständige
Arbeit CatuUs sein. Hält man damit zusammen, daß D. selbst eine
eigentliche Übersetzung, etwa wie die Coraa Berenices, nicht anzunehmen
wagt (nach S. 88 hielt sich Cat. zwar größtenteils eng an sein Original,
kann sich aber sehr wohl Freiheiten im einzelnen, in der Anordnung
des Stoffes, den Übergängen u. s. w. genommen haben), so ist ersicht-
lich, daß die Hypothese sich von der rezipierten Annahme, c. 64 sei
eine gelehrte Studie nach alexandrinischera Muster, doch keine Über-
setzung, nicht so sehr weit entfernt. Mit dieser Annahme ist denn
auch das Auftreten entlegener und sonst unbekannter Mythen in c. 64
ganz wohl vereinbar: nicht der römische Dichter Catull hat griechische
Sagen willkürlich umgestaltet, sondern die verschiedenen griechischen
Originale, denen er hier und da folgte. Unberücksichtigt mag hier das
Verhältnis des c. 64 zu Lucrez bleiben, da es in der That doppelter
Deutung fähig ist. Aber nicht vereinbar sind mit Drachmanns Hypo-
these die von Eskuche (De Valerio Catone deque Diris et Lydia car-
minibus. Marburg 1889. S. 74) in c. 64 nachgewiesenen Anklänge an
Valerius Cato (z. B. 64, 90 = Dirae 21. 64, 14= Dirae 57. 64, 332
= Lydia 68). — Die Betrachtungen über c. 68 beziehen sich nur auf
das Mittelstück 41 — 148, das unter allen Umständen — man mag Uni-
tarier oder Chorizont sein — eine Einheit für sich bildet. Hier handelt
es sich unzweifelhaft um ein selbständiges Werk CatuUs (rein persön-
liche Verhältnisse des Dichters, speziell römische Züge); die Elegie darf
also einer Charakteristik seiner frei nachahmenden Kunst zu gründe
gelegt werden. Nach eingehender Analyse wird die Komposition als
einzig dastehend in der antiken Litteratur erklärt: 'das Ganze erinnert
an die chinesischen Schachteln, eine immer in der andern'. Das
Gleichnis v. 57 f. wird getadelt, weil es nicht etwa bloß über den
eigentlichen Vergleichspunkt hinaus fortgesetzt, sondern weil zuletzt
206 Bericht üb. die Litteratar zu CatuU für die Jahre 1887 — 1896. (Magnus .)
ein g-anz nenes, mit dem Vorherg:ehenden unvereinbares Moment einge-
führt wird. Auf die Frage, ob es nicht möglich sei, das Gleichnis zum
folgenden zu ziehen, geht D. leider nicht ein. Übereinstimmend mit
Baehrens coram. p. 512 wird als Catulls Quelle für die Laodamiasaee
nicht Homer II. II 700 f., sondern ein uns unbekanntes alexandriniscUes
Original ausgegeben — schwerlich überzeugend, denn Homers o6|xoc
fj[jLtTeXT^? findet man in Catulls domnm inceptam frustra wörtlich wieder,
und die bei Cat. folgenden Worte können sehr wohl Erläuterung jenes
ungewöhnlichen Ausdrucks und dichterische Ausmalung sein. — Be-
sprochen werden endlich noch c. 4 und 34. Von jenem heißt es vor-
sichtig: 'Es ist ein Dedikationsgedicht, gedacht als Inschrift auf dem
Bilde eines kleinen Fahrzeuges, das nach seiner letzten langen Reise
nun im Hafen liegt; das Bild ist aufgehängt im Dioskurentempel. Das
Gedicht ist ein Versuch in der Kunstart, von der wir die Beispiele
jetzt im 6. Buche der griechischen Anthologie besitzen.' Auf die Fragen,
ob es wirklich als Inschrift gedient hat, ob das Fahrzeug dem Dichter
oder einem anderen gehörte, wird nicht eingegangen. — Gegen die ge-
wöhnliche Ansicht, daß c. 34 ein öffentlich bestelltes Festgedicht sei,
bestimmt, durch einen Chor von Knaben und Mädchen wirklich ge-
sungen zu werden, wendet D. mit Recht ein : 1. Derartige Aufführungen
öffentlich bestellter Gesänge kommen in der republikanischen Zeit über-
haupt nur zweimal vor und werden als etwas ganz Ungewöhnliches
hervorgehoben. 2. Daß bei einer religiösen Festfeier damals freie
lyrische Produktionen in gräzisierender Form sollten gesungen sein, ist
eine Annahme, die mit allem, was wir von römischem Gottesdienste
wissen, streitet. 3. Wurde wirklich ein Hymnus zu einem Dianafeste
bestellt, so war Catull wohl der letzte Dichter, an den man sich wendete;
konnte ihn doch seine sonstige dichterische Thätigkeit (kleine Gelegen-
heitspoesie, Übersetzungen und Studien nach dem Griechischen) unmög-
lich als offiziellen Dolmetsch für die religiösen Gefühle seiner Mitbürger
empfehlen. Das Gedicht sei vielmehr ein Versuch, eine Studie in der
Hymnenpoesie, wie man sie aus der griechischen Lyrik kenne. Bemer-
kungen über c. 11, 70 und Verzeichnisse von Anklängen an griechische
Vorbilder beschließen diesen Abschnitt.
Die 'Allgemeinen Bemerkungen" in cap. VI besprechen vor-
nehmlich das Verhältnis Catulls und der jüngeren Dichterschule über-
haupt zu der älteren römischen Poesie. Es handelt sich hier um einen
Gegensatz zwischen dem überwiegenden Interesse für den Inhalt und
dem für die Form. Die ersten Entlehnungen aus der griechischen Poesie
(Tragödie, Komödie, Übersetzungen aus Ilias und Odyssee) gingen durch-
aus hervor aus dem Interesse für Stoff und Inhalt. Dem gegenüber
auffällige Geringschätzung der Form (Freiheit im Gebrauche des Spondeus
Bericht üb. die Litteratur zu Catull für die Jahre 1887—1896. (Magnus.) 207
nach Hör. a. p. 258 f., Mangel an Feile). Eigentümliche Stellung des
Eanius (bewußte Opposition gegen die ältere Richtung, der neuen Schale
ist er nicht griechisch genug). Die neue Schule erstrebte zunächst
größere Korrektheit in der Form, d. h. engeren Anschluß an griechische
Normen, vor allem in der Metrik. Ein ganz neues Gepräg-e ward ihr
aber durch den alexandrinischen Einfluß aufgedrückt. Wie ist das merk-
würdige Phänomen zu erklären, daß eine dem Leben so fern stehende
und mindestens eben so sehr auf dem philologischen wie dem poetischen
Interesse ihrer Leser beruhende Litteratur in dem praktischen Rom
Wurzel schlagen konnte? 1. Durch die Zersetzung in den sozialen Ver-
hältnissen Roms, das Eindringen fremder Elemente in die römische
Bürgerschaft nach den Bundesgenosseukriegen und die dadurch bedingte
Denationalisierung der römischen Poesie. Auch der alexandrinischen
Litteratur fehlte der Zusammenhang mit sozialen und nationalen Inter-
essen, mit der Gesamtheit überhaupt. 2. In der Welthauptstadt strömten
eine Menge Griechen zusammen, darunter Litteraten jeden Schlages, die
besonders geeignet waren , den Römern die Bekanntschaft namentlich
mit der späteren griechischen Litteratur zu vermitteln. 3. Die Studien-
reisen junger Römer nach Griechenland. Der alexandrinische Einflui.)
erstreckte sich auf das Gebiet der Metrik, die poetische Technik im
weiteren Sinne (griechische Wörter behalten z. B. die genauere grie-
chische Form), den Gebrauch des mythologischen Apparates, zuletzt
auch auf die Wahl des Stoffes. Formenkorrektheit und peinlich sorg-
fältige Kleinmalerei war unvereinbar mit der Bearbeitung groi3er Auf-
gaben. Das Epyllion war bei den Alexandrinern das natürliche Pro-
dukt mythologisch- antiquarischer Studien und der Abneigung gegen
umfangreichere Stoffe. Seine Einführung bei den Römern, denen jene
Interessen ganz fern lagen, war eigentlich ein Mißgriff. Die Frage,
ob Catull und sein Kreis einen wesentlichen Fortschritt in der Geschichte
der römischen Litteratur bezeichnet, ob er neue Bahnen gewiesen, neue
Gesichtspunkte erschlossen habe, ist zu verneinen. Gewiß war die po-
litische Invektive bei Catull etwas Neues, aber diese Regung war nicht
von Dauer : mit Gründung der Monarchie trat der alte Stillstand wieder
ein. Nur auf dem Gebiete der erotischen Poesie ist die Thätigkeit
Catulls und seiner Freunde erfolgreich gewesen: so stellt Properz sich
in eine Linie mit Catull, Calvus und Cinna und bezeichnet diese als
seine Vorgänger.
21. L. B. Stenersen, Catulls Dichtung beleuchtet in
ihrem Zusammenhange mit der früheren griechischen und
lateinischen Litteratur. Kristiania 1887. 63 S. 8. (Dänisch.)
Nach einer Charakteristik der alexandrinischen Poesie bespricht
208 Bericht üb. die Littcratur zu Catull für die Jahre 18S7— 1896. (Magnus.)
Verf. , ohne Neues zu bieten , die Beziehungen der älteren römischen
Dichtung zur griechischen Litteratur und wendet sich dann zum cice-
ronianischen Zeitalter, insbesondere zu der 'neuen' Dichterschule. Von
Catulls Gedichten sind augeblich 65, 66 und 68a 'zweifellos die
frühesten'.
22. H. Düntzer, Catull und Horaz. Phil. 52 (N. F. 6)
1894, 138—159. 332-347.
Die Abb. sucht in ebenso schiefer wie flacher Auffassung ihres
Themas den Nachweis zu führen, daß Horaz ein größerer Dichter sei als
Catull. und verurteilt sich dadurch zu derselben Öde und Unfruchtbar-
keit, der etwa ein Bearbeiter der müßigen Streitfrage, ob Goethe oder
Schiller größer sei, verfallen würde.
Besonnener handeln über das Verhältnis beider Dichter Lafaye
19, 133, Elli3, Class. ßev. 1X1895, 41 und schon früher Munro,
Criticisms and Eine, of Cat. S. 227 f.
23. G. Mathe, De Catullo imitatore. Lugos 1894, Wenczely.
31 S. 8. (Der c. 64 behandelnde Abschnitt auch abgedruckt im
Jahresb. d. Ungar. Gymn. z. Lugos 1893—1894.)
Im ersten Kapitel, 'De Catullo Sapphus imitatore', werden
besprochen die Gedichte 62 und 61. In bezng auf jenes stellt und
beantwortet Verf. folgende Fragen: 1. Übersetzung oder Nachahmung?
Übersetzung aus Sappho (ohne Angabe von Gründen), 2. Verteilung
und Responsion der Strophen (s. im zweiten Teile bei c. 62), 3. Ist
V. 14 echt? Nein. 4. Wieviel Verse sind nach 32 verloren? Sechs.
5. Ist nach 58 der Intercalaris einzuschieben? Ja. Die Bemerkungen
zu c. 61 mit ihrer Einführung von icp/a, ipor.d, o|X!paXos u. s. w. bringen
nichts, was die Sache fördert. — Der größte Teil des zweiten Kapitels,
'De Catullo Callimachi imitatore', ist dem c. 64 gewidmet. Verf.
glaubt: a) poetam arte imbutum Callimachea hoc carmen scripsisse;
b) non in Latinum convertisse, sed imitatum esse; c) Carmen Calli-
macheum de fabula Thesei et Ariadnae (? nicht näher begründet)
studiose in mente versasse; d) non solum Callimachi rationem pangendi,
sed etiam ab aliis relicta in usum suum contulisse; e) haec omnia non
serviliter expressisse, sed sana mente perpolivisse et iis picturis usum | ! |
sententias suas descriptionesque exornavisse.
24. P. Sclascia, L'arte in Catullo. Studio critico. Palermo
1896, Reber. 254 S. kl. 8.
Inhalt: I. Biografia di Catullo. IL Rinnovamento della poesia
latina per opera di Lucrezio e Catullo. III. II realisrao nelle poesie
di Catullo. IV. L'arte nelle poesie di Catullo. V. La poesia giocosa
Bericht üb. die Litteratur zu Catull für die Jahre 1887 — 1896. (Magnus.) 209
€d epigrammatica. VI. Karte di Catullo in rapporto con quella dei
poeti Alessandrini. VII. Le similitudini nelle poesie di Catullo.
VIII. L'elocuzione. IX. II sentimento di natura. X. L'araore. XI. II
dolore. XII. Relazione di Heine e De Musset con Catullo. XIII. Con-
fronto tra la Medea, TArianna e la Didone. XIV. La morale in Catullo.
XV. Cicero pro domo sua o della Critica d'arte (Verf. verteidigt hier
seine Behandluugsweise). Die Aufsätze sind flott geschrieben und zeugen
von warmer Begeisterung für den Dichter. Als eigentliche Beiträge
zu seiner Erklärung sind sie jedoch nicht anzusehen. Viele Seiten
werden mit Paraphrasen einzelner Gedichte gefüllt (so S. 213 — 216
Ariadnes Klagen, vgl. 64 — 73). Das Ergebnis des zweiten Aufsatzes
ist folgender, manches "Wahre enthaltende Satz (S. 25): 'Lucrez und
Catull bewirkten eine wahre Umwälzung in der Poesie, zerstörten die
Vergangenheit, schufen eine Zukunft, indem sie die Sprache gepflegter,
reiner, lateinischer machten, indem sie neue Metra einführten oder die
alten mannigfaltiger und harmonischer machten und indem sie alle
dichterischen Werkzeuge vorbereiteten, mit denen wenige Jahre später
so große "Wunder von Anmut, Majestät und Vollkommenheit geschaffen
wurden.'
25. A. Seitz, De Catulli carminibus in tres partes
distribuendis. 11 S. 4. Progr. d. Großh. Gymn. zu Rastatt. 1887.
Der Titel führt irre. Verf. spricht darüber, daß Form, Auswahl
iiud Verbindung der "Wörter sich durch den ganzen liber Catullianus
hindurch nicht gleich bleibe. In den Gedichten 1 — 60 finde man An-
näherung an die Umgangssprache. Im Gegensatz dazu sei die Diktion
von 61 — 64 erhaben und vielfach altertümlich. Die Sprache in 65 — 116
sei teils gewählt und im Stile des zweiten Teiles gehalten (wie in
c. 65—68), teils mehr vulgär und an das erste Stück erinnernd. "Was
hieran richtig ist, war längst bekannt. Daß die Dreiteilung übrigens
nicht durchführbar ist, giebt Verf. selbst zu, indem er das dritte Stück
in zwei Teile mit ganz verschiedener Sprache zerlegt. Aber auch damit
ist nicht viel gewonnen. Nicht einmal 65 — 68 zeigen gleichmäßigen
Stil: 67 steht zu 66 und 68 auch sprachlich im Gegensatze. Ja selbst
die drei Teile des c. 68 lassen Einheitlichkeit vermissen. — Lesens-
werte Bemerkungen zum Sprachgebrauch bietet die Schrift hin und wieder,
26. J. Simon, De comparationibns, quae in Catulli car-
minibus leguntur. Cilli 1893. 27 S. 8. (Progr. d. Staats-
Gymnas. in Cilli.)
Die Abh. bringt zur Erklärung und Quellenkunde der catullischen
Gleichnisse nicht eigentlich Neues, stellt aber das bekannte Material
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVII. (1898. II.) 14
210 Beridit üb. die Litteratur zu Catull für die Jahre 1887 — 1890. (Magnus.)
gut znsamraen. Auf die 2300 Verse des liber Catullianus kommen
52 Gleichnisse (dabei sind einfache Vergleichungen wie 80, 1 hiberna
candidiora nive allerdings mitgerechnet). Sie werden eingeführt durch
ut (10), velut (10), veluti (1), cen (1), qualis (7), talis (1), quam (5),
quantum (1), ohne vergleichende Partikeln (2), durch den Abi. comp. (9),
durch Fragesätze (2). Entlehnt hat davon der Dichter dem Homer 9,
dem Callimaclius 4, dem Theocrit 3, der Sappho 3 u. s. w. Alteren
lateinischen Dichtern ist er nirgend gefolgt. Bei folgenden läßt sich
Nachahmung überhaupt nicht feststellen: 3, 6; 11, 21; 13, 7; 17. 16.
18. 23: 25, 13; 29, 6; 48, 5; 61, 106; 63, 33; 64, 60; 68, 124. 125;
72, 3: 81, 4.
27. A. Reeck, Beiträge zur Syntax des Catull. Bromberg
1889. 18 S. 4. Progr. d. Realgymnasiums.
Nach den verschiedenen Arbeiten, welche den Sprachgebrauch
Catulls behandeln (s. Jhb. 1887 II S. 185 f.) hat sich Verf. die Auf-
gabe gestellt, 'die noch nicht untersuchten Teile des zusammengesetzten
Satzes zu durchforschen unter Hinweis anf die ähnlichen oder ab-
weichenden Erscheinungen bei den früheren und gleichzeitigen resp.
späteren Autoren'. Die Abh. enthält folgende Kapitel: I. Koordinierende
Partikeln. II. Asyndeton. III. Substantivsätze mit quod, ut, ne.
IV. Relativsätze. V. Temporalsätze. VI. Proportionalsätze. VIF. Kausal-
sätze. VIII. Finalsätze. IX. Quinsätze. X. Konzessivsätze. XI. Kon-
ditionalsätze. XII. Participium. Die Sammlungen, auf denen die
Darstellung beruht, sind vollständig und zuverlässig; sie wird also dem
Grammatiker und Lexikographen gute Dienste leisten. An zweifelhaften
Stellen werden auch die handschriftlichen Lesarten gebührend berück-
sichtigt. Zur Erklärung und Kritik unseres Textes trägt die Arbeit
nichts bei. Offenbar unrichtig wird 97 , 10 et non mit et non potins
erklärt. Vielmehr ist et hier wie 81,6 (wo Verf. nicht die La. ver-
dächtigen durfte) = et tarnen.
28. J. Vahlen, Über ein Alexandrinisches Gedicht des
Catull US. 25 S. 8. (Sonderabdruck aus den Sitzungsberichten der
Berliner Akademie. Sitzung vom 20. Dezember 1888).
29. J. Vahlen, De deliciisquibusdamorationisCatullianae.
Ind. lect. Berol. hib. 1896/97. 19 S. 4.
30. .1. Vahlen, De nonnullisversibuscarminisCatulliani
LXIV in controversiam vocatis. Ind. lect. Berol. aest. 1897.
18 8. 4.
Nicht minder als ihre Vorgänger sind auch diese Abh. von hoher
Bedeutung für das Verständnis der CatuUischen Poesie überhaupt, wie
Bericht üb. die Litteratur zu Catull für die Jahre 1S87— 189G. (Magnus.) 211
für Kritik und Erklärung einzelner Stellen. Auch hier handelt es sich
nicht um 'anregende" Beobachtungen, sondern meist um sichere, völlig
unantastbaie Ergebnisse; nur selten werden bescheidene Zweifel erlaubt
sein. No. 28 analysiert das litterarhistorisch so merkwürdige und auch
des poetischen Reizes keineswegs bare Gedicht 66, untersucht seinen
historischen Hintergrund, bespricht und emendiert oder erklärt die Verse
56, 59 f., 77 — 78, 79—88. Die feine Analyse des Gedankengauges,
das wundersame Eingehen und Sichverseuken in die Anschauungswelt
der Coma verleihen der Darstellung einen eigenen Reiz. — No. 29
handelt besonders von folgenden Eigentümlichkeiten der Catullischen
Diktion: Selbstwiederholungen, Entlehnungen aus der alten Sprache,
poetische Übertreibungen. Die erstgenannten finden Verwertung zur
Emendation des verzweifelten v. 64, 16. Streiflichter fallen mitunter
auf griechische Dichter, namentlich Euripides. — In No. 30 endlich
sucht Verf. mit viel Scharfsinn, umfassender Belesenheit und geradezu
einziger Kenntnis der Catullischen Poesie folgende schwierige und viel
heimgesuchte Verse des c. 64 zu emendieren oder zu verteidigen: 109,
139—140, 174, 212, 273, 334.
31. J. Giri, De locis qui sunt aut habentur corrupti in
Catulli carminibus. Vol. I. Turin 1894, Loescher. 289 S. 8.
In dem bisher vorliegenden ersten Teile dieser Untersuchungen
werden über hundert Stellen aus den Gedichten 1 — 63 des liber
Catullianus kritisch behandelt. Eine praefatio handelt über die hand-
schriftenfrage und bespricht drei Codices Neapolitani und einen Panor-
mitanus — ohne Erfolg für Geschichte wie Emendation des Textes.
Ebenso ist das Variantenverzeichnis am Schlüsse des Buches gleich-
gültiges Beiwerk, das sehr wohl wegbleiben könnte. Seinen textkritischen
Untersuchungen, die den weitaus größten Teil des Buches einnehmen,
legt Verf. Schwabes Ausgabe von 1886 zu gründe, wo nicht ausdrücklich
das Gegenteil gesagt und begründet wird. Er stellt sich dabei eine
doppelte Aufgabe. Stellen, die ihm für korrupt gelten, sucht er durch
Empfehlung älterer Konjekturen oder durch neue eigene Vorschläge
zu emendieren. Von diesen sind viele ganz verunglückt, einzelne
interessant, aber freilich nicht notwendig. Eine wirkliche Emendation
ist nicht darunter. Zweitens soll die Überlieferung da verteidigt werden,
wo sie von allen oder fast allen Kritikern mit Unrecht verdächtigt
wurde. Hier findet man eine ganze Reihe treffender Bemerkungen,
die das Buch trotz vielem Verfehlten als dankenswerten Beitrag zur
Erklärung CatuUs erscheinen lassen. Nur beeinträchtigt Verf. leider
die Wii'ksamkeit durch lästige Breite der Darstellung.
14*
212 Bericht üb. die Littcratur zu CatuU für die Jahre 1887-1896. (Magnus.)
32. J. Pohl, Lectionum Catullianarum specimen III.
Kempen 1892. XVI. S. 4. (Progr.)
Teil I und II dieser Catullstudieu waren bereits 1860 und 1866
erschienen. Die vorliegende von Einsicht und Sachkenntnis zeugende
Arbeit behandelt folgende Stellen in ausführlichen Exkursen: 9, 4.
55, 11. 61, 46—47. 65, 9. 68, 85 und 91. Trotz aller Mühe, die Verf.
anwendet, um seine Vorschläge zu stützen, kann doch nur 9, 4 piamque
matrem als möglich gelten. Und selbst hier verdient die Vulg. den
Vorzug.
33. 0. Morgenstern, Curae Catulliauae. Progr. des Gymn.
in Gr.-Lichterfelde. Berlin 1894. 20 S. 4.
Nach einleitenden Bemerkungen über die Handschriftenfrage be-
spricht Verf. mit gesundem Urteil eine Anzahl Stellen, nicht selten
richtig und treffend. Meist wird konservative Kritik geübt, namentlich
da, wo selbst ein 'editor religiosissimus et eruditissimus' wie Schwabe
ohne Grund von der Überlieferung abgewichen sei. Doch werden zu
r.8, 7 und 64, 16 auch Konjekturen versucht. Die Schrift ist tüchtig
und lesenswert.
34. K. P. Schulze, Beiträge zur Erklärung der römischen
Elegiker. Progr. d. Werd. Gymn. zu Berlin. 1893. 31 S. 4.*)
Behandelt werden in dieser von fleißigen Studien zeugenden Ar-
beit folgende Catullstellen : 2, 5 f.; 3, 1 und 6; 4; 6, 9; 10, 26; 11, 3;
31, 13; 41, 1; 42, 14; 45, 8; 50, 5; 55, 12; 64, 28. 35. 54. 75. 76.
140. 243. 253: 76,5. 10; 77,4. Auch da, wo Verf. irrte — und
das ist bei den weitaus meisten besprochenen Stellen der Fall — sind
seine Sammlungen (Lesefrüchte aller Art, Parallelstellen u. a.)
nützlich.
35. J. P. Postgate, Catulliana. Journ. of Phil. XVII
226—267.
— Addendum to Catulliana. Journ. of. Phü. XVIII 145—149.
Eine große Zahl verderbter oder schwieriger Stellen wii'd ein-
gehend behandelt. Einige von den Vermutungen Postgates klingen
gefällig (wie 22, 7 umbilici et lora; 55, 29 mihi ut dicares; 99, 15
araoris), eine zwingende Emendation ist nicht darunter. Trotzdem
sind sie fast sämtlich in den Text der Ausgabe gesetzt. Wertvoller
sind manche exegetische Bemerkungen zu einzelnen Stellen (wie 64, 10.
114, 115), von denen am Orte die Rede sein wird. Gründliches Studium
*) Dazu jetzt: K. P. Schulze, Beiträge zur Erklärung der rö-
mischen Elegiker. II. Berlin 1898. 27 S. 4. Progr. d. Werd. Gymn.
Bericht üb. die Litteratur zu CatuU für die Jahre 1887—1896. (Magnus.) 213
des Dichters ist auch da, wo Verf. offenbar irrt, nicht zu verkennen.
In der zweiten Abb. wird gegen Lachmanns von den meisten Hg.
rezipierte Teilung der Strophen von c. 61 in je zwei Systeme (3 r2)
polemisiert (s. T. II zu c. 61).
36. Th. Birt, Commentariolus Catullianus tertius. Mar-
burg 1895, Elwert. XIX S. 4. Ind. lect.
Diese Arbeit liefert brauchbares Material zur Erklärung einzelner
Catullstellen , die Ergebnisse sind jedoch meist nicht richtig. Es
werden kritisch behandelt das erste Passergedicht (c. 2) — dies
besonders eingehend —; 3, 16; 57, 6; 29, 15. 20. 23 (die SchluUverse
21 — 24 nicht umzustellen); 22, 18 — 21 verteidigt. Richtig ist davon
die gründliche und überzeugende "Widerlegung der von Moramsen vor-
geschlagenen Transposition 29, 21 — 24 hinter v. 10 und die Erklärung
der Schluß verse (18 — 21) von c. 22 als einer Antwort auf die Frage
in V. 12,
37. F. Schröder, Catulliana. 12 S. 4. Cleve 1892. Progr.
I. Die von Lachmann aufgestellte (von Haupt Opusc. I 27 f.^=
Quaest. Cat. p. 38 begründete] Hypothese über die Zeilenzahl des Arche-
typus (30 auf jeder Seite) ist unrichtig, w^eii sie u. a. auf der irrigen
Voraussetzung ruht, daß c. 87 mit 75 und 78, 7 — 10 (sed nunc id
doleo sq.) mit 77, 6 (pestis amicitiae) zu verbinden seien. Dasselbe
gilt von den übrigen Zählungen (Bergk, Westphal, Fröhner, EUis),
da sie ebenfalls von der Zusammengehörigkeit der G-edichte 87 und 75
ausgehen. 11. Vielmehr ist 87 mit dem Fragmente 78, 7 — 10 zu ver-
binden, in V. 2 mit den codd. meast, in v. 4 mit Bährens illo für tuo
zu schreiben und das ganze (coli. c. 80 und 99, 10) auf Gellius zu be-
ziehen, ni. Der pessimus poeta in c. 36 ist CatuU selbst [durfte im
J. 1892 nicht mehr als neu vorgebracht werden; s. diese Zeitschr.
1887 II S. 259] IV. Birts Hypothese (Buchwesen S. 291 f.), daß
Catull 4 monobibla verschiedenen Inhalts verfaßt habe, aus denen
unser libellus Catulli zusammengeflickt sei) abzuweisen (verfehlt!).
38. Th. Birt, De Amorum in arte antiqua simulacriset
de pueris minutis apud antiquos in deliciis habitis. Commen-
tariolus Catullianus alter. Adiectae sunt tabulae X. Marburg
1892. XXXXn S. 4. Ind. lect.
Die von viel Scharfsinn und Gelehrsamkeit zeugende Abh. erörtert
antiquarisch - archäologische Fragen und zieht aus den Ergebnissen
Schlüsse für die Interpretation von Cat. c. 55 und 58b (non custos
si tingar sq.). In überreicher Fülle bringt Verf. Zeugnisse für die
aus Alexandria (p. XXXI) stammende, von erotischem Beigeschmack
214 Bericht üb. die Litteratur zu Catull für die Jahre 1887—1896. (Magnus.)
nicht freie Sitte vornehmer Römer und Römerinnen, sich mit zarten,
kleinen Knaben oder Mädchen zu umgeben. Vgl. Plut. vit. Anton.
C. 59 6 Se lap|X£VTOc ^v t(Üv Kaisapo? Tiaqvitüv iraiöapiov, S orjXtxia 'Pwixaioi
xaXoüjtv. Zu welchen geschlechtlichen Exzessen diese Sitte führte, hat
Sueton in der vita Tib. c. 44 geschildert. In der bildenden Kunst
wurden diese deliciae als Putten, die das 6. Lebensjahr nicht über-
schreiten, dargestellt. Daraus hat sich der Typus der Amoretten ent-
wickelt. Beide, Patten und Amoretten, waren anfänglich ohne Flügel. Da
sie aber häufig zusammen hockend, liegend, schlafend gebildet wurden, so
verglich man (s. p. XXXIII) diese Putten- und Aniorettennester mit Vogel-
nestern, ihre kleinen Insassen mit Vögelchen und versah sie mit Flügeln.
Beiden ist aui.]er dem zarten Alter und winziger Gestalt noch mancherlei
gemeinsam: Auftreten in größerer Zahl, Nacktheit. Dem Amor wie
den Putten wird nachgerühmt süßes Schwatzen und Piaadern. Vgl.
Cassins Dio XL VIII 44 -aioi'ov -t xüiv (j^iöupöiv, oia ai ^uvaTxes 7U{jLva
üjs -Xr^ösi döupo'jjai xps^oujiv. Ein derartiger ,putto' , ein Lustknabe
CatuUs war angeblich, der in 55 und 58b gesuchte Camerius. Verf.
schließt (p. XL) : , Camerius quia nudus dicitur, quia exiguus describitur,
quia ut garrulus sit, postulatur, ad pueros minutos aggregandus est
fuitque in Catulli consuetudine qaod Sarmentus in Augusti.' Eine Stütze
dieser Deutung wird gefunden in 56, 5 deprendi modo pupulum puellae
trusantem: 'habuit etiam Lesbia pupulum suum!' Aber die ganze
Hypothese ist ebenso geistreich, wie wenig überzeugend. (Vgl. Morgen-
stern 33, 9.) Nicht nach der Überlieferung heißt Camerius nudus,
sondern nach dem sehr unwahrscheinlichen Vorschlage des Verf. zu
V. 11 nudum auf den Flüchtling zu beziehen und den unvollständigen
Vers etwa durch ein et aufer zu ergangen, das sich doch mit redac
nicht verträgt und die Verstümmelung nicht erklärt. Auch liegt es
offenbar näher, eine Beziehung zwischen nudum und v. 12 zu suchen.
Ebensowenig schildert Catull den Gresuchten als 'exiguus'. Ob v. 5 in
Omnibus libellis heißen könne *in allen Buchläden' oder ob die ge-
fällige Konj. der Itali tabernis zu rezipieren sei, mag dahingestellt
bleiben ; daß eine Erklärung die den pusio Camerius mit grotesker Über-
treibung zwischen Blätter von Bücherrollen stecken läßt, unrichtig ist,
lehrt der ganze Zusammenhang (campo minore, circo, templo). Wenn
femer in v. 12 die roseae papillae = rosarum galeri gesetzt und er-
klärt wird 'flores corollasque meretriculae in calathis habebant; atque
iam ibi sub rosis vel adeo in rosis puerulura celatum esse iocari videntur',
?o ist diese Erklärung eben nicht wahrscheinlich und ließe uns die
freche Dirne nicht mimice ac moleste ridentem catuli ore gallicani
schauen. Aber selbst wenn sie es wäre, könnte Camerius nicht 'minutulus'
sein. Die herausfordernde Frechheit der Dirnenreplik kommt viel
Bericht üb. die Litteratur zu CatuU für die Jahre 1887 -- 189^. (Magnus.) 215
besser zur Geltung, wenn Camerius ein ausgewachsener Bursche ist.
Der iu der verlangten garrulitas des Camerius gefundene Grund für
seine Puttennatur ist offenbar nicht ernst zu nehmen: CatuJl behandelt
einfach das Thema von c. 6. Den positiven Beweis für die Unrichtig-
keit der Birtschen Hypothese liefert endlich die in 55 wie 58 b wieder-
kehrende Anrede amice. Dem ganzen Sujet und dem Tone nach
war 55 vielmehr mit 50 zu vergleichen: Camerius steht ebenso hoch
wie Calvus. — Einleuchtend wird dagegen auf p. VI — VII gezeigt, daß
ö8b nicht mit 55 zusammengeschweißt werden dürfe und auf die ana-
loge Behandlung eines und desselben Themas in c. 5 und 7 verwiesen.
39. F. Hermes, Beiträge zur Kritik und Erklärung
des CatuU. Frankfurt a/0. 1888. 24 S. 4. Progr.
40. F. Hermes, Neue Beiträge zur Kritik und Er-
klärung des Catull. Frankfurt a/0. 1889. 16 S. 4. Progr.
Behandelt werden eingehend mehrere wichtige Probleme und eine
große Zahl einzelner Stellen. Die im Tone streitbarster Polemik ge-
schriebenen Ausführungen lesen sich amüsant und sind, eben weil sie
last auf Schritt und Tritt zum Widerspräche herausfordern, anregend,
aber gefördert haben sie die Forschung iu keinem wesentlichen Punkte.
I. No. 39, 1 — 6; 40, 1—3 leidenschaftlicher Angriff auf die Hypo-
these von der Identität der Lesbia mit Clodia Metelli. Die Gründe
dafür laufen bekanntlich auf einen Indizienbeweis aus; einen solchen
erkennt Verf. anscheinend überhaupt nicht an. Lachmanns Hypothese,
daß Hieronymus sich durch Namensverwechslung bei Bezeichnung der
Konsulate versehen habe und des Dichters Leben in die Jahre 76 — 46
zu setzen sei, angeblich richtig. — IL No. 39, 11 — 16; 40, 3 — 6 Unter-
suchungen über c. 68, insbesondere die Einheitsfrage; Verf. gehört zu
den Chorizonten. Wenn er behauptet, der Schluß (149 f.) entspreche
der Einleitung v. 41—51, kein Wort weise hier auf 1 — 40 zurück, so
ist das schwer begreiflich: 41 — 51 reden die Musen an und handeln
über den in der 3. Person bezeichneten Freund, 149 — 160 sind Gruß und
Anrede an den Freund. Ihnen entspricht am Anfange in 41—51 nichts:
das Gedicht hat keinen Kopf. Jeder Chorizont muß konsequenterweise,
nachdem er diesen Kopf 1 — 40 losgetrennt hat, auch den Schwanz
149 — 160 abschneiden und ihn für ein poetisches Begleitschreiben bei
Übersendung des Enkomion Allii erkläi'en. Dann bleibt wenigstens
ein genießbares Mittelstück übrig. Allius ist nach H. Pseudonym für
Gellius (c. 116 die Absage, c. 73 u. 91 die Strafe des Vertrauens-
bruches)! — 111 c. 55 zerfällt angeblich in zweigliedrige Strophen, so
daß Daktj'lus und Spondeus regelmäßig abwechseln. Was widerstrebt
wii-d durch Konj. beseitigt. Die kinter 58, 5 versprengten 10 Verse
216 Bericht üb. die Litteratur zu CatuU für die Jahre 1887— 189G. (Magnus.)
von custos-quaeritando sind nach 40, 10 an den Anfang des c. 55 zu
setzen. — IV. In c. 95 soll der getadelte Vielschreiber M. Furius
Bibaculus sein. — No. 40 bringt außer Nachträgen zur Lesbiafrage
und vielen Einzelheiten eine von der Lücke nach 62, 32 ausgehende
Berechnung der Zeilenzahl (17 auf jeder Seite) des Archetypus d. h.
der Vorlage des Veronensis.
41. A. Fürst, De carmine CatulliLXII. Wien 1887. 36 S.
8. (Progr. d. Gymu. zu Melk.)
Gehandelt wird richtig und verständig, doch ohne wesentlich neue
Ergebnisse über die strophische ßesponsion und über die griechischen
Vorbilder. Im ersten Kapitel entscheidet sich Verf. nach einer dankens-
werten Übersicht (vgl. Ellis ed. crit. u. Mäthe 23, 5) über die zahl-
reichen früheren strophischen Schemata von Naeke bis Ziwsa (dazu
kämen jetzt noch die von Bonin; s. J.-Ber. 1887 II S. 264, vgl. ebd. 193;
und von Hermes No. 40, 14) für das von G. Hermann vorgeschlagene
und berechnet mit Froehlich (Monatsb. d. Münch. Ak. XI fasc. 136 u.
137) und Riese die Zahl der nach 32 ausgefallenen Verse auf 7 (mit
Einschluß des lutercalaris) der Mädchen und 2 der Knaben, so daß in
v. 32—38 die Überreste eines Strophenpaares zu je 8 Versen zu sehen
wären und sich folgendes Schema ergäbe:
Proemium. Proodus. Concertationis strophae. Epodus
(i. 5) .9 (p. 6 p. 8 p. 11) j 9
(p. 5) • • • (^i 6 j 8 i 11)
Es wird also v. 14 nee mirum sq. verteidigt, nach 58 der luter-
calaris eingesetzt, endlich in der Epodus, um zahlenmäßige ßesponsion
mit der Proodus 11—19 herzustellen, der Ausfall eines Verses ange-
nommen und zwar mit Ellis nach v. 61. Ähnlich denkt sich wohl jeder
unbefangene Leser die Sache. Aber freilich findet die Annahme einer
Lücke in der Epodus (mag mau sich nun den Ausfall hinter 61 oder
65 denken) in Sinn und Gedankenzusammenhang absolut keine Stütze.
"Wiederum sieht sich der, welcher die Lücke nicht anerkennt, zu der
unwahrscheinlichen Annahme gedrängt, der Dichter habe die durch ein
ganzes langes Gedicht planvoll und streng durchgeführte zahlenmäßige
Responsion der Strophen unbegreiflicher Laune an dem Fehlen eines
einzigen Verses scheitern lassen. Ein Ausweg aus dem Dilemma ist
bis jetzt nicht gefunden. — Im zweiten Teile wird der Nachweis ver-
sucht, daß c. 62 den Epithalamien Sapphos nachgebildet sei (Ähnlichkeit
mit Sapph. frg. 93—95, die eigentümliche Form der Anaphora z. B.
in frg. 93 coli, mit 62, 8 — 9, Gräcismen, Aufgehen des Hesperus über
dem Öta u. s. w.). Gewiß ist Anlehnung an Sappho glaublich, ja
wahrscheinlich. Aber weder läßt sich auf grund der Sapphofragmente
Bericht üb. die Litteratur zu Catull für die Jahre 1887— 189G. (Magnus.) 217
ein wirklicher Beweis führen, noch können wir uns eine deutliche Vor-
stellung machen, wie weit die als wahrscheinlich anerkannte Abhängigkeit
von der Sapphischen Poesie ging. Den echt römischen Charakter des
Gleichnisses von Hebe und Ulme erkennt Verf. p. 34 selbst an. Näheres
darüber J.-Ber. d. Phil. Ver. XII (Z. f. G.-W. 1886; 197 f. B. Schmidt
prolegg. p. LXXV. Weber 44, 67.
42. F. Ballin, Das araöbäische Hochzeitslied des Catull.
Dessau 1894. 39 S. 4. Progr.
■'o'-
Der Inhalt von Ballins lesenswerter Abh. zerfällt in folgende
Kapitel: I. Text und Übersetzung des Liedes, II. Erklärung des
Liedes (Textgestalt, Form und Inhalt der Übersetzung), III. Inhalt
und Gedankengang des Liedes, IV. Die römische Hochzeitsfeier,
V. Bestimmung des Liedes. Cap. III — V führen den beachtens-
werten Gedanken aus, daß unser Lied einen ganz bestimmten Moment
der römischen Hochzeitsfeier schildere. Zwischen das Hochzeits-
mahl nämlich im väterlichen Hause der Braut und den Beginn
der deductio fällt der symbolische Eaub der jungen Frau: von der
pronuba vorgeführt flüchtet sie in den Schoß der Mutter und wird dieser
mit gelinder Gewalt geraubt. An diesen Vorgang knüpft der Wechsel-
gesang an. Hiernach könnte in c. 62 eine Übersetzung oder auch nur
Bearbeitung eines Hymenäus der Sappho nicht mehr gesehen werden.
Und wenn Catull wirklich (vgl. S. 31) einen Hymenäus der Sappho be-
nutzte, so paßte er eben die fremde Form nationalen Bräuchen und
Anschauungen an. 'So sind die patriarchalischen Verhältnisse, welche
das Lied streift, echt römisch, so ist das Bild von der Vermählung der
Rebe mit dem Ulmbaume sogar spezifisch römisch.' Vgl. übrigens
oben zu 41.
Folgende Abh. sind vornehmlich der Erklärung des c. 68 ge-
widmet:
43. W. Hoerschelmann, Catull 68. Dorpat 1889. 24 S. 4.
(Lektionskatalog.)
44. Weber, Quaestiones Catullianae. Gotha 1890, F. A.
Perthes. VIII, 172 S. 8. (S. 1—35 auch als Beilage z. Jaliresb.
1889—1890 des Gymn. in Eisenach.)
45. Th. Birt, De Catulli ad Mallium epistula. Marburg
1890. XX S. 4. (Lektionskatalog.)
46. F. Skntsch, Zum 68. Gedicht Catulls, Rh. Mus. N. P.
47 (1892) S. 138— 151.
47. H. Monse, Zu Catull. Progr. v. Schweidnitz 1895. 22 S. 4.
218 Bericht üb. die Litteratnr zu Catull für die Jahre 1887—1896. (Magnus.)
48. L. Fenner, Quaestioues Catullianae. 53 S. 8.
Barmen 1896. Progr.
Durch die ersten beiden Abb., die vierte und die fünfte, erhält
das Heerlager der Unitarier, durch die dritte und sechste das der Cho-
rizonten Zuzug.
Nirgend findet man den Standpunkt jener so klar und anziehend,
so frei von allem gelehrten Beiwerk in gemeinverständlicher Form prä-
zisiert wie bei Hoerschelmann. Jede Polemik ist vermieden. Es
ist dem Verf. in hohem Maße gelungen, zu sondern zwischen dem
wirklich Feststehenden und manchen willkürlichen Deutungen und
wiederum Punkte richtig zu betonen, die fast unbeachtet geblieben sind,
obwohl der Dichter sich klar über sie ausspricht.
H. Weber teilt den Stofif seiner Quaestioues Catullianae in
folgende Kapitel: 1. De carmine LXII, 2. De carminis LXVIII unitate,
3. Analecta. In zahlreichen Exkursen, die freilich oft nur sehr lose
mit den Textesworten zusammenhängen und selten zu ihrem Verständ-
nisse beitragen, zeigen sich tüchtige grammatische Kenntnisse. Aber
an sicheren Ergebnissen für die Emendation oder Erklärung fehlt es
fast ganz. Die Kritik des Verf. ist oberflächlich und haarspaltend zu-
gleich. Selbst da, wo eine gute Sache verteidigt wird wie bei c. 68,
gerät sie auf seltsame Abwege. Von der ganzen recht anspruchsvoll
auftretenden Schrift wird sehr wenig Bestand haben.
Birts Untersuchung bietet — wie zu erwarten — eine ganze
Reihe guter und treffender Bemerkungen über solche Einzelfragen, die
mit der Einheit nicht unmittelbar zusammenhängen, und ist insofern ein
dankenswerter Beitrag zur Erklärung des Gedichtes. Dahin gehört
das zu V. 17 multa satis lusi (coli. 62, 211. 68, 156) Gesagte; vgl. die
Bemerkungen über die Zweiteilung in 10 munera et musarum et Veneris
und überhaupt in v. 1—40 (vgl. Hoerschelmann 43, 18), über die Be-
deutung von tepefacere in 29 (coli. Mart. X 96. Cic. nat. deor. II 40.
Ov. ars am. II 445. Nemes. ecl. 1, 15). Auch die Ausführungen über
munera Veneris (p. VIII— IX) enthalten reiches Material und gehen
wenigstens von richtiger Grundanschauung aus. Für die Einheitsfrage
selbst bezeichnet die Abh. keinen Fortschritt, weil sie, von irrigen Vor-
aussetzungen ausgehend, weit ab von der Wahrheit führt: Mallius liest
die alten Dichter darum nicht, 'weil es ihm an Exemplaren ihrer
Werke fehlt', er verlangt von Catull carmina veterum scriptorum,
er hatte geglaubt, Catull halte sich in Rom auf, während er vielmehr
auf Sii"mio oder seinem Sabinum weile; Catullus pflegte von Rom aus
seinen Freunden in Verona ihren Bedarf an Dirnen zu besorgen (vgl.
dagegen A. Sonny, W. f. kl. Phil. 1891 Sp. 53—54); non uterque
Bericht üb. die Litteratur zu CatuU für die Jahre 1S87- 1896. (Magnus.) 219
= neuter; nur die Unitarier müssen ihre Zuflucht zu Änderungen der
überlieferten Form des Eigennamens nehmen u. ähnl.
F. Skutsch sucht im ersten Kapitel seines gediegenen Aufsatzes
den Nachweis zu führen, daß c. 68b (d. h. nach Rieses treffender Be-
zeichnung V. 41 — 148) mesodisch komponiert und streng durchgeführte
Responsion erkennbar sei. — Das zweite Kapitel verteidigt in besonnener
Ausführung die Einheit des Gedichtes, stellt endgültig für non utrius-
que in v. 39 die Bedeutung 'nur eines von beiden* fest, bespricht die
munera et Musarum et Veneris in v. 10, erklärt richtig das nam
in 32 und das una Capsula me sequitur in 36, schützt endlich die
sogar von manchen Verteidigern der Einheit verdächtigten vier Verse
93—96.
Ein großer Teil der Abh. von H. Monse (S. 10—20) ist eben-
falls dem c. 68 gewidmet und sucht seine Einheit zu verteidigen. Verf.
verzichtet auf zusammenhängende Darstellung und giebt eine Reihe
einzelner Gedanken, die bisweilen anregend, aber oft auch sehr subjektiv
gefärbt sind. Er sucht es wahrscheinlich zu machen, daß Allius von
Rom aus schreibe, daß non utriusque in v. 39 = beides nicht, daß
nam in 33 verdächtig und durch iam zu ersetzen sei. — Den sonstigen
Inhalt der Abh. bilden Observationen zu einzelnen Stellen aus ver-
schiedenen Gedichten.
L. Fenn er endlich verteidigt auf S. 1—24 seiner Quaestiones
die Identität von Catulls Lesbia mit der Clodia quadrantaria. Der
zweite Teil S. 25 — 53 enthält 'Observationes criticae - exegeticae in
CatuUi c. LXVlir. Es wird hier die Teilung des Gedichtes nach v. 40
befürwortet, Westphals Theorie von der nomosartigen Komposition des c. 68
verworfen , eine Anzahl von Beispielen für die Allitteration bei Catull
zusammengestellt; es folgen kritische und exegetische Bemerkungen zu
einzelnen Stellen. Das Gegebene ist meist richtig, wiederholt aber in
der Hauptsache nur Bekanntes. Einen Fortschritt für die Erklärung
des Gedichtes bezeichnet die Arbeit also nicht.
Bericht über C. Julius Cäsar und seine Fortsetzer
1895—1897.
Von
Prof. H. J. Heller
in Berlin.
Bellum Alexandrinum. Bellum Africum.
C. Julii Caesaris commentarii cum A. Hirtii aliorumque supple-
mentis ex recensione Bernardi Küble ri. Vol. III pars prior.
Commentarius de belle Alexandrino. Recensuit B. Kubier. Commen-
tarius de bello Africo. Recensuit Ed. W ö if fliu. Lipsiae 1896, Teubner.
Kubier hat für das bellum Alexandrinum den Ashburnharaensis
CS.), den Laurentianus 8 (W.) und den Thuaneus (T.) verglichen und
den Vindobonensis 65 (V.) von Polaschek vergleichen lassen. Er hat
24, 5 ita, das Rud. Schneider in seiner Ausgabe für illa eingesetzt
hatte, verworfen, und dieser ist jetzt damit einverstanden ; derselbe be-
dauert, daß er selbst 58, 3 Menges Konjektur deterserunt st. detraxerunt
nicht mehr in den Text hat bringen können, und daß Kubier von der-
selben nicht Gebrauch gemacht hat. 40, 2 hat dieser wohl richtig ab
vor operto latere eingeschaltet. — Was das bellum Africum betrifft,
so hat Wölfflin jetzt im Titel C. Asini Pollionis weggelassen und
sämtliche Punkte und Textänderungen aufgegeben, um die es sich bei
dem Streit gegen seine frühere Ausgabe handelte. Von Kubier hat er
einige gute Konjekturen erhalten, wie 21, 2 obligatos st. deligatos, wie-
wohl Rud. Schneider bei dieser Änderung in vor plaustris streichen
möchte. 47, 5 wollen beide jetzt storiisque st. coriis oder copiisque
oder des bloßen copiis der Hss einsetzen.
Einzelne Stellen.
Rudolf Schneider, Cäsar und seine Fortsetzer. Jahresbericht
XXI des philologischen Vereins 1895.
Gegenüber Mommsen, der dem Schreiber des princeps der zweiten
Handschriftenklasse (ß) „dreiste und unwissende Textveränderungen"
f
Bericht über C. Julius Cäsar und seine Fortsetzer 1895—1897. (Heller.) 221
zugeschrieben habe, während Kubier behauptet, daß nirgends in p eine
Interpolation (bewußte Änderung) sich zeige, auch Menge entgegenge-
treten ist, der, wie die beiden andern, die verschiedene Überlieferung
auf einen und denselben Archetypus zurückführen will, zeigt Verf. be-
treffs des Verhältnisses beider Handschriftenklassen hin, daß auch in a
nicht nur in den von Mommsen zugegebenen Stellen VII 77 , 10, VIII
16, 2, sondern auch III 1, 6 und VII 31,1 der Schreiber des princeps
von a den Text seiner Vorlage korrigiert hat; er nimmt an, daß Cäsars
Kommentarien des B. G. bald nach dem Erscheinen in verschiedenen
Ausgaben umliefen, die, im einzelnen voneinander abweichend, doch
überall guten und cäsarischen Ausdruck cathielteu; es gab, meint er,
dai'unter getreue Abschriften einer bestimmten Vorlage, aber auch kritische
Ausgaben mit Varianten, dazu verbesserte Texte, wozu alte Exemplare und
der eigene Verstand des Schreibers das Ihrige lieferten. Nach Schneiders
Ansicht darf man keine der beiden Handschriftenklassen allein zu Grunde
legen, sondern muß, wie ich selbst das von jeher empfohlen habe, von
Stelle zu Stelle die Entscheidung trefifen. Der Küblerschen Ausgabe
widmet der Verf. als kritischer Arbeit größere Beachtung, als ich es
in meinem vorigen Bericht gethan habe, weil Kubier nach seinem
eigenen Geständnis bei der "Wahl der Lesarten Rücksicht auf den Schul-
gebrauch genommen und deshalb vor zu vielen Änderungen sich in acht
nehmen zu müssen erklärt hatte. Der gründliche Berichterstatter hat
sich die Mühe gegeben, die Stellen aufzuzählen, in denen Kubier Les-
arten aus ß wählt, welche Meusel nicht aufgenommen hat, dagegen
auch die wenigen, welche er, abweichend von Meusel, aus a entlehnt,
nämlich III 1, 3 hujusmodi st. ejusmodi; III 4, 2 ut quaeque pars st.
et quaecunque pars; 10, 2 injuriae st. injuria; 11, 2 ab Belgis st. a
Gailis; 13, 7 cautes st. cotes; 16, 4 pervenerint st. pervenirent; 19, 4
quos impeditos. Von Kühlers eignen Konjekturen hält er für empfehlens-
wert: VIII 19,4 transeundique st. quae transeundi; 41,2 aggerem exstruere
st. aggerem instruere oder struere, was Meusel angenommen hat; 41,4
ad venas st. ad vineas; 42, 4 itaque st. ita quam; 52, 4 non minorem
terrorem st. non minimum terrorem. Ich habe geglaubt, durch diese
Auszüge meinen eigenen früheren, nur kurz gehaltenen Bericht über
die Küblersche Ausgabe des B. GaU. vervollständigen zu müssen. Für
Meusels Textausgaben hat R. Schneider, wie billig, nur gerechte An-
erkennung.
Von Lange. Jahrb. für klass. Philol. 1893, ist zu meinen Aus-
zügen noch hinzuzufügen B. Gall. III 23, 3 equites st. ducesque und
Vn 78, 1 atque omnia prius experi<enda arbitr>antur st. atque omnia
prius experiantur.
Schiller, Blatt, für d. bayer. G.-S.-W. XXIX, wiUB. GaU. I 1,5—7
222 Bericht über C. Julius Cäsar und seine Fortsetzer 1 895—1897. (Heller.)
gestrichen haben, als späteren, den Zusammenhang unterbrechenden Zu-
satz. Derselbe hast auch I 16, 2 für Interpolation.
H. J. Müller, W.-S. f. klass. Philol. 1894 nr. 21, schaltet B. Gall.
I 46, 1 et vor lapides ein. Schneider, Müllers Vorschlag, I 52, 4 st.
rejectis a, relictis ß projectis zu lesen, widerlegend, schlägt vor, omissis
zu setzen oder relictis in diesem Sinne zu fassen. IV 4, 5 will Müller
equitatu gestrichen haben, worin Meusel ihm beistimmt, und 30, 2 soll
rursus conjuratione facta wegbleiben ; V 44 , 4 möchte er in vor eam
eingeschaltet sehen; VII 11, 2 quoque st. des bloBen quo; 53, 4 pontem
St. pontes.
J. Vahlen, Hermes XXVIII, schlägt vor, Jurinius folgend, VI 22, 3
quam hinter accuratius einzuschalten. — Ders., Hermes XXX, will
Vn 20, 1 1 Vercingetorix (zu inquit) beibehalten haben, sich auf V 30, 1
berufend, wo Sabinus gleichfalls von inquit getrennt vorkommt; er tritt
für die Beibehaltung der handschriftlichen Lesart VI 24, 4 ein, während
die Herausgeber jetzt das von mir hinter qua eingeschaltete ante auf-
genommen haben, erklärend: quia eadera egestas neque quicquam aliunde
accedebat, eodem victu et cultu uti perseverabant. Nichtsdestoweniger
halte ich meine Verbesserung aufrecht,
J. Lange, Beiträge zur Cäsarkritik, Pleckeisens Jahrbücher
1895 Hft 10/11. — Derselbe: Zu den neuesten Schülerausgaben
von Cäsars B. Gall. Programm des Kgl. Progymn. in Neumark
(Westpreußen) 1896.
Der Verf. will, um den Text für Schüler leichter verständlich zu
machen, Streichungen in demselben vorgenommen haben und schlägt
einige meist schon früher von ihm veröffentlichte Änderungen vor, z. B.
II, 11, 6 qnantum tempus diei est passum st. quantum fuit diei spatium,
wofür R. Schneider besser vorschlägt quantum superfuit diei spatium,
mit Berufung auf Liv. V 56, 2.
Anton Polaschek, Caesariana (Serta Harteliana). Wien,
F. Tempsky.
Der Verf. will ß. Civ. II 35, 6 in vor tabernaculis zufügen und
ß. Gall. VI 22, 3 nascuntur in nascantur verwandeln, beides unnötig.
Albrecht Köhler, Bl. f. das bayer. G.-S.-W. XXX, schlägt B. Gall.
V 42, 1 vor: et quos tum de exercitu nostro habebant captivos.
J. H. Schmalz, XXIH. Jahresbericht des Gymn. in Rastatt, will
B. Gall. VI 27, 3 aut beibehalten, nicht mit Meusel ac aus ß aufge-
nommen haben : VIT 40, 4 will er permoverentur für permoveantur ein-
setzen; IV 17, 10 hält er an raissae für das vorgeschlagene imraissae fest.
Bericht über C. Julius Cäsar und seine Fortsetzer 1895 — 1897. (Heller.) 223
Zn meiner Besprechung' des B. Civ. von Kubier füge ich nach-
traglich noch hinzu: Aus W. (]\Iediceus-Laurentianus) ist II 11, 1 aufge-
nommen delabitur st. elabitur; III 63, 3 labor quo milia passuum XVII
erat complexus st. quod — ; andere Aufnahmen aus derselben Hand-
schrift empfehlen sich nach meiner Ansicht weniger, wie III 28, 6
equitibus qui cam partem orae maritimae observabant st. des allge-
mein aufgenommenen asser vabant. Von eigenen Konjekturen Kühlers
sind noch zu erwähnen: I 11, 1 schaltet er vor dilectus noch einmal
ipsum ein, obgleich es kurz vorher steht; wenn auch deutlicher, wird
der Satz dadurch doch wenig gefügig. II, 28, 2 per contumeliam st.
des von Nipperdey eingeführten cum contumelia; II 40,3 praesenti
timoris opinione st. praesentis temporisopinione, obgleich, wie R. Schneider
richtig bemerkt, das handschriftliche praesentis hätte beibehalten werden
können; III 4, 6 will er ita hinter atque eingeschaltet haben; 37, 2
Domitius quoque tum st. Domitius tum quoque; 61, 2 würde hinter
perfugerent ganz passend nonnulli eingeschaltet werden, oder wie
R. Schneider, wohl als Gegensatz zu dem folgenden universi, lieber
möchte singuli.
'o'
R. E. Ottmann, Handschriftliches zum Bellum Alexandrinum.
Wochenschrift für klass. Philol. 1885. No. 45.
C. F. M. Müller, Zu Cäsars Bell. civ. Leipzig 1895, Hirzel.
H. Schiller, Zu Hirtius' Praefatio von B. Gall. VIII Philologus
1895.
Wörterbücher und Grammatik.
Prammers Schulwörterbuch zu Cäsars Beil. Gall. Bearbeitet von
Anton Polaschek. Zweite Auflage. Mit 61 Abbildungen und Karten.
Leipzig 1897, G. Freytag. Im Jahresbericht XXIII rügt R. Schneider
die Übersetzung von apertos cuniculos ^T[I 22, 5 durch offene Galerien;
er sagt, es müsse heißen geöffnete, oder deutlicher, die Galerien,
welche eröffnet worden waren, und schärft ein, daß II 29, 3 unbedingt
zu lesen sei dejectusque st. despectusque.
J. Lange, Über einen besonderen Gebrauch des abl. absol. bei
Cäsar. Fleckeisens N. Jahrb. 1895.
Karl Fröhlich, Adverbialsätze in Cäsars B. Gall. Programm
des Falk-Realgymnasiums zu Berlin 1894.
J. Lange, Über die Kongruenz bei Cäsar. Fleckeisens N. Jahrb.
1896.
224 Bericht über C. Julius Cäsar und seine Fortsetzer 1895—1897. (Heller.)
Heerwesen und Kriegführung.
Otto Miller, Römisches Lagerleben. Mit einem Plan. Gütersloh
1892, Bertelsmann; wird als Lektüre für Schüler und als nützlich für
Lehrer empfohlen.
Stephau Cybulski, Casti'a Romana. Leipzig 1893, K. F. Köhler.
Die Abbildungen sind empfehlenswert, die Erläuterungen durch mehr-
fache Wortfehler, z. B. milites ablecti st. delecti entstellt.
Georg Hubo, Über die Ausdehnung des Gebietes der Helvetier.
Fleckeisens Jahrb. f. klass. Philol. 1893.
Der Verfasser wiU B. Gall. I 2, 5 lesen in latitudinem LXXX
patebant st. CLXXX, weil die gerade Linie zwischen Disentis und
Klingnau um 100 milia passuum zu hoch angegeben worden sei.
Franz Fröhlich, Lebensbilder berühmter Feldherren des Alter-
tums. Erstes und zweites Heft. Zürich 1894 und 1895, F. Schultheß.
Die beiden Hefte enthalten Pompejus, Sertorius und Cäsar.
0. E. Schmidt, Der Briefwechsel des M. Tullius Cicero. Leipzig
1833, Teubner.
Im Anhange „Bemerkungen zu Stoffels Histoire de Jules Cesar,
Guerre civile". Danach sind, wie die Vergleichung der Briefe Ciceros
zeigt, in Cäsars Bericht Fehler vorhanden; diese schreibt Stoffel der
Flüchtigkeit zu, Schmidt dagegen glaubt, daß Cäsar absichtlich That-
sacheu verschwiegen oder auch umgeändert habe. Den Marsch des
Antonius I 11, 4 von Ariminum nach Arretium halten beide für schwer
ausführbar, weil zwischen diesen Städten keine Straße über den Apennin
führt; und Schmidt meint, daß Cäsar die Vorstellung erwecken wollte,
er habe sich mit Ariminum als Faustpfand für seine Forderungen be-
gnügen wollen, bis seine Ausgleichverhandlungen von den Gegnern zu-
rückgewiesen worden seien, worin R, Schneider ihm nicht beistimmt.
Dagegen pflichtet er ihm bei, daß I 16,1 die handschriftliche Lesart
Recepto Firmo Lentuloque expulso, für die ich selbst früher eingetreten
bin, beibehalten werden müsse, da man aus dem Vorhergehenden zu
den letzten Worten leicht Asculo hinzudenkt.
Wiegand, die Schlacht zwischen Cäsar und Ariovist. Mit-
teilungen der Gesellschaft für Erhaltung der geschichtlichen Denkmäler
im Elsaß, Bd. XVI, Straßburg.
Der Verfasser will die Annahme Stoffels, die Schlacht habe bei
Zellenberg stattgefunden, dadurch entkräften, daß er die dazu erforder-
liche siebentägige Marschleistung von je 27—28 Kilometern den Legionen
Bericht über C. Julius Cäsar und seine Fortsetzer 1895—1897. (Heller.) 225
nicht zutraut (während 0. E. Schmidt in der oben angezeigten Schrift
einen Durclischnittsmarsch von 37 Kilometern annehmen zu dürfen
glaubt). Da aber ein anderer tumulus terrenus außer dem von Stoffel
bezeichneten Plettig-Buckel in der ganzen Ebene nichts vorhanden ist,
wird die Darstellung des französischen Offiziers wohl bestehen bleiben.
H. Bender, Über die Glaubwürdigkeit von Cäsars Bericht über
den Krieg mit Ariovist. Neues Korrespondenzblatt für die Gelehrten-
und Realschulen WCrtembergs 1894, macht es Cäsar zum Vorwurf,
deu Krieg mit Ariovist absichtlich herbeigeführt zu haben, während da-
gegen Mommsen in der Rom. Gesch. es ihm gerade als Verdienst an-
rechnet.
Hugo Liers, Das Kriegswesen der Alten, mit besonderer Be-
rücksichtigung der Strategie. Breslau 1895, W. Koebner. Der Verf.
erkennt das kriegerische Geschick Cäsars gebührend an.
Rudolf Lange, Cäsar, der Eroberer Galliens. Mit Titelbild
und einer Karte (24. Hft. der Gymnasialbibliothek). Gütersloh 1896,
Bertelsmann. Für Schüler.
R. Schneider tritt in seinem Bericht der auch schon von Christ.
Schneider zurückgewiesenen Ansicht entgegen, daß es sich b. Gall.
VI 13, 9 um einen Zweikampf zwischen zwei Druiden handle; es handelt
sich um einen Kampf zwischen ihren Anhängern.
Friedrich Vogel, Cäsars zweite Expedition nach Britannien.
Neue Jahrb. f. klass. Philol. 1896.
Der Verf. rechnet nach den Angaben in Ciceros Briefen aus,
daß Cäsars Flotte etwa am 30. Juli (oder nach dem vorjulianischen
Kalender am 6. Juli) aus dem Hafen Itius ausgelaufen sei.
Walter Bensemann, Cäsars Unterfeldher ren und seine Be-
urteilung derselben. Marburg 1896, Ehrhardt.
Danach zeigt Cäsar sich nur unzufrieden mit den tribuni militum,
die ihre Stellung nur ihrer vornehmen Geburt verdankten, weniger
dagegen mit den Legaten, deren Leistungen er jedoch auf seine eigene
Rechnung za setzen bemüht sei.
Oswald May, Cäsar als Beurteiler seines Heeres in den Kom-
mentarien vom Gall. Kriege, 42 S., Neiße 1896, Graveur.
Nach dem Verfasser ist der dem Feldherrn gemachte Vorwurf
absichtlicher Verkleinerung der Tribunen und geflissentlicher Über-
schätzung der Centurionen zurückzuweisen,
Th. Mommsen, Bellum Hispaniense, zur Geschichte der cäsarischen
Zeit. Hermes XXVIII S. 599—618.
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVII. (1898. II,) 15
226 Bericht über C. Julius Cäsar und seine Fortsetzer 1895— 1897. (Heller.)
Außer einigen Verbesseruugsvorschlägeu zeigt der Verf., daß für
das in dem Kommentar erwähnte Muuda keine der jetzt Monda ge-
nannten Ortschaften in betracht kommen kann : die Stadt, zerstört nach
der Schlacht, ist verschollen, aber sicher im Singilisgebiete zu suchen.
Oberbaurat von Euting, Der römische Holzbau in der Besonderen
Beilage des Staatsanzeigers für Wilrteniberg vom 18. Xov. 1897, be-
handelt auch ausführlich den von Cäsar im B. Gall. IV, 16 beschriebenen
Brückenbau und die dabei erwähnten fibulae; er sagt bei Besprechung
des Dachstuhls der alten vatikanischen Basilika: „Außerordentlich wichtig
erscheinen mir die eisernen Stäbe ... Ich halte sie entschieden für
römische Überlieferung, und ich glaube nicht fehlzugehen, wenn ich in
diesen Stäben die viel umstrittenen fibulae erblicke, die den Gelehrten
bei ihren Versuchen, ein Bild der Bheinbrücke Cäsars zu entwerfen,
so viel Mühe gemacht haben . . . Ich bin durchaus der Überzeugung,
daß die Lösung HeUers (Phil. X, 792. Philol. Anzeiger XIV, 531),
wonach die fibulae eiserne Bolzen waren, die richtige ist, und zwar
nicht bloß deshalb, weil hierbei der Beschreibung Cäsars kein Zwang
angethan wii'd, und die fibulae ganz so genommen sind, wie sie nach
der Anwendung des Worts bei Vitruv genommen werden müssen, sondern
auch deshalb, weil Hellers Lösung, so fremdartig sie zuerst erscheint,
dem Wesen aller römischen Konstruktionen, nämlich an schwieriger
Handarbeit möglichst zu sparen, durchaus entspricht . . . und weil im
Mittelalter, wie der Dachstuhl der alten vatikanischen Basilika zeigt, der
Heller nicht bekannt gewesen sein muß, eine ganz ähnliche Verbindungs-
weise im Gebrauch war. Die Beschafiung der eisernen Bolzen bot gar
keine Schwierigkeit, da die römischen Legionen einen gewissen Vorrat
von eisernen Stäben mit sich führen mußten, um jederzeit in der Lage
zu sein, ihre in der Schlacht verschossenen Wurfspieße durch neue zu
ersetzen." Nebenbei verwirft der Verf. die von Napoleon III und die
von Reinhard vorgebrachten Entwürfe des Brückenbaues.
Gesamtüberblick.
Bud. Schneider hat in den Jahresberichten XXI (1895) und
XXni (1897) des philol. Vereins über die meisten der oben ange-
führten Schriften in eingehender Weise sein Urteil abgegeben und bei
vielen derselben Verbesserungen der Lesart oder der Übersetzung bei-
gebracht, wie ich oft an den gehörigen Stellen nach ihm augeführt
habe; wer sich mit den Kommentarien beschäftigt, wird gut tlmn, diese
Berichte, namentlich auch für das Heerwesen und die Kriegführung,
zu Rate zu ziehen.
H. J. Heller.
uiLiau MCHOituaiiiici.teTiEii-autLiiCHArr, ictzeiiiiiiien-schulc du LcrTC-vcnciKi
JAHRESBERICHT
I über
die Eortschritte der classischen
Altertumswissensehaft
begründet
von
Conrad Bursian
herausgegeben
von
L. C^vxrlitt iiiia W. Xii-oU,
Achtundneunzigster Band.
Sechsundzwanzigster Jahrgang 1898.
Dritte Abteilang.
ALTERTUMSWISSENS^^VJBR^^
Register über die drei Abtwfungen. * t*>
f*-^ 1961
LEIPZIG 1899.
0. E. REISLÄND.
JAHRESBERICHT
über
die Eortschritte der classischen
Altertumswissenschaft
begründet
von
Conrad Bursian
herausgegeben
Ton
L. Grixrlitt iina ^W. Iti-oU,
Achtundneunzigster Band.
Seciisundzwanzigster Jahrgang 1898.
Dritte Abteilang.
ALTERTUMSWISSENSCHAFT.
Register über die drei Abteilungen.
LEIPZIG 1899.
0. R. REISLAND.
//
Inhalts -Verzeichnis
des achtundneunzigsten Bandes.
Seite
Bericht über die Geschichte der römischen Litteratui'
1891-1896. Von Friedrich Aly in Burg . . . 1—32
Bericht über Vulgär- und Spätlatein 1891—1897. Von
Dr. P. Geyer, Gymnasial -Professor in Erlangen 33—117
Bericht über die jüdisch- hellenistische Philosophie 1889—
1898. Von Paul Wendland in Wilmersdorf . 118—134
Bericht über die ältere Papyruslitteratur. Von Dr. Paul
Viereck in Berlin 135 — 186
Bericht über die auf Paläographie und Handsclu'iftenkundo
bezügliche Litteratur der Jahre 1874 — 1896. Von Dr.
Rudolf Beer und Dr. Wilhelm Weinberger . 187—310
Register über Abteilung I — HI 311
/
Jahresbericht über die Geschichte der römischen
Litteratur 1891—1896.
Von
Friedrich Aly.
Wie mein Vorgänger, Prof. Dr. Ed. Zarncke, muß auch ich mit einer
Entschuldigung- beginnen. Erst im Febr. 1897 ist die Redaktion des
Jahresberichtes mit mir wegen der Übernahme des Referats in Unter-
handlung getreten; erst kurz vor Ostern desselben Jahres bin ich in
den Besitz der Litteratur gekommen, deren Zusammenstellung ich der
Güte meines A^orgängers verdanke. Ich habe daher vergleichsweise nur
wenig Zeit gehabt, mich in die Litteratur der Jahre 1891 — 96, die mir
zum grülleren Teile noch unbekannt war, zu vertiefen. Freilich ist mir
in dieser Hinsicht der ausdrückliche Wunsch der geehrten Redaktion
zu Hülfe gekommen, den Bericht auf die Zusammenstellung der „wesent-
lichen Fortschritte der Wissenschaft" zu beschränken. Dieser nur zu
berechtigten Forderung habe ich nach bestem Vermögen mich zu ent-
sprechen bemüht. In der äußeren Anordnung des Stoffes bin ich dem
Vorgänge Zaruckes gefolgt, dessen allgemeine Ausführungen (Jahres-
bericht 1881 — 1890 S. 277 — 279) ich mir zu eigen machen kann. Ich
schicke eine allgemeine Charakteristik der besprochenen Werke, Schriften
und Schriftchen voraus.
Das wissenschaftliche Ergebnis der Berichtsepoche darf für unser
Gebiet als ein ungewöhnlich reiches bezeichnet werden. Insbesondere
hat die deutsche Philologie alle Ursache, mit Befriedigung auf ihre
Leistungen zu schauen. An ilu'er Spitze stehen zwei Werke ersten
Ranges, die zu loben überflüssig sein dürfte, die großen Leistungen
von Otto Ribbeck und Martin Schanz. Aber auch unter den Büchern
zweiter Ordnung ist manch tüchtige, fleißige und geistvolle Arbeit; ich
erinnere an die bewährten Namen Hermann Peter und Rudolf Hirzel,
zu denen sich die rüstige Kraft Richard Büttners gesellt. Mit beson-
derer Genugthunug gedenke ich endlich der erfolgreichen Bemühungen, die
Ergebnisse gelehrter Forschung in geschmackvoller Form einem größeren
Publikum zugänglich zu machen, unter denen Theodor Birts Versuch
Jahresbericht lür Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVIU. (1898. III.) 1
2 Jahresbericht über die Geschichte der römischen Litteratiir. (Aly.)
hervorragt. Es wird, wie dieser hübsch bemerkt, vielleicht so einmal
die Zahl derjenigen gemindert werden, welche die antike Litteratiir
zwar nicht kennen, aber um so entschiedener verwerfen. Zu warnen
ist vielleicht hierbei vor der Gefahr, in encyklopädische Dürftigkeit äu
verfallen. An zweiter Stelle sind die Leistungen französischer Gelehrten
mit Auszeichnung zu nennen. Das unverkennbare yapiifxa unserer Nach-
barn, die liebevolle Versenkung in die Litteraturschätze der geistesver-
wandten Römer, die plastische Lmreißung der Charaktere, der fesselnde,
zuweilen pikante Stil hat treffliche Vertreter gefunden, die auf den
Bahnen ihres Meisters Gaston Boissier wandeln; ich nenne Martha,
Nageotte und Monccaux. Die Gefahr liegt hier auf dem Gebiete der
Tendenz und der Trivialität. Recht rührig sind die Italiener gewesen,
aber leider mehr quantitativ als qualitativ. Eine grolle Reihe kleinerer
Arbeiten liegt vor, die von redlichem oder wenigstens häufigem Bemühen
zeugen; aber der Ertrag ist gering. Die Verfasser fußen fast durchweg
auf den Arbeiten deutscher Gelehrten und fördern die Sache wenig.
Aber auch in Bezug auf Geschmack und Feinheit stehen sie hinter den
Franzosen zurück. Fast ganz fallen diesmal die Engländer weg, die
das vorige Mal so gut vertreten waren. Freilich sind einige Bücher
mir nicht zu Händen gekommen. Dali auch russisch und dänisch ge-
schriebene Werke mir vorlagen, erfüllte mich mit dem schmerzlichen
Bedauern, daß die schöne Kunst, Latein zu schreiben, so ganz ver-
schwunden ist. Oder soll der Referent eine Art Mezzofanti sein, der
alle europäischen Sprachen beherrscht? Und nun zur Sache. Es werden
erst die allgemeinen Darstellungen besprochen, dann die Gattungen und
Arten secundum ordinem; dazwischen die Miscellaneen , nach Zarnckes
bewährtem Vorgänge.
Allgemeine Darstellungen.
1. Martin Schanz, Geschichte der römischen Litteratur bis zum
Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian. München, Beck. 1. Teil
1890: Die römische Litteratur in der Zeit der Republik. XVI,
304 S. 2. T. 1892: Die Zeit vom Ende der Republik bis auf Hadrian.
XV, 476 S. 3. T. 1896: Die Zeit von Hadrian bis auf Konstantin.
XTX, 410 S. gr. 8. Der 4. Teil (Schluß) erscheint demnächst, zu-
gleich der 1 . in einer zw'eiten Bearbeitung. Handbuch der klassischen
Altertumswissenschaft. Hrsg. von I, v. Müller. VIII 1—3.
Wir schätzen uns glücklich, das ausgezeichnete Werk, dessen
unser Herr Vorgänger erst nur flüchtig Erwähnung gethan hat, an-
zeigen zu können. Wenn wir auch in dem grundlegenden Buche von
Teuffei- Schwabe (5. Auflage 1890) eine unversiegbare Quelle reichster
Jahresbericht über die Geschichte der römischen Litteratur. (Aly.) 3.
Belehrung besitzen, so ist doch ein derartiges Magazin der Gelehrsam-
keit nicht immer geeignet, Anregung zu gewähren und zu neuer Arbeit
BJizureizen. Der Natur der Sache gemäß ist es überreich an Namen
und Titeln und wird daran immer noch reicher werden. Neben diesem
Standard werk bedurfte es eines anderen Buches, das sich in der Aus-
wahl des gelehrten Stoffes beschränkte und den so gewonnenen Raum
der eingehenden Anal^'se und liebevollen Beurteilung anwies. Dieser
Aufgabe hat sich der Verf. mit großem Erfolg unterzogen und trotz
der Abhängigkeit, in der jeder Litterarhistoiiker seineu Hülfsraitteln
gegenüber steht, ein durchaus selbständiges Werk geschaffen, dessen
Bedeutung in erster Linie für jüngere Forscher nicht hoch genug ver-
anschlagt werden kann. Denn weder für die weiteren Kreise der Ge-
bildeten noch für den esoterischen Zirkel der Hochgelehrten ist das
Buch bestimmt, sondern für ältere Studenten, Kandidaten und Lehrer
der Gymnasien. Daher legt es den Hauptnachdruck auf eine übersicht-
liche Anordnung, die nach dem Vorgang der Franzosen durch kurze
Hervorhebung der Leitmotive in gesperrtem Druck sehr gefördert wird.
Die Litteratur ist auf das knappste Maß beschränkt, unter besonderer
Betonung streitiger Fragen. Auf die Formulierang des ästhetischen
Urteils, das durchweg Selbständigkeit erkennen läßt, ist große Sorgfalt
verwendet; durch Vergleiche aus anderen Litteraturgebieten wird der
Darstellung Frische und Leben vermittelt. Der Stil zeigt liebevolle
Pflege. Es ist leider überaus schwierig, ein derartiges Werk in ge-
bührender Weise zu würdigen. Eine schematische Wiedergabe des In-
halts erscheint unthunlich, da sich davon jeder durch Einblick in das
Inhaltsverzeichnis Kenntnis verschaffen kann. Es empfiehlt sich, nach
gewissen Gesichtspunkten einiges herauszugreifen, wobei freilich die
Differenzpunkte zwischen dem Autor und dem Referenten besonders
hervortreten werden. Aus diesen Stichproben wird man auf das Ganze
schließen können. Wir beginnen mit dem ersten Bande.
Die allgemeine Anordnung ist die übliche, von der unseres
Wissens neuerdings nur Th. Birt abgegangen ist: 1. Elemente der
nationalen Litteratur, 2. die römische Kunstlitteratur, A. bis zum Aus-
gang des Bundesgenossenkrieges, B. bis zum Ende der Republik. Im
einzelnen ist das eidographische Prinzip mit dem chronologischen ver-
schmolzen, was dadurch erreicht ist, daß nicht allzu große Zeitab-
schnitte festgesetzt werden, innerhalb deren, soweit als möglich, die
Gattungen zur Besprechung kommen, aber ohne die Werke desselben
Schriftstellers auseinander zu reißen. Eine Unterscheidung zwischen
innerer und äußerer Entwickelung, wie bei Bernhardy und Teuffei, wird
nicht gemacht. Bei der Anordnung der einzelnen Dichter würden wir
aus inneren Gründen Ennius, den Vater der römischen Kunstpoesie,.
1*
4 Jahresbericht über die Geschichte der römischen Litteratur. (Aly.)
vor Plautus behaudelu. Ja, wir würden uns nicht scheuen, an Ennius
die Tragiker anzuschlielien und erst darauf die Komiker im Zusammen-
hang zu behandeln (fabula palliata, togata, Atellana), wie das in unserem
Buche geschehen ist. Wir erachten den chronologischen Gesichtspunkt
doch für etwas sehr Äußerliches und Minderwertiges; die innere Ent-
wickelung knüpft an die Ausbildung der Gattungen, nicht an die Zeit-
folge der Dichter an. Auch Ribbeck folgt dieser Auffassung, wenn er
erst die drei Schöpfer der römischen Dichtung behandelt: Livius, Nä-
vius, Ennius, und dann das Drama, zuerst die Palliata, darauf die
Tragödie, die Praetexta, Togata, Atellana, Mimus. Die Anordnung
bei Schanz reißt das innerlich Zusammengehörige um der äußeren Ord-
nung willen auseinander. Im einzelnen wird, wie billig, erst der Lebens-
lauf des Dichters gegeben, dann eine Anah'se oder tibersicht seiner
Werke, endlich das Urteil und das Fortleben in der Nachwelt. Die
Anordnung von S. 78 ab hat ganz unseren Beifall; namentlich ist vor
allem Cicero als Redner behandelt, nicht, wie das vielfach geschieht,
auf mehrere Gattungen verteilt.
Im einzelnen erscheint uns zunächst die Charakteristik des
römischen Volkes nicht auszureichen. Auch ist Verf. der differentia
specifica der römischen Litteratur schwerlich gerecht geworden, wie
denn auch sonst hin und wieder, im starken Gegensatz zu Ribbeck,
eine starke Uuterschätzung der römischen Dichtung zu Tage tritt. Recht
knapp wird auch die Sprache behandelt. In der Beurteilung der
archaischen Litteratur macht sich Verf. mit Unrecht von Mommsen ab-
hängig. Es ist überhaupt auffallend, dal.i er sich über die Berechtigung
der radikalen Kunsturteile des großen Gelehrten nicht äußert. Und
doch ist die condicio sine qua non einer unbefangenen Litteraturgeschichte
Roms, sich mit dem besten Kenner seiner Geschichte auseinanderzu-
setzen. Th. Mommsen ist so groß, daß es seinem Ruhme nichts schadet,
wenn ein redlicher Forscher auf Grund eigener Prüfung zu anderen An-
schauungen kommt und dieselben frank und frei ausspricht. Von Ehr-
furcht bei dieser Gelegenheit zu sprechen, wie es der verstorbene Hertz
uns gegenüber einmal gethan hat, ist unwissenschaftlich. Ehrfurcht
schulden wir in erster Linie doch vor allem den ehrwürdigen Resten
des Altertums. Und solche Ehrfurcht des ästhetischen Urteils zu be-
wahren, hat uns Herder gelehrt, der jedes Dichtwerk aus den Zeitver-
hältnissen des Dichters heraus zu erklären gebot. Die Neueren, vor
allem Mommsen , aber zum Teil auch Schanz, urteilen von einem abso-
luten Standpunkt aus, von dem Standpunkt hellenischer Kunstschöne
oder moderner H3'perkritik. Wie anders Ribbeck! So wird denn
Schanz auch dem Ennius nicht gerecht. Zwar citiert er die schönen Verse
des Lukrez; aber der Schluß lautet doch: „—aber er hat ihnen auch
Jahresbericht über die Geschichte der römischen Litteratur. (Aly.) 5
den Giftbecher gereicht, der für die heimischen Sitten tödlich werden
sollte." Viel gerechter urteilte über den grollen Reformator der latei-
nischen Sprache, der für das Latein dasselbe geihan hat wie Luther
und Klopstock zusammen für das Deutsche, der unvergel.Iliche Kitschi
und auf seinen Spuren Lucian Müller. Was wäre wohl aus dem Latein
ohne Ennius' Eingreifen geworden? Eine stumpfe, endungslose Spruche
wie das TJmbrische, aas der nie mehr ein Vers htitte geformt werden
können. Was wäre aus den Römern geworden ohne die Aufnahme
hellenischer Bildung .' Ein für die Entwickelung des Menschengeschlechts
nutzloses Volk. Ennius ist einer der grollten Wohlthäter und der feinste
Geist des archaischen Roms.
Doch es wäre ungerecht, wollten wir immer nur unser ab-
weichendes Votum abgeben. Unübertrefflich ist die Kürze und Schärfe,
mit der Verf. bei vielumstrittenen Fragen die Streitpunkte feststellt;
so bei Terenz. P^benso zweckmällig und verständig sind die Rück-
blicke, mit denen er zusammenfassend jeden Abschnitt schliel.lt. Bei
dem Begriif der Satura bleibt Verf. bei j\Iommsens Auffassung, wie er
denn überhaupt mit den Neueren die Abhängigkeit der Römer von den
Griechen u. E. überschätzt. Gerade der unklare Begriff der Satura
ist uns ein Beweis dafür, daß hier keine Originalschöpfung der Hellenen
vorliegt, welche die Gattungen rein zu erhalten wullten. Mit der un-
glückseligen Liviusstelle (VII 2) ist schwerlich etwas anzufangen. Die
zahlreichen Annalisten werden sehr zweckmäßig besprochen, mit viel
Absätzen und t'berschriften, so daß Verworrenheit durchaus ver-
mieden wird.
Das zweite Kap. beginnt mit der Atellana und dem Mimus, wobei
die Bedeutung des Laberius schön gewürdigt wird; sein Prolog wird zu
den schönsten Denkmälern der lateinischen Poesie gerechnet. Um so
weniger können wir der Beurteilung des Lukrez zustimmen, wo sich
Seh. zu der Behauptung verirrt: Die Grenze, durch die das Genie vom
AVahnsinn geschieden werde, sei nur eine geringe. (!) Auch sein Werk
ein Gedicht von hoher Vollendung, ihn selbst (nebst KatuU) den größten
Dichter der Römer zu nennen, geht nicht an. Es ist vielmehr eine
entsetzliche Verirrung, die traurigste, trostloseste Weltanschauung, die
es giebt, in poetische Form zu kleiden. Von der Öde vieler Ab-
schnitte, von der so unlogischen Anrufung der Götter braucht man
kaum zu reden; sie sind jedem Leser bekannt. Und dal.l das freie
Denken sich an diesem Dichter emporgerankt hätte, ist uns neu. Lukrez
bringt nicht das „Licht der Aufklärung", sondern die Nacht des geistigen
Todes. Mit viel mehr Recht hätte Seh. sagen können, dal.l sich die
Folgezeit an Ciceros Schriften aufgerichtet habe, vor allem au seinen
philosophischen, als au Lukrez. Aber gerade hier ist der schwerste
6 Jahresbericht über die Geschichte der römischen Litterat ur. (Aly.)
Stein des Anstoßes. Nachdem er Cäsar übermäßig gesprieseu hat,
charakterisiert er Cicero als „gefallene Größe", nennt Drumanns Dar-
stellung die beste und lobt Mommsens Bild Ciceros, das mit der land-
läufigen Vorstellung sehr kontrastiere. Xun, die Philologen, die Mommsens
Verdikt nicht acceptieren, sind vorläufig noch an den Fingern herzu-
zählen; für die „landläufige Vorstellung" aber ist der größte Sprach-
meister Eoms bete noirc. Aber mit der Begründung steht es übel.
Einer Aufforderung H. Kissens folgend, hat Ref. in dem Aufsatze
„Cicero und Drumann" (Zeitschr. f. Gymn. 1897, 213) eine Konfrontation
Drumanns mit den von ihm angeführten Quellenstelleu vorgenommen, die
für den Königsberger Historiker ein beschämendes Ergebnis hatte. Es
ist nichts mit Drumanns «eiserner Gelehrsamkeit". Und so kommt
denn eine neue Richtung auf (Weillenfels. 0. E. Schmidt, Schneidewin,
Zielinski, Leo), die dem Verf. vielleicht Anlaß giebt, seine Auffassung
noch einmal zu prüfen und hoffentlich zu berichtigen. Voi'läufig ist
dei" ganze Abschnitt bei Schanz nur mit Kritik zu benutzen.
Der Rest giebt uns nicht zu weiteren Ausstellungen Anlaß. Ein
Wort sei noch dem Stil gewidmet. Verf. kommt dem zur Zeit herrschenden
Streben, auch gelehrte Bücher gefällig zu schreiben, entgegen. Der
Erfolg ist nicht zu verkennen. Aber ein retractatio würde noch manche
Spuren des Papierstils, wie ihn 0. Schröder getauft hat, tilgen können
Ribbeck ist auch hier ein schwer erreichbares Muster und Vorbild.
Der zweite Band dürfte vielleicht noch höher zu bewerten sein
als der erste. Sei es, daß der Verf. durchweg festen Boden unter den
Füßen fühlt, sei es, daß seine Kraft mit dem rüstigen Fortschreiten
des Werkes wächst, uns sagt dieser Band, der die Kaiserzeit bis 117
in sich schließt, noch mehr zu. Was wir auch herausgreifen, wi)- haben
fast nur Veranlassung zu loben und anzuerkennen. Die Anordnung
giebt freilich gleich zu einem Protest Anlaß. Wir halten es für ratsam,
wie gemeinhin geschieht, die Zeit Ciceros mit der des Augustus zu
einem Abschnitt der klassischen Vollendung zusammenzuziehen. Mit
dem Jahre 80 v. Chr. beginnt sich der Umschwung zu vollziehen,
der die Zeit der Höhe vorbereitet, die liebevolle Pflege der sprachlichen
und metrischen Formengebung. Daher gehören Cicero, Cäsar, Lukrez
und KatuU, um nur die Hauptnamen zu nennen, mit Virgil und Horaz
e tntti quanti in das Zeitalter des Klassizismus, das sich wiederum in die
Zeit des Cicero und des Augustus spaltet. Im einzelnen ist nichts zu
erinnern, außer daß Verf., seinem Vorsatz zuwider, den Dichter Seneca
vom Philosophen trennt; er scheint selbst zu fühlen, wie misslich das
ist. Ref. hat sich in seinem Buche dadurch zu helfen gesucht, daß er
Seneca In die Mitte der Dichter und Prosaiker gestellt hat. Er ver-
dient auch, der äf>yr^-(i~r^i der silbernen Prosa zu sein, da er ihr den
Jahresbericht über die Geschichte der röraischea Litteratur. (Aly.) 7
Stempel seines Geistes aufgedrückt hat. In der Darstellung bewundern
wir wieder die 7oicp.poj'Jvrj des Verf., welche die so naheliegende Gefahr der
"Weitschweifigkeit klug meidet und doch nichts Wesentliches übergeht. Die
Überschriften sind so zahlreich als möglich, die Litteratur aufs Nötigste
beschränkt, das Ziel der Anregung nie aus den Augen gelassen. Das
Urteil ist durchweg fein und maßvoll abgewogen, vielleicht mehr noch
als im ersten Bande. Nur an wenigen Stellen möchten wir Einspruch
erheben. Das Urteil über Virgil auf S. 70 — 71 ist unbillig und un-
richtig. Seh. geht von dem falschen Gesichtspunkte einer Vergleichung
Virgils mit Homer aus ; wir verweisen ilm auf Schillers berühmte, aber
nicht genug gewürdigte Abhandlung 'Über naive und sentimentalische
Dichtung', wo es der große Kunstrichter geradezu ablehnt, den Virgil
aus diesem Gesichtswinkel zu beurteilen. Wo Virgil in die Tiefen des
menschlichen Herzens hinabsteigt, wo er die Töne des Patriotismus und
Nationalgefühls anschlägt, da kann er sich getrost neben Homer stellen,
aber auf einem anderen Felde, als der große Volksdichter. Virgil hat
seinem Volke ein nationales Epos geschenkt, indem er die Gegenwart
in der Vergangenheit sich spiegeln ließ. Daher ist seine Aeneis kein
, mißlungener Gedanke". Ja, in Einzelfällen geht er über sein Vorbild
hinaus. Oder ist die bekannte Episode des Freundespaares Nisus-Euryalus
nicht eine verbesserte Auflage der J^oXwveiaV Verf. bringt eben hier seiner
Zeit den Tribut, die nun einmal der lateinischen Litteratur nicht günstig
gesinnt ist. Wenigstens in Deutschland nicht; die Franzosen urteilen
billiger. Hingegen wird Seh. dem Horaz vollkommen gerecht, auch
dem Liederherbst des 4. Odenbuches, der sonst eine ungerechte Ver-
urteilung erfährt. Er giebt der Drususode mit Recht das Attribut eines
schönen Gedichtes. Klar und scharf ist die Erörterung der Dichter
des Messallakreises; die kritischen Probleme werden kurz und treffend
nach ihrer Entwickelung und Lösung charakterisiert. Ganz vortrefflich
und originell ist die Würdigung Ovids als des genialsten Erzählers der
Römer; Verf. liefert hier Muster und Vorbild einer liebevollen Analj^se, die
nichts verschweigt, nichts verschleiert, aber vor allem die eigenartigen Vor-
züge des Autors feinsinnig aufspürt. Allzu breit sind die hohlen Dekla-
matoren behandelt, die wir doch nur aus dem älteren Seneca kennen.
Im zweiten Abschnitt (14—117) sind die Hindernisse, die der Despotismus
der ersten Kaiser der Entwickelung der Litteratur bereitet hat, wohl, wie so
vielfach, überschätzt worden. Es ist doch bemerkenswert, daß uns nicht
nur ein so oppositionelles Werk wie Lukans Pharsalia erhalten ist,
sondern daß auch unter Nero ein Petron, unter Domitian ein Martial
geschrieben haben. Dichter ersten Ranges. Gerade das Gegenteil ist
richtig. Unter dem milden und weisen Regiment der beiden Antonine
geht die römische Litteratur mit Riesenschritten zurück. Was ihr das
^ Jahresbericht über die Geschichte der römischen Litteratur. (Aly.)
(rrab bereitete, hat Verf. an manchen Stellen angedeutet. Außer dem
Absterben des schöpferischen Geistes überhaupt, war es vor allem das
.ungesunde Spiel mit den Ivünsteu des Rhetors", das Verf. treffend am
Schluß den 'Fluch der römischen Dichtung' nennt. Er hätte nur auch
bemerken sollen, daß diese Neigung zur Rhetorik aus dem innersten
Wesen des Römers stammte; sie hat die machtvolle Entwickelung der
römischen Beredsamkeit nachhaltig gefördert, sie hat aber auch bei
ihrem Einbruch in die übrigen Gattungen der Litteratur dieser ein
frühes Ende bereitet. Daher der Genuß, den wir an Petron und
Martial empfinden, weil sie eben natürlich in Sprache und Empfinden
sind, während der gioße Tacitus, zumal in den Annalen, der Rhetorik
mehr als billig nachgiebt. Sehr sympathisch ist es uns, daß Verf. den
Dialogus dieses Schriftstellers sehr hoch stellt und ihn in höherem
Grade der Jugendlektüre zuweist als die geschichtlichen Werke, eine
Feinfühligkeit pädagogischen Urteils, die heutzutage sehr selten ist.
Zum Schluß zwei Bemerkungen. Besondere Anerkennung verdient der
Stil, der uns in diesem zweiten Bande gefeilter, frischer und anregender
zu sein scheint, als in dem ersten. Glückliche Citate aus neueren
Dichtern, kurze Belegstellen, treffende Vergleiche verbannen alle Ab-
spannung, die uns so leicht bei der Lektüre litterarhistorischer Werke er-
greift. Nirgends sinkt die Darstellung auf die Stufe der trockenen Auf-
zählung hinab..
Über den dritten Band können wir uns kürzer fassen , zumal da
die Gefahr der Wiederholung nahe liegt. Er umfaßt die Zeit von
117 — 324, und zwar zuerst die nationale (heidnische), dann die christ-
liche Litteratur, sowohl die apologetisch-polemische, als auch die
dogmatisch- ethische. Xur ein prinzipielles Bedenken möchten wir aus-
sprechen. Uns scheint der juristischen wie der patristischen Utteratur
ein zu großer Raum verstattet zu sein. Es läßt sich die Frage
aufwerten: wo endet hier das Interesse des Litterarhistorikers, wo fängt
das Gebiet der SpezialWissenschaft, also der Rechtswissenschaft und der
Theologie anV Verf. hat sich die Grenze zu weit gesteckt. Vielleiciit
aus Freude an der Erweiterung des eigenen Gesichtskreises, wie er in
der Einleitung selbst mit liebenswerter Bescheidenheit andeutet, hat er
Teile der römischen Rechtsgeschichte (S. 164 — 193) und ein ansehnliches
Stück Kirchengeschichte (S. 204—408) verarbeitet. Wir bekommen
förmliche Abhandlungen über den ]\lontanismus und die Gnostik, durch-
\seg an der Hand theologischer Werke. Verf. scheint die Übertreibung
selbst gefühlt zu haben, indem er an einer Stelle apologetisch betont,
daß doch auch der Ideengehalt eines Werkes Gegenstand litterarhistorischer
Foischung sein müsse. Bis zu einem gewissen Grade, ja; aber so schlecht-
hin möchten wir die These nicht zugeben. Die Litteraturgeschichte
Jahresbericht über die Geschichte der römischen Litteratur. (Aly.) 9
siebt doch in erster Linie auf die Kunstform und dann erst auf den
Inhalt, dessen eingehende Würdigung- sie der betreffenden Fachwissen-
schaft überläßt. Um Beispiele aus neuerer Zeit heranzuziehen, so ge-
hören die Werke von Sybel und Trcitschke gewiß auch vor das Tribunal
der Litleraturgeschichte; aber rein gelehrte Werke, wie Regesten,
(:^uellenuntersuchuugen, methodologische Forschungen, Dissertationen,
gehören ausschließlich der Geschichtswissenschaft zu eigen. Verf. be-
kennt selbst z. B., daü ihn Celsus als Arzt gar nicht interessiert, wohl
aber als Stilist, als Schriftsteller. Und so werden wir alle sog. Fach-
schriftsteller, wie den älteren Plinius, Columella u. a., nur in ihrer
Eigenschaft als Schriftsteller in der Litteraturgeschichte berücksichtigen;
das eigentlich Fachliche, was sie vorzubringen haben, gehört der Be-
urteilung der betreffenden Fachwissenschaft an. So ist uns der Monta-
nismus und die Gnostik litterargeschichtlich sehr gleichgültig, während
die eigenartige Latinität des Tertullian unser höchstes Interesse bean-
sprucht. Wird diese Auffassung zugegeben, so mul.l der dritte Band
als zu breit bezeichnet werden; 00 Seiten für Tertullian sind unter
allen Umständen zu viel. Nur mit Bedenken sehen wir dem vierten
Bande entgegen, der die Zeit bis Justinian umfassen soll. Ganz anders
ist wieder Ribbeck verfahren, der den christlichen Dichter Prudentius
nicht berücksichtigt hat. Und warum will Verf. dann bei Justinian
Halt machen? Warum scheidet er die lateinische Litteratur des Mittel-
alters und die Humanisten aus, sowie die ganzen Neulateiner? Er
wird antworten, weil sie nicht national-römische, sondern schlechtweg
lateinische Litteratur vertreten. Ganz recht; aber das gilt auch für
die Kirchenväter. Verf. selbst unterscheidet nationale und christliche
Litteratur, scheint also in beiden einen Gegensatz zu sehen. Und so
ist es; mit dem Christentum erhält die national -römische Litteratur den
Todesstol.l und wird zur lateinischen Litteratur. — Diese Bedenken
möchten wir dem Verf. nicht verschweigen. Im übrigen gebietet es
die Gerechtigkeit, zu bezeugen, daß der dritte Teil mit derselben Sorgfalt
gearbeitet und mit derselben Klarheit dargestellt ist, wie die ersten
beiden Teile. Verf. hat sich mit diesem AVerk ein dauerndes Denkmal
gesetzt und sich um die lateinischen Studien der künftigen Generationen
wohl verdient gemacht.
2. Friedrich Aly, Geschichte der römischen Litteratur. Berlin
1894, R. Gärtners Verlagsbuchhandlung (Hermann Heyfelderj. XI,
353 S. 8.
Das Buch ist in erster Linie für die Primaner höherer Lehran-
stalten berechnet; es will vor allem Begeisterung für die römische Litte-
ratur erwecken, die ja leider durch die scharfen und ungerechten Kunst-
10 Jahresbericht über die Geschichte der römischen Litteratur. (Aly.)
urteile Mommsens schwer geschädigt ist. Die Kritik hat sich im allgemeinen
günstig geäußert, wenn auch nicht ohne gelegentliche Einschränkung
des Lobes. Es ziemt dem Verfasser nicht, an dieser Stelle in eine
Polemik einzutreten, zumal da er eine Reihe von Ausstellungen als be-
rechtigt anerkennt. Im Fall einer neuen Bearbeitung würde er, Weißen-
fels' Rat entsprechend, die Bemerkungen über Handschriften, Ausgaben
und Ähnliches in einen Anhang verweisen und den Charakter des Lese-
buches nicht durch ausschließlich lehrhafte Abschnitte trüben.
3. Max Zöller, Grundriß der Geschichte der römischen Litte-
ratur. Ä. u. d. T. Sammlung von Kompendien für das Studium und
die Praxis 1.3. Münster i. W. 1891, Heinrich Schöningh. XII,
343 S. 8.
Ist das vorher besprochene Buch vor allem für Schüler geschrieben,
Bo ist dieses den Lehrern der Gymnasien bestimmt. Daher betont es
gerade die Gesichtspunkte, die jenes mehr in den Hintergrund schiebt,
und umgekehrt. Es ist ohne Zweifel eine fleißige und verständige Kom-
pilation aus den bekannten Hülfsmitteln, recht gründlich, stellenweise
sogar etwas breit. Die Anordnung ist die herkömmliche; die Gattungen
werden besprochen, ohne daß dabei die Werke desselben Schriftstellers
auseinandergerissen werden. Nur in der Darstellung Ciceros fällt ein
Mangel an innerem Zusammenhang auf: es mußte erst das öffentliche,
dann das Privatleben, endlich die Schriftstellerei des Redners abgehandelt
werden. Die Ausführlichkeit wechselt. In der Darstellung wird Schwung
und Frische vermißt; der Ton erinnert zu sehr daran, dali wir es hier
mit einem Repetitionsbuch zu thun haben, das den Kandidaten gute
Dienste leisten mag. Im einzelnen soll zunächst der Ausdruck „archai-
stische Zeit" gerügt werden; Verf. verwechselt, was übrigens oft ge-
schieht, archaisch und archaistisch. Die Bedeutung des Ennius ist ganz
verkannt. Verf. irrt, wenn er meint, die römische Litteratur hätte sich
auch ohne griechischen Einfluß ausbauen lassen (S. 26). Wir verweisen
auf Lucian Müllers Biographie des Eunius. Auch dem Plautus wird
er schwerlich gerecht. W^er sollte aus seiner Darstellung die entzückende
Frische der plautinischen Sprache, seinen Geist und AVitz erkennen.^
In der Auffassung der klassischen Prosa vermißt man den Hinweis auf
den rhetorischen Charakter der römischen Litteratur, z. B. des Livius.
Was Verf. öfter „nationale Tendenz" nennt, ist in Wahrheit das rheto-
rische Naturell der Römer, das niemand besser charakterisiert hat, als
Taine in seinem Essai sur Tite-Live. Die silberne Latinität kommt
nicht zu ihrem Rechte, während Varro und auch Cicero zu breit be-
handelt sind. Immerhin ist das Buch für den genannten Zweck zu
empfehlen.
Jahresbericht über die Geschichte der römischen Littcratur. (Aly.) ] 1
4. Hermann Joachim, Geschichte der römischen Litleratur.
Leipzig 1896, Göschen. 182 S. 12.
Der Versuch der Verlagshaudlung, die Bildung unserer Zeit nacli
Art des Fleischextrakts auf Flaschen zu ziehen, ist nicht unbedenklich
und g-eradezu symptomatisch für den greisenhaften Charakter der
modernen Kultur. Noch ein Schritt, und das Konversationslexikon hat
auf der ganzen Linie gesiegt, und unter seinem Schutze die Halb-
bildung, die von allem nascht und nichts ernstlich betreibt. Wir halten
es noch mit dem schönen Wort Senecas: Ees severa verum gaudium.
Abgesehen davon hat Verf., ein Schüler Büchelers, seine Sache nicht
übel gemacht. Er schreibt frisch und keck. In der Beurteilung steht
er unter llommsens EinÜul.!, wenn auch nicht ausschlielJlich. Auffällig
ist die Behauptung, daß Cicero aus Furcht vor Sulla nach dem Osten
gereist sei. Kennt Verf. nicht die schöne Stelle im Brutus, die den
Stempel der inneren Wahrhaftigkeit an sich trägt? Auch kennt er nur
6 Verrinen; warum unterschlägt er die Divinatio in Q. Caecilium? Horaz
unterschätzt er, zum mindesten seinen Liederherbst.
5. Th. Birt, Eine römische Litteraturgeschichte, in fünf Stunden
gesprochen. Marburg 1894, Elwert. 210 S. 12.
Auch hier liegt eine Litteraturgeschichte in nuce vor, aber ohne
jeden Anspruch auf Lehrhaftigkeit oder Vollständigkeit. Der Verf.,
zugleich ein Gelehrter und ein Dichter, hat 5 Vorlesungen vor einem
gemischten Publikum veröffentlicht, ein immerhin mißliches Unternehmen;
denn eine „Spreche", hat einmal ein geistreicher Mann gesagt, ist noch
keine „Schreibe". Verf. überschüttet auch den Fachmann mit einer
Fülle geistvoller Anregungen, obgleich er für diesen nicht geschrieben
zu haben behauptet. Manche Partieen sind köstlich, so die Gegenüber-
stellung des Senatsherrn Tacitus und des Kleinbürgers Juvenal. Andere
Stellen erregen Bedenken, weil der Ton allzu niedrig gegriffen wird:
Plautus, „ein kleiner, fideler Plebejer"; Cicero, ein „ruhiger, guter
Herr"; ^und überhaupt der Vollbart", nämlich seit Hadrian — ob das
den Frankfurter Kaufleuten und ihren Damen eine würdige Vor-
stellung von der römischen Litteratur beigebracht hat? Auch einige
Seitenhiebe auf den schulmäßigen Betrieb der Gymnasiallektüre konnten
fehlen: mutato nomine de te fabula narratur.
6. Leben und Werke der griechischen und römischen Schulschrift-
steller. Zusammengestellt von Lehrern der Gr. Stadtschule in Wismar.
2. Auflage. Wismar 1896, Hinstorff. 31 S. 8.
Ein sehr löbliches Unternehmen, das wir zur Nacheiferung bestens
empfehlen. Es würden sich namentlich die Programmabhandlungen zu
12 Jahresbericht über die Geschichte der römischen Litteratur. (Aly.)
derartiger Behandlung der Litteraturgeschichte für höhere Schulen
eignen; denn daß die doch immer nur fragmentarische Lektüre einer
solchen Ergänzung, eines Rahmens bedarf, steht für uns fest. Der
Wismarer Versuch bietet nur das Notdürftigste, nur Thatsachen. Viel-
leicht würde eine liebevolle Charakteristik der Schulschriftsteller, etwas
Schwung und Wärme der Sache noch förderlicher sein als die Trocken-
heit der Notizen.
7. E. Nageotte, Histoire de la litterature latine. Nouvelle
edition. Paris 1891, Garnier Freres. 553 S. 12. 5. edition, revue et
corrigee. 1896.
8. Alfred .Teanroy und Aime Puech, Histoire de la littörature
latine. Paris 1891, Librairie classique Paul Delapante. 359 S. 12
Beide Bücher dienen den Zwecken der höhereu Schulen, ent-
sprechend dem Ministerialerlaß vom 15. Juli 1890, der einen abgekürzten
Unterricht in der Litteraturgeschichte vorschreibt. Während das letztere
den Stempel der industriellen Mache an der Stirne trägt, obgleich die
Verfasser sich rühmen, Schüler des trefflichen G. Boissier zu sein, ist
das erstere wirklich beachtenswert. Die Franzosen haben von je her
für die ihnen kongeniale Litteratur ßoms ein -feines Verständnis gehabt.
Dazu besitzen nicht wenige, so auch Nageotte, einen flüssigen, ange-
nehmen Stil und die Gabe, einen Charakter mit wenig Strichen zu
skizzieren. Man vergleiche nur, wie einsichtig und liebevoll N. über
das Genie eines Plautus urteilt. Auch dem Wesen eines Cicero wird er
durchaus gerecht, wie wir denn durchweg seine Kunsturteile unter-
schreiben können. Zu loben ist auch die praktische, übersichtliche Ein-
teilung, die den kürzeren Abschnitten Inhaltsangaben mit hervorgehobenem
Druck voranschickt, desgleichen die gründliche Berücksichtigung des
Nachlebens der Schiiftsteller (reputation), wobei N. eine achtbare Be-
lesenheit beweist. Weniger gefällt die Anordnung im ganzen, insofern
um der Gattungen willen die Besprechung der Dichter auseindei'gerisseu
wird; so ist es unleidlich, wenn der Tragiker und der Epiker Ennius
in ganz verschiedenen Kapiteln besprochen werden.
9. Luigi Valmaggi, Sommario di storia della litteratura romana
ad uso dello scuole secondarie. Torino 1891 , Casanova. V.III,
165 S. 12.
Der Verf. schreibt etwas viel zusammen. Dieses sommario hätte
er wohl mit etwas mehr Gründlichkeit besorgen können. Wer über
Horaz kaum 3 Seiten zu sagen weiß, darunter über die Oden nur
9 Zeilen, kann schließlich sich auch ganz davon dispensieren.
Jahresbericht über die Geschichte der römischen Litteratur. (Aly.) 18
10. Paul Thomas, La litterature latine jus(iuaux Antonius.
Bruxelles, Charles Rozez. A. u, d. T. Bibliothcque beige des con-
naissances modernes. 251 S. 12.
Der sehr fruchtbare Verfasser hat das Kompendium, das er zum
Teil aus Nageottes Buch dem Inhalt iiacli entnommen hat, für die
höheren Schulen Belgiens bestimmt. Es ist ein wenig oberflächlich
gehalten und kann auf besondere Beachtung kaum Anspruch erheben.
Bemerkenswert ist allenfalls der schwungvolle Uj-mnus auf A'irgil, und
vor allem auf seine Georgica, die ja in Frankreich viel gelesen werden
(S. 128/9).
Miscellaneen zur Geschichte der römischen Litteratur.
11. Paul Thomas, Eome et la litterature latine. Conference falte
au cercle litteraire des etudiants de l'Universitc de Gand. Bruxelles
1892, H. Lamertin. 15 S. 8.
Verf. erörtert einige leitende Gedanken: 1. Nur große Völker
haben eine Litteratur. 2. Ein Publikum kann es nur in einer großen
Stadt geben. 3. Die lateinische Litteratur ist keine sklavische Nach-
bildung der griechischen. 4. Der Patriotismus spielt in ihr eine
große Rolle.
12. Constant Martha, Melanges de litterature ancienne. Paris
1896, Hachette et Cie. 252 S. 12.
Aus der Sammlung gehören hierher: Les Romains a la comedie,
Lucrece et Ciceron, Auguste et les lettres, Seueque. Wir haben diese
Aufsätze mit aufrichtigem Vergnügen gelesen, da sie geradezu typisch
sind für die Schreibweise unserer Nachbarn. Weder tief noch gelehrt,
aber durchweg anregend und fesselnd, entsprechen sie genau dem Ziele,
das sich der jüngst verstorbene Verf. gesetzt hat; sie wollen „rendre
Tantiquite vivante et accessible a tous.* Es ist das eine Gattung, die
bei uns viel zu wenig gepflegt wird. Am ersten ist noch Birt zu ver-
gleichen, der dem Franzosen an Geist nicht nachsteht, während er ihn
an Gediegenheit übertrifft. Aber vergleicht man damit z. B. die populären
Abhandlungen Emil Hübners und auch L. Friedländers in der Deutscheu
Rundschau, so merkt man den Abstand. Freilich laufen Flüchtigkeits-
fehler schlimmster Art unter. Wie Boissier in einem Anfall von Geistes-
abwesenheit den Cäsar Gergovia einnehmen läßt, so legt Martha dem
Augustus das Wort in den Mund, Cicero sei „un honnete homme" ge-
wesen; bei Plutarch steht bekanntlich: X0710;, beredt. Auf derselben
Seite (196) citiert er aus Horaz: „Tont est soumis, excepte Tindomptable
vertu de Caton", soll heißen praeter atrocem animum Catonis. Seit
14 Jahresbericht über die Geschichte der römischen Litteratur. (Aly,)'
wann heißt aniimis vertu? Solche Blößen, die für einen deutschen Ge-
lehrten tödlich sein würden, genieren den geistreichen Franzosen nicht.
Dafür entschädigt er allerdiugs durch feines Verständnis der Alten.
Am bedeutendsten ist der Aufsatz über den Philosophen Seneca, dem
er gerecht geworden ist, ohne in t^bertreibungen zu fallen. Wissen-
schaftlich wertvoll dürfte der Versuch sein, die Beziehungen zwischen
Lukrez und Cicero aufzuhellen. M. führt eine Reihe von Stellen aus
de linibus und den Tuskulanen an, die allerdings eine unverkennbare
Ähnlichkeit mit dem Dichter der mechanischen Weltanschauung zeigen.
Es wird daraus gefolgert, dal.i Cicero nicht immer den Epikureismus so-
schroff gegenübergestanden habe, wie man auf den ersten Blick meinen
sollte. Freilich sieht M. in seiner Hypothese selbst nur einen roman.
historique. Der erste Aufsatz schildert sehr drastisch an der Hand
der plautinischen Prologe das Publikum des römischen Theaters. Im
vierten Stück endlich bespricht er das Verhältnis des Augustus zu den
Dichtern seiner Zeit. Er kommt dabei zu ganz anderen Schlüssen, als
Teuffei- Schwabe, der (s. S. 451 If.) über dieses Thema mit kaum ver-
ständlicher Schärfe aburteilt.
13. M. Morlais, Etudes philosophiques et religieuses sur les
ecrivains latins. Paris 1896, Ch. Poussielgue. X, 404 S. 12.
Ein seltsames Buch, wie es nur ein Franzose schreiben kann!
Verf., ein katholischer Geistlicher und zugleich Professor, giebt einen
hübschen, wenn auch nur oberflächlichen Überblick über die metaphy-
sischen und religiösen Vorstellungen von Lukrez, Cicero, Virgil, Seneca,
Lucan und Juvenal. Die bezüglichen Stellen sind ausgezogen, zum
Teil übersetzt, geordnet und erklärt. Aber ihm ist das nicht genug,
sondern sein letzter Zweck ist der, die ihm anvertraute Jugend von
Toulouse bei jedem nur denkbaren Anlaß auf das wahre Heil des
Christentums hinzuweisen. Sein Motto ist sehr löblich: „unir la science
k la foi", sein Vorbild le Souverain-Pontife], Leon XIIL Aber was hat
das alles mit der AVissenschaft zu thun? Die Alten wollen aus sich
selbst heraus und um ihrer selbst willen verstanden werden; als Grund-
lage für apologetisch-paräuetische Bestrebungen, so ehrenwert diese an
und für sich sein mögen, sind sie zu gut. Etwas Neues bietet das um-
fangreiche Buch nicht; doch ist die Darstellung flüssig.
14. Claude-OdonReure, Lesgensde lettres et leurs protecteurs
ä Rom. Paris 1891, Belin freres. XII, 403 S. 8.
Derselbe, De scriptorum ac litteratorum hominum cum Romanis
imperatoribus inimicitiis. Ebendaselbst 1891. 120 S. 8.
Beide Bücher gehören zusammen; sie sind nicht nur fast zu
Jahresbericht über die Geschichte der rrnnischea Litteratur. (Aly.) 15
gleicher Zeit erschienen, sondern behandeln auch das gleiche Thema
nach verschiedenen Seiten hin, dort die Gunst der Grollen, hier ihre
Ungunst der Schriftstellerwelt gegenüber, jenes in französischer, dieses
in lateinischer Sprache. Um so auffälliger mag es sein, wenn unser
Urteil über beide Bücher gerade entgegengesetzt lautet ; das erstere ist
eine graziöse Plauderei, die zwar keine neuen Ergebnisse oder Auf-
fassungen bringt, aber das Bekannte hübsch und anregend vortrügt,
das letztere eine unreife Studentenarbeit in barbarischem Latein, welche
die Fakultät von Aix lieber nicht hätte drucken lassen sollen. Beide
Arbeiten stellen sich als Thesen dar, also Uuiversitätsschriften, durch
die irgend ein akademischer Grad erreicht werden sollte. Nun könnten
wir es wohl begreifen, daß Verf. mit der lateinischen Arbeit durchfiel
und mit der französischen durchkam. Aber dem kann nicht so sein^
da die Fakultät auch die lateinische mit ihrem „Imprimatur" ausge-
zeichnet hat. Zunächst von dieser. Ein solches Latein erinnern wir
uns lange nicht gelesen zu haben, selbst unter der Herrschaft der neuen
Lehrpläne. Aber auch der Inhalt ist nicht viel wert, sowohl der An-
ordnung als auch der Ausführung nach. Verf. hat statt des chrono-
logischen Gesichtspunktes in dem ersten Teile die Gattungen der Schrift-
steller, in einem zweiten die Kaiser der Reihe nach besprochen. Das
mußte natürlich zu lästigen Wiederholungen führen. Die Ausführung
erhebt sich nicht über das Niveau der bekannten Anekdoten. Wie
ganz anders wirkt das französisch geschriebene Buch auf den Leser!
Hier ist flüssiger Stil, klare Anordnung, auch eine leidlich befriedigende
Erörterung, die besonders auf dem Gebiet der Litteratur der späteren
Kaiserzeit gute Belesenheit verrät. Verf. geht von der richtigen Beob-
achtung aus, daß die Protektion in der römischen Litteratur, und
zwar von Livius Andronicus bis Claudian, eine größere Rolle spielt
als bei anderen Völkern, ohne jedoch erheblichen Schaden gestiftet zu
haben. Augustus ist das Vorbild eines klugen und maßvollen Schätzers
und Gönners der Dichter. Aus der älteren Zeit werden die Kreise
der beiden Scipionen durchgesprochen, zu denen (nach Büttners Vor-
gang) auch der des Catulus gefügt werden konnte. Sodann Memmius
mit Katull und Lukrez , dann die Kaiser: der Hof des Augustus und
die zeitgenössischen Dichter; das Verhältnis der Schriftsteller zu den
großen Herren, dargestellt in der Person Martials; die Pädagogen, Vor-
leser, Lehrer und sonstige litterarische Umgebung der Großen, als deren
Typus der jüngere Plinius hübsch abgeschildert wird; die Herrscher
und die Schriftsteller, speziell die Zeit Domitians, die Rhetoren und
Philosophen des zweiten Jahrhunderts, die späteren Kaiser bis auf
Honorins, endlich offizielle Einrichtungen aus der Kaiserzeit, wie Vor-
lesungen, Deklamationen, Wettkämpfe, Bibliotheken, Besoldung der
16 Jahresbericht über die Geschichte der römischen Litteratur. (Aly.)
Lehrer u. ä. Auch hier ist der Ertrag an neuen Erkenntnissen gering;
aber die unter den gewählten Gesichtspunkten getroffene Auswahl stellt
sich nicht nur als ein lesbarer, sondern auch als ein nützlicher Beitrag
zur römischen Litteratur- und Kulturgeschichte dar. Aber Latein muß
der Verf. nicht wieder schreiben.
15. Lucian Mueller, Über die Volksdichtung der Römer. A. u.
d. T. Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge.
Heft 130. Hamburg 1891, Verlagsanstalt A. G. (vormals A. F.
Richter). 28 S. 8.
Es ist immer dankenswert, wenn ein hervorragender Gelehrter
die Ergebnisse der Wissenschaft weiteren Kreisen zugänglich zu machen
sucht. Der Verf. hat bereits früher in No. 92 die Kuustdichtung der
Römer besprochen; jetzt fügt er als Ergänzung die Volksdichtung hinzu,
d. h. die nur in dürftigen Resten erhaltene Litteratur vor 240. Sehr
treffend ist es, was er gegen die Unterschätzung der römischen Poesie
sagt. Aber auch sonst liest sich das Schriftchen angenehm, mit Aus-
nahme der leidigen Gedankenstriche, die der Verf. nun einmal zu lieben
scheint.
16. Richard Büttner, Porcius Licinus und der litterarische
Kreis des Qu. Lutatius Catulus. Leipzig 1893, Teubner. III, 206 S. 8.
Die interessante Schrift sucht durch geistreiche Kombinationen
und geschickte Konjekturen in 20 Kapiteln eine im Halbdunkel liegende
Zeit der römischen Litteratur aufzuhellen und zwei ihrer Hauptver-
treter mit nachschaffender Phantasie uns vor Augen zu stellen ; es sind
der Dichter Porcius Licinus und sein Patron, der ältere Qu. Lutatius
Catulus. Die Untersuchung beginnt mit den bekannten Versen in Suetons
vita Terenti, in denen einige eine giftige Anspielung auf einen uner-
laubten Verkehr des Dichters mit seinen Gönnern, andere nur eine
scharfe Kritik seines unselbständigen, empfindlichen Wesens sehen wollen;
Verf. entscheidet sich, nach Ritschis Vorgang, für die zweite Auffassung.
Die nunmehr auf 10 Verse herabgeminderte Stelle steht in schroffem
Widerspruch mit dem Urteil Teuffel-Schwabes (5. S. 242), das danach
zu berichtigen ist; richtiger hatte bereits vorher Welker die Verse ver-
standen. Sodann wird ein anderer Dichter und Kritiker des 'l'erenz,
Volcatius Sedigitus, besprochen. Die Angaben der vita werden in ihrer
UnWahrscheinlichkeit und Unklarheit, besonders bezüglich des frühen
Todes des Komödiendichters, treffend charakterisiert. Andere Bruch-
stücke des Licinus beweisen, daß er ein Vertreter der hellenistischen
Richtung gewesen ist; sein Einfluß auf Cicero wird angedeutet, der
freilich sich nicht immer konsequent in Kunsturteilen geblieben ist.
Jahresbericht über die Geschichte der römischen Litteratur. (Aly.) 1 7
Der , Barbier" Liciuus bei Horaz (ad Pis. 289 ff.) ist unser Dichter;
die Faselei der Scholien wird berichtigt. Es folgt aus dieser Stelle
zugleich, dal! er Licinus, nicht Licinius geheißen hat. Er war
ein Klient des Cimbernsiegers, wie aus ('ic. de orat. III GO, 225 klar
hervorgeht, wenn man nur die Parenthese ,quod potes audire, Catule,
ex Licino, diente tuo, litterato homine" richtig ausscheidet, eine Auf-
fassung, die auch vom grammatischen Standpunkt aus berechtigt ist.
Diese enge Beziehung des Porcius Licinus zu Catulus wird auch durch
einige Citate des Gellius bewiesen (N. A. XIX 9, 13), der Liebeslieder
des Porcius, Valerius Aedituus und Catulus in einem Atem nennt. Die
betreffenden Epigramme werden eingehend analysiert und emendiert.
Auch Apulejus citiert in seiner Apologia die Genannten in engstem
Zusammenhange, und zwar, wie Verf. nachgewiesen zu haben glaubt,
iinabhäudg von Gellius. Das 11. Kapitel behandelt den uns gJinzlich
unbekannten Valerius Aedituus, der etwas kühn mit dem bekannten
Valerius Soranus identifiziert wird. Nunmehr wird uns die Persönlich-
keit des Catulus selbst vorgeführt, wie sie uns Cicero in seiner Schrift
de oratore gezeichnet hat ; er wird mit dem Kreise des jüngeren Scipio
in Verbindung gebracht, sein Verhältnis zu Lälius, Panätius, Lucilius
beleuchtet. Catulus hat die Traditionen des scipionischen Kreises auf-
recht erhalten. Die philosophische Haltung der beiden Catulus, des
Vaters und des Sohnes, ist aus den leider verlorenen Schriften Aca-
deraica priora und Hortensius zu erschließen; er war als Anhänger des
Carneades ein Gegner Philos von Larissa. Von seiner Beredsamkeit
legt Cicero im Brutus 132 ff. Zeugnis ab; berühmt war seine Aussprache,
welche die Xeigung des Altlateins zu diphthongieren (ei und e für i)
bekämpfte. Gerade in dieser Hinsicht scheint Porcius Licinus seinem
Gönner förderlich gewesen zu sein , dem er sich nach der Ermordung
seines Patrons C. Gracchus anschloß. Die Memoiren des Catulus beurteilt
Verf. günstig: desgleichen seine Verbindung mit dem Epiker A. Furius,
der natürlich von dem Furius des Horaz (sat. II 5, 40) zu unterscheiden
ist. Endlich wird auch über die rätselhaften „coramunes historiae"
eine Vermutung aufgestellt, indem unter ihnen gemeinsame Forschungen
antiquarischen Inhalts verstanden werden. Auch die Improvisatoren
Antipater und Archias gehörten in den Kreis des Catulus, sowie eine
Reihe vornehmer Staatsmänner, wie C. Julius Cäsar Strabo, der Redner
Crassus, Qu. Hortensius u. a. Kurz, Catulus war ein glänzender Ver-
treter der hellenistischen Richtung, dessen Andenken nur durch die Ungunst
der Überlieferung verdunkelt ist. — So der reiche Inhalt der sehr lesbaren
Schrift in knapper Skizze. Wenn wir auch nicht allen Vermutungen und
Kombinationen des Verf. zustimmen können, so müssen wir doch seine
Belesenheit wie seinen Scharfsinn anerkennen. Im ganzen ist es ihm
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVIII. (1398. III.) '2
]8 Jahresbericht über die Geschichte der römischen Litteratur. (Aly.)
wohl f^elungeu, in ein verdunkeltes Gebiet der römischen Litteratnr
das Licht der Wissenschaft zu tragen.
17. R. Eeitzeustein, Drei Vermutungen zur Geschichte der
römischen Litteratur. A. u. d. T. Festschrift, Theodor Mommseu
zum 50. Doktorjubiläum überreicht. Marburg, N. G. Elwert. 1893.
55 S. 8.
1. Die Abfassungszeit des ersten Buches Ciceros de legibus
fällt in den Frühling 45, Nvenn es auch bald nach den Büchern de
oratore begonnen ist. Cicero wollte in dieser Kampfzeit das Programm
der republikanischen Partei mit einer neuen Einlei tuug und einzelnen
Einlagen auffrischen und herausgeben. Der Verf. nimmt die schließliche
Vollendung des "Werkes durch den Redner selbst an und bestreitet die
Thätigkeit eines fremden Redaktors. 2. Ein litterarischer Angriff auf
Octavianus stellt sich in den anonymen Dirae dar. Der unbekannte
Verfasser nimmt zwar auf die Eklogen Virgils Bezug, bekundet aber
eine dem sanften Mantuaner entgegengesetzte Gesinnung: seine maßlose
Bitterkeit gewährt Einblick in die Stimmung weiter Kreise. 3. Lukrez
und Cicero. Nach Erklärung einiger schwierigeren Stellen des Prooemium
wendet sich Verf. der bekannten Cicerostelle (ad Qu. fr. II, 9, 3) zu:
multis ingenii luminibus, multae tameu artis. Verf. hält die Konjektur
(non) multae tamen artis für ganz überflüssig, indem er ars gleich
TE'/vT) setzt, Lehrbuch, System. Das "Werk enthält demnach zwar glänzende,
poetische Einlagen, aber viele rein technische Partieen. Diese Ver-
mutung spricht sehr an.
18. Oskar Haube. Die Epen der römischen Litteratur im
Zeitalter der Republik. I. Teil 1895, .II. 1897. Gymnasialprogramm
von Schrimm. 18, 11 S. 4.
Der erste Teil behandelt die historischen, der zweite die mytho-
gi'aphischen Epen; die lesbare Skizze, die für ein weiteres Publikum
bestimmt ist, beruht in erster Linie auf L. Müllers Forschungen.
Wie schon vorher angedeutet ist, erachten wir derartige Versuche, die
Kenntnis der antiken Litteratur zu verbreiten, für sehr angebracht.
Zusammenfassende Einzeldarstellungen.
19. Otto Ribbeck, Geschichte der römischen Dichtung. Bandl:
Dichtung der Republik. 2. Auflage. Stuttgart 1894, I. G. Cotta.
Vm und 352 S. Band 2: Augusteisches Zeiltalter. 1889. 372 S.
Baad 3: Dichtung der Kaiserherrschaft. 1892. 372 S. 8.
Übersetzung. Histoire de la poesie latine jusqu'ii la fin de la
Rnpublique. Traduite par E. Droz et A. Konitz. Paris 1891.
Le.oux. 444 S. 8.
Jahresbericht über die Geschichte der römischen Litteratur. (Aly.) ] 9
Auch dieses Werk, wie das von Schanz, gehört znm Teil noch
in die vorige Berichtsperiode. Um so grülier und aufrichtiger ist
unsere Freude, es anzeigen zu dürfen. Freilich hat der Ref. einem
solchen Verfasser gegenüber einen üblen Stand; eine Gelegenheit zu
tadeln oder auch nur zu bemängeln wird er selten finden. Er muß
sich begnügen, die reichen Vorzüge des wunderbar schönen Buches
nachfühlend in das rechte Licht zu stellen. Denn es ist immer er-
freulich, wenn der richtige Mann das richtige Buch schreibt. Und
wenn einer, so war 0. Ribbeck, Ritschls Nachfolger, dazu berufen, der
Litter arhistoriker der römischen Poesie zu werden. Sie hatte es nötig;
denn seit Mommsens bitterbösem Verdikt galt sie bei vielen nur als „Sudel-
kopie' ihrer älteren griechischen Schwester. Der gelehrte Sammler
der dramatischen Fragmente, der beste Kenner Virgils, der Heraus-
geber Juvenals war der berufene Verteidiger der römischen Muse
gegen lieblose und ungerechte Kritik. Und wie hat er seine Aufgabe
gelöst! Es trifft sich nicht häufig bei deutschen Gelehrten, daß pro-
funde Gelehrsamkeit, durchdringender Scharfsinn, feinster Geschmack
und stilistische Meisterschaft einen innigen Bund schließen, wie es hier
der Fall ist. Mit Eecht darf dies Erzeugnis philologischer Akribie
den Namen unsers formvollendetsten Dichters Paul Heyse, dem es ge-
widmet ist, an der Stirn tragen; denn hier erntet der Geschmack die
Früchte der Gelehrsamkeit. Deshalb ist natürlich von allem Beiwerk
der Anmerkungen mit Ausnahme des Nachtrags zum 1. Bande ganz
abgesehen; es handelt sich nur um die Lektüre eines auch der
Form nach vollendeten Kunstwerks. Beim ersten Bande ist, wie schon
vorher gelegentlich bemerkt ist, vor allem die übersichtliche Gliederung
des Stoffes zu loben. Das 1. Kap. führt uns die drei Schöpfer der
römischen Dichtung vor, das 2. gehört ganz dem Drama, das es bis
einschlieülich des Mimus behandelt. Dann folgen die Satire im Zu-
sammenhang, das Lehrgedicht des Lukrez und die Vertreter der jungen
Dichterschule. Für den Anfang hätten wir wohl eine eingehendere
Charakteristik des römischen Genius gewünscht; Verf. geht sofort in
luedias res ein. In der Beurteilung der archaischen Poesie waltet
Milde, die aber nie unwahr wird. Der Gegensatz zu Mommsens Auf-
fassung liegt klar zu Tage, ohne daß Verf. jemals zur Polemik herab-
steigt. Eine gewisse Vornehmheit charakterisiert die Darstellung, von
der freilich eine gehaltene Kühle nicht immer zu trennen ist. Es ist
des Verf. Sache nicht, zu schwärmen und fortzureißen; schlicht und
sachlich, aber durchweg in edler Form trägt er sein Wissen und seine
Auffassung vor. Ganz besonders wird er dem von Mommsen so schmählich
herabgesetzten Ennius gerecht, dessen Annalen er ein großartiges Werk
nennt. Sehr gründlich ist Plautus behandelt, vielleicht ein wenig breit:
20 Jahresbericht über die Geschichte der römischea Litteratur. (Aly.)
die tj'pischcn Rollen werden ganz eingehend durchgesprochen und darauf
die Stoffe der einzelnen Stücke, wobei Wiederholungen nicht vermieden
werden können. Ganz vortrefflich ist die wunderbar vielseitige Komik
des Dichters nach allen Seiten hin beleuchtet. Bei Terenz wird dei-
Inhalt seiner Komödien gründlich analysiert; wer sich selbst an solchen
Aufgaben versucht hat, weiß, wie schwer es ist, ohne Schwerfälligkeit
dem Laien eine ausreichende Vorstellung von der dramatischen Ent-
wickeluug zu vermitteln. Noch schwieriger ist es natürlich, aus den
jämmerlich zersplitterten Trümmern der anderen Dramatiker die ver-
lorenen Stücke einigermaßen zu rekonstruieren. R. löst, wie nicht
anders zu erwarten, auch diese Aufgabe meisterhaft, nicht minder die
ähnliche, Varros menippeische Satire wieder zum Leben zu erwecken.
Schön würdigt er den Genius des Lukrez, ohne in die Übertreibungen
zu verfallen, die wir bei Schanz glaubten feststellen zu müssen. Über-
haupt ist es vor allem die größere Objektivität, die leidenschaftslose
Ruhe, die Ribbecks Kunsturteile vor denen des "Würzburger Litterar-
historikers auszeichnet. R. hat sich offenbar Herders Grundsatz zum
Gesetz gemacht, dem Dichter nachzufühlen, ihn von seinem, des Dichters,
Standpunkt aus gerecht zu werden, während Schanz oft ein subjektives
Element seinem Urteil beimischt, das die Darstellung zwar glänzender
färbt, aber ein sorgsames Nachprüfen erfordert. Nicht einverstanden
können wir uns mit der Beurteilung von Ciceros poetischen Versuchen
erklären. Hier scheint R. doch einmal die Objektivität in Stich ge-
lassen zu haben. Ciceros Verse sind elend ; aber waren Cäsars metrische
Versuche wohl besser? Es ist doch nur ein heilloses Mißgeschick, daß
jene erhalten sind. Gar mancher große Mann wäre unglücklich,
wenn seine eigenen Ijrischen Sünden auf die Nachwelt kämen. Wir
vermissen ungern bei diesem x\nlaß ein anerkennendes Wort über Ciceros
wirkliche Verdienste, die doch auch der Poesie zu gute gekommen sind.
Um so herzlicher erfreut den Leser wieder die schöne AVürdigung
des Katull, der echten „Poetennatur", der treffend als Jüngling unter
den Dichtern charakterisiert wird, beurteilt „nach dem Maß seiner
Zeit". Bei dieser Gelegenheit muß auch einmal gerühmt werden, wie
fein und taktvoll R. gewisse heikle Stellen wiederzugeben pflegt, ohne
-zimperlich philisterhafte Deutung" und doch zugleich ohne Verletzung
des feineren sittlichen Gefühls. Die am Schluß beigegebenen An-
merkungen sind nur spärlich. Die ursprüngliche Absicht, eine gelehrte
Zugabe zu spenden, scheint von R. aufgeschoben zu sein, um ein be-
sonderes Bändchen daraus zu bilden.
Im zweiten Bande wird die Gönnerschaft des kaiserlichen Hofes
gerechter gewürdigt, als es bei Teuffel-Schwabe und Schanz geschieht.
Der häßliche Ausdruck, die Poesie als instrumentum regni zu miß-
Jahresbericht über die Geschichte der römischen Litteratur. (Aly.) 21
brauchen, ist nicht verwendet. Mit Recht; denn für Augustus und die
Seinen trifft es eben nicht zn. Der Glanzpunkt des Bandes ist die
Würdigung Virgils, eine Rettung im besten Sinne des Wortes. Es
gehört zum guten Ton, auf Virgil verächtlich herabzusehen, wenigstens
in Deutschland ; denn die Romanen haben sich die Freude an römischer
Dichtung nie verderben lassen. Darum erachten wir die sehr
gründliche Analyse von Virgils Werken für sehr zeitgemäß. ^.Dieser
kostbare Inhalt war in das edelste Gefäß gegossen; wie Gold erklingen
die Saiten des Sängers." Man fühlt, daß es dem Verf. eine Herzens-
sache ist, für den heute so vielfach verkannten Dichter, dem er soviel
Zeit und Mühe gewidmet hat, ein nachdrückliches und doch wahrhaftiges
Wort einzulegen. Möchte doch die Wirkung bei dem heranwachsenden
Geschlecht der Gymnasiallehrer nicht ausbleiben! Bei Horazens
Würdigung hat es uns namentlich gefallen, daß der ungesunde, vielfach
unreine Ton seiner Epoden fein herausgehört und treffend gekennzeichnet
ist. Gründlich und liebevoll werden die Oden beurteilt, denen Kunst-
fleiß, Sinn und Geschmack nachgerühmt wird, während R. die Palme
allerdings mit Recht den Sermonen reicht, in denen „die goldene Ader
des echt horazischen Geistes doch weit mächtiger'' zu Tage tritt. Den
Brief an die Pisonen hält R. (im Gegensatz zu 0. Weißenfels) für
nicht abgeschlossen, so daß er eine Reihe von Umstellungen empfiehlt.
Den Rest des Bandes nimmt die Elegie ein, der sich am Schluß die
„Kleinen und Namenlosen" anschließen. „Die griechische Muse ist
ganz heimisch in Rom geworden, von ihrem Geist ist alles Geschaffene
getränkt und führt doch ein selbständiges Leben." Mau sieht, R. ge-
hört nicht zu den Kunstrichtern, die der römischen Dichtung am liebsten
alle Selbständigkeit absprechen möchten; er ist stets maßvoll und ge-
recht, vornehm und objektiv.
Die Aufgabe, die Verf. im dritten Bande zu lösen hat, ist weniger
dankbar. Reißend schnell geht es mit Roms Poesie bergab. Er wählt
daher eine andere Einteilung und unterscheidet die Zeit von Tiberius
bis Claudius, das neronische Zeitalter, die Zeit der Flavier, Trajan,
die Zeit seit Hadrian, endlich als Anhang die Spätlinge (Ausonius,
Claudianus, Kamatianusj. Verf. nennt es „bescliämend", daß die beiden
fruchtbarsten Perioden der Dichtung unter die Regierungen Neros und
Domitians fallen. Wir möchten etwas anderes aus dieser Thatsache
schließen, daij nämlich die Blüte der Poesie nicht von der Güte der
Herrscher noch von der Gunst des Publikums abhängt. Es ist nichts
mit dem Milieu. Wenn es der Vorsehung gefällt, der Welt einen Dichter
zu schenken, so ist es sehr gleichgültig, ob ein Nero oder ein Trajan
regiert. Poeta non fit, sed nascitur. Solche Dichter sind Petron unter
Nero und Martial unter Domitian gewesen; die übrigen sind nur mehr
22 Jahresbericht über die Geschichte der römischen Litteratur. (Aly.)
oder minder strebsame Talente, die dann auch wohl durch Fleiß und
Gunst es zu etwas bringen. Und R. wird auch jenen echten und
wirklichen Dichtern vollauf gerecht, wenngleich er mit strenger Un-
parteilichkeit auch die Schar der Dichterlinge am Leser vorüberführt,
die, was sie an poetischer Begabung besaßen, durch das „ungesunde
Spiel mit den Künsten des Rhetors" verdarben. Dem Laien mag es
wohl manchmal sauer werden, sich durch die Seiten hindurchzuleseu,
die von den hohlen Tragödien Senecas und den blutleeren Epen der
Epigonen handeln. R. ermattet nicht und wird jedem gerecht. Zu
erwähnen ist übrigens, daß er die Autorschaft des Philosophen Seneca
bei den Tragödien bezweifelt; die Octavia stellt er mit Recht höher.
Freundlich werden auch die Silven des Statins beurteilt, sowie seine
Achilieis. Bei Juvenal betritt er wieder sein eigenstes Arbeitsgebiet;
es befremdet uns nicht, daß er seine Hypothese von der Unechtheit
der 10., 12. — 15. Satire aufrecht erhält, obschon die Mehrzahl der
Forscher ihm hierin nicht gefolgt ist. Im folgenden Abschnitt wird
Apulejus gebührend gewürdigt, während der Schluß sich sehr ver-
ständig auf die drei hervorragenden Vertreter der römischen Poesie in
den Zeiten der hereinbrechenden Barbarei beschränkt. Bei anderen
Litterarhistorikern, wie bei Schanz, verläuft die römische Dichtung im
Sande, wie der alte Rhein. Es ist zwar ein anderer Abschlul'' weniger
vollständig, aber um so erquicklicher für den nichtgelehrten Leser.
Kräftig und stolz klingt die 'Geschichte der römischen Dichtung' aus,
ein Werk ersten Ranges, durch das sich der Verf. den Dank aller
Freunde des römischen Altertums verdient hat, und um das uns die
anderen Völker beneiden werden. Denn eine derartige Vereinigung
der mannigfachsten Vorzüge ist nur einem Meister gegeben.
Die Anfänge.
20. Aurelio-Giuseppe Amatucci, II vocabolo ,.Carmen''
nel latino archaico. Xapoli 1895, tipografia della Regia Uuiversitä.
13 S. 8.
21. Derselbe, Gli Annales maximi. Torino, Roma 1896, Er-
manne Loescher. 30 S. 8.
22. Enrico Cocchia, Gli epigrarami sepolcrali dei piü antichi
poeti latini. Napoli 1893, tip. della R. Univ. 13 S. 4.
Alle drei Abhandlungen, von denen die erste und dritte Gelegenheits-
schriften sind, die zweite aus der Rivista di Filologia 11 stammt, beziehen
sich auf die Anfänge der lateinischen Litteratur. 1 . Amatucci leitet
Carmen von l/käs oder V käc mit der Bedeutung „vereinigen" her.
Jahresbericht über die Geschichte der römischen Litteratur. (Aly.) 23
„fermare, iinire, abbracciare, consacrare". Daraus sind lievorgegangen
cas-trum, Cas-mena, cas-mil-lus iiud weiter car-men, Car-menta; auch
die Camelae, denen die Bräute opfern, gehören dahin. Car-men ist
also ^ „eoujposizione", eine Znsammenstellung-, die sowohl prosaisch
als auch poetisch sein kann. 2. Derselbe schlägt die Bedeutung: der
Annales maxinii, die er von den Conimentarii und Libri pontificum unter-
scheidet, höher an, als es g-ewöhnlich geschieht; sie stellten eine „vera
e propria storiogratia" dar. ('ber ihre Benutzung durch die späteren
Historiker, die wichtigste Frage, geht Verf. vorsichtig hinweg, weil
solche Kombinationen „in aria", in der Luft schwebteu. Sehr richtig!
Aber sind seine Behauptungen weniger luftig? 3. Cocchia versichert,
daß die bekannten Grabschriften des Nävius, Ennius, Plautus und
Pacuvius von den Betreffenden selbst herrührten. Den Beweis bleibt
er einstweilen schuldig. Wir halten die Zweifel 0. Jahns (Hermes 2,
S. 243) für sehr berechtigt.
23. Santi Lo-Cascio, L'influenza ellenica nelF origiue della
poesia latiua. Torino 1891, Ermanno Loescher. 86 S. 8.
Der Verf. stellt, hauptsächlich an der Hand von Ribbecks grund-
legenden Büchern, die Beziehungen der archaischen Dichter Livius,
Xävius und Ennius zu ihren griechischen Vorbildern fest. Die erhaltenen
Verse und Titel werden mit den Originalen konfrontiert. Die Unter-
suchung verrät Sorgfalt und verständiges Urteil ; neue Ergebnisse fördert
sie nicht zu Tage.
Das Drama.
24. Gaston Boissier, Les fabulae praetextae. Revue de
Philologie 1893 Avril. Paris, C. Klincksieck.
Die Praetexta hat vermutlich mehr den Historien Shakespeares,
als den Persern des Asch3'lus entsprochen. In ihrer Sprache ist ein
Unterschied von den übrigen Tragödien nicht wahrzunehmen. Daß sie
sich nicht länger auf der Bühne behauptet hat, ist durch den Geschmack
des Publikums bedingt, der auf das nationale Element keinen besonderen
Wert legte.
25. AlfredSchöne, Das historische Nationaldrama der Römer (die
fabulae praetexta). Festrede. Kiel 1893, Universitätsbuchhandlung.
18 S. 8.
In gefälliger Darstellung wird uns alles, was wir von diesem
unserem Schraerzenskinde noch wissen , vorgeführt. Beachtenswert sind
die Hmweise auf Anspielungen der Historiker. Wie Ribbeck bereits
(R.h. Mus. 36 S. 321) auf Liv. V 21, 8 hingedeutet hat, so macht
24 Jahresbericht über die Geschichte der römischen Litteratur. (Aly.)
Schöne auf Dionysius Aut. LEI 18 aufmerksam, wo es bei Gelegenheit
des Kampfes der Horatier und Curiatier heißt: xai xa {xs-a TauTTjv 7iv6-
fjLEva -aÖTf) öeaTpty.aic eotxo-a T:sptireT£iai? [xt] pqtO'jfxcu; oieXÖsIv, und ebenso
ni 22 und IX 22, wo der Untergang der Fabier erzählt wird. In
beiden Fällen lag vermutlich die scenische Verarbeitung in einer fabula
praetexta dem Historiker vor.
26. Eaffaello Scipione Maffei, Le favole Atellane. 2. edi-
zione. Forli 1892, Luigi Bordandini. 35 S. 8.
Die Atellanen sind oskischen Ursprungs und von den Saturae
dem Wesen nach verschieden. Ihr Inhalt besteht in der karikierten
Darstellung kampanischer Typen, denen die italienischen Masken noch
heute entsprechen. Bei der Übernahme nach Latium wurde auch die
lateinische Sprache angewendet, natürlich der sermo plebejus. Zum
Schluß werden die uns nach Namen und Titeln bekannten Atellanen-
dichter charakterisiert. Mit der Palliata oder Togata hängt die Atellane
nicht zusammen. Soweit der Inhalt, der Zustimmung verdient.
Die Satire.
27. Emilia Soldini, Breve storia della Satira in Grecia, in
Roma e in Italia. Cremoua 1891, Giovanni Foroni. 140 S. 8.
Eine Dame als Geschichtsschreiberin auf unserem Gebiete zu
begi'tißen, ist ungewöhnlich; man sieht, die Emanzipation beginnt ihre
Schatten vorauszuwerfen. Uns interessiert nur das 3. Kapitel, das auf
18 Seiten über Ennius, Lucilius, Horaz u. s. w. vergnüglich plaudert.
Wir sind noch zu altmodisch, um der Signora gegenüber den bärbeißigen
Kritiker herauszukehren.
28. C. II. Franckeu, „Satira quidem tota nostra est." A. u.
d. T. Sylloge commentationum, quam obtulerunt philologi Batavi viro
clarissimo Constantino Conto. Traiecti ad Rhenum. 6 S. 8.
Der Kern der kleinen Abhandlung ist dieser: si sunt Romana ea,
quae Romanorum Ingenium referunt, ut quae maxime, satira pura puta
Romana est; sin Romaua non sunt, quorum fons et origo aliunde re-
petuntur, Satira ex dimidia parte Graeca est.
29. Joseph Lezius, Zur Bedeutung von satura. "Wochen-
schrift für klassische Philologie 1891 No. 41 Sp. 1131—1133.
Satura bedeutet auch bei Liv. VII, 2 nur die von Ennius einge-
führte litterarische Plauderei in gebundener Rede ; der terminus „dra-
matische satura" ist zu streichen.
Jahresbericht über die Geschichte der röDÜsclien Litteratur. (Aly.) 25
Die klassische Zeit der Diclitung.
30. Giacinto Fontana, Octaviano Augusto, Virgilio e Orazio.
Bibliotcca delle scuole italiaue. Verona 1891 , Donato Tedeschi e
figlio. 33 S. 12.
Chi piü patriotta, chi piü adulatore? Virgilio ad Orazio? Diese
SchluU frage will Verf. zu Gunsten Virgils beantwortet sehen, während
er in Horaz nur den fahneDflüchtigen Republikaner sieht. Ob er wohl
die vita Suetons gelesen hat?
31. Petrus Rasi, De carmine Romanorum elegiaco. Patavii,
1890. XI, 165 S. 8.
32. Derselbe, De elegiae Latinae conipositione et forma. Ebenda-
selbst. 1894. Vn, 195 S. 8.
Von den beiden Schriften, die sich als Teile eines Ganzen dar-
stellen, gehört eigentlich nur die erstere hierher, während die andere
ausschließlich metrische Fragen behandelt. Der Verf. giebt in lesbarem
Latein eine Übersicht über das Wesen und die Eatwickelung der
elegischen Gattung bei den Griechen, um sodann die römische Elegie
in ihren Hauptvei'tretern eingehend, gestützt vor allem auf die Forschungen
deutscher Gelehrten, zu besprechen. Die I'ntcrsuchung ist gründlich,
die Belesenheit anerkennenswert, das Urteil verständig; aber die Er-
gebnisse bringen uns nichts Neues. Dem Verf. sind Tibull, Properz
und Ovid die Meister, KatuU nur der Vorläufer. Vor allem feiert er
Tibull als originelles Genie, das auf diesem Gebiet sogar die Griechen
übertroifen hat. Er sammelt emsig die Urteile der Litterarhistoriker
und belegt seine mit der communis opinio übereinstimmende Anschauung
durch zahlreiche Citate und Belege. Auffällig ist für einen Romanen
ein gewisser sittlicher Rigorismus, der allerdings dem Menschen mehr
zur Ehre gereicht als dem Kunstrichter. Der wissenschaftliche Wert
ist etwa der einer fleißigen und verständigen Doktordissertation. Noch
mühseliger sind die statistischen Untersuchungen des zweiten Buches,
welche die Daktylen und Spondeen der Distichen feststellen.
Prosa.
33. Rudolf Hirzel, Der Dialog, ein litterarhistorischer Versuch.
I: XIII, 5G5 S. II: 473 S. 8. Leipzig 1895, S. Hirzel.
Das umfangreiche Werk behandelt unseres Wissens zum ersten
Mal das gewählte Thema im Zusammenhange; es will nur als Versuch
angesehen werden, da Verf. sich bewußt ist, die einzelnen Abschnitte
nicht gleichmäßig behandelt zu haben. Das Mittelalter und die Neu-
26 Jahresbericht über die Geschichte der römischen Litteratur. (Aly.)
zeit ist mehr skizziert als erörtert. Der Dialog- ist von einer be-
trächtlichen Höhe des Ansehens herabgesunken, ja, er ist heute nahezu
verschwunden; wenn Verf. eine Wiederaufnahme der Gattung für un-
wahrscheinlich hält, so kann mau ihm weder widersprechen noch zu-
stimmen. Derartige Prophezeiungen haben immer etwas Mißliches.
Was ist der Dialog? Eine Erörterung in Gesprächsform, aber eine
Erörteiung von eigentümlichem Leben, der die Menschen und Handlungen
entbehrlich sind; der Dialog bezeichnet den Höhepunkt des Gesprächs
in der Littei'atur. Sein Ursprung reicht in die älteste Zeit hinauf und
gehört dem Orient an. Das erste Buch verfolgt weiter die Entwickelung
dieser Kunstform bei den Griechen, das zweite zeigt uns ihre Blüte
bei Plato und den anderen Sokratikern, das dritte den Verfall, den die
exakte Gelehrsamkeit des Aristoteles herbeigeführt hat. Im vierten
Abschnitt werden die Überreste des Dialogs bei den Alexandrinern
charakterisiert, im fünften seine Wiederbelebung bei Griechen und
Eömern. Im Drama und in der Satire zeigen sich Anklänge, vor allem
tritt der Dialog in den lehrhaften Gesprächen zwischen Vater und Sohn
bei Cato und dem Juristen M. Junius Brutus scharf hervor. Uns
interessiert besonders die gründliche Besprechung der Dialoge Ciceros.
Der geistige Kampf der Übergangszeit fand sein verklärtes und doch
treues Bild in Varros meuippeischen Satiren wie in Ciceros Schriften,
soweit sie hierher gehören. Ihm bot gerade diese Gattung günstige
Gelegenheit zur Entfaltung seines Talents, zunächst in seinen beiden
politischen Schriften de republica und de legibus. Verf. urteilt sehr
günstig über die Gewandtheit, mit der der große Sprachmeister sich
auch diese Kunstform zu eigen gemacht hat. Es sind echte Dialoge,
fein angelegt und nach Piatos Vorbild geschickt und doch frei durch-
geführt; mit Eecht weist H. auf Abweichungen hin, die sich als Vor-
züge darstellen, wenn man z. B. das Somnium Scipionis mit der
Hadesfahrt des Armeniers Er vergleicht. Dabei ist das römische Kolorit
gut gewahrt, die Gegenwart angemessen hineingezogen. Kurz, de re-
publica ist eine Leistung ersten Ranges, vom Standpunkte des Kunstrichters
aus. Auch die Schrift de legibus läßt Sorgfalt, zumal in der Behandlung
der dialogischen Form, erkennen. Sie gewährt dem Leser Genuß und
Belehrung, so daß er die entschuldbaren Anachronismen kaum merkt.
Aber Ciceros Hauptwerk sind die Bücher de oratore, die nach Form
und Inhalt gleich hoch einzuschätzen sind. Mit solcher Liebe umfaßt
er seinen Gegenstand, daß all sein Denken und Wissen ein Teil der
rhetorischen Theorie wird. Die Einkleidung ist vielfach novellistisch ge-
halten, die Sj'mmetrie in Gesprächen und Vorträgen gut gewahrt, die
Disposition wird eingehalten, aber ohne Pedanterie, es ist ein echtes
Gespräch der Wirklichkeit. Dabei ist der Ton echt römisch, Konver-
Jahresbericht über die Geschichte der römischen Litteratur. (Aly.) 27
sation der guten Gesellschaft unter Vermeidung jeder Leidenschaftlich-
keit. Auch in Brutus ist jede Monotonie glücklich vermieden. Dann
wendet sich Verf. zu den philosophischen Schriften, einem Gebiet, wo
er längst als Autorität anerkannt ist. Feinsinnig und wohlwollend, wie
•es die Pflicht des Litterarhistorikers ist, spricht er die AVerke durch.
Aber von de finibus an wird die Führung des Gesprächs eine andere;
das sokratische Element tritt in dialektischen Erörterungen stärker her-
vor. Ja, im 5. Buch versetzt uns Cicero kühn mitten in die Akademie
nach Athen; die Römer werden zu philosophierenden Griechen. Köstlich
vor allem erscheint dem Verf., wie jedem fühlenden Leser, die anmutige
Einleitung. Die Tuskulanen sind rhetorisch gehalten; sie gleichen
ebenso den cj/oXai der Stoiker wie die Paradoxen den Sia-pii^ai. Weniger
pünstig werden die religiousphilosophischen Schriften beurteilt, die
Flüchtigkeit verraten; de divinatione enthält sogar nur Vorträge, ganz
ohne sokratische Verbrämung. Doch wir wollen hier abbrechen, da wir
doch nur eine dürftige Skizze geben können. Die Vorzüge der cicero-
iiischen Dialoge sind die allseitige Spiegelung der eigenen Persönlichkeit,
ihr national-römischer Charakter und die vollständige Beherrschung der
Xunstform. Mit Varros de re rustica schließt der 1, Band. Der sechste
Abschnitt bespricht die Dialoge der Kaiserzeit, aus dem wir die Beur-
teilung des Horaz herausgreifen wollen. Mit vollem Recht wendet sich
H. gegen die modernen Bestrebungen, die Sermonen ebenso quellen-
kritisch zu analysieren wie die philosophischen Schriften Ciceros. Das
Vorbild Bions ist sehr zweifelhaft trotz der Dissertation Heinzes, dem
Kießling und Birt sekundieren. Wir haben an einem anderen Orte vor
dieser materialistischen Richtung der neueren Philologie gewarnt. Es
ist das am Ende dieselbe Methode, die bei konsequenter Durchführung
sogar in Lessing einen Plagiator im großen Stil erblickt, die Sucht,
alles auf „Entwickelung" zurückzuführen. H. vergleicht hübsch Hora'<
mit Sokrates. Sodann werden die in Betracht kommenden Schriftsteller
der silbernen Latinität gewürdigt. Besonders gut hat uns die Auffassung
des Dialogus gefallen. Verf. warnt mit Recht davor, die Einflechtung
historischer Einzelheiten für mehr zu halten; es ist nur eine beab-
sichtigte Illusion. Wie plump, solche liebenswürdigen Einkleidungen
für bare Münze zu nehmen I Wir erinnern an die oft seltsamen Ein-
kleidungen, die z. B. Scott seinen Romanen gegeben hat; will man
hier auch dereinst die historische Wirklichkeit zu ergründen suchen?
Tacitus hat übrigens in der Charakteristik der Hauptpersonen die ver-
schiedenen Neigungen und Herzenswünsche seiner eigenen .Tugend pro-
jiziert, wie es Goethe in Tasso und Antonio gethan hat; sowohl in Aper
als auch in Maternus steckt etwas von Tacitus selbst. Eine überaus
gewinnende geistreiche Vermutung, wie denn überhaupt H. dieser
28 Jahresbericht über die Geschichte der römischen Litteratur. (Aly.)
kampfesfreudigeu, echt taciteiscbeii Jugendschrift volles Verständnis
entgegenbringt, im Gegensatz zu manchem Erklärer, der an Äußerlich-
keiten klebt. Der ansehnliche Rest des Buches gehört nicht mehr hier-
her; nur der Schluß sei noch erwähnt, der einige allgemeine Ergebnisse
der eingehenden Uctersuchungen zusammenstellt. In summa: ein ge-
haltreiches, gediegenes Werk, das aber vielleicht noch gründlicher hätte
durchgearbeitet werden können. Verf. deutet das ja selbst mit liebens-
würdiger Selbsterkenntnis in der Einleitung an. Es ist mehr Material
zusammengetragen als verarbeitet; manches konnte gekürzt, manches
zusammengezogen werden. Das Ganze geht auf einen Beitrag zur ver-
gleichenden Litteraturgeschichte hinaus , und dem Verf. gebührt das
V^erdienst, ein fruchtbares Thema aufgestellt und seine Bearbeitung vor-
bereitet zu haben. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, wie er
selbst fühlt: es fehlt noch der Baumeister, der aus den gut zugerichteten
Steinen das Haus aufführt. Hoffen und wünschen wir, daß es dem Verf>
beschieden sein möchte, sein Werk in einer zweiten Auflage zu vertiefen.
Auch so hat er sich unsein Dank verdient.
Zum Schluß sei auf die gehaltreiche Anzeige des obigen Werkes
von Franz Boll in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung (1896, No. 96)
hingewiesen, wo Vorzüge und Schwächen der verdienstlichen Leistung
gerecht abgewogen werden.
34. Aurelio-Giuseppe Amatucci, L'eloquenza latina nei
primi cinqne secoli di Roma. Torino 1895, Carlo Clausen. 47 S. 8.
Verf. bricht eine Lanze für die älteste Beredsamkeit Roms, die
er höher einschätzt, als es gemeinhin geschieht. Die Notiz bei Cicero
(Brutus 14), der eine Reihe älterer Redner vom alten L. Brutus ab
aufzählt, faßt er als historische Tradition. Insbesondere sind die lau-
dationes funebres: una manifestazione letteraria eminentcmente romana.
Die aufgeworfene Frage wird sich bei dem völligen Mangel an Beobachtungs-
raaterial schwerlich je genügend beantworten lassen. Das uns vorliegende
Heft kündigt sich als Probe eines größeren Werkes an.
35. Rudolf Schm idtraayer, De orationibus, quae in libris
veterum rerum gestarum scriptorum sunt, brevis commentatio. Pro-
gramm. Budweis, Staatsgymnasium. 1895. 17 S. 4.
Ein lesbarer Überblick des gewählten Themas unter Zusammen-
stellung von Urteilen bewährter Litterarhistoriker.
34. Hans Schirmeister, Charakteristische Erscheinungen in
der antiken Geschichtsschreibung. Programm, Pyritz. 1896. 19 S. 4.
In mehr aphoristischer als erschöpfender Erörterung wichtiger
Gesichtspunkte kommt Verf. zu dem Ergebnis, wie herrlich weit wir
I
Jahresbericht über die Geschichte der römischen Litteratur. (Aly.) 29
es in der Geschichtsschreibung gebracht liabcn. Quellenkritik, Objekti-
vität, Wahrheitsliebe auf der einen, erdichtete Iveden. Parteilichkeit,
Phantastik auf der anderen Seite, llerkwürdig, daß uns dergl. Ein-
drücke bei der Lektüre der großen Alten nie gekommen sind. Freilich
verstanden sie es nicht, mit dem Bienenfleiße der Modernen Stein um
Stein zusammenzutragen; aber dafür verstanden sie es, ein Ganzes auf-
zuführen, vergangene Zeiten zum Leben wieder zu erwecken, plastisch
zu gestalten. Vielleicht schlägt Verf. einmal die Einleitung zu Momnisens
5. Bande Römischer Geschichte auf. Da wird er zu seiner Verwunderung
das Wort finden, daß Phantasie nicht nur die llutter der Poesie, sondern
auch der Historie sei. Die berufenen Reden der antiken Historiker
sind vielleicht nicht so schlimm als die schwerfälligen Anmerkungen
der neueren. Verf. scheint übrigens vergessen zu haben, daß auch
Thucydides, der Geschichtsschreiber größter, von diesen Reden fleißig
Gebrauch gemacht hat.
37. C. E. Browning, Latin prose of the silver age. With an
indroduction by T. H. Warren. London, Blackie & Son. 1895. XXXII,
222 S. 8.
Wir haben es hier im wesentlichen mit einer Chrestomathie
zu thun, wie sie Opitz und Weinhold für Teubner besorgt haben;
nur sind einige litterarhistorische Einleitungen jedem Schriftsteller
vorausgeschickt und Anmerkungen am Schluß beigefügt. Die Auswahl
betrifft Vellejus, Seneca, Petron, beide Plinius, Quintilian, Tacitus (war
■das wirklich nötig"?), Sueton, Apulejus und Gellius.
38. Paul Monceaux, Les Africains. Etüde sur la litterature
latine d'Afrique. Les Paiens. Paris, Lecere, Oudin et Cie. 1894.
V, 500 S.
Ein vortreffliches Werk, das einen Teil der römischen Litteratur
unter einen fruchtbaren Gesichtspunkt stellt. Bekanntlich lieben es die
französischen Philologen, das römische Xordafrika, nach Boissiers Vor-
gang, als ihre Domäne anzusehen. Und in der That finden sich Be-
rührungspunkte zwischen den alten Afrikanern und den Franzosen der
romantischen Periode. Verf. bespricht in diesem Bande zunächst die
heidnischen Schriftsteller. In einer sehr gründlichen, fast breiten Ein-
leitung erörtert er Geschichte und Herkunft, Sprache und Eigenart des
römischen Afrikas, insbesondere die Schuleinrichtuugen, die äußeren Ein-
flüsse, die Umwandlung des Ausdrucks. Er unterscheidet im ganzen
7 litter arische Epochen. Er beginnt mit dem Astronomen Manilius,
dessen löbliche Seiten er nach Möglichkeit herauszukehren sucht, wie
denn überhaupt sein Urteil wohlwollend und milde zu nennen ist. Das
30 Jahresbericht über die Geschichte der römischen Littcratur. (Aly.)
zeigt er namentlich bei der Charakteristik Frontos, dessen wiinderlicliem
Wesen er geschickt einige sympathische Züge abzugewinnen versteht.
Ganz allerliebst ist Gellius gezeichnet, der ewige Schüler, mit be-
geistertem Schwung der blendende Apulejus, in dem Verf. den hervor-
ragendsten Vertreter der lateinischen Afrikaner erblickt. Seinen Meta-
morphosen spricht er eine größere Selbständigkeit zu, als z. B. Teuffel-
Schwabe will (5. S. 921); er führt Apulejus' und Lucians Werk auf
eine gemeinsame Quelle zurück, weist auch feinsinnig auf starke Ab-
weichungen Lucians uud besondere Vorzüge des Afrikaners hin. Der
Rest ist kürzer gehalten; es werden die afrikanischen Kaiser, Nemesian
und seine Zeitgenossen, endlich die Metriker und Grammatiker sowie
die Sammelschriftstellcr abgehandelt. Auch Macrobius und Martian be-
kommen ein freundliches Wort, wenn auch ihre Pedanterie und Ge-
schmacklosigkeit nicht verschwiegen wird. Zum Schluß wird das
litterarische Leben in Karthago, dem afrikanischen Paris, und die Ein-
heitlichkeit dieses Ausschnitts der römischen Litteratur erörtert. Wissen-
schaftliche Selbständigkeit beansprucht das Werk nicht; beruht es doch,
wie die Anmerkungen zeigen, zum größten Teil auf den Forschungen
deutscher Gelehrten. Trotzdem ist es ein verdienstliches Buch, weil
es frisches Leben nachbildend schafft, und dürfte auch bei uns einer
weiteren Verbreitung wüi-dig sein.
39. Oskar Froehde, Die Anfangsgründe der römischen
Grammatik. Leipzig 1892, Teubner. 141 S. 8.
Die römische Grammatik beruht in ihrem ganzen Fundament auf
dem griechischen Vorbilde des Dionysius Thrax. Dies gilt insbesondere
für die Anfangsgründe. Es wird durch genaue Vergleichung für 22
Grammatiker in 15 Abschnitten der Beweis erbracht. Der eigentliche
Begründer der römischen Grammatik ist Varro; ihre Blüte erreichte
sie in der Mitte des 1. Jahrhunderts nach Chr. Vermutlich hat Palämon
zuerst die ■zi'/yi] des Dionysius bearbeitet.
40. Hermann Peter, Die scriptores historiae Augustae. Sechs
litterargeschichtliche Untersuchungen. Leipzig 1892, Teubner. VIII,
266 S. 8.
Dieses Buch war bestimmt als Vorläufer zu einem größerea „Über
die Geschichte und Litteratur der römischen Kaiserzeit bis Theodosiusl."
Da dieses hochbedeutende Werk nuumehr erschienen ist, so halten wir
es für angemessen, die Besprechung des ersteren, soweit es in unseren
Bericht schlägt, mit der des letzteren s. Zeit zu verbinden.
Nachtrag.
41. J. W. Mackail, Latin literature. New York, Charles
Scribners Sons. 1895. IX und 289 S. 8.
Der Verf., früher fellow of Balliol College, Oxford, hat mit seinem
Buche eine Arbeit seines verstorbenen Lehrers William Sellar über-
nommen und beendigt. Er rechnet auf ein weiteres Publikum, hätte
aber trotzdem weniger dürftig und vor allem weniger flüchtig sein
sollen. Auf S. G gedenkt er der Praetexta des Xävius Clastidium, in
der er einen Sieg der Metaller verherrlicht wähnt, die Nävius nach-
her dem Spotte preisgegeben hat. Wirklich? Hieß nicht der Sieger
bei Clastidium M. Claudius Marcellus?! Solche Verwechselungen
dürfen auch nicht in populären Werken vorkommen. Andere Abschnitte,
die wir nachgeprüft haben, sind nicht übel, so der über Cicero, der
selbständiges und gesundes urteil bezeugt; aber auch hier fehlt in der
Übersicht seiner Schriften der Orator, wieder ein Beweis der Flüchtig-
keit des Verf. Die Würdigung der einzelnen Schriftsteller ist nicht
immer gleichmäßig ; sehr gut kommt Lukrez fort.
42. Fr. W. Müller, Über die Beredsamkeit mit besonderer Be-
ziehung auf das klassische Altertum. Regensburg, W. Wuuderling.
189G. 116 S. 8.
Der Verf. stellt mit großem Fleiße die wichtigsten Stellen der
Alten zusammen, die sich auf die Beredsamkeit beziehen. So bringt
der erste Teil Belege für ihre Definition und Grundbedingung, der zweite
für die Charakteristik der griechischen und römischen Redner, vor allem
Ciceros, in dessen Verherrlichung das Buch ausläuft. Alles iu allem,
eine schöne Materialsammlung, die des Bearbeiters harrt, Steine, aus
denen ein Bau aufgeführt werden könnte. Will sich Verf. nicht an die
lohnende Aufgabe wagen?
43. R. Bürger, Der antike Roman vor Petronius, Hermes 1892,
Band 24, Heft 3, S. 345—358. 8.
Verf. will Vorläufer zu dem realistischen Sittenroman Petrons
finden und sieht als solche die MiXr,5ia-/.a an. Sisenna übersetzte das
Werk des Aristides und machte Mode. Es muß von 100 vor bis
100 nach Chr. eine ziemlich umfangreiche realistische Romanlitteratur
geblüht haben, von der Verf. freilich keine Überreste aufweisen kann.
Ist daher nicht lieber das muß in ein kann zu verändern?
3l? Jahresbericht über die Geschichte der römischen Litteratur. (Aly.)
44. G. Canouica, Meropc iiella storia del teatro tragico greco,
latino e italiaiio. Milano, M. Hoepli. 1893. 105 S. 8.
Die Darstellung des Stoffes bei Euripides, Ennius, Maffei, Voltaire
und Alfieri wird flüchtig und ohne selbständiges Urteil gemustert. Aus
der Ausgabe von L. Müller werden die erhaltenen Fragmeute des
Ennius abgeschrieben, Cui bono?
45. G. L. Hendrickson, The dramatic satura and the old
comed}^ at Roma. The american Journal of philology 1894. XV, 1
No. 57 30 S. 8. Baltimore, Friedenwald Co.
Nach dem Vorgang von Leo und Kießling will der Verf. der
dramatischen Satire, wie sie in der dunklen Stelle bei Livius VII, 2
ein schattenhaftes Dasein fristet, ein Ende machen. Er stützt diese
Auffassung durch den iS^achweis, daß die liviauische Konstruktion dem
Bestreben ihr Dasein verdankt, die Geschichte der römischen Litteratur
der der griechischen anzupassen, ein Vorgang, wofür ja auch andere
Belege vorliegen. Livius oder sein Gewährsmann (Accius?) hat den
Römern mit jener nebelhaften Notiz eine apyata xo>ixtpoia geschenkt.
Den Keim einer [xlav] findet Hendrickson in einer Mitteilung des
Euanthius de comoedia. die den Terenzscholien voraufgeht. Es bleibt
also die geschichtliche Satire des Ennius und seiner Nachfolger als
Analogie zur via. Ferner hat der Verf. treffend die Parallelismen
zwischen Livius und Horaz (Epist. II, 1,145 ff.) beobachtet. Porphyrio
bemerkt ausdrücklich dazu: qua re coustituta silentinm est impositum
archaeae comoediae! Zum Schluß tritt Verf. für die Auffassung
der satura als „containing the common nnderlying notion of variety"
ein, wie sie Ennius geprägt und Lucilius in „the aggressive quality"
weiterentwickelt hat. Wir erachten die Ausführungen des Verf. für
sehr beachtenswert und zutreffend in ihrem Ergebnis.
46. A. Sonny, Neue Sprichwörter und sprichwörtliche Redens-
arten der Römer. Archiv für lat. Lexik. 1893 VIII S. 483—494,
1894 IX S. 54-80. 8.
Der russische Gelehrte bietet dankenswerte Ergänzungen zu Ottos
bekanntem Buche. Im Eingang erklärt er sich für die von Crusius ge-
gebene Definition des Sprichwortes, das er mit dem von Büchmann ge-
prägten Begi'iff des „geflügelten Wortes" zusammenstellt, abgesehen
davon, daß beim Sprichwort der Urheber meist nicht mehr nachweisbar
ist. Die Ergänzungen werden in alphabetischer Aufzählung gegeben.
33
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891-1897.
Von
Dr. P. Geyer,
Gymnasial-Professor in Erlangen.
I'ber Vulgäi'latein, seine Quellen und Erkennbarkeit und im Zu-
sammenhang damit über afrikanisches Latein sind gegenwärtig die An-
sichten sehr geteilt. Auf eine Periode zahlreicher wirklicher oder
vermeintlicher Entdeckungen ist eine Zeit der Reaktion und Ernüchte-
rung gefolgt: man hat infolge anfänglichen Übereifers begonnen, gegen
die bisherigen Forschungen auf diesem Gebiet mißtrauisch zu werden
Die Kritik hat nicht nui* den schwer zu definierenden Begriff „Vulgär-
latein" unter die Lupe genommen, sondern auch die Axt an die Wurzel
unserer Erkenntnis gelegt, indem sie die bisherigen Ansichten über die
Quellen derselben erschüttert hat. Der Rückschlag ist noch dazu von
einer Seite erfolgt, von welcher er am wenigsten erwartet wurde: ge-
rade der Gelehrte, welcher durch seine „Lokalen Verschiedenheiten
der lateinischen Sprache" eine hervorragende Rolle in der Litteratur
des Vulgärlateins gespielt hat, auf dessen Aufstellungen sich heute noch die
Anhänger des „afrikanischen Lateins" vielfach berufen, Prof.Sittlin Würz-
burg, hat mit einer außerordentlichen Offenheit und Wahrheitsliebe und
einer ganz ungewöhnlichen Belesenheit und Gelehrsamkeit in dem letzten
Referat über diesen Gegenstand Bd. 68. S. 226 ff. dieses Jahresberichtes es
unternommen, seine eigenen früheren Ansichten zu widerlegen. Bevor
ich daher an meine eigentliche Aufgabe gehe, kann ich nicht umhin,
in kurzen Zügen den gegenwärtigen Stand der Frage zu kennzeichnen.
Der Ausdruck Vulgärlatein (sermo vulgaris, sermo vulgi etc.)
wurde, wie Sittl in den Verh. der 40. Vers, dtsch. Philol. in Görlitz v.
2.-5. Okt. 1889, Leipzig, Teubner 1890 S. .385 ff., nachgewiesen hat,
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd.LXXXXVlII. (1398. ni.) 3
34 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 189!— 97. (Geyer.)
im Altertum iu viel engerem Sinne gebraucht, als heutzutage zu ge-
schehen pflegt. Die der Schriftsprache gegenüberstehende Umgangs-
sprache war durchaus keine einheitliche: nicht nur war ein großer
Unterschied zwischen Stadt und Land, sondern auch zwischen der Ver-
kehrssprache der Gebildeten, dem sermo cotidianus, und der der unge-
bildeten Plebs (sermo vulgaris), dem Vulgärlatein im engeren Sinn, und
auch innerhalb dieser beiden Kategorien gab es noch zahlreiche Ab-
stufungen je nach Stand, Bildungsgrad und Nationalität des Sprechen-
den (man vgl. darüber auch die lichtvollen Erörterungen bei M. Bonnet,
Le latin de Gregoire de Tours, Paris 1890, S. 30 ff.); die Pro-
vinzialen erkannte man namentlich an ihrer fremdartigen Aussprache,
während sie sich sonstige Provinzialismen im Vokabular und in der
Grammatik eher abgewöhnen konnten. Bei Männern, w'elche gebildet
genug waren, um litterarisch thätig zu sein, so argumentiert Sittl, darf
man von vornherein keine Vulgarismen im engeren Sinne suchen; die
gesprochene Volkssprache hat überhaupt auf unsere Litteratur keinen
Einfluß geübt, und abgesehen von den Reden des Gastfreundes Trimalchios
bei Petron, den pompejanischen Graffiti, der Appendix Probi und den
vereinzelten Ausdi'ücken, welche Grammatiker wie Consentius und
Caper ausdrücklich als vulgär tadeln, werden keine Quellen des
Vulgärlateins anerkannt. Die Übereinstimmungen spätlateinischer Scluift-
steller mit der Sprache des Plautus und dem archaischen Latein, sind
keine Vulgarismen, sondern Archaismen. Nur der Umgangssprache
der besseren Stände ^ dem sermo cotidianus wird ein, wenn auch
außerordentlich eingeschränkter, Einfluß auf die Schriftsprache zu-
gestanden. Die entgegengesetzten Äußerungen , die sich nament-
lich bei Ejrchenschriftstellern häufig finden , die Entschuldigungen
der rusticitas sermonis, sind, wie Sittl überzeugend nachweist, in weit-
aus den meisten Fällen nicht ernst zu nehmen; es ist ein t6-o?, der
schon von griechischen Rhetoren empfohlen wird.
Während Sittl in dem Görlitzer Vortrage wenigstens Marcellus
Empiricus und die Verfasserin der gallischen Peregrinatio , die soge-
nannte Silvia, als zwei vereinzelte Erscheinungen anerkannte, von denen
der eine seine Rezepte für Arme und Fremde gesammelt habe, aber
nicht recht volkstümlich habe schreiben können, die andere sich
in dem schlichteren sermo cotidianus von Aquitanien ausgedrückt
habe, wird dieses Zugeständnis, soweit es Marcellus betrifft, in diesem
Jahresbericht Bd. 68 S. 276 zurückgenommen, die Umgangssprache
Süvias ebend. S. 277 eine feinere genannt.
Gewiß sind die Einwendungen Sittls gegen die bisher herrschen-
den Anschauungen sehr beachtenswert und geeignet dieselben vielfach
zu berichtigen; auch scheint die Zahl seiner Gesinnungsgenossen im
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1801—97. (Geyer.) 35
"Wachsen begriffen zu sein. Aber er scheint mir in seiner negativen
Kritik doch zu weit zu gehen. Einmal scheint mir die Grenze zwischen
dem serrao cotidianus und vulgaris zu scharf gezogen zu sein. Es
giebt doch entschieden ein Grenzgebiet, auf dem sich beide berühren:
beide haben das gemeinsam, daß sie Ausdrücke gebrauchten, welche in
der Schriftsprache verpönt oder, als die archaisierende Richtung zur
Herrschaft gelangte, nur dann zugelassen wurden, wenn sie aus alten
Autoren zu belegen waren. Unter diesen Abweichungen von der
Schriftsprache war sicher vieles (Temeiugut des sermo cotidianus und
vulgaris. Gerade Marcellus und Silvia bieten dafür Beispiele; so findet
sich das Appendix Probi 14G (ed. Förster) verpönte pisinnus bei Marc.
8, 90. 26,43 und bei Silvia p. 50 (Gam.^), 53, 78; frustrum statt frustum
(App. Probi 180) bei Marc. 25, 2 und 27, 37, desgl. in dem von Petrus
Diaconus exzerpierten Stücke Silvias p. 131, 24. Andererseits freilich
finden sich Archaismen, Reminiscenzen aus der Schullektüre, auch bei
Schriftstellern, die sonst wenig litterarische Bildung verraten; bei
Silvia beispielsweise steht öfter das bisher nur aus Terenz Hec. 378
,iam ut limen exirem, ad genua accidit", bekannte temporale (iam) ut
mit Konjunktiv: iam ut exiremus de ecclesia, dederunt nobis eulogias
S. 39 und ähnlich 89, 8 und 24 und 102, 10.
Trotz dieser Gefahr aber, daß sich ein vermeintlicher Vulgaris-
mus schließlich als Archaismus erweist, halte ich es doch nicht für
aussichtsloses Bemühen, den Spuren des sermo vulgaris in der Litteratur
nachzugehen. Ich glaube, daß man solche anzutreffen erwarten darf
bei solchen Schriftstellern, die keine hinreichende Bildung hatten, um
die reine Schriftsprache zu schreiben, also bei einem Teile der
Fachschriftsteller: Mediziner, Agrimensoren; von der christlichen Litte-
ratur sind auch die .Pilgerscliriften wie die sog. Silvia und Antoninus
von Placentia hierher zu rechnen, desgleichen ein Teil der Inschriften
und die sogenannten Kompromisstexte des beginnenden Mittelalters: Ur-
kunden, Gesetze, Heiligenleben. Freilich wird dagegen eingewendet,
diese seien nicht in viilgärem, sondern in schlechtem Latein geschrieben.
Aber zugegeben, daß auch die Urheber dieser Litteratur nicht vulgär
schreiben wollten, woher sind die Fehler entstanden? Doch zum Teil
daher, daß ihnen unwillkürlich Ausdrücke, Laute, Konstruktionen der
lebenden Volkssprache in die Feder kamen. Eine, allerdings sehr
schwierige, Aufgabe ist es nun eben, das echte Sprachgut aus der Spreu
des Fehlerhaften, der umgekehrten Schreibungen und falschen Analogie-
bildungen zu sondern, was in vielen Fällen mit Zuhilfnahme der roma-
nischen Sprachen doch nicht unmöglich ist, vgl. Miodonski in Wölfflins
Archiv f. lat. Lexik. VIII S. 146—49 und Seelmann in Vollmöllers
Krit. Jahresberichte I S. 52. Beachtung verdient auch die Bemerkung
36 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891— 'J7. (Geyer.)
Seelmanns, daß, wie aus den Außerung'en des gallischen Grammatikers
Couseutius (saec. V/VI) hervorgehe, auch die Umgangssprache der
Gebildeten in ihrem Verhältnis zur Volkssprache sich nicht gleichge-
blieben sei, sondern daß Vulgarismen der Aussprache auch in die alltäg-
liche Umgangssprache der Gebildeten immer mehr Eingang gefunden
haben. Sollte da nicht hinsichtlich des Wortvorrates ein ähnlicher "Wandel
sich vollzogen haben? Bei den zahllosen Berührungen, welche zwischen
dem Wortschatze des archaischen Lateins und dem der Volkssprache
fortwährend bestanden haben, ist es kaum denkbar, daß mit dem
Archaismus nicht auch dem Eindringen in der Volkssprache fortlebender
Wörter Thür und Thor geöffnet worden sei; je weniger ein Schrift«
steller litterarisch gebildet war, um so mehr mußten ihm auch
Ausdrücke aus der Volkssprache, die nicht legitimiert waren, mit
unterlaufen.
Endlich erscheint mir die Annahme unnatürlich, daß das Christen-
tum, für welches der Wortvorrat der heidnischen Schriftsteller nicht
genügte, sich lediglich mit Neubildungen beholfen, dagegen verschmäht
habe, aus der unversiegbaren Quelle der lebenden Volkssprache zu
schöpfen : mag daher auch in der Sprache der ältesten Bibelüber-
setzungen noch so vieles als Gräcismen und Hebraismen zu erklären
sein, mögen die Übersetzer auch hin und wieder Glossare benutzt
haben: ich sehe keinen Grund ein, weshalb sie Entlehnungen aus der
lebenden Volkssprache gänzlich vermieden haben sollten.
Ich glaube daher doch nicht, daß man so weit gehen darf, das
ganze Vulgärlatein für ein bloßes Phautasiegebilde zu erklären, sondern
daß man mit den nötigen Kautelen und Einschränkungen auch ferner
von Vulgärlatein in engerem oder weiterem Sinne sprechen darf. Die
Romanisten, die bei dieser Frage in hohem Grade interessiert sind,
sind, soviel mir bekannt ist, sämtlich gegen eine so radikale Ver-
werfung — die heftige Polemik Seelmanns in den Göttinger Gelehrten
Anzeigen 1890 S. 665 ff. und in Vollmöllers krit. Jahresb. I S. 49
wendet sich nur gegen die Versuche, ein Vulgärlatein zu konstruieren
mit Hintansetzung der historischen Quellen. Auch von klassisch-
philologischer Seite fehlt es nicht an Gegenäußerungeu; ich verweise bei-
spielshalber auf Blase, Geschichte des Plusquamperfekts im Lateinischen.
Gießen 1894. S. 105.
Die mit der Frage über das Vulgärlatein in engem Zusammen-
hang stehende Frage des afi'ikanischen Lateins wird unten zur Sprache
kommen. Ich wende mich nunmehr zur eigentlichen Litteratur und
bespreche zunächst Schriften allgemeineren Inhaltes, dann die Arbeiten
über den Sprachgebrauch vulgärlateinischer (im weiteren Sinn) und
spätlateinischer Prosa-Schriftsteller und Dichter. Über die Afrikaner
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1S91— 'J7. (Geyer.) 37
und die als solche bezeichneten Autoren wird im Zusammenhang' referiert
Vi^erden; den Schluß wird die Sprache der sonstigen Bibelübersetzungen
und das Mittellatein bilden. Dabei werde ich mich nach bisherigem
Brauch auf die Arbeiten beschränken, die speciell den Sprachgebrauch
zum Gegenstand haben; Schriften, die als Hauptzweck Textkritik
haben und Ausgaben von Schriftstellern sind ausgeschlossen. Absolute
Vollständigkeit ist bei der Natur des Gegenstandes nicht erreichbar.
Schriften allgemeinen Inhaltes.
Zu dem oben geschilderten scharfen Widerspruch, den die bis-
herigen Anschauungen über Vulgärlatein neuerdings gefunden haben,
gab die Veranlassung der Mangel an Klarheit über den Begriff Vulgär-
latein und über sein Verhältnis zur Schriftsprache. Eine Anzahl
Gelehrter stellten den Gegensatz zwischen Volkssprache und Schrift-
sprache viel zu schroff dar, sprachen wohl gar von zwei Sprachen, die
neben und getrennt von einander in Rom existierten: einer lebenden,
der Vulgärsprache, und einer erstarrten, toten, der Schriftsprache.
Sie berücksichtigten dabei einerseits zu wenig, daß das Vulgärlatein
keine einheitliche, geschlossene Sprache war, daß es vielmehr viele
Stufen der Schattierungen gab, je nach dem Stand, dem Bildungsgrad
und dem Geburtsort des Sprechenden vom sermo vulgaris, rusticus
plebeius bis hinauf zum sermo cotidianus, welch letzterer wieder dem
sermo urbanus, der Schriftsprache, nahe stand, andererseits, daß zwischen
der Schriftsprache und der Volkssprache vielfache "Wechselbeziehungen
und gegenseitige Einwirkungen stattfanden; endlich, daß nicht nur die
gesprochene Sprache, sondern auch die Schriftsprache, wenn auch
letztere in geringerem Grade, sich mit der Zeit änderte und weiter ent-
wickelte. Dies hat zuerst Bonnet betont in der Einleitung zu seinem
Werke le latin de Gregoire de Tours S. 30 ff.
Noch unberührt von dieser Warnung, obwohl später erschienen,
ist die Abhandlung von
P. Monceaux, Le latin vulgaire d'apres les dernieres publications.
Revue des deux mondes 1891, vol. 106, p. 429—448.
Der Verfasser giebt eine sehr lebendig geschriebene, phantasie-
volle Darstellung der Entwickelung des Vulgärlateins zu den romanischen
Sprachen. Die benützte Litteratur ist sehr lückenhaft; besonders
auffallend ist, daß zwar Koffmane, Sittl, Rönsch, Meyer-Lübke Er-
wähnung finden, nicht aber Wölfflin und dessen Archiv. Einige heraus-
gegriffene Sätze werden am besten die oft befremdenden Anschauungen
38 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1801—07. (Geyer.)
des Verfassers charakterisieren: Im archaischen Latein soll große
Konfusion in Anwendung der Kasus und Tempora geherrscht haben. —
Angenommen, es wäre Rom isoliert von den Griechen geblieben,
so wäre das Italienische zwölf Jahrhunderte früher entstanden. Rom
opferte Griechenland seine nationale Sprache. — Das klassische Latein
ist lediglich Kunstprodukt. Aber in einer Ecke schlummerte sein un-
unversöhnlichster Feind, das Vulgärlatein. — Um seine zeitgenössischen
Schrifsteller zu verstehen, mußte ein Römer (in der Zeit M. Aureis)
seine Muttersprache halb vergessen. — Die Christen mußten sich eine
Grammatik für sich selbst schaffen; sie nahmen das Vulgärlatein zu
Hülfe. — Für Gregor von Tours existierten Flexionsendungen nicht
mehr oder wurden doch nur auf gut Glück augewendet. — Das Latein
Gregors ist schon französisch. — Das afrikanische Latein wird (S. 446)
eine interessante Kombination des Punischen, Libyschen und Lateinischen
genannt u. s. w'.
Veraltet ist auch der in unser Referat fallende Abschnitt des an-
ziehend geschriebenen Buches von
F. 0. Weise, Charakteristik der lateinischen Sprache. Leipzig
1891, Teubner. 141 S.
Der vierte Abschnitt mit sehr lückenhaften Litteraturnachweisen
behandelt die Sprache des Volks. Es wird unterschieden der mit der
Schriftsprache verwandte sermo cotidiauus und der sich ganz ver-
schieden entwickelnde sermo rusticus. Das Wesen des letzteren wird
gesucht in Neigung zur Bequemlichkeit, Streben nach Anschaulichkeit,
starkem Hervortreten des Gemütes. Die Eigentümlichkeiten der auf
grund der romanischen Sprachen rekonstruierten Volkssprache werden
nun in ein grammatikalisches Schema gebracht, das diesen drei Haupt-
teilen untergeordnet wird. Dadurch wird nicht nur öfters Zusammen-
gehöriges auseinandergerissen (so wird von der Parataxe S. 102 und
111 gehandelt), sondern, was schlimmer ist, die falsche Vorstellung er-
weckt, als ob alles, was in dieser Grammatik untergebracht ist, auch
gleichzeitig nebeneinander existiert hätte. So wird z. B. als Beleg für
das Überwiegen der ersten Konjugation im sermo rusticus, das nach
dem Zeugnis das Festus von Ennius gebrauchte Verbum fodare neben
dem von Sallust, Vergil, Livius angewendeten, also sicherlich nicht
vulgären, consternare angeführt; plasma, ae und diadema, ae sind wirk-
lich bezeugt, dagegen hat man im Volkslatein sicher nicht tempus, i
und corpus, i dekliniert. Derartige Formen gehören erst dem späten
Mittellatein an, vgl. Sittl, Archiv f. lat. Lexik. II S. 561. Unrichtig
ist die Behauptung (S. 102), daß die Prolepse des Objekts in den
Briefen Ciceros nicht selten vorkomme vgl. Schmalz in I. v. Müllers
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891—97. (Geyer.) 39
Handbuch II S. 394. Der Verfasser hätte besser gethan, nach dem
Beispiel des von ihm \'ielbenützten Schriftchens von Rebling, Versnch
einer Charakt. d. röm. Umgangssprache, die Volkssprache einer be-
stimmten Periode zu charakterisieren, statt durch Jahrhunderte getrennte
Erscheinungen zusammenzustellen.
Einen weit wissenschaftlicheren Charakter trägt das hübsche
Büchlein von
E. Gorra, Lingue neolatine. Milano 1894, Ulrico Hoepli,
147 S. 12,
ein Band aus der billigen Sammlung der Manuali Hoepli, Er ist
vortrefflich geeignet, einen Überblick über den gegenwärtigen Stand
der uns beschäftigenden Frage zu geben. Von einem Dozenten der
romanischen Philologie an der Universität Turin klar und frisch ge-
schrieben, behandelt es in 6 Kapiteln: La conquista romana e la propa-
gazione del latiuo; latino classico e latiuo volgare; elementi indigeni
ed eterogenei; le lingue neolatine; i prinii mouumenti; il posteriore
sviluppo. Uns interessiert zumeist das zweite Kapitel. Diu'ch die treff-
liche Methode, daß zunächst die beiden sich widerstreitenden Ansichten
zu Wort kommen und dann eine Lösung der Schwierigkeit versucht
wird , wird es dem Leser erleichtert , sich selbst ein Urteil zu bilden,
zumal wenn er die reichlichen Litteraturnachweise benutzt, die dem
Büchlein einen besonderen Wert verleihen. Der Verfasser schließt
sich oft eng. einige Male wörtlich, an die Ausführungen Bonnets in der
Einleitung seines Werkes Le latin de Gregoii-e de Tours an. Mit
Parodi, Noterelle di fonologia latina in Studi italiani di filologia
classica, Fireuze 1893, Sansoni, vol. I p 430 ann. 2, wird der viel-
deutige Ausdruck „Vulgärlatein" nicht ausschließlich auf die Sprache
des niederen Volkes beschränkt, sondern definiert als die im Bewußt-
sein des Volkes lebende Sprache, welcher Stufe der Gesellschaft oder
der Kultur es auch angehören mag, als gesprochene Sprache in der
reinsten Bedeutung des Wortes, mit ihren unzähligen Verschiedenheiten
des Ortes und der Zeit.
Zur Frage des Vulgärlateins ist veranlaßt Stellung zu nehmen:
Stolz, Historische Grammatik der latein. Sprache bearbeitet von
Blase, Landgraf, Schmalz, Stolz etc. Bd. I. Leipzig 1894, Teubner,
insbesondere in § 17 das Lateinische in seinem Verhältnis zu den
romanischen Sprachen und § 18 — 38 das Lateinische in seiner geschicht-
lichen Entwickelung. Der Verfasser teilt den Standpunkt Miodoüskis,
daß die romanischen Sprachen das Korrektiv bilden für die uns durch
die Litteratur und die Grammatikerzeugnisse erhaltenen schriftlateinischen
40 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891—97. (Geyer.)
Zeugnisse mit denselben Einscbränkungen des bisher vielfach zu schroff
und einseitig angenommenen Gegensatzes zwischen Schrift- und Vulgär-
latein, wie sie Bonnet und Gorra machen. Zu der längst überwundenen
Annahme einer romauischeu Ursprache scheint Stolz zurückzukehren,
wenn er S. 26 von einer naturgemäßen Entwickelung spricht, welche
vom Latein, zur sogeuannten lingua Romana und in weiterer Linie zu
den romanischen Sprachen führe. Für die Beispiele des Metaplasmus,
wie er in Agathoclenis, Nicerouis u. s. w. vorliegt, war nicht auf
Weise, Char. d. lat. Sprache, sondern auf Schuchardt, Vokalismus des
Vulgärlateins Bd. I S. 34 und III S. 342 zu verweisen. Nichts mit
dem Volkslatein haben zu thun die S. 53 angeführten Schnitzer abuit =
abiit, convertuit, reguit etc.
Auch gegen die in der Abhandlung von
C. Sittl, Archaismus. CommentationesWoelfflinianae. Leipzig 1891,
Teubner. S. 403—408
vertretene Ansicht, daß man kein Recht habe, die von Fronto Gellius und
Apuleius inaugurierte Richtung als archaisierend zu bezeichnen, indem
es stets Schriftsteller gegeben habe, welche der älteren Redeweise
huldigten, wii'd die Berechtigung der bisherigen Bezeichnung mit guten
Gründen verteidigt. Daß in der That die Nachahmung archaischer
Schriftsteller iü der Prosa in Rom aus der Mode gekommen war und
erst durch die Provinzialeu wieder eingeführt wurde, scheint mir hervor-
zugehen aus der oft citierten Stelle aus Sueton, grammat. 24, wo er
von Probus aus Berytus sagt: legerat in provineia quosdam veteres libellos
apud grammaticam durante adhuc ibi antiquorum memoria necdum
omnino abolita sicut Romae.
In systematischer Weise wird die Entwickelung der lateinischen
Laute, Wortbildung und Flexion durch das Vulgärlatein bis in die
romanischen Sprachen herab verfolgt in dem berühmten Buch von
Lindsay , The Latin Language, an historical account of latin sounds,
stems and flexions Oxford, Clarendon Press. 1894. XXVIII. 660 S. 8.
Die wichtigsten Ergebnisse der Forschungen auf dem Grenzge-
biete zwischen klassischer und romanischer Philologie hat der Referent
zusammengestellt in:
Alte und neue Philologie in ihrem gegenseitigen Verhältnis.
Blätter für das bayerische Gymnasialschulwesen XXVII S. 151 ff.
und bei dieser Gelegenheit seinen Bedenken über die landläufigen An-
sichten über afrikanisches Latein Ausdruck gegeben.
Nachdem der Fortbestand des Kritischen Jahresberichtes
aber die Fortschritte der Romanischen Philologie, herausgegeben von
Karl Vollmöller, nach mancherlei Gefahren gesichert wurde, ist im
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891 — 97. (Geyer.) 41
Verlag- der Rengerschen Buchhandlung-, Leipzig 1896 der II. Band
erste Hälfte erschienen, der die Litteratur von 1891 — 1894 umfaßt.
Das in demselben enthaltene Referat über Volkslateiu von W. Meyer-
Lübke S. 60 — 72 bespricht die für das Studium der romanischen
Sprachen wichtigsten Erscheinungen. Ein Teil derselben hat seinen
Schwerpunkt im Romanischen, namentlich auf dem Gebiet der Laut-
lehre. Es sei deshalb ein für allemal auf dieses Referat als Ergänzung
des gegenwärtigen verwiesen, insbesondere hinsichtlich der in roma-
nistischen Zeitschriften erschienenen Artikel.
Lautlehre.
Die Arbeiten über Lautlehre und Aussprache fallen größtenteils
in andere Referate, Grammatik und Metrik, so daß ich mich mit
einigen kurzen Angaben über die für das Vulgärlatein hauptsächlich
in betracht kommenden begnügen darf. Ein wichtiges Zeugnis für die
Aussprache des Volks geben die volkstümlichen Dichter, besonders
Afrikas und Spaniens.
Felice Ramorino, La pronunzia popolare dei versi quantitativi
iatini nei bassi tempi ed origine della verseggiatura ritmica. Toriuo 1893
(memorie della reale accademia delle scienze di Torino vol. XLIII).
Nach der Rezension von Manitius, Berliner philol. Wochenschrift
1893 S. 1427 — 31, wird gezeigt, daß das Eindringen einer volkstüm-
lichen Strömung schon im ersten Jahrhundert beginnt. Unter dem Ein-
floß des Accentes w^urden in der späteren Zeit die Silben vielfach ver-
kürzt; man sprach zwar clämor, aber clämöris; zweisilbige Wörter
haben die Tendenz, wie Trochaeen oder Pyrrhichien gesprochen zu
werden, dreisilbige mit kurzer Paenultima werden daktylisch gesprochen,
solche mit langer wie Amphibr. oder Bacchien. Überall herrscht das
Bestreben, die accentuierte Silbe als Hauptsilbe geltend zu machen,
während sich ihr die anderen unterordnen. Im 4. bis 6. Jahrhundert
hat man auch die quantitativen Verse nach dem Accent gesprochen;
die rhythmischen Verse sind lediglich nach den metrischen Versen ge-
baut, aber volkstümlich nach dem grammatikalischen Accent gesprochen
worden.
Vernier, Commodien et Verecundus. Revue de philologie XV
p. 14-33.
Derselbe, Observations sur la phonetique du latin vulgaire. Revue
de Philologie frangaise t. IX p. 32—40. 269—293.
Vgl. Jahresbericht, Bd. 84 S. 277. 303.
42 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein ISO 1 — 97. (Geyer.)
M. Hammer, Die lokale Verbreitung frühester romanischer Laut-
Wandlungen im alten Italien. Diss. Halle 1894. 41 S.
Der Verfasser hat sich die Aufgabe gestellt, nachzuweisen, in
welchen Gegenden der Wechsel von ae zu e und au zu o, sowie das
Verstummen des auslautenden s, t und m zuerst auftritt und in welchem
Zusammenhang diese Erscheinungen mit den altitalischen Dialekten der
fraglichen Gebiete stehen. Zu diesem Zweck hat er die Inschriften bis
200 nach Chr. ausgebeutet und veranschaulicht durch fünf Kärtchen
mit verschiedenen Farben die gefundenen Ergebnisse. Bei der Zufällig-
keit und teilweisen Spärlichkeit des uns erhaltenen Materials sowie bei
der ungleichen Verteilung auf die verschiedenen Gegenden sind natür-
lich die darauf gebauten Schlüsse unsicher. Daß für die Zeit bis
130 vor Chr. alle diese Erscheinungen am häufigsten in Inschriften
Umbriens bezeugt sind, stimmt ja in der That mit dem Bestand des
altumbrischen Dialektes, welcher au und oe zu o und e schwächte und
die auslautenden Konsonanten in der Regel abwarf. Daß aber Canipanien
für diese Periode kein Beispiel aufweist, kann ebensogut in der geringen
Zahl oder besseren Qualität der erhaltenen Inschriften als in der Eigen-
tümlichkeit des oskischen Dialektes seinen Grund haben. Gerade solche
argumenta ex silentio sind unter den obwaltenden Umständen bedenklich.
W. Mej'er-Lübke, Zur lateinischen Vokalquantität. "Wiener
Studien 1895, S. 314—323.
An der Hand der romanischen Sprachen wird die Quantität einer
Reihe lateinischer Wörter, die unsicher oder in den Lexicis unrichtig
angegeben ist, bestimmt und damit zu den „Vulgärlateinischen Substraten
lateinischer Wörter" von Gröber Berichtigungen und Nachträge gegeben.
Ph. Thielmann, Verwechslung von ab und ob. Commentationes
Woelfflinianae. Leipzig, Teubner 1891. S. 253—259.
Die Präposition ob konnte sich nicht halten, weil die Bedeutung
von ob vielfach zusammenfiel mit dem ab des Beweggrundes oder der
Veranlassung. Daher findet sich die Vertauschung von ab und ob
häufig im Spätlatein, nicht nur wenn das Wort selbständig gebraucht
wurde, sondern auch in Zusammensetzungen. Ob bei Porphyrion zu
a. poet. 124 ab hoc perfidus Ixion oder zu Hör. carm. 1, 36, 20 quae
(Damalis) ab hoc hederae comparata est, quia .... wirklich Ver-
wechslung von ab und ob vorliegt, ist mir doch zweifelhaft. Es ist
doch wohl auszugehen von dem Gebrauch von ab, wie er sich unzählige
Male bei Varro findet, z. B. 1. lat. V 98 pecus ab eo quod* per pas-
cebant, a quo pecora universa. Zu den Vertauschungen im Eomauischeo
wäre noch assouvir = lat. obsopire zu fügen. J
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1S91 — 97. (Geyer.) 43
G. Gröber, Verstummung des h, m und positionslange Silbe
im Latein. Commentatioues Woelfflinianae. 8. 169 — 182.
Siehe Jahresberichte Bd. 77, S. 129.
Parodi, Notereile di fonologia latina : I. Osservazioni intorno al
suono mediano fra u ed i. II. Intorno a *bistia ed *ustium uel latiuo
Vulgare. Studi italiani di filologia classica, vol. I. Mreuze 1893.
S. 385—441.
In einer Anzahl lateinischer Wörter wechselt in der nachtonigen
Silbe die Schreibung mittels u und mittels i, z, B. optumus und optimus,
aestumo und aestimo. Die herrschende Meinung, die auch Stolz in der
2. Auflage der lateinischen Grammatik vertritt, ist, an dieser Stelle
sei ein Zwischenvokal zwischen i und u, ü = griech. u, gestanden.
Dieser sei vor 1 aus indog. a, e, o oder i entstanden, vor p, b, f, m
aber könne er aus jedem Vokal entstanden sein. Parodi wendet sich
gegen diese Ansicht und sucht zunächst zu erweisen, daß vor m 1. ein
Wechsel zwischen u und i nur dann eintrete, wenn u (das ältere) für
indogermanisch a stehe; 2. daß u konstant erhalten blieb, wenn o vor-
anging, z. B. incolumis. Ausnahmen wie Postimius sind dialektisch.
Dies führt zu einem interessanten Exkurs über den assimilierenden
Einfluß von a, e, i und o. 3. i findet sich durchgehends als unmittel*
barer Nachfolger von ursprünglichem e oder i. Daß der Zwischen-
vokal, der auf den Fall 1. beschränkt ist, nicht ü = griech. u ge-
wesen sein kann, beweist Quint. XII, 10, 27 und die Transskription
desselben in griechischen Wörtern. Ähnlich wird der Laut vor p, b,
vor f und 1 behandelt. Weniger sicher ist der Zwischenvokal (aus
urspr. u) vor Labialen, gesichert ist er dagegen wieder vor 1 (il aus
älterem ul), wenn ein i vorangeht oder folgt, z. B. Catullna und Catilina.
Auch vor anderen Konsonanten wechselt u und i, namentlich in den
Endungen -iculus und -uculus, wobei im großen und ganzen die Schrift-
sprache die erstere, das Vulgärlatein (nach Ausweis der romanischen
Sprachen) die letztere Form bevorzugte. Vielfach wird in diesen Aus-
führungen auf die romanischen Sprachen Bezug genommen; in einer
längeren Anmerkung S. 430 f. wird zur Frage des Vulgärlateins gegen
Seelmann Stellung genommen und eine neue Definition des Begriffes
vulgär versucht. Was oben über den assimilierenden Einfluß von i
auseinandergesetzt war, wird im zweiten Artikel zur Erklärung der
vulgärlateinischen Formen bistia und ustium verwendet, welche aus
ital. biscia, franz. bisse und ital. uscio erschlossen werden.
44 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891—97. (Geyer.)
Formenlehre.
E. Wölfflin, Die Perfektformen amai und venui, Archiv für
lateinische Lexikographie IX, 139 f.
Die vulgäre Form der 3. Person Singularis auf aut ist bezeugt
durch C. I. L. IV 1391. 2048; eine Bildung: auf ät bei Lucrez 1, 70.
Ob für die postulierte Form amai die Siebenbürger Wachstafel v. J. 160
3exooo auxTüjp se-j-vai = Secnndus auctor signavit ein vollgültiger Beweis
ist, ist doch fraglich, da auch das n von secundus fehlt. Besser be-
zeugt ist calcai bei Probus. Perfektforraen wie bibui, venui, legui
scheinen gebildet, um sie vom Präsens zu unterscheiden.
Ohne wissenschaftlichen Wert ist der Aufsatz von A. Keller, Die
vulgärlateinische Deklination in der archaischen und klassischen Zeit.
Südd. Blätter f. höhere Unterr. Anst. 1894, S. 197—200.
SjTitax.
Ph. Thielmann, Der Ersatz des ßeciprokuras im Latein. Archiv
f. lat. Lex. Vn, S. 343— .388.
Vgl. Jahresberichte, Bd. 77 S. 255.
R. Thurneysen, Zur Bezeichnung der Reciprocität im gallischen
Latein. Archiv VII S. 523—527.
Während Thielmann den Untergang von invicem richtig kon-
statiert hat, lebt inter se im Französischen noch fort; denn im
Französischen kann die Reciprocität bei mehreren Verben durch Zu-
sammensetzung mit entre ausgedrückt werden, z. B. s'entreaimer.
P. Geyer, Zur Bezeichnung der Reciprocität im gallischen Latein,
Archiv Vin S. 482.
Die Aufstellungen Thurneysens werden bestätigt durch das in
merowingischen Formeln, Zeumer p. 247, 16, vorkommende interdonare
= inter se donare und das Substantiv interdonatio.
E. Woelfflin, Der reflexive Gebrauch der Verba transitiva.
Archiv X S. 1—10.
Durch seine Beschäftigung mit der Regula Benedicti, in welcher
mehrfach transitive Verba reflexiv gebraucht werden (vgl. Archiv IX,
S. 515 — 517), wurde der Verfasser angeregt, einerseits den Ursprung
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlateiu IS'.H— '.»7. (Geyer.) 45
dieses Gebrauchs, andererseits seine weitere Verbreitung im Spätlatein
zu verfolgen. Ein großer Teil dieser Verba gehört der militärischen
Kommandosprache an, z. B. accingerc, recipere, expedire, dirigere,
vertere, flectere. Das Spätlateiu hat eine Reihe von neuen Formen
geschaffen, z. B. corrigere, emendare, reficere, lungere. Eine Anzahl
solcher spätlateinischer Verba hat Referent gesammelt in dem Pro-
gramm über Autoninus Placentinus, Augsburg 1892 S. 18 — 21, doch
fehlt immer noch eine vollständige Sammlung.
P. Ge5'er, Männliche Verbalsubstantiva mit dem Kasus des
Verbums. Archiv IX S. 577.
Diese nach Dräger auf Plautus beschränkte Verbindung taucht
im Spätlatein, namentlich in Gallien, wieder auf.
H. Blase, Geschichte des Plusquamperfektes im Lateinischen.
Gießen 1894. 112 S.
Diese wichtige Arbeit schließt sich der 1888 erschienenen Ge-
schichte des Irrealis würdig an, mit der sie sich vielfach berührt. Der
Verfasser verfügt über ein außerordentlich reiches, mit staunenswertem
Fleiß gesammeltes Material. Die einzelnen Fälle, in denen verschobenes
Plusquamperfekt vorzuliegen scheint, werden scharfsinnig geprüft und
in vielen Fällen das Plusquamperfekt als logisch richtig verwendet
nachgewiesen. Dabei ergibt sich als wichtigstes Resultat, daß ein
absolutes Plusquamperfekt nicht existiert, sondern dasselbe stets auf
eine vorausgehende oder folgende vergangene Handlung bezogen ist.
Die Tempusverschiebung geht schon im Altlateinischen vom Indikativ
aus, und zwar von fueram, dann folgen die Verba des Könnens, Sollens
und Müssens und habere, im Spätlatein auch andere. Daß dieser Ge-
brauch vulgär war, erhellt aus dem zuerst bei Vitniv und den Ver-
fassern des bellum Africanum und Büspan. beobachteten öfteren Vor-
kommen. Wie fast alle Vulgarismen tritt auch dieser von der zweiten
Hälfte des zweiten Jahrhunderts an massenhaft bei den Afrikanern auf,
200 Jahre später auch in Gallien und Italien. Später beginnt die Ver-
schiebung des Konjunktivs, außer in Bedingungs- und Wunschsätzen.
Dieselbe tritt erst bei Vitruv stärker hervor, kommt dann bei den
Afrikanern zum Durchbruch, seit 400 auch in Italien und Gallien mit
immer zunehmender Häufigkeit und geht in die romanischen Sprachen
über. Ob darin mit dem Verfasser ein Punismus zu erblicken ist, er-
scheint mir trotzdem sehr zweifelhaft. Dem widerspricht die starke
Beteiligung Vitruvs und die allgemeine Verbreitung in den romanischen
Sprachen. Daß Italien und Gallien au diesem Vulgarismus erst 200 Jahre
später beteiligt ist, kann doch in der besseren grammatikalischen Schulung
der Schriftsteller dieser Länder begründet sein.
46 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891—97. (Geyer.)
Wortbildung und Lexikographie.
t^ber "Wortbildung im Vulgärlatein liegt ein umfassendes Werk
vor, das umfangreichste, das auf dem Gebiet des Vulgärlateins in den
letzten Jahren erschienen ist:
Frederic Taber Cooper, Wordformation in the roman sermo
plebeius, an historical study on the development of vocabulary m
vulgär and late Latin, with special reference to the romance languages.
Boston and London. Ginn and Company 1895. 8. XLVII. 329 S.
Die Wortbildung im serrao plebeius läßt sich nicht von der
sonstigen Wortbildung trennen; darum ist die Aufgabe, die sich der
Verfasser gestellt hat, von vornherein unlösbar. Immerhin ist .das
Buch eine nützliche Arbeit, da der Verf. mit großem Fleiß sein Material
zusammengetragen hat. Freilich hat er dabei nicht aus erster Quelle
geschöpft, sondern aus sprachlichen Abhandlungen und Indices seinen
Stoff gesammelt, der je nach der Beschaffenheit der Hülfsmittel bald
mehr, bald weniger vollständig ist. Nicht zu billigen ist, daß gerade
eine Hauptquelle der vulgärlateinischen Wortbildung, Itala und Vulgata,
sowie die Glossen und Inschriften vollständig ausgeschlossen sind. Aus-
führlicher habe ich über dies Werk referiert in der Berliner philol.
Wochenschrift 1896, Spalte 1206—1210.
A. Funck, Neue Beiträge zur Kenntnis der lateinischen Adverbia
auf im. Archiv f. lat. Lexikographie VII S. 485—501.
Derselbe: Die lateinischen Adverbia auf im, ihre Bildung und
Geschichte. Archiv VIII S. 77—114.
Vgl. Jahresberichte Bd. 77 S. 186 f.
E. Woelfflin, Umschreibungen mit tempus. mitan. Archiv VIII
S. 595.
Ob franz. mitan wirklich mit medium tempus zusammenhängt,
vermag ich nicht zu beurteilen.
E. Wölfflin, Die alten und neuen Aufgaben des Thesaurus
linguae latinae. Archiv IX S. 3 — 16.
Derselbe, Die neuen Aufgaben des Thesaurus linguae latinae.
Sitzungsberichte der philos. -philol. Klasse der bayer. Akademie der
Wissenschaften 1894. S. 93—183.
Die lateinische Lexikographie ist eine selbständige Wissenschaft
geworden; das lateinische Wörterbuch darf daher nicht mehr ein
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein ISOl— 97. (Geyer.) 47
bloßes Hülfsmittel für den Lateinschreibenden oder Kritiker sein,
sondern muß seinen Zweck in sich selbst tragen ; dieser ist, die Lebens-
geschichte eines jeden "Wortes zu geben. Deshalb müssen nicht nur die
bisherigen Aufgaben des lateinischen Wörterbuchs: Form, Prosodie,
Etymologie, Bedeutung, syntaktischer Gebrauch der Wörter, in voll-
kommenerer Weise gelöst werden als bisher, sondern es treten auch
neue Aufgaben an die junge Wissenschaft heran. Neue Wörter sind
zu den alten hinzugekommen, das erste Auftreten und das letzte Vor-
kommen der Wörter, die Ursachen der Neubildungen sind festzustellen.
Neue Gesichtspunkte sind auch die lokale Verbreitung, die Ursachen
des Aussterbens mancher Wörter, die Mittel, durch welche die Sprache
sie lebensfähig zu erhalten suchte, die Konkurrenten, durch welche
untergehende Wörter ersetzt wurden, bis einer von ihnen den Sieg
davontrug. Dies ist in wenigen Worten der reiche Lihalt der beiden
Artikel, deren Lektüre die treiflich gewählten Beispiele besonders
genuß- und lehrreich machen. Welche Aufgaben der neue Thesaurus
zu lösen verspricht und in welcher Weise, wird an dem Beispiel von
edere, nebst seinen Ersatzmitteln comedere, manducare, gustare,
cibare u. s. w. gezeigt. Besonders interessant sind die Ausführungen über
afrikanisches, gallisches, spanisches und italienisches Latein S. 102 — 107.
J. Huemer, Die Sammlung vulgär lateinischer Wortformen. Ver-
handlungen der 42. Versammlung deutscher Philologen und Schul-
männer in Wien. Leipzig 1894. S. 271—280.
Das Wörterbuch der lateinischen Wortformen von Georges ist
unvollständig und ungenau, da manche wichtige Quellen nunmehr in
wesentlich berichtigterer Form vorliegen, andere für das Vulgärlatein
wichtige Schriftsteller wie Silvia, Gregor von Tours, die scriptores rer.
Merov. überhaupt nicht berücksichtigt sind. Dies wird an einem signi-
fikanten Beispiel, an den archaischen Genetivformen mis und tis gezeigt.
Die Grammatikerzeugnisse für dieselben sind bei Georges und Neue
unvollständig. Dann tauchen diese Formen bei gallischen Autoren des
5. und G. Jahrhunderts, bei Virgilius Marc und im über Dhuodae
(9. Jahrhundert) wieder auf. Ganz verfehlt ist aber der Versuch
Huemers, aus diesen archaischen Formen die einsilbige Form des
Possessiv-Pronomens im Französischen abzuleiten. Einmal ist mis und
tis nie eine Form der Umgangssprache gewesen, sondern nur durch
gelehrte Grammatiker wieder aus der archaischen Rumpelkammer
hervorgeholt worden, sodann spricht gegen die Hypothese, aus mis sei
in der gallischen Umgangssprache rai geworden, zu diesem Genetiv
habe man nun den Nominativ mus gebildet, der Umstand, daß gerade
in Gallien schließendes s streng bewahrt blieb.
48 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891—97. (Geyer.)
C. Weyman, Kritisch -sprachliche Analektea. Zeitschrift für
die österreichischen Gymnasieu 1894, S. 201—204. 1075—1078. 1895,
S. 296—298. 594—598.
In Verbinduug mit Emeudationen oder zur Zurückweisung un-
nötiger Konjekturen werden aus spätlateinischen Schriftstellern Belege
zu selteneren Wörtern oder Bedeutung-en gegeben, wie incolatus, secta —
Grundsätze, senior — minor und maior — iunior, servator neben salvator,
artificus, discedere ^= mori und recedere = decedere [auch Silvia S. 71,14
und recessus Tod 52, 6], deferre -= efferre, feraina sollers, Bezeichnung
der Hebamme in Gallien etc.
C. Weyman, Addenda lexicis latinis, Archiv f. lat. Lex. IX
137-139,
teilt aus den Apocrypha an ecdota, herausgegeben von James, Cam-
bridge 1893, eine Anzahl in den Wörterbüchern fehlender Wörter mit.
Einzelne Wörter sind im Archiv für lateinische Lexikographie
in großer Anzahl besprochen. Indem ich die hauptsächlichsten hervor-
hebe, bemerke ich, daß jedem Bande am Schlüsse der Inhaltsangabe
ein Verzeichnis der besprochenen Wörter beigegeben ist.
M. Petschenig, Archiv VIII S. 140, C. Weyman, Archiv Vm
S. 482, W. Heraeus, Archiv IX S. 134, Colligere ^ tollere.
Diese Bedeutung wird aus Quintilian declam., Justinus, Frontinus,
Augustinus, Aurelius Victor, Eutropius, Dictys, Rufinus, Nepotianus be-
legt. Da tollere die Bedeutung des untergehenden sumere erhielt,
mußte für die ursprüngliche Bedeutung von tollere ein Ersatz gesucht
werden.
C. Goetz, Constitutus = xaOca-ctu;, wv bei Cyprianus. Archiv IX
S. 307.
sammelt sämtliche Belegstellen. Daß dieser Gebrauch kein Afrikanis-
raus ist, geht unter anderem aus seinem Vorkommen bei Solin hervor.
Vgl. Blätter f. das bayer. Gymn. Bd. 32 S. 402.
E. Wölfflin, Eques = equus, Archiv X S. 286.
Dieser von Ennius ausgegangene vulgäre Gebrauch findet sich
wieder im bell. Hispan. , bei Min. Felix und im Spätlatein, z. B. bei
Gregor von Tours.
G. Ries, Eques = equus, Archiv X S. 452
nimmt ohne zwingenden Grund diese Bedeutung auch bei Prontin
Strateg. 2, 5, 31 an.
E. Wölfflin, Exemplare, Archiv VIII S. 591.
Nach einer Vermutung Dombarts ist dies aus der Itala bekannte
Verbum auch bei Tertullian, adv. nat. 1, 5, erhalten.
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1801—1)7. (Geyer.) 49
B. Kühler, Focaria Konkubiuc, Archiv X S. 448 stammt aus
der Lagersprache.
R. Ehwald, Gallaria, Archiv IX S. 306.
In dem Gedicht gegen Nicom. Flavian., cod. Paris. 8084 saec. VI,
V. 46: Gallaiibus subito niembra circiimdare suetus (cod. subtus) soll
gallaribus = gallicis sein [zu erinnern wäre an gallicula]. Mir scheint
dieser Auffassung der Ausdruck membra circumdare zu widersprechen.
F. Skutsch, Jaientare, iaiunus, Archiv VII S. 527.
J. v. d. Vliet, Incommoditas, Archiv X S. 16.
Dem Verfasser ist entgangen, daß ich bereits in dem Programm
des Gymnasiums bei St. Anna in Augsburg 1890 bei Silvia S. 19, 1
(Gam.-) statt in quo moditas vorgeschlagen habe incommoditas.
E. Ludwig, Isse = ipse Archiv X S. 450.
Daß Sedul. pasch, carm. I 310 diese Form gebraucht habe, ist
nicht wahrscheinlich; esse im Text ist wohl ein Produkt des Schreibers
des Archetypus des cod. Taur.
E. Wölfflin, Lupana, Archiv Vin S. 145.
A. Sonny, Lupana, Archiv VIII S. 500.
Dies seltene Wort ist außer bei Ps. C^'prian de spect. c. 5 und
de habitu virginum c. 12 auch bei Cypr. ep. 62, 3, vielleicht auch bei
Hieron. Ep. 117, 7 zu lesen.
L. Bürchner, Mafortium, Archiv VIII S. 114
weist dies Wort in einem neu entdeckten Bruchstück des Edictum
Diocletiani nach.
M. Bonnet, Mane femiuinum, Archiv VII S. 568.
W. Schulze, Mauuclus, Archiv VIII S. 133.
Diese von Groeber, Archiv VI S. 392, erschlossene Form und
analoge Bildungen finden sich öfters in Inschriften.
L. Havet, Meminens, Archiv X S. 176.
E. Wölfflin, Der Infinitiv merainere, Archiv X S. 10.
L. Havet, Mentio = mentior, Archiv X S. 175.
Die aktive Form war bisher nur als spätlateinisch bekannt; durch
Konjektur wird sie auch Plautus, ililes 250, hergestellt.
H. Blase, Modo si, Archiv X S. 292.
Dieser angebliche Afrikanismus für si modo ist in der That ein
Archaismus, der aus Plautus, Ovid und Properz belegt wird.
C. Weyman, Genibus nixis, Archiv VIII S. 293.
So ist bei Cyprian de op. et el. 6 p. 378, 7 und bei Dictys
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVin. (1898. III.) 4
50 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891—97. (Geyer.)
in 22, p. 65, 24 zu lesen, nicht in nixus zu ändern, da sich diese
Wendung auch bei Aruobius und Corippus findet.
P. Geyer, Orum Kand, Archiv IX S. 300.
Diese nach Ausweis dei- romanischen Sprachen vulgärlateinische
Form wird nachgewiesen aus Antonini Plac. Itinerarium, S. 15, 6;
desgleichen pausum = pausa aus der Vita Hugberti.
F. Weirich, Perspicivus, Archiv X. S. 136.
A. Funck, Praemiscuus = promiscuus und ähnliches, Archiv IX
S. 304.
Im Spätlatein scheinen öfters die verwandten Präpositionen prae
und pro miteinander vertauscht worden zu sein.
P. Geyer, Praesens ^= r]7ouiJ!.evoc, Archiv X S. 137.
Der Gebrauch von praesens als Part. Präs. von praeesse, den
Stowasser für Porphyrio zu Horaz ep. 1, 20 annimmt, wird bestritten.
C. Weyman, Procedere = proferre, Archiv IX S. 136.
Das von mii- bei Antonin Plac. p. 9, 10 ed. Gildemeister be-
sprochene procedere (procedente s. crnce, procedunt ministeria) wird
als specifisch liturgische Redeweise nachgewiesen.
E. Ludwig, Praepositionales retro, Archiv VIII S. 294.
Diese bisher nur spärlich bezeugte Verwendung von retro kommt
auch bei Apuleius met. 6, 8 und Sedul. pasch, op. I p. 168 vor.
E. Wölfflin, Senus = Sinus, Archiv X S. 451.
Diese Form wird angenommen, nicht etwa als Vulgarismus des
Schreibers, sondern Ciceros selbst, Cic. ep. 7, 1, 1, was doch recht
wenig wahrscheinlich ist.
Eine wesentliche Bereicherung des lateinischen Wörterbuches ist
zu erwarten durch eine vorsichtige, methodische Benützung des durch
das große Werk von Loewe erst allgemein zugänglich gewordenen
Glossenmaterials. Auch die Notae Tironianae (F. Kueß, Archiv
IX S. 231—45) und medizinische Werke versprechen noch manche
Ausbeute. Darum sollen gleich hier mehrere glossographische Studien
besprochen werden. Die wertvollste unter diesen Arbeiten ist
G. Landgraf, Glossographie und Wörterbuch, Archiv IX
S. 355—446.
Derselbe, nucula •= somnia, Archiv X S. 278.
In dieser interessanten Abhandlung wird gezeigt, wie auf
methodischem Wege das Glossenmaterial des 4. und 5. Bandes des
C. Gl. L. gesichtet werden muß, um für das lateinische und romanische
Wörterbuch verwendet werden zu können. Dem Lemma wie den Glossen
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891—07. (Geyer.) 51
selbst gegenüber ist größte Vorsicht geboten wegen der vielen Korruptelen,
der Kontamination verschiedenartiger Glossen und der öfters bereits im
Übergang zum Romanischeu begriffenen Form, z. B. scabrones, ilittel-
form zwischen lateinisch crabro und italienisch scalabrone. Von eminenter
"Wichtigkeit sind die Glossen für die romanischen Sprachen. Eine größere
Zahl von lateinischen Grundwörtern, die bei Körting, Lateinisch-roma-
nisches "Wörterbuch, angesetzt sind, werden entweder zuerst aus den
Glossen nachgewiesen oder erhalten neue, interessante Belege, z. B. pedo,
carricare, cavanus. Das letztere "Wort findet sich indes schon bei dem
Gallier Eucherius Inst. II, 9 de idolis, p. 155 der Wiener Ausgabe,
scheint also dem gallischen Latein zugeschrieben werden zu dürfen, da
es nur im französischen chavanne fortlebt. Die von Landgraf S. 445
vorgeschlagene Ableitung des provenc. cauanu von dem lateinischen
"Wort ist übrigens schon von Diez vorgenommen worden. Bei Eucherius
a. a. 0. p. 157 findet sich auch nycticorax, für das Landgraf keinen
Beleg kennt. V, 291, 5 Ethna mons in sicilia fungans (S. 374) ist
nicht fumans, sondern fumigans zu lesen. Eallere = mentiri (S. 377)
kommt auch bei Antonin. Plac. S. 12, 5 vor. Zu figatum = iecur
(S. 378) vgl. Archiv VIII S. 470. Die sonderbare Erklärung von
senodus = congregatio senum erinnert an die Etymologie von senpecta
(ao|x-aixT7)c) in der Regula Benedicti 27, 6 ed. "Wölfflin ,senior frater'.
Das bei Georges nur durch Firm. Mat. belegte porcarius war sicher
der Volkssprache eigen. In merovingischen Urkunden begegnet es
öfter, z. B. Pardessus, Diplomata 448 a. 690 vacarios, porcarios, ver-
vecarios und 458 a. 704 cum mancipiis et iumentis, vaccariis, pastoribus,
porcariis. Zu manicare — (^pöpt'^eiv vgl. Colloq. Harleiauum III p. 638.
S. 392 wird IV, 107, 48 livare degustare aut minuare vom Verf. ge-
bessert libarej degustare aut minuere. Ein Anlaß zur Änderung der
Form minuare liegt nicht vor; dieselbe kommt oft in merovingischen
Formeln und Urkunden vor und lebt in den romanischen Sprachen
fort. Olitanus (S. 405) findet sich nicht nur bei Marcellus de med. 20, 47,
sondern auch an drei anderen Stellen, vgl. Archiv VIII S. 472 Anm.
S. 406 erscheint V, 324, 20 in pro virili parte] qui pro se und IV,
15], 35 qnis pro se die Form qui oder quis = quisque wie bei Silvia
und im Anonymus Valesianus, ist also eine Änderung in quisque nicht
nötig. S. 480 zu dem gallischen Verbum carmiuat vgl. Archiv VIII
S. 476. Confusio nimmt im Spätlatein nicht die Bedeutung von rubor
an, wie S. 416 gesagt wird, sondern von pudor. S. 420: Die Schwierig-
keit, welche in der Glosse: resuit, dissit, condisire liegt, scheint mir
am einfachsten zu heben zu sein durch Umstellung: disconsire. Das
"Wort stloppus (S. 429) kommt außer bei Persius auch bei Marc. Emp.
vor, vgl. Archiv VIII S. 471. Statt lectorium ist lectarium zu lesen,
4*
52 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1S91— 07. (Geyer.)
siehe Du Gange s. v. S. 438: vasa que intor norasa sunt darf ,iü' nicht
ausgeworfen werden; es ist wie so oft im Spätlatein instrumental ge-
braucht. S. 440: IV, 195, 3 unicuba, bisher nur bekannt aus afrika-
nischen Inschriften, vgl. Archiv VIII S. 183. In der S. 441 emen-
dierteu Glosse steckt in aelaniorum eher avellanarum als colurnae,
IV, 195, 39 steckt in lucane, in quibus iumente volutantur eher lacunae
als loca. S. 442 wird die Glosse ergänzt Vir: a virtute nomen accepit,
ut Varro docet, sicut et mulier <a mollitie> ; der Wortlaut erinnert
an Virg. Gramm, p. 86, 5 ed. Huemer: vir a virtute nominatur, mulier
a mulitudine (=--^ mollitudine) sexus.
Nachträge und Berichtigungen zu diesem Artikel liefert
C. Weyman, Glossographisches zu Archiv IX S. 355ff., Archiv IX
S. 546.
In mehreren Artikeln liefert 0. Schlutter weitere Beiträge zur
Emendation der Glossen:
0. Schlutter, Zur lateinischen Glossographie, Archiv X, S. 11 —
15. 187-208. 361—366.
A. Funck, Glossographische Studien, Archiv VIII S. 369—396.
Aus dem Corpus Glossariorum wird 1. eine Anzahl (181) Wörter
zusammengestellt, die bei Georges fehlen; 2. solche, die bisher nur mit
einer anderen Endung oder in anderer Funktion bekannt waren; 3. solche,
die in auffallend neuer Bedeutung verwendet werden. Im ersten Ab-
schnitt sind für die romanischen Sprachen besonders interessant: canutus,
carrarius, cavola, cultellaiius, distrigilare, exsquamare, forficare, martellus,
pareclns, pustella, solicularis, ventricellus.
J. van der Vliet, Notulae ad glossas nominum, Archiv IX
S. 302—304.
W. M. Lindsay, Spätlateinische Randglossen in Nonius, Archiv X
S. 598 f.
Aus dem cod. Harleianus s. IX/X wird eine Serie Glossen mit-
geteilt, die anderswoher nicht bekannt ist und sich mit bretonischen
Glossen berührt.
H. Stadler, Lateinische Pflanzennamen im Dioskorides, Archiv IX
S. 83-115.
In den aus dem Anfange des 6. Jahrhunderts stammenden Wiener
Handschriften des Dioskorides finden sich zu den eigentlichen Pflanzen-
namen von derselben Hand geschriebene Synonyma, darunter eine An-
zahl lateinischer. Viele Pflanzennamen , die bisher ganz spät zu sein
schienen, können nunmehr ins 5. und 4. Jahrhundert hinaufgerückt
werden.
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1S91— 97. (Geyer.) 53
Medizinische Rezepte aus der Karolingerzeit beutet für dies
"Wörterbuch aus
C. H. Moore, Die medizinischen Eezepte in den Miscellanea
Tironiaua, Archiv X S. 253—272.
Unter den neuen Formen und Bedeutungen ließen sich wohl
manche auch bei anderen Medizinern finden, z. B. nescia = scia oder
ischias auch bei llurcellus Empiricus, vgl. den Index von Ilelmreich, eine
Form, die sich wie eine Volksetymologie ansieht; tisicus bei Theod. Prise.
Manches interessante Wort w'eist das Verzeichnis der „neuen Wörter"
auf, z. B. buticula Fläschchen, cardo und cardus Distel, cervella Hirn,
gutta = rheuma, nucarius (nogarius) Nußbaum, peciola, salmarium,
scorcia Rinde. Glaubt Moore als Heimat der Handschrift Italien
annehmen zu dürfen, so weist manches darauf hin, daß die Rezepte
wenigstens zum Teil in Frankreich entstanden sind; so corale (S. 268 u.),
das Gregor von Tours als eine Bezeichnung der rusticiores angiebt;
cardo == Carduus nach Archiv VIII S. 473; endlich die Bezeichnung
des Nußbaumes nogarius, franz. noyer. prov. noguiers; denn die Be-
zeichnung der Bäume mittels des Suffixes arius ist auf den Westen
des romanischen Sprachgebietes beschränkt, vgl. Zimmermann, Geschichte
des lateinischen Suffixes arius in den romanischen Sprachen, Heidel-
berg 1895, S. 77. Mir war bisher nur ein Ortsname Nugaretum be-
kannt, der auf nugarius schließen läßt, Pard. Dipl. 414 a. 691, und
nogaretas in einer formula Marculfi, De Roziere p. 798 a. 876 (an-
geführt bei Diez, Grammatik der romanischen Sprachen, 5. Aufl. S. 667).
Indem ich mich zu dem
Sprachgebrauch einzelner Schriftsteller
wende, begnüge ich mich bei denjenigen Arbeiten, die vorwiegend in
ein anderes Referat fallen, mit der Angabe des Titels; die afrikanischen
Schriftsteller werden am Schluß im Zusammenhang behandelt werden.
E. Gebhard, De D. lunii Bruti genere dicendi. Diss. Jena
1891. 56 S.
A. Rhodius, De syntaxi Planciana. Bautzen 1894. 32 S. 4.
(Programm.) Vgl. die eingehende Rezension von L. Bergmüller,
Archiv f. lat. Lexik. IX S. 149—152.
J. H. Schmalz, Über Charakter und Sprache des Matius.
Commentationes Woelfllinianae. Leipzig 1891. S. 269 — 274.
L. Bergmüller, Zur Latinität der Briefe des L. Munatius
Plancus an Cicero. Programm des Alten Gymnasiums in Regens-
burg 1896. 26 S.
54 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1801—07. (Geyer.)
L. Bergmüller, Über die Latinität der Briefe des L. Munatius
Plaucus an Cicero. Erlangen und Leipzig, G. Böhme 1897. 102 S.
R. Jonas, Über den Gebrauch der Verba frequeutativa und in-
tensiva in Ciceros Briefen, Festschrift für Friedländer. Leipzig 1895,
Hirzel. S. 149-162.
Karl Rein, Über Ciceros Briefstil. Chemnitz 1895. Programm.
18 S. 4.
Die letzte Arbeit soll den Zusammenhang zwischen Briefstil und
Umgangssprache beleuchten. Sie bietet nichts Neues. Als Charakte-
ristisch für den sermo cotidianus wird aus Ciceros Briefen ad Atticum
eine Anzahl von Deminutiven zusammengestellt, dann werden Beispiele
für Breite und Fülle des Ausdrucks gegeben, wobei sich der Verfasser
vielfach mit Egli berührt: Die Hyperbel in den Komödien des Plautus
und in Ciceros Briefen an Atticus. Programme von Zug 1891, 1892
und 1893, aus dessen reichhaltigen Sammlungen die Beispiele entnommen
sind. Daran reiht sich ein Abschnitt über Gemination, bei welchem der
Verf. die Abhandlung von Wölfflin, die Gemination im Lateinischen,
Sitzungsberichte der bayer. Akademie der Wissenschaften, philos.-philol.
Klasse 1882, S. 422—491 nicht hätte übersehen sollen. Mit einem
merkwürdigen Übergang wendet sich der Verf. dann zu den Verbal-
formen auf -re in der 2. p. sing. pass. und zu den zusammengezogenen
Formen des Perfektstammes.
Die Hauptquelle unserer Kenntnis des Vulgärlateins ist und bleibt
Petronius, und zwar die Sprache, in der Trimalchio und seine Mit-
freigelassenen reden. Neben der in erster Linie stehenden sachlichen
Erklärung ist auch in sprachlicher Hinsicht reiche Belehrung zu schöpfen
aus der schönen Ausgabe
Petronii Cena Trimalchionis. Mit deutscher Übersetzung und er-
klärenden Anmerkungen von Ludwig Friedländer. Leipzig, Hirzel 1891.
0. Funck, Zu Petronius und lateinischen Glossaren, Philologus
Bd. 53, S. 127-^131.
Glossen aus dem 2. und 3. Band des Corpus Gloss. werden zur
Erklärung Petrons beigezogen. Tonstrinum = Barbierstube (Fried-
länder c. 64) wird bestätigt durch Gloss. II 354, 24, lacticulosus =
Milchbart c. 57 durch III 179, 40 und 251, 65, die schöne Vermutung-
von Reinesius c. 43 oricularios Ohrenbläser statt oracularios durch II
482, 50 üJTay.ou3Tr,c auricularius. Der Graecismus maledicere Trimal-
chionem kehrt wieder CoUoq. Harleianum III 641, 16: Xotoopetj fj.£
maledicis me [übrigens schon bei Tertullian, Cyprian, Arnobius cf. Koff-
mane, Geschichte des Kircheulateins S. 78].
Jahresbericht über Vulgär- und Spütlatein 1891—07. (Geyer.) 55
Elimar Klebs, Petroniana. Philologus 1893. 6. Sapplement-
band. S. 659—698.
Hier kommt uur der zweite Anhang in betracht p, 692 ff. : Urbs,
oppidum, civitas, patria. Civitas in lokalem Sinn zuerst bei Ennius,
dann bei Dolabella (Cic. ep. fara. 9, 9, 3), öfters bei Vitruv, wird im
silbernen Latein (Petron., Seu. phil., Qnint., Tac, Suet., Justin.) all-
gemein. In der Volkssprache ist colonia oder patria gebräuchlich.
Auf municipalen Inschriften heißt die Stadt nie urbs oder oppidum,
sondern nach ihrer rechtlichen Stellung colonia, municipium, oder es
wird die allgemeine Bezeichnung civitas, patria oder respublica ge-
wählt. Auch in den Briefen des jüngeren Plinius tritt urbs und oppidum
bedeutend zurück. Im zweiten Jalu'hundert ist civitas das herrschende
Wort, da der rechtliche Bedeutungsunterschied zwischen colonia und
municipium geschwunden war. Am Absterben von urbs ist also nicht
die Lautbeschaffenheit schuld. Urbs und oppidum erhielt sich nur bei
den unter dem Einfluß älterer Schriftwerke stehenden Autoren, vor
allem bei den Historikern.
Petschenig, Sprachliches zu Frontins Strategemata, Philologus,
6. Supplementband, S. 399 f.
Verschiedene von den Herausgebern vorgenommene Textesände-
rungen werden durch Beobachtung des Sprachgebrauchs als unnötig er-
wiesen. So kommt bei Frontin Verschiebung des Plusquamperfekts vor,
habere mit Inf. = sollen, magnitudo = multitudo etc.; desgleichen
Formen wie clusus, clusit, amendare, poterentur, cornum u. s. w.
Als ein Hauptverireter des sermo vulgaris galt bisher Vitruv
nach seinen eigenen Aussprüchen p. 8, 8: non enira architectus potest
esse grammaticus und p. 11, 1: peto, ut si quid non ad regulam
grammaticae fuerit explicatum, iguoscatur, während freilich Sittl be-
hauptet, er habe nur gesucht und schwerfällig geschrieben. Manche
seiner sprachlichen Eigentümlichkeiten wollten allerdings in die erste
Kaiserzeit nicht recht passen. Neuerdings hat es
J. L. Ussing, Betragtninger over Vitruvii de architectura
libri X, Kopenhagen 1896. 68 S. 4,
unternommen, die schon früher aufgestellte Hypothese zu erneuern, daß
das Buch in viel späterer Zeit geschrieben sei. Da mir die Schrift
wegen ihrer Sprache nicht zugänglich ist, verweise ich auf die Anzeige
Wölfflins, Archiv f. lat. Lex. X S. 301 (vgl. auch Archiv X S. 538),
der nicht abgeneigt ist, dem Verfasser beizustimmen.
Knapp, Notes on the Prepositions in Gellius. Transactions of
the American Philological Association 1894, Vol. XXV p. 6—33 ist
mir nicht zugänglich.
(
56 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891—97. (Geyer.)
Die gezierte Rhetorik der gallischen Schule des 3. und 4. Jahr-
hunderts, die in Cicero und Plinius ihre Vorbilder suchte, sie aber in
der Anwendung rhetorischer Mittel und in rhythmischem Tonfall am
Periodenschluß weit überbot, ist uns bekannt durch die Sammlung der
Panegyrici latini. Indem Seeck für diese eine ähnliche Hypothese |
aufstellte wie über die Scriptores bist. Aug., regte er zu mehrfacher Unter-
suchung ihres Sprachgebrauchs an. Leider fehlt uns noch ein Lexikon
der Panegyrici, scheint auch noch von keiner Seite in Angriff genommen
zu sein, während ein solches für die Script, bist. Aug. von Lessing
begonnen ist.
R. Goetze, Quaestiones Eumenianae. Diss. Halle 1892. 49 S. 8.
Oli vier Klose, Die beiden an Maximianus Augustus gerichteten
Panegyrici latini. Progr. Salzburg 1895. 40 S. 8.
C. Gr. Chruzauder, De elocutione panegyricorum veterum galli-
canornm quaestiones. Diss. Upsala 1897. 115 S. 8.
Während S, Brandt den Eumeuius von Autun nur als Verfasser
des 4. Panegyricus gelten ließ, schrieb ihm Sachse auch den 8., Seeck
dagegen die ganze Reihe 2 — 9 zu. Durch genaue Beobachtung des
Sprachgebrauchs wird die auch vom Herausgeber Bährens acceptierte
Ansicht Brandts als richtig erwiesen. Eumenius, der Verfasser des
4, Panegyricus, unterscheidet sich nämlich durch gewisse Besonderheiten
von allen anderen. So gebraucht er in der 3. Plur. Ind. Perf. nur
einmal den Ausgang ere, Pan. III dagegen bei gleichem Umfang
zehnmal; er allein vermeidet den gen. obi. der Pron. Pers. und ein-
geschaltetes ut audio ; nur in IV und VITE wird das Personalpronomen
durch met, te, ce verstärkt u. s. w.
Zu einigermaßen gesicherten Resultaten kann bei dem geringen
Umfang der einzelnen Reden die Untersuchung nur dann gelangen,
wenn sie alle oder wenigstens alle älteren zur Vergleichung heran-
zieht. 0. Klose beschränkt sich auf die Vergleichung von II und m,
welche er als Werke des gleichen Verfassers zu erweisen sich bemüht
wegen vielfacher Übereinstimmungen einzelner Gedanken und im Wort-
von-at. Daß zwischen II und III Unterschiede vorhanden sind, wird
wiederholt zugegeben (z. B. S. 23. 35. 36. 37. 39), das Zugeständnis
aber entwertet durch die Annahme, der Redner habe in der Zwischen-
zeit seinen Stil weiter ausgebildet. Dies hat aber im vorliegenden Fall
wenig Wahrscheinlichkeit, da zwischen II und III nur ein Jahr liegt.
Durch nichts ist bewiesen, daß III 107, 7 auf Hesiods Werke und
Tage 230 anspielt, ebensowenig daß II 99, 16 und III 114, 17 eine
Reminiscenz an die gleiche Vergilstelle , Aen. VIII 63, enthalte, da
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891—97. (Geyer.) 57
secare von Plinius in dem nämlichen Sinn verwendet wird. Unerfind-
lich ist mir, was gegen den nur in III vorkommenden dreimaligen
Gebrauch von nihilominus die Verwendung von nimirum oder quemad-
modum in II beweisen soll. Die Zahl 40 für die Substantiva auf tas
in in ist von Goetze richtig angegeben, auch wenn c. 7. nicht frater-
' nitas, sondern germanitas gelesen wird.
I Der junge schwedische Gelehrte behandelt sorgfältig Wortgebrauch
und Syntax, ohne jedoch daraus irgend welche Folgerungen bezüglich
der Urheberschaft der einzelneu Reden zu ziehen. Er berührt sich
• manchmal mit Goetze, kennt aber nicht das Programm von Klose, das
bisweilen seine eigenen Sammlungen hätte ergänzen können; es fehlt
I als Beispiel für astu II 97, 1, für biformis III 103, 22. Hoifentlich
' findet der Verfasser bald Gelegenheit, seine Beobachtungen über die
Unterschiede, die im Gebrauch der rhetorischen Figuren zwischen den
einzelnen Panegyrici obwalten, mitzuteilen, zumal da die Untersuchung
dieses Punktes mit der des Vocabulars bisher nicht gleichen Schritt
3| gehalten hat.
Hermann \yentzel, De infinitivi apud Justinum usu. Berolini.
Rüger 1893. 72 S. 8.
I
^ Alle bei Justin vorkommenden Infinitive werden in fünf Kapiteln
>■ zusammengestellt. Infinitiv als Subjekt, als Objekt, abhängig von den
Verba voluntatis, die Kasus des lufin. und der historische Infinitiv.
Die Vergleichung mit dem Sprachgebrauch anderer Schriftsteller war
durch die vielen über den Infinitiv vorhandenen Einzelarbeiten erleichtert.
Eigentümlichkeiten Justins im Gebrauch des Inf. finden sich im ganzen
nicht sehr viel; so hat Justin allein dolus est, observare und obtinere
mit dem Infinitiv verbunden, defertur mit Accusativ und Infinitiv.
Mit Tertullian hat Justin gemeinsam den öfteren Gebrauch von com-
pello mit Infnitiv. Verfasser hält dieses Zusammentrefi"en für hin-
reichend, um Justin zum Zeitgenossen Tertullians zu machen und da-
mit die Frage nach der Lebenszeit Justins als gelöst zu betrachten.
Vgl. die Anzeige von Rühl, Berl. Philol. Wochenschrift 1894, S. 624.
Josef Schorn, Über den Gebrauch der Präpositionen bei
M. Junianus Justinus. Programm des Gymnasiums Laibach 1894.
30 S. 8.'
Auf grund des Sprachgebrauchs soll der Nachweis geliefert
werden, daß der Codex C (Laur. 66, 21) nicht die Bedeutung hat,
welche ihm Rühl in seiner Ausgabe, Teubner 1886, zuschreibt; erst in
zweiter Linie steht die Absicht, einen Beitrag zur historischen Syntax
zu liefern. Zu einem solchen Nachweis ist aber das beigebrachte
I
58 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatoin 1891—97. (Geyer.)
Material durchaus unzureichend. Auch beruht der Satz, auf dem die
ganze Arbeit basiert, auf einem Mißverständnis: „Da aber C, wie
Rühl selbst zugiebt, durch Korrekturen viel gelitten hat, und eine ge-
wisse Gleichmäßigkeit des Ausdrucks von diesen Korrektoren in die
Handschrift hineingebracht wurde, so wird es nicht ani^ehen, C. gegen-
über JTFl zu bevoizugen," Denn Rühls Worte in der praefatio:
„Codex variis manibus correctus est, quibus tarnen ne de uUa re con-
tidas, maxime est cavendum" besagen etvt-as ganz anderes. Das gleiche
Mißverständnis kehrt wieder S. 8 unten. Ebenso ist der Versuch miß-
glückt, Justin zum Afrikaner zu stempeln. Afrikanischen Schwulst
solleE "Wendungen verraten, wie per omnia saecula (multa, aliquot und
plurima auch Cicero), prima iuitia (so schon Varro r. r. 2,4,9 und
1. lat. 10, 11), omne aevum (omne aevi spatium Vell.), filii virilis sexus
erklärt sich daraus, daß filii hier Kinder bedeutet (Archiv VII, 91 ff.),
prorsus quasi; zu parvulus ist noch hinzuzufügen parvulas filias 11, 12, 7.
Auch mox deinde, tum deinde, deinde post, contra vice versa sind keine
Merkmale des tumor Africus; derartige Pleonasmen hat schon Varro,
vgl. Krumbiegel, de Varroniano scribendi genere quaestioues. Circa
(S. 12) = in betreff ist nicht afrikanisch, sondern in der silbernen
Latinität nicht selten. Die Polemik gegen Rühl schießt öfters über das
Ziel hinaus. 43, 1, 5 liest Rühl: Italia a regis nomine Saturnia
appellata gegen die Handschriften CITll, die nur nomine bieten. Was
soll 44, 3, 2 'Teucrum ibi urbem nomine antiquae patriae Salaminam
condidisse' gegen die Lesart Rühls beweisen? Ebensowenig beweist
natürlich 37, 4, 8 Nicomedes filium suum mutato nomine Pylaemenen,
Paphlagouum regum nomine, appellat. Denn da hier von keiner abge-
leiteten Namensform die Rede ist, konnte sich Justin gar nicht andei-s
ausdrücken. Auf derselben Seite 6 unten spricht Verf. von einer Kon-
jektur Rühls, der Just. I, 2, 8 schreibt adquisitos a viro regni terminos
tueri, während die Präposition a in der Mehrzahl der Handschriften
steht. Viro wird dann gar als instrumentaler Ablativ erklärt mit Be-
rufung auf Nipperde}' zu Tac. Ann. 2, 50; dort finden sich aber nur
Beispiele für den sogenannten dativus graecus.
S. 7 unten wii-d Rühl getadelt, weil er 11, 10 (nicht 13), 3 statt
des überlieferten a qua postea susceptum puerum Herculem vocavit mit
Gronov e qua schreibt; die Änderung ist dadurch begründet, daß sich
nur die Redensart findet liberos suscipere ex aliqua, und daß durch a
die Stelle undeutlich würde, indem es mit vocavit in Verbindung ge-
bracht werden könnte. Die für a angeführte Stelle aus Justin 42, 3, 9
nasci a montibus beweist gar nichts. Auch S. 18 scheint Verf. den
Grund nicht erkannt zu haben, weshalb Rühl 24, 6, 6 templum Apollinis
positum est in monte Parnasso in rupe undique inpendente mit Madvig das
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891—97. (Geyer.) 59
zweite in tilgt. Durch undique ist man gemltigt, rupe inpendentc als
Ablativ absol. zu fassen; der Sinn ist ,.der Tempel liegt so, daß der
Fels überall über ihn hereinhängt. " Höchst sonderbar wird S. 9 be-
hauptet, in den Verbindungen ad fores stare, ad portam opperiri, bei
Eutrop. 5, 8 pugnam habuit ad portam Collinam stehe ad statt in; die
Präposition hat hier dieselbe Bedeutung wie in dem auf S. 10 ange-
führten Beispiel incolere ad Syrium stagnum. Ebenso unrichtig wird
S. 12 behauptet, in der Redensart regnum cum aliquo dividere sei
cum = iuter oder in. Jedenfalls ist die Arbeit nur mit Vorsicht zu
benutzen.
Landgraf, Zur Sprache und Kritik des Solinus, Blätter für
das Gymnasialschulwesen. München 1896. XXXII. Band, S. 400—404.
Die zweite Auflage der Ausgabe des Solinus von Mommsen ver-
anlaßt den Verfasser zur Mitteilung einiger interessanter sprachlicher
Beobachtungen. Soliu hatte, obwohl er Epitomator ist, doch seine in-
dividuelle Sprache. Mit den gleiclizeitigen Afrikanern des 3. Jahr-
hunderts hat er zwar manches gemeinsam, z. B. tunc für tum [auch
die Gallicren Silvia um 380 hat tunc ausschließlich, was nicht wunder
nehmen kann, da nur tunc, nicht tum in den romanischen Sprachen
fortlebt nach Diez, Grammatik der Romanischen Sprachen 5. Aufl.
S. 746], constitutus als Partizip von esse [so auch der römische Bischoff
Celerinus um 250 bei Miodoi'iski, Adversus aleatores S. 118, 18], denique
zur Einführung eines Beispiels [vgl. Kalb, Roms Juristen S. 20 ff.],
adinstar, plus zur Umschreibuug des Komparativs, medietas Mitte u. s. w.;
andere sogenannte Afrikanismen aber fehlen, z. B. ab zur Um-
schreibung des Ablativs der Vergleichung, ex vor dem Ablativus modi,
tumor Africus etc. Somit ist Landgraf geneigt, Solinus als Europäer,
nicht als Afrikaner zu betrachten. Ob freilich Solin nebst Novatian
und Gaius eine sichere Grundlage bieten würde zur Vergleichung des
gleichzeitig auf europäischem und afrikanischem Boden geschriebenen
Lateins, möchte ich doch sehr bezweifeln, da die Heimat des Solinus
unbekannt, sein nichtafrikanischer Ursprung immer noch nicht bewiesen
ist, andererseits Novatian ein Nachahmer des Afrikaners Tertullian war.
Da über die Scriptores historiae Augustae besonders refe-
riert wird, über den größten Teil der auf die Sprache bezüglichen Ar-
beiten bereits Band 76 S. 1 19 ff. berichtet ist, so beschränke ich mich
auf eine Aufzählung der verschiedenen durch die bekannte Dessausche
Hypothese hervorgerufenen Untersuchungen über ihre Sprache:
E. Klebs, Die Scriptores historiae Augustae. Rhein. Museum
1892, S. 1—52 und 515—549.
60 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891 — 97. (Geyer.)
E. W ölf f lin , Die Scriptores historiae Augustae I. Sitzungsberichte
der k. bayer. Akad. der Wissenschaften, philos.-philol. Klasse 1891,
S. 465—538.
H. Peter, Die Scriptores historiae Augustae. Sechs litterarge-
schichtliche Untersuchungen. Leipzig, Teubner 1892. VIII. 266 S.
Frankfurter, Zur Frage der Autorschaft der Scriptores historiae
Augustae. Eranos Vindoboneusis 1893. S. 218—232.
M. Petschenig, Bemerkungen zum Text der Scriptores historiae
Augustae, Philologus 1893, S. 348—65.
K. Lessing, A und ab in der Historia Augusta. Archiv X
S. 291 f. 1
Eine Entscheidung über die Bichtigkeit der übei'lieferteu Autor-
namen, über die Existenz individueller Verschiedenheiten, über die
etwaige Thätigkeit eines Schlußredaktors wäre sehr erleichtert, wenn
ein Specialwörterbuch der in Frage kommenden Schriftsteller existierte.
Bei dem vulgär gefärbten Charakter der Sprache, vgl. darüber Wölfflin
in der oben angeführten Abhandlung S. 472 — 76, wäre ein solches
auch Latinisten und Romanisten willkommen. Eine Probe eines in
Vorbereitung begriffenen Specialwörterbuchs veröffentlichte
K. Lessing, Historiae Augustae lexicon. Fascic. I. Programm
des Friedrichs-Gymnasiums. Berlin 1897. 24 S. 4.
Vgl. die Besprechung Wölfflins in dessen Archiv X S. 453.
F. Pichlmayr, Zu den Caesares des S. Aurelius Victor. Fest-
gruß an die 41. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner
vom k. Ludwigsgymnasium München 1891.
S. 13—22 wird der Stil des Aurelius Victor charakterisiert:
Künstelei, Streben nach Abwechselung, Haschen nach altertümlichen
Wendungen, Verwischung der Unterschiede zwischen Positiv und Kom-
parativ, Vertauschung von Plusquamperfekt und Perfekt, die auch sonst
im Spätlatein nicht selten ist, ebenso das Fehlen des Subjektsaccusativ
beim Accus, c. inf.
Joseph Schorn, Der Sprachgebrauch des Historikers Eutropius.
Ein Beitrag zur historischen Grammatik der lateinischen Sprache.
Laibach 1892. 39 S.
Diese fleißige Arbeit ist aus der Vereinigung zweier Band LXVIII
S. 272 erwähnten Programme hervorgegangen; den Stoff hat der Ver-
fasser seitdem noch erweitert und ergänzt. Tm die Eigenart Eutrops
deutlicher hervortreten zu lassen, wird, namentlich bei schwankender
Überlieferung, der Sprachgebrauch gleichzeitiger Schriftsteller zu Rate
Jahresbericht über Vulgär- und Spatlatein 1891 — 97. (Geyer.) 61
gezogen. Zum Schluß werden die Ergebnisse der Untersuchung über-
sichtlich zusammengestellt. Auch diese Arbeit leidet wie die oben be-
sprochene an mancherlei Flüchtigkeiten, unrichtigen Citaten, falschen
grammatikalischen Bezeichnungen und Mißverständnissen des Autors.
Welch sonderbare Anschauung ist es z. B., daß bei dem substantivisch
gebrauchten Neutrum der Adjektive und Pronomina stets ein Substan-
tivum zu ergänzen sei (S. 2), so z. B. zu medium |9, 15 ist übersehen]
'spatium', zu in barbarico 'solo' etc. Ein Mißverständnis ist es, wenn
in der Verbindung copiosa snppellectilis 3, 23 copiosa als substan-
tivisches Neutrum Pluralis und suppellectilis als Genetiv gefaßt wird;
letzteres ist vielmehr Nom. Sing., wie Plaut. Stich. 6, 2 und Salvian
gub. dei 3, 2, 2. S. 9 wird der Nebensatz neque ullus tuit, qui non
fatigaverit als Kausalsatz bezeichnet, der gleiche Fehler auch S. 39,
umgekehrt werden die mit ut qui eingeleiteten Sätze fälschlich Konse-
kutivsätze genannt. Eine eigentümliche Auffassung verrät der Satz
S. 18: „Präpositiouale Verbindungen statt des Gen. obj. verbreiteten
sich bei den Späteren immer mehr aus (sie!), und ging dann diese Kon-
struktion in das Komanische, teilweise in das Slavische über!"
S. 4 werden für admodum zwei Bedeutungen angenommen:
1) ^ fere 8, 19 admodum senex, 8, 23 iuvenis admodum, 9, 2 admodum
puer ; 2) dient es zur Steigerung der Adjektiva. Die erstere Bedeutung
existiert aber nur in der Meinung des Verf. Schon Drenckhahn, Lateinische
Stilistik für obere Gymnasialklassen § 4 lehrt, daß auch in den beiden
ersten Beispielen admodum steigernd ist, wie auch an noch mehreren
vom Verf. nicht angeführten Stellen, z. B. 9, 24 admodum parva manu;
9, 26 admodum subtilis ingenii; 10, 18 admodum liberalis. Extrinsecus
findet sich an der von Seh. angegebenen Stelle 4, 26 überhaupt nicht,
sondern 9, 25. Unter den Adverbien hat alii — alii und unus — alter
nichts zu suchen, wohl aber sollte neben apprime auch ad plenum er-
wähnt werden. Ob meritum victoriae 2, 7 heißt nicht „wegen des
Verdienstes, um den Sieg", sondern victoriae ist Gen. epex. Man ist
erstaunt, unter der Rubrik Tempusgebrauch als auffallend Stellen wie
1, 6; 7, 2; 6, 8: 9, 8 erwähnt zu finden, wo absolut kein anderes Tempus
möglich wäre. Wie kann man an Stellen wie 1, 18 filiam virginem
[so Cicero], 1, 7 ex femina, captiva tamen et ancilla von einem ad-
jektivischen Gebrauch der Substantiva sprechen? Was ist ungewöhnlich
in der Konstruktion adsurgere alicui? Neben dem Zuviel begepiet
man aber auch häufig einem Zuwenig. S.l 3 committere bellum, pugnam [auch
certamen 2, 13], hat schon Livius; neben habere proeliura 6. 2 war
auch anzuführen proelium habuit 9, 24; bellum habuit 8, 19; bellum
agere 2, 9. Zu interficere exercitum 3, 20 ist zu vergleichen 3, 18
ingentes eins copiae interfectae sunt und 4, 22 infinitam multi-
62 Jahresbericht über Vulgär- uud Spätlatein 1S91— 97. (Geyer.)
tndinem interfecerunt. Beim Dativ statt des Genetlvs S. 15 ist das
Verzeichnis zu vervollständigen durch 7, 2 Caesari magister equitum
fuerat und 7, 10 priviguus ei fuerat. Accedo mit Dativ auch 7, 19.
"Wie Entrop 8, 10 in matrimonium habuit uud 2, 24 in auxilium habebat
schreibt, so steht 4, 6 Romanis in auxilium erat Euraenes, wo in final
gebraucht ist. Bei der Betrachtung von postquam war zu unterscheiden,
ob ein Ablat. discrim. vorangeht oder nicht; aber gerade diesen hat
Schorn in seinen Citaten mehrmals weggelassen, z. B. 3, 17 und 20.
An der 8. 11 besprochenen Stelle 8, 20 ist die Ellipse von aquae ge-
sichert durch Aurel. Victor 13, 8. Vgl. Pichlmayr im Programm des
Ludwigsgymnasiums München 1891, S. 19.
Franz Naumann, De verborum cum praepositionibus composi-
torum usu Ammiani Marcellini. Programm des Gymnasiums Stendal
1891. 20 S. 4.
Derselbe, De verborum cum praepositionibus compositorum
usu Ammiani Marcellini. Erlanger Dissertation. Halle 1892, 123 S.
In dem Programm sind nur die mit ab, de und ex zusammenge-
setzten Verba mit Anführung sämtlicher Stellen und unter beständiger
Vergleichung mit Cicero, Livius und Tacitus behandelt. Im Dativ
stehen bei diesen Verben meist Personen, bei decurro, excedo, egredior,
evado kommt auch der Accusativ vor, der von Livius an überwiegt,
wie schon Dräger konstatirt hat. Der Sprachgebrauch Ammians
stimmt am meisten mit dem taciteischen überein. Wenn sich bei auferre
und abire nur in der Verbindung e medio die Präposition ex findet,
so ist eben e medio eine feststehende Verbindung. Die Präposition per,
die den Weg bezeichnet, hat mit der Präposition, mit welcher die
Verba zusammengesetzt sind und mit dem Ablativ der Trennung nichts
zu thun; darum sind die Beispiele per aliam egressus est portam
(S. 12), per portam exire (S. 15), per ianuas emittere (ß. 16), evadere
per cuniculum (S. 19), noch vielmehr se efierre ultra homines oder
ultra professionem (S. 12) überflüssig. 22, 8, 24 Danubius septem ostiis
erumpit in mare kann nicht bloß an den Ablat. instrum. oder viae ge-
dacht werden, sondern der Ablativ der Trennung ist ausgeschlossen
durch 22, 15, 10 per ostia septem eiectatur.
Die Dissertation bringt die Fortsetzung und behandelt im Kapitel I
die Verba der Trennung und des Unterscheidens mit dis, pro, re, se,
sub, super, wozu auch suggerere, sumere, suspendere, suscitare ge-
rechnet werden; II die durch Zusammensetzung mit Präpositionen
transitiv gewordenen Verba der Bewegung und Verba, die eine Thätig-
keit der Glieder des menschlichen Körpers bezeichnen, in welche
Kategorie freilich impugnare und oppugnare sich nicht fügen wollen;
Jahresbericht über Vulgär- uud Spätlatein 1891—97, (Geyer.) 63
UI Verba, die statt des Accusativs auch den Dativ haben können :
rV Verba, die eine Verbindung oder Gemeinschaft bezeichnen; V Verba,
die die Konstruktion alicui aliquid und aliquem aliqua re zulassen.
Die Arbeit wäre noch nützlicher, wenn die Eigentümlichkeiten Ammians
deutlicher hervorgehoben und ein alphabetischer Index beigegeben
wäre. So ist es manchmal schwierig, ein bestimmtes Verbum zu finden,
da beispielshalber discernere und distinguere, dissonare und distare,
apponere und inponere, adnectere und adiungere in verschiedenen
Kapiteln zu suchen sind, permiscere (S. 71) außerhalb der sonst in den
einzelnen Kapiteln eingehaltenen alphabetischen Ordnung steht. Selten
wird ein Verbum ganz vermißt, wie z. B. conpingere 16, 7, 10 neben
inpingere, coalescere 16,7,6 inlidere 20,11,29 succedere 16,4,4.
Öfter sind Präpositionalausdrücke oder Kasus angeführt, die mit der
Präposition, mit welcher das Verbum zusammengesetzt ist, nichts zu
thun haben, z. B. das finale ad mit Gerundiv, das lokale in in Ver-
bindungen wie congregare oder conferre in unum [warum fehlt dann
cogere in unum 16, 10, 5?]; ebenso 19, 6, 10 resultantibus e civitate
lituis, da ex auch bei sonare stehen müßte, der Dativ 29, 5, 22 inci-
dere primoribus manus oder 15, 12, 3 pollicem sibi praecidere, das
Reciprocum inter se. Am meisten trifft dieser Tadel das fünfte Kapitel;
denn mit den Präpositionalzusammensetzungen stehen die instrumen-
talen Ablative in Fällen wie plures muneribus adnectebat (S. 119),
lassatis inpressus genibus (S. 121), obligare aliquem gratia in gar
keinem Zusammenhang. An mehreren Stellen wird in besonnener, konserva-
tiver Weise Textkritik geübt. Mit Recht wird S. 61 das 29, 5, 47 über-
lieferte quam plures [oft in merovingischen Urkunden] in Schutz ge-
nommen. Zur Stütze der schönen Emendation Madvigs 21, 6, 1 repli-
care nunc convenit tempora statt des überlieferten tempori könnte
verwiesen werden auf 16, 7, 8 antiquitatem replicare. Wenn sich da-
gegen eine Emendation graphisch so leicht erklärt, wie die Eysseu-
hardts 20, 9, 6 e<t> tribuuali superstanti, so ist sie doch wohl anzu-
nehmen; ähnlich ist ja der Fehler 16, 10, 13 geheilt: adlocutus nobi-
litatem in curia populumque <e> tribunali. Ich würde in derselben
Weise auch eraendieren 26, 1,1 similia plurima <a> praeceptis
historiae dissonantia und 17, 13, 25 tribunal<i> insistens.
C. Frick, Zur Textkritik und Sprache des Anonymus Valesianus.
Commentationes Woelfflinianae S. 339—350.
Zwischen der Sprache des 1. und 2. Teils ist kein Unterschied
gemacht, obwohl der 1., von Constantin handelnde Teil augenscheinlich
viel korrekter ist; die Gründe dafür verspricht Verf. an einer anderen
Stelle mitzuteilen. Excepto Julianum 288, 19 ist nicht Ablativ, absei.
64 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlateiu 1891 — 97. (Geyer.)
(=excepto Juliane), sondern excepto ist Präposition mit Accusativ,
vgl. meine Erläuterungen zu Antonini Plac. Itinerarium S. 2 f. In
urbe perduxit. in mari praecipita\at möchte ich nicht als Acc. Sing,
auf 8 erklären , sondern hier wirklich Verwirrung in Bezeichnung der
Begriffe der Ruhe und Bewegung annehmen; ähnlich verhält es sich
290, 20 exercitus in arnia: 290, 21 patellas in genucula non habuit.
So wenig hier ein Wechsel der Deklination vorliegt, so wenig ist dies
301, 24 data praecepta der Fall, sondern hier haben wir absoluten
Accusativ. Beim Wechsel des Geuus wäre noch anzuführen terrae mota.
Interessant ist vinctus 283, 12 neben convictus 284, 5. Adeptus a
daemonio 304, 16 ist in arreptus zu korrigieren (P hat areptus). Mit
Recht wird quis == quisque 295, 5 und 299, 15 gegen die Anderungsvor-
schläge Mommsens und Zangemeisters in Schutz genommen. Bei Vir-
gilius Maro liest man S. 46 unusquis, ebenso Liutpr. Leg. 85 II und
94 XI. Silvia 104, 4 qui quo modo possunt und 98, 13 qui nt possunt
entsprechen dem quis ubi potuit Anom. 295, 5. Im Singular steht
neben unusquisque quomodo potest 102, 14, qni prout potest 102, 24.
Gustav Brünnert, Sprachgebrauch des Dictys Cretensis.
Teil I Syntax. Programm. Erfurt 1894. 27 S. 4.
Ferdinand Noack, Der griechische Diktys. Pliilologus,
6. Supplementband, S. 400—500.
Brünnert behandelt die Sprache des Diktys nach dem Schema
von Drägers histor. Syntax. Das Ergebnis ist: Die Ephemeris des
Diktys ist keine Übersetzung aus dem Griechischen wegen des Fehlens
von Gräcismen und der wörtlichen Entlehnung ganzer Sätze aus latei-
nischen Schriftstellern, namentlich Sallust. [Dazu kommen Entlehnungen
aus Apulejus, siehe Weyman, Studien zu Apulejus und seinen Nach-
ahmern. Sitzungsberichte der baj'er. Akademie 1893, S. 369.] Seine
Sprache stimmt mit den Schriftstellern des 4. Jahrhunderts am meisten
überein, namentlich hat er den sogenannten Hegesipp benutzt. Noack
nimmt freilich aus sachlichen Gründen im Einklang mit E. Patzig,
Progi'amm der Thomasschule in Leipzig 1891/92 und Byzantinische
Zeitschrift I, die Hypothese von einem ursprünglich griechischen
Diktys wieder auf. Als Beispiel, daß auch ein Übersetzer seine latei-
nischen Phrasensammlungen in eine Übersetzung hineinarbeiten und
eigene Zusätze sich erlauben konnte, wird S. 401 gerade Hegesipp an-
geführt. Zu den fleißigen Sammlungen Brünnerts seien noch einige Er-
gänzungen gestattet. S. 6 wird neben dem Accusativ Ulixen der Ge-
netiv Ulixi, z. B. V 16, vermißt, desgl. der Dativ Theano V, 8; über
den Ablativ mare vgl. Georges, Lexikon der lat. Wortformen, Kalb
Roms Juristen S. 73, 120, Rönsch in Vollmöllers Romanischen
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein IS!) 1 — 07. (Geyer,) 65
Forscbunu;en I S. 282, Geyer, Krit. Erläut. z. Antoninus p. XII. Un-
erwähnt ist geblieben der Accusativ der Ortsrichtung V 13 Pol3'xeaa
Achilli interias missa; VI 7 Thessaliam niittit; II 7 Boeotiam rever-
tuntur. Daß iuhabitare = habitare ist, erhellt am deutlichsten aus VI 9
iuxta inhabitantes. Über die Verbindung des Reflexivs sui mit dem Sub-
stantiv siehe Archiv f. lat. Lexik. V 496 und VI 7. Zu portis effun-
dere wäre noch iiachzutraaen V 1 1 portis egressa hominum vis. Bei
den Piäpositionen verdiente Erwähnung, daß Dictys wie Tacitus ob
vor propter bevorzugt (vgl. Archiv I S. 161), wenngleich propter nicht
fehlt, wie I 14: V 10; auch fehlt eine Bemerkung über finales in,
z. B. V 14 in munus expostulare. Über necdum = nondum vgl Grupe,
Sprachgebrauch des Apoll. Sidonius, über modo nunc Wölfflin Archiv II
S. 239. 243. 253.
Ersatz des Coni. imp. durch Coni. plusq. ist nicht anzunehmen
I 22 comminatus perniciem, ni paruissent. Über iubere ut handelt Wölff-
lin Archiv VI 434. Zur Abwechslung des Ausdrucks füge noch:
Wechsel zwischen Particip und Nomen, z. B. V 9 adnitente atque mi-
uistro; Wechsel zwischen Patronymikon und Genetiv V 16 eosque non
Atrei, sed Plisthenidas appellare.
Ihm, Zu Valerius Maximus und Januarius Nepotianus. Rhein.
Museum N. F. 42. Band, S. 247—253.
Manche Lesarten des cod. Vat. des dem 4. oder 5. Jahrhundert
angehörigen Epitomators. welche aus Unkenntnis des Spätlateins weg-
emendiert wurden, werden wieder zu Ehren gebracht. Seltene Wörter
Nepotians sind aniraositas, sospitas, deoperire. Wenn Val. Max. 227,22
(ed. Kempf) in den Handschriften des Landolfus wiedergegeben wird:
in loco autem ubi oraverant suo area facta est Fortunae muliebri, so
vermutet Ihm a senatu ara. Ich bin überzeugt, daß zu lesen ist aedes
seu ara. Seu =^ et, oft in Handschriften seo geschrieben.
In eine Gruppe fasse ich eine Anzahl Schriftsteller zusammen,
die aus Gallien stammen.
Guilelmus Kroll, De Q. Aurelii Symmachi studiis Graecis et
Latiiiis (Breslauer philologische Abhandlungen VI 2). Breslau 1891,
Koebner. 98 S. 8.
Diese Abhandlung erwähne ich auch an dieser Stelle, weil
für die richtige Beurteilung der Sprache eines spätlateinischen Autors
der Nachweis von Wichtigkeit ist, was er aus archaischen Autoren
entlehnt hat. Manches, was vulgär zu sein schien, wird sich so als
archaistisch erweisen. Bei Symma.chus ist man berechtigt in der An-
nahme von Archaismen ziemlich weit zu gehen, da er HI 44 selbst ge-
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVUI. (1898. III.) 5
66 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891-97. (Geyer.)
steht : apyatsixov scribendi adfecto. Symmachus hat vor allem die Schul-
schriftsteller genauer gekannt, in erster Linie Vergil und Cicero, dann
Terenz und Sallust, weniger Horaz und Lucan: außerdem finden sich
Anspielungen an Ovid, Silius, Juvenal. Seine geschichtlichen Kennt-
nisse schöpfte er meistens aus Valerius Maximus, seltener aus Livius,
Cicero und Plinius dem Jüngeren; auch Tacitus, Fronto, vielleicht auch
Gellius kannte er. Außer den vom Verf. angeführten Anspielungen
auf Horaz, scheint mir auch III, 25 cum tu Romam commodum repetis,
ego nie in secessu adserui lectioni an Hör. ep. I, 2 anzuklingen, der
folgende Satz an Sat. II 6, 61 und Carm. II, 17, 5. Der Gedanke,
der Symm. IX 2 ausgesprochen wird , erinnert an den der ersten Ode
des Horaz. Daß Symmachus die Satiren Varros gelesen hat, dafür spricht
auch der Gebrauch des Wortes autumnitas, ep. III 23. IV, 18, 2
annis in senectam vergentibus scheint mir eher aus Tacitus entlehnt
(anni vergentes in senium, vergente iam senecta) als aus Livius. Die
Entscheidung, ob Symmachus ein unklassisches Wort aus der Lektüre
oder aus der lebenden Sprache seiner Zeit geschöpft hat, ist bei der
ganzen Art seiner Schriftstellerei in weitaus den meisten Fällen im
ersten Sinn zu entscheiden. Der Verf. selbst erklärt in dem unten zu
besprechenden Aufsatz im Rhein. Museum 1897, S. 569 ff. . daß er in
der Annahme von Archaismen zu zimperlich gewesen sei. Ich verweise
im übrigen auf die zahlreichen Rezensionen dieser gekrönten Preis-
schrift: Berliner Philol. Wochenschrift 1892 S. 79 von B. Kühler;
Wochenschrift für klassische Philologie 1891 S. 1400 von M. Petschenig;
Archiv für lat. Lexik. VII S. 616 von Wölfflin u. a.
L. Havet, La prose metrique de Symmaque et les orfgines
metriques du cursus. Paris. Bouillon 1892. 112 S.
Noel Valois hatte die wichtige Entdeckung gemacht, daß in den
päpstlichen Bullen des 12. Jahrhunderts ein rhythmischer Tonfall am
Schluß der Plu-asen des Satzes beobachtet wurde in drei Formen, die
man als cursus velox (Beispiel circumstantias intueri), tardus (mode-
ratione palpaverit) und planus (coraitetur honeslas) bezeichnet. Eine
Vorstufe zu diesem accentuierenden Phrasenschluß bildet der auf der
Quantität beruhende, metrische, den Havet bei Symmachus nachweist
und für welchen zahlreiche Regeln aufgestellt werden. In einer ein-
gehenden Besprechung des Buches von Havet in den Göttinger Ge-
lehrten Anzeigen l>s9.3, No. 1, die mehr den Charakter einer selb-
ständigen Abhandlung als den einer Rezension trägt, zeigt W. Meyer,
daß das einheitliche Prinzip, auf welchem alle diese Periodenschlüsse
beruhen, der Kretiker ist. Da diese Erscheinung sich nicht auf Sym-
machus beschränkt, sondern sich auch bei anderen Autoren findet, bei
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891-97. (Geyer.) 67
den gallischen Panegyiikern, bei Sidonius, Ennodius, Cyprian, Arnobius,
Minucius Felix [vgl. auch E. Norden, de Minucii Felicis aetate et genere
dicendi, Greifswalde 1897, S. 18 Anm. IJ, ja selbst in den Briefen des
jüngeren Plinius, so leuchtet ein, von welcher Bedeutung diese Entdeckung
für die Textkritik, die Grammatik und die Interpunktion ist: sie hat
in vielen Fällen den "Wert einer authentischen vom Autor selbst her-
rührenden Handschrift.
Wenig von christlichem Geist verraten die Schriften des schwül-
stigen Rhetors Apollinaris Sidonius.
Ed. Grupe, Zur Sprache des Apollinaris Sidonius. Programm
von Zabern 1892. 15 S. 4.
Der Verfasser führt im AnschluC an eine Äußerung Paul Mohrs
in seiner Abhandlung über die Latinität des Apollinaris Sidonius,
Bremerhaven 1886, eingehend aus, wie viel Sidonius der ßechtssprache
verdankt. Zur Vergleichung wird der 438 publizierte Cod. Theod.
herangezogen nebst den bis 468 reichenden Novellae; letzteren sieht
er wie in der Zeit, so auch in der Sprache näher. Die Vergleichung
ist indes zu einseitig auf den Cod. Theod. und die Novellen beschränkt;
darum steht in dem alphabetischen Verzeichnis gar manches, was Si-
donius nicht aus der juristischen Litteratur geschöpft zu haben braucht,
z. B. absque, eo quod (siehe meine Xrit. Beiträge zu Silvia S. 11),
nee = ne — quidem, necdum = nondum , quanti = quot, quatenus = ut,
quisque = quicunque, quod nach Verba dicendi, si tarnen = si quidem,
retro (sehr beliebt bei TertuUian, den Pauegyrikern, auch Pass. Perp.),
8ibi = eis, valere mit Inf., discutere = examinare (Tert. und Firm.
Mat. 24), districtus = occupatus (Min. Felix), sie (ita) ac si (Pass. Perp.).
Zu distrahere = vendere vgl. Matzinger, De bono pudicitiae S. 45. Bei
manchen juristischen Ausdrücken, welche die Kirchensprache in ihre
Terminologie aufgenommen hat, kann man zweifelhaft sein, ob man sie
dem juristischen Studium oder dem Christentum des Verfassers zu-
schreiben soll, z. B. praerogativa , reatus schon in der lateinischen
Übersetzung des Clemensbriefes und oft bei TertuUian, conversatio
Lebenswandel, mundanus weltlich. Agger publicus (beachtenswert ist
die Vulgärform ager Cod. Theod. XV 3, 4) kommt auch bei Sulp. Sev.
dial II 3, bei der Aquitanierin Silvia S. 50 und bei Gregor von Tours
in der vulgären Schreibweise vor, scheint also eine im 4. und ä. Jahr-
hundert in Gallien beliebte Bezeichnung gewesen zu sein.
Durch tiefe theologische Gelehrsamkeit, aber auch durch schwierige
Sprache zeichnen sich dagegen aus die Werke des hundert Jahre früher
lebenden Hilarius von Poiters. Er' erfordert einen theologisch ge-
schulten Erklärer. Als solcher erweist sich
5*
68 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891—97. (Geyer.)
J. Stix in dem Programm: Zum Spracbs^ebrauch des h. Hilarius
von Poitiers in seiner Schrift de triuitate. Rottweil 1891. 48 S. 4.
Die Schrift handelt nur über den Gebrauch des substantivierten
Infinitivs und giebt in dieser Beziehung einige Ergänzungen zu dem
Artikel im Archiv für lateinische Lexikographie III 81 ff., über den
Gebrauch der Negation, attributive Bestimmungen, praedikatives
Attribut, Ellipse. Der im Verhältnis zu dem geringen Stoff und der
Beschränkung der Untersuchung auf nur einen Teil der Schriften des
Hilarius große Umfang des Programms erklärt sich dadurch, daß der
Schwerpunkt der Arbeit in der Erklärung dieses schwierigen Schrift-
stellers liegt, für welche dem Verfasser seine theologisch -scholastische
Bildung zu statten kommt. Freilich ist eine letzte Entscheidung in
manchen Fragen unmöglich, so lange der Wortlaut nicht durch eine
kritische Ausgabe festgestellt ist. Die Häufung der Negation (S. 24)
hat sicherlich mit der römischen Volkssprache, mit der sie Verf. in
Verbindung bringt, nichts zu thun, ist vielmehr reiner Gräcismus. Aus
den von Stix angeführten Beispielen läßt sich das Gesetz ableiten:
,Nach negiertem Verbum ist ne = ut wie griechisch [i-q, ne non^ut
non entsprechend griechischem fir) ou; ebenso wird nach negierten Verbis
dicendi beim Infinitiv die Negation wiederholt." 4, 13 heißt es in
einem arianischen Glaubensbekenntnisse: nee enim est (filius) aeter-
nus aut coaeternus aut simul non factus cum patre. Stix faßt un-
richtig non als Pleonasmus und übersetzt: „Denn der Sohn ist nicht
ewig noch auch gleich ewig, auch nicht zusleich mit dem Vater ge-
macht," Damit wird aber den Arianern die ganze unmögliche Lehre
untergeschoben, der Vater sei gemacht. Vielmehr ist factus durch non
negiert und non factus hat ähnlichen Sinn wie ingenitus bei Arnob.
II 35: omnes concedimus uuum esse rerum patrem, immortalem atque
ingenitum solum, ähnlich auch Arnob. VII 35. Demnach ist zu über-
setzen „noch auch wie der Vater nicht geschaffen", so daß simul cum
patre non factus einen dem non coaetaenms entsprechenden Begriff
bildet, gleichsam coinfectus. Es wird also von den Ariaueni geleugnet,
was das nicänische Glaubensbekenntnis vom Sohne aussagt, er sei
„nicht geschaffen''. 5, 25 heißt quomodo nicht 'warum' (quaero quomodo
possit non esse quod natus est), sondern es ist zu übersetzen: „ich
frage, wie es möglich ist, daß er das nicht ist, als was er geboren ist".
S. 11 wird mit Unrecht angenommen, 7,22 und 5,18 sei amittere
— desinere zu nehmen ; per assumptam infirmitatem non amittit deus
esse heißt: durch ^Annahme der menschlichen Schwäche verliert er nicht
sein Gottsein. Bemerkenswert ist, daß Hilarius manens als Ersatz für
das fehlende Part. Praes. von esse gebraucht, wie andere Spätlateiner
constitutus.
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891—97. (Geyer.) 69
Bei rhetorisch gebildeten Schriftstellern wie Hilarius, Symraachus,
Sidonius würde man natürlich vergebens gallische Provinzialismen
suchen. Dagegen zeigt sich der Einfluß der Umgangssprache bei Silvia
und Marcellus Empiricus.
P. Geyer, Zu Silviae peregrinatio ad loca sancta. Archiv IX
S. 298-300.
Besprochen wird sera Abend, lucernaris, responsorius, hostium
( = afr. huis) u. a.
Derselbe, Spuren gallischen Lateins bei Marcellus Empiricus.
Archiv VIII S. 469—481.
Die Sprache des Marcellus auf ihre provinziellen Eigentümlich-
keiten hin zu untersuchen, wurde Verf. veranlaßt durch eine Bemerkung
Ilbergs, der in einer Rezension der Helmreichschen Ausgabe den Mar-
cellus einen Vertreter des gallischen Lateins nennt, ohne jedoch dafür
Gründe anzugeben. Auch Sittl gesteht in den Verhandlungen der
Görlitzer Philologenversammlung S. 392 dem Marcellus neben der
Gallierin Silvia eine Ausnahmestellung in der Litteratur zu. Gallische
Provinzialismen finden sich nun in der That, z. B. cadivus = epilemp-
ticus, bei Gregor von Tours, Vita Martini p. 615, 5 als solcher aus-
drücklich bezeugt, accentus — incrementum febris, Archiv VIII 119 als
Gallicismus nachgewiesen. Am wichtigsten sind natürlich solche, welche
durch die französische Sprache bestätigt werden, z. B. glus, glutis Leim
= franz. le glu (von mir irrtümlich S. 473 als Femininum bezeichnet);
es steht auch bei Paulin. Petric. V. M. IUI 104, VI 423 und Vis.
Nep. 52 ; berula = frz. berle, cardo = chardon, ossifraga = orfraie, adro-
rare = arroser, criblare = cribler, carminaie = charmer, sopire^ assouvir.
Von fachkundiger Seite auf einige Versehen aufmerksam gemacht, be-
nutze ich die Gelegenheit zur Berichtigung: experimente ist lediglich
mot savant, curmi, auch sonst bekannt = griech. y.oüp|xi. Französisch glu ist
nicht Masculinum, sondern Femininum; daß aber glus, tis gallischer
Provinzialismus ist, dafür spricht auch das Vorkommen bei dem Gallier
Paulin. Petric.
E. Wölfflin, Auris* Auricula, Archiv VIII S. 591.
Derselbe, Carduus, cardus cardo. Archiv IX S. 297.
Die dreisilbigen Formen von auris haben sich bei Marcellus besser
gehalten als die zweisilbigen. Wenn übrigens im Genetiv Sing. 9 auii-
culae gegen 6 auris stehen, im Accus. 15 aurem gegen 4 auriculam,
so ist doch der Schluß nicht berechtigt, daß in Gallien das auslautende
m besser hörbar war als das s. Gerade das Gegenteil muß nach Aus-
weis des Französischen der Fall gewesen sein.
70 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatcin 1891—97. (Geyer.l
Samuel Chabert, De latinitate Marcelli in libro de medica-
mentis. These. Paris 1897, Oudin. VII. 130 S. 8.
Die Arbeit ist dilettantenhaft und fordert auf jeder Seite zum
Widerspruch heraus; dies zeigt schon die Frage, welche Verf. zur Be-
antwortung sich vorlegt, ob Marcellus seiner Sprache nach eher
als Römer oder als Gallier zu betrachten sei, mit dem Ergebnis:
'gallice locutus est, gallicam quadam ex parte linguam antecipavit.'
Was vom Sprachgebrauch des Schullateins einigermaßen abweicht, da-
gegen mit dem ßomanischeu sich berührt, wird ohne weiteres als
Gallicisnius erklärt. Es verlohnt sich nicht, die Unzahl der falschen
Behauptungen zu widerlegen; zur Charakterisierung des Inhalts diene
der Satz S. 33, A. 12 'Marcellum multo saepius ex quam e scripsisse, seu
quia Galli regionem magis septentrionalem incolentes cousonantibus eo
magis delectarentur (cf. nunc Germanos), seu quia pronuntiatione magis
in dies vitiata praepositio e sine x vix iam in Gallia auribus percipe-
retur,' oder der Schluß der aus dem Nebeneinandervorkommen der
Formen ungueo und uugo gezogen wird, daß g vor e und i schon ähnlich
wie im Französischen gesprochen worden sei (S. 14) oder die monströse
Behauptung S. 65, 'genetivus nonnunquam pro nominativo accipitur'; von
den Beispielen ist glutis Nebenform zu gluten (vgl. Archiv VIII
S. 473), stirpis zu stirps, schon bei Livius vorkommend; salis in der
Formel p. 151, 19 ist wirklich der Genetiv abhängig von glandula.
Geradezu barbarisch ist das Latein, wimmelnd von Soloecismen, Galli-
cismen, Verstößen gegen die Modiislehre und Consecutio Temporum.
Man ist versucht auf den Verfasser anzuwenden, was er von Marcellus
sagt: 'Quaedam latinae syntaxeos praecepta parvi facere visus est' ode)-
(S. 116), 'Stilum in Marcello fuisse nulluni libenter asseruerim', was
(S. 118) noch einmal bekräftigt wird, 'Bevera, stilus nullus est.'
E. Wölfflin, Proben der vulgärlateinischen Mulomedicina Chi-
ronis, Archiv X S. 413—426.
W. Meyer entdeckte im Jahre 1885 eine Handschrift in der
Münchener Staatsbibliothek unter dem Titel Chironis Centauri, Absyrti
artis veterinariae libb. X, welches er mieden von Vegetius citierten
Schriften des Chiron und Absyrtus identifiziert. Die Text- und Sprach-
proben, welche Wölfflin daraus mitteilt, machen es unmöglich die Schrift
ins 4. Jahrhundert zu setzen, indem die Sprache schon einen halb-
romanischen Charakter trägt. Wahrscheinlich ist es eine Sammlung
von Rezepten, darunter auch solche von Chiron und Absyrtus. Ein
entscheidendes Urteil über diese Frage und über das Verhältnis za
Vegetius wird erst möglich sein, wenn gesicherte Texte vorliegen.
Unter den von Wölfflin mitgeteilten Formen weist armora = armi
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 18'.")] — 97. (Geyer.) 71
(S. 421) anf die Longobardenzeit hin, vgl. Bluhme, die gens Laiigo-
bardoriim, 2. Heft, Ihre Sprache, Bonn 1874, S. 27. Aceto acro findet
sieh bei Soran und in einzelnen Handschriften des Theod. Prise. For-
ficare steht auch C. Gl. L. II, 479, 59 und III, 165, 20. In der be-
sprochenen Vegezstelle I, 26, 4 hat creraare die Bedeutung suspendere,
wie ich in WölfFlins Archiv X S. 547 nachgewiesen habe.
An die Mediziner reihe ich einige spätlateinische Grammatiker an.
Alfred Moeller, Quaestiones Servianae, Inauguraldissertation.
Kiel 1892. 51 S. 8.
P. Daniel gab im Jahre 1600 einen Yirgilkommentar heraus, der
mehr enthält als der eigentliche Seivius. Während Thilo die Zusätze
bei Daniel für Interpolation erklärt, sucht Moeller zu erweisen, daß
dieser vollere Kommentar das Original sei, der kürzere aber ein Aus-
zug aus ihm. Deshalb sucht er durch sachliche und spiachliche Ar-
gumente den Beweis zu führen, daß der vollere Servius ins ausgehende
3. oder beginnende 4. Jahrhundert falle. Im allgemeinen stimmt
ja der sprachliche Charakter damit, aber ein zwingender Beweis, daß
die Sprache dieser Zeit angehört, ist und konnte nicht erbracht werden.
Accessa ist jetzt nicht mehr bloß durch das Itin. Burdig. bezeugt,
sondern auch durch die Fasti cons. vom Jahr 365, Frick, chrou. min.
Index S. 626, vgl. Archiv IX 126. Als Nom. Plur. begegnet es wieder
Anton. Plac. Itin. v. Jahre 570, S. 30, 12 ed. Gildem; vgl. auch Sto-
wasser, Hisp. Farn. 33; ebenso gebraucht Antonin das seltene Wort gener-
alitas S. 8, 14. Archaismus, aber mit griechischen Lettern, gebraucht
Symmachus in der bekannten Stelle III, 44. Das Woit adescatus
findet sieb sonst nur bei Cael. Aurel; also in einer späteren Zeit. Das-
selbe ist der Fall, wenn es A. 1, 609 heißt : 'nominativus pluralis, res
termiiiatus singularera in or mittit', wozu Moeller bemerkt- in quo
notabile est, quod niittere idem significat atque termiuari, cuius rei
nihil siniile iudagari potest. Ganz ebenso heißt es aber auch bei dem
Grammatiker Virgilius Maro S. 60, 4 tempus imperativ! non in i pro-
ductam, sed in e correptam mittit. Interessant ist das Depomens (de)
certari A. 11, 247 armis inter se decertati sunt. Es kommt außer an
den bei ßoensch angeführten Stellen (Itala S. 302) auch im lateinischen
Clemensbrief 6, 16 und 33, 11 vor. Für metuere mit Infinitiv (S. 6)
und non dubium est mit Acc. c. Inf. giebt es noch viele andere Belege,
vgl. Drägej. Eist. Sj-ntax II S. 342 und 389 und Wentzel, de iuf.
apud Justinum usu S. 17 und 25. Fertur mit Acc. c. Inf. (S. 7) ist unter
die Gräcismen zu rechnen, quia statt quod (S. 8) findet sich öfters
bei Virgilius Maro, z. B. S. 36, 5; 48, 11; 65, 5; 71, 9; 73, 2, 5 u. ö.
De navium fragmeutis civitatem sibi fecisse (S. 10) ist kein Beispiel
i'^
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891-97. (Geyer.)
lür instrumentales de; die Präposition bezeichnet den Stoff wie oft
sonst, virl. Dräger I S. 629. In honore Aiigusti (S. 11) statt in ho-
norem auch Script, h. Aug. Trig. 4, 1; 11, 1. Wenn der Verf. S. 5
bemerkt: iudicativum et couiunctivum 'niire' couiunxit Servius A. 2, 130,
'est autem figuratius, si legatui', so wissen wir jetzt durch die Unter-
suchungen von Blase, Archiv IX S. 17 ff., daß dies die im Spätlatein
gebräuchliche Form des Bedingungssatzes ist.
Th. Stangl, Zur Kritik der lateinischen Rhetoren und Gram-
matiker, Xeuieu der 41. Versammlung deutscher Philologen und Schul-
männer 1891 in München dargeboten vom historisch-philologischen
Verein, S. 29—37.
In seiner Ausgabe des Julius Victor und noch mehr des Alcuin
in den Rhetores latini minores hat Halm vielfach Vulgarismen korrigiert,
die unbedenklich in den Text aufzunehmen sind, z. B. placibilis, itiner
servator, adiuvavi, Ablative auf e von Adjektiven der 3. Deklination,
iletaplasmen, Indikativ nach cum causale, in indirekten Fragen und
nach coüsecutivem ut. In ähnlicher unnötiger Weise hat Keil in der
Ars des Palaemon und des gallischen Grammatikers Consentius Ände-
rungen vorgenommen.
Über spätlateinische Dichtungen ist wenig zu berichten:
M. Amend, Studien zu den Gedichten des Papstes Damasus.
Nebst einem Anhang: Damasi carmina. Programm des Neuen Gym-
nasiums zu Würzburg 1894. 39 S. 8.
Vgl. die Rezension von M. Ihm, Archiv für lat. Lex. IX S. 474 f.
Diese unreife Arbeit ist durch die inzwischen erschienene Ausgabe von
Ihm völlig antiquiert.
M. Ihm, Die Epigramme des Damasus. Rhein. Museum, Neue
Folge 1895, S. 191—204
handelt im zweiten Abschnitt auch von Stil und Sprache des Daraasus.
Er verrät wenige Spuren litterarischer Bildung. Außer zahlreichen Re-
miniscenzen an Vergil zeigt er auch Anklänge an den Cento der Dichterin
Proba. Eigentümlich ist, daß er die Konjunktion et verschmäht, welche
er nur selten im Sinne von etiam gebraucht. Dafür verwendet er que,
seltener ac und atque. Nach Ausweis der Steininschriften unterblieb
die Assimilation in Fällen wie adgressus, inraensus, inluviem.
Guido Maria Dreves, Aurelius Ambrosius, der Vater des Kirchen-
gesanges, eine byranologische Studie. Freiburg i. Br., Herder, 1893.
Es finden sich in diesem Buche nur wenige sprachliche Beobach-
tungen; denn der 3. Abschnitt des ersten Hauptteils: , Welches sind
I
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891—97. (Geyer.) 73
die metrischen und stilistischen Eigentümlichkeiten des Dichters Am-
brosius?" [über den Reim bei Ambrosius vgl. Wölfflins Archiv I S. 379]
begnügt sich mit ziemlich allgemein gehaltenen Bemerkungen, von denen
etwa hervorzuheben ist, daß Ambrosius die Neigung hat, sich selbst zu
wiederholen. Im 4. Abschnitt: Welches sind die echten Kinder der
Muse des Ambrosius? werden zahlreiche Wendungen in den für ambro-
sianisch erklärten Hymnen aus den prosaischen Schriften des Mailänder
Bischofs belegt.
James Taft Hatfield, A study of Juvencus. Bonn 1890.
Inauguraldissertation. 1890. XIT. 52 S. 8.
Diese sorgfältige Arbeit stellt den Sprachgebrauch des Juvencus,
insbesondere seine Syntax, mit erschöpfender Vollständigkeit dar und
handelt auch von seinen stilistischen Besonderheiten, seiner Prosodie,
der Nachahmung älterer Dichter und seinen lexikalischen Eigentümlich-
keiten. Das Bild wäre aber vielleicht noch schärfer ausgefallen, wenn
die charakteristischen Züge weniger hinter der Menge des Selbstver-
ständlichen zurückträten. Vielfach hätte auch untersucht werden sollen,
ob eine sprachliche Erscheinung dem Juvencus eigentümlich oder von
ihm aus der Bibel herübergenommeu ist, so z. B. die gnomischen Per-
fekta 1, 101 sustulit thronum fregitque superbos, an deren Stelle die
Vulgata Luc. 1, 51 f. ebenfalls Perfekta hat dispersit superbos, deposuit;
mit 4, 186 cui credere cuncta voluit pater ist zu vergleichen Vulg.
Matth. 24, 45 quem constituit dominus suus super familiam suam. Kein
gnomisches Perfekt liegt vor 4, 790 genitor mihi cuncta subegit, vgl.
Joh. 5, 22; Matth. 11, 27 oder 28, 18. Ebenso beweist volvenda dies
1, 106 nichts für die Sprache des Juvencus, da es aus Vergil Aen. 9, 7
entlehnt ist. Öfters ist die Art des Citierens irreführend; so wird z. B.
angegeben 1, 246 stehe gaudia gaudent, es heißt aber: gaudia magna
magi gaudent. Die S. 16 unten angeführten Ablative uteri sinuamine
und uteri giemio finden erst ihre Erklärung, wenn man beim Nach-
schlagen der betreffenden Stellen beim ersten gestans, beim zweiten
clausae findet, 'd, 267 inseruit astris ist nicht als tinaler Lokativ zu
bezeichnen, sondern dies Beispiel gehört wie so manches andere unter
derselben Rubrik stehende in den § 54 Dativa after verba compounded
with prepositions, wo es auch ein zweites Mal steht (8. 13 o.). Das-
selbe Beispiel findet sich nun gar noch ein drittes Mal S. 17, wo es als
Ablative of place erklärt wird. Aber ebensowenig ist 1, 478 inpostam
rupibus urbem Ablativ. Auch der Ablativ der Trennung wird durch
einige sehr fragwürdige Beispiele bereichert, wie subtrahit igni S. 22.
Umgekehrt liegt in talibus indignans 3, 32 kein Dativ, sondern Ablativ
vor. § 77 scheint der Titel: Deponent Perf. Part, used Aoristically
74 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891—07. (Geyer.)
ein Versehen zu sein, da die angeführten Participien, wie z. B. veneratas
adorat in präsentischem Sinn gebraucht sind. Für haud dubium est
quod citiert Schmalz in I. von Müllers Handbuch II, 1. Auflage S. 500
Amraian. 14, 6, 21. Ein zweites Beispiel bei Kalb, Roms Juristen
S. 30. Mox = simulatqae findet sich bei Silvia S. 79, 16 (Gam. 1. Aus-
gabe); 80, 18,- 87, 28; 105, 14; weitere Belege bei Bonnet, le latin
de Gregoire p. 320 a. 2.
Emorj' Bair Lease, A sj'utactic, stilistic and metrical study of
Prudentius. Baltimore 1895. 79 S. 8.
Die Bedeutung, welche Prudentius als der populärste christliche
Dichter hat, rechtfertigt eine so eingehende Darstellung seines Sprach-
gebrauchs. Trotz seines eigenen bescheidenen Ausspruchs audi poetam
rusticum stellt sich dabei doch heraus, daß er hocli über allen anderen
christlichen Dichtern steht, namentlich auch über seinem Landsmann
Juveucus. Die Vergleichung mit dem letzteren lag um so näher, als
Lease die eben besprochene Dissertation von Hatfield benutzen konnte.
An diese schließt sich Lease auch in der Disposition aufs engste an.
so daß sogar mehrere besondere Paragraphen gebildet werden, nur um
zu konstatieren, daß eine sprachliche Erscheinung, die bei Juveucus
vorkommt, bei Prudentius ohne Beispiel ist, so z. B. § 90 si as inter-
rogative particle und ähnlich § 24 und § 29. Gar manches Selbstver-
ständliche hätte übrigens ohne Schaden wegbleiben können, z. B. daß
nach orare und rogare ein Satz mit ut steht, was sonderbarerweise
mit dem ut in indirekten Fragen in nonne vides ut und cernis ut in einem
und demselben Abschnitt untergebracht ist, oder daß ratus und diffisus
für das Präsens stehen. Bei einem so hochgebildeten und für Gebildete
schreibenden Dichter sind von vornherein keine Spuren des sermo fami-
liaris oder gar vulgaris zu suchen: die Endung re statt ris in der
zweiten Pers. Sing. (S. 9), absque (S. 29), der Ablativ der Zeitdauer
(S. 38) sind sicher nicht aus dem sermo fam. genommen. Noch viel
weniger darf man erwarten, auf provinziale Eigentümlichkeiten zu stoßen.
Wenn Prudentius den Komparativ nur mit magis, nicht mit plus um-
schreibt (S. 50), so verrät er sich damit nicht als Spanier, sondern als
korrekten Latinisten; ebensowenig haben die Verbindungen impeditum
und coniunctum teuere (S. 12) mit dem spanischen Hülfsverbum teuere
etwas zu thun. Zum Infinitiv als Substantiv ist hinzuweisen auf
Archiv III, 70 ff. Der Infinitiv bei adgredi ist nicht unter die finalen
Infinitive zu rechnen, vgl. Krebs- Allgayer, Antibarbarus S. 111. Wie
Hatfield geht auch Lease zu weit in der Annahme appositionaler
Genetive: weder frusta auri noch vis animi (S. 17) gehören dazu. Un-
verständlich ist, wie Olybriaci nominis heres (S. 18) unter die Rubrik
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein ISDl— 97. (Geyer.) 75
penet. qualit. kommt. In der Verbindung- tenebris mergitur (S. 23)
liegt nicht finaler Dativ, sondern Ablativ, in subtrahit indignis (8. 28)
umgekehrt Dativ, nicht Ablativ vor. Zum instrumentalen Ablativus
mit ab ist hinzuv^eisen auf den analogen Gebrauch bei Ovid. Gaudens
haerede (S. 27) und fretus amore steht seltsamerweise unter dem Titel
Ablativus loci. Vgl. im übrigen die Besprechung von Sixt in der Berliner
philologischen Wochenschrift 1895, S. 1579.
J. Bergmann, Lexicou Piudentianum. Fase. 1. 4. Upsala 1894
war mir nicht zugänglich. Vgl. die Rezension von Sixt, Berliner
phUol. Wochenschrift 1895, S. 1058—1059.
Afrikaner.
Da neben der Frage des Vulgärlateins auch die des provinzialen
Lateins, insbesondere der Africitas, vielfach erörtert worden ist, stelle
ich die Schriften zusammen, welche über den Sprachgebrauch afrika-
nischer Autoren handeln oder den Zweck haben, Litteraturerzeugnisse
oder Schriftsteller, deren Heimat unbekannt ist, für Afrika zu rekla-
mieren.
Eine kritische Beleuchtung erfahren die bisher in weiten Kreisen
geltenden Ansichten über das afrikanische Latein durch
W. Kroll, Das afrikanische Latein, ßhein. Mus. LH, 1897,
S. 569—590.
Der Aufsatz bespricht die Frage so erschöpfend und deckt sich
in den meisten Punkten mit den Anschaungen des Referenten so sehr,
daß etwas größere Ausführlichkeit hier angezeigt ist, um so mehr, als
ich dadurch in der Lage bin, mein eigenes allgemeines Referat beiseite
zu lassen.
Der Mißbrauch, welcher mit dem Ausdruck Africismus getrieben
wurde, die Übertreibungen der extremsten Anhänger der Africitas wie
Monceau, Thielmann, Kubier, Kalb u. a. haben den Verfasser veranlaßt,
die schon von anderen vorgebrachten Gegengründe noch einmal im Zu-
sammenhang vorzuführen und durch neue zu verstärken. Daß die Aus-
führungen und Grundsätze des bekannten Sittischen Buches „Die lokalen
Verschiedenheiten der lateinischen Sprache" noch einmal widerlegt werden,
nachdem der Verfasser sie selbst zurückgenommen hat, könnte als über-
flüssig erscheinen; aber da andere trotzdem immer noch mit ihnen
weiter arbeiten, war es doch nicht zu umgehen. Daß die Gründe, mit
welchen der Verfasser operiert, zum großen Teil schon von Sittl selbst
und anderen vorgebracht sind, thut ihrer Beweiskraft keinen Eintrag.
7G Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891—97. (Geyer.)
Manche Thatsachen müssen immer wieder aufs neue in ErinneruDg-
gebracht werden, weil sie zu wenis Beachtung gefunden haben: so z. B.,
daß die afrikanischen Schriftsteller, weltliche wie kirchliche, längere
Zeit so ausschließlich die Litteratur beherrschten, daß kein adaequates
Vergleichungsmaterial aus anderen Ländern vorliegt [zur Ergänzung
sei auf die trefflichen Bemerkungen Watsons über diesen Punkt auf-
merksam gemacht, the Stjie and language of St. Cyprian in Studia
biblica et ecclesiastica, Oxford 1896, p. 241, vgl. auch die richtige
Bemerkung Werths, Jahrb. f. klass. Phil. N. F. 1897 S. 302 Anm. 2],
daß, so schmerzlich wir den Mangel einer romanischen Sprache, in der
das afrikanische Latein fortlebt, empfinden, die romanischen Sprachen
doch wenigstens ein negatives Kriterium ergeben: denn sprachliche Er-
scheinungen, die im gesamten Entwickeluugsgang der lateinischen Sprache
zu den romanischen liegen, können unmöglich von Afrika ausgegangen
sein, so z. B. die Verwechselung des terminus ubi und quo, die Um-
schreibung des Futurs durch habeo, der Ersatz des Coni. Imperf. durch
den Coni. Plusq., die Entwertung der Komparationsgrade, die schließlich
zum Verlust des Superlativs führte. Daß aber derartige sprachliche
Processe durch litterarische Vermittelung, durch die Bibel, über das
ganze romanische Gebiet sich verbreitet haben, widerspricht jeder sprach-
lichen Entwickelung. Da ferner für Gallien, Spanien, Italien, bei denen
uns als Mittel der Kontrolle die fortlebenden romanischen Sprachen zur
Verfügung stehen, nur verschwindend wenige provinzielle Eigentümlich-
keiten nachgewiesen werden konnten, selbst wenn man das frühere
Mittellatein noch beizieht, also bis ins 7. Jahrhundert hinabsteigt, ist
es da denkbar, daß in Afrika schon im 2. und 3. Jahrhundert eine
solche Fülle von provinziellen Eigentümlichkeiten existiert habe? Die
Groebersche Hypothese, daß im Jahre 146 v. Chr. das plautinisch-
catonische Latein durch die romanischen Legionen nach Afrika gebracht
worden sei und dort eine Sonderentwickeluug durchgemacht habe, aus
der sich die vielen Archaismen des afrikanischen Lateins erklären, darf
wohl jetzt als allgemein aufgegeben gelten, da sie den historischen Ver-
hältnissen nicht entspricht; einmal begann die Latinisierung erst unter
Cäsar, dann bestand gerade zwischen Afrika und Italien infolge der
günstigen Seeverbindung ein besondeis reger Verkehr [vgl. darüber
auch Watson a. a. 0.]. Daß sich semitische Elemente im afrikanischen
Latein erhalten haben, natürlich abgesehen von den durch die Bibel
vermittelten Hebraismen, diese Hypothese ist von ihrem Urheber selbst
mit Recht aufgegeben worden. [Auch hier liegt die Analogie der ro-
manischen Sprachen nahe: lassen sich etwa Einwirkungen des Keltischen
auf die Bildung des Französischen mit Sicherheit nachweisen?] Dazu
kommt noch die Frage: sind die Schriftsteller, deren Bücher für uns
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlateia 1891 — 'M. (Geyer.) 77
die Quellen des afrikanischen Lateins bilden, nachweislich punischer
Nationalität oder auch nur des Punischen mächticr gewesen? Dürfen
wir bei ihnen überhaupt Spuren eines provinzialen Vulgärlateins er-
warten? Ein weiterer treffender Einwand wird von A. Werth, Jahrb.
f. Philol., 23. Supplementband S. 302 A. 2 auf crund des fast gänz-
lichen Fehlens punischer Fremdwörter erhoben. Daß es keine Schriften
gibt, die im eigentlichen Sinne des Wortes im Vulgärlatein geschrieben
sind, versteht sich eigentlich von selbst; doch behauptet noch 1893
Thielmann in seinem Aufsatz über die lateinische Übersetzung des
Buches der Weisheit: „Seinen Wortschatz bezieht der Übersetzer ganz
aus der Volkssprache", Archiv VIII S. 253, und in diesem wie in
einem zweiten Aufsätze „Die lateinische Übersetzung des Buches Sirach, "
ebend. S. 501 ff", wird beständii,' vom afrikanischen Dialekte als der
Sprache der Übersetzung gesprochen. Kroll sucht der ganzen Hypothese
vom afrikanischen Latein dadurch den Boden zu entziehen, daß er mit
denselben Gründen wie Sittl eine Beeinflussung der Schriftsteller durch
die lebende Volkssprache so ziemlich ganz in Abrede stellt; geht er
auch hierin meines Erachtens zu weit, so ist doch zuzugeben, daß weitaus
die meisten vermeintlichen Vulgarismen Archaismen sind, d. h. bewußte
Nachahmungen archaischer Schriftsteller. Hinsichtlich der Gräcismen
ist in einer terra bilinguis, wie Afrika lange Zeit war, eher an die
Möglichkeit einer Berührung mit der Volkssprache zu denken, infolge
der Beschaffenheit der uns erhalteneu Litteratur aber, namentlich bei
Übersetzungen, nicht wahrscheinlich. Mit vollem Rechte vermißt Kroll
bei seinen Gegnern Klarheit und Folgerichtigkeit im Gebrauch des ter-
minus Africitas: bald wird darunter die in Afrika herrschende Volks-
raundart, also das afrikanische Vulgärlatein, bald eine den afrikanischen
Schriftstellern eigene Stilrichtung verstanden. [Neuerdings wird aller-
dings auch die Existenz einer Africitas in diesem Sinne geleugnet, und
man beginnt wieder zu der alten Anschauung zurückzukehren, daß der
sogenannte tumor Africus nichts ist als die asianische Rhetorik aufs
Lateinische übertragen, vgl. Norden, die antike Kunstprosa S. 587 ff.
und besonders 596]. Faßt man Africitas im ersteren Sinn, so hat der
sogenannte tumor africus mit der vorliegenden Frage nichts zu thun.
Schließlich sucht Kroll hinsichtlich verschiedener angeblicher Eigentüm-
lichkeiten des afrikanischen Lateins den Nachweis zu führen, daß sie
nicht auf Afrika beschränkt waren. Daß bei vielen das numerische
Übergewicht auf selten der Afrikaner ist, läßt sich nicht leugnen. —
Zu den Einzelbemerkungen gestatte ich mir noch folgende Nachträge:
Beispiele für den identischen Genetiv finden sich in ganz ungewöhnlicher
Zahl bei Sedulins, vgl. den Index verborum, mehrfach bei Ammian:
caligine tenebrarum 31, 13, 12; viarum spatia 31, 12, 10; planities
78 Jahreebericht über Vulgär- und Spätlatein 1891 — 97. (Geyer.)
lata camporum 31, 11, 5; Beispiele aus den gallischen Panegyrikern
siebe bei Firmicus. Hie idem schon Valerius Maximus p. 405, 15 ed.
Kempf, auch Ammian 24, 5, 1; Zusammenstellung von Positiv und
Superlativ Val. Max. p. 439, 16 avaritia neque habendi fructu felix et
cupiditate quaerendi miserrima; p. 201, 10 vinculum potens et prae-
validum, S. 296, 17 praecipuum et certissimum exemplum wird kaum
als voll gelten, so wenig wie das von Kroll angeführte C. I. L. X 4861;
auch VI 1783, XII 2024 und 4393, 5 sind nicht vollgültig, wohl aber:
Ammian 24, 5, 5 celsum castellum et muuitissimum; 24, 6, 3 in agro
amoeno arbustis et vitibus laetissimo; dagegen 24, 6, 6 praealtas ripas
et arduas ist nicht vollwichtig. Zur Entwertung des Superlativs ist
auch zu rechnen duos clavos ita latissimos 16. 8, 8. Mam. paneg.
p. 261, 20 gratuitas et paratu facillimas comites oder p. 262, 22 non
cnpidissimus, non flagrans. Silv. p. 36, 4 vallis ingens et planissima.
Paul Monceaux, Les Africains, etude sur la litt6rature latine
d'Afrique. Les Paiens. Paris 1894, Lecene, Oudin et Cie. 500 S.
Das Buch zeigt dieselben Licht- und Schattenseiten wie der oben
S. 37 besprochene Aufsatz desselben Verfassers, glänzende, fesselnde
Darstellung, aber oft zu viel Phantasie. Das hier allein in betracht
kommende vierte Kapitel Le latin d'Afrique, p. 99 — 121, lehrt uns über
das afrikanische Latein wenig Neues. Es w'erden im wesentlichen die
von Sittl, Lok. Verschiedenheiten, aufgestellten chaiakteristischen Eigen-
tümlichkeiten des afrikanischen Lateins wiederholt nur mit Weglassung
der dort gemachten Einschränkungen und mit vielen Übertreibungen,
z. B. S. 111 dans la conjugaison on employait ä contresens et comme
an hasard les temps et les modes oder S. 121 du V. au VII. siecle
dans tout le nord d'Afrique on voit en forraation une curieuse langue
ä demi semitique; eine Probe dieser halbsemitischen Sprache erblickt
der Verfasser in der aus Glossen zusammeogestoppelten Anthologie von
Karthago bei Baehrens, poetae lat. min. IV 241. Vgl. das drastische,
aber nicht unberechtigte Urteil Nordens über dies Buch in der wissen-
schaftlichen Beilage zum Vorlesungsverzeichnis der Universität Greifs-
wald S. 15 und Antike Kunstprosa S. 589.
Wenn man unter Africitas nicht eine litterarische Richtung,
sondern eine eigentümliche Gestaltung der Sprache im Munde der afrika-
nischen Bevölkerung versteht, so gilt es, die Sprache derjenigen Leute
zu belauschen, welche der litterarischen Bildung bar waren, also gegen
ihren Willen der Volkssprache Konzessionen machten. Dies ist der
Fall bei den Verfassern einer großen Zahl von Inschriften. Mit ihnen
beschäftigt sich daher der Aufsatz von
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlateiü 1891 — 97. (Geyer.) 79
B. Kubier, Die lateinische Sprache auf afrikanischen Inschriften,
Archiv f. lat. Lexikogr. VIII 8. 1 Gl— 202 und Nachträge S. 297.
Der Verfasser ist sich bewußt, daß er sich auf einem schlüpfrigen
Gebiet bewegt und daß zum Beweise, daß das, was er zusammengestellt
hat, wirklich afrikanisch sei, die Gegenprobe aus anderen Provinzen not-
wendig wäre; daß es ferner besondere Schwierigkeiten hat, allgemeine
Vulgarismen und specifische Afrikanismen zu unterscheiden. Aber doch
betrachtet er vielfach Ausdrücke als afrikanisch, die bei Peti'on und
bei nicht afrikanischen Juristen bezeugt sind. Wenn man, wie Verf.
S. 165 ausdrücklich erklärt, unter afrikanischem Latein die Sprache
versteht, wie sie das Volk speciell in Afrika sprach, sehe ich die Logik
des Schlußsatzes S. 202 nicht ein: ,Aus den Analogien Petrous folgt
weiter nichts, als daß das kampanischo Latein in ähnlicher Verwandt-
schaft mit dem afrikanischen stand als das spanische,- und daß im afrika-
nischen Latein vulgäre und, was ziemlich dasselbe ist, archaische Ele-
mente besonders stark vertreten sind. Für die Juristen liegt die
Erklärung darin, daß sie in ihre Darstellungen sehr viel Vulgäres auf-
genommen haben." Was sonst für Elemente als vulgäre soll man in
der Volkssprache Afrikas suchen? Heißt das ferner nicht die Mög-
lichkeit, provinzielle Verschiedenheiten zu finden, erst für einen großen
Teil des Reiches, dann überhaupt leugnen ? Denn was allgemein vulgär
ist, ist nicht speciell afrikanisch —
Nachdem unter den Titeln: Zur Wortbildung, zur Flexion, zur
Syntax, zur Stilistik und Phraseologie, lexikalische Bemerkungen eine
Fülle interessanten Matei'ials zusammengetragen ist, wird am Schluß
das Resultat mit den Ergebnissen früherer Forschungen verglichen.
Kein Unbefangener wird sich des Eindrucks erwehren, daß dasselbe
vorwiegend negativ ist. — Zum Schluß noch einige Einzelbemerkungen :
matronaliter nupta S. 169, auch Passio Perpetuae S. 62, 20 (ed. Robinson).
Zu vidi crevisse nepotes, S. 177, bietet ein Analogon Pass. Perp. c. 10:
Video in horomate hoc: venisse Pomponium ad ostium carceris et pul-
sare vehementer. In beiden Fällen aber liegt keine Vertauschung des
Inf. Perfekts mit dem des Präsens vor, sondern es heißt: Ich durfte
noch erleben, daß meine Enkel herangewachsen waren (adultos); in
der Passio Perpetuae: Ich sah im Gesichte folgendes: wie P. an die
Thür des Gefängnisses gekommen war und heftig klopfte. Retro
(S. 180) in der Bedeutung früher ist ebenfalle in der Passio Perp.
beliebt. Utpote cum (S. 182) auch bei Min. Felix 1, 3 und 5, 1,
desgl. univira, vgl. Archiv VII S. 483. Zu castellus als Mascul. vgl.
Appel de neutro gen. intereunte S. 83: auch Antonin. Itin. S. 30, 1.
Exceptorium Wasserbecken kann nicht afrikanisch sein, da es im Itin.
Burdigalense vom Jahr 333 steht; ebensowenig hospitium Haus (neu-
80 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlateiu 1891—97. (Geyer.)
griech. to a-i'-ri): Silvia 82, 12 vadent se unusquisque ad hospitiuiii suum,
dagegen 90, 23 unusquisque hiens ad domum suani. Da zu dolere casui
Verf. Analoga aus der Litteratur nicht kennt, führe ich an Sulp. Severus
Vita Mart. 5, 5 : se mägis illi dolere, qui Christi misericordia esset in-
dignus. Anders wird das Verbum konstruiert in der Pass. Perp. c. 5
und 6: dolebani causam patris mei und et doluit mihi casus patris mei.
E. Lattes, Etruskische Analogien zu lateinischen Africismen.
Archiv VIII S. 495—499.
Die von Mommsen, Ephena. epigr. IV 520 ff. nachgewiesene Vor-
liebe der Afrikaner für Eigennamen auf osus, ica, itta, dann die von
Kubier hervorgehobene [übrigens nach Ausweis der romanischen Sprachen
allgemein vulgärlateinische] Bevorzuguus? der Adjectiva auf alis und
icius findet in etrusjiiscben Inschriften manche Analogien.
Da Kubier oft Berührun^^en der afrikanischen Inschriftensprache
mit vorhieronymianischen Bibelübersetzungen, mit Min. Felix und der
Passio Perpetuae nachweist, wende ich mich jetzt zu diesen. Bekannt-
nch sind mehrere Bücher des alten Testamentes von Hieronymus nicht
überarbeitet (Röusch, Itala S. 11). Eine Untersuchung der Sprache
mehrerer derselben hat vorgenommen:
Ph. Thiel mann. Die lateinische Übersetzung des Buches der
Weisheit, Archiv VIII S. 235—277.
Der Verfasser beginnt mit der Untersuchung des Wortvorrates,
bespricht S 253 if. das Verhältnis der Übersetzung zur Volkssprache
und giebt S. 257 ff. einen Überblick über die interessantesten Er-
scheinungen auf dem Gebiete der Formenlehre, der Syntax und des
Wortschatzes. Von S. 262 an wird das Verhältnis der Übersetzung
zum Original in eingehendster Weise klar gelegt. Die Abhandlung ist
eine Vorarbeit zu einer mit Unterstützung der bayer. Akademie der
Wissenschaften vorbereiteten kritischen Ausgabe der Bücher Sap., Eccli.,
Judith, Esther und Tobias. Niemand wird ohne Interesse und ohne
reiche Belehrung zu finden, diesen interessanten Beitrag zur ßibelsprache
lesen. Zum schärfsten Widerspruch aber fordert die Methode heraus,
mittels deren provinzielle Verschiedenheiten gesucht und auch in reichster
Fülle gefunden werden. Thielmann überbietet in dieser Hinsicht alles
bisher Dagewesene. Afrikanisch, und zwar Eigentümlichkeit des afrika-
nischen Dialekts — dieser Ausdruck wird oft gebraucht, z. ß. S. 238,
241. 243, 244, 246, 251. 252, 255, 260, 274 — sind nicht nur die Wörter,
die bis jetzt nur bei afrikanischen Autoren (im weitesten Sinne) nach-
gewiesen sind, sondern auch die, welche zuerst bei den Afrikanern (oder
Gellius) auftreten und später auch in andern Provinzen erscheinen; so
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein ISO 1—07. (Geyer.) 81
ist z. B. adinvenio schon deshalb afrikanisch, weil es zuerst bei Ter-
tiillian vorkommt. Afrikanisch sind ferner die Archaismen, die seit
dem Ende der archaischen Periode aus der Litteratur verschwanden,
um dann erst bei den Afrikanern wieder aufzutauchen, selbst wenn diese
Elemente noch in die Zeit des Cicero, ja bis in die erste Kaiserzeit
hineindauern (S. 243). Natürlich erg-iebt sich auch hier wieder ein
naher ,,Zusammeiihang des afrikanischen Dialekts mit der Sprache
Petrons, dem Dialekt von Unteritalien. " Neu ist der Zusanimenhaifg
des afrikanischen Lateins mit dem spanischen (S. 245). Man ist
erstaunt, wenn man dies liest, da über das spanische Latein bis
jetzt so viel wie nichts bekannt war; man wird aber noch weitere
Überraschungen erleben, wenn man weiter liest: „nimietas findet sich
zuerst bei Coluniella, dann bemächtigen sich die Afrikaner des Wortes
und dann auch anderer Schrittsteller. In solchen Reihen spielt nun
hie und da auch Petron eine Kolle, z. B. compeditus Cato, Seu., Petron.,
Min. Fei., Sap. ; minutalia Petron. [Kampaner], TertuU. [Afrikaner],
Marc. Emp. [G-allier]." Damit ist also der Zusammenhang des afrika-
nischen, spanischen und iinteritalischen Dialektes erwiesen! „Auffallend
häufig drängt sich der ältere Plinius in die Gesellschaft: fascinatio
Grell., Plin., Sap.; pertranseo Plin. Sap. [aber auch Silvia dreimal
und oft später]." Thielraann fährt fort: „Ich unterlasse es vorerst,
an diese Thatsache Kombinationen über den Zusammenhang zwischen
afrikanischem und oberitalischera Latein zu knüpfen und führe noch
einige seltene Wörter an, die wieder andere Reihen bilden: attentio
Cic, Quint. (Spanier!) Sap!" Soll damit etwa ein Zusammenhang
zwischen dem römischen, spanischen und afrikanischen Dialekt erwiesen
werden? Zum Schluß nur noch einige Einzelheiten. Turbedo venti
hat mit dem tumor africus nichts zu thun, vgl. turbo ventus bei Plautns,
procella venti bei Lucrez; ebensowenig veste poderis. Da poderes ein
Fremdwort ist, wird es für die Leser durch vestis erklärt. S. 242
wird veneficium für einen Archaismus erklärt, der nur in Afrika fort-
gelebt habe, sonst aber durch maleficium verdrängt worden sei. Li der
lex Salica aber findet sich tit. XXII des Heroldischen Textes (S. 53
ed. Holder) neben maleficium § 1, 2 und 4 im § 3 veneficium. Con-
summare vollenden kann nach Ausweis der Lexika unmöglich für Afrika
charakteristisch sein. Zu cultura (S. 249) Gottesdienst vgl. Min. Fei.
23, 12 und Tert, Scorp. p. 272 (Oehler). S. 250 commemorari sich
erinnern Pass. Perp. c. 7, p. 72, 8. S. 252: refrigerare erquicken (vgl.
Rönsch 378), auch Pass. Perp. 64, 8 und 16; 74, 5 und 16, 82, 8; 86,
1 und 5; sustinere erwarten Pass. Perp. 66, 20; 94, 2. Im coUoq. Harlei.,
Loewe III 644 wird eycu as u7:o[X£vüj übersetzt: ego te sustineo, also
sicher kein Afrikauismus. Ein Irrtum ist (S. 252), daß die romanischen.
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVIII. (1898. Hl.) 6
g2 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891—97. ^Geyer.)
Wörter für verraten auf trudicere zurückgehen, vielmehr sind sie sämtlich
von tradere abgeleitet. Also ist die Vermutung tradictio — npoSocia
Sap. 17, 14 hinfällig.
Die gleichen Vorzüge und Schwächen hat
Ph. Thielmann, Die lateinische llbersetzung des Buches Sirach,
Archiv VIII S. 501—561.
Nachdem zunächst über die Hebraisraen gehandelt worden ist,
welche sich aus dem Original erklären, werden als specifische Afrika-
nismen betrachtet Substantiva mit in privativum [es sind aber sicher
künstliche Bildungen, um die griechischen Wörter d-aiöeu^ta und d-riixta
wiederzugeben], nam und enim = oe [ersteres oft bei Silvia], Wörter,
die bis jetzt nur bei Afrikanern nachgewiesen sind, Elemente, die zuerst
bei Afrikanern auftraten und sich seit dem Ende des 3. Jahrhunderts
[d. h. seit es überhaupt wieder nichtafrikanische Schriftsteller giebt]
über andere Provinzen verbreiten, alle Elemente, die bis jetzt nur im
Buch der Weisheit nachgewiesen sind. Dann werden weiter als für
Afrika charakteristisch behandelt, w'obei gelegentlich wieder das Wort
Dialekt mißbraucht wird, z. B. S. 517 und 542, 1. archaische Elemente,
die aber zum Teil noch bis in die Zeit Ciceros hineinreichen, 2. Zu-
sammenhang mit der Sprache Petrons, 3. Berührung mit dem spanischen,
4. Ähnlichkeiten mit dem oberitalischen Latein. Letztere werden dann
angenommen, wenn ein Wort auch bei Seneca oder Columella, respektive
Plinius , bezeugt ist. Somit ist also das afrikanische Latein verwandt
mit dem unteritalischeu, oberitalischen, spanischen und (nach S. 507)
auch mit dem sardinischen [Lucifer von Cagliari]. Nachdem noch
5. 514 eine Reihe „interessanter" Kombinationen zwischen Afrikanischem,
1 und 2, 1 und 3, 1 und 4, 2 und 3, 2 und 4. 3 und 4, 2 und 3 und 4
angestellt worden sind, „ist damit die These betr. den Zusammenhang
des afrikanischen Dialekts mit dem spanischen und oberitalischen er-
wiesen." Dann wird als afrikanisch bezeichnet die Vertauschung der
Komparationsgrade [dieselbe wird auch überall da angenommen, wo der
lateinische Übersetzer einen anderen Grad anwendet als das griechische
Original], Giäcismen, vokalischei- Vorschlag vor s impurum, der manch-
mal auch wie a gelautet haben soll (!). [Wenn iav tttust); mit si ex-
pueris, zveo) mit aspiro, -dzzu) mit aspergo übersetzt wird, so ist damit
durchaus nicht bewiesen, daß dies nur spuo, spiro, spargo mit Prothese
sein kann, zumal da der Übersetzer nach S. 542 Komposita an Stelle
der Simplicia zu setzen pflegt. Die Lesart des Amiatinus adsparget
ist Rekomposition, wie sie auch in dem S. 551 angeführten obaudio
vorliegt: letzteres hat aber mit Afrika gar nichts zu thuu, vgl. Seel-
mann, Aussprache S. GO]. Es folgen noch Besonderheiten der Wort-
I
Jahresbericht über Vulgär- und Spütlatein hs9l— 97. (Geyer.) 83
bildung uud Verbalkomposition, Besonderheiten der Bedeutung, Züge,
die der afrikanisclie Dialekt mit der sonstigen Volkssi)rache gemeinsam
hat. Der Rest wird noch eingeteilt in Formenlehre, Sjnitax und Wort-
schatz. Wenn coiuscatio von Nonius in der Bedeutung Blitz gebraucht
wird (S. 536), so ist diese Bedeutung damit noch nicht als afrikanisch
erwiesen. Sie findet sich auch bei Hegesipp S. 239 (ed. Jul. Caesar)
und Adamnanus S. 64 und 65 (Tobler-Mol.). Zu duo et duo (S. 547)
vgl. das nur aus Silvia und der visio Pauli nachgewiesene unus et unus,
Journal of Philology 1894, S. 190. Zu facere = degere (S. 534) und
zu dem von den Lexikographen vernachlässigten adiutorium finden sich
reiche Nachweise ebendort S. 196 und 187; se tricare Visio Pauli 28, 7.
Gegen die Annahme, daß die Verba auf ficare speciell afrikanische
Bildungen seien (S. 512) hat sich Mommsen ausgesprochen, Rom. Gesch.
V S. 658. Der merkwürdige S. 504 und 543 besprochene Gebrauch
von post mit Verben der Bewegung ^- griech. jj-exa ist eher ein Gräcis-
mus, zuerst bei Pallad. r. r. 8, 3, vgl. Bonnet, S. 591.
Derselbe, Die europäischen Bestandteile des lateinischen Sirach,
Archiv IX S. 247—84.
Es wird der überzeugende Nachweis geführt, daß Sirach c. 44—50
(S-) von einem anderen Übersetzer herrühre als c. 1 — 43 nebst 51.
So ist das Verhältnis von nam zu enim in S^ — 7 : 150, in S^ = 11 : 6;
S^ gebraucht donec für bis, S- usquedum; S^ vero, S^ autem; S^ quia,
S- quoniam u. s. w. Dagegen wäre statt der pikanten Bezeichnung
afrikanischer und europäischer Charakter der Sprache vorzuziehen die
Gegenüberstellung der volkstümlicheren Sprache von S^ und der ele-
ganteren, korrekteren von S-, zu der S. 256 einmal ein Anlauf ge-
nommen wird; so gebraucht S' mitto -- ßaÄXcu, pietas für Mitleid, agnosco
[mit den Script, bist. Aug., z. B. Trig. Tyr. 30, 23] für cognosco, während
in S- nach korrektem Sprachgebrauch dieselben Wörter schicken, Frömmig-
keit u. 3. w. bedeuten. Es liegt also kein Unterschied der Heimat
beider Schriftsteller vor, sondern des Bildungsgrades. Der Verfasser
ist seiner Hypothese zuliebe genötigt, verschiedene Ausdrücke, die er
sonst als Afrikanismea erklärt, künstlich hinwegzudeuten, z. B. filius
I sensatus, consummatio, adimplere, constitutus = üiv. Wenn S. 280 ver-
mutet wird, der Verfasser von S^ habe beide Teile zu einem Ganzen
zusammengefügt, so steht dies in Widerspruch mit S. 250: „Weshalb
fehlt 44, 1 die verbindende Partikel (or^)? Doch wohl, weil der zweite
Übersetzer seine Arbeit nicht mit einer aufs vorangehende hinweisenden
Konjunktion eröffnen w^ollte.''
Afrikanischer Ursprung wurde auch angenommen für die von
D. Germauus Morin entdeckte und in den Anecdota Maredsolana vol. II,
34 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891—97. (Geyer,)
Oxoniae 1894 veröffentlichte altlateiuische Übersetzung des Briefes
des b. Clemens an die Korinther von
J. Haußleiter, Archiv IX S. 152—154 und in Luthardts Theolo-
gischem Litteraturblatt 1894, S. 171—174, indem er eine Anzahl Aus-
drücke nachweist, die mit dem, was man gewöhnlich afrikanisches Latein
zu nennen pflegt, übereinstimmen. Dagegen urteilt
A. Harnack, Neue Studien zur jüngst entdeckten Übersetzung
des ersten Clemeusbriefes, Sitzungsberichte der Berliner Akademie
der Wissenschaften vom 20. Juni 1894,
der die Übersetzung ins zweite Jahrhundert setzt, gefertigt für die Vor-
lesung iil der Gemeinde, jedenfalls in Rom selbst: „Für Afrika spricht
nichts." Eben derselben Ansicht ist
E. Wölfflin, Die lateinische Übersetzung des Briefes des Clemens
an die Korinther, Archiv IX S. 81—100.
Mit gewohnter Meisterschaft entwirft er ein Bild von dem sprach-
lichen Charakter dieser für die Geschichte des Kirchenlateins hochwich-
tigen Übersetzung, die er nicht wie der Herausgeber ins Jahr 150,
sondern in die Zeit nach Tertullian setzt. Daß sein Urteil über afrika-
nisches Latein nicht mit dem seiner Schüler übereinstimmt, ist aus dem
Satze ersichtlich: „In welchem Lande die Übersetzung geschrieben sei,
ist uns noch nicht klar. Wenn sie auch zahlreiche Beziehungen mit
derjenigen altchristlichen Litteratur zeigt, die man heute
meist als afrikanisch bezeichnet, so muß doch, bevor wir auf
dieser These weiterbauen, aus Novatian und anderen Quellen zusammen-
gestellt werden, worin sich das Kirchenlatein Italiens von dem Afrikas
unterscheidet." — Nach einer Darstellung der lexikalischen und S5'n-
taktischen Gräcismen wird gezeigt, auf welche Weise die zusammen-
gesetzten griechischen Nomina, die Komposita mit a privativum, die
Adj. verb. auf to;, die Part. aor. act. im Lateinischen wiedergegeben
werden. Daß der Verfasser lateinischer Zunge war, dafür sprechen die
vielen Mißverständnisse des Griechischen und der Gebrauch der Allite-
ration. Vulgarismen sind: silvestrae, sinceres, gen. uni, dat. alio und
toto, facietur und ähnliche Formen; se ducere, portare für ferre, cibare
speisen. Ex ist im Aussterben begriffen, ita wird durch sie verdrängt,
parvus ist untergegangen. Wenn § 51, 2 von den Gottesfürchtigen
gesagt wird sauxouc OeXooaiv fj.5XXov aixiaic -epiztTzxetv r) xouf rXTjsiov se
volunt magis quaestionibns vexari (so Weyraan für vagari) et comraittere
quam proximos, so scheint mir, daß der Übersetzer cttTiaic statt aixt'ai;
gelesen hat, vgl. Plato Theaet. 150 A £-!; aitiav i[i.-i-T£iv.
Dagegen wird jetzt allgemein als Afrikaner betrachtet Minucius
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891—97. (Geyer.) 85
Felix. Die immer noch umstrittene Frage, ob er vor oder nach Ter-
tullian geschrieben bat, hat wohl Veranlassung gegeben, daß die Sprache
des Minucius Felix so fleißig studiert wurde. Es liegen darüber mehrere
Abhandlungen vor.
Ed. wölfflin, Minucius Felix. Ein Beitrag zur Kenntnis des
afrikanischen Lateins. Archiv VII S. 467 — 484.
Bernhard Seiller, De sermone Minuciano, Augsburg 1893,
"Würzburger Dissertation. 54 S. 8.
Floß, Der Sprachgebrauch des Minucius Felix, Borna 1894,
Programm des städtischen Realgymnasiums. 28 S. 4.
Wölfflin sucht den afrikanischen Ursprung des Octavius plausibel
zu machen durch den Nachweis zahlreicher Archaismen, die sich in
Afrika länger erhalten haben sollen als anderswo ; solche werden nach-
gewiesen im Grebrauch der Substantiva, Adjektiva, Verba, Präpositionen
und auf syntaktischem Gebiet. Freilich muß Verf. es unentschieden
lassen, ob Minucius in Afrika geboren sei oder nur insofern Afrikaner,
als er nicht ausschließlich von Cicero beeinflußt ist, sondern auch unter
dem Bann der archaischen Geschmacksrichtung steht, welche durch
Fronto und Apulejus ihren Höhepunkt erreichte. Zum passiven Gre-
brauch der Deponentia bei Minucius trage ich nach: confessae imperitiae
13, 2; c. probitatis 14, 7; (coni. Baehrens) ariditate mentita 34, 11.
Neben der Ellipse crastino 40, 2 findet sich in hodiernum 21, 7, wie
Tert. Apol. 40 hodiernum = hodie. Zur Umschreibung des Genetivs
mit de gehört auch 2, 3 curatio de lavacris marinis, während 7, 5 prae-
dicta de oraculis fata de den Instrumentalis umschreibt. 38, 4, wo
überliefert ist securi dei nostri liberalitate ist vielleicht zu lesen de
dei n. 1. Identischer Genetiv liegt kaum vor in effusae orationis Im-
petus oder in imperitiae caecitas. Ein zweigliedriges Asyndeton ist
nicht anzunehmen 11,8 quis unus ullus remeavit, vgl. Draeger, Hist.
Syntax, 2. Aufl. § 49 d. Hibernum = hiems steht außer 34, 11 auch
17, 7 ; solummodo findet sich vor Min. und Tertull. schon beim Juristen
Celsus nach Kalb, Roms Juristen 8. 47 und 101. Ipse = idem ist kein
Punismus, sondern eher ein Gräcismus, der auch bei Silvia öfters vor-
kommt, z. B. 36, 8; 4], 6; 43, 19; 109, 19 (Gam. '). Auch der Ge-
brauch von toti für omnes beweist nichts für Afrika, vgl. Schmalz in
I. Müllers Handbuch 11^ S. 380. Allgemein vulgär ist proximius 19, 2.
Zur Veitauschung der Grade Ist vielleicht noch zu ziehen 24, 3; 32, 3;
34, 6; 34, 12 cuius quanto iudicium tardum, tanto magis iustura est,
vgl Sittl, Lok, Versch. S. 117.
Bernhard Seiller sacht durch eine unmögliche Deutung der Stelle
36 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1801 — 07. (Geyer.)
37, 7 ein neues indicinni für die Abfassungszeit zu gewinnen: in hoc
adeo quidani imperiis ac dominationibus eriguntur, ut Imperium eorum
perditae mentis (Seiler liest mit ßigalt. mentes) licentiae (Seiler mit
Rigalt. licentia) potestatis libere nundinentur. Das soll heißen : „Ja,
es gelangen sogar einige deswegen zu hoher Macht, damit mit ihrem
Talente verdorbene Geister ungebunden schachern." Die perditae
mentes sollen die Cj'niker Cr.escentius und Proteus sein, die mit ihrem
Rat den Marc Aurel gegen die Christen einnahmen! Wie perdita mens
zu verstehen ist, zeigt Firm. 8, 5 mens perdita et sceleratae cupiditatis
laqueis implicata, und daß ingenium perditae mentis zusammengehört,
sieht man aus Salvian E III, 30 ingenium iureligiosae mentis. Ferner
heißt licentia potestatis nimmermehr quod per potestatem licet, vgl.
Arnob. I, 46 non honore nominis, sed maioris licentia potestatis. Ich
übersetze: „daß ihren angeborenen verworfenen Charakter die Willkür-
handlungen der Macht frei zu Markte tragen," d. h. daß ihre an-
geborene innere Verworfenheit auch durch äußere Handlungen zu
Tage tritt.
Ebensowenig ist eine Anspielung auf die Hofphilosopheu heraus-
zulesen aus 38, 5, wo Seiller mit dem von ihm sonst so oft wegen seiner
temeritas getadelten ßährens quos adulteros novimus et tjTannos ändert
quos adulatores novimus in tyrannos (M. Aurel und L. Verus).
Dies paßt freilich schlecht zu der S. 9 aufgestellten Annahme, die
Schrift sei eine dem Kaiser eingereichte Apologie, um ihn für die
Christen günstig zu stimmen, ebensowenig als die wenig schmeichelhafte
Beziehung auf M. Aurel 14, 6 ita ut in execrationem et odium homi-
num plerique simpliciores efferantur. Die eigenen Yermntangen
Seillers sind sämtlich unglücklich, z. B. c. 28, 7 deauratis statt deco-
ratis, wie Rigalt. so schön das überlieferte devoratis verbessert hat.
Unmöglich ist die Erklärung zu 18, 6, daß ob bedeute: wo es sich
handelt um. 20, 5 hat Seiller die schöne Konjektur Cornelissens, von
der er sagt 'quid ineptius tali emendatione' , ebensowenig verstanden,
wie 34, 1 die ansprechende Vermutung Dombarts.
In der im ersten Teile angestellten Vergleichung mit der Sprache
Ciceros sollten doch vor allem die Änderungen beleuchtet werden, die
Min. an den von ihm ausgeschriebenen Stellen Ciceros vorgenommen
hat, z. B. Min. 17, 6 — Cic nat. d. II, 115. Min. 17, 4 — Cic. n. d.
n, 4. Min. 8, 2 — Cic. I, 63. Min. 19, 4 — Cic. I, 25. Min. 19, 5;
19, 8; 19, 10 — Cic. I, 26; 29; 37. Ganz verfehlt ist der im zweiten
Teil versuchte Nachweis, daß die Sprache des Minucius von der Itala
beeinflußt sei. Für experimentum Kampf c. 37, 2 wird auf eine Stelle
der Itala verwiesen, wo sich piraterium findet. Warum nicht lieber
auf Tertull. Scorp. c. 6 cum adversario experiri und ebenda in studio-
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein IS'Ji— 97, (Geyer.) 87
rum experiraentnm committere artes? Genitura 36, 2 ist ganz anderer
Art als liber irenitiuae , Itala Math. I, 1, da es bei Min. in astrolo-
gischem Sinne gebraucht ist. Mit dem sernio cotidianus haben kühne
Neubildungen wie indemutabilis, sapientialis, incoacupiscendus bei Tert.
und Apulejus nichts gemeinsam. Ich breche mit meinen Ausstellungen,
zu denen ich noch eine stattliche Liste falscher Citate fügen könnte,
hier ab.
Referent hat in einer Miscelle
Oratio Gebet, Archiv f. lat. Lexik. IX S. 586 die Annahme dieser
Bedeutung, sowie die von incendium = Weihrauch, die ebenfalls Seiller
aufstellt, widerlegt.
Noch unbedeutender als die Dissertation von Seiller ist das Pro-
gramm von Plori. Ein Dilettant unternimmt es, die von Sittl in seinen
Lokalen Verschiedenheiten aufgestellten Kennzeichen des afrikanischen
Lateins auf Min. Felix zu übertragen, llanche pointierte Wendungen
sind aus Sittl ohne weiteres herübergenommen, so der unglückliche Aus-
druck, daß Consentius schon den Versuch einer lateinischen Dialekto-
logie gemacht habe. Zuerst werden Reminiecenzen aus lateinischen
und griechischen Schriftstellern aufgeführt, wobei beispielsweise me
remordet oratio tua eine Anspielung auf das lucianische i^T^y\)r^w toic
rotpa aoü Xo^otc sein soll, während doch schon Livius remordere ganz
ebenso gebraucht. Auch die Schlüsse, die aus dem Vergleich mit
Cicero gezogen werden, sind teilweise unrichtig. Wenn z. B. Cicero
sagt biduum petivit oder numerum duplicavit, Minucius dagegen biduum
prorogavit und alterum tantum adiuuxit, so kann man daraus nicht
erkennen, welche Veränderung die Sprache in den 250 Jahren seit
Ciceros Tod erfahren hat, sondern nur, daß man dasselbe auf ver-
schiedene Art ausdrücken kann. Für die Behauptung S. 10, daß Plinius,
Seneca, Livius und Sallust die sprachlichen Vorbilder des Minucius seien,
fehlt jeder Beweis. Die Sprache des Minucius soll behandelt werden
in einem lexikalischen (ein Specialworterbuch zu M. F. soll folgen),
stilistischen und grammatikalischen Teil. Zu den geschmacklosen Um-
schreibungen, zu welchen manchmal das poetische Kolorit ausarte, wird
gerechnet iutentio mentis (schon Quintil.) und petrarum obices (obice
saxi Verg., obices saxorum Tacit., obices viarum Liv.). Sehr weitgehend
ist der Verf. in der Annahme punisch-semitischer Einflüsse, zu welchen
z. B. auch die Verwendung von autiquitas, convivium, aetas moUior
u. s. w. statt der entsprechenden persönlichen Begriffe gerechnet wird.
Ein Beweis für die dem afrikanischen Latein eigentümliche Abnutzung
der Steigerungsgrade wird darin gefunden, daß an einigen Stellen
saepius steht, wo ebensogut saepe gesetzt sein könnte.
88 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891— H7. (Geyer.)
Die Frage ob Minucius Felix vor oder uach Tertulliau geschrieben
habe, ist meines Erachtens endgültig entschieden durch
E. Norden, De Minucii Felicis aetate et genere dicendi. Uni-
versitätsprogramm. Greifswalde 1897. 62 S. 8.
Wenn Minucius 21, 4 als Gewährsmänner dafür, daß Saturn ein
Mensch gewesen sei, Nepos und Cassius anfülirt, Tertullian dagegen
Cornelius Nepos und Cassius Severus nennt, so setzt er fälschlich das
cognomen Severus hinzu statt Hemina. Hätte nun Minucius aus Ter-
tullian geschöpft und ihn verbessern wollen, so hätte er doch sicher
nicht das unrichtige coguomen Severus weggelassen, sondern das rich-
tige Hemina dafür gesetzt. Dagegen hat umgekehrt Tertullian den
Minucius korrigieren wollen, indem er daran Anstoß nahm, daß das
cognomen Nepos dem nomen gentis Cassius entgegengestellt wird; daher
hat er beide Namen ergänzt, dabei aber im Beinamen des Cassius eine
Verwechselung begangen. Ebenso hat der Verfasser noch zwei anderen
Stelleu neue Beweise tür die Priorität des Octavius abzugewinnen ver-
mocht. Der zweite Teil der Abhandlung 15 — 62 hat die Sprache zum
Gegenstand. Verf. giebt zu, daß Minucius Afrikaner sei, aber nicht
in dem Sinne, daß seine Sprache noch Spuren von dem exotischen Ur-
sprung des Autors zeige; im Gegenteil, derselbe ist wie Apulejus voll-
ständig vertraut mit allen Kunstmitteln, welche die griechischen und
nach ihrem Vorbild auch die lateinischen Redekünstler seiner Zeit an-
wandten. Vor allem strebt er nach Concinnität des Ausdruckes, weshalb
ihm Caecilius 14, 2 ein besonderes Kompliment macht. Dieser zuliebe
hat er manchen kühnen Ausdruck, manche seltene Konstruktion ge-
wagt, an welchen die Herausgeber dann herumkorrigiert haben. In
ähnlicher "Weise wird auch die Verwendung des 2-, 3-, 4-, 5 gliedrigen
Asyndeton zur Verteidigung angefochtener Stellen benutzt und die Ge-
schichte dieser Kunstmittel bei griechischen und lateinischen Autoren
verfolgt. Das Hauptverdienst dieser Abhandlung beruht auf der ein-
gehenden Erklärung der rhetorischen Kunstmittel, ein Moment, welches
bisher bei Untersuchung des Sprachgebrauchs der Autoreu gegenüber
dem Vokabular über Gebühr vernachlässigt worden ist, und in dem
Nachweis der engen Beziehungen zwischen griechischen und lateinischen
Autoren derselben Zeit.
J. Armitage Robinson, The Passion of S. Perpetua with an
appendix on the Scillitan Martyrdom (texts and studies, contributions
to biblical and patristic literature). Cambridge 1891.
Durch die Entdeckung der vollständigen griechischen Übersetzung
der Passio Perpetuae ist dies älteste Denkmal der christlichen Kirche
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein I8i»l — 97, (Geyer.) 89
Afrikas wieder in den Mittelpunkt des Interesses gerückt worden. Der
lateinische Originaltext wird liier mit der gegenüberstehenden griechi-
schen Übersetzung in mustergültiger Weise veröffentlicht. Für die
Emendation bleibt immerhin noch einiges zu thun übrig; so ist 62, 5
administratur = administrator, vgl. Archiv 1X577; 76, 12 und 13
ist mit A favisores statt fautores zu schreiben; 64, 5 überliefert BC
richtig profectus est, wie aus dem folgenden paucis diebus, quod car
uissem patrem hervorgeht; 64, 14 ist zu verbinden Ibi tunc, vgl. Plaut.
Cure. 648 (Fleckeisen); 84, 18 schreibe etsi indigni statt indigne.
74, 3 ist die ganze Schwierigkeit gehoben, wenn mauere in der Bedeu-
tung „übernachten" gefaßt wird; 86, 13 ist statt uobis mit BC vobis
zu schreiben. S. 43—47 wird der Versuch gemacht, innerhalb der
Schrift stilistische Unterschiede nachzuweisen zwischen der Schreibweise
Perpetuas, der der visio des Saturus und der des Redaktors. Michts
beweist die statistische Bemerkung, daß Perpetua et 152 mal auf
172 Zeilen, Saturus 57 mal auf 52 Zeilen, der Redaktor 90 mal auf
170 Zeilen gebrauchen; denn es (Jurfte nicht die Schreibweise Perpetuas
überhaupt mit der der visio Saturi, sondern nur die Schilderung der visio
Perpetuae mit der des Saturus verglichen werden, da die beschreibende
Darstellung einer Vision naturgemäß einen viel häufigeren Gebrauch
der Konjunktion et mit sich bringt, schon deshalb, weil sie sich der
biblischen Sprache mehr nähert. In der visio Perpetuae finden wir
41 et auf 34 Zeilen, in der des Saturus 57, darunter zwei in der Be-
deutung auch (76, 11 und 80, 26) auf 52 Zeilen. Damit soll nicht ge-
leugnet werden, daß wirklich sprachliche Unterschiede stattfinden,
sondern nur die Methode der Untersuchung bekämpft werden. Unter-
schiede glaubte ich zu bemerken in der Verwendung der in ihrer Be-
deutung meist ganz gleichen Pronomina hie, is, ipse und ille, da findet
sich denn bei
Perpetua (191 Zeilen) Saturus (52 Zeilen) Redaktor (167 Zeilen)
hie 13 mal ille 10 mal ille 17 mal
ille 13 mal is 3 mal is 12 mal
is 1 1 mal hie 2 mal hie 7 mal
ipse 7 mal ipse 2 mal ipse 6 mal
Idem steht bei Saturus einmal (80, 7), beim Redaktor 6 mal, 62, 5
und 86, 9 zeigen sich schon Spuren der Entwertung, sicher 86, 2 und
90, 4. Bei Perpetua 72, 10 ist idem durch ipse ersetzt, welches letztere
68, 1 und 66, 14 zum Artikel herabgesunken ist. Bei Perpetua wird
also am häufigsten hie und ille gebraucht, dem is zunächst kommt, bei
Saturus ist das beliebteste Demonstrativ ille, doppelt so oft gebraucht
als hie und is zusammen, beim Redaktor tritt hie ebenfalls zurück,
aber dem Gebrauch von iUe kommt der von is nahe. Wenn der Heraus-
90 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1801 — 07. (Geyer.)
geber das Fehlen von Africismeu konstatiert, so bat er mit Recht
darauf verzichtet, die gewöhnlich als solche bezeichneten Erscheinungen
als Africismeu anzuerkennen: solche wären etwa ipse -- idera 72, 10;
insiguiores -^ l-tcpaveoTa-at 82, 16; Terminus ubi statt quo: 76, 6 und
92, 19; Verbum desuperlativum proximare 74, 16; sustineo = TtepifjLevo)
66, 20 und 94, 2 u. s. w. Trotz vielfacher Berührungen mit der Sprache
Tertullians kann TertuUian als Verfasser der Schrift nicht als erwiesen
betrachtet werden. In dem dankenswerten Index vermisse ich unter
anderem caseum als Neutrum 68, 7 , desgl. ramum 76, 12. Ersteres
auch bei Anthimus 79 und 80, Isidor, Oribasius; umgekehrt sollte pulpitum
statt pulpitus im Index stehen. Es fehlen ferner favisor, misereor mit
Dativ und die höchst seltene Konstruktion commanducans adhuc dulcis
nescio quid, vgl. Dräger bist. Syntax I S. 453. Zu cremare foltern
vgl. Vict. Vit. II 24 cremantes gravi suspendio, ähnlich III, 26; dagegen
cruciantes suspendio III, 31.
C. Weyman, Zu den Acta Perpetuae, Archiv VIII S. 589.
E. Wölfflin, Beneficio — merito ebendaselbst S. 590.
Derselbe, Vitio mit Gen. = propter, Archiv X S. 452.
Die auffallende Verbindung: aestus validus turbarum beneficio Act.
Perp. 3 beruht nicht, wie Hilgeufeld, Berliner philol. Wochenschrift
1892 S. 1262, annimmt, auf mißlungener Übersetzung eines hebräischen
Originals, sondern ist echt lateinisch, schon Quint. declam. 1, 1 und
2, 24 , vgl. Archiv VIII 611. Die allmähliche Übertragung von bene-
ficio auf ungünstige Eigenschaften geht parallel mit der entsprechenden
von merito.
Eine Abhandlung über die Sprache des Schöpfers des christlichen
Lateins ist in hiesiger Universitätsbibliothek noch nicht eingelaufen:
Henr. Hoppe, De sermone Tertullianeo. Diss. inaug. Marburg.
Chatt. 1897. 84 pp. 8.
Da die neuerdings vielfach angestellten Untersuchungen über die
zweifelhaften Schriften Cyprians auch mit sprachlichen Argumenten
operieren, so sollen sie auch an dieser Stelle Erwähnung finden.
Sebastian Matzinger, Des h. Thascius Caecilius Cyprianus
Tractat: „De bouo pudicitiae". Progr. des Alten Gymn. Nürnberg
1892. 47 S. 8.
E. Wölfflin, Cyprianus de spectaculis. Archiv VIII S. 1—22.
Adalbert Demmler, Über den Verfasser der unter Cyprians
Namen überlieferten Traktate 'De bono pudicitiae' und 'De specta-
culis'. ilünchener Dissertation. Tübingen 1894. 55 S. 8.
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891—07. ^Geyer.) 91
Während \VüIfflin den Traktat de spectaculis und Matzinger die
Schrift de bono pudicitiae wegen ihres sprachlichen Charakters dem
Cj'prian zuzuschreiben geneigt sind, hat Haußleiter im Theologischen
Litteraturblatt 1892 S. 431 den Nachweis geführt, daß wegen der von
Cyprian abweichenden Bibelcitate beide Traktate nicht von diesem ver-
faßt sein können, und Weyman im Historischen Jahrbuch der Görres-
gesellschaft XIII S. 737 ff. beide Schriften dem Novatian beigelegt,
indem er sprachliche Parallelen zwischen unseren Traktaten und Novatians
Schriften nachweist. Demmler sucht nun die inneren Gründe We3'mans
durch weitere sprachliche Gründe zu unterstützen und zeiqt, daß eine
Anzahl Ausdrücke, die Matzinger und Wölftlin als speciell cyprianisch
betrachten, auch bei Novatian sich finden; mit dessen Sprachgebrauch
decken sich eine Reihe von Eigentümlichkeiten, die aus der Sprache
Cyprians nicht zu belegen waren oder ihr zu widersprechen schienen.
Die unstreitigen Übereinstimmungen mit Cyprian in Sprache und Ge-
danken erklären sich daraus, daß Novatian auch sonst sich den Cyprian
/um Vorbild genommen hat und daß beide Nachahmer Tertullians waren.
Natürlich sind die Stellen, welche die Autorschaft Novatians beweisen
sollen, von veischiedeuem Werte. Ausdrücke wie praecepta divina
(S. 29), proferre, antiqua praecepta Pud. 5 und antiqua severitas Ep. 30, 2
(S. 30), eflfectus est =- factus est, Stimulus und fructus in bildlichem
Sinne (S. 31), graviter affligere (S. 36) und noch manche andere sind
zu alltäglich, als daß sie irgend eine Beweiskraft haben könnten; sie
können höchstens als Verstärkung beweiskräftigeren Materials dienen.
Ruinas sarcire Pud. 13 hat mit maeroris sarcina Ep. 36, 1 nichts zu
thun: pudori parcatur ist kaum als beabsichtigte Allitteration zu be-
trachten. Dem Superlativ nachgestelltes satis findet sich außer an der
bei Matzinger S. 23 Anm. 72 und Demmler S. 26 Anm. 1 angeführten
Hegesippstelle auch bei Silvia S. 57, 5 aquae optimae satis und 59, 16;
ebendaselbst auch öfter missa als kirchliche Entlassungsformel, was
mit dem erstmaligen Vorkommen bei dem gleichzeitigen Ambrosius
(Demmler S. 41 Anm. 3) wohl stimmt. Jedenfalls ist die Annahme,
Cyprian sei der Verfasser der fraglichen Schriften, als endgültig beseitigt
zu betrachten, wenn auch die Autorschaft Novatians keineswegs feststeht.
Aach E. W. Watson spricht sich in seiner Abhandlung: The
style of St. Cyprian Studia biblica et ecclesiastica , Essays shiefly in
biblical and patristic criticism by members of the University of Oxford.
Vol. IV Oxford a the Clarendon Press 1896 p. 189—324, p. 194
Anm. 1 in dem Sinn aus, daß diese beiden Traktate sowie Quod idola
dii non sint nicht von Cyprian herrühren können. Überhaupt sei auf
diese ausgezeichnete Arbeit hiermit besonders aufmerksam gemacht.
Leider hat der Verfasser aus Rücksicht auf den Raum seine Beob-
92 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891—97. (Geyer.)
aclitnii<ien über die Sj'iitax Cyprians sowie zahlreiche Beziehungen zu
gleichartigen Schriftstellern beiseite lassen müssen; er beschränkt sich
auf eine Darstellung des rhetorischen Charakters der Sprache, der auf-
fallend an Apulejus erinnert, und der theologischen Terminologie. Gerade
dieser erstere Gesichtspunkt ist bis jetzt über der Erforschung des
Wortgebranchs vernachlässigt worden. In der Betonung des rhetorischen
Elementes berührt sich Watson mit Norden, verspricht sich aber
von einem Vergleich des Stils verschiedener Autoren mit den Lehr-
büchern der Rhetorik gesichertere Resultate für die Erkenntnis lokaler
Verschiedenheiten als das Studium des Wortgebrauches bisher ergeben
hat. Seiner gesunden Anschauungen über afrikanisches Latein ist obea
schon Erwähnung gethan worden.
Roland Herkenrath, Gerundii et Gerundivi apud Plautum et
Cyprianum usum comparavit R. H. Prag, H. Dominicus, 1894, Prager
Studien aus dem Gebiete der klassischen Altertumswissenschaften,
Heft II, 114 S. 8.
Es ist zunächst ein äußerer Grund, der den Verfasser zu dieser
so befremdlich erscheinenden Vergleichung veranlaßt : daß nämlich beide
Schriftsteller in neuen kritischen Ausgaben vorliegen. Da der eine
dem Beginn, der andere mehr dem Ende der römischen Litteratur an-
gehört, wird gleichsam an Durchschnitten gezeigt, wie das Gerundium
und Gerundivum sich geschichtlich entwickelt haben. Ob freilich durch
ein so äußerliches Verfahren das Verständnis der geschichtlichen Ent-
wickelung wesentlich gefördert wird, ist eine andere Frage, wenn man
in Anschlag bringt, daß der eine ein plebeischer Dichter, der andere
ein gewandter Rhetor war.
Der Verfasser, der in bezug auf die Auffassung des Gerundiums
im wesentlichen auf dem Standpunkt Weisweilers steht, hat den Stoff
mit großem Fleiß gesammelt und sorgfältig disponiert, manchmal, wie
bei der Unterscheidung der verschiedenen Arten der Notwendigkeit,
die das Gerundiv ausdrückt, fast zu scharfe Unterschiede zu konstatieren
gesucht, und liefert in der Besprechung einzelner Stellen wertvolle Bei-
träge zur Kritik und Erklärung beider Autoren. Fremd ist dem guten
Stilisten Cyprian noch die sonst im Spätlatein häufige Verwendung des
Gerundiums als Ersatz für den Inf. Fut. pass. Zum Ausdruck der
Möglichkeit dient es nur selten in positiven Sätzen. Sehr überhand
hat bei ihm bereits genommen der attributive Gebrauch des Gerundi-
vnms , der finale im Dativ und vor allem der modale im Ablativ, von
dem sich bei Plautus nur recht schwache Ansätze finden — denn die
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891—07. (Geyer.) 93
S. 99 f. angeführten Beispiele lassen sich zum Teil als instrumentale
Ablative erklären. Im Gebrauch des Genetivs des Genindiums ist die
große Zahl und Mannigfaltigkeit der regierenden Substantive bei Cyprian
bemerkenswert. Wenn kein besonderer Grund für das Gegenteil vor-
liegt, wird bei Cj'priau das Gerundiv seinem Substantiv vorangestellt.
Eine dankenswerte Zusammenfassung erleichtert den Überblick über
den reichen Inhalt.
C. Stange, De Arnobiana oratione: I. De verbis ex vetusto et
vulgari sermone depromptis. II. De clausula Arnobiana. Programm
von Saargemünd 1893. 36 S. 4.
Nachdem die Substantiva, Adjektiva, Adverbia und Verba auf-
geführt sind, welche der gelehrte Rhetor altlateiuischeu Schriftstellern
entlehnt hat, wobei besonders die große Zahl Substantiva auffällt,
welche er dem Lukrez verdankt, werden die Wörter zusammengestellt,
welche der Umgangssprache entlehnt zu sein scheinen. Ist dies bei
einer größeren Anzahl schon wegen der Bedeutung wahrscheinlich, wie
z. B. bei den Namen von Gebacken, Handwerkszeugen, Gegenständen des
Opferkultus, so spricht bei anderen für diese Annahme der Umstand,
daß sie sonst nur noch bei Autoren wie Vitruv, Marcellus Erapiricus,
in den Digesten oder in der Vulgata vorkommen. Natürlich ist es bei
vielen Wörtern recht zweifelhaft, ob sie als Vulgarismen zu betrachten
^ind, z. B. bei innovatio (auch Apul. Apol. 30), inaequabilitas (Varro
1. 1. 9, 1). Das sonst nicht bezeugte Adverbium propriatim erinnert
an das Inkrezische propritim (Archiv VIII 87 und 103). Zu
cilo fehlt Verweisung auf Archiv V 66, zu den Inteusivbildungen
auf Archiv IV 209, wo Arnobius ausdrücklich unter den Afrikanern
genannt wird, die Neubildungen gewagt haben. Zweckmäßig
wäre es gewesen, die nur bei Arnobius vorkommenden Wörter
zu kennzeichnen. Manche Angaben sind wegen ihrer Kürze irreführend;
so findet sich flatura nicht nur bei Vitruv, sondern auch bei Petron
Plin. und in Inschriften. Foliolum fehlt nicht, wie angegeben wird, in
den Lexicis. Außer bei Apul. herb. 61 steht es auch bei Greg. Tur.
h. Fr. 427, 15 und 428, 15 (Xc. 16); frustillura steht bei Silvia S. 59, 3
(frustella) und bei Marc. Emp. , bei letzterem auch caepitium in der
Form ceputius 6, 2 und 20, 61 ; subversio nicht nur einmal in der
Vulgata, sondern öfters im Buch Sirach (Rönsch, Itala S. 78) und bei
Silvia, supputatio nicht nur einmal bei Vitruv. sondern außer den bei
Georges angeführten Stellen auch Sulp. Sev. Chron. 29; Greg. Tur. h.
Fr. Xc. 31, salsamen auch gloss. Labb., zu opitulatio vgl. Rönsch,
Itala, S. 76.
94 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891—97. (Geyer.)
Joannes Scharnagl, De Arnobii niaioris latinitate, Part. I.
Programm von Graz 1894. 45 S. 8.
Derselbe: Part. IL Graz 1895. 40 S. 8.
Der erste Teil bietet einen weit vollständigeren Index verborum
als die Reifferscheidsche Ausgabe. Sehr praktisch ist, daß durch ver-
schiedene Zeichen dem Auge gleich kenntlich gemacht wird, was sich
bei Arnobius allein findet, was in der 7. Auflage des Wörterbuches
von Georges fehlt (es sind dies meist Eisentüralichkeiten der Bedeutung,
während in bezug auf die Form sehr wenig nachzutragen blieb), Wörter,
die dort zwar stehen, aber nicht aus Arnobius belegt sind. Es werden
in drei Kapiteln behandelt: I. Wörter, die bei Cicero nicht vorkommen
oder der archaischen, poetischen oder Umgangssprache anzugehören
scheinen, ohne daß, wie in der Arbeit von Stange, der Versuch gemacht
wird, diese doch sehr disparaten Kategorien voneinander zu scheiden.
II. Wörter, deren Bedeutung von der gewöhnlichen abweicht. III. Be-
sonderheiten der Flexion.
Im zweiten Teil werden reichhaltige, aber niclit immer sehr über-
sichtlich geordnete Zusammenstellungen des syntaktischen und stilistischen
Sprachgebrauchs mitgeteilt: so wird wohl nicht leicht jemand Beispiele
für das Präpositionalattribut in dem Kapitel de praepositionibus suchen»
in welchem es überhaupt an Ordnung fehlt; desgleichen fuerit (-= erit)
factum unter der Rubrik de participiis. Für den identischen Genetiv
(S. 30) ließen sich noch mehr Beispiele anführen, z. B. 129, 12 taciturni-
tatis silentio. Ob in instituti veris auctoribus ein Dativ zu erkennen
ist, erscheint sehr zweifelhaft; sicher liegt nicht Dativ, sondern Ablativ
vyr 234, 28 cassa sunt (templa) et nullis habitatoribus tecta, verglichen
mit 231, 27 aedituis mille protegitis atque excubitoribus mille. Un-
richtig ist zu 51, 9 cum innumeri cruciatus impendeant credituris an-
genommen, das Participium futuri sei statt des Part, praes. gesetzt.
Der Gedanke ist: Obwohl ihnen, wenn sie gläubig werden, unzählige
Martern bevorstehen , lassen sie sich dadurch doch nicht abhalten, das
Christentum anzunehmen. Das Participium des Futurs ist vollkommen be-
rechtigt, da auch impendeant futuralen Sinn hat. 58, 23 ist irrtümlich
unter die Beispiele für Wechsel des modus geraten, da beide Male f^^qui
sibi adsumit und qui retur) der Indikativ steht. Zur Umschreibung des
Ablativ, comp, mit ab vgl. Archiv VII 12G ff.; zu nixus in passivem Sinn
Archiv VIII 293 ; zu nee non et Archiv VIIT 1^].
H. Limberg, Quo iure Lactantius appelletur Cicero Christianus.
Monasterii 1896. Dissert. 40 S. 8.
Die Abhandlung enthält weniger, als der Titel verspricht, indem
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 18!il — 97. (Geyer.) 95
der Verfasser sich auf die Darstellung- der Kasussyntax beschränkt
und auch die angezweifelten Schriften , wie de mortibus persecutorum,
nicht in den Kreis seiner Untersuchung zieht. Das Resultat ist, daß
Lactantius, obwohl Nachahmer Ciceros, doch öfters auch dem Sprach-
gebrauch der silbernen liatiuität und der Dichter huldigt und das Jahr-
hundert, dem er angehört, nicht verleugnet; so findet sich z. B. der
Instrumentalis mit de umschrieben, ab zur Verstärkung des komparativen
Ablativs gebraucht. Doch reichen die gewonnenen Resultate nicht aus,
am von ihnen aus einen Schlull auf die Urheberschaft der strittigen
Schrift de mortibus persecutorum zu ziehen. Freilich hat es der Ver-
fasser unterlassen, die von S. Brandt in den Sitzungsberichten der
Wiener Akademie Band 125 S. 48 gegebenen Anregung-en zu beachten;
so findet sich über die Konstruktion von similis und dissimilis nichts,
obwohl Brandt a. a. 0. zeigt, daß Laetanz außer beim Refiexivum und
der Verbindung mit veri stets bei similis den Dativ setzt, während in
der Schrift de mortibus mit similis und dissimilis der Genetiv verbunden
wird. Auch die von Brandt S. 49 nahe gelegte Vergleichung des
Sprachgebrauchs des Lactantius mit dem seiner Zeitgenossen, wie der
gallischen Panegyriker, welche geeignet gewesen wäre, die Eigentümlich-
keiten seiner Sprache noch mehr hervortreten zu lassen, ist nicht an-
gestellt. Daß die Arbeit Limbergs auch sonst noch mancher Ergän-
zungen und Berichtigungen bedürfte, zeigt der berufenste Kritiker
dieser Schrift, S Brandt, in seiner gehaltreichen Rezension, Archiv für
lat. Lexik. IX S. 302—305.
S. Brandt, Conlidere, Archiv VIII S. 130.
Derselbe, Splenis.
Ersteres wird bei Laetanz reflexiv gebraucht, splenis als Norainativ-
form findet sich in Lactanzhaudschriften s. VI/VII und VIII/IX, ist
aber wohl älteren Ursprungs.
S. Brandt, Über die Entstehungsverhältnisse der Prosaschriften
des Lactantius und des Buches De mortibus persecutorum. Sitzungs-
berichte der philosophisch -historischen Klasse der kaiserlichen Aka-
demie der Wissenschaften. 125. Band. Wien 1892. VI. Abhandlung.
Auf S. 34 — 60 wird das sprachliche Gewand der Mortes unter-
sucht und mit der Sprache des Laetanz verglichen. Da die Verfechter
der Echtheit sich auf die Schrift von Kehrein: Quis scripserit libellum,
qui est Lucii Caecilii de mortibus persecutorum 1877 berufen, so wird
zunächst die Unzulänglichkeit von dessen Beweisführung erwiesen, indem
die sprachlichen Übereinstimmungen mit Laetanz sich zum größten
Teil auch auf andere Schriftsteller der späteren Zeit erstrecken , teils
06 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlateia 1891-97. (Geyer.)
auf Nachahmung des Lactanz beruheu können. Dagegen finden sich
in den Mortes Abweichungen vom Sprachgebrauch des Lactanz; in den
Mortes steht similis mit Genetiv, bei Lactanz mit Dativ, wobei freilich
21, 5 ac maguitudinis suae similem wegen des folgenden s unsicher ist:
ebenso ist auch 37,3 angefochten; andererseits hat Lactanz 11,4,2
similis mit Genetiv, allerdings an einer Stelle, wo der Genetiv durch
Rücksicht auf die Deutlichkeit geboten war. Prae = praeter in den
Mortes ist unsicher, ebenso lassen die Beispiele für instrumentales in
sich anfechten : bei in insidiis petere kann Dittographie des in vorliegen,
bei dem Satz cum in litteris ad se datis audisset schwebte dem Ver-
fasser wohl legisset vor, in nomine vicennalium „unter dem Vorwand"
ist beeinflußt durch die sonst häufige Verbindung in nomine. Lumerhin
bleiben noch mehrere Anstöße übrig: Nur in den Mortes findet sich
idolum, post hoc statt des lactanzischen post haec, cum in auffallender
Weise mit Indikativ verbunden, raisereri mit Dativ, während es bei
Lactanz mit Genetiv steht, dissimilis a u. s. w. Von einem vulgären
Charakter dieser Erscheinungen (S. 43) zu sprechen ist man aber kaum
berechtigt, sonst müßte man ab vor dem Ablat. compar. und instru-
mentales de bei Lactanz auch vulgär nennen. So bleibt immerhin noch
die Älöglichkeit, daß sich die Verschiedenheit der Schreibweise aus der
Verschiedenheit des Stoffes erklärt. Die weitere Entwickelung der
Streitfrage (vgl. darüber M. Schanz, Gesch. der röm. Litt. III. Teil.
München 1896, S. 382) gehört nicht in dieses Referat.
Carl Ziwsa, Beiträge zu Optatus Milevitanus. Eranos Vindobo-
nensis. Wien 1893. S. 168—176.
Der Herausgeber der Schriften dieses in der zweiten Hälfte des
4. Jahrhunderts lebenden afrikanischen Kirchenschriftstellers bespricht
die handschriftliche Überlieferung und teilt textkiütische und stilistische
Bemerkungen mit, aus denen ich den seltenen Gräcismus replere mit
Genetiv Opt. ni, 1 (vgl. Rönsch, Itala S. 439) und das durch Emen-
dation VI, 4 gewonnene Verbum veterare hervorhebe. Der stilistische
Abschnitt handelt über Bilder, Vergleiche und rhetorische Figuren
(Verbindung zweier Sjmonyma, Antithese, Anaphora, Chiasmus, Asyn-
deton und PolysjTideton) , wobei manches den tumor Africus verrate.
P. B. Linderbauer, Itoria. Archiv VIII S. 139.
C. Weyman, Itoria. Archiv IX S. 52.
Dieses bei Georges fehlende Wort - Reisegeld wird nachgewiesen
in einer unedierten, dem h. Augustin zugeschriebenen Predigt. Weyman
gewinnt es durch Emendation des verderbten Wortes storia bei Optat.
Milev. ed. Ziwsa I 1 p. 3, 7. Vgl. auch Wölfflin, Sitzungsberichte der
bayr, Akademie vom 3. März 1894, S. 97.
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlateiü 1891—97. (Geyer.) 97
Schepß, Zu Candidus Arianus. Archiv VIII 8. 287.
Die Schriften dieses von Marius Victorinus Afcr in der ersten
Hälfte des 4. Jahrhunderts bekämpften Ketzers sind lexikalisch noch
nicht genÜKend verwertet. So felilen in den Lexicis effluentura,
efful^entia, essentitas, inversibilis, luminalis, praecausa, praeprincipium,
superplennm.
Als Afrikaner, nicht seiner Abstammung- nach, denn wir wissen,
daß Sicilien seine Heimat war, aber seiner stilistischen Richtung nach,
wird neuerdings auch Firmicus Maternus betrachtet, dessen Studium
durch die neuen Ausgaben von Sittl und Kroll erst wieder ermöglicht
worden ist. Die von Wölfflin, Archiv X S. 427—434, anj^ekündigte
ergebnisreiche Arbeit eines amerikanischen Gelehrten über Firmicus ist
inzwischen erschienen.
Clifford H. Moore, Julius Firmicus Maternus, der ^ Heide und
der Christ. Diss. München 1897. 54 S. 8.
Durch die richtige Erklärung der sogenannten genitura Lolliani
Math. II. c. 27, 14 hat Momrasen (Hermes 29, 468 ff.) das chronologische
Hindernis hinweggeräumt , welches der Identifizierung des heidnischen
Astrologen mit dem gleichnamigen christlichen Apologeten im Wege
stand. Es ist nur noch die Frage, ob die Sprache der beiden Werke die-
selbe bestätigt. Moore weist nun zunächst mancherlei Übereinstimmungen
in Wortbedeutung und Wortgebrauch nach; und wenn auch ein Teil
des gesammelten Materials dem ganzen Jahrhundert angehört, so wäre
es doch ein geradezu wunderbarer Zufall, daß das Adverbium artuatim
nur Math. 2, 1 und De errore 2, 2, außerdem nur noch bei Pseudo-
Hieronymus, vorkommt, das Verbum artuare nur Math. 6, 31, wenn nicht
der Verfasser beider Werke der gleiche wäre. Was convenire =■ admonere
anlangt (S. 15), so verweise ich auf Aram. Marc. 20, 4, 3 super
auxiliariis cogendis ocius proficisci Lupicinus conventus est solus, desgl.
auf Ps. C!yprian, De bono pudicitiae 1 und Cypr. Ep. 47, 1, vgl.
Matzinger im Programm des Alten Gymnasiums, Nürnberg 1892, S. 13.
Noch beweiskräftiger sind die in beiden Werken wiederkehrenden
Phrasen, darunter so seltene, wie Math. 1, 3 omnes venas stringit in
mortem und Err. 18, 2 venam stringit in mortem. Die Phrase caeli
rotata vertigo Math. 1, 1, 5 und Err. 24, 2 wird von Wölfflin a. a. 0.
auf Plinius zurückgeführt n. h. 2, 6. Ich fand dieselbe Phrase bei
Pacatus p. 279, 29 indefessa vertigo caelum rotat; licentia potestatis
auch Arnob. 31, 9, festina celeritate Amm. 30, 2, 6. In einem Exkurse
wird gezeigt, daß sich bei Firmicus sehr oft der Identitätsgenetiv findet
statt des bei den Klassikern üblichen Hendiadyoin. Dies betrachtet
Verf. (S. 21 und 48) als vollgültigen Beweis, daß Firmicus zu den
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVin. U«98. III.) 7
98 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891-97. (Geyer.)
afrikanischen Schriftstellern zu rechnen sei, und daß der Einfluß der
afrikanischen Rhetorik im ersten Drittel des 4. Jahrhunderts in Sicilien
mächtiger gewesen sei als der von Rom. Doch findet sich dieser
Genetiv auch bei Vitruv (S. 21): ich füge hinzu auch bei Pacatus,
z. B. 276, 3 fastigii apicem; 278, 28 sub otii tempore; Nazar. p. 214, 11
optata votorum; Mamert. p. 253, 2 ingentes aulicorum catervae legionum.
Wenn man so weit ceht, furoris ardor als solchen zu betrachten, so
liegt auch Nazar. p. 226, 22 aestu furoris ein identischer Genetiv vor,
ebenso p. 233, 31 bonorum commoditates. Pleonastische Wendungen
p. 227, 11 conspiratione foederatae societatis, p. 233, 31 bonorum com-
moditates, p. 239, 19 monstrosa labes, Mam. p. 248, 18 propter eximiam
formae dignitatem, p. 248, 32 longa aetatis successio. Wir sehen, der
cothurnus gallicus bleibt hinter dem 'tumor africus' nicht zurück.
An die Besprechung des afrikanischen Kirchenlateins reihe ich
an die mehrfachen Erörterungen über die Appendix Probi, die von
mehreren Seiten für Afrika reklamiert worden ist.
K. TJllmann, Die Appendix Probi. Romanische Forschungen
von Vollmöller VII (1893) S. 145—230.
Wendelin Foerster, Die Appendix Probi. Wiener Studien.
XIV. Band (1892). S. 278—321.
Das Hauptverdienst der ersten Arbeit ist, daß die Spuren des
Zusammenhanges der Appendix mit der alten lateinischen Grammatik
aufgedeckt sind und nachgewiesen ist, daß wenigstens eine Anzahl Be-
merkungen derselben einen integrierenden Bestandteil der nationalen
Grammatik bildete. Mit triftigen Gründen wii'd die zuerst von G. Paris
versuchte Lokalisierung der Appendix in Afrika bekämpft, indem gerade
die sicheren lokalen Bezeichnungen vielmehr auf Rom und zwar auf die
Zeit des Septimius Severus hinweisen. Nach einem Versuch, die Ortho-
graphie des Schreibers von der des Verfassers zu sondern, werden in
dem Hauptabschnitte die lautlicli zusammengehörigen Stelleu der Appendix
zusammengestellt, bei jeder Gruppe die wichtigsten Belege aus Inschriften
und Handschriften hinzugefügt und die romanischen Sprachen als Mittel der
Beurteilung gebraucht. Zu einigen seltener bezeugten Formen will ich
noch einige Ergänzungen nachtragen. S. 192 butrio auch Visio Pauli
23,3, vgl. Journal of Philology 1894 S. 190. S. 196 opobalsamum
non ababalsamum. Bei Antoninus Piacent. Itin. 9, 17 hat die Hand-
schrift G aput balsamo statt opobalsamo, was wohl aus apabalsamo ent-
standen ist. S. 204 fassioli mit doppeltem s hat eine Handschrift
des 9. Jahrhunderts von Ant. Plac. It. 11, 10. S. 198 zu frigdus vgl.
infrigdare und frigdor bei Theod. Prise. Index von Rose, daselbst auch
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891 — 97. (Geyer.) 99
acro lind agros neben acre und acres. S. 222 senes als Nom. Sing.
Visio Pauli 28, 8 und 29, 34. Das gerügte Adjektiv pisinnus taucht,
nachdem es seit Martial verschwunden war, wieder bei den beiden
Galliern Silvia und Marcellus Empiricus auf (Archiv VIII S. 480),
was uns wohl berechtigt, ihre Sprache als vulgär gefärbt zu betrachten.
Auch die getadelte Form frustrum = frustum scheint Silvia gebraucht
zu haben. Eine der verderbtesten Stellen ist 197, 24 cannelam non
canianus. Zu den bisherigen Verbesserungsversuchen, von denen Sittls
Vorschlag candela non cannela von U. gebilligt wird, bringt W. Förster
in eiuem Nachtrag: „Beitrag zur Textkritik der Appendix Probi" noch
einen neuen: caunella non cinamomus, was dann wegen des Zeichens
•: umgestellt werden müßte: cinnamomura non cannella. Das bisher
nur aus spät-mittelalterlichen Urkunden bei Du Gange belegte canela
findet sich in dieser Form Visio Pauli 32, 1 canela aquae; vgl. englisch
Channel oder kennel.
Die vermeintlichen Beweise üllmanns für den süditalischen
Charakter der Sprache der Appendix, o = u und cuntellum -^ cultellum
werden von Förster widerlegt. Das Hauptarguraent, das für Afrika
und gegen Rom ins Feld geführt wird und das auch UUmann nicht
zu beseitigen vermochte, ist der vico tabule (oder vicus stabuli) pro-
consulis; es wird hinfällig, wenn mit Bücheier die Bezeichnung als ein
allerdings für uns wie so viele andere nicht mehr erklärbarer römischer
Gassenname gefaßt wird. Die übrigen auf Afrika hinweisenden Namen
werden von W. Förster durch die Annahme erklärt, daß uns in der
Appendix die Arbeit eines Lehrers oder Schülers im Vicus Caput Africae
in Rom vorliegt. W. Förster bietet uns zum ersten Mal einen un-
bedingt zuverlässigen Text der Appendix mit reichen sprachlichen und
kritischen Bemerkungen. Mit der peinlichsten Genauigkeit wird uns
überall mitgeteilt, was in der Handschrift zu lesen ist und was nicht,
und noch methodischer als in der Dissertation Ullmanus die Recht-
schreibung des Schreibers von der des Verfassers unterschieden.
B. Kubier, Die Appendix Probi. Archiv VII S. 593.
W. Schulze, Zur Appendix Probi. Zeitschrift für vergleichende
Sprachforschung. Band XXXIII S. 138—140.
Kubier glaubte einen Beweis für die Annahme, daß die Appendix
Probi in Afrika entstanden sei, in dem von ihm in einer afiikanischen
Inschrift gefundenen Eigennamen Mascel gefunden zu haben, während
es in der Appendix heißt: masculns, non mascel. W. Schulze wider-
legt ihn schlagend, so daß Kubier selbst, wenn auch zögernd Ardiiv VIU
S. 449 Anm. seine Vermutung zurücknimmt.
r
100 .lahresbericht über Vulgär- und Spätlateia 1891— ;)7. (Geyer.)
G. Landgraf, Über die Latiuität des Horazscholiasteu Porphy-
riou. Archiv IX S. 549—565.
Während 0. Keller und P. Weßner den Porphyrie iu die erste
Hälfte des 3. Jahrhunderts setzen, nehmen W. Meyer, Urba und Sittl
das 4. Jahrhundert als seine Lebenszeit an. Aus der Sprache des
Porphyrio sucht nun G. Landgraf zu erweisen, daC die erstere An-
setzung die richtigere ist und zugleich, daß P. ein Afrikaner sei, was
nach der Art, wie PorphjTio von afrikanischen Zuständen spricht, wahr-
scheinlich ist. Dagegen ist es kaum zulässig, bei einem Grammatiker aus
der Kenntnis des Griechischen und der archaischen Schriftsteller einen
Schluß auf Afrika als Heimatland zu ziehen. Von den eigentlich sprach-
lichen Judicien ist noch am meisten beweiskräftig die Erweiterung des
Ablativus comparatiouis durch a, die sich bei Porphyrio au 5 Stellen
findet. Weiter erinnern an die Africitas die Verbindung von Positiv
und Superlativ durch et oder ac (schon Velleius hat aber II, 96 excel-
sissimas et multiplices victorias), der sogenannte identische Genetiv,
sui =- suus (dagegen Wölfflin, Archiv IX S. 557 und Landgraf selbst,
Blätter f. bayr. Gymn. XXXII S. 401), circa ^ repi, endlich tunc,
florire, occidere statt tum, florere, interficere. Das waren aber allgemein
vulgäre Ausdrücke, die nach Ausweis der romanischen Sprachen nicht auf
Afrika besclu-änkt gewesen sein können. Interäcere ist in allen roma-
nischen Sprachen untei gegangen und auch im Franz. und Ital. durch
occidere verdrängt worden. In allen spätlateinischen Schriftstellern
wird occidere häufiger sein als interficere : bei Eutrop , bei mehreren
Bio£?raphien der Script, bist. Aug., in der lex Salica habe ich selbst die
Probe gemacht; was die Form tunc anlangt, so steht sie bei der Gallierin
Silvia ausnahmslos; ich habe mir etwa 33 Stellen für tunc notiert,
tum aber nie gefunden. Weder in inturaescere noch in nigrescere in-
cipiunt kann ich einen überschüssigen Gebrauch von incipere erkennen;
beide Verba bezeichnen einen Prozeß, dessen Verlauf längere Zeit er-
fordert, incipiunt aber giebt den Anfangspunkt dieses Prozesses an.
Unmöglich ist zu Hör. carra. 3, 6, 13 populura Romanum ex occasione
paene barbari deleverunt die Vermutung ex occisione = klassischem
occidione, wegen des Zusatzes von paene. Da die Zerstörung nicht
faktisch erfolgt ist, kann der Umfang oder Grad derselben unmöglich
bezeichnet werden. Ebensowenig liegt modales ex vor 139, 10 ex desi-
derio somniai'e; denn es heißt nicht sehnsüchtig träumen, sondern in-
folge der Sehnsucht träumen. Sic = deinde ist überhaupt im Spätlatein
ganz gewöhnlich, sehr oft bei Silvia; ganz so gebraucht Ovid schon ita,
vgl. Metam. I, 228. Constitutus -= wv ist ebensowenig wie sie ein
Afrikanismus : es findet sich z. B. in dem Brief des Römers Celerinus bei
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891—97. (Geyer.) 101
Miodohski, Adversns aleatores S. 118, 18, in dem von Thielmann soge-
nannten , europäischen" Bestandteil des Sirach, bei Solin, den Landgraf
selbst ausdrücklich in Gegensatz zn den Afrikanern stellt, Blätter f. d.
Gyran. W. 1896. S. 402.
Josef Stov?asser, Lexikalisch-Kiitisches aus Porphyrio. Xenia
Austriaca. Festschrift der österreichischen Mittelschulen zur 42. Ver-
sammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Wien. I. Ab-
teilung. Wien 1893. S. 136-164.
Neben mehreren trefiflicheu Emendationen teilt der scharfsinnige
Verfasser zahlreiche bedenkliche Einfälle mit. So wird S. 143 f. dem
Porphyrio an mehreren Stellen instrumentales ex vindiciert, 344, 2 elu-
dificari gehalten, in dem Luciliusfragment bei Nouius 120, 14 Lucilius
transverso ordine posuit hippocampi elephantocaraillos das unerhörte
Wort telephantocamillus (aus -reXesi^avTTjc und camillus Opferknabej ge-
bildet; hippocampi wird dabei einfach über Bord geworfen. 328, 1 statt
aestimatio [wohl assentatio, da der Begriff pravum obsequium ausge-
drückt wird, vgl. 327, 22 und 295, 12] aestuatio gewonnen. 209, 18
wird aus inmetros sermo gemacht inmetuus = a^oßo?. Weitere solche
portenta sind 164, 10 exessitas, pallacidem, hyranesin, odoratum ^ Parfüm,
libitus das Belieben, die Form echos als Genetiv S. 16, 10, vo|j.r^v
309, 6 statt der schönen Emendation Meyers morem.
Referent, Praesens = rj70üfjLevo?. Archiv X S. 137.
Diese von Stowasser bei Porphyrio 307, 30 vorausgesetzte Be-
deutung wird nicht anerkannt.
Unbekannt ist auch die Lebenszeit des afrikanischen Grammatikers
Terentianus Maurus, der in gebundener Rede ein Lehrbuch de
litteris, syllabis, metris verfaßte. Infolge eines Preisausschreibens der
Bonner philosophischen Fakultät wurde seine Sprache untersucht von
A. Werth, De Terentiani sermone et aetate, Jahrb. f. kl. Phil.
23. Suppl.-Bd. 1897, S. 291—376.
Die Arbeit bietet wegen der sorgfältigen Beobachtungen und der
reichen sprachlichen und litterarischen Nachweise einen wertvollen Bei-
trag zur Geschichte der lateinischen Sprache. So viel steht fest, daß
die Sprache des Terentianus nichts enthält, W'as nötigt, ihn in eine spätere
Zeit als in das 2. Jahrhundert zu setzen. Ihn genauer zu fixieren, ver-
hindert die durch die Natur des Stoffes bedingte Dürftigkeit seiner
Sprache; dazu kommt noch der Zwang des Metrums, der die wenigen
Neubildungen, die sich finden, hervorgerufen hat. Der Autor charakte-
102 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlateia 1891—97. (Geyer.)
risiert selbst seine Sprache v. 294 fif. in einer Weise, welche an die des
t5/v6v genus dicendi bei Quint. 12, 10, 40 und 42 erinnert. Aus diesem
Grund ist auch der Schluß nicht zwingend, er müsse vor Tertullian
gelebt haben, weil er sich von dessen Neuerungen noch nicht beeinflußt
zeige. Spuren, die auf Afrika hinweisen, finden sich keine.
Zu den als Afrikaner bezeichneten Schriftstellern kommt neuer-
dings auch Aemilius Papinianus.
Heinrich Leipold, Über die Sprache des Juristen Aemilius
Papinianus, Programm von Passau 1891. 80 S.
Der Verfasser ist selbständig vielfach zu denselben Resultaten
gekommen, wie W. Kalb in seinem Buch „Roms Juristen nach ihrer
Sprache dargestellt", wo iPapinian S. 107 — 118 bebandelt ist. Im
1. Kapitel wird der Einfluß Ciceros und Quiutilians auf die Sprache
Papinians dargestellt, im zweiten soll er als Afrikaner erwiesen werden,
der 3. Abschnitt handelt von seinen individuellen Eigentümlichkeiten,
im letzten v^^ird gezeigt, daß die meisten kaiserlichen Reskripte von
194 bis 202 von Papinian stilisiert sind. Die Arbeit ist fleißig und
gründlich; am wenigsten gelungen scheint mir der zweite Teil, in dem
höchstens erwiesen ist, daß Papinian sich der von Fronto und Apulejus
inaugurierten Stilart nicht ganz zu entziehen vermochte. Über den
Unterschied dieser litterarischen Greschmaeksrichtung und der afrikanischen
Volkssprache scheint sich der Verfasser nicht recht klar zu sein; sonst
würde er nicht S. 27 sagen: „In der ursprünglich überkommenen Form
[gemeint ist die \Tilgär-archaische] oder auch in lokaler "Weiterbildung
warfen es [das in der Zeit des Plautus von den römischen Soldaten
nach Afrika gebrachte Latein] die afrikanischen Schriftsteller, wie der
Rhetor Frouto aus Cirta in Rom gleichsam als echt römische Stadtware
auf den Markt." Wer wird im Ernst bei Fronto afrikanische Pro-
vinzialismen suchen! Die wenigen, auch sonst üblichen Metaphern bei
Papinian beweisen nichts für den semitischen Charakter seiner Sprache.
Immemoria ist kein afrikanischer Provinzialismus, sondern künstliche
Nachbildung des griechischen dtixvY)|j,03uvr,. Extrarius ist ein Archaismus,
der um so weniger befremden kann, als auch der Nichtafrikaner Javo-
lenus das Wort gebraucht. Die Erklärung, daß derselbe als Befehls-
haber einer i-ömischen Legion in Afrika und als Prokonsul der Provinz
Afrika sich etwas vom dortigen Dialekt angeeignet habe, klingt wie ein
schlechter Scherz. Ein Archaismus ist wohl auch die in der App. Probi
empfohlene Form exter; Archaismen können aber bei einem Juristen am
allerwenigsten befremden oder als Indicien für seine Heimat verwendet
werden. An mehreren Stellen widerlegt übrigens L. sich selbst, z. B.
wenn er S. 34 sagt : , Am besten kennzeichnet den Papinian als Afrikaner
i
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891 — 97. (Geyer.) 103
die Verwendung des aktiven remunerare" und schließt: ^Wenn auch
Petronius 140 remunerant schrieb, so wissen wir, daß er seine Personen
oft absichtlich vulgär-archaisch [also nicht afrikanisch] sprechen läßt."
Über die römischen Juristen ist von berufener Seite ausführlich
referiert worden im 89. Band der Jahresberichte mit besonderer Be-
rücksichtigung der Sprache.
Ich begnüge mich also, die Titel der einschlägigen Schriften an-
zuführen.
W. Kalb, Bekannte Federn in den Reskripten römischer Kaiser.
Commentationes Woelfflinianae. Leipzig, Teubner 1891. S. 331 — 37.
Derselbe: Zur Analyse von Justiuians Institutionen. Archiv YIII
S. 203—220.
H. Krüger, Bemerkungen über den Sprachgebrauch der Kaiser-
konstitutionen. Archiv X S. 247 — 252.
0. Gradenwitz, Zur Rechtssprache. Zeitschrift der Savigny-
Stiftung. 16. Band, S. 115—136.
E. Grupe, Zur Latinität Justiniaus. Ebendaselbst. 14. Band.
S. 224-37. 15. Band, S. 327-42.
0. Graden witz, ß. Kühler, E. Th. Schulze: Yocabulariura
iurisprudentiae Romanae, Fase. I. Berol. 1894. 75 S.
Vgl. auch Kalbs Referat in Vollmöllers kritischem Jahres-
berichte über die Fortschritte der romanischen Philologie, II. Band,
S. 72—78.
Bibellatein.
Josef Zycha, Bemerkungen zur Italatrage. Eranos Vindobo-
uensis S. 177—184.
Der Schwerpunkt dieser interessanten Studie liegt darin, daß mit
Hülfe der Augustinischen Locutiones der Text der Septuaginta an vielen
Stellen verbessert wird. Aber auch tür die Kenntnis der an Gräcismeu reichen
Übersetzungssprache fällt manches ab, z. B. benedicere mit Accus. =
euXoYsiv Tiva, die Wiedergabe des Artikels durch Relativsatz, oft mit
Ellipse von esse, wodurch manche Beispiele bei Rönsch, Itala S. 443,
erklärt werden. Wiederaufnahme des Relativpronomens durch ein De-
monstrativum im gleichen Casus, z. B. quibus dixit eis, locum ubi steterat
ibi deus. Über die Auffassung der viel besprochenen Stelle de doc-
trina chiist. II, 16 in ipsis autem interpretatiouibus Itala ceteris prae-
104 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891-97. (Geyer.)
feratnr, uani est verborum tenacior cum perspicuitate sententiae wird er
sich jetzt auseiuauderzusetzen haben mit
F. C. Burkitt, the old Latin and the Itala (Texts and studies
contribuating to biblical and patristic literature ed. by J. A. Robinson
vol. IV. No. 3), Cambridtre 1896, Vni und 96 S., welcher den von
Th. Zahn in einer Rezension in Harnacks Theologischem Litteraturblatt
1896 No. 31 gebilligten Nachweis führt, daß Angustin in seinen
späteren Werken für die Evangelien die Vulgata selbst benutzt
habe (dieselben wurden von Hieronymus 384 herausgegeben, während
Augustins Schrift de doctrina christiana 397 erschien), daß also die
von ihm so sehr empfohlene Itala die Übersetzung des Hieronymus sei.
Dasselbe gilt von der Abhandlung von
E. Wölfflin, Neue Bruchstücke der Freisiuger Itala. Aus den
Sitzungsberichten der philos.-philol. und historischen Klasse der k.
bayer. Akademie der Wissenschaften 1893, Heft II, 35 S.
Die von Leo Ziegler und Tischendorf entdeckten Freisinger
TJncialblätter, die mit Augustins Bibelcitaten übereinstimmen, wurden
ergänzt durch zwei weitere, zwei Kapitel des Galaterbriefes und den
Anfang des Epheserbriefes enthaltende Quartblätter, welch 1892 der
Oberbibliothekar Schnorr von Carolsfeld fand. Die Sprache dieser Über-
setzung wird nun geprüft und ein engerer Anschluß an das Original
konstatiert als in der Vulgata; daher stammen zahlreiche Neubildungen,
wie nullificare, annihilare, sustinentia, longanimitas u. s. w. Auch
sonstige Gräcismen sind häufig, z. B. Indikativ in den indirekten Fragen,
doppelte Negation mit verstärkender Kraft u. s. w. Am interessantesten
ist die meisterhafte Entwickelungsgeschichte des Wortes salvator, das
noch bei Tertullian fehlt. Es konnte erst gebildet werden, nachdem
das Verbum salvare vorhanden war. Wölfflin glaubt, es finde sich
zuerst bei Plin. n. h. 17, 178, wo statt des handschriftlichen salutentur
'salventur' palmites zu schreiben sei. Referent bezweifelt die Be-
rechtigung dieser Konjektur, da in der lateinischen Übersetzung des
Buches Siracli 22, 31 saluto in demselben Sinn -^ axe-a^w gebraucht
ist, vgl. Thielmann, Archiv VIII S. 535. Auch Corp. Gloss. IV.
S. 179, 13 ist statt suspito: salto zu schreiben sospito: saluto, vgl.
Archiv IX S. 428.
Eine Ergänzung dazu bietet eine Miscelle
Derselbe: Salvator. Salvare. Mediator. Mediare. Mediante.
Archiv VIII S. 592
Mediator und mediare gehören fast ausschließlich der christlichen
Litteratur an. Häufiger ist das Participiura mediante, das in der christ-
lichen Litteratur, insbesondere Galliens, fast zur Präposition herabsinkt.
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 18^)1-97. (Geyer.) 105
E. Ehrlicli, Beiträge zur Latinität der Itala. Programm der
Realschule zu Rochlitz. 1895. 36 S. 4.
Die in den Büchern de civitate dei und in den im 25. Band des
Corpus scr. eccles. veröffentlichten Schriften Augnstins vorkommenden
Bibelcitate werden mit der Vulgata verglichen, um zu beweisen, daß
auf die von Augustin benutzte Bibelübersetzung passe, was er von der
Itala sagt, sie sei verbis teuacior; der Zusatz cum perspicuitate sen-
tentiae wird dabei nicht berücksichtigt. Zwei in der Schrift contra
Adimautum voikommende Citate aus Mattliäu« stimmen übrigens mit
der Vulgata überein (S. 11 und 18), während dieselben in der Schrift
contra Faustum nach einer abweichenden Übersetzung augeführt werden.
Der Verf. dieser gründlichen Untersuchung verschweigt indes nicht,
daß es umgekehrt auch viele Stellen giebt. an denen die Vulgata
engeren Anschluß an das Original aufweist.
Auch die Sprache der Vulgata hat mehrere Bearbeiter gefunden :
Alois Hartl, Sprachliche Eigentümlichkeiten der Vulgata. Pro-
gramm des Gymnasiums Ried. 1895. 24 S. 8.
Die Arbeit scheint für ger elftere Gymnasiasten bestimmt zu sein,
nm sie in die Lektüre der Vulgata einzuführen, und keinen Anspruch
auf Wissenschaftlichkeit zu machen; daher sind wohl auch nirgends
Litteraturnachweise gegeben und ganze Abschnitte aus Kaulens Hand-
buch zur Vulgata genommen, z. B. S. 14 Ungewöhnliche Wörter = Kaulen:
Eigentümliche Wörter S. 30 flf. Die sprachlichen Eigentümlichkeiten
der Vulgata werden, oft recht willkürlich, in folgende Rubriken gebracht:
Eigentümlichkeiten des Vulgärlateins, Spuren des griechischen Textes,
Hebraismen. Zu den hebraisierenden Verbindungen wird beispielshalber
die Verbindung von esse mit Part. Präs. gerechnet [vgl. Kaulen S. 235
und Koehler, acta sem. Erlangensis I S. 449], manducare essen [vgl.
Wölfflin in den Sitzungsberichten der bayer. Akademie 1894 S. 115 bis
123], facere ieiunare [vgl. Thielmann, Archiv III S. 186 ff.]. Die an-
geführten Beispiele beruhen zum allergeringsten Teil auf eigenen
Sammlungen.
Townsend, the Latinity of the Vulgata as illustrating the coUo-
quial Latin of the time. School review III, G war mir nicht zugänglich.
Ludwig Bertram Andergassen, Über den Gebrauch des In-
finitivs in der Vulgata. I. Teil. Programm des Gymnasiums Bozen
1891. 23 S. II. Teil. Bozen 1892. 20 S. 8.
Der Verfasser behandelt den Infinitiv als Subjekt, Objekt, an
Stelle eines Adverbialsatzes (Final- und Konsekutivsatz), in ähnlicher
Weise den Accusativ und Nominativ mit Infinitiv. Auf eine vollständige
106 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlateia 1891 — 97. (Geyer.)
Anführung aller Stellen, auch auf eine Zahlenangabe über die Häufig-
keit des Gebrauchs, wird von vornherein verzichtet. Öfters begnügt sich
der Verfasser mit Angabe zweier Stellen, bisweilen mit dem Zusatz u. ö.,
der aber in den meisten Fällen fehlt. Dies Verfahren ist bei seiteueren
Konstruktionen gewiß nicht am Platz; so werden für est mit Infinitiv
3 Stellen angegeben, während ßönsch, Itala S. 363, 7 aufführt. Ähnlich
verhält es sich bei capit ^ evöeyeTai [vgl. Rönsch S. 351 und Kaulen,
Handbuch zur Vulgata S 160]. Der Arbeit thut die ganz ungenügende
Litteraturkenntnis des Verfassers Eintrag; er kennt weder Rönschs
Itala und Vulgata noch die einschlägigen Artikel in Wölfflins Archiv.
Sonst hätte nicht zu incipio nach Anführung von 4 Stellen bemerkt
werden können: «Zu jeder Zeit so gebraucht." Daß dem nicht so ist,
zeigt Rönsch, Itala S. 369 und Thielmann, Archiv II S. 85 flf. Zu
facere mit Inf. vgl. Archiv III 177 und 191 und Rönsch S. 366; über
den Zusammenhang mit dem Hebräischen vgl. Archiv III S. 185 u. s. w.
Falsch ist I S. 23 die Stelle Sap. 5, 10 non est vestigium invenire
aufgefaßt da der Infinitiv nicht vom Substantivum vestigium, sondern
von est abhängig, vestigium aber Objekt zu invenire ist.
Milro}', The Participle in the Vulgata New Testament, Baltimore
1892 und
G. R. Hauschild, Die Verbindung finiter und infiniter Verbal-
formen desselben Stammes in einigen Bibelsprachen. Berichte des
Freien deutschen Hochstiftes. Frankfurt a. M. 1893. Heft 2. 34 S. 8,
sind in Erlangen nicht aufzutreiben; die Schrift von Hauschild ist be-
sprochen im Archiv für lat. Lexik. VIII S. 466.
G. A. Saalfeld, De bibliorum sacrorum vulgatae editionis grae-
citate. Quedlinburgi 1891, Vieweg. 180 S.
Das Buch , welches eine Ergänzung zu des Verfassers Tensaurus
Italograecus bilden soll, giebt einen aus einer Vulgatakonkordanz zu-
sammengestellten Index aller griechischen Fremdwörter, Lehnwörter,
Eigennamen und überhaupt aller Wörter, die mit dem Griechischen in
irgend welchem Zusammenhange stehen: so findet man z. B. Wörter wie
epistula, ergastulum, fenestra, funda, fuscinula, gubcrnator, gubernare,
hilaris, historia, hora, latro, leo, norma u. s. w. Die Anordnung inner-
halb der einzelnen Artikel nach den Casus oder Konjugationsformen ist
gleichfalls aus der Konkordanz entlehnt. Die Zusätze aus Du Gange,
mit denen viele Artikel verbrämt sind, haben häufig mit der Vulgata
gar nichts zu thun, z. B. bei leo: Leones, nummi aurei Francici u. s. w.,
bei nonna: regula monastica. Das ungünstige Urteil, welches P. Corssen,
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlateio 1891—97. (Geyer.) 107
Deutsche Litteraturzeitung: 1892 S. 1099-1100, und C. Weyman,
Lit. Centralblatt 1892 S. 1431, über das Buch fällen, ist berechtigt.
Ernst von Dobschütz, Studien zur Textkritik der Vulgata,
Leipzig, Hiurichs 1894.
Auf eine eigenartige Weise wird die Klassifizierung der zahl-
reichen Handschriften der Evangelien versucht, welche die beiden Ox-
forder Herausgeber Wordsworth und White aufgespart haben, und zwar
nicht auf grund des Yulgatatextes, sondern der Beigaben, der Kapitu-
lationen und der Argumente. Der Text der letzteren ist abgedruckt
und ist schon deshalb von Interesse, weil er aus einer vorhieronymiauischen
Bibelübersetzung stammt. Die Handschriften werden klassifiziert nach
der Zahl der Lesarten, in welclien die einzelnen Codices miteinander
übereinstimmen. Das dadurch gewonnene Resultat kann nur ein höchst
unsicheres sein, einmal weil die Angaben von Wordsworth und White nach
Dobschützeus eigenem Zugeständnis öfters nicht ganz verlässig sind, ferner
weil auf orthographische Varianten definieus, difinieus, diffiniens, couplere,
complere u. s. w. ebenso großes Grewicht gelegt wird, wie auf wirkliche
Abweichungen im Text. Die sprachlichen Bemerkungen sind oft wenig
zutreffend. Wenn S. 41 behauptet wird, Math. 27 erscheine pullus in
der sonst nicht nachweisbaren Bedeutung Hahnenschrei, deshalb liege
wahrscheinlich ein Schreibfehler vor für gallus, so ist dies an und für
sich unwahrscheinlich, da pullus das vulgäre Wort für gallus ist; es
findet sich aber in derselben Bedeutung auch bei Silvia S. 90, 7 de
puUorum cantu; 92, 3 quae consuetudinis sunt de puUo primo agi;
100, 33 de pullo primo usque ad mane consuetudinaria aguntur. Vita
Hugberti, c. 12 interrogans, qua hora esset de nocte, vel si puUorum
cantus esset. Die Kritik ist oft recht willkürlich, z. B. S. 77: „Den
Vorzug geben wir der allerdings unbezeugteu Wortform quaterdeuario
(vor quaterno denario)." „Die von A. (cod. Amiatinus, welcher nach
Dobschütz den weitaus besten Text der Argumente bietet) vertretene
Stellung domini adventus bat etwas so Eigentümliches [?], daß sich die
Umstellung bei den anderen Zeugen leichter als Glättung begreifen
läßt." Die S. 63 verteidigte Form duodeunis bei Sulp. Sev. Dial, 3, 2, 3
hat nur die Aldina, die von Halm benutzten Handschriften duodecennis.
Gewagt ist es, die einmalige Vertauschung von deus (do) mit dominus
(dns) in Eph. t^D als dogmatische Korrektur zu fassen, da 72, 27 die-
selben Handschriften haben deus Christus est. Unmöglich ist die Kon-
jektur in iudaica (lingua) S. 82: Matthaeus ex ludaeis (in iudaea A)
sicut in ordine primus ponitur, evangelium in Iudaea primus scripsit;
denn die Angabe der Nationalität schließt sich auch S. 103 an den
Namen an: Lucas Syrus natione, Antiochensis arte — in Achaiae par-
108 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1801—97. (Geyer.)
tihiis hoc sciipsit. Dazu kommt, daß ex ludaeis dem folgenden ex
publicanis actibus entspricht; auch giebt es keine iudaica, sondern nui*
eine hebraica lingua.
Unrichtig ist die Auffassung von S. 98: Marcus — secundnm
carnem levita — evangelium in Italia scripsit, ostendens in eo. quod
(lies quid) et generi suo deberet et Christo. Nam initium principii in
voce propheticae exclamationis instituens ordinem leviticae lectionis (lies
mit A m. 1 und der Mehrzahl der Handschriften electionis) ostendit.
Hier ist sicher nicht, wie Dobschütz S. 95 annimmt, von einer
lectio ^ Vorlesung die Rede , sondern wie der Zusammenhang beweist,
namentlich das nam, kann nur die Erwählung (electio oder vocatio) aus
dem Stamm Levi gemeint sein. Vgl. 70, 5; 99, 22; 104, 16 und 25.
Ferner ist quid zu schreiben: denn quod ist nichteine „schlechte Form
für quid", vielmehr wurde der Fehler durch das vorausgehende eo ver-
anlaßt, indem die Schreiber dadurch zu der Meinung gebracht wurden,
sie hätten die gewöhnliche Verbindung eo quod vor sich.
Die S. 92 aufgestellte Behauptung, der Sprachcharakter der Ar-
gumente nötige zu der Annahme, daß sie aus dem Griechischen über-
setzt seien, wäre erst zu beweisen.
Leop. Matth., El. Stoff, Kurzgefaßte theoretisch- praktische
Grammatik der lateinischen Kirchensprache. Kirchheim, Mainz 1896.
266 S.
Es ist eine ungewöhnlich schlechte lateinische Elementargrammatik
mit Übungsstücken, deren Wortvorrat dem kirchlichen Gebiet entnommen
ist und in welchen auf den Sprachgebrauch der Vulgata hier und da
Rücksicht genommen wird.
John. E. B. Mayor, Visio Pauli. The Journal of Philology.
Vol. XXII (1894) p. 1«4— 197.
Montague Rhodes James veröffentlichte im 2. Bande der von
Robinson herausgegebenen Texts and studies aus einer Pariser Hand-
schrift des 8. Jahrhunderts eine alte lateinische Übersetzung der visio
Pauli, welche einen weit vollständigeren Text bietet als die bisher be-
kannten griechischen und syrischen Versionen. Mayor hebt aus der-
selben eine Anzahl Konstruktionen und Formen heraus, die für Lati-
nisten wie Romanisten von Interesse sein dürften, z. B. gallicolae
Sandalen [auch Act. Ap. 12, 8 und Antonini Plac. Itin. S. 25, 16 ed.
Gildem.], peniteri, noceor, *conlugeo, revertere Aktiv, passivisches ope-
rantur, minare führen, obviaverunt eam und continentiam studui, den
Genetiv miliorum, unus et unus wie beiSilvia, arbor masc. [auch Antonin
11,6; Lex. Sal. XX^^I: Ed. Rothari 1.38. 240. 241. .319]. Zu ser-
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein ISO]— 07. (Geyer.) 109
\äunt castitatem vgl. Wölfflin Archiv IX S. 504, der diese Yertauschung;,
wie ich glaube mit Unrecht, auch für reg. Bened. 1, 15 annimmt. Un-
erklärt ist das merkwürdige secundura eo quod, das ich mir folgender-
maßen entstanden denke: Eo quod hatte bei Silvia konjunktiouales quod
vollständig verdrängt; es ist hier durch Verwechselung wegen lautlicher
Gleichheit auf das Neutrum des Relaiivuuis übertragen. Zum Schluß
noch einige Bessernngsvorschläge zum Text: »S. 20, 30 ist substolle zu
substollens zu ergänzen; 25, 2 lies <im> modicum inflati erant; 21,31
lies ingressus sum in iuteriora loci illius, cf. 25, 35; 29, 6 ist zu inter-
pungieren: qui innuunt sibi maliguitatem, insidiantur jiroximo suo; 29, 32
vidi illic homiuem subt'ocari ab angelos tartarucos ist vor angelos nichts
ausgefallen; 33, 16 lies non exibeutes agapas; 33, 17 uou suscipientes
neque oblationem offerentes; 34, 19 vermem inquietem ist nicht in in-
quietura zu ändern; 37, 13 ingressus et vidi ist et nicht zu tilgen, da
das Participium statt des Verb. fin. steht; 40, 1 lies qui (statt quid)
€stis vos; 40, 22 propter hoc <quod> iutroierunt; 41, 16 nos statt vos.
Joh. Haußleiter, Die lateinische Apokalypse der alten afri-
kanischen Kirche. Forschungen zur Geschichte des neutestamentlichen
Kanons. Erlangen und Leipzig 1891.
S. 59 — 67 wird der sprachliche Charakter der handschriftlichen
tJberlieferung: Vokalismus, Konsonantismus, Deklination, Konjugation,
Syntax behandelt. Es wird eine lehrreiche Zusammenstellung von
sprachlichen Eigentümlichkeiten geboten, wie sie ältere Handschriften
auch anderer Autoren, z. B. des Benedikt von Nursia, des Antoninus
Placentinus, Adamnanus aufweisen. Sicher gehört manches davon dem
Autor selbst an; freilich ist es in vielen Fällen unmöglich, zwischen dem
Sprachgebrauch des Autors und dem der Handschriften eine scharfe
Grenze zu ziehen. Auch der Index verborum et locutionum p. XV bis
XVIII enthält manches Interessante, z. B. arbor als Masculinum 101, 4
und 101, 7 wie die Visio Pauli, alium = aliud, mare als Ablativ, fructos
acc. plur., ostium nicht ianua, pusillus statt parvus etc.
E. Wölfflin, Didascalia apostolorum. Archiv IX S. 522.
Die von Hauler im cod. Veron. LV entdeckten Fragmente des
lateinischen Textes der Didascalia apostolorum zeigen vulgären [?] Cha-
rakter nach Formen zu schließen wie couoxius, rixiosus, auguriari,
deiuvare, intamiuatio.
Dem Mittellatein sind folgende Schriften gewidmet.
B. Kubier, Zur Sprache der leges Burgundionum. Archiv VIII
•S. 445—451.
Die Ausgabe der leges Burgundionum von Salis in den ilonumenta
110 Jahresbericht über Vulgär- uud Spätlatein 1891—^)7. (Geyer.)
Germaniae, veranlaßte den Verfasser zusammenzustellen, was ihm in
sprachlicher Hinsicht bemerkenswert erschien. Mit Recht warnt er
davor, aus diesen Gesetzen ohne weiteres ein gallisches Latein kon-
struieren zu wollen, da erst die Quellen untersucht und zeitgenössische
Schriftsteller [auch Gesetzessammlungen anderer Länder, z. B. die leges
Langob.] zum Vergleich herangezogen werden müßten. Da der Ver-
fasser dies selbst nicht gethan hat, gestatte ich mir einige Bemerkungen.
Das Perfekt secavi findet sich auch in der Lex Salica öfters, z. B.
Cod. Bes. und Sang. ed. Holder 1880 S. 58; zu convinctus vgl. vinctus
Anon. Yales. 283, 11. Ob liberum potiatur arbitriura als Beleg für potiri
mit Accusativ oder als umgekehrte Schreibuntr zu betrachten ist, ist
zweifelhaft. Furare als Activum findet sich schon bei Silvia S. 96, 8
und oft in der lex Salica. Zu acceptor Habicht vgl. Archiv VIII
S. 123. Capulare Lex. Sal. a. a. 0. S. 58; dis- und excapillare Lex
Emend. S. 44; minare Lex Sal. S. 47, sagittare ib. S. 59, superventus
ib. S. 50; tintinuus ib. S. 54. Durch das Vorkommen von gremium
= manipulus wird die Archiv VIII S. 191 aufgestellte Annahme, dies
sei ein Africismus, hinfällig.
P. Geyer, Kritische und sprachliche Erläuterungen zu Antonini
Piacentini Itinerarium. Programm des Gymnasiums bei St. Anna
in Augsburg 1892. XIV. 76 S.
In seiner verdienstvollen kritischen Ausgabe dieser Pilgerschrift
hat Gildemeister manche Fehler des Verfassers den Abschreibern zur
Last gelegt und darum korrigiert, auch an mehreren Stellen den von
ihm edierten Text nicht verstanden. Referent giebt daher zuerst eine
grammatikalische Übersicht der Sprache, die erkennen läßt, daß der
Verfasser ein Italiener war, und begründet die von ihm für notwendig
befundenen Abweichungen vom Gildemeisterschen Text. Die Abhandlung
ist eine Vorarbeit zu einer demnächst erscheinenden neuen Ausgabe.
J. J. Hoeveler, Die Excerpta Latina Barbari. IL Teil: Die
Sprache des Barbarus. Programm des Kaiser- Wilhelm-Gymnasiums
in Köln 1896. 29 S. 4.
Die Ausgabe der Chronica minora von C. Frick, Leipzig, Tenbner
1892, und von Mommsen in den Monum. Germ, bist., auct. ant. t. IX
erleichtert das Studium dieser barbarischen Chronik. Mit Recht wird
die Bezeichnung sermo plebeius für dies von den gröbsten Fehlern
wimmelnde Kauderwelsch eines der lateinischen Sprache nur sehr mangel-
haft kundigen Barbaren abgelehnt. Um die Eigentümlichkeiten der
Sprache dieses Autors darzustellen, war es unerläßlich, die individuellen
Fehler zu sondern von den Erscheinungen, die überall bei mittelalter-
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891—97. (Geyer.) 1]1
liehen Schriftstellern und in Handschriften des 6. — 8. Jahrhunderts auf-
stoßen. Die Arbeit beschränkt sich zu ausschließlich auf den Barbarus.
So ist nichts gewöhnlicher als die Schreibweise discendere (p. 5 Anm. 3),
heremns, hostium, Hellas, Heliseus, Hieremias u. s. w., ebecso Israhel,
Samuhel, Chebron. Ebensowenig ist die Unterlassung der Assimilation
eine Eigentümlichkeit des Barbarus. Optineo (S. 14) findet sich schon
auf der Scipioneninschrift, Tallorum statt Gallorum. Traclitus statt
Heraclitus, Tamus -^ Samus sind einfach Schreibfehler. Zu Ecatin
ist kein Nominativ Ecatis anzusetzen; es ist der griechische Accusativ
in iotazistischer Schreibart; ähnlich verhält es sich mit Ippokratis und
Johannis, wo Verf. gar Genetiv statt des Nominativ annimmt. Multo
ditatns und nudi sapientes sind wohl getrennt zu schreiben ; sicher pisces
comednli und statuas conpo&itor, vgl. Archiv. IX S. 577.
Unter den Pronominalformen (S. 23) fehlt haec = hae, z. B. 196, 4
haec sunt autem gentes und 196, 24 provintiae sunt haec. Linire ist
nicht vom Barbarus in eine andere Konjugation hinübergezogen worden,
sondern ist eine weit verbreitete vulgäre Nebenform, vgl. ßönsch Itala
S. 285; dividet = dividit aber ist überhaupt kein Übergang in eine
andere Konjugation, sondern erklärt sich rein graphisch aus der Ver-
taaschung von i und e. Zu per aridam 16 a 21 ist natürlich terram
zu ergänzen; Beispiele dafür bietet Rönsch S. 100. Jodae 32a 23 ist
nicht Genetiv statt des Nominativs, sondern = 'Iwoae. Auch sonst ist
die Zahl der Mißverständnisse nicht gering. 49a manifestavimus vera-
citer omnium potestatem regum wird omnium = ommem erklärt, statt
daß es mit regum verbunden wäre. 35 b 31 Excepto illum montem
Sina vgl. des Ref. Kritische und sprachliche Erläuterungen zu Antoninus,
Augsburg 1892 S. 2 und 28, wo eine Reihe von Belegen für präpo-
sitionales excepto gesammelt sind. 14b 1 significantes (Hoveler erklärt
es = significatis) autem nomina montium necesse est de fluvios nuntiare
tibi ist das Part. Praes. = Part. Aor. Act. „nachdem wir bezeichnet
haben." Migrare und transraigrare -^ transferre (45a 6; 46b 7; 27a)
scheint im Mittellatein sehr üblich gewesen zu sein, da Baeda in seiner
Schrift de orthographia sagt: Item transmigrare dicitur cum additamento
accusativi casus , cum aliquem de loco ad locum trausfero. Auf einem
Mißverständnis beruht dei' Titel „Umschreibung des einfachen Verbums
dui'ch facere mit dem Part. Praes. des entsprechenden Wortes": l6b 17
fecerunt autem et in herimo filii Israhel comedentes manna. Daß facere
= degere, morari ist, geht hervor aus 17a 8 und 9. Vgl. auch Silvia
S. 68, 70, 71 und die zahlreichen Belege, die Mayor giebt The Journal
of Philologj' 1894 S. 196. Unrichtig ist S. 28: „Von einem intran-
sitiven Verbum ist ein persönliches Passivum gebildet 13b 14 Madinii
fortiores qui expugnati sunt" [auch 47a, Silvia bei Petr. Diac. S. 141
112 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlateio 181)1—97. (Geyer.)
quando Jesus expugnavit Anialech]. Expugnare findet sich ebenso schon
bei Cornelius Nepos und Livius, vgl. Weilienborn zu Liv. 25, 28, 7 und
Nipperdey zu Corn. Ages. 5, 4.
E. Wölfflin, Die Latinität des Benedikt von Nursia, Archiv
IX S. 493-521.
Derselbe, Der Infinitiv meniinere Archiv X S. 10.
Louis Havet, Meniinens Archiv X S. 175.
In den Abschnitten: Vokalismus, Konsonantismus, Deklination,
Genus, Konjugation, Pronomina und Zahlwörter, Präpositionen und
Partikeln, Syntaxis casaum, Komparation, Verba reflexiva, Nebensätze,
Allitteration und Reim, Gräcismeu erhalten wir ein anschauliches Bild
von dem Latein, wie es im 6. Jahrhundert von weniger gebildeten Per-
sonen geschrieben wurde. Als weitaus zuverlässigste Überlieferung wird
die des cod. Oxon. s. YII/VIII betrachtet, dem Verf. fast in allen
Einzelheiten, auch der Orthographie, sich unbedingt anschließt. Es ist
wohl kaum möglich, die ursprüngliche Passung Benedikts bis ins kleinste
genau zu eruieren. Auch in dem Bestreben, die durch die großartige
Verwirrung im Vokalismus, im Gebrauch der Aspirata und in der An-
wendung der Kasus entstandenen Barbarismen auf Regeln zurückzu-
führen oder zu erklären, scheint mir zu weit gegangen zu sein. Kein
Autor fordert so zum Vergleich mit Benedikt heraus als der demselben
Jahrhundert angehörende, wenn auch ein Menschenalter später lebende
Antoninus Placentiuus. Dort findet sich dasselbe Schwanken zwischen
Oratorium und oraturium, sedit und sedet, grados und gradus. Die
dritte Person Sing, der Verba der 3. Konjugation geht wie bei Benedikt
und Silvia oft auf -et, die 3. Person Pluralis auf ent- aus, vgl. mein
oben angeführtes Programm S. 29 undBonnet, le latin de Gregoire p. 430ff.
Darum ist bei Bened. 22, 5 si multitudo non sinet an kein Futur zu
denken, ja die S. 495 noch offen gehaltene Möglichkeit ist durcli das
vorangehende si potest fieri ausgeschlossen, Cingellis 22, 8 ist keine
Korruptel statt cingillis, sondern durch die übereinstimmende Über-
lieferung bei Antonin. 14, 1 gesichert. Wenn wirklich falsche Etymo-
logie die unrichtige Aspiration in habundantia, abhominamentum, hostium
verursacht haben sollte, so ist sicher Benedikt unschuldig daran, da der
gleiche Fehler gerade in diesen Wörtern sich in vielen Handschriften
anderer Schriftsteller findet: dasselbe gilt von repperio und ammoneo.
Unnötig scheint mir die zu 59, 9 vorgeschlagene Änderung von subiecta
persona in subfecta, Subiecta persona „untergeschobene, vorgeschobene
Person" scheint juristischer Terminus zu sein wie das in den mero-
wingischen Urkunden so häufige opposita persona. Memorari --= memi-
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlateia 1891—97. (Geyer.) 1 L.3
nisse (S. 504) ist keine Neubildung Benedikts, sondern der Bibelspraclie
entlehnt. S. 505 wird angenommen, 53, 3 quia ipse Christus dicturus
est: hospis fui sei das Participum fnturi an die Stelle des Part. präs.
getreten; dies ist aber nicht zuzugeben, vielmehr hat das Futurum seine
volle Bedeutung: Christus wird so sagen am jüngsten Gericlit. Das
Neutrum ipsud findet sich schon bei Silvia S. 48, 5; 62, 23; 79, 9;
88, 15; 102, 5; ebendort wird auch modice = pauIo gebraucht; wie bei
Benedikt 8, 4 steht ut modice amplius dimidia nocte pausetur, heißt
es bei Silvia S. 51, 20 locus quasi modice altior; 53, 28 raodice autem
erat acrius; 53, 32 vidi locum modice quasi altiorem; 56, 4 infra autem
modice deorsum ; 95, 18 sedent modice (■=^ paulum) in domibus suis. Zu
dem passivisch gebrauchten venerari findet sich das Activum Vita
Hugb. c. 3 quod postea fanatici homines more sacrilego venerabant;
auch die Verwecheselnng von Part. fut. aet. und pass. findet sich im
Mittellatein nicht selten, z. B. Vita Hugb. S. 61 illo somno omnes
capturi sumüs und umgekehrt Vita Wandreg. S. 33 ubicumque fuerit
invocatus (deus), illico ad praesens est exaudiendus.
Franz Eanninger, Über die AUitteration bei den Gallolateineni
des 4, 5. und 6. Jahrhunderts. Programm des Gymnasiums Landau
1895. 55 S. 8.
Der Wert dieser Arbeit beruht auf den fleißigen Sammlungen
über die der Verfasser verfügt. Zu vielen Stellen des begleitenden
Textes wird freilich mancher den Kopf schütteln, wie z. B. zur An-
nahme einer AUitteration zwischen f und v bei Paulinus von Nola und
Faustus von Bei oder gar von c und s in den Panegyrikern, bei Sidon.
Apollinaris und Sulpicius Severus. Unzutreffend ist auch die Form, in
welcher von der Schwächung des lateinischen ca in che gesprochen
wird (S. 14) und ein großer Teil des Verzeichnisses der dem Latein
entnommenen altfranzösischen Allitterationen, indem häufig zwischen den
lateinischen und altfranzösischen Beispielen fast jede Beziehung fehlt,
z. B. caaus comosus und chauf chevelu, sanguis spuma und sang cervele,
S. 14 wird faim-frois [fames-frigus, nicht frigidus] zusammengestellt mit
lat. fames flamma, obwohl die Verbindung ferro fame frigore schon aus
Sallust und aus seinem mittelalterlichen Nachahmer Widukind bekannt
ist. Interessant wäre es, zu vernehmen, wie sich Poesie und Prosa in
der Häufigkeit der Anwendung dieser Sprachfigur zu einander ver-
halten. Auijer der angeführten Litteratur hätte noch mit Nutzen
verwendet werden können: G. Groeber, Altfranzösische AUitteration,
Zeitschrift f. rom. Philol. 1882, S. 467; W. Biese, Allitterierender
Gleichklang in der französischen Sprache alter und neuer Zeit. Disser-
tation. Halle 1888; F. Kriete, Die AUitteration in der italienischea
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVIII. (1898. III.) 8
114 Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891— fiT. (Geyer.)
Spruche. Dissertatiou. Halle 1893. Ancli der Abschnitt, über dio
Allitteratiou bei Boiinet, le latin de Gi egoire de Tours, S. 727 ff. hätte
auch für das alphabetische Verzeichnis noch manchen Beitrag geliefert,
z. B. longa lateque, pater patria, qualites^quantitasque, talis tantusque.
Auch sonst dürfte das Verzeichnis nicht immer vollständig sein: so
habe ich mir aus Salvian ad ecclesiam noch folgende bei E. fehlende
Allitterationeu notiert: ad contemptum atque ad contumeliam IV 3. 14;
longe ac late I 11, 58; plangens ac paeuitens I 10, 54; viventibus atque
valentibns I 3, 14; obicem atqne ob?taculum III 20, 93; aus Sulp. Sev.:
voluntas vota V. ilart. 9; Paulinus Petric: nee vis nee vincla 11558;
Hilarius de tiin. I: otium et opulentia. Will man übrigens die AUitte-
ration bis ins Altfrauzösische verfolgen, so darf man nicht beim 6. Jahr-
hundert stehen bleiben. Die'merowingischen Urkunden des 7. und 8.
Jahrhunderts, welche die Lücke ausfüllen, würden noch manchen Ertrag
abwerfen, wobei freilich noch^untersuclit werden müßte, was etwa aus
den römischen Juristen herübergenommen und was auf germanischen
Einfluß zurückzuführen ist. Z. B. calliditate aut cupiditate, Pardessus
Diplom. 275a. 6^6; 423 a. 692; 550a. 731; condonare vel confirmare
468 a. 706; cum cousilio et consensu 406 a. 686; couspicere et consolari
329a. 651: expectandi et explicandi 275a. 636; expetendi vel explicandi
355 a. 666; genus et germen 406a. 686; licri aut firmari 467 a. 706;
468; longa lateque 376a. 695; magnum et mirabile 273a. 635; pastus
aut paratus 435a. 696; pauca et praecipua 333 a, 659; pauperibus et
peregrinis 442a. 697; peregrinorum ac pauperorum 451a. 700; pcccata
et poena 461a. 704; pensare atque perpendere 404a. 685; persona vel
potestas 469a. 706; regiones et regna 246a. 629; satis snperque 423a.
692; secreta septa 275a. 636; 355a. 666; securiter sancte 451a. 700;
temporalia et transitoria 273 a. 635; trado transfaro atque transfundo
393a. 680; usu aut utilitate^858a. 667; inventus vel investigatus 608a.
741; vicos viilas vineas 258a. 632; villas vicos ib; victus et vestitus
423a. 692; 437a. 692; 438a. 692.
Dar Gleichheit des Gegenstandes halbei- darf ich wohl gleich hier
erwähnen die interessante Arbeit eines Neuphilologen:
F. Kriete, Die Allitteratiou in der italienischen Sprache mit
besonderer Berücksichtigung der |;Zeit fbis Torquato Tasso. Disser-
tation. Halle 1893. 68 S.
Das Italienische weist zahlreichere allitterierende Veibindungen
auf als das Französische. In dar Prosa des Boccaccio beruhten die-
selben größtenteils auf bewußter Nachahmung des Lateinischen, bei den
italienischen Lyrikern sind dieselben meist den Provenzalen nachgeahmt;
am weitesten geht in ihrer Anwendung Torquato Tasso. Somit wäre
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891 — 97. (Geyer.) 115
also die Allitteration im Italienischen kein aus dem Altertum fort-
lebendes Element, sondern lediglich Kiinstmittel. Widerspricht dem
aber nicht ihre häufige x\uvveudung im Sprichwort, wofür S. 25 f. eine
Reihe von Beispielen gegeben wird, von denen freilich ein Teil eher
"Wortspiele* als Allitterationen sind? Sollten die vielen auch im
Französischen erhaltenen lateinischen allitterierenden Verbindungen,
wie araor amicitia, corpus cor, daninum dolor, facere formare, fruges
flores etc. alle im Italienischen auf Nachahmung beruhen?
J. Huemer, Gallische Rhythmen und gallisches Latein. Eranos
Vindobonensis. Wien 1893. S. 113— 1 HO.
Es werden zunächst rhythmische Poesien besprochen aus dem von
Bondurand 1887 herausgegebenen liber nianualis Dhuodae vom Jahre 943
mit vielfacher Polemik gegen Traube, Karolingische Dichtungen. Schriften
zur germanischen Philologie, herausgegeben von Max Rüdiger, 1. Heft,
Berlin 1888. Ähnliche Rhythmen finden sich auch bei Arndt, Kleine
Denkmäler aus der Merowingerzeit , S. 21. Specifisch Gallisches ist
unter den auf S. 121 ff. zusammengestellten sprachlichen Eigentümlich-
keiten kaum zu finden, höchstens mis statt meis und tuam II 3, 4 und
15, 4 — tuam. Merkwürdig ist, daß solche Unsicherheit in bezug auf
schließendes s herrscht, das doch sonst in Gallien intakt geblieben ist.
Die vollständige Konfusion der Kasusendungen erinnert au die von
S. Riezler herausgegebene Vita Corbiniani oder an die von Arndt in
den kleinen Denkmälern veröffentlichte Vita Wandreg. Bemerkenswert ist
der Übergang der Neutra ins Femininum, der Genuswechsel der Wörter
auf or, Übergang der 4. Deklination in die zweite, praestus schnell.
Von einem bedeutungslos angehängten que kann bei dem S 123 ange-
führten Satz nicht die Rede sein: homo natus de muliere brevi vivens
tempore multisque repletur miseriis; denn vivens vertritt das Verbum
finitnm, wie S. 117 Anm. 2 bei anderen Stellen angenommen wird.
Georg Goetz, Über Dunkel- und Geheimsprachen im späten
und mittelalterlichen Latein. Berichte der K. Sachs. Gesellschaft der
Wissenschaften. 1896. S. 62—92.
Die Entstehung von Litteraturprodukten wie der in Afrika ver-
faßten praefatio der Anthol. Palatina, des im Merowingerreich ge-
schriebenen Aethicus Ister, des Polipticum des Atto von Vercelli, der
Hisperica Famina u. s. w. wird erörtert und wertvolle Beiträge zur
Erklärung und Kritik dieser rätselhatten Schriftstücke werden gegeben.
Vgl. meine Besprechung im Archiv für lat. Lexikogr. X. S. 295.
Carl Neff, De Paulo Diacono Festi epitomatore. Leipziger
Inauguraldissertation. Erlangen, Jakob, 1891. 54 S. 8.
116 .lahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891—97. (Geyer.)
Der Verfasser gibt eine Übersicht der Grammatik und des
Sprachgebrauchs des Paulus Diaconus, um auf dieser Grundlage den
Nachweis zu führen, daß er der Exzerptor des Festus sei, nicht irgend
ein anderer. Da Paulus Diaconus ein füi' seine Zeit sehr gutes Latein
schrieb — mit Recht werden verschiedene Soloecismen auf Rechnung
der Schreiber gesetzt — bietet seine Sprache wenig charakteristische
Merkmale. Alle Eigentümlichkeiten die aufgeführt werden, ließen sich
auch bei anderen spätlateinischen Schiiftstellern nachweisen. Aus der
Sprache ließe sich daher der Identitätsbeweis kaum führen, wenn nicht
andere Gründe vorhanden wären; jedenfalls dürfte die Darstellung der
Sprache nicht auf P. D. allein beschränkt werden, sondern es müßten
auch andere Autoren zur Vergleichung herangezogen werden.
A. Nürnberger, Disquisitiones criticae in Willibaldi Vitam
S. Bonifatii. Programm des kath. Matthias-Gymnasiums zu Breslau
1892. XVII S. 4.
Der Verfasser, der eine kritische Ausgabe der Schriften des
Bonifatius vorbereitet, zeigt, daß Jaffe in seiner Ausgabe der Vita
Bonifatii die eigentümliche Orthographie der besten Handschrift, des
cod. Mon. 1086, sowie viele Abweichungen von den Regeln der la-
teinischen Schulgrammatik mit jüngeren Handschriften wegkorrigiert,
auch die Besserungen 1. und 2. Hand nicht genügend unterschieden
habe, und gibt nun eine Zusammenstellung über Orthographie und
Grammatik "Willibalds, die nicht ohne Interesse ist. Die wichtige, aber
schwierige Unterscheidung, welche von diesen Formen bloße Schreib-
versehen, welche der Sprache Willibalds zuzuschreiben sind, soll bei
anderer Gelegenheit gelöst werden.
Ich selbst habe in einem Programm:
P. Geyer, Adamnanus, Abt von Jona. I. Teil. Sein Leben.
Seine Quellen. Sein Verhältnis zu Pseudo-Eucherius de locis sanctis.
Seine Sprache. Augsburg 1895. 47 S. 8,
S. 39—47 den gesuchten und gekünstelten Stil des Adamnanus, in dessen
Sprache zahlreiche aus der Dichterlektüre und der heiligen Schrift
stammende Elemente vereinigt sind, zu charakterisieren versucht.
Jules Jeanjaqnet, Recherches sur l'origine de la conjonction
'que' et des formes romanes equivalentes. Diss. v. Zürich. Paris,
Welter. Leipzig, G. Fock. Nenchatel, Attinger 1894. 99 S. 8.
Für den Accus, mit Inf. trat in nachklassischer Zeit quod ein
erst nach den Verba sentiendi und dicendi, dann auch nach denen,
welche ein Begehren ausdrücken. Dies quod diente bald auch als Er-
Jahresbericht über Vulgär- und Spätlatein 1891 — 97. (Geyer.) 117
satz für fioales und konsekutives ut. Vorschub wurde diesem Proceß
gethan durch den Zusammenfall von quo(d) nach Verstummen des
schließenden d mit dem finalen quo, das im Spätlatein auch für finales
ut eintrat. Ebenso wurde quod gebraucht als temporale Konjunktion
= cum, mit dem es schließlich auch lautlich zusammenfiel. Die Form,
Vielehe die Konjunktion in den romanischen Sprachen hat, qua, che, ver-
bietet aber eine direkte Ableitung von quod, kann aber leicht auf quem
zurückgeführt werden. Im Relativpronomen wurde allmählich der Accu-
sativ quem fast der einzige Kasus und verdrängte so auch das Neutrum
quod; der Gleichklang vom Neutrum quod und von der Konjunction
quod führte schließlich auch zur Verdrängung der letzteren. Was der
klar geschriebenen Arbeit einen besonderen Wert, auch für Nichtroma-
nisten verleiht, ist die große Belesenheit des Verfassers und die reichen
Litteraturnachweise, namentlich die vielen Beispiele ans dem gallischen
Mittellatein. Vermißt habe ich eine Erwähnung von eo quod, das
gerade in merowingischen Urkunden nach den Verba dicendi eine Zeit
lang einfaches quod überwuchert. Eine große Anzahl von Belegstellen
habe ich gesammelt Krit. Bern, zu Silvia, Programm des St. Änna-
Gymn. Augsburg 1890 S. 6—8; quod = cum ebend. S. 8 — 10; quomodo
= cum ebend. S. 37 und Krit. Erl. zu Antonin. Piacent. Programm
von Augsburg 1892 S. 70. Nichts zu thun mit konsekutivem ut hat
quod in dem S. 18 angeführten Beispiel taliter locutus fnit quod. S. 22
oben Cael. Aurel. chron. IV 56 ist quod nicht quo, sondern ßelativum.
In dem S. 55 oben angeführten Beispiel der Lex. cur. 423, 21 ist quid
nicht Konjunktion, sondern = quod dem Neutrum des Relativpronomens.
-«\®®a'»-
Bericht über die jüdisch-hellenistische Philosophie
1889 1898
von
Paul Wendland.
Ich beginne mit einigen Werken, die das Gebiet dieses Berichtes
nui* in einzelnen Teilen behandeln. Eine zusammenfassende Darstellung
der jüdisch -hellenistischen Litteratur giebt Suseraihl in seiner Gre-
schichte der griechischen Litteratur in der Alexandrinerzeit II S. 601.
— 656. Auf einzelne Ausführungen desselben nehme ich im folgenden
bezug. In Haruacks Altchristlicher Litt. Leipzig 1893 wird S. 845
— 864 die von den Christen angeeignete jüdische Litt, behandelt.
Ein sehr nützliches, wenn auch in philologischer Hinsicht nicht
gerade vollkommenes Hülfsmittel giebt
Th. Reinach, Texts d'auteurs grecs et romains relatifs au
judaisme, r6unis, traduits et annotes. Paris 1895. 375 S.
Ich verweise auf die Kritik von Willrich, ßerl. philol. Woch.
1895 Sp. 987 und L. Cohn, Monatsschrift f. Gesch. u. Wiss. d. Jud.
XLI 1897 S. 285 ff.
Zum Teil berührt sich damit:
H. Willrich, Juden und Griechen vor der makkabäischen Er-
hebung. Göttingen 1895. 176 S.,
der S. 43 ff, die ältesten Zeugnisse der griechischen Schriftsteller über
die Juden behandelt. — Derselbe hält die übliche Reihenfolge: Pseudo-
Hekataios, Aristeas, Aristobul fest, rückt aber den erstereu bis in die
Zeit um 100 v. Chr., die beiden letzten bis in die römische Kaiserzeit.
M. E. ist der Ilekataios bei Josephus überhaupt der echte, Aristobul
ein christlicher Fälscher, hat Aristeas sicher noch zur Zeit der Ptole-
mäer geschrieben. Wichtige Bedenken gegen andere Hypothesen des
Verfassers (die jüdische Diaspora in Ägypten und die Entstehung
Bericht üb. d. jüdi^ich-hollenistische Philosophie ISS!)- 08. (Wi^ndiand.) 119
der LXX sucht W. tief hiiiabzurückeu) haben Wellhausen, Gott. gel.
Auz. 1895 S. 947 ff., Wilckeu, Beil. philol. Wuch. 1896 No. 46. 47
und Schürer, Th. L. Z. 1896 No. 2 seäiißert.
Aus Wellhausens Israel, und jüdischer Gesch. (3. Ausg. 1897)
kommen besonders die Ausführungen über die jüdische Diaspora S. 229 ff.
und das 19. Kap. ,Die Ausbildung des Judaismus" in betracht, aus
Holtzmanus Neutestamentlicher Theologie (1897) namentlich der Ab-
schnitt I 85—110 „Die alexandrinische Theologie", in dem die Essäer
mit besonderer Ausführlichkeit behandelt werden, aus Harnacks Dog-
meugcsch. (3. Aufl 1894) der Abschnitt über den jüdischen Hellenismus
1 103 — 111. Philos geschichtlicher Einflul.1 wird hier besonders klar
formuliert. Doch halte ich Thilos in der Ekstase gipfelnde Mystik nicht
für durchaus original. Die Ekstase ist zwar sein eigenes Eilebnis, aber
wohl durch eine Art Sus.'gestion aus dem Platonismus ins Judentum
übertragen. Vielfach berührt unser Gebiet E. Hatch, Griechentum
und Christentum. Deutsch von E. Preuschen. Freiburg i. B. 1892.
Die 3. Vorlesung behandelt die allegorische Auslegung der heiligen
Texte durch Juden und Christen. Die wiederholt geäulierte Ansicht,
daß Philo ein Sammelname für Schriften veischiedener Verfasser sei,
läßt sich nicht erweisen.
M. Friedländer, Zur Entstehungsgeschichte des Christentums,
ein Exkurs von der Septuaginta zum Evangelium. Wien 1894. 172 S.
Ders. , Das Judentum in der vorchristlichen griechischen Welt.
Ein Beitrag zur Entstellungsgeschichte des Christentums. Wien und
Leipzig 1897. 74 S.
Im 1. Kap. verfolgt der Verf. die Lehre von der göttlichen
otivapn; durch die jüdische und älteste chi'istliche Litt. Mit Unrecht
wird die alexandrinische Lehre schon für Sirach vorausgesetzt. Auch
werden die Ausführungen des Verfassers durch das, was unten über
die Septuaginta und über Aiistobul zu bemerken sein wird, wesentlich
modifiziert. Die Ableitung des gesamten Gnosticismus aus dem ,.Älexan-
drinismus" S. 30 verkennt die Mannigfaltigkeit seiner Erscheinungs-
formen. — Im 3. Kap. beschäftigt sich der Verf. mit dem „Therapeu-
tismns". Er bestreitet den cliristlichen Charakter der Therapeuten mit
Recht, giebt aber die Echtheit der philonischen Schrift preis (doch s.
unten), die von einem Schüler Philos verfaßt sein soll. Die Therapeuten
sollen eine vorgeschrittene Ptichtung des „Alexandiinismus" sein. Die
Hauptfehler der Untersuchung sind, daß gar keine Kiitik an dem ten-
denziösen Belichte Philos geübt, Bedeutung und Verbreitung der jüdisch-
120 Bericht üb. d. jüdisch-hellenistische Philosophie 1889—98. (Wendland.)
alexandriuischeu Philosophie überschätzt, Essäer uüd Therapeuten, die gar
nichts miteinander zu thun haben, gleichgesetzt werden. — Die Essäer
(Kap. IV) sieht Fr. als griechisch redende, von alexandrinischer Weis-
heit genährte Juden an. Bei ihnen hat sich Josephus seine griechische
Bildung geholt (I). Diese essäische Philosophie war schon vor den
Makkabäerkriegen ausgebildet, Johannes der Täufer ihr Apostel, das
Christentum hat ihr Erbe angetreten. Von allen anderen Unwahrschein-
lichkeiten zu schweigen, mahnt allein die eine Thatsache, daß Josephus
und Philo die jüdischen Erscheinungen zu gräcisieren lieben, energisch
dazu , ihre gräcisierenden Tendenzen mit kritischem Mißtrauen zu be-
trachten, nicht noch ins Maßlose zu übertreiben. — Das letzte Kap.
, Alexandria und Jerusalem" sieht die Anhänger der nach Fr. schon im
3. Jahrh. fertigen alexandrinischen Religionsphilosophie als die Ver-
treter der jüdischen Propaganda, die Septuaginta als ihre wichtigste
Waffe an. Aus dem Konflikte dieses jüdischen Hellenismus mit dem
Pharisäismns soll das Christentum hervorgegangen sein, und Paulus war
ein Jünger und Apostel der philosophischen Richtung der jüdischen
Diaspora!
Die zweite Schrift behandelt von denselben Giundanschauungen
aus die allgemeinen Kulturverhältnisse, Tendenzen, Parteiungen der
jüdischen Diaspora; s. meine Anzeige D. L. Z. 1897 No. 38.
Septaaginta.
J. Freudenthal, Are there traces of greek philosophy in the
Septuaginta. Jewish quarterly review 1890 II S. 205 — 222
beginnt mit einem interessanten Überblick über die bisherigen Forschun-
gen und die weit auseinandergehenden Ansichten und erörtert dann die
Frage von einem wesentlich neuen Gesichtspunkt, indem er dem Sprach-
gebrauche einer Reihe von allgemeineren Begriffen, wie <{'"Z^5 t^vot^,
voü;, (ppovY)5t?, ahbT]Gii, dpexr^, Tipovoia, xosfiot nachgeht. Er zeigt, daß
die Übel Setzer hier durchweg den naiv volkstümlichen Sprachgebrauch
in einer Weise befolgen, die jede Bekanntschaft mit griechischer Philo-
sophie und ihrer Terminologie ausschließt. Er bespricht dann einzelne
Stellen, an denen bisher mit Unrecht philosophischer Einfluß angenommen
wurde, und zeigt, daß auch die Milderung der Anthropomorphismen nicht
durch diesen EinfluH erklärt zu werden braucht. — Freudeuthals Stand-
punkt läßt sich auch durch die Erwägung bestätigen, daß die Philo-
sophie überhaupt in Alexandria erst spät Boden gewann, ihr Einfluß
auf das Judentum, da Aristobul unecht ist, vor dem 1. Jahrh. nicht
nachweisbar ist.
Bericht üb. d. jüdisch-hellenistische Philosophie 1889— 98. (Wendland.) 121
Weisheit Salomos.
Menzel, Der griechische Einfluß auf Prediger und "Weisheit
Salomos. Halle 1889. 70 S.,
bespricht die wirklich überzeugenden Anklänge an philosophiscüe Ideen
der Griechen im Buche der Weisheit; vgl. Arch. f. Gesch. d. Philos.
V S. 111-112.
E. Pfleiderer sucht in den Jahrb. f. prot. Theol. XV S. 319
—320 die Identität des Verfassers der Weisheit mit dem der pseudo-
heraklitischen Briefe daraus zu beweisen, daß im 6. Briefe, in dem eine
Darlegung der Wunder beim Auszuge aus Ägypten und beim Zuge durch
die Wüste sehr willkürlich gefunden wird, das Mannawunder, weil schon
im Buch der Weisheit behandelt, übergangen sei.
J. Frendenthal, Jewish quarterly review III 1891, S. 722 —
753 führt gegen Margoliouth den durchaus überzeugenden Beweis, daß
die Schrift ursprünglich in griechischer Sprache verfaßt ist, giebt dabei
eine feine Charakteristik ihres Stiles und des Einflusses griechischen
Denkens auf sie.
Benutzung der Schrift durch Paulus macht wahrscheinlich E. Gräfe ,
Theol. Abhandlungen, Weizsäcker gewidmet. Freiburg i. B. 1892.
S. 251—286.
Aristobul.
Während man jetzt fast allgemein die Erläuterung des mosaischen
Gesetzes für die Schrift eines jüdischen Autors des 2. Jahrh. v. Chr.
ansieht (so Schürer, Susemihl, Harnack a. a. 0.), führt Elter^}
sehr gewichtige Gründe gegen die Echtheit der Schrift an. Das or-
phische Gedicht (Er, 4. 5 Abel) wird wie die anderen gewöhnlich auf
Pseudo-Hekataios zurückgeführten gefälschten Dichterverse als christ-
liches Machwerk des 2. Jahrh. n. Chr. erwiesen, die aristobuüsche
Gestalt desselben als eine der fortschreitenden Interpolationen der ur-
sprünglichen Form bei [Justin] de monarchia. ^) Aristobul bezeichnet
nicht nur einen über Aristeas fortgeschrittenen Standpunkt, sondern er
benutzt auch, ungeschickt genug, die Schriften Philos. — Ablehnend
gegen Elters Ansicht verhalten sich Gercke in Wissowas R. E. 11 1
*) Bonner Universitätschriften 1893—95, zusammengefaßt unter dem
Titel De gnomologiorum graecorum historia atque origine Sp. 152—250;
vgl. meint Ausführungen ßyz. Z. VII 445—449.
122 Bericht üb. d. jüdisch-hellenistische Philosophie 1889—98. (Wendland.)
S. 918 ff., dessen Gründe mir nicht stichhaltig scheinen, und, oberfläch-
lich absprechend, Bousset in Herzoj^s II. E.^ II S. 49.
Im Zusammenhange damit werden auch von Elter die üblichen
Ausetzungen (s. Susemihl) des Aristeas und Pseudo-Hekataios widerlegt.
Auch der falsche Hekataios gehört der christlichen Litteratur des
2. Jahrh. au. Die Bruchstücke des Hek. bei Josephus sind echt, und
Aristeas hat also nur den echten Hekataios von Abdera benutzt und
benutzen können. — Für die Zeit der Abfassung des Aristeasbriefes, *)
der für die Eutwickelung des jüdischen Denkens in mancher Hinsicht
wichtig ist (Allegorische Auslegung), giebt die Benutzung durch Aristo-
bul jetzt keinen Anhalt mehr.
Essaeer und Tlierapeuteu.
1. Nirschl, Die Therapeuten. Mainz 1890. 60 S.
2. Weinstein, Beiträge zur Geschichte der Essäer. Wien 1892.
92 S.
3. Conybeare, Philo about the contemplative life, critically
edited with a defence of its genuiness. Oxford 1895. 403 S.
4. Wendland, Die Therapeuten und die philonische Schrift
vom beschaulichen Leben. Ein Beitrag zur Geschichte des helle-
nistischen Judentums. Jahrb. f. klass. Philol. Suppl. Bd. XXII
S. 695-770.
Für N. ist der christliche Charakter der Therapeuten durch Lucius,
die Echtheit der Schrift durch Massebieau bewiesen. Daraus ergiebt
sich die abenteuerliche Ansicht, daß Philo wirklich einen christlichen
Mönchsorden gekannt und geschildert habe, eine Ansicht, die weiter zu
allen mÖLrliclien mit der Geschichte des ältesten Christentums in schroffem
Gegensatze stehenden Phantasien führt.
W. sucht mit Aufwand von viel Phantasie und zum Teil durch
recht fragwürdige talmudische Zeugnisse die Ansicht zu begründen, daß
die Essäer die Nachkommen der Rechabiten seien, daß sie zur Zeit der
Restauration des zweiten Tempels in Opposition gefjen das seiner Auf-
gabe nicht gewachsene Priestertum getreten und die Vertreter der Ge-
lehrsamkeit und der Tradition der Halacha gewesen seien. Den En-
thusiasmus und die überstrenge Richtung aus der Zeit der Makkabäer-
kriege hätten sie konservieren wollen, wären dadurch mit der hen-schen-
*) Leider hat Mendelssohn nur einen Teil seiner Ausgabe mit Kom-
mentar druckfertig hinterlassen: Aristeac quae fertur ad Philocratem epistu-
lae initium. Dorpat 1897.
Bericht üb. d. jüdiscli-helleoistische Philosopliic ISSO -OS. (Wendland.) 123
den Richtung des Judentums in Konflikt geraten und hätten sich in den
Süllen Palästinas, ihre urspriingliclie Heimat, zurückgezogen.
In Conybeares Werk findet man das reicliste Material zum Ver-
ständnis der philonischen Schrift zusamnien^'etragen. Er hat 1) auf die
gesamte von ihm erforschte t ' berlieferung, mit Einschluß der armenischen
und lateinischen, eine» zuverlässigen Text gegrüuilet, 2) durch einen er-
drückenden Beweisapparat sprachlicher und sachlicher Übereinstimmun-
gen die Autorschaft Philos festgestellt, 3) die Unmöglichkeit erwiesen,
daß in den Therapeuten Christen gezeichnet sein können. Hiermit ist
nur das Hauptverdienst des Werke.s bezeichnet, über das einzelne s.
Berl. philol. Wach. 1895 No. 23, Woch. f. klass. Philol. 1895 No. 49.
Die Wege Conybeares verfolge ich a. a. 0. weiter mit Ergänzung
und Kritik einzelner seiner Ausführungen. Ich j^ehe den ältesten Zeug-
nissen für die Existenz der Schrift nach, zeige, daß sie einen Teil der
philonischen 'AroXovi'a u-sp töjv Mouoaituv bildet und durchaus die auch
sonst in der jüdischen Apologetik wiederkehrenden Gemeinplätze repro-
duziert, ergänze die Ausführungen Conybeaies über Stil und Sprache
der Schrift. In der Verwertung des philonischen Berichtes weiche ich
darin von dei' bisherigen Darstellung, auch der Conybeares, ab, daß ich
den tendenziösen Charakter desselben stark betone, die subjektiven
Reflexionen und MotivirunL^en Philos von den historischen Thatsachen
scharf zu scheiden bemüht bin. Die jüdischen Elemente in der Lebens-
weise und Anschauung der Therapeuten^ aber auch heidnische Einflüsse
weise ich nach und zeige, daß weder die Therapeuten noch die Ent-
stehung der Schrift sich aus den Zeiten des beginnenden Mönchtums
begreifen lassen. Meine Ansicht, daß die Therapeuten gerade aus
Kreisen der Schriftgelehrten hervorgegangen seien, hat L. Colin, Woch.
für klass. Philol. 1896 Xo. 38, widerlegt Der jüdische Charakter der
Therapeuten und die philonische Autorschaft der Schrift — denn beides
hängt eng zusammen — sind jetzt fast allgemein anerkannt (vgl.
G Krüger, Beilage zur allgemeinen Zeitung 1896, 13. Mai). Von maß-
gebenden Forschern auf diesem Gebiete ist nur Schürer abweichender
Meinung, dessen Bedenken mir aber von L. Cohn a. a 0. widerlegt
zu sein scheinen. Eine vermittelnde Ansii;ht, daß die Schrift von einem
Schüler Philos verfaßt sei und die Anhänger seiner Weltanschauung
schildere, deutet Siegfried, Prot Kirchenzt. für das ev. Deutschland
1896 Xo. 42 an, ohne sich selbst die Unsicherheit dieser Hypothese zu
verhehlen. Damit kommt er Friedländer (s. oben S. 119) nahe.
Philo.
Eine Übersicht über die neueren Philo-ForschungengiebtL. Cohn,
Jewish quarterly review 1893 S. 24—50; die Litt, von 1887—1890
12-4 Beriebt üb. d, jüdisch-hellenistische Philosophie 1889-98. (Wendland.)
bespricht P. Wendland, Arcb. f. Gesch. der PhUos. V S. 225—236,
einige neuere Erscheinungen Fr. BoU, Blätter f. bayer. Gymnasial-
schulwesen 1898 S. 325—334.
Ich verzeichne zunächst die Ausgaben.
1. Philonis Alexandrini libellus de opificio mundi ed. L. Cohn,
Breslau 1889.
2. Philonis de aeternitate uiundi ed. et prolegomenis instruxit
Fr. Cumont, Berlin 1891.
3. Über Conybeares Ausgabe von uepl ßi'ou OewpTjxixoü s. S. 123
4. 5. Philonis Alexandrini opera quae supersunt ed. L. Cohn et
P. Wendland. Bd. I. H. Berlin 1896. 1897. (III erscheint 1898.)
1. Auch nachdem die Sonderausgabe der Schrift durch den
1. Band der Gesamtausgabe ersetzt ist, behalten doch namentlich die
sprachlichen Untersuchungen der Vorrede, die Sammlung philonischer
Parallelen unter und die philosophischer hinter dem Texte ihren be-
sonderen Wert.
2. Nachdem bereits Zeller (Herm. XV) Bernays Ansicht vom
nicht-jüdischen Ursprünge der Schrift widerlegt hat, beweist C. in der
Einleitung aus sachlichen Gründen und durch eine reiche Fülle sprach-
licher Beobachtungen, die noch durch die unter dem Text verzeichneten
Parallelstellen und durch einen sorgfältigen Index vervollständigt werden,
die Echtheit.
Während Bernays den Text oft einseitig auf die eine beste Hs
gegründet hat, ist dem Hrsg. durch Vergleichung der wichtigsten Hss,
auch durch Eniendation, eine w'esentlich bessere Gestaltung des Textes
gelungen. Vgl. die lehrreiche Anzeige von Gomperz, D. L. Z. 1892
No. 1 und meine Anzeige Berl. philol. Woch. 1891 No. 33; doch muß
ich meine Ansicht über den Wert der Hs F zurücknehmen, s. unten
No. 9.
3. Einen Nachtrag dazu giebt Stahl im Rh. Mus. LI S. 157
—160 und C. Weymann, Rh. M. LIII S. 316.
4. 5. Über die hsliche Grundlage der Ausgabe geben die Pro-
legomena beider Bände ausführlich Rechenschaft. Die Philohss in
Oxford und Paris bespricht L. Cohn in Philol. LI S. 266—275. Be-
nutzt sind auch die Citate in Florilegien, Catenen, bei Kirchenvätern;
auch die sicheren stillschweigenden Excerpte bei Kirchenvätern sind
unter dem Texte verzeichnet. Dies Stellenverzeichnis, nebst den Bd. I
S. LXXXXV ff. abgedruckten Testimonia wird einen guten Überblick
über den großen Einfluß geben , den Philo auf die christliche Lehr-
entwickelung ausgeübt hat. Auch die von Philo benutzten philoso-
Bericht üb. d. jüdisch-hellenistische Philosophie 1880 — 98. (Wcndland. 125
phischen Quellen sind, soweit sicher nachweisbar, unter dem Texte ver-
zeichnet. Manches wird hier natürlich nachzutragen bleiben. Aus
praktischen Gründen ist die Reihenfolge der Ausgabe Älangeys beibe-
halten. Bd. II schließt mit de migr. Abrahanii. Vgl. die besonders
gründlichen Rezensionen von Reiter, Z. f. öst Gj-mn. 1897 S. 42—47,
Heinrici Th. L. Z. 1897 No. 8, 1898 No. 9, Stählin, Berl. philol. Woch.
1897 No 19, 1898 No. 12. Gleichzeitig ist eine kleine Textausgabe
erschienen, die denselben Text wie die große bietet, und in der Vor-
rede die wichtigsten Varianten und Konjekturen.
Parerga zu der Ausgabe sind:
6. L. Cohn, Kritisch-exegetische Beiträge zu Philo. Herrn.
XXXII 107—148.
7. P. Wendland, Kritische und exegetische Bemerkungen zu
Philo. Rh. M. Ln S. 465-504. LIII S. 1— 3ß.
8. Ders., Zu Philos Schrift de posteritate Caini. Philol. LVII
(N. F. XI) S. 248-288.
Die schwierigsten Stellen werden besprochen, die Textkonstitu-
tion der neuen Ausgabe gerechtfertigt, hier und da berichtigt, der
Sprachgebrauch Philos namentlich in seinen stereotypen Wendungen
verfolgt. Der Einfluß der Stoa kommt Rh. M. LH 475. 496 (vgl.
LIII 13. 21. 31) und Philol. 267 zur Sprache.
9. L. Cohn, Diassorinos und Turnebus, Ein Beitrag zur Text-
geschichte der philonischen Schriften. Aus „Satura Viadi-ina". 15 S.
Breslau 1896.
zeigt, das der jüngere Teil des Laur. 85, 10 von Jacobus Diassorinos
aus der ed. princeps des Turnebus abgeschrieben ist Der Benutzung
des Philo durch Clemens Alexandiinus geht nach 10. Wendlaud,
Herrn. XXXI 435 — 456 und zeigt, daß dieselbe auch in einem Falle
für die Herstellung der ursprünglichen Schriftenfolge zu verwerten ist.
Unbeachtete Philoexzerpte in byzantinischen Chroniken verfolgt 11.
12. Prächter, Archiv f. Gesch. d. Philos. IX S. 415—426 und Byz. Z.
VI S. 509 ff. t^ber die Benutzung Philos bei dem Armenier Ananias
von Shirak im 7. Jahrh. s. Byz. Z. VI S. 575. Endlich registriert
13. C. Sehen kl in den drei bisher erschienenen Bänden der neuen
Ausgabe des Ambrosius (Wiener Corpus XXXII) sehr sorgfältig die
philonischen Vorlagen, behandelt das Verhältnis in den Vorreden und
bestätigt mit z. T. neuen Beispielen die Thatsache, daß manche Schriften
des Ambrosius fast nur Pharaphraseu Philos sind; vgl. auch Ihm,
Philon und Ambrosius, Jahrb. f. Philol. 1890 S. 282—288. Benutzung
des Philo durch Paulus bleibt mii* trotz H. Vollmers Ausführungen
126 B<-'>'icht üb. d. jüdisch-belleuistische Püilosophie 1S89 — 98. ^Wendland.)
(die alttestanieutliclien Citate bei Paulus, Freiburg i. Br. 1895 S. 84 ff.)
sehr zweifelhaft.
14. Wendland, Neu entdeckte Fragmente Philos nebst einer
Untersuchung über die ursprüngliche Gestalt der Schrift de sacrificiis
Abelis et Caini. Berlin 1891. 152 S.
teilt 1. aus F einen neu entdeckten Abschnitt der Schrift über die
Opfei- mit, veröffentlicht 2. neue Fragmente -epl [xi^r^^ und zeigt, daß
das verlorene Buch das 2., das erhaltene das 1. ist (s. jetzt No. 5
S. XXVI ff.). Die Untersuchungen über die verschiedenen Rezensionen
der Sacra Parallela, in denen eine Fülle von Philo-Fragnieuteu uns
erhalten ist, ist seitdem durch L. Cohu (Jahrb. f. prot. Theol. 1892
S. 475 ff.) und durch Loofs und Hol! in besonderen Schriften ge-
fördert; s. die von mir gegebene Übersicht Byz. Zt. 1897 S. 166 1i.
Die Philofragmente aus einer Jerusalemer Hs, die verschiedene Re-
zensionen der Parallela zusammenstellt, veröffentlicht Papadop ulo s-
Kerameus im Petersburger Journal des Unterrichtsministeriums,
Januar 1897. '6. werden neue Philofragmente aus Prokopios' Kommentar
zum Pentateuch gewonnen und das Verhältnis dieses Kommentars zu
desselben Catena und zu der von dieser abhängigen Catena des Nice-
phorus besprochen. Seitdem sind die auch für Philo sehr wichtigen
Forschungen über die Catenen von Preuschen, Ehrhard (s. Krum-
bachers Byz. Litt.- S. 206 ff.), Achelis, Lietzmann (Catenen, Frei-
burg 1897), Heinrici (Herzogs R. W. III 754 ff.), Sickenberger
(Rom. Quartalschrift 1898 S. 3 ff.) fortgeführt worden. — Nach einer
Erörterung des Einflusses Philos auf Origenes und Theodoret wird die
ursprüngliche Gestalt der Schrift de sacr. Ab. et Caini nach den besten
Hss rekonstruiert und gezeigt, daß darin eine tiovo; und dpexr^ ver-
herrlichende Diatribe benutzt ist. Die Gestalt jener Schrift, wie sie
die besten Hss geben, wird jetzt auch bestätigt durch den Papyrus.
15. V. Seh eil, Deux traites de Philon .... Memoires publies
par les membres de la mission archeologique frangaise au Caire, IX,
fasc. 2. Paris 1893. S. 151—215.
Scheil hat den Text des Papyrus im ganzen treu wiedergegeben.
Der Papyrus wird vom Hrsg. ins 6. Jahrh. gesetzt, ist aber wahr-
scheinlich älter (s. No. 4 S. XLII). Er enthält die Schriften de sacri-
ficiis Abelis et Caini (jetzt in No. 4 S. 202—257) und quis rerum di-
sinarum (erscheint demnächst im 3. Bande der neuen Philo-Ausgabe).
Über den Wert des Textes handeln die Prolegomena in No. 4 und im
künftigen 3. Bande. Der Pap. enthält die Überlieferung des Zweiges
UF in reinerer Gestalt und bestätigt die so oft gemachte Beobachtung,
Bericht üb. d. jüdisch-hellenistische Philosophie 1889—98. (Wendland.) 127
dal.l die Verzweigung unserer hslicheu ITberlieferung' meist sehr viel
älter ist als unsere ältesten Zeugen für dieselbe. Besonders wichtig ist
der Text für die zweite Schrift, da diese in UP fehlt.
16. Conybeare, der die Verwertung des armenischen Textes
in der neueren Ausgabe ermöglicht hat und auch in derselben die ar-
menischen Schriften in lateinischer Übersetzung herausgegeben wird,
veröffentlicht Classical Review X S. 281 — 284 wichtige Verbessenings-
vorschlSge zur Schrift de sacrificantibus auf Grund der armenischen
Übersetzung.
Mit Sprache und Stil Philos beschäftigen sich vielfach Conybeares
und meine S. 123 erwähnten Schriften, ferner No. 1. 2. 6. 7. 8. 14. 28.
Auch W. Schmid in seinem Werke über den Attici=!mus, T. Mommsen,
Beiträge zu der Lehre von den griechischen Präpositionen, Berlin 1895,
S. 392, H. Schmidt in seiner Arbeit über den Dual (Breslauor philol.
Abhaudl. VI 4 S. 30) berücksichtigt ihn. Eine gute Specialunter-
snchung giebt
17. Unna, Über den Gebrauch der Absichtssätze bei Philo.
Würzburger Diss. Frankfurt a. M. 1895. 51 S.
Die Gründe, die S. 5 für dieUnechtheit der Schrift quod omnis probus
liber angeführt werden, sind hinfällig (vgl. No. 30). Ein finales äste
findet sich z. B. auch II 314, 4 Mang, lav xt? e-avaT£ivr]Tat Si?oc, cu3t'
azoxTsrvxi, xav jatj dvsXr), evoyo? eatoj. Manche Einzelheiten sind nach
der neuen Ausgabe zu berichtigen.
18. Jessen, de elocutione Philonis Alexandrini (Gratulationsschrift
des Johanneums zu Sauppes 80. Geburtstage S. 3 — 12) Hamburg 1889
bespricht die phi Ionischen Gesetze der Hiatvermeidung, nimmt aber eine
zu große Strenge an, die ihn nicht selten zu gewaltsamen Konjekturen
führt; s. No. 30 S. 15.-
Die Bibel Philos rekonstruiert nach den Citaten
19. Ryle, Philo and holy scripture. London 1895. 312 S.
Die Arbeit muß noch einmal gemacht werden. Denn Ryle hat
manche Citate und stillschweigende Benutzungen übersehen. Die Aus-
gabe Mangeys gab keine sichei'e Grundlage, zumal in einer wichtigen
Hss- Klasse der Bibeltext sehr oft interpoliert ist. Ferner fehlt es Ryle
an festen Grundsätzen über das Verhältnis des philonischen Bibeltextes
zu der direkten Überlieferung der LXX. Aus ähnlichen Gründen führen
auch die Bemerkungen von Hatch (Essaj^s, Oxford 1889) über Philos
Bibeltext vielfach in die Irre. In No. 8 S. 283—287 habe ich feste
Grundsätze für die Behandlung des philonischen Bibeltextes und für
die Rekonstruktion der LXX zu gewinnen gesucht.
128 Bericht üb. d. jüdisch-hellenistische Philosophie 1889—98. (Wendland.)
20. F. C. Conybeare, On the Philonean text of the Septuaginta.
Jevfish quarterly leview V 1893 S. 246—280
behandelt den griechischen Bibeltext, der den Citaten der nur armenisch
erhaltenen qnaestiones zu gründe liegt.
21. Im Expositor 1891 S. 63-80. 129— 141 zeij^t Conybeare,
daß in dem uns erhaltenen Stücke der lateinischen Übersetzung der
quaestiones in Genesim eine vorhieronymianische Bibelübersetzung be-
nutzt ist.
Eine sehr gründliche und eingehende Erörterung der philonischen
Schriftenfolge, die bereits Schürer in den Nachträgen seiner Gesch. des
jüd. Volkes I 746. 747 berücksichtigen konnte, giebt
22. Masse bieau, Bibliotheque de T^cole des hautes etudes,
Sciences religieuses I S. 1 — 91. Paris 1889.
Von zusammenfassenden Arbeiten sind zu erwähnen
23. Herriot, Philon le juif. Essai sur Tecole juive d'AIexandrie.
Paris 1898. 366 S.,
eine oberflächliche KompilalioD, die ich Berl. philol. Woch. 1898 No. 11
genügend charakterisiert habe.
24. Der Artikel „Philo" in Wetzers und Weites Kirchenlexikon
IX Sp. 2031—2037 ist etwas dürftig ausgefallen.
25. C. G. Monte fiore, Florilegium Philonis. Jewish quarterly
review Vn 1894 S. 481—545
giebt eine ansprechende Darstellung der Hauptlehren Philos, die zum
Teil an Drummond anknüpft. S. 483 wird Philo ein (sehr fraglicher)
Einfluß auf die Entwickelung der griechischen Philosophie zugeschrieben;
sein Verhältnis zur Stoa wird besonders S. 505 ff', gut beleuchtet.
Mit der Echtheit einzelner Schriften , Quellenuntersuchuugen,
einzelnen Elementen der philonischen Weltanschauung beschäftigen sich
26. von Arnim, Anzeige von No. 2. Philos. Monatshefte
1892. S. 462—470.
27. Ders., Der angebliche Streit des Zenon und Theophrastos.
Jahrb. f. Philol. XXXIX 449—467.
26. V. A. behauptet, daß der Verfasser der Schrift 7:epi ifbipaidi
durch Anerkennung der Anfangslosigkeit der Welt mit Philo in Wider-
spruch stehe. Er verwirft mit Kecht Cumonts Annahme, daß der Verf. eine
ewige Weltschöpfung voraussetze, bekämpft aber auch meine Ansicht,
daß man nicht aus den exzerpierenden Abschnitten, sondern nur aus
S. 6, 18 Cum. auf den eigenen Standpunkt des Verfassers schließen
dürfe. Wie er diese Stelle mit seiner Auffassung in Einklang bringen
Bericht üb. d. jüdisch-hellenistische Philosophie 18S9 — 98. (Wendland.) 129
will, geht aus der allgemeinen Benieikung S. 465 nicht hervor. Aus
S. 7, 6 toüi 0£ a-,'£vrjTOv xai acpUaprov xatajy.euaCcivTa; Ä670U; ivey.a ttJc
Trpo? Tov opaxov Oeöv atooü? TipoTspou; raxTsov folgt doch nicht, daß der
Verf. die Ansicht, die Moses und l^lato gemeinsam sein soll, von vorn-
herein beiseite schiebt, sondern nur daß er sie später behandeln will.
"Wenn der Autoi- am Schlüsse der Schrift seine Ansführun-ren als Re-
ferate fremder Ansichten, denen nun die evavTicujeij folgen sollten, be-
zeichnet, müssen wir ihm glauben und annehmen, daß auf die ivav-twssi;
noch die Entwickelung des vom Autor gebilligten platonisch-mosaischen
Standpunktes gefolgt sei (vgl. Gomperz a. a. 0.). Dieselbe Disposition
kehrt wieder in der Behandlung des Problems tl [j.£i)'j3i}rjcj£Tai 6 3096?
in de plant.: Gründe, Gegengründe, dann (de ebr.) Entwickelung des
mosaischen Standpunktes. Die Worte des Proöraiums verdienen, wenn
man auf den verlorenen Teil Rücksicht nimmt, nicht v. Arnims Un-
willen (S. 466. 467). Daß a. a. 0. evexa aiöoüc nur mit xaxajxeuasOVTac
verbunden werden kann, also nicht mit xaxxeov verbunden ein peri-
patetisches Glaubensbekenntnis des Autors einschließt, ergiebt sich
aus der ähnlichen Bemerkung S. 4, 15 und de confus. § 173 xara^Xa-
7£VTe; OUV TIV£; TT]V £XaT£pOU T(Lv X03|JL(ÜV (pU3lV OU (JLOVOV oXo'j; I^EÖElÜJSav ....
und ähnlichen Stelleu. Den personifizierten X6';oi (Analogien brauche
ich nicht anzuführen) kann sehr wohl aiocu; zugeschrieben werden (gegen
S. 465). Das harte Urteil über die Unverbesserlichkeit derer, die das
Ethos einer Persönlichkeit geistig anzuschauen nicht imstande sind
(S. 467), kann ich ertragen, da ich mit Gomperz in gleicher Ver-
dammnis bin und an den besser unterrichteten v. Arnim (Quellenstudien
S. 101. 126. 127. 130) und sein früher viel ungünstigeres Urteil
appellieren kann. Auch darin, daß der Autor allen Exzerpten aus
fremden Quellen sein Sprachgepräge aufdrückt, gleicht er dem echten
Philo. Die absurde Geschichte von den Elephanten (S. 467) ist bei
niemand so verständlich wie bei Philo (s. de animal. § 52!). Die
sprachlichen Gründe v. Arnims gegen die Echtheit muß ich alle bean-
standen und habe bereits No. 7. 8 die Übereinstimmung mancher von
ihm geltend gemachter Eigentümlichkeiten mit Philos Sprachgebrauch
bewiesen.
27. Ich habe hier den Ausführungen in Frachters Bericht No. 41
nur wenig zuzufügen.
v. Arnims scharfsinnige Quellenanalyse läßt es in in der That
sehr problematisch erscheinen, was die geschichtliche Wahrheit des be-
richteten Streites des Theoph)ast gegen Gegner der Weltewigkeit ist.
Nur muß ich gegen v. A. die Thatsache, daß mindestens die Gründe
der Gegner vom Autor auf Theophrast zurückgeführt werden, betonen.
Da S. 35, 16 xa-ajxöuaCst unmöglich ist, ist Useners xaTa3X£uo(^£iv sehr
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVIII. (1898 III.) 9
130 Bericht üb. d. jüdisch-hellenistische Philosophie 1889 — 98. (Wendland.)
viel wahrscheinlicher als v. Arnims xaxctaxsuaCouoi (S. 452), und gegen
jenes bildet das spätere cpaot'v, /pcüvTai keine Instanz, da hier bei der
weiten Entfernung des regierenden (prjai (S. 35, 13) die strenge Fort-
führung der indirekten Rede unmöglich war. — Über die neuere Litt,
zu der Schrift referiert auch Susemihl a. a. 0. II S. 322—325.
28. Wendland, Philos Schrift über die Vorsehung. Berlin
1892. 120 S.
Das Hauptresultat der Arbeit ist, daß die von Alexander gegen
den Vorsehungsglauben geltend gemachten Gründe epikureisches, zum
Teil auch karneadeisches Gedankeumaterial reproduzieren, daß Philos
Verteidigung der izpovoia von einem späteren Stoiker, wahrscheinlich
Posidonius, abhängig ist. Mit Hülfe Couybeares und durch Heran-
ziehung der Parallelen aus Philos Schriften und aus der philosophischen
Litteratur wird im einzelnen der Sinn und der Gedankengang der
außer zwei größeren Citaten bei Eus. nur in armenischer Übersetzung
erhaltenen Schrift festgestellt, die Echtheit der Schrift, namentlich
auch des ersten seiner dialogischen Einkleiduug beraubten Buches, aus
sachlichen und sprachlichen Gründen bewiesen. Meine Behauptung
(S. 40), daß Eus. Praep. VI 6 das erste Buch stillschweigend benutze,
ist mit Recht bestritten worden. Für den astrologischen Abschnitt sind
jetzt die gründlichen Ausführungen von Boll, Studien über Claudius
Ptolemaeus S. 132 ff., im einzelnen auch die Rezensionen von Prächter,
Berl. phüol. Woch. 1893 No. 20. 21 und I. Bruns Th. L. Zt. 1892
No. 25 zu vergleichen.
29. 0. Hense, Bion bei Philon. Rh. M. XL VII S. 219—240.
30. E. Krell, Philo Trspl xou ravT« uTrouSaibv etvai iXeudepov, die
Echtheitsfrage. Augsburger Programm 1896. 38 S.
Über Hense vgl. Prächters Bericht No. 52.
Für die Frage der Echtheit der Schrift ist sehr beachtenswert,
daß auch sonst bei Philo manche Spuren, auf Bion führen; vgl. No. 28
8. 50. No. 31. D. L. Z. 1895 S. 461.
Kr. geht den ältesten Zeugnissen für unsere Schrift, namentlich
der Benutzung derselben durch Ambrosius nach, spricht sich aus
sprachlichen und sachlichen Gründen entschieden für die Echtheit aus,
widerlegt Ohles Ansicht von der Interpolation des Essäer- Abschnittes,
stimmt mit mir überein im Widerspruch gegen Aasfelds Hypothese
von einer Kontamination zweier Quellen. Endlich stellt er Berührungen
der Schrift mit den Gedanken anderer philonischer zusammen.
31. "Wendland, Philo und die kynisch- stoische Diatribe. Bei-
träge zur Gesch. der giiech. Philos. und Religion von P. Wendland
und 0. Kern. Berlin 1895 S. 1—75
Bericht üb. d. jüdisch-hellenistische Philosophie 1889-98. (Wendland.) 131
zeigt, daß Philos häufige Darlegungen strenger stoischer Grund-
sätze über die gesamte Lebensführung (Speise und Trank, Kleidung und
Wohnung, Geschlechtsverkehr, geselliges, öffentliches, religiöses Leben)
ganz im Tone der stoisch-kynischen Diatribe gehalten sind. Sie
stimmen oft mit Musonius fast wörtlich überein und füllen eine Lücke,
die zwischen der Diatribe des Teles und der des Musonius klafft, aus.
Für die Darstellung der Sittengeschichte ist die Diatribe mit Vorsicht
zu benutzen. S. 49 ff. wird Philos Schrift über den Adel aus der ver-
wandten Litteratur erläutert, S. 56 ff. Benutzung des Krantor, S. 68 ff.
das Verhältnis des Clem. Alex, zu Musonius besprochen, das in den
quaest. Musonianae nicht richtig aus Benutzung einer eigenen Schrift
des Musonius erklärt wurde. — Nachträge giebt Frachter, ßerl. philol.
Woch. 1896 No. 28. 29.
32. M. Freudenthal, Die Erkenntnislehre Philos von Alexan-
dria. Berlin 1891. 77 S.
hebt richtig hervor, daß von Philo die erkenntnistheoretischen Probleme
wesentlich aus ethischem und religiösem Interesse berührt werden. Die
Anerkennung der Skepsis muß für ihn die Notwendigkeit einer mystischen
Gotteserkenntnis vorbereiten. Die episodischen und unselbständigen
Bemerkungen auf diesem Gebiete sind nur Belege für auch sonst be-
kannte platonische und stoische Begi-iffe und Definitionen. Fr. stellt
fleißig zusammen, was Philo über die Ideen des vouc und der atjÖTjai?
nud ihre Einbildung in den Menschen, über Substanz, Sitz, Teile,
Thätigkeiten der Seele, über Entstehung der Sinneswahrnehmungen
und Unmöglichkeit sicherer Erkenntnis ausführt.
33. Wendland, Eine doxographische Quelle Philos. Sitzungs-
berichte der Akad. d. Wiss. zu Berlin 1897 S. 1074—1079
zeigt, daß Philo de somn. I die von Diels als Quelle der Aetius er-
schlossenen Vetusta placita benutzt.
34. P. Zieger t. Über die Ansätze zu einer Mysterienlehre,
aufgebaut auf den antiken Mysterien bei Philo Judäus. Theol. Stud.
u. Krit. 1894 S. 706-732.
Mir scheint hier die im Piatonismus überhaupt beliebte Ver-
wendung von rhetorischen Floskeln aus dem Mysterienwesen sehr über-
schätzt zu sein, indem ein innerer und nicht nur formaler Zusammen-
hang angenommen wird. Ihn scharf zu formulieren gelingt Z. nicht. Er
benutzt übrigens nur die schlechte Ausgabe Pfeiffers, ein großer Teil
der Schriften Philos wird daher ignoriert, so daß nicht einmal eine
vollständige Sammlung der Stellen vorliegt.
9*
132 Bericht üb. d. jüdisch-hellenistische Philosophie 1889-98. (Weodland.)
*J. Cabantous, Philou et Tepitre aux Hebreux. Moutauban
1895. Diss. 79 S.
*S. Tiktin, Die Lehre von deu Tugenden und Pflichten bei
Philo. Bern 1896. Diss. 59 S.
Philos Ansicht über den Wert der e-fxuxXioc -at8eia bespricht
Norden, Antike Kunstprosa 1898 II S. 673, indem er überhaupt den
Streit um deren Bedeutung durch Altertum und Mittelalter verfolgt.
Aall, Geschichte der Logosidee in der griechischen Philosophie,
Lpz. 1896, behandelt S. 184 — 231 Philo, ohne Neues zu geben-, vgl.
Th. L. Z. 1897 No. 15. Die Logoslehre berührt auch Conybeare,
Jewish quarterly review VII S. 611 — 619.
Sehr wertvoll ist die Schrift von E. von Schwenck, Die
Johanneische Anschauung vom Leben, Lpz. 1898, der die .Weisheit
Salomos"' und Philo als Vorläufer für die intensive Bedeutung und den
w^esentlich ethischen und religiösen Inhalt des Begriffes in der christ-
lichen Litteratur behandelt.
L. Cohn, An apocryphal work ascribed to Philo of Alexandria.
Jewish quarterly review X S. 277 — 322,
weist überzeugend nach, daß der uns erhaltene lateinische Text der
pseudophilonischen Antiquitates biblicae durch das Mittelglied einer
griechischen Übersetzung auf ein hebräisches Original, das bald nach
70 n. Chr. verfaßt ist, zurückgeht. Das Werk enthält eine Erzählung
biblischer Geschichten von Adam bis Saul in haggadischer Aus-
schmückung, deren einzelne Züge sich mit talmudischen Zeugnissen
belegen lassen, daneben einige apokalyptische Partieen. Die von James
als vermeintliche Anekdota in Texts and Studies II No. 3 S. 164 — 185
veröffentlichten Stücke werden als Teile der Ant. erwiesen.
Viertes Makkabäerbach.
Neben die philosophische Würdigung durch Freudeuthai tritt jetzt
eine stilistische durch Norden a. a. O. I S. 416—420. Die Schrift
erscheint als Produkt des reinen, von der attischen Reaktion nicht be-
rührten Asianismus. N. hält die Schrift nicht wie Freudenthal für eine
Predigt, sondern für eine philosophische Diatribe.
Außerdem liegen zwei neue Ausgaben vor, eine durchaus un-
brauchbare (s. D. L. Z. 1897 Sp. 1211) in Bd. VI von Nabers Josephns
(Lpz. 1896) und eine in Bd. III. von Swetes Septuaginta (Cambridge
1894), wertvoll durch die Kollation der ältesten Uncialen. Da Swete
Beriebt üb. d. jüdisch-bellenistiscbe Philosophie 1889—98. (Wendland.) 133
mehr eine Materialsamralung als eine Ausgabe giebt, fehlt es noch
immer an eine)' wirklichen recensio.
S. Krauss, The jews in the works of the church fathers. .Jewish
qnarterly review V S. 122—157. VI S. 82—99. 226,
bespricht das Verhältnis des Justin, Clemens, Origenes, Eusebius,
Ephraem, Hierouyraus zum Judentum und besonders zur jüdischen
Haggada, deren Erfindungen und Kombinationen vielfach von ihnen
benutzt werden.
Nachtrag.
H. Bois, Essai snr les origines de la philosophie judeo-alexan-
drine. Paris 1890. 412 S.
Die Einleitung giebt einen kulturgeschichtlichen Überblick über
die EntwickeluDg des Judentums. Die Auffassung im ganzen ist richtig,
an einzelnen Versehen fehlt es nicht. Die Begegnung Alexanders mit
dem Hohenpriester wird als historisch angesehen S. 22, Josephus neben
I. Makk. als Quelle citiert S. 35. Woher weiß der Verf. etwas von
griechischer Bildung des Gamaliel (S. 37)? Betrachtet mau den In-
halt des Aristeasbriefes als Legende, so ist es bedenklich, die Ge-
schenke des Philadelphos als historisch anzusehen (S. 32).'*
Mit meist gesundem Urteil widerlegt B. Tylers Annahme einer
Beeinflussung des Koheleth durch stoische und epikureische Philo-
sophie, die romanhafte Biographie, die Plumptre aus dem Buche heraus-
gesponnen hat, Pfleiderers Annahme einer Beeinflussung durch Heraklit.
Auch der Einfluß griechischer Philosophie auf LXX wird in polemischen
Ausführungen, namentlich gegen Dähne, sehr mit Recht eingeschränkt.
Die Spruchweisheit des Jesus Sirach wird mit Recht als im wesent-
lichen jüdisch und selten von griechischen Anschauungen abhängig an-
gesehen. Einer besonders ausführlichen Analyse wird das Buch der
Weisheit unterzogen als das erste Beispiel einer stark durch griechische
Philosophie beeinflußten jüdischen Schrift. Philo wii'd vielfach zum Ver-
gleiche herangezogen, seine Abhängigkeit von der Schrift aber über-
schätzt (S. 311). Ganz monströs sind die Versuche S. 212. 213, grie-
chische Verse in dem Buche zu entdecken.
Der 1. Anhang handelt von der Abfassungzeit des Buches Jesus
Sirach Sehr unglücklich ist der Ausgangspunkt (S. 316). Der Verf.
glaubt Mahaffy, daß Theokrit eine Stelle der griechischen Übersetzung
des Hohenliedes benutzt habe. Ferner meint er, daß Kap. 50 nicht
Simon II (Anfang des 2. Jahrb.), sondern Simon I (Anfang des 3. Jahrh.)
gefeiert werde. Dann muß natürlich der Übersetzer und Enkel des
134 Bericht üb. d. jüdisch-hellenistische Philosophie 1889—98. (Wendland.)
Jesus im Prologe in den Worten ^v T(fi 8780a) xal TpiaxojTcp l'rret ItI tou
Euep-je-ou ßajiXewc den Euergetes I., und da dieser nur 25 Jahre
regierte, nicht das 38. Jahr der Regierung, sondern des Übersetzers
38. Lebensjahr gemeint haben. Dessen Angabe aber ist sinnlos, da
der Verf. eine Datierung geben will und dies nur durch Angabe des
Regierungsjahres kann. Das Im. ist mit schlagenden Parallelen ^) jetzt
von Deissmanu, Bibelstudien S. 256 belegt und ist keine Stütze der
Auffassung von Bois. Ist aber Euergetes II. und das Jahr 132 gemeint,
so kann der Großvater des Übersetzers nur Simon II. gefeiert haben.
Wie unmöglich die Konsequenz der Ansicht von Bois wäre, daß nämlich
die vom Übersetzer im Prologe als fertig bezeugte griechische Bibel-
übersetzung so schon bald nach der Mitte des 3. Jahrh. abgeschlossen
vorgelegen haben müßte, kann hier nicht ausgeführt werden. Der 3. An-
hang bespricht, ohne Neues zu geben, die Abfassungszeit des Buches
der Weisheit, der 2. und 4. giebt Bemerkungen zu einzelnen Stellen des
Jesus Sirach und der Weisheit.
L. Cohn, Philo von Alexandria. Neue Jahrb. 1898 S. 497—521
giebt, zum Teil in polemischer Auseinandersetzung mit Herriots Werk
(s. oben S. 128) einen Überblick über die wichtigsten Probleme und
den gegenwärtigen Stand der philonischen Forschung.
Wilmersdorf bei Berlin. Paul Wendland.
*) Ein anderes Beispiel bei v. Gutschmid, Kleine Schriften IV 355.
/3^
Bericht über die ältere Papyruslitteratur
von
Dr. Paul Viereck.
Zweck der vorliegenden Arbeit ist, über die auf Papyrus er-
haltenen öffentlichen und privaten Urkunden Ag^-ptens eine Übersicht
zu geben. Infolgedessen sind von der Besprechung ausgeschlossen die
nicht ägyptische Angelegenheiten betreffenden Papyri, ') sowie die litte-
rarischen, die in den Berichten über die einzelnen Schriftsteller oder,
wie die FloXtrsia 'AdTjvaituv, in einem eigenen Jahresberichte behandelt
werden, 2) ausgeschlossen sind auch die Zauberpapyri und die astrolo-
gischen Inhalts.
Der erste Teil dieses Berichts soll auf Wunsch der Redaktion
einen kurzen Überblick über die älteren Papyruspublikationen geben.
Er wird daher beginnen mit der im Jahre 1778 gefundenen Charta
Borgiana. Der terminus ad quem für diesen Teil ergiebt sich leicht.
Ungefähr ein Jahrhundert dauerte es, da wurden besonders in der
Landschaft Paijum große Massen von Papyri gefunden, die in die
Museen und Bibliotheken von London, Oxford, Berlin, Paris, Wien,
Genf, neuerdings auch von Gizeh und Heidelberg, oder in Privatbesitz
^) Über die wenig zahlreich außerhalb Ägyptens erhaltenen Papyri
vgl. Thompson, Handbook of Greek and Latin Palaeography,
London 1893, Cap. III Papyrus S. 33 f In Gap. IX und X S. 118 ff. be-
handelt er unter Hinzufügung von vielen Schriftproben: The Literary or
Book-Hand und Cursive Writing in Papyri und giebt zu S. U.'S eine Tafel
mit dem Alphabet griechischer Cursive. Vgl, auch die Übersicht über die
paläogr. Litt. S. 327 fl'.
^) Eine Zusammenstellung der litterarischen Papyri findet sich bei
W. Watt enbach, Anleitung zur griechischen Paläographie
3. Aufl. Leipzig 1895 S. 9-22, P. Couvreur, Inventaire sommaire
des textes grecs classiques retrouves sur papyrus (Revue de philol.
1896 Bd. XX S. 165—74) und bei Haeberlin im Centralblatt für Bibliotheks-
wesen 1897.
]36 Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.)
übergingen. Überall machte man sich mit Eifer an die Bearbeitung
dieser neuen Funde, und so sehen wir uns jetzt einer Masse von großen
nud kleinen Publikationen, einer die Papyri behandelnden Litteratur
gegenüber, die von Jahr zu Jahr anschwillt und auf fast alle Gebiete
der Altertumswissenschaft befruchtend wirkt. Mit diesen neuen Funden,
die mehr und mehr in gemeinsamer nnd darum um so erfolgreicherer
Arbeit der Gelehrten der verschiedenen Länder der Öifentlichkeit über-
geben und allgemein nutzbar gemacht werden, wird der zweite Teil des
Berichtes einsetzen. Wenn ich ab und zu schon vorher auf diese
neueren Publikationen eingehe, so wird der Grund dafür leicht erkannt
werden. Auch daß ich nicht jede einzelne Besprechung, jede Be-
merkung über die einzelnen Papyri, jede Emendation erwähnt habe, will
ich vorausschicken. Mein Zweck ist der, allen, welche sich über die
älteren Publikationen orientieren wollen, dies zu erleichtern. Ich wende
mich daher nicht an die Papyrologen, die über diese Dinge ebenso gut
oder besser Bescheid wissen als ich, sondern an diejenigen, die sich
erst mit dem Studium der Papyri befassen wollen. Die Übersicht wird
chronologisch geordnet sein, nur da, wo es mir nötig und praktisch
zu sein scheint, werde ich über gleichartige Papyri zusammenfassend
sprechen. Um unnötige Wiederholungen und lange Citate zu ver-
meiden, stelle ich die im Folgenden besprochenen Publikationen zu-
sammen und werde im Bericht selbst auf dieses vollständige Verzeichnis
zurückverweisen. In Klammern führe ich nach jedem Werk die ab-
gekürzte Form auf, in der ich das betr. Werk eitleren werde.
Terzeichnis der besprochenen Papyruspublikationen.
E. Blaß, Ein griechischer Papyrus in Wien. Philol. XLI 1882.
S. 746—51, vgl. Müllers Handbuch der klassischen Altertumswissen-
schaft 2. Aufl. 1892 I S. 304 f. (Blaß, Artemisiapapyrus.)
August Boeckh, Erklärung einer ägyptischen Urkunde auf
Papyrus in griechischer Kursivschrift vom Jahre 104 vor der christ-
lichen Zeitrechnung. Mit einer Tafel in Steindruck. Berlin, Reimer.
4. 1821. S. 36. (Boeckh, Nechutesurkunde.)
H. Brugsch, Lettre ä Monsieur le Vicomte Emmanuel de Rouge,
au sujet de la decouverte d'uu manuscrit bilingue sur papyrus en
6critnre demotico-egyptienne et en grec cursif, de Tan 114 avant uotre
ere. Avec trois planches. Berlin 1850, Gaertner. 4. ö. 71.
(Brugsch, Lettre.)
Brunet de Presle, Xotices et textes des papyrus grecs du
musee du Louvre et de la bibliotheque imperiale, publication preparee
par Letronne in den Notices et extraits des manuscrits de la
Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.) 137
biblioth^que imperiale et autres bibliotheques. Tome XVIII Seconde
partie. Paris 1865. 4. S. VIII u. 506. Dazu ein Band mit Fak-
similes. Großfolio. 52 Planches.
(Not. et Extr. XVIII, 2 und Pap. Paris.)
Bruns, Fontes Juris ßomani Antiqui. Edit. sexta cura Th.
Mommseni et 0. Gradenwitz. Friburgi et Lipsiae. 8. 1893. S XX
u. 384. (Bruns, Fontes«.)
H. Butt mann, Erklärung der griechischen Beischrift auf einem
ägyptischen Papyi"us aus der Minutolischen Sammlung (Abhandlungen
der philos. Klasse d. Kgl. Akad. d. Wiss. zu Berlin a. d. J. 1824.
S. 89—115) mit einem Faksimile.
(Buttmann, Erklärung d. griech. Beischrift.)
Antonio Ceriani, Un papiro greco del 162 a. C. Reale Istituto
Lombardo di Scienze e Lettere. Rendiconti. Serie II. Vol. IX. Milano
1876. S. 582—84. (Pap. Ceriani.)
Job. Gust. Droysen, Die griechischen Beischriften von fünf
ägyptischen Papyren zu Berlin (Rh. Mus. 3. Jahrg. 1829 S. 491—541)
= Kleine Schriften zur alten Geschichte v. Job. Gust. Droysen. Leipzig,
Veit u. Co. Bd. I. 1893, S. 1—39 und ebendaselbst S. 386 U. Wilcken:
Zu den griechischen Beischriften von fünf ägyptischen Papyri zu Berlin.
(Droysen, 5 griechische Beischriften.)
E. Egger, Bulletin de la societe imperiale des antiquaires de
France, Paris 1862, S. 128—31. Sur un fragment de papyrus grec
envoye par M. Dugit. (Egger, Pap. Atheniensis I.)
E. Egg er, Memoires d'histoire ancienne et de Philologie. Paris
1863, Durand. 8. S. XI u. 516. (Egger, Memoires.)
E. Egger, Comptes rendus de l'Academie des Inscriptions et
Belles-lettres. Nouv. Serie. Tome III. Paris 1867. S. 314—19.
(Egger, Comptes rendus.)
E. Egger, Note sur un papyrus grec in^dit (Rev. archeol. 1872
Nouv. Ser. XXIII, S. 137—47) mit einem Faksimile (planche IV et V).
(Egger, Rev. archeol. 1872.)
E. Egger, Papyrus greco-egyptien inedit appartenant ä la biblio-
theque de luniversite d'Athenes. Texte et comraentaire. Journal d.
Sav. 1873, S. 30—41 u. 97—112. (Egger, Pap. Athen. II.)
J. Forshall, Description of the Greek Papyri in the British
Museum. Part. I by order of the Trustees. London 1839. Folio. S. 84.
Mit 6 Tafein. (Forshall.)
B. P. Grenfell, Revenue Laws of Ptolemy Philadelphus. Oxford
1896. At the Clarendon Press. 4. S. LV u. 253. Appendix I. Pa-
pyrus 62 of the Louvre. (Grenfell, Rev. Laws, App. I.)
138 Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.)
Ernst Haaser, Der griechische Papyrus der Kgl. öffentlichen
Bibliothek zu Dresden. 1885. Als Manuscript gedruckt. Weimarer
Hof-Buchdnickerei. (Haaser, Pap, Dresd.)
F. G. Keuyou, Greek Papyi'i in the British Museum. Catalogue
with texts. Printcd by order of the Trustees. London 1893. Folio.
S. XIX u. 296. Dazu ein Band mit FaksimUes 15Ö Tafeln. Großfolio.
Chronologisch geordnet. (Kenyon, Catalogue u. Pap. Brit.)
Joh. Gottfr. Ludw. Kosegarten, Bemerkungen über den
ägyptischen Text eines Papyrus aus der Minutolischen Sammlung.
Greifswald, Universitätsbuchhandlung. 1824. 4. S 35.
(Kosegarten, Bemerkungen.)
Joh. Gottfr. Ludw. Kosegarten, De prisca Aegyptiorum
litteratura commentatio prima. Vimariae 1828. 4. S. 73 (mit vielen
Tafeln mit demot. Schrift). (Kosegarten, De prisca Aeg. litt.)
C. Leemans, Pap3Ti graeci musei antiquarii publici Lugduni-
Batavi. Tomus I Lugduni-Batavorum 1843. 4. S. VIII u. 143, mit
5 Tafeln. Tomus II 1885. S. VIH u. 310 mit 4 Tafeln.
(C. Leemans, Pap. Leid.)
Let rönne, siehe Brunet de Presle und Passalacqua.
G. Lumbroso, Documenti Greci del Regio Museo Egizio di
Torino raccolti. Torino, Stamperia Reale, 1869. 8. S. 45.
(Lumbroso, Documenti.)
G. Lumbroso, Del papiro greco LXIlI del Louvre sulla semi-
natura delle terre regle in Egitto e di alcune iscrizioni inedite del
museo egiziano di Firenze. Torino 1870, Stamperia Reale. 8. S. 26.
(Lumbroso, Pap. LXllI del Louvre.)
Angel 0 Mai, Classicorum auctorum e Vaticanis codicibus edit.
Tomus lY und V. Romae 1831—1833. 8. (Mai, Class. auct.)
J. F. Maßmann, Libellus aurarius sive Tabulae ceratae — apud
x^brudbanyam oppidum transsylvanum nuper repertae. Leipzig 1840.
"Weigel. 4. S. VIII u. 153. (MaLmann, Libellus aurarius.)
Mommsen- Jaffe, Fragmente zweier lateinischer Kaisenescripte
auf Papyrus. Hierzu eine lithogr. Tafel. Jahrbuch des gemeinen deut-
schen Rechts hrsg. v. J. Bekker, Th. Muther u. 0. Stobbe. VI, 1863,
S. 398 — 416. (Mommsen, Zwei lat. Kaiserrescripte.)
E- M uralt, Catalogue des Manuscrits Grecs de la bibliotheque
Imperiale publique de Petersbourg. 1864. Avec 9 planches litho-
graphiees. (Muralt, Catalogue.)
The Palaeographical Society. Facsimiles of Manuscripts and
Inscriptions edited by E. A. Bond and E. M. Thompson. London.
GroßfoHo. Series I 1873—83. Plates 1—260. Series II 1884-94.
Plates 1—205. (Pal. Soc.)
Bericht über die ältere Papyruslittcratur. (Viereck.) 139
G. Parthey, Frammenti di papiri greci asservati nella Regia
biblioteca di ßerliuo in den Memorie deir Instituto di correspondenza
archeologica. Volume II. Lipsia, Brockhaus. 1865. S. 438 — 62
(G. Parthey, Frammenti.)
G. Parthey, Die griechischen Papyrusfragmente der Leipziger
Universitätsbibliothek in den Monatsbei. d. Kgl. preuss. Akad. d. Wiss.
zu Berlin 1865. S. 423—39. (G. Parthey, Leipziger Papyri.)
G. Parthey, Die thebanischeu Papyrusfragmente im Berliner
Museum in den Abhandlungen d. Kgl.. Akad. d. Wiss. zu Berlin 1869.
S. 1—23. (G. Parthey, Theban. Papyri.)
J. Passalacqua, Catalogue raisonne et historique des antiquites
decouveites en Egypte. Paris. 8. 1826. S. XV u. 303. Darin
S. 265—280: Letronne, Lettre ä M. Passalacqua sur le papyrus Grec
1563, sur les fragments de manuscrits dans la meme langue , 490, et
sur plusieurs du 1564. Abgedruckt Not. et Extr. XVIII, 2 S. 400—410.
(Passalacqua, Catalogue u. Letronne, Lettre ä M. Passalacqua.)
Giovanni Petrettini, Papiri Greco-Egizi ed altri Greci monu-
menti dell' .1. R. Museo di Corte tradotti ed illustrati. Vienna, Stamperia
Ant. Straus, 1826. 4. S. XII u. 76 (mit 3 Tafeln mit Faksimiles).
(Petrettini, Papiri Greco-Egizi.)
AmedeoPeyron, Papyri graeci Regii Taurinensis Musei Aegyptii.
Pars prima 1826. S. 180 mit einer lithogr. Tafel. Pars altera 1827.
S, 80 mit 6 lithogr. Tafeln. (Excerpta ex volumiuibus XXXI et XXXIII
Actorum R. Academiae, quibus titulus Memorie della Reale Accademia
di Toriuo). Taurioi, Ex typographia Regia.
(A. PeyroD, Papyri Taurinenses I, II.)
Amedeo Peyrou, Papiri Greco-Egizi di Zoide dell' Imperiale
R. Museo di Vienna (Sonderabdruck aus den Memorie della R. Acca-
demia della Scienze di Torino. Vol. XXXIII. 1828. 4.). S. 43 mit
3 lithographierten Tafeln. (A. Peyrun, Papiri di Zoide.)
Bernardino Peyron, Papiri Greci del Museo Britannico di
Londra e della Biblioteca Vaticana (Sonderabdruck aus den Memorie
della Reale Accademia delle scienze di Torino. Serie IL Tomo III.
Torino 1851. S. 1 — 112). (B. Peyron, Pap. Brit. e Vatic.)
Th. Reinach, Juifs et Grecs devant un empereur Romain.
Paris 1894, A. Durlacher. 8. S. 15. (Reinach, Juifs et Grecs.)
C. J. C. Reuvens, Lettres ä M. Letronne sur les papyrus bi-
lingues et grecs et sur quelques autres monuments greco-egyptiens du
musee d'antiquites de Leyde. Leyde 1830. 4. S. 164. Dazu ein Atlas.
Großfolio. S. 6 mit 5 Tafeln. (Reuvens, Lettres ä M. Letronne.)
Eugene Revillout, Chrestomathie demotique. Paris 1880.
Vieweg. 4. S. CLXVII u. 504. (Revillout, Cbrest. dem.)
140 Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.)
Revue figyptologique publiee sous la direction de MM. H.
Brugsch, F. Chabas, Eug. Revillout. Paris 1880 ff. (Rev. Egypt.)
W. Adolf Schmidt, Forschungen auf dem Gebiete des Alter-
tums. 1. Teil Die griechischen Papyrusurkunden der Königl. Bibliothek
zu Berlin. Mit 2 Faksimiles und 1 Plan. Berlin, Finke. 1842. 8.
S. IV u. 400. (W. Adolf Schmidt, Pap. Berol.)
Nicolaus Schow, Charta papyracea graece scripta musei Borgiani
Velitri, qua series incolarum Ptolemaidis Arsinoiticae in aggeribus et
fossis operantium exhibetur cum. adnotatione critica et palaeographica
in textum chartae. Romae 1789. S. XLIV und 148 mit 6 Tafeln.
(Charta Borgiana.)
Natalis de Wailly, Memoire sur des fragments de Papyrus
Berits en Latin et deposes au Cabinet des Antiques de la bibliotheque
royale, au Musee du Louvre et au Musee des Antiquites de la ville de
Leyde (i. d. Memoires de Tinstitut royal de France Academie des
inscriptions et belles-lettres. Tome XV, 1842, S. 399—423).
(de Wailly, Memoire.)
Henri Weil, Un papyrus inedit. Monuments grecs publies par
Tassociation pour l'encouragement des etudes grecques en France. Vol. I.
N. 8. 1879, S. 1 — 36. (Papyrus Weil.)
K. Wessely, Die griechischen Papyri der kaiserlichen Sammlungen
"Wiens. 11. Jahresb. über d. K. K. Franz- Josephs Gymn. in Wien 1885.
N. I. in. IV. (Wessely, 11. Jahresb. d. Franz-Jos. Gymn.)
K. Wessely, Neue griechische Papyri aus This und Panopolis.
Wiener Studien Vn. 1885, S. 122—139.
(Wessely, Wien. Stud. VII, Pap. Testa 1, II, III.)
K. Wessely, Die griechischen Papyri Sachsens. 1. Die griechischen
Papyri der Leipziger Universitätsbibliothek in den Bericht, d. Verhandl.
d. Kgl. Sachs. Gesellschaft d. Wiss. zu Leipzig. Phil. -bist. Klasse 1885,
S. 237—275. (Wessely, Leipziger Papyri.)
K. Wessely, Der Dresdener Papyrus. Berichte üb. d. Ver-
handlungen der Kgl. sächs. Gesellsch. d. Wissenschaften zu Leipzig.
Phil.-hist. Klasse. 1885. S. 276-84. (Wessely, Pap. Dresd.)
K. Wessely, Bericht über griechische Papyri aus Paris und
London. Wiener Studien. Vni. 1886. S. 203 ff. IX. 1887. S. 235 ff.
(Wessely, Wiener Stud. VIII, IX.)
K. Wessely, 13. Jahresbericht des K. K. Staatsgymnasiums in
Hernais. Wien 1887. S. 47 f. (Wessely, Papyrus Edmondstone.)
K. Wessely, Ein bilingues Majestätsgesuch aus dem Jahre 391/2
nach Chr. 14. Jahresbericht des K. K. Staatsgymnasiums in Ilernals.
Wien 1888. S. 39 — 48. (Wessely, Ein bilingues Majestätsgesuch.)
Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.) 141
K. Wessely, Zu den griechischeu Papyri des Louvre und der
Bibliotheque nationale. Zweiter Teil. 16. Jahresber. d. K. K. Staats-
gymnasiums in Hernais. Wien 1890. N. IV. S. 22—50.
(Wessely, 16. Jabresb. d. Staatsg. in Hernais.)
U. Wilcken, Aktenstücke aus der Königlichen Bank zu Theben
in den Museen zu Berlin, London, Paris, in den Abhandlungen d. Kgl.
Akad. d. Wiss. zu Berlin 1886. Anhang. S. 68.
(Wilcken, Aktenstücke.)
ü. Wilcken, Die memphitischen Papyri, im Hermes XXII, 1887,
S. 142—44. (U. Wilcken, Herrn. XXII.)
U. Wilcken, Ein Actenstück zum jüdischen Kriege, im Hermes
XXVI, 1891, S. 464—80. (U. Wilcken, Herrn. XXVI.)
U. Wilcken, ' T7:o|xvY]|xaTtafi.ou Philologus LUI (N. F. VII),
1894, S. 80- 126. (U. Wilcken, rz<j^^^r,Y.o.-'.:i^'A.)
U. Wilcken, Alexandrinische Gesandschaften vor Claudius, im
Hermes XXX, 1895, S. 481 ff.) (U. Wilcken, Hermes XXX.)
Stanislaus Witkowski, Prodromus Grammaticae Papyrorum
Graecarum aetatis Lagidarum. Cracoviae 1897. 8. S. 65.
(Witkowski, Prodromus.)
Thomas Young, An account of some recent discoveries in
hieroglyphical literature and Egyptian antiquities etc. with a trauslation
of five unpublished Greek and Egj'^ptian manuscripts. London, Murray
1823. 8. S, 160. (Young, An account.)
Thomas Young, Hieroglyphics collected by the Egyptian Society.
London. Vol. I, 1823. Vol. n, 1828. Großfolio.
(Young, Hieroglyphics.)
Zündel, Ein griechischer Bücherkatalog aus Ägypten. Rh. M. XXI
1866. S. 431—37. (Zündel, Rh. M. XXI.)
142 Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.
A. Die Charta Bdrgiana.
Im Jahre 1778 fanden Araber, wie es heißt, in Gizeh, nahe dem
alten Memphis, einen Kasten aus Sykomorenholz mit etwa 50 zu-
sammengerollten Papj'ri. Ein Kaufmann erstand einen von ihnen,
während die Araber die übrigen anzündeten und den von den ver-
brennenden Papyri aufsteigenden, wie sie behaupteten, wohlriechenden
Duft einsogen.^) Dieser erste griechische Papyrus, der nach Europa
kam, gelangte in den Besitz des Kardinals Stephano Borgia (daher
Charta Borgiana), der den Papyrus in sein Museum nach Velletri
brachte, von wo er später in das Museo nazionale in Neapel gelangte, ^j
Im Auftrage des Kardinals publizierte der dänische Gelehrte Nicolaus
Schow 1789 diese sogenannte Charta Borgiana.
Der Papyrus besteht aus 13 Kolumnen von 30 — 34 Zeilen, dazu
kommen 21 kleinere Fragmente. In ausführlicher Einleitung spricht
Schow über Herkunft, Herstellung, Inhalt, Alter und Schrift des Papyrus
und giebt außer sorgfältigen Indices auf 6 Tafeln ziemlich gute
Faksimiles von ausgewählten Stellen des Textes. Der Papyrus stammt
aus dem 33. Jahre des Commodus, d. i. 192/3 u. Chr. ^) und enthält Ver-
zeichnisse von Deich- und Kanalarbeitern (Kaxavöpa tcüv dt7r£p7aaa|i.ev(uv
eic xa -/tü|jLaTixa ep7a). Tage und Ort der Arbeiten, Zahl und Name
der Arbeiter sind in den einzelnen Verzeichnissen*) genau angegeben. Die
Arbeiter sind mit den Namen der Eltern oder des Vaters oder der Mutter
allein aufgeführt, häufig werden sie auch als unehelich (dijraTtup) ^)
bezeichnet. Daneben findet sich oft Stand und Gewerbe, bei Sklaven
') Vgl. auch Vobey, Voyage en Syrie et Egypte 1783—85, der S. 256
von einer solchen Verbrennung von Papyri bei Damiette erzählt.
''j Dort wird er unter Glas aufbewahrt in d. äg. Abteil. Zimmer 6,
N. 2318, 2319, 2320, vgl. B. Quaranta, Le Mystagogue, guide general du
musee royal Bourbon Naples 1846 S. 37—42, und Monaco, Guide general
du musee national de Naples 1890, der nach Quaranta die beiden voll-
ständigsten Kolumnen wiedergiebt. Beides ohne Wert.
') Schow las die Sigle für d. Jahr nicht, Wilcken, Z. f. äg. Sprache
1883 S. 163 A. 1, las La d. i. nach ihm 191/92, ^och steht deutlich im
Original und Faksimile /.f, d. i. 192/93. Zu der Auffassung dieser Damm-
arbeiten als Liturgie des Fünftagewerkes (-£v&r,iJLipicz) vgl. Wilcken, Griech.
Ostraka aus Ägypten und Nubien I S. 339 (noch nicht erschienen).
•) Col. VIII, ß i|y.(o/./.!ov), d. i. eine reihumgehende Leistung, nicht
qx(<ijji'.o/j, wie Schow will.
^) Schow meint, weil der Name des Vaters vergessen wäre, habe man
äza-ojp hinzugefügt. Seine Auffabsung ist unhaltbar.
Bericlit über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.) 143
der Name des Herrn aogeführt. Am Scliluß der einzelnen Verzeich-
nisse wird die Summe gezogen und ein amtlicher Vermerk hinzugefügt.
Der Pai)yrus ist mehrfach abgeschrieben, u. a. auch von mir,
doch ist er nie neu publiziert. Das wäre sehr wünschenswert, da
Schow natürlicherweise manches nicht entziffern konnte, vieles auch
falsch las, z B. eine große Reihe von Namen, die uns durch die neuen
Funde sehr geläufig geworden sindJ)
B. Einzelpublikationen der 20er Jahre.
Bis 1815 fand man keine neuen griechischen Papyri, dann aber
bis in die dreißiger Jahre hinein viele sehr gut erhaltene, wohl zum
großen Teil in Thonkrügen aufbewahrt gewesene. Die Masse derselben
stammt aus Memphis, Theben und This und Panopolis, einzelne aus
dem Faijüm, aus Letopolis^j in Mittelägypten und aus Hermonthis,
Elephantine und Syene in Oberägypten. Sie wanderten, von Salt,
Drovetti, C'asati, Grey, Minutoli u. a. gekauft, nach Paris. London,
Leiden, Berlin, Leipzig, Dresden, Wien, Turin, Rom, Mailand und
St. Petersburg und einzelne fanden bald ihre Bearbeiter.
General von Minutoli übersandte eine Nachbildung einer vom
schwedischen Vicekonsul Joh. d'Anastasy zwischen zwei Gläsern auf-
bewahrten Papyrusrolle an die Berliner Akademie. Bekker, Buttmann
und Boeckh entzifferten sie, der letzte publizierte sie sodann mit aus-
führlichem Kommentar und unter Beifügung des Faksimiles:
August Boeckh, Nechutesurkunde.
Dies ist ein Kontrakt über den Verkauf eines Grundstückes durch
4 Geschwister an einen gewissen Nechutes. Daher wird die Urkunde
gewöhnlich als Nechutesurkunde (bisweilen fälschlich als Contrat de
Ptolemais) citiert. Von 2. Hand steht unter dem Kontrakt eine Quittung
über die Zahlung der Verkaufssteuer. Boeckh hat vieles nicht entziffern
können, besonders nicht die undeutlich geschriebene (Quittung. Auch
war die linke zusammengerollte und mit einem Siegel verschlossene
Seite nicht aufgerollt worden. Von diesem Papyrus spricht .Toraard,
Revue encyclopedique X, 1821 S. 370 — 80, wo er auch eine
französische I'bersetzung giebt, und in den (mir unzugänglichen)
Eclaircissements sur un contrat de vente egyptien, Paris 1822,
>) Vgl. z. B. Wilcken, Abh. d. Berl. Akad. 188C. S. 29, der Col. 6,26
und 8, 13 A'.Xojpd: für Xiz-o-jf/ci; vorschlägt. Der Kontrollvermerk am Schloß
scheint zu lauten \'ä Kc'aTOf/o; y.ai la-. . . . xc/Tc/3-('>;>i'iv)?
-) Vgl. U. Wilcken, Die griechischen Papyrus Urkunden. Ein Vortrag,
gehalten auf der XLIV. Philologenversammlung in Dresden. Berlin, Reimer,
1897. S. 43 Anm. 10.
]44 Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.)
in deuen er ein Faksimile giebt. Nach einigen Bemerkungen von
St. Martin (Journal d. Savants 1822 S. 537 ff.) und von Cham-
pollion-Figeac (Eclaircissements historiques) über die Zeit
und rektifizierenden Erläuterungen in den sofort zu besprecheudeu
Arbeiten von Young, Peyron, Buttmann u. a. ward der Papyrus,
der mit der Sammlung Anastasy iu das Leidener Museum wanderte,
1830 von Reu Yens, Troisieme lettre ä M. Letronne, Art. I. S. 1—16
nach dem Original und 1843 unter Hinzufügung der bis dahin nicht
entrollt gewesenen 10 Linien von C. Leemans, Papyri Leidenses I.
S. 67 — 75 Pap. N. von neuem herausgegeben. Abgedruckt bei B rüg seh.
Lettre, Appendix N. II S. 62 f. Vgl. auch Adolf Schmidt, Papyri
Berol., S. 297.
Inzwischen war der Text dieses Papyrus mit andern von M. Grey
gekauften und nach London gebrachten von neuem publiziert von
Thomas Young, An account.
Gleichzeitig erschienen von demselben Autor zwei Bände, Tafeln
mit Faksimiles:
Young, Hieroglyphics.
In dem ersten Buch von Young findet man Übersetzungen 1. des
von Boeckh publizierten Papyrus Anastasy, 2. des sogenannten Anti-
graphum Greyanum , eines griechischen Papyrus (^ Hieroglyphics
Tafel 33, (wieder abgedruckt bei Kosegarteu, Bemerkungen S. 12 f.,
Forshall N. I, E. Revillout, Chrest. demot. S. 62 ff. mit d. deraot.
Original, Pap. Paris, dem. 218 Bibl. Nat., und Kommentar p. VII— XXI.
Kenyon N. III. S. 44 ff., vgl. darüber unten). Es ist die griechische
Übersetzung eines in Paris befindlichen demotischen Papyrus 'Av-ct-fpacpov
ou^Ypa^f^c aipTTTiac Tispi vsxptüv iv Ouvaßouvou -cevoixevYjc, 3. des in Paris
befindlichen demotischen Originals mit der griechischen Zollquittung
(die Quittung = Hierogl. Taf. 33), 4. — 6. dreier demotischer Papyri,
Greyanum A, B, C mit 3 griechischen Zollquittungen (= Hierogl. Taf.
34^) und 35), 7. eines demotischen Papyrus im Besitz von Mr. Salt
a. d. J. 124 V. Chr., auch mit griechischer Zollquittung (— Hierogl,
Taf. 36). Die griechischen Texte der Papyri 1 — 6 sind in Trans-
skriptionen im Appendix I unter N. II, I und III gegeben. Aus den
Hieroglyphics ist außerdem Taf. 46, eine griechische Freilassungsur-
kunde zu erwähnen, der sogenannte Papyrus Edmondstoae. Die darin
vorkommenden vormundschaftlichen Verhältnisse besprach Schmidt,
Papyri Berol. S. 298—302 und 305, vollständig trunsskribiert ist
der inzwischen verschollene Papyrus von Wessely, Papyrus Edmond-
') Die Umscbrift giebt A. Peyron, Pap. Taur. 1 S. 137, wo er auch
ein Duplikat aus Paris citiert.
Bericht über die ältere Papyruslitteratiir. (Viereck.) ]45
stone. Eine Probe der Schrift siebt auch Thompson, Handbook
S. 142. Dieser Papyrus aus d. J. 355 n.Chr. stammt aus Elephantiue
TTJc avw ÖTj^HaiÖo;. (Z. 1—2). Er enthält nach der Adresse (Z. 3—6)
die Erklärung- der Freilassniiff von drei Sklaven (Z. 6 — 19). Es folgen
darauf die Unterschriften der Freilassenden und ihres Mannes als ihres
xupio;, sowie die der Zmgen (abgedr. (Jurtius, Anecd. delph. App. I).
Mit den in diesen Publikationen mehrfach begegnenden Quittungen
über Zahlung von Verkaufssteuer beschäftigen sich die Arbeiten von
H. Buttmann, Erklärung der griech. Beischrift.
Kosegarten. Bemerkungen.
Derselbe, De prisca Aegyptiorura litteratura.
Ein Jahr später eischien
Droysen, 5 griechische Beischriften, wozu in Droj'sens kleinen
Schriften I S. 386 U. Wilcken seine eigenen Kopien giebt. Das
sind Pap. N. (36), 37. 38, 39, 40, 41, alle aus dem 2. Jahrh. vor Chr.
A. Peyron, Papyri Taur. I S. 136 f. (cf. a. a. 0.), A. Pey.r.
Pap. di Zoidc, wo er S. 35 ff. von den von Young publizierten Quittungen,
dem Greyanum A, B, C, der Quittung des Papyrus Auastasy (Boeckh,
jetzt Leemans) und des Turiner Papyrus demot. 21 mit Rücksicht
auf die für (j^iXol totcoi gezahlten Preise spricht. Ferner veröffentlicht
Brunet de Presle, Not. et Extr. XVIII, 2 S. 215 das trapezitische
Register des demot. Pap. Taur. XX vom 44. Jahre Euergetes II und unter
Paris. 15 bis zwei andere derartige Quittungen demotischer Papyri
(N. IV 2416 - A. Peyron, Pap. Taur. I S. 137 und N. IV 2410).
Endlich kommt in betracht noch Lumbroso, Documenti, Cap. III
(S 13 if.): Quietanze greche di contratti demotici. Er führt die
griechischen Quittungen über Zahlung der Verkaufssteuer von den
Pap. demot. Taur. 23, 24, 25 (der letzte = Pap. demot. Berol. 37 -=
9 bei Brugsch, Lettre S. 61) an, stellt sieben derartige Quittungen
aus Hermonthis (S. 16) zusammen, woraus sich ergiebt, daß die Amts-
zeit der Bankbeamten von verschiedener Dauer war, und daß Griechen
und Ägypter diesen Posten einnehmen konnten. Vgl. auch Revillout,
ehrest, dem. S. XII ff. u. a. Rev. Egypt. II S. 113 ff. Sonst vorkommende
Quittungen werden im Index erwähnt werden.
Buttmann erklärt die griechische Beischrift des Berliner demo-
tischen Pap. 36, Kosegarten behandelt den demotischen Papyrus selbst,
von dem das Antigraphum Greyanum (Young, Hierogl. Taf. 33) die
griechische Übersetzung ist (auch bei Kosegarten mit deutscher Über-
setzung abgedruckt). Von einem in Paris befindlichen zweiten demo-
tischen Exemplar ^) hörte Buttmann durch Spohn. Alle diese Arbeiten
') Vgl. Journal d. Sav. 1822 S. 560.
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd.LXXXXVIII. (1898. IIL) 10
146 Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.)
nehmen vielfach auf einander Bezusr, ziehen vor allem auch die von
Boeckh veröffentlichte Nechutesurkunde heran.
Der von Buttraann veröffentlichte Papyrus ist eine Verkaufsur-
knnde. Ein Choachyt (cf. u.) Onnophris aus den Memnoneia bei Theben
verkauft gewisse Gräber, ans deren Pflege er Gewinn zog, an seinen
Bruder Horos. In der Beischrift ist über die Zahluug der Verkaufs-
steuer quittiert. Darunter findet sich der Vermerk des Vorstehers des
^pafpeiov, daß dies in die Listen eingetragen sei. Die Urkunde stammt
aus dem Jahr 146/145, dem 36. Jahr des Philometor.^) Die Erklärung
der Quittung für Verkanfssteuer ist sehr verschieden gegeben worden.
Daher eine kurze Bemerkung über den Zusammenhang. Der Käufer
reicht den Kontrakt beim Zollpächter (hier Asklepiades und Zminis)
ein, dieser stellt die Anweisung zur Zahlung der Verkaufssteuer
(oia-fpatpTj) aus, die von dem Kontrolleur (dv-qpa^eu;) , einem königl.
Beamten, unterschrieben werden muß, und auf grund dieser Zahlungs-
anweisung wird an die Bank die gewöhnliche Abgabe des Zehnten oder
Zwanzigsten entrichtet. In dem folgenden als Beispiel angeführten
Text, N. 36, ist das Satzgefüge durch gesperrten Druck hervorgehoben.
*Etou{ Xz^ Xoia^ 8'' TexaxTai l~\ ttjv ev Atoa7:6Xei t^t jieTfaXrji xpa-
iteCav, ecp' % Au3i|jLayo?, eixouxTJc IyxüxXiou xaxa öia7pa<p-Jiv 'AaxXTjTitaSou
xal ZjJLt'vtoc TeXtüVüiv, u<f' tjv uroYpacpei Uxokzixaioi 6 dvxqpacpeu? , '^öpoc
"öpou yoayuTTTjc cLv^j töüv Xoyeuoixevco v Si' aurcöv yapiv Ttuv xet|xeva)v
vexpwv, iv oi; eyouoiv iv toi? Mefxvoveiotc r^; AtßuYjc xoü Trspi Br^ßa? tacpoit,
dvd' fii TiotoüvTai XetToup'i'tas, S itüvi^aairo i:ap' 'Ovviucppio; xoü "öpou
yaXxoü xaXavTCJV •{ , xeXoc öpayixa; Ivaxojia; | (= ^i'vexai) 9. Au<Ti|i.ayoc
xp(aT:e^ixTj5). (2. H.) 'AttoXXwvio; 6 Tipo? xtui -(pacpicut xou iiepi ön^ßa?
jjLexei'XTjcpot eij dva'/pa^TQv L (= Ixouc, X^ Tüßi e'. Peyron wollte eixoaxT]; von
Auct'|xayoc abhängig machen,-) Droysen von xeXo;, Buttmann dagegen von
xpdze^av. 2) Eine Übersetzung steht bei Droysen. Nur das älteste
Register (Pap. N. 41) weicht in der Form etwas ab, die übrigen sind
im wesentlichen dem angeführten gleich.
') Vgl. Revillout, ehrest, demot. S. VIII. Buttmann setzt ihn 134,
Kenyon, Catalogue 146 oder 135, Droysen 145 an.
^) Ebenso Kenyon, Catalogue, Pap. III, 38.
3) Ebenso später Wilcken, Gott. Gel. Anz. 1894 S. 725 (vgl. Akten-
stücke S. 29, Anm. 1). Laß ßuttmann und Wilcken recht haben, obwohl
sich sachlich ihre Auffassung von der Droysens nicht unterscheidet, scheint
sich aus dem Wiener Pap. 26 zu ergeben, wo steht: i~i xrjv iv Aioa^iuXei
x/,'. [jLc((7/.rji) xc,a(r:!!c/.vj, ;i' r^; E'f^Tjvato;, =-'. -/;v os/.axr,; if/.u{y.'k>.'yj) (vgl.
11. Jahresber. d. Franz- Joseph Gymn. in Wien S. 10 ff), und aus dem Pap.
Par. 15 bis, wo nach dem Faksimile zu lesen ist: IrA xf^v— x(i7::cCav, ii'
r,; Eip,vaio;, i-\ xyjv o=zaxr^;.
Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.) 147
Papyri der Zois.
Eine wichtige, den besprochenen naliverwandte Publikation ist
die von Petrettini, Pap. Greco-Egizi. Petrettini veröffentlichte
1826 drei Papyri aus Memphis unter Hinzufügung von sehr mäßigen
Eaksimiles. Der erste, eine sogenannte -/.aTaßor;, eine Verfluchung ans
dem Serapeum bei Memphis v;ird weiter unten besprochen werden. Unter
N. II xind III (S. 31—58, Taf. 2 n. 3) sind die beiden Papyri der
Zois veröffentlicht. Die Publikation war unzureichend. Einiges ver-
besserte K. 0. Müller, Gott. Gel. Anz. 1827 S. 1041. es behandelte sie
dann, freilich ohne den Sachverhalt zu erkennen, Kosegarten, De
prisc. Aeg. litt. S. 69 — 71, ebenso Droysen, 5 griech. Beischr.
S. 12. Er fand seine Darlegungen über die Quittungen über bezahlte
Verkaufssteuer durch die Zoispapyri bestätigt. Inzwischen waren
andere Gelehrte an die Neubearbeitung gegangen. Letronne gab im
Journal d. Savans 1828 S. 479 ff. und im Bull, universel des
Sciences de M. de Ferussac, 7. Section vol. XI S. 9 — 21 eine
höchst wertvolle Rektifikation und Analyse, zumeist bestätigt durch die
in demselben Jahre erschienene Publikation von A. Peyron, Pap. di
Zoide. Gestützt auf seine Kenntnis der Turiner Papyri gab P. eine
von dem Petrettinischen Text und dessen Übersetzung wesentlich ab-
weichenden Text, gleichfalls mit Übersetzung. Nach dem Original
wurde von diesen Papyri eine neue Edition veranstaltet von K. Wessely,
11. Jahresb. d. Franz Jos. Gyra. 1885 S. Uff. N. III u. IV. Er
giebt den Text der Papyri nebst deutscher Übersetzung des ersteu.
Der Abweichungen von dem Peyronschen Text sind nicht wenige, be-
sonders hervorzuheben ist, daß Wessely Pap. 11 21 ff. ergänzt und einen
kleinen Papyrusstreiten, der fälschlicherweise links angeklebt war, an
seine richtige Stelle gesetzt hat (II, 32). Schließlich hatte Wilcken,
Aktenstücke bei Gelegenheit der Veröffentlichung verwandter Papyri
Anlaß, häufiger auf die Zoispapyri zurückzukommen.
Die Papyri sind vom 31. und 33. Jahre eines Königs, dessen
Name nicht genannt ist. Petrettini und Peyron verzichteten auf dessen
Bestimmung, andere z. B. Brunet de Presle Not. et Extr. XVIII, 2
S. 350 nahmen Philometor an (also die Jahre 150 und 148), Wessely
Euergetes 11 (also 138 und 136). Der Inhalt der Papyri ist folgender:
Dorion hatte mit anderen Genossen die Eintreibung der Natron-
stener (v-xpix?]) für das 29. Jahr in Pacht genommen. Ein Frau
Thanubis hatte sich für ihn verbürgt mit 11 Talenten 4000 Drachmen.
Als Bürgschaft gab sie einen Garten von öVs Aruren. Am Schluß
des 29. Jahres war Dorion zahlungsunfähig. Thanubis zahlte der Bank
nun 4000 Dr , so daß sie 11 Talente schuldig blieb; der Garten ver-
10*
148 Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.)
fiel dem Fiskus. Thanubis ließ ihn jedoch bei einer von ihr beantragten
Versteigerung am 18. Pharmuthi des 30. Jr.hi-es durch ihre Tochter
Zois zurückkauten, und zwar erhielt ihn Zois für 10 Tal. 4000 Dr.,
zahlbar in 4 Raten, je zu 2 Tal. 4000 Dr. Den Rest von 2000 Dr.
hatte Thanubis zu zahlen. Zois hatte die erste Rate, 2 Tal. und
4000 Dr., mit dem Steuerzuschlag der sSyjxojTrj und exatoj-ciQ 2 Tal.
4426-/3 Dr., sofort im 30. Jahre gezahlt. Über die 2. Zahlung handelt
der 1. Papyrus. Die 3. Rate ist i. J. 32 bezahlt, die Urkunde dar-
über ist verloren. Die Zahlung der 4. Rate wird durch den 2. Papyrus
bestätigt.
Die Versteigerung wird augeordnet von Dorion, dem ^svojisvoc
ewpLeXrjTTjC -poj tt|v l'YXr,<j(iv xr;; vt-pixTJc ~oö xd (etou?). Ihm fiel das Ge-
schäft zu, weil mit dem Erlös der Auktion ein Deficit der Kasse, deren
£T:iIx£Xr,TT^? er war, gedeckt werden sollte. Die Urkunde enthält nun
erstens die Quittung über die Zahlung der betr. Rate, ausgestellt vom
Bankier. Ihr sind die voraufgegangenen Verhandlungen in Abschrift
beigefügt. Ein Schreiben des Tbeodoros, den Wilcken mit Recht für
den e-t(j.£Xr,Tf,? -pci« ttjv e^Xr^tJ^iv x^c vixpix^ erklärt, an den Trapeziten,
laut der beigefügten ota^pafpTQ die Zahlung anzunehmen.^) Die oiafpacpiq
enthält 1. Z. 10 — 32 eine Feststellung der bestehenden Zahlungsver-
pflichtung, 2. Z. 33 — 35 die Anweisung zur Zahluugsannahme durch
Theodorus, 3. Z. 36 — 38 die gleiche Anweisung des Kontrolleurs
(dvxqpa'feilj) Dorion, ohne die des Theodorus Anweisung keine Gültig-
keit hätte, und 4. die Untei"schrift des Bezirksschreibers, des xoro-fpafxixa-
xeuc, ^) daß nichts vergessen sei. Auf giund dieser öta-^pacp k^ , die mit
dem Begleitschreiben (Z. 5—9) an den Bankier gesandt wurde, erfolgt
die Zahlung, welche durch die Unterschrift des Zahlungszeugen (Itzcl-
xoXoüÖTjaac Z. 40) bescheinigt wurde. Theodorus hatte das Aktenstück
Z. 10—35 mit dem Begleitschreiben vom 3. Pharmuthi an den Kontrolleur
Dorion gesandt, der am 4. die Anweisung gegenzeichnet. Noch am selben
*) Aus den Worten -/.c/.-6 -r^-j ö-o/.£'.jjLivr,v o'-aYf^afV' ergiebt sieb mit
Sicherheit, daß die l'.ayjrryf^ von Z. 10—39 reicht, daß also Z. 5—9 nur
als Begleitschreiben bei der Übersendung der otccfpoi'.&r' anzusehen sind.
Und thatsächlich kehren die Worte, die den Bankier zur Annahme der
Zahlung anweisen, Z. 33-35 wieder. Das hätte sonst ja keinen Sinn.
Wilcken, Aktenstücke S. 23 hält 5—39 für die v.cc,Y>c''f.r;.
^) Lumbroso, Recherches hält ihn für den tozoyp'2[iij.«-3J; des 'Ai/>.t]-
zuTov, offenbar falsch. Das 'Aoz/.. ist ein kleiner heiliger Bezirk, während
der -'j-.^fj. der Schreiber eines großen Bezirks war, in dem eine Menge von
xüjjj.o('. lagen. Die -.'-.', ^fjrj\yyrj-i\:_ sind dem Range nach über die /.w^yj{rj'j<^\i.rj.-
— i; zu stellen. In den Kommentaren über die Papyri ist vielfach darüber
debattiert worden, ohne daß eine Einigung erzielt wäre.
o
Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.) 149
Tage giebt auch der Bezirksscbreiber seine Unterschrift und am G. er-
folgte die Zahlung. Der 2. Papyrus bietet nur wenige Abweichungen
gegenüber dem ersten. Aus Peyrons Kommentar will ich hervorheben,
daB er ~Tj-/ur für ein ^Parallelogramm erklärt, dessen Schmalseite 1 Elle,
dessen Längsseite 100 Ellen beträgt (^^ Vioo Arurej. Diese Papyri
gewähren einen tiefen Einblick in die Steuer- und Finanzwirtschaft
der Ptolemäer und geben die Erklärung tür viele weiter unten (vgl.
besonders Wilcken, Aktenstücke) besprochenen.
C. Die alten Papyriissammlungen von Turin. Rom, London,
Leiden, Paris, Dresden, Mailand. Berlin ii. a.
Epochemachend waren dann die Publikationen der größeren
Papyrussammlnngen, die sich in Turin, im Vatikan, London, Leyden,
Paris und Berlin befinden. Ich fasse diese zusammen, weil sie vielfach
untereinander eng verwandt und nur durch Zufall in die verschiedenen
Städte zerstreut sind. Die griechischen Papyri des Turiner Museums,
aus der Sammlung des französischen Konsuls Drovetti, wurden in
2 Bänden 1826 und 1827 veröffentlicht von A. Peyron, Papyri
Tanrinenses. Er giebt nach einer lesenswerten Einleitung über das
Ptolemäerreich eine Übersicht über die von ihm veröffentlichten 13 Papyri
(in Bd. 2 ist ein 14. hinzugefügt), die mit Ausnahme von XIII, der aus
Memphis stammt, nach der Erzählung der Araber mit vielen anderen
in einem Thonkruge zusammen gefunden und an Anastasy, Salt, Drovetti
verkauft sind. PejTon giebt die Texte ohne Interpunktion und Accente
mit la\ t'bersetzung und ausführlichem, wertvollem Kommentar. Bd. I
enthält Pap. I und II, Bd. II die übrigen. Am Schluß jedes Bandes
sind Indices nominum propriorum, graecitatis und rerum hinzugefügt.
Dem 1. Band ist eine Tafel mit einer Nachzeichnung des Pap. II und
einer Probe von dem großen, 10 Kolumnen umfassenden Pap. I, dem
2. Band 6 Blätter mit Nachzeichnungen der 12 übrigen Papyri und
einer Zanlentabelle hinzugefügt. Berichtigungen zu den Lesungen
Peyrons giebt Lumbroso, Documenti N. II S. 11 — 13. ^J
Die Papyri des Vatikan wurden veröffentlicht von Mai, Class.
auct. IV uud V. IV S. 442-47, der Vat. B, V S. 350-61 Vat. E
*) Übrigens sind in diesem Buche sehr brauchbare indices und im
App. II eine interessante aus d. 32. J. des Augu&tus stammende Ebren-
inschrift der /.aJl^f/oj^ocJi und ~im/.ujj-<i~'j'.'A (= zc(t^c.f>o^C>";o-o:'>t und r/.a-
xoov-ooi(>-oro'.'>i vermutet LumbrosoJ tür Herakleides, des Sochotes Sohn
(publiziert von Brugsch, Die Geographie der alten Ägypt. Leipz. 1857,
S. 136 f.).
150 Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.)
und F, deren lühalt gleich ist, V S. 600—604 Vat. A, C, D. Vat. B
ist später bei Letronue, Not. et. Extr. unter N, 36 noch einmal
veröffentlicht. Mai giebt nur kurze Notizen zu den Papyri, fügt auch
lateinische Übersetzungen bei; einige falsche Lesupgen sind später ver-
bessert, die falsche Datierung von Vat. B hat er selbst schon V. S. 350
berichtigt. Alle Papyri stammen aus dem Serapeum bei Memphis.
Die Papyri des britischen Museums fanden 1839 einen Bearbeiter
in Forshall. Er veröffentlichte 44 Papyri mit kurzen Orthographie,
Abkürzungen. Parallelstellen betreffenden Notizen. Auf eine nähere
Besprechung liess sich F. nicht ein, da die verwandten Papyri in Leyden
und Paris noch nicht veröffentlicht waren. ^) Die beiden letzten
Publikationen benutzte 1851 zu einer neuen Bearbeitung Bernardino
Peyron, Pap. Brit. e Vatic. Er kannte die Leydener und Pariser
Papyri nicht und beschränkte sich nach ausführlicher Einleitung über
das Serapeion und dessen Bewohner auf die chronologisch geordnete
Besprechung der Brit. Forsh. II— XV und XVIII und Vat. ABC und D.
Verbesserte Lesungen zu einer ßeihe der Forshallschen Papyri-)
gab Wessely, Wien. Stud. VIII S. 203 ff. Derselbe druckte dann
außer den Forshallschen noch andere Papyri ebendaselbst ab, einen 1839
aus der Sammlung Anastasy augekauften, jetzt unter der Katalog-
nummer XLIV inventarisierten, ^) XLV*) und endlich Wiener Stud. IX
1887 S. 235—40 Pap. LXXVII.^) Fast alle diese Papyri sind 1893
von neuem veröffentlicht in dem 1, Bande des neuen, mit vortrefflichen
Faksimiles ausgestatteten Katalogs, der bearbeitet wurde von F.
G. Kenyon . Catalogue. Außer XLIV, XLV nnd LXXVII nahm er auf
Forshall I— XXH, XXIV— XL und XLIII— XLIV (vgl. die Übersichts-
tafel S. XVII), und zwar diese unter neuen Katalognummern, nach
denen jetzt regelmäßig citiert wird (Brit. I, II etc.). Von den Forshallschen
fehlen also nur N. XXIII, z. T. sehr lückenhaft erhaltene Rechnungen
*) Angezeigt von Karl Keil, Jahns Jahrb. f. Philol. 1841 Bd. 30
S. 379-S7 und von Droysen, Litt. Ztg. 1840 N. 14 (=--Kl. Sehr. I S. 39-41),
der Forsh. XLIV für ein Glossar zu irgend einer fremden Sprache hielt.
Wessely erkannte ihn als Rest eines Regierungserlasses (s. oben im Text).
^) I. II, V, VI, X, XI, XII. XIV, XV, XVIII, XXXVI, XXXVIII, XLIV.
') Übersetzung von G. Lumbroao citiert von Revillout, Rev. Egypt. V
pt. 2 S. 52 f.
*j Vorher publiziert von Revillout, Rev. Egypt. IV pt. 1 S. 67—71,
Le Papyrus Grec 4b du British Museum.
^) Behandelt von C. W. Goodwin, Law Magazine, N. 112 1859, Law
Review N. 50, 1859 (mir unzugänglich). Vgl. Z. 62 ff. Pal. Soc. Ser. I pl. 107.
Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.) 151
auf Sandalen, und N. XLI und XLII, griechische Unterschriften zu
demotischen Papyri. ^)
Aber auch diese Publikation, die die von Forshall vollständig;
hinfällig- macht, darf nur benutzt werden unter Hinzuziehung; der
ausführlichen Anzeige von U. Wilcken. Gott. Gel. Auz. 1894
S. 716—49.
Der Teil der Papyri, der iu das Museum von Leydeu kam,
„Sammlung Anastasy", gelangte später als die Wiener, Turiner und
Londoner zur Publikation. C. J. C. ßeuvens hatte die Erlaubnis be-
kommen, die Pariser Papyri zu studieren, danach machte er sich an
die Leydener und veröffentlichte über sie seine 3 Lettres äM. Letronne.
In dem dritten Brief behandelte er die griechischen Papyri, von denen
er z. T. die französische Übersetzung gab. In dem beigefügten Atlas
ordnete er sämtliche ihm bekannten Papyri nach Herkunft, Inhalt und
Zeit. 1835 ereilte Reuvens der Tod. Die definitive Publikation über-
nahm an seiner Stelle C. Leemans, Pap. Leid. Der 1. Bd. erschien
1843 und enthält 20 griechische Papyri, mit den Buchstaben A — U be-
zeichnet. Alle Papyri sind in Umschrift wiedergegeben, mit Kommentar
ausgestattet und auf 5 Tafeln ar.cli Proben der Schrift gegeben. Der
Rest der Papyri wurde in einem 2. Bd. 1885 veröffentlicht.-) Dieser
Band enthält Pap V (Actiones et formulae magicae), W (Excerpta ex
libris apocryphis Moisis), X (Excerpta chemica), Y (Alphabetum et lite-
rarum copulatio) und endlich den uns allein interessierenden Pap. Z
(libellus supplex). Die äußere Ausstattung dieses Bandes ist dieselbe
wie die des ersten. Vom Pap. Z ist auf der 4. Tafel ein vollständiges
Faksimile gegeben. Ihn veröffenlichte 1888 von neuem Wessely, Ein
bilingnes Majestätsgesuch. Er stellt das Wissenswerte über die
Blemmyer zusammen ^j und giebt dann den Text mit Übersetzung und
kritischen Noten. Der auf der Insel Philae gefundene Papyrus, um das hier
gleich vorwegzunehmen, ist eine von Appion. dem Bischof von Syene,
Contra-Syene und Elephantine in der Thebaischen Eparchie, im Jahre
391/92 an die Kaiser Flavius Theodosius und Flavius Yalentinianus ge-
richtete Bittschrift, den Bewohnern und der Kirche militärischen Schutz
gegen die Einfälle der Blemmyer und Annubaden zu gewähren. Die
wenigen lateinischen Worte hat Wessely nicht richtig gelesen. Sie sind,
wie Wilcken (Berl. Philol. Wochenschrift 1888 Sp. 1205 ff.) erkannte,
^) Von diesem I. Teil des Berichts bleiben die sonst io dem I. Bande
des Katalogs von Kenyon publizierten Papyri ausgeschlossen.
'-') Vgl. Berthelot, Journal des Savants 1886 S. 208—22, 263-80,
335—53; A. Dieterich, Fat/, magica mus. Lugd. Bat. Jahrb. f. Philol. Suppl.
1888, S. 747-829. Abraxas. Leipz. 1891, S. 167-205.
') Litteratur siehe bei Wessely.
152 Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.)
das Ende eines Reskripts des Kaiseis Theodosius und heißen: bene
valere te cupimus. Endlich sind einige Reste von Kaiserreskripteu auf
Leydeuer und Pariser Papyri von Monimseu und Jaffe in Stobbes Jahrb.
f. d. gemeine Recht VI 1860 S. 398 ff. behandelt V)
Am längsten ließen die Pariser Papyri auf sich waiten. 1821
hatte der Reisende Casati an das Kgl. Antike ukabinett in Paris einige
Papyri, darunter die berühmte, häufig als 'Papyrus Casati' citierte Ver-
kaufsurkunde (jetzt Parisinus 5) v.J. 114 v.Chr., verkauft. Letronne
erkannte, als er an das Studium der Pariser Papyri ging, bald deren
Zusammenhang mit denen der übrigen Museen, deren Publikation er
eingehend verfolgte und worüber er berichtete.-) Inzwischen waren neue
Pap3'ri erworben von Drovetti und Salt. Letronne fand einen Mit-
arbeiter in Hase. Es erschienen einige Einzelpublikationen von ihm,
so: Papyrus grec du regne d'Euergete II contenant Tannonce
d'une recompepse promise k qui ramenera deux esclaves
6chappes (Journ. d. Sav. 1833 S. 329—41, 477— 86) jetzt Paris. N. 10,
sodann Papyrus grec du rausee royal contenant une plainte
en violation de sepulture. (Extrait des nouvelles annales publikes
par la section frangaise de Tlnstitut archeologique t. I.) Paris 1836,^)
jetzt Paris. N. 6, ferner Lettre ä M. J. Passalacqua sur un
papyrus grpc et sur quelques fragments de plusieurs papyrus
appartenant ä, sa collection d'antiquites egyptiennes, Paris
1826, (darin Lettre de recommandation d'un haut fonctionnaire."*) Da-
neben sind zu beachten Letronne, Recherches pour servir ä
rhistoire de l'Egypte, Paris 1823 und sein Recueil des In-
scriptions grecques et latines de l'Egypte 2 Bde. Paris 1842
und 48 nebst Atlas. An der seit 1828 vorbereiteten Gesamtpublikation
der Pariser Papyri wurde Letronne jedoch durch seinen Tod (14. Dez.
1848) verhindert. Erst 1865 wurde die Sammlung herausgegeben mit
*) Daselbst die frühere Litteratur darüber: Maßmann, Libellus
aurarius S. 147 ff. publiziert einen Leyd. Pap. mit Faksimile, de Wailly,
Memoire die Pariser und Leydener mit Faksimiles u. a. Frg. Leid. B wieder-
gegeben Pal. Soc. Ser. 11 pl. 30.
-) Diese Einzelarbeiten sind in der Einleitung Not. et Extr. XVIII,
2 citiert.
^) Wieder abgedruckt von ihm in den Fragments in^dits d'anciens
poetes Grecs tires d'un papyrus appartenant au Musee royal avec la copie
de ce papyrus appartenant au meme musee publica de nouveau avec des
additions. Paris ISb.^, S. 29—34,
') Gedruckt bei Passalacqua, Catalogue des antiquites decouvertes ea
Egypte, Paris 182(i, mit einem Faksimile des Pap. 1563 und von neuem Not. et
Extr. XVUI, 2 S. 400 ff.
Bericht über die ältere Papyrusiitteratur. (Viereck.) 153
Unterstützung von liase und Egger durch W. Briinet de Presle,
Not. et. Extr. XVIII 2 mit einem Bande Faksimiles in Groß-Folio
(52 planches).^) Vorausgeschickt ist ein Bericht über die Papyrus-
studien (S. 1 — 24). Es folgen dann die Papyri in 4 Klassen geteilt :
1. Pikees ayant un int^ret scientitique ou litt^raire (1 — 4 bis).
2. Pikees relatives ä des affaires d'interet particulier (5—21).
3. Serapeum de Memphis (22 — 60).
4. Pieces relatives k des affaires d'administration (61 — 69).
Zu den meisten Papyri sind ausführliche Kommentare hinzugefügt.
Gute indices bilden den Beschluß des Bandes. Viele der Papyri sind,
wie erklärlich, unzulänglich publiziert worden. Das kann jedoch den
auljerordentliclien Wert dieses Bandes nicht beeinträchtigen.
Mit der Mehrzahl der Pariser Papyri, nämlich den aus dem
Serapeion stammenden, gehören einige zusammen, die später in Einzel-
publikationen der Öffentlichkeit übergeben sind: Der Mailänder von
Antonio Ceriani 1^76 publizierte mit kurzen kritischen Noten ver-
sehene vom J. 162 V. Chr., eine Urkunde, von der zwei Entwürfe sich
in Leyden, zwei in Paris betinden. Zweitens der von Henri Weil
1879 herausgegebene. Dieser Papyrus, der später in den Besitz von
ChampoUion-Figeac, dann in den von Ambroise Firmin Didot kam, ent-
hält, neben mehreren tragischen, einem komischen Fragment und zwei
Epigrammen der Alexandrinerzeit (S. 1 — 34 der Publikation) Un compte
de depenses aus dem Serapeion bei Memphis vom J. 161. Drittens
ein Papyrus aus Dresden^) 1885 veröffentlicht von Ernst Haas er,
Pap. Dresd. und von Wessely, Pap. Dresd. Der Papyrus ist von
Drovetti erworben, 1832 der Kgl. Bibliothek in Dresden geschenkt, jetzt
im Japanischen Palais. Er ist gleichlautend mit Paris. 30. Leid; D
und E. Auf derselben Seite beginnt unten ein Brouillon für eine neue
Eingabe. Ebenso enthält auch das Verso eine Bittschrift mit außer-
ordentlich vielen Korrekturen.
Schließlich stammt aus dem Serapeum der von Petrettini,
Pap. Greco-Egizi S. 1—28 (vgl. Tafel I) veröffentlichte sogenannte
Artemisiapapyrus. Die unzulängliche Publikation Petrettinis wurde
1882 ersetzt durch die nur nach Petrettinis Faksimile ausgeführte vor-
zügliche Ausgabe von E. Blaß, Artemisiapapyrus, eine Ausgabe,
der 3 Jahre später eine Nachvergleichung des Originals folgte durch
Wessely, 11. Jahresb. d. Franz.-Jos. Gymn. unter N. I. Ein
Faksimile ist gegeben Pal. Soc. II, Tafel 141.
*) Die Papyri sind z. T. im Louvre, z. T. in der ßibliutheque nationale.
-) Vgl. Droysen, Lit. Ztg. 1S40. N. 14 =-- Kleine Schrift, z. alt. Gesch.
I S. 39 f.
154 Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.)
Mit audereu aus Panopolis stammenden Papyri der Pariser
Publikation (Pap. 20, 21, 21 bis, 21 ter und Pap. Jomard) sind einige
Papyri aus Berlin und Wien zu verbinden. In der Berliner Bibliothek
befinden sich nämlich 2 Papyri des Purpurhäudlers Aurelios Pachymios,
publiziert 1842 von W. A. Schmidt (Pap. Berol.). Er £:iebt die nach
Dnrchzeichnuug hergestellten Faksimiles, die Texte und l'bersetzungen.
Seine Lesungen sind z. T., besonders im Pap. II, hintällig, damit auch
seine Erklärung. Doch enthält der umfassende Kommentar viele be-
achtenswerte Austührungen, u. a. S. 96 — 212 eine Abhandlung über die
Purpurfärberei und den Purpurhandel im Altertum, S. 213 — 81 das
System der ägyptischen Körpermaße, S. 282 — 302 Beiträge der Papyrus-
litteratur zur Geschichte der Tutel, wobei er den Pap. Casati (Not. et
extr. XVIII, 2 Paris. 17), die Nechutesurkunde (Leid. N.) und den
Papyrus Edmonstone (vgl. Young, Hieroglyphics 46, Wessel}^ Papyrus
Edmondstone) bespricht. Schmidts Publikation wuide wieder aufge-
nommen durch Brunet de Presle, der im Anschluß an verwandte Pariser
Papyri die Berliner in den Not. et. extr. XVIII, 2 S. 254—57 mit
einigen Änderungen abdruckte. Endlich hatte K. Wessely Veran-
lassung, auf diese Papyri zurückzukommen. Er hatte in den Wiener
Studien VII 1885 S. 122 — 39 „Neue griechische Papyri aus
This und Panopolis", drei Papyri publiziert, die im Besitz von dem
Attache bei der deutschen Gesandtschaft in Konstantinopel Herrn Testa
waren. Von diesen hatte der erste, eine Darlehnsurkunde des Aurelios
Kallinikos, mit dem Berol. II sehr große Ähnlichkeit. Nachdem er
bei dieser Gelegenheit einige Verbesserungsvorschläge zu den Berliner
Papyin gemacht, publizierte er beide Pap. mit Übersetzung von neuem
im 16. Jahresber. d. Staatsgymu. in Hernais. Wien 1890 S. 22 — 50
unter N. IV, wo er die zahlreichen Abweichungen von den Lesungen
Schmidts und Brunets de Presle zusammenstellt, unter anderem auch
mit einem Fetzen, in dem Schmidt den Hest einer Kopie des Berol. I
zu sehen geglaubt hatte, eine Lücke in den Zeilen 27 — 31 des Berol.
ausfüllt. S. 47 wiederholt er auch die Darlehnsurkunde des Kallinikos.
Es ist natürlich unmöglich, würde auch über den Plan dieses
Jahresberichtes hinausgehen, die Verbesserungsvorschläge für die
einzelnen Papyri sämtlich aufzuzählen. Einzelnes ist ja erwähnt worden,
wird auch suo loco immer erwähnt werden. Viele Vorschläge, die im
einzelnen nicht aufgeführt werden können, sind von E. Revillput
'j Die Berliner sind teils im Museum (W. A. Schmidt, Pap. Berol.,
G. Parthey, Frammentij, teils in der Bibliothek (Buttmann, Erklärung
d. griech. ßeischrift. Letronne, Lettre ä M. Passalacqua, Droysen,
5 griech. Beischr., Parthey, Theban. Papyri).
Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.) 155
in der Revue egj'ptologique gemacht, viel ist von ihm zur Erklärung
beigetragen worden, auch in den neueren Publikationen sind gelegent-
lich viele von den älteren Papyri wieder zur JCrläuterung herange-
zogen und z. T. dabei emendiert. Eine große Reihe von Verbesserungs-
vorschlägen lieferte dann endlich in neuester Zeit Witkowski,
Prodromus. Dies Buch ist eine Vorarbeit für eine Grammatik des
Griechischen, das die Ptolemäerpapyri uns kennen lehren. Witkowski
hat zu diesem Zweck die Papyruspublikationen durchgearbeitet und die
Stellen, die er glaubte ändern zu müs^sen in den Symbolae criticae
S. 9 ff. zusammengestellt. Da sind behandelt unter N. 1 Papyri
Taurinenses, unter N. 2 Papyri Vaticauae (Vat. F ist neu ediert), unter
N. 3 Papyri Leidenses, unter N. 4 Papyri Parisinae (N. 14 und 34 werden
vollständig neu ediert) und unter N. 5 endlich Papyri Britaunicae. Das
übrige ^eht uns hier nichts an. Leider hat Witkowski die Originale
nicht gesehen, sondern nur die Faksimiles. Nur die Vaticauae hat
Lnmbroso für Witkowski verglichen (vgl. S. 11). Die Sache eines
jeden wird es daher sein müssen, in jedem einzelnen Falle die
Witkowskischen Lesungen nachzuprüfen, eventuell am Original, wie
man ja auch meist gezwungen sein wird, zur exakten Feststellung des
Textes eines Papyrus sich nicht mit der letzen Edition zu begnügen,
sondern die früheren auch um Rat zu fragen. Willkommen wird dem
Papyrologen auch die Publikation der Palaeographical Society sein,
die auch von einer Reihe dieser älteren Papyri vorzügliche Faksimiles
giebt. Jeder Tafel ist die Umschrift des Papyrus sowie einige
orientierende Bemerkungen über Gestalt, Inhalt, Publikationen und
Paläograpbie hinzugefügt. Bei den einzelnen Papyri, die dort wieder-
gegeben sind, wird dies bemerkt werden.
Die in diesen Publikationen mitgeteilten Papyri zerfallen nun ihrer
Herkunft. Zeit und ihrem Inhalt nach in mehrere große Gruppen.
I. Papyri aus dem Serapeum bei Memphis.
Zu diesen gehören Paris. 11. 12, 22—60 (N. 36 ist jedoch der
Vat. B): Brit. (Kenyon) XXII, *) XX, XVII, XXI, 2) XXVII, XXXI,
XTK, XXXIV, 3) XXXIIL XXVI, XVIII, XXXV, XXIV Verso, XLL
XLII, XXIV Rpcto, XLIV, XLV. XXIII, XXVIII; Leid. B, C, D,
E, G, H, I, K, C, S, T, G Verso, U: Vat. A, B, C, D, E, F; Dresd. I,
II, III, der Pap. Ceriani. der Pap. Weil und der Artemisiapapyrus.
Von diesen Papyri beschäftigt sich ein großer Teil mit den
0 Vgl. Pal. Soc. Ser. II Fl. 22.
=) Ibid. Ser. 1 pl. i.
^j Ibid. Ser. II pl. 23.
156 Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.)
Augelegenheiten dei' Zwillinge Thaous und Thaues und ihres Be-
schützers, des Ptolemäus, des Sohnes des Glaucias, eines
Macedouiers. Was wir aus den Papyri über das Serapeum lernen,
ist von den Herausgebern der Papyri zusammengestellt, besonders von
Bernardino Peyron, Brnnet de Presle und Kenyon. Das Notdürftigste
sei hier angedeutet. Das Serapeum ist ein mit der Stadt Memphis
durch einen mit Sphinxen eingefaßten Spoixo? verbundener, heiliger
Bezirk, der neben dem Heiligtum des Serapis auch Tempel des
Äskulap, der Astarte und des Anubis, sowie den Bezirk des Apis
enthielt. Die Bewohner waren teils für die gottesdienstlichen Hand-
lungen angestellt, teils solche, die sich aus religiösen Gründen frei-
willig als Einsiedler (ol iv xato/v] ovts?)') in das Heiligtum zurückge-
zogen hatten und es nicht verlassen durften. Zu ihnen gehörte
Ptolemäus, des Glaucias Sohn, dessen Vater sich in Psychin im
Herakleopolitischen Gau angesiedelt hatte und dort zwischen 170 und
164 gestorben war. Ptolemäus tritt als Protektor der Zwillings-
schwestern Thaues und Thaous auf, deren Geschichte im Paris 22. steht.
Ihr in Memphis ansässiger Vater hatte eine gewisse Nephoris ge-
heiratet, wohl die Stiefmutter der Zwillinge. Nephoris lebte jedoch
mit einem anderen Mann zusammen, der aut den Vater der Zwillinge
einen Überfall machte, wodurch dieser bewogen wurde, nach Herakleo-
polis zu fliehen, wo er auch starb. Nephoris nahm sein Eigentum in
Besitz, verjagte die Zwillinge, die durch Ptolemäus' Vermittelung —
er war ein Freund ihres Vaters — eine Anstellung im Serapeiou
fanden 165 v. Chr. In diesem Jahre war ein Apis gestorben. In der
Trauerperiode (tzev^o?) traten Thaues und Thaous ihi- Amt als Nach-
folgerinnen eines anderen Zwillingspaares an.-) Sie mußten dem
Serapis, der Isis, die -apeöpoc des Serapis war, und dem Äskulap
Spenden darbringen. Dafür hatten sie Anspruch auf 2 Metreten
Sesamöl und Kiki das Jahr und S Laib Brot täglich tür den Serapis-
dienst, sowie 3 Laib Brot täglich für den Asklepiosdienst. Diese
Lieferungen hatten in den ersten 6 Monaten regelrecht stattgefunden.
Aber im Anfang des 18. Jahres des Philometor (164/63) hörten sie auf.
Nach vergeblichen Vorstellungen bei den niederen Beamten wenden
'; Vgl. Revillout, Rev. Egypt. I S. 160 ff. Le reclus du Serapeum;
II 143 ff.
^) Weil 1. <-. spricht die Vermutung aus, daß diese Zwillinge stets die
Namen Thaues und Thaous führten. Einen Anhalt dafür haben wir jedoch
nicht. Möglich ist, daß, wie Peyron vermutet (S. 19 f.), mit dem Tode
des Apis die \\[j<jWJl-=.vj. eines solchen Zwillingspaares aufhörte, und daß
sie ihr Amt dann anderen Zwillingen abtreten mußten.
Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.) 157
sich die Zwillinge in der 2. Hälfte des 18. Jahres (Anf. 163 v. Chr.)
an höhere Beamte, ja sogar an den König Philonietor und die Königin
Kleopatia selbst. Und ihrer nimmt sich dabei Ptolemäus. des Glaucias
Sohn, an. Ich gebe eine kurze, möglichst chronologisch geordnete Zu-
sammenstellung. Viele Eingaben existieren in mehreren Entwürfen,
häufig fast gleichlautend. Die definitiven Eingraben sind meist daran zu
erkennen, daß sie von den Korrekturen, die die übrigen Exemplare
zeigen, frei sind und amtliche Vermerke und Randnotizen haben , die
die Regelung der Angelegenheiten betreffen. Außer den Petitionen
selbst sind eine ziemliche Reihe von Aktenstücken der verschiedenen
Beamten erhalten, die mit diesen Dingen zu thun hatten. Unter ihnen
ist der 6ioixr,TVj;, !jr.ooioiY.r]rffi, dtvxqpacpeu; und i-.l.\i.z\r^-:■r^z , sowie deren
Unterbeamte. ^) Auf die rückständigen Lieferungen des 18. und 19,
Jahres beziehen sich folgende Papyri aus den Jahren 164 — 161:
Brit. XXII, Paris. 22 (= Paris. 23), Leid. B, Paris. 26, Paris 25.
Brit. XX, Brit. XVII a c^) b, Brit. XXVI. 3) Brit. XXVIL Brit. XXXI,*)
Leid. C, Brit. XXI, Paris. 31, Brit. XIX.
Einen zweiten Feldzug für die Lieferung von Öl für das 20. und
21. Jahr des Püilometor, 162/61 und 161/60, betreffen Paris. 30 (=Dresd.
1.6) = Leid. D Fol. 1 =- Leid. E Folio 1, wo jedoch nur Z. 1—15
steht, das Ende also fehlt. Der Parisinus ist der wirklich eingereichte
Papyrus, der den amtlichen Vermerk trägt,'') Brit. XXXIV, Leid. D
Fol. 11,^) Paris. 33 (= Brit. XXXIIP), Paris. 29.
*) Vgl. auch Revillout, Rev. Egypt. V 1888 S. 31—62: Les papiers ad-
ministratifs du Serapeum et l'organisation sacerdotale en Egypte.
*) c, d. i. Z. 27—45 des Brit. XVII, ist die Abschrift eines Original-
berichts, der in dem unpublizierten Pap. Vaticanus 2289 erhalten ist und
dessen Abweichungen Wilcken, Gott. Gel. Anz. 1894 S. 720 mitteilt.
') Vgl. Wilckens Erklärung dieses Pap. 1. c. S. 722.
*) Die Originalurkunde Brit. XXVII ist in XXXI 6—12 wiederholt.
*) Auf derselben Seite, wo Dresd. T steht, beginnt ein Brouillon für
eine neue Eingabe (3 Zeilen) und auf dem Verso eine andere Eingabe mit
außerordentlich vielen Korrekturen. Die Z\^'illinge bitten um die ouvTa^-;
des 18., 19. und des halben 20. Jahres. Oben, unten und an der Seite ist
begonnen oder auch ausgeschrieben der Vermerk Msv-'^oz-. zfiovor^f^^va'. toI;
*) Nach Wessely: -oI; ■,'f>auni[a-:£D3iv
iZ'.3/[367.(JLE-
v'v.y; dy[=.,iy.v.y.
'') Die Verfügung des (zv-:'.-(,cioa>c'J:, durch Fäden zusammengeheftet mit
Leid. D Fol. I.
*) Das Verso enthält eine schlechte Kopie des Anfangs eines
Briefes.
158 Bericht über die ält'.-re Papyruslitteratur. (Viereck.)
Die die Brotlieferungen betreffenden Papyri sind weniger zahl-
reich nnd schwerer zu ordnen. Sie sind alle aus dem Jahre 162/61.
Es sind folgende:
Vat. D, Brit. XVIII, Brit. XXXV (^ Brit. XXIV Verso),
Pap. Ceriani (=- Paris. 27 = Paris. 28, der nur die erste Hälfte
der Petition enthält, = Leid E, eine fehlervolle Abschrift, die 4 Zeilen
mehr enthält als Paris. 27), Vat. C (vielleicht nur eine andere Version
der vorangehenden).
Die Brotlieferung für den Dienst im Asklepieion, auf die im
Brit. XXXV Z. 27 Paris. 26, 27, Vat. C und D hingewiesen wird,
betriflft Brit. XLI.
Wie sich Ptolemäus der Zwillinge annahm, so auch, wie es
scheint, einmal einer Frau, die im Serapeum Zuflucht gesucht hatte r
Paris. 24 a. d. J. 164. Zudem waren Ptolemäus selbst und sein
Bruder Apollonius als Griechen wiederholt Belästigungen und thätlichen
Angrififen und Beranbungen von Seiten der ägyptischen Angestellten
des Serapeums ausgesetzt. Deswegen richteten sie eine Reihe von Be-
schwerden an den König oder den Strategen. Das sind in chrono-
logischer Reihenfolge Paris. 35 (aus dem 10. Jahre der xaTo-/r^, dem
19. J. des Philometor 163/62 v. Chr.), Paris. 37 (163 v. Chr.), Vatic.
B (163 v. Chr.), Brit. XLIV (abgedruckt auch als Paris. 36, a. d.
J. 161 v. Chr.), Paris 40 {^^ Par. 41, Entwurf auf dem Verso d.
Paris. 40 a. d. J. 156); dazu kommen Paris. 42 (Schreiben des
Barkaios und Apollonius an Apollonius, der als döeXtpoc bezeichnet wird
und für Anzeige und Beobachtung der Übelthäter eine Belohnung
(orecpotviov) von 3 Kupfertalenten erhält, vom J. 156), Paris 46 (Brief
des Apollonius an seinen Bruder Ptolemäus, betr. die Räubereien mit
Vorwürfen gegen einen jüngeren Apollonius, daß er ihn im Stich ge-
lassen habe, v. J. 153) und Paris. 4~ (Brief des jüngeren Apollonius
an seinen „Vater" Ptotemäus, worin er sich verteidigt, wohl aus dem-
selben Jahr).
Ptolemäus hatte von seinem während der Kämpfe des Philometor
mit Euergetes gestorbenen Vater ein Haus in Psychin im Herakleo-
politischen Gau geerbt. Da er das Serapeum nicht verlassen durfte,
plünderten Leute das Haus, nahmen von dem Hof und einem <j/iX&;
t6-oc Besitz und führten auch Bauten daselbst auf. Beschwerden und
Bittschriften in dieser Sache enthalten Brit. XLV (160/59), Paris. 38
(eine revidierte Eingabe desselben Inhalts), Paris. 39 (eine Eingabe
desselben Inhalts vom J. 161/60, wenn die Lesung Z. 4 richtig ist).^)
') E. Rbvillout, Rev. Egypt. IV pt. 1 S. 68 liest Z. 7 'I"c<Xov la-
f/ar.tiu/c/, "A~o' /•-'>/■ ov, vgl. Brit. XXXIII (b).
Beriebt über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.) 159
Mit verschiedenen Privatangelegenheiten des Ptolemäus und seiner
Brüder, anch der Zwilling-e, melir oder weniger wichtig, befassen sich
noch Paris. 32 vom 20., Paris. 59 vgl. Revilloiit, Rev. Egypt. IV S. 57)
vom 22., Paris. 60 und 43 vom 28., Paris. 44 und 45 vom 29. Jahr
des Philometor, und der nicht datierte, von Kenyon c. 162 angesetzte
Brit. XXVIII. Drei von den Papyri betreffen die Einreihung des
Apollonius, des jüngeren Bruders des Ptolemäus und Sohnes des
Glancias, bei der in Memphis stehenden Truppe. Offenbar wünschte
Ptolemäus seinen Bruder in Memphis zu haben, damit er seine Inter-
essen dort durch ihn vertreten lassen könne. Er erreichte seine Ab-
sicht, doch war lier Weg, auf dem dies geschah, sehr umständlich und
viel Schreiberei war nötig. Da ist zuerst der wichtige Brit. XXIII,
8 Kolumnen enthaltend, eine Sammlung von 6 Aktenstücken mit amt-
lichen Vermerken, alle auf die Anstellung des Apollonius bezüglich.
B. Peyron giebt einen ausführlichen Kommentar zu diesem Papyrus, wie
auch Kenyon die Übersicht durch die Zerlegung des Aktenstückes in
seine einzelnen Teile erleichtert (158/57 v. Chr.). Diese Urkunde setzen
voraus Vat. E und F.') Der eine (Verso) ist die schon an den
vielen Verbesserungen erkenntliche Kladde, der andere (Recto) die Rein-
schrift. Ptol. bittet, den in die ar^\Lia des Dexilaos eingereihten Apollo-
nius von übermäßiger Heranziehung zu den X£iT0üp7iai zu befreien, da-
mit er des Ptol. Interessen vertreten könne (157/56).
Einen freilich vielfach dunklen Brief des Strategen von Memphis
an Ptol. enthält nach Brunets Vermutung Paris. 49. Jedenfalls würde
er zeigen, daß Ptol. ein Mann von Ansehen und Einfluß gewesen ist.
Abrechnungen, meist wohl aus dem Serapeum, über tägliche
Einnahmen und Ausgaben, z. T. die Zwillinge angehend, sind:
Paris. 52,2) 53^3) 54^ 4^) 55 ^jj 55 ^ig^), 56, 57, 57 bise),^)
(cf. auch Paris. 59), Papyrus WeiP), Leid. C Verso Col. 3 und 4,
Leid. S, Leid. T, vielleicht auch Brit. XXV und XXIX, kaum Brit. XXX.
Vgl. dazu Revillout, Comptes du Serapeum (Rev. Eg. III, 140 — 47,
rV, 54 — 58). Zum Teil neu publiziert sind von ihm Paris. 56, 57,
Leid. S und Paris. 59.
*) Neu ediert von Witkowski, Prodromus S. 14 f. und von ihm mit
E und F bezeichnet.
^) Auf dem freien Raum des Recto ein demot. Papyrus.
^) Das Verso enthält einen demotischen Papyrus.
*) Verso des Pap. Paris. 52.
*) Die Zwillinge werden in diesen Papyri genannt.
*) Verso von Paris. 27.
') Daß der Papyrus 60 bis derselben Herkunft wie 55 bis ist, ist
wenig wahrscheinlich.
]60 Bericht über die ältere Papyraslitteratur. (Viereck.)
Trannifrzählnncren. die hier nnd da schon ancedeuttt werden
(vgl. Paris. 44. 45, 47, 54 Col. .3, 78j, enthalten Paris. 51 nnd 50
(160/159>. Leid. C Verso Col. 1 und 2, Leid. U'j (159/8). Offenbar
tührt Brunei de Presle richtig- aus, daß die Besucher des Serapeum»
in Träumen Enthüllungen und Offenbarungen über ihre Krankheiten
und sonstigen Angelegenheiten suchten und dabei waren die xaTe/ofisvoi
auch beteiligt. Die Deutung der Träume wird durch die ivonvioxpiTii
gegeben.
Mit den bisher erwähnten Personen nichts zu thun hat der noch
verbleibende Rest der Serapeumspapyri , doch geben auch sie manche
Aufschlüsse über Leben and Treiben im Serapeum. Paris. 12 ist eine
Beschweide über Gewaltthätigkeiten v. .T. 157 v. Chr.. Leid. G, H, I
und K betreffen eine ähnliche Beschwerde des Petesis, des Sohnes des
Chenuphis, des dp/S'/ra^iarrf,; 'O^opanio; t/i: "OaopfjLvs'Jio;, ^) v. J. 99
V. Chr. Leid. G ist das Kgl. Piesciipt, in dem Z. 9—22 die Eingabe
des Petiisis beiget/eben ist. Die gleiche Sache betreffen, obwohl der
Zusamraenhans nicht ganz klar ist, Leid. H, I und K. Brit. XLII
V. J. 172 V. Chr. ist ein Brief der Isias an ihren Gatten Hephaestion,
der sich unter die sv xito-//; ovts; aus irgend einem Grunde ge-
flüchtet hatte, in dem sie ihn zur Rückkehr ermahnt, Vat. A ist ein
Brief des Dionysius, des Bruders des Hephaistion in derselben Sache.
Brit. XXIV ßecto, sehr unterrichtend für die Zustände im Serapeum,
ist eine Eingabe des Harmais an den Stratecren von 163 v. Chr., betr.
eine Summe von 1-300 Dr., die ihm von Tathemis, einer jungen Bettlerin
im Serapeum, zur Auftewahrung übergeben waren. Die Mutter der
Tathemis. Nephoris, hatte diese Summe gefordert mit der Begründung
TTjv TaOr.ji'.v uipav lys'.v, ajj lÖoc irrt toI; At-fjrTt'oc?, zepiT^jAvsadat^J tind
zn gleicher Zeit zur Beschaffung des Hochzeitsgutes. Nephoris ließ
aber weder die Tochter beschneiden, noch sich vermählen, zahlte aber
auch nicht das Geld an Harmais zurück. Dagegen forderte es nun die
Tochter selbst von ihm. Diese Notlage veranlaßte ihn zu der Ein-
*; Der Papyrus fingiert einen Traum des Nectanebus, des letzten
von den Persern vertriebenen Königs, von Ptolemäus und den Zwillingen
handelnd, aus paläogr. Gründen ins 2. Jahrh. zu setzen.
^ Er war der erste der Geno&senschaft, die mit der Bestattung
der heiligten Rinder 'CjOfiäz'.; und '03ooji.va'J'.; zu thun hatte.
«) Vgl. dazu B. Peyron S. 89, Kenyon, Catalogue S. 33, der Strabo
XVII 2,5 und S. Ambrosius (de patr, Abra. II, 11) als Zeugen für die Be-
schneidung beider Geschlechter anführt. Das Alter von U Jahren wird
von Ambrosius für die Vollziehung dieser Ceremonie angegeben. Vom
14. Jahre an mulite auch die Kopfsteuer gezahlt werden.
Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.) 161
gäbe. Paris. UM «nd 34-), wohl beide a. d. J. 157, betreffen Klagen
über im Serapeuni vorgekommene Uriffeliörijsrkeiten. Paris. 58 und 48
sind zwei Privatbriefe, letzterer von zwei Arabern M^-inllas und Chalbaa.
Endlich bleibt zur Besprccbun? noch iibriir der Artemisia-
Papyrus (Petrettini, BlalJ, Wessely. Pal. Soc. II pl. 141, vgl. S. 153).
In IJnciale geschiiebeu. wie ^vir sie durch neuere Funde aus dem 3. Jahrh.
v. Chr. kennen, in jonischem Dialekt, untermischt mit attischen und
dorischen Formen, mir Interpunktion (:)^), und ziemlich nachlässiger
Orthographie, wird er mit zu den ältesten sriechischen Papyri gehören,
die wir besitzen, wenn auch Petrettini und Blaß ihn wohl mit Unrecht
in das 4. Jahrh. v. Chr. setzen.'*) Die in Ätryptcn ansässige, nach Blaß"
Vermutung aus Halicarnass stammende Artemisia, die Tochter des
Damasis, hat im Tempel des Gottes der Unterwelt Osiri-Hapi eine Ver-
fluchung ^des Vaters ihrer Tochter", der nach Blal.r Annahme kaum ihr
rechtmäüiirer Gatte gewesen sein wird, deponiert. Er hatte sie selbst und
ihre Kinder im Stich gelassen, nicht die Kosten für das Begräbnis einer
Tochter tragen, auch wohl nicht die weitere Sorge für das Grab (vgl.
weiter unten die Bemerkungen über die Choachj'ten) übernehmen wollen.
Der Fluch ist auf die Zeit beschränkt, wo das Schriftstück im Tempel
lag. Artemisia hoti'te also vielleicht auf Einlenken des Mannes. Ver-
wandte Urkunden hat Wachsranth im Rh. Mus. XVIII 1863 S. 559
zusammengestellt.
U. Papyri aus Theben in Oberägypteu.
Die zweite Gruppe mögen die aus Theben stammenden, die Ge-
nossenschaften der Choachyten, Paraschisten. Pastophoren (und
Taricheuten)'^) betreffenden Papyri, gleichfalls aus ptolemäischer
Zeit bilden.
*) Verso S findet sich zozfvo^Js-u) : Vgl. Egger, Journal d. Sav. 1873
S. 98. Toepffer. Beiträge z. griech. Altertumswiss. S. -222. fand in einem
Thebischen Sakralgesetz yjnr.'j^jz-v. erwähnt.
-) Neu ediert von Witkowski, Prodromus S. 33.
•'') So auch Paris. 49.
') Letronne wies Joum. d. Sav. 1828 S. 977 in seiner Besprechung
der sonst freilich ungenügenden Publikation Petrettinis Änsetzung ohne
stichhaltige Gründe sehr schroff zurück. Aus paläograpbischen Gründen,
auf grund von Vergleichung mit datierten Papyri, weisen den Papyrus dem
Anfang des 3. Jahrh. zu Mahaffy, The Flinders Petrie Papyri I
(Cunningham Memoirs VIII) S. .H, Thompson, Handbook S. 119. Wi Icke n,
Griechische Papyri S. 47 Anm. 34.
^) Erwähnt z. B. Pap. Paris, b.
J«hresbericht für Altertumswissfinschaft. Bd. LXXiXYIIL (1898. IIL) 11
162 Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.)
Die Littevatnr über diese Priesterg'enossenschaften ist z. T. aus
den Papyriispublikatiouen zu ersehen, z. T. aus den im folg-enden ange-
führten Büchern. Die Auffassung über die Thätigkeit der einen dieser
Gilden, der Choachyten, ist viel umstritten. Die Entscheidung hängt
davon ab, ob man yok/dxai oder yoayjTai lesen will. Das wiederum ist
zu entscheiden auf grund der Paläographie, der Wortbildungsgesetze
nnd der Nachrichten, die uns die Papyri über die Thätigkeit der Gilde
geben, wobei Herodot II, 86 und Diodor I, 91 heranzuziehen sind.
Lumbroso, Documenti kommt, obwohl a und X in der Regel in der
Kursive ptoleraäischer Zeit nicht zu unterscheiden sind, doch auf grund
genauer Prüfung der Originale zu dem Resultat, daß eine Reihe von
Stellen sicher für die Lesung -/oayuTat spricht. Diejenigen, die yoXyuTai
lasen (vgl. vor allem A. Peyron, Pap. Taur. I, S. 77—89), leiteten es
von einer koptischen "Wurzel ab, die dem griechischen nspißaXXeiv ent»
spricht, so Young, A. PejTon, Leemans, Forshall, Letronne und neuer-
dings Witkowski, der gegen yoayutai einwendet, es sei keine richtige
Wortbildung und müsste yoqyßron heißen. Für yoayjrai traten ein der
Verfasser des Aufsatzes: „The enchorical language of Egypt" in der
Dublin University Review 1833, Brunei de Presle, v/enn auch zweifelnd,
E. Revillout, Wessely, Lumbroso, Wolff (de causa Hermiana S. 12 ff.)
und Wilcken. Unentschieden ist Kenyon. Je nach dem man liest, hat
man Leute zu verstehen , die die einbalsamierten Leichen mit Byssos
umwickelten, oder solche, die Totenspenden darbrachten. Die außer-
ordentlich gewichtigen Gründe, die für die letzte Auffassung sprechen,
sind von Wolff unter Heranziehung des gesamten Materials genau erörtet
(S. 12 ff.), vor allem scheint ir.ir für yoayutai zu sprechen, daß all diese
Gilden griechische Bezeichnungen führten. Demnach hatten also die
Paraschisten die Leichen auf der linken Seite aufzuschneiden und die
Eingeweide herauszunehmen, die Taricheuten balsamierten die Leichen
ein und wickelten sie in Leinen. Sodann wurden die Leichen in Kästen
gelegt, nach der Totenstadt, die in Theben Memnoneia hieß, gebracht
und in Gräber eingeschlossen, indem unter Gebeten bestimmte Opfer und
Spenden durch die Choachyten dargebracht wurden. Diesen lag auch
für einen bestimmten, von den Hinterbliebenen zu zahlenden Entgelt,
der Schutz der sorgsam geschlossenen Gräber und die Darbringung von
Opfern bei den jährlichen Gedächtnisfeiern ob. Auch zu anderen Dingen
wurden sie herangezogen. Sie bestreuten an den Festtagen die Strasse
des Ammon und den Tempel der Juno mit Staub, bei dem jährlichen
Festzug des Ammon nach Memnoneia zogen sie, Spenden dar-
bringend, voran.
Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.) 163
1. Choachyten.
Die größere Masse dieser Papyri betreffen die Choachyten:
Tanr. I, II, III, IV, XI; Paris. 5, G, 7, 14 (=.Taiir. III), 15. 16;
Leid. F, M, P: Brit. III.
Ein Teil von ihnen sind Verkanfsnrkunden. Nach Brit. III ver-
kauft ein gewisser Onnophris seinem Bruder Horos die Hälfte eines
dritten Teils von Mumien, die an einem bestimmten Platz, Thynabunum,
im Nomos flspl 0r,;ia; lagen, und die damit verbundenen Sammlungen und
Sportein. Der Pap. stammt, wie der demotische Urtext, in dem Berl.
demot. Pap. 36^) und dem Pariser Pap. Casati Bibl. Nat. 218 -) erhalten,
zeig't, aus dem J. 146/145.^) Der Abschrift des Kaufkoutraktes (Z. 1
— 36 'AvT''7pa9[ov 3u]v-[pa9^? AiYunTia; {Ji.e9Y)pfXTjv£[u][X£vr,c xatd Suv[a[xtv])
ist die Quittung über gezahlte Verkaufssteuer angehängt (Z. 37 — 44
'Av-iYpacpov -TcufxaTo;). Nach dem Paris. 5, einem Papyrus von
50 Kolumnen, gewöhnlich als Papyrus Casati citiert, v. J. 114 v. Chr.
verkauft Horos. des Horos Sühn, Ttöv ix tcuv Meiavoveicüv -/oa/u-uiv, erstens
verschiedene Häuser oder Hausanteile an Osoroeris, des Horos Sohn, und
dessen Brüder Nechmuthes und Petosiris, zweitens an dieselben tJjv
irpoj-astav tujv sTiißaXXovTüx/ a'jTco 3(u[jLaTtüv -(jüv (jLeTaYOjXEvcuv eic 'ohz -zd^foui
xat Tcuv TouTtüv XoYSKüv y.al xocp^sicäv, ujv to xaxavopa uTioxsiTai. Es folgt
dann Col. 2—49 das "Verzeichnis der Mumien und Col. 50 die Quittung
über Zahlung der Verkaufssteuer.*) Paris, 5 ist nur eine Abschrift
des Originals, eine zweite ist Leid. M, jedoch ohne die lange Datierung
und die Liste der Mumien, dafür aber mit Angabe eines 4. Grundstückes
(Z. 22 — 26). Eine leider sehr fragmentarische Abschrift eines anderen
Kaufkontraktes ist Leid. P. 'AvTi^pacpov (jOYYpacpTJc iJ!,£]&Y)p|xy)veu|X£[vTis
eXXirjviaJxl xaxa to ou[v]aT6v.^)
Prozess des Uermias.
Drei außerordentlich wichtige Papyri behandeln des Prozeß des
Hermias: Paris. 15, '5) Taur. I und II. Über den Prozeß sind
^) Auch die Berl, demot. Pap. 40 und •4G sind solche Verkaufsurkunden
a. d. 46. J. des Euergetes II. (12.5 v. Chr.)
-) Publiziert von E. Revillout, Chrestomathie demotique S. 62 ff.
2) Publiziert mit der französischen Übersetzung des in Berlin befindl.
demot. Textes von Brugsch, Lettre, Appendix N. I S. 56 ff.
*) Von dem demot. Original dieses Pap. ist ein Fragment im Berliner
Museum, ein Teil der Namensliste der Mumien. H. Brugsch, Lettre S. 1
— 55 hat den griech. Text nach dem Faksimile mit französ. Übersetzung
und besonders auf den ägypt. Teil des Kontrakts bezügl. Noten publiziert,
"0 Vgl. WUcken, Gott. Gel. Anz. 1S94 S. 724.
*) Vgl. Pal. Soc. Ser. II pl. 18L
11*
lt)4 Bericht über die ältere Papyruslittcratur. (Viereck.)
außer dem ausführlichen Kommentar A. Peyrons zu dem tadellos er-
haltenen. 311 Zeilen in 10 Kolumnen umfassenden Tanr. I noch heran-
zuziehen: Carolus Wolff, De causa Hermiana papj'ris
aesryptiacis tradita Diss. Vratisl. 1874 S. 52, der den Prozeß aus-
führlich behandelt, und R. Dareste, Le proces d'Hermias 117 av.
J. C. (Nouvellc Revue histoi-. de droit francais et etranger. VII Paris.
1883 S. 191 — 203). der eine ibersetzung der Urkunde mit kurzer Be-
sprechung giebt. Hermias, der ^EfjLtov eines militärischen Postens im
Ombitischeu Gau, beanspruchte ein Haus in Diospolis Megale, das im
Besitz von Choachyten war, als sein Eigentum. Der Prozeß, in dem
Hermias mit seiner Klage abgewiesen wurde, zieht sich vom 45. bis
zum 54. Regierungsjahre Euergetes II. hin. Paris. 15 ist das Gerichts-
protokoll aus den) 51. Regierungsjahre (d. i. 120 v. Chr.). Richterist
IlTO/.EjxaTo; Tiov '^lÄwv y.7.\ iT^~OLp'/r^z iic' avopüiv y.a't Erioxanf); Toü TTSp
0Y^;ia?. Am Schluß des Protokolls steht der Urteilsspruch Z. 67 ff.,
durch den Hermias mit seinen Ansprüchen abgewiesen wird. Die
in diesem treftlich erhaltenen Papyrus Z. 25 ff. erwähnte Eingabe
an Herakleides, der im Jahre 50 i-tj-a-rj? toü -spl öiQiila; war, ist
der nicht vollständig erhaltene Taur. II. In dem Prozeß v. J. 54
(1 1 7. V. C.) ist Richter Herakleides Ttüv apytJcDixaTocpjXaxcuv xal i-i'sxd-zrii
Toü zipl 9T||^a? (offenbar ein anderer als der Taur. II genannte Hera-
kleides). Der Rechtsbeistaud der Choachyten ist Deinon (schon 120),
der des Hermias Philocles. Taur. I, vielfach wörtlich übereinstimmend
mit Paris. 15, wiederholt die ganzen Verhandlungen v. J. 120 und
schließt Col. 10 mit dem gleichen Urteilsspruch. Die PapjTi sind
außerordentlich wichtig für Fragen über Verwaltungssachen, die Beamten
und die Gerichtsverfassung. Vor allem geben sie Auskunft über den
Gerichtshof der Chrematisten. Eür die Einzelheiten sei auf die Kommen-
tare verwiesen.
Eine ähnliche Sache betreffen Taur. III (= Paris. 14,') auch von
derselben Hand), Taur. IV, Leid. F. Taur. III ist eine Eingabe des
Apollonios-Psemmonthes aus Diospolis Megale an Ptoleraaios P^uergetes
und Kleopatra v. J. 127 gegen die Choachyten wegen Wegnahme eines
Hauses und Mil.ihaudlung, mit der Bitte um Untersuchung durch die
i~b Toü riavo-oXiTou f^syp'. 2oTjvr,c ypr^ixaTu-ai. Es kam noch in dem-
selben Jahr ein Vergleich zustande, d. i. Taur. IV (auvXsXuadai a'jxoT;).
Der sehr lückenhafte Leid. F scheint eine Bestätigung über Zahlung
von Kaufsteuer (to iuvtjtixov xal to s-toexaxov) durch die Choachyten zu
sein, die wohl von den Choachyten als Beweisstück vorgelegt wui'de.
Jedenfalls wird des Apollouios Eingabe gegen sie erwähnt.
') Neu ediert von Witkowski, Prodromus S. 25 f.
Bericht über die ältere Papyruslittoratur. (Viereck.) 1(55
Taur. XI ist eine Beschwerde einer ('hoachytin Taserais über
Entziehung ihres Erbes aus d. 6. Jahr (des Philometor?), Paris. G eine
interessante Beschwerde des Choaehyten Osoroeris über (.xrabschänduug'
V. J. 127, Paris. 7 eine Darlehensurkunde aus d. 16. Jahr eines Königs.
Die Kontrahenten sind Choacliyten. Paris. 16 ist eine leider ver-
stümmelte richterliche Entscheidung über eine Streitsache von Choaehyten.
Das Jahr ist unbestimmt.
2, Paraschisten.
Die Paraschisten treten auf in den Papyri Taur. VIII, IX,
XII, XIV. Taur. VIII ist eine Klage des Petenephotes aus Diospolis
Megale gegen Amenothes, gerichtet an den jojixaio'fuXac l^aG-'x-T^i und
im tüiv :tpoct6ou)v toO Tispt 0r,^a; Herakleides. Der Verklagte sollte einen
im 51. Jahre Euergetes II. geschlossenen Vertrag verletzt haben, durch
den die Bezirke, in denen beide als Paraschisten ihre Thätigkeit aus-
üben sollten, genau abgegrenzt und ebenso die Strafsumraen im Falle
der Nichtinnehaltung der Abmachung festgesetzt w^aren. Die Entscheidung
des Herakleides, leider im Anfang sehr verstümmelt, ist enthalten im
Taur. IX, von Peyron scharfsinnig erklärt. Taur. XII ist ein kurzer
Brief des Hermokles und Alexander an Amenothes (vgl. Taur. VIII) mit
der Meldung, daß kein Kauf des Hauses und der Baustelle, die Ame-
nothes in den Memnoneia besaß, stattgefunden habe. Taur. XIV ist
ein kleines Bruchstück einer Eingabe des Paraschisten Amenothes.
^o*-
3. Fastophoren.
Die Pastophorenpapyri sind die drei ziemlich gleichlautenden
Taur. V, VI, VII. Taur. V ist der erste Entwurf, Taur. VI das
Original einer Eingabe mit dem von 2. Hand zugesetzten Bescheide und
Taur. VII eine Abschrift des Taur. VI. Die an Phommus, au-fi-evT)?
xai E7:iaTpaTY]70? xal uTpaTTj-foc zr^i 0T|ßatöoc, von dem Pastophoren des
Amenophis in Memnoneia Osoroeris und Genossen gerichtete Beschwerde
betriftt unrechtmäßige Heranziehung zu Steuern und Auferlegung von
Strafgeldern durch Isidoros (6 -po? Tr,i oixovojxtat twv dpYupixüJv toü
HaöupiTou). Der Bescheid ist den Beschwerde Führenden günstig.
ni. Papyri aus This und Panopolis.
Die dritte Gruppe von zusammengehörigen Papyri bilden die aus
Panopolis stammenden, die sich um den Purpurhändler Aurelios Pachymios
gruppieren, Sie waren früher die einzigen Vertreter der Urkunden
byzantinischer Zeit. Sie gehören alle der Zeit um 600 n. Chr. an. Zu
166 Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.)
ihnen gehören Paris. 20, 21, 21 bis, 21 ter. Papjanis Jomard,
Pap. Berol. I u. II (Schmidt) und die 3 von Wesseh' veröffent-
lichten Pap5'ri Testa. Der Purpnrhändler und Purpurfärber Aurelios
Pachymios. Sohn des Aurelios Psates, aus Panopolis, war später in This
ansässig. Er hatte zur Mutter Aurelia Maria und zu Geschwistern
Aurelios Johannes und Aurelia Tarsene. Erbteilung, Miets-, Kauf- und
Leihgeschäfte bilden den Inhalt der meisten dieser Papyri. Es sind
chronologisch geordnet :
Paris. 21 bis v. J, 590 Verkaufsurkunde. Die Eltern des Pachymios
verkaufen ein Haus nebst xeXXiov und <]>iX6; tojto; an Aurelios Pachymios.
Paris. 21 ter v. J. 599: Verkaufsurkunde. Aurelios Arsenios,
der Sohn des Kallinikos, verkauft seinen Hausanteil (Vs) an Aurelios
Pachymios und dessen Bruder Aur. Johannes.^)
Papyrus Jomard auch vom J. 599 (?). Verkaufsurkunde.
Aurelios Arsenius verkauft abermals Va Hausanteil, unbekannt ist frei-
lich, an wen.
Paris. 20 v. J. 600. Teilungsvertrag. Aurelios Pachymios und
seine beiden Geschwister teilen das von den Eltern ererbte Haus.
Pap. Testa I-) v. J. 606. Darlehensurkunde. Aurelios Kallinikos
hat von Aurelios Pachymios einen Cxoldsolidus entliehen und will ihn
ersetzen durch 75 Koloboi unverfälschten Mostes. Der Papyrus hat
große Ähnlichkeit mit Berol. II.
Berol. I V. J. 607. Mietskontrakt. Aurelios Dioskoros {xis&ioc
zop^opo-cu^Yic Sohn des Arsinios und der Tibella, unter deren Tutel er
stand, verdingt sich auf 2 Jahre als Arbeiter dem Aurelius Pachy-
mios. Wessely, 16. Jahresb. v. Hernais, verweist auf einen
koptischen Papyrus, giebt auch dessen Text und die griechische Über-
setzung. Der Papyrus ist etwa 3 Jahr jünger als der Berol. I. Aurelios
Dioskoros, der Sohn des Arsinios und der Tibella, erhielt damals von
Aurelios Pachymios dessen Tochter zur Frau versprochen. Für den
Fall, daß der Fabrikant das Versprechen rückgängig machen sollte,
verpflichtet er sich zu einer Geldstrafe von 3 Groldstücken.
Pap. Testa^) II. v. J. 608. Darlehensurkunde. Aurelia Johanna.
Tochter des Kallinikos, entleiht von ihrer Schwester Aurelia Maria ^3
eines Goldsolidus und verpfändet zur Deckung den ihr gehörigen
Hansanteil (Vs).
Pap. Testa in v. J. 608. Mietskontrakt. Aurelia Maria ver-
') 1. Z. 7 Au.orjXiot; llcc/u[ii(}) Taio'j ~o[f>(pupcir(ü"A.i[] xo^ 'lojawifj Tip d5£>w<p"(j)] ,
nicht Mc<p-i7 tT; (zosX'fT;.
-) Publiziert auch von Krall, Recueil de travaux relatifs ä la philol.
et ä rarcheol. egypt. et assyr. IS85 VI S. 67.
') Vgl. Pal. Soc. Ser. II pl. 24.
Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck ) 167
mietet für 4 Kerate das ganze Haus an den Färber Theodoros, Sohn
des Petros und der Athanasia.
Berol. 11.^) V. J. 613. Dahrlehensurknnde. Aurelios Kallinikos,
Sohn des Senuthos, entleiht Vs Goldsolidus und will ihn zurückzahlen
in 25 Koloboi unverfälschten Mostes, ebenso wie Berol. I geschrieben
von dem Notar Paulos. Dieser Papyros war von Schmidt j,'anz falsch
gelesen und gedeutet.
Paris. 21 v. J. 616. Verkaufsurkunde. Aurelia Pyra und
Antheria verkaufen dem Aurelios Pacbyraios ein Haus.
IV. Papyri verschiedener Herkunft und verschiedenen
Inhalts.
Den Rest der Papyri aus den im Abschnitt C besprochenen
Publikationen will ich versuchen unter N. IV, möglichst sachlich ge-
ordnet, zusammenzustellen, ungefähr in der Weise, wie es auch im
Index geschehen ist.
A. Behördliche Urkunden.
I. Amtliche Tagebücher und Ciesandtschaftsberichte.
Paris. 69 ist von neuem edieit und mit ausführlichem Kommentar
versehen vonWilcken, 'Y~oii\q\i.7.v.^ii.oi. Der Papyrus stammt aus dem
Archiv von Omboi und enthält Stücke des Tagebuchs des Strategen des
Ombitisehen Gaues Aurelios Leontas, der zugleich auch die Verwaltung
des Elephantinischen Gaues hatte. Die Amtshandlungen, die der Strateg
vornahm, sind Tag für Tag aufgezeichnet. Der Pap. stammt aus dem
11. und 12. Jahr des Alexander Severus, 232 n. Chr.
Paris. 68 + Brit. I sind von Wilcken, Hermes XXVI, als
zusammengehörig erkannt und mit ausführlichem Kommentar neu ediert.
Er meinte, daß diese Papyri einen Bericht über eine zwischen dem
Kaiser Trajan und einer jüdischen Abordnung gepflogene Unterredung
enthalten, und zwar sei der Bericht von Juden verfaßt. Er scheine
eine vor dem allerhöchsten Tribunale, vielleicht während des Aufent-
haltes des Trajan in Antiochia, sich abspielende Gerichtsverhandlung
aus dem J. 117 n. Chr. wiederzugeben. Die "Verhandlungen betreifen
den zu einem Kriege (-oX£|xo;) angeschwollenen Aufstand der Juden in
der Cyrenaica und in Ägypten, von dem besonders Euseb. bist. eccl. IV, 2
und Dio LXVIII, 32 berichten. Der Aufstand, der 115 ausbrach,
richtete sich gegen die Hellenen. Die cyrenäischen Juden stellten einen
gewissen Aouxoua? als König auf (Dio nennt ihn 'Avopea;, woraus
*) Publ. v. Krall, Recueil de Trav. VI S. 68 ff. mit einigen krit. Anm.
168 Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.)
Wilckeu anf einen Doppelnamen Ao-j/ouac 6 xal 'AvSpea; schließt).
116 war Präfekt der im Pap. erwähnte M. Rutilius Lupus. Unter-
drückt ward der Aufstand erst zu Hadrians Zeit durch den 117 noch
von Trajan nach Ägypten geschickten Q. Marcius Turbo.
Im Anschluß au Wilckens Arbeit suchte Th. Rein ach, Juifs et
Grecs, nachzuweisen, daß die Urkunde aus späterer Zeit, etwa des
Commodus, stamme, doch scheinen seine Gründe nicht stichhaltig. Dagegen
macht er höchst wahrscheinlich, daß nicht nur eine Abordnung von
Juden, sondern auch eine solche von antisemitischen Alexandrinern
(vertreten durch Paulus und Antoninus) vor dem Kaiser erschien. Auf
den Inhalt der zum großen Teil infolge der Lücken der Papyri unklar
bleibenden Verhandlungen kann ich nicht eingehen. Es sei im voraus
nur noch auf Wilckeu, Hermes XXX, verwiesen,» wo er den Berliner
Pap. 341, ein Fragment einer anderen Redaktion des Paris. 68 und
ähnliche Papyri bespiicht, die Verhandlungen mit dem Kaiser Claudius
betreffen.
II. und III. Erlasse, amtliche Berichte und richterliche Entscheidungen.
Durch einen Teil dieser Papyri wird die Politik Euergetes IL
und Philometors II. bei dessen Wiedereinsetzung in die Herrschaft
beleuchtet.
Paris. 61 Recto ist ein Brief des Dioskurides, wahrscheinlich
des in den Serapeumpapyri vorkommenden Dioiketen, an Dorion, einen
Unterbeamten — auch ein Epiinelet Dorion begegnet in den Serapeum-
papyi'i, Par. 63 nennt einen Hypodioiketen dieses Namens, und die
Papyri der Zois nennen einen dtvTiv/a'fe'jj und einen Steuerpächter
Dorion — aus dem 26. Jahre, wohl des Philometor, 156/155. Der Brief
enthält die strenge Anweisung, die Vorschriften, die in der beiliegenden
Abschrift eines Briefes an einen anderen Beamten Namens Dorion ge-
geben sind, streng innezuhalten. In diesem mit übersandten Schreiben
wird auf zahlreiche Beschwerden bei dem König und der Königin über
Bedrückungen jeder Art hingewiesen und die Abstellung dieser Unge-
rechtigkeiten vor allem auch bei der Steuererhebung verfügt. Der
Papyrus ist ein Zeichen der Sorge des Königs um die gute und ge-
rechte Verwaltung des Landes.
Paris. 62 ist von Letronne - Brunet de Presle veröffentlicht
als Circulaire anx employös de finance. Er ist vielfach behandelt worden
von Lumbroso, Recherches S. 339 ff., Robiou, Memoire sur Teconomie
politique, l'administration et la legislation de l'Egypte anx temps des
Lagides S. 163 ff., Droysen.Zum Finanzwesen derPtolemäer, Kl. Sehr. II,
S. 302, Revillont, Rev. Egypt. III, 81 f. VI, 154 und Wilcken,
der auch den Papyrus vollständig wieder kopierte und seine Kopie
Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.) ]69
Grenfell zur Verfügung stellte. Dieser kollationierte ihn selbst 1894
noch einmal und publizierte deu Text mustergültig im Appendix I zu
den eng mit dem Paris. 62 verwandten Revenue Laws.
Der Papyrus ist wahrscheinlich ein Königl. Erlaß mit ausführlicher
Anweisung für einen Beamten des Oxyrhynchitischen Nomos, über das Ver-
fahren bei der jährlicben Verpachtung und T^bertragunj? der Steuerer-
hebung von den alten auf die neuen Pächter, und über die Zahlung
der Steuer in Silber, isonomem und gewöhnlichem Kupfer. Der Erlaß
wird auch den anderen Gauen zugegangen sein. Er betrifft die Ver-
pachtung ei; -6 a (eto;), doch ist nicht gesagt, welches Königs des
2. Jhrb. V. Chr.
Paris. 63 ist eine Sammlung von verschiedenen Aktenstücken,
die nach der Annahme von Brunet de Presle im Serapeum auf das
Verso des astronomischen Traktates (Paris. 1) geschrieben sind. Der
erste Teil des Pap. Col. 1 — 6 ist behandelt von Lumbroso,
Papiro LXin del Louvre. Er giebt eine Erklärung und Übersetzung
von Col. 1 — 6. In den Noten findet sich eine Reihe von Textver-
besserungen. Nach Letronne stammt der Pap. etwa aus d. J. 111
V. Chr., nach den überzeugenderen Beweisen ßruuets (S. 25 S.) und
nach Lumbroso, der ein weiteres Argument ins Feld führt, v. J. 165,
dem Ende des 6. Jahres Euergetes 11. Der Papyrus enthält Ver-
fügungen des Finanzministers, öioixtjtt^c , Herodes — der Titel ist nicht
hinzugefügt — über die Bebauung und Bestellung der ausgedehnten
königl. Domänen, Verfügungen, die auf einem Ttposxa-i'ixa Tispi -f^c -^ecup-
•ytac fußen. Es waren aus Militärkreisen, in Alexandria stationiert (oi
itape^eöpeuovTEC Iv 'AXccavopeto: tüjv ts ETriXexTojv xal xuiv !^(eu7i)'^(üiv)
xai £(T:ia)T(aTä)v) [xaytfJLCüv xal tcüv ettI töjv 'fuXccxtowv Teta7|J.£Vü)v vauxXr^po-
p,a-/i}jLU)v), Beschwerden eingelaufen über ungerechte Heranziehung ihrer
Leute zu den Landarbeiten. Der Dioiket Herodes schreibt dem Theon,
dem £7iiixeXTf)TT); tüjv xariu tottcuv toü Saixou, er möge für die genaue
Beobachtuug der in dem beigefügten Schreiben an den Hypodioiketen
Dorion enthaltenen Anweisungen sorgen. Dieses Schreiben selbst nun
ist eine Auslegung der Vorschriften des königl. Erlasses, der selbst
nicht erhalten ist. Es umfaßt 172 Zeilen.
Col, 7 ist ein zweites, etwa einen Monat späteres Schreiben an
Theon aus dem Anfang des J. 7 des Euergetes 11, in welchem, da
schon von neuem Beschwerden eingelaufen sind, noch einmal auf die
strengste Innehaltung der vorstehenden Verfügungen hingewiesen wird
mit dem Bemerken, daß alle andern e7:tp.sXT)Tai und uTrooiotxYjTai dieselben
Weisungen erhalten hätten. Die Absendung des ersten Schreibens an
Theon hatte sich also um etwa einen Monat verzögert.
]70 Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.)
Col. 8—9 und 11—12') sind z. T. sehr pathetisch gehaltene,
apologetische Briefe, leider ohne Namen und Datum mit Rechtfertigungen,
Glückwünschen und Treuversicherungen, nach Brunets Meinung aus
dem J. 165, hei rührend von Subalternbeamten aus der Zeit nach Philo-
metors Rückkehr aus der Gefangenschaft.
Col. 13 ist ein Erlaß des Königs Ptolemäus (nach Letronne
Alexanders, 97 v. Chr., nach Brunet de Presle Philometors, 164 v. Chr.)
an Dionysius, — vielleicht ist dies der in den Papyri dieser Zeit viel-
genannte Aiovucjioc Ttüv cpi'Xwv, der Strateg von Memphis, — durch den
der König allen Personen für bestimmte Vergehen bis zum 19. Epeiph
Straferlaß gewährt.
Brunet de Presle stellt folgenden Zusammeuhaug zwischen diesen
Aktenstücken her. Nach Philometors Rückkehr aus der Gefangenschaft
suchte er, wie Euergetes IL, sich die Gunst der Römer und des Militärs
in Alexandrien zu gewinnen. Daher die Verfügungen des Ministers
Euergetes II., besonders zu Gunsten des Militärs in Alexandrien, alle
Härten und Ungerechtigkeiten zu meiden, ebenso die Briefe der Unter-
beamten an den König mit Glückwünschen u. s. w. bei der Übernahme
der Regierung durch Philometor, und endlich dessen Amnestieerlaß.
Paris. 64 ist der Brief, wie es scheint, eines höheren Beamten,
in dem Vorwürfe zurückgewiesen und erhoben werden. Brunet bezieht
diesen PapjTus auch auf die Zeit der Wiedereinsetzung Philometors,
c. 164 V. Chr. Ein Brief an Dionysius wird erwähnt. Brunet meint,
das sei vielleicht der Paris. 63, Col. 8 u. 9 erhaltene. Das ist jedoch
sehr unsicher. Z. 20 wird Atjtoü; iroXic erwähnt.
Paris. 65 ist ein Brief des Paniscus an Ptolemäus, betreffend
die ägyptischen Kontrakte (ouvotXXa-cpiaTa) in dem Gau Fiept öi^ßa?. Der
Papyrus, ein Zeichen der volksfreundliclien Politik Philometors, stammt
aus dem Jahre 146 v. Chr. und nicht aus dem J. 135. Revillout,
Rev. Egypt. 11 119 f. giebt eine Übersetzung und bespricht den Papyrus
in dem Aufsatz „Authenticite des actes".
Paris. 67 enthält Reste einer Berechnung der Steuersummen des
12. und der des laufenden Jahres. Aus der Gegenüberstellung ergiebt
sich, dal) das 12. Jahr ungefähr viermal so hohe Erträge geliefert hat.
Diese Berechnung bringt Revillout in Zusammenhang mit der Verfügung
des Herodes (Paris. 63) an die Epimeleten etc., für die Einti-eibung
der Steuern auf das 12. Jahr des Philometor zurückzugehen. Vgl. über
den Pap. Droysen, Kl. Sehr. II S. 302 und Revillout, Rev.
Egypt. ni S. 114 — 118 „Un registre budgötaire sur le rendement des
*) Col. 10 hängt mit dem astronomischen Traktat zusammen.
Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.) 171
impots en Egj'pte". Er giebt den revidlerteu Text und vollständigen
Kommentar.
Diesen Papyri sind noch einige andere anzureihen.
Tanr. XIII, neu herausgegeben und ausführlich behandelt von
E. Revillout, Le papyrus giec XIII de Turin. .Jugeraent par
defaut em])ortant la liquidation forcee des biens dun debiteur (Rev.
Egypt. II. 124 — 42). Die Urkunde ist ein Gerichtsprotokoll ans Memphis,
nach Peyron vom 34. Jahre des Euergetes, nach Revillout wohl mit
Recht vom 34. J. des Philometor, 148/47 v. Chr. Es handelt sich um
Einklaguug einer auf grund einer vom Beklagten ausgestellten
Alimentationsurknnde zu zahlenden Summe nebst rückständigen Zinsen
(vgl. Mitteis, Reichsrecht und Volksrecht, S. 475 ff.). Der Gerichtshof
ist zusammengesetzt aus den Richtern -r^•; ßajtXuyj? -ol ßacjt)>iy.a y.at ;:po-
jooixa xal loituTtxa xpivovxsc. Es wird zu Gunsten des Klägers entschieden,
da der Verklagte trotz dreimaliger Vorladung nicht erschienen ist.
Paris. 10 ist eine öffentliche Bekanntmachung (7pa(j,(jLaT'.ov ev
d-ppa rpoTöösv) über das Entlaufen zweier Sklaven aus Alexaudria.
Das Nationale und die äußeren Kennzeichen sind genau angegeben, wie
auch die Belohnung für das Wiederbringen oder die Anzeige ihres Aufent-
haltes. Die Anzeige ist zu erstatten bei den ünterbeamten des Strategen.
Der Papyrus stammt a. d. J. 146/45 v. Chr. (nach Brunet de Presle
a. d. J. 157/50). Letronnes ausführlicher Kommentar ist in den
Not. et extr. wiederabgedruckt, vergl. auch Mitteis, Reichsrecht und
Volksrecht, S. 398. Z. T. abgedruckt bei Bruns, Eontes«, S. 321.
Leid. A ist ein Bericht des Isidorus, des i-uTaTr,? xcuixr); Taye-
vecppTjTou im Gau von Memphis, an Kraterus -üiv Trpcoxtuv cOvOjv xal arpa-
-Tj-fip. Er betrifft eine Beschwerde, die ein gewisser Hermias bei
Isidorus gegen Chenephnibis und dessen Gattin Marmotis eingereicht
hatte, weil sie ihm ein Darlehen an Getreide nicht zurückgezahlt hatten.
Als von Isidorus die Rückzahlung angeordnet wurde, scheint Marmotis
gegen Isidorus Beschuldigungen erhoben zu haben, die dieser durch
Zeugen als hinfällig zu erweisen sich erbietet. Der Pap. stammt aus
dem VI. Jahre eines Ptolemäers.
Brit. XXXII ist ein sehr verstümmeltes amtliches Reskript,
säumige Schuldner betreffend, wohl aus dem 7. Jhrh. n. Chr.
Die vonMommsen, Zwei lat. Kaiserreskripte, behandelten
lateinischen Papyri , die sich dem S. 152 erwähnten Fragment
eines Reskripts des Kaisers Theodosius anschließen, sind 3 Leydener
und 4 Pariser Bruchstücke, zu denen ein kleines Stück, das im Besitz
von Champollion war, hinzukommt. Sie geben uns 2 Reskripte aus
dem südlichen Ägypten, aus Elephantine oder Philae. Das erste ist
von einem Kaiser an den Praefectus Aegy^pti, das zweite an einen
172 Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.)
niagister officiorum Andreas gerichtet. Sie stammen aus der Zeit nach
dem Jahre 413 und sind Bescheide auf processuale, verschiedene Sachen
betreffende Bittschriften, über deren Inhalt Mommsen S. 413 ff. das
Genauere sagt. Hinzugefügt sind Bemerkungen von Jaffe über die lat.
Kursive (vgl. Pal. Soc, Ser. II pl. 30).
lY. Amtliche Bescheinignogen.
Leid, demot. I 373 und 375, demotische Kontrakte aus
Memphis aus dem 40. und 46. J. Euergetes II., enthalten griechische
amtliche Unterschriften über die Einregistrierung, ebenso
Leid, demot. I 380 auch aus Memphis aus d. 17. J. eines
Königs.
Leid, demot. I 377 ist eine Quittung über Zahlung der Ver-
kaufssteuer bei der Bank von Hermonthis aus dem 15. J. der
Kleopatra und dem 12. des Alexander Philometor, ebenso auch
Leid, demot. I 379, der sehr verstümmelt ist (aus d. 29. J,
eines Königs,) und
Leid. E., eine solche Quittung aus Letopolis in Mittelägypten
über Zahlung der Verkaufssteuer für Haus und Hof. (Vgl. Wilcken,
Griechische Papyri S. 43, Anm. 10.)
Taur. X sind zwei Quittungen über Zahlung der Steuer für den
Verkauf eines Hauses, (nicht oia-^pacpai, wie Peyron erklärt), aus
ptolemäischer Zeit.
Leid. Q. ist eine Quittung des Steuererhebers Nikator a. d. 26, J.
des Philadelphus (vgl. Revillout, Rev. £g. III, 83 f.) über Empfang
von 20 Dr., die aus dem 22. u. 23. Jahre noch rückständig waren, von
selten des Orsenuphis, des 6oxt[j,ajTTjj in Syene in Oberägypten.
Leid. L handelt, wie Revillout, Rev. Egypt. IE, 131 (vgl.
Anm. 5 den verbesserten Text), zeigt, vom Kauf eines Teils des
Gartens der Zois in Memphis. Die Vermessung ist ausgeführt durch
den Geometer Asklepiades, der dazu berufen war von dem Strategen
und Hypodioiketen Sarapion, und nach Col. 2 a, 7 auch von Dorion,
dem dvTiYpacps'Jc und ßasiXixoj xpaTte^iTT];. Der letzte wird wegen Zahlung
der Verkaufssteuer genannt sein. 2. Jhrh. v. Chr.
y. Amtliche Listen und Rechnungen.
Paris. 66 ist eine fragmentarische Liste von Personen und von
Aufwendungen für öffentliche Arbeiten, u. a. Damm- und Kanalarbeiten.
Der Schrift nach wohl Ende der Ptolemäerzeit.
Brit. XXV und XXIX sind Rechnungen, möglicherweise aus
dem Serapeum bei Memphis, aus den Jahren 162/61 u. 161/60 (vgl.
8. 159.), beide von derselben Hand geschrieben.
Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.) 173
Brit. XXX ist eine Rechnung- aus dem 2. Jhrh. v. Chr. über
Zahlung- für Korn und Wasser (vgl. S. 159).
B.- Private Urkunden.
I. Eingaben und Besch^verden.
Paris. 13 ist die Eingabe eines gewissen Ptolemäus au den
Strategen Posidonius betr. Vorenthaltung der 9ef'vr, seiner während des
eviauTo? 3U-/01XE010U gestorbeneu Mutter. Der Papyrus stammt aus dem
J, 157 V. Chr. Der griechische Text ist revidiert, von neuem heraus-
gegeben, übersetzt und besprochen von Revillout, Rev. Egypt. 1
S. 109 ff. in dem Aufsatz „Les regimes matrimoniau.x dans le droit
egyptien et par comparaison dans le codc civil francais". Vgl. auch
Mitteis, Reichsrecht und Vulksrecht, S. 223.
Paris. 8 ist eine Eingabe au einen Beamten, dessen Name und
Titel nicht erhalten ist (nach Brunet de Presle wäre es der Agarouom,
was sehr zweifelhaft ist). Es wird gefordert die Zahlung eines Dar-
lehens oder vielmehr eines gestundeten Kaufgeldes (vgl. Mitteis, Reichs-
recht und Volksrecht, S. 479). Der Papyrus stammt nach Letronne
aus dem Jahr 129 v. Chr. (vgl. Wilcken, Aktenstücke S. 42,
Anm. 2).
II. Rechtsgeschäfte zwischen Privaten.
Paris. 17 ist eine umfangreiche Urkunde über den vor dem
Agoranoraen Rufillns Niger abgeschlossenen Verkauf eines Hauses aus
Elephautine in der Thebais v. J. 154 n. (^hr. Wieder abgedruckt bei
Bruns, Fontes" 8. 322 ff. und Mitteis, Reichsrecht und Volksrecht,
S. 97 ff. mit deutscher I'bersetzung (vgl. 180 f.).
Leid. N., die sogenannte Nechutesurkunde v. J. 103 v. Chr.,
handelt vom Verkauf einer i];tXoc totco?, abgeschlossen eir' 'AtcoXXojviou
Toü Trpo? TT] d^opavofjLiqt tcüv Me|xvov£io)v xal r?]; y.axu) xo-apyiac xoü
naöuptTou. Verkäufer sind 2 Brüder und Schwestern, Käufer Nechutes.
Hinzugefügt ist die Quittung über Zahlung der Verkaufssteuer.
Leemans, Ztschr. f. äg. Sprache XVIII, 1880, S. 27—34 „Die Unter-
schrift eines griechisch - ägyptischen Kaufkontraktes auf Papyrus aus
dem 2. Jhrh. v. Chr." (vgl. Tafel I B) widerlegt die Behauptung
Gardthausens, Griech. Paläogr. Lpz. 1879 S. 223 ff., daß die Unter-
schrift der Nechutesurkunde in tachygraphischen Zeichen geschrieben sei.
Paris. 70 bis ist ein Brieffragment, vielleicht die Teilung
eines Besitzes angehend.
Paris. 9 bis Recto scheint der Überrest eines Kontraktes,
etwa aus dem Ende des 2. Jhrh. n. Chr.
174 Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.)
Leid. 0. ist eine üarlehensurkunde ans Memphis a. d. J. 89 v. Chr.
Der Verleiher ist Konoiiphis tcüv ex xoü rpo? MejjLcpiv ixe^dtXou 'AcjxXt]-
raeiou Tapr/eüTüiv (vgl. S. 162), der Empfänger des Darlebens ist Petei-
muthes. Abgeschlossen ist der Vertrag vor dem au-ffpacpocpuXa^ Hera-
kleides, i-l TTjC uTToxaxcü Msixcpeu)? (pDXav.r^^. Die Urkunde ist Original-
urkunde, wie aus der eigenbändigen Unterschrift des Peteimuthes
hervorgeht. (Vgl. Droysen, Kleine Schriften II, 303.)
Brit. LXXVII (vgl. S. 150) ist das aus dem 8. Jahrh. n. Chr.
stammende Testament Abrahams, des Bischofs von Hermontbis und Vor-
stehers des Klosters des heiligen Phoebammon. Durch das Testament
wird der Priester Victor, den Abraham zu seinem Nachfolger bestimmt
hat, als Erbe eingesetzt.
III. Private Briefe, Abrechnungen u. dergl.
Paris. 18 ist ein Privatbrief aus dem 2. bis 3. Jbrh. n. Chr.
mit unwesentlichem Inhalt. Die Herkunft ist nicht sicher. Es wird
mehrfach Pelusion erwähnt. Von A. Peyron, Pap. Taur. I S. 30 und
Egger, Memoires S. 438 f. z. T. wiedergegeben.
Paris. 18 bis ist ein Privatbrief. Senpamonthes sendet seinem
Bruder Pamonthes die Leiche der Mutter Senyris (oder Seneris), e/(uv
ToßXav xa-a xoü xpayT^Xoo, ZU Wasser. Das Fährgeld ist bezahlt. Der
Pap. stammt aus röra. Zeit, wohl 2./3. Jahrh. Er ist auch publiziert
von Egger, Memoires. S. 439.
Paris. 18 ter ist ein Papyrusblättchen mit dem Namen eines
Verstorbenen, als Mumienetikette gebraucht (vgl. Paris. 18 bis xaßXa).
Etwa 2. Jhrh. n. Chr.
Paris. 18 quatuor ist das Fragment eines Briefes aus römischer
Zeit, wie der Herausgeber annimmt , geschrieben in Memphis und ge-
richtet an einen Bewohner des Serapeums und den Besuch des Sera-
peums durch einen Kaiser erwähnend.
Pap. 1563 Passalacqua, Catalogue ist ein Empfehlungsbrief
(ImaxoXT) aujxaxtxTj) aus ptolemäischer Zeit von Timoxenos an Moschion,
ofiFenbar beides Personen in hoher Stellung. Gefunden ist der Brief bei
der Mumie wahrscheinlich des Empfohlenen, vgl. den ausführlichen
Kommentar Letronnes.
Brit. XLIII ist ein nur fragmentarisch erhaltener Privatbrief
aus d. 2. Jhrh. v. Chr., in welchem eine Mutter ihrem Sohne (?)
gratuliert, daß er ägyptisch gelernt habe und nun als Lehrer in der
Stadt seinen Lebensunterhalt verdiene.
Paris. 9 bis Verso scheint das Fragment eines Briefes zu sein.
Paris. 60 bis ist ein Verzeichnis von Ausgaben für Schiffs-
transporte nach Alexandria. Letronne hat ihn unter die Serapeum-
papjri eingereiht, doch ist kein Anzeichen da, daß er dorther stammt.
Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.) 175
Paris. 9 ist von neuem korrekt herausg-egeben vonRevillout, Rev,
Egypt. III 67 ff , Anm. 4, in dem Aufsatz „Seconde lettre ä M. Lenor-
mant sur les mounaies egyptiennes". Der Pap. enthält eine Abrechnung
über von einem Getreideverleiher an bestimmte Personen verliehene
Ajtaben Getreide nebst der Zahl der durch den Zins vermehrten zurück-
znliefernden u. a. Der Zinsfuß betrug 33V3 für 100. Brunet de Presle
vermutet Herkunft des Pap. aus Theben, und das erviähnte 11. Jahr
eines Königs hält er für 107 oder 104. Ob die Urkunde amtlich oder
privat ist, ist mir ungewiß.
Paris. 61 Verso ist ein Bruchstück einer Rechnung aus dem
25. J., nach Brunet de Presle des Philometor, 157/156. Er meint Par. 61
Recto u. Verso seien beide in Memphis von Ptolemäus, des Glaucias
Sohn, aufbewahrt.
Zum Schluß seien die Fragmente erwähnt, die Letronne in
seinem Brief an Passalacqua bespricht.
Pap. 490 Passalacqua, Catalogue ist das Fragment einer
Urkunde über Zahlung bestimmter Summen, zu Sandalen zerschnitten,
V. J. 191 V. Chr.
Pap. 1564 Passalacqua, Catalogue enthält mehrere, z. T.
nur ein oder zwei Zeilen zählende Fragmente: A eines amtlichen Briefes,
B eines amtlichen Aktenstückes, Steuerangelegeuheiteu betreffend;
gleichfalls amtliche Aktenstücke sind C u. D. E und F zweifelhaften
Inhalts, vielleicht aus einem Privatkontrakt; G und H Reste von Be-
schwerdeschriften, alle aus ptolemäischer Zeit.
D. Papyri aus Saqqara bei Memphis aus römischer Zeit.
Wieder eine andere Reihe von Publikationen hängt eng zusammen.
In den 50er Jahren v^urden in einem Grabe in Saqqara bei M emphis
Papyri aus der römischen Zeit gefunden, die von den Arabern
nach ihrer Gewohnheit in viereckige Fetzen zerrissen in den Handel
gebracht wurden. Sie stammen offenbar aus dem Besitze eines Beamten,
der zu den Zeiten des Severus und Maximinus in Memphis lebte. Der
eine Teil, 15 Papyri, wanderte in die kaiserliche Bibliothek von Peters-
burg, veröff"entlicht 1864 in leidlichen Faksimiles von
E. Muralt, Catalogue. Die Papyri sind in Kursive geschrieben,
der Inhalt mannigfach, meist Steueraugelegenheiten betreö'end.
Ein 2. Teil, 57 Fragmente, wurde für das Berliner Museum 1853
durch Heinrich Brugsch^) erworben. Von diesen wurden 32 Frag-
'j H. Brugsch, um auch darauf aufmerksam zu machen, gab heraus
eine „Sammlung demotisch-griechischer Eigennamen ägyptischer Privatleute,
aus Inschriften und Papyrusrollen zusammengestellt, Berlin 1851. Gaertner.
1 76 Bericht über äie ältere Papyruslitteratur. (Viereck.)
mente 1865 veröflfentlicht durch G. Parthey, Frammenti. Unter
ihnen ist besonders bemerkenswert N. 1, ein Erlaß, wie Parthey ver-
mutet, des FrjT. 17 Verso genannten Praefectus Aegypti Mevius Hono-
ratianus, der einen anderen hohen Beamten in Memphis anweist, Fest-
lichkeiten anzuordnen (i^eac •Aui]i.d>l,zax)on) aus Anlaß der Ernennung des
C. Julius Verus Maximus zum Cäsar durch seinen Vater ]\Iaximinus
Thrax (235 n. Chr.). Die übrigen Fragmente, in denen vielfach Römer
genannt werden, häutig auch Beamtentitel begegnen, (ff|'£[xa)v, cjTpa-rj-foc,
[^t^Xto'fuXaxe?, [ij::o[jLVY]][jLaxo7pacpoc, a7opav6[xoc u. s. w.) beziehen sich teils
auf Steuer- oder Gerichtssachen, teils sind es Quittungen, Verträge,
Namenslisten und Privatbriefe, Nr. 32 endlich ein rhetorisches Fragment.
Eine 3. Sammlung von 35 Fragmenten gleicher Herkunft ward
von Tischendorf erworben und kam in die Leipziger Universitätsbibliothek,
1865 publiziert von G. Parthey, Leipziger Papyri. Sie gehören,
wie Parthey erkannte, ihrer Herkunft und ihrem Inhalte nach — es
werden Kaiser des 3. Jahrh. und der Statthalter Mevius Houoratianus
erwähnt — zusammen mit den Petersburger und den 57 Berliner Frag-
menten. Sammlung Brugsch. Während Parthey nur 20 Fragmente mit
ganz kurzen Bemerkuniien über Art der Schrift, Inhalt u. s. w. publizierte,
sind sie 1883 vollständig gegeben von Wessely, Leipziger Pa pyri.
Der Inhalt dieser Papyri ist der gleiche, meist behandeln sie Steuer-
sachen. Zu N. 13 Recto spricht Wessely über Xao7pa'fta!, worauf ich später
bei Besprechung neuerer Publikationen zurückkomme.
Auf all diese Fragmente einzeln einzugehen, lohnt sich, so unter-
richtend sie auch sein mögen, nicht, da sie nicht allein, namentlich auch
nicht auf grund der mangelhaften Publikation Partheys — auch Wesselys
Lesungen weisen nach Wilcken viele Fehler auf — betrachtet werden
8. 40 S." Im ersten, demotischen Teil sind aufgeführt A. Demotisch-grie-
chische Namen, B. Demotische Namen mit deutscher Umschreibung; der
zweite, griechische Teil S. 27—40 enthält die griechischen Namen mit
Stellenangabe und zumeist mit Übersetzung (sehr nützlich wohl besonders
für Nicht-Ägyptologen) z. B. 'A\>.vh»z.<.z Peyron II 34 Amen-Api, Ammon
vonOphis; Ao-o/.^c«;, Harpechrat, Horus der Junge : Owoj-ff-'.;, Un-nofer, der
Öffner des Guten; nc«zr,;j.'.; Pa-ke-mi, der Ägypter; IIsTsczp-o/f/ctxrjc Pete-
Har-p • y rot, das Geschenk des jungen Horus; i^apa-tc, Asar-Hapi, Osiris-
Apis ; X;va(iouvi;, T. se-n-Amun, die Tochter des Ammon, T«uiouvi;, Tä-Amun,
die des Ammon u. s. w., u. s. w. Andere Namenzusammenstellungen findet
man in den Indices der Publikationen, ferner bei G. Parthey, Agypt.
Personennamen bei den Klassikern, in Papyrusrollen, auf In-
schriften. Berlin, Nicolai, 1864, 127 S.; C. W. Goodwin, Coptic and
graeco-egyptian names (Ztschr. f. äg. Sprache VI 1868. S. fi4 — 69).
Wilcken, Ägyptische Eigennamen in griechischen Texte n (eben-
daaelbst XXI 1883, S. 1.59-166).
Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.) 177
können, sondern dring'cnd einer einheitlichen Behandlung? bedürfen. Das
zeigte auch schon Zündel, Rh. M. XXI. Die Frage nach der Her-
kunft eines Bücherkatalogs — von Mariette Tischendorf geschenkt und
von Muralt N. 13 publiziert — fühi-te Zündel auf die Vergleichung der
Berliner Fragmente mit den Petersburgern. Er erkannte viele Ähnlich-
keiten, die Zusammengehörigkeit von Petersb. N. 7 mit Berl. 5, Berl. 1
stellte er zusammen mit Petersb. 3a, Z. 10, Berl. 18, 19, 20 mit
Petersb. 6a, Berl. 21—27 mit Petersb. 14a.*) Die Vermutungen
Zündeis wurden erwiesen von U. Wilcken, Herm. XXII S. 142 — 144.
Er setzte Petersb. 7 mit Berl, 5 zusammen. Beide bilden eine Quittung
(aroyr,) aus dem 4. Jahr des Severus Alexander, „in der sieben Itpzii
und a-coXtdrai den Empfang ihrer (juv-ra^i; (d. h. der jährlich aus der
kgl. Kasse den Priestern und Bediensteten des Tempels auszuzahlenden
Pension, eine von den römischen Kaisern übernommene ptolemäische
Institution) füi* das verflossene 3. Jahr bescheinigen.-)
Endlich veröffentlichte Egger, ßev. arch. 1872, S. 137—47,
unter Hinzufügung eines Faksimiles einen ihm von Mariette mitgeteilten,
wie es scheint, in Saqqara gefundeneu Papyrus a. d. J. 302 n. Chr.
Er besteht aus 2 Kolumnen, von denen die linke halb abgerissen ist.
Es sind 2 gleichartige Listen (xatavöpa) wohl an den Strategen
eingereicht, die erste 7, die zweite 23 Bewohner unter Angabe des
Ertrages ihres Landes in Artaben {v^Xri<\i'.{\ -oü ■ZT^^ rjixsTspaj xcifir)?
7evT^Ixa-oc) aufzählend. Am Schluß jeder Liste ist, was Egger nicht
erkannte, wie er auch einiges andere falsch gelesen hat, die Summe der
Artaben gezogen.^) Der Papyrus verdiente wohl eine neue Ausgabe.
E. Papyri aus Theben aus ptolemäischer Zeit.
Eine zweite Gruppe von Papyrusfragmenten aus Theben aus
ptolemäischer Zeit ist gleichfalls über die verschiedenen Länder zerstreut
und ihre Zusammengehörigkeit erst später erkannt. Ein Papja-us ward
publiziert von E. Egger, Memoires, S. 149—159. Der Papyrus
(a. d. J. 130) ist von Mr. Chasles aus der Sammlung Anastasy aufge-
kauft und Egger zur Publikation überlassen. Egger bat eine Über-
*) Im Nachtrag erwähnt Zündel einen Pap., 1861 von Alb. Rougemont
von der Schadau gekauft, mit großer Kursive, wovon er nur las die Worte
-) Vgl. E. Revillout, La syntaxis des temples ou budget des cultes
sous les Ptolemees (Rev. Egyptol. 1 S. 82), der eine große Anzahl von
Urkunden über die Austeilung und den Empfang der Syntaxis zusammenstellt.
^) Col. 1 xo, x£S, (=25V2J '-, •''•^^S 1^, >'•, ''■' Summa (i/.cs (= 136 7»).
Col. II ist die Summe der Artaben 707 = 673 angegeben.
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVTII. (1898. HI.) 12
178 Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.)
Setzung uud einen Kommentar hinzugefügt. Doch genügt der nicht.
Seine Erklärung rindet der Papyrus erst durch die Zusammenstellung
mit den Zoispapyri uud den gleich zu besprechenden. Auch er betrifft,
wie die folgenden, Geschäfte der Bank in Diospolis und zwar mit der
Thebanischen Priesterschaft des Amonrasonther. Es ist eine öta-^pafpi^,
Anweisung zur Zahlung der Syntaxis an den genannten Gott.
Ein anderer ist von demselben Gelehrten publiziert Comp t es
rendus 1867, S. 314—19. Der Pap., von dem Egger ein Faksimile
giebt, stammt aus der Antikensammlung M. E,aif6's und ging 1867 in
den Besitz von M. Jean Bertrand de Vitry-le-Frangois über. Das
Eecto enthält 7, das Verso 2 Zeilen, im wesentlichen von Egger richtig
gelesen, übersetzt und kommentiert (vgl. u.). Egger giebt an dieser
Stelle auch noch einmal mit Übersetzung Brit. XXVII (== Forsh. VII)
nnd Brit. XXXI (= Forsh. Vlll). Zudem waren 24 Thebanische Papjai
von Lepsius aus der Anastasyschen Sammlung in Paris für das Berliner
Museum erworben. Von ihnen veröffentlichte 1869 19 G. Parthej'',
Theban. Pap. Parthey giebt den Text mit kurzen Noten und ein
Wortregister, Vieles ist falsch gelesen, manche Stücke waren zusammen-
zusetzen. Die Zusammengehörigkeit all dieser Papyri nun mit den
schon längst von ForshaU unter N, XXIV — XL veröffentlichten (jetzt
bei Kenyon, Catalogue XV, 1 — 16, S. 50—59, vgl, dazu Wilcken, Gott.
Gel. Anz. 1894 S. 726) erkannte Wilcken, Aktenstücke, Er benutzt
Forsh. XXXVIl (= Brit. XV (d), XXXVI (= Brit, XV (2)), XXVI
(-Brit. XV(3,j, XXIV (- Brit. XV (4)), XXXIV (-Brit. XV (5)),
XXXIX u. XL (= Brit. XV (6)), XXXIII (= Brit. XV (7)), XXXI (-= Brit.
XV (8)), XXXVIII (-Brit. XV oi), XXVIII (= Brit. XV do); Parthey
1 — 10, 13 — 19; dazu 3 Berliner Inedita und den 2. Eggerschen Papyrus,
Die Urkunden stammen aus dem Ende des 2, Jahrh. v. Chr, und
eröffnen uns einen sehr lehrreichen Einblick in die Verwaltung des
Lagidenreiches, in den Betrieb der kgl. Banken, tpa-e^a'. |ia3tX'.xai, die
die Centralstelle aller Staatseinnahmen und Staatsausgaben bildeten.
Wilcken giebt S. 7—21 unter N. I— XII die Texte, dann einen sach-
lichen, ausführlichen Kommentar S. 22 ff.
N. I— IV aus d. 40. Jahre Euergetes K. (131/130 v, C.J sind
gleicher Art: „Anweisungen, durch die der Bankier ermächtigt wird,
Summen, die der kgl. Kasse aus der Versteigerung von Domanialland
zuflössen, mitsamt den entfallenden Zöllen an der kgl, Baak in Empfang
zu nehmen und einzutragen." Die Papyri bestehen aus 7 Teilen, von
W, mit A— G bezeichnet: A Anweisung des Dionysius (vielleicht des
ü7too'.o'.y.r,-rr];, des Stellvertreters des Fiaauzministers, des o'.oixrjr/]?) an
den Bankier (Tpa-£^iTr,c) Herakleides, auf grund des beigefügten UKOjxvrjixa
die entfallenden Gelder in Empfang zu nehmen; B Kopie des G-oav/jax
Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.) 179
durch das ihm die Versteigerung des betr. Grundstückes übertragen
wurde; C und D sind zwei Aktenstücke, auf jjrund des G-o|jLVTjiJLa einge-
fordert, C eine avacpopa des To-o7pafi.}xaTc'Jc über die Beschaffenheit des
Grundstückes, D der vom -oiiOYpaixfxaTe'jc auf Veranlassung des Dionysios
\ eingeforderte Bericht des xü)iJL07pot|X!xaT$6c, der mit C zusammen an
Dionysius abgesandt wurde. Soweit sind die Aktenstücke Kopien.
Es folgt E die eigenhändige, summarische Aufforderung des Dionysius
(6e$ai, y.aöiü? -poxeixat); F dieselbe Weisung an den Herakleides durch
Poseidonios, den Stellvertreter des kgl. Schreibers Heliodoros; die
Erlaubnis der Annahme des Geldes wii-d aber an die Unterschrift des
T07:o7pa;j.IxaTe'j? geknüpft, daß nichts vergessen sei. Diese Unterschrift
giebt G.
Diese Urkunden sind also ota-fpafpat, Zahlungsanweisungen. Sie
entsprechen genau den schon von Peyrou so vortrefflich erklärten Zois-
papyri I, 5—39 und II, 6—38, freilich, wie ich meine, mit Einschluß
des Begleitschreibens (vgl. oben S. 148 Anm. 1). Aufgrund dieser
oiaYpatpai erfolgte die Zahlung, dann wurde die Quittung hinzugefügt,
wie es in den Zoispapyi'i geschehen ist (vgl. I, 1 — 4, II, 1—5), und der
Zahlangszeuge unterschrieb (vgl. Zoispap. I 40, II 39). Ob stets bei
Ausstellung dieser Quittung die ganze ota-i'pacpr, wiederholt werden mußte,
wie Wilcken annimmt, erscheint mir zweifelhaft. Vielleicht lag der
Zois, deren Zahlungen sich über 4 Jahre erstreckten, besonders daran,
das Aktenmaterial möglichst vollständig beisammen zu haben.
N. V— VII geben Aufschlüsse über Art der Besoldung und Ver-
pflegung des Heeres. Der Sold floß aus der kgl. Kasse, der ßacjtXtxYj
xpdre^a oder, wie es auch kurz heißt, dem ßaciXixov, diu'ch Vermittelung
des Zahlmeisters. ^) Der -/paixjxaTsuc schickt die ai'Tr,cTi? mit detaillierter
Angabe der verschiedenen Posten (ötasToXV)) ein. Darauf wird der
Trapezit — von wem, wissen wir nicht — durch die otaYpa'fiQ zur Aus-
zahlung angewiesen,
N. VTTT, ein Brief eines gewissen Proitos an die ':a'{\}.'xznf.Q\ u-rjpexai,
handelt von widerrechtlicher Aufnahme von Truppen. Wilcken giebt
sämtlichen genannten Personen ihren Titel und sucht auch eine als den
Tpa-eCiTT)? zu erweisen, um zu erklären, wie der Papyrus unter die
Bankakten komme. Doch ist das alles m. E. sehr unsicher, wir wissen
ja nicht einmal, ob der Papyi'us wirklich zu den Akten gehörte.
'} Nach Brit. XXIII (=Forsh. II) erhielt die besser als die theba-
nischen Soldaten besoldete, in Memphis stationierte Elitetruppe der i-iyj-
voi unter Philometor den Sold teUs in Getreide, teils in Geld, ii£-&i^u.axcz xai
o'^cijvi«. Za letzteren gehört auch das Geld für das Pferdefatter, das
l^TTiOTpOCl/.OV.
12*
18Ü Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.)
N. IX, X, Xa (letzterer der von Egger Compt. rend. publizierte)
sind drei Quittungen, die der kgl. Bank ausgestellt wurden von
Apollonios, dem epjxrjvsu; xtüv Tpco-j-oGUTcov ') (v. 18. Aug. 134 v. C),
von Psenathymis, einem Wärter gefangener Tiere-) und von Asklepios,
einem Beamten der Ölfabrik in Theben (8. Sept. 130), der den
Empfang von 800 Dr, für den Transport von 800 Metretae eXat'ou ^svtxoü
bescheinigt.^)
Pap. XJ, datiert vom 18. Nov. 116, nach der hier urkundlich bestä-
tigten Alleinherrschaft der Kleopatra Kokke *), enthält, wie liUmbroso sah,
eine xsipo?pa?i<=' opxou ßaaiXtxoü, die Niederschrift eines beim König ge-
schworenen Eides. °) Es leistet jemand Bürgschaft für einen bei der
Kassenverwaltung der in Theben stationierten -s^ol dpyaroi angestellten
Beamten. Derartige Bürgschaften wurden bei der kgl. Bank deponiert
(vgl. Pap. Paris. 62 Col. in 6 f!\).
XI a, vielleicht auch XI b, scheint der Rest eines Duplikates zu sein,
und N. XII ist nach Wilckens Vermutung der Bericht eines Beamten
über die Verpachtung eines vaüXov, eines Fährgeldes, dessen Ertrag an
die Banken abzuliefern war.
Zu dieser Gruppe gehören noch die unbedeutenden Fragmente
Forshall XXV, XXVII, XXIX, XXX, XXXII und XXXV, bei Kenyon
XV (iij-(i6) und Parthey, Theb. Pap. N. 11 u. 12.
Hier sei auch noch angeführt der von Egger, Journal d. 8av.
1873, S. 30—41 u. 97—112 publizierte Papyrus (Atheniensis 11).
Jos. Sakkakini schenkte diesen Papyrus der Universität Athen, M. Albert
Dumont schrieb ihn ab und gab ihn Egger zur Publikation Er um-
faßt 25 7—9 Zeilen enthaltende Kolumnen, gut erhalten bis auf Col. XII
und XV. Egger bezeichnet den Papyrus als ein Journal propremeut
dit de la depense d'un menage; also ein Wirtschaftsbuch. Er giebt den
Text, setzt ab und zu das Facsimile daneben. Er vermutet seine Her-
kunft aus Theben, weil Col. XIII Z. 93 steht /a^xsi Mc|xvo[vitt)?]. Am
30. Mesore scheint die Eechnuug geregelt zu sein. Tag für Tag sind
^) Vgl. Lumbroso, Recberches S. 25ß.
-) Vgl. Lumbroso, Recherches 330 Anm. Die (zvof^s; sind wohl
seine Diener.
') Über die einschlägigen Verhältnisse der Ülfabrikation vergleiche
jetzt Grenfell-Mahaffy, Revenue Laws. Oxf. 1896.
0 Vgl. Letronne, Recueil des Inscr. de l'Egypte, I S. 50.
^) Dergleichen Eide sind nicht selten, Verl. Paris. G2 IV 12, Revillont,
Nouv. ehrest. S. 15.0 fl., der einen demotischen Text mitteilt, von dem Wilcken
das griechische Verso giebt:
I /w^] M£30f>r) •/c'.f/oYf^cz('f'a) 'i(j/.o-j ßK3('./ay.0ü) sr^sctjisivtuv
Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.) 181
die Ausgaben für Brot, Zukost, Holz u. s. w. aufgezählt für deu
30. Epeiph und die 16 ersten Tage des Mesore, die Summen, die Egger
nicht entziffert bat, beigefügt, und Tag für Tag ist die Gesamtsumme
angegeben. Im 2. Teil (S. 97 — 112) seines Aufsatzes stellt er die
Gegenstände, für die die Ausgaben zu machen waren, zusammen unter
Heranziehung der Leydener, Londoner und Pariser Papyri (besonders
S. 105 des Paris. 54 einer Rechnung der Zwillinge) und spricht über
die uns in den Papyri für einzelne Gegenstände überlieferten Preise.
Hingewiesen sei hier auf Eggers Aufsatz Kconomie domestique
des ancieus. Notes sur quelques documents relatifs a l'economie
domestique et aux dürres alimentaires en Ii^gypte sous les Ptol^mees
(Comptes rendus de l'acad. d. «ciences LXXI Paris 1870 S. 611 — 17),
in dem er sich mit den gleichen Fragen beschäftigt.
Doch erst Revillout erklärte diesen Papyrus richtig (Rev. Egypt.
III S. 84 ff.) und publizierte ihn von neuem ibid. S. 118—125 (Le
papyrus Sakkakini) mit Übersetzung.
Zum Schluß sei noch erwähnt, daß E. Egg er 1862 in der Societe
des Antiquaires de France über einen ihm von dem Mitglied der
französischen Schule in Athen M. Dugit mitgeteilten Papyrus (Pap.
Atheniensis I) las. Auf dem Recto sind Reste von 10 Linien Unciale,
darunter und auf dem Verse für Egger wenig lesbare Kursive. Der in
Unciale geschriebene Text ist eine Eingabe an einen hohen Beamten,
Egger läßt es zweifelhaft, ob ptolemäischer oder römischer Zeit. Die
von Egger veröffentlichten Zeilen lauten 1. 8 xupis, ri oiavcousai \xou r^
dvd7:£}jn|;[ov] Itzi tov dpytSixaa-rjV (wohl otaxousat |xou y) dva-£[jL4'(ai])
und 1. 2 öitupijaro -apa xta tote dp/ioixaaxT] [xr] Egger verspricht
hier einen zweiten Papyrus, den er auch von M. Dugit erhalten hat,
in den ilemoires zu veröffentlichen. Dies ist ein Fragment einer Rede,
von Egger, Memoires, S. 175 — 96 herausgegeben.
Es war in diesem ersten Teil des Berichtes nicht allzu häutig nötig,
in der Besprechung der Papyri über die siebziger Jahre hinauszugehen.
Nach der Pariser Publikation von 1865 sind nur vereinzelte und unbe-
deutendere Sachen in dem folgenden Jahrzehnt veröffentlicht worden,
ehe die zweite Periode der Papyrusstudien Ende der siebziger Jahre
begann. Doch war es während dieser ganzen ersten Periode nur ein
enger Kreis von Gelehrten, der sich mit den Papyrusfunden befaßte.
All das reiche Material, das in den Urkunden und in den gelehrten
Kommentaren, z. ß. von A. Peyron steckt, blieb ziemlich unbenutzt
liegen. 1842 erschien Varges, De statu Aegypti provinciae
Romanae primo et secundo p. Chr. saeculis. Gottingae 1842.
Er giebt auf grund der Nachrichten der Schriftsteller, der Inschriften
und Papyri ein Bild von der Verwaltung des Landes in römischer Zeit,
182 Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.)
von den Beamten, der Rechtsprechung, dem Steuer- und Militärwesen,
sowie dem Ackerbau. Der bei weitem größte Teil der Papyri, die der
PtolemUerzeit, fanden z. T. Berücksichtigung bei J. G. Droysen in
seinem Hellenismus, sowie in den Aufsätzen: De Lapidar um
regno Ptolemaeo VI Philometore rege. Berlin 1831 (-= Kleine
Schriften II S. 351 ff.). Zum Finanzwesen der P tolemäer (S.-B
d. Berl. Akad 1882 S. 207 ff. -. Kl. Sehr. II S. 275 ff.). Ebenso be-.
nutzte Franz Corpus Inscr. Graec. III in seiner Introductio zu den
Inscriptiones Aegypti (S. 281 ff.), in der er über Einteilung und
Verwaltung des Landes spricht, Pariser, Leydener und Turiner Papyri,
druckte einzelne z. T, oder auch ganz ab. Das beste Werk, das unter
Benutzung sämtlicher bis dahin erschienener Papyruspublikationen ge-
schrieben wurde, war das von Giacomo Lumbroso, Recherches
sur reconomie politique de I'Egypte sous les Lagides.
Memoire couronne par l'Academie des Inscriptions et Belles-
Lettres. Turin 1870 S. XXVIII u. 374.
Gleichzeitig mit Lumbroso hatte Felix Robiou, von dem schon
1852 eine Schrift Aegypti regimen quo animo susceperint et
qua ratione tractaverint Ptolemaei, erschienen war, sich um
den Preis der Acadömie des Inscriptions et Beiles - Lettres beworben,
und es war ihm eine ehrende Erwähnung zuerkannt. 5 Jahre später
veröffentlichte er, nachdem er einige Änderungen vorgenommen hatte,
seine Arbeit: Memoire sur l'economie politique, Tadministra-
tion et la Tegislation de I'Egypte, au temps des Lagides.
Avec une carte. Paris 1875, Iraprimerie nationale, 8. S. XVI
u. 248. Diese beiden Werke von Lumbroso und Robiou, die natui'-
gemäf] vielfach dasselbe bringen, bilden den Schlußstein dieser ersten,
fast 100 Jahre umfassenden Periode der Papyrusforschung.
Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.) 183
Verzeichnis der besprochenen Papyri.
Die Seitenzahlen sind in runden Klammern in schräg liegenden Ziffern beigefügt. Die
Einteilung der Papyri schliesst. sich im allgemeinen der von Wilcken im II. Bande der
griechischen Urkunden aus Ägypten aus den Kgl. Museen zu Berlin gegebenen an.
A. Behördliche Urkunden.
I. Amtliche Tagebücher und Gesandtschaftsberichte.
Paris ßO (5. i67); Paris. 68 — Brit. I {S. 167 f.).
II. Erlasse, Terfdgangen, richterliche Entscheidangen, Zahlongs-
anweisnngen u. dgl. (vgl. auch A III u. B (i) I).
Erlasse des Königs und der Königin: Leid. G, 1 — 7; Leid. H, 4—7;
Leid. I, 1-6 {S. 160); Paris. 62 iß. i68); Paris. 63 Col. 13 (S. 170).
— des Dioiketen: Paris. 61 Recto (S. 168); Paris. 63 Col. 1—6 u. 7
(5. 169).
— anderer Beamten: Brit. XXXIV, 14-15; IG-IS (S. 157); Brit. XXIII
(b); (c); (d) {S. 159. 179 Anm.): Paris. 6.5 {S. 170): Taur. XIII, 1 — 3;
Paris. 10; Brit. XXXII {S. 171): Wilcken, Actenstücke VIII [d. i. Parthey
Theb. Pap. 9] (S. 179).
— des Kaisers: Leid. Z lat. Teil (S. 151 f.); Mommsen, 2 lat. Kaiser-
rescripte [Pap. Leid, et Paris.] {S. 152. 171 f.).
— des Praefectus Aegypti (?): Parthey, Frammenti 1 (S. 176).
Gerichtsprotokolle u. richterliche Entscheidungen: Brit. XLI,
15—22 {S. 158): Paris. 15; Taur. I [S. 164): Paris. 16; Taur. IX
(5. 165); Taur. XIII, 4 ff. (S. 171).
Actenstücke aus der Bank und Zahlungsanweisungen:*) Pap. der
Zois I: II (S. U7 ff.)*: Pap. Egger, Memoires (S. 177 f.): Wilcken,
Actenstücke I* [d. i. Parthey, Theb. Pap. 14 r 18- Brit. XV (2), (1),
(3)]; II* [d. i. Parthey 5 -f Brit. XV (4), (5)]; III* [d. i. Brit. XV (6)
-^- Parthey 10 + Berl. Ined. -J- Parthey 17 -f Berl. Ined.J; IV* [d. i.
Parthey 16 -Brit. XV (7)-:-Parthev 6 4- 7 — Berl. Ined.J (S. 178 f.);
Wilcken, Actenstücke V* [d. i. Parthey 15J: VI* [d. i. Parthey 13 -r-
Brit. XV (8)]; VII* [d. i. Parthey 8 ^ Berl. Ined.] [S. 179): Parthey,
Theb. Pap. 11; 12 (S. 180).
Anweisungen zu Lieferungen: Brit. XVII (c) [= Vatic. 2289]; Brit.
XVII (b); Brit. XXVII [= Brit. XXXI, 6-12] (5. 157. 178).
III. Amtliche Berichte.
Paris. 25 [mit amtl. Vermerk]; Brit. XVII (a); Brit. XIX [mit amtl. Vermerk];
Brit. XXXIV 1-13; 18—23 [Z. 5- 11 = Leid. D FoL II] (S. 157); Brit.
XVIII; Brit. XLI Recto [mit amtl. Vermerk] (S. 158); Leid. H, 1-3
*) Über die einzelnen Urkunden dieser Actenstücke verweise ich auf
die Angaben im Text.
184 Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.)
(S. 160): Paris. 11 (?); Paris. 34 (?) {S. 161); Paris. 63 Col. S— 9;
11 — 12: Paris. 64; Paris. 67 (S 170); Leid. A (S. 171): Leipz. Pap. 5
{S. 176): Wilcken, Actenstücke XII fd. i. Parthey, Theb. Pap. 19 + 4]
(S. ISO).
IT. Amtliche Bescheinigangen.
Quittungen über Zahlung von Verkaufssteuer: Young, An account,
Greyanum A: B; C; Young. Hieroglyphics 33; Young, An account,
Pap. Salt. (S.144); Pap. demot'. Berol. 36; 37; 38; 39; 40; 41 (S. 145 f.);
Pap. demot. Taur. 21; 20; 23; 24; 25 [= Berol. 37]; Paris. 15 bis
(=N. IV 2416 u. 24101 i^- i45); Papyri der Zois I, 1-4; II, 1-5
(5. 147 ff.); Brit. III, 37-44 (S. 144. 163); Paris. 5 Col. 50 = Leid. M.
Col. 2, 9—14 (S 163); Leid. F (?) {S. 164); Leid. I 377; I 379; Leid. R;
Taur. X (?) [S. 172); Leid. N. Col. 3 [S. 143 ff. 173).
Quittung eines Steuererhebers: Leid. Q (?) (S. 172).
Amtl. Landvermessung: Leid. L (5. 172).
Amtl. Unterschriften betr. Einregistrierung: Forsh. XLI: XLII
(S. löl); Leid, demost. I, 373: I, 375; I, 380 (5. 172); Leid. Ö, 36 f.
(S. 174).
V. Amtliche Rechnangen, Listen n. dgl., öffentliche Arbeiten, Steuer-
angelegenheiten, Einnahmen und Ausgaben betreffend.
Rechnungen aus dem Serapeum: Paris. 52; 53: 54; 55; 55 bis: 56;
57; 57 bis: Pap. Weil; Leid. C Verso Col. 3 u. 4; Leid. S; Leid. T
(S. 159).
Inventare: Leipz. Pap. 28 Verso (?) [S. 176).
Register von Urkunden: Brit. XXVI (S. 157).
Liste von Damm- und Kanalarbeitern: Charta Borgiana (S. 142 f.).
Andere Urkunden: Brit. Forshall XXIIl {S. 150 f.); Paris. 66 (?) (S. 173)
Pap. Egger, Rev. Archeol. {S. 177); Pap. Atheniensis II \S. 180 f.)
Leipz. Pap. 1; 3; 4; 6 Recto; 7; 8; 11; 12; 13; 14; 15; 16; 17 Recto
25; 26; 27; 28; 29; 32; 35 (S. 176).
B. Private Urkunden.
B (1) Eingaben von Privaten an Behörden.
I. Klag- nnd Bittschriften.
Eingaben an den König: Leid. H, 21—36 (S. 160).
— an den König und die Königin: Paris. 22 — Paris. 23; Leid. B [mit
amtl. Vermerk]; Paris. 26; Paris. 29 (S. 157); Paris. 24; Paris. 35;
Brit. XLV (S. 150. 158) - Paris. 38; Paris. 39 {S. 158); Brit. XXIII (a)
[mit amtl. Vermerk]; Vat. E = Vat. F (S. 159); Leid. G, 9—22; Leid.
H, 8-20; Leid. I, 7—23 (S. 160); Taur. III -- Paris. 14 {S. 164).
— an den Epistrategen u. Strategen xyj; Hrj3c<''oo;: Taur. V; Taur.
VI [mit amtl. Vermerk] = Taur. VII (-8. 165).
— an den Strategen: Paris. 37; Vat. B [mit amtl. Vermerk, abgedruckt
auch als Paris. 36]; Brit. XLIV {S 150. 158); Paris. 40 = Paris, 41
(S. l.'iS); Paris. 12; Brit. XXIV Recto (5. 160); Taur. I. 1, 16-3,16
(S. 164); Paris. 13 (S. 173).
Bericht über die ältere Papyruslitteratur. (Viereck.) 185
Eingaben an den Hypodioiketen: Brit XXII Recto; ßrit. XX [mit amtl.
Vermerk]: Brit. XXI: Paris. SOlmitamtl. Vermerk] --Pap. Dresd.^Leid.D
Fol. I = Leid. E Fol. I; Paris. 33 -= Brit. XXXIII (a) (S. 157); Vat. D;
Brit. XXXV = Brit. XXIV Verso; Pap. Ceriani [mit amtl. Vermerk] =
Paris. 27 ^ Paris. 28 = Leid. E Fol. II: Vat. C: Brit. XLI Verso
(S. 158).
— an den i'tOTdTY]; zc<i i~t xiöv zjjosöoiov toü ^ispt 6rißc<;: Taui. VIII
(S 165).
— an den ir'.3-^'-:r,; eines vojio';: Taur. XI; Taur. XIV (S. 165).
— an den !-rc<'py r,; £■::' dvSpiüv xa» in 3-:c/tTj; toü zsf/i 8r)pcz;: Taur. II
{S. 164); Paris. 15, I, S — TI, 33 (S. 165); an den (---zp/r,; i-' cüvofiwv
Paris. 6 {S. 165).
Adressat unbekannt: Paris. 31 (S. 157); Paris. S iS. 173); Pap. Athen.
I [S. 181).
— an den Kaiser: Leid. Z [S. 151 f.).
II. Eidliche Tersicherangen.
Wilcken, Actenstücke XI [d. i. Parthey Theb. Pap. I]; XIa [d. i. Brit. XV
(y)J; XI b CO [d. i. Brit. XV (10;] (s. 180).
ß (2) Acten zwischen Privaten.
I. Rechtsgeschäfte.
Verträge über Kauf:*) Brit. III* (S. 14i. 163); Paris. 5* -- Leid. M*;
Leid. P {S. 163); Paris. 21 bis: Paris. 21 ter; Pap. Jomard {S. 166);
Paris. 21 (S. 167); Paris. 17 [S. 173); Leid. N* {S. 143 f. 173); Leipz.
Pap. 31 Recto (s. 176).
Mietsverträge: Pap. Berol. I; Pap. Testa III {s. 166).
Auseinandersetzungsurkunden: Taur. IV {s. 164); Paris. 20 {S. 166).
Darlehensurkunden: Paris. 7 {S. 165); Pap. Testa I: II (S. 166); Pap.
Berol. II (S. 167); Leid. 0 [mit amtl. Vermerk] {S. 174).
Empfangserklärungen und Quittungen: Brit. XXII Verso : Brit. XXXI
1-5 {s. 157. 178); Leid. C Recto {S. 157); Leipz. Pap. 30 [S. 176);
Petersb. Frg. 7 -f Parthey, Frammenti 5 (S. 177); Wilcken, Actenstücke
IX [d. i. Parthey Theb. Pap. 2]; X [d. i. Parthey 3]; Xa ]d. i. Pap.
Egger, Comptes rendus] (S. 180).
Freilassungsurkunden: Pap. Edmondstone (S. 144 f.).
Testamente: Brit. LXXVII (S. 150. 174).
II. Private Briefe, Rechnungen a. dgl.
Briefe: Brit. XXXIII ib) (S. 157 Anm. 8); Paris. 42; Paris. 4(5; Paris 47
(s. 15b); Paris. 32; Paris. 5i> [mit einer Abrechnung]; Paris. GO; Paris.
43: Paris. 44; Paris 45 [an den ■r^-\-\um /.oX j-i-jt^tt,; toü 'Avo-j^istou]
Brit. XXVIII; Paris. 49 [S. 159); Leid. K (?); Brit. XLII; Vat. A (S. 160);
Paris. 58 [mit Abrechnung]; Paris. 48 (S. 161); Taur. XII (?) (S. 165);
Paris. 18; Paris. 18 bis: Paris. 18 quatuor; Pap. 1563 Passalacqua;
Brit. XLin [s. 174); Leipz. Pap. 2 {S. 176).
Brief- und Eingabenverzeichnis: Brit. XXIII (e) u. (f) {S. 159).
*) Den mit einem Stern versehenen Nummern ist eine Quittung über
Zahlung der Verkaufssteuer beigefügt.
186 Bericht über die ältere Papyruslittcratur. (Viereck.;
Abrechnungen: Brit. XXV; Brit. XXIX (S. 159. i72): Hrit. XXX [S. 159.
17.3)\ Paris. fiO bis (S. 174); Paris. !) (?) (S. 174 f.): Paris. 61 Verso
(s. 175).
III. Traanierzählangen n. a.
Traumerzählungen: Paris. .51; Paris. bO; Leid. C Verso Col, 1 u. 2;
Leid. U (s. 160).
Mumienetiquctte: Paris. 18 ter (S. 174).
Verfluchung: Artemisiapapyrus [S. 161).
Bücherkatalog: Muralt, Petersb. Pap. N. 13 (S. 177).
In das vorliegende Verzeichnis sind nicht aufgenommen:
Paris. 0 bis Recto: Paris. 70 bis (s. H-'i); Paris. D bis Verso (s. /74) Passa-
lacqua, Catalogue: 490; 15fi4 A~H (S. 175); Muralt, Catalogue: N, 1— ß,
8-1-2, 14—15 (S.175); Parthey, Frammenti: N. 2-4, R-32; Wessely,
Leipziger Papyri: 6 Verso, 9, 10, 17 Verso, 18 Recto, 19—24, 31 Verso,
33, 34 (S. 176); Brit. XV (11)— (16) {ß. 178).
Druckfehler.
S. 1.57 Z. 17 1. Leid. C Recto.
S. 157 Z. 23 1. Brit. XXXITI (a).
S. 157 Anm. 8 1. „XXXIII (b)" statt „Das Verso".
S. 158 Z. 0 1. Leid. E Fol. IL
S. 158 Z. 21: Vat. B, nicht Brit. XLIV, ist als Paris. 3ß abgedruckt.
S, 159 Anm. 3 1. „Das Recto" statt „Das Verso".
1dl
Bericht über die auf Paläographie und Handschriften-
kunde bezügliche Litteratur der Jahre 1874—1896.
Von
Dr. Badolf Beer und Dr. Wilhelm Weinberger.
Der vorliegende, fast ein Vierteljahrhundert umfassende Bericht
entspricht nicht ganz den Intentionen, die vorgeschwebt haben, als
sich Beer, der seit Jahren an ihm gearbeitet hatte, behufs rascherer
Vollendung den Mitarbeiter zugesellte. Verschiedene Hindernisse, nament-
lich aber die Versetzung des Mitarbeiters, der, abgesehen von der
auf Spanien bezüglichen Litteratur, die Schlußredaktion übernommen
hat, von Wien nach Radautz, haben dazu geführt, daß mit Außeracht-
lassung der in Ausgaben und Abhandlungen verstreuten Notizen über
Bibliotheken zunächst über den Fortschritt der auf Auffindung und
Beschreibung von Hss bezüglichen Kenntnisse, dann über die Hülfs-
mittel zur Lesung von Hss berichtet werden soll. Bemerkungen
über Miniaturen sind dem zweiten Teile vorbehalten. Daß die Orien-
tierung gegenüber der Würdigung jeder einzelnen Publikation in den
Vordergrund tritt, ergiebt sich aus der Länge der Berichtsperiode;
wir haben uns deshalb auch nicht gescheut, gelegentlich Erscheinungen
der Jahre 1897 oder lb98 einzubeziehen , und hoffen einerseits, daß
die erwähnten Umstände eine gewisse Ungleichmäßigkeit der biblio-
graphischen Angaben entschuldigen, andererseits, daß sich bei der ersten
Fortsetzung des Berichtes durch Nachträge (zunächst über jetzt nicht
zugängliche Werke), die wir etwa der Freundlichkeit von Fachgenossen
zn verdanken haben werden, manche Mängel werden gutmachen lassen.
Dr. Rudolf Beer, Dr. Wilhelm Weinberger,
k.'u. k. Amanuensis der Hofbibliothek, k. k. Gymnasiallehrer,
Wien. Iglau.
18S Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
Yerzeichnis der Abkürzungen,
die einer Erlilärung bedürfen.
N(eues) Archiv (der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde).
Bibl. = Bibliot(h)eca, Bibliothek, Bibliotheque.
„ (de l'ecole) d(es) chartes.
„ d(es) ecoles (frangaises d'Athenes et de Rome).
C. = Catalogo, Catalogue, Catalogus.
C. B. = Centralblatt für Bibliothekswesen.
C. D. =^ C. general des manuscrits des bibl. publiques de Franke.
Departements.
Jahresber(ichte der Geschichtswissenschaft).
K. = Katalog.
Ms., Mss. = Manuscript(us), manuscrit, manuscritto, Manuskripte
u. s. w.
Melanges (d'archeologie et d'histoire).
N. S. ^ Nova series, nouvelle serie u. s. w.
Pal. = Palaeographia , Paläographie u. s. w.; pal. ^ paläogra-
phisch u. s. w.
ßevue (des bibl.).
Eivista (delle bibl.).
Studi (italiani di filologia classica).
Ein vor die Nummer gesetzter Stern bedeutet, daß die betr. Ab-
handlung dem Berichterstatter nicht vorgelegen hat.
I. Buch-, Schrift- und Bibliothekswesen.
Die Kürze dieses Teiles wird ermöglicht durch den von Dziatzko
herrührenden, gründlichen und reichhaltigen Artikel 'Buch' in Pauly-
Wissowa, Real-Encyklopädie III 939 — 971. Ich sehe ab von den dort
angeführten Handbüchern der Privataltertümer, denen auch Beckers
Charikles und Gallus und Blümners Technologie beigezählt sein mögen,
und werde auch die paläographischen Werke von Blaß und Gardt-
hausen, auf deren einschlägige Abschnitte Dziatzko verweist, erst in
einem späteren Teile des Berichtes besprechen, hebe aberE.M. Thompson,
Handbook of Greek and Latin palaeography (mir war nur die 1. Auf-
lage — London, Trübner 1893, 354 S., 5 sh. — zugänglich) und ein
von Dz. ebenfalls nicht herangezogenes Werk hervor, welches das
Schriftwesen in einem selbständigen Bändchen behandelt und auch nach
dem Erscheinen der 3. Auflage von Wattenbachs Schriftwesen, als
beträchtlich kürzer und dabei doch über alles Wesentliche orientierend,
recht zu empfehlen ist:
Bericht üb. Paläographic u, Ilandschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 189
1. Paoli-Lohmeyer, Grundiir) zu Vorlesungen über lateinische
Paläographie und Urkundcnlebre. II. »Schrift- und Bücherwesen.
Innsbrack, Wagner 1895. V u. 206 S. 2 M.
Der verdienstvolle Florentiner Paläograph Cesare Paoli hat seine
in sachlicher und didaktischer Hinsicht gleich reichen Erfahrungen
1883 in einem Programma scolastico di paleogratia latina e di diplo-
matica niedergelegt, durch dessen Übersetzung (Innsbruck 1885, VIII u.
77 S.) Karl Lohmeyer, Professor zu Königsberg in Pr., sich ein —
gleich dem Originalwerk — vielfach anerkanntes Verdienst erworbeu
hat. Derselbe hat auch die 2. erheblich vermehrte und wesentlich ver-
änderte Auflage des Programma, die in 2 Teilen bei Sansoni 1888 und
1894 zum Preise von 2,50 L. und 4 L. erschienen ist, aus dem
Italienischen übersetzt.
Blümners Artikel 'Bücher' und 'Buchhandel' in Baumeisters
Denkmälern I 361 — 364 hat Dz. mit Recht nicht angeführt; Artikel
anderer encyklopädischer Werke (vgl. Thompson, Palaeography in En-
cyclopaedia Britannica. XVIII. — Edinburgh 1885, S. 143 — 165; von
Fumagalli ins Italienische übersetzt, Mailand, Höpli 1898, VII und
156 S. 2 L.) können mir leicbt entgangen sein. Enc3^klopädien ver-
wandter Disciplinen, wie Pauls Grundriß der german. Philol. zu be-
rücksichtigen, lag mir ferne.
Aus der am Kopfe von Dz.s Artikel zusammengestellten Litteratur
kommt somit bei chronologischer Anordnung zunächst in Betracht:
2. E. Egger, Histoire du livre depuis ses origines jusqu'a nos
jours. Paris, Hetzel 1880. VIII u. 323 S. 3 M.
Diesem für einen größeren Lesekreis berechneten Werke von
Egger, dessen Kapitel I — IX dem Buch- und Bibliothekswesen des
Altertums und des Mittelalters gewidmet sind, kann ein kurzer, populärer
Auszug aus der 2. Auflage von Wattenbachs Schriftwesen an die Seite
gestellt werden:
3. A. Poelchau, Das Bücherwesen im Mittelalter. Sammlung
gemeinverständlicher, wissenschaftlicher Vorträge, hgg. von Viixhow
undHoltzendorff, Heft377. Berlin, Habel 1881 (XVI. Serie, S. 56 1—566).
*4. H. Bouchöt, Le livre. Bibl. de lenseignement des beaux
arts. Paris, Quantin 1886.
Wir kommen nun zu
5. Th. Birt, Das antike Buchwesen. Berlin, Hertz 1882. VII
u. 518 S. 12 M. Vgl. die ausführlichen Anzeigen von E, Rohde,
Götting. gel. Adz. 1882, 2, 1537—1563 und H. Landwehr, PMl.
Anz. XIV 357—377.
B. hat, wenn ich Rohdes Worte hieher setzen darf, „eine Reihe
190 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Wi in berger.
von einzelnen, nicht unbekannten noch unbeachteten Thatsachen ge-
schickt verbindend, andere minder beachtete ins rechte Licht rückend,
in der That seine These bewiesen, daß die antike Litteratur mitbe-
dingt war durch das antike Buch."
Der Unentbehrlichkeit des Werkes für alle einschlägigen Fragen
thut es keinen Eintrag, daß es von Grundirrtümern und unrichtigen
Interpretationen entscheidender Stellen nicht frei ist, wie wir sehen
werden, wenn wir, der trefflichen Disposition von
6. W. Wattenbach, Das Schriftwesen im Mittelalter. 3. Aufl.
Leipzig, Hirzel 1896. VI u. 670 S. 14 M.
folgend, zunächst über die auf das Schreibmaterial und das damit
zusammenhängende Format bezügliche Litteratur berichten.
W. geht bei seiner unvergleichlich reichen Materialsammlung
immer auf das Altertum zurück. Die Erweiterungen der 3. Auflage,
welche den Umfang des Buches gegen die zweite 1875 erschienene um
100 Seiten vergrößert haben, sind charakteristisch für unsere Berichts-
periode, wohl keine so sehr als die Hinzufügung eines neuen Kapitels
(Einleitung 5. S. 32—36): Das Zeitalter der Photographie. In den
20 Jahren hat W., wie er selbst sagt, 'niemals aufgehört, den Gegen-
stand im Auge zu behalten, und alles angemerkt, was für denselben
verwendbar erschien; aber systematisch' hat er 'die Litteratur nicht
durchsucht'. Das hat beispielsweise zur Folge, daß von den in der
Beschränkung auf ein topographisch begrenztes Gebiet musterhaften
Aufsätzen von
7. und 8. L. Eoc kinger, Über Schreibstoffe in Bayern. Ar-
chivalische Zeitschr. I 246—275. — Geschichtliches über Tinte und
sonstige Schreibbedürfnisse in Bayern. Ebdt. IV 293—305 und V
166—187
der Schlußartikel (S. 41) nicht angeführt ist. Ähnlich erklärt es sich
vielleicht, daß die von Karabacek herrührende, mit Illustrationen
versehene Einleitung über Beschreibstoffe (XIII— XXIII; vgl. 3—14) in
9. Papyrus Erzherzog Eainer. Führer durch die Ausstellung.
Wien 1894
nur in der Vorrede rühmend erwähnt wurde.
Ferner habe ich hmzuzufügen
10. K. Dziatzko, Zwei Beiträge zur Kenntnis des antiken
Buchwesens. (Als Ms. gedruckt und Jhering gewidmet.) Göttingen,
Kaestner 1892.
S. 6 — 8 macht Dz. wahrscheinlich, daß axuraX/j ursprünglich den
kräftigen Stab von keulenförmigem Aussehen bezeichnete, auf dem
Bericht üb. Paläographie u. llandschriftenkunde. [Beer u. Weinberger.) 191
Boten und Handelsleute kurze Aufzeichnungen führten. S. 8 — 18 wider-
legt Dz. — um dies gleich abzuthun — die von Usener geäußerte
Meinung, daß Atticus ein mechanisches Vervielfältigungsverfahren z. B.
für des Varro Hebdomades benutzt habe. Usener s angezogener Auf-
satz 'Unser Platotext' (Gott. gel. Nachr. 1892, 25—50. 181—215) ent-
hält namentlich im zweiten Teile viele Bemerkungen über litterarische
Überlieferung und Buchhandel.
Betreffs der Holz tafeln — ob sie nun mit Wachs bestrichen
sind oder nicht — gestatte ich mir, meine Litteratur- Sammlung
11. G. Weinberger, Tavolette greco-egizie. ßendic. della r.
Accad. dei Lincei 1893, 890—896
anzuführen, auf die dort erwähnte Verüffentlichung von
12. K. Wessely, Holztäfelchen aus der Sammlung des Papyrus
Erzh. Rainer. Mitteil, aus d. Samml. u. s. w. V 11 — 20,
die zuerst von Hesseling (Journal of hell. Stud. XIII 293 — 314)
publizierten Wachstafeln mit Babriusversen, sowie auf eine Notiz über
ein in Norwegen gefundenes Notizbuch aus Wachstafeln zu verweisen,
die ich nur aus C. B. IV 351 kenne: H. J. Huitfeldt-Kaas, En
notitsbog paa vaxtavler fra middelalderen. Christiania videnskabs-
selskavs forhandlinger 1886.
Die bei Paoli-Lohmeyer gänzlich fehlende, bei Wattenbach S. 89 f.
ungenügend verzeichnete Ostraka- Litteratur zusammenzustellen, würde
mich hier zu weit führen. Ebenso begnüge ich mich, betreffs der
Papyrus -Publikationen auf das übersichtliche, aber nicht ausreichende
Verzeichnis von
13. Couvrier, Inventaire sommaire de textes grecs classiques
retrouves sur papyrus. Revue de philologie XX 165—174
und auf das dem neuesten Stande der zahlreichen und wertvollen Funde
entsprechende von
14. C. Häberlin, Griechische Papyri. C. B. XIV (1897) 1—13,
201—225, 263—283, 337—361, 389—412 (Herculanum). 473—499,
585 f. (auch separat)
zu verweisen. H. hat für die litterarischen Papyri die Anordnung
nach der chronologischen Folge der Autoren gewählt, aber ein alpha-
betisches Register beigegeben. Die wichtigsten, vielfach (wie die Ber-
liner und die Wiener) im Erscheinen begriff"enen Urkundenpubli-
kationen sind in der Einleitung zusammengestellt: vermißt habe ich
15. H. Marucchi, Monumenta papyracea aegypt. bibl. Vaticanae.
Rom 1892. VtH u. 136 S. 4.
Auch viele auf die Verwertung der Papyrusfunde bezügliche
192 Bericht üb. Paläographie u. Handachrifteakunde. (Beer u. Weinberger.)
Schriften sind verzeichnet, von denen ich den orientierenden und an-
regenden Vortrag von
16. W. V. Hartel, Über d. griech. Papyri Erzh. Rainer. Wien,
Gerold 1886. 82 S. 1 M. 60.
hervorhebe. Was den Papyrus als Schreibstoff anbelangt, ist mir
die von Wattenbach (Jahresber. 2, II 349) als gründliche Sammlung
der Nachrichten und Meinungen, sowie des erhaltenen Materials ge-
rühmte Arbeit von
*17. C. Paoli, Del papiro specialmente considerato come
materia che ha servito alla scrittura. Pubblicazioni del r. Istituto
di studi superiori a Firenze. Florenz, Le Monnier 1876. 84 S. 4.
nicht zugänglich gewesen, ebensowenig
*18. J. Carini, II papiro. Appunti per la nuova scuola Vaticana.
Rom 1888.
Ich weiß daher nicht, inwieweit etwa
19. G. Cosentini.La carta di papiro. Archivio storico Siciliano
XIV (1889) 134—164 *
einen Fortschritt bedeutet.
In der Beschränkung auf Siciliefn ist
20. J. Carini, Sülle materie scrittorie adoperate in Sicilia.
Nuove Eflfemeridi Siciliane VIII (1879) 218—300
namentlich (S. 238 — 268) für die sicilische Papyrusfabrikation wichtig,
mit der man — nach Karabacek mit Unrecht — die Fortdauer des
Papyrusgebrauches in der päpstlichen Kanzlei in Verbindung
gebracht hat. Hier wird erst im 11. Jh. (vgl. 1, S. 53, 6, S. 108 und
P. Ewald, Neues Archiv IX 331) Pergament gebraucht, während für
Ai-abien von Karabacek (in der unter No. 32 anzuführenden Ab-
handlung) das 9. Jh. als die Zeit des Kampfes von Papyrus und Papier
bezeichnet wird. In einem Schreiben von Bischöfen an den Papst vom
Jahre 862 (Wattenbach -87, M06) kann das sonst unbekannte Wort
'in tuncardo' wohl nur Papyrus bedeuten. Karabacek vermutet S. 102
tumario (xo|xapiov arab. tümär bezeichnet ein Papyrusblatt); Ewald
a. a. 0. 336, 2 und 357 in iunco et carice (da Papyrus häutig mit Binse
und Riedgras verwechselt werde). Für Papyrusfabrikation ist außer
Wiesners Notiz (s. No. 34 S. 202), die für mikroskopische Unter-
suchungen besonders in betracht kommt, zu verzeichnen:
21. U. Wilcken, Recto oder Verso. Hermes XXII 487— 492.
Es wird die fürErkennung vonOpisthographen wichtige Beobachtung
festgesteUt, daß die Seite, an der die Fasern liorizontal laufen, die ur-
sprünglich zum Schreiben bestimmte Seite ist.
Bericht üb. Paläognaphie u. ITandschriftenkundo. (Beer u. Weinberger.) 193
Das gewöhnliche Format für PapjTUS ist die Rolle, wenn
auch vereinzelt g:efaltete Papyrusblätter und in späterer Zeit auch
Papyrnscodices vorkommen. Die verschiedene Gröiie und Kolumnen-
breite je nach der Litteratnrgattun^ betont, vielfach gegen Birt (5)
polemisierend,
22. E. Baehrens, Das antike Buchformat der röm. Elegiker.
Jahrbücher f. Philologie CXXV 785—790.
Die Annahme, daß für Elegien schmale Kolumnen verwendet
wurden, die 4 oder 6 entweder 4- oder 2 mal gebrochene Verse ent-
hielten, stützt B. wesentlich auf ein pompejanisches Wandgemälde,
das beispielsweise bei Jordan. Hermes XIV 279 abgebildet ist. Ich
schließe an
23. P. Krüger, Über die Verwendung von PapjTUS und Per-
gament für die juristische Litteratur der Römer. Zeitschr. der
Savigny-Stiftung VIII (1887) 1. 7G-85
und will bei dieser Gelegenheit nicht unterlassen, auf Hensels bei
Diesterweg in Fi-ankfurt ei'schienene Sammlung von Modellen hinzu-
weisen, in der Wachstafel und Rolle recht gut veranschaulicht sind.
Von dem Normalexemplar, das Birt festzustellen suchte, kann
mit Rohde gesagt werden, es habe, 'wenn es existiert hat, auf die alten
Autoren einen sehr sanften Zwang ausgeübt". Das sogenannte Groß-
roUensystem vollends, d. h. die Annahme, daß erst durch Kalli-
m ach OS (|x£7a ßi[-5Xiov [xä-^a xay.ov) die Sitte, auch das größte Werk
in einer Rolle zu vereinen, abgekommen sei, ist gänzlich unhaltbar;
vgl. auch S. 490 A. 2 der Arbeit von
24. C. Häberiin, Beiträge zur Kenntnis des antiken Biblio-
theks- imd Buchwesens. C. B. VI 480—503. VII 1 — 18, 271—302.
Dessen 1. Abschnitt ( Voralexandrinische Homerausgaben) ist sonst
wesentlich litterarhistorisch, der 2. (einfache und Mischrollen in der alexan-
drin. Bibl.) verzeichnet die zahlreichen Versuche, die Termini dfii-.'sw
und jufjLji.i-,£t; unter Berücksichtigung der von Tzetzes überliefeiten
Zahlen (400 000 aufiixiveic, 90 000 arzKoTix für Pergamum erwähnt Plu-
tarch nur 200 000 a-Xai) zu erklären , ohne dal.') H. von seiner eigenen
Erklärung {w\L\Lqrfi == Sammelband) befi'iedigt wäre. Dziatzko
25. Die ßi'i^Xoi jufxjjLi-.sic und ajxqEÜ der alexandr. Bibl. Rhein.
Mus. XL VI 362—370 (Anhang zu : Johann Tzetzes und das Plautus-
schoüon über d. a. ß. S. 349 ff.) und 26. A^iqzXi ßt'ßXoi. Pauly-
Wissowa, Real-Encyklop. I 1833—1835
scheint die Frage endgültig gelöst zu haben; er versteht unter au [xixqsii;
die beliebige Teile einer Schrift enthaltenden ßoUen, welche in großer
Jabresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVTQ. (1898. HI.) 13
194 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
Zahl in die alexandriuische Bibl. 8:elang:ten, in derselben aber als un-
geeignet allmählich beseitigt wurden. Deshalb habe es in Pergamum
nur a-Xai gegeben, d. h. Rollen, die mit dem Anfang und dem Ende
einer Schrift oder eines Hauptteiles einer solchen zusammenfielen.
Über H.s 3. Abschnitt (zur griech. Buchtermiuologie) ist zu be-
merken, daß es ihm nicht gelungen ist, die griechischen Termini ebenso
gründlich und übersichtlich zu behandeln, wie es
27. H.Landwehr, Studien über das antike Buchwesen. Archiv
f. lat. Lexikographie. VI 219 — 253 (Die Buchterminologie) und 419
— 433 (Übergang von der Rolle zum Codex).
in seiner lexikographischen Untersuchung für die lateinischen getban
hat. Auch H.s Polemik gegen L.s Ansichten über den Übergang
von der Rolle zum Codex gelangt nicht immer zu bestimmten
Resultaten. L. geht mit Recht davon aus, daß für die Verwendung
des Pergaments die Fabel von der alexandrinischen Papyi-ussperre
ein beiläufiges Datum giebt. Es fehlt nun nicht an Pergamentrollen
(s. Dziatzko R. E. III 947^, aber die Vorzüge, die das Codexformat
bot, und die Widerstandsfähigkeit, die das Pergament gerade zu diesem
Format besonders geeignet machte, brachte es mit sich, daß allmählich
für litterarische Zwecke Pergamentcodices üblich wurden. Die vor-
handenen Belegstellen führen im allgemeinen ebenso wie die von
28. V. Schnitze, Rolle und Codex. Ein archäologischer Bei-
trag zur Geschichte des Neuen Testamentes. Greifswalder Studien . . .
Herm. Cremer dargebr. (Gütersloh, Bertelsmann 1895. 6 M.) 147 — 158
in großer Zahl zusammengestellten christlichen Bildwerke auf die Zeit
von 250 — 400 als Übergangsperiode. Im 5. Jh. hat der Codex ge-
siegt, doch kommen noch im 6. Jh. vereinzelt Rollen vor. Der kirch-
liche Gebrauch begünstigte besonders den Codex; doch ist deshalb L.s
Ansicht, daß profane Litteratur erst im 6. Jh. in Codices umgeschrieben
wurde, noch nicht ausreichend begründet. Andererseits ist zu bemerken,
daß einzelne Reste von Pergamentcodices über 250 hinauf datiert werden;
vgl. Dziatzko, R. E. III 948 f. und Kenyon, Journ. of phü. XXII
247, der die Reste eines Pergamentcodex des Deraosthenes ins 2. nach-
christliche Jh. setzt. Für weit älter halten das Codexformat der
Litter aturwerke Rohde (unter No. 5, S. 1547 f.) und
29. C. Wachsmuth, Pentadenbände der Hss klass. Schriftsteller.
Rhein. Mus. XLVI 329—331.
Pentadenbände sind für Diodor, Josephus, Livius und Polybius
erweislich. Aus Photius läßt sich ferner schließen, daß Diodor den
Theopomp in Pentaden hatte. Damit wäre nun ein hohes Alter des
Bericht üb. Paläographie u. Handechriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 195
Kodexformates bewiesen, wenn nur W. die Behauptung begründet hätte,
daß Pentaden Pergamentcodices voraussetzen.
Noch ist aus Wattenbachs Behandhing des Pergaments die für
Provenienz und Alter der Hss wichtige Unterscheidung der glatteren
Fleisch- und der Haarseite (S. llGff. u. 124) hervorzuheben. Dieser
Unterschied, auf den
30. G. R. Gregory, Les cahiers des mss. grecs. Comptes-
rendus de TAcad. des inscr. Xin (1885) 261—268
nachdrücklich hingevviesen hat, ist nämlich bei deutsch - französischem
Pergament gering, bei italienisch-spanischem bedeutend. Daß je zwei
Fleisch- und je zwei Haarseiten zusammentreffen, ist natürlich; daß in
griech. Hss mit einer Fleischseite (vgl. No. 55, S. 301 u. 308), in lat.
mit einer Haarseite begonnen wird, kann für die Bestimmung der
Quaternionen in betracht kommen, auf deren Bedeutung wir noch
zurückkommen. Das Pergament des 15. Jh. hat eine grauliche Färbung
und wird so zum Verräter bei Schreibern, welche die Originale des
10. oder 11. Jh. getreu nachmalen.
Auch das Papier kommt für Altersbestimmung von Hss in be-
tracht, wie sich aus der Besprechung von
31 u. 32. J. Karabacek, Das arabische Papier. Eine historisch-
antiquarische Untersuchung. Mitteil, aus der Sammlung der Papyrus
Erzh. Rainer. 11/111(1887) 87—178 und Neue Quellen zur Papier-
geschichte. Ebdt. IV 75—122,
33 u. 34. J. Wiesner, Miki'oskopische Untersuchungen der
Papiere von el-Faijum. Ebdt. I (1887) 45 ff. und Die Faijümer und
Uschmüminer Papiere. Eine naturwissenschaftliche Untersuchung.
Ebdt. II; III 179 ff.
ergeben wird. Ich würde unrecht zu thun glauben, wenn ich die Er-
gebnisse von 31 u. 34 (32 enthält nur eine neue Bestätigung, 33 eine
kurze Ankündigung) mit dem kurzen Satze abthun wollte, es habe nie
ein aus roher Baumwolle erzeugtes Papier gegeben. Dies be-
hauptete schon
35 u. 36. C. M. Briquet, La legende paleographique du papier
de cotou. Journal de Geneve 29. Oct. 1884 und Recherches sur les
Premiers papiers employ^s en Occident et en Orient du X« an
XTVe siecle. Mem. de la soc, des antiquaires de France. 46. Bd.
(1886). 77 S.
B. ist zu dem richtigen Resultate auf grund von mikroskopischen
Untersuchungen gelangt, die W. (vgl. 216 ff.) für unzureichend erklärt.
Einer der hartnäckigsten Verteidiger des Baumwolleupapiers
1
s*
196 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
37. C. Paoli, Carta di cotone e carta di lino. Archivio storico
Italiano XV (1885) 230-234
ist erst durch die eine f?roße Zahl von Papiersorten nnd -formaten und
viele Details der Bereitung heranziehende Untersuchung von K. und W.
überzeufjt worden; vgl.
38. C. F.. La storia della carta secondo gli Ultimi studi. S. A.
ans der Nuova Antologia v. 16. Nov. 1888. 19 S.
Andere Widersacher verzeichnet S. 55 f. A. 2
89. C. M. Briquet, Sur les papiers usites eu Sicile. Archivio
stör. Siciliano XVII (1892) 52—65.
Nur dem Titel nach kenne ich
*40. C. M. Br., Le papier arabe au moyen-äge et sa fabrication.
Union de la papeterie, Bern, August/Sept. 1888.
Die genau geprüften Quellen, deren für den NichtOrientalisten
notwendige Übersetzung K. überall beigiebt, und die auf sicheren Kriterien
beruhende mikroskopische Untersuchung W.s ergeben folgendes. Um
751 beginnt in Samarkand die Papierfabrikation. Sobald chinesische
Arbeiter die Herstellung eines feinfaserigen Gauzzeuges und das Schöpfen
desselben zur Papierform (gefilztes P.) eingeführt hatten, brachte die
damalige persische Bevölkerung von Samarkand die Hadern in Schwung.
Nur Hadernpapier ist in der 794 zu Bagdad errichteten und in allen
weitereu, also auch in den ägj'ptischen Fabriken erzeugt worden. Diese
orientalischen Papiere sind mit Stärkekleister geleimt und bis ins
15. Jh. (wohl infolge der Stampfung) langfaserig. In Europa tritt um
1300 Leim an die Stelle der Stärke; seit dem 15. Jh. sind die Papiere
(wohl infolge der Vermahlung) kurzfaserig. Die von Briquet, der auch
das Verdienst hat, zuerst auf die Leiraung hingewiesen zu haben, be-
hauDtete Harzleimung ist erst im Anfang dieses Jh. nachzuweisen.
Ich füge gleich an, daß
41. J. Wiesner, Studien über augebliche Banmbastpapiere.
S.-Ber. Wiener Akad. phil.-hist. Kl. CXXVI (1892).. 12 S.
auch das Baumbastpapier (nicht etwa das Beschreiben von Bast) ins
Reich der Fabel verwiesen hat; es handelt sich um ein Verkennen von
PapjTus. Zu ei-wähnen ist noch K.s Versuch (S. I29if.(, die Ent-
stehung der Fabel vom Baumwollpapier zu erklären. Einerseits ist bei
Charta bombycina ursprünglich an ein baumwollenartiges,
nicht an ein ans Baumwolle bestehendes Papier gedacht: andererseits
denkt K. bei der Bezeichnung bombycina sive Damascena an
das syrische Hierapolis, arab. Mambidsch, griech. Banl^uxr) (also
Beriebt üb. Paläographie u. Handschriftenkunde, (Beer u. Weinberger.) 197
m'sprüDglich bambycina), nach dessen Verfall die Papierfabrikation
nach Damaskus übertragen wurde.
Für die noch zu wenig beachteten Wasserzeichen nenne ich
unter Hinweis auf die 1 S. 78 verzeichnete Litteratur
42 u. 43. C. M. Briquet, De la valeur des tiligi-anes du papier
comme nioyeu de determiner Tage et la provenance de documents
non dates. Bull, de la Societe d'histoire de Genöve 1892. 13 S. —
Papiers et filigranes des archives de Genes. Atti della Societä ligur.
di storia patria XIX (1888).
44. E. Kirchner, Die Papiere des 14. Jh. im Stadtarchiv zu
Frankfurt a. M. und deren Wasserzeichen technisch untersucht und
beschrieben. Frankfurt, C. Jügel 1893. 35 S. u. 31 S. AbbUd.
2 M. 50.
45. F. Keinz, Die Wasserzeichen des 14. Jh. in Hss d. k. bayer.
Hof- und Staatsbibliothek. Abh. d. bayer. Akad. XX. Bd. 3. Abt.
München 1895. (46 S. 38 Taf.) 4 M.
Wiesner hat auch die Tinte der Papiere von el-Faijüm in den
Bereich der Untersnchung gezogen und gefunden, daß sie entweder
eisen- oder kohlenhaltig war, d. h. entweder der Galläpfeltinte oder
der Tusche entsprach. Dazu stimmt:
46. C. Graux, L'encre ä base metallique dans l'antiquite. Rev.
de phil. IV 82—85.
Mit Unrecht behauptet also noch 1 S. 99, daß bei der Tinte des
Altertums jeder metallische Zusatz fortfiel. Dies gilt nur für Papyri.
Für Gold Schrift ist außer Paoli, Miscellanea di paleografia
(Archivio storico Italiano 4. Ser. VI 115 ff.) wieder
47. C. Graux, Une Olympique de Pindare ecrite k l'encre d'or.
a. a. 0. V 117—121
und
48. K. Wessely, Chrysographie. Wiener Studien XTE 259— 270
anzuführen, für Purpurtinte die nahezu erschöpfende, doch über das
bei 6 S. 248 Gebotene nicht hinausgehende Abhandlung von
49. J. Carini, Sulla porpora e sul colore porporino nella diplo-
matica specialmente Siciliana. Nuove Effemeridi Siciliane IX 297—
339. X 1-44.
Nicht zugänglich war mir
*50. D. Frazer, Paper, pens and ink; a brief sketch of the
principal writing materials used in all ages. Glasgow, Bryce 1878.
134 S. 1 M. 20.
198 Bericht üb. Paläographie u. Handachriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
Für Schreibgeräte ist außer 8 und 9 (S. 6: Schreibrequisiten
aus dem 1. Jh. v. Chr.) zu erwähnen:
51. C. Paoli, Instrument! scrittorii. Archivio storico Italiano
V. Ser. X 126 f.,
der auf Miniaturen ein in der linken Hand gehaltenes lig-niculum
(stecchetta) nachweist, mit dem der Schreiber das Papier hält, um die
Feder sicher und gerade zu führen. Einschlägig wären auch nach
Delisles Anzeige (Bibl. d. chartes 1884, 671 f.) die ersten Kapitel des
später zu erwähnenden, mir nicht zugänglichen Werkes von A. Lecoy
de la Marche, Les mss. et la miniature (Bibl. de l'enseignement des
beaux arts) : I. Les iustruments de l'ecriture. 11. L'ecriture. III. Les
ecrivains.
Über das Schreiben selbst und die Schreiber ist hier nicht viel
zu sagen, da Monographien über einzelne Schreiber (und Hsshändler),
die für griech. Hss etwa Gardthausens Schreiberliste (griech. Paläogr.
S. 311 — 341) berichtigen oder ergänzen, besser in Anhang I (nach den
Hss- Verzeichnissen) zusammengestellt werden. Dort kann leichter auf
Omonts Arbeiten ver\viesen werden, dessen preisgekrönte Liste griech.
Schreiber meines Wissens noch nicht gedruckt ist. Doch muß schon
hier erwähnt werden das bei Ausschluß aller von Gardthausen, Mont-
faucon, Wattenbach verzeichneten Namen fast 1400 Seiten füllende
Werk von
52. J. W. Bradley, A dictionary of miniaturists , Illuminators,
calligraphers and copyists. With references to their works and
notices of their patrons from the establishment of christianity to the
eighteenth Century. 3 Bde. London, Quaritch 1887 — 1889.
Wichtig ist die Beteiligung mehrerer Schreiber an einer Hss;
hierbei kommen wir auch auf die bei No. 30 erwähnten Quaternioneu
zurück. Zunächst hat
53. E. Chatelain, Note sur le ßeginensis 762 de Tite-Live.
Rev. de phil. XIV 79—84
nachgewiesen, daß die von 7 verschiedenen Schreibern, die ihren
Namen beigesetzt haben, geschriebenen Stücke des Reginensis (saec. IX>
genau mit Lagen des Puteanus (ehemaligen Corbeiensis) stimmen.
P. Schwenke ist es (C. B. VII 440 f.) gelungen, diese Schreibernamen
im St. Gallner Verbrüderungsbuch (Mon. Germ. bist. Libri confraternitatis
ed. Piper, Sp. 14) unter den Mönchen von Tours nachzuweisen. Im
Anschluß an Chatelain hat
54. K. Wotke, Wie verfuhr man beim Abschreiben der Hss
im Mittelalter? Z. f. Ost. Gymn. XLII (1891) 296 f.
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 199
auf den Paris. 12 236 des Eucherius hingewiesen, in dem ein in TJncialen
geschriebenes Stück mitten im Worte beginnt und endet. Endlich hat
55. T. W. Allen, On the composition of some Greek mss. Journ.
of phil. XXII 157—183. XXIV 300—326
seine vorläuü? auf den Mediceus des Sophokles, Aschylus und Apolloniaa
und den Ravennas des Aristophaues ausgedehnten Untersuchungen über
Zusammensetzung griech. Hss geradezu auf die Quaternionen auf-
gebaut. Es sind nämlich vielfach die vom Schreiber bezw. vom üiorthoten
herrührenden Quaternionen-Signaturen erhalten, und diese erweisen neben
der bei Sophokles beginnenden, für diesen und für Äschylus nachweis-
baren Zählung eine zweite, Äschylus und Apollonius umfassende, bei
der die anscheinend nachträglich eingeschobenen folia 185 — 189 un-
berücksichtigt bleiben. Allen nimmt an, daß der Diorthot unbeschriebene
Quaternionen besonders für 2 Schreiber (a) Sophokles, b) Äschylus und
Apollonius) numerierte. Warum er hierbei auf die Gesamtfolge keine
Rücksicht nahm, läßt A. unaufgeklärt. Da von einer Hand Sophokles,
der 1. Quaternio von Äschylus und Apollonius, von einer anderen der
Rest des Äschylus herrührt, möchte ich annehmen, daß der 2. Schreiber,
für den die jetzt mit Äschylus und Apollonius beschriebenen Quaternionen
numeriert waren, aus irgend welchem Grunde seine Arbeit noch nicht
begonnen hatte, als der 1. Schreiber nicht nur Sophokles, sondern auch
einen Quaternio des Äschylus geschrieben hatte. Dieser 1. Schreiber
hätte dann dem 2. den Rest des Äschylus überlassen und sich dem
Apollonius zugewendet; so würde sich die nachträgliche Einfügung von
185 — 189 erst recht erklären. — Die dem Ravennas gewidmete, an
Details über Zusammenfügung vou Heften und Blättern, sowie über
Korrektur und Revision von Hss reiche Untersuchung gelangt nicht zu
so bestimmten Resultaten. — Jedenfalls ist durch 53—55 bewiesen,
daß abzuschreibende Hss öfters von vorneherein an mehrere Schreiber
verteilt wurden. Hierüber dürfte sich noch manches finden lassen, wenn
bei Benutzung von Hss darauf geachtet wird.
Nun mag, da sie vielleicht für Kontrolle und Entlohnung der
Schreiber in betracht kam, hier die Stichometrie Erwähnung finden.
56. Ch. Graux, Nonvelles recherches sur la stichometrie. Rev.
de phil. II 97 ff.
hat auf grund eines reichen in tabellarischer Form vorgelegten Materials
nachgewiesen, daß für die am Ende von Rollen und Hss üblichen Zeilen-
angaben auch bei Prosaschriften die Länge des Hexameters (34-88 Buch-
staben) maßgebend war.
57. H. Diels, Stichometrisches. Hermes XVII 377—384
hetont, daß die Alten die Normalzeile nach Silben berechnen und zwar
200 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
für ältere Schriften mit 15, für Galen (V 655 K, vgl. VIII 698, X 780,
E. ßohde, Stichometrisches. Rhein. Mus. XLIII 476—478 und H. Schöne,
ebdt. LII 135 — 137) mit 16, für Hippokrates mit 18 Silben. Ein versus
Virgilianus von 16 Silben wird genannt in einer auf Stichometrie der
kanonischen Schrilten und der Werke Cyprians bezüglichen Notiz einer
Cheltenhamerhs. die veröffentlicht ist von
58. Th. Mommsen, Zur lat. Stichometrie. Hermes XXI 142 —
156 u. (Abweichuncen eines Sangallensis) XXV 636—638.
Notizen über Stichometrie geben 23,
59. G. Vitelli, Spicilegio fiorentino. Mus. ital. di antichitä 1 1 ff.
(3. Sticometria delle opere di Giamblico. 7. (29—32) St. d. o. di
Gregorio Nazianzeno. 11. u. 14. (160—164. 173 f.) St. d. o. poetichej.
60. H. Omont, Eestauration d'un ms. de Lactance au XV!*^ siecle.
Bibl. d. chartes 1884, 563 f.
und (mir nicht zugänglich)
'■'61. Nestle, Stichen bezeichuung in alten Hss. Korrespondenz-
blatt f. würtemberg. Schulen XXX 512 f.,
ferner, namentlich über Partialstichometrie,
62. J. Buermann, Bavaricus und Marcianus. Hermes XXI 34 ff.
63 u. 64. F. Bürger, Stichometrisches zu Demosthenes.
Hermes XXIT 650 — 654 und Stich. Untersuch, zu D. und Herodot,
Progr. d. Luitpold-Gymn. München 1892. 42 S.
Als Kui'iosum mag endlich die Notiz von
65. R. Poerster, Zur Görlitzer Lucian-Hs. Rhein. Mus. 49, 167 f.
angeführt werden, nach welcher sich angeblich stichometrische Zahlen
als Seitenzahlen einer alten Ausgabe erwiesen haben.
Graux hat auch die von der Stichometrie durchaus unabhängige
Abteilung des Textes nach Sinnzeilen — Gardthausen schlägt S. 128
den Namen Kolometrie vor — behandelt. Soweit hierfür die Persönlich-
keit des Euthalius in betracht kommt, begnüge ich mich damit an-
zuführen :
*66. J. Harris Rendel, Stichometry. American Journal of
Philology IV (1883) 135—157.
67. A. Ehrhard, Der Codex H ad epistulas Pauli und Euthalios
diaconos. C. B. VHI 385—411.
68. E. v. Dobschütz, Ein Beitrag z. Euthaliusfrage. C. B. X
49—70.
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 201
Auf die kolometrische Abteilung eines inschriftlich erhaltenen
Psalraes macht aufmerksam
69. C. Wachsmuth, Ein inschriftl. Beispiel von K. Rhein.
Mns. LH 461 f.
Da es nicht angemessen scheint, die in die Berichtsperiode fallen-
den Veröffentlichungen von Subskriptionen — auf diese kommen wir
übrigens bei der Datierung der Hss zurück - und Palimpsesten —
das diesen bei 6 gewidmete Kapitel (III 8) ist in der 3. Aufl. gegen
die 2. fast gar nicht geändert — hier aufzuzählen, können wir gleich
EU Buchhandel und Bibliotheken übergehen, die wieder von Dziatzko
übersichtlich bei Pauly-Wissowa III 405 flf. uud 973 ff. behandelt sind.
Diese Artikel sind natürlich vielfach litterarhistorisch, so auch die inter-
essanten Aufsätze von
70. K. Dziatzko, Autor- und Verlagsrecht im Altertum. Rhein.
Mus. XLIX 559-570
und
71. L. Hänny, Schriftsteller und Buchhändler im alten Rom.
2. Aufl. - Leipzig, Fuß 1885. 2 M. 40.
Das Bibliothekswesen des Altertums ist vielfach behandelt worden,
so auch in zwei Arbeiten, die ich weder bei D. erwähnt finde, noch
selbst einsehen kann:
*72. Ernouf, Les bibl. de Fanliquit^. Le livre, Juni 1880.
*73. L. Olschki, Das Bibliothekswesen im Altertum. I. Weimar,
Weilibach 1889.
Nur zur ersten Einführung ausreichende Notizensammlungen sind
74. N. Mich au t, Pauca de bibl. apud veteres cum publicis tum
privatis. Paris, Berger-Levrault 1876. 70 S. 1 M. 50.
75. C. Castellani, Le bibl. nell' antichitä. Mailand, Hoepli
1884. XXIV u. 60 S. 2 M.
76. L. S. Olschki, Delle bibl. dalla loro origine fino all'etä
di Augusto. Rivista VII 55—61, 77—85.
Ahnliches entnehme ich für
*77. F. Garbelli, Le bibl. in Italia all' epoca romana. Ebdt. 1894
aus (vgl. S. 514, 4)
78. M. Ihm, Die Bibl. im alten Rom. C. B. X 513—532,
einer gründlichen Zusammenstellung der erhaltenen Nachrichten über
Bibl. und deren Verwaltung. Hervorzuheben ist 524, 59 die Erörterung
über die Schreibung bybliotheca, wobei bemerkt wird, daß Häberlin
(No. 24) sich mehrfach auf gefälschte Inschriften berufe, und 528—531
202 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
kurze Notizen über Bibliotheken anderer Orte. Im Anschluß an diese
erwähne ich die für Rekonstruktion antiker Bibliotheksräume wichtige
Abhandlung von
79. A. Conze, Die pergamenische Bibl. S.-Ber. Berl. Akad. 1884
II 1268 f.
und eine Notiz über die Ausgrabung des alexandrinischen Serapeums
durch Botti, Academy 1895. 1220, 230.
Das Altertum beinicksichtigen auch die populären, mit Abbildungen
geschmückten Arbeiten von
80. A. Lecoy de la Marche, Les anciennes collections de
mss., leur formation et leur installation. Gaz. des beaux arts XXXVI
(1887) 57—64, 141—147
der fürs Mittelalter besonders Frankreich und speziell die Pariser Bibl.
behandelt, und von
81. J. W. Clark, Libraries in the medieval and renaissance
periods. Cambridge, Macmillan 1894, 63 S. 3 M.
Im Mittelalter bewahrten zunächst Kloster- und Kirchenbibl. die
litterarischen Reste der antiken Welt. Die hier in betracht kommenden
Verhältnisse, z. B. Hülfsmittel und Kosten des Abschreibens und Preise
der Hss sind in vielen historischen und kulturhistorischen Werken be-
rührt und in Monogi'aphien nach den verschiedensten Gesichtspunkten
behandelt worden, so daß eine vollständige Aufführung der Litteratur
wohl als unthunlich bezeichnet werden kann. Ich nenne:
*82. M. de Wulf, Les monasteres et la transscription des mss.
au XIP sifecle. Magasin litteraire et scientifique, 5. März 1887
(Gand, Leliaert 28 S. 75 Pf.)
83. Tougard, Note sur la transscription des mss. grecs au
couvent de Grotta-Ferrata. Annuaire de Tassoc. pour l'encouragement
des etudes grecques VIII 441 — 446.
84. A. Czerny, Die Bibl. des Chorherrnstiftes St. Florian. Linz
1874. VI u. 246 S. 7 M. 20.
85. B. Cecchetti, Libri, scuole, maestri, sussidio allo studio nei
secoli XIV e XV. Archivio Veneto XXXII 329—352 (auf Venedig
bezüglich).
85b. K. Uhlirz, Beiträge zur Geschichte des Wiener Bücher-
wesens (1326-1445). C. B. XIII 79—163.
Auf
86. T. W. Allen, Palaeographica (III. A group of ninth-ceutury
Greek mss.) Journ. of phil. XXI 48—55,
Bericht üb. Paläographie u. Ilandschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 203
der aus Ähnlichkeit der Schriften den Bestand von Schreibschnlen er-
schließt, und
87. P. Battifol, Librairies byzantines ü Rome. M^lanjjes VIII
297—308,
der bei seinen Notizen über g;riech. Hss in Rom (7. — 10. Jh.) eine
eigene griech.-langobardische Schriftart erwähnt, kommen wir bei der
Geschichte der Schrift zurück; vgl.
88. V. Pflugk-Harttung, Über päbsfliche Schreibschulen der
älteren Zeit. Hist. Jahrb. der Görres-Gesellschaft IX 491 — 495
und die auf ein bestimmte Taxen erweisendes Aktenstück der päpstlichen
Kammer bezügliche Notiz von
89. Kirsch, Rechnung für Abschreiben und Einbinden von Büchern
aus dem Jahre 1374. Rom. Quartalschrift III 73 — 77.
Nicht zugänglich war mir die wohl im Ännuaire de lAube publie par
la Societe academique . . du departement de TAube oder in den Meraoires
der genannten Gesellschaft enthaltene Arbeit von
*90. Lalore, Note bur les mesures prises pour la conservation
des mss. dans la dioecese de Troyes du XI^ au XVIIIe siecle.
T. 1877, 14 S.
Wichtig sind die mittelalterlichen Bibliothekskataloge;
nach der Bemerkung, daß ich gelegentlich unter dieser Bezeichnung
auch luventare des 16., 17. oder 18. Jh. mitbegreife, bespreche ich gleich
91. G. Becker, Catalogi bibl. antiqui. Bonn, Cohen 1885.
IV u. 329 S. 8 M.
Der erste Teil des als ersten Versuches gewiß lobenswerten Werkes:
Catalogi saecolo XIII vetustiores giebt — freilich ohne Zurückgreifen
auf die Orginalquellen — den Abdruck von 137 K., während im 2. Teil:
Catalogus catalogorum posterioris aetatis für 206 Nummern nur die
Fundstätten angegeben werden. Das Werk hat zu vielen Nachträgen
Anlaß gegeben, von denen ich nenne: R. Beer, phil. Wochenschr.
V 822—829, Dümmler und M. Perlbach, C. B. 11 26—33, J. Huemer,
Phil. Rundsch. V 188—192, G. Meier, C. B. U 239—241, IV 254-260;
vgl. noch die vorher von ß. Foerster, Rhein. Mus. XXXVII 486,1 ge-
sammelten Bücherverzeichnisse.
92. Th. Gottlieb, Über mittelalterliche Bibl. Leipzig, Harassowitz
1890. XI u. 520 S. 14 M.
verzeichnet — mit Ausschluß alles Griechischen — nicht weniger als
1391 mittelalterliche Inventare mit Angabe des Fundortes und des
eventuellen Druckes. Sie sind nach Ländern geschieden, innerhalb dieser
204 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
nach dem Alphabet der Ortsnamen geordnet. Wertvoll ist der Abschnitt
über Anordnung der Bibliotheken im Mittelalter (299 — 329).
Auch zu diesem Buche haben die Rezensenten Berichtigungen und Nach-
träge geliefert; vgl. R. Beer, phil. Wochenschr. XI 1271—1275,
1302—1306, K. Kochendörffer, DLZ 1891, 620— G22, M. Perlbach,
C. B. VIII 127—130, S— n, LCB 1891, 686—689, u. L. Traube,
Wochenschr. f. class. Phil. VIII 505—508.
93 u. 94. M. Manitius, Philologisches aus alten Bibliothekskatalogen
(bis 1300). Ergänzungsheft zum 47. Bande des Rhein. Mus. Frank-
furt, Sauerländer 1892. 152 S. 3 M. 60. — Geschichtliches aus
alten Bibliothekskatalogen. N. Archiv XIV 171—174.
ordnet zunächst nach Autoren , erst die auf den gleichen Autor be-
züglichen Hss nach Ländern und Jh. Ich folge für die wenigen in der
Berichtszeit gedruckten Inventare, sofern mir nicht der hier erfolgende
Hinweis auf 92 zu genügen scheint, der Anordnung Gottliebs.
Eine beträchtliche Zahl mittelalterlicher Inventare enthält auch
der Anhang eines Werkes, das wie kein zweites das Entstehen geistlicher
und weltlicher Bibl. im Mittelalter und deren Verminderung (durch
Entlehnungen) und Vergehen veranschaulicht. Ich meine das einen
Teil der Histoire generale de Paris bildende Werk von
95. L. Delisle, Le Cabinet des mss. de la Bibl. nationale ä
Paris. Iiltude sur la formation de ce depOt, comprenant les eleraents
d'une histoire de la calligraphie, de la miniature, de la reliure et du
commerce des livres ä Paris avant l'invention de Timprimerie. 3 Bde.
(XXIV n. 575, X u. 551, VIII u. 531 S) u. Album (50 lithogr.
Taf. mit 306 Schriftproben). Paris, Tmprimerie imperiale, bezw. nationale,
1868, 1874 u. 1881. 100 fr.
Ich darf es wohl hier anführen, da es mit Hülfe eines umfassenden
Index (III 395 — 529) auch über viele nicht französische Bibliotheken
orientiert. Erst wer in diesem wegen der Fülle von Details manchmal
mehr zum Nachschlagen als zum Studium geeigneten Buche heimisch
geworden ist, wird so recht verstehen, welche Anforderungen an die
Hbs Verzeichnisse gestellt werden müssen, die wir nun im 2. Be-
richtsteile auf grund der bibliographischen Hülfsmittel und der Re-
zensions-Zeitschriften, unter denen die Jahresberichte der Ge-
*schicht8wis8enschaft (Wattenbach), die Byzantinische Zeit-
schrift und namentlich das Centralblatt für Bibliothekswesen
(Generalregister zum L — X. Bd. v. C. Häberlin. Leipzig 1895. V
(108 — 115): Geogi-aphisches Register) rühmend hervorzuheben sind,
nach Ländern zusammenstellen wollen.
Bericht üb. Paläographie u. Uandschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 205
Rührt doch {größtenteils von Meister Delisle auch die Instruktion
für den General-K. der französischen Hss her:
96. Note sur la redaction des c. de mss. Bulletin des bibl. et
des archives I 94—109 (vgl. C. B. IV 263 ff.).
Auf diese bezieht sich der rührige Censor neuer Kataloge
97. G. Meier, Wie sollen Hss-K. beschaffen seinV C. B. II
463—471.
Endlich hat für einen kurzen K. der klass. Hss Englands ein
Schema gegeben
98. E. M. Thompson, Scheme for a c. of class. mss. Class. rev.
I 217 f. (vgl. 38—40).
Wir werden auf diese Grundsätze bei Beurteilung einzelner
Publikationen vielfach zurückkommen und hierbei auch auf Omonts
Beispiel verweisen; einige allgemeine Bemerkungen weyden sich passend
an 98 anknüpfen lassen. Sicherlich mul.l der K. zunächst Signaturen,
Material und Format (am besten Höhe und Breite in cm; Th. verlangt
Seitenzahl und -große), sodann eine eventuell vorhandene Datierung
oder doch die Periode bezeichnen, für welche natürlich der Schrift-
charakter wesentlich in betracht kommt. Vgl. oben S. 191 und
99. G. Meier. Bemerkungen über die Bestimmung des Alters
von Hss. C. B. II 225—231.
Auf ein Verzeichnis unrichtiger Datierungen gestützt und unter
Hinweis auf die Schwierigkeiten mahnt M. zur Vorsicht. Er verweist
auch auf historische Berechnungen (Comput), in denen gewöhnlich das
laufende Jahr (allerdings oft das der Vorlage) als Beispiel gebraucht
wird. Über Irrtümer, die in diesen Berechnungen und in den
Datierungen der Subskriptionen häufig vorkommen, orientieren außer
Gardthausen (365 ff., 384 ff.)
100 u. 101. A. Jacob, La souscription du Parisinus grec 200.
Rev. de phil. XI 78 f. — Quelques problemes de comput. Ebdt.
Xni 118—128.
102. H. Lebegue, Nouveaux probl. de c. Ebdt. XV 132—138
und mit dem Wunsche, daß bald ein BoUandist ein Corpus Kalen-
dariorum gebe,
103. P. Lejay, Notes latines. Ebdt. XVIII 42-59.
Gute Dienste kann leisten
104. Mas-Latrie, Glossaire des dates ou explication par ordre
alphabetique des noms peu connus des jours de la semaine, des moig
206 Bericht üb Paliiographie u. Handschriftenkuade. (Beer u. Weinberger.)
et autres epoques de Tann^e employös dans les dates des docuraents
du moyen-age. Cabinet historique XXIX (1883) 44—57, 137—162,
231—256.
98 verlangt weiter die (für Identifizierung, oft auch für Wert und
Stellung der Hs wichtige) Geschichte, Angabe der früheren Eigentümer
und des (iiiefür durch Wappen u. dgl. in betracht kommenden) Ein-
bandes. Angesichts der zahlreichen Entdeckungen auf Buchdeckeln und
Deckblättern will ich hier erwähnen
105. Bernardakis, Über Papyrus als Buchdeckel, gefunden in
der Klosterbibl. des Sinai. Verh. d. 33. Philol.-Versammlung in
Gera 1879, S. 88—92.
B. fand brettartig zusammengefügte Papyri mit griech. Schrift
als Karton in nichtgriech. Hss.
98 giebt sodann die Titel (zwischen Anführungszeichen, wenn
sie in der Hs stehen; doch sind auch andere Unterscheidungen durch
Druck oder durch Klammern möglich) u. z. nicht ohne Grund griechisch
für griech., lateinisch für lat. Hss und die Folienzahlen (beispiels-
weise f. 60 und f. 60 b), bei UnvoUständigkeit die Anfangs- bezw.
Endworte. Dies letztere ist wohl auch bei wirklichen oder — ver-
meintlichen Ineditis nötig. Derlei Stücke erfordern nebst einer guten
Handbibliothek und reicher Erfahrung viel Glück und richtigen Takt.
Kann doch nicht jeder Miscellankodex so gründlich beschrieben werden
wie der Codex 2773 miscellaneus Graecus der großherz. Hofbibliothek
zu Darmstadt von L. Voltz u. W. Crönert (C. B. XIV 537—571).
Im allgemeinen wird eine kurze Charakterisierung des Inhaltes und die
Angabe eines zweckdienlich gewählten Initiums genügen. Denn es
muß auch hier daran festgehalten werden, daß Kürze und Übersicht-
lichkeit selbst über die Genauigkeit gehen.
Der bei 98 folgende Abschnitt Bibliography (nach diesem werden
nur noch Eigentümlichkeiten wie Schollen, Korrekturen, Lücken, endlich
Ornamente angegeben) ist in den beigefügten Beispielen sehr kurz ge-
halten. 96 verlaugt genaue Titelangabe nur bei einer die Hs speziell
betreffenden Arbeit; dazu wird C. ß. IV 265 bemerkt: 'Die Verfasser
der Instruktion scheinen von der Überzeugung ausgegangen zu sein,
daß das Beste stets des Guten Feind ist, und haben darum darauf ver-
zichtet, die Angaben darüber, ob und wo der Inhalt dieser fraglichen
Hss schon ediert sei, hinzuzufügen.' Wie richtig dies sei, erkennt man
leicht, wenn man nachliest, was 99 diesbezüglich verlangt Dagegen
hat sich Meier mit Recht gegen Anecdota und ähnliche Zugaben aus-
gesprochen, die Umfang und Preis der Kataloge erhöhen, das Erscheinen
der Bände verzögern und so oft die Vollendung des Ganzen vereiteln.
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 207
Beachtenswert ist auch sein Vorschlag, sich der internationalen Ver-
breitung wegen möglichst der lateinischen Sprache zu bedienen.
Endlich mögen, da die Beschreibung gerade der liturgischen
Stücke besondere Schwierigkeiten bietet, hier genannt werden:
106. W. Brambach, Psalteriuni, Bibliographischer Versuch über
die liturgischen Bücher des christl. Abendlandes. Dziatzkos Sammlung
bibl.-wissenschaftl. Arbeiten I. Berlin, Asher 1887. VIII u. 56 S.
2 M. (vgl. die Anzeige von G. Meier, C. B. V 95 f.)
107. H. Ehrensberger, Bibl. liturgica ms. Nach Hss d. großherz.
Hof- u. Landesbibl. in Karlsruhe. Mit einem Vorworte von W.
Brambach. K., Groos 1889. 84 S.
nach C. B, VI 322 ein „meisterhaftes Verzeichnis und durch die An-
gaben an der Spitze der 23 Abteilungen Muster und Wegweiser für
Bibliographen und Bibliothekare".
Ob etwa dem Anfänger das systematisch geordnete Verzeichnis
lat. und französischer, bei Kollationen in betracht kommender Termini von
108. A. Jacob, Sylloge vocabulorum ad conferendos demon-
strandosque codd. graecos utilinm. Eev. arch. 1883 (III. Serie I
209-215, 309—317, II 29—38)
nützen kann, ist mir zweifelhaft: mich erinnert es au die noch an-
zuführende Notiz von
109. Sp. Lambros, (p'jXaxe;, ein mißverstandener paläographischer
Terminus. Byzant. Zeitschr. VI 566—568.
Es handelt sich um Lesezeichen, welche fest an eine Seite, ge-
wöhnlich in der Mitte des äußeren, dem Rücken entgegengesetzten Teiles
eines Blattes angeklebt werden. Es sind kleine Stücke Papier, welche
über das Blatt hinausragen und eingeschoben werden, um einen be-
sonders interessierenden Teil gänzlich einzufassen.
Lesen soll aber jeder, der zum ersten Male an die Benutzung von
Hss geht, Thompsons ergötzliche Weisungen für die Aufsichtsbeamten
(Library Chronicle IV 33 — 39), die ich nur in der französischen Fassung
kenne:
110. E. M. Th., Sui' l'arrangement et la conservation des mss.
Bibl. d. chartes 1887, 512—520.
Er wird dann manches vermeiden, was den Hss schadet; vielleicht
frommt ihm auch einmal die wieder in der Bibl. d. chartes 1880, 451
Teröffentlichte Notiz über hydrosulfure d'ammoniaque, das die verblaßte
Tinte auf Pergament wieder aufleben läßt, oder die praktische Er-
fahrung, von der ich nicht weiß, ob sie irgendwo gedruckt ist, daß
mäßiges Befeuchten mit — Wasser die gleiche momentane Wirkung hat.
208 Bericht üb. Paläographie u. Uandschriftenkundc. (Beer u. Weinberger.)
n. Handschriften-Verzeichiiisse.
1. Italien.
111. E. Narducci, VervoUständig-tes Verzeichnis der öffentlichen
Bibliotheken Italiens. Neuer Anzeiger f. Bibliographie und Biblio-
thekswiss. XLTV (1883), 193
und wohl auch das mir nicht zugängliche Verzeichnis
*112. Le bibl. d'Italia, clenco generale e indici special!. Mailand
1893. 72 S. 4. 2 M.
ist antiquiert durch
113. G. Ottin 0 e G. Furaagalli, Bibl. bibliographica Italica.
Rom, Pasqualucci 1889. XXIII u. 431 S. 20 M. Supplemento
Turin, Clausen, 1895. XXII u. 244 S. (1896 u. 1897 erschienen
zwei je auf ein Jahr — 1895, 1896 — bezügliche Supplementhefte,
45 u. 39 S. ä 2 L. 50.)
In den einschlägigen Abschnitten dieses Werkes sind alle Bibl.
mit der sie betreffenden Litteratur verzeichnet. Nur ergiebt sich trotz
des Artikels Manoscritti im Index vielfach nicht, ob eine Bibl. auch
Hss, noch weniger, ob sie lat. und griech. enthalte. Ich rechne für
künftige Berichte auf die bewährte Liebenswürdigkeit, namentlich
italienischer Fachgenossen ; für den vorliegenden konnte ich nur Werke
berücksichtigen, in denen unzweifelhaft Hss behandelt sind.
Die anläßlich der Wiener Weltausstellung vom Jahre 1873 unter
dem Titel von Cenni storici für die meisten Bibl. in den Jahren 1872
— 1875 veröffentlichten Notizen über Stand und Zusammensetzung habe
ich beiseite gelassen; selbst wenn sie seither nicht überholt sind, bieten
sie für Hss meist nicht viel und sind zudem außerhalb Italiens kaum
zu beschaffen.
Der letztere Umstand ist mir auch sonst oft hinderlich gewesen.
Habe ich doch nicht einmal den Bibliottlo di Bologna in Wien ein-
sehen können, so dal! ich z. B. nicht weiß, auf welche Bibl. sich
*114. G. Angelini, Di un cod. greco coutenente la Cronaca
bisantina di Giorgio Franza. Bibliofilo di Bologna XIV (1883)
bezieht. Oder was hülfe es, nicht zugängliche Abhandl., wie
*115. A. Battandier, Notice sur un ms. de la bibl. du cardinal
duc d'Yorck, eveque de Frascati (Italie). Bevue de Fart chretienne.
n. Serie, XV (1882, 123 S.).
*116. F. Dominici-Lougo, Le pergamene del monastero di S.
ilargharita di Polizzi. Termini-Imeresse 1880, 16 S. 4
Bericht üb. Paläographie u. Hancischriftenkundc. (Beer u. Weinberger.) 209
unter einem bestimmten Ortsnamen einzureihen, da ich doch nicht weiß,
welcher Sprache die betreffenden Schriftwerke ang:ehören, bei pergramene
überdies eher an Urkunden zu denken ist.
Die nur historische Dokumente berücksichtigenden Reisebe-
richte (wie J. V. Pfluffk - HartUHj^s Iter Italicuni. Stuttgart 1883 ff.)
und Abhandlungen habe ich nämlich — wo nicht besondere Gründe zu
einer Ausnahme nötigten — stillschweigend übergangen. Ähnlich habe
ich es mit den K. italienischer Hss gehalten. So sind aus den vom
italienischen Unterrichtsministerium publizierten Indici e cataloghi
lediglich die Beschreibungen lat. Hss bietenden Bände bei Florenz und
Mailand hervorgehoben. Nur auf
117. G. Mazzatiuti, Inventari dei mss. delle bibl. d"Italia.
I (einziger) Band. Turin 1H87, Löscher. 160 S. 5 L.
118. G. Mazzatinti, Inventari dei mss. delle bibl. d'Italia.
I— VI, Forli 1891—1897
ist bei allen dort behandelten Bibl. verwiesen, da eine Bibl. selten völlig
der lat. Hss entbehrt, besonders aber da es von Wert sein kann, zu
wissen, daß eine Bibl. klassische Hss nicht enthalte. Zur Charakteristik
des verdienstlichen, von verschiedenen italienischen Gelehrten gearbeiteten
"Werkes ist zu bemerken, daß im allgemeinen mehr Übersichtlichkeit und
Knappheit zu wünschen wäre. Die Hss werden nicht gruppiert, Originale
und Übersetzungen im Texte nicht scharf, im Index oft gar nicht ge-
schieden. Griech. Hss, für die griech. Typen nicht zur Verfügung zu
stehen scheinen, werden nur durch den Beisatz 'testo greco' gekenn-
zeichnet. Es ist daher freudig zu begrüßen , daß sich der griech. Hss
ohne Rücksicht auf Mazzatiuti angenommen hat
119. E. Martini, C. di mss. greci esistenti nelle bibl. Italiane.
I.Band, I.Hälfte, Mailand, Hoepli, 1893, XIII u. 218 S. 8. 2. Hälfte
S. 219-430, 1896. ä 8 L. 50 c.
Auch auf dieses Werk wird jeweils verwiesen werden. Es ent-
spricht weit mehr wissenschaftlichen Anforderungen, wenn es auch nach
Aliens richtigem Urteil hie und da zu ausführlich ist (vgl. die über
den Bestand der in der 2. Hälfte behandelten Bibl. genau orientierende
Anzeige von A. Ehrhard, Byzant. Zeitschr. VI 410 — 417).
Dieser um die Kunde griech. Hss Italiens besonders verdiente
englische Gelehrte hat zunächst einzelne Aufsätze in den Jahrgängen
1889 u. 1890 der Classical Review veröffentlicht, die dann, mit einer
nützlichen Einleitung versehen, vereinigt erschienen:
120. T. W. Allen, Xotes on Greek mss. in Italian libraries.
London 1890. 62 S 4 M. 20.
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVIIL (1898. III.) 14
210 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
Dieses Scbriftclieu ist, obwohl es nur eine Auswahl von Hss bietet
und von Flüchtigkeiten nicht frei ist, nicht nur für die Bibl. wertvoll,
frir deren Katalogisierung nichts weiter geschehen ist — ihrer sin»!
erfreulicherweise nur wenige — sondern auch wichtig durch die Publi-
kationen, zu denen es angeregt hat. Über diese hat Allen selbst zu-
sammenfassend mit treffendem Urteil berichtet:
121. T. W. Allen, Recent Italian catalogues of Greek mss.
Class. Rev. 1896, 234—237.
Namentlich empfiehlt er mit Recht die in den Studi italiani, deren
einzelne Abhandlungen später anzuführen sein werden, befolgte, im
wesentlichen auf Omonts Inventaires zuiückgehende Methode.
Auf die Mängel von 120 hat bei seiner Übersicht über die vor-
handenen Publikationen hingewiesen:
122. A. Ehr bar d. Zur Katalogisierung der kleineren Bestände
griech. Hss in Italien. C. ß. X 189—218,
der nur für Genua Positives bietet.
Endlich hat die auf griech. Hss bezüglichen Publikationen der
letzten 1 0 Jahre mit kurzer Charakterisierung und gelegentlichen Nach-
trägen der Berichterstatter zusammengestellt:
123. W. "Weinberger, Adnotationes ad graecos Italiae Codices
spectantes. Wien (Programm des Gj'mnasiums im 19. Bezirke)
1897. 24 S.
Da die örtlich nicht immer fixierbaren Bibl. einiger Humanisten
doch passend bei bestimmten Orten besprochen werden können (so bei
Ferrara Guarini, bei Florenz Laskaris, bei Viterbo Latino Latini,
bei Pavia Petrarca, bei Modena Valla), sind nur wenige Schriften
hier anzuführen, ehe ich daran gehe, die auf einzelne Bibl. bezüglichen
Schriften nach dem Alphabet der Ortsnamen zusammenzustellen,
nämlich :
124. L. Dorez, Un document sur la bibl. de Theodore Gaza.
Revue III 385—390.
Der die Ausführung des Testamentes von Gaza, der 2 Hss dem
Andronikos Kallistos, die übrige Bibl. dem Demetrios Chalkondylas
vermachte, betreffende Notariatsakt ist in S. Giovanni a Piro (bei Poli-
castro), wo G. starb, aufgenommen.
*125. C. dei libri, codici e mss. appartenenti al filologo cavaliere
abbate Giuseppe Manuzzi. Florenz 1878, 262 S. (in 113 unter den
jetzt verstreuten Bibl. angeführt;,
endlich der 2. Teil von 86 (An ancient Greek monastery c. Joiirn.
of philol. XIX 65— 68j, da bei der noch nicht gelungenen Identifizierung
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 211
TT)? ixovTj? Tov (so) a7tu>v (XTroaToXtuv ^v navT) (monasterium S. Petri et
Pauli de Spanopetro, Isole di S. Pietro e san Paolo im Golf von Tarent?)
auch an italienische Örtlichkeiten gedacht wird.
Alba s. Mazzatinti (117) S. 56.
Ancoua s. , (118) VI 1.
Andria s. „ (118) VI 115.
Aquila s. „ (117) S. 30.
Arezzo s. „ (118) VI 170.
Über eine lat. Hs berichtet
126. C. Kohler, Note sur ua manuscrit de la bibl. d'Arezzo.
Bibl. d. Charles XLV 141 if.
Assisi s. Mazzatinti (118) IV 21.
Asti s. „ (117) S. 54.
Baguacavallo s. , (118) VI 13.
Bari.
127. Bern abei, Le pergamene della cattedrale di B. Rendiconti
della r. Accad. dei Lincei. 4. Serie II (1886) 557—562
"bezieht sich, abgesehen von einem mit Malereien geschmückten Exultet,
nur auf Urkunden (darunter 2 griech): ich erwähne jedoch die Notiz,
weil sie die unrichtige Nachricht (vgl. Eiani, Revue critique 1886 No. 21)
von der Auffindung von Diplomen mit Silberschrift auf blauem Perga-
ment widerlegt. Unzugänglich war mir
*128. J. X. Barbier de Montault, Les mss. du tr6sor de B.
Tarbuse 1876.
Barletta s. Mazzatinti (118) VI 117.
Belluno s. , (118) n 118.
Für Bergamo ist zu vergleichen:
129. J. L. Heiberg, Bibliotheksnotizen. Philologus LV
(N. F. IV) 735.
Bevacqua s. Mazzatinti (118) I 278.
Bisceglie s. „ (118) VI 125.
Bitonto s. „ (118) VI 22.
Bobbio. Wo jetzt die meisten Hss der berühmten Klosterbibl.
zu finden sind, ergiebt sich aus den Titeln von:
130. G. Ottino, I codici Bobbiensi della Bibl. nazionale di
Torino. T., Clausen 1890. VIII u. 72 S. 4 L.
131. 0. Seebaß, Hss von B. in der Vatikanischen und
Ambrosianischen Bibl. C. B. XIII 1-12. 57-79.
14*
212 Hericht üb. Palaocraphie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberarer.)
Letzterer ^iebt 76 ff. auch über die sonst nachweisbaren Hss des
K. vom J. 1461 Anfschhil.'): über vereinzelte Bobbienser Hss in Florenz,
Madrid (?), Neapel, Paris, Wien und Wolfenbüttel ist noch (namentlich
S. 446) zu vergleichen die gfut orientierende Abhandlung von
132. Th. Gottlieb, ITber Hss aus B. C. B. IV 442—463.
138. 0. V. Gebhardt, Ein Bücherfuud in B. C. B. V 343—
362, 383—431, 5.38
bespricht namentlich die Liste Merulas. der 1493 den Fund machte.
Bologna. Die griech. Hss sind mit der erwünschten Genauigkeit
beschrieben von ,
134. A. Oli Vieri (u. N. Festa), Indice de" codici greci Bolognesi.
Studi III 385—496 [dazu ein Nachtrag von Puntoni, Studi IV 365
—378].
Festa hat nur anhangsweise die Beschreibung zweier Hss, die sich
in der erzbischöflichen und 1, die sich in der Bibl. desCoUegio di Spagna
befindet, beigegeben; die 58 Hss der Universitäts- und die 22 der
Municipal-Bibl. hat 0. bearbeitet. Auf die Universitätsbibl., die im
Jahre 1866 die Bibl. S. Salvatore in sich aufgenommen hat, beziehen sich
135 u. 136. L. Frati, La bibl. dei canonici regolari di S. .Salva-
tore in Bologna. Rivista II 1 — 6. — I codici Trombelli della bibl.
universitaria di B. ebdt. V 65 — 76.
F. giebt eine kurze Geschichte der Bibl., die 530 lat. Hss..
34 griech., 12 hebräische, 157 italienische, 1 französische, 1 slavische
und eine arabische umfaßt; nur 180 sind älter als das 15. Jahrhundert.
Betreffs des Klosterabtes Trombelli, der zur Zeit Bandinis für die Er-
werbung von Hss thätig war, erweitert er einen Aufsatz, den ich nicht
eingesehen habe:
*137. E. Lamma, I codici Trombelli della bibl. universitaria
di B. Propugnatore N. S. VI H. .34/35.
Bosa s. Mazzatinti (118) VI 13.
Brescia. Für die griech. Hss der Bibl. Quiriniana s. Martini (119)
8. 223 ff
Cagli s. Mazzatinti (118) II 111.
Camerino s. „ (117) S. 23.
Canosa s. , (118) VI 123.
Capua s. „ (117) 8. .30.
Casale s. ,, (117) 8. 66.
Castranova di Sicilia s. Mazzatinti (118) III 239.
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. VVeinberger.i 213
Für Catania sind zu vergleichen die Notizen von
138. F. Rühl, Bemerkungen über einige ßibl. von Sicilien.
Philologus XLVII (I) 577 if. (583j.
Außerdem nenne ich eine Abhandlung, die ich nur dem Titel
nach kenne:
*139. C. Cali, Di «n codice de' Priapea nella Benedettina
di Catania. C, Giannotta 1892, 43 8. 8. 1 L.
Daß die Bibl. des aufgehobenen ßenediktinerklosters S. Nicola di
Arena in den Besitz der Stadt überging, ergiebt sich aus der Notiz von
140. 0. Hartwig, Hsliches. N. Archiv VIII (188.3) .381 t.
La Cava.
141. Cod. diplomaticus Cavensis nunc primum in lucem editus
cnrantibus M. Morcaldi, M. Schiani, 8. de 8tephauo. Accedit appendix,
qua praecipua bibl. ms. niembranacea describuntur per B. Caetano de
Aragonia, I. Band Neapel, Piazzi 1873, die folgenden (mir haben im
ganzen 8 vorgelegen) Mailand, Höpli 1875—1893. k 30 M.
In der besonders paginierten Appendix werden die lat. Hss des
Klosters (etwa 60), von denen einige bis ins 7. Jh. zurückreichen, aus-
führlich beschrieben, beziehungsweise (codex legum Langobardarum) her-
ausgegeben.
Cesena.
142. A. Martin, Les mss. grecs de la bibl. Malatestiaua ä C.
Melanges II 224—233.
143. ß. Zazzeri, Sui codici e libri a stampa della bibl. Malatestiaua
di C. C. Vignazzi 1887. XXXIl u. 58G 8. 16. 7 L.
M. giebt einige Nachträge zuMucciolis Katalog, der 1780 erschienen
ist, während Z. an eine Geschichte der Bibl. Notizen reiht, die einem
vollständigen K. nahezu gleichkommen.
Cittä di Castello s. Mazzatinti (118) VI 8.
Cividale del Friuli s. „ (118) III 161.
Como s. „ (118)11 103 u.AIartini(119)8.289.
Cortona.
144. G. Mancini, I mss. della libreria del Comune e dell'
Accademia Etrusca di C. C. Bimbi 1884. 284 8. 4 L.
Für den Mangel an Übersichtlichkeit ist es wohl charakteristisch,
daß zwar das Vorhandensein einer griech. Hs in der Vorrede erwähnt,
diese aber weder dort bezeichnet, noch im K. hervorgehoben wird.
Cremona s. Martini (119) 297 ff.-
Crescentino s. Mazzatinti (117) 8. 46.
214 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
Cuneo s. Mazzatinti (117) S- 77.
S. Elia di Carbone nella Capitauata. Ein mittelalterliches Inventar
veröffentlicht
145. P. Battifol, Vier Bibl. von alten basilianischen Klöstern
in Unteritalien. Römische Quartalschrift III 32.
Empoli s. Mazzatinti (117) S. 29.
Fabriano s. „ (118) I 231.
Faenza s. „ (118) VI 242.
Ferrara.
Von 146. G. Antonelli, C. dei mss. della Civica Bibl. di F.
F., Taddei, 1884, 312 S. 4. 5 L.
hat mir nur der 1. Teil vorgelegen, der nur italienische Hss enthält.
Die griech. sind beschrieben von Martini (119) 327 ff. und nach Mit-
teilungen des Bibliothekars Gennari von
147. H. Omont, Les mss. grecs de Guarino de Verone et la
bibl. de F. Revue II (1892) 78-81.
Hss von Guarino giebt es in Erlangen, Paris. Rom, Wien und
"Wolfenbüttel, doch findet sich weder in diesen Bibliotheken, noch in
Ferrara irgend eine von den 54 griech. Hss, die Guarino nach dem
von 0. aus einer Pariser Hs veröffentlichten Verzeichnis in F. hinter-
la8sen haben soll. Über G. ist noch zu vergleichen das nach dem
Alphabet der Autoren geordnete Verzeichnis von
148. R. Sabbadini, Codici latini posseduti scoperti illustrati
da Guarino Veronese. Museo italiano di antichitä classiche II (1887)
373—455 (vgl. ebdt. 8. 81—94).
Wie bei Ferrara Guarino, ist bei Florenz Janos Laskaris zu
erwähnen. In den Mittelpunkt stelle ich
149. K. K. Müller, Neue Mitteilungen über Janos Laskaris
und die mediceische Bibl. C. B. I 333—412.
Hsliche Listen werden als ßeisenotizen, Desideratenliste und In-
ventare des Laskaris, bezw. der Laurentiana gedeutet und so des Las-
karis eifrige und weitreichende Thätigkeit im Dienste der Mediceer be-
leuchtet. Die Abhandlung ist für Geschichte des Humanismus, der
Anfertigung und des Vertriebes von Hss wichtig durch sorgfältige Be-
nutzung und reiche Angabe der Litteratur, aus der ich hervorhebe
150 — 154. E. Piccolomini, Delle condizioni e delle vicende
della libreria Medicea privata dal 1494 al 1508. — Inventario della
libr. Med. compilato nel 1495. Archivio storico Ital. III. Serie XIX
100—129, 254—281. XX 51—94. XXI 102-112, 282—296 (auch
Bericht üb. Paläographie u, Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 215
separat). — Due documenti relativi ad acqnisti di codici ^ved fatti
da Giovanni Lascaris per conto di Lorenzo di Medici. Riv. di filol.
II 401—423 u. III 150 ff.
Genauer als das von P. veröffentlichte Inventar von 1456 ist das
von 1464 bei
155. E. Müntz, Les collections de Mödicis au XV^ siecle. Bibl.
internationale de l'art. Paris 1888. (S. 44—49.;
Nur aut das Gebäude bezieht sich
156. B. Podesta, Documenti inediti per la storia della libreria
Laurenziana. ßivista I 18 — 20, 56 ff. u. s. w.
Ergänzungen zu Müller bietet
157. P. de Nolhac, Inventaire des mss. grecs de Jean Lascaris.
Melanges VI 251—269,
der die jetzigen Pariser Nummern dieser Hss Omont vorbehält. Nach
Paris (vgl. 95, I 207) sind die Codd. durch Katharina von Medici
gekommen, die sie wieder von Ridolfi erhalten hat. Über diesen sind
zu vergleichen:
158. L. Dorez, TIn document nouveau sur la bibl. de Jeaa
Lascaris. Revue II (1892) 280 f.
und
159. H. Omont, Un premier c. des ms. grecs du cardinal Ridolfi.
Bibl. d. chartes XLIX (1888) 309-324.
D. weist nach, daß Ridolfi nach Laskaris Tod dessen Hss als
Gläubiger mit Beschlag belegte, 0. veröffentlicht aus dem Vallicellianus
C 46 ein Verzeichnis der Ridolfiani. — Endlich mögen in diesem Zu-
sammenhange noch kurze Erwähnung finden:
160. R. "Welzhofer, Die von Cosimo de Medici angekaufte
Plinius-Hs. Jahrbücher f. Philol. CXXIII 805-807.
161. L. Dorez, Recherches sur la bibl. de Pier Leoni, m^decia
de Laurent de Medicis. Revue VII 81—106 (vgl. IV 73—83).
Über den gegenwärtigen Verbleib der 4 griech. und der 18 lat.
Hss Leonis ist nichts bekannt.
Auf dif Laurentiaua beziehen sich
162. E. Rostagno e N. Festa, Indice dei codici greci Lau-
renziani non compresi nel catalogo del Bandini. Studi I 129 — 232.
163. Rostagno, Codici greci Laurenziani meno noti. Studi
n 154.
216 Bericht üb. Paläoiiraphie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
Während 163 auf einige von Bandini, dessen Katalog 1764 er-
schien, nur im Nachtrag- erwähnte Codices hinweist. ?iebt 162 einen
sorgfältigen K. der ans den aufgehobenen Klöstern (namentlich S. Marco;
über Hss, die Schellersheira aus der Bibliothek der Abbazia di Firenze
entwendet hat. vgl. G Vitelli, Seh. e i codici greci di Badia. Studi I
441 f.) und anderweitig in die Laurentiana gebrachten griechischen
Hss. Hier werden auch die griech. Ashburnhamiani genau be-
schrieben. Ein K, der lat. Ashb. erscheint heftweise (mir haben
4 Hefte vorgelegen) im 8. Bande der Indici e cataloghi von.
164. C. Paoli, I codici ashb. della r. bibl. Mediceo-Lauren-
ziaua di Firenze. Rom 1887 ff.
Über diese Sammlung und Libris Anteil an ihrer Entstehung
sind anläßlich der Erwerbung der Sammlung durch die italienische
Regierung so viele Notizen und A-bhandlungen veröffentlicht worden,
daß ich auf die Bibliographie bei
1G5. E. Pierret, Essai d'une bibliographie historique de la
Bibl. Nationale. Paris, Bouillon, 1892. 162 S.
9. Abschn. S. 125—144. No. 529—617 verweisen muß und nur die
Hauptpunkte, meist im Anschluß au
166. L. Delisle, Notice sur les rass. du fonds Libri conserv6s
a la Laurentienue ä Floreuce (aus Notices et extraits des mss. de
la bibl. uat. XXXII 1) 124 S. 4 (übersetzt von Gr. Ottino im Bol-
lettino deir istruzione, Rom 1886)
hervorheben kann.
In Ashburnham-Place waren mehrere Hss-Sammluugeu vereinigt,
auf die wir noch bei Lyon, Orleans, Paris, Tours, Dublin und
London zurückkommen. An ihrer Zusammentragung hat Gruglielmo
Libri hervorragenden, aber unrühmlichen Anteil genommen; er hat
unzweifelhaft Hss gestohlen. Andererseits betont
167. A. V. Reumont, G. L. und die Ashb. Hss. Histor. Jahr-
buch d. Görresges. IV 333—337
in einer kurzen Biographie Libris, daß man in den Anschuldigungen
gegen ihn vielfach zu weit gehe. Jedenfalls hat England mit Recht
eine Anzahl von Hss für Frankreich reserviert. Ich verweise auf 166,
S. 103—114 und bemerke, daß die historische Einleitung (Les mss. des
fonds Libri et Barrois ä la Bibl. Nationale) zu dem K. der jetzt in
Pai"iB befindlichen Hss:
168. L. Delisle, C. des mss. des fonds L. e. B. Paris, Champion
1888. 116 und 332 S.
auch besonders erschienen ist.
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 217
Der größte Teil der Libri-Hss wurde von der italienischen Re-
gierung käuflich erworben; hierfür kommen in betracht:
169. C. of the mss. at Ashburnham Place. London, Hodgson
sine anno (Libris Katalog).
170. Eighth report of the Royal Commission on historical mss.
Appendix. Part III (London 1881) S. 41—72; übersetzt in den Atti
parlamentari. Camera dei deputati ... 12 ... 17 giugno 1884.
171. BerichtiguDgen zu dieser italienischen Übersetzung von
Villari in der Rassegua vom 10. September 1885.
172. E. Narducci, Indici alfabetici dei codici mss. della coUe-
zione Libri-Ashburnhani ora nella ßibl. Mediceo-Laurenziana di Fi-
renze per uso dei catalogo pubblicatosene in Italia premessavi la nota
dei codici sopranuraerari o dei posteriormente ritrovati. Estratto
dal 'Buonarotti': Rom 1886. VII und 34 S.
N. hat, also für die Indizierung der italienischen Fassung von
No. 170 die Hss berücksichtigt, welche zwar im englischen Katalog
nicht stehen, aber doch als Libri-Hss nach Florenz kamen. Über diese
ist 166 S. 4, A. 2 zu vergleichen. Es ist ferner noch zu bemerken,
daß Delisle in dieser Hauptabhandlung für eine große Zahl von Floren-
tiner Hss Beschreibungen und auch Facsimilia giebt. Über den 2. auf die
Saibautini bezüglichen Anhang des Werkes werden wir besser bei Verona
sprechen. Dagegen sind hier noch zu erwähnen:
173. Th. Stangl, Die Bibl. Ashburnham. Philologus XLV 201 ff.
Auf Notizen über Geschichte und Verkauf der Bibl. folgt ein
alphabetisch geordnetes Verzeichnis fast aller philologischer und der
wichtigsten theologischen Hss, sowie die Behandlung einzelner Hss
(Cäsar, Sallust. Valerius Maximus).
174. N. Anziani, Cenno storico sui codici Ashburnhamiaai
mancati al riscontro di consegno. Florenz 1894.
Die griechischen Hss der übrigen Florentiner Bibliotheken behandelt
175. G. Vitelli, Indice de' codici greci Riccardiani, Maglia-
bechiani e Marncelliani. Studi II 471 — 570,
dazu ein nicht gerade bedeutender Nachtrag von
176. A. Oli Vieri. Indicis codicum Magliabechianorum supple-
mentum. Studi V 401—424.
Foggia s. Mazzatinti (118) IV 142.
Foligno.
218 Bericht üb. Paläograpbie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
*177. G. ßotti, Le Schede membranacee della bibl. comunale
di F. F., Campitelli, 1888. 16 S.
Fönte Colvombo s. Mazzatinti (118) II 166.
Forli s. „ (118) I 5 u. 281.
S. Galr^ano.
178. C. Mazzi, Di antichi mss. dell' abbazia di S. G. Rivista
Vir 1-4, 27-31
nimmt Bezug auf Gottlieb (92) S. 419 No. 1215, C. Enlart, L'abbaye
de S. G. Mölang-es XI 201—240 und A. Canestrelli, L'antica abbazia
di S. G. Florenz 1896.
Genua. Die griech. Hss der verschiedenen Bibl. sind beschrieben
bei 122, 192 ff. und bei 119, 321; vgl.
179 u. 180. G. Bertolotto, II codice greco sauliano di s.
Atanasio scoperfo ed illustrato. Genua 1892, 63 S. — *Spicilegio
genovese. Appunti e uote da mss. liguri di autori classici (Catullus,
Ammouius). Giornale ligustico 19 (1893) 373—385.
179 giebt S. 51 f. eine Übersicht über die griech. Sauliani ia
der Bibl. der Stadtmission.
Grottaferrata.
181. A. ßocchi, Codices Cryptenses seu Abbatiae Cryptae
Ferratae in Tusculo digesti et illustrati. Rom 1884. 539 S. 4. 36 M.
R. giebt eine ausführliche, aber wenig übersichtliche Beschreibung
der meist griech. Hss dieses Basilianerklosters, das viele Hss von unter-
italischen Bibl. erhalten, viele an den Vatikan abgegeben hat.
Gubbio s. Mazzatinti (118) I 121 und II 244.
Imola s. „ (117) S. 1 und
*182. R. Galli, I mss. e gli incunaboli della Bibl. comunale
d" I. I., 1894. CXXII und 94 S.
Ivrea s. Mazzatinti (118) IV 1.
Livorno. Die 2 griech. Hss der Stadt werden beschrieben von
183. A. Mancini, Due codici greci a Livorno. Studi IV 541 f.
Lodi s. Mazzatinti (118) II 113.
Longiano s. „ (118) VI 151.
Lucca (vgl. auch Parma).
184. N. Festa, Indice de' codici greci di Lucca e di Pistoria.
Studi V 221 — 230.
Macerata s Mazzatinti (117) S. 100.
Mailand. Die K. der Ambrosiana sind noch nicht in Druck
gelegt; um so erfreulicher ist E. Martinis briefliche Mitteilung, daß er ,
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 219
die Beschreibung der griech. Hss fast ausgearbeitet hat und das Er-
scheinen derselben in seinem Werke (119) für die nächsten Jahre in
Aussicht stellen kann; der K. der lat. und italienisclien (über 12 000
Hss) ist nach 131, S. 62 A. 1 von A. Ceruti hslicli vollendet.
Die Brera hat verhältnismäßig wenig klass. Hss; so werden auch
wenige in dem ihren Miniäturhss gewidmeten XIII. Bande der Indici
e cataloghi von
185. F. Carta, Codici corali e libri a stampa miniati della
Bibl. Nazionale di Milaiio. Rom 1891. 3 L.
behandelt. Die iiriech. Hss der Brera eröffnen Martinis Werk (119,
S. 1—40); es folgen die des Archivio del capitolo Metropolitano. Für
dessen Geschichte kommt in betracht:
186. C. Cauetta, I mss. della bibl. di San Carlo Borromeo.
Archivio storico Lorabardo IX (1882) 535—556.
Es ist ein Verzeichnis der 528 Hss, über die der Erzbischof
S. Carlo Borromeo in seinem vom 9. September 1576 datierten Testament
verfügt. Das Metropolitankapitel besitzt nur sehr wenige derselben.
Endlich hat Martini auüer einer Privatbibliothek (Don Mercati)
auch (S. 373 ff.) die griechischen Hss der Trivulziana behandelt.
Für diese liegt vor ein Katalog von
187. G. Porro, C. dei codici mss. della Trivulziana. (Bibl. storica
Italiana pubblic. per cura della R. Deputazione di Storia Patria 2. Bd.)
Turin, Bocca, 1885. XVI und 532 S. 16 M.
und eine auf ihre Geschichte bezügliche Abhandlung:
*188. E. Motta, Libri di casa Trivulzio nel secolo XV con
notizie di altre librerie milanesi. Como, Franchi Vismara, 1890.
58 S. 2 M. 50. (Nach C. B. VIII 70 erstes Heft einer CoUezione
Storico-Bibliogratica.)
Mantua s. Martini (119) 365 ff.
Messina.
*189. P. Matranga, II monastero del s. Salvatore dei Greci
dell' Acroterio di Messina e s. Lucca, primo archimandrita del Car-
tofilacio, 0 sia della raccolta dei codici greci di quel monastero.
Messina, De Domenico, 1887. 38 S.
ist mir nicht zugänglich. Daß es sich um eine Geschichte der Kloster-
bibl. von S. Salvatore handelt, deren Hss sich jetzt in der Universitätsbibl.
von Messina befinden, scheint sich zu ergeben aus den einleitenden
Worten von
220 Bericht üb. Paläographie u. Uandschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
190. G. Fraccai'oli, Dei codici grcci del inonastero del ss.
Salvatore che si conservano nella bibl. Universitaria di Messina. Studi
V 487—513.
F. giebt aut gruud von Matrangas Material außer einer Be-
schreibung der 23 datierten Hss eine kurze Bezeichnung der wenigen
Stücke profanen Inhaltes und einen nach Autoren geordneten Index zu
den theologischen Codices. Somit sind die Notizen von Rühl (138)
S. 577 — 583, C. Diehl, Notices sur deux mss. k miniatures de la bibl.
de rUniversite de M. Mölanges VIII 309 tf. und H. Rabe, Rhein. Mus.
XLVII 404-413. L 148—52, 241—249 noch nicht gegenstandslos.
Ferner hat
191. Fraccaroli, C. dei mss. greci della bibl. Universitaria
di M. Studi V 329-336
den Fondo autico und zwar allzu ausführlich beschrieben.
Modena.
192. V. Puntoni, ludice dei codici greci della bibl. Estense
di M. Studi IV 379—538.
Die Estensis enthält viele Hss Vallas, so daß ich hier anführe:
193. ,T. L. Heiberg, Beiträge zur Geschichte Georg Vallas
und seiner Bibl. C. B. 16. Beiheft (1896, vgl. Piniol. XLII 421
bis 437 über eine Archimedes Hs).
Nur wenige klass. Hss finden sich bei
194. L. Lodi, C. dei codici e degli autof,'rati posseduti del
marchese Giuseppe Canipori. Modena, Toschi, 1875 ff. V und 699 S.
Dazu 2 appendici von Vandini. Ebdt. 1886 und 1895. 973 S.
Molfetta s. Mazzatinti (118) VI 14.
Monte Cassino.
195. Bibl. Casinensis seu codicum mss., qui in tabulario Casi-
nensi asservantur, series per paginas siugillatim enucleata, notis
characteruni speciminibus ad uugueni exemplaris aucta cura et studio
monachorum ordinis S. Benedicti Abbatiae Montis Casini. Ex typo-
graphia Casinensi. I-IV 1873— 1880. Folio. 100, 90, 80 u. 80 M.
Da» Prachtwerk, von dem mir 4 Bände vorgelegen haben, bietet
unter Ambrogio Amellis verdienstlicher Leitung sorgfältis? angefertigte
ausführliche Beschreibungen einer nicht gerade großen Zahl meist lat.
Hss. Eben die Ausführlichkeit — manche Stücke sind ganz kollationiert
— verzögert einerseits die Beendiguns,' des wichtigen Werkes und er-
höht andererseits den Preis der einzelnen Bände.
Narni s. Mazzatinti (117) S. 44.
Bericht üb. Paläographie u. llandschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 221
Neapel. Tiber die neuen Erwerhnncen der Bibl. nazionale, die
1826—1832 als bibl. regia Borbonica einen i^'cdrnckten Kataloj? von
Cyrillus erhielt, fehlt jede Orieiitieiung'; einiiip wenige Hss nennt 138
S. 587, Die Bibl. S. Martino enthalt nur italienisclie Hss; vgl.
190. C. Padiglione, La bibl. del niuseo Nazionale nella Cer-
tosa di S. Martino in Nai)oli ed i snoi mss. esposti e catalogati.
Neapel, Giannini 1876, 806 8. 16. 20 L.
Auf einige kleinere Bibl. hat aufmerksam gemacht
197. G. Jorio, Codici ignoi-ati nellc bibl. di Napoli. Leipzig 1892,
60 S. 3 M. 50.
der zunächst eine Xenophon-Hs behandelte. Die griech. Hss der Bibl.
dei Gerolamini. der dieser Codex angehört, beschreibt Martini (119)
387. Ebdt. 424 linden wir die griech. Hss der Bibl. della societä
storica. Klass. Hss finden sich auch bei
198. E. Mandarini, I codici della bibl. Oratoriana di Napoli.
Neapel und Rom 1897. XIX und 401 S. Fol. 35 L.
Die Notizen bei 95, I '217 ff. über die von Alphons I (1435—1458)
und den nachfolgenden aragonischen Königen in Neapel gesammelten
Hss, die größtenteils in die Pariser Bibl. gelangt sind, erweitert
199. G. Mazzatinti. La bibl. dei re d'Ara^ona in Napoli.
Rocca S. Casciano, Cappelli, 1897, CLVII und 200 S. 9 M.
Besonders wichtig ist CLV ff. die Zusammenstellung der Bibl.,
in denen sich einzelne dieser Hss finden.
Auf 200 B(iagi) C(antero), Codici della bibl. del cenobio di
S. Giovanni a Carbonara di Napoli dei pp. eremitani di s. Agostino
spediti a Vienna uel 1718. Estratto dall' Eco di S. Agostino. Neapel,
Trinchese, 1890. 40 S. 16.
kommen wir bei der Wiener Hofbibl. zurück, der unter Karl VL die
von Parrhasius stammenden Hss des Augustinerklosters einver-
leibt wurden.
Nicosia s. Mazzatinti (118) II 112.
Nonantola. Zwei Inventare (vgl. 92 S. 212 ff.) dieser Bibl., die
im 10. Jh. zu den reichsten gehörte, veröffentlicht
201. J. Giorgi, Lantica bibl. di N. Rivista VI 54—60.
Da durch Jlarione Roncati viele Hss von N. nach S. Croce in
Rom gelangten und etwa 40 der jetzt in der Bibl. Vittorio Emanuele
befindlichen Sessoriani sich auf N. zurückführen lassen, werden wir
auf Giorgis Arbeiten noch zurückkommen.
Noto s. Mazzatinti (118) VI 13.
222 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
Novalese.
202 — 205. C. Cipolla, L'antica bibl. Novaliciense e 11 fram-
mento di un codice delle omelie dl S. Cesario. — Appunti dal codice
N. del niartyrologium Adonis. — Notizia di alcuni codici dell' antica
bibl. N. — Antichi inventari del nionastero della N. Memorie della
Accad. di Torino. II. Serie 44. Bd. (1894) 71-88, 115—150,
193- 242. 243-318.
205 bezieht sich, wenn mir nichts entgangen ist, nur auf Ur-
kunden, die erwähnten Hss befinden sich jetzt in Berlin, Chelten-
ham und Turin.
Novara s. Mazzatinti (118) VI 51.
Orvieto vgl. C. B. XIII 521 f. über ein von Fumi in den Studi
e docunienti di storia e diritto 1894, 55— 90 u. 239—262, 1895, 35 —
56 veröffentlichtes Verzeichnis des Nachlasses von Bischof Johannes
(bei 92 No. 609).
Osimo s. Mazzatinti (118) VI 9.
Padua.
206. A. M. Josa, I codici ms. della bibl. Antoniana. Padua
1886. 4 M.
Der wissenschaftlichen Forderungen nicht immer entsprechende
Katalog ist nach dem Alphabet der Autoren geordnet.
Palermo. Die Bibl. Comunale enthält keine griech. Hss (120, S.
Vni) und, soweit mir die K. von Rossi (1. — einziger — Band.
P. 1876), Boglino (1884 ff.) und Mazzo (1894) zugänglich gewesen sind,
auch keine lat. Klassiker. Für die griech. Hss der Bibl. Nazionale,
welche die Bestände des Klosters S. Martino (vgl.
207. L. Castelli, I mss. esistenti nella bibl. di S. Martino
delle Scale prima del 1866. Nuove Effemeridi Siciliane 1876.
IV 66—73 u. 183—204)
nnd des Collegio Massimo aufgenommen hat, und des Museo vgl. 138,
S. 585 u. 119, S. 49 u. 141. Ein Inventar der Klosterbibl. S. Sal-
vatore veröffentlicht 145 S. 36.
208. Salomone-Marino, Salvador, ün documento inedito deUa
coltura classica in Sicilia ne' primi anni del sec. XV. Nuove Effe-
meridi Siciliane IX 196—200
bebe ich hervor, weil die Auswahl der profanen Autoren, die bei dieser
Hssschenkung aus dem J. 1421 vorkommen, typisch ist: Cicero de
officiis, Lucan, Ovid, Priscian, Sallust, Seneca tragoedus,
Statins, Terenz, Virgil. Die Schenkungsurkunde wird im Staats-
archiv zu Palermo aufbewahrt.
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 223
Parma. Über die 504 Hss, die aus der Bibl. Palatina in Lucca
1847 hierher gelangten, berichtet kurz
209. G. Maruffi, La bibl. Palatina di Lucca. Ilivista IV 3— 7.
Die griech. Hss von Parma werden bei Martini (119) S. 149 be-
schrieben, ebdt. 209 die von Pavia, für welche überdies in betracht
kommt:
210. I. de Mar Chi e G. Bertolani, Inventario dei mss. della
bibl. Universitaria di P. Mailand 1894.
Pavia war einst der Sitz der reichen Bibl. Visconti-Sforza,
auf welche sich beziehen:
211. G. D. A. (G. d'Adda), Indagini storiche artistiche e biblio-
grafiche suUa libreria Visconteo-Sforzesca del castello di Pavia illu-
strata da documenti. Mailand, Rebeschiui, 1875. Appendice 1879.
212 und 213. G. Mazzatinti, Inventario dei codici della bibl.
Visconteo-Sforzesca redatto da ser Faciano da Fabriano nel 1459 e
1469. Giornale storico della letteratura italiana I 33 — 59. ~ Alcuni
codici lat. Visconteo-Sforzeschi della bibl. nazionale di Parigi. Archivio
storico Lombardo XIII 16 — 58.
*214. 0. E. Schmidt, Die Visconti und ihre Bibl. zu Pavia.
Zeitschr. für Geschiebte und Politik VI. (ich kenne nur die kurze
Inhaltsangabe im Giorn. stör. d. lett. ital. XIV 292).
*215. E. Motta, Altri documenti per la libreria Sforzesca di
Pavia. II Bibliofilo VH 124—134, 178—182.
216. C. Salvioni, Notizia intorno ad un codice Visconteo-
Sforzesco della bibl. di S. M. il ße [in Turin]. Bellinzona, Salvioni,
1890. 29 S.
Aus der Besprechung verschiedener Inventare des 15. Jh. er-
giebt sich nicht immer der jetzige Aufenthaltsort der Hss dieser nun
verstreuten Bibliothek. Auch werden für die Pariser Bibl. (vgl. 95
I 125 — 140), welche den Löwenanteil erhalten hat, die gegenwärtigen
Nummern nicht angegeben. Mit der Sammlung Sforza gelangten nach
Paris auch viele Hss der Bibl. Petrarcas, mit deren Rekonstruktion sich
•
217 u. 218. P. de Nolhac, Petrarque et l'Humanisme. Bibl.
de Tecole des hautes 6tudes. f. 91 (X, 493 S.) — De patrum et medii
aevi scriptorum codicibus in bibl. Petrarcae olim coUectis. Revue
n 241—279.
beschäftigt. Einzelne Hss Petrarcas bespricht N. Gazette archeologique
XIV 25—32 (Mss. ä miniatures de la bibl. de P.), Giorn. stör. d. lett.
ital. XVII 140 und M61anges VII 30—38 (Notes sur la bibl. de P.).
224 Bericht üb. Paläograpliie u. Handschriftenkundo. (Beer u. Weinbersrer.)
Solche finden sich außer in Paris noch in Florenz, Mailand, Padna,
Rom (Vatikan), Troyes, Venedisf.
Perugia. Die Doniinikaner-Bibl. ist bei Mazzatinti (118) II 171,
die Gemeinde-Bibl. V 56 behandelt. Für die griech. Hss der letzteren sind
219. T. W. Allen, The Greek mss. of P. Bibl. comunale.
C. B. X 470—476.
220. W. Weiuberg-er. Zu den jiriech. Hss von P. C. B.
XI 405 f.
zwar citiert, aber nicht gehin-ig verwertet.
Für Piacenza vgl. 129 S. 7M,
für Piazza Armerina s. Mazzatinti (117) S. 62,
für S. Pietro Spina in Calabria vgl. 145 S. 35.
für Pinerolo s. Mazzatinti (118) 1 2.37,
für Pistoja ebdt. I 239 u. 184.
Pomposa.
221. Ct. Mercati, II c. della bibl. di P. Studi e documenti di
storia e diritto XVII 143—177.
Es handelt sich um einen schon von Moutfaucon, schließlich von
Becker (91: vgl. 92 S. 223 f. j herausgegebenen, dem 11. Jahrhundert
angehörigen K. der wenig Profanes enthaltenden Klosterbibl. von
Pomposa. Über den gegenwärtigen Aufenthaltsort der Hss wird (vgl.
S. 149 A. 5) fast gar nichts bemerkt.
Für Ravenna s. Mazzatinti (118) IV 144 u. V 3, der auch
222. A. Martin, Notice sur les mss. grecs de la bibl. Ciassense
ä Ravenne. Melanges Graux 553 — 556
verwertet. Nur den Titel kenne ich von
*223. Tarlazzi, Nuovo documento rinvenuto nell Archivio
arcivescovile di R. (E il fac-simile in fotografta del prologo in forma
di lettera di Graziano imperatore a S. Ambrogio . . codice del V
secolo. Bologna 1885, Estratto (BibliofiloV Propugnatore?).
Reggio Calabria s. Mazzatinti (117) S. 55.
Rieti „ (117) S. 41.
Rimini „ (118) II 132.
Rom. Bibl. Alexandrina. Die Hss der Universitätsbibl. —
griech. fehlen — sind behandelt im 1. Baude von
224. H. Narducci, C. codicum mss. praeter graecos et orien-
tales qui in bibl. pnblicis Romae adservantur. I. Band. Turin 1877.
200 S. 5 M.
N. hat auch den K. der Bibl. Angelica begonnen:
Bericht üb. Paläographie u. Ilandschriftenkundc. (Beer u. Weinberger.) 225
225. C. codicum mss. praeter graecos et orientales in bibl.
Angelica olim Coenobii sancti Augustini de urbe. I. Rom 1893.
VIII 662 S. fol. 32 M.
Meines Wissens ist nur der sehr ausführliche 1. Band (com-
plectens Codices ab instituta bibl. ad a. 1870) ohne Index erschienen.
Die griech. Hss behandeln :
226. P. Franchi de' Cavalieri und G. Muccio, Index codicum
graecorum bibl. Augelicac. Studi IV 7 — 184.
Übei'dies liegt eine Probe vor von
227. C. Maes, Saggio del iutero c. di centosei codici greci della
Bibl. Angelica. I. Rom 1894. 41 S. 4.
die ich nur aus der Besprechung von L. Dorez (Rev. de phil. 19, 96)
kenne. Seinem Urteile über die Doppelbearbeitung: Abondauce de biens
ne nuit pas kann ich um so weniger beistimmen, als in Rom selbst
mehrere Bibl. jeglichen gedruckten K. entbehren. Auf die nach dem
Alphabet der Autoren geordneten Notizen über griech. Hss der Bibl.
Barberiniaua und Chigiana von Siebenkees (bei G. Chr. Harles,
Introductio in historiam Linguae Graecae. I- — Altenburg 1792 —
€0—65) hat A. Ludwich in der Anzeige von 123 (phil. "Wochenschr.
1897, 1446) aufmerksam gemacht. Für Hss, die aus Siena in die
Barber. gelangten, führe ich an:
228. C. Mazzi, Luca Holstein a Siena. Archivio storico V.
Serie X (1892) 339—355.
und reihe daran, da sie sich auf der Barber. angehörende Papiere des
Holstenius stützt, eine Abhandlung, auf die wir beim Vatikan und
bei Hamburg zurückkommen:
229. H. Rabe, Aus Lucas Holstenius' Nachlaß. C. B. XH
441—448.
Für die Casanatensis liegt wenigstens ein K. der griech.
Hss vor:
230. F. Bancalari. Index codicum graecorum bibl. Casanatensis.
Studi II 161—207,
für die gi'iech. Hss der Corsininiana Notizen von Allen (120)
S. 49, für die der Vallicelliana ebdt. S. 54; ferner ist ein Katalog
bei Martini (119) brieflich augekündigt. Für die Vittorio Emanuele
endlich haben wir wieder Notizen von Allen (S. 50); ein K. der
wichtigsten Sammlung, der Sessoriani, ist von Giorgi (vgl. 201) voll-
endet, aber dem Druck nicht übergeben. Aus dem Index von
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVIII. (1898. III.) 15
226 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
231. E. Nardncci, C. dl mss. ora posseduti da Bald. Bon-
compagni. 2 ed. notabilmente accresc. conten. una descrizione di
249 mss. non iudicati uella prima e corredata di un copioso indice.
Rom 1892. VIII u. 520 S.
läßt sich eine Anzahl lat. , übrigens über die gewöhnliche Auswahl
(s. No. 208) nicht hinausgehender und 1 griech. (Aristoteles-)H8 zu-
sammenstellen; vgl. M. Cantor, Prinz Baldassare Boncompagni und
seine Bibl. C. B. IX 537—544. Für die nicht mehr bestehende Bibl.
Borghesiana haben wir Notizen Aliens (120, S. 50) über die griech.
Hss, welche in den Vatikan gekommen sind, und einen Auktionskatalog:
232. C. de la bibl. di S. E. D. Paolo Borghese. Rom, Menozzi,
I 1892 XV u. 713 S. 15 M. II 1893, 380 S.
Es finden sich im 1. Teile von No. 4555, im 2. von No. 2568
an einige wenige Hss klass. Autoren.
Den Übergang zum Vatikan mag die Kapitularbibliothek
von St. Peter bilden, über die zu vergleichen sind: Bethmann, Archiv
XII (1874) 407, 120 S. 56, 129 S. 31 und
233. 0. Rossbach, Zu Ammian und den Codices Petrini.
Philologus LI (V) 512 ff.
der anhangsweise (515 — 518) meist nach älteren hslichen Aufzeich-
nungen die wenig bekannten Petrini philologischen Inhalts verzeichnet.
Auf 233 hat mich H. Rabe freundlichst aufmerksam gemacht. — Bethmann
berichtet in seiner bekannten zunächst historische Hss betreffenden
Abhandlung auch über die durch Legat in der Propaganda befind-
lichen Hss des Commendatore Rossi (S. 409 f.) und erwähnt hierbei
auch Klassikerhss (S. 417).
Was nun den Vatikan betrifft, so übergehe ich einige für
weitere Kreise berechnete Nachrichten über Geschichte und Katalogi-
sierung der Bibl., wie Gr. B. de Rossi in der Aurora vom 13. Febr.
25., 27., 28. und 29. April 1880, übersetzt — C. des mss. du Vatican —
Bibl. d. chartes XLI, 147—150, 307—316; hierher gehören wohl auch
zwei Arbeiten, die ich nicht gesehen habe: P. Allard, Les archives et
la bibl. pontificales avant le 14« siecle (37. Band der Revue de l'art
chretienne 1887) und der von Fahre verfaßte auf die Geschichte der
Bibl. bezügliche Abschnitt (643—752) in dem 1895 bei Didot er-
schienenen Werke: Le Vatican. Ferner begnüge ich mich mit einer
kurzen Erwähnung von
234. P. Ehrle, Zur Geschichte der Katalogisierung der Vaticana.
Histor. Jahrbuch der Görresgesellschaft XI 718 — 727,
wo die Thätigkeit der Rainaldi besprochen wird (Wende des 16. und
17. Jh.), und der auch die Bibl. streifenden Abhandlung von
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 227
235. E. Müntz, Les arts ä la cour des papes pendant le XV«
et le XVle siecle. Bibl. d. ecoles 4., 9. und 28, H.,
hebe hingegen besonders hervor :
236. J. Carini, La bibl. Vaticana proprietÄ della sede Aposto-
lica. Memoria storica. Rom 1892. XIV u. 166 S.
nicht als ob diese kleine Schrift des verdienstvollen Bibliothekars, der
hier die Eigentumsrechte des h. Stuhls nachweisen will, überall er-
schöpfend wäre, sondern weil sie schon im Indice sommario eine be-
queme Übersicht über die einzelneu Perioden und, was wichtiger ist,
über die einzelnen Erwerbungen, wie Codices Basiliani, Borghesiani,
Cryptenses bietet, für die man hier die notwendigsten Notizen und
wohl auch die wichtigste Litteratur findet; vgl. die Kontroverse von
Battifol und C. C. B.X. 348—352, 537-547 und 229, 442 A. 2. Über
die einzelnen noch in der Vaticana befindlichen Fonds geben die Ein-
leitungen in den einzelnen Bänden der gleich zu besprechenden Bibl.
apostolica Vaticana ausreichende Auskunft; als maßgebend und grund-
legend für die ältere Zeit (bis auf Bonifaz VIII.j ist hervorzuheben
die dem Katalog der lateinischen Palatini vorangeschickte Abhandlung
von J. B. de Rossi, De origine historia indicibus scrinii et bibl. Sedis
Apostolicae.
Die an diese Einleitung — der behandelten Epoche nach — an-
schließenden Werke bieten zwar mehrfaches Interesse, beziehen sich
aber großenteils nicht auf die gegenwärtige vatikanische Bibl., wie denn
auch die Sammler und Herausgeber der wichtigen Dokumente selbst
bei erhaltenen Hss keine Identifizierungsversuche machen. Mit Über-
gehung einzelner Aufsätze desselben Verfassers (vgl. die Anzeige von
Gr. Meier, C. B. VIII 500) beginne ich mit der diese zusammenfassenden
Arbeit von
237. P. Ehrle, Historia bibl. Romanorum pontificum tum Boni-
fatianae tum Avenionensis enarrata et antiquis earum indicibus aliisque
documentis iUustrata. Bibl. del! accademia storico-giuridica VII.
Rom 1890. XVI u. 790 S.
Sowohl die 1295 von Bonifaz VIII. aus Neapel nach Rom ge-
brachte als auch — mit wenigen Ausnahmen — die in Avignon ge-
sammelte Bibliothek ist nicht in die gegenwärtige Vaticana gelangt.
Für die Bibl. von Avignon und deren Hauptbestandteil: die von
Peniscola ist noch
238. M. Faucon, La librairie des papes d'Avignon, sa forma-
tion sa composition ses catalogues (1316 — 1420). Bibl. d. 6coles
43. (1886) u. 50. Heft (1887). 8 fr. 50 u. 7 fr.
15*
228 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u.Weinberger.)
zn vergleichen, welche Abhandlung; von Ehrle noch berücksichtigt und
berichtigt werden konnte. Ehrle schließt, wo
239. E. Müntz und P. Fahre, La bibl. du Vatican au
XVe siecle d'apräs des documents iuedits. Bibl. d. ecoles. 48. Heft
(1887). Vm u. 384 S.
beginnt: mit Martin V. 1417 — 1431. Dieser und Eugen IV. haben die
Yaticana begründet, aber ihren Euhm verdankt sie erst des letzteren
Nachfolger Nikolaus V. (1447 — 1455). Für ein Inventarium librorum
repertorum in cubiculo nicholai pape quinti post eius obitum verweise
ich auf 92 S. 232 f. , wo die Veröffentlichungen von Amati (Archivio
storico III. Serie III 207 — 212) und G. Sforza (La patria la famiglia
e la giovinezza di Niccolo V. Lucca 1884, 385—391) angeführt
werden. Von
240. E. Müntz, La Bibl. du Vatican sous les papes Nicolas V.
et Calixte III. Eevue critique XX 282—293
erwähne ich besonders die vergleichenden Notizen (S. 289 ff.) über
gi'iech. Hssbestände jener Zeit. Nikolaus' weitere Nachfolger bis auf
Alexander VI. (1492) sind bei 239 behandelt. Hervorzuheben ist
Sixtus IV (1471 — 1484); für diesen ist auch die allerdings zunächst
auf die Lokalitäten bezügliche Abhandlung von
241. P. Fahre, La Yaticane de Sixte IV. Melanges XV 455—483
heranzuziehen. An 239 schließt sich
242. E. Müntz, La bibl. du Vatican au XVIe siecle. Petite
bibl. d'art et d'archeologie. Paris, Leroux, 1887. IV u. 140 S.
mit einer Anzahl von Dokumenten an, die sich auf die Päpste von
Julius n. bis Paul III. beziehen. Eine Reihe auf Julius II. (1503 —
1513) bezüglicher Fragen berührt eine lesenswerte Abhandlung von
243. L. Dorez, La bibl. privee du pape Jules II. Revue
VI 97—124.
In 241 werden zuerst die Verdienste Paul III. (1534 -1549)
hervorgehoben; die folgende Periode (der Bibliothekare Cervini, Sirleto
und A. Carafa) behandelt für die griech. Hs eine Arbeit, die ich nur
aus der Besprechung im C. B. VII 489 (0. H.) kenne:
*244. P. Battifol, La Yaticane de Paul III k Paul V. Petite
bibliotheque d'art et d'archeologie. Paris, Leroux, 1890. 154 S.
Dagegen hat mir vorgelegen die an Notizen über einzelne
Sammlungen und Hss reiche Abhandlung desselben Verfassers:
245. P. B., La Yaticane depuis Paul HI. Revue des questions
historiques 45 (1889), 177—218.
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 229
Die auf die Periode der französischen Revolution, während der
bekanntlich über 800 vatikanische Hss zeitweilig in Paris waren , be-
zügliche Litteratur findet man bei
245b. E. Müntz, La bibl. du Vatican pendant la revolution
fran^aise. Melanges Havet 579—591.
Andere, einzelne Sammlungen betreffende Abhandlungen werden
als Vorarbeiten oder Ergänzungen zu K. besser nach
246. Bibl. Apostolica Vaticana iubente Leone XIII pontifice
maximo edita. Rom 1885 ff,
behandelt werden.
Diese wichtige und freudig begrüßte Publikation der vatikanischen
Hssschätze ist natürlich von ungleichem Werte je nach den Heraus-
gebern der einzelnen Bände, die hier anzuführen sein werden. Denn
während die von Henricus Stevenson senior und iunior besorgten trotz
kleiner bei der Masse von Hss und Schriftstellern unvermeidlicher
Mängel billigen Anforderungen genügen, habe ich (123 S. 6) den Ver-
fassern des K. der Ottoboniani Fehler nachgewiesen, welche den Wert
der Arbeit ernstlich gefährden. Bei allen Bänden aber macht sich
(vgl. 121) außer prächtiger, aber nicht immer übersichtlicher typo-
graphischer Anordnung auch eine gewisse Breite bemerkbar.
Die Katalogisierung der lat. Hss erstreckt sich bisher nur auf
den ersten selbständig behandelten Zuwachs, die 1623 vom Kurfürsten
Maximilian geschenkten Palatini; der "1. Band des K. von Stevenson
iunior ist 1886 erschienen (12 fr.; vgl. die ausführliche Anzeige von
Haureau, Journal d. savants 1887, 503—513, 562—573). Hier wie
in dem von Stevenson senior verfaßten Katalog der Palatini graeci
(1885) sind auch die 38 im Jahre 1814 von Paris nach Heidelberg zu-
rückgebrachten Hss aufgenommen. Auf den Transport der Pfälzer Hss
nach Rom beziehen sich mehrere Aufsätze von
*247. C. Mazzi, Leone Allacci e la Palatina di Heidelberg.
Propugnatore IV u. V (1892 f.),
und ein Aufsatz von
248. H. Omont, Lettre de Leone Allacci relative au transport
k Rome de la bibl. de Heidelberg. C. B. VIII 123 f.,
aus dem ich den Hinweis auf Allaccis von Baer (Heidelberger Jahr-
bücher 1872, 481) veröffentlichtes Journal heraushebe.
Von griech. Hss sind weiter katalogisiert die der Königin
Christine von Schweden und die Pius' IL (in einem 1888 von
Stevenson herausgegebenen Bande), die 1746 mit der Vaticana ver-
einigten Ottoboniani (1893; E. Feron und F. Battaglini; die histo-
230 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
rische Einleitung von Cozza-Luzi> De Ottoboniano - Vaticanis graecis
cod. ist auch im Sonderabdruck erschienen), endlich die 1657 einver-
leibten Urbinates (1895; C. Stornajolo). Über den Ankauf der ßegi-
nenses (im J. 1690) ist zu vergleichen
249. L. Dorez, Docuraents sur la bibl. de la reine Christine
de Suede. Revue n (1892) 129—140
und über diejenigen, die unter Alexander VIII. ins Archiv, später auf
dem Umweg über die florentinische Sammlung Stosch unter die Otto-
boniani gelangten (vgl. auch noch JVIanteyer, Melanges 1897, 285 — 318),
250 u. 251. Fahre, Notes u. Nouvelle note sur quelques mss.
de la reine Christine. Bibl. d. chartes LIV 786 —789 u. LVI 228 f.
Notizen über einzelne Reginenses geben ferner
252. L. Delisle, Notice sur vingt mss. du Vatican. Bibl. d.
chartes XXXVII 470—525.
253. E. Berger, Notiee sur divers mss. de la bibl. Vaticane.
Bibl. d. ecoles 6. Heft (1879).
Für die Codices Pii 11 (1458—1464) lag eine Vorarbeit vor von
254. L. Duchesne, De codicibus ms. graecis Pii 11. Ebdt.
XIII (1880). 34 S. 1 M. 50.
Die Katalogisierung der eigentlichen Vaticani ist noch nicht
in Angriff genommen; um so erfreulicher ist es, daß der K. einer be-
trächtlichen Anzahl (griech.: 1288 — 1421) in einem trefflichem Werke
vorliegt, das für Hsskunde und Geschichte des Humanismus noch mehr
bietet, als der Titel verspricht:
255. P. de Nolhac, Bibl. de Fulvio Orsini. Bibl. de l'ecole
des hautes etudes. 74. H. 1887. 15 M.
Für Auffindung der einzelnen Hss sind die Verzeichnisse S. 125 f.
und 334 f. zu benutzen. Ferner hat
256. P. d. N., De quelques mss. k miniatures de Tancien fonds
Vatican. Gazette archeologique XII 233—237
die Miniaturhss von Orsinis Bibliothek zusammengestellt. Angesichts
der erschöpfenden Behandlung des Gegenstandes durch N. ist der blolie
Inventar ab druck durch
257. G. Beltrani, I libri di Fulvio Orsini nella bibl. Vaticana,
Rom, Centenari, ] 886. 53 S. 1 L. 50 c.
völlig wertlos. Anzuführen ist ferner
258. P. Battifol, Les mss. grecs de Lollino. Melanges IX 28 ff.,
der — allerdings ohne Index — eine Beschreibung der griech. Vaticani
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 231
1683—1806 giebt: vgl. 229 S. 442 A. 2, wo das Verzeichnis auf
Holstenius zurückgeführt und Vat. graec. 2279 hinzugefügt wird.
Wenig Philologisches enthält die Bibliothek von Panvini; vgl.
259. G. L. Pelissier, C. des rass. de Panvini. Revue I 192
—194.
Gleich diesen Hss sind auch die des Aleandro in den Vatikan
gekommen; vgl.
260 u. 261. L. Dorez, Recherches u. Nouvelles recherches
sur la bibl. du cardinal Girolamo Aleandro. Eevue II 49 — 68 u.
Vn 293-304.
Nach kurzer Erwähnung eines Aufsatzes von Nolhac über Gio-
vanni Lorenzi, Bibliothekar Innocenz VIII. (1485 — 1501; Melanges
VIII 1 ff.) bespreche ich das mir leider nicht zugängliche Werk von
*262. P. Battifol, L'abbaye de Rossano. Contribution ä Thi-
stoire de la Vaticane. Paris, Picard, 1891. 7 11. 50.
Ich entnehme nämlich aus Gebhardts Anzeige C. B. IX 572 — 576,
daß von etwa 150 nachweisbaren griech. Hss des Klosters S. Maria del
Patire bei Rossano 60 in den Vatikan, 10 nach Grottaferrata ge-
kommen sind. Es wird auch (vgl. 145) über Basilianerklöster im all-
gemeinen gehandelt. Endlich ist anzuführen:
263. H. Ehrensberger, Libri liturgici bibl. Apostol. Vati-
canae. Freiburg i. Breisgau, Herder, 1897. XII u. 591 S. 25 M.
Rovigo s. Mazzatinti (118) III 3 u. 129 S. 736.
Ruvo s. y, (118) VI 126.
Sandaniele del Eriuli s. Mazzatinti (118) III 100.
Savignano di Romagna s. „ (118) 185.
Senigaglia s. „ (117) 45.
Serrasanquirino s. „ (118) I 155.
Sessa Aurunca s. „ (117) 53.
Für Siena s. 120 S. 57, 129 S. 732 ff. und 228; ferner hat
über einige Bibl. der Renaissancezeit gehandelt:
264. C. Mazzi, La bibl. di messer Niccolo, di m. Bartolomeo
Borghesi ed altre in Siena nel rinascimento. Rivista VI 120— 124,
150—159.
Subiaco s. Mazzatinti (118) I 161.
Sulmona s. „ (118) VI 47.
Syrakus (Biblioteca del seminario) s. Mazzatinti (117) 76 und
138 S. 584.
Terlizzi s. Mazzatinti (118) VI 106.
232 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
Terui s. Mazzatinti (117) 43.
Trani s. „ (118) VT 109.
Trapani.
265. F. Mondello, La bibl. e la pinacoteca in Trapani. Nuove
Effemeridi Siciliaue XII (1881) 223 f.
S. 254 f. werden einige klass. Hss besprochen.
Turin. Für die griech. Hss der Bibl. Nazionale wird der K. von
Pasini (1749) auf den heutigen Stand ergänzt durch
266. C. 0. Zuretti, Indice dei mss. greci Torinesi non conte-
nuti uel c. del Pasini. Studi IV 201—223.
Die Erwerbungen aus Bobbio (s. 130) sind erwähnt worden, ebenso
(No. 216) eine aus Pavia in die königliche Bibl. gebrachte Hs. Auf
diese Bibl. bezieht sich aucli eine Veröflfentlichung von G. B. Barco im
9. Bande der Rivista di filologia: Un codice del secolo XV contenente
il Carme di Claudiano in ßufinum; vgl. noch 92 No. 659 ff.
Udine s. Mazzatinti (118) III 173. Überdies liegt für die griech.
Hss ein Aufsatz vor von
267. H. Omont, Notes sur quelques mss. grecs de la Bibl.
archiepiscopale d'Udine provenant du Cardinal Grimani. C. B. XI 415 flf.
Weder Mazzatinti noch Omont wird erwähnt bei
268. A. Cosattini, Index codicum graecoram bibl. archiepisco-
palis Utinensis. Studi V 395—399.
Venedig. Eine Ergänzung des Katalogs von Zanetti und Buongio-
vanni wurde begonnen von dem kürzlich (C. B. XIV 596) der Wissen-
schaft entrissenen
269. C. Castellani, C. codicum graecorum qui in bibl. D. Marci
Venetiarum inde ab a. MDCCXL inlati sunt. I. Venedig u. Mai-
land 1895. Vin u. 166 S. 12 M.
Außerdem kommen Notizen bei 129 S. 746 in betracht; auf die
Geschichte der Marciana beziehen sich
270. u. 271. H. Omont, Inventaire des mss. grecs et latins
donnes ä Saint - Marc de Venise par le cardinal Bessarion (1468).
Revue IV J29— 187. Deux registres de prets de mss. de la bibl. de
Saint-Marc ä Venise. Bibl. de l'^cole des chartes XLVIII 651 — 686.
272. C. Castellani, B prestito dei codici mss. della bibl. di
S. Marco in Venezia ne' suoi primi tempi e le conseguenti perdite
dei codici stessi. Sonderabdruck aus Atti del r. Istituto Veneto di
scienze, lettere ed arti. VII. Serie VIII. Band. 66 S.
Beriebt üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 233
Bessarions Schenkung bildet bekanntlich den Grundstock der
Marciana; die Ausleihreg-ister sind aus den Jahren 1545 — 1548, 1551 —
1552 u. 1552—1559.
Verona. Die griech. Hss sind behandelt von
273. H. Omont. Les mss. grecs de la bibl. capitulaire et de
la bibl. commnnale de Verona. C. B. VIII 489—497.
Sonst haben wir für die Kapitularbibliothek in mehreren Bänden
des Archivio Veneto (6.-33.) nur historische Notizen:
274. u. 275. G. B. Giulari, La capitolare bibl. di Verona u.
Istoria monumentale letteraria paleografica della capitolare bibl. di
Verona,
und das Programm eines K. und einer Sammlung von Anecdotis:
276. G. B. G., Spicilegium capitularis bibl. Veronensis. Archivio
storico Italiano HI. Serie 25. Bd. 135—139.
Über die Zerstreuung der M äff eischen Hss, die nicht alle in
die Kapitularbibliothek gekommen sind, vgl. van der Vliet, Mnemosyne
XVIIl 52—56.
Die an lat. und griech. Hss nicht besonders reiche Kommunal-
Bibl. besitzt einen K. von
277. G. Biadego, C. descrittivo dei mss. della bibl. comunale
di V. V., CiveUi, 1892. VIII u. 665 S. 12 M.
Endlich ist auf die 2. Appendix von No. 166 zu verweisen, wo
mehrere — meist vor die Berichtszeit fallende — Abhandlungen über
den gegenwärtigen Aufenthalt der Saibantini (Ashburnham-Florenz,
London, Metz, Paris) angeführt werden; vgl. auch 273, S. 489, A. 4.
Vicenza.
278. Bortolan e Rumor, La bibl. Bertoliana di Vicenza.
V., Giuseppe 1893. 223 S. 16.
geben eine Geschichte der Bibl. und besprechen 137 ff. einige der 645
Hss; im übrigen wird auf Mazzatinti (118) II 3 verwiesen.
Vigevano s. Mazzatinti (118) V 48.
Viterbo.
279. L. Dorez, Latino Latini et la bibl. capitulaire de Viterbe.
Eevue II (1892) 377—391.
giebt zunächst eine Liste der lat. Hss, die Latino Latini vom Kar-
dinal Rodolfo Pio geerbt hat, die sich aber in der Kapitularbibl. zu
Viterbo, der L. seine Bibl. geschenkt haben soll, nicht finden. Dann
bespricht D. gegenwärtig in Viterbo befindliche Hss.
Volterra s. Mazzatinti (118) II 180.
23-4 Bericht üb, Paläographie u. Handschriftenkunde, (Beer u. Weinberger.)
2. Schweiz.
Bis zum Jahre 1887 reicht die sorgfältige bibliographische Zu-
samnicnstelluug von
280. G. Meier, Verzeichnis der Hss-K. der schweizerischen
Bibliotheken. C. B. IV 1 — 19.
Wenn ich auch die in dieses chronologisch geordnete Verzeichnis
aufgenommeneu K. der Berichtsperiode, welche Klassiker-Hss enthalten,
aufnehme (nicht aber etwa A. Jahn, Die Kunde und Benutzung der Bon-
garsischen Hss- und Büchersammlung der Stadtbibl. in Bern. B. 1878),
so geschieht dies wegen ihrer geringen Zahl. Überdies weiß ich bei
K., die ich nur aus Meier kenne, nicht, ob sie für Klassiker in betracht
kommen. Für griech. Hss wird auf
281. H. Omont, C. des mss. grecs des bibl. de Suisse. C. B.
ni 385—452 u. Supplement au C. . . . ebdt. VIII 22—26
zu verweisen sein, der kurze historische Einleitungen vorausgeschickt
und einen Gesamtindex beigegeben hat. Er giebt auch S. 385 aus-
di'ücklich die schweizerischen Bibl. an, welche keine griech. Hss ent-
halten.
Auf einzelne Hss bezügliche Publikationen erwähne ich nur bei
Basel (Omont 386—419 — 90 Hss, Vni 22—3 Hss), um zu zeigen,
daß M. dieses 'Parergou' nicht vollständig giebt:
282. Ch. Graux, Notice et extraits d'un ms. grec de la bibl.
de l'uuiversite de Bäle. Annuaire de l'assoc. pour Tencouragement
des etudes grecques IX 76 f.
283. A. Burckhardt, E. karolingische Evaugelienhs auf d.
Universitätsbibl. in B. Anzeiger f. Schweiz. Altertumskunde 1880,
No. 3.
284. W. Wattenbach, Aus Baseler Hss. Anzeiger f. Kunde
d. deutsch. Vorzeit 1880, 137—139.
285. H. Baudrier, Une visite ä la bibl. de l'Universite de Bäle.
Lyon 1880. 45 S.
Betreffs der von Johannes de Ragusio herrührenden Hss der
Stadtbibl. vgl.
286. R. Beer, Eine Hssschenkung aus d. J. 1443. Serta
Harteliana (Wien 1896) 270-274.
Bern (281 S. 419 ff.; 33 Hss).
287. H. Hagen, C. codicum Bernensium (Bibl. Bongarsiana).
Bern, Haller, 1875. LXVI u. 662 S.
Einsiedeln 281 S. 428 ff.
Bericht üb, Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 235
Engelberg.
288. B, Gottwald, C. codicum mss. qui asservautur in bibl.
0. S. B. Engelbergensis in Helvetia. Freiburg, Herder, 1892. XVII
327 S. 12 M.
Unter den 914 Hss sind keine griech. und nur wenige lat.
Klassiker; einige Notizen trägt G. Meier C. B. X 228 nach.
St. Gallen.
289. (G. Scher rar), Verzeichnis der Hss der Stiftsbibl. von
St. G. Halle 1875. XII u. 650 S. 15 M.
ist noch während der Drucklegung als sehr genau gerühmt worden von
290. E. Wolf flin, Aus St. Galler Hss. Philologus XXXIV 178 f.
Für die 3 griech. Hss der Stiftsbibl. und die 1 der Vadiana s.
281 S. 440, für Genf S. 430 ff. (35 Hss) u. VIII 24 (4 Hss).
Glarus.
*291. K. der Landesbibl. in Gl. Gl. 1879. n 141-147. Nachtr.
(1886) II 47: Hss.
kenne ich nur aus Meier, ebenso
*292. K. d. Ministerialbibl. zu Schaffhausen. Seh. 1877.
S. 1—15 Hss (von Boos); (1 griech. Hs der Stadtbibl. bei 281,
S. 441).
*293. Glutz-Hartmann, Die Stadtbibl. Ein Stück Solothur-
nischer Kulturgeschichte. S. 1879. 37 S. S. 20 f.: Hss (von
Jacob Hermann).
*294. K. der größeren Stadtbibl. in Zofingen. Z. 1874. S. 516
—524: Hss.
Für die griech. Hss endlich der Kantons- u. der Stadtbibl. in
Zürich ist auf 281 S. 441 zu verweisen.
3. Deutschland.
Auf Grund von
295. A. Blau, Verzeichnis der Hss-K. der deutschen Bibl. C. B.
m (1886) 1-35, 49—108, 120, 160
kann ich mich im allgemeinen auf die Publikationen der Jahre 1886 —
1896 beschränken, zumal sich dort die klass. Hss enthaltenden K. meist
deutlich abheben. Rühmend sind die gegenseitigen Verweisungen
Blaus hervorzuheben, die über die Schicksale nicht mehr bestehender
Bibl. gut orientieren. Nur von den infolge einer Ministerialverfügung
236 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
katalogisierten Hss der Gyranasialbibl. möchte ich die wenigen philo-
logischen kurz charakterisieren ; deshalb habe ich hier, um einen Schluß
ex silentio zu ermöglichen, die mir nicht zugänglichen Programme zu
verzeichnen: Real-Gj^mn. Goslar 1896 (IT. Hülscher, Verzeichnis der
in der Marktkirche zu Gr. aufbewahrten alten Druckwerke. Mit einem
Verz. der im Archive zu G. vorhandenen alten Hss), Halle 1876 und
1877, höhere Bürgerschule Kulm 1877, Rcal-Gymn. Meiningen 1896
(Grobe, Schätze derherzogl. Bibl. in M.), höhere Bürgerschule Rathenow
1877, Ratzeburg 1892 (H. Gebier, Die Bibl. der Domkirche zu R.),
Schleiz 1878, Wittstock 1876 (R. Grosser, K. Polthier und E. Bünger,
K. des Gymnasialmuseums. Progr. 1893 bieten nichts Klass.), Francisceum
Zerbst 1879.
Die nicht leicht zu beschaffenden Auktionsk. (wie J, Trübners
Hss- und Bücherauktion zu Strasburg am 23. Oktober 1886; die Hss
stammen zum Teil aus Lichtenthai bei Baden) verzeichne ich in der .
Regel nur, wenn es mir möglich ist, anzugeben, wohin die betreffenden
Hss gekommen sind.
Hier erwähne ich die vielleicht der Rheingegend angehörige
Bibl., über deren Rekonstruktion aus Excerpten eines Vaticanus (über
diese Excerpta Hadoardi vgl. 92, S. 411 und Philol.Suppl. V397— 588)
296. P. Schwenke, Eine Bibl. des 9. Jh. und ihr Kustos.
C. B. II 241 f.
berichtet, ferner eine von
297. P, Joachim söhn, Aus der Bibl. Sigismund Gossembrots.
C. B. XI 249—268 und 297
rekonstruierte Hsssammlung des 15. Jh., da sie, in Augsburg, Straß-
burg (S. 298 f. über das Johanniterkloster am grünen Wörth) und
anderen Orten entstanden, jetzt verstreut ist. Ein beträchtlicher Teil
ist aus dem Kloster Steingaden nach München gekommen; einzelne
Hss weist J. in Basel, Berlin und Wien nach.
Nach der Bemerkung, daß auch
298. P. Schwenke, Adreßbuch der deutschen Bibl. 10. Beiheft
zum C. B. (1893). XX und 383 S.
zur Orientierung über Hss- Bestand herangezogen werden kann, gehe ich
nun daran — wieder nach dem Alphabet der Ortsnamen — die auf
einzelne Bibl. bezüglichen Publikationen zu verzeichnen.
Aachen; vgl.
299. St. B eis sei. Das karolingische Evangelienbuch des A.
Münsters. Zeitschr. f. christl. Kunst I 53—60.
Altona.
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftcnkunde. (Becru. Weinberger.) 237
300. M. J. F. Lucht, Nachrichten über die Bibl. des Cfj'mnasinnis
und die in derselben befindlichen Hss. Progr. d. Christianeuras
A. 1878. 22 S.
Außer theologischen Schriften und historischeu Stücken findet sich
(S. 19) ein Fragment von Seneca, Hercules furens und einige Huma-
nistenwerke (Leonardo Bruni): daß sich hei J. Clausseu, Nachrichten
über die Bibl. des Christianeuras zu A. (Progr. 1897). Ergänzungen
finden, weiß ich nur aus C. B, XIV, 5 18.
Augsburg s. 297.
Bamberg.
301. F. Leitschuh, K. der Hss der k. Bibl. zu B. Leipzig
1887 ff.
Das verdienstvolle, auf 3 Bände berechnete Werk wurde mit dem
2. (Die Hss der Helleriana. LIV und 201 S. 12 M.) begonnen;
die hier S. 130 verzeichneten 'philologischen Mss.' sind vollständig wert-
los. 1895 folgten (Bamberg, Bucher) die 2 wichtigen Lieferungen
I 1 Bibel -Hss (IX und 133 S. 4 M.) und I 2, 1 Klassiker-Hss
(VI und 116 S. 4 M.), endlich 1897 I 2, 2 histor. Hss (IV S. und
S. 117—291. 4 M.). Über die wertvollen Klassiker-Hss giebt Perl-
bachs Anzeige C. B. XIII 250 f. eine gute Übersicht nach Herkunft,
Alter und Inhalt. Darunter ist nur 1 griech. Ms. (lulius Africanus).
Für das Kloster Michelsberg, das nächst der Dombibl. die meisten
Hss von B. geliefert hat, vgl.
302. H. Breßlau, Bamberger Studien. I. Aufzeichnungen zur
Geschichte der Bibl. des Klosters M. bei B. N. Archiv XXI 141
— 196.
Berlin.
303. Die Hss-Verzeichnisse der k. Bibl. zu B. Berlin, Asher.
Imp. 4. XI: Verz. der griech. Hss. I. (Codices ex bibl. Meer-
manniauaPhilippici graeci nuncBerolinenses). DescripsseruntG. Stude-
mund et L. Cohn. IV, XXXVI und 121 S. 1890. IL Von C. de
Boor. 1897. 254 S. 14 M. XII: Verz. der lat. Hss. Von V. Rose.
1. Bd. (II, XXni und 513 S. 1892).
XI 1 und XII 1 finden sich auch in dem anläßlich der Erwerbung
der von den holländischen Sammlern Gerhard nnd Johannes Meerman
herrührenden Hss des Sir Thomas Philipps in Cheltenham 1892
veröffentlichten Verzeichnis der von der k. Bibl. zu B. erworbenen
Meermann-Hss, in denen die Seitenzählung nach den einzelnen Sprachen
besonders erfolgt. Perlbachs Anzeige dieses Bandes C. B. XI 79 — 87
orientiert gut über die Geschichte der Sammlung; ich hebe noch hervor.
238 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
daß Meermann die meisten Hss der Jesuiten des collegium Claro-
moutanum in Paris an sich gebracht hat. — Zu XI 2 bemerkeich,
daß bis zum Jahre 1800 nur wenige griech. Hss gelegentlich (von
Ravius — vgl. Boysen, Philol. XLII 285 ff. — Quintus Julius und
Roloff) erworben wurden, 1822 mehrere von Knobelsdorff, Gesandten
in Konstantinopel. Dann beginnen die systematischen Erwerbungen,
unter denen die von Brugsch auf dem Sinai (1866), von Hirschfeld in
pisidischen Klöstern (1879), endlich die der Hamilton-Hss (1884) her-
vorzuheben sind. Von den auf einzelne Harailton-Hss bezüglichen Notizen
nenne ich nur die von Wattenbach, N. Archiv VIII 327 ff., wegen
ihrer einleitenden Bemerkungen. — Von den sorgfältigen Indices der
Hss- Verzeichnisse verdient der Artikel Bibliotheken (im Verz. der früheren
Besitzer) besondere Hervorhebung.
Braunsberg.
304. 0. ileinertz, Die Hss und alten Drucke der Gymnasial-
bibl. Progr. 1882. 20 S.
bietet nur 1 Pergament-Hs aus dem 13. Jh. theologischen Inhalts.
Für Bremen (10 griech. Hss) haben wir eine bei Hamburg aus-
führlicher zu besprechende Arbeit von
305. H. Omont, Notes sur les mss. grecs des villes hanseatiques
Hambourg, Breme et Lübeck. C. B. VII 351—377,
für Breslau (Rehdigeriani) einen musterhaften
306. C. codicum graecorum, qui in bibl. nrbica Vratisla-
viensi adservantur, a philologis Vratisl. compositus. Accedit appendix,
qua gymnasii regii Fridericiani Codices graeci describuntur. Breslau,
1889. Vin und 90 S. 3 M.
Burgsteinfurt.
307. K. Hamann, Die Hss und alten Drucke der Bibl. des
Gymnasii Arnoldini. Progr. 1877
enthält (S. 14—20) nur 2 Hss: Raynerii de Pysis Pantheologia und
ein Codex lustinianeus des 15. Jh. mit Miniaturen.
Cassel (vgl. 337). Unter den bei Blau verzeichneten, auf philo-
logische Hss bezüglichen Publikationen vermisse ich
308. E. Thomas, £tude sur quelques mss. de Servius et de
Virgile de Suisse, d'Allemagne et de Hollande. Archives des missions
scientifiques 3. Serie 7. Band (1881) 161—184.
Conitz.
309. H. Deiters, Die Hss und alten Drucke der Gymnasialbibl.
Progr. 1875
bietet (S. 19—23) außer einem Juvenal nur historische oder Predigt-Hss.
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 239
Darmstadt s. Fulda und Köln,
Dresden, Zu
310. F, Schnorr von Carolsfeld, K, der Hss der k, Bibl. zu
D. I. Leipzig, 1882. XVI und 648 S,
bemerke ich, daß unter D im wesentlichen Eberts C. mss. codicum
auctorum class, cum graecorum tum latinorum (Leipzig 1822) wieder
abgedruckt ist,
311. 0. Meltzer, Mitteilungen über die Bibl. der Kreuzschule.
Progr. 1880.
An philologischen Hss finden sich XXIII f. ein bereits benutzter
Ovid-Kodex (Metamorph.) des 12, Jh, und Noten zu Valerius Maximus,
Düsseldorf. Über Hss, die von D. durch den Bibliothekar
Bücheis (wohl im Auftrage des Kurfürsten) an Lord Oxford verkauft
wurden (Harleiani), vgl.
312. A. C. Clark, Die Hss des Grävius. Neue Heidelberger
Jahrb. I 238—253.
Erfurt.
313. W. Schum, Beschreibendes Verzeichnis der Amplonia-
nischen Hsssammluug zu E. Mit Vorwort über Amplonius und die
Geschichte seiner Sammlung. Berlin 1887. LVIII und 1010 S. 40 M.
Die im 15, Jh, begründete Sammlung, von der zahlreiche Codices
in die Schönbornsche Bibl. zu Pommersfelden gekommen sind, ent-
hält keine griech. Hss, wenige lat. Klassiker.
Essen a/R. Über ein Psalterium quadruplex der Bibl. der
Münsterpfarrei (aus dem 11. Jh.) s. C. B. Xn 49, 141, 189 f.
Frankfurt a/0.
314. R. Schwarze, Die alten Drucke und Hss des k. Friedrich-
Gymnasiums. Progr, 1877.
S. 24 ff. finden \^ir einen griech. Codex Seidelianus Novi testamenti,
eine (von ßasmus, Hermes XII 320—325 behandelte) Solin-Hs und eine
Alexandreis, die Viliclinus, Bürger von Spoleto, 1236/37 verfaßte.
Freiberg,
315. M. Rachel, Über die F. Bibel-Hs nebst Beitr. zur Geschichte
der vorlutherischen Bibelübersetzung. Beigefügt sind (S. 23 — 31)
Proben aus dem neu angelegten Hss-K. der F. Gymnasialbibl. von
R. Kade, Progr. 1886.
Die Proben bieten von philologischen Hss nur 2 Pergamentblätter
des 13. Jh. ex Isidori etymologiis (vgl. Sadee im Progr. 1883; im
Progr. 1878 berichtet Heydenreich über die Hygin-Hs).
240 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
Fulda.
316. E. Ranke, Antiquissimae veteris testameuti versionis latiuae
fragnienta Stutgardiana nuper detecta . qüibus acceduut duae tabulae
photographicae. Schrift, der Univ. Marburg 1888/89. VIII und 28 S.
R. der zunächst in Fuldaer ans "Weingarten stammenden Hss
Deckblätter mit Bibelfragmenten (aus dem 5. Jh.) fand, hat mit Erfolg
weiter in Bibl. gesucht, die Weingartner Hss enthalten, d. h. außer F.
und Stuttgart noch in Darm Stadt, Gießen und Haag. Nach Darmstadt,
gelangten 1807 Hss von F., die General Thiebaut eigentlich für Paris
bestimmt hatte (vgl. Bibl. d. chartes LV 599).
Glatz.
317. E. Beck, Hss und Wiegendrucke der Gj'mnasial - Bibl.
Progr. d. kath. G. 1892 und 1893. 31 und 36 S.
Progr. 1892 bietet nur 4 mittellat. Hss (darunter Thomas de
Aquino, Summa secundae); die Fortsetzung, die theologische, philo-
sophische und historische Hss nebst denen des 16. und 17. Jh. enthalten
soll, hat mir nicht vorgelegen.
Görlitz.
318. E,. Joachim, Geschichte der ililichschen Bibl. Progr.
1876. 32 S.
Die von Johann Gottlieb Milich 1726 dem Gymnasium testierte Bibl.
enthält (S. XXX f.) einige griech. Hss — außer dem bei No. 65 er-
wähnten Lukian-Kodex, der dem 14. Jh. angehören soll — jüngeren Datums:
Aesop, Catonis sententiae admonitoriae, 2ti/oi 2ißu>,Xac x^? epuftpaia?
zspl Toü y.upiou Tjixoiv; an lat. außer Humanisten und Übersetzungen
von Aristoteles, Euclid mehrere Kirchenväter (Augustinus, Boethius,
Hieronymus), aber auch Ciceros Briefe, Porphyrius, Sallust.
319. U. Peper, Eine neue Properz-Hs. N. Lausitzisches Magazin
69 (1893), 86 — 132.
Die dem 15. Jh. angehörige Hs, über deren Wert P. berichtet,
befindet sich in der Bibl. der oberlausitzischen Gesellschaft der
Wissenschaften.
Göttingen.
320. Verzeichnis der Hss im preußischen Staate. I. Hannover.
1. Göttingen, üniversitätsbibl. 1. Bd. Philologie, Litterärgeschichte
u. 8. w. Berlin 1893. IX, 587 S. 20 M. 2. Bd. Geschichte, Karten,
Naturwissenschaften, Theologie. Hss aus Lüneburg. 1893. VIU 539 S.
18 M. 50. 3. Bd. Nachlässe von Gelehrten. Orientalische Hss. Hss
im Besitz von Instituten. 1894. VIII 551 und 244 S. 26 M.
Über Plan und Umfang des ganzen Werkes orientiert recht gut
die Anzeige von Perlbach, C. B. X 547—549. Von etwa 1900 Hss,
Bericht üb. Paläographie u. Ilandschriftonkunde. (Beer u. Weinberger.) 241
die "W. Meyer im 1. Bande beschreibt, sind 264 philologisch und nur
2 aus dem 10., 8 aus dem 12., gegen 30 aus dem 13. und 14. Jh. Auf
einen Corvinianus kommen wir bei Budapest zurück. Von den 1128 Hss
des 2. Bandes gehören eine lat. Übersetzung des Dioscorides und ein
Alcuiu dem 9. Jh. an, 4 theol. Hss dem 10., 3 dem 11., 2 dem 12.,
gegen 60 theologische und Lüneburger Hss dem 13. und 14. Im 3. Bande
interessieren uns etwa Mss. und Notizen in Drucken von K. F. Hermann,
Heyne und Sauppe.
Gotha (vgl. 337).
321. Ehwald, Beschreibung der Hss und Inkunabeln der Gym-
nasial-Bibl. zu G. (nebst Briefen von Eobanus Hessus n. s. w.) Progr.
Ernestinum 1893. 20 S.
Außer einem lat. Miscellankodex des 15. Jh. mit klass. und
mittelalterlichen Werken sind mehrere Hss mit Humanistenbriefen
(vgl. Progr. 189": Schneider, Die Gelehrtenbriefe der G. Gymn.-Bibl.)
und etwa noch Friedrich Bergers lexikalische Vorarbeiten zu Lukian,
Aristoteles, Strabo und Polybius zu erwähnen.
Halberstadt.
322. G. Schmidt, Die Hss der Gymnasialbibl. Progr. Dom-Gymn.
1878, 38 S. 1881, 32 S.
Es sind nicht weniger als 220 Hss (so daß sich das Fehlen eines
Index unangenehm bemerkbar macht) meist theologischen oder liturgischen
Inhaltes (vgl.
323. W. Wattenbach, Aus einer Halberstadter Hs. Anzeiger
für Kunde der deutschen Vorzeit. N. F. 25, 313-320, 345—350);
wichtiger sind die 1881, 22 ff. besprochenen Fragmente eines Codex
Theodosianus VI/ VII. Jh. (vgl. W. Schum, Savigny-Zeitschr. 9, 365—
374), -von Priscian aus dem XII., Ovid ex Ponto aus dem XIII. XIV.
und von Juvenal - Scholien aus dem XIV. Jh. 1881 S. 32 wird das
Inventar der Hss und Bücher abgedruckt, die von dem Domprobst
Baltasar von Neuenstadt 1516 an die Dombibl. (später von dieser an
das Gymnasium) kamen.
In der Zeitschrift des Harzvereins für Geschichte XXIV 531 — 543
werden aus Schmidts Nachlaß Inventare über den Nachlaß des Stifts-
herrn Thomas v. Gerbstedt (1442) und des Domdechanten Johann von
Halberstadt (1506) veröffentlicht; die Hss sind C. B. X 237 herausgehoben.
Hamburg. Die 60 griech. Hss sind zum Teil ohne Autopsie
nach dem alten hslichen K. bei 305 beschrieben; sie stammen meist
von Lindenbrogius und Holstenius. Die für letzteren angeführte Ab-
handlung
Jahresbericht für Altertumswissenschaft.. Bd. LXXXXVIII. (1898. ni.) 16
242 Bericht üb. Paläographie u. Handscbriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
324. H. Omont, Les mss. de Pacius chez Peivesc et Holstenins.
Annales du Midi III (1891) 1—20 (vgl. ebdt. I 316-339: H. Omont,
Les mss. et les livres annotös de Fabri de Peiresc).
ist, wie C. B. XIII 186 konstatiert wird, übersehen bei 229 S. 443 ff., der
feststellt, daß Hamburg das ihm bestimmte Drittel der Holstenius-Hss
fast vollständig erhalten hat; darunter sind 6 von den 25 griech. Hss,
die Peiresc von seinem Lehrer Pacius erworben hat.
Hameln.
325. Bachof, Die Hss und älteren Drucke der Gymnasialbibl.
Progr. 1876.
S. 3 — 7 finden wir eine 'ältere' Hs der Evangelien- Übersetzung
des Hieronymus und ein Glossar aus dem 15. Jh.
Heidelberg; vgl. 337 und über ein im Jahre 1622 — 1623 wurden
die Palatini nach Rom gebracht — gestelltes Anerbieten, die Blbl. zu
sichern,
326. B. Erdmann sdörf er, Zur Geschichte der Heidelberger Bibl.
Palatina. Neue Heidelberger Jahi'b. I 349 — 351.
Über den jetzigen Bestand orientiert gut die Einleitung von
327. A. Öchelhäuser, Die Miniaturen der Universitätsbibl. H.
H., L 1887. Vn und 108 S. 18 T. 30 M. II. 1895. 420 S. 16 T.
Unter den 892 Hss, die aus Rom 1815/16 direkt oder über Paris
zurückkamen, sind nur 26 griech. und 16 lat. (die im K. der Vaticano-
Palatini, No. 246, mitaufgenommen sind). Lat. Hss religiösen Inhalts
finden sich unter den 1826 angekauften 442 Salemitani (aus dem
Kloster Salem oder Salmanns weiler). Endlich kommen die 140
Trübneriani in Betracht. Von etwa 230 Miniatur-Hss werden bloß die
bedeutenden besprochen, griech. und lat. nur im 1. Teil.
Hildesheim.
328. J. G. Müller, Nachricht über die Bibl. des Gymnasii
losephini. Progr. 1876.
S. 1 — 3 werden dem 15. oder 16. Jh. angehörige Hss der Georgica
nnd der Ars poetica, ferner eine aus dem 12. Jh. (Ehetorica ad
Herennium; Boetius, de syllogisrais, differentiis topicorum und de divisione;
Ciero, de imperio Cn. Pompei, Somnium Scipionis; Symmachus X
22 — 69) und Fragmente des 12. (Justin), des 12. bis 13. (Juvenal;
Ovid, Metam.; Sallust), endlich des 13. bis 14. Jh. (Aeneis; Sedulius,
Carmen paschale) behandelt.
329. Nentwig, Die mittelalterlichen Hss und die "Wiegendrucke
der Stadtbibl. zu H. C. B. XI 345—368.
Bericht üb. Paläographie u. HandschrifteDkunde. (Beer u. Weinberger.) 245
Die 12 Hss, meist theolog-ischen oder liturgischen Inhalts, sind
ohne besonderen Wert.
Ilfeld.
330. P. Frey er, Verzeichnis der in der Bibl. der Klosterschule
vorhandenen älteren Drucke und Hss. Progr. 1876.
Es sind 25 Hss, darunter (S. 47) ein bereits benutztes Fragment
von Ovids Fasten, Annotata ad Virgilium, Briefe von Petrus Blesensis,
Melanchthon u. a.
Karlsruhe.
331. Die Hss der großherz, badisehen Hof- und Landesbibl.
in K. I. Geschichte und Bestand der Sammlung von W. Brambach
K. 1891. 25 S. in. Die Durlacher und Rastatter Hss beschrieben
von A. Holder. 1895. 205 S. IV. Die K. Hss (hgg. von Brambach)
1896. X und 283 S.
Mit III und IV (II ist den orientalischen Hss gewidmet) ist der
ältere, kurzwegs der Durlacher genannte Bestand abgeschlossen; III
enthält einige Kirchenväter , meist aber historische Hss , IV mehrere
Kirchenväter und Klassiker. Besonders hervorzuheben ist IV 243 — 252
K. L. Kaysers Nachlaß: Drucke mit hslichen Zusätzen und in-
teressante Mss. Ausstäudig sind die berühmten Reichenauer Hss
(Augienses) und die Codices der Klöster Allerheiligen und St. Blasien
im Schwarzwalde (vgl. 4. Österreich-Ungarn : St. Paul). — Ehrensbergers
Bibl. liturgica ms. ist unter 107 erwähnt worden.
Köln.
332. A. Decker. Die Hildeboldsche Mss.-Sammlung des Kölner
Doms. Festschrift der 43. Philologen- Versammlung (1895) dargeboten
von den höheren Lehranstalten Kölns. 215—251.
D. hat Hildebolds in der Registratur des erzbischöflichen Ge-
neral-Vicariats zu K. verborgenen K. der von Leo III. Karl dem
Großen übersandten Hss (vom Jahre 833) gefunden und veröffentlicht
ihn unter Voranstellung einiger Notizen über Hildebolds Leben. S. 222
werden Bemerkungen über weitere Schicksale der Hss gemacht (namentlich
über die Franzosenzeit; erst 1866 kaipen aus Darmstadt 191 Nummern
ans Domkapitel zurück). Die noch vorhandenen Hss werden unter
Angabe der Nummer von Jaffe-Watteubachs K. identifiziert.
Für Hss, die von K. nach Darmstadt kamen und nur zum Teile
zurückgestellt würden, kommt noch in Betracht:
333. K. Lamprecht, Verse undMiniatuien aus einer Evangelienhs
des 10. Jh. der K. Dombibl. (jetzt Darrastädter Hofbibl. No. 1948).
N. Archiv IX 620—623.
16*
244 Bericht üb. Paläographie u. Ilandschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
und ein mir nur aus C. B. XIV 316 bekannter Aufsatz von E. Roth in
den Annaleu des histor, Vereins für den Niederrhein 62, 177—187.
Die Kölner Stadtbibl. besitzt laut C. B. XII 579 den 1748 von
Peter Wachtendunk hsl ich fertiggestellten K. des Klosters Sic n, dessen
Hss sich im historischen Archiv der Stadt befinden.
Magdeburg.
334. K. Knaut, Hss und alte Drucke der Bibl. des Pädagogiums
zum Kloster unserer lieben Frauen. Jahrbuch des Päd. N. F.
H. 41 (März 1877) S. 37—48.
Es sind 9 meist liturgische Hss, auch ein Kalender mit Malereien.
335. Dittmar, Die Hss und alten Drucke des Dom-Gymnasiums.
I (Hss 1—100) Progr. 1878, 141 S. III (Hss 101—285 und
Inhaltsverzeichnis) 1880. 112 S.
"Weitaus die meisten Hss sind scholastisch-philosophischen oder
asketisch-theologischen Inhalts und auf Papier im 15. Jh. geschrieben.
Auch unter den Pergament-Hss sind keine sehr alten; die wenigen Mss.
lat. Klassiker sind von geringem Werte.
Mai hin gen. Die von Blau verzeichneten, auf einzelne Hss be-
züglichen Abhandlungen von Gr. Schepps (es fehlt Philol. 37, 562 — 567,
Eine M. Hs zu Secundus Philosophus) sind überholt von
336. Üttingen - Wallersteiuische Sammlungen in M. Hss -Ver-
zeichnis. 1. Hälfte hgg. von G. Grupp. Nördlingen, 1897. 36 S.
S. 24 finden wir unter der Überschrift 'Alte Litteratur' 21 Hss,
die mit Ausnahme von Boethius, de consol. (s. X/XI) und Palladius, de
agricult. (s. X/XI) dem 15. Jh. angehören. Auch unter der mittel-
alterlichen Litteratur ist manches Griechische und Lateinische. Die
theologischen Hss sind der 2. Hälfte vorbehalten.
Mainz.
337. F. Falk, Die ehemalige Dombibl. zu M., ihre Entstehung,
Verschleppung und Vernichtung. 18. Beiheft zum C. B. (1897)
' V und 175 S.
F. giebt eine Geschichte der Bibl, die 1793 verbrannte — hierbei
werden Hss- Verzeichnisse von 1654 und 1723, letzteres teilweise, ab-
gedruckt — und verzeichnet die noch vorhandenen Hss nach dem
Alphabet der jetzigen Aufbewahrungsorte: Cassel, Coblenz, Gotha,
Heidelberg, Leydeu, Mainz (Seminar- und Stadtbibl.), München,
Nürnberg, Paris und Würzburg. Über die Autoren giebt nur das
Register der Personen- und Ortsnamen Auskunft.
Metz.
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 245
338. F. X. Kraus, Horae Metenses (Die Hss-Sammlung des
Freiherrn Louis Numa de Salis) Rhein. Jahrb. 1880, 72—82.
Delisle druckte dieses Verzeichnis von 142 namentlich für Kirchen-
väter nicht unwichtigen Hss, das er im 2. Anhang von 166 für den
gegenwärtigen Verbleib der Saibantini herangezogen hatte, Bibl. d.
chartes LV 560 — 562 wieder ab, als die Freifrau von Salis die Hss
der Stadtbibl. von Metz geschenkt hatte.
*339. A. Prost, Notice sur le baron de Salis. Metz 1883,
hat mir nicht vorgelegen. Eine Notiz im Jahrbuch der Gesellschaft
für lothringische Alterthumskunde V 270 f. kenne ich nur aus C. B.
XI 414. Über die Klosterbibl. von St. Vinceuz (92 No. 122) vgl. die
gelegentlich der Besprechung von 303 im C. B. XI 82 — 84 gemachten
Bemerkungen.
Michelsberg s. Bamberg.
Bei München (s. 297 und 337) führe ich
340. R. Roth, Die fürstliche Liberei auf Hohentübingen und
ihre Entführung im Jahre 1635. Schriften der Universität Tübingen
1889. 47 S.
deshalb an, weil R. feststellt, welche griech. Hss damals von Tübingen
nach M. kamen. Ein anderer Teil der Sammlung kam wahrscheinlich
nach P-ont-;\-Mousson.
Münster.
341. J. Ständer, Chirographorum in regia bibl. Paulina
Mouasteriensi c. Breslau 1889. IX und 197 S. 4. 12 M.
enthält viele theologische, wenige klass. Hss.
Für Murbach sind zu 92, No. 123 hinzuzufügen
342 und 343. E. Zarncke, Aus Ms. Klosterbibl, Commen-
tationes in honorem Guilielmi Studemund (Straßburg 1889) 181—209.
— Analecta Murbacensia. Philol. XXXXVIUI (1891) 613—628.
344. P. Ingold, Les mss. des anciennes maisons religieuses
d'Alsace. Le bibliographe moderne 1 209 ff.
209 — 215 und 305 wird über noch (meist in Colmar) vorhandene
Hss von M. berichtet.
Osnabrück.
345. L. Thyen, Die Bibl. des Gymnasii Carolini. Progr. 1875,
32 S. 1876, S. 1-23.
Zu nennen sind ein Graduale mit Miniaturen aus dem 13., ein
Augustinus aus dem 14. und ein Cassiodor (bist, eccl.) aus dem 15. Jh.
246 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
346. R. Kuhleubeck, Die Bibl. des Ratspymnasiums. 3. Abth.
Progr. 1889. 22 S.
enthält einige liturgische Hss.
Pforta.
347. P. Böhme, Nachrichten über die Bibl. der k. Landesschule
P. Progr. 1883. 40 S.
Es sind etwa 35 Hss im engeren Sinne, meist von Kirchenvätern,
nicht älter als das 12. Jh., außerdem Mss. von D. Bgen.
Pommersfelden s. Erfurt.
Posen.
348. Kohlm ann, Über ein Ms. des k. Friedrich-Wilhelm-G. zu P.
Progr. 1877.
S. 22 f. wird im Nachhange zum Progr. 1874 S. 11 eine Hs
theologischen Inhalts besprochen.
Quedlinburg.
349. A. Düning, Ein neues Fragment des Qu. Itala-Kodex.
Progr. 1888.
In Einbänden von Qu. Urkunden wurden 1865 in Magdeburg,
1869 in Qu. (vgl. W. Schum in den Theol. Studien und Kritiken vom
J. 1876), endlich von D. in der Qu. Oberpfarre zu St. Servatii
Fragmente gefunden (Bücher der Könige und Sam.), die sogar ins
4. Jh. gesetzt werden.
Rastatt (vgl. No. 331).
350. J. Köhler, Die Hss und Incunabeldrucke der R. Gym-
nasialbibl. Progr. 1886. 24 S.
14 theologische oder historische Hss sind von geringer Wichtigkeit.
Regens bürg. Eine aus dem Frauenkloster Obermünster, weiter
vielleicht aus St. Emmeran stammende Hs der Proskesche MusikbibJ.
(11. Jh.) wird genau beschrieben von
351. J. Stiglmayer, Eine alte R. Hs. Prager Studien III
(1894). 56 S.
Rinteln.
352. Pu Ich, Mitteilungen aus der Bibl. des Gymnasiums. Progr.
1888. 17 S.
verzeichnet S. 2 f. aus älteren Einbänden losgelöste Fragmente (10.— 15.
Jh.) theologischen oder liturgischen Inhalts.
Roßleben.
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 247
353. H. Steudener, Die Hss und älteren Drucke der Kloster-
bibl. Prosr. 1878. 13 S.
Zu nennen sind allenfalls L. Wilhelms Abschriften von Hss des
Diocles, Tereuz, Babrius und Cicero de off.
Salzwedel.
354. H. Hempel, Mitteil, über die Hss und alten Drucke der
Gymnasialbibl. Progr. 1878.
S. 2 finden wir 3 lat. Hss, ein Brevier, ein Missale und librorum
Josuae, Jud.. Ruth, Esdrae, Nehem., Esther versio mlgata.
Was Schlettstadt anbetrifft, vermisse ich bei Blau
355. A. Giry, Notes sur un ms. de la bibl. de Seh. Rev.
phil. III 16—18,
der eine C. D. III 543 f. nicht erwähnte Vitruv-Hs nachträgt; vgl.
344 S. 378 f.
Schiensingen.
356. G. Weicker, Nachrichten über die Geschichte der Bibl.
des Hennebergischen Gymnasiums. Progr. 1878. 17 S.
erwähnt bei Besprechung der einzelnen Teile der Bibl. S. 4 f. liturgische
Hss, S. 6 einen Seberianus des losephus , Hss von Theodorets Psalmen-
kommentar, Gregorius von Nyssa und von Nazianz.
Schweidnitz.
357. A. Friede, Verzeichnis der in der Gymnasialbibl. befindl.
Hss. Progr. 1877, 20—25.
Es sind 7 meist historische fiss, darunter ein Lactanz aus dem
14. Jh. und eine Legendenhs.
Stargard.
358. R. Kuhnke, Bericht über die auf der Bibl. des Gym-
nasiums . . . vorhandenen . . . Hss und Drucke. Progr. 1877.
S. 1—9 werden 51 meist theologische Hss (Augustinus u. a.)
ohne Altersangabe verzeichnet.
Steingaden s. 297.
Stettin.
359. H. Le nicke. Die Hss und alten Drucke des Marienstifts-
Gymnasiums. Progr. 1879. 44 S.
Die aus der Camminer Dombibl. stammenden Hss sind theo-
logischen oder philosophischen Inhalts, meist mittellat.; die Beschreibung
reicht zur Identificierung nicht immer aus. Hervorzuheben sind : Macro-
bius super sompnio Scipionis, Isidori etymologiae, Festi breviarium
historiae Romanae, Boetins de summo bono.
248 Bericht üb. Paläograpbie u. Handschriftenkunde. (Beer u. VVeinberger.)
Strassburg s. 297.
Stuttgart (vgl. No. 316).
360. W. V. Heyd, Die Hss der k. öffentlichen Bibl. zu St.
I. Abt. Die historischen Hss. I. Bd. Hss in Folio. St. 1889/90.
XY und 326 S. II. Bd. Hss in Quarto und Oktav. 1891. 236 S.
Es sind wenige alte Hss darunter (vgl. die Anzeige in den
Göttinger gel. Anz. 1892, 178), ebenso v^-enige Klassiker; selbst dem
15. Jh. gehört nur ein Achtel der Hss an.
Thorn.
361. M. Curtze, Die Hss und seltenen alten Drucke der Gym-
nasialbibl. Progr. 1875. 40 S.
Unter den 52 Hss, über die ein genauer Index orientiert, sind
wenig philologische; dem i2./13. Jh. angehörige Fragmente von
Juvenal und Vergil sind, wie in vielen anderen Gymnasialbibl., aus
Büchereinbänden gezogen.
Tilsit.
362. H. Pöhlmann, Nachricht über die auf der Lehrerbibl. vor-
handenen Hss und alten Drucke. Progr. 1875 S. 28 — 36.
Es ist nur 1 Hs des 16. Jh. vorhanden, die außer humanistischen
Werken Cyprian, de ligno crucis und den Homerus latinus enthält.
Trier.
363. M. Keuffer, Beschreibendes Verzeichnis der Hss der Stadt-
bibl. zu T. 1. Heft. Bibel-Texte und Kommentare, Trier 1888. IX,
und 77 S. 2. Kirchenväter. 1892. XIII 148 S. 3. Predigt-Hss.
1894. XIV und 166 S. 4. Liturgische Hss. 1897. 108 S.
In den 4 Heften sind über 500 Hss — manchmal mit zu starker
Betonung von Äußerlichkeiten — beschrieben. Daß der Dom schätz
in Trier mindestens 1 griech. Hs besitze, ergiebt eine mir nur aus
C. B. Xin 138 bekannte Abhandlung:
364. G. Flügel, K. Hamanns Bemerkungen zum Cod. S. Simeonis.
365. K. Hamann, Bruchstücke einer Sallust-Hs in der Dombibl.
zu T. Progr. Johanneum Hamburg 1893. IV und 10 S.
bezieht sich auf die Deckblätter einer aus St. Godehard in Hildesheim
stammenden Hs des 12. Jh., die Ovids Fasti und einen Kommentar zu
Porphyrius enthält. In der Einleitung wird die Vernichtung der Dom-
bibh in der Franzosenzeit und ein handschriftlicher K. von Sauerland
erwähnt.
Ülzen (Kirchenbibl. zu St. Marien).
366. R. Mücke, Eine unbeachtet gebliebene Hs zu Senecas
Briefen. Progr. Ilfeld 1895. 43 S.
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 249
bezeichnet die Hs des 15. Jh. als beachtenswert für Seneca, wertlos
für Valerius Maximus.
Weilburg.
367. R. Gropius, Die älteren Hss der Gymnasialbibl. Progr.
1885, 3—15.
5 Hss. — 1. Bruti epistolae et Mithridatis responsivae, Phalaridis
epistolae, Xenophontis Hiero (lat.), 2. und 3. Isidori etymologiae,
4. Erzählung von den 7 weisen Meistern, Gesta ßomanorum, ä. Bocaccio
(lat.) — werden sehr ausführlich beschrieben.
Wiesbaden.
368. E. Roth, Die Hss der ehemaligen Benediktiner- und
Cistercienser-Klöster Nassaus in der k. Landesbibl. zu W. Studieu
und Mitteil, aus dem Bened.- und Cist.-Orden VII (1886) 1, 434—
449; 2, 172—180.
Liturgische und theologische Hss der Klöster Johann isberg,
Schönau, Eibingen und Eber b ach werden hier genauer beschrieben
als in Lindes wenig übersichtlichem K. (W. 1877).
Wolfenbüttel (vgl. S. 251).
369. 0. von Heinemann, Die Hss der herzoglichen Bibl. zu W.
1. Abth. Die Helmstedter Hss. 3 Bände (XII und 380, 340, 280 S.)
W. 1884—1888. 2. Abth. Die Augusteischen Hss. 2 Bde. (XI und
321, 364 S.) 1890—1895.
Der gediegene, mit Abbildungen von Personen und Gebäuden
(Herzog August von Braunschweig, Lessing-Haus) und mit Schriftproben
geschmückte K. enthält verhältnismäßig wenig philologische Hss.
Würzburg (s. auch 337).
370. Die Pergament-Hss der k. Universitätsbibl. W. in alpha-
betischer Reihenfolge verzeichnet. W. 1886. 21 S.
Die Hss gehen bis ins 5, Jh. zurück, eine größere Zahl gehört
dem 8. oder 9. Jh. au. Aus
371. F. Leitschuh, Zur Geschichte des Bücherraubes der
Schweden in W. C. B. XIII 104—113
hebe ich hervor, daß Hss damals nicht geraubt wurden. Sie blieben
wohl verwahrt, ja bis 1717 versteckt, in W.
Wunsiedel.
372. P. Willmann, Hss und Frühdrucke im Besitze der k.
bayerischen Stadt W. Korrespondenzblatt des Gesamtvereins der
deutschen Geschichts- und Altertumsvereine 43 (1895) 143 f.
250 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
Es bandelt sich um einige Hss theologischer und humanistischer
Werke; 6 stammen aus dem Augustinerkloster Lange nzenn.
Für die Stiftsbibl. von Zeitz endlich, die auch griech. Hss ent-
hält, genügt auch betreffs des Progr. (von Wegener 1876) der Hinweis
auf Blau (295).
4. Österreich-Ungarn.
Der bis 1888 reichenden Zusammenstellung von
373. A. Goldmann, Verzeichnis der Österreich-ungarischen Hss-
K. C. B. V 1-37, 55—73
wird um so weniger hinzuzufügen sein, als er eine verdienstvolle Durch-
forschung der Klosterbibl. vom philologischen Standpunkte
374. J. Huemer, Iter Austriacum. Wiener Studien IX 51 — 93
bereits bei den einzelneu Bibl. anführen konnte, ebenso
375 und 376. J. Neuwirth, Untersuchungen über datierte Bilder-
hss österr. Klosterbibl. — Studien zur Geschichte der Miniaturmalerei
in Ost. S.-Ber. Wien. Akad. 109. und 113. Band.
Über den Hss-Bestand der Bibl. orientiert
377. R. Kukula, Statistik der wichtigsten außerdeutschen Bibl.
der Erde. C. B. XI 111 — 124; (Berichtigungen und Nachträge mit
Gesamtindex)XII31 1—326 (Österreich beginnt XI 119, bezw. XII 318).
Die Cistercienserstifte Österreich-Ungarns haben in die Festschrift
anläßlich des 800. Geburtstages Bernhards von Clairvaux K. ihrer Hss
mit guten ludices aufgenommen:
378. Xenia Bernardina. II. Die Hss-Verzeichnisse der Cister-
cienserstifte. Wien 1891. 2 Tle. VIII und 561, 511 S.
Ich werde diese Publikation bei den einzelnen Orten anführen
und das Vorhandensein klass. Hss jedesmal hervorheben. Auf Katalogi-
sierung weiterer Klosterbibl. läßt wohl hoffen
379. Regulativ für die Bearbeitung von Mss. K. (zunächst der
Bibl. der österreichischen Stifte und geistlichen Korporationen) nach
den Vorschlägen von A. Czerny, 0. Grillnberger und G. Viel-
haber entworfen von der historischen Sektion der Leo-Gesellschaft,
Wien 1895. 14 S.
Ehe ich zu den einzelnen Bibl. übergehe, erwähne ich, daß bei
380. J. Danko, Vetus hymnarium ecclesiasticum Hungariae.
Leipzig 1894. XV und 598 S.
S. 41—43 einige (in 92 fehlende) ältere Bücherverzeichnisse zu finden sind.
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkundc. (Beer u. Weinbergor.) -j^l
Bei Budapest versuche ich es, zuvörderst in 373 nicht verzeichnete
Werke hervorhebend, in Kürze über die Corviniani zu orientieren.
Einen guten Überblick über Entstehen und Vergehen der Bibl. des
Mathias Corvinus geben
381. L. Fischer, König Mathias Corvinus und seine Bibl. Progr.
Staatsuntergymn. im 2. Bezirk. Wien 1878. 37 S.
382. A. de Reumont, La bibl. C. Archivio storico Italiano
4. Serie. 4. Bd. 59—73.
Ersterer verzeichnet 115 Hss, die sich mit mehr oder weniger
Sicherheit auf diese Bibl. zurückführen lassen. Anläßlich der Hinzu-
fügung einer Göttinger Hs giebt ein genaues Litteraturverzeichnis
383. 0. von Gebhardt, Ein Kodex C. in der Universitäts-
bibl. zu G. C. B. I 133—151.
(Die ebdt. 444 — 447 von M. Isler aufgestellte Behauptung, daß
eine Hamburger Hs aus der Corviniana stamme, dürfte irrig sein.)
Endlich hat ein gründlicher Kenner dieser Hss
384. I. Csontosi, Corvinische Hss von Attavantes. C. B. III
209—217
ein genaues Verzeichnis von 120 Hss nach den verschiedenen Bibl. ge-
geben (vgl. Ungarische Revue 1885, S. 540). Er polemisiert zunächst
betreffs des Florentiner Miniaturmalers A., der für Corvinus gearbeitet
hat, gegen Venturi (Kunstfreund 1885, 310—313; vgl. C. B. III 378 f.),
giebt aber auch über die hierfür nicht in betracht kommenden Hss
summarische Auskunft. Einzelne (nicht mehr als 3) finden sich in
Besangon, Brüssel, Dresden, Erlangen, Florenz, Göttingen, Jena, Leipzig,
London, Madrid, Mailand, Paris, Parma, Petersburg, Prag, Rom, Salz-
burg, Stuttgart, Thorn. Venedig, Verona und einigen kleinen ungarischen
Bibl. Betreffs der Hss, die 1686 durch den General Grafen Marsigli
von Budapest nach Bologna kamen, ist die Abhandlung von
385. E. Ricotti, Sulla bibl. C. Atti della r. accademia di
Torino XV (1880) 307 f.
überholt durch
386. L. Frati, Della bibl. Corvina. Rivista IV 7— 16.
München besitzt 6, Wolfenbüttel 8, Wien 30, endlich Buda-
pest 20 Corviniani, Die Pester Hss verteilen sich auf Nationalmuseum
TJniversitäts- und Akademie bibl. Bezüglich der letzteren vgl.
387. K. von Szily, Die Mss-Sammlung der ungarischen Akademie.
Ungarische Revue XII 345 — 350 (nach A. Jakab in Akademiai
Elrtesitö).
252 Bericht üb. Paläographie u. Haadschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
Die Corviniani der Universitätsbibl. stehen an der Spitze des
388. C. codicum bibl. Universitatis Budapestinensis (ed. A.Szilägyi).
Budapest 1881, VIII und 155 S. (Der unter dem Titel C. librorum
mss. bibl. Univ. B. in 2 Bänden 1889 und 1891 erschienene K. ent-
hält nur ganz junge Hss und Urkunden.)
Diese Hss rühren von der Schenkung des Sultans Abdul Hamid
(im J. 1877) her. Die auf diese bezügliche Litteratur ist hier, in 373
und bei
389. F. Blaß, Die griech. und lat. Hss im alten Serail zu
Koustantinopel. Herm. XXIII 219—233, 622—625, *
einer Abhandlung, auf die wir noch zurückkommen, verzeichnet. Es
haben sich nicht alle 35 Hss als Corviniani erwiesen.
Göttweih.
390. H. Muzik, Die Göttweiger Hss zu Klassikern. Z. f. öst.
Gymn. 1896, 391—400
hebt aus dem Index eines handschriftlich von V. Werl 1843/44 ver-
faßten K. die klass. Autoren heraus. Diese sind auch C. B. XIII 417
angeführt. Es handelt sich um 15 Hss meist des 15. Jh.
Für Gran vgl. C. B. V 143 f.
Heiligenkreuz (vgl. Wiener-Neustadt) 378, 1115—272 (auch
einige Klass.).
Hohenfurt 378, II 165—401 (auch Klass.).
Für die Studienbibl. von Klagenfurt sind die Notizen von
R. Kukula, C. B. VIII 60—62 heranzuziehen. Von den 42 Pergament-
hss ist keine älter als das 12. Jh.; einige patristische sind darunter.
Krakau. Der in 373 erwähnte, von Korzeniowski verfaßte K.
des Czartoryskischen Museums, das meist historische und nur sehr
wenige klass. Hss enthält, ist meines Wissens bis zum 4. Hefte (1893)
gediehen. (Die von Wisloski katalogisierte Universitätsbibl. enthält
klass. Hss.)
Lemberg. Von Ketrzynskis K. des Ossolinskiscben Insti-
tutes, das einige liturgische, sonst fast nur historische Mss. besitzt,
ist 1890 der 3. Band erschienen.
Lilienfeld 378, I 480—561.
Linz. Über die lat. Hss der Alumuatsbibl. berichtet in aller
Kürze unter Hinweis auf 379 C. Schiffmann, C. B. XII 337.
Melk.
391. C. codicum mss., qui in bibl. monasterii Mellicensis 0. S. B.
asservantur. I. Wien, 1889. XIII und 362 S.
ist leider bisher unvollendet.
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beeru. Weinberger.) 253
Olmütz.
392. R. Beer, Mitteilungen über die Studienbibl. zu 0. C. B.
VII 474-481
ergänzt frühere Publikationen auf Grund des handschriftlichen K.
Ossegg 378, II 115-164.
St. Paul.
393. F. X. Kraus, Die Schätze St. ßlasiens in der Abtei
St. P. in Kärnten. Z. f. d. Gesch. d. Oberrheins N. F. IV (1889)
49-63.
Nach Aufhebung des Stiftes St. Blasieu im Jahre 1809 kamen
nur wenige Hss nach Karlsruhe (s. d.) oder in die Schweiz, die meisten
nach St. P. K. verzeichnet nur einige von etwa 300 Hss.; ich hebe
hervor: Ambrosius de fide s. VI., Hieronymus in eccles. s. VIII. Er-
freulich ist die Nachricht, daß der gegenwärtige Archivar P. Achatz
mit der Herstellung eines neuen Hss- Verzeichnisses beschäftigt ist.
Eauduitz (fürstl. Lobkowitzsche Fideikommißbibl.). 0. v. Geb-
hardt bringt C. B. XIV 419 f. eine Berichtigung zu Schneiders in
Passows Ausgabe des Dionysius Periegetes (Leipzig 1825. S. VI Anm.)
benutzter Beschreibung der 11 griech. und 5 lat. Hss.
Renn 378, I 1 — 114 (schon früher von A. Weis in den Beitr.
zur Kunde steiermärkischer Gesch. XII 1 — 142 veröffentlicht).
Bei Salzburg hebe ich das in 373 für die einzelnen Bibl. ange-
führte Werk von
394. K. Foltz, Geschichte der S. Bibl. Wien 1877. 119 S.
einerseits wegen der pal. Details (Schreibschule im 9. Jh.), andererseits
wegen der S. 104 ff. gegebeneu Übersicht über den jetzigen Aufbe-
wahrungsort der Hss hervor. Hierbei werden die 505 als Salisburgenses
bezeichneten Codices der Wiener Hof bibl. besprochen.
395. W. Hauthaler, Ein Miscellankodex des 9. Jh. C. B. X
71—81
beschreibt eine 1889 vom städtischen Museum Carolino-Augusteum
erworbene lat. Pergameut-Hs patristischen , bezw. historischen Inhalts.
Schlierbach. 378, II 481—511.
Seitenstetten; für Miniaturen vgl. Ilg im Monatsblatt des Wiener
Altertumsvereins 1894 S. 111.
Stams. 378, II 463—479.
Wien. Außer der Hofbibl. (vgl. 200, 381 ff. und 394; von
396. Tabulae codicum mss. praeter graecos et orientales in
bibl. Palatina Viudobonensi asservatorum. Ed. Academia Vind.
Wien 1863 ff.
254 Bericht üb. Paläographie u. Uandschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
siud zu den bei 373 verzeiclineten Bänden hinzugekommen : VITI (Cod.
14001—15500. 1893. 2G7 S.) und IX (codd. musicorum p. 1:15501 —
17500. 1897. X u. 920 S.)
enthalten philologische Hss die k. Fideikommißbibl. und die Sammlungen
des Schotteustiftes und des Grafen Wilczek. In die letztge-
nannte gelangten einige Hss des Grafen Paar; vgl. C. B. XIII 280 über
397. K. der reichhaltigen Sammlungen des Herrn Grafen L. Paar
. . . enthaltend . . . wertvolle Hss aus dem 13. — 18. Jh. . . (Ver-
steigerung zu Wien am 20. Februar 1896). Wien. IV u. 129 S.
Betreffs der Fideikommiß-Bibl. erwähne ich, daß bei
398. M. A. Becker, Die Sammlungen der vereinten Familien-
und Privat-Bibl. S. Maj. des Kaisers. I. Wien 1873.
S. XV unter b) Varia einige Klassikerhss des 15. Jh. verzeichnet sind.
Als brevis nimis elenchus codicum wird das Werk bezeichnet im
399. C. codicum hagiographicorum, qui Vindobonae asser-
vantur in bibl. privata serenissimi Caesaris Austriaci. Anal. BoUan-
diana XIV 241—262 (9 von Johannes Gielemans herrührende Bände
sind besonders besprochen S. 5 — 88: de codicibus hag. lohannis Giele-
mans, canonici regularis in ßubea Valle prope Bruxellas).
Den in 399 anhangsweise beschriebenen cod. 9373 (a. 1540)
glaube ich hervorheben zu sollen ; er enthält Bücher- und Hss- Ver-
zeichnisse nicht nur des erwähnten Klosters in ßubea Valle, sondern
überhaupt monasteriorum terrae Gelrensis , Coloniensis , Clevensis,
Traiectensis, Brabantiae, Flandriae, Hannoniae, Leodii, Namurcii,
Mechliniae.
Wiener-Neustadt. Die Hss des mit der Abtei Heiligenkreuz
vereinten Stiftes Neukloster zu W.-N. sind verzeichnet 378, I 273—291.
Wilhering. 378, n 1-114.
Zwettl. 378, I 294—479 (auch einige Klass.)
5. Der Orient.
Die bei Budapest erfolgte Erwähnung der Bibl. des Sultans
leitet uns passend zum Orient über, unter welchem Namen ich Türkei,
Griechenland, die Inseln des Agäischen Meeres, Kleinasien und Arabien
zusammenfasse. Die meisten der in betracht kommenden Bibl. sind
während der Berichtsperiode katalogisiert worden, ohne jedoch die
hochgespannten Erwartungen zu befriedigen. Wenn auch hübsche
Funde gemacht wurden — ich brauche bloß an die Apollodor-Fragmeute
zu erinnern — reduzieren sich doch die Tausende von Hss auf Hunderte,
sobald man sich auf mittelalterliche Codices beschränkt, auf Zehner,
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 255
wenn es sich um solche des 9.— 12. Jh. handelt; und von diesen sind
wenige profanen, fast keine klass. luhalts. Die klass. Hss werde ich
nach Thunlichkeit hervorheben und auch auf die noch ausstehenden
K. aufmerksam machen. Die Übersicht von
*400. E. Edwards, Researches for mss. in the Levant and
more especially in the monasteries of Mount Athos. Giovanni
Aurispa to Sp. Lambros (1425—1880). Library Chronicle I 81 -85,
105—109
war mir nicht zugänglicli (über die Bestände vgl. No. 377).
Andres.
*401. S. Lambros, K. töüv h tt] xaxa xr-jv "A. ixov^ t^c 'A-^iac
Xü)3ixü)v. 'Errsnrjplc xoü Oapvajjoy 1898, 136 — 244.
kenne ich nur aus Byz. Z. VII 464, wo auch der ungenügende, von
K. Pleziotes verfaßte, von A. Meliarakes in den 'Yr^oiin^ixi-oi Trepqpacpixa
Tüiv KuxXaotüv vT^ciüJv (Athen 1880) S. 161—181 veröffentlichte K. er-
wähnt wird.
Athen.
402. 'Iü)dtvvTjc xal 'ÄXxiß. laxxeXiüjv, K. tiuv ystpoYpa'fujv xfj?
eövix^; ßißX. T^; 'EXXoEooc Athen 1892. la u. 339 S.'
Dieser gute K. beschreibt über 1800 (darunter 1600 griech.)
Hss. Der Index giebt nur über den Inhalt, welcher der eben gegebenen
allgemeinen Orientierung entspricht, Auskunft; Verzeichnisse der früheren
Besitzer, der Schreiber u. s. w. fehlen.
Die Hss des Athos sind katalogisiert von Lambros, dessen Rechen-
schaftsbericht an die griech. Kammer mir weder im Original
*403. 2. A., irepi T^? £1? To"A7iov ''Opo; drosToX^;. Athen 1880.
noch in einer der beiden tJbersetzungen von A. Boltz (Bonn 1881)
oder H. Rickenbach (Würzburg 1881. 32 S.) zugänglich war. Zu-
nächst erschien
404 U. 405. 2. A., K. -rwv Iv xaic ßißX. xou 'Atiou "Opou? 'EXXtj-
vtxüJv xcooixüjv. Athen 1888. 192 S. — Ttepl x(uv 7raXt|j.({<r(jxü)v xtuoixujv
lülv a-f'.opeixixüJv ßißX. A. 1888. 20 S. (vgl. 0. v. Oebhardt, C. B.
VI 80 ff.).
Hier werden 8 von den 18 Klöstern behandelt, die L. abge-
schlossen hat; es fehlt nämlich der K. der beiden größten Bibl.
Laura und Vatopedi (mit etwa 6000 Hss). — Die Palimpseste sind
ausschließlich theologischen Inhalts. — Erst 1895 erschien mit englischer
Unterstützung, daher mit doppeltem — englischem und griech. — Titel,
aber in griech. Sprache
256 Bericht üb. Paläographie u. Ilandschriftenkundc. (Beer u. Weinberger.)
406. S. L., C. of the Greek mss. on Mount Athos. I. Cambridge
1895. VIII u. 438 S.
Der 1. Baud enthält die Beschreibung von 4120 Hss, die den
18 Bibl. angehören, aber noch keinen Index. Einzelne Hss auch von
Vatopedi werden besprochen bei
407. Mahaffy, Notes from Mount Athos. Atheuaeum 1889, 631.
408 und 409). S. L., The mss. of M. A. — A new palimpsest
on M. A. Ebdt. 1889, 793 und 1890, 353.
Kurze Erwähnung mögen noch finden:
410. H. Oniont, Lettre de C. T. de Murr ä Villoison sur les
bibl. du Mont-Athos (1785). Revue II 82—85.
411. E. Miller, Le Mont Athos, Vatopedi et l'ile de Thasos.
Avec une notice sur la vie et les travaux de E. Miller par de Queux
de Saint-Hilaire. Paris 1889. XLHI and 411 S.
412 und 413. Ph. Meyer, Die Haupturkunden für die Geschichte
der Athosklöster. Leipzig, Hinrichs 1894. VIII. und 303 S. — Bei-
träge zur Kenntnis der neueren Geschichte und des gegenwärtigen
Zustandes der A. Zeitschr. f. Kircheugesch. XI 395 — 435,
539—576.
Berat.
413a. P. Battifol, Les mss. grecs de B. d'Albanie et le codex
purpureus O. Archives des missious scientifiques. 3. Ser. 13. Bd.
437—556 (vgl. Bibl. d. chartes XL VI 369 f.).
413b. A. Alexudes, K. xdiv ev -atc lepatc exxXifjaiai? tr)? auvotxi'a?
Kaaxpou TToXetü? Bepaxtou xrj; ixYjTpoTroXewc BeXe^paotuv eupioxojievcüv
(ipyaiiov yeipo^pajpwv. AeXxiov x^c bxoptxf^c xat eövcXo^ix^t sxaipiat x^c
'EXXaooc. V 352—369 (vgl. Byzant. Zeitschr. VII 218).
Gephalonia.
413c. S. Lambros, Greek mss. in Gephalonia. Athenaeum
1896, No. 3595, S. 389-
Jerusalem.
414. A. naT:ao6-ouXo;-K£paixsus, 'IspoJoXuixixix^ ßißX. rjxot x. xojlv
£v xat; ßi[iX. xoü d^ituxaxou (xtiojxoXixoü x£ xal xaöoXixoü raxpiapyixou
ftpovou xiuv 'lEpo3oX'j(Xü>v xal TiaaTjc riaXa'.crxiviQC a7rox£i!Ji.£vo>v £XXT]vixajv
xwoixüjv auvxayÖEija [jlev xai «ptüxoxuTzixorc •/.o^\i.rfisXaci. nivaEtv, xuttoi;
olY.rjoihhn d(vaXa)|J.aai xovJ auxoxpaxopixou OaXaiaxivou (JUXX670U. I. —
III. Bd. Petersburg und Leipzig 1892—1897. XVIII und 623, II
and 894, IV und 440 S.
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 257
415—417. A. Ehrhard, Die griech. Patriarchalbibl. von
Jerusalem. Ein Beitrag zur griech. Paläographie. Rom. Quartal-
schrift f. Christi. Alterth. V 217—265, 329—331, 383 f. VI 339—
365. — Der alte Bestand der griech. Patriarchalbibl. v. J. 0. B.
IX 441—459. — Das Kloster zum h. Kreuz bei J. und seine Bibl.
Hlstor. Jahrb. d. Görresgesellschaft XIII 158—172.
415 giebt zunächst — mit reichen Litteraturangaben — eine
Übersicht über die früheren Bibl. Palästinas (besonders hervorzuheben
221 ff. Caesarea; vgl.
418. E. Maaß, Observationes palaeographicae. Melanges
Graux 749-766.)
und die nachweislich ans P. stammenden Hss europäischer Bibl.
Über die letzteren finden sich auch in 414 Zusammenstellungen.
Jetzt hat der Patriarch Nikodemus die Hss von P. in Jerusalem ver-
einigt (vgl. 416). Zur Bibl. des h. Grabes (414, L; summarischer K.
von etwa 150 für den Philologen allein in betracht kommenden Hss
und genaue Indices bei 415) kommen die Bibl. des S. Saba- (414,
II; hervorzuheben ein Palimpsest mit Euripidesfragmenten , X. Jh.)
und des h. Kreuzklosters (414, III; summarischer K. von 109 Hss.
bei 417). Aus einer nicht unbeträchtlichen Zahl von Hss sind wert-
volle Stücke durch Uspensky in die Petersburger Bibl. gekommen.
— An 414 wird die Breite und geringe Übersichtlichkeit der Be-
schreibung getadelt. Ein 4. Band ist der Bibl. des Grabklosters in
Kon Stautino pel vorbehalten, das dem Patriarchen von Jerusalem
untersteht; vielleicht (vgl. B,h. Mus. XLYI 161) werden diese Hss
auch nach J. gebracht.
Für Konstantinopel führe ich zunächst an
419. E. Foerster, De antiquitatibus et libris mss. Constautino-
politanis commentatio. (Universitati Tubingensi saecularia quarta
celebranti congratul. univ. Rostochiensis . . 1877).
F. veröffentlicht ein zwischen 1465 und 1475 verfaßtes, im
Tindob. gr. 98 erhaltenes Verzeichnis von H!ss in der Patriarchal-
und anderen (Privat-j Bibl. Konstantinopels. Die Bibl. des Michael
Kantakuzenos ist seit 1578 verstreut; von den übrigen steht nichts
fest. Zur Bibl. ev tco paioca-w möchte ich eine mir nur aus C. B. XI
136 bekannte Notiz im Theol. Litteraturblatt vom 9. Februar 1894 an-
führen , nach welcher durch einen Brand in Rodosto wertvolle griech.
Hss (im Jahre 1838) vernichtet wurden.
420. A. na-aooTTOuXoc-Kspaixs'Jc, K. twv Iv Ttü sXXyjvixw cpiXo-
Xo-ftxtp suXXo-j'cp ystpo-zpacpcuv ßtßXiojv. Mspo; I. 'EXXrjViy.6; '^1X0X070^
Idllo-foi. napap-r,[j.a Toü x' — x?' -oaou. Konstantinopel 1892, S. 76—126.
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVIII. (1898. ni.) IT
258 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
P. beschreibt iu diesem Supplementband der Publikationen der
philologischen Gesellschaft in K. (der 2. Teil mit dem Index steht
meines Wissens noch aus) 43 meist junge Hss von Kirchenvätern und
Byzantinern.
Betrefts der Hss der Privatbibl. des Sultans giebt der unter 389
erwähnte Aufsatz von Blaß zunächst das dort vorhandene, auch ander-
weitig veröffentlichte Verzeichnis von 33 griech. Hss (über eine der-
selben
421, R Foerster, Eine Hs des SeraU. Philol. XLU 167
-170),
fügt auf Grund eigener Nachforschungen 7 griech. und 7 lat.
Hss hinzu und stellt endlich Nachrichten über Hss des Serails und be-
sonders 5 griech. und 3 lat. Codices zusammen, deren Vorhandensein
vor nicht langer Zeit konstatiert ist; vgl. noch den vorläufigen Bericht
der zur Erforschung von Hss ungarischen Ursprungs nach K. ent-
sandten Kommission in der Ungarischen Revue 1889, 732 — 735.
Lesbos.
422. Ma'jpo70poaT£to? ßißX. vjxoi "cevixo? Trepqpaipixoc x. Tuiv Iv xaT«;
ava TYjv 'AvaToXvjv ßißX. supiaxofJLevojv •/etpo^pa^tuv xaTapTicrdeiaa xal ouv-
Ta7i}£rja xax evroXrjv xoü ev Kcova-av-ivouTzoXsi 'EXXyjvixoü cptXoX. 1uXX6'(oi>
uuo A. ria-aöo-ouXou tou KepaixECü?. I. (1884 — 1888) x' u. 212 S.
Die Katalogisierung, deren Kosten Theodor Maurogordatos be-
streitet, erstreckt sich bisher nur auf die Insel L. Der 1. Band ist (nebst
einem Band Anekdota) in den bei 420 erwähnten Oapap-Y^ixaTa (15 — 18)
erschienen. In den genauen Indices habe ich an mittelalterlichen Hss
auBer theologischen und byzantinischen nur einen Sophokles s. 14/15
gefunden. Nicht einsehen konnte ich
*423. OaTiaooTrouXoc-K., aovoTZTtxri £xf^£7t; -aXaioYpacpixwv ep£u-
vüiv l'v Xc K<üvj-avTtvouTOX£i xai £v xaX; '/(opat? -oZ Hoviou otdt ttjv M. ß
K. 1885.
Über 5 griech. Hss der thrakischen Stadt Madyte (meist byzan-
tinischen Inhalts, nur 1 gehört dem 15. Jh. an) berichtet
424. S. Lambros, Notes epigraphiques et pal6ographiques.
Melanges Graux 621—628.
Patmos. Der Vergleich des anhangsweise von
425. C. Diehl, Le tresor et la bibl. de P. au coramenceraent
du ]3e siecle. Byz. Z. I 488—525
veröffentl leisten K. mit
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde, (Beer u. Weinberger.) 259
426. I. 2axx£Xi(uv, HaTixtaxT] [iijilX. Tjroi dva^pa^'^ tcuv ev tt]
pißX. Trjc xaxa x^v v^jov II. jjlov^j toü a^too (JuouxoXou 'Iwavvou xou deo-
X670U xe&Tjcjaupiafievtuv -/etpoYpafpwv xeuyuiv. Athen 1896. 340 S.
ergiebt, daß seither 200 Hss verloren gegangen sind. Von den jetzt
vorhandenen 267 Pergament- und 459 Papierhss (ein paar Kh\ssiker) gehen
nur 108, bezw. 3 auf den alten Bestand zurück. Die in 425
skizzierte Geschichte beginnt mit der Übergabe der Insel an Christo -
dulos, auf dessen Flucht von Palästina, bezw. Latros sich eine von
427. H. Omont, Note sur un ms. gree copie en 1050 au mont
Latros. Rev. des 6t. grecques I 336 — 339
veröffentlichte Subscriptio bezieht.
Sinai.
428. V. Gardthausen, C. codicum graec. S. Oxford 1886.
VIII und 294 S.
Smyrna.
429. G. J. ehester, The greek library at S. Academy 1880,
No. 409. S. 178
hebt einige wegen der Miniaturen oder des Inhalts (Byzantiner) be-
merkenswerte Hss heraus, die übrigen seien ohne Interesse.
430. riaTCaSoTrouXos, "Exösaic -spl xuiv Iv x^ ßißX. x^c -aXaiä?
Oüjxaia? 'EXXrjvtxüiv ysipo^pacpcuv. "OjxTjpoc IV (1876) 289 — 297
ist wenig übersichtlich. Bei einem x\phthonius-Codex ersieht man das
Jh. nicht. Papadopulos' Aufsatz im Annuaire de l'assoc. pour l'en-
couragement des et. grecques X 121 ff. bezieht sich auf eine.Hs lexi-
kalischen Inhalts.
Thessalonike. Die aus der Metropolitankirche stammende Bibl.
des Gymnasiums von Salonichi besprechen außer 424 S. 624
431. n. N. naira-fetüp-fioc, vso? xüioi^ xpaftpöiüiv Eupt-iöou.
'AÖ7)vaTov X 286-309.
432. S. Lambros, The greek mss. at Salonica. Athenaeura
1890. II 451 f.
Neben theologischen und liturgischen Hss erscheinen junge Hss
des Achilles Tatius, Euripides und Heliodor. In 424 wird S. 626 auch
die Bibl. du Tsaouch-monastir erwähnt; unter 80 Hss meist byzan-
tinischen Inhalts findet sich ein Xenophon-Codex des 15. Jh.
Zante. DaB S. Besobrasow Notizen über 56 teils griech. (theo-
logische oder liturgische), teils italienische Hss veröffentlicht hat, weiß
ich nur aus C. B. V 103.
260 Bcriciit üb. Paläographic u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
6. Der Norden Europas.
Dem von
433. U. Robert, Etat des c. des mss. des bibl. de Danemark,
d'Island, de Norvege et de 8uede. Cabinet historlque 26 (1880)
119—139 (über die Bestände vgl. No. 377)
berücksichtigten Gebiete füge ich noch Rußland hinzu, für das mir
nur wenige Publikationen vorliegen. Zusammenfassend sind seit dem
Erscheinen von 433 nur die gricch. Hss Schwedens behandelt worden,
in einer dnrch den Namen des Verfassers als vortrefflich gekenn-
zeichneten Arbeit, auf die ich bei den einzelnen Orten verweise:
434. C. Grraux, Notices somraaires des mss. grecs en Suede
(mises en ordre et complctees par A. Martin;. Archives des missions
scientifiques III. Serie XV 293—370.
Kasan. Nur dem Titel nach kenne ich
*434a. A. Artemjew, Beschreibung der in der Universität zu
K. befindlichen Hss. Petersburg 1883. VIII und 372 S.
Kopenhagen.
435. C. Graux, Rapport sur les mss. grecs de C. Archives
des missions scientifiques 3. Serie VI 133—242.
(auch besonders unter dem S. 140 stehenden Titel: Notices sommaires
des mss. grecs de la bibl. roj'ale de C). Die anhangsweise (S. 239
— 242) katalogisierten Hss der Universitätsbibl. sind im Inhaltsverzeichnis
nicht berücksichtigt.
L inköping s. 434.
Moskau.
436. A. "Wladimir, Systematische Beschreibung der Hss der
M. Synodalbibl. I. Die griech. Hss. Moskau 1894 (russ.) IV, 880 S.
Das Werk ist ohne einige Kenntnis der russischen Sprache nicht
zu benutzen; griech. sind fast nur die Initia angegeben. Altere, noch
brauchbare Katalogisierungsarbeiten von Matthiae u. a. verzeichnet die
ausführliche Anzeige von Gebhardt, C. B. XIV 298—301.
St. Petersburg. Die von A. Halbau-Blumenstock in der Deutschen
Z. f. Kirchenrecht V 219 ff. gebotenen Notizen zur Geschichte der k.
Bibl. sind C. B. XII 520 excerpiert (vgl. über einzelne Erwerbungen
ebdt. XIII 428. XIV 129 und 235 ; oben S. 257 und No. 95, II S. 53 ff.
(S. Germain); lat. (historische) Hss verzeichnet K. Gillert, N. Archiv V
241— 2G5, 599—617. VI 497-512. Nur dem Titel nach kenne ich
Bericht üb. Paläographie u. Handschrift enkunde. (Beer u. Weinberger.) 261
*436a. D. Prosorowsky, Verzeichnis der alten Hss, welche im
Museum der k. russ. archäol. Gesellschaft aufbewahrt werden (russ.)
P. 1879. 307 S.
Reval.
*437. G. V. Hausen, Die Codices mss. und gedruckten Bücher
der R. Stadtbibl. R. Beobachter 1893.
war mir nicht zugänglich; aus C. B. XI 330 ergiebt sich nur, daü 31
zum Teil noch dem 13. Jh. angehörige Hss vorhanden sind.
Skokloster, Stockholm und Upsala s. 434, über einen Zu-
wachs von 3 griech. Hss in U. berichtet nach C. B. X 233 f.
*438. E. H. Lind, Redogörelse för kongl. Universetet i. U.
(für 1891/2 S. 31—48).
7. Grossbritannien.
An die Spitze des Berichtes muß gestellt werden
439. H. Sehen kl, Bibl. patrum lat. Britannica. Wien 1891 ff.
(S. Ber. d. Akad. Bd. 121 ff.),
da Seh. nicht nur die patristischen Hss bis zum 10. Jh., sondern alle
lat. Klassiker, die poetischen Stücke der mittelalterlichen Literatur
und alle griech. Hss in diese verdienstliche Sammlung kurzer Notizen
aufgenommen und sowohl die bisher unkatalogisierten Bibl. als auch
diejenigen, deren K. unzugänglich sind, berücksichtigt hat. Seinen
vollen Wert wird das Werk, auf das ich fortlaufend zu verweisen
habe, nach Abschluß des 3. Bandes durch die Indices erhalten. Bisher
sind etwa 3800 Hss kurz, aber ausreichend beschrieben. Es stehen
aus der Abschluß von II 2 (fortlaufende Nummer 2717—2984) und
III 2: Die kleineren englischen Bibl. (4064 ff.). Auch die mit guten
Indices versehenen
440. Reports of the Historical Mss. Commission. London 1870 ff.,
die für historische Hss im N. Archiv ständig excerpiert erscheinen, ent-
halten (namentlich in den Einleitungen) Notizen über Hss von Klassikern
und Kirchenvätern; vgl. oben No. 170 und
441. B. Plomer, References to books in the Reports of the
historical mss. commissioners. Bibliographica III 142 — 155.
Unzugänglich war mir
262 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger,)
*442. 0. of the printed books, mss., autograph letters and en-
gravings collected by H. Huth. London 1880.
Für die Bestände der einzelneu Bibl., zu denen wir jetzt über-
gehen, kann wieder 377 verglichen werden.
Aberdeen und St. Andrews s. 439 II 3 S. 35.
Burton-upoü- Traut.
443. H. Omont, Aucieus c. de bibl. anglaises (XIF — XI V«
siecle). C. B. IX 201—222.
Bury s. Cambridge.
Cambridge ist im 2. Baude von 439 behandelt. Die 1. Hälfte
(S. Ber. 136) ist dem Triuity-College (No. 2155—2472) und den
neuen Erwerbungen der Universitätsbibl. (seit Drucklegung der
1856 ff. veröffentlichten K.) gewidmet, die noch unvollständige 2. Hälfte
(S. Ber. 137) den übrigen Colleges. Für die aus der Abtei S. Edmund
in Bury (vgl. 440, XIV 8 S. 121 ff.) stammenden Hss des Pembroke-
C. (No. 2489—2716) wird angeführt:
*444. E. James, On the Abbey of St. Edmund at Bury. Cam-
bridge Antiquarian Society. 8° Publications XXVIII (1895).
Derselbe Verf. berichtet mit besonderer Berücksichtigung der
Miniaturen über die Hss des Fitzwilliam-Museums:
445. R. J, , A descriptive c. of the mss. in the F.-M. C. 1895,
L und 519 S.
In den sehr genauen Indices habe ich außer mehreren Kirchen-
vätern auch eine Demosthenes-Hs des 14/15. Jh. gefunden.
446—449. R. J., A descriptive c. of the mss. in the Sidney
Sussex College (1895), in the library of Eton C. (1896, 142 S.),
Jesus C. (1896, 130 S.), Kings C. (1896, 96 S.)
konnte ich infolge unvorhergesehener äußerer Umstände nicht be-
nutzen.
Chatsworth.
*450. P. Lacaita, C. of the library at Ch. London 1879.
4 Bände. 4.
kenne ich nur aus der Anzeige in Bibl. d. chartes XL 050 ff., die auch
Klassikerhss des 14. und 15. Jh. erwähnt.
Canterbury s. 439, III 1 S. 47.
Bericht üb. Paläogiaphie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 263
Cheltenham. Ein summaiiscber Iv. der schon bei 303 er-
wähnten Bibl. des Sir Thomas Phillipps, auf die wir noch mehrmals
zurückkommen (s. No. 512 und 707) steht bei 439 I 2 (S. Ber. 126 ff.)
No. 909a— 2154. Die nach Brüssel verkauften sind mit einem Kreuz
bezeichnet und am Schluß (S. 158) zusammengestellt.
Dublin (Trinity-College) s. 439, II 3 S. 43, 441 und 459.
Durham. Patristische Hss der Kathedralkirche verzeichnet auf
Grund des K. vom Jahre 1825
451. K. Zangemeister, Bericht über die im Auftrage der
Kirchenväterkommission unternommene Durchforschung der Bibl.
Englands. S. Ber. d. Wien. Akad. 84, 485 ff.
Edinburgh s. 439, II 3 S. 1.
Exeter s. 439 III 1 S. 45.
Flaxley s. 443 S. 205.
Glasgow s. 439, 11 3 S. 16; zu S. 31 wird das Faksimile eines
griech. (Basiliusj Codex des 9. Jh. geboten.
Holkham s. 439, II 3 S. 69; vorher hat über diese Sammlung
von 731 zum Teil aus Italien stammenden Hss gehandelt
452. R. Foerster, Hss des Earl of Leicester in H. (Grafschaft
Norfolk). Philol. XLII 158-167.
Lanthony (Glostershire) s. 443 S. 207; das dem 14. Jh. ange-
hörige Inventar umfaßt nicht weniger als 486 Nummern.
Lichfield. Das 440, XIV 8 S. 205 erwähnte Werk von
*453. I. C. Cox, C. of the muuiments and mss. books pertaining
to the Decan and Chapter of L. 1881—1886,
u. *454. C. of the printed books and mss. in the library of the
cathedral clmrch of L. London 1889. 127 S.
waren mir nicht zugänglich.
Lincoln s. 439, HI 1 S. 56.
London. Außer dem britischen Museum kommen in Betracht
Westminster Abbey (s. 439, III 1 S. 51) und Lambeth Palace;
vgl. 451 S. 536 und
455. The Carlyle Mss. in Lambeth Library. London 1879.
Nach Notizen, die ich mir vor Jahren in Rom gemacht habe, ent-
hält der mir augenblicklich nicht zugängliche K. auch griech. Hss.
Eine Übersicht über die einzelnen Fonds des britischen
Museums und deren K. giebt 451 S. 486 f. und mit Beschränkung
auf griech. Hss.
264 Bericht üb. Paläographie u. Uandscbriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
456. H. Omout, Notes sur les mss. ^recs da Br. M. Bibl.
d. chai'tes XLV 314—350, 584;
vgl. die Notiz desselben Verf.
457. H. 0., Deux lettres de Moutfaucon et Wanley sur la bibl.
Harleienne (1721). Revue I 242-247,
No. 312 und 530. Zu deu bei 451 verzeichneten Bänden von
458. Additions to the Br. M. mss.
sind hinzugekommen VI. (1861—1875; Additional-Mss. 24 027—29 909;
Papyri, Egerton-Mss, u. a. werden besonders gezählt), Index to the c.
of Additions in the years 1854—1875; London 1880, VII. (1876—1881,
No. 29 910 — 31896); L. 1882, VIII. (1882 — 1887; No. 31897—
33 344), L. 1889, IX. (1888—1893; No. 33 345—34 526), L. 1897.
— Über die aus Ashburnham-Place erworbenen Stowe-Hss (die irischen
kommen nach Dublin; vgl.
459. M. Thompson, C. of a selection from the Stowe mss.
exhibited in the King's library in the Br. M. L. 1883)
ist ein besonderer K. erschienen, den ich leider vorläufig nicht ein-
sehen konnte:
460. C. of the Stowe -mss. in the Br. M. I. London 1895.
VIII und 823 S.
Überdies ist, mit trefflichen Facsimiles geschmückt, ein K. der
ältesten Hss des britischen M. (bis zum Jahre 900; einige aus dem
10. Jh. sind hinzugenommeu) von Bond begonnen, von Thompson und
Warner vollendet worden;
461. C. of ancient mss. in the Br. M. Parti: Greek. L. 1881.
IV und 25 S. fol. 20 T. Part H: Latin. L. 1884. VI und 89 S. fol.
61 T.
Thompson hat ferner einen summarischen K. (vgl. No. 98) der
klass. Hss begonnen:
462. M. Th., C. of classical mss. Class. rev. II 102—104,
171—174. III 149—155.
Bisher sind Hss von Homer, Hesiod, der griech. Lyriker, Tragiker,
alexandrinischen Dichter, der griech. Historiker und der attischen Redner
behandelt.
Oxford. Die von Coxe begonnene K. -Serie ist verzeichnet
(S. 7) und ergänzt bei 439, I 1 (Wien 1891) No. 1—909 (S. Ber. 121,
123 f.); S. 89 werden 2 griech. Hss nachgetragen. Seither sind von
der erwähnten Serie erschienen:
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 2H5
463. C codicum mss. bibl. Bodleianae. Pars V (fasc. 3)
Ricardi Rawlinson codicum classis quartae partem priorera com-
plectens. Confecit D. Macray. Oxonii 1893. — fasc. 4 classis
quartae partem alteram complectens. 1898.
Diese Abteilung (der Miscellan-Hss) bietet dem Philologen wenig;
die Klassiker-Hss von Rawlinsou sind aber bereits verzeichnet in dem
wegen seiner Kürze und Übersichtlichkeit zu rühmenden Werke von
464. F. Madan, A summary c. of Western mss. in the Bodleian
Library at 0., which have not hitherto been catalogued in the quarto
series. Oxford, 3. Band. 1895. XII und 651 S. IV. 1897. XVI
und 723 S.
Die beiden ersten Bände sind reserviert für eine neue Ausgabe
des K. von Bernard, der in den C. librorum mss. Angliae et Hiberniae
1697 erschien (No. 1—8716). Für den 5. Band sind die zwischen
1850 und 1890 erworbenen Sammlungen und die gesamten Einzeler-
werbungen, für den 6. der Zuwachs seit 1890 und der Generalindex in
Aussicht genommen. Vorläufig ist die Auffindung von lat. und griech.
Hss in den erschienenen Bänden durch gute Inhaltsübersicht in der
Vorrede sehr erleichtert. Band 3 behandelt die im 18. Jh. (No. 8717
—16351), Band 4 die von 1801 — 1851 erworbenen Hss (No. 16352
—24330).
Rochester s. 439, ni 1 S. 62.
Salisbury eröffnet bei 439 den K. der Bibl. der englischen
Kathedralen (III 1 — 1894 — No. 3600 ff.); es wird ein nicht im
Buchhandel befindlicher K. von
*465. M. Thompson, A c. of the books and mss. in the library
of S. Cathedral. 1882
erwähnt.
Winchester s. 439, III 1 S. 49, York ebdt. S. 62.
Anhangsweise bemerke ich, daß nach C. B. III 227 seit 1885
die Astor-Library in New-York 3 klass. Hss besitzt (Hesiod Up-jT. s. XIII,
Asop und Lucan s. XIVj. Unzugänglich war mir
'*466. J. H. Hall, A hagiologic ms. in the Philadelphia library.
American Journal of philology VII 218—223.
8. Belgien und Holland.
An das Verzeichnis von Hss-K. bei
467. ü. Robert, fitat des c. des mss. des bibl. de Belgique
et de Hollande. Cabinet historique XXIV (1878) C. 196 ff. (über
die Bestände vgl. No. 377.)
reihen sich für griech. Hss Arbeiten von
'266 Bericht üb. Paläographie u. Handscliriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
468 uud 469. H. Oniont, C. des mss. grecs de la bibl. royale
de Brnxelles et des autres bibl. publiques de BeJgique. Eevue de
linstr. publ. en Belgique 1885 (ich kenne nur den 61 S. umfassen-
den Sonderdruck). — C. des mss. grecs des bibl. publiques des Pays-
Bas (Leyde exceptee). C. B. IV 185—214.
In 468 werden anhangsweise die Hss des Paulinus Bruxellensis
und des Schottus Antwerpiensis mit Angabe des jetzigen Auf-
bewahrungsortes , ferner diejenigen Codices verzeichnet , die , von
Belgien nach Paris gebracht, im Jahre 1815 nicht zurückgestellt
wurden. Aus 469 ist das ausführliche Schreiberverzeichnis (S. 186
— 194) und die ausdrückliche Angabe der Bibl., die keine griech. Hss
enthalten, hervorzuheben. Auf beide K. wird bei Besprechung der
einzelnen Bibl., zu der wir jetzt übergehen, verwiesen werden.
Amsterdam. 469 S. 195; das angeführte Werk von
*470. H. C. Rogge, Bibl. de l'üniversite d'A. A. 1883
kenne ich nicht.
Antwerpen. 468 S. 41 ff. bespricht sowohl die Stadtbibl. als
auch das von dem berühmten Buchdrucker gegründete Musee Plantin-
Moretus.
*/.
'=471. M. Rooses, C. du mus6e PL M. Antwerpen 1881.
kenne ich nur aus der Anzeige von Omont, Cabinet historique 28, 229 f.,
in der die nicht gerade zahlreichen klass. Hss ausdrücklich angeführt
werden,
*472. H. Stein, Les mss. du musee PI. II.: catalogues de 1592
et 1656. Sonderabdruck aus dem Messager des sciences historiques
de Belgique 1886.
nur aus der Erwähnung im C. B. III 456.
Brügge.
473. C. codicum hagiographicorum bibl. publicae civitatis
Brugensis. Analecta Bollandiana X 453—466.
Die giiech. Hss von Brüssel sind verzeichnet bei 468, die lat.
Classiker Tetwa 180, von denen ein Viertel dem 9.— 11. Jh. angehört) bei
474. P. Thomas, C. des mss. de classiques latins de la bibl.
royale de B. Recueil de travaux publies par la faculte de philosophie
et lettres de rUniversite de Gand. 18. H. (1896) XIV und 111 S.,
die hagiographischen endlich in
Bericht üb. Paläographie u. Ilandschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 267
475. C. codicum hagiographicoruin bibl. regiae B, ediderunt
hagiographi BoUandiani. 2 Bände. Brüssel 1886 und 1889. ()14 und
557 S. (erschien als Beilage zu Bd. II— VIII der Aualecta Bollandiana).
Die Anhänge des ausführlichen K. bieten geradezu Anecdota.
Hierbei konnten die von Belgien erworbenen Cheltenhamer Hss
(vgl. Bibl. d. chartes 49, 694—701. C. B. VI 508 ff. und oben S. 263)
berücksichtigt werden. Phillips hatte durch Verniittelung eines Brüssler
Buchhändlers Hss der Benediktiner-Abtei Saint-Ghislain von H. Wins
erworben, der andere (auch Stücke von Hss) an seinen Sohn vererbte.
Eine Ergänzung zu 475 bietet demnach
476. C. codicum hagiographicorum lat. bibl. cl. v. Alphonsi Wins.
Anal. Boll. XII 409—440.
Zu erwähnen ist noch
*477. Th. de Raadt, Le mobilier et la bibl. d'un riche ecclesiastique
au 15^ siecle. Inventaire de la maison mortuaire de "Walter Loenijs,
chanoine de Sainte-Gudule ä B. Annales de la societe d'archeologie
de Bruxelles X (1896) 5 ff.
Nach C. B. XIII 523 enthält das Inventar außer theologischen
und kanonistischen auch einige klass. Hss.
Deventer 469 S. 199 (Cyrilli lexicon s. XI).
Gand (K. von J, de Saint-Genois erschien 1849 — 52).
478. C. codicum hag. bibl. publ. civitatis et academiae Ganda-
viensis. Anal. Bolland. III 167—216. Appendix IV 157—206.
Groningen. W. G. van Haarst berichtigt 469 im C. B. IV 562
dahin, daß G. eine griech. Hss der Paulinischen Briefe aus dem 15. Jh.
besitze.
Haag s. 337 und 469 S. 199.
479. C. codicum hagiographicorum bibl. regiae Hagensis. Anal.
Boiland. VI 161—208.
Leeuwarden 469 S. 202; das hier angeführte Werk:
*/1
''480. Systematische Catalogus der Provinciale Bibl. van Friesland.
(5® partie. Leeuwarden 1881)
war mir nicht zugänglich.
Leiden (ein K. von du Rieu und de Vries soll in Vorbereitung
sein); vgl. 3.37 und
481. F. Mourlot, Les mss. latins de Melchisedec Thevenot
ä la bibl. de Leyde. Revue IV 107 — 126.
Es handelt sich um 16 griech. und 54 lat. Hss, die wahr-
S68 Bericht üb. Paläogiaphie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
sclieiulich durch Tausch au Vossius gelangten; ein Index ist nicht
beigegeben.
Louvain s. 468 S. 43.
Lüttich (C. des mss. de la bibl. de l'universite de Liege. 1875)
482. C. codicum hag. bibl. publ. civitatis et academiae Leodiensis.
Anal. Bolland. V 313—364. Appendix 365-383.
Mons.
483. C. codicum hag. bibl. publ. civ. Montensis. Ebdt. IX 263
—277.
N a m u r.
484. C. codicum hag. civitatis Namurcensis. Ebdt. I 485—530.
Appendix I 609-632. II 130—160, 279—354.
Utrecht. 469 (S. 205) ist für Datierung wichtig, da die Arbeit
nicht mehr berücksichtigt werden konnte von
485. (P. A. Tiele), C. codicum mss. bibl. universitatis Rheno-
Trajectinae. Utrecht 1887. VIII 412 8.
Es sind etwa 1500 Hss nach den verschiedenen (18) Sprachen,
innerhalb derselben nach sachlichen Gruppen verzeichnet; die meisten
sind lat.
Anhangsweise erwähne ich noch die auf 21 lat. Hss von Echter-
nach bezüglichen Arbeiten von
486 und 487. A. Reiner s, die wertvollsten Hss der ehemaligen
Benediktiner-Abtei E. in der Nationalbibl. zu Paris. Studien und
Mitteilungen aus dem Benediktiner- und Cistercienserorden IV 429
— 432. — Les mss. de l'ancienne abbaye d'E. conserves ä la Bibl.
Nationale. Publications de la Societe historique de Luxembourg.
XL. Band (40 S.)
und Notizen von J. M. Stowasser (Wiener Studien IX 309—322) und
van der Vliet (Mnemosyne XVIII 66 f.) über Hss von Luxemburg.
9. Frankreich.
Der Bericht selbst wird hoffentlich zeigen, warum ich von der
alphabetischen Reihenfolge abweiche und zuerst die Pariser Bibliotheken
bespreche. Nicht weniger als 1342 zunächst auf die Bibl. Nationale
bezügliche Arbeiten verzeichnet genau mit Inhaltsangabe
Bericht üb. Paläographie u. Ilandschriftcnkunde. (Beer u. Weinberger.) 269
488. L. Vallee, Bibl. Natiouale. Choix de docuraents pour
servir ä rbistoire de letablissemeut et des ses collectious. Paris 1894.
XII und 525 S.
Man findet Inhaltsangaben der auf einzelne IIss bezüglichen, in
den Noticcs et extraits des mss. de la hihi. Nationale veröifentlichten
Abhandlungen, die zu berücksichtigen ich mir nicht beifallen lassen
konnte, man findet eine gute Skizze des schon unter 95 angeführten,
für die Geschichte nicht bloß der Pariser und nicht bloß der französischen
Bibl. (für italienische verweise ich auf No. 157 und 199) aul.'.erordentlich
wichtigen Werkes von Delisle, Le cabinet des »».s.v. Ein sachlich ge-
ordnetes Register (in 488) ermöglicht Zusammenstellung z. B. der K.
(unter dem Schlagworte: C. Departement des rass.). Hierfür besitzen
wii* eine gleichfalls (unter 165) schon angeführte bibliographische ITber-
sicht über die Bibl. Nationale von Pierret, einen um zwei alphabetische
Register (der mit der Bibl. vereinigten Sammlungen und der sämtlichen
Schriften) vermehrten Abdruck zweier Aufsätze, von denen der eine :
Inventaire detaille des c. usuels de la Bibl. Nationale im Jahrgang 1889
von Le livre, der andere: Essai d\me hihliographie historique de la B. N.
im 2. Bande der Revue enthalten ist. Da Pierret die K. zwar genau,
aber meines Erachtens nicht übersichtlich (S. 54 ff., 60 ff., 65 ff., 68 f.)
verzeichnet, scheint es angemessen, hier über dieselben zu orientieren.
Au die alten, bis 1744 reichenden, auch bei 95 II 325 ff. ver-
zeichneten K., auf die sich bezieht
489. H. Omont, Le c. imprirae de la bibl. du Roi au XVIII®
siede. Revue V 102—112, 121—138.
schließt sich ein noch vor die Berichtsperiode fallendes bei P. unter
228, bei 488 unter 343 verzeichnetes Inventar über die Erwerbungen
von 1744—1871 (Ancien fonds Latin 8823—18613), eine Zusammen-
fassung einzelner Aufsätze Delisles in der Bibl. d. chartes, ferner
490 und 491. L. Delisle, Inventaire des mss. latins de la Bibl.
Nationale inseres au fonds des nouvelles acquisitions du l^i'
aoüt 1871 au pr mars 1874. Bibl. d chartes XXXV 76—92. —
Mss. latins et fran^ais ajoutes au f. d. n. a. pendant les annees
1875—1891. Inventaire alphabetique. 2 Teile. Paris 1891.
LXXXVIII, 384 und 856 S.
Durch 491, dessen Vorrede auch über den Stand der K. Auf-
schluss giebt, ist
492. U. Robert, Inventaii'e des mss. latins de la B, N. inseres
au f. d. n. a, du l^i' mars 1874 au Spr decembre 1881. Cabinet
historique XXVHI 52—74, 164—190, 293—296.
größtenteils überholt. Die Erwerbungen seit 1891 verzeichnet
270 Beriebt üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
493 — 495. H. Omont, Nouvelles acquisitions du d6partement des
mss. de la B." M. pendant raimee 1891/2, 1892/3, 1894/5. Bibl. d. chartes
LIIT 333-382. LV 61—119, 241-258, LVII 161—196, 339—372.
In 495 sind bereits die Hss von Verna berücksichtigt; vgl.
496. L. Delisle, Notes sur quelques mss. du baron Dauphin
de Verna. Bibl. d. chartes LVI 645—690
(ich hebe einen dem 13. Jh. angehörigen K. von Val-Saint-Hugon her-
vor) und betreffs der Konfiskation dieser Hss
497. A. Stegert, A propos des mss. de la bibl. de Verna.
Lyon, 1896. 31 S. (s. C. B. XIII 271).
Da aus dieser Sammlung weitere Bruchstücke des Pentateuch
(eigentlich Octateuch) von Lyon gewonnen wurden, erwähne ich hier
die an der Spitze von
498. L. Delisle, Melanges de paleographie et de bibliographie.
Paris 1880. 507 S.
stehende Abhandlung : Pentateuque de L. Fehlende Blätter der alten Hss
(6. Jh.) haben sich unter den Ashburnhamiani gefunden. — Auf weitere
Abhandlungen von 498 kommen wir noch zurück.
An K. von Sammlungen, welche die Pariser Bibl. erworben hat
(vgl. 337, 486 f.), sind für philologische Hss außer dem unter 168 er-
wähnten von Ashburnham-Hss (darunter sehr alte und wertvolle
Codices; vgl.
499. (Delisle) Notice d'un choix des mss. des fonds Libri et
Barrois exposes dans la salle du Parnasse frauQais. Paris 1888. 35 S.)
anzuführen :
500 und 501. Delisle, Bibl. Bigotiana ms. C. des mss. ras-
sembles au XVIl^ siecle par les Bigot, mis en vente au mois de
juillet 1706, aujourd'hui conserves k la B. N. Ronen 1877. XXXII
und 109 S. 4. — Inventaire des mss. de la B. N., fonds de Cluni.
Paris, 1884. 184 S.
An den viele patriotische Hss enthaltenden K. 501 reihe ich
gleich an
502. C. codicura hagiographicorum latinorum antiquiorum
saeculo XVI., qui asservantur in bibl. national! Parisiensi edd. hagio-
graphi Bollandiani. 3 Bände. Brüssel und Paris, 1889—1893.
(In dem von mir benutzten Exemplar sind die 102 S. starken Indices
besonders gebunden.)
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u Weinberger.) 271
503. C. cod. hagiogr. graecorum. . edd. liagiogr. Bollandiani
et H. Omont. Brüssel und Paris 1896. VIII und 372 S.
Nur aus 488 No. 316, bzw. 644 kenne ich
504. L. Delisle, C. des mss du fonds de la Treraoille.
Paris 1890. 51 S.
505. F. Lhui liier, La bibl. et les bibliothöcaires du chäteau
de Fontaiuebleau au temps passe. Muux 1877. 19 S.
504 enthält unter 49 Hss außer mehreren lat. auch 2 griech. —
Die lat. Hss von Fontaiuebleau sind (nebst den französischen) nach
dem Stande unter den einzelnen Königen genau verzeichnet bei
506. E. Quentin-Bauchart, La bibl. de F. et les livres
des derniers Valois (1515—1589) k la bibl. nationale. Paris 1891.
234 S.
Die meisten lat. Hss stammen aus der Zeit Heinrichs IL, Karls IX.
und Heinrichs II [. Von dem "Werke ist außer der historischen Ein-
leitung, den guten Indices und den gelungenen Reproduktionen hübscher
Miniaturen noch der Anhang (S. 173—202) hervorzuheben, in dem andere
Hss-Sammlungen (Luise von Savoyen, Margarethe von Angouleme, Katha-
rina von Medici (s. No. 157), Diana de Poitiers, Margarethe Valois)
besprochen werden. Bei diesem Anlasse mag noch kurze Erwähnung finden:
507. G. Pelissier, Pret et perte de mss. de la bibl. de
Louis XII. Revue III 361 f.
Die Notiz illustriert die Verluste, w'elche die Pariser Bibl. durch
Entlehnungen erlitt.
Für griech, Hss von Fontaineble au kommen in betracht:
508. K. Boysen, Ein K. der griech. Mss. der Bibl. von F.
Philol. XLI 753-755,
509 und 510. H. Omont, Le premier c. des mss. grecs de la
bibl. de F. Bibl. d. chartes XXVII 201—207. — C. des mss. grecs
de F. sous Frangois I et Henri IL Paris 1889. XXXIV und
469 S. fol.
Es handelt sich hauptsächlich um den von Paläokoppa ge-
schriebenen, vielleicht von Diassorinos concipierten K., der sich in
mehreren (Pariser, Venediger und Veroneser) Hss findet. Da Franz I.
auch die Hss von Blois (wohin die Bibl. Visconti-Sforza zunächst
gelangte; oben S. 223) 1544 nach F. bringen ließ, wird in 510 auch Blois
•berücksichtigt; vgl. noch
272 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
511. H. OmoDt, C. des niss. grecs de la bibl. de Frangois I
au chäteau de Blois (1518—1544). Paris 1886. 28 S.
Endlich mag, da Pelicier als französischer Gesandter in Venedig
nicht nur für F., sondern auch für sich selbst griech. Hss (gegen 300)
sammelte, hier eine Abhandlung genannt werden, auf die wir bei Chelten-
ham verwiesen haben:
512. H. Omont, C. des rass. grecs de Guillaume Pelicier.
Bibl. d. chartes XLVI 45—83, 594—610.
Omont aber verdanken wir nicht nur die Zurückführung
eines beträchtlichen Teiles der Pariser griech. Hss auf den Bestand
von F., sondern auch die Inventarisierung sämtlicher griech. Hss Frank-
reichs. Für Paris führe ich zunächst eine Übersicht mit vergleichenden
Zahlenangaben über andere griech. Hsssammlungen Europas an:
513. Le fonds grec de la Bibl, Nat. Bibl. d. chartes XLIV 569—572.
Gleichzeitig erschien, mit tntsprechendem Index versehen, ein
Verzeichnis des in dem alten K. nicht mehr verzeichneten Zuwachses:
514. Inventaire sommaire des mss. du Supplement grec de
la Bibl. Nat. Paris, Picard 1883. XVI und 135 S.
Hiezu kommen
515. Additions au Supplement grec de la Bibl. N. 1883 — 1885
(1011 — 1044). Bibl. d. chartes XLVI195— 198.
516. C. des mss. grecs, latius, frangais et espagnols et des
Portugals recueillis par feu E. Miller. Paris 1897.
Den wertvollen griechischen Hss (suppl. gr. 1155 — 1223), die in
diesem mit einigen wunderschönen Faksimilien gezierten K. verzeichnet
werden, stehen nur 6 lat. gegenüber, die gleichfalls vor der Ver-
steigerung für die Bibl. Nat. erworben wurden.
514 ist auch in den 3. Band eines für knappe Angabe des In-
haltes, des Alters und der wissenswerten Äußerlichkeiten musterhaften
"Werkes aufgenommen, das leider keinen Index hat, des
517. Inventaire sommaire des mss. grecs de la Bibl. nat. Paris,
1886—1888.
Das Supplement folgt dort auf den Abschluß des Aucien fonds
und die Coisliniani. Die C. heißen auch Segueriani nach dem Be-
gründer der Sammlung, dessen Enkel Coislin, Bischof von Metz, sie
1731 dem Kloster Saint Germain de Pres testierte. In der Re-
volutionszeit (vgl. 95 II 40 ff.) gelangten sie mit den anderen Sanger-
Bericht üb. Palüographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 273
manenses (zu denen auch die berühmten Coi-beienses — a. a. 0.
104 flf. — gehören) in die Nationalbibl. Auf das Supplement folgt der
Abdruck von
518. Inventaire s. d. mss. grecs conserves daus les bibl. publiques
autres que la bibl. nat. Bulletin de la soci^te de l'histoire de Paris.
1883, 118-125.
Vgl. 519. I. s. des mss. grecs des bibl. Mazarine, de T Arsenal
et Sainte-Genevieve k Paris. Melanges Graux 305—320.
Zu den im Titel von 519 angeführten Bibl. kommen noch die Bibl.
der Universität, der medizinischen Fakultät, des Instituts und des Museums
des Louvi-e. Im ganzen sind es 54 Hss. Nicht mehr als etwa 90 griech.
Hss sind in den Departementsbibl. zu finden. Da
520. C. des mss. grecs des departements. Paris 1886. 87 S.
(Erweiterung zu Cabinet historique 1883. 193 — 208).
nach dem Alphabet der Ortsnamen geordnet ist, wird ein einfacher
Hinweis auf 520 ohne Angabe der Seitenzahl genügen. Nur betreffs
der am Schlüsse behandelten Privatbibl. des marquis de ßosambri
will ich gleich hier auf Delisles Notizen (95 11 8 A. 2 und 294) über
die Hss dieser Familie verweisen, in deren Besitz mehrere Pithoeani
gelangten.
Was aber die lat. Hss der außer der Nationale genannten
Pariser Bibl. anbetrifft, sind die meisten bereits im Catalogae
general des mss. des bibl. publiques de France (Paris) verzeichnet.
Für die Bibl. Mazarine haben wir einen 4bändigen K. von A. Molinier
(1885—1892), für da-s Arsenal von H. Martin (1885 ff.; der 7. Bd.
[1889] ist von den Indices erfüllt, der 8. dürfte für die Vorrede reserviert
sein, der 9. auf die Bastille bezügliche [von F. Funck-Brentano her-
rührende] Band [1892] enthält keine klass. Hss), endlich für Sainte-
Genevieve einen 2bändigen von Gh. Kohler (1893 — 1896).
Dagegen liegen für die Bibl. des Instituts, der Universität
und der Stadt Paris nur kurze Inventare ohne Index vor bei
521, U, Robert, Inventaire sommaire des mss. des bibl. de
France, dont les c. n"ont pas 6te impiimes. Paris, 1879 ff.
und zw^ar von F. Bournon, C. des mss. de la bibl. de Tlnstitut S. 455
—510 (1890), C. des mss. de la bibl. de la ville de Paris S. 541 —
583 (1894) und von E. Chatelain , Les mss. de la bibl. de TUniversite
S. 514 — 540 (1892). Dagegen war mir nicht zugänglich
*522. E. Chatelain, Mss. de la bibl. de lüniversite tires des
depöts litteraires. Paris 1885, 32 S,
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVIII. (1898. HI.) 18
274 Bericht üb. PalSograpliio u. Uandscliriftenkundo. (Beer u. Weioberger.)
Mit dem erwähnten Inventar der Pariser Studtbibliothek wurde
im Jahre 1896 ein Band von 521 zum Abschluß gebracht; doch ist der
in der Vorrede nach dorn Alphabet der Ortsnamen gegebene J<]tat des
c. des mss. des bibl. de France nur bis 1879 richtiggestellt. Bis
1884 reicht der im 1 . Band des Bulletin des bibl. et des archives S. 66
— 91 veröffentlichte ^^tat des catalogues. Sowohl die weiteren Bände
des Bulletin als auch die einzelnen Jahrgänge des Cabinet liistorique
bringen kleine Nachträge, die ich niclit immer verzeichnet habe. Eben-
sowenig habe ich die ausführlichen Anzeigen, die Ilaureau fast über
alle Bände des Catalogue gt''nöral im .lournal des Savants veröffentlichte,
im einzelnen angeführt.
Auf 521 ist nur in den Fällen verwiesen, wo es seither nicht
überholt ist; einerseits muß (wegen des li^tat des c.) auf dieses Inventar
zurückgegangen werden, wenn im folgenden eine Bibl. nicht verzeichnet
erscheint, andererseits habe ich die im Catalogue g^neral : Departements
angeführte Literatur prinzipiell nicht verzeichnet. Nur selbständige
K. sind durch Angabe des Verfassers und der Jahreszahl des Erscheinens
(in Klammer) kurz erwähnt. Die wenigen in die Berichtsperiode fallenden
Bände der älteren Serie sind durch die beigesetzte Jahreszahl gekenn-
zeichnet; ohne solchen Beisatz bezeichnet also die auf C. D. folgende
römische Zahl den Band der neuen Serie des C. g(^Mi6ral : Dc'partements.
Wo keine Seitenzahl angegeben ist, füllt die Bibl. den ganzen Band.
Ich habe sämtliche in diesem Werke katalogisierte Bibl. angeführt —
für die alphabetische Reihenfolge sind nur die am Anfang des Orts-
namens stehenden Formen des Artikels und des Wörtchens Saint(e)
unberücksichtigt geblieben — und bloß die Namen einiger Bibl., die
mir als unbedeutend aufgefallen sind, eingeklammert. Es kann von
Wert sein, das Nichtvorhandensein klass. Hss in einer bestimmten Bibl.
leicht konstatieren zu können; wer aber nach den Hss einzelner klass,
Autoren sucht, wird sich ohnehin an die Indices halten und in jedem
Bande Klassiker- Hss finden. Für die Bestände vgl. wieder 377,
8. 114 ff\ (bezw. 315).
Ehe ich zu den Departements-Bibl. übergehe, habe ich die auf
ältere Pariser Bibl. bezüglichen Abhandlungen von
523 u. 524. E. Coyecque, Cinq librairies j)arisiennes sous
Franrois I (M^moires de la Societd de l'histoire de Paris). 1892 —
Qnattre c. de livres (1519/20). Revue V 2—12.
nachzutragen,
ö24a. H. Omont, C. des m?s. de la bibl. de (hijas (1574).
Revue hisrorique de droit francais et 6tranger IX 232—237,
Bericht üb. Paläographie u. Handechriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 275
anzuführen und die Auktionskataloge (s. oben S. 230) zu berühren. 498
(Xin) führt an:
525. C. de mss. precieux des XHIe- XV*^ et XV!« si^cles, dont
la vente anra Heu le mardi 18 mars 1879. Paris, Labitte. 31 S.
Einige dieser Hss gelangten in die Bibl. Nationale. — Nur ver-
einzelte Hss enthält (S. 2, 16)
526. C. des livres mss. et imprim^s, anciens et modernes, com-
posant la collection de feu il. E. Rouard, biblioth^caire de la ville
d"Aix-en-Prövence. Paris 1879. XVI und 716 S.
Endlich erwähne ich
o27. C. des mss. conserves aux Archives nationales. Paris
1892. .5.32 S.
528. C. des mss. conserves dans les depots des archives d6-
paitementales, communales et hospitaliers. Paris 1887. 471 S. —
obwohl sie für den Philologen wenig bieten.
Abbe ville C. D. IX 407 CLedieu 1886).
Agen 6. 520 u. C. I). m 217.
(Aire-sur-la-Lys) C. D. IV 301.
Aix (bibl. Mejanes) C. D. XVI (über die Hss von Peiresc s. 324).
(Ajaccio) C. D. III 139 (Touranjon 1879).
Alais C. D. Xm 353.
Albi s. 520 u. C. D. II 467.
Alengon C. D. H 467.
Alger C. D. XVHI.
Saint-Amand C. D. IV 383.
Saint-Amans.
*528a. P. Lauzun, Les mss. de la bibl. de S. A. Agen 1890
(Extrait) 52. S. 2 fr.
habe ich nicht finden können.
Amiens s. 520 u. C. D. XIX.
Angouleme C. D. XX 295.
Annecy C. D. XXI 213.
Annonay C. D. Xni 161.
(Apt) C. D. IV 115.
Arbois C. D. XXI 113.
Argentan C. D. X 253.
18*
276 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
Arles C. D. XX 345.
Arras s. 521.
Auch C. D. IV 387.
Aurillac C. D. IX 187.
Autun C. D. VI 333.
Auxerre C. D. VI 1.
Auxonne C. D. VI 829.
Avalion C. D. VI 131.
Avesnes C. D. XX 339.
Avignon (musee Calvet) C. D. XXVII— XXIX (Labande 1892).
Die Einleitung berührt auch die wenigen aus der päpstlichen Bibl.
(oben S. 227) stammenden Hss, über die Labande sckon im Bulletin
historique et philol. vom J. 1874 gehandelt hatte.
Avranches C. D. X 1.
Bagueres s. 521 .
Bar-le-Duc C. D. XXIV 461.
(Bastia) C. D. IX 393.
Baume-les-Dames C. D. VI 463.
Bayeux s. 520 u. C. D. X 205, 271; vgl. die Notizen von Löwen-
feld, N. Archiv IX 377—380.
Bayonne C. D. IX 79.
Beaune C. D. VI 249.
Beauvais C. D. III 315.
(Beifort) C. D. XIII 279.
Bergues C. D. XXVI 653.
Besancon s. 520 u. C. D. XXXn (1. Band).
Über die jetzt verstreuten Hss der Cistercienser-Abtei, von denen
sich mehrere im Britischen Museum befinden, vgl.
529. Gauthier, C. des mss. de Tabbaye Cistercienne BesanQon
par Dom G. Pinard (1757). Bibl. d. chartes XLII 19—29.
530. L. Delisle, Mss. de Pabbaye Cistercienne de la Charite
au musee britannique. Bibl. d. chartes LI 372—374.
(Bethune) C. D. IUI 309.
Beziers C. D. XX 315.
Blois C. D. XXIV .381; vgl. oben No. 510 u. 511.
8aint-Bonnet-le-Chateau C. D. XXI 517.
Bon-Port; vgl. Cabinet historique 1882, 160—162.
Bordeaux C. D. XXIII (Delpit 1880).
Bourbonne C. D. XXIV 4.53.
Bourbourg C. D. III .389.
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkuade. (Beer u. Weinberger.) 277
Bourg-en-Brisse C. D. VI 215.
Bourges s. 520 u. C. D. IV 1.
(Bourmont) C. D. IV 119.
Brest C. D. XXII 443.
(Brian§on) C. D. XX 577.
Siiint-Brieuc C. D. XIII 357.
Biioude C. D. IV 95.
(Brive) C. D. IV 159.
Caen s. 520 u. C. D. XIV 215 (Lavalley 1880J.
Gabors C. D. IX 191.
(Calais) C. D. IIH 311.
Saint-Calais C. D. XX 279.
Cambrai C. D. XVII.
Cannes C. D. XX 573.
Carcassonne C. D. XIII 167.
Carpeutras s. 520.
Castelnaudary C. D. XX 307.
Castres C. D. XX 311.
(Cette) C. D. XIII 133.
Chälons-sur-Marne C. D. III 1.
Chälon-sur-Saöne VI 359.
Chambery C. D. XXI, 195; dadurch ist überholt das nicht an-
geführte, ungenaue Verzeichnis von
531. Barbier, Mss. de la bibl. de C. Revue Savoisienne XXI
121—126. ^
(Saiut-Chamond) C. D. XIII 141.
(Charolle-s) C. D. VI 337.
Chartres C. D. XI; überdies
532. C. codicum hagiographicorum bibl. civitatis Carnotensis.
Analecta BoUandiana VIII 86—208.
Chäteaudun C. D. XXI 319.
Chäteau-Gontier C. D. XX 253.
Chateauroux C. D. IX 159.
Chateau-Thierry C. D. XXIV 313.
(Chatellerault) C. D. IV 105.
Chätillon-sur-Seine C. D. VI 241.
(La Chätre) C. D. XXVI 719.
Chaumont C. D. XXI 1; unerwähnt bleibt die mir nicht zu-
gängliche Schrift von
*533. J. Carnandet, Les mss. de l'eglise Saint-Jean-Baptiste
de C. Saint-Dizier, Carnandet 1876. 32 S.
278 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
Cherbourg C. D. X 151.
Clamecy C. D. IV 113.
Saint-Claude C. D. XXI 137.
Clermont de lOise C. D. XXIV 279.
Clermont-Ferrand C. D. XIV 1.
Cluny C. D. VI 341.
Coguac C. D. XXI 393.
Compiegne C. D. XXIV 549.
Conches C. D. II 357.
(Conde-sur-Noirau) C. D. X 235.
Condom C. D. XXIV 459
(Confolens) C. D. XXI 315.
Corbeil C. D. III 377.
Corbie (s. oben S. 273).
534. L. Delisle, Une rectification ä Tancien c. des mss. de C.
Bibl. d. chartes XL VII 196 f.
Corte C. D. XI 391.
Coulommiers C. D. IX 383.
Coutances C. D. X 127'.
(Dieppe) C. D. II 271.
Dieuze s. 521.
Digne C. D. IX 153.
Dijon C. D. V.
(Dinan) C. D. IV 107.
Dole C. D. Xin 377.
(Domfront) C. D. X 251.
Draguignan C. D. XIV 393.
(Dreux) C. D. IX 185.
Duukerque C. D. XXVI 629.
(Elbeuf) C. D. II 295.
Epernay s. 520 u. C. D. XXIV 323.
fitampes C. D. XXIV 273.
S. £tienne C. D. XXI 241 (Galley 1885).
(Eu) C. D. n 285.
Evreux s. 520 u. C. D. II 379.
Falaise C. D. X 237.
(Fecamp) C. D. II 289.
(La Ferte-Bernard) C. D. IX 90.
Flavigny. Nnr dem Titel nach kenne ich
*535. L. Delisle, Deux rass. de labbaye de F. au X^ slMe.
Memoires de la Commission des antiquites de la Cote dOr, 9. Band
(Dijon 1887).
Bericht üb. Paläographie u. Handsclriftenkunde. (Beer u. Weinberger.
Flers C. D. X 249.
Fleury s. Orleans.
Foix s. 521.
Fontainebleau C. D. (VI 205) u. XXIV 295; vgl. oben
No. 505—510.
(Fougeres) C. D. XIII 265.
Frejus C. D. XIV 409.
S. Frond. UnzugäDglich ist mir
*536. S. Bormans, Les mss. de Tabbaye de S. Frond en 1538.
Bulletin de la Societe des bibliophiles liegois 1889.
Gaillon vgl. Cabinet historique 1882, 155 — 163.
Gap C. D. III 381.
(Saint-Genies) C. D. XIII 139.
S. Germain-en-Laye C. D. IX 199.
(Gien) C. D. XXIV 293.
(Gournay-en-Bray) C. D. II 297.
(Grasse) C. D. XIV 423.
Gray C. D. VI 389.
Grenoble C. D. VH.
Gueret C. D. IV 161.
(Guingamp) C. D. XX 277.
Ham C. D. XXVI 715.
Le Havre C. D. II 299.
(Hesdin) C. D. IV 331.
(Honfleur) C. D. X 265.
Hyeres C. D. IX 385.
(Issoudun) C. D. IV 93.
Joigny C. D. VI 135.
(Lagny) C. D. IX 381.
Lamballe C. D. IV 109.
Langres C. D. XXI 65.
(Lannion) C. D. XXIV 264.
Laon s. 520.
Laval C. D. IV 349.
Lavaur C. D. XX 313.
(Lectoure) C. D. XIII 135.
Libourne C. D. IV 117.
Lille C. D. XXVI 1.
Limoges C. D. IX 445. Die Hss der Abtei Saint-Martial zu
L. sind im 18. Jh. in die Bibl. Xat. gekommen; den Wiederabdruck
des 1730 veröffentlichten K. durch Delisle im Bulletin de la Societe
280 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
lU'cheologique et historique da Limousin 1895 kenne icli nur aus C. B.
Xn 477.
Lisieux C. D. X 259.
(Saint-Lo) C. D. X 267.
Loches C. D. XXIV 415.
Lons-le-Saulnier C. D. XXI 123.
(L Orient) C. D. XXIV 263.
(Louhans) C. D. XXI 193.
Louviers C. D. 11 365.
Luneville C. D. XXI 173.
(Lure) C. D. IX 49.
Lyon s. 520 u. 521; leider habe ich weder
*537. Soultrait, Les mss. de la Cathedrale de L. Revue du
Lyonnais 1883
noch die Arbeiten von L. Niepce gesehen, der in
*538. L. N., Les bibl. anciennes et modernes de L. L. 1876.
632 S.
und, wie es scheint, gleichzeitig in der Revue du Lyonnais, ferner an
No. 498 anknüpfend in
*539. L. N., Mss. de L. et memoire sur un de ces mss., le
Pentateuque du VIe siecle. L. 1879. XII u. 190 S.
über verschiedene Bücher- und Hss-Sammlungen Lyons in früherer und
in gegenwärtiger Zeit gehandelt hat. Nach Litteraturgattungen ist unter
Verweis auf die einzelnen, meist geistlichen Bibl. geordnet das Ver-
zeichnis von
540. J. B. Martin, Inventaire methodique de mss. conserves
dans les bibl. privees de la region Lyonnaise. Revue VII 471 — 495.
Mäcon s. 520 u. C. D. VI 345.
Saint-Malo C. D. XX 261.
(Mamers) C. D. Xm 159.
Le Mans C. D. XX 1; überdies
541. C. codicum hagiographicorum bibl. publ. Cenomanensis.
Anal. Bolland. XII 43—73.
Mantes C. D. XX 521
Marseille s. 520 u. C. D. XV.
(Manriac) C. D. XIII 157.
Meaux C. D. m 331.
Melun C. D. III 357.
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 281
Mende C. D. IV 371.
(Sainte-Menehould) C. D. XXI 153.
Merville. Unzugänglich war mir
*542. C. Doudis, Les rass. du chäteau de M. Toulouse-Paris 1890.
177 S.
Meziöres s. 521.
S. Mihiel s. 520.
Mirecourt C. D. IX 467.
(Moissac) C. D. XIII 143.
Montargis C. D. XX 565.
Montauban s. 521.
(Montbard) C. D. VI 293.
Montbeliard C. D. XIII 285.
Montbrison C. D. XXI 489.
(Mont-de-Marsau) C. D. XXIV 291.
Montivilliers C. D. II 539.
Moutpeilier s. 520.
(Moutreuil-sur-Mer) C. D. XXIV 271.
(Morlaix) M. D. XIII 267.
Mortain C. D. X 269.
Moulins C. D. in 173.
Nancy C. D. IV 121; nicht erwähnt finde ich die mir nicht zu-
gänglichen Schriften von
*543. D. A. Godron, La bibl. publique de N. et Tacademie de
Stanislas. N., Berger-Levrault 1877. 14 S.
*544. J. Favier, Coup d'oeil sur les bibl. des couvents du district
de N. pendant la revolution, ce qtfelles etaient et ce qu'elles sont
deveuues. N. 1883. 60 S.
Nantes C. D. XXII 1.
Nantua C. D. VI 235.
Narbonne s. 520 u. C. D. IX 91.
Nemours C. D. VI 211.
Neufchäteau C. D. XXIV 437.
Neufchätel-en-Bray C. D. II 347.
Nevers C. D. XXIV 507.
Nice C. D. XIV 433.
Nimes C. D. VII (1885) 529.
Nogent-le-Eotrou C. D. XX 325.
(Nogent-sur-Seine) C. D. XXI 457.
Noyon C. D. III 369.
282 Bericht üb, Paläographie u. HandschrifteDkunde. (Beer u. Weinberger.)
(Olorou) C. D. XIII 137.
Orleans s. 520 u. C. D. XII.
Auf Libris Entwendungen (vgl. No. 166 if.) bezieht sich
545. L. Delisle, Notice sur plusieurs mss. de la bibl. d'O.
Notices et extraits de mss. de la bibl. Nat. XXXI 1, 357 — 439.
Der im Anbang S. 426 gegebene K. des Benediktinerklosters
Fleury, dem die meisten Hss von 0. entstammen (vgl. C. Cuissard, Inven-
taire des mss. de la bibl. d'O., fonds de Fl. 0. 1880. XXXV u. 274 S.)
ist abgedruckt im Anzeiger für Bibliographie 1884, 269—281. Er ge-
hört dem Jahre 1552 an.
(Pamiers) C. D. XXI 313.
Pau C. D. XI 65; nicht zugänglich war mir
*546. L. Soulice, Notice sur la bibl. du chäteau de P. Bulletin
de la societe des sciences ... de P. 2. Serie, 22. Band (1894).
Perigueux C. D. IX 127.
Peronne C. D. XXVI 707.
Perpignan s. 520 u. C. D. XIII 77.
Perrecy.
547. P. Lejay, Catalogues de la bibl. de P. (XP siecle). Revue
VI 225-236.
(Pithiviers) C. D. XIII 273.
Poitiers s. 520 u. C. D. XXV 1.
Saint-Pol C. D. IV 323.
Poligny C. D. XXI 131.
Pont-a-Mousson (vgl. 340) C. D. XIII 69.
Pontarlier C. D. IX 51.
547. J. Gauthier, Notice sur les mss. de la bibl. publique de
P. Bibl. d. chartes XLV 58—72.
stellt fest, daß die Hss aus Mont Sainte-Marie stammen. Es sind
22 vorhanden, während im Jahre 1803 Michaud 42 beschrieb.
Pont-Audemer C. D. X 401.
(Pont-de-Vaux) C. D. VI 239.
Pontoise C. D. IX 211.
Privas C. D. IV 347.
Provins C. D. III 261.
Le Puy C. D. Xni 373.
Saint-Quentin C. D. III 225.
Quimper C. D. XXII 425.
Rambervillers C. D. XIII 67.
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 283
Reims s. 520; nicht zugänglich war mir
*548. H. Jadart, Les anciennes bibl. de R., leur sort en 1790/91
et la forraatioD de la bibl. publique. R. 1891. 42 S.
Remiremont C. D. XXI 159.
Rennes s. 550 u. C. D. XXIV 1.
Roanne C. D. XXI 501.
Rochefort-sur-Mer C. D. XXI 221.
La Rochelle C. D. Vm (Delayant 1878).
La Roche-sur-Yon C. D. XIII 275.
Rodez C. D. IX 219.
Roubaix C. D. IV 335.
Rouen s. 520 u. C. D. I, II 1 ff.
Roye C. D. XXVI 675.
Saintes C. D. XHI 255.
Salins C. D. IX 1.
Saumur C. D. XX 285.
Sedau C. D. XIII 75.
Seilhac C. D. XX 331.
Semur C. D. VI 295.
Senlis C. D. XXIV 289.
Sens C. D. VI 147.
Soissons C. D. in 69.
Tarascon C. D. XIV 475.
(Thiers) C. D. XIII 151.
Tonnerre C. D. VI 101.
Toul C. D. XXI 155.
Toulon C. D. XIV 381.
Toulouse s. 520 und C. D. VII (1885).
549. M. Fournier, Les bibl. des Colleges de l'üniversite de T.
Bibl. d. chartes LI 443—476
bietet sehr genaue Hssk. des 14. u. 15. Jh.
Tournus C. D. VI 381.
Tours s. 520 (guter K. von Dorange 1876);
550. H. Omont, Lettres de Dom Le ChevaUier ä Montfaucon
relatives ä des mss. grecs de T. Bibl. d. chartes LIV 725 — 728.
bezieht sich auf nicht mehr in T. vorhandene Hss; für die Entwendungen
Libris (No. 166 ff. und 545) vgl. die wichtige Abhandlung von
551. L. Delisle, Notice sur les mss disparus de la bibl. de T,
pendant la premiere moitie du XIX^ siecle. Notices et extraits de
mss. de la Bibl. Nat. XXXI 1, 157—356.
284 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
(Trevoux) C. D. VI 237.
Troyes s. 520 und 217 ff.
(Tülle) C. D. XIII 153.
(Uzes) C. D. XIII 165.
Valeoce C. D. Xin 145.
Valenciennes C. D. XXV 188.
Valognes C. D. X 137.
Vannes C. D. XX 269.
Vendome C. D. III 393.
Verdun. Den alten K. einer Hss-Sammliiug, deren Reste sich
jetzt in der Stadtbibl. befinden, druckt ab
552. D. U. Berliere, Les mss. de Tancienne abbaye de Saint-
Vanne de V. Le bibliographe moderne I (1897) 295—308.
Verneuil C. D. II 375.
Versailles C. D. IX 241.
Vesoul C. D. VI 401.
Vienne C. D. XXI 525.
(Villefranche) C. D. XX 267.
Villeneuve-sur-Yonne C. D. IX 443.
Vire C. D. X 415.
Vitre C. D. XXIV 266.
Vitry-le-Frangois s. 520 u. C. D. XIII 1 (HereUe 1877).
Yonne. Nicht zugänglich war mir
553. M. Quantin, Les bibl. des etablissements religieux k VY.
Bull, de la Societe des sciences d'Auxerre Bd. XXIX (1877).
10. Spanien und Portugal.
Die von Beer (s. oben S. 187) übernommene Abfassung dieses
Abschnittes muß leider infolge unvorhergesehener äußerer Umstände
dem nächsten Berichte vorbehalten bleiben; jedoch kann vorläufig auf
dessen einschlägiges Werk
554. R. Beer, Hssschätze Spaniens. Wien 1894. 755 S.
(S.-Ber. d. Wien. Akad. Bd. 124—126, 128 f. und 131)
venv'iesen werden, in dem nach dem Alphabet der Bibl. -Namen hsl.
und gedruckte K. und sonstige Litteratur verzeichnet und hierbei unter
anderen Werken verwertet sind:
555 und 556. C. Graux, Rapport sur une niission en Espagne.
Archives des missions scientifiques. 3. Serie V 111 — 136. — Essai
sur les origines du fonds grec de l'Escnrial. Paris 1881 (Bibl.
de Tecole des hautes etudes).
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 285
557. Hartel-Loewe, Bibl. patrura lat. Hispaniensis. Wien 1887.
Zu 555 ist zu bemerken, daß von 44 Bibl. (12 in Madrid) 15
zusammen 443 griech. Hss enthalten, zu 556 zu vergleichen:
558. H. Omont, Coraplement du c. des mss. grecs de la bibl.
royale de Madrid, Revue VII 149—154.
554 bietet außer einem sehr genauen Namen- und Sachindex ein
dankenswertes Verzeichnis der datierten Hss, der Schreiber und der
Miniaturen, die im Buche erwähnt sind.
559. U. Robert, Etat des c. des mss. d'Espagne et de Portugal.
Cabinet historique 26 (1880) 294—290
kommt somit höchstens für Portugal in betracht, das aber während
der Berichtsperiode kaum eine erwähnenswerte Erscheinung aufzuweisen
hat; vgl. C. B. XIII 179.
IIL Die Entwickelung der Buchschrift.
Der gewählte Titel soll einerseits die dei* Epigraphik zufallende
Schriftentwickelung, andererseits in gewissem Maße die vorwiegend Ur-
kunden behandelnden Publikationen ausschließen. Es fällt mir zwar
nicht ein, die Wichtigkeit der Inschriften z. B. für die Entwickelung
der Uncialschrift zu leugnen , oder gar lehrreiche Sammlungen wie
Sickels
560. Monumenta graphica medii aevi ex archivis et bibl. imperii
Austriaci collecta. Wien 1858—1882.
561. Recueil de facsimilcs a l'usage de lEcole des chartes.
Paris 1880—1887. 100 T. fol.
562. Album paleographique ou recueil de documents importanls
relatifs k l'histoire et ä la litterature nationales reproduits en helio-
gravure d' apres les originaux des bibl. et des archives de la France,
avec des notes explicatifs par la Societe de l'Ecole des chartes.
Paris 1880—1887. 11 S. 50 Tafeln (Verzeichnis im C. B. IV 276 f.)
abzuweisen , weil sie meist Urkunden enthalten. Aber als Hauptauf-
gabe dieses Berichtsteiles erscheint es mir doch, über die Hülfsmittel
zu orientieren, die für das Studium philologischer Hss vorhanden
sind. Wenn es auch nicht angemessen erscheint, die Wichtigkeit des-
selben hier zu betonen, möchte ich doch die kurze Bemerkung von
286 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
563. E. "Wölffliii, Paläograpbiscbes und TJnpaläograpbiscbes.
Pbüologus XXXVI 182 — 185
über ungenügende Erforschung der hsl. Überlieferung und hierbei unter-
laufende Irrtümer notieren.
Den Handbüchern könnten Gelegenheitsschriften beigezählt werden,
die über Hülfsmittel der Studien orientieren ; aber selbst eine von einem
hervorragenden Gelehrten wie Paoli herrührende :
564. C. P., Prelezione al Corso di pal. latina nel r. Istituto di
studi superiori a Firenze. Archivio storico Italiano. 3. Serie XXV
114-134
bietet nichts Neues. Ahnliches konstatiert Wattenbach (Jahresber. XIII,
IV 80) anläßlich der Besprechung von
565. D. Grand, Cours de pal. de . . Montpellier (1889/90).
Lecon d'ouverture. Re\nie de langues romanes III 581 — 600.
Ich thue also vielleicht schon zu viel, wenn ich folgende, mir un-
bekannte Schriften dem Titel nach anführe:
*566. A. Flandina, Programma per una scuola di pal. e diplo-
matica in Palermo. P. 1886. 29 S.
*567. F. Lionti, Poche parole a proposito di un programma
per una scuola di pal. e diplomatica in Palermo. P. 1885. 19 S.
*568. A. Miola. L'insegnamento della pal. nella Bibl. Nazionale
di Napoli. N. 1885. 16 S.
*569. H. Pirenne, Sur l'etat actuel des etudes de pal. et de
dipl. Revue de Tinstruction en Belgique 1886, 87—103.
Ebensowenig kenne ich
*570. J. Zanic, Von der mittelalterlichen lat. Pal. Progr,
Zengg 1884. 44 S.
Auch J. Carinii Arbeiten (die ich vielfach nur mittelbar — vgl.
z. B. Jahresber. XII, IV 61 — kenne), wie
571. J. C, Prelusione al corso di pal. e dipl. letta in Palermo.
Nnove Eflfemeridi Siciliane VI 149 — 186.
572. J. C, Sommario di pal. 3. ediz. Rom 1888. 113 S.
sind zwar geistvoll und beredt gehalten, bringen aber keine neuen
Resultate. Eine ausführliche, allgemein pal. Einleitung enthält auch
(I— XXIV und 1—62).
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 287
573. W. de Gray Birch, The history, art and pal. of tlie
ms. styled the Utrecht Psalter. London 1876. 14 M. 40 Pf.
Von Handbüchern, die beide Sprachen behandeln, ist das
von Thompson schon S. 188 erwähnt wor-den. Derselbe hat
574. M. Th., Calligraphy in the Middle Ages. Bibliographica
in (1897) 2.:i7-290
mit trefflichen Schriftproben einen kurzen Überblick über die Ent-
wickelung der Schrift im Mittelalter geliefert und hierbei Abbildungen
von Miniaturen beigegeben, in denen Schreiber dargestellt sind. — An
575. F. Blaß, Pal., Buchwesen und Hsskunde. J. Müllers Handb.
d. klass. Altertumsw. 1(1886) 273-328. 2. Aufl. 1892.
ist besonders die übersichtliche Angabe von Proben der einzelnen Schrift-
arten rühmend hervorzuheben, zu rügen dagegeu, daß im Jahre 1892
auf S. 351 von C. D. nur 7 Bände (1849—79) oder gleich im Ein-
gang eine der wichtigsten Sammlungen von Facsimilien nach dem
Stande von 1883 verzeichnet wird. Ich meine
576. The palaeographical Society. Eacsimiles of mss. and in-
scriptions. I. Series (edited by A. Bond and M. Thompson).
London 1873—1883. 260 T. IL Series (edited by M. Thompson
and F. Warner). 1884—1894. 205 T.
Die Tafeln der 1. Serie sind auf grund der zugleich mit der
Schlußlieferung ausgegebenen Einleitung, in der Thompson eine Geschichte
der Schrift giebt, in eine systematische Ordnung gebracht von L. Delisle,
Bibl. d. chartes XLV 532—549. Ein Band bietet griech., zwei lat.
(n. moderne) Schriftproben. Die einzelnen Lieferungen der 2. Serie
siod eingehend von Wattenbach in den Jahre5ber. besprochen, auf die
ich für diesen Berichtsteil auch sonst verweisen muß und kann, da
W. pal. Details aus nicht eigentlich pal. Werken heranzieht und Einzel-
resultate ausführlicher, als es mir möglich ist, erörtert. Die Publikation
der Londoner pal. Gesellschaft ist durch gute Auswahl (meist datierte
Stücke) und vortreffliche Reproduktion ausgezeichnet. Ich füge gleich
die zweite Publikation an, in der griech. und lat. Schriften ziemlich
gleich vertreten sind:
577. Collezione Fiorentina di facsimili pal. greci e latini, illustrati
daG. Vitelli e C. Paoli. I-IV. Florenz, Le Monnier, 1884—1888.
Jede vollständige Lieferung umfaßt je 12 griech. von Vitelli und
12 lat. von P. erläuterte Tafeln. H. Omont giebt Revue 1895, 287—297
eine Übersicht über 42 griech. und 42 lat. Tafeln nach der chrono-
288 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
logischen Folge, den Autoren und den Bibl. Die meisten Hss gehören
der Laurenziana au.
Ich wende mich zu den Handbüchern griech. Pal. Nach
kurzer Erwähnung der auf Montfaucons Pal. graeca (u. z. auf eine
unsinnige Polemik Hardouins und auf den Verlagsvertrag) bezüglichen
Notizen von
578 und 579. H. Omont, La 'Paleographie grecque' de Mont-
faucon et le P. Hardouin. — L'edition de la P. g. de M. Revue d.
etudes grecques III 202—216 und IV 63—67
kommen wir zu dem schon erwähnten Werke von
580. V. Gardthausen, Griech. Pal. Leipzig 1879. 472 S.
und 12 Schriftt.,
das ausführlich von R. Foerster (Jahrb. f. Phil. CXXI 49-69),
M. Gitlbauer (Götting. gel. Anz. 1882, 184—198), C. Graux (Journal
d. Savants 1881, 226 ff., 306 ff.) und H. Omont (Bibl. d. Chartes XLII
551 — 559) besprochen wurde. Das hübsch ausgestattete Buch bietet
eine verdienstvolle reiche Materialsammlung nicht bloß für die Ent-
wickelung der Schrift, sondern, wie schon berührt wurde (s. oben S. 198
und 205), für chronologische Fixierung von Schreibern und Subskriptionen.
Wichtig sind: das Verzeichnis datierter Hss. (S. 342—364), obwohl
es einer Ergänzung fähig und bedürftig ist, das Schreiberverzeichnis
(S. 311—341), auf das wir noch im Anhang I zurückkommen, der Ab-
schnitt über die Chronologie der Schreiber (S. 384 ff.) und die im An-
hang gegebenen chronologischen Tabellen. Manches ist bestreitbar und in
den angeführten Besprechungen auch bestritten worden. Namentlich aber
ist vieles durch die noch lange nicht zum Abschluß gebrachten Ergeb-
nisse der Papyrusforschung überholt. Es war daher jedenfalls verkehrt,
es im Jahre 1891 unverändert zur Grundlage eines französischen Hand-
buchs zu nehmen:
581. Ch. Cucuel, Elements de pal. grecque d'apres la Griechische
Pal. de V. Gardthausen. Paris 1891. 224 S.
Dagegen ist dem Fortschritte durch neue Auflagen Rechnung ge-
tragen bei dem zur ersten Einführung in das Studium griech. Hss am
meisten empfehlenswerten Büchlein:
582. W. Wattenbach, Anleitung zur griech. Pal. Leipzig,
Hirzel. 2. Aufl. 1877, Vin. 64 und 32 autographierte S. 4., 3. Aufl.
1895. I und 127 8. 8. 3 M. 60.
Es wird zunächst in großen Zügen die Entwickelnng der Schrift
skizziert und hierbei in der 2. Aufl. eine Erklärung der beigefügten
Bericht üb. PaläograpLie u. Handschriftenkunde. (Beer u. VVeinberger.) 289
12 Schrifttateln gegeben. Diese bieten durchaus Minuskelschriften, die ja
praktisch fast allein in betracht kommen. In dem 2. Teil wird über die
Entwickelung der einzelneu Buchstaben gehandelt und einig-es über Ab-
kürzungen (s. No. 649 ff.), Worttrennung und dgl. bemerkt. In der
3. Aufl. ist hierbei die Autographie durch Lithographie ersetzt. Die
Scbrifttafeln sind ganz weggelassen, da eine große Anzahl von Proben
vorliegt, die übersichtlich verzeichnet werden. Hierbei wird auch der
Reproduktionen ganzer Hss gedacht: Bibelhss Alexandrinus von
Thompson, Vaticanus von Cozza-Luzi, Laurentiauus des Sophokles von
Jebb, Codex 1 des Demosthenes von Omont (Paris 1892. 1100 T.)
Dazu kommen die Facsimilia des Aristoteles-, Herondas-, und Bacchy-
lides-Papyrus. Auf griech. und lat. Hss sind berechnet:
583. L. Clödat, CoUection de reproductions photolithographiques
inlegi'ales de mss. latins, proveucaux et frangais. Classiques latins
I: Catulle. Ms. de Saint-Germain. Paris 1890. Auteurs grecs
(direction speciale deF. Allegre): Poetiqued'Aristote. Paris. 1741. 1891.
584. Codices graec. et lat. photographice depicti duce Nicoiao
du Rieu (Santone de Vries). I. Vetus testamentum graecum. Codicis
Sarraviani-Colbertini quae supersunt in bibl. Leidensi, Paris., Petro-
polit. Praefatus est H. Omont. II. Codex Bernensis 363 Augustini
de dialectica et de rhetorica libros. Bedae historiae eccles. lib. I,
Horatii carmina, Ovidii metamorph, fragmenta, Servil et aliorum opera
grammatica continens. Praefatus est H. Hagen. Leiden, Sijthoff,
1»97. ä 200 M.
Über den Plan des Werkes vgl. C. B. XIII 180. Piatos Clar-
kianus habe ich angekündigt gelesen.
Wir wenden uns nun den Sammlungen griech. Schrift-
proben zu:
585. W. Wattenbach, Schrifttafeln zur Geschichte der griech.
Pal. Berlin 1876—77. 4 u. 12 S. 40 photoüthogr. T. fol. 22 M.
ist unter dem Titel: Scripturae graecae specimina coUegit et
explicavit W. in 2. und 3. Aufl. erschienen (1883: 7 S. 28 T., 1897:
17 S. 33 T. 16 M.). Hierbei sind minder wichtige Tafeln weggelassen
und dafür Lichtdrucktafeln aufgenommen, welche, auch den Grund der
Hs wiedergebend, dem Eindruck des Originals ganz nahe kommen und
so den gewaltigen Fortschritt in der Reproduktion gegenüber der Pho-
tolithographie mit weißem Grunde illustrieren. Über Vor- und Nach-
teile verschiedener Reproduktionsmethoden vgl.
586. J. V. Pflugk-Hartung. Über die Herstellung der neuesten
Abbildungen von Urkunden. Histor. Zeitschr. LIII 95—99.
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVIIL (1896. III.) 19
290 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
*587. A. Eisenlohr, Die Anwendung der Photographie für Mo-
numente lind Papyi'usrollen. Vol. II des travaux de la 6^ session du
congrös international des Orientalistes ä Leide (13 S.)
kenne ich nur aus dem Philol. Anzeiger XTV 467 f. — Hier erwähne
ich auch eine Publikation, die einerseits eine Reproduktion eines griech.
Uncialkodex bietet, andererseits durch ihre Hülfstafeln und Textillustra-
tionen, für die Photochromotypie, Heliogravüre, Lichtdruck, Phototj'pie
und Zinkographie zur Anwendung kamen, einen Vergleich der ver-
schiedenen Methoden leicht macht:
588. Die Wiener Genesis, hrsg. von W. v. Hartel und F. Wick-
hoff. Beilage zum 15. u. 16. Band der Jahrbücher der kunsthisto-
rischen Sammlungen des AH. Kaiserhauses. Wien 1895/6. 171 S.,
6 u. 52 T.
Uncialschriften (vgl. Graux' schon unter 47 erwähnte Notes
pal.: L'onciale des fragments juridiques du Sinai. Rev. phil. V 121 —
127 und
589. T. K. Abbot, Par palimpsestorum Dublinensium. Dublin
1880. 24 M.)
findet man ferner bei
590. U. Wilcken, Tafeln zur älteren griech. Pal. Leipzig u.
Berlin 1891.
Die verschiedenen Charaktere der griech. Papyrusschrift werden
hier gut veranschaulicht und zwar sowohl die Unciale als auch die
Kursive des 1. bis 8. Jh, In der letzteren sieht W. die durch die
Praxis notwendig gewordene Umbildung der Unciale; die Minuskelschrift
entstehe dadurch, daß im 9. Jh. die Urkundenschrift zur Bücherschrift
erhoben wü*d. Hierfür vgl.
591. V, Gardthausen, Beiträge zur griech. Pal. Berichte über
die Verhandl. d. sächs. Gesellsch. d. Wissensch. Phil. -bist. Kl. XXIX
1—19 (I, II). XXX 47—64 (III). XXXII 70—88 (IV— VI).
III bespricht die spitzbogige, die Papyrus- und die abendländische
Unciale. Die Eutwickeluug der erstgenannten im 7. Jh. wird haupt-
sächlich durch die griech. Worte datierter syrischer Hss erwiesen,
I stellt fest, daß noch vor der ältesten datierten Minuskelhss (835)
Spuren der Minuskelschrift nachzuweisen sind, deren Entwickelung
also 680 — 835 anzusetzen ist. Die Lesung eines für den Übergang
von der Kursive zur Minuskel besonders wichtigen Blattes berichtigt
592. M. Gitlbauer, Pal. Nachlese. Z. f. österr. Gymn. 1878,
813—817.
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 291
Bedeutend höher hinauf rückt 418 die Minuskel. Auf andere
Teile vou 591 kommen wir noch zurück; jetzt wenden wir uns zu den
Publikationen von Omont, in denen auch Uncialschriften vertreten sind.
593 — 595. H. 0., Facsimilös des plus anciens mss. grecs en
onciale et en minuscule de la Bibl. Nat. du IVe au XIP siöcle.
Paris 1891. 52 T. — Facsimil^s de mss. grecs des XV« et XYI® siöcles
d'apres les origiuaux de la Bibl. Nat. Paris 1888. 15 8. u. 48 T. —
Facsimiles de mss. grecs dates de la Bibl. Nat. du IX« au XI V^ siecle.
Paris 1889. 100 T.
Die Tafeln von 593 sind verzeichnet in 488 No. 1114 und Bibl.
d. chartes LIII 500. 594 bietet S. 5 — 7 in aller Kürze sehr gut orien-
tierende Notizen über Schreiber, nach deren Namen die Tafeln und
somit auch die fast nur auf die Schreiber bezüglichen Erläuterungen
geordnet sind. — Der "Wert von 595 wird noch erhöht durch die in
der Vorrede gegebene Zusammenstellung von datierten Hss (8. — 16. Jh.),
deren Faksimilien anderweitig publiziert sind. Ergänzt wird das Werk
durch
596. H. 0., Les mss. grecs dates des lö^ et 16^ siecles de la
Bibl. Nat. et des autres bibl. de France. Revue II 1—32, 145 — 176,
193—205.
Anhangsweise (S. 206—215) werden auch datierte Hss der Periode
von 1601 — 1809 zusammengestellt. Es sind also die datierten Pariser
Hss (etwa 500 unter 4700) vollständig verzeichnet. Auch auf den
50 Tafeln von
597. W. Wattenbach et A. van Velsen, Exempla codicum
graec. litteris minusculis scriptorum. Heidelberg 1878.
finden sich 29 datierte Stücke aus der Zeit von 835—1319. Datierte
Hss beschreibt ferner — leider in russischer Sprache —
598. Amphilochij, Pal. Beschreibung datierter griech. Hss
vom 9. und 10. Jh. Moskau 1879/80. 4 Hefte mit 113 Faks.
Minuskelhss finden sich noch bei
599. C. Graux et A. Martin, Facsimiles de mss. grecs d'Espagne.
Paris 1891. 24 T.
Die Frage, ob sich in der Minuskel provinzielle Verschiedenheiten
nachweisen lassen, hat Gardthausen zweimal behandelt: 591 V. Griech.
Minuskel in ünteritalien und
600. V. G., Differences provinciales de la minuscule grecque.
Melanges Graux (1884) 731—736.
19*
^92 Bericht üb. Paläograpliic u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
Er behauptet, dal.', sich zwar gelegentlich ein verschiedener Duktus,
nicht aber — wie bei den lat. Nationalschrifteu — charakteristische
Buchstaben nachweisen lassen. Dagegen hat Allen (s. oben S. 202) im
3. Teile der unter 86 erwcähnten Palaeographica (Journal of philology
XXI 48 — 55: A group of ninth-century Greek mss.) wahrscheinlich ge-
macht, daß eine Anzahl von Hss, die in Format, Schriftcharakter, Ab-
kürzungen und besonderen Zeichen auffällige Ähnlichkeit zeigen, zwar
mehreren Schreibern, aber derselben Schreibschule zuzuweisen seien.
Die Behandlung eines einzelnen Buchstaben durch
*601. W. N. Bates, The origin of the u form of ßTjxa in Greek
mss. Transaction of American philol. assoc. XXVII 10 ff.
ist mir nicht zugänglich. Ebensowenig weiß ich, ob die Arbeit von
Beaudouin, La lettre grecque Z. Annales de la faculte des lettres
de Bordeaux 1881, pal. oder grammatischer Natur ist.
Von den Handbüchern lat. Pal. lasse ich die auf Urkunden
bezüglichen thunlichst beiseite, so Lupi, Manuale di pal, delle carte.
Florenz 1875, auch Breßlaus Handbuch der Urkundenlehre (Leipzig
1889), um so mehr den streng wissenschaftlichen Charakters entbehren-
den Katechismus der Diploraatik, Paläographie, Chronologie und Sphra-
gistik von Leist (Leipzig 1882). Von Chassants Pal. des chartes
et des mss. du XP au XVIIIe siecle fällt meines Wissens nur die
7. Auflage (Paris 1877) in die Berichtsperiode. Nicht zugänglich war mir
*602. Reusen s, Elements de pal. et de diplomatique du moyen
äge. Louvain 1891. 118 autogr. S.
Von 603. M. Prou, Manuel de pal. latine et frangaise du VI^ au
XVIIe siecle suivi d"un dictionnaire des abreviations avec fac-
similes en phototypie. Paris 1889. 386 S. 23 T. 2. Aufl. 1892
einem Werke, welches Wattenbach, Schrift wesen ^ 36 wenig empfehlen
zu können erklärt, kenne ich nur die 1. Auflage. Mit der 2. ist ver-
bunden ein Recueil de facsimiles d'6critures du Xlle.aa XVII»
siecle (mss. latins et fran^ais) accompagnes de transcriptions
(12 Proben von 1114—1640; von 1317 an ist nur die schwer lesbare
Cursive vertreten). 1896 erschien ein Nouveau recueil mit franzö-
sischen Urkunden von 1151 — 1687. Ich schließe gleich die beiden gang-
barsten Sammlungen lat. Facsimilia an:
604. W. Arndt, Schrifttafeln zur Erlernung der lat. Pal.
1. Aufl. Berlin 1875—78. 2. Aufl. 1887/88. 3. Aufl. (besorgt' von
M. Tangl). 1. Heft. Berlin 1897. V u. 9 S. 30 T. fol. 15 'M.
Auch hier heben sich, wie bei No. 585. in der letzten Auflage
5 Lichtdrucktafeln von den beibehaltenen Photolithogi'aphien ab.
Bericht üb. Paläographie u. Uandschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 293
605. E. Chatelain, Pal. des classiques latins. Collection de
facsimil^s des principaux mss. Paris 1884—1897. 12 Lief. X 15 T.
Die in Originalgrüße gegebenen Reproduktionen von Hss der
verschiedensten Jh. und Bibl. (Frankreichs, Italiens, Deutschlands,
der Schweiz, Belgiens und Hollands; auch Palimpseste) sind nach den
Autoren geordnet. I: Plautus, Tereuz, Varro, Catull. II und III: Cicero.
IV: Cäsar, »Sallust, Lucrez. V: Virgil. VI: Horaz. VII: Nachträge
zu I— V. VJII: Ovid, Properz, Tibull. IX: Livius. X: Persius, Juvenal.
XI: beide Plinius, Tacitus, Petronius. XII: Martial, Lucan, Statins,
Valerius Flaccus, Phaedrus. XIII und XIV ('Sous presse') sollen
enthalten: die beiden Seneca, Quintilian, Valerius Maximus; Nepos,
Curtius, Justin.
Unzugänglich war mir:
*606. E,. Ellis, XX facsimiles from Latin mss. in the Bodleian
library. Oxford 1891 (privately printed); vgl. Class. rev. VI 173.
In 604 und 605 sind alle Schriftarten vertreten ; wir wollen nun
die einzelnen ein wenig betrachten an der Hand eines verläßlichen,
allerdings nach des Verf. eigener Aussage (Schriftw. ^ 36) einer Neu-
bearbeitung schon bedürftigen Werkes:
607. W. Wattenbach, Anleitung zur lat. Pal. 4. Aufl. Leipzig
1886. IV, 42 und 84 autogr. S. 3 M. 60.
Die autographierten Seiten behandeln wie in No. 582 die Ver-
änderungen der einzelnen Buchstaben. — Für die Majuskelschrift
kommt in betracht:
608. C. Zangemeister et W. Wattenbach, Exempla codicum
lat. litteris maiusculis scriptorum. Heidelberg 1876. VIII und 12 S.
50 T. Supplementum coutiuens t. LI— LXII. 1879. 25 M.
Sie zerfällt in Kapital- (16 T.) und Uncialschrift, deren
Unterschied bei den Buchstaben D, E, M und G am deutlichsten her-
vortritt; in der Sammlung sind auch Proben der Volumina Herculanensia
und von Palimpsesten zu finden. — Eine pal. Seltenheit der herzogl.
Bibl. in Gotha (vgl. B. Krusch, N. Archiv IX 269—282), der Kodex 75,
in dem Unciale, Halbnnciale, angelsächsische, merovingische und ge-
wöhnliche Minuskel vereinigt sind, wird uns zu den weiteren Schrift-
arbeiteu überleiten. Die Unciale degenerierte (607 S. 18) durch Auf-
nahme kursiver Elemente zur Halbnnciale, aber diese Bücherschrift
war noch in römischen Händen. Die Kursive wurde in den Kanzleien
umgebildet, und diese Umbildung wurde mit Benutzung halbuncialer
Formen vollendet und kalligraphisch ausgearbeitet, als man diese Schrift
294 Bericht üb. Paläographie u. Ilandschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
auch für Bücher verwendete. So entstanden die Nationalschriften.
607 bespricht zunächst die langobardische (7. — 13. Jh.), für die schöne
Belege in 141 und bei
609. 0. Piscicelli-Taeggi, Paleografia artistica di Monte-
cassino. I— VH 1876—1888
zu finden sind. Aus ihr entwickelte sich auch eine eigentümliche Bullen-
schrift.
Füi- die westgotische Schrift (6/7. — 12. Jh.; genaue Charak-
teristik 489, S. 56 ff.) sind wichtig
610. J. Muüoz y River 0, Pal. Visigoda. Madrid 1881
und
611. P. Ehwald et G. Loewe, Exempla scripturae Visigoticae XL
tabulis expressa. Heidelberg 1883.
Proben der (meist in Urkunden verwendeten) raerovingischen
Schrift (darunter datierbare) giebt ^vgl. N. Archiv "VIII 403).
612 — 614. L. Delisle, Sur un ms. Merovingieu de la bibl.
d'Epinal. C. E. de FAcad. des inscriptions et helles lettres 4. Serie V
(1877) 274—276. — Notice sur un ms. M. de Saint-Medard de
Soissons. Re^Tie archeol. XLI 257—260. — Notice sur un ms. M.
de la bibl. de Bruxelles. Notices et extraits de mss. de la Bibl.
Nat. XXXI 1, 33-48.
In 613 und 614 handelt es sich um eine und dieselbe Hs.
Eine besondere Stellung weist 607 betreffs ihrer Entstehung der
angelsächsischen und der irischen (auch schottischen) Schrift zu.
Ti-efflich ausgeführte Proben der ersteren findet man bei
615. E. JM. Thompson, English illumiuated mss. Biblio-
graphica I 129—155 (A. D. 700—1066). 385—403 (Frolh the
twelfth to the fourteenth Century). 11 1—22 (Fourteenth and
fifteenth Century).
616. W. Schnitze, Die Bedeutung der iroschottischen Mönche
für die Erhaltung und Fortpflanzung der mittelalterlichen Wissen-
schaft. C. B. VI 185—198. 233—241. 281—298
bespricht besonders die von Iren gegründeten oder beeinflußten Klöster
(Corbie, Bobbio, St. Gallen) und verzeichnet aus 32 deutschen, öster-
reichischen, französischen und italienischen Bibl. 117 irische (oder auch
angelsächsische) Hss; nur 32 davon sind profanen Inhaltes. Über Beein-
flussung der Iren durch Byzantiner vgl.
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weiaberger.) 295
617. W. Sanda}', Byzantine influence in Ireland. Academy
1888 II S. 137 f.
Nach Aufülirung von 2 mir nicht zugänglichen Abhandlungen
*618. L. Marcel, La calligraphie et la miniature ä Langres ;\
la fin du X^ siecle. Histoire et descriptiou du ms. 11 972—8 du
fonds latin de la Bibl. Nat. Paris 1890. 48 S.
*619. L. Delisle, L'evangcliaire de Saint- Vaast d'Arras et la
calligraphie Franco-Saxonne du IX^ siöcle. Paris 1889. 18 S.
(vgl. Jahresber. XI, II, 27).
komme ich zur karolingischen Minuskel.
620. Th. Sickel, Prolegomena zum Liber diurnus. S.-Ber. d.
Wiener Akad. CXVII, VII
stellt S. 11 ff. in einer eingehenden pal. Erörterung fest, daß es bereits
im letzten Viertel des 8. Jh. Minuskelhss gegeben habe, und kommt
hierbei auf die Schreiberschule von Tours zu sprechen. Über diese hat
621. L, Delisle, Memoire sur Fecole caUigraphique de T.
au IX« siecle. Memoires presentes k l'Acad. des inscr. et belies
lettres XXXII 1. Paris 1885. 32 S. und 5 T.
gehandelt. Die herangezogenen Hss, die charakteristischen Formen des
g und m sowie die Ähnlichkeit zwischen ci und a werden C. B. III
234: f. herausgehoben. "Wesentlich ist aber für karolingische Kalligraphie
die künstleri=che Ausschmückung der Hss, und darum habe ich mir ein
seltenes Werk, das allein von dieser Pracht eine richtige Anschauung
gewähren soll, bis hierher aufgespart:
*622. A. de Bastard, Peintures et ornaments de mss classes
daus un ordre chronologique pour servir ä, l'histoire des arts du
dessiu depuis le IV^ siecle jusqu a la fin du XVP- Paris 1832—1848.
Eine Lieferung von je 8 Tafeln hat 1800 fr. gekostet. Den Plan
des 1848 unterbrochenen Werkes und Nachweisung der benutzten Hss
giebt Delisle, L'oeuvre pal. de M. le comte de B. Bibl. d. chartes XLIII
489 — 523, danach Numerierung und Verzeichnis zu zwei Berliner
Exemplaren Wattenbach, Das pal. Prachtwerk des Grafen B.
N. Archiv VIII 449—472 (vgl. IX 454 f.). Über karolingische Kunst
handeln ferner A. Springer in mehreren Jahresber. XIII, IV 85 f. zu-
sammengestellten Schriften, P. Giemen, Zur Geschichte der kar. K.
Repert. f. Kunstw. XIII 123 ff., M. Zucker, Fragmente des kar.
Evaugeliariums in Nürnberg und München und der Codex Millenarius
in Kremsmünster. Ebd. XV 20 — 36, W. Meyer, S.-Ber. d. Münchener
296 Bericht üb. Paläographie u Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
Akad. 1883, 424 — 436 in bezug auf R. Rahn, Ein wiedergefundenes
Kleinod des Großmünsters in Zürich: Karls des Kahlen Gebetbuch in
der Schatzkammer in München. Anzeiger f. schweizer. Altertumsk. 1878,
807—812; vgl. ferner
628. R. Rahn, Das Psalterium aureum von St. Gallen. Ein
Beitrag zur Geschichte der kar. Miniaturmalerei hgg. vom Historischen
Verein des Kantons St. Gallen. S. G. 1878. 67 S. fol. 18 T. und
32 Holzschnitte.
Proben der späteren Minuskel (vorzüglich des 13. und des
14. Jh.) giebt
624. W. Seh um, Exempla codicum Amplonianorum Erfurtensia
saec. IX— XV. Berlin 1883. 24 Bl.
Dagegen bietet
625. R. Thommen, Schriftproben aus Hss des 14. — 16. Jh.
Basel 1888. VI in 18 S., 20 T.
aus Stadtarchiv und Universitätsbibl. in Basel nur Schriftstücke von
Klöstern, städtischen Kanzleien und Zunftbüchern, aber keine Hss im
philologischen Sinne. — Den Versuch, einen Buchstaben durch die ver-
schiedenen Schriftarten zu verfolgen, machte
*626. A. Monaci, Per la storia delF A neUa scrittura lat.
Rom 1889. 9 S.
Ich kenne die Schrift nur aus Jahresber. XII, IV 60, wo das
Prinzip gebilligt, an der Ausführung aber manches getadelt wird. —
Ein eigentümliches Zeichen für ti behandelt Paoli in den S. 197 er-
wähnten MisceUanea di pal. e diplomatica (XI. Aixhivio storico Italiano.
4. Ser. 16. Band, 1885), die Entstehung der e caudata.
627. U. Robert, Note sur Forigine de l'e cedille. Melanges
Havet (1895) 633—637 (vgl. Jahresber. XVHI, IV 118).
Hiermit sind weder alle in die Berichtsperiode fallenden Be-
merkungen über griech. und lat. Buchschrift, noch die veröffentlichten
Faksimilien klass, Hss erschöpft. Abgesehen von dem in Ausgaben,
kritischen Abhandlungen, K. und Papyrus-Publikationen Verstreuten,
ist manches in populären Darstellungen der Geschichte der Schrift,
anderes in Werken berührt, die zunächst der romanischen Philologie
angehören; vgl.
628. E. Andreoli, La scrittura. Sua storia dai gerogliti ai
nostri di. Studi comparativi con facsimili specialmente dei caratteri
latini o romani. Mailand 1884. 66 S. und 24 T. 4.
Bericht üb. Paläographie u, Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 997
629. Ph. Berger, Histoire de recriture dans Tantiquitö.
Paris 1892
behandelt meist orientalische Alphabete ; der den griech. und italischen
gewidmete Abschnitt ist epigraphischer Natur. Die wichtigsten Faksi-
milien für verschiedene Alpliabete verzeichnet eine Notiz über eine
Ausstellung des britischen Museums:
630. Historj' of alphabets (Exhibition in the Kings Library).
Athenaeum 1889 No. 3227, S. 288.
Die schönen Farbeodrucktafeln des wunderlichen Werkes von
631. M. Pavoloro, Spicilegio storico pal. di alfabeti e facsimili
tratti da codici, diplomi e monumenti. Palermo 1893. 121 S. und 97 T.
sind ohne rechte Ordnung und stammen aus trüben Quellen.
632 und 633. C. Faulmann, Das Buch der Schrift u. s. w.
Wien 1878. Xu und 272 S. Illustrierte Geschichte der Schrift u. s. w.
Wien 1879/80. 632 S.
*634. C. Paoli, La storia della scrittura nella storia della civiltä
considerata specialmente nelle forme grafiche del medio evo. Aunuario
di Firenze (mir nicht zugänglich) 1888/9. 109 S.
Lateinischen Papyris und Hss sind einzelne Tafeln gewidmet bei
635. C. Foucard, Elementi di pal. La scrittura in Italio sino
a Carlo Magno. Mailand 1879 f.
und im
636. Archivio pal. Italiano diretto da E. Monaci. Rom 1882 ff.
von dem mir Band 1, 2 und der Anfang des 3. vorgelegen hat.
Die Abküizungen, deren Lesung relativ, manchmal auch absolut
genommen, Schwierigkeiten bereitet, und deren richtige oder mangelhafte
Erkennung für den Wert einer Kollation entscheidend sein kann, lassen
sich nicht erledigen, ohne daß diejenigen Schriftsysteme berührt würden,
die von der Alltagsschrift abweichen und, je nachdem Raum- oder Zeit-
ersparnis im Titel hervorgehoben werden soll, gegenwärtig Steno- oder
Tachygraphie genannt zu werden pflegen. Auf eine im Jahre 1884
auf der Akropolis (vgl. U. Köhler, Athen. Mitteil. VIII 359—303) ge-
fundene inschriftliche Anweisung zu einem solchen System beziehen sich:
637 und 638, Th. Gomperz, Über ein bisher unbekanntes
griech. Schriftsystem aus der Mitte des 4. vorchriscl. Jh. S.-Ber.
der Wien. Akad. CVII 339—395. — .Neue Bemerkungen über den
ältesten Entwurf einer griech. Kurzschrift. Ebdt. CXXXII, XIII. 15 S.
298 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
639. P. Mitzscbke, Eine griecb. Kurzschrift aus dem 4. vor-
christl. Jh. Leipzig 1885.
640. H. Landwehr, Über ein Kurzschriftsystem des 4. vor-
christl. Jh. Pliilol. XLIV 193—200.
641 und 642. M. Gitlbauer, Die 3 Systeme der gricch. Tachy-
graphie. Denkschr. der Wien. Akad. XLIV, IL 50 8. 4 Taf. —
Zur älteren Tachj^graphie der Griechen. Eine Autwort auf Gomperz'
Kritik. Festschrift zur 100 jährigen Jubelfeier der deutschen Kurz-
schrift, hgg. von Chr. Johnen. Berlin 1896. (207 S.)
643. C. Yv'essely, Über die Vokalzeichen des ältesten Ent-
wurfes einer griech. Kurzschrift (in der oben angeführten Festschrift).
Goniperz hat zuerst den Inhalt der Inschrift erkannt. Durch
seine und die von ihm gebilligten Ergänzungen Gitlbauers steht fest,
daß in Verbindung mit dem einfachsten VokaJzeichen , dem vertikalen
Strich (0
T und ^ ö und t oder t und ö, J v, ^ tt, ^\ oder ^\ ß, ^ oder ^ \i
bezeichnet. Auf die Bezeichnung der übrigen Konsonanten (durch den
verlängerten Konsonantenstrich), der Vokale durch schräg geneigte,
über oder unter der Zeile gestellte Vertikalstriche und die in 639 f. und
642 f. besprochenen Einzelheiten brauchen wir um so weniger einzugehen,
da eine praktische Anwendung des Systems nicht vorliegt. Betont sei
aber mit Gomperz, daß die von Gitlbauer der Kürze halber angewandte
Bezeichnung desselben als xenophonteisch durchaus nicht begründet
ist. Wessely denkt (Wochenschr. f. kl. PhU. 1896, 1007*) mit aUer
Reserve an Archinos.
Auf das älteste Zeugnis für Anwendung der Tachygraphie (aus
dem J. 164 n. Chr.) macht Gomperz, Wiener Studien II 2 aufmerksam.
Gitlbauer hat sich auch um die Kenntnis angewandter griech. Tachy-
gi-aphie hervorragende Verdienste erworben. Ihre Reste sind, soferne
wir an Hss mit fortlaufend tachygraphischem Text denken, nicht eben
zahlreich; das Material und dessen Publikationen sind — mit Aus-
scheidung von Stücken, die fälschlich als tachygraphisch angesehen
wurden — gut zusammengestellt bei
644. C. Wessely, Ein System altgriech. Tachygraphie. Denk-
schriften d. Wiener Akad. XLIV. IV. 44 S. und 3 T.
Hervorzuheben ist eben
645. M. Gitlbauer, Die Überreste griech. Tachygraphie im
Kodex Vaticanus Graecus 1809. Denkschriften XXVIII (1878) II
1-110. XIV T. XXXIV (1884) II 1-48. T. XV— XXVIIL
Bericht üb. Paläogiaphie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 299
Daß wir hier neben den vortrefflichen Photographien nicht nur
einen kritisch gereinigten Text, sondern auch eine syllabische Tran-
skription finden, macht die gründliche Untersuchung ganz besonders
zur Einführung in das Studium der griech. Tachj^graphie geeignet.
AVeiter hat G. in 641, 20 ff., um einen Übergang von dem System des
4. vorchristl. Jh. zu dieser Miuuskel-Tachygraphie zu finden, die
Rekonstruktion einer älteren, der kursiven T. versucht. (Hervorzu-
heben ist die Besprechung der diakritischen Punkte S. 38 ff.) Hier
greift 644 ein, da es W. gelungen ist, auf grund von Sy 11 abaren in
Papyrus und Wachstafeln des 3. — 7. nachchristl. Jh. (Übersicht
5. 30) ein Alphabet der kursiven T. zusammenzustellen.
Außer 591 II und Yitellis schon unter 59 erwähntem Spicilegio
fiorentino (IV S. 9—15. VIII S. 32. XII S. 165—167. XIII S. 168—171)
nenne ich unter Verzicht auf alle populären oder doch auf die moderne
Stenographie bezüglichen Abhandlung
*646. F. ßueß, Über griech. Tachygr. Neuburg 1882. 56 S.
u. 7 T.
647. T. W. Allen, Fourteenth Century tachygraphy. Journ.
of hell, studies XI 286-293.
Zu dieser Publikation aus dem Reginensis 181 giebt Berichti-
gungen (S. 567 ff.)
648. r. rioÄtTr, ?, Uol. 3tayuoXo7ia Iv. xtuv {xa-yixüiv ßtßXicüv. Byz.
Z. I 555—571.
Auf Einzelheiten einzugehen ist nicht meine Absicht; aber zwei in
den angeführten Publikationen vielfach hervorgehobene Umstände müssen
besprochen werden: die besondere Wichtigkeit der tachygraphischen
Endungen und die Beziehungen zur tironianischen Notenschrift. Die
tachygraphischen Endungen sind vielfach (644, S. 11 wird das
fragmentum mathematicum Bobiense — Unciale aus dem 7. Jh. — als
das älteste Beispiel genannt) in gewöhnlichen Hss zu Abkürzungen der
Endsilben in veränderter, auch entstellter Form verwendet. Eine nütz-
liche Zusammenstellung der einzelnen Buchstaben und Silben giebt (von
S. 29 an, Belege auf den Tafeln)
649. 0. Lehmann, Die tachygr. Abkürzungen der griech. Hss.
Leipzig 18S0. VI und 111 S. 10 T.
L. unterscheidet 4 Systeme der Abkürzung. Die durch Anfangs-
und Endbuchstaben (avöu = dvöptüiioo, d? = öso?) nennt er wegen ihi*es
häufigen Vorkommens in theologischen Hss die kirchliche Ab-
kürzung; vgl.
300 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
650. B. Keil, Palaeographicum. Hermes XXIX 320,
der ßööJc für ßaaiXsuj, das sich allerdings nur durch Münzen von Srayrna
belegen läßt, auf dieses System zurückführt. An 2. Stelle bespricht
L. den schon in Papyris des 2. nachchristlichen Jh. nachweisbaren
Strich für v; vgl. Graux, der in den schon unter 46 erwähnten Notes
pal. (Revue de philo!. III 13) nachweist, daß öJ ebensowohl wv als u?
bedeuten könne und Schluß-Sigma auch sonst ausgelassen werde. Unter
kurrentschriftlicher Kürzung begreift L. die Fälle, in denen
mehrere Buchstaben des Anfangs, deren letzter aber — mit oder ohne Ab-
kürzungstrich (vgl. 644 S. 4 — 6) — über die Zeile gesetzt wird (z. B.
X P
TU = Tu/ov; vgl. Graux a. a. 0. I 206—209 über AIQ = SicuptVja);
dieses System ist schon im J. 680 zu belegen. Die eigentlich tachy-
graphischen (d. h. nicht durch gewöhnliche Buchstaben, sondern durch
eigentümliche Zeichen ausgedrückten) Abkürzungen endlich sind in
Majuskelhss vereinzelt, in der Minuskel häufig. Besser als L. zeigt die
Zusammenstellung bei 641 , S. 28 f. (T. III 27 a, bj , daß die Zeichen
dieser Büchertachygr. meist aus dem alten, nicht aus dem neuen tachygr.
System stammen.
Einzelheiten haben nachgetragen:
651 und 652. W, Allen und M. Lindsay, Compendiums in
Greek pal. Academy 31 (1887) 399 f., 418.
Ersterer hat dann viele neue Belege gegeben in seiner alphabe-
tisch angeordneten Sammlung von Kürzungen der Minuskelhss:
653. W. A., Notes on abbreviations in Greek mss. Oxford 1889.
40 S. und 11 T.
Nicht zugänglich ist mir die in russischer Sprache abgefaßte,
wegen ihrer Reichhaltigkeit gerühmte Schrift von
*654. G. Zereteli, De compendiis scripturae codicum Graec.
praecipue Petropolitarum et Mosquensium anni notainstructorum.
Petersburg 1896. XLIII und 228 S. 30 T. (vgl. D. L. Z. 1897
S. 16 f. Byz. Z. VI 448).
Die besonderen Abkürzungen von Hss chemischen und medizini-
schen Inhalts bespricht auf grund von Berthelot, Collection des anciens
alchimistes grecs
655. P. Tannery, Sur les abreviations dans les mss. grecs.
Rev. arch. 3. Serie 12. Band (1888) 210-213.
Diese Abkürzungen und andere astronomische von Angelns Poli-
tianus kopierte (vgl.
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 301
6ö6. H. Omont, Abi^viations grecques copiees par Ang-e
Politien. Revue des etudes grecques VII 81 — 88)
hat bereits Du Gange in seinem Glossarium raediae et infimae graecitatis
publiziert.
Retreffs der lat. Abkürzungen (vgl. 603) erwähne ich außer
L. Chassants Dictionnaire des abreviations latines et frangalses, dessen
4. und 5. Auflage (Paris, Martin 1877, bezw. 1884) in die Berichts-
periode fallen, zunächst
657. Paoli-Lohmeyer, Die Abkürzungen in der lat. Schrift
des Mittelalters. Innsbruck 1892 (das italienische Original erschien
Florenz 1891). IV und 39 S.
und *658. Z. Volta, Delle abbrevlature nella pal. lat. Mailand
1892. 328 S. und 36 T.
(mir nur aus der ausführlichen Inhaltsangabe im C. B. X 285 bekannt),
beginne aber mit der Besprechung des sehr gut orientierenden Vor-
trages von
659. W. Schmitz, Über lat. Tachygraphie. Verh. der 34. Philo-
logen-Versammlung in Trier 1880. S. 59—64.
Seh. bespricht zuerst die litterae singulares, die auf M. Va-
lerius Probus aus Berytus zurückgeführt werden, und verweist auf
Mommsens Veröffentlichung im 4. Band der Grrammatici lat. von Keil;
ein Nachtrag hierzu:
660. Th. Mommsen, Zu den Notae iui'is. Hermes XXV 153—156.
Es wird a) entweder der erste (Siglen), die beiden oder die drei
ersten Buchstaben genommen, b) Anlaut und Silbennotation (hr = heres).
Indem ich diesen Teil durch Einbeziehung von 657 und 658 erweitere,
bemerke ich zunächst, daß die Setzung mehrerer Anfangsbuchstaben
der von 649 sogenannten kurrentschriftlichen Kürzung entspricht. Das
Überschreiben von Buchstaben kommt aber hierfür nicht in Anwendung;
es dient vielmehr zur Bezeichnung eines ausgelassenen r. Fälle wie t ^=
vel, h' = autem (über die Verwechselung dieses Zeichens mit k vgl.
661. van der Vliet, error pal. Mneraosyne XXIV 232)
bezeichnet 657 als unechte Siglen. Ferner finden sich im Lat. Ab-
kürzungen, die den kirchlichen Lehmanns entsprechen; die nach der Ai*t
von nlr für naturaliter nennt 657 gemischte Zusammenziehung. Endlich
giebt es besondere Zeichen, die entweder eine feststehende Bedeutung
haben (z. B. die Zeichen für con, contra und us) oder eine relative,
wie denn der übergesetzte Strich aus n das Zeichen für non, aus p
302 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
das für prae macht. Zu allen Zusammenstellnngen von .Abkürzungen
ist zu bemerken, daß einerseits die Scheidung der Hss nach Jh. und
Inhalt, andererseits — namentlich für die lat. Pal. — das Fest-
halten der gewählten Einteilung nicht ohne Schwierigkeiten ist. Zur
ersten Einführung kann jedoch 657 recht empfohlen werden.
Wir kehren zu 659 zurück, um uns über die tironischen Noten
von dem besten Kenner belehren zu lassen. Er bespricht zunächst die
Tradition, welche die Erfindung und Ausbildung des Systems dem Dichter
Ennius, Freigelassenen des Cicero, Agrippa und Augustus (Tiro, Philar-
gyrus, Aquila) und Seneca zuschreibt; vgl. über die diesbezügliche
Isidor-Stelle (Origg. I 121)
662. L. Traube, Varia libamenta critica. Commentationes
Woelfflinianae (1891) 197—202.
Seh. erörtert dann mit gut gewählten Beispielen Buchstaben und
Hülfszeichen der tironischen Schrift, sowie deren Verbindung. Unter
den Hülfszeichen spielt der Punkt in seinen verschiedenen Stellungen
eine große Rolle. Die Buchstaben erklärt Seh. als Teile von Kapital-
buchstaben. Gegen
663. K. Zangemeister, Zur Geographie des römischen Gallien
und Germanien nach den tironischen Noten. Neue Heidelberger
Jahrb. II (1892) 1—36, 146,
der S. 31 flf. die Buchstaben auf die Kursive zurückführen will, hat Seh.
in der Einleitung seines Hauptwerkes:
664. W. Seh., Commentarii notarum Tironianarum com prole-
gomenis, adnotationibus criticis et exegeticis notarumque indice alpha-
betico. Leipzig 1893. 117 S. und 132 T. fol.
mit Recht bemerkt, daß ja die Kursive selbst aus der Majuskel ent-
standen ist und vielfach die tachygraphischen Zeichen von den kursiven
ganz verschieden sind.
In 664 hat Seh. über handschriftliche Übei'lieferung und Ent-
stehung der commentarii gehandelt und eine beträchtliche Zahl von
tironischen Wortzeichen — auf jede Tafel entfallen durchschnittlich 100
— zusammengebracht. Aber auch sonst ist er unermüdlich in der Be-
sprechung von Einzelheiten und der Veröffentlichung tachygraphischer
Stücke. Ich begnüge mich, für die Publikationen bis 1885 auf die
genauen Verzeichnisse (mit Inhaltsaugabe) von
665. P. Mitzschke, Zur Tiro-Litteratur. Neuer Anzeiger f.
Bibliotheksw. 1877, 155 f., 1879, 169-171, 1885, 37—43
zu verweisen, von den späteren aber zunächst die von Schmitz an-
zuführen :
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.) 303
666 — 672. Moniimenta tachygrapliica codicis Parisiensis lat.
2718. 2 Hefte. Hannover, Hahn 1882/83. VIII und 50 S. 22 T.
Vn und 31 S. 15 T. — Die tir. Noten der Berner Hs 611,
Stenog-raphenzeitunj; 1888, No. 23. — Tir. Noten in einer Pariser lat. Hs.
Gabelsbergei- Festschrift (München 1890). — Notenschriftliches aus
der Berner Hs 611. Comnieutationes Woelfflinianae (1891) S. 7 — 13,
— Miscelianea Tir. aus dem Codex Vaticanus lat. reginae Christinae
846. Leipzig 1896. V und 79 S. 32 T. — 2 Tironiana (in der
bei No. 642 erwähnten Festschrift). — Tironianum. M61anges Havet
S. 77—80.
In den eben erwähnten Melanges Havet (Paris 1895) sind ferner
enthalten:
673. E. Chatelain, Notes tir. d'un ms. de Geneve. S. 81 — 86.
674. C. Cipolla, La tachygraphie Ligurienne au 11® siecle.
S. 87—96.
Von anderen Verf. kommen in betracht:
675. 0. Lehmann, Das tir. Psalterium der Wolfenbüttler Bibl.
Leipzig 1885. IV, 208 und 120 autograph. S.
676. F. ßuess. Die tironischen Endungen. Progr. d. Luitpold-
Gymn. München 1889. 42 S. — Babelsberger und die tir. Noten.
Abh. für Christ 1891.
677 und 678. G, de Vries, Exercitationes pal. in bibl. universi-
tatis Lugdimo-Batavae instaurandas iterum indicit. Inest commen-
tatiuncula de Plinii epistularuni fragniento Vossiano notis Tir. descripto.
Leiden 1891. 31 Bl. und IT. — Boethii fragmentum notis Tii-,
descriptum. Sylloge commentariorum , quam obtulerunt philologi
Batavi Constantino Conto (1892) S. 129—135.
Über eine auf dem tironiaaischen System beruhende Silbenschrift
endlich handelt
679. J. Havet, L'ecriture secrete de Gerbert. — La tachygi'aphie
italienne du X^ siecle. C. R. de l'acad. des inscr. et helles lettres.
4. Serie, 15. Band (1887), 94—110 und 351-374.
Interessant ist eine Metzer Urkunde aus dem J. 848; die tachy-
graphischen Zeichen der Rückseite stellen wohl (vgl. Bibl. d. Chartas
49, 95—101 und Breßlau, N. Archiv XIV 217) das Konzept dar.
Daß eine tironische Silbenschrift erst im 7. Jh. nachzuweisen ist
(vgl. 659), bis dahin nur Noten für Worte vorkommen, ist wichtig für
die oben erwähnte Frage des Verhältnisses zur griech. Tachy-
304 Beriebt üb. Paläographie u. IJandscbriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
graphie, die Zeichen nur für Buchstaben oder Silben hat. Es spricht
gegen (iardthausens (s. 580 und 591 II) von Lehrs und Förster be-
kämpfte Annahme," daß die tironische Wortstenographie von den Griechen
stamme. Lehmann (649) hält die Frage für nicht spruchreif, glaubt
aber doch Spuren dafür zu finden, daß auch die griech. Tachygraphie
ursprünglich eine "Wortschrift war. Mit besserem Rechte scheidet wohl
Gitlbauer (641, X"V". S. 44—49) trotz mancher Ähnlichkeit im einzelnen
(vgl. 641 S. 18 ff., S. 36 ff.; 645. I S. 5 ff.) die römische Kurzschrift,
die auf der Auslassung von "Wortbestandteilen beruht und, in ihren
Zeichen weder ganz originell noch besonders einfach, an das Gedächtnis
große Anforderung stellt, von der griech., die mit (wenigst ursprüng-
lich) höchst einfachen und leicht zu erlernenden Zeichen alle AVortbe-
standteile ausdrückt.
An die Kurzschrift schließen vielleicht passend ein paar Be-
merkungen über Geheimschrift an. Das einfachste Mittel ist die
Vertauschung von Buchstaben. Betreffs der Sueton-Notiz über die Systeme
von Cäsar (cap. 56) und Augustus (c. 87 f.) vgl.
680. Ch. Keene, An ancient latin cursive scripture. Academy
27 (1885) 155,
über den Ersatz der Vokale durch den im Alphabet folgenden Konso-
nanten
681. C. AVagener, Zum Codex Gothanus 101 (Scholien in Ge-
heimschrift). Philol. XLIII 701.
Über ein anderes System, bei dem A, l und P durch Stigma,
Koppa und Sampi vertreten, die übrigen Buchstaben in 3 Gruppen von
je 7 geschieden und jede von diesen für sich umgekehrt wird (also
9, H, Z, -, E für A B r A E) handeln auf grund eines von "Wessely
dublizierten Zauberpapyrus des 4 Jh.
682 und 683. E. Ruelle und J. Martha, Note relative k la
ciyptographie grecque. Bull, de la Soc. des antiquaires de France
1897, 120 f., 126 f.
Ferner werden Buchstaben durch griech. Zahlbuchstaben (nach
der Stellung im Alphabet) ersetzt; vgl.
684. W. Schmitz, Tironisches und Krj^ptographisches. N. Archiv
XV 197 f.
und (mir nur aus Jahresber. XIII, IV 84 bekannt)
*685. J. L. Heiberg, Et lille Bidrag til Belysning af Middel-
alderens Kendskab til Graesk. Oversigt over det Kongelige Danske
Videnskabernes Selskabs Forhandlinger 1889/90 S. 198—204.
t
Bericht üb. Paläographio u. UandschriftenkuQde. (Beer u. Weinberger.) H05
Den Übergang^ von der Geheimschrift zu den Zahlzeichen wird
die Notiz von
686. P. Ewald, Pal. aus Spanien. N. Archiv VIII 357—363
bilden; denn der 2. Teil handelt über eine Geheimschrift, bei der die
Vokale durch römische Ziffern oder Punkte ersetzt werden (vgl. F. Keinz,
S.-Ber. der Münch. Akad. 1891, 643), der 1. über die arabischen
Ziffern eines spanischen Codex (10. Jh.), 'wohl die ältesten, die im
Abendlande vorkommen.' Über gelegentliches Vorkommen im 12. Jh.
(häufig werden sie erst im 15.) vgl. Paolis schon S. 197 erwähnte
Miscellanea di pal. e diplomatica. V: Un codice Magliabechiano con
cifre numerali arabiche, supposto dal secolo XI. Archivio storico Italiano.
4. Serie, 7. Band (1881) 277-280 und
687. P. Tannery, Les chiffres arabes dans les mss. grecs. Rev.
arch. 1886, I 356—360.
Andere Arbeiten, namentlich über römische Ziffern, sind epi-
graphischer Natur; auch
688. J. "Woisin, De Graecorum notis numeralibus. Kiel 1886.
54 S. und 12 lithogr. Bl.
berührt nur flüchtig (S. 47 — 52) einige Papyri. Nicht zugänglich war mir
*689. L. Saalschütz, Über Zalüzeichen der alten Völker.
Vortrag. Schriften der physikal. - Ökonom. Gesellsch. Königsberg
1893. 5 S.
Betreffs der kritischen Zeichen endlich, die ja meist in litterar-
historischem oder kritischem, nicht aber in pal. Zusammenhang behandelt
werden, habe ich nur notiert:
690. H. Hagen, Über die kritischen Zeichen der alten Berner
Horaz- und Serviushs cod. 363 saec. IX. Verh. der 39. Philologen-
Versammlung in Zürich, 1887, 247—257.
Anhang I: Schreiber.
Nachträge zum Schreiberverzeichnis in 580 geben Omonts ange-
führte Anzeige S. 555 ff. und
691. C. Wessely, Datierte Hss.' Wiener Studien V 170 f.
Ferner enthalten die unter II angeführten Hss-Verzeichnisse zumeist
Schreiberlisten, vgl. besonders 469 und 554, überdies 594. Aus 181
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXYIII (1898. III.) 20
306 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
sind die Schreibernamen herausgehoben in der Besprechung von Omont,
Bibl. d. chartes XLIII 679; vgl. ebdt. 667—678 die Anzeige von
N. Kaudakow, Voyage au Sinai en 1881: impressions de voyage, les
antiquites du monastere de S. Odessa 1882 (russ.). Für einzelne
Schreiber (oder Händler) führe ich an:
692. H. Hauvelle, Notes sur les niss. autographes de Boccaccio
k la bibl. Laureutienne. Melanges XIV 87 — 145.
H. geht aus vom Laur. XXXVIII 17, dessen Schreiber sich
Johannes de Castaldo nennt, sucht dies als Bezeichnung des B. zu
erweisen und zieht hierbei noch andere Laureutiani heran.
693. L. Schmidt, Andreas Darmarius. Ein Beitrag zur
Hsskunde des 16. Jh. C. B. III 129—136 (vgl. K. Krumbacher.
Noch einmal Julies Polydeukes. Byz. Z. I 342 f.).
694. ß. Foerster, Zur Hsskunde und Greschichte der Philologie.
Rhein. Mus. 37, 485 fif. II: Hss des Antonius Eparchos.
F. bespricht das in 556, S. 413—417 aus dem Vindob. 9734 ab-
gedruckte Verzeichnis von Hss, die E., ein Verwandter des Laskaris,
in Venedig feilbot. Zwei andere Listen seiner Codices, von denen viele
nach Fontainebleau und in die Ambrosiana gekommen sind, publiziert
aus dem Vatic. 3958 und dem Paris. 3064
695. H. Omont, C. des mss. grecs d'Antoine Eparque. Bibl.
d. chartes LIEI 95—110.
696. L. Dorez, Antoine Eparque. Recherches sur le commerce
de mss. grecs en Italic au 16« siecle, Melanges XIII 281 — 364.
697. J. Sturm, Franciscus Graecus, ein unbekannter Hss-
schreiber des 16. Jh. Byz. Z. V 560— -564.
St. veröffentlicht aus dem Vat. gr. 1898 einen Brief, in dem sich
Fr. um die Stelle eines Kopisten bewirbt.
698. H. Omont, Georges Hermonyme de Sparte, maitre de
grec ä Paris et copiste de mss. (1476). Memoires de la Soci6t6
d'histoire de France XII 65—98.
699 und 700. H. 0., Le dernier des copistes grecs en Italic,
Jean de Sainte Maure. Revue des etudes grecques I 177 — 191. —
Note sur un portrait de J. d. S. M. conserv6 ä. la bibl. Ambrosienne.
Ebdt. n 427—430.
Joannes Sanctamauras (auch A'/idixaiipa;) lebte etwa von 1540 — 1612.
Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinbergor.) 307
701. L. Traube, Schreiber Lotharius von S. Amand. C. B.
IX 87 f.
702 und 703. H. Omont, C. des mss. grecs copies h Paris au
XVI® siecle par Constantin Palaeocoppa. Annuaire de l'assoc.
pour l'encour. des etudes grecques XX 241—279. — Uu nouvcau ms.
copie par C. P. (vers 1560). Revue III 185—187.
704. L. Cohn, Konstantin Paläokoppa und Jakob Dia ssorinos.
Abb. für M. Hertz (1888) 123—143.
Vgl. 509 und für Paläokoppas Gehilfen Diassorinos L. Cohn, D.
und Turuebus. Satura Viadrina (1896) HO — 121. Nicht zugänglich
war mir
*705. Notice sur Tabbaye du Mont-Saint-Quentin pres Peronne
et description d'un ms. execute par un des moines, Pierre, en Tan 1229.
Peronne 1885. 22 S.
Anhang II: Ornamentik.
Eine kunsthistorische Würdigung der Illustrationen, Miniaturen,
Initialen und sonstigen Ornamente der Hss — mögen nun die Motive
aus dem Altertum stammen (vgl.
706. S. Berger, De la tradition de l'art grecque dans les rass.
latins des evangiles. Memoires de la Societe des antiquaires de
France 1893),
unter christlichem Einfluß stehen, byzantinisch oder mittelalterlich sein
(vgl. J. V. Schlossers Beiträge zur Geschichte der Hss-IIluslratiou im
Jahrb. der kunsthistorischen Sammlungen des A. H. Kaiserhauses XVI
— Wien 1895 — 144 ff.) — ist nicht Sache des Philologen, schon weil
hierbei eine Beschränkung auf griech. und lat. Sprache unmöglich ist.
Hier handelt es sich zunächst um Arbeiten, die sich auf eine einzelne
Bibl. beziehen, wie (vgl. 185, 327, 334, 345, 429, 445)
707. P. Durrieu, Les mss. ä peintures de la bibl. de Sir
Thomas Phillipps ä Cheltenham. Bibl. d. chartes XXVII 381—432.
Besonders hervorzuheben ist
708. R. Bordier, Description des peintures et autres Ornaments
contenus dans les mss. grecs de la Bibl. Nat. Paris 1882—1884.
VIII und 336 S. 4
20*
308 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkunde. (Beer u. Weinberger.)
einerseits wegen der Wiedergabe der Farben in den Proben nach Art
der Heraldiker durch Punktierung und Strichelung, andererseits wegen
der guten Orientierung über Motive in der Vorrede und im Index.
Auf ein Inventaire sommaire aller Miniatur-Hss folgt die genaue Be-
schreibung von 150 bemerkenswerten Codices. An die Seite können ge-
stellt werden:
709. W. de Gray Birch and H. Jenner, Early drawings and
illuminations : an introduction to tbe study of illustrated mss. with a
dictionary of subjects in the British Museum. London 1879. 370 S.
S. 31 — 301 findet man die Miniaturen in den Hss des britischen
Museum nach Motiven geordnet (Aaron figure of — Zoroaster
Portrait of).
710. Luise v. Kobell (Frau v. Eisenhart), Kunstvolle Miniaturen
und Initialen aus Hss des 4.— 16. Jh. mit besonderer Berücksichtigung
der in der Hof- und Staatsbibl. zu München befindlichen Mss.
München 1890. X und 108 S. 52 T. 4.
711. St. Beißel, Vatikanische Miniaturen (Miniatures choisies
de la bibl. Vaticane). Freiburg im Breisgau 1893. VIII und 59 S.
30 T. fol.
ist sowohl für griech. als auch für lat. Miniaturen wichtig; vgl.No. 327 S. 1*.
Auf einzelne Länder beziehen sich (vgl. 95, 375, 37G und 554)
712. V. Boutovsky, Histoire de roruemeut russe du X® au
XVIe siecle. Paris 1878. 30 S. und 100 T.
Die Abbildungen sind 16 griech. und über 80 slavischeu Hss
entnommen.
713. K. Lamp recht, Kunstgeschichtlich wichtige Hss des Mittel-
und Niederrheins. Bonner Jahrb. 74, 130 — 146.
Auf rheinische Hss bezieht sich zumeist auch
714. K. L,, Initial-Ornamentik des 8. bis 13. Jh. Leipzig 1882.
33 S. und 44 T. fol.
Zu der für englische Hss unter 615 genannten Abhandlung ist
noch hinzuzufügen:
715. M. Thompson, The grotesque and the humorous in illumi-
nations of the middle ages. Bibliographica 11 309—332,
für karolingische Ornamentik s. No. 299, 333, 622 f., für Atavante
No. 384. Ein Verzeichnis von Miniaturmalern ist unter 52 erwähnt
worden. Abbildungen findet man noch (vgl. 506) bei
Bericht üb. Paläographie u. Handschrift nkuude. (Beer u. Weinberger.) 309
716. L. Seghers, Antike Alphabete, Initialen n. s. w. ausge-
zogen aus Missalen, Bibeln, Mss. . . vom 12.— 19, Jh. 2. Aofl.
Köln 1885.
und (namentlich von InHialen)
717. F. Denis, Histoire de rornameutatiou des mss. Paris
1880. 143 S.,
der die Geschichte der Ornamentik ganz summarisch giebt.
Von einzelnen Prachthss sind (vgl. 413a und 623;> genannt
worden der Utrechter Psalter (573; vgl.
718. P. Durrieu, L'origine du ms. celebre dit le psautierd'Utrecht.
Melauges Havet [1895] 640—657).
und die Wiener Genesis' (588). Silberschrift auf Purpurgrund haben
auch der von Gebhardt und flarnack in Rossano entdeckte Codex des
Neuen Testaments (Leipzig 1880) und eine von Belsheim (Leipzig 1885)
behandelte Wiener Evangelienhs. Die Wiener Genesis ist wichtig
als das älteste Beispiel kontinuierender Darstellungsart in einer christ-
lichen Hs. Bei ihrer Behandlung kommt Wickhoff auch auf antike
Bilde rh SS zu sprechen, von denen Proben gegeben werden; vgl.
719 und 720. P. de Nolhac, Les peiutures de mss. de Virgile
Mclanges IV 305—333., Le Virgile du Vatican et ses peinturcs.
Notices et extraits de mss. de la Bibl. Nat. XXXV 2 (1897). 111 S.
Eine Reproduktion der ganzen Hs ist zu erwarten. Nicht zu-
gänglich war mir
*721. R. Stettiner, Die illustrierten Prudentius-Hss. Berlin 1895.
719 behandelt sehi' genau die Technik der Illustration, über die
ich noch einiges zu bemerken habe. Einen Traktat über Earbenbercitung
veröffentlicht
722. D. Salazaro, L'arte della miniatura uel secolo XIV.
Codice della bibl. nazionale di Napoli. N. 1877. XXV und 78 S. 4.
Eine kritische Paraphrase desselben giebt (unter Verweisung auf
Aufsätze in der Gazette des beaux arts von 1885 und 1886 und in den
Memoires de la Societe des antiquaires de France)
723. A. Lecoy de la Marche, L'art d'enluminer. Paris 1890.
128 S.
Desselben schon oben S. 198 erwähnte Werk Les mss. et la miniature
(1885) und die streng wissenschaftlichen Charakters entbehrende Dar-
stellung von
310 Bericht üb. Paläographie u. Handschriftenkundc. (Beer u. Wcinbergcr.)
*724. A. Molinier, Les mss. et les miuiatiu'es. Paris 1892
waren mir ebensowenig zugänglich als
*725. Labitte, Les mss. et l'art de les corner. Paris 1892.
nud
*726. J. H. Middleton, lUuminated mss, in classical and mediaeval
times; their art and their technique. Cambridge 1892. 294 S.
Die zum Ausradieren bestimmten Anweisungen für Initialen und
Bilder, die manchmal durch ein Versehen des Kopisten in den Text
gelangten, behandeln
727. S. Berger und P. Durrieu, Les notes pour l'enlumineur
dans les mss. du moyen äge. Memoires de la Societe des antiquaires
de France 53 (1893). 30 S.
Berichtigung.
S. 205 Z. 19 ist statt S. 191 zu setzen: S. 195.
311
Verzeichnis
der besprochenen Schriften.
3/3
Aall, LoKOsidee III 132
Abbott, T. K., par palimps. III 200
Adda, G. d', libr. Viscont.-Sforz. III 22o
Aeschyius, Dramata, par C. Sourdille I
116
edd. Zomarides- Wecklein I 116
— Orestie v. U. v Wiiamowitz-Möllen-
dorf I 123
— Laurentianus I 116
Album paleogr. III 285
Alexudes, A., Ko-. ■/v.^jv^odz.w III 256
Allen, T. W., abbreviationsIII 300
— cat. of. ms8 III 210
— Greek mss. III 199. 209. 224
— Palaeogr.: Greek mss. III 202
— tachygraphy III 299
— a Wl. Lindsay, greek palaeogr. III 300
Allers, W., Senecae natur. quaest. I 28
Aitenburg. 0., z. Livius II SO
Aly, F., Gesch. d. röm. Litt. III 1. 9
Alzinger, Ätna II 184
Amatucci, A. G , Annales Maximi III 22
— Carmen III 22
— eloquenza lat III 28
Amend, M., Gedichte des Damasus III 72
AmphiJochlj. griech Hss. III 291
Andt!rga8>en. L. 8., Infinitiv in d. Vul-
gata III 105
Andreoli, E„ scrittura III 296
Anonymi proleg. in Nicomachum I SO
Anonymus Lond. ed. H. Diels I 175
Anthol. a. d. Eleg. d. Römer v. K. Ja-
eoby II 197
Anton, J. R. W., r.z{A iu/ä; xösjiii) v.rj\
oitji'j-^ I 76
Antonelli, G., cat. d. mss. III 214
Antoninus, thoaghts, by G. Long I 42
Anziani, N., cod. Ashburnham III 217
Apelt, 0., Alexander v. Aphrodisias I 72
— griech. Philosophie I 5. 6. 24. 238
Arch. pai. Ital. da E. Monaci III 297
Arndt, W., Schrifttafeln III 292
Arnim, H. v., Bruchstück d. Alexinos
I 55
— z. Philo III 128
— Philodemus de rhetorica I 55
— philon. Weltanschauung III 128
— stoischer Papyrus I 11
— Zeno u. Theophrast 1 12. 128
Artemjew, A., IIss. III 260
Asbach, Glaubwürdigkeit d. Florus IIS4
Asmus, J. B., Julian u. Dio Chryaosto-
mus I 90
Ausfeld, A., Orosiusrezension II 147
Azelius, Assimilation I 125
BabI, I., de epist. lat. formulis II 20
Bachof, Hss. III 242
Baehrens. E , antikes Buchformat III
193
Ball, Hippolytos I 149
Ballin, F., Hochzeitsiied d. Catull I 217
Bancalari, F., bibl. Casanat. III 225
Bapp, K., Prometheus 1 120
Barbier, mss. III 277
Bardt, C, Cic. ad. familiäres II 4
Barnabei, pergamene III 211
Barner, G., de regentiam virtutibus I 7
Barnett, Eüarivi'53; I 124
Bartenstein, L, Kaiser Julian I 89
Bastard, A. de, peintures et Ornaments
de mss. III 295
Battifol, P., Klosterbibl. III 214
— librairies byzant. III 203
— mss. grecs III 230. 256
— Vaticane III 228
Baudrier, H., bibl. de Bäle III 234
Bauer, A., Poseidonios u. Plutarch üb.
d. röm. Eigennamen I 23
Baumann, Philosophie I 206
— Piatons Phaedon I 82
Baumgarten, M., Seneca u. d. Christen-
tum 1 32
Baeumker, C, Übersetzung d. Sextus
Emp. I 66
— Materie I 4. 220
Baum'stark, A. , Achilleustrilogic d.
Aisch. I 124
— Lucubr. Syro-Graecae I 76
Baur, Homer. Gleichnisse in d. Aeneide
II 152
Bearbtg. v. Mss.-Kat. v. Czerny-Grillen-
berger-Vielbaber III 250
Becher, F., Sprachgebrauch d. Caelius
II 19
Beck, E., Hss. u, Wiegendrucke III 240
— J. W., z. Florus II 89
— f lorushandschriften II 87
— Florus de Livio U 88
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. LXXXXVIII. (1898. in.) 21
314
Register.
Beck, J. W., origo gentis Romanae II 11(1
— Sueton de gramm. et rhetor. II 110
Becker, F., sittl. Grundanschauungen
Senecas 1 31
— G., cat. bibl. III 203
— M. A., Bibl. d. österr. Kaisers III 254:
— R., Livius-Bildnisse II 16_'
Beer, R., Hssschätze Spaniens III 284
— Hssschenkung III 234
— Studienbibl. Olmütz III 253
— U.W Weinberger, Litt. üb. Palaeogr.
u. Handscbriftenkunde III 187
Beissel, St., Evangelienbuch III 236
— Vatikan. Miniaturen III 308
Beitrami, A., comm. petit. Cic. II 3
— G., bibl. Vatic. III 230
Binard, Ch., Philosophie I 217
Bender, H., Glaubwürdigkeit v. Cäsar
II 225
Benn, philosophers I 217
Bensemann, W., Cäsars ünterfeldherrn
II 225
Bergemann , Gedächtnisstheor. Unter-
suchungen u. mnemotechn. Spiele-
reien I 5
Berger, E., mss. III 230
— H., Erdkunde l 241
— Ph., bist, de l'ecritare III 297
— S., art grecque III 307
— u. P. Durrieu, notes pour Penlami-
neur III 310
Bergk, Th., griech. Litteraturgesch. I
247
Bergmann, J., Lex. Prudent. III 75
— Philosophie I 206
Bergmüller, L. , Briefe d. Munatius
Plancus an Cic. II 20. III 53
Berltere, D. U., mss. II 284
ßernardakis, Papyrus als Buchdeckel
III 206
Bernays. J., Phokion I 272
oerndt, Th., z. griech. u. röm. Schrift-
stellern: Florus II 91
Bertolotto, cod. greco III 218
Bethe. E., z. Porphyrius I 83
Biadego, 6., cat. d. mss. III 233
Bibl. Apost. Vatic. II [ 229
— Casinensis III 220
B'ß/.v. -o.iaqn; III 193
Biese, A , Problem d. Tragischen I 107
Birt, Th., antikes Buchwesen III 189
— Catullus ad Mallium II 217
— commentar. Catull. II 213
— röm. Litteraturgesch. III 11
Blase, H., modo si IIl 49
— Plusquamperfekt im Latein III 45
Blass, F., griech. Papyrus III 136
— Agamemon I 122
Blass, F., Antigone u. Protagoras I 136
— de Antiphonte I 87
— Beredsamkeit I 241
— IIss. III 252
— Palaeogr. etc. III 287
— H., Orestie I 124
Blau. A , Hss.-Kat. III 235
Blaydes, F. H. M, Aeschylus I 116
Böckel, E., z. Cic. ad. Attioum II 55
Boeckh, A., Urkunde auf Papyrus III 136
Böhme, P., Bibl. Pforta III 246
Bols, H , Philosophie judeo-alexandr.
III 133
Boissier, G., Bild Vergils II 149
— christianisme de Boece I 99
— fabulae praetextae III 23
— nouv. prom. archeol.: Horace et
Virgile II 158
Boll, F.. Claudius Ptolemaeus I 103
— z. Poseidonios 1 25
Bolla, E., Arriano di Nicomedia I 40
Bond, E. A., a. E. M. Thompson, manu-
scripts a. inscriptions III 138
— Thompson-Warner, palaeogr. mss.
III 287
BonhöfTer, A., Eoictet a. d. Stoa I 35
— Ethik d. Epictet I 37
— z. stoischen Psychologie I 38
Bonnet, M., mane feminum III 49
Boor, C. de, griech. Hss. III 237
— Fragm. d. Aelian I 104
Boot, J. C. 6., anal, crit.: Florus II 91
— , — Suetonios II 105
— Cicero ad Atticum II 45
— suspic. Livianae II 72
Bordier, R., peintures et Ornamente
III 3(»7
Borromeo, C, Georgiche II 170
Bortolan e Rumor, bibl. Bertol. III 233
Bouohot, H., livre III 189
Boutovsky, V., ornement russe III 308
Boysen, K., Mss -Kat. III 271
Bradley. J. W., diction. of miniaturist»
etc. ill 198
Brambach. W., Hss.-Sammlg. III 243
-- Pbalterium 111 206
Brandscheid, F., Iphigenia I 151
Brandt, S., Chalcidius I 98
— conlidere b. Lactanz III 95
— Georg Schepss IV 123
— Lactantius u. de mortibus perse-
cutorum III 95
— Probuskommentar II 181
— splenis b. Lactanz EI 95
Bresslau, H., Klosterbibl. III 237
Breton, G., poesie philos. I 265
Breunig, H., Liviuslektüre II 79
Brieger, A,, Epikurs Lehre v. d, Seele 1 52
?
Register.
315
Briquet, C. M., filigranes du papier
ill i;»7
— papier arabe III 19ß
— papier de coton III 195
— papiers en Sicile III 196
— Premiers papiers III 195
Brochard, V., logique des Stoiciens I 8
Browning, C. E., Latin prose III 29
Brugsch, H., lettre sur papyrus III 13G
Bruhn, E., Suidea I 104
Brunet de Presle, papyrus grecs III 136
Brünnert. G., Sprachgebr. d. Dictys
Cret. III 64
Bruns, J., Alexander v. Aphrodisias
I 72
— Dio Chrysost. et Aristot. I 45. 72
— Fontes Juris Rom. Antiqui III 137
— interpret. var. : Alexander v. Aphro-
disias I 73
Plotin I 82
Stoiker I 9
B(ücheler), F., z. Philod. -zrji -oiYjjia-
-><)•■> I 57
Büdinger, röm. Spiele u. d. Patriciat
II 157
Bürchner, L., mafortium III 49
Burckhardt, A., Evangelienbs. III 234
Burg, Fr, de M. Caecilii Rufi genere
dicendi II 19
Burger, F., Stichometr. z. Demost.
III 200
Bürger, R., antiker Roman III 31
Burkhard, K. L., Nemesius' -spi tpuasoj;
«vö-poiKOu I 92
Burkitt, F. C, old Latin a. Itala III 104
Buermann, J., Bavaricus a. Marcianus
III 200
Burnet, J., law a. nature in ethics I 268
— philosophy I 254
Bury, J. B.. Agamemnon I 122
Busolt, 6., Diodor I 101
Buttmann, H., Beischrift auf e. Papyrus
III 137
BQttoer, R., Porcius Licinus III 16
Byk, S. A.. Philosophie I 2.54
Cabantous, J., Philon III 132
Caesar reo. Kübler-Wölfflin II 220
Canetta, C, mss. III 219
Canonica, G,. Merope III 32
C(antero), B., bibl. iNapoli III 221
Cantor, M., Mat^>ematik I 241
Carini, J., bibl. Vatic. III 227
— materie scrittorie III 192
— paleogr. III 286
— porpora e colore porpor. III 197
Carlyle, Mss. III 263
Carta, F., cod. e libri III 219
Cartault, Aeneis II 180
Cartault, Eneide 11 155
— talent de Virgilc II 149
Casali, Vergils Eklo2;en II 164
Cassel, P., Epikur I .50
Castellani, C, bibl. nell' antichitä III 201
— cat. cod. graec. III 232
— cod. mss. III 232
Castelli, L., mss. III 222
Catalogue de la bibl. Borghes. III 226
— d. ßibl. Friesland III 267
— cod. bibl. Univers. Budapest. III 252
— cod. graec. III 238
— cod. hagiogr. III 254. 266. 267.
268. 270. 271. 277. 280.
— cod. mss. bibl Mellic. III 252
— cod. mss. conf D. Macray III 265
— of mss. III 217. 264
— of the printed books etc. by H.
Huth III 262
— of Stowe-mss. III 264
Catulle. Manuscrit II 198
Catullus ed. C. G. Allen II 194
— rec. Baehrens-Schulze II 194
— ed. R. EUis II 191
— V. F. Frese II 201
— V. Th. Heyse II 199
— by E. T. Merrill II 196
— di C. Nigra II 193. 198
— by S. G. Owen II 196
— by A. Palmer II 197
— rec. J. P. Postgate II 191
— par E. Rostand II 192
— rec. B. Schmidt II 190
— Properz u. TibuU v. Th. Vulpinus-
II 200
Cavalieri, P. F. de, u. G. Muccio, bibl.
Angelica
Cebetis Tabulae rec. C. Praechter I 45
Cecca, 6., concscenza I 221
Cecchetti, B., libri etc. III 202
Ceriani, A., papiro greco III 137
Chabert, S., de latinitate Marcelli III 70'
Chaignet, A. E., psychologie I 4. 221
Chatelain, E., mss. III 273
— uotes tiron III 303
— paleogr. II 62. III 293
— Reginensis 762 de Tite-Live III 198
Chauvet, E., philosophie d. medecins
I 241
Chawner, Sueton II 108
ehester, G. J., library Smyrna III 259
Chiappelli, A., naturalismo di Socrate
I 272
Chinnock, E. L, Epictet I 35
Chrestomathie aus Schriftstellern d. silb.
Latin. II 116
Justinus II 100
21*
316
Register.
Chrestomathie a. Sehiiftst. d. silb. Lat.:
Schlaclit im Teutob. Walde II 96
Christofolini, 1. Ekloge Vergils II 165
Chruzander, C. G., de elocut. panegyr.
gallic. III 56
Ciceronis epist. ed. L. Mendelssohn II 6
Cipolla, C, tacliygraphie Ligurienne
ni 303
Ciponta, bibl. Novalic. III 222
Clark. J W., libraries III 202
— A. C, Hss. III 239
— mss. II 12. 13
Claude-Odon Reure , gens de lettres
m 14
Cledat, L., reprod. photolithogr. de mss.
m 289
Cocchia, E., epigrammi sepolcrali in 22
Cod. diplom Cav. IH 213
Cohn, L., apocrypbal work III 132
— Diassorinos u. Turnebus III 125
— Konstantin Paläokoppa u. Jakob
Diassorinos III 307
— z Philo III 125. 134
— Philo-Forschungen III 123
Commentaria in Aristotelem I 174. 175
Comparetti, D., Marmorhermen I 154
— Virgilio II 161
Conradt, C, Agamemnon I 122
— Aias I 131
— anapäst. Einzugslieder I 107
— Schutzflehende I 121
— Sieben gfgen Theben I 120
Conybeare. Philo about the contem-
plative iife III 122. 127
— Philon. text of the Septuag. III 128
Conze, A., pergamen. Bibl. III 202
Cooper, F. T , wordformation III 46
Comelissen. J J., ad Livium II 71
Cosattini, A , Epicurus I 49
— ind. cod graec. III 232
Cosentini, 6 , carta di papiro III 192
Cousin. G., inscriptions d'Oeuoanda I 59
Couvrier, inventaire III 191
Covotti, A., cosmogonia plotiniana I 82
Coyecque, librairies III 274
Credaro, L., probl. d. libertä I 5
— scetticismo I 63
Crusius, 0., Georgica II 170
— Ko/',; 'j'j-.'/:,»>;vj. des Oinomaos I 49
— Vergils IV." Ekloge II 166
— Vergils VIII. Ekloge II 169
Csontosi, J., Corvin. Hss. III 251
Cucuel. Ch., paleogr. grecque III 288
Cumont, F , fragments de Julien I 88
— Julien ä Eustathios I 89
— lettres de Julien I 88. 89
— Misopogon de Julien I 89
— Salluste I 90
Curtze, M., Hss. u. seit, alte Drucke
III 248
Cybulski, St., castra Romana II 224
Czerny A.. Stiftsbibl. III 202
Damascius ed. C A Ruelle I 97
Dandoto, G , l'aniraa I 268
Danko, J., hymnarium III 250
Daub, A , Anaximenes u.Anakreon 1 193
Decker, A., Mss -Sammig. III 243
Deichmann, C, Probl. d Raumes I 220
Deiter. H., z. Cic ad fam. II 54
Deiters, H , Hss. III 238
Dellsle, L , cabinet des mss. III 204
— cat. d. mss III 216. 270. 278
— ecole calligraph. III 295
— invent. d. mss. 111 270
— ms. Merovingien III 294
— mss. III 216. 230. 269. 270. 271.
276. 282. 283
— paleogr. et bibliogr. III 270
Demmler, A., „de bono pudicitiae" u.
„de spectaculis" III 90
Denis. F.. omamentat. des mss. IH 309
Denissow. J., z. Äschylus I 116. 118.
Dewaule, L., Gellius I 103
Atccfp. X'iiJ'.xf;; (p'."/,030'iic«; I 14
Dianu, J., Beschreibung u. Kollation d.
Thuaneus II 63
Diehl, C, tresor et bibl. de Patnios III 258
Diels, H., ApoUodors Ghronika I 193
— Atacta I 276
— 2 Funde I 58
— in Laertium Diogenem I 60. 188
— Menons Jatrika I 176
— Philosophenschulen I 269
— physik. System d Straton I 57
— Pseudonaevianum I 98
— Stichometrischi's III 199
— Stobaios u. Aetios I 170
— Xenophanes u. Hippon I 178
Dietze, J., II.oojir,f>co: I 119
Di!they,C., coniect. crit. ; Valer.Max.II 139
— W., Geisteswissenschaften I 209
Dittmar, Hss. u. alte Drucke III 244
DobschOtz, E.V., z.Euthaliusfrage III 200
" z. Textkritik d. Vulgata III 107
Dorez, L., bibl. du card. Aleandro III 231
de Christine de Suede III 230
de Theodore Gaza IH 210
de Jules II. III 228
— — de Lascaris III 215
de Leoni IH 215
de Viterbe III 233
— Antoine Eparque III 306
Dorison, Seneca I 31
Doxographi Graeci rec. H. Diels I 158
Drachmann, A.B., Catulls Dichtung 11202
Dräseke, J., 2 Bestreiter d. Proklos 1 96
Register.
317
Dreves, G. M., Aurelius Ambrosius III 72
Droysen,J.6., Beischrift v.Papyren III 137
Duchesne, L., cod. Pii II. III 230
DOhring, E, Philosophie I 204
Dümmler, F., Akademika I 272
— Antisthenica 1 272
— Gegner Theophrasts I 13
— Dio Chrysost I 43
Duncker, M., griech. Geschichte I 249
Düning, Fragm. d. Itala-Kod. III 24«
DOntzer, H., Catull u. Uoraz 11 208
Düpow, R., Suetonius 11 112
Durrieu, P., ms. III 309
— mss.. ä peintures III 307
Duvau, Äneis II i:si
Dyer, L., AgamemDon I 122
Dziatzko, K., Autor- u. Verlagsrecht
III 201
— Buchwesen III 190
Earle, Vergils I. EkL.ge II 166
Egen, A., quaest. Fiorianae II 90
Egger, E., hist. anc. et phiiologie III 137
— hist. du livre III lb9
— papyrus III 137
— papyrus fragm. III 137
— papyrus greco-egypt. III 137
— V., Diojienes Laertius I 182
Ehemann, C., Dio Chrysost. 1 45
Ehrensberger, H., bibl. lithur-ica ms.
III 207
— libri liturg. III 231
Ehrhard, A., Cod. H III 200
— Hss. III 210
— Klosterbibl. III 257
— Patriarchalbibl III 257
Ehrle, P., hist. bibl. Rom. III 227
— Katalogisierung d. Vaticana III 226
Ehrlich. E.. Latin d Itala III 105
Ehwald, Äneis 11 179
— Hss. u. Inkunabeln III 241,
— Homer. Gleichnisbe in d. Äneide
II 153
— P., Paläograpb. III 305
— et G. Loewe. bcript. Visigot. III 294
— R., galluria 111 49
Elegiker, röm., v. K. P. Schulze II 197
Ellls, R., ßlaydes' Adversaria I 116
— z. Cic. Briefen II 46
— z. Ciris II 185
— commentary on Catullus 11 191
— Culex II 186
— epist. ad fam. II 53
— Adv.: Philodemus I 57
Elter, A., Gesch. d gnech. Florilegien
I 105
— de gnomol. graec. hist. II 121
— de Stoba«i cod. Photiano I 169
Enminger, A., Philo»ophen I 192
England, B, Orestes I 152
Epictetus by Th. W. Uigginson I 34
— par U. Joly I 34
— by G. Long I 34
— by T. W. Rolleston I 34
— rec. H. Schenkl I 33
— par II. Tampucci I 34
— par F. Ch. Thurot I 34
— et Moschio ed A. Elter I 33
Epicurea ed. II. Usener I 182
Erdmann, J. E., Philosophie I 204
Erdmannsdörfer, ß., Heidelberger Bibl,
III 242
Ernouf, bibliotheques III 201
Eschilo Laurenziano I 116
Eskuche, Dirae u. Lydia II 187
Espinas, G., philos. de l'action I 266
Eü'/jj 3 /. i'or, ;, M., h-. -:/,: -p/dOEc»; I 221
Eucken, R, Lebensanschauungen d.
grossen Denker I 3
— philos. Terminol. I 209
Euripides, AIcestis by S. Hadley I 145
— Uecube p. H Weil I 146
— Herakles, erkl. v. U. v. Wilamowitz-
Möllendorff I 272
— Iphigenie inAulis übers, v. K.Busche
I 150
— Medee p. Weil-Dalmeyda I 151
Eussner, comm. petit. II 2
Eutropius by C Caldecott II 83
— by J. Gibson II 83
— by A. R. Hallidie II 82
— par A. E. da Silva Dias II 83
— by W. Welch a. C G. Duffield II 82
Fabia, Neron et les Rhodiens II 109
— Neron et Poppee II 108
Fahre, P., mss. III 230
— \aticane III 228
Fairclough, R., Aristph. a. Eurip. I 145
— attitude of Tragedians I 108
Falk, F., Dombibl. III 244
Farnell, L. R , Agamemnon I 121
Faücon, M , libr. d. papes III 227
Faulmann, C , Buch der Schrift III 297
Favoloro, M , paleogr. 111 297
Fenner, L., quaest. Catull. II 218
Fertig, j., de Philostratis sophistis I 79
Festa, N., ind. cod. graec. III 218
— strategia di Giovanni I 91
Fischer, L, Mathias Corvinus u. s. Bibl.
III 251
— W., Zachariae v. Lingenthal IV 13
Fiorus ed. 0. Rossbacii II 92
Flügel, G., z cod S. Simeonis III 248
— 0.. Probl. d Philos I 206
Foltz, K., .^alzburger Bibl. III 253
Fontana, 6., Octav. Augusto, Virgilio e
Orazio III 25
31g
Register.
Forshall, J., Greek Papyri III 137
Förstemann. Acneasmythus II 159
Foerster, R., z. Görlitzer Lucian-Hs.
III 200
— Hs. d. Serail III 258
— Hss. III 263
— Hsskunde: IL Hss. d. Antonius
Eparchos III 306
— z. Julian I 88
— mss. III 257
— W., Appendix Probi III 98
Foucard, C, paleogr. III 297
Fourer, E , Ephemer. Caes. II 30
Fournier, M., bibl. d. Toulouse HI 283
Frarcaroli, G., cat. de mss. III 220
— cod. greci III 220
Francken, C. M., satira III 24
Frankfurter, Autorschaft d. Script, hist.
Aug. III 60
Frati. L., bibl. Bologna III 212
— bibl. Corvin. III 251
Frazer, D., paper, pensa. ink III 197
Frederking. A., Sophokles I 125
Freudenthal, J., philosophy in Septua-
ginta III 120
— Weisheit Salomos III 121
— M., Erkenntnisslehre Philos III 131
Frey, K., messian. Weissagung Vergils
II 167
— z. Orestie I 124
Freyer, P., Hss.-Verz. III 243
Frick. C., z. Anonymus Valesianus III 63
Friede, A., Hss. III 247
Friede!, 0., philos. studia Hom. I 271
Friedländer, M., Entstehungsgesch. d.
Christentums
— Judentum III 119
Friedrich, Aeneis II 179
Fritsche, Lucrezbiogr. d. Sueton II 111
Frltzsche, R., quaest. Lucan. I 102
Froehde, 0., Anfangsgründe d. röm.
Gramm. III 30
Fröhlich, F., berühmte Feldherrn: Pom-
peius, Sertorius u. Cäsar II 224
— K., Adverbialsätze in Bell. Gall.
II 223
FQgner, F, lexicon Livianum H 76
— Liviuslitt. II 61
Funck, A., Adverbia auf im III 46
— glossogr. Stud. III 52
— praemiscuus = promiscuus u. ähnl.
III 50
— 0 , z. Petronius u. lat. Glossaren III 54
Forst, A., CatuUus II 216
Galasso, idee n. scuole filos. I 268
Galenus, ed. G. Kaibel I 73
— rec. Marquardt -Mueller- Helmreich
Galli, E., Iphigenie I 150
Ganter, F. L, c/b^rj^i; I 38
— Cicero an Brutus II 33
GanzenmUller, z. Ciris II 184
Gardthausen, V.. cat. cod. graec. lU 259
— griech. Paläogr. III, 288. 290
— roinuscule grecque III 291
Gast. E. R., Antigone I 138
Gauthler, C, mss. III 276
— J.. mss. III 283
Gawanka, C, de summo bono etc. I 9
Gebhard, E., de D. Junii ßruti genere
dicendi II 18. 53
Gebhardt, 0. v., Bücherfund III 212
— Kod. Corviii. III 251
Geffcken, J., saturnia tellus II 170
Genesis, Wiener, v. W. v. Hartel u. F.
Wickhoff III 290
Gensei, P., de S.phocle I 126
Georgiades, A., droa-c<3iJLC(xa noptcupioü
I 84
Gerathewohl, B. , AUitteration in d.
Aeneis II 154
Gercke, A.. Ariston I 13
— z. Horaz 1 15
— Varros Andabatae I 67
Gertz, M. Cl . Valeiius Maximus II 138
Geyer, P., Adamnanus III 116
— z. Antonini Piacentini Itinerarium
III 110
— gall. Lat. b. Marcellus Empir. III 69
— Jahresber, üb. Vulgär- u. Spätlatein
III 33
— männl. Verbalsubstantiva III 45
— oratio ■= Gebet, incendium = Weih-
rauch III 87
— orum ^ Rand III 50
— praesens — r^fOüaEvo; III 50. 101
— Reciprocität im gall. Latein III 44
— Silviae peregrinatio III 69
Giambelli. C, -foK-//.^'.: e gnoseologial 51
— stud. Aristot. e la dottrina d'Antioco
I 66
Glesecke, A., Ariston v. Chios I 13
— Ariston b. Piut I 13
— z Mutonius I 33
— deptiil<)sopliorumöententii8l7. 18.32
Gilow, H., Philosophen u. Volksreligion
I 221
Giorgi, J , bibl. Nonantola III 221
Girard, P., Es.hyle I 116. 118
— cratere I 153
Giri, J.. Catullus II 211
Giry, A., ms III 247
eitlbauer, M., P..läogr. III 290
— Ta.-hygrapliie III 29»
Giulari, G. 8 , c pit bibl. Veron. III 233
Gladisch, A.,voräokrat. Philosophen 1265
k
Register.
319
Slogau, G., Philosophie I 254
fioldmann, A , Hss.-Kat. III 250
Gtmperz, Th., griefh Denker I 254
— griech. Kurzsihrift III 297
— zu griech. Schriftstellern I 55. 27ß
— griech. SchriftsystL-m III 21)7
— ad Laert Diog. I 60
— Philodem I 5G
Gorra, E., linsue neolatine III 3«)
fiotilieb. Th , Hs8. III 212
— mittclalterl. Bibl. III 203
Sdttsching, J., ApoUooius v. Tyana I 77
Gottwald, B., cat cod. mss. III 235
Goetz, C, c^nstitutus ^^ xafricj-du:, oiv
bei Cyprian III 48
— G., Dunkel- u. Geheimsprachen III
115
— Ludwig Mendelssohn IV 49
Goetze, R , quaest. Eumen. III 56
Gradenwitz. 0 , z. Rechtssprache III 103
Küblor-Schulze, vocab. iurisprud.
Rom. III 103
Graefe, E., Weisheit Salomos III 121
Grand, D., cours de palaeogr. III 286
Graux, C, encre III 197
— mission en Espagne III 284
— ms. grec III 234
— mss. en Copenhague III 260
— mss. en Suede III 260
— Olympique de Pindare III 197
— etichometrie III 199
— et A. Martin, mss. III 291
Gray Birch, W. de. ms. III 287
— a. H Jenner, drawings a. illumi-
nations '.II 308
Gregorius Nyssenus ed. C. J. Burkhard
I 93
Gregory. G. R., cahiers des mss. grecs
III 195
Grenfell, B P., revenue laws III 137
Groebe, P., de legibus et senatus con-
ßulüs II 32 56
GrSber, C, Versturamung III 43
6r«piu8, R., Hss. III 249
Grupe, E., Latin. Ju.stmians III 103
— Sprache des Apollinarius Sidonius
ni 67
Gudemann. A.. Chrysippos a. Varro 1 102
Guhrauer, H., Antigone und Ismene 1 137
Gundermann, G.,Senecae natur. quaest.
I 28
Gurlitt, L., z. Cic. ad. Atticum II 55. 57
— Cic. ad Brutum II 11
— z. Cic ad tarn II 54
— z. Cic. Briefen II 1. 12. 53
— Cicero-Codex II 9
— Cic. epist. II 8
— Marcellus u. d. Cicero-Briefe II 32
Gurlitt, L , Verbesserungsvorschläge z.
Cic. ad Quint. frat II 59
Gustafsson, F., ad Livlum II 74
Haaser, E, griech. Papyrus III 138
Haberlandt, 0., de fi^zurae usu I 125
Haeberlin, 0., Bibliotheks- u. Buchwesen
III i'.t;;
— griech. Papyri III 191
— Tragikerfragment I 154
Häbler, A., z. Kosmogenie dcrStoiker 19
Hagen, H., cat. cod. Bern.
— krit Zeichen III 305
Hahn, R., Religion d. Sueton II 100
Haigh, E , trag, drama of the Greeks
I 108
Halbertsma, T., adv. crit: Justin II 100
Sueton II 106
ad tragicos I 107
Hall, J. H., hagiol. ms. III 265
Hamann, K., Ilss. III 238
— Sallust-Hs. III 248
Hammer, M., roman Lautwandlung III42
Hänny, L., Schrittsteller u. Buchhdlr.
Ill 201
Hansen, 6. v., cod. mss. III 261
Harder,Chr..Porphyrius Kommentarl86
Hardy, E, Physis I 220
Harms, F., Philosophie I 209
Harnack, A., Dogmengesch. III 119
— Übersetzg.d. 1. Clemensbriefes III 84
Harry, Phädra
Harte!, W. v., Papyrus Rainer III 192
Harte!- Loewe, bibl. patrum lat, III 285
Hart), A., Eigentüml. d. Vulgata III 105
Hartlich, P., de exh a. Gr. Rom. script.
bist.: Ariston I 5. 14
— — Galen I 75
— — Jamblichus I 87
— — Poseidouios I 23
— — r.(j'i-(jz--'.y.'j'. I 5
— — Seneta I 31
— — Tliemibtios I 76
Hartwig, 0, Hsliches III 213
Hatch, E , Griechentum und Christen-
tum III 119
Hatfield, J. T., study of Juvencus III 73
Haube, 0 , Epen d. röm. Litt. III 18
Hauier, z. Öailust II 124
Haupt, C , Liviun Darst'illungsform II 78
— Livius-Kommentar II 75
— Kyiianiden d. Hermes I 81
HauüChild, G. R., Veibindg. finiter u.
infiniter Verbalformen III 106
Haussleiter, J , Brief d. h. Clemens an
d. Korinther HI 84
— lat. Apokalypse III 109
Hauthaler, W., Miscellenkod. III 253
Hauvette, H., mss. HI 306
320
Register.
t
Havet, Aeneis II ISl
— ecritui-e secrete III 303
— L., memineos III 40. 112
— mentio =^ mentior III 49
— prose metr. d. Synimaque Ilt C(5
Hayley, H. W., llippolytus I 141
Headlam, W., Euripidea I 142
— griech. Tragiker I 107
— ad Laert. Diog. 1 (51
— Sosiphan frg. I 116
Heiberg, J. L., Bibliotheksnotizen III 211
— Vallas u. s. Bibl. III 220
Heidenhain. Suetons vita d. Horatius
II 110
Heinemann, 0. v., llss. III 249
Heinze, M., Eudämonismus I 221
— R., Anacharsis I 19
— Ariston b. Plut. u. Hör. I 12
— de Iloratio ßionis imitatore I 15
Heitz, E., Metaphysik d. Herennios I 83
Hellmuth, H., Sprache d. Sulpicius Galba
u. Cornelius Baibus II 17
Helm, R., Jahresber. üb. Vergil II 148
Helmreich, G., z. Aurelius Victor II 120
— z. Galen I 74
— Galeni fragmenta I 74
Hempel. H., Hss. u. alte Drucke III 247
Hendrickson, G. L., comm. petit. of Cic.
II 3
— dramat. satura a. old comedy III 32
Hense, 0., Ariston b, Plut. I 13
— Bion bei Philo I 16. 130
— Seneca u. Athenodorus I 28
— z. Seneca de tranquillitateanimi I 30
Heraeus,W.,colligere=tollere III 48. 120
— Epitomatoren II 141
— imaguncula II lOS
— Litt. üb. Valerius Maximus u. s.
Epitomatoren II 12G
— vind. Liv. II 72
Hergel, G., z. Liviuslektüre II 79
Herkenrath. R., Gerundium et Gerun-
divum III 92
Hermes, F., CatuU II 215
Herr, L., betriacum = bebriacum II 109
Herriot. Philon 1« juif III 128
Herwerden, H. van, Aschylus I 116
— ad Cebetis Tabulara I 45
— Galenus I 74
Herzog, Äneis U 179
Heyd, W. v., Hss. III 248
Hildebrandt, P., scholia Bobiensia II 25
Hilgenfeld,H , Senecae epist. moral. I 28
Hiller, E, Glaukos v. Rh. I 188
Hilty, Übersetz, d. Encheiridion I 34
Hirsohfeld, 0., z. Cic. ad Atticum II 56
— z. Cic. ad fam. II 54
Hirzel, R., Charakteristik Theopomps
1 100
— Dialog I 5. 25
— Virgil Redner od. Dichter? II 87
Hist. of alphabets
Hist. mss. III 217.
od. Dichter?
III 297
261
Hobein, H., de Maximo Tyrio I 70
Hoffmann, W., Chorlieder u. Wechsel-
(iesänge I 126
Hofinger, F., Euripides I 142
Hofmann,Fr., ausgew Briefe : Cicero II 1 1
Holder. A., Hss III 243
Höik, C, de symboiis Pythagor. I 79. 87
Holzer, anal. 1.: Äneis II 173
Holzner, E., Iphigenie I 150
— Tragiker-Fragm. I 108
Hooykaas, J, Ödipus I 135
Hoppe, H., de sermone Tertull. UI 90
Hoerscheimann, W., Catull II 217
Horton-Smith, L , ars trug. Sophocl. 1 126
Hosius, Einfluß Vergils II 162
— Lucan u. s. Quellen I 102
— z. Lucan u. Senera I 102. 105
Housman, A. E, Äneis II 178
Hoeveler, J. J., Sprache d. Barbarus
III 110
Howard, A. A., Suetonius II 105
Hromada,A.,vorsr,krat. Philosophie I 269
Hss. Karlsruhe III 243
— V. L. Paar lll 254
— Wiirzburü: HI 249
Hss.-Verz. HI 237. 240
Hubo, G., Gebiet der Helvetier II 224
Hülsen, Grab d. Hannibal II 120
— Suetonius U 106
Huemer, C, Orest I 108
— J , gall. Rhythmen u. gall. Lat. III 115
— iter Austriai'uin III 250
— Sammlg.vulgärlat.Wortformen III47
Hunziker, Hyperbel b. Vergil H 152
Jacob, A., probl. de comput IH 205
— souscription du Paiisinus III 205
— sylloge vocab. III 207
Jahn, A . Dionysiaca I 95
Jamblichus, ed. N. Festa I 86
— in Nicomachi arithmet. ed. H Pistelli
I 87
James, R.. Abbey of St Edmund III 262
— mss. III 262
Janet, P., et G Seailles, philosophie 1 206
Jeanjaquet, J., conjorn tion „que* III 116
Jeanroy, A.. et A. Pueoh, hist. de la
litt. lat. lU 12
Jessen, de elocut. Philonis Hl 127
Ihm, M , Bibl. im alt.-n Rom HI 201
— Epigramme d. Damasus III 72
— z. Valer. Mai. u. Jan. Nepot. II 143
HI 65
I
Register.
321
llbarg, J., Galeoiana I 74
— Galenos I 75
Ingold, P . mss. III 245
Joachim. H., Gesch. d. röra. Litt. JULI 11
— R., Milichsche Hibi. Ill 240
Joachimsohn.P ,Bibl.Gos8.'mbrotsIII'236
Joannes Stobaeus, ed. 0 Heose I 105
Joe). K., Sokrates I 272
— Zahlenprinzipien I 2G8
Johnson. Th., Damaskios 1,97
Johnstone, Reime in dim Aneis II 154
Jonas, R , Vcrba frequtnt. u. intens.
b. Cic. II 53 III 54
Jorgensen, C, Ciceros Breve II 37
Jorlo, G.. cod. iguorati III 221
Josa, A. M., ms. III 222
Jülg. H , Neupytbagor. Schriften 1 76
Jurenka, Orestie l 124
Iwanowitsoh, G , de inferis I 108
Kahl, W., Cornelius Labeo I 104
Kaibel. G., Antipona I 137
Kalb, W , Federn in d Rescripten III 103
— z Justinians Institutiont'n III 103
Kalbfleisch, C, Galen 1 74. 84
Karabacek, J., arab. Papier III 195
Karsten, H F., ad Livium II 74
— vestem = testani II 189
Keane, Gh., lat. cursive scripture III 304
Kell, B., Paleographicum III 300
Keinz, F.,Wasserzeuhen d. 14 Jh. III 197
Keller, A., vul^iärlat. Deklination III 44
Kenyon. F. G, Greek Papyri III 138
Kern, H., Supplem z Äneis II 163
Keuffer, M., Hss. Verz III 248
Kindt, z.SextusAureliusVictor II 123.124
Kirchner, E., Papiere d. 14. Jh. III 197
— H., Kratylus 1 241
Kirsch, Rechne;, f Ab.•^chreiben u. Ein-
binden V. Büchern III 203
Klebs, E., Petroniana III 155
— Script bist. Aug. Ill 59
Klimek, F., z. Synesius I 91
Klose, 0., pancgyrici latini III 56
Klotz, ad Vergilium II 183
Kloucek, Verpiliana II 178
Klussmann, E., Boethius de philos.
consolat. I 98
Knaack, z. Vergil II IfiO
Knapp, preposit. in Gellius III 55
Knauer, V , Philosophie 1 3. 206
Knaut, K., Hss, u alte Drucke III 244
Kobell, L. V., Miüiatuien u. Initialien
III 308
Koeberlin, A., de participiorum usu
Liviano II 77
Koch, H., Proklua u. Dionys Areop. I 96
Kthler, C, ms. III 211
Köhler, A., Briefe d. P. Cornelius Len-
tulu.s Spinther II 17
— J., Ilss. u. Incunabeldr. III 24G
Kohlmann, ms. III 24('>
Körner, A. A., epist. Cic. II 23
— E., Tiros Freilassung II 24
Korsch, Th., B//.///-. I 146
Körte, A., Augusteer b. Philodem I 57
Kosegarten, J. 6. L, Afgypt. litt III 13S
— Text ('. Papyrus III 13»
Köstlin, K., Ethik I 221
— Justin II 100
Kraus, F. H.. llorae Metenses III 245
— Schütze St Biasions 111 253
Krause, K Chr. Fr., Philosophie I 217
Krauss, Fr. S., Gemälde im Kronos-
teinpel I 46
— jews in the church fathers III 132
Krell, E., Philo III 130
Kriete, F., AUitteration in d.ital. Sprache
111 114
Krit. Jahresber. üb. d. Fortschr. d.
Roman. Philol. v. K. Vollmöller III 40
Kroll, G., stud. Aur. Symmachi III 65
— W., advers. graec. : Damascius I 98
— — Jamblichus I 87
z. Procl. theol. Piaton. I 95
— afrik. Latein III 75
— chaldäisches Orakel I 81
— ad Cornutum 1 32
— Uermetica I 81
— neuplatou. Parmenideskommentar I
94
Krüger, A., de rebus etc. II 29
— H , Sprachgebr. d. Kaiserkonstitu-
tioneu III 103
— P., Verwendg. von Papyrus u. Per-
gament III 193
Kubelka, Suetonius II 100
Kubier, B , Appendix Probi III 99
— Sprache d. leges ßurgund. III 109
— Focaria Konkubine lII 49
— lat. Sprache auf Inschriften III 79
Kuhlenbeck, R., Bibl. Osnabrück III 246
Kuhnert, Feuerzauber II 169
Kuhnke, R , Hss. u. Drucke III 247
Kukula R , Statist, d. Bibl. III 250
Kunz, F., Realien in d. Aeneis II 157
Lafaye. 6., Catulle et ses modeles II 201
La«hr, H., Wirkung d. Trag. I 108
Lambros, S.. mss. III 256. 258. 259
— (fj>.'7X3; III 207
Lacaita, P., library Chatsworth III 262
Lamprecht, K , Evangelienhs. III 243
— Hss. 111 308
— Initial-Ornamentik III 308
Landgraf, G., Glossographie u. Wörterb.
Ill 50
322
Register.
Landgraf, 6., Latin, d. Porphyrion
III 100
— nucula = somnia III 50
— z. Solinus III 59
Landwehr, H., Buchwesen III 194
— Kurzschriftensystem III 298
Lange, abl. absol. bei Cäsar 11 223
— Gas. bell. Gall. II 22
— Cäsarkritik II 222
— Kongruenz bei Cäsar II 223
— Materialismus I 209
— Cäsar II 225
Largajolli. D., e P. Parisio. Giulano im-
perat. 1 SS
Lattes, E., Etrusk. Analogien III 80
Laurent), E., Florus atque pervigiliam
Veneris II 83
Lautensach, z. griech. Tragik, u. Ko-
mik. T 108
Laves, Vergils Eklogen II 164
Lease, E. B., study of Prudentius III 74
Lebegue, H., nouv. probl. de comput.
III 205
Leben u. Werke d. griech. u. röm. Schul-
schriftsteller ni 11
Lecoy de la Marche, A., art d'enluminer
III 309
— mss. III 202
Leemans, C, papyri graeci III 138
Lehmann, C. A., Cicero ad Atticum II 0
— quaest. TuII. II 58
— 0., tiron. Psalterium III 302
— tachygraph. Abkürzgn. III 299
Lehnerdt,^ M., Gustav Hirschfeld IV 65
Lejai, P., catalogues III 282
— notes latines III 205
Leipold, H, Sprache d. Aemil. Papin.
III 102
Leitschuh, F., Bücherraub III 249
— Hss.-Kat. III 237
Lemcke, H., Hss. u. alte Drucke III 247
Leo. F., Cicero ad Atticum II 1. 56
— Culex II 186
— Varro u. d. Satire I 67
Lessing, K., a u. ab in d. Bist. Aug.
III 60
— bist. Aug. lexic. III 60
Leuschke, de metamorphos. Verg. II 183
Levi, A., Troades 1 152
Lewy, Epic. ad Menoec. I 49
Lezius, J., Bedeutg. v. satura III 24
Liers, H., Kriegswesen d. Alten II 225
Limberg, H., z. Lactantius III 94
Lincke. K., Sokrates I 219
Linde, C, proverbia I 107
Linderbauer, P. B., itoria III 96
Lindsay, W. M., Latin language III 40
— Randglossen in Nonius III 52
LIndskog. C, Stud. z. antiken Drama
I 108
Littig, F., Andronikos v. Rhodos I 71
LIvius ed. A. Luchs II 64
— ed. F. Luterbacher II 69
— ed. R. Novak II 67
— par Riemann-Benoist II 70
— ed. Weissenborn - Müller II 65. 68
— ed. Wölfflin Luterbacher II 70
— ed. A. Zingerle II 66
LO'Cascio, influenza ellenica III 23
Lodi, L., cat. d. cod. III 220
Lortzing, Fr., Bericht üb. d. griech.
Philosophen I 156
Loewy, z. Vergil II 160
Luchs, A., emendat. Livianae II 73
Lucht, M. J. F., Bibl. u. Hss. in Aitona
III 237
Ludwich, A., Hymnen d. Proclus I 95
Ludwig, E , isse = ipse III 49
— praepositionales retro III 50
Lumbroso. G., Aeneis II 180
— documenti Giaeci III 138
— papiro greco III 138
Luthardt, Ch. E., Ethik I 221
Luthe, W., Erkenntaisslehre der Stoiker
I 8
Lyly, J. A., Plootinos I 83
Maass, E., Aratos I 100
— de biographis I 180
— Culex II 186
— observ. palaeosr. III 257
— z. Properz II 169
— Unterweltsvorstellgn. Vergils II 176
Mabilleau. L., philos. atom. I 209
Mackail. J. W., Lat. lit. III 31
— tabularia II 170
Maonaghten, H , Antigone 1 137
Madan, F., cat. of mss. III 265
Maffei, R. S., le favole Atellane III 24
Mahaffi, not. from. Mount Athos III 256
Mahan, A., philosophy I 207
Mai, A., Codices III 138
Malchin, Fr., de auctoribus etc. I 25
Mallinger, L., Medee I 152
Mancini, A., Achae. frg. I 116
— cod. greci III 218
— Elena I 146
— Euripidea I 141
— mss. III 213
Mandarini, E., bibl. Oratoriana III 221
Manitius. M., a. alten Uibliothekskatal.:
Boethius I 99
— — Caesarea II 121
— — Eutropius II 81
Florus II 86
Justinus II 99
Origo gentis Romanae II 117
Register.
323
Manitius, M., Suetonius II 112
— Curtius u. Florus II 86
— Geminos Isagoge I 25
— Geschichtl.a. alten Bibliothekskatal,
III 204
— d. Livian. Gcschicbtswerk II CA
— Philolog. a. alten Bibliothekskatal.
III 204
Marcellino, R , z. Plotin I 82
Marchi, J. de, e 6. BertolanI, mss. III 223
Maresch, P., Liviuslektiire II 79
Marshall, W. W., certain passages II 36
Martha. C , litt, ancienne III 13
— moralistes I 3
Martin, A., mss. grecs III 213. 224
— J. B., mss. III 280
Martini, E., mss. III 209
— quaest. Posidon. I 24
Marucchi, H., monum. papyr. aegypt.
III 191
Maruffi, bibl. di Lucca III 223
Maes. C, bil)l. Angelica III 22.5
MasLatrie, glossaire des dates III 205
Masqueray, P., Electre I 133
— formes lyr. de la trag. Grecque
I 107
Massebieau, z. Philo III 128
Massmann, i. F., libellus aurar. III 138
Masson, Lucrezbiogr. d. Suetoa II 111
— Suetonius II 111
— Suetonius' life of Lucretius II 111
Math^, G., de Catullo imitatore II 208
Matzinger, S., Cyprianus de bono pu-
dicitiae III 90
Mauerhof, E., Wesen d. Tragischen
I 107
MaupoYopoc/xs'.o;; ß-ß>.. III 258
Maxa, R., Uuterwelt Vergils II 177
May, 0.. Caesar II 225
Mayor, J. E. B, visio Pauli III 108
MazzatintI, G , bibl. di Napoli III 221
— bibl. Viscont.-Sforz. III 223
— mss. III 209
Mazzi, C, bibl. di Ni<colo etc. III 231
— Luca Holstein a Siena III 225
— mss. III 218
Meier, G., Hss. lü 205
— Hss.-Kat. III 234
— K., Hss.-Kat. III 205
Meinertz, 0 , Hss. III 238
Meltzer, 0., Bibl. d. Kreuzschule HI 239
Menzel, WeisNeit Salomos III 121
Mercati. G, bibl. di Pomposa III 224
Meyer, Ed , Gesch. d. Altertums I 249
— P., de Cie. sermone II 14
— Athosklöster III 256
Lflbke, Vokalquantität EI 42
Michaut, N., bibl. apud veteres III 201
Mlllard, J. E., Lucanus de deis et fato
I 102
Miller, E., cat. d. mss. lU 272
— Mont Atho.'^ etc. III 256
— J., vita ApolloDÜ d Philostratus I 79
— z. Apollonius 1 79
— 0., röm. Lapforlehen II 224
Milroy, Participle in the Vulgata III lOS
Miodonski, A., Florus' Geüchichtswcrk
II 84
— miscell. lat. : Florus II 91
Mitchell, E. M., philosophy I 217
Mitzschke, P., Kurzschrift III 298
— Tiro-Litt. 111 .".02
Moddermann, Chr., lect. Sueton II 103.
110. 124
Moeller, A., quaest. Servianae III 71
Mommsen, Th., bell. Hispan. II 225
— notae iuris III 301
— Stichometrie III 200
— -Jaffe, 2 röm. Kaiserrescripte III 1S8
Monceaux, P., Africains III 29. 78
— latin vulgaire III 37
Mondello, bibl. e pinacot. in Trapani
III 232
Monse, H., CatuU II 217
Montefiore, C. G., Florilegium Philonis
111 128
Monum. graph. III 285
— tachygr. III 303
Moore, C. H., Firmicus Maternus III 97
— med. Rezepte III 53
MorawskI, C, quaest. Valerian. II 137
— de serm. Script, lat.: Florus II 92
Morgenstern, 0., curae CatuU. II 212
Morlais, M., etudes philos. et relig.
HI 14
Motta, E., libr. Sforz. III 223
Mourlot, F., mss. lat. IH 267
MucciO, G., Sallust I 91
Mücke, R., Hs. III 248
Müller, C. F. M., Caes. bell. civ. II 223
— z. Cicero an Atticus II 53
— Ciceronis scripta II 7
— Fr. W., Beredsamkeit HI 31
— H. de, de Teletis elocutione I 19
— H. J., z. Vahlens Proömium II 139
— J. V., Galens wissenschaftl. Beweis
I 75
— Original, d. nat. quaest. I 30
— J. G., Bibl. Hildesheim IH 242
— K. K.. Janos Laskaris u. d, medic.
Bibl. III 214
— L, Aeneis II 178
— Volksdichtung d. Römer III 16
— P. R., Aeneis II 178
MuAoz y Rivers, J., Paläogr. Visigoda
HI 294
324
Register.
MOntz, E., arts III 227
— bibl. Vatic. III 228. 229
— coli. d. Medicis IH 215
— Vergilsage II 164
— et P. Fahre, bibl. du Vatic. UI 228
Münz, B., Erkenntnistheorie I 268
— vorsokrat. Ethik I 268
MOnzer, F.. Quellenkrit. v. Plin. Natur-
aesch. II 140
Muralt, E., cat. d. mss. III 138
Muzik, H., Hss. III 252
Naber, S. A., ad Synesii epistulas 191
Nageotte, E., bist, de la litt. lat. III 12
Narducci, cat. cod. mss. III 224. 225
— cat. d. mss. III 226
— cod. mss. III 217
— Verzeichn. d. öffentl. Bibl. Italiens
III 20S
Natorp, P. , Erkenntnisproblem I 220
— z. Skepsis d. Altertums I 63
Nauck, A., anal. crit. : Damascius I 98
Diogenes I 47. 60
Proklosbiogr. d, Marinos I 97
— — Synesios 1 91
Naumann, Fr., de verborum usu III 62
Neff, C, de Paulo Diacono III 115
Nehring, A., Senecas nat. quaest. I 31
Nentwig, Uss. u. Wiegendrucke III 242
Nestle, Stichenbezeichnung III 200
Neuwirth, J., Bilderhss. III 250
— Miniaturmalerei III 250
Newman, W. L., Cleanthes' hymn. to
Zeus I 11
Nioole, J., morale payenne I 94
Niedermann, M., Ka-aloyt-, I 125
NIemeyer, K., z. Livius II 74
Nigidii Figuli opera v. A. Swoboda I 77
Nirschl, d. Therapeuten III 122
Noack, Aeneis 11 174
— griech. Diktys III 64
— philos.-gesch. Lexikon I 207
— z. Vergil II 162
Noeldechen, Vergil u. Tertullian II 163
Nolhao, P. de, bibl, de Fulvio Orsini
III 230
— mss. III 215. 230
— peintures de mss. III 309
— Petrarque et l'humanisme III 223
Norden, E., Aeneis II 174. 180
— Briefe d. Ileraklit u. d. Kyniker
I 47
— Entstehung d. Menschengeschlechts
1 6
— Georgica II 171
— griech. Philosophie I 11. 238
— de Minucii Felicia genere dicendi
III 88
— Unfertigkeit d. Aeneis II 172
Norden, E., Unterweltvorstellgn. Vergils
II 174
— Varroniana I 66
— Varros Prometheus I 66
— Varronis saturae I 66
— Vergilstudien I 85. 100
Nordenstam, E., stud. syntact.: Ploti-
niana I 83
Noväk, R., atque u. ac bei Livius u.
Curtius II 76
— z. Cic. ad fam. II 54
— z. Livius II 73
— z. Valerius Maximus II 135
Nürnberger, A , vita S. Bonifatii III 116
Öcheihäu8er,Ä.,Bibl. Heidelberg III 242
Oder, E., anecd. Cantabrig. : Vergil II 160
Odon Reure vide Claade-OR
Olivierl, A., Electra I 148
— ind. cod. III 217
— Orestsage I 126
— u. N. Festa, ind. d. cod. III 212
Olschki, L. S., biblioteche III 201
— Bibliothekswesen III 201
Omont, H., abreviations III 301
— acquisit. d. mss. III 270
— bibl. Harleienne III 264
— bibl. du Mont-Athos III 256
— catalogue III 269
— cat. d. bibl. anglaises III 262
— cat. d. mss. III 215. 234. 285. 306. 307
— Georges Hermonyme III 306
— Jean de St. Maure III 306
— lettre de Allacci III 229
— lettre s III 283
— ms. III 200. 259
— mss. III 214. 232. 233. 238. 242. 264.
266. 271. 273. 274. 291
— paleogr. grecque III 288
Opitz, Th., ad librum de viris illustr.
II 119
— Litt. z. spät röm. Geschichtsschrei-
bern II 81
Oeri, J., Uippolytos I 149
— Symmetrie d. Verszahlen I 107
Origo gentis Romanae II 117
Otte. H., Jahresber. üb. Sophocles I 125
— Wortwiederholgn. b. Sophocles 1 125
Öttingen Wallerst. Sammlgn. III 244
Ottino, 6., cod. Bobbiens. III 211
— e 6. Fumagalli, bibl. bibliogr. Italica
III 208
Ottmann, R. E., Caes. bell. Alexandr.
II 223
Otto, A , Cicero an Atticus II 84
Padigllone, C, bibl. Napoli III 221
Page, Aeneis II 179
— hysteron=proteron b. Vergil II 161
Pajk, }., Sallust als Ethiker I 101
Register.
325
Paoll, C, bibl. Medic.-Laurenz. III 216
— carta di cotone e carta di lino III ll)(i
— instrum. scrittori III 19S
— paleogr. lat. III 2Sfi
— storia d. carta III 19G
Lohmeyer. Abkürzgn. III 301
— — lat. Palacogr. u. Urkundenlehrc
III 189
n a z c< 0 ö :: 0 u X 0 ; , rapl y a'.pop'^oiv III 2.o9
III 258
xa-:aAo7o; III 256. 257
Raza-fsiop-fio^, II. N., vso; xcüo'.^ III
259
Pappenheim, E., Heraklitismus d. Aine-
sidem I 64
Papyri III 142
Papyrus Rainer III 190
Parazzi, L., Virgilio II 154
Parodi, fonologia lat. III 43
Parthey, 6. , framm. di papiri greci
III 139
Pascal, Vergils IV. Ekloge II 166
Passalacqua, J., cat. des antiqu. III 139
Passamonli. E., miti di Sallustio I 91
Paton, W. R., Jamblichus de vita Py-
thagor. I 87
Pae'zolt, F., de glossem. Galen. I 74
Paulson, J., <Po';v".o3c<'. I 152
Pauiy-Wissowa, Realencj'clopädie I 215
Peipers, D., ontologia Fiat. I 220
Pelissier. G. L., cat. d. mss. III 231
— mss. III 271
Peper, U., Properz-Hs. III 240
Perron, H., z. Philod. Oecon. I 57
Pesch. W., dramat. Poesie I 108
Peter, H., script. bist. Aug. III 30. 60
PetrettinI, G., papiri Greco-Egizi IIT 139
Petronius, ed. L. Friedländer III 54
Petschenig, M., colligere=tollerelII 48.
82. 120
— z. Frontins Strategemata III 55
— z. Nepotian II 145
— z. Script, bist. Aug. III 60
Peyron, B , papiri Greci III 139
Pfleid-rer, E., Weisheit Salomos III 121
Pflugk Härtung , J. v., Urk.-Abbildgn.
111 2SS
— päbstl. Schreibschulen III 20."
Philo, Opera ed. L. Cohn et P. Wend-
land III 124
— de aetemitate mundi ed Fr. Cu-
mont III 124
— de opificio mundi ed. L. Cohn III 124
Philodemus. ed. A. Hausrath I 56
— ed. S. Sudhaus I 55
Piazza, S., politica in Sofocle I 126
ficcolomini, E., libr. Medicea III 214
Piohler, Fr., Überliefg. d. Sophokles-
scholien I 125
PIchlmayr, F., z. Sextus Aurelius Victor
1! CO. 121. 123. 124
Pierret. E, bibl. Nation IIl 216
Piscicelli-Taeggl, 0., paleogr. III 294
Pistelii, Jaml)lichea I 86
Platt, A . Agamemnon I 121
— Virgil. idiora II 161
Plomer, B., refer. to books III 261
Ploss, Sprachgebr. d. Minucius Felix
III .s5
Plotinus, by Th. Davidsohn I 82
PIÜ8S, Th., z. Aesch u. Hom. I 122
— Agamemnon u. d. Tragische I 122
— Dramaturgie u. Elektra I 133
— Electra l 133
Plutarch rec. Bernardakis I 172
Podesta, B., libr. Laurenz. III 215
Pohl, J., loct. Catull. II 212
Pöhlmann, H., Hss. u. alte Drucke III 248
Polaschek, A., Anschauungsunterricht
II 7',)
— Caesariana II 22
Poelchau, A., Bücherwesen III 189
Ilo/, [TT,:, r., IlcXcc.ofp, 'izoayooXoy.a
III 299
Polle, F., Aias I 132
— Ovidius u. Anaxagoras I 102
Polster, L., z. Cic. ad Atticum 11 57
Poppelreuter, H., Erkenntnisslehre Zenoa
u. Kleanthes' I 11
Porphyr!! quaest. Hom. ed. H. Schrader
I n;
Porro, G., cat. d. cod. mss. III 219
Poste, E., Jebb's edit. of Sophokles 1 125
Postgate, J. P., CatuUiana II 212
Praechter, K., Dio Chrysost. als Quelle
Julians I 90
— Philoexzerpte III 125
— Litt. z. d. nacharistot. Philosophen
I 1
— Metopos, Theages u. Archytas bei
Stob. I 79
Premerstein, A. v., Mythus in Helene
I 147
Preuss, A.. de versuum iamb. usul 117
Procius, ed. A. Jahnius I 95
— ed. A. Ludwich I 95
— comm. in Plat. ed. R. Reitzenstein
I 94
Prosorowsky, 0., Hss III 261
Prou, M , manuel d. paläogr. III 292
Ptolemy Philadelphus, revenue laws
IIl 137
Pulch, Bibl. Rinteln III 246
Puntoni, V., cod. greci III 220
QuadrI, Enea II 156
326
Register.
Quentin-Bauchart, E., bibl. de Fontaine-
bleau III -271
R.. 0.. vita Terentii II 110
Rabe, H. . Holstenius' Nachlaß III 225
Rachel, M., Bibel Hss. III 239
Rademann. A., Üdipus I 134
Radermacher, L., observ. : Apollonius vita
I 71)
Radinger, SuetoDS Lucrezbiogr. II 111
Rahn, R., psalterium aureum III 29G
Ramorino, F., pronunzia popolare III 41
Ranke. E., testam. vetus HI 240
Ranninger, F., Allitteration b. d. Gallo-
lateinern III 113
RasI, P., de carmine elegiaca III 25
— elegia III 25
Rauschen, 6., ephemer. Tüll. II 24. 5G
Ray, tabularia II 170
Rebelliau, B., de Virgilio II 154
Reeck, A., Syntax d. Catull II 210
Reichardt, 6., Artemidorus Daldianus
I 4. 103
Reichenhart, Aeneis II 179
Reimann, E., Nicolaus Damascenus I 72
Rein, K., Cic. Briefstil III 54
Relnach, S., Joseph Gantrelle IV 60
— Th., auteurs grecs etromains III 118
— Juifs et Grecs III 139
Rainers, A., Hss. III 268
Reitzensteln, R , Dirae u. Lydia II 187
— Gesch. d. röm. Litt. III 18
Rendali, G. H., z. Marc. Aurel Ant. I 41
Rendel, J. H., stichometry III 200
Reumont, A. de, bibl. Corvin. III 251
— Bss. III 216
Reuvens, C. J. C, lettres sur papyrus
III 139
Reviliout, E., ehrest, demot. III 139
Revue Egypt. III 140
Rhodius. A., de L. Munati Planci ser-
mone II 20
— de Syntaxi Plauciana II 20. 53
Ribbeck, 0., antikrit. Streifzüge II 187
— Gesch. d. röm. Dichtung III 18
RiCOtti, E., bibl. Corvin. III 251
Ries, 6 , eques — equus III 48
Riese, A. z. Aurelius Victor II 124
— epitome II 124
— Feldzug d. Caligula II 107
— Florus II 96
— Glaubwürdigkeit d. Florus II 84
— Suetonius II 116
Ritss, E. , Superstitions a. Populär
Reliefs I 108
Riforgiato, natura nel Virgilio II 156
Ritter, H., et L Preiler, bist, philos. I 215
Robert. C, Scenerie I 119
— U., cat, d. mss, III 260, 285
Robert, U , e cedille III 296
— mss. III 265. 269. 273
Robinson, J. A.. passion of S. Perpetua
III S8
Rocchi, A., cod. Crypt. III 218
Rockinger, L , Schreibstoffe in Bayern
III 190
Rodier, 6 , Alexander v. Aphrodisias 1 72
Rogge, H. C, bibl. Amsterdam III 266
— r;-pv; bei Suidas I 193
— Psyche I 4. 221
Roose, V , Hss. III 237
Rooses, M., catalogue III 266
Roesener, B , Andronikos v. Rhodos 171
Rossbach, 0 , Ammian u. cod. Petrin!
III 226
Rostagno, E., cod. Laurenz. III 215
— u. N. Festa, cod. Laurenz. III 215
Roth, E., Hss. HI 249
— R., Liberei Hohentübingen HI 245
Rouard, IUI. E., catalogue III 275
Rühl, F., Bibl. in Sicilien III 213
— epitome II 124
— Plinius II 119
Ruelle, C.-E., Alexandre d'Aphrodisias
I 72
— Damascius I 97. 98
— Hermias I 97
— musicographe Alypius I 99
— Phedre I 96
— u. J. Martha, cryptographie grecque
in 304
Ruess, F., Tachygraphie III 299
— tiron. Endungen III 302
Ryle, Philo a holy Script. HI 127
Saalfeld, G. A., de bibl. sacr. graec.
Ill 106
Saarmann, T., Oenomai fragm. I 48
SabbadinI, R, cod. lat. III 214
Sc(xx a"/, '!(i)v, xßT. yiipoYfjd'foJV 111 255
— , — of Greek mss. III 256
— , — x(ij?^ixojv III 255
— mss. III 256
— llry.TU.'.7Xy; ß'ßX. III 259
Sakorraphus, G. M., z. Themistios I 76
Salazaro, D., arte d. miniatura III 309
Salome-Marine, coltura class, III 222
Salvioni, C , cod. Viscont.-Sforz. III 223
Sanday, W., byzant. influence III 294
Sanders, H. A., Quellencontamination
bei Livius II 140
Sartorlus, M., Astronomie I 241
Savio, C. F., filosofia I 217
Scala, R. v., «»ao; b. Polybiua I 101
— z. Polybios I 100
Schafstaedt, H., de Biogenis epist. I 47
Sohanz, M., Gesch. d. röm. Litt. III 2
— Suetons pratum II 102
Register.
327
Soharnagl, J., de Arnobii latin. lll ii-l
Scheid, N., Weltanschauung d. Boethius
I 9V)
Scheil, V., Philo III 120
Scheindler, A., metr. Stud. z. Soph. 1 12G
Schelle, E., z. Cic. ad fani. II 54
— Echtheit ciceron. Briefe II 33
— Todeskampf d. röm. Republik II 32
Schenkt, C, Ambrosius u Philo III 125
— H., bibl. patium lat Britann. III 2(U
— z. M. Antoninus su icu-cv I 41
— Stobaios' Florilegium I 105
Schep88,G.. Aristoteles u.Porphyrius 1 83
— z. Boethius I 98
— Boethius de consolat. I 98
— z. Candidus Arianus III 97
— mathemat.-musik. Werke d, Boethius
1 99
— opusc. Porphyr, d. Boethius I 99
Schermann, Vergils IV. Ekloge II 167
— Vergils Vorstellgn. v. Jenseits II 177
Scherrer, G., Hss. III 235
Schiaparelli, precursori di Copernico
I 241
Schlehe, Th., Ciceros Briefwechsel II
25. 2G
— z. Cic. ad Attieum II 57
Schiller, H., bell. Gall. II 223
Schinnerer, J. Fr., Seneca an Marcia 1 28
Schirmeister, H , Erscheingn. in d. Ge-
schichtsschreibg. UI 28
Schlutter, 0., z. lat. Glossographie III 52
Schmalz, J. H., Charakter u. Sprache
d. Matius III 53
— Sprachgebrauch d. Asinius PoUio
n 18
— Sprachgebrauch nichtciceron. Briefe
II k;
Schmekel, A., Philosophie I 20
Schmid, W., Kyklos I 151
Schmldinger, Fr., Florus II 85
Schmidt, A. M. A., Livian. Lexikographie
II 77
— Livius-Kommentar II 75
— C, Synesius I 92
— Fr., Cicero ad Attieum II 10. 38
— G.. Aman I 41
— de arte biogr. II 101. 120
— Hss. III 241
— L, Andreas Darmarius III 30G
— Ethik I 221
— 0. E., d. Bürgerkrieg II 28
— Catalepton II 184
— z. Cicero ad Attieum II 48. 58
— Cicero ad Brutum II 33
— z. Cic. Briefen II 47
— Cic. Briefwechsel II 31. 41. 224
— Cic. beim Bürgerkriege II 28
Schmidt, 0. E., Faberlus II 30, 58
— e. unverstandener Witz Cic. II 58
— Viscont. Bibl. III 223
— W. A , Forschgn.: griech. Papyrus-
urk. III 140
Schmidtmayer, R., de orationibus etc.
III 2s
Schmitz, W., notae Tiron. III ;;u2
— Tachygraphie III 301
— Tiron. u. Kryptograph. III 304
Schneider, M., Hymnen d. Proklos I 90
— R, Cai'sar 11 220
Schnorr v.Carolsfeld,F., IIss.-Kat. III 239
Scholia verbis Nemesii ed. C. Burkhard
I 93
Schoen, G., Elogien d. Augustusforums
u. de viris illustr. II 81. 87. 117
Schoene, A.. Nationaldrama d. Römer
III 23
— H., Galeniana I 75
Schorn, J., Präposit. b. Justinus III 57
— Sprachgebr. d. Eutropius III 60
Schow, N., Charta papyr. III 140
Schröder, F., CatuUiana II 213
SchDhiein, F., z. Posidonius Rhodius I 23
Schultze, 0, Euripidea 1 141
— V., Rolle u. Codex III 194
— W., Mönche III 294
Schulze, E., Äneis II 178
— K. P., Kodex M d. Catull II 198
— röm. Elegiker: Catull II 212
— W., z. Appendix Probi III 99
— raanuclus III 49
Schum, W., Amplon. Hsssammlg. III 239
— cod. Amplon. Erfurt. 111 296
Schwab, Uannibals Grab II 120
Schwa»'CZ, j., Staatsformen d. Aristot.
I 221
Schwartz, E., Aratos I 100
— Euripides I 142
Schwarz, P.. de ephymniorum usu 1 117
— W., Julianstudien I 89
Schwarze, R., Drucke u. Hss. III 239
Schwegler, A., Gesch. d. Philosophie I 2
— griech. Philos. 1 215
Schwenck, E. v., Johann. Anschauung
V. Leben HI 132
Schwenke,P., Adreßb.dtsch.Bibl. III 236
— Bibl. d. IX. Jh. III 236
Schwertschlager, J., Organismen I 238
Schwickert, J., Triptychon I 125
Sciascia, P., arte in Catullo II 208
Seaton, z. Vergil II 168
Seebass, 0., Hss. III 211
Seeck, 0., z. Synesios I 91
Segebade, J., Vergil als Seemann II 157
Seghers, L., antikcAlphabete etc. III 309
Seiller, B., de sermone Minuc. III 85
328
Register.
Seltz, A., Oatull II 209
Sepp. S , Pyrrhoneisohe Studien I 63
Sextus Phythagoricus ed. A Elter I 80
Shulilier.F..bibl. deFoutainebleau III271
Sickel. Th., über diurnus III 295
Siebeck. H., Entstehung d. Termini
natura etc. I 96
— Ps-chologie I 221
Sillei, A. J af, Piatonis pbilos. test.
I ISO
Simon. J., comparationes apud Catullum
II 209
Simp Icius ed. H. Diels I 174
— ed J.. L. Heibere; I 175
Simpon, Äneis II 178
Sittl. C, Archaismus III 40
Skutsch, F., Catull 11 217
— iaientare, iaiunus III 49
Sinyth,H.W.,anapaests of Aischylos 1 117
Soldini, E., storia d. satira HI 24
Soltau, Nepos u. Plutarch II 119
Sonntag, z. Lydia II 189
— Vergils IX. Ekloge II 169
Sonny, A., lupana III 49
— z. M. Antoninus ;'.: eczutov I 41
— Spichwörter u. sprichwörtl.Redens-
artcn III 32
Sophokles, Tragödien v. F. Bader I 126
V. 0. Hubatsch I 126
by C. Jebb I 125
by R. Y. Tyrrell 1 125
— Aiax by R. C. Jebb I 131
— Antigene v. V. Valentin I 138
erkl. V, N. Wecklein I 136
— Electra. erkl. v. G. Kaibel I 132
V. N. Wecklein I 132
— König Ödipus, erkl. v. Schneidewin-
Nau k-Bruhn 1 134
— Üdi[)usTyr. erkl. v.N. Wecklein 1 134
— Phiioktetes. erkl. v.N. Wecklein I 138
Sorn, J , Praeposit. b. Justinus 11 97
— Sprachgebrauch d Eutropius II 81
Spohr, F., Präposit. b. M. Aurel. Anton.
I 42
Stacey, S. G., d. Livian Stil 11 78
Stedler, H , Pflanzennamen im Dios-
koiides III 52
Stadtmüller, H., Tragikerfragm. I 108
Stahl. J. M., Peter Langen IV 1
Stampini, E , leggenda di Enea e Didone
II 156
Ständer, cat. chirogr. III 245
Stange, C , de Arnobiana oratione HI 93
Stangl Th , bibl. Ashburnham. III 217
— Boethius I 98
— z Cic. ad Atticum II 57
— Epitomat. d. Val. Max. II 145
— Justinus II 100
Stangl, Th., lat. Rhetoren u. Gramma-
tiker III 72
— z. Valerius Maximus II 140
Stanley, J., Troades I 152
Stelle, archaisms II 182
Steffens, Fr., griech Philosophie I 192
Stegert, A., mss. HI 270
Steiger H., Elektra I 148
Stein, H, mss. III 266
— J., Homerstud. der Stoiker I 9
— L., Vorläufer d. Occasionalismus I 9
— Psychologie d. Stoa I 221
— u. P. Wendland, nacharistot. Philos.
d. Griechen u. d röm. Philos. I 1
Steinthal, H., S rachwissenschaft I 241
Stenersen. L. B., Catulls Dichtung II 207
Stengel, P., Ootvia^c^i I 153
Sternbach, L., gnomol. Vatic. I 105
Sternkopf, W., Ciceros Briefe II 29
— Ciceros Korrespondenz H 22
— z. Cic. ad. Atticum II 55. 56. 57
— Cic. ad Trebonium II 29. 57
— quaest. chronol. II 26
Stettner, de Columella Verg. imitat.
II 163
Steudener, H., Hss. u. ältere Drucke
HI 247
Stewart, H. F., Boethius I 99
Stigimayer, J., Hss. III 246
— Prcklus u. Dionys. Areop. I 96
Stix, J , Sprachgebrauch d. h. Hilarius
III 68
Stobaeus rec. C. Wachsmuth I 170
— rec. C. Wachsmuth et 0. Hense 1 173
Stoff L. M E., Gramm, d. lat. Kirchen-
sprache III lÜS
Stolz, Gramm, d. lat Sprache III 39
Stowasser, J. M , Idylle II 108
— Lexik.-Krit. a. Porphyrio III 101
Strathmann, 6 , de hiatus fuga apud
Philod. 1 57
Strootman, K. E. W., Sieg üb. d. Ale-
mannen II 124
Struve, Ethik d. Plotin I 83
Studemund, G., u. L, Cohn, griech. Hes.
III 237
Sturm. J., Franciscus Graecus III 306
Sudhaus, S., Alexinos I 55
— Aristot. b. Epikur. u. Philodem I
.■j3. .00
— Nausiphanes I 55
— z. Philodem I 56. .58
— — Epic. Gastmahl I 49
Suetoni Divus Augustus by E. S. Shnck-
burgh II 113
— Divus Claudius ed. H. Smilda II 114
SOpfle, G., Gesch. d kyn. Sekte I 18
Surber, Heinr. Schweizer-Sidler IV 97
Register.
329
SusemihI, Fr, Aratos I 100
— Biou u. Pittakos b. Laert. Diog. I 62
— Geburtsjahr d. Zeno I 10
— griech. Litt, in d. Alexandrinerzeit
I i\
— z. Laertios Diogenes I 2l'. 61
— Thrasyllos l 6i>. 68
Szily, K. V., Mss.-Sammlg. III 251
Tab. cod. mss. III 25o
Tannery, P., abreviations III 300
— astronomie I 241
— chiffres arabes III 305
— geometrie I 241
— miscell.: Nicodem. I 80
— — Proclus I 95
— science hellene I 254
— Theon de Smyrne I 69. 70
Tauber, G , Iphigenie I 150
Taylor, T., Jamblichus I 87
Teletis reliquiae ed. 0. Hense I 16
Teza, E., Nemesiana I 93
Theon de Smyrne par J. Dupuis I 69
Thiaucourt, C, Stobaeus I 171
Thielmann, Ph., ab u. ob III 42
— Ersatz d. Reciprocums III 44
— europ. Bestandteile d. lat. Sirach
III 83..
— lat. Übersetzg. d. Buches Sirach
III 82„
— lat. Übersetzg. d. Buches d. Weis-
heit III 80
Thilo, Chr. A., Philosophie I 215
— Probuskommentar: z. Vergil II 165
Thomas, E., Brieffragm. d. Metodor I 54
— z. d. epikur. Sprüchen I 50
— griech. Philos, b. Seneca I 30
— mss. III 238
— P., cat. d. mss. III 266
— ad Julianum I 89
— lettres de Julien I 89
— litt. lat. III 13
— Rome et la Utt. lat. III 13
— P.-F. Epicuri canonica I 51
Thommen, R., Schriftproben HI 296
Thompson, books a. mss. III 265
— calügraphy III 287
— catal. of class. mss. III 205. 264
— catal. of Stowe mss. III 264
— grotesque a. humor. in iUuminat.
m 308
— mss. m 207. 294
Thomson, de comparat. Vergil II 152
Thümen, K., Iphigeniensage I 150
Thurneysen, R., Reciprocität im gall.
Latein III 44
Thyen, L., Bibl. Osnabrück III 245
Tiele, P. A., cat. cod. mss. III 268
Jahresbericht für Altertumswissenschaft.
Tiktln. L, Philo 111 1.07
TImoschenko, Suetou II 108
Tittel, C, de Gemini stud. mathemat.
1 2(1
Torre, R. de, egloga di Virgilio II 168
Tougard, transscript. d.mss.grecsin202
Townsend, latinity of theVulgata III 105
Traube, L., libam. crit. notae Tiron.
III 302
Suetonius II 103
— Lotharius v. L. Amand III 307
Tredwell, D. M., Apollonius of Tyana
I 77
Trieber, Catocitat u. Aeneis II 182
Tucker, G., Agamemnon 1 121
— point of metre I 108
Tyrrell, R. Y., correspondence of Cicero
II 2
— Sophociea I 125
— a. L. C. Purser, correspondence of
Cicero II 7. 32. 45
Überegger, J., Schuldfrage d. Antigene
Überweg-Heinze, Philosophie I 2. 215
Uhllrz, K., Wiener Bücherwesen III 202
Ulimann, K., Appendix Probi III 98
Unger, G. F., Alexander Polyhistor. I 70
— ApoUodoros I 193
— Apollodor üb. Xenophanes I 193
— Gesch. d. Pythagoreier I 193
— Zeitverhältn. d. Anaxagoras u.
Empedokles I 193
Unna, Absichtssätze b. Philo III 127
Urwaiek, J., Delphi u. d. gr. Philos. 1 222
Usener, H., Epikur. Schriften I 59
— Epikur. Spruchsammlung I 50
— Laertius Diogenes I 62. 184
— de Philodemi loco I 57
— Piatontext I 67
— var. lect.: Laertius Diogenes I 60
Philodem I 48. 55
Proklos I 94
Sextus Emp. I 66
UssanI, Aeneis II 180
— fusione di due voci II 166
— z. Vergil II 168
Ussing, J. L, Vitruvius de architectura
III 55
Vahlen, J., Alexandr. Gedicht d. Catull
II 210
— Catullus U 210
— de delicüs orat. Catull. II 210
— Hercules I 149
— Livius
— Proömium: Valerius Maximus II 132
— varia: z. Galen. I 74
Vallee, L., bibl. Nation, m 269
Bd. LXXXXVm. (1898. DI.) 22
330
Register.
Valmaggi, L., storia d. litt. rom. III 12
— Virgilianismo II 1(;2
— Virgilio anomalo? II 149
Vergilius, opera rec. Papillon-Haigh II
152
rcc. 0. Ribbeck 11 150
— Aeneid by T. E. Page II 151
Vernier, Commodien et Verecundus III 4 1
— phonetique du latin vulgaire III 41
Verrall, A. W., Calendar in Tracbiniae
I 14
Vianello. Vergils III. Ekloge II IGG
Victor Aurelius de Caesaribus, rec. F.
Pichlmayr II 121
Viereck, P'. alt. Papyruslitt. III 135
Ville de Mirmont, H. de la, Apollonios
de Rhodes et Virgile II 155
— niytliologie et dieux II 158
Vitelli, 6., cod. greci III 217
— zu Euripides I 154
— framm. di AUessandro di Afrodisia
I 72
— spicilegio florent. III 200
— e Paoli, paleogr. III 287
Vliet, J. V. d., error paläogr. III 301
— ad glossas nominum III 52
— incommoditas III 49
— z. VtTgil II 163
Vogel, Fr., Cäs. 2. Exped. nach Bri-
tannien II 225
VogI, F., Zahlensymmetrie u. Responsion
im Sophokl. Drama I 125
Voigt, P., Phoinissai I 153
Volger, H., Seelenteile I 4. 221
Volkmann, W., Diogenes Laertius I 185
— de Diogene Laertio et Suida I 60. 61
Vollbrecht, W., F. Vollbrecht IV 91
Vollgraff, J. C, Andromacbe I 146
Vollmann, Fr., d, spätere Stoa I 27
Vries, fi. de, Boethii fragm. III 303
— exercitat. palaeogr. III 303
Wachsmuth, C, zu d. Florilegien I 167
— inschnftl.Beisp.v.KolometrieIIl201
— Pentadonbände III 194
— Timagenes u. Trogus 11 96
Wagener, C, cod. Gothanus 101 III 304
Wally. N. de, Papyrus-fragm. III 140
Walter, J., Gesch. d. Aesthetik I 106
Walters, Einfluss Vergils II 162. 170
Wassmer, J., Antigone I 136
Watson, E. W., style of St. Cyprian III 91
Wattenbach, W., Hss. III 234. 241
— Palaeogr. Ill 288. 293
— Scbrifttafeln III 289
— Scbriftwesen III 190
— et A. V. Velsen, exempla cod. graec.
III 291
Weber, F. H., quaest. Catull. II 217
I
Weber, F. H., Zahl- u. Raumbegriffe
I 220
Wecklein, N., z. Kritik d. Eurip. l 142 ■
— Litt. üb. griech. Trag. I 107
Weicker. G., Bibl. Schleusingen III 247
Weigel, F., quaest. Vergii. II 183
Weil, H., drame antique I 107
— papyrus inedit III 140
Weinberger, 6., tavolette greco-egizie
III 191
— W., cod. graec. III 210
— ad Cornutum I 33
— griech. Hss. III 224
Weinstein, z. Gesch. d. Essäer III 122
Weirich, F., perspieivus III .50
Welse, F. 0., Charakter, d. lat. Sprache
III 3S
Weiske, Aeneis II 180
Weissenfeis, 0., de Platonicae et Stoi-
cae doctrinae affinitate I 8
Welzhofer, R., Plinius-Hs. HI 215
Wendland, P., Benutzg. d. Philo durch
Clemens Alex. III 125
— Ber. üb. d. iüd.-hellen.PhiIos.III 118
— z. Philo III 125
— r.-c(A {>cO)v I 172
— Philo-Forschungen III 124 1
— Philo-Fragm. III 126
— Philo u. d. kynisch - stoische Dia-
tribe I 42. 130
— z. Philos de posteritate Caini III 125
— Philo üb. d. Vorsehung III 130
— Quelle Philos III 131. 172
— d. Therapeuten u, d. philon. Schrift
V. beschaul. Leben III 122
Wendung, E., z. Posidonius u. Varro I
23. 66. 101
Wentzel, H., infinitivi apud Justinum
III .-,7. 99
Wessely, K., e. bilingues Majestätsge-
such III 140
— Chrysographie III 197
— Holztäfelchen III 191
— Hss. III 305
— Jahresber. d. Staatsgymn. Hernais
III 140
— Papyri III 140. 141
— Tachygraphie III 298
— Vokalzeichen III 298 §
Wetzel, M., König Ödipus I 135
Wernicke. K., Bockschüre u. Satyrdrama
I 107
Werth, A., de Terentiani sermone III 101
Wetzstein, Wandlung d. stoischen Lehre
I 20
Weymann, C, Acta Perpetuae III 90
— colligere — tollere III 48
— Glossographisches III .52
Register.
331
Weymann, C, krit.-sprachl. Anal. III 48
— genibus nixis III 49
— itoria III 9G
— Novatian u. Seneca üb. d. Früh-
trunk I 104
— proccdere ^ proferre III 50
Wiegan d, Schlacht zw. Cäsar u. Ariovist
II 224
Wiesner, J., Baumbastpapiere III IPO
— Unterschgn. d. Papiere v. el-Faiiüm
III lli')
Wilamowltz-Möllendorf, U. v., Antigonos
V. Karystos 1 182
— comm. metr. : ad Aeschylum I IIG
~ Chorpartien d. Aeschylus I 118
— zu Euripides I 141
— Perser I 120
Wilcken, U., Actenstück z. jüd. Kriege
III 141
— Aktenstücke a. Theben III 141
— Gesandtschaften vor Claudius III 141
— memphit. Papyri III 141
— recto od. verso III 192
— Tafeln z. Paläogr. III 290
— 'r-oavr|lic<-'.3ii.o( III 141
Willmann, 0., Idealismus I 220
— P.. llss. u. Frühdrucke III 249
Willrich, H,, de coniurat. Catilin. fon-
tibus II 81. 86. 102
— Juden u. Griechen III 118
Windelband, W., Philosophie I 2. 3. 206.
217.
Winkler, L., Dittographieen II 63
— Infinitiv bei Livius II 78
Winterfeld, P. v., Catalepton II 184
— schedae crit.: Sueton II 108
Witkowski, St., prodr. gramm. papyr.
III 141
Wittekind, H., sermo Sophocleus I 125
Wladimir, A., Hss. III 260
Woisin, J., de Graecorum notis numeral.
III 305
WölfTiin, E., amai u. venui III 44
— Arch. f. lat. Lexikogr. : Epitome
II 124
Sueton II 113
Vergil II 161
— Asinius Polio de hello Afric. II 18
— Aufgaben d. Tbes. ling. lat. III 46
— auris, auricula III 69
— beneficio-merito III 90
— Brief d. h. Clemens an d. Korinther
m 84
— Carduus, cardus, cardo III 69
— Cyprianus de spectaculis III 90
- Didascalia Apostolorum III 109
Wölfflin, E., eques = equus III 48
— exemplare III 48
— z. Florus 11 92
— Freisinger Itala 111 104
— Uss. III 235
— Infinitiv meminere III 49. 112
— Latinität d. Asinius Polio II 18
— Latin, d. Benedikt v. Nursia III 112
— lupana 111 49
— Minucius Felix III 85
— Mulomedicina Chironis III 70
— Paläogr. u. Unpaläogr. III 286
— reflexiver Gebrauch d.Verbatransit.
III 44
— salvator etc. III 104
— satrapicus II 110
— Script, bist. Aug. III 60
— senus -= sinus III 50
— Umschreibgn. mit tempus. mitan
III 46
— vitio mit Gen.^propter III 90
Woltjer, Lucrezbiogr. d. Sueton II 111
Wotke, K., Abschreiben d. Hss. III 198
Wright, H , Sopbocles I 125
Wulf, M. de, monasteres et transscript.
des mss. III 202
Wulsüh, 6., per apud Livium II 78
Wünsch, Üanae I 1.54
— Senecas natur. quaest. I 31
Wyse, W., z. Marc. Ant. I 41
Xenia Bernard. III 250
Young, Th., discoveries III 141
— hieroglyphics III 141
Zahlfleisch, J., Polemik Alexanders v.
Aphrodisia I 73
Zahn, Th., Epiktet u. s. Verhältnis z.
Christentum I 39
Zangemeister, K., Durchforschg. d. Bibl.
Englands III 263
— Geographie d. röm. Gallien III 302
— et W. Wattenbach, exempla cod. lat.
m 293
Zaniboni, Virgilio II 164
Zarncke, E., Klosterbibl. III 245
Zazzeri, R., cod. e libri III 213
Zeller, E., Ammonius Sakkas u. Plotinus
I 81
— griech. Philosophie I 2. 217. 251
— Kynismus u. Christentum I 48
— miscellanea I 57. 276
— Plato üb. Philosophen I 189
— Vorgänger Darwins I 238
Zeno, de rebus physicis const. K. Troost
I 10
— a. Cleanthes by A. C. Pearson I 10
Ziegert. P., Mysterienlehre III 131
Ziegler, Th., Ethik I 221
22*
332 Register.
Ziehen, J., e. Ciceronianum II 56 Zimmermann, M, Tacitus et Seneca I 102
— z. Cic. Briefen II 44. 47 Ziwsa, C, z. Optatus Milevitanus III 96
— Cic. im Bürgerkriege II 28 Zöller, M., Gesch. d. röm. Litt. III 10
— z. Cic. ad Atticum II 55 ZQndel, griech. Bücherkatal. III 141
— z. Cic. ad fam. II 54 Zuretti, C. 0., zu Euripides I 154
— z. Cic. ad Quintum fratrem II 59 — Ind. d. mss. III 232
— epheni. Tullian II 27 — niisoginia I 145
Zielin8ki,Th.,Traci)inieriDnenI 138. 140 Zycha, J., z. Italafrage III 103
■ iniKII luCnMuGXtUI-MTIM-lUCLllCIIAfT, KTiEMHMH-XIWK BU LTTTI-VUllliI
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3
J3
Bc3. 96-98
Jahresbericht über die Fort-
schritte der klassischen
Altertumswissenschaft
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